Dina Hummelsheim Die Erwerbsbeteiligung von Müttern: Institutionelle Steuerung oder kulturelle Prägung?
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Dina Hummelsheim Die Erwerbsbeteiligung von Müttern: Institutionelle Steuerung oder kulturelle Prägung?
Dina Hummelsheim
Die Erwerbsbeteiligung von Müttern: Institutionelle Steuerung oder kulturelle Prägung? Eine empirische Untersuchung am Beispiel von Belgien, Westund Ostdeutschland
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Zugl. Dissertation Universität zu Köln, 2008
1. Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009 Lektorat: Katrin Emmerich / Sabine Schöller VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Rosch-Buch, Scheßlitz Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-16318-5
Vorwort
Die vorliegende Arbeit entstand im Rahmen meiner Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für empirische Sozial- und Wirtschaftsforschung der Universität zu Köln. Sie wurde im Wintersemester 2007/08 als Dissertation an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln angenommen. Für die Unterstützung meiner Kollegen, Freunde und Verwandten während der vergangenen Jahre möchte ich mich ganz herzlich bedanken. In erster Linie danke ich meinem Doktorvater Prof. Hans-Jürgen Andreß, der mir die Anregung zur Bearbeitung dieses Themas gab und mich in vielfältiger Weise gefördert hat. Profitiert habe ich darüber hinaus von den hilfreichen Kommentaren und Diskussionen mit meinen ehemaligen Kolleginnen und Kollegen am Lehrstuhl. Rebecca Lange danke ich herzlich für das schnelle und zuverlässige Korrekturlesen des ersten Manuskriptes. Meinem Lebensgefährten Jochen Hirschle schulde ich ganz besonderen Dank für seine fachkundigen Anregungen, Korrekturhilfen und Ermunterungen, mit denen er mir stets zur Seite stand.
5
Inhaltsverzeichnis
1
Einleitung .................................................................................................. 15
2
Theoretische Ansätze zur Erklärung nationaler Differenzen im weiblichen Erwerbsverhalten .................................................................. 22
3
2.1
Der wohlfahrtsstaatliche Erklärungsansatz ..................................... 23
2.2
Der kulturelle Erklärungsansatz ...................................................... 28
2.3
Das Zusammenspiel von Kultur und Struktur: Die Theorie des Geschlechter-Arrangements von Pfau-Effinger .............................. 34
2.4
Mikroökonomische Erklärungsmodelle: Der Einfluss individueller Ressourcen ...................................................................................... 39
2.5
Das Verhältnis von Familienpolitik, Kultur, individuellen Merkmalen und der weiblichen Erwerbspraxis............................... 43
Die Familienpolitik in Belgien, West- und Ostdeutschland................... 46 3.1
Wohlfahrtsstaat und Erziehungsarbeit: Wie wirkt Familienpolitik auf eine mütterliche Erwerbsentscheidung?.................................... 46
3.2
Die Ausgestaltung der Familienpolitik in Belgien, West- und Ostdeutschland ................................................................................ 50 3.2.1 Elterliche Freistellungsregelungen ................................. 51 3.2.2 Sozialrechtliche Anerkennung von Erziehungszeiten .... 57 3.2.3 Das Angebot an öffentlicher Kinderbetreuung............... 58 3.2.4 Monetäre Transfers: Kindergeld und Steuererleichterungen ..................................................... 62
3.3
Zusammenfassung und Vergleich der Vereinbarkeitspolitiken in Belgien, West- und Ostdeutschland ................................................ 71
7
4
5
6
8
Die Geschlechterkultur............................................................................. 74 4.1
Theoretische Annahmen über die Geschlechterkulturen in Belgien, West- und Ostdeutschland ................................................ 75
4.2
Zur Messung kultureller Orientierungen......................................... 78
4.3
Empirische Befunde: Einstellungen zu Familie, Beruf und Rolle der Frau ........................................................................................... 79
4.4
Zusammenfassung der kulturellen Länderprofile............................ 87
Theoretische Ableitung der Hypothesen................................................. 90 5.1
Die Altersabhängigkeit des Kindereffektes und die Wirkung familienpolitischer Maßnahmen...................................................... 90
5.2
Die beschränkte Reichweite familienpolitischer Maßnahmen: Die Wirkung kultureller Frauenleitbilder........................................ 98
5.3
Weitere Einflüsse .......................................................................... 102
Analysedesign, Operationalisierung und Methoden............................ 108 6.1
Analysedesign ............................................................................... 108 6.1.1 Die Messung von institutionellen Effekten .................. 108 6.1.2 Die Messung von kulturellen Effekten ......................... 109 6.1.3 Die Messung von Restriktionen seitens des Arbeitsmarktes.............................................................. 110
6.2
Daten ............................................................................................. 111
6.3
Untersuchungsgruppe.................................................................... 113
6.4
Zur Frage der Gewichtung ............................................................ 114
6.5
Operationalisierung ....................................................................... 115 6.5.1 Die abhängige Variable: Theoretische Überlegungen und Messung der Erwerbsbeteiligung .......................... 115 6.5.2 Die unabhängigen Variablen ........................................ 118 6.5.3 Kontrollvariablen.......................................................... 120
6.6
Methodisches Vorgehen................................................................ 125
7
8
9
Empirische Untersuchung der Müttererwerbsbeteiligung in Belgien, West- und Ostdeutschland....................................................... 132 7.1
Bivariate Analysen ........................................................................ 132 7.1.1 Arbeitsmarktbeteiligung und positives Arbeitsangebot von Müttern in Belgien, West- und Ostdeutschland..... 132 7.1.2 Der Effekt von Kindern: Die Kluft in der Erwerbsbeteiligung zwischen Müttern und kinderlosen Frauen........................................................................... 137
7.2
Ergebnisse der multivariaten Analysen......................................... 142 7.2.1 Die Wirkung der Familienpolitik auf die Müttererwerbsbeteiligung............................................. 142 7.2.2 Das Zusammenspiel von Kultur und Struktur .............. 147 7.2.3 Der Einfluss der Kontrollvariablen............................... 157 7.2.4 Exkurs: Belgien, auch ein geteiltes Land? Zu den Unterschieden im mütterlichen Erwerbsverhalten zwischen Flandern und Wallonien................................ 162
Resümee................................................................................................... 176 8.1
Zusammenfassung......................................................................... 177 8.1.1 Kulturelle und institutionelle Eigenschaften der Untersuchungsländer .................................................... 177 8.1.2 Analysedesign .............................................................. 180 8.1.3 Die zentralen Ergebnisse .............................................. 181
8.2
Kritische Diskussion der Ergebnisse............................................. 186 8.2.1 Beschäftigungsumfang: Teilzeit oder Vollzeit? ........... 186 8.2.2 Länderspezifische Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen..................................................... 188
8.3
Schlussbetrachtung........................................................................ 188
Literatur .................................................................................................. 191
10 Anhang..................................................................................................... 205
9
Abbildungen
Abbildung 1 Erwerbsentscheidungen im Kontext des GeschlechterArrangements nach Pfau-Effinger .............................................. 35 Abbildung 2 Hypothetische Wirkung von Elternzeit und Kinderbetreuung ... 94 Abbildung 3 Zeitliche Ausrichtung von Elternfreistellungs- und öffentlichen Kinderbetreuungsmöglichkeiten ............................ 96 Abbildung 4 Schematische Darstellung der Wirkung kultureller Geschlechterrollen auf eine weibliche Erwerbsbeteiligung........ 99 Abbildung 5 Anteil aktiv erwerbstätiger Mütter (im Alter von 20-45 Jahren), in Prozent.................................................................... 133 Abbildung 6 Anteil der Mütter (im Alter von 20-45 Jahren) mit positivem Arbeitsangebot, in Prozent ....................................................... 135 Abbildung 7 Abweichung der mütterlichen Erwerbsbeteiligung von der Erwerbsbeteiligung kinderloser Frauen innerhalb des jeweiligen Untersuchungsgebietes, in Prozentpunkten ............ 138 Abbildung 8 Chancen einer aktiven mütterlichen Erwerbsbeteiligung; Referenz: kinderlose Frauen in der jeweiligen Region............. 143 Abbildung 9 Chancen einer aktiven mütterlichen Erwerbsbeteiligung; Referenz: kinderlose westdeutsche Frauen............................... 149 Abbildung 10 Chancen eines positiven mütterlichen Arbeitsangebotes; Referenzgruppe: kinderlose westdeutsche Frauen.................... 153 Abbildung 11 Diskrepanzen zwischen aktiver Erwerbsbeteiligung und positivem Arbeitsangebot von Müttern; Referenz: kinderlose westdeutsche Frauen................................................................. 155 Abbildung 12 Chancen einer aktiven mütterlichen Erwerbsbeteiligung; Referenz: kinderlose Frauen in der jeweiligen Region............. 170
11
Abbildung 13 Chancen einer aktiven mütterlichen Erwerbsbeteiligung; Referenz: kinderlose westdeutsche Frauen............................... 172 Abbildung 14 Chancen eines positiven mütterlichen Arbeitsangebotes; Referenz: kinderlose westdeutsche Frauen............................... 173
Abbildungen im Anhang Abbildung A1
Anteil der aktiv erwerbstätigen Frauen in Belgien, Westund Ostdeutschland um die Geburt des ersten Kindes......... 206
Abbildung A2
Frauenerwerbstätigenquoten in Belgien, West- und Ostdeutschland, 1992-2003 ................................................. 207
Abbildung A3
Weibliche Arbeitslosenquoten in Belgien, West- und Ostdeutschland, 1992-2003 ................................................. 207
12
Tabellen
Tabelle 1
Übersicht über Freistellungsmöglichkeiten in Belgien und Deutschland, 1992-2006............................................................. 56
Tabelle 2
Plätze in öffentlichen Kinderbetreuungseinrichtungen, Schulpflicht und tägliche Schulzeiten im Vergleich .................. 62
Tabelle 3
Anteil des Kindergeldesa am durchschnittlichen Monatslohn eines Industriearbeiters in Belgien und Deutschland.................. 64
Tabelle 4
Vergleich der Einkommenssteuer inklusive Arbeitnehmerbeiträge ohne Geldleistungen für ein verheiratetes Paar mit zwei Kindern, 1996 und 2003................. 66
Tabelle 5
Übersicht über die monetären staatlichen Transfers................... 70
Tabelle 6
Kinderbetreuungsprofile von Belgien, West- und Ostdeutschland................................................................................. 73
Tabelle 7
Die Bedeutung von Religion, Familie und Beruf in Belgien, West- und Ostdeutschland, Spaltenprozente .............................. 80
Tabelle 8
Einstellungen belgischer, west- und ostdeutscher Frauen zwischen 20 und 45 Jahren zur weiblichen Erwerbsarbeit in unterschiedlichen Familienphasen, Angaben in %..................... 83
Tabelle 9
Einstellungen zur weiblichen Erwerbsbeteiligung und geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung (Zustimmung in %), Frauen zwischen 20 und 45 Jahren............................................. 86
Tabelle 10
Zusammenfassung der aus den Hypothesen resultierenden Erwartungen zur mütterlichen Erwerbsbeteiligung in den drei Untersuchungsgebieten ............................................................ 102
Tabelle 11
Hauptmerkmale der belgischen und deutschen Panelstudie ..... 113
Tabelle 12
Übersicht über die Kodierung der beiden abhängigen Variablen .................................................................................. 117 13
Tabelle 13
Übersicht über das Variablenset zum Alter des jüngsten im Haushalt lebenden Kindes ........................................................ 119
Tabelle 14
Übersicht über die Betreuungsmöglichkeiten in den drei Untersuchungsgebieten nach Alter des jüngsten Kindes.......... 120
Tabelle 15
Variablenübersicht.................................................................... 124
Tabelle 16
Beispiel zur Veranschaulichung der Konstruktion und des Zusammenspiels der unabhängigen Variablen ......................... 129
Tabelle 17
Ausgewählte soziodemografische Merkmale der belgischen, west- und ostdeutschen Frauen................................................. 141
Tabelle 18
Weibliche Arbeitslosenquoten in Flandern, Wallonien und Brüssel-Stadt ............................................................................ 169
Tabelle 19
Analysedesign .......................................................................... 180
Tabellen im Anhang Tabelle A1
Ergebnisse der linearen Regressionen auf die Einstellungen zur weiblichen Erwerbstätigkeit; Referenz: Belgien. 205
Tabelle A2
Aktiv erwerbstätige Frauen bzw. Frauen mit positivem Arbeitsangebot, in Prozent................................................... 206
Tabelle A3
Ergebnisse der logistischen RE-Regressionen..................... 208
Tabelle A4
Ergebnisse der logistischen RE-Regressionen..................... 209
Tabelle A5
Ergebnisse der logistischen RE-Regressionen..................... 210
Tabelle A6
Ergebnisse der logistischen RE-Regressionen..................... 211
Tabelle A7
Die Bedeutung von Religion, Familie und Beruf; Spaltenprozente ................................................................... 212
Tabelle A8
Einstellungen zur weiblichen Erwerbsbeteiligung und geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung; Zustimmung in % . 213
14
1 Einleitung
Die Erwerbsbeteiligung von Frauen hat in den letzten Jahrzehnten in allen westlichen Industrienationen deutlich zugenommen (vgl. OECD 2002). Allerdings erweist sich eine Familiengründung nahezu überall als Beeinträchtigung der weiblichen Berufstätigkeit, während die männliche Erwerbsbeteiligung durch die Anwesenheit von Kindern kaum tangiert wird. Die Familiengründung scheint also auch in der Moderne in vielen Fällen zu einer zumindest temporären Rückkehr zur traditionellen geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung zu führen: Während der berufstätige Mann das Einkommen erwirtschaftet, spezialisiert sich die Frau auf Haus- und Betreuungsarbeit (vgl. OECD 2002). Diese Zurückdrängung der Frau in den Haushalt wird zusätzlich dadurch verstärkt, dass sich mit der Dauer der Erwerbsunterbrechung auch im Falle des Wiedereinstiegs in den Beruf die Karrierechancen der Frauen im Hinblick auf Berufsstatus und Einkommen nachhaltig verschlechtern (vgl. z.B. Cornelißen et al. 2005; Hinz/Gartner 2005; Ondrich et al. 2003a; Ross 1998; Ruhm/Teague 1997; Ruhm 1998). Neben dieser allgemeinen Tendenz sind jedoch auch deutliche Länderunterschiede in der Stärke des Effektes von Kindern auf eine weibliche Erwerbsbeteiligung festzustellen. In Skandinavien fällt der Kindereffekt am geringsten, in den südeuropäischen Ländern am größten aus, während sich die kontinentaleuropäischen Länder im Mittelfeld bewegen. Dabei drängt sich natürlich die Frage nach den Ursachen dieser Diskrepanzen in der Erwerbsintegration von Müttern in unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten auf: Welche gesellschaftlichen Faktoren fördern eine mütterliche Erwerbsbeteiligung, welche verhindern sie? Die Diskussion dieser Frage steht auch in der öffentlichen Wahrnehmung hoch im Kurs. Dies hat vermutlich vor allem damit zu tun, dass mit der Frage der Erwerbsintegration auch ein demografisches Problem einherzugehen scheint. Da der Beruf in der Moderne als zentrale Quelle gesellschaftlicher Anerkennung aber auch individueller Unabhängigkeit gilt, scheint die Nichtvereinbarkeit von Beruf und Familie häufig zu Lasten der Familie entschieden zu werden. Dafür sprechen jedenfalls die niedrigen und rückläufigen Geburtenraten in vielen europäischen Ländern (vgl. Sleebos 2003). 15
Im öffentlichen, politischen und wissenschaftlichen Diskurs wird dabei in erster Linie nach der politischen Steuerbarkeit dieses Effektes gefragt. Dabei hat sich in großen Zügen die Ansicht durchgesetzt, dass sich über die Ausgestaltung des institutionellen Rahmens eine Veränderung der Situation herbeiführen lässt. Vor allem das Angebot an öffentlicher Kinderbetreuung scheint dabei von zentraler Bedeutung. Je besser dieses System ausgestaltet ist, umso höher auch die Müttererwerbstätigkeitsrate. Diese Schlussfolgerung scheint umso zwingender, als die skandinavischen Länder, in denen nicht nur die Erwerbstätigkeitsrate von Müttern am höchsten ausfällt, sondern auch die Geburtenraten vergleichsweise hoch sind, genau über diese Institutionen verfügen (vgl. Esping-Andersen 1999). In dieser Diskussion wird allerdings meistens der kulturelle Kontext der verschiedenen Länder und Regionen vernachlässigt (vgl. Pfau-Effinger 2004). Die spezifischen Kulturen Europas, die tief in der Lebenswelt von Familie und Individuum verortet sind und von Generation zu Generation weitergegeben werden, unterscheiden sich aufgrund der historisch divergenten Entwicklungspfade in vielen Fällen sehr deutlich voneinander. Und auch die politischinstitutionellen Programme müssen bis heute als Resultat dieser kulturellen Eigenarten verstanden werden (vgl. Bahle 2000; Hofstede 1996; Inglehart 1977, 1997). Das sozialdemokratische System Skandinaviens hat sich mit anderen Worten nicht über Nacht entwickelt. Es wurde vielmehr schrittweise und in Übereinstimmung mit der Entwicklung der kulturellen Familienleitbilder dieser Gesellschaften etabliert. Je mehr sich jedoch – vor allem im Zuge der Zunahme des Einflusses der Europäischen Union und der Globalisierung im Allgemeinen – ein standardisiertes institutionelles Programm länderübergreifend durchsetzt, das auf ganz verschiedenartige Kulturkontexte Anwendung finden soll, umso mehr stellt sich die Frage der Wirksamkeit dieser Maßnahmen (Meyer 2005: 114). Schließlich birgt die ‚Verordnung’ eines institutionellen Systems von oben immer die Gefahr, von der Bevölkerung nicht angenommen oder anders interpretiert zu werden. Diese Gefahr besteht vor allem dann, wenn die lebensweltliche und institutionelle Kultur nicht kongruent veranlagt sind. In der vorliegenden Untersuchung soll es deshalb vor allem darum gehen, die Bedeutung von Kultur und politischen Institutionen zu trennen und ihren Einfluss auf das Erwerbsverhalten von Frauen mit und ohne Kinder sichtbar zu machen. Im Fokus der Analyse steht also auf der einen Seite die Frage, inwiefern familienpolitische Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf beitragen und damit die Erwerbsbeteiligung von Frauen fördern können (vornehmlich Elternurlaubsregelungen und die Infrastruktur der Kinderbetreuung). Auf der anderen Seite wird die Frage behandelt, welche Rolle kulturelle Famili16
enleitbilder und Einstellungen zur geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung in diesem Prozess spielen.
Die Auswahl der Untersuchungsländer Um die Wirkung des kulturellen und familienpolitischen Rahmens auf die Erwerbsbeteiligung von Müttern zu untersuchen, sind ländervergleichende Analysen und damit der Vergleich unterschiedlicher institutioneller und kultureller Kontexte, in denen weibliche Erwerbsentscheidungen stattfinden, erforderlich. Da es um die Untersuchung der spezifischen Auswirkungen von Elternurlaub, öffentlichem Kinderbetreuungsangebot und kulturellen Einstellungen zur Frauenerwerbsbeteiligung geht, sollten sich die Untersuchungsländer einerseits in den zu analysierenden Einflussgrößen unterscheiden, andererseits sollten sie in Bezug auf andere wirksame Einflüsse in höchstem Maße ähnlich beschaffen sein. Eine möglichst hohe Homogenität zwischen den Ländern ist allerdings nur mit einer begrenzten Menge von Untersuchungsländern sicherzustellen, was auf den ersten Blick als Nachteil verstanden werden kann. Auf den zweiten Blick erkennt man allerdings die damit verbundenen Vorteile, die darin bestehen, dass eine geringe Anzahl an Ländern, eine eingehende und intensive Auseinandersetzung mit dem einzelnen Land ermöglicht, so dass man bei der Interpretation der empirischen Ergebnisse auf ein breites Fundament detaillierten Wissens über das einzelne Land zurückgreifen kann. Somit gewährt diese Methode des Ländervergleichs zum einen ein hohes Maß an Kontrolle, zum anderen ermöglicht sie eine intensive und differenzierte Betrachtung der ausgewählten Länder (Landman 2003; Daly 2000a, 2000b). Die spezifische Konstellation der Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Belgien, West- und Ostdeutschland scheinen dabei wie geschaffen, um die Frage nach der genuinen Wirkung kultureller und familienpolitischer Faktoren auf eine mütterliche Erwerbsbeteiligung zu beantworten: Belgien und Westdeutschland werden beide als konservative Wohlfahrtsstaaten typologisiert (Esping-Andersen 1990), deren geringe und diskontinuierliche Integration von Frauen in das Erwerbsleben auf eine Familienpolitik zurückzuführen ist, die sich noch stark am männlichen Alleinverdiener-Modell orientiert und die Erwerbsbeteiligung von Frauen wenig fördert. Allerdings ergeben sich gleichzeitig beträchtliche Unterschiede in den politischinstitutionellen Regelungen zur Erziehungsarbeit zwischen den beiden Ländern. Belgien verfügt im Gegensatz zu Westdeutschland über ein gut ausgebautes Netz an institutioneller Kinderbetreuung, während Westdeutschland wiederum im Vergleich zu Belgien die Nutzung eines ausgedehnten Elternurlaubs anbietet. 17
Ausgehend von den beiden prototypischen Regelungen (Elternzeit und öffentliche Kinderbetreuung) stellt Ostdeutschland eine Mischform dar: Es gibt einerseits die Möglichkeit, einen ausgedehnten Elternurlaub in Anspruch zu nehmen, andererseits steht ein gut ausgebautes Kinderbetreuungsnetz zur Verfügung. Demnach stehen Belgien, West- und Ostdeutschland für drei unterschiedliche Kinderbetreuungssysteme, so dass sie als Gegenstand zur Untersuchung der Wirkung des institutionellen Kontexts auf die Erwerbsbeteiligung von Müttern besonders geeignet erscheinen. Darüber hinaus repräsentieren diese drei Regionen aber auch verschiedene Kulturräume im Hinblick auf die Rolle der Frau. Während in erster Linie Belgien, in zweiter Linie Westdeutschland von einer eher traditionellfamilienorientierten Ausrichtung bestimmt werden, d.h. die Hauptdomäne der Frau und Mutter im Haushalt und der Familie gesehen wird, weist Ostdeutschland ein aus der sozialistischen Prägung entstandenes egalitäres Geschlechterrollenverständnis auf. In der BRD und ehemaligen DDR haben sich während der politischen Trennung von 1949-1989 nicht nur verschiedene politische, sondern auch kulturelle Traditionen herausgebildet, die bis heute nachwirken und zu essentiellen Unterschieden zwischen Ost- und Westdeutschland führen (vgl. Meulemann 1998). Die politische Einflussnahme in der DDR hat die Berufstätigkeit für quasi alle Frauen bewirkt, eine flächendeckende Kinderbetreuung die Vereinbarkeit beider Rollen (erwerbstätige Frau und Mutter) ermöglicht und insgesamt zu einem „Gleichstellungsvorsprung der Frau“ geführt (Kurz 1998b). Daher ist es notwendig, beide Regionen – die alten und die neuen Bundesländer, obwohl sie seit 1990 einen einzigen Staat bilden, als getrennte gesellschaftliche Kontexte mit signifikanten Unterschieden, zum einen im Angebot an öffentlichen Kinderbetreuungsmöglichkeiten, zum anderen in den Erwerbsorientierungen von Frauen, zu behandeln. Demgemäß wird Ostdeutschland im Folgenden als eigenständiges ‚Untersuchungsland’ aufgefasst.
Empirisch-quantitative Sekundäranalysen Die empirisch-quantitativen Untersuchungen sind sekundäranalytisch angelegt. Zur Untersuchung des kulturellen Kontextes der drei Untersuchungsgebiete werden Daten der European Value Study (EVS) von 1999 und des International Social Survey Programme (ISSP) von 2002 ausgewertet. Für die Hauptanalysen werden Daten aus repräsentativen Längsschnittbefragungen in Belgien und Deutschland verwendet: Für Belgien die Panel Studie van Belgische Huishoudens (PSBH, 1992-2002) und für Deutschland das Sozio-ökonomische Panel (SOEP, 1992-2003). 18
Die Struktur der Arbeit Die Arbeit beginnt im Anschluss an die Einleitung in Kapitel 2 zunächst damit, den theoretischen Rahmen zur ländervergleichenden Untersuchung des mütterlichen Erwerbsverhaltens zu spannen. Zu diesem Zweck werden verschiedene Erklärungsansätze vorgestellt, die Differenzen in der weiblichen Erwerbsbeteiligung zwischen Ländern auf unterschiedliche Art und Weise erklären. Der erste Abschnitt 2.1 skizziert die Theorie des Wohlfahrtsstaates und deren Beitrag zur Erklärung weiblichen Erwerbsverhaltens im nationalen Kontext. Abschnitt 2.2 beschäftigt sich mit den Grundannahmen kultureller Erklärungsansätze, die die Einstellungen der Menschen zur geschlechtlichen Arbeitsteilung in den Vordergrund rücken. Abschnitt 2.3 stellt die Theorie des Geschlechterarrangements von Birgit Pfau-Effinger (2000) vor, die kulturelle und wohlfahrtsstaatliche Erklärungsansätze miteinander verbindet. Abschnitt 2.4 behandelt schließlich Aspekte der mikroökonomischen Theorie, die die Bedeutung individueller und haushaltskontextueller Ressourcen und Restriktionen hervorhebt. Abschließend werden in Abschnitt 2.5 die einzelnen Beiträge der verschiedenen Erklärungsansätze zur Erklärung weiblichen Erwerbsverhaltens gebündelt. Das anschließende Kapitel 3 beschäftigt sich zunächst mit der Frage, wie der Staat gesellschaftliche Wohlfahrt für Familien gestalten kann. Dabei liegt der Fokus auf der Betreuungs- und Erziehungsarbeit, d.h. den Unterstützungsund Entlastungsleistungen, die der Wohlfahrtsstaat für Familien mit Kindern erbringen kann (Abschnitt 3.1). Im Anschluss daran wird die Ausgestaltung der Familienpolitik in den drei Untersuchungsländern im Detail besprochen. Zu diesem Zweck werden für die einzelnen Untersuchungsgebiete folgende Regelungen vorgestellt: Elterliche Freistellungsmöglichkeiten, sozialrechtliche Anerkennung von Erziehungszeiten, Angebot an öffentlichen Kinderbetreuungsmöglichkeiten und finanzielle staatliche Transfers wie Steuererleichterungen und Kindergeld. Abschließend werden in Abschnitt 3.3 die familienpolitischen Profile von Belgien, West- und Ostdeutschland vergleichend dargestellt. Kapitel 4 widmet sich der theoretischen und empirischen Untersuchung der kulturellen Werte und Einstellungen in Bezug auf Religion, Erwerbs- und Familienorientierung und auf die Rolle der Frau. In Abschnitt 4.1 werden zunächst die historisch-religiösen Entwicklungslinien der drei Untersuchungsgebiete skizziert und daraus Hypothesen für die erwartbaren Unterschiede in den Geschlechterkulturen formuliert. Abschnitt 4.2 beschäftigt sich mit dem Problem der Messung kultureller Orientierungen. Im Anschluss daran werden in Abschnitt 4.3 auf Basis der Daten der European Value Study (EVS) von 1999 sowie des International Social Survey Programme (ISSP) aus dem Jahre 2002 Umfrageergebnisse zu religiösen Werten, zur Bedeutung von Familie und Beruf 19
und zu den Einstellungen zur Erwerbstätigkeit und familialen Rolle der Frau in Belgien, West- und Ostdeutschland vorgestellt. In Abschnitt 4.4 werden die Analyseergebnisse gebündelt und die kulturellen Profile der drei Untersuchungsgebiete herausgearbeitet. Das darauffolgende Kapitel 5 bündelt noch einmal die Informationen aus den vorgehenden Kapiteln und leitet daraus schließlich Hypothesen ab, die die folgenden empirischen Hauptanalysen lenken sollen. Zu diesem Zweck wird in Abschnitt 5.1 die Wirkungsweise der beiden zentralen familienpolitischen Maßnahmen – Elternurlaub und öffentliches Kinderbetreuungsangebot – für die mütterliche Erwerbsbeteiligung diskutiert und in Form von Hypothesen konzentriert. Dabei nimmt das Alter des jüngsten Kindes eine Schlüsselrolle ein. Entsprechend befasst sich Abschnitt 5.2 mit der Wirkungsweise der Kultur auf die mütterliche Arbeitsmarktpräsenz und formuliert dazu entsprechende Hypothesen. Der letzte Abschnitt 5.3 dieses Kapitels diskutiert schließlich weitere – vor allem individuelle – Faktoren, die das mütterliche Erwerbsverhalten beeinflussen können. Kapitel 6 widmet sich der Operationalisierung und der analytischen Vorgehensweise. Zunächst wird dabei das Analysedesign vorgestellt, mit dessen Hilfe die Messung des familienpolitischen und kulturellen Einflusses erfolgen soll (Abschnitt 6.1). Das sozioökonomische Panel (SOEP) und die Panel Studie belgischer Haushalte (PSBH) liefern die erforderliche Datenbasis für die empirischen Analysen und werden in Abschnitt 6.2 näher beschrieben. Die daraus gewählte Untersuchungsgruppe (Abschnitt 6.3) und Fragen der Gewichtung (Abschnitt 6.4) werden nachfolgend erläutert. Die genaue Konstruktion der abhängigen und unabhängigen Variablen sowie der Kontrollgrößen sind in Abschnitt 6.5 dokumentiert. Details zur Methodik finden sich schließlich in Abschnitt 6.6. Hier wird der Aufbau des Analysemodells sowie das statistische Schätzverfahren präsentiert. Kapitel 7 umfasst die Ergebnisse der Hauptuntersuchung. Es kann grob in zwei Abschnitte unterteilt werden, die ihrerseits noch einmal in Unterabschnitte aufgegliedert sind: Der erste Abschnitt 7.1 beinhaltet die bivariaten Analysen und eröffnet einen ersten Einblick in das mütterliche Erwerbsverhalten in Belgien, West- und Ostdeutschland. Abschnitt 7.2 stellt die multivariaten Analyseergebnisse vor. In einem ersten Schritt werden die Erwerbswahrscheinlichkeiten von Müttern und kinderlosen Frauen innerhalb der einzelnen Untersuchungsländer gegenübergestellt. Dadurch tritt die länderspezifische Wirkung von Kindern auf eine weibliche Erwerbsbeteiligung zutage, die gemäß den theoretischen Vorüberlegungen durch die jeweilige Familienpolitik moderiert wird. In einem zweiten Schritt wird das Müttererwerbsverhalten der drei Gebiete unmittelbar miteinander verglichen, wodurch zusätzlich kulturelle Faktoren aber auch Re20
striktionen der Arbeitsmärkte einfließen. Schließlich werden die Erwerbswahrscheinlichkeiten von Müttern um Arbeitsmarkteffekte bereinigt, so dass lediglich noch familienpolitische und kulturelle Länderunterschiede hervortreten. Zuletzt wird die Wirkung der soziodemografischen und haushaltskontextuellen Variablen auf die Arbeitsmarktpartizipation vorgestellt und besprochen. Das letzte Kapitel 8 fasst noch einmal die wichtigsten Ergebnisse der Arbeit zusammen und diskutiert mögliche kritische Aspekte der Untersuchung.
21
2 Theoretische Ansätze zur Erklärung nationaler Differenzen im weiblichen Erwerbsverhalten
Um nationale Unterschiede im weiblichen Erwerbsverhalten bzw. im Ausmaß geschlechtlicher Arbeitsteilung zu erklären, ist es sinnvoll, sich zwei grundsätzlich divergierende theoretische Erklärungsstränge vor Augen zu führen: Auf der einen Seite solche, die Unterschiede im Verhalten von Individuen in erster Linie als Resultat nationaler Politik betrachten. Es handelt sich hierbei um Ansätze, die sich auf die ökonomische Theorie (vgl. Abschnitt 2.4) stützen und deren Grundannahme teilen, dass die politischen Maßnahmen auf der Makroebene des Wohlfahrtsstaates positive oder negative (ökonomische) Anreize schaffen und damit individuelles Handeln (bzw. konkret die Erwerbsentscheidung der Frau) maßgeblich beeinflussen. Auf der anderen Seite sind Erklärungsansätze zu nennen, die das Verhalten von Individuen in erster Linie auf kulturelle Normen, Werte und Leitbilder zurückführen. Die Konvergenz in den verschiedenen kulturellen Ansätzen (siehe z.B. bei Durkheim 1995; Parsons 1968a; Weber 2000) besteht in der Annahme, „dass die Ziele des Handelns durch übergreifende normative Orientierungen geprägt sind, die vielen, manchmal sogar fast allen Mitgliedern einer Gesellschaft gemeinsam sind“ (Schimank 1996: 83). Folglich wird auch das Erwerbsverhalten von Frauen vorwiegend als Resultat kultureller Geschlechterleitbilder betrachtet. Demzufolge erklären der politisch-ökonomische und der kulturellnormative Ansatz das Verhalten von Individuen in verschiedenen nationalen Kontexten auf unterschiedliche Art und Weise bzw. mit unterschiedlicher Gewichtung: Während ökonomische Ansätze den Möglichkeitsspielraum für das Individuum – also die Optionen und Restriktionen, die z.B. der wohlfahrtsstaatliche Rahmen setzt – in den Vordergrund des Interesses rücken, konzentrieren sich kulturelle Ansätze darauf, die normativen Grundlagen des Handelns und damit die Bedeutung von kulturellen Normen und Werten als entscheidend zu betrachten: Die vorherrschende Kultur geschlechtlicher Arbeitsteilung bestimmt über das Erwerbsverhalten der Frauen, wohingegen der Wohlfahrtsstaat lediglich Rahmenbedingungen setzt.
22
Im Folgenden werden diese beiden theoretischen Strömungen vorgestellt und diskutiert: Abschnitt 2.1 widmet sich der Theorie des Wohlfahrtsstaates und deren Beitrag zur Erklärung weiblichen Erwerbsverhaltens im nationalen Kontext; Abschnitt 2.2 beschäftigt sich mit den Grundannahmen kultureller Erklärungsansätze, die die Einstellungen der Menschen zur geschlechtlichen Arbeitsteilung in den Vordergrund rücken. Abschnitt 2.3 befasst sich mit der Theorie des Geschlechterarrangements von Birgit Pfau-Effinger (2000), die kulturelle und wohlfahrtsstaatliche Erklärungsansätze miteinander verbindet. In Abschnitt 2.4 werden darüber hinaus noch Aspekte der mikroökonomischen Theorie behandelt, die die individuelle Erwerbsentscheidung der Frau (bzw. der Familie) als Resultat rationaler Kosten-Nutzen-Abwägung betrachtet und dabei die Bedeutung individueller und haushaltskontextueller Ressourcen und Restriktionen hervorhebt. Schließlich fasst Abschnitt 2.5 zusammen, welchen Beitrag die einzelnen Erklärungsansätze zur weiblichen Erwerbsbeteiligung leisten können.
2.1 Der wohlfahrtsstaatliche Erklärungsansatz Die international vergleichende Sozialpolitikforschung und insbesondere die Arbeiten von Esping-Andersen (1990, 1999) bieten einen konzeptionellen Rahmen, innerhalb dessen nationale Modelle der Sozialpolitik – so genannte Wohlfahrtsregime – miteinander verglichen werden können. Mit ‚Regime’ ist in diesem Zusammenhang ein Komplex von rechtlichen, institutionellen und kulturellen Faktoren gemeint, der letztlich die Typologisierung von Ländern bestimmt. Zur Unterscheidung von Wohlfahrtsregimen steht bei Esping-Andersen das spezifische Verhältnis von Staat, Markt und Familie im Zentrum der Analyse. Esping-Andersen kommt zu dem Ergebnis, dass es ‚drei Welten des Wohlfahrtsstaates‘1 gibt: Erstens das liberale Wohlfahrtsregime, das durch bedarfsgeprüfte staatliche Leistungen und eine starke Marktorientierung geprägt ist (wie in den angelsächsischen Ländern USA, England, Australien), zweitens das konservativ-korporatistische Modell, das über umfassende sozialpolitische Leistungen verfügt, die allerdings auf die Aufrechterhaltung berufsbezogener Statusunterschiede gerichtet sind (wie in den kontinentaleuropäischen Ländern Deutschland, Österreich und Belgien) und drittens das sozialdemokratische Regime, das sich durch starke Umverteilungsmaßnahmen auszeichnet (skandinavische Länder). Später wurde diese Typologie noch um das südeuropäische oder mediterrane Modell erweitert (Italien, Griechenland, Spanien, Portugal) (Ferrera 1996; Flaquer 2000; Trifiletti 1999). 1
Vgl. „Three Worlds of Welfare Capitalism“ (Esping-Andersen 1990).
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Das Verhältnis von Wohlfahrtsstaat und Geschlecht spielt bei Esping-Andersen keine unmittelbare Rolle, kann allerdings implizit über seinen zentralen Begriff der ‚De-Kommodifizierung’ abgeleitet werden. Der Grad der DeKommodifizierung beschreibt den Grad wohlfahrtsstaatlicher Entwicklung, der sich an der Beziehung des Einzelnen zum Arbeitsmarkt und der Möglichkeit bemisst, nicht darauf angewiesen zu sein, seine Arbeitskraft als Ware (‚commodity’) auf dem Arbeitsmarkt anbieten zu müssen. Problematisch an diesem Konzept der De-Kommodifizierung ist allerdings, dass unberücksichtigt bleibt, dass Frauen und insbesondere Mütter oft aus anderen Gründen als Männer nicht erwerbstätig sind. Sie leisten in den meisten Ländern unbezahlte Versorgungsarbeit wie Haushalts-, Erziehungs- und Betreuungstätigkeiten und sind daher vielfach finanziell – statt auf den Arbeitsmarkt – auf einen männlichen Familienernährer angewiesen. Dass diese spezifische Situation von Frauen in Arbeitsmarkt und Familie bei Esping-Andersen keine Berücksichtigung findet, wurde vielfach aus Perspektive der Frauenforschung kritisiert (Bussemaker/Kersbergen 1994; Daly 1994; Lewis 1992; Hobson 1990; Sainsbury 1994, 1996; O’Connor 1996; Orloff 1993). Mit seinem Buch ‚Social Foundations of Postindustrial Economies‘ (1999) hat Esping-Andersen jedoch auf die feministische Kritik reagiert, indem er zusätzlich zu seinem Konzept der De-Kommodifizierung das Konzept der ‚DeFamilialisierung‘ einführt. Unter De-Familialisierung versteht er, dass der Staat oder der Markt Aufgaben übernehmen, die vormals hauptsächlich von der Familie erbracht wurden. Dabei ist De-Familialisierung laut Esping-Andersen eine Grundvoraussetzung zur Kommodifizierung bzw. Arbeitsmarktintegration von Frauen. Staatliche Maßnahmen, die de-familialisierend wirken, sind z.B. eine allgemeine Unterstützung für Familien, Verbreitung öffentlicher Kinderbetreuung, Hilfsangebote für Ältere sowie Steuersysteme (Esping-Andersen 1999: 61). Das Konzept der De-Familialisierung Esping-Andersens zeigt z.B. auf, dass Belgien und Deutschland, obwohl sie beide zum konservativkorporatistischen Ländercluster zählen, über einen unterschiedlichen Grad an De-Familialisierung verfügen. Und zwar unterscheidet sich Belgien gemeinsam mit Frankreich von den anderen kontinentaleuropäischen Ländern durch eine größere Übernahme von privaten Belastungen, in erster Linie in Form eines ausgedehnten Kinderbetreuungsangebots (ebenda: 55). Dennoch hat der feministische Vorwurf der ‚gender blindness’ auch beim Konzept der Familialisierung/De-Familialisierung weiterhin Bestand, denn es bleibt nach wie vor unberücksichtigt, wie familiäre Betreuungsarbeit zwischen den Geschlechtern konkret aufgeteilt wird.
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Aus den feministischen Einwänden gegen Esping-Andersens Wohlfahrtsstaatentypologie entstanden eine Reihe anderer Ländertypologien, die expliziter die Geschlechterdimension in den Mittelpunkt rücken. Bei Theorien mit Fokus auf der Geschlechterdimension sind dementsprechend andere Kriterien zur Typologisierung zentral. So ist etwa für wohlfahrtsstaatliche Arrangements zwischen Staat und Familie nicht nur maßgeblich, ob und inwieweit die Betreuung von Kindern (aber auch die Versorgung anderer pflegebedürftiger Angehöriger) primär als private oder öffentliche Aufgabe betrachtet wird (O’Connor 1996) – also die Frage, inwiefern private Erziehungsarbeit in den Systemen eines Wohlfahrtsstaates berücksichtigt wird (zum Verhältnis zwischen Wohlfahrtsstaat und Erziehungsarbeit siehe auch Abschnitt 3.1) –, sondern darüber hinaus, ob die konkreten familienpolitischen Leistungen eher Geschlechtergleichheit oder ungleichheit fördern bzw. verhindern. Dementsprechend beschäftigt sich eine Reihe von Arbeiten mit der Beurteilung von Wohlfahrtsregimen im Hinblick auf die weibliche Perspektive und insbesondere die Verteilung von Betreuungsarbeit im Wohlfahrtsstaat. Ein derartiges Klassifikationskonzept von Wohlfahrtsstaaten stammt etwa von Lewis und Ostner (1994). Sie nehmen an, dass die männliche Versorgerehe mit einer abhängigen Ehefrau, die unbezahlte Arbeit in Familie und Haushalt verrichtet, als Element des Wohlfahrtsstaates betrachtet werden kann, das von Land zu Land variiert und Auswirkungen auf die weibliche Arbeitsmarktbeteiligung besitzt. Auf dieser Basis unterscheiden Lewis/Ostner (1994) Wohlfahrtsstaaten danach, ob sie eine starke, mittlere oder schwache Orientierung am so genannten ‚male-breadwinner’ Modell aufweisen. Dieses Klassifikationsprinzip von Ländern beruht einerseits auf der Beziehung zwischen öffentlicher Sphäre der Erwerbsarbeit und privater Sphäre der unbezahlten Betreuungsarbeit sowie der Zuweisung von Männern und Frauen zu diesen beiden Sphären und der Rolle des Wohlfahrtsstaates beim Übernehmen von Betreuungsaufgaben. Nach Lewis’ und Ostners Typologie besitzt Deutschland eine starke malebreadwinner-Orientierung (‚strong breadwinner’), während Belgien aufgrund seines gut ausgebauten Kinderbetreuungssystems eine mittlere Orientierung aufweist (‚moderate breadwinner’). Auch Gornick et al. (1997, 1998) sowie Meyers et al. (1999) befassen sich aus familienpolitischer Sichtweise mit der Integration von Müttern in den Arbeitsmarkt. Ihr Hauptaugenmerk liegt dabei auf den Möglichkeiten zur Kinderbetreuung, deren Kosten gemäß der ökonomischen Theorie (vgl. Becker 1985; Bryant 1990) als eine Art „Steuer“ auf das Einkommen der Mutter verstanden wird (Meyers et al. 1999: 121). Ein gut ausgebautes und günstiges Angebot an Kinderbetreuungsplätzen fördert demnach die Integration von Müttern in den Arbeitsmarkt. Die empirische Wirkung eines Mutterschafts- oder Erziehungsur25
laubs ist dagegen nicht eindeutig feststellbar. Es wird allerdings angenommen, dass vor allem durch den Kündigungsschutz vor und nach der Schwangerschaft die Arbeitsmarktbeteiligung kurzfristig gefördert wird, während die langfristige Wirkung eher ungeklärt bleibt (ebenda: 122). Die Typologisierung der 14 Untersuchungsländer von Gornick et al. (1997, 1998) und Meyers et al. (1999) unterscheidet sich auf Basis der gewählten Kriterien zur Gruppierung (d.h. den familienpolitischen Maßnahmen) von derjenigen Esping-Andersens. So differieren auch hier Deutschland und Belgien, die nach Esping-Andersen in das konservative Wohlfahrtsregime fallen, da sie sich mit Blick auf die Bereitstellung öffentlicher Kinderbetreuung stark unterscheiden. Belgien gehört nach der Typologie von Meyers et al. (1999) gemeinsam mit Ländern wie Finnland, Dänemark, Schweden und Frankreich zu einer ersten Ländergruppe, die eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglicht, während Deutschland einer weiteren Ländergruppe zugeordnet wird (gemeinsam mit den meisten kontinentaleuropäischen Ländern sowie Kanada und Norwegen), die zwar großzügigen Elternurlaub, aber nur geringe Möglichkeiten für die öffentliche Betreuung von Kindern unter drei Jahren zur Verfügung stellt. Eine dritte Ländergruppe, die liberalen Wohlfahrtsstaaten, verfügen über die geringsten Maßnahmen zur Unterstützung elterlicher Erwerbstätigkeit: gering bezahlter und kurzer Elternurlaub sowie gleichzeitig geringe öffentliche Betreuungsmöglichkeiten. Die Klassifikation von Leitner (2003a) unterscheidet vier Idealtypen von wohlfahrtsstaatlicher Politik in Bezug auf die Bereitstellung von Betreuungsmöglichkeiten für Kinder, Behinderte und Ältere: 1. explizite Familialisierung, 2. optionale Familialisierung, 3. implizite Familialisierung und 4. DeFamilialisierung. Bei der expliziten Familialisierung stärkt der Staat die Familie in ihrer Betreuungsfunktion einerseits durch entsprechende familialisierende Politik wie ein ausgedehnter Elternurlaub mit hohen monetären Transfers, andererseits werden der Familie keine alternativen Betreuungsmöglichkeiten angeboten. Staaten mit expliziter Familialisierung sind dementsprechend Deutschland, Österreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande. Optionale Familialisierung bedeutet dagegen, dass die Familie bei der Übernahme von Betreuungsarbeit politisch gefördert wird, allerdings werden Familien gleichzeitig Möglichkeiten bereitgestellt, um diese zumindest teilweise von Betreuungsaufgaben zu entlasten. Zu den Ländern mit optionaler Familialisierung zählen Belgien, Frankreich, Dänemark, Schweden und eingeschränkt auch Finnland. Bei der impliziten Familialisierung werden keinerlei politische Maßnahmen in Bezug auf Betreuungsarbeit angeboten, d.h. die Familie wird weder bei ihrer Betreuungsarbeit unterstützt, noch werden ihr außerfamiliale Betreuungsalternativen angeboten. Dennoch liegt diesem Wohlfahrtsstaatentyp implizit die Vorstellung zugrunde, dass der Familie die Betreuungsarbeit zukommt, und mangels Alternativen 26
bleibt den Familien auch keine andere Möglichkeit. Zu den Wohlfahrtsstaaten mit impliziter Familialisierung zählen die südeuropäischen Länder Griechenland, Portugal und Spanien. Schließlich bezeichnet De-Familialisierung, dass der Staat formale Betreuung anbietet, die Betreuungsarbeit im Rahmen der Familie allerdings nicht honoriert wird, was laut Leitner (2003a) in Irland und Großbritannien der Fall ist. Über diese Klassifizierung hinaus analysiert Leitner, ob die Freistellungsregelungen in den EU-Ländern mit optionaler oder expliziter Familialisierung zu einer geschlechtlichen Ungleichverteilung von Erwerbs- und Betreuungsarbeit führen (‚gendered familialism’ versus ‚de-gendered familialism’) (ebenda: 371). Länder mit ‚de-gendered familialism’, in denen also keine geschlechtlichen Ungleichheiten von Erwerbs- und Betreuungsarbeit zu registrieren sind, wären demnach Dänemark und Schweden; Länder mit ‚gendered familialism’, also mit einer Ungleichverteilung zwischen den Geschlechtern, wären Frankreich, Deutschland, Italien und Luxemburg, während Belgien, Finnland und Österreich eine Zwischenstufe bzw. Sonderfälle darstellen. Bettio und Plantenga (2004) benutzen zur Identifizierung unterschiedlicher Betreuungsregime in Europa neben Indikatoren, die die formellen Betreuungsstrategien abbilden (Freistellungsregelungen, finanzielle Transfers, öffentliche Betreuung für Kinder unter drei Jahren sowie Indikatoren, die die Betreuungsmöglichkeiten älterer Menschen betreffen), auch einen Index, der die informelle Betreuungsintensität berücksichtigt (Anteil Erwachsener mit Betreuungsaufgaben; Anteil Haushalte mit unbezahlter Kinderbetreuung). Sie unterscheiden schließlich fünf Betreuungsregime in Europa: 1. Länder mit großem informellen Betreuungsaufwand und geringen familienpolitischen Möglichkeiten (dazu zählen Italien, Griechenland, Spanien sowie Portugal und Irland als etwas untypische Fälle), 2. Länder, in denen ebenfalls informelle Betreuungsarbeit eine wichtige Rolle spielt und außerfamiliale Kinderbetreuung privatisiert ist (wie in Großbritannien und den Niederlanden), 3. Länder mit informeller Betreuungsstrategie, doch mit zumindest partieller Kompensation der dadurch entstehenden Kosten mithilfe staatlicher Transfers (z.B. bezahlter Elternurlaub), darunter auch Deutschland, 4. Länder mit gut ausgebauter Betreuungsinfrastruktur, finanziellen Transfers, aber nur relativ kurzen Freistellungsmöglichkeiten (dazu zählen Belgien und Frankreich) und schließlich 5. die nordischen Länder Dänemark, Finnland und Schweden mit extensiven Betreuungsmöglichkeiten und keiner oder nur geringer Unterstützung familiärer Betreuungsmöglichkeiten. Auch wenn die oben exemplarisch erläuterten Ländertypologien und theoretischen Ansätze mit Fokus auf die Verteilung von Betreuungsarbeit zwischen Staat und Familie aufschlussreich und unverzichtbar für die Analyse weiblichen Erwerbsverhaltens sind, so beschränken sie sich doch sehr auf die Perspektive der wohlfahrtsstaatlichen (Familien-)Politik und sehen das Individuum als einen 27
auf Nutzenmaximierung gerichteten Akteur, dessen Verhalten unmittelbar durch die Anreize des Wohlfahrtsstaates gesteuert wird. Weitere mögliche Einflüsse und insbesondere die kulturell-historische Dimension werden eher vernachlässigt oder gar ausgeblendet. Als Argument für die Vernachlässigung oder Ausblendung kultureller Einflüsse wird in den wohlfahrtsstaatlichen Erklärungsmodellen – wenn überhaupt – angeführt, dass die Kultur letztlich immer in den gesellschaftlichen Institutionen verankert ist und sich beide aufeinander beziehen und somit kohärent sind. Allerdings wird nicht diskutiert, in welcher Art und Weise Institutionen und Kultur sich gegenseitig beeinflussen können und wie schließlich sozialer Wandel vonstatten gehen kann. Hinzu kommt, dass durchaus Diskrepanzen in der Entwicklungsrichtung und -geschwindigkeit von wohlfahrtsstaatlichen Institutionen und kulturellen Werten und Normen bestehen können (Künzler et al. 1999). Begibt man sich auf die Mikroebene und versucht man das Verhalten von Individuen über die Anreizstrukturen eines politischen Rahmens zu erklären, so folgt man letztlich einer ökonomischen Theorie, die davon ausgeht, dass Individuen in jeder Hinsicht die für sie günstigste Verhaltensalternative wählen und auf diese Weise steuerbar sind. Diese Erklärung greift möglicherweise weniger deshalb zu kurz, weil sie das Individuum als rationalen Akteur veranschlagt, sondern vor allem deshalb, weil sie dabei vergisst, dass die Präferenzen, durch die eine Entscheidung erst zu einer ‚rationalen Wahl’ werden kann, kulturell vorgeprägt sind. So hat schon etwa Parsons (1968a) vor einer „verkürzten Handlungstheorie“ gewarnt, die die kulturelle Strukturierung der inhaltlichen Präferenzen außer Acht lässt. Die Anwendung ein und desselben politischen Systems kann nämlich durchaus verschiedene Resultate hervorbringen, je nachdem auf welche kulturelle Grundlage es trifft. Denn die politische Maßnahme, die in einem Falle gerne von den Individuen angenommen wird, weil sie mit den normativen Erwartungen in Einklang steht, mag vor dem Hintergrund einer anderen kulturellen Konstellation kaum Hoffnung auf Annahme besitzen.
2.2 Der kulturelle Erklärungsansatz Die Betonung der Bedeutung von gemeinsamen Normen und Werten als Grundlage sozialen Handelns und sozialer Ordnung durchzieht die soziologische Theorie von Anfang an. Emile Durkheim (1992, 1995a) etwa verweist mit dem Begriff des ‚Kollektivbewusstseins’ auf die Vorstellung, dass die Gesellschaft weniger aus der Summe ihrer Individuen besteht, sondern vielmehr aus einem kollektiven Ganzen, das sich der Individuen letztlich nur als ausführender Instanzen für die Herstellung des Kollektivwillens bedient. Auch wenn sich diese 28
radikale Vorstellung der Gesellschaft als ‚Realität sui generis’ kaum durchsetzen konnte, so spielt doch die Idee, dass der individuelle Wille letztlich durch ein gesellschaftliches Normen- und Wertesystem kulturell geprägt wird, in einer Reihe von Folgetheorien eine bedeutsame Rolle. In erster Linie zu nennen ist in diesem Zusammenhang Talcott Parsons, der die Grundlagen sozialen Handelns untersuchte und zu dem Schluss kam, dass im Prinzip „kein Handeln zustande kommen kann, wenn Alter sein Handeln davon abhängig macht, wie Ego handelt und Ego sein Verhalten an Alter anschließen will“ (Luhmann 2006: 149). Die Lösung dieses Grundproblems der ‚doppelten Kontingenz’ sieht Parsons in der Etablierung einer verfestigten Normen- und Wertestruktur, die den Akteuren als gemeinsame Orientierungsgrundlage dient. Koordiniertes soziales Handeln ist also erst in dem Moment möglich, in dem eine präexistente kulturelle Ordnung stabilisierte Erwartungen im Hinblick auf Kommunikationen produziert. Die kulturelle Komponente in Parsons Handlungstheorie bleibt auch in seinem später systemtheoretisch erweiterten Ansatz von zentraler Bedeutung und manifestiert sich im vier Funktionenschema (AGIL) als Bestandteil des ‚latent pattern maintenance’ (neben Adaptation, Goal Attainment und Integration): „Dem funktionalen Erfordernis des latent pattern maintenance wird im Handlungssystem durch das kulturelle System Rechnung getragen. Das kulturelle System stellt dem Handeln generalisierte sinnhafte Orientierungsmuster in Gestalt von Werten und daran anknüpfenden Deutungsmustern zur Verfügung. Nur insoweit sich das Handeln im Rahmen dieser Orientierungsmuster bewegt, kann sich das Handlungssystem auf Dauer reproduzieren“ (Schimank 1996: 77). Auch wenn die, die Gesellschaft ganzheitlich betrachtende, strukturfunktionalistische Theorie von Parsons inzwischen „aus der Mode“ gekommen ist, so haben sich dessen Ausführungen zum kulturellen System doch in verschiedenen Ansätzen erhalten. Von Bedeutung sind dabei z.B. die Konzepte von Schwartz (2006) und Hofstede (1991, 1996), die zudem den Vorteil haben, dass sie – im Gegensatz zu Parsons – den Versuch unternehmen, die kulturellen Wertesysteme unterschiedlicher Gesellschaften empirisch zu erfassen. Konzeptuell unterscheiden sich die beiden Ansätze nur wenig voneinander und stehen durchaus in der Tradition Durkheims und Parsons. Werte stellen dabei die zentralen Elemente einer Kultur dar und spielen eine fundamentale Rolle für das soziale Handeln. Werte definieren das Wünschenswerte innerhalb einer Kultur, oder in anderen Worten: sie sind ‚kulturelle Ideale‘ (Hofstede 1996; Joas 2006; Schwartz 2006). Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass es sich bei Werten nicht einfach um Präferenzen (im Sinne der ökonomischen Theorie) oder subjektive Wünsche handelt: „A value is not just a preference, but is a preference which is felt and/or considered to be 29
justified“ (Kluckhohn 1951: 395). Werte werden im Gegensatz zu Präferenzen oder Bedürfnissen als intersubjektiv gerechtfertigt und sinnhaft betrachtet, da sie im Prozess der (frühen) Sozialisation internalisiert werden und zu einem konstitutiven Bestandteil der Persönlichkeit (‚personality system’, Parsons) geworden sind. Dieser Sachverhalt der Einverleibung von kulturellen Werten in der Kindheit hebt Hofstede mit seiner Bezeichnung des ‚mental programming’ hervor: „Mental programming is a computer user’s metaphor for the patterns of thinking, feeling and acting that every person has acquired in childhood, and carries along through life“ (1996: 19). Er unterscheidet verschiedene Manifestationsformen des mental programmings: unter anderem Symbole, Rituale und Werte, wobei Symbole die oberflächlichsten und Werte die tiefgreifendsten Bestandteile darstellen. Auch hier wird wiederum der Bezug zu Parsons deutlich, wenn er Werte definiert als „broad tendencies to prefer certain states of affairs over others“ (Hofstede/Hofstede 2005: 8). Wie aus der Definition des ‚mental programming’ deutlich wird, steht bei Hofstede in Anlehnung an Bourdieus Theorie vom Habitus (1992) der sozialisatorische Aspekt der Übertragung von Werten im Vordergrund: „The most fundamental elements, the values, are learned first, when the mind is still relatively unprogrammed (…) Because they were acquired so early, values as a part of mental programming often remain unconscious to those who hold them“ (Hofstede/Hofstede 2005: 21). Aus dieser frühen, mehr oder weniger unbewussten Inkorporation während der primären Sozialisation resultiert auch, dass Werte zeitlich stabil und dauerhaft sind. Sie bleiben im Lebensverlauf relativ konstant und können sich nur langsam über Prozesse des Generationenwechsels verändern (Inglehart/Baker 2000; Inglehart/Norris 2003; Gerhards 2005; Meulemann/Birkelbach 2001). Entsprechend der Definition des ‚mental programming‘, das zunächst auf den Sozialisationsprozess des Individuums abzielt, definiert Hofstede Kultur als „collective programming of the mind which distinguishes the members of one human group from another“ (1991: 21). Nur durch diesen Mechanismus, der das Individuum zum Teil des Kollektivs macht, ist Gesellschaft überhaupt denkbar, denn durch geteilte Werte entstehen auch reziproke Erwartungen zwischen verschiedenen Akteuren (Lindenberg 1989). Sowohl Hofstede als auch Schwartz versuchen jedoch, auch die abstrakte Ebene der Werte als Grundlage sozialen Handelns – im Sinne Parsons – zu konkretisieren. Wenn Werte auch zunächst nur abstrakte Orientierungen sind, so beeinflussen sie doch als Vorstellungen vom Wünschenswerten ganz konkret die Wahl von Handlungszielen und -alternativen. Der Handlungsakt nach Parsons kann in drei Phasen eingeteilt werden: 1. Die Handlungssituation wird erfasst und grob strukturiert, 2. verschiedene Handlungsmöglichkeiten werden in Betracht gezogen und bewertet, 3. eine Handlungsalternative wird auf Basis 30
der Bewertung in Schritt 2 ausgewählt (Parsons/Shils 1951: 67ff.). Aus soziologischer Perspektive ist insbesondere die zweite Phase von Interesse, denn hier werden auf Basis der erlernten und mit anderen Gesellschaftsmitgliedern geteilten Werte Konsequenzen der verschiedenen Handlungsmöglichkeiten aufgerufen und daraufhin die Bandbreite der Handlungsalternativen reduziert. Da die gesellschaftlichen Werte konstitutiver Teil der sozialisierten Persönlichkeit sind, möchte die Person die Situation auch so definieren, wie es von ihr erwartet wird. Werte werden also in die Motivation der Handelnden integriert. Da Werte allerdings eine eher allgemeine normative Orientierung herstellen, sagen sie dem Individuum in einer Situation jedoch nicht ganz präzise, welche Handlung zu unterlassen oder auszuführen bzw. richtig oder falsch, ist (Abels 2004a: 173f.). Wesentlich verbindlicher als allgemeine kulturelle Wertvorstellungen sind soziale Normen, die als Spezifikation von Werten gleichermaßen im Sozialisationsprozess verinnerlicht werden, aber zudem durch Sanktionen abgesichert sind. Soziale Normen können als Bezugspunkt verstanden werden, denn sie unterscheiden konformes (bei Übereinstimmung mit der Norm) von abweichendem Verhalten (Abweichung von der Norm). Sie definieren also Verhaltensstandards innerhalb von Gruppen oder Gesellschaften (Hofstede/Hofstede 2005: 21). Die verbindlichste und dauerhafteste normative Wirkung geht von sozialen Institutionen aus. „Institutionen oder institutionelle Muster (…) sind die normativen Muster, durch die definiert wird, welche Formen des Handelns oder welche sozialen Beziehungen in einer gegebenen Gesellschaft als angemessen, rechtmäßig oder erwartet betrachtet werden. Die institutionellen Muster unterscheiden sich von anderen normativen Mustern, die das Handeln bestimmen können, durch zwei Hauptkriterien. Erstens sind sie von einem allgemeinen normativen Empfinden getragen; sie zu befolgen ist nicht bloß zweckmäßig, sondern eine moralische Pflicht. Zweitens sind sie keine ‚utopischen’ Muster, die – so erstrebenswert sie immer sein mögen – nur von einigen wenigen oder nur unter außergewöhnlichen Umständen verwirklicht werden. (…) Wenn ein Muster (...) institutionalisiert ist, so wird seine Befolgung zum Bestandteil der legitimen Erwartungen der Gesellschaft, wie auch der jeweils Handelnden“ (Parsons 1940: 140, zitiert nach Abels 2004a: 173). Eine spezifische Form von Institutionen sind soziale Rollen. Rollen sind prinzipiell unabhängig von Individuen denkbar und der Begriff der sozialen Rolle bezeichnet ein Bündel von Erwartungen, das an eine gewisse Position im gesellschaftlichen Beziehungsgeflecht bzw. im ‚sozialen System’ gebunden ist. Soziale Rollen sind also Spezifikationen sozialer Normen, die wiederum in sinnhafter Weise durch kulturelle Werte gerechtfertigt werden (Abels 2004a, 2004b). 31
Eine wichtige Dimension von gesellschaftlicher Kultur, die für die vorliegende Arbeit von zentralem Interesse ist, sind die Geschlechterrollen, die als Komplex von Erwartungen und Zumutungen, Einstellungs- und Verhaltensanforderungen an Männer und Frauen (Beck-Gernsheim 1980: 14) Einfluss auf die weibliche Erwerbsbeteiligung innerhalb einer Gesellschaft ausüben (mehr dazu in Abschnitt 2.3 und Kapitel 4). Im Prozess der Sozialisation werden die Geschlechterrollen – ebenso wie andere gesellschaftliche Werte, Normen und Rollen – internalisiert und Teil der individuellen Persönlichkeit. Eine zentrale Rolle bei der Entstehung und kulturellen Reproduktion der Geschlechterleitbilder kommt der Religion zu. „Religion has functioned as one of the most important agencies of socialization determining social norms and moral values with regard to gender equality in all societies” (Inglehart/Norris 2003: 50). Wenn auch aufgrund der zunehmenden Säkularisierungstendenzen der Einfluss der religiösen Organisationen schwindet, haben religiöse Vorstellungen die kulturellen Werte und die Geschlechterrollen nachhaltig geprägt, so dass ihr Einfluss auf Vorstellungen über die angemessene Rolle von Mann und Frau in Familie, Beruf und öffentlicher Sphäre heute noch empirisch beobachtbar ist (vgl. z.B. Heineck 2002; Kaufmann 1994).2 Insbesondere die Katholische Kirche – als eine der ehemals wichtigsten Sozialisationsinstanzen – hat die sozialen Normen in Bezug auf die weibliche Rolle als Hausfrau und Mutter stark gemacht und damit letztendlich auch Einfluss auf die Richtung der Politik und den gesetzlichen Rahmen ausgeübt, der Ehe und Scheidung, Abtreibung und Verhütung, Familien- und Kinderbetreuungspolitik reguliert (Inglehart/Norris 2003; Fix 2001; Halman/Pettersson 2002).
Der Nationalstaat als kulturelle Einheit Wendet man sich der Abgrenzung von verschiedenen Kulturräumen zu, so stellt man fest, dass im Mittelpunkt empirischer Betrachtungen meist die kollektive Prägung einer Gesellschaft durch den nationalstaatlichen Rahmen steht (wie z.B. auch bei Gerhards 2005; Hofstede 1991; Inglehart/Norris 2003; Schwartz 2006; Pfau-Effinger 2000), nicht zuletzt auch deshalb, weil statistische Daten oder Befragungen häufig auf nationaler Ebene erhoben werden. Neben diesen methodischen Gründen gibt es jedoch auch wichtige inhaltliche Argumente, die für Kulturvergleiche auf Länderebene sprechen. Bei Nationalstaaten handelt es 2 Ulrich Beck spricht in diesem Zusammenhang auch von einem Widerspruch zwischen weiblicher Gleichheitserwartung und Ungleichheitswirklichkeit in der modernen Gesellschaft. Es ist vornehmlich seitens der Männer eine „Rhetorik der Gleichheit eingeübt worden, ohne ihren Worten Taten folgen zu lassen“ (Beck 1986: 162).
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sich um Einheiten, die sich im Laufe eines historischen Prozesses entwickelt haben und daher nicht nur ausschließlich politisch integriert sind und über die gleichen Institutionen verfügen (Regierung, Rechtssystem, Bildungssystem, etc.), sondern auch kulturelle Einheiten formen. Zu Zeiten der Entstehung von Nationalstaaten in den aufkommenden Industriegesellschaften wurden viele ethnische, religiöse und auch sprachliche Unterschiede – notfalls mit Gewalt – von den jeweils Herrschenden eingeebnet (vgl. Hradil 2004). Die Schaffung von Nationalgefühlen war ein probates Mittel, um gesellschaftliche Integration unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen innerhalb der politischen Grenzen zu ermöglichen und schließlich wiederum Mittel, diese Grenzen nach außen hin zu verteidigen. Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl, das Mitglieder einer Nation verbindet und gegen Mitglieder anderer Nationen absetzt, hat verschiedene Ursachen: 1. gemeinsame historische Erfahrungen, 2. ein hohes Maß an Binnenkommunikation (gemeinsame Sprache, Bräuche, Normen, Wirtschaftsbeziehungen, etc.), 3. (Sozialisations-)Institutionen, die im Sinne Hofstedes das ‚mental programming’ innerhalb der nationalen Grenzen standardisieren (nationales Bildungssystem, gemeinsame Massenmedien, eine nationale Armee, eine gemeinsame politische Organisation, etc.) (Hofstede 1996: 25; Hradil 2004: 291). Letzten Endes kommt gesellschaftliche Integration in erster Linie durch ein Wir-Gefühl, d.h. nationale Identität, zustande (vgl. Hradil 2004). Eine geteilte Kultur ist dafür die wichtigste Grundlage und damit Basis der meisten Nationalstaaten. So definiert etwa Gellner (1991) Nationen als „Artefakte menschlicher Überzeugungen, Loyalitäten und Solidaritätsbeziehungen“ (1991: 16). Zweifelsohne existieren in manchen Ländern auch starke regionale Zugehörigkeitsgefühle und Kulturen, die z.T. sogar die nationale Identität und Einheit in Frage stellen. Ein exemplarisches Beispiel ist das Untersuchungsland Belgien, innerhalb dessen die beiden Sprachgebiete Flandern und Wallonien starke regionale Zugehörigkeiten schaffen. Doch auch für Länder mit starken regionalen Identitäten und Unterschieden gilt meist, dass der Nationalstaat durchaus die ‚umfassendste‘ kulturelle Einheit darstellt, wie Hofstede (1991) und Schwartz (2006) mit ihren empirischen Analysen zeigen: Die Variation bezüglich der normativen Orientierungen ist in der Regel zwischen den verschiedenen Regionen eines Landes wesentlich geringer als die kulturelle Variation zwischen verschiedenen Nationalstaaten.3 Die Verbundenheit mit einer Region, der Heimatstadt u.Ä. scheint sich demnach der nationalen Identität im
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Hofstede (1991) demonstriert für Belgien, dass die beiden Landesteile Flandern und Wallonien trotz ihrer unterschiedlichen regionalen Identitäten eine gemeinsame nationale Kultur aufweisen, die sich von derjenigen anderer Nationen unterscheidet (mehr dazu in Abschnitt 7.2.4).
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Zweifelsfall unterzuordnen (vgl. Hradil 2004).4 Aus diesem Grunde reserviert Hofstede (1991) den Begriff der ‚Kultur’ für eine nationale Gesellschaft5, während er für kleinere kulturelle Einheiten, wie z.B. Regionen, soziale Schichten oder ethnische Gruppen, den Begriff der ‚Subkultur’ verwendet.
2.3 Das Zusammenspiel von Kultur und Struktur: Die Theorie des Geschlechter-Arrangements von Pfau-Effinger Der theoretische Ansatz von Birgit Pfau-Effinger (2000, 2004) liefert einen analytischen Rahmen, der einerseits die institutionelle Ebene, andererseits die kulturell-normative Ebene für die Erklärung der Entwicklung des weiblichen Erwerbsverhaltens innerhalb eines Landes und damit auch für Unterschiede im Erwerbsverhalten zwischen verschiedenen Ländern heranzieht. Damit verbindet Pfau-Effinger im Prinzip die beiden oben genannten Erklärungsansätze zur Wirkung von Wohlfahrtsstaat und Kultur. Auf der Wohlfahrtsstaatentypologie Esping-Andersens aufbauend, konzentriert sich Pfau-Effinger (2000, 2004) mit Blick auf die staatlichen Einflüsse in erster Linie auf die Geschlechterpolitiken verschiedener Wohlfahrtsstaaten. Neben den politischen Aspekten hebt sie in besonderer Weise hervor, dass sich Geschlechterpolitiken immer in spezifischer Weise auf kulturelle Familienleitbilder und Einstellungen zur geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung beziehen. Damit betont sie gegenüber den meisten anderen theoretischen Ansätzen zur Erklärung nationaler Differenzen im weiblichen Erwerbsverhalten die Rolle kultureller Faktoren. Nicht allein Institutionen und soziale Strukturen, sondern vor allem die Kultur eines Landes beeinflusst das individuelle Handeln und variiert von Land zu Land. Da eine untrennbare Verbindung zwischen der weiblichen Orientierung im Hinblick auf Familie einerseits und Erwerbstätigkeit andererseits besteht, müssen bei einer Analyse des weiblichen Erwerbsverhaltens in einem ersten Schritt die kulturellen Werte und Leitbilder im Hinblick auf diese beiden Sphären – Familie und Arbeitsmarkt – untersucht werden. Erst in einem zweiten Schritt kann danach gefragt werden, inwiefern es wohlfahrtsstaatliche Institutionen und existierende Arbeitsmarktstrukturen, Frauen ermög4 Das Ausmaß kultureller Integration variiert allerdings von Gesellschaft zu Gesellschaft und ist vielleicht insbesondere für jüngere Nationalstaaten niedriger ausgeprägt als für länger bestehende. So ist beispielsweise für das erst seit 1990 wiedervereinte Deutschland anzunehmen, dass sich die Menschen in den alten und neuen Bundesländern in ihrer normativen Orientierung stärker unterscheiden, als dies zwischen Regionen der meisten anderen europäischen Länder der Fall ist (hierzu mehr in Abschnitt 4). 5 Hierbei stützt er sich wiederum auf Parsons, für den Gesellschaft ein soziales System ist, „characterized by the highest level of self-sufficiency in relation to its environments“ (Parsons 1977: 6).
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lichen, ihre Orientierungen zu realisieren (Pfau-Effinger 2004: 7). Damit stellt Pfau-Effinger gegenüber den reinen wohlfahrtsstaatlichen Theorien einen anderen theoretischen Zusammenhang zwischen der Wirkung von Institutionen und dem individuellen Handeln her. Der Theorie zufolge verfügt jede moderne Gesellschaft über mindestens ein dominierendes Geschlechter-Arrangement, das einerseits auf den in einer Gesellschaft dominierenden kulturellen Leitbildern zu den Geschlechterbeziehungen beruht und andererseits durch das Handeln sozialer Akteure reproduziert oder verändert wird (vgl. Pfau-Effinger 2000, 2004). Abbildung 1:
Erwerbsentscheidungen im Kontext des GeschlechterArrangements nach Pfau-Effinger Supranationale Einflüsse, z.B. Globalisierung, EU Integration
Geschlechter-Arrangement Geschlechterkultur Kulturelle Konstruktionen in Bezug auf • Arbeitssphären von Männern und Frauen • soziale Bewertung dieser Sphären • Kindheit und Betreuung von Kindern • Abhängigkeit versus Autonomie in der Beziehung zwischen Frauen und Männern
Soziale Akteure • Diskurse • Konflikte • Aushandlungsprozesse
Reproduktion oder Wandel
Erwerbsverhalten von Frauen / Müttern
Geschlechterordnung Zentrale Institutionen • Wohlfahrtsstaat • Arbeitsmarkt • Familie
Geschlechterstrukturen • Geschlechtsspezifische Arbeitsteilung • Machtverteilung
Quelle: Pfau-Effinger (2004): 45
Gemäß der Theorie des Geschlechter-Arrangements kann das Erwerbsverhalten von Frauen – und damit untrennbar verbunden auch die Struktur der geschlechtlichen Arbeitsteilung – in einer Gesellschaft als das Ergebnis des Zusammenspiels von kulturellen Leitbildern (Geschlechterkultur) und institutionellen Bedingungen im Rahmen des Arbeitsmarktes, der Familie und des Wohlfahrtsstaates (Geschlechterordnung) betrachtet werden. Die zentralen sozialen Institutionen, insbesondere der Wohlfahrtsstaat, der Arbeitsmarkt und die Familie, sind zwar zweifellos wichtig zur Erklärung des Erwerbsverhaltens von Frauen, ihre 35
Rolle kann allerdings nur auf Basis der Wechselbeziehungen mit der kulturellen Ebene verstanden werden. D.h., die zentralen sozialen Institutionen beziehen sich immer auf die gesellschaftlich vorherrschenden Werte und Normen. Demnach werden in diesem theoretischen Ansatz zwei Ebenen – die der Geschlechterkultur und die der Geschlechterordnung – voneinander unterschieden, deren spezifische Wechselwirkung das jeweilige nationale Geschlechter-Arrangement charakterisiert (siehe Abbildung 1).
Die Geschlechterkultur: Kulturelle Werte und Leitbilder Unter dem Begriff der ‚Geschlechterkultur’ werden gesellschaftlich relevante kulturelle Werte und Leitbilder bezüglich der geschlechtlichen Arbeitsteilung verstanden (vgl. Abschnitt 2.2). Üblicherweise dominieren in einer Gesellschaft ein oder auch mehrere Leitbilder, die das Ergebnis von Konflikten und Aushandlungsprozessen zwischen sozialen Gruppen darstellen. Allerdings kann die Reichweite der vorherrschenden Leitbilder in verschiedener Art und Weise begrenzt sein. So können beispielsweise geschlechterkulturelle Leitbilder zwischen verschiedenen Regionen eines Landes in gewissem Umfang variieren. Zum Beispiel hat Sackmann (1997) Kulturunterschiede zwischen den westdeutschen Regionen herausgearbeitet, die relevant für Unterschiede in der Frauenerwerbsbeteiligung sind. Jedoch ist im Allgemeinen die Variationsbreite zwischen den einzelnen Regionen eines westeuropäischen Landes deutlich geringer als zwischen den westeuropäischen Ländern6 (zum Nationalstaat als kulturelle Einheit vgl. auch Abschnitt 2.2). Des Weiteren besteht die Möglichkeit, dass sich bestimmte soziale Gruppen an anderen Leitbildern orientieren als die Mehrheit einer Gesellschaft, wie beispielsweise Angehörige bestimmter sozialer Schichten oder ethnischer Minderheiten. Schließlich – und das ist für PfauEffingers Theorie von besonderer Relevanz – muss noch zwischen Familienleitbildern und faktisch gelebten Familienformen unterschieden werden. Denn auch bei Gesellschaftsmitgliedern, die sich eigentlich am dominanten Familienleitbild orientieren, kann es zu Abweichungen davon in der tatsächlich gelebten Familienform kommen, weil äußere Restriktionen die Umsetzung der eigenen Vorstellungen verhindern. Beispielsweise können Mütter aus finanzieller Notwendigkeit dazu gezwungen sein, eine Erwerbsarbeit aufzunehmen, obwohl sie eine mütterliche Betreuung für die kindliche Entwicklung am angemessensten betrachten. Gerade die Untersuchung derartiger Diskrepanzen ist für Pfau-Effinger von besonderem Interesse, da sie entweder auf eine ‚Pluralisierung’ von Werten 6
Deutschland bildet mit seinen internen Ost-West-Differenzen allerdings eine Ausnahme.
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und Leitbildern hindeuten oder ein Indiz für einen Wandel des vorherrschenden Leitbilds darstellen.
Die Geschlechterordnung: die zentralen gesellschaftlichen Institutionen Die ‚Geschlechterordnung’ bezeichnet die zweite Ebene des GeschlechterArrangements und umfasst die Institutionen und sozialen Strukturen einer Gesellschaft. Der Begriff der Geschlechterordnung verweist auf „real vorfindliche Strukturen des Geschlechterverhältnisses und die Beziehungen zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Institutionen im Hinblick auf die geschlechtliche Arbeitsteilung“ (Pfau-Effinger 2000: 70). Für die geschlechtliche Arbeitsteilung in einer Gesellschaft sind in erster Linie drei Institutionen von besonderer Relevanz: der Arbeitsmarkt (und damit zusammenhängend das Bildungssystem), der Wohlfahrtsstaat und die Familie bzw. der Haushalt. Der Arbeitsmarkt ist neben dem Wohlfahrtsstaat die zentrale Instanz für die Verteilung gesellschaftlicher Ressourcen in Form von Erwerbseinkommen, sozialer Sicherheit und Statuspositionen. Damit ist er – gemeinsam mit dem Bildungssystem – für die Reproduktion der bestehenden Sozialstruktur verantwortlich. Allerdings sind auf dem Arbeitsmarkt nicht nur ökonomische Prinzipien wirksam, sondern auch gleichzeitig die kulturellen Leitbilder zur Frauenund Männerrolle. Arbeitsplätze und Tätigkeiten sind eng mit Vorstellungen zur Geschlechterrolle und Stereotypen zur geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung verbunden. Ferner ist der Arbeitsmarkt auch mit einem Arbeitsmarktverhalten der Arbeitskräfte konfrontiert, das für Männer und Frauen unterschiedlich ausfällt. So ist anzunehmen, dass Frauen und Männer dazu neigen, ihre Arbeitskraft für typische ‚weibliche’ bzw. ‚männliche’ Tätigkeiten anzubieten, womit die ungleichen Geschlechterstrukturen auf dem Arbeitsmarkt reproduziert werden. Die Zahl der Arbeitsplätze und die Arbeitsbedingungen, die von den Betrieben angeboten werden, können allerdings auch erheblich von dem Arbeitskräfteangebot abweichen (z.B. bei hoher Arbeitslosigkeit). Derartige ‚mismatchings’ hängen zu einem erheblichen Teil davon ab, wie der Wohlfahrtsstaat solche Prozesse institutionell reguliert. Aushandlungsprozesse von Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden und dem Wohlfahrtsstaat sind an dieser Stelle von besonderer Bedeutung (vgl. Kreckel 1992). Die Beschaffenheit der Institution der Familie ist zentral von den Beziehungen und der Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern definiert. Die familiale Arbeitsteilung, die sich wiederum auf die geschlechterkulturellen Leitbilder bezieht, bildet eine wichtige Grundlage für die gesamtgesellschaftliche Arbeitsteilung zwischen Familie und Erwerbsarbeit. Daher sind Veränderungen 37
in der familialen Arbeitsteilung auch verantwortlich für Veränderungen der Frauenerwerbsbeteiligung. Wichtig ist neben der Frage über die Zuständigkeiten für die Betreuung von Kindern auch, wie Familien- und Haushaltsarbeit im Vergleich zu Erwerbsarbeit gesellschaftlich bewertet und anerkannt wird. Der Politik des Wohlfahrtsstaates kommt unter den drei zentralen Institutionen in modernen Gesellschaften eine ganz besondere Rolle für die geschlechtliche Arbeitsteilung zu, denn sie gibt zentrale Rahmenbedingungen für die Funktionsweise der anderen gesellschaftlichen Institutionen vor. Beispielsweise ist die wohlfahrtsstaatliche Politik dafür verantwortlich, wie das Verhältnis von Arbeitsmarkt und Familie gestaltet ist und welcher Stellenwert den verschiedenen Institutionen bei der Wohlfahrtsproduktion zukommt. Damit besitzt der Staat erheblichen Einfluss darauf, wie gesellschaftliche Ressourcen verteilt sind; er reguliert die Strukturen der geschlechtlichen Arbeitsteilung und die Handlungsmöglichkeiten von sozialen Gruppen, wie z.B. von Frauen. Von besonderer Relevanz ist hier im Hinblick auf das Erwerbsverhalten von Müttern, inwieweit der Wohlfahrtsstaat Aufgaben der Betreuung und Erziehung von Kindern (aber auch anderen pflegebedürftigen Personen) übernimmt, in welchem Umfang und mit welcher Qualität er sie anbietet und inwieweit er sie an andere Institutionen (z.B. an die Familie) delegiert.
Zum Wandel des Geschlechterarrangements Nur wenn die Geschlechterkultur auch in den gesellschaftlichen Institutionen verankert ist, kann ein Geschlechter-Arrangement langfristig Bestand haben. Jedoch können allgemeine Prozesse kulturellen Wandels dazu führen, dass sich ein dominantes Geschlechter-Arrangement im Zeitverlauf verändert. So hat die Frauenbewegung in den vergangenen Jahrzehnten beträchtlich dazu beigetragen, dass egalitärere Geschlechter-Arrangements entstehen, in denen die Interessen und Orientierungen von Frauen stärker berücksichtigt werden. Allerdings führt ein Wandel des Geschlechter-Arrangements durch Veränderungen in den institutionellen und/oder kulturellen Gegebenheiten nicht zu völlig neuen Institutionen und Leitbildern und demnach auch nicht zu völlig neuartigen GeschlechterArrangements. Durch die Einbindung der handelnden Akteure in die tradierten Strukturen und Werteordnungen ist die Richtung des Wandels nicht beliebig, und es werden immer ‚alte’, tradierte Elemente beibehalten (vgl. Pfau-Effinger 2000, 2004). Gesellschaftliche Entwicklungen sind also immer ‚pfadabhängig’ und durch weit zurückreichende kulturelle Traditionen mitbestimmt (vgl. Beyer 2005; Inglehart/Baker 2000).
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In Zeiten sozialen Wandels können sich die Institutionen mit unterschiedlicher Geschwindigkeit und Dynamik von der kulturellen Ebene fortentwickeln. Außerdem beeinflusst die institutionelle Ebene, ob und wie sich schnell verändernde kulturelle Modelle in soziale Praktiken umgesetzt werden. Damit kommt insbesondere den sozialen Akteuren eine besondere Rolle für die Entwicklung und Veränderung von Geschlechter-Arrangements zu. Soziale Akteure sind verantwortlich für die Reproduktion oder den Wandel kultureller, institutioneller und struktureller Rahmenbedingungen. Eine existierende Geschlechterkultur kann durch bestimmte soziale Gruppen in Frage gestellt und wieder zum Subjekt sozialer Aushandlungsprozesse werden. Damit ist eine gegebene Geschlechterkultur immer sowohl Ursache als auch Effekt sozialen Handelns von Männern und Frauen (Pfau-Effinger 2004: 43).
2.4 Mikroökonomische Erklärungsmodelle: Der Einfluss individueller Ressourcen Den oben genannten Theorieansätzen, die den politischen Rahmen und/oder die kulturellen Normen als entscheidende Faktoren zur Erklärung weiblichen Erwerbsverhalten heranziehen, ist gemeinsam, dass sie Phänomene auf der MakroEbene als Prädiktor für individuelles Handeln ansehen. Dementsprechend ziehen diese Theorien auch quantitative Daten auf einer hohen Aggregatebene (z.B. Esping-Andersen) oder Bevölkerungsbefragungen (Hofstede, Schwartz, Pfau-Effinger) als Beleg für ihre Gültigkeit heran. Wenn auch das Ziel der vorliegenden Arbeit in der Erklärung eines Makrophänomens liegt – die Analyse der Erwerbsbeteiligung von Frauen in verschiedenen familienpolitischen und kulturellen Kontexten – so darf dennoch die Mikroebene nicht außen vor bleiben. Da das Erwerbsverhalten von Frauen nur innerhalb eines sozialen Kontextes analysiert werden kann, weil es gemäß den oben erwähnten Theorien in Wechselwirkung mit anderen gesellschaftlichen Prozessen steht (Kultur, Arbeitsmarkt, Wohlfahrtsstaat, Geschlechterverhältnis, Familienpolitik, Kinderbetreuungstraditionen, usw.), und nicht als Aggregat individueller Entscheidungen betrachtet werden kann, sind ökonomische Erklärungsansätze (RationalChoice-Ansätze) alleine zwar unzureichend, um Erwerbsentscheidungen von Frauen erklären zu können. Dennoch liefern Theorien der rationalen Wahl und insbesondere der Humankapitalansatz Argumente, die bei einer Analyse weiblichen Erwerbsverhaltens nicht vernachlässigt werden dürfen. Mit ihrer Hilfe kann der Einfluss individueller und haushaltskontextueller Merkmale – Ressourcen, Optionen und Restriktionen auf der Mikroebene –, die auch zu Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt, in der Fami39
lie und in der Gesellschaft führen können, erklärt werden. Gerade auch im Hinblick auf die empirische Untersuchung ist die statistische Kontrolle des Einflusses von Individual- und Haushaltsmerkmalen von großer Relevanz, um die regionalen und nationalen Unterschiede im weiblichen Erwerbsverhalten auch tatsächlich auf die zentralen Untersuchungsgrößen – Familienpolitik und Kultur – zurückführen zu können und keinen ökologischen Fehlschluss zu begehen. Daher soll in diesem Abschnitt erläutert werden, wie Erwerbsentscheidungen aus Sicht des Individuums bzw. innerhalb des familiären Haushaltskontextes beeinflusst werden können, ohne jedoch dabei die gesellschaftlichen Kontextbedingungen aus den Augen zu verlieren. Besonderen Stellenwert muss daher dem Zusammenhang zwischen den vorgestellten familienpolitischen bzw. anderen gesellschaftlichen Institutionen und den individuellen Entscheidungen gewidmet werden. Kernannahme der ökonomischen Theorie ist, dass Individuen zielgerichtet handeln und eine rationale Bewertung der von ihnen wahrgenommenen Handlungskonsequenzen nach deren Nutzen und Kosten vornehmen. Sie verhalten sich nutzenmaximierend und wählen diejenige Handlungsalternative, die ihnen den größten subjektiven Nutzen verspricht (Friedrichs et al. 1993: 3). Der individuelle Entscheidungsprozess verläuft dabei – wie bereits im Rahmen von Parsons Handlungstheorie vorgestellt (vgl. Abschnitt 2.2) – in drei Phasen: 1. die Wahrnehmung der Situation, 2. die Bewertung der Konsequenzen der Handlungsalternativen und 3. die Wahl einer Handlungsalternative (Lindenberg 1989: 177). Eine Familie ist aus Sicht der ökonomischen Theorie eine „Gemeinschaft von Individuen (…), die durch Zusammenlegung ihrer Ressourcen und durch familiäre Arbeitsteilung gemeinsam eine höhere Wohlfahrtslage erreichen können, als dies individuell möglich ist“ (Ott 1991: 385). Zugewinne können innerhalb einer Familie erstens durch Spezialisierung der Haushaltsmitglieder auf Markt- bzw. Hausarbeit, d.h. innerfamiliäre Arbeitsteilung entstehen (Produktionsgemeinschaft), zweitens durch den gemeinsamen Konsum von unteilbaren, haushaltsöffentlichen Gütern wie z.B. ein Auto oder Haushaltsgeräte (Konsumgemeinschaft) und drittens durch eine materielle Absicherung in Risikofällen (z.B. Krankheit, Arbeitslosigkeit, etc.) durch die Familie (Versicherungsgemeinschaft) (ebenda: 385). So begründet Gary Becker (1981) etwa die Arbeitsteilung innerhalb der Familie damit, dass im Falle einer Haushaltsgründung die Maximierung des Haushaltnutzens den individuellen Nutzen der beiden Partner (und evtl. anderer Haushaltsmitgliedern) als Handlungsziel ersetzt und sich hieraus die möglichst effiziente Arbeitsteilung zwischen den Partnern ableitet (ebenda: 16). Damit wird die Familie zu einer Entscheidungseinheit, die nach dem rationalen Nut40
zenkalkül Entscheidungen trifft. Eine Familie ist gerade dann effizienter, „wenn die Angehörigen ihre Zeit unterschiedlichen Tätigkeiten widmen und jeder hauptsächlich in das spezifische Kapital, das seiner Tätigkeit entspricht, investiert“ (Becker 1996: 108). Allerdings folgt aus der Effizienz der Arbeitsteilung noch nicht die traditionelle geschlechtliche Zuweisung der verschiedenen Tätigkeiten, d.h. die Übernahme der Kindererziehung und Haushaltstätigkeiten durch die Frau, und die außerhäusliche Erwerbstätigkeit und Ernährerfunktion des Mannes. Diese geschlechtsspezifische Verteilung der Arbeiten resultiert laut Becker (1996) vielmehr aus biologischen Dispositionen (Gebär- und Stillfähigkeit der Frau) oder kommt durch Diskriminierung zustande. Ein Beispiel für Diskriminierung sind geschlechtsspezifische Lohnunterschiede (Cornelißen et al. 2005; Hinz/Gartner 2005; Hübler 2003). Diese verstärken wiederum die traditionelle Arbeitsteilung innerhalb der Familie, da die geringeren Löhne von Frauen weibliche Erwerbsarbeit weniger produktiv machen als die der Männer. Diese Faktoren sind also gemäß der mikroökonomischen Theorie Gründe dafür, weshalb Frauen in geringerem Umfang erwerbstätig sind oder bei zeitintensiver Haushaltsproduktion – wie in Zeiten der Kindererziehung – die Erwerbstätigkeit ganz aufgeben. Kulturell-normative Faktoren wie etwa die Geschlechterrollen spielen dagegen keine Rolle. Die starke Zunahme der Erwerbstätigkeit von Frauen im 20. Jahrhundert ist nach diesem ökonomischen Ansatz durch die wirtschaftliche Entwicklung und dem daraus resultierenden Anstieg der Verdienstmöglichkeiten für Frauen zustande gekommen (vgl. Becker 1996; Mincer/Ofek 1982). So ermöglicht der wachsende Dienstleistungssektor Frauen eine größere Flexibilität bei der Kombination von bezahlter Arbeit und Kindererziehung (vgl. Goldin 1984). Weiterhin begünstigt das Schrumpfen der Familiengröße die Erwerbstätigkeit der Frauen, was wiederum eine weitere Abnahme der Fertilität zur Folge hat. Dass ‚Präferenzen’ für ein spezifisches Verhalten – hier: die Erwerbsbeteiligung von Frauen – durch ein Kultursystem geprägt sind, bleibt bei Becker unberücksichtigt. Auch Ott (1992) teilt die Grundannahmen Beckers bezüglich der Nutzenmaximierung innerhalb des Haushalts und komparativer Vorteile der Geschlechter. Allerdings verfolgt sie einen spieltheoretischen Ansatz: Sie modelliert den familiären Haushalt als eine Verhandlungssituation zwischen den beiden Partnern. Familie ist daher bei Ott keine Entscheidungseinheit wie bei Becker, sondern vielmehr eine Institution, in der rationale Individuen gemeinsam Entscheidungen zur Realisierung von Kooperationsgewinnen treffen. Die traditionelle Rollenverteilung stellt sich aus dieser Sicht als ein Vertrag zwischen Mann und Frau dar, bei dem die Frau zugunsten der Kindererziehung 41
die Erwerbsarbeit einschränkt oder gar aufgibt, auf Akkumulation von Humankapital verzichtet und eine Reduzierung ihrer individuellen Einkommenskapazitäten und damit gleichzeitig eine Reduzierung ihrer Verhandlungsstärke innerhalb der Partnerschaft akzeptiert. Im Gegenzug verspricht der Mann, diese geschwächte Verhandlungsposition nicht auszunutzen, und garantiert eine lebenslang festgeschriebene Verteilung der Kooperationsgewinne. Da jedoch bei diesem Vertrag Leistung und Gegenleistung zeitlich weit auseinanderfallen, besteht für den Mann ein Anreiz, nach erbrachter Leistung der Frau (z.B. nach der Kindererziehung), den Vertrag zu brechen und eine neue interne Verteilung auszuhandeln. Das bedeutet, dass sich die Verhandlungsposition automatisch für denjenigen Partner, der sich der Kinderbetreuung und den Haushaltstätigkeiten widmet – in der Regel also für die Frau – verschlechtert, zugunsten des auf Marktarbeit spezialisierten Partners, also dem Mann. Allerdings ist eine kooperative Entscheidung eher effizient, da sich beide Partner gegenüber der nichtkooperativen Lösung verbessern. Lediglich im Falle einer Trennung sind Frauen, die bereits während der Partnerschaft eine individuelle und suboptimale Lösung gewählt haben, besser gestellt als Frauen, die sich auf die Kinderbetreuung und Haushaltstätigkeiten spezialisiert haben (vgl. Ott 1992). Weibliche Emanzipations- und Unabhängigkeitsbestrebungen sind daher in der Theorie Otts Ausdruck des Erfordernisses, individuell auf ökonomische Selbständigkeit zu achten. Mangelnde Verbindlichkeit familiärer Verträge und daraus folgende tatsächliche oder vermeintliche Vertragsbrüche führen zu vermehrt nicht-kooperativem Verhalten, was sich letztendlich auch in steigenden Scheidungsziffern niederschlägt. Die emotionale Verbundenheit in der Familie, die in den ‚Low-cost-Situationen’ (darunter versteht Ott Situationen, bei denen Vertragstreue nur geringe Kosten verursacht, d.h. die Anreize, Verträge zu brechen, sehr gering sind) Vertragstreue hinreichend zu gewähren vermag, mag dagegen bei starken Anreizen zum Vertragsbruch untergraben werden. Wie auch Becker blendet Ott allerdings den Aspekt aus, dass das Erwerbsverhalten durch soziale Strukturen und kulturelle Normen geprägt und bestimmt ist. Ott betont im Unterschied zu Becker, dass sich Individuen auch innerhalb von Haushaltskontexten bzw. Familien in ihrem Verhalten an persönlichen Kosten-Nutzen-Kalkulationen, und nicht wie bei Becker am Haushaltsnutzen, orientieren. Die Erwerbstätigkeit der Frau nach der Geburt von Kindern kann aus dieser Perspektive kein Ziel an sich sein, sondern ist lediglich eine (ängstliche) Reaktion auf den Partner, der die gemeinsamen Vereinbarungen brechen und damit eine bessere Verhandlungsposition erlangen könnte (Ott 1992). Die Darstellung der beiden genannten mikroökonomischen Erklärungsansätze von Becker und Ott machen deutlich, dass Rational-Choice-Ansätze darauf zielen, Präferenzen von Frauen für oder gegen eine Erwerbstätigkeit entwe42
der mit der Nutzenmaximierung des Haushalts oder als ein Ergebnis einer nutzenmaximierenden Abwägung zwischen Geld- und Zeitpräferenzen zu erklären. In beiden Fällen ist eine Präferenz für oder gegen eine Erwerbstätigkeit das Ergebnis einer rationalen Kosten-Nutzen-Abwägung. Besonderer Stellenwert zur Erklärung der individuellen Erwerbsentscheidung wird in allen Ansätzen der Humankapitalausstattung7 des Individuums eingeräumt. Mit zunehmendem Humankapital steigen die Opportunitätskosten im Falle einer Erwerbsunterbrechung, da mit höherem Humankapital ein potentiell höherer Lohn erzielt werden kann und zudem ungenutztes Humankapital mit der Dauer der Erwerbsunterbrechung schrumpft8 (vgl. Becker 1982, 1996). Alles in allem liefert der mikroökonomische Erklärungsansatz also wichtige Begründungen, die nicht außen vor gelassen werden dürfen, doch wird gleichzeitig vernachlässigt, dass Präferenzen und Verhaltensweisen auch maßgeblich vom kulturellen Kontext bestimmt werden und sich den jeweiligen Handlungssituationen anpassen (vgl. Abschnitt 2.2).
2.5 Das Verhältnis von Familienpolitik, Kultur, individuellen Merkmalen und der weiblichen Erwerbspraxis Die vorherigen Abschnitte haben gezeigt, dass familienpolitische Rahmenbedingungen, kulturelle Prägungen sowie individuelle und haushaltskontextuelle Merkmale einen Beitrag zur Erklärung weiblichen Erwerbsverhaltens leisten. Um nun das Verhältnis zwischen diesen Faktoren und der sozialen Praxis zu verstehen, erweist es sich als besonders wichtig, den Erwerbswunsch zunächst von einer faktischen Erwerbsbeteiligung zu unterscheiden. Diskrepanzen zwischen gewünschter und realisierter Erwerbsbeteiligung können auf Unstimmigkeiten zwischen der Ebene der Kultur und der Ebene der Institutionen hindeuten (Pfau-Effinger 2000). 7
Unter Humankapital können die in Menschen (bzw. Arbeitskräften) gespeicherten und ökonomisch verwertbaren Ressourcen in Form von Ausbildung, Qualifikationen und Fähigkeiten verstanden werden, die das zukünftige Realeinkommen beeinflussen (Becker 1962: 9). 8 Dass Humankapital mit der Erwerbswahrscheinlichkeit positiv korreliert, kann jedoch nicht nur mit Kosten-Nutzen-Abwägungen erklärt werden. So kann Bildung etwa einerseits als zentraler Bestandteil des Humankapitals, andererseits jedoch auch als Sozialisationsfaktor begriffen werden. Hinter dem Faktor der Bildung verbirgt sich eine stärkere Flexibilität und Universalität des Denkens, was letzten Endes dazu führt, dass höher gebildete Personen in geringerem Maße gesellschaftlichen Konventionen folgen als niedriger gebildete Personen (vgl. Gerhards/Rössel 2000; Inglehart 1977). Dementsprechend sind Frauen mit höherer Bildung mit emanzipatorischen Ideen stärker vertraut, hinterfragen traditionelle Werte und Rollenbilder stärker und orientieren ihr Handeln in geringerem Maße an kulturellen Verhaltensnormen (Beck-Gernsheim 1983; Beck 1986).
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Zum einen lassen sich Erwerbswünsche von Frauen nicht immer unmittelbar in die soziale Erwerbspraxis umsetzen. Liegt der Anteil der Frauen, die gerne arbeiten möchten, deutlich über dem Anteil derjenigen, die tatsächlich arbeiten, so gibt es hierfür zwei mögliche Ursachen, die auf der Ebene der Institutionen anzusiedeln sind: Erstens kann ein Ungleichgewicht zwischen Arbeitsangebot und -nachfrage bestehen, wenn z.B. von Seiten des Arbeitsmarktes zu wenige Arbeitsplätze (für Frauen) zur Verfügung stehen. Zweitens kann die Ausgestaltung der politischen Rahmenbedingungen eine weibliche bzw. mütterliche Erwerbsbeteiligung erschweren oder finanziell unattraktiv gestalten, z.B. durch ein geringes Angebot an günstiger Kinderbetreuung oder steuerliches Ehegattensplitting (vgl. Wohlfahrtsstaatentheorie Abschnitt 2.1 und ökonomische Theorie Abschnitt 2.4). Auf diese Weise haben die Institutionen (Arbeitsmarkt, Politik) Einfluss darauf, ob und wie schnell sich verändernde kulturelle Leitbilder auf breiter Basis Eingang in die soziale Praxis finden. Differenzen in den Optionen und Restriktionen auf der Ebene der Institutionen führen deshalb auch dazu, dass Frauen ihre Erwerbsorientierung in verschiedenen nationalen Kontexten in unterschiedlichem Ausmaß verwirklichen können. Dementsprechend darf im Hinblick auf die empirische Analyse weiblichen Erwerbsverhaltens nicht ohne weiteres von aktuell beobachtbarem weiblichen Erwerbsverhalten auf kulturell bedingte Erwerbsdispositionen geschlossen werden (Pfau-Effinger 2000). Zum anderen besitzt der weibliche Erwerbswunsch als Ausdruck der vorherrschenden Geschlechterkultur Einfluss darauf, ob und in welchem Ausmaß von den verfügbaren politischen Institutionen und Möglichkeiten überhaupt Gebrauch gemacht wird (vgl. Abschnitt 2.2). So ist etwa denkbar, dass aus anderen Ländern ‚importierte’ bzw. kopierte politische Institutionen, die sich auf divergente oder erst sich neu herausbildende kulturelle Leitbilder beziehen, nicht (bzw. noch nicht) den kulturellen Orientierungen der breiten Mehrheit der Bevölkerung entsprechen. Beispielsweise ist vorstellbar, dass ein gut ausgebautes Kinderbetreuungssystem in einem Land mit sehr traditionellen Geschlechterrollenvorstellungen wenig Anklang findet. John W. Meyer (2005) spricht in diesem Zusammenhang von ‚Entkopplung’. Entkopplung tritt dann auf, wenn Nationalstaaten sich am Modell externer Kultur orientieren und verschiedene Institutionen daraus importieren. Dabei sind zwar einige Bestandteile der externen Modelle leichter zu kopieren als andere, doch erweisen sich viele als nicht abgestimmt mit den lokalen Gewohnheiten, Bedürfnissen oder auch Finanzierungsmöglichkeiten (ebenda: 99). In beiden Fällen handelt es sich um Unstimmigkeiten zwischen der Ebene der Kultur und der Ebene der Institutionen (vgl. Gottschall 2000). Doch während sich im ersten Fall die kulturellen Orientierungen wandeln und deren Umsetzung durch die gleich gebliebenen Institutionen erschwert wird (‚institutional 44
lag’), verändern sich im zweiten Fall die Institutionen, die jedoch aufgrund der zeitlich stabil gebliebenen Kultur weitgehend unakzeptiert bleiben (‚cultural lag’) (Pfau-Effinger 2000: 82f.). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Erwerbsverhalten von Frauen immer das Zusammenwirken von bedingenden Faktoren, die den Möglichkeitsspielraum vorgeben, und normativen Faktoren, die die Wahl der Möglichkeiten bedingen, voraussetzt. „Action must always been thought of as involving a state of tension between two different orders of elements, the normative and the conditional. As process, action is, in fact, the process of alteration of the conditional elements in the direction of conformity with norms. Elimination of the normative aspect altogether eliminates the concept of action itself and leads to the radical positivistic position. Elimination of conditions, of the tension from that side, equally eliminates action and results in idealistic emanationism. Thus conditions may be conceived at one pole, ends and normative rules at the other, means and effort as the connection between them” (Parsons 1968a: 732). Als bedingende Faktoren haben die politischen Rahmenbedingungen, die Arbeitsmarktsituation, aber auch die Ressourcen und Restriktionen des Individuums und des Haushalts Einfluss auf den Möglichkeitsspielraum. Als normative Faktoren wirken die sozialen Normen und Werte in Bezug auf die Frauenrolle, die letzten Endes bestimmen, welche der vorhandenen Handlungsmöglichkeiten in Betracht gezogen und gewählt wird. Mit anderen Worten muss eine vollständige Erklärung weiblichen Erwerbsverhaltens also immer beide Seiten berücksichtigen: Wertvorstellungen einerseits und Handlungskontexte andererseits. Daher widmet sich die vorliegende Arbeit der Untersuchung von Möglichkeitsspielräumen, wie sie durch die nationalen familienpolitischen Institutionen geformt werden, als auch der Untersuchung von Präferenzen und Wunschvorstellungen von Frauen in Bezug auf ihre Erziehungs- und Erwerbsarbeit.9 Erst aus dem Zusammenspiel von Werten und Einstellungen, d.h. aus dem wünschenswerten Verhalten von Frauen einerseits und den Gelegenheitsstrukturen zur Realisierung von wünschenswertem Verhalten (d.h. im konkreten Fall den Möglichkeiten zur Arbeitsaufnahme bzw. Übernahme von Betreuungsarbeit) andererseits, erschließt sich das weibliche Erwerbsverhalten.
9 Das Analyseziel ist dementsprechend ein makrosoziologisches, denn es richtet sich auf die gesellschaftliche Ebene. Die mikrosoziologische Perspektive mit Fokus auf individuellen Ressourcen und Restriktionen bleibt zwar in den empirischen Analysen nicht unberücksichtigt, dient allerdings nur statistischen Kontrollzwecken (vgl. Kapitel 6).
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3 Die Familienpolitik in Belgien, West- und Ostdeutschland
3.1 Wohlfahrtsstaat und Erziehungsarbeit: Wie wirkt Familienpolitik auf eine mütterliche Erwerbsentscheidung? Aus den vorher geschilderten wohlfahrtsstaatlichen Erklärungsansätzen sowie aus der Theorie des Geschlechter-Arrangements von Pfau-Effinger (2000) geht hervor, dass der wohlfahrtsstaatlichen Politik auf der Ebene der Institutionen eine wichtige Bedeutung beigemessen werden muss, da sie durch die Vorgabe von Rahmenbedingungen bestimmt, welcher Stellenwert dem Arbeitsmarkt und der Familie im Wohlfahrtsstaat zukommt. Für die Untersuchung der Erwerbsbeteiligung von Müttern muss insbesondere die Aufteilung der Erziehungsarbeit ins Blickfeld genommen werden: Inwieweit übernimmt der Wohlfahrtsstaat Aufgaben der Betreuung und Erziehung von Kindern, in welchem Umfang und mit welcher Qualität bietet er sie an, und inwieweit delegiert er die Erziehungsverantwortung an andere Institutionen und insbesondere an die Familie? Zur Beantwortung dieser Fragen muss der Blick in erster Linie auf die Familienpolitik eines Landes gerichtet werden, weil sie sich auf die institutionellen Voraussetzungen und Opportunitätsstrukturen der Familiengründung und des Familienlebens bezieht (Kaufmann 1990: 151). Die Familienpolitik eines Landes kann den institutionellen Kontext für familienbezogenes Verhalten derart gestalten, dass sie die Opportunitätsstrukturen verändert und ein bestimmtes Verhalten im ökonomischen Sinne positiv oder negativ sanktioniert. Im Hinblick auf die mütterliche Erwerbsintegration ist damit zu rechnen, dass familienpolitische Maßnahmen Rahmenbedingungen schaffen, die dafür sorgen, dass sich eine Erwerbsarbeit für Mütter finanziell auszahlt oder eben nicht. Dies geschieht, indem die Familienpolitik eines Landes die direkten und indirekten Kosten von Kindern zwischen verschieden Akteuren – Müttern, Vätern, anderen Familienangehörigen, dem Staat, den Steuerzahlern, Betrieben, usw. – verteilt (vgl. Scheiwe 2003). Als Kernelemente gesellschaftlicher Wohlfahrt für Familien im Hinblick auf Erziehungsarbeit lassen sich drei familienpolitische Maßnahmenkomplexe voneinander unterscheiden, die die familiären Betreuungs- und Erziehungsleis46
tungen unterstützen und/oder ergänzen und damit unterschiedliche soziale und ökonomische Folgen erzeugen (vgl. Bettio/Plantenga 2004): a.
b.
c.
Der Staat kann familiäre Erziehungsarbeit mit Geldleistungen honorieren und unterstützen (z.B. in Form von Kindergeld, Erziehungsgeld und Steuererleichterungen). Der Staat kann Zeitrechte für Erziehungsarbeit gewähren, z.B. in Form von Freistellungsregelungen und Arbeitszeitverkürzung für erwerbstätige Eltern (z.B. Mutterschutz, Erziehungsurlaub, Elternteilzeit). Schließlich kann der Staat Eltern auch von Teilen der Erziehungsarbeit entlasten, indem er Dienstleistungen wie öffentliche Kinderbetreuung anbietet.
Zwar wird durch alle drei genannten Maßnahmenkomplexe Erziehungsarbeit im System des Wohlfahrtsstaates berücksichtigt, jedoch wird in den ersten beiden Unterstützungsformen die Organisation der Erziehungsarbeit an die Familie delegiert, indem ihr Zeit (z.B. Elternurlaub) und Geld (z.B. Erziehungsgeld, Kindergeld, Kinderfreibeträge) zur Übernahme der Erziehungspflichten gewährt wird, während bei der dritten Form die Familie von Teilen der Erziehungsarbeit entlastet wird, indem sich öffentliche Betreuungseinrichtungen zeitweise um die Erziehung und Betreuung von Kindern kümmern. In der Praxis kommen die verschiedenen Maßnahmen selten vollkommen isoliert voneinander vor. In der Regel werden Maßnahmenbündel geschnürt, die die einzelnen politischen Maßnahmen aus den drei genannten Kategorien aneinander koppeln. So ist beispielsweise die Inanspruchnahme eines Erziehungsurlaubs in vielen Ländern mit einem Erziehungsgeld verbunden, so dass Zeit und Geldleistungen zur Kinderbetreuung miteinander verknüpft sind. Geldtransfers und Kinderbetreuung werden auch nicht selten miteinander verbunden, indem Kinderbetreuungskosten steuerlich absetzbar sind. Doch wie ist die Wirkung der familienpolitischen Maßnahmen auf die weibliche Erwerbsentscheidung nun konkret zu erklären?
Die Wirkung von Geldleistungen Monetäre Transfers können auf zweierlei Arten mütterliche Erwerbsentscheidungen beeinflussen: Einerseits können sie als Anreiz für eine Erwerbsunterbrechung fungieren, wenn sie den durch eine Unterbrechung entfallenden Lohn
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zumindest teilweise kompensieren10, insbesondere natürlich dann, wenn sie explizit an die Möglichkeit einer Erwerbsunterbrechung oder Arbeitszeitreduzierung gekoppelt sind, z.B. im Falle von Erziehungsgeld, aber auch im Falle des deutschen Ehegattensplittings. Andererseits können staatliche Geldleistungen, wenn sie nicht unmittelbar an eine Erwerbsunterbrechung gebunden sind, wie z.B. bei Kindergeldzahlungen oder Kinderfreibeträge, Anreiz sein, eine Erwerbsarbeit nicht zu unterbrechen bzw. wieder aufzunehmen und ggf. formelle oder informelle Kinderbetreuung auf dem Markt zu erkaufen.
Die Wirkung von Elternfreistellungen und öffentlicher Kinderbetreuung Freistellungsregelungen für Eltern sowie das Angebot an öffentlicher Kinderbetreuung haben theoretisch eine eindeutigere Wirkung auf die Arbeitsmarktbeteiligung von Müttern als monetäre Transfers, die wie erwähnt, ggf. sowohl als Anerkennung für die Übernahme von Erziehungsaufgaben durch die Mutter, als auch für den Ankauf alternativer Betreuung genutzt werden können. Die Verfügbarkeit von Alternativen zur mütterlichen Kinderbetreuung ist dagegen eine unabdingbare Voraussetzung für eine Erwerbsbeteiligung von Müttern. Im Falle eines nicht ausreichenden öffentlichen Betreuungsangebotes bleibt der Mutter oft keine Wahl: Sie muss die Betreuung selbst übernehmen und auf eine Erwerbsbeteiligung verzichten. Insbesondere auf allein erziehende Mütter trifft dies zu, denn sie sind häufig nicht in der Lage, die Betreuungsarbeit mit dem Partner zu teilen, können gleichzeitig auch nicht auf dessen Erwerbseinkommen zurückgreifen und sind daher im Grunde umso mehr auf ein eigenes Erwerbseinkommen angewiesen, worin schließlich die besondere Problematik von Alleinerziehenden besteht. Ein bedeutsamer Aspekt ist, dass öffentliche Kinderbetreuungsangebote in ihrer Form und Verfügbarkeit mit dem Alter des Kindes korrespondieren: Für Kinder unter drei Jahren ist als öffentliche Betreuungseinrichtung die Krippe und für Kinder von drei bis sechs Jahren der Kindergarten vorgesehen. Die Rolle der Schule als eine Form der ‚Kinderbetreuung’ hat im Vergleich zur Betreuung von jüngeren Kindern theoretisch und empirisch bisher weniger Beachtung erfahren, da sich die öffentlich-politische Debatte vornehmlich auf Kleinkinder unter sechs Jahre konzentriert. Doch man muss annehmen, dass auch für die Altersgruppe der jüngeren Schulkinder alternative Betreuung gewährleistet sein muss, damit Mütter mit Kindern dieser Altersgruppe einer Er10
In den meisten Ländern fungieren monetäre Transfers in Verbindung mit Elternzeiten jedoch nicht als vollständiger Ersatz für den entfallenden Arbeitslohn, insbesondere dann, wenn längere Erwerbsunterbrechungen von mehr als einem Jahr gewährt werden.
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werbsarbeit nachgehen können. So berichtet Gornick (1994) in ihrer Studie von fünf englischsprachigen Ländern, dass starke Anstiege der Erwerbsraten von Müttern mit dem jeweiligen Schuleintrittsalter der Kinder korrespondieren. Diese empirischen Ergebnisse zeigen, dass auch die frühe Schulphase, in der Kinder noch einer durchgängigen Betreuung bedürfen, als wichtige Betreuungsinstanz verstanden werden muss. Nicht nur der Umfang der schulischen Betreuung auch das Angebot an nachschulischer Betreuung durch einen Hort sollte dabei in Betracht gezogen werden. In Verbindung mit der Verfügbarkeit ist die zeitliche Abstimmung der Betreuungsmöglichkeiten mit den Arbeitszeiten der Mütter von besonderer Relevanz. Westdeutschland stellt etwa den prototypischen Fall einer ‚ergänzenden’ öffentlichen Betreuung dar. D.h., öffentliche Betreuungsinstitutionen bieten Betreuungsleistungen nur für wenige Stunden am Tag an. Mütter, die nicht auf informelle Betreuungsarrangements zurückgreifen können, sind deshalb kaum in der Lage, Vollzeit erwerbstätig zu sein. Damit beeinflusst der Zugang zu öffentlicher Kinderbetreuung nicht nur die generelle Chance einer mütterlichen Erwerbsbeteiligung, sondern gleichzeitig auch den Umfang einer möglichen Erwerbstätigkeit. Neben der Verfügbarkeit können jedoch auch die Kosten für alternative Kinderbetreuung die Wahrscheinlichkeit einer mütterlichen Erwerbsbeteiligung beeinflussen. Gemäß der ökonomischen Theorie (vgl. z.B. Becker 1982, 1996; Browning 1992; Bryant 1990; Cigno 1991; Elster 1986) kann das öffentliche Kinderbetreuungsangebot auf zweierlei Arten Einfluss auf eine mütterliche Erwerbsentscheidung nehmen. Erstens kann öffentliche Kinderbetreuung den Wert der zu Hause verbrachten mütterlichen Zeit verändern, d.h. das öffentliche Betreuungsangebot kann es für die Mutter mehr oder weniger attraktiv machen, die verfügbare Zeit entweder in Erwerbsarbeit oder aber in Erziehungs- und Betreuungsarbeit zu investieren (vgl. z.B. Blau/Ferber 1992). Zweitens können die Kinder(betreuungs)kosten11 als eine Art ‚Steuer’ auf den mütterlichen Erwerbslohn betrachtet werden (vgl. Connelly 1992; Michalopoulos et al. 1992). Beide Erklärungsansätze haben jedoch gemeinsam, dass sie bei Verbesserungen des Kinderbetreuungsangebotes eine Zunahme der weiblichen Erwerbsbeteiligung vorhersagen. Zahlreiche empirische Arbeiten belegen diese Assoziation (siehe z.B. Blau/Robins 1991; Connelly 1991, 1992; Leibowitz et al. 1992; 11
Unter Kinderkosten werden die finanziellen und zeitlichen Belastungen verstanden, die Kinder bei ihren Eltern verursachen. Dabei werden direkte und indirekte Kinderkosten unterschieden. Unter den direkten Kinderkosten werden alle den Kindern zuzuordnenden Ausgaben verstanden, wie Kleidung, Ernährung, Wohnung sowie Kosten für Kinderbetreuung und schulische/berufliche Ausbildung. Als indirekte Kinderkosten werden die Zeitinvestitionen in Kindererziehung und betreuung und die daraus entstehenden Opportunitätskosten bezeichnet (Scheiwe 1999: 8ff.).
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Michalopoulos et al. 1992; Spieß/Büchel 2003; Spieß et al. 2000; Büchel/Spieß 2002; Wrohlich 2004). Entsprechend diesen Modellen gehen höhere Kosten mit einer niedrigeren Erwerbswahrscheinlichkeit einher und vice versa. Für Frauen mit einem potentiell niedrigen Lohn steigen daher die Erwerbschancen mit der Zunahme an kostengünstigen oder kostenfreien Betreuungsalternativen. Neben dem Angebot an formeller bezahlter oder unbezahlter Kinderbetreuung nimmt kostenfreie informelle Kinderbetreuung im Alltag erwerbstätiger Mütter einen besonderen Platz ein. Vor allem ist die Familie, trotz der starken Individualisierungstendenzen und Veränderungen der familiären Strukturen in den vergangenen Jahrzehnten, nach wie vor die wichtigste Quelle für unbezahlte Unterstützung bei der Kinderbetreuung (vgl. Esch/Stöbe-Blossey 2005). Ein intaktes soziales Netzwerk kann durchaus einen Mangel an öffentlichen Betreuungsmöglichkeiten kompensieren und würde wahrscheinlich bei einer Wahlmöglichkeit sogar vorgezogen werden, da die Kinder keiner fremden Person oder einer abstrakten Institution anvertraut werden müssen. Untersuchungen des privaten Hilfenetzwerks zeigen, dass es in der Regel wiederum Frauen sind, die auch außerhalb ihrer eigenen Familie umfangreiche Hilfe anbieten und private Unterstützung leisten (vgl. Ludwig/Schlevogt 2002). Allerdings sind es in den meisten Fällen lediglich wenige Personen aus dem Netzwerk, auf deren Hilfe vertraut werden kann. Meistens gehört die eigene Mutter oder Schwiegermutter dazu. Nachbarschaft und Freundschaften spielen eher eine untergeordnete Rolle, denn sie werden nur selten regelmäßig genutzt, eher vereinzelt und in Notfällen. Die Qualität der alternativen Betreuung und vor allem die erwarteten Folgen alternativer Betreuung für das Kindeswohl sind für die Erwerbsentscheidung von Müttern ebenfalls nicht zu unterschätzen. Vielmehr als die objektiv messbaren Effekte von nicht-elterlicher Kinderbetreuung erscheint für eine mütterliche Erwerbsentscheidung von Belang, wie die Folgen für das Wohlbefinden des eigenen Kindes durch die Eltern eingeschätzt werden. Diese Einschätzung ist vermutlich wiederum in besonderem Maße vom kulturellen Kontext geprägt und maßgeblich dafür, ob und wann eine Mutter nach der Geburt eines Kindes eine Erwerbstätigkeit aufnimmt (vgl. Kapitel 4).
3.2 Die Ausgestaltung der Familienpolitik in Belgien, West- und Ostdeutschland Nachdem im vorherigen Abschnitt die generellen Möglichkeiten familienpolitischer Intervention identifiziert wurden (vgl. Abschnitt 3.1), sollen nun die vorhandenen familienpolitischen Maßnahmen, wie sie konkret in den Untersuchungsländern im relevanten Untersuchungszeitraum von 1992 bis 2003 vorlie50
gen, ausführlich vergleichend dargestellt werden. Dabei stehen diejenigen familienpolitischen Einrichtungen im Vordergrund, die die Erwerbsbeteiligung von Müttern fördern oder erschweren und somit – im Sinne der ökonomischen Theorie – die Erwerbsentscheidung von Müttern relevant beeinflussen können. Dazu zählen Freistellungsregelungen für Eltern und die damit verbundene sozialrechtliche Anerkennung von Erziehungszeiten (Abschnitt 3.2.1 und 3.2.2), das Angebot an öffentlicher Kinderbetreuung (Abschnitt 3.2.3) sowie monetäre Transferleistungen und Besteuerungskonzepte von Eltern (Abschnitt 3.2.4). Da der institutionelle Rahmen, mit Ausnahme der Kinderbetreuungssituation, für Westund Ostdeutschland identisch ist, wird lediglich an den entsprechenden Stellen auf Unterschiede zwischen den beiden deutschen Regionen verwiesen.
3.2.1 Elterliche Freistellungsregelungen Bevor nun auf die konkrete Ausgestaltung der Elternfreistellungsmöglichkeiten in den einzelnen Untersuchungsländern eingegangen wird, ist es notwendig, verschiedene Formen von Freistellungen zur Kinderbetreuung voneinander zu unterscheiden. Die Haupttypen von Freistellungsregelungen, die von Eltern nach der Geburt eines Kindes zu dessen Betreuung beansprucht werden können, sind: Mutterschutz, Vaterschaftsurlaub, Elternurlaub für die frühe Kinderbetreuung, eine Freistellung aus allgemein familiären Gründen (wie etwa zur Pflege eines kranken Kindes), und schließlich andere Formen der Freistellung, die eine ‚Erwerbsunterbrechung’ vorsehen und nicht notwendigerweise an eine Elternschaft gekoppelt sind (vgl. OECD 1995). Diese unterschiedlichen Freistellungstypen, die von Eltern zur Kinderbetreuung beansprucht werden können, unterscheiden sich nicht nur in ihrer Natur, sondern auch im Ausmaß ihrer Regulierung (z.B. durch die Gesetzgebung) und in dem zur Verfügung stehenden Freistellungszeitraum. Allen Freistellungsregelungen ist jedoch gemeinsam, dass sie dem beurlaubten Elternteil das Recht zur Rückkehr an den früheren Arbeitsplatz, d.h. einen Kündigungsschutz während der Freistellung, garantieren. Die historisch älteste Form der elterlichen Beurlaubung ist der Mutterschutz, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts in vielen europäischen Ländern eingeführt wurde und inzwischen als unabdingbarer Teil des Rechts von Arbeitnehmerinnen zum Schutze ihres Wohles und dem des Kindes angesehen wird12. Der Mutterschutz muss als Arbeitsverbot verstanden werden, das sowohl von Arbeitgeber- als auch Arbeitnehmerseite eingehalten werden muss. Der Mutter12 Siehe hierzu auch die Maternity Protection Convention Nummer 103 der International Labour Organization (ILO) aus dem Jahr 1952.
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schutz von Arbeitnehmerinnen, der einen Anspruch auf bezahlte Freistellung für einen bestimmten Zeitraum rund um die Geburt eines Kindes sicherstellt, hat sich inzwischen in der EU sehr angeglichen und rangiert in den meisten Ländern um die 15 Wochen, die um den Geburtstermin gelegen sind. In Belgien wird ein Mutterschutz (moederschapsverlof/congé maternel) von insgesamt 15 Wochen gewährt, der mit einem Mutterschaftsgeld von ca. 75 bis 82% des Nettolohns einhergeht. In West- und Ostdeutschland beläuft sich der Mutterschutz auf 14 Wochen. Das Leistungsniveau des Mutterschaftsgeldes beträgt hier 100% des Nettolohns. Im Gegensatz dazu variiert die Ausgestaltung von Vaterschaftsurlaub relativ stark zwischen verschiedenen Ländern und besitzt in der Regel nicht den gleichen Status wie die Arbeitsfreistellung der Mutter. In den meisten Fällen ist er nur auf wenige bezahlte Arbeitstage beschränkt, so auch in den Untersuchungsländern. In Belgien beläuft sich die väterliche Freistellung (vaderschapsverlof/congé paternel) auf drei Tage im privaten Sektor und vier Tage im öffentlichen Sektor (vgl. Deven/Nuelant 1999), in Deutschland auf zwei Tage bezahlten Urlaubs. Elternurlaub ist im Vergleich zum Mutterschutz historisch jüngeren Datums und wird üblicherweise im unmittelbaren Anschluss an den Mutterschutz gewährt. Seine Ausgestaltung unterscheidet sich vom Mutterschutz durch eine deutlich längere Freistellungsdauer, durch eine mögliche Inanspruchnahme von beiden Elternteilen und im Gegensatz zum Mutterschutz durch die Freiwilligkeit seiner Inanspruchnahme. Darüber hinaus sind die finanziellen Transferzahlungen während des Elternurlaubs in der Regel niedriger oder gar nicht vorhanden und können dementsprechend nicht als Lohnersatz für den beurlaubten Elternteil fungieren. Elternurlaub kann entweder der Familie als Einheit oder aber dem Individuum zugesprochen werden (vgl. Smith 2001). Wenn es sich um einen Anspruch der Familie handelt, können die beiden Elternteile wählen, wer von der Freistellungsmöglichkeit Gebrauch macht. Bei einem individuellen Anspruch handelt es sich dagegen um eine nicht übertragbare Freistellungsfrist, die der Mutter und/oder dem Vater zugesprochen wird und bei einer NichtInanspruchnahme verfällt. Bruning und Plantenga (1999) zeigen, dass in Ländern, in denen beide Elternteile wählen können, wer die gewährte Freistellung nutzt, d.h. in Ländern mit familiärem Anspruch, vorwiegend Frauen davon Gebrauch machen und für eine gewisse Zeit die Berufsarbeit zugunsten der Kinderbetreuung zurückstellen. Dieses Phänomen ist auch in Deutschland zu beobachten. So beläuft sich die Zahl der Väter in Elternzeit auf lediglich 1-2% aller in Elternzeit befindlichen Elternteile (vgl. ebenda: 201). Der Anteil der Väter ist zwar in Ländern mit individuellen Freistellungsrechten wie insbeson-
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dere in Skandinavien höher (z.B. bei 10% in Dänemark), doch sind es auch hier in der Mehrzahl die Frauen, die die Betreuungsarbeit übernehmen. Wendet man sich nun den Untersuchungsländern – Belgien und (West- und Ost-)Deutschland – zu, so ist festzustellen, dass hier Mutterschutz- und Vaterschaftsurlaubsregelungen während des Beobachtungszeitraums durchaus vergleichbar angelegt sind (vgl. Tabelle 1, S. 56). Es ergeben sich jedoch erhebliche Unterschiede in Bezug auf die Möglichkeiten und Ausgestaltung des Elternurlaubs, worauf im Folgenden konkreter eingegangen wird.
West- und Ostdeutschland In Deutschland wird ein im internationalen Vergleich sehr langer Erziehungsurlaub (seit 2000 Umbenennung in ‚Elternzeit’) gewährt. Den Eltern soll damit ermöglicht werden, die Betreuung und Erziehung ihrer Kinder selbst zu übernehmen. Der Erziehungsurlaub wurde 1986 eingeführt und mehrfach modifiziert. Seit 1992 können Mütter und Väter nach der Geburt ihres Kindes einen Erziehungsurlaub für die Dauer von drei Jahren in Anspruch nehmen. Zudem erhalten Mütter und Väter, die ihr Kind selbst betreuen und erziehen und nicht mehr als 30 Wochenstunden arbeiten, ein einkommensabhängiges Erziehungsgeld, das nicht als Lohnersatzleistung gedacht ist, sondern lediglich eine Art finanzielle Anerkennung der Betreuungsleistungen darstellen soll (vgl. BMFSFJ 2003: 7). Seit 2001 können Eltern, deren Kinder vor 2007 geboren wurden, zwischen einem Regelbetrag in Höhe von maximal 300 € monatlich bis zum Ende des zweiten Lebensjahres des Kindes oder einem Budget-Angebot in Höhe von maximal 450 € monatlich bis zum Ende des ersten Lebensjahres des Kindes wählen.13 Allerdings wird das Erziehungsgeld in Deutschland nach den ersten sechs Monaten nur innerhalb enger Einkommensgrenzen gezahlt (Stand März 2006: 52.130 € Jahresnettoeinkommen; bei Alleinerziehenden 38.350 €) und ist in seiner Höhe unabhängig vom letzten Einkommen des Erziehenden.14 Darüber hinaus ist das dritte Freistellungsjahr in jedem Fall unbezahlt. Dies wird auch als wesentlicher Grund dafür betrachtet, dass in der Regel die Mütter den Erziehungsurlaub in Anspruch nehmen, obgleich Väter dazu gleichermaßen berechtigt sind (vgl. Vaskovics 2000). In den meisten Fällen ist der Vater der Elternteil mit dem höheren Einkommen. Auf dieses Einkommen kann die Familie im 13
Zwischen 1987 und 2001 betrug das monatliche Erziehungsgeld 600 DM. Seit Januar 2007 ist ein neues Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz in Kraft. Für Geburten ab 2007 wird ein einkommensabhängiges Elterngeld gezahlt, das 67% des monatlichen DurchschnittsNetto-Einkommens beträgt (höchstens jedoch 1.800 € und mindestens 300 €) und für maximal 14 Monate an Mutter bzw. Vater ausgezahlt wird (vgl. BMFSFJ 2008). 14
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Regelfall nicht verzichten und ein Wegfall des männlichen Lohnes würde durch das Elterngeld nicht kompensiert werden. Demnach besteht oft kein Anreiz für Väter, Elternzeit zu beanspruchen. So waren etwa 1995 nur 1,7% der Personen im Erziehungsurlaub Väter (Bruning/Platenga 1999: 200).
Belgien In Belgien bestand bis 1997 keine explizite Regelung für eine Arbeitsfreistellung von Eltern mit dem Ziel der Kinderbetreuung. Stattdessen existiert seit 1985 ein generelles Programm zur ‚Laufbahnunterbrechung’15 (loopbaanonderbreking/interruption de carrière). Dieses Schema der Laufbahnunterbrechung wurde zunächst in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit hauptsächlich mit dem Ziel der Umverteilung von Arbeitsplätzen eingeführt. Es ging bei der Einführung also nicht in erster Linie um eine Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Kinderbetreuung. In Absprache mit dem Arbeitgeber16 können erwerbstätige Frauen eine Laufbahnunterbrechung von mindestens drei Monaten und längstens einem Jahr (insgesamt bis zu fünf Mal während ihres Erwerbslebens) in Anspruch nehmen. Die Erwerbsarbeit kann für die Dauer eines Jahres ganz unterbrochen werden oder die Stelle auf eine Teilzeitstelle reduziert werden. Eine weitere Möglichkeit (für Arbeitnehmerinnen in Vollzeit) ist, die Stelle um ein Fünftel für die Dauer von maximal fünf Jahren zu reduzieren. Dieses Programm zur Erwerbsunterbrechung kann für verschiedene Zwecke in Anspruch genommen werden, einschließlich zur Betreuung eines Kindes. Prinzipiell ist diese Freistellungsmöglichkeit jedoch unabhängig von der Geburt eines Kindes. Wird sie jedoch zur Kinderbetreuung genutzt, ist die Beantragung der Laufbahnunterbrechung nicht direkt an den Zeitpunkt der Geburt des Kindes gekoppelt, sondern kann bis zum siebten Lebensjahr des Kindes genommen werden. Wird die Laufbahnunterbrechung für eine geringere Periode als insgesamt sechs Monate beansprucht, muss dies unmittelbar im Anschluss an die Mutterschutzfrist erfolgen. Die Tatsache, dass die belgische Laufbahnunterbrechung nicht an Geburt und Erziehung des Neugeborenen gekoppelt ist, stellt die Vergleichbarkeit mit expliziten Erziehungsurlaubsregelungen, wie der deutschen, in Frage. Allerdings zeigen Erhebungen zur Nutzung, dass diese Form der Erwerbspause seit der Einführung in über 80% der Fälle von Frauen genutzt wird, wovon wieder15
Für Arbeitnehmer des privaten Sektors ist seit 2002 die Laufbahnunterbrechung vom so genannten „Zeitkredit“-System abgelöst worden. 16 Nur im öffentlichen Dienst besteht ein Rechtsanspruch auf Laufbahnunterbrechung.
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um mehr als die Hälfte die Laufbahnunterbrechung zur Betreuung kleiner Kinder beansprucht (Leitner 2003a; Nagels 2002). Die tatsächliche Nutzung zeigt also auf, dass die Laufbahnunterbrechung prinzipiell als eine Art Erziehungsurlaub fungiert. Allerdings ist die Laufbahnunterbrechung zur Kinderbetreuung – und darin besteht ein weiterer wichtiger Unterschied zur deutschen Regelung – in erster Linie auf die Mutter als Betreuungsperson gerichtet. Erst seit 1991 besteht auch ein Anspruch auf Laufbahnunterbrechung für den Vater, aber dies nur in besonderen Ausnahmefällen, und zwar ausschließlich dann, wenn die Mutter selbst außerstande ist, die Betreuungsaufgaben wahrzunehmen (z.B. weil sie im Krankenhaus liegt oder verstorben ist). Die Einschränkung der Betreuung durch den Vater auf Situationen, in welchen die Mutter die Kindererziehung nicht übernehmen kann, bedeutet jedoch, dass von Seiten der belgischen Gesellschaft eindeutig der Frau die Erziehungsverantwortung für das Kind, aber auch die Pflegeverantwortung für andere Angehörige zugewiesen wird (vgl. Scheiwe 1999). Im öffentlichen Sektor wird unabhängig vom Einkommen des Beschäftigten während der Laufbahnunterbrechung eine Entlohnung von 260 € monatlich bei einem, 310 € bei zwei und 359 € bei drei Kindern als Fixbetrag gewährt. Bezahlt wird dieser Betrag aus der Arbeitslosenversicherung, jedoch mit der Auflage, die freigewordene Stelle mit einem Arbeitslosen zu besetzen. Auch an dieser Stelle zeigt sich wiederum, dass es sich bei der belgischen Laufbahnunterbrechung zur Kinderbetreuung um eine Art Kompromiss zwischen zwei völlig unterschiedlichen sozialpolitischen Zielen handelt: der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit auf der einen Seite und der Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Kinderbetreuung auf der anderen Seite (Scheiwe 1999: 203). Erst seit 1998 besteht in Belgien ein mit der deutschen Regelung vergleichbarer Elternurlaub (ouderschapsverlof/congé parental). Um der EUAnordnung, nach der in allen EU-Ländern bis 1998 ein Anspruch auf Elternurlaub von mindestens drei Monaten eingeführt werden sollte (EG-Richtlinie 96/34/EG vom 3.6.1996) gerecht zu werden, wurde die Möglichkeit eines dreimonatigen Elternurlaubs in Belgien eingerichtet. Damit wird also lediglich die geforderte Minimalfrist gewährt. Diese Elternzeit für Eltern von Kindern unter vier Jahren ermöglicht entweder eine volle Auszeit von drei Monaten, eine halbe Stelle für sechs Monate oder eine Reduzierung der Arbeitszeit um ein Fünftel für die Dauer von 15 Monaten. Während dieser Zeit wird ebenfalls ein monatlicher Fixbetrag ausgezahlt (Stand 2006: 615,56 € Netto pro Monat). Berücksichtigt man alle belgischen Freistellungsmöglichkeiten, ist eine volle Erwerbsunterbrechung zur Kinderbetreuung von maximal einem Jahr (im
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Rahmen einer Laufbahnunterbrechung) möglich, während in Deutschland maximal drei Jahre (im Rahmen des Elternurlaubs) verfügbar sind. Tabelle 1: Übersicht über Freistellungsmöglichkeiten in Belgien und Deutschland, 1992-2006
Mutterschutz - Dauer in Wochen -
finanzielle Transfers
-
Einmalzahlung
Vaterschaftsurlaub
Elternurlaub/Elternzeit - Dauer (volle Unterbrechung) -
Finanzielle Transfers
-
Arbeitszeitreduzierung möglich
Laufbahnunterbrechung - Dauer (volle Unterbrechung)
-
Finanzielle Transfers
-
Arbeitszeitreduzierung möglich
-
Besonderheiten
Belgien
Deutschland
14 (bis 1997), danach 15
14
bis zum 30. Tag: 82% des Lohns; 31.-75. Tag: 75%
100% des Lohns
Geburtsprämie: 945 € für 1. Geburt 711 € für jede weitere Geburt
Entbindungsgeld: 77 € nur für versicherte Personen ohne Anspruch auf Mutterschaftsgeld
3 Tage (privater Sektor) 4 Tage (öffentl. Sektor) (volle Lohnfortzahlung)
2 Tage (volle Lohnfortzahlung)
(erst ab 1998) 3 Monate
Bis zum 3. Lebensjahr des Kindes (seit 1992) Pauschalbetraga: ca. 24% des Lohns für max. 2 Jahre Ja
Pauschalbetraga: ca. 37% des Lohns Ja 12 Monate (bis zu 5mal im Arbeitsleben)
-
Pauschalbetraga: ca. 27% des Lohns Ja
Dauer der maximalen vollen Erwerbsunterbrechung nach der Geburt eines Kindes
Zustimmung des Arbeitgebers erforderlich; nur Mütter anspruchsberechtigt, Väter lediglich in Ausnahmefällen 1 Jahr
3 Jahre
a Pauschalbetrag wurde mithilfe von Daten zum weiblichen Durchschnittslohn einer Industriearbeiterin in Prozentbeträge konvertiert (ILO, Yearbook of Labour Statistics) Quellen: OECD 2001; Gauthier 1996; Scheiwe 1999; Deven/Nuelant 1999
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3.2.2 Sozialrechtliche Anerkennung von Erziehungszeiten Eng verbunden mit einer möglichen Arbeitsfreistellung zur Kinderbetreuung ist die Frage nach der sozialrechtlichen Berücksichtigung der Erziehungszeiten für die betreuende Person. Ohne diese Anerkennung wird bei einer Erwerbsunterbrechung zur Kinderbetreuung nicht nur auf ein eigenes Erwerbseinkommen verzichtet, sondern gleichzeitig auch auf den Aufbau einer eigenständigen sozialen Sicherung, was problematisch ist, wenn das Erwerbseinkommen – wie in den konservativen Wohlfahrtsstaaten Belgien und Deutschland – gleichzeitig Grundlage der sozialen Sicherung ist (d.h. der Unfall-, Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsversicherung, Alterssicherung, Arbeitslosenversicherung). Während bei kinderlosen Paaren jeder Partner erwerbstätig sein und seine eigenständige Altersversorgung aufbauen kann, sind vor allem kindererziehende Frauen umso weniger in der Lage, je mehr Kinder sie haben und je länger sie die Erziehungsaufgabe selbst wahrnehmen.
West- und Ostdeutschland In der Bundesrepublik können seit 1986 ein und seit 1992 drei Erziehungsjahre pro Kind in der Rentenversicherung angerechnet werden. Diese Zeiten wirken sich allerdings – angesichts der zugrunde liegenden Bemessungsgrundlage einer idealtypischen 45-jährigen Versicherungskarriere – nur gering aus. Aber diese Erziehungsjahre in der Rentenversicherung kommen allen Frauen zugute, d.h. auch nicht erwerbstätigen Hausfrauen. Mit dieser Berücksichtigung der Erziehungszeiten für die Altersrente werden verschiedene Ziele verfolgt: Zunächst handelt es sich um eine gesellschaftspolitische Anerkennung der Erziehungsleistung von Müttern. Zweitens wird ein entscheidender „Beitrag zu einer Gleichbewertung der Tätigkeit in Familie und der außerhäuslichen Erwerbsarbeit“ geleistet und drittens wird eine „Verbesserung der eigenständigen sozialen Sicherung der Frau“ angestrebt (vgl. Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeiten-Gesetz – HEZG vom 11. Juli 1985, BT-Drs. 10/2677, S. 28).
Belgien In Belgien fällt die sozialrechtliche Anerkennung von Erziehungszeiten geringer als in Deutschland aus. In der Rentenversicherung kann für die Laufbahnunterbrechung ein Jahr berücksichtigt werden. Bei Erwerbsunterbrechungen für die Betreuung von Kindern unter drei Jahren sind bis zu drei Jahre anrechenbar. 57
Eine längere Inanspruchnahme von Laufbahnunterbrechungen bis zu fünf Jahren im Erwerbsleben wird in der Rente nicht anerkannt. Im Gegensatz zu Deutschland ist die Berücksichtigung von Kinderbetreuungszeiten nur auf erwerbstätige Mütter mit Anspruch auf Laufbahnunterbrechung beschränkt. Nicht erwerbstätige Mütter und Frauen sowie diejenigen, bei denen der Arbeitgeber einer Laufbahnunterbrechung nicht zustimmt, beziehen keinerlei Rentenansprüche für die von ihnen geleistete Erziehungsarbeit (Scheiwe 1999: 349).
3.2.3 Das Angebot an öffentlicher Kinderbetreuung Während die gesetzlichen Regelungen zu den Freistellungsmöglichkeiten und monetären Transferleistungen für West- und Ostdeutschland identisch beschaffen sind, ist Deutschland in Bezug auf die Versorgung mit institutionellen Kinderbetreuungsmöglichkeiten ein gespaltenes Land: es ergeben sich große Differenzen zwischen den beiden Landesteilen, die auf unterschiedliche historischpolitische Entwicklungslinien nach dem Zweiten Weltkrieg zurückgehen.
Westdeutschland Die Betreuung von Kleinkindern unter drei Jahren wird in Westdeutschland traditionell als Privatsache der Familie betrachtet. Die negative Einstellung zur Müttererwerbstätigkeit in der BRD fand auch im sozial- und familienpolitischen Diskurs ihre Entsprechung. Die Lohn-, Familien- und Sozialpolitik hatte das ausdrückliche Ziel, den männlichen Alleinverdiener zu stärken. Frauen mit Familienaufgaben sollten niemals aufgrund finanzieller Nöte zur Erwerbsarbeit gezwungen sein. Daher sollte der Mann genügend Einkommen beziehen, um die Familie alleine ernähren zu können. Dementsprechend gehörte der Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen in den 50er und 60er Jahren nicht zum politischen Programm. Hinzu kommt, dass die Verurteilung der Erwerbsarbeit von Müttern und verheirateten, kinderlosen Frauen in der Nachkriegszeit mit ihren hohen Erwerbslosenzahlen durchaus funktional war. Auch heute noch liegt die Erziehung von Kindern nach wie vor in erster Linie in der Verantwortung der Familie, was dazu führt, dass die Mehrzahl der Frauen nach der Geburt eines Kindes ihre Erwerbsbeteiligung dauerhaft unterbricht. Westdeutschen Müttern bleibt oft keine Alternative zur Inanspruchnahme des Elternurlaubs, denn die Möglichkeiten zur Nutzung institutioneller Kinderbetreuung für Kinder bis zum dritten Lebensjahr sind äußerst begrenzt. Einen
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Krippenplatz für Kinder zwischen null und drei Jahren gibt es in Westdeutschland nur für drei von hundert Kindern (vgl. Tabelle 2, S. 62). Für Kinder ab drei Jahren besteht zwar ein rechtlicher Anspruch auf einen Kindergartenplatz. Doch grundsätzlich wird dieser nur halbtags garantiert, und es stehen normalerweise nur wenige Ganztagsplätze zur Verfügung. Das bedeutet, dass die Mehrzahl der Kindergartenkinder nur am Vormittag (bis etwa 12 Uhr) öffentliche Betreuung beanspruchen können, da es für die Übermittags/Nachmittagsbetreuung nicht genügend Plätze gibt. Auch für ältere Kinder, die in die Schule kommen und im Ländervergleich die kürzesten Schulzeiten aufweisen (vgl. Tabelle 2), gibt es oftmals keine weiterführenden Betreuungsangebote für den Nachmittag, so dass Familie und Erwerbstätigkeit für Frauen ohne alternative Betreuungsmöglichkeiten nur schwer zu vereinbaren sind.
Ostdeutschland Im Gegensatz zur Bundesrepublik spielte die außerfamiliale Kinderbetreuung in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) eine große Rolle. Die Sicherstellung einer Betreuung für Kinder war notwendig, um die Erwerbstätigkeit von Müttern zu fördern und damit den Arbeitskräftebedarf der Wirtschaft, der durch eine hohe Abwanderung von männlichen Arbeitskräften in die Bundesrepublik geprägt war, zu decken (Schupp 1991; Wagner et al. 1995; Spieß/Büchel/Frick 2002). Hinzu kommt, dass die außerfamiliale Betreuung ein Instrument darstellte, um die Kinder frühzeitig mit der ‚sozialistischen Lehre’ vertraut zu machen. Zwar bestand durchaus keine Pflicht, die Kinder in öffentlichen Einrichtungen betreuen zu lassen, jedoch war der familiäre Alltag ohne Nutzung der Einrichtungen nicht möglich. Als Frau nicht erwerbstätig zu sein, war unüblich und wurde dementsprechend missbilligt. Auch das Arbeiten auf Teilzeitbasis war in der Praxis eher die Ausnahme; zum einen gab es nur wenige Teilzeitarbeitsplätze und zum anderen war Teilzeitarbeit eher als ‚Schonarbeitsplatz’ für ältere Frauen vorgesehen (vgl. Schupp 1991; Wagner et al. 1995). Aufgrund der hohen Frauenerwerbsbeteiligung konnte in der Regel auch nicht auf andere Betreuungsmöglichkeiten wie z.B. Verwandte zurückgegriffen werden. Denn auch die Großmütter, die in Westdeutschland die wichtigste private Kinderbetreuungsinstanz darstellen, waren in den Arbeitsmarkt eingebunden. Betreuungsquoten aus dem Jahr 1989 (also unmittelbar vor der Wiedervereinigung) zeigen, dass 80% der ostdeutschen Kinder unter drei Jahren und 95% der Kinder im Kindergartenalter institutionell betreut wurden (vgl. Geisler/Kreyenfeld 2005). Die Betreuungseinrichtungen waren auf die Arbeitszeiten der Mütter abgestimmt und von ca. 6.00 bis 18.00 Uhr geöffnet. Bei Bedarf 59
konnte eine Betreuung sogar samstags erfolgen, und auch in den Schulferien war die Betreuung durch Schulhorte sichergestellt. Nach der deutschen Wiedervereinigung ging die Finanzierung der vormals staatlichen Betreuungseinrichtungen auf die ostdeutschen Kommunen über (vgl. Sternitzky/Putzing 1996), was in der Folgezeit zu erheblichen Finanzierungsproblemen und einer Einschränkung des Umfangs der Angebote führte (insbesondere zu einer Reduzierung des Hortangebots für Schulkinder). Allerdings liegt das Betreuungsangebot für Kinder aller Altersgruppen in den ostdeutschen Bundesländern auch nach der Wiedervereinigung weit über dem westdeutschen Angebot (siehe Tabelle 2, S. 62). Dies gilt insbesondere für Kinder unter drei Jahren und für eine Ganztagsbetreuung in Kindergarten und Schule.
Belgien Kinderbetreuungseinrichtungen und vorschulische Erziehung für Kinder unter sechs Jahren besitzt in Belgien eine lange Tradition, die am Ende des 19. Jahrhunderts durch einen Konflikt zwischen der liberalen Regierung und der Katholischen Kirche entstanden ist (Fix 2001: 120). Unterschiedliche Meinungen von Liberalen und Katholiken prallten nach der Entstehung des belgischen Nationalstaats von 1830 aufeinander: Seitens der Liberalen wurde das konfessionellneutrale Fröbelsche Erziehungskonzept befürwortet, während die Katholiken darin die religiöse Erziehung der Kinder vernachlässigt sahen17. Die Frage, wie und durch wen die außerfamiliale Erziehung der Kinder zu erfolgen hätte, führte zu einer Spaltung zwischen den Liberalen und den Katholiken, die jeweils versuchten, die Idee der Fröbelschulen zu verbreiten bzw. privat-konfessionelle Einrichtungen zu etablieren. Schließlich trat ab 1884 ein Gesetz in Kraft, welches ein Erziehungsmodell etablierte, in welchem private (d.h. für das konfessionell-homogene Belgien vorwiegend katholische) und öffentliche Einrichtungen der Gemeinden nebeneinander bestehen konnten. Dieser ‚Wettbewerb’ trug dazu bei, dass sich innerhalb Belgiens bereits sehr früh ein breites Netzwerk an privaten (d.h. katholischen) und öffentlichen Trägern der außerfamilialen Kinderbetreuung etabliert hat. In den 1950er Jahren entzündete sich allerdings wiederum der Kampf um das Fortbestehen des dualen Systems, als Liberale und Sozialisten die Subventionen für katholische Einrichtungen kürzen und den Ausbau öffentlicher Einrichtungen befördern wollten. Die christdemokratische Partei, die dann jedoch bald infolge einer Mobilisierung der katholischen Orga17
Die Forderungen waren auf die Enzykliken Quanta Cura und Immortale Dei gestützt, in welchen der Papst das Recht der Kirchen, auf alle Angelegenheiten der Erziehung Einfluss nehmen zu können, bekräftigt hatte (Fix 2001: 120).
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nisationen an die Regierung kam, garantierte den privat-katholischen Trägern Gleichberechtigung neben den öffentlichen Einrichtungen, so dass die privatkirchlichen Träger bis heute ihre Arbeit ungehindert weiterführen konnten. Die Kenntnis des historischen Konfliktes zwischen Staat und Kirche ist wichtig, um den scheinbaren Widerspruch des belgischen Wohlfahrtsstaates, der auf der einen Seite vorwiegend Merkmale des konservativen Regimetyps aufweist, auf der anderen Seite aber mit der guten Kinderbetreuungsinfrastruktur ein Element besitzt, das dem sozialdemokratischen Typus zuzurechnen ist (vgl. Abschnitt 2.1), aufzulösen. Dementsprechend ist für die folgende Analyse der kulturellen Systeme der drei Untersuchungsgebiete wichtig, im Hinterkopf zu behalten, dass die ursprüngliche Intention des Kinderbetreuungssystems durchaus nicht in der Förderung weiblicher Erwerbsarbeit lag – wie es die sozialdemokratische Leitidee der öffentlichen Kinderbetreuung zuschreibt –, vielmehr verdankt Belgien seine heutige Kinderbetreuungsinfrastruktur dem Streit zwischen Staat und Kirche um den Einfluss auf die Erziehung von Kindern. Bereits in den 1920er Jahren besuchten mehr als 50% aller belgischen Kinder eine institutionelle Betreuungseinrichtung. Zunehmend wurden Kinder aller gesellschaftlichen Schichten in diesen Einrichtungen betreut, was sich im Anstieg der Partizipationsraten zwischen 1947 und 1970/71 deutlich zeigt. Für Kinder im Alter zwischen null und drei Jahren verfügt Belgien heute über ein breites Versorgungsnetz, das zahlreiche Formen annimmt: Kinderhorte, betreute oder unabhängige Kindergärten, Schulaufsichten, etc. Familientagespflege wird von christlichen oder politischen Organisationen oder von den Kommunen angeboten. Tagesmütter (opvanggezin/gardienne encadré oder indépendente) können selbständig arbeiten und eine Zulassung der staatlichen Behörden beantragen, die die unabhängigen Tagesmütter begutachten und überwachen. Allen Tagesmüttern stehen verschiedene Formen der Ausbildung in speziellen, landesweiten Ausbildungszentren offen. Die Kosten einer staatlich anerkannten Kinderbetreuung für Kinder unter drei Jahren hängen vom elterlichen Einkommen und der täglichen Betreuungsdauer ab. Mit Ausnahme von Eltern in einer schwierigen finanziellen Situation, die von den Betreuungskosten befreit werden, liegt der Preis pro Tag zwischen 1,26 € und 22,40 € (Stand 2004). Diese Kosten sind verhältnismäßig gering und wiederum in gewissem Umfang steuerlich absetzbar (vgl. Abschnitt 3.2.4.4). In Belgien gehen heute fast alle Kinder ab dem Alter von zweieinhalb Jahren in die Vorschule (école maternelle), die kostenlos ist. Die Kinder werden dort von 8.30 bis 15.30 Uhr betreut, und in zahlreichen Schulen werden sie gleichfalls vor und nach diesem Zeitplan beaufsichtigt, sowie mit Mittagessen versorgt. Während der Schulferien sichern diverse Initiativen die Betreuung der
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Kinder. Kinderbetreuung ist von 8.00 bis 18.00 Uhr möglich. Auch in den Sommerferien sichern ganztägige Freizeitangebote die Betreuung. Tabelle 2: Plätze in öffentlichen Kinderbetreuungseinrichtungen, Schulpflicht und tägliche Schulzeiten im Vergleich Belgien Krippenplätze als Anteil an allen Kindern unter 3 Jahren in % 20 - 1988/89 30 - 1993/96 30 - 2002
West Deutschland
Ost Deutschland
3 2 3
56 50 37
Kindergartenplätze als Anteil an allen Kindern von 3 Jahren bis Schulalter in % 95 78 - 1988/89 95 78 - 1993/96 97 88 - 2002
113 100 105
Alter, in dem die Schulpflicht beginnt
6
6
6
Dauer des Schultages; Schulzeiten der Grundschule
7 Stunden; 8.30/9.00 –15.30/16.00
4 Stunden; unregelmäßig
8 Stunden; 8.00 – 16.00
5 5 5
88 67 68
Hortplätze als Anteil an allen Schulkindern bis 10 Jahre in % k.A. - 1989 k.A. - 1998 k.A. - 2002
Quellen: Statistisches Bundesamt 2002; OECD 2001; Bettio/Prechal 1998; Deven et. al. 1998; Scheiwe 1999; DJI Zahlenspiegel 2005.
3.2.4 Monetäre Transfers: Kindergeld und Steuererleichterungen 3.2.4.1 Kindergeld Belgien Neben Frankreich gehört Belgien zu den Pionierländern europäischer Familienpolitik. Bereits gegen Ende des 1. Weltkriegs wurden in Belgien Transferzahlungen für größere Familien eingeführt. Jedoch kam es erst 1930 zur Institutionalisierung eines umfassenden Kindergeldsystems für Arbeitnehmer, das 1937 auch auf Selbständige ausgedehnt wurde. Das System wurde nach dem Muster einer Sozialversicherung institutionalisiert, von Arbeitgebern bzw. Selbständigen finanziert und durch eigenständige Familienkassen organisiert. Durch diese eigenständige Organisation steht das belgische Kindergeldsystem außerhalb direkter staatlicher Kontrolle und ist daher von kurzfristigen politischen Einflüs62
sen unabhängiger als universelle, staatlich organisierte Kindergeldsysteme. Wegen der Kopplung der Leistungen an eine Erwerbstätigkeit waren zu Beginn der Einführung Personen, die nicht in den Arbeitsmarkt integriert waren, vom Leistungsbezug ausgeschlossen. Seit 1971 ermöglichen Sonderregelungen allerdings auch den Leistungsbezug für bedürftige Personen (Scheiwe 1999). Das differenzierte belgische Kindergeldsystem zeichnet sich dadurch aus, dass die Leistungsbeträge stark an Merkmalen der Familienkonstellation, wie Zahl und Alter der Kinder, gekoppelt sind. Diesem Prinzip liegt die Idee der Familie als soziale Gruppe zugrunde, dessen Ursprung in der katholischen Soziallehre zu sehen ist. So steigen die Kindergeldleistungen zum einen mit dem Geburtsrang und zum anderen seit den 60er Jahren auch mit dem Alter der Kinder, der Annahme folgend, dass bei älteren Kindern und Jugendlichen (ab der Grundschule) ein höherer Bedarf besteht, der kompensiert werden muss. Die reguläre Altersgrenze des Kindergeldbezugs von 18 Jahren kann aufgrund schulischer oder beruflicher Ausbildung auf 21 Jahre, bei einem Studium auf 26 Jahre, verlängert werden. Die Bedeutung der Familienkonstellation wird zusätzlich dadurch verstärkt, dass es keine einkommensabhängige Abstufung oder Begrenzung von Leistungen gibt und für arbeitslose und verrentete Eltern spezielle Zuschläge vorgesehen sind. Darüber hinaus sind die Leistungen automatisch an die Lohn- bzw. Preisentwicklung gebunden, damit der reale Wert der Transfers gesichert bleibt. Das belgische Kindergeldsystem ist trotz seiner stark differenzierten Form und der starken Erwerbsgebundenheit sehr universell angelegt, was am statistischen Erfassungsgrad (der Anteil der Leistungsempfänger (Kinder) bezogen auf die Wohnbevölkerung unter 18 Jahren) abzulesen ist, der nahezu 100% beträgt (Bahle/Maucher 2003). Dies liegt einerseits daran, dass die Leistungen über die reguläre Altersgrenze hinaus gewährt werden, sofern sich die Kinder noch in der Ausbildung befinden, andererseits an der starken Orientierung an den Familienhaushalt mit ökonomisch abhängigen Kindern. Das Leistungsniveau in Belgien blieb im Zeitverlauf kontinuierlich hoch und liegt im europäischen Vergleich deutlich über dem Durchschnitt (Bahle/Maucher 2003).
West- und Ostdeutschland Die Bundesrepublik führte 1954 – und damit deutlich später als Belgien – ein differenziertes Kindergeldsystem mit Versicherungscharakter ein, was in der späteren Entwicklung zu einem universellen System reformiert wurde, das durch allgemeine Steuermittel finanziert, aber nicht an die Lohnentwicklung angepasst wurde (wobei der Öffentliche Dienst allerdings eine Sonderrolle be63
hielt). Deutschland vereint auch heute noch Merkmale des differenzierten und universellen Kindergeldsystems (Bahle/Maucher 2003). Einerseits garantiert das steuerfinanzierte Kindergeldsystem universelle, standardisierte Leistungen für alle Kinder bis zum Alter von 18 Jahren, doch ist das Familienkonzept ebenfalls wie in Belgien stark an der Familie als sozialer Gruppe ausgerichtet: Das Alter und der Geburtsrang der Kinder spielen für den Leistungsbezug eine Rolle. Für Kinder in der Berufsausbildung oder im Studium kann der Leistungsbezug auch über die reguläre Altersgrenze bis zum 27. Lebensjahr erfolgen. Vergleicht man den Anteil des Kindergelds am Bruttolohn eines alleinverdienenden Familienvaters mit zwei Kindern, so zeigt sich, dass Belgien einen im Vergleich zu Deutschland (aber auch im internationalen Vergleich) kontinuierlich hohen Kindergeldbetrag aufweist (Gauthier 1996: 165ff.). Deutschland hat dagegen erst im Laufe der 90er Jahre die Kindergeldleistungen erhöht und in den vergangenen zehn Jahren vergleichsweise hohe Beträge ausgezahlt (vgl. Tabelle 3). Tabelle 3: Anteil des Kindergeldes* am durchschnittlichen Monatslohn eines Industriearbeiters in Belgien und Deutschland, 1995-2004 Belgien Deutschland
1995 9,5 4,3
1997 9,5 9,1
1999 8,7 9,9
2001 8,5 10,1
2002 8,6 11,2
2003 8,5 10,9
2004 8,4 10,8
*Paarhaushalt mit zwei Kindern im Alter von sieben und zwei Jahren Quelle: OECD Benefits and Wages 1995-2004; eigene Berechnungen
3.2.4.2 Ehebezogene Steuererleichterungen Die Steuerpraxis eines Landes hat einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf das Erwerbsverhalten von Frauen (vgl. Sainsbury 1996). Eine spezifische Besteuerung kann Frauen entweder dazu ermutigen oder aber davon abhalten, eine Erwerbsarbeit aufzunehmen. Welche Wirkung eine Besteuerung hat, hängt häufig von der Einheit ab, die besteuert wird, d.h. davon, ob die Familie oder die beiden Ehepartner gemeinsam veranlagt oder ob die Familienmitglieder bzw. Ehepartner individuell besteuert werden. Eine gemeinsame steuerliche Veranschlagung ist in der Regel für die traditionelle männliche AlleinverdienerFamilie oder aber für Paare, bei denen die Frau ein deutlich geringeres Einkommen erzielt als der Mann, von Vorteil. Eine gemeinsame Veranlagung von Paaren ist in den meisten Ländern an eine Ehe gebunden. Aus historischer Sicht war es auch weder in Deutschland noch in Belgien notwendig, zwischen einer Steuerpolitik für verheiratete Paare und für Paare mit Kindern zu unterscheiden: 64
Die Ehe wurde per se als unterstützungswürdig angesehen, da sie die Basis für die Geburt und Erziehung von Kindern darstellte. Die Eheschließung zielte auf die Familie und damit auf die Geburt von Kindern: Man heiratete, um eine Familie zu gründen (vgl. Bahle 2000). Eine Heirat war für Frauen üblicherweise mit Mutterschaft und Aufgabe einer eigenen Erwerbsarbeit verbunden, so dass der unterhaltspflichtige Ehemann steuerlich begünstigt werden sollte, da seine steuerliche Leistungsfähigkeit im Vergleich zu nicht unterhaltspflichtigen Steuerzahlern geringer ist. Aus diesem Grund ist die formale Ehe in den konservativen Wohlfahrtsstaaten wie Belgien und Deutschland noch heute für den Bezug verschiedener Sozialleistungen wichtig. Verheiratete Paare genießen gegenüber unverheirateten Paaren nach wie vor steuerliche Privilegien und zwar unabhängig davon, ob ein gemeinsames Kind vorhanden ist oder nicht.
West- und Ostdeutschland Das deutsche Ehegattensplitting ermöglicht verheirateten Partnern, ihre Einkommen steuerlich gemeinsam zu veranlagen. Dabei sind aufgrund des progressiven Steuersatzes insbesondere Paare begünstigt, deren individuelle Einkommen sehr unterschiedlich ausfallen. Das bedeutet, dass insbesondere Partnerschaften steuerlich im Vorteil sind, in denen ein Partner Vollzeit und der andere Partner entweder gar nicht oder in deutlich geringerem Umfang beschäftigt ist. Wenn das Einkommen beider Partner gleich hoch ist, profitieren sie nicht vom Splittingverfahren. Die traditionelle geschlechtsspezifische Arbeitsteilung mit dem männlichen Hauptverdiener und der Hausfrau, die allenfalls etwas „hinzuverdient“, wird somit steuerpolitisch belohnt, wodurch umgekehrt negative Anreize für eine Erwerbstätigkeit von Frauen ausgehen.
Belgien Belgien verfügt zwar seit 1989 über ein individualisiertes Steuersystem, bei dem im Prinzip die individuelle Besteuerung von Ehegatten eingeführt wurde, aber es wurden gleichzeitig bestimmte Steuererleichterungen für Alleinverdiener bewahrt (Dingeldey 2000, 2002). Über entsprechende Regelungen wie z.B. die Übertragung persönlicher Freibeträge sowie von maximal 30% des Einkommens auf die Partnerin (Scheiwe 1999: 243 f.) sind damit ähnlich hohe Entlastungen des Alleinverdienermodells möglich wie beim deutschen Ehegattensplitting (Dingeldey 2002).
65
Tabelle 4 zeigt die Differenz der Steuersätze eines Einverdiener-Haushalts bestehend aus einem verheirateten Paar mit Kindern gegenüber DoppelverdienerHaushalten mit einem Vollzeit und einem Teilzeit erwerbstätigen Partner bzw. mit zwei Vollzeitverdienern auf. Es wird deutlich, dass die steuerliche Belastung eines verheirateten Paares mit einem Alleinverdiener in beiden Ländern um gut 7 Prozentpunkte geringer ausfällt als bei der Kombination Vollzeit/Teilzeit und sogar um 12 Prozentpunkte geringer im Vergleich zu einer Konstellation, bei der beide Partner Vollzeit erwerbstätig sind. Damit fällt die steuerliche Entlastung bei einem verheirateten Paar mit einem Erwerbseinkommen im europäischen Vergleich in den beiden Untersuchungsländern ähnlich hoch aus. Beide Länder liegen damit im europäischen Vergleich weit oberhalb der Durchschnittsentlastung (OECD 2006; Dingeldey 2000, 2002). Tabelle 4: Vergleich der Einkommenssteuer inklusive Arbeitnehmerbeiträge ohne Geldleistungen für ein verheiratetes Paar mit zwei Kindern, 1996 und 2003
Belgien Deutschland Frankreich Italien Niederlande Schweden Großbritannien
Einverdiener 100/0* 19.8 21.9 15.1 17.7 28.0 26.2 17.7
1996 Doppelverdiener 100/33* 27.0 29.2 16.7 21.4 31.0 27.4 16.0
Doppelverdiener 100/67* 31.8 33.7 19.8 25.5 33.4 28.4 19.3
Einverdiener 100/0* 20.3 19.5 15.1 14.2 23.3 21.6 10.3
2003 Doppelverdiener 100/33* 26.5 26.9 16.5 17.6 25.0 22.4 12.8
Doppelverdiener 100/67* 31.4 32.1 18.5 21.4 27.3 24.4 16.8
*Einkommen Ehemann / Einkommen Ehefrau in % des durchschnittlichen Bruttolohns eines Industriearbeiters Quelle: OECD 2004
Durch die steuerliche Förderung der Ehe in Belgien und Deutschland, die ein großes Einkommensgefälle zwischen den Partnern forciert, wird das Modell eines ‚Haupternährers’ in beiden Ländern stark begünstigt. Der Anreiz für eine Reduktion oder gar Unterbrechung der Erwerbstätigkeit des geringer verdienenden Partners – in der Regel der Frau – ist damit generell, aber vor allem bei der Geburt eines Kindes, hoch (Sainsbury 1996: 195). Im Hinblick auf Mutterschaft kann man daher durchaus schlussfolgern, dass das deutsche und belgische Steuerrecht drei Gruppen von Müttern unterscheidet: „die besonders anerkannte nicht-erwerbstätige, voll splittingbegünstigte Ehefrau als Mutter, die weniger anerkannte erwerbstätige Ehefrau als Mutter, deren Splittingvorteil je nach Höhe ihrer Einkünfte absinkt, und die völlig splittinglose allein erziehende ledige, 66
geschiedene, getrennt lebende oder verwitwete Mutter“ (Mennel 1988: 94). Die steuerliche Begünstigung der Ungleichverteilung von Erwerbseinkommen und Erwerbsarbeit zwischen den Ehepartnern machen daher eine Erwerbsbeteiligung für verheiratete Frauen und insbesondere Mütter finanziell eher unattraktiv.
3.2.4.3 Kindbezogene Steuererleichterungen Neben den ehebezogenen steuerlichen Erleichterungen werden in beiden Untersuchungsländern Kinder in der Einkommenssteuer berücksichtigt und haben eine steuerentlastende Wirkung. Sowohl in Belgien als auch Deutschland werden Kinderfreibeträge gewährt, die ohne Nachweis von tatsächlich anfallenden Kosten von der Steuerbemessungsgrundlage abgezogen werden. Das Ziel der kinderbezogenen Steuererleichterungen besteht darin, steuerpflichtige Einkommen von Personen mit Kindern um einen gewissen Anteil der Unterhaltslasten zu reduzieren. Dazu werden in den beiden Untersuchungsländern verschiedene Steuertechniken angewandt (Scheiwe 1999: 249ff.).
West- und Ostdeutschland Kinderfreibeträge sind neben dem Kindergeld eine wichtige politische Maßnahme in Deutschland, die dazu dient, die finanziellen Belastungen der Sorgeberechtigten, die durch Kinder entstehen, zu kompensieren. Kinderfreibeträge wurden in Deutschland bereits 1920 eingeführt und im Folgenden mehrfach reformiert. Die gewährten Beträge befanden sich lange Zeit auf relativ niedrigem Niveau. Mangels Indexierung konnten sie daher auch nicht mit der steigenden Einkommens- und Preisentwicklung Schritt halten. 1996 wurden die Freibeträge für verfassungswidrig erklärt, da der duale Familienlastenausgleich, bestehend aus Kindergeld und Kinderfreibetrag, nach Umrechnung in einen einheitlichen Steuerentlastungsbetrag nicht ausreichte, das Existenzminimum einer Familie steuerfrei zu belassen, wie es das Grundgesetz vorsieht. Infolgedessen kam es zu einer massiven Erhöhung der Beträge.18 Zusätzlich wird seit 2002 zum Kinderfreibetrag ein Freibetrag für Betreuungs-, Erziehungs- und Ausbil-
18 Die Freibeträge belaufen sich für jedes Kind auf 1.824 € pro Elternteil bzw. 3.648 € für ein Elternpaar, das gemeinsam steuerlich veranschlagt wird (Stand 2002).
67
dungsbedarf unabhängig von konkreten Aufwendungen gewährt (Scheiwe 1999).19 Kinderfreibeträge werden jedoch nicht gleichzeitig mit dem Kindergeld gewährt. Nur dann, wenn das ausgezahlte Kindergeld nicht den Entlastungseffekt der Steuerfreibeträge erreicht, kommen die Kinderfreibeträge zur Anwendung (De Hessele 2002). Problematisch an der deutschen Regelung ist, dass die Kinderfreibeträge im progressiven Steuersystem Familien mit höherem Einkommen begünstigen, da diese einem höheren Grenzsteuersatz unterliegen. Familien, die unterhalb des steuerpflichtigen Einkommens liegen, bekommen lediglich die Kindergeldbeträge ausgezahlt und sind daher in geringerem Maße finanziell entlastet als Bezieher mittlerer und höherer Einkommen (Scheiwe 1999).
Belgien Anders als in Deutschland wurde in Belgien eine Bemessungstechnik gewählt, die verhindert, dass Steuerpflichtige mit höherem Einkommen stärker begünstigt werden als geringer Verdienende (Scheiwe 1999: 250). Und zwar wird ein altersunabhängiger Grundfreibetrag für Kinder gewährt, der progressiv mit der Kinderzahl ansteigt. Auf diese Weise werden Familien mit mehr als einem Kind stärker entlastet, und es wird der Tatsache Rechnung getragen, dass in Familien mit mehreren Kindern im Gegensatz zu Familien mit nur einem Kind häufig nur ein Einkommen erwirtschaftet wird. Zudem ist der Grundfreibetrag in Belgien indexiert, so dass er den im Zeitverlauf ansteigenden Lebenshaltungskosten angepasst wird. Da der Grundfreibetrag nur von der Steuerbemessungsgrundlage im Eingangssteuertarif abgezogen wird, wirkt er wie ein direkter Abzug von der endgültigen Steuerschuld und begünstigt somit alle Steuerpflichtigen durch einen Betrag in derselben Höhe. Damit ist das Gewicht verstärkt auf die Sicherung des Existenzminimums gerichtet. Es wird eine vertikale Umverteilungswirkung erzielt, die sich insbesondere für Niedrigverdiener mit Kindern günstig auswirkt. Insgesamt lässt sich jedoch festhalten, dass sich sowohl in Deutschland als auch in Belgien seit den 90er Jahren beträchtliche und annähernd ähnlich hohe Steuervorteile für einen Durchschnittsverdiener mit zwei Kindern ergeben (Bahle/Maucher 2003: 17).
19
Dieser beträgt pro Kind für einen Elternteil 1.080 € bzw. 2.160 € für ein gemeinsam veranlagtes Elternpaar. Damit ist insgesamt ein Freibetrag pro Kind über 2.904 € je Elternteil bzw. 5.808 € je Elternpaar möglich (Stand 2002).
68
3.2.4.4 Abzugsfähigkeit von Kinderbetreuungskosten West- und Ostdeutschland Seit 1985 waren Kinderbetreuungskosten in Deutschland nur ausnahmsweise in beschränkter Höhe20 steuerlich abzugsfähig, wenn sie ‚unvermeidbar’ anfielen. Die Hauptbegründung bestand darin, dass Mütter benachteiligt würden, die die Betreuung des Kindes selbst übernehmen. Für Alleinerziehende wurde die Unvermeidbarkeit der Betreuungskosten grundsätzlich angenommen, jedoch nicht für Paarhaushalte. Alleinstehende konnten für Kinder bis zu 16 Jahren Betreuungskosten bis zu einem festgesetzten Maximalbetrag21 steuerlich geltend machen (Scheiwe 1999). Seit 2002 wird ein Teil der Kinderbetreuungskosten unter anderem im einheitlichen Freibetrag für Betreuungs-, Erziehungs- und Ausbildungsbedarf abgedeckt (vgl. Abschnitt 3.2.4.3), der unabhängig von konkret anfallenden Kosten geltend gemacht werden kann. Übersteigen die Kinderbetreuungskosten jedoch einen bestimmten Betrag22, dann können diese Mehrkosten außerdem steuerlich abgesetzt werden (de Hesselle 2002). Zusätzlich zu diesen steuerlichen Absetzmöglichkeiten für Kinderbetreuung konnten zwischen 1990 und 1997 erwerbstätige Eltern mit mindestens zwei Kindern unter zehn Jahren (Alleinerziehende bereits ab einem Kind) die Kosten für eine Haushaltshilfe steuerlich geltend machen. Seit 1998 können Haushalte – unabhängig von Kinderzahl und Erwerbstätigkeit – Sonderausgaben von bis zu 9.000 € im Jahr steuerlich geltend machen (Scheiwe 1999).
Belgien Das gut ausgebaute belgische Kinderbetreuungssystem ist mit verhältnismäßig geringen Betreuungskosten für die Eltern verbunden (vgl. Abschnitt 3.2.3). Die Kosten hängen außerdem vom elterlichen Einkommen und der Betreuungsdauer ab. Bei schwieriger finanzieller Situation besteht für die Eltern die Möglichkeit, sich von den Betreuungskosten befreien lassen. Für diejenigen, für die Betreuungskosten anfallen, sind 80% der Kosten für Kinder unter drei Jahren abzugsfähig, wenn ein Elternteil alleinerziehend oder beide Elternteile berufstätig sind. Der Höchstbetrag entspricht allerdings den Kosten für einen Krippenplatz oder 20 Bei Kindern im Alter von bis zu 16 Jahren: für das erste Kind max. 4000 DM, für jedes weitere max. 2000 DM; ohne Kostennachweis ein Pauschalbetrag pro Kind über 480 DM. 21 4.000 DM für das erste, 2.000 DM für jedes weitere Kind (Stand: 1999). 22 774 € pro Elternteil bzw. 1.548 € pro Elternpaar (Stand: 2002).
69
einer registrierten Tagesmutter (2006 z.B. 11,20 € pro Betreuungstag). Haushalte, die ihre Kinder selbst betreuen, können stattdessen einen zusätzlichen Grundfreibetrag geltend machen. Darüber hinaus werden auch 50% der Kosten einer Haushaltshilfe erstattet (Scheiwe 1999). Tabelle 5: Übersicht über die monetären staatlichen Transfers Belgien
Deutschland
Gekoppelt an Alter und Zahl der Kinder sowie Familienkonstellation (z.B. Arbeitslosigkeit, Verrentung) 18
Gekoppelt an Zahl der Kinder
18
21/27
21/27
Kindbezogene Steuervorteile
Kinderfreibeträge
Kinderfreibeträge
Ehebezogene Steuervorteile
Möglichkeit der Übertragung persönlicher Freibeträge sowie von max. 30% des Einkommens auf den Ehepartner
Ehegattensplitting
Steuerliche Absetzbarkeit von Kinderbetreuungs-kosten / Haushaltshilfen
80% der Betreuungskosten für ein Kind unter 3 Jahren (Höchstbetrag = Kosten für einen Krippenplatz bzw. Tagesmutter); 50% der Kosten einer Haushaltshilfe
Seit 1985 nur bei Unvermeidbarkeit; seit 2002 einheitlicher Freibetrag für Betreuungs-, Erziehungs- und Ausbildungsbedarf; Höhere Kosten bis zu einem Maximalbetrag absetzbar; 1990-1997:(nur für erwerbstätige Eltern mit 2 Kindern unter 10 Jahre / für Alleinerziehende bereits ab einem Kind): Kosten für Haushaltshilfe; Seit 1998 (unabhängig von Kinderzahl und Erwerbstätigkeit): Sonderausgaben bis zu 9.000 € im Jahr
Kindergeld Beträge
Reguläre Altersgrenze Altersgrenze bei Berufsausbildung/Studium
Quellen: Scheiwe 1999; De Hesselle 2002
70
3.3 Zusammenfassung und Vergleich der Vereinbarkeitspolitiken in Belgien, West- und Ostdeutschland Die Betrachtung der Familienpolitik des Wohlfahrtsstaates zeigt, dass jedes der Untersuchungsländer ein bestimmtes familienpolitisches Profil aufweist, welches aus spezifischen historischen Entwicklungen der Institutionen und den Charakteristiken der jeweiligen Gesellschaft resultiert (vgl. Bahle 2000). Die deutsche Familienpolitik ist mit den Regelungen zum Erziehungsurlaub, dem geringen Angebot an Ganztagsbetreuungsplätzen sowie den steuerpolitischen Rahmenbedingungen auf die Unterstützung des so genannten ‚Haupternährers’ gerichtet, mit einem in der Regel Vollzeit erwerbstätigen Mann und einer nicht oder nur geringfügig erwerbstätigen Ehefrau, die für Haushalts- und Familienarbeit zuständig ist. Internationale Studien zeigen, dass in kaum einem Land die Nichterwerbstätigkeit von (verheirateten) Frauen durch das institutionelle System stärker gefördert wird als in Westdeutschland (Sainsbury 1996). Westdeutschland wird in der vergleichenden Wohlfahrtsstaatenforschung als Prototyp des konservativen, ‚familialistischen’ Wohlfahrtsstaats bezeichnet (Esping-Andersen 1990; Gornick et al. 1998; Stier et al. 2001). Die institutionellen Rahmenbedingungen fördern in hohem Maße eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, indem die Übernahme der Familien- und Haushaltsaufgaben durch die Frau unterstützt wird und andererseits nur wenige Maßnahmen zur Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt bestehen. Die Säulen der westdeutschen Familienpolitik, die dieses Modell der männlichen Versorgerehe tragen, sind das steuerliche Ehegattensplitting, die ausgedehnte Elternzeit und das geringe Angebot an öffentlichen Kinderbetreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahren. Insgesamt ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Westdeutschland eher schwierig zu bewerkstelligen, da das Angebot an öffentlicher Kinderbetreuung in Westdeutschland gering ist und sich meist auf wenige Betreuungsstunden am Vormittag beschränkt. Deutschland ist jedoch im Hinblick auf die Möglichkeiten institutioneller Kinderbetreuung gespalten, da die beiden ehemals getrennten deutschen Staaten zwei unterschiedliche Entwicklungslinien nach dem Zweiten Weltkrieg aufweisen, die auch nach der Wiedervereinigung deutliche Spuren hinterlassen haben. Bis zur Wiedervereinigung 1989 hatten sich in der DDR und der BRD zwei völlig unterschiedliche Systeme der außerfamilialen Kinderbetreuung entwickelt. In der zentralstaatlich organisierten DDR war eine hohe Frauenerwerbsbeteiligung erklärtes politisches Ziel. Damit einher ging auch der Ausbau eines Versorgungsnetzes an ganztägig geöffneten Kinderbetreuungseinrichtungen.23 23 Neben dem guten öffentlichen Betreuungssystem wurde allerdings ab 1976 zusätzlich zum Mutterschutz eine auf ein Jahr begrenzte Freistellungsmöglichkeit der Mutter (mit einer Vergütung von
71
Im früheren Bundesgebiet dagegen war die Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt – ausgehend von einem anderen Familien- und Frauenleitbild (vgl. Abschnitt 4) – weitaus geringer ausgeprägt als in der DDR. Die Verantwortung für die Kinder lag in erster Linie bei den Eltern. Tageseinrichtungen für Kinder wurden vorrangig als Einrichtungen für Familien in sozialen Notlagen betrachtet und daher nur zögerlich ausgebaut (Geisler/Kreyenfeld 2005). Auch heute noch – mehr als 17 Jahre nach der Wiedervereinigung – besteht eine beachtliche Diskrepanz zwischen den beiden Landesteilen: Die Versorgung mit institutionellen Kinderbetreuungsplätzen fällt in Ostdeutschland auch im europäischen Vergleich sehr gut aus, während sie in Westdeutschland unterdurchschnittlich ist. Im Hinblick auf die beiden oben erwähnten prototypischen Regelungen (Elternzeit vs. öffentliche Kinderbetreuung) stellt Ostdeutschland deshalb eine Mischform dar: Es gibt einerseits die Möglichkeit, einen ausgedehnten Elternurlaub in Anspruch zu nehmen, andererseits steht ein gut ausgebautes Netz an Kinderbetreuungsmöglichkeiten zur Verfügung. Was Belgien betrifft, so erzeugen die sozial- und familienpolitischen Rahmenbedingungen wie in Deutschland eine starke Abhängigkeit von einem männlichen Ernährer. Allerdings enthält der belgische Staat mit der guten öffentlichen Kinderbetreuungsinfrastruktur ein Element, das üblicherweise nicht diesem Wohlfahrtsregimetyp zugeordnet wird, sondern in der wohlfahrtsstaatlichen Literatur dem sozialdemokratischen Typus entspricht. Wie jedoch in Abschnitt 3.2.3 erläutert wurde, verdankt sich dieses Betreuungssystem nicht der Idee, Frauen in den Arbeitsmarkt zu integrieren – wie es in der DDR der Fall war –, sondern dem historischen Wettbewerb zwischen Staat und Kirche um die Mitwirkung an der Erziehungsarbeit. Nichtsdestotrotz ist mit der ausreichenden Versorgung mit Kinderbetreuungsmöglichkeiten in Belgien aus heutiger Sicht eine wichtige Voraussetzung für die Arbeitsmarktpartizipation von Müttern geschaffen. Betrachtet man die Freistellungsregelungen für Eltern zur Kinderbetreuung in Belgien und Deutschland, so kann festgestellt werden, dass es theoretisch problematisch ist, die Regelung der Laufbahnunterbrechung in Belgien mit der deutschen Elternzeit zu vergleichen. Während in Deutschland das Ziel der Maßnahme ist, den Müttern (bzw. Vätern) die Übernahme der Kindererziehung zu ermöglichen, ist die Laufbahnunterbrechung in Belgien nicht direkt an die Erziehung von Neugeborenen gebunden, sondern kann auch aus anderen Gründen genommen werden. Doch die Inanspruchnahme der Laufbahnunterbrechung zeigt, dass sie überwiegend zur Kinderbetreuung genutzt wird. Die mögliche 70-90% des Nettodurchschnittsverdienstes) eingeführt (das so genannte „Babyjahr“), was zu einer deutlichen Relativierung des Vereinbarkeitskonzeptes in der DDR führte (Geisler/Kreyenfeld 2005: 3; Trappe 1995: 39).
72
beanspruchbare (Vollzeit-) Erwerbsunterbrechung beläuft sich somit in Belgien – unter Berücksichtigung der Laufbahnunterbrechung – auf maximal ein Jahr und ist damit um zwei Jahre kürzer als in (West- und Ost-) Deutschland. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass Belgien, West- und Ostdeutschland bei vergleichbaren direkten und indirekten finanziellen Transferleistungen für drei unterschiedliche Betreuungssysteme stehen (vgl. Abschnitt 3.1). Dies macht sie als Gegenstand zur Untersuchung der Wirkung der institutionellen Rahmenbedingungen auf eine Erwerbsbeteiligung von Müttern besonders interessant: Westdeutschland verfügt über einen ausgedehnten Elternurlaub und unzureichende öffentliche Kinderbetreuungsmöglichkeiten, Ostdeutschland hat ebenfalls einen ausgedehnten Elternurlaub, zugleich jedoch ein gut ausgebautes öffentliches Betreuungssystem. Belgien steht schließlich für geringe Freistellungs-, aber gute Betreuungsmöglichkeiten (vgl. Tabelle 6). Tabelle 6: Kinderbetreuungsprofile von Belgien, West- und Ostdeutschland
Angebot an öffentlichen BetreuungsEinrichtungen für Kinder gut restringiert
Belgien
ausgedehnt
Ostdeutschland
restringiert
Elternurlaub Westdeutschland
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4 Die Geschlechterkultur
Bei der Untersuchung des Einflusses von Kultur auf das Erwerbsverhalten von Frauen muss insbesondere die Analyse kultureller Vorstellungen zur Familie und zu den Geschlechterrollen im Vordergrund stehen. Denn Einstellungen zu den Geschlechterrollen reflektieren Vorstellungen darüber, welches Verhalten angemessen und erwünscht ist, aus welchen Lebensbereichen persönliche Befriedigung geschöpft wird, welche Ziele angestrebt werden und welche Konsequenzen aus bestimmten Verhaltensweisen resultieren (Thornton et al. 1983). Daher beeinflussen die kulturell vorherrschenden Geschlechterrollen auch die Erwerbs- und Familienorientierung von Frauen innerhalb eines Landes und haben damit direkten Einfluss auf das Erwerbsverhalten von Frauen, indem sie den persönlichen Wunsch, einer Erwerbsarbeit nachzugehen bzw. sich vorwiegend der Familienarbeit zu widmen, formen. Einstellungen zur Frauenrolle variieren zum Teil stark zwischen verschiedenen Ländern und stellen dementsprechend auch einen relevanten Einflussfaktor für nationale Unterschiede im Frauenerwerbsniveau dar (Pfau-Effinger 2000; Kurz 1998a; Höllinger 1989, 1991; Braun et al. 1994). Die Frage, die daher in diesem Abschnitt im Vordergrund steht und empirisch bearbeitet wird, ist, ob systematische Einstellungsunterschiede zwischen den Untersuchungsländern existieren und inwiefern diese mit Unterschieden in den im vorherigen Kapitel beschriebenen institutionellen Merkmalen einhergehen. In Abschnitt 4.1 werden zunächst die historisch-religiösen Entwicklungslinien in den drei Untersuchungsgebieten skizziert und daraus Hypothesen für die erwartbaren Unterschiede in den Geschlechterkulturen formuliert. Abschnitt 4.2 beschäftigt sich mit dem Problem der Messung kultureller Orientierungen. Im Anschluss daran werden in Abschnitt 4.3 ländervergleichende Umfrageergebnisse zu religiösen Werten, zur Bedeutung von Familie und Beruf und zu den Einstellungen zur Erwerbstätigkeit und familialen Rolle der Frau in Belgien, West- und Ostdeutschland vorgestellt. Ziel dieser Analyse ist es, die vorherrschenden Geschlechterkulturen in Belgien, West- und Ostdeutschland herauszustellen (Abschnitt 4.4).
74
4.1 Theoretische Annahmen über die Geschlechterkulturen in Belgien, West- und Ostdeutschland Das Verhältnis zwischen wohlfahrtsstaatlichen Institutionen und der Kultur eines Landes ist ein wechselseitiges. Die Kultur schlägt sich in gewisser Weise in den Institutionen nieder, und umgekehrt können Institutionen für Veränderungen auf kultureller Ebene sorgen. So reflektieren Wertorientierungen häufig auch die Zwänge der sozialen Lebensbedingungen, die durch institutionelle Rahmenbedingungen gesetzt werden (vgl. Theorie des funktionalen Wertewandels von Flanagan (1987)). Allerdings liegt in den meisten Fällen keine Deckungsgleichheit vor; vielmehr bestehen Divergenzen und Ungleichzeitigkeiten zwischen kultureller und institutioneller Ebene (vgl. Abschnitt 2.3). Um festzustellen, inwiefern wohlfahrtsstaatliche Institutionen mit den kulturellen Werten einer Gesellschaft in Einklang stehen, ist es notwendig, Kultur als eigenständige Untersuchungsgröße zu behandeln. Die kulturellen Werte und Normen einer Gesellschaft resultieren in hohem Maße aus der traditionellen Dominanz bestimmter Religionsgemeinschaften (Greeley 1989; Inglehart/Norris 2003). Wenn auch durch die zunehmende Säkularisierung der Einfluss der religiösen Organisationen im Abnehmen begriffen ist, haben religiöse Vorstellungen die kulturellen Werte nachhaltig geprägt und Einfluss auf die Richtung der Politik und die Ausformung des gesetzlichen Rahmens ausgeübt (Inglehart/Norris 2003; Fix 2001; Halman/Pettersson 2002; Kaufmann 1989). Betrachtet man die drei Untersuchungsländer aus dieser Perspektive, so zeigt sich zunächst, dass Belgien aufgrund der spanischen Besatzung (1550 bis 1700) während der Hochphase der Reformation durchgängig vom Katholizismus dominiert wurde. Im Gegensatz dazu unterlag das Gebiet des heutigen Deutschlands – das zu dieser Zeit aus ca. 400 relativ unabhängigen Staaten bestand, die zum ‚Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation’ lose zusammengefasst waren – in weit stärkerem Maße dem religiös-institutionellen und kulturellen Umbruch, der durch die Reformation in Gang gesetzt wurde. Dies lag nicht nur daran, dass am Vorabend der Reformation das geistige Klima in Deutschland generell eher romfeindlich war, so dass die Empfänglichkeit für eine religiöse Spaltung günstig war (Wallmann 2006: 3). Davon abgesehen hatte die reformatorische Bewegung selbst mit der Person Martin Luthers in Wittenberg ihren bedeutendsten Protagonisten gefunden. Obwohl Deutschland insgesamt in stärkerem Maße in den reformatorischen Struktur- und Geisteswandel involviert war, fand jedoch auch hier keine einheitliche Reformierung des Gesamtgebietes statt. Ohne die Einzelheiten dieser
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komplexen Vorgänge hier nachzeichnen zu können24, so kann man doch feststellen, dass das Gebiet des heutigen Ostdeutschlands – das mit Wittenberg ja gleichermaßen die Speerspitze der Bewegung beherbergte – weitaus stärker den institutionellen Wandel vollzog. Entsprechend kann man im Falle Ostdeutschlands von einer relativ homogen protestantischen Grundprägung sprechen, wohingegen der Westen eher gemischtkonfessionell veranlagt ist (Gebhardt 1955: 174). Diese Unterschiede mögen vor dem Hintergrund der Entwicklungen im 20. Jahrhundert, d.h. der Teilung des Landes und der Etablierung unterschiedlicher Regimetypen, eher bedeutungslos erscheinen. Tatsächlich kann man davon ausgehen, dass die protestantische Prägung Teile des Prozesses der ‚Resozialisierung’ durch den Sozialismus erleichtert hat (vgl. unten) und damit auch verhindert, dass ein konfessioneller ‚backlash’, wie er in anderen sozialistischen Staaten nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zu beobachten ist, stattfindet. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die geschilderten Divergenzen in den kulturell-religiösen Entwicklungslinien sich auch heute noch deutlich in den konfessionellen Zugehörigkeiten widerspiegeln: So gehört die überwiegende Mehrheit der Belgier der Römisch-Katholischen Kirche an, während Westdeutschland gemischtkonfessionell und die Mehrzahl der Ostdeutschen aufgrund der in der DDR propagierten atheistischen Weltanschauung konfessionslos ist. Die Relevanz dieser Divergenzen für die vorliegende Untersuchung geht vor allem auf die Tatsache zurück, dass die einzelnen Glaubensgemeinschaften bzw. die atheistische Prägung des Sozialismus, die familialen Werte und die Ausrichtung am Berufsprozess strukturieren (Gomilschak et al. 2000; Klein 1993; Reher 1998). Insbesondere von Bedeutung ist zunächst der Unterschied zwischen den beiden großen Konfessionen – den Katholiken und Protestanten. Die Reformation, die die Eigenständigkeit des Individuums, den Wert der Arbeit und der weltlichen Askese betonte, schaffte einen scharfen Kontrast zum Katholizismus, der auf Autorität, Transzendenz und Spiritualität gründete (Reher 1998: 213f.). In Bezug auf das Familienleben räumt der Katholizismus in wesentlich stärkerem Maße der Familie als Gruppe Priorität gegenüber dem Individuum ein (vgl. Durkheim 1992). Dieser Unterschied zwischen Protestantismus und Katholizismus drückt sich beispielsweise in den Vorstellungen zur Ehe aus. Zwar gehen beide Konfessionen von einer prinzipiellen Unauflöslichkeit der Ehe aus, allerdings besteht im Protestantismus ein höheres Maß an individueller Wahlfreiheit: So wird die Ehescheidung akzeptiert und die Mög24
Die Entwicklung der Verhältnisse im Westen Deutschlands (westlich der Weser) ist auch deshalb komplex, weil bereits reformierte Gebiete teilweise wieder von der Katholischen Kirche ‚zurückerobert’ werden konnten (Gebhardt 1955).
76
lichkeit kirchlicher Wiederheirat gewährt (Gerhards/Rössel 2000). Diese Divergenzen schlagen sich bis heute am deutlichsten in den südeuropäischen, katholisch geprägten Ländern nieder: Hier sind die familiären Bindungen wesentlich enger und die Scheidungsraten deutlich niedriger als in den reformierten nordund westeuropäischen Ländern (Alesina/Giuliano 2007; Castles/Flood 1993). Im Hinblick auf das Erwerbsleben kommt dagegen der Berufsarbeit im Protestantismus eine ausgesprochen wichtige Bedeutung zu. Die Wertschätzung der Pflichterfüllung innerhalb der weltlichen Berufe ist ein bedeutsamer Gedanke des Protestantismus. So bezeichnet Max Weber (2000) die „sittliche Qualifizierung des weltlichen Berufslebens [als] eine der folgenschwersten Leistungen der Reformation“ und im speziellen Luthers (ebenda: 41). „Für Luther wurde (…) die aus der objektiven Ordnung folgende Eingliederung der Menschen in die gegebenen Stände und Berufe zum direkten Ausfluß göttlichen Willens und also das Verharren des einzelnen in der Stellung und in den Schranken, die Gott ihm zugewiesen hat, als religiöse Pflicht“ (Weber 2000: 130). Auch wenn der Protestantismus die geschlechtliche Arbeitsteilung zunächst nicht in Frage stellte, so kann man doch vermuten, dass er durch die hohe Bewertung der Berufsarbeit weibliches Erwerbsstreben begünstigt. Denn umso wertvoller Berufsarbeit gehandelt wird, umso schwieriger ist es, diese Quelle der Wertschöpfung dauerhaft der Gruppe der Frauen vorzuenthalten (Parsons 1968b: 105). Gemäß diesen Überlegungen zeigt sich die Katholische Kirche auch kritischer gegenüber der Erwerbstätigkeit von Frauen als die Evangelische (Haller/Höllinger 1994; Gerhards/Rössel 2000). Die genannten Unterschiede zwischen den Konfessionen scheinen sich bis heute in den kulturellen Werten erhalten zu haben. So weisen etwa Haller und Höllinger (1994) mithilfe von ISSP-Daten aus dem Jahr 1988 nach, dass Katholiken gegenüber Protestanten seltener egalitäre Geschlechterrolleneinstellungen vertreten und seltener eine Erwerbsbeteiligung beider Partner befürworten. Auf Basis der unterschiedlichen historisch-religiösen Entwicklungspfade in den drei Untersuchungsgebieten, lassen sich demnach folgende Hypothesen für die Einstellungen zur Rolle der Frau in Beruf und Familie formulieren: a.
b.
Das katholisch geprägte Belgien sollte von den Untersuchungsländern das traditionellste Geschlechterrollenbild aufweisen. Die Familie sollte dort einen vergleichsweise hohen Stellenwert einnehmen und die geschlechtliche Arbeitsteilung am stärksten befürwortet werden. Im protestantisch und sozialistisch geprägten Gebiet Ostdeutschlands sollte dagegen ein egalitäres Geschlechterrollenverständnis dominieren, innerhalb dessen der Beruf auch für die Frau zum zentralen Anker des Lebens wird.
77
c.
Entsprechend sollte die Zustimmung zu einer weiblichen Erwerbstätigkeit am stärksten ausfallen. Für das gemischtkonfessionelle Westdeutschland ist schließlich anzunehmen, dass es eine moderatere Einstellung aufweist und im Hinblick auf Erwerbs- und Familienorientierung eine mittlere Position zwischen Ostdeutschland und Belgien einnimmt.
4.2 Zur Messung kultureller Orientierungen Werte stellen ein wichtiges und stabiles Element nationaler Kultur dar (vgl. Kapitel 2.2). Daher muss sich die empirische Analyse von Kultur auf die Messung von Werten innerhalb eines kulturellen Kontextes richten. Wie bereits deutlich wurde, ist das Analyseziel ein makrosoziologisches: Für Belgien, Westund Ostdeutschland soll demonstriert werden, dass nationaltypische kulturelle Prägungen existieren, die einen wichtigen Beitrag zur Erklärung von nationalen Unterschieden im weiblichen Erwerbsverhalten leisten können. Empirisch stehen dafür über Umfragen gewonnene repräsentative Individualdaten zur Verfügung, die jedoch aggregiert auf Landesebene Aufschluss über die repräsentative Kultur der drei Untersuchungsgebiete geben sollen25. In Anlehnung an Tenbruck (1989) werden unter ‚repräsentativer Kultur‘ diejenigen Werte, Normen und Verhaltensweisen verstanden, die von der Mehrheit der Mitglieder einer Gesellschaft geteilt werden, ihr Verhalten beeinflussen und damit eine eigenständige soziale Realität bilden (Tenbruck 1989: 22). Wie erwähnt, sind in Bezug auf den Untersuchungsgegenstand nicht alle kulturellen Werte und Normen einer Gesellschaft von Belang, sondern vor allem diejenigen, die Einfluss auf das weibliche Erwerbsverhalten ausüben. Dazu zählt im Allgemeinen der Stellenwert von Beruf und Familie innerhalb einer Gesellschaft; im Speziellen jedoch die kulturellen Geschlechterrollen. Zur Bezeichnung dieser gesellschaftlich relevanten kulturellen Werte und Leitbilder in Bezug auf die geschlechtliche Arbeitsteilung verwendet Pfau-Effinger (2004) den Begriff der ‚Geschlechterkultur‘ (vgl. Kapitel 2.3). Grundlage der folgenden empirischen Einstellungsanalysen sind zum einen die Daten der European Value Study (EVS) von 1999, zum anderen die Daten des International Social Survey Programme (ISSP) von 2002 mit dem inhaltlichen Schwerpunkt ‚Family and Changing Gender Roles‘.26 Bei beiden Daten25
Zum Rückschluss von Individualdaten auf kulturelle Aspekte vgl. Rippl/Seipel 2008: 156f. Die ISSP-Daten von 2002 sind lediglich im flämischen Gebiet Belgiens erhoben worden, so dass Flandern als Stellvertreter des ganzen Landes betrachtet werden muss. Die EVS-Daten beinhalten sowohl Flandern als auch Wallonien. 26
78
sätzen handelt es sich um internationale, repräsentativ angelegte Bevölkerungsumfragen. In den Analysen soll das generelle und spezifische Einstellungsspektrum untersucht werden: Zum einen der Stellenwert von Familie und Beruf. Zum anderen die Einstellung zur weiblichen Berufstätigkeit in Bezug auf folgende Aspekte: Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau, familiäre Belastung durch die Erwerbstätigkeit der Frau, weibliche Erwerbsbeteiligung in unterschiedlichen Familienphasen und Gleichberechtigung von Mann und Frau in Bezug auf Erwerbsarbeit. Grundsätzlich richtet sich der Begriff der Kultur auf die gesamte Gesellschaft eines Landes (vgl. Kapitel 2.2). Da in dieser Arbeit allerdings die Erwerbsentscheidung von Frauen im Mittelpunkt steht, konzentrieren sich die im Text vorgestellten Einstellungsanalysen auf Frauen zwischen 20 und 45 Jahren, die sich altersmäßig in der Haupterwerbs- und Familiengründungsphase befinden (siehe Erläuterungen zur Wahl der Stichprobe in Abschnitt 6.3).
4.3 Empirische Befunde: Einstellungen zu Familie, Beruf und Rolle der Frau Grundorientierungen in Bezug auf Familie und Beruf Was die geschilderten Unterschiede im Hinblick auf die historisch-religiösen Entwicklungspfade der drei Untersuchungsgebiete angeht, so treten diese in den Einstellungsanalysen in Tabelle 7 relativ deutlich zutage. Zunächst in Bezug auf die religiöse Prägung: Auf die Frage, wie häufig man als Kind im Alter von zwölf Jahren, abgesehen von Hochzeiten, Beerdigungen und Taufen, an Gottesdiensten teilgenommen hat, geben 60% der befragten belgischen Frauen im Alter von 20 bis 45 Jahren an, als Kind mindestens einmal pro Woche einen Gottesdienst besucht zu haben. In Westdeutschland dagegen ist der Anteil nur halb so groß (33%). In Ostdeutschland sind nur 8% als Kind wöchentlich zur Kirche gegangen (siehe Tabelle 7, Item 1). Deutlich wird hier nicht nur der generelle Unterschied zwischen religiöser und nicht-religiöser Sozialisation im Westen und in Belgien gegenüber Ostdeutschland. Sondern auch die Tatsache, dass in der katholischen Hochburg Belgien in weit stärkerem Maße der Kirchgang gepflegt wird. Dabei kann man annehmen, dass diese Praxis nicht nur die sozial-religiöse Integration der Gemeinde fördert (vgl. Durkheim 1992), sondern auch die sozialisatorische Einflussnahme der Katholischen Kirche verstärkt. Damit in Zusammenhang steht die Bedeutung der Religion für das eigene Leben. Zwar kann man hier feststellen, dass in allen drei Untersuchungsgebieten die Mehrheit der Befragten deren Relevanz eher negiert. Allerdings variiert der 79
Anteil derjenigen, die Religion für wichtig oder gar sehr wichtig halten, in der erwarteten Richtung zwischen den Regionen: In Belgien sind das immerhin 41%, in Westdeutschland noch 34% und in Ostdeutschland 10% (siehe Tabelle 7, Item 2). Tabelle 7: Die Bedeutung von Religion, Familie und Beruf in Belgien, Westund Ostdeutschland, Spaltenprozente 1. Häufigkeit des Kirchgangs im Alter von 12 Jahren a
Mindestens einmal pro Woche
Belgien
West-D.
Ost-D.
60,2
33,1
8,3
2. Wichtigkeit von Religion im eigenen Leben b Belgien
West-D.
Ost-D.
1.
Sehr wichtig
15,9
9,4
1,7
2.
Eher wichtig
24,6
24,2
8,2
3.
Nicht sehr wichtig
33,9
37,9
20,2
4.
Unwichtig
25,6
28,5
70,0
3. Wichtigkeit von Familie im eigenen Leben
b
Belgien
West-D.
Ost-D.
1.
Sehr wichtig
93,5
82,1
75,4
2.
Eher wichtig
5,7
15,1
22,5
3.
Nicht sehr wichtig
0,8
2,9
1,7
4.
Unwichtig
0
0
0,4
4. Welche der folgenden Aussagen beschreibt am besten Ihre Sicht über die Pflichten von Eltern gegenüber ihren Kindern? c Belgien
West-D.
Ost-D.
A. Die Pflicht der Eltern ist, das Beste für ihre Kinder zu tun, auch dann wenn es auf Kosten des eigenen Wohlbefindens geht.
75,8
52.9
42,0
B. Eltern haben ein eigenes Leben und es sollte nicht von ihnen verlangt werden, dass sie ihr eigenes Wohl der Kinder wegen aufopfern.
17,9
39,0
42,9
C. Keine von beiden.
6,3
8,1
15,2
5. Die Arbeit sollte immer zuerst kommen, auch wenn das weniger Freizeit bedeutet. d
Stimme voll und ganz zu / Stimme zu.
Belgien
West-D.
Ost-D.
21,0
39,7
60,7
Anmerkungen: a Übersetzt aus dem Englischen: “Apart from weddings, funerals and christenings, about how often did you attend religious services when you were 12 years old?”: 1 'More than once a week', 2 'Once
80
a week', 3 'Once a month', 4 'Christmas/Easter days', 5 'Other specific holy days', 6 'Once a year', 7 'Less often', 8 'Never practically never'. b Übersetzt aus dem Englischen: „Please say, for each of the following, how important it is in your life” (Religion/Family): 1 'Very important', 2 'Rather important', 3 'Not very important', 4 'Not at all important'. c Übersetzt aus dem Englischen: „Which of the following statements best describes your views about parents' responsibilities to their children?”: A “Parents' duty is to do their best for their children even at the expense of their own well-being”, B “Parents have a life of their own and should not be asked to sacrifice their own well-being for the sake of their children”, C “Neither”. d Übersetzt aus dem Englischen: “Do you agree or disagree with the following statements? Work should always come first, even if it means less spare time”: 1 'Strongly agree', 2 'Agree', 3 'Neither agree or disagree', 4 'Disagree',5 'Strongly disagree' Belgien N=494, Westdeutschland N=280, Ostdeutschland N=236 Datenquelle: EVS 1999
Wendet man sich nun der Bedeutung der Familie im Leben zu, so ist nicht erstaunlich, dass sie bei der Mehrheit der Befragten in allen Untersuchungsgebieten einen hohen Stellenwert einnimmt. Allerdings treten auch hier signifikante Differenzen auf: Während 94% der Belgier die Familie als sehr wichtig bezeichnen, sind es in Westdeutschland 82% und in Ostdeutschland noch 75% (Tabelle 7, Item 3). Die Priorität der Familie gegenüber den Interessen des Einzelnen, wie sie die katholische Soziallehre hervorhebt, lässt sich ebenfalls im Antwortverhalten der Befragten wiederfinden. Denn in erster Linie die katholisch geprägten belgischen Frauen (76%) stimmen der Aussage zu, dass Eltern sich auch auf Kosten ihres eigenen Wohlbefindens in den Dienst ihrer Kinder zu stellen haben. In Westdeutschland finden das 53% und in Ostdeutschland 42% der befragten Frauen. Stattdessen wird in West- und Ostdeutschland häufiger als in Belgien die Meinung vertreten, dass Eltern auch ein eigenes Leben haben und sich für ihre Kinder nicht aufopfern müssen (Tabelle 7, Item 4). Was schließlich den Stellenwert des Berufes betrifft, mit dem wiederum – wie oben dargestellt – die konfessionelle Prägung (bzw. im Falle Ostdeutschlands, die sozialistische Sozialisation) zum Ausdruck kommen sollte, so ergeben sich auch hier die erwarteten Unterschiede zwischen den drei Regionen: Der Aussage, dass die Arbeit immer zuerst kommen sollte, stimmen lediglich knapp ein Viertel der Belgier (21%) gegenüber 40% der Westdeutschen und sogar 60% der Ostdeutschen zu (Tabelle 7, Item 5).
81
Einstellungen zur geschlechtlichen Arbeitsteilung In Tabelle 8 sind die Auswertungsergebnisse zu den Einstellungen von belgischen, west- und ostdeutschen Frauen zur Erwerbsbeteiligung und zum Erwerbsumfang von Frauen für unterschiedliche Familienphasen abgetragen. Gemäß Becker (1985) und Hakim (1991, 1995, 1999) ist neben der Teilhabe am Erwerbsleben auch die Wahl des Erwerbsumfangs von Frauen ein Indikator für die Prioritäten im Hinblick auf Familie und Beruf. Nach Becker (1985) sollten vollzeitbeschäftigte Frauen vorwiegend auf die Erwerbsarbeit, teilzeitbeschäftigte Frauen stärker auf die Familie ausgerichtet sein.27 Dementsprechend kann die Zustimmung zu einer Halbtagsbeschäftigung mit einer größeren Familienorientierung und traditionelleren Einstellung und die Befürwortung einer Ganztagsbeschäftigung mit einer höheren Erwerbsorientierung und weniger traditionellen Einstellung in Verbindung gebracht werden. Die Zahlen in Tabelle 8 zur Bewertung des Erwerbsverhaltens verheirateter Frauen ohne Kinder zeigen, dass das Modell der traditionellen Hausfrauenehe, bei der die Frau bereits im Anschluss an die Heirat und vor der Geburt eines Kindes aus dem Erwerbsleben ausscheidet, in keinem der drei Länder besonderen Zuspruch findet. Es ist allerdings festzustellen, dass die belgischen Befragten in deutlich geringerem Maße der Vollzeiterwerbstätigkeit einer verheirateten Frau zustimmen. Gut 10% der belgischen Befragten findet, dass eine verheiratete Frau nur halbtags arbeiten sollte. In Westdeutschland sind ca. 5% und in Ostdeutschland 1% dieser Meinung. Das Vorhandensein eines Kindes im Vorschulalter verändert jedoch die Einstellung zur weiblichen Berufstätigkeit in allen drei Untersuchungsgebieten. Wenn ein Kind unter sechs Jahren betroffen ist, lehnen 39% der westdeutschen Frauen, 23% der belgischen Frauen, aber nur 6% der ostdeutschen Befragten eine mütterliche Erwerbstätigkeit ab. Bei den Frauen, die eine mütterliche Erwerbsbeteiligung nicht grundsätzlich ablehnen, ist in allen drei Gebieten die Mehrheit der Befragten der Meinung, dass eine Teilzeitbeschäftigung bei Vorschulkindern einer Vollzeitbeschäftigung vorzuziehen ist. Auffallend ist, dass westdeutsche Frauen in Bezug auf die Befürwortung mütterlicher Erwerbstätigkeit stärker als belgische und ostdeutsche Frauen nach dem Alter der zu betreuenden Kinder unterscheiden. Während 39% der westdeutschen Frauen der Meinung sind, dass Mütter mit Kindern im Vorschulalter nicht erwerbstätig sein sollten, sind lediglich noch knapp 9% gegen eine mütterliche Erwerbsbeteili27 Empirisch konnten Beckmann und Kempf (1996) Belege für eine stärkere Erwerbsorientierung von vollzeitberufstätigen Frauen im Vergleich zu teilzeitbeschäftigten finden. Alwin et al. (1992) haben ferner gezeigt, dass teilzeitbeschäftigte Frauen eine Vollzeitbeschäftigung von Müttern in geringerem Maße befürworten.
82
gung, wenn das jüngste Kind das Schulalter erreicht (siehe Tabelle 8). Die Mehrzahl der westdeutschen Frauen, die generell nichts gegen eine Erwerbsbeteiligung von Müttern mit Kindern im Vorschul- und Schulalter einzuwenden haben, heißen diese jedoch nur auf Basis einer Halbtagsstelle gut. Es ist anzunehmen, dass die vergleichsweise negative Einstellung zur Erwerbsbeteiligung von Müttern mit Kindern im Vorschulalter mit den institutionellen Besonderheiten des westdeutschen Kinderbetreuungssystems zusammenhängt, das wenig Spielraum für eine Berufstätigkeit der Mutter zulässt. Tabelle 8: Einstellungen belgischer, west- und ostdeutscher Frauen zwischen 20 und 45 Jahren zur weiblichen Erwerbsarbeit in unterschiedlichen Familienphasen, Angaben in % „Frauen sollten ganztags, halbtags, überhaupt nicht arbeiten, …
… wenn sie verheiratet sind, aber noch keine Kinder haben.“
… wenn ein Kind da ist, das noch nicht zur Schule geht.“
… dann, wenn auch … nachdem die das jüngste Kind Kinder das zur Schule geht.“ Elternhaus verlassen haben.“
B
W
O
B
W
O
B
W
O
B
W
O
Ganztags
89,4
95,2
98,7
18,1
4,7
21,8
35,7
8,0
42,3
52,0
81,6
88,2
Halbtags
10,3
4,8
1,3
59,2
56,3
71,8
61,7
83,0
55,1
42,9
18,4
11,8
Überhaupt nicht
0,4
0,0
0,0
22,6
39,1
6,4
2,6
9,0
2,6
5,1
0,0
0,0
Anmerkungen: B=Belgien, W=Westdeutschland, O=Ostdeutschland Belgien N=312, Westdeutschland N=235, Ostdeutschland N=86 Datenquelle: ISSP 2002
Während also in Westdeutschland immer dann, wenn Kinder im Haushalt leben, eine Berufstätigkeit der Frau seltener akzeptiert wird, ist für Belgien bemerkenswert, dass hier anscheinend nicht die Mutterrolle, sondern stärker die Rolle der Ehefrau (ungeachtet einer Elternschaft), die Berufsorientierung der Frau hemmt. Dies zeigt sich nicht nur am etwas niedrigeren Anteil der belgischen Frauen, die vor der Geburt eines Kindes eine Vollzeiterwerbstätigkeit ausschließen (89% gegenüber 95% bzw. 99% in West- und Ostdeutschland), sondern insbesondere an den so genannten ‚empty nesters’: Wenn die Kinder das Elternhaus bereits verlassen haben, empfinden 52% der Belgier gegenüber 82% bzw. 88% der West- bzw. Ostdeutschen eine ganztätige Erwerbstätigkeit der Ehefrau als angemessen. In Ostdeutschland sind 12%, in Westdeutschland 18% und in Belgien 43% für eine Teilzeitbeschäftigung. 5% der befragten Belgierinnen 83
lehnen eine Berufstätigkeit in dieser Familienphase sogar vollkommen ab, während in Ost- und Westdeutschland keinerlei Einwände bestehen. Auch die Analyseergebnisse in Tabelle 9 deuten darauf hin, dass in Belgien die Frauenrolle stärker durch das ‚Frausein‘ an sich als durch (akute) Mutterschaft definiert wird. Die Zahlen zeigen, dass belgische Frauen in deutlich stärkerem Maße als west- und ostdeutsche Frauen im Allgemeinen eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung befürworten (siehe Tabelle 9). Der Aussage „Einen Beruf zu haben, ist ja ganz schön, aber das, was die meisten Frauen wirklich wollen, sind ein Heim und Kinder“ (1a) stimmen 47% der belgischen, aber nur 37% der westdeutschen und 25% der ostdeutschen Befragten zu. Hausfrau zu sein finden 53% der Belgierinnen, 39% der westdeutschen und nur knapp 24% der ostdeutschen Frauen genauso erfüllend wie berufstätig zu sein (1b). Die Ergebnisse dieser bivariaten Auszählungen werden auch im multivariaten Modell unter Kontrolle von Alter, Bildung, Familienstand und Haushaltsgröße bestätigt (siehe Anhang, Tabelle A1). Demnach nimmt Westdeutschland bei den Einstellungen zur geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung im Ländervergleich eine mittlere Position ein, während ostdeutsche Frauen im geringsten, belgische im höchsten Maße eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung befürworten. Als signifikant erweisen sich allerdings nur die Unterschiede zwischen Westdeutschland und Ostdeutschland einerseits und Belgien andererseits, wohingegen sich die innerdeutschen Divergenzen als eher irrelevant erweisen. Was die Einschätzung der Folgen weiblicher Berufstätigkeit für die Kinder betrifft, ergibt sich allerdings ein etwas anderes Bild. Wie bereits aus den Einstellungen zur weiblichen Berufstätigkeit in verschiedenen Familienphasen festzustellen war (vgl. Tabelle 8), so wird auch hier deutlich, dass westdeutsche Frauen die Auswirkungen mütterlicher Berufstätigkeit für die Kinder negativer einschätzen als belgische und ostdeutsche Frauen (siehe Tabelle 9, Aussagen 2a und 2b). Die Aussage, dass eine berufstätige Mutter ein genauso herzliches und vertrauensvolles Verhältnis zu ihren Kindern haben kann wie eine nicht erwerbstätige Mutter, befürwortet die Mehrheit der Frauen in allen drei Untersuchungsländern (2a). Allerdings ergibt sich hier ein signifikanter Unterschied zwischen Ostdeutschland und Belgien auf der einen und Westdeutschland auf der anderen Seite. Während 91% der ostdeutschen und 86% der belgischen Frauen dieser Aussage zustimmen, sind es lediglich 69% in Westdeutschland. Westdeutsche Frauen scheinen demnach am stärksten daran zu zweifeln, dass das Mutter-Kind-Verhältnis bei einer erwerbstätigen Mutter genauso gut ausfällt wie bei einer nicht berufstätigen Mutter, während die ostdeutschen und belgischen Frauen wesentlich geringere Befürchtungen in dieser Hinsicht hegen. Dass ein Vorschulkind wahrscheinlich unter der Berufstätigkeit der Mutter leidet (2b), denken auch mehr als die Hälfte der westdeutschen Frauen gegen84
über 40% der belgischen und 37% der ostdeutschen Frauen. Auch dieses Ergebnis wird durch die multivariaten Analysen bestätigt (siehe Anhang, Tabelle A1). Die Ergebnisse verdeutlichen, dass in Westdeutschland die Folgen einer mütterlichen Berufstätigkeit für die betroffenen Kinder besonders negativ eingestuft werden. Es liegt nahe, dieses Ergebnis auf die defizitäre Kinderbetreuung zurückzuführen. Die alltägliche Lebenswelt in Westdeutschland zeigt im Gegensatz zu Ostdeutschland und Belgien, dass eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf nur sehr schwer möglich und häufig nur mit Abstrichen und Kompromissen umsetzbar ist. Da die Betreuung des Kindes hier nicht sicher gestellt ist, wenn die Mutter arbeitet, sind eine problematische Betreuungssituation und negative Folgen für das Kindeswohl eher wahrscheinlich als in Belgien oder Ostdeutschland. So besteht etwa die Gefahr, dass das Kind einer berufstätigen Mutter häufiger sich selbst überlassen bzw. evtl. von weniger geeigneten Personen betreut werden muss. Bei den Fragen zum Doppelverdiener-Modell (siehe Tabelle 9, Aussagen 3a und 3b) zeigt sich, dass in allen drei Untersuchungsgebieten die Aussage, dass beide Partner zum Haushaltseinkommen beitragen sollten (3a), weitestgehend befürwortet wird. Die Zustimmung in Ostdeutschland ist allerdings auch hier mit 92% noch einmal signifikant größer als in Belgien (78%) und Westdeutschland (72%). Darin, dass eine Erwerbstätigkeit der beste Weg für die Unabhängigkeit der Frau ist (3b), sind sich west- und ostdeutsche Frauen weitgehend einig (mit 86% bzw. 89% Zustimmung). Signifikant geringer ist hingegen der Anteil der belgischen Frauen (75%), die dieser Aussage zustimmen. Auch hier bestätigen die multivariaten Analysen die geschilderten Zusammenhänge (siehe Anhang, Tabelle A1). Die Auswertung der Frage „Hat ihre Mutter nach ihrer Geburt und vor ihrem 14. Lebensjahr länger als ein Jahr gearbeitet?“ offenbart neben den genannten Einstellungsunterschieden auch signifikante Differenzen in der Tradition der Müttererwerbstätigkeit zwischen den drei Untersuchungsländern (siehe Tabelle 9, Aussage 4). Die große Mehrheit der ostdeutschen Befragten (93%) hat die Berufstätigkeit der eigenen Mutter in der Jugendzeit selbst erfahren. In Westdeutschland sind das 60% und in Belgien lediglich die Hälfte der Befragten (52%). Dieses Ergebnis deutet bereits an, dass offenbar nicht allein der politisch-institutionelle Rahmen die Einstellungen beeinflusst. Schließlich ist im Falle von Belgien die geringe Erwerbsbeteiligung der Mütter der Befragten nicht über mangelnde öffentliche Kinderbetreuungsangebote in der Vergangenheit zu erklären, da Belgien über eine lange Tradition institutioneller Kinderbetreuung verfügt, d.h. auch die Mütter der Befragten bereits Zugang zum gut ausgebauten Kinderbetreuungssystem gehabt haben sollten.
85
Tabelle 9: Einstellungen zur weiblichen Erwerbsbeteiligung und geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung (Zustimmung in %), Frauen zwischen 20 und 45 Jahren 1. Geschlechtsspezifische Arbeitsteilung a Belgien
West-D.
Ost-D.
a) „Einen Beruf zu haben ist ja ganz schön, aber das, was die meisten Frauen wirklich wollen, sind ein Heim und Kinder.”
47,0 wo
36,9 bo
25,4 bw
b) „Hausfrau zu sein ist genauso erfüllend wie gegen Bezahlung zu arbeiten.”
53,4 wo
39,4 bo
23,6 bw
2. Folgen weiblicher Berufstätigkeit für Kinder
a
Belgien
West-D.
Ost-D.
a) „Eine berufstätige Mutter kann ein genauso herzliches und vertrauensvolles Verhältnis zu ihren Kindern finden wie eine Mutter, die nicht berufstätig ist.“
85,5 w
69,0 bo
90,9 w
b) „Ein Kind, das noch nicht zur Schule geht, wird wahrscheinlich darunter leiden, wenn seine Mutter berufstätig ist.“
40,4 w
59,7 bo
36,9 w
West-D.
Ost-D.
3. Gleichberechtigung / Doppelverdiener-Modell
a
Belgien a) „Der Mann und die Frau sollten beide zum Haushaltseinkommen beitragen.”
78,3
b) „Einen Beruf zu haben ist das beste Mittel für eine Frau, um unabhängig zu sein.“
75,1 wo
86,4 b
88,8 b
Belgien
West-D.
Ost-D.
51.7 wo
60.4 bo
92.9 bw
4. Tradition mütterlicher Erwerbsbeteiligung „Hat ihre Mutter nach ihrer Geburt und vor ihrem 14. Lebensjahr länger als ein Jahr gearbeitet?“
o
72,3
o
92,3 bw
b
Anmerkungen: Die abgetragenen Werte in der Tabelle geben zur besseren Übersicht lediglich den prozentualen Anteil der Zustimmung wieder, wobei die beiden Items „stimme voll und ganz zu“ und „stimme zu“ zusammengefasst wurden. Weitere Antwortmöglichkeiten waren: „stimme nicht zu“, „stimme überhaupt nicht zu“. Signifikant (p<=.050) verschieden von b=Belgien, w=Westdeutschland, o=Ostdeutschland; a Datenquelle: EVS 1999; Belgien N=494, Westdeutschland N=280, Ostdeutschland N=236; b Datenquelle ISSP 2002; Belgien N=312, Westdeutschland N=235, Ostdeutschland N=86; die Daten wurden lediglich im flämischen Gebiet Belgiens erhoben, so dass Flandern als Stellvertreter des ganzen Landes betrachtet werden muss.
86
4.4 Zusammenfassung der kulturellen Länderprofile Die vorgestellten Einstellungsanalysen demonstrieren, dass sich die drei Untersuchungsgebiete im Hinblick auf ihre repräsentativen Geschlechterkulturen in charakteristischer Weise voneinander unterscheiden. In den Untersuchungsgebieten können typische Muster hinsichtlich der allgemeinen Einstellungen zu Beruf und Familie sowie zur weiblichen Erwerbsbeteiligung beobachtet werden. So konnte gezeigt werden, dass die ostdeutschen Befragten nicht nur generell die höchste Wertschätzung des Berufs an den Tag legen, sondern auch generell die traditionelle Arbeitsteilung am deutlichsten ablehnen, die Folgen weiblicher Erwerbstätigkeit für die Familie am geringsten einschätzen und am stärksten von den drei Untersuchungsgebieten das Doppelverdiener-Modell und somit eine weibliche Erwerbsbeteiligung befürworten. Ursächlich beteiligt an diesem Frauenleitbild sind sicherlich die Sozialisationserfahrungen der Befragten, für deren Mütter bereits eine Erwerbsbeteiligung selbstverständlich war (siehe Tabelle 9, Aussage 4). In der DDR gehörte die Emanzipation der Frau „von Anfang an zu den offiziellen Zielen der sozialistischen Gesellschaftspolitik“ (Geißler 1992: 237): Das sozialistische Frauenleitbild der gleichberechtigt im Beruf stehenden Ehefrau und Mutter war in Verfassung, Arbeits- und Familiengesetzbuch der DDR umfassend rechtlich normiert und wurde darüber hinaus durch ein staatlich verordnetes System der Ausbildungs- und Berufslenkung durchgesetzt. Deutlich erkennbar ist jedoch, dass dieser Bestandteil der sozialistischen Politik auf fruchtbaren Boden gefallen sein muss. Die religiöse Vorprägung der Ostdeutschen stand, so die Vermutung, nicht gänzlich im Widerspruch zur institutionell verordneten Frauenerwerbsorientierung. Auf diese Weise sind die Einstellungen der Ostdeutschen in hohem Maße stabil, auch nachdem der politische Apparat, der diese Ordnung explizit sanktionierte, verschwunden war. In Westdeutschland und Belgien ist demgegenüber das traditionelle, familienbezogene Frauenbild wesentlich stärker verankert. Allerdings sind auch zwischen diesen beiden Regionen Einstellungsunterschiede sichtbar geworden. Belgien stellt innerhalb der hier untersuchten Länder im Hinblick auf die generelle Bedeutung von Religion und Familie das traditionellste Land dar. Dies zeigt sich zunächst an der deutlich stärkeren religiösen Prägung im Kindesalter und in der vermutlich daraus resultierenden vergleichsweise hohen Bedeutung der Religion für die Befragungspersonen im Erwachsenenleben. Daraus resultiert auf der anderen Seite aber auch die außerordentlich hohe Wertschätzung der Familie im Allgemeinen. Gleichzeitig wird die generelle ‚Priorität’ des Berufs im Vergleich zu Westdeutschland (und Ostdeutschland) am wenigsten geteilt.
87
Was die geschlechtliche Arbeitsteilung betrifft, so sind die Verhältnisse gegenüber Westdeutschland jedoch etwas komplexer. Dies zeigt sich vor allem an den Items, die die Folgen weiblicher Berufstätigkeit für Kinder im Vorschulalter in Augenschein nehmen. Hier liegt Belgien eher mit Ostdeutschland auf einer Linie, was jedoch vermutlich auf das gut ausgebaute Kinderbetreuungssystem zurückgeht: Da die Versorgung der Kinder institutionell und professionell (bzw. konfessionell) sichergestellt wird, sind Sorgen um das Wohl der Kinder im Falle der Berufstätigkeit der Mutter unberechtigt. Dies deutet jedoch nur bedingt auf eine egalitäre bzw. berufsbezogene Grundhaltung der Frauen hin. Da der Stellenwert der Familie höher liegt, erscheint auch die Berufstätigkeit nicht als einzige Quelle der Lebenserfüllung. Das zeigt sich vor allem bei den signifikant höheren Zustimmungsraten der Belgier (sowohl gegenüber West- als auch Ostdeutschen) auf die Aussagen „Was die meisten Frauen wollen sind ein Heim und Kinder“ und „Hausfrau zu sein ist genauso erfüllend wie gegen Bezahlung arbeiten“ (47% bzw. 53%). Die Welt der Frau wird also im konservativen Sinne eher mit dem häuslichen Bereich assoziiert. Das scheint jedoch nicht einzig auf eine ‚traditionelle’, quasi-rückständige Geschlechterordnung zurückzugehen (wie das die Formulierungen der Items des ESS implizit kodieren), sondern vor allem darauf, dass nicht einzig der Beruf als Ort, an dem eine Person soziale Wertschätzung erlangen kann, in Frage kommt. Westdeutschland nimmt bezogen auf die religiöse Prägung, die Bedeutung von Familie und Beruf und beide Aspekte der geschlechtlichen Arbeitsteilung und des Doppelverdiener-Modells eine mittlere Position ein. Allerdings sind, wie bereits oben deutlich wurde, die westdeutschen Befragten am skeptischsten gegenüber der Erwerbstätigkeit von Müttern eingestellt (insbesondere von Müttern mit Kindern im Vorschulalter). Offenbar wird hier stärker zwischen der Frauen- und Mutterrolle differenziert als es in Belgien und Ostdeutschland der Fall ist. Mutterschaft führt in Westdeutschland zu einer intensiveren Anbindung an die traditionelle Frauenrolle, während das Vorhandensein von Kindern in Ostdeutschland nichts am egalitären Frauenleitbild, in Belgien nichts am generell traditionellen Frauenleitbild verändert. Dabei darf man nicht vergessen, dass die Betonung der Mutterrolle in diesen Phasen mit einem schlecht ausgebauten Kinderbetreuungssystem in Westdeutschland korrespondiert. So betonen Theorien zur Anpassung von Ansprüchen und Präferenzen (vgl. Elster 1987: Kapitel 4) und zum funktionalen Wertewandel (vgl. Flanagan 1987), dass derartige lebensweltliche Schwierigkeiten mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, wie sie in Westdeutschland bestehen, zu einer Anpassung der Ansprüche und Einstellungen an die Erfordernisse führen: D.h. im spezifischen Fall, zu einer Idealisierung traditioneller Rollenvorgaben. Möglicherweise sind die Ergebnisse in Bezug auf die Folgen weiblicher Berufstätigkeit für Kinder aber auch weniger 88
als Einstellungen zu lesen, sondern einzig als Spiegel der strukturellen Verhältnisse in Westdeutschland zu verstehen. Schließlich stellt die unzureichende Versorgung mit Kinderbetreuungseinrichtungen einen objektiven Tatbestand dar. Die Sorge um das Wohl des Kindes im Falle der Berufstätigkeit der Mutter erscheint – ganz im Gegensatz zu Belgien oder Ostdeutschland – durchaus berechtigt.
89
5 Theoretische Ableitung der Hypothesen
In diesem Abschnitt sollen die vorherigen Informationen und theoretischen Überlegungen noch einmal gebündelt und die Hypothesen über die Wirkung der beiden familienpolitischen Maßnahmen und der Geschlechterkultur auf eine mütterliche Erwerbsbeteiligung abgeleitet werden.
5.1 Die Altersabhängigkeit des Kindereffektes und die Wirkung familienpolitischer Maßnahmen Als konsistentes Ergebnis aller empirischen Studien zum Erwerbsverhalten von Frauen ist festzuhalten, dass in den meisten Ländern ein deutlicher Effekt der Geburt eines Kindes auf die mütterliche Erwerbsbeteiligung besteht (vgl. Kenjoh 2003). Die vorhandenen ländervergleichenden Analysen zum Einfluss von Kindern auf eine mütterliche Erwerbsbeteiligung zeigen, dass ein Effekt von Kindern üblicherweise negativer Natur ist, d.h. dass Kinder als Erwerbsarbeit einschränkender Einflussfaktor betrachtet werden müssen. Wesentliche Ursache des universellen Einflusses von Kindern ist die Tatsache, dass Kinder der Betreuung und Pflege bedürfen und daher Zeit von mindestens einer Betreuungsperson beanspruchen. Aus biologischen, aber auch in den meisten Ländern aus kulturellen Gründen (vgl. Kapitel 4), ist dies in erster Linie die Mutter. Gemäß der ökonomischen Theorie der Zeitallokation (Becker 1965) schränken Kinder die mütterliche Zeit ein, die auf dem Arbeitsmarkt verbracht werden kann. Der Umfang und vor allem die Nachhaltigkeit dieser Einschränkung hängen in hohem Maße vom Alter des Kindes ab. Diese Variation des Kindereffektes mit dem Alter des Kindes kann vornehmlich auf zwei zusammenhängende Ursachen zurückgeführt werden: 1.
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Die notwendige Betreuungsintensität nimmt mit zunehmendem Alter des Kindes ab, d.h. der notwendige Zeitaufwand für die Kinderbetreuung korreliert negativ mit dem Alter der Kinder. So bedürfen Säuglinge der intensivsten Pflege durch eine Betreuungsperson. Aus biologischer Perspektive scheint dabei die Mutter prädestiniert zu sein, da sie die Person ist, die
2.
durch Schwangerschaft und Geburt unmittelbar körperlich betroffen und als einzige in der Lage ist, das Kind zu stillen. In den meisten Ländern greifen mit zunehmendem Alter des Kindes sekundäre Sozialisationsinstanzen (insbesondere öffentliche Kinderbetreuungseinrichtungen, aber auch Verwandte, Tagesmütter etc.) in den Betreuungsprozess ein. Sie übernehmen Teile der Kinderbetreuung, wodurch sich wiederum die kindbedingte Nachfrage nach der mütterlichen Zeit verringert.
Während der erste Grund für die Altersabhängigkeit des Kindereffektes – nämlich die Tatsache, dass mit zunehmendem Alter des Kindes der Betreuungsbedarf sinkt – universelle Gültigkeit besitzt, ist der zweite Punkt – die Abnahme der Exklusivität der mütterlichen Betreuung mit zunehmendem Alter des Kindes – ganz erheblich von der Ausgestaltung des familienpolitisch-institutionellen Kontextes abhängig. Unterschiede im Angebot an Alternativen zur mütterlichen Betreuung müssen daher als eine wesentliche Ursache für Länderunterschiede im mütterlichen Erwerbsverhalten betrachtet werden. Ausgehend von der Tatsache, dass in Ländern, in denen das Angebot an Kinderbetreuung in erster Linie durch staatliche Institutionen bereitgestellt wird (wie in Belgien und Deutschland), muss die Verfügbarkeit öffentlicher Betreuungsmöglichkeiten für Kinder, und vor allen Dingen für Kinder unter drei Jahren, die eine besonders hohe Betreuungsintensität benötigen, ins Blickfeld genommen werden. Wie bei der Skizzierung der Freistellungsmöglichkeiten in Belgien, Westund Ostdeutschland deutlich geworden ist (siehe Tabelle 1), müssen erwerbstätige Mütter in den drei Untersuchungsgebieten bei der Geburt eines Kindes in jedem Fall für die gesetzlich vorgeschriebene Mutterschutzfrist – d.h. für 14 Wochen in West- und Ostdeutschland und für 15 Wochen in Belgien – ihre Erwerbstätigkeit unterbrechen. Demnach ist eine kausale Beziehung zwischen der Geburt eines Kindes und einer weiblicher Erwerbsbeteiligung in allen drei Gebieten bereits rechtlich fixiert. Die Frage, die sich allerdings stellt, ist, ob und inwieweit Kinder auch über die ersten Wochen hinaus, zu einer Einschränkung der weiblichen Erwerbsbeteiligung führen. Als entscheidend dafür wird die nationale Ausgestaltung der beiden familienpolitischen Institutionen ‚Elternurlaub’ und ‚öffentliche Kinderbetreuung’ betrachtet (Gornick et al. 1998), die den Effekt, der offenbar von Kindern auf eine mütterliche Erwerbsbeteiligung ausgeht, verstärken oder abschwächen können.28 28
Ausgehend von der Tatsache, dass in Ländern, in denen – wie in Belgien und Deutschland – das Angebot an institutioneller Kinderbetreuung in erster Linie durch staatliche Institutionen bereitgestellt wird, spielen zum einen die privaten Kosten der Nutzung von Kindertageseinrichtungen als auch die Betreuungsqualität, da sie durch ein umfassendes Regelwerk staatlich reguliert ist (vgl.
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Ausgehend von diesen Überlegungen lässt sich konstatieren, dass in Gebieten, die über eine ausreichende Versorgung mit öffentlicher Kinderbetreuung verfügen (insbesondere für jüngere Kinder im Krippenalter (0-3 Jahre)), die Mutter von Teilen der Erziehungsarbeit entlastet und somit die kindbedingte Nachfrage nach der mütterlichen Zeit gesenkt wird. Beiden Elternteilen wird durch ein ausreichendes öffentliches Betreuungsangebot prinzipiell ermöglicht, nach Ablauf der Mutterschutzfrist gleichzeitig erwerbstätig zu sein. Damit begünstigt die Verfügbarkeit öffentlicher Kinderbetreuung eine Erwerbsbeteiligung der Mutter. Eine gegenteilige Wirkung im Hinblick auf eine mütterliche Erwerbsbeteiligung ist von Freistellungsmöglichkeiten zum Zwecke der Kinderbetreuung zu erwarten. Ziel dieser politischen Maßnahme ist nicht, im Gegensatz zur öffentlichen Kinderbetreuung, Eltern von Teilen der Erziehungsverantwortung zu entlasten, sondern im Gegenteil, ihnen (erwerbsfreie) Zeit für die Betreuung der Kinder zu gewähren; und zwar gerade in den betreuungsintensivsten Phasen, d.h. unmittelbar nach der Geburt und während der ersten Lebensjahre. Demnach sollte die Möglichkeit, einen Erziehungsurlaub in Anspruch nehmen zu können, den Effekt von Kindern auf eine weibliche Erwerbsbeteiligung – zumindest während des möglichen Freistellungszeitraums – negativ verstärken, d.h. die Wahrscheinlichkeit einer Erwerbsunterbrechung erhöhen. Allerdings gibt es empirische Hinweise darauf, dass die Länge der Freistellungsdauer zum einen naturgemäß die Länge der Erwerbsunterbrechung beeinflusst, aber darüber hinaus auch Einfluss auf die generelle Erwerbswahrscheinlichkeit nach Ablauf der Freistellungsfrist besitzt (vgl. Arun et al. 2004). So weisen die meisten empirischen Studien nach, dass in Ländern mit einer kurzen bis moderaten Freistellungsmöglichkeit von bis zu maximal einem Jahr die Gesamtwahrscheinlichkeit, dass die Mutter zum Arbeitsplatz zurückkehrt, deutlich höher ausfällt als in Ländern, in denen keine Freistellung möglich ist (Gornick/Meyers 2003: 241). Die wenigen empirischen Studien, die sich mit der Wirkung eines längeren Elternurlaubs befassen – wie von zwei- bis dreijährigen Elternurlauben in Finnland, Frankreich und Deutschland (vgl. z.B. Rønsen/Sundström 2002; Becker 2000; Weber 2004; Ondrich et al. 1998) – Reidenbach 1996; Kind & Gezin 2007), eine eher untergeordnete Rolle. Es sei jedoch angemerkt, dass in Ländern, in denen in erster Linie kein staatliches Kinderbetreuungsangebot existiert und die Betreuung auf privaten Märkten erkauft werden muss (vor allem in liberalen Wohlfahrtsstaaten wie den USA oder Großbritannien), Kinderbetreuungskosten einen erheblichen Faktor zur Erklärung weiblichen Erwerbsverhaltens und der Nutzung von formeller Kinderbetreuung darstellen. In Belgien und Deutschland dagegen entscheidet weniger die Kaufkraft der Eltern als vielmehr die Verfügbarkeit öffentlicher Betreuungsplätze sowie die Einstellung der Eltern, diese überhaupt in Anspruch nehmen zu wollen, darüber, ob formelle Kinderbetreuung genutzt wird. Aus diesen Gründen können Qualität und Kosten institutioneller Betreuung in der vorliegenden Untersuchung durchaus ausgeblendet werden.
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zeigen, dass diese weniger vorteilhaft für eine weibliche Bindung an den Arbeitsmarkt sind. Lange Erwerbsunterbrechungen, ganz gleich, ob es sich um bezahlte oder unbezahlte handelt, führen zu einem beträchtlichen Humankapitalverlust und in der Folge zu geringeren Löhnen, geringeren Aufstiegschancen und einer generell geringeren Bindung an den Arbeitsmarkt (vgl. OECD 2001). Die vorliegenden Studien zu Finnland, Frankreich und Deutschland deuten darauf hin, dass lange Elternzeiten dauerhaft die weiblichen Erwerbsquoten senken und für Eltern zu einer Rückkehr zur traditionellen geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung führen (vgl. Morgan/Zippel 2003). Diese Folgen sind insbesondere für verheiratete Frauen festzustellen – also Frauen, die in der Regel auf ein männliches Erwerbseinkommen zurückgreifen können. Dieser Zusammenhang ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass die Inanspruchnahme eines Elternurlaubs in den meisten Ländern nicht mit einer vollen Lohnfortzahlung verbunden ist. Meist werden nur geringe Fixbeträge und diese auch nicht für die gesamte mögliche Freistellungsdauer (in Deutschland beispielsweise maximal nur in zwei von drei möglichen Freistellungsjahren) ausgezahlt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass lange Elternzeiten von über einem Jahr nicht mit dem Gedanken an Alleinerziehende eingeführt wurden; vielmehr liegt die Annahme zugrunde, dass die Mutter, die die Kinderbetreuung übernimmt, auf das Einkommen eines ‚male breadwinner’ zurückgreifen kann. Analysen zur Nutzung des Erziehungsurlaubs zeigen, dass Frauen, die ein Anrecht auf einen Erziehungsurlaub haben, diesen auch beanspruchen und in der Zeit nach der Geburt eines Kindes mit größerer Wahrscheinlichkeit nicht erwerbstätig sind als Frauen ohne Anspruch auf Erziehungsurlaub (Rønsen/Sundström 2002). Darüber hinaus gibt es empirische Evidenz, dass Verlängerungen von Elternfreistellungen auch zu einer späteren Rückkehr von Müttern in den Arbeitsmarkt führen, d.h. die Freistellung in ihrer vollen Länge ausgenutzt wird (Holst/Schupp 1996). Auf einen entsprechenden Effekt der Verlängerung von Erziehungszeiten in Deutschland verweisen die Arbeiten von Weber (2004) und Ondrich et al. (1996). Die Ergebnisse der Studien deuten darauf hin, dass eine allgemeine Tendenz besteht, einen zur Verfügung stehenden Elternurlaub zu nutzen und die gesamte mögliche Freistellungsdauer in Anspruch zu nehmen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass theoretisch beide familienpolitischen Maßnahmen den Effekt von Kindern auf eine mütterliche Erwerbsbeteiligung modifizieren sollten, allerdings auf unterschiedliche Art und Weise und mit gegenteiligen Folgen für die Wahrscheinlichkeit einer dauerhaften Erwerbsunterbrechung und der Rückkehr in den Beruf. Während öffentliche Kinderbetreuung insbesondere für Kinder im Alter bis drei Jahren den negativen Kindereffekt abschwächen und damit positiv auf eine 93
mütterliche Erwerbsbeteiligung einwirken sollte, ist von einem verfügbaren Elternurlaub zu erwarten, dass er den Kindereffekt verstärkt. D.h., nicht nur während der möglichen Verfügbarkeit die Chancen einer mütterlichen Erwerbsbeteiligung senkt, sondern auch langfristig, über den Freistellungszeitraum hinaus, die Chancen einer mütterlichen Arbeitsmarktpräsenz verringert. Dementsprechend tritt die Wirkung der familienpolitischen Maßnahmen auf die Berufstätigkeit der Mutter nicht unmittelbar ein, sondern wird über den Kindereffekt transportiert (siehe Abbildung 2). Abbildung 2:
Hypothetische Wirkung von Elternzeit und Kinderbetreuung
Öffentliche Kinderbetreuung (-)
-
schwächt Kindereffekt
Kinder
-
verstärkt Kindereffekt
Weibliche Erwerbstätigkeit
--
Elternurlaub
Es sei allerdings noch einmal betont, dass bei der Analyse der Wirkung der beiden familienpolitischen Maßnahmen die zeitliche Dimension – die durch die Altersabhängigkeit des Kindereffektes begründet wird – von entscheidender Bedeutung ist. Beide familienpolitischen Maßnahmen sind unmittelbar für Mütter mit Kindern im betreuungsintensivsten Alter (bis zum dritten Lebensjahr) relevant bzw. überhaupt nutzbar. Gerade aber für diese Altersstufe unterscheiden sich die drei Untersuchungsgebiete in der Ausgestaltung von Elternfreistellungs- und öffentlichen Betreuungsmöglichkeiten. So kann beispielsweise der Elternurlaub in Belgien nur im ersten Lebensjahr, in Deutschland während der ersten drei Lebensjahre beansprucht werden. Öffentliche Kinderbetreuung ist in Belgien bereits für Kinder unter drei Jahren sichergestellt, während das Betreuungsangebot für diese Altersgruppe in Westdeutschland unzureichend ist (vgl. Abbildung 3).
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Ein weiterer wichtiger Punkt besteht darin, dass die beiden familienpolitischen Maßnahmen – Elternurlaub und öffentliche Kinderbetreuung – normalerweise nicht unabhängig voneinander eingerichtet werden, sondern auch zeitlich in ihrer möglichen Inanspruchnahme aufeinander abgestimmt sind. Für Eltern mit Kindern unter drei Jahren bieten die meisten europäischen Länder entweder eine lange Freistellungsmöglichkeit bei gleichzeitig geringem alternativem Betreuungsangebot wie in Westdeutschland oder aber eine gute Kinderbetreuungsinfrastruktur mit gleichzeitig sehr begrenzter Freistellungsdauer wie in Belgien (vgl. Tabelle 6). Ostdeutschland stellt diesbezüglich eine Ausnahme dar, da es sowohl über eine ausreichende öffentliche Kinderbetreuung als auch über einen ausgedehnten Elternurlaub verfügt. Diese Sonderstellung Ostdeutschlands bezüglich des institutionellen Betreuungsarrangements resultiert daraus, dass sich dieses in aktueller Form – im Gegensatz zum belgischen und westdeutschen System – nicht historisch herausgebildet hat. Im Rahmen der deutschen Wiedervereinigung wurde das politische System Westdeutschlands – und damit u.a. die Möglichkeit, einen dreijährigen Elternurlaub beanspruchen zu können – auf die neuen ostdeutschen Bundesländer übertragen. Gleichzeitig blieb das bestehende gut ausgebaute öffentliche Kinderbetreuungssystem, wie es sich in der DDR herausgebildet hatte, erhalten. Ostdeutsche erwerbstätige Frauen haben demnach während der ersten drei Lebensjahre ihrer Kinder die Wahl: Sie können die Betreuung der Kinder selbst übernehmen oder aber öffentliche Betreuung in Anspruch nehmen. Belgische und westdeutsche erwerbstätige Frauen müssen dagegen auf die vorgegebenen familienpolitischen Möglichkeiten zurückgreifen. Sie sind also nicht ohne weiteres in der Lage, frei zu wählen, ob und wann sie nach der Geburt eines Kindes erwerbstätig sind. Westdeutsche Mütter, wenn sie nicht auf zuverlässige informelle Betreuung rechnen können, müssen, da kein ausreichendes Angebot an Krippenplätzen vorhanden ist, die Elternzeit beanspruchen. In Belgien können Frauen lediglich einen dreimonatigen Elternurlaub im Anschluss an die Geburt eines Kindes wahrnehmen und unter Voraussetzung einer Zustimmung des Arbeitgebers evtl. darüber hinaus bis zu einem Jahr eine Laufbahnunterbrechung in Anspruch nehmen. Doch wenn sie ihren Arbeitsplatz nicht aufgeben möchten, müssen sie die Betreuung ihres Kindes ein Jahr nach der Geburt in öffentliche Hände geben. In Belgien liegt also der Schwerpunkt auf der öffentlichen Kinderbetreuung, in Westdeutschland auf dem ausgedehnten Elternurlaub. Ostdeutschland ist ein Sonderfall, da beide familienpolitischen Institutionen innerhalb der ersten drei Lebensjahre des Kindes gleichermaßen zugänglich sind (siehe Abbildung 3).
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Abbildung 3:
Zeitliche Ausrichtung von Elternfreistellungs- und öffentlichen Kinderbetreuungsmöglichkeiten Belgien
Öffentliche Kinderbetreuung Elternurlaub/Laufbahnunterbr.
Westdeutschland Öffentliche Kinderbetreuung Elternurlaub
Ostdeutschland Öffentliche Kinderbetreuung Elternurlaub
Alter des Kindes Geburt
1 Jahr
3 Jahre
Phase 1
Phase 2
(unterschiedliche Ausgestaltung)
(gleiche Ausgestaltung)
Hypothesen zur Wirkung der familienpolitischen Institutionen Ausgehend von den theoretischen Überlegungen und den bereits existierenden empirischen Befunden lassen sich folgende Hypothesen zur Wirkung von Elternfreistellungsregelungen und öffentlicher Kinderbetreuung auf das Erwerbsverhalten von Müttern mit Kindern unter drei Jahren formulieren: Hypothese 1a: Länderspezifische Unterschiede im Effekt von Kleinkindern auf eine weibliche Erwerbsbeteiligung Länder mit ausgedehntem Elternurlaub und einem knappen Kinderbetreuungsangebot begünstigen einen temporären Erwerbsausstieg von Müttern während der Freistellungsdauer. Im Gegensatz dazu wird in Ländern mit einem ausreichenden öffentlichen Kinderbetreuungsangebot und nur begrenzten Freistellungsmöglichkeiten (bis zu einem Jahr) eine kontinuierliche Erwerbsbeteiligung begünstigt.
Aus Hypothese 1a ergeben sich zunächst für Belgien und Westdeutschland Unterschiede im erwartbaren Niveau mütterlicher Erwerbsbeteiligung in den ersten drei Jahren nach der Geburt eines Kindes: Belgische Mütter sollten aufgrund der generell besseren Kinderbetreuungsinfrastruktur für Kinder im Krippenalter, d.h. für Kinder unter drei Jahren, höhere Erwerbschancen aufweisen als westdeutsche Mütter.
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Hypothese 1b: Ostdeutschland als Sonderfall Ostdeutschland muss als Sonderfall betrachtet werden, da sowohl ein ausreichendes öffentliches Betreuungsangebot als auch ein ausgedehnter Elternurlaub zur Verfügung steht. Es lässt sich allerdings vermuten, dass in Ostdeutschland während der Freistellungsfrist ein Erwerbsausstieg in höherem Maße als in Belgien, aber in niedrigerem Maße als in Westdeutschland stattfindet.
Aber nicht nur für die Zeit, in der die beiden familienpolitischen Institutionen unmittelbar wirksam sind, sondern auch über das dritte Lebensjahr des Kindes hinaus, sind langfristige Folgen und Länderunterschiede in der mütterlichen Erwerbsbeteiligung zu erwarten. In Bezug auf die langfristigen Effekte der beiden familienpolitischen Kinderbetreuungsarrangements können mithilfe der Humankapitaltheorie Rückschlüsse gezogen werden (siehe z.B. Becker 1982; Mincer/Ofek 1982; Schultz 1992). Durch den Prozess der so genannten skill obsolescence findet eine Abschreibung des bereits gesammelten Humankapitals der Mutter mit zunehmender Länge der Erwerbsunterbrechung statt, so dass nicht nur negative Auswirkungen auf die spätere Lohnentwicklung erwartbar sind (Beblo/Wolf 2002), sondern auch generell die Chancen, in das Erwerbsleben zurückzukehren, abnehmen. Dies insbesondere deshalb, da es, wie bereits beschrieben, Anhaltspunkte dafür gibt, dass sich die Art der Tätigkeiten nach der Erwerbsunterbrechung in negativer Weise verändern (vgl. Arun et al. 2004). Dagegen ermöglicht die Nutzung öffentlicher Kinderbetreuung eine kontinuierliche Erwerbsbeteiligung der Mutter bzw. eine frühe Rückkehr in das Erwerbsleben nach der Geburt eines Kindes, wodurch langfristige Karriere- und Verdienstnachteile begrenzt sein sollten. Aus diesen theoretischen Überlegungen kann daher folgende Hypothese zu den langfristigen Erwerbschancen von Müttern mit Kindern ab drei Jahren abgeleitet werden: Hypothese 2:
Die langfristigen Folgen von Elternurlaub und Kinderbetreuungsangebot Die Länge der maximalen Freistellungsdauer bei der Geburt eines Kindes beeinflusst die Rückkehrquote in die Erwerbstätigkeit: Umso länger die Freistellungsmöglichkeit, umso geringer die Rückkehrquote nach deren Ablauf.
Für die Untersuchungsländer ist nach Hypothese 2 zu erwarten, dass in Westund Ostdeutschland mit der Möglichkeit einer langen Freistellung von bis zu drei Jahren negative Folgen für die Erwerbschancen im späteren Zeitverlauf, d.h. nach Ablauf der Elternzeit bzw. des dritten Lebensjahres des Kindes, zu beobachten sind. Umgekehrt lässt sich aufgrund der nur moderaten Freistel97
lungsmöglichkeit von maximal einem Jahr in Belgien vermuten, dass die Erwerbsbeteiligung von belgischen Müttern sowohl kurz- als auch langfristig höher ausfällt als die west- und ostdeutscher Mütter. Ostdeutschland stellt allerdings auch in Bezug auf die langfristigen Folgen der beiden familienpolitischen Maßnahmen einen besonders interessanten Fall dar. Gemäß Hypothese 1b, nach der ostdeutsche Mütter eher Gebrauch von einer Freistellung machen sollten, ist zu erwarten, dass das Erwerbsniveau ostdeutscher Mütter mit Kindern ab drei Jahren gegenüber Belgien niedriger, gegenüber Westdeutschland jedoch höher ausfällt.
5.2 Die beschränkte Reichweite familienpolitischer Maßnahmen: Die Wirkung kultureller Frauenleitbilder Aus den Überlegungen zum Effekt von Kindern im vorherigen Abschnitt ergibt sich die Frage nach der hypothetischen Wirkung kultureller Geschlechterrollen auf eine mütterliche Erwerbsbeteiligung und insbesondere nach der Wechselwirkung mit den institutionellen Möglichkeiten. Spielen kulturelle Leitbilder zur Rolle der Frau eine Rolle oder dominieren die politisch-institutionellen Anreizsysteme das Erwerbsverhalten von Müttern? Abbildung 4 veranschaulicht, dass sich die hypothetische Wirkung kultureller Geschlechterrollen auf eine weibliche Erwerbsbeteiligung von derjenigen der beiden fokussierten familienpolitischen Institutionen unterscheidet. Während die familienpolitischen Maßnahmen indirekt, und zwar vermittelt über das Vorhandensein eines Kindes, auf das weibliche Erwerbsverhalten wirken, sind die kulturellen Prägungen unmittelbar an das Geschlecht ‚Frau’ gebunden. Obgleich man natürlich annehmen kann, dass Kinder eine vorgeprägte, traditionelle Frauenrolle verstärken (Beck 1986: 186), beeinflusst die jeweilige Geschlechterkultur direkt das individuelle Handeln aller Frauen innerhalb der Gesellschaft; d.h., zunächst unabhängig von der Tatsache, ob man aktuell Mutter ist oder nicht. Das liegt vor allem daran, dass die kulturellen Geschlechterrollen bereits in der primären Sozialisation verinnerlicht werden und zu einem stabilen Bestandteil der Person geworden sind (vgl. Kapitel 2.2). Diese Überlegungen zur Wirkungsweise von Institutionen und Kultur auf eine mütterliche Erwerbsbeteiligung werden im Folgenden für die Messung der beiden Einflussgrößen noch von besonderer Relevanz sein.
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Abbildung 4:
Schematische Darstellung der Wirkung kultureller Geschlechterrollen auf eine weibliche Erwerbsbeteiligung
Öffentliche Kinderbetreuung (-)
-
schwächt Kindereffekt
Kinder
-
verstärkt Kindereffekt
GeschlechterKultur egalitär
+
-
arbeitsteilig
Weibliche Erwerbstätigkeit
--
Elternurlaub
Auch bei den Überlegungen zur Wirkung der Geschlechterkultur auf eine mütterliche Erwerbsbeteiligung darf die zeitliche Dimension nicht außer Acht gelassen werden. Wie im vorherigen Abschnitt beschrieben, sind die beiden familienpolitischen Institutionen in Belgien und Westdeutschland zeitlich derart aufeinander ausgerichtet, dass Mütter nicht zu jeder Zeit frei darüber entscheiden können, ob sie ihre Arbeit unterbrechen oder nicht. Nur dann, wenn Mütter in der Lage sind, über ihre Zeitressourcen zu verfügen, können kulturelle Werte und Vorstellungen im Erwerbsverhalten zum Tragen kommen. Aufgrund der Tatsache, dass das institutionelle Betreuungsarrangement in der Regel determiniert, ob überhaupt, zu welchem Zeitpunkt und wie lange eine Erwerbsunterbrechung zur Kinderbetreuung möglich ist, bleibt in vielen Fällen innerhalb der ersten Jahre nach der Geburt eines Kindes kaum Raum, um kulturelle Vorstellungen über das ‚richtige’ weibliche Erwerbsverhalten in die Praxis umzusetzen. Vielmehr muss sich an den institutionellen Möglichkeiten und Restriktionen ausgerichtet werden.29 Sind nicht genügend Krippenplätze vorhanden, bleibt nur 29 Natürlich beeinflussen sich – wie auch die Theorie des Geschlechterarrangements von PfauEffinger betont – die wohlfahrtsstaatlichen Institutionen eines Landes und die vorherrschende Geschlechterkultur auch gegenseitig, doch es sind auch oft Ungleichzeitigkeiten vorhanden, deren Analyse besonders interessant ist. In Bezug auf die beiden Untersuchungsländer könnte man argumentieren, dass das gut ausgebaute Kinderbetreuungssystem in Belgien nicht der dominanten Geschlechterkultur, die auf eine auf die Familie ausgerichtete Frau gerichtet ist, entspricht. Auch der in Ostdeutschland vorherrschenden Geschlechterkultur entspricht die auf den männlichen Alleinver-
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die Möglichkeit (lässt man private, individuelle Lösungen außen vor), die Kinderbetreuung selbst zu übernehmen und einen möglichen Elternurlaub in Anspruch zu nehmen, und zwar selbst dann, wenn die Frau ein egalitäres Geschlechterrollenverständnis aufweist und gerne weiterhin beruflich aktiv wäre. Umgekehrt kann man sich durchaus vorstellen, dass ein gut ausgebautes Kinderbetreuungssystem von Frauen genutzt werden muss, um den Verlust des Arbeitsplatzes zu verhindern, und zwar auch dann, wenn sie die Betreuung der eigenen Kinder gerne selbst übernehmen würden. Entscheidend ist also das familienpolitische Arrangement, welches letztlich zu einer Art Determination auf nationaler Ebene führt, indem institutionell festgeschrieben wird, ob und zu welchem Zeitpunkt eine Erwerbsbeteiligung von Müttern stattfinden kann (vgl. Abbildung 3): Dies trifft vor allem auf Westdeutschland zu. Hier müssen berufstätige Mütter aufgrund mangelnder Betreuungsmöglichkeiten fast schon zwangsweise zeitweilig aussteigen, selbst dann, wenn sie das nicht wünschen. Im Ländervergleich sollte dadurch die Situation entstehen, dass eine Erwerbsbeteiligung belgischer Mütter mit Kleinkindern wahrscheinlicher wird als eine Erwerbsbeteiligung westdeutscher Mütter mit Kleinkindern, obgleich die belgischen Frauen sogar kulturell traditioneller eingestellt sind als die westdeutschen. Man kann sogar mutmaßen, dass das spezifische Betreuungsarrangement in Belgien diesen Effekt noch dadurch verstärkt, dass die Kosten eines zeitweiligen Ausstiegs derart hoch sind, dass selbst Mütter, die ambivalent zur Berufstätigkeit eingestellt sind, im Beruf verortet bleiben (vgl. Hakim 1999). Dementsprechend können Frauen, falls die institutionellen Voraussetzungen den kulturellen Geschlechterrollenvorstellungen entgegenlaufen, letztere nur zu sehr hohen Kosten in die Praxis umsetzen. In Ostdeutschland dagegen besteht von familienpolitischer Seite dieser Effekt nicht, da im Grunde sowohl eine Erwerbsbeteiligung als auch ein zeitweiliger Ausstieg von Müttern mit Kleinkindern unterstützt wird. Mit zunehmendem Alter des Kindes schwindet jedoch diese familienpolitische Einflussnahme in den drei Untersuchungsgebieten: Einerseits weil die Betreuung von Kindern ab drei Jahren in allen drei Gebieten nahezu gleichermaßen durch Kindergärten und Schulen sichergestellt wird (vgl. Plätze in öffentlichen Kinderbetreuungseinrichtungen, Tabelle 2). Andererseits weil mit zunehmendem Alter des Kindes die notwendige Betreuungsintensität ohnehin abnimmt und die Mutter immer weniger Zeit in Kinderbetreuung investieren muss. Das bedeutet: mit zunehmendem Alter des Kindes steht der Mutter kontinuierlich mehr Zeit zur Verfügung, die sie potentiell auch für eine Erwerbsbeteidiener gerichtete Familien- und Sozialpolitik mit dem langen Elternurlaub nicht, während man für Westdeutschland die höchste Übereinstimmung zwischen Institutionen und Kultur vermuten kann.
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ligung aufbringen kann, jedoch nicht muss. Ob die Mutter, die freie Zeit zur Erwerbsarbeit verwendet – und darin besteht eine zentrale Annahme dieser Arbeit – hängt in erster Linie vom kulturellen Kontext eines Landes ab.
Hypothesen zur Wirkung der Geschlechterkultur In Bezug auf die Wirkung kultureller Geschlechterrollen auf eine weibliche Erwerbsbeteiligung ergibt sich folgende – mit den Erwartungen zur langfristigen Wirkung der Institutionen konkurrierende – Hypothese: Hypothese 3:
Der Einfluss der Geschlechterkultur auf das Erwerbsverhalten von Müttern Nachdem die beiden familienpolitischen Maßnahmen – Elternzeit und öffentliches Betreuungsangebot für Vorschulkinder – an unmittelbarer Wirkung verlieren (d.h. nach Ablauf ihrer möglichen Inanspruchnahme und mit zunehmendem Alter des Kindes), gewinnt die gesellschaftlich dominante Geschlechterkultur an Einfluss.
Langfristige nationale Unterschiede im Erwerbsniveau von Müttern sind daher in abnehmendem Maße von den familienpolitischen Institutionen determiniert und in zunehmendem Maße auf Unterschiede in den kulturellen Frauenleitbildern zurückzuführen. Dementsprechend sollte die geringste mütterliche Erwerbsbeteiligung in Belgien – dem Untersuchungsland mit dem traditionellsten Geschlechterrollenverständnis – zu verzeichnen sein, gefolgt von Westdeutschland und schließlich Ostdeutschland mit der höchsten mütterlichen Erwerbsbeteiligung aufgrund des im Vergleich egalitärsten Geschlechterrollenverständnisses. Diese Erwartungen laufen allerdings den Erwartungen aus Hypothese 2, die die langfristigen Folgen von Elternurlaub und öffentlichem Betreuungsangebot betreffen, entgegen (siehe Tabelle 10). Während Hypothese 2 postuliert, dass in Belgien auch langfristig, aufgrund einer nur vergleichsweise kurzen Erwerbsunterbrechung, eine hohe Erwerbsbeteiligung von Müttern zu erwarten ist, resultiert aus Hypothese 3, dass in diesem Land im Vergleich zu den beiden anderen Untersuchungsländern auf lange Sicht – ab dem dritten Lebensjahr des Kindes – die niedrigste mütterliche Erwerbsbeteiligung zu erwarten ist. Für Ostdeutschland ist infolge der starken weiblichen Erwerbsorientierung nach Hypothese 3 die höchste mütterliche Erwerbsbeteiligung ab dem dritten Lebensjahr des Kindes zu erwarten, während nach Hypothese 2 dort nur ein mittleres Erwerbsniveau zu erwarten wäre. Westdeutschland sollte gemäß Hypothese 3 ein im Ver101
gleich mit den beiden anderen Untersuchungsländern mittleres Erwerbsniveau von Frauen mit Kindern ab drei Jahren aufweisen, während Hypothese 2 für Westdeutschland das niedrigste Erwerbsniveau vorhersagt. Tabelle 10: Zusammenfassung der aus den Hypothesen resultierenden Erwartungen zur mütterlichen Erwerbsbeteiligung in den drei Untersuchungsgebieten Hypothese 1a + 1b Unmittelbare Wirkung von Elternfreistellung und öffentlicher Kinderbetreuung Erwartungen für die…
Hypothese 2 Langfristige Wirkung von Elternfreistellung und öffentlicher Kinderbetreuung
Hypothese 3 Wirkung der gesellschaftlich dominanten Geschlechterkultur
Erwerbsbeteiligung von Erwerbsbeteiligung von Müttern mit Kindern ab drei Jahren Müttern mit Kindern unter drei Jahren
Belgien
Hoch
Hoch
Niedrig
Ostdeutschland
Mittel
Mittel
Hoch
Niedrig
Niedrig
Mittel
Westdeutschland
5.3 Weitere Einflüsse Neben den für diese Untersuchung zentralen politisch-institutionellen und kulturellen Einflüssen existiert eine Reihe weiterer Faktoren, die das Erwerbsverhalten von Frauen beeinflussen können (vgl. Abschnitt 2.4). Dazu zählen zum einen individuelle Merkmale der Frau wie die Humankapitalausstattung und das Alter, zum anderen weitere haushaltskontextuelle Merkmale, wie die Gesamtzahl der im Haushalt lebenden Kinder und der Bestand einer Partnerschaft. Darüber hinaus wirken weitere gesellschaftliche Faktoren wie beispielsweise die regionale Arbeitsmarktsituation auf die Erwerbsbeteiligung von Frauen. Auch wenn diese Einflüsse nicht im Zentrum der Analyse stehen und für sie keine expliziten Hypothesen formuliert werden, soll ihr möglicher Einfluss in diesem Abschnitt in Bezug auf eine Arbeitsmarktbeteiligung der Frau kurz skizziert werden.
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5.3.1.1 Individuelle Faktoren Aus verschiedenen Gründen ist anzunehmen, dass das Humankapital einer der wichtigsten Einflussgrößen für das Erwerbsverhalten von Frauen ist (vgl. Becker 1964). Einerseits kann der Umfang des Humankapitals, im Sinne von Schulbildung, beruflichen Qualifikationen und Fähigkeiten, Aufschluss über den potentiell erzielbaren Arbeitslohn der Frau geben, was entsprechend der ökonomischen Theorie relevant für die Erwerbsentscheidung und damit einhergehend für eine mögliche Nutzung kostenpflichtiger Kinderbetreuung ist. Für Mütter mit hoher Qualifikation und damit verbunden einem potentiell hohen Erwerbseinkommen würde sich eine Erwerbsarbeit – trotz evtl. anfallender Kinderbetreuungskosten – finanziell eher auszahlen als für Mütter mit niedriger Qualifikation und damit potentiell niedrigerem Lohn. Neben den ökonomischen Aspekten ist das Humankapital aber auch ein Indikator für das potentielle Berufsprestige, das mit einer der Qualifikation entsprechenden beruflichen Stellung einhergeht. Unter ‚Berufsprestige’ wird das Ansehen verstanden, das mit einer beruflichen Tätigkeit verbunden ist (Hoffmeyer-Zlotnik 1998: 54). Gerade in der modernen Industriegesellschaft, in der der Beruf von zentraler Bedeutung ist, stellt das Berufsprestige eine der wichtigsten Komponenten des allgemeinen Ansehens einer Person dar. Dies ist sicherlich ein Grund, weshalb Frauen mit höherer Humankapitalausstattung weniger persönliche Befriedigung durch reine Haushalts- und Kinderbetreuungstätigkeiten verspüren, die mit deutlich weniger Anerkennung als eine Berufstätigkeit verbunden sind (Hoffmeyer-Zlotnik 1998). Diesen Überlegungen zufolge ist anzunehmen, dass das Qualifikationsniveau einen positiven Effekt auf eine Erwerbsbeteiligung besitzt: Einerseits geht mit höherer Humankapitalausstattung ein potentiell höheres Erwerbseinkommen einher (über das wiederum auch evtl. anfallende Kinderbetreuungskosten abgefangen werden können), andererseits sind die beruflichen Tätigkeiten, die mit einem hohem Bildungsabschluss assoziiert sind, ebenfalls mit einem hohen Berufsprestige verbunden und daher persönlich befriedigender. Darüber hinaus ist eine Korrelation zwischen Bildung und Frauenleitbild zu erwarten. Frauen mit hohem Bildungsabschluss sind in der Regel in stärkerem Maße mit emanzipatorischen Ideen vertraut, die die Notwendigkeit einer eigenen Erwerbsarbeit für ein selbstbestimmtes Leben betonen und Berufsarbeit als ‚Wert an sich’ erscheinen lässt (Beck-Gernsheim 1983; Beck 1986). Gleichzeitig jedoch – und etwas im Widerstreit zum Leitbild der berufstätigen Mutter – wird in Familien der höheren Bildungsschichten überdurchschnittlich Wert auf die Förderung des eigenen Kindes gelegt (Kurz 1998a). Wie Becker (1981) zeigt, haben höher gebildete Eltern ein besonders starkes Interesse an der ‚Qua103
lität’ der Kinder. Dieses Erziehungsziel erfordert allerdings das Engagement der Eltern. Daher kann man erwarten, dass höher qualifizierte Frauen versuchen, eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf beispielsweise in Form von Teilzeitarbeit zu erreichen (Kurz 1998a). Aus den genannten Gründen lässt sich ableiten, dass das Bildungsniveau der Mutter Einfluss auf die Länge einer Erwerbsunterbrechung ausübt. Diverse empirische Studien aus den USA (z.B. Berger/Waldfogel 2004; Waldfogel 1999; Smith et al. 2001; Desai/Waite 1991; Wenk/Garrett 1992; Wenk 1992; Joesch 1994, 1997), aber auch für europäische Länder (z.B. Joshi/Hinde 1993; Ondrich et al. 1996, 1998; Weber 2004; Rønsen/Sundström 2002; SaurelCubizolles et al. 1999; Pronzato 2005; Uunk et al. 2003) weisen nach, dass Frauen mit höherer Humankapitalausstattung (gemessen in Form von Bildung, Berufsstatus, beruflicher Stellung oder Einkommen) tendenziell kürzere Erwerbsunterbrechungen aufweisen als Frauen mit niedrigerem Humankapital. Dies ist vermutlich nicht nur den finanziellen und persönlichen Anreizen, die von einer hohen Humankapitalausstattung ausgehen, zu verdanken, sondern auch der Gefahr, die mit zunehmender Länge einer Erwerbsunterbrechung verbunden ist, Humankapital wieder zu verlieren. Das Alter der Frau könnte ebenfalls für die Erwerbsentscheidung von Belang sein. Zum einen weil sich möglicherweise die Präferenzen älterer Mütter bezüglich der Zeit, die sie mit ihren Kindern verbringen, von denen jüngerer Mütter unterscheiden. So kann man etwa vermuten, dass inhaltliche Interessen und damit verbunden die Berufs- und Familienorientierung zum einen mit der jeweiligen Stellung im Lebenszyklus, d.h. innerhalb einer Generation zwischen den unterschiedlichen biographischen Lebensphasen, und zum anderen zwischen den Generationen, bedingt durch gesellschaftlichen Wandel, variieren. Ursache für den biographischen Effekt sind unter anderem auch die im Gesellschaftsbild verankerten Altersrollen, die mehr oder weniger verbindlich verschiedenen Altersstufen Möglichkeiten und Grenzen sowie orientierende Erwartungen zuschreiben. Empirische Belege für eine Beziehung zwischen dem Alter der Mutter und der mit den Kindern verbrachten Zeit fallen sehr unterschiedlich aus. Nur eine einzige Studie stellt eine negative Beziehung fest (Gustafsson/Kjulin 1994). Andere finden keinerlei Zusammenhang (Sousa-Poza et al. 2001). Beide genannten Studien berücksichtigten das Alter der Kinder, die im Haushalt leben. Daher ist es unwahrscheinlich, dass die unterschiedlichen Befunde auf Lebenslaufeffekte zurückgehen.
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5.3.1.2 Haushalts- und einkommensbezogene Faktoren Die Fortsetzung der Erwerbsarbeit im Anschluss an die Geburt eines Kindes ist immer mit organisatorischen Problemen verbunden. Wie gravierend diese sind, hängt unter anderem auch mit der spezifischen Haushaltskonstellation und familiären Besonderheiten zusammen. Erstens kann die Gesamtzahl der zu betreuenden Kinder relevant für eine mütterliche Erwerbsentscheidung sein. Während das Alter des jüngsten Kindes über die notwendige (mütterliche) Betreuungsintensität Aufschluss verschafft (siehe Abschnitt 5.1), verweist die Gesamtzahl der im Haushalt lebenden Kinder zum einen auf den Gesamtumfang des Betreuungsbedarfs im Haushalt, zum anderen auf den Bedarf an finanziellen Ressourcen. Mit jedem zusätzlichen Kind im Haushalt steigt nicht nur der Betreuungsbedarf und damit der Wert der zuhause verbrachten mütterlichen Zeit (bzw. die Höhe des Reservationslohns30 der Mutter), sondern gleichzeitig auch der Bedarf an Einkommen (vgl. Bryant 1990). Somit müsste man einerseits annehmen, dass mit zunehmender Kinderzahl die Wahrscheinlichkeit einer Erwerbsbeteiligung der Mutter abnimmt, da sich der Betreuungsbedarf erhöht. Andererseits könnte von der Kinderzahl, aufgrund eines mit der Kinderzahl ansteigenden finanziellen Bedarfs, ein positiver Anreiz ausgehen. Zweitens ist für die Erwerbsentscheidung bedeutend, ob die Frau mit weiteren erwachsenen Personen im Haushalt zusammenlebt, und wenn ja, in welchem Ausmaß sich diese bei der Organisation des familiären Alltags beteiligen. Da Frauen mit kleinen Kindern im Zentrum der Analyse stehen, liegt nahe, dass insbesondere das Zusammenleben mit einem Partner und die Ausgestaltung der Lebensgemeinschaft entscheidend sein könnten. Vor dem Hintergrund der steuerrechtlichen und sozialversicherungstechnischen Regelungen (vgl. Kapitel 3.1.3), die sowohl in Belgien als auch in West- und Ostdeutschland insbesondere verheirateten Frauen (mit und ohne Kindern) zu Gute kommen, würde man vermuten, dass diese seltener erwerbstätig sind als unverheiratete Frauen. Letztere haben nämlich nicht die Option, von den Vorteilen der am ‚male breadwinner’ Modell orientierten Steuerpolitik zu profitieren. Unabhängig von den steuerlichen Aspekten, die explizit an eine Ehe gekoppelt sind, kann ein im Haushalt lebender Partner (unabhängig, ob dieser mit der Frau verheiratet ist oder nicht) aus verschiedenen Gründen Einfluss auf die 30 Der Reservationslohn bezeichnet den Lohnsatz, bei dem das Individuum indifferent ist zwischen den Alternativen Beschäftigung oder Arbeitslosigkeit (vgl. Varian 2007). Der Gedanke hinter dem Reservationslohn ist, dass Freizeit für den Arbeitnehmer ein ökonomisches Gut darstellt und der Arbeitnehmer eine Abwägung zwischen denjenigen Gütern, die er für den Lohn erwerben könnte, und der Freizeit, die er für die Lohnarbeit opfern muss, abwägt.
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weibliche Berufstätigkeit besitzen. Zunächst stellt der erwerbstätige Partner im Haushalt eine mögliche weitere Einkommensquelle dar, die wiederum einen negativen Anreiz auf eine weibliche Erwerbsarbeit besitzen kann. Zum anderen kann der Partner – insbesondere der nicht-erwerbstätige – für Frauen mit Kindern eine potentielle, alternative Betreuungsperson darstellen und somit eine positive Wirkung auf die mütterliche Erwerbsentscheidung ausüben. Neben der Höhe des Erwerbseinkommens der Frau sollten vor allem auch alternative Einkommensquellen einen Einfluss auf die Erwerbsentscheidung besitzen. Der Zugang zu anderen Einkommensquellen als dem individuellen Erwerbseinkommen sollte die finanzielle Notwendigkeit und damit auch den Anreiz, ein eigenes Erwerbseinkommen zu erzielen, absenken (Joesch 1994). Es wurde bereits das Partnereinkommen angesprochen, welches sicherlich als wichtigste alternative Einkommensquelle zum eigenen Erwerbseinkommen anzusehen ist. Daneben können aber auch staatliche (wie Kindergeld, Erziehungsgeld, Arbeitslosengeld, Sozialhilfe, etc.) und andere private Transferzahlungen (z.B. Unterhaltsansprüche, aber auch Zahlungen von Verwandten) sowie Einkommen aus Kapitalerträgen (z.B. Vermietungen) etc. eine Rolle spielen. Ein letzter Faktor, den es zu berücksichtigen gilt, stellt die informelle Hilfestellung bei der Alltagsorganisation und Kinderbetreuung z.B. durch Großeltern, andere Verwandte, Freunde, Babysitter oder Nachbarn dar. So können etwa Freunde und Verwandte zeitweise die Kinderbetreuung übernehmen und möglicherweise sogar schlechte öffentliche Betreuungsmöglichkeiten kompensieren (vgl. Whittaker/Garbarino 1983).
5.3.1.3 Arbeitsmarkt Die Erwerbschancen für Frauen sind auch von der Arbeitsmarktlage abhängig. Im Vergleich westeuropäischer Länder zeigt sich, dass Länder mit höheren Arbeitslosenraten meist niedrigere Frauenerwerbsquoten aufweisen (Haller 1994). Von einer geringen Arbeitsnachfrage kann in erster Linie ein negativer Effekt auf eine weibliche Erwerbsbeteiligung erwartet werden, da die Chancen, eine Erwerbsarbeit zu finden, grundsätzlich abgesenkt sind. Darüber hinaus kann eine hohe Arbeitslosigkeit auch bereits die Bereitschaft, nach einer Arbeit zu suchen, senken, weil man sich bereits im Vorfeld schlechte Chancen ausrechnet, dass die Suche erfolgreich ausfallen wird, oder aber, weil man Enttäuschungen durch Ablehnungen vermeiden möchte. Im Hinblick auf die Länge einer Erwerbsunterbrechung nach der Geburt eines Kindes sind von der aktuellen Arbeitsmarktsituation unterschiedliche 106
Effekte einerseits auf Frauen, die bereits vor der Geburt erwerbstätig waren und eine Elternzeit in Anspruch nehmen, und andererseits auf Frauen, die kein Anrecht auf eine Elternzeit besitzen, zu erwarten. Bei schlechter Arbeitsmarktlage ist anzunehmen, dass Frauen, die eine Elternzeit nutzen, nach Ablauf der zur Verfügung stehenden Freistellungsfrist und somit innerhalb des Kündigungsschutzes, ihre Berufstätigkeit wieder aufnehmen, um sicherzustellen, dass sie ihre ‚wertvolle’ Arbeitsstelle nicht verlieren. Ein Verlust wäre bei hoher Arbeitslosigkeit vermutlich nicht leicht zu kompensieren. Bei erwerbslosen Müttern ohne Anspruch auf Elternzeit ist dagegen eher zu erwarten, dass sich bei schlechten Aussichten auf dem Arbeitsmarkt die Phase der Erwerbslosigkeit verlängert. Zum einen, weil es einfach dauert, eine Arbeit zu finden, zum anderen, weil möglicherweise gar keine Arbeitssuche stattfindet, da – wie bereits oben beschrieben – davon ausgegangen werden muss, dass die Suche ergebnislos bleiben wird.
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6 Analysedesign, Operationalisierung und Methoden
Ausgehend von den theoretischen Grundlagen und den daraus abgeleiteten Hypothesen in den vorhergehenden Kapiteln, werden in diesem Kapitel die Vorgehensweise bei der empirischen Untersuchung (Abschnitt 6.1), die Datengrundlage und Untersuchungsgruppe (Abschnitt 6.2 und 6.3), die Konstruktion der abhängigen und unabhängigen Variablen (Abschnitt 6.5.2) und die statistischen Methoden (Abschnitt 6.6) näher erläutert.
6.1 Analysedesign 6.1.1 Die Messung von institutionellen Effekten Nachdem in Abschnitt 5 die hypothetische Wirkung der beiden familienpolitischen Institutionen – Elternurlaub und öffentliches Kinderbetreuungsangebot – diskutiert wurde, stellt sich nun die Frage, wie die Wirkung dieser beiden Institutionen auf eine weibliche Erwerbsbeteiligung empirisch überprüft werden kann. Den Hypothesen zufolge beeinflussen die beiden familienpolitischen Institutionen das Erwerbsverhalten von Frauen vermittelt über die Modifizierung des Kindereffektes. Das bedeutet, lediglich Frauen mit Kindern sind unmittelbar von der Wirkung der jeweiligen länderspezifischen Ausgestaltung von Elternfreistellung und öffentlichem Kinderbetreuungsangebot betroffen, während das Erwerbsverhalten kinderloser Frauen vom vorhandenen familienpolitischen Rahmen unbeeinträchtigt bleibt. Diesen Überlegungen zufolge wird der Effekt des jeweiligen familienpolitischen Betreuungsarrangements in der Stärke und Nachhaltigkeit des Einflusses von Kindern auf eine weibliche Erwerbsbeteiligung offenkundig. Der nationale Kindereffekt kann demnach als Resultat der jeweils länderspezifischen Ausgestaltung von Elternfreistellungen und öffentlichem Kinderbetreuungsangebot betrachtet werden. Darüber hinaus sollte dieser gemäß den Vorüberlegungen mit dem Alter des zu betreuenden Kindes, d.h. im Zeitverlauf nach der Geburt, variieren (vgl. Abschnitt 5.1).
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Demzufolge müssen die empirischen Analysen Aufschluss über den jeweils nationalspezifischen Kindereffekt und dessen Veränderung im Zeitverlauf nach der Geburt eines Kindes auf eine weibliche Erwerbsbeteiligung verschaffen. Per Definition können Kinder lediglich einen Effekt auf die Erwerbsbeteiligung von Müttern besitzen, so dass der nationale Kindereffekt als Diskrepanz zwischen den Erwerbsbeteiligungen von Müttern und kinderlosen Frauen innerhalb eines Landes definiert werden kann. Die Größe der Unterschiede in den Erwerbsbeteiligungen von Müttern und kinderlosen Frauen drückt demgemäß die Stärke des Kindereffektes eines Landes aus. Da entsprechend den Hypothesen dieser länderspezifische Kindereffekt naturgemäß mit dem Alter des Kindes variieren sollte, muss die empirische Untersuchung Aufschluss über die Veränderungen dieser Erwerbsdifferenzen im Zeitverlauf nach der Geburt eines Kindes liefern, d.h. für verschiedene Altersstufen des Kindes ausgewiesen werden.
6.1.2 Die Messung von kulturellen Effekten Neben der Überprüfung des Einflusses der familienpolitischen Institutionen ist Ziel der Untersuchung, die Wirkung der Geschlechterkultur auf eine mütterliche Erwerbsbeteiligung zu identifizieren. Im Unterschied zu den familienpolitischen Institutionen, die nur einen Effekt auf das Erwerbsverhalten von Müttern besitzen sollten, beeinflusst die Geschlechterkultur die Erwerbsorientierung aller Frauen innerhalb eines Landes, ungeachtet dessen, ob sie Kinder haben oder nicht (vgl. Abschnitt 5.2). Demzufolge kann der Vergleich der Erwerbsbeteiligungen von Frauen und Müttern innerhalb eines Landes lediglich Aufschluss über den durch die Familienpolitik modifizierten Kindereffekt liefern. Der Kindereffekt ist in dieser Betrachtungsweise sozusagen bereinigt um kulturelle Einflüsse. Inwiefern kulturelle Orientierungen Einfluss auf das mütterliche Erwerbsverhalten besitzen, kann nur in einem direkten Vergleich des mütterlichen Erwerbsverhaltens zwischen den Ländern identifiziert werden, d.h. nur dann, wenn unterschiedliche kulturelle Prägungen zum Tragen kommen können. Daher muss ein weiterer Analyseschritt darin bestehen, die Müttererwerbsbeteiligungen der drei Untersuchungsländer einander unmittelbar gegenüber zu stellen. Allerdings ist dieser unmittelbare Vergleich der Müttererwerbsbeteiligungen nicht ausreichend, um sichere Rückschlüsse über die Wirkung kultureller Prägungen ziehen zu können. Wie in Abschnitt 5.2 detailliert erläutert wurde, beeinflusst die Geschlechterkultur das Ausmaß der Familien- und Erwerbsorientierung von Frauen und formt somit letzten Endes den Erwerbswunsch. Ob sich
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dieser sich jedoch praktisch umsetzen lässt, d.h. zu einer realen Erwerbsbeteiligung führt, ist von unterschiedlichen Faktoren abhängig. Eine zentrale Annahme dieser Arbeit besteht darin, dass die familienpolitischen Institutionen in den ersten drei Jahren nach der Geburt eines Kindes in hohem Maße beeinflussen, ob eine Umsetzung des Erwerbswunsches überhaupt wahrscheinlich ist (vgl. Hypothese 3). Je nach Untersuchungsland stimmen die institutionellen Möglichkeiten mal mehr, mal weniger mit den kulturellen Orientierungen überein. Dementsprechend lässt sich der Erwerbswunsch bzw. der Wunsch, die Rolle der Vollzeitmutter zu übernehmen, mal mehr, mal weniger gut realisieren. Ein noch so starker Erwerbswunsch der Frau kann nur dann umgesetzt werden, wenn Alternativen zur mütterlichen Betreuung gewährleistet sind. Auf gesellschaftlicher Ebene stellt institutionelle Kinderbetreuung die wichtigste Alternative dar. Aus diesem Grund sollte der Einfluss der Kultur vor allem dann zum Tragen kommen, wenn sich die familienpolitischinstitutionellen Strukturen der Untersuchungsländer aneinander angleichen. Wie bereits erläutert, ist dies ab dem dritten Lebensjahr des Kindes und zunehmend mit steigendem Alter des Kindes der Fall, da zu diesem Zeitpunkt die maximal mögliche Freistellungsdauer ausläuft und in allen drei Untersuchungsregionen prinzipiell öffentliche Betreuungsmöglichkeiten für die Mehrheit der Kinder diesen Alters zur Verfügung stehen (vgl. Hypothese 3).
6.1.3 Die Messung von Restriktionen seitens des Arbeitsmarktes Neben den familienpolitischen Institutionen und kulturellen Einflüssen, die im Zentrum der Analyse stehen, können jedoch auch Restriktionen des Arbeitsmarktes einer möglichen Realisierung des Erwerbswunsches im Wege stehen. Ist es für Frauen nur schwer möglich (geeignete) Arbeitsplätze zu finden, ist die Wahrscheinlichkeit einer Erwerbsbeteiligung gering, und zwar trotz bestehendem Erwerbswunsch und guter Kinderbetreuungsinfrastruktur. Die Unterscheidung zwischen erwünschter und realisierter Erwerbsbeteiligung ist deshalb äußerst bedeutsam, um Restriktionen seitens des Arbeitsmarktes, die der Verwirklichung einer erwünschten Erwerbsbeteiligung im Wege stehen, identifizieren zu können. Wie bereits erläutert, sollte ein Vergleich der faktischen Erwerbsbeteiligung mit der erwünschten Erwerbsbeteiligung Aufschluss über Restriktionen seitens des Arbeitsmarktes (=unrealisierte Erwerbswünsche) liefern. Die Abweichung verdeutlicht nämlich, wie groß der Anteil derjenigen ist, die durchaus gerne erwerbstätig sein würden, dies aber nicht in die Tat umsetzen können.
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6.2 Daten Zur Durchführung der empirischen Analysen werden zwei verschiedene Datenquellen herangezogen: für West- und Ostdeutschland das Sozio-ökonomische Panel (SOEP) und für Belgien die Panelstudie belgischer Haushalte (PSBH), die im Folgenden kurz vorgestellt werden.
West- und Ostdeutschland: Das Sozio-ökonomische Panel Das Sozio-ökonomische Panel (SOEP) ist eine repräsentative Wiederholungsbefragung privater Haushalte in Deutschland. Die Befragung wird von Infratest im Auftrag des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) durchgeführt. Bei der ersten Erhebung 1984 wurden 5.921 Haushalte und 12.290 Personen befragt. Seitdem findet jährlich eine Wiederholungsbefragung derselben Haushalte und Personen statt, so dass inzwischen insgesamt 22 Wellen realisiert sind. 1990 wurde die Befragung auf das Gebiet der ehemaligen DDR ausgeweitet, bei der 2.179 Haushalte und 4.453 Personen befragt wurden. Weitere zusätzliche Stichproben wurden in den Jahren 1998, 2000 und 2002 in die laufende Erhebung integriert. Im Jahr 2003 belief sich die Zahl befragter Haushalte in Westdeutschland auf 3.123 mit 5.228 Personen, in Ostdeutschland auf 3.252 mit 1818 Personen. Das SOEP bietet eine Vielzahl an Informationen zu Ausbildung, Beruf, Partnerschaften sowie zum Haushaltskontext der Befragungspersonen. Die individuellen Personendaten sind für alle Haushaltsmitglieder über 16 Jahren erhoben worden (vgl. SOEP 2007).
Belgien: Die Panelstudie belgischer Haushalte Die Panelstudie belgischer Haushalte (Panelstudie van Belgische Huishoudens, PSBH) startete 1990 als ein Projekt des Föderalen Ministeriums für Wissenschaftspolitik (Federaal Wetenschapsbeleid). Der Auftrag zur Durchführung wurde an die Universitäten Antwerpen und Lüttich vergeben. Ziel war es, einen längsschnittlichen Datenbestand aufzubauen, der sowohl für die Haushalts- als auch für die Personenebene repräsentativ für die belgische Bevölkerung ist und es ermöglicht, ein breites Spektrum von sozio-ökonomischen und familiensoziologischen Themen wissenschaftlich zu bearbeiten. Bei der ersten Erhebung 1992 wurden 4.439 Haushalte mit 8.741 Personen über 16 Jahren befragt (3871 aus Flandern, 1242 aus Brüssel, 3628 aus Wallonien). 1998 wurden mit einer Zusatzstichprobe 860 flämische Haushalte ergänzt. In der letzten Erhebung 2002 – 111
also nach insgesamt 11 Wellen – waren noch 2.959 Haushalts- und 5.362 Personenbefragungen möglich (wovon 2.840 Personen in allen 11 Wellen befragt werden konnten) (vgl. PSBH 2008; Mortelmans et al. 2004).
Vergleichbarkeit der Daten Die Gegenüberstellung der deutschen und belgischen Panelstudie zeigt, dass beide Datenquellen vergleichbare Informationen liefern. Bei beiden Datensätzen handelt es sich um groß angelegte, repräsentative Bevölkerungsumfragen. Dies stellt sicher, dass zum einen eine ausreichende Anzahl an Analyseeinheiten (Individuen) für jedes Untersuchungsgebiet zur Verfügung steht und zum anderen ein wirklichkeitsgetreues Bild des Erwerbsverhaltens von Frauen und Müttern der drei Gebiete zu erwarten ist. Sowohl das Erhebungsdesign (jährliche Wiederbefragung derselben Personen und Haushalte) als auch die Auswahl der Befragungspersonen erfolgte in gleicher Art und Weise: jedes Haushaltsmitglied ab 16 Jahren wurde zu verschiedenen Bereichen jährlich befragt. Darüber hinaus wurden mit einem Haushaltsfragebogen, der nur von einer Person im Haushalt beantwortet wurde, Basisinformationen zu Kindern im Haushalt, Einkommen usw. erhoben. Demnach handelt es sich bei beiden vorgestellten Datensätzen um repräsentativ angelegte Panelstudien mit vergleichbarer Erhebungsmethode und Datenstruktur, die eine Untersuchung des familiären und beruflichen Werdegangs von Frauen und Müttern ermöglichen (vgl. Tabelle 11). Als Beobachtungszeitraum wurden für die Analyse die Wellen von 1992 bis 2003 ausgewählt. Damit ist das belgische Panel, das lediglich Daten von 1992 bis 2002 liefern kann, mit einer Welle weniger vertreten. Für das SOEP wurden, zum einen aus Gründen der Vergleichbarkeit der Zeitspanne mit den belgischen Daten, zum anderen um die zuverlässige Analyse beider deutschen Regionen (West und Ost) nach der Wiedervereinigung zu gewährleisten, die ersten Wellen bis einschließlich 1991 ausgeschlossen. Zum Auswertungszeitpunkt war die letzte verfügbare Welle aus dem Jahr 2003. Für die folgenden Auswertungen wurden die belgischen und deutschen Daten zu einem Datensatz zusammengefasst.
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Tabelle 11: Hauptmerkmale der belgischen und deutschen Panelstudie Belgien
Deutschland (West/Ost)
Name
Panelstudie van belgische Huishoudens (PSBH)
Das Sozio-ökonomische Panel (SOEP)
Institution
Universitäten Antwerpen und Lüttich
Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)
Erhebungszeitraum
1992-2002
1984-laufend
Untersuchungszeitraum
1992-2002
1992-2003
Erhebungsart
Jährlich
Jährlich
Anzahl analysierter Wellen
11
12
Zielgruppe
Alle Haushaltsmitglieder zum Zeitpunkt des Interviews
Alle Haushaltsmitglieder zum Zeitpunkt des Interviews
6.3 Untersuchungsgruppe Um dem Untersuchungsgegenstand dieser Analyse gerecht zu werden, sind einige Selektionskriterien in Bezug auf die zu untersuchenden Personen erforderlich. In die Analysen werden alle Frauen (mit und ohne Kinder) im Alter zwischen 20 und 45 Jahren einbezogen. Diese Altersbeschränkung stellt sicher, dass es sich um erwachsene Frauen handelt, die sich sowohl in der Haupterwerbs- als auch in der Hauptfamiliengründungsphase befinden. Personen, die sich in einer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung befinden sowie Studierende werden aus den Analysen ausgeschlossen, da sie de facto nicht erwerbstätig sein können. Die obere Altersgrenze von 45 Jahren erhöht zudem die Wahrscheinlichkeit, dass, sofern Kinder im Haushalt leben, diese noch minderjährig sind. Bei älteren Müttern kann man vermuten, dass bereits ein höherer Anteil der Kinder den Haushalt verlassen hat und die Mütter dementsprechend ein anderes Erwerbsverhalten aufweisen (so genannte ‚empty nesters’) (vgl. Uunk et al. 2003; Geisler/Kreyenfeld 2005). Vor dem Hintergrund dieser Altersspanne und den einbezogenen Untersuchungswellen (1992-2003) ist im Prinzip auch eine Beschränkung auf bestimmte Geburtsjahrgänge der Frauen – nämlich von 1947 bis 1983 – vorgenommen worden.
113
Um zu vermeiden, dass andere als die in den Untersuchungsgebieten vorherrschenden kulturellen Einflüsse wirksam sein können, werden zudem Frauen, die zum Zeitpunkt der Befragung keine deutsche bzw. belgische Nationalität besitzen, aus den Analysen ausgeschlossen. Von besonderer Relevanz ist, dass die gewählte Untersuchungsgruppe sowohl kinderlose Frauen als auch Mütter mit einschließt, denn nur durch den Vergleich des Erwerbsverhaltens von Müttern mit dem kinderloser Frauen ist der Effekt von Kindern auf eine weibliche Erwerbsbeteiligung zuverlässig messbar (siehe Abschnitt 6.1.1). Da es um den Einfluss von betreuungsbedürftigen Kindern geht, d.h. von Kindern, die im mütterlichen Haushalt leben und in gewissem Umfang Betreuungszeit beanspruchen, wird eine obere Altersgrenze der Kinder von 16 Jahren festgelegt. Diese Altersgrenze geht mit dem Ende der Schulpflicht in den Untersuchungsländern einher und ist eine gängige Obergrenze bei der Untersuchung mütterlichen Erwerbsverhaltens (vgl. Geisler/Kreyenfeld 2005). Mit diesen Vorgaben beläuft sich die Anzahl der in die empirischen Analysen einbezogenen Frauen für den Untersuchungszeitraum von 1992 bis 2003 über alle Untersuchungsländer auf insgesamt 10.284 Frauen. Davon sind gut die Hälfte (57,2%; N=5.884) Frauen mit Kindern. Von dieser Stichprobe rekrutieren sich 5.605 Frauen (davon 2.982 Mütter (53,2%)) aus Westdeutschland, 1.897 Frauen (davon 1.200 Mütter (63.3%)) aus Ostdeutschland und 2.782 Frauen (davon 1.702 Mütter (61,2%)) aus Belgien. Alle für die Hypothesen relevanten Gruppen sind damit ausreichend hoch besetzt.
6.4 Zur Frage der Gewichtung Bei der vorliegenden Untersuchung wird sowohl für die Daten des Sozioökonomischen Panels als auch für die Daten der Panelstudie belgischer Haushalte auf die Verwendung von Quer- und Längsschnittgewichten verzichtet. Die bivariaten Analysen werden jeweils für die drei Untersuchungsregionen getrennt durchgeführt, so dass eine mögliche Über- oder Unterrepräsentierung der belgischen, west- oder ostdeutschen Befragten nicht problematisch ist. Nichtsdestotrotz muss festgehalten werden, dass insbesondere bei den bivariaten Analysen aufgrund der ungewichteten Daten keine deskriptiven Aussagen über die Grundgesamtheit möglich sind. Bei den multivariaten Analysen ist es allerdings äußerst unwahrscheinlich, dass die Analyseergebnisse aufgrund der fehlenden Gewichtung verzerrt sind. Denn die zentralen soziodemographischen Faktoren (wie Bildung, Alter, Haushalts- und Familienkonstellation), die die Wahrscheinlichkeit beeinflussen, in der Stichprobe enthalten zu sein bzw. darin zu verblei114
ben (Panelmortalität), werden in den Analysen kontrolliert (Johnson/Elliott 1998).
6.5 Operationalisierung Dieser Abschnitt widmet sich der Konstruktion der abhängigen und unabhängigen Variablen. Abschnitt 6.5.1 behandelt die Definition und Messung der zu erklärenden Variable: der weiblichen Erwerbsbeteiligung. Abschnitt 6.5.2 erläutert die Bildung der zentralen unabhängigen Variablen, mit deren Hilfe der Einfluss von Kindern in den drei Untersuchungsländern gemessen werden soll. In Abschnitt 6.5.3 werden die Kontrollvariablen vorgestellt, die weitere zu berücksichtigende Einflüsse auf eine weibliche Erwerbsbeteiligung abbilden sollen.
6.5.1 Die abhängige Variable: Theoretische Überlegungen und Messung der Erwerbsbeteiligung Da davon ausgegangen werden muss, dass die Entscheidung für oder gegen eine Erwerbsbeteiligung grundlegender und von deutlich größerem Gewicht für die langfristige Erwerbskarriere ist als eine evtl. daran anschließende Entscheidung über den Umfang einer Erwerbsbeteiligung, soll das Augenmerk auf der Tatsache liegen, ob Frauen ihre Arbeitskraft überhaupt dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stellen. Dementsprechend handelt es sich bei der Zielvariable um eine dichotome Variable, die erwerbstätige (1) von nicht erwerbstätigen (0) Frauen unterscheidet. Doch wann kann von einer Erwerbsbeteiligung gesprochen werden und wann nicht? Wie wird mit Erwerbsfreistellungen (Mutterschutz, Elternurlaub) und Arbeitslosigkeit umgegangen? Die Definition der Erwerbsbeteiligung, die bei der Konstruktion der abhängigen Variable zugrunde gelegt wird, ist äußerst bedeutsam für die spätere Interpretation der Analyseergebnisse. Aus der Perspektive des Individuums betrachtet, spielen zwei Aspekte für eine Erwerbsbeteiligung eine Rolle: 1. 2.
Ob ein positives Arbeitsangebot besteht, d.h. ob eine Person arbeiten möchte und ihre Arbeitskraft überhaupt auf dem Arbeitsmarkt anbietet. Ob dieses Arbeitsangebot der Person auf dem Arbeitsmarkt eine Nachfrage findet, d.h., ob die Person einen Arbeitsplatz antreten und somit ihren Arbeitswunsch realisieren kann.
115
Dementsprechend sind sowohl Aspekte der Mikroebene (Arbeitsentscheidung der Person) als auch Aspekte der Makroebene (Arbeitsmarkt, Familienpolitik, etc.) entscheidend daran beteiligt, ob es zu einer realisierten aktiven Erwerbsbeteiligung der Person kommen kann (Andreß 1999: 235). In der deutschen und europäischen Erwerbstätigenstatistik (siehe z.B. Statistisches Bundesamt, OECD, ILO) wird jede Person zu den Erwerbstätigen gezählt, die in einem Beschäftigungsverhältnis steht; und zwar selbst dann, wenn diese Erwerbstätigkeit z.B. wegen Elternurlaub nicht aktiv ausgeübt wird. Werden dagegen die zeitweise beurlaubten Personen aus den Erwerbstätigen herausgerechnet, erhält man per Definition die so genannten ‚aktiv Erwerbstätigen’ (Cornelißen et al. 2005). Da sich ein relativ großer Anteil von Frauen im Alter zwischen 20 und 45 Jahren in der ‚Familiengründungsphase’ befindet, ist anzunehmen, dass viele zeitweise aufgrund von Elternschaft beurlaubt sind. Um dem Ziel der Untersuchung näher zu kommen und den Einfluss von Elternurlaub und öffentlicher Kinderbetreuung auf eine Erwerbsbeteiligung zu analysieren, muss für die Konstruktion der abhängigen Variable letztere Definition der ‚aktiven Erwerbsbeteiligung’ zugrunde gelegt werden.31 Das bedeutet, dass Frauen, die sich zum Befragungszeitpunkt nicht aktiv im Erwerbsleben befinden, als nicht erwerbstätig betrachtet werden. Konkret heißt das, Frauen in Elternfreistellung (wie Mutterschutz, Elternurlaub, Laufbahnunterbrechung, etc.), aber auch arbeitslose Frauen, werden zu den nicht erwerbstätigen Personen gezählt.32
31
Zur genauen Konstruktion der abhängigen Variablen siehe Tabelle 12. Zwar könnte man an dieser Stelle argumentieren, dass die Inanspruchnahme einer Freistellungsregelung nicht als echter Erwerbsausstieg anzusehen ist, da die in Elternzeit bzw. Laufbahnunterbrechung befindlichen Frauen lediglich für eine gewisse Zeit von der Arbeit beurlaubt sind und das Arbeitsverhältnis im Grunde auch während der Freistellung weiterhin aufrechterhalten wird. Allerdings besteht das Ziel der Untersuchung gerade darin, die Erwerbsbeteiligung von Frauen nach der Geburt eines Kindes und die kurz- und langfristigen Folgen einer mütterlichen Erwerbsunterbrechung zu analysieren. Dazu ist es notwendig, beurlaubte Personen als ‚nicht-erwerbstätig’ (0) zu betrachten (Geisler/Kreyenfeld 2005; John/Stutzer 2002). Naturgemäß ist der Elternurlaub bzw. die Laufbahnunterbrechung als zeitlich begrenzte Erwerbsunterbrechung definiert. Zudem ist mit der festgelegten Dauer der Elternzeit bzw. Laufbahnunterbrechung nicht zwangsläufig verbunden, dass eine Mutter nach deren Ablauf auch tatsächlich zum Arbeitsplatz zurückkehrt. Die Hypothesen zielen vielmehr auf das Gegenteil ab: Eine lange Erwerbsunterbrechung durch die Inanspruchnahme einer Elternzeit hat zur Folge, dass Frauen über die gewährte Frist hinaus geringere Erwerbswahrscheinlichkeiten aufweisen als Frauen, die ihre Erwerbskarriere nicht unterbrechen. Umgekehrt bedeutet die Inanspruchnahme eines Elternurlaubs jedoch auch nicht zwingend, dass Frauen beruflich inaktiv sein müssen, denn sie können prinzipiell in allen Untersuchungsländern einen Elternurlaub bzw. eine Laufbahnunterbrechung nutzen, indem sie ihre Arbeitszeit reduzieren und kontinuierlich auf Teilzeitbasis weiterarbeiten. In diesem Fall müssen sie als erwerbstätig (1) betrachtet werden. 32
116
Nun ist diese Variable, die die aktive Erwerbsbeteiligung von Frauen misst, zwar gut geeignet, um Erwerbsunterbrechungen und damit den Einfluss der familienpolitischen Einrichtungen abzubilden, allerdings können Personen aus zweierlei Gründen nicht ‚aktiv erwerbstätig’ sein: zum einen weil sie (zeitweise) nicht erwerbstätig sein möchten, zum anderen weil sie keinen Arbeitsplatz finden, obwohl sie gerne arbeiten würden. Diese Unterscheidung ist durchaus bedeutsam, um Effekte der Kultur, die sich gemäß den theoretischen Überlegungen in Abschnitt 5.2 im Erwerbswunsch manifestieren, von Restriktionen des Arbeitsmarktes (wie z.B. eine geringe Arbeitsnachfrage) zu unterscheiden. Diese unterschiedlichen Ursachen einer Erwerbsunterbrechung, die man grob als familienbedingte versus arbeitsmarktbedingte Unterbrechungen klassifizieren könnte, müssen natürlich berücksichtigt werden, um die Wirkungszusammenhänge eindeutig identifizieren zu können. Tabelle 12: Übersicht über die Kodierung der beiden abhängigen Variablen Art der Arbeitsmarktbeteiligung
Abhängige Variable 1 aktive Erwerbsbeteiligung
Abhängige Variable 2 a
positives Arbeitsangebot
Erwerbstätig
1
1
Nicht erwerbstätig, aber arbeitssuchend
0
1
Weder erwerbstätig noch arbeitssuchend
0
0
b
Anmerkungen: a Zur Konstruktion der Variable der aktiven Erwerbsbeteiligung (AV1): Die genaue Fragestellung in der deutschen Panelstudie (SOEP) lautet: „Üben Sie derzeit eine Erwerbstätigkeit aus?“. Personen, die angeben, dass sie Vollzeit, Teilzeit oder geringfügig erwerbstätig sind, werden als aktiv erwerbstätig definiert. In der belgischen Panelstudie (PSBH) lautet die Fragestellung: „Hebt u betaald werk, of is dit betaald werk tijdelijk onderbroken of hebt u geen betaald werk?“ (dt. „Haben Sie eine bezahlte Arbeit, ist diese bezahlte Arbeit zeitlich unterbrochen oder haben Sie keine bezahlte Arbeit?“). Personen, die an dieser Stelle angeben, dass sie derzeit eine bezahlte Tätigkeit ausüben, werden als aktiv erwerbstätig definiert. b Zur Konstruktion der Variable des positiven Arbeitsangebotes (AV2): Im SOEP werden nicht erwerbstätige Personen gefragt: „Beabsichtigen Sie in der Zukunft (wieder) eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen?“. Personen, die dies bejahen, werden nach dem Zeitpunkt der gewünschten Arbeitsaufnahme gefragt: „Wann etwa wollen Sie Ihre Erwerbstätigkeit aufnehmen?“. Bei denjenigen, die hier angeben, dass sie „möglichst sofort“ arbeiten möchten, sowie bei den Personen, die bereits als aktiv erwerbstätig definiert sind (AV1), wird von einem positiven Arbeitsangebot ausgegangen. Im PSBH lautet die entsprechende Frage an alle (erwerbstätigen und nichterwerbstätigen) Befragten: „Zoekt u momenteel naar (ander) werk?“ (dt. „Suchen Sie derzeit nach einer (anderen) Arbeit?“). Bei denjenigen Personen, die diese Frage bejahen sowie bei denjenigen, die als aktiv erwerbstätig eingestuft werden (AV1), wird ein positives Arbeitsangebot zugrunde gelegt.
117
Die formale Arbeitslosigkeitsmeldung beim Arbeitsamt ist ein schlechter Indikator für arbeitsmarktbedingte Erwerbsunterbrechungen, denn es ist nicht zu erwarten, dass sich alle arbeitsuchenden Personen formal registrieren lassen. Vornehmlich werden es jene tun, die Arbeitslosengeld beanspruchen möchten bzw. können oder auf diesem Wege eine neue Arbeitstelle zu finden hoffen (Andreß 1999: 235). Aufgrund dieser Überlegungen wird nicht auf die Information des Befragten zur formellen Arbeitslosenmeldung, sondern zur aktuellen Arbeitssuche bzw. zum aktuellen Erwerbswunsch zurückgegriffen. Die zweite abhängige Variable – das positive Arbeitsangebot – weist entsprechend aus, ob eine Person aktuell erwerbstätig oder arbeitssuchend (1), bzw. weder erwerbstätig noch auf Arbeitssuche ist (0) (vgl. Tabelle 12).
6.5.2 Die unabhängigen Variablen Nationaler bzw. regionaler Kontext Sowohl relevant zur Untersuchung der nationalen Kultur- als auch der Institutioneneffekte sind Kontextvariablen, mit deren Hilfe sich die verschiedenen Individuen dem entsprechenden Untersuchungsgebiet zuordnen lassen. Dazu sind insgesamt zwei dummy-kodierte Ländervariablen notwendig, die für jede Person eine Zugehörigkeit zu einem bestimmten Gebiet (1) oder keine Zugehörigkeit (0) kodieren. Demgemäß werden zwei Länder-Dummy-Variablen ‚Belgien’ und ‚Ostdeutschland’ konstruiert; während die westdeutschen Personen die Referenzgruppe bilden.
Alter des jüngsten Kindes Um die alters- und länderspezifischen Effekte durch Kinder auf eine weibliche Erwerbsbeteiligung im statistischen Modell einzufangen, ist ein Set von Variablen notwendig, welches ermöglicht, den Kindereffekt für verschiedene Altersstufen der Kinder auszuweisen. Der Kindereffekt wird durch eine Reihe von Dummy-Variablen abgebildet, welche das Alter des jüngsten im Haushalt lebenden Kindes abtragen33 (für eine ähnliche Vorgehensweise siehe z.B. Ward et al. 1996; Büchel/Spieß 2002). Mit dem jüngsten und damit zuletzt geborenen
33
Der Einfluss der Gesamtzahl der Kinder soll als Kontrollvariable Berücksichtigung finden (vgl. Abschnitt 6.5.3).
118
Kind wird zudem sichergestellt, dass sich eine Mutter nicht aufgrund einer nachfolgenden Geburt in einer Elternfreistellung befindet. Tabelle 13: Übersicht über das Variablenset zum Alter des jüngsten im Haushalt lebenden Kindes Variable
Alter des jüngsten Kindes in Jahren
Besonderheiten der institutionell-familienpolitischen Systeme für die entsprechende Altersstufe
Geburt
0 bis <1
Elternfreistellung in allen Untersuchungsländern möglich
Kleinkind
1 bis <3
Ablauf der maximalen Freistellungsfrist in Belgien; Große länderspezifische Unterschiede im Angebot an Krippenbetreuung; Elternzeit in West- und Ostdeutschland
Kindergartenkind
3 bis <6
Ablauf der max. möglichen Elternzeit in West- und Ostdeutschland; Kindergartenbetreuung
Grundschulkind
6 bis <10
Beginn der Schulpflicht in allen drei Untersuchungsgebieten; frühe Schulphase; ggf. Hortbetreuung
Schulkind
10 bis <13
Mittlere Schulphase; Übergang zu einer weiterführenden Schule
Jugendlicher
13 bis <16
Späte Schulphase; 16. Lebensjahr: Ende der Schulpflicht
Die Altersgruppen sind so definiert, dass sie mit den institutionellen Besonderheiten der drei Untersuchungsgebiete korrespondieren (siehe Tabelle 13). Die Altersklassifizierung ist auf die institutionellen Betreuungsmöglichkeiten abgestimmt, und es werden auch ältere, bis zu 16 Jahre alte, im Haushalt lebende Kinder berücksichtigt. Auf diese Weise können auch langfristige Effekte der institutionellen Betreuungsangebote identifiziert werden. Mithilfe dieses Variablen-Sets kann im Analysemodell festgestellt werden, ob Kinder im Vorschulalter generell die Erwerbsausstiege erhöhen oder gerade ein Neugeborenes zu einer extremen Ausstiegsrate führt, während Kleinkinder einen deutlich geringeren Effekt haben. Ebenso wird aus den Koeffizienten der Variablen ersichtlich, ab welchem Alter des jüngsten Kindes die Eintrittsraten wieder ansteigen und mit welcher Intensität.
119
Interaktionsvariablen: Alter des jüngsten Kindes x Untersuchungsgebiet Um den altersspezifischen Kindereffekt für die drei Untersuchungsgebiete getrennt auszuweisen, werden entsprechende Interaktionsvariablen gebildet, die die Altersgruppe des jüngsten Kindes mit dem Untersuchungsgebiet kombinieren, so dass, wie in Tabelle 14 dargestellt, die Wirkung der familienpolitischen Institutionen vermittelt über den alters- und länderspezifischen Kindereffekt auf eine weibliche Erwerbsbeteiligung gemessen werden kann. Die Analyse weist dann für jede Zelle der Tabelle 14 einen spezifischen Koeffizienten aus, der angibt, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine Frau im jeweiligen Untersuchungsland mit einem Baby, Kleinkind, Kindergartenkind usw. am Erwerbsleben teilnimmt. Tabelle 14: Übersicht über die Betreuungsmöglichkeiten in den drei Untersuchungsgebieten nach Alter des jüngsten Kindes Alter des jüngsten Kindes im Haushalt (in Jahren) Geburt 0 bis <1
Belgien West-D. Ost-D.
Kleinkind 1 bis <3
Freistellung Krippe Freistellung
Krippe Freistellung
Freistellung Krippe
Freistellung Krippe
Kindergartenkind 3 bis <6
Grundschulkind 6 bis <10
Schulkind 10 bis <13
Jugendlicher 13 bis <16
Kindergarten
Schule / Hort Schule
Schule
Kindergarten
Schule
Schule
Schule
Kindergarten
Schule / Hort Schule
Schule
Tabelle 14 demonstriert zudem noch einmal, dass sich die drei Untersuchungsländer in Bezug auf das familienpolitische Betreuungsarrangement (öffentliche Kinderbetreuung und/oder Freistellungsmöglichkeit) insbesondere für Kinder unter 3 Jahren unterscheiden. Ab dem dritten Lebensjahr gleichen sich die Betreuungsmöglichkeiten in den drei Gebieten an.
6.5.3 Kontrollvariablen Neben den für diese Untersuchung zentralen institutionellen und kulturellen Einflüssen gibt es weitere Faktoren, die möglicherweise nicht nur die Wahrscheinlichkeit einer weiblichen Erwerbsbeteiligung beeinflussen, sondern auch die Wirkung der zentralen unabhängigen Variablen (vgl. Abschnitt 5.3). So ist etwa anzunehmen, dass die Bildung der Frau nicht nur Einfluss auf die Erwerbsentscheidung besitzt, sondern evtl. auch auf individuelle Einstellungen bezüglich der Erwerbsbeteiligung von Frauen und Müttern. Aus diesem Grund 120
ist es notwendig, die Wirkung dieser möglichen Einflüsse im statistischen Modell mithilfe von Kontrollvariablen einzufangen und dadurch die Wirkung der unabhängigen Variablen um diese Störgrößen zu bereinigen. In Abschnitt 5.3 wurden bereits mögliche individuelle, haushaltskontextuelle und gesellschaftliche Einflüsse diskutiert. Als individuelle Einflussgrößen finden der höchste Bildungsabschluss sowie das Alter der Frau Berücksichtigung, als haushaltskontextuelle Merkmale die Gesamtzahl der Kinder im Haushalt, das Zusammenleben mit einem Partner, die Erwerbsbeteiligung des Partners sowie alternativ dazu der Familienstand. Darüber hinaus wird der Einfluss von möglichen Periodeneffekten kontrolliert. Die Berücksichtigung von privaten Unterstützungsleistungen sowie von informellen Kinderbetreuungsmöglichkeiten ist leider aufgrund fehlender empirischer Informationen nicht möglich.
Höchster Bildungsabschluss der Frau: Zur Messung des Einflusses des Bildungsniveaus auf eine Erwerbsbeteiligung wird der höchste erreichte Bildungsabschluss herangezogen. Da sich die Struktur der Bildungssysteme zwischen den Untersuchungsländern (Belgien und Deutschland) unterscheidet, ist es bei der Konstruktion einer einheitlichen Bildungsvariable notwendig, auf die internationale Standardklassifikation von Bildungsabschlüssen der OECD (ISCED-97) zurückzugreifen. Der ISCED-Code (International Standard Classification of Education) wurde zur Klassifizierung und Charakterisierung von Schultypen und Schulsystemen entwickelt, um Bildungsabschlüsse zwischen verschiedenen Ländern vergleichen zu können (vgl. OECD 1999; UNESCO 2003). Diese Klassifizierung dient als Grundlage, um die Bildungsabschlüsse der belgischen, west- und ostdeutschen Befragungspersonen in vergleichbare Kategorien einzuordnen. Die konstruierte Variable kann drei verschiedene Ausprägungen annehmen, die die Bildungsabschlüsse in niedrig (1), mittel (2) und hoch (3) einstufen. Die erste Kategorie bezieht sich auf die Primär- und niedrige Sekundärbildung (z.B. für Deutschland: Haupt-/Realschulabschluss), die zweite Kategorie auf die mittlere und höhere Sekundärbildung (Fachhochschul/Allgemeine Hochschulreife) und die dritte Kategorie auf einen tertiären Bildungsabschluss (Hochschulabschluss/Promotion).
Alter der Frau: Das Lebensalter der Frau geht offen in die Analysen ein. Dabei wird das zum Befragungszeitpunkt aktuelle Alter in Jahren kodiert. Aufgrund der Einschränkung der Untersuchungsgruppe, sind nur Ausprägungen zwischen 20 und 45 Jahren möglich (vgl. Abschnitt 6.3).
121
Anzahl der im Haushalt lebenden Kinder: Mit den zentralen unabhängigen Variablen zum Alter des jüngsten im Haushalt lebenden Kindes wird bereits der Einfluss eines Kindes im Haushalt, und zwar des jüngsten, berücksichtigt. Der Einfluss der Gesamtzahl der Kinder soll im multivariaten Modell ebenfalls Berücksichtigung finden. Insgesamt vier dummy-kodierte Variablen messen den zusätzlichen Effekt von zwei, drei, vier, fünf oder mehr Kindern unter 16 Jahren. Hat die Mutter nur ein Kind unter 16 Jahren, wird dieser Effekt bereits durch das Alter des jüngsten im Haushalt lebenden Kindes abgefangen.
Partner im Haushalt: Die Variable ‚Partner im Haushalt’ hält fest, ob ein Partner – unabhängig vom Familienstand – im Haushalt lebt (1) oder nicht (0). Damit werden sowohl verheiratete als auch unverheiratet zusammenlebende Partnerschaften mit einer (1) kodiert. Kinderlose Single-Frauen sowie alleinerziehende Mütter sind somit mit einer (0) kodiert.
Erwerbsbeteiligung des Partners: Um den finanziellen Aspekt einer Partnerschaft von anderen möglichen Aspekten zu separieren, wird eine dummy-kodierte Variable in die Analysen einbezogen, die festhält, ob der Partner erwerbstätig ist (1) und damit ein Erwerbseinkommen in den Haushalt einbringt oder ob er nicht erwerbstätig ist (0).34 Für Frauen ohne Partner ist sowohl die Variable ‚Partner im Haushalt’ als auch die Variable ‚Erwerbsbeteiligung des Partners’ mit einer (0) kodiert. Diese Form der Kodierung gewährleistet, dass sowohl der Einfluss der reinen Existenz einer Partnerschaft als auch der finanzielle Aspekt der Partnerschaft, d.h. der Partner als potentielle Einkommensquelle, getrennt voneinander ausgewiesen werden können.
Eheeffekt: Zur Messung des Effektes einer Ehe auf eine weibliche Erwerbsbeteiligung wird eine Dummy-Variable konstruiert, auf der verheiratete, mit dem Partner zusammenlebende Frauen mit einer (1), unverheiratete Frauen (mit oder ohne Partner) mit einer (0) kodiert sind.
Periodeneffekte: Da der Beobachtungszeitraum insgesamt 12 Jahre umfasst, können sich theoretisch längerfristige soziale, wirtschaftliche und kulturelle Trends und Wandlungen auf das Verhalten der Personen im Ver-
34 Optimaler wäre es, die Höhe des Partnereinkommens als unabhängige Variable einzubeziehen. Allerdings ist dies aufgrund des hohen Item-Non-Response im belgischen Panel nicht möglich, da damit eine erhebliche Fallzahlreduktion und eine unkontrollierbare Selektion der einbezogenen Frauen verbunden wäre.
122
lauf verschiedener Beobachtungszeitpunkte niederschlagen. Zur Kontrolle dieser so genannten Periodeneffekte wird ein Set von Variablen integriert, welches das entsprechende Beobachtungsjahr berücksichtigt. Um einen zeitlichen Trend abzubilden (vermutet wird die Zunahme der weiblichen Erwerbsbeteiligung im Zeitverlauf, vgl. dazu auch Abbildung A2 im Anhang) werden drei 4-Jahres-Perioden gebildet und zwei dummy-kodierte Variablen in das Modell integriert: Periode 2 (1996-1999) und Periode 3 (2000-2003). Periode 1 (1992-1995) dient als Referenzkategorie. Da das Modell bei gleichzeitigem Einbezug von Alters-, Perioden- und Kohorteneffekten überspezifiziert wäre, wird auf die Integration von Geburtskohorten verzichtet. Durch die festgelegten Altersgrenzen der in die Analysen einbezogenen Frauen von 20 bis 45 Jahren sind die möglichen Geburtsjahrgänge ohnehin bereits auf die Jahre von 1947 bis 1983 beschränkt. Tabelle 15 gibt abschließend einen Überblick über alle verwendeten Variablen und ihre Kodierung.
123
Tabelle 15: Variablenübersicht Abhängige Variable
Variablenbezeichnung / Kodierung
1. Aktive Erwerbsbeteiligung
0: nein / 1: ja
2. Positives Arbeitsangebot
0: nein / 1: ja
Unabhängige Variablen Alter des jüngsten im Haushalt lebenden Kindes (Variablenset)
Kinderlos (Referenz) Geburt (0-1 Jahr) Kleinkind (1-3 Jahre) Kindergartenkind (3-6 Jahre) Grundschulkind (6-10 Jahre) Schulkind (10-13 Jahre) Teenager (13-16 Jahre)
Dummykodiert
Alter des jüngsten im Haushalt lebenden Kindes x Untersuchungsland (Interaktionsvariablen)
Geburt x Ostdeutschland Geburt x Belgien Kleinkind x Ostdeutschland Kleinkind x Belgien Kindergartenkind x Ostdeutschland Kindergartenkind x Belgien Grundschulkind x Ostdeutschland Grundschulkind x Belgien Schulkind x Ostdeutschland Schulkind x Belgien Teenager x Ostdeutschland Teenager x Belgien
Dummykodiert
Untersuchungsländer
Westdeutschland (Referenz) Ostdeutschland Belgien
Dummykodiert
Anzahl der Kinder (mehr als ein Kind)
2 Kinder 3 Kinder 4 Kinder 5 oder mehr Kinder
Dummykodiert
Periodeneffekte
Periode 1: 1992-1995 (Referenz) Periode 2: 1996-1999 Periode 3: 2000-2003
Dummykodiert
Alter
offen in Lebensjahren (20-45)
Bildung
1 niedrig – 3 hoch
Partner im Haushalt
0: nein / 1: ja
Partner erwerbstätig
0: nein / 1: ja
Verheiratet
0: nein / 1: ja
Kontrollvariablen
124
6.6 Methodisches Vorgehen Aufbau des Analysemodells Ziel der empirischen Untersuchung ist es, die Erwerbsbeteiligung von Frauen in Abhängigkeit von den zur Verfügung stehenden familienpolitischen Institutionen sowie vom kulturellen Kontext zu analysieren. Naturgemäß kann nicht der individuelle Entscheidungsfindungsprozess mit all seinen Erwägungen selbst empirisches Analyseobjekt sein, vielmehr ist lediglich das Resultat der Entscheidung – also das Vorhanden- oder nicht Vorhandensein einer Erwerbsbeteiligung bzw. eines Erwerbswunsches zu einem bestimmten Zeitpunkt anhand der empirischen Daten beobachtbar. Daher zielen die Analysen darauf ab, die Wahrscheinlichkeit zu untersuchen, welche Rolle der institutionelle bzw. kulturelle Kontext für die aktive Erwerbsbeteiligung (AV1) bzw. für ein positives Arbeitsangebot (AV2) von Müttern spielt. Neben bivariaten Auszählungen und Kreuztabellierungen sollen multivariate statistische Analyseverfahren das komplexe Zusammenspiel der verschiedenen Einflüsse berücksichtigen. Da die beiden abhängigen Variablen – ‚aktive Erwerbsbeteiligung’ und ‚positives Arbeitsangebot’ – dichotom sind, liegt für die multivariaten Analysen die Schätzung eines Logit-Modells nahe. Dabei wird die Wahrscheinlichkeit des Eintretens eines bestimmten Ereignisses, im vorliegenden Fall die Wahrscheinlichkeit einer Erwerbsbeteiligung, in Abhängigkeit von den erklärenden Faktoren (wie der Präsenz eines Kindes, der Bildung etc.) modelliert. Die vorliegenden Paneldaten erlauben im Vergleich zu Querschnittsdaten einen besseren Umgang mit Heterogenität in den Einheiten (hier Personen), die durch eine Vielzahl nicht messbarer erklärender Variablen verursacht wird (vgl. Kennedy 2003). So liegen im vorliegenden kumulierten, unbalancierten Datensatz für die einzelnen Individuen zwischen mindestens einer und bis zu zwölf Beobachtungen vor; je nachdem, wie häufig eine Person wiederbefragt werden konnte. Aufgrund der Annahme, dass die einzelnen Beobachtungen ein und derselben Person stärker miteinander korrelieren als die Beobachtungen zwischen verschiedenen Personen, sollte ein Schätzverfahren gewählt werden, das diesem Paneldatencharakter gerecht wird und die personenspezifische Heterogenität berücksichtigt. Entscheidend für die Wahl eines geeigneten Schätzverfahrens sind Annahmen über die Art der Heterogenität im konkreten Fall. Ein effizientes Verfahren für Panelmodelle stellt unter der Voraussetzung, dass unkorrelierte Heterogenität vorliegt, ein ‚Random Effects’ Modell dar, welches für jede Untersuchungseinheit einen eigenen Achsenabschnitt (Intercept) einführt (Wooldridge 2002: 257ff.). Diese Intercepts werden behandelt als ein Teil 125
des Fehlerterms uit, der somit aus zwei Teilen besteht: dem individuellen, d.h. personenspezifischen Fehlerterm Įi, der alle nicht im Modell berücksichtigten zeitkonstanten Eigenschaften der Person beinhaltet und dem Term Ȟit, der sonstige unbekannte zeitpunktspezifische Eigenschaften der Person umfasst. Für die vorliegende Arbeit wurde das Random Effects Verfahren als grundlegende Methode für den Umgang mit unbeobachteter personenspezifischer Heterogenität gewählt. Folgende Gleichung beschreibt den Aufbau des durchzuführenden Random-effects Logit Modells:
§ Pr( Erwerbsbeteiligung ) · ¸¸ ln¨¨ © 1 Pr( Erwerbsbeteiligung ) ¹it ȕ0 + ȕ1 Belgien + ȕ2 Ostdeutschland + ȕ3 Geburtit + ȕ4 Geburt*Belgienit + ȕ5 Geburt*Ostd.it + ȕ6 Kleinkindit + ȕ7 Kleinkind*Belgienit + ȕ8 Kleinkind*Ostd. it + ȕ9 Kindergkindit + ȕ10 Kindergkind*Belgienit + ȕ11 Kindergkind*Ostd. it + ȕ12 G.Schulkindit + ȕ13 G.Schulkind*Belgienit + ȕ14 G.Schulkind*Ostd. it + ȕ15 Schulkindit + ȕ16 Schulkind*Belgienit + ȕ17 Schulkind*Ostd. it + ȕ18 Teenagerit + ȕ19 Teenager*Belgienit + ȕ20 Teenager*Ostd. it + ȕ21 Bildungit + ȕ22 Alterit + ȕ23 Partnerit + ȕ24 Partner erwerbstätigit + ȕ25 2 Kinderit + ȕ26 3 Kinderit + ȕ27 4 Kinderit + ȕ28 5 und mehr Kinderit + ȕ29 Periode 2it + ȕ30 Periode 3it + Įi + Ȟit Anmerkungen: i = 1,…, N ; t = 1,…, T uit = Įi + Ȟit i = Analyseeinheiten (Individuen) Įi = Individueller Fehlerterm
126
t = Zeitpunkt (Jahr) Ȟit = Idiosynkratischer Fehlerterm
Die aktive Erwerbsbeteiligung der Frau (alternativ das positive Arbeitsangebot) stellt die abhängige Variable dar. Die Konstante ȕ0 kann durch den Einbezug der Ländervariablen länderspezifisch variieren. Im Regressionsmodell werden die Ländervariablen für ‚Belgien’ (ȕ1) und ‚Ostdeutschland’ (ȕ2) integriert, so dass ‚Westdeutschland’ die Referenzkategorie darstellt. Der Einfluss des Alters des jüngsten Kindes wird über die Koeffizienten ȕ3 (Geburt=0-1 Jahr), ȕ6 (Kleinkind=1-3 Jahre), ȕ9 (Kindergartenkind=3-6 Jahre), ȕ12 (Grundschulkind=6-10 Jahre), ȕ15 (Schulkind=10-13 Jahre) und ȕ18 (Teenager=13-16 Jahre) für Westdeutschland gemessen. Darüber hinaus werden entsprechende Koeffizienten integriert, die die Interaktion zwischen dem Alter des jüngsten Kindes und dem jeweiligen nationalen Kontext abbilden (ȕ4, …, ȕ20). Auch hier werden, um eine Überspezifizierung des Modells zu verhindern, lediglich Interaktionen mit den Dummy-Variablen ‚Belgien’ und ‚Ostdeutschland’ gebildet, so dass ‚Westdeutschland’ als Referenzkategorie zugrunde liegt. Die Einflüsse von Bildung und Alter der Frauen werden mit den Koeffizienten ȕ21 und ȕ22 gemessen. Koeffizienten für haushaltskontextuelle Merkmale wie das Vorhandensein einer Partnerschaft (ȕ23), eine Erwerbsbeteiligung des Partners (ȕ24) sowie der zusätzliche Effekt von (zwei, drei, vier, fünf und mehr) Kindern im Haushalt35 (ȕ25 - ȕ28) werden ebenfalls in das Modell integriert. Mögliche Periodeneffekte sollen mit den Koeffizienten ȕ29 und ȕ30 kontrolliert werden, wobei die Periode 1 (1992-1995) die Referenzkategorie darstellt. Įi und Ȟit bilden gemeinsam den Fehlerterm des Modells. Ausgabe der Schätzwerte Für jede der unabhängigen Variablen wird die geschätzte Einflussstärke durch den entsprechenden Regressionskoeffizienten wiedergegeben. Die Koeffizienten der unabhängigen Variablen werden als Log Odds ausgegeben und im Text und Grafiken zur besseren Veranschaulichung und Interpretation als deren (natürlicher) Antilogarithmus, d.h. als Odds Ratios abgetragen (vgl. Andreß et al. 1997: 270). Für die konkrete abhängige Variable der aktiven Erwerbsbeteiligung von Frauen bezeichnen die Odds Ratios das Verhältnis der Wahrscheinlichkeiten, dass eine Erwerbsbeteiligung eintritt, zur Gegenwahrscheinlichkeit, dass keine Erwerbsbeteiligung stattfindet, wenn die jeweilige unabhängige DummyVariable den Wert 1 annimmt, in Relation zum gleichen Wahrscheinlichkeitsverhältnis, wenn die unabhängige Dummy-Variable den Wert 0 annimmt. Die Odds Ratios geben somit z.B. für die Variable ‚Geburt’ das Erwerbschancen35
Der Einfluss eines Kindes wird bereits durch die Variablen zum Alter des jüngsten Kindes berücksichtigt.
127
verhältnis von Frauen mit einem Kind unter einem Jahr gegenüber der Referenzkategorie, in diesem Fall den kinderlosen Frauen, an. Prinzipiell können die Odds Ratios (im Folgenden auch einfach als ‚Chancen’ bezeichnet) Werte zwischen 0 und unendlich annehmen, wobei die Koeffizienten über 1 eine Zunahme der mütterlichen Erwerbschancen, Koeffizienten unter 1 eine Abnahme der mütterlichen Erwerbschancen gegenüber den Erwerbschancen kinderloser Frauen bezeichnen.
Beispiel zur Veranschaulichung des Modells Zur besseren Veranschaulichung der Konstruktion und des Zusammenspiels der zentralen unabhängigen Variablen sind in Tabelle 16 zwei Personenbeispiele aus dem Datensatz abgetragen. Bei Person 1 handelt es sich um eine belgische Mutter, deren Kind in Erhebungswelle 1 unter einem Jahr alt ist. Sie weist daher auf den Variablen ‚Belgien’, ‚Geburt’ sowie der Interaktionsvariable ‚Geburt x Belgien’ eine 1 auf, während sie auf allen anderen Variablen mit einer 0 kodiert ist. In der Folgewelle – ein Jahr später – konnte dieselbe Person wiederbefragt werden. Nach wie vor bleibt sie auf der Ländervariable ‚Belgien’ mit einer 1 vermerkt. Da das Kind allerdings nun ein Jahr älter ist und somit einer anderen Altersgruppe entspricht, weist die Mutter nun auf der Variable ‚Kleinkind’ sowie ‚Kleinkind x Belgien’ eine 1 auf und ist folglich auf allen anderen Variablen mit einer 0 verzeichnet. In Welle 3 gehört das Kind noch der gleichen Altersgruppe an; somit verändert sich an der Kodierung für Person 1 nichts. In Welle 4 jedoch hat das Kind das dritte Lebensjahr erreicht und fällt daher nun in die Alterskategorie ‚Kindergartenkind’. Die Mutter ist daher auf der entsprechenden Variable und der dazugehörigen Interaktionsvariable ‚Kindergartenkind x Belgien’ mit einer 1 kodiert, auf allen anderen mit einer 0. Bei Person 2 handelt es sich um eine westdeutsche Frau. Da Westdeutschland die Referenzkategorie für das Regressionsmodell bildet, wird keine eigene Ländervariable ‚Westdeutschland’ in das Modell einbezogen. Eine westdeutsche Frau wird dadurch identifiziert, dass sie auf den beiden Ländervariablen ‚Ostdeutschland’ und ‚Belgien’ mit einer 0 kodiert ist. In Erhebungswelle 1 ist das jüngste Kind von Person 2 unter einem Jahr alt. Dementsprechend weist die Variable ‚Geburt’ eine 1 auf. In Erhebungswelle 2 ist das Kind in der nächst älteren Altersgruppe zu finden, so dass nun die Variable ‚Kleinkind’ eine 1 aufweist, während alle anderen Variablen mit einer 0 kodiert sind.
128
Tabelle 16: Beispiel zur Veranschaulichung der Konstruktion und des Zusammenspiels der unabhängigen Variablen Person 1 Welle 1
Person 2 Welle 2
Welle 3
Welle 4
Welle 1
Welle 2
Ländervariablen (Referenz Westdeutschland) Belgien
1
1
1
1
0
0
Ostdeutschland
0
0
0
0
0
0
Geburt
1
0
0
0
1
0
Kleinkind
0
1
1
0
0
1
Kindergartenkind
0
0
0
1
0
0
Grundschulkind
0
0
0
0
0
0
Schulkind
0
0
0
0
0
0
Teenager
0
0
0
0
0
0
Alter des jüngsten Kindes
Interaktionsvariablen: Alter des jüngsten Kindes x Untersuchungsland (Referenz Westdeutschland) Geburt x Belgien
1
0
0
0
0
0
Geburt x Ostd.
0
0
0
0
0
0
Kleinkind x Belgien
0
1
1
0
0
0
Kleinkind x Ostd.
0
0
0
0
0
0
Kinderg.kind x Belgien
0
0
0
1
0
0
Kinderg.kind x Ostd.
0
0
0
0
0
0
G.Schulkind x Belgien
0
0
0
0
0
0
G.Schulkind x Ostd.
0
0
0
0
0
0
Schulkind x Belgien
0
0
0
0
0
0
Schulkind x Ostd.
0
0
0
0
0
0
Teenager x Belgien
0
0
0
0
0
0
Teenager x Ostd.
0
0
0
0
0
0
... Kontrollvariablen
…
…
…
…
…
…
Das beschriebene Regressionsmodell hat den Vorteil, dass unterschiedliche Analyseziele (vgl. Abschnitt 6.1) mit einem einzigen Modell verfolgt werden können: Einerseits können die Erwerbschancen von Müttern im Vergleich zu kinderlosen Frauen innerhalb der einzelnen Untersuchungsländer ermittelt werden. Andererseits ist es möglich, die Erwerbschancen der Mütter unmittelbar 129
zwischen den Untersuchungsländern zu vergleichen. Je nach Analyseziel müssen lediglich die Vergleichsgruppen (Referenzgruppen) gewechselt werden, was durch entsprechende Summierung der jeweiligen Koeffizienten erfolgt. Möchte man beispielsweise für Person 1, der belgischen Mutter, die Erwerbschance im Vergleich zu einer kinderlosen belgischen Frau ermitteln, müssen für Person 1 der Koeffizient zum Alter des jüngsten Kindes (z.B. in Welle 1 der Koeffizient der Variable ‚Geburt’) sowie der Koeffizient der dazugehörigen Interaktionsvariable (‚Geburt x Belgien’) miteinander addiert werden. Die Summe der beiden Koeffizienten drückt nach der Antilogarithmierung die Chance einer Erwerbsbeteiligung der belgischen Mutter gegenüber der Erwerbschance einer belgischen kinderlosen Frau aus. Damit kann also das erste Analyseziel, die Ermittlung der Differenzen in den Erwerbschancen von Müttern und kinderlosen Frauen innerhalb eines Landes erreicht werden. Sollen jedoch die Erwerbschancen der belgischen Mutter den Erwerbschancen einer westdeutschen Mutter gegenüber gestellt werden, so muss der Koeffizient der Ländervariable (für Person 1 der Koeffizient der Ländervariable ‚Belgien’) zusätzlich mitverrechnet werden. Für die westdeutsche Mutter in Tabelle 16 (Person 2) muss lediglich der Koeffizient der Altersvariable des jüngsten Kindes angesetzt werden. Dadurch ergibt sich sowohl für Person 1 als auch für Person 2 eine gemeinsame Referenzkategorie: die kinderlosen westdeutschen Frauen. Die beiden ermittelten Koeffizienten, die die Erwerbschancen der beiden Personen abbilden, können nun unmittelbar miteinander verglichen werden.
Alternative Schätzverfahren Wie oben erläutert, wurde für die vorliegende Arbeit das Random-effects Verfahren als grundlegendes Analyseverfahren zum Umgang mit unbeobachteter Heterogenität gewählt. Theoretisch könnte ein Random-effects Regressionsmodell verzerrte Schätzer liefern, wenn mit der abhängigen Variable korrelierte zeitinvariante Störvariablen vorliegen würden. Das Fixed-effects Verfahren könnte diese potentiellen Verzerrungen beseitigen (Wooldridge 2002: 265ff.). Allerdings hat dieses Verfahren für die konkrete Analyse einen schwerwiegenden Nachteil gegenüber dem Random-effects Modell: Es können keine zeitinvarianten Variablen in das Modell integriert werden – wie etwa die Kontextvariablen (Länderdummyvariablen) –, da diese für die Personen im gesamten Beobachtungszeitraum konstant sind. Diese Kontextvariablen sind jedoch für das Analysedesign und das Untersuchungsziel, das in der Dekomposition des nationalen Kultur- und Institutioneneffektes besteht, von essentieller Bedeutung. 130
Snijders und Bosker (1999) empfehlen für derartige Untersuchungsfragen, die gerade die Effekte von Kontextvariablen im Blick haben und erklären möchten, das Random-effects Verfahren: „If the researcher wishes to test effects of grouplevel variables, the random coefficient model should be used. The reason is that the fixed effects model already ‚explains’ all differences between group by the fixed effects, and there is no unexplained between-group variability left that could be explained by group-level variables” (ebenda: 43). Aus diesem Grund wird in der vorliegenden Arbeit auf die Anwendung des Fixed-effectsVerfahrens verzichtet.
131
7 Empirische Untersuchung der Müttererwerbsbeteiligung in Belgien, West- und Ostdeutschland
7.1 Bivariate Analysen 7.1.1 Arbeitsmarktbeteiligung und positives Arbeitsangebot von Müttern in Belgien, West- und Ostdeutschland In einem ersten bivariaten Analyseschritt sind in Abbildung 5 die Müttererwerbsbeteiligungen differenziert nach dem Alter des jüngsten Kindes und getrennt für die drei Untersuchungsländer abgetragen. Um die Wirkung des Ereignisses der Geburt eines Kindes auf den Erwerbsverlauf der Mütter innerhalb der Länder besser beurteilen zu können, wird zudem die Erwerbsbeteiligung der werdenden Mütter ein bis zwei Jahre vor der Geburt ihres Kindes berücksichtigt. Auf den ersten Blick ist festzustellen, dass bei der Geburt eines Kindes in allen drei Ländern ein deutlicher Einschnitt im mütterlichen Erwerbsverlauf zu verzeichnen ist, was als ausdrücklicher Hinweis auf einen unmittelbaren kausalen Zusammenhang zwischen Geburt und Erwerbsunterbrechung zu sehen ist. Die Stärke und Nachhaltigkeit des Kindereffektes fällt allerdings in den drei Untersuchungsländern unterschiedlich aus. So ist der Effekt in Belgien äußerst gering und kurzfristig im Vergleich zu Ost- und Westdeutschland, wo er wesentlich stärker und nachhaltiger ausfällt. Während der Anteil erwerbstätiger belgischer Frauen im Geburtsjahr des Kindes um lediglich 11 Prozentpunkte absinkt, nimmt er in West- und Ostdeutschland um 38 bzw. 37 Prozentpunkte ab.36 36
Was die Erwerbsbeteiligung in den Jahren vor der Geburt des jüngsten Kindes betrifft (wie sie in Abbildung 5 abgetragen ist), so muss berücksichtigt werden, dass es sich bei den hier beobachteten Geburten in etwas mehr als der Hälfte der Fälle um Geburten eines höherrangigen Kindes handelt. D.h., etwa die Hälfte der Frauen (54%) hatte bereits vor der beobachteten Geburt zumindest ein Kind. Für diese Gruppe ist die Wahrscheinlichkeit, vor der Geburt bereits nicht erwerbstätig gewesen zu sein, z.B. durch die Nutzung von Elternfreistellungen, bedeutend größer als für die erstgebärenden Frauen. Ein Hinweis darauf sind die in allen drei Untersuchungsländern niedrigeren Müttererwerbsbeteiligungen vor der Geburt im Vergleich zu den Jahren nach der Geburt (vgl. Abbildung 5). Entsprechende Auswertungen zur Erwerbsbeteiligung der erstgebärenden Frauen ergeben, dass
132
Abbildung 5:
Anteil aktiv erwerbstätiger Mütter (im Alter von 20-45 Jahren), in Prozent
Aktiv erwerbstätige Mütter (in %)
90 79
80 70 60 50
64
63 61 60 59
54
74 69 65
65
52 56
53 38 33
30
10
76 68
66 65
40
20
81
75
16 16
Belgien
West-D.
Ost-D.
0 2 Jahre vor 1 Jahr vor unter 1 Jahr der Geburt der Geburt
1-3 Jahre
3-6 Jahre
6-10 Jahre
10-13 Jahre 13-16 Jahre
Alter des jüngsten Kindes im Haushalt
Innerhalb des ersten Jahres nach der Geburt ist die Kluft in den Erwerbsbeteiligungen zwischen belgischen und (west- und ost-) deutschen Müttern am größten. Während lediglich 16% der west- und ostdeutschen Mütter mit einem Kind unter einem Jahr erwerbstätig sind, sind in Belgien etwas mehr als die Hälfte aller Mütter (52%) im ersten Lebensjahr des Kindes beruflich aktiv. Im Gegensatz zu den beiden deutschen Kurven, verläuft die belgische Kurve in allen Phasen insgesamt sehr flach, was verdeutlicht, dass die Erwerbsbeteiligung belgischer Mütter nur in geringem Maße vom Alter des Kindes abhängt. Der Anteil erwerbstätiger Mütter mit einem Kind ab einem Jahr bleibt konstant bei 64 bis 69%. In West- und Ostdeutschland scheint dagegen das Alter des jüngsten Kindes äußerst relevant für eine mütterliche Erwerbsbeteiligung zu sein. In beiden deutschen Landesteilen steigt der Anteil erwerbstätiger Mütter mit zunehmendem Alter des jüngsten Kindes stetig an: Die niedrigste mütterliche Erwerbsbeteiligung ist während des ersten Lebensjahres des Kindes, mit einem Anteil von 16% in beiden deutschen Gebieten, zu verzeichnen und nimmt diese in allen drei Untersuchungsgebieten vor, aber auch innerhalb des beobachteten Geburtsjahres zu größeren Anteilen erwerbstätig sind und insgesamt der Einbruch in den Erwerbsbeteiligungen bei der Geburt eines ersten Kindes deutlich geringer ausfällt (siehe Anhang, Abbildung A1).
133
dann mit zunehmendem Alter des Kindes kontinuierlich bis zum Schuleintrittsalter (von sechs Jahren) zu. Die ostdeutsche Kurve verläuft zwar relativ parallel, aber leicht oberhalb der westdeutschen Kurve. Der Anteil erwerbstätiger Mütter fällt dort – sieht man vom ersten Lebensjahr des jüngsten Kindes ab – im Schnitt um ca. 5 Prozentpunkte höher aus. Erstaunlicherweise führt der vergleichsweise schnelle Wiedereinstieg belgischer Mütter im Anschluss an die Geburt eines Kindes, der sich in dem hohen Anteil erwerbstätiger Mütter mit einem Kind unter einem Jahr ausdrückt, langfristig nicht dazu, dass die belgischen Mütter ihren ‚Erwerbsvorsprung’ gegenüber west- und ostdeutschen Müttern halten können: Die maximale Müttererwerbsbeteiligung liegt mit ca. 69% unterhalb des west- und ostdeutschen Maximums von 76% bzw. 81%. Die ostdeutschen Frauen sind bereits ab dem dritten Lebensjahr ihres jüngsten Kindes, die westdeutschen Frauen ab dem sechsten Lebensjahr ihres Kindes zu etwa gleichen Anteilen wie die belgischen Mütter beruflich aktiv und übersteigen mit zunehmendem Alter der Kinder kontinuierlich die belgische Müttererwerbsbeteiligung. Vergleicht man nun die aktive Müttererwerbsbeteiligung in Abbildung 5 mit dem positiven Arbeitsangebot37 in Abbildung 6, so zeigt sich, dass die realisierte Erwerbsbeteiligung in allen drei Untersuchungsgebieten unterhalb der gewünschten Erwerbsbeteiligung liegt. Demzufolge kann in allen drei Untersuchungsgebieten ein gewisser Anteil von Müttern einen bestehenden Erwerbswunsch nicht realisieren. Die Differenzen zwischen der aktiven Erwerbsbeteiligung und dem positiven Arbeitsangebot der Mütter sind für die Untersuchungsländer allerdings sehr unterschiedlich. Der Anteil derjenigen, die ihren Erwerbswunsch nicht umsetzen können, ist in Ostdeutschland am größten und in Westdeutschland am geringsten. Wie aus Tabelle A2 (im Anhang) hervorgeht, liegt die aktive Erwerbsbeteiligung der ostdeutschen Mütter im Schnitt um 14,8 Prozentpunkte unterhalb des positiven Arbeitsangebotes. Die aktive Erwerbsbeteiligung belgischer Mütter weicht um durchschnittlich 7,7 Prozentpunkte negativ vom positiven Arbeitsangebot ab, während diese Differenz bei den westdeutschen Müttern lediglich 4,1 Prozentpunkte beträgt. Wäre ein Mangel an öffentlichen Kinderbetreuungsplätzen Ursache des unrealisierten Erwerbswunsches, hätte man in Westdeutschland – dem System mit den schlechtesten Betreuungsmöglichkeiten – die größten Diskrepanzen erwarten müssen, während die Unterschiede zwischen realisierter und gewünschter Erwerbstätigkeit in Belgien und Ostdeutschland wesentlich geringer ausfallen sollten. Da dies jedoch nicht der Fall ist und Westdeutschland sogar im Gegenteil die geringsten Diskrepanzen zwischen Erwerbswunsch und 37 Ein positives Arbeitsangebot liegt bei erwerbstätigen sowie bei nicht erwerbstätigen Personen vor, die zum Befragungszeitpunkt nach Arbeit suchen (vgl. Abschnitt 6.5.1).
134
dessen Realisierung – und zwar für alle Altersgruppen des jüngsten Kindes – aufweist, liegt es nahe, den Hauptgrund für den häufig unrealisierten Erwerbswunsch in Belgien und Ostdeutschland in einem Mangel an Arbeitsplätzen zu suchen. Diese Vermutung deckt sich auch mit den offiziellen weiblichen Arbeitslosenquoten in den drei Untersuchungsgebieten: im Vergleich ist die Frauenarbeitslosigkeit in Ostdeutschland mit Abstand am höchsten, in Westdeutschland am niedrigsten und für Belgien im mittleren Bereich, aber nur leicht oberhalb der westdeutschen (siehe Anhang, Abbildung A3). Abbildung 6:
Anteil der Mütter (im Alter von 20-45 Jahren) mit positivem Arbeitsangebot, in Prozent
Mütter mit positivem Arbeitsangebot (in %)
100
91
90 80 70 60 50
85 75 72 63
65
80 76
72 72
59
73
61
53
56
93 79
74
72
72
94
40 30
36 22
20 10
18 Belgien
Westdeutschland
Ostdeutschland
0 2 Jahre vor 1 Jahr vor unter 1 Jahr 1-3 Jahre der Geburt der Geburt
3-6 Jahre 6-10 Jahre
10-13 Jahre
13-16 Jahre
Alter des jüngsten Kindes im Haushalt
Ein weiterer Hinweis darauf, dass die schlechte Arbeitsmarktlage eine zentrale Erklärungsgröße für die beobachtbaren Unterschiede ist, ergibt sich aus dem Vergleich der generellen Kurvenverläufe zwischen den Abbildungen 5 und 6. Es fällt auf, dass sich die ostdeutschen Frauen im Hinblick auf das positive Arbeitsangebot (vgl. Abbildung 6) deutlicher von den westdeutschen Frauen unterscheiden als bei der aktiven Erwerbsbeteiligung (vgl. Abbildung 5). Entsprechend zu den Ergebnissen der Einstellungsanalysen scheinen die ostdeutschen Frauen eine höhere Erwerbsorientierung aufzuweisen, die zwar im positiven 135
Arbeitsangebot, jedoch nicht in der aktiven Erwerbsbeteiligung zum Vorschein kommt, weil es an Arbeitsplätzen mangelt. Dies würde bedeuten, dass sich die kulturellen Orientierungen in Ostdeutschland aufgrund von Restriktionen seitens des Arbeitsmarktes nicht realisieren lassen (vgl. Kapitel 4). Zusammenfassend lässt sich im Hinblick auf die Erwerbsbeteiligung von Müttern mit Kindern unter drei Jahren festhalten, dass sich das mütterliche Erwerbsverhalten in den drei Untersuchungsländern wie erwartet voneinander unterscheidet. In Belgien scheint die Geburt eines Kindes nur einen kurzfristigen und vergleichsweise geringen Effekt auf die mütterliche Erwerbsbeteiligung auszuüben. Dies kommt mit den theoretischen Überlegungen überein, nach denen das gut ausgebaute belgische Kinderbetreuungssystem den potentiell negativen Effekt von Kindern gering halten sollte und eine vergleichsweise kurze Elternfreistellungsmöglichkeit nach der Geburt eines Kindes eine baldige Rückkehr der Mutter in das Erwerbsleben nahe legt. In Ostdeutschland, aber vor allem in Westdeutschland hinterlässt die Geburt eines Kindes dagegen einen wesentlich stärkeren Einschnitt in der Arbeitsmarktpräsenz von Frauen. Darüber hinaus variieren die west- und ostdeutschen Erwerbsbeteiligungen offensichtlich sehr stark mit dem Alter des Kindes. Wie erwartet steigen die mütterlichen Erwerbsbeteiligungen mit zunehmendem Alter des Kindes kontinuierlich an. Auffällig im Hinblick auf die längerfristige Entwicklung der Erwerbsbeteiligungen nach der Geburt des jüngsten Kindes ist, dass trotz des nur geringen Geburtseffektes in Belgien das Erwerbsniveau vergleichsweise niedrig ausfällt und von den west- und ostdeutschen Müttern langfristig übertroffen wird. Die Analyse des positiven Arbeitsangebotes hat ferner ergeben, dass über die aktiv Erwerbstätigen hinaus in allen drei Untersuchungsgebieten ein gewisser Anteil von Müttern zu verzeichnen ist, der gerne eine Erwerbsarbeit aufnehmen würde, dies jedoch nicht in die Tat umsetzen kann. Dabei scheinen in erster Linie die ostdeutschen Frauen von Restriktionen betroffen zu sein, die die Verwirklichung des Erwerbswunsches verhindern. Nahe liegt, dass es sich bei diesen Barrieren vorwiegend um eine schlechte Arbeitsmarktlage mit hoher Arbeitslosigkeit handelt. Allerdings ist auch denkbar, dass andere Merkmale der Gruppe der ostdeutschen Mütter die Erwerbschancen absenken, beispielsweise geringere Berufsqualifikationen verglichen mit den westdeutschen und belgischen Müttern. Ob dies der Fall ist, wird sich bei den später anschließenden multivariaten Analysen zeigen, bei denen die soziodemografischen Merkmale kontrolliert werden.
136
7.1.2 Der Effekt von Kindern: Die Kluft in der Erwerbsbeteiligung zwischen Müttern und kinderlosen Frauen Im vorherigen Abschnitt wurde zunächst in einem ersten Schritt die Erwerbsbeteiligung von Müttern in den drei Untersuchungsländern betrachtet. In einem weiteren Schritt wird nun der spezifische Einfluss von Kindern auf den weiblichen Erwerbsverlauf näher untersucht. Den Überlegungen zur Wirkungsweise der familienpolitischen Institutionen zufolge, sollten die beiden zentralen Institutionen – öffentliche Kinderbetreuung und Elternzeit – die Stärke und Nachhaltigkeit des länderspezifischen Effektes von Kindern auf eine weibliche Erwerbsbeteiligung maßgeblich bestimmen. Dieser Kindereffekt beeinflusst das Erwerbsverhalten von Müttern im Anschluss an die gesetzlich vorgeschriebene Mutterschutzfrist, während die Berufstätigkeit kinderloser Frauen von den beiden familienpolitischen Maßnahmen unangetastet bleibt (vgl. Abschnitt 5.2). Demnach offenbart der Vergleich der Erwerbsbeteiligungen von Müttern und kinderlosen Frauen innerhalb eines Landes den Effekt, den Kinder in der jeweiligen Gesellschaft besitzen und der von den familienpolitischen Maßnahmen modelliert wird. Den Hypothesen zufolge ist beispielsweise eine große Diskrepanz in den Erwerbsbeteiligungen von Frauen mit und ohne Kinder zu erwarten, wenn ein ausgedehnter Elternurlaub beansprucht werden kann, da dieser den potentiell negativen Kindereffekt auf eine weibliche Erwerbsbeteiligung durch die institutionalisierte Erwerbsunterbrechung verstärkt. Diesen theoretischen Überlegungen folgend wird in einem nächsten Untersuchungsschritt die Abweichung der Erwerbsbeteiligung von Müttern von der Erwerbsbeteiligung kinderloser Frauen innerhalb des jeweiligen Untersuchungslandes betrachtet (vgl. Abbildung 7). Die Unterschiede in den Erwerbsbeteiligungen zwischen Frauen mit und ohne Kindern beziehen sich auf ein und dasselbe Untersuchungsland (d.h. es wird die Erwerbsbeteiligung belgischer Frauen ohne Kinder mit derjenigen belgischer Frauen mit Kindern verglichen; entsprechend erfolgt die Berechnung für die beiden anderen Untersuchungsgebiete). Dadurch wird – gemäß den theoretischen Überlegungen (vgl. Abschnitt 5.2) – eine mögliche Wirkung der nationalspezifischen Kultur ausgeschlossen, da die Kultur innerhalb eines Landes gleichermaßen Einfluss auf Mütter und kinderlose Frauen ausüben sollte. Aus Abbildung 7 geht hervor, dass die Erwerbsbeteiligung von Müttern in der Regel niedriger ausfällt als die Erwerbsbeteiligung kinderloser Frauen, was einen vorwiegend negativen Kindereffekt bestätigt. Lediglich in Ostdeutschland ist für Mütter mit Kindern ab sechs Jahren eine leichte, positive Abweichung von der Erwerbsbeteiligung ostdeutscher kinderloser Frauen zu erkennen.
137
Abbildung 7:
Abweichung der mütterlichen Erwerbsbeteiligung von der Erwerbsbeteiligung kinderloser Frauen innerhalb des jeweiligen Untersuchungsgebietes, in Prozentpunkten
< 1 Jahr
1-3 Jahre
10
3-6 Jahre
6-10 Jahre
10-13 Jahre
Alter des jüngsten Kindes 0
Prozentpunkte-Differenz
-9 -6
-19
-10
-6
6
4
0 -7
13-16 Jahre
-8
-14
-6
-6
-2
-26 -37
-20 -49 -30
-59 -66
-40 -50 -60 -70 Westdeutschland
Ostdeutschland
Belgien
Zugleich zeigt sich, dass die Abweichung der mütterlichen Erwerbsbeteiligung von der Erwerbsbeteiligung kinderloser Frauen mit dem Alter des jüngsten Kindes variiert. Für Westdeutschland sind die Diskrepanzen in den Erwerbsbeteiligungen von Müttern und kinderlosen Frauen fortwährend am größten, auch wenn sie mit zunehmendem Alter des jüngsten Kindes stetig abnehmen. Der Anteil der erwerbstätigen Frauen mit einem Kind unter einem Jahr liegt hier um 66 Prozentpunkte unterhalb der Erwerbsbeteiligung kinderloser Frauen. Die Prozentpunktedifferenz bei Müttern mit Kindern im Kindergartenalter liegt auch noch bei 26 Prozentpunkten. Selbst die Arbeitsmarktpräsenz von Müttern mit Schulkindern ist in Westdeutschland gegenüber kinderlosen Frauen noch deutlich reduziert (-14 Prozentpunkte). Auch für Ostdeutschland treten die Diskrepanzen bis zum sechsten Lebensjahr des Kindes klar hervor, fallen aber eindeutig geringer aus als in Westdeutschland. Die ostdeutschen Mütter mit Kindern unter einem Jahr liegen mit 59 Prozentpunkten, mit Kindern unter drei Jahren mit 37 Prozentpunkten unterhalb der aktiven Erwerbsbeteiligung ostdeutscher, kinderloser Frauen. Mit dem Kindergartenalter des jüngsten Kindes hat sich der Kindereffekt in Ostdeutschland erheblich reduziert und beläuft sich auf 9 Prozentpunkte. Ab dem Schulein138
tritt des Kindes – dem sechsten Lebensjahr – scheint der ostdeutsche Kindereffekt vollkommen neutralisiert zu sein: Der Anteil erwerbstätiger Mütter entspricht dem Anteil erwerbstätiger Frauen ohne Kinder bzw. übertrifft diesen sogar leicht mit zunehmendem Alter des Kindes. In Belgien fällt der Unterschied im Erwerbsniveau zwischen Müttern und kinderlosen Frauen bis zum Schuleintrittsalter am geringsten aus. Insbesondere für Mütter mit Kindern unter drei Jahren ist die Diskrepanz in Belgien im Vergleich zu West- und Ostdeutschland äußerst gering. Die Erwerbsbeteiligung der Mütter mit Kindern unter einem Jahr ist lediglich um 19 Prozentpunkte geringer als die der kinderlosen (belgischen) Frauen gegenüber einer Differenz von 66 und 59 Prozentpunkten in West- und Ostdeutschland. Die Prozentpunktedifferenz bei Müttern mit Kindern ab einem Jahr bleibt um maximal 7 bis 2 Prozentpunkte unterhalb der Erwerbsbeteiligung kinderloser Frauen. Die Ergebnisse sprechen zunächst dafür, dass die familienpolitischen Maßnahmen gemäß den theoretischen Vorüberlegungen wirken. Ein ausgedehnter Elternurlaub sollte sich negativ auf die Müttererwerbsbeteiligung auswirken, während von einer ausgedehnten Kinderbetreuung ein positiver Einfluss zu erwarten ist (Hypothesen 1a und 1b). Die drastische negative Abweichung des mütterlichen Erwerbsverhaltens in West- und Ostdeutschland während der ersten drei Jahre nach der Geburt vom Erwerbsverhalten kinderloser Frauen bescheinigt einen äußerst starken Kindereffekt, der auf die Inanspruchnahme eines bis zu dreijährigen Elternurlaubs hindeutet. Auch in Belgien korrespondiert die verringerte Erwerbsbeteiligung von Müttern während des ersten Lebensjahres des Kindes mit der Möglichkeit eine einjährige Laufbahnunterbrechung zu beanspruchen. Ebenso bestätigt sich die erwartete Rangfolge der Erwerbsbeteiligungen von Müttern mit Kleinkindern: In Ostdeutschland ist der Kindereffekt während der ersten drei Lebensjahre kleiner als in Westdeutschland, jedoch größer als in Belgien (vgl. Hypothese 1b). In allen drei Ländern lässt sich beobachten, dass mit zunehmendem Alter des jüngsten Kindes der negative Einfluss auf die mütterliche Erwerbsbeteiligung abnimmt oder sogar aufgehoben wird. Bei Kindern ab drei Jahren ist lediglich noch in Westdeutschland eine drastische negative Wirkung auf die Arbeitsmarktpräsenz der Mutter festzustellen. In Ostdeutschland ist sogar bei den älteren Schulkindern ein positiver Kindereffekt messbar. Für dieses unerwartete Ergebnis sind verschiedene Erklärungen denkbar. Eine nahe liegende Begründung für diesen positiven Kindereffekt könnte darin bestehen, dass die ostdeutschen Mütter mit größerer Wahrscheinlichkeit alleinerziehend38 sind oder auf38
Der Anteil Alleinerziehender an allen Haushalten mit Kindern liegt in Ostdeutschland mit 22% leicht über dem Westdeutschlands mit 18% (Statistisches Bundesamt 2003: 26; Büchel/Spieß 2002: 54).
139
grund der hohen Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland keinen berufstätigen Lebenspartner haben. Aufgrund dessen besteht möglicherweise für die ostdeutschen Frauen mit Kindern eine größere finanzielle Notwendigkeit, einen Beitrag zum Familieneinkommen zu leisten, als für Mütter der beiden anderen Untersuchungsregionen. Ungeklärt bleibt im Rahmen der bivariaten Analysen allerdings, ob dieses unterschiedliche Erwerbsverhalten von Müttern und kinderlosen Frauen innerhalb eines Landes wirklich ausschließlich Resultat der nationalspezifischen Institutionen ist, oder etwa auf ein selektives Fertilitätsverhalten zurückzuführen ist. In diesem Fall wären nämlich andere Einflussgrößen (z.B. die Bildung oder das Alter der Mutter) für Diskrepanzen im Erwerbsverhalten der beiden Gruppen zuständig, jedoch nicht in erster Linie der Effekt der familienpolitischen Maßnahmen. So wäre denkbar, dass sich die Gruppen der belgischen Mütter und belgischen kinderlosen Frauen in ihren soziodemografischen Merkmalen eher ähnlich sind und daher auch ein ähnliches Erwerbsverhalten aufweisen, während west- und ostdeutsche Mütter beispielsweise im Schnitt niedriger gebildet sind als die kinderlosen west- und ostdeutschen Frauen. Um die möglichen Faktoren aufzudecken, die neben Elternschaft zu Unterschieden im weiblichen Erwerbsverhalten führen können (vgl. hierzu Abschnitt 5.3 und Abschnitt 6.5.3), sind in Tabelle 17 ausgewählte Merkmale der beiden Gruppen für die einzelnen Untersuchungsgebiete vergleichend dargestellt. Augenscheinlich unterscheiden sich die Gruppen der Mütter und kinderlosen Frauen mit Blick auf die ausgewählten soziodemographischen Merkmale z. T. erheblich, wobei einige Unterschiede für und einige gegen die Wirkung der familienpolitischen Institutionen sprechen. Für alle Untersuchungsgebiete trifft zu, dass sich die kinderlosen Frauen durch ein niedrigeres Durchschnittsalter von der Gruppe der Mütter unterscheiden. Darüber hinaus leben kinderlose Frauen seltener mit einem Partner zusammen, sind seltener katholisch und, im Falle einer Partnerschaft, seltener mit ihrem Partner verheiratet. In diesen Merkmalen unterscheiden sich die beiden Gruppen in allen drei Untersuchungsgebiete in identischer Weise, so dass man annehmen kann, dass die Länderunterschiede in den Kindereffekten nicht auf diese Merkmale zurückgeführt werden können. Im Falle der Bildung jedoch sind belgische und westdeutsche kinderlose Frauen im Schnitt höher qualifiziert als die belgischen bzw. westdeutschen Mütter. In Ostdeutschland ist das Verhältnis genau umgekehrt. Die ostdeutschen Mütter sind tendenziell höher gebildet als die ostdeutschen kinderlosen Frauen. Dies wäre ein Anhaltspunkt für eine mögliche Überschätzung des Institutioneneffektes in Ostdeutschland, insofern ostdeutsche Mütter aufgrund ihrer höheren Bildung auch mit höherer Wahrscheinlichkeit erwerbstätig sind als westdeut140
sche Mütter. Umgekehrt deutet jedoch der Vergleich zwischen Ostdeutschland und Belgien darauf hin, dass der ostdeutsche Effekt zu großen Teilen auf die Wirkung der Institutionen zurückgeht, denn die Diskrepanzen zwischen belgischen Müttern und belgischen kinderlosen Frauen sind, obwohl dort umgekehrt die Mütter geringer gebildet sind als die kinderlosen Frauen, geringer als dies in Ostdeutschland während der ersten drei Lebensjahre des Kindes der Fall ist. Für eine Wirkung der Institutionen spricht außerdem, dass der Kindereffekt in Belgien am geringsten ausfällt, obwohl die belgischen Mütter im Ländervergleich sogar im Schnitt die höchste Kinderzahl aufweisen und damit auch einen insgesamt höheren Kinderbetreuungsbedarf besitzen. Tabelle 17: Ausgewählte soziodemografische Merkmale der belgischen, westund ostdeutschen Frauen Belgien mit ohne Kind Kind
Westdeutschland mit ohne Kind Kind
Ostdeutschland mit ohne Kind Kind
N
1.701
1.080
2.982
2.623
1.200
697
Alter Ø
35,4
33,3
35,0
31,6
34,1
32,8
Bildung (%) Niedrig Mittel Hoch
8,6 53,3 38,1
7,1 51,4 41,5
16,2 54,9 28,9
12,8 53,3 33,9
4,3 54,2 41,5
5,7 54,7 39,5
Familienstand (%) verh. zusammenlebend verh. getr. / geschieden ledig Verwitwet Partner im Haushalt (%)
80,0 10,9 8,3 0,9
42,7 11,1 45,1 1,1
81,0 10,2 8,2 0,6
35,9 9,4 54,1 0,7
72,6 11,8 14,7 1,0
41,6 9,4 48,2 0,7
89,2
62,3
87,8
58,6
86,2
63,3
Erwerbstätiger Partner im Haushalt (%)
94,0
91,0
95,2
93,0
91,1
88,0
Katholisch a (%)
83,7
82,3
41,2
38,1
4,5
3,8
Zwei oder mehr Kinder im Haushalt (%)
59,7
-
51,2
-
41,5
-
Anzahl der Kinder im Haushalt Ø
1,8
-
1,7
-
1,5
-
a
Ein Vergleich des Katholikenanteils zwischen Belgien und Deutschland kann nur unter Vorbehalt vorgenommen werden, da sich die Items im PSBH und SOEP voneinander unterscheiden. Während in der belgischen Panelstudie gefragt wird, ob man katholisch erzogen wurde, wird in der deutschen Panelstudie nach der aktuellen Religionszugehörigkeit gefragt.
Es kann also an dieser Stelle nicht eindeutig geklärt werden, wie sich die Kurvenverläufe verändern würden, wenn die genannten Variablen kontrolliert sind. Um nun Verzerrungen durch Unterschiede in der demografischen Zusammensetzung der Stichproben auszuschließen, sind multivariate Analysemethoden 141
erforderlich, die letztlich den in den Hypothesen unterstellten Institutioneneffekt zu überprüfen vermögen. Logistische Regressionsverfahren, die den Längsschnittcharakter der Daten berücksichtigen, sollen im Folgenden Aufschluss verschaffen.
7.2 Ergebnisse der multivariaten Analysen 7.2.1 Die Wirkung der Familienpolitik auf die Müttererwerbsbeteiligung Aus den vorhergehenden deskriptiven Analysen wurde ersichtlich, dass der Effekt, der von einem Kind auszugehen scheint und für eine Kluft zwischen den Erwerbsbeteiligungen von Müttern und kinderlosen Frauen sorgt, national sehr unterschiedlich gestaltet ist. Die Ergebnisse entsprechen grundsätzlich den Vorüberlegungen und Hypothesen zur Wirkung der beiden fokussierten familienpolitischen Einrichtungen Elternurlaub und öffentliche Kinderbetreuung. Allerdings kann in den bivariaten Analysen nicht ausgeschlossen werden, dass andere Faktoren als die zentralen familienpolitischen Einrichtungen für die oben beschriebenen Ergebnisse zur Müttererwerbsbeteiligung zuständig sind. Mithilfe multivariater Analysemethoden soll nun im Folgenden die Stabilität der bivariaten Resultate überprüft werden. Das angewandte Regressionsverfahren ist in der Lage zu testen, ob auch unter Berücksichtigung weiterer Einflussgrößen (wie Alter, Bildung, Partnerschaft etc.) die ermittelten Diskrepanzen im Erwerbsverhalten von Müttern und kinderlosen Frauen innerhalb der einzelnen Untersuchungsländer bestehen bleiben (vgl. Abschnitt 6.6). Abbildung 8 veranschaulicht die zentralen Ergebnisse des Random-Effects Logit Modells (siehe Anhang Tabelle A5, Modell 5a). Die Effektkoeffizienten der unabhängigen Variablen sind hier als Odds Ratios abgetragen (vgl. Abschnitt 6.6). Betrachtet man die Ergebnisse der multivariaten Analysen im Vergleich zu den Ergebnissen der bivariaten Analyse, so zeigt sich, dass die multivariaten Befunde die Ergebnisse der bivariaten Untersuchungen weitgehend bestätigen. Zum einen sind auch im multivariaten Modell unter Berücksichtigung der Kontrollvariablen (Alter, höchster Bildungsabschluss, Periodeneffekte, Anzahl der im Haushalt lebenden Kinder unter 16 Jahren, Partner im Haushalt, Erwerbsbeteiligung des Partners39) deutliche Länderunterschiede in der Stärke des Kindereffektes festzustellen. Zum anderen fallen auch hier die Länderunterschiede im Effekt von Kindern im Vorschulalter, d.h. im Alter von bis zu sechs
39
Zum Einfluss der Kontrollvariablen siehe Abschnitt 7.2.3.
142
Jahren, am stärksten aus und verringern sich mit zunehmendem Alter des jüngsten Kindes. Betrachtet man die mütterlichen Erwerbschancen innerhalb der einzelnen Länder, so erweisen sich die entscheidenden bivariaten Resultate auch im multivariaten Modell als stabil. In Belgien hat das Lebensalter des jüngsten Kindes kaum Einfluss auf die Erwerbschancen belgischer Mütter (vgl. Abbildung 8). Lediglich für Frauen mit einem Kind unter einem Jahr sind die Chancen einer Erwerbsbeteiligung gegenüber kinderlosen Frauen um etwas mehr als die Hälfte reduziert (Odds Ratio = 0.39), während die Chancen für Mütter mit älteren Kindern im Schnitt nur unwesentlich negativ von denen kinderloser Frauen abweichen. Bereits ein Jahr nach der Geburt geht in Belgien kein signifikanter kausaler Effekt mehr von Kindern auf die Müttererwerbsbeteiligung aus. Abbildung 8:
Chancen einer aktiven mütterlichen Erwerbsbeteiligung; Referenz: kinderlose Frauen in der jeweiligen Region
< 1 Jahr
1-3 Jahre
3-6 Jahre
6-10 Jahre
10-13 Jahre 13-16 Jahre
10 Alter des jüngsten Kindes
1.07
0.91
1
0.83 Odds Ratio
0.39
1.09
1.06
0.93
0.31 0.13
0.1
1.22
1.09 1.08 0.58
0.45
Referenz: kinderlose Frauen in der jeweiligen Region
0.14
0.03 0.01
0.01 0.01 Belgien
Ostdeutschland
Westdeutschland
0.001
Kontrollvariablen: Alter, Bildung, Gesamtkinderzahl (2, 3, 4, 5 oder mehr Kinder), Partnerschaft, Erwerbsbeteiligung des Partners, Periodeneffekte (zur Interpretation des Einflusses der Kontrollvariablen siehe Abschnitt 7.2.3)
In den beiden deutschen Regionen spielt das Lebensalter des jüngsten Kindes im Gegensatz zu Belgien eine wesentliche Rolle für die Wahrscheinlichkeit einer mütterlichen Arbeitsmarktpräsenz, denn die Stärke des west- und ostdeutschen Kindereffektes weist eine starke Variation mit dem Kindesalter auf. Für West143
deutschland steigen die Erwerbschancen der Mütter mit zunehmendem Alter des jüngsten Kindes kontinuierlich an, bleiben allerdings immer deutlich unterhalb der Erwerbschancen kinderloser westdeutscher Frauen (vgl. Abbildung 8). Der Kurvenverlauf deutet für Westdeutschland drei Phasen an, innerhalb derer die mütterlichen Erwerbschancen unterschiedlich stark ansteigen40: Die erste Phase reicht von der Geburt bis zum dritten Lebensjahr des jüngsten Kindes – dem Ende der maximalen Elternzeit. Während dieser Phase ist die Steigung der westdeutschen Kurve am größten, d.h. die Chancen auf eine mütterliche Erwerbsbeteiligung nehmen in diesem Zeitraum am stärksten zu. Die zweite Phase reicht vom dritten bis sechsten Lebensjahr des Kindes, d.h. vom Kindergarteneintritt bis zur Einschulung. In dieser Phase nimmt die Steigung der Kurve im Vergleich zur ersten Phase bereits leicht ab. In der dritten Phase – vom Schuleintritt bis zum 16. Lebensjahr des Kindes – nimmt die Steigung der Kurve noch einmal ab. Man erkennt an diesem Phasenverlauf bereits die starke Korrespondenz zwischen mütterlicher Arbeitsmarktpartizipation und den konventionellen westdeutschen Betreuungsinstitutionen: dreijährige Elternzeit, Kindergarten und Schule. Insgesamt fällt für Westdeutschland der Effekt von Kindern jeglichen Alters vergleichsweise stark aus und bleibt durchgehend signifikant. Westdeutsche Mütter sind also generell mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit erwerbstätig als westdeutsche, kinderlose Frauen. Das bedeutet, dass der Effekt von Kindern auch langfristig bestehen bleibt. Für Ostdeutschland ergibt sich ein anderes Bild (vgl. Abbildung 8). Zwar steigen die Chancen einer mütterlichen Erwerbsbeteiligung wie in Westdeutschland mit dem Lebensalter des jüngsten Kindes an, allerdings verläuft dieser Anstieg deutlich steiler. D.h., die Chancen einer Erwerbsbeteiligung nehmen in Ostdeutschland nach der Geburt eines Kindes schneller zu als im westlichen Teil Deutschlands. Bis zum dritten Lebensjahr des jüngsten Kindes bleiben die Erwerbschancen ostdeutscher Mütter gegenüber den ostdeutschen kinderlosen Frauen deutlich reduziert. Doch bereits ab dem Kindergartenalter des jüngsten Kindes unterscheiden sich die Erwerbschancen der Frauen mit und ohne Kinder nicht mehr voneinander. Mit anderen Worten, Kinder ab drei Jahren haben keinen signifikanten Effekt mehr auf die Arbeitsmarktbeteiligung ostdeutscher Mütter. Der positive Effekt älterer Schulkinder in Ostdeutschland auf die mütterliche Erwerbsbeteiligung, der bei den bivariaten Analysen gemessen wurde, ist offensichtlich auf eine oder mehrere der im multivariaten Modell kontrollierten soziodemografischen Einflussgrößen zurückzuführen. 40 Dies gilt auch, wenn man berücksichtigen muss, dass die betrachteten Altersklassen unterschiedlich groß sind.
144
Grundsätzlich werden die Ergebnisse der bivariaten Analysen bestätigt: Die Präsenz von Kindern hat in Belgien den geringsten Einfluss auf die mütterliche Erwerbsbeteiligung. Lediglich innerhalb des ersten Lebensjahres des jüngsten Kindes sind belgische Mütter mit geringerer Wahrscheinlichkeit erwerbstätig als kinderlose Frauen. Dies spricht dafür, dass ein gewisser Anteil von Müttern während des ersten Jahres nach der Geburt des Kindes eine Freistellungsmöglichkeit (Mutterschutz, Elternurlaub bzw. Laufbahnunterbrechung) nutzt, anschließend allerdings ohne weitere Verzögerung oder gar endgültigen Erwerbsausstieg wieder in den Beruf zurückkehrt. Die feststellbare Reduzierung der mütterlichen Erwerbswahrscheinlichkeit innerhalb des Geburtsjahres erscheint nicht zufällig, wenn man sich vergegenwärtigt, dass sich die volle Erwerbsfreistellung von Müttern in Belgien auf maximal ein Jahr beläuft (vgl. Tabelle 1). In West- und Ostdeutschland wird dagegen ein insgesamt wesentlich stärkerer Kindereffekt gemessen, der zudem in hohem Maße mit dem Alter des Kindes variiert. Diese starke Altersabhängigkeit des Kindereffektes kann auf große Unterschiede in der Verfügbarkeit und Akzeptanz von institutioneller Betreuung für verschiedene Lebensalter des Kindes zurückgeführt werden. Der dreiphasige Verlauf der westdeutschen Kurve spricht dafür, dass die Stärke des Kindereffektes mit den familienpolitischen Institutionen in Verbindung steht. Innerhalb der ersten drei Jahre nach der Geburt des Kindes (erste Phase), die mit dem dreijährigen Erziehungsurlaub korrespondiert, steigen die Erwerbschancen westdeutscher Mütter am stärksten an. Diese starke Steigung lässt sich wahrscheinlich darauf zurückführen, dass Mütter mit Erwerbsorientierung versuchen, ihre Elternpause möglichst kurz zu halten und spätestens nach Ablauf der Elternzeit in den Beruf zurückzukehren, nicht zuletzt um einen endgültigen Verlust des Arbeitsverhältnisses zu vermeiden. Während der zweiten Phase, dem Kindergartenalter des jüngsten Kindes, steigen die Erwerbschancen westdeutscher Mütter bereits in geringerem Maße an als in der ersten Phase. Mütter mit bestehendem Arbeitsverhältnis und/oder hoher Erwerbsorientierung kehren vermutlich bereits innerhalb der ersten drei Jahre nach der Geburt des Kindes in den Beruf zurück. Die dritte Phase beginnt beim Schuleintritt des jüngsten Kindes. Hier zeigt sich, dass die Chancen einer Erwerbsbeteiligung nur noch leicht zunehmen. Dies könnte darauf hindeuten, dass die Mehrzahl der Mütter bis zum Schuleintritt ihres jüngsten Kindes bereits über eine Rückkehr ins Berufsleben entschieden hat. Diejenigen, die bis zu sechs Jahre nach der Geburt ihres zuletzt geborenen Kindes keine Erwerbstätigkeit aufgenommen haben, zeichnen sich vermutlich dadurch aus, dass sie eine geringere Erwerbsneigung besitzen, was dazu führt, dass für diese Personengruppe auch im späteren Zeitverlauf die Chancen eines Erwerbseintritts geringer ausfallen. 145
Insgesamt ist für Westdeutschland charakteristisch, dass die mütterlichen Erwerbschancen im gesamten Beobachtungszeitraum unterhalb der Erwerbschancen westdeutscher, kinderloser Frauen verbleiben. Die lange Unterbrechung der Berufstätigkeit durch eine ausgedehnte Elternzeit, die schlechte Versorgung mit öffentlicher Kinderbetreuung sowie die in der Regel nur halbtägige institutionelle Betreuung in Kindergarten und Schule, scheinen einer Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Weg zu stehen. Sie verschlechtern erheblich die Erwerbsmöglichkeiten von westdeutschen Müttern und sorgen somit für eine dauerhafte Kluft zwischen Frauen mit und ohne Kinder. Die Analyse der ostdeutschen Situation ist aufgrund der ‚Zwitterposition’ zwischen den institutionellen Möglichkeiten Belgiens und Westdeutschlands von besonderem Interesse. Es sind sowohl gute öffentliche Betreuungsmöglichkeiten verfügbar, als auch die Inanspruchnahme eines langen Elternurlaubs möglich. Für Ostdeutschland ergeben die Analysen, dass die Geburt eines Kindes trotz der relativ guten Versorgungssituation mit Krippenplätzen, einen zeitlich begrenzten Erwerbsausstieg zur Folge hat. Obgleich sich während der ersten drei Lebensjahre des Kindes die Chancen einer Berufstätigkeit der Mutter kontinuierlich erhöhen, umso weniger Zeit vom Erziehungsurlaub verbleibt, deuten die Ergebnisse darauf hin, dass ein Großteil der Mütter den vollen Elternurlaub ausschöpft, da unmittelbar nach Ablauf der maximalen Elternzeitfrist (drei Jahre nach der Geburt) kein signifikanter Kindereffekt mehr auf die Erwerbsbeteiligung ostdeutscher Frauen feststellbar ist. Auch andere empirische Untersuchungen für Deutschland und Skandinavien weisen darauf hin, dass Mütter dazu tendieren, eine Elternzeit zu nutzen und die gewährte Freistellungszeit voll auszuschöpfen (Ondrich et. al 1996; Rønsen/Sundström 2002). Ostdeutsche Mütter scheinen also den Ergebnissen zufolge, trotz ihrer vergleichsweise hohen Erwerbsneigung, die Möglichkeit, ihre Kinder selbst betreuen zu können, zunächst der Nutzung einer institutionellen Betreuung vorzuziehen. Interessanterweise bleibt der lange Erwerbsausstieg ostdeutscher Mütter allerdings temporär begrenzt. Ab dem dritten Lebensjahr des jüngsten Kindes – mit Ablauf der maximal möglichen Elternzeit – steigt die Mehrheit der ostdeutschen Mütter spätestens wieder in das Erwerbsleben ein. In Westdeutschland dagegen zieht die Inanspruchnahme der Elternzeit längerfristige Konsequenzen für den nachfolgenden Erwerbsverlauf der Mütter nach sich, denn die Wahrscheinlichkeit einer Erwerbstätigkeit liegt selbst noch 16 Jahre nach der Geburt des jüngsten Kindes deutlich unterhalb der Erwerbswahrscheinlichkeit kinderloser, westdeutscher Frauen. Dass die Elternzeit in Ostdeutschland zwar rege genutzt wird, allerdings für einen deutlich kürzeren Zeitraum als in Westdeutschland, hat sich auch bereits in anderen empirischen Studien gezeigt (vgl. z.B. Engelbrech/Jungkunst 2001; Beckmann/Kurtz 2001). Das unterschiedliche 146
Rückkehrverhalten west- und ostdeutscher Frauen kann dabei durch die kulturell unterschiedliche Prägung entstehen, die westdeutschen Frauen eher eine Familienorientierung, ostdeutschen Frauen eher eine Erwerbsorientierung nahe legt (siehe Kapitel 4)41. Aber auch die unterschiedliche Arbeitsmarktsituation in den beiden deutschen Staaten ist an dieser Stelle zu berücksichtigen. So kann eine schlechte Arbeitsmarktlage auch Mütter mit niedriger Erwerbsorientierung dazu bewegen, nach Ablauf des dreijährigen Erziehungsurlaubs zu ihrer Arbeitsstelle zurückzukehren, um diese nicht endgültig zu verlieren. Die freiwillige Aufgabe einer Arbeitsstelle nach Ablauf der Elternzeit wäre in Westdeutschland weniger schwerwiegend, da die Chancen besser als in Ostdeutschland stehen, zu einem späteren Zeitpunkt eine neue Erwerbsmöglichkeit finden zu können. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Ergebnisse auf eine Bestätigung der Hypothesen zur Wirkung der beiden familienpolitischen Regelungen – Elternzeit und öffentliche Kinderbetreuung – hindeuten. Eine gut ausgebaute Kinderbetreuungsinfrastruktur reduziert den negativen Effekt von Kindern und damit die Kluft in den Erwerbschancen zwischen Frauen mit und ohne Kinder innerhalb eines Landes. So zeigt sich für Belgien und Ostdeutschland, den beiden Untersuchungsländern mit einer gut ausgebauten öffentlichen Kinderbetreuungsinfrastruktur, dass der Einfluss von Kindern auf eine mütterliche Erwerbsbeteiligung äußerst gering ausfällt bzw. im Zeitverlauf sogar aufgehoben wird; in Belgien bereits nach einem Jahr, in Ostdeutschland nach drei Jahren. Ein langer Elternurlaub kombiniert mit unzureichenden und in der Regel nur halbtägigen Kinderbetreuungsmöglichkeiten führt bei westdeutschen Müttern zu nachhaltigen, langfristigen Folgen für ihr Erwerbsleben. Somit scheinen die institutionellen Regelungen in der Lage zu sein, Ungleichheiten zwischen Frauen mit und ohne Kinder innerhalb eines Landes abzumildern bzw. aufzulösen.
7.2.2 Das Zusammenspiel von Kultur und Struktur 7.2.2.1 Die Erwerbsbeteiligungen von Müttern im Ländervergleich Wie im vorherigen Abschnitt gezeigt werden konnte, lässt sich der Effekt von Kindern auf eine weibliche Erwerbsbeteiligung mithilfe von Elternurlaubsregelungen und öffentlichem Kinderbetreuungsangebot modifizieren. Elternurlaub 41 Darüber hinaus kann auch die soziale Fortführung der DDR-Regelung, nach der die Elternzeit nur aus einem so genannten ‚Babyjahr’ bestand, eine Rolle spielen (Trappe 1995) (vgl. Abschnitt 3.3). So zeigen Engelbrech und Jungkunst (2001) ebenfalls, dass ein Drittel aller ostdeutschen Frauen, die einen Elternurlaub nehmen, spätestens nach einem Jahr wieder auf den Arbeitsmarkt zurückkehren.
147
verstärkt den negativen Effekt von Kindern, öffentliche Kinderbetreuung schwächt ihn. Mit anderen Worten: familienpolitische Maßnahmen sind durchaus in der Lage, die Erwerbschancen von Müttern an die Erwerbschancen kinderloser Frauen innerhalb eines Landes anzugleichen. Dass Chancengleichheit in Bezug auf Erwerbsarbeit zwischen Frauen mit und ohne Kinder politisch steuerbar ist, ist eine überaus wichtige Feststellung. Jedoch schließt die Frage an, inwiefern familienpolitische Maßnahmen darüber hinaus in der Lage sind, die Unterschiede im Niveau der Müttererwerbstätigkeit zwischen Ländern auszuhebeln. In der derzeitigen Diskussion um die Ausgestaltung der deutschen Familienpolitik werden immer wieder Beispiele familienpolitischer Steuerung in anderen Ländern und deren Wirkung auf eine weibliche Erwerbsbeteiligung und Fertilität herangezogen. Das skandinavische Modell mit einer guten öffentlichen Ganztags-Kinderbetreuung und der damit in Verbindung gebrachten hohen Frauenerwerbs- und Fertilitätsquote wird besonders häufig als Vorbild angeführt. Man verspricht sich mit der Einführung eines ausreichenden Angebotes an öffentlicher Kinderbetreuung in Deutschland ähnliche Wirkungen auf Fertilität und Frauenerwerbsbeteiligung. Doch ist diese Vermutung berechtigt? Hat ein gutes Kinderbetreuungsangebot in allen Gesellschaften die gleiche Wirkung? Inwiefern spielen kulturelle Einflüsse eine Rolle? In diesem Abschnitt sollen die Effekte der Kultur auf die mütterlichen Erwerbschancen in den drei Untersuchungsgebieten untersucht werden. Gemäß den theoretischen Überlegungen trifft die institutionelle Wirkung, vermittelt über den Kindereffekt, lediglich Frauen mit Kindern und führt zu den im vorhergehenden Abschnitt beschriebenen Diskrepanzen im Erwerbsverhalten zwischen kinderlosen Frauen und Müttern, während die kulturellen Faktoren, die sich auf die Rolle der Frau in Berufs- und Familienleben beziehen, unmittelbar auf alle Frauen innerhalb einer Gesellschaft wirken (vgl. Abschnitt 5.2). Bisher wurden lediglich die Erwerbschancen von Müttern und kinderlosen Frauen innerhalb eines Landes einander gegenübergestellt. Um nun jedoch die Wirkung des regionalen bzw. nationalen Kontextes nachzuweisen, ist ein unmittelbarer Vergleich der Müttererwerbschancen zwischen den Untersuchungsländern notwendig. Auch wenn bei der vorherigen Analyse der Kindereffekt in Belgien am geringsten ausfiel, so kann auf dieser Grundlage noch keine Aussage darüber getroffen werden, ob belgische Mütter mit einer größeren Wahrscheinlichkeit beruflich aktiv sind als ost- und westdeutsche Mütter. Im Regressionsmodell (siehe Tabelle A5, im Anhang) geben die geschätzten Koeffizienten der Ländervariablen von Belgien und Ostdeutschland die jeweilige Abweichung in den Erwerbschancen zur Referenzgruppe der westdeutschen Frauen wieder. Betrachtet man die Koeffizienten in Modell 5a (AV1) 148
(vgl. Tabelle A5 im Anhang), so wird deutlich, dass die Wahrscheinlichkeit einer weiblichen Erwerbsbeteiligung – unabhängig von dem Vorhandensein von Kindern – sowohl in Ostdeutschland mit einem Koeffizienten (Log Odds) von 0.907 (entspricht einem Odds Ratio von 0.404) und noch einmal stärker in Belgien mit einem Koeffizienten von -1.434 (entspricht einem Odds Ratio von 0.238) signifikant geringer ausfällt als in Westdeutschland, der Referenzkategorie. Während diese Koeffizienten bisher vernachlässigt werden konnten, da es um den Vergleich kinderloser Frauen mit Müttern desselben Landes ging, gilt es nun diese Koeffizienten zu verrechnen, um die Differenzen zwischen den Ländern zu beleuchten. Dementsprechend müssen die in Abbildung 8 abgetragenen Kurven von Belgien und Ostdeutschland mit den entsprechenden Länderkoeffizienten verrechnet werden. Mit der Verrechnung der Länderkoeffizienten ergibt sich eine gemeinsame Referenzgruppe für alle drei Länderkurven: die westdeutschen, kinderlosen Frauen. Diese Werte sind in Abbildung 9 dargestellt.Damit gewährleistet Abbildung 9 nun den direkten Vergleich der mütterlichen Erwerbschancen zwischen den Untersuchungsländern. Abbildung 9:
Chancen einer aktiven mütterlichen Erwerbsbeteiligung; Referenz: kinderlose westdeutsche Frauen
< 1 Jahr
1-3 Jahre
1
6-10 Jahre
10-13 Jahre 13-16 Jahre
Alter des jüngsten Kindes 0.49 0.34 0.31 0.22
0.26
0.25
0.45 0.44
0.58 0.44
Referenz: kinderlose Frauen in WestDeutschland
0.26 0.22
0.14 0.09
Odds Ratio
0.1
3-6 Jahre
0.05
0.03 0.01 0.01 0.01
Belgien
Ostdeutschland
Westdeutschland
0.001
Kontrollvariablen: Alter, Bildung, Gesamtkinderzahl (2, 3, 4, 5 oder mehr Kinder), Partnerschaft, Erwerbsbeteiligung des Partners, Periodeneffekte (zur Interpretation des Einflusses der Kontrollvariablen siehe Abschnitt 7.2.3)
149
Betrachtet man zunächst das Erwerbsverhalten von Müttern mit Kindern unter drei Jahren, so bleibt trotz der Reduktion der belgischen Erwerbschancen um den entsprechenden Länderkoeffizienten das Ergebnis bestehen, dass belgische Frauen mit Kleinkindern deutlich bessere Chancen auf eine Arbeitsmarktpartizipation aufweisen als west- und ostdeutsche Mütter mit Kleinkindern. Die Wahrscheinlichkeit im Geburtsjahr des Kindes erwerbstätig zu sein, ist in Westund Ostdeutschland äußerst gering (Odds Ratio 0.01). Belgien, das Land mit einer kurzen Elternfreistellung und einem guten Kinderbetreuungsangebot, weist die größten Erwerbschancen für Mütter mit Kindern unter drei Jahren auf, Westdeutschland mit langer Elternzeit und sehr begrenzten außerfamilialen Betreuungsmöglichkeiten die geringsten. Damit scheint sich Hypothese 1a auch im multivariaten Modell zu bestätigen. In Ostdeutschland, wo sowohl gute öffentliche Betreuung als auch ein langer Elternurlaub verfügbar sind, liegen die mütterlichen Erwerbschancen gemäß Hypothese 1b zwischen denjenigen Belgiens und Westdeutschlands, was sich ebenfalls empirisch bewahrheitet. Für ältere Kinder ab drei Jahren verändern sich allerdings die Länderrelationen: Wenn auch die belgischen Müttererwerbschancen im Ländervergleich zunächst am höchsten ausfallen, so steigt die Erwerbswahrscheinlichkeit der west- und ostdeutschen Mütter mit zunehmendem Alter des Kindes stark an, so dass dort langfristig sogar die ursprünglich höchsten Erwerbschancen der belgischen Mütter übertroffen werden. Während der ersten drei Lebensjahre des Kindes nehmen die deutschen Erwerbschancen besonders schnell zu, vor allem in Ostdeutschland. Ostdeutsche Mütter scheinen demzufolge eine längere Erwerbsunterbrechung bei der Geburt eines Kindes einzulegen als die belgischen Mütter. Ab dem dritten Lebensjahr ihres jüngsten Kindes weisen die ostdeutschen Frauen bereits signifikant größere Erwerbschancen auf als die belgischen Mütter. Ab dem sechsten Lebensjahr – dem Schuleintrittsalter – des jüngsten Kindes nimmt die Erwerbswahrscheinlichkeit der ostdeutschen Frauen mit Kindern allerdings nicht mehr weiter zu und verbleibt auf gleichem Niveau. Auch die Wahrscheinlichkeit der Westdeutschen auf dem Arbeitsmarkt aktiv zu sein, nimmt mit dem Alter des jüngsten Kindes konstant zu, wenn auch nicht so schnell wie die der Ostdeutschen. Allerdings erreichen die westdeutschen Mütter bereits kurz vor Schuleintritt des jüngsten Kindes die Erwerbschancen der belgischen Frauen mit Kindern und übertreffen diese im weiteren Zeitverlauf; ab dem 13. Lebensjahr des jüngsten Kindes werden sogar die Erwerbschancen der ostdeutschen Mütter signifikant übertroffen. Insgesamt zeigt der unmittelbare Vergleich der Müttererwerbschancen zwischen den drei Untersuchungsgebieten, dass zwar belgische Mütter mit Kindern unter drei Jahren bessere Erwerbschancen aufweisen als west- und ostdeutsche, allerdings währt dieser Vorteil nur kurzfristig. Langfristig erreichen und über150
steigen die (west- und ost-)deutschen Mütter die Erwerbschancen belgischer Frauen mit Kindern. Bereits ab dem 3. Lebensjahr des jüngsten Kindes weisen ostdeutsche Mütter – trotz der im Vergleich zu Belgien deutlich schlechteren Arbeitsmarktsituation (siehe Anhang, Abbildung A3) – leicht höhere Erwerbschancen auf, die sich auch in den Folgejahren fortsetzen. Selbst in Westdeutschland mit der schlechtesten Ausgangslage bei der Geburt eines Kindes sind ab dem Schulalter des jüngsten Kindes Mütter mit einer höheren Wahrscheinlichkeit erwerbstätig als belgische Mütter. Bei Kindern ab 10 Jahren übersteigen die westdeutschen Müttererwerbschancen (Odds Ratio 0.58) sogar die der ostdeutschen Mütter (Odds Ratio 0.44).42 Diese empirischen Befunde weisen darauf hin, dass gute und ausreichende öffentliche Kleinkindbetreuung nicht unbedingt mit dauerhaften und langfristig hohen Müttererwerbschancen einhergehen. Nach den theoretischen Überlegungen in Abschnitt 5.1, die der Humankapitaltheorie folgen (vgl. Becker 1982; Mincer/Ofek 1982; Schultz 1992), sollte ein gutes Angebot an öffentlicher Kinderbetreuung längere Erwerbsunterbrechungen verhindern, da diese eine Abschreibung des akkumulierten Humankapitals zur Folge hätten und damit letzten Endes die Erwerbswahrscheinlichkeit von Müttern senken. Den Ergebnissen zufolge muss Hypothese 2, die postuliert, dass mit einer langen Erwerbsunterbrechung von mehr als einem Jahr dauerhafte, negative Folgen für die mütterlichen Erwerbschancen einhergehen, jedoch verworfen werden. Was die möglichen Ursachen für dieses Resultat betrifft, können vor allem zwei Thesen angeführt werden: Erstens mag – gemäß den theoretischen Überlegungen – auch die repräsentative Kultur eine wichtige Rolle für nationale/regionale Unterschiede im Müttererwerbsniveau besitzen, indem sie die Erwerbsorientierung von Frauen beeinflusst und damit die theoretische Wirkung eines gut ausgebauten Kinderbetreuungssystems konterkariert (vgl. Hypothese 3). Zweitens besteht die Möglichkeit, dass eine schlechte Arbeitsmarktlage eine durchaus erwünschte Erwerbsbeteiligung verhindert. Um die Länderunterschiede zu erklären, sind beide Thesen von Bedeutung. Während die zweite vor allem auf Ostdeutschland, dem Land mit der höchsten Frauenarbeitslosigkeit und der egalitärsten Geschlechterkultur, zutreffen sollte, kann die erste These vor allem für Belgien von Belang sein. Wie aus Abbildung A3 (im Anhang) hervorgeht, sind ostdeutsche Frauen in beträchtlich höherem Maße von Arbeitslosigkeit betroffen als belgische und westdeutsche Frauen. Das bedeutet, ihre Chancen auf eine aktive Erwerbsbeteiligung sind per se – ungeachtet der guten Betreuungsinfrastruktur und der hohen Erwerbsneigung – durch ein geringeres Angebot an Arbeitsplätzen gegenüber Belgien und Westdeutschland reduziert. In 42
Alle berichteten Länderdifferenzen sind statistisch signifikant (vgl. Anhang Tabelle A5).
151
Belgien sollten die Erwerbschancen zwar weitgehend unbeeinträchtigt von hoher Arbeitslosigkeit und unzureichendem Kinderbetreuungsangebot sein, jedoch senkt hier gemäß den Hypothesen das traditionellere Geschlechterrollenverständnis die Erwerbschancen von Frauen im Vergleich zu West- und Ostdeutschland.
7.2.2.2 Das positive Arbeitsangebot im Ländervergleich Um nun einen besseren Einblick zu erhalten, welche Wirkmechanismen – äußere Restriktionen oder die repräsentative Geschlechterkultur – die aktiven Erwerbschancen von Müttern maßgeblich beeinflussen, soll im Folgenden das Random-effects Logit Modell mit der zweiten abhängigen Variable – dem positiven Arbeitsangebot – repliziert werden.43 Während die vorher betrachtete aktive Erwerbsbeteiligung den bereits realisierten Erwerbswunsch abbildet, greift das positive Arbeitsangebot zusätzlich den Wunsch auf, zum Befragungszeitpunkt beruflich aktiv zu sein, und zwar ungeachtet dessen, ob dieser realisiert werden konnte oder nicht. Auf Basis der theoretischen Überlegungen werden durch diese Variable Restriktionen seitens des Arbeitsmarktes, d.h. ein möglicher Mangel an Arbeitsplätzen, ausgeblendet. Die Ergebnisse des Random-effects Modells sind wiederum als Odds Ratios in Abbildung 10 abgetragen. Die Referenzgruppe bilden – wie in der vorherigen Abbildung 9 – die westdeutschen kinderlosen Frauen (vgl. Anhang Tabelle A5, AV2). Es zeigt sich, dass in Bezug auf das positive Arbeitsangebot der Mütter mit Kleinkindern die Länderrelationen, wie sie bei der aktiven Erwerbsbeteiligung sichtbar wurden, bestehen bleiben (vgl. Abbildung 10 mit Abbildung 9): Belgische Mütter mit Kleinkindern weisen das höchste positive Arbeitsangebot auf, während westdeutsche Mütter über die geringste Erwerbsneigung verfügen. Das Arbeitsangebot ostdeutscher Mütter liegt in den ersten zwei bis drei Jahren nach der Geburt im Mittelfeld. Im Gegensatz zu den im Zeitverlauf sehr stabilen Koeffizienten der Belgier, steigen die west- und ostdeutschen mit zunehmendem Alter des jüngsten Kindes kontinuierlich an. Allerdings steigen die Chancen der ostdeutschen Mütter wesentlich stärker als die der westdeutschen. Bereits ab dem dritten Lebensjahr des Kindes übertrifft die Erwerbsorientierung ostdeutscher Mütter signifikant die der belgischen Frauen mit Kindern desselben Alters. 43 Ein positives Arbeitsangebot liegt bei erwerbstätigen Personen sowie bei nicht erwerbstätigen Personen vor, die zum Befragungszeitpunkt nach Arbeit suchen (vgl. Abschnitt 6.5.1).
152
Abbildung 10: Chancen eines positiven mütterlichen Arbeitsangebotes; Referenzgruppe: kinderlose westdeutsche Frauen < 1 Jahr
1-3 Jahre
3-6 Jahre
6-10 Jahre
10-13 Jahre 13-16 Jahre
10 Alter des jüngsten Kindes 1.72
0.34
Odds Ratio
0.27
0.32
Referenz:
1.74 kinderlose
0.96
1
0.47
0.55
Frauen in Westdeutschland
0.29 0.27
0.10 0.1
2.28
0.25
0.14
0.10
0.03 0.01 0.01 0.01 Belgien
Ostdeutschland
Westdeutschland
0.001
Kontrollvariablen: Alter, Bildung, Gesamtkinderzahl (2, 3, 4, 5 oder mehr Kinder), Partnerschaft, Erwerbsbeteiligung des Partners, Periodeneffekte (zur Interpretation des Einflusses der Kontrollvariablen siehe Abschnitt 7.2.3)
Bei Frauen mit Kindern ab drei Jahren ist das positive Arbeitsangebot in Ostdeutschland schließlich im Ländervergleich am größten und übersteigt sogar deutlich mit einem Odds Ratio 1.74 die Erwerbsneigung der Referenzgruppe der westdeutschen kinderlosen Frauen. Zwar steigen die Chancen der westdeutschen Mütter auf ein positives Arbeitsangebot nicht ganz so rapide wie die der ostdeutschen, aber auch sie übertreffen ab dem Schuleintrittsalter des jüngsten Kindes ebenfalls die Erwerbsorientierung der belgischen Frauen mit Kindern. Gleichzeitig bleibt allerdings die Wahrscheinlichkeit eines Arbeitsangebotes der westdeutschen Mütter im Gegensatz zu der der ostdeutschen – wie bereits in Abschnitt 7.2.1 gezeigt werden konnte – deutlich unterhalb der Wahrscheinlichkeit der westdeutschen kinderlosen Frauen (Referenzgruppe). Die Länderrangfolge in der Erwerbsneigung für Mütter mit Schulkindern fällt daher anders aus als für solche mit jüngeren Kindern unter sechs Jahren: Ostdeutschland zeichnet sich im Ländervergleich durch das größte Arbeitsangebot aus, Belgien durch das niedrigste und Westdeutschland bewegt sich im Mittelfeld. Dieses Ergebnis deckt sich mit der aus Hypothese 3 ableitbaren Länderrangfolge für die Erwerbsorientierung von Frauen mit Kindern ab drei Jahren: 153
Ostdeutschland als das Land mit dem egalitärsten Geschlechterrollenbild weist die höchste Müttererwerbsneigung auf, Belgien mit dem vergleichsweise traditionellsten Rollenverständnis die niedrigste, während Westdeutschland zwischen den beiden anderen Gebieten einzuordnen ist.
7.2.2.3 Diskrepanzen zwischen Wunsch und Wirklichkeit Ein Vergleich der Effektkoeffizienten zur aktiven Arbeitsmarktbeteiligung mit den Koeffizienten zum positiven Arbeitsangebot kann nun Erkenntnisse darüber liefern, inwiefern ein Mangel an Arbeitsplätzen das weibliche Erwerbsverhalten in den drei Untersuchungsgebieten beeinträchtigt. Übersteigen die Chancen auf ein positives Arbeitsangebot die Chancen einer aktiven Erwerbsbeteiligung innerhalb eines Gebietes, bedeutet dies, dass äußere Restriktionen der Umsetzung eines Erwerbswunsches im Wege stehen.44 Weichen innerhalb eines Landes die Chancen auf eine aktive mütterliche Erwerbsbeteiligung jedoch nicht wesentlich von den Chancen auf ein positives Arbeitsangebot ab, deutet dies darauf hin, dass eine zu geringe Arbeitsnachfrage keinen Beitrag zur Erklärung der Müttererwerbschancen leisten kann und der Arbeitsmarkt die Realisierung eines Erwerbswunsches nicht behindert. In Bezug auf die Untersuchungsfrage würde dies bedeuten, dass ein Arbeitsplatzmangel die Umsetzung von kulturellen Orientierungen eines Landes nicht blockiert. Abbildung 11 veranschaulicht die Diskrepanzen zwischen Erwerbswunsch und dessen Realisierung, indem die geschätzten Effektkoeffizienten zur aktiven Erwerbsbeteiligung (AV1) und zum positiven Arbeitsangebot (AV2) (siehe Anhang, Tabelle A5, Modell 5a) für das jeweilige Untersuchungsgebiet gemeinsam abgetragen sind (im Prinzip handelt es sich um eine Zusammenführung der einzelnen Länderkurven aus Abbildung 9 und Abbildung 10). Sowohl für Westdeutschland als auch für Belgien sind nur sehr geringfügige Unterschiede zwischen den Schätzwerten der beiden abhängigen Variablen zu beobachten. Die Effektkoeffizienten zum Arbeitsangebot fallen in beiden Ländern im Schnitt leicht höher aus als die Effektkoeffizienten zur aktiven Erwerbsbeteiligung. Offenbar existieren weder in Westdeutschland noch in Belgien nennenswerte Differenzen zwischen gewünschter Erwerbsbeteiligung und deren Realisierung. Demnach ist davon auszugehen, dass im Großen und Ganzen Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage von Müttern übereinstimmen. Äußere
44
Der umgekehrte Fall, dass die Chancen einer aktiven Erwerbsbeteiligung die Chancen eines positiven Arbeitsangebotes übersteigen, ist ausgeschlossen, da eine aktive Erwerbsbeteiligung ein positives Arbeitsangebot per Definition zwingend voraussetzt (vgl. Abschnitt 6.5.1).
154
Restriktionen seitens des Arbeitsmarktes, die eine gewünschte Erwerbsbeteiligung verhindern könnten, scheinen sich folglich in Grenzen zu halten. Abbildung 11: Diskrepanzen zwischen aktiver Erwerbsbeteiligung und positivem Arbeitsangebot von Müttern; Referenz: kinderlose westdeutsche Frauen Alter des jüngsten Kindes in Jahren 1-3
3-6
6-10
10-13
Alter des jüngsten Kindes in Jahren <1
13-16
1-3
3-6
6-10
10-13
13-16
Odds Ratios
Odds Ratios
<1
Ostdeutschland
Westdeutschland Alter des jüngsten Kindes in Jahren 1-3
3-6
6-10
Odds Ratios
<1
10-13
13-16
AV1 aktive Erwerbsbeteiligung AV2 positives Arbeitsangebot
Belgien Kontrollvariablen: Alter, Bildung, Gesamtkinderzahl (2, 3, 4, 5 oder mehr Kinder), Partnerschaft, Erwerbsbeteiligung des Partners, Periodeneffekte (zur Interpretation des Einflusses der Kontrollvariablen siehe Abschnitt 7.2.3)
Ganz anders gestaltet sich die Situation in Ostdeutschland: hier übersteigen die Koeffizienten zum positiven Arbeitsangebot deutlich die Schätzwerte zur aktiven Erwerbsbeteiligung. Es existiert augenscheinlich eine große Unstimmigkeit zwischen dem gewünschten und faktischen Erwerbsverhalten von ostdeutschen Müttern. Deutlich mehr Mütter wünschen sich, auf dem Arbeitsmarkt zu partizipieren, können diesen Wunsch jedoch nicht umsetzen. Dieses Ergebnis deckt sich mit den bivariaten Erkenntnissen (vgl. Abschnitt 7.1.1), nach denen auch ein vergleichsweise großer Anteil der ostdeutschen Mütter einen aktuell bestehenden Erwerbswunsch nicht in die Tat umsetzen kann. Dies gilt zwar für alle Altersstufen des jüngsten Kindes, allerdings nehmen die Diskrepanzen zwischen 155
Arbeitswunsch und dessen Realisierung mit dem Alter des Kindes zu: Die Erwerbsneigung ostdeutscher Frauen steigt mit zunehmendem Alter des Kindes stärker an als die Möglichkeiten eine Erwerbsarbeit tatsächlich aufzunehmen. Im Gegensatz zu Westdeutschland, wo die Wahrscheinlichkeit eines positiven Arbeitsangebots gleichermaßen mit der Wahrscheinlichkeit einer aktiven Erwerbsbeteiligung mit dem Alter des jüngsten Kindes ansteigt, verbleiben die Erwerbschancen in Ostdeutschland ab dem sechsten Lebensjahr des jüngsten Kindes auf gleichem Niveau, während die Erwerbsneigung mit zunehmendem Kindesalter weiterhin zunimmt und die Chancen einer tatsächlichen Erwerbstätigkeit schließlich drastisch übersteigt. Da ein Mangel an öffentlichen Kinderbetreuungsmöglichkeiten in Ostdeutschland als Ursache für diese Diskrepanzen auszuschließen ist, muss die Ursache in erster Linie in einem Mangel an Arbeitsplätzen gesehen werden (vgl. Anhang, Abbildung A3). Die Ergebnisse der logistischen Regression auf das positive Arbeitsangebot führen zu der Erkenntnis, dass Mütter in Ostdeutschland die größte Erwerbsorientierung besitzen. Dies stimmt mit den Einstellungsanalysen in Abschnitt 4.3 überein, nach denen die ostdeutschen Frauen im Vergleich zu Westdeutschland und Belgien das egalitärste Geschlechterrollenverständnis aufweisen. Gleichzeitig muss neben den existierenden Kultureffekten berücksichtigt werden, dass sich die ökonomische Situation von ostdeutschen Familien nach der Wiedervereinigung erheblich verschlechtert hat (vgl. Lee et al. 2007). Wegen hoher Männerarbeitslosigkeit bestehen dort sicherlich auch größere finanzielle Anreize für Frauen eine Erwerbsarbeit aufzunehmen als dies in Westdeutschland oder Belgien der Fall ist. Die Erwerbsbeteiligung des Partners wurde allerdings in den Analysen kontrolliert, so dass die kulturellen Unterschiede – wie sie in den Einstellungsanalysen hervorgetreten sind – evident sind und für die beobachteten Unterschiede im positiven Arbeitsangebot verantwortlich gemacht werden müssen. In Bezug auf die Diskrepanzen zwischen Erwerbswunsch und faktischem Erwerbsverhalten lässt sich demnach festhalten, dass die multivariaten Analysen für Belgien und Westdeutschland keinerlei Anhaltspunkte für größere Diskrepanzen zwischen Erwerbswunsch und dessen Umsetzung liefern. Die geschätzten Koeffizienten (Chancen) sind für das positive Arbeitsangebot zwar leicht höher als für die aktive Erwerbsbeteiligung, jedoch handelt es sich hierbei nur um geringfügige Differenzen, deren Ursachen vermutlich eher auf individueller als auf struktureller Ebene anzusiedeln sind. In Ostdeutschland sind große Differenzen zwischen positivem Arbeitsangebot und aktiver Erwerbsbeteiligung auszumachen, die ursächlich auf die geringe Arbeitsnachfrage zurückgeführt werden können.
156
Alles in allem bestätigen die Analysen die Wirkung der Kultur auf eine weibliche Erwerbsbeteiligung. Augenscheinlich bestimmt die Ausgestaltung der nationalen Familienpolitik das Erwerbsverhalten von Müttern unmittelbar nach Geburt eines Kindes. Mit zunehmendem Alter des jüngsten Kindes und nach Ablauf einer möglichen Elternfreistellung gewinnt allerdings die Geschlechterkultur des jeweiligen Landes an Einfluss. Während also das Erwerbsverhalten von Müttern in der ersten Zeit nach der Geburt durch familienpolitische Opportunitäten geprägt ist, schlägt mit zunehmendem Alter des jüngsten Kindes die vorherrschende Geschlechterkultur durch und beeinflusst entscheidend das Arbeitsangebot von Müttern.
7.2.3 Der Einfluss der Kontrollvariablen Während in den vorherigen Abschnitten die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den drei Untersuchungsgebieten – als Chiffre für unterschiedliche familienpolitische und kulturelle Kontexte und deren Wirkung auf das mütterliche Erwerbsverhalten – im Zentrum der Analyse standen, widmet sich dieser Abschnitt der Frage, wie stark der Einfluss anderer erklärender Faktoren ist. Auch innerhalb der einzelnen Untersuchungsländer gibt es mehr oder weniger starke Variationen sowohl bezüglich der Inanspruchnahme von familienpolitischen Angeboten als auch bezüglich der Einstellungen zur Rolle der Frau und Mutter. So ist beispielsweise anzunehmen, dass höher gebildete Mütter mit größerer Wahrscheinlichkeit erwerbstätig sind als Mütter mit geringerer Bildung, und zwar unabhängig davon, in welchem Untersuchungsgebiet sie leben. Aus diesem Grund wurden neben den zentralen unabhängigen Variablen weitere Kontrollvariablen in die multivariaten Analysemodelle integriert, deren Bedeutung und Wirkung in diesem Abschnitt erörtert werden soll. In den Theorien der rationalen Wahl wird vor allen Dingen den individuellen Ressourcen und dem haushaltskontextuellen Rahmen eine entscheidende Rolle für die weibliche Erwerbsbeteiligung beigemessen (vgl. Bryant 1990). Die Bedeutung dieser Einflussgrößen zur Erklärung der Erwerbsbeteiligung der Frau spiegelt sich auf einer ersten allgemeinen Ebene in der Veränderung der Log likelihood Werte zwischen Modell 1 ohne Kontrollvariablen und den – sukzessive um individuelle und haushaltskontextuelle Merkmale – erweiterten Modellen 2 und 3 wider (siehe Anhang: Tabelle A3, Tabelle A4): Je größer die Log likelihood Werte (je näher an 0), desto besser ist die Erklärungskraft des Modells. Die Vergrößerung des Log likelihood unter Einbezug der individuellen und haushaltskontextuellen Variablen zeigt an, dass die Kovariaten durchaus zur Verbesserung der Güte des Modells beitragen. Dies gilt in erster Linie für das 157
Alter und die Bildung (von Log likelihood -27642 in Modell 1 auf -26469 in Modell 2). Als eine der wichtigsten Determinanten der Erwerbsbeteiligung wird im Allgemeinen das Humankapital betrachtet (vgl. Becker 1985; Mincer/Ofek 1982; Bryant 1990), das im Rahmen dieser Untersuchung mithilfe des höchsten Bildungsabschlusses operationalisiert wurde (vgl. Abschnitt 6.5.2). Gemäß den theoretischen Überlegungen sind Frauen mit größerer Wahrscheinlichkeit beruflich aktiv, wenn sie von einer Erwerbsbeteiligung finanziell profitieren, was mit zunehmender Bildung und dem damit einhergehenden potentiell höheren Lohn der Fall ist (Joesch 1994). Kommt es zu einer Erwerbsunterbrechung bei der Geburt eines Kindes, steigen zudem mit zunehmender Bildung die Opportunitätskosten, so dass zu erwarten ist, dass höher gebildete Frauen früher wieder in den Beruf zurückkehren, um Abschreibungen des Humankapitals sowie Einkommenseinbußen möglichst gering zu halten. Die empirischen Ergebnisse belegen die Relevanz der Bildung für die Erwerbsentscheidung. Die Bildung der Frau besitzt in allen Analysemodellen einen hochsignifikanten Einfluss (vgl. Tabelle A3, Tabelle A4, Tabelle A5). Der geschätzte Koeffizient weist aus, dass die Bildung eine positive Wirkung auf eine aktive Erwerbsbeteiligung (AV1) ausübt.45 Wie bereits theoretisch diskutiert wurde, gehen von einem hohen Bildungsniveau der Frau verschiedene Anreize aus, eine Erwerbsarbeit aufzunehmen (vgl. Abschnitt 5.3.1.1): Mit einem höheren Qualifikationsniveau ist zum einen ein potentiell höheres Erwerbseinkommen verbunden, zum anderen wird in Phasen der Erwerbslosigkeit mehr Bildungskapital abgeschrieben und schließlich verbessern sich mit höherem Bildungsniveau die Chancen, einen Arbeitsplatz zu finden (vgl. Konsortium Bildungsberichterstattung 2006). Nicht zuletzt hat Bildung auch einen Effekt auf die Erwerbsbereitschaft, und dass nicht nur vermittelt über die oben genannten ökonomischen Anreize und Gelegenheiten: Höher gebildete Frauen sind stärker mit emanzipatorischen Ideen vertraut und sehen Berufsarbeit eher als Wert an sich (vgl. BeckGernsheim 1983; Beck 1986). Dementsprechend erweist sich Bildung auch als wichtiger Einflussfaktor für die Erwerbsorientierung, allerdings fällt der geschätzte Koeffizient für die aktive Erwerbsbeteiligung (AV1) höher aus als für das positive Arbeitsangebot (AV2). Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass das 45
Analysen, in denen der Bildungseffekt getrennt für die drei Untersuchungsgebiete ausgewiesen wird, ergeben, dass der Bildungseffekt in Westdeutschland und Belgien nahezu gleich stark ausfällt, während er in Ostdeutschland etwas stärker ist. Eine Ursache dafür ist sicherlich in der hohen Arbeitslosigkeit Ostdeutschlands zu sehen, wovon Personen mit geringeren Berufsqualifikationen in stärkerem Maße betroffen sind und daher auch vergleichsweise geringere Chancen auf eine aktive Erwerbsbeteiligung besitzen als in den anderen beiden Regionen.
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Arbeitsangebot höher gebildeter Frauen mit größerer Wahrscheinlichkeit eine Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt findet und bestätigt die Überlegung, dass der stärkere Bildungseffekt in Ostdeutschland auf die hohe Arbeitslosigkeit zurückzuführen ist, wovon gering qualifizierte Personen in höherem Maße betroffen sind (siehe dazu auch die Überlegungen in Fußnote 44). Neben der zentralen unabhängigen Variable des Alters des jüngsten Kindes, welche gemäß den theoretischen Überlegungen auf die höchste Betreuungsintensität im Haushalt verweist, wurde ferner der Einfluss der Gesamtkinderzahl berücksichtigt, der einerseits den Gesamtumfang der benötigten Kinderbetreuung des Haushaltes abbildet (vgl. Abschnitt 5.1), andererseits auf den Bedarf an finanziellen Ressourcen verweist. Gemäß der ökonomischen Theorie hat die Anzahl der Kinder einen potentiell negativen Effekt auf eine weibliche Erwerbstätigkeit, da sich die Spezialisierungsvorteile, die sich aus einer geschlechtlichen Arbeitsteilung ergeben, erhöhen (vgl. z.B. Bryant 1990: 147 ff.). Mit zunehmender Kinderzahl steigt die Haushaltsproduktivität, da bei gleichem Input ein und dasselbe Gut oder die gleiche Leistung mehreren Personen zufließt. So kann beispielsweise das Waschen von Kleidung, das Zubereiten einer Mahlzeit oder die Kinderbetreuung bei gleichem Zeitaufwand mehreren Personen zugute kommen. Gemäß dieser Erwartung ergeben die Analysen zur Wirkung der Gesamtkinderzahl im Haushalt, dass mit zunehmender Kinderzahl die weibliche Erwerbswahrscheinlichkeit sinkt: Mit jedem zusätzlichen Kind im Haushalt verringern sich die Chancen der Frau, auf dem Arbeitsmarkt präsent zu sein. Betrachtet man den Effekt der Kinderzahl getrennt für die drei Untersuchungsgebiete, so zeigt sich, dass die Kinderzahl zwar in allen drei Untersuchungsgebieten einen negativen Effekt auf die Müttererwerbsbeteiligung ausübt, allerdings der Effekt eines zweiten Kindes in Belgien und Ostdeutschland leicht geringer ausfällt als in Westdeutschland.46 Beim Effekt eines dritten oder höherrangigen Kindes ergeben sich dagegen keine Länderunterschiede. Im Hinblick auf die Wirkung der Familienpolitik auf den Effekt der Kinderzahl ist demnach festzuhalten, dass das gute öffentliche Betreuungssystem in Belgien und Ostdeutschland offensichtlich zur Verringerung des Effektes von einem oder zwei Kindern beiträgt, den Effekt von drei oder mehr Kindern allerdings nicht abzumildern vermag. Offenbar ist die Präsenz von zwei bzw. von drei oder mehr Kindern ein Schwellenwert, bei der die Opportunitätskosten von Elternschaft substantiell zunehmen und weder durch öffentliche Transfers oder Dienstleistungen wie Kinderbetreuung kompensiert werden können. 46
Hat die Frau lediglich ein Kind, wird dessen Effekt über die zentralen Altersvariablen des jüngsten Kindes abgefangen, die in den vorangegangenen Abschnitten ausführlich ländervergleichend diskutiert wurden.
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Nicht nur das Zusammenleben mit Kindern, sondern auch das Zusammenleben mit einem Partner kann die weibliche Erwerbsentscheidung beeinflussen. So ist zu erwarten, dass Frauen mit einem festen Lebenspartner in geringerem Maße ökonomischen Zwängen ausgesetzt sind als alleinstehende Frauen, da der Partner zum einen eine potentielle Einkommensressource darstellt, zum anderen durch einen Degressionseffekt47 (‚economies of scale’) ökonomische Vorteile erwachsen. Demnach wäre zu erwarten, dass Frauen mit Lebenspartner mit geringerer Wahrscheinlichkeit berufstätig sind als solche ohne Lebenspartner. Wie aus (Abschnitt 7.1.2) zu entnehmen ist, geht auch in allen drei Untersuchungsgebieten die überwiegende Mehrheit der Partner (>90%) einer Erwerbstätigkeit nach. Das Ergebnis der empirischen Analysen weist allerdings überraschenderweise das Gegenteil aus: Eine Partnerschaft – ungeachtet dessen, ob es sich um eine eheliche oder nichteheliche handelt – sowie die Erwerbsbeteiligung des Partners übt einen positiven Effekt auf die weibliche Erwerbstätigkeit aus. Differenziert man den Einfluss des Partners nach Untersuchungsgebieten sowie für Frauen mit und ohne Kinder, so zeigt sich, dass eine Partnerschaft lediglich auf westdeutsche Mütter den erwarteten negativen Effekt ausübt. Bei ostdeutschen und belgischen Müttern hat der Partner keinen signifikanten Effekt, ebenso wenig bei den belgischen kinderlosen Frauen. Das mögliche Argument für den positiven Partnereffekt, dass der Partner eine alternative Betreuungsperson darstellt, muss also verworfen werden. Unklar bleibt vor allem, weshalb kinderlose Frauen mit Partner in West- und Ostdeutschland mit höherer Wahrscheinlichkeit erwerbstätig sind als kinderlose Frauen ohne Partner. Eine denkbare, aber nicht sehr plausible Erklärung, könnte darin bestehen, dass der Partner vielmehr einen verhandlungstheoretischen bzw. psychologischen Einfluss besitzt: So könnte etwa eine überwiegend positive Einstellung des Partners zur Berufstätigkeit der Frau deren Erwerbsentscheidung positiv beeinflussen (Kangas/Rostgaard 2007). Auch für das weibliche Arbeitsangebot, d.h. den Erwerbswunsch, erweist sich eine Partnerschaft als positiv, wobei der Partnereffekt hier nicht so stark ausgeprägt ist wie bei der aktiven Erwerbsbeteiligung. Eine Berufstätigkeit des Partners hat allerdings keinen signifikanten Einfluss auf das positive Arbeitsangebot. Um steuerliche Aspekte, die explizit an eine Ehe gekoppelt sind (wie Splittingvorteile), die gemäß der mikroökonomischen Theorie einen negativen Effekt auf eine weibliche Erwerbsbeteiligung ausüben sollten (Bryant 1990: 155), zu kontrollieren, wurde alternativ zur Erwerbsbeteiligung des Partners, eine Variable in das Modell eingeführt, die überprüft, wie sich eine Ehe auf das weibliche Erwerbsverhalten auswirkt. Im empirischen Modell erweist sich der 47
Mit jeder zusätzlichen Person im Haushalt nehmen die anteilmäßigen Haushaltskosten pro Person ab.
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Eheeffekt erwartungsgemäß als hochsignifikant negativ, d.h. verheiratete Frauen sind mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit erwerbstätig als nicht verheiratete Frauen. Eine Differenzierung nach Untersuchungsgebieten zeigt dennoch, dass verheiratete Frauen lediglich in Belgien und Westdeutschland geringere Erwerbschancen aufweisen, wohingegen die Ehe in Ostdeutschland keinen signifikanten Effekt besitzt. Das Ergebnis spricht dafür, dass der Eheeffekt weniger einen steuerlichen als vielmehr einen kulturellen Gesichtspunkt widerspiegelt. Würde es sich um einen Steuereffekt handeln, müsste eine Ehe auch in Ostdeutschland eine negative Wirkung besitzen, da dort ebenso wie in Westdeutschland und Belgien Steuervorteile für Ehepaare gewährleistet sind (vgl. Abschnitt 3.2.4.2). Die Ehe scheint also an dieser Stelle ein besserer Indikator für Einstellungen zur Frauenrolle zu sein: verheiratete Frauen in Belgien und Westdeutschland wären demnach traditioneller eingestellt als unverheiratete Frauen und sind aus diesem Grund auch mit geringerer Wahrscheinlichkeit erwerbstätig. In Ostdeutschland dagegen unterscheiden sich die verheirateten und unverheirateten Frauen mit Partner nicht bezüglich ihres Geschlechterrollenverständnisses und weisen dementsprechend auch das gleiche Erwerbsverhalten auf. Für die Interpretation des Eheeffektes als Indikator für die Geschlechterrolle spricht auch, dass der Eheeffekt für das positive Arbeitsangebot wesentlich stärker ausfällt als für die aktive Erwerbsbeteiligung: Verheiratete Frauen weisen demnach eine wesentlich geringere Erwerbsbereitschaft auf als unverheiratete. Neben den bereits genannten Einflussgrößen, können Unterschiede im aktiven Erwerbsverhalten oder in den Einstellungen zur Frauenerwerbsbeteiligung auch zwischen verschiedenen Altersgruppen variieren. Das Alter der Frau hat in allen Modellen eine hochsignifikante positive Wirkung auf beide abhängigen Variablen. Mit zunehmendem Alter geht sowohl eine höhere Wahrscheinlichkeit auf ein positives Arbeitsangebot als auch auf eine aktive Erwerbsbeteiligung einher.48 Eine mögliche Erklärung könnte darin zu sehen sein, dass ältere Frauen mit größerer Wahrscheinlichkeit bereits länger im Erwerbsleben aktiv sind und damit eine größere Berufserfahrung aufweisen als jüngere Frauen, was wiederum die Erwerbschancen erhöhen sollte. Eine andere Erklärung könnte darin bestehen, dass mit zunehmendem Alter der Frau die Geburt eines Kindes unwahrscheinlicher wird, egal welche Rangordnung dieses einnimmt (Kohlmann/Kopp 1997), und dadurch ältere Frauen überproportional häufiger schon ältere Kinder haben, dementsprechend geringere Einschränkungen durch Kinderbetreuungspflichten erfahren und somit höhere Chancen auf eine Erwerbsbeteiligung besitzen. 48 An dieser Stelle muss berücksichtigt werden, dass das Alter der Frau bereits Auswahlkriterium der Stichprobe war, die sich lediglich auf Frauen im Alter zwischen 20 und 45 Jahren beschränkt.
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Da es sich bei dem Beobachtungszeitraum (von 1992 bis 2003) um eine Zeitspanne von 12 Jahren handelt, ist der Einfluss dieser zeitlich-gesellschaftlichen Faktoren (die so genannten Periodeneffekte) ebenfalls in der empirischen Untersuchung berücksichtigt worden. Gemäß den theoretischen Überlegungen sollte ein allgemeiner Anstieg der Frauenerwerbsbeteiligung die individuelle Erwerbsentscheidung positiv beeinflussen (Ott 1989). Die empirischen Analysen weisen auch dementsprechend nach, dass sowohl die Wahrscheinlichkeit einer aktiven Erwerbsbeteiligung als auch die Wahrscheinlichkeit eines positiven Arbeitsangebotes im Zeitverlauf zunehmen.
7.2.4 Exkurs: Belgien, auch ein geteiltes Land? Zu den Unterschieden im mütterlichen Erwerbsverhalten zwischen Flandern und Wallonien Denkt man an Belgien, so denkt man auch an die beiden großen Regionen des Landes – Flandern und Wallonien – und deren sprachlichen und politischen Konflikt. Die Verschiedenartigkeit beider Gebiete scheint auf der Hand zu liegen: Flandern, die nordwestliche Region Belgiens ist offiziell niederländischsprachig49, während Wallonien, die südöstliche Region Belgiens, vorwiegend französischsprachig ist (im äußersten Osten Walloniens lebt außerdem eine deutschsprachige Minderheit). Daher liegt es nicht fern, zu fragen, ob die beiden Regionen im Hinblick auf die Untersuchungsfrage gemeinsam abgehandelt werden können, wie es in den vorhergehenden Abschnitten geschehen ist. Bestehen etwa gravierende kulturelle Unterschiede zwischen den Gebieten, die zu Unterschieden im mütterlichen Erwerbsverhalten führen? Das Ausmaß nationaler kultureller Homogenität variiert von Gesellschaft zu Gesellschaft und mag insbesondere für die Nationen niedriger ausfallen, die erst jüngeren Datums sind. Doch selbst dann, wenn eine Nation aus verschiedenen kulturellen Gruppen besteht, so teilen diese doch normalerweise kulturelle Eigenschaften miteinander, die ihre Mitglieder für Außenstehende als Zugehörige dieser Gesellschaft kennzeichnen (Hofstede/Hofstede 2005: 10). An dieser Stelle ist wichtig, Kultur nicht mit Identität zu verwechseln. Verschiedene Bevölkerungsgruppen, die aufgrund ihrer ‚gefühlten’ Identitäten Konflikte miteinander austragen – wie das bei den beiden großen Sprachge49
Die Schrift- und Standardsprache ist sowohl in den Niederlanden als auch in Flandern das Niederländische. Das Niederländische in Belgien wird jedoch auch häufig Flämisch genannt, weil die Aussprache und ein Teil des Wortschatzes variieren. So enthält beispielsweise das Flämische deutlich mehr französische Lehnwörter als das ‚holländische‘ Niederländisch. Man könnte diese Abweichungen vielleicht mit den Unterschieden im Deutschen zwischen Österreich und Deutschland vergleichen (Schürings 2004).
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meinschaften Belgiens der Fall ist – können trotzdem die grundlegenden kulturellen Orientierungen miteinander teilen, die sie von anderen Nationalgesellschaften unterscheiden (Hofstede/Hofstede 2005). Wie bereits aus den vorhergehenden Kapiteln deutlich wurde, sind im Hinblick auf das weibliche Erwerbsverhalten jedoch nicht allein die kulturellen Werte in Bezug auf das Familienleben und die Geschlechterrollen wichtig, sondern auch die strukturellen Bedingungen, die eine weibliche Erwerbsbeteiligung ermöglichen oder verhindern können. Dabei sind in Bezug auf das weibliche Erwerbsverhalten vor allem die Nachfrage des Arbeitsmarktes nach Arbeitskräften sowie die Möglichkeiten, öffentliche Kinderbetreuung in Anspruch nehmen zu können, von Belang. Dieser Abschnitt widmet sich der Frage nach den möglichen Unterschieden im mütterlichen Erwerbsverhalten zwischen Flandern und Wallonien und analysiert das weibliche Erwerbsverhalten getrennt für die beiden großen belgischen Sprachgebiete. Zunächst soll ein historischer Abriss Einblicke in die Besonderheiten des belgischen Nationalstaates und den historischen Hintergrund des flämisch-wallonischen Konfliktes verschaffen (Abschnitt 7.2.4.1). In einem zweiten Schritt werden daraus Implikationen für das weibliche Erwerbsverhalten in den beiden belgischen Gebieten herausgearbeitet (Abschnitt 7.2.4.2) und schließlich in einem weiteren Schritt empirisch überprüft (Abschnitt 7.2.4.3). Dazu werden mit den vorgestellten Daten der Panelstudie Belgischer Haushalte (PSBH) und des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) das aus den vorherigen Abschnitten bekannte multivariate Analysemodell repliziert (vgl. Kapitel 6), wobei statt einer einzigen Ländervariable für Belgien nun drei Kontextvariablen für Flandern, Wallonien und Brüssel-Stadt in das Random-effects Logit Modell integriert werden.
7.2.4.1 Der historische Hintergrund des flämisch-wallonischen Konfliktes Der vergleichsweise späten Gründung des belgischen Nationalstaates nach der so genannten ‚Belgischen Revolution’ im Jahre 1830 gingen etwa zwei Jahrhunderte spanischer, österreichischer, französischer und schließlich niederländischer Fremdherrschaft des heutigen belgischen Territoriums voraus. In den Jahren zwischen 1795 bis 1814 war das heutige Gebiet Belgiens ein Teil Frankreichs. In dieser Periode war Französisch die einzige Sprache des öffentlichen Lebens – auch im heutigen Flandern. Die gut situierte Mittelschicht, vor allem bestehend aus Kaufleuten, Industriellen und Beamten, die in dieser Napoleonischen Zeit stark an Ansehen gewannen, versuchten sich durch das Französische als Kultursprache von der Masse des Volkes – den unteren 163
Schichten – abzugrenzen, den Oberschichten anzupassen und die französische Kultur zu adaptieren. Zusätzlich trug die Französische Revolution dazu bei, dass der Dialekt als Relikt alter feudaler Zeiten betrachtet und als Barriere auf dem Weg nach Einheit und Gleichheit empfunden wurde (Van der Wal 1992: 379). Diese ‚französische Periode’ führte dementsprechend zu einer sprachlichen Kluft zwischen den verschiedenen sozialen Schichten, jedoch nicht zu Differenzen zwischen verschiedenen geografischen Regionen. Nach Beendigung der napoleonischen Herrschaft wurde im Jahr 1814/15 auf dem Wiener Kongress das heutige belgische Gebiet unter die protestantischniederländische Regierung Wilhelm von Oraniens gestellt. Das Ziel dieser Zuordnung seitens der europäischen Großmächte bestand darin, eine Art Pufferstaat zwischen den Erbfeinden Deutschland und Frankreich zu errichten. Dies provozierte allerdings den Protest des katholischen und des – auch in Flandern – französischsprachigen Bürgertums, der schließlich am 25. August 1830 seinen Höhepunkt im so genannten ‚Brüsseler Aufstand’ gegen die königlichniederländische Herrschaft fand. Noch im selben Jahr gab Holland schließlich das südliche Gebiet auf und eine provisorische Regierung erklärte Belgien als unabhängig. 1831 wurde eine Verfassung erlassen und Leopold I. zum König gewählt. Abgefasst wurde diese Verfassung aufgrund des starken Einflusses der Bourgeoisie ausschließlich in französischer Sprache. Niederländisch wurde mehr und mehr zu einem minderwertigen Dialekt niederer Schichten degradiert (Berge/Grasse 2003; Schmitz-Reiners 2006; Van der Wal 1992; Hofstede 1991). Als Reaktion auf Diskriminierungen der niederländischsprachigen Bürger entstand jedoch recht bald (1840) die ‚Flämische Bewegung’, ein Zusammenschluss flämischer Schriftsteller aus Gent, Antwerpen und Leuven, die sich für den Erhalt der niederländischen Sprache im belgischen Zentralstaat einsetzten und sich gegen die starken gesellschaftlichen Benachteiligungen der niederländischsprachigen Belgier wehrte (Van der Wal 1992: 380). Es dauerte allerdings relativ lange bis die Flämische Bewegung erste Erfolge verzeichnete: 1873 wurde das erste Sprachgesetz erlassen, welches ermöglichte, dass Gerichtsprozesse, bei denen der Angeklagte des Französischen nicht mächtig war, in niederländischer Sprache abgehalten wurden. Weitere Sprachgesetze folgten mit dem Resultat, dass Flandern schließlich einen zweisprachigen Status bekam. Gleichwohl blieb Französisch als Distinktionsmittel noch lange Standardsprache der ökonomischen und intellektuellen Eliten in den großen flämischen Städten (Von der Wal 1992: 383). Im französischsprachigen Teil Belgiens sorgten die Erfolge der Flämischen Bewegung für Unruhe. Vor allem da 1893 das allgemeine Mehrheitswahlrecht eingeführt wurde und man in Wallonien befürchtete, die Flamen könnten das 164
Niederländische als Standardsprache für ganz Belgien einfordern. Als Gegenbewegung entstand daraufhin die ‚Wallonische Bewegung’, die sich ihrerseits für die Rechte der französischsprachigen Bürger engagierte. Die Einführung des allgemeinen Wahlrechts (für Männer) im Jahr 1919 verschaffte den zahlenmäßig überlegenen Flamen50 einen stärkeren Einfluss im Staat, so dass beide Landessprachen gleichgestellt wurden. Ab 1932 wurden Flandern und Wallonien einheitliche Sprachgebiete, in denen die Sprache des jeweiligen Gebietes festgeschriebene Verwaltungs-, Unterrichts- und Gerichtssprache wurde (Berge/Grasse 2003). Im Zweiten Weltkrieg besaß Belgien zunächst eine neutrale Rolle, wurde aber bald als Durchgangsland zu Frankreich von den deutschen Truppen besetzt. Nach Beendigung des Krieges wurden die Konflikte zwischen Flamen und Wallonen zunehmend angeheizt. Unter anderem deshalb, weil die Flamen während der Besatzungszeit teilweise mit den Deutschen kollaboriert hatten. In der Nachkriegszeit verstärkten sich die innerpolitischen Streitigkeiten zwischen Flamen und Wallonen immer mehr, was auch eng mit den wirtschaftlichen Veränderungen zu Beginn der 1960er zusammenhing. Während Wallonien aufgrund seiner großen Kohlevorkommen und einem starkem Bürgertum vorher über eine florierende Wirtschaft verfügte, unterdessen Flandern – sieht man von den großen Hafenstädten ab – eher landwirtschaftlich geprägt und wirtschaftlich unterentwickelt war, kehrte sich dieses Verhältnis nun um. Neue Investitionen wurden hauptsächlich in Flandern getätigt und die Krise in der Montanindustrie führte zu einem wirtschaftlichen Abstieg Walloniens (Berge/Grasse 2003). Dieses wirtschaftliche Ungleichgewicht in Verbindung mit den gesellschaftlichen und sprachlichen Konflikten beförderte die Föderalisierung des bis dahin zentralistischen Staates. Infolge vehementer Auseinandersetzungen zerfielen in den 1960er Jahren der öffentlich-rechtliche Rundfunk sowie die Parteienlandschaft und es kam zu sprachgebundenen Rundfunkanstalten und Parteiabspaltungen. Darüber hinaus wurden 1962/63 neue Sprachgesetze erlassen, welche die Regelungen von 1932 aufhoben und 1970 in die Verfassung des Landes eingingen. Belgien besteht seitdem aus vier Sprachgebieten: einem niederländischen, einem französischen, einem zweisprachigen (deckungsgleich mit der Hauptstadt Brüssel) und einem deutschen, denen jeweils einzelne Gemeinden bzw. auf höherer Ebene Provinzen zugeordnet werden. Die Errichtung dieser Sprachgrenzen bildeten den Ausgangspunkt für den sich anschließenden Föderalisierungsprozess, bei dem die französische, flämische und deutsche Gemeinschaft (comunautés/gemeen50
Auch noch heute besteht dieses Zahlenverhältnis: Im Jahr 2006 belaufen sich die Einwohnerzahlen in Flandern auf 6,08 Mio., in Wallonien auf 3.41 Mio. und in Brüssel auf 1.02 Mio. (vgl. Institut National de Statistique/Nationaal Institut voor Statistiek 2007: www.statbel.fgov.be).
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schappen) entstanden. Dabei handelt es sich in erster Linie um Einheiten mit sprachlich-kulturellen Kompetenzen. Darüber hinaus sind die drei Regionen Wallonien, Flandern und Brüssel-Stadt (régions/gewesten) vornehmlich wirtschaftliche Einheiten. Seit 1993 ist Belgien nun endgültig ein föderaler Staat, der aus einer föderalen parlamentarischen Monarchie besteht und sich aus drei autonomen Sprachgemeinschaften und drei Regionen zusammensetzt (Berge/Grasse 2003). Die Regionen und Gemeinschaften sind territorial nicht deckungsgleich, so gehört etwa die deutschsprachige Gemeinschaft zur Region Wallonien. Regionen und Gemeinschaften besitzen ihre jeweils eigene Regierung und ihr eigenes Parlament. Während die Zuständigkeiten der Regionen in erster Linie wirtschaftlicher Natur sind (Wirtschafts-, Energie- und Beschäftigungspolitik, Raumordnung, Städte- und Wohnungsbau, Transport und Verkehr, wissenschaftliche Forschung), liegen die Kompetenzen der Gemeinschaften eher in kulturellen und bildungspolitischen Belangen (Kultur- und Sprachpolitik, Medien, Bildungswesen, aber auch Gesundheitspolitik, Jugendschutz und Sozialfürsorge). Mithilfe dieser föderalen Ordnung wurden im Großen und Ganzen die Hauptforderungen sowohl der flämischen als auch der wallonischen Bewegung berücksichtigt, die in der Anerkennung der flämischen bzw. französischen Sprache und einer gewissen wirtschaftlichen Autonomie der Sprachgebiete bestand.
7.2.4.2 Implikationen für das mütterliche Erwerbsverhalten in Flandern und Wallonien Kulturelle Unterschiede Wie aus der oben skizzierten historischen Entwicklung des belgischen Staates deutlich wird, liegen die Wurzeln des flämisch-wallonischen Konfliktes vornehmlich in sozialen Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Gesellschaftsschichten. Noch bis weit in das 20. Jahrhundert hinein benutzten die mittleren und höheren Gesellschaftsschichten die französische Sprache und Kultur zum Zwecke der Abgrenzung von den unteren, ungebildeten Schichten. Es ist jedoch nur schwer ersichtlich, welche Konsequenzen aus diesen Verteilungskämpfen in Bezug auf tiefer liegende kulturelle Werte zu erwarten sind. Während die meisten Beobachter der politischen Konflikte von einer tiefen Spaltung des Landes auch in kultureller Hinsicht sprechen, geht Hofstede von einer weit reichenden Homogenität der beiden Regionen in Bezug auf die tiefenstrukturellen Wertesysteme aus (Hofstede 1991, 1996), die er mit Hilfe von Einstellungsanalysen stützt. Nach Hofstede sind zwischen den beiden Regionen 166
nur geringe Einstellungsdifferenzen auszumachen, wohingegen deutliche Unterschiede zwischen Belgien und den angrenzenden Nationen – vor allem den Niederlanden – bestehen (Hofstede 1991: 228).51 Die Tatsache, dass Flandern und Wallonien eine kulturelle Einheit formen, liegt nach Hofstede in der geschilderten Historie des belgischen Sprachenstreits begründet: „The common French culture of the two language areas of Belgium can be explained by their common history and by the fact that since Belgium split from the Netherlands in 1831, French was language of government, the upper classes, and secondary and higher education for more than 100 years. (…) The middle and upper classes used to speak French, whatever the language of their ancestors, and to adopt the French culture; the lower classes in the Flemish part spoke Dutch, whatever the language of their ancestors, but when up-classed they conformed to the culture of the middle classes” (Hofstede 1991: 228). Darüber hinaus weisen beide belgischen Gebiete aber eine gemeinsame religiöse Traditionslinie auf, die bereits mehrfach angedeutet wurde. Da das heutige belgische Territorium zu den Kernzeiten der Reformation unter spanischer und damit katholischer Herrschaft stand, kann der Katholizismus als eine Art ‚Staatsreligion’ betrachtet werden (Schmitz-Reiners 2006: 153). Im Hinblick auf die religiöse Prägung sind also kaum Unterschiede zwischen den Regionen auszumachen. Vielmehr nimmt das gesamte Staatsgebiet des heutigen Belgiens in dieser Hinsicht einen Sonderstatus ein, da alle angrenzenden westeuropäischen Länder in weit stärkerem Maße von der Reformation und ihren kulturellen Veränderungen gezeichnet wurden. Eigene Analysen mit den Daten der European Value Study (EVS) von 1999 bestätigen diese Einschätzung auch für die in dieser Analyse relevanten Items weitestgehend. Im Hinblick auf die religiöse Erziehung, die Wichtigkeit der Familie im eigenen Leben, die Priorität von Arbeit und auch in Bezug auf die Pflichten der Eltern gegenüber ihren Kindern sind die Einstellungen von Flamen und Wallonen relativ identisch (vgl. Tabelle A7). Beide Regionen weisen also in gleichem Maße das in den Analysen in Kapitel 4 beschriebene, eher konservative Einstellungsmuster auf und unterscheiden sich darin signifikant von den west- und ostdeutschen Befragten. Ausnahme bildet die Wichtigkeit der Religion im eigenen Leben, die in Flandern geringer als in Wallonien eingeschätzt wird. Die Tendenz, die sich dort andeutet, setzt sich auch in einigen der Items fort, die die spezifischen Einstellungen gegenüber einer weiblichen Erwerbstätigkeit abbilden (vgl. Tabelle A8). Zwar sind Flamen und Wallonen in 51
„The culture gap between the Netherlands and Dutch-speaking Belgium is somewhat smaller than between the Netherlands and French-speaking Belgium, but it is still very wide. In fact, no two countries in the HERMES data with a common border and a common language are so far culturally apart, according to the HERMES indices, as Belgium and the Netherlands” (Hofstede 1991: 228).
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gleichem Maße und weitaus häufiger als West- und vor allem Ostdeutsche der Meinung, dass die Rolle der Hausfrau genauso erfüllend sei, wie eine Berufstätigkeit (55% Flandern vs. 53% in Wallonien). Allerdings stehen die Flamen den Westdeutschen in Bezug auf das Item „Einen Beruf zu haben ist ja ganz schön, aber das, was die meisten Frauen wirklich wollen, sind ein Heim und Kinder“ wiederum deutlich näher (38% Flamen, 37% Westdeutsche) als die Wallonen, die mit 54% Zustimmung den konservativen Pol besetzen. Während also im Gesamtbild die Ähnlichkeiten zwischen den belgischen Regionen überwiegen, erkennt man in der Detailanalyse Divergenzen, die eine konservativere Ausrichtung Walloniens indizieren. Diese Unterschiede sind jedoch kaum größer als die, die man auch innerhalb West- oder Ostdeutschlands für die unterschiedlichen Regionen erwarten würde (z.B. auch zwischen Nordund Süddeutschland; vgl. Sackmann 1997). Hinzu kommen strukturelle Unterschiede in Bezug auf den Arbeitsmarkt zwischen den beiden belgischen Sprachgebieten. So trägt die höhere Arbeitslosigkeit in Wallonien (vgl. Tabelle 18) vermutlich noch zu einer Verstärkung der Verortung der Frau im Haushalt bei, wohingegen im strukturstarken Flandern das Gegenteil der Fall ist. Unter den Bedingungen gleicher Dispositionen (die sich z.B. in der gleichermaßen starken religiösen Erziehung in beiden Regionen widerspiegelt) tragen also ungleiche strukturelle Möglichkeiten zu tendenziell verschiedenartigen Entwicklungslinien bei: In Wallonien werden die Dispositionen strukturell verstärkt, während sie in Flandern eher abgeschwächt werden.
Institutionelle Unterschiede: Arbeitsmarkt und Kinderbetreuung Wie bereits angesprochen wurde, gibt es Anhaltspunkte dafür, dass wallonische Frauen größeren Restriktionen seitens des Arbeitsmarktes ausgesetzt sind. Die wirtschaftliche Situation Walloniens hat sich seit den 1960er Jahren erheblich verschlechtert und fällt auch im Vergleich zu Flandern deutlich negativer aus. Daraus resultieren Unterschiede in der Arbeitsnachfrage zwischen beiden Regionen. Die weiblichen Arbeitslosenquoten fallen in Wallonien wesentlich höher aus als in Flandern. Wie aus Tabelle 18 zu entnehmen, ist die Arbeitslosigkeit von Frauen in Wallonien während des Untersuchungszeitraums von 1992 bis 2003 im Schnitt mehr als doppelt so groß wie in Flandern. Aufgrund der deutlich schlechteren Arbeitsmarktsituation ist anzunehmen, dass die weiblichen Erwerbschancen in Wallonien gegenüber Flandern deutlich abgesenkt sind.
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Tabelle 18: Weibliche Arbeitslosenquoten in Flandern, Wallonien und BrüsselStadt Flandern Wallonien Brüssel-Stadt Gesamt
1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 15.3 17.8 18.8 17.9 16.4 14.3 12.4 10.5 8.7 7.6 8.1 7.8 27.4 29.9 30.9 30.9 30.2 27.4 26.9 24.7 23.5 22.6 21.6 20.8 21.8 24.2 25.9 26 25.6 23.7 22.9 21.1 20.1 19 18.6 18.1 19.6 22.2 23.2 22.6 21.5 19.1 17.8 15.8 14.3 13.2 13.2 12.7
Quelle: Office national de l’emploi (ONEM)
In Bezug auf das öffentliche Kinderbetreuungsangebot bestehen für Kinder im Kindergartenalter (also für Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren) keine nennenswerten Unterschiede zwischen Flandern und Wallonien. Es existieren allerdings durchaus Diskrepanzen im Hinblick auf Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren: Ist die Anzahl der Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren im internationalen Vergleich auch in Wallonien mit einer Abdeckung von 33,5% immer noch sehr gut, fällt sie in Flandern mit etwa 55% noch einmal deutlich besser aus. Da sich diese Divergenzen im Angebot an Kleinkindbetreuung jedoch auf sehr hohem Niveau bewegen52, ist zunächst unklar, inwiefern sich diese Unterschiede auf die Müttererwerbschancen niederschlagen. Zur Überprüfung von kulturellen und institutionellen Differenzen in beiden belgischen Regionen wird im Folgenden das bekannte methodische Vorgehen gewählt: Die Wirkung des Kinderbetreuungsangebotes wird gemäß den theoretischen Überlegungen in Abschnitt 5.1 über die Messung des Kindereffektes, d.h. der Diskrepanz in der Erwerbsbeteiligung von Müttern und kinderlosen Frauen innerhalb der jeweiligen Region, ermittelt. Hat die unterschiedliche Ausstattung mit öffentlichen Betreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahren in Flandern und Wallonien Auswirkungen auf die weibliche Erwerbsbeteiligung, sollte der Kindereffekt in Wallonien innerhalb der ersten drei Lebensjahre des jüngsten Kindes signifikant größer ausfallen als in Flandern. In einem zweiten Schritt werden die mütterlichen Erwerbschancen der beiden Regionen Belgiens unmittelbar miteinander verglichen. Über die Diskrepanzen, die sich zwischen faktischer Erwerbsbeteiligung und positivem Arbeitsangebot ergeben, lässt sich schließlich feststellen, ob mögliche Unterschiede auf kulturelle Differenzen oder verschiedenartige Arbeitsmarktrestriktionen zurückzuführen sind.
52
Die beiden belgischen Gebiete erfüllen damit bereits die „Barcelona-Ziele“ der EU, nach denen für mindestens 33% der Kinder unter drei Jahren und für mindestens 90% der drei- bis sechsjährigen bis zum Jahr 2010 öffentliche Kinderbetreuungsplätze zur Verfügung stehen sollen.
169
7.2.4.3 Empirische Ergebnisse Der Kindereffekt in Flandern und Wallonien Zur Ermittlung des Kindereffektes werden – analog zu den Analysen in Abschnitt 7.2.1 – die aktiven Erwerbschancen von Müttern mit denjenigen der kinderlosen Frauen im jeweiligen Untersuchungsgebiet verglichen (zur genauen Vorgehensweise vgl. Abschnitt 5.1). Die zentralen Ergebnisse des Randomeffects Logit Modells (mit den Länder- bzw. Regionsvariablen: Westdeutschland, Ostdeutschland, Wallonien, Flandern, Brüssel-Stadt) sind in Abbildung 12 veranschaulicht53 (vgl. Anhang, Tabelle A6). Westdeutschland bleibt in den Abbildungen, wie in den vorherigen Abschnitten, Referenzkategorie, da aus dieser Perspektive festzustellen ist, ob sich die Länderrelationen verändern, wenn Flandern und Wallonien getrennt in die Analysen eingehen. Zur Überprüfung, ob die Differenzen zwischen den belgischen Regionen statistisch signifikant sind, wurde in einem weiteren Modell Flandern als Referenzkategorie gewählt (vgl. Anhang, Tabelle A6). Abbildung 12: Chancen einer aktiven mütterlichen Erwerbsbeteiligung; Referenz: kinderlose Frauen in der jeweiligen Region < 1 Jahr
1-3 Jahre
3-6 Jahre
6-10 Jahre
10-13 Jahre
13-16 Jahre
10 Alter des jüngsten Kindes 1.14
1.28
1.19
0.90
1 Odds Ratio
0.44 0.40
0.81
0.93
0.87
0.86
1.14 1.02
Referenz: kinderlose Frauen in der jeweiligen Region
0.1
0.01
Flandern
Wallonien
Ostdeutschland
Westdeutschland
0.001
Kontrollvariablen: Alter, Bildung, Gesamtkinderzahl (2, 3, 4, 5 oder mehr Kinder), Partnerschaft, Erwerbsbeteiligung des Partners, Periodeneffekte
53 Die Ergebnisse zu Brüssel-Stadt sind in den Abbildungen nicht abgetragen, finden sich jedoch in Tabelle A6 im Anhang.
170
Wie Abbildung 12 veranschaulicht, unterscheiden sich Flandern und Wallonien hinsichtlich des Kindereffektes nur marginal und statistisch nicht signifikant voneinander (siehe Anhang, Tabelle A6). Im ersten Lebensjahr des jüngsten Kindes sind die Chancen auf eine mütterliche Erwerbsbeteiligung in beiden Regionen um gut die Hälfte im Vergleich zu den kinderlosen Frauen in der jeweiligen Region reduziert: Das Odds Ratio für Wallonien liegt mit 0.40 leicht, aber nicht signifikant unterhalb des Odds Ratio für Flandern mit 0.44. Bei Kindern ab einem Jahr ist in beiden Regionen bereits kein statistisch signifikanter Effekt mehr auf die mütterliche Erwerbsbeteiligung festzustellen, d.h., die Erwerbschancen von Frauen mit und ohne Kinder unterscheiden sich nicht voneinander. Dieses Ergebnis spricht dafür, dass die Unterschiede im Betreuungsangebot für Kinder unter drei Jahren, die zwischen Flandern und Wallonien festgestellt werden können, nicht zu regionalen Differenzen im Kindereffekt führen. In beiden belgischen Regionen besitzen lediglich Kinder unter einem Jahr einen leichten negativen Effekt auf die Erwerbschancen. Ein Kind ab einem Jahr hat bereits keinen Einfluss mehr auf die Arbeitsmarktpräsenz der flämischen oder wallonischen Mutter.
Die Müttererwerbschancen in Flandern und Wallonien Vergleicht man nun die mütterlichen Erwerbschancen in Flandern und Wallonien unmittelbar miteinander (westdeutsche kinderlose Frauen sind gemeinsame Referenzgruppe), so erweisen sich die Erwerbschancen wallonischer Mütter als durchgängig niedriger im Vergleich zu den flämischen Frauen mit Kindern (vgl. Abbildung 13). Auch wenn diese deutlichen Differenzen zwischen den flämischen und wallonischen Müttererwerbschancen an den für Gesamtbelgien festgestellten Ergebnissen in Abschnitt 7.2.2.1 nichts verändern und die identifizierten Länderrelationen bestehen bleiben54, stellt sich natürlich die Frage, wodurch diese Diskrepanzen hervorgerufen werden. Aufgrund der theoretischen Vorüberlegungen liegt nahe, dass in erster Linie ein Mangel an Arbeitsplätzen in Wallonien ursächlich für dieses Ergebnis verantwortlich gemacht werden muss, nicht jedoch wesentliche kulturelle Unterschiede zwischen den beiden Regionen.
54
Sowohl in Flandern als auch in Wallonien bestehen während der ersten drei Lebensjahre des jüngsten Kindes deutlich höhere Chancen auf eine mütterliche Erwerbsbeteiligung als in West- und Ostdeutschland. Ab dem dritten Lebensjahr übersteigen jedoch die ostdeutschen und ab dem 6. Lebensjahr auch die westdeutschen Müttererwerbschancen, die der flämischen und wallonischen Mütter (vgl. Abschnitt 7.2.2.2).
171
Abbildung 13: Chancen einer aktiven mütterlichen Erwerbsbeteiligung; Referenz: kinderlose westdeutsche Frauen < 1 Jahr
1-3 Jahre
3-6 Jahre
6-10 Jahre
10-13 Jahre
13-16 Jahre
1 Alter des jüngsten Kindes 0.26
0.30
0.37 0.28
0.14
0.19
Odds Ratio
0.1
0.21
0.19
0.28
Referenz: kinderlose Frauen in WestDeutschland
0.17
0.15
0.06
0.01
Flandern
Wallonien
Ostdeutschland
Westdeutschland
0.001
Kontrollvariablen: Alter, Bildung, Gesamtkinderzahl (2, 3, 4, 5 oder mehr Kinder), Partnerschaft, Erwerbsbeteiligung des Partners, Periodeneffekte
Zur Überprüfung dieser theoretischen Annahme wird das Random-effect Logit Modell mit der abhängigen Variable zum positiven Arbeitsangebot repliziert. Die sich daraus ergebenen Schätzwerte beziehen sich nicht nur auf bereits aktiv Erwerbstätige, sondern auch auf diejenigen, deren Arbeitsangebot bisher auf dem Arbeitsmarkt keine Nachfrage gefunden hat. Auf diesem Wege werden die Erwerbswahrscheinlichkeiten um Arbeitsmarkteffekte bereinigt. Die entsprechenden Ergebnisse dazu sind in Abbildung 14 dargestellt. Auf den ersten Blick wird deutlich, dass sich das Arbeitsangebot zwischen flämischen und wallonischen Müttern nur marginal unterscheidet. Lediglich bei Frauen mit älteren Kindern ergeben sich signifikante Divergenzen. Und zwar dahingehend, dass wallonische Mütter mit einem Odds Ratio von 0.21 etwas geringere Chancen auf ein positives Arbeitsangebot aufweisen als flämische Mütter mit einem Odds Ratio von 0.39. Trotz dieser leichten Unterschiede zwischen wallonischen und flämischen Frauen mit älteren Schulkindern bleibt das positive Arbeitsangebot jedoch in beiden belgischen Regionen unterhalb des Arbeitsangebotes west- und ostdeutscher Mütter mit Kindern des gleichen Alters. Nichtsdestotrotz liefert dieses Ergebnis einen Hinweis darauf, dass die weibliche Erwerbsorientierung in Wallonien leicht geringer ausfällt als in Flandern. 172
Abbildung 14: Chancen eines positiven mütterlichen Arbeitsangebotes; Referenz: kinderlose westdeutsche Frauen < 1 Jahr
1-3 Jahre
3-6 Jahre
6-10 Jahre
10-13 Jahre
13-16 Jahre
10 Alter des jüngsten Kindes
1
Odds Ratio
0.31
0.1
0.27
0.13 0.08
0.36
0.28
0.27
0.31 0.22
0.39 0.21
Referenz: kinderlose Frauen in WestDeutschland
0.20
0.01
Flandern
Wallonien
Ostdeutschland
Westdeutschland
0.001
Kontrollvariablen: Alter, Bildung, Gesamtkinderzahl (2, 3, 4, 5 oder mehr Kinder), Partnerschaft, Erwerbsbeteiligung des Partners, Periodeneffekte
Derartige regionale Unterschiede wie sie hier für Flandern und Wallonien sichtbar werden, sind allerdings in den meisten Ländern feststellbar (vgl. Sackmann 2000). Doch fallen diese Differenzen zwischen einzelnen Regionen eines Landes meist wesentlich geringer aus als die Unterschiede zwischen Nationen. So auch im Falle von Flandern und Wallonien: Die regionalen Differenzen erscheinen gering gegenüber den nationalen Diskrepanzen. Demnach lässt sich durchaus konstatieren, dass Flandern und Wallonien eine Kultureinheit formen.
Arbeitsmarkteffekte in Flandern und Wallonien Wie bereits erwähnt, führt das wirtschaftliche Ungleichgewicht zwischen den beiden belgischen Regionen auch zu Unterschieden in der weiblichen Arbeitslosigkeit. In Wallonien, der strukturell schwächeren Region, sind etwa doppelt so viele Frauen von Arbeitslosigkeit betroffen als in Flandern (vgl. Tabelle 18). Dies spiegelt sich auch deutlich in den Analyseergebnissen wider. Vergleicht man die Chancen auf eine aktive Erwerbsbeteiligung mit denjenigen auf ein positives Arbeitsangebot, so ergeben sich vornehmlich in Wallonien deutliche
173
Diskrepanzen. Diese Differenzen zwischen Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage sind zudem unabhängig von der Altersgruppe des jüngsten Kindes wahrnehmbar. Offenbar kann ein beträchtlicher Anteil der wallonischen Frauen einen bestehenden Erwerbswunsch nicht in die Praxis umsetzen. In Flandern dagegen ergeben sich keine nennenswerten Abweichungen zwischen Arbeitsangebot und aktiver Erwerbsbeteiligung, so dass der Arbeitsmarkt die weiblichen Erwerbsmöglichkeiten offenbar nicht wesentlich einschränkt.
Schlussfolgerungen Die Analysen verdeutlichen, dass die Regionen Flandern und Wallonien einen weitgehend identischen Verlauf im Hinblick auf die Erwerbsorientierung von Müttern in unterschiedlichen Familienphasen aufweisen. In beiden Fällen ist der Kindereffekt, d.h. die Diskrepanz zwischen Frauen mit und ohne Kinder, fast vollständig ausgelöscht. Der in den vorherigen Analysen in Abschnitt 7.2.2 festgestellte generelle Ländereffekt trifft also für beide belgischen Regionen in gleicher Weise zu: Ostdeutsche Mütter überholen das Erwerbsniveau wallonischer und flämischer Frauen, sobald das Kind das Kindergartenalter erreicht. In Westdeutschland wird der institutionell verursachte Rückstand in der Erwerbswahrscheinlichkeit hingegen mit dem sechsten Lebensjahr des Kindes aufgeholt. Was die Diskrepanzen zwischen den innerbelgischen Regionen betrifft, die im Ländervergleich eher gering ausfallen, so lassen sich zwei Ursachen nennen: 1.
2.
Die ungleichen strukturellen Gegebenheiten in Bezug auf den Arbeitsmarkt (höhere Arbeitslosigkeit in Wallonien gegenüber Flandern) führen zu einer geringeren tatsächlichen Erwerbswahrscheinlichkeit wallonischer Frauen. Dies wurde in der Konvergenz der Regressionskoeffizienten deutlich, die sich mit dem Wechsel der abhängigen Variable von der ‚aktiven Erwerbstätigkeit’ auf das ‚positive Arbeitsangebot’ ergab. Die geringe, verbleibende Differenz, die auch nach Einsatz der um den strukturellen Arbeitsmarkteffekt bereinigten Regression verbleibt, kann auf die etwas konservativere Grundhaltung der Wallonen zurückgeführt werden. Wie die Einstellungsanalysen zeigen, ist im wallonischen Teil Belgiens die religiöse Prägung in der Gegenwart noch lebendiger geblieben und die Rolle der Frau wird in stärkerem Maße im Haus und bei den Kindern gesehen.
Trotz dieser Unterschiede ist deutlich geworden, dass es keinen Grund gibt, anzunehmen, dass die sprachlichen und politischen Divergenzen Belgiens auf 174
weit reichende kulturelle Unterschiede hindeuten. Die zusammenfassende Behandlung Belgiens in den übrigen Regressionen stellt also kein Problem dar. Im Gegensatz zu West- und Ostdeutschland, in denen sowohl das Kinderbetreuungssystem als auch die Geschlechterkultur in hohem Maße verschieden sind, stellt Belgien ein kulturell und institutionell relativ homogenes Land dar.
175
8 Resümee
Die Beziehung zwischen Staat, Markt und Familie gestaltet sich sehr viel komplexer als vielfach unterstellt. De-familialisierende Maßnahmen, die Funktionen der Familie auf andere Akteure (z.B. den Staat oder den Markt) verlagern, stellen zwar eine wichtige strukturelle Bedingung für die Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen dar. Doch die daraus resultierenden potentiellen Erwerbsoptionen, wie sie etwa durch ein öffentliches Betreuungssystem für Mütter entstehen, müssen auch kulturell erwünscht sein. Mütterliches Erwerbshandeln kann also nur über das Zusammenwirken der bedingenden und normativen Faktoren erklärt werden. Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit demonstrieren, dass kulturelle Geschlechterrollen nicht nur abstrakte Orientierungen darstellen. Sie sind mindestens ebenso handlungsrelevant wie ökonomische Anreize. Die Bedeutung der Kultur liegt darin begründet, dass sie über Werte und Normen die Motive der Handelnden formen. Sie greifen damit – wenn auch häufig unbewusst – maßgeblich in den Entscheidungsprozess ein und bestimmen über die Wahl von Handlungsalternativen. Eben diese Interaktionen zwischen den bedingenden Faktoren, die seitens der staatlichen Politik, aber auch des Arbeitsmarktes ausgebildet werden, und den normativen Faktoren, wie sie durch die Geschlechterkultur (und die Kultur im Allgemeinen) gestellt werden, bildeten das Analyseobjekt der vorliegenden Arbeit. Welche Bedeutung haben die Betreuungspolitiken und die dominante Geschlechterkultur eines Landes für die Erwerbsbeteiligung von Müttern? Und wo liegen die Möglichkeiten und Grenzen familienpolitischer Einflussnahme? Um diese Fragen zu beantworten, wurden in der Untersuchung drei Untersuchungsgebiete ausgewählt, die einerseits in weiten Teilen gleiche sozialpolitische und rechtliche Rahmenbedingungen aufweisen: Beide Länder, sowohl Deutschland als auch Belgien können als konservativ-korporatistische Wohlfahrtsstaaten bezeichnet werden (vgl. Esping-Andersen 1990), die sich auf der anderen Seite aber im Hinblick auf die Verfügbarkeit institutioneller Kinderbetreuung und in der kulturellen Prägung unterscheiden. Aus den Divergenzen in Bezug auf diese Aspekte ließ sich ein Analysedesign realisieren, mit dem der Stellenwert der Geschlechterkultur einerseits und öffentlicher Kinderbetreuung 176
andererseits für die Erwerbsentscheidung von Müttern vermessen werden konnte.
8.1 Zusammenfassung Im Folgenden sollen die Ergebnisse der Untersuchung resümiert werden. Zunächst werden dazu die untersuchten Regionen im Hinblick auf ihre institutionellen und kulturellen Eigenschaften skizziert. Im Anschluss wird das daraus abgeleitete Analysedesign für die Hauptuntersuchung rekapituliert. Abschließend werden die zentralen empirischen Ergebnisse im Hinblick auf die Wirkung von familienpolitischen Institutionen und die Bedeutsamkeit kultureller Werte und Normen dargestellt.
8.1.1 Kulturelle und institutionelle Eigenschaften der Untersuchungsländer Der belgische Wohlfahrtsstaat erweist sich als stark beeinflusst von der Katholischen Soziallehre. Das Familienkonzept, das dem Sozialsystem zugrunde liegt, ist, ähnlich wie in Deutschland, eng an der Idee der Familie als sozialer Gruppe angelehnt. So sind direkte und indirekte Transferleistungen eher auf die Unterstützung von Familien als von einzelnen Individuen ausgerichtet. Merkmale der Familienkonstellation wie die Anzahl und das Alter der Kinder sind Grundlage für die Bemessung von Leistungen wie beispielsweise Kindergeld. Das Steuersystem, obwohl es offiziell individualisiert ist, gewährleistet verheirateten Personen beträchtliche Steuervorteile. Damit wird die Ungleichverteilung von Erwerbsarbeit zwischen Ehepartnern und gleichzeitig eine Reduktion bzw. Unterbrechung der Erwerbsarbeit des geringer verdienenden Partners – in der Regel der Frau – erheblich begünstigt. Neben diesen sozialpolitischen Regelungen, die das männliche Alleinverdienermodell unterstützen, zeigt sich auch an der Ausgestaltung der Laufbahnunterbrechung zur Kinderbetreuung, dass seitens der belgischen Gesellschaft vornehmlich der Frau die Aufgabe der Betreuung von Kindern und anderen pflegebedürftigen Familienangehörigen zugesprochen wird: Männer können nur dann eine Laufbahnunterbrechung zur Kinderbetreuung in Anspruch nehmen, wenn die Frau beispielsweise durch Krankheit nicht dazu imstande ist (vgl. Scheiwe 1999). Das ungewöhnliche Zusammentreffen dieser typischen Merkmale eines konservativen Wohlfahrtsstaates im Sinne Esping-Andersens (1990; 1999) mit dem gut ausgebauten Kinderbetreuungssystem als Merkmal des sozialdemokratischen Wohlfahrtsregimes entpuppt sich bei näherer Betrachtung ebenfalls als 177
Resultat kirchlichen Einflusses. Das öffentliche Kinderbetreuungssystem verdankt sich dem Streit zwischen Katholischer Kirche und liberaler Regierung um den Einfluss an der Kindererziehung und nicht – wie in den sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaaten – dem Gedanken der Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt (vgl. Abschnitt 3.2.3). Ungeachtet der Motive, die historisch schließlich zum Ausbau der Kinderbetreuung in Belgien führten, stellt diese Infrastruktur aus heutiger Sicht wichtige Alternativen zur mütterlichen Betreuung bereit und ermöglicht somit prinzipiell die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Alles zusammengenommen, erscheint es, als würde der belgische Staat mit seinen unterschiedlichen familien- und sozialpolitischen Institutionen gegensätzliche Signale an Mütter aussenden. Einerseits wird mit den Kinderbetreuungsmöglichkeiten und der vergleichsweise kurzen Elternfreistellung eine Erwerbsbeteiligung prinzipiell unterstützt, andererseits begünstigen die direkten und indirekten Transferleistungen eine Unterbrechung oder Reduzierung der Berufstätigkeit. Wie im Familienkonzept, das der belgischen Sozialpolitik zugrunde liegt, so spiegelt sich auch in den kulturellen Werten und Einstellungen zur Rolle der Frau der Einfluss der Katholischen Kirche wider. Von den drei Untersuchungsländern hat sich Belgien mit dem größten Anteil katholischer Befragter von etwa 80% (vgl. Tabelle 17) auch als das Untersuchungsland mit der stärksten religiösen Prägung (gemessen am Kirchgang im Kindesalter), der stärksten Familienorientierung und der größten Zustimmung zur geschlechtlichen Arbeitsteilung präsentiert. Der kulturelle Kontext zielt auf ein eher traditionelles Familienmodell mit einem erwerbstätigen Ehemann und einer auf Haus- und Betreuungsarbeit spezialisierten Ehefrau (vgl. Kapitel 4). Anders als Belgien repräsentiert Westdeutschland in jeder Hinsicht das prototypische konservativ-korporatistische Wohlfahrtsregime (vgl. EspingAndersen 1990). Die sozial- und familienpolitischen Maßnahmen sind konsistent in ihrer Ausrichtung auf das Familienmodell eines vollzeiterwerbstätigen Ehemannes und einer auf Haushalts- und Betreuungsarbeit spezialisierten Ehefrau, die allenfalls in Teilzeit berufstätig ist. Die Förderung der Ehe und Familie ist im Grundgesetz festgeschrieben und legitimiert die steuerliche und rechtliche Privilegierung von Ehe und Familie. Maßnahmen, die das ‚male breadwinner’ Modell forcieren, sind das steuerliche Ehegattensplitting, ein mehrjähriger Elternurlaub sowie ein Defizit an institutioneller Betreuung für Kinder unter drei Jahren (vgl. Kapitel 3). Wie aus den bestehenden familienpolitischen Regelungen hervorgeht, galt Kinderbetreuung in Westdeutschland lange Zeit als Privatangelegenheit der Eltern bzw. vielmehr als Angelegenheit der Mütter. Die Tageseinrichtungen für Kinder unter drei Jahren waren lediglich für familiäre Notlagen vorgesehen, aber niemals für die Allgemeinheit gedacht und auch 178
nicht zur Förderung weiblicher Erwerbsarbeit angelegt. Noch heute zählt das institutionelle Betreuungssystem in Deutschland rechtlich und organisatorisch zum Sozialwesen und nicht, wie in vielen anderen Ländern (so auch in Belgien) zum Bildungssystem. Nicht nur die Betreuung von Kindern unter drei Jahren, sondern auch die Kindergartenbetreuung war nicht als Substitut mütterlicher Betreuung gedacht. Sie sollte vielmehr eine familiäre Fürsorge ergänzen und das Kind in seiner Persönlichkeitsentwicklung fördern. Aus dieser Idee heraus ist die Betreuung in westdeutschen Kindergärten bis heute meist nur auf wenige Stunden am Vormittag beschränkt. Die komplementäre Spezialisierung der Partner wird in Westdeutschland aber nicht nur institutionell unterstützt, sondern findet sich auch im kulturellen Geschlechterbild wieder. Insgesamt hat sich die Geschlechterkultur Westdeutschlands im Vergleich zu Belgien und Ostdeutschland als moderat traditionell gezeigt. So nimmt Westdeutschland im Hinblick auf die Befürwortung geschlechtlicher Arbeitsteilung und des Doppelverdiener-Modells eine mittlere Position ein. Gleichzeitig weisen jedoch Einstellungsanalysen daraufhin, dass Kinder hier die Orientierung an der traditionellen Frauenrolle verstärken (vgl. Abschnitt 4.3). Mutterschaft erscheint den westdeutschen Befragten wenig kompatibel mit einer Berufstätigkeit. Es liegt nahe, in diesem Ergebnis weniger eine kulturell bedingte als vielmehr eine funktional erforderliche Werthaltung zu sehen. Die westdeutsche Lebenswelt demonstriert, dass eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf nur schwer möglich und problembehaftet ist. Kinderbetreuung für Kleinkinder muss mangels ausreichender öffentlicher Betreuungsplätze zu weiten Teilen privat organisiert werden. Befürchtungen, dass diese privaten Lösungsversuche zu negativen Folgen für das Kindeswohl führen (z.B. durch ständig wechselnde und wenig geeignete Betreuungspersonen) liegen auf der Hand. Wenn auch die politischen Institutionen der alten Bundesrepublik im Zuge der Wiedervereinigung auf die neuen Bundesländer übertragen wurden, bestehen doch weiterhin erhebliche Unterschiede zwischen beiden deutschen Regionen. Im Gegensatz zur Bundesrepublik gab es in der DDR eine umfassende außerhäusliche Kinderbetreuung, die neben der frühen Vermittlung von ideologischen Werten vor allem Mütter in das Erwerbsleben einbinden und damit den Arbeitskräftebedarf der Wirtschaft decken sollte (Trappe 1995). Das gute öffentliche Kinderbetreuungsnetz ist den neuen Bundesländern nach der Wende erhalten geblieben, so dass Müttern dort sowohl ein maximal dreijähriger Elternurlaub als auch (öffentliche) Betreuungsalternativen zur Wahl stehen. West- und ostdeutsche Mütter sind allerdings nicht nur mit verschiedenen institutionellen Rahmenbedingungen zur Kinderbetreuung konfrontiert, sondern sie besitzen auch unterschiedliche Werthaltungen in Bezug auf die Rolle der 179
Frau. Aufgrund der sozialistischen Prägung weisen ostdeutsche Frauen ein wesentlich egalitäreres Geschlechterrollenverständnis auf. Aus den Einstellungsanalysen geht hervor, dass die Mehrheit der ostdeutschen Befragten das Doppelverdiener-Modell befürwortet und von allen drei Untersuchungsgebieten die geschlechtliche Arbeitsteilung am nachdrücklichsten ablehnt. Damit weist Ostdeutschland eine Geschlechterkultur auf, die durch Egalität von Mann und Frau im Erwerbsleben gekennzeichnet ist.
8.1.2 Analysedesign Wie diese Ausführungen verdeutlichen, sind die Profile der drei Untersuchungsgebiete so gestaltet, dass sich Unterschiede zum einen auf die familienpolitischen Regelungen konzentrieren, die die betreuungsintensiven Kleinkindjahre betreffen (d.h. Freistellungen zur Kinderbetreuung und institutionelle Kinderbetreuungsangebote), und sich zum anderen auf die kulturellen Vorstellungen über die Rolle der Frau in Beruf und Familie beziehen. Zwar ist sowohl in Belgien als auch in Deutschland eine temporäre Arbeitsfreistellung von Eltern vorgesehen, allerdings fällt diese in Belgien verhältnismäßig kurz aus, während sie in (West- und Ost-) Deutschland auch im internationalen Vergleich sehr ausgedehnt ist. Dafür greifen in Belgien bereits früher öffentliche Betreuungsinstanzen ein und ermöglichen eine frühe Rückkehr der Mütter in den Beruf. Tabelle 19: Analysedesign Belgien
Westdeutschland
Ostdeutschland
Öffentliche Kinderbetreuung
Ausreichend
Restringiert
Ausreichend
Elternfreistellung
Restringiert
Extensiv
Extensiv
Geschlechterkultur
Traditionell
Moderat
Egalitär
Das Analysedesign, das sich aus dieser Konstellation ergibt (vgl. Tabelle 19), erscheint auf den ersten Blick sehr einfach. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass das Alter des jüngsten Kindes eine Schlüsselrolle einnimmt. Tatsächlich unterscheiden sich die familienpolitischen Institutionen der drei Untersuchungsgebiete hauptsächlich für Kinder unter drei Jahre. Bei älteren Kindern gleichen sich die institutionellen Rahmenbedingungen an: Erstens weil in keinem der drei Gebiete mehr eine Elternfreistellung verfügbar ist, zweitens, weil in allen Gebieten Kindergärten und Schulen zunehmend als sekundäre Sozialisa180
tionsinstanzen eingreifen und Betreuungsarbeit übernehmen (vgl. Abschnitt 5.1, Abbildung 3), und drittens, weil die Betreuungsintensität mit dem Alter des Kindes abnimmt. Im Hinblick auf die institutionellen Wirkungen muss man deshalb für jede Region mindestens zwei Phasen unterscheiden: eine, in denen sich die familienpolitischen Betreuungsarrangements unterscheiden (bei Kindern unter drei Jahren), und eine, in der das nicht bzw. nur begrenzt der Fall ist (bei Kindern ab drei Jahren). Institutionelle Effekte können daher in der zweiten Phase vor allem als Folgewirkungen auftreten. Im Gegensatz dazu ist die Geschlechterkultur, wie sie hier begriffen wird, eine vielmehr konstante Größe, die für alle Frauen und alle Familienphasen in gleicher Weise zu veranschlagen ist.
8.1.3 Die zentralen Ergebnisse Zur Wirkung der Familienpolitik Wie stark sich Kinder auf eine Erwerbsbeteiligung von Frauen auswirken (der so genannte ‚Kindereffekt‘), hängt entscheidend von den nationalen betreuungspolitischen Regelungen ab. Diese sind sehr spezifisch auf bestimmte Altersklassen von Kindern ausgerichtet und entfalten dementsprechend ihre Wirkung auch vornehmlich in der entsprechenden Familienphase. Die empirischen Analysen zeigen, dass Kinder in Belgien im Vergleich zu Ost- und Westdeutschland den geringsten Einfluss auf eine weibliche Arbeitsmarktpräsenz ausüben. Lediglich im ersten Jahr nach der Geburt sind die mütterlichen Erwerbschancen um etwas mehr als die Hälfte gegenüber kinderlosen Frauen abgesenkt (Odds Ratio 0.39). Diese Reduzierung der Erwerbswahrscheinlichkeit im ersten Lebensjahr des jüngsten Kindes ist dabei zum einen auf den gesetzlich festgeschriebenen Mutterschutz, zum anderen auf den optionalen dreimonatigen Elternurlaub bzw. die maximal einjährige Laufbahnunterbrechung zurückzuführen. Doch bereits ab dem ersten Lebensjahr des jüngsten Kindes sind belgische Mütter mit der gleichen Wahrscheinlichkeit beruflich aktiv wie kinderlose belgische Frauen. Diesen Ergebnissen zufolge kehren die belgischen Mütter unmittelbar im Anschluss an die zeitlich begrenzte Freistellung auf den Arbeitsmarkt zurück. Dieses schnelle Rückkehrverhalten wird nicht nur durch den sehr kurzen Elternurlaub, sondern vor allem durch das gut ausgebaute Betreuungssystem forciert. Dabei muss man bedenken, dass das institutionelle System keine Alternative zu diesem Verhalten bietet: Mütter, die nach Ablauf der maximalen Freistellung nicht an ihren Arbeitsplatz zurückkehren, haben keinen rechtlichen Anspruch auf eine spätere Rückkehr. Damit stellt dieses familienpolitische Arrangement einerseits Barrieren für Mütter auf, die 181
ihr Kind in den ersten Jahren nach der Geburt selbst betreuen möchten. Andererseits ermöglicht es die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und schafft die gleichen Arbeitsmarktchancen von Frauen mit und ohne Kinder. Im Gegensatz zu Belgien übt die Geburt eines Kindes in Westdeutschland eine besonders starke und dauerhaft negative Wirkung auf den weiblichen Erwerbsverlauf aus. Nicht nur in den ersten betreuungsintensiven Lebensjahren des jüngsten Kindes, sondern auch weit darüber hinaus sind die mütterlichen Erwerbschancen in Westdeutschland gegenüber kinderlosen Frauen deutlich eingeschränkt. Zwar steigt die Erwerbswahrscheinlichkeit kontinuierlich mit zunehmendem Alter des jüngsten Kindes an, doch selbst 16 Jahre nach der Geburt des letzten Kindes sind die mütterlichen Erwerbschancen noch signifikant geringer (Odds Ratio 0.58) als bei kinderlosen westdeutschen Frauen. Eine lange Elternfreistellung von bis zu drei Jahren, die von einem defizitären Kinderbetreuungssystem begleitet wird, verringert erheblich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Aufgrund des defizitären institutionellen Betreuungsangebotes besitzen die westdeutschen Mütter keine Entscheidungsfreiheit. Da innerhalb der ersten drei Lebensjahre des Kindes kaum institutionelle Alternativen zur mütterlichen Betreuung (d.h. zum Elternurlaub) gegeben sind, werden westdeutsche Mütter aus dem Erwerbsleben „herausgedrängt“. Aufgrund der mangelnden öffentlichen Betreuungsgelegenheiten muss die Elternzeit vielfach voll in Anspruch genommen werden. Doch auch nach der Elternzeit scheint die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit keine Selbstverständlichkeit zu sein. Dabei ermöglicht die halbtätige Kindergartenbetreuung prinzipiell eine Beschäftigung auf Teilzeitbasis. Dieser dauerhafte Erwerbsausstieg von westdeutschen Müttern kann auch mit den Ergebnissen der Einstellungsanalysen in Abschnitt 4.3 in Verbindung gebracht werden. Demnach scheint die Präsenz von Kindern zu einer Verstärkung des traditionellen Rollenverhaltens in Westdeutschland zu führen. Durch die starke institutionelle Förderung der elterlichen Kinderbetreuung im Rahmen des langen Erziehungsurlaubs und der defizitären öffentlichen Kinderbetreuung kommt es bei Müttern zu einer Verfestigung des traditionellen Geschlechterrollenverhaltens. Darüber hinaus tragen schließlich De-qualifizierungsprozesse im Zeitverlauf dazu bei, dass die Diskrepanzen in den Erwerbsbeteiligungen von Frauen mit und ohne Kinder in Westdeutschland dauerhaft bestehen bleiben. In Ostdeutschland besitzen Kinder in den ersten Lebensjahren zwar einen stärkeren Effekt als in Belgien, doch gleichzeitig einen wesentlich geringeren als in Westdeutschland. Auch aufgrund der früher einsetzenden Rückkehrbewegung ins Erwerbsleben sind nach Ablauf der maximalen Elternfreistellung keine Auswirkungen von der Geburt eines Kindes mehr festzustellen. Ostdeutsche 182
Mütter mit Kindern ab drei Jahren sind bereits mit der gleichen Wahrscheinlichkeit auf dem Arbeitsmarkt aktiv wie kinderlose Frauen. Die institutionelle Möglichkeit einer Erwerbspause von bis zu drei Jahren trägt hier zwar dazu bei, dass der Effekt von Kindern stärker ausfällt als in Belgien. Doch gleichzeitig eröffnet das Betreuungssystem Gelegenheiten zu einer frühen Rückkehr an den Arbeitsplatz, was die Erwerbschancen im Vergleich zu Westdeutschland wiederum erhöht. Am Beispiel Ostdeutschlands wird deutlich, dass die Nutzung eines längerfristigen Elternurlaubs nicht zwangsläufig zu anhaltend geringeren Erwerbswahrscheinlichkeiten von Müttern gegenüber kinderlosen Frauen führen muss. Denn einerseits wird hier der Elternurlaub durchaus rege in Anspruch genommen (vgl. Engelbrech/Jungkunst 2001), doch andererseits ermöglicht das gute öffentliche Betreuungssystem eine zeitlich flexible Rückkehr in den Beruf. Von familienpolitischer Seite stellt Ostdeutschland mit der Kombination von gutem öffentlichem Betreuungssystem mit ausgedehntem Elternurlaub einen Sonderfall dar. Doch ermöglicht diese Verbindung den ostdeutschen im Gegensatz zu den belgischen und westdeutschen Müttern eine „echte“ Wahlfreiheit. Den Ergebnissen zufolge bestimmen Elternfreistellungsregelungen und das öffentliche Betreuungsangebot maßgeblich, wie sich die Geburt eines Kindes auf den Erwerbsverlauf und die Berufskarriere von Frauen auswirkt. Insbesondere ein gutes Kinderbetreuungssystem fördert die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und verwischt die Kluft zwischen Müttern und kinderlosen Frauen in Bezug auf die Wahrscheinlichkeit einer Erwerbsbeteiligung. Doch die Ergebnisse verdeutlichen gleichzeitig, dass nicht, wie häufig unterstellt, ein mehrjähriger Elternurlaub zwangsläufig dauerhafte negative Auswirkungen auf die generellen Erwerbschancen nach sich ziehen muss. Ist die Versorgung mit Kinderbetreuung bereits während der Elternfreistellung und im Anschluss daran gesichert, besteht die Möglichkeit einer relativ flexiblen Rückkehr an den Arbeitsplatz, wodurch ein langfristiger Kindereffekt verhindert wird.
Zur Wirkung der Kultur Im Gegensatz zu den familienpolitischen Institutionen, die äußerlich und punktuell in den betreuungsintensiven Familienphasen – also bei besonders jungen Kindern – ihre Wirkung entfalten, ist der Einfluss der Geschlechterkultur von grundlegender Natur. Die Kultur einer Gesellschaft ist mit anderen Worten weder auf bestimmte Familienphasen, noch auf Frauen mit Kindern beschränkt. Das Ausmaß der Familien- und Erwerbsorientierung wird vielmehr innerhalb der Sozialisation verinnerlicht und damit dauerhaft als Disposition verankert. 183
Beim direkten Ländervergleich der mütterlichen Erwerbschancen zeigt sich zunächst, dass sich die Kulturunterschiede zwischen den drei Untersuchungsgebieten innerhalb der betreuungsintensivsten Phasen kaum bemerkbar machen. In Belgien, dem traditionellsten und am stärksten auf die Familie ausgerichteten Untersuchungsgebiet (vgl. Abschnitt 4.3), ist die Wahrscheinlichkeit einer Erwerbstätigkeit in der betreuungsintensiven Familienphase sogar am höchsten; d.h. höher als in Ostdeutschland, dem Gebiet mit dem ‚egalitärsten‘ Frauenbild. Die Wirkung der jeweiligen familienpolitischen Regelungen scheint sich also auch bei Veranschlagung des Kultureffektes bei Müttern mit Kleinkindern durchzusetzen. Mit dem Alter des jüngsten Kindes gewinnt die jeweils vorherrschende Geschlechterkultur jedoch an Bedeutung. Dieses Phänomen geht vermutlich darauf zurück, dass sich die familienpolitischen Arrangements der Untersuchungsländer für Kinder ab drei Jahren angleichen. So ist in keinem der drei Gebiete mehr eine Elternfreistellung möglich und die Versorgungsquoten mit Kindergartenplätzen fallen annähernd gleich hoch aus (vgl. Tabelle 2). Darüber hinaus nimmt die erforderliche Betreuungsintensität mit dem Alter des Kindes ab. Diese Konvergenz lässt die kulturellen Differenzen der drei Untersuchungsländer stärker hervortreten. Dies tritt insbesondere an zwei Punkten der empirischen Analyse zutage: 1.
2.
In weniger betreuungsintensiven Phasen (bei Müttern mit Kindern ab sechs Jahren) sind die Erwerbschancen belgischer Frauen geringer als in Westund Ostdeutschland. Die belgischen Frauen sind im Allgemeinen in geringerem Maße erwerbstätig als Frauen in West- und Ostdeutschland (vgl. Effekt der belgischen Ländervariable im Regressionsmodell im Anhang, Tabelle A5).
In Belgien erkennt man am deutlichsten, dass ein gut ausgebautes Kinderbetreuungssystem nicht zwangsläufig die generelle Erwerbsrate von Müttern beeinflusst. Die potentiellen Erwerbsmöglichkeiten für Mütter, wie sie durch die angebotene Kinderbetreuungsinfrastruktur garantiert werden, führen nicht zu einer prinzipiellen Erhöhung weiblicher Arbeitsmarktpräsenz. Die Ursache dafür ist im kulturellen Kontext zu sehen, der auf das traditionelle Familienmodell abzielt. Am Beispiel Belgiens werden daher die Möglichkeiten und Grenzen der familienpolitischen Intervention anschaulich: Auf der einen Seite sind familienpolitische Maßnahmen durchaus in der Lage, den Effekt von Kindern abzuschwächen und damit Müttern die gleichen Erwerbschancen zu offerieren wie kinderlosen Frauen. Auf der anderen Seite hebeln sie jedoch nicht kulturelle
184
Vorstellungen von der Wichtigkeit der Lebensbereiche und von der angemessenen Rolle der Frau in Beruf und Familie aus. Mütterliches Erwerbsverhalten kann also nur über das Zusammenwirken institutioneller und kultureller Faktoren erklärt werden. Der institutionelle Rahmen muss mit der dominanten Geschlechterkultur in Einklang stehen. Die Erwerbsbeteiligung von Müttern ist nicht ausschließlich – wie häufig in der öffentlichen Debatte postuliert – über die Ausgestaltung familienpolitischer Maßnahmen steuerbar. Mit einer Erhöhung der Müttererwerbsbeteiligung ist nur dann zu rechnen, wenn mütterliche Erwerbsarbeit institutionell ermöglicht und kulturell erwünscht ist.
Der Einfluss des Arbeitsmarktes Neben der familienpolitischen und kulturellen Unterstützung der Müttererwerbsbeteiligung darf man natürlich an dieser Stelle auch den Arbeitsmarkt nicht vergessen. Schließlich stellt die Nachfrage nach Arbeitskräften die Grundlage für die Möglichkeit der Arbeitsmarktpräsenz schlechthin dar. Da es in den Analysen jedoch um die Bestimmung des Einflusses familienpolitischer und kultureller Systeme ging, wurde diese Größe eher randständig behandelt. D.h., der Arbeitsmarkt wurde vor allem als Kontrollgröße berücksichtigt, nicht jedoch als eigene Untersuchungsgröße. Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass seine Relevanz im Rahmen der Analyse unterschätzt wurde. Am Beispiel Ostdeutschlands zeigte sich vielmehr sehr deutlich, wie stark die kulturell und institutionell ‚kommodifizierten’ Mütter in der Verwirklichung ihres Erwerbswunsches auf die Nachfrage des Arbeitsmarkts angewiesen sind. Trotz der guten familienpolitischen und kulturellen Voraussetzungen für eine mütterliche Erwerbsintegration, hinkt dort die faktische Erwerbsbeteiligung aufgrund der im Vergleich hohen Arbeitslosigkeit deutlich hinterher. Im Grunde verfügt Ostdeutschland im vorliegenden Ländervergleich über das höchste Frauenerwerbspotential. Aufgrund der im Vergleich zu Belgien und Westdeutschland schlechten Arbeitsmarktlage in den neuen Bundesländern kommt dies jedoch nur unvollständig zur Entfaltung.
185
8.2 Kritische Diskussion der Ergebnisse 8.2.1 Beschäftigungsumfang: Teilzeit oder Vollzeit? Die vorliegende Arbeit hat sich vorwiegend auf die Chancen von Müttern konzentriert, überhaupt auf dem Arbeitsmarkt aktiv zu sein. Der Umfang einer möglichen Erwerbsbeteiligung blieb dabei unberücksichtigt. Diese Vorgehensweise wurde vor allem deshalb gewählt, weil der generelle Kontakt mit dem Berufsleben – ungeachtet, ob er über Teilzeit- oder Vollzeiterwerbstätigkeit zustande kommt – von ganz besonderer Relevanz für die langfristigen Erwerbs- und Karrierechancen von Frauen angesehen werden kann. Empirisch ist vielfach belegt, dass mit zunehmender Dauer eines Erwerbsausstiegs die Chancen der Rückkehr auf den Arbeitsmarkt abnehmen (vgl. z.B. Beblo/Wolf 2000, 2002; Ondrich et al. 1996, 1998, 1999, 2003a, 2003b). Offensichtlich ist eine kontinuierliche Bindung an den Arbeitsmarkt, auch im Falle von nur wenigen Arbeitsstunden, wichtig, um berufliche Netzwerke aktiv zu halten und den Abbau von Humankapital zu vermeiden. Wie bedeutsam die Vermeidung von langen Erwerbspausen und eine Anbindung an den Arbeitsmarkt ist, wird insbesondere nach Ehescheidungen sichtbar. In diesen Fällen bricht das ‚male breadwinner’ Modell zusammen. Frauen ohne eigenes Erwerbseinkommen sowie deren Kinder erleiden in solchen Situationen hohe Einkommensverluste und unterliegen einem wesentlich höheren Armutsrisiko als erwerbstätige Frauen (vgl. Andreß et al. 2003, 2006).
Die Struktur des Arbeitsmarktes Gemäß den vorherigen Überlegungen wird in der vorliegenden Arbeit in erster Linie die generelle Arbeitsmarktpräsenz betrachtet und nicht nach Teilzeit- und Vollzeitarbeit unterschieden. Problematisch wäre diese Ausblendung des Erwerbsumfangs im Rahmen eines Ländervergleichs jedoch dann, wenn die Arbeitsnachfrage nach Teilzeitkräften in den drei Untersuchungsgebieten stark variierte. So wäre etwa denkbar, dass belgische Mütter die gleichen Chancen auf ein positives Arbeitsangebot aufweisen würden wie die deutschen Mütter, wenn ihnen im selben Maße Teilzeitarbeitsplätze angeboten würden. Allerdings stellen restringierte Teilzeitarbeitsplätze an sich noch kein Problem dar, sondern lediglich dann, wenn diese Restriktionen für die Untersuchungsgebiete unterschiedlich stark ausfallen. In einem solchen Fall könnte vor allem das geringere Arbeitsangebot belgischer Müttern möglicherweise nicht auf den kulturellen Rahmen, sondern auf die Struktur des belgischen Arbeitsmarktes zurückgehen. 186
Zahlen der OECD (2002) geben allerdings Hinweise darauf, dass sich der Anteil der weiblichen Teilzeitbeschäftigung an der Gesamtbeschäftigung von Frauen in Belgien und Deutschland nicht bedeutend unterscheidet. In Belgien sind 34,7% und in (Gesamt-)Deutschland 35,2% aller erwerbstätigen Frauen (im Alter von 25 bis 54 Jahren) teilzeitbeschäftigt. Bei den kinderlosen Frauen ist der Anteil der in Teilzeit Erwerbstätigen in Belgien mit 29% nur leicht höher als in Deutschland (24%). Diese Zahlen sprechen eher dagegen, dass das geringere Arbeitsangebot belgischer Frauen ein Ergebnis von unterschiedlichen Arbeitsmarktstrukturen darstellt. Denn für diesen Fall sollten bei kinderlosen Frauen wesentlich geringere Teilzeitanteile in Belgien festzustellen sein. Daher kann man die geringere Erwerbsneigung belgischer Frauen, wie sie den Hauptanalysen zutage getreten ist, vornehmlich auf kulturelle Dispositionen zurückführen.
Teilzeitarbeit als Ergebnis institutioneller Möglichkeiten und kultureller Leitbilder Da es keine Hinweise darauf gibt, dass zwischen den drei Untersuchungsgebieten generelle Unterschiede in der Verfügbarkeit von Teilzeitarbeit bestehen und Frauen mit Kindern in allen drei Regionen während der Elternfreistellung einen rechtlichen Anspruch auf Teilzeitarbeit besitzen, müssten etwaige Unterschiede im Teilzeitanteil von Müttern zwischen den drei Gebieten in erster Linie Ausdruck unterschiedlicher Betreuungskulturen und Betreuungsmöglichkeiten sein. Der Teilzeitanteil von Müttern unterscheidet sich auch in der Tat beträchtlich zwischen den Untersuchungsgebieten.55 So ist der Anteil der erwerbstätigen Mütter in Teilzeitarbeit in Deutschland bedeutend höher als in Belgien (bei einem Kind 45,3% in Deutschland gegenüber 34,7% in Belgien; bei zwei und mehr Kindern 60,2% in Deutschland gegenüber 46,1% in Belgien). Der hohe gesamtdeutsche Teilzeitanteil von Müttern ist allerdings auf das Erwerbsverhalten westdeutscher Mütter zurückzuführen (vgl. Cornelißen 2005). Die Ursache dafür ist einerseits im öffentlichen Kinderbetreuungssystem zu sehen, das auf eine halbtätige Betreuung ausgerichtet ist und daher eine mütterliche Erwerbstätigkeit eher auf Teilzeitbasis ermöglicht. Andererseits stellt Teilzeitarbeit jedoch auch, wie bereits in Abschnitt 4.3 angesprochen wurde, eine Möglichkeit dar, die traditionelle Einstellung zur Mutterrolle mit einer Erwerbstätigkeit in Einklang zu bringen, ohne dabei die Hauptbetreuung des Kindes aus den Händen geben zu müssen. 55
Diese Länderunterschiede im Teilzeitanteil von Müttern stellen jedoch die Gültigkeit der Hauptergebnisse nicht in Frage, da Teilzeit- und Vollzeitarbeit in den Analysen zur Erwerbswahrscheinlichkeit gleichwertig behandelt wird.
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8.2.2 Länderspezifische Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen Ein weiterer Faktor, der in dieser Arbeit bisher unerwähnt blieb, potentiell aber Auswirkungen auf das Ausmaß weiblicher Erwerbsbeteiligung besitzen kann, sind Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen. Umso weniger Frauen gegenüber Männern verdienen, desto geringer fällt auch der finanzielle Anreiz für eine weibliche Erwerbsbeteiligung aus. Große Lohndiskrepanzen zwischen den Geschlechtern zu Ungunsten von Frauen forcieren somit – ähnlich wie das Ehegattensplitting – eine traditionelle Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau. Für den Ländervergleich wäre insbesondere problematisch, wenn die Kluft zwischen den männlichen und weiblichen Löhnen stark länderspezifisch variiert. So könnte etwa das geringere Arbeitsangebot belgischer Mütter gegenüber westdeutschen Müttern statt auf kulturelle Unterschiede vielmehr auf größere geschlechtsspezifische Lohndifferenzen in Belgien zurückgehen. Zahlen der OECD (2002) belegen jedoch, dass die Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern in Belgien sogar geringer ausfallen als in Deutschland. Betrachtet man den Anteil des weiblichen Stundenlohns am männlichen Stundenlohn für das Jahr 1998 (die so genannte ‚gender wage ratio’), zeigt sich, dass belgische Frauen im Schnitt 91% und deutsche Frauen nur 80% des männlichen Lohnes erhalten.56
8.3 Schlussbetrachtung Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit demonstrieren, dass sowohl die familienpolitischen Einrichtungen als auch die Kultur für das weibliche Erwerbshandeln relevant sind. Dabei besitzen beide Einflussgrößen eine durchaus eigene Wirkungslogik: Familienpolitische Maßnahmen beeinflussen über Veränderungen der Opportunitätsstrukturen zeitlich-punktuell das Erwerbshandeln von Frauen mit betreuungsbedürftigen Kindern. Kulturelle Leitbilder zur Bedeutung von Familie und Beruf und zur Rolle der Frau setzen hingegen auf einer übergeordneten Ebene an. Da sie über die Sozialisation verinnerlicht wurden, steuern sie Wünsche, Orientierungen und Verhaltensweisen dauerhaft, bleiben aber in Zeiträumen latent, in denen institutionelle Gelegenheiten und Zwänge dominieren.
56 Dabei handelt es sich übrigens in beiden Ländern um „illegitime“ Lohnunterschiede, die bei gleicher Arbeitszeit und gleicher Produktivität Bestand haben (OECD 2002: 102).
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Das Zusammenspiel von kulturellen und institutionellen Faktoren ist allerdings äußerst komplex, da die Wirkung der Kultur auf zweierlei Arten zur Geltung kommt (Parsons 1968a: 465). Auf der einen Seite formt der kulturelle Kontext die Handlungsziele einer Gesellschaft. Er definiert, welche Ziele bedeutsam und erstrebenswert sind, und strukturiert auf diese Weise die Handlungsmotivationen der Akteure. Auf der anderen Seite spiegeln sich die kulturellen Normen und Werte auch im politisch-institutionellen System wider und beeinflussen auf diese Weise die Möglichkeiten, die den Akteuren einer Gesellschaft zur Verfügung stehen, um diese Ziele erreichen zu können. Die heutigen politischen Institutionen müssen demnach auch als historisches Produkt von kulturellen Eigenarten verstanden werden (vgl. Bahle 2000; Hofstede 1996; Inglehart 1977, 1997). Auf diesem Wege hat sich eine weit reichende Kongruenz zwischen den internalisierten und institutionalisierten Werten und politischen Ausrichtungen herausgebildet. Wenn die im politischen System inkorporierten zentralen Werte mit den Werten der Menschen in Einklang stehen, werden in der Regel auch die geeigneten Mittel zur Realisierung des kulturell erwünschten Verhaltens bereitgestellt. Allerdings sind institutionelle Möglichkeiten und kulturelle Ziele nicht immer auf diese Weise aufeinander abgestimmt. Unstimmigkeiten zwischen institutioneller und kultureller Ebene können auf zweierlei Arten entstehen: (1) Entweder die kulturellen Leitbilder verändern sich, ohne dass sich die politischen Maßnahmen entsprechend anpassen, oder (2) das politisch-institutionelle System etabliert Maßnahmen und Mittel, die die kulturellen Überzeugungen weitgehend unberücksichtigt lassen. In der öffentlichen Diskussion dominiert dabei gegenwärtig vor allem die Ansicht, dass in vielen Ländern die sozialpolitischen Strukturen auf einen wahrgenommenen kulturellen Wandel nicht angemessen reagieren würden (vgl. z.B. Die Zeit, „Ab zur Arbeit“, 17.01.2008). Wie diese Untersuchung zeigt, droht aber in einigen Ländern möglicherweise eher das zweite Szenario.57 Man muss davon ausgehen, dass die Regelungen der Europäischen Union, die in das politische System der Mitgliedsstaaten eingreifen, in immer stärkerem Maße zu einer Divergenz zwischen politisch zur Verfügung gestellten Mitteln und lebensweltlichen, kulturellen Zielen führt. Dies umso mehr, als die Europäische Union 57
Obgleich Belgien zwar ein Beispiel für derartige Unstimmigkeiten zwischen institutioneller und kultureller Ebene ist, da ein gutes öffentliches Kinderbetreuungssystem einer traditionellen Frauenrolle gegenüber steht, ist diese Unstimmigkeit in diesem Fall weitgehend unproblematisch. Denn zum einen ist das gut ausgebaute Kinderbetreuungssystem nicht mit dem Ziel eingeführt worden, die Erwerbstätigkeit von Müttern zu erhöhen, und zum anderen stellt öffentliche Betreuung nur eine Option dar. Denn durch eine Sozialpolitik, die das ‚male breadwinner’ Modell unterstützt, ist gleichzeitig die finanzielle Notwendigkeit einer weiblichen Erwerbsbeteiligung reduziert (vgl. Leitner 2003b).
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nicht nur Optionen zur Verfügung stellt, sondern auch die Ziele der einzelnen Akteure prägen möchte. Schließlich werden die Vorgaben zum Ausbau des öffentlichen Kinderbetreuungssystems in allen Mitgliedsländern explizit mit dem Ziel verbunden, die Erwerbstätigkeit von Müttern zu erhöhen (vgl. Europäische Kommission 2004). Damit kommt nicht mehr nur die Schaffung von Optionen zur Vereinarbeit von Familie und Beruf zum Ausdruck, sondern eine bestimmte kulturelle Leitidee (die der berufstätigen Mutter), die in den verschiedenen Nationalstaaten etabliert werden soll (vgl. Meyer 2005). Diese Untersuchung zeigt jedoch, dass die tradierten kulturellen Grundlagen bestimmter Regionen in starkem Maße über die Nutzung verfügbarer Mittel entscheiden. Der Vergleich zwischen Belgien und Ostdeutschland verdeutlicht, dass das Vorhandensein von öffentlichen Kinderbetreuungseinrichtungen kein Garant für ein hohes Müttererwerbsniveau ist. Belgien stellt sicher eine Ausnahmeerscheinung in der Hinsicht dar, dass Müttern lediglich die Option zur Kinderbetreuung zur Verfügung gestellt wird, ohne sie dabei in den Erwerbsmarkt zu drängen. Doch erfüllt dieses Modell in den Augen der ‚Konstrukteure’ Europas sicher keine Vorbildfunktion. Die Rolle des Vorbilds übernimmt meistens die skandinavische Variante. Vergessen wird dabei aber, dass in den skandinavischen Ländern die sozialpolitischen Maßnahmen im Einklang mit den kulturellen Grundlagen der Bevölkerung gewachsen sind. Dass sich dieses Modell also auf andere kulturelle Kontexte (man denke vor allem an die stark familialistisch ausgerichteten mediterranen Länder) mit annähernd gleichen Resultaten übertragen lässt, muss nach den Ergebnissen dieser Untersuchung eher bezweifelt werden.
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204
10 Anhang Tabelle A1: Ergebnisse der linearen Regressionen auf die Einstellungen zur weiblichen Erwerbstätigkeit; Referenz: Belgien Geschlechtsspezifische Arbeitsteilung
Konstante Westdeutschland Ostdeutschland Erwerbsbeteiligung Anzahl Personen im HH Verheiratet Alter in Jahren
1a 1b B Beta B Beta .749**** .856**** -.184**** -.166 -.178**** -.159 -.225**** -.193 -.315**** -.266 -.095** -.095 -.152**** -.150 .031* .077 .003 .007 .043 .038 .096* .084 -.003 -.034 -.002 -.025 Folgen weiblicher Berufstätigkeit für die Familie 2a 2b B Beta B Beta
Konstante Westdeutschland Ostdeutschland Erwerbsbeteiligung Anzahl Personen im HH Verheiratet Alter in Jahren
.694**** .557**** -.170**** -.190 .186**** .166 .078** .083 -.053 -.044 .128**** .159 -.156**** -.154 -.011 -.035 .004 .010 -.023 -.026 .059 .052 -.001 -.022 .002 .025 Gleichberechtigung / Doppelverdiener-Modell 3a 3b B Beta B Beta
Konstante Westdeutschland Ostdeutschland Erwerbsbeteiligung Anzahl Personen im HH Verheiratet Alter in Jahren
.952**** -.085* .152**** .111*** -.048*** -.049 -.003
-.086 .149 .126 -.139 -.050 -.052
.824**** .147**** .136**** .127**** -.016 -.052 -.001
.162 .142 .154 -.049 -.057 -.012
Anmerkungen: 1a) „Einen Beruf zu haben, ist ja ganz schön, aber das, was die meisten Frauen wirklich wollen, sind ein Heim und Kinder“. 1b) „Hausfrau sein ist genauso erfüllend wie berufstätig zu sein.“ 2a) „Eine berufstätige Mutter kann ein genauso herzliches Verhältnis zu ihren Kindern entwickeln, wie eine nicht erwerbstätige Mutter“. 2b) „Ein Kind, das noch nicht zur Schule geht, wird wahrscheinlich darunter leiden, wenn seine Mutter berufstätig ist.“ 3a) „Mann und Frau sollten beide zum Haushaltseinkommen beitragen.“ 3b) „Erwerbstätigkeit ist der beste Weg für Frauen, unabhängig zu sein.“ Antwortkategorien: 1 „stimme überhaupt nicht zu“, 2 „stimme nicht zu“, 3 „stimme zu“, 4 „stimme voll und ganz zu“ B=unstandardisierter Effektkoeffizient; Beta=standardisierter Effektkoeffizient Signifikanzen: *p<.10 **p<.05 ***p<.01 ****p<.001 Belgien N=494, Westdeutschland N=280, Ostdeutschland N=236 Datenquelle: EVS 1999
205
Abbildung A1: Anteil der aktiv erwerbstätigen Frauen in Belgien, West- und Ostdeutschland um die Geburt des ersten Kindes 100 92
Anteil erwerbstätiger Frauen (in %)
90
83
87
80
79
81 77
70
70 56
60 50
43 37
40 30
21
20 18
10 0 2 Jahre vor der Geburt
1 Jahr vor der Geburt
unter 1 Jahr
1-3 Jahre
Alter des ersten Kindes Belgien
Ostdeutschland
Westdeutschland
Datenquelle: PSBH (1992-2002), SOEP (1992-2003)
Tabelle A2: Aktiv erwerbstätige Frauen bzw. Frauen mit positivem Arbeitsangebot, in Prozent Belgien AV1
2 Jahre vor der Geburt 1Jahr vor der Geburt 0-1 Jahr 1-3 Jahre 3-6 Jahre 6-10 Jahre 10-13 Jahre 13-16 Jahre Ø (ab Geburt) Kinderlose Frauen
AV2
Westdeutschland
AV1-AV2
AV1
AV1-AV2
Ostdeutschland AV1
AV2
AV1-AV2
61.3 72.1
-10.8
59.2 63.3
-4.1
59.5 74.7
-15.2
63.2 52.2 63.9 64.9 64.9 64.8 68.6 63.0
72.5 59.4 71.7 74.3 71.5 72.7 75.9 70.7
-9.2 -7.2 -7.8 -9.4 -6.6 -7.8 -7.4 -7.7
53.9 15.6 32.7 55.9 68.0 74.3 75.6 54.9
56.3 17.7 35.8 60.8 72.5 79.0 80.1 59.0
-2.4 -2.0 -3.1 -4.9 -4.5 -4.8 -4.6 -4.1
53.0 16.0 38.1 65.5 75.1 79.0 80.7 66.7
64.8 21.9 52.7 84.7 91.0 93.9 93.5 81.5
-11.8 -5.9 -14.5 -19.1 -15.9 -14.9 -12.8 -14.8
71.0 79.0
-8.1
81.8 85.9
-4.1
74.8 86.0
-11.2
Anmerkungen: AV1: aktive Erwerbsbeteiligung; AV2: positives Arbeitsangebot Datenquelle: PSBH (1992-2002), SOEP (1992-2003)
206
AV2
Abbildung A2: Frauenerwerbstätigenquoten in Belgien, West- und Ostdeutschland, 1992-2003 65.0
Frauenerwerbstätigenquote
60.0
55.0
50.0
45.0
40.0 1992
1993
1994
1995 Belgien
1996
1997
1998
Westdeutschland
1999
2000
2001
2002
2003
Ostdeutschland
Datenquellen: OECD (Belgien); Statistisches Bundesamt (West- und Ostdeutschland)
Abbildung A3: Weibliche Arbeitslosenquoten in Belgien, West- und Ostdeutschland, 1992-2003
Frauenarbeitslosenquote
25.0
20.0
15.0
10.0
5.0 1992
1993
1994
1995
1996
Westdeutschland
1997
1998
1999
Ostdeutschland
2000
2001
2002
2003
Belgien
Datenquellen: Bundesagentur für Arbeit (West- und Ostdeutschland); Eurostat (Belgien)
207
Tabelle A3: Ergebnisse der logistischen RE-Regressionen
Konstante Ostdeutschland Belgien 0-1 Jahr (West-D.) 0-1 Jahr*Belgien 0-1 Jahr*Ost-D. 1-3 Jahre (West-D.) 1-3 Jahre*Belgien 1-3 Jahre*Ost-D. 3-6 Jahre (West-D.) 3-6 Jahre*Belgien 3-6 Jahre*Ost-D. 6-10 Jahre (West-D.) 6-10 Jahre*Belgien 6-10 Jahre*Ost-D. 10-13 Jahre (West-D.) 10-13 Jahre*Belgien 10-13 Jahre*Ost-D. 13-16 Jahre (West-D.) 13-16 Jahre*Belgien 13-16 Jahre*Ost-D. Alter der Mutter (in Jahren) Bildung der Mutter (ISCED 3) 2 Kinder 3 Kinder 4 Kinder 5 oder mehr Kinder Partner Partner * Erwerbstätig Partner * Verheiratet Periode 1 (1992-1995) (Referenz) Periode 2 (1995-1999) Periode 3 (1999-2003) Log likelihood n (Individuen) n (Beobachtungen)
Modell 1 AV1 AV2 LO OR p LO OR p 2.364 10.633 *** 2.833 16.996 *** -0.714 0.490 *** -0.017 0.983 -1.298 0.273 *** -1.140 0.320 *** -5.077 0.006 *** -5.287 0.005 *** 3.960 52.457 *** 4.015 55.423 *** 0.725 2.065 ** 0.495 1.640 *** -3.501 0.030 *** -3.715 0.024 *** 3.231 25.305 *** 3.388 29.607 *** 1.354 3.873 *** 1.423 4.150 *** -1.944 0.143 *** -2.071 0.126 *** 1.861 6.430 *** 2.030 7.614 *** 1.534 4.637 *** 1.975 7.207 *** -1.063 0.345 *** -1.140 0.320 *** 1.086 2.962 *** 1.008 2.740 *** 1.098 2.998 *** 1.695 5.447 *** -0.606 0.546 *** -0.632 0.532 *** 0.637 1.891 *** 0.580 1.786 *** 0.752 2.121 *** 1.663 5.275 *** -0.310 0.733 ** -0.399 0.671 *** 0.668 1.950 *** 0.680 1.974 *** 0.566 1.761 *** 1.285 3.615 ***
-27642 11777 59479
-24432 11777 59479
Modell 2 AV1 AV2 LO OR p LO OR p -1.268 0.281 *** -0.341 0.711 ** -0.917 0.400 *** -0.167 0.846 -1.609 0.200 *** -1.470 0.230 *** -5.168 0.006 *** -5.381 0.005 *** 4.079 59.086 *** 4.154 63.688 *** 0.818 2.266 *** 0.552 1.737 ** -3.602 0.027 *** -3.815 0.022 *** 3.363 28.876 *** 3.577 35.766 *** 1.476 4.375 *** 1.502 4.491 *** -2.101 0.122 *** -2.217 0.109 *** 1.991 7.323 *** 2.181 8.855 *** 1.689 5.414 *** 2.066 7.893 *** -1.303 0.272 *** -1.357 0.257 *** 1.202 3.327 *** 1.136 3.114 *** 1.261 3.529 *** 1.788 5.977 *** -0.866 0.421 *** -0.859 0.424 *** 0.694 2.002 *** 0.660 1.935 *** 0.853 2.347 *** 1.720 5.585 *** -0.514 0.598 *** -0.571 0.565 *** 0.614 1.848 *** 0.669 1.952 *** 0.598 1.818 *** 1.287 3.622 *** 0.049 1.050 *** 0.041 1.042 *** 1.01 2.746 *** 0.927 2.527 ***
-26469 11717 58402
Anmerkungen: Signifikanzen: *p<.05 **p<.01 ***p<.001 AV 1: Abhängige Variable ‚aktive Erwerbsbeteiligung‘ AV 2: Abhängige Variable ‚positives Arbeitsangebot‘ LO: Log Odds, OR: Odds Ratio Modell 1: Basismodell mit unabhängigen Variablen: Effekt des jüngsten Kindes * Ländervariablen Modell 2: Modell 1 + Kontrolle der individuellen Merkmale der Mutter: Bildung und Alter Modell 3: Modell 2 + Kontrolle der Haushaltszusammensetzung: Partnerschaft, weitere Kinder Modell 4: Modell 3 + Kontrolle von Periodeneffekten Modell 5a: Modell 4 + Kontrolle Partner*Erwerbstätig Modell 5b: Modell 4 + Kontrolle Partner*Verheiratet Datenquelle: PSBH (1992-2002), SOEP (1992-2003)
208
-23450 11717 58402
Tabelle A4: Ergebnisse der logistischen RE-Regressionen
Konstante Ostdeutschland Belgien 0-1 Jahr (West-D.) 0-1 Jahr*Belgien 0-1 Jahr*Ost-D. 1-3 Jahre (West-D.) 1-3 Jahre*Belgien 1-3 Jahre*Ost-D. 3-6 Jahre (West-D.) 3-6 Jahre*Belgien 3-6 Jahre*Ost-D. 6-10 Jahre (West-D.) 6-10 Jahre*Belgien 6-10 Jahre*Ost-D. 10-13 Jahre (West-D.) 10-13 Jahre*Belgien 10-13 Jahre*Ost-D. 13-16 Jahre (West-D.) 13-16 Jahre*Belgien 13-16 Jahre*Ost-D. Alter der Mutter (in Jahren) Bildung der Mutter (ISCED 3) 2 Kinder 3 Kinder 4 Kinder 5 oder mehr Kinder Partner Partner * Erwerbstätig Partner * Verheiratet Periode 1 (1992-1995) (Referenz) Periode 2 (1995-1999) Periode 3 (1999-2003) Log likelihood n (Individuen) n (Beobachtungen)
Modell 3 AV1 AV2 LO OR p LO OR p -1.381 0.251 *** -0.489 0.613 *** -0.925 0.397 *** -0.175 0.839 -1.613 0.199 *** -1.471 0.230 *** -5.063 0.006 *** -5.176 0.006 *** 4.134 62.427 *** 4.201 66.753 *** 0.782 2.186 *** 0.509 1.664 ** -3.505 0.030 *** -3.626 0.027 *** 3.419 30.539 *** 3.638 38.016 *** 1.473 4.362 *** 1.499 4.477 *** -1.934 0.145 *** -1.968 0.140 *** 2.023 7.561 *** 2.221 9.217 *** 1.662 5.270 *** 2.046 7.737 *** -1.146 0.318 *** -1.136 0.321 *** 1.240 3.456 *** 1.174 3.235 *** 1.244 3.469 *** 1.776 5.906 *** -0.793 0.452 *** -0.755 0.470 *** 0.766 2.151 *** 0.737 2.090 *** 0.829 2.291 *** 1.702 5.485 *** -0.530 0.589 *** -0.588 0.555 *** 0.633 1.883 *** 0.699 2.012 *** 0.583 1.791 *** 1.283 3.607 *** 0.046 1.047 *** 0.043 1.044 *** 0.997 2.710 *** 0.915 2.497 *** -0.349 0.705 *** -0.408 0.665 *** -0.713 0.490 *** -0.762 0.467 *** -0.862 0.422 *** -1.132 0.322 *** -1.906 0.149 *** -1.963 0.140 *** 0.417 1.517 *** 0.216 1.241 ***
-26367 11716 58400
-23363 11716 58400
Modell 4 AV1 AV2 LO OR p LO OR p -1.268 0.281 *** -0.420 0.657 *** -0.921 0.398 *** -0.170 0.844 -1.443 0.236 *** -1.341 0.262 *** -5.064 0.006 *** -5.172 0.006 *** 4.149 63.371 *** 4.210 67.357 *** 0.767 2.153 *** 0.493 1.637 ** -3.502 0.030 *** -3.620 0.027 *** 3.429 30.846 *** 3.646 38.321 *** 1.517 4.559 *** 1.514 4.545 *** -1.936 0.144 *** -1.968 0.140 *** 2.019 7.531 *** 2.223 9.235 *** 1.774 5.894 *** 2.102 8.183 *** -1.147 0.318 *** -1.136 0.321 *** 1.218 3.380 *** 1.160 3.190 *** 1.359 3.892 *** 1.850 6.360 *** -0.792 0.453 *** -0.755 0.470 *** 0.732 2.079 *** 0.711 2.036 *** 0.886 2.425 *** 1.748 5.743 *** -0.536 0.585 *** -0.591 0.554 *** 0.620 1.859 *** 0.687 1.988 *** 0.631 1.879 *** 1.319 3.740 *** 0.033 1.034 *** 0.033 1.034 *** 0.978 2.659 *** 0.899 2.457 *** -0.36 0.698 *** -0.423 0.655 *** -0.728 0.483 *** -0.780 0.458 *** -0.868 0.420 *** -1.141 0.319 *** -1.909 0.148 *** -1.966 0.140 *** 0.471 1.602 *** 0.258 1.294 ***
0.299 1.349 *** 0.486 1.626 *** -26291 11716 58400
0.216 1.241 *** 0.367 1.443 *** -23324 11716 58400
Anmerkungen: Signifikanzen: *p<.05 **p<.01 ***p<.001 AV 1: Abhängige Variable ‚aktive Erwerbsbeteiligung‘ AV 2: Abhängige Variable ‚positives Arbeitsangebot‘ LO: Log Odds OR: Odds Ratio Modell 1: Basismodell mit unabhängigen Variablen: Effekt des jüngsten Kindes * Ländervariablen Modell 2: Modell 1 + Kontrolle der individuellen Merkmale der Mutter: Bildung und Alter Modell 3: Modell 2 + Kontrolle der Haushaltszusammensetzung: Partnerschaft, weitere Kinder Modell 4: Modell 3 + Kontrolle von Periodeneffekten Modell 5a: Modell 4 + Kontrolle Partner*Erwerbstätig Modell 5b: Modell 4 + Kontrolle Partner*Verheiratet Datenquelle: PSBH (1992-2002), SOEP (1992-2003)
209
Tabelle A5: Ergebnisse der logistischen RE-Regressionen
Konstante Ostdeutschland Belgien 0-1 Jahr (West-D.) 0-1 Jahr*Belgien 0-1 Jahr*Ost-D. 1-3 Jahre (West-D.) 1-3 Jahre*Belgien 1-3 Jahre*Ost-D. 3-6 Jahre (West-D.) 3-6 Jahre*Belgien 3-6 Jahre*Ost-D. 6-10 Jahre (West-D.) 6-10 Jahre*Belgien 6-10 Jahre*Ost-D. 10-13 Jahre (West-D.) 10-13 Jahre*Belgien 10-13 Jahre*Ost-D. 13-16 Jahre (West-D.) 13-16 Jahre*Belgien 13-16 Jahre*Ost-D. Alter der Mutter (in Jahren) Bildung der Mutter (ISCED 3) 2 Kinder 3 Kinder 4 Kinder 5 oder mehr Kinder Partner Partner erwerbstätig Partner * Verheiratet Periode 1 (1992-1995) (Referenz) Periode 2 (1995-1999) Periode 3 (1999-2003) Log likelihood n (Individuen) n (Beobachtungen)
Modell 5a AV1 AV2 LO OR p LO OR p -1.245 0.288 *** -0.416 0.660 ** -0.907 0.404 *** -0.166 0.847 -1.434 0.238 *** -1.339 0.262 *** -5.069 0.006 *** -5.173 0.006 *** 4.136 62.552 *** 4.206 67.088 *** 0.771 2.162 *** 0.495 1.640 ** -3.520 0.030 *** -3.625 0.027 *** 3.431 30.908 *** 3.646 38.321 *** 1.512 4.536 *** 1.514 4.545 *** -1.954 0.142 *** -1.974 0.139 *** 2.022 7.553 *** 2.225 9.253 *** 1.773 5.888 *** 2.103 8.191 *** -1.165 0.312 *** -1.142 0.319 *** 1.223 3.397 *** 1.162 3.196 *** 1.361 3.900 *** 1.851 6.366 *** -0.806 0.447 *** -0.759 0.468 *** 0.734 2.083 *** 0.712 2.038 *** 0.887 2.428 *** 1.748 5.743 *** -0.548 0.578 *** -0.596 0.551 *** 0.626 1.870 *** 0.689 1.992 *** 0.630 1.878 *** 1.317 3.732 *** 0.032 1.033 *** 0.033 1.034 *** 0.969 2.635 *** 0.897 2.452 *** -0.366 0.694 *** -0.424 0.654 *** -0.733 0.480 *** -0.781 0.458 *** -0.864 0.421 *** -1.14 0.320 *** -1.886 0.152 *** -1.96 0.141 *** 0.265 1.303 *** 0.202 1.224 ** 0.275 1.317 *** 0.074 1.077
Modell 5b AV1 AV2 LO OR p LO OR p -1.435 0.238 *** -0.676 0.509 *** -0.928 0.395 *** -0.186 0.830 * -1.432 0.239 *** -1.329 0.265 *** -4.973 0.007 *** -5.043 0.006 *** 4.114 61.191 *** 4.164 64.328 *** 0.673 1.960 * 0.346 1.413 -3.392 0.034 *** -3.459 0.031 *** 3.381 29.400 *** 3.575 35.695 *** 1.471 4.354 *** 1.439 4.216 *** -1.841 0.159 *** -1.829 0.161 *** 1.981 7.250 *** 2.169 8.750 *** 1.758 5.801 *** 2.081 8.012 *** -1.073 0.342 *** -1.025 0.359 *** 1.187 3.277 *** 1.116 3.053 *** 1.348 3.850 *** 1.836 6.271 *** -0.735 0.480 *** -0.668 0.513 *** 0.708 2.030 *** 0.677 1.968 *** 0.881 2.413 *** 1.748 5.743 *** -0.489 0.613 *** -0.518 0.596 *** 0.600 1.822 *** 0.659 1.933 *** 0.629 1.876 *** 1.319 3.740 *** 0.04 1.041 *** 0.043 1.044 *** 0.975 2.651 *** 0.895 2.447 *** -0.336 0.715 *** -0.385 0.680 *** -0.711 0.491 *** -0.752 0.471 *** -0.863 0.422 *** -1.133 0.322 *** -1.919 0.147 *** -1.976 0.139 *** 0.758 2.134 *** 0.726 2.067 *** -0.481
0.303 1.354 *** 0.494 1.639 *** -26277 11716 58400
0.217 1.242 *** 0.368 1.445 *** -23323 11716 58400
0.618 ***
0.283 1.327 *** 0.46 1.584 *** -26257 11716 58400
-0.753
0.19 1.209 *** 0.326 1.385 *** -23253 11716 58400
Anmerkungen: Signifikanzen: *p<.05 **p<.01 ***p<.001 AV 1: Abhängige Variable ‚aktive Erwerbsbeteiligung‘ AV 2: Abhängige Variable ‚positives Arbeitsangebot‘ LO: Log Odds OR: Odds Ratio Modell 1: Basismodell mit unabhängigen Variablen: Effekt des jüngsten Kindes * Ländervariablen Modell 2: Modell 1 + Kontrolle der individuellen Merkmale der Mutter: Bildung und Alter Modell 3: Modell 2 + Kontrolle der Haushaltszusammensetzung: Partnerschaft, weitere Kinder Modell 4: Modell 3 + Kontrolle von Periodeneffekten Modell 5a: Modell 4 + Kontrolle Partner*Erwerbstätig Modell 5b: Modell 4 + Kontrolle Partner*Verheiratet Datenquelle: PSBH (1992-2002), SOEP (1992-2003)
210
0.471 ***
Tabelle A6: Ergebnisse der logistischen RE-Regressionen
Konstante Westdeutschland Ostdeutschland Flandern Wallonien Brüssel-Stadt 0-1 Jahr 0-1 Jahr*West-D. 0-1 Jahr*Ost-D. 0-1 Jahr*Flandern 0-1 Jahr*Wallonien 0-1 Jahr*Brüssel-Stadt 1-3 Jahre 1-3 Jahre*West-D. 1-3 Jahre*Ost-D. 1-3 Jahre*Flandern 1-3 Jahre*Wallonien 1-3 Jahre*Brüssel-Stadt 3-6 Jahre 3-6 Jahre*West-D. 3-6 Jahre*Ost-D. 3-6 Jahre*Flandern 3-6 Jahre*Wallonien 3-6 Jahre*Brüssel-Stadt 6-10 Jahre 6-10 Jahre*West-D. 6-10 Jahre*Ost-D. 6-10 Jahre*Flandern 6-10 Jahre*Wallonien 6-10 Jahre*Brüssel-Stadt 10-13 Jahre 10-13 Jahre*West-D. 10-13 Jahre*Ost-D. 10-13 Jahre*Flandern 10-13 Jahre*Wallonien 10-13 Jahre*Brüssel-Stadt 13-16 Jahre 13-16 Jahre*West-D. 13-16 Jahre*Ost-D. 13-16 Jahre*Flandern 13-16 Jahre*Wallonien 13-16 Jahre*Brüssel-Stadt Alter der Mutter (in Jahren) Bildung der Mutter (ISCED 3) 2 Kinder 3 Kinder 4 Kinder 5 oder mehr Kinder Partner Partner * Erwerbstätig Periode 1 (1992-1995) (Referenz) Periode 2 (1995-1999) Periode 3 (1999-2003) Log likelihood n (Individuen) n (Beobachtungen)
LO -1.264
Referenz: Westdeutschland AV1 AV2 OR p LO OR p 0.283 *** -0.428 0.652 **
-0.907 -1.126 -1.821 -1.556 -5.065
0.404 *** 0.324 *** 0.162 *** 0.211 *** 0.006 ***
-0.167 -1.144 -1.594 -1.371 -5.173
0.846 0.319 *** 0.203 *** 0.254 *** 0.006 ***
0.771 4.241 4.137 3.892 -3.516
2.162 *** 69.477 *** 62.615 *** 49.009 *** 0.030 ***
0.495 4.251 4.275 3.927 -3.625
1.640 * 70.176 *** 71.880 *** 50.754 *** 0.027 ***
1.511 3.307 3.651 3.299 -1.952
4.531 *** 27.303 *** 38.513 *** 27.086 *** 0.142 ***
1.515 3.470 4.054 3.117 -1.975
4.549 *** 32.137 *** 57.628 *** 22.579 *** 0.139 ***
1.772 1.874 2.196 2.076 -1.164
5.883 *** 6.514 *** 8.989 *** 7.973 *** 0.312 ***
2.105 1.961 2.548 2.202 -1.144
8.207 *** 7.106 *** 12.782 *** 9.043 *** 0.319 ***
1.360 1.023 1.338 1.794 -0.806
3.896 *** 2.782 *** 3.811 *** 6.013 *** 0.447 ***
1.853 1.027 1.237 1.620 -0.761
6.379 *** 2.793 *** 3.445 *** 5.053 *** 0.467 ***
0.887 0.660 0.700 1.364 -0.550
2.428 *** 1.935 *** 2.014 *** 3.912 *** 0.577 ***
1.749 0.578 0.735 1.509 -0.598
5.749 *** 1.782 *** 2.085 *** 4.522 *** 0.550 ***
0.630 0.677 0.571 0.478 0.033 0.971 -0.364 -0.732 -0.862 -1.875 0.261 0.268
1.878 *** 1.968 *** 1.770 ** 1.613 1.034 *** 2.641 *** 0.695 *** 0.481 *** 0.422 *** 0.153 *** 1.298 *** 1.307 ***
1.319 0.790 0.618 0.422 0.034 0.899 -0.422 -0.779 -1.136 -1.961 0.200 0.070
3.740 *** 2.203 *** 1.855 ** 1.525 1.035 *** 2.457 *** 0.656 *** 0.459 *** 0.321 *** 0.141 *** 1.221 ** 1.073
0.293 1.340 *** 0.486 1.626 *** -26247 11716 58400
0.212 1.236 *** 0.367 1.443 *** -23301 11716 58400
LO -2.498 1.201 0.248
Referenz: Flandern AV1 AV2 OR p LO OR p 0.082 *** -1.682 0.186 *** 3.323 *** 1.236 3.442 *** 1.281 1.060 2.886 ***
-0.737 -0.467 -0.848 -4.430 -3.616
0.478 *** 0.627 * 0.428 *** 0.012 *** 0.027 ***
-0.492 -0.250 -0.961 -4.456 -3.921
0.611 ** 0.778 *** 0.382 *** 0.012 *** 0.020 ***
-0.096 -0.347 -0.204 -3.457 -1.860
0.908 0.707 0.815 0.032 *** 0.156 ***
0.058 -0.332 -0.158 -3.636 -2.033
1.059 0.718 0.854 0.026 *** 0.131 ***
0.364 -0.015 -0.068 -1.976 -0.107
1.439 0.630 0.985 -0.376 0.934 -0.011 0.139 *** -2.0717 0.898 0.119
1.878 ** 0.686 0.989 0.126 *** 1.127
0.345 0.202 -0.132 -1.092 0.336
1.412 1.224 0.877 0.335 *** 1.399
0.635 0.219 -0.113 -1.096 0.821
1.888 ** 1.245 0.893 0.334 *** 2.273 ***
0.336 0.799 -0.130 -0.717 0.207
1.400 2.224 * 0.878 0.488 *** 1.230
0.246 0.607 -0.172 -0.633 1.181
1.278 1.836 0.842 0.531 ** 3.258 ***
0.042 0.749 0.161 -0.721 -0.088
1.043 2.115 1.175 0.486 *** 0.916
0.177 0.983 0.229 -0.842 0.506
1.194 2.671 * 1.257 0.431 *** 1.659 *
-0.123 -0.175 0.036 0.998 -0.367 -0.726 -0.840 -1.850 0.263 0.265
0.884 0.839 1.036 *** 2.714 *** 0.693 *** 0.484 *** 0.431 *** 0.157 *** 1.301 *** 1.303 ***
-0.179 -0.362 0.036 0.940 -0.429 -0.775 -1.134 -1.938 0.193 0.070
0.836 0.697 1.037 *** 2.560 *** 0.651 *** 0.461 *** 0.322 *** 0.144 *** 1.212 ** 1.073
0.296 1.345 *** 0.500 1.648 *** -26169 11716 58400
0.212 1.236 *** 0.374 1.454 *** -23227 11716 58400
Anmerkungen: Signifikanzen: *p<.05 **p<.01 ***p<.001 AV 1: Abhängige Variable ‚aktive Erwerbsbeteiligung‘; AV 2: Abhängige Variable ‚positives Arbeitsangebot‘ LO: Log Odds; OR: Odds Ratio Datenquelle: PSBH (1992-2002), SOEP (1992-2003)
211
Tabelle A7: Die Bedeutung von Religion, Familie und Beruf; Spaltenprozente 1. Häufigkeit des Kirchgangs im Alter von 12 Jahren a
Mindestens einmal pro Woche 2. Wichtigkeit von Religion im eigenen Leben
Flandern
Wallonien
West-D.
Ost-D.
68,4
53,9
33,1
8,3
b
Flandern
Wallonien
West-D.
Ost-D.
1.
Sehr wichtig
5,2
23,9
9,4
1,7
2.
Eher wichtig
27,8
22,1
24,2
8,2
3.
Nicht sehr wichtig
42,0
27,9
37,9
20,2
4.
Unwichtig
25,0
26,1
28,5
70,0
3. Wichtigkeit von Familie im eigenen Leben b Flandern
Wallonien
West-D.
Ost-D.
1.
Sehr wichtig
91,5
95,0
82,1
75,4
2.
Eher wichtig
7,1
4,6
15,1
22,5
3.
Nicht sehr wichtig
1,4
0,4
2,9
1,7
4.
Unwichtig
0
0
0
0,4
4. Welche der folgenden Aussagen beschreibt am besten Ihre Sicht über die Pflichten von Eltern gegenüber ihren Kindern? c
A.
B.
C.
Flandern
Wallonien
West-D.
Ost-D.
Die Pflicht der Eltern ist, das Beste für ihre Kinder zu tun, auch dann wenn es auf Kosten des eigenen Wohlbefindens geht.
74,6
76,7
52.9
42,0
Eltern haben ein eigenes Leben und es sollte nicht von ihnen verlangt werden, dass sie ihr eigenes Wohl der Kinder wegen aufopfern.
20,5
16,0
39,0
42,9
Keine von beiden.
4,9
7,3
8,1
15,2
5. Die Arbeit sollte immer zuerst kommen, auch wenn das weniger Freizeit bedeutet.
Stimme voll und ganz zu / Stimme zu.
Flandern
Wallonien
West-D.
Ost-D.
16,7
25,6
39,7
60,7
Anmerkungen: Westdeutschland N=280, Ostdeutschland N=236, Flandern N=208, Wallonien N=270 Datenquelle: EVS 1999
212
d
Tabelle A8: Einstellungen zur weiblichen Erwerbsbeteiligung und geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung; Zustimmung in % 1. Geschlechtsspezifische Arbeitsteilung West-D. (1)
Ost-D. (2)
Flandern (3)
Wallonien (4)
a) „Einen Beruf zu haben, ist ja ganz schön, aber das, was die meisten Frauen wirklich wollen, sind ein Heim und Kinder.”
36,9 24
25,4 134
37,9 24
53,9 123
b) „Hausfrau sein ist genauso erfüllend wie berufstätig zu sein.”
39,4 234
23,6 134
54,6 12
52,5 12
2. Folgen weiblicher Berufstätigkeit für Partner und Kinder West-D. (1)
Ost-D. (2)
Flandern (3)
Wallonien (4)
a) „Eine berufstätige Mutter kann ein genauso herzliches und stabiles Verhältnis zu ihren Kindern entwickeln, wie eine nicht erwerbstätige Mutter.“
69,0 234
90,9 1
85,9 1
85,1 1
b) „Ein Kind, das noch nicht zur Schule geht, wird wahrscheinlich darunter leiden, wenn seine Mutter berufstätig ist.“
59,7 234
36,9 14
34,1 14
45,1 123
West-D. (1)
Ost-D. (2)
Flandern (3)
Wallonien (4)
a) „Mann und Frau sollten beide zum Haushaltseinkommen beitragen.”
72,3 24
92,3 134
70,2 24
84,6 123
b) „Erwerbstätigkeit ist der beste Weg für Frauen unabhängig zu sein.“
86,4
88,8
79,1
72,0
3. Gleichberechtigung / Doppelverdiener-Modell
Anmerkungen: Die abgetragenen Werte in der Tabelle geben zur besseren Übersicht lediglich den prozentualen Anteil der Zustimmung wieder, wobei die beiden Items „stimme voll und ganz zu“ und „stimme zu“ zusammengefasst wurden. Weitere Antwortmöglichkeiten waren: „stimme nicht zu“, „stimme überhaupt nicht zu“. Signifikant (p<=.050) verschieden von 1=Westdeutschland, 2=Ostdeutschland, 3=Flandern, 4=Wallonien Westdeutschland N=280, Ostdeutschland N=236, Flandern N=208, Wallonien N=270 Datenquelle: EVS 1999
213