Julia Steinfort Identität und Engagement im Alter
Julia Steinfort
Identität und Engagement im Alter Eine empirische ...
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Julia Steinfort Identität und Engagement im Alter
Julia Steinfort
Identität und Engagement im Alter Eine empirische Untersuchung
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Zugl. Dissertation an der Universität Dortmund, 2010
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Dorothee Koch / Sabine Schöller VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: STRAUSS GMBH, Mörlenbach Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17473-0
Danksagung
Für die wertvolle Unterstützung im Verlauf der vielfach bewegten Jahre, die ich an meiner Promotion gearbeitet habe, möchte ich einigen Menschen meinen besonderen Dank aussprechen. Zuallererst danke ich Prof. Dr. Monika Reichert und Prof. Dr. Gerhard Naegele für die Möglichkeit, dieses Dissertationsprojekt an der Universität Dortmund am Lehrstuhl für Soziale Gerontologie verfolgen zu können. Weiter gilt mein Dank dem Forschungsinstitut Geragogik und hier insbesondere der Begleitung durch Prof. Dr. Elisabeth Bubolz-Lutz. Die gemeinsame Arbeit im Rahmen des Projektes „Pflegebegleiter“ war nicht nur in wissenschaftlicher sondern auch in persönlicher Hinsicht eine Bereicherung, die ich in meinem Leben nicht missen möchte. Ebenso herzlich danke ich allen älteren Freiwilligen, die sich für die Interviews oder die Gruppendiskussion zur Verfügung gestellt haben. Die individuellen Entwicklungen der Einzelnen im Verlauf ihrer freiwilligen Tätigkeit haben mich fasziniert und einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Sie haben mich gelehrt, dass das Leben bewegt bleibt und die Suche nach dem „richtigen“ Platz in der Welt eine immer wiederkehrende Aufgabe ist. Für die unermüdliche Unterstützung bei der Erstellung der Dissertation, der Transkription der Interviews, den Korrekturarbeiten aber vor allem auch für die Begleitung durch die bei der Erstellung einer solchen Arbeit üblichen Höhen und Tiefen danke ich meiner Familie und meinen Freunden, ganz speziell Elisabeth König, Maria, Sebastian und Anna Steinfort, Christina Tita, Sandra Stubbra, Silke Dorn, Frauke Ferdinand, Dominique Giavarra und mit ganz besonderem Dank für seine unerschütterliche Geduld und Ruhe: Sven Diedenhofen. Diese Arbeit widme ich meinem Vater Werner Steinfort. Julia Steinfort Oberhausen, im Frühjahr 2010
Inhaltsverzeichnis
Einführung ....................................................................................................... 13 Teil A 1
2
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Identität, Drittes Alter und Freiwilliges Engagement – Begriffliche Klärungen............................................................................ 19 1.1 Identität – ein offenes und dynamisches Konstrukt .......................... 19 1.2 Das Dritte Alter – eine eigenständige Lebensphase.......................... 24 1.3 Freiwilliges Engagement – ein vielseitiges Tätigkeitsfeld................ 29 Entwicklungsverläufe und Konstruktionsprozesse von Identität ....... 35 2.1 Identität als Entwicklungsverlauf im gesamten Lebenslauf.............. 35 2.1.1 Ansätze zur Identitätsentwicklung – Grundlagenmodelle, Konzepte und Perspektiven.................. 36 2.1.2 Identität in Entwicklungsstufen – das Krisenmodell ............. 42 2.1.3 Identität als Wechsel – das Zustandsmodell .......................... 44 2.1.4 Identitätsarbeit – das Konstruktionsmodell ........................... 50 2.2 Freiwilliges Engagement als mögliches Identitätsprojekt im Dritten Alter .................................................................................................. 54 2.2.1 Vorbemerkung: Freiwilliges Engagement als Identitätsprojekt..................................................................... 54 2.2.2 Persönlichkeitsentwicklung im Alter– eine psychologische Studie (2008)................................................ 56 2.2.3 Identitätsrelevanz von Freiwilligem Engagement im Dritten Alter – eine sozialpsychologische Studie (2004)....... 57 Freiwilliges Engagement als möglicher Kontext von Identitäts-............. entwicklung im Dritten Alter – Differenzierung spezieller Aspekte ... 61 3.1 Kohärenz........................................................................................... 61 3.2 Selbstverortung ................................................................................. 63 3.3 Signifikante Andere .......................................................................... 66 3.4 Produktivität ..................................................................................... 68 3.5 Kompetenzerleben ............................................................................ 69 3.6 Anerkennung..................................................................................... 71 Leitthesen und zentrale Fragestellung................................................... 73
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Inhaltsverzeichnis
Teil B 5
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Durchführung .......................................................................................... 77 5.1 Methodische Überlegungen .............................................................. 77 5.2 Aspekte der Identitätsforschung........................................................ 78 5.3 Entwicklung eines Forschungsdesigns zur methodischen Problemstellung Identitätsentwicklung............................................. 79 5.3.1 Problemzentrierte Interviews zu drei Erhebungszeitpunkten ........................................................... 83 5.3.2 Gruppendiskussion mit Externen........................................... 85 5.4 Beschreibung des konkreten, methodischen Vorgehens ................... 86 5.4.1 Qualitative Interviews............................................................ 86 5.4.1.1 Interviewleitfaden.................................................... 86 5.4.1.2 Auswahl der Interviewpartner ................................. 88 5.4.1.3 Durchführung der Interviews................................... 89 5.4.2 Gruppendiskussion ................................................................ 90 5.4.2.1 Intention und Inhalte................................................ 90 5.4.2.2 Zielgruppenbestimmung.......................................... 91 5.4.2.3 Durchführung der Gruppendiskussion..................... 91 Auswertung .............................................................................................. 93 6.1 Methodische und technische Aspekte der Auswertung..................... 94 6.1.1 Qualitative Inhaltsanalyse...................................................... 94 6.1.2 Thematisches Codieren.......................................................... 95 6.1.3 Transkription ......................................................................... 96 6.1.4 Erste Schritte der Auswertung ............................................... 97 6.1.5 Vorbereitung und Entwicklung der Codierung...................... 98 6.1.6 Zum Problem der Gütekriterien im Auswertungsverfahren......................................................... 110 6.1.6.1 Forschersubjektivität ............................................. 111 6.1.6.2 Inter-Rater-Reliabilität........................................... 112 6.1.7 Zusammenfassung: Komponenten der Auswertung ............ 112 6.2 Einzelfallanalysen........................................................................... 113 6.2.1 Einzelfallanalyse Frau B...................................................... 115 6.2.2 Einzelfallanalyse Frau E ...................................................... 124 6.2.3 Einzelfallanalyse Frau G ..................................................... 132 6.2.4 Einzelfallanalyse Herr L ...................................................... 143 6.2.5 Kurzdarstellung weiterer Einzelfallanalysen ......................... 151 6.3 Generalisierende Analyse ............................................................... 157
Inhaltsverzeichnis
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6.3.1 Aktuelle Lebenssituationen der Befragten – Clusterbildung typischer Themen im Dritten Alter ............. 158 6.3.2 Identifizierungen zentraler Beweggründe für das Engagement der Befragten .................................................. 162 6.3.3 Lernerfahrungen in der Kursgruppe – Zentrale Aspekte ..... 166 6.3.4 Tätigsein und Produktivitätserleben im Freiwilligen Engagement – Überblick und Analyse ................................ 169 6.3.5 Identitätsthematisierungen und narrative Selbstbilder – differenzierte Analyse.......................................................... 174 6.3.6 Analyse der formulierten Entwicklungsaufgaben................ 179 6.4 Gesamtanalyse der Gruppendiskussion .......................................... 180 6.5 Zusammenführung der Ergebnisse.................................................. 183 Teil C 7
Modell: Identitätsentwicklung im Kontext Freiwilligen Engagements im Dritten Alter......................................... 189 7.1 Erarbeitung: Identitätszustände im Kontext Freiwilligen Engagements im Dritten Alter.................................... 191 7.2 Einordnung der Ergebnisse – Modellbildung ................................. 193 7.3 Modellhafte Verläufe der Identitätsentwicklung im Kontext Freiwilligen Engagements im Dritten Alter anhand typisierender Einzelfälle ....................................................................................... 195 7.3.1 Progressiver Verlauf: Von der übernommenen Identität über ein Moratorium zur erarbeiteten Identität.................... 196 7.3.2 Erarbeitender Verlauf: Von der diffusen Identität über ein Moratorium zur erarbeiteten Identität ............................ 199 7.3.3 Stagnierend-pendelnder Verlauf: Zwischen übernommener Identität und Moratorium............................ 201 7.3.4 Suchender Verlauf: Von der diffusen Identität zum Moratorium.......................................................................... 204 7.4 Abschließende Betrachtungen und Interpretation – Freiwilliges Engagement als Anstoß zum Resümee eigener Identitätsentwicklungen im Dritten Alter........................................ 206 8 Zusammenfassung zentraler Ergebnisse ............................................. 211 9 Sozialgerontologische und geragogische Diskussion der Ergebnisse 217 9.1 Sozialgerontologische Interpretationen und Schlussfolgerungen ... 217 9.2 Geragogische Interpretationen und Schlussfolgerungen................. 222 Schlussbemerkung ......................................................................................... 233 Literaturverzeichnis ...................................................................................... 235
Tabellenverzeichnis
Tab. 1: "Identity-status" – Modell ..................................................................... 47 Tab. 2: Kennzeichnungen und Sonderzeichen................................................... 97 Tab. 3: Kategoriensystem zur Datenauswertung ............................................. 110 Tab. 4: Komponenten der Auswertung............................................................ 112 Tab. 5: Übersicht zu den Einzelauswertungen................................................. 114 Tab. 6: Merkmalskonstellationen persönliche Pflegeerfahrung, andere Erfahrungen im Freiwilligen Engagement und übernommene Pflegebegleitungen ............................................................................ 173 Tab. 7 Gegenüberstellungen prägnanter Selbstaussagen und assoziativer Selbstbilder ........................................................................................ 178 Tab. 8: Zusammenführung der Ergebnisse der generalisierenden Auswertung unter Rückbezug auf die Leitthesen................................................... 184
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Identität als Patchworking..................................................................... 51 Abb. 2: Übersicht methodisches Vorgehen........................................................ 82 Abb. 3: Familienstand der Interviewteilnehmer ................................................ 89 Abb. 4: Formale Bildung der Befragten .......................................................... 115 Abb. 5: Übernommene Pflegebegleitungen nach dem Kurs ............................ 170 Abb. 6: Identitätsthematisierungen in den Interviews...................................... 175 Abb. 7: Visualisierung Korrelationen mit Kategorie 4 .................................... 176 Abb. 8: Transfer: Identitätszustände und Freiwilliges Engagement ................ 193 Abb. 9: Modell: Identitätsentwicklung im Drittes Alter im Kontext Freiwilligen Engagements .............................................................. 194 Abb. 10: Einführung in die Systematik modellhafter Verläufe ....................... 195 Abb. 11: Modell zur Identitätsentwicklung im Dritten Alter im Kontext Freiwilligen Engagements Frau B .................................................. 197 Abb. 12: Darstellung progressiver Verlauf Frau B .......................................... 198 Abb. 13: Modell zur Identitätsentwicklung im Dritten Alter im Kontext Freiwilligen Engagements Frau C .................................................. 199 Abb. 14: Darstellung erarbeitender Verlauf Frau C......................................... 200 Abb. 15: Modell zur Identitätsentwicklung im Dritten Alter im Kontext Freiwilligen Engagements Frau E................................................... 202 Abb. 16: Darstellung stagnierend/ pendelnder Verlauf Frau E........................ 203 Abb. 17: Modell zur Identitätsentwicklung im Dritten Alter im Kontext Freiwilligen Engagements Frau G .................................................. 204 Abb. 18: Darstellung suchender Verlauf Frau G ............................................. 205 Abb. 19: Identitätsentwicklung im Rückblick ................................................. 208 Abb. 20: Bildungsverständnis der Geragogik .................................................. 225 Abb. 21: Begleitungskompetenzen .................................................................. 230
Einführung
Wie verläuft Identitätsentwicklung im Alter? Obwohl zunächst als Frage persönlicher Lebensführung aufzufassen, birgt die Thematik auch große gesellschaftliche Relevanz. Angesichts der wachsenden Gruppe von aktiven Älteren ist es höchste Zeit, sich dieser Frage zu stellen und den Mechanismen und Prozessen der Identitätsentwicklung im Alter auf die Spur zu kommen. Identitätsentwicklung im Alter kann jedoch nicht losgelöst von unterschiedlichen Entwicklungskontexten beschrieben werden. Insofern ist es nahe liegend, Identitätsforschung in einem Feld zu beginnen, das in den letzten Jahren zunehmend als `identitätsförderlich´ und `sinnstiftend´ beschrieben wird: dem Freiwilligen Engagement. So wendet sich diese empirisch ausgerichtete Studie dem Feld des freiwilligen, gemeinwohlorientierten Engagements zu. Sie macht anhand ihrer Ergebnisse deutlich, dass die Übernahme von Verantwortung im gesellschaftlichen Raum eine Chance zur Identitätsentwicklung bietet. Aus der Tatsache, dass sich etwa 1 30% aller Senioren engagieren kann gefolgert werden, dass es sich hierbei um ein durchaus bedeutsames Forschungsfeld handelt. Über fünf Jahre hinweg hat sich die Verfasserin der Studie intensiv mit den Erfahrungen Älterer im Engagement befasst: als Projektkoordinatorin im Bundesmodellprojekt Pflegebegleiter wurde anschaulich, wie sich insbesondere ältere Freiwillige in ihren Lebensausrichtungen im Rahmen des Projektes verändern können. Diese zunächst in informellen Gesprächen zutage tretenden Veränderungen haben neugierig gemacht und Forschungsinteresse geweckt. Sie führten zu den Fragen: Was genau passiert im Rahmen freiwilliger Tätigkeiten, wenn sich Menschen nach ihrer Zeit im Berufs- und / oder Familienleben – oftmals sehr bewusst – auf die Suche nach neuen Tätigkeitsfeldern machen? Wie verändern sich die Engagierten? Wie erleben sie die frei zu gestaltende Zeit? Was wünschen sie sich für diese Zeit? Und vor allem: Wie erleben und beschreiben Menschen in dieser Lebensphase und speziell im Engagement ihre Identität? Welche Modellvorstellungen lassen sich daraus für das Konstrukt von Identitätsentwicklung im Alter ableiten? Die Auseinandersetzung mit dem Forschungsthema `Identität und Engagement im Dritten Alter´ hat hohe – sowohl individuelle als auch soziale – Rele1
Vgl. Gensicke 2006, S. 274
J. Steinfort, Identität und Engagement im Alter, DOI 10.1007/ 978-3-531-92441-0_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
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Einführung
vanz, da sich derzeit grundlegend gesellschaftliche Bedingungen zur Gestaltung der nachberuflichen Lebensphase verändern. Die Transformationsgesellschaft2 fordert dringlicher denn je Identitätsentwürfe, die einerseits Flexibilität, anderer3 seits aber auch Prägnanz aufweisen. Durch den Strukturwandel des Alters forciert, verlieren die „bis heute gültigen Konzepte, die Identität als etwas definieren, das ein Individuum unverwechselbar und klar von der Umwelt und anderen Personen abgrenzt, und darüber hinaus zeitliche Konstanz besitzt“4 an Aussagekraft. Was der Psychogerontologe Kruse als „gelingendes Alter“5 bezeichnet, meint das Ergebnis der oben genannten individuell zu leistenden Balancierungsaufgabe zwischen Selbst- und Mitverantwortung, die gerade in Feldern freiwilliger Tätigkeiten ihren Ausdruck finden kann. Ältere befinden sich heute in einer „Pioniersituation“6, da das Alter in den letzten Jahrzehnten eine massive qualitative Veränderung erfahren hat. Somit birgt diese Lebensphase sowohl Chancen als auch Aufgaben für die persönliche Weiterentwicklung, die hier – in Kenntnis des Mangels an Trennschärfe zu anderen Begrifflichkeiten – im Folgenden als `Identitätsentwicklung´ bezeichnet wird. Eindrucksvoll beschreibt der Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Schirrmacher die Aufgabe, die 7 sich unserer Gesellschaft und damit auch jedem Einzelnen stellt: „Wir müssen in den nächsten 30 Jahren ganz neu lernen zu altern, oder jeder einzelne der Gesellschaft wird finanziell, sozial und seelisch gestraft. Es geht um die Befreiung jenes unterdrückten und unglücklichen Wesens, das wir verdrängen und das heute noch nicht existiert. Es geht um unser künftiges Selbst.“8 Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Frage nach Identitätsentwicklung in dieser Lebensphase ist also dringlich, befindet sich bisher jedoch noch im Anfangsstadium. Konsensfähige Operationalisierungen von Identität in dieser Lebensphase stehen noch aus. Angesichts dessen bescheidet sich dieses Forschungsvorhaben auf einzelne Aspekte vieler möglicher Identitätsauseinan9 dersetzungen im Dritten Alter. 2
Vgl. Schäffter 2001, S. 39 Vgl. Bäcker et al. 2000, S. 234 4 Sistig 2003, S. 9 5 Kruse 2008, S. 15 6 Kalbermatten 2000, S. 12 7 In der vorliegenden Arbeit werden aufgrund der besseren Lesbarkeit durchgehend männliche Bezeichnungen genutzt. In diese Bezeichnungen sind ausdrücklich Menschen männlichen als auch weiblichen Geschlechts einbezogen. Eine Degradierung bzw. ein Übergehen der weiblichen Form ist nicht beabsichtigt. Weiter wird zur Einheitlichkeit auch innerhalb der Zitate in der gesamten Arbeit die neue deutsche Rechtschreibung verwendet. 8 Schirrmacher 2004, S. 12 9 Die Begriffe `Drittes Alter´ und `Freiwilliges Engagement´ sind (neben dem Begriff der `Identität´) zentrale Begriffe dieser Arbeit und werden durchgehend groß geschrieben. 3
Einführung
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Das hier gewählte Feld, in dem Identitätsentwicklung untersucht wird, ist das des Freiwilligen Engagements. Dass die Freiwilligen durch ihr Einbringen in die Gesellschaft auch persönlich profitieren, benennt u.a. Bundespräsident Köhler am Tag des Ehrenamtes am 5. Dezember 2008: „Ehrenamtliche (…) tun das, weil sie in der Regel auch persönlich etwas gewinnen für ein erfülltes Leben.“10 Im Fokus der Analyse stehen daher die Fragen, ob und wenn ja, wie Identitätsentwicklung im Dritten Alter im Kontext Freiwilligen Engagements verläuft bzw. wie es sich aus der Binnensicht darstellt. Nicht behandelt werden – aufgrund bisheriger unzureichender Vorleistungen im Forschungsfeld – Fragen nach anderen möglichen Einflussgrößen und Lebensumständen, wie z.B. Gesundheit, Familienstand und /oder finanzielle Ressourcen. Auch das Verhältnis von Identitätsentwicklungen im Alter zu Entwicklungen in früheren Lebensjahren sowie Vergleiche von weiblichen und männlichen Identitätsentwicklungen führen über die spezifische Fragestellung der hier vorgelegten Untersuchung weit hinaus und sollten in weiterführenden Forschungsarbeiten Beachtung finden. Während es im Teil A dieser Arbeit um eine konzeptionell, theoretisch orientierte Auseinandersetzung mit dem Forschungsgegenstand und den dazu notwendigen begrifflichen Eingrenzungen geht, wird in Teil B die empirische Untersuchung zu den oben benannten Fragestellungen beschrieben. Als empirisches Forschungsfeld dient das Engagement älterer Freiwilliger innerhalb des Modellprojektes Pflegebegleiter – es hat sich allerdings gezeigt, dass die meisten Befragten in mehr als einem Bereich freiwillig engagiert waren. Ausgangsthese dieser Arbeit war, dass Identitätsentwicklung im Dritten Alter im Kontext Freiwilligen Engagements – z.B. als Pflegebegleiter - möglich und empirisch `abbildbar´ ist. Vermutet wurde, dass in diesem speziellen Kontext eine Auseinandersetzung mit identitätsrelevanten Aspekten stattfindet, auch wenn diese zumeist von den Älteren selbst nicht bewusst reflektiert und explizit formuliert wird. Forschungsmethodisch wurde zur Beantwortung der Forschungsfrage ein subjektivistischer und prozessorientierter Blickwinkel gewählt: die Untersuchung von Identitätsentwicklung verlangt eine introspektive Ausrichtung und eine Längsschnittanlage. Da wie oben erwähnt die Operationalisierung von Identitätsentwicklung im Dritten Alter insgesamt erst am Anfang steht, wurde hier ein eigenständig entwickelter qualitativ-explorariver Forschungszugang gewählt, auf den quantitative Überprüfungen folgen können. In Teil C werden die Ergebnisse der Analyse interpretiert. Kernergebnis der Studie bildet das erstellte Modell von `Identitätsentwicklung im Dritten Alter im Kontext Freiwilligen Engagements´. Es bietet eine Interpretationsfolie, durch die heterogene Verlaufsformen eingeordnet und sichtbar gemacht werden können. Durch die Verzahnung 10
Köhler 2008, Vortrag bei der Verleihung des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland
16
Einführung
von typischen Lebensthemen im Dritten Alter, subjektiv relevanter Beweggründe zum Engagement und unterschiedlicher Identitätszustände lassen sich `Identitätsprofile´ erstellen, in denen die verschiedenen Aspekte von Identität einander zugeordnet abgebildet werden können. Weiterführend werden Schlussfolgerungen im Hinblick auf den Entwurf eines gesellschaftlichen Leitbilds von Identitätsentwicklung im Dritten Alter gezogen. Abschließend werden Konsequenzen für die Engagementpolitik und Konzipierung von Bildungsarbeit mit Senioren erörtert und im Hinblick auf didaktische Konsequenzen hin ausgelotet. Die vorliegende Studie ist als ein Beginn der Auseinandersetzung mit Identitätsentwicklung im Alter zu sehen. Sie liefert einen Beitrag zur Grundlagenforschung in einem interdisziplinär anzugehenden Forschungsvorhaben. Zu hoffen ist, dass hiervon Impulse für ein differenziertes Verständnis von Identitätsentwicklungsprozessen im Alter ausgehen und damit eine Basis für weitere Forschungen gelegt ist.
Teil A
„Als Forscher schlüpfe ich gern in die Haut des Handwerkers. Und der gute Handwerker beginnt seine Arbeit immer mit dem Zusammenstellen seiner Werkzeuge.“11 (Jean-Claude Kaufmann)
Im ersten der insgesamt drei Teile werden die zentralen Begriffe `Identität´, `Drittes Alter´ und `Freiwilliges Engagement´ definiert. Ausgewählte Identitätskonzepte werden vorgestellt und einzelne Aspekte besonders beschrieben.
11
Kaufmann 2004, S. 12
1 Identität, Drittes Alter und Freiwilliges Engagement – Begriffliche Klärungen
Die drei zentralen Begriffe `Identität´, `Drittes Alter´ und `Freiwilliges Engagement´ werden anhand wichtiger Vertreter unterschiedlicher Disziplinen definiert und innerhalb des jeweiligen aktuellen Diskussions- und Forschungsstandes verortet. Ziel ist dabei, trotz Begriffsunschärfen und Vielfältigkeiten inhaltlicher Füllungen, zu Arbeitsdefinitionen zu gelangen, die für das Vorgehen dieser Untersuchung brauchbar sind. Zunächst wird der Frage nachgegangen, was unter dem begrifflichen Konstrukt der `Identität´ aus (insbesondere) soziologischer Perspektive verstanden werden kann. In dieser Auseinandersetzung wird deutlich, dass Identität sich als zunehmend offenes und dynamisches Konstrukt darstellt, welches angesichts aktueller gesellschaftlicher Veränderungen neue Relevanz erhält (vgl. Kapitel 1.1). Im folgenden Kapitel wird das Dritte Lebensalter als eigenständige Lebensphase mit speziellen Herausforderungen und Gestaltungsmöglichkeiten beschrieben. Leitend ist hierbei die Frage, wie die Termini `Alter´ oder `alt sein´ gefüllt werden können (vgl. Kapitel 1.2). Schließlich wird das vielseitige und sich im begrifflichen Wandel befindende Feld des `Freiwilligen Engagements´ spezifiziert und eingegrenzt. Dabei wird auch die Frage beantwortet, weshalb innerhalb dieser Arbeit der Begriff des `Freiwilligen Engagements´ anderen synonym Verwendeten vorgezogen wird (vgl. Kapitel 1.3).
1.1 Identität – ein offenes und dynamisches Konstrukt „Das Ich ist zerbrechlich, lehren uns die Neurologen und Psychiater. Kleinste Unfälle im Hirn oder in seiner Umwelt können unsere Identität binnen Millisekunden zerstören. Die klassisch-westliche Vorstellung vom Selbst, das im Laufe seines Lebens seine Bestimmung entdeckt und verwirklicht, haben die Entwicklungs- und Persönlichkeitspsychologen in Frage gestellt. Die Soziologen beschreiben, wie die Menschen an ihrer Identität basteln, um im Markt der Moderne mitzuhalten. Gedächtnispsychologen belegen, wie wir unsere
J. Steinfort, Identität und Engagement im Alter, DOI 10.1007/ 978-3-531-92441-0_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
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Begriffliche Klärungen intimsten Erinnerungen im Nachhinein zurechtfälschen, Neurowissenschaftler stellen die Autonomie unserer Gefühle, Gedanken und Handlungen infrage, analytische Philosophen des Geistes wie Thomas Metzinger bezweifeln gar die Existenz des Ichs. 3000 Jahre lang haben große Denker und Dichter nach unserem Ich gefahndet, jetzt sind sie im Nichts gelandet. Ihre Erkenntnis: Wir finden uns nicht, sondern wir erfinden uns.“12 (Werner Siefer & Christian Weber)
Eine Arbeit, in der der Begriff `Identität´ ins Zentrum gerückt wird, erfordert eine Präzisierung des sowohl alltagssprachlich als auch wissenschaftlich komplexen Begriffs. Die Vielschichtigkeit des Identitätsbegriffs ermöglicht die Einbeziehung einer Vielzahl zentral-menschlicher Dimensionen. Diese werden von den einzelnen Autoren unterschiedlich gefasst. Grundsätzlich gilt: „Kaum ein Begriff weist bei seinem Gebrauch so wenig Identität auf wie der Begriff `Identität´.“13 Somit werden im Folgenden erste Annäherungen an den Identitätsbegriff vollzogen. Die Wortbedeutung von „Identität“ konstruiert sich aus dem lateinischen `id´ (= dieses, es, dasjenige) und `idem´ (= dasselbe, derselbe, dieselbe). Der Begriff `Identität´ beschreibt eine Wesensgleichheit, etwas Unverwechselbares und im psychologischen Kontext das Erleben einer Einheit der eigenen Person.14 `Derselbe´ zu sein (und zu bleiben) wird jedoch, wie im obigen Zitat angedeutet, als schwierig und wenig fassbar beschrieben. Dies gilt vor allem auch für aktuelle gesellschaftliche Entwicklungstrends. So weisen die Soziologen Eickelpasch und Rademacher 2004 darauf hin, dass durch Differenzierung, Pluralisierung und Enttraditionalisierung das Individuum zunehmend aus vertrauten Bindungen wie z.B. Klasse, Beruf, Nachbarschaft, Familie und Geschlechterverhältnisse freigesetzt wird und somit zum „Planungsbüro in Bezug auf seinen eigenen 15 16 Lebenslauf“ wird. Identität wird vor diesem Hintergrund zu einer subjektiven Konstruktionsaufgabe, die sich in der aktuellen gesellschaftlichen Situation 17 auf andere und neue Weise stellt. Deutlich wird hier bereits, in welch engem Zusammenhang Identität und gesellschaftliche Entwicklungen gesehen werden müssen. In dieser Arbeit wird daher ein Identitätsverständnis formuliert, das sich 12
Siefer & Weber 2006, S. 291f Bubolz 2002, S. 16 14 Vgl. Duden, Fremdwörterbuch 1997, S. 344 15 Beck 1986, S. 217 16 Vgl. Eickelpasch & Rademacher 2004, S. 6 17 Vgl. zur Historie des Identitätsbegriffs ausführlich Abels 2006, S. 17ff; Eickelpasch & Rademacher 2004, S. 6ff 13
Begriffliche Klärungen
21
auf die derzeitigen mitteleuropäischen Lebens- und Erfahrungswelten in „einer fortgeschrittenen und riskanten Moderne“18 bezieht. Wie aus der Sinus-Milieustudie hervorgeht, ist diese Moderne vor allem durch Vielfalt geprägt. Die Sinus-Studie gruppiert Menschen anhand grundlegender Wertorientierungen und Alltagseinstellungen. Dadurch wird der Versuch unternommen, Menschen ganzheitlich, also mit ihren vollständigen Bezugssystemen und individuellen Lebenswelten ins Blickfeld zu rücken. Unterschiedliche Milieus lassen sich hierbei nach sozialer Lage in Schichten (auf der Grundlage von Bildung, Beruf und Einkommen) und nach Grundorientierungen (in einem Spannungsbogen von `traditionell´ bis `postmodern´) unterscheiden. Neben den „Leitmilieus“ gibt es „traditionelle Milieus“, „mainstream-Milieus“ und „hedonistische Milieus“, insgesamt werden derzeit für Deutschland zehn verschiedene 19 Milieus beschrieben. Gerade durch diese Vielfalt und die gesellschaftlichen Entwicklungen wird Identität in unterschiedlichen Disziplinen aktuell (wieder) verstärkt in der wissenschaftlichen Literatur thematisiert und erfreut sich `großer Beliebtheit´20. Die Schwierigkeit der Fassbarkeit von Identität auf Grund ihrer `Beheimatung´ in unterschiedlichen Disziplinen ist auch eine Herausforderung: „Identität als Begriff zu fassen ist nicht einfach. Leicht verliert er sich zwischen philosophischen, ethnologischen, psychologischen, psychoanalytischen und kulturkritischen Theorien, wohl auch, weil das Gefühl von Identität die begriffliche Definition so er21 schwert.“ Aus einer integrativen Perspektive bestimmt Petzold Identität als stärkste und stabilisierendste Kraft des Menschen, die von den fünf zentralen Bereichen „Leiblichkeit, soziales Netzwerk, Arbeit/ Leistung/ Freizeit, materielle Sicherheit und Werte“ bestimmt wird.22 Das Erleben von Identität kann in den verschiedenen Bereichen zu verschiedenen Zeitpunkten unterschiedlich stark ausgeprägt sein und bedarf daher einer differenzierten Betrachtung der Entwicklung von Identität im Lebenslauf. Exemplarisch kann hier auf folgende jüngere soziologische und sozialwissenschaftliche Veröffentlichungen hingewiesen werden, die stellvertretend für andere Disziplinen aufzeigen, wie aktuell die Thematik `Identität´ im wissenschaftlichen Diskurs ist:
18
Abels 2006, S. 15/ S. 20 Vgl. sinus-sociovision, 2007 20 So finden sich beispielsweise in der einschlägigen Datenbank `PsycInfo´ über 14000 Einträge mit dem Begriff `Identity´ im Titel einer Veröffentlichung, allein ab 2002 finden sich über 4600 Treffer. Vgl. Josephs 2008, S. 218 21 Wiesse 2007, S. 8 22 Petzold 1985, S. 145 19
22
23
Begriffliche Klärungen Einen primär soziologischen Zugang zum Thema wählt Abels (2006). In seinem Lehrbuch mit dem Titel „Identität“ erklärt er den gesellschaftlichhistorischen Entwicklungsprozess über Humanismus, Reformation, Aufklärung bis hin zur Krise der Moderne. In seinem umfangreichen Werk beschreibt er entlang dieser gesellschaftlichen Prozesse einen „langen Weg vom Individuum über die Individualität bis hin zur Individualisierung und schließlich bis zur Identität.“23 Eine eher kritische, auf die aktuellen sozial- und kulturwissenschaftlichen Gesellschaftsentwicklungen ausgerichtete Darstellung nehmen Eikelpasch und Rademacher (2004) vor. Sie geben einen Überblick über verschiedene Identitätsmodelle auf dem Hintergrund postmoderner Entwicklungen (wie z.B. die Modelle „Bastelbiografie“ oder „Patchwork-Identität“) und beschreiben Prozesse der Fragmentierung und Dezentrierung, durch die sich auch kollektive Identitäten24 verändern. Eine weitere jüngere, aus Frankreich stammende soziologische Veröffentlichung ist das Werk von Kaufmann (2004). Unter dem Titel „Die Erfindung des Ich. Eine Theorie der Identität“ erläutert Kaufmann eine Darstellung der Identität als „Identitätsarbeit“. Identität resultiere demnach aus einem präzisen und eingrenzbaren Prozess, der historisch datierbar ist. Interessant ist, dass auch Kaufmann das Vorhaben `Identität´ klar zu definieren als „unmöglich“ beschreibt, denn der Begriff Identität habe „eine dermaßen disparate Inflation erfahren, dass es sehr schwierig (sei)25, einen erschöpften Ü26 berblick zu geben.“ Eine sozialwissenschaftliche Auseinandersetzung nimmt jüngst (2008) die Psychologin Josephs vor. Unter dem Titel „Zur Identität von Identität aus methodischer Sicht“ zeigt sie auf, dass es innerhalb der insbesondere psychologischen Forschung viele neue Veröffentlichungen gibt, der Begriff der Identität jedoch noch immer ein „maximal weites und unscharfes Konstrukt“ bleibt. Sie weist daher darauf hin, dass es notwendig ist, in For-
Abels 2006, S. 20 Jede subjektive Identitätsentwicklung hat auch eine `Wir-Sicht´ (Elias 1986), die hier mit dem Begriff `kollektive Identität´ gefasst wird. Dabei verorten sich Menschen in ihren Nationen, Kulturen oder Gruppen. Die hier vorliegende Arbeit beschränkt sich auf die Dimension der `personalen Identität´ und geht weniger auf die Dimension der `kollektiven Identität´ ein (vgl. dazu auch Keupp 1999, S. 299), da im Zentrum die Frage nach individueller Selbstverortung steht. Inwieweit diese aber eng mit einer kollektiven Identität verzahnt ist, könnte in einem weiterführenden Forschungsprojekt geklärt werden. 25 Im Originaltext „ist“ 26 Kaufmann 2004, S. 12 24
Begriffliche Klärungen
23
schungsbefunden klar zu differenzieren in „IdentitätX, IdentitätY oder IdentitätZ.“27 Diese vier Veröffentlichungen markieren einen Trend der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema Identität: Identität wird als historisch be28 dingter Prozess beschrieben , die Frage nach Identität wird auf dem Hintergrund aktueller Gesellschaftsentwürfe auch kritisch konnotiert.29 Identität bleibt – trotz vieler Bemühungen – ein eher unscharfes Konstrukt, dessen subjektiv zu leisten30 de `Füllung´ als Identitätsarbeit bezeichnet werden kann. Forschungsarbeiten zum Thema Identität stehen vor der Aufgabe, genau zu differenzieren „und klar zu markieren, worum es eigentlich geht.“31 Da der Begriff von Identität vielschichtig ist, kann an dieser Stelle kein Identitätsverständnis zugrunde gelegt werden, das alle Aspekte integriert. Eine zentrale zu leistende Aufgabe dieser Arbeit wird es demnach sein, auf dem Hintergrund ausgewählter Theorien (vgl. Kapitel 1, 2 und 3) und empirischer Daten (vgl. Kapitel 5 und 6) ein für die Fragestellung „Identität im Dritten Lebensalter im Kontext Freiwilligen Engagements“ eigenständiges, passgenaues Identitätsverständnis zu formulieren. Als erste Arbeitsbasis soll zunächst folgender Begriff von Identität dienen: Identität ist zunächst die subjektive und lebenslang andauernde Entwicklungsaufgabe, sich als Einheit zu erleben. Die Konstruktionsaufgabe der persönlichen Identitätsarbeit erhält in der fortgeschrittenen Moderne neue Relevanz und hat auch (und wie zu zeigen sein wird) im Dritten Alter Aufforderungscharakter.
27
Josephs 2008, S. 227 Vgl. Abels 2006 Vgl. Eikelpasch & Rademacher 2004 30 Kaufmann 2004 31 Vgl. Josephs 2008 28 29
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Begriffliche Klärungen
1.2 Das Dritte Alter – eine eigenständige Lebensphase „Das Alter ist eine wichtige lebenslaufstrukturierende Passage, aber es gibt kaum etwas, was typisch für Alter ist.“32 (Gerd Göckenjan)
Über die Phase `Alter´ können kaum pauschale Aussagen getroffen werden, da 33 allein der Begriff „inzwischen vielschichtiger und unbestimmter denn je“ ist. In den letzten Jahrzehnten haben sich insbesondere in diesem Lebensabschnitt tiefgreifende Veränderungen vollzogen. Alter ist ein gedankliches und ein soziales Konstrukt. Insgesamt kann gesagt werden, dass sich die Vorstellung von Alter immer mehr von einer bloßen `Restzeit´ und einer Zeit, „die es irgendwie zu durchleben gilt“ entfernt, hin „zu einer eigenständigen Lebensphase, die sich nach neuen Kriterien ordnet und nach neuen Handlungsprojekten ruft.“34 Medizin und Psychologie haben in den letzten zwei Jahrzehnten belegen können, dass Alternsprozesse ganz individuell verlaufen. „Die Anzahl der Lebensjahre sagt äußerst wenig über Kräfte, Leistung, Fer35 tigkeiten und Fähigkeiten, Erleben und Verhalten eines Menschen aus.“ Hinter dem Begriff `Alter´, so soll schon an dieser Stelle festgehalten sein, verbirgt sich eine Vielfalt individueller Gestaltungsoptionen. `Alt-Sein´ ist somit primär ein Ergebnis sozialer Übereinkünfte. Entsprechend lässt es sich weder allein kalendarisch noch biologisch festgelegt begreifen.36 Um der Vielfalt des Alters ansatzweise gerecht zu werden, sprechen viele Befunde dafür, das Alter als Lebensphase weiter zu spezifizieren37: Da das Alter, dessen Beginn gewöhnlich mit dem Eintritt in die nachberufliche Phase angesetzt wird, inzwischen oftmals 25 Jahre und mehr umfasst, bedarf Alter einer differenzierten Betrachtung. Das `Alter´ hat sich im Vergleich zu früheren Zeiträumen verändert, so erscheint es notwendig, den `Strukturwandel des Alters´ wie ihn Bäcker, Bispinck, Hofemann und Naegele beschreiben, in seinen sieben 38 zentralen Dimensionen zu skizzieren:
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Göckenjan 2000, S. 16 Backes & Clemens 2003, S. 13 Kohli & Künemund 2000, S. 99f 35 Lehr 1988, S. 30 36 Vgl. Kade 1992, S.13 37 Vgl. dazu auch den von Backes geprägten soziologischen Begriff der `Pluralisierung des Alters´ beispielsweise Backes et al. 2008 38 Vgl. Bäcker et al. 2000, S. 234 33 34
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Durch die zeitliche Ausdehnung der Altersphase haben Menschen, wenn sie aus dem Berufleben ausscheiden, noch ca. ein Viertel ihrer Lebenszeit vor sich, was einen Bedeutungsgewinn dieser Lebensphase mit sich bringt. Die Differenzierung des Alters versucht Verschiedenartigkeiten der älteren Generationen zu fassen. Hierzu existieren diverse Einteilungsvorschläge. So bieten beispielsweise Backes und Clemens an, statt von der `Lebensphase Alter´ besser von den `Lebensphasen im Alter´ zu sprechen.39 Dabei unterscheiden sie z.B. zwischen den `jungen Alten´ (von 60-70 Jahre), den `mittleren Alten´ (70-85 Jahre) und den `alten Alten´ bzw. `Hochaltrigen´ mit 40 über 85 Jahren. Eine sprachliche Differenzierung der Altersphase wird auch in der Unterscheidung eines Dritten41 und Vierten Alters angestrebt, hier erfolgt jedoch keine kalendarische, sondern eine soziale Zuordnung.42 Allein an diesen Begrifflichkeiten wird deutlich, dass selbst unsere Sprache dem demografischen Wandel (noch) nicht gerecht wird. Dennoch ist die Differenzierung der Altersphase gerade auf sozialpolitischem Hintergrund notwendig, da nur so zielgruppenbezogene Konzepte und Maßnahmen entwickelt werden können. Da verstärkt ältere Migranten in Deutschland `alt´ werden, findet eine kulturelle Differenzierung des Alters statt. Dies erfordert eine Berücksichtigung spezifischer Bedürfnisse der jeweiligen Kulturen. Durch Frühverrentungen oder Arbeitslosigkeit treten einige Ältere in immer früheren Stadien des Lebenslaufs aus dem Berufsleben aus. Dies führt zu einer Verjüngung des Alters. Durch diesen sozialen und ökonomischen Wandel werden Menschen „immer früher alt `gemacht´ ohne bereits kalendarisch alt zu sein.“43 Der Anteil der Frauen überwiegt in der aktuellen Altenpopulation. Dies ist zum einen durch die hohe Mortalität der Männer im 2. Weltkrieg und zum anderen durch die längere Lebenserwartung der Frauen bedingt. Demzufolge bedeutet der Strukturwandel auch eine Feminisierung des Alters.
Vgl. Backes & Clemens 1998, S. 335 Maercker 2003, S. 134 schlägt eine ähnliche Einteilung vor: Die jungen Alten (bis 75 Jahren), die Mittel-Alten (75–85 oder 90 Jahre) und die Hochbetagten 41 Die Begrifflichkeit der numerischen Einteilung des Lebenslaufs findet sich erstmals in den Beschreibungen der für dieses Lebensalter gegründeten französischen `Universitès du Troisième Age´ (1970) und der `Universities of the Third Age´ in Cambridge (1981). 42 Zur Drei- bzw. Vierteilung des Lebenslaufs beschreibt Backes: „Seit Mitte des 20. Jahrhunderts lassen sich moderne westliche Lebensläufe idealtypisch in eine vorberufliche Lern- und Ausbildungsphase, eine berufliche und familiäre Aktivitätsphase und eine nachberufliche Ruhestandsphase gliedern. Der Übergang in den Ruhestand wird in dieser Perspektive als Eintritt in die Lebensphase des höheren und hohen Alters angesehen.“ (Backes 2008, S. 331) 43 Bäcker, Bispinck, Hofemann und Naegele 2000, S. 234 40
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Begriffliche Klärungen Im Alter leben insbesondere Frauen verstärkt allein. Verantwortlich dafür sind die oben genannte höhere Mortalität der Männer sowie geschlechtstypische Unterschiede in den Heiratsaltern. Der Trend zur Singularisierung des Alters beschreibt aber auch die Situation älter werdender (männlicher und weiblicher) Singles. Als herausragender Indikator des Strukturwandels gilt die zunehmende Hochaltrigkeit, welche in der Literatur beispielsweise mit einem Leben jenseits des 80. Geburtstages beschrieben wird. Hochaltrigkeit geht häufig mit Krankheit, Hilfe- und Pflegebedarf einher und stellt daher, z.B. für die Sozialpolitik, eine spezielle Herausforderung dar.
Diese sieben Verständnis- und Strukturierungsdimensionen einbeziehend wird für die hier gestellte Forschungsfrage insbesondere eine Spezifizierung der Dimension `Differenzierung des Alters´ notwendig Um die Zielgruppe einzugrenzen, kann auf den Soziologen Laslett zurückgegriffen werden, der sich in Deutschland erstmals vertieft mit der Vierteilung des Lebenslaufs auseinandersetzt. Für ihn steht am Beginn des Lebens eine „Zeit der Abhängigkeit, Sozialisation, Unreife und Erziehung“, darauf folgt die „Zeit der Unabhängigkeit, Reife und Verantwortung, des Verdienens, des Sparens“ und dann drittens die „Zeit der persönlichen Erfüllung“ sowie viertens die „Zeit der unabänderlichen Abhängigkeit, der Altersschwäche und des Todes.“44 Damit bekommt das Dritte Alter ein eigenes Gewicht. Der Eintritt in diese Zeit ist dabei, so Laslett, nicht allein durch den Rückzug aus bezahlter Beschäftigung gekennzeichnet, sondern durch das Ende eines ganzen „Bündels von Tätigkeiten“, die die vorhergehende Lebensphase kennzeichnet. Dazu weist er auch auf Folgendes hin: „Das Ende des Familienlebens, definiert als Gemeinschaft mit den eigenen unmündigen Nachkommen kann – besonders für Frauen – wichtiger 45 sein, als den Beruf aufzugeben.“ Im Diskurs zum Dritten und Vierten Alter kann problematisiert werden, dass durch diese Zweiteilung des Alters ein Lebensabschnitt künstlich gespalten wird. Insbesondere mit Blick auf das Vierte Lebensalter wird einem Defizitmodell in sehr fortgeschrittenem Alter Vorschub geleistet. Durch diese, insbesondere gesellschaftliche Zweiteilung des Alters könne sich auch eine Spaltung im Einzelnen vollziehen, wie Peters aus therapeutischer Perspektive beschreibt, nämlich dann, wenn ein älterer Mensch „diese Doppelgesichtigkeit nicht auszuhalten vermag.“46 Weiter könne die gesamte „Lebensphase Alter“ immer „nur 44
Laslett 1995, S. 35 Ebd., S. 43 46 Peters 2006, S. 15 zit. n. Bubolz-Lutz 2008, S. 372 45
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als Element der gesellschaftlichen Altersgliederung und als Resultat einer biografischen Entwicklung über den Lebenslauf adäquat beschrieben werden“, so Backes und Amrhein.47 Staudinger weist darauf hin, dass eine Zweiteilung zudem nicht ausreiche, um `Alter(n)´ zu erfassen. Vielmehr befürwortet sie gerontologische Forschungen wie die Berliner Altersstudie48, die auch unterschiedliche Kohorten einbeziehen. Auf diesem Hintergrund müssen auch Erhebungen der Untersuchung als Aussagen zu bestimmten Geburtenjahrgängen gelesen und auf dem Hintergrund gesellschaftlicher Entwicklungen dieser Zeit zugeordnet werden. Laslett betont, dass jene, die aktuell im Status des Dritten Alters sind (oder gerade in dieses eintreten), in einer Weise bevorzugt seien, den ihre Vorgänger nie erreichen konnten und der den nachfolgende Generationen nie zukommen könne.49 Im Folgenden werden in der Literatur vielfach beschriebene typische Themen und Aufgaben des Dritten Lebensalters der befragten Gruppe dieser Untersuchung (Geburtsjahre 1931-1949, heute im so genannten `Dritten Alter´) skizziert. Diejenigen, die heute im Dritten Alter sind, sind häufiger als frühere Kohorten von Älteren aktiv, körperlich fit, unabhängig und eigenständig. Zudem ist ihr Leben durch vergleichsweise gute Einkommens- und Vermögensverhältnisse gekennzeichnet. Diese beobachtbaren Veränderungen in den Lebenssituationen Älterer sind Bedingungen und Resultate des gesellschaftlichen Wandels, wie sie oben bereits als sieben Dimensionen des Strukturwandels beschrieben worden 50 sind. Gerade durch die zeitliche Ausdehnung der Altersphase vollzieht sich ein Bedeutungswandel des Dritten Alters, in dem der Ruhestand nicht mehr als `Restzeit´ gesehen wird. Neu ist, dass wie nie zuvor Menschen heute das Ende der Erwerbsphase mit besserer gesundheitlicher Verfassung und besseren Qualifikationen erleben. „Das Leben nach der Arbeit bekommt ein eigenes Gewicht und ist keine Marginalie des Lebens mehr.“51 Der deutsche Psychoanalytiker Wirth weist weiter darauf hin, dass in Kürze die 68er-Generation in den Ruhestand treten wird und vermutet darin eine große Ressource für Freiwilliges Engagement.52 Durch dieses historisch neue und `eigene Gewicht´ der Dritten Lebensphase stehen die `jungen Alten´ auch vor der Herausforderung, sich mit ihrer Identität 47
Backes & Amrhein 2008, S. 333 Vgl. Mayer/Baltes 1996: Die Berliner Altersstudie 49 Vgl. Laslett 1995, S. 197ff 50 Vgl. dazu auch Dieck & Naegele 1993, S. 43f, Naegle & Weidekamp-Maicher 2002 51 Opaschowski 2002, S. 144 52 Vgl. Wirth 2005, S. 3 48
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auseinanderzusetzen, wie die aus Österreich stammende Psychologin, Verhaltenstherapeutin und Psychoanalytikerin Jaeggi beschreibt: „Wir jungen Alten sind also – ähnlich wie Pubertierende – weder alt noch jung. Welche Identität haben wir denn?“53 Weiter führt Jaeggi aus, dass gerade die jungen Alten in besonderer Weise gespalten seien „was ihre Gefühle für sich selbst betrifft. (…) Der Abbruch des Arbeitslebens um die Fünfundsechzig hat einen Bedeutungs54 zuwachs für gerade diesen Lebensabschnitt gebracht.“ Schließlich fasst sie für ihre Generation zusammen: „Wir jungen Alten leiden unter einem Identitätsmanko!“55 Dieses Manko zeigt sich in verschiedenen Facetten und führt zu verschiedenen Aufgaben. Eine davon sei, vor allem dem `Bruch in den sozialen Zeiten´ entgegen zu wirken, da die vorstrukturierten Zeiten von Berufstätigen weniger werden und Zeit nach der Erwerbstätigkeit wieder `in deren eigene Verfügungsmacht´ übergeht. Individuell herausfordernd ist diese `Füllung´ des Dritten Lebensalters insbesondere in einer Gesellschaft, „in der die Zeit nur in dem Maße als wertvoll gilt, in dem sie `ausgefüllt´ ist.“56 Beim Übergang in den Ruhestand handelt es sich um eine komplexe Situation. Sie beinhaltet mehr als den alleinigen Verlust einer Rolle, denn der Prozess des Lösens und Umorientierens hat viele Facetten: das Lösen vom Status des Erwerbstätigen, vom Lösen des SelbstGefühls, ein wirtschaftlich produktives Mitglied der Gesellschaft zu sein, das Lösen von der arbeitsgebenden Organisation, also auch von deren Zielen und bekannten Strukturen, das Lösen von der sozialen Struktur (Arbeitskollegen u.a.), das Lösen von der eigentlichen Arbeitstätigkeit und mit dem damit verbundenen Status, der Sinngebung, dem Gefühl, aktiv zu sein, sowie das Verlieren 57 vorgegebener Zeitstrukturen (Feierabend, Urlaub). In den drei Bereichen `Berufs- und Arbeitswelt´, `Ehe und Familie´ sowie `freie, soziale Beziehungen´ können Menschen Bindung erleben. Im Dritten Lebensalter ändert sich die Ausrichtung und Gewichtung dieser Bereiche, so dass das Individuum neue und eigenständige Balancierungsarbeit leisten muss.58 Der Wiener Soziologe Amann fasst diese wie folgt zusammen: „Für das Indivi53 Jaeggi 1996, S. 15 Eine ähnliche Richtung nimmt auch Rosenmayrs Fragestellung: „Kann die befreite Zeit persönliche Lebenszeit werden? Vermag das Zusammenwirken von Bildung und Lebenserfahrung im letzten Lebensdrittel zu `später Freiheit´ führen?“ ( Vgl. Rosenmayr 1988, S. 8) 54 Jaeggi 1996, S. 16 55 Ebd., S. 29 56 Attias-Donfut 1988, S. 72 57 Vgl. Kiefer 1997, S.62 58 Veelken stützt diese Aussage: „Wer in Pension geht (…) lebt weiter. (…) Zunächst muss er die Entwicklungsaufgabe in seiner Lebensphase erkennen und danach sein Leben einrichten. Er lebt weiter in Kontakt zur Welt und Gesellschaft, er klinkt sich nicht aus der Umwelt aus, aber sein Verhältnis zur Gesellschaft ändert sich.“ Veelken 2005, S. 17f
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duum ergibt sich daraus ein sich veränderndes, komplexes Feld von sachlichen, zeitlich und normativ strukturierten Handlungsmöglichkeiten, angesichts derer geplant und verzichtet, zwischen denen gewählt und entschieden, aber auch `vermittelt´ kurz: Balance-Arbeit geleistet werden muss.“59 Zusammenfassend kann festgehalten werden: Diejenigen, die heute im Dritten Lebensalter sind, haben im Vergleich zu früheren Ruhestandskohorten verstärkt die Möglichkeit, aber auch die Notwendigkeit, dieses Lebensalter zu füllen. Dabei geht es vermehrt um Fragen der Sinnorientierung und die individuell passende Ausgestaltung dieses Lebensabschnittes.
1.3 Freiwilliges Engagement – ein vielseitiges Tätigkeitsfeld „Da die heutigen Ruheständler in der Regel gesünder und besser gebildet sind, also über mehr Ressourcen verfügen, und früher aus dem Erwerbsleben ausscheiden als vorhergehende Generationen, wird in ihnen ein großes Potential für informelle produktive Tätigkeit gesehen.“60 „Auch wenn es gelänge, die Beteiligung älterer Menschen an z.B. ehrenamtlicher Arbeit deutlich zu steigern, scheint somit eine Beteiligungsrate von mehr als 40 Prozent kaum ernsthaft zu erwarten.“61 (Karsten Hank & Marcel Erlinghagen)
Auch wenn sich der Diskurs über Freiwilliges Engagement älterer Menschen großer gesellschaftspolitischer Beliebtheit erfreut, sei eine Bemerkung vorangestellt: Die Mehrheit der Menschen engagiert sich nicht freiwillig. Diese Relativierung erscheint notwendig, da freiwillige Tätigkeiten im Dritten Alter oftmals in einer Art und Weise dargestellt werden, die vor allem die Produktivkraft dieser Lebensphase hervorhebt.62 Die Klärung eines einheitlichen, allgemein verständlichen Begriffes für das Gesamtfeld Ehrenamt, Freiwilliges Engagement, Freiwilligendienst und Bürgerschaftliches Engagement erweist sich ebenso wie für die Begriffe Identität und 59
60
Amann 1988, S. 199 (Hervorhebung durch den Autor im Originaltext)
Erlinghagen & Hank 2008, S. 15 Ebd., S. 16 62 Vgl. dazu z.B. die Initiative des BMFSFJ `Alter schafft Neues´. BMFSFJ 2008 61
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Alter als Herausforderung. Für das Engagement gibt es bislang in Deutschland keinen allgemein akzeptierten Begriff.63 In der wissenschaftlichen Literatur werden z.T. auch politisch hinterlegte Begriffsbezeichnungen diskutiert, als zwar thematisch zusammenhängende, doch inhaltlich stark unterschiedliche Konzepte von `Ehrenamt´ und `Freiwilligem/Bürgerschaftlichem Engagement´.64 In dem Begriff `Ehrenamt´ scheint auf, dass eine übernommene freiwillige Tätigkeit `Ehre´ bringt. Dieser Begriff steht jedoch zunehmend als `Wortrelikt´ in der kritischen Diskussion, da beide Teile des Kompositums wenig realitätsnah sind: „In den seltensten Fällen handelt es sich noch um ein `Amt´(…) und auch mit der `Ehre´ ist es nicht weit her: Respekt, Reputation, Prestige gewinnt man damit nur noch im Ausnahmefall, vielleicht noch Ansehen im engeren Umfeld. Der Begriff Ehre steht hier heute hauptsächlich für fehlende oder gänzlich unangemessene Bezahlung.“65 Die historischen Wurzeln des Ehrenamtes liegen im beginnenden 19. Jahrhundert. Durch die Stein-Hardenbergschen Reformen in Preußen wurde die Entstehung von Kommunen als selbstverwaltete lokale Gemeinwesen gefördert und die Menschen, insbesondere das aufstrebende Bürgertum, konnten sich ab diesem Zeitpunkt an der lokalen Selbstverwaltung beteiligen.66 Diese Beteiligungsform, das so genannte `Ehrenamt´, war weder professionell noch entlohnt oder sozial gesichert. Formale Qualifikationen waren zur Ausübung nicht erforderlich. Noch heute wird das Ehrenamt vielfach im Rahmen von Institutionen ausgeübt (z.B. in Verbänden, Kirchen und Vereinen).67 Dagegen sind die Begriffe `Bürgerschaftliches Engagement´ und `Freiwilliges Engagement´ sowohl in der Vielfalt der Formen und Tätigkeiten als auch in der Organisation erheblich weiter gefasst. Das `Bürgerschaftliche Engagement´ wird im Zusammenhang mit der Idee des kommunitaristischen Konzepts gese68 hen. Vielfach ersetzt der Begriff `Bürgerschaftliches Engagement´ nur bewährte Begriffe wie `Ehrenamt´ oder `Freiwilligenarbeit´.69 Richtungsgebend kann folgende Definition der Enquête-Kommission zum Bürgerschaftlichen Engagement (2002) sein: „Bürgerschaftliches Engagement (...) bezeichnet (...) ein bewusstes Handeln aus der Identität der Bürgerin oder Bürger, als Mitglied des politischen Gemeinwesens – der jeweiligen Kommune und des jeweiligen
63
Rosenbaldt 2001, S. 167 Freiwilliges Engagement wird mit dem Begriff `Bürgerschaftliches Engagement´ weitgehend identisch verwendet (vgl. Enquête-Kommission 2002, S. 73). 65 Nuissl 2008, S. 3 66 Vgl. Enquête-Kommission: Bürgerschaftliches Engagement 2002, S. 73 67 Ebd., S. 75 68 Vgl. Etzioni 2000, S. 29ff 69 Vgl. dazu auch: von Küchlers Auseinandersetzung mit dem Stichwort Ehrenamt 2008, S. 20f 64
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Status.“70 Es ist freiwillig, nicht auf materiellen Gewinn gerichtet, gemeinwohlorientiert, öffentlich bzw. findet im öffentlichen Raum statt und wird in der Regel gemeinschaftlich, kooperativ ausgeübt.71 Aus gesellschaftlicher Sicht erhält das Konzept des Bürgerschaftlichen Engagements zunehmend Bedeutung. Es wird in politischen Debatten immer wieder als politisches Ideal und Gegenpol zu Entsolidarisierung und Individualisierung genannt. Es sichere den modernen 72 Zusammenhalt und sei das Fundament (oder nach Beck „die Seele“ ) einer „le73 bendigen Demokratie“ . Der in diesem Kontext aufgebrachte Begriff der Bürgerarbeit meint „doing democracy“74. Der Soziologe Klages zeigt auf, dass sich die Begriffsverwirrung auch in der Praxis fortsetzt. Das heißt, dass „die Deutschen im Bereich ehrenamtlicher Tätigkeit zwar faktisch ebensoviel tun wie die Angehörigen anderer Nationen, dass sie sich des gesellschaftlichen Stellenwerts ihres Engagements aber vielfach nicht bewusst sind, während z.B. im angloamerikanischen Bereich der Begriff `volunteering´ praktisch von jedermann verstanden wird und ohne die Gefahr von Irritationen zur Kennzeichnung alltäglicher Betätigungen verwendet werden kann“75. Auch wenn in den letzten Jahren der Begriff `Bürgerschaftliches Engagement´ stark in den Vordergrund gerückt ist, wird hier die Bezeichnung `Freiwilliges Engagement´ favorisiert, dies geschieht aus folgenden drei Gründen:
70
Erstens bezeichnet sich nur eine Minderheit der Engagierten selbst als `bürgerschaftlich´ Engagierte, vielmehr – dies belegt auch eine Untersuchung von Rosenbaldt – stimmen sie dem Begriff `freiwillig´ Engagierte zu.76 Zweitens umfasst der Begriff `bürgerschaftlich Engagiert´ auch politische Engagementformen, die „deutlich unterhalb der Schwelle eines aktiven, zeitinvestierenden und halbwegs kontinuierlichen Engagements in zumindest losen Organisationsformen liegen“77.
Enquête-Kommission 2002, S. 75 Vgl. ebd., S. 86 72 Beck 2000, S. 416 73 Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit NRW 2000, S. 5 74 Beck 2000, S. 416 75 Klages 2000, S. 156 76 Nach einer Untersuchung von Rosenbaldt (2001) bezeichnet nur jeder Dritte seine ausgeübte Tätigkeit als `Ehrenamt´ (32%), dem Begriff `Freiwilligenarbeit´ stimmen dagegen 48% zu. Nur wenige Tätigkeitsfelder werden mit den Begriffen `Initiativen- oder Projektarbeiten´(7%), `Bürgerengagement´(6%) oder `Selbsthilfe´(2%) assoziiert. Zudem wissen viele Aktive gar nicht, dass sie eine ehrenamtliche Tätigkeit ausüben, da die Bezeichnung Ehrenamt in Deutschland sehr eng mit dem Begriff `Amt´ verbunden ist. Auch neuere Termini (s.o. Freiwilligenarbeit etc.) werden in der Bevölkerung eher nicht mit unbezahlten freiwilligen Tätigkeiten, die man selbst ausübt, assoziiert. 77 Schüll 2004, S. 63 71
32
Begriffliche Klärungen Drittens wird mit dem Begriff `bürgerschaftlich´ impliziert, dass das Engagement der Personen durch Gemein- oder Bürgersinn motiviert sei, was (zumindest im Kontext dieser Arbeit) nicht unterstellt werden kann.
Einerseits ist somit der Begriff `Bürgerschaftliches Engagement´ „auf der Ebene objektiv beobachtbarer Formen politischen Handelns, die unter ihm subsumiert werden können – zu weit und andererseits – auf der Ebene subjektiver Motive – zu eng, weil er ein politisches Selbstverständnis der Freiwilligen in seiner Rolle als freiwilliger bzw. dessen Identifikation mit politischen Gemeinwesen voraus78 setzt“ . Als Konsequenz dieser Erkenntnisse wird in dieser Arbeit der Terminus `Freiwilliges Engagement´ (bzw. freiwillige Tätigkeit) verwendet, da er den treffendsten Ausdruck für das hier gewählte Forschungsfeld darstellt: Es geht vorrangig um subjektive Selbstthematisierungen der Freiwilligen, die durch ihr Engagement im Dritten Lebensalter aktiv und tätig werden.79 Auch ist der Ausdruck Freiwilliges Engagement mit in anderen Sprachen üblichen Begriffen weitgehend kompatibel (volunteer work, lavoro di volontariato, labores de voluntariado, vrijwilligerswerk, frivilligtarbete etc.)80 und schließlich unterstützt der Begriff ein „akteurzentriertes Paradigma, das von gegebenen und subjektiven Einstellungen oder Werthaltungen der Freiwilligen ausgeht.“81 Das wissenschaftliche Interesse am Freiwilligen Engagement hat sich ebenso wie das politische (s.o.) in den letzten Jahren verstärkt, was sich insbesondere in der Zahl der Publikationen und empirischen Befunde ausdrückt. Die Unschärfe des Gegenstandsbereiches führt dabei jedoch zu „unterschiedlichen Messkonzepten, die verschiedenen Repräsentativerhebungen zugrunde liegen, so dass am 82 Ende deren Ergebnisse nicht miteinander vergleichbar sind“ . Auch Künemund konstatiert aus gerontologischer und empirischer Perspektive, dass diese Forschungsergebnisse kritisch zu bewerten seien. Sie gäben „unterschiedliche und widersprüchliche Ergebnisse“ und „lassen zuweilen den Eindruck entstehen, mit den Umfragemethoden der empirischen Sozialforschung lasse sich im Prinzip fast alles oder fast gar nichts belegen.“83 Um diese Diskrepanz84 wissend wird in 78
Ebd., S. 64 Auch in der Publikation zur `Bildung Älterer und Chancen im demografischen Wandel´ wird der Begriff Freiwilliges Engagement anderen vorgezogen. Vgl. Tippelt et al. 2009, S. 113 80 Vgl. das „Kleine Sprachlexikon“ zur Bezeichnung ehrenamtlicher Tätigkeiten bei Paulwitz 1999, S. 201 zit. n. Schüll 2004, S. 63 81 Schüll 2004, S. 63 82 Schüll 2004, S. 33f. 83 Künemund 2006, S. 113 79
Begriffliche Klärungen
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dieser Arbeit auf eine – in den verschiedenen Disziplinen bereits geleistete – Gegenüberstellung quantitativer Daten zum Freiwilligen Engagement verzichtet. Ein Blick auf drei empirische Studien soll allerdings erfolgen, um das Ausmaß und die Bedingungen des Freiwilligen Engagements auch in Bezug auf Menschen im Dritten Alter besonders hervorzuheben: Die 3. Auflage des Freiwilligensurveys (1), die Analysen mit dem Sozio-Ökonomischen Panel (SOEP) (2) sowie der Engagementatlas 2009 (3). (1) Repräsentative Daten zu Freiwilligem Engagement in Deutschland liefert seit zehn Jahren der vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in Auftrag gegebene Freiwilligensurvey. Dieser stellt eine wichtige Grundlage für die Diskussion und Weiterentwicklung des Freiwilligen Engagements – besonders in politischen Entscheidungsprozessen – dar. Im Frühsommer 2009 wird der Freiwilligensurvey erstmals als Längsschnittuntersuchung durchgeführt, um fundierte Aussagen über den bislang nur schwer fassbaren Wandel des Engagements machen zu können. Angestrebt wird ein Gesamtanalysekonzept zur Erfassung fundierter Erklärungsmodelle für Freiwilliges Engagement. Ergebnisse sollen planmäßig in einem Gesamtbericht in der Publikationsreihe des BMFSFJ im Frühsommer 2010 veröffentlicht werden.85 Drei zentrale Ergebnisse der Sonderauswertung zum Freiwilligen Engagement älterer Menschen im Zeitvergleich 1999-2004 sind erstens, dass ältere Menschen (ab sechzig Jahren) im Vergleich zu den anderen Altersgruppen das stärkste politisch-öffentliche Interesse aufweisen, dass sie zweitens ebensoviel Zeit wie Jüngere in ihr Engagement investieren und dass sie drittens besonders durch soziales Pflichtgefühl und politische Lebensauffassungen zum Engagement motiviert sind. Im Zeitvergleich kommt der Freiwilligensurvey zu dem Ergebnis, dass die Engagementquote in der gesamten Gruppe älterer Menschen angestiegen ist (z.B. bei den 6069jährigen von 31% auf 37%), was in den Analysen unter dem Stichwort `Mobi86 lisierungsschub´ gefasst wird. (2) Analysen mit dem Sozio-Ökonomischen Panel (SOEP) zum Freiwilligen Engagement konnten jüngst belegen, dass das Engagement der über 50-Jährigen von 20 Prozent (1985) auf 30 Prozent (2005) angestiegen ist. Die Studie belegt aber auch, dass die Rolle des Renteneintritts für die Übernahme eines Freiwilligen Engagements eher überschätzt wird: Wer vor dem Renteneintritt keine Engagementerfahrungen macht, bleibt danach auch mit größerer Wahrscheinlichkeit inaktiv.87 Die Längsschnittdaten des SOEP zeigen weiter, dass sich unter 84
Weitere Kommentare zu unterschiedlichen Messkonzepten und Erhebungsmethoden in Deutschland siehe: Beher/Liebig/Rauschenbach 1998, S. 25ff, Rosenbaldt 1999 Vgl. Hoofe 2008 86 Vgl. Gensicke 2006, S. 265ff 87 Vgl. Erlinghagen 2008; S. 93ff 85
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Begriffliche Klärungen
älteren Menschen verstärkt projektbezogene Engagementformen durchsetzen und gegenüber dauerhaften Verbindlichkeiten an Attraktivität gewinnen. Damit ist das Engagement vermehrt an bestimmte Bedürfnisse (nicht nur) älterer Freiwilliger gebunden, die über den Wunsch, anderen zu helfen und gemeinwohlorientiert tätig zu werden, hinausgehen, wie der „Spaß an der Sache und der soziale Kontakt zu anderen“88. (3) Weitere aktuelle Daten, Hintergründe und insbesondere auch eine Darstellung des volkswirtschaftlichen Nutzens des Engagements werden in dem von der Prognos AG im Auftrag der AMB Generali erarbeiteten `Engagementatlas 2009´ dargestellt. Diese Studie ergänzt vorhandene Studien und versucht erstmals regionale Differenzierungen zur Engagementbeteiligung (Grad, Umfang, Themenschwerpunkte,…) aufzudecken. Die Ergebnisse dieser Befragung zeigen 89 im Durchschnitt aller Altersklassen eine Engagementquote von 34,3%. Für die Altersklasse 55-65 Jahre gibt der Engagementatlas eine Engagementquote von 36,0% (40,2% männlich/ 33,1% weiblich) an.90 In der Generation 55-65 Jahre werden laut den Erhebungen dieser Studie viele Personen in den Bereichen Politik und Interessenvertretung (18,7%), Soziales, Gesundheit und Pflege (17,4%) und im Bereich Lokales, Feuerwehr etc. (16,6%) aktiv.91 In Bezug auf Zukunftstrends des Engagements folgern die Autoren, dass gerade die „Förderung der gesellschaftlichen Beteiligung älterer Menschen einerseits“ und die zunehmende „Bedeutung von bürgerschaftlichen Aktivitäten von Älteren andererseits zeigen, dass die Bereitschaft, den demografischen Wandel als Chance zu sehen“92, langsam steige. Aus diesen Erkenntnissen lässt sich zur Weiterarbeit folgende Kurzformel zum Tätigkeitsfeld `Freiwilliges Engagement´ formulieren: Freiwilliges Engagement bezeichnet ein bewusstes, freiwilliges, nicht auf materiellen Gewinn gerichtetes Handeln. Es findet im öffentlichen Raum statt und wird in der Regel gemeinschaftlich, kooperativ ausgeübt. Im Dritten Alter ergeben sich Engagementoptionen, die zunehmend von den Älteren wahrgenommen werden und deren gesellschaftliche Relevanz seitens der Politik betont wird.
88
Vgl. Rohleder 2002, S. 2, Vgl. auch Rohleder et al. 2000, S. 93ff Ein ähnliches Ergebnis gibt auch das BMFSFJ in der Pressemitteilung Nr. 293/2008 heraus, hier heißt es: „Mehr als 23 Millionen Menschen oder 36 Prozent der Bevölkerung über 14 Jahren engagieren sich in Deutschland ehrenamtlich“ 90 Vgl.Prognos 2009, S. 9 91 Vgl. Ebd., S. 11 92 Prognos 2009, S. 31 89
2 Entwicklungsverläufe und Konstruktionsprozesse von Identität
Aus der Fülle der verschiedenartigen Identitätskonzepte muss unter dem Kriterium der Brauchbarkeit für sozialgerontologisch / geragogische Forschungen ausgewählt werden. Dies soll derart erfolgen, dass jeweils Paradigmatisches angesprochen wird. Das schließt nicht aus, dass die betreffenden Modelle weiterhin kritikwürdig bleiben. Das Paradigma `Entwicklung´ legt es nahe, sich auf ein vielzitiertes Reifungsmodell zu beziehen, welches Erikson vorgestellt hat. Ergänzungsbedürftig erscheint seine eher starre Ausrichtung, die im Paradigma `Wechsel´, speziell von seinem Schüler Marcia ausdifferenziert und empirisch fundiert wird. Das Paradigma `Arbeit´ fasst die aktive Leistung der Subjekte, die insbesondere in Keupps Konstruktionsmodell beschrieben werden. Einführend werden ausgesuchte Grundlagenmodelle, Konzepte und Perspektiven beschrieben. Empirische Hinweise zu Identitätsentwicklungen finden sich dabei insbesondere innerhalb psychologischer Forschungen, die jedoch bis auf wenige Ausnahmen selten Entwicklungen im Erwachsenenalter und noch seltener Entwicklungen im Dritten und Vierten Alter speziell in den Blick nehmen. Forschungen zu Selbstkonzepten dominieren noch immer eher im Kindes-, Jugend- und frühen Erwachsenenalter93, was insofern verständlich scheint, da individuelle Entwicklungen in dieser Zeit eher sichtbar (und damit messbar) werden.
2.1 Identität als Entwicklungsverlauf im gesamten Lebenslauf „An a priori assumption is that the formation of an identity is, at this stage of human history, a developmental reality in the life of humankind.“94 (James E. Marcia)
Die Frage, ob Identitätsentwicklung überhaupt lebenslang stattfindet, wird in den Identitäts- und Persönlichkeitstheorien nicht a priori mit einem eindeutigen `ja´ 93 94
Vgl. Greve 2000, S. 96 Marcia 1993, S. 273
J. Steinfort, Identität und Engagement im Alter, DOI 10.1007/ 978-3-531-92441-0_3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
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Entwicklungsverläufe und Konstruktionsprozesse von Identität
beantwortet. So postulieren beispielsweise Vertreter des `trait-Ansatzes´ wie Costa & McCrae, dass sich ab dem 30. Lebensjahr die Persönlichkeit eines Menschen nicht mehr verändert. Dagegen steht eine Vielzahl von Theorien, die behaupten, dass sich Persönlichkeit über die gesamte Lebensspanne hin entwickeln kann95. Sie schließen in der Regel nicht aus, dass hierbei eine Dialektik zwischen Stabilität und Veränderung unerlässlich ist, so dass in der Konsequenz ein bewegliches Identitätsverständnis entsteht. Im Folgenden wird daher zunächst auf unterschiedliche Studien und Modelle verwiesen, die – wie bereits in Kapitel 1.1 eingeführt – Identitätsentwicklung als eine subjektive und lebenslang andauernde Entwicklungsaufgabe beschreiben, in der der Begriff der Identität eher Prozess als Struktur und eher lebenslanges Projekt als Fundament meint.96
2.1.1 Ansätze zur Identitätsentwicklung – Grundlagenmodelle, Konzepte und Perspektiven „Identitäten gleichen in der zerrissenen Welt der Spätmoderne nicht fertigen Behausungen mit einem dauerhaften Fundament und einem schützenden Sinn-Dach, sondern permanenten, lebenslangen Baustellen, auf denen die freigesetzten (…) Individuen ohne festgelegten Bauplan und unter Verwendung vorhandener Bausätze und Sinnangebote sich (bis auf Weiteres) eine Unterkunft schaffen. Je nach situativen und biografischen Erfordernissen sind An- oder Umbauten fällig.“97 (Rolf Eickelpasch & Claudia Rademacher)
Veränderungen der Identität werden insbesondere in psychologischen Forschungen häufig als Ergebnis bestimmter `Reifungsstufen´ gefasst. Einer der bekanntesten theoretischen Vertreter eines solchen Entwicklungsmodells von Identität ist der deutsch-amerikanische Psychoanalytiker Erikson, auf den später differenziert eingegangen wird, da er spezielle Aussagen für Identitätsentwicklung im Alter vornimmt. Da aber auch andere, in Deutschland eher wenig zitierte Autoren charakteristische Entwicklungsstufen in der Selbstentwicklung beschreiben und erforschen, sollen hier zu Beginn drei Vertreter genannt werden:
95
Aus der neopsychoanalytischen Tradition kommend schlägt die Amerikanerin Loevinger eine Sequenz der Ich-Entwicklung vor, in der sie neun Ent-
Vgl. Ryff 1995, S. 99ff Vgl. Born 2002, S. 13 97 Eickelpasch & Rademacher 2004, S. 14 96
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98
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wicklungsstufen des Ichs unterscheidet. Diese Stufen beginnen bei spontanen, unreflektierten Bedürfnisbefriedigungen und enden auf der `höchsten´ Stufe bei reflektiertem Verhalten und der inneren Fähigkeit, mit Konflikten umgehen und sich flexibel an wechselnde Umwelten anpassen zu können. Auch sind Ambiguitätstoleranz und selbst definierte Wertsysteme kennzeichnend für diese letzte Stufe. Interessant ist, dass Loevinger diese Entwicklungen vom Lebensalter unabhängig macht. Die Forscherin selbst konnte diese Stufen, unabhängig vom Alter, durch Satzergänzungstests 98 nachweisen . Auf Loevinger aufbauend weisen nachfolgende Forschungen darauf hin, dass die Ich-Entwicklung mit zunehmendem Alter nicht automatisch zunimmt, sondern dass eher Intelligenz, Erziehung und bedeutsame Ereignisse auf die Ich-Entwicklung Einfluss nehmen. Derzeit beschäftigt sich vor allem die Weisheitsforschung von Staudinger, Lopez und Baltes mit der Frage, welche Faktoren auf welche Weise auf ein `reifes Denken´ Einfluss nehmen.99 Speziell für Entwicklungen im Erwachsenenalter stellen die Schweizer Labouvie-Vief und Medler innerhalb ihres Ansatzes drei Stufen der kognitiven Entwicklung vor, die auch als wichtige Anzeichen für die Entwicklung von Identität gelesen werden können: (1) Zunehmende Flexibilität, (2) 100 Die Forscher konnten Verantwortung und (3) Offenheit im Denken. nachweisen, dass ältere Personen, die „eine höhere Stufe der IchEntwicklung erreicht haben und ihre Erfahrungen mit Stress in einer reifen Art beschreiben konnten“ zu weniger Projektionen tendierten. Sie „distanzierten sich stärker von Konflikten, reagierten nach einer Frustration eher 101 neutral bzw. positiv“ als andere, die zum Erhebungszeitpunkt auf einer niedrigeren Stufe der Selbstentwicklung waren. Ein weiteres psychologisch ausgerichtetes Stufenmodell findet sich im Konzept der Selbstentwicklung, das der Franzose L`Ecuyer beschreibt. In den sechs Stufen (1) Emergenz, (2) Behauptung, (3) Expansion, (4) Reorganisation, (5) Reifung und (6) Permanenz definiert er sowohl strukturelle als auch inhaltliche Entwicklungen des Selbst, in denen sowohl Wachstum und Stabilität als auch Rückgang möglich sind. Für die Lebensphase Alter be-
Vgl. Loevinger 1997 Die Frage nach dem Zusammenhang von Persönlichkeitswachstum und Lebenserfahrung ist ein interessantes und noch eher junges Forschungsfeld, das an dieser Stelle jedoch nicht weiter ausgeführt wird, da es für die theoretische Fundierung dieses Forschungsvorhabens mit eher soziologischer Ausrichtung zu stark in die psychologische Auseinandersetzung führen würde. Weiterführende Literatur findet sich zu diesem Themengebiet aber bei Staudinger & Dörner 2007; Staudinger, Dörner & Mickler 2005 100 Vgl. Labouvie-Vief & Medler 2002 101 Leipold 2004, S. 58 99
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Entwicklungsverläufe und Konstruktionsprozesse von Identität schreibt er keine eigenen Stufen, sondern ordnet sie dem Erwachsenenalter zu.102 Interessant ist hier insbesondere die Stufe sechs, die er von sechzig bis siebenundsiebzig angibt. L`Ecuyer nennt diese auch `Erneuerung des 103 Selbst´ . Als zentrale Aufgabe benennt er die Reorganisation der Selbstdefinition. Da nach L`Ecuyer zentrale Bereiche in dieser Lebensphase an Wichtigkeit verlieren, wie z.B. Beruf und Familie, entsteht die Möglichkeit, aber auch die Verpflichtung, eines Neuanfangs für eine neue Konzeption der eigenen Person.104 Sein Modell basiert auf empirischen Ergebnissen eines Forschungsprogramms und umfasst querschnittsmäßig die gesamte Lebensspanne.
Bis hierher lässt sich zusammenfassen, dass alle genannten Modelle Selbst- und Identitätsentwicklung als beweglichen Prozess beschreiben. Dieser wird anhand unterschiedlicher Stufen konkretisiert, deren Erreichen das Ziel von mehr oder weniger typischen Entwicklungsaufgaben ist. Als wesentliche Perspektiven auf den dynamischen Prozess lebenslanger Identitätsentwicklung werden im Folgenden nun weitere, ausgesuchte Grundlagenmodelle skizziert, die für das Verständnis von Identitätsentwicklungen im Dritten Lebensalter grundlegend sind.105 Beschrieben werden in den folgenden Absätzen der Einfluss von Sozialisation, die Bewältigung kritischer Lebensereignisse und die notwendige Auseinandersetzung mit anstehenden Entwicklungsaufgaben im Dritten Alter. Eine Perspektive ist die Auseinandersetzung mit dem Einfluss von Sozialisation auf den persönlichen Entwicklungsverlauf, dem beispielsweise Geulen (1978) sowie Hurrelmann und Ulrich (1980) nachgehen. Im Fokus steht hier die Frage, welchen Einfluss das engere soziale Umfeld und die Gesellschaft auf die Entwicklung einer Person haben. Unter Sozialisation wird dabei der Prozess der Persönlichkeitsentwicklung „in dialektischer Beziehung mit der gesellschaftlich 106 definiert. Der Sozialisationsansatz bietet, so Haußer, vermittelten Umwelt“ 107 eine „theoretische Alternative“ zur empirisch nur begrenzt fundierten Phasenlehre der Entwicklungspsychologie. Für die Betrachtung der Entwicklung im Dritten Lebensalter bietet der Sozialisationsaspekt eine Interpretationsfolie, die die Einflussnahme des gesellschaftlichen Klimas, wie beispielsweise der derzei-
102
Vgl. L`Ecuyer 1981 Vgl. L`Écuyer 1981, S. 72 104 Vgl. ebd. S.72 105 Weiterführende Erklärungsmodelle: siehe auch Greve 2000, S. 96ff 106 Hurrelmann 1976, S. 16 107 Haußer 1995, S. 85 103
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tigen Betonung einer demografisch notwendigen Produktivität im Alter, mit einschließt.108 Auch wenn ältere Menschen die Zeit nach dem Berufs- und Familienleben oft als Entpflichtung erleben, ist nicht zu leugnen, dass die damit verbundenen Veränderungen häufig als kritisch und problematisch empfunden werden. So belegen beispielsweise Mummendey und Sturm in ihren entwicklungspsychologisch angelegten Studien den Zusammenhang zwischen kritischen Lebensereignissen109 und Veränderungen des Selbstbildes.110 Da sie in ihrer Retrospektivstudie jedoch nur Probanden im Alter von 28-47 Jahren untersuchen, kann eine Übertragung auf das Dritte Alter hier nur vermutet werden.111 Wegweisend ist jedoch ihre empirisch erhärtete Perspektive, dass kritische Lebensereignisse Impulse zur Identitätsentwicklung geben können. Der Übergang in den Ruhestand könnte demnach ein kritisches Ereignis darstellen, das zu persönlichen Entwicklungen herausfordert. Eine weitere Perspektivschärfung bietet die Ablösung einer defizitären Sicht auf das Alter. Das von Havighurst in Anlehnung an Erikson entworfene Konzept 112 im Lebenslauf zeichnet sich durch altersphasender Entwicklungsaufgaben spezifische Aufgaben aus. Diese konstituieren sich durch das Spannungsfeld individueller Bedürfnisse und gesellschaftlicher Anforderungen und werden damit zu individuellen Lernaufgaben. Für das höhere Alter, was Havighurst ab sechzig Jahren ansetzt, beschreibt er folgende Entwicklungsaufgaben: Anpassung an die Abnahme der physischen Kraft und Gesundheit, Anpassung an den Ruhestand und reduziertes Einkommen, Anpassung an den Tod des Ehepartners, Erlangen bewusster Zugehörigkeit zur Altersgruppe, flexible Übernahme und Anpassung sozialer Rollen und das Einrichten äußerer, zufriedenstellender Lebensbedingungen.113 Auch hier wird deutlich: Im späteren Erwachsenenalter stellen sich verschiedenartige Aufgaben, die von jedem Individuum zu bewältigen sind. Auch Lehr bestätigt, dass Altern keine objektive Situation darstellt,
108
Vgl. Fünfter Altenbericht 2006, S. 28ff Kritische Lebensereignisse werden hier verstanden als „solche im Leben einer Person auftretenden Ereignisse, die durch Veränderungen der (sozialen) Lebenssituation der Person gekennzeichnet sind und die mit entsprechenden Anpassungsleistungen durch die Person beantwortet werden müssen“ Filipp 1981, S. 23 zit. n. Haußer 1995, S. 86 110 Vgl. Mummendey 1990, S. 252ff 111 Vgl. z.B. Mummendey und Sturm 1978 112 Entwicklungsaufgaben definiert Havighurst wie folgt: „A task which arises at or about a certain period in the life of the individual, successful achievement of which leads to his happiness and to success with later tasks, while failure leads in unhappiness in the individual, disapproval by the society, and difficulty with later tasks” Havighurst 1972, S. 2 113 Vgl. Havighurst 1972; Haußer 1995, S. 88f 109
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sondern eine subjektive, innerpsychische Leistung ist.114 Durch den Eintritt in das Rentenalter kann das Selbstkonzept ebenso hinterfragt werden und gefährdet sein wie in früheren Lebensphasen. Die Rolle der Persönlichkeit nimmt nach 115 Havighurst sogar im Laufe der Entwicklung eher zu , was auch Mulia aus philosophischer und theologischer Perspektive unterstützt, in dem er Altern als „Werden zu sich selbst“ beschreibt116. In diesem Abschnitt konnte nur eine Auswahl an Entwicklungsmodellen vorgestellt werden, die jedoch für die weitere Bearbeitung der Forschungsfrage wegweisend sind. Wichtige empirische Hinweise geben auch Erkenntnisse der Lebensspannenforschung, die zum Abschluss dieses Orientierungskapitels beschrieben werden. Innerhalb der `Psychologie der Lebensspanne´117 wird die Entwicklung von Personen sowie ihren Eigenschaften und Fähigkeiten über den gesamten Lebenslauf erforscht.118 Staudinger und Pasupathi belegen, dass nicht das Alter an sich die zentrale Variable zur Vorhersage von Entwicklungen ist, sondern dass es ganz heterogene Verlaufsformen und subjektive Interpretationen in dieser Lebensphase gibt. Einfluss nehmen Charakteristika der Person sowie der Lebenskontext, was auch Smith und Baltes im Rahmen der Berliner Altersstudie 1996 bestätigen.119 Staudinger beschreibt im Kontext der Lebensspannenpsychologie eine „Dialektik zwischen Stabilität und Wachstum und weniger von Abbau“120. Dieses Verständnis von Dialektik sei, so Staudinger weiter, zentral, da Subjekte zum einen Kontinuität – im Sinne eines Wissens um sich selbst – und zum anderen Flexibilität – als Fähigkeit zur Anpassung an sich wechselnde Umstände – aufbringen müssen. Weiter gibt die psychologische Lebensspannenforschung sowohl Hinweise auf fluktuierende Aspekte der Selbstdefinition als auch auf Bereiche der Selbstdefinition, die eher durch Stabilität gekennzeichnet sind. Insgesamt weisen die Ergebnisse der Entwicklungspsychologie der Lebensspanne darauf hin, dass sowohl Stabilität als auch Veränderung prägende Formen des Selbst und der Persönlichkeit sind. Allerdings betont Staudinger, dass die „Veränderungen der Selbstkonzepte und anderer selbstregulativer Mechanismen auch stark durch die jeweiligen Entwicklungskontexte und -aufgaben beeinflusst“ werden. Sie führt weiter aus: „Als funktional hat es sich erwiesen, zuverlässig
114
Vgl. Lehr 1972, S. 118 Vgl. Freund 2004, S. 305 116 Mulia 2009, S. 103ff 117 Vgl. Lindenberger & Brandtstädter 2006 118 Greve 2000, S. 97 119 Vgl. Staudinger & Pasupathi 2000; Smith & Baltes, 1996 120 Staudinger 2000, S. 142 115
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und offen für neue Erfahrungen zu sein, ebenso wie ein reichhaltiges, positives und integriertes sowie in der Gegenwart verankertes Selbstkonzept zu haben.“121 In der Zeit des Dritten Alters finden, wie bereits in Kapitel 1 beschrieben, vielfältige Veränderungen und Verluste statt. Diese stellen Anpassungsleistungen an das Selbstkonzept. Es wäre anzunehmen, dass beispielsweise durch soziale Verluste wie das Beenden der Berufstätigkeit die persönliche Konstruktion der eigenen Identität und der persönlichen Kontinuität bedroht werden. Empirische Ergebnisse im Bereich der Lebensspannenspsychologie weisen jedoch darauf hin, dass ältere Menschen spezielle Strategien für den Umgang mit Veränderungen entwickeln, die darauf hinzielen, ein möglichst „stabiles, widerstandsfähiges und ressourcenorientiertes Selbst“122 trotz eintretender Defizite erhalten zu können. Für den Umgang mit altersbedingten Defiziten123 beschreibt Greve dazu drei verschiedene Strategien:
Erstens die assimilativen Strategien, durch die Personen versuchen, ihr Verhalten so zu verändern, dass sie weiterhin ihre Ziele erreichen können. Hierunter fällt auch das Modell der selektiven Optimierung durch Kompensation (SOK-Modell).124 Zweitens akkomodative Strategien, bei denen aufgrund veränderter Bedingungen flexible Anpassungen der Ziele geschehen mit dem Ziel, die Identität zu stabilisieren. Hierbei werden z.B. Standards gesenkt oder Referenzgruppen ausgewählt, die eine positive Beurteilung der Person ermöglichen. Als dritte Strategie identifiziert Greve Immunisierungsstrategien, durch die Personen entweder altersbedingte Defizite ausklammern oder sich primär auf vorangegange Erfolge beziehen.125
Nachdem nun unterschiedliche Grundlagenmodelle, Konzepte und Perspektiven skizziert worden sind, die die Vielfalt der Thematik `Identitätsentwicklung im Dritten Alter´ verdeutlichen sollen, werden im Folgenden vertiefende Beiträge dreier Autoren genauer beschrieben: Erikson stellt dabei `den Klassiker´ der Identitätsforschung dar, auf dessen `Schultern´ sowohl sein Schüler Marcia als auch Keupp ihre Modelle formulieren und empirische Forschungen aufbauen.
121
Staudinger 2000, S. 143 Bayer & Gollwitzer 2000, S. 221 123 Diese beziehen sich zwar verstärkt auf Veränderungen im hohen Alter, sind an dieser Stelle jedoch auch für das jüngere Alter interessant. 124 Vgl. Baltes & Baltes 1990; Freund & Baltes, 1998; Baltes, Lindenberger & Staudinger, 2006 125 Vgl. Greve 2000, S. 105ff 122
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2.1.2 Identität in Entwicklungsstufen – das Krisenmodell „Wenn wir das Phänomen >Wachstum< verstehen wollen, tun wir gut daran, uns an das epigenetische Prinzip zu erinnern, das vom Wachstum der Organismen in utero abgeleitet ist. Dieses Prinzip lässt sich darin verallgemeinern, daß alles was wächst einen Grundplan hat, dem die einzelnen Teile folgen, wobei jeder Teil eine Zeit des Übergewichts durchmacht, bis alle Teile zu einem funktionierenden Ganzen herangewachsen sind.“126 (Erik E. Erikson)
Eriksons epigenetisches Prinzip der Entwicklung des Menschen stellt die theoretische Grundlage eines Entwicklungsmodells über den gesamten Lebenslauf dar. Da sein Stufenmodell bereits vielfach rezitiert worden ist, soll das Modell hier nur in seinen wesentlichen Grundzügen beschrieben werden. Für den Psychologen ist Identität sowohl Thema der Adoleszenz als auch Thema des ganzen Lebenslaufs. Seiner Auffassung nach unterliegt alles Wachsende einem epigenetischen Prinzip, d.h. alles hat einen Grundplan und alle Teile entwachsen diesem 127 Plan. Dabei steht die Frage nach Autonomie und Eigenständigkeit im Zent128 rum. In Anlehnung und Erweiterung an Freud schlägt Erikson dazu ein achtstufiges Modell der psychosozialen Krisen vor. Krise bedeutet dabei nicht ausschließlich ein kritisches Lebensereignis, sondern vielmehr einen Wende129 punkt. Die Lösung einer Krise ermöglicht das Erreichen einer nächsten, höheren Stufe, auf der weitere Anforderungen anstehen. Eriksons Aussagen zum Thema `Identität im Alter´ finden sich im beschriebenen Modell vorrangig in der letzen, der achten Stufe. Die Entwicklungen der siebten Stufe `Generativität gegen Stagnierung´ im Erwachsenenalter sind dabei für die achte Stufe grundlegend. Erikson weist darauf hin, dass „nur wer einmal die Sorge für Dinge und Menschen auf sich genommen hat“ die letzte Phase als "Frucht der sieben Stadien"130 erreichen kann. Die zentrale Entwicklungsaufgabe beschreibt er als das Aushandeln des Konfliktes zwischen dem systolischen Aspekt der Integrität und dem diastolischen Aspekt von Lebensekel und Verzweiflung. Integrität bezieht sich auf das Akzeptieren des eigenen Lebenslaufs, es ist ein "Gefühl von Kohärenz und Ganzheit, das unter diesen letzten Bedingungen 131 zweifelsohne höchst riskant ist" , aber es ist auch eine dem "Ich zugewachsene 126
Erikson 1973, S. 57 Erikson1970, S. 92 128 Adams 1999, S. 13 129 Erikson 1973, S. 265 130 Erikson 1970, S. 142 131 Erikson 1988, S. 83f 127
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Sicherheit, dass es nach Ordnung und Sinn strebt (...) es ist die Bereitschaft, seinen einen und einmaligen Lebenslauf zu akzeptieren"132. Integrität meint somit einen seelischen Zustand, den Erikson selbst wie folgt beschreibt: „Er bedeutet die Annahme seines einen und einzigen Lebenszyklus und der Menschen, die in ihm notwendig da sein mußten und durch keine anderen ersetzt werden können. Er bedeutet (…) die Bejahung der Tatsache, daß man für das eigene Leben allein verantwortlich ist. (…) Obwohl ein Mensch, der Integrität besitzt, sich der Relativität unterschiedlicher Lebensweisen bewusst ist, die dem menschlichen Streben Sinn verliehen haben, ist er bereit, die Würde seiner eigenen Lebensform gegen alle physischen und wirtschaftlichen Bedrohungen zu verteidigen. Denn er weiß, dass sein individuelles Leben die zufällige Koinzidenz nur eines Lebenskreises mit nur einem Segment der Geschichte ist.“133 Der Gegenpol, die `Verzweiflung´, meint das Richten der Aufmerksamkeit auf Aspekte des eigenen Lebens, die sich nicht gemäß den eigenen Wünschen entwickelt haben. Erikson schreibt dazu: „in der Verzweiflung drückt sich das Gefühl aus, dass die Zeit kurz, zu kurz für den Versuch ist, ein neues Leben zu beginnen, andere Wege zur Integrität einzuschlagen. Eine solche Verzweiflung versteckt sich oft hinter einer Kulisse von Ekel, Lebensüberdruss oder einer chronischen Verächtlichmachung bestimmter Institutionen oder bestimmter Leute – eine Kritik, die, wenn sie nicht mit konstruktiven Ideen und der Bereitschaft zum Mitwirken verbunden ist, nur die Selbstverachtung des Individuums aus134 drückt.“ Der Konflikt zwischen Integrität und Verzweiflung kann, so Erikson, nur durch eine Integration beider Aspekte gelöst werden.135 Dabei gilt es im Alter – welches Erikson nicht weiter spezifiziert – der Krise dieser Stufe zu begegnen: Ergebnis der Auseinandersetzung kann nach Erikson sein, entweder mit dem eigenen Leben zufrieden zu sein und es als harmonische Einheit zu integrieren oder vorrangig Abscheu und Verzweiflung zu empfinden. Auch wenn Eriksons Modell vielfach kritisch diskutiert wurde, kommen Untersuchungen zur Identität an seinem Modell nach wie vor nicht vorbei. Seine Forschung bietet in den wissenschaftlichen Diskursen immer noch ein Grundlagenmodell, „an dem man sich abzuarbeiten hat“136. Sein Modell liefert ein komplexes Konzept, das den Prozess der Selbstverortung von Menschen in ihrer sozialen Welt erfasst. Aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen ist sein Modell vielfach weiterentwickelt und differenziert worden. Angemerkt soll an dieser 132
Erikson 1970, S. 142f Erikson 1973, S. 119 Ebd., S. 119 135 Vgl. Freund 1995, S. 80; Freund 2000 136 Keupp 1999, S. 26 133 134
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Stelle jedoch werden, dass die Vorstellung, dass Identität immer mit subjektiven Leistungen von Verortungen in der sozialen Welt verbunden ist, schon lange vor Erikson beschrieben wurde: „von Hegel bis Mead“ seien, so Keupp, Identitäten bereits als Konstruktionen gedacht. Die Frage „nach den Bedingungen der Möglichkeit für eine lebensgeschichtliche und situationsübergreifende Gleichheit in der Wahrnehmung der eigenen Person und für eine innere Einheitlichkeit trotz äußerer Wandlungen“137 findet sich zudem schon in der griechischen Philosophie. Hier wird deutlich, dass die Auseinandersetzung mit Identität kein ausschließliches Thema unserer Zeit ist. Vielmehr kann die Summe aktueller wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Identitätsdiskurse als Beleg gesehen werden, dass die Suche und Entwicklung von Identität in den verschiedenen Lebensphasen zu einem herausfordernden Thema geworden ist, welches Erikson als einer der ersten Theoretiker moderner Identitätsforschungen zu beantworten sucht.
2.1.3 Identität als Wechsel – das Zustandsmodell “The four identity statuses arose as an empirical tool to test the validity of Erikson`s concept of identity. They are not considered to be a direct measure of the hypothesized identity structure, but, rather, an indicator of it. The question posed was: `What can we observe that will tell us something significant about this particular inner state (identity) of a person?”138 (James E. Marcia)
Auf Eriksons Konzeption aufbauend befasst sich sein Schüler Marcia mit der Konstruktion einer empirischen Erfassung von Identität und ihrer Entwicklung.139 Sein Beitrag liegt insbesondere in einer „dynamisierten Identitätsvorstellung“140 und in der Erarbeitung empirisch fundierter Methoden zur Bestimmung des `Identitätsstatus´ einer Person in bestimmten Lebensbereichen.141 Auch wenn in Marcias Forschungen der Altersbereich der Adoleszenz dominiert, geben seine 137
Keupp 1999, S. 27 Marcia 2007, S. 7 139 Vgl. Haußer 1995, S. 79ff; Keupp 1999, S. 33 140 Wouters 2004, S. 11 141 Der in seiner Dissertation entwickelte Identity Status Approach sowie das damit einhergehende Identity Status Interview (ISI) sind mehrfach validiert (Marcia 1966, 1993) und sind bis heute aktuell. Hierbei wird in halbstrukturierten, kontext- oder domänenspezifischen Interviews durch eine explizite oder implizite Gewichtung ein entsprechender Identitätsstatus diagnostiziert. Vgl. dazu Josephs 2008, S. 219f; Haußer 1995, S. 79ff 138
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Befunde doch Hinweise, die auf den gesamten menschlichen Identitätsentwicklungsverlauf bezogen werden können.142 Daher wird Marcias Arbeit hier ausführlich dargestellt. Das von Marcia entwickelte und empirisch belegte Modell beschreibt vier Identitätsausformungen, die er als Identitätsstatus oder Identitätszustand benennt. Begrifflich fasst Marcia Identität „…in terms of their underlying process 143 variables of exploration and commitment“ . Demnach definiert er den Identitätsstatus über die beiden genannten Kriterien Commitment/Verpflichtung und Exploration/ Erkundung und fügt ein weiteres, das der Krise, hinzu. Unter Commitment/Verpflichtung fasst er das Gefühl der Verbindung und Verpflichtung innerhalb dieses bestimmten Lebensbereichs. Das Ausmaß der Erkundung des betreffenden Bereichs mit dem Ziel besserer Orientierung und Entscheidungsfindung bündelt er im Begriff Exploration. Krise bedeutet hier das Ausmaß der Infragestellung, Unsicherheit, Beunruhigung oder Rebellion, welches mit der jeweiligen Auseinandersetzung in einem bestimmten Lebensbereich verbunden ist. Nach Marcia ist es möglich, sich in verschiedenen Lebensbereichen in unterschiedlichen Identitätszuständen zu befinden. Der Wechsel von einem Identitätsstatus in einen anderen ist lebenslang, also auch im Alter, charakteristisch. Marcia unterscheidet anhand dieser drei genannten Kriterien die vier Identitätszustände Foreclosure oder auch übernommene Identität (1), Diffusion oder auch diffuse Identität (2), Moratorium (3) und Achievement als erarbeitete Identität (4):144 1.
2.
142
Foreclosure/ übernommene Identität: Der Zustand einer übernommenen Identität ist durch das Eingehen klarer innerer Verpflichtungen (hohes Commitment) und durch Anlehnung an Orientierungen und Auffassung anderer charakterisiert (keine vorangegangene Exploration). In diesem Falle übernimmt ein Jugendlicher bezüglich seiner Berufswahl zum Beispiel ohne 145 Reflexion und Auseinandersetzung die Vorstellungen seiner Eltern. Diffusion/ diffuse Identität: Der Zustand diffuser Identität zeichnet sich durch Entscheidungsunfähigkeit, Desinteresse und Beliebigkeit aus. Dieser Zustand ist weder durch Exploration noch durch Commitment charakterisiert.146 Daher ist er durch eine große Relativität gekennzeichnet, da keine oder kaum eine Festlegung auf eigene Werte geschieht. Menschen in diesem Identitätszustand fühlen sich eher weniger bestimmten Dingen, Werten
Vgl. Marcia 1966, 1989, 2007 Marcia 1993, S. 20 Vgl. dazu auch Haußer 1995, S. 81 145 Vgl. Josephs 2008, S. 220 146 Josephs 2008, S. 221 143 144
46
3.
4.
Entwicklungsverläufe und Konstruktionsprozesse von Identität oder Personen gegenüber verpflichtet. Als Orientierung dienen andere Personen wie Gleichaltrige oder idealisierte Autoritäten. Dieser Zustand kann, muss jedoch nicht zu einer Krise führen. Moratorium: Der Zustand des Moratoriums ist immer mit einer Krise im bestimmten Gegenstandbereich verbunden. Kennzeichnend hierfür ist das Vorhandensein mehrerer Alternativen und die aktuelle Auseinandersetzung mit einem bestimmten Lebensbereich. Hierbei wird also exploriert, ohne dass es zu einem Commitment kommt.147 Marcia ergänzt diesen Status im Jahr 1980 um den Hinweis, dass eine Person, die sich im Moratorium befindet, eine leichte innere Verpflichtung eingehe (vgl. Tab. 1), da sie die jeweilige krisenhafte Angelegenheit sehr ernst nehmen kann. Das Moratorium kann demnach den Übergang zur erarbeiteten Identität darstellen. Achievement/ erarbeitete Identität: Der Zustand einer erarbeiteten Identität wird nach Marcia über den Weg der Krise erreicht. Voraussetzung ist hierfür in der Regel die kritische Reflexion des äußeren Einflusses. Durch eine kritische Prüfung im jeweiligen Gegenstandsbereich gelangt die Person zum eigenen Standpunkt. Das Commitment folgt somit nach einer Explorationsphase. So kann sich ein junger Erwachsener beispielsweise nach einer langen und intensiven Phase des Abwägens beruflicher Möglichkeiten für ein bestimmtes Studium entscheiden.148
In Marcias Ansatz können sich diese Identitätszustände wiederholen, umkehren oder aber stagnieren. Dadurch wird es auch möglich, dem konkreten sozialen Kontext Beachtung zu schenken und ihn als einflussreichen Faktor der Identitätsentwicklung zu erkennen. Auch kann Identität als permanentes Prozessgeschehen149 in jeweils unterschiedlichen Kontexten begriffen werden.150 Das folgende Schema verknüpft die vier beschriebenen Typen des Identitätsstatus mit den identitätsrelevanten Variablen innere Verpflichtung/ Commitment und Exploration von Alternativen. Dabei sind die vier Modi des Identitätsstatus „nicht nur durch die Modi der inneren Bindung an und der Verpflichtung gegenüber etwas bestimmt (…), sondern auch durch Anlass und Ausmaß explorativer, in persönlichen Verunsicherungen und Krisenerfahrungen begründeter
147
Ebd., S. 221 Ebd., S. 221 149 Auf die Relevanz der Beachtung individueller Gewichtungen unterschiedlicher Kontexte verweist Haußer 2007: Er plädiert für die Bestimmung eines „allgemeinen Identitätsstatus“ auf der Grundlage subjektiver Gewichtungen unterschiedlicher Kontextdomänen, vgl. dazu auch das von ihm entwickelte Flensburg Identity Status Interview (FISI) 150 Dies bestätigen auch die Forschungsergebnisse von Keupp u.a. 1999, vgl. S. 195ff 148
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Tätigkeiten.“151 Marcia führt dazu aus “…most people will undergo further Moratorium-Achievement cycles throughout their life cycle”152.
„Identity-status“ – Modell (Marcia 1993, S. 11/ Übersetzung Kraus und Mitzscherlich 1997, S. 151) erarbeitete Identität
Moratorium
übernommene Identität
diffuse Identität
Exploration von Alternativen
ja
aktuell stattfindend
nein
ja/ nein beides möglich
Commitment/ innere Verpflichtung
ja
ja, aber vage ja
nein
Tab. 1: "Identity-status" – Modell Bei Erikson geht es um die Beschreibung der Identitätsentwicklung in bestimmten Entwicklungsstufen, bei Marcia um die Bestimmung eines Identitätsstatus ohne eindeutigen Zusammenhang mit dem Alter. Es geht Marcia also im Wesentlichen um den Entwicklungsgedanken Eriksons, den er mit der Bestimmung jeweiliger Identitätszustände verknüpft. Im wissenschaftlichen Diskurs wird derzeit erörtert, inwieweit es Längsschnittstudien erfordere, „…die Marcia (und Erikson) zufolge eine gewisse Entwicklungslogik beim Durchlaufen der Status aufweisen sollten.“153 Jedoch stellt sich hierbei die Herausforderung, dass der Identitätsstatus keinen eindeutigen Zusammenhang mit dem Alter aufweist und auch die Verläufe heterogen sind.154 Weiter stellt das Erreichen einer erarbeiteten Identität keinen „Zielzustand“155 dar, sondern vielmehr belegen weitere Forschungen Marcias, dass es ein steigen-
151
Straub 2000, S. 293 Marcia & Archer 2007, S. 280 Josephs 2008, S. 222 154 Vgl. Ebd., S. 222 155 Josephs 2008, S. 223 152 153
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des Auftreten des Diffusionsstatus gibt.156 In der Forschungsliteratur wird weiter diskutiert, ob diese Erkenntnis als Hinwies darauf gewertet werden kann, dass eine erarbeitete Identität in einer individualisierten, flexiblen Welt eher „kontra157 produktiv“ sei und daher ein diffuser Identitätsstatus das passende Konstrukt gesellschaftlicher Anforderungen sein könnte. „Es wird dabei gerade als sinnvoll erlebt, sich beruflich und privat nicht festzulegen, um den kulturellen, gesellschaftlichen Anforderungen besser gerecht werden zu können. Mit klaren Wertvorstellungen und gefestigten Lebenszielen hingegen gelingt es einer Person weniger, sich an rasch wechselnde Bedingungen schnell anzupassen. Will man dieser Argumentation folgen, dann könnte die kulturell-adaptive Diffusion durchaus den Zielzustand der Zukunft, vielleicht auch schon der Gegenwart markieren.“158 Die Erkenntnis, dass dem Diffusionsstatus eine wachsende Relevanz zukommen könnte, ist so jung nicht: Marcia beobachtet dies bereits 1989 und unterscheidet den Zustand der Diffusion – auf Grundlage seiner empirischen Erhebungen – in fünf Substatus diffuser Identität: Die Selbstfragmentierung beschreibt er als pathologische Form der Diffusion, bei der auf Grund unangemessenen Verhaltens mangelnde Integrationsarbeit im Hinblick auf persönliche Anliegen und Ziele geschieht. Die Störungsdiffusion beschreibt er als leichte Identitätsstörung, die sich im Rahmen sozialer Isolierung als „schizoide Thematik beispielsweise mit Größenwahnphantasien äußern kann“159. Unter Entwicklungsdiffusion fasst Marcia einen Zustand persönlicher Ungewissheit, der durch Reflexionen und Explorationen geprägt ist. Mit einer sorgenfreien Diffusion benennt er Identitätszustände von Personen, die eher sozial gewandt, aber oberflächlich sind und keine inneren Verpflichtungen eingehen. Die kulturell adaptive Diffusion160 fasst schließlich einen Zustand zusammen, der sich in wechselnder, jeweils adäquater Angepasstheit an soziale Situationen ohne innere Verpflichtungen zeigt. Kritisch wird Marcias Ansatz insbesondere von Vertretern postmoderner Ansätze gesehen, da er trotz der Betonung normaler Veränderungen in den Identitätszuständen innerhalb unterschiedlicher Lebensbereiche zwischen krankhaf161 ten und nicht-pathologischen Formen der Identitätsdiffusion unterscheidet. Diese Kritik entkräftet die Bedeutung des Ansatzes jedoch nicht, da insbesondere 156
Vgl. Marcia 1989 Josephs 2008, S. 223 158 Ebd., S. 223 159 Haußer 1995, S. 84 160 Vgl. dazu auch Kraus & Mitzscherlich, 1995 161 Vgl. Straub 2000, S. 295. Eine ausführliche Darstellung der Kritik findet sich zusammenfassend bei Kraus & Mitzscherlich 1997, S.154f 157
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für die Auseinandersetzung mit Identitätsentwicklung im Dritten Alter im Kontext Freiwilligen Engagements Marcias Ansatz für die Forschungsfrage dieser Arbeit weiterführend scheint. Zum einen kann Identität auf Basis seiner Forschungen als zeitweiliger, veränderbarer Status im Lebenslauf gesehen werden, auch wenn er dies nur anhand von Studien im Jugendalter und jungen Erwachsenenalter belegt. Zweitens zeigen sich Entwicklungen zu jedem Zeitpunkt in alle Richtungen hin offen und in dieser Veränderbarkeit nicht automatisch pathologisch, sondern stellen ein erwartbares Prozessgeschehen in der Identitätsentwicklung dar. Drittens ist Marcias Betonung der Differenzierung jeweiliger Identitätskontexte weiterführend, indem Identität als Thema in bestimmten Lebensbereichen gefasst werden kann und Entwicklungen in diesen Bereichen jeweils unterschiedlich verlaufen können. Letztlich liefert sein Werk auch wichtige Hinweise zu Operationalisierung und methodischer Herangehensweise der Identitätsforschung. Marcias Forschungen sind insofern auch zukunftsweisend, da hier belegt werden konnte, dass es weder irreversible noch universelle Wege der Identitätsentwicklung gibt. Anknüpfend an diesen Befund haben zahlreiche Forschungen zu den beschriebenen Identitätszuständen in bestimmten Zusammenhängen stattgefunden.162 Ihnen gemein ist u.a. die Aussage, dass entgegen dem Eriksonschen Postulat Identitätsveränderungen in alle Richtungen verlaufen können.163 Für diese Arbeit sind auch die Befunde Watermans (1982) interessant und weiterführend. Sein Beitrag ist es, sowohl Eriksons Entwicklungsgedanken als auch Marcias Zustandsbeschreibung zu verbinden. Ihn interessiert, inwieweit es Veränderungen oder Stagnationen im Identitätsstatus gibt. Auf der Basis eigener empirischer Untersuchungen164 kommt er zu einer Charakterisierung typischer Verläufe. Dabei unterscheidet er zwischen progressiven, regressiven und stagnierenden Verläufen. Progressive Identitätsbildungen laufen über das Moratorium zur erarbeiteten Identität. Regressive Verläufe enden bei der diffusen Identität. Stagnierende Verläufe verweilen entweder bei der übernommenen oder bei der diffusen Identitätsform. 162
Vgl. dazu beispielsweise die Dissertation „Regulation persönlicher Identität im Rahmen gesellschaftlicher Transformationsbewältigung“ Born 2002. Marcias Modell liefert hier eine zentrale Basis für drei empirische Studien, die in einer Konzeption eines Modells zur Transformationsbewältigung münden. 163 Eine Übersicht zu diesen Studien findet sich in Haußer, 1995, S. 82f 164 Vgl. z.B. die Studie „Longitudinal study of changes in ego identity status from the freshman to the senior year at college“ (1974), in der er auf der Basis je dreier Interviews mit insgesamt 53 männlichen Studenten (bei Eintritt ins College, nach einem Jahr und im vierten Collegejahr) der Fragestellung nachgeht, ob es Veränderungen im Identitätsstatus vom Beginn der Ausbildung bis zum Ende gibt. Ergebnis dieser Studie: Etwa die Hälfte der Befragten behält den Status bei, die andere Hälfte verändert sich. Die Zahl der Achiever steigt insgesamt am stärksten an.
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Marcias Forschungen liefern somit ein prinzipiell nicht abschließbares Entwicklungsmodell, das vor allem durch den Wechsel verschiedener Identitätszustände geprägt ist. Seine Studien bringen den empirischen Nachweis einer „Verschleifung im kontinuierlichen Identitätsumbau“165.
2.1.4 Identitätsarbeit – das Konstruktionsmodell „Identität ist ein Projekt, das zum Ziel hat, ein individuell gewünschtes oder notwendiges >Gefühl von Identität< (sense of identity) zu erzeugen.“166 (Heiner Keupp)
Abschließend soll hier noch auf einen der führenden Autoren aktueller sozialpsychologischer Identitätsforschungen verwiesen werden. Ähnlich wie bei Waterman steht auch bei dem Sozialpsychologen Keupp die Frage nach dem Wie des Konstruktionsprozesses von Identitätsentwicklung im Fokus.167 Er beschäftigt sich mit der Frage, wie sich die Konstruktion von Identität als subjektiven Prozess fassen lässt. Die zu leistende individuelle Verknüpfungsarbeit zur Integration verschiedener Erfahrungsfragmente bezeichnet er dabei als Identitätsarbeit und liefert hiermit einen Begriff, in dem die individuelle Leistung der Subjekte betont wird. Weiter schlägt er die Metapher eines Identitäts-Patchworks vor, die er mit seinem Team in zahlreichen empirischen Studien belegt. Dabei geht es weniger darum, der ohnehin bereits vielseitig formulierten Identitätsmetaphern eine weitere hinzuzufügen. Im Fokus steht bei Keupp die empirische Beschreibung des „Herstellungsprozesses“, also die Frage, wie sich Identitätsarbeit unter bestimmten Bedingungen vollziehen kann. Keupp betont, dass es insbesondere auf dem Hintergrund aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen direkte Auswirkungen auf der Ebene der Subjekte gebe, da diesen abverlangt werde, eine Haltung einzunehmen, „die Widersprüche nebeneinander stehen lassen kann und die 168 nicht mehr von einem `Identitätszwang´ beherrscht wird" . Keupps Konstruktionsmodell geht davon aus, dass Menschen aus den Erfahrungen ihres Alltags Identitätsmuster in Form patchworkartiger Gebilde for165
Kraus & Mitzscherlich 1997, S. 157. Verwiesen sei hier abschließend auch auf das MAMAModell (Stephen/Fraser und Marcia 1992; Waterman 1993), dass die wiederkehrende Abfolge von Moratorium und Achievement als typische Identitätsbewegung im Erwachsenenalter beschreibt. 166 Keupp 1998, S. 34 167 Vgl. Keupp 2005, S. 65 168 Keupp 1999, S. 63
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men. Das jeweilige Resultat ist bedingt durch die schöpferischen Möglichkeiten der Subjekte. Das folgende Modell skizziert diesen Konstruktionsprozess: IDENTITÄT ALS PATCHWORKING Ebene MetaIdentität
Ebene Teilidentitäten z.B.:
Biografische Kernnarration
Wertorientierungen
Dominierende Teilidentitäten
Freizeit
Geschlecht
…
Identitätsgefühl
…
Politik
…
Körper
Handeln
Arbeit
Ebene situative Selbstthematisierungen
Projekte
(= Viele einzelne situative Selbsterfahrungen)
Abb. 1: Identität als Patchworking169 Die Ebene der situativen Selbstthematisierungen (s.o.) beinhaltet viele einzelne Selbsterfahrungen. Aus diesen entstehen durch Reflexion und Integration so genannte Teilidentitäten. Innerhalb einer Teilidentität sind Ambivalenzen möglich, da beispielsweise die Wahrnehmung der Außeneinschätzungen anders ausfallen kann als das eigene Selbstwertgefühl. Als mögliche Teilidentitäten sind hier Geschlecht, Arbeit, Freizeit, Politik und Körper benannt, diese Liste ist jedoch vielseitig erweiterbar. Teilidentitäten stehen nicht gleichrangig nebeneinander, sondern es bilden sich dominierende Teilidentitäten heraus, die für eine bestimmte Lebensphase dem Subjekt beispielsweise Anerkennung und Selbstachtung bieten. Dominierende Teilidentitäten können sich im Verlauf des Lebens mehrmals verändern. Sie unterliegen, wie alle Konstruktionen der Identitätsarbeit, einem permanenten Veränderungsprozess. Auf der Ebene der Metaidentität 169
Grafik nach Keupp 1999, S. 218 aufgearbeitet nach Steinfort 2004
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verdichten sich biografische Erfahrungen und Bewertungen der eigenen Person im Identitätsgefühl. Dieses beinhaltet sowohl Bewertungen über die Art der Beziehung zu sich selbst, dem Selbstgefühl, als auch Bewertungen über die Bewältigung der Alltagsanforderungen, dem Kohärenzgefühl. Das Streben nach Kohärenz beschreibt Keupp als Gefühl, das nicht „nur durch die Reproduktion von in sich fest gefügten und vorgezeichneten Lebensentwürfen, sondern aus dem kreativen Prozess einer nach vorne offenen Identitätsarbeit"170 entsteht. Nicht alle Teile dieses Identitätsgefühls sind dem Subjekt bewusst. Nur der dem Subjekt bewusste Teil führt zur so genannten biografischen Kernnarration, der narrativen Selbst-Darstellung einer Person. Kernnarrationen sind Teile der Identität, „in denen sich das Subjekt einerseits für sich selbst `die Dinge auf den Punkt´ zu bringen versucht, zum anderen um jene Narrationen, mit denen jemand versucht, dies anderen mitzuteilen. Verkörpert sich im Identitätsgefühl das Vertrauen zu sich selbst, so handelt es sich bei den Kernnarrationen um die Ideologie von sich selbst“171. Alle vier Facetten, biografische Kernnarration, dominierende Teilidentitäten, Identitätsgefühl und Wertorientierungen münden als Ergebnis in konkreten 172 Handlungen und Projekten. Handlungsfähigkeit hat eine innere und eine äußere Komponente. „Eher nach außen gerichtet ist die Dimension der Passungsarbeit. Unumgänglich ist hier die Aufrechterhaltung von Handlungsfähigkeit sowie von Anerkennung und Integration. Eher nach `innen´, auf das Subjekt, bezogen ist Synthesearbeit zu leisten. Hier geht es um die subjektive Verknüpfung der verschiedenen Bezüge, um die Konstruktion und Aufrechterhaltung von Kohärenz und Selbstanerkennung, um das Gefühl von Authentizität und Sinnhaftig173 keit.“ Konkrete Handlungen markieren so „die Funktionalität der Identitätsarbeit (...) eines Subjekts.“174 Die beschriebenen Teilidentitäten sind aus soziologischer Sicht vergleichbar mit `Rollen´. Um dem dargestellten Modell zu folgen, wäre die dominierende Teilidentität `Beruf´ gleichzusetzen mit der Rolle als Erwerbstätiger. Geht ein Mensch in den Ruhestand, wird seine Arbeits-Rolle nicht einfach gegen eine andere, eine Pensionärsrolle ausgetauscht, vielmehr handelt es sich bei dem Übergang in den Ruhestand um eine viel komplexere Situation. Auch wenn nicht direkt eine neue Rolle als neue `dominierende Teilidentität´ an persönlicher Relevanz gewinnt, so soll dennoch betont sein, dass es durch den oben beschriebenen Verlust auch zu einer Intensivierung von Rollen außerhalb der Arbeit kom170
Keupp 1999, S. 69 Edb, S. 229 Vgl. Ebd., S. 217ff 173 Keupp 2004, S. 34 174 Keupp 1999, S. 217 171 172
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men kann. Freiwilliges Engagement könnte damit als ein Funktionsbereich gedeutet werden, der dem Subjekt Möglichkeiten (wieder-) eröffnet, die zunächst durch den Verlust anderer Rollen verloren geglaubt waren. Diese Annahme ist im Rahmen des vorliegenden Forschungsvorhabens zu klären. Keupps Konstruktionsmodell gibt an dieser Stelle zunächst den zentralen und weiterführenden Hinweis, dass Identität im gesamten Lebenslauf als Arbeit und offener Prozess verstanden werden kann, der auch nach dem Ende der Berufstätigkeit nicht aufhört. Vielmehr stellen sich gerade dann neue, komplexe Anforderungen an die Subjekte, die nach individuell passenden Antworten und nach `Identitätsarbeit´ verlangen. Gerade für die Entwicklung von „Altersidentitäten“175 vervielfachen sich durch neue Freiräume und Risiken die Möglichkeiten der Konstruktionen postmoderner Identitäten.176 Wenn Identität, wie hier von Erikson, Marcia und Keupp beschrieben, der 177 ist und den Subjekten, „fortschreitende Prozess eigener Lebensgestaltung“ unabhängig jeder Altersstufe, eine permanente „Passungs- und Identitätsarbeit“178 abverlangt wird, lässt sich an dieser Stelle die weiterführende Frage formulieren, wie eine solche alltägliche Identitätsarbeit hinsichtlich der Blickrichtungen `Freiwilliges Engagement´ und `Alter´ aussehen kann. Daher widmet sich das folgende Kapitel speziell der Frage, welche Forschungen bislang zu Freiwilligem Engagement als möglichem Identitätsprojekt im Dritten Alter vorliegen.
175
Sowarka & Au 2008, S. 8 Vgl. dazu vertiefend auch Sowarka & Au 2008, S. 9ff. Sie betonen die kulturelle und persönliche Flexibilität von Altersidentitäten auf dem Hintergrund gesellschaftlicher Entwicklungen. 177 Keupp 1999, S. 215 178 Vgl. Ebd., S. 215 176
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2.2 Freiwilliges Engagement als mögliches Identitätsprojekt im Dritten Alter “Nach dem dritten Altenbericht ist die Motivation für ein Engagement nicht mehr nur Resultat aus altruistischen oder karitativen Motiven. Denn der Wunsch nach einem Gewinn für das eigene Leben gewinnt zunehmend an Bedeutung.“179 (Gertrud Backes & Jacqueline Höltge)
Welche subjektive Bedeutung Tätigkeiten im Freiwilligen Engagement für die Identitätsentwicklung von Menschen haben kann, ist bislang wenig erforscht. Wegweisend sind bislang zwei Studien: Für die Frage nach Persönlichkeitsentwicklung im Alter durch Teilnahme am EFI-Projekt180 liegt zum einen eine quasi experimentelle Feldstudie vor. Einblicke aus Richtung der reflexiven Sozialpsychologie liefert zum anderen die Studie zur Identitätsrelevanz von Freiwilligem Engagement im dritten Lebensalter. Beiden gemein ist der subjektorientierte Blickwinkel auf die Relevanz Freiwilligen Engagements, in dem dieses als mögliches Identitätsprojekt und Erfahrungsfeld im Dritten Alter zum Forschungsmittelpunkt wird.
2.2.1 Vorbemerkung: Freiwilliges Engagement als Identitätsprojekt „Heute kommt es auf die individuelle Passungs- und Identitätsarbeit an, also auf die Fähigkeit zur Selbstorganisation, zum `Selbstständigwerden´ oder zur `Selbsteinbettung´. In Projekten bürgerschaftlichen Engagements wird diese Fähigkeit gebraucht und zugleich gefördert.“181 (Heiner Keupp)
Die Frage, warum Menschen einen Weg ins Freiwillige Engagement finden, ist 182 auf Ebene der Motivlage mehrfach beantwortet. Weniger breit erforscht ist der dahinter liegende tiefere Einblick auf der Persönlichkeits- und Identitätsebene. In
179
Backes & Höltge 2008, S. 283 Das Modellprogramm „Erfahrungswissen für Initiativen“ (EFI) wurde vom BMFSFJ gemeinsam mit zehn Bundesländern von 2002 bis 2006 durchgeführt. Im Rahmen des Programms wurden rund 1000 ältere Menschen zu seniorTrainern qualifiziert. 181 Keupp 2005, S. 69 182 Vgl. dazu z.B. Freiwiligensurvey 2004; Engagementatlas Prognos 2009 180
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diesem Kapitel werden daher zwei Forschungen vorgestellt, die in Deutschland erstmals das `Identitätsprojekt Freiwilliges Engagement´ in den Fokus rücken. Der Begriff `Identitätsprojekt´ wird im Folgenden als Arbeitsbegriff verwendet und meint in Anlehnung an Keupp einen zentralen Teil der Identitätsarbeit. Dabei geht es um Antworten auf die Fragen: `Wer will ich im Dritten Alter sein? Wohin will ich mich in diesem Lebensabschnitt entwickeln?´ Dabei geht es weniger um ferne Träume als um die Entwicklung von konkreten Identitätsprojekten. Ein Identitätsprojekt meint weder „Utopie noch bloßes Lusthaben: Es setzt in der Regel voraus, dass ein Reflexionsprozess mit Blick auf die vorhandenen Ressourcen stattgefunden hat. Insofern dient das Identitätsprojekt als diskursiver Referenzpunkt.“183 Da heute oftmals hinter der Frage `Wer sind Sie?´ die implizierte unausge184 sprochene Frage steht `Was machen sie beruflich´ , sehen sich Menschen im Dritten Alter vor der Aufgabe, neue Antworten zu formulieren. Den Übergang in diese neue Lebensphase erleben die Älteren dabei nicht immer konfliktfrei, wie Naegele & Weidekamp-Maicher ausführen: „Obwohl der immer früher stattfindende Eintritt in den Ruhestand von den meisten Älteren positiv bewertet wird, hat die Aufgabe der Berufstätigkeit nicht nur positive Aspekte. Betrachtet man Erwerbsarbeit aus unterschiedlichen Perspektiven, so zeigt sich, dass Arbeit wesentlich mehr darstellt als lediglich die Sicherung des Lebensunterhalts. Berufliche Tätigkeit liefert wichtige Beiträge zur persönlichen Identitätsentwicklung, sozialen Partizipation und Strukturierung des Alltags. Arbeit geht mit Kompetenzentwicklung, Selbstverwirklichung und Aufrechterhaltung sozialer Beziehungen einher, so dass berufstätige Ältere ihren Alterungsprozess oftmals positiver erleben als Pensionäre.“185 Um die nachberufliche Lebensphase zu füllen, also Sinn-, Kompetenz- und Beziehungsverlusten entgegenzuwirken, interessieren sich viele Ältere für freiwillige Tätigkeiten. In diesem Engagement erleben sie sich weiterhin als aktiv. Dass im Alter die Lebenszufriedenheit entscheidend durch das Erleben eigener Aktivität und Produktivität gesteigert werden kann, ist in der gerontologischen 186 Eine Konsequenz dieser Erkenntnisse ist daher Forschung vielfach belegt. nicht nur die gesellschaftliche Notwendigkeit der Förderung von Aktivität älterer Menschen, sondern vor allem auch die individuelle Notwendigkeit, sinnvolle Aufgaben- und Tätigkeitsfelder zu schaffen, in denen Menschen ihre Identitätsprojekte entwerfen und verwirklichen können. Freiwilliges Engagement kann daher, so eine zentrale These dieser Studie, den Rahmen möglicher Identitätspro183
Keupp 1999, S. 194, vgl. dazu auch Kraus 2000a, S. 164ff Wouters 2004, S. 75 185 Naegele & Weidekamp-Maicher, 2002 186 Vgl. z.B. Naegele 2008c 184
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jekte bieten, durch die Identitätsentwicklung stattfinden kann. Diese Annahme stützen auch die Ergebnisse der Psychologen Morros, Pushkar und Reis, die in ihrer Studie nachweisen konnten, dass sich bei Älteren, die sich freiwillig engagieren, stärkere bzw. höhere Ich-Entwicklungen nachweisen lassen, als bei Personen, die sich nicht engagieren.187
2.2.2 Persönlichkeitsentwicklung im Alter– eine psychologische Studie (2008) „Volunteering is an increasingly popular activity among older adults. A growing emphasis on staying active in later years, a widespread cultural value of volunteering, and rising income and educational levels among the aged have led to more adult volunteers over the last few decades.”188 (Andrea Mühlig-Versen)
In der Dissertation der Psychologin Mühlig-Versen geht es nicht explizit um Identitätsentwicklung, sondern eher um Persönlichkeitsentwicklung im Sinne einer Differenzierung zwischen Anpassung und Wachstum und den Einfluss des EFI-Programms. Ihre Arbeit ist jedoch insofern für die Fragestellung dieses Forschungsvorhabens interessant, als dass sie die erste systematische Studie ist, die die individuellen Auswirkungen der Teilnahme an einem Engagementprojekt bei älteren Freiwilligen beforscht. Das Design der Studie ist mit mehreren Messzeitpunkten als quasi-experimentelle Feldstudie angelegt. Es werden zwei aktive Gruppen Älterer (und eine inaktive Gruppe) miteinander vergleichen. Die Gruppen gleichen sich in Alter, Bildungsniveau, Geschlecht und der Ausübung einer ehrenamtlichen Tätigkeit. Sie unterscheiden sich lediglich darin, dass eine der beiden Gruppen im Rahmen des EFI-Projektes an einem dreimal stattfindenden je dreitägigen Seminar teilnimmt und in der Folge als seniorTrainer freiwillig tätig wird. Die Befunde der Studie stützen die bisher vielfach verbreitete Auffassung persönlicher Gewinne von Freiwilligem Engagement im Alter, z.B. für die Aufrechterhaltung eines Produktivitätserlebens und für gesteigertes Wohlbefinden. Diese Gewinne können durch andere, bestimmte Faktoren verstärkt werden. Mühlig-Versen benennt dazu: 187 188
„the involvement in meaningful activities, the increase in competence by broadening knowledge and skills, social support including feedback and encouragement, and Vgl. Morros, Pushkar & Reis 1998, S. 219ff Mühlig-Versen 2008, S. 68
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especially the pursuit and attainment of a personal goal.”189
Ein weiteres Ergebnis ihrer Studie ist, dass die Teilnahme am EFIEngagementprojekt allein nicht ausreichend für die Nachweisbarkeit persönlichen Wachstums älterer Freiwilliger ist. Ihre Forschung weist darauf hin, dass persönliche Eigenschaften wie z.B. persönliche Kontrollüberzeugungen wichtig 190 sind. So zeigt sich, dass nur Teilnehmer mit hohen persönlichen Kontrollüberzeugungen durch die Teilnahme am EFI Projekt signifikant offener für neue Erfahrungen wurden. Somit belegt die Studie empirisch, dass persönliche Entwicklung nicht wie oftmals angenommen191 in der Adoleszenz endet, sondern dass auch im Alter Persönlichkeitsveränderung möglich ist, wenn bestimmte Voraussetzungen, wie zum Beispiel Kontextbedingungen sowie persönliche Eigenschaften, vorhanden sind.
2.2.3 Identitätsrelevanz von Freiwilligem Engagement im Dritten Alter – eine sozialpsychologische Studie (2004) „Aus der Betätigung schöpften sie Identität und soziale Anerkennung. Erwerbsarbeit und Lebenssinn sind in der Industrie- und Arbeitsgesellschaft eng miteinander verbunden (…), sodass die Einzelnen ihren Wert nur durch Tätigsein und sichtbaren Erfolg erhalten.“192 (Gerlinde Wouters)
In der sozialpsychologischen Studie von Wouters193 stehen die Fragen nach Identitätsrelevanz von Freiwilligem Engagement für Menschen in der nachberuflichen Lebensphase sowie die Auseinandersetzung mit einer sich verändernden `Arbeits- und Tätigkeitsgesellschaft´ im Fokus. Für die vorliegende Studie sind vor allem die Herangehensweise und Ergebnisse zur ersten Frage weiterführend. Methodische Basis ihrer Untersuchung sind dazu elf Leitfadeninterviews mit Menschen im Dritten Alter, die sie in zwei Gruppen unterteilt. Zum einen befragt sie Menschen, die in ihrem Berufsleben eher höhere Angestellte und 189
Mühlig-Versen 2008, S. 170 Ebd., S. 169 191 Vgl. z.B. Costa & McCrae, 1994 192 Wouters 2004, S. 109 193 Veröffentlicht wurde ihre Studie 2005 unter den Titel: „Zur Identitätsrelevanz von Freiwilligem Engagement im dritten Lebensalter. Anzeichen einer Tätigkeitsgesellschaft.“ Im Folgenden wird sich jedoch vorrangig auf den Ursprungstext (Dissertationsschrift von 2004), bezogen. 190
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Selbstständige waren, zum anderen Menschen, die Sozialhilfe empfangen haben. Theoretische Basis ihrer Studie bildet das von ihrem Doktorvater Keupp entwickelte Modell der Patchworkidentität mit den zentralen Begriffen `Konstruktion´, `Kohärenz´ und `Anerkennung´. Leider wird in ihrer Arbeit der Begriff `Identitätsrelevanz´ nicht klar definiert und belegt. Wouters stellt fest, dass ihre Interviewpartner einer Generation angehören, in der die Erwerbsarbeit „als Zentrum des Lebens“ wahrgenommen wird. Weitere Orientierungsmarken sind „die geordnete Verteilung der Aufgaben von Mann und Frau“ und „die Dreiteilung des Lebens in Ausbildung, Berufstätigkeit und Ruhestand“. Durch den Eintritt in den Ruhestand gerät, so Wouters, dieser „fest gefügte und Sicherheit vermittelnde Rahmen ins Schwanken“. Folglich stehen die Personen dann vor der Aufgabe, sich aktiv zu positionieren und „ihr Selbst finden zu müssen“194. Ob und wie sie dieses Selbst finden, untersucht die Sozialpädagogin im Kontext von Freiwilligem Engagement, das sie als identitätsrelevantes Feld im Sinne einer möglichen „Teilidentität“195 identifiziert.196 Die Ergebnisse ihrer Befragung zum subjektiven Erleben des oftmals frühzeitigen und überraschenden Ausscheidens aus dem Berufsleben ihrer Befragten bezieht Wouters auf Marcias Ansatz und die dort verankerte Phase des Moratoriums.197 Sie stellt für die Befragten eine „Erschütterung ihrer Identität und ihres Selbstwertes“ fest, da das „Fundament ihrer langjährigen Identitätskonstruktion, bestehend aus erfolgreicher Arbeit und abgesichertem Eigentum oder Einkommen“ ins Schwanken gerät. Dieses Moratorium sei eine „Phase der Verunsiche198 rung“, worauf eine Phase des „Experimentierens“ folge. Als ein mögliches Experimentierfeld zieht sie Tätigkeiten im Freiweilligen Engagement heran und stellt für ihre Befragten vier Typen von Freiwilligen fest:199
194
Kontinuität in der Arbeitsethik und im Tätigkeitsfeld (Typ 1): Menschen dieses Typus folgen weiterhin der Logik der Erwerbsarbeit. Sie gehen dadurch wenige Risiken ein, „ihr Identitätsprojekt zu gefährden“200 Kontinuität in der Arbeitsethik und Diskontinuität im Tätigkeitsfeld (Typ 2): Personen dieses Typus führen zwar die Arbeitsethik weiter, werden jedoch in einem anderen, neuen Feld tätig. Solche Menschen versuchen, ihr Engagement so zu strukturieren, dass sie sich ausgiebig beschäftigt fühlen. Oft-
Wouters 2004, S. 12 Vgl dazu die Beschreibung von Teilidentitäten in Keupps Identitätsmodell, Kapitel 2.1.4 196 Vgl. Wouters 2004, S. 20 197 Vgl. Kapitel 2.1.3 198 Vgl. Wouters 2004, S, 123f 199 Wouters 2004, S. 213ff 200 Ebd. S. 213ff 195
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mals versuchen sie aus ihrem Engagement „den optimalen Ertrag“201 h zu erzielen. Kontinuität im Tätigkeitsfeld und Diskontinuität in der Arbeitsethik (Typ 3): Befragte dieses Typus nutzen ihre beruflich erworbenen Erfahrungen und Kompetenzen im Freiwilligen Engagement, aber engagieren sich nur in einem „selbstbestimmten Maß“202. Die neue Tätigkeitsethik setzt sich deutlich von der Ethik der ehemaligen Berufstätigkeit ab. Kennzeichnend ist ein selbstbestimmter Einsatz von Zeit für das Engagement. Diskontinuität im Tätigkeitsfeld und in der Arbeitsethik (Typ4): Menschen dieses Typus steigen nach ihrer Berufstätigkeit in ein neues Freiwilligenfeld ein und unterscheiden die Art und Weise ihrer freiwilligen Tätigkeit deutlich von den Vorgaben der Erwerbsgesellschaft.
Die Notwendigkeit einer stimmigen Identitätskonstruktion stellt sich bei allen vier Typen, gleich welcher Gruppe sie angehören. Die Ergebnisse der Studie machen auch deutlich, dass es insbesondere die individuellen ökonomischen, sozialen und kulturellen Ressourcen seien, die entscheidend dazu beitragen, welche Optionsräume sich eröffnen oder nicht. So hält Wouters fest: „Den erfolgreichen höheren Angestellten und Selbstständigen stehen nach ihrem Ruhestand wiederum die höher qualifizierten und professionell begleiteten Freiwilligen-Jobs offen. Damit wird ihre Erfolgsgeschichte positiv bestätigt und weiter203 geführt.“ Nicht bestätigt sieht Wouters in ihren Ergebnissen das von Erikson beschriebene Modell, nämlich „das Finden einer dem Alter angemessenen Integrität“, sondern sie identifiziert bei den Befragten eher einen „unabgeschlossenen Prozess des Suchens nach einer stimmigen Idenentitätskonstruktion“.204 Bezogen auf Marcias Modell stellt sie die These auf, dass das Freiwillige Engagement eine erarbeitete Identitätskonstruktion im Sinne von Marcias Achievement sein könnte. Interessant ist, dass die Autorin darauf hinweist, dass es notwendig sei, in einem qualitativen Forschungsvorhaben mit mehreren Interviewzeitpunkten zu erheben, inwiefern „sich dieses Arrangement erneut verflüssigen wird bzw. in den Worten von Marcia, von einem weiteren `Moratorium´ abgelöst werden 205 wird“ . Dieser Forderung, wird – was an dieser Stelle vorwegnehmend angesprochen werden kann – im Rahmen dieser Studie nachgegangen. 201
Wouters 2004, S. 214 Ebd., S. 214 Ebd., S. 222 204 Ebd., S. 181 205 Wouters 2004, S. 182 202 203
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Zusammenfassend kann anhand der vorgestellten empirischen Ergebnisse festgehalten werden, dass Tätigkeiten im Freiwilligen Engagement für die Identitätsentwicklung von Menschen im Dritten Alter enorme subjektive Relevanz haben können. Das Engagement kann zu einem frei gewählten Identitätsprojekt und Erfahrungsfeld werden. Welchen Aspekten dabei besondere Bedeutung zukommt, wird im dritten Kapitel anhand einzelner Phänomene analysiert
3 Freiwilliges Engagement als möglicher Kontext von Identitätsentwicklung im Dritten Alter – Differenzierung spezieller Aspekte
Im dritten Kapitel werden die Schnittmengen der Themenfelder `Identität´, `Drittes Alter´ und `Freiwilliges Engagement´ ins Blickfeld gerückt. In den Schnittmengen lassen sich spezielle erkenntnisleitende Aspekte differenzieren. Es wird beantwortet, wie Menschen durch ihr Engagement Kohärenz erleben oder wie eine freiwillige Tätigkeit Teil persönlicher Selbstverortung werden kann. Das freiwillige Engagement bietet, gerade dann wenn es in Gruppen begleitet wird, für den Einzelnen wichtige Austauschmöglichkeiten mit anderen. Engagement öffnet nachberufliche Tätigkeitsfelder, in denen sich Ältere weiterhin produktiv erleben können. Sie können in begleitenden Bildungsangeboten ihre Kompetenzen erweitern und sich selbst durch ihr Engagement als kompetent erleben. Engagement kann Anerkennungsräume schaffen, und zwar auf dreifache Weise: Im Sinne einer Selbst-Anerkennung, einer Anerkennung durch andere und einer gesellschaftlichen Anerkennung. Letztlich geht es bei der Darstellung aller Schnittmengen um die forschungsleitende Frage: Welche Aspekte können zur Bestimmung von Identitätsentwicklung beitragen? Dabei stehen die Aspekte in keiner hierarchischen Ordnung zueinander, da sie individuell variieren und daher als gleichberechtigte Aspekte im Gesamtgefüge zu verstehen sind.
3.1 Kohärenz „Kohärenz ohne `Identitätszwang´ ist ein kreativer Prozess der Selbstorganisation.“206 (Heiner Keupp)
Ausgehend von den Erkenntnissen des israelischen Gesundheitsforschers Antonovsky kann erklärt werden, warum manche Menschen eine Krise, eine Erkrankung oder seelische Verunsicherungen besser als andere bewältigen. Zentral ist 206
Keupp 1998, S. 18
J. Steinfort, Identität und Engagement im Alter, DOI 10.1007/ 978-3-531-92441-0_4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
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Differenzierung spezieller Aspekte
dazu der so genannte „Kohärenzsinn“ – also die Fähigkeit eines Subjekts, in seinem Leben Sinn zu entdecken oder zu stiften. Von besonderer gesundheitsförderlicher Bedeutung sind nach Antonovsky Ressourcen, durch die das Subjekt sich belastenden, widrigen und widersprüchlichen Alltagserfahrungen stellen und mit ihnen produktiv umgehen kann. Er zeigt weiter auf, dass die Mobilisierung von Ressourcen in ihrer Wirksamkeit letztlich von einer zentralen subjektiven Kompetenz abhängt, nämlich dem Gefühl von Kohärenz, welches er wie folgt beschreibt: „Das Gefühl der Kohärenz, des inneren Zusammenhangs, ist eine globale Orientierung, die ausdrückt, inwieweit jemand ein sich auf alle Lebensbereiche erstreckendes, überdauerndes und doch dynamisches Vertrauen hat.“207 Die Geragogin Ruhland gelangt nach den Analysen der Ansätze von Antonovsky und Frankl zu der Aussage, dass ein älterer Mensch, der eine für sich selbst befriedigende Sinnantwort gefunden hat, in der Lage ist, Eigenverantwortung für sein Leben zu übernehmen und dadurch über ein breites Spektrum an Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten verfügt, welche zum Aufbau und Erhalt eines „positiven Lebenswertgefühls“208 beitragen. 209 Auch der Sozialpsychologe Keupp betont die Bedeutung des Kohärenzgefühls innerhalb aktueller Identitätsforschungen.210 In Bezug auf das Älterwerden vermutet er eine große Varianz innerhalb der älter werdenden Bevölkerung im Hinblick auf ihre Selbstdeutungen und ihr Zutrauen eigener Selbstwirksam211 keit. Dieser Frage nachzugehen beschreibt er als interessantes Feld für weitere Identitätsforschungen.212 Bezug nehmend auf aktuelle Gesellschaftstrends betont er, dass Kohärenz nicht als „innere Einheit“ oder „Harmonie“ verstanden werden solle, sondern als offene Struktur, in der auch Widersprüche möglich bleiben. Entscheidend sei, dass die individuell hergestellte Verknüpfung für das Subjekt selbst eine passende Form habe. Die Psychologen Wiesmann, Rölker und Hannich beschäftigen sich in ihren Forschungen ausführlich mit dem Salutogenesemodell. Für das Dritte Alter leiten sie Implikationen ab, die sich auf eine Stärkung der Komponenten Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Bedeutsamkeit beziehen. Sie benennen die Mög207
Antonovsky 1987, S. 19 Ruhland 2006, S. 155 209 Vgl. auch Gösken & Pfaff 2003: Die Autoren weisen auf facettenreiche Aspekte der Geragogik hin, u.a. auch bezogen auf nachberufliche Engagementbereiche und Gestaltungsmöglichkeiten im Alter 210 Vgl. Keupp 1999. S. 57 211 Vgl. hierzu den Verweis Keupps auf die Forschungen von Heinze et al (1997): Neue Wohnung auch im Alter. Schader Stiftung. Hier wird erhoben, dass 35,5 % gemeinschaftsorientierte Ältere sind, 31,2% familienorientierte Ältere, 20,8% aktive Ältere und 12,5 % resignierte Ältere. 212 Vgl. Keupp 2006, S. 21 208
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lichkeit, Menschen beim Übergang in den Ruhestand verschiedene Interventionsangebote aus verschiedenen Aktivitätsebenen anzubieten, um das hinzu kommende Potenzial an freier Zeit sinnvoll nutzen zu können. Sie führen aus: „Bei der Konfrontation mit (…) alterskorrelierten potentiellen Stressoren kann der ältere Mensch die neu erlebte Aktivität einsetzen, um zum Beispiel zur Ruhe zu kommen, Spannungen zu lösen und wieder einen klaren Kopf zu bekommen, was einer erfolgreichen Bewältigung einer solchen Situation wiederum sehr zuträglich ist.“213 Entgegen der Annahme, dass sich die allgemeine Lebensorientierung bis zum 30. Lebensjahr ausbilde und dann weitergehend stabil bleibe214, konnten die Autoren 2006 erstmalig empirisch belegen, dass das Kohärenzgefühl 215 „im Alter formbar und entwicklungsfähig ist“ . Auf das Engagementfeld übertragen kann Freiwilliges Engagement in der nachberuflichen Lebensphase salutogenetisch gesehen einen Versuch darstellen, interne und externe Ressourcen zu suchen und für die Stärkung des Kohärenzgefühls zu nutzen, und zwar auf den drei EbenenVerstehen, Bewältigung und Sinn.216 Somit ist es die Aufgabe eines jeden Einzelnen, ein persönliches Sinnsystem auf dem Hintergrund individueller Freiheit aufzubauen.217 Das selbst gewählte Freiwillige Engagement kann eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn des individuellen Handelns in der nachberuflichen Lebensphase sein, so dass Menschen durch ihr Tätigwerden ein Gefühl der Zufriedenheit mit dem eigenen Leben durch die Herstellung eines kohärenten Sinnzusammenhangs erleben.
3.2 Selbstverortung „Das begleitende Gefühl der Identität ist das Selbstwertgefühl.“218 (Verena Kast)
Eng verbunden mit dem Erleben von Kohärenz sind Selbstwertschätzung, Selbstwertgefühl und Selbstbild einer Person. Diese Aspekte werden hier zusammenfassend unter dem Begriff `Selbstverortung´ behandelt. Zur Erforschung 213
Wiesmann, Rölker, Ilg, Hirtz und Hannich 2006, S. 90 Vgl. z.B. Backes 2003, S. 181 215 Wiesmann, Rölker und Hannich 2003, S. 374 216 Vgl. Wiesmann, Rölker und Hannich 2003, S. 375 217 Vgl. Staudinger & Dittmann-Kohli 1992, S. 416 218 Kast 2003, S. 35 214
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möglicher Identitätsentwicklungen in der nachberuflichen Lebensphase können konkrete Veränderungen in der Art und Weise der Selbstverortung wichtige Hinweise auf Entwicklungen geben. So kann das Dritte Alter zu einer Zeit werden, in der Tätigkeiten mehr denn je durch Eigenmotivation und Selbstbestimmung geprägt sind. In der psychologischen Literatur finden sich viele Studien, die sich mit Selbstverortungen und speziell mit der Entwicklung von Selbstwert und Selbsteinschätzungen beschäftigen. Diese werden vor allem im Rahmen empirischer Studien als Einstellungen definiert und oftmals in differenzierten Selbstkonzeptskalen erfasst.219 Interessant sind insbesondere die Ergebnisse der LEANDER Studie220 von Leipold, Schacke und Zank (2006). Sie zeigen, dass negative Selbsteinschätzungen negativ mit Persönlichkeitswachstum verbunden sind. Die Forscher können nachweisen, dass das Gefühl, der Pflege eines Angehörigen nicht angemessen gerecht zu werden und viele Fehler zu machen, zu einem geringeren Persönlichkeitswachstum führt.221 Zentral für die Fragestellung der vorliegenden Studie ist das Ergebnis, dass es weniger Beurteilungen der Situation durch andere sind, die Persönlichkeitswachstum prägen, sondern vielmehr die eigene, kritische Einschätzung der konkreten Situation. Dies kann als Hinweis gedeutet werden, dass Menschen im Dritten Alter durch ihr Engagementfeld versuchen, ihr Selbstwertgefühl zu stärken. In der gerontologischen Forschung entwickelten Amrhein und Backes 222 jüngst den Ansatz einer „narrativen Gerontologie“ , innerhalb derer sie der Frage nachgehen, auf welche Art und Weise Menschen im Dritten Alter auf ihr Älterwerden reagieren und sich in dieser Lebensphase verorten. Dazu identifizieren die Autoren auf der Basis idealtypischer Reaktionsstile, vier unterschiedliche „Alter(n)sidentitäten“223. Diese unterscheiden sich in der Bewertung des Prozesses des Alterns (positiv, gemischt, negativ), im subjektiven Erleben (Altern als Abbau oder Weiterentwicklung), in der Verankerung von Identität (Körper, Geist, soziale Beziehungen), im zugrundeliegenden Selbstbild (reifes, altersloses oder jugendliches Selbst) und darin, welche sozialen Abgrenzungskriterien verwendet werden (Jugendlichkeitskult, Körperfixierung, Geistlosigkeit oder kör219
Vgl. Deusinger 1990, S. 208ff Die LEANDER-Studie ist eine Längschnittstudie zu Fragen der Belastung pflegender Angehöriger von demenziell Erkrankten, gefördert durch das BMFSFJ, vgl. Leipold / Schacke/ Zank, 2006, S. 227ff 221 Forschungsmethodisch wird Persönlichkeitswachstum in der Studie in Anlehnung an die von Ryff (1989, 1999) definierten Dimensionen `persönlichen Wachstums´ ermittelt. In dem multidimensionalen, empirisch bestätigten Modell werden die Dimensionen Selbstakzeptanz, positive Beziehungen zu anderen, Autonomie, Umweltbewältigung, Lebenssinn und persönliches Wachstum erfasst. 222 Amrhein & Backes 2008, S. 382 223 Amrhein & Backes 2008, S. 382 220
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perliche Passivität). Ergebnis ihres Forschungsprojekts `Modelle der Lebensführung im Alter´224 sind folgende vier Alter(n)sidentitäten:
Identifikation mit dem Alter: Personen dieses Typus bejahen das Älterwerden und das Alter und sehen es als gleichrangig mit anderen Lebensphasen an. Körperliche und psychische Veränderungen sind für sie Normalität. Das Selbstbild dieses Typus bekennt sich zu seinem Alter ohne Vorbehalte. Ambivalente Akzeptanz: Befragte dieses Typus sehen sowohl Verluste als auch Gewinne dieser Lebensphase. Der Alternsprozess wird sowohl akzeptiert als auch gefürchtet. Alterslosigkeit: Menschen dieses Typus empfinden einen Dualismus zwischen dem kalendarischen, körperlichen und gefühlten Alter. Während sie die körperliche Alterung wahrnehmen, empfinden sie ihr `Selbst´ alterslos. Auflehnung gegen das Alter(n): Personen dieses Typus kämpfen gegen ihren Alternsprozess an. Typisch sind hier beispielsweise Versuche, durch 225 plastische Eingriffe ein jugendlicheres Aussehen zurückzuerhalten.
Den Typ `Ambivalente Akzeptanz´ beschreiben die Autoren als „Durchschnittstypus“ und vermuten, dass „diese Mischung aus positiven und negativen Einstellungen zum Altern (...) häufiger bei Menschen anzutreffen“ sei, „die mit ihrer beruflichen Ausgliederung einen Kontinuitätsbruch erfahren haben“226. Hier ist denkbar, dass freiwillige Tätigkeiten eine Möglichkeit bieten, diesen Bruch weniger krisenhaft zu erleben. Zur Ermittlung von Identitätsentwicklungen im Dritten Alter im Kontext freiwilliger Tätigkeiten sind demnach folgende Erkenntnisse weiterführend: Es sind weniger Beurteilungen durch andere oder das Alter einer Person als solches ausschlaggebend für die Selbstverortung einer Person. Vielmehr bilden spezifische persönliche Eigenarten die Grundlage wesentlicher Aspekte der Verortung. Auch basiert diese Selbstverortung weniger auf körperlichen als auf psychologischen Merkmalen einer Person.227 Freiwilliges Engagement könnte somit – als eine weitere These – ein mögliches Feld persönlicher Selbstverortungen darstellen. 224
Die empirische Basis bilden hierbei 25 qualitative Leitfadeninterviews, die gemäß dem Kodierverfahren der grounded theory ausgewertet wurden. 225 Zur Identitätsrelevanz von Leib und Körper im Alter sind die Forschungen von Gugutzer 2008 weiterführend: Hier wird belegt, dass Selbst- und Körperthematisierungen im Alter zunehmen und in spätmodernen Gesellschaften aneinander gekoppelt sind. 226 Amrhein & Backes 2008, S. 392 227 Vgl. Borozdina & Molchanova 1997, S. 305
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3.3 Signifikante Andere „Es gibt aber kaum ein beglückenderes Gefühl, als zu spüren, dass man für andere Menschen etwas sein kann. Dabei kommt es gar nicht auf die Zahl, sondern auf die Intensität an. Schließlich sind menschliche Beziehungen doch einfach das Wichtigste im Leben; Daran kann auch der moderne `Leistungsmensch´ nichts ändern.“228 (Dietrich Bonhoeffer)
Die Art und Weise der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben und Belastungen ist nicht nur von persönlichen Dispositionen, sondern auch von der sozialen Unterstützung im jeweiligen Kontext abhängig.229 In diesem Abschnitt wird daher ein kurzer – schwerpunktmäßig soziologischer – Abriss geliefert, in dem beschrieben wird, welchen sozialen Charakter Identität im Alter innehat. Soziale Beziehungen sind entscheidende Bedingungen menschlicher Entwicklung. Das Gefühl, eingebunden zu sein, bedeutet das Erleben subjektiv befriedigender Quantität und Qualität sozialer Kontakte.230 Für persönliche Identitätskonstruktionen bedeutet dies, dass der Mensch nur dann Identität entwickeln kann – und die, die er entwickelt hat, zu erhalten vermag – wenn er am gesellschaftlichen Prozess in Form selbst gewählter Kommunikation teilnehmen 231 kann. Die Gedanken des amerikanischen Philosophen und Psychologen Mead sollen hier stellvertretend für viele weitere theoretische Auseinandersetzungen zu den Wechselwirkungen zwischen Subjekt und Gesellschaft aufgeführt werden.232 So formuliert Mead: „Man ist, was man ist, insoweit man Mitglied der Gemeinschaft ist. Das Rohmaterial, aus dem sich dieses bestimmte Individuum entwickelt, wäre keine Identität, bestünden nicht seine Beziehungen zu anderen Mitgliedern der Gemeinschaft. So wird man sich der eigenen Identität bewusst, und zwar nicht nur als politischer Bürger oder als Mitglied einer Gruppe, sondern 233 auch vom Standpunkt des reflexiven Denkens aus.“
228
Dietrich Bonhoeffer 1944, Brief aus der Haft Vgl. Kruse 1997, S. 335ff 230 Vgl. Pinquart 1998, S. 11 231 Vgl. Mead 1973, S. 197 232 Weiterführende soziologische Definitionen finden sich u.a. bei Charles Horton Cooley (1902): The social self: On the meanings of `I´; bei Erving Goffmann (1963): Stigma. Notes on the Management of Spoiled Identity und Lothar Krappmann (1993): Soziologische Dimensionen der Identität. 233 Mead 1973, S.244f 229
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Mead führt weiter aus, dass es für diesen Standpunkt des reflexiven Denkens ein Gegenüber brauche. Dieser Andere müsse für das Subjekt wichtig und bedeutsam sein, also ein `signifikanter Anderer´. Innerhalb seiner Theorie beschreibt er Identität als einen subjektiven Aushandlungsprozess: „Wir stehen in einem Dialog, in dem unsere Meinung von der Gemeinschaft angehört wird. Der Dialog setzt voraus, dass der Einzelne nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht hat, zur Gemeinschaft zu sprechen, deren Mitglied er ist, um jene Veränderungen herbeizuführen, die durch das Zusammenspiel der Individuen zustande kommen. Das ist die Art und Weise, in der sich die Gesellschaft weiterentwickelt, nämlich durch die wechselseitige Beeinflussung, wie sie sich dort vollzieht, wo eine Person etwas zu Ende denkt. Wir verändern ständig in einigen Aspekten unser gesellschaftliches System und wir können das intelligent tun, weil wir denken können. Das ist der reflektive Prozeß, in dem sich Identität ent234 wickelt.“ Gesellschaftliche Einflüsse der Identitätsentwicklung im Alter beschreibt der Heidelberger Gerontologe Schmitt. Er betont die Relevanz von Altersbildern, die sich auf die Fähigkeit der Ausprägung einer Ich-Integrität im Alter oder – wie er es bezeichnet – die `Gerotranszendenz´ auswirken können. Als hinderlich für die Entwicklung von Identität nennt er drei Punkte: 1. 2. 3.
Die Orientierung zentraler Bezugspersonen an einseitig negativakzentuierten Altersbildern Die Zurückweisung individueller Bemühungen um Sinnfindung und Fehldeklarierung als `Selbstbezogenheit´ Das Ignorieren des Bedürfnisses nach Reflexion über soziale Rollen und die eigene Entwicklung im Alter.235
Das freiwillige Engagement bietet - gerade dann, wenn es in Gruppen begleitet wird – für den Einzelnen wichtige Austauschmöglichkeiten mit signifikanten Anderen.
234 235
Mead 1973, S. 211 Vgl. Schmitt 2006, S. 8
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3.4 Produktivität „…ein in der Arbeit sich verbrauchendes Leben ist der einzige Weg, auf dem auch der Mensch in dem vorgeschriebenen Kreislauf der Natur verbleiben kann, in ihm gleichermaßen mitschwingen kann zwischen Mühsal und Ruhe, zwischen Arbeit und Verzehr, zwischen Lust und Unlust mit derselben ungestörten und unstörbaren, grundlosen und zweckfreien Gleichmäßigkeit, mit der Tag und Nacht, Leben und Tod aufeinander folgen.“236 (Hannah Arendt)
Wie die Philosophin und Politikwissenschaftlerin Arendt im oben stehenden Zitat ausdrückt, wird hier nun auf die Bedeutung eines `Produktivitätserlebens´ eingegangen. Wie bereits in Kapitel 3.3 dargestellt, steht ein handelnder, produktiver Mensch in Beziehung zu anderen. Die Verknüpfung beider Dimensionen – in Beziehung sein und handeln zu können – beschreibt Arendt als zentrale Fähigkeit des Menschen, sich in seiner Individualität zu zeigen: „Wer ich bin, das kann ich nicht erfahren oder festhalten in passiver oder sprachloser Zurückgezogenheit. Erst wenn ich spreche und handle, gebe ich Aufschluss über mich, zeige mich und gebe mich aus der Hand.“237 Folgt man dieser Annahme, kann vermutet werden, dass „Arbeit im Sinne von etwas herstellen, aktiv sein, sich verwirklichen und sich in der Verwirklichung erkennen und anerkannt werden“ ein weiterer wichtiger Aspekt des subjektiven „Identitätserlebens“ ist.238 Da der Begriff Produktivität nicht selbst erklärend ist und er insbesondere in politischen Debatten eine eigene Konnotation 239 erfährt , wird der Begriff eingegrenzt. Wenn im Folgenden von Produktivität die Rede ist, wird dem von Staudinger vorgeschlagenen Begriff der „psychologischen Produktivität“240 im Sinne einer vielfältigen, aktiven und teilhabenden Realität des Alterns entsprochen. Zentraler Bestandteil dieser psychologischen Produktivität ist es, dass sich hier nicht auf direkte Nützlichkeit reduziert wird, sondern, dass sich Produktivität auch auf subjektiver Ebene, z.B. in emotionalen Prozessen, ausdrücken kann. Erkenntnisse der Psychogerontologie zeigen, dass regelmäßige Aktivität frühzeitigen Einbußen vorbeugen kann, so dass `produktives Altern´ von Individuen oftmals als zentrale Voraussetzung eines `erfolgreichen Alterns´ gesehen 241 wird. Der Gerontologe Kruse weist darauf hin, dass es auf gesellschaftspoliti236
Arendt 1972, S. 126 Arendt zit. n. Kruse 2001, S. 51 238 Kast 2003, S. 30 239 Vgl. Rohleder 2003, S. 204 240 Staudinger 2002, S. 65 241 Vgl. Rohleder 2003, S. 193 237
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scher Ebene um eine generelle Anerkennung einer produktiven und mitverantwortlichen Generation Älterer gehen müsse. Dazu sollten Möglichkeiten geschaffen werden, in denen Ältere ihre Interessen weiter verwirklichen könnten, wodurch wiederum auch die Gesellschaft Bereicherung erfahren könne. Auch wenn viele Menschen im Dritten Alter einen aktiven gesellschaftlichen Beitrag leisten wollen – wie z.B. in Feldern freiwilliger Tätigkeiten – schränkt Kruse die Produktivitätsdebatte ein, indem er betont, dass es nicht darum gehen könne, Produktivität als notwendige Bedingung für ein gelingendes Leben im Alter zu 242 begreifen. Diejenigen, die sich handelnd weiter einbringen möchten, finden in Tätigkeiten im Freiwilligen Engagement Möglichkeiten zum eigenen Produktivitätserleben.243 Tätigkeiten führen hier fast immer zu unmittelbar wahrnehmbaren Ergebnissen, so dass die Wirkungen des eigenen Tuns direkt erlebbar sind. In eben dieser subjektiv nachvollziehbaren Wirkung des Engagements liegt ein zentraler Motivationshintergrund. Das Gefühl, produktiv zu sein, häufig auch direkt gebraucht zu werden, erhält eine wichtige, sinnstiftende Bedeutung, auch und gera244 de im Dritten Alter. Eine weitere These kann daher formuliert werden: Engagement öffnet nachberufliche Tätigkeitsfelder, in denen sich Ältere weiterhin als `produktiv´ erleben können.
3.5 Kompetenzerleben „Im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements wird (…) ein Kompetenzbegriff benötigt, der aus der Perspektive von Akteuren in einem von ihnen definierten Handlungsfeld ausgeht und dabei bürgerschaftliches Handeln als selbstorganisierte und selbstgesteuerte Praktiken konzeptionell berücksichtigt.“245 (Ortfried Schäffter)
Ein weiterer Aspekt zur Annäherung an das Verstehen von Identitätsentwicklung ist die Auseinandersetzung mit dem subjektiven Kompetenzerleben der Freiwilligen. Dass das Freiwillige Engagement selbst ein wichtiges Lernfeld für bestimmte Kompetenzen und speziell für die Entwicklung der Persönlichkeit dar242
Vgl. Kruse 2001, S. 52f Vgl. Rohleder 2003, S. 204 244 Vgl. Keupp & Kraus 2000, S. 230 245 Schäffter 2003, zit. n. Bubolz-Lutz & Kricheldorff 2006. S. 66 243
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stellt, ist inzwischen mehrfach – wenn auch eher für das informelle Lernen im Jugendalter – belegt.246 Da der Kompetenzbegriff in Abhängigkeit verschiedener Kontexte unterschiedlich gefasst wird, soll hier ein Begriffsverständnis favorisiert werden, dass sich explizit auf das Erleben im Freiwilligen Engagement bezieht. Auf den Erfahrungen im Freiwilligenprojekt Pflegebegleiter aufbauend beschreiben BubolzLutz und Kricheldorff das Konzept der Kompetenzentwicklung wie folgt: Das Kompetenzverständnis für Freiwilliges Engagement „unterscheidet sich sowohl von den Ausgangsbedingungen als auch von den Lernergebnissen her. Im Gegensatz zu schulischem Lernen beginnt bürgerschaftliches Lernen nicht quasi am Nullpunkt: Zum Engagement motivierte Bürger bringen bereits vielfältige Kompetenzen mit, und zwar nicht nur Alltagskompetenzen, sondern zum Teil auch 247 Fachkompetenzen oder Sachkompetenzen.“ Aufgrund der inhomogenen Situationen, in denen Engagement stattfindet, weisen die Autorinnen weiter darauf hin, dass der Fokus demnach nicht auf „von außen festgeschriebenen Standards für richtiges bzw. kompetentes Verhalten“ liegen soll, sondern dass es vielmehr um die Förderung der Selbstbestimmung der Freiwilligen gehe.248 Kompetenz ist nach ihrer Definition das Ergebnis eines Abgleichs von Person und Umwelt und demnach etwas qualitativ anderes als eine konkrete Fähigkeit oder Fertigkeit. Kompetenz im Freiwilligen Engagement wird innerhalb einer konkreten Handlung und Situation erlebt, weshalb Schäffter hier auch von 249 einem situativen Kompetenzbegriff spricht. Dieses persönliche Kompetenzerleben impliziert einen individuellen Prozess, der auf Grundlage eigener Voraussetzungen und äußerer Handlungsbedingungen geschieht. Um sich selbst im Freiwilligen Engagement als kompetent zu erleben, müssen folgende drei Punkte erfüllt werden:
es müssen eigene Handlungsziele formuliert werden, es bedarf der Fähigkeit, die jeweils geeigneten Mittel zur Erreichung dieser Ziele einzusetzen und 250 es braucht ein situationsangemessenes Verhalten.
Die Autorinnen folgern, dass Fortbildungen zur Kompetenzentwicklung im Freiwilligen Engagement den Charakter einer „unterstützenden Entwicklungsbegleitung“251 haben sollen. 246
Vgl. z.B. Düx et al. 2008, Hansen 2008 Bubolz-Lutz & Kricheldorff 2006, S. 62f Ebd., S. 62ff 249 Schäffter 2003 250 Vgl. Bubolz-Lutz & Kricheldorff 2006, S. 66 247 248
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Wenn Engagementprojekte und -programme einen wie hier postulierten Kompetenzbegriff zu Grunde legen, können – so eine Vorüberlegung innerhalb dieser Studie – Freiwillige in begleitenden Bildungsangeboten ihre Kompetenzen erweitern und sich selbst durch ihr Engagement in konkreten freiwilligen Tätigkeiten als kompetent erleben, was wiederum zur Identitätsentwicklung beiträgt.
3.6 Anerkennung „Jede Anerkennung ist immer zugleich auch eine Nicht-Anerkennung. Jedes Ja verweist auf ein Nein. Bejahungen und Verneinungen können von verschiedenem Charakter sein, beispielsweise Entweder-Oder und Sowohl-als-Auch und beide können dem Gegenstand oder Inhalt sowohl angemessen wie unangemessen sein. Im (wertend) positiven Sinn ist das Entweder-Oder ein notwendiges Moment der Selbstbestimmung, in welcher ein Individuum sich als ein bestimmtes setzt, sich einen bestimmten Ausdruck gibt: Dieses und nicht jenes.“252 (Rainer-Mathias Limmer)
Sich mit Anerkennung auseinanderzusetzen stellt für Menschen in jeder Lebensphase eine Herausforderung dar, da sie immer auf der Suche nach Antworten auf folgende Frage sind: Wie erreiche ich mit dem, was ich tue und wie ich mich darstelle, Anerkennung?253 Paradoxer Weise treffen dazu das Bedürfnis nach Anerkennung und das nach Unabhängigkeit aufeinander254, so dass sich das Subjekt permanent in seiner Identitätsarbeit zwischen beiden Polen verorten 255 muss. Innerhalb der psychologischen Identitätstheorie wird Anerkennung vermehrt Thema. In der vertieften Auseinandersetzung mit der Literatur fällt jedoch auf, dass die Psychologen auf philosophische Autoren wie Honneth, Taylor, Benjamin oder Hegel zurückgreifen.256 So bezieht sich der Sozialpsychologe 251
Ebd., S. 66 Limmer 2005, S. 249 253 Vgl. Keupp 1999, S. 252 254 Vgl. Benjamin 1993, S. 214 255 Vgl. weiterführend auch Heck 2002 256 Vgl. z.B. Limmer 2005; Keupp 1999 252
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Keupp auf Taylor und erläutert anhand der Überlegungen des Kanadiers, dass Identitätsanerkennungen heute als zunehmend problematisch erlebt werden, da Milieu, Klasse oder Schicht dem Subjekt immer weniger vorgeben, wie es zu leben habe. Folglich müssen, so Keupp weiter, Anerkennungsräume permanent selbst geschaffen und ausgehandelt werden. Anerkennung wird also nicht mehr, wie in den Industriegesellschaften noch üblich, vor allem durch Erwerbsarbeit abgesichert. Vielmehr lösen sich „gegenwärtig arbeitsvermittelte Anerkennungsverhältnisse auf und bilden zunehmend weniger Identitätsgaranten“257. Der Münchener Identitätsforscher Keupp differenziert drei eng miteinander verwobene Dimensionen der Anerkennung: 1.
2.
3.
Aufmerksamkeit von anderen in Form verbaler und nonverbaler Botschaften wie „du bist wer, ich sehe dich, ich höre dir zu, ich lasse mir Zeit, um dich kennen zu lernen, ich bin neugierig auf dich…“ positive Bewertung durch andere in Form verbaler und nonverbaler Botschaften wie „Ich finde gut was du denkst / sagst / fühlst / tust bzw. wie du es denkst, wie du dich gibst, welche Prozesse du herstellst...“ Selbstanerkennung als Selbstbewertung wie z.B. „das, was ich gut finde, müssen/ sollen auch andere gut finden, ich fühle mich auch unabhängig von Bewertungen der anderen gut/ schlecht)“258.
Alle drei Dimensionen müssen, so Keupp, erfüllt sein, damit sich ein Subjekt in seiner Identität voll und ganz anerkannt fühlt.259 Auch Honneth macht unmissverständlich darauf aufmerksam, dass nur dann, wenn Individuen in Intimbeziehungen (z.B. durch wechselseitige Zuwendung in Partnerschaften), in rechtlichen Beziehungen (z.B. als Gesellschaftsmitglied mit bestimmten Rechten und Pflichten) und in individuell erbrachten Leistungen (z.B. im Gefüge einer arbeitsteiligen Organisation) Anerkennung erfahren, sie zu positiven Einstellungen gegen260 über sich selbst gelangen können. Übertragen auf das Freiwillige Engagement kann daher die weitere These formuliert werden: Engagement kann auf dreifache Weise Anerkennungsräume schaffen. Im Sinne einer Selbst-Anerkennung, einer Anerkennung durch andere und einer gesellschaftlichen Anerkennung.
257
Keupp 2000, S. 98f Keupp 1999, S. 256 259 Vgl. Keupp 1999, S. 256 260 Vgl. Pongs 2000, S. 79ff 258
4 Leitthesen und zentrale Fragestellung
Zentrale Aspekte der Arbeit werden in diesem Kapitel als Leitthesen zusammengefasst. Sie bilden die Überleitung der bisherigen theoretischen Ausführungen zur eigenen, empirischen Untersuchung und deren Fragestellung. Wie in den Kapiteln 1 bis 3 dargestellt, wird zunächst folgende Ausgangsthese formuliert: Identitätsentwicklung ist im Dritten Alter im Kontext Freiwilligen Engagements möglich und empirisch `abbildbar´. Die Überprüfung dieser Grundthese steht zunächst im Fokus. Zielführend soll dabei sein, empirische Hinweise aus der Praxis Freiwilligen Engagements hinsichtlich ihrer identitätsentwickelnden Dimensionen zu erhalten. Es wird angenommen, dass eine Auseinandersetzung mit identitätsrelevanten Aspekten im Freiwilligen Engagement stattfindet, wenn diese auch zumeist von den Freiwilligen selbst nicht bewusst reflektiert und explizit formuliert wird. In diesem Forschungsvorhaben wird ein subjektivistischer Blickwinkel gewählt, der darauf verweist, dass Identitätsentwicklung zum einen immer nur subjektiv und zum anderen nur prozessual betrachtet werden kann. Veränderungen in subjektiven Selbstbeschreibungen können nur im Verlauf – also über eine gewisse zeitliche Dimension – sichtbar werden. Die aus den Vorannahmen ableitbaren Thesen, die im Theorieteil fundiert wurden, lauten:
Ein selbst gewähltes Freiwilliges Engagement kann eine Antwortoption auf die Frage nach dem Sinn des individuellen Handelns in der nachberuflichen Lebensphase sein. Menschen können durch ihr Tätigwerden und durch die Herstellung eines kohärenten Sinnzusammenhangs ein Gefühl der Zufriedenheit erleben. Freiwilliges Engagement kann ein mögliches Feld persönlicher Selbstverortungen darstellen. Das Freiwillige Engagement kann – gerade wenn es in Gruppen begleitet wird – für den Einzelnen wichtige Austauschmöglichkeiten mit bedeutsamen Anderen bieten.
J. Steinfort, Identität und Engagement im Alter, DOI 10.1007/ 978-3-531-92441-0_5, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
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Leitthesen und zentrale Fragestellung Im Freiwilligen Engagement eröffnen sich nachberufliche Tätigkeitsfelder, in denen sich Ältere weiterhin als produktiv erleben können. Freiwillige können in begleitenden Bildungsangeboten ihre Kompetenzen erweitern und sich selbst durch ihr Engagement in konkreten freiwilligen Tätigkeiten als kompetent erleben, was wiederum zur Identitätsentwicklung beiträgt. Engagement kann auf dreifache Weise Anerkennungsräume schaffen: Im Sinne einer Selbst-Anerkennung, einer Anerkennung durch andere und einer gesellschaftlichen Anerkennung.
Diese sechs Leitthesen fassen zentrale Aspekte der Thematik zusammen. Die darauf aufbauende zentrale Fragestellung lautet: Wie verläuft Identitätsentwicklung im Dritten Alter im Kontext Freiwilligen Engagements? Diese Fragestellung steht im Zentrum des sich nun anschließenden empirischen Teils der Arbeit. In der Gesamtdiskussion, die an den empirischen Teil anschließt, wird abschließend kritisch reflektiert, inwieweit die Ergebnisse dieser Studie zur Überprüfung der vorstehenden Leitthesen beitragen können.
Teil B
„Eine einfache Beobachtung des Alltagslebens belegt auf zwar nicht wissenschaftliche, aber trotzdem überzeugende Art und Weise, dass sich von Person zu Person nicht zu leugnende Unterschiede der Verhaltensweisen feststellen lassen.(…) Die grundlegende Aufgabe der Forschung ist es, erstens Unterschiede zwischen Menschen zu beschreiben (d.h. festzustellen, was für Unterschiede es gibt und wie umfangreich sie sind usw.) und zweitens unser Verständnis der Dynamik der Unterschiede zu erweitern (d.h. festzustellen, wo sie herkommen, wie sie einander beeinflussen, durch welche Umstände sie bedingt werden u.ä.).“ 261 (Arthur J. Cropley)
Im empirischen Teil der Arbeit wird die Forschungsfrage `Wie verläuft Identitätsentwicklung im Dritten Alter im Kontext Freiwilligen Engagement?´ systematisch untersucht. Dazu werden unterschiedliche Methoden gewählt, um zu einer möglichst umfassenden und mehrere Perspektiven einbeziehenden Analyse zu gelangen.
261
Cropley 2005, S. 11
5 Durchführung
Die empirische Bearbeitung zur Frage nach Identitätsentwicklung im Dritten Alter stellt eine forschungsmethodische Herausforderung dar. Die Operationalisierung von Identität steht erst am Anfang. Diese Untersuchung entwickelt und erprobt einen speziellen Zugang, bei dem ein explizit subjektivistischer Blickwinkel gewählt wird, da Identitätsentwicklung im Rahmen dieser Studie insbesondere durch Narrationen und Veränderungen von Narrationen über den Zeitverlauf sichtbar werden. Um ein entsprechendes Forschungsdesign begründen und entwickeln zu können, werden zunächst methodische Überlegungen (Kap. 5.1) sowie Aspekte der Identitätsforschung (Kap. 5.2) vorangestellt, um darauf aufbauend zu einem diesen Anforderungen entsprechenden Forschungsdesign zur methodischen Problemstellung der `Identitätsentwicklung´ zu gelangen (Kap. 5.3). Weiter wird das konkrete methodische Vorgehen beschrieben (Kap. 5.4).
5.1 Methodische Überlegungen Zur empirischen Erforschung identitätsrelevanter Fragestellungen – hier speziell im Freiwilligen Engagement – kann aus Sicht der Autorin zunächst nur ein qualitatives Vorgehen gewählt werden, da bislang keine Forschungen im speziellen Feld vorliegen und es vielmehr heißt, ein empirisch eher gemiedenes For262 schungsfeld mit ersten Annäherungen zu beschreiten. Die Erforschung des Menschen beschreibt schon Aristoteles als `die Krone der Wissenschaft´, wozu ein eigener wissenschaftlicher Zugang vonnöten sei.263 Somit geht es hier nicht um eine deduktive Logik, die nach Kausalerklärungen und allgemeinen Naturgesetzen fragt, sondern um einen induktiven Zugang, der im Sinne eines einzelfallorientierten Denkens auf die Differenzierung spezifischer praktischer Regeln abzielt.264 262
Erste Annäherungen an die Thematik wurden von der Autorin bereits im Rahmen der Diplomarbeit vollzogen, eine Zusammenstellung zentraler Aspekte findet sich in Steinfort 2006, S. 39ff 263 Vgl. Aristoteles, Werke, Bd. 13, 1959 264 Zu Historie und Grundlagen qualitativen Denkens vgl. Mayring 2002
J. Steinfort, Identität und Engagement im Alter, DOI 10.1007/ 978-3-531-92441-0_6, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
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Durchführung
5.2 Aspekte der Identitätsforschung Die Entscheidung für ein qualitatives Forschungsdesign basiert neben inhaltlichen Aspekten auch auf dem bisherigen Forschungsstand im Themengebiet. Dieser ist innerhalb der Gesamtthematik „Identität im Alter, speziell im Kontext Freiwilligen Engagements“ eher niedrig – wenn auch die Relevanz Freiwilligen Engagements insbesondere der älteren Generation für das Fortbestehen einer demokratischen Gesellschaft in zahlreiche Veröffentlichungen und Forschungen belegt wird (z.B. im aktuellen Freiwilligensurvey und im Engagementatlas 2009). Welche Bedeutung Tätigkeiten im Freiwilligen Engagement aber auch für die Identitätsentwicklung von Menschen haben kann, ist bislang weniger erforscht. Die beiden in Kapitel 2.2 beschriebenen qualitativen Studien von Mühlig-Versen und Staudinger265 im Kontext des EFI-Programms und die Studie von Wouters266 bieten eine erste Ausgangslage. Was bislang fehlt, ist eine weiterführende Forschungsarbeit, die genauer den Zusammenhang von Identitätsentwicklung und Freiwilligem Engagement in der nachberuflichen Lebensphase zum Gegenstand hat. Im Kontext dieser Studie wird dieser Fragestellung speziell im Sinne einer sozialgerontologischen und geragogischen Auseinandersetzung nachgegangen. Dabei wird ein spezieller Zugang genutzt der versucht, Identitätsentwicklung sowohl subjektiv als auch prozessual zu erfassen. Die Notwendigkeit eines solchen Forschungszugangs betont auch Hagenbüchle, da Subjektivität als Untersuchungsgegenstand „…primär auf das sich wandelnde Selbstverständnis des Menschen und dessen Versuch, sich seiner selbst unter veränderten kulturellen Bedingungen immer wieder neu zu vergewissern (abzielt, J.S.), ein Prozess, der grundsätzlich nicht zum Abschluss gelangen kann.“267 Nicht zu vernachlässigen sei in der subjektwissenschaftlichen Forschung die Einbeziehung der Bedeutung gesellschaftlicher Prozesse „von Individualisierung, Destandardisierung und 268 Denn, so Mey: „In kaum einem anderen Feld (…) Enttraditionalisierung.“ stellt sich die Frage nach der Bedeutung gesellschaftlicher Erosionsprozesse mehr als in der Identitätsforschung“ 269. Die Sozialwissenschaftlerin Saake weist darauf hin, dass Forschungen zum Thema `Alter´ biografieorientierte Ansätze benötigen, da es schwierig sei, nach der ohnehin unklaren Kategorie Alter zu fragen. Vielmehr sei es weiterführend, induktiv aus dem Material Aussagen abzuleiten. Somit können durch biografi265
Vgl. Bischoff et al. 2007 Vgl. Wouters 2005 Hagenbüchle 1998, S. 9 268 Mey 2001, S. 1 269 Ebd., S. 1 266 267
Durchführung
79
sche Selbstbeschreibungen Strukturen und Anwendungen des Begriffs Alter identifiziert werden.270 Weiter betonen auch Lee und Roth, dass insbesondere in Forschungen, in denen Interviews eingesetzt werden, Identität zu einer `interaktiv erreichten Produktion´271 wird. Durch die Interviewsituation werden Identität und Selbstpräsentation situativ und mit diskursiven Mitteln ausgehandelt.272 Legt man nun die in Kapitel 2.1 beschriebene Vorstellung zugrunde, dass es bei der Entwicklung von Identität weniger um das Erreichen eines Ergebnisses geht als vielmehr um eine nicht abschließbare Konstruktionsarbeit, werden besondere methodische Vorgehensweisen notwendig. Dazu bieten sich Längsschnittstudien an, durch die Informationen über die Entwicklung gesichert werden können und Veränderungen und Veränderungsmuster sichtbar werden. Somit kann früheres Verhalten mit späterem in Beziehung gesetzt werden.273
5.3 Entwicklung eines Forschungsdesigns zur methodischen Problemstellung Identitätsentwicklung 274 Identitätsforschung ist immer subjektiv und das „eigentliche Ich“ ist in seinem Kern nicht im Rahmen von Messinstrumenten – welcher Form auch immer – zu fassen. Klotz275, der sich mit Fichte auseinandersetzt, formuliert die Unfassbarkeit des `Ich´ eindrucksvoll „wer etwas von sich selbst denkt, bezieht sich doch auf den Einzelnen, der er selbst ist, auch wenn zu sagen ist, dass dieser Bezug in einer gegenüber jeder anderen Art der Bezugnahme ausgezeichneten Weise erbracht wird. Ist das hier jeweils bewusste Subjekt aber ein empirisch bekannter Einzelner, so ist es unter Bedingungen zu charakterisieren, unter denen es gerade noch nicht verstanden sein soll, sofern vom `Ich´ als einem Prinzip gesprochen wird. Niemand, so scheint es, versteht sich in seinem Selbstbewusstsein als das, worauf dieses Konzept abzielt. Eine Theorie, die sich auf einem Begriff vom `Ich´ gründet, ist daher nicht nur im Hinblick darauf zu befragen, ob die behaup-
270
Vgl. Saake 2008, S. 278f Lee & Roth 2004 272 Weiter weisen die Autoren Lee und Roth (2004) darauf hin, dass folglich Interviews als Methode nicht „unproblematisch“ seien. 273 Vgl. Kraus 2000b 274 Eine Auseinandersetzung mit dem, besonders durch Freud geprägten Begriff des `Ich´ wird hier nicht vorgenommen, sollte jedoch in nachfolgenden Arbeiten Berücksichtigung finden. Das `Ich´ wird im Kontext dieser Arbeit analog zum Begriff `Identität´ verwendet. 275 Klotz 2002, S. 9 271
80
Durchführung
teten Folgerungen sich tatsächlich aus ihrem Prinzip ergeben. Es ist auch zu fragen, ob das Prinzip überhaupt in einer Weise auf das Selbstbewusstsein von Personen zu beziehen ist, die dessen Bezeichnung als `Ich´ rechtfertigen lässt.“276 Die methodischen Problemstellungen bei Forschungen zum Thema Identitätsentwicklung sind vielseitig. Es stellen sich im Wesentlichen drei Fragen: 4.
5. 6.
Wie lässt sich Identitätsentwicklung begrifflich fassen /operationalisieren und damit erforschen, d.h. auch empirisch überprüfbar machen? Welche Forschungsmethodik ist dazu geeignet? Wie kann man einen Menschen nach seinem Identitätserleben befragen? Was sind hier hilfreiche Formulierungen und Zugänge? Wie zuverlässig sind die Ergebnisse solcher subjektiver Momentaufnahmen für weiterführende Aussagen?
Die Arbeit zeichnet sich durch ein multimethodisches Vorgehen aus: Die dabei leitende Vorstellung ist, dass Selbstthematisierungen als Schlüssel zur Identitätsbildung dienen können, da insbesondere im Kontext von Freiwilligem Engagement eine Verknüpfung von subjektivem Erleben und Handeln geschieht. Um einen ersten Überblick über derzeitige Forschungszugänge zum Thema Identitätsentwicklung zu erlangen und um die eigene Forschungsmethodik zu konzipieren, wurden sieben Expertengespräche (telefonisch oder persönlich) zur Frage: „Wie kann nach dem subjektiven Identitätserleben im Freiwilligen Engagement gefragt werden?“ mit den Wissenschaftlern A. Bernhard (Universität Duisburg-Essen), D. Kern (Universität Straßburg), C. Kricheldorff (Kath. FH Freiburg), H. Keupp (LMU München), U. Staudinger (Lifelong Learning Center, International University Bremen), M. Reichert (Universität Dortmund), L. Veelken (ehem. Universität Dortmund) geführt. Die Erkenntnisse aus diesen Gesprächen stellten die Grundlage für die Auswahl der weiteren Forschungsmethodik dar. Grundlage und Kernstück des empirischen Zugangs sind nach der Bündelung und Auswertung der Expertenbefragungen für die hier gewählte Fragestellung zunächst qualitative Interviews mit N=13 (=39 Interviews), in der es in erster Linie um die Prozessperspektive der subjektiven Selbstthematisierungen geht. Diese Interviews wurden innerhalb des Modellprojektes Pflegebegleiter geführt, in dem Freiwillige pflegende Angehörige begleiten. Hier besuchen die Interessenten zunächst einen 60stündigen Vorbereitungskurs und entscheiden sich im Anschluss daran, ob sie sich in diesem Feld freiwillig engagieren möch276
Klotz 2002, S. 9
Durchführung
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ten. Während des gesamten Engagements bleiben sie in der Gruppe der Pflegebegleiter – mit regelmäßigen Treffen auch nach Kursabschluss – zusammen. Eine ausführliche Beschreibung des Pflegebegleiterprojektes, in dem sich in der fünfjährigen Modellphase bundesweit über 2000 Freiwillige qualifiziert haben, findet sich bei Bubolz-Lutz und Kricheldorff.277 Innerhalb dieses, u. a. auf Grund der besonderen konzeptionellen Anlage, ausgewählten Projektes wurden zu drei Erhebungszeitpunkten im Abstand von je vier bis sechs Monaten problemzentrierte Interviews mit dem Fokus auf individuelles Erleben im Kontext Freiwilligen Engagements geführt. Da innerhalb der Psychologie vielfach Messinstrumente zur Erfassung der Persönlichkeitseigenschaften eingesetzt werden, wurde anfangs neben den Interviews begleitend ein standardisierter Persönlichkeitsfragebogen (NEO-FFI Fra278 gebogen nach Costa und McCrae ) eingesetzt. Da die Befragen jedoch mit Befremden auf dieses Instrument reagierten und auch die Auswertung der wenigen vollständig ausgefüllten Fragebögen keine weiterführende Erkenntnis brachte, wurde dieses Instrument im Folgeprozess nicht weiter mit einbezogen und findet daher in dieser Arbeit keine Beachtung. Als ergänzendes Instrument wird in dieser Arbeit das Verfahren der Gruppendiskussion genutzt, um für das kategoriegeleitete Auswertungsverfahren der Interviews einen Bezugs- und Interpretationsrahmen herzustellen. Zusätzlich wird für die Entwicklung des Kategoriensystems eine Forschergruppe hinzugezogen. Das multimethodische Vorgehen dieser Arbeit setzt sich – vereinfacht dargestellt – wie folgt zusammen:
277
Vgl. Bubolz-Lutz & Kricheldorff 2006, S. 86ff/ Steinfort & Matip 2008, S. 104ff Hierbei handelt es sich um ein faktorenanalytisch konstruiertes Fragebogenverfahren, welches der „Erfassung individueller Merkmalsausprägungen in den Bereichen Neurotizismus, Extraversion, Offenheit für Erfahrungen, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit dient. Vgl. Borkenau/ Ostendorf 1993, S. 5
278
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Durchführung
Fragestellung Expertengespräche zu Forschungsdesign
Problemzentrierte Leitfaden-Interviews Interview 1 - Kursanfang Interview 2 - Kursende Interview 3 – ½ Jahr nach Kursende
Codierung mit MAXQDA
Auswertungsverfahren: Verschränkung zweier Verfahren Qualitative Inhaltsanalyse (Mayring) & Thematisches Codieren (Hopf)
Forschergruppe: Bearbeitung Kategoriensystem Gruppendiskussion: erste Interpretation/ Einordnung Einzelfallanalysen Gesamtanalyse
Zusammenfassung der Ergebnisse, Interpretation Abb. 2: Übersicht methodisches Vorgehen
Modellbildung
Durchführung
83
Wie in der Abbildung verdeutlicht, ist die Beantwortung der Fragestellung der Arbeit durch ein stufenförmig angelegtes Forschungsdesign bis hin zur Theoriebildung angelegt. Die Systematik der Auswertung findet sich im Kapitel 5 differenzierter beschrieben. Im Folgenden wird zunächst die Methodik der Durchführung, die für die Gewinnung der Daten ausschlaggebend ist, dargestellt und begründet.
5.3.1 Problemzentrierte Interviews zu drei Erhebungszeitpunkten Wie bereits oben dargestellt, bietet sich ein qualitatives Vorgehen an. Da zu großen Teilen Identität in Narrationen konstruiert und dargestellt wird279, wurde das Interview als Erhebungsinstrument genutzt. Hopf charakterisiert dieses als ein „wenig strukturiertes Interview, das, von lockeren Hypothesen angeleitet, der Exploration eines bestimmten, wissenschaftlich wenig erschlossenen Forschungsfeldes dienen soll, und das – zumindest der Intention nach – den Befragten einen breiten Spielraum der Strukturierung und Äußerung subjektiver Deu280 tungen einräumt.“ Trotz dieser notwendigen Offenheit im Forschungsprozess wurde als konkrete Interviewtechnik auf das von Witzel eingeführte Verfahren 281 des „problemzentrierten Interviews“ zurück gegriffen, da es hierbei neben der bereits angesprochenen Offenheit auch Möglichkeiten der Einbeziehung von Vorannahmen – wie sie beispielsweise in den Hypothesen erkennbar sind – und der Vergleichbarkeit mehrerer Interviews eingeräumt werden. In diesem Verfahren sind dem Befragten weitgehende Artikulationschancen eingeräumt. Orientierung bietet ein knapper Leitfaden, der jedoch zur freien Erzählung anregen soll. Somit bewegt sich das problemzentrierte Interview forschungsmethodisch zwischen leitfadenorientierten und narrativen Gesprächsformen.282 Bei diesem Verfahren handele es sich, so Witzel, „um eine Methodenkombination bzw. integration von qualitativem Interview, Fallanalyse, biografischer Methode, Gruppendiskussion und Inhaltsanalyse.“283 Bei dieser Interviewform wird ein bereits bestehendes wissenschaftliches Konzept durch die Äußerungen des Erzählers entweder generiert oder modifiziert. Somit wird die Grundlage für eine „Kombination aus Induktion und Deduktion mit der Chance auf Modifikation der theoretischen Konzepte“284 gelie279
Vgl. Kraus 2000a und b Hopf 1978, S. 99 281 Witzel 1982, S. 66ff, 1985, 2000 282 Vgl. Hopf 1995, S. 178 in: Flick, 1995 283 Witzel 1985, S. 230 284 Lamnek 2005, S. 364 280
84
Durchführung
fert. Die im ersten Teil geleistete theoretische Auseinandersetzung mit Identität, Freiwilligem Engagement und den speziellen Themen des Dritten Alters werden also im Forschungsprozess nicht ausgeblendet, sondern die Filterung relevanter Aspekte des Problembereichs ist Ausgangslage für die Strukturierung weiterer Schritte. Begründen lässt sich dieses Vorgehen mit der Annahme, dass der Forscher selbst keine `tabula rasa´ sein kann, da er immer schon theoretische Vorannahmen mindestens implizit entwickelt hat. Innerhalb der Befragung selbst wird jedoch die Bedeutungsstrukturierung der sozialen Wirklichkeit dem Befragten überlassen. Mit offenen Fragen wird der interessierende Problembereich eingegrenzt und ein „erzählgenerierender Stimulus angeboten“285. Charakteristisch für problemzentrierte Interviews sind folgende Schritte: Zunächst wird das Thema des Interviews gegenüber dem Befragten offen gelegt. Im zweiten Schritt – der allgemeinen Sondierung – stimuliert der Interviewer durch ein Erzählbeispiel die narrative Phase des Befragten. Dieses soll durch die Aufnahme von Alltagselementen den Interviewpartner zur Erzählung angeregen 286 und in den „Zugzwang der Detaillierung“ bringen. Zudem ist es Ziel, emotionale Vorbehalte des Befragten gegenüber der Thematik abzubauen. In der dritten Phase, welche sich als spezifische Sondierung anschließt, versucht der Interviewer verständnisgenerierend Erzählvarianten des Befragten nachzuvollziehen.287 Dazu stehen dem Forscher drei Möglichkeiten zur Verfügung: (1) Zurückspiegelung des Gesagten durch den Interviewer mit eigenen Worten, so dass dem Befragten ein Interpretationsangebot gemacht wird, welches durch ihn dann kontrolliert, modifiziert oder gegebenenfalls korrigiert werden kann; (2) Stellen von Verständnisfragen, um widersprüchliche oder ausweichende Äußerungen zu thematisieren, um somit zu einer präziseren Interpretation zu gelangen; (3) Konfrontation, die am vorsichtigsten zu nutzende Methode der aktiven Verständnisgenerierung, da hier der Befragte mit aufgetretenen Widersprüchen und Ungereimtheiten konfrontiert wird. Zu beachten ist, dass durch Konfrontation das Interviewklima verdorben werden kann. Die Methode der Konfrontation – die den Befragten mit eigenen Textpassagen / Aussagen aus den vorangegangenen beiden Interviews konfrontiert – wird im Rahmen dieser Arbeit daher bewusst ans Ende der Interviewsituationen gesetzt (also erst beim Abschlussinterview in Phase 3). Die Phasen des problemzentrierten Interviews sind in der einschlägigen
285 286 287
Lamnek 2005, S. 365 Ebd., S.365 Witzel 1985
Durchführung
85
Literatur differenziert beschrieben288, so dass auf eine ausführlichere Darstellung an dieser Stelle verzichtet werden kann.289 Mayring betont die Relevanz dieser Methode, da sie „in der Regel (...) ehrlicher, reflektierter, genauer und offener (ist, J.S.) als bei einem Fragebogen oder einer geschlossenen Umfragetechnik – das zeigen auch alle Erfahrungen mit dieser Methode.“290 Inhalte und Ziele quantitativer und qualitativer Sozialforschung schließen sich nicht aus, sondern sie können sich vielmehr gegenseitig ergänzen. Aufgabe eines quantitativen Vorgehens zu der hier zu bearbeitenden Fragestellung wäre es, in einem nachfolgenden Schritt (der jedoch nicht mehr im Rahmen der Dissertation geleistet werden kann) die formulierten Hypothesen durch das Isolieren einzelner Variablen zu überprüfen, um so zu allgemein gültigen Aussagen gelangen zu können.
5.3.2 Gruppendiskussion mit Externen Eine Gruppendiskussion291 wurde im Gesamtkontext dieser Arbeit notwendig, da so Interpretationsansätze anderer Personen im Dritten Alter in die spätere Einordnung der Ergebnisse einbezogen werden können und damit der Einfluss der Forschersubjektivität reduziert wird. Gruppendiskussionen eigenen sich besonders, wenn es um die „Konstitution von Meinungen, Orientierungs- und Bedeu292 tungsmustern“ geht. Die Notwendigkeit des Einbeziehens verschiedener Perspektiven betonen auch Ulrich und Wenzel: „Evaluation ist als interaktiver Prozess zu begreifen, der durch das Einbeziehen unterschiedlicher Perspektiven blinde Flecken aufdecken kann und so zu einer umfassenden Analyse des gesamten Interventionskomplexes kommt. Es genügt nicht, aus einer einzigen externen Perspektive Daten zu erfassen und zu bewerten. (…) So verstanden hat Evaluation selber 288
Vgl. Witzel 1982/ Mayring 2002, S. 67ff / Lamnek 2005, S. 363ff / Flick/ Kardoff / Keupp u.a. 1995, S. 177 289 Nicht außer Acht gelassen sei auch der Verweis, dass die Entscheidung für dieses methodische Vorgehen auch kritisch hinterfragbar ist. So verweisen beispielsweise Atteslander. & Kneubühler bereits 1975 auf „Verzerrungen“, die im Interview entstehen können und entwerfen eine Fehlertheorie der Befragung. Insbesondere ihre Folgerung, dass der Einsatz von Interviews anderer ergänzender Methoden der empirischen Sozialforschung bedarf (Vgl. Atteslander & Kneubühler 1975, S. 93) wird in dieser Arbeit aufgenommen und eingelöst. 290 Mayring 2002, S.69 291 Zur Entwicklung der Gruppendiskussionsverfahren sowie zu einer zusammenfassenden Darstellung von Methodologie und Forschungspraxis siehe Bohnsack 2007 S. 105ff, Bohnsack 1997, 2000, 2002 und 2004 292 Vgl. Bohnsack 2007, S. 105
86
Durchführung
Bildungswirkung, (…) so wird Evaluation auch zur Ursache von neuen Lernerfahrungen und hat eine zusätzliche Wirkung auf die erforschten Lernprojekte.“293
5.4 Beschreibung des konkreten, methodischen Vorgehens
Angesichts der Ausdifferenzierung qualitativer Forschungszugänge wird in dieser Arbeit Wert auf eine genaue Darstellung der Erhebungsmethodik gelegt. Der Forschungsprozess ist zunächst durch eine Vielfalt von Entscheidungen geprägt: Der Entscheidung für den Forschungsgegenstand, für die Zielgruppe, für die Erhebungsmethode sowie für die Auswertungsstrategie.294 5.4.1 Qualitative Interviews Die Durchführung der Interviews fand im Rahmen des bundesweiten Freiwilligenprojektes Pflegebegleiter statt (2005-2007). Die Auswahl der Interviewpartner geschah auf Grund der Rückmeldungen auf einen offenen Aufruf zur Beteiligung an einem Forschungsvorhaben innerhalb des Bundesmodellprojektes Pflegebegleiter. In den Standorten Haffkrug/Ostsee, Nürtingen/Nähe Stuttgart, Potsdam und Plettenberg/Sauerland meldeten sich jeweils mehrere Kursteilnehmer im `Dritten Alter´, die sich zu drei Interviews im Rahmen des Projektes Pflegebegleiter bereit erklärten. Die Interviews – mit insgesamt 13 Personen – fanden dann an den jeweiligen Standorten statt.
5.4.1.1 Interviewleitfaden Die im Vorfeld analysierte Problemstellung (Teil A) sowie die Ergebnisse der Experteninterviews liefern die inhaltliche Basis zum Aufbau der Interviewleitfäden. Da – wie bereits beschrieben – drei Messzeitpunkte pro Interviewpartner vorgesehen waren, wurden drei unterschiedliche Leitfäden konstruiert, die sich jedoch z.T. in ihren Fragestellungen bewusst wiederholen, um hier mögliche Veränderungen in den Selbstthematisierungen sichtbar zu machen. 293 294
Ulrich & Wenzel 2003, S. 31 Vgl. dazu auch Helfferich 2005, S.148ff
Durchführung
87
Zentrale Leitfragen für das erste problemzentrierte Interview waren:
Was hat Sie dazu bewogen, sich für das Projekt Pflegebegleiter zu interessieren? Welche Fragen bringen Sie in das Projekt Pflegebegleiter mit, und was hat das mit Ihnen persönlich zu tun? Hat sich bei Ihnen seit Ihrem Mitwirken im Pflegebegleiter-Projekt etwas verändert? Wie erleben Sie sich selbst in der so genannten `nachberuflichen Phase´? Wie ist es für Sie, sich in einer Gruppe auf das Engagement als Pflegebegleiter vorzubereiten? Wenn Sie nun an den Vorbereitungskurs `Pflegebegleiter werden´ denken, was sollte hier Ihrer Meinung nach keinesfalls passieren? Pflegebegleiter wollen sich für eine neue Pflegekultur in der Gesellschaft einsetzten. Was für eine Rolle spielt diese Projektidee für Sie persönlich? Haben Sie für sich eine ganz persönliche Vorstellung Ihrer Identität? Was antworten Sie auf die Frage „Wer bist du?“ Gibt es vielleicht ein Bild oder 295 einen Spruch, der Ihr Gefühl von sich selbst ausdrückt? Haben wir etwas vergessen, dass Sie gerne noch ansprechen würden?
Das zweite und dritte Interview waren ähnlich aufgebaut. Sinngemäß wurde hier nach folgenden Bereichen gefragt: 295
Situation als fertig ausgebildeter Pflegebegleiter? Reaktionen aus dem Umfeld Lernerfahrungen im Pflegebegleiter-Kurs Eindruck von der Gruppe / eigene Rolle Konkrete Begleitungssituationen Stellenwert des Engagements im persönlichen Leben Umstände, unter denen Engagement abgebrochen würde Nur im dritten Interview: Konfrontation mit Passagen aus den vorherigen beiden Interviews `Kartenexperiment´296
Das Einbeziehen bildhafter Ausdrucksformen entspricht der Realität, dass Menschen sich im Alltag häufig durch Bilder verständlich machen. Die gesellschaftliche Wirklichkeit wird dabei durch Bilder nicht nur repräsentiert, sondern auch konstituiert. Dieser Herstellungsprozess der Welt durch Bilder kann zum einen die Deutung der Welt durch Bilder und zum anderen ein darüber hinaus gehendes, weiterführendes Verständnis meinen, das erst durch die Verständigung über die Ikonizität geschaffen wird. Somit sind Bilder alltägliches Medium der Verständigung (vgl. Bohnsack 2007, S. 157). Insbesondere bei einem so abstrakten und wenig greifbaren Begriff wie Identität stellt somit die Annäherung über die Bildsprache ein geeignetes Mittel dar, um den Gesprächsfluss zu unterstützen.
88
Durchführung (Abschlussfrage - nur im dritten Interview:): Wie haben Sie die drei Interviews für sich persönlich erlebt?
5.4.1.2 Auswahl der Interviewpartner Die Interviewpartner haben sich freiwillig auf der Basis eines Informationsflyers zum Forschungsvorhaben gemeldet und wurden daraufhin unter folgenden Gesichtspunkten ausgewählt:
Befinden sie sich in der nachberuflichen Lebensphase? Haben sie sich zu dem Vorbereitungskurs `Pflegebegleiter werden´ angemeldet? Können sie sich tendenziell vorstellen, sich im Anschluss an den Vorbereitungskurs freiwillig zu engagieren? Wenn ja, wie?
Wichtig für die Vergleichbarkeit der Daten war insbesondere die gemeinsame Teilnahme innerhalb des Projektes Pflegebegleiter. Um regionalen Besonderheiten Raum zu geben, wurde versucht, möglichst aus allen Regionen Deutschlands (West, Nord, Süd, Ost) Interviewteilnehmer zu gewinnen. Zusätzlich wurde darauf geachtet, dass sowohl ländliche als auch städtische Gebiete vertreten waren. Die Auswahl der Interviewpartner verteilt sich folgendermaßen:
West: zwei Frauen aus dem Sauerland Nord: drei Männer und eine Frau aus Haffkrug/ Nähe Timmendorfer Strand an der Ostsee Süd: vier Frauen und ein Mann aus Nürtingen bei Stuttgart Ost: zwei Frauen aus Potsdam
Die Auswahl dieser Standorte war schwerpunktmäßig abhängig von den Rückmeldungen. Insgesamt wurden im Verlauf der Studie je drei Interviews mit allen 13 Interviewpartnern geführt. Die Geschlechterverteilung entspricht dabei der Geschlechterverteilung im Projekt Pflegebegleiter von ca. 85% weiblichen und
296
Hierzu wurde am Ende des dritten Interviews den Befragten eine weiße DIN A5 Karte vorgelegt. Sie wurden darauf hin aufgefordert, ein `Kopfbild´ zu beschreiben zu der Frage: „ Wie sehe ich mich selbst in meiner aktuellen Situation? Gibt es etwas (z.B. einen Gegenstand, ein Bild oder ein Gefühl) das ich auf diese Karte – allein durch Worte – skizzieren kann?“
Durchführung
89
15% männlichen Teilnehmern. Der Familienstand der Befragten stellt sich wie folgt dar:
Familienstand der Interviewteilnehmer
verheiratet alleinstehend geschieden/getrennt lebend verwitwet
Abb. 3: Familienstand der Interviewteilnehmer 5.4.1.3 Durchführung der Interviews Mit allen Interviewteilnehmern wurden individuelle Interviewtermine verabredet. Als Interviewort wurde, je nach den Bedürfnissen und Vorlieben der Teilnehmer, entweder die eigene Wohnung des Befragten gewählt oder ein Raum in der jeweiligen Institution, in der die Vorbereitungskurse stattfanden. In der Regel dauerte ein Interview ca. 60 Minuten. Insgesamt fanden mit jeder Person drei Interviews statt: Das erste zu Beginn des Vorbereitungskurses, das zweite nach Abschluss des Kurses und das dritte im Abstand von einem halben Jahr. Insgesamt konnten so die Teilnehmer ca. 1 bis 1,5 Jahre begleitet werden. Da nicht alle Kurse im Bundesgebiet zeitgleich starteten, erstreckte sich die gesamte Erhebungsphase von Februar 2006 bis September 2007. Der Interviewer, in diesem Falle die Wissenschaftlerin selbst, führte den Befragten in jedes Interview thematisch ein und zentrierte den weiteren Verlauf
90
Durchführung
des Interviews. Durch subjektive Sinnstrukturen der Befragten und den weitgehend „selbstorganisierten Verständigungsprozess“297 ergab sich kein starres Ablaufschema der Fragen, sondern es entstanden in jedem Interview prozessual passende Strukturen. Ziel war es, eine möglichst natürliche Gesprächssituation – soweit die in einem Interview möglich ist – zu schaffen, was auch dazu führte, dass je nach Interesse und sprachlicher Kompetenz der Befragten die Interviewsituation z.T. eher narrativ, z.T. eher dialogisch geprägt war. Insbesondere bei der Fragestellung zum eigenen Identitätserleben zeigte sich bei fast allen Gesprächen, dass weitere Ausführungen zum Thema und weitere Beschreibungen durch die Interviewerin notwendig waren, um über das komplexe Thema Identität ins Gespräch zu kommen oder eine Gesprächssituation zu schaffen, in der beide Seiten den Eindruck hatten, über das gleiche Thema zu sprechen.
5.4.2 Gruppendiskussion Als gesonderter Forschungsstrang wurde eine Gruppendiskussion mit Menschen im Dritten Alter zum Thema dieser Arbeit durchgeführt. Grundlage hierfür bildete die Auseinandersetzung mit ausgewählten Interviewsequenzen. Dieses Verfahren wird im Folgenden näher beschrieben. Die Gruppendiskussion wurde mit externen Seniorinnen und Senioren, die keinen persönlichen Bezug zum Projekt haben, in der zweiten Jahreshälfte 2007 durchgeführt.
5.4.2.1 Intention und Inhalte Das Verfahren der Gruppendiskussion298 wurde genutzt, um mit Personen derselben Altersklasse einzelne Materialbausteine der erhobenen Interviews zu diskutieren. Da diese Personen die Interviewpartner nicht kannten, hatten sie genügend `Abstand´, um sich frei zu den intervioews äußern zu können. Für die Durchführung der Gruppendiskussion konnte das Katholische Bildungswerk in Essen gewonnen werden. Es wurde eine Veranstaltung als `Interpretationswerkstatt´ ausgeschrieben, so dass über diesen Weg interessierte Senioren Teilnehmer im Auswertungsprozess werden konnten. Die Moderation der Veranstaltung übernahm ein erfahrener Pädagoge des Bildungswerks, so dass eine Zurückhal-
297 298
Kühn/ Witzel 2000 Vgl. Lamnek 2005, S. 408ff & Krueger 1994;
Durchführung
91
tung der Doktorandin im Prozess möglich wurde. Somit fand hier keine `Vermischung von Erwünschtheiten´ statt.
5.4.2.2 Zielgruppenbestimmung
Die Bestimmung der Interviewteilnehmer verlief nach folgendem Prinzip: Das Katholische Bildungswerk lud über verschiedene hausinterne Verteilerlisten in Frage kommende Teilnehmer im Dritten Alter zu einer Interpretationswerkstatt ein. Allen gemein war, dass sie selbst freiwillig in unterschiedlichen Kontexten (sozial, politisch und kirchlich) engagiert sind, sie jedoch keine berührungspunkte mit dem Projekt Pflegebegleiter haben. Insgesamt meldeten sich sieben Personen (vier Frauen, drei Männer). Im Durchschnitt waren sie zum Zeitpunkt der Interpretationswerkstatt siebzig Jahre alt (ältester Teilnehmer *1928, jüngste Teilnehmerin *1946). 5.4.2.3 Durchführung der Gruppendiskussion Diesem ursprünglich aus der Marktforschung stammenden Verfahren, um Meinungen von Personen zu bestimmten Fragestellungen zu erhalten, liegt die Annahme zugrunde, dass Menschen oft mit anderen Meinungen konfrontiert werden müssen, um sich selbst Gedanken zu einem bestimmten Thema machen zu können. Grundlage ist die Erkenntnis, dass Menschen häufig ehrlicher und freier in Gruppen sprechen, wenn sie wissen, dass es keine falschen oder richtigen Antworten gibt. Daher ist das Ziel der Gruppendiskussion auch weniger das Erzielen eines Konsenses als vielmehr das Erfassen subjektiver Meinungen und „Sinnkonstruktionen“299. Um mit allen Teilnehmern über die interessierenden Interviewsequenzen sprechen zu können, wurde ihnen im Vorfeld Material zur Vorbereitung auf das Gespräch zur Verfügung gestellt. Die Gruppendiskussion auf Grundlage dieses vorab versandten Materials fand im November 2007 statt. Die Durchführung war in folgende fünf Schritte aufgeteilt: 1.
299
Kurze Einführung in das Thema und den Gesamtkontext durch die Doktorandin, dann Übergabe an den Moderator Dreher & Dreher 1995, S. 186
92
Durchführung
2.
Eröffnungsfrage – Ziel: Identifizierung von Eigenschaften, die die Teilnehmenden gemeinsam haben Einleitungsfrage – Möglichkeit, Erlebnisse zu erzählen, die in Verbindung zu dem Thema stehen Arbeit am Material – Bewusstwerdung der eignen Sicht bezüglich des Themas durch Interviewpassagen mit folgenden Fragen: Bei welchen Aussagen können Sie sich vorstellen, dass sich in der Persönlichkeit von Frau B etwas bewegt hat? Warum? (Fokus: nachberufliche Lebensphase / Freiwilliges Engagement) Welcher von allen genannten Aspekten zur Identität ist am wichtigsten für Sie persönlich? Zusammenfassung der Ergebnisse: Was war bekannt und wurde angezweifelt oder bestätigt mit der Untersuchung? Was wurde vermutet und dann bestätigt oder angezweifelt in der Studie? Was ist neu, was vorher nicht erwartet wurde?
3. 4.
5.
Die gesamte Gruppendiskussion wurde mit einem Diktiergerät festgehalten und im Anschluss transkribiert.
6 Auswertung
Als Material zur Auswertung liegen 39 transkribierte Interviews der insgesamt 13 Befragten sowie das Transkript der Gruppendiskussion vor. Ziel der qualitativen Datenauswertung ist nun, durch Dekontextualisierungen und Vergleiche hinter die Bedeutungen einzelner Aussagen blicken zu können und spezielle Muster heraus zu arbeiten. Dabei geht es sowohl um die Untersuchung allgemeiner, generalisierender Aussagen als auch um die Analyse einzelner Identitätsverläufe über die drei Erhebungszeitpunkte. Dazu werden zunächst sowohl methodische als auch technische Aspekte der Auswertung benannt (Kap. 6.1). Daran schließen sich zum einen vier exemplarische Einzelfallanalysen (Frau B, Frau E, Frau G und Herr L in Kap. 6.2) der insgesamt dreizehn Befragten an, die übrigen neun Einzelfallanalysen werden in verkürzter Form skizziert. Zum anderen wird daran anschließend eine generalisierende Analyse geleistet (Kap. 6.3). Zur Interpretation beider Analyseteile werden die Ergebnisse der Gruppendiskussion genutzt (Kap. 6.4), so dass alle Ergebnisse anschließend zusammengeführt werden können (Kap. 6.5).
J. Steinfort, Identität und Engagement im Alter, DOI 10.1007/ 978-3-531-92441-0_7, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
94
Auswertung
6.1 Methodische und technische Aspekte der Auswertung Das Auswertungsverfahren im Kontext dieser Arbeit verläuft systematisch. Als methodisch kontrollierte Auswertungsmethode zur Textauswertung wird dazu eine Verschränkung zweier qualitativer Verfahren genutzt, deren Ablauf im Folgenden skizziert werden wird.
6.1.1 Qualitative Inhaltsanalyse Das erste Verfahren ist das in der Forschungsliteratur oftmals beschriebene und breit verwendete Vorgehen der `Qualitativen Inhaltsanalyse´ nach Mayring.300 Diese geht in ihren Ursprüngen301 auf eine „primär kommunikationswissenschaftliche“302 Technik zurück, der eine schrittweise Analyse zugrunde liegt. Die Systematik dieser Technik wird insbesondere durch ein am Material entwickeltes theoriegeleitetes Kategoriesystem charakterisiert. Es wird in Sinneinheiten zerlegt und nacheinander bearbeitet. Dabei steht im Vordergrund, bestimmte Aspekte unter vorher festgelegten Analyseaspekten herauszufiltern, um unter diesen Ordnungskriterien einen Querschnitt durch das Material zu legen.303 Das Verfahren der Qualitativen Inhaltsanalyse orientiert sich sehr eng an dem Material und verfolgt damit eine stark induktive Vorgehensweise. Dadurch eigne es sich, so Kuckartz, insbesondere zur Erforschung von Fragestellungen, „bei denen das Vorwissen gering ist und die Exploration im Vordergrund“304 stehe. Weiterführend für den Auswertungsprozess dieser Arbeit ist das Verfahren insofern, als dass dadurch Textbestandteile in ihrem Kontext gesehen werden und latente Sinnstrukturen, markante Einzelfälle und auch latente Sinnstrukturen, Berücksichtigung finden können.305 Auch kann durch das systematische Vorgehen verhindert werden, vorschnell auf die Ebene von „Quantifizierungen abzurutschen“306.
300
Mayring 2000 / Kracauer 1952/ Rust 1980, S. 114 Die typische Systematik der Qualitativen Inhaltsanalyse kann historisch als Konsequenz der Kritik an qualitativen Prozessen gedeutet werden, da ab Mitte des 20. Jahrhunderts Einwände gegen zu oberflächliche, vorschnelle und latente Sinnstrukturen nicht erfassende Vorgehensweisen erhoben wurden, die eine strukturierte, nachvollziehbare qualitative Analyse einforderten. Vgl. Kracauer 1952 302 Mayring 2002, S. 114 303 Vgl. Mayring 2002, S, 114ff 304 Kuckartz 2007, S. 95 305 Vgl. Mayring 2002, S, 114ff 306 Vgl. Mayring 2000, zit. nach Mayring 2002 301
Auswertung
95
Obwohl das Mayringsche Konzept einen differenzierten Ablauf qualitativer Auswertungsverfahren liefert, ist es jedoch aus zwei Gründen nicht als einziges Konzept zur Auswertung und zur Beantwortung der Fragestellung dieser Arbeit zielführend. Zum einen liegen sowohl zum Thema Identität als auch zum Thema Motive und Erwartungen älterer Menschen an Freiwilliges Engagement zahlreiche Veröffentlichungen vor, zum anderen erscheint eine enge Orientierung am Ablaufmodell, welches eine Paraphrasierung inhaltstragender Textsstellen vorsieht, schwierig. Diesen Aspekt benennt auch Kuckartz der darauf hinweist, dass die Paraphrasierung bei größeren Textmengen kaum mehr möglich sei. Für die Auswertung dieser Arbeit ergeben sich daher zwei Möglichkeiten: Entweder das Modell von Mayring abzukürzen bzw. zu verändern, oder eine Verschränkung mit einem weiteren Ansatz qualitativer Analyse zu entwickeln und damit eine passgenaue Auswertungsmethodik für diese Arbeit zu liefern. Das letztere Vorgehen bietet sich insofern an, als es insbesondere für die Auswertung einer Längsschnitterhebung (Interviews zu drei Messzeitpunkten) in der Forschungsliteratur keine passenden Vorlagen gibt. Mayring selbst weist zur Einordnung der Qualitativen Inhaltsanalyse einschränkend darauf hin, dass zu beachten ist, dass „das Verfahren nicht zu starr, zu unflexibel wird. Denn die Gegenstandsangemessenheit muss letztlich wichtiger genommenen werden als die Systematik, um 307 sinnvolle qualitative Forschung entstehen zu lassen.“
6.1.2 Thematisches Codieren Somit wird ein zweites Analyseverfahren herangezogen und mit dem bewährten Verfahren der Qualitativen Inhaltsanalyse verschränkt. Das von Hopf u.a. in verschiedenen Projekten308 entwickelte und eingesetzte Verfahren des `Thematischen Codierens´309 bietet eine Auswertungsmethode, die auf theoretischem Vorwissen basiert. Daher wird dieses Verfahren weniger zu Theoriegenerierung als stärker zur Überprüfung und Weiterentwicklung im Sinne einer fallbezogenen Überprüfung genutzt. Im Rahmen dieser Arbeit wird vor allem auf die von Hopf und ihren Mitarbeitern ausgearbeiteten vier Auswertungsschritte zurück gegriffen. Nach dem Entwickeln der Auswertungskategorien (1) wird das Material codiert (2). Es folgt eine Erstellung von Fallübersichten (3), die die Basis für
307
Mayring 1995, S. 213 So z.B. in der Studie „Zum Verhältnis von innerfamiliären sozialen Erfahrungen, Persönlichkeitsentwicklung und politische Orientierungen“ des Instituts für Sozialwissenschaften der Universität Hildesheim 1993 309 Vgl. Hopf / Schmidt 1993 308
96
Auswertung
eine vertiefte Analyse von ausgewählten Fällen (4) bildet.310 Dabei wird die Auswertung, wie auch in der oben beschriebenen Inhaltsanalyse, unmittelbar am Material vorgenommen. Voraussetzung für dieses Verfahren ist eine vollständige Transkription des Materials sowie ein Protokoll zum Ablauf und zur Interview situation. Durch die Verschränkung der Qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring mit dem Thematischen Codieren nach Hopf können im Auswertungsprozess sowohl induktive als auch deduktive Aspekte in die Kategorieentwicklung einbezogen werden. Dadurch entsteht ein Kategoriensystem, das der Komplexität der Fragestellung gerecht wird und das in seiner Art für die vorhandene Datenmenge angemessen ist. Das so entstandene Auswertungsverfahren ist stufenförmig und teilweise untrennbar miteinander verknüpft. Die einzelnen Schritte orientieren sich an den von Hopf vorgeschlagenen Stufen. Das konkrete Vorgehen der Auswertung wird daher im Folgenden differenziert beschrieben.311
6.1.3 Transkription Die Grundlage der Arbeit bildet eine vollständige und anonymisierte Verschriftlichung aller Interviews und der Gruppendiskussion. Die Interviews wurden durch Tonbandaufnahmen festgehalten. Entscheidend für die Wahl dieses Verfahrens war die Notwendigkeit einer Aufzeichnungstechnik, durch die später die genauen wörtlichen Formulierungen, trotz aller in der Literatur beschriebenen Nachteile wie z.B. Verunsicherungen der Befragten durch das Tonband, erhalten bleiben konnten. Die in der Interviewsituation entstandenen Aussagen der Interviewpartner bilden die unverzichtbare Grundlage der späteren Interpretation. Durch die Transkription des gesamten Gesprächsverlaufs entstand eine breite Datenmenge (1.254.207 Zeichen). Um das umfangreiche Material für den Auswertungsprozess aufzubereiten, geschieht in Anlehnung an Kallmeyer und Schütze eine Beschränkung auf folgende Sonderzeichen, da alle weiteren zusätzlichen Informationen auf Kosten der Lesbarkeit des Wortprotokolls gehen würden:312
310
Vgl. Kuckartz 2007, S. 84 Vgl. zur schrittweisen Systematik auch Hopf / Schmidt 1993, S. 57-63 312 Diese Entscheidung basiert auch auf der Wahl des anschließenden Analyseinstruments: Würden die Interviews bspw. tiefenpsychologisch ausgewertet, wären andere Transkriptionsregeln notwendig. 311
Auswertung
97
Übersichtstabelle zu Kennzeichnungen und Sonderzeichen, um Auffälligkeiten der Sprache im Wortprotokoll zu vermerken (in Anlehnung an W. Kallmeyer und F. Schütze 1976): Kennzeichnung im Interview Anwendung (Pause) …
Längere Pause Kürzere Pause
(?) (Lachen)
Fragenintonation Charakterisierung von nicht sprachlichen Vorgängen bzw. Sprechweisen, Tonfall,… Die Charakterisierung steht vor den entsprechenden Stellen und bezieht sich auf die dann folgende Aussage unverständlich Nicht mehr genau verständlich, vermuteter Wortlaut
(. .), (…) (Kommt es?) .
Inhaltliches Satzende Tab. 2: Kennzeichnungen und Sonderzeichen
Um die regionale Herkunft zu bewahren, blieben Dialekte erhalten. Die Interviews wurden anonymisiert, indem Städte-/ Orts- oder Personennamen abgekürzt wurden.
6.1.4 Erste Schritte der Auswertung Die Auswertungs- und Validierungsprozesse dieser Studie sind stufenförmig angelegt. Die Validierung dient der Überprüfung, Modifikation, Erhärtung oder Verwerfung verschiedener Deutungshypothesen. Um den Einfluss des Forschers zu reduzieren, wurde die Einbeziehung externer Personen313 notwendig. Diese waren zum einen Teilnehmenden einer interdisziplinär zusammengestellten Forschergruppe zur Entwicklung der Kategorien und zum anderen die Teilnehmer der Gruppendiskussion (vgl. Kap. 5.4.2). Innerhalb dieser beiden Gruppen konn-
313
Dieses Vorgehen schlagen auch Kühn/ Witzel 2000 vor
98
Auswertung
ten verschiedene Sichtweisen gesammelt und diskutiert werden, so dass eine große Spannweite möglicher Lesearten erfasst und einbezogen werden konnte. Die Aufgabe der Forschergruppe lag in der Unterstützung bei der ersten Phase der Interviewauswertung sowie bei der Erprobung und Erweiterung des Kategoriensystems. Dazu mussten als Ausgangspunkt für die Auswertung beispielhafte Interviewtranskripte gelesen werden und diese unter Berücksichtigung einer so genannten Startliste codiert werden, so dass es zu einer ersten (Weiter)Entwicklung / Revidierung des Kategoriensystems kam. Die anfängliche Kategorienliste – die Startliste – enthielt bekannte Kategorien zu dem Thema, die auf bereits vorliegenden Erhebungen aus Interviewleitfragen und auf Literaturrecherchen basierten. Dennoch waren sie nicht mehr als ein erstes provisorisches Codesystem in loser Ordnung. Die Interviews wurden von den insgesamt fünf Teilnehmenden der Forschergruppe in meaning-units314 codiert und zugeordnet. Dabei ging es nicht allein um die Zuordnung zu bereits bestehenden Kategorien, sondern eher um deren Veränderung und um die Entwicklung neuer Kategorien. Die Aufgabe der Teilnehmer der Gruppendiskussion bestand in einer ersten Einordnung ausgewählter Textsequenzen auf der Grundlage ihres eigenen Erfahrungswissens. Die Ergebnisse dieser Gruppendiskussion bilden eine wichtige Basis zur späteren Interpretation der Ergebnisse.
6.1.5 Vorbereitung und Entwicklung der Codierung Bereits während des Erhebungszeitraums wurde gezielt an der Entwicklung geeigneter Kategorien für die anschließende Codierung des Materials gearbeitet. Darin flossen die oben beschriebenen Resultate aus der Forschergruppe und der Gruppendiskussion ein. Bei der Entscheidung der inhaltlichen Ausgestaltung einzelner Dimensionen der Auswertung konnte z.T. auf vorhandenes theoretisches Vorwissen und auf die Leitfragen dieser Arbeit (vgl. Kap. 4) zurückgegriffen werden. Zum Teil entstanden auch neue Kategorien durch die mehrfache, vertiefte Auseinandersetzung mit dem erhobenen Material. Hier soll nun nicht im Einzelnen beschrieben und begründet werden, welche Kategorien für die Auswertungen gewählt wurden, sondern anhand eines Beispiels wird das Verfahren der Kategorieentwicklung zur späteren Codierung und Auswertung skizziert. So wurde in den Interviews die Frage gestellt: „Wie erleben Sie sich selbst in der so genannten nachberuflichen Phase?“ Die Antworten darauf waren sehr vielfältig und reichten von Schilderungen des derzeitigen 314
Unter „meaning units“ werden Bedeutungseinheiten verstanden. Ihre Länge hängt davon ab, wie viel Textmaterial zum Sinnverstehen jeweils relevant ist (vgl. dazu Tesch 1992, S. 46)
Auswertung
99
Gesundheitszustands bis hin zu Aussagen über Haltungen und Werte, die eine Person in dieser Lebenssituation für sich neu entdeckt. Gesprochen wurde über wichtige Personen, über finanzielle Ressourcen und über Bilder vom Älterwerden etc. Um diese Heterogenität fassen zu können, wurden in der Startliste (s.o.) zunächst beispielsweise folgende Kategorien vorgeschlagen: Biografische Grundlegung, Signifikante Andere, Sinnerfahrung, Anerkennung. Durch die Arbeit am Material und dem oben beschriebenen stufenförmigen Auswertungsund Validierungsprozess veränderten sich die Kategorien, so dass für die abschließende Analyse z.B. folgende Kategorien zur Codierung des Materials zur oben genannten Fragestellung zur Verfügung standen:315 Alter (mit den Subkategorien Lebens-Kontext; Lebensumbruch,…), Bezugssysteme (mit den Subkategorien Selbstbezug, Andere-Bezug, Sozialraumbezug und Gesellschaftsbezug). Im anschließenden Analyseschritt ergab die Strukturierung der Einzelauswertungen, wie sie in Kapitel 6.2 dargestellt werden, den Baustein Aussagen zur aktuellen Lebenssituation. Hierunter fallen prägnante gefilterte Aussagen einer Person, in denen geschildert wird, wie sich die Person derzeit selbst in der Phase des Dritten Alters wahrnimmt. In der Gesamtauswertung wiederum werden die einzelnen Kategorien aufgegriffen und differenziert analysiert und interpretiert. Um das umfangreiche Datenmaterial (N=13 mal drei Interviews) für die Analyse zugänglich zu machen, war der Aufbau einer Textdatenbank erforderlich. Durch die Leitfäden in den Problemzentrierten Interviews wurden einerseits zentrale Interviewthemen vorgegeben, andererseits hatten die Befragten für die Bearbeitung der Fragen weitgehende Gestaltungsfreiheit, was zu unterschiedlichen Gesprächsverläufen führte. Diese Offenheit hatte Konsequenzen für die Beschaffenheit des Textmaterials. So finden sich Aussagen zu einem Thema über den ganzen Text verteilt, da sich der Befragte z.T. aus verschiedenen Blickwinkeln und unter verschiedenen Fragestellungen zu bestimmten Themen äußerte. Durch die Anwendung einer Textdatenbank wird ein Zugriff auf alle Aussagen zu einem Fragekomplex unabhängig des chronologischen Gesprächsverlaufs ermöglicht, so dass im Analyseprozess verschiedene Aussagen zu einem Thema gebündelt werden können. Vor allem das Längsschnittdesign der Studie bewirkt, dass sich die Explikation der Befragten zu einem Thema über unterschiedliche Interviews zieht, dass sich also zu unterschiedlichen Befragungszeitpunkten zum gleichen Thema geäußert werden konnte. Die Notwendigkeit einer Textdatenbank wird weiter durch den Umgang mit der großen Datenmenge be316 gründet. 315
Die Entwicklung des Kategoriensystems galt zu diesem Zeitpunkt als abgeschlossen und `gesättigt´, da die Einbeziehung neuer Interviews nicht mehr zu Veränderungen des Systems führte. 316 Zur weiterführenden Beschreibung der effektiven Unterstützung durch Computerprogramme in der Analyse qualitativer Daten Vgl. auch Kuckartz 2007, S. 12ff
100
Auswertung
Nach mehrfacher Überarbeitung (s.o.) des Codierleitfadens sowie ersten Probe-Auswertungen wurde das gesamte Material auf Grundlage des folgenden Kategoriensystems codiert, so dass ein geordnetes System entstand:317 Kategorie Unterkategorie Definition Ankerbeispiel318 1. Alter Äußerungen, die sich auf das Alter und das Altern beziehen, insbesondere hinsichtlich der Dimensionen Lebenskontext, Lebensumbruch, Passung von Berufsbiografie und Engagement, Ressourcen und Altersbild. Äußerungen, die sich auf „Das ist jetzt für 1.1 Lebensdie Zusammenhänmich meine letzte Kontext ge/Kontexte beziehen, in Lebensphase“ denen die interviewte Per(C1, 13) son lebt (z.B. Frührentendasein, Rentner/in,...) 1.2 Lebensum- Interviewpassagen, in denen „…ich habe mich der Eintritt in die nachberuf- mit solchen Dinbruch liche/nachfamiliäre Phase gen schon immer als Umbruch oder Neubebefasst, auch so ginn beschrieben wird und nebenbei natürggf. Zusammenhänge zwi- lich nur, wenn schen ehemals beruflichem man berufstätig und heute ehrenamtlichem ist. Aber es war Engagement thematisiert für mich von werden. vorne herein klar, dass ich irgendwann so was mal machen werde.“ (D1, 67) „…so jung ist 1.3 Ressourcen Äußerungen, in denen geschildert wird, welche Mit- man ja auch nicht tel benötigt werden oder zur mehr. Und ich Verfügung stehen, um sich meine, es wird ja in der nachberuflichen Leauch nächstes 317
Weiterführend zur Gestaltung des Auswertungsprozesses sowie speziell zur Erstellung des Kategoriensystems siehe Kühn & Witzel 2000 318 Die Ankerbeispiele sind Originalpassagen aus den Interviews. Die Kennung am Ende eines jeden Zitates gibt an, auf welche Quelle die Sequenz zurück zu führen ist. Dabei steht der Buchstabe für die Person (A-M), die Nummer hinter dem Buchstaben für die Reihenfolge der Interviews (1-3) und die letzte Zahl für die Spaltenangabe im jeweiligen Text.
Auswertung
101
1.4 Altersbild
bensphase zu engagieren. Diese können sowohl zeitlicher, gesundheitlicher, emotionaler als auch finanzieller Natur sein. Interviewpassagen, in denen subjektive Meinungen, Überzeugungen oder Erfahrungen über ältere Menschen zum Ausdruck gebracht werden. Diese Bilder vom Alter werden zum Beispiel durch persönliche Kontakte zu alten Menschen innerhalb der Familie, im Freundes- und Bekanntenkreis, aber auch durch Selbstdarstellung des Alters und der gesellschaftlichen Repräsentanz der älteren Menschen beeinflusst. So geht es hierbei sowohl um das eigene Selbstbild als auch um das Fremdbild vom Alter(n).
Jahr angeboten, aber ob man dann noch Zeit hat.“ (A1, 3) „…ich bin im Alter einfach jung, weil ich ja immer wieder was Neues erlebe. Ich war ja noch nie alt, so alt wie jetzt. Ist ja auch wieder was Neues, ist eine Entwicklung, ein Reifeprozess. Ist doch toll! Und mit diesem Reifeprozess bleibe ich doch jung, weil ich was Neues dazu lerne.“ (M3, 97)
Kategorie Unterkategorie Definition Ankerbeispiel 2. Biografi- Äußerungen, die sich auf Lebensbeschreibungen der Person scher Fokus beziehen. Hierbei sind sowohl subjektiv empfundene wie tatsächlich stattgefundene oder noch in der Zukunft anstehende Lebensereignisse gemeint. Äußerungen, die auf „Wir sind dann 2.1 VergangenEreignissen in der beruflich ein paar heit Vergangenheit basie- mal umgezogen, ren. dann bin ich erst mal, wie der Junge klein war, nicht arbeiten gegangen, dann hinterher erst mal stun-
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Auswertung
2.2 Gegenwart
2.3 Zukunft
Kategorie 3. Bezugssysteme
denweise und dann…“ (B1, 59) Äußerungen, die das „…bin doch wieaktuelle Erleben wie- der zweimal in der derspiegeln. Woche in der Schule, aber eh, nicht, weil es mich also nicht, überhaupt nicht losgelassen hat die Schule, sondern eh, weil ich einfach nicht so viel freie Zeit vertrödeln will.“ (I1. 3) Äußerungen die sich „…da,s was da auf zukünftige Lekommt, diese Bebenssituationen bezie- wältigung, die hen. wird erst kommen.“ (D1, 33)
Unterkategorie Definition Ankerbeispiel Interviewpassagen, die Positionsangaben einer Person beinhalten. Handlungen und Äußerungen beziehen sich dabei auf die jeweilige – im System gedachte – Ebene. Dabei lassen sich unterscheiden: Selbstbezug, Bezug auf Andere, Sozialraumbezug und Gesellschaftsbezug. Handlungen oder „…jetzt möchte 3.1 Selbstbezug Äußerungen, die sich mer doch gerne nahezu vollständig ne bißle, selber auf die eigene Person bestimme, wies richten oder beziemit uns so weiter hen. passiert.“ (C1, 41) „Also eine Frau, 3.2 Andere-Bezug Handlungen oder Äußerungen, die sich die hatte da so eher auf andere (aber zwei ein bisschen bestimmte) Menan den Rand geschen beziehen. zeichnet. Und da sagte eine, `der
Auswertung
103 Mann steht ja vollkommen außen´…“(A1, 19) Handlungen oder „… i hänn doch 3.3 Sozialraumauch schon oft in bezug (Nachbar- Äußerungen, die innerhalb des eigenen O. im Kirchengeschaft) Sozialraumes, inner- meinderat (…) halb der eigenen gibt es noch andeNachbarschaft statt- re Vereine, hier finden. der Diakonieverein,…“ (L3, 61) „Das ist dann 3.4 Gesellschafts- Handlungen oder Äußerungen die an das, was uns so bezug die Gesellschaft weh tut, wenn die gerichtet sind oder en Platz nit findet die auf einem gesell- in unserer heutige schaftlichen Hinter- Gesellschaft.“ grund basieren. (C1, 65)
Kategorie 4. Selbstbild in der Entwicklung
Unterkategorie Definition Ankerbeispiel Äußerungen zur (Weiter-)Entwicklung der eigenen Persönlichkeit, aus denen sich in der Gesamtheit ein „Selbstbild“ zusammensetzt. Dabei geht es um eine bewusste SelbstThematisierung, die sich in Werthaltungen, Sinnbilanzierungen, bewusst gewählten Tätigkeiten, Persönlichkeitsbeschreibungen, Prozessen der Selbstvergewisserung und Erwartungen ausdrücken und in Veränderungen des Selbst/Identitätsbildes münden. Äußerungen, in denen „Und ab und zu 4.1 Sinn/ Bilaneiner eigenen Handlung/ denke ich, man zierung/ Werte einer Situation etc. eine fragt sich ja Bedeutung beigemessen immer im Leben wird oder Wertvorstelund man sollte lungen benannt werden. sich irgendwie Dabei ist Sinn nicht „fer- mal fragen, watig definiert“, sondern rum bin ich üwird innerhalb der Situa- berhaupt hier. tionen und der Äußerun- Und von daher gen erst erfahren und denke ich, ich
104
Auswertung wollte immer schon gerne anderen helfen und das ist auch so, ja, würde ich so sagen, mein Lebensmotto….“ (B1, 56) Interviewpassagen, die „Ich denke mir, auf die Bedeutung eige- es ist wichtig, das ner Tätigkeiten/ Handman irgendwie lungen im Leben verwei- was machen sen. kann. Gut, jetzt, muss ich natürlich sagen, bin ich da vielleicht jetzt nicht so schlimm von betroffen, weil ich also nun die Sterbebegleitung mache. Ich bin ja irgendwo immer involviert.“ (B2, 41) Aussagen, in denen sich „…ich besitze der Interviewte selbst Einführungsver(fest/be)schreibt. Hier mögen“ können sich z.B. Unsi(E1, 72) cherheiten oder eigene Rollenbilder wiederfinden. Interviewpassagen, in „…es ist schon denen Personen versurichtig, wenn mer chen, sich selbst zu stär- nie zufrieden ist, ken und sich in ihrer wenn mer immer Person(enbeschreibung) sächt, was kamzu vergewissern. Ebenso mer noch verbesÄußerungen, in denen sern, das ist Annahmen und Beurtei- schon o.k., aber narrativ hergestellt. Dabei steht die Frage nach dem „wozu“ im Mittelpunkt.
4.2 Tätigsein
4.3 Selbstbeschreibung
4.4 Selbstvergewisserung/ Erwartungen
Auswertung
105
4.5 Ergebnis/ Veränderung
Kategorie 5. Lernen
lungen auf Grundlage eines bestimmten Bezugssystems einer Person geschildert werden. Diese Erwartungen sind häufig sozial geprägt und können sowohl vage als auch verfestigt sein. Interviewpassagen, in denen Veränderungen des Selbst/Identitätsbildes thematisiert werden.
es darf nit zur einer inneren Unzufriedenheit führen, das ist vielleicht die Balance, die viele nicht händeln könne.“(L1, 91) „Was ich gelernt habe? Auch offener über mich reden zu können. Also nicht nur anderen zuzuhören, Ich habe gemerkt, dass das auch spiegelt, ne (…) Und das hilft unwahrscheinlich weiter, mir jedenfalls.“ (G3, 19)
Unterkategorie Definition Ankerbeispiel Interviewpassagen, die sich auf das Lernen im Kontext von Pflegebegleitung als Freiwilliges Engagement beziehen. Dabei geht es sowohl um die Lernsituationen im Vorbereitungskurs „Pflegebegleiter werden“ als auch um das Lernen in den Handlungen im Freiwilligen Engagement. Dabei geht es um Lerntypen, Lernanlässe, Pflegebegleiter-Gruppen, die ProjektinitiatorInnen, Kursqualität und Wahrnehmungserweiterung. Äußerungen über Vor- „Ganz furchtbar 5.1 Lerntyp aussetzungen und viel mehr lernen Vorlieben des Lernen- konnte ich für den das Tun eigentlich nicht, weil ich schon so alt bin, also schon so eine gewisse
106
Auswertung Lebenserfahrung habe“ (M2, 8) Interviewpassagen, in „…was wir dort 5.2 Lernarrangedenen Lern-Orte, Um- speziell gelernt ment gebungen und metho- haben, sei es eh, disch/didaktische He- über die Pflegerangehensweisen beversicherung, schrieben werden. das sind Sachen, die hat man zum Teil auch in Papierform, wo man dann also immer noch mal nachgucken…“ (I3, 70) Interviewpassagen in „…lerne möchte 5.3 Lernanlass denen der oder die ich, mal zuhören, Auslöser zum Lernen rausfühlen, was beschrieben werden. die Menschen Dies kann sowohl ein bedrückt, was sie konkretes Schlüsseler- brauchen oder lebnis sein als auch ob sie überhaupt eine Irritation. jemand brauchen.“ (C1, 13) Äußerungen, die über „Det war ne 5.4 Pflegebegleiter-Gruppe/ Initia- die Gruppe der Pflege- interessante begleiterinnen und Gruppe, weil da tive Pflegebegleiter im Ort off deutsch geX Auskunft geben. sagt, eh, nah, vom, vom kleinen Arbeiter bis zum, die eine, hier die Frau von J.Z., die war ja Lehrerin und Direktorin…“ (H2, 23) Äußerungen, die über „Ja, ich hab also 5.5 Projektdie ProjektinitiatorIn- immer einen InitiatorInnen nen der Pflegebeglei- guten Kontakt. terinitiativen im Ort X Ich rufe zwi-
Auswertung
107 Auskunft geben (Schilderung der Nähe/Distanz, (Be)Wertungen, Rolle etc.
5.6 Kursqualität
Interviewpassagen mit Einschätzungen und subjektiven (Be)Wertungen zum Kurs
Äußerungen, in denen 5.7 Wahrnehmungserweiterung eine Erweiterung/ Veränderung bisheriger Wahrnehmungen, Einstellungen oder Handlungsweisen beschrieben werden.
Kategorie 6. Engagement
schendurch Frau SW. an (…) nämlich den Abend, wie der Kurs beendet war, da habe ich denen das nämlich beiden gesagt.“ (B2, 43) „der war in manchen Bereichen nicht so unbedingt auf dem neuesten Stand“ (I2, 19) „Ich glaube, vorher hätte ich, glaube ich nicht. Ich habe also eine ganz andere Einstellung ja, zu, zu Krankheit, zu Leiden, zu Sterben, eine ganz andere Einstellung gekriegt.“ (B3, 27)
Unterkategorie Definition Ankerbeispiel Äußerungen, die sich auf das Freiwillige Engagement der interviewten Person beziehen. Dabei besonders im Fokus: Engagementtyp, persönliche Engagementprofile, Engagementmotive und Abgrenzungen. Äußerungen zum per- „…es wird gut 6.1 Engagementsönlichen Anklappen, in diemotive/ Engagelass/“Startschuss“ zum sem Bereich, menttyp Engagement. Weiter wenn eh, wenn auch Äußerungen, in man das macht denen geschildert aus Überzeugung wird, ob sich jemand und wenn man
108
Auswertung
6.2 Abgrenzung
Kategorie 7. Handlung
eher für sich, für andere oder mit andern engagieren will. Interviewpassagen, in denen von Abgrenzungen zur freiwilligen Tätigkeit gesprochen wird (zeitlich, emotional,...)
sich mit Herzen engagiert.“ (E2, 77) „…ich würd aufhören, wenn ich feststellen würde, das es mich belastet““ (D2, 63)
Unterkategorie Definition Ankerbeispiel Interviewpassagen, in denen Handlungen im Kurs oder in der Tätigkeit als PflegebegleiterIn geschildert werden. Dabei geht es um Qualität der Handlung, Handlungsfelder und Empowerment Äußerungen, in denen „Wir sollen ja 7.1 Qualität der die Qualität der eigenen wirklich nur Handlung Handlung be/gewertet begleiten und wird. nicht nur tatkräftig mit anpacken. Dabei kann es auch um Aber ich denke eine Schilderung kogni- mir, ich habe ja tiver und/ oder emotio- auch bei der naler Erweiterung oder Sterbebegleitung Überschreitung der viel gelernt, um eigenen, bisherigen mich zurück zu Kompetenzen gehen. nehmen und alles, damit mir das auch gelingt.“ (B1, 3) 7.2 Handlungsfel- Interviewpassagen, die „Im Moment Orte und Situationen sind es drei Leuder beschreiben, in denen te, die ich freiwillige Engagebetreue.“ (F2, ment-Tätigkeiten oder 72) Handlungen stattgefunden haben. 7.3 Empowerment Äußerungen, in denen „wie kann ich Selbstverantwortung das am besten und Selbstbestimmung jetzt machen,
Auswertung
109 im Rahmen einer Handlung thematisiert werden. Hier kann die Stärkung der eigenen Person oder einer anderen Person Thema sein. (Wie bspw. Äußerungen, die Strategien und Maßnahmen beschreiben, durch die andere in die Lage versetzt werden sollen, das Maß an Selbstbestimmung und Autonomie im Leben der Menschen zu erhöhen. So sollen pflegende Angehörige in die Lage kommen, ihre Belange eigenmächtig, selbstverantwortlich und selbstbestimmt zu vertreten und zu gestalten).
Kategorie Unterkategorie Definition 8. Sonstige wich- Alle Textstellen, die keiner der betige Textstellen reits definierten Kategorien zugeordnet werden können, die aber dennoch interessant erscheinen und aus denen später evtl. neue Kategorien gebildet werden (wie z.B. Aussagen zum Interviewklima und zur Einschätzung des Nutzens für die eigene Person).
dass ich helfen kann. Und zwar so helfen, dass die anderen sich selber helfen können, entlasten“ (G1,7).
Ankerbeispiel
110
Auswertung
Prägnante Textstellen „Identität“
Selbst-Bild (Abschlussexperiment)
Originaltöne, die „griffige“ Beispiele Ich musste so alt werden, damit ich zur subjektiven Identitätsthematiüberhaupt erst sierung darstellen mal gemerkt habe, dass ich auch jemand bin und nicht immer nur Familie und Beruf oder anders herum“ (G3, 87) „Da seh ich so, Schilderung im dritten Interview – auf dem Fahrrad Kartenexperiment sitze, Gegend anschauen, Natur anschaue (Pause) mal halte mit Leut schwätze oder so was“ (L3, 124)
Tab. 3: Kategoriensystem zur Datenauswertung
6.1.6 Zum Problem der Gütekriterien im Auswertungsverfahren Die wissenschaftliche Auswertung qualitativer Daten erfordert spezielle Definitionen von Reliabilität und Validität.319 Die Stabilität (Reliabilität) der hier dargestellten Auswertung fußt auf systematischen Erhebungen und Analysen, was sich an folgenden Punkten aufzeigen lässt: Der Arbeit liegt eine sorgfältige Explikation des Vorverständnisses zugrunde (Teil A), ergänzt durch eine detaillierte Dokumentation der Durchführung und der Auswertung. Valide ist die Arbeit insofern, als dass Interpretationen argumentativ, auch unter Einbeziehung der betroffenen Alterskohorte und einer interdisziplinären Forschergruppe, getroffen werden. Somit kann es zu Alternativdeutungen kommen, die nicht ausschließlich durch die Subjektivität des Forschers begründet sind. In der Arbeit wird besonderer Wert auf die systematische Materialbearbeitung gelegt. Die Analyseschritte werden vor der Auswertung festgelegt, das Material wird in sinnvolle Einheiten unterteilt und die Analyse verläuft von einer Einheit zur nächsten. Die Nähe zum Gegenstand ist insofern gegeben, als dass 319
Vgl. Cropley 2005, S. 117
Auswertung
111
die Interviews nah an der Alltagswelt der Befragten ansetzen. Durch die Wahl des Interviewortes wird dies unterstützt. Die Situation, dass die Interviewerin zum Zeitpunkt der Erhebung im gleichen Engagementfeld (Pflegebegleiter) aktiv ist, stellt zusätzlich eine persönliche Nähe her. Für die Fragestellung werden zudem unterschiedliche Lösungswege gesucht, um die Ergebnisse zu vergleichen (wie z.B. assoziative Identitätsporträts und TextRückkoppelungen in den Interviews).
6.1.6.1 Forschersubjektivität Innerhalb qualitativer Forschung wird die Reduzierung der Datenmenge auf eine kleine Anzahl charakteristischer Aussagen (wie es z.B. in den Einzelfallanalysen passiert) durch die Forschersubjektivität stärker beeinflusst, als dies innerhalb quantitativer Verfahren der Fall ist.320 Da sich für die Bearbeitung der Fragestellung dieser Arbeit – wie bereits in Kapitel 4 dargestellt – nur ein qualitatives Vorgehen eignet, galt es, die Beeinflussung des Prozesses durch die Subjektivität des Forsches so gering wie möglich zu gestalten.321 Auf Grund dieser Schwierigkeit wurden im Forschungsprozess drei Entscheidungen, die die Forschersubjektivität reduzieren sollten, getroffen: Erstens wurde nach der eigenen Datenerhebung die Transkription durch eine externe Person durchgeführt, so dass die Forscherin Abstand zum Material gewinnen konnte und somit bei der Auswertung weniger durch die Erinnerung an konkrete Interviewsituationen beeinflusst wurde. Zweitens konnten durch die Forschergruppe für die Entwicklung von Kategorien interdisziplinäre und intergenerationelle Blickwinkel einbezogen werden. Drittens konnte für die Einordnung der Daten durch die Gruppendiskussion Abstand von der subjektiven und altersabhängigen Lebenserfahrung der Forscherin genommen werden. Auch die sich aus dem Vorwissen des Untersuchungsgegenstandes ergebenden Einsichten und persönlichen Gefühle konnten 322 so hinsichtlich ihrer Wirkkraft auf den Auswertungsprozess verringert werden.
320
Vgl. ebd. S. 118f Zur Rolle von Wissenschaftlern im Forschungsprozess und zur Einflussnahme vorgängiger Theorien siehe Mruck, Breuer 2003. Hier wird die prinzipielle Relevanz von Subjektivität und Selbstreflexivität im qualitativen Forschungsprozess im wissenschaftlichen Erkenntnisprozess anhand zahlreicher Forschungsbeispiele reflektiert. 322 Siehe dazu weiterführend Mruck & Breuer (2003). Sie weisen darauf hin, dass Subjektivität und Selbstreflexivität im qualitativen Forschungsprozess kreativ nutzbar gemacht werden können, wenn durch eine (Selbst-)Reflexion zusätzliches Wissen erworben werden kann. 321
112
Auswertung
6.1.6.2 Inter-Rater-Reliabilität Um die Inter-Rater-Reliabilität beurteilen zu können, wurden einzelne Textsequenzen von einer anderen Forscherin ausgewertet. Dabei kodierten beide Forscherinnen einzelne Passagen zunächst unabhängig voneinander und verglichen dann in einer gemeinsamen Sitzung die Codierungen und diskrepante Einschätzungen. Es gab keine größeren Differenzen, sondern lediglich unterschiedliche Einschätzungen einzelner Begriffe und Sequenzen, bei denen jedoch argumentativ Einigung erzielt werden konnte. Auch stellte sich heraus, dass die Zuordnung zu Kategorien häufig leichter fiel, wenn dazu das gesamte Material einer Person hinzugezogen wurde. Zusammenfassung: Komponenten der Auswertung Die folgende Abbildung fasst die Komponenten der Auswertung noch einmal zusammen: Datenbasis
Auswertungsmethodik: AnwenderproVerschränkung `Quali- gramm tative Inhaltsanalyse´ und `Thematisches Codieren´
Weitere Quelle zur Auswertung und Interpretation: Gruppendiskussion 39 (13x3) Aus der Interviewthema- SoftwareproBeteiligung und transkribierte tik und dem Leitfaden gramm Einbeziehungen Interviews abgeleitete Kategorien (MAXQDA) von Perspektiven (Startliste) zur strukturier- der von der EvaWeiterentwicklung in ten Eingabe und luation Betroffeder Forschergruppe, Abfrage nen Überarbeitung bis hin (=Retrieval) von zum endgültigen Katego- Daten mit vielriensystem. Stufenförmig fältigen Ausangelegter Auswerwahlmöglichtungsprozess keiten Tab. 4: Komponenten der Auswertung Bei der folgenden Auswertung werden die erhobenen Daten zunächst in ausführlichen Einzelfallanalysen in ihrer Variationsbreite dargestellt. Im nächsten Schritt werden dann in der Auseinandersetzung mit zentralen Erkenntnissen aus dem gesamten Datenmaterial, einzelne Aspekte der Fragestellung dieser Arbeit ausgewertet und vertieft. Dieses Verfahren schildert auch Witzel: „Der Schritt
Auswertung
113
von der individuellen Ebene der Analyse (Einzelfall) zu der interindividuellen Ebene (…) geschieht unter Rückkopplung an die Zusammenhänge der verschiedenen interpretierten Einzelfallananlysen.“323
6.2 Einzelfallanalysen Im Folgenden werden in vier exemplarischen Einzelfallanalysen prägnante Aussagen der Interviewpartner hinsichtlich der Fragestellung dieser Arbeit gebündelt und bilden somit – zusammen mit den neun weiteren Einzelfallanalysen – die Grundlage weiterer Interpretationen. Dazu werden Originalzitate als „wesentli324 che Argumentationsfiguren aus den Interviews“ herangezogen und in einer strukturierten Form im Kontext dargestellt.325 Die Strukturierung der Einzelauswertungen ergibt sich durch die Verzahnung des Interviewleitfadens, der Orientierung am entwickelten Kategoriensystem (vgl. Kap. 6.1.5) sowie mehrfacher Materialsichtungen. Dadurch können die Texte dekonstruiert und inhaltsanalytisch/thematisch ausgewertet und codiert werden. Im Auswertungsprozess kristallisierten sich als logische Bausteine folgende „Sortierungen“ zur Fragestellung der Identitätsentwicklung im Freiwilligen Engagement heraus:
323
Formulierung eines Mottos als zusammenfassende, prägnante Aussage zu Haltungen und Orientierungen der Person Aussagen zur aktuellen Lebenssituation, in denen geschildert wird, wie sich die Person derzeit selbst in der Phase des Drittes Alters wahrnimmt Lernerfahrungen, die zum Kursverlauf oder im späteren Engagement formuliert worden sind Geäußerte Einstellungen, Motivationen und Hintergründe zum Freiwilligen Engagement Selbstaussagen, in denen die Person – meist eher zufällig – zentrale Aussagen über ihre Einstellungen zu sich selbst/zu ihrer Identität beschreibt (unabhängig vom Lebensalter) Spezielle Entwicklungsaufgaben, die sich im Verlauf der Interviews verändern. Sie werden durch die drei unterschiedlichen Erhebungszeitpunkte sichtbar und fallen bei allen Interviewpartnern sehr unterschiedlich aus
Witzel 1982, S, 113 Witzel 1982, S. 113 325 Lamnek 2005, S. 403/ Kuckartz 2007, S. 109 324
114
Auswertung Assoziatives Identitätsporträt, in dem die Befragten ein „Selbst-Bild“ entwerfen, welches hier verkürzt dargestellt wird.
Diese Strukturierung wird bei allen folgenden Einzelauswertungen vorgenommen. Überblicksartig werden zunächst jedoch alle Befragten tabellarisch aufgeführt. Name Fr. A
Geburtsjahr 1944
Schulbildung (bzw. höchster Abschluss) Mittlere Reife
(ehemalige) berufliche Tätigkeit Groß- und Außenhandelskauffrau Industriekauffrau
Fr. B
1949
Volksschule
Fr. C
1940
Mittlere Reife
Fr. D
1944
Realschule
Fr. E
1943
Hochschulabschluss
Fr. F
1948
Mittlere Reife
Fr. G
1939
Mittlere Reife
Realschullehrerin (Rumänien) für die Fächer Russisch und Rumänisch Krankenschwester, OP- Schwester, Unterrichtsschwester Hotelkauffrau
Fr. H
1939
10. Klasse
Postangestellte
Fr. I Fr. J
1944 1937
Hochschulabschluss Volksschule und Bankfachklasse
Lehrerin, Schulleiterin Bankkauffrau
Hr. K
1948
Abitur
Kaufmann
Hr. L
1944
Hauptschulabschluss
Techniker
Fr. M
1931
Privatunterricht
Fachkosmetikerin
Kaufmännische Angestellte, Hausmeisterin, Verwaltungsangestellte Bankkauffrau
Tab. 5: Übersicht zu den Einzelauswertungen
Auswertung
115
Das durchschnittliche Alter zum Zeitpunkt des ersten Erhebungsdurchlaufs ist 64,7 Jahre. Zur Verteilung der formalen Bildung gibt folgende Übersicht Auskunft:
Formale Bildung der Befragten
Mittlere Reife Hauptschule/Volks schule Abitur Studium Privatunterricht
Abb. 4: Formale Bildung der Befragten
6.2.1 Einzelfallanalyse Frau B Hintergrund zur Interviewauswertung Frau B ist im Jahr 1949 geboren. Sie hatte von der Suche nach Interviewpartnern in der nachberuflichen Lebensphase im Pflegebegleiter-Kurs erfahren. Sie ist bereits seit acht Jahren nicht mehr berufstätig. Frau B lebt mit ihrem Mann, der noch voll im Berufsleben aktiv ist, in einem eigenen Haus. Ihr gemeinsamer Sohn lebt mit Frau und Kind in der näheren Umgebung. Die Beziehung zu diesem Sohn und seiner Familie wird in der Auswertung später noch konkreter thematisiert. Alle drei Gespräche fanden im Haus von Frau B in einem Lesezimmer statt. Zu jedem Gespräch wurden Kaffee und Kuchen gereicht. Das gesamte Ambiente war stets sehr aufgeräumt und jahreszeitlich geschmückt. Von der ersten telefo-
116
Auswertung
nischen Kontaktaufnahme an war Frau B sehr offen und unkompliziert. Waren Begrüßung und Umgang beim ersten Treffen noch eher förmlich, lockerte sich die Stimmung von Gespräch zu Gespräch zunehmend. Durchgehend entstand der Eindruck, dass sich Frau B von Beginn an voll auf die Fragen einlassen konnte. Sie antwortete sehr offen und teilte ohne Beschönigung ihre Sichtweisen und Erfahrungen mit. Die Codierung der Transkripte stellte für die Dekonstruktion der Interviews z.T. eine Herausforderung dar, da Frau B häufig im Redefluss die Themen wechselte und verschiedene Bezüge aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft mit einbrachte. Dieser Sprachstil kann aber auch als Indiz gewertet werden, dass ihre Aussagen und Schilderungen authentisch sind. Insgesamt war die Gesprächsatmosphäre bei allen Interviews offen und freundlich. Resümierend scheint Frau B alle drei Gespräche als persönliche Bereicherung erlebt zu haben, wie sie auch zum Abschluss selbst formulierte: „Das war, war schön, das hat mir gut gefallen und ich hab das noch immer zu meiner Freundin gesagt, immer wenn Sie kamen (…) gestern Abend, haben wir (…) Karten gespielt, da habe ich ihr noch gesagt, morgen kommt Frau S. wieder, och sagte sie, das ist ja schön (lacht). Ne, das war schön und ich fand ja, das muss ja auch irgendwo so ein Kontakt sein, dass man, es hätte ja auch sein können, dass ich vielleicht nicht so hätte sagen können.“ (B3, 106)
Motto: „…ich leide unter einem Helfersyndrom“ (B1, 3) Aussagen zur aktuellen Lebenssituation Frau B ist seit acht Jahren nicht mehr berufstätig, da ihr Mann – wie sie selbst berichtet – „so eine gute Stelle“ hat und sie „soviel Steuern nachbezahlen“ mussten, dass es sich für sie – nach eigenen Angaben – nicht lohne zu arbeiten. Stattdessen sei ihr in den letzen Jahren die Aufgabe zugefallen, sich um den großen Hund zu kümmern, der dann aber im vergangenen Jahr eingeschläfert werden musste. Erst nach dieser Phase hat Frau B das Gefühl, nun selbstbestimmt etwas tun zu können: „aber ich muss sagen, dies ist jetzt eine Phase in meinem Leben, ja, die ich einfach für mich habe“ (B1, 56)
Sie fühlt sich nun frei und ungebunden, was sie wie folgt beschreibt: „…das ist für mich jetzt wieder eine Zeit, wo ich im Grunde ganz frei bin und kann die Dinge jetzt tun, die ich in der Zeit da auch schon gerne getan hätte. Aber dies ist jetzt eine Phase für mich, wo ich vollkommen frei bin.“ (B1, 60)
Gleichzeitig ist diese Zeit, auch im dritten Interview, für sie „…auch irgendwo eine spannende Phase, würde ich sagen (…)… jedes Mal, kommt was Neues dazu.“ (B3, 94)
Insgesamt fühlt sich Frau B zu allen drei Interviewzeitpunkten gut:
Auswertung
117
„Mir geht es persönlich sehr gut.“ (B2, 3) „Gut, gut geht es mir. Ja.“ (B3, 7)
Zeitgleich zum Start des Pflegebegleiter-Kurses ist Frau B bereits freiwillig als Sterbebegleiterin tätig. Jeden Dienstag engagiert sie sich zudem in einem Altenheim. Ihre Lebensphase ist außerdem geprägt durch die eher schwierige Beziehung zu ihrer fast achtzigjährigen Mutter, die in einem Heim lebt. Diese Beziehung thematisiert sie jedoch erst am Ende des dritten Interviews: „Das macht mir im Moment, das macht mir ein bisschen Probleme.“ (B3, 100)
Lernerfahrungen Den Pflegebegleiter-Kurs und die damit verbundenen eigenen Lernerfahrungen bewertet Frau B sehr positiv. Sie hat vor allem den Eindruck, dass sie vieles für ihr Leben „mitnehmen“ konnte: „Also bin da immer ganz gerne hingegangen und hab da ganz viel mitgenommen.“ (B2, 31) „Ich hab soviel hier mitgenommen“ (B2, 43)
Diese, sich in allen Interviews durchziehende Begeisterung, scheint in enger Beziehung zu den besonderen Leistungen der beiden Kursleiterinnen zu stehen, die mehrfach gelobt werden. Frau B ist sehr angetan von der Art und Weise, wie die beiden Projekt-Initiatorinnen die Themen im Kurs umgesetzt haben. „Was mich ganz beeindruckt hat, ist da die Frau S und die Frau SW, die den Kurs leiten“ (B1,25)
Die beiden Kursleiterinnen fungieren für Frau B aber auch als persönliche Ansprechpartnerinnen, die ihr bei speziellen Fragestellungen wichtige Hinweise geben können: „Ich hab auch noch mal mit Frau S darüber gesprochen, weil ich auch irgendwo, ja, noch so ein Rückhalt brauchte. Und hab ihr das so gesagt und da hat sie gesagt, so musste das machen und dann kommst du da vielleicht mit klar. Und das hat so wunderbar geklappt.“ (B2, 23)
Auch die Gruppendynamik schildert Frau B sehr positiv, obgleich sie sich daran erinnert, wie sie sich bei dem ersten Treffen zunächst etwas unsicher gefühlt hat: „…das ging ja schon den ersten Abend los mit diesem Vorstellen, ja da ist natürlich, da ist man sich ja völlig fremd, klar. Man (…) stellt sich vor und sagt was, aber da ist ja auch noch so ein großer Unsicherheitsfaktor drin, also war es für mich zumindest so.“ (B2, 35)
Aus dieser ersten Unsicherheit entwickelt sich jedoch …eine ganz tolle Gruppe. Wir sind ja – glaube ich – acht Leute und, also ich habe selten so eine Gruppe erlebt. Ja, wie soll ich das sagen, wo irgendwie nach kurzer Zeit so ein Vertrauen war. (B1, 27)
Als Frau B in der Beschäftigung mit dem Thema Familie an ihre eigenen Grenzen stößt, findet sie in der Gruppe sogar einen Ort, an dem sie sich ihren Sorgen
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stellen kann, wie sie im Folgenden rückblickend im zweiten Interview sehr offen berichtet: „…da überkam es mich auch, da habe ich erst mal ein Stück geweint und wie gesagt, die haben mir dann auch angeboten, raus zu gehen, aber ich sag, das will ich jetzt gar nicht. Und da denke ich mir, das war für mich auch ein Stück ja, wo ich das einfach rauslassen konnte, das hätte man ja vielleicht nicht überall gekonnt. Wenn ich mich da jetzt in diesem Kurs unwohl gefühlt hätte, glaube ich, hätte ich das nicht gemacht, da hätte ich das unterdrückt. Aber da, da fühlte ich einfach irgendwie, da habe ich gedacht, jetzt kannst du das, kannst du das jetzt einfach sagen.“ (B2, 31)
Innerhalb der Gruppe sieht sie ihre eigene Rolle als eher aktive Teilnehmerin. Sie hat keine Angst, sich – beispielsweise im Rollenspiel – auszuprobieren und ist auch offen für Korrekturen. Sie scheint den Pflegebegleiter-Kurs als geschützten Lernraum nutzen zu können: „…wenn jemand sagte, einer muss ja jetzt anfangen, dann habe ich auch angefangen. Ich denke mir immer, ja, mehr wie schlecht machen kann man das ja nicht und dann wird man es halt, dann kriegt man schon gesagt, was nicht in Ordnung ist oder so.“ (B2, 33)
Auf die Frage, was sie als besonders eindrucksvolle Lernerfahrung aus dem Kurs mitnehmen konnte, benennt sie zum einen das „Zuhören“ und zum andern das „Wahrnehmen“. Beides hat sich in ihren Schilderungen als eine Art „Haltung“ entwickelt, so dass diese beiden Punkte auch als Veränderungen ihres Selbstbildes thematisiert werden können. Wie sich das gelernte Zuhören nun in ihrer Praxis des Freiwilligen Engagements auswirkt, schildert sie u.a. in diesem Beispiel: „Das ist mir heute noch aufgefallen im Altenheim, was man in allen Kursen ja lernt, dieses Zurücknehmen. Dieses selber Zurücknehmen und dem Anderen zuzuhören und wirklich den Anderen in den Vordergrund stellen. Was einem ja manchmal im täglichen Leben nicht so gelingt. Oder man redet und tut und das ist ja nun zuhören. Wirklich – nicht nur mit den Ohren, sondern mit dem ganzen Körper zuhören. Und das ist eigentlich auch wichtig. Und da kommt man auch, denk ich mir, ein ganzes Stück weiter mit“ (B1, 13)
Auch die Haltung des wertneutralen Wahrnehmens, die sie sich im Kurs durch einige Übungen angeeignet hat, beschreibt sie als hilfreiche Lernerfahrung: „Was mir sehr geholfen hat, durch dieses Lernen jetzt, ist wirklich wahrzunehmen. Das ist eigentlich, denke ich, immer wichtig. Was man sonst ja oft von allen Dingen wahrnehmen kann und da nicht sofort was rein interpretiert. Das denke ich mir, das fand ich eigentlich für mich schwer. Weil ich mich für mich da noch nicht so (.....). Man hört Leuten zu, aber meistens gibt man ja dann immer seinen Kommentar dazu. So denke ich mir, ist es mir sicherlich gegangen. Und da muss ich sagen, also, weil ich da auch oft gedacht habe, ja, man sitzt jemandem gegenüber und sortiert den vielleicht und hat den immer sofort einsortiert und hat da was rein in-
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terpretiert. Und das denke ich, das ist für mich eine gute Erfahrung. Da erinnere ich mich jeden Tag dran.“ (B1, 15)
Auffällig ist, dass Frau B zum einen besonders schätzt, dass sie das Gelernte nun in ihrem Leben – sowohl im Engagement als auch im Privatleben – anwenden kann: „…ich denke mir, immer wieder solche Gespräche, die kann man überall einsetzen.“ (B2,15)
Für die Fragestellung dieser Arbeit noch zentraler scheint, dass das Gelernte ihr hilft, mit sich selbst umzugehen: „Was ich für mich in der ganzen Zeit in allen Kursen gelernt habe, das ist einfach ja, selbst, selbst mit mir selbst umzugehen und ja, wie soll ich das ausdrücken, auf Vieles ganz anders zu reagieren. Auch Leuten viel besser zuzuhören, das würde ich einfach sagen und einfach auch, auch auf Leute zuzugehen“ (B3, 43)
Freiwilliges Engagement Frau B steigt erst nach ihrem Berufsleben in Tätigkeiten im Freiwilligen Engagement ein. Auf die Interviewfrage, ob sie sich schon vorher engagiert habe, antwortet sie: „Ne, ne, das habe ich nicht. Nur was man früher mal so nebenbei gemacht hat, mal Kinder verwahren und so was. Aber, grundsätzlich nicht. Aber das ist ja auch ganz interessant, man stößt ja heute noch an, wenn man sagt, ja wie, da kriegst du kein Geld für“ (B1, 47)
Hier wird deutlich, dass Freiwilliges Engagement in ihrem Umfeld nicht selbstverständlich ist und dass sie sich sehr bewusst für diese Tätigkeit entschieden hat, auch wenn sie grundsätzlich der Meinung ist, dass Gesellschaft von Engagement lebt: „Es ist zwar immer gut und schön, wenn irgendwo was ist und es wird gespendet und alles das, das finde ich auch in Ordnung, aber ich denke mir, vor Ort irgendwas zu tun, da lebt ja unsere Gesellschaft von.“ (B1, 54)
Grundlegend für Frau B ist der biografisch verankerte Wunsch, mit Menschen arbeiten zu können. In den Engagementfeldern Sterbe- und Pflegebegleitung hofft sie, einen langjährigen Wunsch verwirklichen zu können: „…da habe ich irgendwie von der Sterbebegleitung, von den Kursen gelesen, weil mein Traum immer gewesen ist, Krankenschwester zu werden. Aber zu meiner Zeit, da wurde ja nicht so ganz viel danach gefragt, was möchtest du werden, da war bei uns im Dorf um die Ecke, da war ein Betrieb, da war die Stelle als Industriekauffrau, und so wurde ich Industriekauffrau. Und da bin ich halt aufs Büro gegangen. Dann habe ich hinterher gedacht, wenn mal unser Sohn so groß ist und dann hast du ja die Zeit, dich noch mal neu zu orientieren und dann wird das irgendwann das Ehrenamt sein und so ist es dann auch gekommen.“ (B1, 45)
Mit diesem Wunsch geht jedoch auch gleichzeitig die Erwartung einher, dass ihr Engagement gewollt und angenommen wird. Die Entscheidung, nach dem Kurs
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für Sterbebegleitung auch noch Pflegebegleiterin zu werden, basiert auf dieser Hoffnung und Erwartung, viele Engagementmöglichkeiten zu bekommen: „Aber Pflegebegleiter, denke ich mir, das ist ja, was hoffentlich was Langfristiges und die zu Hause pflegen, die brauchen wirklich Unterstützung. Ich hoffe auch, dass die das auch wirklich annehmen.“ (B1, 54)
Tätigsein und anderen Menschen helfen sind für Frau B wichtige Bausteine ihrer eigenen Sinnkonstruktion, wie sie selbst in folgender Aussage reflektiert: „… ab und zu denke ich, man fragt sich ja immer im Leben und man sollte sich irgendwie mal fragen, warum bin ich überhaupt hier. Und von daher denke ich, ich wollte immer schon gerne anderen helfen und das ist auch so, ja, würde ich so sagen, mein Lebensmotto“ (B1, 56)
Weiter fällt auf, dass Frau B in allen Gesprächen – ohne dass dies direkt gefragt worden wäre – ihre freiwilligen Tätigkeiten sehr positiv bewertet: „…da haben wir auch eigentlich ganz gute Gespräche gehabt, das muss ich sagen. Und wenn ich dann nach Hause gehe, dann denke ich mir immer, das ist gut gewesen, das haste gut gemacht. Ja, was heißt, haste gut gemacht, ich hab das Gefühl, ich hab das Gefühl für mich, ich habe das gut gemacht, für den anderen kann ich nicht sprechen, das weiß ich nicht. Aber gehe dann auch mit so einem Gefühl nach Hause, es ist gut, dass du da jetzt hingegangen bist und hast das so gemacht“. (B3, 45)
Ihre Motivation ist nicht ausschließlich altruistisch geprägt, sondern Frau B sieht auch ihre eigenen Gewinne, wie u.a. anhand folgender Aussage aufgezeigt werden kann: „…es bringt mir immer wieder selber für mich was, weil ich ja immer wieder Situationen hab, wo ich dann wieder drüber nachdenken kann und wo ich allerdings, muss ich auch sagen, wo mein Mann oft dienstags fragt, wie war es denn und wir dann da auch über manches sprechen. Gut, der sagt dann hinterher, mein Gott, sagt er, ich könnte das nicht. (B3, 96)
Selbstaussagen In allen drei Interviews macht Frau B zahlreiche Aussagen, die Auskünfte über ihr Selbstbild geben. Diese bilden für die Einordnung späterer Aussagen und Veränderungen eine wichtige Hintergrundfolie. Im Folgenden sind einige zentrale Aussagen patchworkartig zusammengestellt: Im ersten Interview benennt sie gleich zu Beginn, dass sie unter einem `Helfersyndrom´ leide. Diese Beschreibung scheint ihr als Botschaft sehr wichtig, da sie sie später noch zweimal wiederholt: „…ich leide unter so einem Helfersyndrom“ (B1, 3) „Nur, was ich immer so noch auf dem Hinterkopf hatte, sagte ich eben ja schon mal, mein Helfersyndrom“(B1, 11) „wie ich eben schon sagte, mein blödes Helfersyndrom, was ich da habe“ (B1, 25)
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Gleichzeitig sagt sie über sich: „Ich bin nun auch nicht jemand, der alles ständig hinterfragt: warum ist das jetzt so, warum passiert mir das gerade so. Ich denke, das Leben ist so vielfältig und das macht auch Leben aus“ (B1. 56)
Mögen diese beiden Pole ihrer Selbstaussagen zunächst widersprüchlich erscheinen, lassen sie sich doch auf Basis folgender Aussage, in der sie konkrete Erwartungen an das Leben benennt – einordnen: „Man muss seinen Weg finden und wissen, was möchte ich jetzt machen. Ich habe gerne gearbeitet und ich bin eigentlich auch immer arbeiten gegangen, und, aber ich muss sagen, dies ist jetzt eine Phase in meinem Leben, ja, die ich einfach für mich habe“ (B1, 56)
Ihren Weg findet Frau B in Tätigkeiten des Freiwilligen Engagements. Auch wenn sie ihr „Helfersyndrom“ schwierig zu finden scheint, so ist es ihr doch: „…das Wichtigste, dem anderen zu helfen." (B1, 17)
Um diese Aufgabe gut meistern zu können, setzt sich Frau B gezielt in Vorbereitungskursen und Weiterbildungen mit sich selbst, aber auch mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten auseinander. Dazu meint sie über sich selbst: „Ich bin eigentlich immer lernbegierig.“ (B3, 23)
Spezielle Entwicklungsaufgaben Eine besondere Chance der Beobachtung der Selbst-Thematisierungen von Frau B bieten die Interviews als Längsschnittuntersuchung. Bei Frau B lassen sich hinsichtlich der Veränderungen innerhalb des Untersuchungszeitraums vier unterschiedliche Themen aufspüren. Diese werden im Folgenden nacheinander mit Textpassagen belegt. Entwicklung einer eigenen Standfestigkeit An mehreren Stellen wird deutlich, dass Frau B im dritten Interview eine stabile Haltung gewonnen hat, die es ihr ermöglicht, für ihre Tätigkeiten, die von Außenstehenden nicht immer nur ausschließlich positiv bewertet werden, einzustehen: „…Ich weiß genau, dass da welche, die dabei sind, die würden vielleicht dann sagen, die hat nen Knall, wie kann man so was machen oder so, wie kann man sich überhaupt damit, mit alten Leuten oder mit Sterbenden oder so abgeben. Das ist für mich so weit weg, da will ich überhaupt nicht drüber reden. Und das ist mir dann heute, muss ich ehrlich sagen, manchmal, für mich persönlich, zu oberflächlich. Aber dann muss man natürlich vorsichtig sein, das sind Freunde und die sind ja auch lieb und wert, aber da kann ich dann, will ich auch nicht, das ist dann halt mein Ding. Wenn man darüber spricht, vertrete ich meine Meinung, das ist klar, aber ich würde nicht irgendwie da so ein Gespräch darüber anzetteln, das, das würde ich also nicht machen. Aber das sind halt auch Erfahrungen, die man da macht.“ (B3, 82)
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Veränderung im Verhältnis zum Sohn durch die Beschäftigung mit dem Thema `Familie´ im Vorbereitungskurs Im ersten Interview schildert Frau B Schwierigkeiten, die sie mit ihrem Sohn und dessen Familie hat. Sie hat das Gefühl, hier zu versagen: „Ja, für andere da zu sein. Mit anderen kriegst du das eigentlich unheimlich gut hin, denke ich dann. Aber, wieso versagst du da eigentlich auf dieser Strecke mit dem eigenen Sohn? Obwohl, da gehören ja immer zwei zu, aber als Mutter, weiß ich nicht, frag ich mich ja vielleicht viel mehr, was hast du falsch gemacht. Nur, ich muss sagen, es ist schlimm. Wenn der Sohn, da nur (wäre), wenn da (aber) jemand dazu kommt, wie die Schwiegertochter, dann entgleitet einem das so schlimm“ (B1, 56)
Im zweiten Interview hat sich Einiges verändert, was sie u.a. durch ihre Lernerfahrungen im Pflegebegleiter-Kurs, aber auch durch die darin gewonnene Stärkung begründet: „…das hat mir unheimlich viel gebracht, für meine persönliche Situation, ja und auch vor allen Dingen im Umgang mit anderen. Und ich bin jetzt eigentlich wirklich glücklich, dass das so alles gelaufen ist. Und dann habe ich auch zu, das ist das Problem, das könnte, das hätte mein Mann also nicht gekonnt. Ich hab dem das dann erzählt und hab gesagt, ich regele das jetzt eigentlich alleine, dass wir das irgendwie wieder so hinkriegen. Weil ich ihm gesagt habe, ich traue mir das zu auf Grund dieser Schulung, dass ich das jetzt irgendwie, ja, oder es geht total daneben, das hätte ja auch sein können. Ja, ich sag gut, dann muss man eben einen Schlussstrich ziehen, aber es ist ja nun Gott sei Dank gut gegangen.“ (B2, 25)
Und an anderer Stelle sagt sie noch klarer, welche Erfahrung für sie hilfreich war: „…er war der Meinung, alles was gewesen war, sollten wir vergessen - und das wollte ich nicht, das war mir unheimlich wichtig. Das hätte ich vielleicht früher gemacht und hätte gesagt, o.k. gut, ab untern Teppich und weiter. Da habe ich gesagt, das kannst du nicht machen. Das waren auch Sachen, wo ich selber für mich draus gelernt habe.“ (B2, 23)
Abgrenzung von Unterwerfung unter das eigene Helfersyndrom Wie bereits unter dem Aspekt der Selbst-Narrationen beschrieben, ist das von Frau B selbst als „Helfersyndrom“ bezeichnete Persönlichkeitsmerkmal ein Aspekt, den sie als schwierig empfindet. Gerade in der Auseinandersetzung mit dem Freiwilligenprofil „Pflegebegleitung“ sieht sie hier notwendige Abgrenzungsaufgaben für sich selbst: „…das wird mir vielleicht schwer fallen, jetzt nur Pflegebegleiter zu sein, weil es ja auch immer wieder Situationen gibt, wir sollen ja wirklich nur begleiten und nicht nur tatkräftig mit anpacken“ (B1, 3)
Im zweiten Interview berichtet Frau B hierzu jedoch eine Veränderung, in der deutlich wird, dass sie gelernt hat, sich stärker abzugrenzen:
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„…ich gehe auch dahin und sage, ich habe jetzt ein halbe Stunde Zeit für sie. Das mache ich auch, ich setzte mich also da nicht da irgendwie unter Druck oder so. Also, das, das lernt man dann auch schon. Ich glaube, ich kann auch in manchen Situationen vielleicht jetzt besser nein sagen.“ (B2, 27)
Und auch im Abschlussinterview greift Frau B dieses Thema nochmals auf und macht deutlich, dass sich ihre Haltung verändert hat: „…das hat mir eigentlich so viel gebracht, dass ich auch viel über mich selbst gelernt habe und ich vielleicht auch heute geduldiger bin, mit manchen Dingen. Manchmal kommt das noch immer durch (lacht), das gebe ich zu, das gibt manchmal Situationen, da denk ich, ach, da hättest vielleicht ja jetzt auch nicht so reagieren müssen, denk mal dran, was du gelernt hast, so ungefähr (lacht) aber, im Großen und Ganzen würde ich sagen, es ist nicht nur dieses Helfersyndrom, das hat mir vor allen Dingen, mit diesem Helfersyndrom wurde uns immer wieder gesagt in dem Kurs, auch dieser Pflegebegleitung, denkt nicht, ihr müsst da, sondern die Anderen müssen, ihr könnt denen Anstöße geben usw., aber, ich würde sagen, dieses Zurücknehmen auch, das habe ich wirklich gut gelernt...“ (B3, 78)
Immer klarere Positionierung, was sie selbst will Frau B beschreibt an mehreren Stellen sehr klar die Positionsbestimmung ihrer derzeitigen Lebensphase. Folgende Sequenzen zeugen von ihrer Standfestigkeit und der kohärenten Integration ihrer Erfahrungen: „…weil ich das ja nun auch eine lange Zeit mache und das nun ja auch immer mehr wissen und vielleicht dann auch seinen Mann stehen. Ich muss das nicht begründen, warum ich das mache oder so, das ist nicht die Frage, aber dann da fest zu bleiben. Ich meine, ich steh dahinter, da kann mich keiner von abbringen…“ (B3, 96)
Und weiter sagt sie: …aber ich denke mir nur dieses Pubertieren würde ich sagen, diese Phase geht jetzt. Also das ist jetzt mehr auch so ein Festigen.“ (B3, 96)
Assoziatives Identitätsporträt Frau B beschreibt zum Abschluss ein Bild von sich, in dem sie sich selbst im „aufrechten Gang“ sieht. Sie beschreibt auch ihre „eigenwillige“ Persönlichkeit, die immer klarer zu den eigenen Stärken findet und im Freiwilligen Engagement einen Ort sieht, Dimensionen der eigenen Persönlichkeit zu verwirklichen. Einzig die Beziehung zu ihrer Mutter sieht sie nach wie vor problematisch: „Ich würde erst mal sagen, schon mal in Ehren ergraut so (lacht). Aber das sind rein äußerlich solche Dinge (Pause). Ich würde einfach sagen, vielleicht hat sich mein Blick und meine Haltung verändert, mein Blick, der mehr geradeaus geht, mehr zielgerichtet ist und nicht so, vielleicht rechts und links und noch mal hier und da, sondern man hat mehr klarere Vorstellungen (...) so würde ich auch sagen, bin ich meinen Weg eigentlich die letzten zwei, drei Jahre eh auch ganz gezielt gegangen, um diese, das, was ich jetzt mache und aufrechter. Wo ich vielleicht früher, ja
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Auswertung vielleicht ein bisschen mehr, sagen wir ruhig, ein bisschen mehr gebuckelt habe, ein bisschen mich vielleicht auch hab vielleicht niedermachen lassen von anderen, da würde ich sagen, aufrechter Gang. Wo ich mich manchmal noch vielleicht schwer tue, mit dem aufrechten Gang, das ist, glaube ich, komischerweise meiner Mutter gegenüber (...) da habe ich im Moment mit, glaube ich, so ein bisschen, so eine Problemhaltung (...). Das macht mir im Moment, das macht mir ein bisschen Probleme, (...), aber da habe ich immer noch wie so ein kleinen Tornister auf dem Buckel.“ (Zusammenfassung aus B3, 98-100)
6.2.2 Einzelfallanalyse Frau E Hintergrund zur Interviewauswertung Frau E, Jahrgang 1943, lebt seit 1982 in Deutschland. Als gebürtige „Siebenbürgen-Sächsin“ hat sie schon als Kind deutsch gesprochen. In der rumänischen Schule hat sie nicht weiter Deutsch gelernt und spricht daher mit Akzent und einigen grammatikalischen Fehlern, die auch in den Transkripten enthalten sind. In Rumänien war Frau E als Lehrerin für die Fächer Russisch und Rumänisch tätig. Als ihr Mann von Rumänien nach Deutschland zieht, folgt sie ihm mit den drei gemeinsamen Kindern, lässt sich dann jedoch schnell scheiden. Über ihre Ehe spricht sie eher negativ, sie habe die Kinder allein erziehen müssen und ihr Ehemann sei kein guter Mann und Vater gewesen. Trotz der Scheidung pflegt sie Schwiegermutter und Schwiegervater, die auch in Deutschland leben. Ihre eigene Mutter, die während dieser Zeit in Rumänien pflegebedürftig wird, kann sie aber – was sie sehr zu bedauern scheint – nicht pflegen. In Deutschland kann sie nicht weiter als Lehrerin arbeiten. Sie macht einige Fortbildungen im Bereich der Gesundheitsberatung und will diesen Schwerpunkt auch noch weiter ausbauen. Alle drei Interviews finden in den Kursräumen der Pflegebegleiter statt. Bei dem ersten Gespräch fällt auf, dass sie sich teilweise schwer tut, auf die gestellten Fragen zu antworten. Sie weicht immer wieder aus und berichtet über andere, ihr wichtige Themen. Gleichzeitig entsteht der Eindruck, dass sie gefallen möchte und gerne von ihrem Wissen etwas mitteilt. Das zweite Gespräch findet unter zeitlichem Druck statt, da sie sich zum vereinbarten Termin verspätet und einen bestimmten Bus zur Heimfahrt nehmen möchte. Insgesamt geht es ihr bei diesem Termin auch gesundheitlich nicht sehr gut. Beim dritten Interview zeigt sie ihre Freude über das Wiedersehen und macht etliche Komplimente; sie scheint bemüht, eine weitere Beziehung zur Interviewerin nach diesen drei Treffen aufbauen zu wollen. Motto: „Ich geh mehr auf meinem Weg und das passt nicht in eine Gruppe.“ (E2, 65)
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Aussagen zur aktuellen Lebenssituation Frau E ist durch den Umzug nach Deutschlang im Jahre 1982 schon länger nicht mehr in ihrem gelernten Beruf tätig. Ihr Interesse gilt den Themen ganzheitliche Gesundheit, Ernährung und Psychologie. Sie besucht viele öffentliche Vorträge und kauft sich Bücher zu diesen Bereichen: „Ich lese auch viel Psychologie, (…) gerade mich interessiert diese Verbindung Mutter – Tochter, Mutter – Sohn und (…) bei der evangelischen Kirche gibt es wieder eine Vortrag. Gerade so nennt man es – unter biblische Sicht, ‚Die Beziehung zwischen Mutter und Sohn und Mutter und Tochter‘….und dort will ich heute Abend auch noch gehen, aber das ist um 8 Uhr. Okay, da habe ich noch Zeit.“ (E1, 20)
Der Pflegebegleiter-Kurs ist für sie interessant, da sie sich ohnehin in diesem spezialisieren möchte und ein anderer Kurs für sie nicht finanzierbar ist: „Ich bin von Haus aus Gesundheitsberaterin, ganzheitliche Gesundheit und ich habe versucht, mich zu spezialisieren als Ernährungsberaterin bei Kindern. Aber, ich musste noch eine zusätzliche Ausbildung machen und dann hat es nicht geklappt mit dem Geld. Und, (…) ich möchte mich in eine Richtung spezialisieren, und da habe ich gesagt, also, mit ältere Leute zu arbeiten oder etwas zu tun, vielleicht würde es mir liegen.“ (E1, 3)
Ihre Lebensphase ist geprägt durch Aktivität und Weiterlernen. Sie berichtet in allen drei Gesprächen in langen Textpassagen, wie sie mit anderen Menschen in Kontakt ist, ihnen hilft, vor allem mit Frauen, die wie sie aus Rumänien stammen. Im Profil der Pflegebegleiter sieht sie die Möglichkeit, ihre Kompetenzen einzubringen: „….damit ich den Pflegeangehörige auch behilflich sein kann. Ja, weil ich auch Gesundheitsberaterin bin. Dann kann ich auch, wenn bei Diät kann ich etwas sagen oder Ernährung kann ich, bei Kochen und so und sogar Rezepte geben“ (E1,36)
Gesundheitlich geht es ihr insgesamt gut, auch wenn sie beim zweiten Gespräch stark abgenommen hat und sich fragt, was mit ihrem Körper gerade los sei. Sie macht sich insofern Gedanken um ihr eigenes Älterwerden und pflegebedürftig werden. Sie weiß um ihre kleine Rente und fragt sich, ob sie sich Leistungen wie z.B. eine Tagespflege einmal leisten können wird: „…also mit meiner Rente kann ich mir diese Luxus nicht erlauben. Ich kann mir auch nicht den Luxus erlauben, jemand mich zu pflegen. Also, dann muss ich etwas tun, um gesund zu bleiben und das mache ich ja auch“ (E1, 13)
Lernerfahrungen Aufmerksam geworden ist sie auf den Kurs durch eine Bekannte aus der Kirche, die ihr einen Flyer gegeben hat. Auch wenn Frau E schon viele Vorträge gehört sowie eigene praktische Erfahrungen gesammelt hat, sieht sie im Pflegebegleiter-
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Kurs einen Ort, an dem sie noch vieles lernen kann. Insbesondere verschiedene Krankheitsbilder scheinen sie zu interessieren: „Ich möchte diese Krankheitsbilder von älteren Leuten besser kennen lernen“ (E1, 27)
Nach dem Kurs resümiert sie im zweiten Gespräch, sie habe bei allen Themenschwerpunkten etwas lernen können: „…eigentlich von alles habe ich etwas genommen.“ (E2, 38)
Sie freut sich daran, viel Material erhalten zu haben und so auch zu Hause nacharbeiten zu können: „…wir haben sehr, sehr viel Material bekommen. Auch über diese Krankheiten, Depressionen und Alzheimer Krankheit, die Vorträge waren sehr gut, also ich hab viel gelernt.“ (E2, 38)
Interessant ist, dass sie die Vorbereitung auf das freiwillige Profil der Pflegebegleiter fast gleichwertig mit einer Berufslogik sieht. Dies drückt sie auch in folgenden gewählten Begrifflichkeiten aus, in denen sie beschreibt, was ihr im Kurs gut gefallen habe, nämlich der Umgang miteinander: „…nicht nur zwischen den Kolleginnen, sondern auch mit der Führung, also mit der Frau B und Frau G “ (E2, 4)
Thematisiert Frau E die Gruppe, die Projekt-Initiatorinnen und das Miteinander dort im ersten und zweiten Gespräch noch durchweg positiv, ändert sich dies im dritten Interview massiv. Dieser Aspekt wird unter dem Punkt `Spezielle Entwicklungsaufgaben´ differenziert beschrieben. Freiwilliges Engagement Ein Motiv für das Engagement als Pflegebegleiterin schildert Frau E auf der Grundlage ihrer Biografie: „Warum ich Pflegebegleiterin wollte sein? Ich wollte was tun. Ich kann, ich bin von Beruf auch Lehrerin und eh, ich hab etwas getan in erzieherischen Bereich. Nicht unbedingt wenn’s bezahlt wurde, also, eh ich kann auch etwas machen auch ohne bezahlt zu werden. Dann habe ich auch betreut meine Schwiegervater. Also, meine Schwiegermutter, die hat auch eine Herzinfarkt.“ (E1, 4)
Aus mehrfacher Pflegeerfahrung sind ihr die Belastungen solcher Situationen bekannt und sie sieht auch die Chance, ehemals berufliche Kompetenzen als Lehrerin im Umgang mit Menschen nutzen zu können. Ein weiteres Motiv beschreibt sie mit der Pflegegeschichte ihrer eigenen Mutter, die sie selbst nicht pflegen konnte: „Warum mache ich das? Weil mir ist es jetzt bewusst, ich werde auch immer älter und eh, ich bin in meinem Alter sensibler geworden für ältere Leute. Ich glaube, ich habe für meine Mutter nicht genug getan. Ich war hier in Deutschland, meine Mutter war in Siebenbürgen, Rumänien. Sie ist von heute auf morgen gestorben, aber sie hat es schwer gehabt, nach dem Sturz von Ceauescu, gab es nicht zum Es-
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sen und solche Sachen. Ich hatte hier Probleme, ich glaub, ich hab ihr nicht genug geholfen, also jetzt.“ (E1, 56)
Durch ihre freiwilligen Tätigkeiten drückt Frau E auch ihre Werthaltungen aus. Für sie scheint – laut ihren eigenen Aussagen – Hilfe selbstverständlich, auch weil sie selbst in ihrem Leben schon Hilfe von anderen bekommen hat: „…ich habe es auch schwer gehabt und mir haben andere Menschen auch geholfen und eh, und, wenn ich helfen kann, dann mache ich das gerne, ohne etwas zurück zu bekommen.“ (E3, 48)
Auch scheint sie sich ihrer eigenen Gewinne durch die freiwillige Tätigkeit bewusst zu sein: „…es ist bewiesen, dass, wenn man immer hilfsbereit ist, das ist das Beste, was ein Mensch sich tun kann. Es ist noch wichtiger als Geld und eh, als eh, wie soll ich sagen, alte Werte eh, Prestige oder wie heißt es. Ja, also, es ist und ich glaube, wenn ich mich engagiere und eh, etwas Gutes tue, tue ich mir selber gut.“ (E2, 79)
Was bei den Beschreibungen freiwilliger Tätigkeiten bei Frau E insgesamt auffällig ist, sind die vielseitigen Einsatzstellen, von denen sie berichtet. So ist sie neben den Einsätzen als Pflegebegleiterin ebenso auch in der Pflege und Begleitung von Pflegebedürftigen aktiv. Besonders häufig engagiert sie sich in Familien, die entweder aus Rumänien stammen oder bei denen eine rumänische Pflegekraft für einen begrenzenden Zeitraum engagiert ist. In den Interviews schildert sie sehr ausführlich die jeweils dahinter liegenden Familien- und Krankheitsgeschichten. Selbstaussagen Frau E schildert, dass sie Einfühlungsvermögen habe: „…ich besitze Einfühlungsvermögen“ (E1, 72)
Diese Fähigkeit sei hilfreich dabei, mit Menschen in Kontakt zu sein, sowohl in ihrer Vergangenheit als Lehrerin als auch in ihren derzeitigen Tätigkeiten. Ihre Aussagen deuten darauf hin, dass sie sich in bestimmten Fragestellungen kompetent fühlt: „…wenn man weiß, eh, wenn man Kenntnisse hat, psychologische Kenntnisse hat, dann kann man und Krankheitsbilder kennt, dann kann man denen noch besser helfen.“ (E1, 64)
In ihren Aussagen setzt sich Frau E auch immer wieder mit ihrer Sozialisation und den damit verbundenen unterschiedlichen Werten auseinander: „…die Werte sind ganz anders in Deutschland. Man ist gewertet, was man hat, eh, finanziell. Wie viel Rente man hat, ein Haus hat, Auto, gut, das sind sehr schöne Sache und es tut mir leid, das, eh, eh, eh, ich hätte das auch gerne gehabt, aber,….“ (E3, 83)
Mehr noch als finanzielle Werte schildert Frau E aber den Wert, in Lernen und Ausbildung zu investieren:
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Auswertung „Als ich die Abfindung bekommen hab, ich habe mir nicht ein Auto gekauft, sondern ich hab eine Ausbildung besucht als Reformhaus-Gesundheitsberaterin und ich bin auch dabei. Und jetzt will ich dieses Symposium machen und bei diesem Symposium, wenn sie hier sehen, gibt es auch etwas für Alzheimer Krankheit, was man mit Essen machen kann.“ (E3, 83)
Rückblickend auf ihren bisherigen Lebensweg sieht Frau E sowohl gute als auch schwierige Zeiten, in denen sie sich selbst immer weiter verändert hat. Insgesamt beschreibt sie ihr Menschenbild als „Ganzheit“: „Es ist so, ich habe mich sicherlich auch verändert, ich habe auch mehrere Erfahrungen, auch mehrere schlechte Erfahrungen, auch gute und meine Meinung ist, man kann nicht die gute Seite im Leben finden, wenn man nicht die schlechte Seite kennt. Und, ich finde, dass der Mensch eine Ganzheit ist. Er ist nicht nur gut, sondern er macht auch Fehler und von den Fehlern kann man lernen. Eh, was meine Identität betrifft, ich war und bin geblieben.“ (E1, 72)
Sie beschreibt, durch diese Zeiten gereift zu sein, auch wenn sie betont, dass die Vergangenheit weiter prägt: „…ich bin reifer geworden sicherlich, aber, na ja, es ist so, eh, die Kindheit, die Vergangenheit oder so, prägt schon den Menschen“ (E1, 76)
Ihre Vergangenheit beschreibt sie in vielen Punkten als schwierig: An ihren Vater habe sie keine Erinnerung, ihre Mutter habe sie nicht pflegen können. Sie habe unfreiwillig geheiratet, habe keine gute Ehe gehabt und ihre Brüder seien in der Hitlerzeit bei der Jungschar gewesen, weshalb sie bis heute bei ihren Landsleuten nicht gut angesehen sei: „Ich bin nicht gut gesehen von meinen Landsleuten, gerade von dieser angeblich Freundin“ (E3, 25) „Ja, ich sag ihnen warum: weil, meine Brüder, zwei, ich hab drei Brüder, aber zwei Brüder werden wegen dem Hitlerzeit, die waren Jungschar Hitler, weil das war so, alle waren.“ (E3, 27)
Über sich selbst sagt sie, dass andere Menschen sie als schwach erleben könnten, was jedoch nicht ihrem eigenen Selbstbild entspricht: „Ich bin als schwacher Mensch von den anderen, die immer streiten und immer stärker mit Ellenbogen sich durchsetzen und weil ich das nicht mache mit, sich durchsetzen, egal auf was für eine Art, bin ich als schwach eh, verurteilt. Aber ich bin nicht schwach. Ich fühle mich nicht schwach. Ich, ich sehe eher das die Anderen, die immer nur, egal mit was für Mittel, egoistisch sich durchsetzen, ich finde, das die sind schwach. Und ich möchte auch nicht anders sein.“ (E3, 74)
In ihren Aussagen scheint auch im zweiten – und noch stärker im dritten Interview – eine Abgrenzung zu anderen Personen und Gruppen hindurch: „Ich mach nicht immer alles, was eine Gruppe sagt oder so. Ich bin mehr, ich geh mehr auf meinem Weg und das passt nicht in eine Gruppe.“ (E2, 65)
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Spezielle Entwicklungsaufgaben
Das Filtern spezieller Entwicklungsaufgaben stellt sich bei Frau E als schwieriger heraus als in anderen Auswertungen. Anders als bei den Personen A - D werden keine Veränderungen in bestimmten Themen und somit „fassbare“ und nachweisbare narrativ verankerte Veränderungen greifbar. Auffällig ist bei Frau E jedoch – und dies kann an dieser Stelle der Auswertung beschrieben werden – dass sich ihre Haltung zur Gruppe der Pflegebegleiter sowie zu den Projekt-Initiatoren zwischen dem zweiten und dritten Interview stark verändert hat. Im ersten Interview schildert sie die Gruppe sehr positiv: „…ich finde die Gruppe, wo wir sind, ganz, es gibt ganz tolle Menschen“ (E1, 40)
Zu einer Person habe sie auch engeren Kontakt außerhalb des Kurses: „…dann habe ich noch eine, die hat mich sogar mit dem Auto nach Hause gebracht, sie hat Gerontologie studiert und die ist so als Mensch oder so, also ich kann mich ganz gut mir ihr unterhalten, also nicht nur, was betrifft oder Aufgabe ist als Pflegebegleiter, aber auch so insgesamt.“ (E1, 44)
Auch im zweiten Interview spricht sie sehr positiv von der Gruppe, sogar eine Freundin habe sie darin gefunden: „…ich hab sogar eine Freundin gefunden in der Gruppe. D.h. wir sind jetzt nicht so eng befreundet, aber wir treffen uns ab und zu und dann machen wir einen Spaziergang oder wir sprechen. Ja, sie war bei mir eingeladen und, das letzte Mal haben wir uns getroffen, wie waren spazieren und danach haben wir einen Kaffee zusammen getrunken…“ (E2, 47)
Frau E fühlt sich von der Gruppe sowie von der Leitung für ihr Freiwilliges Engagement gestärkt: „…ich eh, eh, wünsche mir, das ich, wenn ich das angefangen habe und eh mich engagiert habe, das weiter zu machen und eh versuche, mein Bestes zu tun. Und ich spüre, dass ich unterstützt bin von, von der Leitung und von der Gruppe auch, die sind ganz nette Leute. Also, wenn, wenn man die etwas fragt oder so, die sind hilfsbereit. Es ist schon eine besondere Gruppe.“ (E2, 69)
Auffällig ist, dass Frau E in diesem zweiten Gespräch von anderen Gruppensituationen außerhalb des Pflegebegleiter-Projektes berichtet, die für sie eher schwierig waren, da es darin häufig um Konkurrenz und Durchsetzungskraft ging. Dies lässt sich an folgender Textpassage verdeutlichen: „In einer anderen Gruppe spielen andere Regeln eine Rolle. Das ist Durchsetzung gefragt, wer stärker ist….“ (E2, 67)
Anders spricht Frau E von der Gruppe der Pflegebegleiter jedoch im dritten Interview. Ihrer Meinung nach hat sich die Gruppe verändert: „…es war am Anfang besser“.(E3, 21)
Dies habe u.a. auch mit einer der Projekt-Initiatorinnen zu tun:
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Auswertung „…also die Frau G war krank, dann war nur die P da. Und mir hat das Gefühl gehabt, die Frau P. war so, gegenüber mir, so etwas ablehnend oder so.“
Frau E schildert, dass sie aktiv versucht habe, eine Freundschaft mit einer anderen Teilnehmerin im Kurs aufzubauen: „…ich hab versucht, mich zu befreunden. Gut, eh, ich hab versucht mich zu befreunden mit ihr, aber, wir können nicht gute Freundinnen sein, weil die ganz andere Ansichten hat.“ (E3, 5)
Dieser Kontakt, aber auch der mit den andern Gruppenteilnehmerinnen, hat sich verändert: „Ehm, also mit der Frau M verstehe ich mich gut und auch mit den Männern, habe ich keine Probleme. Aber, ich hatte die, eh, wo ich mit dem, war ich so ein bisschen befreundet und dann hat die sich so komisch benommen mit mir.“ (E3, 21)
Sie beschreibt ihre Vermutung, dass dieses Verhalten damit zu tun haben könnte, dass andere sie als Konkurrentin erleben würden: „…in der Gruppe so, eh, weil ich aktiv bin und die anderen sind es nicht so aktiv, wahrscheinlich, ich, ich hab, wie soll ich sagen, ich hab mich vielleicht mehr engagiert. Und aus dem Grund, die sehen mich dann eh, die sehen mich eine Konkurrentin, ich möchte nicht einmal konkurrieren mit niemanden. Und das hat denen nicht gefallen, weil ich so viele Leute mobilisiert habe. Und ich, ich frage mich, wo sind wir? Ich meine, wir haben ja alle den gleichen Ziel. Wir sind, wir müssen ja nicht konkurrieren und trotzdem, es hat denen nicht gefallen“ (E3, 38)
Ihre vielfältigen Engagementbereiche deutet sie als Grund, weshalb sie diese Schwierigkeiten mit anderen habe: „…ich komme in, eh, in eh, in Konflikt, eh, weil ich zu aktiv bin.“ (E3, 42)
Interessant ist, dass sie diese Erfahrung mit anderen in Gruppensituationen schon zuvor gemacht habe und daher auch schon Kontakt zu einem Psychologen hatte, der mit ihr über das Thema Mobbing gesprochen habe: „…ich lese den P. L., das ist ein Psychologe, der meist gelesene Psychologe in Deutschland, und der ist auch ein Schwabe. Der ist in Stuttgart geboren, aber er hat seine Praxis in Köln und den hab ich auch besucht und er hat gesagt, ich bin, mein Problem ist es, ich bin etwas anders als die meisten und das genügt, damit andere Mobbing mit mir machen. Aber ich bin nicht ein Mobbing-Opfer, eh, weil ich (Pause), ich denke immer so, wie können die Leute, erwachsene Leute, so (Pause) Entschuldigung das Wort, so dumm sein. Wie können so viele kämpfen gegen einen Menschen. Spüren die nicht, wie schwach die sind und, und die wollen dich, die wollen mich verändern, ja? Die haben immer gesagt: anpassen, anpassen. An was soll ich mich anpassen? An etwas Schlechtes pass ich mich nicht an. (…)….wenn ich bemerke, dass man macht Mobbing mit jemand, ich mach nicht mit. Ich, ich, ich geh auf meinem Weg. Die haben gesagt, ich schwimme gegen den Strom. Ich hab gesagt, ich schwimme so, wie ich schwimmen kann und ich bin nicht gegen den Strom, (Pause), ich bin nicht gegen die Leute, ich möchte mit denen eh, kommunizieren und, und eh, und kollaborieren und, aber die wollen es nicht und ich bin auch nicht kämpferisch.“ (E3, 62)
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Somit verändert sich ihre Hoffnung, in der Gruppe der Pflegebegleiter, so wie sie ist, akzeptiert zu werden. Vielmehr fühle sie sich attackiert: „Frau D., ja, genau, die Frau D.. Ich, ich weiß, ich weiß auch nicht genau, sie ist, sie ist, ist es Eifersucht, ich weiß es nicht. Etwas so, eh und eh. Bei der Frau P., P. H. hab ich das auch bemerkt. Also, das hat denen nicht gefallen, wenn ich über viele Fälle gesprochen habe, mit denen ich Kontakt habe und die seien der Meinung, die P.H., sie attackiert mich, auch nachher immer. Und sie hat es auch in der Gruppe gesagt, dass ich oberflächlich mit viele zu tun hab, am Besten ist es nur mit jemanden und intensiv. Aber ich, und dann nachher, hab ich mich verbessert, ich hab dann gesagt, ich, ich beschäftige mich intensiv mit einem Fall und mit dem anderen wie ich kann.“ (E3, 25)
Diese Erfahrungen decken sich mit Gruppensituationen ihrer Vergangenheit. Eine wesentliche Textstelle zum Thema `Akzeptanz´ findet sich im zweiten Interview: E: …..Eh, also, ich habe das Gefühl, das ich in dieser Gruppe akzeptiert bin. Eh, das ich jetzt eine besondere Rolle, ich hab eine Rolle genau so wie die anderen auch. (Pause). Aber etwas Besonderes bin ich nicht (lacht). Interv.: Hatten sie Angst oder Sorge, das sie nicht akzeptiert würden in der Gruppe, wenn sie jetzt sagen, sie sind akzeptiert worden? E: Ach so – eh, ja, ich hatte keine, keine Sorge,. Aber so mit einer Gruppe habe ich schon früher, hatte ich schon schlechte Erfahrung, auch schlechte Erfahrung. Interv.: Inwiefern? E.: Weil eh, weil ich nicht passte in der Gruppe. Also d.h. die Gruppe hatte andere Erwartungen von mir. Ich mach nicht immer alles, was eine Gruppe sagt oder so. Ich bin mehr, ich geh mehr auf meinem Weg und das passt nicht in eine Gruppe. Man muss machen, auch wenn du es schlecht empfindest, musst du das machen. Na, ja, o.k. (E2, 61-65)
Wie sich mit dieser Passage zeigen lässt, scheint es sich hier um eine Art wiederkehrendes Muster zu handeln, was später eingehender interpretiert wird. Interessant ist weiter, dass Frau E im dritten Interview auch von Ablehnungssituationen berichtet, die sie in ihrer freiwilligen Tätigkeit erlebt, wie in folgendem Beispiel deutlich wird: „….sie handelt gegen mich und dann jetzt bin ich in einer schwierige Situation. Ich werde sie noch besuchen, aber, (Pause), es ist mir sehr, eh, schwer das.“ (E3, 6)
Den Umgang mit solchen Situationen und Gefühlen definiert sie am Ende des dritten Interviews als Entwicklungsaufgabe: „…ich hab mich nicht verändert. Weil ich, ich bin, vielleicht habe ich noch eine Erfahrungen gemacht: die Gruppe ist eh, hat schon tolle Menschen, ja, eh, nur, es ist jetzt mein Problem. Ich bin auch etwas sensibel, was betrifft alte Menschen. Wenn die mich attackieren, ich, ich muss mit mir noch selber, wenn die mich attackieren, soll ich es nicht so am Herzen nehmen, das ist, das sind, so sind die Menschen. Man hat mir gesagt, auf einem Ohr rein, auf dem anderen raus. Das, das
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Auswertung kann ich nicht. Aber ich bleib so, wie ich bin. Und wenn ich bin, wenn ich so, bleib so, wie ich bin, ja, dann muss ich auch zu rechnen, dass andere Menschen, dass die Pfeile von anderen Menschen auf mich kommen, eh, und dann ich, eh, auch verletzlich werde sein. Und mit dieser Verletzlichkeit muss ich, muss ich leben. Man ist entweder, man ist offen und verletzlich oder man ist eh, eh, man ist geschlossen, damit man nicht verletzlich ist. Aber ich, ich meine, ich bin eh, eh (Pause), eh, ich, ich nehme eh, dieses, dieses Pflegebegleiter habe ich das Ernst genommen. “ (E3, 87)
Assoziatives Identitätsporträt In ihrem assoziierten Abschlussbild beschreibt Frau E ihren Blick in die Zukunft sonnig und positiv. Diese Schilderung kontrastiert mit den vorangegangenen, oben beschriebenen, Aussagen: „…ich, sehe eine Sonne, die Sonne, die scheint und die Sonne lacht. Das, das, drückt, das drückt für mich aus, eh, das das Leben schön ist: es ist warm, die Sonne scheint und, und ich bin gut, gut drauf und eh, und ich fühle mich jetzt gut und, und, und wenn ich mich jetzt gut fühle, und wenn jetzt die Sonne scheint und lacht, ist das eine Voraussetzung, das es auch die Zukunft so wird, so sein wird.“ (E3 91-93)
6.2.3 Einzelfallanalyse Frau G Hintergrund zur Interviewauswertung Frau G, Jahrgang 1939, lebt an der Ostsee. Sie hat zwei erwachsene Kinder, die bereits selbst Kinder haben und sie regelmäßig im Sommer besuchen. Ein Jahr vor dem ersten Interview trennt sie sich „im Guten“ von ihrem Mann, mit dem sie in ihrem Berufsleben einen Hotelbetrieb geführt hat, wo sie schwerpunktmäßig tätig war. Alle Interviews finden in Räumlichkeiten statt, die der Teilnehmerin durch den Pflegebegleiterkurs bekannt sind. Da ein erster Kontakt bereits am Vorabend des ersten Interviews im Rahmen eines Kurstermins stattfindet, wo sich auf ein „Kurs-Du“ geeinigt wurde, wird sich in allen drei Interviews beidseitig geduzt. Frau G wirkt dennoch zu Beginn eher schüchtern und vorsichtig, was sie selbst rückblickend so beschreibt: „Und als ich dich dann kennen lernte und du mir so gegenüber gesessen hast, da habe ich auch gemerkt, innerlich zittere ich, so, aber ich wurde dann so zum Ende hin ruhiger. Ich bin auch jetzt zu Anfang immer noch, dass ich so eine Art Lampenfieber kriege, so wie bei Schauspielern, so ein innerliches Zittern, aber wie dann die Ruhe so kommt, eh. Das ist ja nicht wie in der Schule, dass der Lehrer sitzt und du musst Antworten geben, sondern, das ist dieses, du darfst sagen, was du fühlst, was du denkst, aber du musst es nicht sagen.“ (G3, 126)
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Gleichzeitig sind alle drei Gespräche mit Frau G durch große Tiefsinnigkeit und Authentizität geprägt, sie scheint sich sehr auf die Fragen einzulassen und beantwortet sie spontan. Oft wie sie selbst sagt, ohne vorher darüber nachzudenken: „…es immer so, wenn ich anfange zu sprechen, dann weiß ich noch gar nicht, was ich endlich sage, sondern, das klärt sich dann und deswegen ist es manchmal so lang“ (G2, 67)
Durch dieses Reden sortiert Frau G ihre Gedanken und sie scheint zudem die Interviews als positive Zeit zu erleben, da sie es genießt, einen geduldigen Zuhörer zu haben: „Aber ich mach das dann so, um für mich selber beim Reden auch das noch klarer zu kriegen. Weil ich sonst auch nicht viel spreche, sondern mehr denke, ist es für mich sehr wichtig, dann mich selber zu hören und was sage ich und meine ich das genau so und manchmal stelle ich fest, jetzt hast du was gesagt, aber gedacht hast du erst was anderes. Gesagt habe ich dann das, was ich wirklich dabei empfunden habe, also, es wurde klarer. Also, das finde ich auch immer so toll. Wenn man jemanden hat, der auch die Geduld aufbringt, das so zuzuhören.“ (G2, 71)
Anzumerken ist als Hintergrundinformation für die drei Interviews, dass Frau G etwas schwerhörig ist und daher immer wieder Situationen entstehen, in denen sie nachfragt oder etwas zunächst missversteht (vgl. beispielsweise G2, 52). Motto: „Jetzt ist es die Zeit für den `Innenbereich´. Und ich denke, zu spät ist es nie.“ (G1, 23) Aussagen zur aktuellen Lebenssituation Frau G ist bereits seit einigen Jahren nicht mehr beruflich tätig, da sie nach einer Bandscheibenoperation und einer neuen Hüfte nicht wieder in ihren alten Beruf als Hotelkauffrau zurückgekehrt ist. Sie und ihr Mann, von dem sie sich in dieser Zeit trennt, haben das Hotel verkauft und sie kann es sich nach Jahren voller Arbeit und Engagement finanziell erlauben, in ihre nachberufliche Lebensphase einzusteigen. Auch wenn sie die Trennung von ihrem Mann verarbeiten muss (vgl. G1, 17), habe sie sich in dieser Zeit „privilegiert“ (G1, 13) gefühlt und sagt dazu: „…Ich habe also natürlich die ersten Jahre genossen: tun und lassen können, was ich wollte und wann ich wollte. Und dann nachher wurde es auch wieder langweilig, es brauchte was.“ (G1, 13)
Nach einer Zeit des Rückzugs beginnt Frau G sich zu fragen, was sie für sich selbst – für diese Lebenssituation – braucht. Sie besucht einen Ayurveda-Kurs, der eine Art „Initialzündung“ für sie zu sein scheint: „…danach ist es mir so richtig gut gegangen. Und so habe ich immer mehr den Kontakt gefunden zu, wie soll ich das ausdrücken, zu mir selbst, zu dem, was ich innen brauche. Zum Äußeren habe ich ja fast alles und kann dankbar sein dafür.
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Auswertung Aber das Innere ist eigentlich zu kurz gekommen. Und um diese Sinngebung zu finden, da bin ich jetzt so auf dem Weg. Und ich muss sagen, das finde ich so spannend.“ (G1, 14)
Auf der Suche nach dieser Sinngebung entdeckt sie einen Artikel über die Pflegebegleiter und das neue Kursangebot und entscheidet sich spontan zur Teilnahme. Dieser Artikel sei für sie „…genau das I-Tüpfelchen, das war genau zum richtigen Zeitpunkt.“. (G1, 15)
Aber auch wenn Frau G beginnt, sich freiwillig in verschiedenen Bereichen zu engagieren, ist es ihr dennoch sehr wichtig, sich viel Zeit für sich selbst zu nehmen. Sie besucht Seminare, in denen es um Selbstfindung geht und liest viel (G1, 21). Dabei lebe sie oft eher für sich, so sagt sie im zweiten Interview: „…ich hab kein so großes Umfeld. Ich lebe alleine.“ (G2, 7)
Die Zeit nach ihrer sehr ausgefüllten Berufs- und Familienzeit erlebt sie als Chance, die Dinge ruhiger angehen zu können. Sie beschreibt, dass sie in dieser Zeit noch viele Entwicklungsmöglichkeiten sieht: „…für mich ist das eine absolute Chance. Nur, ich denke, ich habe ja jetzt gesagt mit dem Alter usw. , ich denke, das spielt auch kein, ich hoffe das Alter auch letztendlich keine Rolle. Selbst, wenn ich jetzt, sagen wir mal 70 wäre und ich würde mit 71 sterben, dann würde sich das noch lohnen, in dieser Zeit, oder in diesen paar Monaten noch irgend etwas zu unternehmen und das merke ich für mich, dass das immer wichtiger wird. Ich denke nicht daran, ich bin zwar älter, aber ich denke, ich weiß auch, dass ich sterblich bin, das hört sich sonst so an, als denke ich nicht an meinen Tod, das schon. Aber es stellt sich mir nicht die Frage, oh jetzt muss ich das noch schaffen, ich muss das noch schaffen, ich sterbe ja jetzt bald, sondern, das kann ich ganz ruhig angehen, aber es ist eine Chance.“ (G3, 90)
Lernerfahrungen Frau G möchte durch den Pflegebegleiterkurs lernen, wie sie anderen Menschen helfen kann, sich selbst zu helfen. Hierzu wünscht sie sich Sach- und Fachwissen und Rückenstärkung durch die Gruppe. Sie fragt sich im ersten Gespräch: „…wie kann ich das am besten jetzt machen, das ich helfen kann. Und zwar so helfen, dass die anderen sich selber helfen können, entlasten“ (G1, 7)
Diese Haltung von Empowerment lernt sie im Kurs und sie glaubt, dass sie das Gelernte später im Umgang mit pflegenden Angehörigen anwenden kann: „Das bringt mehr Sicherheit, mehr Rückenstärke, dass man weiß, wie man mit diesen Sachen umgehen kann. Eben nicht mit den Ratschlägen und nicht mit was Aufgesetztem, sondern, sie kommen lassen, nicht.“ (G3, 13)
Auch die Auseinandersetzung und das Einüben von aktivem Zuhören scheint ihr wichtig und wesentlich. Frau G spricht darüber, dass sie lerne, sich selbst zu öffnen und den Menschen, der ihr gegenüber stehe, zu akzeptieren:
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„…sich zurückzunehmen, den anderen sprechen zu lassen und darauf einzugehen (….) … man muss sich da irgendwie öffnen. Man muss seinen eigenen Weg finden, wie man den anderen aufnehmen kann und wichtig ist eben, - aber das wusste ich ja auch schon vorher, ihn zu akzeptieren, so, wie er ist und zwar, so wie er ist in dem Moment. Das kann sich morgen schon wieder ganz anders darstellen. Aber dieses, diese wirkliche Klarheit und Bestätigung noch mal, das war für mich sehr wichtig.“ (G2, 20)
In der Gruppe fühlt sich Frau G nicht von Beginn an wohl, sondern schildert sich selbst zunächst als eher zurückhaltend und die anderen Teilnehmer beobachtend. Sie bewundert die Menschen, die sich direkt sehr offen in die Gruppe einbringen: „…ich bewundere die Leute, die so offen und alles so raus bringen können. Ich sitze ja auch genau wieder neben P und wieder neben M, die also sehr offen sind.“ (G1, 25)
Sie schildert, dass es sie anfangs bedrückt habe, dass eine Teilnehmerin sich eher von ihr abgewendet habe: „Und ich sitze neben, wie heißt sie? B? M mit Nachnahmen, weiß ich jetzt nicht. Da habe ich das Gefühl, die ist total auf die andere Seite gerutscht, fixiert. Wir beide haben so überhaupt keinen Kontakt. Vorher hätte mich das total bedrückt, im Moment macht mir das aber nichts aus, weil ich denke, es hat alles so seine Zeit und es kommt.“ (G1, 25)
Gefragt nach ihrer Rolle in der Gruppe antwortet sie: „Ich hab sicherlich eine mehr zurückhaltende Rolle. Ich bin kein Mensch, der, der so, wenn es mehrere Menschen sind, so sehr aktiv ist. Ich kann besser so mit ein oder zweien.“ (G2, 40)
Als ein Grund, weshalb sie sich aber trotz der geschilderten Unsicherheiten in der Gruppe wohl fühle, führt Frau G die Art der Kursleitung an: U ist sehr wichtig für die Gruppe, aber, sollte U mal ausfallen und die Gruppe trotzdem weiter besteht, das weiß ich eben nicht, ob das dann noch funktioniert, wäre das auch okay. Aber ich denke, U ist im Moment diejenige Klammer, die das auch alles zusammen hält, mit ihrer Art, mit ihrer ganzen Herzlichkeit und so, fühlt man sich eben so gut aufgehoben bei ihr.“ (G2, 61)
Freiwilliges Engagement In ihrer nachberuflichen Lebensphase beginnt Frau G sich an unterschiedlichen Stellen freiwillig zu engagieren. Sie macht einmal wöchentlich einen Besuchsdienst im Pflegeheim und berichtet, sich bei einem Seniorenbeirat gemeldet zu haben (vgl. G1,18). Frau G scheint froh zu sein, dass der Pflegebegleiterkurs an ihrem Wohnort angeboten wird: „Der erste Gedanke war für mich, endlich etwas, wo du dich mit einbringen kannst. Weil hier, ja, das ist so das flache Land (…) aber ich möchte nicht weg aus H., ich möchte eben hier bleiben. Und da bin ich im Moment eben angewiesen, dass ich etwas von außen kriege, um mich dann einbringen zu können. Und dass das jetzt
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Auswertung ein Modellprojekt ist, ist natürlich sehr spannend, um mal zu gucken, wie entwickelt sich das.“ (G1, 31)
Neben dieser räumlichen Passung erklärt sie auch, dass das PflegebegleiterThema zu ihr persönlich passe: „…ich glaub, das ist ein guter Weg gewesen, hierher zu kommen (…) Weil, dieses ganze Thema ist ja mein Thema. Ich möchte ja gerne ehrenamtlich mit älteren Leuten etwas machen, ihnen helfen.“ (G3, 26)
Frau G reflektiert für sich selbst aber auch das Bedürfnis, helfen zu wollen und betont im ersten Interview, dass sie kein „Helfersyndrom“ habe. Sie sagt über ihr Bedürfnis, sich einzubringen: „Ich habe immer so mein Problem damit, das eigentlich so deutlich zu sagen, weil ich dann oft höre „Helfersyndrom“. Nein! Ich finde, das ist kein Helfersyndrom. Ich bringe mich ja mit ein, ganz mit vollem Bewusstsein.“ (G1, 62)
Durch den Kurs fühlt sich Frau G bestärkt, ihr Engagement fortzusetzen: „Also, es hat mich darin bestärkt, es weiter zu machen. Also dieser Kurs hat mich ein ganzes Stückchen sicherer gemacht, dass ich da so in die richtige Richtung gehe, das, was ich machen möchte.“ (G2, 63)
Sie wolle, so Frau G, durch ihre freiwillige Tätigkeit etwas weiter geben können und identifiziert das Engagement als Weg für sich selbst: „Jetzt durch den Kurs ist noch mal ganz deutlich nen Punkt darauf gesetzt, dass das so in Ordnung ist, dass das nicht nur so einfach ne Idee mal war, sondern dass es für mich wirklich der Weg ist, etwas von dem, was ich so gehabt habe im Leben, noch mal weitergeben zu können, als, wie soll ich sagen, als Dankeschön.“ (G2, 63)
Als Gewinne der freiwilligen Tätigkeit beschreibt Frau G zum einen die Kontakte, die durch dieses Engagement entstehen: „Und ich denke, das ist für mich, da ich ja auch alleine lebe, ist das für mich sehr wichtig, Kontakte zu haben.“ (G3, 52)
Zum anderen, das Gefühl zu haben, etwas Sinn- und Wertvolles zu tun und dadurch im Engagement etwas für sich selbst zurück zu bekommen: „…meinen Wert so auszudrücken, dass ich ehrenamtlich etwas mache oder meinen Wert daraus zu ziehen – ich weiß nicht, wie ich das ausdrücken soll – eh (Pause) und aber nicht nur eben nur helfen zu können, sondern eben auch etwas zurück zu kriegen und das wertzuschätzen.“ (G3, 52)
Auch die gesellschaftliche Perspektive führt sie als Begründung für ihr Freiwilliges Engagement an: „…ich finde, es ist so wichtig, dass wir, ja, dass wir uns einbringen in die Gesellschaft. Das kann nicht funktionieren mehr eh, wenn man nicht ehrenamtlich auch etwas übernimmt.“ (G2, 57)
Beim dritten Interview bedauert Frau G, bislang noch keine Begleitungen gehabt zu haben, da die Gruppe noch nicht so in die Praxis gekommen sei: „…finde es sehr schade, dass wir noch nicht in die Praxis kommen konnten.“ (G3, 9)
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Frau G berichtet aber darüber, weiter die ältere Dame im Pflegeheim zu besuchen und dort auch langsam andere pflegende Angehörige kennen zu lernen, mit denen sie sich vorstellen kann, ins Gespräch zu kommen (G3, 12). Selbstaussagen Mehrfach spricht Frau G darüber, dass sie in ihrem Leben an einem Punkt sei, an dem sie sich Zeit für ihren „Innenbereich“ nehmen wolle und nun selbst entscheiden könne, was sie tun möchte. Dies sei anders als zuvor, denn: „…im Berufsleben musste ich immer, ich musste funktionieren.“ (G1, 46)
Grundsätzlich sei sie ein fröhlicher Mensch, dies sei jedoch eine lange Zeit „verschüttet“ (G1, 47) gewesen. Nachdem sie sich einige Zeit für sich allein genommen habe, sei sie an einen Punkt gekommen, an dem sie gemerkt habe, dass sie auch auf den Austausch mit anderen Menschen angewiesen sei, wie sie selbst schildert: „…es war ganz einfach so, dass ich eines Tages gesagt habe: so geht das nicht, so geht das nicht. Du sitzt hier und (Pause). Ja, ich habe Handarbeiten gemacht und solche Sachen, aber es war nichts, was mich befriedigt hatte. Ich habe eben gemerkt, zu meinem Leben gehören auch Menschen. Ich kann nicht ganz alleine leben. Ich kann zwar gut für mich alleine sein, ich kann nicht als Asket sozusagen alleine leben. Ich brauche auch das „Du“, die Reflexion, also die Unterhaltung auch. Das Miteinander-sich-austauschen. Und das kann ich nicht mit einem Buch machen. Das bringt es nicht.“ (G1, 54)
In der Gruppe der Pflegebegleiter findet sie Kontakt. Dabei schildert sie, von Reaktionen der anderen abhängig zu sein: „…und man merkt dann auch die Reaktion der anderen und davon bin ich oft auch sehr abhängig. Wenn ich merke, das war so nichts, also ich bin für mich zu weit gegangen, dieses feedback, was man da so kriegt, das ist nicht stimmig für mich, dann ist es auch erst mal wieder gut, dann mache ich da auch nicht mehr weiter“ (G1, 46)
Über sich selbst und ihre Entwicklung denkt Frau G aktiv nach, besucht Seminare, liest Vieles usw. Daher verwundert es nicht, dass in den drei Interviews gerade die Passagen, in denen sie über sich selbst spricht und ihr Dasein reflektieren kann, ungewöhnlich – im Vergleich zu anderen Interviewpartnern – tief gehen. So sagt sie bereits im ersten Gespräch über ihre eigene Entwicklung: „Es gibt sicher Menschen, die vollkommen in sich ruhen usw. Also, fertig, glaube ich, ist man nie. Sondern, das ist immer ein sich `Weiterentwickeln´, wenn man es zulässt. Was ich so sehr empfunden habe im Berufsleben, war diese Stagnation, weil man keine Zeit hatte. Man hatte keinen Bekanntenkreis, man hatte nur Gleiches, Leute aus dem gleichen Beruf. Da ging es immer nur um das Geschäftliche und darüber hinaus war überhaupt nicht die Möglichkeit (…).“ (G1 51)
Sich über ihre eigene Persönlichkeit Gedanken zu machen, sieht sie als Entwicklung der letzten Jahre. In jungen Jahren sei sie so sehr durch Beruf und Familie
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gefordert gewesen, dass für diese Frage kein Raum blieb. Sie habe sich in einem Kreislauf befunden, in dem es keinen Raum für den Austausch mit anderen gegeben habe: „Aber es ist eben das Private und das, mit anderen Leuten sich austauschen, das ist dermaßen zu kurz gekommen, dass ich das jetzt lerne, eigentlich jetzt erst. Auch, sich mitzuteilen und anderen, wie soll ich sagen, zuhören, worüber reden andere überhaupt. Das ist etwas gewesen, was ich immer selber mit mir gemacht habe. Ich habe dann Bücher gelesen und habe darüber reflektiert und gedacht. Aber das ist immer ein Kreislauf. Es führt nicht weiter, nicht wirklich weiter, denn es fehlt der Gegenüber, der eben sagt: ‚Ja und, aber so und so‘. Und aus diesem Kreislauf raus zu kommen, dass war für mich eben so wichtig und das habe ich jetzt vor einem Jahr geschafft.“ (G1, 52)
Diesen Kreislauf, den sie als „eingemauert sein“ beschreibt (vgl. G1, 52), lernt sie nach und nach zu durchbrechen: „Ich habe jetzt wirklich den ersten Schritt, ich sage immer die Schwelle überschritten, ich war ja total sonst immer eingemauert. Ja, ich war zwar frei in meiner Zeit, ich konnte machen, was ich wollte, aber auf andere Leute zugehen, das konnte ich nicht. Ich war darauf angewiesen, dass andere den ersten Schritt machten, dann konnte ich sofort das annehmen. Und das hat dann immer weitergeführt und dann konnte ich auch wirklich den ersten Schritt machen und das ich raus gegangen bin, ja aus meiner Wohnung und auch aus mir selber heraus.“ (G1, 52)
Auf ihrem Lebensweg habe sie ihre Identität, wie sie selbst sagt „irgendwo verloren“: „Weil ich irgendwo auf dem ganzen Lebensweg, den ich hinter mich gebracht habe, habe ich meine Identität (…). Ich will nicht sagen (Pause). Ich hatte mich früher wohl sehr identisch gefühlt, aber irgendwo auf dem Weg habe ich mich verloren.“ (G1, 59)
In der Zeit nach ihrem Beruf nimmt sich Frau G, wie oben bereits beschrieben, zunächst Zeit für sich selbst. Über das Ende dieser Phase des Rückzugs sagt sie über sich selbst: „Und dann war es auch wieder vorbei, da fiel einem die Decke auf den Kopf und da kam nun dieses absolute Zurückziehen, wo es mir dann irgendwie aufgefallen ist, wenn ich so weitermache, dann werde ich depressiv. Ich war ja schon so, dass ich sagte, bloß nicht unter Menschen, bloß keine Menschen.“ (G3, 96)
Inzwischen schildert Frau G ihre derzeitige Lebenssituation als eine Zeit im Leben, in der sie Zeit für Reflexion und somit für die (Weiter-)Entwicklung ihrer Identität habe. Denn vorher habe sie sich immer im Zwiespalt zwischen den Herausforderungen von Familie und Beruf gesehen. In dieser Zeit sei auch vieles „schief gelaufen“ und um diesen Problemen aus dem Weg zu gehen, habe sie sich verstärkt im Beruf engagiert (vgl. G3, 88). So fasst sie selbst zusammen: „…ich musste so alt werden, damit ich überhaupt erst mal gemerkt habe, dass ich auch jemand bin und nicht immer nur Familie und Beruf“ (G3, 87)
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Spezielle Entwicklungsaufgaben In der Auswertung der drei Gespräche lassen sich in den Aussagen von Frau G vier Bereiche ausmachen, die sie für sich auch als Entwicklungsaufgaben sieht. Herstellung von Sinn Nach viel Arbeit im Beruf und besonderen Reisen merkt Frau G, dass sie auf andere Weise Sinn herstellen möchte. Sie selbst sagt bereits im ersten Interview dazu: „…die Reisen nach Ägypten, Lateinamerika, die Mayas, die Azteken, die habe ich machen können, da freue ich mich auch drüber. Aber ich brauche es nicht mehr. So ist es auch mit vielen Sachen, mit Äußerem.“ (G1, 42)
Sie findet weiter, sie müsse nun „eine anderen Ebene finden“, und meint dazu: „…und ich hab (die Ebene) für mich gefunden, dass es das ist mit Menschen. Aber Einzelne, keine Gruppen“. (G2. 57)
Im dritten Gespräch reflektiert sie nochmal, warum es für sie so wichtig sei, etwas zu tun, was sie selbst wertschätzen kann: „…es noch wert zu sein, eh, oder, oder meinen Wert so auszudrücken, dass ich ehrenamtlich etwas mache oder meinen Wert daraus zu ziehen – ich weiß nicht, wie ich das ausdrücken soll – eh (Pause) und eh, aber nicht nur eben nur helfen zu können, sondern eben auch etwas zurückzukriegen und das wertzuschätzen.“ (G3, 52)
Bisheriges Leben anerkennen Frau G spricht schon im ersten Gespräch darüber, dass sie bewundere, wie weit sich andere Menschen schon in jüngeren Jahren mit ihrer Persönlichkeit auseinandersetzen. Sie selbst lerne erst jetzt, sich auf ihr Inneres zu konzentrieren und müsse zudem lernen anzuerkennen, was sie im Leben dennoch bereits geleistet habe: „Manchmal habe ich so das Gefühl, es sind ja meistens junge Leute, die mit mir in solchen Kursen sitzen, und dann habe ich oft schon das Gefühl, du musstest so alt werden, bevor du soweit bist wie die sind auf diesem Gebiet. Aber ich habe auch gelernt, anzuerkennen, was ich vorher geleistet habe im „Außenbereich“. Jetzt ist es die Zeit für den „Innenbereich“. Und ich denke, zu spät ist es nie.“ (G1, 23)
Im letzten Gespräch drückt sie weiter aus, dass sie es zunehmend lerne, ihr Leben, wie es verlaufen sei, zu akzeptieren. Dies sei für sie Arbeit, die sie aber auch weiter voran bringe. So sagt sie: „…ja, ich bin dankbar für mein Leben! Auch die schwarzen Punkte, die da drin sind, die noch bearbeitet werden müssen. Aber ich seh ja auch, wie viel ich selber, wenn ich mit mir selber arbeite, anderen auch gestatte, Zutritt zu mir zu lassen, mich nicht immer abkapsele und immer zumache, dass ich dann auch weiterkomme.“ (G3, 104)
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Ankommen Frau G sagt über sich, dass sie es sich wünsche, irgendwann das Gefühl zu haben, angekommen zu sein. Nach Zeiten des `Eingemauertseins´ fühlt sie sich jetzt auf dem Weg und hofft, wie sie sagt, zunehmend weniger beschwerlich voranzukommen. Für dieses Gefühl wählt sie das Bild eines Hauses, auf das ein steiniger Weg zuläuft. Im Interview erinnert sie sich an eine Bildkarte aus dem Kurs, die sie in einer Kurssituation ausgewählt hatte und beschreibt dazu: „Das Haus heißt für mich Geborgenheit, ankommen. Sich wirklich zu Hause fühlen, sich wohl fühlen, mit sich selbst in der Mitte sein, sich ausruhen. Das heißt noch nicht, abgeschlossen sein, es geht auch dann weiter. Das ist für mich etwas, was ich so gerne hätte, dieses wirklich geborgen sein, sich angenommen fühlen und von da aus dann es noch weiter machen. Deswegen sage ich, ich bin auf dem Weg, ich bin auf der untersten Stufe, die zweite bin ich gerade dabei, sie zu erklimmen. Dann geht der Weg etwas weniger beschwerlich, weniger beschwerlich, vielleicht –. Aber, (Pause), weiß man noch nicht. Es kommen immer wieder steile…, aber inzwischen bin ich soweit, dass ich sagen kann, ich bin auf dem Weg und der Weg ist richtig.“ (G1, 57)
Dieses Ankommen beschreibt Frau G auch im dritten Interview noch einmal. Hier wird deutlich, dass es dabei weniger um ein örtliches Ankommen geht. Vielmehr geht es dabei um eine, wie sie selbst sagt, Rückkehr in die menschliche Gesellschaft: „(das Freiwillige Engagement) bedeutet eigentlich, zurückzukehren in die menschliche Gesellschaft, nicht im Berufsleben, sondern auf der privaten Seite. Und da immer mehr zu gucken, wie viel Spaß das macht, mit Menschen was zu tun zu haben, ihnen zu helfen und eben auch wieder was zurück zu kriegen. Ich kann das nicht anders ausdrücken.“ (G3, 55)
Zum anderen handelt es sich um ein Ankommen bei sich selbst: Nicht bei einer Vorstellung der eigenen Person, die sie nicht ist, sondern in der Annahme der Person, die sich in einem konkreten Augenblick darstellt. Dies formuliert sie als Entwicklungsaufgabe, nämlich „…mich daran zu gewöhnen, dass der Augenblick wichtig ist und nicht das, was ich mir so vorgestellt habe. Wie ich als Person wäre, die Vorstellung habe ich, aber die Person, habe ich inzwischen gemerkt, bin ich nicht. Und ich muss mich jetzt an diese Person heranmachen, die ich wirklich bin und die auch annehmen.“ (G1, 69)
Offener werden – auf andere zugehen Das wohl eindrücklichste Entwicklungsthema während der Interviews, welches Frau G auch immer wieder als solches identifiziert, ist der Wunsch, offener zu werden und sich auf andere Menschen einlassen zu können. So sagt Frau G im ersten Interview, dass sie sich oft nicht traue, etwas zu sagen. Oft käme sie einfach nicht auf die Idee auszudrücken, was sie denke, da es ihr selbstverständlich
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erscheine. Durch die Rückmeldung von anderen, zum Beispiel im Pflegebegleiterkurs, beginnt sie darüber nachzudenken: „ich (habe) schon von vielen die Rückmeldung gekriegt….: `das ist es doch, dann sag es doch´. Aber ich komme gar nicht auf die Idee…. ich muss viel mehr wahrnehmen und eben auch bereit sein, das in dem Moment auch mitzuteilen. D.h. also noch mehr Offenheit.“ (G1, 21)
Dieser Wunsch passt auch zu dem bereits oben beschriebenen Bild des Kreislaufs, in dem sie sich eingemauert fühlt und den sie gerne aufbrechen möchte (vgl. G1, 52). Im Kurs lernt sie, sich zunehmend zu öffnen und erinnert sich in dem Zusammenhang im zweiten Gespräch an die Rollenspiele: „….diese Rollenbeispiele. Das war so von der Schwester von der U,… die das über die Kommunikation das gemacht hat. Sie hat einfach Ruhe ausgestrahlt, sie hat einem Zeit gegeben und sie hat es nicht bewertet. Und das war überhaupt, genau das war der Punkt, dass nichts bewertet wurde, jeder konnte also so sein, wie er wollte und war.“(G2, 32)
Auch wenn sie bei diesem zweiten Gespräch noch immer sagt, dass es ihr schwer falle, sich einzubringen, stellt sie für sich dennoch eine Veränderung fest: „…ich merke eben, dieser Kurs hat mich wieder ein ganzes Stück weiter gebracht, mich persönlich. Aber ich denke auch, in dem Kurs war das vielleicht auch nicht schlecht, das jemand so dazwischen ist, ja, wo man gemerkt hat, ach so, en paar Schwierigkeiten, aber, sie öffnet sich. Ich hab nicht so viel Schwierigkeiten, andere auf mich zukommen zu lassen, aber selber so raus zu gehen. Aber, wie gesagt. Das nehme ich aus dem Kurs noch gut mit und vor allen Dingen freut es mich, das wir noch Kontakt halten wollen.“ (G2, 45)
Und an anderer Stelle sagt sie ähnlich: „Das (der Kurs) hat mich offener gemacht, das hat mich zugänglicher gemacht und gestärkt.“ (G2, 28)
Das Thema Offenheit ist auch noch einmal ein großer Inhalt beim Abschlussinterview. Hier resümiert Frau G zunächst über ihre Lernerfahrung: „Was ich gelernt habe? Auch offener über mich reden zu können. Also nicht nur anderen zuzuhören, Ich habe gemerkt, dass das auch spiegelt (…) da kommen ja auch noch andere Ängste oder irgendetwas hoch und wo ich dann sagen kann, hach, das kennst du doch auch. Und das hilft unwahrscheinlich weiter, mir jedenfalls. Und dass man sich selber auch öffnet, bzw. man sollte ja schon offen sein. Aber ich stelle fest, man kann sich noch immer weiter öffnen. Und immer mehr davon mitnehmen… der eine sieht das so, der andere sieht das so und da hol ich mir also auch viel raus. Weil ich, ich habe zwar mit Menschen zu tun gehabt, aber eben auf der gastronomischen Schiene und das ist eine ganz andere.“ (G3, 19)
Es habe sich merklich etwas für sie verändert, nämlich „…dass ich mich jetzt öffnen kann, dass ich von mir selber sprechen kann… Das war jetzt auch durch dieses Rollenspiel, da habe ich also bemerkt, dass ich mich sehr weit mich öffnen kann, das ich also da auch vielleicht schon manchmal auch aufpassen muss…“ (G3, 30)
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Auswertung
Interessant ist bei Frau G auch die Stelle im Interview, als sie mit alten Textpassagen aus vorangegangenen Interviews zum Thema `Offenheit´ konfrontiert wird. Nachdem der von ihr selbst stammende Satz eines älteren Interviews „Zum Äußeren habe ich ja fast alles und kann dankbar sein dafür, aber das Innere ist eigentlich zu kurz gekommen und um diese Sinnfindung jetzt zu finden, da bin ich jetzt auf dem Weg“ vorgelesen wird, fragt Frau G: „Und da bin ich ja schon ein Stückchen weitergekommen, oder? (G3, 60)
Diese Aussage wird im dritten Interview von ihr selbst bejaht. Daraufhin führt Frau G noch weiter aus: „So, wie ich es fühle, ich weiß nicht, ob ich es gut ausgedrückt habe. Aber genau das ist das. Nämlich dieses im Inneren, also dieses offen, mehr sich zu öffnen und dann eben zu sehen, wenn ich offen bin, dann sind auch andere zu mir offen. Die kommen mir dann auch entgegen und das wahrzunehmen und dafür bin ich auch immer wieder dankbar. Vor allen Dingen bin ich jedes Mal überrascht.“ (G3, 62)
In diesem letzten Gespräch überdenkt Frau G noch mal die Veränderungen und ihre Aktivitäten. Sie kommt zu dem Schluss, dass sie durch ihr eigenes Öffnen viel Rückmeldung erhalten habe, die sie nie erhalten hätte, wenn sie sich weiter zurückgezogen hätte. Sie selbst drückt es wie folgt aus: „…das ist alles, was ich jetzt unternommen habe, Hospiz, Pflegebegleiter, ich bin bei den kreativen Frauen und so. Ich bin also in die Öffentlichkeit gegangen. Ja, ich bin raus gegangen. Ich weiß nicht, wie habe ich das hier gesagt, mein Inneres – ich bin raus gegangen und krieg jetzt eben auch die Rückmeldung. So lange ich in mir drin war, konnte ich das eigentlich auch nicht erwarten. Aber das war mir nicht klar.“ (G3, 65)
Assoziatives Identitätsporträt Hier beschreibt sie: „…ich kann kein Bild sehen. Ich kann, was ich sehe, sind immer Farben. Und wenn ich jetzt darauf gucken soll, dann würde ich sagen, ich sehe ein ganz, ganz leuchtendes Blau. Aber es ist so ein Blau und wenn die Sonne dann dahinter durchscheint, das ist einfach Farbe, es ist einfach Farbe…. Das ist für mich (Pause) Freiheit, Offenheit, da möchte ich gerne hin. Das ist, das stellt für mich eigentlich keinen Endpunkt (dar), es gibt kein Endpunkt. Aber diese leuchtende Blau-Farbe, die ich also vor Gesicht habe, das ist so, das bedeutet für mich alles, das beinhaltet alles, das ist so ganzheitlich. Ich bin immer noch ein bisschen zögerlich mit diesem Wort Liebe. Obwohl Nächstenliebe ist für mich ein sehr großes Thema und ich denke, dass es auch immer verstärkter für mich ist. Aber, Liebe ist eigentlich rot besetzt, aber rot ist nicht das. Rot ist für mich eher Feuer, Kraft, Energie. Liebe ist für mich was Ruhigeres. Dieses Blaue ist für mich eigentlich mehr ruhig, strahlend. Das ist, mehr kann ich, weiß ich nicht, was ich dazu sagen soll. Das ist für mich so, da möchte ich hin, da würde ich mich geborgen fühlen, wohl fühlen usw. Aber es muss genau dieser Ton sein, dieses Blau.“ (G3, 106-115)
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6.2.4 Einzelfallanalyse Herr L Hintergrund zur Interviewauswertung Herr L ist 1944 geboren. Er ist verheiratet, spricht in den Interviews von einer Tochter, die bald heiraten möchte. Er befindet sich im Vorruhestand und ist gelernter Techniker. Die drei Gespräche finden in den Kursräumen der Pflegebegleiter statt. Herr L spricht starken schwäbischen Dialekt, der in den Transkripten erhalten bleibt. Er spricht viel über seine Bezüge und Erfahrungen im Sozialraum. Viele Interviewpassagen sind durch diese Schilderungen geprägt. Bei Themen, in denen er als Person in seinem individuellen Erleben gefragt ist, beantwortet er diese Fragen kurz und schwenkt dann oft auf ein anderes Themengebiet um oder wartet auf die nächste Frage. Auf die Frage am Ende des letzten Gesprächs, ob die Gespräche für Herrn L unangenehm gewesen seien, antwortet er: „Ne, das waren sie nit“ (L3, 134) Herr L strahlt bei allen Interviews eine professionelle Haltung aus und signalisiert, dass er „wirklich etwas tun“ wolle. Motto: „…ich möchte wirklich was tun, nit nur schwätze…“ (L1, 25) Aussagen zur aktuellen Lebenssituation Zum Zeitpunkt des ersten Interviews ist Herr L ein „knappes Jahr“ (L1, 34) im „so genannten Vorruhestand“ (L1, 4). Er erklärt dazu: „…es war nicht mein Ziel, erlöst zu werden aus dem Arbeitsleben. Ich habe immer gern gschafft. (…) So wie es halt jeden Tag im Radio kommt, wo die Firmen Leute abbauen, so war es auch bei uns. Ich habe mich ein ganzes Jahr dagegen gwehrt, wo die Chefs des es erschte Mal so gekommen sind, ob ich es mir nicht vorstellen könnte, weil sie abbauen müssten und wenn halt die Älteren nicht gehen, müssten sie Junge… und die Älteren haben natürlich einen besseren Kündigungsschutz und alles, die kammer eigentlich bloß nausschmeiße, wenn sie nicken. (…) Ich hab zunächst nicht genickt,… dann war aber die Situation so, dass Kündigungen kamen und zusätzlich die Arbeitszeit um über 30% für den Rest reduziert wurde und da hab ich gsagt, was nu, das muss jetzt einfach der Punkt sein.“ (L1, 36)
Aber auch wenn dieser Abschied aus dem Arbeitsleben nicht geplant gewesen sei, so habe er dennoch keine Sorge gehabt, die freie Zeit füllen zu können, da er sich bereits neben der Berufstätigkeit als Vertrauensmann bei einer Versicherung engagiert habe: „I hab auch nit, nie die Angst, dass i nit ausfüllt bi, i hab die ganze Zeit nebenberuflich war ich Vertrauensmann von ner Versicherung, das mach ich nach wie vor weiter und auch gern, das war eigentlich mehr ein Hobby, seither und weil ich hatte einen technischen Beruf und da hab ich auch viel mit Leute zu tun ghätt, aber, der
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Auswertung Versicherungsbereich hat mer doch noch persönlichere Kontakte und macht mir auch Spaß. Und das mach ich auch noch nebenher …“ (L1, 37)
Auch wenn er nun „mehr Zeit“ habe (L1, 11), stellt Herr L fest, dass zu Hause einiges zu tun ist: „…und dann hann ich eigentlich jetzt feststellt, was ich daheim alles liegen lasst, also i bin, wie jeder Rentner, voll beschäftig. Es isch grad de Stub ausgräumt, der Boden abschleifen müsse, sieht fürchterlich aus.“ (L1, 37)
So nutzt Herr L die Zeit, hat „jetzt neue Heizung installiert“ (L1, 46) und ist gleichzeitig weiter ehrenamtlich im Bereich der Krankenpflege aktiv und möchte diese Tätigkeit, auch in neuen Feldern, weiter ausbauen. Lernerfahrungen Die Entscheidung, am Pflegebegleiterkurs teilzunehmen, war für Herrn L durch zwei Dinge beeinflusst. Zum einen habe er „eigentlich was gesucht“, zum anderen sei er durch Plakate und seine Schwägerin auf doppelte Weise auf das Angebot angesprochen worden (vgl. L1, 3). Beim zweiten Gespräch geht er auf seine Motivation noch einmal etwas genauer ein. Dort sagt er: „Ich hab’s auch unter dem Gesichtspunkt eigentlich den Kurs macht, weil ich (das) Gefühl hab, da ist ein Vakuum, das beackert werden musste und, ich hab jetzt mehr Zeit, dadurch ich nicht mehr berufstätig bin und könnte da, jetzt was weiß ich, fünf, sieben, acht, zehn Johr mich einbringe und das möchte ich auch machen. Wobei, also, jetzt rein die Pflegebegleitung für mich ein Punkt ist, es sind noch mehr Punkte, die jetzt mit Krankenpflegebereich zusammen hängen. (L2, 37)
Lernen möchte Herr L vor allem, wie die Pflegebegleiter in dörflichen Strukturen „Hemmschwellen“ bei den pflegenden Angehörigen überwinden (vgl. L1, 15). Herr L ist noch unsicher, ob er selbst als Pflegebegleiter tätig werden möchte oder ob er durch den Kurs lernt, wie er selbst in seiner Heimatgemeinde eine ähnliche Initiative aufbauen kann. Er sagt dazu: „…wobei jetzt noch nit weiß, inwieweit ich dann selber Pflegebegleitung mach oder ich ob ich dann bloß versuch, Leute zu gewinnen, die so was machet.“ (L1, 17)
Über die Kursgruppe spricht Herr L an einigen Interviewstellen. Er schätzt die Teilnehmenden wie folgt ein: „…dreiviertel davon sind mit Sicherheit in der Lage, auch Multiplikator zu spielen, es hat aber auch einige dabei, die sind nur in der Lage, en Schwätzle zu hören, wie überall (lacht…). Aber sonst ischt (das) ne Gruppe, wo ich denk, da kammer vieles, die nehme das auf und sind auch bereit, des, was sie da mitnehme, umzusetze.“ (L1, 21)
Er selbst sei nur an den Teilnehmern interessiert, die sich wirklich später auch engagieren möchten. Hierbei wird seine eigene Haltung „wirklich etwas zu tun“ – die später noch gesondert dargestellt wird – deutlich:
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„…wenn’s weitergeht eh, bin ich bloß mit dene interessiert, die wirklich schaffe. Weshalb mer nicht auch Leute dabei, für die isch alles sehr kompliziert und eh, die sollt mer fast zum Jagen tragen. Mit dene habe ich nix am Hut und wenn das dann solche sind, da eh, da bleib ich dann eher weg, weil ich möchte wirklich was … Wirklich was tun, nit nur schwätze…“ (L1, 25)
Durch seine Arbeitsbiografie schätzt Herr L es nicht, wenn im Kurs „geschwätzt“ wird und führt dazu aus: „I komm natürlich aus der Industrie und bin e bissle zack-zack gwöhnt, eh, mir geht’s manchmal zu langsam und kommen einige und wollen einen Tanz dazwischen nei mache und das muss mer dann alles akzeptiere.“ (L1, 38)
Herr L macht sich auch über die langfristige Effektivität der Kursgruppe Gedanken; er meint, die Gruppe sei eine „…alternde Gruppe (…). Nur in der Lebensphase hat mer Zeit, so was zu machen und das sollte mer natürlich (…) im Hinterkopf behalten, in fünf bis zehn Jahren sind viele nit mehr dabei, d.h. mer muss eh so was weiterführen, eh, sonst ist es, sagen wir mal, langfristig gesehen, sehr schnell wieder aus. Wenn doch Leute dabei sind, die 70, 72, 73 sind, nah, die engagieren sich, aber, ich denk, der Aktionszeitraum ist doch begrenzt, d.h. so was müsste eigentlich sehr schnell mal wieder stattfinden. (L2, 31)
Gefragt, welche Rolle er sich selbst in dieser Gruppe einräume, antwortet Herr L: „…aus meiner Sicht keine vordergründige. Mich regt es eher auf, es war eine dabei, die mich ab und zu genervt hat und, die hat zu jedem was, was Frau G gesagt hat, `nen Kommentar dazu gegeben wollen und das hat mer teilweise dann auch gesagt, dass das da jetzt nicht dazu gehört. Ich bin da eher jemand, wo sagt, ich möcht hören, ich möcht alles raushole und den Referenten nur dann stören, wenn ich Zwischenfrage, also fachliche Zwischenfragen habe, also ….. (Pause)… also, ich glaub, dass ich nicht besonders aufgefallen bin in irgendeiner Richtung, ist jetzt mein persönlicher Eindruck. (L2, 45)
Wertschätzend spricht er über eine Projekt-Initiatorin, der es gelungen sei, die unterschiedlichen Bedürfnisse im Kurs zusammenzuführen: „Das ist eine Herausforderung, das ist ganz klar. Und ich muss sagen, da hat sie wirklich die Antenne dafür, da wär jemand anders, der hätte nit die Geduld“. (L1, 76)
Trotz der oben geschilderten unterschiedlichen Motivlagen, mit denen die Menschen in den Kurs gekommenen seien, wertet Herr L den Kurs sehr positiv, indem er sagt: „der Kurs war sehr interessant“ (L2, 3). Eine seiner Lernerfahrungen aus dieser Zeit sei die „…Sensibilität gegenüber älteren Menschen, wo ich so sage, hat sich einfach dadurch, durch die, durch den Kurs jetzt schon vertieft.“ (L3, 39)
Gleichzeitig wünscht sich Herr L, dass er auch nach Kursabschluss weiterlernen könne. Er sieht den Kurs noch nicht als eine „abgeschlossene Sache“, da durch den Kurs noch „viele Fragen dazu gekommen“ seien (vgl. L2, 3). Dazu führt er weiter aus:
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Auswertung „…des Programm, das Schulungsprogramm könnte aus meiner Sicht achtzig oder hundert Stunden umfassen. Also des, da hätt ich eigentlich keine Probleme. (…) Mer wird ja dann mit sehr vielen verschiedenen Facetten von Alterungsproblemen konfrontiert werden, des könnte mehr sicher noch weiter, sagen wir mal vertiefen. Demenz war, aber es gibt sicher viele andere Krankheiten, wo oft Angehörige auch überfordert sind, auch Verständnis nicht haben für die Krankheiten…“ (L2, 59)
Freiwilliges Engagement Herr L möchte die Phase nach seiner Berufstätigkeit nutzen, um sich in Themen rund um das Thema Pflege und Kranksein einzuarbeiten. Hierbei wisse er jedoch noch nicht, ob er „dann selber Pflegebegleitung mach(e) oder (er) …dann bloß versuch(t), Leute zu gewinnen“ (L1, 17), wie er im ersten Interview erklärt. Im Projekt Pflegebegleiter sieht er eine gute Ergänzung für den Krankenpflegeverein, in dem er sich seit Jahren bereits engagiert. Er selbst sagt dazu: „…des sind jetzt Dinge, wo ich grad auf andere Ebene versuch, mich, sach mal, etwas schlau zu mache, mich e bissle in des Gebiet eh einzuarbeite. Ich denke so Pflegebegleiter wär etwas, was mer in so nem Krankenpflegeverein installiere könnte als Träger, auch noch andere Dinge und von mir auch grad was andere machen und so isch des eigentlich jetzt für mich ne Sache die i mer oder weniger gsucht hab.“ (L1, 7)
Weiter kennt er die Situationen pflegender Angehöriger auch aus seiner Tätigkeit als Kirchengemeinderatsmitglied. Dort könne er, so Herr L, das Gelernte aus dem Pflegebegleiterkurs auch anwenden, merkt dabei jedoch direkt an, dass er dies allein nicht bewältigen könne: „…da kommet Menschen zu dir, die an der Grenze stehen und die Probleme haben und, sag mal, wenn das auf mich zukommt, denke ich schon, dass ich eh, es muss allerdings immer die Chemie stimme, ja. Nicht jeder ist mit jedem. Ich könnt mir durchaus denke, dass, dass ich do auch was bewirken könnte. Aber ich möchts nit von vornherein auf mich beschränke, weil sonst isch es eh, das Umfeld ist viel zu groß, als das ich es irgendwie begleiten könnte.“ (L1, 19)
Herr L ist nach dem Ende seiner Berufstätigkeit auf der Suche etwas zu finden, was an sein Thema „Krankenpflegebereich“ anknüpft. Dafür könne er sich die nächsten „fünf bis zehn“ Jahre engagieren. Das Freiwilligenprofil der Pflegebegleiter interessiert ihn auch deshalb, weil er in diesem Feld einen Mangel identifiziert hat: „Ich hab’s auch unter dem Gesichtspunkt eigentlich den Kurs gmacht, weil ich (das) Gefühl hab, da ist ein Vakuum, das beackert werden musste. (…) Ich hab jetzt mehr Zeit, dadurch ich nicht mehr berufstätig bin und könnte da, jetzt was weiß ich, fünf, sieben, acht, zehn Johr mich einbringe und das möchte ich auch machen. Wobei, also, jetzt rein die Pflegebegleitung für mich ein Punkt ist, es sind noch mehr Punkte, die jetzt mit Krankenpflegebereich zusammen hängen.“ (L2, 37)
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Nach Kursabschluss berichtet Herr L von einer Situation, in der er als Pflegebegleiter, zusammen mit einer anderen Teilnehmerin aus dem Kurs, tätig geworden sei: Dabei schildert er, dass seine Aufgabe eher ein Spaziergang mit dem an Demenz erkrankten Mann gewesen sei, während sich die andere Person mit der pflegenden Angehörigen unterhalten habe: „Ja, über die Diakonie kommen, sagen wir mal, schon bestimmte Anfragen oder werden die Leute durch den, durch die Altenpflegerinnen darauf hingewiesen. Und da war in W ne Frau, die sich an die Diakonie gewandt hatte, d.h. die Schwiegertochter wars und eh, der Opa, da sieht mer halt, dass die Demenz immer weiter fortschreitet. Die Frau ist auch schon 74, 75 so was, die pflegt und die wollte aber schon, dass jemand kommt, aber nicht, dass ihr Mann das so sieht oder mitkriegt. Da hammer gesagt, das ist vielleicht für die Zukunft ne Überlegung, dass mer in solchen Fällen zu zweit hingeht, dass eine sich um das Kranke kümmert und das andere dann wirklich in Ruhe sprechen kann. Und der Mann geht gern spaziere und, na die Frau T und ich haben einen Termin ausgemacht und sind hin und, ja, die hat sich zunächst sehr gefreut, die hat schon gefragt, was sie an Kaffee und Kuchen herrichten könnt und, ich bin dann, ein bissel bekannt gemacht und, hat dann gesagt, ja, er geht mit mer und da hemmer dort in W eine Stunde lang e Spaziergang macht (L3, 9)
In einem anderen Fall, in dem Herr L als Pflegebegleiter angefragt wird, nimmt er die Begleitung nicht an. Er meint, nicht der Richtige zu sein, da er sich in der konkreten Situation weniger gut auskenne: „…da wär ich nicht der Richtige, der Mann ist bereits, sagen wir mal, wie sächt mer, in, der kanns Wasser nimmer halte und da muss mer also zwischenei auch irgendwie en bissle mithelfe. Me han en dabei, der isch Altenpfleger. Da han ich zu Frau G gsagt, in dem Fall wär es vielleicht besser, wisst der besser (Bescheid), (…) auch welchen Rat mer dene Leut gebe kann, da fällt mer im Moment noch,… Dann hat sie gsagt, ja, das ist schon o.k.“ (L3, 23)
Insgesamt sei der Kurs und sein Verständnis, was daraus erwachsen sei, für ihn ein Gewinn, der für ihn zugleich aber auch eine neue Aufgabe im Kontakt mit Pflegenden bedeutet: „Und do denk ich, da muss mer, wenn mer auch jetzt so in die Häuser kommt, da muss mer Aufklärung machen. Die Leut, die da vielleicht wieder überlastet sind, dass mer ihne en bissle nahe bringt, was mit der Krankheit eigentlich los ist. Also, von dem her, ist es ein Gewinn auch für uns selber.“ (L3, 39)
Gefragt, was aus seiner Intention geworden sei, durch die Pflegebegleiter den Krankenpflegeverein in seinem Heimatort zu stärken, antwortet Herr L im dritten Interview, dass es hier eine schwierige Entwicklung gegeben habe. Zum einen sei einer seiner Mitstreiter sehr plötzlich verstorben, zum anderen erfahre er innerhalb der Gemeinde, vor allem durch die Pfarrerin, keine Unterstützung: „Das hat sich erledigt, oder was heißt, das hat sich eigentlich nicht erledigt. ich weiß nicht… Wie kann ich das zusammenfassen? Der Krankenpflegeverein an unserem Ort eh, dümpelt sich vor sich hin (…) ich sagt, da sprichts mer aus dem
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Auswertung Herze, ja, täschde dich da auch einsetze, i allein komm da nit durch. Und do hämmer uns also, kommt mit, mir zwei boxen das durch, mer eh, gucken da und da, die anderen sensibel machen, dass mer den Verein eh, eine Aufgabe gibt und in die Öffentlichkeit gat, was weiß ich, Patenschaften oder wer oder was auch immer, da gibt es ja verschiedene Dinge (L3, 45) (…) und dann stirbt der Herr S, fällt einfach in seiner Wohnung um und ist weg (…) Ich hab dann im Gemeindebrief noch einen Artikel geschrieben über Pflegebegleitung und das mer das noch ein bissle ausbauen könnte. Und grad die Passage, das mer das ausbauen könnte und das der Krankenpflegeverein da, das hat sie einfach raus gestrichen, ohne mich zu informieren. Ich hab dann also erst, als ich den Gemeindebrief in de Händ ghätt han, gesehen, dass sie also da gestrichen hat und, da han i halt gemerkt, die Wut packt. Also, das ist in dem Bereich, wenn sie meint, sie kann das nicht veröffentlichen, da hätt sie mich ja anrufen können und sagen, bitte überarbeiten sie das noch mal oder des und des, so kann ich es nicht freigeben. Dann wär das o.k. gewesen, aber nit bloß weglasse. Und gut, ich hab no auch recht aggressiv reagiert…. (L3, 49) …ich han auf der homepage der Kirchengemeinde das neingeschriebe, dass das kei Sach isch und eh, das eh, meine Sache zensiert worden sind und habs dann, was raus gestrichen worden ist, in der homepage (…) (L3, 51) finde ich, dann ist des ne Schweinerei. Und, ich tret aus dem Verein aus, das war sie, meine Reaktion. War vielleicht, aber, ich kann auch nicht (unverständlich) Also, das hat mich so aufgeregt (L3.55).“
Für die Zukunft wünscht sich Herr L, dass sich die Initiative der Pflegebegleiter weiter zum gemeinsamen Austausch treffen kann. Hierfür benötige er jedoch keine Treffen in kurzen Zeitabständen, sondern zwei Treffen pro Jahr würden ihm ausreichen, so Herr L: „Ja, das ist wichtig. Ich denke, ohne austauschen, Vernetzung kann mer so was nit machen. Und, eh, es darf bloß nit zu viel werden, also mehr kann sich auch nit alle vier Wochen treffen, aber vielleicht zwei Mal im Jahr sollte ein Austausch stattfinden, des eh, glaube ich, kommt allen dann entgegen.“ (L2, 39)
Selbstaussagen Herr L berichtet über sich, dass er stark durch die evangelische Kirche geprägt sei: „…bei mir ist stark die kirchliche Schiene. Ich war in der Kirche ja auch im Kirchenbezirksausschuss und, das war mein Leben, sagen wir mal so, die Kircheneinrichtungen.“ (L1, 13)
An einigen Stellen verweist Herr L noch mal auf seine berufliche Laufbahn, die sein Leben bis heute zu prägen scheint. So sagt er beispielsweise: „I komm natürlich aus der Industrie und bin e bissle zack-zack“ (L1, 68)
Es sei seine Haltung, das Leben „jetzt“ zu leben und nicht immer alles auf einen späteren Zeitpunkt zu vertagen. So rate er auch anderen: „…genieße dein Leben jetzt und richte es so ein, wenn du mal irgendwas machst, dann gorchd halt jetzt ins Theater oder mer hen jo doch Ansprüche auf Ur-
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laub und so. Mach das jetzt, so lange du noch gesund bist und nicht erst, wenn, verschieb nicht alles auf die Rente, also das war für mi ni en Thema“ (L1, 43)
Im Kurs bemängelt Herr L, dass einige Personen dort ihre eigenen Themen und Probleme mit einbringen würden. Er selbst hat in diesem Kontext weniger das Bedürfnis, eigene Probleme dort zu thematisieren: „Und nit eigene Probleme do eh reibringe und versuche, eigene Probleme zu löse, in dem do so einen Kurs macht… mehr hört an de Haufe von Zwischerufe und de Frage, das manche Leute eh nen Problem mit sich selber habe und des eh da spring ich jetzt nit so drauf an.“ (L1, 26)
Über seine eigene Person und Identität spricht Herr L eher im Rückblick: „Sicher, man hat Phase und ich geb auch zu, dass auch ich eine sehr kritische Phase hatte, so mit 17, 18, 19 , da war die Identiätsfindung vielleicht für mich sehr kritisch auch. Ich hab sie aber im christlichen Glauben gefunden und seither, meine ich wenigstens, könnet immer Situationen komme, man soll nie nie sagen, aber, ich konnte seither eigentlich immer des immer in Einklang bringe und sage, der Herrgott hat irgendwie einen Rahmen geschaffen, ich, er hat mir einen Auftrag gebe, den mach ich so gut, wie ich kann und solange es mir auch Spaß macht.“ (L1, 81)
In seinem Glauben finde er immer wieder das Gleichgewicht und auch die Möglichkeit, Fehler einzuordnen: „Ja, eh, das ist so für mich das Gleichgewicht und damit bin ich aus bis jetzt, sag mer mal, mit dene Fehler, die mer wirklich im Berufslebe teilweise stark macht, immer wieder ins Gleichgewicht gekomme und konnte auch immer wieder sagen, o.k. das ist jetzt falsch, es war ein Fehler, aber es war mindestens nicht geplant, wenn es ein Fehler ist und in der Bibel gibt es genug Beispiele, von Leute, die nicht perfekt waren.“ (L1, 84)
Spezielle Entwicklungsaufgaben Herr L benennt in den Interviews zwei Bereiche, in denen er sich persönlich in der aktuellen Lebensphase weiter entwickeln möchte: Er wünscht sich durch sein Tätigsein ein Gefühl von Zufriedenheit zu finden und weiter formuliert er die Aufgabe, im Glauben zu leben und Lebenszeit in diesem Sinne zu nutzen. Im Tätigsein weiter Zufriedenheit finden Herr L spricht mehrfach darüber, dass es ihm wichtig sei, mit seinem Leben zufrieden zu sein; so sagt er: „…es ist schon richtig, wenn mer nie zufrieden ist, wenn mer immer sächt, was kammer noch verbessern, das ist schon o.k., aber es darf nit zur einer inneren Unzufriedenheit führen, das ist vielleicht die Balance, die viele nicht händeln könne.“ (L1, 91)
Ein zentrales Thema, auf das Herr L in den Interviews immer wieder zu sprechen kommt, ist seine Einstellung zur Arbeit, durch die ein Mensch Zufriedenheit finden könne, indem er wichtige Erfolgserlebnisse habe:
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Auswertung „…der Mensch ist auch gschaffe, um zu arbeite, sage ich jetzt mal so. Also, ich kenn niemand, der, aus welchen Gründen auch immer nit berufstätig ist und zufrieden ist, kenn i niemand… Also, es fehlt irgendwo die, das was zurückkommt, Erfolgserlebnisse oder was auch immer und eh das ist vollkommen egal, welche Tätigkeiten man macht, ob man da beim Straßenbau ist oder Ingenieur, ist vollkommen egal, mer muss am Abend eh ein gewisses Gefühl habe, das mer was gmacht hat, eh, wenn des nit aufkommt, dann ist mer en armer Hund.“ (L1, 44)
Arbeit sei für ihn ein wichtiger Bestandteil des Lebens, die ihm auch viel zurück gibt, Daher kann er auch nicht verstehen, dass manche Menschen lieber „einen Bogen“ um Arbeit machen würden: „Da gibts so Leute die, sagen wir mal, immer so einen großen Bogen um die Arbeit machen, das ist alles ein notwendiges Übel. Und i han immer beobachtet, dass die im Prinzip immer unglücklich sind die Leute, die behaupten jetzt zwar ganz toll, wie sie sich ums Gschäft drückt hän, aber, im Inneren wars kein Erfolgserlebnis, sondern eine Ausrede.“ (L3, 74)
Nachdem sich seine Hoffnung bezüglich des Ausbaus des Krankenpflegevereins zerschlagen hat, sieht Herr L sich nun vor der Aufgabe, ein neues Tätigkeitsfeld zu suchen: „Ja, gut, eh, ja, es ist schon en bissle en Kampf, irgendwann kommt das auch ein bissle auf Distanz und dann sieht mer des schon halt grad so. Es gibt, also, wenn mer die Augen offen hat, gibst genügend Bereiche, wo mer sich einbringen kann, Diakonie oder wo auch immer.“ (L3, 82)
Und an anderer Stelle sagt er: „(…) So ist es halt und, na, da gibt es noch andere Vereine, hier der Diakonieverein, da hat mich jetzt Frau G gfragt, da muss sie einen Vortrag halten, ob ich in der Technik mitmach und da würden mer des mal anhorche, ob das vielleicht in Zukunft eine Plattform wäre dann.“ (L3, 61)
Im Glauben leben und Lebenszeit nutzen Bei dem Wunsch, ein zufriedenes Leben weiterführen zu können, helfe ihm auch sein Glaube: „Und ich glaub des isch es was und da hab ich, wenn sie jetzt auf das Christliche kommet, (…) dass Leute, die, aus welchen Gründen auch immer, das Christentum abgelehnt haben, mit dem Probleme haben. Und aus dieser Ecke auch sehr viel Unzufriedenheit kommt, weil sie das nicht ändern können oder mit Schicksalsschlägen nicht umganget könne, weil sie kein Sinn und gut, auch die Christen sehen in vielem keinen Sinn, aber der kann das besser händele“ (L1, 95)
Er sieht es als Aufgabe, aus dem Glauben heraus sein Leben zu nutzen und etwas daraus zu machen: „Also, ich denk nicht, dass der Herrgott jemand ist, der die Stränge zieht, wo mer also nur Marionette sind, sondern, eh, er hat uns nen freien, Freiheit gegebe und des zu nutze (…). Das heißt nit, als Erfolgszwang, sondern einfach die, des wär wieder falsch, wenn mer sich dann, sagen wir mal, den Himmel verdienen wollte o-
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der so, aber des seh i nitte, sondern einfach, wir haben hier eine begrenzte Zeit und, es ist sicher auch für den Herrgott spannend, was wir daraus machet. (L3, 105)
Assoziatives Identitätsporträt Herr L schildert in kurzen Worten, wie er sich beim Kartenexperiment am Ende des dritten Interviews selbst sieht: „Das seh ich so, auf dem Fahrrad sitze, Gegend anschauen, Natur anschaue (Pause) mal halte, mit Leut schwätze oder so was (L3, 124) weiter erkunden, oder was Neues ansehen“ (L3, 126)
6.2.5 Kurzdarstellung weiterer Einzelfallanalysen In kurzen skizzierenden Darstellungen werden die weiteren neun Interviewpartner vorgestellt so dass der Leser einen – wenn auch stark verkürzten – Eindruck komplexer und verschiedenartiger Lebens- und Engagementgeschichten der einzelnen Personen gewinnen kann. Eine ausführliche Darstellung der Personen, mit Ankerbeispielen aus den Interviews kann bei der Autorin erfragt werden. Frau A erlebt ihre derzeitige Lebensphase sehr bewusst und hat konkrete Pläne, was sie alles tun möchte. Gleichzeitig setzt sie sich aber auch mit der Frage auseinander, wie es ihr in zehn Jahren gehen wird. Über ihre Lernerfahrungen im Pflegebegleiter-Kurs berichtet Frau A insgesamt sehr positiv. Auffallend ist, dass sie mehrfach betont, wie gut die beiden Kursleiterinnen den Kurs geleitet hätten. In der Gruppe fühlt sich Frau A über den gesamten Befragungszeitraum hinweg sehr wohl. Sie sieht ihre Rolle als etwas stillere Teilnehmerin die als Lerneffekt eine Erweiterung ihres bisherigen Horizonts mitnimmt. Es fällt auf, dass für sie nur die Lernthemen von Interesse sind, die sie in ihrem Alltag anwenden kann. Für das Engagementfeld Pflege bringt Frau A bereits eigene biografische Erfahrungen mit. Sie hat Mutter, Vater und Schwiegermutter gepflegt und verbindet mit dieser Zeit auch schwierige Erinnerungen, die insbesondere im ersten Interview benannt werden. Heute ist sie nicht mehr in die Pflege eigener Verwandten involviert, aber engagiert sich in ihrer direkten Nachbarschaft und als „Grüne Dame“ im Krankenhaus. Frau A stellt sich durchgehend in einer positiven Lebenshaltung dar. Einige Aussagen über sich selbst stehen häufig in Kontrastierung zu anderen Menschen. Frau A spricht insbesondere im dritten Interview darüber, wie sie sich selbst in den letzten Jahren verändert hat: Gewichtungen und Haltungen haben sich verschoben und sie berichtet, dass sie im Kurs gelernt hat, bewusster Grenzen zu setzten. Weiter hat sich auch die Wahrnehmung der Relevanz der eigenen Meinung verändert. Dabei wirkt das Wissen, dass sie in den Kursen erworben hat, sehr unterstützend.
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Frau C setzt sich in allen Interviews mit ihrer derzeitigen Lebensumständen auseinander und beschreibt ihren Alltag als sehr vielseitig. Sie schildert die Notwendigkeit von Sortierungen und Gewichtungen, was sie mit ihrer Zeit in dieser Lebenssituation anfangen möchte. Dabei hat Frau C aber auch die Sorge, dass sie sich eventuell zu viel zumutet. Frau C schildert ihr Leben als Rentnerin grundsätzlich als zufrieden stellend, auch wenn sie die Grenzen ihrer finanziellen Lage mehrfach betont. Frau C äußert im ersten Gespräch ihre Wünsche, was sie durch den Pflegebegleiter-Kurs im Umgang mit Menschen lernen möchte. Die Teilnahme am Pflegebegleiter-Kurs stellt für Frau C aber auch eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Altern dar. Sie fragt sich während der Interviews mehrfach, ob sie selbst einmal auf Hilfe angewiesen sein wird und sieht für sich in den Kursen eine Chance, sich aktiv darauf vorzubereiten. Im dritten Interview spricht Frau C rückblickend darüber, was sich durch den Pflegebegleiter-Kurs für sie verändert habe und was sie persönlich durch die Kursteilnahme gewonnen habe: Zum einen ist dies der Kontakt mit anderen sowie zum anderen der Erwerb von Wissen. Sie selbst spricht hier von einer Horizonterweiterung, welche sie künftig für sich und andere nutzen möchte. Sich freiwillig zu engagieren ist für Frau C fast selbstverständlich und sie sieht viele gesellschaftliche Bereiche, in denen ihr Engagement gebraucht wird. Sehr wichtig ist ihr, dass sie durch ihre freiwillige Tätigkeit der Jugend keinen Arbeitsplatz `wegnimmt´ Insgesamt schätzt sie die gesellschaftlichen Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt sehr kritisch ein. Freiwilliges Engagement erscheint ihr aber als wichtiger solidarischer Wert den es aufrecht zu erhalten gilt. Sie sieht sich selbst in der nachberuflichen Lebensphase an einem biografischen Punkt, an dem sie erstmals selbstbestimmt entscheiden kann, was ihr wert und wichtig ist. Als spezielle Entwicklungsaufgaben, die Frau C im Laufe der Interviews immer wieder benennt, lassen sich drei zentrale Bereiche aufzeigen: Erstens das Annehmen eigener Stärken und Schwächen, zweitens den Mut, die eigene Meinung zu äußern und drittens das aktive Gestalten der Lebenssituation, so dass es für sie persönlich sinn- und wertvoll ist. Die Lebenssituation von Frau D und auch ihr allgemeiner Gemütszustand verändern sich im Verlauf der drei Gespräche massiv da ihr Lebensgefährte plötzlich und unerwartet verstirbt. Sie selbst weiß zunächst nicht mehr, wie es weiter gehen soll. Im dritten Interview spricht sie davon, dass sie das Leben genieße, sie habe nun endlich Zeit für Reisen, Aufräumen, Gartenarbeit und Sport. Für den Kurs Pflegebegleiter entscheidet sich Frau D nur indirekt. Zunächst will sie einen andern Kurs zur Vorbereitung auf ein Freiwilliges Engagement im sozialen Bereich belegen der aber nicht zustande kommt. In dieser Zeit der Unsicherheit macht sie aber die Erfahrung, dass die Gruppe der künftigen Pflegebegleiter positiv dazu beiträgt ihren Alltag zu strukturieren. Außerdem
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sammelt sie positive Lern- und Gruppenerfahrungen. Durch ihre Erfahrungen in der Pflege von Mutter und Tante und auch geprägt durch die plötzliche schwere Erkrankung ihres Lebensgefährten scheint es ihr besonders wichtig, durch den Kurs für Akutsituationen Wissen zu erwerben. Frau D schildert in den Gesprächen, sie könne gut mit Menschen umgehen und von daher findet sie es gut, wenn sie ihre Kompetenzen im Rahmen des Freiwilligen Engagements als Pflegebegleiterin einsetzen kann. Die Begleitungen, die sie im Anschluss an den Kurs übernimmt, geben ihr, wie sie selbst sagt, Freude und Erfüllung. Drei spezielle Entwicklungsaufgaben lassen sich aus den Interviews mit Frau D filtern: Erstens das Finden eines passenden Lebensmodells für ihr Leben nach der Berufstätigkeit, zweites die Bewältigung ihrer Trauer um den Lebensgefährten und das Zurückerobern eines festen Standes und drittens das Nutzen eigener (Lern-)Erfahrungen im Rahmen des Freiwilligen Engagements als Pflegebegleiterin. Nach siebzehn Jahren in privater und beruflicher Pflege hat Frau F viel freie Zeit, die sie gestalten kann. Dies tut sie nicht allen, sondern auch ihr Mann engagiert sich in verschiedenen Bereichen. Sowohl körperlich als auch finanziell erlebt sich Frau F in der aktuellen Lebenssituation als gut ausgestattet. Sie beschreibt, dass es ihr wichtig sei, die Erfüllung ihrer Wünsche nicht zu sehr aufzuschieben und jeden Tag `richtig zu leben´. Das Lernen im Pflegebegleiterkurs ist für Frau F eine interessante Erfahrung, da sie bislang selbst viele Gruppen geleitet hat und viel Erfahrung mitbringt. Sie weiß um ihre Kompetenzen, will aber noch Bereiche wie die Kommunikation mit pflegenden Angehörigen weiter vertiefen. Sie selbst gestaltet im Kurs zwei Einheiten zu den Themen Schlaganfall und Gespräche mit pflegenden Angehörigen und übernimmt hier die Rolle der Expertin. Als eine der ersten Aussagen im ersten Interview formuliert Frau F, dass sie sich in ihrem Leben bereits so viel engagiert habe, dass sie als Anerkennung zu einem Gartenfest des Bundespräsidenten geladen worden sei: Frau F schildert, dass sie bereits vor dem Pflegebegleiterkurs Angehörige begleitet habe und dass für sie das Freiwillige Engagement fast zu einer Selbstverständlichkeit geworden sei. Auch kann sich Frau F nicht vorstellen, dass sich diese Engagementbereitschaft in Zukunft ändern könnte. Das Profil der Pflegebegleiter sieht sie als Ergänzung und Vervollkommnung zu ihrem bisherigen Beruf. Ihre Tätigkeiten haben nun eine andere Qualität. Bei der Analyse der drei Gespräche mit Frau F fällt auf, dass etliche Aussagen über sich selbst durch Beschreibungen von Tätigkeiten mit und für andere Menschen geprägt sind. Tätig zu sein und für andere Menschen da zu sein, scheint für sie, wie auch für ihren Mann, elementar zu sein. Auch bei Frau F lassen sich drei Bereiche identifizieren, in denen sie für sich selbst Entwicklungsaufgaben sieht: Selbstbewusst auftreten und eigenver-
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antwortlich handeln (1), weniger Ratschläge geben sowie Lebensaufgaben lösen (2) und andern helfen (3). Seit über zehn Jahren gestaltet sich Frau H ihre Zeit frei. Durch ihr Witwendasein muss sie sich selbst rühren um `mal raus zu kommen´, da es sonst niemanden gebe, der sie aus ihrer Situation heraushole. Sie bilanziert, dass sie trotz dieser `Leerstelle´ insgesamt mit ihrem Leben zufrieden sei, da sie nun alles frei entscheiden könne. Das Thema Pflegebegleiter spricht sie an, da sie darin eine Chance vermutet, sich über einen Bereich zu informieren, der sie bisher nicht interessiert hat, da sie selbst auch niemanden gepflegt hat. Weiter spricht Frau H darüber, dass es ihr wichtig sei, etwas außerhalb ihrer Wohnung zu unternehmen. Sie sagt nach dem Kurs, sie sei `richtig glücklich´, dass sie sich für den Kurs entschieden habe, da sie dadurch für Vieles ein neues Verständnis entwickelt habe. Auch scheint sie – gerade durch die Beschäftigung mit dem Thema Demenz – persönlich berührt. Die grundsätzliche Idee, sich freiwillig zu engagieren, basiert bei Frau H auf der frei gewordenen Zeit, da sie sich weder viel um ihre Kinder noch um ihre Enkelkinder kümmern müsse und dort weniger gebraucht würde. Frau H sagt über sich, dass sie eine interessierte Person sei und auch hoffe, dies künftig zu bleiben. Einen großen Raum nehmen die Ausführungen von Frau H ein, in denen sie schildert, wie sich ihr Leben und sie selbst sich nach dem Tod ihres Mannes verändert haben. Frau H erklärt auch, dass ihr Mann ein höheres Studium gehabt habe als sie selbst und dass sie als Witwe ganz bewusst eigene Entscheidungen getroffen habe, wie beispielsweise eine Reise nach Mexiko zu unternehmen. Bei Frau H lässt sich nur eine Entwicklungsaufgabe beschreiben: die Vorbereitung auf das eigene Älterwerden. Die aktuelle Lebenssituation von Frau I ist dadurch geprägt, dass sie ein Jahr nach Beendigung ihrer Berufstätigkeit wieder zurück an ihren Geburtsort gezogen ist und sich nun hier ein neues soziales Netz aufbaut. Seitdem sie in ihrer alten Stadt wohnt ist sie auf der Suche nach Möglichkeiten, sich freiwillig zu engagieren. Auch wenn sie betont, dass sie es für wichtig halte, ihre Zeit sinnvoll zu nutzen und sie deshalb auf der Suche nach freiwilligen Tätigkeiten sei, benennt sie auch die Qualität ihrer derzeitigen Lebenssituation durch die Freiheiten, die sie nun nach vielen Berufsjahren spürt. Die Entscheidung für den Pflegebegleiterkurs fällt Frau I sehr bewusst, da sie auf der Suche nach einem Engagementfeld ist, das anders ist, als das, was sie aus in ihrem Berufsleben kennt. Über die Gruppe der Pflegebegleiter spricht Frau I durchgängig sehr positiv. Sie schätzt vor allem die Heterogenität der Teilnehmenden. Sie wünscht sich auch über den Kurs hinaus mit einzelnen Teilnehmern Kontakt zu halten. Vor ihrem Rentnerinnendasein hat sie sich nicht ehrenamtlich für andere engagiert. Das Gelernte aus dem Kurs kann sie zunächst in einer privaten Situation nutzen, da ihre Tante dement wird und sie sich in diesem Zusammenhang an den Kurs
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erinnert. Die Begleitung einer pflegenden Angehörigen übernimmt sie zunächst bei ihrer Freundin. Frau I wirkt insgesamt sehr zufrieden mit sich und der Art ihrer Lebensführung. Sie schildert aber, dass sie um dies zu erreichen aktiv nach einer Tätigkeit im Anschluss an ihr Berufsleben habe suchen müssen, da sie sich sonst nutzlos vorgekommen sei. Allerdings bedauert sie, dass sich ihr ursprünglicher Plan mehr Zeit für das Singen zu haben, nicht verwirklichen ließ. Im Abschlussinterview führt sie aus, dass sie es zwar einerseits genieße, nun ihre Zeit frei einteilen zu können, aber auf der anderen Seite froh sei, durch das Engagement eine gewisse Struktur zu haben. Als derzeitige Aufgaben sind für Frau I zwei Bereiche zentral: Zum einen ist es ihr wichtig, weiter aktiv zu sein und die Zeit zu nutzen. Zum anderen sieht sie persönlich die Chance, sich mit dem eigenen Älterwerden auseinander zu setzen. Auch die Lebenssituation von Frau J ist geprägt durch Neuorientierungen und Veränderungsprozesse. Viele Jahre sind sowohl ihre Mutter als auch ihr Mann sehr auf sie angewiesen gewesen, die aber beide, innerhalb kurzer Zeit, verstorben sind. Ihre aktuelle Situation scheint durch Verlust, aber auch durch Erleichterung geprägt, da sie sich in den letzten Jahren persönlich immer sehr eingeschränkt hat. Frau J spricht zu Beginn des ersten Interviews darüber, dass sie nach dem Tod ihres Mannes und ihrer Mutter das Bedürfnis gehabt habe, sich zu `aktivieren´ wobei sie auch die Sorge schildert, vielleicht schon zu alt dafür zu sein. Das Tätigkeitsfeld der Pflegebegleiter erscheint ihr besonders auf Grund ihrer eigenen biografischen Pflegeerfahrungen sinnvoll und notwendig, da sie den Gesprächsbedarf, den pflegende Angehörige haben, selbst erlebt hat. Ihre Rolle in der Gruppe sieht sie als ruhigere Teilnehmerin, die sich eher zurück halte. Sie betont auch mehrfach, dass sie die Älteste im Kurs gewesen sei. Bereits während des Kurses kann Frau J ihre neuen Kenntnisse nutzen. Ihre Nachbarin pflegt ihre Schwiegermutter und Frau J kann ihr – gestärkt durch das Gelernte im Kurs – durch Gespräche zur Seite stehen. Nach dem Kurs ist Frau J eine der ersten Personen, die durch die Sozialstation eine Begleitung vermittelt bekommt. In ihrer derzeitigen Lebensphase macht sie ganz neue Erfahrungen. Bislang habe sie sich selbst oft zurückgenommen. Für sich selbst und ihre persönliche Entfaltung habe es wenig Raum gegeben. Nun, als Witwe mit erwachsenen Kindern, sei sie offen für neue Erfahrungen. Aus den Interviews mit Frau J lassen sich vier unterschiedliche Entwicklungsaufgaben filtern: Dem Leben neuen Inhalt geben, Kontakt zu Menschen außerhalb der eigenen Familie pflegen, Trauern und daraufhin neue Wege gehen sowie Vorbereitungen für die letzte Lebensphase treffen. Obwohl Herr K der zweitjüngste Interviewpartner ist, befindet er sich länger als die meisten anderen in der nachberuflichen Lebensphase, da er nach einer Privatinsolvenz arbeitslos geworden ist. In der Zeit der Suche nach einer neuen
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Anstellung pflegt er seine beiden Eltern und seine Schwiegermutter, die alle in seiner Nähe wohnen. Zum Zeitpunkt des ersten Interviews sind diese Personen verstorben, er pflegt aber inzwischen sehr intensiv seine Tante, die in selben Ort wohnt. Zwischen dem zweiten und dritten Interview verstirbt die Tante und Herr K spricht zwar zum einen von seiner Trauer, zum anderen schildert er aber auch die empfundene Erleichterung der Entpflichtung. Trotz dieser Pflegeübernahme schildert Herr K diese Lebensphase im ersten Interview als Zeit, in der er wenig gefordert sei, was ihn dann auch zur Suche nach einer freiwilligen Tätigkeit motiviert habe. Herr K besucht den Pflegebegleiterkurs gemeinsam mit seiner Frau. Beide haben viele private Erfahrungen in der Pflege gesammelt und interessieren sich daher für das Profil der freiwilligen Pflegebegleiter: Für Herrn K ist Freiwilliges Engagement selbstverständlich. Er engagiere sich bereits seit seiner Jugend und ist der Meinung, dass es unserer Gesellschaft viel besser gehen würde, wenn jeder in dieser Weise handelte. Aus den Interviews mit Herrn K lassen dich zwei zentrale Entwicklungsaufgaben identifizieren, zum einen das Reflektieren der eigene Pflegeerfahrung und zum anderen das Finden neuer Betätigungsfelder. Frau M ist trotz ihres Alters noch beruflich als Kosmetikerin tätig. Dies hat zum einen finanzielle Gründe, zum anderen komme sie so durch diese Arbeit regelmäßig mit anderen Menschen in Kontakt. Neben dieser Tätigkeit engagiert sie sich als grüne Dame im Krankenhaus und sagt, dass sie viel lese. Zur Teilnahme am Pflegebegleiterkurs wird sie durch eine Bekannte bei den `grünen Damen´ angeregt. Frau M steigt etwas verspätet beim dritten Treffen ein. Was ihr bei dem Pflegebegleiterkurs gefalle, sei die Einstellung der Menschen dort und auch ihre Unterschiedlichkeit. Sie erlebe hier eine andere Atmosphäre als bei den grünen Damen. Insbesondere im Bereich Gesprächsführung scheint Frau M jedoch eher auf ihre Lebenserfahrung zu vertrauen als die im Kurs vermittelten Möglichkeiten des aktiven Zuhörens anzuwenden. Trotz mancher kritischer Punkte besucht sie den Kurs bis zum Schluss und wertet abschließend, sie sei geblieben, weil sie immer die Dinge zu Ende führe die sie angefangen habe und zum anderen, weil sie das Thema interessiere. Für Frau M steht es außer Frage, sich – so lange es ihr selbst gut gehe – zu engagieren. Dabei fällt die Entscheidung für das Engagement als Pflegebegleiterin eher zufällig. Frau M sagt über sich, sie sei eine Person, die immer neugierig sei. Auf Grund ihres Alters habe sie eine außerordentliche Lebenserfahrung was aber nicht an ihr persönlich oder an ihrem Leben liege, sondern an der Zeit, in der sie gelebt habe. Frau M beschreibt zwei unterschiedliche und gleichzeitig eng miteinander verknüpfte Aufgaben, die sich ihr als Entwicklungsaufgaben in dieser Lebenssituation stellen. Zum einen ist dies ihre Haltung und Einstellung zum Leben, die vom `Sorgen
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und Versorgen´ geprägt ist, zum anderen der Wunsch, ihr Leben `gut zu Ende zu leben´ um dann `mit einer reinen Seele´ sterben zu können.
6.3 Generalisierende Analyse Nach der differenzierten Analyse der Einzelfälle wird im Folgenden eine generalisierende Analyse des Datenmaterials vorgenommen. Zielführend ist hierbei die Suche nach Generalisierungen hinsichtlich der Themenstellung `Identitätsentwicklung im Freiwilligen Engagement im Dritten Alter´. Dazu werden sowohl die Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede zwischen den Befragten herausgearbeitet. Unter Bezugnahme auf konkrete exemplarische Einzelfälle werden Grundtendenzen sichtbar, die für einige oder alle Befragen typisch erscheinen. Die so herausgearbeiteten unterschiedlichen typischen Muster bilden die Grundlage der anschließenden Interpretation und Einordnung.326 Die generalisierende Analyse als solche beginnt mit einer Darstellung der aktuellen Lebenssituation der Befragten geordnet nach typischen Themen (Kap. 6.3.1). Anschließend werden zentrale Beweggründe für das Engagement der Befragten identifiziert (Kap. 6.3.2). Weiter werden die unterschiedlichen Lernerfahrungen im Pflegebegleiter Vorbereitungskurs und in der Gruppe der freiwilligen Pflegebegleiter in einzelne Themenbereiche gebündelt (Kap. 6.3.3). Es folgt eine Gesamtanalyse des Erlebens von Tätigsein und des Erlebens von Produktivität im Freiwilligen Engagement der Befragten (Kap. 6.3.4). Diese vier Kapitel bilden die Basis für die anschließende Analyse der Identitätsthematisierungen und narrativen Selbstbilder, die hier von besonderem Interesse sind (Kap. 6.3.5). Weiter werden die von den Befragten formulierten Entwicklungsaufgaben generalisierend analysiert (Kap. 6.3.6). Im Anschluss werden die Erkenntnisse aus den Einzelfallanalysen und den Ergebnissen der generalisierenden Analyse miteinander verschränkt (Kap. 6.4 und 6.5).
326
Vgl. Lamnek 2005, S. 404/ Kuckartz 2007, S. 109
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6.3.1 Aktuelle Lebenssituationen der Befragten – Clusterbildung typischer Themen im Dritten Alter Die generalisierende Analyse beginnt mit einer Darstellung der aktuellen Lebenssituationen der Befragten in Form typischer Themen. Dabei werden fünf charakteristische Themenfelder sichtbar. Diese unterschiedlichen Themen werden im Folgenden inhaltlich beschrieben und mit Verweisen auf Aussagen der jeweiligen Befragten belegt. Exemplarische Ankerbeispiele können die einzelnen Themenfelder veranschaulichen. Das Dritte Alter als Zeit neuer Kontaktaufnahmen Die Personen D, G, H, I und M schildern ihre aktuelle Lebenssituation als Zeit, in der sie durch äußere Umstände wie den Tod des Lebensgefährten vor der Herausforderung stehen, neue Verbindungen zu knüpfen, um nicht alleine zu sein. Bei dem geschilderten Personenkreis geht es dabei insbesondere darum `Lücken´ im privaten Bereich zu füllen. Dieser Wunsch geht oftmals mit der Motivlage einher, durch den Pflegebegleiter-Vorbereitungskurs neue Menschen kennen zu lernen (s. Beweggründe Kap. 6.3.2). Somit kann diese Lebensphase als Zeit der neuen Kontaktaufnahme auf der Basis gemeinsamer Lebensthemen charakterisiert werden. Das Freiwillige Engagement erscheint den Befragten hierfür – insbesondere dann, wenn daran zunächst ein Vorbereitungskurs als offene Lernphase gekoppelt ist – ein günstiger Rahmen zur Kontaktaufnahme, durch den sich dann Weiteres entwickeln kann. Illustrierend können hier die Interviews mit Frau D genannt werden. Frau D wird kurz vor dem Kurs Witwe und schildert sich als Person, die sich mit neuen Verbindungen eher schwer tue (vgl. D2, 45). Im dritten Interview spricht sie über die positive Beziehung zu einer anderen Kursteilnehmerin, die für sie eine sehr zentrale Rolle spiele: „…ich muss auch sagen, ich hab mit der, mit der Frau G., zu der Frau G. habe ich einen ganz guten Draht. Mir zwei, ja, irgendwie, das war von Anfang an und das hat sich auch so bewahrheitet und das ist bis heute noch so. Mir haben, mir haben viel, auch was mer beredet, wenn, wenn ich en Problem hab oder, oder auch sie, was die Gruppe betrifft oder sonschst irgendwas, dann können wir da drüber reden. Also, das war für mich wirklich eh, eine große Bereicherung, die Frau G. kennen gelernt zu haben“ (D3, 43)
Das Dritte Alter als Zeit selbstbestimmter Tätigkeiten Von allen Interviewteilnehmern wird die Zeit nach dem Berufsleben als Lebensphase beschrieben, in der es viel Zeit für diverse Tätigkeiten gibt, für die es zuvor wenig zeitliche Ressourcen gab. Diese selbstbestimmten Tätigkeiten können
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sowohl im privaten häuslichen Umfeld liegen (wie z.B. bei Herrn L, der zu Hause viele Renovierungsarbeiten vornimmt) als auch in Feldern außerhalb des eigenen Wohnraums. Frau H spricht von einem „vollen Wochenprogramm“ (vgl. H1, 73) mit Sport, Vorträgen und Kontakten mit Freunden und Verwandten. Auch die Personen E und G berichten vom Besuch vieler Vorträge, in denen sie sich weiterbilden möchten. Die Lebensphase wird von einigen Befragten auch als Zeit charakterisiert, in der erstmals die Chance besteht, sich freiwillig engagieren zu können. So sprechen insbesondere die Personen B, D, F und I davon, dass sie ihre Zeit gerne sinnvoll nutzen möchten und dafür im Freiwilligen Engagement als Pflegebegleiter einen guten Ort sehen, an dem sie sich aktiv einbringen können und dass diese Tätigkeit zu ihrer derzeitigen Lebenssituation passe. Als charakteristisches Bespiel kann hier Frau B genannt werden: Sie beschreibt ihre aktuelle Lebensphase als Zeit, in der sie sich selbstbestimmt engagieren möchte. Sie habe sich zuvor an den Berufswünschen ihrer Eltern orientiert und danach viel Zeit mit Hausfrauen- und Mutterdasein verbracht. Im Freiwilligen Engagement als Pflegebegleiter habe sie nun das Gefühl, etwas Eigenes und Selbstgewähltes zu tun: „…aber ich muss sagen, das ist jetzt eine Phase in meinem Leben, je, die ich einfach für mich habe“ (B1, 56)
Das Dritte Alter als Zeit bewusster Endlichkeit Was zunächst befremdlich klingt, ist die Bipolarität des Themas Zeit. Wie bereits unter dem Aspekt der selbstbestimmten Tätigkeiten angesprochen, bietet die dritte Lebensphase für die Mehrzahl der Befragten Zeit, in der Raum für selbstbestimmte Tätigkeiten besteht, und wird somit oftmals mit einer großen Offenheit und Freiheit in Verbindung gebracht. Auf der anderen Seite sprechen die Befragten in den Interviews aber auch darüber, dass sie diese Lebenszeit sehr bewusst gestalten möchten, da sie sich ihrer Endlichkeit und Begrenztheit bewusst sind. Gemeint ist dabei nicht nur die Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod, sondern viel mehr die Frage, wie lange man bei guter Gesundheit diese Zeit auskosten könne. Dieses Thema wird in den Interviews sehr unterschiedlich thematisiert. Dabei scheinen sich zwei Pole heraus zu bilden: Zum einen das geäußerte Bedürfnis nach Genuss und Auskosten so lange es möglich ist und zum zweiten das Bedürfnis der Vorbereitung auf das Älterwerden und der Sinnreflexion bezogen darauf, was im Leben geleistet wurde. Um diese beiden Pole des Themas Zeit greifbarer zu machen, werden im Folgenden zwei Interviewpassagen gegenüber gestellt:
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Frau I spricht über die Gestaltung der Zeit nach ihrem Berufsleben als Phase, in der sie es genieße, die Zeit auch manchmal verstreichen zu lassen: „…(lacht), also ich wunder mich, wie schnell die Zeit vergeht. Wenn ich mir überlege, was ich also zu Schulzeiten von morgens mit abends geschafft habe, was da in den Tag reingepackt war, da denke ich heute, o Gott, Gott o Gott, Mädchen, (lacht) das ist unglaublich, wie viel Zeit man vertrödeln kann. Wenn man aufsteht – nicht mehr ganz so früh, wie, wie früher, - also dieses Privileg hat man ja nun -, eh, aber so ein Vormittag, es ist, es ist also wahnsinnig schnell rum und man hat also nicht unbedingt viel getan, ja. (I1, 42) …ich muss sagen, ich hab nicht unbedingt ein schlechtes Gewissen dabei, dass die Zeit so schnell rum geht.“ (I1, 44)
Anders spricht Frau A, die sich fragt, wie lange sie ihr Dasein in guter Gesundheit verbringen kann und die daher jetzt noch möglichst viel erleben möchte: „…Zufriedenheit, sagt man ja, ist Stillstand. Denken, oh jetzt habe ich es gut, fertig. Denke ich manchmal. Wie lange es noch dauert. Mit 60 ist ja alles so ein bisschen absehbar. Ich meine, 60 wäre irgend so ein Alter. Da denk ich ja, ja die Zeit, wie lange wirst du noch leben, wie viele Jahre hast du noch? Na, bis 70 vielleicht noch gut…“ (A1, 45)
Das Thema „Zeit“ und „Gestaltung der Zeit“ wird insbesondere von den Personen A, B, D, F, G, I und J angesprochen. Das Dritte Alter als Zeit der Ressourcenorientierung Alle Befragten sprechen – ohne dass dies explizit gefragt wird – das Thema Ressourcen an. Dabei variiert die inhaltliche Füllung jedoch stark. So geht es zum Teil um finanzielle Ressourcen, die zur Gestaltung der Lebensphase zur Verfügung stehen, um zusätzliche fachliche Ressourcen, die sie weiter ausbauen oder im praktischen Tun einsetzten möchten, oder um zeitliche Ressourcen, die in dieser Lebensphase zur Verfügung stehen. Finanziell sind die Befragten sehr unterschiedlich ausgestattet. Die älteste der Befragten arbeitet noch einige Stunden als Selbstständige in ihrer eigenen Praxis (Frau M), andere äußern, dass es für sie finanziell keine Notwendigkeit gegeben habe, nach der Familienphase wieder mit vollem Stundenumfang ins Berufsleben zurück zu kehren (z.B. Frau B). Eher gut schätzen die Befragten B, F und H ihre Ressourcen ein, die Befragten C, E und L schätzen diese als eher knapp ein. Die persönlichen physischen und psychischen Ressourcen sind so unterschiedlich wie die Lebensgeschichten der Personen. Allen gemein ist jedoch, dass die Einschätzung der Gesamtheit der Ressourcen eine wichtige Basis für die Gestaltung der aktuellen Lebenssituation zu sein scheint. Die Befragten möchten sich soweit auf das Freiwillige Engagement einlassen, wie dies zu ihren Ressourcen passt. So bewertet es z.B. Person C als sehr positiv, dass der Pflegebegleiterkurs nichts koste, und benennt, sich u.a. aus diesem Grund für dieses Engagementfeld entschieden zu haben, denn „…bei manchen Sachen, da ist dann wieder eh des Geld e Hemmnis.“ (C3, 76)
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Wie bereits in den Ausführungen zu den Veränderungen im Freiwilligen Engagement – vom Ehrenamt mit oft starren, vorgegebenen Strukturen, hin zu eher projektbezogenen freiwilligen und auf Selbstbestimmung basierenden Tätigkeiten – finden sich in den Interviews auch Belege dafür, dass die Art und Weise des Einsatzes abhängig von der Bewertung der jeweiligen Ressourcen ist. So begrenzt Herr K sein Engagement vor allem auf dem Hintergrund zeitlicher Ressourcen, die er in das Engagement einbringen möchte: „Wenn es mich zu sehr einengt, d.h. wenn es jetzt starre Zeitenregelungen gäbe oder so, die man nicht beeinflussen kann. Du musst um 10 oder 12 hier sein und dann und dann, dann würde ich aufhören (Pause).“ (K2, 61) „Man soll sich halt einbringen, denke ich oder meine ich für mich, aber sich nicht einengen dabei. Wenn es dann erst losgeht, man abwägen muss, mach das, mach das. Abwägen muss man immer irgendwo, aber, dass man es nicht mehr alles frei einteilen kann, denke ich, wäre es nichts.“ (K2, 62)
Das Dritte Alter als Zeit der Neudefinition bestehender Beziehungen In den Interviews ist auffällig, dass die Befragten oftmals über Beziehungsveränderungen zu Menschen aus ihrem privaten bzw. familiären Umfeld berichten. Dabei sind diese Veränderungen individuell sehr unterschiedlich, aber insofern auffällig, als dass die Informationen über diese Beziehungen auf keine der Fragen aus dem Leitfaden direkt zurück zu führen sind. Es scheint den Befragten vielmehr ein Anliegen zu sein, diese Ebene in das Gespräch einzubringen. Dies wird in der Auswertung als Hinweis gewertet, dass dem Thema Neudefinition von Beziehungen im Dritten Alter ein besonderer Stellenwert zukommt. Die Beziehung zum Ehepartner bzw. Lebensgefährten wird bei vier Personen thematisiert: Frau C beschreibt, dass es ihr in ihrer Lebensphase wichtig sei, sich zu ihrem Mann abzugrenzen und eigene Betätigungsfelder zu haben: „…mer beansprucht auch seinen Freiraum“ (C1, 25)
Hingegen betont Frau F, dass sie und ihr Mann sich gemeinsam engagieren, was sie sehr gut fände: „Mein Mann macht das genauso und das ist (…) unsere Hauptaufgabe geworden.“ (F3, 61)
Frau G trennt sich in der Zeit nach ihrem gemeinsamen Berufsleben von ihrem Mann und geht nun bewusst eigene Wege: „…auch wenn es im Guten ist, es ist ein Abschied. Das muss verarbeitet werden. Und das geht ein bisschen rauf und runter.“ (G1, 17)
Frau H fühlt sich, seitdem sie Witwe ist, zwar befreit aber auch sehr einsam und wünscht sich daher einen neuen Lebenspartner:
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Auswertung „…wenn ick nen Mann kennen lernen würde, der nach meinem Geschmack wäre, dann würde ick mir so wat wünschen, dat er eben noch en bissel eh und nich nur an Essen und Fernsehen denkt. Und vieles mehr.“ (H1, 115)
Neben diesen Beziehungen zum Partner und der Notwendigkeit der Anpassungen und Veränderungen in den jeweiligen Lebenskontexten der Befragten werden häufig auch die Beziehungen zu den eigenen Eltern und /oder Kindern benannt. So sorgt sich Frau B beispielsweise einerseits um ihre Mutter im Heim und versucht sich ein Stück ihr gegenüber abzugrenzen, andererseits bewegen sie viele Gedanken darüber, wie sie die Beziehung zu ihrem Sohn und ihrer Schwiegertochter verbessern kann. Insgesamt wird deutlich: Im Dritten Alter besteht die Notwendigkeit der Anpassung privater Beziehungsgestaltung an die Gegebenheiten der neuen Lebensphase. Im Anschluss werden nun auf der Basis der Analyse wichtiger Lebensphasenthemen der Befragten zentrale Beweggründe für ihr Engagement identifiziert.
6.3.2 Identifizierungen zentraler Beweggründe für das Engagement der Befragten Die gesammelten Aussagen zu den individuellen Beweggründen, die die Interviewpartner zur Engagementbereitschaft in den Interviews äußern, ergeben ein Bild, das über die Ergebnisse bisheriger Engagementstudien327 weit hinaus reicht. Unter Bezugnahme auf die Ergebnisse des Engagementatlas 2009328 als aktuellste repräsentative Studie zum Freiwilligen Engagement wird deutlich, welch unterschiedliche Qualität der Aussagen in der hier gewählten qualitativen Forschung vorliegt. Es wird deutlich, wie unterschiedlich die Qualität der Aussagen der vorliegenden Studie ist. Die frei geäußerten Beweggründe der Befragten lassen sich zwar einzelnen Formulierungen der Studie zuordnen, weisen aber gleichzeitig darüber hinaus, da weiterführende, neue Motivlagen benannt werden. Beweggrund: Selbstverständliche, gelebte Solidarität Hierunter fallen Aussagen, in denen die Befragten schildern, dass es ihnen wichtig sei sich in konkreten gesellschaftlichen Bereichen zu engagieren. Sie schildern dies als selbstverständliche Solidarität, die sich in ihrer Haltung und im Tun ausdrückt. Dabei geht es ihnen um soziale Mitverantwortung auf der Grundlage 327 328
Vgl. Freiwilligensurvey & Engagementatlas 2009 Prognos 2008
Auswertung
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eines bestimmten identifizierten gesellschaftlichen Bedarfs. Die Begleitung pflegender Angehöriger und damit die Mitarbeit an der Gestaltung und Ermöglichung häuslicher Pflege ist hier eine Möglichkeit: „Ja für mich ist dass irgendwie selbstverständlich, dass man sich irgendwo engagiert. Es würde unserer Gesellschaft viel besser gehen, wenn das jeder so tun würde. Ich hab mich ja schon damals beim Roten Kreuz engagiert und dann später in der DLRG, und na ja (Pause), ne Zeitlang nicht, als wir selbstständig waren. Da hatte man auch nicht die Zeit. Aber trotz allem bin ich immer bereit, jederzeit auch unentgeltlich und freiwillig was zu machen, auch für andere.“ (K1, 24)
In den Interviews spielt der Beweggrund, der hier unter der Bezeichnung Selbstverständliche, gelebte Solidarität gebündelt wird, bei den Personen A, C, D, G und K eine große Rolle. Diese Motivlage wird im Engagementatlas 2009 unter den Bezeichnungen die Gesellschaft im Kleinen mitgestalten (29,6 %) und Engagement als wichtige gesellschaftliche Aufgabe (23,7%) geführt. Die Originalzitate der Interviews dieser Arbeit geben den weiterführenden Hinweis, dass es bei den befragten Personen um selbstverständliche, oftmals lebenslang entwickelte Haltungen geht, die in einem spezifischen biografischen Kontext verankert sind. Beweggrund: Sinnvolle Zeitgestaltung In den Interviews wird deutlich, dass der Beweggrund einen eigenen Gewinn durch das freiwillige Engagement zu haben eine oftmals stark ausgeprägte Motivlage zu sein scheint. Das Freiwillige Engagement im sozialen Bereich gebe ein gutes Gefühl und ganz viel zurück. Es könne einen persönlichen Gewinn darstellen, wenn es bestimmte individuelle Bedürfnisse befriedige. Diese Bedürfnisse können sehr unterschiedlich gelagert sein. Oftmals wird in den Interviews der Wunsch nach sinnvoller Zeitgestaltung benannt. Als sinnvoll wird die Zeit dann geschildert, wenn Personen etwas Gutes für andere tun können: „…es ist bewiesen, das, wenn man immer hilfsbereit ist, das ist das Beste, was ein Mensch sich tun kann. Es ist noch wichtiger als Geld und eh, als eh, wie soll ich sagen, alte Werte eh, Prestige oder wie heißt es. Ja, also, es ist und ich glaube, wenn ich mich engagiere und eh, etwas Gutes tue, tue ich mir selber gut.“ (E2, 72)
Das Bedürfnis nach Freiwilligem Engagement stellt sich bei der Mehrzahl der Befragten verstärkt ein, nachdem sie ihr Berufsleben beendet haben und dadurch viele zeitliche Ressourcen zur Verfügung stehen. Sie äußern oftmals den Wunsch, etwas außerhalb ihrer Wohnung zu tun. Dieses stellt sie vor die Aufgabe, ihre Zeit individuell zu füllen: „ich hab jetzt mehr Zeit, dadurch ich nicht mehr berufstätig bin und könnte da, jetzt was weiß ich, fünf, sieben, acht, zehn Johr mich einbringe und das möchte ich auch machen.“ (L2, 37)
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Der identifizierte Beweggrund sinnvolle Zeitgestaltung wird insbesondere in den Interviews der Personen A, B, C, E, F, G, H und L benannt. Im Engagementatlas 2009 wird diese Motivlage nicht abgefragt. Beweggrund: Neue Kontakte Der Wunsch, durch die Teilnahme am Kurs und ein anschließendes Engagement neue Kontakte zu knüpfen wird bei vielen der Befragten deutlich, jedoch nicht immer explizit benannt. Bei den Personen D, G, H, I, J und M wird dieser Beweggrund im Verlauf der Interviews besonders hervorgehoben. Das Beispiel von Frau I zeigt, dass sich aus diesen Kontakten auch der Wunsch nach weiterführendem privatem Austausch ergeben kann: „…also, mit, mit zwei, dreien, also, da hätte ich schon sehr gerne eh, eh, also hätte ich Spaß, da einfach auch weiter einen Kontakt zu halten, vielleicht auch ein bisschen enger oder ein bisschen privater noch, ne. Wir haben uns ja sowieso vorgenommen (…) sagen wir mal so einen regelmäßiges Treffen (…) wenn es irgend geht, auch in einem bestimmten Rhythmus (…) das haben wir vor, ich denke, jetzt das nächste Mal, wenn wir zusammen sind, das wir dann absprechen, so, wir machen‘s, weiß der Himmel, so zunächst vielleicht mal im 14tägigen Rhythmus oder vielleicht dann später monatlich ein Mal“ (I2, 43)
Im Engagementatlas 2009 wird die Motivation mit anderen Menschen zusammen kommen als zweit wichtigste benannt (25,9%). Beweggrund: eigene Stärken ausbauen Die Mehrzahl der Interviewpartner hat bereits eigene Erfahrungen mit pflegebedürftigen Angehörigen im direkten oder weiteren Umfeld gesammelt. Daher scheint es nicht verwunderlich, dass sowohl explizit als auch oftmals implizit der Wunsch nach dem Nutzen gesammelter Kompetenzen im Umgang mit Pflegesituationen geäußert wird: „…das war ja überhaupt mein Motiv, um, um dieses Pflegebegleiter zu machen, weil ich eben erlebt hab, wie hilflos Menschen sind, wenn sie auf einmal so. Das war ja plötzlich das, er wurde krank und im Krankenhaus und dann hatt es geheißen, ne, er kann nit mehr, muss - Pflegefall. Und da steht mer wirklich hilflos da und da finde ich des ganz wichtig, finde ich auch wichtig, dass man vielleicht jemand von Anfang an schon begleitet“ (D3, 20)
Gleichzeitig besteht aber auch der Wunsch, die eigenen Erfahrungen auszutauschen und zu reflektieren, um dadurch eigene Stärken auszubauen: „…ich habe gerade drei Monate Sterbebegleitung bei einer Freundin gemacht und das machen wir schon lange. Nur, das reizte mich jetzt, dass ich nun ein bisschen vollkommener werde. Ich mache es sowieso schon, nur jetzt ist man organisiert und dann wird man ja auch ein bisschen stärker und die ganzen Themen, die ja jetzt dazu kommen.“ (F1, 3)
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Das Anknüpfen an sowie das Nutzen von vorhandenen Kompetenzen spielt besonders bei den Personen C, E und F eine zentrale Rolle. Im Engagementatlas 2009 wird ein Beweggrund, der an Vorhandenes anknüpft und ein weiterführendes Lernbedürfnis beschreibt, nicht aufgeführt. Beweggrund: Helfen als Lebenshaltung Auffällig ist auch die Benennung der Motivlage Helfen als Lebenshaltung. Dabei wird durch Nachfragen in den Interviews deutlich, dass es sich dabei oftmals um eine anerzogene Lebenshaltung handelt. Es geht in den Aussagen darum Gutes zu tun. Dabei wird mehrfach der Begriff Helfersyndrom verwendet. Ein lexikalischer Suchdurchlauf durch das Interviewmaterial belegt, dass dieser Begriff an insgesamt acht unterschiedlichen Stellen verwendet wird:329 „Und das fand ich insofern sehr gut, weil ich ja auch des Öfteren mit Pflegenden zu tun habe, wobei ich von vornherein gesagt habe, ich leide unter so einem Helfersyndrom. Und, das wird mir vielleicht schwer fallen, jetzt nur Pflegebegleiter zu sein, weil es ja auch immer wieder Situationen gibt, wir sollen ja wirklich nur begleiten und nicht nur tatkräftig mit anpacken.“ (B1, 3)
Auch als Kontrastierung wird der Begriff Helfersyndrom verwendet um deutlich zu machen, dass das Engagement reflektiert geschehe, wie in folgender Textpassage deutlich wird: „…dies Bedürfnis, sich einzubringen, um anderen zu helfen. Ich habe immer so mein Problem damit, das eigentlich so deutlich zu sagen, weil ich dann oft höre „Helfersyndrom“. Nein! Ich finde, das ist kein Helfersyndrom. Ich bringe mich ja mit ein, ganz mit vollem Bewusstsein.“ (G1, 62)
Besonders deutlich wird die hier unter dem Begriff Helfen als Lebenshaltung gemeinte Motivlage in den Interviews mit den Personen B, F und G. Im Engagementatlas 2009 wird dieser, auf persönliche Sinnstrukturen verweisende Beweggrund nicht explizit aufgeführt, er könnte jedoch ebenfalls unter die Aussage Engagement als wichtige gesellschaftliche Aufgabe (23,7%)fallen. Beweggrund: Eigene Erfahrungen in Pflegesituationen Acht von dreizehn befragten Personen sprechen in den Interviews darüber, dass sie selbst bereits Erfahrungen in Pflegesituationen gesammelt haben, die sie heute darin bestärken, sich für die Tätigkeit als freiwillige Pflegebegleiter zu engagieren. Dies trifft auf die Personen A, B, D, E, F, I, J und K zu. Dies entspricht in etwa der Durchschnittszahl aller im Modellprojekt Pflegebegleiter aktiven Freiwilligen, von denen 65,9% private Pflegeerfahrung mitbringen.330 329
Vgl. die Textstellen B1,3/ B1, 11/ B1, 25/ B3, 78/ B3, 78/ F3, 13/ G1, 62/ G1, 62 z.T. Mehrfachnennungen in einem Abschnitt 330 Vgl. Vortrag der Abschlussfachtagung: Freiwillige Pflegebegleiter. Strukturentwicklung für die Zukunft
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Auswertung
Die Art der Pflegeerfahrungen sind dabei sehr heterogen: So spricht Frau F beispielsweise darüber, siebzehn Jahre gepflegt zu haben, Herr K hat beide Eltern, seine Schwiegermutter und seine Tante gepflegt, Frau I erinnert sich an die Pflegesituation ihrer Großmutter, die sie seither beschäftigt, auch wenn sie darin eine weniger aktive Rolle gespielt habe. Allen gemein ist trotz der Unterschiedlichkeit, dass die in diesen Situationen gesammelten individuellen Erfahrungen wichtiger Beweggrund sind, sich als Pflegebegleiter einbringen zu wollen: „Wir haben es in der eigenen Familie gehabt. Vor Jahren, wo es von diesen Sachen noch überhaupt nichts gab.“ (B1, 3)
Insbesondere dann, wenn eigene Pflegeerfahrungen als schwierige Lebenssituationen erinnert werden, wird das Profil der freiwilligen Pflegebegleiter genutzt, um andere Menschen in ähnlichen Situationen begleiten zu können: „Also, es war grauenhaft und es war für mich so deprimierend und so und ich bin mir da so hilflos vorgekommen. (…) Ich möchte wissen, was da bewegt werden soll und welche Möglichkeiten durch das Projekt geschaffen werden, um Menschen, die in solchen Situationen sind, einfach zu helfen. (…) Das man völlig überfordert ist mit der Situation, weil man gar nicht, ja. Wenn einem so was passiert, wenn jemand auf einmal so krank wird und so schlimm und das dann auch noch so abläuft wie das da abgelaufen ist, da hat man einfach keinen Kopf für solche Dinge“ (D1, 20)
Diese Motivlage könnte mit der in der Prognos Studie Engagementatlas 2009 unter dem Begriff Interessen vertreten und Probleme lösen (17,8%) gefasste Kategorie konform gehen. 6.3.3 Lernerfahrungen in der Kursgruppe – Zentrale Aspekte Einen zentralen Gesprächsbaustein der Interviews bilden Schilderungen zu den persönlichen Erfahrungen im Vorbereitungskurs. Die Freiwilligen bekommen dabei in 60 Unterrichtsstunden und Exkursionen sowie anschließenden Praxiserkundungen die Gelegenheit, sich mit dem Freiwilligenprofil Pflegebegleiter auseinander zu setzten. Die Teilnehmenden erhalten über diese Kurszeit ein Zertifikat und können im Anschluss frei entscheiden, ob sie sich weiter engagieren möchten. Durch diese Struktur ist es nicht selbstverständlich, dass alle Teilnehmer im Anschluss eine Weiterführung im Engagement wählen.331 Wie in den Einzelauswertungen bereits beschrieben, sind alle Befragten nach dem Kurs bereit, sich weiter einbringen zu wollen, so dass alle Interviewpartner nach dem Kurs weiter mit der jeweiligen Pflegebegleiter-Initiative in Verbindung bleiben. 331
Zur Einordnung: Ergebnisse des IAF der KFH Freiburg belegen, dass sich in der Phase des Modellprojektes Pflegebegleiter im Bundesdurchschnitt 78,5% nach dem Kurs eindeutig für ein Freiwilliges Engagement entscheiden, 19,3% sind unentschlossen, nur 2,2% entscheiden sich dagegen.
Auswertung
167
Vor diesem Hintergrund scheint es aufschlussreich, auf die Lernerfahrungen in der Kursgruppe zu blicken, da diese – wie in den Interviews deutlich wird – einen wichtigen Baustein zur persönlichen Entwicklung sowie zum Gefühl des Eingebundenseins und der Zugehörigkeit darstellen. Im Folgenden werden zunächst sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede der Lernbedürfnisse und -erfahrungen benannt. Insbesondere im ersten Interview beschreiben viele Personen, welche Lernbedürfnisse sie in den Kurs miteinbringen. So wünschen sich vor allem die Personen E, F, G und L, dass sie durch diese Vorbereitung Wissen für ihr späteres, praktisches Tun als Pflegebegleiter erlangen und hoffen durch viel Fachwissen in den unterschiedlichen Bereichen Sicherheit zu gewinnen. So geht es z.B. um die ganz konkrete Frage: „…wie kann ich das am besten jetzt machen, das ich helfen kann. Und zwar so helfen, dass die anderen sich selber helfen können, entlasten?“ (G1, 7).
Anderen Teilnehmern (insbesondere den Personen C, D, H und J) geht es eher darum Wissen zu erwerben, um sich auf (eigene) Pflegesituationen besser einstellen zu können. „vielleicht hab ick dann och mehr Verständnis, wenn ich denn mal in eine Situation komme, wo ick, wo mich jemand, wo man vielleicht gefordert wird.“(H1, 14)
Sie nutzen den Kurs auch zur bewussten Auseinandersetzung mit dem eigenen Altern. „…und dann auch für mich selber, wie ich des anstelle, ob ich so alt werde. Das ist jetzt für mich meine letzte Lebensphase, jetzt, das ist eigentlich auch en Wunsch, damit beizutragen, damit vorzubeugen, das es mir enmal besser geht im Alter“ (C1, 13)
Ein anderes Lernbedürfnis, das vor allem bei Frau B deutlich wird, ist der Wunsch durch den Kurs den Umgang mit sich selbst zu verbessern. „…was man in allen Kursen ja lernt, dieses Zurücknehmen. Dieses selber zurücknehmen und dem Anderen zuzuhören und wirklich den Anderen in den Vordergrund stellen. Was einem ja manchmal im täglichen Leben nicht so gelingt. Oder man redet und tut und das ist ja nun zuhören. Wirklich - nicht nur mit den Ohren, sondern mit dem ganzen Körper zuhören. Und das ist eigentlich auch wichtig. Und da kommt man auch, denk ich mir, ein ganzes Stück weiter mit.“ (B1, 13)
Aus diesen Lernwünschen und -bedürfnissen entwickeln sich im Verlauf der Interviews konkrete Lernerfahrungen, die in den darauf folgenden Interviews thematisiert werden. So betonen die Personen D, E, H und L, dass sie durch das Gelernte nun die Möglichkeiten haben, anderen Menschen zu helfen. Besonders das Erlernen und Erproben des aktiven Zuhörens, um sich selbst zurück zu nehmen, stellt für viele der Befragten eine zentrale und bedeutsame Lernerfahrung dar (vgl. dazu die Personen B, F G und K). Weiter wird von den Personen A, B, C und H besonders positiv betont, dass sie durch den Kurs eine andere Wahr-
168
Auswertung
nehmung und somit ein neues Verständnis von familiären Situationen erlangt hätten. Zwölf der dreizehn Befragten bewerten den Kurs rückblickend sehr positiv. Einzig Frau M spricht darüber, im Kurs eher „nicht viel Neues“ gelernt zu haben und sich auch eher unterfordert zu fühlen: „Ganz furchtbar viel mehr lernen konnte ich für das Tun eigentlich nicht, weil ich schon so alt bin, also schon so eine gewisse Lebenserfahrung habe.“ (M2, 8) „…ich hab nichts gelernt was ich nicht ganz selbstverständlich finde (…) mich hat nichts überrascht, nichts gewundert, gar nichts, es ist mir eher ein bisschen zu wenig“ (M2, 13)
Die Mehrzahl der Teilnehmer betont jedoch, im Kurs viel gelernt zu haben und die Kursqualität insgesamt als gut bzw. sehr gut zu beurteilen.332 Aufschlussreich in den Ausführungen zu den Lernerfahrungen ist auch ein Blick auf die Schilderung unterschiedlicher Rollen, die die Teilnehmer im Kurs eingenommen haben. Dabei lassen sich die Befragten in drei Gruppen einteilen: Die meisten Personen (A, C, D, E, G, I, J und K) sehen sich als eher stillere und zurückhaltende Teilnehmer. Dagegen sehen sich andere (B, F, H und M) als eher aktive Personen im Kursgeschehen. In `Sonderrollen´ sehen sich die Personen F und L, da F selbst in zwei Kurssequenzen die Expertenrolle übernimmt und F sich perspektivisch eher in der Kursleiterrollle sieht und das Kursgeschehen daher aus einem anderen Blickwinkel betrachtet. Sehr interessant ist, dass viele der Befragten differenziert über persönliche Erfahrungen im Kurs berichten. Diese sind, wie in den Einzelauswertungen bereits gezeigt, individuell sehr unterschiedlich gelagert und basieren oftmals auf den unterschiedlichen Biografien und Entwicklungen. In der Gesamtanalyse fällt nun auf, dass die Erfahrungen in der überwiegenden Mehrzahl sehr positiv dargestellt werden. So wird beispielsweise in den Gesprächen mit den Personen C, D und F die Bedeutung einer speziellen anderen Person aus der Kursgruppe 333 besonders betont. Als Gewinn sehen besonders die Personen A und B, dass die Lernthemen auch Relevanz für das eigene Leben haben. Anderen ist es besonders hilfreich, dass sie durch die Exkursionen mit der Gruppe `Schwellen´ 334 Eher überwinden können, die sie allein vielleicht so nicht betreten hätten. überraschend fällt in der Gesamtauswertung der Interviews auf, dass von fünf Personen (A, B, G, K, L) besonders auch die professionelle und freundliche Art der Kursbegleitung hervorgehoben wird. Die Kursleiter werden in vielen Passa332
Dies belegen auch die Zahlen der Wissenschaftlichen Begleitung (IAF der KFH Freiburg). Hiernach bewerten 54,4 % den Kurs sehr gut, 41,5% gut. 333 Wie beispielsweise Frau F, die sich selbst für den jüngsten Kursteilnehmer in die „Mutterrolle“ begibt und dies mehrfach betont. 334 Dies schildert beispielsweise Frau H als sie von den Exkursionen in ein Altersheim oder Hospiz berichtet.
Auswertung
169
gen als wichtige Ansprechpartner benannt, die z.T. auch in privaten Fragen zur Verfügung stehen und einen sicheren Rahmen bieten, in dem die Teilnehmer gute Lernerfahrungen sammeln können. Besonders auffällig ist abschließend, dass bis auf eine Ausnahme alle Interviewpartner durchgängig zu allen Interviewzeitpunkten über positive Gruppenerfahrungen berichten (vgl. A, B, C, D, F, G, H, I, J, K, L und M), auch wenn beim letzten Interview an manchen Stellen bedauert wird, dass sich die Gruppe im Laufe der Zeit reduziert habe und es wenig Verbindlichkeit gäbe. Eine auffällige Ausnahme bildet Frau E mit ihren Schilderungen zur Gruppe im dritten Interview.335
6.3.4 Tätigsein und Produktivitätserleben im Freiwilligen Engagement – Überblick und Analyse Nach dem Kurs entscheiden sich alle Befragten für eine Tätigkeit im Freiwilligen Engagement als Pflegebegleiter. Diese Entscheidung bedeutet für die meisten zunächst ein generelles Vermögen und Zutrauen, das Gelernte im Bedarfsfall anwenden zu können. Einige Personen schildern, dass sie nach dem Kursabschluss darauf warten, offizielle Anfragen für Pflegebegleitungen zu erhalten und signalisieren eine große Offenheit. Andere betonen, dass der Umfang ihres Einsatzes in jedem Fall begrenzt sei und dass sie keinesfalls eine zu starke Verpflichtung eingehen wollen. Dies trifft insbesondere auf die Personen C, K, E und I zu. Hinsichtlich der Fragestellung, wie sich das Erleben der freiwilligen Tätigkeit und somit von nachberuflicher Produktivität im Freiwilligen Engagement entwickelt, ist eine vertiefte Analyse aufschlussreich. Eine erste Analysemöglichkeit ist die faktische Betrachtung übernommener Pflegebegleitungen durch die Freiwilligen, wie sie in den Interviews geschildert wird. In den dritten Interviews ist sehr auffällig, dass auf die Frage, wie sich das Engagement als Pflegebegleiter entwickelt habe häufig bedauert wird, dass es bislang wenig offizielle Anfragen gegeben hätte, wie hier beispielsweise eine Passage aus dem Interview mit Frau B belegt: „…von dieser Pflegebegleitungssache, ich glaube von uns, direkt als Pflegebegleiter, aus dem ganzen Kurs ist auch noch keiner eingesetzt worden. Vielleicht, wie gesagt, so diese kleinen Sachen, die so, so nebenher laufen, aber dass man richtig eine Pflegebegleitung gemacht hat, also, ist glaube ich, keiner bei.“ (B3, 15)
335
Vgl. zur vertieften Analyse dazu Einzelauswertung Frau E Kap. 6.2.2
170
Auswertung
Bei der Analyse dieser Aussage – die als typische Sequenz für viele Interviews steht – fällt auf, dass die Befragte B zwischen vermittelten / offiziellen Pflegebegleitungseinsätzen und Begleitungen im privaten Umfeld unterscheidet. Diese Differenzierung fällt auch bei den anderen Gesprächspartnern markant auf. Zunächst wird, fast entschuldigend, berichtet, bislang keine Begleitungen zu haben. Lediglich zwei der Befragten berichten über offizielle Anfragen, in denen sie dann das Gelernte anwenden konnten. Auf Nachfrage fällt dann jedoch oftmals auf, dass eine weitaus höhere Zahl, nämlich neun der dreizehn Befragten, das Gelernte aus dem Pflegebegleiterkurs in privaten Gesprächen mit pflegenden Angehörigen nutzen, oft ohne dies als Begleitungssituation zu definieren. Abbildung 5 gibt zunächst einen Überblick darüber, wie sich das Verhältnis offizieller / vermittelter und privater Begleitungssituationen der Befragten darstellt.
Übernommene Pflegebegleitungen nach dem Kurs 10 8 6 4 2
vermittelt und privat "nur" vermittelt "nur" privat keine Angabe
0
Abb. 5: Übernommene Pflegebegleitungen nach dem Kurs Neben dieser Betrachtung der Verteilung (numerische Werte entsprechen dem Durchschnitt bisher stattgefundener Pflegebegleitungen, also beispielsweise neun Begleitungen im privaten Umfeld) ist eine vertiefende Analyse dieser dargestellten Unterschiedlichkeit von `privater´ und `vermittelten´ Tätigkeit hinsichtlich der Fragestellung dieser Arbeit aufschlussreich. Denn auch wenn in beiden Bereichen die Begleitung pflegender Angehöriger auf ähnliche Weise und mit demselben Kurshintergrund geschieht, werten die Befragten ihre Tätigkeit doch sehr
Auswertung
171
verschieden. Einsatzmöglichkeiten im privaten Bereich, z.B. innerhalb der eigenen Familie, in der Nachbarschaft oder mit einer pflegenden Freundin am Telefon, werden als weniger gewichtig geschildert, als Einsätze, die durch die Kursleitung vermittelt werden. So schildert Frau C, dass sie ungeduldig darauf warte, einen Pflegebegleitungsfall zu bekommen: „Ich war direkt in der Gruppe ein bissle ungeduldig, wenn da zwei, drei erzählt habe von ihre drei, vier, fünf Fälle, die sie haben und zu mir ist noch nichts gekomme. Und da hat die Frau G. mal gesagt: Ja, H., ich hab gedacht, du möchtest mehr in deinem persönliche Umfeld wirke‘. So hat sie mich seither verschont, weil ich von der paar Fälle gesagt hab und da sind jetzt zwei schon, eine mit 95, eine mit 94, dieses Jahr schon gestorben. Aber das war im nähere Umfeld und da war ich schon en bissle mit beschäftigt, involviert, ja.“ (C3, 55)
In dieser Sequenz fallen drei Dinge besonders auf: Zum einen ist es für Frau C schwierig zu sehen, dass andere Freiwillige bereits `Fälle´ zugewiesen bekommen haben, zum anderen scheint sie sich missverstanden zu fühlen, da die Kursleiterin Frau G. bislang dachte, sie sei im privaten Umfeld bereits mit Begleitungen ausgelastet, und drittens fällt auf, dass Frau C selbst ihre Tätigkeit im näheren Umfeld als weniger gewichtig bewertet. Insbesondere dieser letzte Punkt kann als Hinweis gewertet werden, dass das Freiwillige Engagement für Frau C erst dann als persönlicher Gewinn im Sinne produktiver Tätigkeit gewertet wird, wenn es in einem offiziellen Rahmen stattfindet. Interessant ist weiter auch der Hinweis im Gespräch mit Frau M, in dem sie deutlich macht, dass sie das Gelernte in ein anderes Engagementfeld einbringen kann: „Ja, theoretisch ist es natürlich ganz intensiv da, in der Praxis ist es alles noch ein bisschen im Werden, hier. Insbesondere diese Pflegebegleitung. Bei mir ist es ein bisschen abgefangen vielleicht, dadurch, durch die Tätigkeit, die ich ja schon bisher machte in der Reha-Klinik. Aber das ist eine gute Vorbereitung und ich bin sozusagen voller Tatendrang,…“ (M3, 7)
Da nicht nur Frau M in den Interviews auch über andere Engagementfelder berichtet erscheint für die weitere Analyse ein Überblick über unterschiedliche Merkmalskonstellationen, die in das Erleben der freiwilligen Tätigkeit eingehen können, interessant. In der folgenden Tabelle werden daher die übernommenen Pflegebegleitungen anderen Erfahrungen im Freiwilligen Engagement, von denen die Befragten in den Interviews berichten, gegenüber gestellt. Da ein wichtiger Beweggrund für die Wahl des freiwilligen Tätigkeitsfeldes Pflegebegleiter oftmals auch die persönliche Pflegeerfahrung ist, wird diese in die Tabelle aufgenommen.
172
Auswertung Persönliche Pflegeerfahrungen
Andere Erfahrungen im Freiwilligen Engagement
Pflegebegleitungen übernommen vermittelt
privat
ja (Grüne Dame, Trauertelefon)
nein
ja
Fr. B
ja (hat Mutter, Vater & Schwiegermutter gepflegt) nein
nein
ja
Fr. C
eher wenig
nein
ja
Fr. D Fr. E
ja ja (Schwiegermutter & Schwiegervater, Nachbarschaft)
ja nein
k.A.336 ja
Fr. F
nein
ja
Fr. G
ja (privat und beruflich) nein
nein
k.A.
Fr. H
k.A.
nein
ja
Fr. I
nein
nein
ja
Fr. J
ja (Mutter & Mann) ja (Mutter, Vater, Schwiegermutter & Tante)
ja (Sterbebegleitung) ja (Bürgertreff) nein ja (insbesondere in den Bereichen Migration und Pflege) ja (diverse Felder) ja (Besuchsdienst Pflegeheim, Seniorenbeirat) ja (Betreuung von Vorschulkindern) ja (Schule) ja (Pfarrgemeinde) ja (in versch. Feldern seit der Jugend engagiert: Rotes Kreuz, DLRG,…)
ja
k.A.
nein
ja
Fr. A
Hr. K
336
k.A. = keine Aussage in den Interviews
Auswertung
173
Hr. L
k. A.
Fr. M
nein
Ja (Vertrauensmann einer Versicherung, Kirchengemeinde, Krankenpflegeverein) ja (Grüne Dame)
ja
ja
nein
ja
Tab. 6: Merkmalskonstellationen persönliche Pflegeerfahrung, andere Erfahrungen im Freiwilligen Engagement und übernommene Pflegebegleitungen In diesem Überblick fällt auf, dass einzig Frau D in keinem anderen Engagementfeld aktiv ist. Alle anderen befragten Personen sind entweder parallel zum Engagement als Pflegebegleiter in einem anderen Bereich aktiv oder waren es zuvor. Auffällig ist weiter, dass diese Engagementfelder meist im sozialen Bereich angesiedelt sind. Diese Analyse ist ein zentraler Hinweis darauf, dass die individuelle Entwicklung im Freiwilligen Engagement, die im Kontext dieser Arbeit besondere Betrachtung findet, nicht allein auf die Erfahrungen vom Lernen und Tun im Profil der Pflegebegleiter zurückgeführt werden kann, sondern immer im Zusammenhang mit dem Engagement in anderen Bereichen gesehen und interpretiert werden muss. Diese Feststellung ist auch insofern interessant, als dass die Frage nach anderen Engagementfeldern nicht Inhalt des Interviewleitfadens ist und diese Information von den Freiwilligen selbst in die Interviews eingebracht wird. Auch dies ist ein Hinweis darauf, dass die Schilderung freiwilliger Tätigkeiten in der nachberuflichen Lebensphase für die Identitätsnarrationen einen wichtigen Stellenwert erhält. Abschließend kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass es für die Freiwilligen in der Definition ihres Tätigseins einen gravierenden Unterschied darstellt, ob die Tätigkeit eher privat oder offiziell / vermittelt geschieht. Auch kann festgehalten werden, dass die Mehrheit der befragten Personen in mindestens zwei Engagementfeldern aktiv und vernetzt ist und dass viele persönliche Pflegeerfahrungen mitbringen. Insgesamt besteht bei vielen Befragten nach dem Kurs der Wunsch, noch stärker angefragt zu werden. Die Nutzung der Erfahrungen als Pflegebegleiter einzig im privaten Bereich erscheint vielen wenig befriedigend (vgl. vertiefend dazu auch die Einzelauswertungen Kap. 6.2.1-6.2.4).
174
Auswertung
6.3.5 Identitätsthematisierungen und narrative Selbstbilder – differenzierte Analyse Die vorangehenden Kapitel bilden die Basis der hier anschließenden Analyse der im Fokus stehenden Identitätsthematisierungen und narrativen Selbstbilder in den Interviews. Zunächst zeigt die Analyse, dass ein quantitativer Schwerpunkt der Codierungen innerhalb der Kategorie 4 Selbstbild in der Entwicklung (vgl. Kapitel 6.1.5) zu finden ist. Unter diese Kategorie fallen Äußerungen zur (Weiter-)Entwicklung der eigenen Persönlichkeit, aus der sich in der Gesamtheit ein `Selbstbild´ zusammensetzt. Dabei geht es um eine bewusste Selbstthematisierung, die sich in Werthaltungen, Sinnbilanzierungen sowie bewusst gewählten Tätigkeiten, Persönlichkeitsbeschreibungen, Prozessen der Selbstvergewisserung 337 und Erwartungen ausdrückt und in Veränderungen des Selbstbildes mündet. Die unten stehende Visualisierung zeigt anhand der Größe und Farben der Knoten, dass in allen Interviews ein Schwerpunkt der Codierungen in dieser Kategorie zu finden ist.
337
Vgl. Vorstellung des Kategoriensystems in Kapitel 6.1.5
Auswertung
175
Visualisierung der Codierungen pro Interview
Quantitative Schwerpunkte der Codierungen zum Themenfeld „Selbstbild in der Entwicklung“
Abb. 6: Identitätsthematisierungen in den Interviews
Dies kann als Hinweis dafür gewertet werden, dass es durch einen entsprechenden Leitfaden und das entwickelte Kategoriensystem möglich ist, Identitätsthematisierungen als zentralen Bestandteil der Interviews zu identifizieren. Die meisten Textstellen der Kategorie Selbstbild in der Entwicklung/ Kategorie 4 konnten dabei dem Subcode Selbstbeschreibung (Kategorie 4.3) zugeordnet werden (282 definierte Codes). An zweiter Stelle folgt Sinn, Bilanzierung, Werte (Subcode 4.1) mit 151 in den Interviews markierten Textstellen. Die dritte Stelle nehmen 101 Zuordnungen zum Thema Tätigsein ein (Subcode 4.2). Weniger Textstellen (88) konnten dem Schwerpunkt Selbstvergewisserung, Erwartungen (Subcode 4.4) zugeordnet werden. Letztlich konnten 61 Textstellen Hinweise auf Ergebnis, Veränderung des Selbstbildes in der Entwicklung (Subcode 4.5) geben. Grundsätzlich wurde in allen Interviews das Thema Selbstbild berührt und in unterschiedlichen Ausprägungen thematisiert. Die vertiefte Analyse dieser Kategorie, die zentral für die Erfassung von Identität erscheint, macht weitere interessante Zusammenhänge sichtbar. Die
176
Auswertung
folgende Abbildung zeigt die „Code-mal-Code Matrix“338, die die wechselseitigen Überschneidungen mit der Kategorie 4 Selbstbild in der Entwicklung analysiert. Die Größe der Knoten zeigt dabei die Häufigkeit von Überschneidungen im Datenmaterial an. Bei der Analyse fallen zwei Knotenpunkte besonders auf: Zum einen die auffallende Überschneidungen der Kategorien 3.2 Andere Bezug und 4.3 Selbstbeschreibung und zum anderen Überschneidungen der Kategorien 4.2 Tätigsein und 6.1 Engagementmotiv (vgl. Abb. 7).
Visualisierung des gleichzeitigen Vorkommens der Kategorie 4 „Selbstbild in der Entwicklung“ mit anderen Kategorien Wechselseitige Überschneidung „Selbstbeschreibung“ und „Andere-Bezug“
Wechselseitige Überschneidung „Tätigsein“ und „Engagementmotiv“
Abb. 7: Visualisierung Korrelationen mit Kategorie 4 Die wechselseitigen Überschneidungen von Selbstbeschreibungen und Bezügen zu anderen Personen werden exemplarisch an folgendem Ankerbeispiel deutlich: „Ich bin ja froh, wenn ich morgens aufwache, na, ja, geht einigermaßen gut. Ich versteh gar nicht, Leute, die morgens schon irgendwie missgelaunt aufwachen, verstehe ich nicht. Ich freue mich, dass ich einigermaßen lebe. Ich meine, jetzt im Alter mit 63 muss man ja auch.“ (A3, 86) 338
Kuckartz 2005, S. 194
Auswertung
177
Dieses Beispiel ist ein Hinweis darauf, dass Selbstthematisierungen sehr häufig auf Kontrastierungen zu anderen Personen basieren. Dies deckt sich mit Erkenntnissen derjenigen Identitätsmodelle, in denen die Bedeutung von beispielsweise `signifikanten Anderen´ hervorgehoben wird. Weiter fällt in der Analyse auf, dass sich Aussagen zur Engagementmotivation häufig mit Interviewpassagen überschneiden, die auf die Bedeutung eigener Tätigkeiten und Handlungen im Leben hinweisen. Diese Koppelung veranschaulicht das folgende Ankerbeispiel, in dem eine Dame über sich und ihren Mann spricht und erläutert, weshalb sie sich engagiere. Dabei wird insbesondere deutlich, dass es ihr zum einen ein großes Anliegen zu sein scheint, in ihrer nachberuflichen Lebensphase tätig zu bleiben, und zum anderen, dass sie durch dieses Tätigsein viel für sich zurückgewinnt: „Ja, wir beide (lacht) sind eigentlich voll ausgelastet. Aber, es ist natürlich auch ein bisschen Egoismus dabei, denn, es tut einem sehr gut,... Es tut einem so gut, das man abends sagt, mein Gott, geht es dir noch gut. Wenn man sich jetzt gekümmert hat um alles Mögliche, das man dann abends sagt, Mensch noch mal. Und was hat der Albert Schweitzer, war ja ein etwas burschikoser Typ, ich glaub, das sagte ich schon Mal gesagt – Er hat ja gesagt: ‚wenn es einem gut geht, hat man die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, dafür zu sorgen, dass es auch anderen gut geht’, in seiner burschikosen Art. Und es ist natürlich auch ein bisschen Egoismus dabei, weil man sagt, Mensch, war das heute wieder eigentlich ein schöner Tag, dadurch, das du da irgendwas gemacht hast, kriegt sie jetzt ihre Zähne, nie, haben wir das alles beschleunigt, in dem wir dann selbst zur Krankenkasse gefahren sind, und haben das gemacht. Und das sind so Kleinigkeiten, aber, macht dann schon Spaß.“ (F3, 61)
Selbstthematisierungen werden in den Interviews an unterschiedlichen Stellen und – wie oben gezeigt – in Kopplung mit anderen Themen sichtbar: Zum einen dann, wenn explizit nach dem subjektiven Erleben (z.B. der aktuellen Lebensphase) gefragt wird oder aber zum anderen in spontanen `Nebenäußerungen´, in denen die Personen Haltungen, Werte oder Geschichten über ihre eigene Person äußern. Auskünfte geben aber auch die `assoziativen Selbstbilder´, zu denen die Personen im dritten Interview aufgefordert werden. Folgende Tabelle zeigt Gegenüberstellungen prägnanter Selbstaussagen und assoziativer Selbstbilder.
Fr. A
prägnante Selbstaussagen in den Interviews
Skizzierung: assoziatives Selbstbild im Kartenexperiment
Positive Lebenshaltung, dankbar, Annahme eigener Stärken und Schwächen
aktives, sportliches Oberhaupt der Familie mit Spaß am Leben
178
Auswertung
Fr. H
hilfsbereit, zufrieden, lernbegierig, zwischenzeitlich traurig über familiäre Situation machtvoll, Sorge um eigene Pflegebedürftigkeit, Sorge um Familie, lernt gerne Neues, selbstbestimmt trauert, verletzlich, einfühlsam, aufgeschlossen, interessiert einfühlsam, kompetent, geprägt durch Migrationsgeschichte, fühlt sich gemobbt hilfsbereit, gelasssen, nicht diplomatisch, dankbar, gläubig fröhlich, abhängig von Reaktionen anderer Menschen, auf der Suche interessiert, zunehmend emanzipiert, zufrieden
Fr. I
zufrieden, neugierig, Lust Neues anzufangen, sich selbst im Blick
Fr. J
auf der Suche, dankbar, offen
Hr. K
Kontakt und Aufgaben suchend, z.T. zweifelnd und allein gelassen zupackend, engagiert, gläubig
Fr. B Fr. C Fr. D Fr. E Fr. F Fr. G
Hr. L Fr. M
neugierig, positiv, gläubig
selbstbewusste Person mit zunehmend `aufrechtem Gang´ körperlich alternde Dame die lernt, sich um sich selbst zu kümmern
Bild, das in viele Richtungen offen ist, Boden, der (wieder) fester ist Sonne, die scheint und lacht
Glucke im Nest, glücklich von ihrer Familie umringt leuchtendes, ruhiges, strahlendes Blau umherschwimmende Ente die sich vom Wasser schaukeln lässt und sich, wenn es zu wellig wird, am Ufer zurückzieht verwurzelter Kastanienbaum und Skulptur vor dem Brandenburger Tor Ein Bild, bei dem viel ausgemalt ist aber noch ein Stück freie Gestaltungsfläche bleibt Mann der auf einem Steg sitzt und auf das Meer blickt Auf dem Fahrrad sitzend, Gegend betrachtend, mit Leuten unterhaltend Gehirn = Denken, Herz = Fühlen und Augen = Erkennen
Tab. 7 Gegenüberstellungen prägnanter Selbstaussagen und assoziativer Selbstbilder
Auswertung
179
Die Einbeziehung dieses Experiments, die Interviewpartner ein `assoziatives Selbstbild´ beschreiben zu lassen, hat sich in der weiteren Analyse als interessante zusätzliche Informationsquelle erwiesen.
6.3.6 Analyse der formulierten Entwicklungsaufgaben
Wie in den Einzelauswertungen bereits detailliert beschrieben, sprechen die befragten Personen in den Interviews an einigen Stellen über persönliche Herausforderungen und Entwicklungsaufgaben. Diese verändern sich z.T. im Verlauf des Befragungszeitraumes, was ein Hinweis darauf sein kann, dass sich im Verlauf der Gespräche individuelle Entwicklungen vollziehen, die durch das Längsschnittdesign der Studie sichtbar werden. Im Folgenden werden die drei meist benannten Entwicklungsaufgaben zusammenfassend noch einmal aufgeführt: 1.
2.
3.
Acht von dreizehn Befragten sprechen über Entwicklungsaufgaben, sie sich auf Schilderungen zu Veränderungen der konkreten Alltagsgestaltung beziehen. Dabei sprechen die sie darüber, dass es ihnen wichtig sei, die aktuelle Lebensphase des Dritten Alters individuell gestalten zu können und berichten davon wie ihnen dies – z.B. im Rahmen Freiwilligen Engagements – gelinge. Die Benennung dieser Entwicklungsaufgabe findet sich in den Interviews der Befragten A, C, D, G, I, J, K und L. Sieben Personen machen die Aufgabe zum Thema, ein Gefühl der Zufriedenheit mit dem eigenem Leben zu erreichen. Sie schildern es als zentral, sich den Entwicklungsaufgaben in ihrer aktuellen Lebenssituation zu stellen aber auch die Vergangenheit mit guten und schwierigen Zeiten anzunehmen. Diese Aufgabe benennen, mit individuell unterschiedlichen Ausprägungen, die Befragten B, C, E, F, G, L und M. Fünf Personen beschreiben als Entwicklungsaufgabe, sich selbst im Dritten Alter (wieder) mehr in den Blick zu nehmen. Es geht ihnen dabei häufig darum, eine eigene Standfestigkeit zu behaupten und sich von Meinungen und Erwartungen anderer Personen unabhängig zu machen. Diese Entwicklungsaufgabe wird insbesondere bei den Befragten A, B, C, F und H thematisiert.
In den Einzelauswertungen werden weitaus mehr – und auch differenziertere – Entwicklungsaufgaben und deren Verläufe im Erhebungszeitraum sichtbar.
180
Auswertung
6.4 Gesamtanalyse der Gruppendiskussion Abschießend werden zur Gesamtanalyse zentrale Hinweise für die weitere Interpretation und Einordnung der Auswertung vorgestellt. Diese Hinweise basieren auf den Ergebnissen der Gruppendiskussion, die dazu dient, die Entwicklungsverläufe – exemplarisch am Fall der Befragten Frau B – hinsichtlich ihrer Identitätsrelevanz einzuordnen und so eine Grundlage für die Einordnung der Ergebnisse der anderen Interviewpartner zu liefern.339 Zentrale Aussagen der Gruppendiskussion …hinsichtlich der Entwicklung im Dritten Alter:
Für Frau B stellt sich die Aufgabe, die Lebensphase des Dritten Alters zu gestalten: „Sie muss die neue Lebensphase irgendwie füllen und das gelingt ihr nach und nach.“ Sie ordnet ihre soziale Welt zunehmend so, wie sie es braucht: „Sie hat sich ja zunächst durch Familie und Arbeit definiert und eins fällt jetzt weg und da muss sie neu gucken.“ Frau B bleibt in Bewegung und sucht auch im dritten Interview weiter nach neuen Engagementmöglichkeiten: „Sie bleibt nicht nur bei der Pflegebegleitung und bei dem Hospiz, sondern hat schon wieder eine neue Idee.“
…hinsichtlich der Entwicklung im Kursverlauf:
Gruppen in denen das Engagement stattfindet sind in ihrer Relevanz nicht zu unterschätzen: „Gruppen sind wichtiger als wir manchmal denken.“ Frau B lernt durch den Kurs viel für sich selbst: „Dinge nicht mehr unter den Teppich kehren“, „ein Stück Selbstbewusstsein“ und „Sie hat selbst erkannt, das sie aus den Kursen gelernt hat.“
…hinsichtlich der Entwicklung im Engagementfeld:
339
alle folgenden Zitate dieses Kapitels sind dieser Quelle (Transkript der Gruppendiskussion) zu entnehmen.
Auswertung
181
Freiwilliges Engagement bringt bei Frau B persönliche Effekte mit sich, es ist „ganz viel für sie selbst“. Sie ist sich selbst bewusst, „dass sie einen großen Gewinn aus dieser Tätigkeit zieht.“ Das Freiwillige Engagement ist bei Frau B ein „Keim zur weiteren Entwicklung der Persönlichkeit“, es ist „ein Stück Selbsterfüllung.“ Es ist für Frau B wichtig, dass das Engagement „Sinn macht“, das Engagement ist für sie eine „Nacharbeitung oder Sinnfindung, weil ihr das Krankenschwester werden verwehrt wurde.“ Diese Sinndimension ist vor allem vor dem Hintergrund des Dritten Alters interessant, denn wie eine Teilnehmerin der Gruppendiskussion benennt: „man muss ja auch bedenken, in dem Alter in dem wir jetzt sind, weiß man ja nicht, was einem noch bleibt. Da sind dann halt so Träume, die man irgendwie noch verwirklichen möchte“. …hinsichtlich der Entwicklung / Veränderung ihrer Identität die Sozialisation, im Fall von Frau B die christliche Sozialisation, ist wichtiger Beweggrund für ihr Handeln: „Sie sagt das nichts so deutlich, aber das Bedürfnis zu helfen scheint immer durch.“ Das Selbstlose kommt im Verlauf der Interviews ins Gleichgewicht: „Was anfangs im Wort Helfersyndrom ausgedrückt wird, gerät mit dem zunehmenden Selbstbewusstsein ins Gleichgewicht.“ Identitätsentwicklung findet statt: „Auch ihr Selbstbewusstsein hat zunehmend gewonnen“; „so im Gesamtverlauf findet eine zunehmende Stärkung des Selbstbewusstseins und der Eigenständigkeit statt.“ Frau B verändert sich im Verlauf der Interviews: „Das hätte sie garantiert so nicht in der ersten Hälfte getan“; „am Ende der Interviews hatte ich eine gewisse Hochachtung vor ihrer Entwicklung.“
…hinsichtlich weiterer Auswertungen und Einordnungen anderer Befragter:
Fokus auf Veränderungen: Identitätsentwicklungen lassen sich in den Interviews dann besonders deutlich identifizieren, wenn Veränderungen benannt werden: „Ich würde immer darauf gucken, was hat sich verändert.“ Kontexterweiterung: Identitätsentwicklung findet bei Frau B nicht nur im Rahmen des Freiwilligen Engagements statt, sondern auch der Kontext muss einbezogen werden: „Es ist auch wichtig zu gucken, was entwickelt sich außerhalb des unmittelbaren Ehrenamtes.“ Vertiefte Auseinandersetzung mit dem Material: Je länger und tiefer eine Auseinandersetzung mit dem Material von Frau B geschieht desto mehr
182
Auswertung Entwicklungen werden sichtbar: „Es wird jetzt einiges deutlich, je länger man über diese Entwicklung nachdenkt.“ Beachtung des Reflexionsniveaus: Frau B ist in der Lage, über sich selbst nachzudenken: „Sich selbst zu beobachten, das ist ja nicht unbedingt allen Menschen so gegeben.“
Auswertung
183
6.5 Zusammenführung der Ergebnisse Das systematische Auswertungsverfahren beantwortet die Frage nach Identitätsentwicklungen im Dritten Alter im Kontext Freiwilligen Engagements unter verschiedenen Perspektiven: In den Einzelfallanalysen konnten individuelle Entwicklungsverläufe anhand von Analysen der aktuellen Lebenssituation, Lernund Engagementerfahrungen, Selbstaussagen und speziellen Entwicklungsaufgaben aufgezeigt werden. Durch die generalisierende Analyse lassen sich Schwerpunkte innerhalb der Bereiche aufzeigen, die wiederum auf die in Kapitel 3 formulierten identitätsrelevanten Aspekte im Freiwilligen Engagement rückbezogen werden können. Eine Zusammenführung findet sich in der folgenden Tabelle, die ein besonderes Gewicht der Aspekte Kohärenz und Selbstverortung aufzeigt.
184
Auswertung
Tab. 8: Zusammenführung der Ergebnisse der generalisierenden Auswertung unter Rückbezug auf die Leitthesen
Auswertung
185
Diese Ergebnisse werden in Kapitel 8 diskutiert und hinsichtlich ihrer Aussagekraft bewertet. Insgesamt kann bereits an dieser Stelle festgehalten werden, dass sowohl die Einzelfallanalysen als auch die Analysen der generalisierenden Gesamtauswertung eindeutig darauf hinweisen, dass sich bei den Befragten zahlreiche (Identitäts-)Bewegungen, die durch die Längsschnittanlage der Studie sichtbar werden, vollziehen. Auch die Aussagen der Teilnehmer der Gruppendiskussion stützen diese Analyse. Sie bestätigen, dass diese Bewegungen als `Identitätsentwicklungen´ eingeordnet werden können. Konsens der Gruppendiskussion ist, dass das Freiwillige Engagement ein Feld darstellt, innerhalb dessen Identitätsentwicklungen im Dritten Alter stattfindet. Diese Entwicklungen vollziehen sich in unterschiedlichen Ausprägungen. Sie orientieren sich an Aufgaben, die Personen in dieser Lebensphase bewältigen möchten. Dabei bringen die Befragten sehr unter-
schiedliche Ausgangslagen ein:
sie sind mit individuell verschiedenen Lebensthemen beschäftigt sie sind durch unterschiedliche Beweggründe zum Engagement motiviert sie machen heterogene Lernerfahrungen in der Kurssituation sie sind alle auch in anderen Engagementfeldern aktiv und erleben ihr Engagement in der Pflegebegleitung als unterschiedlich gewichtig sie sehen sich in ihrer Selbstbeschreibungen an ganz unterschiedlichen Punkten ihrer Entwicklung und sie benennen unterschiedliche Entwicklungsaufgaben.
Daher wird eine vertiefte Analyse der Verläufe, die in dieser Studie sichtbar werden, notwendig. Diese steht im Fokus des folgenden Kapitels.
Teil C
„Wenn man einen Schlussstrich zieht, wird das Ergebnis als Produkt der eigenen Arbeit definitiv.“340 (Helga Knigge-Illner)
Der dritte Teil dieser Arbeit leistet eine zusammenfassende Einordnung der Ergebnisse zur Vertiefung der Analysen in Form einer eigenständigen Modellbildung (Kap. 7). Weiter werden die dargestellten Aspekte und Thesen des Theorieteils mit den empirischen Ergebnissen der Studie verzahnt (Kap. 8). Abschließend werden mögliche Interpretationen aus sozialgerontologischer und geragogischer Perspektive diskutiert (Kap. 9). Schlussbemerkungen schließen die Studie mit einem generationenübergreifenden Fokus ab.
340
Knigge-Illner 2002, S. 175
7 Modell: Identitätsentwicklung im Kontext Freiwilligen Engagements im Dritten Alter
Dieses Kapitels gelangt nach einer differenzierten Analyse der Theorie (Teil A) sowie der Analyse der empirischen Daten (Teil B) zu einer zusammenfassenden Einordnung der Ergebnisse und Modellbildung. Das entstandene Modell, als zentrales Ergebnis dieser Untersuchung, bildet damit eine Interpretationsfolie, durch die heterogene Verlaufsformen eingeordnet und sichtbar gemacht werden können. Durch die Verzahnung von typischen Lebensthemen im Dritten Alter, subjektiv relevanten Beweggründen zum Engagement und unterschiedlichen Identitätszuständen können die zentralen Erkenntnisse dieser Arbeit im wechselseitigen Bezug dargestellt und weiter entwickelt werden. Anhand typisierender Einzelfälle werden sodann vier modellhafte Verläufe der Identitätsentwicklung im Kontext Freiwilligen Engagements im Dritten Alter vorgestellt. In daran anschließenden Betrachtungen wird deutlich, inwiefern ein Freiwilliges Engagement im Dritten Alter als Anstoß eigener Identitätsentwicklungen wirken kann. In der Literatur bleibt der Begriff der Identität noch immer „ein maximal weites und unscharfes Konstrukt“341. Im Rahmen dieser Arbeit wird zwar kein neues Konstrukt für Identitätsentwicklung im Dritten Alter als umfassendes Identitätsmodell formuliert (dies ist auch nicht Gegenstand des Forschungsvorhabens), aber es können belastbare Aussagen zu der spezifischen Thematik `Identitätsentwicklung im Dritten Alter im Kontext Freiwilligen Engagements´ auf der Basis der erhobenen und analysierten Daten gemacht werden. Identität wird dabei als lebenslange, und damit auch im Dritten Alter aktuelle Aufgabe menschlicher Entwicklung begriffen. Das in dieser Arbeit beschriebene Identitätsverständnis ist demnach „eher Prozess als Struktur, eher ein lebenslanges Projekt als ein Fundament, das durchs Leben trägt und von dem aus die Zukunft 342 entworfen werden kann.“ Während der vielfachen Sichtung des generierten Datenmaterials fällt nicht nur auf, dass die Befragten das Thema Identität sehr unterschiedlich ansprechen, 341 342
Josephs 2008, S. 227 Born 2002, S. 13
J. Steinfort, Identität und Engagement im Alter, DOI 10.1007/ 978-3-531-92441-0_8, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
190
Modell: Identitätsentwicklung im Kontext Freiwilligen Engagements
sondern auch, dass sie sich an unterschiedlichen Entwicklungspunkten befinden. Diese sind jedoch nicht konstant, sondern verändern sich bei vielen der Befragten über die drei Interviewzeitpunkte. Diese Erkenntnis stützen auch die Befragten der Gruppendiskussion. Um die Aussagen zu individuellen Entwicklungen einordnen und analysieren zu können, wird in diesem Kapitel auf das von Marcia entwickelte Modell der unterschiedlichen Identitätszustände zurückgegriffen (vgl. Teil A, Kap. 2.1.3). Marcias Konzept eignet sich insofern für die Beschreibung, da er selbst darauf hinweist, dass es weniger um ein Identitätskonzept im Sinne einer starren Stufenfolge geht, sondern dass ein Mensch sich in unterschiedlichen Lebensbereichen an unterschiedlichen Punkten seiner Entwicklung befinden kann: „Eine Frau mit 60 Jahren kann, ausgelöst durch den Tod ihres Mannes, aus dem Zustand übernommener Identität in die schwere Krise eines Moratoriums geraten. Und ein junges Mädchen kann in der Partnerschaft zu ihrem Freund in erarbeiteter Identität stehen, aufgrund ihres ausgesprochen unsicheren Arbeitsplatzes sich aber in einer diffusen beruflichen Identität befinden.“343 Folglich wird Identität zum begleitenden Thema im Lebenslauf und kann sich in unterschiedlichen Kontexten jeweils verschieden darstellen. Bezogen auf die befragten Personen im Dritten Alter bedeutet dies, dass Marcias Ansatz (und seine Weiterführung bei Waterman 1982) eine passende Interpretationsfolie bietet, um auf der Grundlage der gewonnenen Daten ein innovatives Verständnismodell für Identitätsentwicklung im Freiwilligen Engagement zu entwickeln. Durch die Auswertung der Längsschnittuntersuchung (vgl. Teil B dieser Arbeit) werden im Folgenden charakteristische Merkmale der Identitätsentwicklung im Kontext Freiwilligen Engagements gebündelt und als Modell zur `Identitätsentwicklung im Dritten Alter im Kontext Freiwilligen Engagements´ vorgestellt.
343
Marcia 1964, S. 184f., zit. n. Haußer 1995, S. 82
Modell: Identitätsentwicklung im Kontext Freiwilligen Engagements
191
7.1 Erarbeitung: Identitätszustände im Kontext Freiwilligen Engagements im Dritten Alter “The identity statuses are essentially research constructs that have become habits of speech. And it is worth remembering that even within the paradigm, any individual is an admixture of these statuses, not solely one.“344 (James E. Marcia) Im Folgenden werden die von Marcia beschriebenen Begriffe der Identitätszustände auf den Kontext Freiwilligen Engagements und Identitätsentwicklung im Dritten Alter hin angepasst. Grundsätzlich lassen sich alle vier idealtypisch gemeinten Identitätszustände in den Interviews aufzeigen. Die unterschiedlichen Zustände werden beschrieben und durch Beispiele aus den Interviews verdeutlicht. Der Zustand einer übernommenen Identität ist durch das Eingehen klarer innerer Verpflichtungen und durch Anlehnung an Orientierungen und Auffassung Anderer charakterisiert. Dieser Zustand übernommener Identität lässt sich in den Interviews identifizieren, wenn die Personen darüber berichten, dass sie ihr Handeln schwerpunktmäßig an den Bedürfnissen und Erwartungen Anderer orientiert und ihre `Rolle´ ausgefüllt haben. Beispielhaft hierfür ist eine Befragte, die sich eher an den Erwartungen ihrer Familie als an ihren eigenen Wünschen anpasst. Sie sagt „… ich bin die Frau meines Mannes, ich bin die Mutter meiner Kinder und Oma und hab immer meine eigenen Wünsche zurück gestellt,…“ (C1, 57). Oder auch eine andere Dame, die sich erinnert: „…ich hatte einen starken Vater, er sagte, was Sache war. Meinen Mann hab ich früh kennen gelernt, da hatte ich das gleiche wieder“ (F3, 80). Charakteristisch für diesen Zustand der übernommenen Identität ist, dass die Befragten den Zustand nicht als krisenhaft empfinden, sondern vielmehr aussagen: „…ich fand das sehr angenehm, dieses Leben“ (F3, 82). Eine eher diffuse Identität zeichnet sich durch Entscheidungsunfähigkeit und Beliebigkeit aus. Dieser Zustand zeigt sich in den Interviews dann, wenn die Befragten darüber sprechen, entscheidungsunfreudig zu sein und sich zu kaum einer Gegenstandsbeziehung verpflichtet fühlen. Dieser Zustand wird wenig krisenhaft erlebt. So erinnert sich Frau A an eine Phase in ihrem Leben, die diesem Zustand zugeordnet werden kann: „…die Phase vor meiner Heirat, da war man so allem Neuen gegenüber aufgeschlossen, nachher ging das zurück“ (A3, 110).
344
Marcia 2007, S. 8
192
Modell: Identitätsentwicklung im Kontext Freiwilligen Engagements
Kennzeichnend für ein Moratorium sind das Vorhandensein mehrerer Alternativen und die aktuelle Auseinandersetzung mit einem bestimmten Lebensbereich. Das Moratorium kann in den Interviews den Übergang zu einem anderen Identitätszustand darstellen, muss es aber nicht. Beispiel hierfür sind Schilderungen wie: „…im Moment stehe ich vor einem Teil, wo ich nicht weiß, was jetzt eigentlich mit mir wird oder wie es überhaupt weiter geht“ (D1, 61). Das Ende eines Moratoriums ist zum Beispiel durch Aussagen wie diese markiert: „…also jetzt denk ich, jetzt ist die Suche so langsam abgeschlossen, das Orientieren. Das man jetzt weiß, wohin‘s geht. Also das Alter ist unausweichlich und da das Beste draus machen und die Möglichkeiten mitzugehen, die einem geboten werden“ (C1, 61). Im Zustand einer erarbeiteten Identität gelangt die Person durch eine kritische Prüfung im jeweiligen Gegenstandsbereich zum eigenen Standpunkt. Dies wird in den Interviews dann sichtbar, wenn die Befragten nach einer Phase eher krisenhafter Auseinandersetzung zu einem eigenen Weg oder zu einem eigenen Umgang mit bestimmten Situationen oder Lebensbereichen gelangen. Beispiele hierfür sind Aussagen, in denen deutlich wird, dass jemand zunehmend selbst bestimmt, was er möchte. So sagt eine Frau: „…ich muss mer von niemandem mehr was sagen lassen. Ich kann jetzt selbst bestimmen, was ich möchte“ (C1, 57) Oder eine andere Frau resümiert: „Identität ist bei mir erst ziemlich spät gewachsen. Das man dann plötzlich wusste, das bin ich, das sind meine Wünsche, das will ich jetzt“ (F1, 59). Die folgende Abbildung fasst die vier idealtypischen Identitätszustände im Kontext Freiwilligen Engagements noch einmal zusammen. Der Identitätszustand wird hierbei über die Kriterien Verpflichtung und Krise bestimmt. Mit dem Grad der Verpflichtung wird das Gefühl der inneren Verpflichtung innerhalb des Lebensbereichs `Freiwilliges Engagement´ gefasst. Krise bedeutet hier das Ausmaß der Infragestellung, Unsicherheit und Beunruhigung. Wie in Teil A dieser Arbeit bereits ausführlich dargestellt, ist es möglich, sich in verschiedenen Lebensbereichen in unterschiedlichen Identitätszuständen zu befinden. Der Wechsel von einem Identitätsstatus in einen anderen ist immer möglich.
Modell: Identitätsentwicklung im Kontext Freiwilligen Engagements
193
Identitätszustände und Freiwilliges Engagement im Dritten Alter Transferversuch von Marcias Identitätszuständen auf individuelle Gestaltungsräume im Rahmen freiwilliger Tätigkeit Krise Keine Krise Innere Erarbeitete Identität Verpflichtung Selbstbestimmte und bewusste Entscheidung der Gestaltung des 3. Lebensalters, speziell im Kontext Freiwilligen Engagements Keine Moratorium innere Verpflich- Individuell passende tung Gestaltungsmöglichkeiten werden gesucht, erprobt und auf Alternativen kritisch geprüft
Übernommene Identität Externe Erwartungen werden eher übernommen und wenig kritisch geprüft, kein Einnehmen eigener Gestaltungsräume
Diffuse Identität Interessenslosigkeit und Beliebigkeit gegenüber individuellen, selbstbestimmten Gestaltungsfragen des dritten Lebensalters
Abb. 8: Transfer: Identitätszustände und Freiwilliges Engagement Nach der Beschreibung dieser evaluierten Identitätszustände im Freiwilligen Engagement werden nun die Ergebnisse dieser Arbeit zusammengeführt und als eigenes Modell vorgestellt.
7.2 Einordnung der Ergebnisse – Modellbildung Die oben identifizierten unterschiedlichen Identitätszustände sind Verdichtungen, die auf dem Hintergrund von Befunden zur aktuellen Lebenssituation der Befragten sowie Aussagen individueller Beweggründe für das Freiwillige Engagement zu verstehen sind. Alle drei Komponenten – die Identitätszustände, die Beweggründe sowie die typischen Themen – bilden unterschiedliche „Ebenen“ des Identitätsmodells ab.
194
Modell: Identitätsentwicklung im Kontext Freiwilligen Engagements
So sind die in Kapitel 6.3.1 beschriebenen `typischen Themen der aktuellen Lebenssituation´ der Hintergrund, auf den sich die daran anschließenden `individuellen Beweggründe für Freiwilliges Engagement´ beziehen (diese sind in Kapitel 6.3.2 ausführlich beschrieben). Auf einer inneren / höchsten Ebene liegen – in den Interviews sprachlich identifizierbare – `Identitätszustände´, die sich wiederum durch Beweggründe und aktuelle (Lebens-)themen begründen lassen. Im Gesamtmodell stellt sich diese Systematik – als zusammenfassende Darstellung zentraler Ergebnisse – wie folgt dar:
THEMEN
Anschluss und Austausch
Solidarität
IDENTITÄTSZUSTÄNDE*
erarbeitete Identität
übernommene Identität
IDENTITÄTSPROZESSE**
Moratorium
Kompetenzen nutzen/ erweitern
Neudefinition von Beziehungen
diffuse Identität
Ressourcenorientierung
Sinnvolle Zeitgestaltung
Helfen als Haltung
neue Kontakte
selbstbestimmte Tätigkeiten BEWEGGRÜNDE
(Pflege-)Erfahrungen
Endlichkeit
*Systematik übernommen von Marcia (1964, 1966, 1993) ** Prozesse können in unterschiedlichen Lebensbereichen zeitlich parallel und unterschiedlich verlaufen. Dabei gibt es keinen „Zielzustand“- Identität definiert sich im Wechsel dieser Zustände.
Abb. 9: Modell: Identitätsentwicklung im Dritten Alter im Kontext Freiwilligen Engagements Die Anordnung auf den jeweiligen Ebenen steht dabei in keinerlei Beziehung zu den jeweiligen Identitätszuständen, die Art und Weise des Zusammenhangs wird erst in den folgenden Abbildungen verdeutlicht und variieret je nach Person. Durch die Verzahnung von typischen Lebensthemen im Dritten Alter, subjektiv relevanter Beweggründe zum Engagement und unterschiedlicher Identitätszu-
Modell: Identitätsentwicklung im Kontext Freiwilligen Engagements
195
stände lassen sich durch dieses Modell nun `Identitätsprofile´ mit unterschiedlichen Verläufen erstellen, in denen die verschiedenen Aspekte von Identität einander zugeordnet abgebildet werden können.
7.3 Modellhafte Verläufe der Identitätsentwicklung im Kontext Freiwilligen Engagements im Dritten Alter anhand typisierender Einzelfälle Im Folgenden werden anhand des eingeführten Modells exemplarische Verläufe der Identitätsentwicklung im Kontext Freiwilligen Engagements im Dritten Alter anhand typisierender Einzelfälle aufgezeigt. So lassen sich in den Verläufen progressive, erarbeitete, stagnierend-pendelnde und suchende Identitätsverläufe im Wechsel darstellen. Siehe einführend dazu auch folgende Abbildung:
Abb. 10: Einführung in die Systematik modellhafter Verläufe
196
Modell: Identitätsentwicklung im Kontext Freiwilligen Engagements
Die Eingrenzung des `lebensweltlichen Selbsterfahrungsfeldes´ des Freiwilli345 gen Engagements wird dabei nicht zu eng gefasst, da die Analysen (vgl. Kap. 6.3) zeigen, dass in dieses Feld Erfahrungen anderer Bereiche stark hineinspielen. Andere Kontexte sind nicht trennscharf abgrenzbar und werden einbezogen. Dies wird als Vorgehen auch von den Teilnehmern der Gruppendiskussion gewünscht.346
7.3.1 Progressiver Verlauf: Von der übernommenen Identität über ein Moratorium zur erarbeiteten Identität Frau B347 erlebt ihr Drittes Alter als Zeit, in der sie erstmals frei und unabhängig selbst bestimmen kann, wie sie ihre Zeit füllen möchte. Die Auseinandersetzung mit der Frage, welche Tätigkeiten und welche Lernorte sie dafür wählen möchte, stellt für sie ein zentrales Thema dieser Lebensphase dar. Als Beweggründe für ihre Engagemententscheidung benennt sie zum einen ihr – wie sie es nennt – `Helfersyndrom´ und zum anderen den Wunsch nach sinnvoller und sinnstiftender Zeitgestaltung. Diese dominierenden Bereiche348 sind in der Darstellung unten gesondert markiert. In der vertiefenden Analyse auf der Ebene der Identitätszustände fällt weiter auf, dass sich bei Frau B im Laufe der drei Interviews eine Bewegung vollzieht, die schematisch zunächst als Pfeil im untenstehenden Modell vermerkt ist.
345
Marcia nimmt in seinen empirischen Untersuchungen (1966, 1993) eine Differenzierung lebensweltlicher Selbsterfahrungsfelder vor (Familie, Arbeit, Freundschaftsbeziehungen und persönliche Lebensphilosophie), die als Teilbereiche der Identitätsentwicklung gefasst werden. 346 Vgl. Gruppendiskussion: „ Ich fände (…) sehr wichtig zu kucken, was entwickelt sich außerhalb des Ehrenamtes. Also die Punkte (…) was ist mit Familie, (…) die Frage des Wohnens, (…) also was entwickelt sich außerhalb dieses Ehrenamtes.“ 347 Siehe dazu auch Einzelauswertung Frau B, Kap. 6.2.1 348 Vgl. dazu auch den Begriff „dominierende Teilidentitäten“ nach Keupp 1999
Modell: Identitätsentwicklung im Kontext Freiwilligen Engagements
197
Abb. 11: Modell zur Identitätsentwicklung im Dritten Alter im Kontext Freiwilligen Engagements Frau B Der `innere Verlauf´ der Identitätsentwicklung im Wechsel der Identitätszustände kann modellhaft als „progressiver Verlauf“349 der Identitätsentwicklung definiert werden. Folgende Abbildung vertieft und belegt dies:
349
Vgl. Waterman 1982
198
Modell: Identitätsentwicklung im Kontext Freiwilligen Engagements
Progressiver Verlauf der Identitätsentwicklung im Dritten Alter im Kontext Freiwilligen Engagements am Beispiel der Engagemententscheidung (Frau B)
B
Krise
Keine Krise
Innere Verpflichtung
erarbeitete Identität
übernommene Identität
Keine innere Verpflichtung
Moratorium
„…durch den Hund war ich angekettet an das Haus, zu meiner Zeit wurde man nicht gefragt, was man werden möchte, da war ein Betrieb und so wurde ich Industriekauffrau,… “ (B1, 45)
„…ich ´steh dahinter, da kann mich keiner von abbringen“ (B3, 96)
diffuse Identität
„…man muss seinen Weg finden und wissen, was möchte ich jetzt machen, dies ist eine Phase in meinem Leben, die ich einfach für mich habe“ (B1, 56)
Abb. 12: Darstellung progressiver Verlauf Frau B Ihre aktuelle Lebenssituation beschreibt Frau B als Phase der Selbstverwirklichung, die nichts mehr mit ihrer Berufstätigkeit zu tun hat. Sie fühlt sich von Haus, Kind und Hund befreit. Sich selbst zu verwirklichen und eine persönlich passende, sinnvolle Zeitgestaltung zu finden, drückt sich bei Frau B in einem aktiven Suchprozess aus. In verschiedenen Feldern Freiwilligen Engagements findet sie eine Möglichkeit, ihren eigenen Weg zu gehen. Die Tätigkeiten in diesen Feldern haben für sie eine starke Identitätsrelevanz, sie berichtet sehr positiv über viele Situationen in denen sie tätig werden kann. Innerhalb ihres Freundes- und Bekanntenkreises ist Freiwilliges Engagement eher weniger üblich, so dass sie diese Entscheidung selbstbewusst vertreten muss.350 Diese Entwicklung stellt einen progressiven Verlauf dar, bei dem sich die aktuell beschriebene Identitätsbewegung von einer Selbstverpflichtung (Fesselung an Aufgaben wie Haus / Hund) über die krisenhafte Auseinandersetzung 350
Siehe ergänzend dazu: Einzelauswertung Frau B Kapitel 6.2.1
Modell: Identitätsentwicklung im Kontext Freiwilligen Engagements
199
(zentrale Frage: Wie fülle ich meine Zeit sinnvoll und für mich persönlich `passend´) hin zur zunehmenden Exploration (diverse Fortbildungen und Tätigkeiten im Freiwilligen Engagement) vollzieht.
7.3.2 Erarbeitender Verlauf: Von der diffusen Identität über ein Moratorium zur erarbeiteten Identität Frau C erlebt ihr Drittes Alter als Lebensphase, in der sie sich sehr mit ihren (noch) vorhandenen Ressourcen auseinandersetzt. Sie möchte sich auf ihr eigenes Älterwerden vorbereiten und sieht im Pflegebegleiterkurs eine gute Gelegenheit, ihre vorhandenen Kompetenzen zu nutzen und zu erweitern. In der vertiefenden Analyse fällt auf, dass sich bei ihr vor allem ihre Selbstaussagen zum Thema Lernen / Bildung verändern. Diese Veränderungen weisen auf einen Wechsel der Identitätszustände hin.
Abb. 13: Modell zur Identitätsentwicklung im Dritten Alter im Kontext Freiwilligen Engagements Frau C
200
Modell: Identitätsentwicklung im Kontext Freiwilligen Engagements
Der hier bei Frau C stattfindende Verlauf im speziellen Kontext `Bildung´ wird in der vertieften Analyse noch deutlicher. Erarbeitender Verlauf der Identitätsentwicklung im Dritten Alter im Kontext Freiwilligen Engagements am Beispiel veränderten Selbstbewusstseins (Frau C)
C
Krise
Keine Krise
Innere Verpflichtung
erarbeitete Identität
übernommene Identität
Keine innere Verpflichtung
Moratorium
„jetzt fühle ich mich schon ein bisschen privilegiert. Ich kann in der Nachbarschaft sagen, das hab ich im Kurs gehört und kann dir ein Merkblatt mitgebbe“ (C2, 44)
„ich hätte gern, aber ich hab mich zurück genommen, vielleicht hat es mir auch an der Bildung ein bisschen gefehlt“ (C1, 52)
diffuse Identität „eigentlich weiß ich auch manches, bloß hat mich noch nie jemand gefragt“ (C1, 57)
Abb. 14: Darstellung erarbeitender Verlauf Frau C In ihrem bisherigen Leben fühlte sich Frau C wenig nach ihrer Meinung gefragt. Sie hat sich bislang häufig selbst zurückgenommen. Sie konnte durch die Erziehung ihrer vier Kinder nicht studieren und daher fehlt es ihr – nach ihren Aussagen – an formaler Bildung, obwohl sie eigentlich vieles weiß und sich gerne mehr eingebracht hätte. Im Kurs stärkt sich ihr Selbstvertrauen als sie merkt, dass auch die anderen Teilnehmer Stärken und Schwächen haben. Durch die Vorträge und die Auseinandersetzungen in der Kursgruppe fühlt sich Frau C zunehmend gestärkt und kann sich durch diese Erfahrung vorstellen, ihren pflegenden Nachbarn künftig kompetente Hinweise geben zu können. Sie fühlt sich nun `privilegiert´.
Modell: Identitätsentwicklung im Kontext Freiwilligen Engagements
201
Diese Entwicklung kann als erarbeitender Verlauf gefasst werden, da die aktuell beschriebene Identitätsentwicklung von einer Defizitorientierung (Studium war nicht möglich), über die krisenhafte Auseinandersetzung (den Wunsch, die eigenen Kenntnisse weiterzugeben) hin zur zunehmenden Ressourcenorientierung (Lernen in Fortbildungen und Tätigkeiten im Freiwilligen Engagement) verläuft.
7.3.3 Stagnierend-pendelnder Verlauf: Zwischen übernommener Identität und Moratorium Frau E erlebt ihr Drittes Alter als Lebensphase, in der sie nach privaten und beruflichen Pflegeerfahrungen Menschen mit ähnlichen Haltungen sucht. Die Suche nach Kontakt ist für sie – wie in den Interviews deutlich wird – nicht nur in dieser Lebensphase ein wichtiges Thema. Zentrale Beweggründe für ihr Engagement sind daher Anschluss und Austausch, das Nutzen und Erweitern eigener Kompetenzen sowie eine Fortführung ihrer Haltung, anderen Menschen helfen zu wollen. In der vertiefenden Analyse auf der Ebene der Identitätszustände fällt bei Frau E auf, dass sich das Thema `Kontakt zu anderen Menschen´ innerhalb der Interviews pendelnd zwischen zwei Polen darstellt. Diese pendelnden Bewegungen weisen auf einen eher stagnierenden Verlauf hin (siehe Pfeil).
202
Modell: Identitätsentwicklung im Kontext Freiwilligen Engagements
Abb. 15: Modell zur Identitätsentwicklung im Dritten Alter im Kontext Freiwilligen Engagements Frau E Der hier bei Frau E skizzierte Verlauf stellt sich vertiefend wie folgt dar:
Modell: Identitätsentwicklung im Kontext Freiwilligen Engagements
203
Stagnierender Verlauf der Identitätsentwicklung im Dritten Alter im Kontext Freiwilligen Engagements am Beispiel des Gruppenerlebens (Frau E)
E
Krise
Keine Krise
Innere Verpflichtung
erarbeitete Identität
übernommene Identität
Keine innere Verpflichtung
„Ich habe das Gefühl, das ich in der Gruppe akzeptiert bin“ (E2, 61)
Moratorium
„Ich bleib so, wie ich bin, ich muss damit rechnen, dass Pfeile von anderen Menschen auf mich kommen“ (E3, 87)
diffuse Identität
„…sie attackiert mich, auch nachher immer“ (E3, 25) „ich möchte mit denen kommunizieren, aber die wollen es nicht“ (E3, 62)
Abb. 16: Darstellung stagnierend-pendelnder Verlauf Frau E Frau E spricht darüber, in der Vergangenheit oftmals schwierige Gruppenerfahrungen gemacht zu haben. Umso mehr scheint sie darüber erfreut zu sein, dass sie in der Pflegebegleitergruppe zunächst das Gefühl hat „akzeptiert“ (E2, 61) zu sein. Im dritten Interview spricht sie jedoch wieder darüber, dass sich dieses positive Gruppengefühl verändert habe. Insbesondere eine Teilnehmerin „attackiere“ sie (E3, 25), sie fühle sich `gemobbt´. Für diese Entwicklung sieht sie nicht sich selbst (mit-) verantwortlich, sondern sucht das Fehlverhalten auf Seiten der anderen Teilnehmer (E3, 62). Letztlich betont sie, dass sie sich nicht ändern wolle. So stellt sich für sie die Gruppensituation als „Streit wie immer“ dar, gegen den sie sich wappnen muss. Da sie diesen Prozess bereits mehrfach im Leben erlebt hat, kann dieser Verlauf als stagnierend und pendelnd zwischen den Zuständen Moratorium und übernommener Identität beschrieben werden.
204
Modell: Identitätsentwicklung im Kontext Freiwilligen Engagements
7.3.4 Suchender Verlauf: Von der diffusen Identität zum Moratorium Frau G sucht in ihrem Dritten Alter nach neuen Tätigkeiten. Nachdem sie lange Zeit beruflich sehr eingespannt war, beginnt für sie nun eine Zeit, in der sie selbst bestimmen kann und möchte, was ihr wichtig ist. Die Beziehung zu ihrem Mann, aber auch zu sich selbst definiert sie in dieser Zeit noch einmal ganz neu. Beweggründe für ihr Engagement sind die Suche nach sinngebenden und erfüllenden Aufgaben sowie nach Austausch und Kontakt. In den Interviews wird diese Suchbewegung (siehe Pfeil) mehrfach in unterschiedlichen Lebensbereichen deutlich.
Abb. 17: Modell zur Identitätsentwicklung im Dritten Alter im Kontext Freiwilligen Engagements Frau G
Modell: Identitätsentwicklung im Kontext Freiwilligen Engagements
205
Dieser suchende Verlauf – von einem eher diffusen Identitätsstatus hin zum Moratorium – stellt sich vertieft am Beispiel wie folgt dar:
Suchender Verlauf der Identitätsentwicklung im Dritten Alter im Kontext Freiwilligen Engagements am Beispiel der Selbstdefinition (Frau G)
G Innere Verpflichtung
Krise erarbeitete Identität
Keine Krise übernommene Identität
Keine innere Verpflichtung
Moratorium
diffuse Identität
„die Vorstellung die ich von mir habe, bin ich nicht. Ich muss mich jetzt an die Person heranmachen, die ich wirklich bin und die auch annehmen“ (G1, 69)
„im Berufsleben war diese Stagnation, da ging es immer nur um das Geschäftliche (G1, 51) …irgendwo auf dem Weg habe ich mich verloren“ (G1, 59)
Abb. 18: Darstellung suchender Verlauf Frau G Frau G schildert, im Berufsleben keine Zeit für sich selbst gehabt zu haben. Sie habe sich sogar „verloren“ (G1, 59). Nun befindet sie sich aktuell in einer Phase, in der sie sich fragt, was sie eigentlich für eine Person ist und sein möchte. Dabei geht es ihr darum, möglichst selbstbestimmt Dinge tun zu können, die wirklich zu ihr passen (vgl. G1, 69). Im Verlauf der drei Interviews bleibt Frau G in dieser Suchbewegung und stellt sich weiter auf die neue Lebensphase ein. Nach der Vorstellung dieser vier erhobenen unterschiedlichen Verlaufsformen werden im Folgenden abschließende Betrachtungen vorgenommen.
206
Modell: Identitätsentwicklung im Kontext Freiwilligen Engagements
7.4 Abschließende Betrachtungen und Interpretation – Freiwilliges Engagement als Anstoß zum Resümee eigener Identitätsentwicklungen im Dritten Alter Abschließend soll hier noch einmal dargestellt werden, wie Tätigkeiten im Freiwilligen Engagement Anstoß zur Reflektion eigener Identitätsentwicklungen im Dritten Alter sein können und welche weiterführenden Forschungsfragen sich aus diesen Befunden ergeben. 1. Identitätsthematisierungen in den Interviews waren möglich Alle dreizehn Befragten haben in den Interviews über ihre Identität gesprochen und ihre (Weiter-) Entwicklungen reflektiert. Hierzu waren insbesondere die Rückkopplungen im dritten Interview mit Originalzitaten aus dem ersten und zweiten Gespräch aufschlussreich. Dabei wurden narrative Konstruktionsprozesse351 der Identität sichtbar, an denen sich individuelle Verläufe nachzeichnen ließen. Eine zeitlich noch länger angelegte Studie könnte diese Verläufe noch stärker veranschaulichen und empirisch weiter erhärten. Auch eine, am bereits vorliegenden Material mögliche, tiefenpsychologisch ausgerichtete Analyse wäre ein spannendes Forschungsvorhaben, das vertiefende Einblicke in die Verschiedenartigkeit individueller Narrationen über den Zeitverlauf sichtbar machen könnte. 2. Identitätsentwicklung wird bei der Mehrzahl der weiblichen Befragten zum expliziten Thema des Dritten Alters Auffällig ist bei acht der insgesamt dreizehn Befragten, dass sie im Dritten Alter in ihrer Biografie an einen Punkt kommen, an dem sie rückblickend sagen, dass sie sich nun erstmals aktiv Gedanken über ihre Identität machen. So sprechen die befragten Frauen A, B, C, F, G, H, J und M in unterschiedlichen Ausprägungen davon, dass sie durch Heirat, Familie und Berufstätigkeit weniger in der Situation waren, sich selbst über ihre eigene Entwicklung Gedanken zu machen. Vielmehr berichten sie in den Interviews davon, dass sie sich eher nach anderen Personen ausgerichtet haben und nun erst beginnen, sich mit ihrer Entwicklung auseinander zu setzen. In diesen Fällen wird deutlich, dass Identitätsentwicklung hier zum expliziten Thema des Dritten Lebensalters wird. Weitere Hinweise für eine Intensivierung der Identitätsentwicklung im Dritten Alter geben auch folgende prägnante Aussagen aus den anderen Interviews der Befragten dieser Kohorte. Die Hervorhebungen markieren diejenigen Stellen, an denen Identitätsentwicklungen besonders verbalisiert und damit sichtbar werden: 351
Vgl. Kraus 2000a, S. 211ff
Modell: Identitätsentwicklung im Kontext Freiwilligen Engagements
207
„…als die Kinder größer wurden, dann hat man noch mal angefangen, noch mal. Da ein Kurs und da mal gucken und mal was für sich machen“ (A1, 42) „Es ist eine wunderschöne Zeit halt, wenn ein Kind geboren wird und man ist Mutter, das ist natürlich, das überwiegt alles, das ist ganz klar. Aber dieses jetzt, sich selber so zu finden, was man sich vielleicht irgendwo so ganz wage mal vorgestellt hat.“ (B1, 56) „…da muss mer auch en bißle egoistisch werde und sage, so, die Kinder sind abgeschlosse, jetzt komme ich.“ (C1, 69) „…der Anstoß dazu war, dass es mir gesundheitlich eine Zeitlang nicht sehr gut ging und ja, da hab ich mir halt so meine Gedanken gemacht, was willst du jetzt eigentlich. Weiterhin noch arbeiten so viele Jahre oder möchtest du vielleicht mal ein anderes Leben leben, weil außer Arbeit, Familie und alles hatte ich ja kein anderes Leben groß.“ (D1, 5) „…ich musste so alt werden, damit ich überhaupt erst mal gemerkt habe, dass ich auch jemand bin und nicht immer nur Familie und Beruf“ (G3, 87) „Na, ich hab mich sehr verändert, nach dem ich Witwe wurde, weil mein Mann hätte, würde viele Sachen nicht haben wollen, die ich so mache.“ (H1, 117) „…ich habe Ihnen ja erzählt, wie mein Leben abgelaufen ist und das war dann immer alles auf die Mutter und auf meinen Mann und auf die Kinder und so, war das immer ein bisschen gepolt und so für mich selber, eh, da hab ich eigentlich wenig gemacht. Ich hätte, ich hätte manche Dinge gerne gemacht, aber das war dann nicht möglich, weil mein Mann beruflich sehr engagiert war…“ (J1, 50)
Besonders auffallend ist, dass die beiden befragten Männer dieser Studie einen qualitativ `anderen Blickwinkel´ auf Identitätsentwicklung im Dritten Alter haben, da die oben beschriebene Bewegung bei den Männern (K und L) in den Interviews nicht nachvollzogen werden kann. Das verstärkte Auftreten dieser späten Identitätsauseinandersetzung kann daher tendenziell als geschlechtsspezifischer, sicher aber auch kohortenbedingter Effekt interpretiert werden. 3. Im Lebensrückblick werden alle Identitätszustände thematisiert Das untenstehende Beispiel der befragten Frau F zeigt exemplarisch, wie sie im Rückblick über den Verlauf ihrer Identitätsentwicklung resümiert.
208
Modell: Identitätsentwicklung im Kontext Freiwilligen Engagements
Resümierender Verlauf der Identitätsentwicklung im Lebenslauf – Rückblick im Dritten Alter (Kohorteneffekt am Beispiel Frau F)
F
Krise
Keine Krise
Innere Verpflichtung
erarbeitete Identität
übernommene Identität
Keine innere Verpflichtung
Moratorium
diffuse Identität
„…ich dachte, jetzt muss was passieren. Und da wurde ich erst mal wach. Da fehlt einfach noch was“ (F3, 82)
„ich war als Kind und später als junger Mensch eigentlich ohne Identität, ich bin überall so reingerutscht“ (F1, 59)
„Identität ist bei mir erst ziemlich spät gewachsen. Das man dann plötzlich wusste, das bin ich, das sind meine Wünsche, das will ich jetzt“ (F1, 59)
„…ich hatte einen starken Vater, er sagte was Sache war. Meinen Mann hab ich früh kennen gelernt, da hatte ich das gleiche wieder “ (F3, 80) „ich fand das sehr angenehm, dieses Leben“ (F3, 82)
Abb. 19: Identitätsentwicklung im Rückblick Dieser erzählte Verlauf beginnt im Stadium einer diffusen Identität (Kindheit, Jugend) die sich später eher in Form einer übernommenen Identität verändert (Heirat, Kinderzeit). Nachdem die Kinder erwachsen sind und auch das Berufsleben abgeschlossen ist, beginnt eine Phase der Neuorientierung (Drittes Alter). In dieser Zeit fragt sich Frau F, was sie eigentlich – auch für sich selbst – tun möchte. Durch die Entscheidung für eine freiwillige Tätigkeit verändert sich ihr Identitätsstatus hin zu einer erarbeiteten Identität, da sie hier aktiv ihren Wünschen nachgeht und diese auslebt. 4. Wechsel zwischen den unterschiedlichen Identitätszuständen Über den Längsschnitt hinweg wird vor allem Folgendes deutlich: Ein durchgängiges Thema in den Narrationen aller Befragten ist der Wechsel zwischen unterschiedlichen Identitätszuständen. Ein Stabilbleiben der Identitätszustände
Modell: Identitätsentwicklung im Kontext Freiwilligen Engagements
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über alle drei Befragungszeitpunkte ist eher die Ausnahme.352 Es scheint – unabhängig von bestimmten Grundtendenzen – keinen Endzustand in der Identitätsentwicklung im Dritten Alter zu geben. Dies ist an sich keine neue Erkenntnis.353 Neu ist jedoch, dass in dieser Arbeit belegt wird, dass in der Phase des Dritten Alters bei vielen der Befragten eine aktive Phase der Identitätsauseinandersetzung stattfindet, die ihren Anstoß und ihre Ausprägung oftmals in Feldern freiwilliger Tätigkeit findet. Dieser Befund sollte in nachfolgenden Forschungsprojekten mit anderen `identitätsrelevanten´ Feldern im Dritten Alter eine gemeinsame Beachtung finden. Es ließe sich durch breiter angelegte Studien belegen, wie unterschiedliche Identitätsbereiche zusammen wirken und sich ggf. gegenseitig beeinflussen können. Die Identitätsrelevanz von Prozessen, die im Freiwilligen Engagement stattfinden, könnte dann weitere Differenzierung erhalten. 5. Unterschiedliche Entwicklungsverläufe im Dritten Alter Die Verläufe zeigen, wie unterschiedlich sich individuelle Entwicklungen im Dritten Alter vollziehen. Folglich lässt sich auf Grundlage der Befunde dieser Arbeit kein linearer Zusammenhang zwischen Freiwilligem Engagement und einer bestimmten Art und Weise der Identitätsentwicklung im Dritten Alter feststellen. Aber es lässt sich anhand des entwickelten und eingeführten Modells eine differenzierte Aussage zu möglichen Entwicklungsverläufen machen, die auf den Erfahrungen im Freiwilligen Engagement basieren. Eine Forschung zu weiteren möglichen Verlaufsformen sowie eine Quantifizierung der hier dargestellten qualitativen Ergebnisse wäre eine – sich daran anschließende – weiterführende Forschungsfrage, der künftige Projekte nachgehen sollten. 6. Das Dritte Alter als bewegte Zeit im Lebenslauf Es kann festgehalten werden, dass es auch im Dritten Alter keinen Endzustand der Identitätsentwicklung gibt. Vielmehr ist das `in Bewegung sein´ charakteristisch für diese Lebensphase. Dabei gibt es keinen `Idealzustand´ oder auch `Zielzustand´. Vielmehr fällt über den Befragungszeitpunkt auf, dass alle Befragten an unterschiedlichen `Punkten´ ihrer Identitätsentwicklung `starten´ und im Abschlussgespräch an unterschiedlichen Punkten `enden´. Dies ist sehr interessant, belegt dieses Ergebnis doch, welche Entwicklungen lebenslang möglich sind, wenn dazu – wie z.B. hier im Kontext eines durch Bildungsprozesse begleiteten Freiwilligen Engagements – geeignete Strukturen zur Verfügung stehen, in de352
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch Keupp in seinen Studien mit jungen Erwachsenen, vgl. Keupp 1999, S. 120 Vgl. dazu z.B. Keupp 1999, S. 119: „Achievement ist keinesfalls ein Endzustand und kann in der nächsten Welle wieder in ein Moratorium, in Foreclosure oder auch in Diffusion münden. Umgekehrt kann Moratorium zu Diffusion oder Foreclosure zu Achievement führen.“
353
210
Modell: Identitätsentwicklung im Kontext Freiwilligen Engagements
nen diese Bewegungen möglich sind. Da die Forschung zur Identitätsentwicklung im Alter noch ganz am Anfang steht, sind hierzu in den kommenden Jahren – unter Berücksichtigung der sich verändernden demografischen Struktur – sicher neue Forschungen notwendig und weiterführend.
8 Zusammenfassung zentraler Ergebnisse
In der Zusammenführung werden zwei zentrale Erkenntnisse sichtbar: 1.
a.
b. 2.
Die Ausgangsthese Identitätsentwicklung ist im Dritten Alter im Kontext Freiwilligen Engagements möglich und empirisch `abbildbar´ wird verifiziert durch den empirischen Nachweis von Identitätsentwicklungsprozessen der Befragten im Rahmen der Vorbereitungskurse und im Freiwilligen Engagement und die Analyse heterogener Verlaufsformen im Modell. Für Identitätsentwicklungsprozesse im Dritten Alter im Kontext Freiwilligen Engagements haben sich die Aspekte Kohärenz und Selbstverortung als besonders relevant herausgestellt.
Durch diese Ergebnisse wird eine empirisch erhärtete Ausdifferenzierung des Verständnisses von Identitätsentwicklung in Zusammenhang mit Freiwilligem Engagement im Dritten Alter möglich. Zu 1a) Zur Verifizierung der Ausgangsthese durch den empirischen Nachweis von Identitätsentwicklungsprozessen Die Ergebnisse belegen, dass alle Befragten eine aktive Phase der Identitätsauseinandersetzung im Kontext Freiwilligen Engagements erleben. Es lassen sich jedoch keine Hinweise auf einen Endzustand der Identitätsentwicklung im Dritten Alter finden, im Gegenteil: `in Bewegung zu sein´ scheint eher charakteristisch für das Selbst- und Identitätsverständnis in dieser Lebensphase. Was die Richtung der Identitätsentwicklung betrifft, weisen die Ergebnisse weder auf einen `Ideal-´ noch einen `Zielzustand´ hin. Typisch erscheint vielmehr die Heterogenität der Entwicklungen der Befragten: sie starten und enden in ganz unterschiedlichen Zuständen ihrer Identitätsentwicklung im Freiwilligen Engagement. Durch die Identifizierung heterogener Verlaufsformen liefert die Studie den empirischen Beleg dafür, dass in der Engagementpraxis Identitätsprozesse der Freiwilligen nicht nach einer fest angelegten Reihenfolge stattfinden.
J. Steinfort, Identität und Engagement im Alter, DOI 10.1007/ 978-3-531-92441-0_9, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
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Zusammenfassung zentraler Ergebnisse
Zentral für die Einordnung der Ergebnisse ist der Befund, dass die beschriebenen Identitätsentwicklungsprozesse in der Regel eher im Hintergrund verlaufen und nicht explizit und direkt von den Befragten benannt werden. Insofern bilden sie für die Befragten eher ein Hintergrundverständnis, das sich erst mit Hilfe der Längsschnittanlage dieser Studie – und beispielsweise der Methode der Konfrontation mit prägnanten Aussagen aus den ersten beiden Interviews im Abschlussinterview – verdeutlichen lässt. Bislang wurden diese `Hintergrundbewegungen´ in der Forschungsliteratur oftmals auf die Fragen nach Motiven und Beweggründen reduziert. Die hier zusammengeführten Ergebnisse ermöglichen nun ein vertieftes Verständnis der heterogenen Dynamik von Identitätsentwicklungsprozessen. Zu 1b) Zur Verifizierung der Ausgangsthese durch die Herausarbeitung heterogener Verlaufsformen im Modell Die Ausgangsthese, dass Identitätsentwicklung im Dritten Alter im Kontext Freiwilligen Engagements möglich und empirisch `abbildbar´ ist354 lässt sich anhand der empirisch ermittelten und dargestellten Verlaufsformen355 verifizieren. Zentrales Ergebnis der qualitativ angelegten Untersuchung – durch das Aufzeigen von Veränderungen subjektiver Selbstbeschreibungen im Längsschnitt – ist die Ermittlung von unterschiedlichen Identitätsentwicklungen der Freiwilligen im Erhebungszeitraum. Durch den Rückbezug auf Marcias Theorie wird ein Wechsel zwischen Identitätszuständen als `typisch´ identifiziert. Es lassen sich progressive, erarbeitete, stagnierend-pendelnde und suchende Identitätsverläufe beschreiben,356 die die Heterogenität der Identitätsentwicklungen aufzeigen. 357 Die Heterogenität älterer Menschen als solche ist kein neuer Befund, neu ist jedoch die Spezifizierung heterogener Identitätsentwicklungsprozesse älterer Freiwilliger auf Basis einer qualitativen Längsschnitterhebung. Die Analyse der Verlaufsformen liefert einen Beitrag zum Verständnis dieser heterogenen Prozesse. Durch die Entwicklung des in Kapitel 7 dargestellten Modells zur `Identitätsentwicklung im Dritten Alter im Kontext Freiwilligen Engagements´358 ist es nun möglich, die Fragen nach Motivationen und persönlichen Lebensthemen mit den heterogenen Identitätsprozessen zu verknüpfen. Dabei verlaufen vor dem Hintergrund persönlicher Themen der aktuellen Lebenssituation und individuel354
Vgl. Kapitel 4 Vgl- Modellbildung Kapitel 7 356 Vgl.. Kapitel 7.3 357 Vgl. Burzan 2007, S. 151 358 Zur ausführlichen Darstellung vergleiche Kapitel 7.2 355
Zusammenfassung zentraler Ergebnisse
213
ler Beweggründe für ein Engagement die beschriebenen heterogenen Identitätsprozesse in Form wechselnder Identitätszustände. (2) Hervorhebung der Identitätsrelevanz der Aspekte `Kohärenz´ und `Selbstverortung´ Die vorliegenden Untersuchungsergebnisse eröffnen auch im Hinblick auf die Einschätzung wichtiger identitätsrelevanter Aspekte im Kontext freiwilliger Tätigkeiten weiterführende Erkenntnisse. Forschungsmethodisch wird dies durch die Kombination der Identifizierung zentraler Themen und den Rückbezug auf die formulierten Leitthesen möglich. In der Fokussierung subjektiver Identitätsarbeit werden Aspekte deutlich, die bisher in der Literatur eher selten diskutiert worden sind. Als besonders relevant stellen sich in der vertieften Analyse die Aspekte Kohärenz und Selbstverortung heraus:
359 360
Unter dem Aspekt der Kohärenz belegen die qualitativen Ergebnisse auf vielfache Weise, dass das gewählte Engagement oftmals eine bewusste und reflektierte Antwort auf die Frage nach dem Sinn individuellen Handelns in der nachberuflichen Lebensphase ist. Viele Befragte schildern, dass sie durch das Interesse für ein Engagement und ihr Tätigwerden ein Gefühl der Zufriedenheit erleben, was unter den Begriff Kohärenz gefasst werden kann. So erleben sie das Dritte Alter als begrenzte Zeit, in der sie sehr bewusst noch offene bestimmte (Lebens-)Projekte angehen möchten. Für das Bedürfnis nach Kohärenzerleben spricht auch der Motivationsgrund, durch ein Engagement solidarisch handeln und anderen helfen zu können, was einige Ältere als selbstverständlichen Wert über die Lebensspanne hinweg benennen. Oftmals sind auch eigene Pflegeerfahrungen zentraler Ausgangspunkt des Engagements als Pflegebegleiter. Die Befragten formulieren den Wunsch, ihre Erfahrungen in das freiwillige Tätigkeitsfeld einbringen zu können. Als zentrale Lernerfahrung benennen einige weiter, dass die Kursthemen direkte Relevanz für ihr eigenes Leben haben. Als besonders gewichtig für den Nachweis von Kohärenz als zentralen Identitätsaspekt im Freiwilligen Engagement kann die Analyse der formulierten Entwicklungsaufgaben interpretiert werden, da einige Freiwillige benennen, dass sie als zu lösende Aufgabe die Arbeit an einem Gefühl der Zufriedenheit mit dem eigenen Leben sehen. Aufgrund dieser Ergebnisse kann die Relevanz des Aspektes Kohärenz auf den drei Ebenen Verstehen, Bewältigung und 359 360 Sinn bestätigt werden. Ein Engagement kann in der nachberuflichen Vgl. Wiesmann, Rölker und Hannich 2003, S. 375 Vgl. dazu Kapitel 3.1
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Zusammenfassung zentraler Ergebnisse Lebensphase, so kann nun festgehalten werden, den Rahmen zur Stärkung des Kohärenzgefühls der Freiwilligen bieten. Auch dem Aspekt der Selbstverortung kommt sowohl innerhalb des Freiwilligen Engagements als auch in der Lebensphase des Dritten Alters zentraler Stellenwert zu. Grundsätzlich basiert die Art und Weise der Selbstverortung auf spezifischen persönlichen Eigenarten, die eher altersunabhängig sind.361 Die Ergebnisse dieser Arbeit geben interessante Hinweise darauf, wie Menschen im Dritten Alter auf ihr Älterwerden reagieren und sich in dieser Lebensphase verorten. Die Befragten beschreiben das Dritte Alter als eine Zeit, in der sie (häufig erstmals) selbst bestimmen und wählen können, welche Tätigkeiten ihnen wichtig sind. Bei der Auswahl ihres Engagementfeldes orientieren sie sich an den jeweiligen vorhandenen Ressourcen. Für einige wird diese Zeit auch zu einer Lebensphase, in der die Neudefinition von Beziehungen notwendig wird, wie beispielsweise durch eine Scheidung oder den Tod des Partners. In der Analyse des Grades von Aktivität und Passivität in der Kursgruppe wird deutlich, dass die Interviewten sich in ganz unterschiedlichen `Rollen´ sehen, die oftmals durch vorherige Lernund Gruppenerfahrungen geprägt sind. Die Ergebnisse zur Verortung innerhalb des Engagementfeldes Pflegebegleiter geben den interessanten Hinweis, dass – bis auf eine Person – alle Befragen in mindestens einem weiteren Engagementfeld aktiv sind. Dies weist darauf hin, dass sich die Befragten weniger eng mit dem Profil Pflegebegleiter identifizieren, sondern sie sich eher als aktive Freiwillige in unterschiedlichen Wirkungsfeldern verorten. Wie auch im oben beschriebenen Aspekt der Kohärenz gibt abschließend die Analyse der formulierten Entwicklungsaufgaben zentrale Hinweise zur Relevanz des Aspektes Selbstverortung in Identitätsentwicklungsprozessen im Rahmen Freiwilligen Engagements. Die Befragen nennen die aktive Veränderung der konkreten Alltagsgestaltung und die Notwendigkeit sich dabei selbst (wieder) mehr in den Blick zu nehmen als Aufgaben ihrer Lebensphase. Beide Entwicklungsaufgaben, die Veränderung der Alltagsgestaltung und das `Sich-selbst-in-den-Blick-nehmen´, lassen sich als aktive Selbstverortungen interpretieren. Freiwillige Tätigkeiten im Dritten Alter können demnach ein bedeutsames Feld persönlicher Selbstverortungen sein.
Die beschriebenen Untersuchungsergebnisse betonen die Identitätsrelevanz der Aspekte Kohärenz und Selbstverortung im Kontext freiwilliger Tätigkeiten und heben diese besonders hervor. In den Analysen lassen sich jedoch auch – wenn
361
Vgl. dazu Kapitel 3.2
Zusammenfassung zentraler Ergebnisse
215
auch weniger deutlich – Hinweise zur Bestätigung der vier weiteren Leitthesen finden.
362
Der Aspekt der Signifikanten Anderen zeigt sich im Anliegen der Befragten, das Dritte Alter auch als Zeit neuer Kontaktaufnahmen zu gestalten, zum Teil ist dies sogar zentraler Beweggrund für die Teilnahme an einem Vorbereitungskurs. Als bedeutsame Erfahrung innerhalb der Kurssituation schildern einige den Kontakt zu anderen Freiwilligen oder auch zur Kursleitung und berichten von Zwiegesprächen, die ihnen sehr wichtig seien. Folglich lässt sich auch die Annahme bestätigen, dass das Freiwillige Engagement – gerade dann wenn es in Gruppen begleitet wird – für den Einzelnen wichtige Austauschmöglichkeiten mit Signifikanten Anderen bieten kann. Der Aspekt der Produktivität ist bereits vielfach im Zusammenhang mit dem Engagement älterer Freiwilliger diskutiert worden und lässt sich auch durch die hier vorliegenden Ergebnisse als identitätsrelevanter Aspekt bestätigen. Ein zentrales Motiv für die Entscheidung freiwillig tätig zu werden ist das individuelle Anliegen sinnvoller Zeitgestaltung in der nachberuflichen362 Lebensphase. Interessant ist, dass die Freiwilligen im dritten Interview häufig bedauern, bislang wenig `offizielle Anfragen´ als Pflegebegleiter erhalten zu haben. Es scheint, als wünschten sie von mehr Inanspruchnahme ihres Angebots berichten zu können. Viele haben die Vorstellung, sich gerne direkt im Anschluss als Pflegebegleiter engagieren zu können, aber oftmals muss zunächst das neue Angebot der Freiwilligen bei den Angehörigen bekannt werden. Dies fordert von den Freiwilligen Durchhaltevermögen und Geduld sowie den produktiven Umgang mit anfänglichen Frustrationen. Grundsätzlich lässt sich anhand der Analysen die These bestätigen, dass sich im Freiwilligen Engagement nachberufliche Tätigkeitsfelder eröffnen können, in denen sich Ältere weiterhin als `produktiv´ erleben – sofern für ihr Angebot auch ausreichend Bedarf besteht. Unter dem Aspekt Kompetenzerleben liefert die Studie den Hinweis, dass es den Älteren ein zentrales Anliegen ist, durch den Kurs die eigenen Stärken auszubauen, um später in konkreter Situation kompetent handeln zu können. Sie möchten sich selbst als kompetent erleben und in speziellen Bereichen handlungsorientiertes Wissen für ihre Tätigkeit erwerben. Somit kann auch die These bestätigt werden, dass Freiwillige in begleitenden Bildungsangeboten ihre Kompetenzen erweitern und sich dadurch in konkreten
Es könnte ergänzt werden „…und „nachfamiliären“ - wobei dieser Lebensabschnitt in der Praxis kaum nachvollziehbar ist, da eine Mutter lebenslang Mutter und ein Vater lebenslang Vater bleibt. Gemeint sind aber Phänomene, wie sie beispielsweise mit dem Begriff `Empty-Nest-Phase´ ausgedrückt werden.
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Zusammenfassung zentraler Ergebnisse Tätigkeiten als kompetent erleben, was wiederum zur Identitätsentwicklung beitragen kann. Der Aspekt der Anerkennung hat – ebenso wie der der Produktivität – in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung bereits vielfach für Diskussionen gesorgt. Obwohl das Thema Anerkennung in der einschlägigen Literatur als eines der prägnantesten Identitätsthemen erscheint, wird es doch im Rahmen dieser Untersuchung von den Freiwilligen selbst weniger thematisiert. Einziger Hinweis ist die wertende Unterscheidung der Freiwilligen hinsichtlich der Frage, ob ihre freiwillige Tätigkeit offiziell oder privat vermittelt stattfindet. Hier scheint eine subjektive Wertung auf: Die Freiwilligen selbst erkennen private Pflegebegleitungen als weniger gewichtig an, obwohl sie im privaten Umfeld oft die Erfahrung machen, dass sie das Gelernte gut nutzen können. Es wird also ein Spezifikum des Freiwilligen Engagements deutlich, nämlich die öffentliche / gesellschaftliche Dimension der Tätigkeit, die dadurch eine subjektiv andere Qualität und Anerkennung erhält. Folglich lässt sich die These, dass Engagement auf dreifache Weise Anerkennungsräume schaffen kann (Selbst-Anerkennung, Anerkennung durch andere und gesellschaftliche Anerkennung) durch die Ergebnisse dieser Studie nicht eindeutig belegen und bleibt als offene Frage für weitere Forschungsprojekte bestehen.
9 Sozialgerontologische und geragogische Diskussion der Ergebnisse
Nach der Zusammenfassung zentraler Ergebnisse erfolgt abschließend eine Diskussion der Ergebnisse zunächst aus sozialgerontologischer Perspektive, unter Einbezug der Frage, welche Schlussfolgerungen sich aus den Ergebnissen für ein gesamtgesellschaftliches Verständnis der Bedeutung von Freiwilligem Engagement im Dritten Alter ziehen lassen (Kap. 9.1). Sodann wird unter geragogischer Perspektive diskutiert, welche weiterführenden Folgerungen sich für die Begleitung von Engagementprozessen aus den Erkenntnissen formulieren lassen (Kap. 9.2).
9.1 Sozialgerontologische Interpretationen und Schlussfolgerungen Eine sozialgerontologische Reflexion der vorgestellten Ergebnisse zu Identitätsentwicklung verdeutlicht die besondere Relevanz der Ergebnisse für die weitere Theorieentwicklung. Sie stellt das Anliegen einer differenzierten und pointierten Identitätsentwicklung durch Engagement in ihrer gesellschaftlichen Bedeutsamkeit in den Mittelpunkt. Durch dieses Verständnis kann dann auch den aktuellen Herausforderungen der Engagementpraxis neu begegnet werden. Dem erarbeiteten Modell kommt hier ein besonderer Anregungswert für eine zu entwickelnde Didaktik zu, die die Identitätsentwicklungsprozesse besonders berücksichtigt. Kategorien der Selbstbeschreibung bestätigen differenziertes (Alters-)Selbstbild Zunächst ist festzuhalten, dass die Ergebnisse das sozialgerontologische Verständnis eines differenzierten Altersselbstbildes bestätigen: Sichtbar werden höchst individuelle Selbstbeschreibungen der Entwicklung, die die Aktualität eines empirischen Nachweises und eine Notwendigkeit der vertieften Betrachtung deutlich machen.363 Das Interesse an dieser Vielfalt zeigt sich auch in der Auswahl des Themas des 6. Altenberichts `Altersbilder in der Gesellschaft´, der 363
Vgl. dazu auch die Abkehr von einer `Normalbiografie´ wie etwa in der Vergleichsstudie zur `New Organization of Time over the Life Course´ z.B. Naegle 2007; S. 16ff; Naegele 2008a, S. 1ff
J. Steinfort, Identität und Engagement im Alter, DOI 10.1007/ 978-3-531-92441-0_10, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
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Sozialgerontologische und geragogische Diskussion der Ergebnisse
zu Beginn des Jahres 2010 erscheinen soll. Ziel des Berichts ist ein Beitrag zur Verankerung eines modernen, realistischen und zukunftsgerichteten Altersbildes in unserer Gesellschaft. Ausschlaggebend für die Wahl des Themas ist die Identifizierung einer Wissenslücke, da es bislang, so die Bundesfamilienministerin von der Leyen, keine umfassende Untersuchung zur Frage gibt, wie sich die der älteren Generation zugehörigen Menschen selbst sehen.364 Innerhalb dieses Berichtes ist auch ein Schwerpunkt zur Auseinandersetzung mit dem Altersbild im zivilgesellschaftlichen Engagement geplant.365 Ein interessanter Impuls für die Analyse wäre die Berücksichtigung von Identitätsentwicklungen in Form narrativer Selbstthematisierungen älterer Freiwilliger im Längsschnitt wie sie in der vorliegenden Untersuchung vorgenommen worden ist. Leitbild Identitätsentwicklung im Dritten Alter birgt individuelle und gesellschaftliche Chancen Die Ergebnisse der Studie haben gezeigt, welche Chancen im Leitbild einer gezielten Identitätsentwicklung für das Dritte Alter liegen. Freiwilliges Engagement bringt demnach sowohl individuellen als auch gesellschaftlichen Nutzen. Damit fügen sich die Ergebnisse unmittelbar in die Aussagen des fünften Berichts zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland und im Alterssurvey ein. Hier werden unter Rückbezug auf verschiedene gerontologische Untersuchungen, die belegen, dass aktive Menschen durchschnittlich zufriedener, gesünder und besser sozial vernetzt sind, individuelle Gewinne der Freiwilligen konstatiert.366 Der Alterssurvey nennt als wichtigstes Kriterium `guten´ Alterns den Zusammenhang zwischen Aktivität und Wohlbefinden.367 Die Art und Weise, wie in diesen Berichten die individuellen, aber auch gesellschaftlichen Chancen, die ein Freiwilliges Engagement im Dritten Alter bedeuten können, diskutiert wird, weist darauf hin, wie notwendig eine differenzierte, multiperspektivische Betrachtung der Thematik ist. So weist der Bericht der Sachverständigenkommission des Fünften Altenberichts zum einen auf die Gefahr hin, ältere Menschen primär als „Humanressourcen“ zu sehen, „deren Potenziale zur gesellschaftlichen Nutzung verfügbar gemacht werden müssen“368. Gleichzeitig betonen die Autoren zum anderen die individuellen Chancen, die in freiwilligen Tätigkeiten im Dritten Alter liegen können, und die bei weitem noch nicht ausgeschöpft sind. Es ist deutlich geworden, dass die im Al364
Vgl. BMFSFJ 2007, Pressemeldung Naegele 2008b, S. 19 366 Vgl. Fünfter Altenbericht der Bundesregierung BMFSFJ 2005, S. 375f 367 Hier wird insbesondere auf die Disengagementtheorie, Aktivitätstheorie und Kontinuitätstheorie zurückgegriffen, vgl. DZA Alterssurvey 2002, S. 1f 368 Vgl. Fünfter Altenbericht der Bundesregierung BMFSFJ 2005 S. 373 365
Sozialgerontologische und geragogische Diskussion der Ergebnisse
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terssurvey und im Fünften Altenbericht beschriebenen Leitbilder für das Dritte Alter durch die Ergebnisse dieser Studie einerseits bestätigt und andererseits noch erweitert werden können, insofern als der Wunsch nach Produktivität und sinnvoller Tätigkeit im Dritten Alter von den Befragten selbst mehrfach benannt wird. Die genannten Analysen betonen die Relevanz, Chancen, aber auch Spannungen, die in der gesellschaftspolitisch gestützten Förderung des Engagements älterer Menschen liegen können. Besonders auf die Berücksichtigung der Relevanz von Rahmenbedingungen verweisen Naegele und Rohleder, in dem sie ausführen: „gesellschaftliche Forderungen nach mehr `Altersproduktivität´ oder gar `Wiederverpflichtung des Alters´ ignorieren relevante soziale und individuelle Rahmenbedingungen.“369 Wichtig erscheint daher – als grundlegende Rahmenbedingung – die Betonung der Freiwilligkeit, des Eigensinnes und der Selbstbestimmung der Freiwilligen. Aktives Altern als Balancierung zwischen Selbst- und Mitverantwortung Innerhalb der sozialen Gerontologie werden die Engagementpotentiale besonders im derzeit fortgeschrittensten Konzept zur individuellen und kollektiven Nutzung von Potentialen im Alter,370 dem Konzept des `active ageing´ aufgegriffen. In diesem lebenslauforientierten, auf Nützlichkeit bezogenen Konzept verbinden sich die Intentionen des `Für-sich-etwas-Tun´ mit denen des `Für-andere-etwas371 Tun´. Speziell Personen im Dritten Alter stehen demnach vor den Aufgaben, sowohl Selbst- als auch Mitverantwortung zu übernehmen, was die Vorstellung eines aktiven und produktiven Dritten Alters betont. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie belegen, dass es den meisten Freiwilligen selbst ein zentrales Anliegen ist, diese Verantwortungen zu übernehmen. Erstens betonen sie eigene Entwicklungsaufgaben, denen sie sich selbst in dieser Lebensphase und oftmals konkret in Feldern freiwilliger Tätigkeit stellen wollen (Bezug: Selbstverantwortung). Zweitens ist es ihnen ein Anliegen, sich durch ihr Freiwilliges Engagement aktiv und produktiv – auch und gerade im Dritten Alter – in die Gesellschaft einzubringen (Bezug: Mitverantwortung). Somit liefert das Konzept des `active ageing´ eine weitere sozialgerontologische Verständnisebene bezüglich der Einordnung der Ergebnisse zur heterogenen Identitätsentwicklung der Freiwilligen. Es kann resümiert werden: Freiwilliges Engagement ist `gesellschaftlich gut´ und `tut gut´ – speziell den Menschen im Dritten Alter. Zu beachten ist allerdings, dass sich die Verläufe der Identitätsentwicklung im Engagement – wie gezeigt werden konnte – sehr unterschiedlich darstellen. Die Qualitätsvor369
Naegele & Rohleder 2001, S. 416f Vgl. Naegele 2008c, Reichert et al. 2008 371 Vgl. Naegele 2008c, Reichert et al. 2008 370
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Sozialgerontologische und geragogische Diskussion der Ergebnisse
stellungen der Älteren gehen in Richtung einer ausgewogenen Balance von außengerichteter Aktivität und eigener Persönlichkeitsentwicklung. Insofern benötigt Freiwilliges Engagement eine gezielte und ausgewogene Berücksichtigung beider Aspekte. Anregungen zur Engagementpolitik für das Dritte Alter unter spezieller Berücksichtigung der Chancen zur Identitätsentwicklung In welche Richtung weisen die vorliegenden Ergebnisse in Hinblick auf gesellschaftliche Gestaltungsaufgaben? Aus den Ergebnissen lassen sich strukturelle Forderungen ableiten, durch die passgenaue Synergieeffekte individueller Entwicklungen und gesellschaftlicher Bedarfe gefördert werden können. Ziel ist die Konzeptionalisierung einer sozialen identitätsfördernden Lebenslauf- und Engagementpolitik für das Dritte Alter, die es älteren Menschen in der nachberuflichen Lebensphase erleichtert, sowohl Selbst- als auch Mitverantwortung zu übernehmen. Da sich Ältere, wie gezeigt werden konnte, nicht `einspannen´ lassen sondern nach persönlicher Passung zur (Weiter-) Entwicklung ihrer Persönlichkeit suchen, ließe sich eine solche politische Ausrichtung in folgender Weise konkretisieren:
372
Schaffung von Gestaltungsfreiräumen im Freiwilligen Engagement, die heterogenen Identitätsverläufen Raum bieten Öffentliche Kommunikation über persönliche Entwicklungsprozesse und über Chancen Gesellschaft gezielt gestalten zu können Förderung intrinsischer Motivationen älterer Freiwilliger, speziell unter Berücksichtigung der Aspekte Kohärenz und Selbstverortung Nutzung des Wissens um Identitätsentwicklungsprozesse im Freiwilligen Engagement, so dass diese heterogenen individuellen Entwicklungen im Dritten Alter zum individuellen und gesellschaftlichen Gewinn werden können Relevanz individuumsbezogener Förderstrategien berücksichtigen, da deutlich geworden ist, welch hoher Stellenwert Selbstverwirklichungsinteressen und persönlichen Entwicklungen im Engagement zukommen. Auf die Notwendigkeit einer neuen Qualität der Anerkennung im Freiwilligen Engagement Älterer weisen bereits Naegele und Rohleder im Jahre 2002 hin. Sie fordern aufgrund der Vielfalt von Alterssituationen und dem zunehmenden Auseinanderdriften von Wünschen und Interessen älterer Freiwilliger ver372 stärkt ein „Mehr an Anerkennung des Engagements“ .
Naegele & Rohleder 2002, S. 3
Sozialgerontologische und geragogische Diskussion der Ergebnisse
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Es gehört zu der Aufgabe der Gesellschaft, für Freiwilliges Engagement Rahmenbedingungen bereitzustellen, die dieses Engagement ermöglichen. Wie aufgezeigt werden konnte, verknüpfen die Älteren persönliche und gesellschaftliche Entwicklungsmotive miteinander. Bislang ist der Aspekt des gesellschaftlichen Nutzens stark betont worden – u.a. auch deshalb, weil die Aspekte der Identitätsentwicklung im Dritten Alter zu wenig erforscht worden sind. Die Ergebnisse legen nun nahe, die Aufgabe der Identitätsentwicklung im Dritten Alter verstärkt anzugehen. Die Qualität Freiwilligen Engagements könnte sich u.a. in einer veränderten „Selbstkultur der Werte und Motive“373 der Freiwilligen konkretisieren. Ihr Wille zum Engagement würde dann zum zentralen Motor nachberuflicher Tätigkeiten. Um die darin liegende individuelle und gesellschaftliche Kraft nutzen zu können, muss der Wille der Freiwilligen nicht nur politisch, sondern auch kulturell, rechtlich und wirtschaftlich unterstützt werden. So sollte es Aufgabe von Politik sein, die unabhängige Qualität freiwilliger Tätigkeiten auch und gerade in Zeiten knapper werdender Ressourcen zu erhalten. Insbesondere das Freiwillige Engagement älterer Menschen lässt sich nicht sozialadministrativ verordnen, sondern braucht als handlungsleitende Basis eine in der Identitätsentwicklung des Einzelnen verankerte, biografiegesteuerte Motivation. Diese Art von Politik braucht Vertrauen und Zutrauen in die älteren Generationen, um den künftig zunehmenden demografisch-gesellschaftlichen Herausforderungen wie beispielsweise der steigenden Zahl Pflegebedürftiger gerecht zu werden. Die Ergebnisse dieser Arbeit zeigen eindeutig, dass die Freiwilligen selbstbestimmt entscheiden möchten, wo und wie sie ihre Kompetenzen einbringen und erweitern wollen. Eine – wie auch immer geartete – Verordnung freiwilliger Tätigkeiten im Dritten Alter wäre hier mehr als kontraproduktiv. Gebraucht wird auch eine neue Engagementkultur, die Werte wie Solidarität und Mitverantwortung wieder verstärkt in das Bewusstsein rückt. Konkret könnte dies beispielsweise bedeuten, an einer Kultur zu arbeiten, in der die Pflege eines Angehörigen nicht allein als individuelle sondern als gesellschaftliche Aufgabe definiert wird und Belastungen auf mehreren Schultern verteilt. Auch das Absichern rechtlicher Rahmenbedingungen sollte strukturell verankert und gesichert werden, so dass den Freiwilligeninitiativen selbst ein sicherer Handlungsrahmen geboten werden kann. Die Wirtschaft kann freiwillige Initiativen beispielsweise durch Sponsoring unterstützen. Die aufgeführten Bemühungen sollten alle das Ziel verfolgen, Engagement – und in diesem Fall besonders das der Personen im Dritten Alter – so zu unterstützen, dass intrinsische Motivationen und Identitätsentwicklungen der Freiwil373
Heck 2002, S. 410
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Sozialgerontologische und geragogische Diskussion der Ergebnisse
ligen ihren benötigen Raum erhalten. Die Personen im Dritten Alter brauchen, dies belegt die Relevanz der Aspekte Kohärenz und Selbstverortung, gemeinschaftlich geförderte Entfaltungsräume im Engagement für die (Weiter-)Entwicklung ihrer Identität. Denn: „Wer Engagement fordert, muss es auch fördern, z.B. mittels Weiter- und Fortbildungsangeboten.“374
9.2 Geragogische Interpretationen und Schlussfolgerungen Auf den gerontologischen Erkenntnissen in Bezug auf das Alter und auf den Prozess des Alterns aufbauend, fragt die Geragogik nach Konsequenzen für Theorie und Praxis einer Bildungsarbeit im Freiwilligen Engagement im Dritten Alter.375 Im Folgenden wird beides miteinander verzahnt. Welche Relevanz haben die gewonnenen Erkenntnisse für ein Verständnis von Lernprozessen und welche Ansätze zur Umsetzung können sich daraus ergeben? So ist unter didaktischer und methodischer Perspektive zu klären, wie engagamentvorbereitende und -begleitende Bildungsangebote ausgerichtet werden können, damit sie den heterogenen Identitätsentwicklungsprozessen älterer Freiwilliger gerecht werden. Da die vorliegende Untersuchung innerhalb eines Projektes stattfand, in dem innovative didaktische Konzepte entwickelt und erprobt wurden, ist eine Reflexion der Ergebnisse mit Blick auf diese Konzepte erhellend. Es lässt sich aufzeigen, dass die Aspekte der Identitätsentwicklung im Lernkonzept für Pflegebegleiter einen festen Platz haben – etwa mit dem Ansatz der Biografieorientierung.376 Sie erweisen sich damit auch als anschlussfähig an das von Köster, Schramek und Dorn beschriebene Qualitätsziel der Persönlichkeitsentwicklung innerhalb moderner Seniorenarbeit und Altersbildung.377 Als intergenerationelle Initiative angelegt bieten die PflegebegleiterGruppen ein Lernarrangement, in dem die Identitätsentwicklung in den verschiedenen Phasen des Lebenslaufes zur Sprache kommen kann. So erweist sich diese didaktische Konzeption als eine geeignete Basis für eine anstehende Fokussierung auf die Identitätsentwicklung im Dritten Alter. Zur Verknüpfung von Engagement- und Bildungsprozessen Die Erhebungen der qualitativen Interviews dieser Studie fanden innerhalb des vom Forschungsinstitut Geragogik durchgeführten Modellprojektes `Pflegebe374
Heck 2002, S. 410, S. 411 Vgl. Petzold / Bubolz 1976, S. 40 ff 376 Vgl. dazu auch Kricheldorff 2005, S.14f 377 Vgl. Köster / Schramek / Dorn 2008, S. 121ff 375
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gleiter – Freiwillige begleiten pflegende Angehörige´ statt. Deshalb wird das Projekt hier als Beispiel thematisiert, in dem verdeutlicht werden kann, wie Engagement mit Bildungsprozessen verknüpft sein kann. Um Freiwillige auf dieses neue Engagementfeld vorzubereiten, haben die Interessenten zunächst einen sechzigstündigen Vorbereitungskurs besucht, nach dem sie sich entscheiden konnten, ob sie sich in diesem Feld weiter engagieren wollen oder nicht. Alle Befragten dieser Studie haben sich im Anschluss an den Kurs weiter in der Gruppe der Pflegebegleiter engagiert, was unter anderem auf die positiven Lernerfahrungen in der Vorbereitungsphase zurück zu führen ist. Die Entscheidung, den empirischen Teil dieses Forschungsprojektes im Projekt Pflegebegleiter anzusiedeln, basierte u. a. auf der Vorstellung, dass durch diese begleitenden Gruppensituationen besonderer Raum zur Selbst- und Mitbestimmung der Freiwilligen gegeben ist, der sich wiederum positiv auf mögliche Identitätsentwicklungen im Freiwilligen Engagement auswirken könnte. Diese Annahme hat sich – bedenkt man die Ergebnisse zum empirischen Nachweis von Identitätsentwicklungen – bestätigt. Im Projekt Pflegebegleiter sind drei Leitkonzepte grundlegend, die sich in der fünfjährigen Modellphase bewährt haben. Diese Konzepte sind sowohl für das Lernen in den Vorbereitungskursen als auch für das Engagement in der Begleitung pflegender Angehöriger wegweisend, und sollen daher hier kurz genannt werden. Sie liefern wichtige Impulse für die Diskussion um die Relevanz von Bildungsangeboten im Freiwilligen Engagement. Als erstes Leitkonzept steht `Empowerment´ als „Vermögen von Menschen, die Unüberschaubarkeiten, Komplikationen und Belastungen ihres Alltags in eigener Kraft zu bewältigen, eine eigenbestimmte Lebensregie zu führen und ein nach eigenen Maßstäben 378 gelingendes Lebensmanagement zu führen“ . Das zweite Konzept, das der `Kompetenzentwicklung´, zielt auf ein Leben in Würde und Balance.379 Ein drittes zentrales Anliegen im Pflegebegleiterprojekt ist das Konzept der Vernetzung – hier wird Netzwerkarbeit zur gemeinsamen Aufgabe verschiedener Akteure, die ihren jeweiligen Aktionsraum in Abgrenzungen und Schnittmengen definieren müssen.380 Alle drei Konzepte zeichnen sich durch ihre Dynamik und Beweglichkeit aus. Es geht dabei nie um einen irgendwie gearteten Endzustand, den es durch Bildung oder Begleitung zu erlangen gilt, sondern die aktive Arbeit der Subjekte wird – auf Grundlage dieser drei Leitprinzipien – handlungsleitend und bedarf auch nach dem Vorbereitungskurs kontinuierlicher (Lern)Begleitung. Somit korrespondieren diese Ergebnisse mit den hier ermittelten 378
Herriger, 2006, S. 15 Vgl. Hof, 2002, S. 85 380 Vgl. Brandenburg 2005, in: Bubolz-Lutz / Kricheldorff, 2006, S. 78f 379
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beweglichen Verlaufsformen von Identitätsentwicklungen im Freiwilligen Engagement, da sie den beschriebenen Dynamiken entsprechenden Raum bieten. In der quantitativen Evaluation des Modellprojektes Pflegebegleiter wurde deutlich, dass die Kursteilnehmer insbesondere die Vielseitigkeit der Themen, die Lebendigkeit, Qualität und Nützlichkeit der gegebenen Informationen sowie die Möglichkeit, Themen selbst mitzugestalten besonders positiv bewerten. Sie schätzten die Lernatmosphäre, die Offenheit der Gruppe und die Arbeit an einer gemeinsamen Vision. Zum Identitätsthema wurde nicht explizit geforscht. 381 In der hier vorliegenden qualitativen Untersuchung kommt die Verzahnung von Engagement und Bildungsprozessen besonders zum Ausdruck. Viele Befragte sprechen darüber, dass sie in ihrer Dritten Lebensphase etwas tun, was sie noch nie gemacht haben. Sie sind dankbar, im Rahmen der Vorbereitungskurse einen geschützten Raum zu haben, in dem sie sich mit dem Profil Pflegebegleiter auseinandersetzen können und beispielsweise in Rollenspielen üben, wie sie in Gesprächen pflegende Angehörige begleiten können. Mit Blick auf die Ergebnisse wird auch deutlich, wie heterogen die Teilnehmer in den Gruppen hinsichtlich ihres persönlichen Identitätsstatus sind, mit dem sie in das Engagement bzw. die Vorbereitungskurse starten. Bildungsprozesse können einen Raum bieten, diese Prozesse aufzugreifen. Der Zusammenhang von systematischer Identitätsentwicklung im Engagement und einer höheren Qualität des Freiwilligen Engagements könnte Inhalt eines neuen Forschungsvorhabens sein. Identitätsentwicklung als Bestandteil des geragogischen Bildungsverständnisses Das vorgelegte Modell der differenzierten Identitätsentwicklung im Dritten Alter lässt sich im geragogischen Bildungsverständnis verorten. Dieses Bildungsverständnis rekurriert auf die drei zentralen Prinzipien Subjektorientierung, Beziehungsorientierung und Gesellschaftsorientierung, die stets in ihrem Zusammenspiel zu bedenken sind. Dieses von Bubolz-Lutz und Steinfort 2006 formulierte Verständnis basiert auf der Vorstellung von Bildung als lebenslangem Prozess, der direkt an der Lebenswelt des Subjekts und dessen eigenen Lebensfragen ansetzt.382 Voraussetzung für ein Verstehen der Außenwelt ist ein hinreichendes Selbstverständnis. An diesem Aspekt lässt sich Identitätsentwicklung sowohl als Thema als auch als Anliegen verorten.
381
Vgl. Endbericht des Modellprojektes Pflegebegleiter, Forschungsinstitut Geragogik 2009 So beschreibt es auch der Deutsche Ausschuss für das Erziehungs- und Bildungswesen 1967: „Gebildet… wird jeder, der im ständigen Bemühen lebt sich selbst und die Welt zu verstehen und diesem Verständnis gemäß zu handeln“, S. 28
382
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Bildungsverständnis der Geragogik: Dimensionen, Themen und Anliegen Subjektorientierung
Beziehungsorientierung
Themen
Themen
Reflexion im Austausch
(Selbst-)reflexion
Anliegen
Anliegen
persönliche Lebensgestaltung
Bildung: Reflexion + Handeln gemeinsames Handeln
Themen
gesellschaftsbezogene Diskurse Anliegen
gemeinwohlorientiertes, politisches Handeln
Gesellschaftsorientierung Abb. 20: Bildungsverständnis der Geragogik383
Spezifisch an diesem Bildungsverständnis sind drei miteinander in Beziehung stehende Aspekte von Bildung: die Subjektorientierung, die Beziehungsorientierung und die Gesellschaftsorientierung. Bildung ist in jedem ihrer Aspekte mit Gestaltung und Tätigsein verknüpft: den Einsichten sollen `Taten folgen´ – wie die Entscheidung für ein Freiwilliges Engagement im Dritten Alter, das wiederum an gesamtgesellschaftlichen Veränderungen mitwirken kann. Die Ergebnisse des Freiwilligensurveys 2004 weisen aus, dass dies auch de facto so geschieht, da 70% der über 60 Jährigen sich mit der Intention engagieren, dadurch gesell384 schaftliches Leben mit zu gestalten. Mit diesem so ausgerichteten geragogischen Bildungsmodell scheint auf, dass die persönliche Entwicklung mit sozialen und gesellschaftlichen Entwicklungen verknüpft ist. Dies zu erhellen könnte ein weiterführender Forschungsansatz sein.
383 384
Bubolz-Lutz / Steinfort 2006 Vgl. Gensicke / Picot / Geiss, 2006, S. 288
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Didaktischer Ansatz: Integration von Selbstverortung und Kohärenzerleben in ein Bildungskonzept für Freiwilliges Engagement Aus einem solchen Bildungsverständnis wird eine didaktische Konkretisierung möglich, die den hier besonders herausgearbeiteten Aspekten von Selbstverortung und Kohärenzerleben im Dritten Alter im Kontext Freiwilligen Engagements gerecht wird. Selbstverortung und Kohärenzerleben lassen sich nahtlos in ein didaktisches Konzept integrieren, wie es Bubolz-Lutz und Mörchen im Ansatz der `Lernprojektierung´385 formulieren.386 In drei der hier benannten fünf didaktischen Leitprinzipien lassen sich Kohärenz und Selbstverortung besonders aufzeigen. 1.
2.
3.
385
Als Ausgangspunkt für Lern- und Bildungsprozesse beschreiben die Autorinnen – analog zu dem oben deklarierten Bildungsbegriff – das eigene Interesse der Freiwilligen. Dass insbesondere Personen im Dritten Alter auf der Suche nach individuell passenden Engagementbereichen sind, konnte auch in dieser Studie gezeigt werden. Dabei ist das Leitprinzip der Selbstbestimmung und Selbstorganisation anschlussfähig an Selbstverortung und Kohärenzerleben, was sich beispielsweise in dem Befund zeigt, dass insbesondere viele weibliche Befragte ihre derzeitige Lebenssituation als Zeit beschreiben, in der sie erstmals frei und selbst bestimmen können, was ihnen wichtig ist und wo sie sich einbringen möchten. Durch die Einführung des Prinzips Werteorientierung wird es möglich, über Sinn und Zweck des gewählten Engagements zu reflektieren und dadurch individuelle Motivationen für Freiwilliges Engagement im Dritten Alter zu unterstützen. Auch dies ist anschlussfähig an Selbstverortung und Kohärenzerleben, was sich besonders u.a. an der hohen Zahl ehemals selbst Pflegender zeigt, denen es aus ihrer eigenen Erfahrung heraus wert und wichtig ist, sich für häusliche Pflegesituationen zu engagieren. Das didaktische Prinzip der Reflexivität kann in der Begleitung von Lernprozessen im Freiwilligen Engagement zum Motor und zur gezielten Verbesserung individueller Entwicklungschancen beitragen. Notwendig sind hiefür genügend Kapazitäten, z.B. in Form professioneller Begleitungen, die zu kontinuierlichen Reflexionsprozessen auffordern. Auch diese Reflexivität ist anschlussfähig an Selbstverortung und Kohärenzerleben, was sich zum Beispiel in der Betonung der Relevanz von persönlichen Gesprächen mit der Kursleitung zeigt, in der auch private Themen angesprochen und dadurch – wie im Beispiel von Frau B – geklärt werden.
Erstmals von Bubolz-Lutz & Mörchen im Rahmen des Projektes `lern-netzwerk Bürgerkompetenz´ formuliert, vgl. Voesgen 2006. 386 Vgl. Bubolz-Lutz & Mörchen 2009, S. 110
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Weitere Forschungen könnten klären, ob sich die hier eher assoziativ angefügten Anknüpfungspunkte empirisch erhärten lassen und ob sie in ähnlicher Weise in anderen Gruppen von freiwillig Engagierten nachweisbar sind. Auseinandersetzung mit passenden Methoden Es konnte nachgewiesen werden, dass heterogene Identitätsentwicklungen im Dritten Alter im Kontext Freiwilligen Engagements stattfinden. Diese individuellen Entwicklungen können in begleitenden Bildungsarrangements thematisiert, methodisch aufgegriffen und damit nutzbar gemacht werden.387 Beispielhaft seien hier drei Methoden skizziert: (1) Unter der Frage, welche neue und andere Qualität ihr Leben im so genannten Dritten Alter hat, könnten sich Freiwillige darüber austauschen, welchen Raum das Prinzip der Selbstbestimmung bislang in ihrem Leben eingenommen hat. Sie könnten beispielsweise eine `Lebens-Landkarte` selbstbestimmter Tätigkeiten aufzeichnen und über `Berge und Täler´ auf dieser Karte miteinander ins Gespräch finden. Ergebnis einer solchen Auseinandersetzung könnte die Erkenntnis sein, dass sich gerade in der derzeitigen Lebenssituation Perspektiven und `Landschaften´ öffnen, die vormals nicht möglich waren. (2) Um über Sinnfragen des gewählten Engagements zu reflektieren, könnten in den Vorbereitungskursen beispielsweise durch die Kursleitung die Fragen gestellt werden: `Woraus schöpfen Sie? Was prägt Ihr Denken und Fühlen?´ Die Auseinandersetzung mit solchen und ähnlichen Fragen erscheint gerade in sozialen Feldern Freiwilligen Engagements wesentlich, denn - so lässt sich schlussfolgern – wer fähig wird, sein eigenes Leben zu hinterfragen, kann auch zu einer inspirierenden Quelle für andere werden. Methodisch könnten verschiedene Werte auf Karteikarten formuliert und in eine hierarchische Ordnung gebracht werden, erst jeder für sich und in einem zweiten Schritt als Gruppe gemeinsam, um dann in den Austausch über Sinnfragen zu gelangen. (3) Letztlich sollte sich in den Bildungsprozessen das didaktische Prinzip der Reflexivität auch in konkreten Methoden, die immer wieder aufgegriffen werden, niederschlagen. Es könnten beispielsweise persönliche EngagementTagebücher geführt werden, in denen die Freiwilligen ihre Erfahrungen und Eindrücke festhalten. Sie könnten sich dabei fragen, was sie überrascht hat, wie sie ihre eigene Position gerade einschätzen und /oder was sie lernen möchten.
387
Vgl. dazu auch Karl et al. 2008
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Die Ergebnisse der vorliegenden Studie zeigen, dass es keinen Stillstand der Identitätsentwicklung der Freiwilligen gibt, so dass es immer wieder neue Notwendigkeiten und Ausgangspunkte zur Reflexion gibt. Da sich für die Identitätsentwicklungsprozesse die Aspekte Kohärenz und Selbstverortung als besonders relevant herausgestellt haben, könnten diese auch zum Thema gemacht werden: In Bewegung zu bleiben heißt auch im Dritten Alter, sich nicht auf alte Lebensmuster festzulegen, sondern immer wieder die Chance zu nutzen, neue Weichen zu stellen, sich selbst zu verorten und an einer inneren Stimmigkeit zu arbeiten. In den Interviews berichten einige Befragte über für sie wichtige Gespräche, die sie allein mit der Kursbegleitung geführt haben und die ihnen dabei geholfen haben, ihre spezifische biografische Situation zu klären. Es lässt sich nur vermuten, welch wichtige Ausgangspunkte solche Klärungen für die Freiwilligen hinsichtlich späterer Begleitungen sind, die sich in der Qualität des Engagements niederschlagen. Auch auffällig war die überaus positive Resonanz der Befragten auf die Möglichkeit, parallel zu ihrem Engagement als Pflegebegleiter drei Interviews im Rahmen der Befragung über ihre eigenen Entwicklungen führen zu können. Diese Gespräche wurden oftmals als persönlicher Gewinn bewertet. Abgegrenzt zu den Gruppengesprächen sollten deshalb zu fest verankerte Selbstreflexionseinheiten auch persönliche Einzelgespräche zwischen Teilnehmern und Lernbegleitern zu Selbstverortungen – im Hinblick auf Identitätsentwicklung – `unter vier Augen´ eingeplant werden. Solche Gesprächskontexte erhalten besondere Relevanz bei zunehmenden körperlichen Einschränkungen (Sehen, Hören) gerade von älteren Freiwilligen. Interessant wäre zu erforschen, welche Kombination von Lernsettings und Methoden sich besonders eignen, um Identitätsentwicklungsprozesse anzuregen und in Bewegung zu halten. Fokussierung auf Identitätsentwicklung als spezielles Anliegen professioneller Begleitung von Bildungsprozessen im Freiwilligen Engagement Mit Zunahme der Individualisierung in Feldern Freiwilligen Engagements wächst gleichzeitig der Bedarf an professionellen Begleitern von Freiwilligeninitiativen. In der Fachliteratur werden diese auf der Hintergrundfolie der Ermögli388 als Lern- oder Entwicklungsbegleiter bezeichnet. Diesen chungsdidaktik kommt neben vielem anderen auch die Aufgabe der Begleitung, Förderung und Bewusstmachung von Identitätsentwicklungsprozessen im Freiwilligen Engagement zu. Wie in dem in der vorliegenden Arbeit entwickelten Modell deutlich geworden ist, gibt es keine einheitliche Abfolge der Identitätsentwicklung. Ebenso 388
Vgl. Arnold et al. 2003, S. 108ff
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ist kein klares Entwicklungsziel verallgemeinerbar. Vielmehr muss der Heterogenität der Identitätsdynamiken im Freiwilligen Engagement Rechnung getragen werden. Diese Dynamiken selbst werden zum Ausgangs- und Reflexionspunkt gewählt. Die dargestellten Ergebnisse verweisen auf die Notwendigkeit eines spezifischen Begleitungsarrangements, das sich nicht nur am Subjekt, sondern auch an der Gruppe der Engagierten und an gesellschaftlichen Anforderungen orientiert.389 In dieser Arbeit steht besonders die Subjektorientierung zur Grundlegung für ein Verständnis von Identitätsentwicklung im Fokus. Zu diesem können nun abschließend Kompetenzen benannt werden, die zur Begleitung von Identitätsentwicklungsprozessen im Freiwilligen Engagement notwendig sind und somit von Lernbegleitern erworben werden müssen.
389
Vgl. dazu auch Köster 2008, S. 32f
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2 Personale Kompetenz Selbstreflexion in Bezug Soziale auf eigenen IdentitätsKompetenz status/ eigene 3 1 Entwicklungsverläufe - Vermittlung Wissen über von Gleichwertigkeit heterogene Zustände & - Entwicklungsanreize Identitätsentwicklung geben im Lebenslauf als - Empowermentstrategien Begleitung von nicht-linearer Prozess Identitätsentwicklungsverläufen Kommunikative Methodische Kompetenz durch... Kompetenz abgestimmte Methoden - Kommunikation auf (auch Einzelgespräche) Augenhöhe & Verankerung von -Schaffung Emotionale IdentitätsKompetenz reflexionen 6 partieller 4 Transparenz -Achtsamkeit für eigener eigene IdentitätsentEntwicklwicklung ung - Empathiefähigkeit Fachkompetenz
5 Abb. 21: Begleitungskompetenzen390 1.
390
Eine notwendige Aufgabe solcher Begleiter wäre das Aneignen von Wissen um die Heterogenität von Identitätszuständen sowie das darauf aufbauende Erkennen und Erfassen unterschiedlicher Identitätsstatus von Personen in einer Gruppe. Weiter müssten sie sich von der Vorstellung lösen, dass es ein erstrebenswertes Ziel der Identitätsentwicklung von Menschen gibt, dass es durch bestimmte Methoden in irgendeiner Art zu fördern gilt. Auch eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Altersbild – das das Wissen um nicht
Analog zu Arnold et al. 2002, S. 83
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2.
3.
4.
5.
6.
391
231
linear ablaufende, lebenslange Identitätsprozesse umfasst – ist eine zentrale fachliche Kompetenz. Um eine solche Prozessoffenheit als neue Qualität Freiwilligen Engagements – gerade im Dritten Alter – zulassen zu können, brauchen die Begleiter bestimmte personale Kompetenzen. Dazu sollten Möglichkeiten zur eigenen Fort- und Weiterbildung genutzt werden, in denen Raum für Reflexion der eigenen (Identitäts-)Entwicklung und den Identitätsstatus in bestimmten Lebensbereichen gegeben wird. In der sozialen Kompetenz steht die Vermittlung von Respekt vor der Gleichwertigkeit unterschiedlicher Identitätszustände im Fokus. Lernbegleitern im Freiwilligen Engagement fällt die Aufgabe zu, Entwicklungsanreize zu geben und durch Empowermentstrategien zur eigenen Entwicklung zu ermutigen. In der Praxis werden auf Selbst- und Identitätsentwicklung abgestimmte Methoden benötigt.391 Diese können z.B. auch in Form von Einzelgesprächen mit den Freiwilligen stattfinden. Auch eine strukturelle Verankerung von (Identitäts-)Reflexionen in der Lerngruppe ist möglich. Kritisch zu bedenken ist in der konkreten methodischen Praxis der `schmale Grat´ zwischen hilfreichen Prozessen, die zur Reflexion eigener Entwicklungen im Freiwilligen Engagement anregen und therapeutischen Settings, die die Intention begleitender Bildungsangebote verfehlen. Hier braucht es professionelle Engagementbegleiter, die sich dieser Gratwanderung bewusst sind und damit umgehen können. Gerade in einem Feld wie Pflegebegleitung kann es vorkommen, dass in Kurssituationen eigene schwierige Familienerfahrungen im Zusammenhang mit der Pflege einer Person erneut zum persönlichen krisenhaften Thema werden, mit denen Freiwillige nicht immer einfach umgehen können und die z.T. auch die Gruppe überfordern, was wiederum die Bedeutung von Einzelgesprächen hervorhebt. Als emotionale Kompetenz lassen sich sowohl Empathiefähigkeit für heterogene Entwicklungsverläufe der Freiwilligen als auch Achtsamkeit für die eigenen Identitätsbewegungen fassen. Durch eine `Kommunikation auf Augenhöhe´ sowie der Schaffung einer (zumindest partiellen) Transparenz der eigenen Identitätsentwicklung der Lernbegleiter kann ein Gruppenklima geschaffen werden, in dem Selbstverortung und Kohärenzerleben der Teilnehmenden begünstigt wird. Die Relevanz dieser kommunikativen Kompetenz vertieft in der Begleitungs- und
Methodische Hinweise, z.B. zur Relevanz eines `Aufforderungscharakters´ von Methoden in der Fortbildung Freiwilliger, siehe Steiner 2005, S. 20ff
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Sozialgerontologische und geragogische Diskussion der Ergebnisse Engagementpraxis zu beforschen wäre ein weiterführendes, interessantes Forschungsfeld.
Die Qualifizierung der Lernbegleiter ist das Kernstück der Freiwilligenarbeit. Speziell für die Lernbegleitung in der nachberuflichen Phase gilt es vor allem am Altersbild zu arbeiten da die Vorstellungen über die Entwicklungsmöglichkeiten im Dritten Alter immer noch zu eng verstanden werden. Diese Arbeit hat gezeigt, welche großen Entwicklungsanstrengungen von den Älteren unternommen werden und welche Entwicklungssprünge möglich sind. In der Entwicklung haben auch Stagnation und Suchbewegungen ihren festen Platz und können zum Ausgangspunkt neuer Entwicklungen werden.
Schlussbemerkung
„…ich musste so alt werden, damit ich überhaupt erst mal gemerkt habe, dass ich auch jemand bin und nicht immer nur Familie und Beruf.“ (G3, 87) Im Rahmen dieser Studie ist – speziell mit dem Modell zur Identitätsentwicklung im Dritten Alter im Kontext Freiwilligen Engagements – ein Zugewinn an Verständnis von Entwicklung im Alter ermöglicht worden. Angesichts der zum Beginn vorgestellten bisher noch rudimentären Forschungslage erbrachte die empirische Untersuchung Ergebnisse zu den Lebensthemen und Entwicklungen engagierter Personen in der nachberuflichen Lebensphase. Wie das oben stehende Zitat verdeutlicht, kann das Dritte Alter jedoch eine neue Ausrichtung von Tätigkeiten fordern, die sich erheblich von allen bisherigen unterscheiden. Diese neuen Tätigkeiten weisen eine eigene und andere Qualität au33 als die bisherigen und sind mit dem eigenen Identitätserleben verknüpft. So verweisen die Ergebnisse auf eine Sicht der nachberuflichen Lebensphase als `bewegtes Altern´. Die Förderung dieser Beweglichkeit – in jeder Hinsicht – einer nicht in fester Reihenfolge oder Stufen ablaufenden Identitätsentwicklung, verspricht der Gesellschaft großen Gewinn. Angesichts zu erwartender Umbrüche werden Ältere gebraucht, die ihr Leben bewusst in die Hand nehmen und durch ihr Engagement und die Entwicklung von Persönlichkeit jüngeren Generationen zeigen, dass sowohl gesellschaftliche als auch persönliche Engpässe als Entwicklungsherausforderungen genutzt werden können.
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