Dorith Mayer Wechselverhalten von industriellen Nachfragern
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Dorith Mayer Wechselverhalten von industriellen Nachfragern
GABLER RESEARCH Markt- und Unternehmensentwicklung Herausgegeben von Professor Dr. Dres. h.c. Arnold Picot, Professor Dr. Professor h.c. Dr. h.c. Ralf Reichwald, Professor Dr. Egon Franck und Professorin Dr. Kathrin Möslein
Der Wandel von Institutionen, Technologie und Wettbewerb prägt in vielfältiger Weise Entwicklungen im Spannungsfeld von Markt und Unternehmung. Die Schriftenreihe greift diese Fragen auf und stellt neue Erkenntnisse aus Theorie und Praxis sowie anwendungsorientierte Konzepte und Modelle zur Diskussion.
Dorith Mayer
Wechselverhalten von industriellen Nachfragern Empirische Untersuchung der Markenbindung im Industriegüterbereich Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Prof. h. c. Dr. h. c. Ralf Reichwald
RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Technische Universität München, 2009
1. Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009 Lektorat: Claudia Jeske | Sabine Schöller Gabler ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-1946-5
Geleitwort In wettbewerbsintensiven Märkten ist die Markenstrategie ein bekanntes, erfolgreiches Konzept. Mit der Marke werden beim Käufer Merkmalsbündel für ein Produkt oder eine Qualitätsleistung assoziiert, die das Entscheidungsverhalten maßgeblich beeinflussen. Die Markenstrategie erhält besonders im Investitionsgütermarketing eine aktuelle Bedeutung, nämlich mit dem Trend zur Individualisierung, mit der Bündelung von Leistungen aus Sachund Dienstleistungen und mit der Konzentration auf die Generierung von Kundennutzen. Um sich im Wettbewerb zu differenzieren, bieten heute in vielen Schlüsselbranchen der Industrie die Hersteller Leistungsbündel an mit dem Ziel, Geschäftskunden über das sogenannte Lösungsgeschäfts an sich zu binden. So gewinnt die Marke und der Markennutzen zunehmend an Bedeutung für das Industriegütermarketing, und dies gilt insbesondere für die Branche der Telekommunikationsgüter, der sich die Verfasserin widmet. Für Konsumgütermarken wissen wir, dass sich erfolgreiche Wettbewerbskonzepte dadurch auszeichnen, dass sie zu einer erhöhten Kundenbindung und zu erhöhter Zahlungsbereitschaft beim Kunden führen – eine Erfolgsstrategie, über welche die empirische Marketingforschung zahlreiche Projekte durchgeführt hat und über die im Schrifttum ausführlich berichtet wird. Dagegen gibt es nur wenig empirische Forschung über das Markenmanagement im Investitionsgütermarketing, entsprechend werden die Gestaltungsspielräume zur Markenbindung im Business-to-Business-Bereich heute als noch sehr begrenzt angesetzt. Die Autorin stellt sich der Aufgabe neue Erkenntnisse über die Markenwirkung bei Wechselentscheidungen industrieller Nachfrager zu generieren. Es ist das Ziel der Arbeit, den Einfluss der Marke im Zusammenhang mit Wechselentscheidungen zu untersuchen. Dabei werden die Determinanten des Wechselverhaltens industrieller Nachfrager identifiziert mit dem Ziel, langfristige Geschäftsbeziehungen zwischen Anbietern und Nachfragern zu etablieren und somit den Wechsel eines Geschäftskunden zum Wettbewerber schwer zu machen oder gar zu verhindern. Über diese Zusammenhänge liegen sowohl aus der theoretischen Marketingliteratur als auch aus der verhaltenswissenschaftlichen empirischen Forschung bisher nur wenige Erkenntnisse vor. Die Ergebnisse der Untersuchung sind sowohl für die empirisch theoretische Forschung als auch für die betriebliche Praxis im Bereich des Industriegütermarketings von höchster Relevanz. Zur Untersuchung der Ergebnisse, die in Kapitel 6 und 7 dargelegt werden, wird ein Ansatz zur Analyse der Markenbindung im B2B-Bereich vorgelegt, der als starker Bezugsrahmen für das Entscheidungsverhalten industrieller Nachfrager eingestuft werden muss. Es wird auf das beobachtbare Verhalten von industriellen Nachfragern bei Wechselentscheidungen abgestellt, und es geht um die Wirkung der Marke im Investitionsgüterbereich auf das Verhalten von Nachfragern. Empirisch wird belegt, dass die Marke einen wesentlichen Einfluss auf die Entscheidung industrieller Nachfrager hat. Sowohl der Einfluss
VI
Geleitwort
des Markenwerts als auch der Markenbindung werden bei der Wechselentscheidung von industriellen Nachfragern empirisch nachgewiesen. Für die betriebliche Praxis hat die Arbeit ein erhebliches Umsetzungspotential. Es wird gezeigt, dass die Marke einen erheblichen Einfluss auf das Wechselverhalten von Industrienachfragern besitzt. Aus den Ergebnissen kann abgeleitet werden, dass Anbieter von komplexen Leistungsbündeln grundsätzlich zwei Strategien verfolgen sollten, um Nachfrager an sich zu binden: Zum einen die Strategie der Maximierung des Kundennutzens um Kundenzufriedenheit zu erzeugen und zum anderen die Strategie der Akquisition von Neukunden. Die Identifikation der Determinanten der Kundenzufriedenheit bildet eine ausgezeichnete Grundlage für das Management im Lösungsgeschäft. Zur Gestaltung des Leistungsangebots bietet es für Lösungsanbieter relevante Ansatzpunkte für die Identifikation der zentralen Wertreiber für den Kunden. Hier wird deutlich, welche Bestandteile der Lösung im Lösungsgeschäft einen Mehrwert für den Nachfrager erzeugen und welche Determinanten die Zufriedenheit des Kunden nachdrücklich beeinflussen. Ich wünsche der Arbeit eine breite Aufnahme in Wissenschaft und Praxis und dem Leser erkenntnisreiche Einblicke in das Thema der Markenbindung im Industriegüterbereich.
Ralf Reichwald
Vorwort Im Rahmen meiner Dissertation und der Forschungsprojekte am Lehrstuhl von Univ.-Prof. Dr. Prof. h.c. Dr. h.c. Ralf Reichwald an der Technischen Universität München konnte ich mich mit der Thematik der hybriden Wertschöpfung im Industriegüterbereich auseinandersetzen. Im Zusammenhang der hybriden Wertschöpfung stehen Anbieter von Industriegütern vor der Herausforderung, dass die Kundenorientierung zunehmend in den Vordergrund der Angebotsgestaltung rückt. Im Widerspruch zur Bedeutung des Kundennutzens liegen im Industriegüterbereich kaum Beiträge vor, die das Konzept der Kundenorientierung mit dem Markenmanagement verbinden. Aus diesem Grund wurde mein Interesse geweckt einen wissenschaftlichen Erklärungsbeitrag zur Fragestellung der Markenwirkung im Industriegüterbereich zu leisten. Dabei war es das Ziel, dass Phänomen sowohl aus ökonomischer als auch verhaltenswissenschaftlicher Perspektive zu betrachten. Dies wiederum bedurfte einer methodischen Erweiterung bestehender Verfahren. Deshalb wurde die Choice-based-Conjoint-Analyse für die empirische Validierung erweitert, um weitreichendere Ergebnisse für das Markenmanagement und die Angebotsgestaltung von Industriegütermarken abzuleiten. Die vorliegende Arbeit wurde im Juli 2009 von der Technischen Universität München als Dissertation angenommen und entstand innerhalb meiner Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl von Prof. Reichwald. Meinem Doktorvater Prof. Reichwald danke ich herzlich für die Unterstützung und fachliche Betreuung bei der Erstellung der Arbeit. Durch sein kritisches Nachfragen und seine fachlichen Anmerkungen hat er wesentlich zum Erfolg der Promotion beigetragen. Univ.-Prof. Dr. Dr. h. c. Horst Wildemann danke ich für die freundliche Übernahme des Zweitgutachtens und dessen zügige Abwicklung. Ferner bedanke ich mich bei der Technischen Universität München, die den Druck dieser Arbeit finanziell unterstützt. Ebenso danke ich meinen Kolleginnen und Kollegen am Lehrstuhl - Carolin Bendel, Frank Danzinger, Ditmar Ihlenburg und Lucia Weik - für die kollegiale Atmosphäre und die abwechslungsreiche Zusammenarbeit. Vor allem möchte ich hier meine Kollegen Dr. Ferdinand Burianek, Dr. Hagen Habicht und Erik Hansen erwähnen, die mir jederzeit mit fachlichem Rat zur Seite standen. Mein Dank geht insbesondere auch an Dr. Sebastian Bonnemeier und Dr. Christoph Ihl für die kritische Durchsicht der Arbeit und ihre hilfreichen Anmerkungen. Ein ganz besonderer Dank gilt meiner Familie und meinen Freunden, die mich immer dabei unterstützen, meine selbst gesteckten Ziele zu erreichen. Vor allem meiner Schwester und meinen Eltern gebührt der Dank, dass Sie mir durch intensive Gespräche bei meiner Entscheidungsfindung beigestanden haben und mir in vielerlei Hinsicht ein Vorbild sind. Dorith Mayer
Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis.......................................................................................................XIII Abbildungsverzeichnis ......................................................................................................... XV Tabellenverzeichnis........................................................................................................... XVII 1
Zur Relevanz der Markenbindung im Kontext der Wechselentscheidung von industriellen Nachfragern.................................................................................................. 1 1.1
Stand der Forschung.................................................................................................... 3
1.2 Zielsetzung und Abgrenzung des Untersuchungsgegenstands.................................... 7 1.3 2
Aufbau der Arbeit...................................................................................................... 11
Konzeptionelle Grundlagen zur Markenbindung bei Wechselentscheidungen von industriellen Nachfragern................................................................................................ 13 2.1
Grundlegende Begriffe im Kontext des Untersuchungsgegenstands........................ 13 2.1.1 Wiederkaufsabsicht und Wiederkaufsverhalten............................................... 14 2.1.2 Kundenbindung und Kundenloyalität .............................................................. 16 2.1.3 Markenloyalität und Markenwert..................................................................... 20
2.2 Grundlagen zur Wechselentscheidung industrieller Nachfrager............................... 27 2.2.1 Bereiche der Entscheidungsforschung ............................................................. 28 2.2.2 Präferenzen im organisationalen Entscheidungsprozess.................................. 31 2.2.3 Besonderheit des organisationalen Entscheidungsprozesses ........................... 36 2.3
Literaturanalyse der Untersuchungen von Wechselentscheidungen ......................... 40 2.3.1 Literatur zur Untersuchung der Wiederkaufsabsicht ....................................... 41 2.3.2 Literatur zur Untersuchung der Kundenloyalität ............................................. 45 2.3.3 Literatur zur Untersuchung des Wiederkaufsverhaltens .................................. 50
2.4
Zusammenfassung bisheriger Erkenntnisse .............................................................. 56
X
Inhaltsverzeichnis
3
Konzeptualisierung eines Modells der Markenbindung im Kontext der Wechselentscheidung von industriellen Nachfragern................................................... 60 3.1
Wissenschaftstheoretische Ausrichtung des Forschungsanliegens ........................... 60
3.2
Darlegung relevanter Erklärungsansätze................................................................... 62 3.2.1 Verhaltenswissenschaftliche Ansätze .............................................................. 64 3.2.2 Ökonomische Ansätze...................................................................................... 68
4
3.3
Zusammenfassende Beurteilung der Ansätze ........................................................... 73
3.4
Ableitung des konzeptionellen Bezugsrahmens........................................................ 77
Hypothesen zur Markenbindung bei Wechselentscheidungen von industriellen Nachfragern ...................................................................................................................... 82 4.1 Hypothesen zur freiwilligen und unfreiwilligen Markenbindung............................. 82 4.1.1 Markenwert ...................................................................................................... 83 4.1.2 Kundenzufriedenheit ........................................................................................ 85 4.1.3 Wechselkosten.................................................................................................. 97 4.2 Hypothesen zur Markenbindungswirkung der Kaufsituation ................................. 103 4.2.1 Kauftyp........................................................................................................... 104 4.2.2 Wichtigkeit des Kaufs .................................................................................... 105 4.2.3 Dauer der Geschäftsbeziehung....................................................................... 107 4.3
5
Zusammenfassende Darstellung der Untersuchungshypothesen ............................ 108
Empirische Modellprüfung ........................................................................................... 110 5.1
Auswahl der methodischen Basis der Untersuchung .............................................. 110
5.2
Vorgehen im Rahmen der Choice-based-Conjoint-Analyse ................................... 119 5.2.1 Spezifikation der Nutzenfunktion .................................................................. 120 5.2.2 Gestaltung des experimentellen Designs........................................................ 126 5.2.3 Grundlagen zur Beurteilung der Modellschätzung ........................................ 131
5.3
Operationalisierung der latenten Variablen............................................................. 133 5.3.1 Operationalisierung der Kundenzufriedenheit ............................................... 138 5.3.2 Operationalisierung der Wechselkosten......................................................... 141 5.3.3 Operationalisierung der Kaufwichtigkeit ....................................................... 145
Inhaltsverzeichnis 5.4
XI
Beurteilung des Untersuchungsmodells .................................................................. 145 5.4.1 Beschreibung der Datengrundlage ................................................................. 146 5.4.2 Beurteilung der Messmodelle der latenten Konstrukte .................................. 152 5.4.3 Untersuchung der Hypothesen ....................................................................... 156 5.4.4 Beurteilung der Güte der Modellschätzung ................................................... 172
6
7
Zusammenfassung der Erkenntnisse und Implikationen für die Praxis .................. 176 6.1
Diskussion der zentralen Ergebnisse und der theoretischen Implikationen ............ 176
6.2
Restriktionen und weiterer Forschungsbedarf......................................................... 180
6.3
Implikationen für die Unternehmenspraxis............................................................. 182
Schlussbetrachtung ........................................................................................................ 190
Literaturverzeichnis............................................................................................................. 193 Stichwortverzeichnis ............................................................................................................ 225
Abkürzungsverzeichnis ACSI
American Customer Satisfaction Index 2
Adj. Pseudo-R
Adjusted Pseudo-R2
AIC
Akaike Information Criterion
AL
Alcatel
ASK
alternativen-spezifische Konstante
AV
Avaya
AVE
Average Variance Extracted
B2B
Business-to-Business
BIC
Schwarz’ Bayesian Information Criterion
BTL
Bradley-Terry-Luce
CBC
Choice-based-Conjoint
CBCA
Choice-Based-Conjoint-Analyse
CI
Cisco
df
Degrees of Freedom
DSS
Decision Support System
ECSI
European Customer Satisfaction Index
EMAC
European Marketing Academy
GEV
Generalized-Extreme-Value
i. e. S.
im engeren Sinne
i. w. S.
im weiteren Sinne
IIA
Unabhängigkeit (independence) von irrelevanten Alternativen
IMP Group
International Marketing and Purchasing Group
LL
Likelihood
Logit-Regression
Logistische Regression
MIMIC-Modell
Multiple Indicators and Multiple Causes-Modell
ML
Mixed-Logit-Modelle
MLS
Maximum Likelihood Schätzung
MNL
Multinominales-Logit-Modell
Abkürzungsverzeichnis
XIV n. s.
nicht signifikant
n. v.
nicht verfügbar
OBB
Organizational Buying Behaviour
PLS
Partial Least Square
Probit-Regression
Probabilistische Regression
RP
Revealed Preferences
RUM
Random Utility Maximization
SCSB
Swedish Customer Satisfaction Index
SEM
Structural Equation Models
SI
Siemens
Sig.
Signifikant
SOR
Stimulus-Object-Response
SP
Stated Preferences
St. Dev.
Standard Deviation
St. Er.
Standard Error
TCA
Traditionelle-Conjoint-Analyse
TCO
Total Cost of Ownership
TK
Telekommunikation
WTP
Willingness-to-Pay
Abbildungsverzeichnis Abb. 1.1
Gang der Untersuchung.................................................................................... 12
Abb. 2.1
Mögliche Ausprägungsformen von Wiederkaufsverhalten.............................. 16
Abb. 2.2
Dimensionen des Markenwissens nach Keller................................................. 24
Abb. 2.3
Zusammenhang der Generierung von Markenwert.......................................... 26
Abb. 2.4
Bereiche der Entscheidungsforschung ............................................................. 28
Abb. 2.5
Klassisches SOR-Schema zur Untersuchung von Käuferverhalten................. 29
Abb. 2.6
Fünf-Phasen-Modell eines Kaufentscheidungsprozesses................................. 32
Abb. 2.7
Selektion der Alternativen................................................................................ 33
Abb. 2.8
Prozessmodell individueller Auswahlentscheidungen ..................................... 34
Abb. 2.9
Integriertes OBB Modell nach Johnston und Lewin........................................ 37
Abb. 3.1
Darstellung der Theorie des überlegten Handelns ........................................... 67
Abb. 3.2
Darstellung der Theorie des geplanten Verhaltens .......................................... 68
Abb. 3.3
Determinanten der Entscheidung über Abwanderung oder Widerspruch im Rahmen der Theorie Hirschmans ..................................................................... 73
Abb. 3.4
Konzeptioneller Bezugsrahmen ....................................................................... 78
Abb. 4.1
Verdeutlichung Konfirmations-Diskonfirmations-Paradigma ......................... 87
Abb. 4.2
Komponenten globaler Evaluierung von Kundenzufriedenheit....................... 88
Abb. 4.3
Zusammenhang Wechselbarrieren und Wechselkosten ................................... 98
Abb. 5.1
Überblick über Verfahren der Conjoint-Analyse ........................................... 112
Abb. 5.2
Choice-Modell mit latentem Attribut............................................................. 115
Abb. 5.3
Sequentielles Vorgehen: Faktoranalyse wird gefolgt von Choice-Analyse... 116
Abb. 5.4
Choice-Modell mit Indikatoren...................................................................... 117
Abb. 5.5
Konzeptioneller Bezugsrahmen und Messmodell.......................................... 119
Abb. 5.6
Empirisches Vorgehen im Rahmen der Conjoint-Analyse ............................ 120
Abb. 5.7
Beispiel eines Choice-Tasks........................................................................... 130
Abb. 5.8
Reflektives Messmodell der latenten Variable............................................... 134
Abb. 5.9
Formatives Messmodell der latenten Variable............................................... 135
Abb. 5.10
Verfahren der Kundenzufriedenheitsmessung ............................................... 138
XVI
Abbildungsverzeichnis
Abb. 5.11
Messmodell Kundenzufriedenheit.................................................................. 141
Abb. 5.12
Messmodell technologiebezogene Wechselkosten ........................................ 142
Abb. 5.13
Messmodell anbieterbezogene Wechselkosten .............................................. 143
Abb. 5.14
Messmodell risikobezogene Wechselkosten.................................................. 144
Abb. 5.15
Messmodell wahrgenommene Wechselkosten............................................... 144
Abb. 5.16
Messmodell der Kaufwichtigkeit ................................................................... 145
Abb. 5.17
Größe der befragten Unternehmen nach Mitarbeiteranzahl ........................... 148
Abb. 5.18
Position der Probanden im Unternehmen nach Mitarbeiteranzahl................. 149
Abb. 5.19
Einflussstärke der Teilnehmer in Prozent bei Beschaffung TK-Lösung........ 150
Abb. 5.20
Erfahrung der Probanden im Einkauf von TK-Lösungen nach Jahren .......... 150
Abb. 5.21
Pseudo-MIMIC-Modell.................................................................................. 156
Abb. 5.22
Nutzenausprägung des Preisparameters am Beispiel Siemens ...................... 159
Abb. 6.1
Identifizierung der Leistungsbestandteile einer TK-Lösung als Basic-, Performance- und Excitement-Faktoren ........................................................ 184
Abb. 6.2
Relative Wichtigkeit der Attribute bei der Wechselentscheidung ................. 185
Abb. 6.3
Beispielhaftes Entscheidungsunterstützungssystem ...................................... 188
Tabellenverzeichnis Tab. 2.1
Aspekte der Definitionen von Kundenbindung................................................ 19
Tab. 2.2
Unterschiede von Revealed und Stated Prefences ........................................... 35
Tab. 2.3
Literaturüberblick von Untersuchungen zur Wechselentscheidung................. 41
Tab. 2.4
Literaturüberblick von Untersuchungen zur Verhaltensabsicht....................... 43
Tab. 2.5
Literaturüberblick von Untersuchungen zur Kundenloyalität.......................... 47
Tab. 2.6
Literaturüberblick von Untersuchungen zum Produktwechsel ........................ 50
Tab. 2.7
Literaturüberblick von Untersuchungen zur Markenbedeutung ...................... 53
Tab. 2.8
Literaturüberblick von Untersuchungen zum Service-Providerwechsel.......... 55
Tab. 2.9
Übersicht von Einflussvariablen der Markenbindung im Kontext der Wechselentscheidung ....................................................................................... 58
Tab. 3.1
Zentrale Bindungsfaktoren der Markenwechselentscheidung ......................... 63
Tab. 3.2
Beurteilung der theoretischen Ansätze zur theoretischen Fundierung der Markenwechselentscheidung ........................................................................... 74
Tab. 4.1
Vergleich der Konzeptualisierung der Konstrukte Servicequalität und Kundenzufriedenheit ........................................................................................ 97
Tab. 4.2
Übersicht der generierten Hypothesen zum Untersuchungsgegenstand der Markenwechselentscheidung ......................................................................... 109
Tab. 5.1
Übersicht der erklärenden Variablen im Rahmen der Untersuchung ............ 122
Tab. 5.2
Übersicht der kaufentscheidenden Kriterien des Leistungsangebots einer TK-Lösung im Rahmen der Untersuchung ........................................... 128
Tab. 5.3
Entscheidungsregeln zur Spezifizierung des Messmodells............................ 137
Tab. 5.4
Branchenstruktur der Stichprobe.................................................................... 148
Tab. 5.5
Ergebnisse des t-Tests auf Gleichheit der Mittelwerte zwischen Early Respondents und Late Respondents für ausgewählte Merkmale ................... 151
Tab. 5.6
Beurteilung der Ladung reflektiver Indikatoren............................................. 152
Tab. 5.7
Beurteilung der Gewichte formativer Indikatoren ......................................... 153
Tab. 5.8
Beurteilung der Güte der reflektiven Messmodelle ....................................... 154
Tab. 5.9
Faktorenmatrix ............................................................................................... 155
Tab. 5.10
Überprüfung der Diskriminanzvalidität ......................................................... 155
Tab. 5.11
Ergebnisse der Modellschätzung zum Einfluss der Marke ............................ 157
XVIII
Tabellenverzeichnis
Tab. 5.12
Restriktionen zur Überprüfung der nichtlinearen Preisparameter.................. 158
Tab. 5.13
Gütekriterien der Nichtlinearität der Preisparameter ..................................... 159
Tab. 5.14
Ergebnisse der Modellschätzung zum Einfluss der Kundenzufriedenheit I .. 161
Tab. 5.15
Test auf Nichlinearität.................................................................................... 163
Tab. 5.16
Ergebnisse der Modellschätzung zum Einfluss der Kundenzufriedenheit II ............................................................................................... 164
Tab. 5.17
Ergebnisse der Modellschätzung zum Einfluss der Attributzufriedenheit..... 167
Tab. 5.18
Ergebnisse der Modellschätzung zum Einfluss der Wechselkosten .............. 168
Tab. 5.19
Ergebnisse der Modellschätzung zum Einfluss der Entscheidungssituation .......................................................................................................... 171
Tab. 5.20
Übersicht Ergebnisse der Hypothesenprüfung ............................................... 172
Tab. 5.21
Gütekriterien der Modellschätzungen ............................................................ 173
Tab. 6.1
Ergebnisse zur Zahlungsbereitschaft und Preiselastizität .............................. 186
1
Zur Relevanz der Markenbindung im Kontext der Wechselentscheidung von industriellen Nachfragern
Im Industriegüterbereich ist ein zunehmender Kostendruck zu verzeichnen, der vorrangig Rationalisierungsmaßnahmen bei den Industriegüterherstellern hervorruft.1 Jedoch setzt sich vermehrt die Erkenntnis im Industriegüterbereich durch, dass diese Strategie wenig Erfolg versprechend ist.2 Aus diesem Grund rückt der Kundennutzen in den Mittelpunkt der Wertschöpfung.3 Das Value-Creation-Konzept führt letztlich zu einer Veränderung der Perspektive bei der Leistungsangebotsgestaltung. In wachsendem Maße wird versucht Differenzierungspotenziale durch Serviceleistungen zu schaffen und Leistungsbündel anzubieten.4 In der Unternehmenspraxis wird in diesem Zusammenhang von hybriden Produkten, Solution Selling oder Lösungsangeboten gesprochen. Eine wesentliche Herausforderung für Industriegüterhersteller stellt dabei die Beantwortung der Frage dar, welche Bestandteile Kundennutzen erzeugen.5 Insbesondere der Nutzen, der mit der Marke eines Unternehmens verbunden ist, gewinnt zunehmend an Bedeutung für das Industriegütermarketing.6 Die Folgen des Markennutzens werden in erster Linie im Konsumgüterbereich untersucht. Erfolgreiche Konsumgütermarken kennzeichnen sich durch Wettbewerbsdifferenzierungspotenziale, erhöhte Kundenbindung und preispolitische Spielräumen.7 Dementsprechend muss überprüft werden, ob das Markenmanagement im Industriegütermarketing ebenfalls Gestaltungsspielräume eröffnet, um den Kostendruck entgegenzuwirken und den Unternehmenserfolg zu steigern. Allerdings wird die Bedeutung der Marke in der Unternehmenspraxis bisher kaum beachtet.8 Vor allem die hohe Technologieausrichtung von Industriegüterherstellern begründet die technisch fokussierte Argumentation im Verkauf.9 Auch aus wissenschaftlicher Sicht liegen derzeitig wenige Erkenntnisse zur Markenwirkung im Kontext von Wechselentscheidungen industrieller Nachfrager vor.10 In Konsequenz muss grundsätzlich überprüft werden, ob die Marke eine Wirkung bei Wechselentscheidungen von industriellen Nachfragern aufweist und in welcher Form sich diese äußert. Bisher wurde vorrangig die Wiederkaufsabsicht im Rahmen des Realtionship Marketings untersucht, jedoch nicht das Wiederkaufsverhalten.11 Mittal/Kamakura (2001) weisen in diesem Zusammenhang
1 2 3
4 5 6 7 8 9 10
11
Vgl. Reichwald/Piller (2009), S. 14. Vgl. Wise/Baumgarth (1999), S. 133. Vgl. Beutin (2000), S. 160f.; Homburg (1995), S. 183; Reichwald et al. (2009), S. 54; Wildemann (2009), S. 7f. Vgl. Davies (2004), S. 727; Engelhardt et al. (1993), S. 395. Vgl. Nagle/Hogan (2006), S. 40f. Vgl. Balmer (1995), S. 22ff.; Bendixen et al. (2004), S. 371; Mudambi (2002), S. 525. Vgl. Aaker (1991), S. 32; Erdem et al. (1999), S. 306; Keller (2008), S. 8f. Vgl. Mudambi et al. (1997), S. 434; Sattler (1995), S. 663. Vgl. Backhaus/Voeth (2007), S. 18. Vgl. Bendixen et al. (2004), S. 371; Gordon et al. (1993), S. 4; Köhler (2004), S. 2777; Michell et al. (2001), S. 415; Mudambi (2002), S. 525; Shipley/Howard (1993), S. 59. Vgl. Vogel et al. (2008), S. 98.
2
1 Zur Relevanz der Markenbindung
daraufhin, dass die Betrachtung der Verhaltensabsicht in einer fehlerhaften Einschätzung des Verhaltens resultieren kann.12 Daher ist es umso erstaunlicher, dass das Verhalten der industriellen Nachfrager im Industriegütermarketing kaum betrachtet wurde. Aus diesem Grund soll das Wechselverhalten der industriellen Nachfrager untersucht werden, um Aussagen über die Markenwirkung abzuleiten. Die Wiederwahl des Anbieters von industriellen Nachfragern stellt einen wesentlichen Aspekt bei der Frage nach Marktanteil und Profitabilität für Industriegüterhersteller dar.13 Ein vorrangiges Ziel für die Anbieter ist es folglich, eine langfristige Geschäftsbeziehung zwischen Anbieter und Nachfrager zu etablieren und somit den Wechsel von Nachfragern zu verhindern.14 Eine Geschäftsbeziehung kann als „Folge von Markttransaktionen zwischen Anbieter und Nachfrager, die nicht zufällig ist“15 definiert werden. Die Wechselentscheidung des industriellen Nachfragers kann vor diesem Hintergrund als einzelne Transaktion interpretiert werden, die auf Basis einer KostenNutzen-Abwägung zwischen den verschiedenen Angeboten vom Nachfrager getroffen wird.16 Die Generierung von Kundennutzen, als Ergebnis des Kalküls, verspricht somit langfristigen Unternehmenserfolg17 und stellt eine Grundvoraussetzung für die Bindung des Kunden an das Unternehmen dar.18 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Forschungsbedarf sowohl aus wissenschaftstheoretischer Sicht als auch aus Unternehmenssicht bezüglich der Markenrelevanz und -wirkung im Rahmen von Wechselentscheidungen industrieller Nachfrager besteht. Deshalb widmet sich die Arbeit der Wirkung des Nutzens der Markenbindung bei Wechselentscheidungen auf Industriegütermärkten. Ziel der Arbeit ist es, den Einfluss der Marken im Zusammenhang der Wechselentscheidung zu betrachten und den Einfluss über ein geeignetes methodisches Vorgehen zu überprüfen. Hierzu muss ein konzeptioneller Bezugsrahmen der Markenbindung im Kontext der Wechselentscheidung industrieller Nachfrager erarbeitet werden. Auf Basis einer Literaturanalyse zu Untersuchungen der Wiederkaufsabsicht, der Kundenloyalität und dem Wechselverhalten sollen zentrale Einflussfaktoren identifiziert werden. Zudem soll geklärt werden, welche theoretische Basis zur Fundierung des Phänomens der Markenbindung herangezogen werden kann. Ebenso muss ein zweckmäßiges Vorgehen zur empirischen Überprüfung des Phänomens aufgestellt werden. Die klassischen Vorgehensweisen im Rahmen der Strukturanalyse oder der Conjoint-Befragung würden die Analyse der vorliegenden Fragestellung nur unzureichend zu lassen. Deshalb soll ein geeignetes Verfahren angewendet werden, welches die Untersuchung der Markenbindung bei Wechselentscheidungen von
12 13 14 15 16 17 18
Vgl. Mittal/Kamakura (2001), S. 140. Vgl. Kalwani/Narayandas (1995); Krafft (1999); Rust/Zahorik (1993). Vgl. Krafft (2007), S. 29f. Plinke (1997), S. 23. Vgl. Kroeber-Riel/Weinberg (2003), S. 368ff.; Trommsdorff (2004), S. 307. Vgl. Fornell et al. (1996); Slater/Narver (1992). Vgl. Krafft (1999).
1.1 Stand der Forschung
3
industriellen Nachfragern möglichst realitätsnah ermöglicht. Nachfolgend soll diesbezüglich der Stand der Forschung erfasst werden, um daraufhin die Zielsetzung und Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes vorzunehmen. Abschließend wird der Aufbau der Arbeit darlegt.
1.1 Stand der Forschung Betrachtet man die Literaturdiskussion über das Wechselverhalten von industriellen Nachfragern, so finden sich relevante Arbeiten vorwiegend im Bereich des Organizational Buying Behaviours (OBB), des Relationship Marketings und der Brand Equity Forschung. In allen drei Forschungsbereichen werden primär verhaltenswissenschaftliche Aspekte von Beschaffungsentscheidungen analysiert. Die Supply Chain Management Forschung setzt sich dagegen mit den internen Entscheidungsprozessen in der Beschaffung auseinander. Der Fokus liegt dabei größtenteils auf der instrumentellen Unterstützung von Entscheidungsprozessen, wie beispielsweise durch Decision-Support-Systeme (DSS) zur Systematisierung der Lieferantenbewertung und -selektion.19 Diese normative Betrachtung des Entscheidungsverhaltens im Sinne des Supply Chain Managements steht jedoch nicht im Vordergrund dieser Arbeit. Vielmehr soll das Entscheidungsverhalten aus Nachfragersicht betrachtet werden. Mit dieser Thematik beschäftigt sich insbesondere der OBB-Forschungsbereich. Die Thematik des Organizational Buying Behaviours erfuhr in den 1980er Jahren große Aufmerksamkeit und daher liegen zahlreiche konzeptionelle Beiträge zur Modellierung des organisationalen Beschaffungsverhaltens vor. Der Kaufprozess wird erstmalig von Robinson et al. (1967) im entwickelten Buygrid-Modell abgebildet.20 Eine Betrachtung der beeinflussenden Faktoren des Kaufprozesses wird von Webster und Wind (1972) vorgenommen und auch Seth (1973) stellt ein umfassendes Modell zur Analyse des organisationalen Kaufverhaltens vor.21 Ein weiteres bedeutendes Modell des Kaufverhaltens ist das Buying-Center-Konzept, welches den Einfluss der Rollenträger beim Kaufprozess erfasst.22 Ausgehend von diesen drei zentralen Beiträgen sind weitere Untersuchungen durchgeführt worden, die sich über Partialmodelle entweder auf Wirkungszusammenhänge einzelner Einflussfaktoren oder im Rahmen von Totalmodellen auf den gesamten Kaufprozess beziehen.23 Trotz der zahlreichen Beiträge und Review-Artikel,24 die im Forschungsbereich des OBB entstanden sind, werden vorrangig konzeptionelle Modelle erarbeitet und sowohl die Integration der unterschiedlichen Modelle als auch die empirische Überprüfung steht bisher
19
20 21 22 23
24
Vgl. u. a. Ellram (1995); Spekman (1988); Watts/Hahn (1993); Wildemann (2008a); Wildemann (2008b). Für einen Literaturüberblick sei verwiesen auf Reid (2000), S. 40f. Vgl. Robinson et al. (1967). Vgl. Sheth (1973); Webster/Wind (1972b). Vgl. Webster/Wind (1972b). Einen Überblick über die unterschiedlichen Ansätze des organisationalen Beschaffungsverhaltens liefert Backhaus/Voeth (2007), S. 43ff. Vgl. Reid (2000), S. 40ff.
4
1 Zur Relevanz der Markenbindung
im Hintergrund.25 Betrachtet man die Literaturbeiträge so fällt auf, dass nur wenige Untersuchungen durchgeführt werden, die sich empirisch mit dem Wechselverhalten im organisationalen Umfeld auseinandersetzen.26 Kauffman (1996) verweist insbesondere darauf, dass die Untersuchung von nichtdeterministischem Kaufverhalten von industriellen Nachfragern noch aussteht und schlägt daher vor, das Kaufverhalten im Sinne der auf McFadden (1972) zurückführenden Methodik,27 über stochastische und deterministische Faktoren bei der Kaufverhaltensforschung zu berücksichtigen.28 Aus den bisherigen Untersuchungen des OBB ergibt sich damit für die Arbeit, dass im Wesentlichen zwei Aspekte betrachtet werden sollten: Einerseits die Analyse der Wechselentscheidung und andererseits deren empirische Überprüfung unter Berücksichtigung von deterministischen und stochastischen Faktoren.29 Im Bereich des Relationship Marketings wird in erster Linie die positive Folge der Wechselentscheidung in Form der Kundenloyalität betrachtet. Grundsätzlich beschäftigt sich das Relationship Marketing mit „all marketing activities directed towards establishing, developing, and maintaining successful relational exchanges.”30 Der Forschungsstrang des Relationship Marketings, der den Beziehungsaspekt zwischen Anbieter (Supplier) und Nachfrager (Vendor) untersucht, ist maßgeblich von El-Ansarys/Sterns (1972) Arbeit zu Macht, Abhängigkeit und Konflikten geprägt und später durch den transaktionskostentheoretischen Ansatz nach Williamson (1981).31 Das Relationship Marketing basiert auf einer breiten theoretischen Basis, wie z.B. der Agency-Theorie, der Transaktionskostentheorie, der Equity-Theorie, der sozialen Austauschtheorie oder der Netzwerktheorien.32 Im Wesentlichen können die Beiträge des Relationship Marketings nach drei theoretischen Ansätzen unterschieden werden: netzwerkorientierte, neue institutionsökonomische und verhaltenswissenschaftliche Untersuchungen. Beiträge, die auf dem Netzwerkansatz aufbauen, konzentrieren sich auf den interaktiven Charakter einer Geschäftsbeziehung im B2BMarketing und betrachten diese aus einer interorganisationalen Perspektive. Unternehmen
25
26
27 28 29
30 31 32
Vgl. Ebenda (2000), S. 53; Sheth (1996), S. 12. Ein Beitrag, der das Forschungsdefizit eines fehlenden integrativen Modells aufgreift, stammt von Johnston/Lewin (1996). Sie führen eine Analyse der OBBForschung durch und erarbeiten einen integrierten Bezugsrahmen zur Analyse des OBB. Vgl. Johnston/Lewin (1996). Eine Übersicht der Untersuchungen, die sich mit dem organisationalen Wechselverhalten beschäftigen, findet sich in Abschnitt 2.2. Vgl. McFadden (1972). Vgl. Kauffman (1996), S. 103. Der Ableitung eines integrativen OBB-Modells soll nicht nachgegangen werden, da es fraglich ist, in wieweit sich ein integriertes Kaufverhaltensmodell aufstellen lässt, welches sich allgemein anwenden lässt. Ward/Webster (1991) weisen in diesem Zusammenhang daraufhin, dass zum einem die Identifikation und Erreichbarkeit der Entscheidungsträger und zum anderen die Verletzung der Normalverteilungsannahmen die empirische Überprüfung erschweren. Vgl. Ward/Webster (1991), S. 448. Zudem steht hier die Frage nach dem Wechselverhalten im Vordergrund, die einen Aspekt des OBBs widerspiegelt, und daher kann es nicht das Ziel sein, ein integratives Modell zu überprüfen. Morgan/Hunt (1994), S. 22. Vgl. El-Ansary/Stern (1972); Williamson (1981). Vgl. Reid (2000), S. 56ff.
1.1 Stand der Forschung
5
werden hier als Akteure angesehen, die in einem facettenreichen, komplexen und langfristig ausgerichteten sozialen System, dem so genannten Beziehungsnetzwerk, agieren.33 Dieser Ansatz ist eng verbunden mit den Arbeiten von Håkansson (1982)34 sowie denen der International Marketing and Purchasing (IMP) Group.35 Aus neuer institutionsökonomischer Sicht werden das Zustandekommen und die Entwicklung einer Geschäftbeziehung anhand der Transaktionskosten einer Beziehung oder aus agency-theoretischer Perspektive analysiert.36 Dabei stehen die Gesamtkosten der Geschäftsbeziehung im Mittelpunkt der Betrachtung, die es zu minimieren gilt. Hingegen stellen verhaltenswissenschaftliche Beiträge beziehungsbezogene Konstrukte wie Vertrauen und Zufriedenheit in den Vordergrund der Untersuchung. Ebenso zählen hier Arbeiten zur ökonomischen Bewertung von Kundenbindungen oder -loyalität dazu. Insbesondere die Kundenbindung stellt ein zentrales Konstrukt im Bereich des Relationship Marketings dar, auf das in Kapitel 2 näher eingegangen werden soll.37 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das Relationship Marketing die zentralen Konstrukte untersucht, die Kundenbindung und loyalität beeinflussen. Obwohl zahlreiche Determinanten betrachtet werden, konzentriert sich die wissenschaftliche Betrachtung auf die Konstrukte Kundenzufriedenheit oder Servicequalität, Vertrauen und Verbundenheit.38 Hieraus ergeben sich schließlich die Anknüpfungspunkte zur Untersuchung der Markenbindung im Kontext der Wechselentscheidung von industriellen Nachfragern. Insbesondere der Zusammenhang von Zufriedenheit mit Kundenbindung bzw. mit Wiederkaufsverhalten sollte näher betrachtet werden, denn wie Kotler/Pfoertsch (2007) feststellen „The key to customer retention is customer satisfaction“.39 Hierzu liegen im B2B-Bereich primär Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und der Wiederkaufsabsicht vor.40 Das tatsächliche Verhalten jedoch wird im B2B-Bereich bisher lediglich von Bolton et al. (2008) und Verhoef et al. (2001) analysiert.41 Dabei kommen die Untersuchungen zu kontroversen Ergebnissen bezüglich des Einflusses der Kundenzufriedenheit auf das Kaufverhalten. Bolton et al. (2008) kann eine positive Wirkungsbeziehung zwischen der Entscheidung einen Service-Vertrag zu erweitern und der Zufriedenheit mit den Service feststellen.42 Verhoef et al. (2001) hingegen können 33 34 35
36
37 38
39 40
41 42
Vgl. Low (1996), S. 47. Vgl. Håkansson (1982); Håkansson/Snehota (1995). Die vier zentralen Determinanten der IMP Group Forschungsarbeit sind die beiden Akteure (Vendor und Supplier), die Umweltfaktoren und die Atmosphäre der Beziehung zwischen den Akteuren. Diese zusammen beschreiben den Interaktionsprozess einer Geschäftsbeziehung. Einen detaillierte Überblick über die Arbeit der IMP-Group bietet Turnbull et al. (1996). Vgl. hierzu beispielsweise Backhaus/Voeth (2007); John/Weitz (1988); Kleiklamp (2002); Mishra et al. (1998). Vgl. Crosby/Stephens (1987); Reichheld/Sasser (1990); Rust/Zahorik (1993). Vgl. Dorsch et al. (1998); Smith (1998). Diese Konstrukte werden zudem als Dimensionen von Beziehungsqualität interpretiert. Kotler/Pfoertsch (2007), S. 357. Vgl. Hennig-Thurau/Klee (1997), S. 738; Kasper (1988), S. 387; Verhoef et al. (2007), S. 97; Vogel et al. (2008), S. 98. Vgl. Bolton et al. (2008); Verhoef et al. (2001). Vgl. Bolton et al. (2008), S. 58.
6
1 Zur Relevanz der Markenbindung
den Einfluss auf das Erweiterungskaufverhalten empirisch nicht bestätigen.43 In Konsequenz bedarf es weiterer Forschungsbemühungen den Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Kaufverhalten im B2B-Bereich empirisch zu überprüfen. Die Brand Equity Forschung beschäftigt sich vorrangig mit der Wirkung von Markenwert (Brand Equity) im Bereich der Konsumgüterindustrie. Wie Kotler feststellt: „In Business-toBusiness (B2B), things are different - branding is not meant to be relevant”.44 Zunehmend rückt aber auch hier der industrielle Nachfrager in den Vordergrund und so sind bereits vereinzelt Untersuchung zur Markenrelevanz im Industriegüterbereich durchgeführt worden. Bendixen et al. (2004) untersuchen beispielsweise die Bedeutung von Markenwert im Zusammenhang mit weiteren Kaufentscheidungskriterien. Sie stellen fest, dass Preis und Dauer der Lieferung am Bedeutendsten bei der Kaufentscheidung sind und die Marke des Anbieters im Vergleich einen geringeren Einfluss hat.45 Homburg et al. (2006) betrachten den Einfluss der Marke differenzierter und unterscheiden zudem die Bedeutung der Marke in Abhängigkeit der Neuartigkeit und Bedeutung der Kaufentscheidung. Sie kommen zu dem Ergebnis: je neuartiger und bedeutender der Kauf, desto größer ist die Bedeutung der Marke bei der Kaufentscheidung.46 Folglich kann der Einfluss der Marke auf das Kaufverhalten von industriellen Nachfragern empirisch bestätigt werden. Allerdings liegt der Fokus der Betrachtung im B2B-Breich alleinig auf der Markenrelevanz. Die Untersuchung der Bindungswirkung der Marken, wie dies im B2C-Bereich erfolgt,47 steht noch aus. In diesem Zusammenhang wird die Berücksichtigung der Präferenzheterogenität gefordert, da sonst der Einfluss der Markenbindung überbewertet würde48 und signifikante Faktoren, die diese bedingen, ausgeblendet würden.49 Charakteristisch für die Brand Equity Forschung ist die Berücksichtigung von stochastischen und deterministischen Komponenten bei der Untersuchung über Zufallsnutzenmodelle. Dieser grundlegende Ansatz ist auf McFadden (1972) zurückzuführen.50 Vorrangig wird dieser aber bisher lediglich im Bereich der Konsumgüterforschung angewendet und in erster Linie mit Scanner-Daten umgesetzt.51 Klarer Vorteil einer solchen Vorgehensweise ist darin zu sehen, dass Aussagen über das Kaufverhalten auf Basis des beobachtbaren Entscheidungsverhaltens abgeleitet werden und nicht anhand von Verhaltensabsichten, wie dies üblicherweise bei verhaltenwissenschaftlichen Untersuchung der Fall ist. So wird in der Literatur kritisiert, dass Aussagen, die auf der Analyse von Verhaltensabsichten beruhen, Verzerrungen unterliegen können, da die
43 44 45 46 47 48 49 50 51
Vgl. Verhoef et al. (2001), S. 372. Dorsch et al. (1998), S. 1. Vgl. Bendixen et al. (2004), S. 375. Vgl. Homburg et al. (2006), S. 292. Vgl. u. a. Chintagunta (1994); Guadagni/Little (1983); Kamakura/Russell (1993); Swait et al. (1993). Vgl. Horsky et al. (2006), S. 324f. Vgl. Kasper (1988), S. 395; Temme et al. (2008), S. 220. Vgl. McFadden (1972). Die Forschungsarbeiten bauen letztlich auf der Arbeit von Guadagni/Little (1983) auf.
1.2 Zielsetzung und Abgrenzung des Untersuchungsgegenstands
7
Verhaltensabsicht nicht das tatsächliche Verhalten des Entscheidungsträgers widerspiegeln muss.52 Es empfiehlt sich deshalb, das beobachtbare Kaufverhalten zu analysieren.53 Abschließend kann festgehalten werden, dass sich der Forschungsbedarf hinsichtlich der Wechselentscheidung von industriellen Nachfragern insbesondere in Bezug auf die Markenwirkung ergibt. So stellt sich grundsätzlich die Frage, ob die Marke einen Einfluss bei der Entscheidung ausübt und in welcher Weise deren Wirkung im B2B-Bereich analysiert werden sollte. Um Ergebnisverzerrungen zu vermeiden, sollte, wie zuvor ausgeführt, das beobachtbare Kaufverhalten als Analysegegenstand herangezogen werden und nicht die Verhaltensabsicht der Entscheidungsträger. Dieser Aspekt ist vor allem für die Unternehmenspraxis relevant, da die Unternehmen letztlich das Verhalten der Entscheidungsträger beeinflussen möchten. Nur so kann sichergestellt werden, dass Unternehmensmaßnahmen derart gestaltet werden können, dass die Nachfrager die Geschäftsbeziehung weiterführen und auf deren Verhalten gerichtet sind. Dabei sollte das Kaufverhalten nicht mehr als deterministische Größe untersucht werden, sondern es sollte eine stochastische Betrachtungsweise eingenommen werden. Ein weiterer Aspekt in diesem Kontext, stellt die Berücksichtigung der Heterogenität in den Präferenzen der industriellen Nachfrager dar. Hierdurch wird eine differenzierte Analyse der Kundenbedürfnisse möglich, welche wiederum eine zielgruppenspezifische Ansprache der Nachfrager sicherstellt. Diese stellen letztlich die Grundlage einer kundenwertorientierten Wertschöpfung dar, die eine langfristige Geschäftsbeziehung sichern sollen.54
1.2 Zielsetzung und Abgrenzung des Untersuchungsgegenstands Mit dem Wechselverhalten von industriellen Nachfragern ist die Entscheidung des Kunden über den Geschäftspartner verbunden. Der Begriff der Entscheidung wird generell dann angewendet, wenn eine Wahl zwischen unterschiedlichen Handlungsalternativen getroffen werden soll.55 Gegenstand von entscheidungstheoretisch basierten Untersuchungen ist es, deskriptive oder präskriptive Aussagen hinsichtlich des Entscheidungsverhaltens abzuleiten. Bei präskriptiven Beiträgen steht nicht der tatsächliche Entscheidungsprozess im Fokus, sondern die Ableitung einer Entscheidungslogik, die Entscheidungsträger bei der Lösung von Entscheidungsproblemen unterstützen soll.56 Deskriptive Untersuchungen befassen sich hingegen mit der Beschreibung, wie in der Realität Entscheidungen getroffen werden und tragen zum Erkenntnisgewinn über empirisch überprüfte Hypothesen zum Verhalten von
52 53 54
55 56
Vgl. Mittal/Kamakura (2001), S. 140. Vgl. Verhoef et al. (2007), S. 97 Vgl. Beutin (2000), S. 160f.; Homburg/Beutin (2000), S. 183; Reichwald et al. (2009), S. 54; Wildemann/Faust (2004), S. 7f. Vgl. Schwartz (2004), S. 47. Vgl. Laux (2007), S. 3.
1 Zur Relevanz der Markenbindung
8
Individuen und Gruppen im Entscheidungsprozess bei.57 Damit können beispielsweise Prognosen über das Entscheidungsverhalten generiert werden, die im Marketing zum Produktmanagement eingesetzt werden können. Mit der Betrachtung des Wechselverhaltens wird somit ein deskriptiver Beitrag, der der Entscheidungstheorie zu zuordnen ist, geleistet. Bisherige entscheidungstheoretische Untersuchungen haben in erster Linie ökonomische Ansätze zu deren Untersuchung herangezogen. Auch in dieser Arbeit soll ein ökonomisches Modell zu Grunde gelegt werden, das allerdings um verhaltensrelevante Aspekte erweitert werden soll. Ökonomische Modelle blenden verhaltenswissenschaftliche Aspekte des Objektbereichs aus, da bei diesen per Definition dieser nicht beobachtet werden kann. Hierdurch werden zentrale Zusammenhänge nicht erfasst, die aber als Grundlage zur Ableitung der Implikationen für die Unternehmenspraxis herangezogen werden sollten. Dementsprechend soll ein theoriegestützter, konzeptioneller Bezugsrahmen für das Phänomen der Markenbindung im Kontext der Wechselentscheidung von industriellen Nachfragern abgeleitet werden, der die beiden Aspekte vereint. Nachdem sich die Fragestellung auf ein betriebswirtschaftliches Problem aus dem Bereich des Industriegütermarketings bezieht, soll hierfür ein theoriegestützter empirischer Beitrag geleistet werden. Allgemein werden damit zwei Ziele im Rahmen der wissenschaftlichen Arbeit verfolgt: Zum einem das wissenschaftstheoretische Ziel der Annäherung an die Wahrheit und zum anderem das praktische Ziel der Anwendbarkeit der Ergebnisse.58 Hinsichtlich der aufgezeigten Problematik des Wiederkaufsverhaltens von industriellen Einkäufern soll der Fokus auf den Einfluss der Marke gelegt werden, da Untersuchungen auf die zunehmende Relevanz der Marke im Industriegütermarketing hinweisen.59 Auch im Industriegütermarketing kommt der Marke einer Funktion als Wettbewerbsdifferenzierungsmerkmal zu, welche die Wechselentscheidungen beeinflussen kann. Deshalb soll im Rahmen der Arbeit geklärt werden, ob sich die Marke auf das Wechselverhalten der industriellen Nachfrager auswirkt und in welcher Weise die Marke bei der Betrachtung miteinbezogen werden soll. Insbesondere soll analysiert werden, inwieweit die Marke den Nachfrager an den Anbieter binden kann. Damit stellt sich die grundlegende Frage nach den Einflussfaktoren der Markenbindung im B2B-Bereich. Ziel der Arbeit ist es, einen theoriebasierten, konzeptionellen Bezugsrahmen zur Analyse des Kaufverhaltens aufzustellen, um zu überprüfen, inwiefern der Marke im Industriegütermarketing eine Bedeutung zu kommt und wie sich diese auf das Kaufverhalten auswirkt. Dabei sollen die ökonomische und verhaltenswissenschaftliche Sichtweise auf das Phänomen der Wechselentscheidung vereint werden, um eine tiefgehende Analyse des Wechselverhaltens im B2B-Bereich zu gewährleisten. Hierzu soll ein konzeptioneller Bezugsrahmen abgeleitet werden, anhand dessen die Einflussfaktoren empirisch überprüft werden sollen, die 57 58 59
Vgl.Ebenda, S. 2. Vgl. Reichwald (1979), S. 528; Reichwald (1977), S. 231. Vgl. Homburg et al. (2006); Hutton (1997); Mudambi (2002).
1.2 Zielsetzung und Abgrenzung des Untersuchungsgegenstands
9
das Fortsetzten der Geschäftsbeziehung bedingen. Zur empirischen Prüfung bedarf es einer geeigneten methodischen Vorgehensweise, welche die Untersuchung des Wechselverhaltens ermöglicht. Wie zuvor dargelegt wurde, soll das Kaufverhalten als nichtdeterministisch analysiert werden. Zudem soll eine kundenwertorientierte Sichtweise auf die Wechselentscheidung eingenommen werden. Zur Unterstutzung der Forderung empfiehlt es sich, die Fragestellungen im Rahmen eines Conjoint-Ansatzes zu untersuchen.60 Nachdem die Präferenzheterogenität in die Betrachtung mit eingehen sollen, muss die Conjoint-Analyse jedoch erweitert werden. Das diskrete Choice-based-Conjoint-Experiment im Markt der Telekommunikations (TK) -lösungen erfasst das Entscheidungsverhalten der Nachfrager, indem diese konkrete Auswahlentscheidung zwischen vier Marken und entsprechenden Bestandteilen eines Leistungsbündels treffen müssen. Die Präferenzheterogenität soll über soziodemographische und psychographische Daten, die eine systematische Variation der Präferenzheterogenität hervorrufen können, erklärt werden.61 Hierdurch wird einerseits der Bewertungsprozess der Entscheidungsträger transparenter und andererseits können Prognosen über das Verhalten der Entscheidungsträger angestellt werden. Auf Basis der Ergebnisse sollen Handlungsempfehlungen für das Geschäftsbeziehungsmanagement im B2B-Bereich abgeleitet werden. Darüber hinaus soll aufgezeigt werden, inwiefern die gewonnenen Ergebnisse im Rahmen einer Szenarioanalyse eingesetzt werden können. Nachdem die Ziele der Untersuchung dargelegt wurden, soll eine weitere Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes erfolgen: Erstens bezieht sich die Untersuchung auf den Industriegüterbereich oder auch im englischsprachigen Raum als Industrial Marketing62 oder B2B Marketing63 bezeichnet. In erster Linie kennzeichnet sich das Industriegütermarketing durch die Vermarktung von Leistungen für Organisationen wie privatwirtschaftlichen Unternehmen, staatlichen Einrichtungen oder öffentlichen Institutionen, die als Grundlage zur Erstellung von weiteren Leistungen dienen.64 Dieser Auffassung folgend, ist der reine Handel von Leistungen nicht Gegenstand des Industriegütermarketings.65 Einige Autoren verwenden den Begriff des Investitionsgütermarketing, der unterstellt, dass ausschließlich Güter als Investitionsobjekt beschafft werden.66 Dies scheint nicht mehr allzu zeitgemäß zu sein, da zunehmend die Kundenorientierung und damit letztlich der sogenannte Value-added, der Mehrwert, bei Industriegütern in den Vordergrund rückt, der insbesondere über zusätzliche Services gewährleistet werden kann.67 Es bietet sich daher an, den weiter gefassten Begriff des B2B-
60 61 62 63 64 65 66 67
Vgl. Batsell/Louviere (1991); Louviere/Woodworth, (1983); Louviere (1988); Wildemann (2008c). Vgl. Temme et al. (2008), S. 220f. Vgl. Wilson (1986), S. 15. Vgl. Godefroid (2003), S. 23. Vgl. Homburg/Krohmer (2006), S. 881ff. Vgl. Engelhardt/Günter (1981), S. 24. Vgl. hierzu Dichtl/Engelhardt (1980). Vgl. Engelhardt et al. (1993); Wildemann (2003); Wildemann (2008d).
10
1 Zur Relevanz der Markenbindung
Marketings anzuwenden, der sich sowohl auf Güter, Services wie auch gebündelte Angebote bezieht. Zweitens wird die Untersuchung durchgängig aus Nachfragerperspektive betrachtet. Auf Basis der Untersuchungsergebnisse können wiederum Implikationen für Unternehmen abgeleitet werden. Es wird jedoch nicht das Markenmanagement in die Untersuchung einbezogen. In erster Linie sollen Implikationen abgeleitet werden, die auf Basis der Analyse der Kundenpräferenzen gewonnen werden können. Für Industriegüterhersteller stellt die Kundenorientierung eine Möglichkeit dar, sich gegenüber den Wettbewerbern zu differenzieren.68 Eine Voraussetzung hierfür ist es, die Kundenbedürfnisse zu analysieren.69 Drittens wird für die weitere Untersuchung davon ausgegangen, dass die Wechselentscheidung von industriellen Nachfragern eine Entscheidung mit starker kognitiver Kontrolle ist und der Entscheidungsträger versucht, die nutzenmaximale Alternative zu wählen.70 Das Entscheidungsverhalten der Nachfrager kann danach unterschieden werden, inwieweit dieses kognitiv kontrolliert wird.71 So stellen Entscheidungen mit stärkerer kognitiver Kontrolle, extensive bzw. limitierte Kaufentscheidungen, dar und Entscheidungen mit gering ausgeprägter Kontrolle, Gewohnheitsentscheidungen und Impulskäufe.72 Diese Annahme beruht auf der Argumentation, dass die Anreize innerhalb des Unternehmens für die Entscheidungsträger so gesetzt sind, dass sich diese nutzenmaximierend für das Unternehmen verhalten. Damit wird Zielkongruenz vorausgesetzt. Abschließend soll festgehalten werden, auf welche Phase im organisationalen Entscheidungsprozess sich die Untersuchung bezieht. Der organisationale Entscheidungsprozess kann in drei Hauptphasen unterteilt werden: (1) Problemerkennung und Spezifikation, (2) Informationssuche, (3) Auswahlentscheidung.73 Da das Wechselverhalten von industriellen Nachfragern im B2B-Bereich betrachtet werden soll, fokussiert sich die Arbeit auf die letzte Phase der Auswahlentscheidung. In Bezug auf die Auswahlentscheidung kann die Wechselentscheidung über das Ergebnis der Handlung als Bleiben oder Wechseln formuliert werden.
68 69 70 71 72 73
Vgl. Homburg (1995), S. 164ff.; Reichwald et al. (2009), S. 128ff. Für Methoden zur Generierung kundenorientierter Information vgl. Reichwald et al. (2009), S. 128ff. Im Sinne der Entscheidung mit stärkerer kognitiver Kontrolle nach Kroeber-Riel/Weinberg (2003), S. 377ff. Vgl. Kroeber-Riel/Weinberg (2003), S. 369. Vgl. Ebenda, S. 369. Vgl. Robinson et al. (1967).
1.3 Aufbau der Arbeit
11
1.3 Aufbau der Arbeit Grundsätzlich liegen die wissenschaftlichen Bemühungen darin, eine befriedigende Erklärung für ein Phänomen zu finden.74 Hieraus resultieren klassischerweise folgende Forschungsaktivitäten. Zuerst erfolgt eine terminologisch-deskriptive Aufgabenstellung in der Schaffung eines einheitlichen Begriffsverständnis und dessen Anwendung auf das Forschungsobjekt, um daran anschließend eine analytisch-deduktive Aufgabenstellung durchzuführen, bei der es um die Konstruktion eines Modells, ihrer analytischen Auswertung und ihrer Konkretisierung geht.75 An dieser Vorgehensweise orientiert, ergeben sich folgende Schritte für die hier vorliegende Untersuchung: Die ausführliche Charakterisierung des Phänomens der Markenbindung bei Wechselentscheidungen von industriellen Nachfragern (vgl. Kap. 2). Zu diesem Zweck wird aufgezeigt, welche grundlegenden Bereiche sich mit der Wechselentscheidung von industriellen Nachfragern auseinandersetzen und eine Literaturanalyse durchgeführt. Darauf folgen die Identifizierung von Einflussfaktoren und die Generierung von Wirkungszusammenhängen, die in einem Modell abgebildet werden (vgl. Kap. 3). Das Hypothesensystem wird auf Basis der bisherigen Erkenntnisse aufgestellt (vgl. Kap. 4) und empirisch überprüft, was die Operationalisierung der einzelnen Modellvariablen voraussetzt (vgl. Kap. 5). Zusammenfassend werden die Erkenntnisse der Untersuchung für Theorie und Praxis sowie die Restriktionen und der weitere Forschungsbedarf aufgezeigt (vgl. Kap. 6). Abschließend erfolgt in Kapitel 7 eine Schlussbetrachtung der vorliegenden Arbeit. Abbildung 1.1 stellt den Gang der Untersuchung im Überblick dar.
74
75
Vgl. Popper (1973), S. 213. Andere Sichtweisen für die Durchführung von wissenschaftlichen Untersuchungen nehmen Hussler (1988) und Heidegger (1988) vor. Nachdem das Vorgehen von Popper (1973) weitverbreitet ist, wurde dieses ausgewählt. Vgl.Ebenda, S. 213.
1 Zur Relevanz der Markenbindung
12
Einleitung
Kapitel 1
Konzeptionelle Grundlagen des Wechselverhaltens industrieller Nachfrager
Kapitel 2
Grundlegende Begriffe des Untersuchungsgegenstandes Literaturanalyse der empirischen Beiträge Grundlagen zur Wechselentscheidung Zusammenfassung bisheriger Erkenntnisse
Konzeptualisierung des Wechselverhaltens industrieller Nachfrager
Kapitel 3
Wissenschaftstheoretische Ausrichtung Darlegung relevanter Ansätze Zusammenfassende Beurteilung der Ansätze Ableitung des konzeptionellen Bezugsrahmens
Hypothesen zum Wechselverhalten industrieller Nachfrager
Kapitel 4
Hypothesen zur freiwilligen und unfreiwilligen Markenbindung Hypothesen zur Bindungswirkung der Kaufsituation Zusammenfassende Darstellung der Hypothesen
Empirische Überprüfung des konzeptionellen Bezugsrahmen
Kapitel 5
Auswahl der methodischen Basis Überprüfung der Hypothesen anhand des Vorgehens einer conjointbasierten Erhebung
Implikationen für Theorie und Praxis
Kapitel 6
Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse und Diskussion der theoretischen Implikation Restriktion und weiterer Forschungsbedarf Implikation für die Praxis
Schlussbetrachtung
Abb. 1.1
Gang der Untersuchung
Kapitel 7
2
Konzeptionelle Grundlagen zur Markenbindung bei Wechselentscheidungen von industriellen Nachfragern
Ziel diese Kapitel ist es, eine Grundlage für die weitere Untersuchung zu legen. Hierzu bedarf es einer Abgrenzung des Untersuchungsgegenstands und der Analyse der Literatur. Zunächst sollen die grundlegenden Begriffe der Arbeit in Abschnitt 2.1 definiert und voneinander abgegrenzt werden. Dazu werden die Konstrukte, die zur Untersuchung von Wechselentscheidungen herangezogen werden, identifiziert und im Einzelnen erläutert. Ausgehend von der Darlegung der unterschiedlichen Konstrukte soll der Untersuchungsgegenstand daraus abgeleitet werden. Anschließend werden in Abschnitt 2.2 die Grundlagen der Wechselentscheidung von industriellen Nachfragern aus der Literatur zusammenfassend erläutert, um die bisherigen Erkenntnisse festzuhalten, die für die weitere Untersuchung relevant sind. Daraufhin folgt ein Literaturüberblick in Abschnitt 2.3 von empirischen Untersuchungen, die sich mit der Wechselentscheidung auseinandersetzen. Hieraus werden die zentralen Größen, die im Zusammenhang der Wechselentscheidung von industriellen Nachfragern betrachtet werden, erfasst und Ansatzpunkte für deren Wirkungsweise festgehalten. Abschließend werden die Erkenntnisse des Kapitels in Abschnitt 2.4 zusammenfassend dargelegt.
2.1 Grundlegende Begriffe im Kontext des Untersuchungsgegenstands Gegenstand der Wechselentscheidung ist grundsätzlich die Wahl zwischen dem bisherigen Anbieter und einem anderen Anbieter als dem fokalen. Wechselentscheidungen setzen somit voraus, dass der Kunde bereits eine Transaktion mit einem Anbieter getätigt hat. Entscheidet sich der Nachfrager für einen anderen Anbieter als den bisherigen, erfasst dies den Wechsel. Wählt der Nachfrager hingegen den fokalen Anbieter erneut, so stellt dies einen Wiederholungskauf dar und kann als Kundenbindung interpretiert werden. Obwohl Kundenbindung eher allgemein als Wiederholungskauf eines Nachfragers beim bisherigen Anbieter angesehen werden kann, gibt es unterschiedliche Interpretationen von Kundenbindung.76 Häufig wird Kundenbindung mit Kundenloyalität gleichgesetzt.77 Umso bedeutender ist es, die beiden Begriffe Kundenbindung und Loyalität zu differenzieren. Zudem werden neben Kundenloyalität und -bindung auch Markenloyalität und Markenwert, im Zusammenhang der Untersuchung von Wechselentscheidungen betrachtet. Eine Begriffsdefinition und -abgrenzung der zentralen Konstrukte ist somit wesentlich für die weiterführende Untersuchung. Zunächst soll auf die Unterscheidung von Wiederkaufsabsicht und Wiederkaufsverhalten in Abschnitt 2.1.1 eingegangen werden, da diese Unterscheidung eine wesentliche Auswirkung auf die Gestaltung der Untersuchung hat. Daraufhin wird der Begriff 76 77
Einen umfassenden Überblick zum Konzept der Kundenbindung bietet Diller (1996). Vgl. Hennig-Thurau/Hansen (2000), S. 6.
2 Konzeptionelle Grundlagen zur Markenbindung
14
der Kundenbindung in Bezug zur Kundenloyalität in Abschnitt 2.1.2 konzeptionalisiert, um daraufhin diesen wiederum von Markenloyalität und Markenwert in Abschnitt 2.1.3 abzugrenzen.
2.1.1
Wiederkaufsabsicht und Wiederkaufsverhalten
Das Phänomen der Wechselentscheidung kann grundsätzlich über die Betrachtung der Wiederkaufsabsicht und des Wiederkaufsverhaltens untersucht werden. Die beiden Ansatzpunkte unterscheiden sich insofern, dass die Wiederkaufsabsicht nach der Verhaltensabsicht des Kunden fragt und das Wiederkaufsverhalten das faktische Verhalten des Kunden erfasst. In Arbeiten zum Wechselverhalten wird häufig die Wiederkaufsabsicht herangezogen, um dieses zu analysieren.78 Vereinzelt wird aber auch die Wechselabsicht betrachtet, um das Wechselverhalten zu untersuchen.79 Es ergeben sich jedoch keine wesentlichen Unterschiede in der Betrachtungsweise. Letztlich wird in den Beiträgen vorrangig der Einfluss der Kundenzufriedenheit bei der Wechselentscheidung untersucht.80 Es liegt deshalb nahe die positiven Folgen des Wiederkaufs, wie die Umsatzsteigerung, zu betrachten, um Handlungsempfehlungen für die Unternehmenspraxis abzuleiten, die darauf abzielen. Vorteil der Analyse der Verhaltensabsicht ist die Erfassung der affektiven und kognitiven Komponenten.81 Hierdurch kann eine tiefgehende Analyse der Wechselentscheidung vorgenommen werden. Auf der anderen Seite können Ergebnisse, die auf Basis von Verhaltensabsichten beruhen, irreführend sein, wie Mittal/Kamakura (2001) empirisch zeigen.82 So ist davon auszugehen, dass beispielsweise Zufriedenheit und Wiederkaufsabsicht aufgrund der Messmethodik korrelieren.83 Weiterhin variiert die voraussagende Validität von Verhaltensabsichtsmessungen in Abhängigkeit der gewählten Messskala, dem Untersuchungsgegenstand, dem zeitlichen Bezug und der Probandencharakteristika.84 Daher wird in aktuellen Untersuchungen das faktische Verhalten, welches direkt beobachtbar ist, bevorzugt für die Analyse ausgewählt.85 Es empfiehlt sich aus den genannten Gründen das faktische Verhalten zur Analyse der Wechselentscheidung für die Arbeit heranzuziehen.
78
79 80 81
82 83 84
85
Vgl. Anderson/Sullivan (1993); Hellier et al. (2003); Jones et al. (2000); Kumar (2002); Liu et al. (2005); Patterson/Spreng (1997); Varki/Colgate (2001). Vgl. Antón et al. (2007); Mittal et al. (1998). Vgl. hierzu Abschnitt 2.3.1. Vgl. Laurent et al. (1997), S. 453; Wind/Lerner (1979), S. 46. Die Wechselentscheidung stellt einen inneren psychischen Vorgang dar, welcher sich in aktivierende und kognitive Prozesse unterteilen lässt. Vgl. hierzu ausführlich Kroeber-Riel/Weinberg (2003), S. 49ff. und Abschnitt 3.4. Vgl. Mittal/Kamakura (2001), S. 140. Vgl. Bolton (1998b), S. 47; Mittal/Lassar (1998), S. 183. Vgl. Bolton (1998b), S. 47; Chandon et al. (2005), S. 10f.; Morwitz/Schmittlein (1992), S. 404; Morwitz (1997), S. 58ff.; Wind/Lerner (1979), S. 46. Vgl. Verhoef et al. (2007), S. 97; Vogel et al. (2008), S. 98.
2.1 Grundlegende Begriffe im Kontext des Untersuchungsgegenstands
15
Im deutschsprachigen Raum ist die Unterscheidung des faktischen Verhaltens in Wiederkauf, Weiterempfehlung, Zusatzkauf (Cross-Buying) oder Preiserhöhungsakzeptanz aufgrund der empirischen Fundierung weitverbreitet.86 Im Fokus der Arbeit steht das Wechselverhalten von industriellen Nachfragern und damit soll das faktische Wiederkaufsverhalten herangezogen werden, um das Phänomen der Wechselentscheidung zu untersuchen. Das Wiederkaufsverhalten kann dabei grundsätzlich Folge von geplantem oder ungeplantem Handeln sein, wie in Abbildung 2.1 dargestellt.87 Gerade bei organisationalen Beschaffungsentscheidungen kann von einer Entscheidung mir stärkerer kognitiver Kontrolle und damit geplantem Handeln ausgegangen werden, so dass habitualisierte und impulsive Entscheidungen als Folge ungeplanten Handelns aus der Betrachtung ausgeschlossen werden können.88 Stellt das Wiederkaufsverhalten wiederum ein Ergebnis von geplantem Handeln dar, kann danach unterschieden werden, ob der Nachfrager den Anbieter freiwillig wiederwählt und sich somit freiwillig an den Anbieter bindet oder ob er unfreiwillig beim Anbieter verbleibt aufgrund von Kostenüberlegungen. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Entscheidung auf Basis eines Kosten-Nutzen-Kalküls der Entscheidungsträger getroffen wird.89 Es wird unterstellt, dass der Kunde sich für die Alternative entscheidet, die den größten wahrgenommenen Nettonutzen aufweist.90 Folglich kann das Wiederkaufsverhalten nutzenbegründet im Sinne freiwilliger Kundenbindung oder kostenbegründet im Sinne unfreiwilliger Kundenbindung sein.
86 87 88
89 90
Vgl. Bruhn (2003), S. 104; Homburg/Giering (2001), S. 8f. Vgl. Kroeber-Riel/Weinberg (2003), S. 369f. Vgl. Ebenda, S. 370 und 401. Selbstverständlich können auch habitualisierte und impulsive Kaufentscheidungen im organisationalem Umfeld erfolgen. Diese werden aber aus der Betrachtung, wie in Abschnitt 1.2 dargelegt wurde, ausgeschlossen. Vgl. Trommsdorff (2004), S. 308. Vgl. Kroeber-Riel/Weinberg (2003), S. 387.
2 Konzeptionelle Grundlagen zur Markenbindung
16
Wiederkaufsverhalten
Ergebnis geplantes Handeln
Ergebnis ungeplantes Handeln
Freiwillige Kundenbindung
Unfreiwillige Kundenbindung
Habitualisierter Kauf
Impulsivkauf
Nutzen begr ündeter Wiederkauf
Kosten begründeter Wiederkauf
Gewohnheitsbegründerte Wiederkauf
Zufalls begr ünderte Wiederkauf
Abb. 2.1
Mögliche Ausprägungsformen von Wiederkaufsverhalten91
Demzufolge ist das Forschungsinteresse auf die Kundenbindung des industriellen Nachfragers als Ergebnis des geplanten Handels bei der Wiederkaufsentscheidung gerichtet.92 Nachfolgend wird auf den Begriff der Kundenbindung näher eingegangen, der die Basis für die Untersuchung der Wechselentscheidung bildet. Nachdem Kundenbindung und Kundenloyalität häufig synonym verwendet werden, soll die Konzeptualisierung des Begriffes der Kundenbindung im Zusammenhang mit der von Kundenloyalität erfolgen.
2.1.2 Kundenbindung und Kundenloyalität Im Forschungsbereich des Relationship Marketings stellt die Kundenbindung (customer retention) einen zentralen Faktor für den Erfolg des Beziehungsmarketings dar.93 Die Relevanz der Kundenbindung für den ökonomischen Erfolg basiert auf der Annahme, dass Kundenbindung zu Kostenreduzierung und zu Umsatzerhöhung führt.94 Die Kostenreduzierung ist dabei auf Skaleneffekte zurückzuführen und die Umsatzerhöhung auf Crossbzw. Up-Buying-Effekte, Weiterempfehlung sowie der Bereitschaft des Kunden ein Preispremium zu zahlen.95 Kundenbindung wird, wie bereits erwähnt, häufig mit Kunden-
91
92
93 94 95
In Anlehnung an Hennig-Thurau/Hansen (2000), S. 7; Homburg/Bruhn (1998), S. 9; Kroeber-Riel/Weinberg (2003), S. 368-418. Ferner wird im Zusammenhang der Betrachtung der Kundenbindung vorausgesetzt, dass der Nachfrager eine Intention zum Kauf bildet. Damit stellt die Kundenbindung ein Ergebnis von geplantem Handeln dar. Vgl. Hennig-Thurau/Hansen (2000), S. 7; Trommsdorff (2004), S. 160. Vgl. Diller (1995), S. 445; Hennig-Thurau/Hansen (2000), S. 7; Rust/Zahorik (1993), S. 209f. Vgl. Reichheld/Sasser (1990), S. 108. Vgl. Reichheld/Sasser (1990), S. 108; Reichheld/Teal (1996), S. 33ff.; Reichheld/Schefter (2000), S. 112.
2.1 Grundlegende Begriffe im Kontext des Untersuchungsgegenstands
17
loyalität gleichgesetzt und es besteht keine einheitliche Begriffsdefinition. Im Folgenden soll daher der Begriff der Kundenbindung definiert werden und Bezugspunkte zur Loyalität aufgezeigt werden. Die Kundenbindung bezieht sich auf die Geschäftsbeziehung zwischen Anbieter und Nachfrager, im Gegensatz zur Kundenloyalität, die sich ausschließlich auf den Nachfrager bezieht.96 Zur Konzeptualisierung von Kundenbindung ergeben sich damit drei Ansatzpunkte: die Anbietersicht, die Kundensicht und die Sichtweise der Geschäftsbeziehung.97 Nachfolgend wird auf die unterschiedlichen Ansätze der Konzeptualisierung von Kundenbindung eingegangen. Bei der Erläuterung der Kundenbindung aus Nachfragersicht soll der Unterschied zum Konstrukt der Kundenloyalität dargelegt werden, da Kundenloyalität ein Konstrukt darstellt, welches nur aus Nachfragersicht definiert wird und häufig in diesem Zusammenhang synonym verwendet wird. Aus Anbietersicht werden unter Kundenbindung die Maßnahmen des Anbieters verstanden, die zu einer engeren Geschäftsbeziehung beitragen.98 Homburg/Bruhn (1998) beschränken dabei die Maßnahmen auf positive Aktivitäten des Anbieters zur Beeinflussung der bisherigen Verhaltensweise und der zukünftige Verhaltenabsicht eines Kunden.99 Nieschlag et al. (2002) beziehen auch die Kundenbindung fördernde Aktivitäten mit ein, die nicht nur positiv aus Kundensicht bewertet werden, sondern eine Kundenbindung aufgrund von Zwängen wie technischen oder juristischen Mitteln zulässt.100 Allgemein können die Bemühungen des Anbieters zur Kundenbindung als Maßnahmen zur Schaffung von Kundennähe bezeichnet werden.101 Nachdem das Forschungsinteresse auf das Wechselverhalten der industriellen Nachfrager gerichtet ist, stellt die Konzeptualisierung aus Anbietersicht eine geringere Bedeutung für die Arbeit dar. Vielmehr steht die Kundensicht des Nachfragers im Vordergrund. Wird Kundenbindung aus Kundensicht definiert, wird damit die Einstellung bezeichnet, die ein Kunde zur Fortsetzung der Geschäftsbeziehung hat.102 Diese äußert sich im weiteren Sinne über Wiederkaufsabsicht, Kundenanfragen, Kontaktgespräche, Besuche oder Auftragsbestellungen und im engeren Sinne über Folgekäufe.103 Auch der Begriff der Kundenloyalität wird als Einstellung interpretiert. Aus diesem Grund werden Kundenbindung und Kundenloyalität meist synonym verwendet.104 Dies ist insofern problematisch, da Kundenbindung und Kundenloyalität zwar verwandte Konstrukte darstellen, allerdings nicht
96 97 98 99 100 101 102 103 104
Vgl. Diller (1996), S. 81; Homburg/Bruhn (1998), S. 7; Krafft (1999), S. 520. Vgl. Homburg/Bruhn (1998), S. 8. Vgl. Diller (1996), S. 82. Vgl. Homburg/Bruhn (1998), S. 8. Vgl. Nieschlag et al. (2002), S. 125. Vgl. Diller (1996), S. 82; Homburg (1995), S. 79ff. Vgl. Diller (1996), S. 83. Vgl.Ebenda, S. 83. Vgl. Homburg et al. (1999), S. 178.
18
2 Konzeptionelle Grundlagen zur Markenbindung
identisch sind.105 Kundenbindung i. e. S. bezieht sich auf die Bereitschaft Folgetransaktionen zu tätigen.106 Kundenbindung i. e. S. erfasst damit den verhaltensbezogenen Charakter der Entscheidung auf Basis der Verhaltensabsicht, wohingegen Kundenloyalität neben verhaltensauch einstellungsbezogene Aspekte erfasst.107 Aufgrund der Miteinbeziehung der Einstellung stellt Loyalität im Gegensatz zu Kundenbindung i. e. S. ein mehrdimensionales und komplexeres Konstrukt dar.108 Oliver (1999), beispielsweise, nimmt eine Unterscheidung nach kognitiver, affektiver und konativer Loyalität vor.109 Eine empirische Fundierung dieser Unterteilung steht allerdings aus.110 Eine weitere Unterscheidung von Kundenloyalität liefern Bloemer/Kasper (1995).111 Sie differenzieren Loyalität nach tatsächlicher und unterschwelliger Markenloyalität. Dabei unterscheiden sich die beiden Formen im Wesentlichen aufgrund der Berücksichtigung von Commitment im Sinne einer bewussten Verpflichtung zu einem bestimmten Anbieter.112 Eine ähnliche Einteilung von Kundenloyalität stützen Ganesh et al. (2000) empirisch in aktive und passive Loyalität.113 Die passive Loyalität entspricht dem Begriff der unterschwelligen Markenloyalität und die aktive Loyalität dem der tatsächlichen. Diese Ansätze der Differenzierung von Loyalität nach unterschiedlichen Einstellungen, ermöglichen es, die Wirkung auf die Profitabilität tiefergehend zu analysieren.114 Ein wesentlicher Vorteil ist darin zu sehen, dass man zusätzliche Erkenntnisse über den Kundentyp erhalten kann. So ist es vorstellbar, dass ein Kunde den Anbieter aktiv wiederwählt, aber ebenso denkbar, dass er aufgrund von Trägheit oder hoher Wechselbarrieren beim bisherigen Anbieter verbleibt.115 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Kundenloyalität sowohl verhaltens- als auch einstellungsbezogene Aspekte beinhaltet und damit ein komplexeres Konstrukt als Kundenbindung darstellt. Im Gegensatz dazu bezieht sich Kundenbindung i. e. S. ausschließlich auf die Verhaltensabsicht des Entscheidungsträgers. Nachdem in Abschnitt 2.1.1 dargelegt wurde, dass die Wechselentscheidung anhand des
105 106 107
108 109 110
111 112 113
114
115
Vgl. Hennig-Thurau/Hansen (2000), S. 6. Vgl. Diller (1996), S. 83; Hennig-Thurau/Hansen (2000), S. 6. Vgl. Day (1969), S. 30; Jacoby/Chestnut (1978), S. 17ff.; Homburg et al. (1999), S. 178. Der Begriff der Einstellung bedarf zusätzlicher Erläuterung. Einstellung nach Kroeber-Riel/Weinberg (2003) stellen aktivierende Vorgänge dar, die im erheblichem Ausmaß kognitive Komponenten umfassen und können daher als kognitives Konstrukt angesehen werden. Vgl. Kroeber-Riel/Weinberg (2003), S. 57. Für einen Überblick über die Einstellungsforschung vgl. Trommsdorff (2004), S. 164ff. Vgl. Wangenheim (2003), S. 171. Vgl. Oliver (1999). Vgl. Wangenheim (2003), S. 171. Die Drei-Komponenten-Theorie der Einstellung in kognitive, affektive und konative Faktoren kann eher als heuristisches Schema angesehen werden. Für die Konzeptualisierung eignen sich die Konstrukte Wahrnehmung, Einstellung und Verhaltensabsicht. Vgl. hierzu Fishbein/Ajzen (1975), S. 131ff und Trommsdorff (2004), S. 165. Vgl. Bloemer/Kasper (1995). Vgl.Ebenda, S. 318. Vgl. Ganesh et al. (2000). Wangenheim (2003) folgen dieser Unterscheidung in ihrer Untersuchung zu Loyalität im B2B-Bereich. Im B2C-Bereich hat Bloemer/Poiesz (1989) zur Differenzierung des Konstruktes Loyalität beispielsweise die Kundeneinbindung („customer’s involvement“) herangezogen. Vgl. Bloemer/Poiesz (1989). Vgl. Wangenheim (2003), S. 171.
2.1 Grundlegende Begriffe im Kontext des Untersuchungsgegenstands
19
Verhaltens untersucht werden soll, eignet sich in Konsequenz weder die Kundenbindung noch die Kundenloyalität zur Konzeptualisierung des Wechselverhaltens. Allerdings kann die Konzeptualisierung der Kundenbindung aus Sicht der Geschäftsbeziehung hierfür herangezogen werden, da sich diese auf das tatsächliche Kaufverhalten bezieht.116 Die Merkmale ergeben sich dabei einerseits durch die Transaktionsepisode und andererseits durch die Transaktionsatmosphäre.117 Meyer/Oevermann (1995) unterscheiden bei der Transaktionsepisode zwei zeitliche Dimensionen der Kundenbindung. Die aktuelle Kundenbindung, die sich auf das bisherige Kaufverhalten in Form von Wiederkauf und Weiterempfehlung bezieht und die zukünftige Kundenbindung, die sich durch Wiederkauf-, Zusatzkauf- und Weiterempfehlungsverhalten äußert.118 Eine Definition, die ausschließlich auf der Transaktionsebene aufbaut, weist den Vorteil auf, dass Kundenbindung anhand des direkt beobachtbaren Verhaltens operationalisiert werden kann.119 Den wesentlichen Nachteil stellt die Vernachlässigung der psychologischen Aspekte dar.120 Jedoch können diese durch die Miteinbeziehung der Transaktionsatmosphäre bei der Konzeptualisierung berücksichtigt werden.121 Dabei werden statt prinzipiell beobachtbaren Prozessen Zustände der Geschäftsbeziehung erfasst, wie die Zufriedenheit oder andere Qualitätsmerkmale.122 Tabelle 2.1 stellt die Aspekte der Definitionen in einer Übersicht dar. Kundenbindung aus Anbietersicht
Kundenbindung aus Kundensicht
Kundenbindung aus Geschäftsbeziehungssicht
Loyalität des Kunden
Positive Einstellung des Kunden zu Geschäftsbeziehung
Merkmale des vergangenen und des zukünftigen Transaktionsgeschehens
Verhaltensabsicht des Kunden zum Wiederkauf
Transaktionsatmosphäre zwischen Anbieter und Nachfrager
Maßnahmen des Anbieters zur Stabilisierung der Geschäftsbeziehung Maßnahmen, die den Kunden an Anbieter binden Maßnahmen des Anbieters zur engeren Gestaltung der Geschäftsbeziehung
Tab. 2.1
Aspekte der Definitionen von Kundenbindung123
Für die weitere Betrachtung empfiehlt es sich, Kundenbindung anhand der Geschäftsbeziehungsmerkmale zu konzeptualisieren, da hier die Kundenbindung am tatsächlichen Verhalten festgemacht wird und einstellungsbezogene Aspekte über die Transaktionsatmosphäre miteinbezogen werden. Darüber hinaus berücksichtigt die Transaktions-
116 117 118 119 120 121 122 123
Vgl. Diller (1996), S. 83. Vgl.Ebenda, S. 83. Vgl. Meyer/Oevermann (1995), S. 1341. Vgl. Diller (1996), S. 83. Vgl. Plinke (1997), S. 24. Vgl. Håkansson/Snehota (1995), S. 53ff. Vgl. Diller (1996), S. 83. In Anlehnung an Diller (1996), S. 84.
2 Konzeptionelle Grundlagen zur Markenbindung
20
atmosphäre auch situative Einflusse der Kundenbindung. Als Arbeitsdefinition soll der Begriffsauffassung nach Diller (1996) gefolgt werden: Kundenbindung „liegt dann vor, wenn innerhalb eines zweckmäßig definierten Zeitraums wiederholte Informations-, Güter- oder Finanztransaktionen zwischen zwei Geschäftspartnern stattgefunden haben (ex postBetrachtung) bzw. geplant sind (ex ante-Betrachtung)“.124 Dieser Begriffsaufassung folgend wird Kundenbindung am erwünschten Resultat, d.h. dem Wiederkaufsverhalten festgemacht. Eine Analyse der Determinanten von Kundenbindung erfolgt im Rahmen der Literaturauswertung in Abschnitt 2.3. Nachdem der Begriff der Kundenbindung erläutert wurde, stellt sich die Frage, wie die Kundenbindung in Bezug zur Marke steht. Deshalb werden nachfolgend die Begriffe, die im Zusammenhang einer markenbasierten Sichtweise relevant sind, in Bezug zur Kundenbindung betrachtet.
2.1.3
Markenloyalität und Markenwert
Im Konsumgüterbereich wird die Marke125 als konkretes Untersuchungsobjekt fokussiert.126 Dabei wird der Einfluss der Marke in der Literatur klassischerweise über die Markenloyalität oder über den Markenwert analysiert. Nachfolgend soll zuerst auf den Begriff der Markenloyalität eingegangen werden, um daraufhin die Grundlagen zum Markenwert darzustellen und den Zusammenhang zwischen den beiden Konstrukten zu erfassen. Bezieht sich die Entscheidung darauf, ob die Marke wiedergewählt wird, kann in diesem Zusammenhang von Markentreue oder Markenloyalität (Brand Loyalty) gesprochen werden.127 Markenloyalität ist ein komplexes Konstrukt, ebenso wie Kundenloyalität, und daher existieren ebenso unterschiedliche Definitionen und Operationalisierungen des Begriffes wie im Zusammenhang der Kundenloyalität.128 Die Begriffsauffassung von Markenloyalität kann nach zwei dominierenden Strängen unterschieden werden: Einerseits in eine einstellungsorientierte und andererseits in eine verhaltensbasierte Auslegung.129
124 125
126
127
128 129
Diller (1996), S. 84. Nach § 3 Abs. 1 des Markengesetzes (MarkenG) können als Marke, „alle Zeichen, insbesondere Wörter einschließlich Personennamen, Abbildungen, Buchstaben, Zahlen, Hörzeichen, dreidimensionale Gestaltungen einschließlich der Form einer Ware oder ihrer Verpackung sowie sonstigen Aufmachung einschließlich Farbe und Farbzusammenstellung geschützt werden, die geeignet sind, Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von denjenigen anderen Unternehmen zu unterscheiden“. Im englischsprachigen Raum findet sich eine ähnliche Begriffsdefintion von Marke als „a name, term, sign, symbol, or design, or a combination of them which is intended to identify the goods or services of one seller or group of sellers and to differentiate them from those of competitors“. Alexander (1960), S. 9. Vgl. Bendixen et al. (2004), S. 371; Gordon et al. (1993), S. 4; Köhler (2004), S. 2777; Michell et al. (2001), S. 415; Mudambi (2002), S. 525; Shipley/Howard (1993), S. 59. Neben dem Begriff der Markenloyalität wird auch der Begriff der Markentreue gebraucht. In aktuellen Untersuchungen wird vorrangig der Begriff der Markenloyalität genannt, und daher soll dieser im Weiteren verwendet werden. Vgl. Bloemer/Kasper (1995); Copeland (1923); Day (1969); Jacoby/Chestnut (1978). Vgl. Jacoby/Chestnut (1978), S. 35-67.
2.1 Grundlegende Begriffe im Kontext des Untersuchungsgegenstands
21
Die einstellungsbasierte Auffassung gestaltet sich verhältnismäßig divers.130 Die wohl am Häufigsten verwendete Erfassungsart von Markenloyalität ist die in Form der Markenpräferenz.131 Unter Markenpräferenz kann das Ausmaß verstanden werden, indem der Kunde das Angebot des fokalen Anbieters im Vergleich zu konkurrierenden Angeboten bevorzugt.132 Dabei wird davon ausgegangen, dass der Kunde eine Präferenz für eine Marke im Zeitverlauf bildet und folglich Aussagen über die Markenloyalität des Kunden über die Beobachtung eines längeren Zeitraums möglich sind.133 Damit stellt die Markenpräferenz eine Verhaltensabsichtmessung dar, welche die Intention des Nachfragers eine Marke wiederzukaufen erfasst. Jedoch unterliegt diese Form der Erfassung dem wesentlichen Nachteil, dass die Verhaltensabsicht nicht das Verhalten anzeigen muss.134 Damit kann davon ausgegangen werden, dass Untersuchungen, die Markenloyalität über die Verhaltensabsicht analysieren, methodischen Verzerrungen unterliegen.135 Aus diesem Grund soll eine verhaltensbasierte Sicht auf das Phänomen der Wechselentscheidung eingenommen werden. Auch die verhaltensbasierte Sichtweise auf Markenloyalität kann über sehr unterschiedliche Verfahren erfasst werden. Im Konsumgüterbereich ist die Beobachtung des Kaufverhaltens auf Basis von Scannerdaten weitverbreitet.136 Die Interpretation der Markenloyalität kann grundsätzlich über folgende fünf Gruppen erfolgen: (1) Anteil der Markeneinkäufe, (2) Kaufabfolge, (3) Wahrscheinlichkeit des Markenkaufs, (4) Integrierte Ansätze, (5) Vermischte Ansätze.137 Jedoch wird als Kritik angeführt, dass diesen eine gesicherte Konzeptualisierung fehlt.138 Aus diesem Grund soll zunächst eine Konzeptualisierung des Begriffs für die weitere Untersuchung vorgenommen werden. Die Konzeptualisierung des Begriffs der Markenloyalität kann an der von Kundenbindung und Kundenloyalität angelehnt werden, da die Abgrenzung zwischen einstellungs- und verhaltensbasierter Markenloyalität sich ebenfalls im Kontext der Begriffsabgrenzung von Kundenbindung und Kundenloyalität wiederfindet. In Konsequenz kann davon ausgegangen werden, dass sich die Begriffe nur dahingehend unterscheiden, dass sich die Markenloyalität bzw. die Markenbindung auf eine Marke beziehen und Kundenloyalität bzw. Kundenbindung allgemein auf die Loyalität mit und der Bindung an den Anbieter.139 Die gemeinsame Konzeptualisierung kann im Grunde darauf zurückgeführt werden, dass das Phänomen der
130 131
132 133
134 135 136 137 138 139
Vgl. Ebenda, S. 47ff. Vgl. für eine ausführliche Darstellung der unterschiedlichen Auffassungen von Markenloyalität aus Einstellungssicht Jacoby/Chestnut (1978), S. 47-50. Vgl. z. B. Hellier et al. (2003), S. 1765. Diese Konzeptualisierung wurde bereits in den vierziger Jahren im Zusammenhang von Markenpräferenzen von Jugendlichen, die bis ins Erwachsenenalter weiter bestehen von Guest (1942) entwickelt. Vgl. Guest (1942). Auch Jacoby/Kyner (1973) folgen dieser Auffassung. Vgl. Mittal/Kamakura (2001), S. 140. Vgl. Vogel et al. (2008), S. 100. Vgl. Dubois/Laurent (1999), S. 657. Vgl. für eine ausführliche Beschreibung der unterschiedlichen Verfahren Jacoby/Chestnut (1978), S. 35ff. Vgl. Ebenda, S. 41. Vgl. Plinke (1997), S. 23; Weinberg (1977), S. 12.
22
2 Konzeptionelle Grundlagen zur Markenbindung
Kundenbindung auf den Erkenntnissen der Markenloyalität aufbaut. Die Untersuchungen zur Markenloyalität wurden bereits in den 1950er Jahren angestellt, wohingegen die Forschungsbemühungen zur Kundenbindung erst in den 1990er Jahren erbracht wurden.140 Jedoch setzen sich die meisten Untersuchungen mit Markenloyalität im Konsumgütermarketing auseinander. Deshalb existieren kaum Untersuchungen zur Markenloyalität im B2B-Bereich und es liegen wenige Erkenntnisse zur Markenloyalität bzw. zur Markenbindung im B2B-Bereich vor.141 Es bedarf daher einer Konzeptualisierung der Markenbindung im Kontext der Wechselentscheidung von industriellen Nachfragern. Marken sind vor allem im B2C-Bereich mit Produkten und Services assoziiert, aber im B2BBereich konzentriert sich das Markenmanagement mehr auf Unternehmensmarken (Corporate Brands).142 Die Marke ist dabei meist mit den Unternehmensnamen verbunden, da es zu kostenintensiv für Unternehmen wäre, im B2B-Bereich eine Produktkategoriemarkenstrategie zu verfolgen.143 Zudem orientieren sich industrielle Nachfrager beim Kauf mehr daran, wofür das Unternehmen steht und nicht am spezifischen Produkt einer Kategorie.144 Demzufolge kann davon ausgegangen werden, dass die Marke eines Unternehmens mit dem Anbieter assoziiert wird und die Wahl eines Anbieters mit der Wahl der Marke gleichzusetzen ist. Eine Unterscheidung von Kundenbindung und Markenbindung wird in diesem Fall obsolet.145 Folglich kann Markenloyalität in der Art konzeptualisiert werden, dass die einstellungsbasierte Begriffsauffassung die Markenloyalität bezeichnet und die verhaltensbasierte Auslegung die Markenbindung beschreibt. Wie zuvor beschrieben wurde, soll eine verhaltensbasierte Konzeptualisierung zugrunde gelegt werden, da die Einstellungsbetrachtung Verzerrungen unterliegt.146 Folglich soll die Markenbindung zur Analyse herangezogen werden. Nachdem zudem eine nutzenbasierte Betrachtung des Phänomens verfolgt wird, soll die Markenbindung als der Nutzen konzeptualisiert werden, der durch die Wiederwahl der Marke für den Nachfrager entsteht.147
140 141
142
143 144 145
146 147
Vgl. Peter (1997), S. 74. Vgl. Bendixen et al. (2004), S. 371; Gordon et al. (1993), S. 4; Köhler (2004), S. 2777; Michell et al. (2001), S. 415; Mudambi (2002), S. 525; Shipley/Howard (1993), S. 59. Vgl. Bendixen et al. (2004), S. 372. Selbstverständlich können auch Produktmarken- oder Familienmarkenstrategien im B2B-Bereich verfolgt werden, allerdings ist dies bei dem gewählten Betrachtungsgegenstand der Telekommunikationslösungen nicht der Fall. Für einen Vergleich der unterschiedlichen Optionen der Markierung siehe Kotler/Pfoertsch (2006), S. 91. Vgl. Hague/Jackson (1994), S. 88ff. Vgl. Chernatony/MacDonald (1992), S. 69ff.; Saunders/Watt (1979), S. 122. Im Weiteren können die Begriffe Markenbindung bzw. Markenloyalität und Kundenbindung bzw. Kundenloyalität für den gewählten Untersuchungsgegenstand synonym verwendet werden. Auch Oliver (1999) verwendet die Begriffe in seinem Beitrag synonym. Vgl. Kuhl/Beckmann (1985); Mittal/Kamakura (2001); Vogel et al. (2008). Das Nutzenverständnis, welches in diesem Kontext verwendet wird, entspricht dem der ökonomischen Nutzenlehre. Im Marketing wird zudem der Kundennutzen als eigenständiges Konstrukt bewertet. Hierzu existieren unterschiedliche Auffassungen. Vgl. für eine umfassende Darstellung Beutin (2000), S. 7-29. Das Konzept des Kundennutzens vereint die Perspektiven des Produkt-, Marken- und Beziehungsmanagements. Vgl. Lemon et al. (2001), S. 20. In diesem Sinne kann der Nutzen der Marke, der Markenwert, als Bestandteil des Kundennutzens interpretiert werden. Vgl. Rust et al. (2004), S. 114.
2.1 Grundlegende Begriffe im Kontext des Untersuchungsgegenstands
23
Im Zusammenhang der Untersuchung von Markenwahlmodellen wird häufig auch der Einfluss der Marke über den Markenwert betrachtet.148 Auch der Begriff des Markenwerts wird über unterschiedliche Ansätze konzeptionalisiert. Es gibt Ansätze, die den Wert einer Marke i. S. eines Vermögensgegenstandes bewerten149 und solche, die eine nachfragerorientierte Sichtweise über die Assoziationen und Vorstellungen, die der Kunde mit der Marke hat, verfolgen.150 Allerdings lassen sich die Ansätze nicht grundsätzlich voneinander trennen. Vielmehr resultiert der Markenwert i. S. eines Vermögensgegenstandes aufgrund der Wahrnehmung des Kunden. Denn erst indem der Kunde dem Leistungsangebot einen einzigartigen Wert gegenüber einem anderen Angebot beimisst, entsteht der Wert, der mit der Marke verbunden ist.151 Der Markenwert wird dabei hervorgerufen durch „current or potential consumer learning which influences how the product is encoded and acted upon by the consumers“.152 Nachdem der Schwerpunkt der Arbeit auf der Untersuchung des Wechselverhaltens von industriellen Nachfragern liegt, erscheint es sinnvoll, den Markenwert aus Sicht der Nachfrager zu konzeptualisieren und die finanzielle Sichtweise auszublenden. Nachfolgend werden drei grundlegende Konzeptualisierungsformen aus Sicht des Nachfragers näher erläutert, um so ein konsistentes Begriffverständnis zu schaffen. Eine Konzeptualisierung von Markenwert aus einer kognitivpsychologisch basierten Sicht nimmt Keller (1993) vor.153 Keller (1993) definiert Markenwert als „the differential effect of brand knowledge on consumer response to marketing of the brand.”154 Er unterscheidet Markenwissen nach zwei Dimensionen in Markenwahrnehmung und Markenimage, wie in Abbildung 2.2 dargestellt.155 Diese unterteilen sich wiederum in Markenerinnerung und wiedererkennung bzw. in Arten, Vorziehenswürdigkeit, Stärke und Einzigartigkeit der Markenassoziation.
148 149
150 151 152 153 154 155
Vgl. u. a. Bendixen et al. (2004); Dillon et al. (2001); Swait et al. (1993). Vgl. für Ertragswertverfahren Kern (1962); Penrose (1989) sowie für kapitalmarktorientierte Markenbewertungen Simon/Sullivan (1993); Sattler (1995); Weinberg (1977). Vgl. Feldwick (1996), S. 85. Vgl. Erdem et al. (1999), S. 302. Erdem et al. (1999), S. 302. Vgl. Keller (1993); Keller (2003); Keller (2008). Keller (1993), S. 8. Vgl. Keller (1993), S. 7.
2 Konzeptionelle Grundlagen zur Markenbindung
24
Markenerinnerung Markenwahrnehmung
Preis Markenwiedererkennung
Nicht Produktbezogen Attribute Produktbezogen
Markenwissen
Verpackung Nutzer Symbolik Nutzungssymbolik
Funktional Arten der Markenassoziation
Gewinn
Experimentell Symbolisch
Markenimage
Vorziehenswürdigkeit der Markenassoziation Einstellung Stärke der Markenassoziation Einzigartigkeit der Markenassoziation
Abb. 2.2
Dimensionen des Markenwissens nach Keller156
Die Markenwahrnehmung ist einer der am häufigsten referenzierten Erfolgsfaktoren, insbesondere wenn die vorangegangenen Erfahrungen entscheidend sind beim Wiederkauf.157 Gerade auf Märkten, die sich durch Multiple-Sourcing kennzeichnen, erhöht die Markenwahrnehmung die Wahrscheinlichkeit, in die engere Auswahl des Nachfragers und damit in das sogenannte Consideration Set zu gelangen.158 Dabei resultiert die Stärke der Marke aus der Kapitalwirkung (Leverage) des Namens, des Symbols oder des Logos, und damit aus den Teilen einer Marke, die an den Kunden kommuniziert werden können.159 Aus Kundensicht wird Markenwahrnehmung als das Ausmaß bezeichnet, indem der Kunde die Marke unter variierenden Bedingungen erkennt, und als die Wahrscheinlichkeit, mit der der Name ins Gedächtnis gerufen wird.160 Darüber hinaus sollte ein Markenimage aufgebaut werden, das mit dem Namen des Unternehmens verbunden wird, und welches starke funktionale und symbolische Assoziationen hervorruft.161 Auf diese Art und Weise kann die Einzigartigkeit einer Marke erzeugt werden. Die Betrachtung des Markenimages nimmt dabei eine einstellungsbasierte Sicht auf den Markenwert ein, der das Markenimage als Einstellung interpretiert, welche sich auf Basis von vorangegangenen Erfahrungen und Informationen
156 157 158
159 160 161
In Anlehnung an Keller (1993), S. 7. Vgl. Bogart/Lehman (1973), S. 17ff. Vgl. Baker et al. (1986), S. 435ff. Das Consideration Set umfasst alle Anbieter, die bei der Kaufentscheidung vom Entscheidungsträger näher in Betracht gezogen werden. Für eine ausführliche Erklärung sei auf Abschnitt 2.2.2 verwiesen. Vgl. Kotler/Bliemel (2006), S. 514f. Vgl. Rossiter/Percy (1997), S. 141ff. Vgl. Doyle/Stern (2006), S. 163ff.
2.1 Grundlegende Begriffe im Kontext des Untersuchungsgegenstands
25
herausbildet.162 Der Markenwert kann bei diesen Ansätzen als Funktion gesehen werden, die die Assoziationen mit den Markennamen beschreibt.163 Die beiden Aspekte Markenwahrnehmung und Markenimage greift auch Aaker (1991) in seiner Konzeptualisierung des Begriffes Markenwert auf.164 Abbildung 2.3 stellt die wesentlichen Aspekte der Konzeptualisierung zur Verdeutlichung graphisch dar. Aaker (1991) nimmt dabei eine ressourcenbasierte Sichtweise des Begriffes Markenwert ein. Aus seiner Sicht bezeichnet Markenwert eine Gruppe von Vorzügen und Nachteilen, die mit einer Marke, ihrem Namen oder Symbol in Zusammenhang stehen und den Wert eines Leistungsangebotes für ein Unternehmen oder einen Kunden steigern bzw. abwerten.165 Dabei sind diese Eigenschaften mit dem Markenimage (brand image) verknüpft.166 Der Erfolg einer Marke hängt somit von der Kernbedeutung einer Marke, sei es intrinsisch oder extrinsisch, und dem Erhalt eines über die Zeit hinweg konsistenten Markenimages ab.167 Das Markenimage kann sowohl produktbezogene als auch nichtproduktbezogene, sowie symbolische und funktionale Attribute beinhalten.168 Wenn diese Assoziationen positiv mit der Marke verbunden sind, so kann dies einen Wettbewerbsvorteil für das Unternehmen schaffen. Insbesondere kann sich ein positives Markenimage mit der Verknüpfung des Unternehmensnamens positiv auf die Reputation des Unternehmens auswirken.169 Daher sind Markenimages vor allem für Entscheidung über die Förderung der Marke (Brand Sponsors) von Bedeutung.170
162 163 164 165 166 167 168 169
170
Vgl. Jacoby/Chestnut (1978). Vgl. Swait et al. (1993), S. 25. Vgl. Aaker (1991); Aaker (1996a); Aaker (1996b). Vgl. Aaker (1991), S. 31. Vgl.Ebenda, S. 31. Vgl. Swait et al. (1993), S. 26. Vgl. Aaker (1991), S. 106ff.; Keller (1993), S. 8. Vgl. Park et al. (1986), S. 136ff. Die Unternehmensreputation gilt als wichtiger Faktor, der erfasst, wie das Unternehmen von der Öffentlichkeit wahrgenommen wird und maßgeblich den Unternehmenserfolg beeinflussen kann. Vgl. hierzu ausführlich Beren/Riel (2004); Fombrun (1996); Fombrun et al. (2000). Vgl. Aaker (1996a), S. 31ff.
2 Konzeptionelle Grundlagen zur Markenbindung
26
Vorteil durch Markenname
Brand Sponsor Strategie
Wettbewerbsdifferenzierung durch Marke
Generierung von Kundenloyalität
Markenwahrnehmung
Markenassoziation
Tangible und proprietäre Vermögensgegenstände
Brand Loyalität; Wahrgenommene Qualität
Wahrgenommene Leistung des Unternehmens
Abb. 2.3
Generierung von Brand Equity
Zusammenhang der Generierung von Markenwert171
Eine weitere Konzeptualisierung des Markenwerts kann aus informationsökonomischer Sicht erfolgen. Erdem et al. (1999) argumentieren, dass Markenwert der Wert ist, der als glaubhaftes Signal bezüglich der Positionierung der Marke entsteht.172 Allgemeiner formuliert kann der Markenwert aus Kundensicht als der Wert definiert werden, der mit dem zusätzlichen Nutzen einer Marke verbunden ist173 und damit als „the additional utility not explained by measured attributes“.174 In dieser Funktion fungieren Marken als Signale, die das wahrgenommene Risiko des Kunden, welches mit der Entscheidung verbunden ist, und die Informationskosten senken können, wodurch der Markenwert entsteht.175 Die drei Ansätze zur Konzeptualisierung lassen sich nicht grundsätzlich voneinander trennen, vielmehr liegt allen drei Ansätzen der Aspekt des Markenimages zugrunde und sie repräsentierten somit eine komplementäre Auffassung von Markenwert. Aus kognitivpsychologischer Sicht resultiert der Markenwert aus der Markenwahrnehmung und den damit verbundenen Assoziationen, die bei der informationsökonomischen Betrachtung als Signal fungieren, das sich auf das wahrgenommene Risiko und die Informationskosten auswirkt.176 Bei Aaker (1991) stellen die Markenassoziationen einen Teil des Markenwerts dar, der zusätzlich durch die Markenloyalität, Markenwahrnehmung und Wettbewerbsdifferenzierungspotenziale hervorgerufen wird.177 Die Ansätze unterstellen die gleichen Auswirkungen von Markenwert, wie zunehmende Kundenloyalität, größere Effizienz von Marketingprogrammen, höhere Preis- und Gewinnspannen, bessere Absatzwege sowie Wettbewerbsvorteile.178 Im informationsökonomischen Ansatz wird die durch die Marke hervorgerufene Leistung als Ergebnis der höheren Qualität und des reduzierten Risikos sowie niedrigen
171 172 173 174 175 176 177 178
In Anlehnung an Michell et al. (2001), S. 417. Vgl. Swait/Erdem (1998), S. 132ff. Vgl.Farquhar (1989), S. 24f. Swait et al. (1993), S. 27. Vgl. Homburg et al. (2006); Swait et al. (1993). Vgl. Erdem et al. (1999), S. 306; Keller (1993), S. 8f. Vgl. Aaker (1991), S. 32. Vgl. Aaker (1991), S. 32; Erdem et al. (1999), S. 306; Keller (1993), S. 8f.
2.2 Grundlagen zur Wechselentscheidung industrieller Nachfrager
27
Informationskosten gesehen.179 Im kognitivpsychologischen Ansatz werden die Folgen des Markenwerts der Existenz von starken, vorziehenswürdigen und einzigartigen Assoziationen mit der Marke zugeschrieben.180 Bei Aaker (1991) werden die verbesserte Interpretation und Verarbeitung von Informationen, die erhöhte Zuversicht beim Kaufentschluss und die erhöhte Zufriedenheit bei der Anwendung auf den Markenwert zurückgeführt.181 Damit lassen sich die Folgen der Marke allgemein über deren Signalwirkung begründen.182 In diesem Sinne kann die Markenbindung als Bestandteil des Markenwerts interpretiert werden.183 Auch hier soll ein nutzenbasiertes Verständnis zugrunde gelegt werden. Folglich ist der Markenwert der Wert, der mit dem zusätzlichen Nutzen einer Marke verbunden ist und die Markenbindung umschreibt dabei den Nutzen, der durch die Wiederwahl der Marke für den Nachfrager entsteht. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich in Bezug auf die Konzeptualisierung der Begriffe Markenbindung und Kundenbindung vor dem Hintergrund der Unternehmensmarken keine Unterschiede ergeben. Folglich können die Begriffe Kundenbindung und Markenbindung ebenso wie die Begriffe der Kundenloyalität und Markenloyalität in diesem Fall synonym verwendet werden. Allerdings sind dabei die Unterschiede der Untersuchungen zu beachten. Untersuchungen zum Markenwert berücksichtigen explizit die Marke, hingegen Untersuchungen zur Kundenbindung diese bisher nicht thematisieren. Ebenso wird in Markenwert-Beiträgen die Kundenzufriedenheit als beeinflussender Faktor vernachlässigt, der im Bereich der Kundenbindung jedoch als zentraler Einflussfaktor berücksichtigt wird. Dementsprechend bedarf es einer Analyse der Literatur zur Wechselentscheidung, um die zentralen Einflussfaktoren zu identifizieren. Bevor in Abschnitt 2.3 eine Literaturanalyse durchgeführt wird, wendet sich der folgende Abschnitt den konzeptionellen Grundlagen der Wechselentscheidung von industriellen Nachfragern zu.
2.2 Grundlagen zur Wechselentscheidung industrieller Nachfrager Die Auseinandersetzung mit der Wechselentscheidung von industriellen Nachfragern wird im OBB in erster Linie konzeptionell vorgenommen und daher beschränken sich die Beiträge auf deskriptive Modelle. Die Erkenntnisse aus dem OBB Forschungsbereich können dennoch zur Beschreibung der Charakteristika der Beschaffungsentscheidung von industriellen Nachfragern herangezogen werden. Zur Untersuchung des Wahlverhaltens von industriellen Nachfragern sollte jedoch auf den Erkenntnissen der Entscheidungsforschung aufgebaut werden, da das Wahlverhalten von industriellen Nachfragern eine Entscheidung im Sinne des 179 180 181 182 183
Vgl. Swait/Erdem (1998). Vgl. Keller (1993). Vgl Aaker (1991), S. 32. Vgl. Weiber/Adler (1995). Vgl. Gordon et al. (1993), S. 6.
2 Konzeptionelle Grundlagen zur Markenbindung
28
Forschungsbereichs darstellt. Eine Entscheidung ist aus entscheidungstheoretischer Sicht „a response to a situation that is composed of three parts: (a) There is more than one possible course of action under consideration, „in the choice set“ [..] (b) the decision maker can form expectations concerning in future events and outcomes following from each course of action, expectations that are often describes in terms of probabilities or degree of confidence […] (c) consequences, associated with the possible outcomes, that can be assessed on an evaluative continuum reflecting personal values and current goals.”184 Das Entscheidungsverhalten von industriellen Nachfragern wird im Rahmen der Entscheidungsforschung von unterschiedlichen Bereichen untersucht. Diese werden in Abschnitt 2.2.1 dargestellt, um daraufhin auf die Grundlagen des Kaufentscheidungsprozesses in Abschnitt 2.2.2 einzugehen. Abschließend werden die Besonderheiten der organisationalen Entscheidung auf Basis der wesentlichen Erkenntnisse aus dem OBB in Abschnitt 2.2.3 erläutert.
2.2.1
Bereiche der Entscheidungsforschung
Die wesentlichen Beiträge aus dem Bereich der Entscheidungsforschung beziehen sich auf prognoseorientierte und zufallsnutzenbasierte Wahlmodelle sowie verhaltenswissenschaftliche Analysen des Wahlverhaltens.185 Abbildung 2.4 stellt den Zusammenhang der Forschungsbereiche graphisch dar, auf die nachfolgend näher eingegangen wird.
Prognoseorientierte Wahlmodelle Verhaltenswissenschaftliche Analyse des Wahlverhaltens
Abb. 2.4
Zufallsnutzenbasierte Wahlmodelle
Bereiche der Entscheidungsforschung186
Prognoseorientierte Wahlmodelle unterstellen ein Stimulus-Object-Response (SOR)-Schema, bei dem das Objekt, der Entscheidungsprozess, als Black-Box nicht einsehbar ist.187 Lediglich Stimulus und Response können beobachtet werden, anhand derer die Wahrscheinlichkeit, mit der sich der Konsument für eine der Alternativen entscheidet, bestimmt werden kann.
184 185 186 187
Reid/Dawes (2001), S. 25f. Vgl. Ben-Akiva et al. (2002), S. 164; Dannewald et al. (2008), S. 8. In Anlehnung an Ben-Akiva et al. (2002), S. 164. Vgl. Morikawa et al. (2002), S. 29ff.
2.2 Grundlagen zur Wechselentscheidung industrieller Nachfrager
29
Üblicherweise werden dabei Revealed Preferences (RP), die tatsächlichen Auswahlentscheidungen und deren beobachtbaren Attribute sowie soziodemographische Charakteristika der Kunden berücksichtigt. In Abschnitt 2.2.2 wird näher auf die unterschiedlichen Formen von Präferenzen eingegangen. Abbildung 2.5 stellt das klassische SOR-Schema graphisch dar. Beobachtbare Attribute der Charakteristika Alternativen (z.B. Preis, (z.B. Alter, Display) Haushaltsgröße)
Black Box
Beobachtbares Verhalten (revealed preferences)
Abb. 2.5
Klassisches SOR-Schema zur Untersuchung von Käuferverhalten188
Einen Teilbereich der prognoseorientierten Wahlmodelle bilden zufallsnutzenbasierte Modelle, die die zentrale Annahme der Zufallsnutzenmaximierung, der Random Utility Maximization (RUM) voraussetzen.189 Diese besagt, dass der Entscheidungsträger diejenige Alternative aus einer begrenzten Anzahl wählt, die für ihn den Nutzen maximiert.190 Dabei wird der Nutzen als zufallsverteilte Variable abgebildet und dadurch werden indirekt auch die im Modell nicht erfassten Komponenten berücksichtigt. Der Nutzen ergibt sich somit additiv aus einer deterministischen und einer stochastischen Komponente, anhand derer die Auswahlwahrscheinlichkeit jeder Alternative bestimmt wird.191 Ein grundlegender Kritikpunkt an zufallsnutzenbasierten Modellen ist die Annahme, dass der Entscheidungsträger die nutzenmaximale Alternative auswählt. Attraktionsmodelle, wie das nach BradleyTerry-Luce (BTL),192 hingegen unterstellen ein intrinsisches probabilistisches Kaufverhalten, wonach sich der Entscheidungsträger nicht zwangsweise für die nutzenmaximale Alternative entscheiden muss.193 Diese Art von Modell eignet sich dann, wenn die Wahlentscheidung
188 189
190 191 192
193
In Anlehnung an Dannewald et al. (2008), S. 9. Einen weiteren Bereich bilden die Maximum-Utility-Choice- oder First-Choice-Modelle, bei denen eine deterministische Wahlregel des maximalen Nutzens unterstellt wird. Hier wird eine fehlerfreie und vollständige Erfassung des Nutzens unterstellt. Siehe hierzu Teichert (2001), S. 72. Diese Annahme ist allerdings gerade bei komplexen Produkten schwer umsetzbar und daher werden diese Modelle hier vernachlässigt. Vgl. Gopinath et al. (2004), S. 2. Vgl. Hausman/Wise (1978), S. 404. Die Ausgangsbasis der Attraktionsmodelle bildet die axiomatische Herleitung der stochastischen Nutzentheorie von Luce. Vgl. Bradley/Terry (1952); Luce (1959). Vgl. Dannewald et al. (2008), S. 9.
30
2 Konzeptionelle Grundlagen zur Markenbindung
stärker von der Nutzenbewertung entkoppelt ist und ein Markenwechsel einen eigenen, nicht erfassbaren Nutzenwert darstellt, wie beispielsweise der Abwechslung im Konsum, auch bekannt als Variety Seeking.194 Dies trifft insbesondere auf Verbrauchsgüter mit häufiger Kauffrequenz zu, wie beim Kauf von Lebensmitteln bzw. allgemein Produkten des täglichen Bedarfs. Bei industriellen Kaufentscheidungen kommt diesen Modellen folglich weniger Bedeutung zu, da gerade hier versucht wird, unter zu Zuhilfenahme von Instrumenten wie DSS, die nutzenmaximale Wahl zu treffen.195 Trotz der unterstützenden Systeme ist davon auszugehen, dass der Entscheidungsträger nur beschränkt rational handeln kann,196 da er kognitiven, emotionalen und sozialen Restriktionen unterworfen ist.197 Insbesondere die kognitiven Restriktionen in Form von Fähigkeit des Entscheidungsträgers Informationen aufzunehmen, zu verarbeiten, und zu speichern werden durch DSS verringert. Emotionale Restriktionen in Form von Emotionen und Motiven können die Richtung und Effizienz des Entscheidungsprozesses beeinflussen.198 Ebenso ist der Entscheidungsträger nicht von seiner Umwelt losgelöst, sondern steht unter unmittelbarem sozialen Einfluss.199 Dementsprechend kann unterstellt werden, dass der Entscheidungsträger die nutzenmaximale Entscheidung treffen möchte, diese Entscheidung aber den soeben aufgezeigten Beschränkungen unterworfen ist bzw. die nutzenmaximale Alternative unter Bedingung der Einflüsse gewählt wird. Klassischerweise werden aber weder bei prognoseorientierten noch bei zufallsnutzenbasierten Wahlmodellen Aussagen über die Wirkungszusammenhänge innerhalb der Black-Box getroffen. Dieser Aspekt wird wiederum bei verhaltenswissenschaftlichen Analysen im Sinne einer Strukturaufdeckung der Komponenten der Black-Box im Rahmen von Strukturgleichungsmodellen, Structural Equation Models (SEM), betrachtet.200 Hier werden Zusammenhänge zwischen latenten Konstrukten untersucht, die so Aufschluss über den Entscheidungsprozess geben können.201 Hierbei wird jedoch vorrangig die Verhaltensabsicht und nicht das tatsächliche Verhalten beobachtet. Wie bereits ausgeführt wurde, ist dies insofern kritisch, da die Verhaltensabsicht nicht mit tatsächlichem Verhalten korrespondieren muss.202 Aber es können auch in zufallsnutzenbasierten Modellen Variablen berücksichtigt werden, die vorzugsweise in verhaltenswissenschaftlichen Untersuchungen herangezogen werden.203 Der grundlegende Vorteil der Verknüpfung von RUM mit verhaltenswissenschaftlichen Variablen
194 195 196 197 198 199 200 201 202 203
Vgl. Teichert (2001), S. 76. Vgl. hierzu beispielsweise Shim et al. (2002). Vgl. March (1996), S. 160f. Vgl. Kroeber-Riel/Weinberg (2003), S. 380; Peter/Olson (2008), S. 48ff. Vgl. Kroeber-Riel/Weinberg (2003), S. 380; Trommsdorff (2004), S. 158f. Vgl. Kroeber-Riel/Weinberg (2003), S. 380; Peter/Olson (2008), S. 24 und 151f. Vgl. Ben-Akiva et al. (2002), S. 164; Dannewald et al. (2008), S. 8. Vgl. hierzu beispielsweise Bagozzi (1982); Fornell/Bookstein (1982). Siehe hierzu Ausführungen in Abschnitt 2.1.3. Vgl. hierzu Manski/McFadden (1981).
2.2 Grundlagen zur Wechselentscheidung industrieller Nachfrager
31
ist darin begründet, dass zusätzliche Informationen zur Analyse des Kaufverhaltens herangezogen werden können und somit ein weiterreichendes Verständnis und realitätsnähere Ergebnisse möglich sind.204 Der wesentliche Vorteil begründet sich durch die Erhebungsform selbst, da Rückschlüsse auf die Präferenzen über die Erfassung des Wahlverhaltens der Entscheidungsträger abgeleitet werden und nicht anhand von Erhebung der Verhaltensabsicht.205 Grundsätzlich gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, die Variablen mit einzubeziehen. Darauf wird in Abschnitt 5.2 der empirischen Modellprüfung näher eingegangen. Vor diesem Hintergrund erscheint es insofern sinnvoll, auf ein zufallsnutzenbasiertes Modell zurückzugreifen. Folglich soll für die weitere Untersuchung der Wechselentscheidung von industriellen Nachfragern ein RUM-Modell herangezogen werden, da dieses die wesentlichen Vorteile bietet, tatsächliches Entscheidungsverhalten der Entscheidungsträger zu erfassen und verhaltenswissenschaftliche Aspekte mit einzubeziehen. Im nachfolgenden Abschnitt wird nun auf die Grundlagen von Entscheidungsprozessen in Hinsicht auf das RUM-Modell eingegangen.
2.2.2
Präferenzen im organisationalen Entscheidungsprozess
Um die Bedürfnisse des Kunden verstehen zu können und damit eine entsprechende Marketingstrategie zu entwickeln, ist es zentral, nachvollziehen zu können, wie Wechselentscheidungen getroffen werden.206 Zur Beschreibug von Kaufentscheidungen wird klassischerweise eine prozessuale Darstellung gewählt.207 Abbildung 2.6 stellt den fünfstufigen Kaufentscheidungsprozess nach Webster/Wind (1972b) dar.208 Der Kaufentscheidungsprozess wird ausgelöst durch das Erkennen der Problem- bzw. Bedürfnissituation. In der Regel folgt die Identifizierung der Anforderungen an das Leistungsangebot, welche eine Bedürfnisbefriedigung sicherstellen sollen. In der darauffolgenden Kaufphase werden die Alternativen bzw. diejenigen Anbieter identifiziert, die hierzu potenziell in der Lage sind. Diese werden daraufhin bewertet, um auf Basis dieser Bewertung die Kaufentscheidung zu treffen.
204 205
206 207
208
Vgl. Dannewald et al. (2008), S. 14. Für eine ausführliche Darlegung der Unterschiede zwischen der Erfassung der Verhaltensabsicht und Verhalten siehe Abschnitt 2.1.1. Vgl. Kotler (1997), S. 365. Für eine Übersicht der unterschiedlichen prozessualen Darstellungen siehe Backhaus/Voeth (2007), S. 45. Eine weitere Variante des Interaktions- und Kaufprozesses für individualisierte Produkte liefern Reichwald et al. (2006a), S. 118ff. Vgl. Webster/Wind (1972b).
2 Konzeptionelle Grundlagen zur Markenbindung
32
Erkennen der Problem- bzw. Bedürfnissituation
Abb. 2.6
Ziel- und Anforderungsidentifizierung
Identifizierung der Alternativen
Bewertung der Alternativen
Kaufentscheidung
Fünf-Phasen-Modell eines Kaufentscheidungsprozesses209
Ebenso wird im Zusammenhang der Untersuchung des Kaufverhaltens auf die Beschreibung des Selektionsprozesses über die Zusammensetzung sogenannter Sets zurückgegriffen. Dabei werden Sets beschrieben, die sich aus unterschiedlichen Alternativen zusammensetzen und sich im Laufe des Entscheidungsprozesses verdichten. Abbildung 2.7 stellt die Selektion der Alternativen und die dazugehörigen Sets am Beispiel von TK-Lösungsanbietern dar.210 Nachdem der Schwerpunkt der Betrachtung auf der Wechselentscheidung von industriellen Nachfragern liegt, fokussiert sich die Untersuchung auf die vierte und die letzte Phase der Kaufentscheidung: „Bewertung der Alternativen“ und „Kaufentscheidung“. Damit wird unterstellt, dass bereits die relevanten Alternativen identifiziert wurden, d.h. ein Relevant Set (auch Evoked Set, Consideration Set oder Accept Set) gebildet wurde. Bei der „Bewertung der Alternativen“ wird auf Basis der Informationssammlung und -verarbeitung durch den Entscheidungsträger eine Beurteilung relevanter Eigenschaften und deren Ausprägungen vorgenommen. Dabei kann die Bewertung entweder auf Basis nicht-kompensatorischer oder kompensatorischer Entscheidungsregeln erfolgen.211 Die beiden Formen werden nachfolgend näher beschrieben, um zu erläutern, wie auf Basis des beobachtbaren Wahlverhaltens Rückschlüsse zu den Präferenzen der Entscheidungsträger abgeleitet werden können.
209 210
211
In Anlehnung an Webster/Wind (1972a), S. 31ff. Für eine Beschreibung der Sets sei verwiesen auf Böcker/Helm (2003), S. 175f.; Kotler/Bliemel (2006), S. 297; Peter/Olson (2008), S. 168f. Vgl. Kroeber-Riel/Weinberg (2003), S. 312; Trommsdorff (2004), S. 308.
2.2 Grundlagen zur Wechselentscheidung industrieller Nachfrager
33
Verfahren zur Präferenzmessung Available-Set Agfeo Alcatel Auerswald Avaya Bell Cisco DeTeWe Funkwerk Nortel Panasonic Siemens
Awareness-Set Alcatel Auerswald Avaya Bell Cisco Funkwerk Nortel Siemens
Unawareness-Set Agfeo Alcatel DeTeWe Panasonic …
Processed-Set
Evoked-Set
Hold-Set Nortel
Inert-Set
Inept-Set
Auerswald …
Funkwerk
Nicht-kompensatorische Entscheidung
Abb. 2.7
Choice
Alcatel Avaya Cisco Siemens
Alcatel Auerswald Avaya Bell Cisco Funkwerk Nortel Siemens
Trade-Off
Selektion der Alternativen212
Nicht-kompensatorische Entscheidungsregeln kennzeichnen sich durch eine einfache Struktur und Anwendbarkeit. Insofern tragen sie der beschränkten Informationsverarbeitungskapazität der Entscheidungsträger Rechnung.213 Bei nicht-kompensatorischen Modellen wird angenommen, dass der Entscheidungsträger einen Mindeststandard von allen Attributen ansetzt. Hingegen kann bei kompensatorischen Modellen der Nachteil eines Attributs durch den Vorteil eines anderen kompensiert werden, beispielsweise kann ein weniger attraktives Endgerätdesign durch ein Mehr an Servicequalität ausgeglichen werden.214 Folglich werden bei kompensatorischen Entscheidungsphasen typischerweise Trade-off-Entscheidungen zwischen den Eigenschaftsausprägungen verschiedener Angebotsalternativen aus dem Relevant Set getroffen, die mit Hilfe von Verfahren der Präferenzmessung erfasst werden können.215 Der Trade-off aus Kundensicht wird anhand der Nutzenerwartung und dem jeweils abhängigen individuellen Wahrnehmungs- und Bewertungsverhalten sowie deren Verwendungszwecktauglichkeit bewertet.216 Entscheidungsträger kaufen deshalb keine Eigenschaftsbündel, sondern vielmehr Nutzenbündel.217 Dieser Auffassung folgend, kann ein
212 213 214
215
216 217
In Anlehnung an Böcker/Helm (2003), S. 175f.; Kotler/Bliemel (2006), S. 297. Vgl. Gutman (1982), S. 62; Jacoby (1977), S. 569. Vgl. Kroeber-Riel/Weinberg (2003), S. 312. Dabei greift der Entscheidungsträger auf unterschiedliche Beurteilungsmodelle zurück. Vgl.Ebenda, S. 311. Vgl. Green/Srinivasan (1978). Daher sollten auch die Ausprägungen der Attribute einer Alternative so gewählt werden, dass sie zu einem kompensatorischen Entscheidungsprozess führen. Vgl. Voeth (2000), S. 69. Vgl. Gutman (1982), S. 61. Vgl. Voeth (2000), S. 14ff.
2 Konzeptionelle Grundlagen zur Markenbindung
34
Leistungsangebot als Set of Benefits interpretiert werden.218 Der Begriff Nutzen wird hier im Sinne der ökonomischen Nutzenlehre (Utility) verwendet, welcher ein hypothetisches Konstrukt darstellt, um Präferenzen zu beschreiben.219 Als hypothetisches Konstrukt ist Nutzen empirisch nicht beobachtbar, sondern wird allein über das Wahlverhalten der Entscheidungsträger abgeleitet.220 Demnach werden die Vorgänge der vierten Phase des Kaufprozesses „Bewertung der Alternativen“ über die Ermittlung der Präferenzen indirekt über das beobachtbare Kaufverhalten der letzten Phase „Kaufentscheidung“ erfasst. Als Ergebnis werden die Präferenzen in Form von Nutzenbeiträgen der einzelnen Attribute abgeleitet. Präferenzen können folglich als Basis für die Herausbildung einer Kaufabsicht interpretiert werden, welche wiederum als Prädiktoren für das Verhalten eines Entscheidungsträgers fungieren.221 Abbildung 2.8 stellt den Zusammenhang zwischen Präferenz und Entscheidung zur Verdeutlichung graphisch dar. Das Bewertungsurteil wird im Rahmen dieser nicht-beobachtbaren Prozesse der Informationsaufnahme und -verarbeitung herausgebildet und durch Einstellung sowie Wahrnehmung beeinflusst.222
Beobachtbar
Objektive Beschreibung der Alternativen
Stimulus
Nicht beobachtbar
Perzeptionsbildungsprozess
Perzeption der Alternativen
Präferenzbildungsprozess
Präferenzurteil Entscheidungsträger
Beobachtbar
Auswahlabsichtsbildungsprozess
Individuelle Auswahlabsichtsurteile Entscheidungsträgers
Objekt
Auswahlprozess
Auswahl Alternative
Response
Prozessablauf
Abb. 2.8
Prozessmodell individueller Auswahlentscheidungen223
Folglich lässt sich festhalten, dass die Präferenzen als Prädiktor des Entscheidungsverhaltens herangezogen werden. Grundsätzlich können Präferenzen über die Beobachtung des Entscheidungsverhaltens als Revealed Preferences erfasst werden oder in Form von
218 219 220 221 222 223
Vgl. Kotler/Bliemel (2006), S. 13f. Bisher existieren keine anwendbaren Ansätze zur direkten Nutzenmessung. Vgl. Teichert (2001), S. 26. Vgl. Voeth (2000), S. 23. Vgl. Hsiao et al. (2002), S. 11ff. Vgl. Gutman (1982), S. 61; Kroeber-Riel/Weinberg (2003). In Anlehnung an Böcker (1986), S. 522 und Voeth (2000), S. 53.
2.2 Grundlagen zur Wechselentscheidung industrieller Nachfrager
35
Experimenten als Stated Preferences.224 Tabelle 2.2 stellt die Unterschiede der beiden Formen von Präferenzen dar. Nachfolgend werden die Präferenzen erläutert. Revealed Preference
Stated Preference
Basiert auf tatsächlichem Verhalten
Basiert auf hypothetischen Szenarien
Attributsmessfehler
Attributframingfehler
Begrenzte Attributsauswahl
Erweiterte Attributsauswahl
Attributskorrelation
Designbasierte Vermeidung von Korrelation der Attribute
Schwierigkeit Messung intangibler Attribute
Abbildung intangibler Attribute
Prognose für Erfolg neuer Alternativen nicht möglich
Prognose für Erfolg neuer Alternativen möglich
Präferenzindikator ist Wahl
Präferenzindikator kann Rang, Rating oder Wahlabsicht sein
Kognitiv kongruent mit Marktnachfrage
Evtl. kognitiv nicht kongruent
Tab. 2.2
Unterschiede von Revealed und Stated Prefences225
Revealed Preferences kennzeichnen sich dadurch aus, dass diese auf tatsächlichem Marktverhalten basieren und dass aufgrund der Kaufhandlung der Entscheidungsträger dessen tatsächliche Präferenzen offengelegt (revealed) werden können.226 Mit dem Kauf eines Produktes, welches für eine bestimmte Merkmalskombination steht, wird erfasst, dass der Entscheidungsträger diese Kombination bei gegebenem Budget und Preis anderen Alternativen vorzieht. Anhand der beobachtbaren Präferenzen kann grundsätzlich auf den Nutzen geschlossen werden. Dies setzt die Annahme voraus, dass die Entscheidung auf Basis eines Kosten-Nutzen-Kalküls getroffen wird. Letztlich wird der Nutzen somit nicht direkt gemessen, sondern indirekt über die Präferenzerfassung. Stated Preferences basieren auf hypothetischen Szenarien, die innerhalb von experimentellen Untersuchungsansätzen erhoben werden. Wesentlicher Vorteil von geäußerten Präferenzen sind die Berücksichtigung von intangiblen Attributen und die Vermeidung von Korrelation der Attribute, da das Untersuchungsdesign innerhalb des Experiments erzeugt bzw. manipuliert wird. Daraus ergeben sich aber auch die Schwächen von geäußerten Präferenzen. So wird eventuell das Nachfrageverhalten des Markts nicht in geeigneter Weise abgebildet, wodurch Verzerrungen bei der Prognose begünstigt werden können.227 Für die vorliegende Fragestellung scheinen geäußerten Präferenzen die entsprechenden Gestaltungsspielräume zu eröffnen, um Rückschlüsse auf das Wechselverhalten von
224 225 226 227
Vgl. Hammann/Erichson (2000), S. 374; Grewal et al. (1998), S. 92ff. In Anlehnung an Hensher et al. (2007), S. 92ff.; Louviere et al. (2000), S. 228ff. Vgl. Trommsdorff et al. (1980), S. 272. Vgl. Louviere et al. (2000), S. 231.
2 Konzeptionelle Grundlagen zur Markenbindung
36
industriellen Nachfragern zu ermöglichen. Grundsätzlich besteht auch die Möglichkeit die beiden Ansätze integriert einzusetzen, um deren Vorteile zu nützen. Jedoch gestaltet es sich problematisch, beobachtbare Präferenzen im B2B-Bereich zu erhalten, da im Vergleich zum B2C-Bereich keine Scannerdaten vorliegen. Folglich wird aufgrund der Gestaltungsspielräume von geäußerten Präferenzen und dem Fehlen von beobachtbaren Präferenzen im B2B-Bereich zu Gunsten eines experimentellen Untersuchungsansatzes im Sinne von geäußerten Präferenzen entschieden.228 Nachdem die Grundlagen des Entscheidungsprozesses dargelegt wurden, soll nun in Abschnitt 2.2.3 auf die Besonderheiten des organisationalen Entscheidungsprozesses eingegangen werden.
2.2.3
Besonderheit des organisationalen Entscheidungsprozesses
Die Besonderheiten des organisationalen Beschaffungsverhaltens werden u. a. von Backhaus/Voeth (2007) und Johnston/Lewin (1996) zusammengefasst.229 Demnach lässt sich die Beschaffung im industriellen Bereich als ein Problemlösungs- und Entscheidungsprozess, an dem mehrere Personen beteiligt sind und der durch aktives Informationsverhalten und häufiger Interaktion gestaltet wird, kennzeichnen.230 Dabei wird dieser Prozess durch situative Faktoren beeinflusst.231 Grundsätzlich können die Beiträge des OBB danach unterschieden werden, inwieweit sie das organisationale Beschaffungsverhalten im Rahmen von Partialansätzen oder Totalmodellen untersuchen.232 Die Beiträge des OBB sind so zahlreich, dass hier die zentralen Konzepte dargelegt werden sollen, die für die weitere Betrachtung von Bedeutung sind.233 Als Ausgangspunkt zur Betrachtung der Besonderheiten der organisationalen Wechselentscheidung soll das integrierte Modell von Johnston/Lewin (1996) herangezogen werden, das auf den bisherigen OBB Beiträgen basiert und daher die zentralen Aspekte des Entscheidungsverhaltens wiedergibt. Abbildung 2.9 stellt das Modell der organisationalen Beschaffung graphisch dar.234 Das Modell integriert u.a.:
228 229 230 231 232 233 234 235 236
das Buygrid-Modell nach Robinson, Farris und Wind (1967),235
die Systematisierung der zahlreichen Einflussfaktoren und deren wechselseitige Beziehungen des Konzepts von Webster und Wind (1972),236
Für eine ausführliche Herleitung des Untersuchungsdesigns sei auf Abschnitt 5.2 verwiesen. Vgl. Backhaus/Voeth (2007), S. 9ff. Vgl. Ebenda, S. 39ff; Johnston/Lewin (1996), S. 2. Vgl. Kauffman (1996), S. 95; Sheth/Sharma (1973), S. 51. Vgl. Backhaus/Voeth (2007), S. 43ff. Für einen Überblick sei verwiesen auf Dwyer/Tanner (2009) und Reid (2000). Vgl. Johnston/Lewin (1996), S. 3. Vgl. Robinson et al. (1967), S. 13ff. Vgl. Webster/Wind (1972b).
2.2 Grundlagen zur Wechselentscheidung industrieller Nachfrager
37
sowie die psychologischen Aspekte des Entscheidungsverhaltens und die Determinanten der kollektiven Entscheidungsfindung des Modells von Sheth (1973).237
Auf diese drei Aspekte soll im Folgenden näher eingegangen werden. Charakteristika Umwelt: Physische Politische Ökonomische
Anbieter Wettbewerber Technologische
Charakteristika Organisation: Größe Struktur Orientierung Aufgaben & Ziele Technologie Anreize
Charakteristika Kauf: Risiko Buy Tasks Produkttyp Zeit Kaufwichtigkeit Komplexität
Konflikt/Verhandlung: Kooperativ Überzeugend Verhandelnd Politisch Machtausnutzung
Entscheidungsregeln
Prozess: 1. Bedürfniserkennung 2. Anforderungsidentifizierung 3. Identifizierung Alternativen 4. Bewertung Alternative 5. Kaufentscheidung 6. Evaluierung nach Kauf
Charakteristika Gruppe: Größe Struktur Autorität
Role Stress
Charakteristika der Partizipierenden: Ausbildung Motivation Persönlichkeit Risikopräferenz Erfahrung Charakteristika Informationen: Nachricht Quellen Notwenige Menge Aktive Suche Machtausnutzung Verzerrung
Charakteristika Leistungsangebot: Preis Produkt Qualität Service Image
Abb. 2.9
Rechtliche Kulturelle Globale
Mitglied Erfahrung Erwartung
Führungsstil Ziele Hintergrund
Integriertes OBB Modell nach Johnston und Lewin238
Im Rahmen des Buygrid-Modells werden die Kaufphasen (Process oder Stage), der Kauftyp (Buy Class) sowie die Ausgestaltung der Kaufphasen in Abhängigkeit vom Kauftyp betrachtet. Robinson et al. (1967) unterscheiden drei Kauftypen: 239
erstmalige Beschaffung eines bestimmten Investitionsgutes (New Task)
Wiederbeschaffung eines Investitionsgutes mit Abweichungen zur ersten Beschaffungssituation (Modified Rebuy)
Routineentscheidung, Wiederbeschaffung unter den gleichen Beschaffungsbedingungen (Straight Rebuy)
Die Klassifizierung des Kauftyps bestimmt sich anhand von drei Dimensionen: Informationsbedarf, Erwägung aller Alternativen sowie Neuheit der Aufgabe. Da die drei Dimensionen allerdings miteinander korrelieren, können diese auf eine Dimension, die 237 238 239
Vgl. Sheth (1973). In Anlehnung an Johnston/Lewin (1996), S. 3. Vgl. Robinson et al. (1967), S. 28.
2 Konzeptionelle Grundlagen zur Markenbindung
38
Neuartigkeit der Kaufsituation, reduziert werden.240 Demzufolge gestaltet sich die Ausprägung der Dimension hoch bei erstmaliger Beschaffung, durchschnittlich bei Wiederbeschaffung und niedrig bei Routineentscheidungen.241 McQuiston (1989) identifiziert darüber hinaus die Wichtigkeit der Kaufsituation als beeinflussenden Faktor der Kaufsituation.242 Die Wichtigkeit des Kaufs kann als wahrgenommener Einfluss auf die Profitabilität und Produktivität der Organisation definiert werden.243 Folglich lässt sich festhalten, dass der Kauftyp und die Wichtigkeit des Kaufs zur Beschreibung der Kaufsituation herangezogen werden sollten. Webster und Wind (1972) unterteilen die Einflussfaktoren des organisationalen Beschaffungsverhaltens in individuelle, soziale, organisationale und situative Einflüsse, die zudem danach differenziert werden können, ob sich diese auf ein konkretes Beschaffungsproblem (Task) beziehen oder allgemeiner Natur sind (Nontask).244 Hierbei ist anzumerken, dass es keine strikte Abgrenzung zwischen den beiden Formen gibt, sondern eine Beschaffungsentscheidung sowohl task als auch nontask Aspekten unterworfen ist. Daher soll dieser Aspekt im Weiteren vernachlässigt werden. Nachfolgend werden die einzelnen Einflusskategorien kurz erläutert. In Abschnitt 2.4 werden die Kategorien wieder aufgegriffen, nachdem die zentralen Faktoren im Rahmen der Literaturanalyse identifiziert werden, die bei der Untersuchung des Betrachtungsgegenstandes berücksichtigt werden sollten. Der Einfluss des Individuums im organisationalen Entscheidungsprozess stellt die zentrale Größe dar, da „only the individual as an individual or a member of a group can define and analyze buying situations, decide, and act. […] It is the specific individual who is the target for marketing effort, not the abstract organisation“245 Dementsprechend sollten die psychologischen Entscheidungsdeterminanten der jeweiligen industriellen Entscheidungsträger bei der Analyse der Wechselentscheidung berücksichtig werden, wie im Modells von Sheth (1973) erfasst wird.246 Zentrale Komponente sind die Erwartungen des Entscheidungsträgers, die durch den Erfahrungshorizont der Individuen, die aktive Informationssuche, der selektiven Wahrnehmung und der Zufriedenheit mit den abgewickelten Käufen beeinflusst werden.247 Die sozialen Faktoren beachten, dass das Individuum im sozialen Umfeld agiert. Der soziale Faktor wirkt sich auf das Verhalten des Entscheidungsträgers aus. So ist davon auszugehen, dass sich dieser im organisationalen Kontext anders entscheidet als wenn er die Entscheidung losgelöst für sich treffen würde. Diese Thematik wird in der Regel über ein Rollenkonzept
240 241 242 243 244 245 246 247
Vgl. Homburg et al. (2006), S. 286. Vgl. Robinson et al. (1967), S. 25. Vgl. McQuiston (1989). Vgl.Ebenda, S. 70. Vgl. Webster/Wind (1972b), S. 13. Ebenda, S. 18. Vgl. Sheth (1973), S. 51. Vgl. Ebenda.
2.2 Grundlagen zur Wechselentscheidung industrieller Nachfrager
39
berücksichtigt. Dabei wird die Rolle des Entscheidungsträgers in der Organisation und dessen Funktion erfasst.248 Webster und Wind (1972) unterscheiden: Einkäufer (Buyer), Benutzer (User), Einflussnehmer (Influencer), Informationsselektierer (Gatekeeper) und Entscheider (Decider).249 Indes hat diese Rollenunterteilung kaum empirische Prüfung erfahren,250 sondern es wird in der Regel auf die Messung der Einflussstärke von Buying CenterMitgliedern zurückgegriffen.251 Wie bereits dargelegt wurde, stellt das OBB eine Entscheidung eines Individuums dar. Über die Messung der Einflussstärke soll sichergestellt werden, welchen Einfluss die Beteiligten haben und in Konsequenz, wer maßgeblich die Entscheidung beeinflusst. Nur das Individuum als Mitglied einer Gruppe ist in der Lage, Beschaffungsentscheidungsaufgaben zu bearbeiten, Kaufentscheidungssituationen zu analysieren und die Entscheidung zu treffen.252 Folglich ist das Verhalten des Individuums zu betrachten,253 u. a. weil die Entscheidungen von Individuen unterschiedlich bewertet werden254 und diese beispielsweise das Risiko, das mit der Entscheidung verbunden ist, unterschiedlich wahrnehmen.255 Würden die Unterschiede aufgrund der individuellen Charakteristika vernachlässigt, könnte dies zu Verzerrungen führen. Darüber hinaus beeinflussen die organisationalen Rahmenbedingungen das OBB. Webster und Wind (1972) erfassen diese über die formale Organisationsstruktur, die eingesetzte Technologie und die Struktur des Buying Centers.256 Das Buying Center setzt sich aus Personen zusammen, die am Entscheidungsprozess mitwirken. Die bedeutendsten Untersuchungsbereiche sind: Das Konzept des Buying Centers, Mitglieder, Einfluss der Mitglieder und die Kommunikation im Buying Center. So wird der Einfluss des Buying Centers,257 die Buying Center Struktur,258 die Konflikte im Buying Center259 sowie die Informationssuche260 analysiert. Welche Aspekte letztlich bei der Untersuchung berücksichtigt werden sollten, muss im Zusammenhang des konkreten Untersuchungsgegenstandes geklärt werden. Situative Faktoren umfassen alle physikalischen (Geographie, Klima oder Ökologie), technischen, ökonomischen, politischen, rechtlichen und kulturellen Faktoren.261
248 249 250
251 252 253 254 255 256 257 258 259 260 261
Vgl. Kauffman (1996), S. 99. Vgl. Webster/Wind (1972a), S. 78ff. Vgl. Backhaus/Voeth (2007), S. 54. Daneben gibt es weitere Rollenkonzepte wie das Promotoren-/ Opponenten-Modell nach Witte (1976) oder den Gatekeeper-Ansatz nach Allen (1967). Vgl. hierzu Witte (1976) und Allen (1967). Vgl. Backhaus/Voeth (2007), S. 67. Vgl. Webster/Wind (1972b), S. 18. Vgl. Puto et al. (1985), S. 90. Vgl. Qualls/Puto (1989), S. 182ff. Vgl. Peters/Venkatesan (1973); Puto et al. (1985); Sweeney et al. (1973). Vgl. Webster/Wind (1972b), S. 16f. Vgl. Spekman/Stern (1979). Vgl. McCabe (1987). Vgl. Barclay (1991). Vgl. Patton et al. (1986/5); Weiss/Heide (1993). Vgl. Webster/Wind (1972b).
2 Konzeptionelle Grundlagen zur Markenbindung
40
Untersuchungen zum Einfluss des Umfelds weisen diesen u. a. auf die Größe des Buying Centers,262 die Zusammensetzung des Buying Centers,263 die Entscheidungskriterien,264 die Unterschiede zwischen Produkthersteller und Service Providern265 und die Präferenzen bzw. der Auswahlentscheidung nach.266 Außerdem wird im Rahmen der situativen Einflüsse insbesondere die Unsicherheit hinsichtlich ihres Einflusses auf den Entscheidungsprozess betrachtet.267 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Besonderheiten des organisationalen Beschaffungsverhaltens über die Beschreibung der konkreten Entscheidungssituation im Sinne von Robinson et al. (1967), der Einflussfaktoren des OBB nach Webster und Wind (1972) und der psychologischen Aspekte beim Entscheidungsverhalten des Entscheidungsträgers wie bei Sheth (1973) erfasst werden sollten.268 Die konkreten Einflussfaktoren, die bei der Untersuchung betrachtet werden sollen, werden nachfolgend im Rahmen der Literaturanalyse identifiziert.
2.3 Literaturanalyse der Untersuchungen von Wechselentscheidungen Im Weiteren werden die Beiträge aus den relevanten Forschungsgebieten des OBB Forschungsbereichs, des Relationship Marketings und des Brand Marketings erfasst, die das Wechselverhalten von industriellen Nachfragern empirisch überprüfen. Die Beiträge werden danach unterteilt, ob sie die Wiederkaufsabsicht (Abschnitt 2.3.1), die Kundenloyalität (Abschnitt 2.3.2) oder das Wiederkaufsverhalten (Abschnitt 2.3.3) als Untersuchungsobjekt analysieren. Tabelle 2.3 stellt die Forschungsbeiträge in Übersicht dar. Bei der nachfolgenden Literaturanalyse wird der Schwerpunkt der Betrachtung auf die Beiträge für den B2B-Bereich gelegt, da hierin der Fokus der Untersuchung liegt.
Bereich Wiederkaufsabsicht
262 263 264 265 266 267 268
B2B
B2C
Antón et al. (2007)
Anderson/Sullivan (1993)
Hutton (1997)
Hellier et al. (2003)
Kumar (2002)
Jones et al. (2000)
Liu et al. (2005)
Mittal/Kamakura (2001)
Patterson/Spreng (1997)
Varki/Colgate (2001)
Vgl. Crow/Lindquist (1985). Vgl. Jackson et al. (1984). Vgl. Möller und Laaksonen (1986). Vgl. GrØnhaug (1976). Vgl. Webster/Wind (1972b). Vgl. Peters/Venkatesan (1973); Puto et al. (1985); Sweeney et al. (1973). Vgl. Robinson et al. (1967); Sheth (1973); Webster/Wind (1972b).
2.3 Literaturanalyse der Untersuchungen von Wechselentscheidungen Loyalität
41
Bayón/Wangenheim (2005)
Andreassen/Lindestad (1998)
Lam et al. (2004)
Bloemer/Kasper (1995)
Michell et al. (2001)
Bloemer/de Ruyter (1998) Evanschitzky/Wunderlich (2006) Ganesh et al. (2000) Kasper (1988) Lee et al. (2001) Mittal/Lassar (1998) Oliva et al. (1992) Olsen (2002)
Wiederkaufsverhalten
Bendixen et al. (2004)
Athanassopoulos (2000)
Bolton et al. (2008)
Ansari et al. (1995)
Bolton et al. (2006)
Givon (1984)
Heide/Weiss (1995)
Guadagni/Little (1983)
Homburg et al. (2006)
Kahn et al. (1986)
Li et al. (2006)
Mittal/Kamakura (2001)
Mudambi (2002) Paulssen/Birk (2007) Wathne et al. (2001) Whitten/Leidner (2006)
Tab. 2.3
2.3.1
Literaturüberblick von Untersuchungen zur Wechselentscheidung
Literatur zur Untersuchung der Wiederkaufsabsicht
Die Literatur, die das Phänomen des Wechselverhaltens betrachtet, ist verhältnismäßig umfangreich und daher wird nicht der Anspruch auf Vollständigkeit erhoben. Nachfolgend werden die zentralen Beiträge aufgelistet und anschließend näher erläutert. Tabelle 2.4 stellt die zentralen Aspekte der Beiträge dar. Anwendungsbereich
Beitrag
Unabhängige Variablen
Abhängige Variable
Modell
Anderson/ Sullivan (1993)
Kundenzufriedenheit
Wiederkaufsabsicht
Regression
B2C Produkt und Service
Antón et al. (2007)
Kundenzufriedenheit
Wechselabsicht
SEM
B2B Service
Servicequalität Commitment Preis Beschwerdemanagement
2 Konzeptionelle Grundlagen zur Markenbindung
42 Hellier et al. (2003)
Servicequalität
Wiederkaufsabsicht
SEM
B2C Service
Wechselabsicht
Regression
B2B Brand
Wiederkaufsabsicht
Regression
B2C Service
Wiederkaufsabsicht
Regression
B2B Service
Anteil an Wiederkaufsabsicht
SEM
B2B Service
Wechselabsicht und -verhalten
Regression
B2C Service
Wiederkaufsabsicht
SEM
B2B Service
Equity Markenpräferenz Kundenzufriedenheit Loyalität Wechselkosten Markenpräferenz
Hutton (1997)
Verfügbarkeit Brand Reputation Kundenservice Innovationsfähigkeit Preis Qualität Personelle Beziehung Zuverlässigkeit
Jones et al. (2000)
Kundenzufriedenheit Personelle Beziehung Wechselkosten Attraktivität von Alternativen
Kumar (2002)
Kundenzufriedenheit Attributzufriedenheit Lebenszykluskosten
Liu et al. (2005)
Kundenzufriedenheit Wechselkosten Kundennutzen Interaktionseffekt: Dauer der Kundenbeziehung
Mittal/Kamakura (2001)
Kundenzufriedenheit
Patterson/Spreng (1997)
Kundenzufriedenheit
Individuelle Charakteristika (Alter, Geschlecht, Ausbildung)
Entscheidungssituation (Neuartigkeit, Wichtigkeit, Komplexität) Individuelle Charakteristika
2.3 Literaturanalyse der Untersuchungen von Wechselentscheidungen
43
(Unsicherheit, Beteiligung) Varki/Colgate (2001)
Kundenzufriedenheit Kundennutzen Preis Qualität
Tab. 2.4
Wiederkaufsabsicht und Weiterempfehlungsabsicht
SEM
B2C Service
Literaturüberblick von Untersuchungen zur Verhaltensabsicht
Wie aus der Tabelle ersichtlich wird, stellt die Kundenzufriedenheit die zentrale Determinante bei der Untersuchung des Wechselverhaltens dar. Dabei wird der Zusammenhang zwischen Wechselabsicht und Kundenzufriedenheit differenzierter betrachtet, da die Beziehung als komplex angesehen wird und weiterer Untersuchung bedarf.269 So werden weitere Kundennutzen- und Kostenaspekte in die Betrachtung mit einbezogen. Der Kundennutzen wird als Ergebnis des Vergleichsprozesses des Kosten-Nutzen-Kalküls interpretiert.270 Allerdings wird der direkte Einfluss des Kundennutzens nur von Liu et al. (2005) empirisch bestätigt.271 Hingegen unterstützen Varki/Colgate (2001) den Einfluss des Kundennutzens über die Kundenzufriedenheit und können den direkten Einfluss des Kundennutzens auf die Wiederkaufsabsicht empirisch nicht bestätigen.272 Das kontroverse Ergebnis kann auf die Messung des Kundennutzens zurückgeführt werden. Li et al. (2005) konzeptionalisieren den Kundennutzen im Vergleich zu Angeboten von Wettwerbern.273 Varki/Colgate (2001) erfassen den Kundennutzen nur in Bezug auf das Angebot über das Kosten-NutzenVerhältnis.274 Es scheint jedoch angemessener zu sein, das Kosten-Nutzen-Kalkül sowohl auf das Angebot selbst wie auch auf den Vergleich zwischen den Anbietern zu beziehen, da so ein realitätsnahes Abbild der Wechselentscheidung gewährleistet werden kann. Folglich soll die Sichtweise von Liu et al. (2005) unterstützt werden, in der eine Geschäftsbeziehung fortgesetzt wird, wenn der Kundennutzen des Leistungsangebots des fokalen Anbieters höher ist als der der Wettbewerber.275 In Verbindung mit der Nutzenbetrachtung werden auch die Wechselkosten untersucht, da diese die Kosten beeinflussen können.276 Als weiterer Kostenaspekt wird der Preis des Leistungsangebots berücksichtigt.277 Kumar (2002) erfasst den Kostenaspekt über die
269 270 271 272 273 274 275 276 277
Vgl. Kumar (2002), S. 65. Vgl. Liu et al. (2005), S. 560; Varki/Colgate (2001), S. 236. Vgl. Liu et al. (2005), S. 566. Vgl. Varki/Colgate (2001), S. 238. Vgl. Liu et al. (2005), S. 563. Vgl. Varki/Colgate (2001), S. 236. Vgl. Liu et al. (2005), S. 560. Vgl. Hellier et al. (2003); Jones et al. (2000); Liu et al. (2005). Vgl. Antón et al. (2007); Hutton (1997); Varki/Colgate (2001).
44
2 Konzeptionelle Grundlagen zur Markenbindung
Lebenszykluskosten, die mit der Wahl des Anbieters verbunden sind.278 Diese setzen sich aus den Akquisitions- und Wartungskosten zusammen und werden als Ergebnis des Vergleichs zu den Lebenszykluskosten der Wettbewerber erfasst.279 Auch die weiteren Beiträge erfassen den Kostenaspekt als Vergleichsmaß.280 Jedoch beziehen sich diese lediglich auf den Preis des Leistungsangebots des bisherigen Anbieters. Wie bei der Auffassung des Kundennutzens soll der Kostenaspekt nach Kumar (2002) im Sinne eines Vergleichsmaßes gestützt werden und daher als TCO des Leistungsangebots im Vergleich zu den Wettbewerbern in die Untersuchung eingehen.281 Darüber hinaus wird der Einfluss der Marke über die Markenpräferenz im Zusammenhang der Wiederkaufsabsicht untersucht.282 Hier wird festgestellt, dass die Kundenzufriedenheit die Wiederkaufsabsicht nicht direkt beeinflusst, sondern indirekt über die Markenpräferenz.283 Die Markenpräferenz wird dabei als Attraktivität des fokalen Angebotes gegenüber den Alternativen definiert.284 Dieses Ergebnis steht im Gegensatz zu Jones et al. (2000) empirischen Befunden. Sie belegen einerseits einen direkten Einfluss und andererseits einen Interaktionseffekt des Zusammenhangs zwischen Zufriedenheit und Attraktivität der Alternativen.285 Die divergierenden Aussagen lassen sich auch hier auf die Messung des Konstruktes zurückführen. So ist davon auszugehen, dass die Erfassung der Kundenzufriedenheit, wie bei Hellier et al. (2003), ein Gesamturteil des Anbieters darstellt und weniger als ein Ergebnis des Vergleichs zu anderen Anbietern.286 Diese Auffassung soll im Weiteren eingenommen werden, da der Einfluss der Kundenzufriedenheit mit dem derzeitigen Anbieter erfasst werden sollte. Folglich wird der Einfluss der Kundenzufriedenheit indirekt über die Markenpräferenz auf das Wiederkaufsverhalten erfasst. Neben der Erfassung des Einflusses der Marke über deren Attraktivität zu Alternativen, fokussiert sich Hutton (1997) auf die Wirkungsweise der Marke in Bezug auf deren Signalwirkung und Absicherungseffekts.287 Er weist den damit verbundenen Markenwert im B2B-Bereich nach und zeigt, dass industrielle Nachfrager bereit sind, einen Preisaufschlag für die Marke zu
278
279 280 281 282 283
284 285
286 287
Diese werden im Weiteren als Total Cost of Ownership (TCO) bezeichnet. Die TCO berücksichtigen alle Kosten während des Produktlebenszyklusses, die mit der Anschaffung und Nutzung des Leistungsangebots verbunden sind. Vgl. ausführlich Gartner Group (1997); Krcmar (2005); Wildemann (2008e). Vgl. Kumar (2002), S. 59. Vgl. Antón et al. (2007), S. 523; Hutton (1997), S. 431; Varki/Colgate (2001), S. 236. Vgl. Kumar (2002), S. 59. Vgl. Hellier et al. (2003). Vgl.Ebenda, S. 1783. Auch Manrai (1995); Sheppard et al. (1988); Strobacka et al. (1994) weisen nach, dass die Markenpräferenz eine intervenierende Variable zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenloyalität darstellt. Vgl. Hellier et al. (2003), S. 1765. Vgl. Jones et al. (2000), S. 268. Bloemer/Kasper (1995); Bloemer/de Ruyter (1998); Sharma (2007) bestätigen den moderierenden Einfluss der Attraktivität der Alternativen auf die Beziehung zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenloyalität. Vgl. Hellier et al. (2003), S. 1783. Vgl. Hutton (1997), S. 433.
2.3 Literaturanalyse der Untersuchungen von Wechselentscheidungen
45
zahlen.288 Damit stellt die Marke einen Faktor dar, der den Nutzen des Leistungsangebots mitprägt. Für die vorliegende Arbeit können daraus zentrale Anhaltspunkte für die Untersuchung abgeleitet werden. Im Wesentlichen stellt die Wechselentscheidung eine Kosten-NutzenAbwägung dar. So werden in der Literatur die Faktoren betrachtet, die einerseits den wahrgenommenen Nutzen des Entscheidungsträgers beeinflussen und sich andererseits auf die Kosten des Leistungsangebots auswirken. Die Nutzenkomponente des Leistungsangebots wird in erster Linie über die Servicequalität erfasst.289 Zudem kann auch die Marke als Nutzenkomponente erfasst werden.290 Allerdings beziehen sich die Untersuchungen zur Wechselabsicht vorrangig auf Serviceanbieter und damit ist davon auszugehen, dass sich bei Produktanbietern weitere Nutzenkomponenten ergeben. Dieser Aspekt soll deshalb im Zusammenhang der Literaturbetrachtung in Abschnitt 2.3.3 näher betrachtet werden. Der Preis und die Wechselkosten wiederum erfassen den Kostenaspekt der Wechselentscheidung. Bei der Betrachtung des Zusammenhangs zwischen Kundenzufriedenheit und Wiederkaufsabsicht werden zudem beeinflussende Faktoren betrachtet. Liu et al. (2005) weisen den Interaktionseffekt der Dauer der Geschäftsbeziehung nach.291 Patterson/Spreng (1997) finden Evidenz für den Einfluss der individuellen Charakteristika und der Entscheidungssituation.292 Ebenso bestätigen Mittal/Kamakura (2001) den Einfluss der individuellen Charakteristika auf den Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Wiederkaufsabsicht.293 Zudem kann die Kundenzufriedenheit als intervenierende Variable interpretiert werden, die den Zusammenhang zwischen Markenpräferenz und Wiederwahl beeinflusst. Folglich sollten die Faktoren in die Betrachtung miteinbezogen werden, die das Kosten-Nutzen-Kalkül maßgeblich prägen und Interaktionseffekte, die diese beeinflussen. Nachdem erläutert wurde, welche Faktoren im Zusammenhang der Wiederkaufsabsicht analysiert werden, soll nachfolgend betrachtet werden, welche Faktoren im Zusammenhang der Kundenloyalität untersucht werden.
2.3.2
Literatur zur Untersuchung der Kundenloyalität
Es existiert eine Vielzahl von Untersuchungen zum Themenbereich der Kundenloyalität, die sich vor allem auf den B2C-Bereich beziehen. Auch hier wird nicht der Anspruch auf Vollständigkeit erhoben, sondern es sollen zentrale Beiträge dargestellt werden. Ein wesentliches Thema im Relationship Marketing ist es, welche Faktoren die Loyalität bestimmen. In
288 289 290 291 292 293
Vgl.Ebenda, S. 435. Vgl. Antón et al. (2007); Hellier et al. (2003); Hutton (1997); Varki/Colgate (2001). Vgl. Hutton (1997). Vgl.Liu et al. (2005), S. 566. Vgl. Patterson/Spreng (1997), S. 13. Vgl. Mittal/Kamakura (2001), S. 137.
2 Konzeptionelle Grundlagen zur Markenbindung
46
diesem Punkt ist das Relationship Marketing im B2C-Bereich verhältnismäßig weit fortgeschritten, wie aus Tabelle 2.6 ersichtlich wird. Die empirischen Beiträge im B2CBereich sind weit aus zahlreicher im Verhältnis zu denen des B2B-Bereichs.
Beitrag
Unabhängige Variablen
Abhängige Variable
Modell
Anwendungsbereich
Zufriedenheit
Aktive/passive Loyalität
SEM
B2B
Aktive/passive Loyalität
SEM
B2B Service
Markenloyalität
Regression
B2B Brand
Loyalität
SEM
B2C Service
B2B-Bereich Bayón/ Wangenheim (2005)
Kaufunsicherheit
Service
Wechselkosten Interaktionseffekt: Dauer Kundenbeziehung Kaufwichtigkeit Kaufunsicherheit Wechselkosten
Lam et al. (2004)
Servicequalität Preis Kundenzufriedenheit Wechselkosten
Michell et al. (2001)
Attributsleistungen: Qualität Zuverlässigkeit Leistung Service Kundennutzen Verfügbarkeit Vertrautheit Personelle Beziehung Preis Werbung
B2C-Bereich Andreassen/ Lindestad (1998)
Kundenzufriedenheit Image Wahrgenommene Qualität Kundennutzen
2.3 Literaturanalyse der Untersuchungen von Wechselentscheidungen Bloemer/ Kasper (1995)
Kundenzufriedenheit
47
Markenloyalität
Regression
B2C Produkt
Loyalität
Regression
B2C Produkt
Kognitive, affektive, conative, handlungsorientierte Loyalität
SEM
B2C Produkt
Loyale und zufriedene Wechsler
Discrimant Analysis
B2C Service
Involvement Commitment Vorsatz
Bloemer/ de Ruyter (1998)
Kundenzufriedenheit Image Involvement Vorsatz
Evanschitzky /Wunderlich (2006)
Attributzufriedenheiten Interaktionseffekt: Kundencharakteristika (Alter, Geschlecht, Ausbildung, Einkommen) Situative Einflüsse: (Erfahrung, Preisorientierung, Beschwerdemanagement, Mitglied Loyalitätsprogramm)
Ganesh et al. (2000)
Kundenzufriedenheit Attributzufriedenheit Involvement Loyalität Interaktionseffekt: Dauer der Kundenbeziehung
Kasper (1988)
Kundenzufriedenheit
Markenloyalität
Regression
B2C Produkt
Mittal/Lassar (1998)
Kundenzufriedenheit
Loyalität
Regression
B2C Service
Lee et al. (2001)
Kundenzufriedenheit
Loyalität
Regression
B2C Service
Oliva et al. (1992)
Attributzufriedenheit
Markenloyalität
Regression
B2C Service
Olsen (2002)
Kundenzufriedenheit
Loyalität
SEM
B2C Produkt
Attributzufriedenheit
Attributzufriedenheit
Transaktionskosten
Wahrgenommene Qualität
Tab. 2.5
Literaturüberblick von Untersuchungen zur Kundenloyalität
48
2 Konzeptionelle Grundlagen zur Markenbindung
Wie aus der Übersicht hervorgeht, konzentrieren sich die meisten Untersuchungen auf die Kundenzufriedenheit und Servicequalität. Basierend auf dem Diskonfirmations-Paradigma wird Kundenzufriedenheit als eine emotionale und empathische Reaktion auf den Unterschied zwischen erwarteter Leistung und tatsächlich erbrachter Leistung verstanden.294 Damit führt eine nichterfüllte Erwartung zu Unzufriedenheit, während eine Übereinstimmung oder ein Übertreffen von erwarteter mit tatsächlicher Leistung zu Zufriedenheit führt.295 Die Wahrnehmung der Qualität ist ein ähnliches Konstrukt wie Kundenzufriedenheit und wird häufig betrachtet vor dem Hintergrund von Servicebeziehungen.296 Obwohl die beiden Konstrukte als verschieden angesehen werden, besteht kein Konsens über die Beziehungen zwischen ihnen.297 Während einige Autoren Zufriedenheit als Antezedenz für Qualität sehen,298 argumentieren andere, dass Qualität die Zufriedenheit beeinflusst.299 In der Arbeit soll die Auffassung zugrunde gelegt werden, dass die Servicequalität der Kundenzufriedenheit vorgelagert ist und vollständig mediiert wird.300 Weiterhin wird gezeigt, dass die Beziehung zwischen Zufriedenheit und Kundenloyalität weitaus komplexer und vielschichtiger ist als frühere Auffassungen unterstellen.301 Wie bei den Untersuchungen zur Wechselabsicht stellt Kundenzufriedenheit einen zentralen Faktor zur Erklärung der Loyalität dar. Auch Bayón/Wangenheim (2005) entwickeln ein Kundenloyalitätsmodell, das die direkten und indirekten Einflussvariablen von Zufriedenheit und Kundenloyalität identifiziert. Es werden dabei sogenannte kontinuierliche Dienstleistungen betrachtet. Von Interesse ist der empirische Befund, dass die Faktoren Dauer der Kundenbeziehung, Kaufunsicherheit, Kaufwichtigkeit und wahrgenommene Wechselkosten die Beziehung zwischen Zufriedenheit und Kundenbindung moderieren.302 Auch Ganesh et al. (2000) berücksichtigen den Einfluss der Dauer der Kundenbeziehung auf das Zufriedenheitsurteil des Kunden.303 Neben dem Gesamturteil der Kundenzufriedenheit wird auch die Attributzufriedenheit berücksichtigt.304 Folglich sollten bei der weiteren Untersuchung sowohl der Einfluss von Kundenzufriedenheit und Attributzufriedenheit als auch die moderierenden Einflüsse des Zusammenhangs zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenloyalität betrachtet werden. Wie aus dem Bereich der Loyalitätsforschung abgeleitet
294 295 296 297 298 299 300
301 302 303 304
Vgl. Oliver (1980), S. 460ff. Vgl. Oliver (1999), S. 34; Rust/Zahorik (1993), S. 199. Vgl. u. a. Bolton et al. (2008); Parasuraman et al. (1988); Rust und Oliver (1994). Vgl. Hennig-Thurau/Hansen (2000), S. 8. Vgl. Bitner/Hubbert (1994); Bolton/Drew (1991). Vgl. Peyrot et al. (1993); Stauss (1999); Woodside et al. (1989). Eine ausführliche Begründung dieser Annahme erfolgt im Zusammenhang der Hypothesengenerierung der Kundenzufriedenheit. Vgl. hierzu Abschnitt 4.1.2. Vgl. Bolton (1998a); Hansen/Emmerich (1998); Hennig-Thurau/Klee (1997); Stauss/Neuhaus (1997). Vgl. Bayón/Wangenheim (2005), S. 175. Vgl. Ganesh et al. (2000). Vgl. Evanschitzky/Wunderlich (2006); Ganesh et al. (2000); Lam et al. (2004); Lee et al. (2001); Michell et al. (2001); Mittal/Lassar (1998); Oliva et al. (1992); Olsen (2002). Die Attributzufriedenheit bezeichnet die Kundenzufriedenheit mit den einzelnen Bestandteilen des Leistungsangebots des Anbieters. Für eine ausführliche Erläuterung und Begriffsabgrenzung sei auf Abschnitt 4.1.2 verwiesen.
2.3 Literaturanalyse der Untersuchungen von Wechselentscheidungen
49
werden kann, wird der Zusammenhang zwischen Zufriedenheit und Loyalität von Faktoren, wie interpersoneller Beziehung, Wechselkosten, Attraktivität des Leistungsangebots im Vergleich zum Wettbewerb und Dauer der Kundenbindung beeinflusst.305 Insbesondere die Wechselkosten stellen einen zentralen Faktor bei der Betrachtung von Loyalität im Zusammenhang von Wechselverhalten im B2B-Bereich dar.306 Damit wird im Bereich der Loyalitätsbetrachtung ebenso wie im Zusammenhang der Untersuchung der Wechselabsicht der Fokus auf die Kundenzufriedenheit, die Wechselkosten und deren Interaktionseffekte gelegt. Darüber hinaus kann festgestellt werden, dass sowohl Loyalität als auch Markenloyalität untersucht werden und die Einflussfaktoren sich im Wesentlichen auf Zufriedenheit und leistungsbeschreibende Faktoren konzentrieren.307 Dennoch ist zu beobachten, dass bei der Untersuchung von Loyalität zunehmend der Fokus auf markenspezifische Faktoren gelegt wird.308 Dies begründet sich u. a. dadurch, dass zunehmend eine starke und präferierte Unternehmensmarke auch im B2B-Bereich als bedeutender Differenzierungsfaktor in wettbewerbsintensiven Märkten wahrgenommen wird.309 Kasper (1988) unterstreicht in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit der Segmentierung der Grundgesamtheit hinsichtlich der Markenloyalität, da sonst signifikante Faktoren der Heterogenität in der Markenloyalität ausgeblendet würden.310 Dabei stellt er zudem fest, dass die traditionellen sozidemographischen Faktoren sich weniger eignen, um zwischen loyalen Kunden und Wechslern zu diskriminieren.311 Diese Schlussfolgerung fällt er auf Basis der Ergebnisse der Erklärungskraft der soziodemographischen Faktoren, die nur einen kleinen Teil der Varianz erklären.312 Demzufolge soll das Augenmerk bei der Untersuchung auf weitere potenzielle Faktoren, die Heterogenität begründen, gelegt werden. Wie aus den Untersuchungen zur Wiederkaufsabsicht und Kundenloyalität im B2B-Bereich zu entnehmen ist, empfehlen sich Faktoren, die den Entscheidungskontext beschreiben.313 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass es zu klären gilt, in welchem Verhältnis Servicequalität und Kundenzufriedenheit stehen und welche Faktoren den Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Markenbindung beeinflussen. Im Bereich der Loyalitätsforschung sind die beeinflussenden Faktoren die Dauer der Kundenbeziehung, die Kaufunsicherheit, die Kaufwichtigkeit und die wahrgenommenen Wechselkosten. Zudem sollte bei
305 306 307
308 309 310 311 312 313
Vgl. Bolton et al. (2008); Mittal/Kamakura (2001); Paulssen/Birk (2007). Vgl. Bayón/Wangenheim (2005); Lam et al. (2004). Vgl. Andreassen/Lindestad (1998); Bloemer/Kasper (1995); Ganesh et al. (2000); Lee et al. (2001); Mittal/Lassar (1998). Vgl. Andreassen/Lindestad (1998). Vgl. Balmer (1995). Vgl. Kasper (1988), S. 395. Vgl.Ebenda, S. 395. Vgl. Francken/van Raaij (1985); Kasper (1988), S. 395. Vgl. Bayón/Wangenheim (2005); Patterson/Spreng (1997).
2 Konzeptionelle Grundlagen zur Markenbindung
50
der Betrachtung der Markenbindung die Heterogenität beachtet werden. Als Faktoren sollten hierzu der Entscheidungskontext und die Entscheidungsträgercharakteristika beachtet werden.
2.3.3
Literatur zur Untersuchung des Wiederkaufsverhaltens
Es existieren unterschiedliche Ansätze in der Literatur die Wechselentscheidung zu analysieren. Für einen Vergleich der Beiträge werden diese nach ihrem Untersuchungsgegenstand in Beiträge zu Produktwechselentscheidungen, der Markenrelevanz bei Wechselentscheidungen und Service-Provider-Wechselentscheidungen untergliedert. Nachfolgend wird auf die einzelnen Bereiche näher eingegangen. Tabelle 2.6 stellt die Beiträge zu Produktwechselentscheidungen dar. Anwendungsbereich
Beitrag
Unabhängige Variablen
Abhängige Variable
Modell
Heide/ Weiss (1995)
Geschwindigkeit des technologischen Wandels
Wechsel
Sequentielles Logit-Modell
B2B Produkt
Ja/Nein
Innovationsfähigkeit
Wechsel
Logit-Modell
B2B Produkt
Integrationsfähigkeit
Ja/Nein
Logit-Modell
B2B Produkt
Heterogenität der Technologie Erfahrung Technische Kompatibilität Wechselkosten Strategische Bedeutung Formalisierung der Entscheidung Zentralisierung der Entscheidung
Li et al. (2006)
Preis Zusätzlicher Service Training und Support Wechselträgheit Paulssen/ Birk (2007)
Zufriedenheit
Wiederwahl
Moderierende Variablen: Demographische Charakteristika Unternehmenscharakteristika Hersteller
Tab. 2.6
Literaturüberblick von Untersuchungen zum Produktwechsel
2.3 Literaturanalyse der Untersuchungen von Wechselentscheidungen
51
Der maßgebliche Beitrag zur Untersuchung des Wechselverhaltens auf Produktmärkten stammt von Heide/Weiss (1995).314 Sie analysieren die Wechselentscheidungen anhand eines zweistufigen Entscheidungsprozesses auf Technologiemärkten, die sich durch hohe Unsicherheit und hohe Wechselkosten auszeichnen.315 Ziel ist es, zu überprüfen, inwieweit die betrachteten Faktoren im zweistufigen Entscheidungsprozess für den Wechsel relevant sind. Es wird ein positiver Effekt von Schnelligkeit des technologischen Wandels, anbieterbezogenen Wechselkosten und der Formalisierung von Beschaffungsprozessen auf die Wechselentscheidung nachgewiesen.316 Als Barrieren für den Anbieterwechsel werden vorherige Erfahrung und die Zentralisierung des Beschaffungsprozesses aufgeführt.317 Nicht bestätigt wird der Einfluss der Heterogenität und Kompatibilität der Technologie auf der Stufe der Wechselentscheidung.318 Bei der vorgelagerten Auswahlentscheidung, dem sogenannten Consideration Stage, führen Schnelligkeit des technologischen Wandels, Wichtigkeit der Beschaffungsentscheidung und Formalisierung von Beschaffungsprozessen dazu, dass der Entscheidungsträger sein Auswahlset erweitert.319 Im Gegenzug wirken sich Kompatibilität und anbieterbezogene Wechselkosten beschränkend darauf aus. Auch beim Auswahlprozess wird die Heterogenität der Technologie wie beim Entscheidungsprozess nicht nachgewiesen.320 Wiederum haben die Zentralisierung des Beschaffungsprozesses und die Erfahrung des Entscheidungsträgers keinen wesentlichen Einfluss auf die Auswahl.321 Dementsprechend wirken sich Faktoren wie die Wechselkosten, die Schnelligkeit des technologischen Wandels und die Formalisierung des Beschaffungsprozesses sowohl bei der Entscheidung über das Auswahlset als auch bei der Entscheidung selbst aus. Die Relevanz der Faktoren ist zudem von der Entscheidungsprozessphase abhängig. Li et al. (2006) setzen sich ausschließlich mit der letzten Phase, der Wechselentscheidung, auseinander.322 Sie betrachten in diesem Zusammenhang die Gründe für das Entstehen von Wettbewerbsvorteilen aus Nachfragersicht. Paulssen/Birk (2007) wiederum fokussieren sich auf die moderierenden Effekte des Zusammenhangs zwischen Zufriedenheit und Kundenbindung.323 Die Betrachtung beschränkt sich aber auf demographische Einflüsse und Unternehmenscharakteristika. Demzufolge werden zentrale moderierende Einflüsse wie die Wechselkosten oder die Unsicherheit ausgeblendet. Hieraus wird ersichtlich, wie unterschiedlich die Untersuchungen von Wechselentscheidungen in diesem Bereich sind und sich damit in Abhängigkeit des jeweiligen Produktes aber auch des Forschungsinteresses gestalten.
314 315 316 317 318 319 320 321 322 323
Vgl. Heide/Weiss (1995). Vgl. Ebenda. Vgl. Heide/Weiss (1995), S. 39. Vgl. Ebenda. Vgl. Ebenda. Vgl. Ebenda. Vgl. Ebenda. Vgl. Heide/Weiss (1995), S. 37. Vgl. Li et al. (2006). Vgl. Paulssen/Birk (2007).
2 Konzeptionelle Grundlagen zur Markenbindung
52
Nachfolgend soll daher betrachtet werden, ob die Faktoren im Zusammenhang der Markenwechselentscheidung ebenso divers sind. Der Schwerpunkt der Betrachtung des Markenwerts im Bereich des Business Marketings liegt auf dem Nachweis der Bedeutung der Marke im Geschäftskundenbereich. Das Konzept des Markenwerts wird bislang vorrangig im Bereich des Konsumgütermarketings untersucht324 und daher liegen derzeitig nur wenige Untersuchungen für das Business Marketing vor.325 Tabelle 2.7 führt die wesentlichen Beiträge auf, die die Bedeutung der Marke im Zusammenhang des Wechselverhaltens von industriellen Nachfragern untersuchen.
Beitrag
Unabhängige Variablen
Abhängige Variable
Bendixen et al. (2004)
Marke
Markenwahl
Modell
Anwendungsbereich
Cluster-
B2B Marke
analyse
Preis Lieferzeit Technologie Zeitdauer Ersatzteillieferung
Homburg et al. (2006)
Qualität
Markenwert
Logit-Modell
B2B Marke
Cluster-
B2B Marke
Zeitliche Flexibilität Lieferzuverlässigkeit Technische Flexibilität Serviceumfang und -qualität Preis Marke
Mudambi (2002)
Produkteigenschaften Bestell- und Lieferservice
Markenwahl
analyse
Beziehungsqualität Technischer Support Preis Markenmessung nach Aaker Markenbekanntheit Reputation
324
325
Im B2C-Bereich wird klassischerweise auf Scanner-Daten zurückgegriffen, um die Konsumentenentscheidung zwischen alternativen Marken von regelmäßig gekauften Produkten und Services zu untersuchen. Die Arbeiten können nach zwei wesentlichen Ansatzpunkten unterschieden werden. Ein Ansatzpunkt ist es den Einfluss auf die Marketingmix-Variablen wie Preis und Promotionen für bestimmte Marken zu analysieren. Vgl. Guadagni/Little (1983). Ein weiterer Ansatz betrachtet den Einfluss des „Variety Seekings“ und „Inertia tendencies“ auf das Wechselverhalten und Wiederholungskäufe. Vgl. hierzu Ansari et al. (1995); Givon (1984); Kahn et al. (1986). Vgl. Webster (2004), S. 388.
2.3 Literaturanalyse der Untersuchungen von Wechselentscheidungen
53
Markenloyalität Anzahl Wiederkauf
Tab. 2.7
Literaturüberblick von Untersuchungen zur Markenbedeutung
Einen explorativen Beitrag liefern Mudambi et al. (1997), indem sie aufzeigen, dass im Entscheidungsprozess neben den tangiblen Faktoren ebenso die intangiblen zur Bewertung herangezogen werden.326 Letztlich werfen sie die Frage auf, wie diese Faktoren im Einzelnen von den Entscheidungsträgern beurteilt werden. Im Rahmen einer darauffolgenden Untersuchung identifiziert Mudambi (2002) drei Käufer-Cluster, die anhand der unterschiedlich wahrgenommene Bedeutung der Marke voneinander abgegrenzt werden.327 Auch Bendixen et al. (2004) betrachten die relative Bedeutung der Marke in Abhängigkeit der Rolle des Entscheidungsträgers.328 Es ergeben sich wesentliche Unterschiede für die relative Bedeutung der Marke hinsichtlich der Position des Entscheidungsträgers. So wird gezeigt, dass für Techniker die Marke und der Preis das wichtigste Auswahlkriterium sind und für Einkäufer der Preis gefolgt von der Lieferzeit.329 Ebenso differenzieren Homburg et al. (2006) die Bedeutung der Marke. Sie ziehen jedoch die Wichtigkeit und Neuartigkeit der Kaufsituation als Kriterium heran. Mit zunehmender Neuartigkeit und Wichtigkeit der Kaufsituation gewinnt die Marke an Bedeutung im Entscheidungsprozess.330 Folglich gestaltet sich die Relevanz der Marke in Abhängigkeit von Charakteristika des Nachfragers und der Kaufsituation. Interessanterweise werden ausschließlich Leistungsbestandteile des Angebots bei den Untersuchungen miteinbezogen, aber keine Unterscheidung hinsichtlich der Einstellung der Entscheidungsträger vorgenommen. Ebenso wie bei der Produktwechselentscheidung hängen die untersuchten Faktoren vom Betrachtungsgegenstand ab. Demnach muss für den jeweiligen Betrachtungsgegenstand identifiziert werden, welches die entscheidenden Kaufkriterien darstellen. Außerdem wird im B2B-Bereich ausschließlich die Relevanz der Marke betrachtet331 oder die Bedeutung des Markenwerts bei der Kaufentscheidung.332 Der Nutzen der Markenbindung wird lediglich im B2C-Bereich u. a. von Guadagni/Little (1983) und Horsky et al. (2006) untersucht.333 Eine Betrachtung im B2BBereich steht damit noch aus. Der Nutzen der Marke kann jedoch nicht nur allgemein dem Markenwert zugeschrieben werden, sondern auch dem, der mit der Markenbindung verbunden ist. Dabei erfasst der Nutzen der Markenbindung grundsätzlich die Abhängigkeit des nachfragenden Unternehmens vom Anbieter.334 Damit wird der jeweiligen Marke ein
326 327 328 329 330 331 332 333 334
Vgl. Mudambi et al. (1997), S. 445. Vgl. Mudambi (2002), S. 529. Vgl. Bendixen et al. (2004), S. 374. Vgl.Ebenda, S. 375. Vgl. Homburg et al. (2006), S. 292. Vgl. Ebenda. Vgl. Bendixen et al. (2004); Hutton (1997); Mudambi (2002). Vgl. Guadagni/Little (1983), S. 210; Horsky et al. (2006), S. 324f. Vgl. Horsky et al. (2006), S. 325.
2 Konzeptionelle Grundlagen zur Markenbindung
54
Nutzen beigemessen, der durch die Wiederwahl der Marke entsteht. Demzufolge kann der Marke auf leistungsübergreifender Ebene eine Nutzenwirkung im Kaufentscheidungsprozess im B2B-Bereich zugesprochen werden, die sich über den Markenwert und den Nutzen der Markenbindung äußert. Bei der Betrachtung von Service-Providerwechsel werden teilweise auch moderierende bzw. Interaktionseffekte betrachtet, wie in Tabelle 2.8 ersichtlich ist. Bolton et al. (2008) setzen den Fokus auf die Entscheidung, einen Vertrag zu erneuern. Es werden Verträge untersucht, bei denen ein weiterer Service oder eine zusätzliche Leistung bezogen wird. Sie stellen fest, dass vor allem Preis, Qualität des Services und Zufriedenheit des Entscheidungsträgers eine signifikante Auswirkung auf die Wiederkaufsentscheidung haben sowie die Interaktionen von Zufriedenheit und Preis mit Servicequalität.335 Ebenfalls werden der Einfluss der Dauer der Kundenbeziehung, des Vertragstyps und des Budgets des Nachfragers bei dem gewählten Anbieter bestätigt.336 Mit der Zufriedenheit rückt ein Faktor in den Vordergrund, der nur aufgrund der bisherigen Erfahrungen mit dem Anbieter gesammelt werden kann. Dieser Aspekt findet sich weder bei den produktbezogenen noch bei den markenbezogenen Untersuchungen wieder. Jedoch wurde gezeigt, dass die Kundenzufriedenheit der zentrale Faktor in der Literatur zur Wechselabsicht und Kundenloyalität ist. Somit sollten nicht, wie bisher, ausschließlich Faktoren des Leistungsangebots und des bisherigen Kundenverhaltens beachtet werden,337 sondern auch die Einstellung des Kunden gegenüber einem Anbieter.338 Hierdurch kann analysiert werden, unter welchen Bedingungen der Kunde mehr Aufmerksamkeit auf Faktoren wie Qualität und Preis legt oder im Gegensatz dazu, die Einstellung gegenüber dem Anbieter bei der Entscheidung stärker ins Gewicht fällt. Beitrag
Unabhängige Variablen
Abhängige Variable
Modell
Bolton et al. (2008)
Interaktionsebene: Zufriedenheit
Vetragsupgrade Upgrade/ Nicht Upgrade
LogitModell
Strategische Bedeutung Vertragsebene: Servicequalität Preis Interaktionseffekte: Strategische Bedeutung*Qualität Zufriedenheit*Qualität Preis*Qualtität
335 336 337 338
Vgl. Bolton et al. (2008), S. 58. Vgl. Ebenda, S. 58. Vgl. Guadagni/Little (1983). Vgl. Bolton (1998a); Mittal/Kamakura (2001); Verhoef (2003).
Anwendungsbereich B2B Service
2.3 Literaturanalyse der Untersuchungen von Wechselentscheidungen
55
Kontrollvariablen: Marktanteil Dauer Kundenbeziehung Preisnachlass Vertragstyp Bolton et al. (2006)
Servicequalität im Zeitverlauf
Vertrag erneuern/ auslaufen lassen
Log-Modell
B2B Service
Preis
Wathne et al. (2001)
Personelle Beziehung
Auswahl Anbieter
2SLS
B2B Service
Backsource, Wechsler, Loyale
SEM
B2B Service
Wechselkosten Preis Produkttiefe Interaktionseffekte: Preis*Personelle Beziehung Produkttiefe*Personelle Beziehung Produkttiefe*Wechselkosten Größe
Whitten/Leidner (2006)
Servicequalität Produktqualität Beziehungsqualität Wechselkosten
Tab. 2.8
Literaturüberblick von Untersuchungen zum Service-Providerwechsel
Auch Whitten/Leidner (2006) unterscheiden zwischen leistungsübergreifenden und leistungsbezogenen Faktoren und stellen fest, dass die Wechselkosten das entscheidende Kriterium für die Fortsetzung der Geschäftbeziehung darstellen.339 Bei ihrer Untersuchung von IT-Outsourcing-Entscheidungen nehmen sie zudem einen Gruppenvergleich zwischen Loyalen, Wechslern und denen, die ihre IT-Leistungen wieder selbst übernehmen (Backsourcing), anhand der Kriterien der Produkt-, Service- und Beziehungsqualität sowie der Wechselkosten vor. Hierdurch kann festgestellt werden, dass die Beziehungsqualität nur dann eine Erklärung für das Wechselverhalten liefert, wenn zum einem die Produkt- und Servicequalität niedrig ist und zum anderen die Wechselkosten gering sind.340 Auch Wathne et al. (2001) untersuchen den Einfluss von einem beziehungsbezogenen Faktor, der interpersonellen Beziehung, im Verhältnis zu marketingbezogenen Faktoren wie Preis, Wechselkosten und Produkttiefe. Die Zufriedenheit wird in dieser Untersuchung nicht beachtet. Dennoch wird über den Faktor der personellen Beziehung ein Erfahrungswert
339 340
Vgl. Whitten/Leidner (2006). Vgl.Ebenda, S. 614ff.
56
2 Konzeptionelle Grundlagen zur Markenbindung
berücksichtigt, der sich über eine einzelne Transaktion hinweg auf mehrere Transaktionen bezieht. Hier kann gezeigt werden, dass der Preis der dominierende Faktor ist und sogar den beziehungsbezogenen Aspekt zusammen mit dem Faktor der Produkttiefe hinsichtlich der Bedeutung weit übersteigt.341 Dies ist insofern interessant, da im Relationship Markting die Bedeutung der personellen Beziehung auf die Loyalität vielfach bestätigt wird.342 Letztlich kann dieses kontroverse Ergebnis darauf zurückgeführt werden, dass Wathne et al. (2001) keine moderierenden Effekte berücksichtigen. Werden die Einflüsse lediglich auf aggregierter Ebene überprüft, wird die Heterogenität in den Präferenzen vernachlässigt. Dementsprechend wäre es möglich, dass der beziehungsbezogene Aspekt beispielsweise bei niedrigen Wechselkosten von größerer Bedeutung wäre. Hieraus wird deutlich, dass die Markenbindung im Zusammenhang von Kundenzufriedenheit und Wechselkosten betrachtet werden sollte und darüber hinaus weitere Faktoren in der Untersuchung berücksichtigt werden müssen, die die Verbindung zwischen Markenbindung und Kundenzufriedenheit beeinflussen können. Außerdem sollte das Kosten-Nutzen-Kalkül für die konkrete Wechselentscheidung erfasst werden. Damit werden die Erkenntnisse aus der Literaturanalyse zur Wechselabsicht und Kundenloyalität bestätigt. Folglich sollte die Wechselentscheidung als Kosten-Nutzen-Kalkül abgebildet werden. Dabei sollten die Kundenzufriedenheit und die Wechselkosten als zentrale Einflussfaktoren erfasst werden. Der Zusammenhang zwischen Markenbindung, Kundenzufriedenheit und Wechselkosten sollte zudem tiefergehend untersucht werden, indem potenzielle Einflussfaktoren berücksichtigt werden. In der Literatur werden hierzu der Entscheidungskontext und die Entscheidungsträgercharakteristika herangezogen. Nachdem die zentralen Aspekte der Literaturanalyse dargestellt wurden, sollen nun die bisherigen Erkenntnisse der konzeptionellen Grundlagen vor dem Hintergrund der Literaturanalyse zusammengefasst werden, um die konkreten Einflussfaktoren der Markenbindung zu erfassen.
2.4 Zusammenfassung bisheriger Erkenntnisse Wie in den vorangegangenen Abschnitten gezeigt, wird die Wechselentscheidung aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet. Einerseits wird die negative Folge des Wechselverhaltens, der Wechselabsicht oder der tatsächliche Wechsel, untersucht und andererseits wird die positive Folge des Wechselverhaltens über die Wiederkaufabsicht, die Kundenloyalität oder den Wiederkauf analysiert. In Abhängigkeit der zu untersuchenden Größe verändert sich die Sichtweise auf das Untersuchungsobjekt. Die zentrale Fragestellung bleibt jedoch bestehen: Unter welchen Bedingungen verbleiben Nachfrager bei ihrem fokalen Anbieter bzw. wechseln diesen? Arbeiten, die den Wechsel adressieren, sind im Vergleich zu
341 342
Vgl. Wathne et al. (2001), S. 62. Vgl. u. a. Palmatier et al. (2006); Whitten/Leidner (2006).
2.4 Zusammenfassung bisheriger Erkenntnisse
57
den Beiträgen, die sich mit der positiven Folge auseinandersetzen, weitaus in der Unterzahl. Dies mag darin begründet sein, dass argumentiert wird, Neukundenakquisitionskosten übersteigen die Kosten der Kundenbindungsmaßnahmen. Unabhängig von dieser Annahme eröffnet sich aber die Frage, ob sich die beeinflussenden Faktoren des Wechsels von denen der Wiederwahl unterscheiden. Aus dem Literaturüberblick ergibt sich, dass die Zufriedenheit vorrangig im Zusammenhang von Loyalität und Wiederwahl betrachtet wird343 und bei der Untersuchung zum tatsächlichen Wechselverhalten im B2B-Bereich vernachlässigt wird.344 Hinsichtlich der weiteren Faktoren ergeben sich keine nennenswerten Unterschiede. Im Wesentlichen werden als kaufentscheidende Faktoren die verschiedenen Leistungsbestandteile des Angebots einbezogen und teilweise moderierende Einflüsse betrachtet. Im Bereich der Loyalitätsforschung werden darüber hinaus verstärkt psychologische Aspekte wie Commitment, Involvement oder Vertrauen berücksichtigt. Ebenso wird bei Untersuchungen für den Bereich des Markenmanagements die Bedeutung der Marke fokussiert und im Service Marketing wird der Servicequalität besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Wie hieraus hervorgeht, gestalten sich die Einflussfaktoren konsequenterweise in Abhängigkeit des Untersuchungsgegenstandes. Deshalb sollen nachfolgend die Einflussfaktoren für den Untersuchungsgegenstand vor diesem Hintergrund abgeleitet werden. B2B-Märkte kennzeichnen sich dadurch, dass in der Regel nicht nur ein Produkt vermarktet wird, sondern vielmehr Leistungsangebote, die sich aus Produkt und Serviceanteilen zusammensetzen.345 Damit sind sowohl die Faktoren aus der Literatur zur Produktwechselentscheidung relevant als auch die Faktoren, die im Zusammenhang von Service-Provider-Wechseln betrachtet werden. Zudem rückt der Einfluss der Marke zunehmend im B2B-Bereich in den Mittelpunkt. Deshalb sollten auch die zentralen Faktoren aus dem Bereich des Brand Marketings in die Untersuchung mit einfließen. Der Schwerpunkt der Betrachtung soll auf der Markenbindung liegen, da insbesondere hier in Bezug zur vorhandenen Literatur ein hoher Forschungsbedarf ausgemacht wird.346 Dementsprechend konzentriert sich die Arbeit auf Faktoren der Markenbindung bei Wechselentscheidungen im B2B-Bereich. Diese sollen nachfolgend auf Basis der bisherigen Erkenntnisse in der Literatur für den Betrachtungsgegenstand zusammenfassend erläutert werden. Hierzu werden die zentralen Einflussgrößen der Markenbindung anhand des Schemas von Kauffman (1996) kategorisiert.347 Tabelle 2.9 stellt das Schema und die aus der Literatur abgeleiteten Einflussfaktoren dar. Nachfolgend wird auf die einzelnen Kategorien näher eingegangen.
343
344 345 346
347
Vgl. Tabelle 2.5 bzw. Athanassopoulos (2000); Bolton et al. (2008); Paulssen/Birk (2007); Whitten/Leidner (2006). Vgl. Heide/Weiss (1995); Wathne et al. (2001). Vgl. Engelhardt et al. (1993), S. 45. Vgl. Baumgarth (2007), S. 313; Gordon et al. (1993), S. 5; Hutton (1997), S. 428; Lynch/Chernatony (2004), S. 403. Vgl. Kauffman (1996), S. 95.
2 Konzeptionelle Grundlagen zur Markenbindung
58
Einflussvariable
Markenbindung
Individuelle Charakteristika
Wahrgenommenes Risiko Kundenzufriedenheit Wahrgenommene Wechselkosten Markenwert Erfahrung
Gruppenfaktoren
Einflussstärke des Entscheidungsträgers Rolle des Entscheidungsträgers
Organsationsbezogene Faktoren
Branche Unternehmen Größe Unternehmen
Situative Faktoren
Neuartigkeit (Kauftyp) Wichtigkeit Dauer der Geschäftsbeziehung
Produktbezogene Faktoren
Produktqualität Servicequalität Preis Marke
Tab. 2.9
Übersicht von Einflussvariablen Wechselentscheidung
der
Markenbindung
im
Kontext
der
Individuelle Charakteristika werden in erster Linie im Konsumgüter- und Servicemarketing beachtet. Dabei werden persönliche Charakteristika des Kunden und demographische Charakteristika berücksichtigt. Die persönlichen Charakteristika werden u. a. über Risikobereitschaft, Einstellung, Wahrnehmung und Erfahrung beschrieben. Für die Wechselentscheidung im B2B-Bereich können demnach das wahrgenommene Risiko,348 die Kundenzufriedenheit als Indikator der Einstellung,349 die wahrgenommenen Wechselkosten350 sowie die Markenwahrnehmung in Form des Markenwerts351 und der Erfahrung im Einkauf352 zur Charakterisierung des Kunden herangezogen werden. Die demographischen Charakteristika umfassen Aspekte wie Alter, Beruf, Einkommen oder Ausbildung. Im B2BBereich sollten hier Faktoren erfasst werden, die den Entscheidungsträger und das Unternehmen, in dem der Entscheidungsträger tätigt ist, beschreiben. Dies betrifft die Kategorien der gruppen- und organisationsbezogenen Faktoren. Als Gruppenfaktoren kann der Einfluss der Gruppe bei der Wechselentscheidung und die Rolle des
348 349 350 351 352
Vgl. Bayón/Wangenheim (2005); Heide/Weiss (1995). Vgl. Athanassopoulos (2000); Bayón/Wangenheim (2005); Bolton et al. (2008). Vgl. Jones et al. (2000); Lam et al. (2004); Liu et al. (2005); Wathne et al. (2001); Whitten/Leidner (2006) Vgl. Bendixen et al. (2004); Homburg et al. (2006); Mudambi (2002). Vgl. Heide/Weiss (1995).
2.4 Zusammenfassung bisheriger Erkenntnisse
59
Entscheidungsträgers353 erfasst werden. Wie zuvor ausgeführt, wird auf Ebene der Gruppe in der Regel die Einflussstärke herangezogen, um den Gruppeneinfluss zu berücksichtigen.354 Zur Beschreibung der Organisation kann die Branche des Unternehmens und die Größe nach Umsatz sowie Mitarbeiteranzahl verwendet werden. Weiterhin empfiehlt es sich, situative Faktoren der Wechselentscheidung in die Betrachtung mit einzubeziehen. Im Literaturüberblick lassen sich drei Faktoren identifizieren, die wiederholt, aber mit konträren Ergebnissen, hierzu herangezogen werden:355 Kauftyp (Buy Class), Wichtigkeit des Kaufs und Dauer der Geschäftsbeziehung. Dabei wird der Kauftyp dazu herangezogen, um die Neuartigkeit der Kaufsituation zu beurteilen.356 Als Produktcharakteristika werden Produktqualität357 Servicequalität358 und Preis359 untersucht.360 Nachdem die Marke im Mittelpunkt der Analyse steht, soll zudem die Marke als Bestandteil des Leistungsangebots berücksichtigt werden. Inhaltlich erfassen die Einflussgrößen die intrinsischen Einflussgrößen,361 die sich dadurch kennzeichnen, dass sie direkt durch den Kunden beurteilt werden können. Die konkrete Ausgestaltung der Produktcharakteristika muss selbstverständlich in Abhängigkeit des konkreten Untersuchungsobjektes abgeleitet werden.362 Nachdem die relevanten Faktoren aus der Literatur hergeleitet wurden, stellt sich die Frage, inwieweit diese eine gemeinsame theoretische Fundierung aufweisen. Gemeinsam ist den Beiträgen, dass verhaltenswissenschaftliche Erklärungsmuster für die Modelle herangezogen werden, die um Größen der Institutionsökonomie und insbesondere der Transaktionskostentheorie erweitert werden. Dies weist unmissverständlich auf die fehlende konsistente theoretische Fundierung der Wechselentscheidung hin. Im nachfolgenden Kapitel sollen daher die relevanten Ansätze, die zur theoretischen Fundierung des Wechselverhaltens beitragen, identifiziert und hinsichtlich ihres Erklärungsbeitrags beurteilt werden. Auf Basis dieser Ausführungen soll daraufhin eine entsprechende theoretische Basis zur Analyse des Phänomens der Markenbindung bei Wechselentscheidungen im B2B-Bereich ausgewählt werden und der konzeptionelle Bezugsrahmen zur Analyse der Markenbindung im Kontext der Wechselentscheidung industrieller Nachfrager abgeleitet werden.
353 354
355
356 357 358 359
360 361 362
Vgl. Bendixen et al. (2004). Vgl. für eine ausführliche Darstellung unterschiedlicher Methoden der Berücksichtigung der Einflussstärke Backhaus/Voeth (2007), S. 67f. Vgl. Bayón/Wangenheim (2005); Bunn (1993); Heide/Weiss (1995); Homburg et al. (2006); McQuiston (1989). Vgl. Homburg et al. (2006), S. 286. Vgl. Whitten/Leidner (2006). Vgl. Athanassopoulos (2000); Bolton et al. (2008); Bolton et al. (2006); Lam et al. (2004). Vgl. Athanassopoulos (2000); Bolton et al. (2008); Bolton et al. (2006); Lam et al. (2004); Li et al. (2006); Wathne et al. (2001). Vgl. Heide/Weiss (1995). Diese werden u. a. von genannt Mazumdar (1993); Monroe (2003); Zeithaml (1988). Vgl. hierzu Abschnitt 5.2.2.
3
Konzeptualisierung eines Modells der Markenbindung im Kontext der Wechselentscheidung von industriellen Nachfragern
Ziel dieses Kapitels ist es, das Untersuchungsvorhaben in ein grundlegendes Forschungs- und Erkenntnisprogramm einzugliedern und damit einen wissenschaftstheoretischen Orientierungsrahmen für die Modellbildung sowie dessen Überprüfung zu schaffen. Hierzu soll zunächst in Abschnitt 3.1 die grundlegende Einordnung des Forschungsanliegens vorgenommen werden, um daran anschließend auf die konkreten theoretischen Ansätze zur Erklärung des Phänomens des Wechselverhaltens industrieller Nachfrager in Abschnitt 3.2 einzugehen. In Abschnitt 3.3 erfolgt eine zusammenfassende Betrachtung vor dem Hintergrund des jeweiligen Erklärungsbeitrags des theoretischen Ansatzes. Abschließend wird in Abschnitt 3.4 auf Basis der vorangegangenen Ausführungen der konzeptionelle Bezugsrahmen abgeleitet.
3.1 Wissenschaftstheoretische Ausrichtung des Forschungsanliegens Ein weitverbreitetes Orientierungssystem ist der maßgeblich von Popper gestaltete Kritische Rationalismus.363 Der zentrale Aspekt im Kritischen Rationalismus ist das Falsifikationsprinzip, das besagt, dass eine Verifizierung des Hypothesensystems nicht erfolgen kann, sondern lediglich dessen Widerlegung. Dementsprechend können Ursache-Wirkungsbeziehungen nur vorläufig unterstützt werden. Die wissenschaftliche Erkenntnis wird folglich innerhalb eines iterativen Prozesses gewonnen und erlaubt nur die deduktive Formulierung von Wirkungsbeziehungen. Der Kritische Rationalismus wird für Untersuchungen im sozialwissenschaftlichen Bereich weitgehend als ungeeignet betrachtet.364 Gründe hierfür sind einerseits darin zu sehen, dass es im sozialwissenschaftlichen Bereich problematisch ist, alle möglichen Aspekte eines Phänomens zu erfassen, um so von einer Theoriefalsifikation sprechen zu können365 und andererseits ist die Messung im sozialwissenschaftlichen Bereich häufig mit Fehlern verbunden, die zu verzerrten Ergebnissen führen.366 Deshalb soll der Kritische Rationalismus nicht direkt als Orientierungsrahmen herangezogen werden, sondern die Untersuchung aus Sicht des Wissenschaftlichen Realismus vorgenommen werden, der aus einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Kritischen Rationalismus hervorgegangen ist.367
363 364 365 366 367
Vgl. Popper (1989). Ebenso Albert (1987); Meyer (1979); Raffée/Abel (1979). Vgl. Arndt (1985), S. 14; Deshpande (1983), S. 105ff. Vgl. Homburg (1995), S. 56; Kubicek (1975), S. 48ff.; Martin (1989), S. 19ff.; Witte et al. (1975), S. 797. Vgl. Söhnchen (2007), S. 135. Vgl. zum Wissenschaftlichen Realismus Boyd (1984); Harré (1986); Levin (1984); Leplin (1986); McMullin (1984); Sellars (1963).
3.1 Wissenschaftstheoretische Ausrichtung des Forschungsanliegens
61
Das Konzept des Wissenschaftlichen Realismus ist auch bekannt als Scientific Realism oder Modern Empiricism.368 Der Grundgedanke des Scientific Realism ist, dass die Hypothesenprüfung an der Realität konkrete Hinweise zu einem tatsächlich bestehenden Kausalzusammenhang liefert. Damit wird im Wissenschaftlichen Realismus davon ausgegangen, dass die Bestätigung der Hypothesen einer Annäherung an die Realität gleichkommt, wobei dies keine vollkommene Sicherheit des Erkenntnisgewinns gewährleistet. Eine weitere Annahme im Wissenschaftlichen Realismus ist die Verkörperung der untersuchten Größen als latente Konstrukte, die nicht direkt erfasst werden können. Zudem wird im Wissenschaftlichen Realismus die induktive Schlussfolgerung zugelassen. Bei der vorliegenden Fragestellung ist davon auszugehen, dass das Wechselverhalten nicht in Gänze in einem Modell abgebildet werden kann und latente Konstrukte in die Untersuchung mit eingehen, da verhaltensrelevante Faktoren des Wechselverhaltens im Mittelpunkt des Forschungsvorhaben stehen. Dementsprechend ist es ratsam, sich an dem pragmatisch ausgerichteten Wissenschaftlichen Realismus als Orientierungsrahmen auszurichten. Nachdem die Verankerung des Orientierungsrahmens dargelegt wurde, stellt sich die Frage, nach welcher Regel die Auswahl der theoretischen Ansätze vorgenommen werden kann. Wie bereits in Kapitel 1.2 gezeigt, besteht keine Theorie des Wechselverhaltens bzw. der Wechselentscheidung. Vielmehr werden in den bisherigen Untersuchungen unterschiedliche Theorien herangezogen, um die Wechselentscheidung industrieller Nachfrager zu analysieren. Dies begründet sich unter anderem dadurch, dass die einzelnen Theorieansätze das Phänomen der Wechselentscheidung nur unzureichend abzubilden vermögen. Die Auswahl der theoretischen Basis sollte jedoch dem Anspruch genügen, das spezifische Forschungsproblem in geeigneter Weise zu beschreiben und zu lösen.369 Dabei stehen die Erklärungskraft und die Vollständigkeit der theoretischen Basis im Vordergrund. Die Erklärungskraft einer Theorie kann anhand deren Allgemeinheit, Genauigkeit und Tiefe beurteilt werden.370 Die Allgemeinheit der Theorie fordert ihre Anwendbarkeit auf einen möglichst weiten Objektbereich. Mit der Genauigkeit der Theorie wird bezeichnet, inwieweit der Informationsgehalt präzise zur Erklärung der Eigenschaften der untersuchten Objekte beiträgt. Mit der Tiefe wird zum Ausdruck gebracht, inwieweit eine Theorie eine weitreichende Aufdeckung von Faktoren und Zusammenhängen ermöglicht. Die Vollständigkeit einer Theorie soll als weiteres Kriterium zu Beurteilung der Güte herangezogen werden.371 Da Theorien nur einen Teil des tatsächlichen Sachverhalts abbilden, ist es problematisch die Vollständigkeit zu beurteilen. So ist es möglich, dass die Theorie nur zur Erklärung eines Teils des tatsächlichen Untersuchungsobjektes beitragen kann. Im Fall, dass ein theoretischer Scheinwerfer allein nicht im Stande ist, die wesentlichen 368 369 370 371
Vgl. Hunt (1991), S. 379. Vgl. Popper (1989), S. 85ff. Vgl. Albert (1987), S. 105f.; Popper (1989), S. 85ff.; Schanz (1988), S. 32ff. Vgl. Schanz (1988), S. 31.
62
3 Konzeptualisierung eines Modells der Markenbindung
Zusammenhänge zu beleuchten, können komplementäre Theorien verwendet werden. Hierfür sollte die Komplementarität der verwendeten Theorie gewährleistet sein.372 Unter Komplementarität der Theorien wird verstanden, dass die verwendeten Ansätze unterschiedliche Aspekte des zu erklärenden Phänomens betrachten und sich dabei auch Überschneidungen ergeben können. Damit wird allerdings keine theoretische Integration verfolgt.373 Allgemein sollte ein pluralistischer Ansatz nur dann gewählt werden, wenn der Erklärungsbeitrag verbessert werden kann.374 Deshalb sollen zunächst mögliche Erklärungsansätze aufgezeigt werden, die anhand der Kriterien des Erklärungsbeitrags und der Vollständigkeit für die vorliegende Fragestellung beurteilt werden. Wie in Abschnitt 2.2 und 2.4 festgehalten werden konnte, beeinflussen ökonomische, psychische, soziale und rechtliche Aspekte das Phänomen der Wechselentscheidung. Nachdem der Fokus der Untersuchung auf ökonomischen und verhaltensrelevanten Aspekten bei der Wechselentscheidung liegt, sollen sowohl ökonomische als auch verhaltenswissenschaftliche Ansätze zur Erklärung der Markenbindung herangezogen werden. Die Einbeziehung theoretischer Ansätze aus einem jeweils unterschiedlichen Entdeckungs- und Verwertungszusammenhang eröffnet die Möglichkeit einer gegenseitigen Ergänzung, welche letztlich in einem empirisch gehaltvolleren Erklärungsmodell münden sollte.375 Hierzu werden in Abschnitt 3.2 die möglichen Erklärungsansätze detaillierter erläutert und deren Erklärungsbeitrag bewertet. Daraufhin erfolgt deren übergreifende Betrachtung in Abschnitt 3.3. Abschließend soll auf die Komplementarität der gewählten Theorien eingegangen werden.
3.2 Darlegung relevanter Erklärungsansätze Die theoretische Fundierung der Wechselentscheidung ist sehr weit gestreut und reicht von ökonomischen Ansätzen, wie der Zufallsnutzentheorie, der Transaktionskostentheorie und der Informationsökonomie bis hinzu verhaltenswissenschaftlichen Ansätzen, wie der Lerntheorien der instrumentellen Konditionierung oder der Theorie des geplanten Handelns. Wie zuvor diskutiert wurde, soll ein ökonomisches Modell, das um verhaltenswissenschaftliche Aspekte erweitert wird, zur Betrachtung von Markenbindung bei Wechselentscheidungen im B2B-Bereich herangezogen werden. Der wesentliche Vorteil der Integration der ökonomischen und verhaltenswissenschaftlichen Sichtweisen resultiert in einer
372 373 374
375
Vgl. Fritz (1995), S. 27. Vgl. für die Anforderungen an eine Theorie Popper (1989), S. 7. Vgl. Schanz (1988). Der theoretische Pluralismus ist zurückzuführen auf Feyerabend (1965). Den Grundgedanken und den erkenntnistheoretischen Nutzen des theoretischen Pluralismus beschreibt ausführlich Schanz (1973), S. 152f. Vgl. Arndt (1985), S. 11ff.; Tietz (1993), S. 229.
3.2 Darlegung relevanter Erklärungsansätze
63
weitreichenden Analyse der Wechselentscheidung industrieller Nachfrager.376 Inwieweit die Ansätze in der Lage sind einen Erklärungsbeitrag zu leisten, soll danach beurteilt werden, ob die Ursachen des Verhaltens vollständig berücksichtigt werden und ob der Entscheidungskontext über situative Einflussfaktoren thematisiert wird. Grundsätzlich können die Ursachen danach unterschieden werden, ob der Kunde die Geschäftsbeziehung fortsetzen möchte oder ob er dazu gezwungen wird.377 Der Zwang kann beispielsweise vom Anbieter über das Errichten von Wechselbarrieren ausgeübt werden. Die Wechselbarrieren stellen in diesem Sinne unfreiwillige Bindungsfaktoren dar. Der Wille zum Fortsetzen der Geschäftsbeziehung wird durch freiwillige Bindungsfaktoren hervorgerufen. Ein Faktor, der als Hauptursache im Zusammenhang der Kundenbindung angeführt wird, ist die Kundenzufriedenheit.378 Nachdem der Schwerpunkt der Untersuchung auf der Marke bei Wechselentscheidungen im B2B-Bereich liegt, wird diese als weiterer Faktor der freiwilligen Bindungsfaktoren miteinbezogen. Überdies können situative Faktoren das Beenden bzw. das Fortsetzen der Geschäftsbeziehung beeinflussen. Für Wechselentscheidungen im B2BBereich sind situative Faktoren einerseits in den Determinanten der Kaufsituation zu sehen379 und andererseits in der Thematik des Buying Centers über die Einflussstärke des Einkäufers.380 Weiter sind Faktoren relevant, die den Einkäufer charakterisieren, wie dessen Erfahrung oder Position im Unternehmen.381 Tabelle 3.1 stellt die Faktoren in Übersicht dar. Freiwillig Bindungsfaktoren Marke
Unfreiwillig Bindungsfaktoren Wechselkosten
Zufriedenheit
Situative Bindungsfaktoren Kaufsituation Einflussstärke Erfahrung Position
Tab. 3.1
Zentrale Bindungsfaktoren der Markenwechselentscheidung
Dementsprechend sollen die in Frage kommenden Ansätze zur Analyse des Wechselverhaltens industrieller Nachfrager hinsichtlich ihrer Vollständigkeit beurteilt werden und damit inwieweit sie die drei Aspekte freiwillige, unfreiwillige und situative Bindungsfaktoren abdecken. Daraufhin kann geklärt werden, welche Ansätze über ausreichende Erklärungskraft verfügen. Zunächst sollen die möglichen verhaltenwissenschaftlichen und ökonomischen Ansätze aufgeführt werden, um daran anschließend in Abschnitt 3.3 die Ansätze hinsichtlich ihres Erklärungsbeitrages zusammenfassend zu beurteilen. 376
377 378
379 380 381
Vgl. zur Darstellung der entscheidungsorientierten Ansätze in der Betriebswirtschaftlehre Reichwald (2007), S. 115. Vgl. Bliemel/Eggert (1998), S. 57; Johnson (1982), S. 51. Vgl. u. a. Bolton et al. (2006); Burnham et al. (2003); Ganesh et al. (2000); Mittal/Kamakura (2001); Paulssen/Birk (2007); Ranaweera/Prabhu (2003). Vgl. Bunn (1993); McQuiston (1989); Sheth (1973). Vgl. Backhaus/Voeth (2007), S. 54. Vgl. Alba/Hutchinson (1987); Perkins/Rao (1990); Ratchford (2001).
3 Konzeptualisierung eines Modells der Markenbindung
64 3.2.1
Verhaltenswissenschaftliche Ansätze
Für die verhaltenswissenschaftliche Fundierung der Wechselentscheidung industrieller Nachfrager kommt eine Vielzahl von theoretischen Ansätzen in Frage. Grundsätzlich sollen die verhaltenswissenschaftlichen Ansätze eine Erklärung für die Markenwiederwahl leisten. Nachfolgend werden die relevanten Ansätze erläutert und deren Hauptaussagen dargelegt. Zunächst werden Ansätze dargestellt, die sich explizit auf die Organisation als Betrachtungsgegenstand beziehen: die Behavioral Theory of the Firm und der Resource-DependenceAnsatz. Daraufhin werden die Ansätze, die auf individueller Ebene ansetzen, vorgestellt: die soziale Austauschtheorie, die Lerntheorie der instrumentellen Konditionierung, die Theorie der kognitiven Dissonanz, die Theorie des überlegten Handelns sowie die Theorie des geplanten Verhaltens. Eine verhaltenswissenschaftliche Sichtweise auf Unternehmen wird mit der Behavioral Theory of the Firm eingenommen, die das Verhalten von Individuen in Organisationen in den Mittelpunkt stellt.382 Insbesondere wird dadurch der beschränkten Informationsverarbeitungskapazität der Individuen Rechnung getragen. Der Ansatz kann hinsichtlich des Wiederkaufsverhaltens insofern herangezogen werden, als dass das Fortsetzen der Geschäftsbeziehung nur dann vollzogen wird, wenn adäquate Anreize dafür vorliegen. Dementsprechend stellt die Anreizsetzung eine zentrale Aufgabe für den Anbieter dar, die er beispielsweise durch die Erbringung zufriedenstellender Leistungen sicherstellen kann.383 Der Ansatz beachtet demnach die freiwilligen Bindungsfaktoren und vernachlässigt Faktoren, die eine unfreiwillige Bindung erklären könnten. Daneben liefert der Ansatz eine Fundierung für die situative Bindung, da die Umweltunsicherheit als Bestimmungsfaktor berücksichtigt wird. Der Resource-Dependence-Ansatz erweitert diesen grundlegenden Zusammenhang, indem die Abhängigkeit des Nachfragers von externen Ressourcen betont wird.384 Die Abhängigkeit wird zwischen Anbieter und Nachfrager erzeugt, wenn der Anbieter über eine kritische Ressource verfügt und damit aus Sicht des Nachfragers zentral zum Weiterbestehen des Unternehmens beiträgt.385 Damit trägt der Resource-Dependence-Ansatz zur Erklärung von unfreiwilliger Bindung bei, da im Fall der Nichtsubstituierbarkeit der Ressource ein Wechsel unmöglich wird. Überdies erklärt der Resource-Dependence-Ansatz auch die Entstehung von Abhängigkeiten zwischen Geschäftspartnern auf Basis der Ressourcenüberlegung und deckt demnach auch die freiwillige Bindung ab. Ebenso wie beim Ansatz der Behavioral Theory of the Firm wird der situative Bindungsfaktor über die Umweltunsicherheit erfasst.
382 383 384 385
Vgl. Cyert/March (1963); March et al. (1993); Simon (1997). Vgl. hierzu die Darlegung von Schütze (1992), S. 79ff. Vgl. Pfeffer/Salancik (1978), S. 2 und S. 45. Vgl. Ebenda, S. 3 und S. 45.
3.2 Darlegung relevanter Erklärungsansätze
65
Ähnlich wie der Resource-Dependence-Ansatz unterstellt die soziale Austauschtheorie386 die Entstehung von Abhängigkeiten in einer Beziehung als Folge von mangelnden verfügbaren Alternativen.387 Zur Analyse des Konsumentenverhaltens wird die Attraktivität der Alternativen bzw. Anbieter-Nachfrager-Beziehung herangezogen.388 Im Rahmen der sozialen Austauschtheorie wird die Attraktivität der Alternativen über ein Vergleichsniveau (Comparison Level) bestimmt, das sich durch frühere Ergebnisse und soziale Vergleichsprozesse ergibt.389 Demgemäß muss das Vergleichsniveau vom Anbieter mindestens eingehalten werden, um den Kunden zu halten, da die Beziehung in diesem Fall als attraktiv bewertet wird. Hingegen wird die Alternative als unattraktiv empfunden, wenn die Differenz aus Kosten und Nutzen unter dem Vergleichsniveau liegt. Ob die Beziehung beendet oder fortgesetzt wird, hängt dabei zudem von der Abhängigkeit ab und damit davon welche Alternativen im Allgemeinen zur Verfügung stehen.390 Im Gegensatz zum ResourceDependence-Ansatz berücksichtigt die soziale Austauschtheorie keine umweltbezogenen Faktoren, wie z.B. die Unsicherheit, und vernachlässigt damit die situative Bindung. Die Lerntheorie der instrumentellen Konditionierung bietet einen Erklärungsansatz für das Fortsetzen einer Geschäftsbeziehung auf Basis loyalen Kundenverhaltens. Unter Lernen versteht man „[…] the process by which experience leads to changes in knowledge, attitudes and/or behaviour“.391 Im Bereich der Lerntheorie gibt es zahlreiche Ansätze, die den komplexen und vielschichtigen Lernprozess analysieren.392 Die Lerntheorie der instrumentellen Konditionierung baut auf dem klassischen Stimulus-Response-Schema auf. Die explizite Betrachtung des Organismus, der Black Box, wird vernachlässigt und es wird angenommen, dass der Mensch die Stimuli aus der Umwelt wahrnimmt, verarbeitet und einer entsprechenden in Form der Response handelt. Im Sinne der operanten Konditionierung wird ein bestimmtes Verhalten wiederholt, wenn es durch positive Verhaltensverstärker belohnt wurde bzw. eine Veränderung des Verhaltens durch negative Verhaltensverstärker bestraft wurde.393 Beispielsweise wirkt die Zufriedenheit mit einem Anbieter als positiver Verhaltensverstärker und erhöht somit die Wahrscheinlichkeit, dass der Nachfrager loyal bleibt. Die Lerntheorie der instrumentellen Konditionierung bietet daher einen Ansatz zur Erklärung des Wechselverhaltens aus Sicht der freiwilligen Bindung, wurde aber bisher vorrangig im Endkonsumentenbereich angewendet.394 Die unfreiwillige Bindung und das
386
387 388
389 390 391 392 393 394
Die soziale Austauschtheorie geht zurück auf Arbeiten von Homan (1958); Homan (1961); Thibaut/Kelley (1959). Vgl. Buvik (2001), S. 443. Vgl. zur Modellierung der Anbieter-Nachfrager-Beziehung auf Basis der Austauschtheorie im B2B-Bereich Dwyer et al. (1987); Hallén et al. (1991). Vgl. Thibaut/Kelley (1959), S. 12f. Vgl. Ebenda, S. 9. Engel et al. (1986), S. 426. Für einen Überblick der Lerntheorien sei verwiesen auf Bower/Hilgard (1980). Vgl. Nord/Peter (1980), S. 38; Wilkie (1994), S. 270. Vgl. Homburg et al. (1999), S. 179.
66
3 Konzeptualisierung eines Modells der Markenbindung
Umfeld werden nicht thematisiert und damit werden die beiden Aspekte im Ansatz nicht beachtet. Die Theorie der kognitiven Dissonanz ist auf Festinger (1957)395 zurückzuführen und erweitert das SR-Schema um die Betrachtung des Organismus. Dabei wird angenommen, dass das Individuum versucht ein dauerhaftes Gleichgewicht des kognitiven Systems zu halten.396 Das kognitive System stellt die Summe von Wissen, Erfahrung und Meinungen sowie die Beziehung zwischen den Teilen dar. Ein Ungleichgewicht des Systems wird als kognitive Dissonanz interpretiert.397 Die kognitive Dissonanz wird als Spannung empfunden, wenn eine Kognition konträr zu einer anderen ist.398 Das Individuum wird versuchen die Spannung durch entsprechendes Verhalten zu verringern, sobald ein bestimmtes Toleranzniveau überschritten wird.399 Dabei steigt die Wahrscheinlichkeit von kognitiver Dissonanz mit Unwiderrufbarkeit der Entscheidung, Attraktivität der nicht gewählten Optionen, Anzahl der Optionen, Varianz der Optionen, Bedeutung der Entscheidungssituation und geringem Entscheidungsdruck.400 Unzufriedenheit stellt eine kognitive Dissonanz dar, wenn die erwartete Leistung nicht mit der erbrachten Leistung des Anbieters übereinstimmt. Mögliche Handlungen, um die Spannung zu verringern, sind der Wechsel des Anbieters oder die Anspruchsniveauanpassung.401 Ebenso erklärt die kognitive Dissonanztheorie loyales Verhalten des Nachfragers. Ist der Nachfrager mit dem derzeitigen Anbieter zufrieden, besteht ein kognitives Gleichgewicht, welches beibehalten werden soll.402 Deshalb versucht das Individuum beim Anbieter zu bleiben, um das Gleichgewicht zu halten. Die Theorie der kognitiven Dissonanz wird vor allem zur Erklärung des Zusammenhangs von Kundenzufriedenheit mit Wechselabsicht bzw. Wechselvollzug herangezogen.403 Sie umfasst damit die Erklärung der freiwilligen Bindungsfaktoren, jedoch nicht die der Faktoren der unfreiwillige Bindung und der Umwelt. Die Theorie des überlegten Handelns (Theory of Reasoned Action) wurde maßgeblich von Fishbein/Ajzen (1975) geprägt.404 Das Handeln eines Individuums basiert auf der Verhaltensabsicht des Individuums. Einstellung und subjektive Normen beeinflussen das Verhalten nicht direkt, sondern über die Verhaltensabsicht. Abbildung 3.1 stellt diesen Zusammenhang dar.
395 396 397 398 399 400 401 402 403 404
Vgl. Festinger (1957). Vgl. Festinger (1957), S. 3; Kroeber-Riel/Weinberg (2003), S. 182. Vgl. Festinger (1957), S. 18. Vgl. Ebenda; Oshikawa (1968), S. 429. Vgl. Festinger (1957), S. 19ff.; Kroeber-Riel/Weinberg (2003), S. 182. Vgl. Loudon/Delle Bitta (1993), S. 583f. Vgl. Peter (1997), S. 169. Vgl. Weinberg (1987), S. 165. Vgl. Homburg et al. (1999), S. 179. Vgl. Fishbein/Ajzen (1975).
3.2 Darlegung relevanter Erklärungsansätze
67
Einstellung
Subjektive Norm
Abb. 3.1
Intention
Verhalten
Darstellung der Theorie des überlegten Handelns405
Die Theorie des überlegten Handelns unterstellt somit ein willentliches Verhalten, das von der Verhaltensabsicht mediiert wird. Der Begriff der Einstellung bezieht sich in diesem Zusammenhang auf die Einstellung gegenüber der Handlung und nicht auf das Objekt.406 Allerdings wurde diese Einschränkung in neueren Beiträgen zur Theorie genau um diesen Aspekt erweitert.407 Subjektive Normen beeinflussen die Verhaltensabsicht des Individuums insofern wie relevante andere Personen denken, dass das Individuum in einer bestimmten Weise handeln sollte. Relevante andere Personen sind solche Personen, deren Meinung wichtig für das Individuum ist. Das Konstrukt der subjektiven Norm ist nicht überschneidungsfrei von dem Konstrukt der Einstellung.408 So konnten die beiden Konstrukte in empirischen Studien bisher nicht voneinander abgegrenzt werden.409 Trotzdem wird dem Modell in einer Meta-Analyse eine hohe Prognosegüte nachgewiesen.410 Da die Theorie aber ausschließlich willentliches Handeln beachtet, bietet sie lediglich einen Erklärungsbeitrag für das willentliche Wechselverhalten. Das Wechselverhalten, welches durch unfreiwillige Faktoren beeinflusst wird, kann hier nicht betrachtet werden. Ebenso werden situative Faktoren vernachlässigt. Die Beschränkung auf willentliches Handeln wurde von Ajzen (1985b) im Rahmen der Theorie des geplanten Verhaltens (Theory of Planned Behavior) thematisiert.411 Hierbei wird das Grundmodell der Theorie des überlegten Handelns um das Konstrukt der Verhaltenskontrolle erweitert. Die Verhaltenskontrolle beschreibt die Wahrnehmung einer Person, wie einfach oder wie schwer es ihr fällt, ein bestimmtes Verhalten umzusetzen.412 Dadurch können ökonomische und vertragliche Wechselbarrieren bei der Verhaltensanalyse berücksichtig werden, die bisher außer Acht gelassen wurden. Bansal/Taylor (1999) sehen beispielsweise in den wahrgenommenen Wechselkosten einen Aspekt der Verhaltens-
405 406 407 408 409 410 411 412
In Anlehnung an Fishbein (1980), S. 69. Vgl. Ajzen/Fishbein (1980), S. 54. Vgl. Gotlieb et al. (1994), S. 876. Vgl. Oliver/Bearden (1985), S. 324f. Vgl. Ryan (1978). Vgl. Sheppard et al. (1988), S. 388ff. Vgl. Ajzen (1985b). Vgl. Eagly/Chaiken (1993), S. 186.
3 Konzeptualisierung eines Modells der Markenbindung
68
kontrolle.413 Die Verhaltenskontrolle wirkt dabei auf das Verhalten und auf die Verhaltensabsicht. Abbildung 3.2 stellt dies in der Graphik dar. Hierüber kann zumindest teilweise die Diskrepanz zwischen tatsächlichem Verhalten und Verhaltensabsicht begründet werden. Auch wenn dies nur ansatzweise möglich ist, da davon auszugehen ist, dass noch weitere Gründe für die Diskrepanz existieren. Situative Faktoren werden in der Theorie des geplanten Verhaltens nicht direkt beachtet, könnten aber letztlich auch über die Verhaltenskontrolle mit einbezogen werden.
Einstellung
Subjektive Norm
Intention
Verhalten
Verhaltenskontrolle
Abb. 3.2
3.2.2
Darstellung der Theorie des geplanten Verhaltens414
Ökonomische Ansätze
Die Wechselentscheidung industrieller Nachfrager kann auch aus ökonomischer Sicht analysiert werden. Dabei bauen die unterschiedlichen Theorien in erster Linie auf den Grundkenntnisse der neoklassischen Theorie des Konsumverhaltens auf.415 Für die Betrachtung der Wechselentscheidung empfiehlt sich insbesondere die Zufallsnutzentheorie, da hier angenommen wird, dass das Verhalten des Konsumenten nicht in Gänze erfasst werden kann. Nachfolgend soll deshalb darauf näher eingegangen werden. Darüber hinaus soll auch die Transaktionskostentheorie und die Informationsökonomie betrachtet werden, da sich hier einerseits Ansatzpunkte zur Erklärung der Austauschbeziehung und andererseits der
413 414 415
Vgl. Bansal/Taylor (1999), S. 201. In Anlehnung an Ajzen (1985a), S. 33. Vgl. Zur Darstellung der grundlegenden Erkenntnisse der Konsumtheorie u. a. Green (1985); Varian/Buchegger (2001).
3.2 Darlegung relevanter Erklärungsansätze
69
Relevanz der Marke ergeben. Abschließend werden die grundlegenden Erkenntnisse der mikroökonomischen Theorie nach Hirschman erläutert. Ursprünglich stammt die theoretische Ausgangsbasis der Zufallsnutzentheorie aus dem Bereich der Psychologie durch Thurstone (1927).416 Marschak (1960) interpretierte die Stimuli als Nutzen und liefert so eine Ableitung für nutzenmaximierende Modelle, auch bezeichnet als Random Utility Models (RUM).417 Dabei ist zu beachten, dass Modelle, die auf der Nutzenmaximierungsannahme beruhen, auch für Entscheidungen verwendet werden können, die dieser nicht folgen.418 Die Herleitung der Modelle gewährleistet, dass sie mit der Nutzenmaximierung konsistent sind, jedoch nicht den Ausschluss von Modellen, die mit anderen Formen von Verhalten korrespondieren. Das Modell beschreibt letztlich die Beziehung zwischen explanatorischen Variablen und dem Ergebnis der Wahl ohne die Art des Entscheidungsprozesses zu betrachten.419 Die Zufallsnutzentheorie, als neoklassische mikroökonomische Theorie, geht von der Nutzenmaximierung durch den Entscheidungsträger aus. Im Gegensatz zur mikroökonomischen Konsumtheorie wird allerdings dem Aspekt Rechnung getragen, dass der Analytiker nur unvollständigen Einblick in die Entscheidung des Individuums hat.420 Die Gründe hierfür liegen darin, dass nicht alle relevanten Charakteristika der Alternativen im Modell berücksichtigt werden, nicht alle relevanten soziökonomischen Charakteristika des Individuums bekannt sind (unobserved taste variations) oder die relevanten Faktoren nicht exakt gemessen werden können.421 Damit gehen sowohl deterministische als auch stochastische Komponenten bei der Analyse der Wechselentscheidung mit ein. Die Berücksichtigung der Zufallskomponente legitimiert aber keineswegs die wissenschaftliche Ungenauigkeit in Theorie und Analyse. Vielmehr stellt diese die theoretische Berücksichtigung der mangelnden Umsetzbarkeit dar, alle entscheidungsrelevanten Variablen in die Untersuchung mit einzubeziehen, sie exakt zu messen und die Bewertungsskalen der Individuen im Modell zu erfassen.422 Grundsätzlich stellt dieser Aspekt keinen Unterschied zur Konsumtheorie dar, jedoch wird die Unvollkommenheit der Analyse schon in der theoretischen Ableitung des Modells vorgenommen und nicht erst am Übergang von Theorie zu Empirie.423 Im Rahmen der Zufallsnutzentheorie können im Wesentlichen sowohl freiwillige als auch unfreiwillige Faktoren über die Attribute der Alternativen in Form der Nutzenfunktion abgebildet werden. Zudem werden soziodemographische Faktoren des Entscheidungsträgers in das Modell mit einbezogen. Situative Faktoren sind jedoch zunächst nicht im Modell enthalten und auch Anhaltspunkte, welche bindende Faktoren beachten, können nicht im Rahmen der 416 417 418 419 420 421 422 423
Vgl. Thurstone (1927). Vgl. Marschak (1960). Vgl. Train (2003), S. 18. Vgl. Ebenda, S. 18. Vgl. Maier/Weiss (1990), S. 98. Vgl. Manski (1977); Maier/Weiss (1990), S. 98f. Vgl. Louviere et al. (2000), S. 13; Maier/Weiss (1990), S. 101. Vgl. Maier/Weiss (1990), S. 101.
70
3 Konzeptualisierung eines Modells der Markenbindung
Zufallsnutzentheorie abgeleitet werden. Darüber hinaus liefert die Zufallsnutzentheorie keine Aussagen über mögliche Wirkungszusammenhänge und kann daher nicht als alleinige theoretische Fundierung für die Fragestellung dienen. Neben den klassischen mikroökonomischen Theorien mit einem vollkommen rationalen und vollständig informierten Handelnden, dem Homo Oeconomicus, können auch die neuen mikroökonomischen Theorien, wie die Informationsökonomie und die Transaktionskostentheorie für die Fundierung von Entscheidungsprozessen herangezogen werden. Dabei verändern sich aber grundlegend die Prämissen. So wird ein „administrative man“ unterstellt, der begrenzt rational und opportunistisch handelt.424 Einen grundlegenden Beitrag leistet die Informationsökonomie. Im Rahmen der Informationsökonomie liegt der Schwerpunkt der Betrachtung von Austauschprozessen auf dem Fehlen von vollständigen Informationen.425 Gegenstand der Untersuchung ist, unter welchen Bedingungen Wirtschaftssubjekte Informationen beschaffen und übertragen können. Aber auch die Fragestellung, inwiefern eine Markteffizienz hergestellt werden kann, unter Verletzung der Annahmen vollkommen verteilter Informationen. Annahmen der Informationsökonomie sind somit unvollständige Informationen und Unsicherheit.426 Unsicherheit entsteht aufgrund asymmetrisch verteilter Informationen zwischen den Akteuren. Diese werden auch herangezogen, um opportunistisches Verhalten zu erklären.427 Aus informationsökonomischer Sicht wird dabei der Schwerpunkt auf die Kosten der Unsicherheitsreduzierung gelegt.428 Die informationsökonomische Sichtweise deckt dabei sowohl Aspekte der freiwilligen als auch der unfreiwilligen Bindung ab. Die freiwillige Bindung erklärt sich aus informationsökonomischer Sicht darüber, dass beispielsweise die Marke als Informationssubstitut fungiert und die im Kaufentscheidungsprozess wahrgenommene Unsicherheit reduzieren kann.429 Die unfreiwillige Bindung in Form der Wechselbarrieren kann wiederum über die Kosten für die Unsicherheitsreduzierung begründet werden. Werden beispielsweise die Kosten der Informationssuche als zu hoch eingeschätzt, um das Leistungsangebot zu beurteilen, kann der Verbleib beim bisherigen Anbieter als vorteilhafter vom Entscheidungsträger beurteilt werden. Zudem berücksichtigt die Informationsökonomie situative Determinanten, da die Umweltunsicherheit explizit in die Betrachtung mit eingeht. Weiterhin kann die Transaktionskostentheorie zur Erklärung des Wechselverhaltens einen Beitrag leisten.430 Grundsätzlich bietet die Transaktionskostentheorie einen Erklärungsbeitrag
424 425 426 427 428 429 430
Vgl. Weiber/Adler (1995), S. 47. Vgl. u. a. Fishbein et al. (1993); Weiber/Adler (1995). Vgl. Hirshleifer/Reiley (1979), S. 1377; Kleinaltenkamp (1992), S. 810ff. Vgl. Weiber/Adler (1995), S. 45f. Vgl. Weiber (2007), S. 99. Vgl. Homburg et al. (2006), S. 285. Property-Rights und Prinzipal-Agenten-Ansatz der neuen Institutionsökonomie können vernachlässigt werden. Im Rahmen des Property-Rights-Ansatzes soll anhand der Verfügungsrechte die Frage nach der
3.2 Darlegung relevanter Erklärungsansätze
71
zum Wechselverhalten von industriellen Nachfragern, da sie sich mit den Koordinationsmechanismen sozioökonomischer Austauschbeziehungen befasst.431 Gegenstand der Transaktionskostentheorie ist die Analyse, welche Form des Leistungsaustauschs bevorzugt werden sollte, wenn Transaktionskosten aufgrund von Marktversagen durch Unsicherheit bzw. Komplexität der Umwelt, Spezifität der Transaktion, beschränkte Rationalität der Akteure und unvollkommenen Informationen bei der Übertragung von Handlungs- und Verfügungsrechten entstehen.432 Eine langfristige Geschäftsbeziehung ist dann vorteilhaft, wenn die Transaktion mit hohen spezifischen Investitionen433 sowie hoher wettbewerbsstrategischer Bedeutung verbunden ist und sich durch ein hohes Maß an Unsicherheit auszeichnet.434 Demzufolge beinhaltet die Transaktionskostentheorie vorrangig die unfreiwilligen Bindungsfaktoren, die den Nachfrager dazu zwingen, beim derzeitigen Anbieter zu verbleiben, aufgrund der mit einem Wechsel verbundenen erhöhten Transaktionskosten. Hier wird im Sinne von Picot et al. (2008) angenommen, dass die Transaktionskosten in Form der Informations- und Kommunikationskosten bei wechselseitigen Leistungsbeziehungen in folgenden Phasen anfallen: Anbahnung, Vereinbarung, Abwicklung, Kontrolle und Anpassung.435 Die unfreiwillige Bindung wird im Rahmen der Transaktionskostentheorie damit begründet, dass spezifische Investitionen in die Geschäftsbeziehung getätigt werden. Die freiwillige Bindung wird nur indirekt berücksichtigt, indem unterstellt wird, dass die Koordinationsform gewählt wird, die die geringsten Transaktionskosten verursacht.436 Eine freiwillige Bindung kann nur dann vorliegen, wenn die Transaktionskosten über bindungswirksame Maßnahmen des Anbieters gesenkt werden können, so dass die mit dem Wechsel verbundenen Transaktionskosten geringer ausfallen. Außerdem zieht die Transaktionskostentheorie situative Determinanten mit der Unsicherheit bzw. Komplexität der Umwelt und der Transaktionskostenatmosphäre in die Analyse mit ein.437
431 432
433
434 435 436 437
effizienten institutionellen Form für die Koordination der Leistungsbeziehung beantwortet werden. Da hier das Verhalten der industriellen Nachfrager im Vordergrund steht, kann dieser Ansatz ausgeschlossen werden. Ebenso der Prinzipal-Agenten-Ansatz, weil dieser die Überwindung von opportunistischen Verhaltensspielräumen zwischen Anbieter und Nachfrager thematisiert. Vgl. hierzu Picot et al. (2008), S. 34-50. Vgl. Coase (1937), S. 368ff.; Williamson (1981), S. 552; Picot (1991), S. 178. Vgl. Picot et al. (2008), S. 42f.; Williamson (1975), S. 40. Für die unterschiedlichen Formen des Leistungsaustauschs siehe Picot (1991), S. 340. Spezifische Investitionen können sich sowohl materiell als auch immateriell gestalten und sich auf Standorte, Sachkapital oder auch Humankapital beziehen. Vgl. Williamson (1981), S. 554ff. Vgl. Williamson (1981), S. 558ff.; Picot (1982), S. 267ff. Vgl. Picot et al. (2008), S. 42. Dies gilt nur unter Annahme von konstanten Produktionskosten. Vgl. hierzu Picot (1991), S. 149. Die umweltbezogenen Determinanten werden im Rahmen des „organizational failure frameworks“ nach Williamson über die Faktoren der Umweltunsicherheit und der Transaktionskostenatmosphäre berücksichtigt. Vgl. Williamson (1981). Die Transaktionskostenatmosphäre beinhaltet „alle für die Organisation einer Leistungsbeziehung relevanten sozialen, rechtlichen und technologischen Rahmenbedingungen“. Picot et al. (2003), S. 52.
72
3 Konzeptualisierung eines Modells der Markenbindung
Ein weiterer ökonomischer Ansatz zur Erklärung des Wechselverhaltens ist die mikroökonomische Theorie Hirschmans. Diese wird an sich den ökonomischen Ansätzen zugeordnet, beinhaltet aber auch verhaltenswissenschaftliche und politische Aspekte. Hirschman beschreibt ein Szenario, in dem sich die Qualität der erbrachten Leistung im Zeitverlauf verschlechtert und hierdurch Unzufriedenheit beim Nachfrager entsteht. Die zentrale Aussage der Theorie ist, dass der Nachfrager in dieser Situation mit zwei Möglichkeiten reagieren kann: Abwanderung oder Widerspruch.438 Die Determinanten für die Entscheidung über Abwanderung oder Widerspruch werden dabei in psychischen und ökonomischen Wechselbarrieren, Erfolgswahrscheinlichkeit des Widerspruchs, dem wahrgenommenen Risiko, der Wichtigkeit bzw. dem Wert, der Attraktivität der Konkurrenz, der Qualitätselastizität und den Kosten des Verbleibs gesehen.439 Abbildung 3.3 stellt die Determinanten zur Übersicht graphisch dar. Dabei wird die Loyalität in der Theorie Hirschmans indirekt in Form der psychischen Wechselbarrieren beachtet.440 Sie basiert auf der Annahme, dass der Abnehmer die Erwartung einer Verbesserung hat, welche auf positive Erfahrungen sowie der Wirksamkeit früheren Widerspruchs beruht.441 In diesem Sinne stellt Loyalität ein Wechselhemmnis dar, das die psychischen Wechselkosten erhöht. Demnach erfasst die Theorie Hirschmans sowohl die freiwillig Bindung als auch die unfreiwillige Bindung. Darüber hinaus werden situative Bindungsfaktoren indirekt über das wahrgenommenen Risiko und die Erfolgswahrscheinlichkeit des Widerspruchs beachtet.442
438 439 440 441
442
Vgl. Hirschman (1974), S. 3ff. Vgl. Ebenda. Vgl. Ebenda, S. 65ff. Die positive Wirkung des Einlegens von Widerspruch in der Vergangenheit auf Loyalität wurde empirisch belegt von Fornell/Wernerfelt (1987), S. 340ff. Die Erfolgswahrscheinlichkeit des Widerspruchs bedingt sich durch die Marktstruktur. Bei einem Markt mit wenigen Nachfragern ist diese am größten. Vgl. hierzu Hirschman (1974), S. 34f.
3.3 Zusammenfassende Beurteilung der Ansätze
73
Psychische Wechselbarrieren/ Loyalität Erfolgswahrscheinlichkeit des Widerspruchs
Wahrgenommenes Risiko -
+ Widerspruch -
Wichtigkeit und Wert
Abwanderung +
Ökonomische Wechselbarrieren/ Wechselkosten Attraktivität des Konkurrenzangebots Qualitätselastizität der Nachfrager Bleibekosten
Abb. 3.3
Determinanten der Entscheidung über Abwanderung oder Widerspruch im Rahmen der Theorie Hirschmans443
3.3 Zusammenfassende Beurteilung der Ansätze Nachdem die zentralen ökonomischen und verhaltenswissenschaftlichen Ansätze zur Fundierung der Wechselentscheidung industrieller Nachfrager erläutert wurden, sollen diese nun zusammenfassend betrachtet werden. Dabei steht im Vordergrund, inwieweit die Anätze freiwillige, uunfreiwillige und situative Bindungsfaktoren adressieren und auf welcher Betrachtungsebene Aussagen zur Wechselentscheidung getroffen werden. Wie gezeigt wurde, gibt es verschiedene Möglichkeiten die Fragestellung der Arbeit theoretisch zu fundieren. Tabelle 3.2 stellt die Beurteilung der Ansätze anhand der soeben aufgeführten Kriterien als
443
In Anlehnung an Schütze (1992), S. 92.
3 Konzeptualisierung eines Modells der Markenbindung
74
Übersicht dar. Eine Bewertung mit zwei Sternen bedeutet, dass der Aspekt vom Ansatz berücksichtigt wird. Ein Stern gibt wieder, dass der Ansatz den Aspekt nur indirekt thematisiert und entsprechend ist eine fehlende Bewertung mit der Vernachlässigung des Faktors innerhalb des Ansatzes verbunden. Freiwillige Bindungsfaktoren
Ansatz
Unfreiwillig Bindungsfaktoren
Situative Bindungsfaktoren
Ebene
Verhaltenswissenschaftliche Ansätze Behavioral Theory of the Firm
**
*
Organisation
Resource-Dependence-Ansatz
**
*
*
Organisation
Soziale Austauschtheorie
**
*
Lerntheorie
**
Individuum
Theorie der kognitiven Dissonanz
**
Individuum
Theorie des überlegten Handelns
**
Individuum
Theorie des geplanten Verhaltens
**
**
**
Individuum
Zufallsnutzentheorie
**
**
*
Individuum
Informationsökonomie
**
*
**
Individuum
Transaktionskostentheorie
*
**
**
Organisation
Theorie Hirschmans
*
**
*
Individuum/ Organisation
Individuum
Ökonomische Ansätze
Tab. 3.2
Beurteilung der theoretischen Markenwechselentscheidung
Ansätze
zur
theoretischen
Fundierung
der
Wie aus Bewertung hervorgeht, eignen sich sowohl ökonomische als auch verhaltenwissenschaftliche Ansätze als theoretische Fundierung des Betrachtungsgegenstandes. Der grundlegende Gedanke für die Betrachtung der Wechselentscheidung industrieller Nachfrager besteht darin, ein ökonomisches Modell um verhaltenswissenschaftliche Aspekte zu erweitern, umso weitreichende Erkenntnisse bezüglich des Wechselverhaltens ableiten zu können.444 Dementsprechend soll nachstehend analysiert werden, welche Ansätze sich hierfür eignen, um anschließend in Abschnitt 3.3 den konzeptionellen Bezugsrahmen aufzustellen. Der wesentliche Schwachpunkt der verhaltenswissenschaftlichen Ansätze stellt die Vernachlässigung der unfreiwilligen und situativen Bindungsfaktoren dar. Der Zwang aus Anbietersicht wird in erster Linie in den ökonomischen Ansätzen adressiert. Die Ausnahme aus 444
Siehe hierzu die Ausführungen in Abschnitt 2.2 und 2.4.
3.3 Zusammenfassende Beurteilung der Ansätze
75
verhaltenswissenschaftlicher Sicht bilden Resource-Dependence-Ansatz, soziale Austauschtheorie und Theorie des geplanten Verhaltens. Die Ansätze leisten einen Erklärungsbeitrag, um das Beenden einer Geschäftsbeziehung im Sinne der unfreiwilligen Bindung zu erklären. Innerhalb des Resource-Dependence-Ansatz und der sozialen Austauschtheorie geschieht dies über den Aspekt der Abhängigkeit. Folglich wird hier eine Wechselbarriere beachtet und daher eignen sich die beiden Ansätze sowohl zur Erklärung der freiwilligen als auch der unfreiwilligen Bindungsfaktoren. Darüber hinaus wird die Umweltunsicherheit bei der Behavioral Theory of the Firm und dem Resource-Dependence-Ansatz miteinbezogen. Allerdings unterscheiden weder die Austauschtheorie noch der Resource-Dependence-Ansatz zwischen Verhalten und Verhaltensabsicht. Hingegen wird bei der Theorie des geplanten Verhaltens über den Aspekt der Verhaltenskontrolle berücksichtigt, dass nicht alle Handlungen aus freiem Willen vorgenommen werden können. Dementsprechend gibt die wahrgenommene Verhaltenskontrolle wider, inwieweit es einem Individuum einfach oder schwer fällt, ein bestimmtes Verhalten auszuführen.445 So ist davon auszugehen, dass das Individuum eher die Absicht bildet eine bestimmte Handlung auszuführen und diese auch tatsächlich vollzieht, wenn es glaubt mehr Möglichkeiten und Ressourcen zu besitzen bzw. die Umsetzung des Handelns als weniger hindernisreich eingeschätzt wird. Damit wird die Prämisse der vollständigen Kontrolle der Theorie des überlegten Handelns aufgehoben.446 Durch den Aspekt der Verhaltenskontrolle wird folglich berücksichtigt, dass es zur Diskrepanz zwischen Wechselabsicht und Wechselverhalten kommen kann. Überdies wirken die Faktoren der Verhaltensintention wechselseitig aufeinander ein.447 Gerade die Unterscheidung von Wechselverhalten und Wechselabsicht scheint für die Analyse der Wechselentscheidung vorteilhaft gegenüber den anderen Ansätzen und soll daher im Weiteren als theoretischer Ausgangspunkt verwendet werden. Die ökonomischen Ansätze eröffnen grundsätzlich die Möglichkeit freiwillige, unfreiwillige und situative Bindungsfaktoren zu erfassen. Jedoch unterscheidet sich die Zufallsnutzentheorie wesentlich von den Prämissen der Transaktionskostentheorie oder der Informationsökonomie, wie Abschnitt 3.1.2 dargelegt wurde. Damit erscheint es problematisch, eine zufallsnutzentheoretische Fundierung um Aspekte der Transaktionskostentheorie und der Informationsökonomie zu erweitern. Jedoch schließt die Zufallsnutzentheorie nicht aus, dass das Modell mit anderen Formen von Verhalten korrespondiert. Deshalb erscheint es wiederum unkritisch, die Ansätze als gemeinsame Basis zu verwenden. Im Fokus steht aber die Eignung des ökonomischen Ansatzes zur Abbildung der Wechselentscheidung. Die Transaktionskostentheorie setzt sich mit der Koordinationsform der Leistungsbeziehung auseinander. Damit lässt sich in erster Linie die Wahl der institutionellen Form der Leistungsbeziehung fundieren, jedoch weniger der Anbieterwechsel. 445 446 447
Vgl. Eagly/Chaiken (1993), S. 186. Vgl. Madden et al. (1992), S. 4. Vgl. Ajzen (1989), S. 248.
76
3 Konzeptualisierung eines Modells der Markenbindung
Außerdem lässt die Transaktionskostentheorie keine Aussagen bezüglich des Entscheidungsverhaltens zu und bietet auch keinen Ansatzpunkt zur Modellierung der Wechselentscheidung. Dementsprechend eignet sich die Transaktionskostentheorie weniger zur Fundierung der Problemstellung des Anbieterwechsels. Ebenso scheint die Informationsökonomie nicht zweckdienlich für die Fundierung des Wechselverhaltens von industriellen Nachfragern, da keine Anhaltspunkte zur Abbildung der Wechselentscheidung gegeben werden. Nichtsdestotrotz kann die Informationsökonomie im Zusammenhang der Funktionsweise der Marke und der Bezugnahme auf die Umweltunsicherheit zur Erklärung herangezogen werden. Folglich soll auf die Informationsökonomie bei der Hypothesengenerierung zurückgegriffen werden und darüber hinaus sollen der Aspekt der Marke und der Umweltunsicherheit im konzeptionellen Bezugsrahmen über die Informationsökonomie integriert werden. Die Theorie Hirschmans liefert grundsätzlich einen verhältnismäßig breiten Erklärungsbeitrag zum Wechselverhalten, da eine Vielzahl an Faktoren das Wechselverhalten im Rahmen der Theorie erklärt. Insbesondere die Bezugnahme auf die Faktoren der Zufriedenheit, der Wechselbarrieren und des Ausmaßes der Loyalität ermöglichen die Begründung der Bindung an einen Anbieter. Deshalb soll die Theorie Hirschmans im konzeptionellen Rahmen verwendet werden. Auch das Entscheidungskalkül des Entscheidungsträgers wird über den Grundgedanken der Kosten-Nutzenabwägung berücksichtigt und stimmt damit mit den nutzentheoretischen Annahmen der Zufallsnutzentheorie überein. Die Zufallsnutzentheorie fundiert die Analyse von Entscheidungsprozessen und berücksichtigt explizit, dass die Wechselentscheidung nicht vollständig in einem Modell erfasst werden kann. Die Zufallsnutzentheorie erscheint damit als geeignete Grundlage die Wechselentscheidung industrieller Nachfrager abzubilden. Allerdings liefert sie keine Aussagen zu möglichen Bindungsfaktoren sowie deren Wirkungszusammenhängen und lässt folglich verhaltensrelevante Faktoren außer Acht. Wie bereits erwähnt, soll diese deshalb mit verhaltenswissenschaftlichen Ansätzen kombiniert werden, wodurch ein pluralistischer Ansatz als theoretische Basis der Wechselentscheidung zum Einsatz kommt. Aus verhaltenswissenschaftlicher Sicht wurde die Theorie des geplanten Verhaltens und die Theorie Hirschmans als vorteilhaft beurteilt. Der Aspekt der Marke soll über die Informationsökonomie erfasst werden. Zur Abbildung des grundlegenden Schemas kann die Zufallsnutzentheorie herangezogen werden. Nachfolgend wird beurteilt, ob die Komplementarität der Ansätze gegeben ist. Nachdem die Zufallsnutzentheorie, ebenso wie die Theorie des geplanten Verhaltens, die Informationsökonomie sowie die Theorie Hirschmans auf der individuellen Ebene ansetzt, ist deren Komplementarität auf Betrachtungsebene zunächst gewährleistet. Die Zufallsnutzentheorie trifft keine Aussagen, auf welche Weise die Entscheidung getroffen wird und es werden hierzu ebenfalls keine Annahmen bei der Theorie des geplanten Verhaltens
3.4 Ableitung des konzeptionellen Bezugsrahmens
77
vorgenommen. Die Annahme der Nutzenmaximierung des Kosten-Nutzen-Kalküls aus der Theorie Hirschmans sowie der Informationsökonomie sind daher mit den beiden Ansätzen vereinbar. Die Verbindung zwischen den beiden Ansätzen, der Zufallsnutzentheorie sowie der Theorie des geplanten Verhaltens, kann über den Faktor der Verhaltensabsicht hergestellt werden. Die Präferenzen, die im Rahmen der Zufallsnutzentheorie bestimmt werden, stellen nichts anderes dar, als die Verhaltensabsicht eines Individuums, welche in der Theorie des geplanten Verhaltens erfasst wird.448 So lehnt sich die Modellstruktur von Ajzen/Fishbein (1980) grundsätzlich dem neobehavioristischen SOR-Schema an, auf welchem auch die Zufallsnutzentheorie basiert. Im Gegensatz zur Zufallsnutzentheorie wird hierbei davon ausgegangen, dass intervenierende psychische Vorgänge innerhalb des Objektes erfasst werden können.449 Zudem bezieht sich die Theorie Hirschmans auf Faktoren, die das Kosten-Nutzen-Kalkül beeinflussen, womit die Vereinbarkeit mit der Zufallsnutzentheorie sichergestellt werden kann. Da auch der Informationsökonomie der Kosten-Nutzen-Gedanke zugrunde liegt, steht sie diesbezüglich nicht im Widerspruch zu den anderen Ansätzen. Grundsätzlich kann demnach die Komplementarität unterstützt werden. Dementsprechend soll nachfolgend auf Basis der ausgewählten theoretischen Ansätze der konzeptionelle Bezugsrahmen zur Erklärung der Markenbindung bei Wechselentscheidung industrieller Nachfrager abgeleitet werden.
3.4 Ableitung des konzeptionellen Bezugsrahmens Für die theoretische Fundierung des Untersuchungsgegenstandes wurden die Zufallsnutzentheorie, die Theorie des geplanten Verhaltens, die Theorie Hirschmans sowie die Informationsökonomie als geeignet befunden. Die den Theorien zugrundeliegenden Modelle sollen zur Ableitung des konzeptionellen Bezugsrahmens herangezogen werden. Als Basismodell wird das SOR-Schema der Zufallsnutzentheorie herangezogen, welches nachfolgend um die verhaltensrelevanten Einflussfaktoren der Theorie des geplanten Verhaltens erweitert werden soll im Sinne eine neobehavioristischen Sichtweise. Die Konkretisierung der Konstrukte mit Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand der Markenbindung erfolgt über die Theorie Hirschmans und die Informationsökonomie. Die Zufallsnutzentheorie wurde als Ausgangspunkt gewählt, da diese eine Strukturierung des
448 449
Vgl. Gutman (1982), S. 61. Vgl. Kroeber-Riel/Weinberg (2003), S. 29f. Nach Fischer/Wiswede (2002) ist der Neobehaviorismus durchaus in der Lage, die gegensätzlichen Ansatzpunkte zwischen behavioristischer und kognitiver Sicht abzubauen. Diese bestehen darin, dass im Behaviorismus nur Aussagen über beobachtbare Größen getroffen werden können, wie zum Entscheidungsverhalten und aus kognitiver Sicht die Black-Box den Betrachtungsgegenstand darstellt, die aus Sicht des Behaviorsimus nicht betrachtet werden kann. Vgl. zum Neobehaviorismus bzw. kognitiven Behaviorismus Fischer/Wiswede (2002), S. 40f.
3 Konzeptualisierung eines Modells der Markenbindung
78
Entscheidungsproblems bietet und beachtet, dass nicht alle Aspekte im Modell berücksichtigt werden können. Abbildung 3.4 stellt den konzeptionellen Bezugsrahmen graphisch dar. Modellebene Entscheidungskontext (Objekt): Kauftyp, Kaufwichtigkeit, Dauer der Kundenbeziehung
Entscheidungsträgercharakteristika: Position Erfahrung Leistungsangebot (Stimulus): Marke Produkteigenschaften Service Preis
Abb. 3.4
Zufriedenheit (Einstellung)
Wechselkosten (Verhaltenskonstrolle)
Markenbindung (Verhaltensintention)
Auswahlentscheidung (Response): Marke A Marke B Marke C Marke D
Konzeptioneller Bezugsrahmen: Erweitertes SOR-Schema zur Untersuchung der Markenbindung bei Wechselentscheidungen im B2B-Bereich
Das SOR-Schema beschreibt den Stimulus der Wechselentscheidung, welche sich in Form von unterschiedlichen Leistungsangeboten von verschiedenen Anbietern beschreiben lässt. Abbildung 3.4 stellt die Stimuli in der Graphik dar. Die konkrete Ausgestaltung hat einen zentralen Einfluss auf die Ergebnisse der Untersuchung und demnach ist es von Bedeutung den Stimulus möglichst realitätsnah zu erfassen. Das Vorgehen hierfür wird in Kapitel 5 näher beschrieben. Klassischerweise werden dem Stimulus die beobachtbaren Charakteristika des Käufers zugeschrieben.450 Angepasst auf den Untersuchungsgegenstand sind dies Faktoren, die den Entscheidungsträger des Unternehmens charakterisieren. Zur Beschreibung der Entscheidungsträgercharakteristika werden die Position sowie die Erfahrung des Entscheidungsträgers herangezogen. Auf Basis des Stimulus handelt der Entscheidungsträger, und es kann sein Antwortverhalten, die Response, beobachtet werden. Das hier beobachtete Verhalten ist die Wahl einer Anbietermarke von TK-Lösungen, wie in Abb. 3.4 ersichtlich. Auf Basis dieser Informationen lassen sich Rückschlüsse auf die Präferenz des Entscheidungsträgers ableiten. Dabei wird die Präferenz über die Größe des Nutzens ausgedrückt, wie in Abschnitt 2.2.2 dargelegt wurde. Nachdem im Fokus der Untersuchung der Einfluss der Marke im Entscheidungsprozess steht, wird diese aufgrund der informationsökonomischen Erkenntnisse im Bezugsrahmen erfasst. Demzufolge begründet sich die Berücksichtigung der Marke im Kaufentscheidungsprozess aufgrund ihrer Signalwirkung. Da die Zufallsnutzentheorie auf einer nutzenbasierten Wiedergabe beruht, wird der Aspekt der Markenbindung auch in dieser Form betrachtet. Folglich wird die Präferenz der Markenbindung über den Nutzen beschrieben. Der Nutzen der 450
Vgl. hierzu Abb. 2.5, die das klassische SOR-Schema zur Untersuchung des Käuferverhaltens beschreibt.
3.4 Ableitung des konzeptionellen Bezugsrahmens
79
Markenbindung steht somit im Mittelpunkt der Untersuchung und stellt in Form der Präferenz eine Verhaltensabsicht dar. In diesem Sinne verkörpert der Nutzen der Markenbindung die Verhaltensabsicht im Rahmen der Theorie des geplanten Verhaltens. Über den Nutzen der Markenbindung wird damit die Verknüpfung von Zufallnutzentheorie und der Theorie des geplanten Verhaltens geschaffen. Hierin entsteht auch der zentrale Vorteil des erweiterten Bezugsrahmens. So wird es ermöglicht, Aussagen über den Organismus zu treffen. Das SORSchema des Basismodells kann dementsprechend um verhaltensrelevante Variationsmöglichkeiten im Entscheidungsprozess erweitert werden. Nachfolgend wird auf diesen Aspekt näher eingegangen. Die Modellstruktur von Ajzen/Fishbein (1980) lehnt sich an dem neobehavioristischen SORSchema an und erfasst damit die verhaltensrelevanten psychischen Vorgänge innerhalb des Organismus (O). Diese Variationsmöglichkeiten werden im Bereich des Neobehaviorismus als intervenierende Variablen bezeichnet. Intervenierende Variablen sind theoretische Begriffe und Konstrukte, welche nicht-beobachtbare Vorgänge im Entscheidungsprozess des Entscheidungsträgers erfassen.451 Diese können unbeobachtbare Heterogenität und individuen- bzw. segmentspezifische Variationsquellen erklären.452 Intervenierende Variablen können nach aktivierenden und kognitiven Prozessen unterschieden werden, die nachfolgend vor dem Hintergrund der Konzeptualisierung erläutert werden. Abbildung 3.4 stellt den Zusammenhang der Faktoren graphisch dar. Determinanten aktivierender Prozesse können als menschliche Antriebskraft in Form von Emotion, Motivation und Einstellung interpretiert werden.453 Diese erhalten erst in Verbindung mit kognitiven Vorgängen des Entscheidungsträgers eine Bedeutung und können das Verhalten bestimmen.454 Dabei beinhalten Einstellungen emotionale und motivationale Komponenten und beziehen sich auf einen bestimmten Betrachtungsgegenstand.455 Folglich werden über die Berücksichtigung der Einstellung sowohl Motivation als auch Emotion miteinbezogen und auf den ausgewählten Untersuchungsgegenstand angewendet werden. Deshalb sollen die aktivierenden Prozesse im Weiteren über die Einstellung erfasst werden, entsprechend der Theorie des geplanten Verhaltens. Die Einstellung soll nach Peter/Olson (2008) als „a person’s overall evaluation of a concept“ definiert werden.456 Dementsprechend kann die Kundenzufriedenheit als Einstellungskonstrukt herangezogen werden, das sich über den Zeitverlauf hinweg in Form einer Gesamtbewertung der Marke herausbildet.457 Die Kundenzufriedenheit stellt einen Faktor dar, der als Hauptursache im Zusammenhang der 451 452 453 454 455 456
457
Vgl. Kroeber-Riel/Weinberg (2003), S. 30; Trommsdorff (2004), S. 160. Vgl. Muthén/Muthén (2002). Vgl. Kroeber-Riel/Weinberg (2003), S. 51. Vgl. Ebenda, S. 51; Peter/Olson (2008), S. 145f. Vgl. Kroeber-Riel/Weinberg (2003), S. 169; Roth (1967), S. 39-41; Trommsdorff (2004), S. 159. Peter/Olson (2008), S. 130. Dies entspricht im Wesentlichen der Auffassung von Kroeber-Riel/Weinberg (2003), S. 57. Eine ausführliche Diskussion der Verwendung der Kundenzufriedenheit als Einstellungskonstrukt findet sich in Abschnitt 4.1.2.
80
3 Konzeptualisierung eines Modells der Markenbindung
Kundenbindung angeführt wird.458 Die theoretische Fundierung der Kundenzufriedenheit im Zusammenhang der Wechselentscheidung basiert auf den Erkenntnissen der Theorie Hirschmans.459 Die Determinanten der kognitiven Prozesse werden allgemein über den Informationsverarbeitungsprozess der Kognitionstheorie in Informationsaufnahme, -verarbeitung und -speicherung beschrieben.460 Die Unterteilung in prozessuale Phasen trägt allerdings weniger zum Verständnis des Verhaltens bei und deshalb empfiehlt es sich, die Determinanten nach Wahrnehmung und Lernen zu unterscheiden.461 Die Wahrnehmung des Entscheidungsträgers fungiert als eine Art Filter, durch den ein subjektives Abbild des jeweiligen Stimulus hervorgerufen wird.462 Das Lernen bezieht sich auf die Speicherung der Informationen und auf Erfahrungen, die mit dem Produkt bzw. mit dem Anbieter verbunden sind.463 Grundsätzlich wird dieser Aspekt in der Theorie des geplanten Verhaltens über den Faktor der Verhaltenskontrolle im Sinne eines kognitiven Vorgangs erfasst. Bansal/Taylor (1999) interpretieren die wahrgenommenen Wechselkosten im Zusammenhang von Wechselentscheidungen als eine Form der Verhaltenskontrolle.464 Daher werden die wahrgenommenen Wechselkosten zur Berücksichtigung der Verhaltenskontrolle im Modell miteinbezogen. Diese finden sich auch im Zusammenhang der Theorie Hirschmans wieder und können somit theoretisch fundiert werden.465 Des Weiteren sollte die subjektive Norm nach der Theorie des geplanten Verhaltens berücksichtigt werden. Subjektive Normen reflektieren, inwieweit ein Individuum glaubt, dass relevante andere Personen denken, dass es sich auf eine bestimmte Weise verhalten sollte.466 Relevante andere Personen sind solche, die einen Einfluss auf das Verhalten des Individuums ausüben können, da diesem ihre Meinung wichtig ist.467 Jedoch wurde gezeigt, dass das Konstrukt der subjektiven Norm mit dem der Einstellung konzeptionell stark verbunden ist468 und die gemessenen individuellen Normen zur Erklärung des Verhaltens nur geringfügig einen Beitrag leisten.469 Außerdem könnte deren gemeinsame Erfassung zu Überschneidungen führen, die in einer mehrfachen Erfassung von Einflussfaktoren münden
458
459 460 461 462 463 464 465 466 467
468 469
Vgl. u. a. Bolton et al. (2006); Burnham et al. (2003); Ganesh et al. (2000); Mittal/Kamakura (2001); Paulssen/Birk (2007); Ranaweera/Prabhu (2003). Vgl. Hirschman (1974), S. 29. Vgl. Kroeber-Riel/Weinberg (2003), S. 225. Vgl.Ebenda, S. 52; Peter/Olson (2008), S. 163. Vgl. Zentes/Swoboda (2001), S. 568f. Vgl. Kroeber-Riel/Weinberg (2003), S. 139. Vgl. Bansal/Taylor (1999), S. 201. Vgl. Hirschman (1974). Vgl. Peter/Olson (2008), S. 151. Vgl. Ajzen/Fishbein (1973), S. 42ff.; Bagozzi/Schnedlitz (1985), S. 366f.; Kroeber-Riel/Weinberg (2003), S. 177. Vgl. Oliver/Bearden (1985), S. 324f.; Warshaw (1980), S. 158. Vgl. Ajzen/Fishbein (1973), S. 42ff.; Kroeber-Riel/Weinberg (2003), S. 177.
3.4 Ableitung des konzeptionellen Bezugsrahmens
81
würde.470 Aus diesem Grund sollen im Weiteren der Fokus der Betrachtung auf die Einstellungen und die Verhaltenskontrolle des Entscheidungsträgers gelegt werden. Schließlich erweitern Fishbein/Ajzen (1975) ihr Modell, um eine weitere Erklärungsebene, der modellexternen Variablen, die nach situations- und personenbezogenen Merkmalen unterschieden werden können.471 Dabei haben diese Variablen allein keinen Einfluss auf das Verhalten, sondern äußern sich vielmehr indirekt über die Beeinflussung der Einstellung.472 Unter Beachtung der modellexternen Variablen kann begründet werden, warum Entscheidungsträger unterschiedliche Einstellungen bilden. Hierfür soll der Entscheidungskontext über die Bebschreibung der Kaufsituation erfasst werden. Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass die Kundenzufriedenheit zur Erfassung der Einstellung und die wahrgenommenen Wechselkosten zur Berücksichtigung der Verhaltenskontrolle in das Modell mit eingehen. Die Konstrukte können sich untereinander beeinflussen und daher werden entsprechende Interaktionen zwischen den beiden Konstrukten bei der Hypothesengenerierung berücksichtigt. Darüber hinaus werden Faktoren des Entscheidungskontextes abgebildet, die sich über die modellexogenen Variablen der situationsbezogenen Merkmale beschreiben lassen. Die situationsbezogene Variable, die in die Untersuchung miteinbezogen wird, ist die Kaufsituation. Diese lässt sich über den Kauftyp, die Kaufwichtigkeit sowie die Dauer der Kundenbeziehung erfassen.473 Ferner werden die Entscheidungsträgercharakteristika über die Position und die Erfahrung des Entscheidungsträgers widergespiegelt. Auf Basis dieses konzeptionellen Bezugsrahmens sollen im nachfolgenden Kapitel die Hypothesen generiert werden.
470 471 472 473
Vgl. Ryan (1978). Vgl. Ajzen/Fishbein (1980), S. 82; Fishbein/Ajzen (1975), S. 344. Vgl. Ajzen/Fishbein (1980), S. 85. Vgl. Abschnitt 2.4.
4
Hypothesen zur Markenbindung bei Wechselentscheidungen von industriellen Nachfragern
In Kapitel 4 wird auf Basis des abgeleiteten konzeptionellen Bezugsrahmens das Hypothesenmodell aufgestellt. Hierzu muss letztlich die Frage beantwortet werden, welche Faktoren und in welcher Form diese das Wechselverhalten von industriellen Nachfragern beeinflussen. Der Fokus der Betrachtung liegt dabei auf dem Nutzen, der durch die Wiederwahl der Marke, der Markenbindung, für den industriellen Entscheidungsträger entsteht. Die Entscheidungsträger werden nur dann eine Geschäftsbeziehung fortsetzen, wenn diese einen entsprechenden Nutzen im Vergleich zu Konkurrenzangeboten offeriert. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt somit auf der Wirkung von Marken im B2B-Bereich. Dementsprechend sollen in Abschnitt 4.1 Hypothesen zu Faktoren abgeleitet werden, die die freiwillige und unfreiwillige Markenbindung begründen. Zuerst wird die freiwillige Markenbindung betrachtet, die sich über den Markenwert und die Kundenzufriedenheit äußert. Die unfreiwillige Markenbindung wird über die Verhaltenskontrolle, in Form der Wechselkosten, erläutert. Dieser Aspekt ist insofern von Interesse, da „merely satisfying customers that have the freedom to make choices is not enough to keep them loyal“.474 Darüber hinaus kann die Wechselentscheidung nicht losgelöst vom Entscheidungskontext analysiert werden. Deshalb soll überprüft werden, inwieweit sich die Kaufsituation bei der Wechselentscheidung auswirkt. Abschnitt 4.2 behandelt den Einfluss der Kaufsituation, indem zuerst relevante beschreibende Faktoren identifiziert werden und entsprechende Hypothesen bezüglich ihrer Wirkung abgeleitet werden.
4.1 Hypothesen zur freiwilligen und unfreiwilligen Markenbindung Zunächst soll betrachtet werden, welche Faktoren eine Bindungswirkung aufweisen. Hierzu wird zuerst der Einfluss der Marke bei Wechselentscheidung in Abschnitt 4.1.1 untersucht, um daran anschließend den Einfluss der Kundenzufriedenheit auf den Nutzen der Markenbindung in Abschnitt 4.1.2 näher zu analysieren. Im Rahmen der Kundenzufriedenheitsbetrachtung sollen Fragen zur Wirkungsrichtung, der funktionalen Form des Zusammenhangs und mögliche Verzerrungen im Kundenzufriedenheitsurteil überprüft werden. Außerdem soll die Diskussion des Zusammenhangs zwischen Kundenzufriedenheit und Nutzen der Markenbindung um die Betrachtung der Zufriedenheit mit den einzelnen Bestandteilen des Leistungsangebots erweitert werden. Insbesondere soll deren Wirkung auf die Markenbindung und auf die Präferenzen des Entscheidungsträgers analysiert werden. Gefolgt wird die Analyse der Kundenzufriedenheit von der Untersuchung der Wechselkosten
474
Jones/Sasser (1995), S. 91.
4.1 Hypothesen zur freiwilligen und unfreiwilligen Markenbindung
83
in Abschnitt 4.1.3. Die wahrgenommenen Wechselkosten erfassen den Aspekt der unfreiwilligen Markenbindung bei der Wechselentscheidung. Dabei soll aufgezeigt werden, ob deren Einfluss auf den Nutzen der Markenbindung nachweisbar ist und ob diese den Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Nutzen der Markenbindung beeinflussen.
4.1.1
Markenwert
Grundsätzlich wird dem Markennamen eine Informationssubstitutsfunktion zugesprochen, die das wahrgenommene Risiko des Nachfragers und die Informationskosten reduzieren kann.475 Basierend auf dem Ansatz der Informationsökonomie kann die Signalwirkung der Marke theoretisch fundiert werden. Dabei wird unterstellt, dass Austauschprozesse nur mit unvollkommenen und asymmetrisch verteilten Informationen vorgenommen werden können, wodurch letztlich Unsicherheit bei der Entscheidung entsteht.476 Im Rahmen der Informationsökonomie werden zwei Maßnahmen unterschieden, die zur Reduktion der Unsicherheit durch Informationstransfer beitragen: „Signaling“ und „Screening“.477 Diese Differenzierung beachtet, dass der Anbieter entsprechende Informationen für Informationssuchende bereitstellt (Signaling) und der Konsument aktiv nach Information sucht (Screening). Klassischerweise wird die Signalwirkung von Werbemaßnahmen oder dem Preis untersucht und bestätigt.478 Folglich beeinflusst die Marke die Entscheidung des Konsumenten und der Anbieter kann dies über das Markenmanagement steuern.479 Beim Screening fungiert die Marke als Informationssubstitut, wenn die direkte Beurteilung der Leistungseigenschaften eines Kaufobjektes nur begrenzt möglich ist.480 Dabei kann die Marke sowohl als leistungsbezogenes Informationssubstitut in Form von preisbezogenem Markenimage aber ebenso als leistungsübergreifendes Informationssubstitut über die Reputation des Anbieters fungieren.481 Damit eröffnen Marken die Möglichkeit für Entscheidungsträger die Unsicherheit beim Entscheidungsprozess zu verringern sowie die Informationskosten zu reduzieren und steigern folglich die Effizienz des Kaufentscheidungsprozesses.482
475
476 477 478 479 480 481 482
Vgl. Caspar et al. (2002), S. 44; Homburg et al. (2006), S. 285; Mudambi et al. (1997), S. 442; Swait et al. (1993), S. 26. Hier wird ausschließlich die nachfragerorientierte Markenwirkung betrachtet. Für eine Übersicht zu Beiträgen zur Markenwirkung sei verwiesen auf Caspar et al. (2002), S. 14. Zur Darlegung der Bedeutung der Information als zentraler Bestandteil des ökonomischen Handelns vgl. Reichwald (2005), S. 249ff. Vgl. Weiber/Adler (1995), S. 46f. Vgl. Kleinaltenkamp (1992), S. 812ff.; Weiber/Adler (1995), S. 52. Vgl. Cooper/Ross (1988); Curry/Riesz (1988); Gardner (1970); Kihlstrom/Riordan (1984); Stiglitz (1989). Vgl. Swait et al. (1993), S. 24. Vgl. Kaas (1995), S. 974. Vgl. Homburg et al. (2006), S. 285. Vgl. Lynch/Chernatony (2004), S. 407f.; Hague/Jackson (1994), S. 57ff.
4 Hypothesen zur Markenbindung
84
Der Aspekt des Informationssubstituts wird u. a. auch in der Risikotheorie thematisiert. Im Rahmen der Risikotheorie kann der psychische Spannungszustand eines Entscheidungsträgers, das subjektiv wahrgenommene Risiko, durch ein Informationssubstitut gesenkt werden.483 Demzufolge kann der Entscheidungsträger durch den Kauf von Marken sein subjektiv wahrgenommenes Risiko verringern. Meyer/Sathi (1985) sowie Roberts/Urban (1988) bestätigen, dass das wahrgenommene Risiko den erwarteten Nutzen verringert.484 Ebenso zeigen Hauser/Wernerfelt (1990), dass niedrigere Informationskosten die Wahrscheinlichkeit, dass ein Produkt für den Kauf berücksichtigt wird, erhöhen.485 Folglich entsteht letztlich zusätzlicher Nutzen, der aufgrund der Funktion der Marke als Informations-substitut, dem Leistungsangebot zugesprochen werden kann.486 In diesem Sinne kann der Markenwert als „the additional utility not explained by measured attributes“ definiert werden.487 Damit sollte die Marke eine Informationseffizienz- und Risikoreduzier-ungswirkung aufweisen und somit zusätzlichen Nutzen stiften. Die Wirkung der Marke wird bisher voranging im B2CBereich betrachtet, aber auch im B2B-Bereich wird die Relevanz der Marke beim Entscheidungsprozess empirisch von Homburg et al. (2006), Hutton (1997) und Mudambi (2002) bestätigt.488 Zudem kann sich die Marke leistungsbezogen über den Preis bei der Kaufentscheidung auswirken, wie bereits dargelegt wurde. Daher sollte sich die Marke bei der Kaufentscheidung insofern äußern, als dass die Nachfrager bereit sind einen höheren Preis für Leistungsangebote mit einem höheren Markenwert zu bezahlen.489 Der Anbieter sollte dadurch ein Preispremium erzielen.490 Bendixen et al. (2004) und Hutton (1997) weisen empirisch nach, dass ein Preispremium für höherwertige Marken auch im B2B-Bereich durchsetzbar ist.491 Auf Basis bisheriger empirischer Erkenntnisse sowie informations- und risikotheoretischer Fundierung kann folgende Hypothese abgeleitet:
Hypothese 1 Bei Marken mit hohem Markenwert sind die Nachfrager weniger preissensitiv. Allerdings liefern die Untersuchungen, die sich mit der Relevanz von Industriegütermarken auseinandersetzen, teilweise konträre Ergebnisse. Damit ergibt sich die Notwendigkeit, die Wirkung der Marke beim Entscheidungsprozess näher zu analysieren. So wird festgehalten, 483 484 485
486 487 488 489 490 491
Vgl. Adler (1996), S. 96f. Vgl. Meyer/Sathi (1985), S. 48ff.; Roberts/Urban (1988), S. 179f. Vgl. Hauser/Wernerfelt (1990), S. 404. Für einen Literaturüberblick zu dieser Thematik sei auf Roberts/Lattin (1997) verwiesen. Vgl. Farquhar (1989), S. 24ff. Louviere/Johnson (1988), S. 22. Vgl. Homburg et al. (2006); Hutton (1997); Mudambi (2002). Vgl. Swait et al. (1993), S. 24. Vgl. Aaker (1996b), S. 107; Hague/Jackson (1994), S. 36; Keller (2008), S. 81. Vgl. Bendixen et al. (2004), S. 377; Hutton (1997), S. 435. Für empirische Untersuchungen zur Preiswirkung der Marke im B2C-Bereich siehe hierzu u. a. Guadagni/Little (1983); Horsky et al. (2006); Keller (2008); Swait et al. (1993).
4.1 Hypothesen zur freiwilligen und unfreiwilligen Markenbindung
85
dass das Markenbewusstsein im B2B-Bereich nur in geringem Umfang vorhanden ist,492 und ebenso, dass die Marke eine zentrale Rolle bei der Kaufentscheidung einnimmt.493 Ein Grund für die unterschiedlichen Schlussfolgerungen kann darin bestehen, dass die Markenbedeutung in Abhängigkeit von weiteren Faktoren variiert. Bestätigung hierfür erbringen die empirischen Belege des Einflusses der Beschaffungssituation auf die Markenbedeutung494 ebenso wie des Typs des Produktmarkts495 sowie der Entscheidungsträgercharakteristika.496 Zudem wird der Einfluss der Einstellung und der Verhaltenskontrolle des Entscheidungsträgers im Zusammenhang der Markenentscheidung bisher vernachlässigt.497 Im Relationship Marketing wird jedoch die Bedeutung von Einstellungsvariablen wie der Kundenzufriedenheit mit dem Anbieter für die Wiederwahl betont und damit wird letztlich ein zentraler Einfluss bei der Untersuchung der Markenwiederwahl im B2B-Bereich nicht beachtet. Ebenso steht die Untersuchung der Verhaltenskontrolle in Form der Wechselkosten noch aus. Außerdem fokussieren sich die Beiträge im B2B-Bereich vorrangig auf den Markenwert und weniger auf die Markenbindung. Dies ist insofern verwunderlich, da häufig Unternehmensmarkenstrategien auf industriellen Märkten von den Anbietern verfolgt werden und dementsprechend die Marke dazu dienen kann, eine langfristige Geschäftbeziehung zu etablieren bzw. die Bindung mit dem Anbieter zu stärken. Deshalb soll nachfolgend die Markenbindungswirkung der Kundenzufriedenheit in Abschnitt 4.1.2 und der Wechselkosten in Abschnitt 4.1.3 näher betrachtet werden. Im Zusammenhang der Kundenzufriedenheitsbetrachtung wird der Einfluss der Entscheidungsträgercharakteristika thematisiert, da sich diese in erster Linie über die Kundenzufriedenheit auswirken. Die situativen Einflüsse werden in Abschnitt 4.2 untersucht.
4.1.2
Kundenzufriedenheit
Das Konstrukt der Kundenzufriedenheit wurde maßgeblich von den Arbeiten von Anderson/Sullivan (1993), Fornell (1992) sowie Fournier/Mick (1999) geprägt.498 Bereits bis in die 1980er entstanden zahlreiche Beiträge zur Kundenzufriedenheit.499 Hieraus allein lässt sich die Bedeutung des Konstruktes ermessen. Aufgrund der vielen Beiträge existieren aber ebenso unterschiedliche Auffassungen des Konstruktes. Im Folgenden soll deshalb eine
492 493 494 495 496 497
498 499
Vgl. Sinclair/Seward (1988), S. 32. Vgl. Gordon et al. (1993), S. 15. Vgl. Bendixen et al. (2004); Homburg et al. (2006); Mudambi (2002). Vgl. Caspar et al. (2002). Vgl. Bendixen et al. (2004); Mudambi (2002). Eine Ausnahme stellt die Arbeit von Walker (2001) dar, die die Zufriedenheit mit einem Reiseinformationsdienst bei der Analyse der Wahlentscheidung im B2C-Bereich ein erweitertes Informationssystem zu nutzen, mit einbezieht. Vgl. hierzu Walker (2001). Vgl. Anderson/Sullivan (1993); Fornell (1992); Fournier/Mick (1999). Vgl. Peterson/Wilson (1992), S. 61.
4 Hypothesen zur Markenbindung
86
Konzeptualisierung der Kundenzufriedenheit erfolgen, um daraufhin auf die Bedeutung des Konstruktes im Zusammenhang der Markenbindung näher einzugehen. Allgemein wird Kundenzufriedenheit als die Folge eines psychischen Vergleichsprozesses interpretiert, der ein Zufriedenheitsurteil mit sich bringt.500 Dabei gibt es unterschiedliche Ansätze worauf die Vergleichsstandards beruhen.501 Nach Oliver (1980) beruht das Zufriedenheitsurteil auf dem Vergleich zwischen erwarteter und tatsächlicher Leistung.502 Hingegen basiert das Urteil nach Westbrook/Reilly (1983) auf dem verwendeten Wert bzw. Bedürfnissen oder Wünschen.503 Von Oliver/Swan (1989) werden zudem die faire Erwartung (equity expectation) herangezogen504 und Woodruff et al. (1983) verwenden als Vergleichsstandard erwartungsbasierte Normen (experience-based norms).505 In der wissenschaftlichen Diskussion ist der auf das Diskonfirmations-Paradigma zurückzuführende Vergleichsstandard nach Oliver (1980) weitverbreitet.506 Deshalb soll dieser im Weiteren verwendet werden. Zudem lassen sich die anderen Vergleichsstandards in das Diskonfirmations-Paradigma integrieren.507 Dementsprechend resultiert das Zufriedenheitsurteil aus dem kognitiven Vergleich des Entscheidungsträgers von erwarteter mit geleisteter Leistung. Grundsätzlich kann der Vergleichsprozess zwischen wahrgenommener Leistung nach dem Kauf und der erwarteten Leistung vor dem Kauf drei Kognitionszustände hervorrufen:508
500 501
502 503 504 505 506 507 508
Der Kunde ist zufrieden, da die erwartete Leistung der Tatsächlichen entspricht (confirmation),
der Kunde ist unzufrieden, da die Leistung nicht erwartungsgemäß erbracht wurde (negative disconfirmation) und
der Kunde ist begeistert, da die erhaltene Leistung die Erwartungen übertrifft (positive disconfirmation).
Vgl. Krafft (2007), S. 21; Peter/Olson (2008), S. 394; Trommsdorff (2004), S. 139. Für eine Übersicht der unterschiedlichen Theorieansätze vgl. Abschnitt 3.2.1 und Trommsdorff (2004), S. 145. Vgl. Oliver (1980), S. 460f. Vgl. Westbrook/Reilly (1983). Vgl. Oliver/Swan (1989). Vgl. Cadotte/Robinson (1978); Cadotte et al. (1987); Woodruff et al. (1983). Vgl. Krafft (2007), S. 21; Stauss (1999), S. 6. Vgl. Stauss (1999), S. 6. Vgl. Anderson et al. (1994), S. 55; Anderson/Sullivan (1993), S. 126f.; Boulding et al. (1993), S. 8f.; Fornell et al. (1996), S. 9; Oliver (1980), S. 460f.; Peter/Olson (2008), S. 393f.
4.1 Hypothesen zur freiwilligen und unfreiwilligen Markenbindung
87
Positive Diskonfirmation Wahrgenommene Leistung (Ist-Leistung) Zufriedenheit
Vergleichsprozess Vergleichsstandard (Soll-Leistung)
Konfirmation
Negative Diskonfirmation
Abb. 4.1
Unzufriedenheit
Verdeutlichung Konfirmations-Diskonfirmations-Paradigma509
Dabei kann sich die Kundenzufriedenheit einerseits auf die Geschäftsbeziehung, die über die Beziehungsdauer bewertet wird, beziehen oder andererseits auf eine spezifische Transaktion bzw. ein Leistungsangebot.510 Fraglich ist in diesem Zusammenhang, ob es sich bei der Kundenzufriedenheit um ein einstellungsbezogenes Konstrukt handelt511 oder ausschließlich um das Ergebnis eines kognitiven Soll-Ist-Vergleichs.512 Nachdem das vorrangige Ziel der Untersuchung darauf gerichtet ist, das Kaufverhalten zu analysieren, empfiehlt es sich, die Kundenzufriedenheit als Einstellungskonstrukt in die Betrachtung mit einzubeziehen.513 Letztlich kann Kundenzufriedenheit als Einstellung aufgefasst werden, wenn sie sich auf die Geschäftsbeziehung bzw. den Anbieter bezieht, da die Einstellung eher einen allgemeinen Bezug aufweisen sollte.514 Außerdem stellt die Zufriedenheit mit der Geschäftsbeziehung bzw. mit dem Anbieter ein Urteil dar, welches auf wiederholten Zufriedenheitsurteilen beruht und damit das zukünftige Verhalten festigt.515 Dies trifft nicht zu, wenn sich das Zufriedenheitsurteil auf eine Transaktion bezieht. Diese Unterscheidung wird jedoch hinfällig, wenn anstelle einer einzelnen Transaktion mehrere Transaktionsepisoden betrachtet werden und damit letztlich die kumulative Kundenzufriedenheit erfasst wird.516 In diesem Fall kann die Kundenzufriedenheit als Einstellungskonstrukt interpretieren werden. Abbildung 4.2 stellt den Zusammenhang zwischen der transaktionsbezogenen Zufriedenheit und der kumulativen Zufriedenheit mit dem Anbieter graphisch dar.
509 510
511 512 513 514 515 516
In Anlehnung an Homburg et al. (1999), S. 2. Vgl. Anderson et al. (1994), S. 55; Dwyer et al. (1987), S. 12; Homburg/Rudolph (2001), S. 16; Peter/Olson (2008), S. 393. Vgl.Churchill/Surprenant (1982), S. 493; Westbrook/Reilly (1983), S. 256. Vgl. Homburg et al. (1999), S. 2; Oliver (1997), S. 13. Vgl. Homburg/Rudolph (2001), S. 16; Rust et al. (1995), S. 64. Vgl. Bitner (1990), S. 70. Vgl. Anderson/Fornell (1994), S. 254; Anderson et al. (1994), S. 54; Rust et al. (1995), S. 64. Vgl. Anderson et al. (1994), S. 55; Dwyer et al. (1987), S. 12; Homburg/Rudolph (2001), S. 16; Peter/Olson (2008), S. 393.
4 Hypothesen zur Markenbindung
88
Evaluation der Servicequalität
Evaluation der Produktqualität
Transaktion 1
Transaktionsbezogene Zufriedenheit
Evaluation des Preises
Zufriedenheit mit Anbieter Evaluation der Servicequalität
Evaluation der Produktqualität
Transaktion n
Transaktionsbezogene Zufriedenheit
Evaluation des Preises
Abb. 4.2
Komponenten globaler Evaluierung von Kundenzufriedenheit517
Weiterhin ist aus der Abbildung zu entnehmen, dass die Kundenzufriedenheit aus der Zufriedenheit mit verschiedenen Leistungskomponenten resultiert. In der Literatur wird in diesem Zusammenhang auch von der Multidimensionalität der Kundenzufriedenheit gesprochen. Parasuraman et al. (1994) identifizieren drei Komponenten der Kundenzufriedenheit: Evaluierung der Servicequalität, der Produktqualität und des Preises.518 Beutin/Werner (1998) wiederum nehmen mit Hilfe von qualitativen Interviews eine weitere Differenzierung der einzelnen Leistungsbestandteile für Energieversorgungsunternehmen vor. Diese sind Beschwerdemanagement, Engagement, Rechnungsstellung, Kooperation, Kundencentereinrichtung, Dienstleistung und Energieversorgung.519 Homburg/Rudolph (2001) betrachten die Dimension der Kundenzufriedenheit im B2B-Bereich. Sie unterteilen die Zufriedenheit nach der Zufriedenheit mit den Produkten, den Vertriebsmitarbeitern, den produktbezogenen Informationen, dem Umgang mit Bestellungen, dem technischen Service, der Interaktion mit Angestellten und dem Umgang mit Beschwerden.520 Wie hieraus
517 518 519 520
In Anlehnung an Parasuraman et al. (1994), S. 121f.; Henseler (2006), S. 52. Vgl. Parasuraman et al. (1994), S. 121. Vgl. Beutin/Werner (1998), S. 554. Vgl. Homburg/Rudolph (2001), S. 24.
4.1 Hypothesen zur freiwilligen und unfreiwilligen Markenbindung
89
ersichtlich wird, variieren die Dimensionen der Kundenzufriedenheiten in Abhängigkeit des Untersuchungsgegenstands, wie beispielsweise aufgrund der Branche, des Leistungsangebots oder des Absatzmarktes von B2B- bzw. B2C-Märkten.521 Dementsprechend müssen die Leistungskomponenten für das jeweilige Untersuchungsobjekt abgeleitet werden. Im Rahmen der Conjoint-Analyse werden die Leistungskomponenten als Attribute bezeichnet und daher soll im Weiteren die Zufriedenheit mit der jeweiligen Leistungskomponente als Attributzufriedenheit benannt werden. In Abschnitt 5.3.1 wird auf die Attribute des Untersuchungsgegenstands der Arbeit näher eingegangen. Nachdem das Konstrukt Kundenzufriedenheit konzeptionalisiert wurde, sollen davon ausgehend die Hypothesen zur Wirkung von Kundenzufriedenheit und Attributzufriedenheit auf den Nutzen der Markenbindung abgeleitet werden. Zunächst wird auf die Kundenzufriedenheit eingegangen, bevor die Wirkung der Attributzufriedenheit analysiert wird. Im Vergleich zu bisherigen Untersuchungen, die den Einfluss der Kundenzufriedenheit auf die Verhaltenabsicht einen Anbieter wieder zu wählen betrachten,522 widmet sich diese Arbeit der Untersuchung des Einflusses der Kundenzufriedenheit auf das beobachtbare Verhalten. Es existieren nur wenige Untersuchungen, die den Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Kaufverhalten im B2B-Bereich analysieren. Lediglich Bolton (2008) und Verhoef et al. (2001) betrachten diesen Zusammenhang bisher.523 Sie zeigen, dass sich die Kundenzufriedenheit auf die Entscheidung einen bestehenden Vertrag zu erweitern auswirkt.524 Hingegen können Verhoef et al. (2001) den Einfluss der Kundenzufriedenheit auf das Cross-Buying-Verhalten empirisch nicht bestätigen.525 Damit stellt sich die Frage, ob die Kundenzufriedenheit die Wiederwahl der Marke bzw. die Markenbindung begünstigt. Es liegen jedoch zu diesem Zeitpunkt keine empirischen Erkenntnisse zum Einfluss der Kundenzufriedenheit auf die Markenbindung im B2B-Bereich vor. Jedoch ist der Einfluss der Zufriedenheit auf die Kundenloyalität sowie auf die Wiederkaufsabsicht in zahlreichen Untersuchungen empirisch bestätigt.526 Auch im Service Marketing wird gezeigt, dass die Zufriedenheit mit der Servicequalität eine unmittelbare Ursache für die Wechselabsicht darstellt.527 Ebenso wird im Relationship Marketing der Einfluss der Kundenzufriedenheit
521
522
523 524
525
526
527
Vgl. für einen ausführlichen Literaturüberblick zur Multidimensionalität der Kundenzufriedenheit Homburg/Rudolph (2001), S. 17f. Vgl. u. a. Bearden/Teel (1983); Hellier et al. (2003); Oliver (1981); Oliver/Swan (1989); Roest/Pieters (1997). Vgl. hierzu Bolton et al. (2008); Bolton et al. (2006); Verhoef et al. (2001). Vgl. Bolton et al. (2008), S. 58; Bolton et al. (2006), S. 1818. Auch bei Untersuchungen im B2C-Bereich wird die positive Wirkung der Kundenzufriedenheit auf die Nutzung von Services in der Folgeperiode nachgewiesen. Vgl. Bolton/Lemon (1999), S. 183. Vgl. Verhoef et al. (2001), S. 372. Ebenso kann der Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenbindung in einer Untersuchung im B2C-Bereich nicht gehalten werden. Vgl. Verhoef (2003), S. 41. Vgl. Andreasen (1985); Bloemer/Kasper (1995); Fornell (1992); Fornell/Wernerfelt (1987); Oliva et al. (1992); Oliver (1999); Zeithaml et al. (1996). Vgl. Cronin/Taylor (1992); Gotlieb et al. (1992); Rust/Zahorik (1993); Woodside et al. (1989).
4 Hypothesen zur Markenbindung
90
nachgewiesen.528 Dabei wird die Zufriedenheit als Komponente der Beziehungsqualität berücksichtigt. Die Verbesserung der Beziehungsqualität und damit der Kundenzufriedenheit führt zu loyalerem Verhalten der Kunden.529 Trotz dieser empirischen Befunde kann jedoch nicht ohne weitere Überlegung konstatiert werden, dass die Kundenzufriedenheit die Markenbindung verstärkt. Denn die Entscheidungsträger verhalten sich nicht zwangsweise in der Art und Weise, wie sie ihre Verhaltensabsicht zuvor artikulieren.530 Allerdings gibt es Untersuchungen, die den Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Kaufverhalten über die Betrachtung der Kundenbindung analysieren. So ist der positive Zusammenhang von Kundenzufriedenheit und Kundenbindung im B2C-Bereich empirisch gestützt von Bolton (1998b), Bolton et al. (2000), Bolton/Lemon (1999) sowie Mittal/Kamakura (2001).531 Damit ist die Wirkung der Kundenzufriedenheit auf das Kaufverhalten in Form der Kundenbindung zumindest im B2C-Bereich bestätigt. Demzufolge sollte überprüft werden, ob die Wirkung der Kundenzufriedenheit auf die Markenbindung auch im B2B-Bereich nachweisbar ist. Dabei kann der Wirkungszusammenhang insbesondere durch eine theoriegestützte Begründung fundiert werden. Demgemäß gehen die theoretischen Ansätze zur Erklärung der Wirkung von Kundenzufriedenheit davon aus, dass sich diese direkt auf das Kaufverhalten auswirkt und nicht auf die Kauverhaltensabsicht.532 So liefern die Theorie der kognitiven Dissonanz, die Lerntheorie der instrumentellen Konditionierung, die Austauschtheorie und die Theorie Hirschmanns eine ausreichende theoretische Fundierung für den Wirkungszusammenhang von Kundenzufriedenheit und Kaufverhalten.533 Folglich kann auf Basis der theoretischen Fundierung und der empirischen Befunde zum Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenbindung davon ausgegangen werden, dass die Kundenzufriedenheit die Wiederwahl der Marke und damit die Markenbindung positiv beeinflusst. Nachdem die Markenbindung in Form des Nutzens für den Entscheidungsträger in der Untersuchung erfasst wird, wird die Hypothese zum Einfluss der Kundenzufriedenheit auf den Nutzen der Markenbindung wie folgt aufgestellt: Hypothese 2 Je höher die Kundenzufriedenheit, desto höher ist der Nutzen der Markenbindung. Bei der Betrachtung des Zusammenhangs zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenbindung weisen die empirischen Studien jedoch große Unterschiede sowohl bezüglich der Stärke des Zusammenhangs als auch dem Anteil der erklärten Varianz des Kundenbindungskonstruktes 528 529 530
531 532
533
Vgl. Hennig-Thurau et al. (2002); De Wulf et al. (2001). Vgl. De Wulf et al. (2001), S. 43. Vgl. Morwitz (1997) für eine Diskussion potentieller Faktoren, die den Zusammenhang zwischen Verhaltensabsicht und Verhalten beeinflussen. Vgl. Bolton (1998b); Bolton/Lemon (1999); Bolton et al. (2000); Mittal/Kamakura (2001). Nachdem die Erfassung des Kaufverhaltens in der Praxis häufig mit Schwierigkeiten verbunden ist, wird auf die Befragung der Verhaltensabsicht zurückgegriffen und deshalb liegen kaum Untersuchungen vor, die den Einfluss der Kundenzufriedenheit auf das Kaufverhalten analysieren. Vgl. Mittal/Kamakura (2001), S. 131. Vgl. hierzu eine ausführliche Erläuterung des Wirkungszusammenhangs in Abschnitt 3.2.
4.1 Hypothesen zur freiwilligen und unfreiwilligen Markenbindung
91
durch die Kundenzufriedenheit auf.534 Diese Phänomene könnten damit auch im Zusammenhang der Betrachtung der Markenbindung auftreten. Die Gründe für die Variabilität des Zusammenhangs können unterschiedlicher Natur sein. Nachfolgende Ursachen werden aber als vorrangig angeführt:535
Schwellenwerte der Kundenzufriedenheit: Nachfrager können unterschiedliche Schwellenwerte bzw. Toleranzschwellen für den Wiederkauf aufweisen, die sich nicht vollständig über die Zufriedenheit erklären lassen. Die Unterschiede im Kaufverhalten von Nachfragern können u. a. aufgrund verschiedener Charakteristika dieser begründet sein.
Verzerrung im Antwortverhalten (Response Bias): Die Zufriedenheitsurteile die im Rahmen der Zufriedenheitserhebung erfragt werden, müssen nicht zwangsweise der tatsächlichen Zufriedenheitsbewertung entsprechen, da in Abhängigkeit von Kundencharakteristika Verzerrungen auftreten können.
Nichtlinearität des Zusammenhangs: Der Funktionsverlauf des Zusammenhangs weist einen monotonen Verlauf auf, der nicht unbedingt linear sein muss. Dabei steht die empirische Überprüfung des Funktionsverlaufes noch aus.
Weitere Einflussfaktoren: Überdies können weitere Faktoren die Markenbindung erklären. Insbesondere Faktoren, wie die wahrgenommenen Wechselkosten, sollten zur Verbesserung der Erklärungskraft beitragen.
Mittal/Kamakura (2001) zeigen vor diesem Hintergrund empirisch, dass demographische Charakteristika im B2C-Bereich tatsächlich eine Erklärung für Variabilität des Zusammenhangs liefern.536 Paulssen/Birk (2007) bestätigen den Einfluss der demographischen Charakteristika sowie der Anbieter- und Nachfragercharakteristika im Markt für Automobil-Flottenhandel zumindest hinsichtlich unterschiedlicher Toleranzschwellen der Kundenzufriedenheit.537 Demzufolge soll überprüft werden, ob die zuvor erläuterten Ursachen der Variabilität des Zusammenhangs zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenbindung auch im B2B-Bereich nachweisbar sind. Zuerst soll auf den Einfluss der Entscheidungsträgercharakteristika im Zusammenhang der Kundenzufriedenheit eingegangen werden. Zum einem soll untersucht werden, inwiefern diese den Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Markenbindung verstärken und zum anderen inwieweit diese Verzerrungen im Antwortverhalten begründen. Daraufhin wird die Nichtlinearität des Zusammenhangs thematisiert.
534
535 536 537
Vgl. Anderson/Sullivan (1993); Fornell (1992); Hennig-Thurau et al. (2002); Herrmann/Johnson (1999); Mittal/Lassar (1998); Oliver/Swan (1989). Vgl. Mittal/Kamakura (2001), S. 132. Vgl.Ebenda, S. 137f. Vgl. Paulssen/Birk (2007), S. 994.
92
4 Hypothesen zur Markenbindung
Es ist durchaus möglich, dass Nachfrager, die das gleiche Zufriedenheitsurteil abgeben, sich hinsichtlich ihres Wiederkaufsverhaltens unterscheiden. Zu einem gewissen Ausmaß kann dieser Unterschied über die Charakteristika der Nachfrager erfasst werden.538 Im B2C-Bereich werden hierzu üblicherweise die soziodemographischen Daten wie Alter, Geschlecht und Ausbildung herangezogen. Beispielsweise wird angenommen, dass ältere Kunden loyaler gegenüber einer Marke sind, da diese akkumulierte Investition in das markenspezifische Wissen getätigt haben.539 Jüngere Kunden müssen dieses Wissen erst sammeln und daher sind diese eher bereit die Marke zu wechseln, um weitere Informationen zu erhalten. Vorangegangene Untersuchungen haben den Einfluss empirisch nachgewiesen.540 Ebenso geht man davon aus, dass weniger ausgebildete Kunden eher die Marke aufgrund des niedrigen „return in scale“ der Informationssuche für neue Marken wechseln.541 Wenn diese Unterschiede nicht beachtet werden, könnte dies zu Verzerrungen bei der Prognose des Wiederkaufsverhaltens führen. Dementsprechend sollte untersucht werden, ob Charakteristika der Entscheidungsträger auch den Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Markenbindung im B2B-Bereich beeinflussen. Überträgt man den grundlegenden Gedanken des akkumulierten Markenwissens auf den B2B-Bereich, kann die Erfahrung des Entscheidungsträgers im Einkauf als Pendant herangezogen werden. Heide/Weiss (1995) sowie Perkins/Rao (1990) leisten Beiträge zur Untersuchung der direkten Wirkung der Erfahrung auf das Wiederkaufsverhalten im B2B-Bereich.542 Sie begründen die Wirkung der Erfahrung aufgrund des organisationalen Lernens.543 Dabei wird unterstellt: je größer die organisationale Erfahrung ist, desto mehr ist das organisationale Gedächtnis entwickelt544 und desto eher werden Entscheidungen auf Basis von Verhaltensmustern getroffen, die aufgrund vorangegangener Erfahrungen entstehen.545 Angewendet auf die Fragestellung der Kundenzufriedenheit, kann damit unterstellt werden, dass erfahrenere Entscheidungsträger sich mehr auf die vorangegangenen Erfahrungen bei der Entscheidung stützen als Unerfahrene546 und dementsprechend sollte der Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Nutzen der Markenbindung bei erfahrenen Entscheidungsträgern verstärkt sein. Die Hypothese hierzu lautet wie folgt:
538 539
540
541 542 543 544 545
546
Vgl. Mittal/Kamakura (2001), S. 132. Vgl. Mittal/Kamakura (2001), S. 132; Ratchford (2001), S. 399. Für eine Übersicht möglicher markenspezifischer Informationsquellen sowie Transfer von markenspezifischen Wissen vgl. hierzu Keller (2003). Vgl. Alba/Hutchinson (1987); Bettman/Sujan (1987); Cees de Bont/Schoormans (1995); Maheswaran (1994); Mitchell/Dacin (1996). Vgl. Mittal/Kamakura (2001), S. 132; Ratchford (2001), S. 399; Simonsons et al. (1988), S. 368. Vgl. Heide/Weiss (1995), S. 32; Perkins/Rao (1990), S. 2. Vgl. beispielsweise zur Wirkung des organisationalen Lernens Sinkula (1994), S. 38. Vgl. Cohen/Levinthal (1990), S. 148; Walsh/Ungson (1991), S. 80ff. Vgl. Day (1994), S. 43ff.; March (1991), S. 83f.; Nystrom/Starbuck (1984), S. 60ff.; Smith et al. (1991), S. 66ff. Vgl. Mittal/Kamakura (2001), S. 132.
4.1 Hypothesen zur freiwilligen und unfreiwilligen Markenbindung
93
Hypothese 3 Je erfahrener ein Entscheidungsträger ist, desto stärker ist der Zusammenhang zwischen Nutzen der Markenbindung und Kundenzufriedenheit. Die Erfahrung des Entscheidungsträgers kann auch dazu herangezogen werden, um einen möglichen Response Bias der Zufriedenheitsurteile zu erklären. Die beobachteten Zufriedenheitsurteile sind fehleranfällige Werte der wahren Zufriedenheit. Kalwani/Silk (1982) stellen fest, dass 15,5% der Variation der Bewertungen auf einen Response Bias zurückzuführen ist.547 Als Ursache für diese Verzerrung wird angenommen, dass die Zufriedenheitsbewertung entweder zu leichtfertig oder zu unnachsichtig getroffen wird und deshalb nicht den tatsächlichen Gemütszustand des Entscheidungsträgers beschreibt.548 Dabei ist die Verzerrung im Antwortverhalten nur dann relevant, wenn diese aufgrund der Entscheidungsträgercharakteristika systematisch variiert.549 Wenn die Zufriedenheitsbewertungen unterschiedlicher Gruppen der gleichen Verzerrung im Antwortverhalten unterliegen, dann kann die durchschnittlich, aggregierte Zufriedenheitsbewertung für die Analyse des Wiederkaufsverhaltens herangezogen werden. Hingegen müssten, im Falle eines systematischen Response Bias, entsprechende Unterschiede identifiziert und bei der Prognose des Wiederkaufsverhaltens berücksichtigt werden. Als theoretische Begründung des Response Bias können Unterschiede in der Sozialisation des Entscheidungsträgers angeführt werden, die dazuführen, dass manche Nachfrager mehr zum Jasagen tendieren als andere.550 Im B2CBereich wird hierzu die „Role Theory“ herangezogen, um Unterschiede aufgrund des Geschlechts oder der sozialen Schicht zu begründen.551 Paulssen/Birk (2007) können jedoch im Rahmen ihrer empirischen Untersuchung im B2B-Bereich keinen systematischen Response Bias aufgrund der soziodemographischen Charakteristika im B2B-Bereich nachweisen.552 Damit kann davon ausgegangen werden, dass dieser Aspekt eine geringere Relevanz für den Anwendungsbereich des B2B-Marketings hat. Allerdings beachten Paulssen/Birk (2007) in ihrer Untersuchung ausschließlich Alter und Geschlecht der Entscheidungsträger zur Erfassung der Charakteristika. Es scheint jedoch fraglich, dass die im B2C-Bereich herangezogenen Faktoren die Verzerrung im Antwortverhalten auch im B2BBereich zu erklären vermögen. Vielmehr liegt es nahe, die Erfahrung als Gegenstück zum Alter heranzuziehen. Demzufolge sollten erfahrenere Entscheidungsträger grundsätzlich höhere Zufriedenheitsurteile abgeben. Darüber hinaus könnte die Position des Entscheidungsträgers eine weitere Ursache des Respones Bias darstellen. Auch diese wird von Paulssen/Birk (2007) nicht untersucht. Bendixen et al. (2004) zeigen jedoch, dass sich Unterschiede in den
547 548 549 550 551 552
Vgl. Kalwani/Silk (1982), S. 262. Vgl. Arndt/Crane (1975), S. 218f.; Dwyer (1980), S. 39f. Vgl. Mittal/Kamakura (2001), S. 133. Vgl. Moschis/Churchill (1978), S. 600; Zuckermann (1981), S. 1109f. Vgl. Hoffman/Hurst (1990). Vgl. Paulssen/Birk (2007), S. 994.
4 Hypothesen zur Markenbindung
94
Präferenzen aufgrund der Position der Entscheidungsträger ergeben können.553 Im Zusammenhang der Zufriedenheitsbewertung können diese Präferenzunterschiede eine systematische Verzerrung begründen, die sich aufgrund der unterschiedlichen Rollen der Entscheidungsträger im Unternehmen ergeben. Demnach wird vermutet, dass die Erfahrung und die Position des Entscheidungsträgers eine systematische Verzerrung begründen können. Nachstehende Hypothese soll demnach überprüft werden: Hypothese 4 Das Antwortverhalten bei Kundenzufriedenheitsurteilen variiert systematisch mit der Erfahrung und Position des Entscheidungsträgers. Weiterhin kann die funktionale Form des Zusammenhangs von Kundenzufriedenheit und Markenbindung ein Grund für dessen Variabilität darstellen.554 Dieser Aspekt wird vor allem im Zusammenhang der Einstellungsmessung thematisiert555 und ist bisher ungelöst.556 Fishbein/Ajzen (1975) weisen daraufhin, dass Vorsicht geboten ist, wenn ein linearer Zusammenhang unterstellt wird, da sonst hohe Verluste hinsichtlich der Prognosekraft zu verzeichnen seien.557 Dementsprechend sollte diese Thematik auch im Zusammenhang der Zufriedenheitsbewertung beachtet werden, wo gezeigt wird, dass es sich empfiehlt den Zusammenhang als nichtlinear zu modellieren.558 Dabei ist zu beachten, dass weitere Faktoren das Ausmaß und den Zusammenhang der Nichtlinearität beeinflussen können.559 Grundsätzlich gibt es die Möglichkeit den Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Nutzen der Markenbindung progressiv,560 degressiv,561 sattelförmig562 oder s-förmig563 abzubilden. Allerdings sind auch im Zusammenhang der Kundenzufriedenheitsbetrachtung bisher keine exakten Aussagen bezüglich des funktionalen Zusammenhangs vorhanden. Dementsprechend soll hier der Schwerpunkt auf die Nichtlinearität gelegt werden. Als theoretische Basis der Nichtlinearität können die Erkenntnisse der „Prospect Theory“564 und des „Mental Accounting“565 auf den Sachverhalt der Kundenzufriedenheitsbewertung
553 554 555 556 557 558
559 560 561
562 563 564 565
Vgl. Bendixen et al. (2004), S. 377. Vgl. Mittal/Kamakura (2001), S. 133. Vgl. Fishbein/Ajzen (1975); Zedeck et al. (1976). Vgl. Mittal/Kamakura (2001), S. 133. Vgl. Fishbein/Ajzen (1975), S. 365ff. Vgl. Anderson/Sullivan (1993); Mittal et al. (1998). Dabei ermöglicht die Erfassung der Kundenzufriedenheit über eine ordinalskalierte Indikatorvariable die Abbildung der nichtlinearen Form. Klassischerweise werden die Variablen als intervallskaliert unterstellt, mit einzelnen Kategorien von 1 („sehr unzufrieden“) bis 5 („sehr zufrieden“). Vgl. Cox (1980). Insbesondere die Anzahl der Skalenpunkte nimmt hierbei eine kritische Rolle ein. Vgl. Mittal/Kamakura (2001), S. 139. Sie identifizieren einen progressiven (konvexen) Verlauf. Vgl. Mittal/Kamakura (2001), S. 140. Wird der Zusammenhang von Kundenzufriedenheit auf Wiederkaufsabsicht untersucht, ergibt sich ein degressiv (konkaver) funktionaler Zusammenhang. Vgl. Woodruff et al. (1983), S. 300. Vgl. Oliva et al. (1992), S. 85. Vgl. Kahneman/Tversky (1979). Vgl. Hogarth (1989).
4.1 Hypothesen zur freiwilligen und unfreiwilligen Markenbindung
95
übertragen werden:566 Demnach werden Verluste stärker wahrgenommen als Gewinne.567 Ein unzufriedener Kunden nimmt die Unzufriedenheit folglich stärker war, als die Zufriedenheit. Auf Basis der bisherigen Ergebnisse der Prospect Theory und dem Mental Accounting soll folgende Hypothese überprüft werden: Hypothese 5 Der Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Nutzen der Markenbindung gestaltet sich nichtlinear. Negative Kundenzufriedenheit hat dabei einen größeren Einfluss auf den Nutzen der Markenbindung als positive Kundenzufriedenheit. Bisher wurde der Einfluss der Kundenzufriedenheit auf den Nutzen der Markenbindung betrachtet. Ein weiterer Effekt, der im Rahmen der empirischen Studie betrachtet werden soll, ist der Einfluss der Attributzufriedenheit auf die Markenbindung. Mittal et al. (1998) stellen fest, dass die Attributzufriedenheit die Wiederkaufsabsicht direkt beeinträchtigt.568 Auch Oliva et al. (1992) zeigen, dass die Attributzufriedenheit die Markenloyalität bzw. das Wechselverhalten direkt beeinflusst.569 Daher ist davon auszugehen, dass sich die Attributzufriedenheit direkt auf den Nutzen der Markenbindung auswirkt. Ebenso wie beim nichtlinearen Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Nutzen der Markenbindung sollten die gleichen psychologischen Prinzipen im Sinne der Gewinn-Verlust-Wahrnehmung gelten.570 Deshalb soll, wie bei der Argumentation des nichtlinearen Einfluss der Kundenzufriedenheit auf den Nutzen der Markenbindung, überprüft werden, ob sich der Einfluss der Attributzufriedenheit auf den Nutzen der Markenbindung nichtlinear gestaltet. Damit würde sich eine negative Attributzufriedenheit stärker auf den Markenbindungsnutzen auswirken als eine positive Attributzufriedenheit. Dieser Argumentation folgend, wird folgende Hypothese aufgestellt: Hypothese 6 Der Zusammenhang zwischen Attributzufriedenheit und Nutzen der Markenbindung gestaltet sich nichtlinear. Negative Attributzufriedenheit hat dabei einen größeren Einfluss auf den Nutzen der Markenbindung als positive Attributzufriedenheit. Weiterhin stellt sich die Frage, ob sich die Attributzufriedenheit bei der Wechselentscheidung auf die Wahrnehmung der Präferenz auswirkt. Im Bereich der Psychologie und der Konsumentenforschung wird unterstellt, dass die Präferenzen ebenso wie die Informationsverarbeitung des Entscheidungsträgers von vorangegangenen Erfahrungen verzerrt werden.571
566 567 568 569 570 571
Vgl. Anderson/Sullivan (1993), S. 128f. Vgl. Einhorn/Hogarth (1981); Hogarth (1989). Vgl. Mittal et al. (1998), S. 136f. Vgl. Oliva et al. (1992), S. 90f. Vgl. Einhorn/Hogarth (1981); Hogarth (1989). Vgl. Oliver/Burke (1999), S. 203f.
96
4 Hypothesen zur Markenbindung
Diese Verzerrung wird als sogenannter Confirmation Bias bezeichnet.572 Dabei neigt der Entscheidungsträger dazu, Informationen zu suchen, die seine aus vorangegangenen Erfahrungen gewonnenen Erkenntnisse bekräftigen.573 Boulding et al. (1993) zeigen, dass die Verzerrung geringer ausfällt, wenn der Entscheidungsträger über mehr Erfahrung verfügt und die Produktkomplexität sowie die Ambiguität begrenzt ist.574 Nayakankuppam/Mishra (2005) stellen in diesem Zusammenhang fest, dass die Anbieter eines Leistungsangebots die positiven Produkteigenschaften im Vergleich zu den Nachfragern, die dieses erwerben wollen, stärker bewerten.575 Sie unterstützen damit die Annahme, dass der „endowment effect does not merely reflect a greater hedonic impact of that which is lost but biased information integration.”576 Als Grund hierfür wird unter anderen angeführt, dass die Attribute zwar als ähnlich wahrgenommen werden, aber unterschiedliche bewertet werden können.577 Beispielsweise ist es vorstellbar, dass Anbieter die negativen Eigenschaften eines Leistungsangebots weniger stark bewerten als die Nachfrager. Für die Nachfrager wiegen die negativen Eigenschaften eventuell so stark, dass diese eine Ablehnung des Angebots begründen. Eine weitere Möglichkeit den Präferenzunterschied zu erklären, kann in der unterschiedlichen Gewichtung der Attribute durch den Anbieter und den Nachfrager gesehen werden.578 Dies wäre eine weitere Bestätigung für die Verzerrung bei der Informationsverarbeitung. Überträgt man nun den Grundgedanken der Informationsverzerrung und des Endowment Effekts auf die Kaufentscheidung sollten die Attributpräferenzen der Entscheidungsträger positiv verzerrt sein, wenn sie mit dem Attribut zufrieden sind und negativ verzerrt, wenn sie damit unzufrieden sind.579 Folglich kann angenommen werden, dass die einzelnen Attributpräferenzen des Leistungsangebotes eine größere Bedeutung bei der Wiederwahlentscheidung einnehmen, wenn die Attributzufriedenheit hoch ausgeprägt ist. Bolton et al. (2008) bestätigen diesen Zusammenhang bei Servicequalität.580 Allerdings ist umstritten, ob die Servicequalität als Attributzufriedenheit interpretiert werden kann, da Servicequalität häufig auch mit der kumulierten Kundenzufriedenheit im Service Marketing gleichgesetzt wird.581 Jedoch lassen sich wesentliche Unterschiede zwischen den Konstrukten feststellen und damit soll der derzeitigen Auffassung gefolgt werden, dass die Servicequalität der Kundenzu-
572 573
574 575
576 577 578 579 580 581
Vgl. Hoch/Ha (1986), S. 223. Vgl. Deighton et al. (1994), S. 40ff.; Hoch/Ha (1986), S. 223; Hoch/Deighton (1989), S. 2f; Levin/Gaeth (1988), S. 377. Vgl. Boulding et al. (1993), S. 17. Vgl. Nayakankuppam/Mishra (2005), S. 391. Dieser Effekt wird im Bereich der Entscheidungsforschung als Endowment Effekt bezeichnet. Vgl. für eine Übersicht von Experimenten zum Endowment Effekt Kahneman et al. (1990). Nayakankuppam/Mishra (2005), S. 390. Vgl. Carmon/Ariely (2000), S. 366ff.; Nayakankuppam/Mishra (2005), S. 390. Vgl. Carmon/Ariely (2000), S. 366ff.; Nayakankuppam/Mishra (2005), S. 390. Vgl. Bolton et al. (2008), S. 51. Vgl.Ebenda, S. 57f. Vgl. Stauss/Hentschel (1992), S. 115.
4.1 Hypothesen zur freiwilligen und unfreiwilligen Markenbindung
97
friedenheit vorausgeht und vollständig mediiert wird.582 Es empfiehlt sich zudem die Servicequalität als ein eigenständiges Konstrukt anzusehen, welches der Kundenzufriedenheit vorausgeht, da hier ein Leistungsangebot im B2B-Bereich betrachtet wird, bei dem der Service ein Leistungsbestandteil des gesamten Angebots darstellt.583 Tabelle 4.1 stellt die Unterschiede der Konzepte zur Verdeutlichung in Übersicht dar. Kriterium
Servicequalität
Kundenzufriedenheit
Attribute
Bezogen auf Qualitätsurteile
Alle denkbaren Dimensionen möglich
Referenz der Erwartung
Ideale „Exzellenz“
Voraussage, Normen, Bedürfnisse
Abhängigkeit von Erfahrung
Erfahrungen nicht erforderlich; können extern mediiert werden
Erfahrungen notwendig
Andere konzeptionelle Antezedenzen
Kommunikation
Attribute, Emotionen, Gerechtigkeit
Tab. 4.1
Vergleich
der
Konzeptualisierung
Kundenzufriedenheit
der
Konstrukte
Servicequalität
und
584
Dementsprechend soll anhand der Attribute der Kundenzufriedenheit untersucht werden, ob diese die Präferenzen des Entscheidungsträgers aufgrund des Confirmation Bias und des Endowment Effekts verzerren. Abschließend wird folgende Hypothese für den Zusammenhang aufgestellt: Hypothese 7 Je höher die Attributzufriedenheit, desto stärker ist die Attributpräferenz.
4.1.3
Wechselkosten
Wechselkosten stellen eine weitere Ursache für die Markenbindung bei der Wechselentscheidung dar. Sie können ein Wechseln verhindern, obwohl alternative Angebote attraktiver für den Kunden wären.585 Dabei entstehen Wechselkosten erst, wenn der Kunde die Wechselbarrieren überwindet und zu einem anderen Anbieter wechselt.586 Häufig werden die Begriffe Wechselkosten und Wechselbarrieren synonym verwendet. Jedoch soll im Rahmen dieser Arbeit die Auffassung von Maute/Forrester (1993) geteilt werden, die beide Konstrukte
582 583 584 585
586
Vgl. Parasuraman et al. (1994); Rust/Oliver (1994); Oliver (1993). Vgl. Engelhardt et al. (1993). Vgl. hierzu Oliver (1993). Vgl. Burnham et al. (2003); Jones et al. (2000); Lam et al. (2004); Maute/Forrester (1993), S. 239; Ranaweera/Prabhu (2003); Weiss/Anderson (1992). Vgl. Heide/Weiss (1995), S. 32f; Lam et al. (2004), S. 295.
4 Hypothesen zur Markenbindung
98
als interdependent und dennoch verschieden erachten.587 Diese Unterscheidung bietet den Vorteil, dass der Anbieter zwar Wechselbarrieren errichten kann, diese aber nur in Wechselkosten resultieren, wenn der Kunde tatsächlich wechselt. Der Gedanke, der hier zugrunde liegt ist, dass die Wechselbarrieren den Anbieterwechsel nicht unmittelbar beeinflussen, sondern indirekt über die Erhöhung der Wechselkosten. Abbildung 4.3 stellt den Zusammenhang zur Verdeutlichung graphisch dar.
Fokaler Anbieter
errichtet Wechselbarrieren
rufen hervor Nachfrager
konkurrieren
Wechselkosten
Neuer Anbieter
Abb. 4.3
empfinden
kompensiert
Zusammenhang Wechselbarrieren und Wechselkosten588
Wechselbarrieren können durch den fokalen Anbietern errichtet werden, umso die wahrgenommenen Wechselkosten zur erhöhen. Potenzielle Wechselbarrieren sind: aufwendige Wechselprozesse für das Beenden der Geschäftsbeziehung, monetäre Anreize wie Gebühren beim Anbieterwechsel, Vertragsstrafen, Kundenbindungsprogramme oder Betonung des Risikos des Anbieterwechsels.589 Ebenso können Konkurrenten durch die Übernahme des Wechselprozesses, der Kostenerstattung von Gebühren des Wechsels, Übernahme des vorherigen Status im eigenen Kundenbindungsprogramm oder vertrauensbildende Maßnahmen helfen, die Wechselkosten zu verringern.590 Nachdem der grundlegende Zusammenhang zwischen Wechselbarrieren und Wechselkosten verdeutlicht wurde, stellt sich die Fragen, welche Arten von Wechselkosten entstehen können, die den Anbieterwechsel beeinflussen. Es existieren unterschiedliche Typologisierungsansätze zur Unterscheidung der Wechselkosten,591 deren empirische Validierung zur Ableitung eines
587 588 589
590
591
Vgl. Maute/Forrester (1993), S. 227. In Anlehnung an Henseler (2006), S. 64. Vgl. Burnham et al. (2003), S. 111; Henseler (2006), S. 63f.; Jones et al. (2002), S. 442; Meffert (1999), S. 259f. Vgl. Burnham et al. (2003), S. 111; Henseler (2006), S. 63f.; Jones et al. (2002), S. 442; Meffert (1999), S. 259f. Vgl. beispielsweise Burnham et al. (2003); Jackson (1985); Jones et al. (2002); Meffert (1999).
4.1 Hypothesen zur freiwilligen und unfreiwilligen Markenbindung
99
übergeordneten Bezugsrahmens zur Unterscheidung der Wechselkosten jedoch noch aussteht.592 Eine Begründung hierfür liefert Fornell (1992), der darauf hinweist, dass es sich als schwierig abzeichnet, eine direkte Erfassung der Wechselkosten zu erreichen, da „all costs associated with deserting one supplier in favor of another constitute switching barriers“.593 Wie hieraus ersichtlich wird, gestaltet sich die Erfassung der Wechselkosten umfangreich und in Abhängigkeit situativer Faktoren. Demnach soll eine Typologisierung der Wechselkosten ausgewählt werden, die für den Untersuchungsgegenstand als passend beurteilt werden kann. Nachfolgend werden hierzu zentrale Typologisierungsansätze der Wechselkosten aufgeführt, um daran anschließend einen für die Arbeit zu wählen. Fornell (1992) beispielsweise identifiziert Suchkosten, Transaktionskosten, Lernkosten, Kundentreuerabatte, Kundengewohnheit, emotionale Kosten, kognitive Anstrengung sowie finanzielle, soziale und psychologische Risiken des Wechsels als Wechselkosten.594 Jones et al. (2002) wiederum definieren Wechselkosten als die wahrgenommenen ökonomischen und psychologischen Kosten, die mit den Anbieterwechsel verbunden sind.595 Eine ähnliche Unterscheidung nehmen Dick/Basu (1994) vor, die Wechselkosten nach monetären und nichtmonetären Aspekten unterscheiden.596 Eine empirisch gestützte Typologisierung ist die von Burnham et al. (2003), die acht Unterscheidungen von Wechselkostenarten auf drei Dimensionen verdichten: Prozessbezogene, finanzielle und beziehungsbezogene Wechselkosten.597 Eine weitere konzeptionelle Differenzierung bietet Jackson (1985). Sie unterscheidet zwischen beziehungsbezogenen Wechselkosten, die dadurch entstehen, dass sich Routinen bei der Prozessabwicklung mit dem Anbieter entwickeln, und Wechselkosten, die mit dem Risiko eines Anbieterwechsels verbunden sind.598 Vorteil dieser Unterscheidung ist, dass auf verhältnismäßig abstraktem Niveau die wesentlichen Aspekte der Wechselkosten erfasst werden. Dies stellt die Übertragbarkeit auf den Untersuchungsgegenstand sicher, da sich die Wechselkosten in Abhängigkeit des Marktes, der Branche oder des Geschäftsmodells des Anbieters sehr unterschiedliche gestalten können. Daher soll die Konzeptualisierung nach Jackson (1985) Anwendung finden. Nachdem sich der Betrachtungsgegenstand durch einen starken Technologiebezug kennzeichnet, sollen darüber hinaus die technologiebezogenen Wechselkosten in die Betrachtung miteinbezogen werden. Im Folgenden werden die drei Aspekte der Wechselkosten näher beschrieben. Die technologiebezogenen Wechselkosten sind die Kosten bzw. der Aufwand, der mit dem unmittelbaren Wechsel der Technologie verbunden ist. Sie können als eine Facette der von Klemperer (1995) definierten Transaktionskosten des Anbieterwechsel interpretieret
592 593 594 595 596 597 598
Vgl. Burnham et al. (2003), S. 111. Fornell (1992), S. 11. Vgl. Fornell (1992), S. 10. Vgl. Jones et al. (2002), S. 441. Vgl. Dick/Basu (1994), S. 100. Vgl. Burnham et al. (2003), S. 111f. Vgl. Jackson (1985), S. 42-61.
100
4 Hypothesen zur Markenbindung
werden.599 Vor dem Hintergrund des Anbieterwechsels stellt sich die Frage, inwiefern die bereits bestehende TK-Infrastruktur mit der Technologie des potenziell neuen Anbieters kompatibel ist und ob sich diese leicht in die bestehende Infrastruktur integrieren lässt.600 So wird empirisch gezeigt, dass industrielle Einkäufer Folgeprodukte vom fokalen Anbieter weiterbeziehen.601 Ist die Kompatibilität und Integration der Systeme nicht gegeben, entstehen Wechselkosten, die sich beispielsweise durch die Umstellung des Systems ergeben, und verstärken demnach die Bindung an den fokalen Anbieter. Darüber hinaus können Wechselkosten hervorgerufen werden, weil eine Beziehung zum fokalen Anbieter besteht.602 Verbunden mit dem Wechsel des Anbieters wären hierbei Kosten, die aufgrund der Etablierung von neuen Abläufen mit dem neuen Anbieter entstünden.603 Dies würde das vorhandene Wissen über die Zusammenarbeit abwerten und viel Zeit sowie Aufwand erfordern, um neue Routinen zu etablieren.604 Diese Wechselkosten können als beziehungsbezogene Wechselkosten definiert werden. Das wahrgenommene Risiko stellt einen weiteren Aspekt der Wechselkosten dar. Wie bereits in Abschnitt 4.1.1 dargelegt wurde, kann die Marke als Informationssubstitut bei Entscheidungsprozessen fungieren. Nichtsdestotrotz kann grundsätzlich ein wahrgenommenes Risiko auf Seiten des Entscheidungsträgers bestehen. In der Risikotheorie wird dabei kein objektives Risiko herangezogen, sondern das von den Nachfragern subjektiv empfundene Risiko betrachtet.605 Das wahrgenommene Risiko beschreibt das Ausmaß an Unsicherheit, mit dem ein Nachfrager negative Konsequenzen seines Handelns nicht antizipiert oder genau vorhersagen kann.606 Dabei stellt das wahrgenommene Risiko einen Faktor dar, der in Abhängigkeit mit dem Individuum variiert.607 Potenzielle Risiken und Handlungsempfehlungen, um diese zu vermindern werden von Hawes/Barnhouse (1987) überprüft.608 Das am stärksten wahrgenommene Risiko für industrielle Einkäufer stellt die Unzufriedenheit mit der eigenen Leistung dar, wenn der Kauf nicht den Erwartungen entspricht.609 Die bevorzugte Taktik, um dem Risiko entgegenzuwirken, wird in der Besichtigung des Betriebsprozesses des Anbieters gesehen.610 Damit bestätigt sich, dass die Unsicherheit durch einen Mangel an Informationen innerhalb einer Kaufsituation entsteht.611 Die Gründe für den Informationsmangel können sich einerseits aufgrund der Entscheidungsträgercharakteristika
599 600 601 602 603 604 605 606 607 608 609 610 611
Vgl. Klemperer (1995), S. 517. Vgl. Heide/Weiss (1995), S. 34f. Vgl. Rosenthal (1984). Vgl. Heide/Weiss (1995), S. 34f.; Jackson (1985), S. 42-61. Vgl. Heide/John (1988), S. 23ff. Vgl. Heide/Weiss (1995), S. 33. Vgl. Adler (1996), S. 96f. Vgl. Pfeffer/Salancik (1978), S. 36. Vgl. Kauffman (1996), S. 96. Vgl. Hawes/Barnhouse (1987). Vgl. Ebenda, S. 209. Vgl. Ebenda, S. 291. Vgl. Bunn (1993)
4.1 Hypothesen zur freiwilligen und unfreiwilligen Markenbindung
101
ergeben612 oder andererseits durch sich schnell ändernde situative Bedingungen.613 Hinsichtlich der Charakteristika der Entscheidungsträger wird davon ausgegangen, dass der Entscheidungsträger nur beschränkt Informationen verarbeiten kann und damit eine begrenzte Informationskapazität aufweist.614 Dieses Informationsdefizit kann als verhaltensbezogene Unsicherheit, die mit der Evaluierungsproblematik der Leistung des Anbieters verbunden ist, interpretiert werden.615 Weiterhin kann die Unsicherheit durch unbeständige situative Bedingungen begünstigt werden, die beispielsweise aus Nachfrageveränderungen oder technologischen Veränderungen resultieren.616 Eine der wichtigsten Strategien in der Konsumentenverhaltensforschung zur Risikoreduzierung ist die „reliance on past expierence.“617 Damit wird die Neigung gehemmt, den Anbieter zu wechseln, wenn das Risiko als hoch wahrgenommen wird. Auch im OBB Forschungsbereich wird das Risiko sowohl konzeptionell618 als auch empirisch untersucht.619 Im Allgemeinen fokussierte sich die Diskussion auf mögliche Risiken bei der Anbieterauswahl und Taktiken diese zu verringern sowie die Tendenz der Risikoaversion von industriellen Einkäufern. Risikoaversion bezeichnet das Verhalten des Entscheidungsträgers die sichere Alternative zu wählen, die den gleichen oder höheren erwarteten Wert erzielt als die unsichere Alternative.620 Tatsächlich kann die Risikoaversion von Managern bestätigt werden621 und einige Untersuchungen zeigen das Bestreben von industriellen Einkäufern nach Sicherheit auf.622 Übertragen auf den Betrachtungsgegenstand lässt sich dementsprechend folgern, dass ein hohes wahrgenommenes Risiko die Wechselkosten verstärken sollte. Die Tendenz, beim fokalen Anbieter zu verbleiben, wird von Wind (1970) nachgewiesen mit, „substantial evidence of the existence of source loyalty in the purchase of industrial components by an advanced electronic firm.”623 Eine Erklärung für diesen Zusammenhang bietet das wahrgenommene Risiko, das bei einem bekannten Anbieter geringer ausgeprägt sein sollte, weil der industrielle Einkäufer bereits Erfahrungen mit diesem sammeln konnte.624 Nachdem die drei Dimensionen der Wechselkosten erläutert wurden, soll nun die Hypothese zum Einfluss der Wechselkosten abgeleitet werden. Aufbauend auf der Theorie des geplanten Handelns können die wahrgenommenen Wechselkosten als Faktor der Verhaltenskontrolle
612 613 614 615 616 617 618 619 620 621 622 623 624
Vgl. Hippel (1986). Vgl. Aldrich (2008); Archol/Stern (1988). Vgl. Adler (1996), S. 51; Archol/Stern (1988), S. 37. Vgl. Heide/Weiss (1995), S. 31; Rindfleisch/Heide (1997), S. 43. Vgl. Buvik (2001). Cox (1968), S. 80. Vgl. Feldman/Cardozo (1975); Levitt (1965); Sheth (1973); Webster/Wind (1972b). Vgl. Peters/Venkatesan (1973); Sweeney et al. (1973). Vgl. Puto et al. (1985), S. 90. Vgl. Swalm (1966). Vgl. Sweeney et al. (1973); Wilson (1971). Wind (1970), S. 454. Vgl. Bettman (1973); Bubb/Rest (1973); Puto et al. (1985); Sweeney et al. (1973).
102
4 Hypothesen zur Markenbindung
interpretiert werden.625 Durch das Vorhandensein von Wechselkosten wird der Entscheidungsträger in seinem Handeln beschränkt. Angenommen die Einstellung des Entscheidungsträgers gegenüber einem potenziellen neuen Anbieter fördert dessen Absicht, den Anbieter zu wechseln, wird diese Handlungsabsicht durch die wahrgenommenen Wechselkosten beeinflusst. Dabei kann das Verhalten des Entscheidungsträgers auf unterschiedliche Weise beeinträchtigt werden: Einerseits kann der Entscheidungsträger von einem Anbieterwechsel absehen, obwohl er die Verhaltensabsicht herausgebildet hat einen Wechsel zu vollziehen. Andererseits ist es vorstellbar, dass die Verhaltensabsicht zum Wechsel aufgrund der Wechselkosten im Vorfeld nicht gebildet wird. In jedem Fall verstärken die wahrgenommenen Wechselkosten dementsprechend den Nutzen der Markenbindung mit dem bisherigen Anbieter. Die Wirkungsweise der Wechselkosten wird auch empirisch u. a. von Bansal/Taylor (2002) und Lee et al. (2001) bestätigt.626 Auf Basis dieser theoriebasierten Argumentation sowie der empirischen Belege des Einflusses der wahrgenommenen Wechselkosten kann folgende Hypothese aufgestellt werden: Hypothese 8 Je höher die Wechselkosten, desto höher ist der Nutzen der Markenbindung. Darüber hinaus wird im Zusammenhang der Wechselentscheidung ein Interaktionseffekt der Wechselkosten auf den Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenbindung unterstellt.627 Ökonomische Modelle gehen von der Annahme aus, dass der Kunde den Nutzen und die Kosten des Angebotes gegeneinander abwägt628 und somit die Wechselkosten den wahrgenommenen Nutzen, der aus einem Unzufriedenheitsurteil hervorgeht, abschwächen können. Folglich verbleiben Kunden bei hohen wahrgenommenen Wechselkosten bei ihrem Anbieter, selbst wenn sie unzufrieden mit diesem sind.629 Ebenso sind unzufriedene Kunden eher bereit zu wechseln, wenn die Wechselkosten gering sind.630 Auch in empirischen Untersuchungen wird dieser Einfluss aufgezeigt. Lee et al. (2001) finden empirische Evidenz für den Interaktionseffekt der Wechselkosten auf die Kundenzufriedenheits-KundenloyalitätsBeziehung im Mobilfunkmarkt.631 Auch in den Untersuchungen von Anderson/Sullivan (1993), Anderson (1994) und Hauser et al. (1994) wird festgestellt, dass Wechselkosten die Wahrnehmung bezüglich der Kundenzufriedenheitsniveaus abschwächen können.632 Empirische Evidenz im B2B-Bereich liefert hierfür die Untersuchung von Jones et al. (2000). Dabei wird die Erkenntnis gewonnen, dass den Wechselkosten erst dann eine Bedeutung
625 626 627 628 629 630 631 632
Vgl. Bansal/Taylor (1999), S. 203. Vgl. Bansal/Taylor (1999); Lee et al. (2001). Vgl. Jones et al. (2002), S. 262. Vgl. Hauser/Wernerfelt (1990); Ratchford (1982); Stigler (1961). Vgl. Jackson (1985), S. 42ff. Vgl. Jones et al. (2002), S. 262. Vgl. Lee et al. (2001). Vgl. Anderson (1994); Anderson/Sullivan (1993); Hauser et al. (1994).
4.2 Hypothesen zur Markenbindungswirkung der Kaufsituation
103
zukommt, wenn die Kundenzufriedenheit unter ein bestimmtes Zufriedenheitsniveau (Threshold) fällt.633 Jedoch wird der Interaktionseffekt der Wechselkosten mit der Kundenzufriedenheit nicht durchgängig empirisch bestätigt. Burnham et al. (2003) finden beispielsweise keinen signifikanten Zusammenhang von Wechselabsicht mit Wechselkosten und Kundenzufriedenheit.634 Auch Bayón/Wangenheim (2005) können den Einfluss der Wechselkosten auf den Zusammenhang von Kundenzufriedenheit und passiver Kundenloyalität empirisch nicht bestätigen.635 Aufgrund der kontroversen Ergebnisse bezüglich des Interaktionseffekts von Wechselkosten und Kundenzufriedenheit soll folgende Hypothese überprüft werden: Hypothese 9 Je höher die Wechselkosten, desto schwächer gestaltet sich der Zusammenhang zwischen Nutzen der Markenbindung und der Kundenzufriedenheit.
4.2 Hypothesen zur Markenbindungswirkung der Kaufsituation Im vorangegangenen Abschnitt wurden Hypothesen zu den grundlegenden Einflussfaktoren bei der Wechselentscheidung abgeleitet. Nachdem die Wechselentscheidung nicht losgelöst von der Entscheidungssituation getroffen wird, soll im Folgenden betrachtet werden, inwiefern sich diese auf den Nutzen der Markenbindung auswirken kann. Grundsätzlich existiert eine Vielzahl an möglichen situativen Einflussfaktoren, die sich auf den organisationalen Beschaffungsprozess auswirken können.636 Hauptsächlich werden in der Literatur konkrete Beschaffungssituationen betrachtet, wobei die Umweltunsicherheit, die Beziehungsart zwischen Anbieter und Nachfrager sowie die Umwelt der Entscheidungsträger thematisiert werden.637 Insbesondere werden die Größe und Struktur des Buying Centers,638 sowie die Auswahlkriterien639 untersucht. Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht der Einfluss des Entscheidungskontexts in Form der Kaufsituation, daher sollen Faktoren betrachtet werden, die diese erfassen können. Im Literaturüberblick lassen sich fünf Faktoren identifizieren, die wiederholt zur Beschreibung der Kaufsituation herangezogen werden: Kauftyp (Buyclass),640 Produkttyp,641 Kaufwichtigkeit,642 Komplexität des Kaufs643 und Dauer der
633 634 635 636 637 638
639 640
641
Vgl. Jones et al. (2000), S. 265f. Vgl. Burnham et al. (2003), S. 118. Vgl. Bayón/Wangenheim (2005), S. 179. Vgl. Sheth (1973), S. 56. Vgl. Kauffman (1996), S. 100. Vgl. Bellizzi (1981); Crow/Lindquist (1985); Jackson et al. (1984); Johnston/Bonoma (1981); McCabe (1987); Morris/Freedmann (1984); Morris et al. (1985); Spekman/Stern (1979). Vgl. GrØnhaug (1976); Möller und Laaksonen (1986); Swift (1995); Qualls/Puto (1989); Wilson (1994). Vgl. Bunn (1993); Dholakia et al. (1993); McWilliams et al. (1992); Mitchell/Dacin (1996); Reese R. M./Stone L. H. (1987); Robinson et al. (1967). Vgl. Johnston/Bonoma (1981); Lilien/Wong (1984).
4 Hypothesen zur Markenbindung
104
Geschäftsbeziehung.644 Produkttyp und Komplexität des Kaufs können hierbei vernachlässigt werden, da der Betrachtungsgegenstand sich auf ein komplexes Leistungsangebot im B2BBereich bezieht, welches sich sowohl aus Produkt- als auch aus Servicebestandteilen zusammensetzt. Diese beiden Faktoren fließen direkt über die Entscheidungsaufgabe in die Untersuchung mit ein. Dementsprechend soll der Einfluss der Kaufsituation bzw. des Entscheidungskontexts über die Faktoren Kauftyp, Kaufwichtigkeit und Dauer der Geschäftsbeziehung auf den Nutzen der Markenbindung überprüft werden. Dabei wird der Kauftyp herangezogen, um die Kaufunsicherheit im Kaufentscheidungsprozess zu beschreiben. Nachfolgend wird auf die einzelnen Faktoren näher eingegangen und es werden Hypothesen zu deren Auswirkung auf den Nutzen der Markenbindung abgeleitet.
4.2.1
Kauftyp
Eine in der Literatur bewährte Unterscheidung der Arten des Kaufs auf B2B-Märkten ist die Differenzierung des in Abschnitt 2.2.3 vorgestellten Buygrid-Modells in erstmalige Beschaffung, Wiederbeschaffung eines Investitionsgutes sowie Routineentscheidungen.645 Dabei grenzen sich die Kaufarten nach der Dimension der Neuartigkeit der Kaufsituation ab.646 Nach Robinson et al. (1967) stellt die Neuartigkeit der Kaufsituation einen situativen Einfluss auf das Kaufverhalten der industriellen Nachfrager dar.647 McQuiston (1989) definiert die Neuartigkeit der Kaufsituation als „the lack of experience of individuals in the organisation with similar purchase situations“.648 Demnach kennzeichnen sich die Kaufarten insofern, dass bei der erstmaligen Beschaffung ein Mangel an Erfahrungen und ein Bedarf von Informationen vorhanden ist, der bei Wiederbeschaffung von Investitionsgütern geringer ausfällt und bei Routineentscheidungen kaum Relevanz aufweisen sollte. Wenn die Nachfrager nun unsicher über die Leistungseigenschaften sind und diese aufgrund fehlender Erfahrung oder Glaubwürdigkeit nicht beurteilen können, entsteht das Risiko, dass eine „Zitrone“, d.h. ein Produkt, welches nicht die vom Anbieter versprochene Leistung erbringt, oder das nicht ihren Präferenzen entspricht, gewählt wird.649 Die Kaufunsicherheit ist dem wahrgenommenen Risiko ähnlich und kann ebenfalls als Informationsmangel definiert werden, der vom Entscheidungsträger in der Entscheidungssituation wahrgenommen wird.650 Dementsprechend ist die mit den Kaufsituationen verbundene Unsicherheit bei der Kaufentscheidung bei einem Neukauf sehr hoch ausgeprägt und nimmt bei Wiederbe642 643 644 645 646 647 648 649 650
Vgl. Dawes et al. (1993); McQuiston (1989); Stump/Heide (1996). Vgl. Johnston/Bonoma (1981); McCabe (1987); McQuiston (1989). Vgl.Bayón/Wangenheim (2005); Bolton (1998b); Ganesh et al. (2000). Vgl. Robinson et al. (1967), S. 28. Vgl. Homburg et al. (2006), S. 286. Vgl. Robinson et al. (1967). McQuiston (1989), S. 69. Vgl. Darby/Karni (1974) und für den Zusammenhang zwischen Qualität und Unsicherheit Akerlof (1970). Vgl. Bunn (1993), S. 44.
4.2 Hypothesen zur Markenbindungswirkung der Kaufsituation
105
schaffung und Routineentscheidungen ab. Es können grundsätzlich zahlreiche unterschiedliche Gründe für die Kaufunsicherheit bestehen, die beispielsweise aufgrund des technologischen Bezugs des Untersuchungsgegenstands in der Heterogenität der vorhandenen Technologien sowie der Schnelligkeit des technologischen Wandels zu vermuten sind.651 Selbstverständlich kommen weitere Phänomene als Unsicherheitsquellen in Frage. Es ist jedoch offensichtlich, dass nicht alle potenziellen Ursachen in die Betrachtung mit eingehen können. Daher wird die Unsicherheit anhand des Kauftyps festgemacht. Angelehnt an die Erkenntnisse zum wahrgenommenen Risiko wird unterstellt, dass hohe Kaufunsicherheit den Anbieterwechsel hemmt und folglich die Markenbindung stärkt. So wird in der Konsumentenverhaltensforschung gezeigt, dass eine der wichtigsten Strategien zur Unsicherheitsreduktion die „reliance on past experience“ darstellt.652 Wie bereits im Zusammenhang der Kundenzufriedenheitsbetrachtung dargelegt wurde, stellt die Kundenzufriedenheit eine Einstellung gegenüber dem Anbieter dar, welche auf Basis vorangegangener Erfahrungen generiert wird. Ist die Kaufentscheidung mit hoher Unsicherheit verbunden, wird der Entscheidungsträger versuchen die Unsicherheit zu reduzieren. Damit wird er vermehrt die vorangegangenen Erfahrungen bei der Entscheidung berücksichtigen. Übertragen auf den Betrachtungsgegenstand der Kaufentscheidung von industriellen Nachfragern sollte dementsprechend der Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Nutzen der Markenbindung gesteigert werden, wenn die Kaufunsicherheit als hoch wahrgenommen wird. Ebenso wie bei der Argumentation im Zuge der Betrachtung des wahrgenommenen Risikos kann dieser Zusammenhang über die Signalwirkung der Marke auf Basis der Informationsökonomie theoretisch fundiert werden.653 Dementsprechend soll unter Bezugnahme auf risiko- und informationstheoretische Erkenntnisse sowie empirischer Befunde folgende Hypothese überprüft werden: Hypothese 10 Je höher die Kaufunsicherheit, desto stärker ist der Zusammenhang zwischen Nutzen der Markenbindung und Kundenzufriedenheit.
4.2.2
Wichtigkeit des Kaufs
McQuiston (1989) identifizieren die Wichtigkeit des Kaufs als weiteren beeinflussenden Faktor der Kaufentscheidung.654 Die Wichtigkeit des Kaufs kann als wahrgenommener Einfluss auf die Profitabilität und Produktivität der Organisation definiert werden.655 Ein mit
651 652 653 654 655
Vgl. Heide/Weiss (1995), S. 39; Picot et al. (2008), S. 3. Cox (1980), S. 80. Vgl. Kleinaltenkamp (1992), S. 817f.; Weiber/Adler (1995), S. 63f. Vgl. McQuiston (1989). Vgl. Ebenda, S. 70.
106
4 Hypothesen zur Markenbindung
dem Kauf verbundenes Risiko wird damit umso bedeutender bei der Kaufentscheidung, je mehr es mit hoher wirtschaftlicher Konsequenz verbunden ist.656 So verlängert sich die Phase der Informationssuche, wenn eine hohe Wichtigkeit des Kaufs vorliegt.657 Hinsichtlich der Wechselentscheidung von industriellen Einkäufern ist die Kaufwichtigkeit nicht eindeutig. Zum einen kann hohe Kaufwichtigkeit fördern, dass ein anderer Anbieter gewählt wird, da mehr Informationen vor der Entscheidung eingeholt werden.658 Als Begründung hierfür wird angeführt, dass der Einkäufer seine Entscheidung mit höheren Prozesskosten sowie Opportunitätskosten legitimiert, die im Fall des Verbleibs beim Anbieter als höher wahrgenommen würden.659 Zum anderen ist es möglich, dass der fokale Anbieter gewählt wird, um mögliche Risiken zu minimieren, die mit dem Wechsel verbunden wären.660 Heide/Weiss (1995) können den Einfluss der Kaufwichtigkeit auf die Wechselentscheidung empirisch nicht nachweisen, bestätigen aber den Einfluss auf die Informationssuche.661 Damit folgern sie, dass die Kaufwichtigkeit zwar den Kaufentscheidungsprozess über die zusätzliche Informationssuche beeinflusst, aber keine Beziehung mit dem Ergebnis der Entscheidung bzw. auf die Entscheidung selbst aufweist.662 Auch in der OBB Literatur wird konstatiert, dass eine Veränderung des Entscheidungsprozesses nicht notwendigerweise einen Einfluss auf das Ergebnis desselbigen haben muss.663 Dementsprechend wird nicht davon ausgegangen, dass sich die Kaufwichtigkeit direkt auf die Markenbindung auswirkt. Vielmehr rückt der Interaktionseffekt der Kaufwichtigkeit in den Vordergrund. So wird der Einfluss der Kaufwichtigkeit auf den Zusammenhang zwischen Zufriedenheit und Loyalität von Bloemer/Kasper (1995) und Bayón/Wangenheim (2005) empirisch nachgewiesen.664 Demnach wirkt sich bei hoher Kaufwichtigkeit das Zufriedenheitsurteil stärker auf die Loyalität aus.665 Darüber hinaus wird der Interaktionseffekt der Kaufwichtigkeit auf den Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Kaufverhalten empirisch von Bolton et al. (2008) bestätigt.666 Grundsätzlich kann damit unterstellt werden, dass sich der Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Markenbindung bei hoher Kaufwichtigkeit verstärken sollte, da die Entscheidungsträger sich in diesem Fall mehr auf ihre vorangegangenen Erfahrungen bei der Entscheidung stützen.667 Würde beispielsweise eine Leistung nicht auf dem erwarteten Niveau erbracht werden, kann davon ausgegangen werden,
656 657 658 659 660 661 662 663 664 665 666 667
Vgl. McQuiston (1989), S. 70; Homburg et al. (2006), S. 286; Sweeney et al. (1973), S. 217ff. Vgl. Bunn (1993), S. 44. Vgl. Heide/Weiss (1995), S. 33. Vgl. Schmalensee (1982), S. 353ff. Vgl. Cox (1980), S. 80; Heide/Weiss (1995), S. 33. Vgl. Heide/Weiss (1995), S. 39. Vgl. Heide/Weiss (1995), S. 39. Vgl. March (1990), S. 189ff.; March/Olsen (1994), S. 140ff.; March et al. (1993), S. 20ff. Vgl. Bloemer/Kasper (1995); Bayón/Wangenheim (2005). Vgl. Bloemer/Kasper (1995), S. 322f.; Bayón/Wangenheim (2005), S. 179. Vgl. Bolton et al. (2008), S. 58. Vgl. Ebenda, S. 50; Cox (1980), S. 80; Heide/Weiss (1995), S. 33.
4.2 Hypothesen zur Markenbindungswirkung der Kaufsituation dass ein negatives Zufriedenheitsurteil bei hoher Kaufwichtigkeit als wahrgenommen wird.668 Demzufolge soll folgende Hypothese überprüft werden:
107 kritischer
Hypothese 11 Je wichtiger der Kauf, desto stärker ist der Zusammenhang zwischen Nutzen der Markenbindung und Kundenzufriedenheit.
4.2.3
Dauer der Geschäftsbeziehung
Die Dauer der Geschäftsbeziehung kann als charakterisierender Faktor herangezogen werden, um die Geschäftskunden zu unterscheiden. So wird gezeigt, dass sich die Neukunden von den Bestandskunden in ihrem Kaufentscheidungsverhalten unterscheiden.669 Die Neukunden sind diejenigen Kunden, die erst vor Kurzem eine Geschäftsbeziehung mit dem fokalen Anbieter eingegangen sind. Hingegen zeichnen sich Bestandkunden dadurch aus, dass bereits seit längerem eine Geschäftsbeziehung zwischen Anbieter und Nachfrager besteht.670 Im Forschungsbereich der Kundenloyalität stellen Ganesh et al. (2000) fest, dass Bestandskunden eine höhere passive Loyalität aufweisen und dass die Kundenzufriedenheit mit Anstieg der Dauer der Geschäftsbeziehung zunimmt.671 Ebenso weisen Bayón/Wangenheim (2005) den Einfluss der Geschäftsbeziehungsdauer empirisch nach. Sie bestätigen, dass die Dauer der Geschäftsbeziehung den Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenloyalität verstärkt.672 Verhoef et al. (2001) wiederum zeigen in ihrer Untersuchung zum Cross-BuyingVerhalten, dass der positive Einfluss der Kundenzufriedenheit auf das Cross-BuyingVerhalten bei Bestandskunden größer ist als bei Neukunden.673 Auch Bolton (1998b) bestätigt den Einfluss der Geschäftsbeziehungsdauer.674 Dabei hängt die Kundenzufriedenheit direkt mit der Geschäftsbeziehungsdauer zusammen, d. h. je zufriedener ein Kunde ist, desto länger dauert die Geschäftsbeziehung an.675 In einer weiteren Untersuchung betrachten Bolton et al. (2008) den direkten Einfluss der Geschäftsbeziehungsdauer auf die Entscheidung einen bestehenden Servicevertrag zu erweitern. Interessanterweise kann hier gezeigt werden, dass nachfragende Unternehmen mit geringerer Wahrscheinlichkeit den Vertrag erweitern.676 Als Begründung wird angeführt, dass Bestandkunden bereits über ein optimales Leistungsangebot
668 669 670 671
672 673 674 675 676
Vgl. Bayón/Wangenheim (2005), S. 173. Vgl. Ebenda; Bolton (1998a); Bolton et al. (2006); Bolton et al. (2008); Verhoef et al. (2001). Vgl. Bayón/Wangenheim (2005), S. 173; Ganesh et al. (2000), S. 81. Ganesh et al. (2000) unterscheiden drei Gruppen in ihrer Untersuchung. Im Vergleich zu den Gruppen der loyalen Kunden und den zufriedenen Wechslern nimmt das durchschnittliche Zufriedenheitsurteil bei der Gruppe der unzufriedenen Wechsel mit zunehmender Dauer der Geschäftsbeziehung ab. Vgl.Ebenda, S. 81. Vgl. Bayón/Wangenheim (2005), S. 179. Vgl. Verhoef et al. (2001), S. 372. Vgl. Bolton (1998b), S. 63. Vgl.Ebenda, S. 60. Vgl. Bolton et al. (2008), S. 58
108
4 Hypothesen zur Markenbindung
verfügen und so nicht die Notwendigkeit besteht den Servicevertrag zu erweitern. Demzufolge ist der Einfluss der Geschäftsbeziehungsdauer einerseits direkt auf das Kaufverhalten und andererseits indirekt als Verstärkung des Zusammenhangs zwischen Kundenzufriedenheit und Kaufverhalten in der Literatur empirisch bestätigt. Dabei wird die Wirkung der Geschäftsbeziehungsdauer in Form eines Interaktionseffektes auf die Stabilität der Präferenzen zurückgeführt. Die Wirkung wird auf die Annahme basiert, dass die industriellen Nachfrager stabilere Präferenzen mit länger andauernder Geschäftsbeziehungsdauer aufweisen.677 Während das Zufriedenheitsurteil bei Bestandkunden über einen längeren Zeitraum hinweg gebildet wird, basiert das Urteil von Neukunden auf den bis dahin getätigten einzelnen Transaktionen. So erhöht die positive Diskonfirmation einer Transaktion die Präferenz die Marke wieder zu wählen und negative Diskonfirmation wirkt sich negativ auf die Markenpräferenz aus.678 Dementsprechend wird unterstellt, dass sich das Zufriedenheitsurteil langfristig festigt und dass das kumulative Zufriedenheitsurteil im Sinne einer Einstellung gegenüber dem Anbieter eine stabilere Präferenz darstellt als das einzelne Urteil bei Neukunden. Folglich ist das Zufriedenheitsurteil bei Neukunden weniger stabil und damit schneller umkehrbar.679 Basierend auf den bisherigen Erkenntnissen soll deshalb überprüft werden, ob der Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Nutzen der Markenbindung aufgrund der Dauer der Geschäftsbeziehung verstärkt wird. Demnach kann folgende Hypothese aufgestellt werden: Hypothese 12 Je länger die Geschäftsbeziehung besteht, desto stärker ist der Zusammenhang zwischen Nutzen der Markenbindung und Kundenzufriedenheit.
4.3 Zusammenfassende Darstellung der Untersuchungshypothesen Nachfolgend werden die Hypothesen zur Übersicht zusammenfassend in Tab. 4.2 dargestellt. Die Hypothesen lassen sich nach der Ursache der Bindungswirkung unterteilen. Dabei stellen die Marke und die Kundenzufriedenheit die Ursachen der freiwilligen Bindung dar und die wahrgenommenen Wechselkosten, die der unfreiwilligen Bindung. Die Kaufsituation sollte die freiwillige Markenbindung verstärken.
677 678 679
Vgl. Bolton (1998a); Rust et al. (1999), S. 78f. Vgl. Anderson/Sullivan (1993), S. 132; Bolton (1998a), S. 47; Oliver (1980), S. 466. Vgl. Bayón/Wangenheim (2005), S. 174; Bolton (1998b), S. 63f.; Verhoef et al. (2001), S. 363.
4.3 Zusammenfassende Darstellung der Untersuchungshypothesen
109
Hypothesen zum Einfluss der Marke H1
Bei Marken mit hohem Markenwert sind die Nachfrager weniger preissensitiv.
Hypothesen zum Einfluss der Kundenzufriedenheit H2
Je höher die Kundenzufriedenheit, desto höher ist der Nutzen der Markenbindung.
H3
Je erfahrener ein Entscheidungsträger ist, desto stärker ist der Zusammenhang zwischen Nutzen der Markenbindung und Kundenzufriedenheit.
H4
Das Antwortverhalten bei Kundenzufriedenheitsurteilen variiert systematisch mit der Erfahrung und Position des Entscheidungsträgers.
H5
Der Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Nutzen der Markenbindung gestaltet sich nichtlinear. Negative Kundenzufriedenheit hat dabei einen größeren Einfluss auf den Nutzen der Markenbindung als positive Kundenzufriedenheit.
H6
Der Zusammenhang zwischen Attributzufriedenheit und Nutzen der Markenbindung gestaltet sich nichtlinear. Negative Attributzufriedenheit hat dabei einen größeren Einfluss auf den Nutzen der Markenbindung als positive Attributzufriedenheit.
H7
Je höher die Attributzufriedenheit, desto stärker ist die Attributpräferenz.
Hypothesen zum Einfluss der wahrgenommenen Wechselkosten H8
Je höher die Wechselkosten, desto höher ist der Nutzen der Markenbindung.
H9
Je höher die Wechselkosten, desto schwächer gestaltet sich der Zusammenhang zwischen Nutzen der Markenbindung und der Kundenzufriedenheit.
Hypothesen zum Einfluss der Kaufsituation H 10
Je höher die Kaufunsicherheit, desto stärker ist der Zusammenhang zwischen Nutzen der Markenbindung und Kundenzufriedenheit.
H 11
Je wichtiger der Kauf, desto stärker ist der Zusammenhang zwischen Nutzen der Markenbindung und Kundenzufriedenheit.
H 12
Je länger die Geschäftsbeziehung besteht, desto stärker ist der Zusammenhang zwischen Nutzen der Markenbindung und Kundenzufriedenheit.
Tab. 4.2
Übersicht der generierten Markenwechselentscheidung
Hypothesen
zum
Untersuchungsgegenstand
der
5
Empirische Modellprüfung
Ziel der empirischen Modellprüfung ist es, das Phänomen der Markenbindung auf Basis des theoretischen Bezugsrahmens zu untersuchen. Dabei stehen die Determinanten des Nutzens der Markenbindung im Vordergrund des Forschungsinteresses. Im Rahmen der empirischen Modellprüfung sollen zwei Aspekte thematisiert werden. Zunächst soll das in Kapitel 4 entwickelte Hypothesenmodell zum Wechselverhalten industrieller Nachfrager anhand einer empirischen Untersuchung überprüft werden. Darüber hinaus sollen jedoch mehrere Varianten des Hypothesensystems hinsichtlich der Fähigkeit, die Realität hinreichend abzubilden, getestet werden. Damit soll eine möglichst realitätsnahe Betrachtung des Phänomens der Markenbindung im B2B-Bereich sichergestellt werden. Hierzu wird zuerst in Abschnitt 5.1 eine geeignete methodische Grundlage zur empirischen Überprüfung der Markenbindung ausgewählt. Anschließend wird das Vorgehen der ausgewählten Methodik in Abschnitt 5.2 dargestellt, um daran schrittweise das Erhebungsdesign der empirischen Modellprüfung aufzustellen. Danach werden die latenten Konstrukte, die den Nutzen der Markenbindung beeinflussen, in Abschnitt 5.3 operationalisiert. Abschließend werden in Abschnitt 5.4 die Modellschätzung und die Überprüfung des Hypothesenmodells durchgeführt.
5.1 Auswahl der methodischen Basis der Untersuchung Den Schwerpunkt der Arbeit stellt die Wechselentscheidung von industriellen Entscheidungsträgern dar. Damit liegt der Fokus auf der Präferenzbildung der Entscheidungsträger im Entscheidungsprozess. Wie bereits in Abschnitt 2.2.2 dargelegt wurde, eignet sich eine auf geäußerten Präferenzen beruhende Untersuchung für den Anwendungsbereich mehr als eine auf beobachtbaren Präferenzen. Gründe hierfür sind zum einen darin zu sehen, dass die Datenbasis für beobachtbare Präferenzen im B2B-Bereich nicht in vergleichbarem Umfang vorhanden ist wie im B2C-Bereich und zum anderen die Gestaltungsspielräume bei Untersuchungen mit geäußerten Präferenzen weitaus größer sind als bei beobachtbaren Präferenzen.680 Die methodische Fundierung basiert daher auf einem Ansatz, der aus Arbeiten zu geäußerten Präferenzen im Rahmen von diskreten Wahlentscheidungsmodellen der Ökonometrie und des Marketings681 sowie auf dem Design und der Analyse von geäußerten Präferenzen diskreter Wahlentscheidungsexperimente im Marketing, aufbaut.682 Klassischerweise werden zur Analyse von Präferenzen conjointbasierte Ansätze als methodische Basis herangezogen. Eine conjointbasierte Erhebung eignet sich insbesondere 680 681
682
Vgl. Hensher et al. (2007), S. 97ff.; Louviere (2000), S. 20ff. Vgl. u. a. Ben-Akiva/Morikawa (1990); Guadagni/Little (1983); Kamakura/Russell (1993); McFadden (1974). Vgl. u. a. Batsell/Louviere (1991); Louviere/Woodworth, (1983); Louviere (1988).
5.1 Auswahl der methodischen Basis der Untersuchung
111
dann, wenn Präferenzen analysiert werden sollen und eine nutzen- bzw. wertorientierte Sichtweise im Vordergrund steht.683 Dabei können Rückschlüsse auf die Wirkungsweise der Faktoren innerhalb der Präferenzbildung über die Nutzenwertmessung der einzelnen StimuliMerkmale erfolgen.684 Ein wesentlicher Vorteil bei Conjoint-Analysen ist, dass der Entscheidungsträger im Beurteilungsprozess vollständige Produkte und nicht nur isolierte Merkmale miteinander vergleicht. Damit wird der Nutzenwert der Markenbindung bzw. der Kundenbindung im Verhältnis zu den weiteren Bestandteilen des Leistungsangebots über eine Trade-Off-Entscheidung zwischen den Alternativen bestimmt685. Letztlich wird hierüber versucht, die Entscheidungssituation realitätsnah abzubilden, um eine hohe Reliabilität und Validität sicherzustellen. Ein weiterer Vorteil eröffnet sich dadurch, dass das Entscheidungsverhalten analysiert wird und nicht die Verhaltensabsicht. Vorangegangene Untersuchungen fokussieren sich in erster Linie auf die Verhaltensabsicht.686 Allerdings können Mittal/Kamakura (2001) empirisch zeigen, dass der Zusammenhang von Zufriedenheit und Verhaltensabsicht im Vergleich zur Zufriedenheits-Verhaltensbeziehung zu kontroversen Ergebnissen führt.687 Bolton (1998a) untersucht den Zusammenhang von Zufriedenheit und Verhalten.688 Beiden Untersuchungen zu Folge kann davon ausgegangen werden, dass das entsprechende Zufriedenheitsniveau, welches eine Wiederkaufsabsicht beeinflusst, sich von dem Niveau unterscheidet, welches Wiederkaufsverhalten hervorruft.689 Demzufolge empfiehlt es sich, die Kundenzufriedenheit im Zusammenhang mit dem Kaufverhalten industrieller Nachfrager zu betrachten,690 um Aussagen bezüglich der Markenbindung abzuleiten. Eine weitere Problematik die dadurch vermieden wird, ist die Frage nach der funktionalen Form der Beziehungen zwischen Verhaltensabsicht und Verhalten.691 Zudem ist die Beziehung zwischen Verhaltensabsicht und Verhalten selbst sehr fragil, da diese sowohl von der verwendeten Messskala692 als auch hinsichtlich des zeitlichen Bezugs beeinflusst werden kann.693 Weiterhin eröffnet ein Conjoint-Ansatz auch Vorteile für die praktische Anwendung.694 Beispielsweise können Prognosen für die Erfolgschancen unterschiedlicher Marketingstrategien unter Berücksichtigung von Wettbewerbsangeboten abgeleitet werden und so für
683 684 685 686
687 688 689 690 691 692 693 694
Vgl. Wildemann (2008c); Wildemann (2009), S. 143ff. Vgl. Hensher et al. (2007), S. 100ff.; Louviere (2000), S. 20ff. Vgl. Louviere et al. (2000), S. 20ff. Vgl. u. a. Anderson/Sullivan (1993); Antón et al. (2007); Hellier et al. (2003); Jones et al. (2000); Mittal et al. (1998). Vgl. Bolton (1998a), S. 62; Mittal/Kamakura (2001), S. 140. Vgl. Bolton (1998a). Vgl. Mittal/Kamakura (2001), S. 135. Vgl. Ebenda, S. 140. Vgl. hierzu Fishbein/Ajzen (1975); Jamieson/Bass (1989). Vgl. Kalwani/Silk (1982), S. 258ff. Vgl. Morwitz/Schmittlein (1992), S. 400. Vgl. Kotler/Bliemel (2006), S. 217.
5 Empirische Modellprüfung
112
Szenarioanalysen herangezogen werden. Dabei ermöglicht ein Conjoint-Design die Berechnung der Kaufwahrscheinlichkeiten und die Bestimmung der Marktanteile. Im Rahmen von Conjoint-Analysen existieren unterschiedliche Verfahren diese durchzuführen. Grundsätzlich können die Verfahren danach unterteilt werden, ob sie Präferenzen erfassen oder analysieren.695 Abbildung 5.1 stellt die Verfahren als Übersicht dar. Nachfolgend wird zunächst auf die Erfassung der Präferenzen eingegangen und danach auf die unterschiedlichen Formen der Präferenzanalyse.
Conjointbasierte Methoden
Erfassung der Präferenzen
ConjointAnalyse (CA)
Abb. 5.1
Choice-based Conjoint-Analyse (CBC)
Analyse der Präferenzen
Logit
Generalized Extreme Value (GEV)
Probit
Mixed Logit
Überblick über Verfahren der Conjoint-Analyse696
Für die Erfassung des Markenbindung bzw. des Kundenbindungsnutzen wird die ChoiceBased-Conjoint-Analyse (CBCA) ausgewählt, da diese einige Vorteile bei der Untersuchung der Wechselentscheidung gegenüber Verfahren der traditionellen Conjoint-Analyse (CA) eröffnet. So stellt die CBCA ein Verfahren dar, das geeignet ist, realitätsnahe Kaufentscheidungssituationen abzubilden, da nicht auf die üblichen Ranking-/RatingVerfahren zurückgegriffen wird, sondern der Entscheidungsträger eine Wahl zwischen verschiedenen Alternativen aus dem sogenannten Choice-Set trifft.697 Die Alternativen, und damit die Größe des Choice-Sets, bilden das Evoked-Set,698 das ausschließlich aus den Alternativen besteht, die auch bei einer realen Kaufentscheidung berücksichtigt würden. Üblicherweise wird eine Nicht-Kauf-Option beim Design der Stimuli miteinbezogen, was die CBCA als ein auswahlbasiertes Verfahren kennzeichnet.699 Der Mangel der TCA entfällt somit bei der CBCA, da der Respondent keines der Angebote wählen muss. Weiterhin kann die CBCA auch Nebeneffekte, d.h. Interaktionen zwischen den Merkmalsausprägungen messen und alternativen-spezifische Merkmalsausprägungen beachten. Hierdurch wird eine
695 696 697 698 699
Vgl. Gensler/Skiera (2003), S. 3. In Anlehnung an Gensler/Skiera (2003), S. 3 und Train (2003). Vgl. Batsell/Louviere (1991), S. 205. Vgl. Parkinson/Reilly (1979), S. 227ff. Vgl. Hensher et al. (2007), S. 227ff.
5.1 Auswahl der methodischen Basis der Untersuchung
113
flexiblere und breitere Anwendung ermöglicht.700 Der wesentliche Vorteil der CBCA besteht jedoch darin, dass die Grundannahme nicht auf einem vollständig deterministischen Modell aufbaut, sondern auch eine probabilisitische Nutzenkomponente mit einbezieht. Damit werden letztlich nicht-systematische Fehler bei der Untersuchung berücksichtigt, die durch nicht im Modell erfasste Einflussvariablen definiert werden.701 Die Annahme der Nutzenmaximierung seitens des Entscheidungsträgers bleibt weiterhin als Voraussetzung bestehen.702 Für die Analyse der Präferenzen kann auf Logit-, GEV-, Probit- oder Mixed-Logit-Modelle zurückgegriffen werden. Das wohl am häufigsten eingesetzte Modell ist das Logit-Modell, welches als Annahme für die Alternativen deren Unabhängigkeit (independence) von irrelevanten Alternativen (IIA) voraussetzt und die Nutzenmaximierung unterstellt.703 Das Logit-Modell weist drei zentrale Beschränkungen auf: Es kann keine zufallsverteilte Variation des Nutzens abbilden, es beschränkt die Substitutionsmuster aufgrund der IIA und es kann nicht für Paneldaten verwendet werden, wenn unbeobachtbare Faktoren eines Entscheidungsträgers über die Zeit miteinander korrelieren.704 GEV-Modelle vermindern die IIA Problematik. Weiterhin sind Probit-Modelle sowie Mixed-Logit-Modelle in der Lage alle drei Beschränkungen aufzulockern.705 Die Einschränkung von Probit-Modellen ist die Annahme der Normalverteilung aller unbeobachtbaren Nutzenkomponenten. Hingegen wird dies bei Mixed-Logit Modellen nicht zwingend vorausgesetzt. Folglich stellt sich das MixedLogit-Modell als das anpassungsfähigste Modell dar und soll daher im Weiteren verwendet werden. Trotz seiner Vorzüge weist auch das Mixed-Logit-Modell, das ausschließlich auf CBC-Daten beruht, Schwachstellen auf. Eine Problematik stellt die systematische Verzerrung der Bedeutung von Markenloyalität und der Heterogenität von Preis- als auch Loyalitätssensitivität dar.706 Der Einfluss dieser Faktoren wird überschätzt, da im Modell ohne Informationen über die Präferenzen nicht zwischen Kontextabhängigkeit, Heterogenität und präferenzbezogenen Effekten der Präferenz unterschieden werden kann.707 Die Preissensitivität und Loyalität werden in einem rein auf unbeobachtbarer Heterogenität basierenden Modell überbewertet. Demgemäß wird unterstellt, dass das durchschnittlich präferenzorientierte Individuum eher bereit ist, die Marke zu wechseln, als sich das jeweilige präferenzorientierte Individuum entscheiden würde.708
700 701 702
703 704 705 706 707 708
Vgl. Hahn (1997), S. 125ff. Vgl. Ebenda, S. 83ff.; Voeth (2000), S. 93. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass das Modell mit anderen Formen der Erklärung von Verhalten konsistent ist. Vgl. Train (2003), S. 18. Vgl. Luce (1959); Marschak (1960); McFadden (1974). Vgl. Train (2003), S. 101. Vgl. Ebenda, S. 101 und 138. Vgl. Horsky et al. (2006), S. 322. Vgl. Horsky et al. (2006), S. 322. Vgl. Ebenda (2006), S. 322.
114
5 Empirische Modellprüfung
Verzerrungen können verringert werden, indem das Modell neben der unbeobachtbaren Heterogenität der Präferenzen deren beobachtbare Heterogenität über beeinflussende Faktoren der Markenbindung berücksichtigt.709 Diese zusätzlichen Faktoren sollen Aufschluss darüber geben, warum ein Individuum ein spezielles Angebot bevorzugt und somit die beobachtbare Heterogenität erklären. Wie gezeigt wurde, handelt es sich bei den Faktoren einerseits um demographische und andererseits um verhaltensrelevante Einflüsse. Insbesondere die verhaltensrelevanten Merkmale wie Kundenzufriedenheit und wahrgenommene Wechselkosten stellen nicht direkt messbare Größen dar, sondern latente Konstrukte, die nur über Indikatorvariablen erfasst werden können. In Abschnitt 5.3 wird hierauf ausführlich eingegangen. Zunächst steht im Vordergrund, inwiefern latente Variablen in Choice-Modellen berücksichtigt werden können. Im Bereich der Choice-Modellierung gibt es verschiedene Techniken, um latente Konstrukte wie die Einstellung oder Wahrnehmung eines Entscheidungsträgers in das Choice-Modell mit einzubeziehen. Ein Ansatz ist es, latente Attribute für die Alternativen der Konsumentenpräferenzen aus dem Wahlverhalten des Konsumenten abzuleiten. Dazu werden latente Attribute im Conjointdesign berücksichtigt.710 In diesem Fall werden keine weiteren Indikatoren herangezogen außer dem beobachteten Wahlverhalten. Deshalb sind die latenten Attribute alternativen-spezifisch und variieren nicht zwischen den Individuen eines Marktsegments.711 Diese Möglichkeit ist folglich für die gestellte Fragestellung wenig empfehlenswert, da das Interesse darin liegt, die Unterschiede der Präferenzen zu erklären. Zudem ist die Anzahl der latenten Attribute beschränkt, da diese direkt in das Design mit einfließen und der Entscheidungsträger nur eine begrenzte Anzahl an Stimuli bewerten kann.712 Abbildung 5.2 stellt diesen Ansatz graphisch dar.
709
710 711 712
Arbeiten, die Choice-Daten mit zusätzlichen Information erweitern, stammen u. a. von Ashok et al. (2002), Gilbride et al. (2005); Luo et al. (2008). Für einen Überblick über das Vorgehen vgl. Elrod (1988); Elrod (1991); Elrod/Keane (1995). Vgl. Walker (2001), S. 82. Vgl. hierzu Abschnitt 5.2.2.
5.1 Auswahl der methodischen Basis der Untersuchung
Erklärende Variablen
115
Latentes Attribut
Nutzen
Wahlentscheidung
Abb. 5.2
Choice-Modell mit latentem Attribut713
Weiterhin können latente Konstrukte auch als Faktormodell in das Untersuchungsdesign eingehen. Hierzu wird zuerst eine Faktorenanalyse mit den Indikatoren durchgeführt und daraufhin werden die latenten Variablen in die Nutzenfunktion miteinbezogen, wie Abbildung 5.3 zeigt.714 Mit Hilfe der Matrix der Faktorwertkoeffizienten lassen sich aus den Daten Indikatoren individueller Faktorwerte für die einzelnen Konstrukte berechnen. Für die fallweise Berechnung der individuellen Faktorwerte wird der Wert aller Indikatorvariablen mit den korrespondierenden Koeffizienten der Matrix multipliziert und danach aufsummiert. Die individuellen Faktorwerte stellen die Messung der einzelnen latenten Erklärungsgrößen, die um Fehler bereinigte sind, dar.715 Neben diesem sequentiellen Vorgehen besteht die Möglichkeit, ein Choice-Modell mit latenten Konstrukten simultan zu schätzen.716 Dieses Verfahren ist bei tendenziell einfachen Conjoint-Experimenten, mit beispielsweise einer binären Auswahlmöglichkeit, verhältnismäßig gut umsetzbar.717 Sobald jedoch mehrere Alternativen zur Auswahl stehen, wird die Schätzung komplexer und steht nicht im Verhältnis zum Umsetzungsaufwand.718 Da das durchgeführte Conjoint-Experiment fünf Auswahlalternativen abbildet, bietet sich das Verfahren zur Untersuchung des Anwendungsbereichs weniger an. Deshalb soll im Sinne des sequentiellen Verfahrens vorgegangen werden.
713 714 715 716 717 718
In Anlehnung an Walker (2001), S. 84. Vgl. u. a. Madanat et al. (1995); Prashker (1979). Vgl. Bagozzi (1981), S. 379. Vgl. Temme et al. (2008); Walker (2001). Vgl. Walker (2001), S. 95. Vgl. Temme et al. (2008), S. 223.
5 Empirische Modellprüfung
116
Faktorenanalyse Erklärende Variablen
Latentes Konstrukt
Indikatorvariablen
Nutzen
Wahlentscheidung
Abb. 5.3
Sequentielles Vorgehen: Faktoranalyse wird gefolgt von Choice-Analyse719
Ebenso können die Indikatoren für latente Konstrukte direkt in die Nutzenfunktion einbezogen werden, wie Abbildung 5.4 verdeutlicht.720 Dabei stellt sich die Frage, ob die Indikatoren kausale Bestandteile des Konstruktes darstellen. Diese ist bei formativspezifizierten Konstrukten unproblematisch, da formative Indikatoren per definitionem kausale Bestandteile des Konstrukts sein müssen.721 Folglich können diese direkt in das Modell miteinbezogen werden. Für reflektiv-spezifizierte Konstrukte bietet sich hingegen das zuvor beschriebene Verfahren an. Nachdem sowohl reflektive als auch formative Konstrukte in die Untersuchung mit eingehen, findet das sequentielle Verfahren Anwendung.722
719 720 721 722
In Anlehnung an Walker (2001), S. 84. Vgl. beispielsweise Green (1984); Harris/Keane (1998); Horsky et al. (2006); Koppelman/Hauser (1979). Vgl. hierzu ausführlicher Abschnitt 5.3 und Eberl (2004), S. 7. Zur Spezifizierung der Konstrukte siehe Abschnitt 5.3.
5.1 Auswahl der methodischen Basis der Untersuchung
117
Indikatorvariablen
Erklärende Variablen
Nutzen
Wahlentscheidung
Abb. 5.4
Choice-Modell mit Indikatoren
Grundsätzlich können, wie bei den anderen Verfahren, durch die Berücksichtigung latenter Konstrukte die Güte des Modells, der sogenannte Modell-Fit, erhöht werden und zusätzliche Aussagen bei der Auswertung getroffen werden.723 Problematisch ist jedoch bei allen sequentiellen Vorgehensweisen im Vergleich zu einer simultanen Schätzung, dass diese nicht konsistent und messfehlerfrei erfolgen.724 Jedoch verringert sich die Verzerrung durch die Messfehler, wenn die Varianz des Standardfehlers gering und die Stichprobe ausreichend groß ist. Train et al. (1986) zeigen beispielsweise für ein Modell, dass der Einfluss von inkonsistent geschätzten Parametern bei einer Anzahl von 3.000 Beobachtungen vernachlässigt werden kann.725 Zusammenfassend kann somit festgehalten werden, dass ein erweitertes Choice-basedConjoint-Modell ein realitätsnäheres Abbild der Entscheidungssituation ermöglicht und den Erkenntnisgewinn erweitern kann. Aus diesem Grund soll dieses bei der Untersuchung eingesetzt werden. Hierzu sollen verhaltensrelevante Faktoren im Modell in der Art und Weise berücksichtigt werden, dass die Präferenzheterogenität zu einem gewissen Grad erklärt werden kann.726 Hierdurch wird ein Teil der unbeobachtbaren Heterogenität der Präferenz somit „beobachtbar“. Da das Modell sowohl die beobachtbare als auch unbeobachtbare Heterogenität der Präferenzen berücksichtigt, verbessert sich die Güte des Modells gegenüber einem, welches diese außer Acht lässt.727 Der Grund hierfür ist darin zu sehen, dass die
723 724 725
726 727
Vgl. Harris/Keane (1998), S. 131. Vgl. Dannewald et al. (2008), S. 11f. Vgl. Train et al. (1986). Selbstverständlich ist dieses Ergebnis nicht verallgemeinerbar, bestärkt aber die Wahl für eine Modellierung der Entscheidungssituation über ein Mixed-Logit-Modell, das Präferenzheterogenität beachtet. Vgl. Ben-Akiva et al. (2002), S. 168. Vgl. Horsky et al. (2006), S. 323.
118
5 Empirische Modellprüfung
unbeobachtbare Heterogenität nur unzureichend die Präferenzen erfassen kann. Zudem werden Informationen, die über die Präferenzen vorliegen, letztlich vernachlässigt. Ein weiterer Vorteil, verhaltensrelevante Faktoren zu berücksichtigen, ist, dass Aussagen darüber abgeleitet werden können, inwieweit diese eine zentrale Rolle bei der Wiederkaufsentscheidung einnehmen. Hierdurch wird es möglich, den Einfluss von verhaltensrelevanten Faktoren im Zusammenhang tatsächlichen Entscheidungsverhaltens zu erfassen. Ausgehend von der theoretischen Diskussion und den bisherigen Erkenntnisse in der Literatur wurden hierfür die Kundenzufriedenheit, die wahrgenommenen Wechselkosten eines Anbieterwechsels und der Entscheidungskontext identifiziert.728 Abbildung 5.5 verdeutlicht den theoretischen Bezugsrahmen in Relation zum Messmodell graphisch. Die verhaltensrelevanten Faktoren sind Teil der Black-Box, da sie nicht direkt beobachtbar sind und nur über Indikatoren erfasst werden können. Nachdem die Faktoren verhaltensrelevant sind, tangieren sie die Präferenzen der Entscheidungsträger und sollten daher bei der Analyse von Kaufentscheidungen berücksichtigt werden. Auf der Messebene werden Rückschlüsse auf das Entscheidungsverhalten dadurch vorgenommen, dass das Wahlverhalten beobachtet wird. Über die Betrachtung der Wahlentscheidung können die Teilnutzenwerte der Attribute einer Auswahlaufgabe sowie deren relative Wichtigkeit determiniert werden. Dabei werden die verhaltensrelevanten Faktoren über eine klassische Befragung erhoben und die Entscheidungssituation im Rahmen einer Choice-based-Conjoint-Analyse als Choice-Sets abgebildet. Nachdem die methodische Grundlage gelegt wurde, soll nun das Vorgehen bei einer Choice-based-Conjoint-Analyse veranschaulicht werden.
728
Vgl. hierzu Abschnitt 2.3 und 3.4.
5.2 Vorgehen im Rahmen der Choice-based-Conjoint-Analyse
119
Modellebene Entscheidungskontext (Objekt): Kauftyp, Kaufwichtigkeit, Beziehungsdauer
Zufriedenheit
Angebot (Stimulus)
Wechselkosten
Auswahlentscheidung (Response)
Markenbindung
Messebene Choice-Sets: Marke Produkteigenschaften Service Preis
Indikatorz
Indikatorw
Präferenzanalyse
Entscheidungsträgercharakteristika: Position Erfahrung
Abb. 5.5
Indikatore
Präferenzerfassung
Teilnutzenwerte Relative Wichtigkeit
Prognose Verhalten Kaufverhalten
Konzeptioneller Bezugsrahmen und Messmodell
5.2 Vorgehen im Rahmen der Choice-based-Conjoint-Analyse Um die wesentlichen Eigenschaften der CBC darzustellen, sollen die Phasen der ConjointAnalyse als Basis dienen. Unabhängig vom gewählten Verfahren ergeben sich bei der Durchführung einer Conjoint-Analyse, folgende Phasen:729 Spezifikation der Nutzenfunktion, Auswahl der Eigenschaften und deren Ausprägung, Gestaltung des experimentellen Designs, Erhebung der Präferenzen der Konsumenten (Evaluierung der Stimuli), Schätzung der Nutzenparameter, Beurteilung der Güte und Interpretation der Teilnutzenwerte. Da zudem verhaltensrelevante Kriterien in die Betrachtung miteinbezogen werden sollen, müssen diese zusätzlich erhoben werden. Sie werden nach dem gängigen Verfahren der konfirmatorischen Faktorenanalyse abgeleitet und ausgewertet. Deshalb erweitern sich die Phasen der ConjointAnalyse um die Operationalisierung der Konstrukte. Abbildung 5.6 stellt die Phasen in Übersicht dar.
729
Vgl. Hensher et al. (2007); Louviere et al. (2000); Train (2003); Voeth (2000).
5 Empirische Modellprüfung
120
Spezifikation der Nutzenfunktion
Experimentelles Design und Operationalisierung Konstrukte
Evaluierung der Stimuli
Abb. 5.6
- Interviews und Workshops mit Business Unit/Sales Management
- Orthogonales fraktionelles Haupteffekt Design - Konstruktoperationalisierung
- Erhebung von stated Preferences und zusätzlich Indikatoren der Konstrukte
Maximum Likelihood Schätzung =>Teilnutzenwerte
- Mixed Logit Modell geschätzt anhand von stated Preferences und Indikatoren der Präferenzheterogenität
Interpretation der Teilnutzenwerte
- Interpretation der Indikatorvariablen, die Heterogenität der Präferenz erklären
Empirisches Vorgehen im Rahmen der Conjoint-Analyse
Für die weiteren Ausführungen wird zunächst auf das Erhebungsdesign der Conjoint-Analyse in Abschnitt 5.2 über die Spezifikation der Nutzenfunktion (Abschnitt 5.2.1), die Gestaltung des experimentellen Designs (Abschnitt 5.2.2) sowie die Grundlagen zur Beurteilung der Modellschätzung (Abschnitt 5.2.3) näher eingegangen. Gefolgt von der Operationalisierung der Konstrukte in Abschnitt 5.3, bevor in Abschnitt 5.4 die Modellschätzung erfolgt.
5.2.1
Spezifikation der Nutzenfunktion
Bei der Konstruktion eines mathematischen Entscheidungsmodells muss die Zielvorstellung des Entscheidungsträgers erfasst werden. Dies kann über die Beschreibung der „Zielfunktion“ erfolgen. Bei Sicherheit der Entscheidungssituation kann die Zielfunktion in der Ermittlung der Nutzenfunktion über die möglichen Ergebnisse beschrieben werden. Die beste Alternative ist dann gleichbedeutend mit der Maximierung des Nutzens des Ergebnisses.730 Nachdem das Verhalten nicht vollständig erfasst werden kann, wird der Nutzen mit Zufallsvariablen modelliert. Deshalb setzt sich die Nutzenfunktion aus einer deterministischen und einer
730
Vgl. Laux (2007), S. 89.
5.2 Vorgehen im Rahmen der Choice-based-Conjoint-Analyse
121
stochastischen Komponente zusammen.731 Grundsätzlich erklären folgende Gründe dieses Vorgehen:732 x
Es werden nicht alle relevanten Charakteristika der Alternativen abgebildet.
x
Es werden nicht alle relevanten sozioökonomischen Charakteristika des Entscheidungsträgers berücksichtigt.
x
Die Werte der relevanten Charakteristika können nicht exakt bestimmt werden.
x
Relevante Charakteristika sind nicht immer direkt messbar, sondern müssen über Instrumentalvariablen erfasst werden.
Damit wird im Modell beachtet, dass nicht alle Aspekte erfasst werden können. Die Annahme der Nutzenmaximierung durch den Entscheidungsträger bleibt bestehen. Es wird unterstellt, dass der Entscheidungsträger rational handelt. Wie Hensher et al. (2007) festhalten, ist dies eine häufig kontrovers diskutierte Annahme.733 Ihrer Argumentation folgend, bedeutet rationales Handeln der Entscheidungsträger, dass diese alle relevanten Aspekte bei einer Entscheidung in Betracht ziehen, unabhängig davon, welche Informationen ihnen zur Verfügung stehen.734 Die Herausforderung besteht daher darin, das Entscheidungsproblem so realitätsnah und vollständig wie möglich zu erfassen.735 Nur so kann sichergestellt werden, dass das Nutzenmaximierungskalkül auch im Untersuchungsdesign zum Tragen kommt.736 In Abschnitt 5.2.2 wird näher auf die Gestaltung des Untersuchungsdesigns eingegangen. Zunächst soll die formale Spezifikation der Nutzenfunktion verdeutlicht werden. Wie in Abschnitt 5.1. ausgeführt wurde, soll für die Modellierung des Entscheidungsproblems ein ML-Modell, auch bekannt als Random Parameter Modell, herangezogen werden. Dem ML-Modell liegt die Annahme zugrunde, dass die Wahlwahrscheinlichkeit unterschiedlichen Wahrscheinlichkeitsverteilungen unterworfen ist. Hierdurch kann der Tatsache unbeobachtbarer Heterogenität der Präferenzen Rechnung getragen werden und die Heterogenität zumindest teilweise „beobachtet“ werden.737 Es wird angenommen, dass eine Stichprobe von Individuen (q = 1, …, 351) vor eine Auswahlentscheidung zwischen j Alternativen (j = 5) und t Wahlsituationen (t = 8) gestellt wird. Dabei bewertet das Individuum q die ganze Bandbreite der Wahlmöglichkeiten in einer Wahlsituation t und wählt die Alternative j mit dem höchsten Nutzen. Der Nutzen, der mit jeder Alternative j verbunden ist und von jedem Individuum q in
731 732 733 734 735 736 737
Vgl Hensher et al. (2007), S. 75f.; Maier/Weiss (1990), S. 129; Louviere et al. (2000), S. 37f. Vgl. Ben-Akiva/Lerman (2006), S. 56f.; Maier/Weiss (1990), S. 98f. Vgl. Hensher et al. (2007), S. 79. Vgl. Ebenda. Vgl. Ben-Akiva/Lerman (2006), S. 2; Louviere et al. (2000), S. 111. Vgl. Hensher et al. (2007), S. 81. Vgl. Chintagunta (1994), S. 306; Hensher/Greene (2003), S. 138; Horsky et al. (2006); Louviere et al. (2000), S. 39.
5 Empirische Modellprüfung
122
einer Wahlsituation t beurteilt wird, kann über ein diskretes Wahlmodell in Form einer Nutzenfunktion wie folgt beschrieben werden:738 K
U jtq
¦E
qk
x jtqk H jtk
E q' x jtq H jtq
(1)
k 1
Die erklärende Vektorvariable ist xjtq, die sich über die beobachtbaren Attribute der Alternativen, sozioökonomische Charakteristika der Individuen sowie deskriptive Variablen des Entscheidungskontexts und der Entscheidungsaufgabe selbst in einer Wahlsituation t zusammensetzt. Die Komplexität der Entscheidungsaufgabe kennzeichnet sich beispielsweise über die Anzahl der Wahlsituationen, Anzahl der Alternativen, Breite des Attributmerkmals und Methode der Datenerhebung. Tabelle 5.1 stellt die erklärenden Variablen der Untersuchung als Übersicht dar. Auf die einzelnen Variablen wird in Abschnitt 5.2.2 im Rahmen der Gestaltung des experimentellen Designs näher eingegangen. Kategorie Attribute der Alternativen
Variable Marke Anforderungserfüllung mit Hardware Anforderungserfüllung mit Applikationen Anforderungserfüllung mit Endgeräten Verfügbarkeit des Systems Anzahl und Qualität der Services TCO der Lösung
Sozioökonomische bzw. Unternehmenscharakteristika
Erfahrung des Entscheidungsträgers Einflussstärke des Entscheidungsträgers Funktion des Entscheidungsträgers Mitarbeiteranzahl und Umsatz
Entscheidungskontext
Einstellung Wahrnehmung Kaufsituation: Kauftyp, Kaufwichtigkeit, Geschäftsbeziehungsdauer
Entscheidungsaufgabe
Anzahl Wahlsituation Anzahl Alternativen Breite Attributmerkmale Methode der Erhebung
Tab. 5.1
738
Übersicht der erklärenden Variablen im Rahmen der Untersuchung
Vgl. Ben-Akiva/Lerman (2006), S. 124; Chintagunta (1994), S. 305f.; Greene (2008), S. 870; Hensher et al. (2007), S. 606ff.
5.2 Vorgehen im Rahmen der Choice-based-Conjoint-Analyse
123
Ausgehend von dieser allgemeinen Form der Nutzenfunktion, soll nun die Nutzenfunktion für die gestellte Fragestellung spezifiziert werden. Nachdem der Fokus der Arbeit auf der Wirkung der Marke im Entscheidungsprozess liegt, wird der Einfluss der Marke über zwei Aspekte in der Nutzenfunktion berücksichtigt. Einerseits wird der Markenwert abgebildet und andererseits die Markenbindung. Es existieren unterschiedliche Ansätze, um den Markenwert zu erfassen. Swait et al. (1993) definieren den Markenwert im Vergleich zu Louviere/Johnson (1988) sowie Kamakura/Russell (1993) auf den Gesamtnutzen der Marke und nicht auf eine spezifische Kombination von Nutzenbestandteilen.739 Sie gehen davon aus, dass sich die Wirkung des Markenwerts auf die gesamte Nutzenfunktion bezieht. Diese Auffassung vom Markenwert eignet sich weniger für den gewählten Untersuchungsgegenstand, da die Markenbindung explizit in der Nutzenfunktion berücksichtigt werden soll. Dementsprechend könnte dies in einer Überbewertung des Markenwerts resultieren, da die Markenbindung einen Bestandteil des Markenwerts darstellt. Wie in Abschnitt 2.1.3 definiert wurde, ist der Markenwert der Wert, der mit dem zusätzlichen Nutzen einer Marke verbunden ist. Die Markenbindung wird als Bestandteil des Markenwerts angesehen und umschreibt die Verbundenheit eines Kunden mit einer Marke und den Grad der Wahrscheinlichkeit, mit der er die Marke wechseln bzw. wieder wählen wird.740 Deshalb soll die Erfassung des Markenwerts nach Louviere/Johnson (1988) sowie Kamakura/Russell (1993) erfolgen.741 Kamakura/Russell (1993) definieren Markenwert als den intrinsischen Nutzen, der nicht über die tangiblen Charakteristika und den kurzfristigen Preis erfasst wird.742 Ebenso wie Louviere/Johnson (1988), die den Markenwert als markenspezifische Konstante, bj, die alle intangibeln Werte beschreibt, abbilden.743 Der Auffassung folgend, geht der Markenwert daher über die alternativen-spezifische Konstante in die Nutzenfunktion mit ein. Wie bereits ausgeführt wurde, wird eine nutzenbasierte Messung der Markenbindung im Sinne von Guadagni/Little (1983) und Horsky et al. (2006) verfolgt.744 Markenbindung ergibt sich dann, wenn das Angebot des fokalen Anbieters gewählt wird. Dafür wird eine DummyVariable (RET) gebildet, die den Wert eins annimmt, wenn die fokale Anbietermarke wiedergewählt wird. Anderenfalls nimmt sie den Wert null an. Dementsprechend wird nur die Wiederwahl erfasst. Nachdem die Einflüsse auf die Markenbindung geprüft werden sollen, wird die Dummy-Variable (RET) als normalverteilter Random Parameter angenommen, der von Variablen z q , die den Entscheidungskontext beschreiben, beeinflusst wird.745 Die Wahl
739 740 741 742 743 744 745
Vgl. Swait et al. (1993), S. 30. Vgl. Aaker (1991), S. 32. Vgl. Kamakura/Russell (1993); Louviere/Johnson (1988). Vgl. Kamakura/Russell (1993), S. 11. Vgl. Louviere/Johnson (1988), S. 20-22. Vgl. Guadagni/Little (1983), S. 210; Horsky et al. (2006). Die Form der Distribution wird hier als normal verteilt unterstellt. Es ist möglich, andere Formen der Distribution wie triangular, lognormal oder uniform zu unterstellen. Jedoch existieren keine Hinweise auf
5 Empirische Modellprüfung
124
der Random Parameter legt den Grad der Präferenzheterogenität durch die Standardabweichung der Parameter und über die Interaktion zwischen den Erwartungswerten der Parameter, sowie den deterministischen Segmentierungskriterien, wie sozioökonomischen oder den Entscheidungskontext beschreibenden Faktoren, fest. Zudem wird über den Random Parameter die Korrelation zwischen den Alternativen und den Wahlsituationen ermöglicht.746 Hensher et al. (2007) verweisen auf die Bedeutung der Random Parameter bei der Schätzung des ML-Modells. Zum einen muss getestet werden, wie viele Attribute der Alternativen als Random Parameter berücksichtigt werden sollten und zum anderen müssen die unterschiedlichen Formen der Verteilung der einzelnen Attribute untersucht werden.747 Dies ist insbesondere bei den Attributen von Bedeutung, bei denen das Vorzeichen eine Rolle spielt. Außerdem spielt die Anzahl der Zufallsziehungen eine Rolle bei der Simulierung.748 Die Zusammensetzung der entsprechenden Auswahl der Random Parameter erfordert somit die Überlegung zur Anzahl und Art der Ziehung, Verteilungsannahmen, und im Falle von mehrfachen Auswahlsituationen, ob die Situationen miteinander korrelieren. Für den Random Parameter Markenbindung ergibt sich folgende allgemeine Form:749
E q' x jtqk
E k x jtqk (G k' z q ) x jtqk
(2)
Wobei (G k' z q ) die Interaktion zwischen den Erwartungswerten der Schätzwerte des zufallsverteilten Parameter und der Kovariate berücksichtigt. Hierdurch wird letztlich die Heterogenität der Präferenzen modelliert.750 Ist die Interaktion statistisch signifikant, kann auf dem gewählten Konfidenzniveau die Präferenzheterogenität bestätigt werden. Dabei wird der Random Parameter über eine Simulation mit Zufallsziehungen angenähert.751 Es empfiehlt sich, die von Bhat (2008) vorgeschlagene Halton-Ziehung anderen Arten wie beispielsweise der Pseudo-Random-Ziehung vorzuziehen, da so robuste Schätzwerte bereits bei einer geringeren Anzahl von Ziehungen berechnet werden können.752 100 Ziehungen werden als Richtwert angegeben.753 Die Variablen E qk und H jtk bilden die unbeobachtbaren Variablen und werden daher als statistische Größen behandelt. Im Gegensatz zu MNL und NL-Modellen kann E qk zwischen Individuen variieren. Für die Variable H jtk wird weiterhin die IID-
746 747 748 749 750 751
752 753
die Form der Distribution des Random Parameters und daher empfiehlt es sich, die Normalverteilung zu wählen. Vgl. Hensher et al. (2007), S. 634. Vgl. Greene (2008), S. 851; Hensher et al. (2007), S. 611ff. Vgl. Ebenda. Vgl. Hensher et al. (2007), S. 614; Train et al. (1986). Vgl. Chintagunta (1994), S. 306; Greene (2008), S. 851; Hensher et al. (2007), S. 616f. Vgl. Ben-Akiva/Lerman (2006), S. 124; Hensher et al. (2007), S. 616f. Vgl. Tsai et al. (2007), S. 124; Greene (2008), S. 851; Hensher et al. (2007), S. 614f. In NLOGIT werden die Nutzenparameter über eine Maximum Likelihood Schätzung (MLS) geschätzt. Für eine Darstellung der MLS sei verwiesen auf Ben-Akiva/Lerman (2006), S. 20ff.; Louviere et al. (2000), S. 47ff. Vgl. Bhat (2008); Hensher et al. (2007), S. 616. Vgl. Hensher et al. (2007), S. 616.
5.2 Vorgehen im Rahmen der Choice-based-Conjoint-Analyse
125
Annahme unterstellt.754 Dies heißt, dass H jtk identisch und unabhängig von Alternativen, Wahlsituationen eines Individuums über eine Extremwertverteilung verteilt sind.755 Die IIDAnnahme ist sehr einschränkend, weil die Fehlerterme der unterschiedlichen Alternativen nicht korrelieren dürfen. Allerdings kann über ein ML-Modell diese restriktive Annahme aufgelockert werden, was eine realistischere Prognose und damit höhere Güte des Modells mit sich bringen sollte. Es wird angenommen, dass E q weitere stochastische Elemente enthält,
K qk , die heteroskedastisch sind und korreliert sein können zwischen den Alternativen. Somit gilt:756
Eq
E 'z q * v q
E 'z q K q oder E qk
E k G k' z q K qk
(3)
Dabei ist eine Zufallsgröße, deren Verteilung über Individuen im Allgemeinen auf zugrundeliegenden Parametern, den beobachtbaren Variablen z q , vH ein Vektor der unkorrelierten zufallsverteilten Variablen mit bekannter Varianz der diagonalen VarianzKovarianz-Matrix, H , und * als eine niedrigere triangulare Matrix, die aufgrund der Bedingung var[E q ]
*H* ' , freie Varianz und Korrelation der Parameter zulässt. Wenn E q
alternativen-spezifische Konstanten beinhaltet, kann K qk ebenso zwischen den Wahlalternativen variieren und somit korreliert sein. Für die Verteilung der Variablen gilt, dass K qk normal-, lognormal-, uniform- oder triangualar verteilt sein kann und dass H IID extremwertverteilt ist. Für die bedingte Wahrscheinlichkeit für die Wahl der Alternative j gilt eine logistische Verteilung, da der verbleibende Fehlerterm IID Extremwertverteilt ist. Somit ergibt sich bei einem gegebenen Wert K qk :757
L jq ( E q X q ,K q )
exp E q' x jq
¦ exp( E
' q
x jq )
(4)
Die Gleichung stellt das einfache ML-Modell dar, mit der Annahme, dass für jeden Befragten zusätzliche Informationen in Form von K q vorliegen. Somit ist die Wahrscheinlichkeit abhängig von K q , das durch die zusätzliche Information die Wahlentscheidung beeinflusst. Die nichtbedingte Wahrscheinlichkeit ergibt sich aus dem erwarteten Wert der logistischverteilten Wahrscheinlichkeit über alle möglichen Werte von E q , die über alle
754 755 756 757
Vgl. Louviere et al. (2000), S. 45. Vgl. Ben-Akiva/Lerman (2006), S. 124; Hensher et al. (2007), S. 607; Louviere et al. (2000), S. 45. Vgl. Hensher et al. (2007), S. 607. Vgl. Ebenda. Die Schätzung des Modells wird über die Simulation der Log-Likelihood Funktion vorgenommen. So ist die direkte Integralberechnung der Wahrscheinlichkeiten nicht möglich, da die Verteilungen der tatsächlichen Fehlerterme und der zufallsverteilten Parameter nicht bekannt sind. Vgl. Greene (2008), S. 851.
5 Empirische Modellprüfung
126
Werte integriert und mit der Dichtefunktion von E q gewichtet werden. Folgende allgemeine Funktion für die Wahlwahrscheinlichkeit kann aufgestellt werden:758 Pjq ( X q , z q , :)
³L
jq
( E q X q ,K q ) ³ (K q z q , :)dK q
(5)
Zusammenfassend kann damit festgehalten werden, dass sich die Nutzenfunktion einer Alternative (Marke) aus einer alternativen-spezifischen Konstante (Markenwert), einem Random Paramter (Markenbindung), den Leistungsbestanteilen der TK-Lösung (Attribute) und einem Fehlerterm zusammensetzt. Nachdem die grundlegende Spezifikation der Nutzenfunktion dargelegt wurde, wird nachfolgend das konkrete Untersuchungsdesign aufgestellt. Hierzu wird insbesondere auf die Gestaltung der Attribute eingegangen.
5.2.2
Gestaltung des experimentellen Designs
Die Untersuchung basiert auf geäußerten Präferenzen und daher werden die Auswahlentscheidungen im Rahmen eines experimentellen Designs festgelegt. Ein Experiment kennzeichnet sich dadurch, dass zumindest eine Variable manipuliert wird.759 Bei Conjoint-Experimenten werden Attribute und deren Attributsausprägungen manipuliert. Klassischerweise kann ein vollständiges und ein reduziertes faktorielles Design gewählt werden.760 Das vollständige faktorielle Design umfasst alle Kombinationsmöglichkeiten, wobei sich das reduzierte auf eine Auswahl von Kombinationen bezieht.761 Das vollständige faktorielle Design eignet sich vor allem bei einer geringen Anzahl an Attributen bzw. deren Ausprägungen.762 Die Auswahl der Attribute und deren Ausprägungen bilden damit den Ausgangspunkt für die Wahl des Designs. Bei einer CBCA werden dem Probanden mehrere Entscheidungsaufgaben (Choice-Task) vorgelegt, mit Hilfe derer sich die Nutzenwerte der Attribute schätzen lassen. Aus diesem Grund werden zunächst die Attribute ausgewählt, ihre Charakteristika bestimmt und die sich daraus ergebenden Choice-Tasks geprüft, bevor das konkrete Design abgeleitet wird. Bei der Gestaltung der Choice-Tasks ist zu beachten, dass die Probanden in der Lage sein müssen, die Wahlentscheidungen zu beurteilen. Die Beurteilung der Choice-Tasks sollte sie kognitiv nicht überfordern. Dies führt unweigerlich zu einer Beschränkung der Attributsanzahl und deren Merkmalsausprägungen.763 Für die Festlegung der maximalen Anzahl der Attribute und Merkmale stehen lediglich Richtwerte zur Verfügung und keine
758 759 760 761 762 763
Vgl. Hensher et al. (2007), S. 607. Vgl. Louviere et al. (2000), S. 83. Vgl. Haaijer/Wedel (2001), S. 352ff.; Hensher et al. (2007), S. 115; Louviere et al. (2000), S. 84ff. und 89ff. Vgl. Louviere et al. (2000), S. 84. Vgl. Ebenda, S. 90. Vgl. Teichert (2001), S. 1246.
5.2 Vorgehen im Rahmen der Choice-based-Conjoint-Analyse
127
empirisch abgesicherten Größenangaben.764 Hinsichtlich der Anzahl der Attribute existieren unterschiedliche Auffassungen. Böcker (1986) geht davon aus, dass Konsumenten etwa vier bis sieben Merkmale zur Beurteilung heranziehen.765 Bänsch (2002) wiederum nimmt eine reduzierte Anzahl von drei bis fünf an.766 Allgemein müssen diejenigen Attribute samt Ausprägungen in das Conjoint-Design eingehen, die für den Entscheidungsträger von Interesse sind und die für mehr oder weniger alle Produktgruppen von Relevanz sind.767 Daneben müssen die allgemeinen Anforderungskriterien an Attribute und deren Ausprägungen erfüllt sein:768 1. Relevanz der Merkmale 2. Realisierbarkeit und Beeinflussbarkeit der Attribute durch den Anbieter 3. Unabhängigkeit der Merkmale 4. Kompensatorische Beziehung der Attribute untereinander 5. Vermeiden von K.O.-Kriterien Die Ermittlung der präferenzrelevanten Eigenschaften und deren Ausprägungen können hierbei sowohl das Design als auch die Validität der Ergebnisse beeinflussen. Aus diesem Grund bedarf es einer sorgfältigen Identifizierung der Kriterien. Hierzu werden die Attribute anhand der Kriterien im Rahmen von Experteninterviews mit industriellen Nachfragern und Unternehmensberatern gesammelt und anschließenden in Workshops mit Vertriebsmitarbeitern eines TK-Lösungsanbieters verifiziert. Die Faktoren können auf folgende sieben Attribute verdichtet werden: Marke des Anbieters, Anforderungserfüllung an Hardware, Anforderungserfüllung an Applikationen, Anforderungserfüllung an Endgeräte, Verfügbarkeit des Systems, Anzahl und Qualität der Services sowie Höhe des Total-Cost-of-Ownership (TCO) der Lösung.769 Tabelle 5.2 stellt die Attribute und deren Ausprägungen dar.
Merkmal Marke (AL, AV, CI, SI)
Ausprägungen Alcatel Avaya Cisco Siemens
764 765 766 767 768 769
Vgl. Haaijer/Wedel (2001), S. 348; Louviere (2000), S. 3. Vgl. Böcker (1986), S. 556. Vgl. Bänsch (2002), S. 75. Vgl. Tscheulin (1996), S. 592 und S. 595. Vgl. Backhaus et al. (2006), S. 562f. Eine ausführliche Darstellung der Bestandteile einer TK-Lösung als technische Basis der Telekooperation bietet Reichwald (1998), S. 17ff. Zudem geht Reichwald (2005) auf die technische Infrastruktur von Informations- und Kommunikationssystemen ein. Vgl. Reichwald (2005), S. 282ff.
5 Empirische Modellprüfung
128 Anforderungserfüllung Hardware (HAR) Anforderungserfüllung Applikationen (APP)
Nur Basisanforderungen Basis- und Zusatzanforderungen Nur Basisanforderungen Basis- und Zusatzanforderungen
Anforderungserfüllung Endgeräte (END) Verfügbarkeit des Systems (VER) Anzahl und Qualität der Services (SER) Total Cost of Ownership der TK-Lösung (TCO)
Nur Basisanforderungen Basis- und Zusatzanforderungen 99,999 % 98 % Hochwertig Durchschnittlich Branchendurchschnitt -10% Branchendurchschnitt Branchendurchschnitt +10% Branchendurchschnitt +20%
Tab. 5.2
Übersicht der kaufentscheidenden Kriterien des Leistungsangebots einer TK-Lösung im Rahmen der Untersuchung
Der Marke kommt eine besondere Bedeutung zu, da insbesondere der Markeneffekt bei der Auswahlentscheidung von Erkenntnisinteresse ist. Im Bereich der TK-Lösungsanbieter werden vier Herstellermarken als die relevanten identifiziert. Sie gehen als sogenannte Labels der Alternativen in das Design ein und jede Marke repräsentiert folglich eine Alternative. Hieraus ergeben sich vier Entscheidungsmöglichkeiten, aus denen der Proband wählen soll. Gelabelte Designs haben den Vorteil, dass realistischere Auswahlsituationen nachgebildet werden und die Marktanteile besser prognostiziert werden kann.770 Außerdem können unter Labels nicht berücksichtigte Attribute subsumiert werden, die dem Probanden sonst bei der Entscheidung fehlen würden.771 Damit kann die Thematik der Endogenität aufgrund einer Fehlspezifikation nicht berücksichtigter Variablen verringert werden.772 Hierdurch kann auch das Auftreten von nicht beobachtbarer Heteroskedastizität aufgrund nicht berücksichtigter Variablen vermindert werden. Zudem können alternativen-spezifische Effekte betrachtet werden.
770 771 772
Vgl. Hensher et al. (2007), S. 113. Vgl. Ebenda. Die Endogenität bezeichnet in diesem Zusammenhang die Korrelation zwischen dem Fehlerterm, der die nicht berücksichtigten Attribute beinhaltet, und den Attributen des Designs. Der Effekt von nicht berücksichtigen Variablen wird in der Ökonometrie als „omitted variable bias“ bezeichnet und ist maßgeblich von der Arbeit Heckmanns geprägt. Vgl. Chamberlain (1985); Heckman (1979); Lee (1982); Verbeek (2008).
5.2 Vorgehen im Rahmen der Choice-based-Conjoint-Analyse
129
Für das Attribut TCO werden vier Merkmalsausprägungen gewählt, da zu vermuten ist, dass der Nutzenverlauf des Preises keinen linearen Zusammenhang aufweist. So kann auf Nichtlinearität des Preises getestet werden. Da die TCO aufgrund der Kundencharakteristika starken Schwankungen unterworfen sind, die die TCO letztlich bestimmen, werden abstrakte Ausprägungen für die TCO formuliert. Diese Thematik trifft auch bei den Attributen Hardware, Applikation, Endgeräte und Services zu. Im Rahmen der Experteninterviews wird wiederholt betont, dass sich das Leistungsangebot in der Praxis sehr umfangreich und heterogen zeigt, da es den unterschiedlichsten Kundenanforderungen an eine Telekommunikationslösung gerecht werden muss. Um die Vergleichbarkeit über mehrere Branchen zu gewährleisten, werden daher abstrakte Merkmalsausprägungen gewählt. Dies entspricht dem Vorgehen von Homburg et al. (2006), Simon (1994) und Weiber/Billen (2004).773 Die Verfügbarkeit des Systems hingegen kann mit den gängigen Ausprägungen von 98% und 99,999% Sicherheit branchen- und unternehmensunabhängig beschrieben werden. Nachdem die Attribute und deren Ausprägungen auf Basis der Experteninterviews und Workshops abgeleitet wurden, muss die Zahl der zu generierenden Choice-Tasks und der dazugehörigen Attributausprägungen festgelegt werden.774 Auch hier wirkt sich die Belastbarkeit der Probanden beschränkend auf die Anzahl der zu bewältigenden Choice-Tasks aus. Über die Ergebnisse verschiedener empirischer Studien wird empfohlen, maximal 20 Choice-Tasks an einen Probanden zu stellen ohne die Güte der erhobenen Daten zu vermindern.775 Da die Probanden zusätzlich zu den Choice-Tasks auch Fragen zur Erfassung des Entscheidungskontexts sowie Unternehmenscharakteristika beantworten sollen, steigt das Risiko von Ermüdungseffekten.776 Im Rahmen einer Voruntersuchung stellte sich heraus, dass aufgrund der verhältnismäßig komplexen Choice-Tasks und den zusätzlichen Fragen eine Steigerung der Choice-Tasks von mehr als acht zur Überforderung der Probanden führen würde. Deshalb wird die Zahl der Choice Tasks auf acht beschränkt. Ausgehend von den abgeleiteten Attributen, deren Ausprägungen und der Anzahl der ChoiceTasks wird nun das reduzierte Design für das Experiment abgleitet. Hierzu muss bestimmt werden, welche Effekte geschätzt werden sollen. Grundsätzlich werden in ökonometrischen Modellen Haupt- und Interaktionseffekte unterschieden. Die Haupteffekte bei diskreten Auswahlmodellen tragen zwischen 70% und 90% zur erklärten Varianz bei.777 Somit ist die Erklärungskraft eines auf Haupteffekten beruhenden Designs verhältnismäßig gut. Dementsprechend soll ein minimales Haupteffekt-Design umgesetzt werden. Bei CBC-
773 774
775 776 777
Vgl. Homburg et al. (2006); Simon (1994); Weiber/Billen (2004). Es wäre durchaus möglich die Anzahl der Attribute zu variieren. Vgl. hierzu DeSarbo et al. (1995). Hier werden allerdings sogenannte fixe Choice-Tasks gewählt, da die Probanden zwischen vier Alternativen und einer Nicht-Wahl-Option wählten sollen. Eine variierende Anzahl von Attributen würde den Auswahlprozess komplexer gestalten. Vgl. Johnson/ Orme (1996), S. 22; Pinnel/Englert (1997), S. 122. Vgl. Gensler/Skiera (2003), S. 56. Vgl. Louviere et al. (2000), S. 94.
5 Empirische Modellprüfung
130
Modellen kann zudem festgelegt werden, ob der Effekt generisch oder alternativen-spezifisch gestaltet wird. Da insbesondere die Markenwirkung und damit verbunden die Preiswirkung der Marke im Forschungsinteresse steht, werden die Attribute Marke und Preis als alternativen-spezifisch ins Design eingebracht. Die weiteren Attribute werden als generisch betrachtet. Die Anzahl der Choice-Tasks kann nach der Regel für Label-Experimente basierend auf Teilnutzenwertmodellen wie folgt fixiert werden:778 (L-1)*M*A+M+1,
(6)
Wobei L die Ausprägungen (Level), A die Anzahl der Attribute und M die Anzahl der Alternativen erfasst. Folglich ergeben sich für ein minimales orthogonales HaupteffektDesign mit 5 generischen Attributen mit jeweils zwei Ausprägungsniveaus und zwei alternativen-spezifischen Attributen mit vier Ausprägungsniveaus 16 Choice-Tasks. Dieses Design wurde gewählt, da es möglich ist, die 16 Choice-Tasks in zwei Blöcke zu unterteilen und somit die Beurteilungsaufgabe für den Probanden auf die zuvor festgelegten acht Choice Tasks zu beschränken.779 Wichtig ist, dass die Blöcke von der gleichen Anzahl an Probanden beantwortet werden und die Choice-Sets innerhalb des Blocks zufällig angeordnet werden. Die Zusammensetzung der Choice-Tasks mit den dazugehörigen Attributen und Ausprägungen wird computergestützt mit Hilfe der Software SAS erstellt.780 Abbildung 5.7 zeigt zur Verdeutlichung ein Choice-Task.
Alcatel
Avaya
Cisco
Siemens
Anforderungserfüllung Hardware
Basi s- und Zusatzanforderungen
Basi s- und Zusatz anforderungen
Nur Ba si sanforderungen
Nur Ba si sanforderungen
Anforderungserfüllung Applikationen
Basi s- und Zusatzanforderungen
Basi s- und Zusatzanforderungen
Nur Ba si sanforderungen
Nur Ba si s-anforderungen
Anforderungserfüllung Endgeräte
Nur Ba si sanforderungen
Nur Ba si sanforderungen
Basi s- und Zusatzanforderungen
Basi s- und Zusatzanforderungen
Verfügbarkeit des Systems
98%
99,999%
98%
99,999%
Anzahl & Qualität der Services
durchschnittlich
durchschnittlich
hochwertig
hochwertig
Total Cost of Ownership für Ihre Lösung
Branchendurchschnitt -10%
Branchendurchschnitt
Branchendurchschnitt +10%
Branchendurchschnitt +20%
Abb. 5.7
778 779
780
… keines dieser Angebote, sondern weitere Angebote einholen.
Beispiel eines Choice-Tasks
Vgl. Hensher et al. (2007), S. 123; Louviere et al. (2000), S. 94ff. Die Reduzierung des Designs wird schrittweise vorgenommen und im Zuge dessen werden auch weitere Designs betrachtet. Letztlich stellt das gewählte Design das effizienteste für die gewählte Fragestellung dar angesichts der begrenzten Informationsverarbeitungskapazität der Probanden. Vgl. hierzu auch Kuhfeld et al. (1994).
5.2 Vorgehen im Rahmen der Choice-based-Conjoint-Analyse
5.2.3
131
Grundlagen zur Beurteilung der Modellschätzung
Zur Beurteilung der Modellschätzung gibt es für ML-Modelle angepasste statistische Gütekriterien.781 Insbesondere t- und F-Test sind bei MNL-Modelle nicht anwendbar.782 Für die weitere Analyse soll auf die verschiedenen Möglichkeiten eingegangen werden, mit deren Hilfe die Güte von ML-Modellen beurteilt werden kann. Zunächst werden die Maße auf Modellebene dargelegt, bevor sie auf Parameterebene verdeutlicht werden. Für die Beurteilung der Güte auf Modellebene können grundsätzlich statistische Maßzahlen wie Likelihood (LL)-Ratio-Test und LL-Ratio-Indizes als Goodness-of-fit-Maße herangezogen werden.783 Der LL-Ratio-Test kann einerseits als Goodness-of-fit-Maß verwendet werden und andererseits als Signifikanztest.784 Die allgemeine Form der LL-Ratio ist:
L*
max ln Lu , max ln L0
(7)
wobei L* den Likelihood-Ratio angibt, Max LU ist das Maximum der Likelihood-Funktion bei dem M Komponenten beschränkt sind aufgrund der gewählten Nullhypothese. Max L0 gibt das unbeschränkte Modell an, das sogenannte Nullmodell. Nachdem bestätigt ist, dass 2lnL* annähernd Chi-Quadrat verteilt ist für große Samples, wird der Wert von -2lnL* mit dem Wert der Chi-Quadrat-Verteilung mit M Freiheitsgraden auf einem zuvor ausgewählten Signifikanzniveau (z.B. = 0,05) verglichen. Die entsprechenden L-Werte werden zuvor für das vollständige und beschränkte MNL-Modell maximiert, um daraus L* zu berechnen. Wenn der Wert von -2lnL* größer ist als der kritische Wert von Chi-Quadrat-Verteilung mit M Freiheitsgraden auf einem zuvor ausgewählten Signifikanzniveau (z.B. = 0,05), dann kann die Nullhypothese, dass eine bestimmte Zusammensetzung von s gleich Null ist, abgelehnt werden. Daraus folgt, dass ein signifikanter Unterschied zwischen den Modellen besteht.785 Es ist zu beachten, dass ein Likelihood-Ratio-Test nur bei „genesteten“ Modellen angewendet werden kann.786 Genestet heißt, dass alle Parameter des kleineren Modells im größeren Modell enthalten sind. Ein verbreiteter Vergleich ist der zwischen Modellen, die ein Attribut als generisch über alle Alternativen annehmen, und einem Modell, in dem die Nutzenparameter alternativen-spezifischen sind. Wenn die zwei Modelle also mit den gleichen Daten geschätzt werden, kann man diese über den Likelihood-Ratio-Test überprüfen.
781
782 783
784 785 786
Für eine ausführliche Darstellung von Gütekriterien zur Beurteilung der Reliabilität und Validität bei Conjoint-Analysen siehe Hillig (2006), S. 117-125. Vgl. Hensher et al. (2007), S. 342. Vgl. Ben-Akiva/Lerman (2006), S. 23ff.; Louviere et al. (2000), S. 52ff.; Maier/Weiss (1990), S. 87ff.; McFadden (1974), S. 107ff. Vgl. Louviere et al. (2000), S. 53; Maier/Weiss (1990), S. 93. Vgl. Louviere et al. (2000), S. 53f. Vgl. Gönül/Srinivasan (1996), S. 272.
5 Empirische Modellprüfung
132
Im Rahmen von Goodness of fit-Maßen wird zudem auf den Likelihood-Ratio-Index 2 zurückgegriffen, auch bekannt als McFaddens-Pseudo-R2, der sich wie folgt definiert:787
U2
1
ln Lu , ln L0
(8)
Lo den Likelihood-Wert des Modells, bei dem alle Parameter gleich Null sind. Der Indikator vergleicht die Wahrscheinlichkeit, mit der das geschätzte Modell die beobachtete Stichprobe produziert (LU), mit der einer rein zufallsbasierten Stichprobe (L0). Ähnlich wie beim Maß R2 kann sich der Wert 2 bei der Aufnahme zusätzlicher erklärender Variablen nicht verschlechtern. Der korrigierte Likelihood-Ratio-Index 2 beachtet diesen Sachverhalt, indem ein Verlust an Freiheitsgraden wie folgt berücksichtigt wird:788
U2
1
ln Lu K , ln L0
(9)
K gibt die Anzahl der erklärenden Variablen wieder. Diese Messzahl basiert auf dem Akaike Information Criterion (AIC)789 und erhöht sich nur dann, wenn der Erklärungsbeitrag der zusätzlichen Variablen den Verlust der Freiheitsgrade aufwiegt.790 Problematisch sind die zuvor aufgeführten Gütemaße dann, wenn die geschätzten Modelle unterschiedliche Versionen darstellen und keine genesteten Modelle. Um Aussagen über den den Goodness-of-fit zu erhalten, können auf AIC und den Bayesian Information Criterion (BIC) zurückgegriffen werden.791 Der AIC bestimmt sich aus: AIC
2 ln L K
(10)
und der BIC über:
BIC
2 ln L K * ln(n)
(11)
Dabei gilt: Es wird das Modell bevorzugt, welches den niedrigeren AIC bzw. BIC-Wert aufweist. Im Weiteren sollen als Fit-Maße neben dem LL-Ratio-Test, insofern die Voraussetzung der genesteten Modelle gegeben ist, die in NLOGIT geschätzten Maße, AIC, BIC und McFadden's-Pseudo-R2 verwendet werden. Auf Ebene der Parameter wird die Überprüfung der Güte über Signifikanztests durchgeführt. Bei Modellen mit kategorialen endogenen Variablen können als Testverfahren mittels linearer Hypothesen u. a. der LL-Ratio-Test, der Wald-Test und der Lagrange-Multiplikator-Test
787 788
789 790 791
Vgl. Maier/Weiss (1990), S. 91; Stock/Watson (2007), S. 399f. Vgl. Louviere et al. (2000), S. 55; Maier/Weiss (1990), S. 91. Darüber hinaus gibt es weitere Werte wie das pseudeo-R2 nach Cox-Snell, welches die Stichprobengröße mitberücksichtigt. Für eine detaillierte Erläuterung sei verwiesen auf Greene (2008), S. 498ff. Vgl. Akaike (1973). Vgl. Maier/Weiss (1990), S. 91. Für Details der Kriterien vgl. Ramaswamy et al. (1993).
5.3 Operationalisierung der latenten Variablen
133
eingesetzt werden.792 Das Prinzip des LL-Ratio-Tests wurde bereits auf Modellebene erläutert und gestaltet sich analog als Signifikanztest. Da NLOGIT die Wald-Statistik wiedergibt, soll dieser Wert zur Beurteilung herangezogen werden. Der Wald-Test ist einen asymptotischen Equivalenztest und wird ähnlich wie der t-Test bei linearen Regressionsmodellen berechnet und interpretiert. Dementsprechend wird der geschätzte Wert mit einem kritischen Wert verglichen. Bei einem Konfidenzniveau von 95 % ( = 0,05) entspricht dies einem Wald-Wert von 1,96. Zudem wird der p-Wert, der Wahrscheinlichkeitswert, des Wald-Tests, über einem Log-Ratio-Chi-Quadrat-Test mit dem gleichen Konfidenzniveau ( = 0,05) vergleichen. Liegt der p-Wert unter dem von festgelegten Niveau, dann ist die Variable ungleich Null und damit statistisch signifikant. Der Wald-Wert ist gegeben durch:793 Wald
Ei std .errori
(12)
5.3 Operationalisierung der latenten Variablen Nachdem der abgeleitete Bezugsrahmen theoretische Konstrukte enthält, die einen nicht beobachtbaren Zustand beschreiben,794 müssen diese latenten Variablen über beobachtbare Variablen, sogenannte Indikatoren, spezifiziert werden.795 Die latenten Variablen der Untersuchung sind die Kundenzufriedenheit, die wahrgenommenen Wechselkosten und die Kaufwichtigkeit. Nachfolgend werden zuerst die zentralen Grundlagen der Operationalisierung dargestellt. Dies umfasst unterschiedliche Möglichkeiten, die Konstrukte zu messen, um sie dann, wie in den folgenden Unterabschnitten beschrieben, zu operationalisieren. Grundsätzlich werden mehrere Indikatoren zur Operationalisierung der Konstrukte verwendet und demnach werden sogenannte Multi-Item-Measures eingesetzt, um die Konstrukte zu messen. Jedoch wird von Rossiter (2002) eine theoriebasierte Argumentation für ein SingleItem-Measure von Konstrukten vollzogen, bei der ein Konstrukt über einen Indikator messbar ist, wenn dieses im Sinne der sprach- und lebensweltenbasierten Anschauung nach Wittgenstein einfach und einzigartig durch den Probanden vorstellbar ist.796 Ebenso kann ein Single-Item-Measure empirisch gestützt werden, da Multi-Item-Measures systematischen Verzerrungen unterliegen können und mathematisch gezeigt werden kann, dass weitere
792
793 794 795
796
Vgl. Louviere et al. (2000), S. 51f. Der Lagrange-Multiplikator-Test kann auch auf Ebene der Modellgüte herangezogen werden, da dieser in NLOGIT jedoch nicht im Ergebnisbericht angezeigt wird, soll er nicht weiter betrachtet werden. Vgl. Hensher et al. (2007), S. 342. Vgl. Bagozzi/Fornell (1982), S. 24. Synonym werden beobachtbare Variablen auch als manifeste Variablen, Indikatorvariablen oder kurz Indikatoren bezeichnet. Vgl. Rossiter (2002), S. 309f.; Wittgenstein (2003).
5 Empirische Modellprüfung
134
Indikatoren zu keinerlei Veränderung an den Ergebnissen führen.797 Allerdings kann bei Single-Item-Measures die entsprechende Überprüfung der Messgüte nicht durchgeführt werden und daher empfiehlt es sich, zumindest aus methodischer Sicht die Konstrukte über ein Mulit-Item-Measure zu erheben. Neben der Debatte über Single-Item versus Multi-Item-Measures im Marketingbereich, wird darüber hinaus über die Art des Messmodells diskutiert. Das Messmodell untersucht den Zusammenhang der latenten Variablen j mit den manifesten Variablen xjh. Grundsätzlich können Konstrukte reflektiv oder formativ gemessen werden (vgl. Abb. 5.8 und 5.9).798 Die Vorgehensweise der Konzeptualisierung und Operationalisierung der reflektiv-spezifizierten Konstrukte basiert im Wesentlichen auf der Vorgehensweise von Churchill (1979), Gerbing/Anderson (1988) und Anderson et al. (1987).799 Ein reflektives Messmodell impliziert, dass die Ausprägung der latenten Variablen die Höhe der zugehörigen Indikatorvariablen verursacht.800 Abbildung 5.8 verbildlicht diesen Zusammenhang.
j
j1
j2
xj1
j3
xj2
xj3
rj12
rj23 rj13
j1
Abb. 5.8
j2
j3
Reflektives Messmodell der latenten Variable j mit drei Indikatorvariablen xjh, zugehörigen Messfehlern jh, Ladung jh und Korrelationen rjgh
Die Indikatoren stellen in diesem Modell grundsätzlich austauschbare Messungen der latenten Variablen dar801 und jede manifeste Variable kann über eine einfache Regression mit der
797 798
799 800
801
Vgl. Bergkvist/Rossiter (2007), S. 177. Vgl. Blalock (1964); Eggert/Fassott (2003). Eggert/Fassott (2003) liefern eine ausführliche Diskussion über den Einsatz formativer und reflektiver Messmodelle. Auch Jarvis et al. (2003) reflektieren kritisch die bisher vorrangig reflektiv-spezifizierten Konstrukte im Marketing. Vgl. Anderson et al. (1987); Churchill (1979); Gerbing/Anderson (1988). Reflekitve Indikatoren werden daher auch als „effect indicator“ bezeichnet. Vgl. Bollen/Lennox (1991), S. 305. Vgl. Eggert/Fassott (2003), S. 39.
5.3 Operationalisierung der latenten Variablen
135
latenten Variable verbunden werden. Dabei entsteht ein Messfehler jh. Formal kann der Zusammenhang wie folgt beschrieben werden:
x jh
O jh 0 O jh] j H jh
(13)
Formative Messmodelle, hingegen, unterstellen den umgekehrten Zusammenhang. So verursacht die Ausprägung der Indikatoren den Wert der latenten Variablen.802 Formative Indikatoren können als definierende Elemente einer latenten Variablen interpretiert werden, indem sie die unterschiedlichen Ursachen der latenten Variable abbilden, wie in Abb. 5.9 zeigt.803
j j
j1
j2
xj1
j3
xj2
xj3
rj12
rj23 rj13
j1
Abb. 5.9
j2
j3
Formatives Messmodell der latenten Variable j, drei Indikatoren xjh, zugehörigen Gewichten jh und Korrelationen rjgh
Der Messfehler j resultiert nicht aus den Indikatoren, sondern ist Folge eines fehlerhaften Messmodells.804 Deshalb müssen andere Gütekriterien für formative Messmodelle angewendet werden als für reflektive.805 Formal betrachtet ist die latente Variable eine Linearkombination der manifesten Variablen:
]j
¦S
jh
x jh G j ,
(14)
h
wobei jh die Gewichtung der Indikatoren xjh bei der linear kombinierten Berechnung der latenten Variable j ist. Folglich muss eine Änderung der latenten Variablen, anders als bei 802
803 804
805
Formative Indikatoren sind dementsprechend auch als „cause indicators“ benannt. Vgl. Bollen/Lennox (1991), S. 307. Vgl. Bollen/Lennox (1991), S. 307f. Vgl. Eggert/Fassott (2003), S. 38. Die Software PLS geht von einem Fehlerterm j von null aus. Diese wird zur Schätzung der Konstrukte in dieser Arbeit eingesetzt. Vgl. Diamantopoulos/Winklhofer (2001), S. 271f.
5 Empirische Modellprüfung
136
reflektiven Messmodellen, nicht zwangsweise mit einer Veränderung aller Indikatorvariablen verbunden sein. Letztendlich stellt sich die Frage, welches Messmodell für das jeweilige theoretische Konstrukt angewendet werden soll.806 Als Entscheidungshilfe kann der von Jarvis et al. (2003) entwickelte Fragenkatalog verwendet werden, der Fragen zur Kausalitätsrichtung der Indikatoren stellt. Er durchleuchtet die dazugehörigen Konstrukte, die Austauschbarkeit der Indikatoren, die Kovarianz der Indikatoren und das nomologischen Netz der Konstruktindikatoren. Tabelle 5.3 listet die Entscheidungsregeln der vier Fragenkomplexe als Übersicht. Fragenkategorien
Formatives Modell
Reflektives Modell
Richtung der Kausalbeziehung von Konstrukt mit Indikatoren
Richtung von Indikator zu Konstrukt
Richtung von Konstrukt zu Indikator
Indikatoren sind definierende Charakteristika
Indikatoren manifestieren das Konstrukt
Veränderungen des Indikators haben Veränderungen im Konstrukt zu Folge
Veränderungen des Indikators sollten keine Auswirkung auf das Konstrukt haben
Veränderungen des Konstruktes haben keine Auswirkungen auf Indikatoren
Veränderungen des Konstruktes haben Auswirkung auf die Indikatoren
Sind die Indikatoren definierende Charakteristika oder manifestieren sie das Konstrukt? Verursachen Veränderungen eines Indikators Veränderungen des Konstruktes? Verursachen Veränderungen im Konstrukt Veränderungen der Indikatoren?
Austauschbarkeit der Indikatoren
Dürfen nicht austauschbar sein
Müssen austauschbar sein
Sollten die Indikatoren den gleichen Inhalt haben?
Indikatoren dürfen nicht den gleichen Inhalt haben
Indikatoren sollen den gleichen Inhalt haben
Geben die Indikatoren einen gemeinsamen Aspekt wieder?
Würde der Wegfall eines Indikators die konzeptionelle Einteilung erhöhen?
Indikatoren dürfen sich nicht auf einen gemeinsamen Aspekt beziehen
Indikatoren sollen sich auf einen gemeinsamen Aspekt beziehen
Wegfall eines Indikators kann die konzeptionelle Einteilung erhöhen
Wegfall eines Indikators sollte die konzeptionelle Einteilung nicht erhöhen
Kovariation zwischen den Indikatoren
Kovariation zwischen den Indikatoren nicht notwendig
Kovariation zwischen den Indikatoren werden vermutet
806
Sollten Veränderungen in einem Indikator mit Veränderungen in einem anderen verbunden sein?
Nicht notwendig
Ja
Im Rahmen einer Meta-Analyse wird gezeigt, dass die vorwiegend reflektive Spezifizierung in der Literatur zu Verzerrung führt und oftmals ein formatives Messmodell das adäquate Messmodell darstellt. Vgl. Jarvis et al. (2003).
5.3 Operationalisierung der latenten Variablen
137
Nomologisches Netz der Indikatoren
Nomologisches Netz darf verschieden sein
Nomologisches Netz darf nicht verschieden sein
Werden die Indikatoren von den gleichen Antezedenzen und Konsequenzen bestimmt?
Tab. 5.3
Indikatoren müssen nicht von den gleichen Antezedenzen und Konsequenzen bestimmt werden
Voraussetzung: Indikatoren werden von gleichen Antezedenzen und Konsequenzen bestimmt
Entscheidungsregeln zur Spezifizierung des Messmodells807
In dieser Arbeit wird nur ein Teil der unabhängigen Variablen in Form von latenten Konstrukten betrachtet. Vorrangig soll die Einstellung und die Wahrnehmung des industriellen Einkäufers erfasst werden, um deren Einfluss auf das Kaufverhalten zu analysieren. Sowohl Einstellung als auch Wahrnehmung des industriellen Einkäufers stellen Zustände dar, die nicht direkt messbar sind und daher als latente Konstrukt erfasst werden müssen.808 Als das bedeutendste Einstellungskonstrukt wurde die Gesamtzufriedenheit mit dem Anbieter identifiziert. Darüber hinaus beeinflussen die wahrgenommenen Wechselkosten die Kaufentscheidung. Diese repräsentieren die Wahrnehmung des Kunden. Die weiteren Einflussfaktoren sind eindeutig messbare. Die Faktoren Markenwert und Markenbindung sowie die Attributpräferenz der Entscheidungsträger werden über das CBC-Verfahren geschätzt, wie in Abschnitt 5.2 abgehandelt. Daraus resultierend ein wesentlicher Vorteil hinsichtlich der Konstruktoperationalisierung. So wird der sogenannte Common Methode Bias vermieden. Dieser entsteht durch die Verwendung der gleichen Messmethodik, wie dies üblicherweise bei Strukturgleichungsmodellen der Fall ist.809 Nachfolgenden werden die latenten Konstrukte Kundenzufriedenheit, Wechselkosten und Risiko konzeptionalisiert und operationalisiert. Dabei steht im Vordergrund, ob diese reflektiv oder formativ-spezifiziert werden sollen. Zur Messung der latenten Variablen werden MultiItem-Skalen verwendet, die in einer Vorstudie hinsichtlich eines gemeinsamen Begriffsverständnisses überprüft wurden. Die Probanden werden gebeten Aussagen, auf einer fünfstufigen Likert-Skala von „stimme ganz und gar nicht zu“ bis „stimme voll und ganz zu“ bzw. von „sehr unzufrieden“ bis „sehr zufrieden“ zu treffen. Zur Überprüfung der Reliabilität und Validität werden die in der Literatur üblichen Verfahren der Reliabilitätsanalyse sowie der exploratorischen und konfirmatorischen Faktorenanalyse verwendet, deren Ergebnisse in Abschnitt 5.4.2. beurteilt werden.810
807 808 809 810
Vgl. Jarvis et al. (2003), S. 203. Vgl. Bagozzi/Fornell (1982), S. 24. Vgl. Bergkvist/Rossiter (2007), S. 177. Für eine ausführliche Beschreibung der Gütekriterien für formative und reflektive Messmodelle sei verwiesen auf Anderson/Gerbing (1982); Anderson/Gerbing (1988); Diamantopoulos/Winklhofer (2001); Jarvis et al. (2003); MacKenzie et al. (2005).
5 Empirische Modellprüfung
138
5.3.1
Operationalisierung der Kundenzufriedenheit
Es existieren unterschiedliche Ansätze zur Messung der Kundenzufriedenheit. Einerseits kann die Kundenzufriedenheit objektiv über Größen wie Umsatz, Marktanteil, Wechselrate oder Wiederkaufsrate erhoben werden oder subjektiv in Form von wahrgenommenen Zufriedenheitsurteilen des Individuums.811 Objektive Verfahren werden in geringem Maße eingesetzt und werden als komplementär zu subjektiven Verfahren angesehen.812 Subjektive Verfahren können zusätzlich nach merkmalsgestützter und ereignisorientierte Messung unterschieden werden.813 Ereignisorientierte Messungen beziehen sich auf die Erfassung von kritischen Ereignissen (Critcal Incident Technique) während der Kaufprozesse, die das Zufriedenheitsurteil beeinflussen.814 Hingegen wird bei merkmalsbezogenen Messungen die Kundenzufriedenheit auf Eigenschaften des Leistungsangebots bzw. der Geschäftsbeziehung bezogen. Dies kann sowohl implizit über die Analyse von Beschwerden, die Ermittlung von Leistungsmängeln oder die Befragungen von Verkäufern als auch explizit durch Messung des Erfüllungsgrads, der Gesamtzufriedenheit oder der Dimensionen der Zufriedenheit im Sinne eines Multiattributmodells vorgenommen werden.815 Abbildung 5.10 stellt die Verfahren in einer Übersicht dar.
Ansätze zur Kundenzufriedenheitsmessung
Objektive Verfahren
Subjektive Verfahren
Merkmalsbezogene Verfahren
Implizite Methoden
Abb. 5.10
Ereignisorientierte Verfahren
Explizite Methoden
Verfahren der Kundenzufriedenheitsmessung816
Subjektive merkmalsorientierte Verfahren bieten sich insbesondere an, wenn Aussagen bezüglich des Zusammenhangs zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenbindung getroffen
811 812 813 814 815 816
Vgl. Homburg/Rudolph (1998), S. 48. Vgl. Peterson/Wilson (1992), S. 61. Vgl. Stauss/Hentschel (1992), S. 155ff. Vgl. Bitner (1990), S. 73. Vgl. Beutin (2008). In Anlehnung an. Krafft (2007), S. 23.
5.3 Operationalisierung der latenten Variablen
139
werden sollen, da so kognitive und affektive Evaluierungen der gesamten Erfahrung mit dem Anbieter erfasst werden können.817 Für die gestellte Fragestellung sollte daher ein subjektives merkmalsorientiertes Verfahren gewählt werden, da der einstellungsbezogene Aspekt der Kundenzufriedenheit bei der Kaufentscheidung im Vordergrund steht. Damit verbunden ist die reflektive Spezifikation des Konstruktes. So kann Kundenzufriedenheit dann über ein reflektives Messmodell erfasst werden, wenn die bereits beim industriellen Einkäufer verankerte Einstellung im Vordergrund steht und nicht die Bildung dieser.818 Demnach sollte das Konstrukt der Kundenzufriedenheit in der vorliegenden Arbeit über ein reflektives Messmodell erfasst werden. Weiterhin wird bei merkmalsorientierten Verfahren angenommen, dass die Gesamtzufriedenheit mit einem Anbieter das Ergebnis einer subjektiven Bewertung von Einzelmerkmalen (Attributzufriedenheit) ist.819 Grundsätzlich ergeben sich hieraus zwei Ansatzpunkte, um Kundenzufriedenheit zu operationalisieren: Einerseits kann die Kundenzufriedenheit mittels einer inhaltlichen Dimension gemessen werden, in Form der Gesamtzufriedenheit und andererseits über mehrere Dimensionen der Gesamtzufriedenheit, der Attributszufriedenheiten.820 Der Nachteil der eindimensionalen Messung ist in erster Linie in der fehlenden Information zu sehen, was die Merkmale betrifft, die für die Zufriedenheit des Kunden verantwortlich sind.821 Wenn die Attributzufriedenheit betrachtet wird, sollte letztlich ein formatives Messmodell gewählt werden. Zur Entscheidungsfindung lässt sich folgende Frage formulieren: Wenn man verschiedene Attributzufriedenheiten misst, reflektieren diese Messungen dann die Gesamtzufriedenheit oder setzen sie die Gesamtzufriedenheit zusammen? Letztlich kann letztere Annahme unterstellt werden. Dies kann zudem argumentativ unterstützt werden, da eine Veränderung der Teilzufriedenheit die Veränderung der latenten Variable bedingt, dies aber umgekehrt nicht der Fall sein muss.822 Nachdem im Rahmen dieser Arbeit der Einfluss der Gesamt- und Attributzufriedenheit auf den Kaufentscheidungsprozess im Rahmen der Arbeit betrachtet werden soll, werden beide Arten der Operationalisierung eingesetzt. Zudem ermöglicht eine reflektive und formative Operationalisierung die Überprüfung der externen Validität des formativ gemessenen Konstruktes über ein MIMIC-Modell (Multiple Indicators and Multiple Causes).823 Demnach sind Indikatoren, deren Pfadkoeffizienten statistisch nicht signifikant sind, als ungeeignet zu
817 818 819 820 821 822
823
Vgl. Homburg et al. (1999), S. 177. Vgl. Rossiter (2002), S. 318. Vgl. Stauss/Hentschel (1992), S. 116. Vgl. Beutin (2008); Homburg/Werner (1998). Vgl. Homburg/Werner (1998). Beispielsweise wird die SERVQUAL-Skala nach Parasuraman et al. (1988) als Beispiel für ein falsch spezifiziertes reflektives Messmodell angeführt, welches sich eigentlich als formatives Messmodell darstellt. Vgl. Rossiter (2002), S. 315. Vgl. Bollen (1989), S. 287f.; Hauser/Goldberger (1976); Jöreskog/Goldberger (1975).
140
5 Empirische Modellprüfung
interpretieren.824 Außerdem können auch eventuelle Unterschiede zwischen den beiden Operationalisierungen der Gesamtzufriedenheit betrachtet werden. Am häufigsten wird die Kundenzufriedenheit auf Zufriedenheitsskalen gemessen mit subjektiven merkmalsorientierten multivariaten Verfahren,825 wie dem SCSB (Swedish Customer Satisfaction Index), ACSI (American Customer Satisfaction Index)826 oder dem ECSI (European Customer Satisfaction Index).827 Sie messen das Konstrukt Kundenzufriedenheit mit den Indikatorvariablen Gesamtzufriedenheit, Erfüllungsgrad der Erwartungen und Vergleich mit einem idealen Anbieter.828 Zur Erfassung des einstellungsbezogenen Konstruktes Kundenzufriedenheit wird in dieser Arbeit ausschließlich die Gesamtzufriedenheit gemessen, weil die Einstellung in Form des Gesamtzufriedenheitsurteils mit dem Anbieter vordergründig ist.829 Der Argumentation von Rossiter (2002) folgend erscheint es angemessen das Konstrukt über ein univariates Messmodell zu erheben.830 Jedoch ergeben sich dann insbesondere Schwierigkeiten die Diskriminanz- und Konvergenzvalidität zu beurteilen, so dass ein weiterer Indikator verwendet wird. Abbildung 5.11 stellt die Operationalisierung dar, die auf globaler Ebene erfolgt.831 Angelehnt an die Untersuchung von Homburg/Rudolph (2001) wird neben der Gesamtzufriedenheit mit dem derzeitigen Anbieter auch die Frag nach der Weiterempfehlung des Anbieters erhoben.832 Des Weiteren schließt sich die Untersuchung auch bezüglich des Skalendesigns an Homburg/Rudolph (2001) an. Sie wählen eine einfache Skala zur Erfassung der Teilzufriedenheit, da eine theoretische und methodische Fundierung für eine mehrfache Skala aussteht833 und eine mehrfache Skala hinsichtlich der Länge des Fragebogens problematisch ist.834 Deshalb wird auch hier eine einfache Skala verwendet. Für die Messung der Attributzufriedenheit werden die Leistungsbestandteile einer TK-Lösung verwendet, die bereits zuvor als Kaufkriterien identifiziert wurden.835 Abbildung 5.11 stellt diese dar. Auf Basis der Messung der Zufriedenheit mit den Leistungsbestandteilen kann überprüft werden, inwieweit die Attributzufriedenheit einen Einfluss auf die Nutzenwahrnehmung der Attribute des Leistungsangebots hat. Alle Teilzufriedenheiten und die Gesamtzufriedenheit besitzen fünf Antwortmöglichkeiten mit den Ausprägungen „sehr unzufrieden“ und „sehr zufrieden“.
824 825 826 827 828 829 830 831 832 833
834 835
Vgl. Diamantopoulos/Winklhofer (2001), S. 272. Vgl. Krafft (2007), S. 22; Werner, S. 150ff. Vgl. Fornell et al. (1996). Vgl. Eklöf (2000). Vgl. Fornell (1992); Fornell et al. (1996); Eklöf (2000). Vgl. Churchill (1979), S. 67; Rossiter (2002), S. 318. Vgl. Bergkvist/Rossiter (2007), S. 176; Rossiter (2002). Vgl. Homburg/Werner (1998), S. 133. Vgl. Homburg/Rudolph (2001), S. 21. Vgl. Peter et al. (1993); Teas (1993); Teas (1994). Damit wird ausschließlich nach der Zufriedenheit mit dem Attribut gefragt. Vgl. Homburg/Rudolph (2001), S. 20. Vgl. Abschnitt 5.2.2.
5.3 Operationalisierung der latenten Variablen
141
HAR APP
ZUF1
END
Kundenzufriedenheit
Kundenzufriedenheit
VER ZUF2 SER
TCO
ZUF1
Wie zufrieden sind Sie mit Ihrer TK-Lösung insgesamt?
ZUF2
Wie zufrieden sind Sie mit Ihrem derzeitigen Anbieter insgesamt?
Wie zufrieden sind Sie mit der Leistung bei den folgenden Bestandteilen Ihrer TK-Lösung? HAR
Hardware (TK-Switches)
APP
Applikationen (Konferenzsystem, Unified Messaging, etc.)
END
Endgeräte (Telefone, PDA, etc.)
VER
Verfügbarkeit/Ausfallsicherheit des Systems
SER
Anzahl und Qualität der Services
TCO
Total Cost of Ownership (Kaufpreis, Aquisitions- und Betriebskosten)
Abb. 5.11
5.3.2
Messmodell Kundenzufriedenheit
Operationalisierung der Wechselkosten
Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, die Wechselkosten, die in einer Branche vorhanden sind, auf Basis von Expertenurteilen abzuleiten.836 Damit würde sich allerdings die Variation unter den Kunden einer Branche begrenzen und daher eignet sich diese Methodik weniger zur Modellierung des Konsumentenverhaltens für das Untersuchungsobjekt. Deshalb soll auf die zweite Methode, die direkte Befragung, der Probanden bezüglich ihrer wahrgenommenen Wechselkosten zurückgegriffen werden. Bisher wird das Konstrukt der Wechselkosten vorrangig als eindimensionales Konstrukt erfasst. Jedoch zeigte sich bereits bei der Hypothesengenerierung, dass sich die Wechsel-
836
Vgl. Anderson (1994), S. 24.
5 Empirische Modellprüfung
142
kosten aus mehreren Komponenten zusammensetzen. So werden als maßgebliche Komponenten der Wechselkosten technologie-, beziehungs- und risikobezogene Wechselkosten differenziert.837 Ebenso wie die Operationalisierung der Attributzufriedenheit werden die Wechselkosten als formatives Messmodell spezifiziert, da sich die verschiedenen Teilkosten, den Vorgaben aus der Kostenrechnung folgend, zu den gesamten Wechselkosten aufsummieren.838 Weiterhin führt eine Veränderung einzelner Komponenten zu einer Veränderung der Wechselkosten. Indessen muss eine Veränderung der Wechselkosten nicht zwangsweise eine Veränderung aller Komponenten mit sich bringen. Damit wird eine formative Spezifizierung des latenten Konstruktes unterstützt. Die gleiche Argumentation kann auf die Operationalisierung der Komponenten übertragen werden.839 Dementsprechend wird ein Konstrukt zweiter Ordnung bestehend aus formativen Messmodellen auf Konstrukt- und Komponentenebene für die Wechselkosten operationalisiert. Die Indikatorvariablen der Komponenten werden nachstehend erläutert. Bereits bestehende Skalen wurden hierzu im Rahmen von Experteninterviews validiert und auf den Betrachtungsgegenstand angepasst. In Anlehnung an die Skala von Heide/Weiss (1995) zur Kompatibilität der Technologie wurden die in Abbildung 5.12 aufgeführten Indikatoren durch Experten verdichtet.840 Sie erfassen die Wechselkosten, die durch den Wechsel der Technologie verbunden sind.
WK_T1
Technologiebezogene Wechselkosten
WK_T2
WK_P1
Bei der nächsten Beschaffung einer TK-Lösung ist die Kompatibilität mit existierenden Systemen entscheidend.
WK_P2
Für unsere TK-Lösung ist kritisch, dass sie sich optimal in bestehende Systeme integrieren lässt.
Abb. 5.12
837 838 839
840
Messmodell technologiebezogene Wechselkosten
Vgl. Jackson (1985). Vgl. Henseler (2006), S. 132f. Ebenso unterstützen die weiteren Fragen der Entscheidungshilfe nach Jarvis et al. (2003) ein formatives Messmodell. Vgl. Heide/Weiss (1995).
5.3 Operationalisierung der latenten Variablen
143
Orientiert an der Operationalisierung von Bayón/Wangenheim (2005), Heide/Weiss (1995), Henseler (2006), Wathne et al. (2001) und Weiss/Heide (1993) wurden zwei wesentliche Aspekte beziehungsbezogener Wechselkosten identifiziert:841 der direkte Aufwand eines Wechsels und die damit verbundene Abwertung des Know-Hows. In Abbildung 5.13 sind die Indikatoren und ihre Beschreibung verdeutlicht. WK_A1
Anbieterbezogene Wechselkosten
WK_A2
WK_A1
Die Beschaffung bei einem anderen als unserem derzeitigen Anbieter/Hersteller würde viel Zeit und Aufwand in Anspruch nehmen.
WK_A2
Die Beschaffung bei einem anderen als unserem derzeitigen Anbieter/Hersteller würde unser bisheriges Know-How stark abwerten.
Abb. 5.13
Messmodell anbieterbezogene Wechselkosten
Das wahrgenommene Risiko beschreibt nach Sheth (1973) „the magnitude of adverse consequences felt by the decision maker if he makes a wrong choice, and the uncertainty under which he must decide.”842 Demnach äußert sich das Risiko einerseits über das Ausmaß der negativen Konsequenz und andererseits über die Unsicherheit mit der die Entscheidung getroffen wird. Von dieser Konzeptualisierung ausgehend wird das Konstrukt als wahrgenommenes Risiko operationalisiert. Abbildung 5.14 veranschaulicht das Konstrukt. Analog zu den Wechselkosten wird das Konstrukt über ein formatives Messmodell spezifiziert, da die Indikatorvariablen definierende Bestandteile des Konstruktes darstellen und die Änderung eines Indikators das Ausmaß des Konstruktes beeinflussen können, umgekehrt jedoch muss dieser Zusammenhang nicht gelten.
841
842
Vgl. Bayón/Wangenheim (2005); Heide/Weiss (1995); Henseler (2006); Wathne et al. (2001); Weiss/Heide (1993). Vgl. Sheth (1973), S. 54.
5 Empirische Modellprüfung
144
WK_R1
Risikobezogene Wechselkosten
WK_R2
NU1
Bei der Auswahl einer geeigneten TK-Lösung sind wir uns in der Regel unsicher.
NU2
Bei der Auswahl einer geeigneten TK-Lösung kann man sich sehr leicht irren.
Abb. 5.14
Messmodell risikobezogene Wechselkosten
Alle Indikatoren wurden auf einer fünfstufigen Likert-Skala mit den Ausprägungen „stimme ganz und gar nicht zu“ und „stimme voll und ganz zu“ erhoben. Das Konstrukt der Wechselkosten setzt sich aus den drei Komponenten der technologie-, anbieter-, und risikobezogenen Wechselkosten zusammen. Die sechs Indikatoren werden an das übergeordnete Konstrukt der Wechselkosten zugewiesen, um es über den PLS-Algorithmus schätzen zu können.843 Abbildung 5.15 zeigt diesen Aspekt graphisch.
WK_T1 WK_T2
WK_A1
Technologiebezogene Wechselkosten
Anbieterbezogene Wechselkosten
Wechselkosten
WK_A2
WK_R1
Risikobezogene Wechselkosten
WK_R2
Abb. 5.15
843
WK_T1 WK_T2
WK_A1
WK_A2 WK_R1 WK_R2
Messmodell wahrgenommene Wechselkosten als Konstrukt zweiter Ordnung
Vgl. zu diesem Vorgehen Wold (1982), S. 39f.
5.4 Beurteilung des Untersuchungsmodells
145
5.3.3 Operationalisierung der Kaufwichtigkeit Die Kaufwichtigkeit kann als wahrgenommener Einfluss auf die Profitabilität und Produktivität der Organisation interpretiert werden.844 Ein mit dem Kauf verbundenes Risiko wird damit umso einflussreicher bei der Kaufentscheidung, wenn es von hoher wirtschaftlicher Konsequenz ist.845 Die Variable der Kaufwichtigkeit wird fußend auf einer Skala von Bayón/Wangenheim (2005) sowie Bunn (1993) abgeleitet.846 Es wurden zwei charakteristische Indikatoren zur Messung ausgewählt, die an den Betrachtungsgegenstand angepasst und im Rahmen der Vorstudie auf deren Verständlichkeit überprüft wurden. Das Messmodell für das Konstrukt gestaltet sich reflektiv im Sinne des Fragenkatalogs von Jarvis et al. (2003).847
IMP1
IMP1
Kaufwichtigkeit
IMP2
IMP2
IMP1
Die nächste Beschaffung Wettbewerbsfähigkeit.
IMP2
Die nächste Beschaffung einer TK-Lösung ist von sehr hoher strategischer Bedeutung.
Abb. 5.16
einer
TK-Lösung
ist
sehr
wichtig
für
unsere
zukünftige
Messmodell der Kaufwichtigkeit
5.4 Beurteilung des Untersuchungsmodells Als Anwendungsbereich für die Untersuchung von Wechselentscheidungen im B2B-Bereich wurde der Markt der TK-Lösungsanbieter ausgewählt. Dieser kennzeichnet sich dadurch, dass TK-Lösungen branchenübergreifend und unternehmensgrößenunabhängig nachgefragt werden,848 wodurch eine hohe Generalisierbarkeit der Ergebnisse zumindest für den Bereich der TK-Lösungen gewährleistet werden kann. Zudem stellen TK-Lösungen repräsentative Leistungsangebote für B2B-Märkte dar, die sich dadurch kennzeichnen, dass dort komplette Leistungsbündel bestehend aus Produkt- und Servicebestandteilen angeboten werden. So werden nicht nur Produkte bezogen, sondern auch damit verbundene Serviceangebote, welche 844 845 846 847 848
Vgl. McQuiston (1989), S. 70. Vgl. Homburg et al. (2006), S. 286. Vgl. Bayón/Wangenheim (2005); Bunn (1993). Vgl. Jarvis et al. (2003), S. 203. Vgl. Reichwald (1998), S. 14f.
146
5 Empirische Modellprüfung
beispielsweise die Installation, Wartung oder Notfalldienste bei Leistungsausfall umfassen. Dabei ist das Produkt, die TK-Anlage, welche unter Berücksichtigung der Kundenbedürfnisse konfiguriert werden kann. In der Regel gibt es eine Vielzahl von Applikationen, darunter Konferenzsysteme und Unified Messaging, die eine TK-Anlage unterstützt. Außerdem umfasst ein Leistungsangebot eines TK-Anlagenherstellers unterschiedliche Endgeräte, die wiederum die Applikationen unterstützen. Zentraler Punkt bei TK-Lösungen ist die Verfügbarkeit bzw. die Ausfallsicherheit des Systems, was wiederum die zunehmende Bedeutung von TK-Lösungen in Unternehmen unterstreicht. So werden zahlreiche Geschäftsprozesse mit der zunehmenden Verbreitung von webbasierten Anwendungen durch TK-Lösungen unterstützt. Das Anwendungsgebiet der TK-Lösungen kann folglich als charakteristisches Produkt herangezogen werden, welches auf B2B Märkten nachgefragt wird. Es bietet zudem die Chance, die Thematik der Wechselentscheidung branchenunabhängig zu untersuchen. Da sich die Forschungsfragen auf den Bereich des B2B-Marketings fokussieren, wird die Untersuchung auf Entscheidungen anstehender Investitionen im B2B-Bereich eingegrenzt. Zudem werden Telekommunikationslösungen bereits seit Jahrzehnten in Unternehmen eingesetzt849 und auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass die Kaufentscheidung eine Wiederkaufsentscheidung darstellt und der Entscheidungsträger eine Einstellung zum Anbieter gebildet hat. Darüber hinaus ist es möglich, eine große Anzahl von Unternehmen mit einzubeziehen, die sich z.B. in Größe und Struktur unterscheiden. Demnach kann die Repräsentativität der Aussagen auch hinsichtlich der Unternehmenscharakteristika überprüft werden. Im folgenden Abschnitt 5.4.1 wird die Datengrundlage beschrieben, um daran anschließend die Messmodellgüte der latenten Konstrukte in Abschnitt 5.4.2 zu beurteilen. Daraufhin werden die Hypothesen in Abschnitt 5.4.3 überprüft und die Modelle im Rahmen der Gütebeurteilung in Abschnitt 5.4.4 verglichen.
5.4.1 Beschreibung der Datengrundlage Im Rahmen der Beschreibung der Datengrundlagen sollen grundlegende Möglichkeiten der Verzerrung der Daten betrachtet und überprüft. Zunächst wird auf systematische Messfehler eingegangen, um daran anschließend den Key Informant Bias zu testen. Abschließend wird der Nonresponse Bias begutachtet.
849
Vgl. Reichwald (1998), S. 2.
5.4 Beurteilung des Untersuchungsmodells
147
Ein grundlegendes Problem beim Design von Erhebungsstudien findet sich in der Vermeidung von systematischen Messfehlern, dem sogenannten Common Method Bias.850 Der Common Method Bias entsteht durch die Verwendung der gleichen Erhebungsmethoden.851 Diese Verzerrung kann reduziert werden, indem verschiedene Antwortformate, Medien oder Orte der Befragung genutzt werden und die Anonymität der Probanden gewahrt bleibt.852 Nachdem bei der Befragung unterschiedliche methodische Erhebungsverfahren eingesetzt wurden, kann die Gefahr des Common Method Bias als gering beurteilt werden. Außerdem wurde auf die Reihenfolge und Variation der Antwortformate ebenso wie auf die Verständlichkeit der Items und Skalen geachtet. Weiterhin wurde die Studie im Rahmen eines anonymisierten Online-Fragebogen durchgeführt, der sich aus drei unterschiedlichen Teilen zusammensetzt: Abfrage der Kundenzufriedenheit mit den derzeitigen TK-Anbieter über Likert-Skala, acht Entscheidungsaufgaben je Proband als diskrete Entscheidungsaufgaben sowie Rahmenbedingungen der Entscheidung über Likert-Skalen und Charakteristika des Entscheidungsträgers in Form von freien Angaben des Probanden. Die Datengenerierung startete im September 2007.853 Die Kontaktdaten wurden über ein CallCenter generiert, um sicherzustellen, dass der Key Informant des Unternehmens kontaktiert wird, d.h. es wurde ein Repräsentant des Unternehmens befragt, der über die entsprechenden Erfahrung, Zuständigkeit und Einflussstärke bei der Kaufentscheidung verfügt. Von insgesamt 7.000 Kontakten hat sich ungefähr die Hälfte bereiterklärt, an der Studie teilzunehmen bzw. konnte der Key Informant ausfindig gemacht werden. Die Teilnehmerrate war mit 351 Probanden und einer Rücklaufquote von 9,91% zufriedenstellend.854 Auch die Branchenstruktur der Stichprobe kann als heterogen genug angesehen werden, um die Einflüsse bestimmter Wirtschaftszweige ausschließen zu können. Tabelle 5.4 stellt diese dar. Branche
Häufigkeit
Prozent
Keine Angaben
10
2,8
Energie
17
4,8
Bau
16
4,6
Handel und Logistik
38
10,8
Information, Kommunikation, Telekommunikation und Medien
32
9,1
850
851 852 853
854
Vgl. Ernst (2003), S. 1250; Podsakoff/MacKenzie (2003), S. 879. Der Common Method Bias ist in erster Linie bei verhaltenswissenschaftlichen Untersuchungen relevant. Bagozzi/Phillips (1991), S. 422. Vgl. Söhnchen (2007), S. 135. Vgl. Podsakoff (1986), S. 887ff. Die empirische Studie wurde zunächst innerhalb einer Voruntersuchung im August 2007 mit Unternehmensberatern, Einkäufern und Verkäufern von Telekommunikationslösungen überprüft. Es ergaben sich einige Anpassungen hinsichtlich der Länge des Fragenbogens und der Formulierung der Fragen. Die Attribute des Conjoint-Designs wurden zuvor im Rahmen von Workshops mit Einkäufern und Herstellern von Telekommunikationslösungen validiert, wie in Abschnitt 5.2.2 beschrieben. Hierzu gab es keine Änderungen aufgrund der Ergebnisse der Voruntersuchung. Die Rücklaufquoten sind im B2B-Bereich in der Regel niedriger als im B2C-Bereich.
5 Empirische Modellprüfung
148 Finanzwesen
31
8,8
Dienstleistungen
45
12,8
Verwaltung
15
4,3
Metall- und Maschinenbau
68
19,4
Elektrowesen
21
6,0
Chemie
18
5,1
Sonstige (Kunststoff, Textil, Holz)
21
6,0
Nahrungsmittelindustrie
19
5,4
Gesamt
351
100,0
Tab. 5.4
Branchenstruktur der Stichprobe
Darüber hinaus wurde die Unternehmensgröße über den Umsatz und die Mitarbeiteranzahl erfasst. Im Hinblick auf die Mitarbeiteranzahl ist festzuhalten, dass der Anteil der mittelständischen Unternehmen (Unternehmen bis 500 Beschäftigte) mit 32,8% verhältnismäßig unterrepräsentiert ist im Vergleich zu Großunternehmen mit 60,1%. 90 81
51
48
31
Abb. 5.17
25
25
< 100
101200
201500
5011000
10012000
20015000
> 5000
Größe der befragten Unternehmen nach Mitarbeiteranzahl in absoluter Häufigkeit
Da die relevanten Daten nicht objektiv über zur Verfügung stehende Informationen wie aus der Rechnungslegung vorliegen, wurde das Key Informant Design gewählt, d.h. es wurde ein Repräsentant des Unternehmens befragt, der über die entsprechende Erfahrung, Zuständigkeit und Einflussstärke bei der Kaufentscheidung verfügt. Durch das Key Informant Design kann es zu Verzerrungen kommen, da dessen Sicht je nach organisationaler Position aufgrund von individuellen Charakteristika, Motiven, Wahrnehmungen, Informationsständen variieren
5.4 Beurteilung des Untersuchungsmodells
149
kann.855 Dementsprechend muss geklärt werden, ob ein sogenannter Key Informant Bias vernachlässigt werden darf. Dies kann sichergestellt werden, indem überprüft wird, ob der Key Informant über die relevanten Informationen und Kompetenzen verfügt.856 Der Key Informant wurde bei der Kontaktqualifizierung im Unternehmen identifiziert und daraufhin kontaktiert. Die entsprechenden Positionen, die an einer Entscheidung über die Investition in Telekommunikationslösungen verantwortlich sind, wurden im Rahmen der Voruntersuchung identifiziert: Geschäftsleitung, kaufmännische Leitung, IT- und TK-Leitung, IT- und TKManagement, Einkaufsleitung sowie der Einkauf. Um die Qualifizierung abzufragen, wurde zudem die Position der Repräsentanten, deren Einflussstärke und Erfahrung erhoben. Abb. 5.18 illustriert die Positionsstruktur der Teilnehmer in Abhängigkeit zur Unter-nehmensgröße. Es geht hervor, dass die Gruppe der Spezialisten mit IT- und TK-Management sowie der ITund TK-Leitung am häufigsten vertreten ist, was die Aussagen aus der Vor-untersuchung bestätigt und belegt, dass diese in erster Linie an der Entscheidung beteiligt sind. 1 1 5
1
3 10
4
11
3
6
3 6 13
2 25
20
12 Geschäftsleitung Kaufm. Leitung
7
IT/TK-Leitung
14
IT/TK-Management
30 32
32
5
3
10
11
201500
5011000
Einkaufsleitung
22
(Technischer) Einkauf
11
7 4 2 < 100
Abb. 5.18
2
1 101200
4
1 5
6
1001- 2001- > 5000 2000 5000
Position der Probanden im Unternehmen nach Mitarbeiteranzahl in absoluter Häufigkeit
Um zu gewährleisten, dass die Probanden als kompetente Repräsentanten eingestuft werden können, wurde die Beteiligung an der Einkaufsentscheidung herangezogen. Aus Abbildung 5.19 geht hervor, dass fast 60 % der Befragten haben einen starken bzw. sehr starken Einfluss beim Auswahlprozess haben, während 28% zumindest einen mittleren ausüben. Lediglich 12
855 856
Vgl. Kumar et al. (1993), S. 1636. Vgl. Ernst (2001), S. 89.
5 Empirische Modellprüfung
150
% geben an, bei der Auswahlentscheidung ein geringes bis sehr geringes Mitspracherecht zu besitzen. 36
28 23
9
3
1
Abb. 5.19
2
3
4
5
Einflussstärke der Teilnehmer in Prozent bei Beschaffung TK-Lösung von 1= sehr gering bis 5= sehr hoch
Auch die Erfahrung des Probanden gibt Aufschluss darüber, inwieweit er kompetent ist, entsprechende Aussagen über die Auswahlentscheidung zu machen. Abbildung 5.20 zeigt, dass die Mehrheit der Probanden über ausreichende Erfahrung im TK-Einkauf verfügt. 70 62 60 53
54
7-8
9-10
50
52
51
11-15
mehr als 15 Jahre
50
40
30
25
20
10 3 0 k.A.
Abb. 5.20
1-2
3-4
5-6
Erfahrung der Probanden im Einkauf von TK-Lösungen nach Jahren in absoluter Häufigkeit
Die bisherigen deskriptiven Daten offenbaren, dass die Probanden den Anforderungen genügen, die Problemstellung weitestgehend erfüllen zu können. Außerdem zeichnet die Stichprobe ein relativ hohes Maß an Heterogenität aus, wodurch Verzerrungen aufgrund von
5.4 Beurteilung des Untersuchungsmodells
151
Überverbreitung unternehmensspezifischer bzw. situationsspezifischer Merkmale vermieden werden. Jedoch können Ergebnisverzerrungen auch dadurch entstehen, dass sich die Probanden von den nicht antwortenden Unternehmen (Non Respondents) in ihren Charakteristika unterscheiden. Zur Aufdeckung dieser möglichen Verzerrung (Nonresponse Bias) hat sich in der wissenschaftlichen Forschung das von Armstrong/Overton (1977) empfohlene Vorgehen durchgesetzt.857 Dabei wird die Stichprobe durch die Festsetzung eines Stichtages in früh Antwortende (Early Respondents) und spät Antwortende (Late Respondents) unterteilt, um daraufhin zu überprüfen, ob sich die Gruppen hinsichtlich der demographischen Struktur und im Antwortverhalten statistisch signifikant unterscheiden. Dem Verfahren liegt die Annahme zu Grunde, dass eine Extrapolation des Verhaltens der Late Respondents auf das der Non Respondent möglich ist. So wird unterstellt, dass Late Respondets in ihrem Verhalten den Non Respondents ähnlicher sind als den Early Respondents. Tabelle 5.5 dokumentiert die Ergebnisse des Testverfahrens. Levene Test der Varianzgleichheit
t-Test für die Mittelwertgleichheit
F
Sig.
t
df
Sig (zweiseitig)
Mitarbeiteranzahl
,000
,694
1,110
349
,268
Umsatz
,292
,589
,446
266
,656
Position
,155
,694
-1,61
333
,119
Einflussstärke
3,419
,065
-,300
349
,764
Erfahrung
,074
,786
,199
349
,842
Dauer für Beantwortung
,201
,655
-,357
310
,721
Wechselneigung
,541
,463
,522
349
,602
Tab. 5.5
Ergebnisse des t-Tests auf Gleichheit der Mittelwerte zwischen Early Respondents und Late Respondents für ausgewählte Merkmale
Wie hieraus hervorgeht, kann die Nullhypothese, dass kein Mittelwertunterschied zwischen der Gruppe der Early Respondents und Late Respondents besteht, auf einem Signifikanzniveau von 1% nicht verworfen werden. Es ergeben sich auch keine Unterschiede für die beeinflussenden Variablen der Wechselentscheidung. Folglich kann davon ausgegangen werden, dass kein Nonresponse Bias für die empirische Untersuchung vorliegt.858
857 858
Vgl. Armstrong/Overton (1977). Auch bezüglich der weiteren Variablen der Untersuchung ist kein Nonresponse Bias festzustellen. Aus Gründen der Übersichtlichkeit werden nur die Ergebnisse der Charakteristika zur Beschreibung des Unternehmens und der Entscheidungsträger aufgeführt.
5 Empirische Modellprüfung
152
5.4.2 Beurteilung der Messmodelle der latenten Konstrukte Nachdem sich hinter einigen Einflussfaktoren latente Konstrukte verbergen, die nicht direkt erfasst werden können, sondern nur über dazugehörige Indikatorvariablen, muss sichergestellt werden, dass die einzelnen Konstrukte reliable und valide erhoben wurden. Bevor die Hypothesenüberprüfung vorgenommen werden kann, muss daher die Qualität des Messmodells der latenten Variablen überprüft werden. Erst wenn dies gewährleistet ist, können die individuellen Faktorwerte für die einzelnen Konstrukte berechnet werden, die in die Hypothesenprüfung mit eingehen. Zunächst werden die Indikatorladung der reflektiven Messmodelle und die Indikatorgewichte der formativen Messmodelle analysiert, um daran anschließend die Messmodellreliabilität und -validität zu beurteilen. Aus Tabelle 5.6 gehen die Werte der Indikatorladung und deren Standardabweichung s hervor. Die Standardabweichung wird über ein Bootstrapping geschätzt, bei dem das Modell 200-mal mit je 351 zufällig gezogenen Datensätzen entstammt. Für die Schätzung wird die Wechselabsicht (CON) als unabhängige Variable verwendet, die in Form einer intervallskalierten univariaten Variable gemessen wird. Basierend auf der Skala von Heide/Weiss (1995) wird die Wechselabsicht mit einer fünfstufigen Skala von „sehr unwahrscheinlich“ bis „sehr wahrscheinlich“ über die Frage erfasst: Wie werden uns bei der nächsten Beschaffungsentscheidung auch Angebote anderer Anbieter als dem derzeitigen einholen?859 Im Verhältnis zur Indikatorladung sind die Standardabweichungen relativ hoch für das Konstrukt Kaufwichtigkeit. Trotzdem liegen die Ladungen mit einem 95-prozentigen Konfidenzintervall innerhalb der Grenzen u und o. Der Signifikanztest bestätigt, dass die Wahrscheinlichkeit gering ist, dass eine der Ladungen kleiner oder gleich null ist. Für das reflektiv operationalisierte Konstrukt der Kundenzufriedenheit sind die Standardabweichungen sehr gering und daher erweist sich die Wahrscheinlichkeit einer Ladung kleiner oder gleich null für das Konstrukt der Kundenzufriedenheit ebenfalls als gering. Konstrukt
Indikator
s
[u; o]
IMP1
0,898
0,248
[0,650; 1,146]
< 0,001
IMP2
0,866
0,254
[0,621; 1,120]
< 0,001
ZUF1
0,923
0,048
[0,875; 0,971]
< 0,001
ZUF2
0,922
0,049
[0,873; 0,971]
< 0,001
CON
1,000
n.v.
1,000
1,000
Kaufwichtigkeit
Kundenzufriedenheit
Wechselabsicht
Tab. 5.6
859
Beurteilung der Ladung reflektiver Indikatoren: Ladung, Streuung s, 95%Konfidenzintervall [u; o] sowie Irrtumswahrscheinlichkeit p, dass d 0
Vgl. Heide/Weiss (1995), S. 34.
5.4 Beurteilung des Untersuchungsmodells
153
Tabelle 5.7 zeigt die gleichen Kriterien zur Beurteilung der Indikatorgewichte für formative Messmodelle an. Dabei ist auf die unterschiedlichen Indikatoren des Konstruktes Kundenzufriedenheit hinzuweisen. So tragen die Verfügbarkeit und die TCO nicht maßgeblich zur Kundenzufriedenheit bei. Eine mögliche Erklärung dafür könnte darin bestehen, dass die 99,999% Verfügbarkeit des Systems als Standard vorausgesetzt wird und die TCO im Vergleich zur erhaltenen Leistung als grundsätzlich zu hoch empfunden werden. Damit würden die Faktoren nicht zur Kundenzufriedenheit beitragen. Dies bestätigt sich auch bei der Beurteilung der Signifikanz der beiden Indikatoren, da diese statistisch nicht signifikant sind. Beim Konstrukt der wahrgenommenen Wechselkosten hingegen erweisen sich alle Indikatoren statistisch signifikant. Auch zum Konstrukt zweiter Ordnung tragen alle drei Komponenten eindeutig bei. Das größte Gewicht nehmen die anbieterbezogenen Wechselkosten mit einem Wert von 0,528 ein. Auch die jeweilige Differenz zwischen den einzelnen Gewichten der anbieterbezogenen Wechselkosten und den anderen Gewichten ist größer als null auf einem Signifikanzniveau von 0,0001. Damit stellen die anbieterbezogenen Wechselkosten die am stärksten ins Gewicht fallenden Wechselkosten bei der Wechselentscheidung dar. Konstrukt Kundenzufriedenheit
Wechselkosten
Wahrgenommene Wechselkosten
Tab. 5.7
Indikator
s
[u; o]
HAR_Z
0,284
0,081
[0,200;0,362]
< 0,001
APP_Z
0,305
0,058
[0,247;0,363]
< 0,001
END_Z
0,235
0,065
[0,170;0,300]
< 0,001
VER_Z
0,026
0,052
[-0,039;0,091]
n. s.
SER_Z
0,492
0,081
[0,411;0,573]
< 0,001
TCO_Z
-0,046
0,170
[-0,216;0,124]
n. s.
WK_T1
0,398
0,114
[0,284;0,512]
< 0,001
WK_T2
0,703
0,111
[0,592;0,814]
< 0,001
WK_A1
0,486
0,138
[0,348;0,642]
< 0,001
WK_A2
0,646
0,131
[0,515;0,777]
< 0,001
WK_R1
0,830
0,334
[0,534; 0,496]
< 0,001
WK_R2
0,831
0,329
[0,492;1,160
< 0,001
WK_T
0,446
0,058
[0,388;0,504]
< 0,001
WK_A
0,528
0,057
[0,471;0,585]
< 0,001
WK_R
0,486
0,027
[0,459;0,513]
< 0,001
Beurteilung der Gewichte formativer Indikatoren: Gewichte, Streuung s, 95%Konfidenzintervall [u; o] sowie Irrtumswahrscheinlichkeit p, dass d 0
5 Empirische Modellprüfung
154
Die Beurteilung der Reliabilität erfolgt zunächst auf Ebene der Indikatoren, bevor sich die Analyse auf Konstruktebene fortsetzt. Tabelle 5.8 gibt die notwendigen Kennzahlen an. Es kann aber nur die Reliabilität der reflektiv-spezifizierten Konstrukte überprüft werden. Für formativ gemessene Konstrukte existiert derzeit kein einheitliches Verfahren zur Beurteilung der Reliabilität.860 In der ersten Spalte wird die Reliabilität der einzelnen Faktoren wiedergegeben, die sich über die quadrierte Ladung der Indikatoren erfassen lässt. Alle Werte der Indikatorreliabilität der Kaufwichtigkeit und der Kundenzufriedenheit liegen deutlich über 0,4. In der zweiten Spalte sind die Werte der internen Konsistenzreliabilität aufgeführt, das Cronbachs . Die Werte für die Konstrukte Kaufwichtigkeit und Kundenzufriedenheit sind über der geforderten Schwelle von 0,7. Auch die Faktorreliablität der Konstrukte kann als akzeptabel interpretiert werden, da sie über dem geforderten Wert von 0,6 liegt. Ebenso kann die Konstruktmessung aufgrund des Wertes der durchschnittlich erfassten Varianz als reliabel beurteilt werden, da die AVE-Werte über 0,5 sind. Konstrukt Wichtigkeit des Einkaufs
Kundenzufriedenheit
Wechselabsicht
Tab. 5.8
Indikator
2
c
AVE
IMP_1
0,806
0,866
0,765
0,463
IMP_2
0,750
ZUF1
0,852
0,915
0,845
0,439
ZUF2
0,850
CON
1,000
n.v
1,000
1,000
Beurteilung der Güte der reflektiven Messmodelle: Ladung, Indikatorreliablität, Cronbachs , Faktorreliablität und durchschnittliche erfasste Varianz AVE
Die Beurteilung der Validität reflektiver Konstrukte wird über eine exploratorische Faktorenanalyse sowie das Fornell-Larcker-Kriterium analysiert. Tabelle 5.9 zeigt die Ergebnisse der exploratorischen Faktorenanalyse mit anschließender Varimax-Rotation. Die Faktorstruktur des Messmodells wird durch dieses Ergebnis bestätigt: Sämtliche Indikatoren laden am höchsten auf dasjenige Konstrukte dem sie ursprünglich zugeordnet wurden. Auch die Varianzerklärung der Hauptkomponenten ist akzeptabel: Die Hauptkomponenten der Kaufwichtigkeit (Faktor 1) einigt 46,3% der Varianz. Für die Kundenzufriedenheit (Faktor 2) werden 43,9% der Varianz erklärt. Dieser Wert ist für eine univariate Messung der Kundenzufriedenheit akzeptabel. Insgesamt können den reflektiv gemessenen Konstrukten folglich Konvergenzvalidität und Unidimensionalität unterstellt werden.
860
Vgl. Diamantopoulos/Winklhofer (2001), S. 269.
5.4 Beurteilung des Untersuchungsmodells
155 Faktor
Konstrukt
Indikator
Wichtigkeit des Einkaufs
IMP_1
0,904
-0,257
IMP_2
0,895
-0,286
ZUF1
0,269
0,922
ZUF2
0,259
0,925
Kundenzufriedenheit
Tab. 5.9
1
2
Faktorenmatrix. Rotationsmethode: Varimax mit Kaiser-Normalisierung
Tabelle 5.10 listet eine symmetrische Matrix mit den quadrierten Korrelationen zwischen den einzelnen Konstrukten auf, wobei die Hauptdiagonale anstatt der Einserwerte die AVE-Werte aufführt. Aus der Tabelle ist ersichtlich, dass das Fornell-Lacker-Kritierium erfüllt ist: In sämtlichen Zeilen bzw. Spalten bildet der AVE-Wert den maximalen Wert der Zeilen- bzw. Spalten. Es kann daher gefolgert werden, dass durchgängige Diskriminanzvalidität besteht. Kundenzufriedenheit
Wechselkosten
Wichtigkeit
Wechselabsicht
Kundenzufriedenheit
0,821
0,057
0,001
0,011
Wechselkosten
0,057
n.v.
0,075
0,010
Wichtigkeit
0,001
0,075
0,821
0,011
Wechselabsicht
0,011
0,010
0,011
1,000
Tab. 5.10
Überprüfung der Diskriminanzvalidität. Auf der Hauptdiagonalen befinden sich AVEWerte für reflektive Konstrukte, und weitere Werte entsprechen der quadrierten Korrelation zwischen den Konstrukten
Die Beurteilung der externen Validität des formativ-spezifizierten Konstruktes Kundenzufriedenheit kann über die Schätzung eines mit Hilfe von PLS-Pfadmodellierung abgebildeten Pseudo-MIMIC-Modells vorgenommen werden. Abbildung 5.21 verbildlicht die Ergebnisse der Schätzung. Wie daraus ersichtlich wird, ist der Pfadkoeffizient zwischen den formativ respektive reflektiv gemessenen Konstrukten der Kundenzufriedenheit statistisch signifikant. Demnach kann von externer Validität ausgegangen werden.861
861
Vgl. Rindskopf (1984), S. 37ff.
5 Empirische Modellprüfung
156
HAR 0,284 APP 0,305 0,724 (p<0,001) END
0,235 0,026
VER
Kundenzufriedenheit
Kundenzufriedenheit
0,585
ZUF1
0,508
0,492 ZUF2
SER -0,046 TCO
Abb. 5.21
Pseudo-MIMIC-Modell zur Beurteilung der externen Validität des formativspezifizierten Konstruktes Kundenzufriedenheit
5.4.3 Untersuchung der Hypothesen Die aufgestellten Hypothesen untersuchen den Zusammenhang zwischen den unabhängigen Variablen und der Entscheidung industrieller Nachfrager, die Anbietermarke wieder zu wählen, ab. Die Hypothesen werden im Rahmen des in Abschnitt 5.2 beschriebenen Vorgehens getestet. Dabei werden schrittweise verschiedene Modelle entwickelt und bezüglich der statistischen Signifikanz der jeweiligen Parameter überprüft. Der Vergleich der Modelle auf Ebene der Gütekriterien der Modellschätzung erfolgt in Anschluss in Abschnitt 5.4.4. Nachfolgend wird auf die Modelle eingegangen, um die dazugehörigen Hypothesen zu überprüfen.
Überprüfung der Hypothesen zum Einfluss des Markenwerts Bevor der Einfluss des Markenwerts und dessen Preisauswirkung untersucht werden können, muss man beurteilen, ob sich der Preisparameter nichtlinear gestaltet.862 Zu diesem Zweck werden zwei Modelle miteinander verglichen. Modell 1 ist ein MNL-Modell, welches einen nichtlinearen Preisparameter, generische Attribute und vier alternativen-spezifische Konstanten aufweist. Die Werte dieses Modells werden mit denen eines beschränkten Modells 2 gegenübergestellt, das einen linearen Preisparameter unterstellt.863 Tabelle 5.11 gibt die Nutzenwerte der jeweiligen Attribute sowie der alternativen-spezifischen Konstanten
862
863
Mit Ausnahme der Attribute, Marke und Preis, gehen alle weiteren Attribute als generisch in die Untersuchung mit ein. Für eine ausführliche Darstellung des Untersuchungsdesigns sei auf Abschnitt 5.2.2 verwiesen. Vgl. Louviere et al. (2000), S. 52ff.; Maier/Weiss (1990), S. 87ff.; McFadden (1974), S. 107ff.
5.4 Beurteilung des Untersuchungsmodells
157
der beiden Modelle wieder.864 Die alternativen-spezifischen Konstanten können als Markenwert interpretiert werden, der sich über den zusätzlichen Nutzen beschreiben lässt, der mit den nicht beobachteten Attributen verbunden ist.865 Die statistische Signifikanz der jeweiligen Koeffizienten wird über den Wert der Wald-Statistik diagnostiziert.866 Modell 1 Parameter
Koeffizient
Modell 2 P(Z)>z
Koeffizient
P(Z)>z
AL
,2864
,0000
,8001
,0000
AV
-,2703
,0001
,3919
,0028
CI
-,1759
,0105
,2482
,0597
SI
,4282
,0000
,8248
,0000
HAR
,2156
,0000
,2204
,0000
APP
,2203
,0000
,2248
,0000
END
,1261
,0000
,1294
,0000
SER
,1622
,0000
,1669
,0000
VER
,3881
,0000
,3881
,0000
TCO 1 AL
,2837
,0000
-,2063
,0000
TCO 2 AL
,0945
,2309
TCO 3 AL
-,0348
,6883
TCO 1 AV
,4019
,0000
-,2638
,0000
TCO 2 AV
,080
,4259
TCO 3 AV
,0033
,9716
TCO 1 CI
,1943
,0302
-,1687
,0004
TCO 2 CI
,1780
,0538
TCO 3 CI
-,0316
,7349
TCO 1 SI
,2251
,0051
-,1581
,0001
TCO 2 SI
,0921
,2351
TCO3 SI
-,0246
,7478
Tab. 5.11 Ergebnisse der Modellschätzung zum Einfluss der Marke
Zur Beurteilung der Nichtlinearität bzw. Linearität des Preisparameters wird ebenfalls der Wald-Wert herangezogen, der mit dem Wert der Chi-Quadrat-Statistik verglichen wird. Der Chi-Quadrat-Wert leitet sich aus der Anzahl an Freiheitsgraden ab, die der Anzahl der im
864
865 866
In der Tabelle werden die Nutzenwerte als Koeffizienten bezeichnet. Aus Gründen der Übersichtlichkeit wird die Ziffer Null vor dem Komma weggelassen. Vgl. Kamakura/Russell (1993), S. 9f.; Louviere/Johnson (1988), S. 88f.; Swait et al. (1993), S. 27. Vgl. Abschnitt 5.2.3 für eine Erklärung zur Berechnung des Wald-Werts.
5 Empirische Modellprüfung
158
Modell zu überprüfenden Restriktionen entspricht.867 Dementsprechend wird überprüft, ob die lineare Restriktion auf einem 95-prozentigen Konfidenzniveau abgelehnt werden kann. Die dazu entsprechenden Hypothesen lauten:
H 0 : tc1 j tc 2 j tc3 j z 0; tc1 j z tc 2 j z tc3 j H 1 : tc1 j tc 2 j tc3 j
0; tc1 j
tc 2 j
tc3 j
Tabelle 5.12 liefert einen Überblick über die Ergebnisse der Restriktionen. Wie hieraus ersichtlich wird, sind nicht alle Restriktionen im nichtlinearen Modell statistisch signifikant. Deshalb können die Ergebnisse auf Parameterebene nur unter Vorbehalt verwendet werden, um die Hypothesen zu überprüfen. Restriktionsfunktion
Koeffizient (b)
St. Error
b/St. Er.
P(Z)>z
tc1al-tc2al=0
,2837
,0770
3,684
,0002
tc1al-tc3al=0
,2837
,0770
3,684
,0002
tc2al-tc3al=0
,0945
0,788
1,198
,2309
tc1av-tc2av=0
,4020
0,090
4,421
,0000
tc1av-tc3av=0
,4020
0,090
4,421
,0000
tc2av-tc3av=0
,0781
0,980
0,796
,4259
tc1ci-tc2ci=0
,1943
,0897
2,168
,0302
tc1ci-tc3ci=0
,1943
,0897
2,168
,0302
tc2ci-tc3ci=0
,1779
,0922
1,929
,0538
tc1si-tc2si=0
,2251
,0803
2,802
,0051
tc1si-tc3si=0
,2251
,0803
2,802
,0051
tc2si-tc3si=0
,0821
,0775
1,187
,2351
Tab. 5.12 Restriktionen zur Überprüfung der nichtlinearen Preisparameter
Grundsätzlich empfiehlt es sich, zur Überprüfung der Nichtlinearität zusätzlich einen LLRatio-Test durchzuführen, der die Güte der beiden Modelle miteinander vergleicht. Tabelle 5.13 zeigt die Werte zur Durchführung des LL-Ratio-Tests, die LL-Werte und Freiheitsgrade der jeweiligen Modelle. Der LL-Ratio-Test ergibt beim Vergleich mit der Chi-QuadratStatistik, dass eine Abbildung des Preisparameters als linear zu bevorzugen ist und die Nullhypothese auf einem 95-prozentigen Konfidenzniveau abgelehnt werden kann. Zudem kann zur Beurteilung der Hypothese auf Ebene der Modellgüte der von NLOGIT ausgegebene Wert der Wahrscheinlichkeit herangezogen werden. Liegt der Wert unter einem von 0,05 muss die Nullhypothese abgelehnt werden. Übertragen auf den Preisparameter bedeutet dies
867
Vgl. Greene (2008), S. 500f.; Hensher et al. (2007), S. 348.
5.4 Beurteilung des Untersuchungsmodells
159
die Ablehnung der Nullhypothese auf einem 95-prozentigen Konfidenzniveau, da der p-Wert mit 0,0005 unter einem von 0,05 liegt. Infolgedessen verläuft der Preisparameter linear. Gütekriterien Wald-Statistik
17,716
Wahrscheinlichkeit Chi-Quadrat
0,0005
LL Modell 1
-4190,96
Freiheitsgrade
21
LL Modell 2
-4193,23
Freiheitsgrade
13
Tab. 5.13 Gütekriterien der Nichtlinearität der Preisparameter
Das Ergebnis wirft die Frage auf, warum der Preisparameter linear ist. Begründungen hierfür können die gewählten Ausprägungen des Preisattributs liefern. Zum einen ist es vorstellbar, dass die Attributsausprägungen mit 10% unter dem Branchendurchschnitt bzw. 10% und 20% über dem Branchendurchschnitt sowie dem Branchendurchschnitt selbst, eine zu enge Spannweite umfassen und größere Preisabstände die Nichtlinearität unterstützen würden. Zum anderen könnte die relative Angabe der Preisstimuli die Linearität begründen. Um die Linearität des Preisparameters zu veranschaulichen, werden die Nutzenausprägungen des Preisparameters am Beispiel der Marke Siemens graphisch in Abbildung 5.22 dargestellt.
0.25
0.2
0.15
0.1
0.05
0 TC 1
TC 2
TC 3
-0.05
-0.1
-0.15
Abb. 5.22
Nutzenausprägung des Preisparameters am Beispiel Siemens
TC 4
160
5 Empirische Modellprüfung
Nachdem gezeigt wurde, dass der Preisparameter linear modelliert werden soll, werden zur Beurteilung der Hypothese 1 die Werte des Modells 2 aus Tabelle 5.11 herangezogen. Die alternativen-spezifischen Konstanten der jeweiligen Marke sowie die jeweiligen Preiskoeffizienten sind statistisch signifikant. Demzufolge sind die Voraussetzungen erfüllt, um Aussagen bezüglich der Hypothese 1 abzuleiten. Wie aus Tabelle 5.11 für Modell 2 hervorgeht, bietet Siemens den höchsten Markenwert gefolgt von Alcatel, Avaya und Cisco. Die alternativen-spezifischen Konstanten (ASK) des Modells sind statistisch signifikant, wobei der ASK-Wert von Cisco dies auf einem 10-prozentigem Konfidenzniveau ist. Avaya besitzt den höchsten Wert beim Preiskoeffizienten. Kunden, die sich für Avaya entscheiden, nehmen den Nutzenverlust durch eine Preiserhöhung damit stärker wahr als Siemenskunden, die den niedrigsten Preiskoeffizienten aufweisen. Damit ist der Preiskoeffizient bei Marken mit hohem Markenwert geringer als bei Marken mit niedrigem. Die Ausnahme ist Cisco. Der Markenwert von Cisco ist im Vergleich zu den anderen drei Marken am geringsten und der Preiskoeffizient ist nach dem der Siemenskunden am zweitniedrigsten. Er müsste jedoch am höchsten sein. Erklären lässt sich dieses Resultat mit der Anzahl der Ciscokunden in der Stichprobe, da die Ciscokunden im Verhältnis zu den anderen Marken in der Stichprobe unterrepräsentiert sind. Dementsprechend kann Hypothese 1 nur eingeschränkt unterstützt werden.
Überprüfung der Hypothesen zum Einfluss der Kundenzufriedenheit Im nächsten Schritt wird nun die Markenbindung und die Kundenzufriedenheit in Modell 3 berücksichtigt, um Hypothese 2 zu überprüfen. Modell 3 ist ein ML-Modell, welches den Nutzen der Markenbindung, wie Abschnitt 5.2.1 beschrieben, als Random Parameter (RET) festlegt und zudem den Einfluss der einstellungsrelevanten Variable Kundenzufriedenheit (ZUF), auslotet. Zu diesem Zweck wird die Variable als Kovariate eingesetzt, welche die Präferenzheterogenität des Random Parameters Markenbindung teilweise erklären kann. Erweisen sich der Random Parameter, die Kovariate und die Standardabweichung als statistisch signifikant, kann der Einfluss der Kundenzufriedenheit auf den Nutzen der Markenbindung empirisch verifiziert werden. Wie aus Tabelle 5.14 hervorgeht, ist der Markenbindungskoeffizient statistisch signifikant und besitzt einen positiven Wert. Der Nutzen der Markenbindung hat damit einen positiv signifikanten Einfluss bei der Kaufentscheidung. Außerdem zeigt Modell 3, dass der Zufriedenheitskoeffizient den Nutzen der Markenbindung positiv verändert und statistisch signifikant ist. Die Standardabweichung ist ebenso statistisch signifikant. Daraus kann geschlossen werden, dass die Nachfrager unterschiedliche marginale Nutzenwahrnehmungen für die Markenbindung aufweisen. Der Koeffizient ist positiv, was bedeutet, dass zufriedenere Kunden den Nutzen der Marken-
5.4 Beurteilung des Untersuchungsmodells
161
bindung stärker wahrnehmen. Folglich kann Hypothese 2 bestätigt werden: Je höher die Kundenzufriedenheit, desto höher ist der Nutzen der Markenbindung. Modell 3 P(Z)>z
Modell 4 Koeffizient
Modell 5
Parameter
Koeffizient
P(Z)>z
Koeffizient
P(Z)>z
AL
1,0112
,0000
1,0128
,0000
1,0187
,0000
AV
,6845
,0000
,6852
,0128
,6900
,0000
CI
,4788
,0002
,4791
,0395
,4814
,0016
SI
,7491
,0000
,7430
,0000
,7423
,0000
HAR
,2394
,0000
,2394
,0000
,2389
,0000
APP
,2492
,0000
,2490
,0000
,2493
,0000
END
,1260
,0000
,1261
,0000
,1258
,0000
SER
,1822
,0000
,1822
,0000
,1819
,0000
VER
,4341
,0000
,4340
,0000
,4814
,0000
TCO AL
-,2216
,0000
-,2214
,0000
-,2219
,0000
TCO AV
-,3201
,0000
-,3197
,0000
-,3196
,0000
TCO CI
-,1747
,0004
-,1746
,0004
-,1736
,0016
TCO SI
-,2099
,0000
-,2093
,0000
-,2097
,0000
,0000
,4877
,4900
,8249
,0000
1,1003
,0005
,6803
,0000
ERF
,4840
,1731
ERF*ZUF
-,0997
,2469
Random Parameter RET
,8948
Heterogenität in Durchschnitt, Parameter Variable ZUF
,8123
,0000
Heteroskedastizität in Random Parameter ERF
,1277
,0376
POA
-,2821
,0142
POB
,4101
,0181
1,5624
,0050
St. Dev.
2,1159
,0000
2,1001
,0000
Tab. 5.14 Ergebnisse der Modellschätzung zum Einfluss der Kundenzufriedenheit I
Weiterhin soll untersucht werden, ob der Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Nutzen der Markenbindung aufgrund von Entscheidungsträgercharakteristika verstärkt wird. Als Faktor, der die Korrelation zwischen Kundenzufriedenheit und Nutzen der Markenbindung beeinflusst, wurde im Rahmen der Hypothesengenerierung die Erfahrung des
5 Empirische Modellprüfung
162
Entscheidungsträgers im Einkauf identifiziert. Hypothese 3 wird über die statistische Signifikanz des Interaktionsterms von Kundenzufriedenheit und Erfahrung des Entscheidungsträgers (ERF) getestet. Die Erfahrung des Entscheidungsträgers wird über die Jahre, die der Entscheidungsträger im TK-Einkauf tätig ist, erfasst. Die Ergebnisse von Modell 4 finden sich in Tabelle 5.14. Der Random Parameter Markenbindung ist statistisch nicht signifikant ebenso wenig wie die Kovariaten. Folglich kann Hypothese 3 nicht gehalten werden. In diesem Zusammenhang soll außerdem analysiert werden, ob die Konsistenz der Übersetzung von Zufriedenheitsurteilen mit der Erfahrung und Position des Entscheidungsträgers variiert, wie in Hypothese 4 angenommen. Die Ergebnisse zur Verzerrung in den Zufriedenheitsurteilen, der sogenannte Response Bias, spiegelt Modell 5 in Tabelle 5.14 wieder. Zur Überprüfung werden Erfahrung und Position des Entscheidungsträgers als Parameter miteinbezogen, die die Heteroskedastizität des Random Parameter erklären sollen. Zur Vereinfachung wird die Position nach der fachlichen Ausrichtung zusammengefasst in IT- und TK- (POA) bzw. kaufmännische Orientierung (POB). Tatsächlich fällt die Verzerrung bei IT- und TK-Managern geringer aus als bei kaufmännischer Leitung und Geschäftsführung. Auch die Erfahrung begründet einen Response Bias. Damit kann Hypothese 4 bestätigt werden. Anknüpfend an die potenziellen Einflussfaktoren, die Zusammenhangen zwischen Kundenzufriedenheit und Nutzen der Markenbindung begutachten, soll nachfolgend analysiert werden, ob sich der funktionale Zusammenhang zwischen den beiden Faktoren nichtlinear gestaltet. Zur Überprüfung der Nichtlinearität wird das Zufriedenheitsurteil als Dummy-Variable kodiert und nicht wie bisher als intervallskaliert in das Modell integriert. Das Referenzniveau wird bei der Zufriedenheitsbeurteilung mit „weder sehr zufrieden noch sehr unzufrieden“ festgesetzt, was einem Wert von 3 entspricht. Vereinfachend werden die Zufriedenheitsurteile der unzufriedenen Kunden mit den Werten 1 und 2 zu einer Variablen bzuf zusammengefasst. Ebenso werden die Zufriedenheitsurteile mit den Werten 4 und 5 von zufriedenen Kunden durch die Variable azuf gesammelt. Die dazu entsprechenden Hypothesen lauten: H 0 : azuf bzuf z 0; azuf z bzuf H 1 : azuf bzuf
0; azuf
bzuf
Die Hypothesen werden über den Wald-Test getestet, da weder t- noch F-Test bei nichtlinearen Modellen anwendbar ist.868 Angewendet auf die Zufriedenheitsbeurteilung kann die Nullhypothese auf einem 95-prozentigen Konfidenzniveau bestätigt werden, da der pWert mit 0,0175 über einem Alpha von 0,05 liegt. Der Wald-Wert beträgt 5,645. Die Ergebnisse des Wald- und LL-Ratio-Tests sind Tabelle 5.15 zu entnehmen. Damit wirkt sich
868
Vgl. Greene (2008), S. 498f.; Hensher et al. (2007), S. 342.
5.4 Beurteilung des Untersuchungsmodells
163
das Zufriedenheitsurteil auf den Nutzen der Markenbindung nichtlinear aus. Um das Ausmaß des Zusammenhangs beurteilen zu können, wird ein Modell, Modell 6, geschätzt, das die Kundenzufriedenheitsparameter azuf und bzuf berücksichtigt. Restriktionsfunktion
Koeffizient
azuf-bzuf=0
0,3088
Wald-Statistik
5,645
Wahrscheinlichkeit Chi-Quadrat
0,0175
LL Modell 6
-3740,18
Freiheitsgrade
20
St. Error 0,1300
b/St. Er.
P(Z)>z
2,376
0,0175
Tab. 5.15 Test auf Nichlinearität
Modell 6 stellt in Tabelle 5.16 die Ergebnisse bezüglich der Nichtlinearität des Zusammenhangs von Zufriedenheit mit Markenbindung dar. Wie hieraus hervorgeht, gestaltet sich der Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Nutzen der Markenbindung in der Art und Weise nichtlinear, dass negative Kundenzufriedenheit sich stärker auf den Nutzen der Markenbindung auswirkt als positive Kundenzufriedenheit. Folglich kann Hypothese 5 unterstützt werden. Jedoch kann keine Verbesserung des Modells bestätigt werden, wenn zum Vergleich der Modelle 5 und 6 die AIC- und BIC-Werte herangezogen werden.869 Aus diesem Grund wird die Kundenzufriedenheit bei den weiteren Modellen linear abgebildet.870 Modell 6
Modell 7
Modell 8
P(Z)>z
Koeffizient (Reward/Penalty)
P(Z)>z (Reward/Penalty)
1,0150
,0000
1,0458
,0000
,0000
,6871
,0000
,7208
,0000
,4836
,0008
,4820
,0008
,5016
,0000
SI
,7504
,0000
,7493
,0000
,7650
,0000
HAR
,2388
,0000
,2387
,0000
,2388
,0000
APP
,2493
,0000
,2494
,0000
,2494
,0000
END
,1260
,0000
,1260
,0000
,1254
,0000
SER
,1817
,0000
,1816
,0000
,1802
,0000
Parameter
Koeffizient
AL
1,0156
,0000
AV
,6879
CI
869 870
P(Z)>z
Koeffizient
Siehe hierfür Tabelle 5.2.1 in Abschnitt 5.4.4. Vgl. zur Gegenüberstellung verschiedener Modelle Greene (2008), S. 506f.
5 Empirische Modellprüfung
164 VER
,4836
,0000
,4333
,0000
,4333
,0000
TCO AL
-,2222
,0000
-,2222
,0000
-,2264
,0000
TCO AV
-,3204
,0000
-,3203
,0000
-,3227
,0000
TCO CI
-,1741
,0015
-,1736
,0016
-,1729
,0017
TCO SI
-,2093
,0000
-,2093
,0000
-,2092
,0000
,0000
2,0816
,1551
,9952
,0019
,0070
,8258
,0000
Random Parameter RET
,7685
Heterogenität in Durchschnitt, Parameter Variable ZUF
,7009
AZUF
,6357
,0819
BZUF
-1,6179
,0025
HAR
-,1249
,5910
,9778/,3224
,1382/,4015
APP
-,1210
,5724
,4024/,4092
,4382/,5369
END
,1184
,5945
,2845/,2751
,7115/,4900
SER
,1228
,5622
,5212/,4671
,3106/,2935
VER
-,3534
,1077
,6070/,4824
,3631/,1487
TCO
,0841
,6705
,0818/,3564
,8478/,5681
1,5198
,0119
1,3082/1,1009
,0181/,0092
,1217
,1975
,1673
,0582
St. Dev.
1,5613
,0017
Heteroskedastizität in Random Parameter ERF
,1257
,0170
POA
-,3438
,0026
-,2788
,0217
-,3335
,0042
POB
,4165
,0185
,4671
,0131
,5060
,0067
Tab. 5.16
Ergebnisse der Modellschätzung zum Einfluss der Kundenzufriedenheit II
Weiterhin soll der Einfluss der Attributzufriedenheit betrachtet werden. Einerseits ist hierbei von Interesse, inwiefern sich die Attributzufriedenheit direkt auf die Markenbindung auswirkt und andererseits, ob die Attributzufriedenheit die Nutzenwahrnehmung der Attribute des Leistungsangebots beeinflusst. Zunächst wird die Wirkung der Attributzufriedenheit auf den Nutzen der Markenbindung betrachtet, um daran anschließend deren Einfluss auf die Nutzenkoeffizienten zu analysieren. Unter diesem Aspekt muss ebenso wie bei der Analyse der Kundenzufriedenheit überprüft werden, inwieweit der Einfluss linear oder nichtlinear im Modell berücksichtigt werden sollte. Deshalb werden folgende zwei Modelle analysiert. Modell 7 untersucht den Einfluss der Attributzufriedenheit linear und Modell 8 den nichtlinearen. Die nichtlinearen Attributzufriedenheitswerte werden dabei als sogenannte Penalty- und Reward-Werte erfasst im Sinne
5.4 Beurteilung des Untersuchungsmodells
165
der drei Faktorenstruktur nach Kano (1984).871 Unter Berücksichtigung des nichtlinearen Zusammenhangs gehen diese in Form von Dummy-Variablen in das Modell ein.872 Dazu wird zwischen Attributzufriedenheit und Gesamtzufriedenheit ein Performance-Rating der Leistungsbestandteile vorgenommen, kodiert durch (0,1) für hohe Performance, (1,0) für niedrige Performance und (0,0) für durchschnittliche Performance. Diese gehen als unabhängige Variablen bei der Regression mit Kundenzufriedenheit mit ein. Für die daraus resultierende multiple Regression ergeben sich für jeden Zufriedenheitstreiber zwei Regressionskoeffizienten: Einer gibt den Einfluss auf die Zufriedenheit an, wenn die Performance niedrig ist (Penalty), und der andere Wert den, wenn die Performance hoch ist (Reward). Die Resultate in Tabelle 5.16 können weder den Einfluss der linearen noch der nichtlinearen Attributzufriedenheit bestätigen, da die Kovariate statistisch nicht signifikant sind. Folglich kann Hypothese 6 nicht bestätigt werden. Nachfolgend wird nun der Einfluss der Attributzufriedenheit auf die Nutzenkoeffizienten der Attribute eines Leistungsangebots ausgewertet. Auch hierzu werden sowohl lineare als auch nichtlineare Attributzufriedenheiten betrachtet. Modell 9, präsentiert in Tabelle 5.17, gibt die Ergebnisse der linearen Attributzufriedenheit wieder und die Modelle 10 und 11 die der nichtlinearen. Wie die Resultate des Modells 9 zeigen, erhöht sich der durchschnittlich wahrgenommene Nutzenverlust des Preisparameters bei Alcatel auf -1,0867, wenn die Präferenzheterogenität durch die Preiszufriedenheit als Kovariate in das Modell mit eingeht. Tatsächlich wirkt sich die Preiszufriedenheit derart auf die Preispräferenz aus, dass sich diese bei zunehmender Preiszufriedenheit um ,1252 Einheiten verringert. Die weiteren Faktoren sind jedoch statistisch nicht signifikant. Für eine vertiefte Analyse des Einflusses der Attributzufriedenheit auf die Attributpräferenz soll daher untersucht werden, wie sich die Attributpräferenz bei nichtlinearer Attributzufriedenheit gestaltet. Es ist anzunehmen, dass die positive Attributzufriedenheit dazuführt, dass sich die Attributpräferenz erhöht. Wie zuvor werden die Penalty- und Reward-Werte dabei herangezogen. Modell 10 gibt die Werte der positiven Attributzufriedenheit wieder und Modell 11 den Einfluss den der negativen Attributzufriedenheit. Die Wirkung der positiven Attributzufriedenheit kann zumindest bei den Preisparametern von Alcatel und Siemens als statistisch signifikant beurteilt werden. Auch hier zeigt sich der Effekt in die erwartete Richtung, wie in Modell 9 beim Preisparameter von Alcatel. Die Preiszufriedenheit verringert den durchschnittlich wahrgenommenen Nutzenverlust des Preises. Ebenso wird aus Modell 11 ersichtlich, dass sich die Unzufriedenheit mit dem Preis bei Alcatel negativ auf die Preispräferenz auswirkt und somit den Nutzenverlust des Preises erhöht. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich die Wirkung der Attributzufriedenheit lediglich beim Preisparameter beobachten lässt. Die Effekte der weiteren Attributzufriedenheit auf die
871 872
Vgl. Kano (1984). Vgl. Anderson/Mittal (2000); Brandt (1988); Matzler/Sauerwein (2002); Mittal et al. (1998).
5 Empirische Modellprüfung
166
Präferenzwahrnehmung der Attribute lassen keinen signifikanten Zusammenhang erkennen. Damit kann Hypothese 7 nur teilweise für den Preisparameter unterstützt werden. Modell 9 - Linear P(Z)>z
Modell 10 - Reward Koeffizient
P(Z)>z
Modell 11 - Penalty
Parameter
Koeffizient
AL
1,0405
,0000
1,2831
,0000
1,2528
Koeffizient
,0000
P(Z)>z
AV
,2689
,1176
,3431
,0227
,3670
,0147
CI
,3309
,0390
,4283
,0043
,4583
,0024
SI
,5380
,0007
,7432
,0000
,7312
,0000
RET
1,0505
,0000
1,0428
,0000
1,0680
,0000
Random Parameter HAR
,0941
,4474
,2601
,0000
,2755
,0000
APP
,2850
,0093
,2839
,0000
,2743
,0000
END
,0480
,6661
,1519
,0000
,1878
,0000
SER
,3607
,0014
,4757
,0000
,1827
,0000
VER
,5287
,0004
,2013
,0000
,5498
,0000
TCO AL
-1,0867
,0000
-,7898
,0000
-,7069
,0000
TCO AV
-,2989
,0205
-,3195
,0000
-,3237
,0000
TCO CI
-,2063
,0820
-,2307
,0000
-,2864
,0000
TCO SI
-4428
,0001
-,3709
,0000
-,3437
,0000
Heterogenität in Durchschnitt, Parameter Variable HAR
,0480
,1251
,0636
,3240
-,0426
,7166
APP
-,0009
,9756
,0616
,5787
,0679
,3693
END
,0333
,2346
,1545
,0111
-,0343
,7021
SER
-,0404
,1365
,0442
,5248
,1846
,0182
VER
-,0060
,8749
,1432
,0342
-,1060
,4780
TCO AL
,1252
,0016
,2296
,0489
-,3504
,0004
TCO AV
-,0299
,3874
,0190
,8444
,0012
,9886
TCO CI
-,0218
,4426
-,1371
,1401
,1168
,1265
TCO SI
-,0254
,3813
,1820
,0401
,0066
,9345
,4376
,0725
,3875
,0040
,9629
Standardabweichung NsHAR
,0497
NsAPP
,1186
,0133
,1130
,0315
,1259
,0069
NsEND
,0164
,7590
,01914
,7041
,0430
,2522
5.4 Beurteilung des Untersuchungsmodells
167
NsSER
,0775
,0605
,0323
,0000
,0593
,3060
NsVER
,4872
,0000
,4880
,4444
,4802
,0000
NsTC_AL
,6865
,0000
,8453
,0000
,7936
,0000
NsTC_AV
,3841
,0000
,3159
,0000
,3204
,0000
NsTC_CI
,2398
,0001
,2249
,0001
,2784
,0000
NsTC_SI
,4452
,0000
,5010
,0000
,4807
,0000
Tab. 5.17 Ergebnisse der Modellschätzung zum Einfluss der Attributzufriedenheit
Überprüfung der Hypothesen zum Einfluss der Wechselkosten Neben der freiwilligen Bindungswirkung der Kundenzufriedenheit wurden die Wechselkosten (WK) als Determinante für die unfreiwillige Bindungswirkung identifiziert. Ebenso wie bei der Analyse zum Einfluss der Kundenzufriedenheit werden die individuellen Faktorwerte des Konstruktes der wahrgenommenen Wechselkosten als Kovariate mit einbezogen. Tabelle 5.18, die die Ergebnisse zur Modellschätzung von Modell 12 liefert, zeigt, dass die Wechselkosten den Nutzen der Markenbindung verstärken. Hypothese 8 kann damit unterstützt werden. Darüber hinaus wurde die Hypothese aufgestellt, dass die Wechselkosten die Relation zwischen Kundenzufriedenheit und Markenbindung vermindern. Zur Überprüfung der Hypothese wird die statistische Signifikanz des Interaktionsterms aus wahrgenommenen Wechselkosten und Kundenzufriedenheit auf die Markenbindung beurteilt. Die Ergebnisse des Modells 13 in Tabelle 5.18 weisen daraufhin, dass dies nicht gegeben ist. Der zufallsverteilte Parameter Markenbindung ist nicht mehr statistisch signifikant. Folglich kann nicht bestätigt werden, dass sich bei hoch wahrgenommenen Wechselkosten die Beziehung zwischen Zufriedenheit auf Markenbindung abschwächt. Hypothese 9 kann damit nicht gehalten werden. Auch Burnham et al. (2003) können den Interaktionseffekt von Wechselkosten und Kundenzufriedenheit auf die Wechselabsicht nicht bestätigen.873 Nielson (1996) erklärt die kontroversen Ergebnisse über den Einfluss situativer Faktoren. So hängt der signifikante Einfluss des Interaktionseffekts beispielsweise von der Branche, dem Leistungsangebot oder dem Kunden ab.874
873 874
Vgl. Burnham et al. (2003). Vgl. Nielson (1996), S. 52f.
5 Empirische Modellprüfung
168 Modell 12 Non Random Parameter
Koeffizient
Modell 13
P(Z)>z
Koeffizient
P(Z)>z
AL
1,0206
,0000
1,0190
,0000
AV
,0799
,3215
,6901
,0000
CI
,1617
,0415
,4793
,0008
SI
,1964
,0034
,7374
,0000
HAR
,2389
,0000
,2389
,0000
APP
,2499
,0000
,2496
,0000
END
,1256
,0000
,1256
,0000
SER
,1800
,0000
,1819
,0000
VER
,4338
,0000
,4337
,0000
TCO AL
-,2219
,0000
-,2220
,0000
TCO AV
-,31944
,0000
-,3195
,0000
TCO CI
-,1733
,0005
-,1733
,0016
TCO SI
-,2099
,0000
-,2100
,0000
,8573
,0000
,8955
,0000
Random Parameter RET
Heterogenität in Durchschnitt, Parameter Variable ZUF
,5345
,0007
,4983
,0026
WK
,3210
,0495
,3261
,0496
-,0945
,4931
ZUF*WK Heteroskedastizität in Random Parameter ERF
,1869
,0223
,1926
,0193
POA
-,2939
,0120
-,2881
,0120
POB
,4376
,0141
,4330
,0141
St. Dev.
1,1701
,0042
1,1411
,0044
Tab. 5.18 Ergebnisse der Modellschätzung zum Einfluss der Wechselkosten
Überprüfung der Hypothesen zum Einfluss der Kaufsituation Weiterhin wurde innerhalb der Generierung des konzeptionellen Bezugsrahmens auch der Einfluss von situativen Faktoren auf den Nutzen der Markenbindung mit eingeschlossen. Dabei wird der situative Entscheidungskontext über den Kauftyp, die Kaufwichtigkeit und die
5.4 Beurteilung des Untersuchungsmodells
169
Dauer der Geschäftsbeziehung beschrieben.875 Es wird unterstellt, dass die Faktoren den Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Nutzen der Markenbindung verstärken. Dementsprechend sollte der Interaktionsterm von Kundenzufriedenheit mit dem Nutzen der Markenbindung und dem jeweiligen Faktor der Kaufsituation statistisch signifikant sein. Zuerst wird der Einflussnahme der Kaufunsicherheit analysiert, indem sowohl der direkte als auch der indirekte Einfluss der Kaufunsicherheit über den Kauftyp in Modell 14 erfasst wird. Folgende Hypothese sollte diesbezüglich bestätigt werden: Je höher die Kaufunsicherheit, desto stärker gestaltet sich die Wechselbeziehung zwischen Kundenzufriedenheit und Nutzen der Markenbindung. Für die Untersuchung werden die drei Kauftypen nach Robinson et al. (1967) herangezogen,876 die im Rahmen von Experteninterviews auf den Untersuchungsgegenstand abgestimmt wurden und in den folgenden drei Typen resultieren: Der erste Typ repräsentiert einen Wieder- bzw. Erweiterungskauf dar (KT 1). Der zweite Typ ist eine teilweise bzw. vollständige Migration der bestehenden TK-Lösung (KT 2) und der dritte Typ verkörpert den Neukauf einer TK-Lösung (KT 3). Wie aus Tabelle 5.19 hervorgeht, ist keiner der drei Interaktionsterme statistisch signifikant. Hypothese 10 kann damit nicht unterstützt werden. Es zeigt sich auch kein direkter Effekt der Kaufunsicherheit auf den Nutzen der Markenbindung, selbst wenn der Interaktionsterm nicht im Modell beinhaltet ist. Folglich kann keine empirische Evidenz der Kaufunsicherheit auf Basis des Kauftyps bestätigt werden. Eine Begründung hierfür kann die Signalwirkung der Marke liefern. So ist es durchaus vorstellbar, dass sich diese in der vorgelagerten Entscheidungsphase, dem Consideration Stage, auswirkt und nicht mehr bei der Kaufentscheidung. Zudem stellt sich die Frage, ob der Einfluss der Kaufunsicherheit sich direkt auf den Markenwert auswirkt und nicht auf die Markenbindung. Nachdem der Kauftyp analysiert wurde, soll die Wichtigkeit des Kaufs (KW) als weiterer Faktor zur Beschreibung der Entscheidungssituation in Modell 15 untersucht werden. Wie zuvor bei der Hypothesengenierung ausgeführt wurde, sollte sich hinsichtlich der Markenbindung Kaufwichtigkeit als Interaktionseffekt in der Verstärkung des Zufriedenheitsurteils auswirken. Tabelle 5.19 stellt das Ergebnis der Modellschätzung von Modell 15 dar. Wie hieraus ersichtlich wird, kann Hypothese 11 unterstützt werden, da der Interaktionsterm von Kundenzufriedenheit mit Kaufwichtigkeit statistisch signifikant ist. Der direkte Einfluss der Kaufwichtigkeit auf den Nutzen der Markenbindung ist statistisch nicht signifikant. Infolgedessen verstärkt sich die Interferenz von Kundenzufriedenheit und Nutzen der Markenbindung bei hoher Kaufwichtigkeit. Weiterhin soll der Aspekt der Geschäftsbeziehungsdauer auf den Prüfstand gestellt werden. Angelehnt an die Untersuchung von Ganesh et al. (2000) wird die Geschäftsbeziehungsdauer
875 876
Vgl. Abschnitt 4.2. Vgl. Robinson et al. (1967), S. 28.
5 Empirische Modellprüfung
170
in vier Kategorien unterteilt.877 Die erste Kategorie (D1) beschreibt die Nachfrager, deren Geschäftsbeziehung mit dem derzeitigen Anbieter vor einem Jahr oder weniger eingegangen wurde. Diese Kategorie kann als Neukundenkategorie interpretiert werden. Die zweite Kategorie (D2) beschreibt Geschäftsbeziehungen von 2 bis zu 5 Jahren, die dritte Kategorie (D3) die von 6 bis 10 Jahren und die vierte Kategorie, diejenigen die länger als 10 Jahre bestehen. Tabelle 5.19 mit den Modellergebnissen von Modell 16 bestätigt, dass der Interaktionseffekt der Geschäftsbeziehungsdauer empirisch nicht gestützt und Hypothese 12 folglich nicht gehalten werden kann. Damit kann keine indirekte Wirkung der Geschäftsbeziehungsdauer auf dem Markt der TK-Lösungen belegt werden. Jedoch weist die Geschäftsbeziehungsdauer einen statistisch signifikanten, direkten Effekt auf den Nutzen der Markenbindung für die ersten drei Kategorien auf. Dabei nimmt der Nutzen der Markenbindung mit zunehmender Dauer der Geschäftsbeziehung zu. Nachdem das Modell jedoch im Vergleich zu Modell 15 schlechte Modell-Fit-Werte aufweist,878 kann festgehalten werden, dass die Ergebnisse des Modells 15 als integriertes Modell herangezogen werden sollen.
Modell 14 Parameter
Koeffizient
P(Z)>z
Modell 15 Koeffizient
Modell 16 P(Z)>z
Koeffizient
P(Z)>z
AL
1,0545
,0000
1,019
,0000
1,0152
,0000
AV
,7351
,0000
,6908
,0000
,6877
,0000
CI
,5110
,0002
,4799
,0008
,4832
,0000
SI
,7857
,0000
,7384
,0000
,7499
,0000
HAR
,2373
,0000
,2389
,0000
,2388
,0000
APP
,2494
,0000
,2496
,0000
,2494
,0000
END
,1255
,0000
,1257
,0000
,1260
,0000
SER
,1793
,0000
,1819
,0000
,1817
,0000
VER
,4327
,0000
,4337
,0000
,4334
,0000
TCO AL
-,2237
,0000
-,2221
,0000
-,2222
,0000
TCO AV
-,3240
,0000
-,320
,0000
-,3204
,0000
TCO CI
-,1697
,0020
-,1737
,0016
-,1741
,0016
TCO SI
-,2090
,0000
-,2100
,0000
-,2093
,0000
,0005
,8182
,0000
2,2768
,0002
Random Parameter RET
877 878
,9179
Vgl. Ganesh et al. (2000), S. 81. Vgl. hierzu Tab. 5.21 in Abschnitt 5.4.4.
5.4 Beurteilung des Untersuchungsmodells
171
Heterogenität in Durchschnitt, Parameter Variable ZUF
,3475
,2919
,5173
,0010
,9341
,3512
WK
,2764
,0932
,2899
,0843
,2911
,0957
KT 1
,3971
,1776
KT 2
-,3077
,2735
KT 3
-,0893
,8512 ,1273
,4262
KW
,2810
,1282
D1
-1,6576
,0217
D2
-1,5937
,0156
D3
-1,2780
,0610
D4
-1,1013
,1898
,3371
,0343
D 1*ZUF
-,3931
,7046
D 2*ZUF
-,4400
,6696
D 3*ZUF
-,2786
,7895
D 4*ZUF
-,8636
,5050
KT 1*ZUF
-,1202
,7355
KT 2*ZUF
,2208
,5264
KT 3*ZUF
-,1005
,5264
KW*ZUF
,3117
,0460
Heteroskedastizität in Random Parameter ERF
,2279
,0158
,1446
,0702
,1982
,0107
POA
-,2688
,0268
-,2938
,0101
-,2781
,0177
POB
,3800
,0373
,4640
,0070
,3839
,0313
St. Dev.
,9649
,0143
1,3065
,0051
1,0866
,0026
Tab. 5.19 Ergebnisse der Modellschätzung zum Einfluss der Entscheidungssituation
Resümierend kann festgestellt werden, dass sowohl die Kundenzufriedenheit als auch die Wechselkosten eine wesentliche Bindungswirkung ausüben. Zudem beeinflusst der Entscheidungskontext den Nutzen der Markenbindung. An dieser Stelle zeigt sich, dass hinsichtlich der Markenbindung die Wichtigkeit der Kaufentscheidung die Bedeutung des Zufriedenheitsurteils hinsichtlich der Markenbindung bekräftigt. Tabelle 5.20 stellt die Ergebnisse der Hypothesen in Übersicht dar.
5 Empirische Modellprüfung
172 Nr.
Hypothese
Status
Hypothesen zum Einfluss der Marke H1
Bei Marken mit hohem Markenwert sind die Nachfrager weniger preissensitiv.
Teilweise bestätigt
Hypothesen zum Einfluss der Kundenzufriedenheit H2
Je höher die Kundenzufriedenheit, desto höher ist der Nutzen der Markenbindung.
Bestätigt
H3
Je erfahrener ein Entscheidungsträger ist, desto stärker ist der Zusammenhang zwischen Nutzen der Markenbindung und Kundenzufriedenheit.
Abgelehnt
H4
Die Konsistenz der Übersetzung der Zufriedenheitsurteile in Markenbindung variiert mit der Erfahrung und Position des Entscheidungsträgers.
Bestätigt
H5
Der Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Nutzen der Markenbindung gestaltet sich nichtlinear. Negative Kundenzufriedenheit hat dabei einen größeren Einfluss auf den Nutzen der Markenbindung als positive Kundenzufriedenheit
Teilweise bestätigt
H6
Der Zusammenhang zwischen Attributzufriedenheit und Nutzen der Markenbindung gestaltet sich nichtlinear. Negative Attributzufriedenheit hat dabei einen größeren Einfluss auf den Nutzen der Markenbindung als positive Attributzufriedenheit
Teilweise bestätigt
H7
Die Attributpräferenz ist weniger bedeutend für die Wiederwahl, wenn die Kundenzufriedenheit mit dem Leistungsattribut hoch ausgeprägt ist
Teilweise bestätigt
Hypothesen zum Einfluss der wahrgenommenen Wechselkosten H8
Je höher die Wechselkosten, desto höher ist der Nutzen der Markenbindung.
Bestätigt
H9
Je höher die Wechselkosten, desto schwächer gestaltet sich der Zusammenhang zwischen Nutzen der Markenbindung und der Kundenzufriedenheit
Abgelehnt
Hypothesen zum Einfluss der Kaufsituation H 10
Je neuartiger die Kaufsituation, desto größer ist der Nutzen der Markenbindung.
Abgelehnt
H 11
Je wichtiger der Kauf, desto stärker ist der Zusammenhang zwischen Nutzen der Markenbindung und Kundenzufriedenheit.
Bestätigt
H 12
Je höher die Kaufunsicherheit, desto stärker ist der Nutzen der Markenbindung
Abgelehnt
Tab. 5.20 Übersicht Ergebnisse der Hypothesenprüfung
5.4.4 Beurteilung der Güte der Modellschätzung Nachdem die Hypothesen auf Parameterebene der Modelle überprüft wurden, soll nun die Güte der Modelle begutachtet werden. Es gilt, wie in Abschnitt 5.2.3 erwähnt, die zu überprüfenden Modelle schrittweise zu entwickeln. Daher werden unterschiedliche Modelle geschätzt. Zur Beurteilung der Güte werden das Pseudo-R2, AIC, BIC und der LL-Ratio-Test verwendet. Für den Vergleich zwischen sogenannten genesteten Modellen ist der LL-Ratio-
5.4 Beurteilung des Untersuchungsmodells
173
Test zweckdienlich. Die Übersicht in Tabelle 5.21 stellt die Gütekriterien dar. Nachfolgend wird auf die einzelnen Modelle kurz eingegangen, um zu beurteilen, welche Modelle sich eignen das Phänomen wiederzugeben.
LL Freiheitsgrade
Modell 1
Modell 2
Modell 3
Modell 4
Modell 5
Modell 6
-4190,96
-4193,85
-3756,44
-3,740,70
-3737,81
-3740,18
21
13
16
18
19
20
,1688
,1723
,1730
,1724
2,6869
2,6772
2,6755
2,6782 2,7201
2
Adj. Pseudo-R AIC
2,999
BIC
2,9963
3,000
3,0238
2,7208
2,7152
2,7158
Modell 7
Modell 8
Modell 9
Modell 10
Modell 11
LL
-3705,80
-3726,04
-3593,86
-3582,60
-3582,83
Freiheitsgrade
25
21
32
32
32
Adj. Pseudo-R
,1753
,1731
,2002
,2027
,2027
AIC
2,6725
2,6765
2,5973
2,5893
2,5894
BIC
2,7256
2,721
2,6653
2,6572
2,6574
Modell 12
Modell 13
Modell 14
Modell 15
Modell 16
-3732,83
-3732,57
-3730,01
-3728,00
-3724,55
2
LL Freiheitsgrade
20
21
24
22
2
Adj. Pseudo-R2
,1740
,1741
,1746
,1747
,1746
AIC
2,6730
2,6735
2,6740
2,6725
2,6745
BIC
2,7152
2,7179
2,7246
2,7139
2,7274
Tab. 5.21 Gütekriterien der Modellschätzungen
Zunächst wird ein Basismodell geschätzt, welches üblicherweise keinen Beschränkungen unterliegt. Das Basismodell, Modell 1, in dieser Arbeit ist ein MNL-Modell, welches einen nichtlinearen Preisvektor, generische Attribute und alternativen-spezifische Konstante aufweist. Dieses Modell wird mit den Werten eines beschränkten Modells, Modell 2, verglichen, das einen linearen Preisvektor unterstellt.879 Die Linearität des Preisparameters kann mit dem Wald-Test und dem LL-Ratio-Test kontrolliert werden. Wie aus Tabelle 5.21 hervorgeht, ist Modell 2 mit linearen Preisparametern dem Modell 1 mit nichtlinearen aufgrund des LL-Ratio-Tests vorzuziehen. Die Resultate des Wald-Tests wurden in Abschnitt 5.4.4 bereits ausführlicher diskutiert.
879
Vgl. McFadden (1974), S. 107ff.; Louviere et al. (2000), S. 52ff.; Maier/Weiss (1990), S. 87ff.
174
5 Empirische Modellprüfung
Im nächsten Schritt wird nun der Random Parameter, die Markenbindung, im Rahmen eines ML-Modells und eine Kovariate, die Kundenzufriedenheit, bei Modell 3 berücksichtigt. Durch die Einführung der Markenbindung und der Kundenzufriedenheit erhöht sich die Erklärungskraft des Modells wesentlich. So weist Modell 3 hier einen niedrigeren AIC- bzw. BIC-Wert auf als Modell 2 auf und ist damit vorzuziehen. Ein LL-Ratio-Test kann nicht erfolgen, da die Modelle nicht als genestet beurteilt werden können. Anschließend wird bei Modell 4 der Einfluss von Erfahrung auf den Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Nutzen der Markenbindung überprüft. Das Modell ist im Vergleich zu Modell 3 aufgrund des AIC bzw. BIC-Werts aussagekräftiger. Jedoch konnte der Einfluss der Erfahrung auf Parameterebene nicht bestätigt werden.880 Somit kann dieses Modell vernachlässigt werden. Hingegen ist eine Modellverbesserung bei Modell 5 festzuhalten. Modell 5 berücksichtigt die Heteroskedastizität in den Präferenzen. Damit wird diese in den darauffolgenden Modellen berücksichtigt. Ferner wird der Zusammenhang zwischen Markenbindung und Kundenzufriedenheit näher in den Modellen 6, 7 und 8 betrachtet. Bei Modell 6 wird untersucht, ob die Kundenzufriedenheit als nichtlinear im Modell abgebildet werden sollte. Im Vergleich zu Modell 5 ergibt sich hier auf Basis des BIC-Werts keine Modellverbesserung. Die Modelle 7 und 8 weisen höhere BIC-Werte auf und eignen sich damit weniger als die anderen die Markenbindung zu veranschaulichen. Die Modelle zeigen den direkten Einfluss der Attributzufriedenheit auf den Nutzen der Markenbindung. Folglich sollte die Wirkung der Kundenzufriedenheit im Modell über die kumulierte Kundenzufriedenheit erfolgen. Weiterhin geht aus Tabelle 5.21 hervor, dass die Modell 9, 10 und 11 die adäquatesten Gütekriterien aufweisen. Jedoch ist einschränkend zu bemerken, dass die Gütewerte von der Anzahl der berücksichtigten Parameter im Modell beeinflussbar sind. Daher sind diese Wert unter Beachtung dieses Einflusses zu interpretieren. Zudem stellen diese Modelle keine genesteten Modelle dar und können damit nicht über den LL-Ratio-Test mit anderen Modellen verglichen werden. Allerdings lässt sich ein zentraler Erkenntnisgewinn aus den Modellen ziehen: Durch die Berücksichtigung der Präferenzheterogenität lässt sich die Güte des Modells wesentlich steigern. Da bei den Modellen lediglich vereinzelt der Einfluss der Attributzufriedenheit auf die Preispräferenz statistisch signifikant ist, werden diese im Weiteren nicht mehr berücksichtigt. Dementsprechend soll der Fokus auf die weiteren Modelle gelegt werden. Nach der Überprüfung des Zusammenhangs zwischen Markenbindung mit Kundenzufriedenheit wird der direkte Einfluss der wahrgenommenen Wechselkosten in Modell 12 und der indirekte Einfluss in Modell 13 betrachtet. Grundsätzlich ergibt sich eine Modellverbesserung durch Modellierung der Wechselkosten. Auch der LL-Ratio-Test von Modell 5 mit Modell 12
880
Vgl. Tab. 5.14 in Abschnitt 5.4.3.
5.4 Beurteilung des Untersuchungsmodells
175
unterstützt diese Aussage. Hingegen ist keine Modellverbesserung auf Basis des LL-RatioTests von Modell 12 auf Modell 13 festzustellen. Damit wird im Weiteren Modell 12 mit den übrigen Modellen verglichen. Im Vergleich zu Modell 14 ist keine Verbesserung festzustellen. Jedoch sind Modell 15 und Modell 16 als vorteilhafter zu bewerten. Auf Basis des BIC-Werts stellt Modell 15 das bevorzugte Modell dar, um die Wechselentscheidung industrieller Nachfrager abzubilden. Grundsätzlich kann folglich festgehalten werden, dass durch die Berücksichtigung der verhaltensrelevanten Variablen, Kundenzufriedenheit und Wechselkosten, die Modellgüte verbessert werden kann. Auch das Einbeziehen des Entscheidungskontextes trägt zum Erkenntnisgewinn bei und verbessert die Modellgüte. Vor allem aber beeinflusst die Abbildung der Präferenzheterogenität die Modellgüte maßgeblich. Demnach sollte diese in jedem Fall Beachtung finden. Dabei sollte jedoch darauf geachtet werden, dass sich diese auch inhaltlich fundieren lässt.
6
Zusammenfassung der Erkenntnisse und Implikationen für die Praxis
Die vorliegende Arbeit leistet einerseits einen Beitrag aus theoretischer Sicht zur Analyse des Wechselverhaltens im B2B-Bereich und andererseits können anhand der empirisch überprüften Ergebnisse Implikationen für die Unternehmenspraxis abgeleitet werden. Zuerst sollen in Abschnitt 6.1 die zentralen Ergebnisse bezüglich des Wechselverhaltens dargestellt werden, um diese aus wissenschaftlicher Sicht zu diskutieren. Daraufhin werden in Abschnitt 6.2 die Restriktionen der Betrachtung aufgezeigt und mögliche Ansatzpunkte für den weiteren Forschungsbedarf gewürdigt. Abschließend wird in Abschnitt 6.3 auf die Implikationen für die Unternehmenspraxis eingegangen. In diesem Zusammenhang soll darüber hinaus aufgezeigt werden, wie die Ergebnisse in der Praxis zur Entscheidungsunterstützung bei der Gestaltung eines TK-Lösungsangebots eingesetzt werden können.
6.1 Diskussion der zentralen Ergebnisse und der theoretischen Implikationen Im Rahmen dieser Arbeit wurde ein Ansatz zur Analyse der Markenbindung im B2B-Bereich entwickelt, der auf der Untersuchung des Entscheidungsverhaltens der industriellen Nachfrager aufbaut. Im Vergleich zu bisherigen Untersuchungen, die den Einfluss von Faktoren auf die Verhaltensabsicht einen Anbieter wieder zu wählen betrachten,881 wurde deren Einfluss auf das beobachtbare Verhalten untersucht, da im B2B-Bereich hierzu kaum Erkenntnisse vorliegen.882 Zudem kann die Betrachtung der Verhaltensabsicht zu fehlerhaften Einschätzung des Verhaltens führen,883 was schlimmstenfalls in der Ableitung von unzweckmäßigen Implikationen enden kann. Der Schwerpunkt der Untersuchung lag dabei auf der Wirkung der Marke im B2B-Bereich, da auch hierzu nur wenige Beiträge erbracht wurden.884 Auch die in der Unternehmenspraxis des B2B-Bereichs häufig angewendete Unternehmensmarkenstrategie bestärkt einen markenorientierten Ansatz zur Untersuchung der Wechselentscheidung im B2B-Bereich. Es konnte gezeigt werden, dass die Marke einen wesentlichen Einfluss auf die Entscheidung von industriellen Nachfragern hat. Sowohl der Einfluss des Markenwerts als auch der Markenbindung wurden bei der Wechselentscheidung von industriellen Nachfragern
881
882
883 884
Vgl. u. a. Bearden/Teel (1983); Hellier et al. (2003); Oliver (1981); Oliver/Swan (1989); Roest/ Pieters (1997). Im B2B-Bereich betrachten lediglich Bolton (2008) und Verhoef et al. (2001) das Kaufverhalten. Dabei kommen diese zu kontroversen Ergebnissen. Verhoef et al. (2001) können den Einfluss der Kundenzufriedenheit auf das Cross-Buying-Verhalten empirisch nicht bestätigen. Bolton (2008) hingegen zeigt, dass sich die Kundenzufriedenheit auf die Entscheidung einen bestehenden Vertrag zu erweitern auswirkt. Vgl. Bolton et al. (2008); Bolton et al. (2006). Vgl. Ebenda. Insbesondere die Betrachtung der Marke eröffnet den Vorteil, dass der Omitted Variable Bias vermindert werden kann, da die Marke Leistungsattribute erfasst, die sonst nicht im Untersuchungsdesign abgebildet würden. Vgl. hierzu Abschnitt 5.1.
6.1 Diskussion der zentralen Ergebnisse und der theoretischen Implikationen
177
empirisch nachgewiesen. Ebenso wurden potenzielle Faktoren, die den Nutzen der Markenbindung beeinflussen, auf Basis einer Literaturanalyse identifiziert und deren theoretische Fundierung betrachtet, um daraufhin einen konzeptionellen Bezugsrahmen für die empirische Überprüfung abzuleiten. Die Zufallsnutzentheorie sowie die Theorie des geplanten Verhaltens erwiesen sich dabei als gute Grundlage zur Modellierung des Wechselverhaltens. Einerseits wird im Rahmen der Zufallsnutzentheorie dem Sachverhalt Rechnung getragen, dass nicht alle Aspekte im Modell erfasst werden können bzw. das Verhalten des industriellen Einkäufers nicht gänzlich erklärt werden kann und andererseits bietet das SOR-Schema eine Grundlage zur Strukturierung der Wechselentscheidung. Über die Verknüpfung mit der Theorie des geplanten Verhaltens wird das Modell um eine verhaltenswissenschaftliche Sichtweise erweitert. Hierdurch wird der Unterschied zwischen Wechselabsicht und Wechselverhalten berücksichtigt und die zentralen Einflussfaktoren, Einstellung und Verhaltenskontrolle, integriert. Basierend auf der Theorie Hirschmans wurde die Einstellung des Entscheidungsträgers über die Kundenzufriedenheit erfasst und die Verhaltenskontrolle über die Wechselkosten, die mit einem Wechsel des Anbieters verbunden wären. Die Informationsökonomie diente zur Erklärung der Markenwirkung bei der Wechselentscheidung. Die Kaufsituation wurde über den Kauftyp, die Kaufwichtigkeit und die Dauer der Geschäftsbeziehung abgebildet. Ein wesentlicher Schwachpunkt des abgeleiteten Bezugsrahmens ist darin zu sehen, dass nur Teilaspekte der Wechselentscheidung wiedergeben werden. Jedoch liefert die Verknüpfung der Zufallsnutzentheorie mit der Theorie des geplanten Verhaltens, der Theorie Hirschmans und der Informationsökonomie eine relativ breite Erfassung möglicher Wirkungsbeziehungen innerhalb des Bezugsrahmens, der unter Berücksichtigung der jeweiligen Fragestellung im Zusammenhang von Wechselentscheidungen modifiziert werden kann. Damit kann dieser sicherlich als Ausgangspunkt einer weiteren Analyse verwendet werden. Die methodische Überprüfung des Bezugsrahmens erfolgte dabei über eine erweiterte Conjoint-Analyse. Zu diesem Zweck wurde ein sequentielles Verfahren angewendet, beim dem zuerst eine Faktorenanalyse der latenten Variablen durchgeführt wurde, um deren Ergebnisse daran anschließend bei der Schätzung des Zufallsnutzenmodells einzusetzen.885 Hierdurch sollte das Phänomen der Markenbindung im Kontext der Wechselentscheidung industrieller Nachfrager realitätsnäher abgebildet werden. So konnten verhaltensrelevante Merkmale in die Analyse miteinbezogen werden, die bisher im Rahmen der Conjoint-Analyse vernachlässigt wurden. Insbesondere die Aspekte der Kundenzufriedenheit und Wechselkosten wurden ausschließlich bei Untersuchungen der Verhaltensabsicht analysiert. Zudem konnte aufgrund der Berücksichtigung der verhaltensrelevanten Faktoren die Aussagekraft der Modelle verbessert werden,886 da diese einen Teil der Heterogenität in den Präferenzen
885 886
Vgl. u. a. Madanat et al. (1995); Prashker (1979). Vgl. Ben-Akiva et al. (2002), S. 168.
178
6 Zusammenfassung der Erkenntnisse und Implikationen für die Praxis
erklären. Eine Vernachlässigung der Präferenzheterogenität würde eine verzerrte Prognose des Kaufverhaltens begünstigen. In diesem Zusammenhang konnte gezeigt werden, dass die Kundenzufriedenheit, die wahrgenommenen Wechselkosten und der Entscheidungskontext die Präferenz der Markenbindung maßgeblich beeinflussen. Nachfolgend wird auf die empirischen Befunde näher eingegangen. Konform mit der Untersuchung von Bolton et al. (2008) konnte der Einfluss der Kundenzufriedenheit auf das Kaufverhalten in Form des Nutzens der Markenbindung empirisch bestätigt werden.887 Damit wird bestärkt, dass sich die Kundenzufriedenheit direkt auf das Wiederkaufsverhalten auswirkt. Eine Erklärung warum Verhoef et al. (2001) den Zusammenhang empirisch nicht stützen konnten,888 ist darin zu vermuten, dass das CrossBuying-Verhalten von ihnen analysiert wurde. Es empfiehlt sich deshalb, die Wirkung von verhaltensrelevanten Merkmalen wie der Kundenzufriedenheit in Bezug auf weitere Verhaltensformen zu analysieren. Weiterhin wurde ein Response Bias empirisch nachgewiesen, der auf Unterschiede bezüglich der Entscheidungsträgercharakteristika zurückgeführt werden konnte. So begründen die Erfahrung und die Position des Entscheidungsträgers eine Verzerrung im Antwortverhalten. Zudem wurde ausgehend von bisherigen Studien überprüft,889 ob die Zufriedenheitsbeurteilung aufgrund der Charakteristika variieren. Dies konnte empirisch nicht gestützt werden im Gegensatz zu den Beiträgen von Mittal/Kamakura (2001) und Paulssen/Birk (2007).890 Ausschlaggebend für dieses Resultat ist, dass in dieser Arbeit TK-Lösungen betrachtet wurden und die anderen Beiträge den B2CBereich bzw. einen anderen Markt untersuchten.891 Folglich kann das widersprüchliche Ergebnis vermutlich auf die Variation zwischen den Anwendungsbereichen zurückgeführt werden. Ferner wurde die Wirkung der Attributszufriedenheit analysiert. Jedoch konnte der Einfluss nur teilweise in Bezug auf die Preiszufriedenheit empirisch aufgezeigt werden. Es wurde bestätigt, dass die Preiszufriedenheit die Zahlungsbereitschaft, auch als Willingness-toPay (WTP) bezeichnet, erhöht. Ebenso vermindert die Unzufriedenheit mit dem Preis die Zahlungsbereitschaft. Außerdem wurden die Wechselkosten als beeinflussende Faktoren der Markenbindung betrachtet. Dabei zeigte sich, dass die anbieterbezogenen Wechselkosten die wichtigste Komponente der wahrgenommenen Wechselkosten darstellen, gefolgt von risiko- und technologiebezogenen Wechselkosten. Dieses Ergebnis bestätigt den Befund von Henseler (2006) und Jones et al. (2000).892 Jedoch konnte der Interaktionseffekt von Kundenzufriedenheit und Wechselkosten mit Markenbindung nicht bestätigt werden. Auch
887 888 889 890 891 892
Vgl. Vgl. Bolton et al. (2008); Bolton et al. (2006). Vgl. Verhoef et al. (2001). Vgl. Mittal/Kamakura (2001); Paulssen/Birk (2007). Vgl. Ebenda. Vgl. Ebenda. Vgl. Henseler (2006); Jones et al. (2000).
6.1 Diskussion der zentralen Ergebnisse und der theoretischen Implikationen
179
Burnham et al. (2003) kamen zum gleichen Befund.893 Nielson (1996) führt die kontroversen Resultate auf den Einfluss von situativen Faktoren zurück. So hängt der signifikante Einfluss des Interaktioneffekts beispielsweise von der Branche, dem Leistungsangebot oder dem Kunden ab.894 Daher muss in diesem Fall davon ausgegangen werden, dass der Effekt im Markt der TK-Lösungen nicht gegeben ist. Zudem wurde der Einfluss des Entscheidungskontexts über den Kauftyp, die Kaufwichtigkeit und die Dauer der Geschäftsbeziehung analysiert. Zunächst wurde die Wirkung der Neuartigkeit der Kaufsituation anhand des Kauftyps betrachtet. Dabei sollte die Hypothese untersucht werden, ob sich der Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Markenbindung verstärkt, je neuartiger die Kaufsituation ist. Dazu wurden drei Kauftypen differenziert nach: Wieder- bzw. Erweiterungskauf (Typ 1), teilweise bzw. vollständige Migration der bestehenden TK-Lösung (Typ 2) sowie Neukauf einer TK-Lösung (Typ3). Die Hypothese konnte nicht unterstützt werden. Ein Grund hierfür kann darin gesehen werden, dass sich die Unsicherheit vorrangig in der Auswahlphase, dem Consideration Stage, auswirkt und nicht mehr bei der Entscheidung.895 Weiterhin erhöht die Kaufwichtigkeit die Bedeutung des Zufriedenheitsurteils bezüglich der Markenbindung. Demnach wird bei Wechselentscheidungen, die von strategischer Bedeutung für das Unternehmen sind, mehr Gewicht auf die Zufriedenheit gelegt. Hingegen konnte der Einfluss der Geschäftsbeziehungsdauer auf den Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Markenbindung nicht bestätigt werden. Dieses Ergebnis steht im Gegensatz zu den Befunden von Bolton (2008) und Verhoef et al. (2001), die den Interaktionseffekt bei Upgrading- und Cross-Buying-Verhalten nachweisen konnten.896 Anscheinend wirkt sich die Dauer der Geschäftsbeziehung folglich nicht bei der Markenwiederwahl aus. Es könnte aber auch charakteristisch für den Markt der TK-Lösungen sein. Zusammenfassend kann somit festgehalten werden, dass ein erweitertes Choice-basedConjoint-Modell zusätzlichen Erkenntnisgewinn zum Phänomen des Wechselverhaltens von industriellen Nachfragern ermöglicht. So wird durch die Berücksichtigung der verhaltensrelevanten Faktoren deutlich, welchen Einfluss sie auf die Markenbindung ausüben. Würden diese Faktoren vernachlässigt, würde der Einfluss der Marke deutlich überschätzt werden.897 Durch die Bezugnahme auf verhaltensrelevante Faktoren wird letztlich gewährleistet, dass ein realitätsnäheres Modell geschätzt wird. Daneben konnte gezeigt werden, dass sich die Erklärungskraft des Modells wesentlich verstärkt, wenn die Einstellung, die Verhaltenskontrolle und der Entscheidungskontext des Entscheidungsträgers hinzugezogen
893 894 895 896 897
Vgl. Burnham et al. (2003). Vgl. Nielson (1996), S. 52f. Vgl. Heide/Weiss (1995). Vgl. Vgl. Bolton et al. (2008); Bolton et al. (2006); Verhoef et al. (2001) Vgl. Keane (1997), S. 310f.
180
6 Zusammenfassung der Erkenntnisse und Implikationen für die Praxis
werden. Damit stellt die hier vorgestellte Methodik ein zweckdienliches Verfahren dar, den abgeleiteten Bezugsrahmen zur Markenbindung von industriellen Nachfragern zu analysieren.
6.2 Restriktionen und weiterer Forschungsbedarf Eine grundlegende Restriktion ist, dass das Hypothesenmodell am Beispiel eines konkreten Anwendungsbereichs, dem der TK-Lösungen, untersucht wurde. Damit ist eine Übertragbarkeit der Ergebnisse auf andere Industriegütermärkte nicht ohne Modifikation möglich. Vielmehr muss ein Transfer der Ergebnisse durch eine Replikation der Untersuchung auf anderen Märkten sichergestellt werden. Dies ist gerade hinsichtlich der Neuartigkeit der Kaufsituation und der Dauer der Geschäftsbeziehung von Bedeutung, da hier kontroverse Ergebnisse im Vergleich zu anderen Beiträgen abgeleitet wurden.898 Weiterhin wurde die Thematik des Buying Centers vereinfacht im Modell über die Faktoren der Einflussstärke, Position sowie Erfahrung des Entscheidungsträgers abgebildet. Zudem wurde unterstellt, dass das Anreizsystem im Unternehmen derart gestaltet ist, dass sich die Entscheidungsträger zielkongruent verhalten.899 Folglich wurde der Einfluss des sozialen Kontextes bzw. der Organisation nur in geringem Maße berücksichtigt. Hieraus ergibt sich ein Ansatzpunkt, das Modell zu erweitern und weitere Faktoren, die den sozialen Kontext bestimmen, in die Analyse der Wechselentscheidung von industriellen Nachfragern mit einzubeziehen. Außerdem wurde die Untersuchung auf den Fall der Unternehmensmarken begrenzt. Es existieren aber durchaus Produktmarken im B2B-Bereich, wodurch neben einem Unternehmensmarkenwechsel auch ein Wechsel von Produktmarken zu verzeichnen wäre. In Konsequenz wäre der Wechsel von Produktmarken eines Unternehmens auch im B2BBereich von Interesse, um beispielsweise das Cross-Buying-Verhalten zu analysieren.900 Grundsätzlich sollten weitere Untersuchungen des geplanten Handelns von industriellen Nachfragern durchgeführt werden, wie dem Cross-Buying-Verhalten. Wie Verhoef et al. (2001) zeigen, konnte die Wirkung der Kundenzufriedenheit auf diese Form des Verhaltens nicht bestätigt werden. Gerade im Zusammenhang der Markenbetrachtung im B2B-Bereich könnte hier jedoch das Cross-Buying-Verhalten anhand der Analyse von Produktmarkenwechselentscheidungen weitere Erkenntnisse liefern. Unabhängig davon stellt sich das grundlegende Problem, ob die Einstellung von heute das Verhalten von morgen bedingt.901 Wie bereits festgestellt wurde, kann die Beziehung zwischen Einstellung und Verhalten von weiteren verhaltensrelevanten Faktoren beeinflusst
898 899 900 901
Vgl. hierzu ausführlich Abschnitt 6.1. Vgl zum Einfluss des sozialen Kontextes Merton (1968), S. 373ff. Vgl. Rust et al. (2000); Rust et al. (2004). Vgl. Trommsdorff (2004), S. 165.
6.2 Restriktionen und weiterer Forschungsbedarf
181
werden. Zudem kann die Problematik der Verzerrung aufgrund von Messfehlern nicht gänzlich eliminiert werden. Grundsätzlich können Verzerrungen durch Abweichungen im Untersuchungsdesign auf korrelative statt kausale, Querschnitts- statt Längsschnitts-, aggregierte statt individuelle, Langzeit- statt Kurzzeit-Untersuchungsdesigns zurückgeführt werden.902 Mit der Berücksichtigung der Präferenzheterogenität wurde zumindest die Verzerrung aufgrund der Betrachtung von aggregierten Präferenzen vermindert. Jedoch bleibt die Kritik durch die weiteren Aspekte bestehen. So besteht eine weitere Einschränkung hinsichtlich der Interpretation der Ergebnisse darin, dass keine Aussagen bezüglich der Kausalbeziehung abgeleitet werden können. So können lediglich gerichtete Wirkungen aufgezeigt werden. Eine Überprüfung von Kausalitäten lässt sich im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht durchführen. Auch handelt es sich bei der Untersuchung um eine Kurzzeituntersuchung, so dass die Dynamik nur unzureichend abgebildet wurde. Beispielsweise kann die Wechselentscheidung hinausgezögert werden, da vom Entscheidungsträger unterstellt wird, dass der Wechsel zu einem Zeitpunkt in der Zukunft nutzenmaximierender ist. Gerade in einem Markt, der von Veränderungen der Technologie beeinflusst wird, kann sich der Wechsel in Abhängigkeit des Lebenszyklus der Technologie gestalten. Ein möglicher Grund, die Wechselentscheidung zu einem späteren Zeitpunk zu treffen, ist es, abzuwarten, welche Technologie sich als Standard durchsetzt. Darüber hinaus muss die funktionale Form des Zusammenhangs zwischen Kundenzufriedenheit und Wechselverhalten tiefergehend analysiert werden. Hierbei sollte insbesondere in Betracht gezogen werden, ob sich die funktionale Form in Abhängigkeit der Branchenstruktur gestaltet.903 Auch das Untersuchungsdesign weist einige Limitationen auf. Die Conjoint-Befragung spiegelt die Wechselentscheidung nur zu einem gewissen Grad unter realen Bedingungen wider. Die Erhebung erfolgt über allgemein beschriebene TK-Lösungsangebote und setzt daher ein gewisses Maß an Abstraktionsvermögen voraus. Die Unsicherheit bei der Wechselentscheidung wurde ebenso beeinflusst, da bereits konkrete Merkmale vorgegeben wurden. Eine weitere Verzerrung im Untersuchungsdesign ergibt sich durch potenzielle Abhängigkeiten zwischen den Merkmalen. Dennoch wurde versucht, die Verzerrungen durch ein effizientes Design und eine entsprechende Erhebungsmethodik gering zu halten. Die Modelle zeichnen sich durch eine zufriedenstellende Modellgüte aus und es können wesentliche Aussagen bezüglich der Wechselentscheidung von industriellen Nachfragern für die Industriegüterpraxis auf Basis der Untersuchungsergebnisse gewonnen werden. Ausblickend kann somit festgehalten werden, dass die Untersuchung der Wechselentscheidung industrieller Nachfrager weiterer Betrachtung bedarf, da das tatsächliche Verhalten industrieller Nachfrager bisher nur vereinzelt untersucht wurde. Insbesondere die Analyse der
902 903
Vgl. Ebenda, S. 165f. Vgl. Jones/Sasser (1995).
182
6 Zusammenfassung der Erkenntnisse und Implikationen für die Praxis
unterschiedlichen Verhaltensformen des Wiederkaufs-, des Cross-Buying- und des Upgrading-Verhaltens könnten die zum Teil gegensätzlichen empirischen Befunde beleuchten. Dabei sollten weitere Faktoren untersucht werden, die die Präferenzheterogenität erklären können, da hierdurch grundsätzlich die Aussagekraft des Entscheidungsmodells erhöht wird. Darüber hinaus sollte die Veränderbarkeit der Präferenzen aufgrund des Lernens von Nachfragern thematisiert werden.904 Auch das Markenimage kann weitere Erkenntnisse eröffnen, da dieses Aufschluss über die Positionierung der Anbieter geben kann.905 Ebenso kann das Referenzniveau herangezogen werden, um die Wechselentscheidung industrieller Nachfrager weiterreichend zu untersuchen.906
6.3 Implikationen für die Unternehmenspraxis Auf Grundlage der Ergebnisse können die Investitionen in eine Unternehmensmarkenstrategie legitimiert werden. Wie gezeigt werden konnte, hat die Marke einen erheblichen Einfluss auf die Entscheidung des Nachfragers. Dabei kann der Anbieter grundsätzlich zwei Strategien verfolgen, um die Nachfrager an sich zu binden: Zum einem kann er den Kundenstamm halten, indem er gezielt auf die Kundenzufriedenheit setzt, und zum anderen kann der Anbieter offensiv Neukunden akquirieren, indem er die Wechselkosten für den Nachfrager verringert. Auf Basis der Zufriedenheitsanalyse kann eine differenzierte Ansprache der Kunden erfolgen. Die Identifikation der Determinanten der Kundenzufriedenheit ist wesentlich für das Management von Lösungsangeboten. Zur Gestaltung des Leistungsangebots ist es für Lösungsanbieter fundamental zu wissen, welches die zentralen Werttreiber für die Kunden sind.907 Deshalb muss die Frage beantwortet werden, welche Leistungsbestandteile der Lösung einen Mehrwert für den Nachfrager erzeugen und folglich, welche davon die Zufriedenheit des Nachfragers maßgeblich hervorrufen.908 Anhand dieser Erkenntnisse können schließlich Maßnahmen zum Management des Lösungsangebots bestimmt werden. Im Bereich der Zufriedenheitsforschung ist die Drei-Faktoren-Struktur basierend auf der Arbeit von Kano909 in aktuelle Forschungsbeiträge eingegangen.910 Dabei werden die Faktoren, die zur Kundenzufriedenheit beitragen, in folgende drei Arten unterteilt:911
904 905 906 907
908 909 910 911
Vgl. Freimer/Horsky (2008). Vgl. Natter et al. (2008). Vgl. Dube et al. (2008). Vgl. Mayer/Reichwald (2008), S. 46. Eine erweiterte Betrachtung der Wirtschaftlichkeit des Nutzens von TK-Lösungen im Zusammenhang der Telekooperation bietet Reichwald (1998), S. 279ff. Zudem findet sich eine Systematisierung potenzieller Kundenwert-Einflussgrößen bei Reichwald/Meier (2002), S. 214. Vgl. Ulaga/Eggert (2006). Vgl. Kano (1984). Vgl. Anderson/Mittal (2000); Gale (1994); Johnston (1995); Matzler/Sauerwein (2002); Oliver (1997). Vgl. Matzler et al. (2004).
6.3 Implikationen für die Unternehmenspraxis
183
Basic-Faktoren sind diejenigen Faktoren, die Unzufriedenheit beim Kunden hervorrufen, wenn ein Mindestniveau der Anforderungen vom Anbieter nicht erreicht wird. Die Erfüllung der Mindestanforderungen ist eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung für die Kundenzufriedenheit. Somit stellen BasicFaktoren Mindestanforderungen an das Leistungsangebot dar, die als selbstverständlich vorausgesetzt werden und daher nicht explizit nachgefragt werden.
Performance-Faktoren sind diejenigen Faktoren, die zu Kundenzufriedenheit führen, wenn diese erfüllt oder über die Erwartungen des Kunden hinaus erbracht werden. Ebenso begünstigen sie die Unzufriedenheit des Kunden, wenn sie in unzureichender Form geleistet werden. Somit können Performance-Faktoren sowohl zu Zufriedenheit als auch zu Unzufriedenheit führen.
Excitement-Faktoren sind diejenigen Faktoren, die die Kundenzufriedenheit erhöhen, wenn sie erbracht werden. Excitement-Faktoren haben allerdings keine Auswirkung auf die Unzufriedenheit, wenn sie nicht angeboten werden.
Auf Basis der Identifikation dieser Faktoren können zentrale Implikationen für das Management von TK-Lösungsangeboten abgeleitet werden. Mindestanforderungen, sogenannte Basisfaktoren, müssen als solche erkannt und angeboten werden. Sie stellen eine Markteintrittsbarriere für neue Anbieter dar.912 Performance-Faktoren bilden die Basis für die Befriedigung der Kundenbedürfnisse und fördern die Kundenzufriedenheit, wenn diese im Sinne des Kunden erbracht werden.913 Excitement-Faktoren wiederum eröffnen Differenzierungspotenziale für den Anbieter gegenüber Wettbewerbern. Werden ExcitementFaktoren angeboten, kann der Kunde damit positiv überzeugt werden. Der Anbieter von Lösungsangeboten hat somit die Möglichkeit, diese zur Differenzierung heranzuziehen.914 In Abbildung 6.1 werden die Zufriedenheitstreiber nach Basic-, Performance-, und ExcitementFaktoren für die Stichprobe am gewählten Bespiel der TK-Lösung unterschieden. Der Hardware-Bestandteil der Leistung als Excitement-Faktor eröffnet die Möglichkeit, sich gegenüber den Wettbewerbern zu differenzieren. Auffällig ist, dass vier der sechs Faktoren Performance-Faktoren sind. Damit kann davon ausgegangen werden, dass die Nachfrager von TK-Lösungen durchgängig hohe Anforderungen an die Anbieter stellen. Die Leistungserbringung setzt ein umfangreiches Angebot an Applikationen von TK-Anbietern voraus, da dieser Faktor einen Basic-Faktor darstellt. Die zentralen Zufriedenheitstreiber können auch für die jeweilige Marke analysiert werden und mit dem Markt verglichen werden. Im Rahmen des Customer Relationship Management des Anbieters kann so gezielt die Kundenzufriedenheit gestärkt werden.915 Allerdings wären Maßnahmen, die alleinig auf die
912 913 914 915
Vgl. Matzler et al. (1996), S. 6f. Vgl. Ebenda. Vgl. Brandt (1988), S. 38; Matzler et al. (1996), S. 7. Trommsdorff stellt ausgewählte Instrumente zur Steigerung der Kundenzufriedenheit dar. Vgl. Trommsdorff (2004), S. 147f.
6 Zusammenfassung der Erkenntnisse und Implikationen für die Praxis
184
Kundenzufriedenheit abzielen, zu einseitig und würden wesentliche Erkenntnisse, die innerhalb der Untersuchung gewonnen wurden, vernachlässigen. Deshalb werden weitere Implikationen anhand der Resultate im Folgenden dargelegt.
Gesamtmarkt 4,0
Hardware
Applikation
Endgeräte
Verfügbarkeit
Service
Basic
Performance
Performance
Performance
TCO
2,0 1,0
0,5
0,0
-0,5
-1,0 -2,0 -4,0
Excitement
Abb. 6.1
Performance
Identifizierung der Leistungsbestandteile einer TK-Lösung als Basic-, Performanceund Excitement-Faktoren
Die relative Wichtigkeit der Attribute kann herangezogen werden, um zu beurteilen, inwiefern die produktbezogenen Leistungsbestandteile im Vergleich zum Service die Entscheidung beeinflussen. Das anbietende Unternehmen kann diese Information als Grundlage für den Ressourceneinsatz verwenden, um die Maßnahmen zu ergreifen, die den größten Einfluss auf die Kundenbindung haben. Für die theoretische Fundierung der relativen Wichtigkeit der Attribute lässt sich kein Ansatzpunkt in der Literatur identifizieren. Es gibt keinen Ansatz, der im Vorfeld eine theoriebasierte Hypothese zur relativen Bedeutung der Leistungsbestandteile unterstützen würde. Die Überprüfung der relativen Wichtigkeit der jeweiligen Einflussfaktoren besitzt damit einen explorativen Charakter und ist vorrangig von Interesse zur Ableitung praktischer Implikationen. In der Literatur der Kaufentscheidung im B2B-Bereich wird vorrangig der Preis als das wichtigste Kriterium identifiziert. So stellen Wathne et al. (2001) im Rahmen einer Conjoint-Befragung fest, dass die marketingbezogenen Variablen wie Preis und Produktangebotstiefe gewichtiger bei der Entscheidung eingehen als
6.3 Implikationen für die Unternehmenspraxis
185
beziehungsbezogene Merkmale.916 Bendixen et al. (2004) und Homburg et al. (2006) zeigen, dass die Marke einen Einfluss auf die Kaufentscheidung hat, jedoch der Preisfaktor eine größere Bedeutung bei der Entscheidung aufweist.917 Abbildung. 6.2 stellt die aggregierte relative Wichtigkeit der jeweiligen Attribute des Leistungsangebots dar. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass die relative Wichtigkeit von den im Untersuchungsdesign gewählten Attributsausprägungen abhängt. Folglich kann das Ergebnis nur unter Vorbehalt zur Interpretation herangezogen werden. Wie aus der Abbildung hervorgeht, ist die Verfügbarkeit des TK-Systems das wichtigste Kaufkriterium, dem das Applikationsangebot folgt. Sowohl der Preis als auch die Hardware sind kritischer bei der Entscheidung als der Service und die Auswahl an Endgeräten. Mit diesem Resultat wird die Annahme unterstützt, dass die Nachfrager mehr Wert auf ein Lösungsangebot bzw. dessen Verfügbarkeit legen als auf einzelne Leistungsbestandteile.
16%
Hardware
17%
Applikation
9%
Endgeräte
12%
Service
Verfügbarkeit
30%
TCO
16%
0%
Abb. 6.2
5%
10%
15%
20%
25%
30%
35%
Relative Wichtigkeit der Attribute bei der Wechselentscheidung
Weiterhin kann die Zahlungsbereitschaft betrachtet werden, um Implikationen für die Unternehmenspraxis abzuleiten.918 Für eine differenzierte Beurteilung der Zahlungsbereitschaft werden die Werte für die jeweiligen Marken betrachtet. Wie aus Tabelle 6.1 916 917 918
Vgl. Wathne et al. (2001), S. 62. Vgl. Bendixen et al. (2004), S. 375; Homburg et al. (2006), S. 292. Die Zahlungsbereitschaft ergibt sich aus dem Verhältnis der Koeffizienten des Leistungsattributs und des Preises. Sie hat nur dann Aussagekraft, wenn beide Parameter statistisch signifikant sind. Dies ist für alle Parameter gegeben und damit sind die Werte vergleichbar. Die Zahlungsbereitschaft der No-ChoiceAlternative kann nicht bestimmt werden, da hier keine Nutzenparameter geschätzt werden können.
6 Zusammenfassung der Erkenntnisse und Implikationen für die Praxis
186
hervorgeht, ist die Verfügbarkeit des TK-Systems durchgängig das Kriterium, für das die Nachfrager bereit sind, am meisten zu zahlen. Für Endgeräte ist die Zahlungsbereitschaft am geringsten. Um den Einfluss der Marke in Bezug auf die Preiswahrnehmung der industriellen Nachfrager zu analysieren, wird die Preiselastizität der einzelnen Marken bestimmt. Es wird nur die direkte Elastizität in Tab. 6.1 angegeben, die zeigt, welche Auswirkung eine 1% Steigerung des Preises auf die Wahlwahrscheinlichkeit der Marke hat. Eine Preiselastizität zwischen 0 und 1 bedeutet, dass die Nachfrager verhältnismäßig preisunelastisch sind. Ein Wert über 1 ist mit einer großen Preiselastizität verbunden.919 In Tabelle 6.1 wird die durchschnittliche Preiselastizität angegeben. Wie hieraus hervorgeht, reagieren Siemenskunden am wenigsten auf Preiserhöhungen bzw. begegnen Nachfrager einer Preiserhöhung allgemein preisunelastisch. Zudem wird der durchschnittliche Nutzen der jeweiligen Marke in der Tabelle angegeben, um die Marken miteinander zu vergleichen. Wie ersichtlich wird, ist der höchste Nutzen mit Alcatel verbunden und der niedrigste mit Avaya.920 Eine Investition in das Markenmanagement zahlt sich folglich für den Anbieter aus, da Alcatelkunden ausnahmslos höhere Zahlungsbereitschaften bei allen Attributen aufweisen als Avayakunden. Alcatel
Avaya
Cisco
Siemens
None
WTP HAR
1,08
,75
1,38
1,14
--
WTP APP
1,12
,78
1,44
1,19
--
WTP END
,57
,39
,72
,60
--
WTP SER
,82
,57
1,05
,87
--
WTP VER
1,95
1,36
2,50
2,07
--
Preiselastizität
-,3429
-,5382
-,2982
-,2541
--
Durchschnittlicher Nutzen
,3294
,1818
,2196
,2122
,2239
Tab. 6.1
Ergebnisse zur Zahlungsbereitschaft und, Preiselastizität
Neben der Förderung der freiwilligen Markenbindung kann die unfreiwillige Bindung des Kunden über die Wechselkosten beeinflusst werden. Wechselkosten sind damit für Anbieter von Interesse, die vorrangig ihren bestehenden Kundenstamm halten wollen. Gerade bei zunehmender Wettbewerbsintensität stehen die Anbieter vor der Herausforderung, effektive Maßnahmen zu finden, um die Kunden zu halten. In dieser Situation empfiehlt sich die Errichtung von Wechselbarrieren. Dabei sollten vorrangig die anbieterbezogenen Wechselkosten forciert werden, da diese nachweislich den größten Einfluss auf die Gesamtwechselkosten haben. Obwohl Wechselbarrieren eine sinnvolle Maßnahme sein können, um die
919 920
Vgl. Hensher et al. (2007), S. 387. Der durchschnittliche Nutzen kann als Marktanteil interpretiert werden. Vgl. Hensher et al. (2007), S. 371.
6.3 Implikationen für die Unternehmenspraxis
187
Markenbindung zu verstärken, können sie auch den gegenteiligen Effekt hervorrufen. Im Bereich der Literatur zur Bindung von Arbeitnehmern wurde festgestellt, dass Wechselbarrieren auch überwunden werden, wenn die Barrieren eine vollkommene Abhängigkeit begünstigen.921 Davon können auch andere Folgen der Loyalität betroffen sein, wie positive Weiterempfehlung. Demnach sollten Wechselbarrieren aufgestellt werden, die sich in erster Linie auf Kriterien beziehen, die Wechselkosten hervorrufen, aber nicht ein Situation der totalen Abhängigkeit begünstigen. Dies spricht für Faktoren, die einen zusätzlichen Nutzen für den Nachfrager erzeugen. Beispielsweise könnte ein CRM eingeführt werden, dass die anbieterbezogenen Wechselkosten erhöht, indem zusätzliche Services über dieses angeboten würden. Dabei ist der Einfluss der persönlichen Beziehung nicht zu unterschätzen.922 Damit können Wechselbarrieren nicht nur als Ursache von Wechselkosten fungieren, sondern auch einen Mehrwert für den Nachfrager erzeugen. Folglich stellen Maßnahmen, die sowohl zur Errichtung von Wechselbarrieren als auch zur Erzeugung von Kundenzufriedenheit beitragen, keine entgegengesetzten Maßnahmen dar. Vielmehr können sie kombiniert zum Einsatz kommen, um die Kundenzufriedenheit und die Wechselkosten zu steuern.923 Für die Entscheidung zur Umsetzung der entsprechenden Maßnahmen sollten daneben situative Faktoren berücksichtigt werden. So empfiehlt es sich, bei hoher strategischer Bedeutung der Wechselentscheidung für das nachfragende Unternehmen vermehrt auf die Kundenzufriedenheit zu setzen, da in dieser Situation die Zufriedenheit verstärkt die Bindung beeinflusst. Nachdem die zentralen Implikationen der Untersuchung für die Praxis aufgezeigt wurden, soll nachfolgend der Einsatz der Untersuchungsergebnisse in Form eines Entscheidungsunterstützungssystems erklärt werden, welches zur Szenarioanalyse verschiedener Maßnahmen herangezogen werden kann. Abbildung 6.3 stellt diese beispielhaft dar.
921 922 923
Vgl. Withey/Cooper (1989), S. 534. Vgl. Wathne et al. (2001). In diesem Zusammenhang kann auf die Wirkung der Individualisierung der Leistung verwiesen werden. Durch die zunehmende Individualisierung können sowohl die Kundenzufriedenheit als auch die Wechselkosten gesteigert werden. Vgl. hierzu Reichwald/Schaller (2002), S. 270 und Reichwald et al. (2006b), S. 167.
188
6 Zusammenfassung der Erkenntnisse und Implikationen für die Praxis
Mode
Alcatel Hardware Applikation Endgeräte Verfügbarkeit Services TCO
Attribute Level 1 0 0 98% 1 0
Avaya Hardware Applikation Endgeräte Verfügbarkeit Services TCO
1 1 1 99,999% 1 1
Cisco Hardware Applikation Endgeräte Verfügbarkeit Services TCO
0 1 1 98% 1 1
Ausgang N
Alcatel 32,20% 322000
Avaya 14,50% 145000
Market shares Cisco Siemens Andere 16,80% 32,80% 13,70% 168000 328000 137000
Szenario N
19,93% 199332
36,39% 363862
24,57% 245657
9,92% 99192
9,20% 91957
Veränderung
-12,27% -122668
21,89% 218862
7,77% 77657
-22,88% -228808
-4,50% -45043
N
1000000
Szenarioanalyse der Marktanteilsveränderung 40,00% 35,00% 30,00% 25,00% Ausgang Szenario
20,00%
Siemens Hardware Applikation Endgeräte Verfügbarkeit Services TCO
1 1 1 98% 1 2
Andere Hardware Applikation Endgeräte Verfügbarkeit Services TCO
1 1 1 98% -1 -1
Abb. 6.3
15,00% 10,00% 5,00% 0,00% Alcatel
Avaya
Cisco
Siemens
Andere
Beispielhaftes Entscheidungsunterstützungssystem924
Als Ausgangpunkt werden die aktuellen Marktanteile in das auf Excel basierende Entscheidungsunterstützungssystem übernommen. Der Anbieter kann unterschiedliche Werte für die jeweiligen Attributsausprägungen der anderen Anbieter angeben und seine persönliche Einschätzung anhand seiner Erfahrungswerte einfließen lassen. Dabei könnte über ein Kommentarfeld vorgegeben werden, welche Ausprägungen für die Attribute angegeben werden können. Ausgehend davon können die entsprechenden Ausprägungen der Attribute verändert werden, um auf diese Weise unterschiedliche Szenarien zu generieren, welche die veränderten Marktanteile wiedergeben. Die Szenarioanalyse basiert dabei auf den Ergebnissen der Modellanalyse, die in einer dahinterliegenden Arbeitsmappe hinterlegt sind. Die Marktanteile werden auf Basis der im Rahmen der Untersuchung gewonnen Teilnutzenwerte berechnet. Das hier dargestellte Entscheidungsunterstützungssystem dient zur Verdeutlichung der Anwendungsmöglichkeit und kann beliebig um weitere Faktoren erweitert bzw. modifiziert werden. Ebenso ist eine weitere Differenzierung der Szenarien in Abhängigkeiten von weiteren Merkmalen möglich, welche am Ende eine Segmentierung darstellen würde. In erster Linie kann das Entscheidungsunterstützungssystem verdeutlichen, worin die nachfragenden Unternehmen den Mehrwert sehen und welchen Leistungsbe924
In Anlehnung an Hensher et al. (2007), S. 457.
6.3 Implikationen für die Unternehmenspraxis
189
standteilen bei der Erstellung des Angebots vermehrt Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte. Eine weitere Möglichkeit ist es, die so gewonnenen Informationen bei einer kapitalwertbasierten Berechnung der Kundenbindung zu verwenden, wie beispielsweise beim Ansatz von Payne/Frow (2000) bzw. Payne/Rickard (1997). Sie haben ein mathematisches Kundenbindungsmodell entwickelt und angewendet, welches letztlich zur Unterstützung der Maßnahmenentscheidung eingesetzt werden kann.925 Dabei werden die Faktoren Anzahl der Kunden, Bindungsrate, Gewinn pro Kunde und Akquisitionskosten für die Berechnung herangezogen, um die Profitabilität der verschieden Maßnahmen, wie Investition in Neukundenakquise oder Pflege des Kundenstamms zu beurteilen.926
925 926
Vgl. Payne/Frow (2000); Payne/Rickard (1997). Vgl. Payne/Frow (2000), S. 309.
7
Schlussbetrachtung
Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit war die zunehmende Relevanz der Unternehmensmarke im B2B-Bereich, die in den Fokus des Marketings geraten ist. Gleichzeitig konnte jedoch festgestellt werden, dass fundierte Erkenntnisse zum Phänomen der Markenbindung in der Marketingwissenschaft und der Unternehmenspraxis lediglich vereinzelt vorliegen. Aus diesem Grund stellte sich die Aufgabe der Durchdringung des Phänomens im Rahmen einer wissenschaftlichen und managementorientierten Auseinandersetzung. Der Schwerpunkt der Arbeit lag auf der Generierung eines theoriebasierten konzeptionellen Bezugsrahmens der Markenbindung im Kontext der Wechselentscheidung industrieller Nachfrager und dessen empirischer Überprüfung. Dabei stellt die Erweiterung eines klassischen Auswahlmodells um verhaltensrelevante Faktoren eine besondere Herausforderung dar. Zu diesem Zweck wurde ein sequentielles, methodisches Verfahren vorgeschlagen, welches die Analyse des Bezugsrahmens empirisch ermöglichte. Ausgehend von einem Basismodell wurden verschiedene Modellvarianten der Wechselentscheidung im Bereich der TK-Lösungsanbieter beleuchtet, die auf einem Zufallsnutzenmodell beruhen. Die Beurteilung der Ergebnisse zeigte, dass die theoretisch identifizierten Determinanten das Phänomen größtenteils erklären. Folglich stellen Wechselbarrieren, Kundenzufriedenheit und Attributzufriedenheit sowie die strategische Bedeutung der Wechselentscheidung entscheidende Ansatzpunkte für einen Anbieter dar, die Markenbindung zu stärken. Grundsätzlich kann der konzeptionelle Bezugsrahmen als geeignet beurteilt werden, um das Phänomen der Markenbindung im B2B-Bereich zu analysieren. Dabei zeigt sich die eingenommene Perspektive des Wissenschaftlichen Realismus als vorteilhaft, da ein pluralistisches Vorgehen unterstützt werden konnte, um ein integratives Modell zu bilden. Jedoch steht die Überprüfung des entwickelten Bezugrahmens für andere als die untersuchte TK-Branche aus. Anhand der empirisch gewonnenen Resultate sollte darüber hinaus aufgezeigt werden, inwieweit diese in der Unternehmenspraxis eingesetzt werden können. Insbesondere richtete sich die Aufmerksamkeit auf die Kundenzufriedenheit, die Wechselkosten und die Preiselastizität der Nachfrager. Ein Hebel zur Verstärkung der Markenbindung stellt die Beeinflussung der Kundenzufriedenheit dar. Hier wurde gezeigt, wie die Ergebnisse einer Drei-Faktoren-Analyse der Attributzufriedenheit zur Betrachtung der Kundenbedürfnisse herangezogen werden können. Auch bezüglich der Wechselkosten wurde auf das Potenzial von Wert schaffenden Wechselbarrieren verwiesen, wie beispielsweise durch ein CRM. Zudem wurde veranschaulicht, wie die empirischen Befunde innerhalb eines Entscheidungsunter-stützungssystems für eine Szenarioanalyse eingesetzt werden können, um u. a. die Leistungs-angebotsgestaltung zu analysieren.
7 Schlussbetrachtung
191
Abschließend kann festgehalten werden, dass die Relevanz der Arbeit für die Unternehmenspraxis vorrangig in der Identifizierung der entscheidenden Bestimmungsfaktoren der Markenbindung bei Wechselentscheidungen im B2B-Bereich zu sehen ist. Ein Anbieter kann damit gezielt die Hebelfaktoren mit Gestaltungsmaßnahmen beeinflussen, umso die Markenbindung zu verstärken. In diesem Zusammenhang steht die Erkenntnis, dass sich die Nachfrager hinsichtlich der Markenbindung heterogen verhalten und diese Information dazu genutzt werden kann, die Kundenbasis zu segmentieren. Dementsprechend können somit die profitableren Kundensegmente identifiziert werden, um das Leistungsangebot auf die Kundenbedürfnisse anzupassen.
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Stichwortverzeichnis Bezugsrahmen 78, 119, 177
Markenloyalität 20, 46, 52, 95
Bindungsfaktoren 63, 74
Markenwert 20, 51, 83, 109, 123, 137, 156, 172, 176
Choice-based-Conjoint-Analyse 112, 119
Messmodell 119, 134, 141, 152, 154
Choice-Task 126, 130
Modellgüte 146, 159, 175
Dauer der Geschäftsbeziehung 45, 58, 104, 107, 177
Nutzenfunktion 69, 115, 120
Erfahrung 63, 92, 101, 122, 148, 150, 162, 172, 178
Organisationale Entscheidung
Experimentelles Design 35, 120, 126, 181
Position 53, 63, 93, 103, 149, 162, 172, 178
Heterogenität 9, 49, 113, 121, 151, 161, 175, 177
Präferenzen 29, 31, 35, 77, 94, 104, 112, 114, 174, 181
Industrieller Nachfrager 27, 111, 177, 181, 190
Theorie des geplanten Verhaltens 64, 68, 74, 80, 177
Interaktionseffekt 102, 106, 108, 129, 168, 170, 178
Wechselbarrieren 18, 63, 70, 98, 186
Kundenbindung 16, 19, 63, 90, 102, 181
Wechselentscheidung 27, 40, 58, 63, 74, 82, 109, 176, 185
Kundenloyalität 16, 27, 47, 89, 102, 107
Wechselkosten 97, 141, 142, 143, 144, 169, 178
Kundenzufriedenheit 88, 97, 138, 141, 156, 162, 172, 177
Wichtigkeit des Kaufs 38, 59, 105, 170
Latenten Variablen 115, 133, 152, 177
Wiederkaufsabsicht 14, 41, 89, 95, 111
Markenbindung 13, 27, 53, 161, 172, 176
Wiederkaufsverhalten 14, 16, 49, 92, 111, 178
10, 13, 27, 60, 82