KARl KÖNIG
Psychoanalyse in der psychiatrischen Arbeit - eine Einführung
Psychiatrie-Verlag
Die Deutsche Bibliothek ...
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KARl KÖNIG
Psychoanalyse in der psychiatrischen Arbeit - eine Einführung
Psychiatrie-Verlag
Die Deutsche Bibliothek - ClP-Einheitsaufnahme
Karl König: Psychoanalyse in der psychiatrischen Arbeit - eine E.inführung Bann: Psychiatrie-Ver!. 1999 ISBN 3-88414-235-6
© 1. Auflage, Psychiatrie-Verlag gern. GmbH, Bann 1999 Alle Recht vorbehalten Umschlaggestaltung: Dorathea Pasdiena, bild-werk, Dortmund Typografie: Iga Bielejec, Nierstein Druck und Bindung: (lausen & Bosse, Leck
Psychiatrie-Verlag im Internet: hnp:llwww.psychiatrie.delverlag
Inhalt Vorwort
7
Einführung Wie können psychoanalytische Sichtweisen in der psychiatrischen Arbeit helfen? 11 Psychoanalyse heute Es -Ich - Über-Ich
13 16
Psychoanalytisches Arbeiten Lernen zu verstehen
18
19
Theoretische Grundlagen Phänomenologisches, biologisches und psychologisch-funktionales Denken 35 Psychoanalytische Entwicklungspsychologie Psychoanalyse und Systemtheorie
38
54
Der ichpsychologisch-objektbeziehungstheoretische Ansatz in der Psychoanalyse 57
Kliniknahe therapeutische Konzepte Katharsis und freie Assoziation
65
Übertragung und Gegenübertragung Verhalten und Charakter Gegenübertragung
67
73
76
Das Arbeitsbündnis - ein Anteil der Beziehung zwischen Personal und Patient 83 Traumanalyse in der Psychiatrie?
88
Das Unbewusste und die Abwehrmechanismen
92
Die leugnung
99
Idealisierung
102
Spaltung
107
Isolierung aus dem Zusammenhang
108
Projektion und projektive Identifizierung
110
Was ist Widerstand und wie geht man mit ihm um?
113
Psychoanalytische Gesichtspunkte bei der psychiatrischen Diagnostik
Beziehungsgestaltung in der psychiatrischen Arbeit Der Patient in seinem früheren und gegenwärtigen Umfeld Solidarität mit den psychisch KrankenSchwierigkeiten und Hindernisse 133 Zum Umgang mit Macht und Gewalt in der Psychiatrie Umgang mit schweren psychischen Krankheiten Zur Gerontopsychiatrie
146
152
Konzepte der therapeutischen Gemeinschaft
161
Belastungen in der stationären psychiatrischen Arbeit
Psychopharmaka
175-
Der Einfluss der Persönlichkeitsstruktur des Patienten und des Arztes auf den Umgang mit Psychopharmaka 187
Register
192
Der Autor
199
166
173
Psychotherapie und Psychophanmaka
literatur
138
178
129
121
Vorwort
Unter Psychoanalyse als Therapie versteht man eine psychotherapeutische Methode, die in ihrer Frühgeschichte nur bei als neurotisch diagnostizierten Patientinnen und Patienten angewandt wurde. Die Behandlung fand in der "Couch-Sessel-Situation" statt. Die Couch gilt auch heute noch als ein Wahrzeichen der Psychoanalyse, obwohl diese ihre Indikationen und das Behandlungssetting verändert hat. Man behandelt nicht mehr nur neurotische Patienten oder solche, die man dafür hält. Viele psychoanalytischen Therapien fmden im Gegenübersitzen statt oder man sitzt mit dem Patienten "über Eck«. Die Psychoanalyse ist bei den durch die Krankenkassen bezahlten ambulanten psychotherapeutischen Behandlungen neurotischer Patienten heute nach wie vor das am häufigsten angewandte Verfahren; entweder in Form der analytischen Psychotherapie oder in Form der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie. Behandelt werden nicht mehr nur neurotische, sondern etwa auch Borderline-Störungen. Die Behandlung von Patienten mit psychotischen Erkrankungen stellt eher die Ausnahme als die Regel dar. Dieses Buch versteht sich nicht als ein Lehrbuch zur Behandlung nach den Regeln der Psychoanalyse - wer dazu etwas sucht, den verweise ich auf meine Bücher Praxis der psychoanalytischen Therapie und Psychoanalytische Therapie außerhalb des klassischen Settings. Hier soll die psychoanalytische Behandlungstechnik zwar exemplarisch dargestellt werden, diese Darstellung soll aber auch dazu dienen, Grundlagen der Psychoanalyse darzustellen und Fehlinformationen über psychoanalytisches Handeln entgegenzuwirken, wie ich sie in psychiatrischen Einrichtungen kennen gelernt habe. Wer ein zutreffendes Bild vom Handeln des Analytikers hat, kommt meist ganz von selbst darauf, welche der verschiedenen Interventionsmöglichkeiten in seinem Arbeitsfeld angewendet werden können. Schwerer ist manchmal zu erkennen, von welchen er "die Fingen lassen sollte.
8 Vorwort
Psychoanalyse lässt sich mit Sozialpsychologie und da besonders mit der Systemtheorie kombinieren (z. B. FÜRsTENAu 1994). Psychoanalyse kann bei der Beurteilung von Konflikten (zwischen Mitarbeitern, aber auch mit Patienten), bei der Planung und Durchführung sozialpsychiatrischer Maßnahmen sowie nicht zuletzt bei der Verordnung von Psychopharmaka nützlich sein. Sie hilft im Sinne der Gegenübertragungsanalyse dabei, eigene irrationale Motive zu erkennen, die in die Diagnostilr und in das therapeutische Handeln einfließen. Einige der mit diesen Tätigkeitsbereichen verbundenen Probleme werden in diesem Buch ausführlich dargestellt. Welche Affekte, Stimmungen und Handlungsimpulse ein Patient in uns auslöst, hängt nicht nur vom Patienten ab, sondern auch von unserer Persönlichkeit. Deshalb wird in diesem Buch immer wieder auf die verschiedenen Persönlichkeitsstrukturen und ihre Auswirkungen Bezug genommen. Zur Entstehung dieses Buches haben viele Menschen beigetragen. Ich danke den Patientinnen und Patienten, die ich selbst behandeln konnte, und den Kolleginnen und Kollegen, die sich mir in Supervisionen anvertraut haben. Die Supervisionstätigkeit konnte mir das Sammeln der breiten Erfahrungen mit Psychiaterinnen und Psychiatern und mit ihren Patientinnen und Patienten ermöglichen, auf denen dieses Buch zu einem Großteil gründet. Für erhellende Diskussionen unserer Supervisionspraxis danke ich den Kolleginnen und Kollegen, die mit mir an der Abteilung für Gruppenpsychotherapie der Georg-August-Universität Göttingen gearbeitet haben, insbesondere Joachim Biskup, Falk Leichsenring und Hermann Staats. Gerda Reinhold und Ulrich Seidler haben für mich Literatur gesucht und sie rasch und verlässlich gefunden. Frau Reinhold hat beim Korrekturlesen wichtige Änderungsvorschläge gemacht. Ich danke ihnen für die gute Zusammenarbeit. Erika Dzimalle hat das Manuskript flott und genau geschrieben. Auch ihr danke ich, wie schon oft, für die gute Zusammenarbeit. Meiner Frau Gisela König und meinem Sohn Peter schließlich danke ich wieder für anregende Diskussionen und für ihre Geduld.
Einführung
11
Wie können psychoanalytische Sichtweisen in der psychiatrischen Arbeit helfen? Manche Psychiaterinnen und Psychiater denken zunächst, wenn von Psychoanalyse in der Psychiatrie die Rede ist, an die psychoanalytische Therapie von Psychosen (ROSENFELD 1966; BENEDETTI 1998), die immer wieder versucht worden ist und auch heute noch unternommen wird. Trotz dieser Versuche spielt die Psychotherapie von Psychosen als allein eingesetztes therapeutisches Verfahren in der psychiatrischen Versorgung kaum eine Rolle. Psychotherapie, die in Kombination mit Pharmakotherapie durchgeführt wird, hat meist eher stützenden als aufdeckenden Charakter. Dem Ich der Patientinnen und Patienten kann bei der Verarbeitung psychotischer Phänomene durch Deutungen offenbar nur in engen Grenzen geholfen werden. Bei Borderline-Patienten wird eine die aktuellen Beziehungen deutende, die Genese aber wenig einbeziehende Therapieform empfohlen, wie sie zum Beispiel O. F. KERNBERG u. a. (1988) entwickelt haben. Ein anderer therapeutischer Weg besteht in einer Therapieform, die das Deuten einschränkt und es durch selektives, aufseine therapeutische Wirkung reflektiertes, direktes Mitteilen von Reaktionen des Therapeuten ersetzt; es handelt sich um die psychoanalytisch-interaktionelle Therapie von A. HEIGL-EvERS und F.HEIGL (1973; A.HEIGL-EvERS;OTT 1994). Lehrbücher zur Behandlung neurotisch Kranker hingegen gibt es viele (siehe etwa KöNIG 1997; KÖNIG 1993). In diesem Buch nun soll dargestellt werden, welchen Nutzen die diagnostische Beachtung insbesondere der Übertragung (und Gegenübertragung) haben kann. Eine Übertragung kann beispielsweise darin bestehen, dass wir in aktuellen Beziehungen auf Grund von bewussten und unbewussten früheren Erfahrungen erleben und handeln und dass das therapeutische Handeln des Psychiaters durch Gegenübertragungsreaktionen mitbestimmt wird - also durch Gefühle, Stimmungen, Phantasien und Handlungsimpulse, die ein Patient im Therapeuten oder im therapeutischen Team auslöst. Durch ein diagnostisches Zuordnen von Übertragung und Gegenübertragung kann das therapeutische Handeln verbessert werden.
12 Einführung
Zu Übertragung und Gegenübertragung kommt es jedes Mal, wenn ein Patient und ein Psychiater oder ein anderes Mitglied eines therapeutischen Teams aufeinander treffen. Es ist dann zweckmäßig, diese Phänomene als solche zu erkennen und zu interpretieren. Dabei handelt es sich oft um diagnostische Interpretationen, die der Therapeut für sich behält. Er teilt sie dem Patienten nicht mit; sie helfen ihm aber beim Verstehen des Patienten. Ebenso hilft ihm dabei das Erkennen und Zuordnen der Gegenübertragung. Das Diagnostizieren von Gegenübertragung ist auch wichtig, um störende Einflüsse der Gegenübertragung auf die Wahl und den Einsatz therapeutischer Maßnahmen zu erkennen und um zu verhindern, dass Gegenübertragung ungewollt auf das therapeutische Handein durchschlägt. Man denke an den Umgang mit der Freiheit und der Freiheitsbeschränkung des Patienten, den Umgang mit Psychopharmaka, an Entscheidungen über die Aufnahme und die Entlassung von Patienten oder über deren Ausgang während einer stationären Behandlung. Die psychoanalytische Interventionstechnik soll hier dargestellt werden; dieses soll auch dazu dienen, Missverständnisse im Umgang mit Psychoanalytikern auszuräumen oder zu minimieren und deutlich zu machen, dass eine so genannte "wilde Psychoanalyse" (S. FREuD 1910) dem Patienten eher schaden als nützen kann. Einige Elemente der psychoanalytischen Interventionstechnik sind aber auch ohne eine gründliche psychoanalytische Weiterbildung im psychiatrischen Alltag anwendbar. Die psychoanalytische Interventionstechnik besteht nicht nur aus Deuten, das heißt, aus dem Verknüpfen bewusster und unbewusster psychischer Phänomene. Zum psychoanalytischen Intervenieren gehört auch das Konfrontieren: das Hinweisen auf bestimmte Verhaltensstereotypien, die der Patient nicht in Frage stellt, oder auf Reaktionen des Patienten, die dieser selbst gar nicht bemerkt oder sogar für unwichtig hält. Auch das Klarifizieren gehört zur psychoanalytischen Interventionstechnik. Darunter versteht man ein Klären von Sinnzusammenhängen auf der bewussten Ebene. Zum psychoanalytischen Interventionsrepertoire im weiteren Sin-
Wie können psychoanalytische Sichtweisen in der psychiatrischen Arbeit helfen?
ne gehört auch die Affektklarifizierung; das Klarifizieren von Affekten hilft dem Patienten dabei, seine Gefühle zu benennen und dem Erlebten zuzuordnen, was oft eine Voraussetzung dafür ist, dass er einen unangenehmen Gefühlszustand beenden kann. So wird Angst oft nicht als solche erkannt; die Patienten sagen dann vielleicht, dass sie sich deprimiert oder depressiv füWen, weil deprimiert oder depressiv sein im Alltagsverständnis ein unangenehmes Gefühl meint, dessen Ursache man nicht unmittelbar erkennen kann. Das "Antworten,' als psychoanalytische Interventionstechnik ist nicht leicht zu erlernen und anzuwenden; hierzu ist eine besonders gründliche Ausbildung erforderlich, wenn es nicht zu einem "wilden Antworten«, analog zum "wilden Deuten<>, kommen soll. Das Antworten des Therapeuten dient ja nicht in erster Linie seiner emotionalen Entlastung. Es soll dem Patienten nützen. Dazu muss jede Antwort darauf hin reflektiert werden, was sie im Patienten auslösen und was dieser aus ihr und seinen Reaktionen aufsie lernen kann. Das Antworten erfordert Übung im Analysieren der eigenen Gegenübertragung. Die Anwendung dieser psychoanalytischen Interventionstechniken in der psychiatrischen Tätigkeit kann hilfreich sein. Das vorliegende Buch soll vor allem den Nutzen der psychoanalytischen Sicht auf psychiatrische Krankheiten und Störungen systematisch darstellen, um sie gegen eine l>wilde<1 Anwendung abzugrenzen.
Psychoanalyse heute Die Psychoanalyse von heute wird von vielen missverständlich aufgenommen. Dazu tragen die Psychoanalytiker selbst bei, unter anderem deshalb, weil sie in der Ausbildung von Psychoanalytikern, und zwar mehr als die Entwicklung ihrer Wissenschaft rechtfertigen würde, auf die technischen Ratschläge und die Krankengeschichten von S. Freud zurückgreifen. A. GRÜNBAUM (1984) zum Beispiel hat sich in seiner Kritik an der Psychoanalyse ausscWießlich auf die Schriften von Freud bezogen, der schon seit über 60 Jahren tot ist. Die Freudschen Theorien werden von den allermeisten Psychoanalytikern heute kritisch betrachtet und viel diskutiert, Verbindungen zu den Nachbarwissenschaften werden hergestellt, vor allem in den
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14 Einführung
USA, wo es sich etwa am Beispiel der Zeitschrift Journal 0/ the American Psychoanalytic Association zeigt. In der Ausbildung werden die Freud'schen Krankengeschichten aber immer noch als Modelle verwendet, obwohl sie einen frühen Stand der Entwicklung psychoanalytischer Techniken repräsentieren und sich auf einen anderen Stand des sozialen Lebens beziehen. Die Annahmen bezüglich dessen, was in der Psychoanalyse wirkt, haben sich im Laufe der Zeit gewandelt. S. Freud hatte ursprünglich angenommen, es sei notwendig und genüge auch, sich Vergangenes von der Seele zu reden, und dazu sei lediglich notwendig, die Schranken zu durchbrechen, die das Unbewusste vom Bewussten trennen, sodass auch das Unbewusste dem Bewusstsein zugänglich wird und kathartisch abgeführt werden kann (siehe das Kapitel über Katharsis und freie Assoziation). Die Katharsis hatte vor allem einen Sinn, als Freud sich ausschließlich mit Realtraurnen zu beschäftigen meinte, deren Folgen ein Patient verringern kann, indem er sie in Worte fasst. Ein Beispiel dafür ist die Krankengeschichte von Katharina, einem jungen Mädchen auf einer Berghütte, das vom Vater (Freud schrieb ursprünglich vom Onkel) sexuell missbraucht worden war und dem es bereits besser ging, nachdem sie Freud darüber berichtet hatte. Als Freud - das Kind mit dem Bade ausschüttend - die Verführungstheorie, die alle neurotischen Symptome auf wirklichen sexuellen Missbrauch zurückführte, gegen eine Theorie von Phantasien eintauschte, die Beziehungswünsche, auch sexuelle Wünsche aus der Kindheit, zum Gegenstand hatte, ging es darurn, dem Erwachsenen die Unangepasstheit solcher Wünsche nachzuweisen. Noch später ging es darum, frühere Beziehungsformen und Beziehungswünsche, die der Patient von einem infantilen Objekt, also etwa dem Vater oder der Mutter, auf den Therapeuten überträgt, in der Beziehung zwischen Patient und Therapeut zur Reinszenierung kommen zu lassen und dann als realitätsinadäquat zu deuten. Dem entspricht die später gegebene Definition der Übertragung von R. R. GREENSON (1975). Ob der Analytiker tatsächlich die Realität in der Lebensgeschichte eines Patienten herausfmden kann, wird heute diskutiert und eher bezweifelt. Sicher kann man nur herausfmden, was wahrgenommen wurde, und nicht das, was sich in der Realität abgespielt hat. Das gilt
Psychoanalyse heute
bekanntlich auch für Beobachtungen in der Gegenwart, zum Beispiel bei Zeugenaussagen, mehr aber noch bei Ereignissen aus einer Zeit, in der der sich erinnernde Mensch noch ein Kind war. Die Erinnerung ist durch Wünsche und Befürchtungen des Patienten meist so entstellt, dass auch das früher wirklich Erlebte nicht so, wie es war, erinnert werden kann. Es gibt kritisch eingestellte Psychoanalytiker, die vertreten, dass es allein darauf ankomme, mit dem Patienten zusammen eine plausible und kohärente Lebensgeschichte zu erarbeiten, die gegenwärtiges Verhalten verstehbar macht. Annahmen über die Vergangenheit eines Patienten werden von den meisten Psychoanalytikern heute als Hypothesen betrachtet, die nicht, wie ein Kritiker der Psychoanalyse (GRÜNBAUM 1984) in Anlehnung an Freud gemeint hat, die reale Vergangenheit wiedergeben sollen, sondern ihre Existenzberechtigung aus dem heuristischen Wert ableiten, den sie in einer Therapie haben können. Was damit gemeint ist, möchte ich an einem Beispiel aus der Astronomie erläutern. Schon im Altertum gab es Sonnenuhren. Der Schatten, den der Stab warf, hing vom Sonnenstand ab, und so glaubte man herausgefunden zu haben, dass die Sonne, die sich entsprechend der damaligen Annahme um die Erde bewegte, im Osten aufgeht, einen Zenit erreicht und dann im Westen untergeht. Es gibt heute noch solche Sonnenuhren, die es uns nach wie vor gestatten, die Zeit zu messen - vorausgesetzt die Sonne scheint. Dass sich die Sonne in Wahrheit nicht um die Erde bewegt, sondern umgekehrt die Erde um die Sonne, spielt bei der Konstruktion und der Benutzung einer Sonnenuhr keine Rolle; die Sonnenuhr funktioniert unter beiden Annahmen richtig; die Annahme, dass die Sonne sich um die Erde dreht, kann also der Konstruktion einer Sonnenuhr ebenso zu Grunde gelegt werden wie die gegenteilige Annahme. Bezüglich der Konstruktion einer Sonnenuhr haben beide Annahmen den gleichen heuristischen Wert, obwohl nur eine von ihnen wahr ist. Im Übrigen ging man zudem noch davon aus, dass die Erde eine Scheibe sei. Ebenso können Annahmen über die Entstehung bestimmter Beziehungsformen, Beziehungswünsche und Beziehungsängste falsch sein, aber dennoch therapeutisch genutzt werden.
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16 Einführung
Es - Ich - Über-Ich Die psychoanalytische Psychologie beschäftigt sich mit dem Umgang des Ichs als einer zwischen dem Es, dem Über-Ich und der Außenwelt vermittelnden Instanz. Die Abwehrlehre beschreibt Abwehrmechanismen, mit denen das Ich sich gegen jene Triebimpulse schützt, mit denen es nicht umgehen könnte. Das Über-Ich ist eine Instanz, die ungefahr dem Gewissen entspricht und bei Verstößen gegen bestimmte Normen Schuldgefühle erzeugt. Das Es ist der Sitz der Triebe. Ich und Über-Ich sind teils bewusst, teils unbewusst. Mit diesem einfachen Modell lassen sich schon viele psychische Phänomene erklären. Die Objektbeziehungstheorie der Psychoanalyse beschäftigt sich mit den Erinnerungen an frühere Beziehungen, die in zweckmäßiger oder unzweckmäßiger Weise aktuelle Beziehungen mit prägen. Daneben sind natürlich auch gesellschaftliche Einflüsse wirksam. Die Erinnerungsspuren an Personen, mit denen der Mensch umgegangen ist, bilden so genannte innere Objekte. Gleichzeitig hat der Mensch Vorstellungen von sich. Er hat eine innere Selbstrepräsentanz, während die anderen Personen durch Objektrepräsentanzen präsent sind. Es kommt nun darauf an, welche Beziehungen zwischen einem Objekt und dem Selbst eines Menschen bewusst und unbewusst erlebt worden sind; bewusste Erinnerungen können später unbewusst werden; unbewusste Erinnerungen können in einer Therapie ins Bewusstsein treten.
Eine innere Objektrepräsentanz - man sagt abgekürzt auch oft: inneres Objekt - enthält frühe Erinnerungsspuren. Diese Spuren aus verschiedenen Lebensaltern liegen gleichsam schichtförmig übereinander. Das gleiche gilt für die Selbstrepräsentanz. In der Regression kommt es zu einer Reaktivierung früherer Beziehungsformen, die als Beziehungserinnerungen gespeichert sind, ohne dass der Betreffende merkt, dass es sich um Erinnerungen handelt. Auf Grund ihrer Aktivierung können sie dann bearbeitet werden. Oft behindert Regression aber auch eine Therapie, nämlich dann, wenn die Ich-Funktionen eines Menschen im Laufe der Regression inaktiviert werden, sodass der Betreffende bezüglich seiner verfügbaren
Es-Ich-Über·lch
Ich-Funktionen eine Mittelstellung zwischen Erwachsenem und Kind einnimmt und dann nicht kompetent genug mitarbeiten kann. In einer psychoanalytischen Therapie spielt die Reaktivierung früherer Erfahrungen eine Rolle, aber auch das Verstehen gegenwärtiger Beziehungen, zunächst ohne Berücksichtigung der Vergangenheit; von Interesse sind die aktuellen Wünsche, die in Beziehungen auftreten, zum Beispiel Wünsche nach Nähe oder Distanz, nach oraler oder sexueller Befriedigung, nach Macht oder Unterwerfung. Die psychoanalytische Charakterologie leitet aus der Entwicklungspsychologie Persönlichkeitstypen ab, denen sie die im klinischen Alltag angetroffenen Patienten-Persönlichkeiten zuordnet. So gibt es einen zwanghaften Charakter, der in der analen Phase entsteht, oder einen depressiven Charakter, der in der oralen Entwicklungsphase entsteht. In den heute vielfach angewandten diagnostischen Systemen DSM IV und ICD-I0 werden Persönlichkeitsstörungen beschrieben, nicht aber Charaktere von Menschen, die man dem Normbereich zuordnen kann. Diese diagnostischen Systeme dienen dem Erfassen von Krankheit und nicht der Klassiftkation von Phänomenen, die dem gesunden Bereich zuzuordnen sind. Die in den letzten Jahren entwickelte diagnostische Einteilung "Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik" (Arbeitskreis OPD 1996) gestattet es eher, auch Gesunde zu klassiflzieren; freilich ist auch dieses diagnostische System in erster Linie auf das Erfassen vOn Pathologie ausgerichtet. Die psychoanalytische Charakterologie kann Anwendung fmden, wenn es in der Arzt-Patient-Beziehung um das Befolgen ärztlicher Anweisungen oder um die aktive Mitarbeit bei sozialpsychiatrischen Maßnahmen geht. Die Persönlichkeit des Patienten ist dann zwar nicht Gegenstand der Therapie, dennoch determiniert sie den Umgang des Patienten mit dem therapeutischen Personal. Der Charakter eines Menschen bedingt hahituelle Erlebens- und Verhaltensweisen, und er ist wesentlich an der Verarbeitung von akuter und chronischer, somatischer und psychischer Krankheit beteiligt, sie beeinflusst das so genannte Coping, also den Umgang mit der eigenen Krankheit.
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18 Einführung
Psychoanalytisches Arbeiten Davon, wie ein Psychoanalytiker arbeitet, gibt es die kuriosesten Vorstellungen: ein Psychoanalytiker, der hinter der Couch sitzt, nichts sagt und gelegentlich einschläft; ein Psychoanalytiker, der seinem Patienten ermöglicht in dramatischen Szenen breiten Kontakt mit dem Unbewussten aufzunehmen und der dadurch in kurzer Zeit geheilt wird; ein Psychoanalytiker, der konkrete Anweisung gibt, wie der Patient sich zu verhalten hat; ein Psychoanalytiker, der sich nur für das Unbewusste, nicht aber für das alltägliche Leben des Patienten interessiert; ein Psychoanalytiker, der nur an der Beziehung des Patienten zu ihm selbst interessiert ist und gar nicht mitbekommt, dass er inzwischen geschieden wurde und wieder geheiratet hat - derlei Vorstellungen, untereinander oft widersprüchlich, geben die Realität des psychoanalytischen Arbeitens verzerrt oder gar nicht wieder. Tatsächlich kümmern sich Psychoanalytiker durchaus darum, wie der Patient lebt und wie er das in der Psychoanalyse Erfahrene im Alltag anwenden kann; das Unbewusste des Patienten zeigt sich nicht nur in der Beziehung zum Analytiker, sondern gerade in den Beziehungen zu anderen Personen, von denen der Patient berichtet. Der Kontakt mit dem Unbewussten muss dosiert aufgenommen werden, damit das so Erfahrene verarbeitet und integriert werden kann. Psychoanalytiker machen sich Gedanken darüber, welches für einen Patienten die ökonomischste Behandlungsmethode ist, und das ist nicht immer nur die klassische Analyse. Die Aktivität eines Psychoanalytikers ist bei verschiedenen Patienten sehr unterschiedlich; ein Psychoanalytiker kann viel oder wenig sprechen. Die beschriebenen Vorstellungen von der Arbeit des Psychoanalytikers werden häufig von jenen Psychiatern geteilt, die keine Gelegenheit hatten, mit Psychoanalytikern ausführlich zu sprechen oder die ihre Kenntnisse der Psychoanalyse nur aus der klassischen psychoanalytischen Literatur beziehen, wenn nicht nur aus Karikaturen und Kinofilmen. Das gilt natürlich vor allem für Psychiater, die vor dem Jahr 1972, als der Unterricht in psychoanalytischer Psychotherapie und Psychosomatik zumindest an einigen Universitäten begann,
Psychoanalytisches Arbeiten
studiert haben - wenngleich auch noch heute der Unterricht in diesem Fach an vielen Universitäten zu wünschen übrig lässt. Ein Mangel an zutreffenden Informationen kann Psychiater veranlassen zu denken, die psychoanalytische Methode sei nichts für sie; jedenfalls sei sie in der täglichen Arbeit mit ihren Patienten nicht anwendbar. Im Eingangskapitel bin ich schon auf Fehlinformationen bezüglich der Psychoanalyse eingegangen; in diesem Kapitel möchte ich einiges vom tatsächlichen Arbeiten des Psychoanalytikers darstellen. Aus dieser Darstellung wird sich dann auch ergeben, inwieweit psychoanalytische Interventionstechniken, zumindest einige ihrer Elemente, im psychotherapeutischen Umgang mit psychiatrischen Patienten angewendet werden können. Daneben kann ein psychoanalytisches Verständnis von zwischenmenschlichen Beziehungen mit eine Grundlage für psychiatrisches Handeln in fast allen Bereichen sein; zum Beispiel lassen sich sozialpsychiatrische Maßnahmen aus einem solchen Verständnis ableiten. Ein Psychoanalytiker versucht zunächst das Erleben seines Patienten zu verstehen, wie es sich in seinem Sprechen und sonstigem Verhalten ausdrückt. Dabei geht es um bewusste, vorbewusste und unbewusste Inhalte. Vorbewusstes und Unbewusstes kann nur erlebt werden, wenn es in das Bewusste eindringt oder dorthin abgerufen wird, zum Beispiel durch den Wunsch sich zu erinnern.
lernen zu verstehen Verbindungen zwischen dem Bewussten und Unbewussten können durch Deuten hergestellt werden. Eine Deutung beschreibt eine unbewusste Determinante von bewusstem oder bewusstseinsfähigem Erleben und Verhalten, die aus dem, was der Patient sagt und wie er sich verhält, erschlossen wird. Daraus ergeben sich Hypothesen, die noch der Validierung bedürfen. So kann ein Analytiker, dessen Patient zu spät kommt und beteuert, wie unangenehm ihm das sei und wie sehr er sich bemüht habe pünktlich zu sein, überlegen, ob das Zuspätkommen mit dem unbewussten Wunsch zusammenhängen könnte, die Stunde ausfallen zu lassen, weil unangenehme Inhalte zur Sprache kommen könnten, oder aber
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20 Einführung
ob es sich vielleicht um einen zwanghaften Patienten handelt, der sich zwar bemüht, anderen alles recht zu machen, sich dabei aber so verhält, dass es ihnen eher schadet. Ob es sich um einen zwanghaften Patienten handelt oder nicht, wird der Analytiker nach kurzer Zeit wissen. Handelt es sich bei dem Zuspätkommen aber um etwas Neues, das nicht zur Persönlichkeit des Patienten zu passen scheint, dann wird der Analytiker eher an eine Veränderung in der Beziehung des Patienten zum Therapeuten denken, zum Beipiel an die Entwicklung einer neuen Übertragungsform. Er wird sich natürlich auch darüber informieren müssen, ob es sich bei dem Zuspätkommen nicht um ein unvermeidbares Ereignis gehandelt hat oder um eine Verkettung solcher Ereignisse. Dann wird er das Zuspätkommen einfach hinnehmen.
Natürlich gibt es noch weitere Dinge, die ein Analytiker sich überlegen kann, wenn sein Patient zu spät kommt. Damit ließe sich ein ganzes Kapitel füllen. Die gegebenen Beispiele dürften aber genügen, um zu zeigen, worum es gehen kann. Der Analytiker wird, nachdem er die Situation geklärt hat, vielleicht eine Intervention machen, die sich auf den möglichen unbewussten Anteil des Handelns seines Patienten bezieht - eine Deutung. In der täglichen psychoanalytischen Arbeit sind Deutungen aber seltener als vielfach angenommen wird. Es gibt Behandlungsstunden, in denen keine einzige vorkommt. Die meiste Zeit beschäftigt sich ein Psychoanalytiker damit, das, was der Patient sagt, aufzunehmen und zu verstehen, auch in den möglichen unbewussten Aspekten. Was er an solchen unbewussten Aspekten versteht, teilt er dem Patienten selten sofort mit. Eine Deutung muss vorbereitet werden. Schon S.FREUD (1912) hat davor gewarnt, eine Deutung, die sie gefunden hätten, dem Patienten "sogleich an den Kopf zu werfen". Der Psychoanalytiker muss überlegen, ob der Patient bereits in der Lage ist die Verbindung zwischen Bewusstem und Unbewusstem nachzuvollzie-
hen, die der Analytiker in seinem eigenen Kopf herstellt. Der Patient hat nicht ohne Grund einen Teil seines Erlebens »Verdrängt«, das heißt aus dem Bewussten abgespalten und in zunächst unzugängliche Bereiche seiner Psyche verlagert. Es handelt sich um kognitive und emotionale Bewusstseinsinhalte, die in irgendeiner
Lernen zu verstehen 21
Weise unangenehm sind, zum Beispiel dadurch, dass sie Angst, Scham oder Schuldgefühle erzeugen oder deprimieren würden. Neben der Verdrängung kann der Patient eine Vielzahl weiterer Abwehrmechanismen einsetzen, die in einem anderen Kapitel ausführlich dargestellt werden. So kann eine Information zwar im Bewusstsein behalten, aber bagatellisiert oder aber ihre Bedeutung schlicht geleugnet werden. Das trifft oft auf Menschen zu, deren Verhalten selbstschädigend ist, zum Beispiel, indem sie zu viel Alkohol trinken oder indem sie Zigaretten rauchen, obwohl sie wissen, dass es ihnen schadet. Inhalte des Unbewussten können sich in verstellter Form bemerkbar machen. Das Unbewusste wird dadurch entlastet, im Leben des Patienten wirkt es sich aber oft nachteilig aus. So kann jemand eigene Gefühle, die er verdrängt hat, einem anderen zuschreiben (Projektion, siehe dOrl), er kann gegen extreme Hassgefühle Gefühle extremen Mitleids setzen, die die Hassgefühle zudecken und nicht ins Bewusstsein treten lassen (Reaktionsbildung). oder er kann aggressive Impulse gegen sich selbst richten und nicht gegen die Person, der sie ursprünglich galten. Ein großer Anteil der therapeutischen Arbeit des Psychoanalytikers bezieht sich nun auf die Bearbeitung dieser Abwehrphänomene, die der Patient unbewusst motiviert einsetzt, um Unbewusstes vom Bewusstsein fern zu halten, und die in einer Therapie dazu dienen, das Fortschreiten des therapeutischen Prozesses zu bremsen. Wenn das Ich des Patienten stabil genug ist und wenn es auf die Verarbeitung bestimmter unbewusster Inhalte vorbereitet worden ist, dann fallt es dem Patienten wesentlich leichter, eine Verbindung seines bewussten Erlebens und Verhaltens mit dem Unbewussten herzustellen und nachzuvollziehen. Die Kenntnisnahme von Unbewusstem führt dann vielleicht dennoch, vorübergehend, zu Gefühlen von Angst, Scham, Schuld oder Depression; mittel- und langfristig führt sie aber zu Gefühlen der Erleichterung und positiven Veränderungen im Leben des Patienten, jedenfalls sofern es gelingt, die unbewussten Anteile seiner Psyche in deren bewussten Anteil zu integrieren und die zunächst abgewehrten Impulse zu sozialisieren, das heißt, sie in einer Form auszuleben, die sozialverträglich ist. Das geschieht dadurch, dass der
22 Einführung
Analytiker seinem Patienten dabei hilft, sich an unangenehme Affekte schrittweise zu gewöhnen, indem er sich mit unbewussten Inhalten beschäftigt, die an der Oberfläche liegen, und die Widerstände gegen das Bewusstwerden dieser Inhalte bearbeitet. Wenn das Ich stärker wird, rücken die tiefer gelegenen, bewusstseinsferneren unbewussten Inhalte näher an die Oberfläche und können ihrerseits bearbeitet werden. Bei alldem ist der Widerstand des Patienten (siehe das gesonderte Kapitel dazu) nicht nur etwas, das möglichst rasch aufgelöst werden sollte. Der Widerstand hilft dem Patienten und auch dem Analytiker, die Belastungen nur in kleinen Schrillen zu steigern; wenn man so will, wirkt er wie die Bremsen eines Autos, ohne die man nicht auföffentlichen Straßen fahren könnte. In einer klassischen Psychoanalyse soll der Patient sagen, was ihm durch den Kopf geht, welche Emotionen er erlebt und welche Körpergefühle er hat, etwas also, das gar nicht leicht zu erlernen ist, weil wir schon in der Schule und in den meisten Ausbildungen darauf hin trainiert werden, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden und uns auf das Wichtige zu konzentrieren, worunter wir gerade Emotionales oft nicht verstehen. Schon als Kinder werden wir dazu erzogen, nicht mit allem unkontrolliert herauszuplatzen; das Kind soll lernen, sich dosiert und kontrolliert auszudrücken, damit es später in der Erwachsenenwelt zurechtkommt. Dass dies erst gelernt werden muss und gelernt werden sollte, drückt sich auch in dem Ausspruch aus; ,)Kinder und Betrunkene sagen die Wahrheit." Der Patient soll ausdrücken, was sich in seinem Inneren abspielt, er soll alles mitteilen, auch das, was sich auf den Analytiker selbst bezieht und möglicherweise von diesem in einer normalen Konversation als taktlos empfunden würde. Ein illustratives Beispiel; Ein Patient, der schon in jungen Jahren einen Großteil seiner Haare verloren halle, musste immer daran denken, dass ich, sein Analytiker, auch nicht mehr viele Haare auf dem Kopfhahe, konnte es aber nicht offen sagen, weil er fürchtete, mich dadurch zu kränken. Als er es schließlich sagte, entwickelte sich daraus die Bearbeitung seiner Probleme auch im Umgang mit Frauen. Er fürchtete, nicht attraktiv genug zu sein. Es stellte sich heraus, dass diese Befürchtung noch andere wich-
Lernen zu verstehen
tige Wurzeln hatte, die damit zusammenhingen, dass der Vater ihn nie als >,richtigen Jungen<> akzeptiert und die Mutter zu entsprechenden Bemerkungen des Vaters geschwiegen hatte, sodass der Patient glauben konnte, sie sei der gleichen Meinung. Um die Grundregel wenigstens in Ansätzen einhalten zu können, muss ein Patient dem Analyiker eine Art Vertrauensvorschuss geben. In der Aufforderung, alles zu sagen, was einem durch den Kopf geht, liegt ja auch die Zusicherung, dass dies keine nachteiligen Folgen haben werde. Der Analytiker entscheidet sich bezüglich dessen, was er in der Stunde aufgreift, nach Kriterien psychologischer Relevanz. Ausführliche Diskurse eines Patienten über das Leben an sich oder ein Philosophieren über die menschliche Existenz in ihren mannigfachen Bezügen können weniger relevant sein als die Erzählung einer Mutter über ihre konkreten Schwierigkeiten, die Rollen von berufstätiger Frau, Hausfrau und Mutter unter einen Hut zu bringen. Es kann sich dabei beispielsweise herausstellen, dass sie in den verschiedenen Rollen jeweils so gut sein möchte, als ob es die anderen Rollen mit ihren Anforderungen nicht gäbe. Überhaupt gilt, dass der Analytiker mit konkreten Angaben das meiste anfangen kann. Konkrete Angaben können zudem symbolisch für Unbewusstes stehen. Auch hierzu ein Beispiel: Eine Frau war mit dem Problem in die Therapie gekommen, sexuelle Erregung sehr früh abzublocken. Einmal erzählte sie dann, sie sei mit einem Eimer schmutzigen Wassers gestolpert und das schmutzige Wasser habe sich über sie ergossen, woran sie den ganzen Tag, auch als sie sich geduscht und umgezogen hatte, denken musste. Im Gespräch stellte sich heraus, dass cliese Scham, schmutzig zu sein, etwas mit dem sexuellen Problem zu tun hatte. Auch beim Geschlechtsverkehr nämlich fürchtete sie jedes Mal, die Kontrolle über sich und damit auch die Sphinkterkontrolle zu verlieren und sich mit Urin und Faeces zu beschmutzen. Das wiederum hing damit zusammen, dass sie fürchtete, ihr Partner könnte ihr Verhalten bei sexueller Erregung als >,schmutzig,> empfinden, weshalb sie sexuelle Erregung abblockte. Hat der Analytiker nun im Redestrom des Patienten oder der Patientin etwas entdeckt, von dem er glaubt, dass es relevant sei, kann er
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die Patienten auffordern, über bestimmte Dinge, die er gesagt hat, mehr zu berichten, Beispiele zu geben, noch konkreter zu werden. Nicht jedes Verhalten, das ein Patient in der Stunde zeigt, ist ihm bewusst. Viele Dinge, die wir zu tun gelernt haben, sind automatisiert und laufen wie selbstverständlich ab. Auch unser Ausdrucksverhalten ist uns keineswegs immer bewusst. Wir merken zwar meist, dass wir lächeln, dass wir traurig sind und deshalb wohl ein trauriges Gesicht machen, dass wir weinen oder lachen ... nicht wenige mimische Ausdrucksformen und Gesten laufen aber ab, ohne dass wir etwas davon merken. Viele Menschen wissen auch nicht, dass ein bestimmtes Verhalten etwas über ihr inneres Befmden ausdrücken kann, zum Beispiel die Art, wie jemand die Beine übereinander schlägt, wie jemand auf der Couch liegt, ob er sich auf der Couch bewegt oder nicht. Auch auf solche Verhaltensweisen kann ein Analytiker seine Patienten vorsichtig ansprechen. Vorsichtig deshalb, weil manches Ausdrucksverhalten nicht ohne Grund unbemerkt bleibt. Das gilt etwa für den mimischen Ausdruck der Verachtung, der häufig auftritt, ohne dass der Betreffende Verachtung ausdrücken will und ohne dass er selbst sein Ausdrucksverhalten wahrnimmt. Auch die Art, wie wir sprechen, ist uns nicht immer bewusst: ob wir leise oder laut, freundlich oder unfreundlich sprechen. Das ist mit ein Grund dafür, warum Tonbandaufnahmen beim Erlernen einer verbalen Therapieform so nützlich sind. Wenn der Analytiker einen Patienten aufetwas aufmerksam macht, das dieser nicht merkt oder nicht beachtet, nennt man das eine Konfrontation. Das Wort »konfrontieren« klingt für die meisten Ohren aggressiver, als es hier gemeint ist. Es handelt sich um ein Aufmerksammachen, das dem Patienten natürlich nicht immer angenehm ist und deshalb vorsichtig und mit Taktgefühl praktiziert werden muss. An eine Konfrontation kann sich dann eine Deutung anschließen. Zuvor ist es allerdings oft notwendig, all das, worauf der Analytiker aufmerksam gemacht hat, mit DetailS anzureichern und zu verbreitern. Ein Verhalten, das sich in einem Alltagsbereich zeigt, zeigt sich oft auch in anderen. So kann sich jemand an der Arbeitsstelle ähnlich verhalten wie zu Hause und umgekehrt; es ist aber ebenso relevant,
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wenn er sich zu Hause anders verhält als an der Arbeitsstelle. So kann jemand am Arbeitsplatz höflich und zurückhaltend sein, seinen Frust aber zu Hause »abladen«. Dann ist es vielleicht wichtig herauszufinden, warum er sich am Arbeitsplatz so viel gefallen lässt und zu Hause wenig Rücksichten nimmt. Vielleicht hat er zu seinem Chef eine ähnlich gefügige Beziehung wie zu seinem autoritären Vater und vielleicht hat er sich im Umgang mit der Mutter, die sich viel gefallen ließ, mit dem Vater identifiziert, der seinen Ärger an ihr ausließ. Es empfiehlt sich aber meist, die Klärung dieser Frage erst einmal zurückzustellen. Man kann erst einmal untersuchen, wie es überhaupt mit den Beziehungen des Patienten zu Männern und Frauen steht, auch außerhalb der Familie und der Arbeitsstelle, zum Beispiel in Vereinen.
Ist dem Patienten ein bestimmtes Verhaltensmuster in mehreren Lebensbereichen und an mehreren Beispielen aus einzelnen Lebensbereichen deutlich geworden, dann hat eine gegebene Deutung breitere Auswirkungen - meist wirkt sie nach dieser Vorbereitung auch überzeugender. Wird das Verhalten oder Erleben des Patienten nur an einem Beispiel bearbeitet, kann es sein, dass dies den Widerstand verstärkt sich damit auch in anderen Bereichen zu befassen. Es wird dann schwieriger, diese anderen Bereiche zu bearbeiten. Wird das gleiche Verhalten aber mehrfach vorgefunden und zeigen sich dabei unangenehme Folgen dieses Verhaltens, wird auch die Motivation verstärkt, sich mit dessen Ursachen zu beschäftigen. Missverständnisse gibt es bezüglich der Bedeutung der Vergangenheit eines Patienten. Um ein gegenwärtiges Verhalten des Patienten (hier ist auch inneres Verhalten, also Erleben gemeint, im Sinne der umfassenden Definition von RAPPAPoRT 1960) so zu beeinflussen, dass es sich verändert, genügt es nicht, aufzuklären, wie es entstanden ist und was bewusste oder nicht bewusste Erillnerungsspuren am gegenwärtigen Verhalten bewirken. Zum Beispiel kann es auch wichtig sein, herauszufmden, dass hinter dem riskanten Verhalten eines Patienten Angst steckt, die er in bestimmten Situationen unterdrückt, um über sie zu triumphieren und nicht durch sie gekränkt zu werden. Ein solches Verhalten nennt man im Übrigen kontraphobisch. Der Patient hält sich für besonders mutig, ist im Kern aber besonders
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ängstlich. Sein Mut ist ohne die zu Grunde liegende Angst nicht zu verstehen. Weshalb der Patient nun in bestimmten Situationen mehr Angst hat als andere Menschen, hat seine Gründe, die in der Kindheit zu suchen sind; das wird aber oft erst erheblich später zum Thema in einer Analyse. Eine Verhaltensänderung tritt schon vorher ein: Der Patient merkt, dass er eigentlich Angst hat, dass er die Angst unterdrückt und überkompensiert und wird sich schon aus diesem Grunde weniger riskant verhalten. Er muss sich damit auseinander setzen, dass ihn die eigene Angst kränkt, und damit, wie es überhaupt mit seiner Kränkbarkeit steht und wie er Ängstlichkeit beurteilt. Obgleich vieles notwendig sein kann, um eine Deutung vorzubereiten und zu verarbeiten, ist das Tun des Psychoanalytikers am Ende doch darauf gerichtet, Verbindungen zwischen Bewusstem und Unbewusstem herzustellen. In einer Psychoanalyse neurotischer Patienten ist dies ein zentrales Mittel. Ich habe schon darauf hingewiesen, dass Patienten die Geschwindigkeit des therapeutischen Prozesses durch den Einsatz von Widerständen bremsen können, damit ihr Ich nicht überlastet wird. Es gibt aber Patienten, meist sind es Patienten mit so genannten Frühstörungen, denen es erheblich an Ich-Stärke fehlt, die aber notwendig ist, um abgewehrte unbewusste Inhalte zu verarbeiten, wenn sie bewusst werden. Fehlt es an Ich-Stärke, führt ein Bewusstmachen unbewusster Inhalte zu einer Überlastung des Ichs und zu einer Verschlechterung des Zustands des Patienten, der auch keine Besserung folgt. Bei solchen Patienten werden viele Psychoanalytiker auf ein Deuten überhaupt verzichten und ihre Aufmerksamkeit ausschließlich darauf konzentrieren, das Ich des Patienten zu stärken. Dies ist dem Patienten an und für sich schon nützlich, gleichzeitig können damit aber auch die Voraussetzungen für eine deutende Therapie geschaffen werden. Was versteht man nun unter einer Schwäche und was versteht man unter einer Stärke des Ichs? Ich-Schwäche und Ich-Stärke können nur im Hinblick auf bestimmte Belastungen des Ichs eingeschätzt werden. Man sagt zum Beispiel, dass das Ich eines Patienten stark genug ist, um die Mobili-
Lernen zu verstehen
sierung weiterer Konflikte auszuhalten, oder dass es dazu zu schwach ist, wobei es auch auf die Art der Konflikte ankommt. Ein Ich kann zu schwach sein, um gleichzeitig Belastungen von außen und Belastungen von innen, nämlich durch zusätzliches Bewusstwerden der Konflikte, auszuhalten, aber dann stark genug dazu sein, wenn die äußeren Belastungen wegfallen. So geht es bei einer Patientin in einem Ehekonflikt in erster Linie darum, die Belastungen durch den interpersonellen Konflikt abzumildern, indem nur über schon Bewusstes gesprochen wird, das mit dem Konflikt zu tun hat; es geht zunächst um ein Verstehen der eigenen Reaktionen und der Reaktionen des Partners, soweit sie bewusst determiniert sind. Ist der interpersonelle Konflikt dadurch erträglicher geworden, kann man sich innerpsychischen Konflikten zuwenden, die ganz oder teilweise unbewusst sind, sich aber im Bewussten manifestieren: zum Beispiel, indem Impulse in Symptome umgewandelt werden. Das geschieht zum Beispiel im Vorgang der Konversion, in dem ein innerer Konflikt sich in einem Symptom ausdrückt, ohne in allem bewusst zu sein. Die Ich-Schwäche kann sich auf bestimmte Ich-Funktionen beziehen. Zum Beispiel gibt es Patienten mit der Kombination eines Mangels, Affekte auszuhalten, und einer Schwäche im Bereich der Impulskontrolle. Bei affektiven Belastungen kommt es zu dissozialen Impulshandlungen. Solche Menschen können über gute ich-Funktionen im Bereich des Denkens, der Abstraktion und der Introspektion verfügen, solange ihre Affekte ein bestimmtes Maß nicht überschreiten. Während der Impulshandlung und schon vorher, beim Leiden unter dem Affekt, sind diese anderen Ich-Funktionen aber gleichfalls eingeschränkt. Der Betreffende kann nicht rational denken und urteilen; zum Beispiel macht er sich kein Bild davon, welche Folgen sein Handeln haben könnte. Andere wieder antizipieren die Folgen des Handelns, können das Handeln, das ihnen schaden wird, dennoch nicht unterdrücken. So kann jemand bei einer berechtigten Kritik am Arbeitsplatz "aufhundertfünfzig gehen« und wütend zurückscWagen, obwohl er antizipiert, dass ihm das schaden wird. Andere wieder können Affekte gut tolerieren und ihr Handeln zu gut beherrschen; das führt aber zu sozialen Nachteilen, weil sie sich zu viel gefallen lassen, und möglicherweise auch zu psychischen Symptomen.
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Therapeutische Verfahren zur Stärkung des Ichs basieren meist auf einer angestrebten und auf verschiedenen Wegen erreichten guten Beziehung zwischen Patient und Therapeut und sie bestehen in einer Art Training von Ich-Funktionen, wobei der Therapeut auf dem Boden der guten Beziehung die Funktion eines Trainers einnimmt. Patientinnen und Patienten, die keine guten Erfahrungen mit Menschen gemacht haben, können neue, bessere Erfahrungen machen, wenn der Therapeut sich ihnen gegenüber selektiv transparent verhält; zum Beispiel wie bei der psychoanalytisch interaktionellen Methode von HEIGL-EvERs und HEIGL (1973), HEIGL-EvERs und ÜTT (1994), bei der der Therapeut seine Reaktionen auf den Patienten mitteilt, um eine realistischere Vorstellung von ihm zu erreichen. Diese Vorstellung kann darin bestehen, dass der Therapeut nicht so >}böse( ist wie zeitweise vom Patienten vermutet wurde oder dass die Möglichkeiten des Patienten begrenzt sind. Idealisiert ein Patient einen Therapeuten, kann das dazu führen, dass er bei nächster Gelegenheit von ihm enttäuscht wird - nämlich dann, wenn die natürlichen Grenzen seines Verstehens und seines Einsatzes deutlich werden. Andererseits kann ein Stück Idealisierung eine realistische Arbeitsbeziehung zunächst ersetzen. Sie sollte aber im Verlauf durch eine realistischere Sicht abgelöst werden, die Mängel und Grenzen des Therapeuten erträgt oder diese Mängel und Grenzen realistisch sieht und kritisch ins Gespräch bringt. Das gilt im Übrigen für alle Therapieformen, auch für die Verhaltenstherapie. Auch deshalb hat sich die Verhaltenstherapie in den letzten Jahren zunehmend dazu verstanden, die Arzt-Patient-Beziehung als eine zentrale Voraussetzung jedweder Arbeit mit dem Patienten stärker zu beachten und zu untersuchen, als dies vorher der Fall war. Die psychoanalytisch-interaktionelle Therapie spricht von HilfsIch-Funktionen, die ein Therapeut übernimmt, um dem Patienten zu zeigen, wie man die Probleme auch angehen könnte. Dabei ist zu beachten, dass die vom Therapeuten beschriebene Form des Handeins in einer bestimmten Situation in der Regel nur eine von mehreren Möglichkeiten ist und auch mit der Subjektivität des Therapeuten zu tun hat. Ein ideales Handeln gibt es wohl nur in wenigen Situationen, in denen die Verhältnisse sehr klar sind. Der Trainer einer Fußball-
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mannschaft kann bestimmte Dinge anweisen oder vormachen, die ein anderer Trainer anders sehen, anweisen und vormachen würde. Der
Therapeut darf sich nicht wie ein Regisseur sehen, der seine Auffassung des Stückes, koste es, was es wolle, durchsetzen will. Abweichend von dem von A. Heigl-Evers und F. Heigl vorgeschlagenen Prozedere, das bei ich-schwachen Patientinnen und Patienten der Stärkung des Ichs Priorität einräumt und empfiehlt, Deutungen erst dann zu geben, wenn die Voraussetzungen beim Ich dafür erarbeitet worden sind, oszilliert O.F.KERNBERG (u.a. 1993) in seinem therapeutischen Vorgehen zwischen Deutung und Antwort, wobei die Antworten meist indirekter gegeben werden. Die Deutungen richten sich auf jene in der aktuellen Beziehung zwischen Patient und Therapeut beobachtbaren Abwehrmechanismen, von denen Kernberg annimmt, dass sie das Ich schwächen, statt es zu schützen; zum Beispiel indem sie das Ich durch Verkennungen belasten, die sich aus dem Tätigwerden der Abwehrmechanismen ergeben, während der Patient durch eine realistischere Sicht der Dinge entlastet wird. Während A. Heigl-Evers und F. Heigl einem Patienten, der auf sie projiziert, etwas darüber mitteilen, wie sie wirklich empfmden - und eventuell auch, wie sie wirklich handeln möchten -, versucht Kernberg die Projektion argumentativ anzugehen; zum Beispiel indem er seine Sicht der Dinge und die Sicht des Patienten nebeneinander stellt, in der Hoffnung, dass der Patient einsehen kann, dass seine eigene Sicht weniger Plausibilität hat. Aber auch dafür kann das Ich des Patienten zu schwach sein; ein solches Vorgehen hat eher eine Überlastung zur Folge, etwa dann, wenn seine Einsicht nicht zu erreichen ist oder wenn er sich durch ein solches Vorgehen provoziert fühlt. In Wirklichkeit antwortet Kernberg auch, wenn er die eigene Sicht der Beziehung beschreibt. Die Interventionen bewegen sich aber auf einer abstrakteren Ebene unter Einbeziehung des Kognitiven, es geht ja um Plausibilität; ähnlich wie dies übrigens auch M. M. GrLL (1982) generell beim Bearbeiten von Übertragung vorgeschlagen hat. Der Therapeut appelliert an die Vernunft des Patienten und hat mit diesem Appell bei Borderline-Patienten unter Umständen Erfolg. Gleich welches therapeutische Vorgehen man wählt, beim Umgang
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mit Borderline-Patienten ist die Gegenübertragung mit ihren Folgen für das therapeutische Handeln besonders zu beachten. Die starken projektiven Identifizierungen (siehe dort) bewirken immer wieder einmal, dass der Therapeut seine therapeutische Neutralität verlässt, weil der Patient ihn zu einem nicht neutralen Verhalten provoziert. Im Unterschied zu neurotischen Patienten, bei denen es oft schwer ist, projektive Identifizierung zu erkennen, erkennt man die projektive IdentifIZierung durch Borderline-Patienten meist leicht - eben weil die Gefühle, die sie in einem erzeugen, so wenig zur therapeutischen Rolle passen, dass es aufflillt, oder weil man durch andere, zum Beispiel durch Teammitglieder, darauf aufmerksam gemacht wird, dass man sich unzweckmäßig verhält oder zu verhalten droht, zum Beispiel wenn es um die Entlassung oder Wiederaufnahme eines Patienten geht. Antworten müssen selektiv gegeben werden, nämlich nach den Kriterien der therapeutischen Zweckmäßigkeit - worin man sich natürlich auch täuschen kann -, jedenfalls nicht zur eigenen emotionalen Entlastung. Das psychoanalytische therapeutische Repertoire umfasst, wie ich versucht habe darzustellen, viele Handlungsmöglichkeiten. Bei Borderline-Patienten können sie in der Psychiatrie zu einem großen Teil eingesetzt werden, wenn sie auf einer entsprechenden Ausbildung basieren. Was von alledem kann ein Psychiater sonst sinnvoll anwenden? Wenn er keine Psychotherapie unter Einbeziehung des Unbewussten machen will oder kann, im Sinne einer tiefenpsychologisch fundierten oder psychoanalytisch orientierten Therapie, dann ergeben sich doch im Umgang mit den Patienten und deren Angehörigen, aber auch im täglichen Umgang im Team, mannigfache Gelegenheiten, die beschriebenen Elemente psychoanalytischen Intervenierens anzuwenden, wenn auch oft ohne das Deuten. In Supervisionen kann man beobachten, dass oft gerade das Gegenteil gemacht wird. Im Deuten, also im Verbinden von Bewusstem und Unbewusstem, liegt eine gewisse Faszination. Deuten ist auch relativ leicht zu erlernen. Es gibt Patientinnen und Patienten, die es darin zu hoher Fertigkeit bringen und, zum Beispiel in einer psychoanalyti-
Lernen zu verstehen
schen Gruppe, mit dem Therapeuten im Deuten rivalisieren. Allerdings unterscheidet sie vom Therapeuten, dass sie nicht darauf trainiert sind, ihre Deutungen vorzubereiten und zu dosieren. Dagegen kann es nützlich sein, eine Deutung, die man gefunden hat, für sich zu behalten und eben nicht zu deuten, sondern andere Interventionen vorzunehmen, die diese Deutung zwar zur Grundlage haben, der Situation und den Möglichkeiten des Patienten aber angepasster sind. Das gilt zum Beispiel für einen Umgang mit schizophrenen Patienten, die oft besser verstanden werden können, wenn man ilu Bemühen erkennt, sich durch eine mehr oder weniger produktive schizophrene Symptomatik gegen das Überschwemmtwerden mit inneren Impulsen zu schützen, die aus dem eigenen Unbewussten kommen, aber auf Personen und Institutionen der Umwelt projiziert werden, etwa bei der paranoiden schizophrenen Psychose. Hier wird es nur selten zweckmäßig sein, dem Patienten zu deuten, dass er von anderen etwas fürchtet, was er selbst in sich hat, zum Beispiel aggressive Impulse. Die innere Ökonomie des Patienten ist nicht so strukturiert, dass er auf seine Projektionen verzichten kann, vielmehr ist es zweckmäßig, dem Patienten dabei zu helfen, sich in einer für seine Umwelt verträglichenForm von dieser abzuschließen, ohne die Kommunikation mit ihr ganz aufzugeben, was dazu führen würde, dass mehr Raum für Phantasien entsteht und die paranoide Symptomatik sich verstärkt. So kann es passieren, dass ein Patient mit einer paranoiden Symptomatik paranoider wird, wenn er in ein Einzelzimmer verlegt wird. Sinnvoll kann es bei vielen Patienten sein, Zusammenhänge im Bewussten herzustellen, wie dies im Laufe des Klarifizierens geschieht, ohne an das Klarifizieren eine Deutung anzuschließen. Am Beispiel des kontraphobischen Patienten habe ich schon erwähnt, dass bereits ein Klarifizieren, bei dem man im bewussten Bereich bleibt, einen therapeutischen Effekt haben kann. Das macht sich die Gesprächspsychotherapie zu Nutze, die mit dem psychoanalytischen Intervenieren einen Bereich herausgetrennt und daraus eine Methode gemacht hat, die bei vielen Patienten gute Ergebnisse liefert. Die auf Verstehen und nicht nur auf Beschreiben gerichtete Wahrnehmungseinstellung des psychoanalytisch Geschulten kann zum Beispiel auch
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nützlich sein, wenn es um das Einnehmen von Medikamenten geht wobei der Arzt die Medikamentenablehnung durch den Patienten verstehen können sollte. Für jede Form deutenden Intervenierens ist ein Einschätzen der Ich-Stärke des Patienten zentrale Voraussetzung. Psychiater, die häufiger als die meisten Psychoanalytiker mit ausgesprochen ichschwachen Patienten arbeiten müssen, neigen nach meinen Erfahrungen dazu, die Ich-Stärke nichtpsychotischer Patienten zu überschätzen. Das gilt besonders für Borderline-Patienten vom präpsychotischen Typ. Es ist ein Irrtum anzunehmen, dass jeder Patient, der nicht psychotisch ist, über ein normal starkes Ich verfügt. Dies klingt wie eine Binsenwahrheit, wird oft aber nicht beachtet. Ein weiterer Anwendungsbereich des psychoanalytischen Intervenierens ist die Selbstanalyse im Zusammenhang mit der Gegenübertragungsanalyse. Gefühle, die ein Patient in einem hervorruft, können deutlich vermindert werden, wenn man versteht, wie und warum er sie hervorruft. Hier können unbewusste Determinanten des Patienten, die man diesem aber nicht mitteilt, in die Analyse der Interaktion mit einbezogen werden. Darauf werde ich im Kapitel über die Gegenübertragungsanalyse ausführlicher eingehen.
Theoretische Grundlagen
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Phänomenologisches, biologisches und psychologisch-funktionales Denken Die phänomenologische Sichtweise von E.KRAEPELIN (1905) und K. SCHNEIDER (1962) hat mit der Ausbreitung der biologischen Psy-
chiatrie wieder an Bedeutung gewonnen. Die Diagnostik-Manuale (DSM IV, IeD-IO) beschränken sich bewusst auf eine Aufstellung und Beschreibung der Merkmale von Syndromen. Funktionale Zusammenhänge können nur auf dem Boden einer Theorie beschrieben werden; die Diagnostik-Manuale sollen aber möglichst theoriefrei sein, damit sie von verschiedenen diagnostischen und therapeutischen Schulen angewandt werden können. Die psychiatrischen Diagnosen variierten vor der Einführung der Diagnostik-Manuale stark durch Schuleneinflüsse bestimmt. Das führte dazu, dass die Ergebnisse der Diagnostik verschiedener Untersucher aus verschiedenen Schulen, ja auch aus einer Schule stark variierten, die Reliabilität war schlecht. Wenn Psychopharmaka getestet werden sollen, ist es ein großer Vorteil, wenn die empirischen Studien vergleichbar sind. So können zum Beispiel auch Studien aus verschiedenen Kliniken in verschiedenen Ländern besser miteinander verglichen werden, wenn zur Selektion der Patienten eine einheitlich ausgerichtete phänomenologisch orientierte Klassifizierung zu Grunde gelegt wird. Natürlich ist die biologische Psychiatrie nicht theoriefrei. Sie bezieht ihre Theorien eben aus der Biologie. Zwischen den heute erfassbaren biologischen Phänomenen und Funktionszusammenhängen und dem, was man an Patienten beobachten kann, klaffen immer noch in vielen Bereichen erhebliche Lücken. Immerhin können manche der bei Patienten beobachtbaren Phänomene in ihrer Grundstruktur auf chemische Vorgänge im Gehirn zurückgeführt werden, wenngleich damit ihre individuelle Ausprägung nicht erfasst wird. Bei klinisch-pharmakologischen Testuntersuchungen wird auf die Veränderung der Zielsymptome und auf die Nebenwirkungen geachtet. Dafür ist eine deskriptive, phänomenologisch orientierte Diagnostik ausreichend. Der Psychiater hat es aber selten mit Pharmakotherapie unter Test-
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bedingungen zu tun. So ist zum Beispiel bekannt, dass viele Patienten nach der Klinikentlassung ihre Medikamente gar nicht mehr oder nicht mehr regelmäßig nehmen; es gibt also Probleme der Compliance. Um zu verstehen, weshalb ein bestimmter Patient das verordnete Medikament nicht nimmt, kann es nützlich sein, etwas von der Psychodynamik der Arzt-Patient-Beziehung zu verstehen. Compliance kann nicht wie eine Tablette dreimal täglich eingenommen werden; sie ist Ausdruck des Charakters einer Person, ihrer sozialen Situation und ihrer Lebensgeschichte. Es ist auch schwierig, die Arbeitsfahigkeit eines Patienten zu beurteilen, wenn man ihn nur nach dem Auftreten oder Verschwinden von Zielsymp:omen einschätzt. Auch die Arbeitsfahigkeit Gesunder ist ja von Faktoren wie dem Betriebsklima, der Beziehung des Betreffenden zu seinen Vorgesetzten, zu seinen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen abhängig, außerdem von den privaten Verhältnissen. Man muss leider beobachten, dass biologisch orientierte Psychiater, die über die funktionalen Zusammenhänge biologischer Prozesse im Gehirn differenziert Bescheid wissen, beim Umgang mit ihren Patientinnen und Patienten primitive Ermahnungen, >,Ermunterungen<, und ganz allgemein eine Psychologie anwenden, die sich bezüglich ihrer Qualität wenig von der Psychologie unterscheidet, die eine >,Kummerkastentante<, anwendet. Dabei beruft sich der Arzt gern auf den so genannten gesunden Menschenverstand, der aber selten ausreicht, um die komplexen Verhältnisse eines Menschen zu erfassen, der den Einbruch einer Psychose in sein Leben erleiden musste und damit fertig werden muss - auch dann, wenn die Zielsymptome abgeklungen sind. Sein Leben ist durch die Psychose verändert, nichts wird wieder ganz so sein wie bisher und wie er mit der neuen Situation fertig wird, hängt stark von seiner Primärpersönlichkeit ab. So meine ich, dass für den Psychiater eine differenzierte Kenntnis der verschiedenen möglichen Varianten von Primärpersönlichkeiten nützlich, wenn nicht un-
verzichtbar ist. Ich meine, dass die Psychoanalyse letztlich die Anwendung von gesundem Menschenverstand unter Einbeziehung des Unbewussten ist.
Die kursive Betonung in diesem Satz ist auch für jene Psychiater von Bedeutung, die keine Therapie betreiben, bei der es um eine Auf-
Phänomenologisches, biologisches und psychologisch-funktionales Denken
deckung und Integration des Unbewussten geht. Wenn man die unbewussten Faktoren kennt, die menschliches Verhalten beeinflussen können, tut man sich im Umgang mit schwierigen Patienten leichter, also im Umgang mit Patienten, die den ärztlichen Anordnungen nicht oder nur teilweise folgen, mit Patienten, die immer wieder gegen die Hausordnung einer Klinik verstoßen, mit Patienten, deren Partnerin oder Partner sich nicht als stützend und forderlich, sondern eher als stressig und belastend erweist und gegen die ärztlichen Verordnungen und gegen die sozialpsychiatrischen Angebote und Maßnahmen arbeitet. Auch die psychischen Prozesse in einem Team, oft Ausdruck der Psychodynamik von Patienten auf einer Station, sind leichter verstehbar und damit leichter handhabbar, wenn man um die unbewussten Determinanten weiß. Man muss sie nicht verändern können oder wollen; es kann genügen, sie >,in Rechnung<> zu stellen. Hier bietet die Biologie noch wenig oder gar nichts. Wir wissen alle, dass psychische Prozesse ein biologisches Substrat haben; die Kenntnis dieses Substrates muss aber nicht zwingend weiterhelfen. Zur Zeit ist noch nicht abzusehen, wie man auf dem Wege über die Untersuchung biologischer Vorgänge psychische Prozesse bei einem bestimmten Menschen erfassen könnte. Selbst wenn man sich dazu verstünde, Sonden in das Gehirn eines Patienten einzubringen, würden hundert Sonden wahrscheinlich nicht ausreichen, um das biologische Substrat dessen zu erfassen, was uns durch den Kopf geht, wenn wir eine Fernsehsendung ansehen, eine Zeitung lesen oder eine einfache Konversation führen. Dagegen lassen sich, umgekehrt, die Auswirkungen von Affekten auf die Biologie unseres Organismus bereits in Ansätzen erfassen und man wird auch aus biologischen Daten auf Affekte rückschließen können. Welche Vorstellungen diese Affekte hervorgerufen haben, wird man aber nur feststellen können, wenn es sich um sehr einfache Reize handelt, zum Beispiel um die Erzeugung von Frustrationsaggression durch unlösbare Aufgaben in einem psychophysiologischen Experiment. Nun gibt es kaum Psychiater, die im Ernst annehmen, dass eine Kenntnis der neurophysiologischen Vorgänge ausreiche, um Menschen zu verstehen. Im Alltag verhalten sie sich auch anders: Sie wen-
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den den so genannten gesunden Menschenverstand an. Das Anwenden von Alltagshermeneutik ist für die meisten Menschen eine Selbstverständlichkeit. Das Fasziniertsein durch die Fortschritte in der Biologie kann aber bewirken, dass die Wichtigkeit des zwischenmenschlichen Verstehens reduziert wird. Den Patienten zu verstehen verliert so an Stellenwert in der täglichen psychiatrischen Arbeit.
Psychoanalytische Entwicklungspsychologie Die Psychoanalyse befasst sich mit der Entwicklung des Menschen von Geburt an. In der Behandlung erwachsener Patienten bezieht sie sich auf Entwicklungsstadien. S. FREUD entdeckte in seiner Selbstanalyse einen Konflikt, der sich aus einer bestimmten Beziehungskonstellation ergibt; aus der Beziehung eines Sohnes zu Vater und Mutter zu einer Zeit, in der das Kind die Geschlechtsunterschiede erkennen und als zentral wichtig bewerten kann. Der Sohn möchte den Vater bei der Mutter verdrängen und fürchtet dessen Rache. Entsprechend möchte die Tochter die Mutter beim Vater verdrängen. Freud war der Ansicht, dass ein wesentlicher Unterschied zwischen Sohn und Tochter in dieser Situation darin besteht, dass die angedrohte Strafe für den Sohn die Kastration sei, worunter er ein Abschneiden des Penis verstand, nicht Kastration im üblichen medizinischen Sinne. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass die Beschneidung bei den frommen Juden das Äquivalent der christlichen Taufe ist und sicher auch bei Freud durchgeführt wurde. Da ein Mädchen keinen Penis hat, kann es nicht kastriert werden. Es kann aber doch fürchten, die Liebe der Mutter zu verlieren, ebenso wie auch der Sohn fürchten kann, die Liebe des Vaters zu verlieren. Am Ende der ödipalen Phase identifiziert sich der Sohn mit dem Vater, weil er ihn nicht besiegen kann und weil er seine Rache (die Kastration) fürchtet, ganz nach dem Motto: Wenn du jemanden nicht besiegen kannst, schließe dich ihm an. Den ödipalen Konflikt in seiner ursprünglichen Konzeptualisierung, mit einer Betonung der Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer Kastration, wurde von Freud als der zentrale Konflikt aller Neurosen gesehen. Heute hat sich die Aufmerksamkeit der Psychoanalytiker
Psychoanalytische Entwicklungspsychologie
mehr den so genannten präödipalen Konflikten zugewandt, also denjenigen, die vor der Zeit des Ödipuskonfliktes entstehen. Auch der Ödipuskonflikt wird heute wesentlich differenzierter gesehen. Die meisten Psychoanalytiker sehen die Frau nicht mehr als eine Art unvollständiger Mann. Sie gehen auch nicht mehr davon aus, dass sich der Sohn aus Angst, vom Vater kastriert oder sonst wie beschädigt zu werden, mit ihm identifiziert. Die Identifizierung wird nicht als ein Akt der Unterwerfung gesehen, sie hat auch eine gute Beziehung zur Voraussetzung, und der Vater etwa kann so sein, dass der Sohn so werden möchte wie er. Der Sohn entschließt sich, mit der Hilfe des Vaters so zu werden wie er, um später die gleichen Möglichkeiten zu haben - zum Beispiel die Möglichkeit, erwachsene Frauen für sich zu gewinnen. Eine Identifizierung könnte nicht stattfmden, wenn die Beziehung zum Vater nur durch Angst bestimmt würde. In den Anfangen der Psychoanalyse wurde eine Bedeutung der früheren Entwicklungsvorgänge anerkannt, wenngleich nur insofern, als man davon ausging, dass der Patient sich aus Angst vor dem ödipalen Konflikt in einem Vorgang der Regression auffrühere Entwicklungsstadien zurückzieht. Heute werden die früheren Entwicklungsstadien nicht mehr nur unter diesem Aspekt betrachtet. In den frühen Entwicklungsstadien kann der Patient eine Pathologie entwickeln, die für sich selbst betrachtet werden muss und die sich auch dann manifestiert, wenn die Angst vor dem ödipalen Konflikt keine Rolle spielt. Das Interesse vieler Psychoanalytiker wandte sich gerade den ersten Lebensjahren zu; allen anderen voran haben sich M. Klein und S. Ferenczi mit dieser Zeit im Leben des Menschen und mit den Auswirkungen der in dieser Zeit entstandenen Konflikte und Entwicklungsstörungen auf die weitere Entwicklung beschäftigt. O. RANK (1924) hat das »Trauma der Geburt« mit der Trennung von der Mutter als den Ursprung und Quell späterer psychopathologischer Entwicklungen angesehen. Manche Psychoanalytiker (z. B. JANUS 1989) befassen sich heute verstärkt mit den möglichen Einflüssen der vorgeburtlichen Zeit auf die Entwicklung eines Kindes. Man geht davon aus, dass ein Fötus dadurch, wie die Mutter lebt und wie sie sich fühlt,
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auf humoralen Wegen beeinflusst wird. Auch kann ein Kind vieles hören, nicht nur den Herzschlag der Mutter, sondern auch Geräusche in deren Umgebung. Gegenwärtig ist die Psychoanalyse damit beschäftigt, Befunde aus Säuglingsbeobachtungen zu integrieren und ihre theoretischen Annahmen im Licht dieser Befunde zu überdenken und zu korrigieren (zusammenfassend bei DORNES 1993a; 1993b). Ein Säugling sieht die Welt ganz anders und verfügt über andere kognitive und emotionale Möglichkeiten als etwa ein Kind im vierten oder fünften Lebensjahr; tatsächlich könnte man sagen, dass es zwischen einem Säugling und einem solchen Kind mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten gibt. In diesem Abschnitt des Buches möchte ich nun auf einen wichtigen Unterschied eingehen, der seine Bedeutung aus der Tatsache gewinnt, dass er im Erwachsenenleben eine große Rolle spielt. Erwachsene unterscheiden sich unter anderem dadurch, dass sie sich entweder in Zwei-Personen-Beziehungen oder in Mehr-Personen-Beziehungen wohler fühlen. Eine Entwicklung führt von der Zwei-Personen-Beziehung zur Mehr-Personen-Beziehung, ohne dass die Fähigkeit zur Zwei-Personen-Beziehung verloren geht. So sind Menschen, die sich in Mehr-Personen-Beziehungen wohl fühlen, in der Regel auch imstande sich in Zweier-Beziehungen wohl zu fühlen; Menschen, die sich in Zwei-Personen-Beziehungen wohl fühlen, fühlen sich in Mehr-Personen-Beziehungen oft nicht wohl. Von dieser Regel gibt es allerdings auch Ausnahmen: Kinder, die mit wechselnden Müttern aufwachsen, wie in einem orthodoxen Kibbuz, wo sie mehr Zeit mit wechselnden Ersatzmüttern verbringen als mit den Eltern und für die gleichaltrige Kinder die konstantesten Beziehungspersonen sind, weil die Gruppe der Kinder von einer Mutter zur anderen weitergereicht wird, in sich aber konstant bleibt, können später, so heißt es, sehr gut mit Mehr-Personen-Beziehungen umgehen. Sie haben eher Schwierigkeiten in Zwei-Personen-Beziehungen. Kinder aus Kibbuzim sind unter den Offizieren der israelischen Armee überrepräsentiert. Nur drei Prozent der Israelis wachsen in Kibbuzim auf, in der Armee sollen Mitte der achtziger Jahre etwa 80 Prozent der Offiziere aus den Kibbuzim gekommen sein. Die Kib-
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buz-Kinder haben eine besondere Kompetenz mit Mehr-PersonenBeziehungen umzugehen, was zur Kompetenz eines Offiziers gehören kann. In unseren Breiten haben wir es in der Regel mit Menschen zu tun, die sich entweder in Mehr-Personen-Beziehungen oder in ZweierBeziehungen oder nur in Zweier-Beziehungen wohl fühlen. Das schließt nicht aus, dass Menschen, die auf Grund von Entwicklungsstörungen Verschmelzungsängste in Zweier-Beziehungen haben oder die fürchten, in einer Zweier-Beziehung "aufgefressen« zu werden, sich in unverbindlicher erscheinende Mehr-Personen-Beziehungen flüchten; in einer Gruppentherapie kommen sie dann besser zurecht als in einer Einzeltherapie. Wer auf eine Zwei-Personen-Beziehung fixiert ist, neigt dazu, sich in solchen Beziehungen abhängig zu fühlen. Manche Menschen erleben diese Abhängigkeit direkt, andere ziehen sich aus Angst vor ihr zurück und wirken distanziert; Beziehungen scheinen ihnen nicht wichtig zu sein. Eine weitere Folge der Fixierung auf eine Zwei-Personen-Beziehung ist, dass solche Menschen alle Wünsche und Erwartungen an eine Person richten. Eine Partnerin oder ein Partner wird für sie dadurch zu der berühmten "eierlegenden Wollmilchsau«, die für alle Bedürfnisse aufkommen kann. Konkret sieht dies dann so aus, dass ein Mann von seiner Partnerin verlangt, dass sie in den verschiedensten Rollen »funktionieren« kann: dass sie ihn materiell und emotional versorgt, dass sie Geliebte, Gefahrtin, aber auch Anregerin ist, mit der er über seinen Beruf sprechen kann und dabei volles Verständnis findet. Eine auf Zweier-Beziehungen fixierte Frau kann von ihrem Partner Entsprechendes erwarten. Er soll sie versorgen wie eine Mutter, sie aber auch beschützen, erregen, anregen und sie in allen ihren Lebensbereichen verstehen. Man kann sagen, dass eine Person alle erdenklichen Funktionen übernehmen soll, wenn der Betreffende auf eine Zweier-Beziehung fixiert ist, während jemand, der sich auch in Mehr-Personen-Beziehungen wohl fühlt und auch mehrere Menschen gleichzeitig als wichtig anerkennen und erleben kann, viel mehr Möglichkeiten hat. Ist jemand auf eine Zweier-Beziehung fixiert, erwartet er von einer Person nicht nur ein Erfüllen seiner Bedürfnisse. Er erwartet auch,
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dass diese Person keine anderen wichtigen Beziehungspersonen hat: dass er in ihrem Leben nicht nur der Wichtigste, sondern der allein Wichtige ist. Interessiert er oder sie sich für andere Menschen, wird das mit Angst oder Wut oder beidem registriert. Menschen, die auf eine Zweier-Beziehung fixiert sind, können sich schon zurückgewiesen erleben, wenn auf einer Party, wo sie mit jemandem sprechen, eine dritte Person hinzukommt und VOn ihrem Gesprächspartner begrüßt wird. Die Fixierung auf eine Zweier-Beziehung - man spricht auch von einer dyadischen Fixierung (KÖNIG 1997) - wirkt sich auf das private und berufliche Leben eines Menschen auf Schritt und Tritt aus. Nicht nur im Privatleben, sondern auch im beruflichen Alltag ist es wichtig, ob man Mehr-Personen-Beziehungen erträgt und sich darin wohl fühlt. So hängt die Teamfahigkeit eines Mitarbeiters wesentlich davon ab, ob er das Handeln in Mehr-Personen-Beziehungen gelernt hat. In Therapien erwarten dyadisch fixierte Menschen, dass der Therapeut sich ihnen mit ungeteilter Aufmerksamkeit widmet. Dies erscheint auf den ersten Blick als etwas, das ein jeder Patient beanspruchen kann, denn jeder kann erwarten, dass er für den Therapeuten während der Zeit, die er mit ihm verbringt, die Person ist, aufdie sich die gesamte Aufmerksamkeit richtet. Es ist aber nicht immer zu vermeiden, dass sich während einer therapeutischen Stunde auch andere Menschen bemerkbar machen: zum Beispiel durch ein laufendes Radio im Haus oder einen Rasenmäher, der im Garten betätigt wird. Dyadisch fixierte Menschen oder Menschen, die in ein dyadisches Entwicklungsstadium regrediert sind, erleben solche Geräusche als besonders störend. Das galt vor der Zeit der Anrufbeantworter natürlich in besonderem Maße für Telefonate, die ein Therapeut während der Stunde entgegennahm, wie es in Kliniken auch heute noch vorkommt. Bei jedem Menschen hat seine Entwicklung in der Kindheit einen ganz spezifischen Einfluss auf die Gestaltung seiner Beziehungen als Erwachsener. Vernachlässigung oder Überversorgung in einer bestimmten Lebensphase wirkt sich im Sinne einer Fixierung aus: Was in dieser Lebensphase wichtig war, ist auch im Erwachsenenleben
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wichtig. Die Art einer Beziehung, ihr Modus und die Eigenschaften der Person, zu der eine Beziehung gewünscht wird, werden von solchen Fixierungen beeinflusst. Die Art der zentralen Beziehungswünsche eines Menschen (KÖNIG 1988) bezüglich ihres Modus und der Eigenschaften des Objekts kann Züge einer narzisstischen Symbiose, oraler Versorgung, analen Beherrschtseins oder analen Beherrschens tragen oder durch den Wunsch bestimmt sein, als ganze Person oder in den eigenen GescWechtseigenschaften anerkannt und bewundert zu werden.
Bei der schizoiden Persönlichkeitsstruktur, bei der es im ersten Lebensjahr zu Störungen der Entwicklung des Ichs gekommen ist, besteht der Wunsch eine Beziehung zu haben, in der man sich wortlos versteht, alle Interessen teilt und sich im Ganzen unaufdringlich verhält. Kommen dem Schizoiden andere Menschen zu nahe, kann er Angst haben, dass sie seine Ich-Grenzen nicht respektieren, dass sie gleichsam in ihn eindringen, ihn von innen besetzen und er dadurch seine eigene Identität verliert. So entspricht der Sehnsucht nach Übereinstimmung auf der einen Seite die Betonung von Unterschieden auf der anderen Seite, wenn der andere, was ja praktisch immer der Fall ist, solche Unterschiede erkennen lässt. Schizoide Menschen sind meist nach innen gekehrt. Weil sie sich von der Außenwelt abschotten, womit sie der Labilität ihrer IchGrenzen abhelfen möchten, nehmen sie von der Außenwelt oft wenig wahr; es sei denn, dass sie jemanden misstrauisch-kontrollierend betrachten, um sich gegebenenfalls vor ihm zu schützen. Weil Schizoide den anderen meist wenig in seiner Realität wahrnehmen, kann es ihnen passieren, dass sie in ihm eher eigene innere Bilder sehen als ihn selbst. Schizoide können sich »auf den ersten Blick" verlieben, aber nicht in den anderen, so wie er ist, sondern in ein Bild, das sie auf ihn projizieren und das dann seine Realität überdeckt. Dem Sich-Verlieben auf den ersten Blick folgt oft eine Enttäuschung, die als kränkend erlebt werden kann. Der Schizoide ist auf den anderen "hereingefallen", der andere hat sich anders dargestellt, als er wirklich ist, der Schizoide fühlt sich betrogen. Menschen, die aus den Gegebenheiten einer narzisstischen Struktur heraus andere funktionalisieren, sehen sie nicht als Personen, sondern
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eben als Funktionsbündel. Deshalb sind für den narzisstischen Menschen andere Menschen austauschbar. Ein narzisstischer Manager kann Leute ohne emotionale Beteiligung entlassen; sie sind für ihn "Figuren" auf bestimmten "Positionen". Das heißt aber nicht in jedem Fall, dass Menschen für ihn unwichtig sind. Manche narzisstisch Strukturierte erleben andere in einer unverzichtbaren Funktion, so wie man einen Arm oder ein Bein als unverzichtbar zu einem selbst gehörig ansieht. Sie fühlen sich in ihrer Integrität verletzt, wenn der andere eigenständig handelt; das erleben sie ähnlich wie jemand erleben würde, dass sein Arm oder sein Bein sich eigenständig bewegt. Viele narzisstische Menschen sind auf andere als Bewunderer angewiesen, sie hängen gleichsam am Tropf der Bewunderung, und können ohne deren Bewunderung nicht sein. Oral fixierte Menschen - man spricht auch von einer depressiven Persönlichkeitsstruktur - suchen Beziehungen nach dem Modus der Versorgung. Schizoide möchten mit einem Objekt verschmelzen, das keine Grenzen im Raum hat. Schizoide Patienten erleben zum Beispiel das Sprechzimmer des Therapeuten, das Haus, in dem das Zimmer sich befmdet, den Garten um das Haus, die Straße, wo Garten und Haus liegen, als zum Therapeuten gehörig. Sie können sich auch mit unbelebten Objekten in Harmonie phantasieren, zum Beispiel mit einer Landschaft, mit dem Meer, aber auch mit einer Stadt. Menschen mit einer depressiven Struktur, also mit einer Struktur, die zu Depression disponiert, wobei das Depressiv-Sein selbst nicht zu den Strukturmerkmalen gehört, möchten hingegen ein Objekt, das zwar im Raum begrenzt ist, aber unbegrenzt gibt und versorgt. Der depressiv Strukturierte möchte aber nicht nur versorgt werden, er möchte selbst versorgen. Auf der Ebene des Modus: Versorger können die Rollen wechseln. Ein depressiv Strukturierter sucht nicht nur Menschen, die ihn versorgen, sondern auch Menschen, die von ihm versorgt werden möchten; ja, die darauf angewiesen sind, dass er sie versorgt. Als Versorger möchten sie unentbehrlich sein. Eine solche Fixierung entspricht der zentralen Stellung des Oralen in der Entwicklung eines Säuglings. Die orale Betätigung, das Saugen, ist ja die erste Aktivität eines Kindes, das auf die Welt kommt. Säuglinge saugen, Krabbelkinder stecken alles in den Mund. Weil die ers-
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ten Initiativen eines Menschen sich im oralen Bereich abspielen, wird Initiative gehemmt, wenn orale Impulse gehemmt werden, zum Beispiel durch ein unempathisches Stillen, durch ein Aufdrängen von Nahrung oder durch Vorenthalten von Nahrung. Die oralen Impulse werden dann gebremst, damit sie nicht mehr als so drängend empfunden werden. In der analen Entwicklungsphase eines Menschen entsteht vor allem dann eine zwanghafte Struktur, wenn durch eine zu frühe Sauberkeitserziehung die analen Vorgänge eine besondere Bedeutung erlangen. Das Ausstoßen und Zurückhalten von Faeces soll am rechten Ort und zur gewünschten Zeit erfolgen. Bei zwanghaften Erwachsenen spielt es eine wichtige Rolle, ob sie das tun, was von ihnen erwartet wird, oder nicht. Sie können durch Bummeln oder Vergessen protestieren oder sie können sich unterwerfen und sich gefügig verhalten - manchmal auch nur so erscheinen, der Protest setzt sich heimlich durch. Sauberkeit und Ordnung spielen bei solchen Menschen eine große Rolle, alles muss am richtigen Platz sein und seine Ordnung haben. Da Emotionen ein »ordnungsgemäßes" Verhalten stören können, müssen sie unterdrückt werden. Dies erreicht der Zwanghafte dadurch, dass er den Abwehrmechanismus ,)Isolierung vom Affekt« einsetzt. Zwanghafte wirken oft sehr sachlich, man vermisst die emotionale Beteiligung, wenn es um Persönliches geht. Auch mit Konflikten geht der Zwanghafte »ordnend" um. Er trennt die Konfliktpartner voneinander. Das gilt auch für Vorstellungen oder Impulse, die miteinander in Konflikt geraten können. Jeder der Konfliktpartner wird gleichsam in eine Zelle gesperrt, sie dürfen nicht zusammenkommen. Dies erreicht der Zwanghafte durch den Einsatz des Abwehrmechanismuses ,)Isolierung aus dem Zusammenhang(,.
Weil der Zwanghafte Impulse unterdrücken muss, die zu einem willkürlichen Verhalten führen können, muss er sein Innenleben möglichst entlasten. Das geschieht zum Beispiel durch Projektion. Er schreibt eigene Impulse anderen zu. Er erlebt etwa jemanden als aggressiv, weil seine eigene Aggressivität durchzubrechen droht. In Zwangsimpulsen und Zwangsvorstellungen kommen unterdrückte Impulse und Vorstellungen manchmal aus dem Zusammen-
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hang isoliert ins Bewusstsein und erschrecken die zwanghaften Personen sehr. Zum Beispiel kann eine Mutter, die aggressive Impulse gegenüber dem Kind unterdrückt hat, das sie von einem ungeliebten Mann hat und das ihre berufliche Entwicklung beeinträchtigt, plötzlich den Impuls erleben ihr Kind mit einem Messer oder einer Schere zu verletzen; einen Impuls, den sie als völlig persönlichkeitsfremd empfindet und der sie in hohem Maße erschreckt. Dass etwas Aggressives gegenüber dem Kind in ihr stecken könnte, liegt ihr völlig fern. Hier wird der Impuls von seinem Motivationszusammenhang isoliert. Aggressive Impulse Zwanghafter werden oft auch dadurch unterdrückt, dass das Gegenteil daraufgesetzt wird. So können sadistische Impulse dazu führen, dass einer bestimmten Person gegenüber nicht der Wunsch auftritt sie zu quälen, sondern Mitleid empfunden wird. Man spricht von Reaktionsbildung. Die Tendenz, aus dem Zusammenhang zu isolieren, zeigt sich auch im Umgang mit äußerer Realität, etwa einem Buch. Die Arbeitsstörung (KÖNIG 1998a) eines Zwanghaften kann darin bestehen, dass er einen Lernstoff nicht gewichten kann, sodass der Inhalt einer Fußnote für ihn die gleiche Bedeutung hat wie zentrale Passagen im Haupttext. Die Angst vor der eigenen Willkür - also die Angst, von Impulsen überrannt zu werden, die die äußere Ordnung stören können - führt bei einigen Zwanghaften zu Kontrollzwängen. Der Betreffende ist sich seiner selbst nicht sicher. Er muss zum Beispiel nachkontrollieren, ob er die Haustür abgeschlossen hat, wenn er das Haus verlässt. Das tut er, er ist sich aber immer noch nicht sicher, ob er es wirklich getan hat. Deshalb wiederholt er die Kontrolle. Manche kommen so von der Haustür lange Zeit nicht los, weil sie immer wieder kontrollieren müssen. Auch hier spielt übrigens die Isolierung aus dem Zusammenhang eine Rolle: Die Kontinuität des HandeIns, bei dem sich eine Handlung an die andere sinnvoll anschließt, wird durch die Isolierung aus dem Zusammenhang unterbrochen. Eine eben ausgeführte Handlung steckt gewissermaßen schon in einer Zelle, die dem Patienten selbst unzugänglich geworden ist, sodass er nicht erinnern kann, was er wirklich gemacht hat. Bei der Beschreibung der Zwangsstruktur habe ich eine Reihe von
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Abwehrmechanismen dargestellt und benannt. Tatsächlich ist ein Charakteristikum der Zwangsstruktur, dass Abwehrmechanismen im Umgang mit der eigenen Person und mit der Außenwelt in größerer Vielfalt eingesetzt werden als bei den anderen Strukturen, sodass zwanghafte Patienten als solche gelten, von denen man viel über Abwehrmechanismen lernen'kann, Eine gründliche Kenntnis der Abwehrmechanismen (A. FREuD 1936; KÖNIG 1996) ist im klinischen Alltag sehr wichtig. Im Folgenden gebe ich einige Hinweise; mehr und zudem Kliniknäheres findet sich in dem Kapitel "Das Unbewusste und die Abwehrmechanismen". Grundsätzlich lässt sich sagen, dass der schizoide Mensch mit seinen Beziehungsproblemen aus Angst vor Verschmelzung und den Wunsch danach per Projektion umgeht ("Im Unterschied zu mir fühlt sich der andere "'''), aber auch unter Einsatz vermeidender Handlungsweisen, im Sinne der Kontaktvermeidung. Hier handelt es sich um den Abwehrmechanismus bzw. das Abwehrverhalten "Vermeidung". Der narzisstische Mensch idealisiert sich selbst und entwertet andere. Er setzt also Idealisierung und Entwertung ein, um seine Sicht von Beziehungen, also von ihm selbst und den anderen in den Beziehungen aufrechtzuerhalten. Der depressiv Strukturierte entwertet sich und idealisiert andere, auch er setzt Idealisierung und Entwertung ein, allerdings anders als der narzisstische Mensch. Dem depressiven Menschen ist es sehr wichtig, Beziehungen aufrechtzuerhalten, auf die er sich angewiesen fühlt. So fallen ihm Trennungen und Abschiede schwer. Er fühlt sich durch sie existenziell gefahrdet. Deshalb richtet er in seinem Inneren bei einem Abschied das äußere Objekt als ein inneres Objekt auf, das nun von seinem Selbst kaum unterscheidbar ist. Man spricht von Introjektion und meint damit, dass der andere in das eigene Selbst inkorporiert wird. Der andere wird gleichsam "aufgefressen" und dient zum weiteren Aufbau des Selbst, ähnlich wie Nahrung dem Aufbau des Körpers dient. Das hat den Nachteil, dass Vorwürfe, die sich gegen das verlorene Objekt richten, nun das eigene Selbst treffen. Der Depressive macht sich statt dem Verlassenden Vorwürfe. Das Verhalten des Verlassenden sucht er meist zu entschuldigen oder zu beschönigen.
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Hier liegt ein Grund, warum es Depressiven besser gehen kann, wenn sie aggressiv gegen andere werden: Sie richten die Aggression vom eigenen Selbst weg auf den, dem sie ursprünglich galt oder auf eine Ersatzfigur, und entlasten dadurch ihr Innenleben. Die Abwehrmechanismen, die ein zwanghaft strukturierter Mensch einsetzt, wurden oben beschrieben. Ein phobisch Strukturierter leugnet negative Eigenschaften eines anderen Menschen, wenn dieser sich ihm als ein steuerndes Objekt (KÖNIG 1981) oder Schutzobjekt zur Verfügung stellt. Er möchte in der Beziehung zu einem Menschen, auf den er in dieser Weise angewiesen ist, Harmonie um jeden Preis herstellen. Auch verschiebt er innere Konflikte auf eine äußere Situation. Weil er meint, sich selbst nicht steuern zu können, vermeidet er Situationen, die von ihm ver-
langen könnten sich zu steuern, zum Beispiel wenn es darum geht, welche Richtung er beim Gang in eine Stadt einschlägt, oder wie er sich verhält, wenn er auf der Straße angesprochen wird. Menschen mit einer hysterischen Struktur neigen in besonderem Maße zur Verdrängung. Verdrängung ist der Abwehrmechanismus, den S. Freud infolge seiner Beschäftigung mit hysterischen Patientinnen und Patienten zuerst erkannt zu haben scheint. Tatsächlichfmdet man bei hysterischen Patienten oft, dass weite Teile der Kindheit, etwa bis zum ersten Schultag, nicht erinnert werden können. Sie sind verdrängt, während sich Menschen mit anderen Strukturen wesentlich weiter zurückerinnern können. Natürlich sind aber auch Menschen mit anderen Strukturen fohig zu verdrängen und setzen die Verdrängung ein, nur eben in geringerem Ausmaß. Menschen mit so genannten Frühstörungen können oft nicht verdrängen, was dazu führt, dass das Ich von konfliktbaften Inhalten überlastet wird. Hysterische Menschen neigen dazu zu leugnen, was sie in einer bestimmten Situation daran hindern kann, eigenes Handeln zu rechtfertigen. So suchte einmal eine Patientin ihre Eisenbahnfahrkarte, die sie brauchte, um ihren Liebhaber zu besuchen, und stieß dabei auf Liebesbriefe, die eine andere Frau an ihren Ehemann geschrieben hatte. In der Therapiestunde entrüstete sie sich über ihren Mann und »Vergaß" zunächst völlig, dass sie ja selbst einen Freund hatte und die Briefe nur deshalb fand, weil sie nach der Ei-
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senbahnfahrkarte für eine Fahrt zu diesem Freund suchte. Als der Therapeut sie darauf aufmerksam machte, wirkte sie betroffen und kleinlaut; das war ihr völlig entglitten. Hier handelt es sich um Informationen, die vorhanden sind, im Moment aber geleugnet werden; es ist so, als ob der Sachverhalt nicht existent wäre. Der Abwehrmechanismus "Leugnung« wird in entsprechenden Situationen wohl von fast allen Menschen angewandt, zum Beispiel wenn es um das Sich-Konfrontieren mit der eigenen Endlichkeit geht. Alle Menschen wissen, dass sie sterben werden, lassen sich das Leben aber durch diese Tatsache nicht vergällen, was vielleicht passieren könnte, wenn sie dauernd daran denken und sich damit konfrontieren würden. Man kann sagen, dass Todesangst bei Menschen, deren Leben nicht unmittelbar oder in nächster Zeit vorhersehbar gefahrdet ist, meist auf einem Versagen der Leugnung beruht, die ihre Lebensqualität erhöhen würde, ebenso wie bei der Leugnung von Folgen einer schweren psychischen oder körperlichen Erkrankung, wobei die Krankheit als solche bekannt ist. Generell lässt sich sagen, dass man aus der Beobachtung des Einsatzes eines Abwehrmechanismuses bei einem Patienten noch keine Rückschlüsse aufdie Struktur ziehen kann. Bei bestimmten Strukturen herrschen bestimmte Abwehrmechanismen vor, sie sind aber nicht für eine bestimmte Struktur spezifisch. Man muss den Betreffenden entweder im Längsschnitt beobachten oder Genaueres darüber erfahren, wie er bisher mit Beziehungen umgegangen ist, um mehr über die Häufigkeit und Intensität des Einsatzes eines Abwehrmechanismus zu erfahren. Erst aus diesem Mehr an Information kann man Hinweise auf die Persönlichkeitsstruktur ableiten. Allerdings kommt es bei der Diagnose einer bestimmten Perönlichkeitsstruktur auch auf andere Elemente der Beziehungsgestaltung an, bei denen Abwehrmechanismen nicht unmittelbar eine Rolle spielen. Zum Beispiel kann man beobachten, dass Zwanghafte schwer auf gleicher Ebene kooperieren können, sondern nur in einer Hierarchie, in der sie ein-
deutig oben oder unten sind. Menschen mit einer phallisch-narzisstischen Struktur, die meist der hysterischen Struktur als eine Unterform zugeordnet wird, waren sich in der phallischen Entwicklungsphase, also um das vierte Le-
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bensjahr, der eigenen Geschlechtsidentität nicht sicher; zum Beispiel deshalb, weil die Eltern an das Kind die Erwartung hatten, dass es sich nicht entsprechend dem eigenen Geschlecht verhalte. Ein berühmtes Beispiel dafür ist E. Hemingway, der von seiner Mutter bis ins dritte Lebensjahr in Mädchenkleider gesteckt wurde und später großen Wert darauf legte, sich männlich zu gebärden, was in seinen Freizeitbeschäftigungen wie Großwildjagd, Boxen, Zuschauen bei Stierkämpfen zum Ausdruck kam, aber auch in dem, was er schrieb. Eine Kurzgeschichtensammlung hat den Titel Men withaut warnen. Ein anderes Beispiel ist die Figur des Don Juan, der nur so lange bei einer Frau bleiben kann, wie sie ihn im Zustand der initialen Verliebtheit (Freud sprach von "Sexualüberschätzung,,) als Mann ohne Einschränkungen bewundert. Entsprechend kommt es vor, dass ein Mädchen eigentlich ein Junge werden sollte und bei ihm Eigenschaften besonders gefordert werden, die nach den gesellschaftlichen Stereotypen und vielleicht auch von der Biologie her dem anderen Geschlecht zugeschrieben werden oder zukommen. Das Mädchen kann sich nun mit solchen Erwartungen identifizieren und sich "männlicher« verhalten, als es sich sonst verhalten hätte, oder es kann seine Weiblichkeit gerade betonen, ein Lösungsweg, der nach meinen Beobachtungen seltener eingeschlagen wird. Dagegen betonen Frauen, die den Eindruck hatten, die Mutter beim Vater verdrängen zu können - zum Beispiel weil sie gefühlvoller und im Ganzen charmanter auf ihn reagierten als die Mutter, was der Vater honorierte - ihre weiblichen Eigenschaften, allerdings mit der Einschränkung, dass sie die Kompetenzen einer erwachsenen Frau in Berufund Haushalt nicht glauben entwickeln zu müssen, weil sie den Vater ja für sich gewonnen haben, ohne solche Kompetenzen zu besitzen. Schwierigkeiten, eine Dauerbindung zu einer Frau einzugehen, haben Männer dann, wenn sie eng an die Mutter gebunden sind und gerade deshalb in jeder Frau auch die Mutter sehen. Wie FREUD (1910a) sagte, können sie nicht gleichzeitig lieben und begehren; sie können entweder begehren oder lieben. Frauen teilen sie in "Heilige<> und »Dirnen(( ein.
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Entsprechend können hysterische Frauen Männer entweder als solche erleben, die »nur das eine wollen", oder als gütige, väterliche Figuren, die sie bewundern, mit denen sie aber keine sexuelle Beziehung haben möchten. Eine sexuelle Beziehung haben sie in der Regel mit einem Mann, der wenig an den Vater erinnert, sondern mehr an sie selbst in ihrer Beziehung zum Vater. Das sind dann oft jungenhafte, eher flweiche(, Männer, denen sie aber vorwerfen, nicht stark genug zu sein. Die hysterische Struktur ist durch eine besondere Gestaltungsform von Mehr-Personen-Beziehungen charakterisiert. Die ödipale Entwicklungsphase wurde zwar erreicht, sodass Mehr-Personen-Beziehungen möglich sind; die Beziehungen sind aber voller Spannung. Rivalität spielt eine große Rolle; Rivalität der Frauen mit Frauen, entsprechend der Rivalität einer Tochter mit der Mutter oder aucl) mit Schwestern, die sich für den Vater interessierten; Rivalität der Männer mit Männern, mit denen sie ihre Rivalität mit dem Vater weiter austragen müssen oder mit Brüdern, die sich auch für die Mutter interessierten. Eine eindeutige Geschlechtsidentität wird meist nicht erreicht; so zweifeln hysterische Männer oft heimlich an der Größe oder Funktionalität ihrer sexuellen Ausstattung; hysterische Frauen haben die Vorstellung, ihr Genitale sei nicht "vorzeigbar«. Bei der hysterischen Struktur spielt das Inzesttabu eine große Rolle. Sexuelle Beziehungen zu mütterlichen Frauen müssen vermieden werden, oder aber die sexuelle Beziehung schläft ein, sobald die Frau mütterlich wird, zum Beispiel wenn sie Kinder bekommt. Das Inzestverbot zwischen Sohn und Mutter ist, zumindest in unserer Kultur, wesentlich strenger als das Inzestverbot zwischen Tochter und Vater. TatsäcWich kommt realer Inzest zwischen Tochter und Vater häufiger vor als zwischen Sohn und Mutter, obwoW bei Letzterem die Dunkelziffer größer sein dürfte. Dass das Inzesttabu zwischen Tochter und Vater weniger streng ist, zeigt sich nicht zuletzt an der hohen Quote sexuell missbrauchter Frauen, deren psychische Störungen damit zusammenhängen. Entlang der Zeitachse der kindlichen Entwicklung nimmt die Tendenz zu Mehr-Personen-Beziehungen zu. Freud scheint noch der Meinung gewesen zu sein, dass die Mehr-Personen-Beziehung auf die ödipale Phase der kindlichen Entwicklung beschränkt sei. Das hing
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vielleicht auch damit zusammen, dass sich die Väter zu Freuds Zeiten weniger mit kleinen Kindern beschäftigten als dies heute der Fall ist, wo Väter Kindern die Flasche geben, Kinder windeln und mit ihnen schon in einem frühen Alter spielen. Heute ist man jedenfalls der Ansicht, dass das Angebot, das in der Existenz und der Präsenz des Vaters liegt, schon vor der ödipalen Entwicklungsphase wirksam wird. Tatsächlich sind zwanghafte Menschen (die Zwangsstruktur entsteht im zweiten und dritten Lebensjahr) meist zu Mehr-Personen-Beziehungen fahig, vorausgesetzt, dass sie ein gewisses Maß von Kontrolle über die Personen ausüben können, mit denen sie umgehen. Überhaupt ist bei der zwanghaften Struktur wichtig, wer Macht über wen hat; es geht in den Beziehungen viel um Dominanz und Unterwerfung oder, wenn man so will, um Kontrolle im angelsächsischen Sinn: also nicht im Sinne von Überprüfung, sondern im Sinne von Beherrschung. In der analen Entwicklungsphase geht es viel darum, wer sich durchsetzt. Kinder machen eine physiologische Trotzphase durch, in der sie versuchen ihren eigenen Willen durchzusetzen, und eine gesunde Bewältigung der analen Phase schließt Selbstbehauptung ebenso ein wie Anpassung. Eine günstige Entwicklung in dieser Phase führt zu einer Fähigkeit zum Kooperieren. Die phobische Struktur entsteht zeitgleich mit der zwanghaften. Auch bei ihr geht es um den Umgang mit eigener, andrängender Willkür. Während der Zwanghafte seine unbewussten Willkürtendenzen aufdie Umwelt projiziert und sie dort zu beherrschen sucht, indem er in seiner Umgebung Ordnung schafft, vermeidet der phobisch strukturierte Mensch Situationen, in denen Willkürimpulse aktiviert werden können, so genannte Versuchungssituationen. In einer Versuchungssituation steigt der Triebdruck, weil die Situation Möglichkeiten bietet, Triebwünsche zu befriedigen. So kann eine Frau auf der Straße Angst empfinden, weil sie dort von Männern angesprochen werden kann, was zum Beispiel Probleme in einer bestehenden Partnerbeziehung hervorrufen könnte. Während bei Frauen meist unbewusst gefürchtete heterosexuelle Impulse eine Rolle spielen, fmden sich bei agoraphoben Männern in erster Linie unbewusst gefürchtete homosexuelle und aggressive Impulse.
Psychoanalytische Entwicklungspsychologie
Neben der Vermeidung hat der phobisch Strukturierte noch eine andere Möglichkeit sich vor den eigenen Willkürimpulsen sicher zu fühlen. Er kann sich eines Begleiters bedienen. Agoraphobe Frauen berichten regelmäßig, dass sie weniger Angst haben, wenn jemand auf der Straße mitgeht. Sie haben auch weniger Angst, wenn sie einen Kinderwagen mit einem Säugling schieben, weil Mütter mit kleinen Kindern in der Regel nicht von Männern angesprochen werden, die ein sexuelles Abenteuer suchen. Dass ein solcher Begleiter die Angst mindern kann, ist schon im 19. Jahrhundert von WESTPHAL (1872) beschrieben worden. Eine phobische Struktur kann auf zwei Entwicklungswegen entstehen. Eine Mutter oder eine sonstige Ptlegeperson, die hauptsächlich mit dem Kind umgeht, kann auf alle Initiativen des Kindes mit ängstlicher Besorgnis reagieren und es daran hindern, aus Versuch und Irrtum zu lernen. In der analen Entwicklungsphase lernen die Kinder bekanntlich auch Laufen: sie explorieren ihre Umwelt, beschädigen Zimmerptlanzen und leeren Papierkörbe. Eine Mutter kann auf die Aktivitäten eines Kindes in diesem Alter ängstlich reagieren, weil sie fürchtet, dass das Kind sich etwas tut oder etwas beschädigt, wobei die Angst, das Kind könnte sich verletzen, meist im Vordergrund steht. Später wird einem solchen Kind alles aus der Hand genommen, was die Mutter besser kann; es könnte ja etwas passieren, wenn das Kind eine bestimmte Arbeit ungeschickt verrichtet, sich etwa auf den Finger schlagen, wenn es einen Nagel in die Wand schlagen will. Die in einer spezifischen Weise überprotektive Einstellung und Handlungsweise der Mutter setzt sich meist bis ins Erwachsenenleben der Kinder fort, sie beginnt aber eben dann, wenn das Kind lernt sich frei im Raum zu bewegen. Solche Mütter nenne ich Mütter vom Typ A (»anklammernde Mütte",) (KÖNIG 1981). Wenn die hauptsächliche Ptlegeperson eines Kindes, heute meist immer noch die Mutter, wenig Zeit für das Kind hat oder aus anderen Gründen mit ihm wenig interagiert, aber die gleichen Entwicklungsfortschritte von ihm erwartet, wie wenn sie ihm mehr Gelegenheit gäbe, wird das Kind in seinen Aktivitäten entmutigt. Was die Mutter erwartet, kann es nicht. Das Kind schränkt sein Lernen an Versuch und Irrtum ein und lernt ebenfalls nicht seine Triebimpulse in einer
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sozial adäquaten, von anderen Menschen akzeptierten Weise in Handeln umzusetzen. Solche Mütter nenne ich Mütter vom Typ D ("distanzierte Mütten<). Bei agoraphoben Frauen kann man oft feststellen, dass es ihnen an Kompetenz im Umgang mit Männern fehlt; es handelt sich dabei um Frauen, die als Mädchen wenig mit Männern umgehen durften, weil das ja gefahrlich sein kann. Sie lernen es nicht, die Avancen eines Mannes in einer sozial adäquaten Weise abzuweisen, ohne ihn übermäßig zu kränken. Eine Patientin sagte mir einmal, dass sie sich nicht traue in ein bestimmtes an sich sehr bürgerliches Caf" zu gehen, sich dort allein an einen Tisch zu setzen und Kaffee zu trinken. Es könnte ja passieren, dass ein Mann sie anspreche und dann müsse sie mit ihm mitgehen - sie könne doch keinen Skandal machen.
Psychoanalyse und Systemtheorie Auf dem Wege etwa über die Familientherapie und die Hypnotherapie, aber auch über eine systemorientierte Kurztherapie hat systemisches Denken breiten Eingang in die psychotherapeutische Arbeit gefunden. Im Grunde sind in den Freud'schen Konzeptualisierungen des "psychischen Apparates« schon Elemente systemischen Denkens enthalten, zum Beispiel in der Beschreibung der Wechselwirkungen der Instanzen Es, Ich, Über-Ich und Ich-Ideal und auch in Freuds Auffassungen von der Kommunikation des Ichs mit der Außenwelt. S. Freud hat den Menschen als ein halboffenes System beschrieben. Er dachte in Funktionszusammenhängen. In diesem Kontext ist vielleicht von Interesse, dass er mehrere Jahre an einem physiologischen Institut und anschließend auch als Neurologe arbeitete und die Physiologie jener medizinische Wissenschaftszweig ist, der sich am ehesten mit Funktionszusammenhängen befasste, neben der Inneren Medizin und auch der Neurologie, die damals oft noch als ein Zweig der Inneren Medizin angesehen wurde. Psychoanalyse und systemische Therapieformen unterscheiden sich aber in einem wesentlichen Punkt. In der Psychoanalyse setzt die Therapie am so genannten primären Krankheitsgewinn an. Ein Symptom wird als die zur Zeit bestmögliche Lösung eines inneren Kon-
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flikts angesehen. "Bestmöglich" bezieht sich auf die inneren Ressourcen des Patienten, also auf seine Ich-Stärke, die Fähigkeit des Ichs also, mit Konflikten in seiner derzeitigen Lebenssituation umzugehen. Das Symptom ist Ausdruck eines Kompromisses zwischen Impuls und Abwehr. Absolut gesehen ist dieser Kompromiss suboptimal; optimal ist er unter Berücksichtigung der gegebenen Verhältnisse. Unter sekundärem Krankheitsgewinn versteht man in der Psychoanalyse Vorteile, die ein Symptom im sozialen Feld bringen kann. So kann es für eine Frau mit einer Agoraphobie einen Vorteil bedeuten, wenn sie ohne ihren Mann nicht mehr auf die Straße kann, der sie nun bei allen Gängen außerhalb des Hauses begleitet, während er sich vor Ausbruch der Erkrankung vielleicht wenig um sie gekümmert hat, jedenfalls wenig Zeit mit ihr verbrachte. Wird ein Ersatz für den Krankheitsgewinn gefunden oder wird der sekundäre Krankheitsgewinn verhindert, kann dies zu einer Abschwächung des Symptoms führen. Wenn der sekundäre Krankheitsgewinn verhindert wird, führt das allerdings nicht immer zu einer Besserung. Ein Patient, der eine Rente anstrebt, kann bei Verweigerung der Rente geneigt sein, seine Symptome zu betonen, um doch noch berentet zu werden. S. Freud hat ausdrücklich davor gewarnt, sekundären und primären Krankheitsgewinn zu verwechseln. Ein beinamputierter Kriegsverletzter habe sich nicht das Bein abschießen lassen, um betteln zu können. Entsprechend entstehen die Symptome nicht wegen des sekundären Krankheitsgewinns; sie werden durch ihn lediglich stabilisiert. Freilich kann es ausreichen, die stabilisierenden Faktoren wegzunehmen, um ein Symptom zum Abklingen zu bringen. Es gibt Symptome, die in einer bestimmten auslösenden Situation einen inneren Sinn machen. Ein sekundärer Krankheitsgewinn kann das Abklingen der Symptome verhindern, weil sie eine weitere Funktion erhalten. Leider ist die Verwechslung von primärem und sekundärem Krankheitsgewinn sehr verbreitet; ebenso kommt es häufig vor, dass nur an den sekundären Krankheitsgewinn gedacht wird. Ein Patient "bildet sich etwas ein«, um eine Rente zu bekommen. Tatsächlich dürfte dieser Fall extrem selten sein, und da das "Sich-Einbilden« meist negativ konnotiert ist und negativ bewertet wird, tut man vielen Patienten mit der Annahme, der sekundäre
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Krankheitsgewinn würde das Symptom erzeugen, Unrecht, indem man sie als "eingebildete Kranke" abqualifiziert. Es ist aber auch dysfunktional, nur auf den primären Krankheitsgewinn zu achten und den sekundären Krankheitsgewinn nicht zu beachten oder unterzubewerten. Zum Beispiel neigen Psychoanalytiker dazu, die inneren Konflikte des Patienten in der Beziehung zu ihnen selbst zu bearbeiten; ein innerer Konflikt des Patienten wird von diesem auf dem Wege der Übertragung zu einem interpersonellen Konflikt gemacht, zum Beispiel wird ein Gewissenskonflikt in einen Konflikt mit dem Analytiker umgewandelt, der so erlebt wird, als mache dieser dem Patienten Vorwürfe. Der Analytiker repräsentiert dann das Gewissen des Patienten und in der Auseinandersetzung mit ihm kann der Konflikt erkannt und abgeschwächt werden. Es kann aber sein, dass der Patient von seinem Gewissenskonflikt, der ihn dazu bringt, sich besonders gewissenhaft zu verhalten, in privaten Beziehungen oder häufiger noch im Beruf Vorteile hat. Einerseits leidet er unter seinem strengen Gewissen, andererseits bringt sein gewissenhaftes Verhalten Vorteile. Werden diese Vorteile nicht beachtet und wird der Konflikt nur in der Beziehung zum Therapeuten bearbeitet, kann es sein, dass der innere Widerstand des Patienten dagegen, mit seinem Gewissen besser auszukommen, erhöht wird. Gerade die Bearbeitung von Konflikten unter Berücksichtigung des primären Krankheitsgewinns und der sekundären Auswirkungen in einem sekundären Krankheitsgewinn ist ein gutes Beispiel dafür, wie Aspekte der Systemtheorie in Kombination mit einer Bearbeitung der Charaktersymptome oder pathologischen Symptomlösungen mit ihrem primären Krankheitsgewinn die Ergebnisse psychoanalytischer Therapien wesentlich verbessern. Umgekehrt liegt es nahe, die Indikation für eine psychoanalytische Therapie zu stellen, wenn eine Bearbeitung der Faktoren, die ein Symptom stabilisieren, nicht zu einem befriedigenden Ergebnis geführt hat. Das kann nämlich damit zusammenhängen, dass das Symptom immer noch einen primären Krankheitsgewinn ermöglicht; es hat in der inneren Ökonomie des Patienten eine Funktion, die durch ein alleiniges Bearbeiten des sekundären Krankheitsgewinns eben nicht erfasst wird. Ein Verdienst der systemisch orientierten Therapieformen ist auch die stärkere Be-
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achtung der Ressourcen eines Patienten, also seiner positiven Möglichkeiten, die er in der therapeutischen Arbeit und im Umgang mit nicht beeinflussbaren Symptomen (im "Coping<,) einsetzen kann. Zwar hat auch die Psychoanalyse schon immer daraufgeachtet, ob ein Patient über die nötigen Voraussetzungen für eine psychoanalytische Therapie verfügt. Man sprach von ,analysierbaren" und ,nicht analysierbaren" Patienten. Die Diagnostik richtete sich aber vorzugsweise aufdas, was zu bearbeiten war, nämlich die inneren Konflikte und die Störungen in der Entwicklung des Ichs (s. u.) und nicht so sehr auf das, was der Patient etwa an Begabungen einbringen konnte. Selbst Begabung wurde eher unter den negativen Auswirkungen gesehen besondere Begabungen können es einem Patienten ermöglichen, trotz seiner Symptome relativ gut zurechtzukommen, und ihn deshalb davon abhalten, eine Therapie zu suchen oder in der Therapie zu arbeiten. Die systemischen Therapiemethoden richten ihre Aufmerksamkeit außerdem stärker als die meisten Psychoanalytiker es bisher getan haben auf die Ressourcen im Beziehungsfeld eines Patienten.
Der ichpsychologisch-objektbeziehungstheoretische Ansatz in der Psychoanalyse S. Freud entwickelte zunächst ein Schichtenmodell der menschlichen Psyche. Aus dem Bewusstsein oder dem Bewussten können mit Triebwünschen verbundene Vorstellungen in das Unbewusste verdrängt werden. Die "Wiederkehr des Verdrängtem (FREUD 1915a) kann zu Symptomen führen, die einen Kompromiss zwischen Impuls und Abwehr darstellen. Wirkt der Therapeut der Abwehr entgegen, kommt es zu einem Wiederauftreten der verdrängten Vorstellungen, verbunden mit Emotionen. Hier handelt es sich um ein einfaches medizinisches Modell, analog der alten medizinischen Regel: "Ubi pus, ibi evacua«, also: ,Wo Eiter ist, dort entleere." Später (FREUD 1923) führte Freud die so genannte Ich-Psychologie ein. Hier besteht die menschliche Psyche aus drei Instanzen: dem Ich, dem Es und dem Über-Ich; später kam noch das Ich-Ideal hinzu. Über-Ich und Ich-Ideal wurden von Freud zunächst synonym verwendet, später ordnete er dem Über-Ich mehr die ver-
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bietende bewusste und unbewusste Gewissensfunktion zu, dem IchIdeal angestrebte Persönlichkeitseigenschaften und Handlungsweisen.
Das Es ist der Ort der Triebwünsche. Das Ich vermittelt zwischen Es, Über-Ich beziehungsweise Ich-Ideal und Außenwelt. Das Es ist zur Gänze unbewusst. In den unbewussten Anteilen des Ichs sind die Abwehrmechanismen zu lokalisieren, aber auch das so genannte Gegenwarts-Unbewusste (SANDLER/SANDLER 1985), das zwischen dem infantilen Unbewussten des Es und dem bewussten Anteil des Ichs vermittelt. Es verändert die Triebwünsche so, dass sie bewusstseinsfahig werden. Ein Kriterium ist, ob sie in Sicherheit (WEISS I SAMPSON 1986) bewusst werden können. Aber auch Teile des ÜberIchs und des Ich-Ideals sind unbewusst, ebenso Anteile des Ichs an der Grenze zum Über-Ich. In diesen Anteilen des Ichs sind wiederum Abwehrmechanismen zu lokalisieren. Dass dies der Fall ist, tritt bei dissozialen Menschen deutlich in Erscheinung. Diese Menschen scheinen kein Über-Ich zu haben. In Wirklichkeit haben sie eines, das aber sehr streng ist; seine ursprünglichen Inhalte werden deshalb abgewehrt. Dissoziale Menschen schaffen sich oft eine eigene Ethik, die ausnehmend streng sein kann. Dann werden die Inhalte des Über-Ichs abgewehrt, seine Strenge macht sich aber dennoch bemerkbar. Man könnte auch sagen, dass die Strenge des Über-Ichs vom Ich im Auftrag des Über-Ichs übernommen wird. Die Abwehrvorgänge an der Grenze zwischen Ich und Über-Ich sind noch wenig untersucht, was damit zusammenhängen könnte, dass sich die Psychoanalyse mit der Behandlung dissozialer Patienten erst wenig beschäftigt hat; Ansätze fmden sich etwa bei O.F.KERNBERG (1988; KERNBERG u.a. 1993). Ein Psychoanalytiker hat nach Auffassung der Ich-Psychologie die Aufgabe den Patienten dabei zu helfen, unbewusste Anteile des Ichs und insbesondere des Es dem Bewusstsein einzugliedern, eine Art Zivilisationsaufgabe, die FREUD (1932) mit der Trockenlegung der Zuidersee verglichen hat. Die psychoanalytische Ich-Psychologie, die seit HARTMANN (1939) auch relativ konfliktfreie Zonen im Ich annahm, was das Herstellen von Verbindungen zur akademischen Psy-
Der ichpsychologisch-objektbeziehungstheoretische Ansatz in der Psychoanalyse
chologie erleichterte, hat sich vor allem in den USA ausgebreitet und wird dort heute noch von vielen Psychoanalytikern vertreten. Die Objektbeziehungstheorie entstand in England. Sie hat sich dort, aber auch in Südamerika, in Frankreich und in letzter Zeit zunehmend in Deutschland ausgebreitet. Ihre Pioniere waren M. Klein, Fairbairn und Guntrip. In der britischen psychoanalytischen Gesellschaft sind die Ich-Psychologie Freuds, die Psychoanalyse M. Kleins und eine Mittelgruppe, die von beiden Anregungen bezieht und der auch Guntrip und Fairbairn zuzurechnen sind, vertreten. Zur Zeit scheint jene Gruppierung zahlenmäßig am stärksten zu sein, die sich mit der Psychoanalyse M. Kleins befasst (siehe SCHÄFER 1994). Während die Ich-Psychologie von den so genannten Instanzen ausgeht - theoretischen Konstruktionen, die aus klinischen Erfahrungen abstrahierend entwickelt worden sind -, bemüht sich die Objektbeziehungstheorie um eine größere Kliniknähe. In der Vorstellung der Objektbeziehungstheoretiker sind in der inneren Welt des Menschen frühere Beziehungserfahrungen in Gestalt von Erinnerungsspuren vertreten, als Beziehungen zwischen den so genannten Repräsentanzen des Selbst, also der eigenen Person, und der Objekte, also der Menschen, mit denen man umgeht. Die Menschen, mit denen einer in seinem Leben umgegangen ist, besonders natürlich die wichtigen Beziehungspersonen aus der Primärfamilie, aber auch spätere als wichtig erlebte Personen, sind in Gestalt von so genannten Objektrepräsentanzen in der inneren Welt repräsentiert. In der inneren Welt befindet sich zudem die so genannte Selbstrepräsentanz. In ihr ist gespeichert, wie der Mensch sich in verschiedenen Stadien seiner Entwicklung und in der Beziehung zu verschiedenen Objekten erlebt hat. Verschiedene Objekte aus unterschiedlichen Stadien der Entwicklung und verschiedene Zustände des Selbst, in denen es sich damals befunden hat, gehören jeweils zusammen. Ist jemand als Kind mit wichtigen Beziehungspersonen über eine längere Zeit umgegangen, enthält die Objektrepräsentanz dieser Personen Erinnerungen aus mehreren Stadien der Entwicklung. Man kann sich das so vorstellen, dass Objektrepräsentanzen, wie auch die Selbstrepräsentanz, aus verschiedenen Schichten bestehen, ähnlich einer russischen Puppe) einer Matrioschka) die aus mehreren in-
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einader steckenden Puppen besteht. Die innerste Puppe wäre die Puppe der frühesten Kindheit, die äußere Puppe die Mutter der Gegenwart. Dieser Vergleich hinkt natürlich, wie fast alle Vergleiche, zum Beispiel was die Größenverhältnisse angeht. Die innerste Puppe ist bei einer Matrioschka auch die kleinste. Der Säugling hat die Mutter aber als sehr groß erlebt, während die Mutter der Gegenwart für den Erwachsenen eine Größe hat, die mit der eigenen vergleichbar ist. Diese Größenverhältnisse spielen eine Rolle, wenn es um Übertragungsauslöser geht. So kann eine Gruppe von Menschen von einem Einzelnen in dieser Gruppe wie ein großes Objekt empfunden werden und deshalb als Übertragungsauslöser für die Mutter aus den frühesten Zeiten seiner eigenen Entwicklung wirken; erlebt wird natürlich nicht der Auslöser selbst, sondern die durch die ausgelöste Übertragung bewirkte und durch die Erfahrungen mit der Mutter beeinflusste Beziehung zu dem großen Objekt. Die Objektbeziehungstheorie bietet Modelle zum Erfassen aktueller und vergangener Beziehungen, die klinisch gut handhabbar sind. Sie ist mit einem Schichtenmodell der menschlichen Psyche insofern vereinbar, als Selbstrepräsentanz und Objektrepräsentanz bewusste und unbewusste Anteile haben, Gleiches gilt für die Art der Beziehung zwischen ihnen. Dagegen wird die Objektbeziehungstheorie oft der psychoanalytischen Ich-Psychologie gegenübergestellt. Das Über-Ich der Ich-Psychologie ist zum Beispiel in der Objektbeziehungstheorie M. Kleins in bestimmten Stadien seiner Entwicklung die ,)verfolgende Mutter«. Eine Schwäche der Objektbeziehungstheorie ist, dass sie das Vorhandensein und das Funktionieren von Abwehrmechanismen weniger gut erfasst. Dies ist sicher einer der Gründe, weshalb in den letzten Jahrzehnten Bemühungen zugenommen haben, Objektbeziehungstheorie und Ich-Psychologie miteinander zu vereinigen, zum Beispiel durch O. F.KERNBERG (1988, KERN BERG u. a. 1993; KÖNIG 1981). Vom Hauptstrom der Psychoanalyse hat sich die so genannte SelbstPsychologie von H.KoHuT (1971; 1977) abgespalten. Kohut, ebenso wie Kernberg ein österreichischer Emigrant, postulierte, dass die Pflegepersonen eines Kindes unter anderem die Funktion so genann-
Der ichpsychologisch-objektbeziehungstheoretische Ansatz in der Psychoanalyse
ter Selbstobjekte haben. Diese dienen als Vorbilder, ersetzen aber auch noch nicht vorhandene Funktionen des Kindes. Für die Regulation des Selbstwertgefiihls ist der Umgang mit ihnen besonders wichtig. In einer Therapie sollte der Psychoanalytiker nach Kohut versuchen, den Bedürfnissen des Patienten nach einem solchen idealen Selbstobjekt zu entsprechen. Durch unvermeidbare Empathiefehler entsteht beim Patienten mit der Zeit aber ein realistischeres Bild vom Therapeuten, was wiederum die Entwicklung eines Selbst fördert, das mit sich und der Umwelt in einer reiferen, weniger lmarzisstischen« Form umgehen kann. Im Grunde handelt es sich bei der Selbst-Psychologie um eine besondere Form der Objektbeziehungstheorie. In den Therapien ist das tatsächliche Verhalten des Analytikers nach Kohut von großer Bedeutung, während Freud in seinen frühesten Ansätzen davon ausging, dass der Analytiker sich objektiv verhalten und wie ein Spiegel (FREuD 1912) wirken kann, wenn er sich neutral verhält. Diese Auffassung ist heute von den meisten Psychoanalytikern aufgegeben worden. Ein wirklich neutrales Verhalten des Analytikers ist nicht möglich. Der Analytiker bietet schon durch sein So-Sein als Mann oder Frau, als junger oder alter Mensch, als Mensch in einer bestimmten Umgebung und mit einem bestimmten Verhalten Übertragungsauslöser, die neben den ÜbertragungsbedÜffnissen der Patienten einen starken Einfluss darauf haben, welche Übertragung und damit auch welche Art der Beziehung sich entwickelt. Die Objektbeziehungstheorie in ihren heutigen Formen sieht den Psychoanalytiker eher als Partner in einer Therapie, der bestimmte Beziehungsangebote macht und bestimmte Kompetenzen zur Verfügung stellt, die auf der Basis einer milden unanstößigen Übertragung (FREuD 1914) wirksam werden können. Diese Übertragung als eine Basis der Arbeitsbeziehung (GREENSON 1975) ermöglicht es dem Patienten zum Beispiel, übertragungsbedingte aggressive Gedanken und Impulse gegenüber dem Analytiker zu erleben und auch mitzuteilen, ohne dass er fürchtet die Beziehung zu zerstÖren. Die Bedeutung einer basal guten Beziehung zum Therapeuten wurde auch durch empirische Untersuchungen (z.B. LUBORSKY U.a. 1980) belegt.
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Wer beginnt, sich mit Psychoanalyse zu beschäftigen, wird oft durch die Existenz verschiedener theoretischer Ansätze irritiert. Die verschiedenen Ansätze erfassen unterschiedliche Aspekte der menschlichen Psyche. Ich zweifle kaum daran, dass die weitere Theorieentwicklung zu einer Synthese führen wird, wahrscheinlich in Richtung der von O. F. Kernberg vertretenen Ansätze, aber auch unter stärkerer Einbeziehung der Kohut'schen Vorstellungen und unter Beibehaltung vieler Aspekte der Ich-Psychologie. Die duale Triebpsychologie Freuds, in früheren Zeiten ein unverzichtbarer Anteil der psychoanalytischen Theorien, ist dagegen von vielen Psychoanalytikern aufgegeben worden. Sie wird durch eine differenziertere Betrachtungsweise ersetzt, etwa durch Konzepte von Beziehungswünschen, die eine bestimmte Qualität haben (vgl. KÖNIG 1988). Den Schriften Kernbergs kann man entnehmen, dass die duale Triebtheorie, wenn man von ihren veralteten energetischen Grundlagen absieht, immer noch einen gewissen heuristischen Wert hat; besonders dann, wenn es darum geht, das Erleben und Verhalten von Patienten mit einer Borderline-Struktur zu erfassen und zu konzeptualisieren. Bei Patienten mit einer Borderline-Struktur fmdet sich tatsächlich oft ein ausgeprägter Dualismus der Erlebensweisen und Einstellungen den Objekten gegenüber, die in gute und böse (aggressive) eingeteilt werden. Man kann sagen, dass sich hier ein dualistisches Triebmodell zur Konzeptualisierung gut eignet, wenn seine Anwendung nicht dazu führt, das therapeutische Ziel der Entwicklung pluralistischer Sichtweisen, Beziehungswünsche und Beziehungsformen aus den Augen zu verlieren. Solange die verschiedenen Konzepte der Psychoanalyse nebeneinander bestehen, erscheint mir die pragmatische Einstellung von A. Freud als eine Möglichkeit damit umzugehen. In einem Gespräch mit Sandler (SANDLERJA. FREUD 1985) sagte sie, bezogen auf das Schichtenmodell und die Instanzenlehre, dass sie jeweils jenen theoretischen Ansatz verwendet, der auf eine bestimmte therapeutische Situation zu passen scheint. Ein solcher pragmatischer Eklektizismus kann uns weiterhelfen, bis eine größere theoretische Einheitlichkeit erreicht ist. Im vorliegenden Buch wird im Wesentlichen die ichpsychologisch-
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objektbeziehungstheoretische Sichtweise angewendet, gelegentlich auch das Schichtenmodell.
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Katharsis und freie Assoziation Die kathartischen Methoden der Psychotherapie setzen auf psychische Entlastung durch ein Sich-Aussprechen, wobei auch pathogenes, zunächst unbewusstes kognitives und emotionales Material erinnert und durch eine Mitteilung an andere »abgeführt,< (S. FREUD 1895) werden kann. Sie wird heute noch bei der Verarbeitung aktueller traumatischer, auch weiter zurückliegender traumatischer Erlebnisse eingesetzt, zum Beispiel nach Flugzeug- oder Eisenbahnunglücken oder nach Gewalterlebnissen in der Primärfamilie, wie sie bei Borderline-Patienten gehäuft vorkommen (SACHSSE 1995). Freud hat die kathartische Methode nicht erfunden. Vielleicht ist sie so alt wie die Menschheit selbst. Es geht um psychische Entlastung durch ein Sich-Aussprechen. Von Breuer und Freud, zunächst aber von deren Patientin B. Pappenheim wurde sie als das von ihr so genannte "chimney sweeping,< (Rauchfangkehren) während einer Behandlung durch Breuer angewandt. Das Verdienst von Breuer und Freud bestand darin, dass sie sich überlegten, wie es kam, dass die Patientin im Laufe des Sich-Aussprechens dem Bewusstsein zunächst Unzugängliches zu erinnern schien. Die Erwartung, dass jemand ohne weitere Bearbeitung von Abwehrvorgängen auf Unbewusstes stoßen kann, wenn er einfach nur erzählt, findet sich in der so genannten Grundregel der Psychoanalyse wieder. Der Patient wird aufgefordert zu sagen, was ihm durch den Kopf geht; heutzutage fordert man ihn auch auf, über seine Gefühle und Körperempfmdungen zu sprechen. Stockt der Gedankenfluss oder kann der Patient etwas nicht aussprechen, handelt es sich um einen Widerstand, den der Therapeut leicht als solchen erkennt und bearbeiten kann. Ein Patient kann aber auch ohne die Mithilfe des Therapeuten an bisher nicht im Bewusstsein befindliches Material gelangen, das sich in so genannten Einfallen während des freien Assoziierens manifestiert; der Patient kommt auf Dinge, die ihm bei systematischem Nachdenken unzugänglich geblieben wären. Diese Einfalle kann der Therapeut nun versuchen in einen plausiblen Zusammenhang mit dem zu bringen, was der Patient in der Stunde sonst noch gesagt hat.
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Indem der Patient versucht alles zu sagen, was ihm durch den Kopf geht, versucht er auch leichtere Widerstände selbst zu überwinden. Reicht das nicht aus, kann der Therapeut versuchen den Widerstand zu analysieren; das heißt, dass er mit dem Patienten zusammen unter Berücksichtigung des Gesprächszusammenhangs überlegt, gegen welche psychischen Inhalte der Patient sich wehren könnte, indem er den Fluss seiner Gedanken unbewusst blockiert ("Mir fallt nichts mehr ein.,) oder indem er Gedachtes oder Gefühltes nicht mitteilt. Die zentrale Auffassung Freuds war, dass es in der Katharsis zu einer Abfuhr traumatischen Materials kommt. Wird die Erinnerung ausgesprochen, wirkt das traumatische Material nicht mehr so stark. Die weitere Entwicklung hat gezeigt, dass es nur bei schweren Realtraumen so einfacb geht. Sonst genügt es meist nicht, dass ein traumatischer, pathogener Vorgang erinnert und ausgesprochen wird. Die Gesprächspsychotherapie, die sich zunächst aus der Psychoanalyse entwickelt hat und sich auf bestimmte Elemente der Psychoanalyse konzentriert, fordert vom Therapeuten, dass er dem Patienten mit Einfühlung, unbedingter Wertschätzung und Respekt begegnet, eine Haltung, die auch vom Psychoanalytiker angestrebt wird, der aber in der Gesprächspsychotherapie ein besonderer Stellenwert eingeräumt wird. Der Gesprächspsychotherapeut deutet in der Regel nicht, jedenfalls liegt das nicht in seinem Konzept. Der Therapeut hilft dem Patienten in der Gesprächspsychotherapie und Psychoanalyse durch sein Verhalten, das wesentlich durch die oben genannten Einstellungen oder Haltungen bedingt ist, beim Erinnern und Aussprechen schwieriger Dinge. Bezogen auf meine eigene therapeutische Arbeit habe ich festgestellt - und ich empfehle es auch den Therapeuten, die ich supervidiere -, dass die psychische Belastung durch Konflikte und Traumen von Patienten, die man mitgeteilt bekommt und in die man sich einfühlt, dadurch gemindert werden kann, dass sich der Therapeut nach jeder Stunde Notizen macht. Gerade in psychiatrischen Einrichtungen kommen extreme menschliche Erfahrungen wie sexueller Missbrauch oder andere Gewalttaten zur Aussprache. Die Notizen sollen nicht einfach darin bestehen, dass der Verlauf der Stunde wiedergegeben wird (manche Therapeuten schreiben im Übrigen ohnehin
Katharsis und freie Assoziation
mit), sondern Notizen über das sein, was dem Therapeuten im Nachhinein als wesentlich vorkommt und ihn selber bewegt. Zum Wesentlichen gelangt er in einem Selektions- und Abstraktionsprozess, in dessen Verlauf er aus dem Material, das der Patient in die Stunde eingebracht hat, Schlüsse zieht. Nicht nur das Niederschreiben selbst, sondern auch der damit verbundene Auseinandersetzungsprozess scheint mir hier sehr wirksam zu sein: durch kognitive Ordnung und dadurch bessere Bewältigung des Materials und durch Distanzierung vom Material durch einen Abstraktionsprozess, der eingesetzt wird, um zu einer Zusammenfassung oder zum Erfassen des in der Stunde Wesentlichen zu kommen. Manche Patienten betreiben einen ähnlichen Auseinandersetzungsund Gestaltungsprozess von sich aus, sie "intellektualisieren" und bringen kein ursprüngliches Material, sondern nur Verallgemeinerungen und Zusammenfassungen. Dann ist es die Aufgabe des Therapeuten, den Patienten aufzufordern die konkreten Ereignisse in die Stunde einzubringen. Das befördert einen weiteren VerarbeilUngsprozess. Worin dieser Verarbeitungsprozess im Einzelnen besteht, wird in diesem Buch in Abschnitten, die sich mit der Technik des Intervenierens befassen, ausführlicher dargestellt. Dabei lege ich besonderen Wert darauf, zu untersuchen, welche Interventionsformen in der Psychiatrie bei welchen Patienten wann angezeigt sind und auf welche man bei bestimmten Patienten in bestimmten Situationen oder als Anfanger besser verzichten sollte (besonders im Kapitel über therapeutische Konzepte).
Übertragung und Gegenübertragung Das Wort "Übertragung" hat in verschiedenen Wissenschaftsbereichen unterschiedliche Bedeutungen. In der Geburtshilfe bedeutet der Terminus "Übertragung", dass eine Schwangerschaft zu lange dauert, das Kind also zu lange getragen wird, die Geburt zu spät einsetzt. In der Lehre von den Infektionskrankheiten bedeutet Übertragung, dass eine Krankheit, die durch Bakterien oder Viren verursacht wird, von einem Lebewesen zum anderen )~übertragen«( wird.
In der Psychoanalyse bedeutete der Begriff zunächst, dass Wünsche
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an ein so genanntes infantiles Objekt, also an eine Person, die in der Kindheit mit dem jetzt Erwachsenen umgegangen ist und an die der Erwachsene bewusste oder unbewusste Erinnerungen hat, von diesem Objekt, also vom Erinnerungsbild der Person, aufden Behandler übertragen werden. Sowohl das Objekt als auch die Art der Wünsche an das Objekt haben Qualitäten, die durch die Art der erlebten Beziehung in der Kindheit bestimmt sind. Es wird eine Beziehungsform gewünscht oder befürchtet, die der früheren in etwa entspricht. ,Infantile" Wünsche eines Erwachsenen sehen natürlich anders aus als Wünsche eines Kindes, weil der Erwachsene über mehr Erfahrungen und im Ganzen auch über mehr Kompetenzen verfügt als ein Kind und ein anderes Leben führt. So kann sich der Wunsch eines Erwachsenen, auf dem Schoß der Mutter zu sitzen, in dem Wunsch äußern, der Therapeut möge sich bergend und schützend verhalten oder die Institution, in der er arbeitet, möge sich in mütterlicher Weise um ihn kümmern. Übertragung wurde zwar zunächst in psychoanalytischen Therapien beobachtet; später stellte man aber fest, dass es sich dabei um ein ubiquitäres Phänomen handelt. Wir alle sehen Menschen der Gegenwart im Licht früherer Erfahrungen mit anderen Menschen, alle unsere Beziehungen sind durch Übertragung mehr oder weniger geHirbt. Manche Wissenschaftler (siehe JANUS 1989; RANK 1924/1998) betonen auch die Erfahrungen, die ein Kind schon im Mutterleib und während der Geburt macht. Tatsächlich kann man beobachten, dass Menschen einen Zustand herbeisehnen, in dem ihnen alles, was sie brauchen, kontinuierlich zugeführt wird, wie dies bei einem Kind im Mutterleib der Fall ist. Wie groß der Einfluss so früher Erfahrungen sein kann, ist noch umstritten. Damit eine Übertragung entstehen kann, ist zunächst eine Übertragungsdisposition notwendig. Erfahrungen des Kindes, die sich in Erinnerungsspuren niedergeschlagen haben, bewirken diese Übertragungsdispositionen. Es gibt aber auch Übertragungen von Idealen oder idealisierten Objekten. So kann ein Kind, das ohne Vater aufgewachsen ist, aus den Erzählungen der Mutter ein ideales Bild eines Vaters entwickelt haben, obwohl es den Vater niemals persönlich kennen lernte. Erzählt die Mutter Schlechtes vom Vater, kann das
Übertragung und Gegenübertragung 69
Bild eines bösen Vaters entstehen. Der Vater wird aber auch, im Gegensatz zur Mutter, als jemand phantasiert, der beispielsweise nicht so einschränkend und kleinlich mit dem pubertierenden Mädchen oder Jungen umgegangen wäre wie die Mutter. Ein solches idealisiertes Bild vom Vater bewirkt auch oft überhöhte Erwartungen an einen Partner. Zu diesen Erwartungen gehört etwa ständiges Zugewandtsein. Wird die Mutter idealisiert, gehört zu den idealen Merkmalen eine fast ständige Präsenz. Das kann zur Entwicklung einer Sucht beitragen, besonders bei der Alkoholsucht, wo das Suchtmittel praktisch ständig zur Verfügung stehen kann. Übertragen werden auch Gattungsobjekte. Der Erwachsene entwickelt ein bestimmtes Bild von der Frau oder dem Mann. Unter dem Einfluss von Gattungsobjekten erfolgt eine Auseinandersetzung bezüglich der eigenen Identität; hier geht es darum, was für eine Art Frau oder Mann jemand sein will. Von der Übertragungsdisposition ist der Überrragungswunsch zu unterscheiden. Eine Disposition führt nicht immer zu einem Übertragungswunsch, der sich auf eine bestimmte Person richtet. Wenn ein Objekt in einem Beziehungsnetz eines Menschen schon vorhanden ist, wenn die zu ihr gehörende Übertragung also schon mntergebracht« ist, wird der Übertragungswunsch geringer sein, als wenn dies nicht der Fall wäre, oder ganz fehlen. Die Art der Übertragungswünsche hängt vom Zustand und der Lebenssituation einer Person ab. Ob therapeutische Interventionen akzeptiert oder zurückgewiesen werden, hängt unter anderem von Übertragungen ab. Erinnert eine Krankenschwester auch in ihrem Äußeren an die Mutter, kann das den Übertragungsanteil in der Beziehung verstärken. Es hängt nun von der Art der Beziehung zur Mutter ab, ob die Übertragung das Annehmen therapeutischer Interventionen fOrdert oder behindert. Es fOrdert sie, wenn die Mutter als fürsorglich, aber nicht als überprotektiv oder aufdringlich erlebt wurde. Im letzteren Fall kann die Übertragung dazu führen, dass therapeutische Interventionen zurückgewiesen werden. Wenn man mit Angehörigen spricht, kann man manchmal beobachten, dass eine Mutter, die den Patienten besucht, bestimmte Merkmale bezüglich des Aussehens oder, häufiger noch, des Verhaltens mit einer für den Patienten wichtigen Person im therapeutischen Team teilt.
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Ob eine Übertragung zustande kommt, hängt neben der Übertragungsdisposition und der Intensität des Übertragungswunsches auch von den Übertragungsaus/ösern ab, die die andere Person bietet. Übertragungsauslöser können physische Eigenschaften eines Menschen oder dessen Verhalten sein. Die Art der Übertragungswünsche hängt vom Zustand einer Person und ihrer Lebenssituation ab. Wer in einem hilflosen Zustand in eine Klinik eingeliefert wird, kann eine bestimmte Krankenschwester, die sich um ihn kümmert, wegen seiner eigenen Hilflosigkeit wie ein frühes Mutterobjekt sehen. Erst wenn es ihm besser geht, sieht er in der Schwester vielleicht jemanden, der an die ödipale Mutter erinnert, die er attraktiv fmdet, oder er sieht sie relativ übertragungsfrei als mögliche Partnerin eines erwachsenen Mannes. R.R.GREENSON (1975) verstand unter "transference trigger« Idiosynkrasien, also Eigenheiten des Analytikers. Icb selbst (1976; 1997b) verstehe unter Übertragungsauslöser alle beobachtbaren Eigenschaften und Verhaltensweisen einer Person, die denen einer früheren Person entsprechen. Dazu gehörten auch so allgemeine Eigenschaften wie Alter und Geschlecht. Zu Beginn der Psychoanalyse war man der Ansicht, dass clie Übertragung von der Person des Therapeuten oder der Therapeutin relativ unabhängig sei, vorausgesetzt, dass dieser oder cliese sich neutral verhielt, das heißt, dass sie nichts Persönliches über sich erzählten und wenig Persönliches von sich erkennen ließen. So wurde zum Beispiel darauf geachtet, sich möglichst unauffallig zu kleiden und keine Bilder an die Wand zu hängen, die Markantes über die Vorlieben des Therapeuten verrieten. Vor allem sah man Übertragung als etwas weitgehend Geschlechtsunabhängiges an. Tatsächlich wurden aber in der Literatur nur ganz selten ödipale Liebesübertragungen von der Tochter auf den Vater oder vom Sohn auf die Mutter beschrieben, wenn das Geschlecht des Therapeuten nicht dazu passte. Dagegen gibt es Übertragungen bestimmter Funktionen der früben Mutter auf männliche Therapeuten, zum Beispiel eine ersehnte nährende Funktion. Auftreten können auch Übertragungen, die nicht Liebesübertragungen sind, sondern andere Aspekte der Beziehung betreffen, wenn
Übertragung und Gegenübemagung
das Geschlecht des Therapeuten nicht zum übertragenen Objekt passt. Hier hat das Verhalten eine Ausläsepriorität gegenüber dem tatsächlichen Geschlecht. Bei der Liebesübertragung scheinen biologische Determinanten wirksamer zu sein. Sexuell-erotische Liebe kann auf ein passendes "körperliches Substrat<> schwer verzichten. Man hat sich in der Psychoanalyse Gedanken darüber gemacht, weshalb Menschen immer wieder Beziehungen suchen, die sie aus der Kindheit gewohnt sind. S.FREUD (1920) sprach von einem Wiederholungszwang. J. SANDLER (1989) sprach von einem Sicherheitsbedürfnis: In Beziehungen, deren Struktur einem vertraut ist, fühlt man sich sicherer, weil man es vorher schon gelernt hat, mit dieser Art von Beziehung umzugehen. Ich selbst spreche von einem Wunsch nach Familiarität (KÖNIG 1982; 1997b) und meine damit einen Wunsch nach Vertrautsein, nach einer Art HeimatgefüW, wozu ein Sich-sicher-FüWen gehört, wozu aber auch noch ein Weiteres, schwer Beschreibbares gehört, eben ein Gefühl des Vertrautseins, das auftritt, wenn man aus der Fremde in seine Heimat zurückkehrt. Das Motiv, Vertrautes wiederzufmden, muss man sich wohl als sehr stark vorstellen, was dann erklärt, dass Menschen auch Beziehungsformen aufsuchen, unter denen sie gelitten haben und wahrscheinlich wieder leiden werden. Ein Mann mit einem autoritären Vater provoziert unbewusst motiviert seinen Chef, sodass dieser gar nicht anders kann, als dem provozierenden Verhalten etwas entgegenzusetzen. Er kann ihn dann eher als autoritärer erleben, als wenn er ihn nicht provoziert hätte. Dieser interaktionelle Anteil der Übertragung wurde von verschiedenen Psychoanalytikern, in Deutschland zum Beispiel von H. ARGELANDER (1970), beschrieben. Er sprach von der "szenischen Funktion des Ich", womit er eine inszenierende Funktion meinte: Eine frühere Beziehungsform wird (re)inszeniert, das heißt zum Wiederauftreten gebracht. Von T.H.OGDEN (1979) wurde der interaktionelle Anteil der Übertragung als eine Form der projektiven Identifizierung beschrieben; ein Begriff, auf den ich noch eingehen werde. Tatsächlich tritt der interaktionelle Anteil der Ühertragung bei frühgestörten Menschen besonders prägnant auf. Das hängt damit zusammen, dass ihre inneren Objekte ganz unreif sein können; sie
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sind etwa nur gut oder nur böse, wie in einem Märchen. Schon in ihren Alltagsbeziehungen erleben sie "gute« und "böse" Menschen. Die Schilderungen der Personen, mit denen sie umgehen, hat etwas Holzschnittartiges; man kann auch sagen, die Personen erinnern an Märchenfiguren. In Märchen gibt es die böse Hexe und die gute Fee, den bösen oder den guten Zauberer und überhaupt böse und gute Menschen, mit denen die Hauptfigur umgeht. Da es nur gute und nur böse Menschen nicht gibt, müssen solche Patienten besonders grobe oder sonst sehr wirksame Formen provozierenden Verhaltens einsetzen, um jemanden zu einem bösen Objekt zu machen, sodass es dann im Grad seiner Bösartigkeit dem inneren Objekt entspricht. Das verführende Verhalten von Borderline-Patienten ist oft subtiler. Die Patienten finden heraus, worauf ein Therapeut "anspringt". Zum Beispiel gibt es Therapeuten, die sich vorwiegend um Patienten kümmern, die besonders stark leiden. Andere befassen sich am liebsten mit Patienten, die gut mitarbeiten. Je nachdem, welche Einstellung der Patient beim Therapeuten vermutet, wird er sich mehr als leidend oder mehr als kooperativ darstellen. Andere entwerfen in der Therapie ein ideales Bild vom Therapeuten und bringen ihn auf eine solche Weise dazu, diesem idealen Bild entsprechen zu wollen und sich besonders einzusetzen. Wenn das Verhalten eines psychiatrischen Mitarbeiters besonders geeignet ist, eine Übertragung auszulösen oder sie zu bestätigen, muss auch das durch die professionelle Rolle bestimmte Verhalten dieses Mitarbeiters einen Einfluss auf die Übertragungsentwicklung haben. In der Psychoanalyse hat man früher angenommen, dass ein <>neutrales" Verhalten des Analytikers am besten geeignet sei, Übertragungen sich frei entfalten zu lassen. Der Analytiker sollte sich so verhalten wie ein Spiegel, der nur das zurückwirft, was auf ihn fallt, womit dann bewirkt werden soll, dass der Patient frei ist jede Form von Übertragung entsprechend seiner Übertragungsdisposition und seiner Übertragungswünsche zu entwickeln. Heute sieht man, dass natürlich auch ein im Alltagsleben eher ungewöhnliches <>neutrales" Verhalten Übertragungsauslöser bietet: Es kann bewirken, dass der Patient den Therapeuten als unpersönlich
Übertragung und Gegenübertragung
oder kühl erlebt. Man weiß heute auch, dass Patienten das Verhalten eines Analytikers, der sich neutral geben möchte, besonders aufmerksam verfolgen, was zur Folge hat, dass sie doch auf Übertragungsauslöser stoßen. Heutzutage wird der Beitrag des Psychoanalytikers zur Entwicklung von Übertragungen realistischer gesehen. Entsprechendes gilt natürlich für jeden, der in irgendeiner Form therapeutisch tätig ist und dabei eine professionelle Rolle einnimmt. Auch die Gefühlsreaktionen auf den Patienten kann ein Therapeut keineswegs immer verbergen; sie haben einen Einfluss auf die Beziehung. In den folgenden Kapiteln möchte ich ausführlicher aufdie Einflüsse eines psychiatrischen Rollenverhaltens eingehen, in dem daran anschließenden Kapitel auf die Gegenübertragung. Mit Gegenübertragung benennt man alle Reaktionen eines Angehörigen der helfenden Berufe auf einen Patienten. Die Analyse der Gegenübertragungen versucht diese Reaktionen in ihren Determinanten zu verstehen, Übertragungsreaktionen dadurch abzuschwächen und sie auch diagnostisch zu nutzen. Es ist wichtig, dass Angehörige der helfenden Berufe wissen, wie sie auf Patienten mit unterschiedlichen Pathologien reagieren und wie sie auf einen bestimmten Patienten reagieren. Das ist der erste Schritt dazu, diese Reaktionen zu verstehen. Das wieder ermöglicht es auch, eigene Reaktionen diagnostisch zu nutzen.
Verhalten und Charakter Unser Verbalten (Verhalten schließt hier nach RAPPAPoRT 1960 das innere Verhalten im Sinne des Erlebens mit ein) wird durch unsere Vergangenheit beeinflusst, deren Spuren sich in der Übertragung manifestieren. Die Vergangenheit äußert sich aber auch auf eine indirektere Weise. Ein jeder Mensch kennt von sich Verhaltensweisen, die für ihn typisch sind, auch wenn er sie mit anderen Menschen teilt. Man spricht von Charakterzügen. Auf sie bezieht man sich zum Beispiel, wenn man versucht sich selbst einem anderen zu beschreiben. Man sagt in etwa: "Ich bin ziemlich ordnungsliebend(, oder "eher unordentlich« etc. Diese Verhaltensweisen beziehen sich auf den Umgang mit Men-
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sehen, aber auch mit belebten und unbelebten Dingen, zum Beispiel in der Arbeit (KÖNIG 1998a). Von Übertragungsauslösern sind sie relativ unabhängig. Ein bescbeidener Mensch wird sich vielen verschiedenen Menschen gegenüber bescheiden zeigen, ein geselliger Mensch vielen Menschen gegenüber gesellig, ein ängstlicher Mensch in vielen Situationen ängstlich. Diese im Vergleich zur Übertragung geringere Abhängigkeit von der Art der Person, mit der jemand umgeht, ist ein wesentliches Merkmal von Charakterzügen. Das heißt aber nicht, dass nicht doch Beziehungen zu Menschen ("Objekten,,) gesucht werden, die bestimmte Eigenschaften aufweisen oder aufzuweisen scheinen. Wenn jemand von sich sagen kann, dass er gerne andere versorgt, wird er Beziehungen zu Menschen suchen, die Versorgung brauchen; wenn er selbst versorgt werden möchte, wird er Beziehungen zu Menschen suchen, die das gerne oder von Berufs wegen tun, zum Beispiel Sozialarbeiter, Ärzte, Pflegekräfte. In verschiedenen Stadien des Lebens sind verschiedene Beziehungsformen zu unterschiedlich sich verhaltenden Objekten wichtig. FUr den Säugling ist die orale Versorgung wichtig, wobei es auch darauf ankommt, dass die Mutter auf empathische Weise stillt oder der Vater dem Kind auf empathische Weise die Flasche gibt, ihm Nahrung nicht vorenthält, ihm Nahrung aber auch nicht aufdrängt, wenn der Säugling gar nicht trinken will. Während der analen Entwicklungsphase im zweiten und dritten Lebensjahr spielt die Sauberkeitserziehung eine große Rolle. Sie kann zu früh einsetzen, vielleicht auch zu spät, zu rigide oder zu unbeständig sein. Während der gleichen Lebenszeit entwickelt sich die Motorik; das Kind exploriert den Raum. Im Charakter drückt sich nun eine Fixierung auf bestimmte Beziehungsformen zu Objekten mit bestimmten Eigenschaften aus. Der Begriff »Fixierung" wurde von S. FREUD ursprünglich verwendet, um die Tatsache zu bezeichnen, dass sich erwachsene Menschen auf frühere Beziehungsformen zurückziehen, auf die sie fixiert sind. So kann ein Patient, der einen beruflichen Misserfolg erlitten hat (er hat Schwierigkeiten mit dem Produzieren), aufhören zu arbeiten und in eine Gaststätte gehen, um sich dort oral versorgen zu lassen. Fixierungen bestimmen aber nicht nur, aufweiche Entwicklungsstufe sich
Verhalten und Charakter
ein Patient und überhaupt ein Mensch in der so genannten Regression zurückzieht. Sie drücken sich auch im alltäglichen Verhalten aus. Man spricht dann von einem oralen, analen etc. Charakter. Auf die einzelnen Entwicklungsstufen und ihre Ausformung im Charakter bin ich an einer anderen Stelle des Buches ausführlicher eingegangen. Hier geht es vor allem darum, die Unterschiede zwischen Übertragung und Charakter deutlich zu machen. Eine verbindliche Einteilung in Charakter- oder Persönlichkeitstypen, die von allen Psychoanalytikern akzeptiert würde, gibt es zur Zeit nicht. In Deutschland ist die Typologie von F. RIEMANN (1976) am meisten verbreitet (dazu auch KÖNIG 1998a). J. SANDLER CI 992) und andere sprechen von »character transference,<, also von Charakterübertragung, und meinen damit die Auswirkungen des Charakters in einer Beziehung zu einem Therapeuten; wohl auch zu anderen Menschen, mit denen ein Patient umgeht. In den Charakterzügen zeigen sich die ursprünglichen Beziehungswünsche seltener als bei der Übertragung im engeren Sinne unmittelbar. Zu bestimmten Charakterstrukturen gehört ein bestimmter, bevorzugter Einsatz von Abwehrmechanismen. Das gilt zum Beispiel für die Reaktionsbildung, die bei Persönlichkeitsstrukturen mit einem analen Kern, den Zwangsstrukturen, besonders verbreitet ist. Dem ursprünglichen Impuls wird ein gegenteiliger gegenübergesetzt. Etwa können aggressive Impulse durch Überfürsorglichkeit oder starkes Mitleid überdeckt und so zurückgehalten werden. So kann zum Beispiel eine Mutter, die ihr Kind im Grunde ablehnt, weil sie vom Vater des Kindes verlassen wurde oder weil das Kind ihre Lebensplanung durcheinander gebracht hat, sich dem Kind gegenüber überfürsorglich verhalten und die aggressiven Impulse gleichsam durch das Gegenteil ersetzen. Die Mutter liebt das Kind bewusst ganz besonders. Die Zusammenhänge zwischen Charakter und Psychose sind komplex. Es gibt schizophrene Menschen, die in ihrem Beziehungsverhalten schon immer auWiliig waren. Auch Menschen, die an einer schweren Depression erkranken, können Persönlichkeitsmerkmale aufgewiesen haben, die zur depressiven Persönlichkeitsstruktur gehören, ohne dass sie vorher depressiv waren; andere, die auch depres-
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siv, aber nicht psychotisch depressiv waren, gleiten in eine >,major
depression" hinein. Menschen mit einer bipolaren Störung scheinen zwischen den Phasen am ehesten zwanghaft zu wirken (TELLENBACH 1961), was damit zusammenhängen könnte, dass die Zwangsanteile ihrer Struktur die Funktion haben das Ausbrechen einer manischen Phase zu verhindern. Es gibt aber auch Menschen, die vor dem Ausbruch einer Psychose ganz unauffallig waren. Das gilt für Depressionen und Manien, aber selbst für die schizophrene Psychose, vor allem für die schizophrene Psychose vom paranoiden Typ.
Gegenübertragung Obwohi die Gegenübertragung Psychoanalytiker heute ungefahr so stark beschäftigt wie die Übertragung das tut, hat der Begriff Gegenübertragung in die Psychiatrie bisher wenig Eingang gefunden. Unter Gegenübertragung im Sinne des totalistischen Konzepts (KERNBERG 1965; KÖNIG 1997) versteht man alle Affekte, Stimmungen und Handlungsimpulse, die durch einen Patienten in einem Therapeuten oder sonst einem Mitglied des therapeutischen Personals hervorgerufen werden. Durch eine differenzierende Analyse kann dann unterschieden werden, wie weit es sich um realistische Reaktionen auf den Patienten, um Reaktionen auf dessen übertragungsbestimmtes Verhalten oder um eigene Übertragungen des Therapeuten - oder einer therapeutischen Hilfsperson - handelt. Patienten, mit denen man es in der Psychiatrie zu tun hat, rufen oft stärkere Reaktionen hervor als neurotische Patienten. Reaktionen auf die Übertragung der Patienten und deren projektive IdentifIzierungen, auf ihr reales So-Sein und auch Übertragungen auf die Patienten erreichen eine besondere Intensität. Meist wird mit ihnen nicht analysierend umgegangen. Vielmehr kommt es zu einer inneren Distanzierung vom Patienten, >,man legt sich eine dicke Haut zu«; oder aber eigene, durch Übertragungen des Patienten, durch dessen projektive Identifizierungen oder durch eigene Übertragungen bedingte Mfekte, Stimmungen und Handlungsimpulse oder auch Handlungen werden rationalisierend mit therapeutischer Zweckmäßigkeit gerechtfertigt. In dem Kapitel über subjektive
Gegenübertragung
Faktoren bei der Verordnung von Psychopharmaka dürfte das besonders deutlich werden. Im Folgenden will ich das Gegenübertragungskonzept darstellen, wie es sich in der Psychoanalyse im Laufe der Jahrzehnte entwickelt hat und Anregungen zum Umgang mit der Gegenübertragung geben. Es handelt sich wohl um das für die klinische Praxis wichtigste Kapitel dieses Buches. Ziel der Darstellung ist, deutlich zu machen, dass ein Konzept, das zunächst im Umgang mit neurotischen Patienten entwickelt wurde, allgemeinere Anwendungsmöglichkeiten bietet. Ursprünglich wurde die Gegenübertragung als eine Reaktion auf die Übertragung des Patienten verstanden. Andere, zum Beispiel R.R.GREENSON (1975), verstanden darunter die Übertragung des Therapeuten. Wieder andere (KLEIN 1946/1962; RACKER 1978) sahen die Gegenübertragung als etwas an, das der Patient in unbewusster Absicht im Therapeuten erzeugt - Gefühle, die dieser dann diagnostisch nutzen kann. P.HEIMANN (1950) sah Übertragung als etwas an, das sich als eine Schöpfung des Patienten ("creation of the patient") verstehen lässt; der Therapeut reagiert auf den Patienten wie ein Indikator. Ich selbst spreche von der "Lackmus-Theorie" (KÖNIG 1998a) der Gegenübertragung und meine damit, dass der Therapeut sich in dieser Theorie wie der Farbstoff Lackmus verhält, der in saurem Milieu rot und in alkalischem Milieu blau wird. Ich bezeichne in Anlehnung an O.F.KERNBERG (1965/1988), der von einer "totalistischen" Konzeption der Gegenübertragung spricht, alle Affekte, Stimmungen und Handlungsimpulse, die ein Patient oder die Personen oder Institutionen, mit denen er in Beziehung steht, unter den Bedingungen der therapeutischen Aufgabe im Therapeuten hervorrufen. Die Reaktionen des Therapeuten auf den Patienten werden aber natürlich auch von seinen aktuellen Beziehungen beeinflusst, daneben von seinem Geschlecht, seinem Charakter, seiner Konstitution. Alle Reaktionen des Therapeuten auf seinen Patienten sollen Gegenstand der Gegenübertragungsanalyse sein. Ziel der Gegenübertragungsanalyse ist es, die Reaktion des Therapeuten verständlich zu machen, indem sie ihre Entstehungsweise klärt. Die beobachteten Phänomene können dann einen oder mehreren der folgenden Kategorien zugeordnet werden (KÖNIG 1998 b):
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78 Klin.iknahe therapeutische Konzepte
1. Übertragung des Therapeuten, ausgelöst durch Übertragungsauslöser, die der Patient ihm bietet. Der Analytiker kann auch auf Beziehungspersonen des Patienten übertragen, zum Beispiel auf dessen Partnerin, auf dessen Kinder, aber auch auf eine Institution wie die psychiatrische Abteilung (indirekte Gegenübertragung nach RAcKER
1978).
2. Charakterbedingte Reaktionen des Analytikers auf den Patienten und auf aUes oben Angeführte, das mit ihm in Verbindung steht. 3. Kombinationen beider. 4. Normen und Wertekonflikte. An ihnen können die Normen und Werte der Primärfamilie des Analytikers, seiner derzeitigen Bezugsgruppe, der Ursprungsfamilie des Patienten und dessen aktueUe Bezugsgruppe beteiligt sein. 5. Realistische Reaktionen des Analytikers aufobjektive Begebenheiten im Leben des Patienten, zum Beispiel wenn der seine Arbeit verliert. 6. Charakter- oder übertragungsbedingte Reaktionen auf so ein Ereignis. 7. Reaktionen auf die Übertragung des Patienten: die Zuschreibungen, die in ihnen enthalten sind; die Tatsache, dass der Patient überhaupt überträgt (worüber sich der Therapeut scheinbar paradoxerweise auch dann freuen kann, wenn die Übertragung negativ ist) und auf die Art des Umgangs des Patienten mit dem Objekt, das er überträgt (einem autoritären Vater gegenüber kann man rebellisch, gefügig oder listig reagieren). 8. Reaktionen des Analytikers auf projektive Identifizierungen des Patienten; das heißt auf ein Verhalten des Patienten mit der unbewussten Zielsetzung, den Therapeuten einem übertragenen Objekt oder einer Projektion von Selbstanteilen ähnlich zu machen; im Beispiel des autoritären Vaters: Der Patient versucht den Therapeuten unbewusst motiviert zu provozieren, sodass dieser sich ein Stück weit
autoritär verhält. AUe diese Reaktionen können sich miteinander kombinieren; auf einige Möglichkeiten der Kombination habe ich hingewiesen. Sie können einander auch beeinflussen oder durch Abwehr verändert sein. So kann im Therapeuten ein unbestimmtes Gefühl der Leere, der Mü-
Gegenübertragung digkeit und der Langeweile entstehen, wenn er aggressive Impulse dem Patienten gegenüber abwehrt. Natürlich haben nicht alle Gefühle eines Therapeuten in Gegenwart des Patienten etwas mit diesem zu tun. Sie können aus dem Umgang mit einem anderen Patienten zurückgeblieben sein, aus dem Umgang mit Kollegen oder dem AbteilungSleiter, einer Pflegekraft oder mit Familienangehörigen. Bei der Gegenübertragungsanalyse sollten Affekte und Handlungsimpulse getrennt betrachtet werden, weil ein Affekt nicht immer die gleichen Handlungsimpulse auslöst. So kann Angst Kampf oder Flucht auslösen. Auf eine therapeutische Situation übertragen könnte dies heißen, dass der Therapeut einen Patienten, der ihn ängstigt, konfrontiert oder dass er sich innerlich aus dem Beziehungsfeld zurückzieht und schweigt. Alles bisher Beschriebene wirkt, in einer Zusammenschau betrachtet, komplex ineinander. Hat man das Zuordnen in der Praxis geübt und hat man die verschiedenen Kategorien präsent, spielt sich die Diagnostik aber rasch ab. Wenn man mit der Gegenübertragungsanalyse beginnt, kann die Gegenübertragungsdiagnostik oft erst im Nachhinein erfolgen, also nach einem Patientenkontakt; später kann man in Gegenwart des Patienten Gegenübertragungsdiagnostik betreiben. Dann ist es zum Beispiel möglich, ein provozierendes Verhalten eines Borderline-Patienten, der einen zu einem bösen Objekt machen möchte, im Hier und Jetzt zu verstehen. Es geht dann darum zu begreifen, warum und wie der Patient in einem selbst heftige Emotionen auslöst. Zum Beispiel braucht man die affektive Reaktion auf eine Provokation nicht mehr nur zu kontrollieren und sich zu beherrschen, man kann sie durch die Gegenübertragungsanalyse abschwächen oder zu Ende bringen. Die meisten erfahrenen Therapeuten wissen, welche Übertragungsreaktionen sie bevorzugt auslösen. Das hängt mit den Auslösern zusammen, die sie bieten. Manche Übertragungsauslöser haben keine reale Basis im Aussehen oder Verhalten des Therapeutens; es handelt sich um Projektionen, an die sich eine Übertragung anknüpft. Andere Auslöser sind beim Therapeuten wirklich vorhanden, sie stellen den »realen Kern« einer Übertragung dar.
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Unter Psychoanalytikern wird in letzter Zeit vermehrt diskutiert, ob dieser reale Kern dem Patienten bestätigt werden soll (THOMÄ I KÄcHELE 1986). Die Tendenz geht in die Richtung, das zu tun. Das Bestätigen eines realen Kerns einer Übertragung sollte aber nicht dazu führen, dass der Therapeut sich dem Patienten gleichsam unterwirft, indem er ihm Verhaltensweisen ,)beichtet" oder sie ausführlich begründet. Über das Warum eines Therapeutenverhaltens soll der Patient sich zunächst eigene Gedanken machen können. Nur bei therapeutischen Vorgehensweisen, bei denen es darum geht, in der inneren Welt eines Patienten, die nur archaische Objektrepräsentanzen enthält, eine realistischere Vorstellung vom Therapeuten aufbauen zu helfen, wird man sein Verhalten auch begründen (siehe das Kapitel zur Ich-Psychologie). Ein Teil der Gegenübertragungsreaktionen des Therapeuten ist durch seinen Charakter bedingt. In dieser Hinsicht lernt man sich im Laufe der beruflichen Entwicklung immer besser kennen. Natürlich ist die Wahrnehmungsweise und sind damit die Gegenübertragungsreaktionen des Therapeuten auch durch seine theoretischen Konzepte bedingt. Er achtet auf das eine und blendet das andere aus. Das kann bei Verhaltenstherapeuten ein Problem sein, wenn sie es unterlassen, ihr Augenmerk auf die Beziehung zwischen ihnen und dem Patienten zu richten; es kommt aber auch bei analytisch orientierten Therapeuten verschiedener Schulen vor, deren Theorien mehr den einen oder mehr den anderen Aspekt im Patientenverhalten betonen. Besonders wichtig ist es, sich klarzumachen, dass selbst eigene neurotische Reaktionsweisen diagnostisch genutzt werden können. Dazu muss man natürlich wissen, unter welchen Umständen sie auftreten,
und sich darüber klar werden, wodurch der Patient sie auslöst. Zu den Gegenübertragungsreaktionen gehören Phantasien und Einfalle. Sie treten im Umgang mit Patienten auf, wenn der Therapeut schon eine gewisse Routine entwickelt hat und auf sein eigenes Verhalten im Umgang mit dem Patienten weniger genau achten muss. Bei den projektiven Identifizierungen ist es wichtig, auf solche zu achten, die wir leicht übersehen, weil die durch den Patienten hervorgerufene Reaktionen nicht im Widerspruch zu den Anforderungen in der Therapeutenrolle stehen. Das gilt besonders für projektive
Gegenübertragung 81
Identifizierungen, die uns dazu bringen, uns für einen Patienten besonders stark einzusetzen. Wir können dann übersehen, dass dieses Maß an Einsatz bei diesem Patienten unzweckmäßig ist. Dagegen reagieren wir meist sofort auf Verhaltensweisen des Patienten, die ablehnende Gefühle in uns erzeugen, weil der Patient uns zu einem bösen Objekt machen will. Dieses "böse Objekt" hat bei Borderline-Patienten archaische Qualitäten. Wir sollen zu einem Verhalten gebracht werden, das nicht nur mit der therapeutischen Rolle unvereinbar ist, sondern auch im Alltag fremdartig wäre. Die Berufserfahrung bringt es mit sich, dass wir bestimmte Gegenübertragungsreaktionen antizipieren können. In die Berufserfahrung gehen die Erfahrungen im Umgang mit dem Patienten ein, aber auch im Umgang mit uns selbst in einer therapeutischen Situation. Mit der Zeit haben wir herausgefunden, welche Übertragungsaus[öser wir bieten und worauf wir charakter- oder übertragungsbedingt besonders empfmdlich reagieren. Wir wissen auch, in welche Patienten wir uns schwer einfühlen können; bei ihnen müssen wir dann von der Einfühlung zum schlussfolgernden Denken übergehen. Das ist zum Beispiel bei vielen zwanghaften Patienten der Fall, die wir nur verstehen können, wenn wir wissen, welche Abwehrmechanismen sie einsetzen, um die ursprünglichen Impulse in ein anderes, bei Reaktionsbildungen in ein gegenteiliges Verhalten zu transformieren. Natürlich ist Selbsterfahrung eine wichtige Basis für jede Gegenübertragungsanalyse. Sicher gibt es Naturtalente, die mit wenig oder gar keiner Selbsterfahrung auskommen können; das mussten ja auch die Pioniere der Psychoanalyse vor der Einführung der Lehranalyse. Die Selbstanalyse, wie zum Beispiel Freud sie durchführte, hat allerdings ihre Grenzen und ist natürlich auch besser möglich, wenn man Selbsterfahrung gemacht hat. Man schließt dann in einer Identifizierung mit dem Leiter einer Selbsterfabrungsgruppe oder dem Lehranalytiker eine analysierende Arbeitsbeziehung mit sich selbst (KöNIG 1994a). Natürlich können wir unsere Persönlichkeitsmerkmale nicht alle weganalysieren. Übertragungsdispositionen lassen sich leichter verändern als charakterbedingte Persönlichkeitsmerkmale, die meist so eingeschliffen sind, dass sie nur in langen und hochfrequenten Psy-
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choanalysen modifiziert werden können - ganz verlieren wir sie dabei nie. Auf diesen Umstand hat zum Beispiel H.ARGELANDER (1985) aufmerksam gemacht. Ich selbst bin bezüglich der Möglichkeiten einer Charakteranalyse optimistischer, sehe aber auch Grenzen. Zu berücksichtigen ist weiter, dass die therapeutische Rolle davor schützt, den eigenen Charakter '>auszuleben«. Tatsächlich kann man beobachten, dass Therapeuten, die in ihrem Privatleben bestimmte Probleme nicht lösen können, in der Lage sind Patienten dazu zu verhelfen, die Probleme gleicher Struktur zu lösen. Das braucht nicht zu verwundern. Ob man ein bestimmtes Beziehungsproblem löst, hängt von vielen Dingen ab; nicht nur von der Art des Problems, sondern auch von seiner Einbettung in ein Beziehungsnetz, vom Lebensalter des Betreffenden, von seiner Persönlichkeitsstruktur und von der Persönlichkeitsstruktur des Menschen, mit dem er das Problem hat. Ein Patient kann da in einer besseren Situation sein als der Analytiker. Ein so genannter "blinder Fleck" kann sich im Privatleben auswirken, in der geschützten Position des Therapeuten während einer Therapie nicht. Obwohl der Therapeut um den blinden Fleck weiß, wirkt er sich etwa im Umgang mit Frau und Kindern aus, nicht aber im Umgang mit den Patienten. Ein Therapeut hat es deshalb auch leichter als ein Angehöriger, weil er für den Zustand seiner Patientinnen und Patienten zu dem Zeitpunkt, wenn sie in Behandlung kommen, nicht verantwortlich ist. Er hat keinerlei Einfluss auf sie ausgeübt und kann sich ihnen gegenüber deshalb viel objektiver einstellen. Bei einem unerfahrenen Therapeuten kann die Angst vor der Schwere seiner Aufgabe alle anderen Gefühlsreaktionen überdecken oder verzerren. Andererseits kann ein erfahrener Therapeut den Patienten in Schemata einordnen, die nicht ganz auf ihn passen. Von der ursprünglichen Forderung FREuDs (1912), der Therapeut solle wie ein Spiegel reagieren, sind die Psychoanalytiker schon lange abgerückt. Sie reagieren wie Menschen in einer therapeutischen Rolle. Eine störende Gegenübertragung beeinträchtigt die Arbeitsfahigkeit des Therapeuten. Sie hindert ihn daran, richtig zu diagnostizieren und adäquat zu intervenieren. Kurzfristig kommt es bei der störenden Gegenübertragung darauf an, eigene Affekte, Stimmun-
Gegenübertragung
gen, Handlungsimpulse oder Phantasien als gegenübertragungsbedingt zu erkennen, sie zu beherrschen und so ihren Einfluss auf das Arbeitsverhalten zu vermindern. Die Intensität der Gegenübertragungsphänomene nimmt schon ab, wenn sie als gegenübertragungsbedingt erkannt wird, und sie nimmt weiter ab, wenn der Therapeut herausfmdet, auf welche Weise der Patient die Gegenübertragungsreaktionen hervorruft. Von hilfreicher Gegenübertragung spricht man dann, wenn Affekte, Stimmungen, Handlungsimpulse und Phantasien diagnostisch genutzt werden können. Aus einer bearbeiteten störenden Gegenübertragung kann eine hilfreiche werden.
Das Arbeitsbündnis - ein Anteil der Beziehung zwischen Personal und Patient Die Beziehung zwischen den Ärzten oder anderen Mitgliedern des psychiatrischen Personals und den Patienten kann man unter verschiedenen Aspekten betrachten. Sie wird zunächst einmal durch die Anforderungen der eigenen Rolle, aber auch durch Rollenerwartungen bestimmt, die sich an den Patienten richten. Der Arzt trifft aufeinen "Patienten,<, ein Patient trifft auf einen "Arzt«. Wie ein Arzt sich als Arzt und wie ein Patient sich als Patient verhalten soll, wird durch Vorerfahrungen (frühere Klinikaufenthalte), durch Informationen und Fehlinformationen (weshalb ja Psychose-Seminare und psychoedukative Gruppenangebote entstanden sind) aus den Medien, aber auch durch Übertragungen bestimmt. (Zudem durch die Struktur der psychiatrischen Einrichtung, etwa: wie viel persönlichen Raum ein Patient für den Umgang mit seinem psychotischen Schub bekommt.) Es kann eine helfende, eine autoritäre oder eine manipulierende Elternperson auf den Arzt übertragen werden. Ein Patient oder eine Patientin kann vom Therapeuten in Identifizierung mit den eigenen Eltern wie ein Kind gesehen werden oder wie ein Geschwister. Arzt und Patient finden sich nun, wenn sie längere Zeit miteinander auf einer professionell definierten Ebene umgehen, zu einer Arbeitsbeziehung zusammen. Derartige Arbeitsbeziehungen sollen Thema dieses Kapitels sein.
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In der Psychoanalyse gibt es verschiedene Konzepte von Arbeitsbeziehungen. So hat in den fünfziger Jahren E.R.ZETZEL (1956) erste ausgearbeitete Konzepte vorgelegt. Vor allem aber sind die psychoanalytischen Konzepte des Arbeitsbündnisses mit dem Namen von GREENSON (1975; GREENSON jWEXLER 1969) verbunden. Ich selbst (KÖNIG 1974) habe das Greenson'sehe Konzept des Arbeitsbündnisses auf die Gruppenpsychotherapie übertragen und die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Arbeitsbeziehungen in Gruppentherapie und Einzeltherapie beschrieben. Ich spreche von Arbeitsbeziehungen gern als von etwas Dynamischem, Veränderbarem, während ein Bündnis ja bestimmte Verhaltensweisen der Bündnispartner vorschreibt. Deshalb der Terminus »Arbeitsbeziehungen« statt »Arbeitsbündnis<,. Der Bedeutungshof von ,)Bündnis<, lässt eher an etwas Statisches denken als der von "Beziehung(jo Aufdie Arbeitsbeziehungen wirken Übertragungen ein. Die mnanstößige positive Übertragung<, von Freud wurde von GREENSON als eine Basis des Arbeitsbündnisses gesehen. Kritik an den Konzepten des Arbeitsbündnisses (z. B. BRENNER 1979) richtete sich vornehmlich gegen die Versuche eine Arbeitsbeziehung von der Übertragungsbeziehung dysfunktional abzugrenzen. Ich selbst (KÖNIG 1997a) pflege daraufhinzuweisen, dass es sich hier um eine virtuelle Trennung handelt, ähnlich wie in einem anatomischen Atlas Nerven, Blutgefaße und Muskeln voneinander getrennt dargestellt werden, obwohl jeder Anatom und jeder Chirurg beobachtet hat, dass sie beim lebenden Menschen miteinander verbunden sind. Die Annahme einer Arbeitsbeziehung hat in der therapeutischen Praxis heuristischen Wert. Sie erleichtert das Verständnis eines therapeutischen Prozesses, wenn man die im Begriff enthaltene Unterscheidung von anderen Formen der Beziehung zwischen Patient und Therapeut, insbesondere von der Übertragungsbeziehung, nicht allzu rigide betrachtet. Man kann heute sagen, dass das Konzept von einem Arbeitsbündnis beziehungsweise von Arbeitsbeziehungen im Bereich der amerikanischen, aber auch der britischen Psychoanalyse (z. B. SANDLER
DasArbeitsbündnis - ein Anteil der Beziehung zwischen Personal und Patient 85
1992) akzeptiert ist, während die Schule von M. Klein und auch die durch J. Lacan geprägte französische Psychoanalyse das Konzept kaum verwenden. In einer Arbeitsbeziehung lernt der Patient, mit dem therapeutischen Personal zusammen zu arbeiten. Eine Arbeitsbeziehung kann immer nur auf eine bestimmte Arbeitsweise hin defmiert werden, ähnlich wie ein Widerstand nur bezüglich eines bestimmten therapeutischen Konzeptes oder einer bestimmten therapeutischen Methode defmierbar ist. Es macht einen Unterschied, ob es nur darum geht, dass ein Patient ein bestimmtes Medikament einnimmt - man spricht dann meist von Fragen der Compliance -, oder ob es um die Bearbeitung von Beziehungsproblemen in Einzel- oder Gruppensitzungen geht. Natürlich hat Non-Compliance oft mit einer Beziehungsstörung zu tun. Ein Therapeut kann durch sein So-Sein, aber auch durch sein Verhalten Übertragungsauslöser bieten, die eine Übertragung früherer, abgelehnter Objekte fördern, wie ich dies in dem Abschnitt über Übertragungsauslöser dargestellt habe. Daneben gibt es Verhaltensweisen verordnender Ärzte, die realistischen Protest bei den Patienten hervorrufen. Diese Verhaltensweisen können wiederum durch Übertragungen der verordnenden Ärzte oder mit habituellen, persönlichkeitsbedingten Verhaltensweisen dieser Ärzte zu tun haben, wie ich das im Kapitel über das Verordnen von Psychopharmaka ausführe. Geht es dabei um eine psychoanalytisch orientierte Form der Therapie, wird vom Patienten nicht bloß erwartet, dass er ärztlichen Anweisungen folgt. Vielmehr muss er aktiv mitarbeiten: sich erinnern, Erinnertes in Worte fassen, Befürchtungen und Hoffnungen bei sich durch Introspektion erkennen und beschreiben. Zwischen den zwei Polen, einem einfachen Befolgen ärztlicher Anordnungen und der aktiven Mitarbeit unter Einsatz eigener Kompetenzen, gibt es Abstufungen. So ist in Gruppensitzungen, bei denen es in erster Linie um Kooperation in organisatorischen Fragen geht, die Introspektion und Erinnerung weniger wichtig als in analytisch orientierten therapeutischen Sitzungen im engeren Sinn. Die Art der Arbeitsbeziehung hängt wesentlich von den Behandlungszielen ab. Bei Patienten, die gerade eine psychotische Episode
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hinter sich haben, wird es vorrangig um eine Besserung der Realitätsprüfung und um einen sozialadäquaten Umgang mit dem Alltag und seinen Problemen gehen, dabei kann eine psychoanalytisch orientierte Sichtweise nützlich sein. Bei einer neurotischen Erkrankung, die psychoanalytisch orientiert mit dem Ziel einer Besserung oder Heilung behandelt werden soll, geht es zunächst darum, innere Konflikte aufzudecken und ihre Verarbeitung zu fOrdern. Dabei sind Introspektion, das Beobachten des eigenen Verhaltens und des Verhaltens anderer in Beziehungen wichtig. Die Ziele sind mittel- oder langfristig zu sehen. So haben LUBORSKY und CRITS-CHRISTOPH (1990; LUBORSKY/KÄcHELE 1988) übertragungsbedingte Verhaltensmuster wie folgt definiert: Jemand hat einen Wunsch, versucht diesen Wunsch in einer Beziehung zu verwirklichen, trifft auf Reaktionen des Objekts, die positiv, negativ oder neutral sein können, und reagiert auf diese Reaktionen. Soll ein solches Verhaltensmuster bearbeitet werden, ist es nötig, dass der Patient seine Wünsche erkennt, dass er erinnert, wie er ver-
suchte sie umzusetzen, dass er beobachtet und erinnert, wie der andere daraufreagiert hat und auch erinnert, wie er selbst die Reaktion des anderen aufnahm. Introspektion, Selbstbeobachtung, Beobachtung des anderen und wiederum Introspektion sind hier notwendig. All dieses kann auch im Falle des psychotischen Patienten wichtig sein, zum Beispiel wenn es um die soziale Wiedereingliederung geht; die angewandten Methoden enthalten aber eher Beratung und unterstützende, unmittelbare Hilfe. Die Arbeitsbeziehung kann von Anfang an durch Übertragung gestört sein. Besteht zu Beginn der Therapie eine starke negative Übertragung, kann es sein, dass eine Arbeitsbeziehung nicht zustande kommt. Aber auch eine sehr positive, idealisierende Übertragung kann zur Folge haben, dass die Entwicklung einer Arbeitsbeziehung gestört wird: Der Patient erwartet, dass der Therapeut ihn auf eine magische Weise heilen wird. Es kommt nur darauf an, auf den richtigen Therapeuten zu treffen, dann sei eine Heilung ohne wesentliche eigene Anstrengungen möglich. Die Bearbeitung solcher Idealisierungen gehört zu den schwie-
Das Arbeitsbündnis - ein Anteil der Beziehung zwischen Personal und Patient 87
rigsten therapeutischen Aufgaben, weil die Hoffnung des idealisierenden Patienten darin liegt, dass der Therapeut "es schon richten wird" und er sich einen anderen Weg zur Heilung oft noch nicht vorstellen kann. Weist der Therapeut die Erwartungen des Patienten zurück, ohne eine Alternative anzubieten, kann dieser alle Hoffnung verlieren. Er bricht die Therapie ab und geht vielleicht wieder auf die Suche nach dem "idealen Therapeuten«. Um solche Verläufe zu vermeiden, kann der Therapeut Kooperationsangebote machen, auf die der Patient vielleicht nur eingeht, weil er sie zu den magischen Ritualen zählt, die er ausfUhren muss, damit der Therapeut ihm auf wundersame Weise helfen kann. Die Erfahrung, dass das AusfUhren kleiner therapeutischer Aufgaben weiterhilft, eröffnet dem Patienten dann den Weg in eine Therapie, die wirklich hilfreich sein kann; gleichzeitig gewinnt er Vertrauen in seine eigene Kompetenzen. Das Bedürfnis, dem Therapeuten magische Kräfte zu unterstellen, nimmt ab. Während einer stationären Behandlung ist es fUr den Patienten meist nicht so leicht, eine therapeutische Beziehung abzubrechen wie bei einer ambulanten Therapie. Bei ambulanten Therapien kann der Patient einfach wegbleiben; von einer offenen Station kann er nur "weglaufen«. Viele Patienten scheuen aber die Konfrontation mit dem therapeutischen Personal, wenn sie die Station gegen den ärztlichen Rat verlassen wollen. Für Patienten, die dazu neigen, eine Behandlung abzubrechen, wenn die Idealisierung des Therapeuten in Frage gestellt wird, oder die dazu neigen, im Verlaufe der Therapie negative Übertragungen zu entwickeln, die dann zu einem Abbruch fUhren, sind die Hürden, die gegen eine Entlassung auch bei liberalster Handhabung noch bestehen, unter Umständen ein Vorteil. Die Patienten bleiben eher in der Therapie. Wenn sie doch abbrechen, gewinnt man immerhin die Zeit, die notwendig ist, um mit ihnen zu besprechen, wie sie sich nach dem Therapieabbruch weitere Hilfe suchen können.
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Traumanalyse in der Psychiatrie? Das Arbeiten mit Träumen gilt als ein wesentliches Merkmal psychoanalytischer Therapien. In den letzten Jahrzehnten hat die Bedeutung der Arbeit mit Träumen abgenommen. Man arbeitet mehr an der aktuellen Beziehung zwischen Patient und Therapeut. Die Übertragungsanalyse hat die Traumanalyse zurückgedrängt. Allerdings kann die Analyse von Träumen des Patienten die Beziehung des Patienten zum Therapierenden erhellen. Umgekehrt kann dem Therapeuten die Bearbeitung eigener Träume etwas über seine Beziehung zum Patienten sagen - die Bearbeitung eigener Träume ist auch ein Mittel der Selbstanalyse des Therapeuten (KÖNIG 1994), in der es um die Bearbeitung alltäglicher innerer und interpersoneller Konflikte im privaten und beruflichen Bereich geht, unter denen ein Therapeut leidet und die seine Funktionsfähigkeit in der Arbeit einschränken.Manche Psychoanalytiker weichen bei der Arbeit mit Patienten in die Traumbearbeitung aus, wenn die aktuelle Beziehung zwischen dem Patienten und ihnen schwierig wird; andererseits können aber auch Schwierigkeiten in der Beziehung durch die Bearbeitung der Träume in ihren Determinanten erkannt und dann besser aufgelöst werden. Die Bearbeitung von Träumen des Patienten ist in der hochfrequenten Langzeitpsychoanalyse am wichtigsten. In den Kurzzeitpsychotherapien spielt sie eine geringere Rolle, ebenso in den Gruppentherapien. Die Bearbeitung von Träumen kann regressionsfördernd sein. Der Patient beschäftigt sich, wenn er einen Traum bearbeitet, mit primärprozesshaften Vorgängen; das Ziel ist freilich, sie in eine sekundärprozesshafte, rational strukturierte Sprache zu übersetzen. Patienten müssen den Umgang mit Träumen erst lernen. Für viele Patienten ist es nicht leicht, zu Elementen des Traumes zu assoziieren, das heißt Dinge, Personen oder Vorgänge in ihrem Gedächtnis aufzusuchen, an die sie die Elemente des Traumes erinnern. Aus Gründen, die in ihrer Persönlichkeit liegen, oder unter dem Einfluss der Schulzeit oder eines Studiums lehnen manche Patienten es innerlich ab, anders als systematisch vorzugehen. Das Sammeln
Traumanalyse in der Psychiatrie? 89
von Einfallen ist aber ein unsystematischer Vorgang. Aus dem Traumelement soll nichts logisch abgeleitet werden; es soll nur nach Ähnlichem gesucht werden. Natürlich·kommen Schwierigkeiten damit am ehesten bei zwanghaften Patienten vor, die Angst vor allem Ungeordneten haben. Aber auch wenn jemand gelernt hat, zu den Elementen eines Traumes zu assoziieren, können die Einfalle stocken. Das kann auf kritische Bereiche in der Psyche des Patienten hinweisen. Dem Patienten fallt zu einem Traumelement deshalb nichts ein, weil er die Einfalle fürchtet; sie könnten etwa dazu führen, dass der latente Inhalt des Traumes aufgedeckt wird, den die Traumarbeit (durch Übersetzung des latenten Trauminhalts in den manifesten Traum unter dem Einfluss des so genannten "Zensors«, FREUD 1900) entstellt hat. Phobische Patienten bringen oft nicht Einfalle zum Traum, sondern Ergänzungen des Traumes: Sie erinnern zu den Elementen des Traums weitere Details aus dem Traum; ähnlich wie ein agoraphober Mensch in der Wohnung bleiben möchte und sich nicht auf die Straße traut, bleiben sie gleichsam im Traum. Wenn ein Patient keine oder nur wenig Einfalle zu einem Traum hat, wird es dem Therapeuten schwer fallen, den Traum und dessen latente Bedeutung zutreffend zu deuten. Auch dann ist das aber nicht unmöglich, weil nämlich der Therapeut nicht der Träumende ist und er selbst keinen Grund hat, den latenten Inhalt des Traumes seines Patienten verdeckt zu halten, jedenfalls sofern nicht durch den Traum eigene Konflikte angesprochen werden. Er kann auch Informationen aus dem Behandlungsverlauf hinzunehmen; solche Informationen können die Einfalle des Patienten zu einem Teil ersetzen. Manche Psychoanalytiker verzichten ganz darauf, den Patienten zu einem Assoziieren zum Traum aufzufordern. Sie nehmen alles, was der Patient in der Stunde gesagt hat, bevor er den Traum erzählte, und alles, was er danach sagt, probeweise als Einfalle. Der Traum steht ja in dem halboffenen System, das ein Patient darstellt, mit dem, was der Patient vorher und nachher sagt, in irgendeiner Verbindung. Beim Umgang eines Patienten mit seinem Traum können sich Arbeitsstörungen äußern, die der Patient auch im Alltagsleben hat (z. B. HEIGL 1954(55; KÖNIG 1998b). Überhaupt kann der Umgang des
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Patienten mit den Träumen wichtige Aufschlüsse über seine Persönlichkeitsstruktur liefern. Manche Patienten erinnern viel mehr T räume als bearbeitet werden können und möchten sie alle erzählen - in der (oral oder anal gefarbten) Erwartung, der Therapeut wolle viel Material - oder sie möchten durch das Erzählen der vielen Träume verhindern, dass einer gründlich bearbeitet wird. Hysterisch strukturierte Patienten möchten das Interesse des Therapeuten dadurch gewinnen und halten, dass sie ihm immer neue, oft bunt schillernde Träume erzählen. Wenn ein Patient, der bisher Träume erinnert hat, keine mehr erinnert, kann man meist davon ausgehen, dass eine Veränderung der Beziehung zum Therapeuten ansteht oder schon stattgefunden hat. So könnten aggressive Impulse gegenüber dem Therapeuten, aber auch eine Liebesübertragung, im Traum manifest werden. Eine dem Patienten bereits bewusste Übertragungsliebe etwa kann den Patienten dazu motivieren, nur noch seine
)~Schokoladenseiten(j
zu zeigen.
Der Traum könnte weniger Attraktives enthalten. Ebenso kann eine beginnende aggressive Übertragung dazu führen, dass der Patient dem Therapeuten keine Träume mehr anvertrauen möchte. Der Wunsch, das nicht zu tun, kann unbewusst sein; bewusst kann der Patient sich darum bemühen, die Träume zu erinnern und sich darüber ärgern, dass ihm das nicht gelingt. Ein Psychiater wird in seiner täglichen Arbeit selten Gelegenheit haben mit Träumen umzugehen. Auch bei psychoanalytisch orientierten Therapeuten spielen sie in den Kurzzeitverfahren meist nur eine ganz geringe Rolle, unter anderem deshalb, weil die Bearbeitung von Träumen Zeit erfordert und es dem Patienten näher liegt, die Probleme in seinen aktuellen Beziehungen einzubringen statt eines Traumes. Allerdings gibt es Patienten, die einen Traum in der Erwartung erzählen, dass der Therapeut gleich weiß, was los ist. In der Kurzgruppentherapie bei stationären Behandlungen entsteht meist nicht die für das Einbringen von Träumen in eine Gruppe notwendige vertraute und vertrauensvolle Atmosphäre. Ein Psychiater kann aber von einem Patienten oder einer Patientin träumen. Natürlich geschieht dies häufiger als erkannt wird, weil Patienten, wie andere Menschen auch, in Träumen nicht immer mani-
Traumanalyse in der Psychiatrie?
fest auftreten, sondern verdeckt, in Gestalt anderer, bekannter oder fremder Personen. Um das gezielter herauszufinden, ist ein Training in Traumanalyse erforderlich. Träumt der Psychiater aber direkt von einem Patienten, kann dies aufeinen Wunsch hindeuten, mit dem Patienten eine private Beziehung zu haben - ein Wunsch, der mit der beruflichen Rolle des Therapierenden nicht vereinbar ist. Entsprechend kann auch ein Patient unverdeckt vom Therapierenden träumen und auch darin kann sich ein Wunsch nach einer privaten Beziehung ausdrücken. Der Therapierende wird dann auf ein mögliches Agieren des Patienten achten; hat er vom Patienten geträumt, auf ein mögliches Gegenübertragungsagieren. In Einzelsupervisionen können die Träume des Supervidierten natürlich wichtig sein und der Klärung von Schwierigkeiten in einem Behandlungsverlauf dienen. In Gruppen-Supervisionen von Therapeuten kann mit den Träumen der einzelnen Mitarbeiter nur gearbeitet werden, wenn eine sehr vertraute und vertrauensvolle Atmosphäre herrscht. In Teamsupervisionen möchte ich vor der Benutzung von Träumen warnen. Es kann leicht passieren, dass ein Teammitglied mit einer Traumerzählung mehr über sich sagt, als es wollte, was dann Schamreaktionen hervorrufen kann, die das alltägliche gemeinsame Arbeiten empfmdlich stören. Erzählt ein Teammitglied doch einen Traum - vielleicht in der Erwartung, damit dem Supervisor etwas mitteilen zu können, das die anderen nicht mitbekommen oder ein besonderes Interesse des Supervisors zu fmden - empfehle ich aufdie besondere Situation in einer Supervision hinzuweisen; wenn etwas von dem Traum aufgegriffen wird, kann es allenfalls der manifeste Trauminhalt sein. Manche Menschen möchten auch, und das gilt für Therapien wie für die Supervision, aufdem Wege über die Erzählung eines Traumes etwas mitteilen, das sie auch im Wachzustand so erleben. Für den Traum fühlen sie sich weniger verantwortlich.
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Das Unbewusste und die Abwehrmechanismen Das Wort >,Verdrängung<> ist Bestandteil des alltäglichen Sprachgebrauchs geworden. Jemand, der etwas vergisst, sagt, er habe es wohl ))verdrängti(. Damit sagt er, dass er ,)mit Grund(!, aber ohne sein bewusstes Zutun vergessen habe. Hier kann es sich um Selbsterkenntnis handeln, aber auch um eine Ausrede. Der Betreffende hatte die Angelegenheit im Gedächtnis, er hat aber micht daran gedacht" zum Beispiel weil er sich durch anderes ablenken ließ. Damit etwas als verdrängt bezeichnet werden kann, ist es notwendig, dass es aus dem Bewusstsein entfernt wurde und nicht mehr durch einfaches "Hindenken, zugänglich ist. Dass die Erinnerung der meisten Menschen erst mit dem zweiten oder dritten Lebensjahr, bei vielen sogar erst mit dem ersten Schultag beginnt, wird auf Verdrängung zurückgeführt; in einer Psychoanalyse kann ein Teil des zunächst nicht Erinnerbaren durch Bearbeiten der möglichen Gründe für eine Verdrängung wieder zugänglich gemacht werden. Wahrscheinlich ist aber auch Vergessen beteiligt; das Gehirn kleiner Kinder befindet sich ja in manchem erst in der Entwicklung. Verdrängt wird, was nicht gern erinnert wird. Es wird nicht gern erinnert, weil der Betreffende unangenehme Folgen befürchtet, wenn bestimmte Inhalte ins Gedächtnis kommen oder leicht ins Gedächtnis gerufen werden können. Das Unbewusste wird in der Psychoanalyse mit dem globalen Ausdruck >,deskriptiv unbewusst<> bezeichnet. Alles deskriptiv Unbewusste hat gemeinsam, dass es dem Bewusstsein nicht ohne weiteres zugänglich ist. >,Deskriptiv(> heiß hier soviel wie >,phänomenologisch betrachtet" einfach nur beschreibend, vom Bewusstsein aus betrachtet; im Unterschied zu einer funktionalen Betrachtungsweise, die etwas darüber aussagt, wie Bewusstes unbewusst wird und wodurch es unbewusst bleibt (FREUD 1923). S. FREUD (1932, S. 78) hat das deskriptiv Unbewusste in das Vorbewusste und das Unbewusste im engeren Sinn eingeteilt und SANDLER I SANDLER (1985) sprechen von dem Gegenwarts-Unbewussten und dem infantilen Unbewussten. Zwischen dem infantilen Unbewussten und dem Gegenwarts-Unbewussten besteht eine Zensur-
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schranke; zwischen dem Gegenwarts-Unbewussten und dem Bewussten eine weitere Zensurschranke. Was die erste Zensurschranke ins Gegenwarts-Unbewusste (oder nach Freud das ,,vorbewusste,,) durchlässt, wird dort der aktuellen Situation des Betreffenden angepasst. Gelingt die Anpassung, das heißt, kann es "in Sicherheit" (WEISS / SAMPSON 1986) erinnert werden, ist es ins Bewusstsein abrufbar oder tritt von selbst ins Bewusstsein. Falls dies nicht der Fall ist, verhindert das die zweite Zensurschranke. Man kann das Bewusste mit dem Bildschirm eines Computers vergleichen. Nicht alle Prozesse, die im Computer ablaufen, sind auf dem Schirm sichtbar. Meist werden nnr die Ansätze und die Ergebnisse einer Rechenaufgabe auf dem Bildschirm dargestellt. Der Computer kann auch mehrere Dinge gleichzeitig tun und nur eines oder gar keines auf dem Bildschirm verfolgen lassen. Informationen auf der Festplatte oder auf einer Diskette sind direkt zugänglich, wenn man nur den Namen der Datei kennt; bei anderen ist zusätzlich ein "Passwort(' nötig. Ein "Abwehrmechanismus« muss erst deaktiviert werden. Entsprechend sind bei Menschen manche Informationen erst nach der Bearbeitung eines Abwehrmechanismus zugänglich, andere sind verfügbar, wenn man nur die Aufmerksamkeit darauf richtet. So würde ich vermuten, dass der Leser zur Zeit seine linke große Zehe nicht fühlt, wer diesen Satz nun aber gelesen hat, fühlt sie vermutlich - die Sinnesempftndungen kommen auf den Bildschirm. Das Unbewusste zeigt sich in den so genannten Fehlleistungen. Eine Fehlleistung liegt zum Beispiel vor, wenn man sich verspricht. Sagt ein Arzt zu einem Patienten, der ihm unangenehm ist, bei der Begrüßung "Auf Wiedersehen«, ist das eine solche Fehlleistung. Sie kommt dadurch zustande, dass der Betreffende eine Aversion gegen den Patienten bei der Begrüßung unterdrücken will, diese macht sich aber in der Wortwahl bemerkbar; der Arzt möchte den Patienten lieber verabschieden, als sich mit ihm zu beschäftigen. Nicht alles, was aus dem Bewusstsein verschwindet, wird verdrängt oder einfach vergessen. Man kann sich auch bemühen, an etwas nicht zu denken oder etwas nicht zu empftnden. So kann ein Arzt, der eine Patientin untersucht, etwaige erotische Gefühle unterdrücken. Auch Unterdrücktes kann aber in einer Fehlleistung zum Vorschein kom-
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men. So kann ein Arzt, der erotische Phantasien entwickelt hat, die seine Patientin betreffen, sie aus Versehen duzen statt sie zu siezen, obwohl er sie siezen will. Werden bestimmte Triebimpulse unterdrückt, dann hat der Betreffende hier eine "Lücke« (CREMERIUS 1968). So kann ein Mensch mit einer depressiven Struktur orale Impulse verdrängen und gegenüber etwas, was solche Impulse hervorrufen könnte, nicht reagieren. Depressiv Strukturierte leben zum Beispiel oft sehr bescheiden, Essen ist ihnen nicht wichtig. Wer sexuelle Impulse verdrängt, empfmdet keine sexuelle Anziehung, wenn sich ihm dazu eine Gelegenheit bietet. So kann eine Frau, die ihre sexuellen Impulse unterdrückt, von einem Mann als nicht erotisch empfunden werden, der sie sonst als anziehend empfinden würde. Sie findet ihn vielleicht interessant, er regt aber keine bewussten erotischen Wünsche und Vorstellungen an, die sich dem Mann nonverbal mitteilen könnten. Der Zustand der Alibidinie, also des Fehlens sexueller Wünsche, ist meist auf eine so genannte "Urverdrängung« zurückzuführen, das heißt, dass in der Kindheit erotische Wünsche (in einer kindlichen Form) unterdrückt wurden, zum Beispiel Wünsche eines Sohnes gegenüber der Mutter. Sie werden deshalb bei dem Erwachsenen auch noch unterdrückt, obwohl sie sich nicht mehr auf die Mutter richten, sondern auf eine Frau außerhalb der Primärfamilie, die aber Ähnlichkeiten mit der Mutter hat. Es kann auch ausreichen, dass es sich schlicht um eine Frau handelt und dies das einzige ist, was sie mit der Mutter gemeinsam hat. Eine Verdrängung lässt sich dadurch inaktivieren, dass man mit dem Patienten oder der Patientin über Befürchtungen spricht, die früher im Leben eine Rolle gespielt haben, jetzt aber nicht mehr passen. So kann ein Kind sich vom Vater erotisch angezogen fühlen, aber die Rache der Mutter fürchten, wenn es eine zu gute Beziehung zum Vater entwickelt. Die entsprechenden Phantasien und Wünsche werden deshalb verdrängt. Ein weiteres Motiv zur Verdrängung ist das Inzesttabu: Gegenüber dem Vater sind bestimmte Wünsche und Phantasien nicht erlaubt, sie sind tabu. Eine Frau, die sexuelle Wünsche gegenüber allen Männern unterdrückt, kann während einer Psychotherapie entsprechende Wünsche
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gegenüber dem Therapeuten entwickeln und sie in Sicherheit erleben, weil sie voraussetzt, dass dieser das Abstinenzgebot einhält, das heißt, er geht auf die erotischen Wünsche nicht ein. Er respektiert sie zwar, nimmt sie aber nicht zum Anlass, in sexueller Hinsicht aktiv zu werden. Hier wird unmittelbar klar, wie wichtig das Abstinenzgebot in der Psychoanalyse ist. Menschen mit einer bestimmten Charakterstruktur neigen meist dazu, bestimmte Abwehrmechanismen zu bevorzugen (vgl. das Kapitel über Entwicklungspsychologie). So zieht ein Schizoider vom paranoiden Typ die Projektion vor, meist handelt es sich dabei um eine Kombination von schizoider und zwanghafter Struktur. Verdrängung wird von Menschen mit einer hysterischen Struktur bevorzugt, daneben wenden solche Menschen aber auch andere Abwehrmechanismen an, zum Beispiel die Verschiebung. Der Abwehrmechanismus Verdrängung kommt bei fast allen Menschen in irgendeiner Form vor. Nur bei Personen, deren Ich sehr schwach entwickelt ist, ist die Fähigkeit zum Verdrängen stark eingeschränkt. So sind manche Patienten mit einer Borderline-Struktur nicht in der Lage, unerwünschte Inhalte zu verdrängen. Statt dessen teilen sie sich selbst und die Menschen, mit denen sie umgehen, in gute oder böse auf; die guten Impulse werden den guten Objekten bzw. Selbstanteilen zugeschrieben, die bösen Impulse den bösen. So entsteht eine Welt in Schwarz und Weiß. Abwehrmechanismen sind nicht immer nachteilig. Im Gegenteil, ohne Abwehrmechanismen könnten wir kein Leben führen, wie wir es kennen. Ein gutes Beispiel für die Nützlichkeit von Abwehrmechanismen ist die Leugnung. So wissen wir, dass jeder Mensch sterben muss; wir denken aber nicht immer daran und lassen uns meist nicht durch die Aussicht, dass wir doch einmal sterben müssen, den Alltag verderben. Die Information wird nicht voll wirksam. Menschen, die bei einer Krebskrankheit ihre Prognose realistisch einschätzen, scheinen eine kürzere Lebensdauer zu haben als solche, die sich über die Prognose täuschen. Das wirft natürlich wichtige Probleme im Zusammenhang mit der Aufklärung von Patienten auf, bei der es eben wichtig zu sein scheint, dem Patienten die von ihm verlangte Information zur Verfügung zu stellen, sie ihm aber nicht aufzudrän-
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gen und sie so zu vermitteln, dass sie nicht die Bewältigung blockiert. Die Information von Patienten ist deshalb eine diffizile Aufgabe, die man nicht den Unerfahrensten auf einer Krankenstation überlassen sollte, wie das leider häufig geschieht. Für jemanden mit einer depressiven Struktur ist es wichtig, dass er das interpersonelle Feld von Aggression frei hält, um die jeweilige Person nicht zu verlieren. Je wichtiger die Person ist, desto mehr gilt das. Deshalb ist Kritik um so weniger möglich, je wichtiger die Beziehungsperson ist, was sich auf Beziehungen oft nachteilig auswirkt. Ein depressiv Strukturierter kann depressiv werden und sich Selbstvorwürfe machen, obwohl die Vorwürfe eigentlich dem Partner oder der Partnerin gelten. Impulse, die einer bestimmten Person gegenüber nicht zulässig oder gefahrlich werden, verschiebt der Betreffende häufig auf eine andere Person, wie dies schon weiter oben dargestellt wurde. Wenn jemand aggressive Impulse von einer Frau, die ihn zurückgewiesen hat, auf andere Frauen verschiebt, kann das im Extremfall zu überraschenden Gewalttaten führen. Wird man von einem anderen provoziert und traut man sich nicht, selbst auch aggressiv zu werden, kann es sein, dass man sich mit dem Angreifer identifiziert. Man übernimmt das aggressive Verhalten, richtet es aber gegen andere Personen. Der Abwehrmechanismus »Identifizierung mit dem Angreifer<. fmdet sich häufig bei Menschen mit einer depressiven Persönlichkeitsstruktur. Orale Impulse, etwas zu genießen, werden von Depressiven häufig unterdrückt. Diese können sich gleichwohl daran freuen, dass andere etwas genießen. So kann jemand, der selbst keinen großen Wert auf Essen legt, gut für andere kochen und sich freuen, wenn es jenen schmeckt. Man spricht von ,>Altruistischer Abtretung<'. Die soziale Nützlichkeit und Bedeutung von Abwehrmechanismen wird auch am Beispiel der Isolierung vom Affekt deutlich - streng zu unterscheiden von der Verflachung der Affekte bei manchen Formen der Schizophrenie. So kann jemand wenig Emotion empfinden, weil Inhalte, die Emotionen hervorrufen können, von den Affekten durch den Abwehrmechanismus der ,>Isolierung vom Affekt« getrennt werden. Die Isolierung vom Affekt verhindert, dass man von Gefühlen
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überschwemmt wird. Andererseits kann sie das Gefühlsleben einschränken, wenn sie habituell angewandt wird, bis hin zu einer Unterdrückung sexueller Gefühle, sodass ein Orgasmusreflex fast ohne sexuelles Erleben abläuft. Die Isolierung aus dem Zusammenhang kann ebenfalls schädlich oder nützlich sein. Jemand, der aus dem Zusammenhang isoliert, kann die Verbindungen zwischen verschiedenen Elementen eines Sachverhalts oder zwischen verschiedenen Sachverhalten nur schwer erkennen. Isolierung aus dem Zusammenhang verhindert, dass Dinge miteinander vergleichbar sind, sodass es schwer fallt, innerhalb einer bestimmten Informationsmenge das Wesentliche zu erkennen. Ursprünglich liegt diesem Abwehrmechanismus der Wunsch zu Grunde, miteinander konfligierende Informationen in der inneren Welt voneinander zu trennen. So kann ein Mann eine Beziehung zu einer Geliebten haben, ohne dass dies die Beziehung zu seiner Frau tangiert. Die inneren Bilder von Geliebter und Frau werden voneinander getrennt, man spricht auch von "kompartmentalisierem. Jede der beiden Frauen sitzt gleichsam in einem anderen Abteil, sie haben keine Verbindung miteinander, und deshalb entsteht kein innerer Konflikt. Die Beziehungen scheinen einander nicht zu stören. Im Prinzip können alle Ich-Funktionen zur Abwehr eingesetzt werden. Man kann auch sagen, dass eine jede Fähigkeit prinzipiell Abwehrcharakter annehmen kann. Das gilt zum Beispiel für den Abwehrmechanismus des Intellektualisierens. Es besteht im Einsatz der Ich-Funktion des Abstrahierens im Dienste der Abwehr. Man fmdet es bei vielen Adoleszenten, die mit dem mit der körperlichen Reife verbundenen sexuellen Triebschub konfrontiert sind und dann eher über Liebe im Allgemeinen nachdenken oder auch sprechen können als über ihre eigenen, individuellen sexuellen Wünsche und Gefühle. Manche Abwehrmechanismen kommen selbst noch im Traum vor. So wird im Traum manches durch sein Gegenteil dargestellt. Aus einer großen blonden Frau wird eine kleine dunkle, aus einer alten Person wird eine junge. Der Traumzensor schmilzt zuweilen auch mehreres zu einem zusammen. So kann ein bestimmtes Traumelement mehrere Bedeutungen haben, die durch Traumanalyse eruierbar sind. Man spricht von Verdichtung.
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Neben der altruistischen Abtretung wird auch die Sublimierung als ein sozial wertvoller Abwehrmechanismus angesehen. Inakzeptables wird hier zu Akzeptablem. Zum Beispiel kann jemand, der infolge einer analen Fixierung den Wunsch hat, sich mit Schmutz zu beschäftigen, eine chemische Reinigung betreiben; jemand kann sexuelle Wünsche in einer gesellschaftlich akzeptablen Form dadurch befriedigen, dass er Akte malt. Das Unterstellen von Sublimierung kommt häufig bei der ungefragten Anwendung von Psychoanalyse auf Freunde und Bekannte, aber auch auf Figuren der Zeitgeschichte vor. Man kommentiert Handlungen anderer etwa mit: "Das macht der doch nur, weil ... « Natürlich malt ein Maler aber nicht nur deshalb nackte Frauen, weil sie ihn erotisch interessieren oder weil er keine Gelegenheit hätte, seine Sexualität unmittelbarer auszuleben. Er würde sonst vielleicht eine andere Form des Auslebens von sexuellen Impulsen fmden. Es müssen auch noch der Wunsch und die Fähigkeit vorhanden sein, kreativ zu arbeiten. Entsprechendes gilt übrigens auch für die Rationalisierung. Wenn jemand für sein Verhalten vernilnftige Gründe angibt, man aber vermuten kann, dass noch andere Motive vorliegen, die von dem Betreffenden nicht erwähnt werden und ihm vielleicht gar nicbt bewusst sind, heißt das nicht, dass dies die "eigentlichem Motive sind. Das Unbewusste ist nicht immer das Bedeutsamere. Das unbewusste Motiv ist auch nicht immer das stärkere. Es sei schließlich noch daraufhingewiesen, dass es mehr oder weniger reife Abwehrmechanismen gibt. Der Abwehrmechanismus, der für die Borderline-Struktur am charakteristischsten ist, die Spaltung, kommt bei Menschen mit einer reiferen Struktur nur in besonderen Situationen vor, zum Beispiel in unstrukturierten Großgruppen. Es sind dies Situationen, wo eine starke Regression stattfindet. Sie kommt so zustande, dass ein starker Übertragungsauslöser zur Übertragung von Erfahrungen im Umgang mit Objekten geboten wird, die in frühester Kindheit gemacht wurden. Daraus kann man aber nicht schließen, dass das Kind in jener Zeit ebenfalls den Abwehrmechanismus Spaltung eingesetzt habe. Es könnte sich auch um einen Abwehrmechanismus des Erwachsenen
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handeln, der deshalb in Aktion tritt, weil durch die frühkindliche Übertragung heftige Affekte ausgelöst wurden, mit denen der Erwachsene nur so umgehen kann (zu Abwehrmechanismen allgemein siehe KÖNIG 1996).
Die Leugnung Die Leugnung gehört zu den Abwehrmechanismen, die fast alle Menschen dauernd oder immer wieder einsetzen. Leugnen als Abwehrmechanismus besteht darin, dass man von bestimmten Informationen weiß, sie aber nicht wirklich zur Kenntnis nimmt. Die englische Bezeichnung für diesen Abwehrmechanismus heißt "deniai«. Ein treffenderes deutsches Wort ist: "Verleugnung(', daneben hat sich aber "Leugnung" im deutschen Sprachgebrauch eingebürgert. Man kann etwas bewusst leugnen, wie beispielsweise ein Drogenabhängiger, der leugnet, gedealt zu haben, obwohl dies nachweisbar der Fall ist. Oder: Der Alkoholkranke leugnet, etwas getrunken zu haben, obwohl man den Alkohol noch aus seinem Mund riechen kann. Bei der Leugnung im Sinne eines Abwehrmechanismus handelt es sich also nicht um eine bewusste Entscheidung. Wer sich bewusst für Leugnung entscheiden würde, könnte gar nicht mehr leugnen; er wüsste, dass er das tut. Leugnung als Abwehrmechanismus besteht gerade darin, dass sie zunächst gar nicht bemerkt wird; ihre Ergebnisse werden meist rationalisiert. Jemand, der um die schädlichen Folgen des Rauehens weiß und dennoch raucht, wird sich bemühen nicht an diese schädlichen Folgen zu denken oder ihren Stellenwert abschwächen ("Es ist doch egal, woran man stirbt.,,). Er kann aber auch Rationalisierung einsetzen: "Nicht alle Menschen, die rauchen, sterben daran. Mein Großvater ist über 90 Jahre alt geworden und hat immer noch geraucht, vielleicht hängt das von der Konstitution ab. Ich gehe davon aus, dass ich seine Konstitution geerbt habe. (, Oder der Betreffende entscheidet sich bewußt für das Rauchen: "Ich weiß, dass mir das Rauchen schadet, dass ich davon krank werden kann und vielleicht früher sterben muss. Ohne Rauchen bin ich aber reizbar, im Ganzen unleidlich und kann nicht arbeiten. Deshalb rauche ich weiter." Entsprechendes gilt für die gesundheitlichen Folgen von Alkoholismus.
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Der in der Werbung häufig angeführte Ausspruch "Ich rauche gern, müsste durch den Nachsatz ergänzt werden: mnd pfeife auf die Folgen(j.
Manchmal wird Leugnung durch Verschiebung auf das Kleinere ergänzt. Das kann man zum Beispiel in therapeutischen Teams beobachten, wo wesentliche Differenzen bezüglich der Aufnahmepolitik, der angewandten Behandlungsverfahren und der Entlassungspolitik bagatellisiert werden, wobei Bagatellisieren als eine Form von Leugnung aufgefasst werden kann. Statt dessen streitet man sich über Kleinigkeiten: Zum Beispiel geht es um die Entwicklung neuer Formulare, auf die viel Energie und Zeit verwendet wird. In einem therapeutischen Team konnte ich beobachten, dass um die Errichtung eines Grillplatzes gestritten wurde. Die Diskussion zog weite Kreise und man konsultierte nicht nur den Verwaltungsleiter, zu dessen Aufgabenbereich die Errichtung eines Grillplatzes gehörte, sondern auch einen Sachverständigen für Brandgefahrdung; man machte sich Gedanken über das Gras, das von den Patienten an einer bestimmten Stelle auf dem Gelände niedergetrampelt würde, wenn dort ein Grillplatz eingerichtet würde, um die Zugänglichkeit des Grillplatzes von den verschiedenen Stationen her und so weiter. Ein anderes therapeutisches Team, das wesentliche Differenzen in fundamentalen Fragen hatte, beschäftigte sich mit dem Ort, an dem ein Briefkasten aufgestellt werden sollte, über mehrere Teamsitzungen, bis in einer Supervisionssitzung klar wurde, was die gravierenderen Probleme waren; der Konflikt wurde eben auf den Briefkasten, wie in dem anderen Beispiel auf den Grillplatz, verschoben. Leugnung kann gleichwohl positive Folgen haben. Wer an Schizophrenie erkrankt, hat vielleicht größere Bewältigungschancen, wenn er die Möglichkeiten einer "Behandlung<> günstiger beurteilt, als es der statistischen Wahrscheinlichkeit entspricht, weil die Angst vor der Chronifizierung das Coping verhindern kann. Man kann sagen, dass der Optimist vieles an Negativem leugnet, das heißt, es nicht oder nur in geringem Ausmaß zur Kenntnis nimmt, während der Pessimist mehr an negative Eventualitäten denkt. Beide Einstellungen können Vorteile haben: Der Optimist hat vielleicht mehr Schwung bei dem, was er tut, kann damit aber auch aufdie Nase
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fallen, weil er negative Folgen nicht sieht; der Pessimist wird vielleicht gar nicht anfangen, bestimmte Dinge zu tun, weil er die negativen Folgen fürchtet, dafür wird er seltener auf die Nase fallen. In der Psychiatrie, besonders in der Sozialpsychiatrie, ist es wichtig, sich ein Bild davon zu verschaffen, wo der Patient Leugnung einsetzt. Wo Patienten mehr Verantwortung übernehmen wollen und sollen, müssen solche Prozesse aufmerksam beobachtet werden - ohne dass deshalb schon unbedingt Interventionen nötig wären. Man muss dann entscheiden, ob man sie anspricht oder nicht. So gehen zum Beispiel pessimistische Kranke nach einem psychotischen Schub schnell davon aus, dass sie wegen dieser Krankheit keine Frau mehr als Partner haben will; ist der Betroffene aber eher optimistisch, wird er die negativen Folgen einer Information über seine Krankheit vielleicht bagatellisieren, eine Partnerin finden und, wenn diese seine Krankheit akzeptiert, mit ihr besser leben. Andererseits kann ein Patient mit einer bipolaren Störung die Lithium-Prophylaxe aufgeben, weil ihm das Einnehmen der Medikamente lästig ist, wobei er die Gefahr eines Rezidivs bagatellisiert. Auch hier muss therapeutisch sorgfaltig begleitet werden. Vom Leugnen ist in der Psychiatrie die Überzeugung der Realität eines Wahns zu unterscheiden. Krankheitseinsicht gilt ja als Kriterium dafür, dass eine psychotische Episode oder Phase abgeschlossen ist oder ihrem Ende zugeht. Ein Wahnkranker ist von der Realität seines Wahns überzeugt, auch wenn dessen Inhalte anderen unsinnig erscheinen. Dabei mag es so aussehen, dass der Wahnkranke Informationen nicht zur Kenntnis nimmt. Das stimmt aber nicht; Informationen, die mit einem Wahn in Widerspruch stehen, hält er für falsch; es ist also nicht so, dass er Informationen für wahr hält, ihnen aber keinen wesentlichen Stellenwert beimisst. Die Persönlichkeitsstruktur eines Menschen kann es ihm erleichtern oder erschweren zu leugnen. Schizoide, die wenig Informationen aus der Umwelt aufnehmen, verfügen oft nur über wenig Informationen, wenn es scheinen mag, als leugneten sie. Ihr mangelndes Interesse an Details kann bewirken, dass sie ein Bild von der Wirklichkeit haben, das in vielem unzutreffend ist. Hysterisch Strukturierte leugnen besonders oft und intensiv, was ihnen gut gelingt, weil sie ihre ei-
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gene Subjektivität zum Maßstab bei einer Realitätsprüfung machen. Narzisstische Menschen leugnen an anderen, mit denen sie umgehen, das Persönliche; sie sehen diese eher als Funktionsbündel, was es ihnen erleichtert, sie zu funktionalisieren. Der Zwanghafte leugnet die Wichtigkeit von Informationen, die nicht zu seiner vorgefassten Meinung beziehungsweise in ein Konzept passen, das er in eine Situation einbringt. Er kann es nicht ertragen, damit nicht Recht zu haben. Andererseits gibt es viele Zwanghafte, bei denen der Drang nach Vollständigkeit überwiegt, die alle nur irgendwie erfassbaren Faktoren berücksichtigen müssen, insbesondere solche, die mit möglichen Gefahren zusammenhängen. Weil Zwanghafte infolge der Anwendung des Abwehrmechanismus "Isolierung aus dem Zusammenhang<, den Stellenwert von Informationen schlecht vergleichen können jede Information liegt gleichsam in einer anderen Schublade, und sie betrachten immer nur den Inhalt einer einzigen -, kann es so aussehen, als leugneten sie, wenn sie das gar nicht tun. Depressive schließlich leugnen, was nicht zu ihrer pessimistischen Weltsicht passt, und sie neigen dazu, den Stellenwert von Informationen gering einzuschätzen, an denen sie sich freuen könnten, gemäß der Lebensmaxime: "Den Vogel, der morgens singt, frisst abends die Katze.«
Idealisierung Idealisierungen kommen in allen Lebensbereichen vor: beim frisch Verliebtsein, wo die Idealisierung zur so genannten "Sexualüberschätzung<' (FREUD 1905, S. 50) gehört;.in der Beziehung zwischen Eltern und Kindern; unter nahen Bekannten. Von Eltern werden die eigenen Kinder idealisiert, weil ein wesentlicher Teil der Selbstachtung in ihnen untergebracht ist ("Mein Junge kann so etwas nicht getan haben.<,); von Kindern werden Eltern idealisiert, weil das ebenfalls die Selbstachtung stärkt, das Sicherheitsgefühl erhöht und den Status gegenüber den Gleichaltrigen aufwertet ("Papi hat eine Uhr, Mami hat eine Uhr, in der Küche ist auch eine Uhr - was sind wir für reichliche Leute!<,). Im weiteren Verlauf der Entwicklung wird in der Adoleszenz aus
Idealisierung
dem "Papi weiß alles,' und "Papi kann alles" der Mann, der nichts weiß und nichts kann ("Mein Vater ist total daneben«), bis sich schließlich eine ausgewogenere Beurteilung durchsetzt. Idealisierung kann Beziehungen aber auch gefahrden, nämlich dann, wenn das reale Verhalten oder das reale So-Sein der Personen so sehr mit der Idealisierung kontrastiert, dass die Diskrepanz nicht mehr übersehen werden kann. Meist kommt es dann zur Entwertung. Eine Entidealisierung kann aber auch zu einem realeren Bild von der idealisierten Person führen, wenn man ihr genügend Zeit lässt, aber auch dann schlägt das Pendel im Laufe der Entidealisierung immer wieder zur Gegenseite um, die idealisierte Person wird vorübergehend entwertet. Borderline-Patienten, die nur gute und nur böse Objektvorstellungen haben, verfügen nicht über Modelle für Menschen, in denen Gutes und Schlechtes, Liebendes und Ablehnendes nebeneinander vorkommen wie bei realen Menschen. Ideale Objekte können in der Innenwelt eines Menschen als Gegenbilder zu den "Imagines{' der realen Objekte existieren. Was am realen Objekt vermisst wurde, kann das Gegenbild in hohem Maße aufweisen. Dem inneren Bild einer vernachlässigenden Mutter kann so das Bild (die Repräsentanz) einer ideal sorgenden Mutter gegenübergestellt werden, auch wenn die in der Realität nie existiert hat; dem Bild einer unempathisch zudringlichen Mutter das Bild einer Mutter, die sich ideal einfühlen kann, die da ist, wenn man sie braucht, sich aber von selbst zurückzieht, wenn sie einem zu viel wird.
Entsprechend kann es zur Entwicklung einer idealen Selbstrepräsentanz (eines Größenselbst) kommen, wenn das Selbst als mangelhaft erlebt wird. Eine Konfrontation dieser idealen Selbstrepräsentanz mit der Wirklichkeit kann zu schweren Kränkungen führen. Die ideale Selbstrepräsentanz hat eine stabilisierende Wirkung, solange sie aufrechterhalten werden kann, dennoch kann sie auf Dauer auch schaden. So kann man etwa bei Studenten mit schweren Arbeitsstörungen Größenvorstellungen fmden, die zum Inhalt haben, dass man zu Großem berufen sei. Die äußeren Verhältnisse hätten bisher verhindert, dass dies allen klar würde, irgendwann aber müsste es sich f)herausstellen«. Diese Erwartung verhindert eine Auseinan-
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dersetzung mit der Arbeitsstörung und schränkt so die reale Sozialprognose ein. Selbstidealisierungen können sehr lange, unter Umständen ein Leben lang aufrechterhalten werden, wenn es gelingt, eine Nische zu [mden. Meist springen Menschen mit einem Größenselbst aber zwischen Selbstüberhöhung und Selbstentwertung hin und her. In der Regel wird ein Größenselbst schon in der Kindheit angelegt; ein vernachlässigtes oder sonstwie traumatisiertes Kind kann zunächst meinen, es sei nichts wert, deshalb würden sich die Eltern nicht um es kümmern oder es schlecht behandeln. Kompensatorisch wird dann das Größenselbst entwickelt, zu dessen Eigenschaften es gehörten kann, dass es Anerkennung durch andere nicht braucht. Tatsächlich sind die meisten Menschen mit einem Größenselbst aber auf ständige Bestätigung angewiesen. Familienangehörige, meist Eltern oder auch Großeltern, gehen über Identifikationsprozesse als Vorbilder in das Ich-Ideal ein. Der Unterschied zwischen dem Größenselbst und dem Ich-Ideal dürfte vor allem darin liegen, dass jemand mit einem Größenselbst meint, großartig zu sein, während jemand mit einem hohen Ich-Ideal erst so werden möchte, dass er dem Ich-Ideal entspricht. Freilich kommt auch der Fall vor, dass jemand glaubt, dem Ich-Ideal bereits zu entsprechen, wenn das noch nicht der Fall ist - und vielleicht nie der Fall sein kann; was dagegen spricht, wird geleugnet oder bagatellisiert. Im Unterschied zum Ich-Ideal enthält das Über-Ich weniger die erwünschten Eigenschaften der Persönlichkeit als vielmehr Verbote und Gebote, nach denen man sich richten muss, wenn nicht SchuldgefüWe auftreten sollen. Die Inhalte des Über-Ichs werden häufig externalisiert. Sie werden einem Chef, einem Partner oder einem Therapeuten zugeschrieben. So etwas kann auch in psychotischen Schüben geschehen. Während Schuldgefühle auftreten, wenn dem Über-Ich nicht entsprochen wird, treten Schamgefühle und Gefühle des eigenen Unwerts auf, wenn man dem Ich-Ideal nicht entspricht. Wird das Größenselbst mit der Realität konfrontiert, kommt es meist zu Selbsthass, der bei entsprechender Disposition depressiv verarbeitet wird, nämlich wieder zu Schuldgefühlen oder zu einem
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Selbsthass, der in direkter Form auftritt und einem Wunsch nach totaler Selbstvernichtung führen kann, während ein Mensch mit starken Schuldgefühlen meint, durch den Selbstmord zu sühnen oder wenigstens den SchuldgefüWen zu entgehen. Selbsthass hat etwas sehr Direktes und die Suizidversuche, die er auslösen kann, haben meist einen gewalttätigen Charakter. Jemand erschießt sich oder stürzt sich von einer Autobahnbrücke. Depressiv Strukturierte unterschätzen sich, narzisstische Menschen haben meist ein mehr oder weniger ausgeprägtes Größenselbst. Idealisierte Vorbilder können entwicklungsf6rdernd sein, wobei im günstigen Falle mit der Zunahme eigener Kompetenzen auch die Kompetenzen des Vorbilds realistischer eingeschätzt werden. Wegen Überschätzung nicht erreichbare Vorbilder können aber zur Resignation führen. Die Idealisierung einer Person hat oft die Funktion, sie vor eigener Aggressivität zu schützen. Eine Idealisierung verbirgt die gegenteilige Einschätzung. Formal hat dieser Vorgang Ähnlichkeit mit der Reaktionsbildung, bei der Aggressivität aber meist durch Mitleid ersetzt wird; die Idealisierung ersetzt das Abgelehnte am Objekt durch Bewundertes. In Therapien kann die Idealisierung dazu führen, dass der Patient die Therapie zunächst nur fortführt, weil er meint, dass der Therapeut es schon richtig machen wird, auch dann, wenn die Fortschritte zunächst gering sind. Diese Motivation sollte später durch eine realistischere Motivation abgelöst werden. Die Idealisierung kann aber auch dazu führen, dass dem Therapeuten die Fähigkeit zugeschrieben wird, seine Patienten ohne deren Mitarbeit zu heilen. Die Idealisierung entspringt hier passiven Erwartungen oder unterstützt diese. Ein Patient, der seinen Therapeuten idealisiert hat und seine passiven Erwartungen enttäuscht sieht, kann die Vorstellung entwickeln, dass der Therapeut ihn hinters Licht geführt hat, selbst wenn der Therapeut zu Beginn der Behandlung darauf hinwiesen hat, wie lange es dauern könne und dass der Ausgang offen sei. Wird der Therapeut idealisiert, bewirkt das auch, dass die aggressiven Gefühle aus der Beziehung zu ihm herausgehalten werden - Ag-
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gressionen, die vielleicht etwas mit der Übertragung böser Objekte zu tun haben. Ein idealisierter Therapeut bietet keine Übertragungsauslöser für solche Objekte. In Beziehungen außerhalb der Arzt-Patient-Beziehung kann die Idealisierung eines Therapeuten ebenfalls ungünstige Folgen haben. So kann eine Person von ihrem Partner erwarten, dass er ihr in der gleichen Weise zuhört wie ihr Therapeut das tut: unter Hintanstellung eigener Bedürfnisse und mit einer Geduld, die der Therapeut gegenüber seiner eigenen Frau kaum aufbringen dürfte. Diese Geduld hat eine besondere Wahmehmungseinstellung des Therapeuten zur Grundlage, die er nur in der therapeutischen Rolle haben kann; unter der Voraussetzung, dass es zu keiner privaten Beziehung kommt. Im Alltag würde der Therapeut nicht nur weniger geduldig zuhören, sondern auch eigene Bedürfnisse stärker in die Beziehung einbringen. Als Vorbild für einen Partner ist der Therapeut in seiner Rolle untauglich, was Patienten aber übersehen können. Sie machen ihrem Partner Vorwürfe, weil er sich nicht so verhält wie der Therapeut. Natürlich gibt es Therapeuten, die auf das Idealisieren des Patienten "anspringen" und sich bemühen den Vorstellungen des Patienten zu entsprechen. Andere wieder ertragen Idealisierung schwer, weil in ihr zum Ausdruck kommt, dass der Patient Anforderungen stellt, die der Therapeut nicht erfüllen kann oder will. Das erstere gilt vor allem für narzisstische, das zweite für depressive Therapeuten. Die Überschätzung durch den Patienten kontrastiert mit der Selbstunterschätzung des Therapeuten. In meinem Buch über Abwehrmechanismen (KÖNIG 1996) habe ich dazu geschrieben: "Für nicht wenige Ausbildungskandidaten ist das Motiv, sich mit der Psychoanalyse zu befassen, dem Wunsch ähnlich, sich mit Religion zu befassen; in einer unübersichtlichen Welt suchen sie nach Orientierung. Eine idealisierte Vater- oder MutterFigur könnte ihnen die scheinbar geben. Der idealisierte Lehranalytiker steht dann für die idealisierte Psychoanalyse." Die zunehmende Kritik an der Psychoanalyse hat etwas mit realen Defiziten zu tun, die zum Teil auf idealisierende Selbstüberschätzungen des Berufsstandes zurückzuführen sind. Psychoanalytiker haben lange Zeit nicht geglaubt, sich vor der wis-
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sensehaftlichen Gemeinschaft durch eine Art von Forschung legitimieren zu müssen, die von dieser verstanden und akzeptiert werden kann. Solche Forschung wird in den letzten Jahren zunehmend durchgeführt, und die Psychoanalytiker entdecken, dass mit ihr doch wesentliche Aussagen über ihre klinische Tätigkeit möglich sind. Es hat auch den Vorteil, dass Menschen, die sich beruflich mit der Psychoanalyse beschäftigen wollen, diese nicht mehr im früher gewohnten Ausmaß idealisieren, sondern sie realistischer betrachten. In Anwendungsbereichen wie der Psychiatrie, wo Psychoanalyse nie allein, sondern immer nur in Kombination mit anderen Verfahren angewandt werden kann, lässt sich die Psychoanalyse erst integrieren, wenn sie sich realistisch sieht. Die Befürchtung, die Psychoanalyse könnte in der Psychiatrie denaturiert werden, verliert ihre Brisanz, wenn die Psychoanalyse den Anspruch aufgibt, allein alles bewirken zu können, sich aber in der Kooperation mit anderen Wissenschaftszweigen und daraus abgeleiteten therapeutischen Verfahren als gleichwertig empfindet. So kann auch der Tendenz entgegengewirkt werden, dass die Psychoanalyse idealisiert oder entwertet wird. Ein verändertes Selbstverständnis kann so zu einer realistischen Beurteilung der Psychoanalyse beitragen, die sich als einen wesentlichen, in Entwicklung befindlichen Wissenschaftszweig betrachtet und sich so in Kooperation mit den Nachbarwissenschaften am besten behaupten kann. Eine Entwicklung zur Kooperation hin hat wohl zuallererst in der Gruppenpsychotherapie begonnen. In den Konzepten vOn FouLKEs (1978; 1998), der in intensivem Austausch mit Soziologen stand, und im Göttinger Modell der Gruppentherapie von A. HEIGL-EvERs und F.HEIGL (1973) wurden Psychoanalyse und Sozialpsychologie miteinander verbunden.
Spaltung Spaltung kann man unter verschiedenen Blickwinkeln betrachten: das Phänomen Spaltung für sich genommen, den Spaltungsvorgang (wie wird gespalten?) und die Motive, die zur Spaltung führen. Spaltung vermeidet die Folgen eines Konflikts. Während der dyadischen Entwicklungsphasen wird der Konflikt in einem Objekt er-
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lebt, das dann in Gut und Böse gespalten wird. Das gute und das böse Objekt haben nichts miteinander zu tun, wenn die Spaltung gelingt. Eine unerträgliche Ambivalenz gegenüber dem Objekt wird so vermieden. Der Zwanghafte, bei dem die Triangulierung schon stattgefunden hat, lokalisiert die Konflikte zwischen mehreren Objekten. Es setzt die Isolierung aus dem Zusammenhang ein, um innere Objektrepräsentanzen voneinander zu trennen. Spaltungsprozesse fmden nicht unentwegt statt. Spaltung wird beim Gesunden nur in besonderen Situationen eingesetzt; meist im Zustand tiefer Regression. Die Regression führt den Erwachsenen nicht ganz in ein bestimmtes Stadium der Entwicklung zurück. Er bleibt ein regredierter Erwachsener, wird in seinem Erleben und Handeln nicht völlig zum Kind. In der Regression werden aber frühere Formen der Konfliktbewältigung eingesetzt; manche Ich-Funktionen sind verlorengegangen, während andere erhalten bleiben. Die Fähigkeit zur Übernahme der Perspektive eines anderen kann verloren gehen, die Wahrnehmung kann eng an die Anschauung gebunden werden, das Denken kann ahistorisch werden - was früher war, gilt nicht mehr und ist scheinbar nie gewesen. Auch der Entwicklungsgestörte, also der in einem frühen Entwicklungsstadium Steckengebliebene, kann regredieren. Die Spaltungsvorgänge nehmen dann meist noch zu.
Isolierung aus dem Zusammenhang Bei Menschen mit einer zwanghaften Struktur spielt die "Isolierung aus dem Zusammenhang. als Abwehrmechanismus eine große Rolle; darauf wird an mehreren Stellen in diesem Buch eingegangen. Die Isolierung aus dem Zusammenhang besteht darin, dass verschiedene Impulse oder Informationen voneinander getrennt werden, die mit-
einander in Verbindung stehen und sich gegenseitig beeinflussen könnten. Es handelt sich also um eine künstliche Trennung, die einen Informationsverzicht bedingt. Der Zwanghafte zieht zwischen die Bereiche, die unerwünscht interagieren könnten wie unerwünschtes
Reden von Kindern im Klassenzimmer gewissermaßen Wände ein
Isolierung aus dem Zusammenhang
und schafft so Ruhe und Ordnung - ein jedes Phänomen sitzt in seinem Abteil: im Englischen spricht man auch von Compartmentalisation (Kompartmentalisierung, Compartment: Eisenbahnabteil), Ruhe und Ordnung werden aber nicht nur durch einen Verzicht auf möglicherweise fruchtbare Interaktionen erkauft; die Kompartmentalisierung verhindert oft auch, dass unmittelbare Vergleiche angestellt werden, was zum Beispiel wichtig wäre, wenn es darum geht, durch solche Vergleiche herauszufinden, was wichtig oder unwichtig ist. Das zeigt sich etwa im Arbeitsstil Zwanghafter, die oft Schwierigkeiten haben verschiedene Aspekte eines Problems zu gewichten, weil sie diese voneinander isolieren.
Manchmal kann ein Impuls, der aus einem Motivationszusammenhang isoliert wurde, beim Zwanghaften im Bewusstsein auftauchen. Der Impuls kommt durch, die Motive nicht. Der Impuls wird als persönlichkeitsfremd empfunden. So kann etwa ein Tötungsimpuls ins Bewusstsein durchbrechen. Weil das Motiv des Tötungsimpulses unbewusst bleibt, wird er als befremdlich oder erschreckend erlebt. Vermieden werden dadurch Schuldgefühle, die auftreten würden, wenn der Impuls zusammen mit den Motiven bewusst würde. Die Einschätzung bestimmter Sachverhalte als gefahrlich muss nicht der gegenwärtigen Realität entsprechen. So kann es sein, dass ein Kind den Abwehrmechanismus Isolierung aus dem Zusammenhang in bestimmten Situationen benötigt, als Erwachsener in der gleichen Situation aber nicht mehr braucht, etwa weil er mehr für sich sorgen kann, sich eher durchsetzen kann oder weil der Betreffende als Erwachsener andere Normen und Werte entwickelt hat. Die therapeutische Konfrontation mit dem isolierenden Denkstil kann zu einer Beunruhigung führen, die den Zugang zu Motiven ermöglicht. Der Patient mit Therapieerfahrung erwartet allerdings, dass die Beunruhigung abnimmt, wenn er versteht, was ihn beunruhigt. Wer aus dem Zusammenhang isoliert, kann Beziehungen leichter voneinander getrennt halten als jemand, der diesen Abwehrmechanismus nicht einsetzt. So können Zwanghafte eine Beziehung zu einer Geliebten neben ihrer Beziehung zum Ehepartner unbekümmert leben, weil in ihrer Vorstellung das eine nichts mit dem anderen zu tun
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hat. Wird der Abwehrmechanismus der Isolierung in einer längeren Therapie in Frage gestellt und bearbeitet, ist ihnen das nicht mehr so gut möglich. Sie erleben innere Konflikte, zum Beispiel Gewissenskonflikte, die sie mit der Isolierung der beiden Beziehungen voneinander vermieden haben.
Projektion und projektive Identifizierung Bei der Projektion werden eigene psychische Inhalte anderen zugeschrieben. Dabei kann es sich um Affekte, Stimmungen und Impulse, aber auch um Bewertungen handeln. In einem weiteren Sinne wird der Terminus "Projektion" auch für die Externalisierung von Objekten verwendet (MEISSNER 1978). Die Objektrepräsentanzen gehören zur inneren Welt und damit zum Selbst. Der ursprüngliche Begriff von Projektion beschränkte sich auf Externalisierungen aus der Selbstrepräsentanz. Projiziert wird, was im Inneren stört. Natürlich wird das Projizierte nicht wirklich nach außen verlagert, es wird der Repräsentanz des Objektes, mit dem der Betreffende aktuell umgeht, zugeschrieben. Die Projektion ist also ein innerpsychischer Vorgang, kann aber Folgen im Umgang mit jenem anderen Menschen haben, dem etwas aus der eigenen inneren Welt zugeschrieben wird. Die vor allem in den USA verbreitete Ich-Psychologie spricht von Projektion aus den Instanzen Es, Ich, Über-Ich und Ich-Ideal. Ein weiteres Motiv der Projektion kann sein, die Außenwelt vertrauter zu machen; das geschieht dadurch, dass man Bekanntes in ihr wiederfindet. Die Illusion, Bekanntes wiederzufinden, kann also durch Projektion erreicht werden. Ganz allgemein kann die Projektion dazu dienen, einen inneren Konflikt zu einem interpersonellen zu machen. Der Projizierende setzt sich dann mit der Person auseinander, der er etwas aus dem ei-
genen Inneren zuschreibt. Zu einer Projektion gehören natürlich oft Projektionsauslöser; das heißt, dass außen etwas wahrgenommen wird, was Ähnlichkeit mit Innerem hat. Es wird gewissermaßen ein Teil Ähnlichkeit, den die Außenperson zeigt, für das Ganze genommen; das heißt, es entsteht
Projektion und projektive Identifizierung
die Illusion, sie sei im Ganzen wie das, was in der Folge projiziert wird. Projektion kann dazu dienen, etwas zu verdecken. Ein Patient, der Angst vor dem Therapeuten hat, zum Beispiel die Befürchtung, der Therapeut könnte mit einer Art Röntgenblick in ihn hineinsehen, wird auf den Therapeuten gerade ein unempathisches Objekt projizieren, das den Patienten in der Vergangenheit nicht verstanden hat; ein Elternteil, ein Lehrer, ein Geschwister oder sonst Familienangehörige. Je fragiler der Bezug zur Realität ist, desto ungehinderter können Projektionen sich etablieren. Wird viel von einer Person wahrgenommen, kann eine Projektion leichter durch das tatsächliche Verhalten der Person widerlegt werden, auf die projiziert wird. Weicht das Verhalten der Person, auf die projiziert wird, von der Projektion ab, kann selektive Wahrnehmung, kombiniert mit einer Leugnung der tatsächlichen Unterschiede, nicht mehr ausreichen, um die Projektion aufrechtzuerhalten. Unbewusst motiviert verhält sich dann der Projizierende so, dass der andere sich dem, was projiziert wird, angleicht. Wird ein aggressives Objekt projiziert, verhält sich der Projizierende provozierend. Wird ein versorgendes Objekt projiziert, verhält sich der Projizierende hilfsbedürftig. Wird ein liebendes Objekt projiziert, kann sich der Projizierende verführend verhalten. Wenn sich der innerpsychische Vorgang der Projektion mit einem Verhalten kombiniert, das die Projektion wahr machen soll, kann man man von projektiver IdentifiZierung sprechen. Identifizierung heißt hier nicht, dass jemand als der identifiziert werden soll, der er wirklich ist. Identifizierung heißt hier, dass der andere dem projizierenden Selbstanteil oder Objekt gleichgemacht werden soll. Er soll also gerade nicht als der erkannt werden, der er ist, sondern als jemand, der die Projektion bestätigt. Mit einem aggressiven Objekt kann der Projizierende oder projektiv Identifizierende nun kämpferisch, rebellisch oder listig umgehen. Hier [,illt auf, dass Projektion etwas Ähnliches bedeuten kann wie Übertragung. Ein inneres Objekt wird aufeine Außenperson bzw. auf deren innere Repräsentanz in der eigenen inneren Welt übertragen.
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Bei Psychoanalytikern, die als Basis ihrer klinischen Arbeit die Objektbeziehungstheorie bevorzugen, ist diese Redeweise tatsächlich verbreitet. So kann man von einer projektiven IdentifIzierung vom Übertragungstyp sprechen, im Unterschied zu einer Übertragung ohne ein Verhalten, das die Person, auf die übertragen wird, dem übertragenen Objekt ähnlich macht (KÖNIG 1995). Der Terminus "Projektive IdentifIZierung» wird in den verschiedenen Schulen der Psychoanalyse unterschiedlich verwendet. Ich habe hier meine Art der Verwendung dieses Terminus beschrieben. Der Begriff stammt ursprünglich von M. KLEIN (1946/1962), die projektive Identifizierung zunächst für einen innerpsychischen Vorgang hielt. Erst OGDEN (1979) machte deutlich, dass auch ein interpersoneller Vorgang eine Rolle spielt. Projektive Identifizierung wird von manchen Autoren (z.B. KERNBERG 1988) als primitiver Abwehrmechanismus betrachtet, im Unterschied zu den reiferen Abwehrmechanismen wie der Verdrängung oder der Verschiebung (siehe dort). Für einen formal entsprechenden Vorgang bei Patienten mit einer aus späteren Entwicklungsstadien stammenden Form der Pathologie wird der Begriff der Rollenübernahme (SANDLER 1976) oder auch des interaktionellen Anteils der Übertragung (KÖNIG 1982) verwendet. Ich selbst bin der Ansicht, dass man diese, in der Grundstruktur ähnlichen Phänomene alle unter dem Begriff der projektiven Identifizierung zusammenfassen kann, obwohl ich gelegentlich auch von dem interaktionellen Anteil einer Übertragung spreche; gemeint ist dann eine projektive Identifizierung vom Übertragungstyp. Nach der Motivation teile ich die verschiedenen Formen der projektiven Identifizierung in eine vom Übertragungstyp, eine vom Konfliktentlastungstyp (ein innerer Konflikt wird zu einem interpersonellen gemacht) und eine vom kommunikativen Typ ein. Bei letzterer ist der Wunsch wirksam, den anderen dem eigenen Selbst anzugleichen, um sich besser mit ihm verständigen zu können. Das Gegenstück ist die projektive Identifizierung vom Abgrenzungstyp: Der Psychiater mit dem Röntgenblick wird mit einem unempathischen Objekt identifiziert, weil seine Empathie gefürchtet wird. Interaktionelle Anteile können sich auch mit anderen Abwehrmechanismen kombinieren. Zum Beispiel kann eine Person, auf die
Projektion und projektive Identifizierung
Wünsche verschoben werden, so beeinflusst werden, dass sie den Erwartungen entspricht. In Psychotherapien kommt es vor, dass eine Liebesübertragung auf den Therapeuten unterdrückt wird, weil die Patientin davon ausgeht, dass ihre Gefühle doch nicht in der gewünschten Form erwidert werden. Die Liebeswünsche werden dann aufeine andere Person im Umfeld der Patientin verschoben, die Ähnlichkeiten mit dem Therapeuten hat und mit ihr wird eine enge private Beziehung eingegangen, zu der sie verführt wird. Wenn jemand leugnet, kann er eine Person, deren Verhalten er leugnet, ohne es zu merken, so beeinflussen, dass sie dieses Verhalten reduziert. Er kann dann so tun, als hätte die Person, um die es geht, nicht die Tendenz, sich so zu verhalten, wie gefürchtet wird.
Was ist Widerstand und wie geht man mit ihm um? Widerstand lässt sich verschieden defmieren. Eine allgemein gehaltene Definition könnte lauten: Widerstand in einer Therapie ist alles, was verhindert, dass die Therapie fortschreitet. Bei allen aufdeckenden Therapieformen, also bei jenen Therapieformen, die Unbewusstes bewusst machen, hat der Widerstand allerdings auch eine die Therapie fördernde Funktion. Er verhindert, dass der Patient sich überfordert oder durch den Therapeuten überfordert wird. Das Unbewusste ist aus guten Gründen unbewusst: In der Konfrontation mit den Inhalten des Unbewussten werden Angst, Scham und Schuldgefühle erlebt, die der Patient bisher durch den Einsatz von Abwehrmechanismen vermieden hat. Von diesen Emotionen kann ein jeder Patient nur begrenzt viel aushalten. Ein gewisses Maß an psychischer Belastung muss ein Patient aber aushalten wollen und dann auch aushalten, wenn die Therapie wirksam werden soll, damit es ihm am Ende besser geht. Ein Motiv, die unangenehmen Emotionen auszuhalten, ist der so genannte Leidensdruck. Der Patient leidet unter seiner Krankheit und ist deshalb bereit, in einer Therapie Unangenehmes in Kauf zu nehmen. Wir haben hier eine ähnliche Situation wie bei einer Operation. Der Patient nimmt die postoperativen Schmerzen in Kauf, weil er erwar-
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tet, dass er nach der Operation am Ende gesünder sein wird. Ein Unterschied ist freilich, dass die postoperativen Schmerzen zeitlich auf wenige Tage begrenzt sind, während eine aufdeckende Therapie meist länger dauert und der Patient sich immer wieder mit Inhalten seines Unbewussten konfrontieren muss, die in ihm unangenehme Gefühle erzeugen können. Eine aufdeckende Therapie ist aber nicht nur unangenehm. Es kann auch interessant sein, sein eigenes Unbewusstes kennen zu lernen. Dieses Motiv spielte bei den Pionieren der Psychoanalyse eine große Rolle, wie etwa aus den Protokollen der »Mittwochsgesellschaft« hervorgeht: S. Freud traf sich mit seinen Schülern regelmäßig an einem Mittwoch. Man diskutierte, aber analysierte sich auch gegenseitig. Bei vielen Lehranalysen und Selbsterfahrungsgruppen spielt dieses Auf-sich-selbst-neugierig-Sein immer noch eine wichtige Rolle. Sich selbst kennen zu lernen ist nicht nur notwendig, um die blinden Flecken zu verkleinern, die ein jeder zu Beginn einer psychotherapeutischen Ausbildung hat. Wer nicht auf sich selbst neugierig ist, wird in aufdeckenden Therapien nicht effektiv arbeiten können, weil er es vermeiden muss, bei seinen Patienten Dinge zu sehen, die für ihn selbst ein Problem sind, weil die Kenntnisnahme der Probleme des Patienten mehr oder weniger unversehens zur Selbsterkenntnis führen kann. Zwischen vielen Patienten, mit denen ein Psychiater umgeht, und ihm selbst bestehen große Unterschiede. Die Probleme, die ein psychotischer Patient hat, betreffen den Psychiater in der Regel nicht oder kaum. Anders ist es schon bei Borderline-Patienten, und bei neurotischen Patienten muss man davon ausgehen, dass der Psychiater immer wieder auf Probleme stoßen wird, die er von sich selbst kennt oder bei sich selbst neu entdeckt, wenn er mit einem Patienten umgeht, der die gleichen Probleme hat. Natürlich wird ein Psychiater der Selbsterkenntnis ähnliche Widerstände entgegensetzen wie ein Patient, und aus den gleichen Gründen. Bei Psychiatern kommt oft noch hinzu, dass es sie kränken kann, nicht so I)gesund« oder l)fiormal« zu sein, wie sie zunächst geglaubt haben. Psychiater haben im Unterschied zu den Fachärzten für Psychotherapeutische Medizin oft ein Krankheitsverständnis, das die Unter-
Was ist Widerstand und wie geht man mit ihm um?
schiede zwischen krank und gesund betont, während die Fachärzte für Psychotherapeutische Medizin durch die Art ihrer Klientel eher zu einem Krankheitsverständnis gelangen, das fließende Übergänge zwischen normal und pathologisch betont. Krank-Sein heißt dann eben nicht Verrückt-Sein. Der Tübinger Psychiater E. Kretschmer hat einmal in einer Vorlesung gesagt: »Die Psychologie der Neurosen ist die Psychologie des menschlichen Herzens überhaupt." Therapeuten und Patienten haben oft die gleichen Probleme; es ist nur zu hoffen, dass der Therapeut kompetenter mit ihnen umgehen kann. Wer mit psychisch Kranken umgeht, kann auch fürchten, dass er bei einem Patienten Charakterzüge entdeckt oder über Handlungen informiert wird, die er ablehnen muss (etwa sexuelle Übergriffe oder andere Gewaltakte). Das kann dazu führen, dass solche Dinge in einer Therapie ausgespart werden, in einem stillschweigenden Einverständnis von Patient und Therapeut. Dass der psychiatrische Facharzt durch »Psychotherapie" ergänzt wurde, richtet die Aufmerksamkeit der in Ausbildung befindlichen jungen Psychiater voraussichtlich mehr als bisher auf Bereiche, in denen die Probleme von Patienten und Arzt oder Psychologe sich decken oder zumindest überschneiden oder einander ähnlich sind. Gleichzeitig führt die Beschäftigung mit Patienten, die einem bezüglich ihrer Pathologie ähnlich sind, zu einer Veränderung der Einstellungen gegenüber Verhaltensweisen, die abgelehnt würden, wenn man sie nicht verstehen könnte. Ein solches Verständnis braucht natürlich nicht dazu zu führen, dass man alles billigt, was man versteht. Im Grunde lässt sich die Motivation zu jedem Verbrechen verstehen oder zumindest erklären; das heißt aber nicht, dass jemand, der die Motive eines kriminellen Patienten versteht oder sich erklären kann, dessen Handeln billigt. Es muss auch nicht dazu führen, dass er ihn I)entkriminalisiert{j. Ein jeder Widerstand kann nur auf die therapeutische Methode hin definiert werden, die angewandt werden soll. Ein jedes therapeutische Verfahren beinhaltet Spielregeln, an denen sich der Patient orientieren sollte. Ein Patient, der Psychodrama gemacht hat, ist, wenn er an einer psychoanalytisch orientierten Gruppe teilnimmt, vor die Aufgabe gestellt, von den Spielregeln, die er bisher gelernt hat, abzu-
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sehen und neue Spielregeln zu lernen. Richtet er sich nach den alten Spielregeln, möchte er also etwas spielen, was er in der analytischen Gruppe beschreiben soll, wirkt sich das als Widerstand aus; er kann nicht so gut mitarbeiten, wie wenn er die neuen Spielregeln einhielte und sich mit ihnen identifizieren könnte. Die Spielregeln, die ein therapeutisch Tätiger in eine Therapie einbringt, werden vom Patienten um so leichter akzeptiert, je besser die Beziehung zum Therapeuten ist. Untersuchungen von LUBORSKY und KÄcHELE (1988) haben gezeigt, dass eine kooperative Beziehung zwischen Patient und Therapeut ein wesentlicher Prädiktor für den Erfolg einer Therapie ist. Auf der Basis einer guten Beziehung kann der Therapeut mit mehr Aussicht auf Erfolg Spielregeln einbringen, als wenn die Beziehung schlecht ist, sodass alles, was vom Therapeuten kommt, im Grunde abgelehnt wird. Ob ein Patient also Spielregeln einhält oder nicht, ob er sie nur scheinbar oder mit Überzeugung übernimmt, hängt mit der Art der Beziehung zum Therapeuten zusammen. Wenn es darum geht, einen Widerstand zu diagnostizieren, ist es in vielen Fällen notwendig, zwischen bewusstem oder unbewusstem Nicht-Wollen, was man als Widerstand bezeichnen kann, und NichtKönnen zu unterscheiden. Eine jede Therapieform stellt gewisse Anforderungen an den Patienten. Ob ein Patient in einer bestimmten Therapieform arbeiten kann, ist eine wichtige Frage, wenn es darum geht, eine Indikation zu stellen. Für manche Patienten ist eine mehr aufdeckende, für andere eine mehr stützende Therapieform geeignet. Aufdeckende Therapieformen setzen meist eine gewisse Fähigkeit zur Introspektion voraus. Sie erfordert auch Ich-Stärke. Das Ich muss imstande sein neu Erkanntes zu verarbeiten und im sozialen Feld in zweckmäßiges Handeln umzusetzen. Setzt ein Patient mit einem schwachen Ich einer aufdeckenden Therapie Widerstand entgegen - zum Beispiel indem er Termine vergisst oder zu spät kommt -, kann er mit seinem Widerstand sehr wohl ,>Recht haben", das heißt, der Widerstand ist zweckmäßig. Ich erinnere eine Patientin, die regelmäßig zu spät kam, um die Stunden zu verkürzen, weil sie befürchtete, im Laufe einer vollen
Was ist Widerstand und wie geht man mit ihm um?
Therapiestunde mehr über sich zu erfahren, als sie verarbeiten konnte. In solchen Fällen ist es wichtig, nicht schematisch vorzugehen. Ich tolerierte es, dass die Patientin zu spät kam und überließ ihr damit einen Teil der Regulierung der Geschwindigkeit des therapeutischen Prozesses; das heißt, ich sprach das Zuspätkommen nicht als einen Widerstand an, den die Patientin aufgeben müsste. Als das Ich der Patientin durch den Umgang mit unbewusstem Material in dessen Verarbeitung ausreichend trainiert war, hörte das Zuspätkommen auf, ohne dass ich den Widerstand angesprochen hätte. Eine alternative Möglichkeit wäre gewesen, die Stunden zu halbieren. Das hätte die (schizoide) Patientin aber gekränkt und wäre auch aus einem anderen Grund unzweckmäßig gewesen: Sie wollte die Stunden zur Verfügung haben und sie den eigenen Toleranzgrenzen flexibel anpassen können.
Manches Nicht-Können liegt in der Persönlichkeitsstruktur eines Patienten. Um die Persönlichkeitsstruktur zu verändern, wäre Therapie notwendig; dazu bringt der Patient aber nicht die nötigen Voraussetzungen mit. Ein Beispiel ist die Unfahigkeit vieler zwanghafter Patienten, Analogien zu erkennen. Ein Gutteil der psychoanalytischen Arbeit besteht ja im Erkennen von Gemeinsamkeiten; manche Therapeuten und auch manche Patienten sprechen von "Parallelen(,. Es gilt etwa, das Gemeinsame zwischen einem Chef, der als autoritär empfunden wird, und einem Vater, der als autoritär empfunden wurde, zu erkennen. Die Beziehung zum Chef wird analog der Beziehung zum Vater gesehen. Es kommt dann darauf an, herauszufmden, ob der Chef tatsächlich autoritär ist, ob er nur so empfunden wird oder ob der Patient sich so verhält, dass der Chef mit einem autoritären Verhalten reagiert - zum Beispiel, indem er seine Arbeit nicht so macht, wie der Chef sie haben möchte -, ob er Dinge vergisst, ob er zur Arbeit zu spät kommt und so weiter. Zwanghafte Menschen sehen viele Details und wenig Zusammenhänge, und das bewirkt, dass sie zwei Sachverhalte als unterschiedlicher empfmden als jemand, der weniger zwanghaft ist. Was zwei Sachverhalte gemeinsam haben können, ist oft eine Grundstruktur, die sich aus mehreren miteinander in Beziehung stehenden Merkmalen zusammensetzt; daneben gibt es eine Menge Merkmale, die mit
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dieser Grundstruktur nichts zu tun haben. Den Zwanghaften fehlt der Überblick über das Ganze, weil er durch den Einsatz des Abwehrmechanismus der Isolierung aus dem Zusammenhang die Verbindungen der betreffenden Merkmale übersieht und sich auf Einzelheiten konzentriert, um ja alles zu erfassen, außer eben die Zusammenhänge, von denen er gar nichts bemerkt. Die Merkmale, die zusammen eine Figur ergeben, kann er nicht gleichzeitig sehen. Deshalb erkennt er die Figur nicht. Ein solcher Patient wird zum Beispiel daraufhinweisen, dass der Chefsich von einem Vater ja in vielen Persönlichkeitsmerkmaien unterscheidet, dass es sich bei der Beziehung zum Chef um etwas völlig anderes handelt als bei der Beziehung zum Vater, dass der Chef anders aussieht, einen anderen Beruf hat, im Unterschied zum Vater nicht verheiratet ist und so weiter. All diese Beobachtungen mögen richtig sein, sie ändern aber nichts daran, dass es sich in beiden Fällen um ein (reales oder nur so erlebtes) autoritäres Verhalten handelt und die Erfahrung mit einem autoritären Vater einen Einfluss daraufhaben kann, wie ein Chef gesehen wird. Der Patient würde auf eine Deutung hin vielleicht einräumen: »Ja, der Chef und der Vater verhalten sich so, dass man sagen könnte, sie seien heide autoritär, aber sonst unterscheiden sie sich.
Die Unterschiede sind so groß, dass es mir absurd vorkommt, einen Zusammenhang herzustellen. (, Damit weigert er sich, einen möglichen Zusammenhang der Erfahrungen mit dem Vater und seiner Sichtweise vom Chef in Erwägung zu ziehen. Ein Arzt, der zwanghaft ist, wird mit einem psychoanalytisch orientierten Verfahren auchnicht gut arbeiten können, weil er die gleiche Schwierigkeit hat. Er sieht die Analogien schwer oder nicht. Das Gegenstück zum Zwanghaften ist der Schizoide, der wenig Details aufnimmt, und wenn, dann auch nur selektiv solche, die mit seinem inneren Bild von einem Patienten übereinstimmen. Da für ihn wenige Gemeinsamkeiten ausreichen, um einen Bezug zu sehen, sieht
er oft Bezüge, wo ein anderer beim besten Willen keine entdecken könnte. Bekanntlich gibt es bei einer Schizophrenie die so genannten Klangassoziationen: Wörter, die ähnlich klingen, aber eine ganz andere Bedeutung haben, werden miteinander in Verbindung gebracht. Bei der Tendenz des Schizoiden, Gemeinsamkeiten zu sehen, wo kei-
Was ist Widerstand und wie geht man mit ihm um?
ne belegbar sind, handelt es sich im Grunde um etwas Ähnliches, wenn aucb weniger Pathologisches. Neben dem Widerstand gegen die Konfrontation mit dem eigenen Unbewussten, der, wie eben dargelegt, von einem Nicht-Können unterschieden werden muss, gibt es als weitere wichtige Widerstandsform den so genannten Übertragungswiderstand. Ebenso wie ein Patient sich sträuben mag, für einen als autoritär empfundenen Chef zu arbeiten, der so empfunden wird, weil er an den Vater erinnert, kann ein Patient sich sträuben, in der Therapie zu arbeiten, weil der Therapeut ihn an den Vater erinnert. Ein Therapeut befmdet sich ja per Rollendefinition in der Position einer Sachautorität, was dazu beiträgt, dass von ihm ein autoritäres Verhalten erwartet werden könnte - selbst wenn er es sorgfliltig vermeidet, sich autoritär zu verhalten. Ähnlich wie einen Chefkann ein Patient auch einen Therapeuten durch ein Nicht-Einhalten von Regeln oder Vereinbarungen ein Verhalten provozieren, das er als autoritär empfmden kann, was dann seine Übertragungserwartung bestätigt. Häufig ist die Bearbeitung einer Übertragung auch eine Bearbeitung der mit der Übertragung verbundenen, beziehungsweise sich aus ihr ergebenden Widerstände. Es ist nun nicht so, dass ein Übertragungswiderstand nur dann auftritt, wenn die Übertragung mit negativen Gefühlen verknüpft ist. Auch eine Idealisierung des Therapeuten kann zu Widerständen führen. Zum Beispiel kann ein Patient von einem idealisierten Therapeuten erwarten, dass dieser ihn schon heilen wird, ohne dass er selbst dazu viel beitragen muss. Von der idealisierenden Übertragung ist eine Liebesübertragung zu unterscheiden, die sich mit Idealisierung verbinden kann. Wir wissen ja alle, dass wir dazu neigen, einen Partner im Zustand der Verliebtheit zu überschätzen. S.FREUD (1905) sprach prosaisch von "Sexualüberschätzung". In ein Verliebtsein fließen nicht nur die sexuellen Wünsche ein, sondern auch Wünsche nach einem guten Sich-Verstehen, nach Geborgenheit und Verbundensein, wie wir sie auch als ganz kleine Kinder der Mutter gegenüber empfunden haben, der wir, wenn die Beziehung gut war, auch mehr zutrauten als der Realität entsprach. Zum Beispiel fühlen Kinder sich verlassen, wenn die Mutter ins Krankenhaus geht, weil sie der Meinung sind, die Mutter
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könnte auch anders, wenn sie nur wollte. Die Erkenntnis, dass die Mutter einer Krankheit ausgeliefert sein kann, würde die Kinder sehr beunruhigen und verunsichern. Die Liebesübertragung war die erste Form von Übertragungswiderstand, mit der FREuD (1915) sich ausführlich beschäftigt hat, nämlich in seiner Arbeit Bemerkungen über die Übertragungsliebe. Er schrieb, dass es »Kinder der Natur« gäbe, die immer auf sexuelle Befriedigung aus seien und in der Therapie nicht mehr arbeiten wollten, sobald sie sich verliebten; sie seien dann nur noch einer "Suppenlogik« und "Knödelargumenten,. zugänglich. Liebesübertragungen, mit den damit verbundenen Widerständen, können in fast jeder längeren Therapie eine Rolle spielen. Es ist aber wichtig festzuhalten, dass sie viel häufiger bei Frauen vorkommen, die bei Männern in Therapie sind; nicht selten auch in einer homosexuellen Form bei Frauen, die bei Frauen in Therapie sind; am seltensten bei Männern, die bei Frauen in Therapie sind, während heterosexuelle Männer oft auch im Sinne des negativen Ödipuskomplexes homosexuelle Liebesübertragungen auf den männlichen Analytiker entwickeln. Dass bisher wenige Liebesübertragungen von Männern auf Frauen beschrieben wurden, hängt möglicherweise damit zusammen, dass es Männern schwer fällt, sich >;hinaufzuverlieben~() so einmal JUNKER-TREss in einer persönlichen Mitteilung. Während die Intensität von Liebesübertragungen in den Frühzeiten der Psychoanalyse bald erkannt wurde - tatsächlich scheint sie schon bei der Behandlung der ersten Patientin durch Breuer, der zusammen mit Freud über die Behandlung berichtete, eine Rolle gespielt zu haben: Die Patientin glaubte, mit einem Kind von Breuer schwanger zu sein -, wurde deren Stabilität lange unterschätzt. Pioniere der Psychoanalyse meinten eine Liebesübertragung durch Deutung so vollständig auflösen zu können, dass anschließend einer tatsächlichen, auf den realen Persönlichkeitseigenschaften der Partner gründenden Liebesbeziehung nichts mehr im Wege stand. Es kam zu Eheschließungen von Therapeuten mit Patientinnen; ein berühmtes Beispiel ist die Ehe von E. Fromm und F. Fromm-Reichmann (dazu KRUTZENBlCHLERjEsSERS 1991). Der hiermit verbundene Rollenwechsel misslang in den meisten Fällen.
Was ist Widerstand und wie geht man mit ihm um?
Besonders in Psychoanalysen scheinen Liebesübertragungen, vermutlich wegen der relativ häufigen Kontakte und der langen Behandlungsdauern, besonders häufig zu sein. In der Liebesübertragung liegt natürlich eine Chance, weil in ihr frühere Beziehungsformen, in der Regel zum Vater, wiederbelebt werden und es bei Frauen, die auf den Vater fixiert sind, zu einer Ablösung von ihm kommen kann, wenn die Liebesübertragung gedeutet und durchgearbeitet wird. Eine Fixierung an den Vater kann bekanntlich weiterbestehen, wenn der Vater schon tot ist; ja es gibt Fixierungen an den Vater auch in solchen Fällen, wo die Tochter den Vater niemals wirklich kennen gelernt hat, etwa weil er im ersten Lebensjahr der Patientin verstorben ist und keinerlei Erinnerung an ihn besteht. Die Patientin ist an das Bild des Vaters fixiert, das durch Erzählungen der Mutter und anderer Familienangehöriger entstanden ist. Es wird immer wieder darüber berichtet, dass es während psychoanalytischer Therapien zu sexuellen Kontakten gekommen ist. Dabei scheinen ähnliche Auswirkungen aufzutreten, wie bei einem Inzest.
Psychoanalytische Gesichtspunkte bei der psychiatrischen Diagnostik S. FREuD (1918) verzichtete bei seinen Psychoanalysen noch auf eine ausführliche Anamnese. Stattdessen machte er eine Probebehandlung. Er erwartete allerdings, dass die Patienten in den ersten Sitzungen etwas aus ihrer Biographie erzählten. H. ARGELANDER (1967) führte am Sigmund-Freud-Institut in Frankfurt am Main das so genannte Erstinterview ein; im Erstinterview ließ er die Patienten im Wesentlichen frei erzählen. Dabei achtete er besonders auf die Art und Weise, wie der Patient mit der Interviewsituation und mit dem Analytiker selbst umging; daraus zog er diagnostische Schlüsse bezüglich der inneren Dynamik einer Erkrankung. Er ging davon aus, dass sich innere Konflikte interpersonell inszenieren; so sprach er von
einer szenischen Funktion des Ichs (ARGELANDER 1970). Das Erstinterview wurde durch psychologische Tests ergänzt. Nun drücken sich nicht alle psychischen Konflikte in der Interaktion mit dem Psychoanalytiker aus; um einen Patienten bezüglich der
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Diagnose, der Differenzialindikation und der Prognose beurteilen zu können, muss man mehr wissen als so erfahrbar ist. Heute versuchen die meisten Psychoanalytiker zwar zunächst, jene Informationen zu gewinnen, die sich in einer möglichst unstrukturierten Situation am besten darstellen. Sie ergänzen die Informationen aus dem Erstinterview aber durch Nachfragen schon in der ersten Sitzung oder in daran anschließenden Sitzungen, die im Rahmen der KrankenkassenRichtlinien als probatorische Sitzungen bezeichnet werden, was einen Teilaspekt dieser Sitzungen betont: das Ausprobieren der psychoanalytischen Vorgehensweise in einer Therapie, zum Beispiel durch das Geben so genannter Probedeutungen. Eine möglichst genaue Kenntnis des Patienten vor Beginn einer Behandlung ist vor allem für Indikation und Prognosestellung wichtig. Es wäre aber unrealistisch zu erwarten, dass alles, was sich in der Therapie zeigen wird, schon im Erstinterview und in den Vorgesprächen herausgefunden werden kann. Ein zentrales Merkmal psychoanalytischer Therapien ist, dass in deren Verlauf nützliche Informationen zu Tage treten, die unbewusst waren und die erst durch ein Bearbeiten der Widerstände gegen das Bewusstwerden, zum Beispiel der dazu eingesetzten Abwehrmechanismen, zugänglich werden. Über die Abwehrmechanismen, die ein Patient bevorzugt einsetzt, kann die Anamnese allerdings Auskunft geben. In den therapeutischen Sitzungen selbst soll bei einer klassischen Psychoanalyse möglichst ohne eine Beeinflussung durch Vorkenntnisse wahrgenommen werden. S.FREuD (1917) sprach von gleichschwebender Aufmerksamkeit. Bei fokussierten Therapien wird die Aufmerksamkeit des Therapeuten aber durch einen Fokus mitbestimmt, den dieser im Erstinterview und in den probatorischen Sitzungen formuliert und der zwei Teile hat: Er bezeichnet ein Thema, meist etwas, worunter der Patient leidet, und er enthält außerdem eine unbewusste Determinante oder mehrere unbewusste Determinanten des Problems. In einem Beispiel von R.KLüwER (1974) kommt dies prägnant zum Ausdruck. Eine Frau kam in Therapie, weil sie immer wieder von Männern verlassen wurde. Sie sagte: >,Ich bleibe immer sitzen. Die unbewusste Determinante wurde von Klüwer in der Formulierung ausgedrückt: >,Ich bleibe immer sitzen, (I
Psychoanalytische Gesichtspunkte bei der psychiatrischen Diagnostik
weil ich auf die Rückkehr des Vaters warte." Damit war gemeint, dass die Patientin sich noch an den (verstorbenen) Vater gebunden fühlte und sich deshalb in Beziehungen mit Männern nicht voll engagieren konnte, weshalb die sie verließen. Meistens genügt in einer Therapie, die sich auf symptomrelevante Konflikte des Patienten konzentrieren soll, ein einziger Fokus nicht. Im Sinne der multiplen Determiniertheit von Symptomen müssen meist mehrere Foci bearbeitet werden. Die Vorstellung von M. BALINT u. a. (1973), die Bearbeitung eines einzigen Konfliktbereiches könne die psychische Entwicklung wieder in Gang bringen, bestätigt sich nur in wenigen Fällen - was auch dann gilt, wenn der Therapeut sich von Kolleginnen und Kollegen in einer so genannten Fokalkonferenz (KLüwER 1970) beraten lässt. Die meisten Psychoanalytiker konzentrieren sich heute mehr als vor einigen Jahren und Jahrzehnten aufdie aktuellen Beziehungen eines Patienten und stellen dann Vermutungen an, welche bewusst erinnerten oder verdrängten, bleibenden Einflüsse der Vergangenheit in der Gegenwart wirksam sein könnten. Dabei werden meist auch Kenntnisse aus der speziellen Neurosenlehre verwendet. So ist es zum Beispiel bekannt, dass Frauen, die in ihren Beziehungen mit Männern schlecht zurechtkommen, häufig eine enge Beziehung zum Vater haben, den sie idealisieren; vor allem dann, wenn er früh verstorben ist. Die Erwartung, der Vater hätte ihnen vieles geben können, was die Mutter ihnen nicht gab, kann nicht durch einen realen Umgang mit dem Vater modifiziert werden. Entsprechend kann man bei Männern, die immer wieder in Konflikte mit einem Chef geraten, vielleicht annehmen, dass die Beziehung zum Vater problematisch war. Diagnostisch besonders relevant sind die Wiederholungen. Dass ein Mitarbeiter Probleme mit dem Chef bekommt, kann auch an dem Chefliegen. Wenn sich das aber mit mehreren Chefs wiederholt, liegt die Vermutung nahe, es habe etwas mit dem Mitarbeiter selbst zu tun. Man kann immer wieder beobachten, dass Psychoanalytiker sich weniger für die Symptome eines Patienten interessieren, als für die ihnen zu Grunde liegenden Konflikte. Das ist verständlich, weil man in einer psychoanalytischen Therapie nicht weiter kommt, wenn der Patient nur über seine Symptome spricht. Etwas anderes ist es schon,
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wenn er die Symptome mit der Situation in Verbindung bringt, in der sie aufgetreten sind und mit dem Therapeuten zusammen herauszufinden sucht, ob diese Situation etwas Spezifisches hat, was man auch wieder am besten herausfmdet, wenn man mehrere Situationen betrachtet - ähnlich wie es nützlich sein kann, die Beziehungen eines Patienten zu mehreren Chefs zu untersuchen, wenn die Symptomatik darin besteht, dass der Patient immer wieder interpersonelle Probleme mit einem Chef bekommt. Liegt nun aber eine Symptomatik vor, die nicht durch Psychotherapie, sondern durch Psychopharmaka beeinflusst werden soll, ist die Funktion einer Symptombeschreibung anders. Die Diagnostik stützt sich ganz wesentlich auf die Beschreibung der Symptome. Je nach der Symptomatik des Patienten kommen unterschiedliche Psychopharmaka in Betracht. Die Dosis der verwandten Medikamente wird an der Wirkung auf die Symptome ausgerichtet, unter Beachtung von Nebenwirkungen. Bei den Visiten oder bei den Sprechstundenkontakten wird auf die Symptome besonders geachtet. Während einer stationären Therapie werden die bei den Visiten gewonnenen Informationen durch Beobachtungen des Pflegepersonals ergänzt; ebenso durch Beobachtungen, die beispielsweise Sozialarbeiter oder Ergotherapeuten machen und die sich darauf beziehen, wie sich die Symptome des Patienten in dessen Verhalten ausdrücken. Dagegen kann es sein, dass der Patient in einer psychoanalytischen Therapie während mehrerer aufeinander folgender Sitzungen nicht über die Symptome spricht, die ihn die Therapie geführt haben, und der Therapeut nicht nach ihnen fragt. Natürlich ist es auch in einer psychoanalytischen Therapie wichtig, was mit den Symptomen passiert, die den Patienten in die Behandlung geführt haben. Um sie zu beeinflussen, ist es aber nicht notwendig, dauernd über sie informiert zu werden. Wichtiger sind Informationen über die den Symptomen zu Grunde liegenden Konflikte und Entwicklungsstörungen des Ichs. Außerdem kann es sein, dass der Patient Symptome bei sich entdeckt, die er als Krankheitssymptome bislang nicht bewertet hat. Seine Perspektive hat sich geändert; was vom Patienten vielleicht als Marotte verstanden wurde, zum Beispiel ein Zwangssymptom, wird jetzt als krankhaft und behandelbar erkannt.
Psychoanalytische Gesichtspunkte bei der psychiatrischen Diagnostik
Ähnliches gilt für viele phobischen Symptome, die der Patient eher als psychische Besonderheiten denn als etwas Krankhaftes angesehen hat. In besonderem Maße gilt dies für Charaktersymptome. Ein Patient, der immer wieder Arbeiten für andere übernimmt, dies entweder für selbstverständlich oder für eine gute Charaktereigenschaft hält, sich damit aber überfordert und auch darunter leidet, dass die anderen seinen Einsatz als selbstverständlich betrachten, der wird sein Verhalten erst im Laufe einer Therapie zunehmend als etwas empfinden, das geändert werden sollte. Man kann insgesamt sagen, dass die deskriptive, biologisch ausgerichtete Psychiatrie und die Psychoanalyse sich im Umgang mit Symptomen eines Patienten fundamental unterscheiden. Einschränkend ist aber anzumerken, dass eine vollständige Kenntnis der Symptome eines Patienten für den Psychoanalytiker auch deshalb notwendig ist, weil die Symptome einen Rückschluss auf die mögliche Psychodynamik gestatten und weil Zahl und Art der Symptome die Prognose mitbestimmen. Patienten mit einer Monosymptomatik haben oft eine rigide Abwehrstruktur bei sonst gut funktionierendem Ich, Patienten mit einer Polysymptomatik ein schwaches Ich mit labilen Abwehrformationen. Es gibt psychische Symptome, die häufig nicht angegeben werden. Dazu gehören Zwangssymptome, leichtere, klinisch nicht relevante Phobien, zum Beispiel leichtere Formen der Höhenangst oder Tierphobien, die Erythrophobie oder zum Beispiel auch eine Miktionshemmung bei Männern auf öffentlichen Toiletten - letztere beiden deshalb, weil sie mit Schamgefühlen verknüpft sind. Deshalb ist es auch für den psychoanalytisch tätigen Therapeuten wichtig, nach Symptomen zu fragen, die der Patient nicht angegeben hat. Bei Psychosekranken kommt es häufiger als bei Neurosekranken und auch bei Borderline-Patienten vor, dass ein Patient gar nicht in der Lage ist vollständige Angaben zur Anamnese zu machen; Ähnliches gilt für intoxikierte Patienten. Meines Erachtens ist es dann wichtig, die Anamnese zu ergänzen, wenn es dem Patienten besser geht - scheinbar eine Binsenwahrheit. Es geschieht aber doch nicht selten, dass dieses unterlassen wird, wenn die initiale Symptomatik abgeklungen ist.
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Der Patient in seinem früheren und gegenwärtigen Umfeld In einem psychiatrischen Erstgespräch geht es zunächst um eine symptomorientierte Diagnose. Die Symptome werden beim Patienten, eventuell auch bei Angehörigen, die bei einer Aufnahme ins Krankenhaus mitgekommen sind, erfragt. Zum Erheben des psychischen Befundes gehört eine Orientierung über die Intelligenzfunktionen K. ERNST (1998) gibt in seinem Buch Psychiatrische Versorgung heute dazu praktische Hinweise. In einem Interview nach Kernbergs Vorstellung, das in der Regel wohl nicht als Erstgespräch durchgeführt, sondern als zweites oder drittes Gespräch angesetzt wird, können weitere Ich-Funktionen und die Art der Objektbeziehungen geprüft bzw. eruiert werden. Die Beschreibung des Krankheitsverlaufes, eventuell unter Hinzuziehung der Angehörigen, gibt Aufschluss über die Entwicklung der Symptomatik, über die Zeit, aber auch über die sozialen Folgen der Erkrankung und die Art des Copings mit der Krankheit. Das Erfragen der gegenwärtigen Beziehungen kann Einblick in die sozialen Kompetenzen des Patienten geben, aber auch Auskunft über die Gestaltung der Objektbeziehungen durch den Patienten.
In der Psychoanalyse hat die Bedeutung der biografischen Anamnese zur Identifizierung pathogener Umwelteinflusse im ersten Lebensjahr (Abwesenheit von Mutter oder Vater, Umgang unter den Geschwistern), Schwellensituationen wie der Beginn des Kindergartens, Schulanfang, Lehre, Auszug aus dem Elternhaus, Abschluss einer Ausbildung, erste Sexualkontakte, Art und Dauer der Partnerbeziehungen ihre Bedeutung behalten. Auch die Beziehungen der Eltern zueinander sind wichtig. Man geht allerdings weniger als früher davon aus, dass eine Schilderung der Kindheit Auskunft über die realen Lebensverhältnisse geben kann; das gilt auch für Erinnerungen, die während einer Behandlung auftauchen. Bekanntlich wird der gleiche Mensch von verschiedenen Personen unterschiedlich erlebt, auch wenn alle diese Personen das gleiche Verhalten beobachten. Patienten mit schweren Persönlichkeitsstörungen, die in der Gegenwart Menschen verzerrt wahrnehmen, haben dies wahrscheinlich schon in ih-
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rer Kindheit getan. Das Ausmaß traumatischen Elternverhaltens kann karikaturhaft überhöht sein, wenn ein Borderline-Patient von seinen Eltern berichtet. Andererseits haben gerade bei BorderlinePatienten (SACHSSE 1994; 1995) oft schwere, wirkliche Traumen stattgefunden, die auch durch Information über Dritte bestätigt werden. Die Annahme, groteske, abnorme oder skurrile Eltern hätten die psychische Störung des Patienten bewirkt, muss hingegen durch die zusätzliche Annahme modifiziert werden, dass der Patient vielleicht durch ein pathogenes Elternverhalten geschädigt wurde, dass er spätere Verhaltensweisen der Eltern aber schon in einer Art und Weise wahrgenommen hat, die durch die psychische Störung mitbedingt war. Wie O. F. KERN BERG u. a. (1993) und noch weitere Autoren annehmen, gibt es eine erbgenetische Komponente bei Borderline-Störungen; Kernberg sieht sie in einer konstitutionell gesteigerten Aggressivität. Darüber, worin diese erbgenetischen Einflüsse bestehen und was sie tatsächlich bewirken könnten, ist noch wenig bekannt. Erbgenetische Einflüsse fmden sich im Übrigen auch bei Zwangserkrankungen und der Anorexia nervosa (SCHEPANK 1991). Wegen der bestehenden Unsicherheiten über den Einfluss erbgenetischer Faktoren kann nicht in jedem Fall davon ausgegangen werden, dass eine schwere Borderline- oder neurotische Störung nur durch die Umwelt, in der Regel also durch den Umgang der Eltern mit dem Kind, verursacht wurde. Theoretisch ist es möglich, dass Eltern, die von einem Kind ohne diese erbgenetischen Einflüsse erlebt worden wären, völlig anders geschildert würden, als die Eltern des Borderline- oder schwer Zwangskranken. Das heißt nicht, dass es für Patienten nicht günstig wäre, ein realeres Bild der Eltern zu gewinnen - entweder im Sinne eines weniger abnormen oder auch im Sinne eines abnormeren Verhaltens. Es gibt den Fall, dass gehasste Eltern idealisiert werden, um den Hass nicht erleben zu müssen. Insbesondere Menschen mit einer depressiven Persönlichkeitsstruktur finden häufig Gründe die Eltern zu entlasten, indem sie zum Beispiel ein vernachlässigendes Verhalten der Eltern durch die Zeitläufte oder durch berufliche Belastungen erklären. Bei den Psychosen wird das Erb-Umwelt-Problem bekanntlich
Der Patient in seinem früheren und gegenwärtigen Umfeld
schon lange diskutiert. Tatsächlich gibt es Menschen, die vor dem Beginn einer Psychose über ein anscheinend relativ gesundes Ich verfügten, in der Psychose aber einen Großteil der Ich-Funktionen nicht mehr zur Verfügung haben, während Borderline-Patienten 'immer Zeichen einer allgemeinen Ich-Schwäche aufwiesen. Das gilt nicht nur für die Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis, sondern insbesondere auch für Manien, so genannte endogene Depressionen und bipolare Störungen, wo zwischen den Phasen oft wenig Pathologisches auszumachen ist, oder es besteht eine neurotische Symptomatik, von der man nicht weiß, ob sie mit der Neigung zu Manien, Depressionen oder zu beidem etwas zu tun hat. Erkennt der Patient im Verlaufe einer Behandlung, dass er eine psychotische Episode durchgemacht hat, kann ihn das sehr belasten. Gleichwohl ist das nicht immer der Fall. Manche Menschen, vor allem solche, an denen untaugliche psychotherapeutische Bemühungen stattgefunden haben, können sich auch entlastet fühlen, weil man von ihnen nicht mehr verlangt »sich zu ändern", sondern eine (medikamentöse) Behandlung die Symptome reduziert oder Symptomfreiheit bringt. Auch Angehörige solcher Patienten, in der Regel von Patienten, bei denen die Differenzialdiagnose zwischen einer neurotischen oder einer Störung aus dem Formenkreis der Psychosen unklar war, können sich durch die Diagnose einer Psychose entlastet fühlen. Der Kenntnisstand mancher ,)aufgeklärter« Angehöriger entspricht oft nicht dem neuesten Stand der Wissenschaft. Die Auffassung, Psychosen seien rein umweltbedingt, wobei das Vorliegen einer ererbten Vulnerabilität für Umwelteinflüsse nicht berücksichtigt wird, ist sehr verbreitet. Werden eigene Anteile erkannt, dann kann das zu erheblichen Selbstvorwürfen der Eltern eines Psychosekranken führen. Zwar ist es nicht angenehm zu wissen, dass man einem Kind Krankheitsförderndes »vererbt" haben könnte. Das kann aber doch als eher schicksalsbedingt angesehen werden, was subjektiv entlastet, da man dafür ja nicht direkt verantwortlich ist. Schuldvorwürfe spielen hier vor allem dann eine Rolle, wenn die Eltern von psychischen Krankheiten in der Familie wussten, über die Möglichkeit und die Risiken der Vererbung vielleicht sogar informiert waren. Schuld- und Scham-
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gefühle können auch auf Grund der Annahme entstehen, dass die Krankheit in hohem Maß sozial (etwa in krank machenden Familiensysternen) vermittelt worden ist. Natürlich spielt hier die Bewertung seelischer Krankheiten überhaupt eine große Rolle. Wie sich die Angehörigen zu dem Erkrankten einstellen werden, ist natürlich für die Sozialprognose, aber auch für die Krankheitsprognose wichtig. Nicht immer wird die bestmögliche Kooperation der Angehörigen erreicht, wozu längere persönliche Kontakte nötig wären. Manche Kliniken versuchen hier durch Angehörigen-Gruppen zu helfen. Schon im Erstgespräch mit Familienangehörigen kann es sich entscheiden, welche Einstellung sie einer Klinik oder Praxis gegenüber haben werden. Viele Ärzte, aber auch Angehörige des Pflegepersonals und Sozialarbeiter, die mit den Angehörigen sprechen, überschätzen oder unterschätzen deren Informationsstand. Vieles, was dem Fachpersonal selbstverständlich ist, wird von den Angehörigen nicht gewusst. Und wenn man es ihnen mitteilt, wird es oft nicht geglaubt. Ein Problem ist auch die Information der einweisenden Ärzte. K. ERNST (1998) weist auf die Wichtigkeit telefonischer Mitteilungen hin, die vor allem natürlich dann wichtig sind, wenn ein Patient gar nicht in die Klinik aufgenommen wird und der Hausarzt wieder mit ihm zu tun bekommt. Nicht immer ist der Hausarzt aber gut zu erreichen, vielleicht sitzen gerade Patienten im Sprechzimmer, vielleicht hat er wenig Verständnis für psychische Krankheiten - obwohl er seinem Patienten Antidepressiva und Neuroleptika verschreibt. Andere Allgemeinärzte oder Internisten sind an psychischen Krankheiten sehr interessiert, ohne deshalb über die Kompetenzen zu verfügen, die sie sich selbst zu erkennen. Von Psychologie im Sinne einer Alltagshermeneutik glauben viele Menschen mehr zu verstehen, als es tatsächlich der Fall ist. Besondere Probleme kann der Umgang einer Klinik mit Psychotherapeuten bieten, die den Gebrauch von Psychopharmaka ablehnen. Immer noch finden sich Psychotherapeuten, die einen Patienten mit einer Depression, die auf Medikamente gut ansprechen würde, jahrelang psychotherapeutisch behandeln und dann schwer zugeben können, dass sie dem Patienten nicht genützt, sondern sein Leiden
Der Patient in seinem früheren und gegenwärtigen Umfeld
verlängert haben, bis er schließlich in eine entsprechende psychopharmakologische Behandlung kam. Entsprechende Einstellungen kann man auch bei Sozialarbeitern fmden, die ihre Klienten möglichst nur mit natürlichen Mitteln, micht mit Chemie«, behandelt sehen möchten. Nicht zuletzt ist es eine Aufgabe des Psychiaters, den Patienten von der Notwendigkeit von Medikamenten zu überzeugen, wenn sie vorliegt, wie im Kapitel über die Psychopharmakotherapie näher ausgeführtwird. Eine Zwangsmedikation bringt vielen Ärztinnen und Ärzten Gewissensbisse. Das kann dazu führen, dass sie sich einen inneren Ruck geben und nach dem Motto "Wenn schon, denn schom überdosieren oder Psychopharmaka dort einsetzen, wo man auch ohne auskommen würde. K. Ernst gibt in seinem Buch Hinweise darauf, wie mit dem Patienten über Psychopharmaka gesprochen werden kann. Die inneren Einstellungen des Verordnenden werden in diesem Buch im Abschnitt Psychopharmakotherapie ausführlicher behandelt. Hier, wie so oft in der Psychiatrie, können Kenntnisse der Psychoanalyse nicht nur den Umgang mit dem Patienten erleichtern, sondern auch dabei helfen, eigene unbewusst determinierte Einstellungen als solche zu erkennen und zu hinterfragen.
Solidarität mit den psychisch KrankenSchwierigkeiten und Hindernisse Aufrufe zur Solidarität mit psychisch Kranken, ein zentrales Anliegen insbesondere der Sozialpsychiatrie, haben die gewünschte Wirkung nur eingeschränkt erreicht. Man fragt sich, warum das so ist und wie es anders werden könnte. Psychisch Kranke gelten in der Bevölkerung immer noch als gef:ihrlich, unberechenbar und prinzipiell als "anders,<. Zwar haben Untersuchungen gezeigt, dass psychisch Kranke nicht gewalttätiger sind als der Bevölkerungsdurchschnitt. Das Problem scheint aber darin zu liegen, dass die Motive psychisch Kranker den meisten Gesunden nicht nachvollziehbar und deshalb als unheimlich erscheinen. Man kann eher verstehen, dass Menschen aus Wut oder Eifersucht
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oder weil sie Geld rauben wollen gewalttätig werden. Die Attentate auf O. Lafontaine und W. Schäuble haben einer breiten Öffentlichkeit vermittelt, dass auch Menschen gewalttätig werden können, die zunächst keinen unmittelbar verstehbaren, rationalen Anlass dafür haben. Ein anderer problematischer Punkt ist die Verwahrlosung. Es gibt psychisch Kranke, die sich verwahrlosen lassen, wie bei der depressiven oder der schizophrenen Verwahrlosung. Psychisch Kranke können auch abhängige Personen, besonders Kinder, verwahrlosen lassen. Viele psychisch Kranke unterscheiden sich vom Durchschnitt der Bevölkerung und in ihrem Sozialverhalten und man vermutet, dass dies mit ihrer Wahrnehmung der äußeren Realität zu tun hat. Die Frage ist aber, ob diese unbezweifelbaren Tatsachen dazu führen müssen, dass psychisch Kranke in dem Maß abgelehnt werden, wie man es leider beobachten kann. Hier sollen verschiedene Verhaltensweisen psychisch Kranker näher daraufhin untersucht werden, welche irrationalen Ängste sie bei ihren gesunden Mitbürgerinnen und Mitbürgern hervorrufen. Diese irrationalen Ängste haben etwas damit zu tun, dass einem eigene unbewusste Impulse, die abgewehrt sind, vor Augen geführt werden. Gefahrlichkeit und Verwahrlosung haben beide etwas mit einem Kontrollverlust zu tun. Die Kontrolle über das eigene Handeln kann verloren gehen, wenn die Selbstbeherrschung versagt. Während seiner Entwicklung setzt der Mensch aber auch Abwehrmechanismen ein, um bestimmte Impulse, die zu beherrschen schwierig oder unmöglich wäre, zu unterdrücken. Sie treten dann nicht ins Bewusstsein und müssen deshalb auch nicht beherrscht werden. Wer Impulse beherrscht, kann auf Menschen neidisch sein, die das nicht tun. Er kann auch durch solche Menschen bzw. durch ihr Handeln fasziniert sein. Man denke an den breiten Raum, den aggressives Handeln jeder Art in den Medien einnimmt. Solche Darstellungen werden anscheinend mit großem Interesse zur Kenntnis genommen. Die Tat ist faszinierend, den Täter betrachtet der Durchschnittsbürger mit Abscheu. In ihm bekämpft er eigene latente Impulse. Einen eigenen innerpsychischen Konflikt macht er so zu einem interpersonellen Konflikt, der in der Regel nur in der Phantasie ausgetragen
Solidarität mit den psychisch Kranken - Schwierigkeiten und Hindernisse 135
wird. Freilich kann die Ablehnung aggressiver Handlungen, die eigenen aggressiven Impulsen entsprechen, auch reale Folgen haben. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn die Meinung einer breiten Bevölkerung Einfluss auf die Gesetzgebung nimmt. Natürlich kann Aggression oder demonstrierte Aggressionsbereitschaft auch Gegenaggressionen hervorrufen, wie man es zum Beispiel an Reaktionen auf aggressiv wirkende Punks beobachten kann. Die Verwahrlosung psychisch Kranker ist der unmittelbaren Beobachtung durch die Allgemeinbevölkerung in der Regel nicht zugänglich. Selbst ein Psychiater, der in einem gut geführten Krankenhaus arbeitet, wo die Körperpflege jener Patientinnen und Patienten, die sie selbst nicht besorgen können, vom Pflegepersonal übernommen wird, kann seine ganze Ausbildung absolvieren, ohne die Folgen psychotischer Verwahrlosung oder der Verwahrlosung Dementer in ihren vollen Auswirkungen beobachtet zu haben. Mit diesen Folgen sind die Mitarbeiter sozialpsychiatrischer Dienste konfrontiert, die Hausbesuche machen; aber auch die Nachbarn eines psychisch Kranken, der unbetreut oder wenig betreut wohnt. Die Allgemeinbevölkerung erfahrt von Verwahrlosung, die durch psychische Krankheit bedingt ist, meist erst durch die Presse, zum Beispiel wenn die verwahrloste Wohnung eines psychisch Kranken, der vereinsamt gestorben ist und Wochen oder Monate unentdeckt tot in seiner Wohnung lag, im Bild gezeigt wird. In Ländern, die ein scWechter funktionierendes psychiatrisches Versorgungssystem haben oder wo das stationäre Versorgungssystem im Rahmen der Reformpsychiatrie stark zurückgefahren wurde, kann man verwahrloste psychisch Kranke eher auf Straßen und Plätzen antreffen. In Deutschland und überhaupt in Mitteleuropa sind die Standards für körperliche Sauberkeit hoch. Um so größer ist der Kontrast zwischen der Durchschnittsbevölkerung und den Kranken, die sich nicht waschen, weil ihnen die Initiative dazu fehlt oder weil ein Wahn es ihnen verbietet. Kinder im zweiten und dritten Lebensjahr neigen dazu, mit Schmutz oder schmutzigen Dingen zu spielen. Verbote dagegen können verinnerlicht werden: Bei Zwangskranken kann aufgestauten latenten Beschmutzungsimpulsen durch ständiges Waschen entgegen-
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gewirkt werden. Je selbstverständlicher körperliche Sauberkeit in einem bestimmten Land ist, um so stärker werden Menschen abgelehnt, die den Standards nicht entsprechen. Ein anderer wesentlicher Punkt in der Distanzierung von psychisch Kranken ist bei manchen ein augenf:illiges "eigenartiges', Auftreten, das ein ängstigendes Fremdheitsgefühl erzeugt. Die Eigenschaft "fremd« wird dann oft der Eigenschaft »gefahrlieh« gleichgesetzt. Der Wunsch, nur mit Menschen umzugehen, die ähnlich sind wie die gewohnten Menschen der eigenen Umgebung, und Angst und Unsicherheit, die entstehen, wenn Menschen fremdartig wirken, werden oft unterschätzt. Der Wunsch nach »Familiarität« (KÖNIG 1982) ist ein starkes Motiv. Manche Menschen suchen ja Beziehungen, unter denen sie leiden, weil ihnen solche Beziehungen vertraut sind (KÖNIG 1998a; SANDLER 1992). Umgekehrt macht Nichtvertrautes oft Angst. Wahnhaftes kann auch faszinieren. So können von Schizophrenen gemalte Bilder eine eigenartige Faszination auslösen. In vielen Gegenden der Welt wird der Wahn als etwas Heiliges betrachtet. Psychiater können es als eine faszinierende Herausforderung betrachten, die verschlüsselten Mitteilungen Schizophrener zu entschlüssen und einen Sinn in ihnen zu fInden. Wenn man den schizophrenen Patienten versteht, wird er auch weniger unberechenbar. Im Übrigen wird oft übersehen, dass viele Wahnkranke harmlos sind, weil ihr Wahn sie nicht zu aggressiven Handlungen bringt. Der Leiter einer sozialpsychiatrischen Einrichtung sagte mir einmal, dass zwei Drittel der chronisch schizophrenen Patientinnen und Patienten, die in seiner Einrichtung betreut würden, einen Führerschein hätten und Auto führen, ohne dass er befürchte, sie könnten mit dem Auto etwas anrichten. Im Gegenteil, sie führen vorsichtiger als die meisten anderen Menschen. Es ist auch eine Tatsache, dass Wahnkranke sozial angepasster sein können als viele neurotisch Kranke. Ich erinnere eine Assistentin an
einem Göttinger naturwissenschaftlichen Institut, die ihren schizophrenen Wahn fünf Jahre lang vor ihrem Arbeitgeber und ihren Kollegen verbergen konnte. Hier kommt es sicher darauf an, ob der Inhalt des Wahns dazu veranlasst, ihn zu verbergen, oder im Gegenteil dazu führt, dass - etwa in einer missionarischen Absicht - auffallig
Solidarität mit den psychisch Kranken - Schwierigkeiten und Hindernisse
gehandelt wird. Aber selbst dann können die Wahnvorstellungen harmlos sein. Ich erinnere mich an einen Patienten, der von wohlmeinenden Passanten in ein psychiatrisches Krankenhaus geschickt wurde. Er hatte die Absicht geäußert sich mit A. Einstein zu treffen und mit ihm über die Weltformel zu diskutieren. Man hatte ihm gesagt, dass er Einstein in jenem Krankenhaus finden würde. Andere psychische Erkrankungen wirken eher unauffallig. Das gilt besonders für Depressionen, besonders wenn sie häufig vorkommende, von denen meisten Menschen und auch von Ärzten als harmlos eingeschätzte, körperliche Beschwerden hervorrufen. Auch leichte Formen von Manie können eher positiv bewertet werden, bis ein selbst- oder fremdschädigendes Verhalten des Patienten deutlich wird. Zu den heftigen Gefühlsreaktionen auf psychisch Kranke tragen auch Suizidhandlungen bei. Suizidversuche oder vollendete Suizide werden unter dem Aspekt der Gewalt gegen die eigene Person gesehen. Jemand, der einen Suizidversuch macht, hat seinen Emotionen nachgegeben, die er hätte beherrschen sollen. Der appellative Charakter von Suizidhandlungen wird oft überschätzt: >,Das hat er doch nur gemacht, weil ... ('. Suizidversuche oder vollendete Suizide rufen bei Angehörigen, aber auch beim Krankenhauspersonal oder einem niedergelassenen Arzt oft Schuldgefühle hervor, mit denen schwer umzugehen ist. Die Schuld wird dann verstärkt bei der Person gesucht, die sich suizidiert hat. Natürlich werden auch Menschen, die eigene Suizidimpulse unterdrücken, durch Suizidhandlungen anderer beunruhigt, weil sie ihnen gleichsam ihr eigenes Unbewusstes vor Augen führen. Ein Mangel an Solidarität mit psychisch Kranken kann auch damit zu tun haben, dass man viel mit ihnen umgeht. Bei Menschen, die von Berufs wegen dauernd mit psychisch Kranken umgehen, kann es zu einer gewissen Abstumpfung kommen. Sie kommt dadurch zustande, dass beim Umgang mit psychisch Schwerkranken eigene emotionale Reaktionen bewältigt werden müssen. Man sagt, der Betreffende habe sich an die Kranken gewöhnt. Oft setzt er aber auch Abwehrmechanismen ein - häufig schon im Stadium der Wahrnehmung eines Patienten, etwa im Sinne von Leugnung.
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Voraussetzung für einen optimalen beruflichen Umgang mit psychisch Kranken und für eine Solidarität mit ihnen ist eine Kombination von Sensibilität und Stabilität. In der Psychoanalyse spricht man, wenn es um psychische Stabilität geht, häufig von Ich-Stärke (siehe das Kapitel "Theoretische Grundlagen"). Menschen mit einer labilen Ich-Struktur können sehr sensibel sein, laufen aber Gefahr, bei der Arbeit mit psychisch Kranken durch das Miterleben ihrer Emotionen und durch die eigenen emotionalen Reaktionen überlastet zu werden. Die Ich-Funktion "Affekttoleranz" kann hier eingeschränkt sein. Dann ist es oft notwendig, die Ich-Funktion der Impulskontrolle einzusetzen, weil Emotionen, die durch Patienten ausgelöst werden, zu einem Handeln drängen, das sich mit der Berufsrolle nicht vereinbaren lässt. Um all das zu vermeiden, kann der Betreffende Abwehrmechanismen einsetzen, die seine Gefühle gar nicht erst aufkommen lassen. In diesen Zusammenhängen sei noch angemerkt, dass man mit Psychosekranken oft leichter umgehen kann als mit Borderline-Kranken, weil Borderline-Kranke ein sozial abweichendes Verhalten zeigen können, ohne psychotisch und damit für ihr Verhalten augenscheinlich nicht verantwortlich zu sein. Der Borderline-Patient wird eher als jemand gesehen, der anders könnte, wenn er nur wollte. Es kommt noch hinzu, dass Borderline-Patienten den Abwehrmechanismus der projektiven Identifizierung einsetzen, mit dem sie Ärzte, Angehörige des Pflegepersonals und Sozialarbeiter - überhaupt alle, mit denen sie im Krankenhaus oder einer Praxis oder in einem sozialpsychiatrischen Dienst umgehen - zu den ganz bösen oder ideal guten Objekten machen möchten, die inneren Modellen entsprechen, die sie aufMenschen übertragen, mit denen sie aktuell umgehen (KÖNIG 1998.). Auch Professionelle reagieren auf solche Patienten oft unmittelbar ablehnend oder sie setzen sich dysfunktional für sie ein und erleiden dabei Misserfolge.
Zum Umgang mit Macht und Gewalt in der Psychiatrie In der forensischen Psychiatrie haben Psychiater mit Menschen zu tun, die Gewalt in der Vergangenheit angewandt haben und von denen
Zum Umgang mit Macht und Gewalt in der Psychiatrie
Gewalt in der Zukunft befürchtet wird. Welchen Einfluss die seltenen, aber spektakulären schweren Gewalttaten psychisch Kranker auf das Bild haben können, das die Bevölkerung sich von ihnen macht, habe ich in dem Abschnitt über Schwierigkeiten, sich mit psychisch Kranken solidarisch zu fühlen, dargestellt. Mit diesen Schwierigkeiten sollte aktiv umgegangen werden und das heißt, dass man sie nicht leugnet, sondern sich mit ihnen auseinander setzt. Auch dass der Psychiater und das psychiatrische Personal Macht ausüben und Gewalt anwenden - Letzteres seltener als vielfach angenommen -, wird leider oft geleugnet oder beschönigt. Sicher sind unsere heutigen psychiatrischen Institutionen mit denen von vor dreißig oder fünfzig Jahren kaum noch vergleichbar; viele Reformen sind inzwischen geschehen, wobei die Reformen selbst schon vergessen, ihre Ergebnisse aber zu Alltagsselbstverständlichkeiten geworden sind. Man hat es mit einem ähnlichen Phänomen zu tun wie bei der gesellschaftlichen Situation von Frauen, die heute noch in vielem unbefriedigend ist, die man allerdings kaum mit den Verhältnissen vor dem Ersten Weltkrieg vergleichen kann. Meine eigene Mutter, die später Kinderärztin wurde, besuchte als einziges Mädchen ein Gymnasium, auf dem sonst nur Jungen waren. Während des Unterrichts durfte sie nicht sprechen, weil das die Jungen ablenken könnte; zweimal im Jahr kam eine Kommission aus Wien, um sie zu prüfen, weil für die Beurteilung ihrer Leistungen nur die schriftlichen Arbeiten vorlagen. Die Art ihrer Frisur und die Länge ihrer Röcke waren festgelegt. In den Pausen durfte sie nicht auf den Schulhof, sie musste in der Bibliothek der Schule sitzen. Ähnlich weit weg kommen einem heute die psychiatrischen Zustände von damals vor. Auch in der Psychiatrie hat sich im Vergleich zu jener Zeit viel geändert. Vieles bliebe aber noch zu tun. Es geschieht doch immer noch, dass Psychopharmaka gegeben werden, um das Personal zu entlasten und nicht, weil es für den Patienten das Beste ist. Oft besteht Unsicherheit bei den so genannten Zwangseinweisungen. Die Tatsache, dass psychiatrisches Personal Macht über Patienten hat, wird vielfach klein geredet oder ganz geleugnet. So erzählte mir ein Kollege aus der forensischen Psychiatrie, dass er auf der Station, die er betreute, einen gewaltfreien Umgang mit den Patienten einzuführen
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versuchte, was aber von den Inhaftierten nicht POSItIV bewertet wurde, weil diese zu Recht darauf hinwiesen, dass sie eingesperrt seien und die Beurteilung ihrer therapeutischen Fortschritte durch die Ärzte darüber entschied, ob sie weiter Therapie machen durften oder in ein Gefangnis mussten. Macht an sich bedingt nicht zwingend Gewaltanwendung, sie kann sich in subtilen Einflussnahmen äußern, und Psychiater müssen sich damit auseinander setzen, dass sie solche Einflüsse ausüben. Die größten Skrupel konnte ich bei meinen Supervisionen erkennen, wenn es um Zwangsmedikation ging. Hier wird die Gewaltanwendung unmittelbar sichtbar, sie kann nicht mehr geleugnet werden. Die Skrupel würden zunehmen, wenn Machtausübung jeglicher Art überall da erkannt würde, wo sie auch stattfrndet. Man hat es hier mit ethischen Fragen zu tun, die von Ärzten mit Juristen, Philosophen und Theologen diskutiert werden. Die Diskussion ethischer Probleme in der Medizin scheint sich in den letzten Jahrzehnten immer mehr auf die Transplantationsmedizin und die Genetik verlagert zu haben. In der Sozialpsychiatrie fmdet sie aber statt, wobei, was die Pharmakotherapie angeht, manchmal zu sehr von ideologiegestützten Postulaten und zu wenig von rationalen Überlegungen ausgegangen wird (FINZEN 1998). Es ist auch eine Diskussion, von der ich meine, dass sie sich mehr den Nachbarwissenschaften öffnen sollte. Ich will an dieser Stelle nur in einer Übersicht darstellen, welche Charakterzüge von Psychiatern und natürlich auch vom übrigen psychiatrischen Personal auf den Umgang mit Macht und Gewalt einwirken können. Ich halte dies deshalb für wichtig, weil es dabei um die Subjektivität geht, mit der Macht oder Gewalt ausübende Menschen ihr Tun sehen, ausblenden oder leugnen. Das Thema, um das es im Folgenden gehen wird, greife ich im Kapitel über Psychopharmaka in einigen seiner Aspekte noch einmal auf. Ich spreche meistens von Ärzten, ohne damit sagen zu wollen, dass nicht auch Psychologen, Sozialarbeiter oder Pflegepersonal mit den gleichen oder ähnlichen Problemen zu tun haben. Wie in dem Kapitel über Persönlichkeitsentwicklung möchte ich auch hier darauf hinweisen, dass die meisten Menschen mehrere Strukturanteile auf-
Zum Umgang mit Macht und Gewalt in der Psychiatrie
weisen, die sich in einer Person kombinieren. Dabei kann gleichwohl ein Charakterzug im Vordergrund stehen; es gibt aber auch Menschen, bei denen sich mehrere Strukturanteile etwa gleichgewichtig ausgebildet haben. Aus Gründen der übersichtlichen Darstellung gehe ich hier von der Fiktion einer einheitlichen Persönlichkeitsstruktur aus. Um deutlich zu machen, worum es bei den einzelnen Strukturen geht, habe ich extreme Ausprägungen beschrieben. Nach meinen Erfahrungen lassen sich aber geringere Ausprägungen leicht aus den Extremen ableiten. Bei den Darstellungen der Extreme handelt es sich übrigens um Zeichnungen von real Beobachtetem, nicht um Karikaturen. Schizoid strukturierte Psychiater scheuen das Individuelle. Sie interessieren sich für "den Menschen", "den Krankem, "den Psychiatriepatientem an sich. Der schizoid strukturierte Psychiater richtet sich in seinem Umgang mit Macht und Gewalt nach allgemeinen Prinzipien, die er für richtig hält und denen er vertraut. Da schizoid strukturierte Psychiater sich oft ausgesprochen hellsichtig fühlen, weil sie schwer Entdeckbares bei Patienten wahrnehmen können - sie scheinen mit einer Art Röntgenblick durch deren Oberfläche hindurchzusehen - richten sie sich oft nach "ihrem Instinkt< oder nach dem, was sie für ihre Menschenkenntnis halten. Mit der Menschenkenntnis schizoid strukturierter Psychiater ist es aber meist nicht weit her, weil sie bestimmte Persönlichkeitsbereiche ihrer Patienten erkennen, die ihnen von ihnen selbst bekannt sind, andere aber übersehen, weil sie sie von sich selbst nicht kennen und deshalb auch bei den Patienten, mit denen sie bisher umgegangen sind, nicht entdecken konnten, sodass die klinische Erfahrung ihre Menschenkenntnis nur in engen Grenzen verbessert hat. Sie ist fragmentarisch geblieben. Das ist besonders wichtig, wenn es darum geht, die Eigen- oder Fremdgefahrdung eines Patienten einzuschätzen und eventuelle Zwangsmaßnahmen zu ergreifen. Sie können die Ressourcen eines Patienten unterschätzen und seine Gefahrlichkeit überschätzen oder sie sehen die Ressourcen eines Patienten und nicht die mit seinem ak-
tuellen Zustand verbundenen Gefahren. Allgemein kann man sagen, dass es ihnen schwer fallt, zu einem ausgewogenen Urteil zu gelangen.
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Das äußert sich zum Beispiel dann, wenn es darum geht, Ausgangsregelungen von der Einstellung der in der Nähe des Krankenhauses wohnenden Bevölkerung abhängig zu machen. Ein schizoid strukturierter Psychiater kann sagen, dass es ihm egal sei, was die Leute draußen denken, es gehe ihm um die Patienten. Ein anderer schizoid strukturierter Psychiater kann aber der Meinung sein, dass Schwierigkeiten, die auftreten, wenn schwerer kranken Patienten Ausgang gewährt wird, sich auf die gesamte Patientenschaft auswirken, auf dem Wege über die Medien sogar auf das Bild vom psychisch Kranken überhaupt. Es kann allen psychisch Kranken schaden, wenn er einem bestimmten Menschen Ausgang gibt. Überhaupt neigen schizoid strukturierte Psychiater zu radikalen Lösungen, die sehr unterschiedlich ausfallen können; je nach den weiteren vorhandenen Strukturanteilen. So kann ein schizoid strukturierte Psychiater sehr streng sein, wenn die schizoide Struktur sich mit einer zwanghaften kombiniert, oder dysfunktional nachsichtig und tolerant, wenn sie sich mit einer depressiven Struktur kombiniert.
Der depressiv strukturierte Psychiater stellt seine eigenen persönlichen Interessen gegenüber den Interessen der Patienten zurück, was dazu führen kann, dass er sich in seiner Arbeit erschöpft. Seine Arbeit rationell zu strukturieren fallt ihm schwer. Aus einer Überlastungssituation heraus kann er dann in einer Art Verzweiflungsakt Gewalt anwenden und von der Macht, die er hat, überraschenden Gebrauch machen. Depressiv strukturierte Psychiater neigen dazu, dem Recht zu geben, der gerade da ist; sei es ein Patient, seien es dessen Angehörigen oder das Pflegepersonal. So kann er aufeiner Teamsitzung einer Ausgangsbeschränkung zustimmen, um das Team zufrieden zu stellen. Spricht der Patient ihn aber persönlich an, gibt er ihm vielleicht den vorher verweigerten Ausgang und setzt sich damit über den Teambeschluss hinweg. Spricht er mit Angehörigen, fühlt er sich als Anwalt der Angehörigen; spricht er mit dem Patienten, als dessen Anwalt. Ein solches sprunghaftes Verhalten fmdet sich besonders häufig bei depressiv strukturierten Psychiatern, die auch einen hysterischen Strukturanteil haben.
Zum Umgang mit Macht und Gewalt in der Psychiatrie
Im Allgemeinen sind depressive Psychiater aggressiv gehemmt. Es fallt ihnen schwer, Grenzen zu setzen, jemandem etwas abzuschlagen, überhaupt etwas zu tun, das sie unbeliebt machen könnte. Sie neigen zu Selbstvorwürfen, weil es ihnen immer noch leichter fallt, sich selbst zu attackieren als andere - der andere ist der Wichtigere. Sie fühlen sich auf Liebe und Zuneigung angewiesen und können sehr leiden, wenn ihnen jemand böse ist. Einen sinnvollen Umgang mit Macht erleichtert das nicht. Zwanghaft strukturierte Psychiater fürchten äußeres Chaos, das ihrem inneren, abgewehrten Chaos entspricht. Durch jede Art von Verhalten, das nicht den Regeln folgt, die sie für gültig halten, werden sie stark beunruhigt. Sie bekämpfen das eigene innere Chaos gleichsam in anderen, in den Patienten oder in einem Team. Ihre Lebenseinstellung ist konservativ. Bestehendes wollen sie bewahren. Das Bestehende kann sehr unterschiedlich sein. So kann ein zwanghafter Psychiater scheinbar paradoxerweise eine bestehende, als progressiv geltende, aber dysfunktionale Klinikstruktur verteidigen; er hat eine konservative Einstellung gegenüber dem von ihm anerkannten Progressiven und vertritt Progressives in einer rigide konservati-
ven Art und Weise. Zwangsmaßnahmen wendet er nach allgemeinen, von ihm für gültig gehaltenen Regeln an, wobei er sich gerne in Gesetzestexten beliest. Prokrustes, eine griechische Sagenfigur, hatte bekanntlich ein Bett, in dem er Wanderer, die bei ihm vorbeikamen, schlafen ließ. Waren sie für das Bett zu lang, hackte er ein Stück von Ihnen ab, waren sie zu kurz, streckte er sie, bis sie hineinpassten. Wie mit dem
Bett kann ein zwanghafter Psychiater mit der Hausordnung umgehen, in die alle hineinpassen müssen.
Ruft ein solches Verhalten Proteste hervor, hat der zwanghafte Psychiater wieder einmal Gelegenheit äußeres Chaos zu bekämpfen, um sich von inneren chaotischen Impulsen, die er nach außen projiziert, zu entlasten.
Auf der positiven Seite sind Zuverlässigkeit und Vorhersehbarkeit zu nennen, manche zwanghaft struturierten Psychiater gelten, wie gewisse zwanghafte Lehrer, als "streng aber gerecht". Phobisch strukturierte Psychiater habe eine Scheu vor Endverant-
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wortung. Als Chefarzte lassen sie sich von den Oberärzten beraten, als Stationsärzte vom Stationsteam. So gelingt es ihnen oft, die Verantwortung aufzuteilen. Ein solches Verhalten kann sich günstig auswirken, weil Entscheidungen, an denen mehrere Personen beteiligt sind, infolge des Arbeitsvorteils der Gruppe oft besser sind als allein getroffene Entscheidungen. Es gibt aber auch zeitgebundene Entscheidungen, die man als Chefarzt oder als Stationsarzt selbstständig und ohne vorherige Konsultation treffen muss. Dann kann es sein, dass die Entscheidung dysfunktional hinausgeschoben wird, wodurch ein Schaden entsteht. Phobisch strukturierte Psychiater sind bezüglich dessen, was auf der Station oder während des Ausgangs eines Patienten passieren könnte, oft zu ängstlich. Ähnlich wie die phobische Mutter eines Kindes, das später phobisch werden wird, haben sie Angst, den Patienten könnte etwas passieren. Dadurch wird deren Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Ein Patient, der auch allein zu einem Konsultationstermin in eine andere Klinik gehen könnte, muss begleitet werden; ein Patient, der während einer manischen Phase unangenehm aufgefallen war, wird länger, als es nach dem Abklingen der manischen Phase nötig wäre, auf Station gehalten. Durch ihren demokratischen Führungsstil können phobisch strukturierte Chefs sehr beliebt sein; es kann aber auch geschehen, dass man ihnen schwere Vorwürfe macht, wenn sie ihre Leitungsfunktion nicht allein verantwortlich ausüben, wo dieses zweckmäßig wäre. Hysterisch strukturierte Psychiater können sich leicht für etwas Neues begeistern, für neue Patienten, aber auch für neue Behandlungsmethoden. In ihrem Umgang mit Macht reagieren sie "aus ihrem Gefühl heraus<> und deshalb nicht rational, wo es zweckmäßig wäre. So können sie einem Patienten Ausgang geben oder verweigern, je
nachdem, wie sie sich an dem Tag fühlen. Chaos auf einer Station finden sie munter, Ilda ist wenigstens etwas 10s(l. Wenn unangenehme
Dinge passieren, ändern sie ihren Kurs. Dann führen sie strenge, nicht genügend durchdachte Regelungen ein. Wenn man sie darauf aufmerksam macht, dass diese Regelungen mit dem bisher vertretenen Kurs in Widerspruch stehen, sagen sie, dass man sich eben den Verhältnissen anpassen müsse und nicht so rigide sein dürfe. Durch
Zum Umgang mit Macht und Gewalt in der Psychiatrie
die Kursänderungen kommt es zu Verunsicherungen beim Pflegepersonal und bei den Patienten, weil keiner weiß, ob nicht heute andere Prinzipien gelten .als gestern. Im Umgang mit den Patienten, aber auch im Umgang mit dem psychiatrischen Personal lassen sich hysterisch strukturierte Psychiater gerne von Sympathie und Antipathie leiten. Sie sagen von einem Patienten, dass sie mit ihm sehr gut oder eben gar nicht l)können«(, mit einer Schwester oder einem Pfleger können sie sehr gut oder eben gar nicht. Hier entsteht Unsicherheit im Team, weil die Kriterien, nach denen die Teammitglieder beurteilt werden, als subjektiv und wechselhaft empfunden werden. Der Psychiater gilt als launisch und unzuverlässig. Wichtig erscheint mir noch ein Hinweis darauf, dass im Umgang mit psychisch Kranken auch der latente oder manifeste Sadismus eines Psychiaters eine wesentliche Rolle spielen kann. Unter Sadismus verstehe ich hier eine Freude am Ausüben von Macht, die bis zum Schikanieren und Quälen geht. Sadistisches psychiatrisches Personal wird zum Beispiel in dem Film Einer flog über das Kuckucksnest dargestellt. Während manifester Sadismus meist durch Feedback von anderen begrenzt wird - zumindest dann, wenn der Betreffende sich nicht in einer besonders mächtigen Position in der Hierarchie befmdet -, bleibt latenter Sadismus oft unbemerkt. In der somatischen Medizin gibt eS Ärzte, die, um ihren Patienten nicht wehzutun, bei einer Blutentnahme oder Injektion die Nadel ganz langsam einstechen. Natürlich tut das dem Patienten mehr weh als ein kurzer Stich. Die Absicht ist, den Patienten zu schonen, gerade dadurch wird er aber gequält. Analoges gibt es auch bei psychiatrischen Maßnahmen. Ein Patient kann zu früh entlassen werden, sodass er in eine leidvolle Situation gerät, oder er kann zu lange in der Klinik behalten werden, während er seinen Arbeitsplatz verliert oder seine Partnerin sich von ihm trennt und die Kinder vernachlässigt werden. Beide dysfunktionalen Vorgehensweisen können meist rational )irgendwie~( begründet werden; Entsprechendes gilt auch, wenn es um Fremd- oder Selbstgefahrdung geht. Die kustodiale Psychiatrie war ein gutes Betätigungsfeld für Menschen mit sadistischen Neigungen und mit latentem Sadismus - es gibt sie aber auch heute noch.
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Umgang mit schweren psychischen Krankheiten Unter "Coping" versteht man in etwa das, was mit dem deutschen Wort "Bewältigung« bezeichnet wird. Treffender noch ist vielleicht der umgangssprachliche Ausdruck: "Fertigwerdem. Man wird mit einer Situation, einem Problem, einer Aufgabe fertig, was nicht in jedem Fall bedeutet, dass das Problem aufgelöst werden kann. So ist es möglich, den Verlust eines Angehörigen zu bewältigen oder mit ihm fertig zu werden; damit fertig zu werden, dass die Kinder aus dem Haus gehen und nur noch selten zu Besuch kommen oder dass jemand seinen Arbeitsplatz verliert oder er aus seiner Sicht zur Unzeit berentet oder pensioniert wird. Viele psychische Krankheiten sind nicht wirklich "heilbar", sondern es geht vielmehr darum, das Leben mit ihnen zu bewältigen. Beim Diabetes kann eine gute Einstellung auf Insulin, das korrekte Einhalten der Diät und körperliche Bewegung ein sonst normales Leben ermöglichen. Bei der Schizophrenie sind die körperliche Gesundheit und das Leben der Patienten meist nicht bedroht, ungünstig ist aber oft die Sozialprognose. Während ein Diabetiker, solange keine Spätfolgen auftreten, vollieistungsfahig sein kann, müssen viele Schizophreniekranke vorzeitig berentet werden. In ihren sozialen Kontakten sind sie eingeschränkt, sie erleiden einen beruflichen Abstieg oder steigen nicht weiter auf; sie haben Probleme in ihrer Partnerschaft, wenn überhaupt eine zustande gekommen ist. Freilich sollte man ein so komplexes und vielfaltiges Krankheitsbild wie die Schizophrenie nicht nur nach den schwer verlaufenden Fällen einschätzen. So gibt es Patienten, die an einer Schizophrenie erkranken und dennoch ihre Berufsarbeit zur Zufriedenheit ihrer Arbeitgeber verrichten. Während meiner Tätigkeit als Leiter des Funktionsbereiches Klinische Psychotherapie Erwachsener im Niedersächsischen Landeskrankenhaus Tiefenbrunn kam eine Patientin in mein Zimmer, das auf einer Station lag. Sie hatte mich auf einer Visite kennen gelernt und wollte mir etwas erzählen. Aus ihrem Bericht ging hervor, dass bei ihr seit fünf Jahren eine paranoid-halluzinatorische Psychose
Umgang mit schweren psychischen Krankheiten
bestand, die sie bisher allen Menschen verheimlichen konnte: ihrem Arbeitgeber, Freunden und Bekannten und auch den Ärzten der psychiatrischen Poliklinik, bei denen sie wegen unspezifischer psychischer Beschwerden in Behandlung war. In Tiefenbrunn war sie unter einer anderen Diagnose aufgenommen worden. Auch schwere neurotische Erkrankungen können verheimlicht werden. So konsultierte mich ein Patient wegen einer depressiven Verstimmung, und erst in der dritten diagnostischen Sitzung kam heraus, dass er an schweren Kontrollzwängen litt. Da die Kontrollzwänge sich weniger in der Arbeit, sondern hauptsächlich im Privatleben, zum Beispiel beim Verschließen der Haustür, zeigten und er Rituale entwickelt hatte, die es ihm gestatteten, rechtzeitig in sein Auto zu steigen und zur erwarteten Zeit an seinem Arbeitsplatz einzutreffen, konnte er seine Tätigkeit, die darin bestand, andere anzuleiten und deren Arbeit zu überprüfen, ohne große Schwierigkeiten ausüben. Neurotische und auch psychotische Menschen können mitten im Berufsleben stehen. Unter entsprechender medikamentöser Prophylaxe kann jemand mit einer manisch-depressiven Erkrankung differenzierte Tätigkeiten ausüben; zwischen den Phasen sind solche Menschen allerdings oft etwas zwanghaft, was schon TELLENBACH (1961) beschrieben hat. Natürlich wird die Einschätzung eines Krankheitsbildes auch durch das soziale Milieu beeinflusst. In eine Großstadtpraxis in einem Villenviertel kommen andere Patienten als in einem Arbeitervorort; Ambulanzen psychiatrischer Krankenhäuser oder der Sozialpsychiatrische Dienst einer Stadt haben im Durchschnitt sehr kranke Patienten; eben solche, für die infolge ihrer Krankheit, manchmal auch aus anderen Gründen, ein Leben ohne sozialpsychiatrische Hilfe nicht möglich ist (z. B. ERNST 1998). Natürlich sind die Probleme eines Patienten, der noch berufstätig ist und bei dem es darum geht, dass er den Anforderungen an seinem Arbeitsplatz genügen kann, erheblich anders als die Probleme eines Patienten, der berentet ist, verwahrlost in einer Zweizimmer-Wohnung lebt und kaum soziale Kontakte hat. Da geht es um Fragen wie: Kann der Patient dort wohnen bleiben? Muss er nicht in ein Heim oder in eine betreute Wohnform? Ist den Angehörigen, die sich um ihn kümmern, die Belastung noch zuzumuten und mögen diese wei-
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ter kooperieren oder wollen sie den Patienten los sein? Wie können die Probleme mit den Nachbarn gelöst werden? Wie könnte man dem Patienten dabei helfen, seine Zeit einigermaßen sinnvoll zuzubringen? Es macht für die Motivation eines in der Psychiatrie Tätigen auch etwas aus, ob es ihm gelingen kann, einen Patienten sozial wieder einzugliedern bzw. ihm bei seinen Bemühungen um einen Arbeitsplatz oder eine Partnerschaft zu unterstützen, oder ob es darum geht, mit einem Patienten zu arbeiten, der sicher nie wieder arbeitsfahig wird, der kaum eine Partnerin finden kann. Je ferner die Lebensweise eines Patienten dem Helfer liegt, desto kleiner werden ihm die machbaren Schritte erscheinen. Ähnlich geht es übrigens auch einem Psychotherapeuten, der mit Frühgestörten arbeitet. Um es in einer Metapher auszudrücken: Was einem Therapeuten näher liegt, erscheint ihm größer, wie beim Betrachten einer Landschaft, wo die näher liegenden Dinge größer erscheinen als die ferneren. Ähnliches gilt sogar für soziale Unterschiede. Zu Beginn meiner Berufstätigkeit in der Psychotherapie wunderte ich mich über einen Metzger, der Wert darauflegte, dass er Rinder- und Schweinernetzger sei und nicht etwa Pferdernetzger. Erst die Beschäftigung damit, welche sozialen Unterschiede es unter den Metzgern gibt, machte mir klar, dass es sich hier nicht um den Narzissmus der kleinen Unterschiede handelte, sondern um etwas Bedeutsames. Die soziale Mobilität hat in Deutschland stark zugenommen, mehr als etwa in England - immerhin war dort aber der Sohn eines Zirkusartisten Ministerpräsident. Insgesamt erleichtern die größere soziale Mobilität und der stärkere soziale Austausch das Verständnis für Menschen aus einer Gesellschaftsschicht, die nicht derjenigen entspricht, in der man selbst aufgewachsen ist. Allerdings können eigene Aufstiegserfabrungen wesentliche Unterschiede in der Einschätzung zum Beispiel von Unterschichtproblemen bewirken: Der Aufstieg kann so bewältigt werden, dass die eigene Herkunft dabei betont wird, oder die eigene Herkunft kann geleugnet werden, was einen Einfluss darauf hat, ob man sich mit den Problemen von Unterschichtpatienten gern und sachgerecht auseinander setzt oder ob man sie vielleicht bagatellisiert oder die Bedeutung einzelner Probleme übertreibt.
Umgang mit schweren psychischen Krankheiten
Gerade in der Sozialpsychiatrie, wo viele lebenswichtige Entscheidungen für andere getroffen werden, ist es wichtig, von sich selbst zu wissen, vor welchem Hintergrund man die Lebensweise von Menschen verschiedener Gesellschaftsschichten sieht, welchen Ideologien man anhängt und wo man sich besser in Frage stellen sollte. Der Begriff: »Lebensqualität(, trägt zu einer Versachlichung des sozialpsychiatrischen Engagements bei, weil sich mit ihm immer häufiger die Vorstellung verknüpft, Lebensqualität sei quantifizierbar. Das ist zwar nur begrenzt möglich, diese Vorstellung und Forderung macht aber die Notwendigkeit von Vergleichsmaßstäben deutlich, zum Beispiel wenn es um die Frage geht, ob man es einem Patienten ermöglichen soll, wieder zu arbeiten oder ob es sinnvoller erscheint, mit ihm die Umstellung auf ein Rentendasein zu besprechen, in seinen psychischen und gesellschaftlichen Folgen, die ja vielfaltig sein können. Hier spielen Einstellungen zur Arbeit überhaupt, zur Freizeit und zum Sinn des Lebens eine Rolle. Ideologien und religiöse Bindungen spielen in solche Entscheidungen ebenso hinein wie prognostische Erwägungen bezüglich der Krankheit des Patienten. Viele in der Sozialpsychiatrie Tätige gehen davon aus, wie es ihnen in der Situation des Patienten ergehen würde, und nicht davon, wie es dem Patienten in seiner Situation ergeht. Das heißt, sie fühlen sich in die Situation ein, nicht aber in den Patienten selbst. So kann die Einstellung gegenüber der Arbeit in verschiedenen Berufen sehr unterschiedlich sein. Wer eine eintönige oder körperlich schwere Arbeit zu verrichten hat, wird die Berentung vielleicht wie eine Befreiung erleben; wer einen differenzierten, Anerkennung und Macht verschaffenden Beruf ausgeübt hat, wird sich von ihm vielleicht schwer trennen können. Ein Arzt wird seine Tätigkeit wesentlieh anders empfmden und einschätzen als ein Arbeiter am Fließband. Das gilt allerdings nur im Durchschnitt. Es gibt Industriearbeiter, die es befriedigt, immer wieder die gleichen Handgriffe in einer ökonomischen Art und Weise zu verrichten; ähnlich wie einem Chirurgen auch einfache Handgriffe Spaß machen können. Andererseits gibt es Ärzte, die sich nach dem Ruhestand sehnen, weil sie die Arbeit, obwohl sie diese zufriedenstellend verrichten, als Belastung empfmden, was auch an ihrer Persönlichkeit liegen kann; besonders bei depressiv struktu-
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rierten Persönlichkeiten kann man das beobachten. Es fehlt ihnen an Initiative, sie müssen sich zur Arbeit zwingen (KÖNIG 1998a). Die Einstellung zur Arbeit wechselt mit dem Lebensalter. Es gibt Berufe, bei denen man mit zunehmendem Alter immer besser wird; das behaupten zum Beispiel viele Psychotherapeuten von ihrer eigenen Arbeit. Andererseits gibt es Berufe auf ähnlichem Niveau, zum Beispiel den Beruf des Chirurgen, die von manchen nach dem 60. Lebensjahr nur noch eingeschränkt ausgeübt werden können. Das Erleben der eigenen erhaltenen, zunehmenden oder eingeschränkten Leistungsfahigkeit beeinflusst die Einstellung zur Arbeit stark. Wer eine körperlich anstrengende Arbeit verrichtet, wird die Folgen des Alterungsprozesses wesentlich früher spüren als jemand, der hauptsächlich mit dem Kopf arbeitet. Leistungssportler sind Mitte dreißig oft schon zu alt, Psychotherapeuten beginnen in diesem Alter oft erst ihre Spezialausbildung. Kommt nun eine Krankheit hinzu, kann das den Zeiger der Waage zwischen dem Wunsch weiterzuarbeiten und dem Wunsch, nicht mehr zu arbeiten, nach der einen oder anderen Richtung hin ausschlagen lassen. Es wäre dann irreführend, nur auf die Folgen der Krankheit zu blicken. Die gesamte Arbeitssituation des Patienten muß berücksichtigt werden, wenn man ihn verstehen will. Bei der Berentung psychisch Kranker ist der Gutachter angehalten, sich auf die Folgen der Krankheit zu konzentrieren. Er kann nicht damit argumentieren, dass ein Bandarbeiter in der Regel weniger motiviert ist seine Arbeit beizubehalten als ein Rechtsanwalt oder Arzt. Die Motivation, zu arbeiten oder das Arbeitsleben zu beenden, stellt eine psychische Realität mit unmittelbaren Folgen für die Bewältigung einer psychischen Krankheit dar. Zu beachten sind auch die psychischen Belastungen, die nicht nur durch die Krankheit selbst, sondern auch durch die damit verbundene Stigmatisierung entstehen. Von vielen in der Psychiatrie oder der Psychotherapie Tätigen wird vollmundig vertreten, dass es zwischen psychisch Kranken und psychisch Gesunden in der gesellschaftlichen Beurteilung keinen Unterschied geben sollte; dass es auch zum Beispiel in einem Krankenhaus keinen qualitativen Unterschied zwischen dem Patienten und dem Personal geben darf. Solche Forderun-
Umgang mit schweren psychischen Krankheiten
gen können eine Richtung vorgeben, in die sich die soziale Einschätzung psychisch Kranker bewegen sollte. Werden die Krankheitsfolgen für den sozialen Status aber geleugnet, leugnet man eine gesellschaftliche Realität, mit der die Patienten konfrontiert sind. Man kann nicht so tun, als ob es Stigmatisierung nicht gäbe und als ob die psychisch Kranken von Laien ebenso angesehen werden müssten wie von Angehörigen des psychiatrischen Dienstes, die sie kennen, weniger Angst vor ihnen haben, ihnen mehr zutrauen und wissen, dass zum Beispiel schizophrene Patienten ähnliche Lebensziele haben wie Gesunde, sie aber seltener erreichen (ERNST 1998). Allerdings: Auch alle in der Psychiatrie Tätigen müssen sich zunächst einmal mit eigenen Vorurteilen und mit ihrer Art des Umgangs mit realen sozialen Beurteilungen auseinander setzen. Zu Beginn meiner Tätigkeit an einem Landeskrankenhaus wohnte ich an einem anderen Ort. Wenn ich am Sonntagabend zurückkam, wurde ich von den Taxifahrern meist für einen Patienten gehalten, der über das Wochenende Ausgang hatte, seine Familie besuchte und jetzt wieder auf die Krankenstation zurückkehrte. Ich erinnere mich, dass mir diese Einschätzung unangenehm war und ich mich fragte, ob der Taxifahrer mir denn nicht ansehen müsste, dass ich nicht ein Patient, sondern ein im Krankenhaus tätiger Arzt sei. Von den Kränkungen, die ein psychisch Kranker im Alltag erfahren kann, macht man sich oft keine zutreffende Vorstellung. Eine bequeme Art des Umgangs mit diesem Problem ist, die Tatsache dieser Kränkungen zu leugnen oder sie zu bagatellisieren; ähnlich wie man vielleicht geneigt ist einem Depressiven zu sagen, dass alles nicht so schlimm sei. Bekanntlich bewirkt man bei Depressiven mit derlei Äußerungen nichts Positives. Sie fühlen sich nicht verstanden. Ein Patient, dem man sagt, eigentlich müssten alle Menschen "draußen" den psychischen Krankheiten gegenüber die gleiche Einstellung haben wie das Personal auf der psychiatrischen Krankenstation, hilft dies wenig. Die Erwartung an den Patienten, er müsse seine psychische Erkrankung den Menschen gegenüber, mit denen er zusammenkommt, benennen und lernen mit den Folgen zu leben, ist bei Psychoanalytikern nach meinen Erfahrungen verbreiteter als bei Psychiatern, die meist
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realistischer einschätzen, was das in Beziehungen bewirken kann. Überhaupt scheint es mir wichtig zu sein, die Unterschiede zwischen den Verhältnissen in einem psychiatrischen Krankenhaus und dem Alltag außerhalb des Krankenhauses im Auge zu behalten und zu berücksichtigen - ein Hinweis, den gemeindepsychiatrisch orientierte Ansätze schon immer gegeben haben. Die Normen und Werte eines psychiatrischen Krankenhauses, wo über die psychischen Probleme offener gesprochen werden kann als im sonstigen Alltag der Patientinnen und Patienten, ist therapiefOrdernd, aber nicht unbedingt ein Modell für den Alltag, in den der Patient zurückkehren wird. Es ist Aufgabe der psychiatrischen Therapie, den Patienten auf die anderen Verhältnisse außerhalb des Krankenhauses vorzubereiten, nicht ihn darin zu bestärken, dass er sie leugnet. Freilich hat sich die Einstellung vieler Menschen gegenüber psychisch Kranken als Folge von Aufklärung und Information geändert; die Medien, besonders das Fernsehen, haben mit informierenden Artikeln oder Sendungen, aber auch mit den Talkshows dazu beigetragen. Das Bild vom psychisch Kranken, das sie verbreiten, entspricht nicht immer der Realität. Im Ganzen scheinen die Auswirkungen dieser Art von Aufklärung aber positiv zu sein. Besondere Probleme ergeben sich in der Gerontopsychiatrie. Wer mit alten Menschen umgeht, wird, ob er es bewusst reflektiert oder nicht, daran erinnert, dass er Eltern hat, die alt sind, und auch ans eigene Altwerden. Für die Kinder ist es oft schmerzlich zu sehen, wie die Eltern einen Teil ihrer Fähigkeiten verlieren.
Zur Gerontopsychiatrie Der Einfluss subjektiver Einschätzungen lässt sich in der Gerontopsychiatrie besonders leicht erkennen. Es geht dabei um basale Einstellungen zum Alter. Unsere Vorstellungen von alten Menschen sind durch eigene Wünsche bestimmt. Wir möchten die Alten so sehen, wie wir selbst als Alte sein möchten. Die unterschiedlichen Einstellungen alten Menschen gegenüber drücken sich auch darin aus, wie man sie bezeichnet. Das Wort: »alt" wird oft vermieden. Man spricht von "Senioren«, die in den Restau-
Zur Gerontopsychiatrie
rants "Senioren-Teller« essen. Ein Senior ist ja "der Ältere«. Es handelt sich um einen Komperativ. Auch im Deutschen spricht man von "älteren« Menschen, nicht einfach von )alten(l. Wann man aufhört, älter zu sein, und alt ist, lässt sich schwer sagen. Andererseits kann das Eigenschaftswort ,>alt" auch positive Konnotation haben, wenn es einen älteren Menschen bezeichnet, etwa einen berufstätigen Menschen, der in der Hierarchie oben steht. Alter bezeichnet hier weniger das Lebensalter als einfach die langen Jahre, die jemand tätig war oder die man zusammen verbracht hat. Eine "alte« Beziehung kann mehr wert sein als eine "junge,'. Bekanntlich lassen sich Frauen weniger gern als Männer mit dem Eigenschaftswort '>alt« bezeichnen, wohl weil die Attraktivität der Frauen mehr als die der Männer vom Lebensalter abhängt. Wahrscheinlich ist das letztlich darauf zurückzuführen, dass Jugend mit Fertilität verbunden wird. In Gesellschaften, wo die Frauen jenseits der Menopause in der Familie eine große Bedeutung behalten, im Hause sogar das letzte Wort haben, dürfte das Wort ,>alt" anders konnotiert sein. In einer solchen Gesellschaft verlieren die Frauen mit dem Altwerden an Attraktivität für die Männer, gewinnen aber Ansehen und Macht. Ein Unterschied zu den Männern liegt allerdings darin, dass Ansehen und Macht VOn Frauen diese für Männer meist nicht attraktiver macht, während Ansehen und Macht eines Mannes zu seiner Attraktivität beitragen. Andererseits wird der "Alte« oft als Konkurrent empfunden, der seinen Platz im Berufsleben räumen soll. Der Alte soll nicht nur fröhlich sein, er soll sich auch aus dem Alltagsgeschäft zurückziehen, Jüngeren den Vortritt lassen und allenfalls in der Rolle des Beraters zur Verfügung stehen. Die großen Unterschiede im Alterungsprozess verbieten es, generelle Aussagen über die Leistungsfahigkeit zu machen, die man in einem bestimmten Alter von einem Menschen erwarten kann. Das hat Gründe in der Biologie, aber auch in der sozialen Situation des Einzelnen. Der Verlust einer beruflichen Tätigkeit, auch wenn sie durch Hobbys scheinbar ersetzt wird, kann als ein Verlust von Trainingsmöglichkeiten gesehen werden, die darin bestehen, dass jemand den
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Anforderungen seines Berufes täglich und stündlich nachkommen muss (KÖNIG 1998a). Irgendwann holt die Biologie aber einen jeden Menschen ein. Der Abwehrmechanismus des Leugnens hat dann bei Alten wie bei chronisch körperlich Kranken eine zentrale Funktion bei der psychischen Bewältigung der eigenen Lebenssituation. Entsprechend haben Jüngere oft die Tendenz leistungsreduzierte Alte entweder als Repräsentanten des Durchschnitts aufzufassen oder die durch das Alter hervorgerufenen Leistungseinschränkungen generell zu leugnen. Während um die Verluste von Beziehungspersonen, die sterben, getrauert werden kann und intensiv getrauert wird, können viele Alte um den Verlust der eigenen Leistungsfahigkeit nicht trauern, weil er nicht wahrgenommen werden darf. Ein gutes Beispiel für die Schwierigkeiten bei der Verarbeitung des Verlustes von Ich-Funktionen ist die Vorstellung alter Menschen, etwas, was sie verlegt haben, sei ihnen gestohlen worden. Dass jemand auf diesen Gedanken kommt, hat vielleicht auch etwas mit seiner primären, misstrauischen Persönlichkeit zu tun. Ein anderer würde seine Vergesslichkeit vielleicht bemerken, aber nicht auf den Gedanken kommen, die Dinge seien gestohlen worden, sondern seine Vergesslichkeit bagatellisieren. Manche Alten gehen mit ihrer Vergesslichkeit auch mit einem gewissen Humor um. Eine andere Möglichkeit, der Kränkung durch den Gedächtnisverlust zu entgehen, ist bekanntlich das Konfabulieren, wie man es ausgeprägt beim Korsakow-Syndrom findet. Beim Konfabulieren fallt auf und ist bemerkenswert, dass der Fabulierende an die Wahrheit dessen, was er sagt, zu glauben scheint, ähnlich wie jemand davon überzeugt sein kann, dass der Gegenstand, den er verlegt hat, gestohlen wurde. Die im Alter abnehmende Auffassungsgabe kann dazu führen, dass alles Neue abgelehnt wird. Es handelt sich hier um eine Form des Umgangs mit der Realität, den man als eine Variante des "SaureTrauben-Phänomens<> auffassen kann. Was der Auffassungsgabe des Alten zu hoch hängt, bezeichnet er als »sauen. Die Auswirkungen der Arbeit mit alten Menschen sollte nicht unterschätzt werden. Ein Arzt, der alte Patienten behandelt und be-
Zur Gerontopsychiatrie
wirkt hat, dass sie besser lebten und vielleicht auch erst später starben, hinterlässt Spuren, auch wenn diese nicht mit seinem Namen verknüpft sind. Entsprechendes gilt für Krankenschwestern und Krankenpfleger, Sozialarbeiter, Ergotherapeuten. Sie haben in der Psychiatrie ihren Anteil daran, dass es Menschen besser geht und dass der eine oder andere vielleicht auch länger lebt, als er sonst gelebt hätte. Durch ihre Berufsarbeit sind fast alle Menschen anderen nützlich, ob es sich nun um Bäcker, Busfahrer, Kraftfahrzeugmechaniker oder Industriearbeiter handelt. Grundformen menschlicher Zielsetzungen sind die Selbstverwirklichung und das Tun für andere. Die Zielsetzung von Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstruktur scheint fast ausschließlich die Selbstverwirklichung zu sein; die Zielsetzung von Menschen mit einer depressiven Struktur betrifft das Tun für andere. Menschen mit einer narzisstischen Struktur haben es schwer, den Verlust an Funktion und Bedeutung, der mit dem Alter kommt, zu akzeptieren, deshalb kommt es bei diesen Menschen zu lang hingezogenen Kränkungsreaktionen. Menschen mit einer depressiven Struktur leiden an dem Verlust ihrer Nützlichkeit für andere ("Ich bin zu nichts mehr nütze.,,), während der Mensch mit einer narzisstischen Struktur vielleicht eher sagt: "Ich gehöre zum alten Eisen«, und das heißt dann in erster Linie: "Ich werde nicht mehr geschätzt. (, Die größte Schwierigkeit für Psychiater, Pfleger, Schwestern, Krankengymnastinnen, Sozialarbeiter, die sich mit alten Menschen befassen, dürfte letztlich darauf zurückzuführen sein, dass alte Menschen jung waren, junge Menschen aber noch nie alt, und dass dem Bemühen, sich in die Situation und das Erleben eines alten Menschen einzufühlen, starke Motive entgegenstehen, die etwas mit dem eigenen Altern, aber auch mit dem Verlust der alternden Elternfiguren zu tun haben. Ein anderes Problem ergibt sich daraus, dass alte Menschen weniger Zukunft haben als junge. Für viele Menschen scheint es mehr Sinn zu machen, Arbeit in junge Menschen zu investieren als in alte. In jungen Menschen lebt man länger fort. Junge Menschen können das, was man für sie getan hat, in irgendeiner Form weitergeben. In
all dem sind die alten Menschen oft sehr begrenzt.
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Das wirkt sich nicht nur bei helfenden Berufen aus, sondern auch im alltäglichen Alltag, im Umgang mit alten Menschen generell, besonders auch im Umgang mit den eigenen Eltern. Im Volksmund heißt es ja: "Eine Mutter kann für zehn Kinder sorgen, zehn Kinder nicht für eine Mutter<>. Biologisch betrachtet sorgt eine Mutter, wenn sie für die Kinder sorgt, natürlich für "ihr eigen Fleisch und Blut(, und damit dafür, dass sie in ihren Kindern und deren Nachkommen weiterlebt. Solche Motive können die Kinder im Umgang mit der Mutter nicht haben. Stattdessen kann sie ein Gefühl der Dankbarkeit motivieren. Dankbarkeit wird von den Eltern oft eingefordert. Bei Dankbarkeit handelt es sich allerdings um ein spontan auftretendes Gefühl, das nicht erzwungen werden kann. Man kann sich dazu zwingen oder zwingen lassen, so zu handeln, dass es aussieht, als sei man dankbar, man kann sich aber nicht dazu zwingen, dankbar zu sein, und man kann dazu nicht gezwungen werden. Nicht umsonst entwickeln viele Gesellschaften strenge Regeln für den Umgang mit alten Menschen, besonders für den Umgang mit alten Angehörigen. In vielen Ländern des Ostens gilt es als moralisch verwerflich, die Eltern ins Altersheim zu bringen - mehr, als es bei uns der Fall ist, wo viele der Ansicht sind, dass von einer modernen Kleinfamilie die Pflege eines alten Menschen nicht erwartet werden kann. Tatsächlich geht es vielen alten Menschen in einem Altersheim besser, als es ihnen zu Hause ergehen würde. Das kann aber dadurch eingeschränkt werden, dass es eine Schande ist, seine Eltern ins Altersheim zu bringen; wer im Altersheim ist, hat dann Kinder, die Schande auf sich geladen haben, was auf die Alten zurückwirkt. Andere Gesellschaften setzen ihre Alten aus. Wenn man den Umgang mit alten Menschen in verschiedenen Kulturen vergleicht, wird einem deutlich, wie sehr die Moralvorstellungen in einer Gesellschaft von den Lebensverhältnissen abhängig sind. In unserer hoch entwickelten, im Vergleich zu anderen Industrienationen vergleichsweise liberalen Gesellschaft haben wir vielleicht mehr als in anderen die Chance, unsere Einstellungen und unser Verhalten alten Menschen gegenüber zu reflektieren und die schwer erkennbaren oder unbewussten Motive unseres Erlebens und Handelns
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zu erkennen. Das Verstehen alter Menschen kann so erleichtert werden. Man kann aber auch hoffen, dass alte Menschen die jungen in ihren Schwierigkeiten im Umgang mit ihnen besser verstehen, wenn sie die eigenen Motive und die Motive der Jungen reflektieren. Sie brauchen ihnen dann vielleicht weniger Vorwürfe zu machen und sich weniger zu schämen, so undankbare Kinder zu haben. All dies zu reflektieren kann den Umgang mit alten Patientinnen und Patienten erleichtern, auch wenn sich die Gerontopsychiatrie im engeren Sinne weniger mit den bis jetzt beschriebenen allgemeinen Lebensproblemen alter Menschen im Umgang mit sich selbst, mit jüngeren Angehörigen des gleichen Berufes und mit ihren Kindern befasst als mit alten Menschen, deren kognitive Fähigkeiten so weit abgenommen haben, dass sie ärztliche und pflegerische Hilfe brauchen. Auch hier gibt es aber einiges zu verstehen. In einer gewohnten Umgebung bleiben viele Alte kompensiert. Die Störungen der Merkfahigkeit, die dazu führen können, dass alte Menschen Dinge verlegen und nicht wiederfinden, wirken sich in einer vertrauten Umgebung, wo viele Dinge ihren gewohnten Platz haben, weniger gravierend aus. Störungen der Merkfahigkeit reduzieren auch das Orientierungsvermögen. Ein alter Patient, der sich zu Hause gut zurechtfand, kann auf einer internistischen Krankenstation nach einem Toilellengang nicht wieder in sein Zimmer zurückfmden und dadurch den Eindruck erwecken, verwirrt zu sein. Tatsächlich konnte er sich nur den Weg nicht merken. Die Abneigung vieler alter Menschen, in ein Altersheim zu gehen, wo sie im günstigen Fall gut betreut sind, hängt auch mit der Angst zusammen sich in einer neuen Umgebung nicht mehr zurechtzufinden. Dass das Leben in einem Altersheim selbst im günstigsten Fall Probleme mit sich bringt, die hohe Anforderungen an die reduzierte Umstellungsfahigkeit alter Menschen stellen, spielt natürlich eine große Rolle und wird oft unterschätzt. Während die meisten jungen Menschen schon einen Zustand reduzierter Körperkräfte erlebt haben, zum Beispiel während eines grippalen Infekts, oder nach einem Sport- oder Verkehrsunfall kennen gelernt haben, was es heißt, in seiner Beweglichkeit eingeschränkt zu
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sein - auf Krücken oder mit einem Stock gehen zu müssen -, entziehen sich Störungen der Merkfahigkeit mit ihren Auswirkungen im Alltagsleben der Einfühlung durch jüngere Menschen, die so etwas noch nie erlebt haben. Unter den Störungen der Merkfahigkeit leiden Menschen, die Kopfarbeit leisteten, oft besonders. Der Schriftsteller Max Frisch berichtete in einem Fernsehinterview über Störungen der Merkfahigkeit, die ihn beim Schreiben behinderten, weil er immer wieder vergaß, was er eben geschrieben hatte, sodass er nachlesen musste.
Menschen mit einer narzisstischen Struktur leiden unter dem Verlust von geistigen oder körperlichen Kräften wohl am meisten, hysterisch Strukturierte unter dem Verlust der äußeren Attraktivität. Phallisch-narzisstische Menschen leider oft sehr darunter, dass sie bei sportlicher Betätigung keine Höchstleistungen mehr vollbringen können; sie geben den Sport oft früher auf als andere, für die er keine so zentrale Bedeutung hat. Depressiv strukturierte Menschen leiden darunter, für niemanden mehr nützlich sein zu können; schizoide Menschen ziehen sich in eine selbstgewählt erscheinende Einsamkeit zurück, unter der sie aber doch leiden. Vor allem die Charakterzüge zwanghafter Menschen verstärken sich im Alter; wer vorher sparsam war, wird geizig; wer vorher ord-
nungsliebend war, wird pedantisch. Im persönlichen Umgang störend ist oft auch eine Zunahme des Bedürfnisses Recht zu behalten. All das kann den Umgang mit ihnen sehr erschweren. Phobische Menschen sind, was ihr Befmden angeht, mehr als andere davon abhängig, mit einer anderen Person, einer Schutzfigur, zusammenzuleben. Ähnlich wie depressiv Strukturierte, die schwer allein sein können, verarbeiten sie Verluste von Angehörigen und Freunden besonders schwer, wobei die Partner phobisch Strukturierter ersetzbarer erscheinen als die depressiv Strukturierter, weil sich ein wesentlicher Teil ihrer Beziehung auf Funktionen des anderen bezieht, die ersetzt werden können, während für depressiv Strukturierte der Partner oft wie ein Elternobjekt ist, das nicht ersetzt werden kann. Hysterisch strukturierte alte Menschen leiden besonders unter dem Verlust ihrer Attraktivität als Mann oder Frau. Jüngere Ärzte und Ärztinnen, Schwestern und Pfleger übertragen Elternobjekte auf die
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alten Patientinnen und Patienten. Damit werden viele Schwierigkeiten, die es mit Eltern geben kann, in der professionellen Beziehung aktualisiert. Ein junger Mensch kann alte Eltern immer noch als Autoritätspersonen ansehen, sich von ihnen abhängig fühlen, sie als Personen erleben, die ihn festhalten und unselbstständig halten wollen. Er kann sich aber auch mit den Eltern identifizieren. Die Identifikation führt nicht nur zur Einfühlung, der ja durch den Altersunterschied Grenzen gesetzt sind. Jemand, der sich mit seinen Eltern identifiziert, kann sich sogar für deren Schwächen schämen. Pflegepersonen befinden sich Alten gegenüber oft in einer Position, die vieles mit einer Elternposition gemeinsam hat. Sie müssen ihnen helfen und sie pflegen. Eltern sind ihren Kindern kräftemäßig und in ihren kognitiven Möglichkeiten voraus, zumindest während der ersten Lebensjahre. Sie tragen für die Kinder Verantwortung. All dieses kann auch für den Umgang einer Schwester oder eines Pflegers, einer Ärztin oder eines Arztes mit alten Menschen zutreffen. In der Art der Beziehung liegen also Übertragungsauslöser für Kindobjekte. Es fallt jungen Menschen oft schwer, Alten gegenüber eine Elternposition einzunehmen. Unter anderem heißt das Einnehmen einer solchen Position den wirklichen Eltern gegenüber, dass sie künftig auf Schutz und Hilfe von Seiten der Eltern verzichten müssen und stattdessen Verantwortung für sie übernehmen. Die Beziehung einer jungen Krankenschwester oder eines jungen Pflegers zu solchen Patienten nimmt so den Rollenwechsel innerhalb der eigenen Familie gleichsam vorweg. In einer Pseudo-Elternposition gegenüber alten Patientinnen und Patienten neigen junge Menschen oft zu Übertreibungen. Die verbleibenden Ressourcen der alten Menschen werden unterschätzt. Es kommt zu dem auch außerhalb der Krankenhäuser vielfach üblichen Duzen alter Menschen, die mit "Oma" oder "Opa" angeredet werden. In gut geführten Kliniken sind derlei Anreden meist nicht erlaubt, das Warum wird aber oft nicht verstanden. Ich meine, es wäre angebracht, den jungen Ärztinnen und Ärzten, Schwestern und Pflegern Informationen über die Schwierigkeiten zu geben, die mit dem Rollenwechsel verbunden sind.
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Eine jede pflegerische Tätigkeit kann intime Verrichtungen mit einschließen, wie sie auch bei der Betreuung ganz kleiner Kinder üblich sind - was das Füttern, aber auch was die Ausscheidungsfunktionen angeht. Hier spielt die Scheu vieler Kinder hinein ihre alten Eltern etwa nackt zu sehen. Diese Scheu ist mit Vorstellungen über Sexualität verknüpft. Der Blick auf das Genitale alter Männer ist bei Frauen oft mit den Phantasien des alten Satyrs verknüpft, der sich an junge Mädchen heranmacht. Mit ihm verknüpft ist aber auch das Bild vom sehr alten Mann, der impotent geworden ist und dessen Genitale nur noch eine Ausscheidungsfunktion hat. Bei Frauen hat das Genitale oft schon früher, nämlich mehrere Jahre vor der Menopause seine Funktion für die Fortpflanzung verloren, dagegen bleibt die sexuelle Funktion lange Zeit erhalten. Von der Angst, unerwünscht schwanger zu werden, befreit, leben viele Frauen eine ungestörtere Sexualität. Bekanntlich ist die Alterssexualität für junge Menschen ein schwieriges Thema; die Vorstellung, dass ihre alten Eltern noch Geschlechtsverkehr haben könnten, ist vielen jungen Menschen peinlich. Weil die Sexualität alter Menschen ausgeblendet wird, bleibt in der Vorstellung nur noch die Ausscheidungsfunktion von Penis oder Vulva übrig. Unbewusst kann es aber Verknüpfungen mit Vorstellungen von Sexualität geben, die abgewehrt werden, oft durch eine Herabsetzung der Ekelschwelle; Ekel ersetzt per Reaktionsbildung das sexuelle Interesse. In Gruppentherapien werden alte Menschen oft in einer Elternrolle festgehalten. Wenn sie sich "kindisch(, aufführen, ruft das Angst und Ablehnung hervor - ein Problem, mit dem Gruppenleiter nicht leicht umgehen können, wenn sie selbst eigentlich der Meinung sind, alte Menschen sollten vernünftig bleiben und kein "infantiles(, Verhalten an den Tag legen. Damit wird den Alten die Möglichkeit genommen, Elternübertragungen erkennen zu lassen und zu bearbeiten. Natürlich ist es auch für alte Menschen schwierig, in die Rolle des Betreuten zu wechseln. Viele alte Menschen haben davor Angst, weil die Rolle des Betreuten mit den Merkmalen Abhängigkeit und Schwäche verbunden ist - meist ohne die Hoffnung, die Rolle des Betreuten wieder verlassen zu können.
Zur Gerontopsychiatrie
Ein Kind erwartet ja "größer zu werden<> und Kräfte hinzuzugewinnen. Die oder der Alte muss sich damit abfinden, weiter an Kräften zu verlieren, )kleiner« zu werden. Alte Menschen entwickeln auf Ärztinnen und Ärzte, Schwestern und Pfleger oft Kindübertragungen. Sie sind stolz auf einen Sohn, der ihnen mit seinen magischen Kräften helfen wird, oft aber auch misstrauisch gegenüber dessen Fähigkeiten. Hier werden dann Einstellungen gegenüber den eigenen Kindern wiederholt. Oder es werden Kontrastobjekte übertragen, Vorstellungen von idealen Töchtern oder Söhnen. Wenn die Kräfte und Kompetenzen der "Kinder,' misstrauisch betrachtet werden, fant der Rollenwechsel besonders schwer. Werden deren Fähigkeiten aber idealisierend überschätzt, fällt es den Alten leichter, sich in ihre abhängigere Rolle hineinzufinden. Ob eine solche Idealisierung aufgelöst werden sollte oder ob sie bestehen bleiben soll, weil sie den Umgang des Patienten mit Ärzten, Schwestern und Pflegern erleichtert - entsprechend auch deren Umgang mit ihnen - ist eine im Einzelfall zu untersuchende Frage. Solange die Idealisierung keine erkennbaren Nachteile für den Patienten hat, wird sie am besten unhinterfragt gelassen. Schwieriger ist es mit der kritischen Einstellung; Informationen über die eigene Kompetenz können in einem argumentativen Dialog weiterhelfen, doch sollte man davon nicht zu viel erwarten. Ein ruhiges und festes, durch unzutreffende Kritik nicht beeinträchtigtes Verhalten gegenüber den alten Menschen ist vielleicht noch am besten geeignet ihr Vertrauen zu erhöhen, wenn sie misstrauisch sind, gepaart mit Freundlichkeit kann es ihnen den Rollenwechsel erleichtern.
Konzepte der therapeutischen Gemeinschaft Die Konzepte der therapeutischen Gemeinschaft, insbesondere das von M.JoNEs (1976), haben zur Reform der psychiatrischen Krankenhäuser wesentlich beigetragen. Die traditionelle Anstaltspsychiatrie war durch eine ausgeprägte Rollenasymmetrie zwischen dem therapeutischen Personal und den Patienten gekennzeichnet. Dem hilflosen und deshalb hilfsbedürftigen Patienten standen Helfer ge-
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genüber, die von der Gesellschaft mehr als Bewacher denn als Helfer angesehen wurden; die therapeutischen Mittel der Psychiatrie waren sehr begrenzt. Auch fortschrittliche Psychiater sahen ihre Aufgabe im Wesentlichen darin, den Patienten das Leben soweit es ging zu erleichtern, was im Schutze einer Anstalt noch am ehesten möglich erschien, aber zur Folge hatte, dass die eigenen Möglichkeiten und Ressourcen der Patienten abnahmen, was zum Phänomen des Hospitalismus führte. Das wurde in Kauf genommen einmal, weil man zwischen den Folgen der psychischen Krankheit und den Folgen der Hospitalisierung nicht unterscheiden konnte, zum anderen, weil die Gesunden vor den psychisch Kranken geschützt werden sollten, die noch mehr als heute Angst machten. Das Konzept der therapeutischen Gemeinschaft sollte den Hospitalismus verhindern, indem es die Arbeit mit den Patientinnen und Patienten auf eine neue Basis stellte. Die Ressourcen der Patienten sollten während des stationären Aufenthaltes geweckt und weiterentwickelt werden; die Patienten sollten mehr für sich selbst sorgen und das Ziel des psychiatrischen Krankenhausaufenthaltes war, wie auch in anderen Fächern der Medizin, die Entlassung in eine ambulante Betreuung in geschützten Wohneinheiten oder mit der Unterstützung durch Sozialarbeiter. Dass man die Patienten einfach entlassen konnte - in der Erwartung, dass sie sich nach und nach würden selbst helfen können, wenn sie dem den Hospitalismus erzeugenden Krankenhaus erst einmal entronnen waren - stellte sich als Illusion heraus, wie die Experimente der antipsychiatrischen Bewegung zeigten. Die Verkürzung der Aufenthaltsdauer hatte zur Voraussetzung, dass die ambulanten Dienste ausgebaut wurden. Die etwa zur gleichen Zeit aufkommenden Psychopharmaka ermöglichten ihrerseits eine Verkürzung der Aufenthaltsdauer, schränkten aber die Lebensqualität der Patienten durch ihre Nebenwirkungen ein. Wegen dieser Nebenwirkungen nahmen viele Patienten die Medikamente nicht mehr, erlitten deshalb nicht selten Rückfalle und mussten wieder aufgenommen werden. H.KATSCHNIG (1998) weist daraufhin, dass es um das Jahr 1955 in erster Linie um Symptomreduktion ging, dass sich zwanzig Jahre später die Psychiatrie die Aufgabe der Rückfallprophylaxe stellte, und dass um das Jahr 1995 die Erhöhung der Le-
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bensqualität zu einem primären Ziel der Psychopharmakotherapie wurde, wobei das "Funktionieren im Alltag und in sozialen Rollen« und die "materielle und soziale Lebensumwelt« mit einbezogen werden. Symptomfreiheit soll nicht mehr auf Kosten der Lebensqualität erzielt werden. Die atypischen Neuroleptika haben gegenüber den früheren ein erweitertes Wirkungsspektrum und weniger Nebenwirkungen. Sie erfassen heute nicht nur die positiven, sondern auch die negativen Symptome einer schizophrenen Psychose, extrapyramidale Symptome fehlen praktisch. Im Ganzen klingt das vielleicht zu optimistisch; die Entwicklung im Bereich der Psychopharmaka geht aber in diese Richtung. Damit wirken Psychopharmaka heute eher als früher synergistisch zu den sozialpsychiatrischen Maßnahmen und Hilfeangeboten. Das gilt nicht nur für den ambulanten, sondern auch für den stationären Bereich, wo der Patient unter der Pharmakotherapie mehr Kompetenzen behält und vorhandene Kompetenzen eher weiter entwickelt werden können. Die therapeutische Gemeinschaft kann so in ihrem ursprünglichen Sinne wirksamer werden. Die therapeutische Gemeinschaft will nicht nur die Patienten am Stationsalltag mehr beteiligen, ihnen mehr Entscheidungskompetenzen überlassen und sie dazu ermuntern, sich auf ihre Ressourcen eher zu verlassen als auf Hilfe von außen. Auch innerhalb eines therapeutischen Teams soll die Rollenasymmetrie reduziert werden. Die Kompetenzen des therapeutischen Personals sollen erweitert werden, was zu einer Weckung von Ressourcen führen kann, die sonst brach gelegen hätten. Diese Tendenz führte allerdings dazu, dass die Möglichkeiten, Kompetenzen aus sich heraus zu entwickeln, überschätzt wurden. Auch eine gründliche Ausbildung ist notwendig, damit in der Krankenbehandlung das Optimale geleistet werden kann. Bei überspitzter Anwendung des Jones'schen Konzepts der therapeutischen Gemeinschaft kann es dazu kommen, dass sich in einem Team jeder für alles zuständig und niemand für etwas Bestimmtes verantwortlich fühlt. Nicht zuletzt aus diesem Grund hat sich in den psychotherapeutischen Kliniken eher das Konzept von T.Maine (MAlNE 1981; HILPERT 1979; HILPERT 1983) durchgesetzt. Dieses Konzept erweitert den Zuständigkeitsbereich des Pflegepersonals durch eine
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entsprechende Ausbildung, behält aber die Rollendifferenzierung (Arzt, Psychologe, Sozialarbeiter, Krankenschwester, Krankenpfleger) bei. Insgesamt kann man sagen, dass die Entwicklung in Richtung therapeutischer Gemeinschaft Freiräume geschaffen hat, die der professionellen Kompetenzentwicklung dienen sollen, die aber nicht immer nur Entwicklungen Raum geben, von denen man einen günstigen Einfluss auf die psychiatrische Arbeit erwarten kann. Unklare Rollendefmitionen führen zu Kompetenzstreitigkeiten, die oft eng mit Statuskonflikten verbunden sind. Das Konfliktpotential wird weiter erhöht, wenn bestehende reale Unterschiede, zum Beispiel in der Bezahlung, bagatellisiert oder geleugnet werden. Manche Konflikte, die in einer traditionell ausgerichteten Klinik latent bleiben, werden in einer nach Prinzipien der therapeutischen Gemeinschaft ausgerichteten Klinik manifest. Zum Beispiel haben Schwestern und Pfleger mit langer Berufserfahrung oft reale Kompetenzen, die ein neu hinzukommender Arzt nicht hat, bis in den Bereich der Pharmakotherapie hinein, und dies auch deshalb, weil die Schwestern und Pfleger oft unmittelbar mit den Nebenwirkungen von Psychopharmaka konfrontiert sind. Sie können oft die Belastbarkeit von Patienten bei Arbeitsversuchen besser beurteilen als ein noch unerfahrener Arzt. Andererseits ist der Arzt für das Stellen von Indikationen zuständig, wobei er sich beraten lassen kann, für seine Entscheidung aber juristisch verantwortlich ist. Der Arzt kann sich dann nicht darauf berufen, dass das Team die Sache so gesehen hat, wie er schließlich entschied. Dass Schwestern und Pfleger mit längerer Berufserfahrung in manchem, das zum ärztlichen Zuständigkeitsbereich zählt, kompetenter sein können als Ärzte in Ausbildung, wurde in der traditionellen Psychiatrie oft schweigend übergangen; die Schwestern oder Pfleger wussten es besser, sagten aber nichts und dachten sich ihr Teil. Die Hierarchie wurde wenig in Frage gestellt. In einer Klinik, die nach Prinzipien der therapeutischen Gemeinschaft arbeitet, kommt es eher zu Diskussionen, die zu einem zweckmäßigeren Umgang mit der tatsächlichen Situation führen können; zum Beispiel dergestalt, dass der Arzt sich mehr von den Schwestern und Pflegern beraten lässt,
Konzepte der therapeutischen Gemeinschaft
ohne der Tatsache auszuweichen, dass er letztlich entscheiden muss, weil seine Rolle und seine Position in der Hierarchie ihn dazu verpflichten. Allerdings gehen solche Diskussionen nicht immer optimal aus. Es kann zu einem dauernden Gezerre und Gerangel kommen, bei dem der Arzt zwischen Nachgeben und dem autoritären Beziehen eines Justmentstandpunktes hin und her schwankt; Schwestern und Pfleger schwanken oft zwischen Dominanz und Resignation. Es wäre falsch, derlei kräftezehrende interpersonelle Konflikte nur in der Persönlichkeit der Konfliktpartner zu suchen. Organisationsfehler, die zum Beispiel darin bestehen können, dass die Aufteilung der Kompetenzen durch die Klinikleitung nicht entsprechend den rechtlichen Verantwortlichkeiten klargestellt wird, können innere Konflikte, die in fast jedem Menschen angelegt sind, zu interpersonellen Konflikten werden lassen. Natürlich gibt es Menschen, die auf jede Gelegenheit warten, zu rivalisieren oder zu dominieren; Menschen, die besonders zur Resignation neigen, und andere, die sich in einem Team in die Position des Sündenbocks manövrieren, weil sie diese Position aus ihrer Ursprungsfamilie gewohnt sind. Ich kann es aber als ein Ergebnis meiner langjährigen Supervisionserfahrung bezeichnen, dass durch das Klären von Zuständigkeiten und anderen Rollenmerkmalen mehr erreicht wird als durch ein Ansprechen der persönlichen Ursprunge interpersoneller Konflikte (dazu auch ECK 1998). Dafür ist in der Supervision kein Ort; es bleibt aber anzumerken, dass die Selbsterfahrungsangebote für Schwestern und Pfleger, aber auch für Sozialarbeiter, meist ungenügend sind. Ärzte und Psychologen finanzieren ihre Weiterbildung oft aus eigenen Mitteln; von den Schwestern und Pflegern ist das meist nicht zu erwarten. Für Ärzte und Psychologen bedeutet die Zeit an der Klinik auch eine Zeit der Weiterbildung, in der sie in eine spätere Tätigkeit außerhalb der Klinik, in eigener Praxis etwa, investieren, während für das Pflegepersonal die berufliche Laufbahn in der Klinik nicht nur beginnt, sondern oft auch endet - eine Schwester oder ein Pfleger kann sich nicht in einer Praxis niederlassen. Natürlich ist ein psychiatrisches Team immer auch durch die Kon-
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flikte der Patienten belastet. Besonders die Borderline-Patienten induzieren in einem therapeutischen Team häufig Konflikte, die mit projektiven Identifizierungen zusammenhängen. Solche Konflikte können sich dann mit anderen Konflikten verbinden, die sich im Team wegen unklarer Zuständigkeiten etabliert haben. Wenn die Organisationsstruktur einer Klinik entwickelt wird oder verändert werden soll, haben die Beteiligten die schwierige Aufgabe, zwischen Starre und übergroßer Flexibilität einen optimalen Kompromiss zu finden, der die Arbeit der Klinik unter den bestmöglichen Bedingungen fördert. Hier kann es natürlich, auf einer höheren hierarchischen Ebene betrachtet, wieder zu Konflikten kommen, die etwas mit Berufsrollen und Statusproblemen zu tun haben; zwischen der ärztlichen Leitung, der Pflegedienstleitung und der Verwaltung, vielleicht auch noch dem Kostenträger. Manchmal hilft hier eine Beratung von außen weiter (FüRsTENAu 1994), wie sie von Organisationsberatern angeboten wird. Meiner Ansicht nach sollte ein solcher Berater über Kenntnisse des Praxisfeldes verfügen und ein therapeutisches Konzept kennen, das zumindest mit den Konzepten verwandt ist, die in der täglichen Arbeit der Klinik Anwendung finden - zum Beispiel die Psychoanalyse bei der Beratung einer Klinik, die psychoanalytisch arbeitet.
Belastungen in der stationären psychiatrischen Arbeit Ähnlich wie »Mobbing,< ist der Terminus »Burn-out,< zu einem Modewort geworden. Dabei hat sich sein Anwendungsbereich erweitert. Was mit Burn-out ursprünglich gemeint war, lässt sich aus dem englischen Wort ableiten: Es hat etwas gebrannt; jetzt ist es ausgebrannt. Burn-out im übertragenen Sinne kommt von einer Überanstrengung, die einen Erschöpfungszustand zurücklässt. Die betreffende Person ist !>ausgebrannt«. Nicht gemeint ist, dass jemand sich vorübergehend nicht gut >,drauf,< fühlt oder von der Arbeit müde ist. Burn-out in der Psychiatrie (es gibt ihn auch auf somatischen Intensivstationen) bezieht sich in erster Linie auf Menschen, die mit psychisch kranken Mitmenschen umgehen und sich dabei überlasten oder überlastet werden. Die
Belastungen in der stationären psychiatrischen Arbeit
Überlastung kann auf zu viel Arbeit zurückzuführen sein, auf Arbeit unter ungünstigen Bedingungen oder auf die Art der Arbeit. Zur Überlastung kommt es nicht nur bei einem ungünstigen Bettenschlüssel in psychiatrischen Kliniken, sondern auch bei Überbelegung. Eine Überbelegung kann quantitativ, aber auch qualitativ sein. In Kliniken hat die Erfahrung gezeigt, dass nur eine begrenzte Zahl von schwer gestörten Patienten auf einer Station gut behandelt werden können. Akutstationen haben meist wenig Möglichkeiten, Einfluss darauf zu nehmen, welche Art von Patienten aufgenommen werden; es besteht Aufnahmepflicht. Auf Psychotherapiestationen in psychiatrischen Kliniken werden die Patienten aber oft einbestellt, bei manchen Stationen gibt es auch heute noch lange Wartelisten. Hier kann auf die Zusammensetzung der Klientel einer Station ein gewisser, begrenzter Einfluss genommen werden. Patienten unterscheiden sich erheblich bezüglich der Belastung, die sie für ein Stationsteam darstellen. Es gibt Patientinnen und Patienten, die sich auf die therapeutischen Angebote der Klinik beschränken, und andere, die das Pflegepersonal immer wieder beanspruchen und Nottermine beim therapeutischen Personal beantragen. Es gibt Patienten, die mit dem Team gut zusammenarbeiten, und andere, die das nicht tun; wieder andere kooperieren mit einem Teil des Teams, mit einem anderen nicht, was dann zu Spaltungen im Team führen kann, weil die einen meinen, man könne gut mit dem Patienten arbeiten, und die anderen, man könne das nicht, man solle ihn lieber entlassen oder verlegen. Psychoanalytiker sprechen von projektiver Identifizierung - wie weiter vorne ausgeführt -, womit hier gemeint ist, dass Patienten, die in ihrer inneren Welt Modelle von nur guten und nur bösen Objekten haben, ein Team in nur gut oder nur böse erscheinende Menschen aufspalten, weil sie sich verschiedenen Teammitgliedern gegenüber unterschiedlich verhalten, sodass sich die Angehörigen der beiden Fraktionen im Team ebenso wenig über den Patienten einigen, wie die in gut und böse gespaltenen Objekte in der inneren Welt des Patienten zueinander fmden.
Aber auch neurotische Patienten können ihre inneren Konflikte zu
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interpersonellen Konflikten machen, sodass sie mit einzelnen Teammitgliedern, manchmal auch mit einer ganzen Station in Streit geraten. So externalisieren manche Patienten ihr strenges Über-Ich auf das Stationsteam und rebellieren dann gegen das Team. Vor allem durch die Konflikte, die vom Patienten induziert werden, entsteht viel Reibung, geht viel Zeit verloren und wird die Kohäsion eines Teams gefahrdet, sodass es großer Anstrengung bedarf sie aufrechtzuerhalten. Jeder Einzelne in einem Team ist nun in bestimmten Bereichen mehr oder weniger belastbar. Manche Teammitglieder kommen mit hysterischen oder mit zwanghaften Patienten, wieder andere mit depressiven oder schizoiden oder narzisstischen Patienten gut oder weniger gut zurecht. Man hat hier ähnliche Verhältnisse wie bei einer PartnerwaW im privaten Leben: Unterschiedliche Charaktere können einander ergänzen, sich aber auch "bekriegen". Sind die Kontraste zwischen den Charakteren erträglich, kann die Andersartigkeit des anderen faszinieren, wie zum Beispiel einen zwanghaften Mann die hysterische Buntheit seiner Partnerin faszinieren kann. Ich halte es nicht ausschließlich für günstig, Patienten eines bestimmten Typus auf bestimmten Stationen zu konzentrieren. Man tut das oft, um rationeller arbeiten zu können, und für die Arbeit mit bestimmten Patienten wie etwa stoffabhängigen Patienten sind Spezialkenntnisse dringend erforderlich. Da sich die "blinden Flecke" dieser Patienten meist überlappen, können sie einander aber weniger helfen als auf einer gemischten Station, und die Belastung des Teams wird dadurch größer. Natürlich gibt es Teammitglieder, die von ihrer Persönlichkeitsstruktur her dazu neigen, sich ständig zu überlasten. Man kann sagen, dass besonders depressive Mitarbeiter zum Burn-out neigen, soweit dieser durch ein Zuviel an Arbeit hervorgerufen wird. Schizoide Personen halten von den Patienten meist genügend Abstand, um sich von ihnen nicht allzu sehr affizieren zu lassen; auf Ausnahmen komme ich weiter unten zurück. Narzisstische Menschen trauen ihrer persönlichen Heilkraft im Umgang mit psychisch Kranken so viel zu, dass sie nicht meinen sich über Gebühr einsetzen zu müssen. Zwanghafte begrenzen ihre eigene Arbeit durch Schemata,
Belastungen in der stationären psychiatrischen Arbeit
die zwar nicht immer der aktuellen Situation angepasst sind und oft rigide von ihnen gehandhabt werden, sie überlasten sich aber dadurch weniger als die meisten anderen. Hysterische Personen haben große Schwierigkeiten einzuschätzen, wieviel Arbeit eine Aufgabe erfordert und überla~ten sich dadurch, dass sie zu viel Aufgaben annehmen; nicht weil sie nicht ablehnen können, wie die Depressiven, sondern weil sie die Arbeit unterschätzen. Die Kombination einer depressiven mit einer hysterischen Struktur ist besonders prekär, weil hier die Tendenz des Depressiven, sich zu überlasten, und die Tendenz des Hysterischen, die Arbeit zu unterschätzen, in gleicher Richtung zusammenwirken. Der depressiv Strukturierte zieht ohnehin viel Arbeit an sich; wenn er hysterische Züge hat, unterschätzt er die Mühe. Dass phallisch-narzisstische Menschen als "große« Männer oder ',große(, Frauen auftreten möchten und deshalb viel Einsatz für andere leisten könnten, sei nur am Rande erwähnt; zu Überlastungen führt das meist nicht. Eine Überlastung des Teams kann auch durch Organisationsfehler bzw. durch eine fehlerhafte Organisationsstruktur zustande kommen. Zum Beispiel führt es zu unfruchtbaren Konflikten, wenn nicht geregelt ist, nach welchen Kriterien Urlaub gewährt oder verweigert wird. In die entstehenden Freiräume stoßen dann die Durchsetzungsf:ihigsten hinein; andere werden dazu angeregt, zu sehr an die eigenen Interessen und zu wenig an die Interessen anderer zu denken, sodass
kooperative Lösungen schwer zustande kommen. Die Belastungen durch ein Miterleben der Emotionen eines Patienten oder durch die Emotionen, die ein Patient in einem selbst auslöst, werden häufig unterschätzt. Manche Teammitglieder entlasten sich, indem sie ihre Gefühle dem Patienten gegenüber auch dann ausdrücken, wenn das therapeutisch unzweckmäßig ist, oder sie suchen sich in Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen zu entlasten, was schon eher vertretbar ist, für die anderen Teammitglieder aber eine zusätzliche Belastung darstellen kann, vor allem wenn keine Gegenseitigkeit zustande kommt. Immerhin scheint es mir ein wesentlicher Vorteil der stationären Therapie gegenüber der ambulanten zu sein, dass ein jedes Teammitglied im Prinzip die Möglichkeit hat jemanden zu fmden, dem gegen-
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über es sich emotional entlasten kann, indem es von einem besonders schwierigen Patienten erzählt - eine Möglichkeit, die man in einer Einzelpraxis nicht hat, und auch vielfach in psychosozialen Diensten keine Selbstverständlichkeit ist. Die Ich-Stärke oder die IchSchwäche von einzelnen Tearnmitgliedern haben natürlich direkte Auswirkungen auf ihre Belastbarkeit und damit auch auf die Belastungen des Teams. Schizoide Helfer, die sich anderen Menschen gegenüber nicht abgrenzen, haben Schwierigkeiten einem Patienten gegenüber offen zu sein und dennoch das zu dosieren, was sie an Emotionalem aufnehmen. Besonders schwierig wird es, wenn sich schizoide Strukturanteile mit depressiven kombinieren, weil dann das Miterleben des Leids eines Patienten leicht zu einer therapeutischen Überaktivität führt, die für die Behandlung der Patienten nicht zweckmäßig ist und das Teammitglied überlasten kann. Insgesamt lässt sich festhalten, dass viele Belastungen in der psychiatrischen Arbeit geringer werden können, wenn man ihre Entstehungsweise versteht und sich auch in seinem Handeln durch dieses Verständnis leiten lässt.
Psychopharmaka
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In der Bevölkerung und in den Medien haben Psychopharmaka einen schlechten Ruf. Es herrscht die Vorstellung, dass Patienten, um die man sich nicht wirklich kümmern kann oder denen man Psychotherapie nicht zukommen lassen kann oder will, »mit Medikamenten vollgestopft werden« - mit dem Ergebnis, dass aus ihnen eine Art Zombies wird. Die Patienten würden, so sagt man, zwar handhabbarer und im ganzen weniger auffallig; ihre Lebensqualität werde unter dem Strich dennoch nicht besser. Für die Anfange der Psychopharmakotherapie trafdas natürlich zu. Die Medikamente hatten nicht nur mehr Nebenwirkungen als viele heute eingesetzte Psychopharmaka, man benutzte sie auch ganz allgemein, um die Patienten in überfüllten psychiatrischen Krankenhäusern ruhig zu stellen. Auch heute kann die Unruhe auf manchen Stationen dazu führen, dass mehr Psychopharmaka eingesetzt werden als auf einer Station, wo die Patienten weniger durch Außenreize beeinträchtigt werden. Dem versucht man etwa im Rahmen der Soteria-Konzepte (z. B. FINZEN 1998) entgegenzuwirken. Das Bild vom Patienten, der für den Rest seines Lebens mit >,herunterhängender Unterlippe und sabbernd, herumläuft oder aber eben vielleicht lieber einen psychotischen Schub aushalten möchte, um dieses Bild zu vermeiden, gehört immer mehr der Vergangenheit an. Zwar gibt es Neuroleptika, deren Gebrauch mit erheblichen Nebenwirkungen belastet ist, doch wurden in letzter Zeit Medikamente entwickelt, die weniger Nebenwirkungen haben und es manchen Patienten erst ermöglichen, sozialpsychiatrische Angebote zu nutzen (KATSCHNIG 1998). Die Kosten-Nutzen-Abwägung kann dann eher zugunsten des Medikaments ausfallen. Eine gute Übersicht über den missbräuchlichen und den notwendigen Gebrauch von Psychopharmaka gibt A.FINZEN (1998). Bei den affektiven Psychosen scheint das Verhältnis von Wirkung und Nebenwirkung am günstigsten zu sein; besonders gilt das für die Lithium-Prophylaxe. Große Mengen von Psychopharmaka werden von Hausärzten verschrieben, die oft nicht über eine entsprechende Ausbildung verfügen. Einerseits wird, wie ERNST (1998) herausstellt, eine Therapie mit Psychopharmaka vom Hausarzt oft wegen UnwirksamkeiI abgebro-
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chen, obwohl noch nicht einmal mittlere Dosen gegeben wurden. Andererseits gibt es Hausärzte, die, vielfach auch unter dem Druck der Angehörigen, überdosieren. Von Seiten der Pharmaindustrie wird oft heruntergespielt, dass die Verordnung von Psychopharmaka nicht nur eine genaue Kenntnis der Wirkungen und Nebenwirkungen voraussetzt, sondern auch, dass sie sich auf eine genaue Kenntnis der Symptomatologie psychischer, durch Psychopharmaka beeinflussbarer Krankheiten und auf breite Erfahrungen mit psychisch Kranken stützen sollte. Der Hausarzt gibt dem Patienten ein Psychopharmakon und die Depression weicht - so lassen es Anzeigen in den entsprechenden Fachzeitschriften erhoffen. Ein Kapitel für sich sind die Benzodiazepine, mit denen viele Angststörungen, die mit Psychotherapie besser behandelt werden könnten, fehlbehandelt werden. Überhaupt werden heute noch viele Krankheitsbilder, bei denen sich Psychotherapie als hilfreich zeigt, ausschließlich mit Psychopharmaka behandelt; und dies, obwohl selbst bei schweren, medikamentenpflichtigen Depressionen eine Kombination mit Psychotherapie wirksamer wäre. Auch heute noch sind vielen Ärzten die Möglichkeiten der Psychotherapie nicht hinreichend bekannt. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Fächer Psychotherapie und Psychosomatik an den Universitäten erst ab 1972 in die Approbationsordnung aufgenommen wurden und vorher nur an einzelnen Universitäten vertreten waren; viele Psychiater schenkten den Möglichkeiten der Psychotherapie keine Beachtung. Fortbildungsangebote können die Defizite während des Studiums meist nur teilweise ausgleichen, und auch heute ist an vielen Universitäten der Unterricht in Psychotherapie und Psychosomatik unzureichend. Wie sich der Kombinationsfacharzt Psychiatrie und Psychotherapie auswirken wird, bleibt abzuwarten. Andererseits gibt es aber Krankheitsbilder, bei denen oft eine alleinige Psychotherapie ausprobiert wird, obwohl zumindest initial eine Medikation günstig wäre. Nach Meinung von Kernberg und seinem Team (KERNBERG u. a. 1993) ist dies besonders bei Patienten mit einer Borderlinestörung der Fall.
Psychopharmaka
Psychopharmaka können für Patienten einen wichtigen Symbolwert haben. Sie können im Patienten die Vorstellung erzeugen, dass er mit Psychopharmaka '>abgespeist« wird, weil der Arzt nicht die Zeit hat oder sich nicht die Zeit nehmen will, mit ilun ausführlicher zu sprechen. Das Psychopharmakon kann aber auch die Bedeutung einer Wunderdroge erhalten, von der ein Patient alles Heil erwartet. Die pharmakologische Wirkung kombiniert sich dann mit einer PlaceboWirkung, die sich auf das Befmden des Patienten günstig auswirkt. GleichwoW kann der Patient aber durch das Medikament daran gehindert werden, solche psychotherapeutischen und sozialpsychiatrischen Angebote zu akzeptieren, die Aktivität von ihm fordern würden. Auch kann ein Patient während einer Psychotherapie, in der er durch die Mobilisierung und Aufdeckung seiner Konflikte beunruhigt worden ist, ein Psychopharmakon haben wollen, obwohl es besser wäre, wenn er sich den Konflikten stellen und sie bearbeiten würde. Die Betonung der Nebenwirkungen von Psychopharmaka kann Patienten dazu bringen, ihre Aufmerksamkeit auf die Nebenwirkungen zu konzentrieren. Die werden dann stärker erlebt, als wenn sie weniger erwartet würden. Es ist ja eine Binsenwahrheit, dass wir verstärkt wahrnehmen, worauf wir achten. Andererseits gibt es Nebenwirkungen von Psychopharmaka, die der Patient gar nicht übersehen kann und die ihn dazu bringen können, das Medikament abzusetzen. Aufgabe der psychopharmakologischen Forschung bleibt es, die Nebenwirkungen weiter zu reduzieren.
Psychotherapie und Psychopharmaka Auch heute noch gibt es Psychotherapeuten, die davon ausgehen, dass Psychotherapie und Psychopharmakotherapie völlig unvereinbar seien. Die Argumentaion leuchtet auf den ersten Blick ein. Die Psychopharmaka dämpfen die Affekte der Patienten. Emotionen spielen in der Psychotherapie aber eine wichtige Rolle. In der Psychoanalyse geht man heute davon aus, dass Einsicht nur in Verbindung mit Emotionen wirksam werden kann. Wenn Emotionen so stark gedämpft werden, dass der Patient kaum noch welche empfindet, wird eine Einsicht fordernde Therapie kaum wirken können.
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176 Psychopharmaka
Psychopharmaka haben neben der Dämpfung von Emotionen aber auch gegenteilige Wirkungen. So kann bei der Behandlung einer Depression mit Psychopharmaka das Gefühlsleben des Patienten erst wieder geweckt werden, während der Patient vorher eine unerträgliche innere Leere empfunden hat. Manche Patienten sagen dann, dass sie wieder »Freude am Leben« haben. Es gibt auch Krankheitsbilder, besonders solche vom Borderlinetyp, zu deren zentralen Merkmalen ein übersteigertes Erleben von Emotionen gehört. Die Emotionen sind dann unerträglich und können weder vom Patienten noch durch die Einwirkung eines Psychotherapeuten rasch auf ein erträgliches Maß zurückgeführt werden. Oft führen sie zu selbst- oder fremdschädigenden Handlungen, weil sie nicht beherrscht werden können. Das ist besonders bei einer mangelnden Impulskontrolle der Fall, die sich mit einem intensiven Erleben von Affekten verbindet. Hier kann eine sorgfaltig angepasste Psychopharmakotherapie erst die Voraussetzungen dafür schaffen, dass der Patient mit seiner Krankheit leben kann, jedenfalls solange die Psychotherapie erst im Anfang ist. Manche Patienten können nur so die Belastungen aushalten, die mit einer Bearbeitung der inneren Konflikte verbunden sind; besonders auch solche, die sich daraus ergeben, dass die Beziehungen des Patienten durch die stark empfundenen Affekte belastet werden. Hier rückt die Kooperation von Psychotherapeut und Pharmakotherapeut in den Vordergrund. O. F. KERNBERG u. a. (1993) empfehlen, eine Psychopharmakotherapie von einer anderen Person als dem Psychotherapeuten durchführen zu lassen. In Polikliniken ist das leichter möglich als in einer Praxis, in Praxisgemeinschaften dürfte das auch leichter zu verwirklichen sein als in einer Einzelpraxis. Selbst in einer Klinik bedarf es oft organisatorischer Veränderungen, wenn Psychotherapie und Pharmakotherapie von zwei verschiedenen Leuten durchgeführt werden. Psychotherapeuten und Pharmakotherapeuten müssen sich verständigen, weil der Psychotherapeut wissen sollte, welche Auswirkungen die Pharmakotherapie in der durchgeführten Psychotherapie hat. Auch der Pharmakotherapeut sollte wissen, welche Auswirkungen zu erwarten sind. Die Aufteilung der Funktionen zwischen Psychotherapeut und Pharmakotherapeut hat
Psychotherapie und Psychopharmaka
den Vorteil, dass psychologische Psychotherapeuten ihre Patienten am eventuellen Nutzen einer Psychopharrnakotherapie teilhaben lassen können. Ein Teil der Aversionen von Psychotherapeuten gegen die Pharmakotherapie hat wohl damit zu tun, dass sie wenig von ihr wissen und mit ihr wenig oder keine Erfahrungen haben, weil viele ihrer Patienten eben ohne Psychopharmaka gut behandelt werden. Entsprechendes gilt nicht nur für Psychologen, sondern auch für viele Fachärzte für Psychotherapeutische Medizin, für Allgemeinpraktiker, Frauenärzte oder Internisten mit psychotherapeutischem Zusatztitel. Liegen Psychotherapie und Pharmakotherapie in einer Hand, was bei psychotherapeutisch tätigen Psychiatern meist der Fall sein dürfte, kann es zu Schwierigkeiten kommen, die in den Unterschieden der beiden Rollen begründet liegen. Beide wirken auf den Patienten auf verschiedenen Wegen ein. Die dabei auftretenden Schwierigkeiten werden aber oft überschätzt. Bei psychoanalytischen Therapien erscheint es mir am ehesten notwendig, Psychotherapie und Psychopharmakotherapie von zwei verschiedenen Personen durchführen zu lassen. Von A. Freud wird berichtet, dass sie einen ihrer Analysepatienten durch einen Psychiater psychopharrnakologisch mitbehandeln ließ - mit einem günstigen Ausgang. A. Freud als Nichtärztin blieb, wenn sie eine Psychopharmakotherapie für notwendig hielt, auch gar nichts anderes übrig. Ich meine aber, dass die in Psychoanalysen auftretende Regression es dem Patienten erschweren kann, den Analytiker als jemanden, der ihm auch ein Medikament verschreibt, real zu beurteilen. Die in jeder Analyse auftretenden regressiven Übertragungen können die Compliance stören. Natürlich können aggressive Übertragungen auch vom Psychotherapeuten auf den Pharmakotherapeuten verschoben werden. Das kann der Psychoanalytiker dann aber bearbeiten, wenn er davon erfahrt, wie es überhaupt leichter sein kann, einem Patienten plausibel zu machen, dass es sich um Übertragung handelt, wenn derjenige, der es ihm sagt, nicht derjenige ist, dem die Übertragung gilt. Das Bearbeiten einer Verschiebung führt zwar nicht automatisch dazu, dass die aggressiven Übertragungen nun auf den Psychotherapeuten gerichtet werden, dem sie ursprünglich galten. Meist sind sie
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aber schon an der anderen Person ein Stück weit bearbeitet worden, und wenn der Analytiker die Verschiebung anspricht, lässt das den Patienten hoffen, dass er bereit ist eine eventuelle aggressive Übertragung auszuhalten. Das Bearbeiten der Verschiebung kann dann mit einem Auflösen der aggressiven Übertragung einhergehen. Die Berichte über positive Auswirkungen einer Kombination von Psychotherapie und Psychopharmakotherapie nehmen zu. BATEMAN und HOLMES (1995) nennen in einer Übersicht u.a. KARAsu (1982), LOEB jLoEB (1987), WYLIE jWYLIE (1987), ROBBINS (1992) und JACKSON (1993). RÜGER hat in Deutschland schon 1979 auf die Möglichkeit einer Kombination von Psychotherapie und Psychopharmakotherapie hingewiesen. Patienten, die zum Spalten neigen, können die Psychotherapie als gut und die Pharmakotherapie als böse erleben oder umgekehrt. Das kann nicht immer leicht und rasch bearbeitet werden.
Der Einfluss der Persönlichkeitsstruktur des Patienten und des Arztes auf den Umgang mit Psychopharmaka Die Persönlichkeit eines Psychiaters oder Psychotherapeuten, seine Ausbildung, Erfahrungen mit psychisch Kranken in der eigenen Familie und auch eigene Erfahrungen mit Psychopharmaka können die Einstellung Medikamenten gegenüber erheblich beeinflussen. In besonderem Maße gilt dies für das Einschätzen der Gewöhnungs- oder Suchtgefahr. Eigenes süchtiges Verhalten (Essen, Trinken, Zigaretten) kann die Gewöhnungs- oder Suchtgefahr bei einem Psychopharmakon unterschätzen aber auch überschätzen lassen; Letzteres besonders dann, wenn jemand sich zum Beispiel das Rauchen abgewöhnt hat oder es ihm mit Mühen gelungen ist, seinen Nahrungsmittel- oder Alkoholkonsum einzuschränken. Beim Einfluss der Gegenübertragung auf den Umgang mit Psychopharmaka ist zwischen habituellen, oft ideologisierten Einstellungen und übertragungsbedingten Einstellungen zu unterscheiden. Erstere hängen mit dem Charakter zusammen, übertragungsbedingte Einstellungen oft mit unmittelbaren Erfahrungen in der eigenen Familie. Ärzte, deren Kinder Probleme mit Drogen haben, werden vielleicht
Der Einfluss der Persönlichkeitsstruktur ... auf den Umgang mit Psychopharmaka
auch den Psychopharmaka gegenüber zurückhaltender eingestellt sein - vor allem natürlich dann, wenn ein Suchtpotenzial bekannt ist, wie bei den Benzodiazepinen. Ein Kollege, der mit der Lithiumprophylaxe bei einer bipolaren Störung so zurückhaltend war, dass ich mir das rational nicht erklären konnte, sagte mir später einmal, dass seine eigene Mutter an einer bipolaren Störung gelitten hatte und dass sie, in den Frühzeiten der Lithiumprophylaxe, sehr unter den Nebenwirkungen leiden musste, worunter dann auch die ganze Familie gelitten habe. Der Gedanke, von einem Medikament abhängig zu sein, ist vielen Menschen schwer erträglich. Das ist sicher auch ein Grund für die schlechte Compliance bei Dauermedikationen. Die Patienten sagen, dass es ihnen lästig sei, die Medikamente einzunehmen; lästig ist ihnen das Gebundensein an die Einnahme. Die Angst vor Kontrollverlust spielt deshalb eine Rolle, weil jener psychotrope Stoff, mit dem die meisten Menschen Erfahrungen gemacht haben, der Alkohol, in geringen Dosen beruhigen, in größeren aufmuntern und in noch größeren Dosen zu einem Kontrollverlust mit Gewalttätigkeiten oder enthemmtem sexuellem Verhalten führen kann; in noch höheren Dosen zu einem narkotischen Zustand, in dem der Betreffende das Bewusstsein verliert. Ein psychotroper Stoff, dessen Wirkung in geringen Dosen als angenehm empfunden wird, führt schließlich zu einem Verlust der Selbstbeherrschung und eventuell auch des Bewusstseins. Wer bei psychotropen Substanzen ein solches Modell vor Augen hat, wird sie mehr fürchten als jemand, der sich schlicht auf den Standpunkt stellt, dass ein jedes Medikament eine optimale Dosis hat, die nicht überschritten werden sollte. Eine Aversion gegen Psychopharmaka hat häufig auch etwas mit Purismus und mit Askese zu tun. Puristisch eingestellte Psychoanalytiker lehnen eine gleichzeitige Psychopharmakotherapie eher ab als Psychoanalytiker, die ihr methodisches Vorgehen den Patienten anpassen und nicht umgekehrt nach Patienten suchen, die für eine Behandlung nach ihrer Methode geeignet sind. Eine solche Einstellung ist im Übrigen auch von der Versorgungslage in der Region abhängig, in der der Psychoanalytiker praktiziert.
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Eine Neigung zur Askese fmdet man bei Menschen in den verschiedensten helfenden Berufsgruppen, oft in Verbindung mit einer depressiven Persönlichkeitsstruktur. Man darf es sich nicht zu leicht machen. Diese Haltung hängt mit der generellen Genussfeindlichkeit depressiv Strukturierter zusammen. Aber auch schizoide und zwanghafte Menschen können asketisch sein, weil sie meinen, dass der Mensch sich auf das Wesentliche konzentrieren und auf sein eigenes Wohl nicht zu sehr bedacht sein sollte, wie das viele Schizoide meinen, oder weil sie Genuss mit Unordnung und Chaos verbinden, wie viele Zwanghafte. Es gibt Menschen, die Wert darauf legen viel auszuhalten. Im Leiden selbst liegt schon ein Verdienst, und wer Leiden in Kauf nimmt, um gesund zu werden, ist verclienstvoller als jemand, der Leiden umgeht. Ein therapeutisch Tätiger kann diese Einstellung haben und sie auch von seinen Patienten verlangen. Er wird ihnen dann Medikamente vorenthalten wollen, die dem Patienten das Leben und auch eine Therapie leichter machen. Bei der Einnahme von Medikamenten wirkt sich eine Beeinträchtigung der kognitiven Funktionen aus, so führt eine Beeinträchtigung der Merkfähigkeit bekanntlich zu unregelmäßiger Einnahme. Aber auch jemand, dessen Merkfähigkeit ungestört ist, kann vergessen, ob er ein Medikament eingenommen hat oder nicht. Das hängt damit zusammen, dass routinemäßige Vorgänge nach ihrer jeweiligen Durchführung oft nicht mehr als Einzelereignisse erinnert werden können. Der Betreffende weiß, dass er ein Medikament dreimal am Tag einzunehmen hat, er weiß aber nicht, ob er es wirklich genommen hat. Bei Medikamenten, die nur einmal pro Tag eingenommen werden sollen, hilft die Bezeichnung der Wochentage auf der Verpackung. Es gibt aber auch persönlichkeitsspezifische Gründe, ein Medikament nicht oder nicht regelmäßig einzunehmen, die etwas mit dem Symbolcharakter zu tun haben, den ein Medikament für den Betreffendenhat. So kann ein schizoider Mensch die paranoide Befürchtung haben, durch das Medikament vergiftet zu werden. Diese Befürchtung entspricht der paraooischen Vorstellung eines Schizophrenen, er werde vergiftet, zum Beispiel durch etwas, das ihm ins Essen gemischt wird.
Der Einfluss der Persönlichkeitsstruktur ... auf den Umgang mit Psychopharmaka
Die paranoide Befürchtung unterscheidet sich von einer paranoischen Befürchtung nur graduell. Sie kann sich zum Beispiel auf schwere Nebenwirkungen beziehen, die befürchtet werden, obwohl sie nicht eintreten würden; geringe Nebenwirkungen, die von anderen toleriert würden, dienen dann als Bestätigung dafür, dass die Befürchtung berechtigt sei. Ein narzisstisch strukturierter Patient kann es als Kränkung empfinden, dass er von der Einnahme eines Medikaments abhängig ist. Zu seinen Omnipotenzphantasien gehört die völlige Gesundheit. Solche Patienten leugnen zum Beispiel nach einem Herzinfarkt, dass sie an einer koronaren Herzkrankheit leiden; im Bereich der Psychiatrie leugnen sie die durchgemachte psychotische Episode oder Phase. Sie waren krank, aber das ist vorbei; jetzt wird ihre gesunde Konstitution sie davor bewahren, wieder zu erkranken. Die Einnahme des Medikaments würde sie daran erinnern, dass sie noch nicht völlig gesund sind. Depressiv strukturierte Patienten sehen die Tablette als ein Mittel der oralen Versorgung, das sie positiv bewerten können. Sie können die Tablette aber auch negativ bewerten, wenn sie eigentlich etwas anderes möchten, zum Beispiel, dass man sich mehr um sie sorgt und kümmert; durch die Gabe eines Medikaments fühlen sie sich dann ,>abgespeist•. Andererseits kann ein Medikament symbolisch für den Arzt stehen, der sie in der Tasche oder Handtasche begleitet und ihnen Tag und Nacht ununterbrochen zur Verfügung steht. Bei zwanghaft strukturierten Patienten kann es Probleme damit geben, dass sie durch die Unsicherheit, ob sie ein Medikament eingenommen haben oder nicht, beunruhigt werden; ähnlich wie sie nicht sicher sind, eine Tür abgeschlossen oder ein elektrisches Gerät ausgeschaltet zu haben. Der phobische Patient kann ein Medikament zu einem steuernden Objekt machen, das ihn beispielsweise daran hindert, auf der Straße in einen Angstzustand zu geraten: Das Medikament kann dann eingenommen werden. Es gibt Angstkranke, die ein Medikament immer bei sich führen, ohne es je einzunehmen. An sich ist das nicht schädlich, daraus können sich aber Schwierigkeiten bei der Beurteilung eines Behandlungserfolges oder der Schwere einer Erkrankung erge-
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ben. Der beurteilende Arzt meint, die Panikanfalle seien gebessert, statt dessen ist der Rückgang auf ein Medikament zurückzuführen, das zwar nicht mehr genommen, aber doch mitgeführt wird. In das Krankenhaus mitgebrachte Medikamente können so die Durchführung eines Angst-Expositionstrainings erschweren; der Patient hat weniger Angst, als er sonst hätte, oder es werden ihm Aufgaben gestellt, die er ohne das Medikament nicht bewältigen könnte. Steht dem Patienten das Medikament nicht mehr zur Verfügung; weil man es ihm doch weggenommen hat oder weil es aufgebraucht ist, kommt es zu Angstzuständen, die die Behandlung zurückwerfen. Ist die gesamte Behandlung unter dem "Schutz< des Medikaments durchgeführt worden, wird der Patient entlassen und gerät er an einen Arzt, der ihm das Medikament nicht mehr verschreibt oder verbraucht er es, weil die Entlassung die Angstzustände vorübergehend verstärkt hat, kann der nachbehandelnde Arzt den Eindruck bekommen, die ganze Therapie habe nichts genützt. Hysterische Patienten neigen zur unverlässlichen Durchführung von Routinemaßnahmen, zu denen das tägliche Einnehmen eines Medikaments ja gezählt werden kann. Sie lassen sich leicht ablenken und vergessen deshalb das Einnehmen. Bei hysterisch strukturierten Patienten kommt es auch häufiger als bei anderen vor, dass sie von der Persönlichkeit irgendeines "Wunderheilers« beeindruckt werden, der ihnen sagt, dass sie aufMedikamente verzichten sollen oder der ihnen einen Ersatz bietet, der deshalb eine starke Placebowirkung entfaltet, weil die Persönlichkeit des Heilers eindrucksvoll ist. Eine Fixierung in der Adoleszenz, die nicht aufgelöst wurde, ergibt oft Autoritätskonflikte mit den Personen in einer Autoritätsposition; auf Unterschiede zur Zwangsstruktur wird in diesem Buch an anderer Stelle eingegangen. An sich kann es für den Betreffenden nützlich sein, seine adoleszenten Konflikte an Elternersatzpersonen abzuarbeiten, um so zu größerer Selbstständigkeit zu gelangen, indem er dadurch von Autoritätspersonen schließlich unabhängiger wird, wie dies ja auch dem normalen Ausgang der Beziehung eines Adoleszenten zu den Eltern entspricht. Für eine ungestörte Patient-Arzt-Beziehung schaffen die Konflikte aber keine günstigen Voraussetzungen. So kann ein Patient Spaß daran haben, ärztliche Anordnungen zu
Der Einfluss der Persönlichkeitsstruktur ... auf den Umgang mit Psychopharmaka
umgehen, wozu eine Medikation, aber auch die Verordnung einer Diät oder einer Abstinenz von einem Suchtmittel gehört, besonders was den Alkohol angeht. Das gilt auch für Patienten, die kontrolliert trinken können, auf Alkohol aber verzichten sollen, weil Alkohol die Wirkung des Psychopharmakons, das sie einnehmen sollen, in schwer einschätzbarer Weise verstärken kann. Der in der Adoleszenz Fixierte wiederum sieht eine Einschränkung, die für ihn die Bedeutung hat, dass er daran gehindert werden soll, sich wie ein normaler erwachsener Mensch zu verhalten, der Alkohol trinken kann und ihn auch verträgt. Die Persönlichkeit spielt selbstverständlich auch bei der Einstellung eines Arztes gegenüber Medikamenten eine Rolle, die bei einem bestimmten Krankheitsbild in Frage kommen. Hier geht es um die Folgen, die ein Medikament für einen Patienten haben kann. Schizoide Ärzte können sich davor scheuen, einem Patienten ein Medikament zu geben, weil sie wie der Patient aus einer paranoiden Einstellung heraus die Wirkung eines Medikaments auf sich selbst negativer sehen würden, als es den tatsächlich zu erwartenden Wirkungen und Nebenwirkungen entspricht. Narzisstische Ärzte, die auf das klare Funktionieren ihres Verstandes große Bedeutung legen und ihren Wert als Person damit verbinden, haben oft eine große Abneigung dagegen, ein Medikament zu verschreiben, das sediert und dadurch den Gedankenfluss hemmt. Hier ist es wie fast überall ungünstig, bei der Beurteilung der Lage eines Patienten davon auszugehen, wie man selbst in dessen Lage erleben würde. Vielmehr geht es darum, sich vorzustellen, wie ein Patient sich einstellen würde, der unter seinen Symptomen leidet und die Sedierung als ein geringeres Übel akzeptieren würde. Die Vorstellung, selbst krank zu sein, ist für viele narzisstisch strukturierte Ärzte ein Greuel, was sie daran hindert, sich in die Rolle eines Kranken einzufühlen. Andere narzisstische Ärzte erleben das Medikament als ein Wundermittel, das ihre eigenen Kräfte verstärkt und sie zu einer Art Wunderheiler macht. Die Vorstellung, es könne ein Medikament geben, das fast magische Wirkungen entfaltet, ist in der Medizin sehr verbreitet. Ein Psychopharmakon hat aber keine heilende, sondern nur eine
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Psychopharmaka
symptomdämpfende Wirkung, auch wenn es kausal an den gestörten Prozessen im Gehirn eingreift. Hat der Arzt die Phantasie, das Psychopharmakon als eine Art Wundermittel einzusetzen (im Englischen spricht man von »magie bullet«, also einem Zaubergeschoss), kann ihn das veranlassen ein Medikament einzusetzen, wo eine psychotherapeutische Arbeit mit dem Patienten zwar mühsamer wäre, am Ende aber mehr bewirken könnte, zum Beispiel eine dauerhafte Besserung, die nicht von einer Weiterführung einer Therapie abhängig ist. Eine ähnliche Problematik kann man bei hysterisch strukturierten Ärzten finden, die durch rasche Erfolge fasziniert werden: Durch einen geringen Einsatz, das Ausstellen eines Rezeptes, wird viel bewirkt. Depressive Ärzte haben oft Schwierigkeiten damit, sich gegen die Wünsche eines Patienten nach einem Medikament abzugrenzen. Orale Versorgung ist ja etwas, das ihre Beziehungen auch im Privatleben charakterisiert: Sie möchten sich entweder versorgen lassen oder andere versorgen. Entsprechend schwer rallt es ihnen, Versorgung zu verweigern. Das gilt entsprechend für Schwestern und Pfleger, die darauf zu achten haben, ob der Patient diätetische Anordnungen einhält. Zwanghafte Therapeuten haben oft sehr feste Meinungen über die Art des Medikaments, die bei einem bestimmten Krankheitsbild angezeigt sei. Weist ein Patient sie darauf hin, dass er ein Medikament nicht verträgt, ärgert sie das (den narzisstischen Arzt kränkt es). Sie wollen mit ihrer Verordnung recht behalten; und dies auch dann, wenn es sich als zweckmäßig herauszustellen scheint, dem Patienten ein anderes Medikament zu verordnen. Außerdem sehen sie ein Medikament leicht als ein Mittel, Macht über Patienten zu gewinnen oder zu verstärken. Da sie durch Willkürhandlungen von Patienten besonders stark beunruhigt werden, neigen sie zur Verordnung ruhigstelIender Medikamente. Weil sie eine besondere Angst vor unvorhergesehenen Ereignissen haben, wozu natürlich Unfalle gehören, sind sie bei der Befürwortung einer Fahrerlaubnis besonders zurückhaltend; wohl auch dann, wenn die Verweigerung der Fahrerlaubnis schwere Folgen für die berufliche Arbeit eines Patienten haben wird und die Wahr-
Der Einfluss der Persönlichkeitsstruktur ... auf den Umgang mit Psychopharmaka
scheinlichkeit, das Medikament könnte zu einem Unfall führen oder zumindest dazu beitragen, sehr gering ist. Sie wollen immer auf der sicheren Seite sein. Phobische Ärzte scheuen sich davor, ihrem Patienten gegenüber eine Linie zu vertreten, die sie in Konflikte bringen kann. Diese Befürchtung teilen sie mit depressiven Ärzten, die es sich mit dem Patienten nicht "verderben,< wollen. Die depressiv Strukturierten fürchten, dass der Patient sie nicht mehr mag, sich von ihnen abwendet und sich einem anderen zuwendet. Der phobische Arzt scheut den Konflikt an sich. Er hat ein großes Harmoniebedürfnis und neigt deshalb dazu, den Forderungen oder den Weigerungen eines Patienten nachzugeben. Vorschläge des Patienten, die Medikation zu wechseln oder etwas anderes auszuprobieren, greift er auch dann auf, wenn die Gründe dafür mehr in der Vermeidung eines Konfliktes liegen als darin, dass das Medikament wirklich geeigneter sein könnte. Phallisch-narzisstisch strukturierte Ärzte geben dem Medikament oft eine phallische Bedeutung. Der Wunsch, als ein potenter Heiler anerkannt zu werden, hat im Umgang mit dem Patienten die Gestalt des Wunsches, jemand zu sein, der über ein potentes Mittel verfügt, das den Zustand des Patienten verändert - eine Art "Zauberstab,<. Es soll eine Berührung genügen, um Großes zu bewirken. Die Verordnung hat dann den Symbolcharakter einer Berührung mit einem solchen I)Zauberstab«. Eine Ärztin, die in ihren weiblichen Eigenschaften bestätigt sein möchte, mag dies über eine besonders positive Patient-Arzt-Beziehung erreichen wollen, die sie zu bewirken strebt. Zum Konzept der attraktiven Frau gehört aber auch, dass sie durch Freundlichkeit ',verführen,< kann. "Verführt,< die Ärztin den Patienten nicht dazu, das Medikament zu nehmen, heißt es, dass dieser ihre verführende Kraft nicht auf sich wirken lässt oder diese gar nicht wahrnimmt. Im Umgang mit Frauen kommt dann oft die bei diesen Ärztinnen nicht seltene negative Beziehung zur Mutter ins Spiel; sie war ein Grund, warum sie sich vorwiegend mit dem Vater identifiziert haben und deshalb in einem eher männlichen Sinn phallisch-narzisstisch sind. Dass hysterisch strukturierte Ärzte dazu neigen, rasche Erfolge besonders hoch zu bewerten, wurde schon erwähnt. Für sie bedeutet
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der rasche Erfolg durch das Geben eines Medikaments Positiveres als der ferner liegende bleibende Erfolg, der durch eine Psychotherapie erreicht werden kann. All diese Hinweise können natürlich nur andeuten. Sie sollen vor allem eine Hilfe dazu sein, das Einnahmeverhalten der Patienten und eigene Verordnungsverhalten selbstkritisch zu überprüfen. Diese Hinweise sollen aber auch dazu dienen, ideologische Verhärtungen in Frage zu stellen, die man oft findet, wenn es um Diskussionen über Psychopharmaka geht.
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Register
Anorexia nervosa, erbgenetische Komponente 130 Antworten 13,30
A
Abwehrlehre 16 Abwehrmechanismen 16, 47f., 49, 60,75,122 Abwehrmechanismen -im Traum 97 - und Persönlichkeitsstrukturen 95ff. - und Unbewußtes 92ff. Abwehrphänomene 21 Adoleszenz, Fixierung und Psychopharmaka 182f. Affekte 27f. Affektklarifizierung 13 Affekttoleranz 138 Aggressive Impulse 52 AUtagshermeneutik 38, 132 Alte Menschen -als Konkurrenten 153f. - Empathie mit Schwächen 158 - Identifizierung mit ihnen 159 - ihre Übertragungen 161 -in Gruppentherapien 160f. - Merkfahigkeit 157 - Pflegepersonen als deren Eltern 159 - Ressoucen 160 Alter und Leugnen 154 Altersheim 156f. Alterskonkurrenten 153f. Alterssexualität 160
Altruistische Abtretung 96 Anamnese 121,129 Angst 13,21,25,52,79 Ängste psychisch Kranken gegenüber 134
Arbeit 74 - und Lebensalter 150 - Bewertung 149f. Arbeitsbeziehung 61,83ff. - bei idealisierender Übertragung 86f. - bei initialer negativer Übertragung 86 - defwert aufArbeitsweise hin 85 - heuristischer Wert des Konzepts 84f. Arbeitsbeziehungen in Gruppen 84f. Arbeitsbündnis 83ff. Arbeitsfahigkeit 36 Arbeitsstörung 104 - zwanghafte 46 Assozüeren, freies 65 f. Aufnahmepflicht 167 Ausdrucksverhalten 24f. Austauschbarkeit von Menschen 44 B
Beherrschtsein oder beherrschen 43 Belastbarkeit 168ff. Belastungen der Therapeuten 167 ff. Berentung 150f. Bewusstes 21,26 Bewusstes wie Computerbildschirm 93 Bewusstseinsinhalte - emotionale 20f. - kognitive 20f. Beziehungen, gegenwärtige 17) 123 Beziehungsängste 15 Beziehungsformen, zeitliche Abfolge 74 Beziehungsprobleme 82 Beziehungswünsche 14f., 62 -zentrale 43
Register
BipolareStörungen 131
Blinde Flecken 82,114 Borderline 11,30,62,72,95,130,
138,166,176 Bummeln 45 Burnout 167ff.
Empathiefehler 61 Entidealisierung 103 Entwertung 47 Entwicklungspsychologie,
psychoanalytische 38ff. Entwicklungsstadien, frühe 39
C
Erbe-Umweltproblem l30f.
Charakter 75
Erinnerungen - bewusste 16 - unbewusste 16 Erinnerungsspuren 16, 59
- als Folge von Fixierung 74f.
-und Psychose 75f. - depressiver 17 - zwanghafter 17 Charakterologie, psychoanalytische
17 Charaktersymptome 125 Charakterzüge 73ff. Chef 25 Compliance 32,36,85 Coping 17,129, 146ff. Couch 18 Couch-Sessel-Situation 7 D
Dankbarkeit, Alten gegenüber 156 Depressiv sein 13 Determinanten, unbewusste 32 Deuten 19f. -Faszination 31 Diagnostik - deskriptive 35 - phänomenologisch orientierte 35 - psychoanalytische Gesichtspunkte
121 ff. Diagnostikmanuale 35 !>Dicke Hauh 76 Dominanz 52
Don]uan 50 DSM1V 17,35 Dyadische Fixierung 41 E
Ehekonflikt 27
Erleben der Eltern 129f. Erstgespräch mit Familienan-
gehörigen 132 Erstinterview 121
Es 16ff.,54 EthischeFragen 140 F
Faeces 45 Familiarität 71
Fehlleistungen 93 Fixierung 42f. Fremdheitsgeftih1e psychisch Kranken gegenüber 136 Frühstörungen 26 Frustrationsaggression 37 Funktionale Zusammenhänge 35 Funktionszusammenhänge 54 G
Gattungsobjekte 69 Gegenübertragung 11ff., 67ff., 76ff. - und Charakter 80 - Kategorien 77 f. - Lackmustheorie 77 - Lebensgeschichte 15 -störende 82f. - totalistisches Konzept 77 Gegenübertragungsanalyse 8,
32,77ff. Gegenübertragungsdiagnostik 79
193
194
Register Gerontopsychiatrie 152ff.
Geschlechtseigenschaften 43 Geschlechtsidentität 51 Geschlechtsunterschiede 38 Gesprächspsychotherapie 31 f., 66
Impulskontrolle 138, 176 Indikation, Verantwortung dafür 164f. Infantile Wünsche 68 Inhalte, unbewusste 22
Gesprächspsychotherapie 66
Instanzen 59
Gewalt 133, 138ff. Gewalttaten, schwer nachvollziehbare Motive 133f. Größenselbst 103f. Grundregel 23,65 Gruppenpsychotherapie 107 Gruppentherapie 41, 107
Intellektualisieren 67 Intelligenzfunktionen 129 Interpretation, diagnostische 12 Interventionstechnik, psychoanalytische 12 Introjektion 47 Inzesttabu 51 Isolierung aus dem Zusammenhang 45f., 97, 108ff. Isolierung vom Affek 45,96f.
H
Hausordnung 37 Heilige und Dirnen 50 Hierarchie 165 Hilfsich-Funktion 28f. Homosexuelle Impulse 52 Hospitalismus 162 I
ICD-1O 17,35 Ich 16ff.,54 -sthenische Funktion 121 Ich-Funktionen 16,27,131 - Training 28 Ich-Grenzenf43 Ich-Ideal 54 Ich-Stärke 26ff., 32, 55 Ich-Stärke und Konflikte 27 Ich-Psychologie 57ff. Ich-Schwäche 26ff.,95,131,170 Idealisieren 28,47,103 Idealisierung als Übertragungswiderstand 119
Identifizierung 39 Identifizierung mit dem Angreifer 96 Ideologien und Lebensweise 149 Impulse, sadistische 46
K
Katharina, Patientin FREUDS 14 Katharsis 14,65 Kibbuz 40f. Kinder, undankbare 157 KlarifIzieren 12, 31 Konfrontation 12,24f. Kontinuität des Handelns 46 Kontraphobisches Verhalten 26 Kontrolle 52 Kontrollzwänge 46,147 Krankengeschichten, FREuo'sche Bf. Krankheitsgewinn - primärer 54ff. -sekundärer 55ff. Krankheitsprognose 132 Kränkungen 15lf. Kummerkastentante 36 L
Lebensqualität 149 Leidensdruck 113 f. Leugnen - und Informationsmangel 101 f. -und Subjektivität 102
Register
-und Wahngewißheit, Unterschiede
101 Leugnung 48f, 95f., 99ff., 137 - und Sozialpsychiatrie 101 Liebesübertragung 119f. Lücke 94 M
Macht 52, 138ft. Märchen 72 Matrioschka 59 Medikamente 32 Mehr-Personen-Beziehungen 40ff" 51, Menschenverstand, gesunder 36 Mitleid 75 Monosymptomatik 125 Mutter beim Vater verdrängen 50 Mütter Typ A 53 MütterTypD 53f.
Ödipale Liebesübertragung 70 Ödipaler Konflikt 38f. Operationalisierte psychodynamische Diagnostik(=PD) 17 Optimisten 100f. Orales 43ff Ordnung 45 p
Paranoide Symptomatik 31 Partner 37 Patient als halboffenes System 89 Patienten - schizophrene 31 - ihr realistischer Protest 85 - schwierige 37 Persönlichkeitsmerkmale 81 f. Persönlichkeitsstörungen 17 Persönlichkeitsstruktur - des Therapeuten und PsychoN pharmaka 178ff. Neuroleptika, atypische 163 -depressive 44,169,180 Neutrales Verhalten 61 - depressive und Psychopharmaka Nicht-Können und Persönlichkeits181,184 struktur 117ff. - hysterische 169 Nicht-Wollen und Nicht-Können 116 - hysterische und Psychopbarmaka Normenunterschiede 182ff.,186 Krankenhaus/Alltagsleben 152 -narzisstische 43,158,169 Notizen nach der Stunde 66f - narzisstische und Psychopharmaka Nottermine 167 181 ff. o -phallisch-narzisstische 49ff. Objekt - phallisch-narzisstische und - böses 81,138 Psychopharmaka 185 -inneres 16 -phobische 52f., 158, 181, 185 -unbegrenzt gebendes 44 - und Psychopharmaka 181 f., 185 Objektbeziehungstheorie 16, 59ff. - Entstehung 53f. Objekte - soziale Kompetenz 54 -gute 138 -schizoide 43,95, 169f., 170, 180 -gute und böse 7lf. - und Psychopharmaka 18Of., 183 -unreife 7lf. -zwanghafte 45,158 Objektrepräsentanz 16,59 -und Psychopharmaka 181ff.,I84f.
195
196 Register Pessimisten 100f.
Pharmakotherapie 11, 164 Placebo 175 Plausibilität 29f. Polysymptomatik 125 Präsenz, ständige 69 Primärpersönlichkeit 36 Probebehandlung 121 Probedeutung 122 Probleme bei der Einschätzung psychischer Erkrankungen 148 Projektion 21,29,45,47, 110ff. Projektion aus den Instanzen 110 Projektionsauslöser 1l0f Projektive Identifizierung 30,80,
11 Off., 168 Psychiater - depressiv strukturierte 142ff. - hysterisch strukturierte 144f. - phobisch strukturierte 143 f. - schizoid strukturierte 141 f. - zwanghaft strukturierte 143 f. Psychiatrie
- biologische 35f. -forensische 138f.,140 - kustodiale und Sadismus 145 Psychiatrischer Facharzt 115 Psychische Krankheiten verheimlichen 146f. Psychische Prozesse, biologisches Substrat 37
Psychischer Apparat 54 Psychoanalyse - heute 13 ff. - und empirische Forschung 107 - Defmition Definition 36 - ichpsychologisch-ob;ektbeziehungstheoretischer Ansatz 57 ff.
-wilde 12
Psychoanalytisch interaktioneUe - Methode 28f. - Therapie 11,28f. Psychoanalytisches Arbeiten 18ff. Psychopharmaka 8, 12,35,76,85, 124,133(,139f.,163,173ff. - und Gegenübertragung 178 -und Hausärzte 173 -undKontrollverlust 179 - und Persönlichkeitsstruktur des Patienten 178ff. - Dosierung 173f. - missbräuchliche Anwendung 173f. -Purismus und Askese 179 -Symbolwert 175 Psychose, paranoide schizophrene 31 Psychosen, Therapie 11 Psychosomatik und Psychotherapie, Unterricht 18f. Psychotherapeut und Pharmakotherapeut, Kooperation 176ft Psychotherapie und Psychopharmaka 175ff R
Rationalisierung 98f. Reaktionsbildung 21,46,75 Realitä 14f. Regression 16f,39,74f. Reliabilität 35 Rollenasymmetrie 163 Rollenerwartungen 83 Röntgenblick 111 5
Sadismus 145 Sadistische Impulse 46 Sauberkeitserziehung 45 Säuglingsbeobachtungen 40 Scham 21ff. Schichtenmodell 57, 60 Schuldgefühle 21
Register 197 Selbstanalyse 32,38,81,88 Selbsterfahrung 81, 166 Selbstidealisierung 103f.
Selbstidealisierung von Psychoanalytikern 106f. Selbstobjekte 60f. Selbstpsychologie 60 Selbstrepräsentanz 16,59
- ideale 103f. Selbstverwirklichung 155 Senioren 153
Sexuelle Beziehungen SI
Sich aussprechen 65 Sicherheitsbedfufnis 71 Solidarität 133 ff. Sonnenuhren 15 Soteria 173 Soziale Mobilität 148f. Sozialprognose 132 - bei Schizophrenen 146
Sozialpsychiatrische - Angebote 37 - Maßnahmen 8, 19 Spaltung 98, 108f. Spiegelmetapher 82 Stillen, umempathisches 45
Therapeut,Idealisiernng 72,105f. Therapeutische Gemeinschaften 162ff. Therapien, fokussierte 122f.
Trainingsverlust im Alter 154 Traum, Arbeitsstörungen beim Bearbeiten 89f.
Trauma der Geburt 39 Traumanalyse 88ff. Traumatisches Material 66
Träume des Psychiaters von Patienten 90f. Trennungen 47 Triebtheorie 62 Trotzphase 52 U
Übereinstimmung, Sehnsucht nach 43 Überfürsorglichkeit 75
Über-Ich 16ff., 54 Über-Ich bei dissozialen Menschen 58 Überlastung durch Organisations-
fehler 169f. Übertragung Ilf., 67 ff. , 75f. -und Charakter, Unterschiede 75f. - interaktioneller Anteil 7lff. -ubiquitäres Phänomen 68
Suizid 137 -und Schuldgefühle 137
Übertragungsaus!öser 60f.} 70, 73f.,
Suizidversuche 137
Übertragungsbedürfnis 61
Supervision 30f. Symbiose, narzisstische 43 Symptom als Kompromiss 55,57
Übertragungsdisposition 68f,81
Symptome 129
Überversorgung 42 f. Unbewusstes 18,21,26 -deskriptives 92
- diagnostische Relevanz 123f.
- häufig nicht angegebene 125 Systemtheorie 8, 54ff. T
Team 30,37 Telefonate 42 Therapeut gespiegelt 72
79f.,85
Übertragungswiderstand 119ff. Übertragungswunsch 69 ff.
Unterschiede, Betronung 43 Unterwerfung 52 V
Verachtung 24 Verdrängen und unterdrücken 93f.
198 Register
Verdrängtes, Wiederkehr 57 Verdrängung 21,48,92 - und frühere Befürchtungen 94f. -undinzesttabu 94 - und Sexualität 94 Verführungstheorie 14 Vergangenheit, Bedeutung 25 Vergessen 45 Verhalten, Auslösepriorität 71 Verhaltensmuster 25,86 Verhaltenstherapie 28 Verlieben aufden ersten Blick 43 Vermeidung 47f.,53 Vernachlässigung 42f. Verschiebung 96, 177 f. -aufdas Kleinere 100 Verschmelzungsängste 41 Versorgt werden 44 Versorgung,orale 43 Verstehen 19ff. Versuchungssituation 52 Verwahrlosung 134ff. Vorbewußtes 92f. Vorbilder, idealisierte 105 VorgeburtlicheZeit 39f. W
Wahnkranke, sozial angepasst 136f. Wahrnehmung, selektive 111 Widerstand 22,26,66, 113ff. -und Selbsterkenntnis 114f. - und therapeutische Methode 115 f. Wiederholungen, diagnostische Relevanz 123 Wiederholungszwang 71 Z
Zeugenaussagen 15 Zielsymptome 36 Zombies 173 Zukunft haben 156 Zuspätkommen 19f.
Zwangseinweisung 139 Zwangserkrankungen, erbgenetische Komponente 130 Zwangsimpulse 45f. Zwangsmedikation 133,140 Zwangsvorstellung 45f. Zwei-Personen-EeziehWlgen 40ff.
Der Autor
Karl König, Univ. Prof. Dr. med., Jahrgang 1931, Facharzt für Psychotherapeutische Medizin und Innere Medizin, ist Lehranalytiker und Supervisor am Lou-Andreas-Salome-Institut für Psychoanalyse in Göttingen. Er war Vorsitzender dieses Instituts und Leiter der Abteilung rur Gruppenpsychotherapie an
der Universität Göttingen. Er ist Mitherausgeber von Fachzeitschriften in Deutschland und Mitglied des Beratergremiums von Fachzeitschriften in England, den USA und Argentinien. Zahlreiche Artikel in Fachzeitschriften. Mehrere seiner Bücher wurden ins Englische, Koreanische und Russische übersetzt.
Arbeitsgebiete: Allgemeine und spezielle Krankheitslehre; einzel-, paar- und gruppentherapeutische Behandlungstechnik; Teamsupervision.