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DDr. Peter Geißler Psychoanalytischer Psychotherapeut, Neu-Oberhausen bei Wien, Österreich
Prof. Dr. Günter Heisterkamp Psychoanalytiker, Ratingen, Deutschland
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Unseren beiden Frauen
Vorwort Von Peter Geißler und Günter Heisterkamp Nach einer längeren Geschichte, die bis in die Anfänge der Psychoanalyse zurück reicht, befindet sich die gegenwärtige Psychoanalyse immer deutlicher vor einer historischen Entwicklungsaufgabe. Die zunehmende Beachtung des Handelns, die Umdeutung des Agierens, die Beschäftigung mit Gegenwartsmomenten und mit atmosphärischen Bedingungen der Behandlung sowie die zunehmende Beachtung relationaler bzw. intersubjektiver Auffassungen der PatientTherapeut-Beziehung heben immer klarer ein aktuelles Problem hervor, nämlich die unmittelbaren Wirkungszusammenhänge zwischen Patient und Therapeut tiefenpsychologisch zu erfassen. Das vorliegende Lehrbuch dient der Annäherung an dieses Problem. Es setzt sich zum Ziel, die körperliche Dimension im Wirkungsgeschehen zwischen Patient und Therapeut psychoanalytisch und psychotherapeutisch zu erschließen. Der Kern bisheriger Theorie und Methode, nämlich Übertragung und Gegenübertragung, ist davon in doppelter Weise betroffen: Zum einen erweitert sich der Fokus über das dynamische Unbewusste auf das prozedurale Unbewusste, und zum anderen wird die nachzeitliche Analyse des Erlebten um die Erfassung unmittelbarer Wirkungszusammenhänge ergänzt. Diese beiden Erweiterungen tangieren alle tradierten Grundbegriffe und Behandlungsprinzipien der Psychoanalyse und führen naturgemäß zu vielen Unsicherheiten, Kontroversen, aber auch zu vertieften Klärungen und neuen Entdeckungen. In diesem Buch nehmen sich namhafte Psychotherapeut/Innen und Psychoanalytiker/Innen dieser historischen Entwicklungsaufgabe der Psychoanalyse an. Der Fokus liegt ganz im praktischen und behandlungstechnischen Vorgehen. Auf eine ausführliche historische Darstellung der Vorläufer einer solch erweiterten Psychoanalyse – wie Ferenczi, Balint, Winnicott und Reich – wurde verzichtet; wir verweisen diesbezüglich auf andere einschlägige Arbeiten (Geißler 1996/1997, 1997c, 2000c, 2001a; Haynal 2002; Heisterkamp 2003b, 2004b; Lorin 1983; Moreau-Ricaud 1992; Nagler 2005; Scharff 1995a, 1995b; Wittenberger u. Tögel 1999). Die Autorinnen und Autoren führen die Leser des vorliegenden Buches an zahlreichen Beispielen verschiedenster Störungsbilder (siehe Verzeichnis der Beispiele) zu basalen Formen des Gewahrwerdens, Erfassens und Behandelns und nehmen auf ihre Art und Weise und gemäß ihrem Herkommen Bezug auf die sich derzeit stellende Aufgabe, wie die unmittelbaren Wirkungszusammenhänge zu erfassen sind und wie sie für die Behandlungslehre genutzt werden können. Sie haben ihre konzeptuellen Beiträge im Spannungsfeld von Psychoanalyse und Körperpsychotherapie entwickelt, in welchem in den letzen zwanzig Jahren ein Gärungsprozess entstanden ist, von dem Körperpsychotherapeuten und Psychoanalytiker gleichermaßen profitieren. Die-
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Vorwort
ser konnte nur deswegen fruchtbar werden, weil die bislang gültigen methodischen Grenzen in Frage gestellt werden konnten. Diese Infragestellung des bisher Gültigen schließt zwangsläufig Auseinandersetzungen mit ein, die sich in der Vergangenheit in Form sehr kontrovers geführter Debatten ausdrückte (z. B. in der Debatte zwischen Thea Bauriedl und Tilmann Moser Ende der 90er Jahre). Der Mut, aber auch das Wagnis, Tradiertes in Frage zu stellen, Unsicherheiten und Unschärfen zu ertragen, um Neues zu entdecken, zieht sich wie ein roter Faden durch das Lehrbuch und äußert sich u. a. in der Wahl von Begrifflichkeiten. So ist einmal vom Leib und dann wieder vom Körper die Rede. So wird das eine Mal der Handlungsdialog definitorisch eng gefasst und dann wiederum weiter. So ist das eine Mal, wenn von unbewussten Prozessen die Rede ist, psychodynamisches Wirkgeschehen gemeint und ein anderes Mal prozedural-körperliches. Deutlich wird das Vorläufige unseres Anliegens, wenn wir die verschiedenen Versuche einzelner Autoren betrachten, das, was sie tun, begrifflich zu fassen. So sprechen die einen von körperorientierter Psychoanalyse, andere von analytischer Körperpsychotherapie, leibfundierter Psychoanalyse, psychoanalytischer Körperpsychotherapie, psychoanalytisch basierter Körperpsychotherapie oder Körperpsychotherapie analytischer Orientierung. Eine einheitliche Methodenbenennung hat sich bislang nicht durchgesetzt und war auch nicht ein thematischer Fokus dieses Lehrbuchs. Wir stoßen in unserem Gegenstandsbereich, dem unmittelbaren Wirkungsgeschehen zwischen Patient und Therapeut, auf eine weitere Schwierigkeit: Wie ist dieses Geschehen sprachlich treffend zu fassen? Wie Stern (1991, 1992) beschrieben hat, können wir mit Hilfe unserer Sprache die Gesamtwirklichkeit zerteilen, sie kategorisieren und einzelne Teilaspekte immer differenzierter beschreiben. Worte sind geeignet, kategorische Unterscheidungen zwischen Dingen zu treffen (z. B. „groß“ und „klein“), aber sie sind äußerst schwerfällig, wo es um Nuancen in der Grauzone zwischen den Kategorien geht. Gesten können solche Zwischentöne viel besser darstellen, z. B. wenn wir sagen etwas sei „soo groß“ und dabei die Arme ausstrecken, um die gemeinte Größe anzudeuten. Sprache ist langsam, Handlungen in Form von Mimik und Gestik sind dagegen schnell (Stern 1991, S. 120). In einer körperlichen Haltung oder einem einzigen Lächeln verbirgt sich oft eine dermaßen große Fülle an möglichen Bedeutungen, dass wir sie sprachlich nur mühsam und höchstens annäherungsweise erfassen können. Was sich ggf. in einem einzigen gegenwärtigen Moment in verdichteter Form zwischen Patient und Therapeut ereignet, lässt sich oft besser spürend erfassen als sprachlich wiedergeben. Jede methodische Standortbestimmung ist relativ; wir brauchen sie und sind uns zugleich ihrer Vorläufigkeit und Unvollständigkeit bewusst. Wir leben in einem Zeitalter der Lockerung von Grenzen, der Globalisierung, die auch vor unserem Feld nicht Halt macht. Man kann es heutzutage als Standard betrachten, dass ein Psychotherapeut zwar eine Ausbildung in Methode X beginnt, sich dann jedoch selbständig, je nach persönlichem Interesse, weiterbildet und sich in der konkreten klinischen Praxis sowohl in psychologischer als auch personcharakteristischer Weise an die Erfordernisse der jeweiligen Situation und des betreffenden Patienten anpasst. Aus einer patientenzentrierten Perspektive, die z. B. Ferenczi, Balint und Winnicott immer schon im Auge hatten, ist das Erweitern methodischer Grenzen etwas Notwendiges für Entwicklungen. Wer braucht also eine solche klar definierte Methode? Sicher nicht unsere Patienten;
Vorwort
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wenn, dann schon eher die Lernenden, d. h. Psychotherapie-Ausbildungs-Kandidaten, um ein erstes kognitives Gerüst zu entwickeln, das ihnen dabei hilft, sich im komplexen Wirkungsgeschehen zwischen Patient und Therapeut zumindest in erster Annäherung orientieren zu können. Je länger wir als Therapeuten arbeiten, umso deutlicher wird uns allerdings, dass zwischen methodischer Strukturierung einerseits und der lebendigen Wirklichkeit andererseits, die sich nur künstlich zerteilen lässt, ein unauflösbares Spannungsverhältnis besteht. Wir verstehen „Methode“ daher als etwas Flexibles, das sich den Phänomenen, die sich in der Behandlung zeigen, anpasst, und sich im Austausch mit ihnen befindet. Dieser Austausch bedingt, dass bisherige Grenzen psychoanalytischen Denkens möglicherweise überschritten werden können. Wir sind uns dessen bewusst, dass unsere Überlegungen eine ziemliche Bewegung in die psychoanalytische „Gegenstandsbildung“ (Salber 1982) bringen. Die apriorische Festlegung eines Radius für den kreisförmigen methodischen Austausch zwischen Theorie und Phänomenen, der z. B. zwischen „psychoanalytisch“ und „nicht-psychoanalytisch“ unterscheidet, wird von Therapeut zu Therapeut anders ausfallen und ist darüber hinaus auch noch zeitabhängig. Eine solche Dichotomisierung birgt aber auch die Gefahr, das breite Spektrum möglicher Übergangsformen zwischen den fiktiven Grenzen orthodoxer Setzungen und willkürlicher Auslegungen aus dem forschenden Blick zu verlieren. Dieser Übergangsraum bietet aber gerade die Anregungen für die Entwicklung einer psychoanalytisch fundierten und persönlich stimmigen Verfassung als 1 Psychotherapeut bzw. als Psychoanalytiker. Das durchgängige Prinzip der Übergangsformen besteht in der Psychoanalyse der Lebensbewegungen. Dieser für Psychoanalytiker ungewohnte Titel ist gewählt worden, weil die ganzheitliche Sicht des Seelischen nicht bereits wieder in einer elementenhaften Aufteilung der beobachtbaren Phänomene aufgegeben werden soll. Alle Artikulationen oder Ausdrucksformen des Seelischen – ob mental oder körperlich – werden als Integrale oder Gliedzüge des sich entwickelnden Ganzen (z. B. Handlungsdialog, Enactment, Handlungs- oder Wirkungseinheit usw.) angesehen. Sie können nur unter Einbuße eines tiefen psychologischen Verstehens isoliert betrachtet werden. Des Weiteren passt sich der Begriff der Lebensbewegung dem Seelischen an, wie es zu beobachten ist: als ein immer währender Prozess der Gestaltung
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Wir fühlen uns mit dieser Auffassung in guter Gesellschaft. Kächele (2003), Co-Autor eines Lehrbuchs der psychoanalytischen Psychotherapie, vertritt einen ähnlichen Standpunkt (Thomä u. Kächele 1985). Er steht - unter Bezugnahme auf eine seit geraumer Zeit existierende empirische Forschungskultur in der Psychoanalyse – für folgende Position: „Die Bandbreite der psychoanalytisch orientierten Behandlungen half zu akzeptieren, dass die Vorstellung von Psychoanalyse als einer einzigen, einheitlichen Behandlungsart nicht länger der empirischen Prüfung standhielt. Daher erhebt Robert Wallerstein die Frage, ob „die Psychoanalyse des einen eine richtige Psychoanalyse und die eines anderen bloß Psychotherapie sei?“ Diese Bandbreite von Überlegungen brachte ihn dazu, das Wort „Psychoanalyse“ im Untertitel seines zuletzt erschienenen Buches (Wallerstein 1995, S. XV) im Plural zu gebrauchen. Dies ist meine erste „Säule der Weisheit“: vom Standpunkt eines Forschers aus scheint es klug zu sein, die echte Psychoanalyse nicht von den anderen psychoanalytisch orientierten Therapien zu trennen, sondern den Terminus „psychoanalytische Therapie“ zu bevorzugen, der alle Behandlungen abdeckt, die sich der Grundvorstellungen der psychoanalytischen Behandlungstheorie bedienen.“ (Kächele 2003, S. 140)
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Vorwort
und Umgestaltung, der Bildung und Umbildung (Salber 2001). Er legt deswegen eine beschreibungsnahe Erfassung des sich Zeigenden nahe, die uns Freud in so beeindruckender Weise vorgemacht hat. Hundert Jahre später ist es allerdings auch angezeigt, gewissermaßen auf seinen Schultern stehend, die Analyse dieser Lebensbewegungen mit passenderen Begriffen zu erfassen versuchen, als sie ihm im vorigen und vorvorigen Jahrhundert zur Verfügung standen. Bedanken möchten wir uns bei allen Kolleginnen und Kollegen des Steißlinger Kreises und des AKP (Arbeitskreis für analytische körperbezogene Psychotherapie in Österreich) für jahrelangen Austausch und fruchtbare Diskussion, bei Niklaus Roth für die geduldige Bereitschaft, bestimmte Aspekte und Fragestellungen dieses Buches auf dem Wege des Email-Austausches schrittweise in einen Klärungsprozess zu bringen, sowie bei Michael Buchholz für anregende Bemerkungen zu einzelnen Fragestellungen. Unser Dank gilt Herrn PetriWieder, Herrn Karman und Frau Brugger vom Springer-Verlag für die gute Zusammenarbeit während des Projekts. Wir danken in besonderem Maße Christine Geißler für die Sichtung der ersten Fassungen verschiedener Beiträge, für Kritik und Rückmeldung und für die mühevolle und zeitaufwendige Lektoratsarbeit. Darüber hinausgehend erleben wir gegenüber unseren Ehefrauen Christine Geißler und Petra Heisterkamp eine tiefe Dankbarkeit für die kollegialen Diskurse, für die kreativen Anregungen sowie für die unterstützende Anerkennung unserer langjährigen Forschungsarbeiten. Ohne ihre kritische und liebevolle Anteilnahme wäre auch das vorliegende Lehrbuch nicht denkbar.
Inhaltsverzeichnis Vorwort (Peter Geißler, Günter Heisterkamp)...............................................
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Inhaltsverzeichnis ............................................................................................
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Gedanken zum Thema (Hans Müller-Braunschweig) ..................................
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Kapitel 1:
Grundlagen und neuere psychoanalytische Konzepte
Körperinszenierungen (Joachim Küchenhoff) ...............................................
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Psychoanalyse mit Leib und Seele: Körperliche Gegenübertragung als Zugang zu nicht symbolisierter Erfahrung und neuer Repräsentanzenbildung (Ursula Volz-Boers) ............................................................................
39
Die interaktionelle Übertragungs-Analyse (Siegfried Bettighofer)..............
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Psychoanalyse und inszenierende Interaktion: Gemeinsamkeiten und Unterschiede (Jörg M. Scharff) .......................................................................
83
Entwicklungspsychologisch relevante Konzepte im Überblick (Peter Geißler) ..................................................................................................
99
Körperbild-Diagnostik (Angela v. Arnim, Peter Joraschky, Hedda Lausberg) .................................................................................................................
165
Kapitel 2:
Psychoanalyse der Lebensbewegungen
Rahmen, Arbeitsbündnis und Setting – oder die Einrichtung der psychotherapeutischen „Werkstatt“ (Günter Heisterkamp, Peter Geißler) ............
199
Zum Umgang mit Handlungsdialogen in der therapeutischen Beziehung (Gisela Worm) ..................................................................................................
211
Die Traumatisierung als erstarrte Lebensbewegung (Gabriele Poettgen-Havekost).........................................................................
239
„Der Körper lügt nicht“ – ? Zur Widerstandsanalyse in der körperlichen Interaktion (Gisela Worm) ..............................................................................
259
Über die Trennung von Körper und Seele (Tilmann Moser) ........................
291
Praxis der Analyse seelischer Lebensbewegungen (Günter Heisterkamp).
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Kapitel 3:
Inhaltsverzeichnis
Analyse der Lebensbewegungen in der Gruppe
Analytische Körperpsychotherapie der Anorexia nervosa (Rudolf Maaser)
343
Eine Bühne für die Seele: Körpertherapie in der analytischen Gruppentherapie (Roland Heinzel)................................................................................
391
Gruppentherapie und Gegenübertragungs-Kapazität (Robert Ware)..........
413
Kapitel 4:
Spezielle Anwendungen
Die Kunst des Liebens. Sexualität und Sexualisierung im Spiegel des körperpsychotherapeutisch orientierten Handlungsdialoges (Dagmar Hoffmann-Axthelm)..........................................................................
441
Eros und Sexualität im Spielraum der körperpsychotherapeutischen Beziehung (Robert Ware) .....................................................................................
459
Langzeitbehandlung bei Patienten mit Borderline-Störungen (Thomas Reinert) ..............................................................................................
487
Das implizite Beziehungswissen in Träumen von Erwachsenen (Maria Steiner Fahrni)......................................................................................
521
Unbehagliche Anfänge: Wie man Psychotherapie mit schwierigen Patienten in Gang setzen kann (George Downing)..............................................
555
Kapitel 5:
Weiterbildung und Ausblick
Überlegungen zur Erfassung des körperlichen Geschehens in der Weiterbildung zum Psychoanalytiker (Peter Geißler, Günter Heisterkamp, Tilmann Moser) ................................................................................................
585
Der unsichtbare Leib. Affektivität und Fleisch in phänomenologischer Sicht (Rolf Kühn) ..............................................................................................
595
Verzeichnis der Beispiele ................................................................................
615
Literatur ............................................................................................................
619
Sachregister ......................................................................................................
665
Autorenverzeichnis ..........................................................................................
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Gedanken zum Thema Hans Müller-Braunschweig Der Leser wird in diesem Buch der lebendigen Darstellung langjähriger psychotherapeutischer Erfahrung begegnen, die z. T. Körpererfahrung und direkte Körperarbeit in eine psychoanalytische Arbeit einbezieht. Dabei geht es jedoch nicht allein um die „reine Praxis“ (die es nicht gibt), sondern auch um die Reflexion des eigenen Tuns im Rahmen einer modernen Psychoanalyse. Ihre Behandlungspraxis wird hier um wichtige Dimensionen erweitert, die wiederum reflektiert werden und zu weiterführenden theoretischen Überlegungen Anlass geben. In diese Erweiterung gehen natürlich auch die Veränderungen ein, die sich seit (etwa) zwei Jahrzehnten in der analytischen Therapie vollzogen haben (s. dazu u. a. Bettighofer i. d. B.). So wird das Buch auch zu einer Darstellung moderner Ansätze in der Psychoanalyse. Das gilt auch für den Teil der Leser, der körperpsychotherapeutischen Interventionen kritisch gegenüberstehen sollte. Darüber hinaus finden sich zum Thema auch die phänomenologischen Betrachtungen eines Philosophen, in denen Grund legende Auffassungen über die Voraussetzungen geäußert werden, die vor aller Diskussion über Körper und Psyche (oder Leib und Seele) im ursprünglichen umfassenden Erleben gegeben sind, einem Erleben, das aller weiteren Begrifflichkeit im oben erwähnten Sinne zugrunde liegt. Auch wenn das Körpererleben und die direkte Körperarbeit sowie szenische Interventionen in einem Teil der Arbeiten eine besondere Rolle spielen, geht es dabei nie um die unkritische oder sogar rigide Darstellung einer bestimmten Schule, die dieser Richtung der Psychotherapie verbunden ist. Eine der wichtigen Leitlinien, die sich durch die dargestellten Arbeiten ziehen, ist das emotionale Erleben im therapeutischen Prozess, das auch an eindrucksvollen Episoden dargestellt wird: Nicht im Sinne der forcierten Förderung eines kathartischen Ausbruchs wie in der frühen Bioenergetik, auf die auch in diesem Band hingewiesen wird, sondern durch einen – nicht selten erstmaligen – Zugang zum Erleben bisher unzugänglicher, tief verdrängter oder dissoziierter Emotionen, die innerhalb der therapeutischen Beziehung erfahren werden können, ohne die jeweilige Tragfähigkeit des Patienten zu überfordern. So findet u. a. Hoffmann-Axthelm eindrucksvolle Beispiele für die starken Emotionen, die in vielen Fällen zunächst nur in Körpersymptomen Ausdruck finden. Erst nach entsprechender therapeutischer Arbeit mit diesem Körper können sie ihn „als Gefäß für Emotionen“ entdecken. Emotion bedeutet lateinisch „herausbewegen“, aber auch „erschüttern“ und weist damit zum einen auf Ausdruck und Sichtbarwerden bisher verborgener psychischer Anteile hin, zum anderen auf das Erschüttern und Bewegen fest ge-
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Hans Müller-Braunschweig
fügter und einschränkender psychischer Strukturen, die bisher die Lebensbewegung im Sinne einer Entfaltung verhinderten. In diesem Zusammenhang 1 steht auch der Begriff der „Inszenierung“, wie ihn Küchenhoff behandelt (s. u.). Die Arbeit mit szenischem Erleben und mit dem Körper erleichtert häufig den Zugang auch bei Patienten, die aus den verschiedensten Gründen ihre starken Emotionen nicht erleben können. Dass eine rein kognitive Deutung, die keine emotionale Reaktion einschließt, wirkungslos bleibt, ist seit langem bekannt. In diesem Sinne sieht ein Therapeut wie Ware, der häufig körperpsychotherapeutisch arbeitet, sowohl in der verbalen „klassischen“ psychoanalytischen Arbeit als auch in der Verwendung von szenischen- und Körperinterventionen den affektiven Zustand gleichermaßen als Basis für eine wirksame Arbeit an. Er spricht sich für eine „beziehungsoffenere, handlungssymbolische und körpertherapeutische Zugangsweise“ aus, die keinem anderen Ansatz widerspricht, sondern eine fruchtbare Alternative darstellt. So steht auch in diesem Band die Körperarbeit nicht einseitig im Vordergrund. Sie wird immer wieder mit der bestehenden Beziehung, mit Übertragung und Gegenübertragung verbunden, da emotionales Erleben allein kaum bleibende Änderungen bewirken kann. Es muss in einer Beziehung erfolgen und es müssen im Laufe der Zeit auch neue Beziehungsrepräsentanzen erworben werden können. Nun kann man fragen, welche Rolle überhaupt das körperpsychotherapeutische und direkte szenische Vorgehen in einer modernen Psychoanalyse spielt, die ohnehin heute dabei ist, ihren praktischen und theoretischen Rahmen zu erweitern: Etwa durch die besondere Beachtung der Körperempfindungen des Therapeuten in der Gegenübertragung (s. Volz-Boers i. d. B.), durch die Beachtung der „Szene“ in der verbalen Arbeit sowie der Aufmerksamkeit für andere nonverbale Phänomene, vor allem auch durch eine relationale Anschauung, in der die ständige – gerade unbewusste – Beteiligung von Patient und Therapeut am Prozess betont wird. Die Antwort wird in den vorgestellten Arbeiten von Autoren gegeben, die sowohl über eine psychoanalytisch-psychotherapeutische als auch eine körperpsychotherapeutische Ausbildung verfügen. So sieht Jörg Scharff in (handelnder) Körper- und direkter szenischer Arbeit ein nützliches Instrument, das zum Gebrauch des Wortes hinzukommt und eine Erweiterung der therapeutischen Mittel darstellt. Er verweist darauf, dass auch der sprechende Analytiker im Reden „handelt“ und aktiv seine Worte auswählt. Allerdings sieht er in der Arbeit mit dem Wort einen weiteren intermediären Raum verfügbar als in einer köpertherapeutischen Intervention, da in ersterer mehr (mentale) Bewegung möglich sei, während bei Szene und Körper eher „bildhafte Unmittelbarkeit“ hervorträte. Diese Frage beschäftigt auch Worm, die zu Beginn ihres Beitrages auf den Widerstand vieler Psychoanalytiker gegen Körperarbeit in der Verbindung mit analytischem Arbeiten eingeht. Ein Grund dafür sei die Beteiligung unbewusster Phantasien im psychoanalytischen Prozess, die vor allem die therapeutische Beziehung bestimme und die Einführung von Körperarbeit damit schwieriger und problematischer mache. Wenn ich sie richtig verstehe, sieht sie die mögliche störende Wirkung auf die Entfaltung dieser Phantasien als einen Grund für
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Soweit im folgenden Autorennamen ohne folgende Jahreszahl genannt werden, handelt es sich um Arbeiten, die in diesem Band publiziert werden.
Gedanken zum Thema
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die Skepsis ihrer verbal arbeitenden Kollegen. Die Frage, ob durch die Einführung einer Körperintervention eine mögliche verbale Intervention und damit Bearbeitung gestört, vermieden, abgewehrt, unterbrochen etc. werden könnte, taucht immer wieder in den Diskussionen auf. Eine grundsätzliche Entscheidung über diesen Punkt scheint mir nicht möglich. Ein Therapeut, der beide Interventionsebenen beherrscht, wird sich aus dem Augenblick heraus für die gerade „passende“ Intervention entscheiden – ebenso, wie sich der „verbale Therapeut“ für eine von mehreren nahe liegenden Interventionen entscheidet. Nur muss dann neben dem verbalen auch das „Körpervokabular“ bekannt und ver2 traut sein. Diese und andere Fragen werden noch längere Zeit die Diskussion zwischen einer vorwiegend verbalen psychoanalytischen Arbeit (ein „rein verbales“ Vorgehen gibt es nicht) und der analytischen Körperarbeit bestimmen und können nur durch weitere Beobachtung und Forschung weiter geklärt werden. In den hier geschilderten Beispielen werden jedenfalls Körperausdruck und Handlungsdialoge spontan aufgegriffen oder auch aktiv initiiert – das bringt ein neues Moment in die analytische Behandlungspraxis. Worm bringt dann das Beispiel einer Supervisionsarbeit, deren Beschreibung auch als eine allgemeine Einführung in die körperpsychotherapeutische Arbeit für weniger informierte Leser dienen kann. Sie schildert den Bericht eines Kollegen, der sich seiner Patientin gegenüber durch eine zwiespältige Gegenübertragung befangen fühlt. In der Supervisionsarbeit beschreibt er, wie die Patientin ihn vor der Stunde begrüßt. Diese ziehe den Therapeuten bei der Begrüßung durch eine gebeugte Armhaltung und einen leichten Zug im Moment der Berührung zu sich heran. „Da sie sich gleichzeitig mit dem Oberkörper nach vorne neigt, kommt sie ihm besonders im oberen Körperbereich sehr nahe“. (Handlungsdialoge, Kap. 2) Als der Kollege sich anschließend in seine eigene Haltung in dieser Szene einfühlt, wird ihm u. a. klar, dass er sich mit dem Oberkörper starr aufrichtet und sich die Patientin damit auch „vom Leibe hält“. Er will diese Ablehnung vor der Patientin aber verbergen. Mit der Beschreibung der wechselseitigen Körperhaltung wird ihm also deutlich, wie seine ambivalente Einstellung bereits in der Art der Begrüßung enthalten ist. Man könnte diesen Eindruck nun in der Therapie in verschiedener Weise verbal formulieren, die Körperhaltung erwähnen oder irgendwann auch den Wunsch nach Nähe aufgreifen u. ä. Ein weiterer Schritt wäre aber auch die Anregung einer Handlungsphantasie, in der der Patient angeregt wird, sich den Ablauf der Berührung einmal vorzustellen. Schon diese Form der Wiederholung durch eine Phantasie macht oft die darin enthaltenen Affekte deutlich. Sie kann beispielsweise Angst auslösen. Wiederum ein weiterer Schritt wäre es dann „eine direkte Handlungsszene zu initiieren“, z. B.: „... können wir uns jetzt in der Stunde noch einmal so begrüßen, wie wir es am Anfang tun? Wir könnten uns erst in einem bestimmten Abstand gegenüberstehen und dann aufeinander zugehen“.
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Vgl. neben Mosers „Berührung auf der Couch“ auch Scharff a. d. Lindauer Psychotherapie Wochen: Berührung z. B. kann in einem bestimmten Moment der Analyse angemessen, ja notwendig sein, in einem anderen zu einem malignen Agieren führen. Berührung in der Analyse ist keine Technik, sondern ein Ereignis, das im analytischen Rahmen geschehen kann. (Tagungsbericht von Geißler in „Psychoanalyse & Körper“ 9, 2006a, S. 115–117)
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Hans Müller-Braunschweig
Der weitere Ablauf so einer Szene ist offen und verlangt von Therapeuten eine sehr flexible Haltung. Dies wird in den weiteren Ausführungen detailliert geschildert ebenso wie andere körpertherapeutische Interventionen. Es wird deutlich, dass hier durch eine direkte motorische, optische, haptische Realisierung der Situation Ängste, Widerstände, Wünsche, Phantasien angeregt werden können, die häufig in einer rein verbalen Bearbeitung nicht in dieser Deutlichkeit hervortreten würden und durch ein „Handeln in der Beziehung“ angestoßen werden. Unter anderem spricht Worm im Folgenden auch die Frage an, ob das körperliche Handeln eine „primitivere Beziehungsform“ als das Reden darstellt. Sie plädiert – auch mit Bezug auf Heisterkamp – für ein „präsentisches Verstehen“ und damit für die Einschätzung des Handelns als eigener Erlebnisform, die nicht „unter“, sondern „neben“ verbalem Verstehen steht. Ich denke, dass sich hier zwei Zugangsweisen zu diesem Problem berühren: So würde eine entwicklungspsychologische Annäherung das präverbale Handeln natürlich als „früher“ bezeichnen, die Verwendung im Therapieprozess meint aber etwas anderes. Denn die frühen präverbalen Ausdrucksweisen bleiben in uns erhalten, und sind – wie es viele Beobachtungen bestätigen – z. B. im kommunikativen Ausdrucksverhalten (vgl. Krause 1998) ständig präsent, so auch in der Therapie. Sie stehen außerdem der Emotionalität näher und können deshalb im passenden Moment angesprochen oder handelnd aufgegriffen werden. Dabei ist zunächst die Frage „früher“ oder „später“ unerheblich. Zur Frage des „primitiven“ Nonverbalen wäre daran zu erinnern, dass es einen weiten Bereich gibt, von den ersten Gesten des Säuglings bis hin zu (beispielsweise) künstlerisch symbolischen Darstellungen in Tanz, Musik, Pantomime, Malerei etc. Wenn Joseph (1985) empfiehlt, die jeweilige „Gesamtsituation“ einer therapeutischen Stunde zu beachten, betrifft das meinem Eindruck nach die mögliche Manifestation von Wahrnehmungs- und Ausdrucksebenen, Phantasien und Impulsen aus allen Entwicklungsstadien. Dieser Gesichtspunkt taucht auch bei Geißler auf, der in seiner weit gespannten Darstellung über „Entwicklung“ auch wesentliche Ergebnisse der Säuglings- und Bindungsforschung sowie der Neurowissenschaften berücksichtigt. Er zitiert u. a. Edelman, der auf die „Entwicklung des subjektiven Erlebens“ verweist, das sich auf der Grundlage „multimodaler, körperzentrierter Entwicklungsprozesse“ vollzieht. Spätere verbale Aktivitäten in der Therapie können nur „greifen“, wenn sie genügend sinnennah sind. Auch Geißler kommt im Rahmen der zitierten Arbeiten zu dem Schluss, dass kindliche Erlebnisbereiche lebenslang erhalten bleiben, und der alte Gedanke der „Fixierung“ zugunsten einer „Vordergrund-Hintergrund Konfiguration“ aufgegeben werden müsse. So können beispielsweise bestimmte frühe nonverbale Interaktionen mit der Mutter, die sich wiederholen (und die auch in einer anderen Arbeit – Geißler 2006b – am Beispiel von Video-Aufnahmen dargestellt werden) für den Säugling unbefriedigend bleiben. Geißler äußert die Vermutung, dass sich derartige frühe Erlebnisse auch nach der späteren Reorganisation des psychischen Lebens über Körperempfindungen abrufen lassen. Das könne auch „im Rahmen einer überwiegend verbal bestimmten Therapie auf der Ebene der körperlichen Selbstwahrnehmung und durch Förderung der Aufmerksamkeit für die feinen Nuancen des nonverbal vermittelten Austausches im intersubjektiven Feld...“ geschehen. Je „offener das Setting für körperliches Handeln ist, desto breiter
Gedanken zum Thema
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kann die Palette dieser körpernahen Erfahrungen werden...“ (Geißler i. d. B., Kap. 22) Die in den Arbeiten vorgestellten Episoden berichten meist von schweren Störungen, bei denen eine eingestreute Körperarbeit innerhalb der Einzel- oder Gruppenarbeit zu wesentlichen emotionalen Erlebnissen führt, die auch frühe und/oder traumatische Inhalte berühren können, vorher nicht gefühlte Trauer oder tiefen Schmerz erleben lassen. Sie vermitteln dem therapeutischen Prozess wichtige Impulse oder tragen in einzelnen Fällen sogar zu einer entscheidenden Wendung bei (s. u.). Dabei ist natürlich die Tragfähigkeit der jeweiligen Struktur zu beachten. Allerdings bin ich nicht der Ansicht, dass Körperarbeit oder szenisches Arbeiten auf sehr schwere Störungen mit labiler Ich-Struktur beschränkt bleiben muss. Das betont auch Ware in seinem Beitrag und weist in diesem Zusammenhang ebenfalls auf das in der Psychoanalyse umstrittene Thema der Berührung hin. In seinem Beitrag wird damit auch das Thema der sukzessiven menschlichen Entwicklung angesprochen. Die frühen Eindrücke in dieser Entwicklung bilden eine Basis für das weitere seelische Wachstum. Berührt zu werden gehört zu den Grundbedürfnissen des Menschen. Ware (Eros, i. d. B., Kap. 5.5) zitiert Heisterkamp (2005a, S. 219): „Im Austausch zwischen Berühren und Berührtwerden liegen die Keimformen für das spätere Erleben von Freude und Glück.“ Hier klingt der Gedanke seelischer „Schichten“ bzw. aufeinander folgender Entwicklungsanteile wieder an, deren Reaktionsweisen, Erlebnisformen, Wahrnehmungsweisen etc. in uns erhalten bleiben. Das Erreichen dieser frühen Anteile ist häufig im Rahmen von körperorientierten und szenischen Praktiken eher möglich als in der rein verbalen Arbeit, da die Verbindung zwischen Körperempfindung und psychischem Erleben auf frühen Alterstufen noch enger ist. Es kommt hinzu, dass es strukturierte Persönlichkeiten mit differenzierten Leistungen gibt, in deren Psyche durch subtile frühe Traumatisierungen Störungsanteile sozusagen partiell eingekapselt erhalten bleiben und deren Störungspotenzial sich später nur in abgegrenzten Bereichen zeigt.
„Hier bin ich! Sieh mich doch an!" 3
Ich habe an anderer Stelle einen differenzierten, beruflich erfolgreichen Akademiker erwähnt, der unter gewissen hartnäckigen Beziehungsschwierigkeiten litt, die offenbar mit frühen Verlassenheitsängsten und starken Gefühlen der Einsamkeit zusammenhingen. Diese Ängste blieben in einer längeren analytischen Psychotherapie aber blass. In einem von ihm während dieser Psychotherapie auf meinen Rat hin besuchten Körperworkshop berichtete er in einer Partnerarbeit mit einem Kollegen von seinen Problemen. Sein empathischer Partner gab ihm den Rat, doch einmal an dessen Schultern zu rütteln. Der Patient tat es, und in diesem Augenblick brach aus dem sonst immer verhalten sprechenden Mann plötzlich der laute Satz hervor: „Hier bin ich! Sieh mich doch an!!“ Dann musste er weinen. Auch bei der Erzählung des Vorfalls in der folgenden Therapiestunde nach dem Workshop trat diese Erschütterung wieder auf und konnte später jeweils wieder aufgegriffen werden.
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Das Fallbeispiel stammt aus: Arnim, A. v., H. Müller-Braunschweig u. P. Joraschky: Körperbezogene Psychotherapie - Verfahren bei traumatisierten Menschen. In: Remmel, A.. O. F. Kernberg, W. Vollmoeller u. B. Strauß (Hrsg.): Handbuch Körper und Persönlichkeit. Schattauer, Stuttgart 2006.
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Derartige Ereignisse können keine sofortige tiefgehende Änderung bewirken, bleiben aber für Patienten wie Therapeuten oft ein „Schlüsselerlebnis“, ein wichtiger Anteil der „affektiven Basis“, die für den weiteren Prozess wichtig ist. (Natürlich wäre zu wünschen, dass dieses Erlebnis nicht „draußen“, sondern beim gleichen Therapeuten aufgetreten wäre. Allerdings hat gerade die Gruppenarbeit einen starken Einfluss auf das emotionale Erleben und kann in dieser Hinsicht zuweilen stärker wirken als die Einzelarbeit.) Ebenso wie viele weitere Beispiele dieses Bandes macht auch dieser Ablauf deutlich, dass ein erweitertes „Instrumentarium“ für jede psychoanalytische – ja, für jede Psychotherapie – von Vorteil sein kann. Es setzt allerdings, ebenso wie die psychoanalytische Ausbildung, ein gewisses Maß an Selbsterfahrung voraus, damit in der jeweiligen Situation dem Therapeuten die möglichen und stimmigen Interventionen zur Verfügung stehen. Im Erkennen des „passenden“ Momentes und Angebotes fließen dann wieder die Erfahrungen aus der psychoanalytischen und der körperpsychotherapeutischen Arbeit ebenso zusammen wie in der mehr oder weniger bewussten Auswahl einer verbalen Intervention. Das kann auch zu dem rasch gefassten Entschluss des Therapeuten führen, aktiv eine szenische Intervention herbeizuführen und selber „einzusteigen“. Das beschreibt Heinzel. In der Interaktion mit einer Gruppenpatientin, deren Familie früh vom Vater verlassen wurde, stand er auf und übernahm intuitiv – für ihn selbst eher überraschend – die Rolle des abweisenden Vaters, der sich in Tonfall und Inhalt entsprechend abweisend gegenüber der „Tochter“ äußert. Die Patientin konnte daraufhin ihre bisher kaum gefühlte Wut gegen den Therapeuten-Vater heftig erleben und auch körperlich ausdrücken. In dieser Szene wird also eine nicht erlebte Emotion zugänglich – sie wird zugänglich durch Bewegung und spontane Interaktion, die auch nach Stern beim Auftreten eines „Now-moments“ wichtig ist. Heinzel sagt: „Wenn im Verlauf einer dreijährigen Therapiedauer (...) ein (Gruppen)Patient ein oder zweimal eine körpertherapeutische Arbeit gemacht hat, dann war das erfahrungsgemäß ein entscheidender Augenblick, ein Wendepunkt in seinem Prozess“ (i. d. B., Kap. 2). Auch die zuschauenden, „mitbewegten“ Patienten profitieren jeweils davon. Die „Intuition“, die zu der beschriebenen spontanen Handlung des Gruppentherapeuten führte, hat u. a. Bauer (2005) anschaulich mit der Existenz der Spiegelneurone erklärt, die es möglich machen, die Intention des Gegenübers im Augenblick zu erfassen und entsprechend darauf einzugehen. Der Therapeut soll nach Ware den „Raum“ (inneren seelischen Raum) zur Verfügung stellen, „um die unbewussten Kommunikationen des Patienten zu empfangen (Bollas 1997, S. 248–250)... u. a. können dann „konflikthafte frühere Beziehungsmuster, innere Objektbeziehungen (...) und unaussprechliche Affekte vollständiger artikuliert und wiederholend inszeniert werden.“ (Gruppe, i. d. B., Kap. 2.2) Das geschieht auch in Abläufen, die seit einiger Zeit als „Szene“, „Enactment“, Handlungsdialog (vgl. u. a. Klüwer 2001, Heisterkamp 2002a, Geißler 2003a) in der erweiterten verbalen Arbeit der Psychoanalytiker eine wichtige Rolle spielen. In dem oben erwähnten Beispiel mit dem zum „Rütteln“ aufgeforderten Patienten wurde eine affektgeladene Erinnerung u. a. durch Motorik und die Anregung des Partners in der Szene so unterstützt, dass sich die zugehörige und sonst abgewehrte Emotion fast durchbruchsartig zeigen konnte. Eine „Szene“ –
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ob verbal oder handelnd – erleichtert meist das Erfassen des affektiven Hinter(Unter)grundes, macht den Inhalt sinnfällig und stellt ihn als entstandene Gestalt gegebenenfalls in einen weiteren Zusammenhang.
Eine Patientin redet vor sich hin Eine Patientin redete in der Stunde lange Zeit emotionslos „vor sich hin“. Ich spürte bei mir Langeweile, Befremden, dann Ärger, schließlich schweiften meine Gedanken ab. Nach längerer Zeit fragte ich sie nach ihrem Körpergefühl. Sie sagte – ein wenig emotionaler – „das ist gespannt“. Ich wies sie auf die Diskrepanz zwischen Reden und Körperspannung hin. Lebhafter werdend, sprach sie nun zunächst von einem Missverständnis zwischen ihr und mir in einer der vorhergegangenen Stunden und kam dann auf ihre Mutter zu sprechen, der es in erster Linie darum gegangen sei, der Patientin ihren Willen aufzuzwingen und die kein wirkliches Verständnis für sie hatte. „Sie war nicht für mich da“.
Den andrängenden aggressiven Affekt in der Übertragung hatte sie im monotonen Reden abgewehrt und gleichzeitig die alten Szenen mit der Mutter wiederhergestellt, d. h. zwischen ihr und dem Therapeuten stellte sich eine distanziert-gespannte kontaktlose Atmosphäre her. Diese Szene spielte sich in einer verbalen Therapie ab, es wurde nicht motorisch handelnd agiert. Aber schon die Erwähnung der Körperspannung brachte emotionale Bewegtheit in die vorherige fast erstarrt wirkende Erzählweise und machte die frühere leidvolle Interaktionsgestalt präsent. Die bisher beschriebenen Beispiele aus der Praxis führen auch zu dem umfassenden Begriff der „Lebensbewegung“, die Heisterkamp darstellt. „Seelische Lebensbewegung“ bezieht sich, u. a. anknüpfend an Salber (1989, 2001), auf das Erfassen von „Verhalten und Erleben“, d. h. auf „äußere Lebensbewegungen“, die beschrieben, und „innere Lebensbewegungen“, die durch Introspektion und Einfühlung erschlossen werden. Das gleichzeitige Beachten z. B. des Körperausdrucks und des damit untrennbar verbundenen psychischen Erlebens führen zur „Erlebniswirklichkeit“ des Patienten und zum „gesamten expliziten und impliziten Wirkungsgeschehen zwischen Patient und Therapeut“. Das wird an zahlreichen Beispielen dargestellt. Zum Beispiel bewegt ein auf der Couch liegender Patient den Kopf hin und her. Das wird von Heisterkamp aufgegriffen, und der Patient überlässt sich für eine Weile dieser Bewegung. Dabei fällt ihm eine frühere Situation im Ehebett ein, in der er zwischen den Eltern lag, der Vater befand sich auf der rechten, die Mutter auf der linken Seite. Bei der aktuellen Kopfbewegung auf der Couch spürt er, dass sich sein Körper bei der Linksbewegung des Kopfes verkrampft. Das führt zu einem Erleben der Beziehung zu den Eltern, die in starkem Gegensatz zu seinen früheren Darstellungen steht, und zu einer zentralen Problematik.
Heisterkamp verbindet diese Darstellungen mit einer Kritik an der psychoanalytischen Behandlungstechnik in diesen Momenten. Derartige Ausdrucksbewegungen würden oft nicht aktiv aufgegriffen. Das reine Benennen des Phänomens endet dann bei Patienten mit entsprechender Abwehr oft in einer intellektualisierenden Betrachtung, die der Abwehr des eigentlichen Erlebens dient. Hartnäckig sich wiederholende Beziehungsmuster, die schwer beeinflussbar sind, lassen oft an ein Entstehen in präverbalen Stadien denken, die über Verbalität nur schwer zu erreichen sind, aber im impliziten Gedächtnis gespeichert wurden. Dieses von der kognitiven Psychologie und Neurowissenschaft ent-
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deckte „implizite Gedächtnis“, das u. a. an Handlungen und nicht an Worte gebunden ist, kann auch eher über ein Handeln oder andere früh entwickelte Wahrnehmungsweisen erreicht werden. In diesem Zusammenhang kann auf Gehde und Emrich (1995) hingewiesen werden. Sie führen aus, dass sich für den Abruf aus dem impliziten Gedächtnis eine aufsteigende Reihenfolge bilden lässt: Sprache als abstraktestes Symbolsystem sei nur in geringerem Ausmaß geeignet, Inhalte abzurufen, als es visuelle Reize oder Klänge könnten; diese wiederum weniger gut als motorische Reizmuster, etwa bestimmte Bewegungsabläufe. Wird diese aufsteigende Linie bzw. werden die verschiedenen „Ebenen“ in der Therapie beachtet, erscheint das zu Beginn erwähnte erweiterte Instrumentarium eines Therapeuten besonders sinnvoll. Das bezieht sich nicht allein auf körperliche und szenische Arbeit, sondern auch auf die Verwendung von Metaphern (vgl. Buchholz 2003), z. B. auf eine bilderreiche Sprache, die auch die nonverbalen Anteile des Sprachlichen verwendet, wie sie sich in den musikalischen Anklängen der Worte, in Tempo, Rhythmus, Klangfarbe zeigen. (Vgl. u. a. Mertens 2003) Innerhalb der von Mitchell (2003) beschriebenen „Interaktionshierarchie“ träfe das besonders auf frühe Formen der Interaktion zu, wie sie die von ihm beschriebenen Modi 1 und 2 kennzeichnen. Auch diese Modi bleiben aber lebenslang erhalten. Diese nonverbalen Anteile können auf noch nicht bewusste Emotionen hinweisen, die hinter einem erzählten Inhalt verborgen sind. Sie können auch vom Therapeuten dafür benutzt werden, bei einem vom Patienten affektlos berichteten Thema, das eigentlich stark emotional auf ihn wirken müsste, den von ihm erzählten Inhalt emotionaler und bildhafter zu wiederholen und dadurch die fehlende Emotion zu „triggern“. Das hilft oft auch bei der „Re-psychisierung“ (Heinzel) psychosomatischer Symptome. (S. a. Milch und Putzke 2002) Auch hier wird das „verkopfte“ Vorgehen, dass der Psychoanalyse so häufig – oft polemisch – vorgeworfen wurde, erweitert, und es nähern sich körperbezogene und verbale Vorgehensweisen an. Auf die Alternative „Handeln“ oder „Verstehen“ (vgl. Ware, Heinzel) gehe ich hier nicht näher ein. Wie schon erwähnt, verweist Scharff darauf, dass auch der verbal arbeitende Psychoanalytiker im Reden „handelt“ (vgl. besonders das Kapitel über „Rahmen, Arbeitsbündnis und Setting – oder die Einrichtung der »psychotherapeutischen Werkstatt«“). Der Therapeut muss sich also in seiner Arbeit ständig zwischen den verschiedenen psychischen Bereichen bewegen – zumindest auf ihr Erscheinen gefasst sein. Das geschieht weniger bewusst, sondern im Sinne einer relationalen Psychoanalyse auch in gegenseitiger Beeinflussung zwischen Patient und Therapeut. Klopstech (2005, S. 84ff.) stellt die folgenden Ansichten von Schore (2003a) dar, die die oben erwähnte Bewegung zwischen den früher und später entwickelten psychischen Anteilen auch aus neurowissenschaftlicher Sicht beschreiben: So gäbe es zwei Arten von regulatorischen Strategien: • die „bewusste und verbale Kontrolle von Emotionen durch die linke Gehirnhälfte“ und • die „nonverbal–unbewusste regulatorische Funktion der rechten Gehirnhälfte“. Bekannt sei die „linkshemisphärisch kognitive Regulation‚ von Emotionen »von-oben-nach-unten« … wobei die höheren und vorderen Bereiche des Kor-
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tex die subkortikalen Aktivitäten dominieren. Neueren Datums, und für die nonverbale und insbesondere für Körper-zu-Körper Kommunikation zwischen Therapeutin und Patientin relevant, ist die Erforschung der regulatorischen Funktion der rechten Hemisphäre“. Diese sei besonders wichtig bei der Verarbeitung von „vorsprachlicher und körperlicher Information, wenn sie in emotionale Kommunikation eingebettet ist“. Das beträfe die „herausragenden nonverbalen (und natürlich auch verbalen) Wirkfaktoren des Therapieprozesses“ (u. a. spontane Gesten, Augenkontakt, Stimme etc.). Nach Schore sei „Einsicht“ ein „rechtshemisphärischer Mechanismus... lokalisiert in den oberen Schichten der Hirnrinde“. Klopstech betont ebenfalls die enge Verbindung zwischen Körpererfahrungen in der Therapie und dem limbischen System. Besonders die Aufnahme körperlicher Zeichen in der Beziehung zum Therapeuten könne neue Spuren im emotionalen und motorischen Erfahrungsgedächtnis hinterlassen, und damit auch korrektive Erfahrungen ermöglichen. Diese neuen Erfahrungen müssten nicht notwendig bewusst als explizite Erfahrungen wahrgenommen werden. (Vgl. dazu Stern et. al. 2001, ich erinnere auch an die Ausführungen von Gehde und Emrich) Auch in der Neurowissenschaft zeigt sich also die Lebensbewegung durch 4 verschiedene Bereiche des Gehirns hindurch. Dass die psychischen Kräfte eine Möglichkeit finden müssen, in der sie wirken können und damit auch in irgendeiner Weise nach außen treten, stellt ausführlich Küchenhoff dar, der seinen Beitrag unter dem Begriff der „Inszenierung“ zusammenfasst. „Wir leben, aber wir haben uns nicht“ (Kap. 1) wird in diesem Zusammenhang betont. Das in uns verborgene, aber nicht Greifbare kann durch eine Inszenierung sichtbar werden. Der Autor zitiert Wulf, der betont, dass man, um sich wahrnehmen, begreifen, verstehen zu können, die verschiedensten Inszenierungen aufführen muss. Wir erfahren damit unsere Wirkung auf andere und erfahren uns selbst. Der Begriff „Inszenierung“ gewinnt damit eine besondere Bedeutung. Energien, Kräfte, die in der Entwicklung gebremst werden mussten, weil sie z. B. die Angst weckten, eine wichtige Beziehung zu gefährden – diese blockierten Kräfte finden ihren Ausdruck dann in anderen „Inszenierungen“, z. B. in der Beschädigung des eigenen Körpers. Das Inszenieren dient damit einer innerpsychischen Entlastung. Die Therapie hat die Aufgabe, diese fehlgeleiteten Kräfte wieder in einen intersubjektiven Raum und damit in eine Beziehung aufzunehmen. Man könnte wieder im Sinne dieses Buches anmerken, dass es sich hier um „Lebensbewegungen“ handelt, die ihre ursprünglichen Ziele und Formen, z. B. der Objektsuche, nicht erreichen konnten und nun in einer psychischen oder psychosomatischen Erkrankung in anderer Weise gelebt werden müssen. In einer therapeutischen Er-
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Trotz aller Unterschiede der neurowissenschaftlichen und der psychologischen Betrachtungsweise mentaler Phänomene werden die Bezüge auf das jeweils andere Feld der Forschung weiter zunehmen (müssen) und schließen sich nicht aus – auch im therapeutischen Bereich. Für die schweren psychischen Erkrankungen – beispielsweise die Schizophrenie - könnten die Neurowissenschaften außerdem Schritt für Schritt einen präziseren Einblick in die der Erkrankung zugrundeliegenden Veränderungen ermöglichen und damit auf längere Sicht auch zu effektiveren Behandlungsmöglichkeiten führen – möglichst gemeinsam mit psychoanalytischer Psychosentherapie und eventuell in diesem Buch beschriebenen Methoden. Entsprechendes gilt auch für die Sucht.
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fahrung können sie, wie der Autor sagt, wieder „in den intersubjektiven Raum aufgenommen“ (Kap. 4.2) werden. Ergänzend wäre auch zu sagen, dass gerade dieser Vorgang durch leibfundierte Therapie erleichtert werden kann. Er kann damit (wie u. a. in der Welt des Theaters) eine kommunikative und letzten Endes sinnstiftende Funktion erfüllen. Das „Wiederaufnehmen in den intersubjektiven Raum“ bedeutet ja auch, dass die ursprünglich organisch und psychisch intendierte Gestalt sich nun ihrer ursprünglich angelegten Form annähert, während sie vorher eingeengt war. Damit nähert sie sich den optimaleren Möglichkeiten einer – im Sinne Goethes – Gestalt an, „... die lebend sich entwickelt“. Von hier aus kann eine Linie zur allgemeinen Tendenz der Evolution gezogen werden, immer differenziertere Gestalten auszubilden. „Nicht nur die irdische Evolution mit ihrer Herausbildung von immer differenzierteren Lebewesen, sondern auch die gesamte kosmische Entwicklung davor kann als eine Entwicklung von Gestalten angesehen werden. Da Gestalten das sind, was erkannt werden kann, verkörpern sie zugleich Information...“ (Görnitz u. Görnitz 2005, S. 5) Küchenhoff spricht auch von den verschiedenen „Freiheitsgraden“, die der Inszenierung gegebenenfalls eher „Spiel-Raum“ lassen, diese einengenden Grenzen zu überschreiten, die aber z. B. bei Traumatisierungen besonders wenig Raum lassen. In diesem Fall kann man auch von „erstarrter Lebensbewegung“ sprechen, wie es Poettgen-Havekost in ihrem Beitrag über das Trauma tut. In ihren Ausführungen wird u. a. deutlich, wie stark auch die moderne Säuglingsforschung die Arbeit mit dem Körper beeinflusst hat. Wie weitgehend schon in der frühen Mutter-Kindbeziehung der Körperkontakt zu einer gelingenden oder misslingenden Einstimmung führt, wird hier noch einmal dargestellt. An einem Misslingen dieser Einstimmung ist oft eine selbst traumatisierte Mutter beteiligt. Die häufige Wiederholung dieser frühen Prozesse während der frühen Entwicklung führt dann (im Falle der beziehungsinduzierten Traumatisierung, die hier behandelt wird) zu einer „Erstarrung“ der weiteren Entwicklung und behindert damit die Möglichkeit eigener Individuation. Sie findet später ihren Ausdruck auch in „Körpererinnerungen“. Die beschriebene Einschränkung erinnert damit an die Ausführungen von Küchenhoff, der auf die Einschränkung der „Freiheitsgrade“ durch das Trauma hinwies. In plastischen Fallberichten wird diese Einengung und werden die Körperinszenierungen, aber auch die Auflösung der Symptomatik beschrieben. So wie körperorientierte Psychotherapie auch bei schwer traumatisierten Patienten ein besonders hilfreicher Zugang sein kann (vgl. Karcher 2000, Schmitz 2004), so kann sie sich auch bei einer schweren Störung wie der Anorexie bewähren, deren Behandlung mit einer Körpertherapie analytischer Orientierung Maaser ausführlicher schildert. Die Methode, deren praktische Anwendung wesentlich von Frauke Besuden mitentwickelt wurde (vgl. auch Maaser, Besuden, Bleichner, Schütz 1994), unterscheidet sich von der partiellen Integration der Körperarbeit in einen analytischen Prozess, der häufiger von den aus der Bioenergetik kommenden Autoren zu beobachten ist. In der Therapie einer Gruppe von Erkrankten mit schwerer Körperbildstörung konzentriert sich die Therapie ganz auf das Körpererleben. (Allerdings geschieht das hier im Rahmen einer psychosomatischen Klinik, die parallel auch weitere Verfahren anbietet.) Das von Fall zu Fall einbezogene Verwenden von „Material“ für die Körperarbeit ist ein weiteres Unterschei-
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dungsmerkmal. In dieser und anderer Hinsicht ähnelt die Methode der der Konzentrativen Bewegungstherapie. In der psychologischen Diagnostik werden hier zunächst nach einem Durchspüren des Körpers von den Patienten Zeichnungen angefertigt und wird damit ein erster Versuch gemacht, an das Körpererleben der Patienten heranzukommen. Das Spüren, „Durchspüren“ des Körpers spielt dann weiterhin eine wichtige Rolle. Diesen Patienten fehlt oft das Gefühl für ganze Körperregionen oder einzelne Körperglieder – zumindest in der „ersten Phase“ der Therapie, in der noch die weitestgehende Gewichtsabnahme besteht und auch die psychischen Begleiterscheinungen besonders auffällig sind. Durch das „bedingungslos geduldige Interesse am Körpererleben der Patienten“ zusammen mit der Körperarbeit in der Gruppe und dem Beachten von Übertragung und Gegenübertragung wird langsam ein anorexiefreieres Körperbild möglich, das vorher durch Entfremdung geprägt war. „Mein Körper ist wie eine Mondlandschaft“, sagte eine Patientin. Es geht um ein sozusagen verwüstetes oder entfremdetes Terrain, das durch die „in der Sackgasse ihrer Sucht verlorenen Patientinnen“ von völliger Selbstzerstörung bedroht ist. Maaser folgert u. a., dass die Behauptung, diese Patientinnen seien auf dem niedrigen Gewichtsniveau (nach der Einlieferung in der „ersten Phase“) nicht zu behandeln, konsequent als ein „Ich kann die Patientinnen in diesem Zustand nicht aushalten“ gesehen und bearbeitet werden müsse. Er bezieht sich mit dieser entschiedenen Aussage auf die Gegenübertragung des Therapeuten. Die jeweiligen Vorschläge zur Körperarbeit in der Gruppe ergeben sich dann wiederum aus Erfahrung und Intuition. Sie folgen dem Zustand der Gruppe oder einzelner Patienten. Die Methode wird auch im Rahmen ambulanter Workshops für andere Krankheitsbilder und für Interessenten durchgeführt. Hier werden also u. a. wieder Motorik und Bild als frühe Wahrnehmungsweisen für die Therapie verwandt. Bei der Magersucht spielt das veränderte Körpererleben eine besondere Rolle. So erkennen häufig die Erkrankten selbst im Spiegelbild nicht ihre extreme Abmagerung. Über die Rolle des Körperbildes, also des subjektiven Körpererlebens bei dieser Erkrankung gibt es deshalb schon seit längerer Zeit Untersuchungen. Etwa seit zwanzig Jahren kommen auch andere Krankheitsbilder hinzu, u. a. wurden die Folgen traumatischer Einwirkungen (besonders nach Gewalteinwirkungen) untersucht. Dabei sollten u. a. die „Körperkonzepte als Teile des Selbstkonzeptes“ differenziert, die „Körperwahrnehmung psychometrisch“ erforscht und „unbewusste Determinanten des Körperbildes untersucht“ werden – so v. Arnim, Lausberg und Joraschky in den einleitenden Worten ihres Beitrages zur „Körperbild– Diagnostik“. Die individuelle Entwicklung dieser Körperkonzepte ist besonders eng mit der frühen Entwicklung verbunden, in der auch die Emotionsregulierung zu einem wesentlichen Teil über den körperlichen Austausch zwischen Eltern und Kind vermittelt wird. Störungen der Beziehung werden damit auch Wirkungen auf das entstehende Körperbild haben. „Das beschädigte Körpererleben stellt in diesem Sinne eine Grundstörung, d. h. eine basale Vulnerabilität für spätere Selbstgefühlsstörungen dar.“ (Kap. 1.4) Sie wird sich in späteren Therapien in den Körperempfindungen in der Gegenübertragung (vgl. VolzBoers in d. B.) oder in Körperinszenierungen (Heisterkamp 2002a) zeigen. Bei Maaser wurde durch Zeichnungen des eigenen Körpers eine Annäherung an das Körpererleben erreicht. In dem von v. Arnim et al. beschriebenen „Körperbild-Skulptur-Test“ wird diese Annäherung mit dem „Plastizieren einer
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menschlichen Gestalt mit geschlossenen Augen“ durch den Patienten angestrebt. Auffälligkeiten des Körpererlebens zeigen sich in der gestalteten Figur häufig sehr deutlich und können beim Betrachten mit dem Patienten besprochen werden. Die Plastiken lassen sich auch qualitativ und quantitativ auswerten. Es ist dann auch die Struktur der entstandenen Gestalt, die Hinweise auf die Struktur des Selbst in einem umfassenderen Sinne erlaubt, u. a. auf Konsistenz und Identität. Patienten reagieren beim gemeinsamen Betrachten häufig emotional, da die Plastiken auf vorher nicht bewusste Phantasien oder auch auf schmerzhafte Erinnerungen aus der Kindheit hinweisen. Der KörperbildSkulptur-Test lässt sich also auch therapeutisch nutzen. Zuweilen wird das dargestellte Körperbild zur „Landkarte der erlebten Traumatisierungen“. (v. Arnim et al., i. d. B., Kap. 4.6) Darüber hinaus zeigt sich aber der wissenschaftliche Wert des Tests. Die Merkmale der entstandenen Figur können nach einem Erfassungsbogen eingestuft werden. Er wurde u. a. vor und nach Behandlungen bei verschiedenen Krankheitsbildern durchgeführt, in Erlangen auch bei Colon irritabile, bei Essstörungen und bei chronischen Schmerzpatienten mit Fibromyalgiesyndrom. Das wird z. T. an Abbildungen demonstriert. Wichtig ist auch die Beziehung zwischen Körperbild und Bewegungsverhalten. Beispiel: Bei der Anorexia nervosa wurde u. a. ein „gebundener Bewegungsfluss“ festgestellt. Dieser durch Anspannung nicht nur des Agonisten, sondern auch des Antagonisten bei Bewegungen gebundene Fluss, hat zur Folge, „dass eine Bewegung jederzeit gestoppt werden kann. Das entspricht dem Kontrollbedürfnis der Anorektiker auf dem Hintergrund von Ängsten, amorph zu werden. Wichtige Hinweise ergeben sich weiterhin durch unbewegt bleibende Bereiche des Körpers und isolierte Körperbewegungen“. (v. Arnim et al. i. d. B.) Die Bewegungsanalyse mit ihren Bewegungselementen ist heute weitgehend operationalisiert. In ihrer Geschichte wurde u. a. die „Laban-Bewegungsanalyse“ bekannt (Rudolf von Laban gehörte auch zu den Pionieren des Ausdruckstanzes). So führen die haptisch gestaltenden und die Bewegungsbeispiele dieses Beitrages wieder in das Zentrum der in diesem Buch behandelten Fragen; denn Körperbild und Bewegungsverhalten sind eng mit den „Lebensbewegungen“ im körperlichen und psychischen Sinne verbunden. Es wird auch deutlich, welche Möglichkeiten die Sichtbarkeit der Körperbewegung – ob bei Erwachsenen oder schon in der Interaktion von Säuglingen mit der Pflegeperson – für die Forschung bietet (das Kapitel wurde deshalb etwas ausführlicher referiert). So konnte z. B. der Bewegungsdiagnosetest von Lausberg zwischen verschiedenen psychosomatischen Diagnosegruppen differenzieren. (Lausberg et al. 1996, vgl. auch Geißler 2006b, Downing 1996) Gerade die Art des frühen Bewegungsverhaltens in der Interaktion, ihr Glücken oder Missglücken und die entsprechenden Auswirkungen auf die weitere psychische Entwicklung, einschließlich der eventuellen Niederschläge im impliziten Gedächtnis, hatten und haben starken Einfluss auf das psychoanalytischpsychodynamische Denken. In diesem Zusammenhang kann deshalb ein Blick auf die Entwicklung der Psychoanalyse in den letzten Jahrzehnten folgen, auf die hier besonders Bettighofer hinweist: Es ist eine Linie
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die von einer vorwiegend intrapsychischen zu einer auch interpsychischen Psychoanalyse führt, und als relationale Psychoanalyse eine besondere Ausprägung erfährt (vgl. u. a. Mitchell 2003) die sich von der Betonung der Vergangenheit zur Therapie im „Hier und Jetzt“ (Übertragung und Gegenübertragung) entwickelt hat. Allerdings wird – praktisch und theoretisch – der Bezug zur Vergangenheit damit nicht aufgehoben (vgl. auch Bohleber 2002)! in der Begriffe wie „Szene“, „Handlungsdialog“, „Enactment“ verwendet und in der Praxis angewendet werden. Sie verweisen damit wieder auf die wachsende Bedeutung der Handlung im analytischen Prozess.
Es war ein weiter Weg von einer Phase der Psychoanalyse, in der man den Therapeuten als möglichst unbeteiligten Beobachter sah, der die Assoziationen seiner Patienten registrierte und ab und zu in einer Deutung zusammenfasste bis hin zu den heutigen Auffassungen. Es gab Analytiker, die den Verlauf einer analytischen Stunde mit den absolut überschaubaren und regelhaften Bedingungen eines Experimentes verglichen. In der Praxis sah das glücklicherweise meist nicht so aus, doch war es für bestimmte Gruppen von Patienten nicht unbedingt die optimale Therapie (um es vorsichtig auszudrücken). Doch zeigen auch die Beiträge dieses Bandes, dass die Psychoanalyse in den letzten Jahren in vieler Hinsicht „in Bewegung“ geraten ist. Offenbar brauchte es lange klinische Erfahrung, um mit den Möglichkeiten der Psychoanalyse freier umgehen und sie ohne Sorge erweitern zu können. Doch es bleibt die schon erwähnte Skepsis vieler Analytiker gegenüber Körperarbeit und besonders gegenüber eigener Körpererfahrung. Ist ein Grund dafür die sozusagen ungeschützte Begegnung mit einem Bereich, der als privater, intimer und persönlicher empfunden wird als der sprachliche Umgang (auch in der selbst erfahrenen Lehranalyse) und der einer Begegnung mit leibnahen Ebenen, damit eventuell auch starken Emotionen, frühen Erlebnissen, oder überhaupt dem unmittelbaren Erleben näher stehen könnte? Der schon erwähnte Philosoph Kühn spricht von der „Unmittelbarkeit unseres immanenten Leibwissens“ der inneren „Selbstbewegung wie sie... in der bescheidensten Geste… phänomenologisch gegeben ist“ Dieser inneren Selbstbewegung sei man ständig ausgeliefert – in einer unaufhebbaren „Passibilität“ (i. d. B.). Kühn weiß um die vielfältigen Abwehrvorgänge, die wir deshalb psychisch aufrichten, verweist aber mit diesen Vokabeln auch auf eine Ursprünglichkeit, die in jedem Falle vor aller weiteren Bearbeitung gegeben ist. Von Freud wird (sinngemäß) der Ausspruch überliefert, er könne Plastik eher genießen als die Musik, da er wissen müsse, warum er genießt. Ist dieser rationale Zug, den Freud neben seiner Kreativität für seine bahnbrechenden Entdeckungen brauchte, auch als leiser Widerstand gegen diese unaufhebbare „Passibilität“ erhalten geblieben? Ich sage: „neben seiner Kreativität“, denn er hatte ja auch den bahnbrechenden Einfall, die passiv getönte „freischwebende Aufmerksamkeit“ als eine der grundlegenden psychoanalytischen Haltungen einzuführen. Dass diese Haltung heute je nach Patient auch variiert werden kann, schwächt ihre Bedeutung nicht ab. Diese Variabilität, die ja auch ein Thema dieses Buches darstellt, wird u. a. in zwei Beiträgen deutlich, die zum Abschluss dieser Übersicht erwähnt werden sollen. Durch sie wird u. a. wieder die Frage „körperbezogene oder verbale Intervention“ angeregt. Die in diesen beiden Arbeiten erwähnten Fallbeispiele betreffen auch Patienten mit Borderline-Symptomatik.
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Häufig werden als Ursachen einer Borderline-Persönlichkeitsstörung bekanntlich frühe traumatische Einwirkungen genannt, die oft auch mit inkonsistentem und damit verunsicherndem Zuwendungsverhalten der Pflegepersonen verbunden sein können. Dadurch kommt es zu einer Identifikation des Kranken mit widersprüchlichen Modellen und zu einer Identitätsstörung sowie instabilen, aber intensiven Beziehungen, häufig auch selbstgefährdenden Handlungen als Störungsmerkmalen (vgl. Eckard-Henn et al. 2004). Gerade die Sucht stellt dann auch den Versuch dar, die Beseitigung von gefürchteten überflutenden Affektzuständen „in der Hand zu haben“ (in Form des Suchtmittels) und jederzeit effizient einsetzen zu können. Das wirkt auch gegen das Gefühl der Ohnmacht und bedeutet einen verbliebenen, wenn auch selbst zerstörerischen Freiheitsraum. (Vgl. bes. Kern 2006) Die Behandlung stellt besondere Anforderungen an den Psychotherapeuten. Reinert beschreibt die Langzeitbehandlung von Borderlinestörungen und weist auf dem Hintergrund langer klinischer Erfahrung auf wichtige Strukturund Behandlungsmomente hin, die hier wieder nur ausschnittweise erwähnt werden: Er sieht die Entstehung der Störung multifaktoriell bedingt. So seien nicht allein die häufig genannten frühen traumatischen Verletzungen in der familiären Umgebung wichtig, sondern auch eine Atmosphäre, in der das Kind spürt, dass es auf die Erwartungen der Umgebung eingehen muss, da es sonst abgelehnt wird. Diese Ablehnung würde als eine tödliche Bedrohung empfunden, die zur Unterdrückung eigener Gefühle und Bedürfnisse und als Folge zum Verzicht auf eigene Identität führe. Die auf Grund mangelnder früher Sicherheit brüchige Persönlichkeitsorganisation könne längere Zeit unter einer PseudoStruktur verborgen bleiben, aber später in Krisensituationen zusammenbrechen. (Ich möchte hier hinzusetzen: Dass die eventuelle Ablehnung als „tödliche Bedrohung“ empfunden wird, dürfte auch an den vom Verfasser erwähnten multifaktoriellen Bedingungen liegen, an prä-, peri- und postnatalen Faktoren, die kumulativ-traumatisch wirkten und wahrscheinlich als frühe diffuse Todesangst erlebt wurden.) Reinert betont weiter: Wer keinen Wert hat, kann keine eigenen Ansprüche stellen. Der Borderline-Patient darf nur dann eigene Bedürfnisse (konstruktiv) aggressiv durchsetzen, wenn die anderen zu ihm aggressiv sind – bzw. er sie dazu bringt! In diesem Zusammenhang fragt der Verf. einen Borderline-Patienten, der verbal schwer zugänglich ist, ob er sich auf eine Übung einlassen könne, die „etwas mit Nähe und Ferne, Bedrohlichkeit und Schutz zu tun habe.“ Er schlägt ihm vor, sich in die Mitte des Raumes zu stellen. Er (Therapeut) würde auf ihn zugehen, bis von Seiten des Pat ein „Stopp“ erfolgt. Der Patient stimmt zögernd zu. Als der Therapeut auf ihn zukommt, sagt er aber nicht „Stopp“, sondern geht rückwärts, bis er mit dem Rücken an der Wand steht. Als der Therapeut – weiter ihm nachgehend – ihn schließlich mit dem Körper vorsichtig in die Ecke drückt, gibt der Patient ihm plötzlich einen heftigen Stoss, so dass er einige Meter zurücktaumelt.
An dieser Szene kann dann deutlich werden, dass der Patient sich erst wehren darf, wenn er aggressiv „in die Ecke getrieben“ wird (von mir stark gekürztes Beispiel). Der Borderline-Patient lebt nach Reinert auch in zwei Welten: In der „offiziellen“, in der er auf eigene Strebungen, Impulse, ja Identität verzichtet, und einer versteckten eigenen Welt, die er mit autoregulativen Mechanismen (u. a.
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Sucht, Selbstverletzung) zu beherrschen versucht. Damit kann dann häufig auch das Gefühlsleben (oft mörderische Wut, tiefe Gefühle der Verlassenheit etc.) ohne Angewiesensein auf ein lebendiges Gegenüber beherrscht werden. Der Kranke sucht also in dieser Hinsicht Autarkie. Auch der eigene Körper wird manipuliert (z. B. durch Schneiden oder Drogen) und bleibt oft fremd. Hinter allem steht die Angst vor Auflösung und Selbstverlust. Es fehlen in der Entwicklung dieser Kranken auch die „kontinuierlichen aufeinander aufbauenden Entwicklungsschritte“. Auch wegen des Ausfalls eines früh in der Beziehung gelingenden Zusammenklanges des körperlichseelischen Erlebens, gehört Körperpsychotherapie zu einer BorderlineBehandlung. Sie muss allerdings sehr sorgsam auf das jeweilige Strukturniveau abgestimmt sein. Der Autor gibt dafür zahlreiche Beispiele. Sie führen von der gemeinsamen Bewegung im Raum bis zum nahen Berührungskontakt. Diese nahen Berührungskontakte in der Therapie haben auch zu strittigen Auseinandersetzungen über das Problem der Abstinenz in der Psychotherapie geführt, besonders wenn es sich beim Therapeuten und Patienten um verschiedene Geschlechter handelt. Mir erscheint es als sicher, dass u. a. bei Patienten, die in frühen kritischen Phasen auf stützenden Körperkontakt verzichten mussten, oder widersprüchliche psychophysische Botschaften erhielten, die Berührung eine wichtige Rolle spielen kann. Das zeigen auch Forschungsergebnisse, auf die Marcher et al. (2006) hinweisen und in denen beschrieben wird, wie etwa durch sanfte Berührung verschiedene Botenstoffe freigesetzt werden, Botenstoffe, die u. a. Angst verringern und Empfindungen des Behagens und Vertrauens erzeugen. (Auch in diesem somatisch orientierten Artikel wird aber abschließend die Wichtigkeit der sprachlichen Integration betont!) In der frühen Erfahrung wird durch das empathische Halten des Kindes auch physischer und psychischer Halt gegeben und das Gefühl von Halt- und Bodenlosigkeit vermieden, das Friedrich Dürrenmatt sehr eindrucksvoll in seiner Erzählung „Der Tunnel“ dargestellt hat. (Vgl. auch Müller-Braunschweig 2006) Hier liegt wieder die Frage nahe, ob bei schweren Entwicklungsstörungen nicht die Körperpsychotherapie, u. a. die Berührung, noch häufiger in die Therapie integriert werden sollte, als es heute der Fall ist. Reinert vertritt entschieden diesen Standpunkt, dem ich mich anschließe. Dass aber diese Frage nicht pauschal zu entscheiden ist, darauf weist die Arbeit von Volz-Boers hin. Sie betont, wie wichtig es sei, dass der Therapeut mit seinem eigenen Körpergefühl in gutem Kontakt ist. Die Verfasserin ist es offensichtlich in besonderem Maße. Sie setzt mit der Darstellung ihrer körperlichen und emotionalen Gegenübertragungserlebnisse in der psychoanalytischen Arbeit auch die Linie ihrer bisherigen Arbeiten in diesem Bereich fort. Dabei führt sie keine aktiven Körperinterventionen ein. Das eigene emotionale und körperliche Erleben verbindet sich jedoch mit dem jeweiligen Erleben des Patienten in überzeugender Weise und führt zu einer analytischen Arbeit, die in den beiden von ihr ausführlich gegebenen Fallschilderungen auch dissoziierte Anteile der Patienten erreicht. Im zweiten Fall geschieht das bei einer „schwere[n] Ausprägung männlicher Hysterie mit Borderlinequalität.“ (Volz-Boers, i. d. B., Kap 1) Im Folgenden ein – hier notwendigerweise wieder sehr verkürzter – Hinweis auf diesen Fall: Der Patient hat u. a. große Angst vor gefühlvoller Nähe. Er praktizierte stattdessen suchtartige Sexualität (Don Juanismus). Seine Geburt war lebensgefährlich, die Mutter verblutete fast.
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Hans Müller-Braunschweig In einer Stunde berichtet er wieder einmal über das Erlebnis einer eigenen schweren Magenblutung in der Vergangenheit, die lebensbedrohlich wurde. Er wurde damals zunehmend schwächer und „verging langsam“. Die Therapeutin spürt dabei einen Sog in ihrem Kopf, als brauche sie „einen Halt zum Anlehnen ihres Kopfes, eine Art Widerlager.“ Auch ist ihr, als kippe die hinter ihr befindliche Wand auf sie zu. In dieser Situation überlässt sie sich ihren Assoziationen. Das Verrücken der Wand verbindet sich dabei mit Bewegungen der Gebärmutterwand, der Sog in ihrem Kopf auch mit Geburtsphantasien. Der Patient spricht zwischendurch von seiner Enttäuschung darüber, dass ihm die Therapeutin nicht zu seinem heutigen Geburtstag gratuliert und ihn dabei umarmt habe. Volz-Boers überlässt sich weiter ihren Phantasien und sieht ein Bild aus ihrer medizinischen Ausbildung: eine Szene im Entbindungssaal, aber jetzt auf den Patienten bezogen: das Personal kümmert sich um die (während der realen Geburt) fast verblutende Mutter, das Neugeborene befindet sich wie „abgelegt“ auf einem Tisch. Die Therapeutin sagt dann zum Patienten, dass der Wunsch nach einer Umarmung wohl auch das Bedürfnis nach einer undramatischen Geburt birgt, bei der er gehalten worden wäre. Sie nimmt dabei wahr, dass ihre Stimme warm und weich klingt, als ob sie zu einem Säugling spräche. Der Patient reagiert offensichtlich auf diesen Stimmklang und sagt schließlich sehr bewegt, die Zärtlichkeiten vieler Frauen hätten ihn nicht so berührt wie das Gefühl, das er jetzt in seiner Haut hat. Es sei, als ob ihn die Therapeutin innerlich umarme...
Die Verfasserin bemerkt dazu u. a.: „Ich lasse zu, dass der desintegrierte Affekt des Patienten einen Raum in meinem Körpererleben findet. Meine Körperempfindungen verarbeite ich zu Bildern und Phantasien, die im Zusammenhang mit der traumatischen Geburt des Patienten stehen“. Dabei ginge es wesentlich „um die Verbindung zwischen sensomotorischem Empfinden und Sprache“. „Die sprachliche Benennung von Körpererleben und konstruktiv entwickelten Bildern“ bereite dann die Bildung neuer Repräsentanzen vor. (Kap. 1, vgl. hier u. a.: Götzmann u. Holzapfel 2003) Die Integration des Körpererlebens ist hier überzeugend gelungen und wird theoretisch sehr klar erfasst. Offensichtlich hat die Autorin auch Selbsterfahrung in irgendeiner Art von Körperarbeit, die ihr diese Art des Zuganges erleichtert. Es wäre zweckmäßig, dass der Zugang zum eigenen Körpererleben auch in der psychoanalytischen Ausbildung und der Ausbildung anderer psychotherapeutischer Schulen mehr beachtet, angeregt und angeboten würde (s. u.). Auch in diesem referierten Fall ist über das Zusammenspiel von Therapeutin und Patient etwas Neues entstanden, im obigen Sinne eine „Gestalt“, die ein neues Entwicklungspotenzial besitzt. Es wird hier auch deutlich, dass der Anteil verbaler oder körperbezogener Momente in der Arbeit eines Psychotherapeuten von vielen Faktoren abhängt: seiner gesamten Entwicklung, seinem Gefühl für Verbalität, Bild und Rhythmus, der Beziehung zu seinem Körpererleben und seiner Verbindung von Körper, Emotion und Kognition. Das beeinflusst wiederum die Entscheidung für einen oder mehrere Ausbildungswege. Eine ganzheitliche Bildungstendenz kann hier nur von Vorteil sein. In ihrem bemerkenswerten Kapitel „Rahmen, Arbeitsbündnis und Setting – oder die Einrichtung der »psychotherapeutischen Werkstatt«“ ziehen die Autoren Heisterkamp und Geißler das Fazit der Beiträge dieses Buches für die psychoanalytische Behandlungspraxis. Die Reaktion psychoanalytischer Kollegen, die dieses Kapitel lesen, wird sich wahrscheinlich innerhalb einer breiten Skala bewegen: von entschiedener Ablehnung über teilweises Einverständnis bis hin zu befreiter Zustimmung. Wie auch immer – ich wünschte, möglichst viele psychoanalytisch orientierte Psychotherapeuten, und besonders die Psychoanalytiker der Fachgesellschaften
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mit einer langen – oft entsagungsvollen – Ausbildung, würden dieses kurze, aber dabei so wichtige Kapitel lesen. Die Kunst einer hoch differenzierten Betrachtung des entstehenden Prozesses – ein Vorteil der analytischen Technik – wird nie in Frage gestellt. Darüber hinaus geht es aber um die Vermeidung jeder Ideologie über „reine“ Psychoanalyse, die zuweilen in das unnötige Ausüben von Macht übergehen kann, die zur Einschränkung wirklicher Lebendigkeit führt, und – im schlimmsten Falle – in (ungewollte) Inhumanität mündet. Auch in diesem Beitrag geht es um ein Vermeiden dieser Gefahren, um eine Grundhaltung, die seelisches Wachstum fördert, die Spiel-Räume erweitert, um 5 „mit dem Patienten ein gemeinsames (...) Behandlungswerk zu gestalten“ . (Kap. 5) Abschließend noch einige Bemerkungen zum Bereich des Präverbalen, das in der Thematik dieses Buches eine so wesentliche Rolle spielen wird: Die verschiedenen Seinsebenen des Menschen sind in jeder Lebenssituation mehr oder weniger wirksam. Sie reichen von den ganz frühen diffusen „Zuständen“ mit ersten Spuren des Erlebens, wie schon bei einfachsten Lebewesen, bis hin zu bewusster Reflexion. Diese frühen und späteren Ebenen sind untereinander vernetzt (vgl. hier besonders das Kapitel über Entwicklung). Zwischen Behandler und Behandeltem spielen daher auch subtilste Schwingungen eine Rolle – wie in jeder Beziehung. Diese nonverbalen Kommunikationsformen wirken auch unbewusst. Sie beeinflussen die Übertragung und Gegenübertragung, wie gerade bei Volz-Boers deutlich wurde, ebenso die beiderseitigen Phantasien, sie rufen verschiedenartige Emotionen und Körpergefühle hervor. In ihnen sind Körperlichkeit und Emotion gleichermaßen enthalten. Sie haben damit auch Züge der frühen Kommunikation zwischen Mutter und Kind, die sowohl „Formen, Intensitätsgrade und Zeitmuster – die eher globalen Merkmale des Erlebens“ (Stern 1992, S. 80) als auch die musikalischen Anteile der Sprache enthalten. Das betrifft dann beispielsweise auch den Sprachklang des Therapeuten oder das raschere oder verzögerte Einsetzen seines Sprechens nach einer Pause. Auch auf diesem Wege werden Körperempfindungen und Emotionen zwischen den Beteiligten übermittelt. Es bleibt jeweils im Einzelfall zu entscheiden, ob direktere Berührung und Bewegung oder die von Volz-Boers beschriebenen subtilen psychophysischen Kommunikationsmittel in die Gesamtsituation passen und ihre Weiterentwicklung ermöglichen. Diese Beteiligung der verschiedenen Entwicklungsstufen in jedem Moment des therapeutischen Prozesses ist ein wesentlicher Grund für das Veränderungspotenzial des analytischen Prozesses. In dieser Verbindung ist auch noch etwas zum Wort zu sagen. Denn die verbale Intervention steht in den Diskussionen immer wieder in einem Spannungsverhältnis zu Interventionen auf der Körperebene.
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Beim Abschluss meines Beitrages standen mir nicht alle in diesem Band veröffentlichten Arbeiten zur Verfügung. Diese können deshalb nicht erwähnt werden. Es lag aber auch nicht in meiner Absicht, alle Artikel aufzulisten; der Umfang dieser Gedanken zum Thema ergab sich erst beim Schreiben. Ich denke, dass alle Beiträge in diesem Buch für sich sprechen und eigentlich keines weiteren Kommentars bedürfen. Doch schien mir eine gewisse „Einstimmung“ der Leser bei diesem vieldiskutierten Gebiet von Vorteil zu sein. Auch die jeweilige Länge der Kommentare bedeutet keine Wertung. Sie hängt mit spezifischen Vorerfahrungen zusammen, die dann eine ausführlichere Darstellung anregten.
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Wenn die genannten nonverbalen Anteile in einer verbalen Intervention mitschwingen, erhält diese dadurch Fülle und Lebendigkeit. Auf diese Bedeutung präverbaler Komponenten für den Reichtum des Wortes wies schon Loewald hin. Die konzentrierende, hinweisende Kraft des Wortes „bündelt“ aber dann auch die verschiedenen nonverbalen Anteile. Es kann durch diese zusammen-„fassende“(!) Eigenschaft ein Moment der Sicherheit vermitteln. Der Patient empfindet: „Das also ist gemeint, es wird mir in diesem Moment von der wichtigen Beziehungsperson, dem Therapeuten, gesagt. Bisher unverbundene Anteile in mir werden damit verbunden, und ich werde auf eine bisher nicht 6 gekannte Art verstanden“. Das in der Therapie gesprochene Wort muss also auch einen bedeutenden Anteil der schon früh auftretenden nonverbalen Elemente enthalten, zu denen dann später die hinweisende semantische Funktion hinzukommt. Wie Mitchell unter Hinweis auf Loewald sagt, erwartet die Mutter bei ihrem Sprechen zum Säugling nicht, dass ihre Worte inhaltlich semantisch verstanden werden. Das Wort sei vielmehr eingebettet in den Sprachfluss einer umfassenden MutterKind-Erfahrung. In dieser frühen Funktion sind „Wort, Körper, Affekt, Beziehung, ununterscheidbare Komponenten eines ganzheitlichen Erlebens.“ (Mitchell 2003, S. 44) Auch die Wirkung von Literatur beruht – im Unterschied beispielsweise zu einer technischen Information – weitgehend auf der wesentlichen Beteiligung der frühen Komponenten, unter ihnen besonders Sprachklang und Rhythmus. Sie können wiederum als frühe Anteile einer Lebensbewegung gesehen werden, die Emotionalität übermittelt – nun aber auch eingebunden in eine übergreifende Bedeutung. Dieser Zusammenhang von Körperbewegung und Emotion lässt sich auch im Lernvorgang von Schauspielschülern beobachten: Ist ihr Körper beim Aussprechen der Rolle nicht genügend beteiligt, bleibt der gesprochene Text ausdruckslos und hat keine Wirkung auf den Zuhörer (mit „Körperbeteiligung“ ist hier nicht die Gestik gemeint, sondern z. B. die Mitbewegung von Brust, Bauch, Rücken, die auch über den Atem feststellbar ist). Und auch ein inhaltlich interessanter wissenschaftlicher Vortrag verliert einen guten Teil seiner Wirkung, wenn er ohne kommunizierte emotionale Beteiligung vorgetragen wird, die wieder auf diesen erwähnten Komponenten beruht. Diese stärkere Wirkung der nonverbalen Anteile gilt natürlich besonders für die therapeutische Wirkung der verbalen Intervention durch den Therapeuten! Selbsterfahrung in körperorientierter Psychotherapie kann von daher auch die Wirkung der verbalen Kommunikation in der Therapie verstärken. Das würde besonders für Verfahren gelten, die sprachlichen Ausdruck und Arbeit mit dem Atem einschließen. Wir reden über die psychischen Phänomene immer wieder in bilderreichen, ins Räumliche übersetzten Metaphern, die auch in diesem Text immer wieder erschienen; so beim o. g. „inneren seelischen Raum“, mit dem die „unbewusste Kommunikation“ des Patienten empfangen werden kann, ebenso dem „psychischen Raum“, der sich in einer Gruppe bildet, oder der „projektiven Identifikation“, mit der wir abgewehrte unbewusste Anteile des Patienten spüren, die in uns „hineinverlagert“ werden. Diese Verwendung räumlicher Metaphern ist kaum zu umgehen. Trotz aller Beachtung präverbaler Kommunikationsweisen
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N. Roth, Basel, verdanke ich wesentliche Einsichten in diese Prozesse.
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bleibt aber oft unklar, wie die unbewusste Kommunikation entsteht. Gemeinhin sagt man lapidar: „Das geht eben von unbewusst zu unbewusst“. Aber wie?
Einer Analytikerin wird speiübel Vor einiger Zeit hörte ich in einer Supervision den Bericht einer Kollegin. Sie erzählte, dass ihr in einer Stunde ganz plötzlich sehr übel geworden sei. Sie wusste nicht warum. Es ging ihr an sich gesundheitlich gut, die Erzählungen der Patientin hatten dazu keinen Anlass gegeben. Sie konnte die Stunde aber nur mit Mühe zu Ende führen. Es ging auch nicht um einen bestimmten Gesichtsausdruck oder um Bewegungen der Patientin (die auf der Couch lag!). In der darauf folgenden Stunde, etwa der 80. Sitzung, erzählte diese Patientin dann erstmalig, dass sie bis vor kurzem an Bulimie gelitten habe. Das Erbrechen sei aber nach Beginn der Analyse langsam zurückgegangen, und etwa noch zwei bis dreimal in der Woche aufgetreten, hatte dann kurz vor der letzten Stunde (in der der Therapeutin übel wurde) ganz aufgehört. Doch hatte die Patientin in den vorhergehenden Stunden nie über diese Symptomatik gesprochen. Nun gibt es, wie erwähnt, unzählige psychische Vorgänge, die subliminal, also unbemerkt aufgenommen werden und auf uns wirken – also Zeichen, die ein Grund für ein solches Geschehen sein könnten. (Man kann hier auch an das Phänomen denken, dass durch den verheerenden Tsunami im Indischen Ozean nur wenige Wildtiere zu Schaden kamen, weil sie das Herannahen der Welle spürten und sich rechtzeitig zurückzogen.) Trotzdem fällt die Erklärung schwer, und Helene Deutsch schrieb schon vor Jahrzehnten eine Arbeit über „Okkulte Vorgänge während der Psychoanalyse“ (1926). Buchholz und Gödde (2005b) haben vor einiger Zeit auf ein gewisses Interesse Freuds an telepathischen Phänomenen hingewiesen, ein Interesse, das er bis an sein Lebensende behalten haben soll. Kürzlich hat der Physiker Thomas Görnitz, der jahrelang mit Carl Friedrich von Weizsäcker zusammenarbeitete, auch zusammen mit seiner Frau, einer Psychoanalytikerin, ein quantentheoretisches Modell entwickelt, das solche Vorgänge naturwissenschaftlich verständlicher machen könnte.
Dies also zum Abschluss noch als ein kurzer Blick auf eines der nur zum Teil verstehbaren Phänomene der Psychoanalyse, die noch interessante Entwicklungen in der Zukunft versprechen. Glücklicherweise lässt sich die Wirkungsweise der szenischen und körperbezogenen Arbeit in unserem Berufsstand etwas leichter verstehen als die Quantentheorie, auch wenn erstere in der Zukunft noch viel Forschungsarbeit verlangen wird. Vor kurzem hörte ich die Besorgnis, an welche Regeln man sich in einer Psychoanalyse noch halten könne, die sich in so vielfältiger Weise verändert, besonders durch die Einführung der relationalen Betrachtungsweise. Aber die Beachtung unseres eigenen körperlichen und psychischen Zustandes in der Stunde, die auch von den subliminal (oder auf andere Weise) empfangenen Signalen des Patienten abhängt, die beschriebene Aufnahmefähigkeit für seinen jeweiligen Zustand, für die Atmosphäre der Stunde, sowie die aus längerer Erfahrung und Selbsterfahrung erwachsene Einsicht in mögliche psychische Zusammenhänge der eigenen auftauchenden Gedanken, Phantasien, Erinnerungen in der Therapie – also auch die von Betty Joseph erwähnte „Gesamtsituation“ einschließlich unserer Gegenübertragung – alle diese Phänomene tragen zu einem einigermaßen verlässlichen Verständnis des Patienten bei und verleihen uns eine gewisse Sicherheit. Gerade das „in Fluss bleiben“ der Psychoanalyse und der therapeutischen Handlungen bietet eine kreative Chance – für Veränderungen des Patienten, für die weitere Entwicklung der Psychoanalyse und damit auch für die Veränderung der Psychoanalytiker. Dazu tragen die Beiträge dieses Bandes bei.
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Hans Müller-Braunschweig Hans Müller-Braunschweig, Prof. Dr. phil., Psychoanalytiker, 1970 bis 1984 Leiter des Psychoanalytischen Instituts Giessen, Lehranalytiker der DPV, Selbsterfahrung in verschiedenen körperorientierten Therapien Adresse: D-35435 Wettenberg, Volpertstriesch 4 E-Mail:
[email protected]
KAPITEL
1 Grundlagen und neuere psychoanalytische Konzepte
Körperinszenierungen Joachim Küchenhoff
1. Zur Theorie der Inszenierung als Performativität Wenn im Titel vom „Körper“ die Rede ist, dann ist der Umgang mit dem Körper gemeint, den uns Patienten, die wir psychiatrisch oder psychotherapeutisch behandeln, präsentieren. Der Schwerpunkt liegt somit auf körperbezogenen Symptomen, die im Kontext der Therapie verstanden werden können, m. a. W. auf klinischen Erfahrungen. Außerdem werde ich nicht vom „Leib“ sprechen, nicht also vom ganzheitlichen Körpererleben, sondern nur von körperlichen Erfahrungen, die eine Funktion im Beziehungskontext übernehmen. Der Begriff der Inszenierung verlangt eine etwas genauere Erläuterung. Nehmen wir seinen geläufigsten Gebrauch als Referenz: ein Theaterstück wird inszeniert. Die Inszenierung verweist auf etwas Vorgegebenes, einen Text des Bühnenstücks etwa, Auslegungen, frühere Aufführungen und die von ihnen angestoßenen Diskurse. Die Inszenierung kann aber nicht als vollendete Repräsentation des Textes aufgefasst werden. Die Performativität, die Tatsache also, dass der Text aufgeführt wird, dass er verkörpert und durch die Sprech- und Körperhandlungen der Spieler realisiert wird, dass durch diese In-SzeneSetzung aber eine neue Gegenwärtigkeit erzeugt wird, die über die Mimesis am Text hinausgeht, macht den Reiz des Theaterbesuchs aus. Filme werden nach Abschluss der Dreharbeiten nicht mehr inszeniert, sie werden abgespielt, jede neue Abspulung kommt mit geringeren performativen Einflüssen aus (der Atmosphäre des Lichtspieltheaters etwa), die Wiederholung ist ansonsten reine Mimesis. Das Theater hingegen hat viel Performanz, d. h. mehr von jener „Komponente des mimetischen Prozesses, in dem die Veränderung und Neugestaltung im Mittelpunkt steht.“ (Wulf 2004, S. 177) Performativität ist untrennbar mit dem Körper verbunden. Dies gilt für jeden performativen Prozess. Daher schon ist es legitim, die Performativität zum Ausgangspunkt einer Analyse körperlicher Symptome zu nehmen. Nun könnte der Vergleich mit dem Theater einer verkürzenden Analyse von Inszenierung das Wort reden. Um dies zu vermeiden, ist es notwendig, das Spannungsfeld von „Mimesis und Performanz“ (Iser 1991, S. 481ff.), vereinfacht: von reproduktiver Wiederholung und erneuernder Variation, ernst zu nehmen und genauer zu begreifen. Wir können durchaus beim Theater bleiben und feststellen, dass allein schon die Tatsache bemerkenswert ist, dass wir an der gleichen Aufführung eines gehaltvollen Theaterstücks, z. B. Shakespeares Dramen, beliebig oft teilnehmen können – aus dem intuitiven Wissen heraus, dass durch die Tatsache der Aufführung, Verkörperung, der aktuelle Theaterabend unvergleichlich ist. Dieser Gedanke gilt auch in verallgemeinerter Form: „Performatives Wissen hat imaginäre Komponenten, enthält einen Bedeutungs-
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überschuss und lässt sich nicht auf Intentionalität reduzieren.“ (Wulf 2004, S. 176) Diese Überlegung lässt sich ihrerseits in einem wohlverstandenen Sinn anthropologisch ausweiten. Wir leben, aber wir haben uns nicht – Selbsttransparenz ist den Menschen nicht möglich. Um diesen Gedanken zu begründen, kann man das Grundkonzept der Psychoanalyse, das Unbewusste, anführen, man kann aber auch die exzentrische Position des Menschen, wie sie von Pless1 ner (1985, S. 235) beschrieben worden ist , und viele andere Autoren ins Feld führen. Die körperlich bestimmte, „inkarnierte“ (Merleau-Ponty; vgl. dazu z. B. Taylor 1986, S. 195ff) Lebenspraxis ist niemals Repräsentation und Realisierung einer vorher bestehenden Absicht des Bewusstseins, sie hat einen performativen Überschuss, der allerdings wiederum dazu dient, durch die Darstellung dessen, was nicht durchsichtig ist, die Selbsttransparenz zumindest potenziell zu erhöhen. Inszenierung lässt sich als anthropologische Kategorie (Iser 1991, S. 504) verstehen. „Ist Darstellung phantasmatische Figuration, dann wird sie zum Modus der Inszenierung, die das zur Erscheinung bringt, was seiner Natur nach nicht gegenständlich zu werden vermag. Dazu gehört v. a. die früher schon erwähnte exzentrische Position des Menschen, der ist, aber sich nicht hat“ (Iser 1991, S. 504). Diese Tatsache führt zur Anerkennung der Unverfügbarkeit, und genau diese wird inszeniert. „Inszenierte Unverfügbarkeit des Menschen manifestiert 2 sich in unvordenklichen Konflikten, die ihre Veranschaulichung nur durch Spielvariationen gewinnen können. Einem solchen Spielen eignet Endlosigkeit, weil die Inszenierung das Paradox ermöglicht, das Sich-nicht-haben-Können als solches zu haben.“ (A. a. O., S. 505) Der große Literaturwissenschaftler Wolfgang Iser hat diese anthropologische Kategorisierung der Inszenierung auf die Literatur bezogen. Der Philosoph Christian Wulf, der eine von historischen Missverständnissen entschlackte, hochmodern durchdachte Konzeption der Anthropologie vorgelegt hat, hat die anthropologische Perspektive ganz in Übereinstimmung mit Iser, aber noch fassbarer so beschrieben: „Wir müssen uns entwerfen und uns in unterschiedlichen Inszenierungen aufführen. Um uns wahrnehmen, begreifen und verstehen zu können, inszenieren wir uns; in diesen Inszenierungen und ihren Wirkungen auf andere Menschen sowie deren Reaktionen auf unsere Handlungen erfahren wir uns.“ (Wulf 2004, S. 176) Diese Formulierung drängt eine Anwendung der Kategorien von Inszenierung und Performativität auf die Psychopathologie und Psychodynamik körperbezogener Beschwerden und Leiden geradezu auf. Mir ist daran gelegen, nicht bloß eine schöne Metapher zu benutzen, wenn ich von Körperinszenierungen rede. In psychoanalytischen Zusammenhängen ist nicht viel über die Performa1
Plessner beschreibt die Differenz von Tier und Mensch durch den Begriff der exzentrischen Positionalität. Durch die Reflexivität tritt der Mensch notwendig in Distanz zu sich selber. „Selbst-Bewusstsein“ kennzeichnet das Bewusstsein seiner Selbst, damit eine in das Selbst eingeschriebene Differenzerfahrung. Reflexivität schafft Distanz, entfernt den Menschen aus einer naiv gelebten Lebensmitte. 2 W. Iser benutzt den Begriff „unvordenklich“ hier im wörtlichen Sinne: Konflikte können nicht vor-gedacht, durch vorwegnehmendes Denken bearbeitet werden.
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tivität nachgedacht worden, und wenn, so z. B. bei McDougall, wird ihr zu wenig Gewicht beigelegt; McDougall (1988, 1989) hat statt von Inszenierung vom Theater gesprochen, zwei Buchtitel lauten „Thêatres de Je“ und „Thêatres du Corps.“ (Deutsch: Theater der Seele 1998, Theater des Körpers 1991) Theater wird von ihr als Metapher der psychischen Wirklichkeit verstanden, der Theaterbegriff erscheint ihr eine sinnvolle Metapher, weil „unsere inneren Charaktere ... ständig nach einer Bühne zur Aufführung ihrer Tragödien und Komödien (suchen).“ (McDougall 1988, S. 2) Ja, das ist sicher richtig, aber die Konsequenzen, die aus diesem Ansatz gezogen werden können, reichen weiter als das Verhältnis von „innen“ und „außen“, weiter als die Analogie zur Bühne. Das Verhältnis von Mimesis und Performanz ist zu prüfen; in klinischen Zusammenhängen kann dieses Verhältnis einerseits die Relation zwischen dem intendierten und andererseits unbewussten Gehalt einer Körperinszenierung meinen. Die Selbstunverfügbarkeit des inszenierten Erlebnisaspektes ist dementsprechend unterschiedlich groß. Dann aber auch gilt es, das Ausmaß performativer Umwandlungen ins Verhältnis zu den Erlebnissen, die durch die Inszenierungen wiederholt werden, zu setzen. So verweist der Inszenierungsbegriff auf Freiheitsgrade im Umgang mit Prägungen. „In den Inszenierungen verselbständigt sich die eigene Andersheit des Menschen. Dies ist insofern aufschlussreich, als dadurch die Prägungen, die der Mensch seit seiner frühkindlichen Phase durchgängig erfährt, nie restlos zu seiner je individuellen Bestimmtheit führen. Stattdessen zeugen die Inszenierungsmöglichkeiten davon, dass gerade angesichts dieser Prägungen im Sich-Spiegeln wechselnder Andersheiten ein Unterlaufen der Prägungen gesucht wird.“ (Iser 1991, S. 514) Wenn die Freiheitsgrade im Umgang mit lebensgeschichtlichen Prägungen gering werden, dann tendiert die Inszenierung zu monotoner Wiederholung, die ich – um diesen Gesichtspunkt des Verlusts an Variationsbreite zu unterstreichen – „Wiederkehr“ genannt habe. (Küchenhoff 1998) Nur wenig muss die Perspektive verschoben werden, um zu sehen, dass das Verhältnis von Performanz und Mimesis eine Dimension der Zeitlichkeit beschreibt, die in der Psychoanalyse insgesamt von großer Bedeutung ist. Was inszeniert wird, wird gegenwärtig inszeniert. Der Bezug zur Vergangenheit ist zu konstruieren, immer aber gilt, dass wir den Patienten in der Gegenwart begegnen, und dass der Spielraum der Inszenierung im „Hier und Jetzt“ entscheidend ist. Deshalb gehört schließlich auch der Gesichtspunkt der Macht der Inszenierung über den Adressaten zu den methodologischen Konsequenzen des Inszenierungsansatzes. Performativität ist Macht; Butler (1997, S. 46) hat „Performativität als Macht des Diskurses“ beschrieben. In der Sprechakttheorie ist von der illokutionären Kraft des Ansprechens die Rede. Auch in der Körperinszenierung geht es um diese Fragen: wer wird angesprochen? Mit welcher Macht, mit welchen Methoden, die den Anderen zu fesseln vermögen? In der Kleinianischen Psychoanalyse ist von der projektiven Identifizierung die Rede, als eines Mechanismus, gerade auch durch Inszenierungen Affekte zu vermitteln, schließlich auch „bloß“ inszenierte, nicht selbst erlebte Affekte im Gesprächspartner spür3 bar werden zu lassen.
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Vgl. dazu den Beitrag von Downing (i. d. B.).
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In einem Punkt freilich stößt der Inszenierungsbegriff an eine inhaltliche Grenze. Er legt nahe, und die zitierten anthropologischen Ansätze greifen dies auf, mit seiner Hilfe eine Anthropologie des Selbstverhältnisses und der Selbstentäußerung zu konstruieren, die sich in jedem Fall auf das Individuum beschränkt. Soll der Inszenierungsbegriff aber für Psychopathologie und Psychodynamik fruchtbar sein, muss er interaktiv erweitert werden. Der Therapeut ist nicht bloß Zuschauer, er enthüllt nicht bloß die Zusammenhänge z. B. zwischen wiederholenden und variierenden Elementen, er interpretiert die Inszenierung nicht nur in Richtung eines möglichen verborgenen Sinnes, sondern er ist am Zustandekommen der Inszenierung auch beteiligt. Er ist Mitspieler und Kritiker gleichzeitig, ließe sich verkürzend zuspitzen. In begrifflicher Übertreibung, aber inhaltlich einzig angemessen, ließe sich von interaktiv – dialektischer Inszenierung als einem adäquaten Grundkonzept für die Analyse von Körperinszenierungen sprechen. Dialektisch ist diese Inszenierung, weil sie changiert zwischen Teilhabe und Beobachtung, aber auch weil sie zwar interaktiv ist, aber doch nicht symmetrisch, insofern als in Therapiesituationen der Beitrag des Patienten hervorgehoben und bearbeitet wird. Prinzipiell könnte es auch der Therapeut sein, dessen Beitrag analysiert wird – und in der Gegenübertragungsanalyse tut dies der Therapeut ja auch, allerdings immer wieder nach vorn zum Patienten gewendet, und nicht in einer Rückwendung verharrend.
2. Klinik der Körperinszenierungen. Modelle in exemplarischen Darstellungen Die Klinik der Körperinszenierungen wird anhand eines Fallbeispiels erläutert. Zunächst wird der Ausgangspunkt einer psychoanalytischen Therapie (vgl. dazu ausführlich Küchenhoff 2005) skizziert, um dann einzelne Körperinszenierungen exemplarisch zu beschreiben.
2.1. Ausgangspunkt: Das Erstgespräch Frau A. Frau A. ist eine kleinwüchsige, recht sicher auftretende Frau, die gewählt, aber etwas nachlässig gekleidet ist. Sie spricht viel und offen, sehr konzentriert, manchmal etwas angespannt. In ihrer nüchternen Offenheit ist sie mir rasch sympathisch. Bei aller Sachlichkeit ist sie emotional gut erreichbar. Sie nutzt ihren Körper zur Kommunikation und hat einen lebendigen körperlichen Ausdruck. Sie kommt wegen Beziehungsproblemen in die Analyse, sie habe eine grundsätzlich positive Lebenseinstellung, im letzten Jahr aber sei es ihr trotzdem immer wieder schlecht gegangen. Abends und wenn sie allein sei, falle sie in ein Loch und fühle sich furchtbar einsam. Sie suche nach einer festen Partnerschaft mit einem Mann, bislang sei sie dabei nicht erfolgreich gewesen – „Ich renne immer in die falschen Männer, die mir nicht gut tun“, Männer, die sich nicht binden wollen und von denen sie fallen gelassen wird. Offenbar habe sie Angst vor Beziehungen, sie suche dafür einen Grund.
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2.2. Zur Lebensgeschichte Frau A. meint zunächst, ihre Kindheit sei insgesamt gut gewesen. Der Vater sei ein humorvoller, kontaktfreudiger Mann, der viel ausgehe, jeden Abend weg sei, er habe die Mutter sehr unterdrückt, Streit habe es zu Hause nie gegeben, der Vater habe lange Jahre eine Geliebte gehabt, die Mutter habe sich aber nie dagegen gewehrt. Während der eigenen Schwangerschaft sei die Mutter schwer krank gewesen, sie sei im Mutterleib fast gestorben: „Ich bin drinnen vergiftet worden, bin zu früh raus, um allein überleben zu können“, daher zweieinhalb Monate Brutkasten. Sie habe einen angeborenen Hormonfehler davongetragen, aufgrund dessen sie keine Kinder bekommen könne. Die Ovarien hätten nie Eier produziert, obwohl die Entwicklung der äußeren und inneren Geschlechtsorgane regelrecht sei. Sie habe nur sehr spät eine Pubertätsentwicklung durchgemacht, erst nachdem sie mit 17 Jahren hormonsubstituiert worden sei. In der Kindheit und Jugend sei sie immer kleinwüchsig gewesen, mit 25 Jahren habe man sie für 16 halten können. Sie fühle sich in der Unmöglichkeit, Kinder zu haben, gar nicht als richtige Frau. Sie achte darauf, ob die Männer, die sie kennen lerne, einen Kinderwunsch hätten, ziehe sich dann schnell zurück. Sie habe ein „Entdeckt-werden-Syndrom“, sie habe körperlich das Gefühl gehabt, man könne entdecken, dass sie keine richtige Frau sei, sie befürchte inzwischen überall, entlarvt zu werden. Der Bereich der Partnerschaften und der Sexualität sei ihr ein besonderes Problem. Der erste Freund sei erst völlig von ihr begeistert gewesen, habe sie verlassen, als es sexuell nicht geklappt habe. Sie habe damals noch nicht gewusst, wie sie mit dem Hormonmangel umgehen solle, habe den Geschlechtsverkehr nur schmerzhaft erlebt. Es gab viele kurze Liebesbeziehungen, sie habe sich auf Männer eingelassen, um ihr Selbstgefühl als Frau zu stärken.
2.3. Psychodynamische Hypothese Nach dem Erstgespräch notiere ich meinen persönlichen Eindruck und formuliere eine erste psychodynamische Hypothese: „Zentral für die Dynamik der Patientin ist das Selbstwertproblem in Bezug auf ihre eigene Weiblichkeit. Die Problematik hat zwei, allerdings miteinander verschlungene Wurzeln. Das eine Problem liegt in der angeborenen Störung der hormonellen und der Fertilitätsentwicklung. Das andere, wichtigere Problem liegt in der Belastung der Mutter-Tochter-Beziehung; die allerfrüheste MutterKind-Beziehung ist erheblichen Belastungen ausgesetzt gewesen (Schwangerschaftskomplikationen, Frühgeburt). Die Mutter ist eine liebevolle, hilfsbereite, bindende Frau, die aber wenig eigenes Selbstbewusstsein, v. a. in der Ehe, entwickelt hat und ein negatives Bild von Männern vermittelt hat. Was der Patientin fehlte, ist die Fürsorge der Mutter gewesen, von der ich denke, dass sie immer latent depressiv geblieben ist. Sie hat sich dann mit dem Vater, der Autonomie und Selbstbewusstsein verkörpert, sehr stark identifiziert und aus dieser Identifikation heraus einen ausgesprochen selbstbewussten und erfolgreichen Berufsweg gewählt. Zurückgeblieben ist eine starke Sehnsucht nach den „mütterlichen“ Seiten der eigenen Person, aber auch eine Sehnsucht nach Zärtlichkeit, Vertrauen und Bindung in Beziehungen.“
2.4. Körperinszenierungen 2.4.1. Die Projektion des negativen Körperselbsts Körperinszenierungen müssen als solche nicht immer erkennbar sein. Das gilt insbesondere für den Fall einer negativen Besetzung des eigenen Körpers und für ein gespaltenes Körperbild.
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Die Körperselbst-Anteile können projiziert werden; als Projektionsflächen kommen z. B. soziale Beziehungen in Frage. Die Aufgabe in der Therapie wird es dann sein, die Beziehungsprobleme als Inszenierungen eines Körperbilds im Sinne einer Projektion in den sozialen Raum zu verstehen. Eine Vignette aus der Kasuistik verdeutlicht, worum es geht. Das Durcharbeiten eines Berufskonfliktes in der Analyse ermöglicht es, die mangelhafte Kohärenz des Körperselbstbildes und die Entwertung des weiblich-generativen Körpers in ihren emotionalen Konsequenzen zu erfassen. Frau A. leitet zwei Arbeitsgruppen in einer Firma. Die eine Arbeitsgruppe wird von ihr sehr geschätzt; alle Mitarbeiter sind kooperativ, selbständig, gut gelaunt, arbeitsam, sie achten nicht auf Müdigkeit und Befindlichkeit und produzieren hohe Erträge, die Mitarbeiter achten sie als die Vorgesetzte. Die andere Arbeitsgruppe ist verbohrt und verstockt und unengagiert, Frau A. bezeichnet diese Gruppe als „unfruchtbar“. Über die Analyse der beschreibenden Wörter, „unfruchtbar“ und „Ertrag“, wird der Hintergrund der Spaltung verständlich. Die negativ besetzte Gruppe wird behandelt wie der eigene Körper, die negative Vorstellung vom eigenen, unfruchtbaren Körper wird auf die Gruppe, die sich mit Ertragsmanagement befasst, projiziert; die andere Arbeitsgruppe ist mit dem tüchtigen, attraktiven, antriebsvollen Anteil ihrer Persönlichkeit identifiziert. Infolge der therapeutischen Arbeit an der Projektion spricht Frau A. affektvoll über den einen verachteten Teil ihrer Selbst. Sie hat keinen Körper, der allein und ohne Hormonsubstitution funktioniert; um Frau zu sein, fühlt sie sich auf die Gabe von äußeren Hilfsmitteln angewiesen. Sie hat nie irgend einem Menschen von dieser Hormonsubstitution erzählt; sie hat das Gefühl, eine künstlich aufrecht erhaltene Frau zu sein. Ihr weiblicher Körper lebt durch Krücken, die von außen kommen, und sie schämt sich ihrer. Nicht nur die Hormontabletten, auch ihre immer wieder sehr drängenden Gefühle des Übertragungs-Verliebtseins stellen eine solche Krücke dar: ebenso wie von den vielen namenlosen Männern hält sie meine konkret körperliche Liebe für notwendig, um sich heil zu fühlen. Es ist, als ob ihr nur die inzestuöse Grenzüberschreitung ein Gefühl eigener Lebendigkeit zurückgeben kann. Sie möchte meinen Körper wie den Körper aller Männer funktionalisieren, sie braucht sie zur Selbstwertstabilisierung.
2.4.2. Das Verbergen der Körperinszenierung in der unhinterfragten somatischen Diagnose Eine andere Form von verborgener Körperinszenierung spielt sich nicht mehr im sozialen Raum ab, sondern am Körper selbst. Insofern kann sie leichter als Körperinszenierung verstanden werden. Allerdings ist es, zumal für die medizinisch ausgebildeten Therapeuten, schwer, sie zu erkennen. Es geht um die Attribution des Leidens an einen medizinischen Befund und das Festhalten an ihr. Wiederum lässt die Dynamik sich psychoanalytisch als Projektion eines Körperselbstbilds beschreiben, wobei sich diese auf den eigenen (medizinalisierten) Körper richtet. Nicht nur in der hypochondrischen Dynamik ist diese Attribution wichtig, wie das zweite Beispiel zeigt. Während in der Regel die Stunden lebendig verlaufen, werden die Stunden spröde, wenn Frau A. ihre Abhängigkeit von mir bemerkt, v. a. vor und nach Urlaubszeiten. Sie distanziert sich, lässt offen, ob sie zu den Sitzungen überhaupt kommen werde. Wir arbeiten an dieser Art und Weise, Beziehungen unfruchtbar zu machen. Die Erkenntnis einer gemachten Unfruchtbarkeit hat eine überraschende Wirkung. Uns fällt auf, dass Frau A. keine klare Diagnose für Hormonstörung und Unfruchtbarkeit weiß. Sie hat vor 20 Jahren in einer Universitätsklinik eine Laparoskopie durchführen lassen; sie hat den Befundbericht nie gelesen, sie hat es nicht für nötig gehalten, den Befund zu erfragen, weil sie überzeugt war, in einem defekten weiblichen Körper zu
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wohnen. Nun wendet sie sich an den Gynäkologen, um den so weit zurückliegenden Befundbericht lesen zu können. Der wiegelt zunächst ab, beschafft ihn dann doch, und notiert handschriftlich auf dem alten Bericht, so als wäre damit alles gesagt: „Sollten wir damals doch etwas übersehen haben?“ Denn die Laparoskopie ist unauffällig, es werden Eireifungen in verschiedenen Stadien beschrieben. Sicherlich, die Hormonregulationsstörung hat Kleinwuchs und Unfruchtbarkeit bewirkt; aber die Ovarien arbeiten dennoch. Sie hat ihren Körper angegriffen, ohne es zu merken, sie hat sich seit der Pubertät wegen der generativen Impotenz entwertet, ohne überhaupt zu beachten, dass sie im Selbstverhältnis zum eigenen Körper, in der Objektivierung des eige4 nen Körpers, eine Hassbeziehung inszeniert . Sie hat für körperliche Realität gehalten, was z. T. eine Inszenierung am Körper war. Der Hass auf den eigenen Körper weicht einer positiv erlebten Erschütterung; sie weiß, dass sie keine Kinder haben wird, sie anerkennt, dass der Kleinwuchs dennoch ihr Leben geprägt hat, aber sie verabschiedet sich von dem bislang wie unverrückbar in sie eingeschriebenen Gefühl, defektuös zu sein.
2.4.3. Der Angriff auf den eigenen Körper als Inszenierung einer abgespaltenen Objektbeziehung: Selbstverletzungen Die nun folgenden Beispiele sind als Körperinszenierungen unschwer erkennbar, aber sie sind nicht immer leicht zu entziffern. Sie sind etwas ausführlicher zu charakterisieren. Prinzipiell lassen sie sich verstehen als die Inszenierung einer Selbst-ObjektBeziehung im Verhältnis zum eigenen Körper, die aus dem übrigen Beziehungsleben abgespalten wird. Ihre Besonderheit liegt einmal in der abgespaltenen heftigen Affektivität, die diese Beziehung prägt, zum anderen darin, dass die Destruktivität im Verhältnis zum eigenen Körper erscheint. Die Folge ist, dass Alltagsbeziehungen, die intersubjektiven Begegnungen mit anderen, geschont werden. Auf diese Weise ist eine als zunächst einmal destruktiv wirkende Inszenierung als Selbstfürsorge oder Fremdfürsorge zu verstehen: die Abarbeitung der Affekte am eigenen Körper schützt das eigene Erleben vor Affektüberschwemmungen, aber auch die sozialen Interaktionen. Dieses Muster ist ein wichtiges, nicht das allein gültige Muster für das Verständnis selbstverletzenden Verhaltens; die Inszenierung hat folgende Bestandteile: Mindestens zwei Beziehungsformen existieren, die voneinander abgespalten oder voneinander dissoziiert werden. Die eine Beziehungsgestalt wird im Verhältnis zum eigenen Körper ausgelebt, wobei der eigene Körper natürlich der eigene ist, zugleich aber objektal benutzt wird. Dieses Changieren zwischen Selbst- und Objektqualität des Körpererlebens bedingt, dass man von einem Übergangsbereich der Körpererfahrung sprechen kann. Die andere Interaktionsfigur kann im intersubjektiven Verhältnis ausgelebt werden, sie bleibt dann
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Wenn hier von Objektivierung die Rede ist, dann ist die Vergegenständlichung des Körpers zu einem Vorstellungs- oder Erlebnisobjekt gemeint. In der anthropologischen Diskussion gibt es seit langem die Unterscheidung von Leib-sein und Körper-haben, auf diese Unterscheidung zielt der Begriff Objektivierung ab: Wenn der Körper eine Ausdrucksfunktion übernimmt, ist er eben objektalisiert, er wird (temporär, lokal) zu einem inneren Gegenüber, auf das bestimmte Haltungen, Eigenschaften etc. projiziert werden. Die unbewusste Funktionalisierung des Körper(bildes) stellt eine Objektivierung des Leiblichen dar.
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unbedrohlich. Nun kann man auch sagen, dass der Körper selbst zu einem Container wird, er muss Erfahrungen bergen oder als Ort der Beziehungsinszenierung dienen, von Beziehungsformen, die den äußeren Objekten nicht mehr zugetraut werden können. Nicht immer ist, dies gilt es zu betonen, der Inhalt dieses, wie McDougall (1989) sagen würde, „Übergangstheaters“ destruktiver Natur. Umgekehrt kann auf diese Weise gerade auch die liebevolle Beziehungserfahrung geschützt und nur dort gelebt werden. Die Verhältnisse können sich also auch umdrehen. Diese Struktur kann man m. E. nicht nur bei ArtefaktPatienten, sondern v. a. bei hypochondrischen Patienten beobachten (Küchenhoff 1997). Anna Freud hat in Studien mit Heimkindern sehr schön beschrieben, dass diese in der hypochondrischen Selbstzuwendung „Mutter und Kind“ mit dem eigenen Körper spielen. Hier ist also nicht die destruktive, sondern die liebevolle Beziehungsform im Umgang mit dem Körper inszeniert. (Freud A., 1960) Frau A. kann erst nach der Bearbeitung der oben beschriebenen Entwertung des eigenen Körpers von einer Form selbstverletzenden Verhaltens berichten. Sie hat sich regelmäßig in bewusstseinsmäßig unkontrollierten Situationen, zum Beispiel in der Einschlafperiode oder in Situationen großer Übermüdung, die Schamlippen zerkratzt, dabei keine Lust verspürt, sondern immer die gleiche zweigeteilte Vorstellung gehabt, einerseits sie müsse die Scheide offen halten, auch mit Gewalt, weil diese sonst zuwachse oder zumindest immer enger werde, andererseits habe sie aber auch das Genitale attackieren wollen, sie habe einen rasenden Hass auf den eigenen Körper, auf den eigenen weiblichen Körper empfunden, der immer zu klein geblieben sei, der nie von allein funktioniere. Im folgenden zeigen ihre Einfälle: Sie greift zwar den eigenen, den Körper an, den sie von der Mutter erhalten und den sie mit der Mutter gemeinsam hat – es ist aber auch der Körper der Mutter, den sie angreift, aus dem sie bei der Geburt mit Defekten entlassen worden ist, und vom dem sie die Defekte übernommen hat, so dass der eigene Körper niemals für sich und allein funktioniert hat. Es ist, als kratze sie sich die Gifte aus dem Körper, die sie in der Schwangerschaft aufgenommen zu haben meint.
Hier wird eine abgespaltene Objektbeziehung, die eine destruktive Qualität hat, am eigenen Körper agiert oder abgeführt – die reale Beziehung zur alten Mutter ist niemals belastet, immer freundlich, nie vorwurfsvoll, höchstens mitleidig, meist unterstützend. Zugleich ist hier, nur in diesem einen Punkt, die Selbst-Objekt-Differenzierung aufgehoben. Dies führt unmittelbar zum nächsten Punkt.
2.4.4. Die Verletzung des eigenen Körpers als Inszenierung einer Grenzerfahrung: Selbstverletzungen Befremdend wirkt die Schilderung des Erlebens vieler Patienten, die sich selbst verletzen, schneiden, brennen, befremdend deshalb, weil nicht einfach nachzuvollziehen ist, dass die psychische Entlastung so ausgeprägt ist, dass der Schmerz zwar registriert, aber nicht mit negativem Affekt aufgenommen wird. Zu kurz greifen Konzepte, die sich auf den Masochismus abstützen. Worin besteht die enorme Erleichterung, die mit der Selbstverletzung einhergeht? Die Haut ist Grenzorgan, durch die Verletzung der Haut wird die Körpergrenze intensiv erlebt. Durch den Schnitt wird ein Einschnitt geschaffen, eine Grenze etabliert, und zwar dort, wo im Erleben die Grenzen zwischen Selbst und Objekt zerfließen. Traumatisierte Patienten wiederholen in der Selbstverletzung nicht immer Fragmente der traumatischen Szene, sie schützen sich in der beschriebenen Weise vor der Intrusion des Objekts.
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Für Frau A. prägen Intrusionsängste nicht das ganze Erleben. Dennoch bleibt ein Teil des Körpers im eigenen Erleben immer entfremdet, an andere ausgeliefert und überantwortet. In der allerfrühesten Kindheit bestand eine vitale Abhängigkeit vom Inkubator, später hat Frau A. die Mutter als diejenige, die über den kleinwüchsigen und oftmals kranken Körper der Tochter wacht, erlebt. Die Tatsache, dass sie Hormone einnehmen muss, um als Frau vollständig zu sein, bleibt im Erwachsenenalter wichtig. Keinen eigenen Körper zu haben, diese Angst kehrt aber auch wieder in der ödipalen Beziehung; Frau A. erlebt den Vater so, dass er sich nicht im Sinne eines manifesten Missbrauchs an ihrem Körper befriedigt, aber sie empfindet, ebenfalls über sehr lange Zeit, dass sie dem sehr sexualisierend erlebten Vater immer neue Sexabenteuer berichten muss, um überhaupt von ihm gesehen zu werden. Das Kratzen am Genitale wird auch von dem Wunsch motiviert, einen eigenen Körper zu erleben oder entstehen zu lassen, der nur ihr gehört. Zur Inszenierung der Selbstverletzung gehört die Suche nach einem Gynäkologen, der ihr Genitale wiederherstellen soll, damit sie nun endlich ein eigenes hat.
2.4.5. Die somatoforme Störung als Inszenierung einer Botschaft an das Übertragungsobjekt Mit dem Modell der Konversion hat die psychoanalytische Psychosomatik begonnen, noch bevor es einen Begriff für sie gab. Konversion wurde bei sensorischen und willkürmotorischen Symptombildungen angenommen, später dann auch auf einen Teil der Patienten mit somatoformen Störungen ausgeweitet – wiederum gilt das Modell nicht für alle, immer wieder ist dies zu betonen: mit den vorgestellten Modellen sollen keine – wissenschaftstheoretisch nicht mehr haltbaren – Spezifitätsmodelle beschworen werden! In der Konversion ist das Begehren, das sich auf das Objekt richtet, aus verschlungenen biographischen Gründen, die wir zu entschlüsseln versuchen unterdrückt. Der Körper wird in der Konversion zum Signifikanten, zum Träger einer geheimen Botschaft innerhalb dieser Beziehung. Gleichviel, ob das Symptom selbst vom Begehren etwas in Verdichtung symbolisch anzeigt oder nur in anderer Weise auf das Begehren hinweist: Wichtig ist hier die Tatsache, dass das unbewusste Netzwerk von Repräsentationen affektiver, kognitiver und somatischer Repräsentation erhalten ist, vielleicht deformiert und in seinem Ausdruck behindert, aber dennoch erhalten, und dass das Begehren sich an das äußere Objekt richten kann. Frau A. wird immer wieder während der Zeit der Analyse körperlich krank und entwickelt ein Colon irritabile. Sie leidet sehr unter den Beschwerden. Sie befürchtet, in der Firma zurückgesetzt zu werden; sie kämpft um ihre Position wie um ihr Überleben. Sie fühlt sich wertlos, abgeschoben; sie bringt ihre Verzweiflung und Depressivität in die Analyse. Aber doch nicht völlig – was die Analyse erschwert, ist die nun aufkommende Fülle von Nebenübertragungs-Schauplätzen. Es ist Frau A. nicht möglich, sich auf mich als Analytiker zu stützen. Erst über Wochen und Monate hin erfahre ich, wo sie überall Hilfe holt. Sie lässt sich von zwei Ärzten behandeln, der eine ist konventioneller Internist, der andere ist homöopathisch vorgebildet. Keiner weiß vom anderen; außerdem begibt sie sich in die Obhut eines Ayurveda-Gurus, sie beginnt Workshops in indianischem Tanz zu besuchen, nimmt an Therapiegruppen teil, die zur Aufgabe haben, die traumatisierten Selbstanteile herauszufinden, sie probiert Primärtherapie aus. Mit den somatoformen Beschwerden reagiert sie auf die enger werdende Beziehung in der Analyse; sie kann sich nicht vorstellen, dass ich sie halten könne, sie müsse, um sich sicher zu fühlen, den Halt auf viele Personen verteilen, niemals könne sie sich auf mich allein verlassen. Sie versucht, durch viele Helfer Gefühle von Verlassenheit und Angst loszuwerden, aber die Not mit der Colitis spricht eine andere Sprache, eine
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3. Auf dem Weg zu einer Systematik der Körperinszenierungen 3.1. Erster Schritt: Inszenierung und Psychodynamik Auf dem Weg zu einer Systematik bietet es sich an, noch einmal auf die eingangs beschriebenen Dimensionen des Inszenierungsbegriffs zurückzukommen und ihren praktischen Nutzen auszuloten. Eine Systematik erlaubt es, klinische Phänomene übersichtlich darzustellen. Der Preis ist eine Reduktion der interaktiv-dialektischen Dimension der Körperinszenierung auf eine klinische, pathologisierende Betrachtungsweise. Sie wird im Folgenden in Kauf genommen, im abschließenden Kapitel soll sie wenn nicht aufgehoben, so doch reduziert werden. Nun also die Reflexion der Dimensionen des Inszenierungskonzeptes.
3.1.1. Das Verhältnis von Mimesis und Performanz, die Freiheitsgrade im Umgang mit Prägungen und die Dimension der Zeitlichkeit Das Verhältnis von Mimesis und Performanz bestimmt entscheidend die Prognose oder den Erfolg von Therapie. Es soll dies anhand eines Vergleichs zwischen hysterischen und traumatischen Inszenierungen beschrieben werden. Die hysterische Inszenierung ist gerade wegen der Variationsbreite der aktuellen Performanz faszinierend. Die Inszenierung hat ausgesprochen unbewusste Anteile. Die Inszenierung geht den Intentionen der bewusst erlebenden Person voraus, sie ist erst nachträglich in die bewusste (Selbst-)Wahrnehmung einzuholen und für die Erweiterung des Selbstbildes zu nutzen. Da der Ursprung hysterischen Inszenierens nicht in einem Ereignis, das mimetisch durch die Inszenierung immer wieder eingeholt würde, zu suchen ist, sondern in einer unbewussten Phantasie, besteht der mimetische Anteil am hysterischen Verhalten nicht in der Wiederholung von Ereignissen, sondern viel mehr in der Identifikation mit sehr ambivalent besetzten Personen. Die Mimesis richtet sich hier nicht auf ein Ereignis oder Erlebnis, sondern auf die phantasmatische Ausarbeitung einer Beziehungsphantasie. Ganz anders die traumatische Inszenierung;
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der Anteil an Mimesis in der aktuellen Körperinszenierung ist hoch. Es reicht ein kleiner, oft marginal erscheinender Auslöser, um z. B. selbstdestruktive Verhaltensweisen auszulösen. Traumatische Inszenierungen sind wenig spielerisch, hochgradig repetitiv und zugleich wenig steuerbar. Wenn gilt, dass die aktuelle Performanz als Bearbeitung von Erfahrung auf dem Weg der Inszenierung verstanden werden kann, dann ist klar, dass eine traumatische Inszenierung wenig Bearbeitungsqualität hat.
3.1.2. Relation zwischen dem intendierten und nicht bewussten Gehalt einer Körperinszenierung Körperinszenierungen können unterschiedlich bewusstseinsnah ablaufen, sie können durchaus bewusst oder vorbewusst sein, andererseits aber auch gänzlich unbewusst bleiben. Tief unbewusste Körperinszenierungen können verborgen zum Ausdruck kommen, z. B. durch Projektion auf soziale Lebenswelten und Beziehungen. Abgespaltene Körperinszenierungen, wie sie sich in Selbstverletzungen zeigen, sind zwar nicht in ihrem vollen Bedeutungsinhalt, aber doch als Handlungsvollzug und in ihrer Emotionalität intendiert und bewusst, sie unterliegen nicht der Verdrängung. An deren Stelle tritt die Spaltung oder Dissoziation.
3.1.3. Repräsentative Vernetzung der Körperinszenierungen Im Fall von Spaltung und Dissoziation steht das Erleben der Körperinszenierung nicht in assoziativer, bewusster oder unbewusster Verbindung zu anderen Vorstellungen, vielmehr sind die Körperinszenierungen entkoppelt vom Gesamterleben, sie sind dort nicht eingebettet. Die repräsentative Vernetzung der Körperinszenierung mit anderen Erlebnis- und Erfahrungsbereichen ist demnach gering oder aufgehoben. Solche Inszenierungen konstituieren in gewisser Weise eine zweite Wirklichkeit, die von der „wirklichen Wirklichkeit“ abgesondert ist.
3.1.4. Der Andere und die Körperinszenierung (Verhältnis zu den inneren und den äußeren Objekten) Der kommunikative Gehalt von Körperinszenierungen variiert. Körperinszenierungen können sich auf das – u. U. unbewusst begehrte – „innere“ Objekt richten. Sie können sich aber auch und zugleich – beide Perspektiven widersprechen einander nicht – auf die „äußeren“ Objekte richten. Die illokutionäre Kraft, die ihnen innewohnt, die Intensität der Ansprache, ist unterschiedlich groß. Gerade bei Patienten, die sich sehr von Anderen zurückgezogen haben und kein Vertrauen in tragfähige Beziehungen mehr haben, kann die Körperinszenierung die Funktion eines Appells, ja einer verzweifelten Suche nach dem Objekt sein. Das Erschrecken des Anderen über das Ausmaß eines selbstzerstörerischen Aktes kann ein wichtiges Motiv für die Inszenierung werden: Nur noch auf diese Weise glaubt der derart belastete Mensch das Objekt anrufen zu können.
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3.1.5. Semiotische Funktion des Körpersymptoms Wenn sich die Inszenierung auf ein Objekt bezieht, so lässt sich weiter fragen, welche Zeichen- oder semiotische Funktion die Körpersymptomatik bei Patienten mit körperbezogenen Gesundheitsstörungen übernimmt. Sie kann Symbol sein, also selbst in irgendeiner Weise den zugrunde liegenden Konflikt oder einen Aspekt des Konfliktes inhaltlich darstellen. Die Körpersymptomatik kann aber auch nur Index sein, also Anzeichen oder Hinweis auf die Belastungen, ohne sie selbst darzustellen oder in irgendeiner Weise Stellung zu ihnen zu beziehen (Küchenhoff 1992).
3.2. Zweiter Schritt: Inszenierung und Struktur Die Reduktion der interaktiven Dimension zu einer psychodiagnostischen und individuell typisierenden Betrachtungsweise schränkt den Nutzen des Inszenierungskonzeptes ein, ermöglicht aber andererseits die Systematisierung, die in der patientenzentrierten Betrachtungsweise darauf hinausläuft, Körperinszenierungen als Ausdruck des Integrationsniveaus der Persönlichkeit oder, abgekürzt gesprochen, der Struktur anzusehen. (Vgl. Küchenhoff 2000a) Das Ausmaß an Bewusstheit, die Abspaltung, die Freiheitsgrade in der performativen Wiederholung, die repräsentative Vernetzung, die semiotische Funktion – diese Dimensionen kennzeichnen strukturelle Merkmale der Persönlichkeit. (Küchenhoff 2000a) Wenn die Körperinszenierungen auf der Grundlage eines Strukturmodells untersucht werden sollen, so bietet sich als Ausgangspunkt das Strukturkonzept an, das vom OPD-Arbeitskreis (Arbeitskreis OPD 1996) entworfen worden ist und das Struktur ausgehend von einem konsistenten Beziehungskonzept entwickelt. Vor einiger Zeit habe ich hierzu schon einen Vorschlag gemacht, wie das Körperbild anhand der sechs Dimensionen der Strukturachse des OPD (Selbstwahrnehmung, Selbststeuerung, Abwehr, Objektwahrnehmung, Kommunikation, Bindung) eingeschätzt werden kann. (Küchenhoff 2003) Mittlerweile ist – in Zusammenarbeit mit Claudia Oberbracht und Thorsten Jakobsen (2006) – eine differenzierte Ratingliste, die sog. Körperbild-Liste (KB-L) entstanden, die jedes Merkmal der Liste definiert, seine Ausprägung in den 4 Integrationsniveaus (gut, mittel, gering, desintegriert) beschreibt und durch Ankerbeispiele vorstellt. Die KB-L lässt sich für die Fremdeinschätzung von Körperinszenierungen gut verwenden, sie kann für diesen Zweck gekürzt und in den Formulierungen angepasst werden. Diese adaptierte Version wird in der folgenden Tabelle vorgestellt.
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Tabelle 1: Strukturdimension der Körperinszenierungen Dimension
Kriterium
Selbstwahrnehmung Selbstreflexion
Selbststeuerung
Abwehr
Objektwahrnehmung
Kommunikation
Bindung
Integration Fähigkeit zur Reflexion auf die Körperinszenierung
Selbstbild
Lebendigkeit des Erlebens der Körperinszenierung Ganzheitlichkeit des Körpererlebens Eigenheit oder Fremdheit des Körpererlebens
Affektdifferenzierung
Entschlüsselung von Körperzuständen bei sich selbst Verbindung zwischen Stimmung und Körperempfinden
Selbstwertregulierung
Körperinszenierung im Dienst der Selbstwertregulation
Impulssteuerung
Aktivitätsbewusstsein in Bezug auf eigenen Körper Selbstakzeptanz in Bezug auf eigene Triebhaftigkeit
Gegenstand
Ausmaß der Abstützung von Abwehr auf Körperprozesse
Erfolg
Grad der psychischen Entlastung Grad der körperlichen Beeinträchtigung
Flexibilität
Variationsmöglichkeiten in der gleichen Körperinszenierung Variationsmöglichkeiten zwischen Körperinszenierungen
Form
Vorherrschende körperbezogene Abwehrform (Konversion – Spaltung/Dissoziation – Verwerfung)
Selbst-ObjektDifferenzierung
Behandlung des eigenen Körpers wie ein Objekt Funktionalisierung des Körpers für die Selbst-Objekt-Differenzierung
Ganzheitliche Objektwahrnehmung
Wahrnehmung des Objekts in der Körperinszenierung
Objektbezogene Affekte
Qualität der physischen Interaktion
Kontakt
Grad der Einbindung der Körpersprache in Kommunikation: Herstellung von Kontakt mit Hilfe des Körpers
Mitteilen eigener Affekte
Funktionalisierung des Körpers zur Mitteilung eigener Affekte: integriert – verdrängt – abgespalten
Reziprozität
Gelingen leiblichen Aufeinanderabstimmens
Internalisierung
Funktionalisierung des Körpers zur Aufrechterhaltung einer Bindung
Loslösung
Funktionalisierung des Körpers zur Loslösung: Ausmaß des körperlichen Konkretismus in der Abgrenzung
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Im Rating werden aus der Tabelle diejenigen Beurteilungsdimensionen festgehalten, die für die beobachteten Körperinszenierungen am charakteristischsten sind. Die charakteristischen Merkmale der Körperinszenierung werden in einem zweiten Schritt graduiert, und zwar nach den bereits beschriebenen vier Strukturniveaus. Merkmale der einzelnen Niveaus für die Körperinszenierungen sind durch nachfolgend ebenfalls tabellarisch zusammengefasste Kriterien gekennzeichnet. Tabelle 2: Struktur der Persönlichkeit und Körperinszenierung Strukturniveau
gut
mäßig
gering
desintegriert
Freiheitsgrade der Körperinszenierung
Variationsreich Hohe Performanz Geringe Mimesis
Variation möglich Stereotyp Geringe PerforHohe Anteile von manz bei gerinMimesis ger Mimesis
Zerfallen Scheiternde Inszenierungen
Repräsentative Vernetzung, Bewusstheitsgrad
Vernetzt (bewusst oder unbewusst)
Vernetzt, aber eingeengter Spielraum Bewusst oder unbewusst
Repräsentanzen welt geteilt (Spaltung, Dissoziation), keine Verdrängung
Zerfallen Keine Verdrängung
Verbindung intrapsychischer und intersubjektiver Ebene
Ja (Übertragung vom inneren aufs äußere Objekt)
Ja (Übertragung vom inneren aufs äußere Objekt)
Übertragung nur zum Teil möglich (intrapsychische Beziehungsrepräsentanzen werden abgespalten)
Nein (intrapsychische und intersubjektive Ebene nicht getrennt)
Funktion des Körpersymptoms
Botschaft an das Übertragungsobjekt
Botschaft an das Übertragungsobjekt
– Inszenierung der inneren Objektbeziehungen am Körper, Schutz des äußeren Objekts – Provokation des äußeren Objektes, Suche nach Containing
– Wiederherstellung des Kernselbsts – Distanzierung vom intrusiven Objekt
Der Reiz einer solchen Systematisierung liegt nicht nur darin, bereits bekannte Typen der Körperinszenierung in eine übersichtliche Ordnung zu bringen, sondern in der empirischen Analyse weitere Typen von Körperinszenierung zu entdecken und zu beschreiben.
4. Körperinszenierungen und Psychotherapie Hatte die Diagnostik das interaktiv-dialektische Modell zu einem psychopathologisch einschätzenden, individuumszentrierten verkürzt, so weitet es sich wieder, wenn es um die therapeutischen Konsequenzen geht.
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4.1. Sich auf Körperinszenierungen einlassen In jeder Psychotherapie ist der Therapeut gefordert, sich auf Körperinszenierungen einzulassen. Sie finden in jeder Therapie statt, werden aber leicht übersehen oder als nebensächlich abgetan. Vielleicht sind sie auch manchem Therapeuten unangenehm, weil er durch sie in eine gemeinsame Performanz verwickelt wird. Die Wahrnehmungsbereitschaft des Therapeuten entscheidet darüber, ob Körperinszenierungen beachtet und therapeutisch genutzt werden. Frau A. geht vor und nach fast jeder Analysestunde auf die Toilette. Nie lässt sie den Gang zur Toilette in jenen beiden Stunden aus, von denen sie weiß, dass sie die letzte Patientin ist, nach ihr niemand kommt und dass ich nach der Stunde rasch die Klinik verlassen werde. So sichert sie sich einen kleinen Augenblick der Intimität, in dem ich auf sie warten muss, da ich die Räume abschließen muss. So bezieht sie mich in die Inszenierung ein: Ich muss mich nach ihr richten, und ich bemerke, dass ich vor dem endgültigen Verlassen der Klinik noch einmal nachschaue, ob ich Frau A. nicht einschließe.
4.2. Die auf den Körper zurückgenommenen Körperinszenierungen in eine Beziehungsinszenierung zurückverwandeln Körperinszenierungen können dort, wo sie sich an den Anderen richten, wo sie eine illokutionäre Kraft haben, anerkannt und bearbeitet werden. Bei den verborgenen Körperinszenierungen werden Beziehungsformen, die ängstigen und zerstörerisch sein könnten, zurückgenommen ins Verhältnis zum eigenen Körper. Die therapeutische Arbeit wird darin bestehen, den Körper zu entlasten von der Aufgabe, eine problematische Selbst-Objekt-Beziehung aufzufangen, indem diese in die Übertragung hineingenommen wird. Das, was sich am und im Körper des Einen inszeniert hatte, kann so in den intersubjektiven Raum aufgenommen werden. Dass das automutilative (selbstverstümmelnde) Symptom, von dem Frau A. berichtet hatte, das Zerkratzen des Genitales als Inszenierung einer Abgrenzung gegenüber den intrusiven Objekten verstanden werden konnte, wurde schon dargestellt. Aber es spielte auch für die Übertragungsbeziehung eine gleichartige Rolle. Aufmerksam auf die Grenzthematik in der analytischen Beziehung wurde ich einmal durch eine weitere, filigrane Körperinszenierung, zum anderen durch die Gegenübertragungsanalyse. Frau A. rückte immer dann, wenn aus irgendeinem Grund die Liege auch nur minimal zur Wand verschoben war, am Anfang der Stunde die Liege in die ihr vertraute Position; die Annäherung an die Wand (meines Zimmers) löste Panikgefühle in ihr aus, die ansonsten in der analytischen Beziehung nicht zur Sprache gekommen waren. Sie empfand eine plötzlich aufsteigende Panik davor, nicht mehr gehen, ja: vor mir fliehen zu können. – Und die Gegenübertragung zeigte mir, dass ich am Anfang der Therapie tatsächlich intrusiv gewesen war, mit zu schnellem Verstehen und Deuten, gegen das sie sich wehren musste, weil sie auf diese Weise das Gefühl entwickeln musste, wie von den Hormontabletten auch von den Deutungen von außen her bestimmt zu werden.
4.3. Die projizierten Körperinszenierungen beachten Die Analyse von sozialen Situationen als projizierten Körperinszenierungen bereitet Mühe, nicht nur für das Verständnis, sondern v. a. für die Praxis. Wir sind es gewohnt, Körperinszenierungen als Inszenierungen von Beziehungsformen im und am Körper zu verstehen. Dass es lohnt zu überprüfen, ob dieses Verhältnis auch umgekehrt gelesen werden kann, ist uns weniger vertraut. Meist ist der Grund dieser Projektionen eine sehr negative Besetzung des eigenen
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Körpers oder ein gespaltenes Körperbild, die ihrerseits auf Identitätsdiffusionen und Unsicherheit in der Selbstdemarkation verweisen. Die therapeutische Arbeit an diesen „Grundstörungen“ wird allerdings immer wieder vermieden. (Im Abschnitt 2. 4. 1. wurde ein Beispiel aus der Psychoanalyse von Frau A. gegeben, das diesen Zusammenhang erläutern kann.)
4.4. Die Methode der Therapie wählen Die Beispiele aus der Psychoanalyse von Frau A. zeigen, dass auch in einer sog. verbalen Psychotherapie die Körperinszenierungen studiert und bearbeitet werden können. Gerade bei den Patienten mit einer guten oder mäßigen Struktur, bei denen Körper und Sprache nicht auseinanderfallen, sondern in einem bewussten oder unbewussten Verweisungszusammenhang stehen, ist dies gut möglich. Bei Patienten mit einer geringen Struktur kann sich indessen eine Körpertherapie anbieten. Körperorientierte Psychotherapien haben die Chance, Kreativität in einer besonderen und prägnanten Weise zu fördern. Sie erlauben es, die Performativität in der Therapie wieder herzustellen. Die Therapie schwer traumatisierter Patienten kann als Beispiel dienen. Wenn die Symptome Ausdruck einer Wiederkehr von Traumafragmenten sind, wenn der Körper instrumentalisiert wird im Dienste dieser wiederkehrenden Erfahrungen oder im Dienste einer Abwehr oder Beendigung intrusiver Erfahrungen, kann die Möglichkeit, im Umgang mit dem eigenen Körper die Performanz zu erhöhen, Körperinszenierungen in körperbezogener Arbeit wieder zuzulassen und herzustellen, die „Versklavung“ der Körpererfahrungen unter die Traumaerfahrung durchbrechen. – Wenn in desintegrierten Zuständen das Körpersymptom die Aufgabe übernehmen soll, das Kernselbst zu schützen, so kann die gemeinsame und behutsame Arbeit am Körper selbst diese Schutzfunktion im Rahmen einer tragenden therapeutischen Beziehung übernehmen. Die Körperinszenierungen, die zum Ziel haben, das Kernselbst zu schützen, z. B. indem die eigene Lebendigkeit durch den Schnitt ins eigene Fleisch wiederhergestellt und das Blut gespürt wird, leiden natürlich an einem Selbstwiderspruch, der dazu führt, dass sie nicht das erreichen, was sie suchen; Selbstzerstörung im Dienste der Selbstfürsorge (Küchenhoff 1999) ist und bleibt eben eine ambivalente Figur, denn das Kernselbst wird geschützt, indem der Körper verletzt wird. Die konkrete Arbeit am Körper ist voraussetzungsreich, weil sie das Vertrauen braucht, das sie erst herstellen muss; wenn sie gelingt, kann die Körperinszenierung, die mit Leid einhergeht, erübrigt werden. Joachim Küchenhoff, Prof. Dr. med., leitender Arzt Adresse: Universitäre Psychiatrische Kliniken, Abteilung Psychotherapie und Psychohygiene, CH-4051 Basel, Socinstraße 55A E-Mail:
[email protected]
Psychoanalyse mit Leib und Seele: Körperliche Gegenübertragung als Zugang zu nicht symbolisierter Erfahrung und neuer Repräsentanzenbildung Ursula Volz-Boers
1. Einleitung Cognitio nostra incipit a sensu et terminatur ad intellectum Unser Erkennen beginnt im Gefühl und endet im Denken (Thomas von Aquin)
Der Umgang mit den Gefühlen und deren Integration in Denken und Handeln ist eines der zentralen Anliegen der Psychoanalyse. Die Methode der Psychoanalyse ist die der zwischenmenschlichen Beziehung, spezifischer deren „Variante der teilnehmenden Beobachtung und Reflexion über die gegenseitige Beeinflussung.“ (Rapaport 1960, S. 129 zit. nach Thomä 1992, S. 136) Sandler (1976, S. 304) fügt die „gleichschwebende Bereitschaft zur Rollenübernahme“ hinzu. Psychoanalytische Therapie zielt auf Wiederfinden oder Neuentwicklung von Lebendigkeit, damit PatientInnen ihre Lebensbewegung auf eine weniger schmerzvolle und durch Erweiterung innerer Freiheitsräume auf kreativere, möglicherweise auch glücklichere Weise als bis dahin organisieren. Mit diesem Beitrag möchte ich zeigen, wie körperliche Gefühle während des psychoanalytischen Dialogs zu einem Resonanzraum für nicht repräsentierte Erfahrungen von Patienten werden. An zwei Fallbeispielen – einer Patientin mit Panikattacken und einem Patienten nach Operation blutender Magengeschwüre – wird gezeigt, wie Störungen in der Fähigkeit zur Symbolisierung über Körperempfindungen in der Gegenübertragung zugänglich werden. Durch Benennung von sensorischen, affektiven und szenisch interaktiven Erfahrungen kommt es zunehmend zur Neubildung von Repräsentanzen und damit zu heilsamen Veränderungen. Die Körperempfindungen in der Gegenübertragung bilden einen Zugang zu subsymbolischer Kommunikation jenseits der Sprache. „Freud entdeckte das Gefühl wieder… in seinem Denken blieb es an die Diktate der Vernunft gebunden, auch wenn er gezeigt hat, wie stark die Erkenntnis von dem unterirdischen Sog des Unbewussten unterlaufen wird“, schreibt der englische Soziologe Giddens. (2004, S. 114) Zu Freuds Verdiensten gehört es, die in der Kindheit – durch innere oder äußere Ereignisse – verletzten Gefühle zusammen mit der Bedeutung, die den Verletzungen gegeben
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werden und deren Übertragung auf andere Personen und Umstände, als Ursache seelischer Erkrankungen im Erwachsenenalter erkannt und beschrieben zu haben. Die begriffliche Bestimmung der Übertragung als „aus libidinöser oder aggressiver Energie gespeiste Besetzung eines Objekts aus der Vergangenheit, die in der Gegenwart auf das Bild des Analytikers übertragen wird“ (Sandler, Dare u. Holder 2001, S. 300), wird von den Autoren erweitert. „Die unbewussten Wünsche und Mechanismen der Patienten, mit denen wir es in unserer Arbeit zu tun haben, finden intrapsychisch ihren Ausdruck in (deskriptiv) unbewussten Bildern und Phantasien, in denen das Selbst und das Objekt, die miteinander interagieren, in jeweils besonderen Rollen repräsentiert werden. In gewissem Sinn versucht der Patient, in der Übertragung (im Rahmen und innerhalb der Grenzen der analytischen Situation) diese Rollen in verkappter Form zu aktualisieren.“ Die Übertragung des Patienten aktiviert im Analytiker unausweichliche und spezifische körperliche, gefühlshafte wie szenische und gedankliche Reaktionen, die als Gegenübertragung gekennzeichnet werden. „Eine wesentliche Richtungsänderung der psychoanalytischen Literatur zur Gegenübertragung setzte ein, als man sie zunehmend als Phänomen betrachtete, das dem Analytiker eine bedeutsame Verständnishilfe für den verborgenen Sinn der Mitteilungen des Patienten bietet. Der entscheidende neue Gedanke besagte, dass der Analytiker Wahrnehmungs- und Verstehenselemente für die sich im Patienten abspielenden Vorgänge besitzt, und dass diese Elemente nicht unmittelbar bewusst sind, aber vom Analytiker entdeckt werden können, wenn er seine eigenen Assoziationen beobachtet, während er dem Patienten zuhört.“ (a. a. O., S. 102) Sandler (1976, S. 299) erweitert das Verständnis von Gegenübertragung und Übertragung, indem er „zwischen gewissen Gegenübertragungsreaktionen und der Übertragung die verbale und nicht-verbale Interaktion zwischen Patient und Analytiker“ als wichtigen Bestandteil der Objektbeziehung einschiebt. „Die Interaktion zwischen Patient und Analytiker wird großenteils…durch das determiniert, was ich die »intrapsychische Rollenbeziehung« nennen möchte, die jede Partei der anderen aufzudrängen versucht… Ich möchte betonen, dass die Rollenbeziehung des Patienten innerhalb der Analyse zu jedem beliebigen Zeitpunkt aus einer Rolle, die er sich selbst zuweist und einer komplementären Rolle, die er dem Analytiker zu diesem Zeitpunkt zuweist, besteht.“ (A. a. O., S. 300) Patient und Analytiker bilden ein nicht-lineares Beziehungssystem wechselseitiger Umwelt-Beeinflussung. Ciompi (1999, S. 139) weist darauf hin, dass derartige psychische oder neurobiologische Systeme ständig hochsensibel für Umwelteinflüsse sind und dadurch eine „laufende flexible Feinanpassung dieser Systeme an eine fortwährend wechselnde Umwelt“ ermöglichen. Als psychoanalytischer Prozess wird der Weg von der Erstbegegnung zwischen Patient und Analytiker bis zum Behandlungsende bezeichnet. Die Basis des Prozesses ist die wechselseitig gestaltete Beziehung, für deren empathische und Sicherheit gebende Qualität der Analytiker zu sorgen hat. Auf dieser Basis entfaltet sich unter der supportiven wie interpretativen Hilfe des Analytikers ein kurativ geleiteter, regressiver Prozess. In dessen Abfolge tauchen affektiv als prägend erlebte und/oder phantasierte Erfahrungen des Patienten auf, überformt durch zugeordnete Bedeutungen. Sie sind seinem Empfinden und seiner
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Verarbeitung durch Verdrängung, Dissoziation, Einkapselung oder Speicherung im impliziten Gedächtnis partiell unzugänglich und entstammen allen Lebensphasen, den aktuellen erwachsenen bis hin zu den frühesten kindlichen, einschließlich den pränatalen. Der psychoanalytische Prozess zielt sowohl auf die Wiederherstellung der psychischen Funktionen, die durch Verdrängung als Ergebnis von Konflikt und Abwehr gehemmt wurden, als auch auf die (Wieder-)Herstellung des mentalen Prozesses (Fonagy et al. 1993), der durch Entwicklungsstörung oder traumatische Dissoziation arretiert oder unterbrochen wurde. Mentalisierung meint den Erwerb der Fähigkeit, eigene affektive Zustände und innere Verfassungen anderer Menschen sowie interpersonales Verhalten zu verstehen (Fonagy et al. 2004; Fonagy & Target 2006) und dadurch ein ausreichend stabiles und gutes Bild des eigenen Selbst entwickeln zu können. Im Erfolg bewirkt der psychoanalytische Prozess eine dauerhafte, Gesundheit und Lebendigkeit fördernde Veränderung des Patienten unter Entwicklung neuer Beziehungs- und Handlungsmuster. Die im Prozess angewandte Methode der freien Assoziation ermöglicht, von bewussten zu abgewehrten pathogenen, „verborgenen Zielvorstellungen“ (Freud 1900, S. 536) oder Phantasien zu finden, die dem verdrängten dynamischen Unbewussten angehören. Über die freie Assoziation werden auch pathologische Verfassungen jenseits des verdrängten Unbewussten infolge von Entwicklungsstörungen und Traumatisierungen erreicht. In diesen präverbalen Bereichen archaischer psychischer Struktur aktiviert die freie Assoziation körpersprachliche und szenische Informationen einschließlich Körperinszenierungen (Küchenhoff i. d. B.), denen symbolisierende Begrifflichkeit noch fehlt. Die Technik der Deutung von Übertragung, Gegenübertragung und Widerstand ist die interpretative Hilfe des Analytikers, mit der er dem Patienten im Bereich der Neurosen, d. h. der funktionellen Ich-Störungen, die Lösung der dem dynamischen Unbewussten angehörenden ödipalen Konflikte und Entwicklungsfixierungen ermöglicht. Die Gedächtnisforschung ordnet das dynamische Unbewusste dem expliziten, deklarativen Gedächtnis zu. Wo seelische Krankheit nicht allein auf funktionellen Ich-Störungen durch Verdrängung von ödipalen Konflikten, sondern zusätzlich auf Strukturschädigungen des Ichs als Folge von Entwicklungs-, Bindungs- oder traumatischen Störungen beruht, entstehen zusätzliche therapeutische Anforderungen an den Analytiker und den therapeutischen Prozess. Die Arbeit im Bereich präneurotischer psychischer Organisation befasst sich mit nicht symbolisierten, impliziten, prozeduralen Gedächtnisinhalten. Sensorische Empfindungen, Psychomotorik, affektive Erinnerungen sowie Wahrnehmungen haben noch keine Begrifflichkeit. Libidinöse wie aggressive Kräfte sind von archaischer Qualität als Folge von unzureichender früher Fürsorge, nichtberechenbarer Beziehungserfahrung, Trennung, Misshandlung sowie mangelnder und irritierender affektiver Spiegelung. Die psychoanalytische Behandlungstechnik im subsymbolischen Organisationsbereich besteht in der beschreibenden Benennung von Körperempfindungen, Gefühlen, Vorstellungen und Erlebnissen. Der Analytiker beobachtet sorgfältig aufkommende Körperempfindungen in der Gegenübertragung, vertraut und folgt seinen damit aufkommenden assoziativen Einfällen und Bildern. Er nimmt die Empfindungen des Patienten einfühlsam an, glaubt, anerkennt und be-
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schreibt sie. Dabei ist die Art – das „Wie“ – des Sprechens und der Sprache häufig wichtiger als deren Inhalte, als das „Was“ des Gesprochenen. Der Analytiker stellt seine Affekt spiegelnden und begrifflichen Fähigkeiten in den Dienst des Patienten und fördert damit dessen Möglichkeiten zur Mentalisierung. Diese sensorisch-empathische Therapietechnik mit einer aktiven Präsenz in einer „gefühls-, wahrnehmungs- und erlebnisorientierten Objektbeziehung“ (Scharff 1995b, S. 358) führt zum Aufbau neuer Repräsentanzen des Selbst einschließlich des Körperselbst, der Beziehungsrealität sowie der Repräsentanz eines empathischen inneren Objekts. Der Analytiker braucht die Fähigkeit zur doppelten Fokussierung auf die neurosenanalytische, Konflikt bezogene Technik, wie auf die sensorisch-empathische, auf Entwicklung von Repräsentanzen bezogene Technik, weil beide Techniken innerhalb einer Analysestunde im Wechsel notwendig werden können. Mit Repräsentanz wird eine affektbesetzte innere Vorstellung bezeichnet. Sie enthält „seelische Spuren und Niederschläge der Wahrnehmungen von Selbst und Objekten und deren Interaktionen. In der Regel werden ganze Szenen verinnerlicht, welche Bilder vom Selbst, vom Objekt, von den Umständen und den dazugehörigen Affekten umfassen.“ (Auchter u. Strauss 1999, S. 136) Fonagy et al. (1993, S. 10í11) beschreiben in Anlehnung an Sandler und Rosenblatt (1962) sowie Jacobson (1964) mentale Repräsentanzen als ein theoretisches Konstrukt, das Psychoanalytiker zum Verständnis und zur Erklärung der inneren Welt von Patienten benutzen. „Es ist grundlegend, dass menschliches Denken und Handeln ein „repräsentierendes System“ erfordern. Eine Formulierung über therapeutisches Handeln in Begriffen der Veränderung mentaler Repräsentanzen ersetzt keine Formulierung, die auf der Strukturtheorie oder Objektbeziehungstheorie beruht; stattdessen zielt sie auf die Beschreibung der gleichen Phänomene, nur auf einem anderen Abstraktionsniveau.“ (übersetzt von U. V.-B.) In den letzten zwanzig Jahren wächst in der Psychoanalyse das Interesse daran, das Körpererleben in das Analysierbare einzubeziehen. „Die Untersuchungen des Körpererlebens richten sich… auf die subjektiven, bewussten und unbewussten Körperbilder und deren lebensgeschichtliche Einbettung in kognitive, affektive und interpersonale Szenen.“ (Thomä 1992, S. 136) Die Aufmerksamkeit für Körperausdruck und Körpererleben von Patienten während der analytischen Arbeit ist davon beeinflusst, wie der Therapeut mit seinem eigenen Körpergefühl in Kontakt ist. Wie zugänglich und bewusst sind ihm sein eigenes Körperbild und seine Widerstände dagegen in den Lehrjahren der Selbsterfahrung geworden? Was kann er an Körperresonanz in seinem inneren Selbstraum zulassen und ermöglichen? Der Psychoanalytiker braucht viel Erfahrung und Sorgfalt, um mit seinen eigenen Körperwahrnehmungen in der Gegenübertragung am Patienten orientiert zu sein und zu bleiben. Davon hängt ab, wie ein Patient in seiner Übertragung körperlicher Selbstverfassungen und innerer Beziehungsbilder auf seinen Therapeuten neue und heilsame Erfahrungen machen kann. „Bei unserer Arbeit erleben wir den Analysanden in unserem Soma. Die Wirkung des anderen auf unser Psychosoma »prägt sich uns ein«, und daraus geht eine Form somatischen Wissens hervor, das… nicht gedacht ist. …Jeder Analytiker scheitert aber auch zuweilen dabei, das ungedachte Bekannte ins
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Denken zu überführen, und muss mit der Tatsache umgehen lernen, dass ein großer Teil unseres Wissens auf eine ziemlich geheimnisvolle Weise unzugänglich ist.“ (Bollas 1997, S. 292) Dieses Wissen ist ein empfundenes Wissen. Damasio (1999, S. 15) vertritt die Auffassung, „dass die Netze, auf denen Empfindungen vor allem beruhen, nicht nur das limbische System umfassen… sondern auch einige präfrontale Rindenabschnitte und, vor allem, jene Hirnbereiche, in denen Signale aus dem Körper kartiert und integriert werden.“ Er beschreibt das psychische Leben als einen fortgesetzten Versuch des Zusammenspiels zwischen zwei Gehirnen: dem kognitiven Gehirn, das bewusst, rational und der Außenwelt zugewandt ist, und dem emotionalen Gehirn, das unbewusst, auf Überleben ausgerichtet und in engem Kontakt mit dem Körper ist (Damasio 2004). Derzeitiges neurobiologisches Wissen verbindet das emotionale Gehirn überwiegend mit mesencephalen Strukturen im Amygdalum und Gyrus cinguli, das kognitive Gehirn mit mesencephalen Strukturen des Hippocampus, Gyrus cinguli sowie Strukturen des medialen präfrontalen Cortex. Während der analytischen Behandlung gibt es zahlreiche Aktivierungen des Körpererlebens: der Blickkontakt und die Körperhaltung bei Begrüßung und Verabschiedung, der Händedruck, die Art von Ernst oder Lächeln bei Begrüßung und Abschied, die Stimme mit all ihren Modulationen und Rhythmen, die Temperatur des Raumes, sein Geruch, seine Ausstattung, Atmosphäre und Ästhetik, die Gehweise der Beteiligten, deren Kleidung, Geruch, Gestik, Gesichtsausdruck, Ausstrahlung, die Aktivierung der Tiefensensibilität während des Gehens, Sitzens, Liegens… Diese sinnlichen Aktivierungen über Sehen, Hören, Riechen, Tastgefühl, Tiefensensibilität sind in der „Redekur“ ständig präsent wie wirksam und werden unterschiedlich in die Arbeit mit ein bezogen. Die Körperreaktionen können verbal wie über handelnde Interventionen bearbeitet werden. Letzteres „hieße, der körperlichen Intervention eine eigene Erkenntnis vermittelnde Bedeutung zu geben, die neben den sprachlichen Interventionsmöglichkeiten besteht.“ (Worm, Handlungsdialog, i. d. B.) Kutter (2003, S. 23 f.) bespricht, wie die Psychoanalyse als „Bedeutungslehre“ um die körperliche Dimension einschließlich körperlicher Berührung erweitern werden kann.
Fallbeispiel Frau D. Am Beispiel von Frau D. möchte ich illustrieren, wie in einer überwiegend neurotischen Persönlichkeitsstruktur Symbolisierungslücken – infolge traumatisch eingekapselter Erfahrungen – in der Anfangsphase der analytischen Behandlung der Analytikerin über Körperreaktionen zugänglich werden.
Das erste Telefonat Frau D. rief während meiner Telefonsprechzeit in großer Not an. Gestern Abend beim Einschlafen sei sie in einen unheimlichen Zustand geraten: sie sah einen Teil ihrer Person in erwachsener Gestalt aus sich selbst hinaus in ihre Küche gehen, die Schublade aufziehen und ein großes Messer herausholen. „Ich glaubte, mir an den Handgelenken herum schneiden zu müssen. Dann konnte ich die Halluzination nicht weiter ansehen, weil ich in eine Panikattacke kam“. Herzrasen, Luftnot, Schwindel und Empfindungen von Lähmung beanspruchten ihre Aufmerksamkeit. Unfähig, sich zu bewegen, konnte sie weder denken noch geordnet handeln. „Aus Angst vor Wiederholung der Halluzination blieb ich die ganze Nacht wach im Bett sitzen. Ich tröstete mich
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Ursula Volz-Boers im Laufe der Nacht damit, am Morgen den Arzt anzurufen.“ Ihr Arzt riet ihr dann, sich wegen Suizidalität in die Psychiatrie einweisen zu lassen. Das lehnte sie strikt ab. „Medikamente und Krankenhaus können mir nicht helfen“. Ihr zuhörend kamen zwei Fragen in mir auf: Was hätte sie „gesehen“, wenn sie ihre inneren Bilder nicht über Paniksymptome hätte abbrechen müssen? Was ist im Laufe ihrer Lebensgeschichte mit ihren Handgelenken passiert? Ich empfand Zuversicht, dass sie nicht suizidal war und sagte ihr: „Sie haben etwas Unheimliches erlebt. Ich verstehe Ihre Angst. Zugleich empfinde ich Sie als mutig, sich einer wichtigen inneren Erfahrung zu stellen. Wir können im Erstgespräch versuchen herauszufinden, was mit dem inneren Bild Ihres Ganges in die Küche in Bewegung gekommen ist.“ Ihre Reaktion auf mein Bedauern, dass bei mir ein Erstgespräch erst in einiger Zeit möglich sei, bestätigte meinen Eindruck ihrer noch ausreichenden Stabilität: „Wenn ich weiß, dass ich bei Ihnen ankommen kann, halte ich die Wartezeit aus.“
Erstgespräche Die 37-jährige Frau D. ist groß, schlank und hat ausdrucksvolle dunkelbraune Augen. Ihr Haar trägt sie hellblond und im Pagenkopf-Schnitt um ihr attraktives Gesicht. Zwischen unserem Telefonat und dem Erstgespräch hat sie keinen weiteren dissoziativen Zustand erlitten. Ich erfahre, dass sie ledig lebt, kinderlos ist, im Bankwesen arbeitet, zwei gute Freundinnen, ein Pferd und zwei Katzen hat. Nach zwei fünfjährigen Partnerschaften ist sie seit fünf Jahren ohne feste Beziehung. In hektischer Sprechweise sagt sie: „Ich buhle in Partnerschaften um Anerkennung und tu alles, was der andere will. Ich meine jedes Mal, den Mann zu lieben, aber es ist nicht ehrlich. Die Partnerschaften sterben an Langeweile.“ Jetzt leidet sie an ständigem Druckgefühl im Hals mit Schluckbeschwerden, „als hätte ich eine Kralle am Hals“. Wegen des Druckgefühls im Hals, das vor zehn Jahren in der prolongierten Trennungsphase von ihrem zweiten Partner aufgetreten war, hat sie damals eine Gesprächstherapie mit einer Wochenstunde über 50 Stunden gemacht, ohne dass sich die Symptomatik dauerhaft veränderte. In letzter Zeit haben sich als neue Symptome morgendliche Angst- und Unruhezustände und gelegentlich auftretende Panikattacken entwickelt. „Die Panik kommt, wenn ich das Empfinden habe, dass mir der Boden unter den Füssen weg geht.“ Emotionslos erwähnt sie beiläufig, dass kürzlich die Rede davon war, dass sie die Eltern im Alter pflegen solle, weil die beiden älteren Schwestern jeweils verheiratet mit zwei Kindern weit entfernt leben. Auf meine Anmerkung „Sie erzählen mir bewegende Dinge in kurzer Zeit. Dabei interessiert mich Ihr Empfinden angesichts der Erwartungen der Eltern“ blickt sie mich erstaunt an: „Darüber habe ich noch nicht nachgedacht.“ Sie spricht schnell, hektisch und ich fühle mich bald überfüttert von einer Fülle von Daten, die für mich schwer verdaulich sind, weil ich ihre emotionale Bedeutung nicht miterleben kann. So erwähnt sie kurz, dass sie zu früh geboren zunächst auf einer Frühgeborenenstation versorgt wurde. Mit 12 Jahren war sie wegen einer Hepatitis A mehrere Monate auf einer Isolierstation hospitalisiert. Als sie von ständigen Druckgefühlen auf den Magen und hinter dem Brustbein berichtet, kann ich diesen Druck miterleben. Während ich dieser Trennung von Denken und Fühlen nachspüre, berichtet sie weitere Erinnerungen. Die Mutter habe einen subtilen Ekel vor Sexualität vermittelt. Sie entwertete die erotische Beziehung mit dem Vater und führte nach dem Geschlechtsverkehr ausgedehnte Waschungen im Badezimmer in Gegenwart der Töchter durch. Außerdem habe die Mutter Geliebtwerden und Lieben häufig mit Bedingungen verknüpft nach dem Muster: „Wenn du das und das machst, dann wirst du geliebt – und sonst bist du ein Nichts.“ Vom Vater erzählt sie, dass er sehr leistungsbezogen sei. In der Familie zähle man erst ab Doktor- oder Professor-Titel. Bei einer Familienaufstellung im Rahmen der Magersuchtsbehandlung der ältesten Schwester sei herausgekommen, dass das erstgeborene Kind der Eltern, ein Junge, kurz nach der Geburt gestorben war. Es war vorher
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nicht darüber gesprochen worden. Erst ab dann verstand sie, warum der Vater sich so dringend einen Sohn wünschte. Als Frau D. dann als viertes Mädchen nach dem toten Bruder geboren wurde, nannte der Vater sie „Pitter“ und versuchte, aus ihr einen Lausbuben zu machen – wie sie sagt. Er ermutigte sie, auf höchste Bäume zu klettern und nahm sie zu sämtlichen handwerklichen Verrichtungen mit. Dass sie bis heute innerhalb der Familie „Pitter“ genannt wird und Sitte wie Erwartungsdruck bestehen, sich von Mutter und Vater auf den Mund küssen zu lassen, bemerkt sie mehrfach. Damit verstärkt sie ein Befremden in mir, als wolle sie die Thematik des falschen Namens und der erzwungenen Mundküsse ganz bei mir unterbringen. Ich stelle mich mehr auf die Bewegung innerhalb ihrer Mitteilungen als auf den Inhalt ein und sage: „Sie wiederholen diese Mitteilungen als wären sie Ihnen besonders wichtig.“ Sie lacht und sagt: „Ja, irgendwie ist es komisch, dass ich nicht bei meinem Namen genannt werde. Darüber und über die Küsserei auf den Mund mache ich mir nicht wirklich Gedanken. Es ist, als könne ich mir das nicht leisten. Ich bin so auf die Liebe anderer angewiesen, laufe hinter ihnen her und tue alles, damit ich gesehen und geliebt werde. Ich frage ständig andere, wenn ich etwas für mich will. Ich wirke taff, selbstbewusst und bodenständig auf andere. Zugleich ist ein fürchterlich wackeliges, unsicheres, kleines, zerbrechliches Wesen in mir da, das die Arme ausstreckt und sagt: „Halt mich fest! Halt mich für einen Moment fest!’ Mit diesem Wesen werde ich nicht fertig. Wenn ich allein bin, tun sich Abgründe in mir auf, in die ich in meinen Albträumen hinein stürze.“ Ich sage: „Sie vertrauen mir Wichtiges von Ihnen an: das Nebeneinander der tüchtigen, selbstbewussten Frau einerseits und des zerbrechlichen Wesens, das Sicherheit und beruhigenden Halt braucht. Mich berührt, dass dieser zerbrechliche Teil in Ihnen all die Jahre lebendig geblieben ist, und bis jetzt die Arme ausstreckt.“ Frau D.: „So habe ich es noch nie gesehen. Das hilft mir. Und doch habe ich Angst, dass jemand mein wirkliches Inneres kennen lernt. Als wäre ich dann nichts mehr wert. Ich fühle mich so mickrig.“ Ihre Augen füllen sich mit Tränen. Sie erzählt, dass es zu einem für sie sehr schmerzlichen Bruch mit ihrem Reitlehrer und seiner Frau gekommen sei durch Schwierigkeiten mit ihrem Pferd. Sie muss die Entscheidung treffen, sich von ihrem Pferd wegen dessen Beinsehnenleiden und der zu hohen Tierarztkosten zu trennen. Sie weint bitterlich. Sie sieht Tränen in meinen Augen. Dann spricht sie von der „Halluzination, deretwegen ich Sie anrief. Als ich in dem Bild das Messer und nur noch meine Arme sah, hatte ich Angst vor Selbstmord und Tod und davor, verrückt zu werden. Ich dachte, ich sei reif für die Klapse, auch wenn ich dem Arzt widersprach.“ Ich sage ihr: „Die bevorstehende Trennung von Ihrem Pferd wühlt jetzigen und möglicherweise früheren Schmerz auf. Ihre Erfahrung, dass ein Teil von Ihnen aus Ihnen hinausgeht, kann auch bedeuten, dass Sie den Mut hatten, in einen inneren Raum hineinzugehen. Dabei erlebten Sie, dass Sie diesen inneren Raum noch nicht allein betreten konnten. Jetzt wagen Sie mit mir den Versuch erneut. Möglicherweise fragen Sie sich, ob ich gut sehen und gut genug damit umgehen kann, was Sie mir anvertrauen: Ihre Sehnsucht nach Anerkennung und Liebe, ihre Selbstzerstörungsimpulse, Ihre Angst, verrückt zu werden und Ihr Bedürfnis, sich mit all diesen Kräften weiterzuentwickeln.“. Sie antwortet: „Es bleibt mir nichts anderes übrig. Mit dieser Angst kann ich nicht leben. Bei Ihnen tröstet mich die Hoffnung, dass wir eine Intensivtherapie machen können und uns öfter als einmal in der Woche sehen. Bisher hat noch niemand gesagt, dass meine Panik und mein Zusammenbruch auch etwas mit einer Leistung zu tun hat. Das hilft mir. Ich möchte mit Ihnen meine Sexualität klären und meine Partnerfähigkeit verbessern.“
Kommentar: Ich verstand bis dahin, dass der dissoziative Zustand, den Frau D. Halluzination nennt, mit bedrohlichen inneren Ängsten und Bildern in einer Situation zu
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tun hat, in der sie die Kontrolle sowohl über ihre Trennungsangst wie über ihre Destruktivität zu verlieren droht. Mit neurotischen und narzisstischen Abwehrleistungen kann sie die innere Bedrohung ihres Selbst durch Angst und Wut wegen aktueller Trennungserfahrungen von Pferd und elterlichem Freundespaar nicht meistern. Sie ist in einen inneren Raum geraten, in dem feindselige, Selbst- und Objektbilder und destruktive Affekte sie tödlich erschrecken. Gute Objekt- und Selbstbilder, die Sicherheit, affektive Wärme, Halt oder Kraft geben, sind hier jetzt nicht erreichbar. Gegen die mörderische Destruktivität in ihr und dem damit verbundenen Gefühl von Selbstverlust schützt sie sich abwehrend mit einer Angst, die nicht Signalcharakter sondern die Qualität einer organismischen Panik hat. Sie zeigt, dass bis dahin unbemerkte, ungedachte, d.h. nicht psychisch repräsentierte innere Erfahrung mit den sie begleitenden intensiven Affekten bis hin zur Todesangst das psychische Verarbeitungsvermögen überfordert. Ihre Erfahrung geht mit bedrohlichen Empfindungen vom Verlust eines Teiles ihrer selbst einher. Das Über-Ich hat – anders als im neurotischen Organisationsbereich – keine schützende, sondern eine destruktiv-vernichtende Qualität. Sie hält ihre „Halluzination“, dass ein Teil ihrer selbst mit dem Messer bedrohlich hantiert, nicht für eine Aktivität im symbolischen Raum, sondern nimmt die Phantasie für Realität. Zwischen dem abhängigen, Not leidenden Selbstanteil und dem destruktiv-überwältigenden Selbstanteil ist ein schützender dritter Teil zu schwach repräsentiert: ein Du, ein Objekt, das innerlich repräsentiert oder real äußerlich gegenwärtig den Horror mitfühlt, aufnimmt und transformiert. Die das Selbst überflutende Panik stellt Schutz und Abwehr vor Selbstverlust und Objektlosigkeit, d. h. Schutz vor der Ausdehnung einer psychosenahen Verfassung her. Die Panik als Angst vor Selbstzerstörung spiegelt möglicherweise auch wider, dass Frau D. sich durch falsche Benennungen und Kennzeichnungen (Aulagnier 1998) seitens der Eltern, die sie nicht mit ihrem Mädchennamen anreden, zerstört fühlt. Offensichtlich reichen die Halluzination (aus sich selbst hinauszugehen) und das Gefühl psychomotorischer Lähmung (um nicht mit dem Messer zu schneiden) als schützende Abwehr gegen den inneren Horror durch feindselige Gewalttätigkeit nicht aus. Die heftigen Körperreaktionen und die Unfähigkeit zum Denken und Handeln sind Zeichen dafür, dass sie in Bereichen gestörter Selbststruktur eine Regression auf das erste „psychobiologische Selbst“ (Jacobson 1964) erleidet. In anderen Bereichen ihres Selbst verfügt sie über genügend gesunde Ich-Struktur und Selbsterhaltungsenergie, um den Anfall abklingen zu lassen und sich in der Hoffnung auf Hilfe zu reorganisieren. Da Frau D. gelegentlich in dissoziative Verfassungen gerät, stelle ich mich darauf ein, dass im psychoanalytischen Prozess „Inseln von Symbolisierungsstörungen“ auftauchen werden. So werden zum einen Prozess-Phasen mit neurosenanalytischer Behandlungstechnik in Form der Deutungen von Trieb-Abwehr-Konflikten zu erwarten sein, mit der Arbeit an vorhandenen, aber verzerrten oder abgewehrten Repräsentanzen von Selbst, Objekt und Beziehungskonstellationen. Zum anderen werden die Störungen in der Mentalisierungsfähigkeit, die sich in der Trennung von Mitteilungen und Affekt zeigten, zu Behandlungsphasen führen, in denen es um die Wiederherstellung des psychischen Prozesses geht, der Neubildung von Repräsentanzen ermöglicht: nämlich die Analyse von Affekten und Wahrnehmungen, deren Zusammenspiel bei der Patientin im Erstgespräch an einigen Stellen unterbrochen wirkt – da, wo sie von der Erwartung der Eltern, von ihr gepflegt zu werden, spricht, oder da, wo
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sie den Tod des Bruders erwähnt, ohne zu vermitteln, was dieser Tod für sie oder die Familie emotional bedeutet jenseits des Wunsches des Vaters nach einem neuen Sohn. Erst als ich meine Protokolle für die Arbeit an diesem Text erneut las, habe ich bemerkt, dass Frau D. ihre Frühgeburt zwar im Erstgespräch erwähnt hatte, ich aber nicht nur keine Details erfragt, sondern die beiläufig gebliebene Erwähnung, als Frühgeburt zur Welt gekommen zu sein, „vergessen“ hatte. Als wäre die Information – von jeglichem Gefühl abgespalten – nicht zu halten gewesen. Ich diagnostiziere eine Angstneurose und weibliche Identitätsstörung mit ödipaler Fixierung an beide Eltern und eingekapselten Anteilen archaischen Strukturniveaus. Ich gehe davon aus, dass der seelische Gehalt von Frau D.’s inneren Erfahrungen und regressiven Verfassungen mit der Beziehungsmöglichkeit psychoanalytischer Interaktion und Intersubjektivität im höher frequenten Setting aufzunehmen, zu bewahren, zu verstehen, zu verändern und zu integrieren sein wird. Mein Angebot einer Psychoanalyse im Liegen mit vier Wochenstunden nimmt sie als „Intensivtherapie“, wie sie es nennt, gern an.
Die ersten Analysestunden mit sensorischen Reaktionen in der Gegenübertragung und die Konstruktion eines Zusammenhangs zu perinataler Traumatisierung Nachdem Frau D. nach der Begrüßung auf der Couch liegt und ich ihr gesagt habe, dass sie alles mitteilen möge, was ihr einfällt und was sie an körperlichen und seelischen Empfindungen spürt – ob angenehm oder unangenehm, sagt sie: „Einerseits möchte ich mich öffnen, andererseits fühle ich mich unsicher und ungeschützt. Ich spüre Freude darüber, mich hier auf Neues einzulassen und hoffe, es wird alles gut und ich finde mich selbst. Aber gleichzeitig habe ich große Angst. Die Angst in Kaufhäusern und Fahrstühlen ist derzeit weg. Aber die Angst vor der Angst ist da. Ich fühle mich wie ein kleines Kind gegenüber einer höhergestellten Person. Als könnte jemand mit mir jonglieren und ich kann es nicht beeinflussen. Ich bin dem hilflos ausgeliefert. Ich horche auf mich und will nach meinen Gefühlen handeln: Dann aber tut ein Teil in mir etwas ganz anderes, als ich spüre, dass es gut für mich ist. Das ist so verwirrend. Es klingt alles so durcheinander.“ Ich bin beeindruckt, wie dicht sie die Gegensätze in sich beschreibt. Dabei spricht sie so schnell und hektisch, dass sie diese Beschreibung nach meinem Gefühl in weniger als einer halben Minute berichtet. Ihre atemlose Hektik bestärkt mich in meiner Absicht, zunächst für Sicherheit und Beruhigung zu sorgen. So sage ich: „Wenn ich etwas nicht verstehe, dann sage ich es Ihnen. Bis jetzt habe ich verstanden, dass Sie zwei Tendenzen in sich wahrnehmen: Einerseits die Freude, hier Neues in sich selbst zu entdecken mit der Hoffnung, bei sich selbst gut anzukommen; andererseits Ihre Frage, ob Sie bei mir sicher und ebenbürtig sind angesichts Ihrer Gefühle von kindlicher Ungeschütztheit und Ausgeliefertheit bis zu Ihrer Angst, ein Gegenstand zum Jonglieren zu werden.“ Sie sagt: „Mein Vertrauen muss wachsen. Ich weiß, ich muss mich selber annehmen. Ich habe Angst vor dem Alleinsein. Deshalb habe ich vor etwa drei Wochen eine Beziehung zu einem Mann begonnen. Anders als sonst habe ich mir vorgenommen, ihm zu zeigen, wie viel starke und wie viel schwache Seiten ich habe. Ich möchte nicht nur mit meiner Stärke angenommen werden.“ „Vor drei Wochen stand schon fest, dass wir mit der Arbeit heute beginnen. Eine Seite in Ihnen hofft, dass ich Ihre starken und schwachen Seiten annehme. Eine andere Seite zweifelt daran und sucht Verstärkung bei dem neuen Mann.“ Sie antwortet: „Ich weiß, dass er nicht der Richtige für mich ist. Aber ich handle gegen mein Gefühl. Ich bin hart und harsch gegen mich. Ich kann mich nicht lieben. Manchmal erschrecke ich, wie schlecht und missachtend ich mit mir umgehe und das
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Ursula Volz-Boers Ängstliche und Zerbrechliche in mir hasse. Ich präsentierte lange nur meine starke, männliche Seite. Daneben habe ich große Sehnsucht nach einem Leben in einer Märchenwelt – ich liebte die Geschichte vom Zauberer Oz oder von Mary Poppins – weil ich Leichtigkeit in meiner Kindheit nicht erlebt habe. Ich möchte mehr meine weiche, zarte Seite, das kleine Kind in mir fühlen. Aber ich habe keinen Zugang. Ich kann es sehen, aber nicht fühlen. Es ist ein Gefühl, als beginne ich, laufen zu lernen.“ Die Stunde ist zu Ende. Sie geht langsam hinaus. Die Stunde am nächsten Tag beginnt sie: „Ich könnte so losspulen. Ich möchte in möglichst kurzer Zeit möglichst viel vermitteln und ein Bild von mir vermitteln. Ich habe Angst, die Zeit reicht nicht. Die erste Stunde war unheimlich anstrengend. Ich war hinterher unruhig, fast in Panik, als verlöre ich innerlich den Halt, rutschte ab, verlöre die Kontrolle. Mir wurde übel. Ich hätte kotzen können. Dann hat mich etwas beruhigt: dass Sie zu meinem kleinen, zerbrechlichen Teil etwas Anerkennendes gesagt haben. So habe ich mich noch nie gesehen gefühlt. Und es hörte sich für mich echt an. An so eine neue Perspektive habe ich bisher nicht gedacht. Als mir so schlecht war, konnte ich mir selbst helfen mit Autogenem Training. Meine Angst bis zum Kotzen ist etwas, das schon lange in mir ist. Immer habe ich diesen Druck in mir. Ich will ihn nicht mehr. Ich möchte mich dem Positiven im Leben zuwenden und nicht im Schmerzhaften herumrühren. Ich krieg es nicht sortiert. Wohin gehören die Angst und der Druck? Ich habe schon so viel und bitterlich darüber geweint aus Angst vor dem Alleinsein. Ihr zuhörend entwickelt sich hinter meinem Brustbein ein Druck, der sich in Hals und Ohren fortsetzt und sich allmählich schmerzhaft verstärkt. Ich verbinde ihn zunächst mit intensiver Trauer über ihr Verlassenheitsgefühl im Alleinsein. Ihre Stimme, wenn sie von Abrutschen, Kotzen und Druck spricht, vermittelt Aufgeregtheit und Wut. Der Schmerz in meinem Hals verstärkt sich zu einem Krampfgefühl in meiner Speiseröhre. Ich kann zeitweilig nicht denken, weil es so weh tut. Ich versuche, bewusst ein und aus zu atmen bis in meinen Beckenboden, um funktionsfähig und in meiner eigenen Lebendigkeit zu bleiben. Der Schmerz macht mir Luftnot, Angst und Ärger. Angst, dem Leid und der Trauer in den Erfahrungen der Patientin nicht gewachsen zu sein; Ärger, weil ich nicht einverstanden bin mit derartig intensivem Schmerz, der so früh in der Behandlung auftritt. Ich suche danach, woher soviel Schmerz, Traurigkeit und Erregung der Patientin herkommen. Nimmt sie mich mit in die Nähe ihrer Angst, die sie in ihrem halluzinatorischen Zustand erlebt hat? Ist dieser Angstanfall nicht nur ein Hinweis auf ihre Weiblichkeits- und Familienproblematik sondern auch ein Hinweis auf etwas früh Erlebtes, das sich hier früh in unserer Beziehung abzubilden beginnt? Ich lasse den Schmerz zu und überlasse mich meinen Einfällen. Habe ich gestern in der Stunde oder vorhin zu Stundenbeginn etwas übersehen oder falsch gemacht? Ich finde nichts unmittelbar Markantes. Dann fällt mir ein vergleichbarer Schmerz wie jetzt ein, als ich acht Jahre alt war. Ich hatte ein Himbeerbonbon verschluckt, und es blieb mir im Hals stecken. Ich war auch in der Küche und allein, litt Luftnot und Erstickungsangst durch diesen krampfartigen Schmerz in meiner Speiseröhre – bis ich den Kopf nach unten hängen ließ und das Bonbon hinauswürgte. Ich verwerte diesen Einfall dahingehend, dass wir auch hier einen befreienden Ausweg finden werden Dann kommt mir die Vorstellung von Sondenernährung, die ich zunächst nicht einordnen kann. Es ist, als schimmerten schemenhaft Bilder aus anderen Erfahrungen im Dort und Damals durch die Ereignisse im Hier und Jetzt. Ich bewahre mein inneres Bild von Sondenernährung und warte auf weitere Erfahrungen in der analytischen Beziehung. Dann sagt Frau D.: „Als ich acht Jahre alt war, hielten meine Schwestern mich an den Handgelenken fest. Ich rastete aus, trat um mich, wütete und schrie, weil ich es nicht ertragen konnte, wenn mich jemand an den Handgelenken festhielt. Ich war in Panik, verrückt vor Angst und Wut. Diese Wahnsinnswut wie beim Festgehaltenwerden an den Handgelenken kenne ich sonst nur noch, wenn meine Mutter durch ihren Gesichtsausdruck oder kleine Handzeichen vermittelte: »Halt du mal deine Klappe – du
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bis jetzt nicht dran und schon gar nicht als die Erste!« Es ist, als ließe ich diese Wahnsinnswut an mir aus. Ich möchte an dem kleinen Kind in mir rumzerren und es entwerten: »Du kriegst ja doch nichts geregelt.« So als wollte ich mich selbst prügeln.“ Dann fragt sie mich direkt: “Können Sie sich so viel Druck, Schmerz und Wut vorstellen?“ Ich sage: „Sie möchten wissen, ob ich Ihren Schmerz, Ihre Wahnsinnswut und ihre Tränen mitfühle, und ob ich bei Ihnen bleibe, wenn Sie fürchten, hier die Kontrolle zu verlieren.“ Sie antwortet: „So sprechen zu können, tut mir gut.“ Es folgen einige Stunden, in denen sie über ihre sexuellen Schwierigkeiten mit ihrem Freund spricht. Anorgasmie und kompensatorische sexuelle Hyperaktivität machen sie ratlos. Sie bringt ihre sexuellen Leiden in Verbindung mit der Abweisung durch ihre Mutter: „Sie war nicht wirklich für mich da. Wenn ich mit meinem Freund schlafe, habe ich das Gefühl, ich lebe nicht meine Lust, sondern die Lust meiner Mutter. Sie steht da und guckt zu. Ich lebe ihre Gefühle, als würde sie mich dann endlich lieben. Ich glaube, ich kann meine Mutter nur aus mir rauskriegen, wenn ich die Verbindung zu dem kleinen Kind in mir herstelle. Aber es fehlt mir das Gefühl.“ Wenige Stunden später klagt sie über einen brennenden Schmerz im Hals, hinter dem Brustbein und im Magen. Sie hat das Gefühl, wie in einer braun-rötlichen Gummihaut zu stecken: „Ich hab wieder dieses Gefühl, ich muss strampeln und komme aus dieser Haut nicht heraus.“ Dann macht sie heftige Strampelbewegungen auf der Couch. Sie spricht erneut vom Brechreiz und hat das Gefühl, der Magen wird aufgebläht. In mir entsteht die Vorstellung, dass sie nach der Geburt aus der „braunen Haut“ des Uterus durch eine Magensonde ernährt, an den Handgelenken fixiert wurde und sich strampelnd gewehrt hat. Ihr Gefühl des aufgeblähten Magens verbinde ich damit, dass die Milch durch die Magensonde uneinfühlsam schnell und viel hineingespritzt worden war. Diese Eindrücke fasse ich zusammen zu folgender Intervention: „Sie lösen in mir die Vorstellung aus, als wären Sie nach der Geburt durch eine Magensonde ernährt und an den Handgelenken fixiert worden. Wissen Sie etwas davon?“ „Es war etwas mit meiner Geburt. Ich war eine Frühgeburt.“ Sie befragt die Eltern und erfährt, dass die Geburt sechs Wochen vor dem Termin erfolgte. Der Geburtstermin sollte Ende Januar sein. Durch einen Fehler wurde er für Ende Dezember berechnet. Damit der Weihnachtsbetrieb im Krankenhaus nicht gestört werden sollte, wurde die Geburt schon Mitte Dezember eingeleitet. Es wurde eine schlimme Geburt, mit viel Druck und Pressen von außen. Die Patientin wog keine 2000 Gramm, kam für vier Wochen auf die Frühgeborenenstation, war zu schwach zum Trinken, wurde künstlich ernährt und zeitweilig an den Handgelenken fixiert. Die Eltern durften sie bei deren Besuchen nicht auf den Arm nehmen, weil Körperkontakt verboten war.
Kommentar: Mein Speiseröhrenkrampf war für mich die Stelle des intensivsten Körpergefühls. In dieser sensorischen Empathie kam ich mit den zwei unbewussten Aspekten der inneren Objektbeziehung der Patientin in Kontakt, „einem, der mit dem Selbst identifiziert ist und einem anderen, der mit dem Objekt in der ursprünglichen Beziehung identifiziert ist.“ (Ogden 1995, S. 207) In Identifikation mit dem Selbst des Kindes während der Geburt erfahre ich schmerzhafte Druckgefühle, Luftnot und Erstickungsangst. In Identifikation mit dem inneren mütterlichen Objekt spüre ich Angst und Ärger, der Geburt nicht gewachsen zu sein und sie in der Sehnsucht nach dem männlichen Ersatz für den toten Erstgeborenen als viertes Mädchen nicht genug lieben zu können. Bruchstücke der nonverbalen Mitteilungen von Frau D., die mein Körpererleben und meine damit verbundenen Gegenübertragungsphantasien aktivieren, haben zu einer Konstruktion über ein frühes Trauma geführt. Diese Konstruktion gibt ihren
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Leiden eine Bedeutung, stellt eine erste Verbindung zu affektiv abgespaltener Erfahrung der frühen Lebensgeschichte her und vertieft ihr beginnendes Vertrauen in die analytische Arbeit. Sie erfährt, dass sie entgegen ihren Ohnmachtsgefühlen selbst etwas bewirken kann. (Volz-Boers 1999)
Fallbeispiel Herr J. Am Beispiel von Herrn J. (Volz-Boers 2003) möchte ich zeigen, wie sich durch Neubildung von Repräsentanzen des Körperselbst eine Kommunikation über Blutungen und Don Juanismus in eine Kommunikation über Körperempfindungen, Affekte, Vorstellungen und Worte verändert.
Erstgespräch Herr J. berichtet zu Beginn des Erstgespräches, dass er in einem Schaufenster sein Spiegelbild beobachtete und sah, wie sein Gesicht zunehmend weiß wurde. Er ahnte, dass sein Magen blutete. Während er sich schwächer werden und sich vergehen fühlte „wie in einem süßen Todessog“, konnte er nichts zu seinem Lebenserhalt tun. Ohnmächtig werdend, wurde er von Passanten in ein Krankenhaus gebracht. Nach einer Notoperation wegen blutender Magengeschwüre ließ ihn die Erfahrung vor dem Schaufenster nicht los. Er wollte verstehen, warum er in seiner Selbstfürsorge auf ihm unheimliche Weise gelähmt war. Deshalb suchte er Hilfe durch Psychoanalyse. Damit wollte er den Operationserfolg und sich selbst vor weiteren Blutungen sichern. Ein weiteres Motiv war seine Angst zu lieben. „Wenn ich liebe, kann ich sexuell nicht begehren. Wenn ich sexuell begehre, kann ich nicht lieben.“ Seine Selbstheilungsversuche mit zahllosen Frauen begannen, ihn seelisch auszubluten. Der 41-jährige Herr J. ist groß, hager, bärtig, ernst, mit seltenem Lächeln. In seiner Arbeit als Versicherungsangestellter fühlt er sich ruhelos und häufig konzentrationsunfähig. Durch Ehrgeiz, Rivalität und Missverständnisse hat er Schwierigkeiten mit männlichen Vorgesetzten. Große Bereiche seines Fühlens und Denkens sind mit reaktiven Racheplänen gegenüber diesen Männern ausgefüllt. Er lebt mit einer gleichaltrigen Witwe zusammen. Zugleich hält er Beziehungen zu anderen Frauen aufrecht. Er beklagt das Chaos, seine persönlichen Dinge nicht zu finden, weil er sie in den Wohnungen der Frauen verteilt hält. Dieser Versuch zur Wahrung seiner Autonomie und zur Bekämpfung seiner Abhängigkeitsängste geht mit gefügiger Anhänglichkeit an seine Eltern einher. Seine Fügsamkeit wirkt nicht wie eine Fähigkeit, sondern wie eine Selbstpreisgabe. An seinen Vater fühlt er sich intensiv gebunden durch Mitgefühl, weil der Vater zweijährig den eigenen Vater, fünfjährig die Mutter verlor und im Waisenhaus aufwuchs. Jetzt ist das Leben des Vaters durch blutende Ösophagusvarizen bedroht. Herr J. kann sich dem arm und bescheiden wirkenden Vater gegenüber aber nur sorgend, nicht auch aggressiv verhalten. Er vermittelt mir auf diese Weise die Störung seines inneren Vaterbildes. An seine als dominant erlebte Mutter ketten ihn deren Vorwürfe, bei seiner Geburt fast verblutet zu sein, weil er übermäßig groß und schwer war (6kg, 60 cm). Außerdem hatte sie ihn sich als Mädchen gewünscht. Dann beklagt er, dass die Mutter den sechs Jahre jüngeren, ihm verhassten Bruder aufs Gymnasium gehen ließ und ihn daran hinderte. Als sie ihn 15-jährig in eine Angestelltenlaufbahn zwang, ohne dass der Vater eingriff, begann das Magenleiden. Dennoch liebte er die Mutter zärtlich und las ihr – bis er 18 Jahre alt war – täglich vor. Herr J. berichtet weiter, dass er für sich selbst nicht sorgen kann. Bei seinen Langstreckenläufen bluten seine Brustwarzen. Er ist nicht in der Lage, seiner Idee zu folgen und sie mit Pflaster zu schützen. In meinem ersten Versuch, eine Bedeutung seiner Leiden zu verstehen und Worte dafür zu finden, frage ich mich: Wird er mit Hilfe der Therapie eines Tages seine Angst zu lieben aushalten können? Und wird er die Furcht vor der Vorstellung ertragen können, dann auszubluten, wenn er Lieben und Erregung in der Beziehung zu einem
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Menschen zusammenhält? Nach einer entsprechenden Frage an ihn ist er zur Therapie mit mir entschieden. Ich biete ihm eine Psychoanalyse mit vier Wochenstunden an. Dabei überlege ich, dass er eine Phase von kurativer Regression auf Abhängigkeit braucht, um seine strukturelle Ich-Störung (Fürstenau 1979) und Spaltungstechniken zu bearbeiten. Auch um zu ermöglichen, dass seine allgegenwärtigen Traumareaktionen vergangenheitsfähig werden. Ich kann mir gut vorstellen, dass er mit Hilfe einer hochfrequenten Psychoanalyse das in seiner Entwicklung arretierte „wahre Selbst", seine „sensomotorische Lebendigkeit" (Winnicott 1974, S. 193) wiedergewinnen kann. Seine Symptome und Reaktionsmuster diagnostiziere ich als eine schwere Ausprägung männlicher Hysterie mit Borderlinequalität. In psychosomatischer Symptombildung, sexueller Sucht im Sinne chronisch gesteigerten sexuellen Verlangens (Don Juanismus), in sadomasochistischer Beziehungsgestaltung und neurotischer Rivalität besonders mit Männern praktiziert er Destruktivität als Selbsterhalt. Ich denke, dass er mit seiner Destruktivität weniger innere Trieberfahrungen sondern mehr Bedrohungen aus Realität und Objektbeziehungen der Außenwelt abwehrt. Angesichts der psychosomatischen wie sexuellen Leiden von Herrn J. stellte ich mich behandlungstechnisch auf Grund von Störungen der Fähigkeit zu mentalisieren und zu symbolisieren darauf ein, dass zusätzlich zur neurosenanalytischen Standardtechnik eine regressive Arbeit in vorstrukturellen Funktionsweisen (Gaddini 1999, S. 301) zu leisten sein wird. Bei Patienten mit psychisch strukturellen Defiziten durch Arretierungen in der präverbalen, subsymbolischen Entwicklung oder durch frühe Traumatisierung ist auch das innere Körperbild und dessen affektive Besetzung gestört. „Der Affekt äußert sich häufig nur noch mit dem physiologischen Anteil, der psychische wird nicht bewusst." (Müller-Braunschweig 1997, S. 132) Leibseelische Prozesse sind partiell dissoziiert und die Integration von Körperlichkeit und Sexualität (Kutter, 2001, S. 109) ist beschädigt. Diese Patienten aktivieren während des psychoanalytischen Prozesses die Gegenübertragung in besonderer Weise – bis hin in die sensomotorische Ebene, d. h. bis hin in die basalen Elemente des Psychischen.
Der Analysebeginn Als ich Herrn J. vor der ersten Analysestunde im Wartezimmer abhole, ihm die Hand gebe und „Herzlich willkommen" sage, kommt er mir körperlich unangenehm nah. Im ersten Moment denke ich, er läuft auf mich auf. Ich bleibe bewusst ruhig stehen, als würde ich mit meinem Körper eine stabile Grenzzone darstellen müssen. Er äußert, froh zu sei, dass es hier endlich losgehe. Meine Körperreaktion beobachtend gehen mir auf dem Weg ins Analysezimmer Fragen durch den Sinn: Verstand er meinen offenen Willkommensgruß als Einladung zu übermäßiger Annäherung? Hat er zu wenig Körperempfinden, um einen angemessenen Abstand zu erfühlen? Ist sein Gefühl für seine eigenen Körpergrenzen gestört? Muss er Freude mit Unannehmlichkeit verknüpfen? Will er ganz viel von mir? Was mag er von meiner Körperreaktion, als ich entschieden stehen blieb ohne zurückzuweichen oder ihm aus dem Weg zu gehen, wahrgenommen haben? Im Analysezimmer auf der Couch liegend sagt er kritisch: „Ihr Gruß ‘Herzlich willkommen’ hat mich einerseits gefreut, andererseits aber irritiert. Ich bin auf Sie eingestellt als auf eine clevere, gut beobachtende Frau, nicht aber auf gefühlshafte Nähe mit Ihnen." Das Nebeneinander von anerkennenden und Abstand gewinnenden Mitteilungen habe ich in ihrer Bedeutung noch nicht erfasst, als er unvermittelt und abrupt sagt: „Nach den ersten vier Analysestunden muss ich unsere Arbeit unterbrechen wegen einer sechswöchigen Reise in die Türkei oder die USA. Die schwere Krise mit meiner Partnerin macht die Reise unaufschiebbar." Jetzt fühle ich mich irritiert; und auch getäuscht. Sein Anfang hier war sorgfältig vorbereitet. Das Abrupte in der Art seines Vorgehens nimmt mir für einen Moment den
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Ursula Volz-Boers Spielraum- auch gegenüber meinem Ärger. Ich suche nach einem Weg, schon in dieser frühen Phase der Therapie mit der Destruktivität seiner am Analysebeginn verstärkt aktivierten narzisstischen Verfassung in Kontakt zu kommen, indem ich mich bemühe, beide Anteile seines gespaltenen Selbst genügend deutlich wahrzunehmen, sie anzusprechen und dabei zu verbinden: den realitätsgerechten Anteil, der an der Behandlung engagiert ist und den abwehrenden Teil, der das Leben hier in der Analyse ähnlich wie mit den Frauen außerhalb der Analyse in Aufspaltungen zu organisieren beginnt. Und das real, nicht in seiner Phantasie. Ich sage: „Sie starten mit mir eine Expedition hier, geben Gas und bremsen zugleich. Vielleicht wollen Sie klären, ob ich – Ihre Autonomie und Ihre Sorgen um die Partnerschaft respektierend – Sie reisen lasse, und ob ich zugleich genügend Interesse an Ihnen zeige, indem ich Ihren Terminabsagen widerstehe und „Nein" sage. Er schweigt. Die zweite Sitzung beginnt er mit einer neuen Information. „Mit dem alten Scheiß von früher wollte ich eigentlich gar nicht erst anfangen. Jetzt aber möchte ich doch sagen, dass meine Mutter mir nicht nur vorgeworfen hat, dass ich es war, bei dessen Geburt sie fast verblutete und sich danach bis heute nie mehr richtig gesund gefühlt hat. Sie verließ auch zwei Wochen nach der Entbindung das Krankenhaus, und ließ mich noch weitere vier Wochen dort, weil ich so einen schweren Milchschorf entwickelt hatte. Sie oder der Vater brachten zwar ihre abgepumpte Milch ins Krankenhaus – aber: Was war das für ein Anfang?" Ich sage, dass er unseren Anfang hier durch seinen Drang nach Unterbrechung in Verbindung bringt zu seiner Elternbeziehung am Lebensbeginn und zu seiner Partnerbeziehung jetzt. Indem er nach vier Analysestunden sechs Wochen wegfahren wolle, werde wieder ein Neuanfang erschwert – jetzt hier, wie nach seiner Geburt damals. Vielleicht denke er, er sei zu schwer für mich, als dass ich mit ihm zu Recht kommen könnte und wolle mich schonen, damit ich an ihm nicht fast verblute wie seine Mutter. Dann gebe er mir keinen Grund, ihn dafür im Laufe der Analyse zu beschuldigen. Ich weise darauf hin, dass Türkei und USA wie Bilder für die Reise mit mir in seine innere alte und neue Welt erscheinen. Als ich ihn frage, was er dabei so fürchte, sagt er: „Dass Sie Zusammenhänge sehen und warmherzig sind, macht mir Angst. Ich spüre, dass Sie sich freuen, wenn Sie mich sehen. Im Grunde aber kann ich es nicht glauben.“ Ich denke, er kann mir mein Interesse an ihm nicht glauben, weil er bisher kein wirkliches Interesse an einem Menschen in sich fühlt und dieses Desinteresse auf mich projiziert. Dass seine Mutter ihn nicht nur beschuldigt, sondern ihn auf ihre Weise auch geliebt hat, kann er noch nicht glauben. Leise fügt er hinzu: „Ich habe große Sehnsucht danach, abhängig sein zu dürfen, ohne beschuldigt zu werden. Ich habe kein Zuhause.“ Er vermittelt mir auf berührende Weise, dass er in seinem Körper nicht zu Hause ist. Ich sage ihm, dass ich in unserer vereinbarten Zeit für ihn da bin, wie immer er sich entscheiden wird. Und dass die vereinbarte Bereitstellungsgebühr anfällt für Stunden, die er frei gibt, ohne dass ich sie verwenden kann. Er unterbricht die Analyse nicht für sechs Wochen, sondern für sechs Stunden wegen einer Schwangerschaftsvertretung.
Kommentar zum Analyseanfang mit Herrn J.: Der Anfang unserer wechselseitigen Beziehungsgestaltung ist von mangelnder körperlicher Distanz beim Begrüßen und strikt vorgebrachten Unterbrechungswünschen gekennzeichnet. Den Mangel an körperlicher Distanz verstehe ich als Hinweis darauf, dass Herrn J.s frühester „Sinn für Begrenzung, das Gefühl einen Ort (genauer: eine Oberfläche) zu haben (zu sein), an dem die eigene Erfahrung stattfindet, und sich ein Gefühl der Ordnung und des Containments bildet" (Ogden 1995, S. 206), beschädigt ist. Sein dranghaftes Bestehen auf einer sechswöchigen Analyseunterbrechung, nachdem die Analyse gerade begonnen hatte, kann im Sinne einer neurotischen
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Abwehr gelesen werden: Er geht in Distanz aus Angst vor Erregung und Abhängigkeit in der neu entstehenden Beziehung bei gleichzeitig vorhandenen intensiven Wünschen nach Nähe. Jetzt kann er weggehen und mich im Stich lassen in Imitation des verlassenden mütterlichen und väterlichen Primärobjektes und in Umkehr seiner frühen Erfahrung. Er kann mir real und/oder in seiner Phantasie die Rolle des alleingelassenen, traumatisierten Kindes geben und als der omnipotente Täter erscheinen. Wie die Mutter ihn beschuldigte, so kann er jetzt mich beschuldigen: dass ich ihn durch Freundlichkeit und durch Herstellung von Zusammenhängen irritiere. In der Sichtweise, dass Abwehr neben Schutz vor unerträglich erscheinendem Schmerz, Hass oder anderen bedrohlichen Gefühlen auch eine kommunikative Funktion erfüllt und Lösungshinweise enthält, verstehe ich seine Unterbrechungspläne als Hinweis auf postnatale Erfahrungen von Unterbrechung. Die Kontinuität der Therapievereinbarung kann als Symbol für die Kontinuität des Lebensgefühls gesehen werden, das eine Mutter als frühe Umwelt, deren Fürsorge „gut genug" (Winnicott 1974, S. 191) ist, unterstützt und fördert. Seine Mitteilung, kein Zuhause zu haben, ist ja auch dahingehend zu verstehen, dass er seinen Körper nicht in einer Weise empfindet, dass er sich darin zuhause fühlt. Ich denke, die Unterbrechungsabsichten spiegeln frühe Dissoziationen infolge von Krisen in der mütterlichen Fürsorge zu Lebensanfang wider. Die angstvolle Aufregung und neugierige wie hoffnungsvolle Unruhe seines Analysebeginns aktivieren das zunächst szenische Auftauchen von Fragmenten traumatischer Beziehungskrisen mit dem Primärobjekt. Winnicott (1974) weist daraufhin, dass über die sehr frühe Spaltung ein frühreifer, angepasster Ich-Anteil als falsches Selbst das wahre Selbst verbergen, vor weiteren Verwundungen schützen und Bedingungen ermöglichen soll, in denen das wahre Selbst zu seinem Recht kommt. Werden diese Bedingungen nicht gefunden, so tritt Suizidalität ein als „Zerstörung des totalen Selbst, um die Vernichtung des wahren Selbst zu vermeiden." (A. a. O., S. 186) Stern (1998a) spricht vom in-authentischen Selbst. Es wurde schon deutlich, dass Herr J. die Magenblutung selbstzerstörerisch beobachtete. Seine Magenblutung kann auch als Zeichen einer archaischen Liebe zur präödipalen Mutter wie zum frühen Vater verstanden werden. In der archaischen Liebe („ich bin Du") nimmt er deren Blutungen – die Blutung der Mutter bei der Geburt, die des Vaters aus den Venen der Speiseröhre – imitatorisch in seine Körperbesetzung hinein. Gemeint ist die Art der Körperbesetzungen, die noch keine Bildqualität haben. Gaddini (1998, S. 228) hat Protophantasien als primitive Phantasien beschrieben, die, „bildlos, sich über eine psychisch aktivierte Körperfunktion enthüllen lassen.“ Die Magenblutungen können auch als Ergebnis von Einwirkungen verstanden werden, durch die der Vater oder die Mutter den Patienten als Behälter für projektive Identifizierungen benutzt haben. Herr J. wird mich über projektive Identifizierungen an Empfindungen und Seinszuständen teilhaben und sie mich miterleben lassen, die bisher nur in ihm selbst vorhanden waren. (Bollas 1997, S. 17) „Die Theorie, die sich auf dieses wichtige Stadium in der Ontogenese bezieht, gehört zur Beobachtung des Säuglings-zu-Mutter-Lebens (regredierter Patient-zu-Analytiker), und es gehört nicht zur Theorie der frühen Abwehrmechanismen, die gegen Es-Impulse aufgebaut werden, wenn auch diese zwei Themen sich überschneiden." (Winnicott 1974, S. 188)
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In der Abruptheit seiner Mitteilung und seines sich darin widerspiegelnden Denkens und Fühlens vermittelt Herr J. mir – jenseits von Worten –, dass es Störungen in der Erschaffung des Möglichkeitsraums in der frühen Dyade zwischen seiner Mutter und ihm oder in der frühen Triade zwischen Mutter, Vater und ihm, gab. „Ein abrupter Übergang jedoch von der undifferenzierten Union zum völligen Getrenntsein kann die Angst zu lieben auslösen, die Angst des Kindes nämlich, wieder in einen Zustand zu geraten, aus dem es so vorzeitig vertrieben worden war: als es sich in der Liebe der Mutter geborgen fühlte." (Cohen 1984, S. 20) Derartige regressive Momente oder Phasen in der Beziehungsgestaltung mit Herrn J. auch auf ihre präneurotischen Anteile hin zu lesen sowie emotional und körperlich zu erfahren, setzt das Angebot einer primären Beziehung seitens des Analytikers voraus. „Primäre Beziehung ist die nicht internalisierbare wertschätzende, versorgende Beziehung mit der Umwelt, die jedes Individuum im Laufe seines ganzen Lebens absolut braucht.“ (Kinston & Cohen 1988, S. 58) Treurniet (1995, S. 127) verdeutlicht den Aspekt der primären Bezogenheit: „Der postklassische Analytiker hat es als »New Object« zugleich schwerer und leichter als sein klassischer Vorfahre. Er muss die primäre Beziehung handhaben, die Projektionen »containen«, überleben und »entgiften«, die Regression empfangen und auffangen, anwesend sein als jemand, der Zeit und Milieu zur Verfügung stellt, aber nicht als Person; er muss den Prozess von Desillusionierung und Trennung liebevoll fördern, aber auch deuten und dabei immer entschlossen, aber flexibel, die Grenzen des analytischen Raumes handhaben und auch noch dafür sorgen, dass dieser Raum nicht zu einem Vakuum verkommt, in dem der Patient grenzenlos davon fließen kann.“
Tiefe Regression Ich beschreibe eine Phase in der Arbeit mit Herrn J., in der es zur Regression in den Bereich des „Unerinnerbaren und zugleich Unvergessenen" (Kinston u. Cohen, 1986, S. 338) kommt. Der Weg dahin führte durch Prozessphasen, die durch phobische Vermeidung, viel paranoide Unruhe, durch idealisierende Verliebtheit, entwertende Kritik, durch ruhige Minuten im „offenen Zustand" (Kinston u. Cohen 1987, S. 45) sowie durch sadomasochistische Kämpfe und Erotisierung im Sinne hysterischer Abwehr gekennzeichnet waren. Um die 210. Analysestunde ist er sehr wütend auf mich, weil er mich weder mit seinen sadomasochistisch gefärbten Kampfangeboten noch mit seinem werbenden Charme dahingehend manipulieren kann, seine Liebespartnerin zu werden. Wie der Boxer Bubi Scholz seine Frau durch die Tür hindurch erschoss, so phantasiert er, mich zu erschießen. Frau Scholz Vergehen war, „ihren Mann bei seinen schwachen Stellen gepackt zu haben“. Er möchte die Analyse beenden. Seine Schwierigkeiten mit männlichen Vorgesetzten am Arbeitsplatz sind gebessert, seine Magenbeschwerden nicht wieder aufgetreten und das genuss- und angstvolle Chaos mit den Frauen hat sich dahingehend verändert, dass er derzeit bei seiner Partnerin eingezogen ist. Er nennt sie nun seine Frau. Die Zahl seiner Freundinnen reduziert er. Durch diese schrittweise Veränderung seiner Frauenbeziehungen leidet er aber jetzt extrem unter Eifersucht. Er muss das Verhältnis seiner Frau zu deren Chef kontrollieren. Eifersüchtig zerschlägt er den Tennisschläger, den sie von ihrem Chef zu Weihnachten geschenkt bekam. In unserer Beziehung steigt seine Angst, dass ich ihn bei seinen Schwachstellen packe, beschuldige und ihn in Angewiesenheit einsam zurücklasse. Er träumt, in die Nähe eines Strudels zu geraten und wacht mit einem zweifachen Gefühl auf: in Panik
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davor, in dem Strudel unter zu gehen und zugleich mit einem Gefühl der Hoffnung, durch den Nabel des Strudels hindurchtauchen zu können. Er fühlt sich unheimlich. Nach der Erzählung seines Traums, in einen Strudel zu geraten, zieht er mich wie in einen Strudel. Er erzählt erneut, dass er vor einem Schaufenster stand, als seine schwere Magenblutung begann. Er fühlte sich zunehmend schwächer werden, wie wenn er langsam verginge. Während ich ihm zuhöre, spüre ich einen ungewöhnlichen Sog in meinem Kopf, als brauche ich einen Halt zum Anlehnen meines Kopfes, eine Art Widerlager. Mir ist, als wackele die Pflanze mir gegenüber im Zimmer und als kippte die hinter ihr befindliche Wand auf mich zu. Einen Moment lang wundere ich mich, ob ich mich zu weit vorgewagt habe – in die Verrücktheit. Zugleich bin ich neugierig auf diese Art von Lebendigkeit in mir. Ich fühle mich nicht in der Lage, das Soggefühl in meinem Kopf zu verstehen. In dieser Erfahrung von Nichtwissen versuche ich, die Urmethode der Psychoanalyse anzuwenden: Ich überlasse mich der freien Assoziation. Das „Verrücken" von Pflanze und Wand assoziiere ich still mit Bewegungen von Plazenta und Gebärmutterwand. Den Sog in meinem Kopf verbinde ich nicht nur mit der von Herrn J. angebotenen Todeserfahrung, sondern auch mit Geburtsphantasien. Währenddessen spricht er von seiner Enttäuschung, dass ich ihm zu seinem heutigen Geburtstag nicht gratuliert habe. Mir war das Geburtsdatum nicht gegenwärtig. Sein Geburtstagswunsch wäre eine Umarmung von mir. „Aber eine richtige“, sagt er. „An Symbolik habe ich kein Interesse.“ Ich überlasse mich weiter meinen primärprozesshaften Empfindungen und Wahrnehmungen, während ich ihm zuhöre. Tagtraumähnlich erinnere ich mich meiner gynäkologisch-geburtshilflichen Ausbildungszeit, „sehe“ eine Szene im Entbindungssaal vor mir: Rechts die verblutende Mutter, um die sich das ganze Personal mit Bluttransfusionen kümmert, um ihr Leben zu erhalten, links im Raum das neugeborene Kind auf einem Tisch – wie abgelegt, ein Kind, um das sich zunächst keiner kümmern kann. Ich fühle mich wie jemand im Kreißsaal, der Zeit für die Bedürfnisse des Babys hat, es auf den Arm nimmt, damit es meinen Körper spürt und seinen Kopf an die warme Haut meines Halses anlehnen kann. Dem Patienten sage ich, dass sein Geburtstagswunsch nach einer Umarmung von mir möglicherweise sein Bedürfnis nach einer undramatischen Geburt birgt, in deren Verlauf er von mir als Ärztin, oder von Mutter oder Vater so auf dem Arm und am Körper gehalten würde, dass er sein Köpfchen an die Brust oder die warme Halshaut hätte anlehnen können. Ich nehme wahr, dass meine Stimme warm und weich klingt, als spräche ich zu einem Säugling. Möglicherweise ist es dieser Stimmklang, der den Patienten eher erreicht, als der Inhalt dessen, was ich sage. Er reagiert mit tiefer Stille und sagt nach einer langen Pause bewegt: „Ich spüre ein ungekanntes Gefühl in meiner Haut. Alle Zärtlichkeiten vieler Frauen haben mich nicht so berührt wie dieses Gefühl. Es ist, als ob Sie mich innerlich umarmen und dabei eine Haut in mir berühren, die bisher durch meine äußere Männerhaut nicht erreichbar war.“ Die Stunde ist zu Ende und er verabschiedet sich, als käme er von weit her. Mich berührt, dass er den Raum zwischen uns annehmen kann für die Entstehung von Empfindungen und Vorstellungen sowie von Worten, die beides beschreibend benennen, wodurch er etwas Heilsames erfährt.
Kommentar: Diese innere Berührung seines emotionalen Körpers führt dazu, dass er sich in seine Haut von innen her hinein lebt, sie ausfüllt, „libidinös besetzt" und damit zu fühlen beginnt. Ich glaube, es geschieht hier eine Berührung seines bisher unzugänglichen, abgespaltenen Teils, möglicherweise des verborgenen wahren Selbst. Von ihm sagt Winnicott: „Das wahre Selbst kommt von der Lebendigkeit der Körperorgane und dem Wirken von Körperfunktionen, einschließlich der Herzarbeit und der Atmung. Es ist eng verknüpft mir dem Pri-
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märvorgang und ist im Anfang im Wesentlichen nicht reaktiv gegen äußere Reize, sondern primär." (a. a. O., S. 194) Zu Beginn der dargestellten Regressionsphase im zweiten Beispiel nehme ich wahr, dass mein Kopf in einen Sog gerät, wodurch eidetische, primärprozesshafte Abläufe in mir auftreten. Ich verwende meine freie Assoziation parallel zur gleichschwebenden Aufmerksamkeit, „gleichschwebenden Introspektion" (Wegner 1992) und „Bereitschaft zur Rollenübernahme“ (Sandler 1976) für die Abläufe in der Gegenübertragung. Mein Kopfsog tritt an einer Stelle auf, als Herr J. von seiner Magenblutung spricht, bei der er sich – depersonalisiert wirkend – beobachtet. Mir vermittelt er einen „Zustand der Nicht-Erfahrung, bei dem das Individuum teilweise in einem Zustand psychischer Leblosigkeit existiert – d. h. es gibt Abschnitte seiner Persönlichkeit, in denen Bedeutungen und Affekte nicht mehr ausgearbeitet werden.“ (Ogden 1995, S. 203) Im Prozess fällt zunächst mir die Aufgabe der psychischen Lebendigkeit und der Ausarbeitung von affektiver Erfahrung und unbewusster Bedeutung zu, um den Patienten in einem Zustand psychischer Leblosigkeit zu erreichen. Ich lasse zu, dass der desintegrierte Affekt des Patienten einen Raum in meinem Körpererleben findet. Meine Körperempfindung verarbeite ich zu Bildern und Phantasien, die im Zusammenhang zur traumatischen Geburt des Patienten stehen. Dabei beobachte ich, dass ich mit beiden Anteilen der inneren Objektbeziehung des Patienten und deren Zusammenspiel in Kontakt bin. Im Kopfgefühl identifiziere ich mich sowohl mit dem Säugling, dessen Köpfchen aus dem Geburtskanal hinaustritt, als auch mit der gebärenden Mutter. Im Wackeln von Pflanze und Wand konnte ich seine Verrücktheit empfinden: verrückt vor Wut, dass er keine Umarmung von mir erfährt. Der inzestuöse Wunsch und die in der Erschießungsphantasie gewaltsam vermittelte Forderung werden zeitlupenartig durchsichtig hin auf Phantasien früher Interaktionserfahrungen. Im Verrücken von Wand und Pflanze kann ich auch sein Rollenangebot einer verrückten Mutter (einer verrückten inneren mütterlichen Objektrepräsentanz), die dem Kind (der kindlichen Selbstrepräsentanz) Schuld für die Blutungen unter der Geburt „gibt“, spüren und erkennen. Ich fasse meine Phantasien auf eine Weise in Worte, in der Tonfall und Rhythmus der Stimme wie eine berührende, seelische Oberfläche wirken. In dieser Berührung werden abgespaltene Erfahrung wie Verlassenwerden und zugehöriger Hassaffekt im Erleben des Patienten integrierbar. Herr J. erlebt erstmals ein ungekanntes Gefühl in seiner Haut, das er mit der psychischen Erfahrung der Geborgenheit verknüpft. Damit ist die Grundlage für die schrittweise Neubildung von Repräsentanzen einer empfindenden Haut, eines kohäsiven Selbst und eines sich verändernden mütterlichen Objekts entstanden. In die folgende Stunde kommt er blass und kühl im Kontakt. Mit kalter Wut beschimpft er mich „als die schlechteste Hebamme der Welt.“ Nach meinem ersten Schreck vergegenwärtige ich mir: Mit der gestrigen Glückserfahrung, sich in der eigenen warmen Haut geborgen zu fühlen, habe ich nicht zugleich auch Hass und Abhängigkeitsängste über das Verlassenwerden von der Mutter früher und von mir am Stundenende integriert. Die neue emotionale Erfahrung gestern beanspruchte ihren Raum in mir, und ich wollte sie mit genießen. Ich war gestern nicht in Lage, die „vertikale Spaltung" (Kohut 1971) zwischen den beiden Selbstanteilen über eine Intervention zu verbinden. Mit seinem Zorn auf mich jetzt aktiviert Herr J. diese Verbindung und attackiert sie zugleich. Ich sage ihm, dass er nach einem Weg suche, beide Empfindungen in der Beziehung zu mir erleben zu wollen: zum einen das ruhevolle Wohlgefühl in seiner
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Haut, zum anderen Trennungsangst, Hass und Neid auf mich, die ich ihn am Stundenende wieder allein lasse. Er sagt, es mache ihn zornig, dass ich in der Lage war, ihm ein wertvolles Körpergefühl zu vermitteln. Dieses Gefühl habe er schon so lange notwendig gebraucht. Über 40 Jahre konnte er weder allein noch mit Frauen dieses Gefühl in seiner Haut finden. Jetzt sei er so neidisch, dass ihm dieses Gefühl durch mich ermöglicht wurde. Am liebsten möchte er mir heute mein Praxisschild von der Hauswand abmontieren und es mitnehmen. Er will die Bezeichnung Psychoanalyse haben. Die Facharztbezeichnung Neurologie und Psychiatrie könne ich ruhig behalten. Ich denke, er kann sich in dieser Stunde mit Hass und Neid vorwagen und dabei seine Angst bemeistern, dass ich Vergeltung üben könnte für die Projektion seiner verrückten Selbst- und Objektanteile in mich (Rosenfeld 1971). Und er kann mich belasten und schlecht machen, ohne von mir beschuldigt zu werden und vor allem, ohne sich beschuldigt zu fühlen. Das gibt ihm einen inneren Zusammenhalt, den er als neu erlebt und der ihm Humor ermöglicht. Es ist eine der Stellen in dieser Analyse, wo er mich als Objekt seines Hasses verwendet, mich in subjektiver Absicht zerstört und mich, die ich seinen Hass überlebe, als Objekt in eigener Existenz lebend und außerhalb seiner omnipotenten und von ihm gefürchteten Destruktivität stehend, erlebt. Damit wird die Interaktion um die Dimension erweitert, die jenseits der Projektion seines Selbst als Grundlage für die Existenz des anderen liegt. (Winnicott 1971, S. 105) Mit der Beglückung durch das neue Gefühl in seiner Haut ist auch die Erschütterung von Getrenntheit und Loslösung verbunden. Die Erschütterung ist seine Chance, sich seelisch aus dem mütterlichen Körper und der Phantasie einer gemeinsamen Haut mit ihr zu lösen. Danach ist der triumphierende Halt an der Verachtung der Mutter wegen deren Beschuldigungen unnötig geworden. Er muss seine Mutterverachtung nicht mehr im Umgang mit Frauen inszenieren. Seit Herr J. seinen Hass und Neid in der Beziehung zeigen kann, in der beide durch Übertragung und gegenwärtige neue Erlebnisse entstehen, muss er Hass, Neid sowie Angst vor äußerer Realität wie vor Intimität und Liebe nicht mehr im Magen oder in Promiskuität unterbringen. Magenleiden und Don Juanismus sind – nach Information durch eine Katamnesegespräch zehn Jahre später – nicht wieder aufgetreten.
Kommentar: In der Arbeit mit Herrn J. geht es um die Verbindung zwischen sensomotorischem Empfinden und Sprache. Meine Körpererfahrungen (Stehen bleiben zu Beginn der ersten Stunde, Soggefühl im Kopf in einer regressiven Phase) werden in das Analysierbare einbezogen. Dadurch entsteht in der psychoanalytischen Beziehung ein zusätzlicher Resonanzraum, in dem sensomotorisches Erleben zu wechselseitiger affektiver Berührung, zu empathisch entwickelten Bildern, Worten und Bedeutungen führt. Die sprachliche Benennung von Körpererleben und konstruktiv entwickelten Bildern bereitet die Bildung neuer Repräsentanzen von Körper, kohärentem Selbst, empathischem Objekt und äußerer Realität vor. Indem Herr J. eine derartige psychoanalytische Funktion und die mit ihr einhergehende neue Erfahrung zulassen und annehmen kann, erfährt er eine bisher nicht erlebte Empfindung in seiner Haut. Diese Erfahrung führt zu einer neuen Repräsentanz seines Körperselbst, das vom mütterlichen Körper getrennt ist. Damit löst er eine pathogene Bindung durch die persistierende Phantasie der Einheit mit dem mütterlichen Körper einschließlich dessen Blutungen auf. Danach fühlt er sich ganz – mit Leib und Seele. Durch die neu gebildete Repräsentanz kann er die Erfahrung mit der Analytikerin im analytischen Raum symbolisch gleichsetzen zur Erfahrung in der Beziehung mit dem Primärobjekt. Die Forderung nach einer
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richtigen Umarmung verwandelt er in das Erlebnis einer „inneren Umarmung“. Aus subsymbolischer Kommunikation wird schrittweise symbolische Kommunikation. Lieben und Begehren werden integriert. Damit löst sich die Symptomatik von Magenleiden und Don Juanismus auf.
2. Zusammenfassung Körperempfindungen in der Gegenübertragung werden als Informanten für nicht oder nicht ausreichend mental repräsentierte Erfahrungen von Patienten aufgefasst und bearbeitet. Die Körperresonanz wirkt als Zugang zu Bereichen seelischer Verfassung, in denen Spuren frühesten basalen Erlebens in sensomotorisch-affektiven Erfahrungselementen, also einem archaischen seelischen Funktionsniveau, gebunden geblieben sind. In diesem Bereich struktureller Ich-Störung oder Selbststörung ist der mentale Prozess (Fonagy et al. 1993) beschädigt und dadurch die Repräsentanzenbildung lückenhaft. Gaddini (1998) spricht von einem Bereich „Psychischer Basisorganisation (PBO)“ als dem sensorischen Bereich der Psyche. In diesem psychischen Organisationsniveau besteht die Behandlungstechnik in einer aktiven, körperaffektiv geleiteten Einlassung auf Körpersensorik, auf Körperinszenierungen und Handlungsdialoge mit Patienten in der Übertragung. Die wortsprachliche Benennung von interaktiv erlebten Empfindungen, Wahrnehmungen, Imaginationen und daraus abgeleiteten Bedeutungen sowie narrativen Konstruktionen in vielen wiederholten Erfahrungseinheiten führt zur Reaktivierung des arretierten mentalen Prozesses im Patienten unter Neubildung von Repräsentanzen. In dieser Interventionsweise stellen wir Analytiker unsere körperliche und seelische Funktionsfähigkeit zu Symbolisierung und Mentalisierung den Patienten da zur Verfügung, wo sie noch nicht symbolisieren und mentalisieren können. Die Technik der Benennung im Bereich struktureller Selbststörung interagiert mit der Technik der Deutung im Bereich neurotischer Strukturbildung. Die Deutung übertragener affektbesetzter und konflikthafter innerer Beziehungskonstellationen führt zur Reorganisation bereits vorhandener, verzerrter und falsch vernetzter Repräsentanzen. An zwei Fallbeispielen wird gezeigt, wie Störungen in der Fähigkeit zu Symbolisierung über Körperempfindungen in der Gegenübertragung zugänglich werden und es zu heilsamen Veränderungen kommt.
Ursula Volz-Boers, Dr. med., Psychoanalytikerin (DPV), Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, Dozentin, Lehranalytikerin und Supervisorin der Psychoanalytischen Arbeitsgemeinschaft Köln-Düsseldorf e. V. Adresse: D-47475 Kamp-Lintfort, Dachsberger Weg 9 E-Mail:
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Die interaktionelle Übertragungs-Analyse Siegfried Bettighofer
1. Definitorische Vorbemerkung Die interaktionelle Übertragungs-Analyse versteht sich nicht als eine Alternative zu den bisherigen Behandlungsmethoden, sondern als eine spezifische Ergänzung, die in bestimmten Situationen und bei manchen Patienten zum Einsatz kommen kann, während der überwiegende Teil der Behandlung im gewohnten Setting verläuft. Sie beinhaltet allerdings auch eine etwas veränderte Behandlungstheorie, die der Therapeut-Patient-Beziehung insgesamt eine deutlich andere Qualität verleiht. In der direkten interaktionellen Übertragungs-Analyse liegt der Schwerpunkt zeitweise auf der Klärung und Durcharbeitung einer spezifischen interaktiven Übertragungsinszenierung. Zwischen dem Therapeuten und seinem Patienten hat sich, meist unbemerkt in einem Handlungsdialog (Klüwer 1983), eine identifizierbare Modellszene (Lichtenberg 1989a) entfaltet, die einen psychodynamischen Konflikt des Patienten in der direkten Interaktion zwischen beiden abbildet und somit dem Erleben direkt zugänglich macht. Im Gegensatz zu der üblichen Bearbeitung von Übertragungsprozessen kann hier auch versucht werden, nicht nur auf die Fantasien des Patienten zu fokussieren, sondern ebenso auch den intrapsychischen und interaktionellen Anteil des Therapeuten ernst zu nehmen, seine eigene Beteiligung an der entstandenen Szene heraus zu arbeiten und insbesondere die gesamte Interaktion und deren unbewusste Bedeutung zu klären. Insofern ist diese Form der Übertragungs-Analyse die konsequenteste Umsetzung der psychoanalytischen Intersubjektivitätstheorien (Orange 1995, Orange et al. 1997) in die Praxis des psychotherapeutischen Handelns. Der intersubjektive Behandlungsansatz hat sich im Rahmen der psychoanalytischen Methodik während der letzten vierzig Jahre entwickelt. Deshalb möchte ich versuchen, einige der grundsätzlichen Modifikationen in der Behandlungstechnik der Psychoanalyse kurz zu umreißen, da sie in ihrer Bedeutung einem Paradigmenwechsel gleichkommen. (Wallerstein 1998)
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2. Wichtige Entwicklungslinien in der psychoanalytischen Behandlungstechnik Die interaktionelle Übertragungs-Analyse beruht auf einigen wesentlichen Entwicklungen in der analytischen Behandlungstechnik der letzten zwanzig Jahre und führt diese konsequent fort.
2.1. Von der Ein- zur Zweipersonen-Psychologie Wallerstein (1998) weist darauf hin, dass sich die Veränderung insbesondere darin zeigt, wie heute die therapeutische Beziehung konzeptualisiert wird. Ursprünglich war man in der Psychoanalyse auf der Basis der Trieb- und IchPsychologie von einer Ein-Personen-Psychologie ausgegangen, in der man sich ausschließlich für die intrapsychischen Verarbeitungsmechanismen und Konflikte interessierte. Andere Schulen, die sich schon damals mehr für die interpersonellen Beziehungen interessiert haben (z. B. Sullivan 1953), wurden ausgegrenzt. Schon Balint (1949) hatte auf die Einseitigkeit dieser ausschließlich individuumzentrierten Sichtweise hingewiesen und die analytische Beziehung als eine „Zwei-Personen-Situation“ (Balint 1949, S. 271) beschrieben. Bisher hatte im Rahmen der Triebpsychologie die Deutung der Triebe und ihrer Abkömmlinge, der Affekte, als das wesentliche therapeutische Agens gegolten. Balint (1968) führte später die Beziehung zwischen dem Analytiker und seinem Patienten als einen zweiten und gleichberechtigten therapeutischen Wirkfaktor ein. Hier wird die interpersonelle Situation mehr in Betracht gezogen, und die intrapsychischen Vorgänge werden immer im Kontext der Beziehung gesehen. Auch gilt die Übertragung nicht nur als eine Erschaffung des Patienten wie im herkömmlichen Modell, sondern als eine gemeinsame Kreation, in der die jeweiligen Anteile des Patienten in einer subtilen interaktiven Weise mit denen des Therapeuten zusammenwirken. (Bettighofer 2000)
2.2. Von der intrapsychischen Deutung zur Berücksichtigung interpersoneller Vorgänge Das Hauptaugenmerk der psychoanalytisch orientierten Praxis ruhte stets auf dem Versuch, die Dynamik der intrapsychischen Konflikte zu verstehen. Pathogene Verhaltensweisen der Bezugspersonen, die von den Patienten erinnert wurden, zum Beispiel eine intrusive Mutter, wurden auf triebtheoretischer Basis oft als unbewusster Wunsch oder Fantasie konzeptualisiert. Ein möglicher wahrer Kern dieser kindlichen Wahrnehmungen, so sehr sie auch verzerrt sein mögen, wurde vor Kohut (1977) theoretisch selten in Betracht gezogen und spielte in der Theorie der Behandlungstechnik praktisch keine Rolle. Hier zeigt sich inzwischen eine beeindruckende Änderung, deutlich dargestellt erstmals in Kohuts (1977) berühmter zweiter Analyse seines Patienten Z. (s. a. Siegel 1996), in der die Erfahrungen des Patienten auch als reale Erlebnisse mit frühen Objekten gesehen und nicht nur als Ausdruck eigener Wunschfantasien interpretiert werden, wie dies in der Trieb- und Ich-Psychologie übliche Praxis war. Die Wahrnehmungen des Kindes wie auch des Patienten werden insofern auch nicht sofort bezüglich ihrer unbewussten Bedeutung hinterfragt, sondern zunächst ernst genommen und hinsichtlich des evtl. realen Kerns geprüft. (Thomä 2001) Das Kind und ebenso der Patient werden auch als erlebendes und erleidendes Objekt im Rahmen von Objektbeziehungen verstan-
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den. Dadurch wird auch die Berücksichtigung von interpersonellen und systemischen Prozessen in allen Objektbeziehungen relevant und der behandlungspraktischen Reflexion zugänglich. Die moderne Bindungs- und Kleinkindforschung (Fonagy 2001) und deren Verbindung mit der Psychotherapie Erwachsener (Beebe/Lachmann 2002) führten hier zu einer wesentlichen empirischen Untermauerung dieser theoretischen Grundpositionen.
2.3. Vom Dort und Damals zum Hier und Jetzt Auf Gill (1982) geht die Forderung zurück, die Analyse der Übertragung weitaus direkter und konsequenter, als es bisher üblich war, durchzuführen. In weitgehender Übereinstimmung mit Gill besteht die heute favorisierte Praxis darin, bei der Bearbeitung von Übertragungen den Fokus möglichst lange im Hier und Jetzt der therapeutischen Beziehung zu belassen und nicht allzu schnell zu genetischen Übertragungsdeutungen überzugehen. Dadurch wird analytische Arbeit mehr zu einer Analyse der gegenwärtigen therapeutischen Beziehung und der darin vorliegenden unbewussten Fantasien. Als wesentlicher therapeutischer Wirkfaktor gilt nicht mehr die kognitive Einsicht und das rationale Verstehen eines Konflikts, denn der Patient introjiziert durch die Interaktion mit dem Therapeuten eine neue und korrigierende emotionale Erfahrung in sein prozedurales unbewusstes Gedächtnissystem. (Ermann 2005a) Durch das „Etwas Mehr“ der Deutung (Stern u. a. 1998) speichert er ein in wesentlichen Gesichtspunkten verändertes konstruktiveres Beziehungswissen, das in die Gestaltung seiner gegenwärtigen Objektbeziehungen unbewusst einfließt.
2.4. Von Neutralität und Abstinenz zur interaktionellen Reinszenierung Insbesondere Vertreter einer interaktionell und relational orientierten Psychoanalyse (Bettighofer 1998, Jacobs 2000, Mitchell 2000, Streeck 2004) vertreten den Standpunkt, dass die therapeutische Situation eine differenzierte und äußerst komplexe interpersonelle Situation ist, in der es letztlich gar nicht mehr möglich ist, einen Standpunkt außerhalb dieses Geschehens einzunehmen und neutrale Abstinenz zu bewahren. Vielmehr ist jeder Psychotherapeut in eine durch wechselseitige Beeinflussung und subtile interaktionelle Regulierung gekennzeichnete Begegnung involviert, in der es unweigerlich zu einem Mitagieren und somit auch zu Reinszenierungen kommt, an denen der Therapeut mit seinem eigenen Verhalten und Erleben teilhat. Vor diesem Hintergrund können sich diese Theoretiker auch erlauben, sich im Umgang mit ihren Patienten offener, freier und natürlicher zu verhalten und sich auf Begegnungen einzulassen. Sie betonen jedoch zugleich, wie wichtig es ist, diese unvermeidlichen Interaktionen und Handlungsdialoge, in denen sich zentrale psychodynamische Themen verdichten und verinnerlichte Objektbeziehungen wiederholen, ständig kritisch zu reflektieren. (Bettighofer 1998, Mitchell 2000)
3. Die therapeutische Situation als Ort der Inszenierung 3.1. Der Begriff des Agierens Die moderne Konzeptualisierung der Übertragung als einer gemeinsamen unbewussten Inszenierung impliziert eine zentrale Neubewertung des Agierens.
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Dem Begriff des Agierens haftet schon seit Freud eine Negativbewertung an: Agieren bezeichnet eine Handlung, die der unbewussten Triebbefriedigung dient und deshalb im Dienste des Widerstandes steht und den Verlauf der Behandlung zunächst einmal stört. Der Patient versucht unbewusst seine Bedürfnisse zu befriedigen anstatt sie zu erinnern und zu bearbeiten, d. h. er wehrt sich gegen deren Bewusstwerden und kann sie somit auch nicht verarbeiten. „Er reproduziert es nicht als Erinnerung, sondern als Tat, er wiederholt es“ (Freud 1914, S. 129), und „die Übertragung ist selbst nur ein Stück Wiederholung.“ (ebend. S.130) „Je größer der Widerstand ist, desto ausgiebiger wird das Erinnern durch das Agieren (Wiederholen) ersetzt sein.“ (ebend., S. 130) Handlung und Aktion sind also potenzielle unbewusste Triebbefriedigung oder dienen der Affektabwehr, so dass eine vernünftige Behandlung stets bemüht sein muss, diese zu verhindern oder zumindest auf ein Minimum zu beschränken.
3.2. Eine moderne Ansicht zum Thema Agieren Diese lineare Gleichsetzung jeglicher Handlung mit Agieren im Sinne einer Abwehr, das den Verlauf der Behandlung stört und aufhält, ist heute auf der Basis moderner Kommunikationstheorien in dieser Form nicht mehr haltbar. Zunächst liegt diesem Konzept eine sehr undifferenzierte Denkweise und insofern ein grundsätzlicher Irrtum zugrunde, als prinzipiell jede Form von Handlung in den Verdacht gerät, ein neurotisches Agieren im Sinne des Widerstandes zu sein. Es ist sicherlich sinnvoller, die Handlung als eine übergeordnete Kategorie im Sinne des Sich-gegenseitigen-Behandelns zu sehen, als ein interaktives AufeinanderReagieren, das nicht primär und grundsätzlich der Triebbefriedigung, der Affektabfuhr oder der Affektabwehr dient. Im analytischen Bereich hat meines Wissens Streeck (2002, S. 250ff.) zum ersten Mal sehr differenziert die Unhaltbarkeit der unreflektierten Gleichsetzung von Handlung mit neurotischem Agieren dargestellt. An anderer Stelle beschrieb Streeck (2004) auf der Basis seiner Untersuchungen von Mikro-Interaktionen zwischen Therapeut und Patient sehr differenziert die kommunikativen Regeln, die die Interaktion von Personen sowohl in alltäglichen wie auch in therapeutischen Situationen grundsätzlich regeln. Hierbei handelt es sich um weitgehend unbewusste und vorbewusste Regeln, die die wechselseitigen Reaktionen bestimmen und über die beide in einer „bidirektionalen Regulierung“ (Beebe und Lachmann 2002, S. 107) aufeinander reagieren. Jeder ist somit der kommunikative Kontext für den anderen und ist somit auch an der Konstruktion der Bedeutung, die ein Wort oder eine nonverbale Geste hat, mit beteiligt. Auf diese Weise entsteht eine ständige „Ko-Konstruktion von Erfahrung“ (Beebe und Lachmann 2002, S. 245) im Rahmen eines „mutuell organisierten Patienten-Analytiker-Systems.“ (Ebend., S. 48) Stern (2004) spricht in diesem Zusammenhang von einer „Ko-Kreation“ in einem fortlaufenden Prozess des dyadischen Vorangehens. In einem solchen kommunikativen Kontext ist es jeweils schwierig zu erkennen, inwieweit ein Verhalten tatsächlich die Qualität eines wirklichen Agierens im ursprünglichen Sinne hat, also der Abwehr dient.
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Beispiele zur Ko-Kreation von Erfahrung An einem kühlen Herbsttag fiel mir auf, dass ich bei einer Patientin den Gedanken hatte, sie zu fragen, ob sie vielleicht eine Decke haben wollte – ein Gedanke, der mir bei den bisherigen Patienten an diesem Tag noch nicht gekommen war. Bei einer anderen Angst-Patientin fiel mir nach einer gewissen Zeit auf, dass ich dazu neigte, Sätze, die sie begonnen hatte, zu Ende zu bringen, indem ich die vermuteten beiden letzten Wörter ergänzte. Dazu animierte sie mich, indem sie mitten im Satz eine Pause machte und ich das Bedürfnis verspürte, ihr zu Hilfe zu kommen, ihr quasi eine Brücke zu bauen.
3.3. Die unbewusste Fantasie realisiert sich in der Interaktion Es ist ganz offensichtlich, dass beide Situationen eine unbewusste Bedeutung in der Übertragung hatten. Wenn jedoch eine bestimmte Geste des Patienten zu einer spezifischen Reaktion des Therapeuten führt, ist es nicht einfach möglich, hier ein unbewusstes Agieren fest zu stellen. Es lässt sich lediglich festhalten, dass eine spezifische nonverbale Geste bzw. ein noch subtileres Verhalten im ersten Beispiel in mir eine spezifische Antwort erzeugte. Hatten die Patientinnen unbewusst etwas Triebhaftes oder Wünsche ausgedrückt? War ihr nonverbales Verhalten selbst Triebabfuhr, diente es der Affektregulierung? Oder war es vielleicht eher so, dass beide Patientinnen mithilfe ihres vorbewussten „Beziehungswissens“ (Stern et al. 1998) subtile nonverbale Signale so setzten, dass sie mich zu meinen interaktiven Antworten verleiteten, die als eine Mikro-Inszenierung im Rahmen der Übertragung bezeichnet werden können? Streeck (2004) bringt es nochmals auf den Punkt, indem er schreibt: „Die Geste drückt den Wunsch nicht aus, sondern der unbewusste Wunsch bedient sich hier der Geste, des körperlichen interaktiven Verhaltens, um episodische Ereignisse zu initiieren, mit denen er zur Erfüllung gelangt.“ (Ebend. S. 286) Es lässt sich somit sagen, dass die unbewusste Fantasie sich in der Interaktion realisiert.
3.4. Mitagieren – Mithandeln – Inszenierung Die bisherigen Ausführungen sollten deutlich gemacht haben, dass es im Rahmen einer therapeutischen Beziehung nicht möglich ist, sich neutral heraus zu halten. Auch eine therapeutische Interaktion wird durch die gleichen kommunikativen Signale und Prozesse gesteuert wie der alltägliche mitmenschliche Umgang (Streeck 2004). Durch ihre nonverbalen Signale und verbalen Äußerungen regen die Patienten in uns in einem intersubjektiven Prozess Gedanken, Fantasien, Affekte und Handlungsimpulse an, die wiederum über unser absichtliches Verhalten, unsere Interpretationen, jedoch auch durch unsere uns selbst unbewussten interaktiven nonverbalen Signale auf den Patienten zurückwirken. Auf diese Weise wird in einem gemeinsamen Zusammenwirken die Erfahrung jedes Einzelnen geschaffen. Auf der Basis der Säuglings- und Kleinkindforschung haben dies insbesondere Beebe und Lachmann (2002) gewürdigt, indem sie sogar von einem „mutuell organisierten Patienten-Analytiker-System“ (S. 48) sprechen, in dem sich ein „gemeinsames Regelsystem“ (S.170) entwickelt, das die Handlungen beider reguliert.
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„In einer geregelten Interaktion passen beide Partner sich jeweils den Erwartungen des anderen an.“ (Beebe und Lachmann 2002, S. 170) Wie die um D. Stern gruppierte Forschergruppe (Stern et al. 1998, Boston Change Process Study Group 2002) gehe auch ich (Bettighofer 1994, 1998) bei meinen Überlegungen zur therapeutischen Praxis von einer systemtheoretischen Basis aus, genauer von einer Theorie der offenen Systeme, in der die Interaktion wechselseitig reguliert wird und dadurch für Störeinflüsse und Veränderungen zugänglich ist. „Jeder Partner produziert nicht Aktionen und erschließt Intentionen, sondern beeinflusst auch die Ausgestaltungen der auftauchenden Aktionen und Intentionen des Anderen.“ (Boston Change Group 2002, S. 947) Dieser Prozess des gegenseitigen sich Be-Handelns verläuft naturgemäß nicht ohne durch unbewusste Erwartungsmuster hervorgerufene Fehleinschätzungen und Fehlanpassungen, denen auch Übertragungsprozesse im ursprünglichen Sinne zugrunde liegen können. Diese Fehleinschätzungen und „kommunikativen Ungenauigkeiten“ (Stern 2004, S. 164) führen zu Irritationen, sie sind jedoch „unvermeidbare Fehltreffer“ (Boston Change Group 2002, S. 945), die entstehen, weil zwei Individuen mit ihren jeweiligen durch Erfahrungen entwickelten inneren mentalen Mustern gezwungen sind, sich aufeinander einzulassen und sich zu verständigen. Insofern sind diese interaktiven Fehlanpassungen zugleich eine Möglichkeit zur Neuanpassung in diesem wechselseitigen Regulationsprozess und werden geradezu notwendig für die Initiierung von Veränderungsprozessen. Auch die Selbstpsychologie und hier insbesondere Wolf (1989, 2000) sprechen von einem ständigen Prozess der Unterbrechung und der Wiederherstellung der empathischen Selbstobjekt-Beziehung zwischen Therapeut und Patient. Beebe und Lachmann (2002) greifen diesen Aspekt in ihrem „Prinzip der Unterbrechung und Wiederherstellung“ (S. 180) auf, wo nach der Verletzung von Erwartungsmustern die anschließenden Bemühungen darauf abzielen, für diese Brüche in der Interaktion wieder eine Lösung zu finden. Im Einklang mit den Ergebnissen der Boston Gruppe und von Fonagy (Fonagy et al. 2003) vertrete auch ich hier den Standpunkt, dass nicht die Bewusstmachung und Rekonstruktion von Inhalten des deklarativen oder expliziten Gedächtnissystems durch Aufheben der Verdrängung der entscheidende Faktor für die therapeutische Wirkung ist. Psychische Veränderung resultiert „aus intensiver Arbeit in der Übertragung und der aktiven Konstruktion einer neuen Art und Weise, das Selbst-mitdem-Anderen zu erleben.“ (Fonagy et al. 2003, S. 841) Die von Stern beschriebenen „Begegnungsmomente“ und „Now-Moments“ (Stern et al. 1998, Prager 2003, Stern 2004) im Sinne von kurzen authentischen Begegnungen zwischen Therapeut und Patient bleiben zwar oft als einzelne bedeutsame Episoden lange Zeit unvergesslich in Erinnerung (Heisterkamp 1998a) und spielen in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Noch entscheidender als diese herausgehobenen Momente sind vermutlich die vielen unzähligen Situationen und Mikrointeraktionen, in denen der Analytiker auf eine wohltuende und heilende Art mit dem Patienten und seinen Affekten umgeht. Diese werden kumulativ introjiziert und führen auf einer tiefen affektiven Ebene im prozeduralen oder impliziten Gedächtnissystem zu einem neuen „im-
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pliziten Beziehungswissen“. (Stern et al. 1998) Dieses implizite Beziehungswissen ist ein nicht bewusstes Kondensat der bisherigen Beziehungserfahrungen mit Bezugspersonen und umfasst Affekt-, Kognitions- und Verhaltensdimensionen oder besteht nach Kernberg (1983) aus Subjekt-Objekt-Einheiten, die durch einen spezifischen Affekt gekennzeichnet sind. Dieses implizite Beziehungswissen entwickelt sich nach Stern et al. (1998) durch interaktionale und intersubjektive Prozesse, die auf subtile Weise nonverbal im Hintergrund verlaufen und auch mit Deutungen, deren Wichtigkeit nicht bestritten wird, einhergehen. In diesem impliziten und den verbalen Austausch begleitenden Interaktionsbereich werden ständig wichtige Botschaften an den Patienten vermittelt, die eine deutlich emotional korrektive Wirkung haben, auch wenn sie oft nicht die Ebene des reflexiven Bewusstseins erreichen. Aus moderner neurobiologischer Sicht gelangt Grawe (2004) zu einer entsprechenden Folgerung: „Sehr wichtige Prozesse laufen implizit ab, ohne dass die Beteiligten im Moment die Aufmerksamkeit darauf gerichtet haben und ohne dass sie ein Bewusstsein dafür haben. Viele der neuronalen Prozesse, von denen die Veränderungen letztendlich abhängen, bleiben sogar prinzipiell unbewusst.“ (Grawe 2004, S. 435)
3.5. Zirkuläre interaktionelle Prozesse und Inszenierungen Die komplexen intersubjektiven und interaktionellen Prozesse, in denen Aktionen und Reaktionen sowie die Suche nach deren impliziten Bedeutungen stets Hand in Hand gehen, führen unweigerlich zu Mikro- und Makroinszenierungen von relevanten introjizierten Objekterfahrungen des Patienten, in die allerdings auch die Subjektivität des Analytikers einfließt und einen wesentlichen bestimmenden Einfluss ausübt. Diese subjektive Einflussnahme des Therapeuten ist zwar inzwischen ein allgemein anerkanntes Faktum, wird jedoch in der mir zugänglichen und bekannten kollegialen und publikatorischen Praxis noch lange nicht in dem Ausmaße berücksichtigt, wie es unbedingt nötig wäre, z. B. beim Umgang mit Patienten, die die Behandlung abbrechen wollen. Hier ist es nach wie vor eher üblich, die Ursachen mehr dem Patienten zuzuschreiben, obwohl inzwischen auch viele empirische Befunde vorliegen, die bei solchen Prozessen eine zentrale interaktionelle Komponente nachweisen (Junkert-Tress et al. 2000) und eine destruktive interaktive Spirale zwischen Therapeut und Patient beschreiben. Um zirkuläre Prozesse in der Interaktion zwischen Therapeut und Patient besser zu verstehen, möchte ich dies anhand von einigen Beispielen aus der Arbeit mit einer Patientin darstellen.
Keine Sexualität bitte! Die Patientin berichtet darüber, dass sie bei ihrem vorhergehenden Analytiker nicht über Erotik und Sexualität sprechen konnte, obwohl ihr das sehr wichtig gewesen wäre und sie immer wieder Versuche unternommen habe, diese Themen anzusprechen. Hier hat der Analytiker die Tabuisierung der Patientin offensichtlich aus einem eigenen Widerstand heraus mitagiert. Patient: „Der Therapeut ist nie auf meine erotischen Fantasien eingegangen.“ Anstelle einer Deutung reagiere ich selbst nun spontan mit einem Versuch, das Verhalten meines Vorgängers zu erklären, indem ich in etwa sage: „Auch Therapeuten reden offenbar manchmal ungern über Sexualität.“ Mit dieser Intervention bleibe ich an der Oberfläche und versäume, den Affekt sprechen. Ich hatte diese Intervention mit dem Ziel gegeben, ihren Realitätssinn zu unterstützen und ihre Kränkung zu ent-
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Siegfried Bettighofer schärfen, ohne dass ich eine weitere Bearbeitung dieses angesprochenen Themas ausschließen wollte. Ich erfuhr allerdings erst sehr viel später, welche implizite Bedeutung die Patientin meiner Bemerkung für sich gegeben hatte. Unmittelbar nach meiner Bemerkung hatte sie über mich gedacht: „Er redet nicht gern über Sex, das kann ich nicht mehr sagen.“ Es ist unschwer zu erkennen, dass hier die eigene Abwehr der Patientin wieder aktiv ist. Zugleich muss jedoch auch ihr zaghafter Versuch gewürdigt werden, diesen tabuisierten Bereich zu thematisieren. Nachdem dieser in ihren Augen gescheitert war, gingen ihre Assoziationen auf andere Themen über. Die Patientin hatte im Sinne des Wiederholungszwanges wieder erlebt, dass dieser Bereich ihres Erlebens keine ausreichende Resonanz erfährt und offensichtlich unerwünscht ist. Ich kann meinerseits einen eigenen Gegenübertragungswiderstand nicht ausschließen, da die Patientin zu diesem Zeitpunkt schon eine intensive präödipale und erotische Übertragung entwickelt hatte und ich die Befürchtung hatte, sowohl ödipale wie auch präödipale Wünsche könnten sich in Richtung einer malignen Regression mit zunehmender Abhängigkeit von mir entwickeln.
In diesem Beispiel wird deutlich, wie im Hintergrund jeder bewussten verbalen und nonverbalen Interaktion zugleich ein vorbewusster und teilweise auch unbewusster Prozess abläuft, durch den die Person ständig versucht, das, was die andere Person sagt und tut, auf der Basis ihrer internalisierten bisherigen Lebenserfahrung zu bewerten, einzuschätzen, ihm einen Sinn zu geben und es einzuordnen. Daraus resultiert dann die folgende Handlung, die wiederum beim anderen Interaktionspartner den gleichen inneren Wahrnehmungs- und Interpretationsvorgang hervorruft. Im angeführten Beispiel interpretiere ich die Reaktion der Patientin dahingehend, dass sie meine Intervention verstanden hat und sich damit das Verhalten ihres Therapeuten nachträglich erklären kann. Dabei habe ich die verborgene und auf mich gerichtete Übertragungskomponente übersehen und konnte auf ihren zaghaft angedeuteten Wunsch, mit mir über ihre erotischen Fantasien zu sprechen, nicht fördernd eingehen. Von diesem Moment an begann sich ein uns unbewusster zweiter Handlungsdialog von der bewussten Interaktion abzukoppeln, der im weiteren Verlauf der Therapie einen wichtigen Einfluss hatte, jedoch über einen langen Zeitraum nie mehr thematisiert wurde. Auf dieser latenten Ebene entstand eine weitere Interaktionsfigur, die sich um das intrapsychische Sexualverbot der Patientin gruppierte. Sie erlebte wieder, was sie aufgrund ihres eigenen Erwartungsmusters gefürchtet, jedoch auf der Basis ihrer Vorerfahrungen auch irgendwie erwartet hatte. Diese unbewussten Erwartungen der Patientin, die aus den bisherigen Erfahrungen in ihren Beziehungen resultieren, führten in der Übertragung zu unbewussten Vorstellungen über das zu erwartende Verhalten des Therapeuten. Sandler (1976) hat diesen Vorgang erstmals der theoretischen Reflexion zugänglich gemacht, wobei er darauf hinwies, dass diese unbewussten Erwartungen des Patienten sozusagen einen interaktionellen Drang auf den Therapeuten ausüben, sich entsprechend den unbewussten Rollenerwartungen zu verhalten (Weiss und Sampson 1986). In eindrucksvollen Beispielen beschreibt Streeck (2004) auf der Basis seiner Videoanalysen, wie sich Patienten eines allgemein kulturell gültigen Kodexes von interaktionellen Regeln bedienen, um ihrerseits durch unbewusste nonverbale Signale die Beziehung zu gestalten und den Therapeuten dazu zu bewegen, sich entsprechend ihren Erwartungen zu verhalten. Es ist nun völlig gleichgültig, ob ein Verhalten des Patienten von einem unbewussten Wunsch getragen wird und infolgedessen auf dieser Ebene ein Agie-
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ren im Sinne einer Abwehr ist oder nicht. Möglicherweise ist ein Verhalten ohne Verbindung zu unbewussten Wunschfantasien gar nicht möglich, so dass sich von daher schon die Diskussion über das Agieren erübrigen würde. Die genannten neuen interaktionellen und systemischen Ansätze stehen deshalb dem Agieren des Patienten weniger ablehnend gegenüber, sondern betonen, dass sich über diese wechselseitigen Abstimmungsprozesse Modellszenen (Lichtenberg 1989a) entwickeln und Therapeut und Patient somit gemeinsam zu einer Inszenierung von wichtigen Beziehungserfahrungen in der therapeutischen Beziehung beitragen. Insofern besteht in jeder Beziehung, auch in der therapeutischen, immer die Gefahr, dass es zu Inszenierungen von neurotischen Mustern und Objektbeziehungen kommt. Die bisherige Darstellung sollte verdeutlichen, dass es sogar unvermeidlich ist, sich mit dem Patienten in Handlungsdialoge zu verwickeln, da auch unsere bewussten verbalen Interventionen unwissentlich Teil davon sein können und wir zudem unserer nonverbalen Gesten oft nicht bewusst sind. Auch bieten gerade Inszenierungen in einem überschaubaren, kontrollierbaren und relativ neutralen Rahmen, wie ihn die therapeutische Situation darstellt, die beste Chance, destruktive Inszenierungen zu erkennen und sie zu reflektieren. So betont Leuzinger-Bohleber (1998) bei der Darstellung von Gedächtnisprozessen aus moderner kognitionspsychologischer Sicht, dass nur solche Gedächtnisinhalte, also auch internalisierte Beziehungsmuster, einer Veränderung zugänglich seien, die sich in einer Beziehung inszenieren können. Auch geht man heute allgemein davon aus, dass unbewusste und insbesondere präödipale Konflikte in so frühen Entwicklungsphasen entstanden sein können, dass sie aufgrund der noch fehlenden Fähigkeiten zur Symbolisierung, zur Mentalisierung (Fonagy et al. 2002a) und Verbalisierung später nicht als Erinnerung reproduzierbar sind. Nach Turnbull und Solms (2005) werden aufgrund der mangelhaft ausgebildeten Strukturen des Hippokampus Erinnerungen insbesondere während der ersten zwei Lebensjahre nicht als explizite abrufbare (episodische) Erinnerungen gebildet, sondern in Form von Gewohnheiten, Überzeugungen und Erwartungsmustern, also als implizites Wissen niedergelegt. Das frühkindliche Wissen werde viel eher als „Körpererinnerung“ und als implizites Wissen darüber, wie die Welt „funktioniert“ gespeichert. (Ebend. S. 97) Der ganze neurosenpsychologisch entscheidende Bereich des unbewussten impliziten Beziehungswissens, in das die gesamten Beziehungserfahrungen eingeflossen sind, entzieht sich somit zum großen Teil der bewussten Erinnerung und realisiert sich viel eher als Gefühl und als Szene im Umgang mit Menschen.
So lässt sich mit gutem Recht behaupten, dass die Inszenierung oft der Erinnerung voraus geht und dies nicht als Widerstand und auch nicht im Sinne eines therapeutischen Fehlers, sondern vielmehr als unvermeidbare Folge der Gesetzmäßigkeiten des mitmenschlichen Umgangs in der therapeutischen wie auch in allen Alltagsbeziehungen. Oft schafft erst eine Inszenierung in der Übertragung oder in einer Außenbeziehung die Möglichkeit, diese als Externalisierung zu erkennen und im Hinblick auf die intrapsychischen und genetischen Konflikte zu reflektieren.
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4. Praxis der interaktionellen Analyse der Übertragung Die interaktionelle Art und Weise, mit speziellen Übertragungssituationen umzugehen, wie ich sie im folgenden darzustellen versuche, ist nicht an eine bestimmte therapeutische Methode gebunden. Immer wenn die Beziehung zwischen Therapeut und Patient den Verdacht von Übertragungsmustern aufkommen lässt, ist es für jeden Therapeuten, der dem Patienten seine Verhaltensmuster aufzeigen und an deren Überwindung arbeiten will, eine gute Möglichkeit, sich dabei dieser Vorgehensweise zu bedienen. Wenn man von dieser Methodenunabhängigkeit einmal absieht, steht der Ansatz, den ich hier vertrete, in der theoretischen Tradition der analytischen Selbstpsychologie Kohuts und seiner Nachfolger (Bartosch 2004, Milch 2001) und der damit personell und theoretisch eng verbundenen Intersubjektivitätstheorien (Orange 1995, Orange et al. 1997, Stolorow et al. 1987). Wesentlich Übereinstimmungen in der behandlungstechnischen Praxis bestehen auch mit der relationalen psychoanalytischen Schule von Mitchell. (Buchholz 2004a, Geißler 2004a, Mitchell 1997, 2000, Wirth 2004) Ähnlichkeiten liegen auch vor mit der Methodik von Ehrenberg (1992), die besonderen Wert auf die Gegenseitigkeit in einer authentischen persönlichen Beziehung zwischen Therapeut und Patient und auf die Mitteilung der Gegenübertragung legt.
4.1. Vorgehensweise 4.1.1. Therapeutische Grundhaltungen •
Anerkennung des Involviertseins in die interaktionelle Szene
Nicht zuletzt die Befunde von Streeck (2004) und Stern (2004) konnten überzeugend nachweisen, wie eng die Handlungen von Therapeut und Patient trotz der asymmetrischen Rollenaufteilung interaktionell ineinander verzahnt sind. In diesem Kontext ist es immer sehr schwierig, völlig neutral und unbeteiligt zu bleiben. Sinnvoller ist es deshalb, es als eine natürliche Gegebenheit anzuerkennen, dass auch in einem einseitigen therapeutischen Setting der Therapeut unter den Einfluss einer subtilen emotionalen Ansteckung gerät und unbewusst auf die nonverbalen und verbalen Angebote des Patienten reagiert. Ebenso beeinflussen seine Aktionen und Signale wiederum in gleicher Weise den Patienten, so dass sich hieraus ein endloser zirkulärer Prozess entwickelt. Dabei kann es manchmal recht schwierig sein, die Anteile des Einen und des Anderen auseinander zu halten. Es ist also nicht möglich, sich herauszuhalten, denn auch dies ist eine interaktionelle Handlung, die beim Patienten eine Wirkung ausübt.
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Prozessorientierung
Es macht das therapeutische Vorgehen unnötig schwierig, wenn zu viel Aufmerksamkeit darauf verwendet wird, die „richtige“ Deutung zu finden und sie so zu geben, dass sie immer zutreffend ist und den Patienten erreicht. Die traditionelle Sicht legt nahe, Fehler bei den Interventionen zu vermeiden und dabei immer ein ausgewogenes Maß von Empathie und Konfrontation zu finden.
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Durch Unachtsamkeit und punktuelle Empathiemängel verursachte Kränkungen des Patienten werden erst seit Kohut nicht als Fehler angesehen, die es zu vermeiden gilt. Diese Brüche in der therapeutischen Beziehung bieten die Chance, dem Patienten im Sinne einer sogenannten optimalen Frustration bei der Stärkung seiner Kapazität, Kränkungen zu verarbeiten, zu unterstützen. Durch positive Introjektionen entwickelt der Patient die Fähigkeit, trotz negativer Erfahrungen die Beziehung zum Objekt nicht aufzugeben. Das bedeutet, dass Fehler und Brüche geradezu notwendig Voraussetzungen sind, um diesen wichtigen therapeutischen Unterbrechungs- und Wiederherstellungsprozess, wie ihn Wolf (1989, 2000) nennt, in der Therapeut-Patient-Beziehung zu ermöglichen. Wie in der Mutter-Kind-Interaktion kommt es nach Stern (2004) auch im Umgang mit dem Patienten zu „Ungenauigkeiten“ in der gegenseitigen Abstimmung, die zunächst zu Irritationen führen und in den darauf folgenden Handlungen wieder ausgeglichen und korrigiert werden. Wenn der Therapeut Vertrauen in diesen natürlichen regulativen Prozess hat, wird er sich wesentlich freier fühlen, natürlich und selektiv authentisch mit dem Patienten umzugehen. Er wird sich auch leichter damit tun, weniger gute, schlechte oder falsche Interventionen hinzunehmen und die subjektiven Vorgänge zu bearbeiten, die sie beim Patienten ausgelöst haben.
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Engagierte Selbstreflexion
Ich möchte jedoch ausdrücklich betonen, dass es hier nicht darum geht, einer therapeutischen Beliebigkeit das Wort zu reden, nach der alles möglich und alles irgendwie konstruktiv sei. Es ist mitnichten alles konstruktiv, was ein Therapeut tut, sonst gäbe es keine Therapieabbrüche und keine negativen therapeutischen Verläufe. Es gehört zu der großen Verantwortung des Therapeuten, sich so zu verhalten, dass der Patient nicht unnötig und übermäßig gekränkt und ihm nicht geschadet wird. Das macht es erforderlich, dass er nicht nur über den Patienten nachdenkt, sondern auch sein eigenes Fühlen und Handeln stets mit großer Aufmerksamkeit beachtet und reflektiert. Diese Grundhaltung einer engagierten Selbstreflexion (Mitchell 1997) ist grundlegend, jedoch insofern auch flexibel, als es Perioden gibt, in denen entweder das Engagement in einer Interaktion oder aber die Reflektion darüber überwiegen wird.
4.1.2. Behandlungsstrategien •
Vom subjektiven Erleben des Patienten ausgehen
Das konkrete Vorgehen orientiert sich immer an der subjektiven Erfahrung des Patienten, die ihm selbst zugänglich ist. Das unterscheidet sich von dem üblichen analytischen Vorgehen, bei dem es sehr darauf ankam, die „richtige“ oder zumindest eine treffende Interpretation zu finden. Demgegenüber betonen auch schon Lichtenberg et al. (1996), wie wichtig es sei, mehr von der Oberfläche des subjektiven Erlebens des Patienten auszugehen und von hier aus die dahinter liegenden tieferen vorbewussten und unbewussten Ebenen zu untersuchen. Dies ermöglicht, auf eine intensivere Weise im unmittelbaren und für den Patienten auch spürbaren inneren Kontakt zu bleiben. Der Patient wird dabei auch weniger mit Deutungen konfrontiert, die ihm befremdlich und unpassend erscheinen, wie dies manchmal aus den Berichten ehemaliger Analysepatienten
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hervorgeht. Der Patient empfindet die Nähe des Therapeuten zu seinem subjektiven Erleben und fühlt sich dadurch wahr- und ernst genommen. Auch ist von entscheidender Bedeutung, die Wahrnehmungen des Patienten in ihrem Wahrheitskern anzuerkennen und erst im Anschluss daran deren subjektive intrapsychische Weiterverarbeitung durch ihn zu untersuchen. (Thomä 2001)
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Dem Patienten zuhören
Eine sehr sensible Patientin, die sich sehr auf eine entgegenkommende Haltung des Analytikers angewiesen fühlt, sagt, dass es ihr sehr schwer falle, die Stunden zu beginnen und dass sie das Schweigen schlecht aushalten könne. Sie fragt den Analytiker im ersten Gespräch, ob er dazu bereit wäre, am Anfang nicht nur zu schweigen, sondern die Sitzungen von sich aus anzufangen. Der Analytiker antwortet mit einer Deutung: „Sie wollen mich jetzt testen, ob Sie mich manipulieren können.“
Hier soll es primär nicht um die Richtigkeit dieser Deutung gehen. Die Patientin fühlte sich durch diese konfrontative Deutung sehr verletzt, empfand den Therapeuten als kalt und abweisend und hatte das Gefühl, dass ihr Motive unterstellt werden, die ihrem bewussten Erleben sehr fern lagen und falls sie doch irgendwo vorhanden waren, dann doch so weit im Unbewussten, dass sie dem Erleben der Patientin nicht zugänglich waren. Das wichtigste Bedürfnis in dieser Szene war, bei ihm überhaupt erstmal anzukommen, von ihm in dieser Bedürftigkeit angenommen zu werden. In diesem Bedürfnis wurde die Patienten schwer und endgültig enttäuscht, da eine Behandlung nicht zustande kam. Insofern hatte der in seinen Augen so wachsam deutende Analytiker den Anfangstest nicht bestanden und hatte übersehen, dass hier kein neurotisches inneres Verbot, sondern ein deutliches strukturelles Defizit vorlag, das einer anderen Vorgehensweise im Sinne einer strukturbezogenen Psychotherapie (Rudolf 2004) bedurft hätte. Es geht mir hier nicht darum, einseitig die positiven Seiten des Patienten zu sehen, Aggression zu vermeiden und schlicht lösungsorientiert zu arbeiten. Sondern ich halte es für außerordentlich wichtig, den Patienten wirklich ernst und zunächst auch einmal wörtlich zu nehmen, seine subjektive Sicht gelten zu lassen und diese zunächst bedingungslos anzunehmen, selbst dann, wenn diese einen offensichtlichen Abwehrcharakter hat.
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Dem Patienten antworten
Die richtigen Wahrnehmungen des Patienten anzuerkennen, bedeutet bereits, eine konkrete Stellung zu beziehen. Der Therapeut antwortet nicht mehr nur mit einer Deutung oder einer Gegenfrage, wie das früher sehr üblich war, sondern er gibt eine Antwort, die auch mehr oder weniger von seinen eigenen Standpunkten, seinen Ansichten, Werthaltungen und seiner Person enthalten kann, vergleichbar in etwa dem „Prinzip Antwort“ in der psychoanalytischinteraktionellen Psychotherapie von Heigl-Evers. (Heigl-Evers und Ott 2002) In bestimmten Situationen schwerer Gekränktheit des Patienten durch den Therapeuten reicht es meiner Erfahrung nach manchmal nicht mehr aus, die Situation zu deuten und zu verstehen, sondern es erfordert eine persönliche Stellungnahme des Therapeuten, um dem Patienten eine Versöhnung zu ermöglichen und das Band der positiven therapeutischen Beziehung wieder herzustellen.
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Diese beiden Punkte möchte ich an einem Beispiel von E. Wolf (2000, S. 75) darstellen.
Die tote Katze „Ein junger Rechtsanwalt erzählte im dritten Jahr seiner Analyse, dass seine Katze gestorben sei. Er hatte die Katze bislang nie erwähnt, und wenn, dann ganz flüchtig. Ich erkannte den Verlust an, ohne jedoch irgendein Gefühl dabei zu empfinden. Eine Phase des Schweigens folgte, und ich sagte dann etwas in der Art „Machen wir weiter“. Wieder Schweigen. Jetzt sagte ich, dass die Katze für ihn wohl sehr wichtig gewesen sei und dass ihr Verlust für ihn sehr schmerzlich sei. Ja, die Katze – er gebrauchte ihren Namen – bedeutete sehr viel für ihn, aber er könne sich nicht vorstellen, dass ich das verstehen würde. Seine Stimme klang verärgert. Während der nächsten Sitzung war er immer noch verärgert, wie ich schnell an seiner kalten ärgerlichen Stimme bemerken konnte. Ich deutete, dass er ärgerlich sei über mich, weil ich nicht mehr Anteilnahme gezeigt hätte. Ja, stimmte er zu, er habe nicht gedacht, dass ich mich wirklich um ihn gekümmert habe, genau wie seine Mutter, die immer nur so tat, als ob sie sich um ihn kümmere. Die Mutter pflegte immer große Besorgnis an den Tag zu legen, wenn andere Leute im Spiel waren, aber sie sorgte sich nicht wirklich um ihn. Ich bestätigte, dass Haustiere für mich nicht so wichtig seien wie für ihn und dass er meine Bemerkungen so verstanden habe, als ob ich, ähnlich wie früher seine Mutter, die Anteilnahme nur vortäuschte.“ „Als er mir ärgerlich Vorwürfe machte, ich würde ihm wie seine Mutter Gefühle nur vortäuschen, enthüllte sich ihm ebenso wie mir die vorherrschende Mutterübertragung. Viele von uns betonen den großen Wert derartiger Einsichten... In Wirklichkeit veränderte das die Unterbrechung unseres Kontaktes nicht. Sie hielt so lange an, bis ich meine Rolle an ihrem Entstehen einräumte. Genau an dieser Stelle begann sich die gespannte Atmosphäre langsam zu ändern.“ (Ebend. S. 77)
Hier wird deutlich, dass das primäre Ziel der Behandlung nicht unbedingt darin besteht, über eine spiegelnde neutrale Haltung seitens des Therapeuten zu Einsichten in die innere Welt des Patienten zu gelangen. Insbesondere hat die Bindungstheorie und deren Anwendung auf die psychotherapeutische Praxis klar die Wichtigkeit der emotionalen Sicherheit hervorgehoben, die auch in der therapeutischen Beziehung Vorrang hat und erst die Voraussetzungen dafür schafft, dass auch kritische und negative Prozesse in der Übertragung zugelassen werden können. Eine zu frühe und konfrontative Deutung kann hier der Entwicklung einer positiven und tragenden Selbstobjekt-Beziehung im Sinne einer basalen Grundbedingung für einen analytischen Prozess nur schaden, wie das oben genannte Beispiel zeigen sollte.
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Sich in eine dialogische Interaktion verwickeln zu lassen kommt vor der Deutung
Das klingt in den Ohren von Therapeuten nicht sonderlich gut und sinnvoll, sind wir doch intensiv darin trainiert worden, neutral zu bleiben, die neurotischen Spiele des Patienten zu erkennen und ihn deutend damit zu konfrontieren. Dies erfordert geradezu eine Haltung der Abstinenz, die sich mit aller Kraft darum bemüht, sich eben nicht in neurotische Spiele verwickeln zu lassen.
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Nachdem inzwischen dahingehend weitgehender Konsens besteht, dass Neutralität und Abstinenz im ursprünglichen Sinn nicht wirklich möglich sind, zeigt sich hier inzwischen eine gewisse Lockerung des analytischen Über-Ichs. Jedoch ist diese Grundhaltung nach wie vor sehr ausgeprägt, da sie den Therapeuten auch selbst davor schützt, die Kontrolle über eigene Affekte und die des Patienten zu verlieren. Wir sind nicht gewöhnt, in den Begegnungen mit Patienten spontaner und natürlicher zu sein, weil wir Angst haben, dass sie uns zu nahe kommen, uns zu sehr berühren, zu viel von uns wollen, uns kritisieren könnten usw. Wir rationalisieren diese Angst oft durch unser Gefühl der Verantwortung für den Patienten und für den therapeutischen Prozess. Ich erkenne hierin oft eine Haltung von Überverantwortlichkeit auf Seiten des Therapeuten, die dem Patienten Eigenverantwortung abnimmt und ihn eher zu regressiven Prozessen einlädt. In dieser Hinsicht sind insbesondere relational orientierte Analytiker (Ehrenberg 1992, Mitchell 2000) deutlich offener und lassen sich eher auf Dialoge mit Patienten ein, die üblicherweise so nicht stattfinden und stattdessen schon im Ansatz gedeutet würden, wie dies auch der von mir oben zitierte Analytiker getan hatte, als er der Patientin seine Deutung, sie wolle ihn testen, gab, statt sie zunächst darüber fantasieren zu lassen oder evtl. auch auf ihr Bedürfnis einzugehen. Als Beispiel will ich hier exemplarisch eine kurze Vignette von Mitchell (2000) zitieren, die aus der Behandlung einer 30-jährigen Frau stammt, die sich wieder an ein College begeben hatte, um einen besseren Abschluss in Geschichte zu machen und dabei auf eine erhebliche Angst vor Schreibblockaden beim Abfassen von schriftlichen Arbeiten stieß. Mitchell bearbeitete nicht nur die zugrunde liegenden psychodynamischen und Entwicklungskonflikte, sondern ließ sich, natürlich auch nicht unreflektiert, von seinem Interesse an den Methoden der Geschichtswissenschaft treiben.
Patientin mit Schreibblockaden „Es folgten mehrere Monate, in denen wir uns mit den Themen ihrer Seminararbeiten beschäftigten... meistens ermutigte ich sie, mir die entsprechenden inhaltlichen Fragen und Kontroversen zu erläutern – um letzten Endes mir etwas beizubringen. Zu Beginn verhielt sie sich sehr zögerlich, aber als wir fortfuhren, konnte sie sich immer freier ausdrücken. Ich war zunehmend beeindruckt von ihrer Brillanz und Kreativität – Fähigkeiten, die ich aus erster Hand bei ihr noch nie erlebt hatte. In diesen Sitzungen, die ich als sehr lebhaft, informativ und unterhaltsam empfand, manchmal sogar als richtig amüsant, konnte sie ihre Originalität zum Ausdruck bringen und ich meine Anerkennung. ... Natürlich hatte ich Skrupel..., ob ich Becky nicht zu meiner eigenen Erbauung benutzte, und natürlich tat ich das bis zu einem gewissen Grad auch. Dennoch schienen diese Gespräche wichtig zu sein. Wir kamen voran, sie wurde lebendiger, und ihre Schreibschwierigkeiten ließen nach. Mir schien es wichtig, nicht zu deuten, was zu diesem Zeitpunkt zwischen uns geschah. Dennoch hatte ich das Gefühl, dass wir es geschafft hatten, gemeinsam eine Art von Erfahrung herzustellen, die Becky mit ihren Eltern nie geteilt hatte“ (ebend. S. 118).
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4.1.3. Die direkte interaktionelle Analyse der Übertragungsinszenierung Die bisher dargestellten Grundhaltungen und Interventionsformen sind Vorbereitung und impliziter Bestandteil der Methode der direkten und systematischen Klärung einer Übertragungsinszenierung. Diese sind von zentraler Bedeutung und Voraussetzung für die hier vorgestellte Vorgehensweise. Therapeutische Situationen, mit denen ich auf diese Weise umgehe, sind interaktionelle Handlungsdialoge und Inszenierungen in der Begegnung zwischen Therapeut und Patient, die sich im Dialog spontan entwickelt haben. In diese ist der Therapeut nicht selten vor- oder unbewusst verwickelt und handelt in seinem realen Verhalten mehr oder weniger mit, indem er die ihm durch den Patienten unbewusst übertragene Rolle identifikatorisch oder komplementär handelnd umsetzt. Mein Schwerpunkt liegt hier im Wesentlichen auf der Arbeit mit tatsächlichen Interaktionen zwischen beiden, die stattgefunden haben und die Tendenz dazu haben, sich öfters zu wiederholen, was darauf hindeutet, dass hier möglicherweise ein neurotisches Muster des Patienten vorliegt. Es lassen sich viele Möglichkeiten vorstellen, mit solchen Inszenierungen therapeutisch umzugehen. Speziell in der analytisch orientierten Körperpsychotherapie, um die es in diesem Buch geht, werden von verschiedenen Autoren aktive Methoden eingesetzt, um unbewusst angedeuteten Lebensbewegungen, die sich oft in nonverbalen Signalen zeigen, einen Raum zu geben, in dem sie sich entfalten und vom Patienten selbst erspürt und erprobt werden können. Der Therapeut greift solche Anspielungen auf und ermutigt den Patienten, diesen Impulsen spürend nachzugehen und sie durch Umsetzung in eine Handlung zu erproben, um deren unbewussten Bedeutungsgehalt zu erkennen. Die von Heisterkamp (2002a) in seinem Buch über Handlungsdialoge in der Psychotherapie und in diesem Buch beschriebenen Fallvignetten zeigen, wie er gezielt „leibliche Artikulationen“ aufgreift und dem Patienten aktiv einen Vorschlag macht, um den leiblichen Assoziationen eine Möglichkeit zu bieten, sich auf ihrem jeweiligen Entwicklungs- und Regressionsniveau entfalten und wahrgenommen werden zu können. Auch Worm (i. d. B.) geht von oft nonverbalen Anspielungen aus und arbeitet in der Folge mit der Anregung von Handlungsfantasien und mit aktiven Handlungsinszenierungen. Es geht ihr immer darum, eine zunächst unbewusst oder vorbewusst ablaufende Körperreaktion oder Handlungssequenz aufzugreifen und als Ausgangspunkt für eine aktive und vom Patienten selbst erprobte und gesteuerte Fortführung des Handlungsdialogs zu nutzen, um die implizierte unbewusste Bedeutung oder die affektive Beziehungssituation verständlich zu machen. Auf das Erreichen einer solchen Wirkung zielen auch die Vorschläge zu einer aktiven Inszenierung von Modellsituationen ab, wie sie Moser (2002) anwendet und wie sie von Scharff (1995a, 1995b) als „inszenierende Interaktion“ beschrieben werden. Derartige aktive Anregungen zum Umgang mit Übertragungsinszenierungen setze ich in meiner bisherigen therapeutischen Arbeit noch nicht ein. Ich halte sie jedoch für prinzipiell kompatibel mit meiner Sichtweise und sehe in ihnen eine gute Möglichkeit, auch reale Übertragungsverwicklungen nicht nur verbal, sondern auch mit Unterstützung durch diese Methoden zu klären.
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Wann kann die direkte interaktionelle Übertragungsbearbeitung eingesetzt werden?
Die interaktionelle Bearbeitung einer Übertragungsreaktion kann ausgehen von verschiedenen Gegebenheiten. Dies können beispielsweise spontan sich ereignende Interaktionen sein, die im Hinblick auf einen vorhandenen Übertragungsanteil hin besprochen werden können.
Beispiel einer verunsichernden Eingangsszene Eine Patientin kommt per automatischem Türöffner etwas verspätet in meine Praxis, ihre Sitzungszeit läuft also schon. Ich stehe mit einem Kollegen zusammen im Gespräch in der Eingangstür meines Raumes, begrüße sie sehr freundlich und erwarte, dass sie zu mir kommt und wir die Stunde anfangen können. Sie jedoch dreht ab, geht ins gleich gegenüberliegende Wartezimmer, wo sie stehen bleibt und, von mir abgewandt, in einer Zeitschrift blättert. Als mir sehr schnell klar wurde, dass sie nicht von sich aus kommen würde, spreche ich sie an und wir gehen in meinen Therapieraum. In diesem Fall bot es sich an, gleich im Anschluss an diese Szene darüber zu sprechen und auf wesentliche Grundgefühle und Verhaltensweisen der Patientin einzugehen. Dabei sagte ich, dass ihr Verhalten auch mich verunsichert hatte.
Häufig verdichtet sich im Laufe der Therapie ein spezifisches Gefühl des Patienten seinem Therapeuten gegenüber, das irgendwann einmal so intensiv ist, dass es von ihm selbst ausgesprochen wird oder es sich auch in einem spontanen und unkontrollierten Agieren Durchbruch verschafft. So berichtet Mitchell (2000), dass er nach sechsjähriger Behandlungsdauer zweimal Ausbrüche „voller hasserfüllter Erbitterung“ (ebend. S. 204) seinem Patienten gegenüber hatte. „Ben war ziemlich bestürzt über meine Ausbrüche, und wir verbrachten viel Zeit damit, sie durchzuarbeiten... Wir stritten lange über die unterschiedliche Bedeutung, die meine Ausbrüche für jeden von uns hatten.“ (Ebend. S. 206)
Der Analytiker „ist es satt“ Trotz analytischer Grundhaltung hatte ich es eines Tages einmal satt, von einer Patientin immer wieder zu hören, dass es ihr mit mir nicht gut gehe und dass sie nur weiter zu mir komme, weil sie keine andere Möglichkeit habe (was in diesem speziellen Fall auch partiell so war). Sie wohnte eine Stunde von mir entfernt und war wieder einmal nicht zur Stunde erschienen, sondern rief an, und wir besprachen das telefonisch. Ich sagte genervt, es täte mir leid für sie, aber wir müssten das jetzt weiter gemeinsam durchstehen und klären, warum es so ist, aber letzten Endes habe sie ja durchaus die Möglichkeit, sich einen anderen Therapeuten zu suchen, auch wenn es für sie mit zusätzlichen Belastungen verbunden wäre. Einige Zeit danach beendete ich das Gespräch und war froh, früher die Praxis verlassen und noch etwas erledigen zu können. Einige Minuten später, ich war gerade am Gehen, rief sie wieder an, diesmal in Panik vor einem Beziehungsabbruch meinerseits. Der Patientin fiel sehr schnell selbst auf, dass sie auf diese Weise schon viele Beziehungen zu Männern von sich aus beendet bzw. gestört hatte, wenn ihr das Gefühl fehlte, bei ihnen auf eine entsprechende Resonanz zu stoßen. Ich hatte zunächst relativ unbedacht aggressiv mitagiert und hatte damit eine Szene mit geschaffen, die ihr sehr vertraut war. Danach konnten wir allmählich herausarbeiten, dass die Patientin in meiner Mimik Anhaltspunkte von Betroffenheit suchte und diese für sich nicht finden konnte. Es wurde auch deutlich, dass sie in mir hier ihren Vater sah, einen sehr vergeistigt wirkenden Mann mit einem tief ernsten Gesichtsausdruck. Jedoch blieb
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der Fokus in unserem Gespräch relativ lange und ausführlich bei den Vorgängen und Beobachtungen zwischen uns sowie bei der Exploration der subjektiven Vorgänge in der Patientin und teilweise auch bei mir.
4.2. Ziele der interaktionellen Übertragungsanalyse • •
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Herausarbeiten der konkreten Übertragungsauslöser, d. h. derjenigen verbalen und nonverbalen Signale des Therapeuten, die der Patient realistisch wahrnimmt. Was beobachtet der Patient, worauf reagiert er? Eindeutiges Benennen und Differenzierung der jeweiligen Anteile von Therapeut und Patient. Es soll möglichst konkret und detailliert geklärt und erklärt werden, wie Therapeut und Patient auf eine subtile Weise interaktiv aufeinander reagieren und wie jeder zur Umwelt des anderen geworden ist, d. h. wie jeder auf die Reaktion des anderen auf seine eigene jeweils spezifische Weise antwortet. Daraus ergibt sich ein gemeinsam erarbeitetes Verständnisses dessen, was sich in der therapeutischen Beziehung im Sinne einer Übertragung inszeniert hat. Bearbeitung der zugrunde liegenden Übertragungsanteile des Patienten. Dabei fluktuiert der thematische Fokus hin und her zwischen der Bearbeitung der verinnerlichten Objektbeziehungen und der gleichzeitigen Berücksichtung der Art und Weise, wie sich diese immer wieder auch in der therapeutischen Beziehung abbilden.
4.3. Fallbeispiel An einem ausführlicheren Beispiel möchte ich nun meinen Umgang mit einer sehr intensiven und rigiden negativen Übertragungsreaktion erläutern, die über eine lange Zeit nicht zu verändern war.
An einer Mauer abprallen Zwischen mir und der Patientin bestand eine relativ offene, positive und sehr tragfähige Beziehung. Ich beantwortete ihre Fragen, bezog Stellung wenn nötig und hatte den Eindruck, als antwortende Person ausreichend verfügbar und erkennbar zu sein. Umso erstaunter war ich, als die Patientin mir nach eineinhalb Jahren sagte, dass es ihr nach den Sitzungen oft schlecht ging, dies nicht wegen der Traumabearbeitung, sondern weil sie bei mir das Gefühl habe, ständig immer wieder gegen eine Mauer zu rennen und abzuprallen. Diese schwierige Übertragungssituation bestand mehr als ein Jahr lang ziemlich unverändert weiter. Ich nahm das Gefühl sehr ernst. Das bedeutete für mich, es nicht nur als Übertragungsreaktion zu erklären, sondern zuerst an mich und an die Patientin die Frage zu stellen, ob es irgendetwas an mir, an meinem Verhalten oder meiner Person gegeben habe, was dieses Gefühl bei ihr auslöste. Sie sagte, sie habe einfach das Gefühl, bei mir nicht wirklich ankommen zu können. Es ginge sehr verkopft und intellektuell zwischen uns zu, weil sie nicht genug Sicherheit bei mir habe, um mit allen Gefühlen ankommen zu können. Ich reflektierte für mich, ob sie möglicherweise einen Widerstand bei mir richtig wahrnahm, kam da jedoch nicht weiter, denn wir hatten ja schon viele schlimme Gefühle von ihr durchgearbeitet, sie hatte geweint, aus hemmungsloser Verzweiflung geschrieen. Ich konnte also von mir nicht sagen, dass ich nicht bereit wäre, mich mit ihren authentischen Gefühlsreaktionen auseinanderzusetzen. Eine gewisse Angst hatte ich allerdings vor ihren Abhängigkeitsbedürfnissen mir gegenüber, ebenso auch vor ihren libidinösen sexuellen Gefühlen, weil ich es immer schwierig finde, die Liebesgefühle der PatientInnen zu enttäuschen und diese Enttäuschung mit ihnen durchzuarbeiten. Deshalb achtete ich darauf und versuchte sehr
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Siegfried Bettighofer bewusst, mich von dieser Scheu nicht einschränken zu lassen, was mir, glaube ich, auch gelungen ist. Es blieb als eine weitere Möglichkeit, dass die Patientin in ihrem Mauer-Gefühl auf irgendeinen Aspekt meiner Persönlichkeit reagierte. Sehr viel weiter kamen wir jedoch nicht, ihre Antworten auf meine Fragen blieben relativ unbestimmt und bewegten sich in die Richtung, dass ich „sehr viel aus dem Kopf“ antworte, „mit dem Kopf fühle“ und sie zu wenig emotionale Resonanz bei mir spüre. Ich sei beherrscht, versammelt und wenig emotional. Sollte ich meine analytische Haltung aufgeben oder zumindest lockern, sollte ich mehr Gefühl zeigen, aber welches? Vielleicht waren diese Gefühle bei ihr nur der Ausdruck dafür, dass sie sich eigentlich eine persönliche private Beziehung mit mir wünschte? Bedingt traf dies sicherlich zu, jedoch hatte sie schon ihr Ex-Therapeut mit einer solchen Deutung zutiefst gekränkt, weil sie diese Bedürfnisse einerseits schon gehabt habe, aber von ihm doch etwas ganz anderes wollte, nämlich wahrgenommen, gesehen zu werden. Dieses Bedürfnis konnte ich als ein narzisstisches Grundbedürfnis verstehen, aber was bedeutete das für uns, wie konnte ich ihr mein Verständnis für sie spürbar signalisieren? Es zu sagen, reichte nicht aus, sie brauchte etwas anderes von mir. So tappten wir weiter im Dunklen, alle versuchten Klärungen und Erklärungen, die durchaus sinnvolle analytische Arbeit darstellten, vermochten es nicht, dieses Grundgefühl zu verändern. Auch den Hinweis, dass ich überhaupt eher zurückhaltend sei, diese also keine desinteressierte Reaktion meinerseits auf sie sei, konnte sie zwar verstehen und meine Offenheit auch schätzen, jedoch änderte sich auch dadurch an ihrem Gefühl und ihrem Leid nichts, denn sie konnte diese sehnsuchtsvolle zurückgewiesene Bedürftigkeit nicht loslassen. Ich war verunsichert, resignierte irgendwie und nahm meine Zuflucht zu einer klassischen Übertragungsdeutung, in der ich nebenbei auch meine Aggression ausagierte. Es liege auf der Hand, dass dieses Gefühl, vor einer Mauer zu stehen, abzuprallen und keine Chance zu haben, ursächlich eindeutig aus ihrer Vaterbeziehung stamme, für den nur Leistung zählte und bei dem sie vergeblich auf eine emotionale Resonanz gehofft hatte, die ihr Bruder durchaus bekam. Ich hatte es lange versucht, sie nicht einfach mit dieser Deutung abzuspeisen, jetzt wusste ich mir jedoch auch keinen Rat mehr, war am Ende mit meinem Latein und sagte ihr, dass ihr Gefühl mir gegenüber ganz offensichtlich ihr Grundgefühl sei und dass sie mich so erlebe wie ihren Vater, unzugänglich, ohne Resonanz, nur an Leistung und Intellekt interessiert.
Nachträglicher Kommentar: Beim Schreiben fällt mir im nach hinein auf, dass es mir ein starkes Bedürfnis war, die Mauer, die die Patientin zwischen uns empfand, unbedingt zu beseitigen. Ich war also sehr mit ihrem Bedürfnis, mit mir in eine ungestörte lebendige Beziehung zu kommen, identifiziert und kämpfte ebenso erfolglos dagegen an, wie die Patientin dies bei mir und früher bei ihrem Vater getan hatte. Man könnte also fast sagen, dass ich ihren neurotischen Kampf, endlich bei mir das zu finden, was sie während ihres ganzen Lebens vermisst hatte, mitkämpfte und mit ihr im gleichen Boot saß. Das bedeutet, dass ich in einer konkordanten Gegenübertragung mit ihrem Bedürfnis identifiziert war, es selbst übernommen hatte und die gleiche traumatisierende Enttäuschung erlebte wie die Patientin. Aus dieser Perspektive wäre es vermutlich sinnvoll und möglich gewesen, diese Beziehungsstörung als solche zu verstehen, sie zu akzeptieren und von dem sehnsüchtigen Ideal Abschied zu nehmen. Stattdessen blieb ich mit der Patientin in einer gemeinsamen neurotischen Kollusion verwickelt und kämpfte um etwas, das nicht erreichbar war. Diese Erkenntnis stand mir jedoch während der Behandlung nicht zur Verfügung, dennoch begann ich, in gewisser Weise mit dieser Ohnmacht zu leben
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und mich mit der Unveränderlichkeit dieser Übertragungsreaktion abzufinden, von der ich nach wie vor nicht wirklich wusste, ob sie wirklich nur eine klassische Übertragung war oder ob darin nicht doch auch eine Reaktion auf mich enthalten war. Einige kleine Situationen brachten uns im Laufe der Behandlung einer Klärung näher. P: Ich habe oft das Gefühl, dass mein Schmerz an Ihnen abprallt. T: Das verstehe ich nicht, ich habe nicht den Eindruck, dass ich nicht offen bin dafür und alles abprallen lasse. P: Sie könnten ja nachfragen, wie ist denn Ihr Vater oder Ihre Mutter mit Ihrem Schmerz umgegangen? T: Aha... so was habe ich nicht gefragt, das stimmt. Aber warum fühlen Sie sich dann zurückgewiesen? Ist es meine zurückhaltende Art, die Ihnen das Gefühl gibt, an mir abzuprallen? P: Das Problem, das ich mit Ihnen habe, ist, nicht mit Ihnen in Kontakt zu sein oder nur in einem oberflächlichen Kontakt. Ich sage Ihnen etwas, das Sie auch hören, auch im Kopf verarbeiten und mir auch zurückgeben. Aber ich bin nicht in einem emotionalen Kontakt mit Ihnen. Das macht mich wahnsinnig. Das muss nicht stimmen, aber für mich ist es so. T: Vielleicht liegt es auch teilweise daran, dass Sie selbst Ihre Gefühle sehr kontrollieren, dass Sie sich beherrschen? P: (empört): Wie?! Ich bin von den Socken! Ich soll Gefühle zurückhalten?! Ich habe geweint, geschrieen.... T: So kam es mir schon vor. Sie sind oft bemüht, sich zu beherrschen, wir reden dann ziemlich sachlich über etwas. P: Gezwungenermaßen!!...
(Sie bezieht sich im folgenden auf eine kurz zurückliegende Szene zwischen uns, als sie über ihre große Verzweiflung gesprochen hatte, die sie erlebte, nachdem sie geglaubt hatte, die Mütze ihrer schon lange toten Mutter im Zug verloren zu haben.) P: Wenn ich hierher komme und Ihnen sage, dass ich geglaubt habe, dass die Mütze meiner Mutter im Zug gestohlen worden ist und geweint und gesagt habe: „Ich habe überhaupt nicht begriffen, warum ich da in absolut tiefer Verzweiflung bin über den Verlust. Jetzt hab ich die Mütze wieder. Ich hatte mich nur nicht richtig umgesehen. Sie lag im Gepäcknetz. Warum bin ich so verzweifelt über diesen kurzen Verlust? Ich kann mir eine neue Mütze kaufen.“ Und wenn Sie dann sagen, wie Sie es getan haben: „Naja... die war ja auch nicht von Karstadt. Oder?“ T: Wie haben Sie da meine Bemerkung aufgefasst? Offensichtlich anders als ich es gemeint habe. Ich wollte Ihnen damit sagen, dass ich Ihre Verzweiflung verstehe, weil es die Mütze Ihrer Mutter war, die für Sie eine große Bedeutung hat. Aber das kam bei Ihnen offenbar ganz anders an? P: Dass das die Mütze meiner Mutter war, das wusste ich doch selber, da brauche ich doch Sie nicht dazu! T: Ja... aber Sie haben das ja gefühlsmäßig nicht wirklich realisiert. Ich dachte, ich hätte Ihnen auf diese Weise angedeutet, dass ich Ihr Gefühl verständlich fand, wo Sie sich ja nur über Ihre Verzweiflung gewundert haben. P: Was ich gebraucht hätte, wäre z. B. dass Sie sagen: Holen Sie die Mütze rein, legen Sie sie hin und erzählen Sie mal, was an der Mütze dran hängt. Oder: Was bedeutet die Mütze für Sie? Sind Sie dadurch behütet? Oder ist das ein Andenken und Sie denken, die Mutter ist Ihnen nahe? Oder irgendwas, was mich hätte erkennen lassen, wo dieser wahnsinnige Schmerz herkommt, und wie ich diesen Schmerz nicht einfach wieder wegstecke, sondern hier ausleben darf (beginnt zu weinen – lange Pause, ca. vier Minuten). Das würde für mich Anteilnehmen signalisieren.
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Siegfried Bettighofer T: Ja, das finde ich jetzt verständlich, es ist zwar eine Kleinigkeit, aber ich verstehe jetzt, was Ihnen bei mir gefehlt hat. (Pause) P: Jetzt verstehe ich langsam auch mehr... Was Sie mir sagen, empfinde ich als Erklärungen, als Belehrungen, da fehlt mir das Emotionale. Ich habe den Eindruck, dass Sie auch viel zurückhalten. T: Ich bin auch nicht immer authentisch, stimmt. P: (Pause) Auch wenn Sie sich ärgern über mich, Sie haben das fast nie rausgelassen... T: Na ja,... gelegentlich schon. P: Da bin ich mehr im Kontakt mit Ihnen, lieber Ärger als diese Neutralität. Das macht mich manchmal wahnsinnig.
Während dieser letzten Sequenz war es allmählich zu einer entspannteren und versöhnlicheren Atmosphäre gekommen, die fast angenehm war und Züge von beginnender Traurigkeit annahm. In einer anderen Sitzung berichtete die Patientin über weitere Situationen, die es ihr erschwert haben, sich innerlich loszulassen. So hatte sie versucht, mir in zwei Briefen wichtige Gefühle mitzuteilen, in der Hoffnung, mich auf diesem Weg zu erreichen und von mir „gesehen“ zu werden. P: Wir haben über diese Briefe nie Punkt für Punkt geredet. Sie haben diese Briefe gelesen, und dann ging’s weiter. T: Da haben Sie dann wahrscheinlich wieder daraus geschlossen, dass mich das nicht interessiert. P: Ja..., die Briefe war sehr gut überlegt von mir, Wort für Wort war wichtig. T: Und diese Botschaft habe ich nicht bemerkt,... das stimmt. P: Ich hätte immer wieder gerne gehabt, dass Sie mal nachhaken oder kontrovers etwas zu bedenken gegeben hätten. Da hätte ich das Gefühl gehabt, dass das bei Ihnen ankommt, dass ich nicht ins Leere rede und es verpufft. Das war für mich einfach abwehrend, abweisend.
Auch mein Versuch, den Überblick zu bewahren, bekam für die Patientin eine entsprechende Bedeutung: P: Sie bleiben immer so gefasst, beherrscht. Ich war froh, wenn Sie sich mal geärgert haben über mich.
In den Sitzungen während des letzten Jahres, aus denen diese kurzen Auszüge stammen, wurde immer wieder deutlich, dass die Patientin von mir eine viel direktere emotionale Antwort gewünscht oder gebraucht hatte und dass sie meine Versuche, die therapeutische Haltung zu bewahren, als Zurückweisung interpretiert hatte. Ich habe viele Andeutungen der Patientin, wie sie zu Recht bemerkt, nicht ausreichend stringent aufgegriffen. So bin ich z. B. auf die Briefe nicht direkt eingegangen und habe dabei übersehen, welch äußerst wichtige Bedeutung solche Einzelheiten für die Patientin hatten. Dadurch konnte ich auch nicht bemerken, wie sich in Ihrem Erleben allmählich das Gefühl, an mir wie an einer Mauer abzuprallen, zusammengebraut hatte. Bei dieser Darstellung kommt es mir darauf an, aufzuzeigen, wie für diese Patientin ganz spezifische und relative geringfügige verbale und nonverbale Signale und Handlungen zum Anlass werden, an diesen realen Wahrnehmungen ihre eigenen subjektiven Erlebnismuster zu entzünden und diese Signale entsprechend ihrem impliziten Beziehungswissen zu interpretieren.
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Der entscheidende Punkt, den ich hier besonders betonen möchte, ist jedoch, dass sich das Übertragungsgefühl der Patientin als eine Legierung erweist zwischen einer realen Wahrnehmung, die seinen Kern bildet, und einer sich daran entzündenden subjektiven Interpretation der Patientin, die auf dem bisherigen Erfahrungsschatz ihres impliziten Beziehungswissens beruht. In meiner Vorgehensweise versuche ich, so genau und konkret wie möglich meine verbalen und nonverbalen Signale herauszuarbeiten und mit der Patientin zu klären. Es waren einige Sitzungen dieser direkten Arbeit notwendig, um der Patientin dabei zu helfen, die entsprechenden Signale meinerseits, auf die sie reagierte, bewusst zu machen und den Mut zu fassen, dies mir auch zu sagen. Hier handelt es sich um eine direkte und für die Patientin mit viel Angst besetzte Klärung einer negativen Übertragung. Sie konnte dabei im Wesentlichen die folgenden oben erwähnten Verhaltensweisen meinerseits benennen: Ich höre (empathisch) und zugewandt jedoch passiv zu, ich interveniere wenig aktiv, frage an bestimmten Stellen des Dialogs nicht nach, lasse ihre Aussagen stehen und warte auf ihre weiteren Assoziationen, ich hake nicht nach, greife die Details ihrer Briefe nicht mehr eigens auf. Bis auf einige Situationen, in denen ich mir Affekte und deren Ausdruck bewusst erlaubt habe, war ich, wie die Patientin richtig beschreibt, bemüht, meine therapeutische Haltung bei zu behalten, wobei ich mich im Allgemeinen auch souverän und wenig verkrampft um Haltung bemüht erlebte.
Ich kann verstehen, dass die Patientin auf ihrem regressiven Niveau dieses Verhalten meinerseits als Zurückweisung und Abprallen erlebte. Mein Ansatz sieht vor, dieses Verhalten des Therapeuten herauszuarbeiten und zu klären. Der Patientin wird bestätigt, dass sie richtig beobachtet hat. Bis zu einem gewissen Grad halte ich das Gefühl der Patientin, an mir wie an einer Mauer abzuprallen, auch für adäquat und nachvollziehbar. Ich hätte den analytischen Prozess auch wirklich vertiefen und intensivieren können, wenn ich in den genannten Momenten ihren Affekt angesprochen hätte, wenn ich nachgehakt und manche ihrer Reaktionen detaillierter aufgegriffen hätte. Ist dies ausreichend geklärt und anerkannt, besteht die weitere Arbeit, in der gleichen Sitzung oder später, darin, deutlich zu machen, dass die erlebnismäßíge Interpretation der Patientin zwar nachvollziehbar und partiell angemessen ist, dass hier jedoch das implizite Beziehungswissen der Patientin aktiviert worden war, um mein Verhalten im inneren Koordinatensystem ihrer bisherigen Erfahrungen einzuordnen. Anders ausgedrückt, sie schafft durch Verschiebung und Projektion auf einer regredierten Basis eine emotionale Interpretation meines Verhaltens, die nicht mehr nur mein Verhalten widerspiegelt, sondern in der ihre bisherige Lebenserfahrung sichtbar wird und zum Ausdruck kommt. Deshalb besteht der nächste Schritt der Durcharbeitung darin, der inneren subjektiven Logik der Erfahrungen nachzugehen, die durch mich ausgelöst worden waren. Hier folgt nun die klassische Bearbeitung der introjizierten Erfahrungen mit ihren Eltern und anderen wesentlichen Bezugspersonen. Im Verlauf der oben dargestellten Sitzung wurde die anfangs sehr angespannte Situation allmählich gelöster, und am Ende überwog eine versöhnliche Stimmung zwischen der Patientin und mir. Sie konnte jetzt deutlich ihren Schmerz über all das spüren, was sie bei mir und auch früher nie bekommen hatte, wohingegen jetzt ihr ohnmächtiges Leiden und die Wut nachließen. Sie konnte begreifen, was ihren Schmerz bei mir verursachte, weil wir es geklärt
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hatten. Sie konnte allmählich auch realisieren, was ich ihr geben konnte und welche Bedürfnisse nicht mehr erfüllt werden können, ohne diese Wünsche selbst und die Patientin zu beschuldigen oder als unrealistisch abzuwerten. Anders als bisher war es ihr nun zunehmend möglich, auch die Grenzen meiner Möglichkeiten zu akzeptieren, ohne wieder in einen abwehrenden affektisolierenden Pseudorealismus zu verfallen, wie sie dies früher notgedrungen tun musste. Sie befasste sich mit dem Schmerz ihrer unerfüllten Bedürfnisse und konnte nach und nach diese Fixierung von mir lösen. Sie konnte sich selbst verstehen, konnte auch mich realer wahrnehmen und sich mit meinen Möglichkeiten und meinen persönlichen Mankos aussöhnen, wodurch auch das Gefühl, bei mir abzuprallen, deutlich geringer wurde und ein Gefühl der Dankbarkeit entstand.
4.4. Wie erklärt sich positive Wirkung der Interaktionellen Übertragungsanalyse? Die zentrale Wirkung dieser Vorgehensweise entfaltet sich durch den Versuch, das gegenseitige Aufeinanderreagieren zwischen Therapeut und Patient im Detail zu klären und herauszufinden, wie sich eine Übertragungsfantasie in der unmittelbaren Interaktion zwischen beiden realisiert und in Szene gesetzt hat. Dieser Vorgang ist spannend und auch für den Therapeuten etwas bedrohlich, weil er sich nicht auf die Position zurückziehen kann, dass diese Übertragungssituation allein Sache der Projektionen des Patienten ist, sondern er auch selbst mit seiner Person und seinem Handeln zur Diskussion steht. • Die hilfreiche Wirkung für den Patienten beginnt damit, dass seine subjektive Erfahrung zuerst angenommen wird, ohne diese allzu schnell mit einer Deutung in Frage zu stellen. Er fühlt sich wahrgenommen, in seinem Denken und Fühlen auch ernst genommen. • Da der Patient die belastende Übertragungssituation zwar selbst spürt, sie jedoch von sich aus weder klären noch lösen kann, ist es für ihn eine große Hilfe, wenn diese Vorgänge mit dem Therapeuten zusammen erarbeitet werden. Seine konkreten und als real erkennbaren Wahrnehmungen werden bestätigt, sie werden jedoch zudem mit ihrer intrapsychischen Weiterverarbeitung verbunden. Der Patient fühlt sich validiert, indem ihm nicht einfach nur das Gefühl vermittelt wird, dass er den Therapeuten eben verzerrt wahrgenommen hat. Zugleich wird er damit konfrontiert, dass er aus den wahrgenommenen Signalen etwas Bestimmtes für ihn Signifikantes macht, und er gewinnt dadurch einen bedeutenden Zuwachs an Einsicht in seine Beziehungsgestaltung. Er fühlt sich allerdings nicht einseitig als neurotisch projizierend auf sich zurückgeworfen. Man gibt ihm auch nicht zu verstehen, dass er allein verantwortlich sei für sein Übertragungsgefühl. Durch den Versuch, dessen Entstehen in der gegenseitigen Interaktion zu verstehen und die jeweiligen Anteile des Patienten und des Therapeuten heraus zu arbeiten, entsteht die Erfahrung einer gemeinsamen Arbeit an der Klärung und Überwindung eines Problems. Es entsteht eine größere Ebenbürtigkeit als in der traditionellen Technik, die die gesunden Ressourcen des Patienten fördert und die Rollenunterschiede zwischen beiden doch nicht einebnet.
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Dadurch kann der Patient sowohl seinen eigenen Anteil wie auch den des Therapeuten besser annehmen und verarbeiten, und es entwickelt sich eine Versöhnlichkeit, die den Widerstand gegen die Auflösung der Übertragung (Gill 1979) verringert. Die verinnerlichten Subjekt- und Objektbilder verändern sich konstruktiv, indem Subjekt-ObjektVerschmelzungen getrennt werden. Die introjizierten Subjekt-ObjektSchemata wurden reaktualisiert und durch die Klärung differenziert. Der Patient findet heraus, was er selbst ist und was sein Gegenüber beiträgt, und er gewinnt ein zunehmendes Gefühl der Eigenverantwortlichkeit. Durch seine Authentizität und die Bereitschaft, auch über sich selbst zu sprechen und seinen eigenen Anteil zu reflektieren und einzugestehen, gewinnt der Therapeut an realer Autorität und ist ein gutes Modell für eine konstruktive Auseinandersetzung. Primitive Idealisierung kann sich in diesem Prozess verringern, ohne dass eine zu große Enttäuschung zu einem gekränkten Kontaktabbruch führt. Es findet weder eine Entwertung des Patienten noch des Therapeuten statt, auch wenn sich zeigt, dass der Therapeut den Idealwünschen nicht entspricht und sehr menschlich und fehlbar gehandelt hat. Allerdings wird der Patient mit dieser Enttäuschung nicht alleingelassen, indem sie ausreichend und systematisch durchgearbeitet wird. Diese faire Auseinandersetzung und der allmähliche Abbau von Idealisierung führen dazu, dass der Therapeut nicht nur als idealisiertes Objekt verinnerlicht wird, was für einen gewissen Zeitraum und bei bestimmten Patienten sicherlich notwendig ist. Vielmehr wird im Rahmen solcher Übertragungsklärungen die authentische und konstruktive Interaktion mit dem Therapeuten durch den Patienten introjiziert. Durch wiederholte Erfahrungen kommt es so zur Bildung einer neuen Interaktionsrepräsentanz. (Stern 1992) Aus solchen subtilen Veränderungen in den verinnerlichten Bildern ergibt sich allmählich eine substanzielle Veränderung im Bereich des unbewussten impliziten Beziehungswissens. (Stern 2004) Durch die größere Offenheit und Gegenseitigkeit des therapeutischen Dialoges entstehen häufiger „Momente der Begegnung“ im Sinne von Stern (2004), in denen sich Therapeut und Patient in einer unerwarteten und spontanen Interaktion für einen Moment authentisch begegnen. Diese Momente bleiben für Patienten unvergessliche positive Erfahrungen (Heisterkamp 1999b) und haben für konstruktive Veränderungsprozesse eine große Bedeutung.
5. Einordnung in vergleichbare therapeutische Ansätze Diese hier beschriebene interaktionelle Zusammenarbeit zwischen Therapeut und Patient führt zwar zu einer größeren Natürlichkeit und manchmal auch realer Nähe zwischen Therapeut und Patient, sie hat jedoch keine Aufweichung der Rollenbeziehung zwischen beiden zur Folge. Beide handeln im Rahmen dieser Rollen und klären die jeweiligen Beiträge zur Interaktion. Insofern unterscheidet sie sich sehr deutlich von der mutuellen Analyse Ferenczi’s. Der Therapeut bleibt in der Rolle der therapeutischen Auto-
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rität, und die Beziehung zwischen beiden behält trotz größerer Offenheit auf Seiten des Therapeuten und der partiellen Mitteilung seiner Gegenübertragung ihren einseitigen Charakter und das für Heilbehandlung typische Gefälle. In dieser Hinsicht bestehen hier große Parallelen zu den relationalen psychoanalytischen Ansätzen von Mitchell (1997, 2000) und Ehrenberg (1992), auf die ich jedoch in diesem Rahmen nicht näher eingehen kann. Mit der durch Heigl-Evers entwickelten psychoanalytisch-interaktionellen Methode (Heigl-Evers und Ott 2002) hat sie das Prinzip „Antwort“ gemeinsam. Auch in dieser Methode stellt sich der Therapeut mehr als Realperson zur Verfügung und gibt zusätzlich zu Deutungen auch Antworten, die etwas die Subjektivität des Therapeuten durchscheinen lassen. Jedoch beinhaltet diese Methode nicht die systematische inhaltliche Klärung einer Situation in der realen Interaktion zwischen Therapeut und Patient, wie ich es hier beschrieben habe. Siegfried Bettighofer, Dipl. psych., Psychoanalytiker, Lehranalytiker und Supervisor der Münchner Arbeitsgemeinschaft für Psychoanalyse (MAP) Adresse: D-86150 Augsburg, Maximilianstraße 71 E-Mail:
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Psychoanalyse und inszenierende Interaktion: Gemeinsamkeiten und Unterschiede Jörg M. Scharff Ein Vergleich zwischen Psychoanalyse und Körpertherapie sieht sich zunächst der Vielfalt dessen gegenüber, was inhaltlich unter den jeweiligen Behandlungsverfahren verstanden wird. Was die „Körpertherapie“ angeht, beschränke ich mich hier auf ein Vorgehen, das eine Art psychodramatischer Inszenierung innerer Objektbeziehungen durch einen körperlich handelnden Bewegungsausdruck im Behandlungsraum anbietet und sich im Verständnis des interaktiven Geschehens an der Psychoanalyse orientiert. Im Folgenden spreche ich von „inszenierender Interaktion“. Bei der „Psychoanalyse“ begrenze ich mich auf das Standardverfahren, in dem einzelne Elemente – wie hohe wöchentliche Frequenz der Sitzungen, Liegen des Patienten und das Sprechen als Medium der Verständigung in dem von der Grundregel gegebenen Rahmen – sich zu einem methodischen Gesamt verbinden. Ich werde die Unterschiede im Behandlungssetting zum Ausgangspunkt nehmen, wie ich es bereits in einer früheren Arbeit getan habe (s. Scharff 1998). In meiner Zusammenfassung kam ich damals u. a. zu folgendem Ergebnis: „Sowohl das Mehr an Information über die Sinneseindrücke in der inszenierenden Interaktion als auch das Weniger an Sinnesinformation in der Psychoanalyse können von Vorteil wie von Nachteil sein.“ War die Diskussion von „Vor- bzw. Nachteilen“ damals noch enger an behandlungspraktische Überlegungen wie auch Fragen der Indikation angelehnt, werden sich meine folgenden Ausführungen noch stärker auf die qualitativ-strukturellen Unterschiede beider Verfahren konzentrieren. Figurierte in meiner früheren Arbeit noch die „psychoanalytische Situation“ mit der Analyse von Übertragung und Widerstand als gemeinsame Schnittmenge, so tritt dies in meiner heutigen Betrachtung zurück zu Gunsten einer weiter differenzierenden Klärung der Unterschiede zwischen den zwei Behandlungssettings. Mein Vergleich wird sich dabei vor allem entlang der Achse „Sinneseindruck“ versus „Vorstellung“ entwickeln.
1. Unterschiede im Setting Das klassische Behandlungssetting in der Psychoanalyse lässt sich mit Freud (1917/17, GW 11, S. 9) folgendermaßen charakterisieren: „In der analytischen Behandlung geht nichts anderes vor als ein Austausch von Worten zwischen dem Analysierten und dem Arzt“. Dabei liegt der Patient auf der Couch, ohne den hinter ihm sitzenden Analytiker zu sehen. In der psychoanalytischen
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Grundregel bekommt der Patient die Anweisung, alles zu sagen, was ihm in den Sinn kommt. Halten wir zunächst einmal diese Definition für das Setting der klassischen Psychoanalyse fest, dann unterscheidet sich die inszenierende Interaktion durch ein anderes Setting. Über den Austausch von Worten hinaus bietet das Setting hier dem Patienten wie auch dem Behandler explizit die Möglichkeit, Vorstellungen, Erinnerungen und Gefühlen dadurch Ausdruck zu verleihen, dass diese „leibhaftig“ in Szene gesetzt werden. (S. u. a. Heisterkamp, Poettgen-Havekost, Worm i. d. B.) Das Behandlungszimmer wird zu einem Bühnenraum, auf dem ein psychischer Inhalt eine leibliche Verkörperung dadurch erfährt, dass er szenisch dramatisiert und im dreidimensionalen Raum entfaltet wird. Bereits in der Settingbesprechung wird der Patient auf die Möglichkeit hingewiesen, dem, was ihn beschäftigt, nicht nur in Worten Ausdruck zu geben, sondern dies darüber hinaus durch den Einsatz des gesamten Körpers psychomotorisch im Behandlungsraum darzustellen. In Analogie dazu wird auch der Analytiker über die körperlichen Ausdrucksmittel Bewegung, Positionierung im Raum, unter Umständen auch Berührung die Szene (mit-) gestalten. Methodisch ist es so, dass durch eine bewusste Vornahme seitens des Patienten oder seitens des Analytikers etwas in Szene gesetzt wird – deswegen „inszenierende Interaktion“. Dieser differenzierende Hinweis ist wichtig, weil es selbstverständlich in allen psychoanalytischen Settings zu einer unbewusst determinierten „Szene“ bzw. „szenischen Interaktion“ kommt, wie sie von Argelander (1970) beschrieben worden ist und in diesem Band u. a. von Küchenhoff unter dem Begriff der „Körperinszenierungen“ erörtert wird. Macht der Analytiker, ihm selbst unbewusst, an einer solchen Szene „mit“, kommt es zum „Handlungsdialog“, wie dies ursprünglich von Klüwer so benannt wurde. Der gleiche Vorgang wurde von Autoren aus dem anglo-amerikanischen Raum unter dem Begriff des „Enactment“ oder bei Sandler der „role responsiveness“ beschrieben. Der Begriff des Handlungsdialogs in seiner ursprünglichen Bedeutung bezieht sich auf eine unbewusste Verstrickung des Analytikers, die die Arbeitsbeziehung zum Patienten unterwandert und zunächst nur schwer bewusst zu machen ist. Um diese spezifische Bedeutung zu wahren, spreche ich, anders als z. B. Heisterkamp und Worm (i. d. B.) deshalb bei zunächst bewusst intendierten Handlungsansätzen, auch wenn diese dann wieder vom Unbewussten überformt werden, nicht vom „Handlungsdialog“ sondern von inszenierender Interaktion. Zurück zum Vergleich mit der Psychoanalyse: Der prinzipielle Unterschied liegt, was das Setting angeht, darin, dass der Patient in der Psychoanalyse dazu angehalten ist, das, was ihn beschäftigt, in Worte zu fassen und der Analytiker seinerseits im Medium der Worte handelt, während in der inszenierenden Interaktion Patient wie Analytiker zusätzlich die Möglichkeit haben, psychischen Inhalten auch dadurch Gestalt zu geben, dass sie in einer leibhaft-dramatisierten Form szenisch verkörpert werden. Wenn die Psychoanalyse in der Kommunikation mit dem Patienten das Sprechen und Wortgeben an zentrale Stelle setzt, dann heißt dies aber nicht, worauf
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schon die Diskussion um den Handlungsdialog bzw. das Enactment aufmerksam gemacht hat, dass sich nicht auch im Sprechen ein unbewusstes miteinander Handeln realisieren würde. Wenn sich z. B. der Patient auf der Couch in einer erregten Auseinandersetzung mit seinem Analytiker befindet, dann inszeniert sich hier etwas, das durchaus einer bühnenhaften Dramatisierung analog gesetzt werden kann. Zwar werden auf der manifesten Ebene nur Worte ausgetauscht, das psychodynamisch entscheidende Moment liegt aber vielmehr in einer unmittelbaren „Behandlung“ des anderen, gleich ob dies vom Patienten oder vom Analytiker ausgeht. (Klüwer 1983) Zudem sind im Sprechen selbst vielerlei paralinguistische Momente enthalten oder anders ausgedrückt: das Sprechen macht Anleihen aus anderen „Sprachen“ wie etwa der Musik und dem Tanz. Alles Sprechen ist also untrennbar mit einem musikalisch-tänzerischen Anteil verbunden, der, etwa über die Intonation und den Sprachrhythmus, das Gesprochene kommentiert und ergänzt. (Scharff 2005, S. 1051 f.) Auch ohne Sprechen erfassen Analytiker und Patient etwas vom Atemrhythmus des anderen. Das Liegen auf der Couch nähert zudem eine körperlich-regressive Verfassung an, wobei die räumliche Positionierung – der Patient liegt, der Analytiker sitzt hinter dem Patienten – etwa ein Kind/Elternverhältnis zu analogisieren vermag. Die Differenz zur inszenierenden Interaktion liegt also nicht etwa in der Bestimmung, dass in der Psychoanalyse gesprochen und in der inszenierenden Interaktion gehandelt werde, beziehungsweise darin, dass es im Ersteren um Worte und im Letzteren um den Körper gehen würde. Sie liegt vielmehr darin, dass das körpertherapeutische Setting explizit der Verständigung mit den Worten ein weiteres Medium an die Seite stellt, nämlich das der körperlichen Inszenierung und des in dieser Weise handelnden Umgangs miteinander. Entlang verschiedener Themenbereiche sollen nun im Folgenden die Auswirkungen dieser Differenz im Setting dargestellt werden.
2. Zur Aktivität des Therapeuten Die Vorgänge in der psychoanalytischen Situation werden heute oft so beschrieben, dass der Analytiker, der seinem Patienten zuhört, dessen psychisch unverdautes Material in sich aufnimmt und über seine Teilhabe und sein Sinnverstehen dem Patienten verarbeitbar macht. Dadurch, dass es dem Analytiker möglich wird, einen bisher unerschlossenen Sinn zu finden, strukturiert sich das psychische Material in neuem Kontext. Die auf diesem Vorgang aufbauende Deutung macht dem Patienten bisher Unverstandenes seelisch verdaubar und potentiell einer psychischen Integration zugänglich. In dieser Beschreibung figuriert der Analytiker als zunächst mehr passiv aufnahmebereiter „Container“ der psychischen Problematik des Patienten. Doch übt der Analytiker selbst in vielfältiger Weise aktiv einen Einfluss auf das Wie und Was dessen aus, was der Patient in der Stunde zur Sprache bringt. So schließt schon Freud an den oben zitierten Satz an: „Der Patient spricht, erzählt von vergangenen Ereignissen und gegenwärtigen Eindrücken, klagt, bekennt seine Wünsche und Gefühlsregungen. Der Arzt hört zu, sucht die Gedankengänge des Patienten zu dirigieren, mahnt, drängt seine Aufmerksamkeit
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Jörg M. Scharff nach gewissen Richtungen, gibt ihm Aufklärungen und beobachtet die Reaktionen von Verständnis oder von Ablehnung, welche er so beim Kranken hervorruft.“ (Ebend.)
Auch wenn heute wohl kaum jemand so unverblümt das analytische Zuhören mit einem Dirigieren, Mahnen, Drängen verbunden sehen wollte: Freud formuliert hier den aktiv gestaltenden Anteil des Analytikers. Dieser Einfluss macht sich bereits an dem Punkt bemerkbar, an dem der Analytiker sich entscheidet, eine bestimmte Äußerung aufzugreifen oder eben nicht. Unbewusst könnte der Patient auf diesen unvermeidbaren Auswahlprozess z. B. reagieren mit dem Gefühl, dass die Thematisierung mancher Inhalte akzeptabler und die anderer wohl weniger erlaubt sei. Gelegentlich mag der Analytiker seinen Patienten regelrecht zu stoppen versuchen, wenn er etwa bemerkt, dass der Patient ja pausenlos rede. In anderen Momenten wird der Analytiker versuchen, wie eine Art Türöffner zu fungieren, wenn er den Patienten fragt, was ihm denn zu dem oder jenem noch einfalle? Auch wenn dies dem Analytiker vielleicht nicht immer bewusst ist, gibt er durch seine Art der Akzentsetzung vielerlei Handlungsanweisungen. Und auch was seine eigenen Interventionen angeht, wird sich der Analytiker z. B. in bestimmten Situationen zu besonderer Geduld anhalten, in anderen zu besonderer Zurückhaltung und Einfühlung, in wieder anderen zu einer gewissen Strenge und Entschiedenheit. Somit gilt: was der Patient in der Psychoanalyse zur Sprache bringt, ist feldabhängig und damit auch durch die Aktivität des Analytikers mitbestimmt. (S. u. a. Ferro 2003, S. 251 ff.) In der inszenierenden Interaktion kommt als spezifische Aktivität seitens des Therapeuten nun die Initiative zur körperlichen Gestaltung eines szenischen Fragments im Behandlungsraum hinzu. Eine typische Intervention ist etwa: „Wie wäre es, wenn Sie … (einem Gefühl, einer Vorstellung, einer Erinnerung, einem Wunsch) einmal unmittelbar körperlichen Ausdruck verleihen?“ Oder/und: „Wie würde sich das … in einer entsprechenden Szene zwischen uns körperlich ausdrücken?“ Es kann auch sein, dass der Behandler die körperliche Inszenierung als Folge eines entsprechenden Gegenübertragungsgefühls zunächst einmal mit der eigenen „Aktion“ beginnen lässt: „Wie wäre es, wenn ich mich etwas mehr in Ihre Nähe setze (und Sie unter Umständen meine Hand halten können?“), oder: „Wie wäre es, wenn ich mich einmal so vor Sie stelle, wie Sie es mir gerade von Ihrem Vater geschildert haben?“
3. Zur Wahrnehmungszentrierung Der Patient, der sich in der Psychoanalyse seinen freien Assoziationen überlässt, zentriert seine Wahrnehmung nach „innen“. Dabei mag er sich mit Begebenheiten aus seiner alltäglichen Umgebung, mit Erinnerungen aus der Vergangenheit oder seiner Beziehung zum Analytiker beschäftigen. Der Analytiker wird schließlich einen Aspekt des Gesagten aufgreifen – als kommentierender, akzentuierender, fragender oder deutender „Teilnehmer“ der jeweiligen Szene. Wird ein Thema in der Übertragung aufgegriffen, dann haben es Patient und Analytiker, was ihr jeweiliges Erleben von ihrem Umgang miteinander angeht, direkt miteinander zu tun. Die Situation kann mit starken Gefühlen verbunden sein, die sich womöglich auch mit bildhaften Vorstellungen aufladen – ich betone hier die Vorstellung, da sich beide Protagonisten nicht im direkten Blickkontakt miteinander befinden und insofern in einem intermediären Raum interagieren.
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In einem körpertherapeutischen Setting mag die Stunde einen ähnlichen Ausgangspunkt haben. Als Folge der Intervention des Behandlers oder des „freien“ körperszenischen Einfalls des Patienten gibt es nun aber die Entscheidung, bisher nur Vorgestelltes oder Geahntes quasi im „Außen“ auf der Bühne körperszenischer Interaktion Gestalt annehmen zu lassen. Dieser Schritt gibt dem Wahrnehmungsfeld eine andere Struktur. Nehmen wir an, der Patient versucht, über eine bestimmte Situation mit seiner Mutter eben nicht nur zu reden, sondern diese auch im Medium eines gesamtkörperlichen Ausdrucks darzustellen. Der Behandler bekommt nun eine Fülle von Informationen, die sich alle über das visuelle Wahrnehmungsfeld erschließen. Wo positioniert sich der Patient räumlich im Zimmer, stellt er sich zum Beispiel mit dem Rücken an die Wand? Was vermittelt die Körperhaltung – wirkt der Patient gedrückt, verschlossen, trotzig, aufbegehrend usw.? Zu betonen ist, dass diese Informationen in einer bildhaft sinnlichen unmittelbaren Gesamtgestalt sofort als Ganzes gegeben sind. In der Psychoanalyse transportiert sich über die Art und Weise, wie der Patient spricht (gedrückt, verschlossen, trotzig, aufbegehrend) zwar ebenfalls eine solche gesamthafte Information, jedoch nicht im Medium bildhafter Unmittelbarkeit. In der körpertherapeutischen Szene hat der Patient dem Behandler bereits über diesen unmittelbaren Gesamteindruck viel „mitgeteilt“, was er in der Psychoanalyse, zwar eingekleidet in den tonalen Gestus, eher sequenziell über die Aufeinanderfolge der Worte und Sätze vermitteln wird. Vorausgesetzt, er ist dazu bereit, kann der Patient, der im körpertherapeutischen Setting auf die Wahl seines Ortes und seine Körperhaltung vom Behandler aufmerksam gemacht wird, Einsichten gewinnen, die eine große Überzeugungskraft haben. Was man im Behandlungsraum „getan“ hat – etwa, indem man den Platz mit dem Rücken zur Wand wählte – lässt sich nicht einfach wegdiskutieren und der selbst noch einmal nachgefühlte und bewusst gemachte Körpergestus „objektiviert“ in sehr eindrücklicher Weise einen vorher vielleicht nicht bewusst gefühlten Affekt. (s. u. a. Worm i. d. B.) In ähnlicher Weise gilt dies auch für die Beobachtung und Bewusstmachung prozeduraler Aspekte bei der Konfrontation mit einem Thema. Das Zögern, Einhalten, Über-etwas-Hinweggehen und etwas Fallenlassen etwa, das auch der Psychoanalytiker und sein Patient in der Entwicklung des Materials registrieren können, wird in der körpertherapeutischen Szene auf psychomotorischer Ebene beiden Beteiligten direkt sichtbar. Der Patient kann zum Beispiel unmittelbar feststellen, wie sich, kaum dass ein bestimmtes Thema berührt ist in seiner Beziehung zur Mutter, sein Kopf senkt, der Atem kürzer wird und Arme und Hände sich in einem verschließenden Gestus versteifen und er wird sich in späteren Momenten der Reflexion und des Durcharbeitens an diesen Ausdruck des Widerstands gut erinnern können. Der Behandler wiederum, der die Mimik, die Atmung und den Körperausdruck des Patienten im Blick hat, kann minimale Veränderungen aufspüren, die sich längst eingestellt haben, ehe der Patient, wenn er dazu überhaupt in der Lage ist, sie in Worte fassen kann. Dies ermöglicht dem Behandler auf dieser Ebene in engem Kontakt mit seinem Patienten zu bleiben und die Wirkung seiner Interventionen zu verfolgen. Falls er den Patienten in der körpertherapeutischen Szene
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auch berührt, kommen dazu noch die vielfältigen Informationen über den Tastsinn hinzu wie Druck, Wärme, Feuchtigkeit usw.. Zugleich ist festzuhalten, dass diese Informationen nicht nur in eine Richtung gehen, sondern dass auch der Patient vielerlei unmittelbare Eindrücke vom Behandler aufnimmt. Während in der Psychoanalyse die sinnliche Beeindruckung durch den Analytiker über das stimmliche Medium erfolgt, kommen in der inszenierenden Interaktion der visuelle und gegebenenfalls der Berührungseindruck hinzu. Unter dem Blickwinkel der sinnlichen Information betrachtet, nimmt der Behandler in der inszenierenden Interaktion eine konturiertere Präsenz ein. Unmittelbar evident wird dies über die Tatsache, dass ein Patient in einer Analyse bei einem männlichen Analytiker durchaus erleben und sagen kann: „Sie haben gerade genauso gesprochen wie meine Mutter!“ Patient und Analytiker befinden sich hier in einem Raum fließender Übergangsgestalten, der es erlaubt, die je aktualisierte psychische Matrix mit eigenen bildhaften Vorstellungen zu besetzen. In der inszenierenden Interaktion arbeitet der Behandler, um den Vergleich fortzusetzen, in einem Raum mit definierteren Konturen, so dass sich zum Beispiel sofort Probleme ergeben, wenn ein männlicher Therapeut eine weibliche Figur aus dem inneren Szenario des Patienten verkörpern möchte. Er muss dann zu anderen Mitteln greifen, indem er etwa, wie es die Gestalttherapie tut, konkrete Objekte im Raum (Stuhl, Kissen, andere Einrichtungsgegenstände) zu symbolischen Verkörperungen von Aspekten einer Person macht und ihnen dann unter Umständen seine Stimme leiht oder den Patient in unterschiedlichen Rollenverkörperungen selbst von einer Position in die andere wechseln lässt. Die sinnliche Vieldimensionalität und Unmittelbarkeit der inszenierenden Interaktion hat also auch ihre Kehrseite, insofern als die Bindung an das jeweils sinnlich Vorgefundene den Raum für die interaktive Entfaltung psychischen Materials wiederum auch begrenzt. Gelegentlich schließen Patienten deshalb auch die Augen und schalten damit den visuellen Kanal aus, um mehr zu ihren eigenen Bildern zu finden. Der Beziehungsraum der Psychoanalyse ist unter diesem Aspekt mittelbarer, von der direkten Beziehung ein Stück mehr entlastet und darin auch wieder beweglicher. Der Patient in der Psychoanalyse wechselt, sofern er den Raum der freien Assoziation nutzen kann, unter Umständen in rascher Folge von einem zeitlichen und räumlichen Ort zum anderen. Die inszenierende Interaktion, insofern sie anbietet, dass ein psychischer Inhalt eine konkrete Verkörperung in einer leiblichen Dramatisierung erfährt, hält den Patienten quasi für eine Weile in einer verlangsamenden Prozedur an. Die Aufmerksamkeit kann sich jetzt, zumindest am Anfang, ausschließlich auf diese Szene und nichts anderes konzentrieren. Weiterhin: Da das szenische Fragment sich sowohl in der räumlichen Positionierung wie über den Bewegungsausdruck realisiert und im Körpergedächtnis auch entsprechend gespeichert ist, kann eine Sequenz zum Gewinn von Einsicht zum Beispiel auch noch einmal wiederholt werden. „Wiederholen Sie noch einmal, was Sie gerade gemacht haben“ ist eine geläufige körpertherapeutische Intervention. Entsprechende Interventionen in der Psychoanalyse würden den Patienten vielleicht dazu anhalten, noch einmal dem nachzuhören, was und wie er gerade etwas gesagt hat, aber es wäre eher eine Ausnahme,
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wenn der Analytiker sagen würde: „Wiederholen Sie das noch einmal!“ Neben der Möglichkeit zur spezifischen Einsicht mittels dieser Wiederholungsform bietet die inszenierende Interaktion darüber hinaus die Möglichkeit, in der direkten Wiederholung von Szenen genau auszuleuchten, was einer anderen Lösung im Wege steht bzw. schließlich auch alternative Erlebensweisen und Lösungen versuchsweise auszuprobieren. Das „Weniger“ bzw. „Mehr“ an sinnlichem Input in Psychoanalyse bzw. inszenierender Interaktion dürfte bei der Rekapitulation dissoziierter traumatischer Fragmente eine Rolle spielen. Obwohl – gelegentlich allein durch das Liegen – auch in der Couchsituation Traumapassagen reaktualisiert werden, ist die Erinnerung traumatischer Ereignisse in der Psychoanalyse mitunter eher blass, oder sie kommt aufgrund eines Zufallsereignisses in der äußeren Realität (Person und Klar 1994, S. 1065) zustande bzw. sie realisiert sich über komplexe (Um-)Wege vermittels der Gegenübertragung (Hartke 2005, S. 275 f.) oder sie stellt sich auch gar nicht ein. Es sind nämlich bestimmte Bereiche der Traumaerfahrung unter Umständen nicht über die psychische Bewegung im symbolischassoziativen Verknüpfungsraum zugänglich, da sie – eine Traumafolge – dissoziiert sind. Sie werden mitunter aber über analoge sinnliche Außenreize im Sinne von „Flash-back“-Erfahrungen „getriggert“. Das körpertherapeutische Setting mit seinen visuellen wie gegebenenfalls auch haptischen Reizen vermag hier eine Vielfalt sinnlicher Stimuli anzubieten, über die traumatische Situationen, unter Umständen auch sehr frühe Traumatisierungen, rekapituliert werden. (Heisterkamp 1993, S. 108 f.) Ist ein Traumazustand reaktualisiert, wird es darum gehen, dass der Patient Aspekte der Erfahrung in der Begleitung des Therapeuten durchleben kann, ohne sie erneut dissoziieren zu müssen. In der Psychoanalyse wird der Analytiker den dazu notwendigen Halt über seine ruhige, aufmerksame Präsenz und/oder seine begleitenden Worte zu vermitteln versuchen. In der inszenierenden Interaktion kann der Patient bei seinem Therapeuten den unter Umständen auch als notwendig empfundenen konkreten körperlichen Halt finden, der es möglich macht, zwischen schützender Begleitung und Traumaexposition hin und her zu oszillieren und sich auf diese Weise dem Trauma in vertiefter Weise auszusetzen. (Zum Pro und Contra etwa des Händehaltens s. die Diskussion bei Casement 2000) Die sinnlich-körperliche Erlebnisdimension im Setting der inszenierenden Interaktion vermag also latente psychische Inhalte in einer oft starke Affekte auslösenden Weise zu mobilisieren und u. U. eine Form der Erschütterung und tiefsten Weinens auszulösen, die vorher dem Patienten so nicht zugänglich waren. Zugleich verfügt der Therapeut auch über die Möglichkeit, im mehrdimensionalen Raum sinnlicher Erfahrung alternative Möglichkeiten anzubieten. Ganz allgemein können innere Gewissheiten und unbewusste Überzeugungen über die sinnliche Erlebnismatrix der inszenierenden Interaktion unmittelbar so infrage gestellt werden, dass sich der Patient einer neuen Sichtweise nicht entziehen kann. Wo der Patient zum Beispiel die Bedeutung der kriegsbedingten Abwesenheit seines Vaters in seiner Kindheit bisher verleugnete, vermag er, eine entsprechend symbolisch konfigurierte Szene vorausgesetzt, in eindrücklicher Weise festzustellen, welchen Unterschied es in seinem Erleben macht, wenn er sich seiner Mutter alleine gegenübersieht, oder wenn seine Mutter in sinnlich greifbarer symbolischer Verkörperung ihren Mann an ihrer Seite hat.
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Auch im Bereich omnipotenter Überzeugungen kann der Patient im körpertherapeutischen Setting eine wirkungsvolle Konfrontation erleben, wenn der Patient z. B. glaubt, es gebe niemanden, der ihn halten, begrenzen oder seiner Verführung widerstehen beziehungsweise seiner körperlichen Aggression standhalten könne. Es ist möglich, dass der Behandler im Rahmen seiner körpertherapeutischen Intervention in den Nahraum des Patienten eintritt. Während in der Psychoanalyse der äußere Abstand zwischen Patient und Analytiker über das Couch/Sesselarrangement reguliert ist und konstant bleibt, geht der Körpertherapeut mit seinem Patienten unter Umständen eine körperliche Nähe ein, wie sie in positiver Konnotation sonst nur in der frühen Eltern-Kindbeziehung oder zwischen Liebenden oder in den unterschiedlichsten professionellen Situationen wie etwa beim Arzt oder Schneider gegeben ist. Was der Patient in der Psychoanalyse als Vorstellung oder Phantasie äußern mag, dass er das Gesicht, die Brust, die Hand des Analytikers ganz nahe bei sich haben möchte, wird womöglich in der inszenierenden Interaktion auf der Ebene einer symbolischen Handlung real in Szene gesetzt. Eine solche sinnliche Konfiguration, die auch in verstärkter Weise das Geruchsempfinden mit einbezieht, kann zum mächtigen Auslöser einer Regression in frühkindliche Erlebniswelten werden bzw. den dagegen gerichteten Widerstand erfahrbar machen. In der Psychoanalyse werden diese Welten, sind sie denn formulierbar, darüber zugänglich, dass sie seitens des Patienten oder des Analytikers in Worten beschrieben werden, die entsprechenden Vorstellungen und Phantasien Ausdruck geben. Außerdem hat der Patient eine spezifische Möglichkeit, mit körperlichen Beziehungen und deren Modalitäten zu experimentieren: er kann phantasieren und träumen, und seine Phantasien und Träume in der Stunde erzählen. Der Patient hat dabei vielerlei Möglichkeiten zu regulieren, wie viel er seinem Therapeuten von seinen im Inneren gehegten Wünschen offenbaren will. Er kann den Traum oder entsprechende Tagtraumvorstellungen zum Beispiel vergessen, er kann bestimmte Teile nicht erzählen, oder erst nach und nach in Worte fassen. Schätzt der Körpertherapeut eine Intervention im Nahraum seines Patienten als angemessen ein, dann muss er sich darüber im Klaren sein, dass der Patient ihm wesentlich ungeschützter ausgesetzt ist. Ein vorsichtiges Fragen dient oft als Regulativ und das Mindeste ist, dass der Patient, der die konkrete Annäherung des Therapeuten wünscht oder einem entsprechenden Vorschlag des Therapeuten folgt, die Möglichkeit haben muss, sich in ebenso konkreter Weise vom Therapeuten abzuwenden. Es ist aber nicht gesagt, dass jeder Patient solche bewussten Regulative in angemessener Weise verwenden kann, so dass der Therapeut in besonderer Weise auf Anzeichen einer Überstimulierung zu achten hat. Ansonsten müsste der Patient auf Abwehren wie die Flucht nach vorn bzw. Verleugnung und Spaltung zurückgreifen. Ob es nun der Blick ist – der bekanntermaßen ja auch berührt und möglicherweise mit dem Gefühl des Unterworfen- und Objektiviertseins einhergehen kann – oder die direkte Berührung im körpertherapeutischen Setting: Hier verschärft sich eine Polarität, die allen therapeutischen Situationen eigen ist. Es ist der Gegensatz zwischen dem Wunsch, vom Anderen gesehen, erkannt, verstanden zu werden und der Angst davor, ausgesetzt zu sein und nicht über die
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Möglichkeit zu verfügen, sich vor dem Anderen zu verbergen. (Winnicott 1974, S. 59 f.) Ob man es nun von der philosophischen Seite her betrachtet, („Das Antlitz ist exponiert, bedroht, als würde es uns zu einem Akt der Gewalt einladen.“ Levinas 1992, S. 65), oder ob man es von dem infantilen Fantasma her ableitet, dass die Eltern alles wissen und sehen können, was in einem selbst vorgeht: Tatsache ist, dass im körpertherapeutischen Setting Aspekte der psychischen Befindlichkeit des Patienten sich in einem Situationskontext manifestieren, der ihn dem Blick des Therapeuten aussetzt. Dies gilt im Übrigen auch für eine psychoanalytische Therapie, die im Gegenübersitzen stattfindet. Die gegenseitige Exposition im visuellen Wahrnehmungsfeld hat hier z. T. ähnliche Folgen. Ein bedeutsamer Unterschied liegt aber darin, dass die „Gesprächssituation im Gegenüber“, was die hier eingesetzen Regulative angeht, sich an viele entsprechende Alltagssituationen anlehnen kann. Bei der inszenierenden Interaktion hingegen fühlt sich der Patient im unmittelbaren körperlichen Ausdruck eines Fantasmas, im Raum „nackter“ Darstellung, vom Analytiker gesehen. (S. a. Worm i. d. B.) Hier wird der Unterschied zum Setting der Psychoanalyse besonders deutlich, wo der Patient seine Phantasien im Vermittlungsraum der Vorstellungen artikuliert. Die sinnliche Nähe und Unmittelbarkeit im körpertherapeutischen Setting, in der der Wirkraum sich (zunächst) vor den Denkraum schiebt, müssen deshalb nicht unbedingt mit einer gesteigerten Möglichkeit einhergehen, sich über das intim Innerliche zu verständigen und sich darin therapeutisch produktiv zu berühren. Es kann sich auch eine Art von Befangenheit an der Oberfläche und deren Aufdringlichkeit einstellen, die für eine weitere Vertiefung geradezu kontraproduktiv ist, vielleicht aber überspielt und durch komplexe Abwehren überdeckt wird. Die größere sinnliche Unmittelbarkeit im körpertherapeutischen Setting ist also keineswegs eine Garantie für eine Vertiefung des Prozesses, sondern sie muss dialektisch begriffen werden als eine Möglichkeit, die dies herbeiführen, aber auch verhindern kann. (S. a. Ranefeld 2004)
4. Die Behandlungssituation und das Sexuelle Die Psychoanalyse bietet dem Patienten einen Raum, in dem er seine infantile Lust und die mit ihr verbundenen unbewussten Fantasmen und Ängste aufspüren kann. Es geht ganz explizit um die körperliche Lust, die ihre Zentrierung in den erogenen Zonen hat und die, nicht zuletzt dadurch, dass sich diese Lust in das ödipale Fantasma hinein formuliert, unweigerlich konflikthaften Charakter annimmt, was mit Verdrängung und Unbewusstheit einhergeht. In einer bestimmten Phase des psychoanalytischen Prozesses mag eine Patientin mehr oder weniger verdeckt träumen, oder schließlich als mehr oder weniger vage tagtraumhafte Wunschphantasie äußern, den Penis des Analytikers zu sehen und/oder anzufassen. In der Welt des (Tag-)Traums kann die Patientin, sicherlich nicht ohne regulierende Widerstände, mit allen polymorphperversen Facetten lustvoll-infantiler Körperfantasmen „leibhaft“ experimentieren und die psychoanalytische Grundregel gibt ihr dazu explizit den Raum: „Sagen Sie alles, was Ihnen in den Sinn kommt…“. Würde man die psychoanalytische Grundregel eins zu eins auf die Möglichkeit körperlich-expressiven Ausdrucks im Setting der inszenierenden Interaktion übertragen, dann würde die Regel lauten: „Tun Sie alles, was Ihnen in den
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Sinn kommt…“. Es zeigt sich sofort, egal, ob es um die Realisierung libidinössexueller Tendenzen oder aggressiver Impulse geht, dass dies so nicht möglich sein kann. Hier wird deutlich, dass die Vorgänge im körpertherapeutischen Raum einer größeren Regelung bedürfen, eben weil hier zusätzlich zur Verständigung über die Worte die Möglichkeit zum direkten körperlichen Ausdruck gegeben ist. Der psychoanalytische Raum, der auf die Kommunikation mittels der Worte anzielt, bietet unter diesem Gesichtspunkt dem Patienten fraglos einen viel größeren Entfaltungsraum, als er in der sinnlichen Unmittelbarkeit der körpertherapeutischen Szene gegeben ist. Das Berühren, das Erfassen, das Gesehenwerden in einer sexuellen Lust kann hier ja nicht konkret vor sich gehen. Die Verständigung über Worte, die zwar auf diesen sinnlichen Hintergrund anspielen, ihn als Resonanzgrund in sich enthalten und zugleich überschreiten, in dem sie sich vom Konkreten lösen, ist hier das angemessene Medium. (Anzieu 1991, S. 184 ff.) In diesem Medium wird sich der Körpertherapeut, ist eine entsprechende Thematik aktualisiert, mit seinem Patienten auch zu verständigen versuchen. Dabei ist die Frage, ob es allen Patienten so problemlos gelingt, zwischen den beiden Verständigungsebenen zu unterscheiden und ob nicht die Möglichkeit, sexuelle Phantasien zu äußern, darunter leidet, dass im körpertherapeutischen Setting Handlungsoptionen nicht ausgeschlossen sind – was auf der unbewussten Ebene ja gerade den Wünschen und Ängsten des Patienten entgegenkommt. Dass sich der Patient im körpertherapeutischen Setting dem Blick des Behandlers darbietet wird, wo infantil sexuelle Themen berührt sind, Regelungsnotwendigkeiten nach sich ziehen, weil Patient und Behandler der stets andrängenden voyeuristischexhibitionistischen Triebkomponente stärker ausgesetzt sind als im klassischen Setting. Es wird, um jenen intermediären Raum herzustellen, dessen das Sexuelle zur Transformation in einem Erkenntniszusammenhang bedarf, der Blickeinschränkung bedürfen – ansonsten drohen Vermeidung, Verleugnung oder auch Traumatisierungen. Es sind hier Veränderungen auf der Verhaltensebene, die notwendig sind. Dies wird besonders deutlich, wenn der Behandler im gegebenen Kontext spüren sollte, dass bei ihm Anzeichen einer sexuellen Erregung sichtbar werden könnten. Der Analytiker in der Psychoanalyse muss in einem solchen Fall nicht direkt etwas tun, sondern kann sich mit seiner Reaktion innerlich auseinandersetzen, sie allerdings auch leichter verleugnen. Der Behandler im körpertherapeutischen Setting wird zunächst einmal zu irgendeiner Verhaltensmaßnahme greifen, die Abstand schafft. Die Analyse seiner Gegenübertragung wird ihm hier viel unmittelbarer abverlangt –was die Frage aufwirft, wie gut man sich selbst analysieren kann, wenn man droht, „nackt“ dazustehen? Wenn es um den Bereich der mit der infantilen Sexualität (Freud 1905) verbundenen unbewussten Fantasmen geht, dann stellt sich hier wiederum die Frage, was man davon eigentlich sehen kann? Dem Blick des Körpertherapeuten wird sich eine Anspannung, eine Erregung, die dem Patienten womöglich unbewusst ist, visuell darbieten. Der Körpertherapeut erfasst also etwas dem Patienten Unbewusstes. Erfasst er damit aber „das Unbewusste“, hier im Sinne des unbewussten sexuellen Fantasmas? Er kann sehen, was dem Leib geschieht,
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wie der Leib auf etwas reagiert, aber kann er sehen, was der Patient unbewusst phantasiert, was er sich „denkt“? Nehmen wir an, ein sexuell gehemmter Patient berichtet in der Psychoanalyse, dass ihm gelegentlich eine Kindheitserinnerung einfällt, die er selber als merkwürdig klassifiziert. Immer wenn er sich als Fünfjähriger gemeinsam mit seinem Freund pinkeln sieht, meint er, der Freund würde Blut pinkeln, weil ihm dessen Urinstrahl rötlich verfärbt erscheint. Er hat dies deutlich als bildhaften Eindruck vor sich, obwohl er es selber nicht richtig glauben mag, weil der Freund ja dann hätte schwer krank sein müssen, wofür es aber sonst keine Anzeichen gab. Dem Analytiker kommt der Einfall, ob der Freund des Patienten beim Pinkeln vielleicht die Vorhaut zurückgeschoben haben könnte, so dass der rötliche Eindruck von der freiliegenden Eichel stammte. Er äußert diese Vermutung und knüpft daran die Frage, ob das eigentliche Problem für den Patienten nicht gewesen sein könnte, in welcher Freizügigkeit der Freund mit seinem Penis umging. Er spielt damit indirekt auf den Masturbationskonflikt des Patienten an, was zu der Verschiebung der Wahrnehmung mit einer gleichzeitigen Angst- und Bestrafungskomponente geführt hatte. Der Patient bestätigt die Annahme des Analytikers sofort und sieht jetzt die Szene vor sich, wie sie wirklich war. Entscheidend ist hier, dass die zunächst erinnerte Wahrnehmung des Patienten durch das Wirken einer inneren Phantasie bestimmt war, letztlich also durch das, was sich der kleine Junge im Kontext der Lust des gemeinsamen Pinkelns unbewusst „dachte“ und mit welchen problematischen Körperfolgen sich dies für ihn unbewusst verband. Der Psychoanalytiker verhilft seinem Patienten zur realen Wahrnehmung und vor allem zu einem Stück Selbsterkenntnis dadurch, dass er eine mögliche unbewusste Phantasie im Hintergrund ausmacht. Dies realisiert sich über einen mentalen Vorgang im Analytiker, der ohne eine vorangegangene Zerstörung des bildhaft Vorgegebenen nicht möglich wäre. Die unbewusste Phantasie lässt sich nicht sehen, sie lässt sich in der hier vorliegenden Verdichtung nur erschließen, und sie verweist auf das infantile „Denken“ mit dem ihm inhärenten Konfliktpotenzial. In gewisser Weise ist dies ein umgekehrter Prozess als der typisch körpertherapeutische Prozess: Während im letzteren Fall über die Wahrnehmungsebene eine Vertiefung der Erkenntnis in Gang gesetzt wird, ist es hier genau umgekehrt – es ist die Deutung einer infantilen Phantasie, die die Erkenntnis vertieft. Da die Fakten der körpertherapeutischen Szene zunächst einmal um die sinnliche Wahrnehmung und den damit verbundenen Affekt herum organisiert sind, haben diese Fakten erst einmal einen schlichteren, wenn man so will „eindimensionaleren“ Charakter als die Fakten der psychoanalytischen „Wahrnehmung“. Die Erkenntnisobjekte der Psychoanalyse entspringen einer Art fantasmatischem Halbdunkel und es offenbaren sich in ihnen die merkwürdigsten Konstruktionen und eigenartigsten Bildungen, die dem Traumhaften und dem Primärprozess mit seinen Vorgängen der Verdichtung und Verschiebung näher stehen als die Prozesse, die durch die unmittelbare sinnliche Wahrnehmung organisiert sind.
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5. Der Zugang zum Unbewussten Aus den bisherigen Erörterungen dürfte ersichtlich geworden sein, dass meiner Auffassung nach das psychoanalytische Setting eine größere Affinität zu und Transparenz für das Aufscheinen komplexer Gestalten im Bereich unbewusster Fantasmen hat. Die größere Nähe zum Primärprozess – will man diesen nicht nur über die Affektualisierung oder Bildhaftigkeit definieren, sondern auch über weitere formale Merkmale wie die Verdichtung und Verschiebung – geht dabei auch einher mit der uneingeschränkten Beweglichkeit in Raum und Zeit. Der Patient kann sich in einer kurzen Sequenz aus der Gegenwart in die Vergangenheit bewegen, aus der Hier-und-Jetzt-Situation in der Übertragung zu einer Szene im äußeren Alltag übergehen und von dort wieder zurückkehren zu einer Erinnerung oder einem Traumfragment von vor zwei Monaten. In ähnlicher Weise kann man die Positionierung des Analytikers als „frei-beweglich“ definieren („gleichschwebende Aufmerksamkeit“, Freud 1912, S. 377), so dass sich ihm verschiedene Szenen aus ganz verschiedenen Zeiten zu einem Thema verdichten können oder ihm umgekehrt ein thematischer Kern in vielerlei Kontextualisierungen etwa der in Übertragung, dem gegenwärtigen Alltag draußen oder der kindlichen Erfahrungswelt des Patienten sichtbar wird. Der Austausch in der analytischen Situation realisiert sich also in vielerlei virtuellen Zeitebenen und Beziehungs-Dialekten. (Ferro 2002, S. 46 ff.) Alle diese Bewegungen sind im Prinzip auch in der körpertherapeutischen Szene möglich und geschehen dort auch. So kann etwa ausgehend von einer spezifischen sinnlichen Konfiguration eine vergangene Szene in ganz besonderer Eindrücklichkeit wieder präsent werden. Die sinnliche Unmittelbarkeit, die hier zum Vorteil gereicht, hat aber auch die Eigenschaft, dass sich über die Sinnlichkeit eine Art Anker bildet, der Veränderungen innerhalb der szenischen Konfiguration gegenüber ein Trägheitsmoment schafft. Die Veränderung kann dann entweder nur in der Phantasie geschehen, oder es bedarf einer äußeren Änderung des Arrangements, der jeweilig inszenierten Rolle usw. Man kann sich den letztgenannten Unterschied auch noch einmal verdeutlichen, wenn man den Ablauf eines Traums oder Tagtraums mit dem Ablauf einer körpertherapeutischen Szene vergleicht. Nimmt man den Albtraum mit seinem Versagen der Traumarbeit aus, dann hat der Patient während der traumhaften Aktivität stets die Möglichkeit über einen Szenenwechsel das Thema zu beenden oder in einer neuen Variante anzugehen. (Moser 2002, S. 227) Die Übergänge erfolgen entsprechend den jeweiligen Abwehr- oder Darstellungsnotwendigkeiten im Raum bildhafter Vorstellung. Ein analoger Prozess in der inszenierenden Interaktion ist nur dadurch möglich, dass über eine psychomotorische Aktion seitens des Patienten oder des Therapeuten das szenische Arrangement umgestellt oder die Szene neu definiert wird beziehungsweise die Rollen modifiziert werden. Besonders da, wo die körpertherapeutische Szene auf der Externalisierung negativ konnotierter Beziehungsaspekte aufbaut, liegt es in der Logik prozessualer Entwicklung, will sie über die reine vertiefende Exposition hinausgehen, dass im szenischen Arrangement ein konkretes Moment der Veränderung eingeführt wird. Der in der sinnlichen Wirklichkeit verankerte bildhafte Charakter der Szene könnte sonst allzu leicht in eine reine Wiederholung münden.
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Unter diesem Aspekt unterliegt die körpertherapeutische Szene stärker einem Handlungs-/Veränderungsdruck als die Szene in der Psychoanalyse, bei der eine problembehaftete Szene in der negativen Übertragungsneurose (s. u.) auch einmal länger „stehenbleiben“, in allen Details erkundet und gehalten werden kann.
In der körpertherapeutischen Szene ist der Druck in Richtung einer neuen Konfiguration, einer in dieser Hinsicht „gesättigten“ Gestalt größer. Von daher dürfte es kein Zufall sein, dass etwa in dem von Pesso entwickelten Verfahren psychodramatischer Inszenierung in der Gruppe die szenische Entwicklung auf eine Umkehrung der ursprünglichen Defizit- beziehungsweise Traumasituation angelegt ist, so dass der Patient am Schluss eine Erfahrung macht, wie sich Eltern idealerweise in einer solchen Situation verhalten hätten. (Moser und Pesso 1991)
Vielleicht ist die settingbedingte größere Affinität zum Abschluss in einer „guten Gestalt“ auch ein Faktor, der erklärt, warum im körpertherapeutischen Setting in der Regel in einer Frequenz von ein bis zwei Wochenstunden gearbeitet wird. In zugespitzter Form lässt sich dieser Unterschied auch noch einmal verdeutlichen, wo sich beim Therapeuten in einer Szene mit körperlicher Berührung eine sexuelle Erregung andeutet. In der körpertherapeutischen Situation muss jetzt etwas geschehen, das entweder zum Verschwinden oder zum Verbergen der Erektion führt. Einem solchen unmittelbaren Veränderungsdruck ist der Psychoanalytiker nicht ausgesetzt. Er muss weder etwas verbergen noch zum Verschwinden bringen, sondern hat mehr Raum und Zeit, mit dem momentan nicht Lösbaren zu leben, sich dabei seinen eigenen Einfällen zu überlassen und sich über das Entstehen seiner Reaktion Gedanken zu machen. Er kann denken und muss nicht handeln, auch wenn er davon ausgehen muss, dass seine Patientin in einer diffusen Weise etwas von seiner Verfassung mitbekommt. Insofern haben die Dinge eine andere Zeit in der Psychoanalyse. Auch kann am Ende einer Stunde vieles liegen bleiben. Es ist nicht ungewöhnlich, dass der Analytiker Eindrücke über spezifische Verhaltenseigenarten seines Patienten über Monate, vielleicht sogar über Jahre in sich speichert, bis die Kontextbildung aus Fragmenten vieler Stunden einen Sättigungsgrad der Art erreicht hat, dass der Psychoanalytiker überzeugt ist, dass er etwas Wesentliches erfasst hat und dass der Patient sich in der nun gegebenen Deutung auch wieder finden wird. Zu dieser Absorptionskraft, die die prozessual anders akzentuierte ZeitRäumlichkeit in der Psychoanalyse hat, gehört auch der Umfang, in dem der Psychoanalytiker die Entfaltung der Übertragungsneurose fördern und tolerieren kann. Bei der Mobilisierung aggressiver Impulse kann das körpertherapeutische Setting durchaus in kurzer Zeit erstaunliche Potenziale freilegen, und die Konfrontation damit kann für den Patienten, ist er dieser Konfrontation gewachsen, einen bleibenden Erkenntniswert haben. Damit ist aber noch nicht unbedingt im Sinne einer therapeutischen Transformation bewältigt, wie die eigentlich destruktiven, fremd- oder selbstschädigenden Tendenzen des Patienten das alltägliche Beziehungserleben des Patienten infiltrieren.
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Die im dichten Stundennetz der Psychoanalyse mögliche Konfrontation mit den destruktiven Tendenzen im Alltag, in der Übertragung oder der Kindheit vermag eine Form von Toleranz für das Negative und eine Form von geduldig-aufmerksamen Halt zu realisieren, der, der Natur des destruktiven Potenzials angemessen, den hier notwendigen Zeitraum zum Durcharbeiten und damit zur möglichen Transformation zur Verfügung stellt. So hat das psychoanalytische Setting eine Affinität zur Entwicklung der Übertragungsneurose – letzteres ein Begriff, der in der körpertherapeutischen Literatur kaum Erwähnung findet. Die vielen Gestalten, die die Übertragungsliebe und -aggression des Patienten annehmen, werden in der Psychoanalyse über längere Strecken – eben in der Übertragungsneurose – in einer Weise ernst, dass es Patient und Analytiker ganz unmittelbar und direkt miteinander zu tun haben. Beide sind, wenn auch in unterschiedlicher Weise, so involviert, dass sie eine spezifische Lebenswelt miteinander teilen, die sie in emotionaler Weise betrifft. Genau das macht die „Tiefe“ der Übertragungsneurose und des Durcharbeitens in der Psychoanalyse aus. Unter diesem Gesichtspunkt gesehen sind Patient und Analytiker in der körpertherapeutischen Szene bei all ihrer Intensität wiederum auch nicht so tief miteinander verbunden. Die Entscheidung zur Szene hat ja auch den Aspekt, dass eine Spielebene eingeführt wird. Es mag zwar dort das deutlich oder deutlicher zur Darstellung kommen, was in der Übertragung eine Rolle spielt, es liegt aber in der Entscheidung zur Inszenierung auch ein distanzierendes Moment. Für manche Patienten mag dies gerade wichtig sein (Moser 1994, S. 175, Scharff 1998, S. 54), in anderen Fällen ergibt sich aber auch das Problem, dass Liebe und Aggression, in dem Moment, wo sie gespielt werden, auch etwas von dem, was in der Übertragungsbeziehung so „real“ durchlebt wird, verlieren können. Im negativen Fall droht das Risiko, dass in der inszenierenden Interaktion etwas auf eine Spielbühne geschoben wird, anstatt in der Übertragungsbeziehung durchgearbeitet zu werden. Umgekehrt kann auf der „Spielbühne“ ein Übertragungsfragment gelegentlich ungewollt so „real“ werden, dass es nicht mehr in der Arbeitsbeziehung bzw. der milden, positiven Grundübertragung gehalten werden kann. Allgemein lässt sich sagen, dass konflikthafte Themen in der körpertherapeutischen Szene mehr momenthaft-situativ angegangen werden, während sie in der Psychoanalyse vermehrt auch in der Zeitachse der Übertragungsbeziehung selbst durchgearbeitet werden.
6. Schlussbemerkungen Nachdem bislang, ausgehend von den Unterschieden im Setting, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Psychoanalyse und inszenierender Interaktion im Sinne einer Gegenüberstellung skizziert wurden, darf nun der Hinweis nicht fehlen, dass auch in der Psychoanalyse von Szenen berichtet wird, die zwar vom Rahmen her nicht direkt intendiert sind, aber als meist spontane „Ereignisse inszenierender Interaktion“ klassifiziert werden können. So nimmt etwa die oft zitierte, von Balint (1968, S. 157) berichtete Passage, in der die zuvor gehemmt unsichere Patientin schließlich in der Psychoanalyse von der Couch aufsteht und einen Purzelbaum macht, ihren Ausgang von einer – allerdings
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nach Jahren psychoanalytischer Arbeit – seitens des Analytikers gestellten, ermutigenden Frage: „Na, und jetzt?“ Winnicott erlaubt seiner Patientin, seine Hand zu halten (Little 1985, S. 21). Janssen (1990, S. 10 f.) lässt es zu, dass ihn seine hysterische Patientin am Schluss der Stunde umarmt und hilft ihr über die Erkenntnis, dass ihr Analytiker standhaft bleibt, „vorgestellte und wirkliche Beziehung wieder unterscheiden zu können“. In einer Fußnote beschreibt Anzieu (1991, S. 159), dass gelegentlich ein Minimum an Berührung zulässig sei, wenn der Patient am Schluss der Stunde beim Weggehen seinen Kopf auf die Schulter des Analytikers stütze, um ihm auf diese Weise „die Stützfunktion der Haut für das Ich wiederherzustellen“. In einer Art spontaner psychodramatischer Inszenierung redet Bolognini (2002, S. 758) am Schluss der Stunde seine Patientin, als sie von der Couch aufsteht, aus der Rolle des anmaßenden und selbstzufriedenen Vaters an und beide können sich nun lachend voneinander trennen. In all den beispielhaft herausgegriffenen Szenen realisiert sich ein körperszenisches Handlungsmoment. Es bleibt aber festzuhalten, dass sich diese Situationen entweder spontan beziehungsweise im Sinne einer Ausnahmesituation oder gewissermaßen am Rande der analytischen Stunde herstellen. In der inszenierenden Interaktion dagegen gehört der Einbezug körperlich-handelnden Umgangs neben dem Sprachhandeln zu einem nicht peripheren, sondern zentralen Bestandteil des Settings. Dies heißt selbstverständlich nicht, dass sich nicht in den Sprechpassagen Prozesse ereignen können, die wiederum der Psychoanalyse analog sind. Sie bleiben aber eingebettet in ein anderes therapeutisches Grundsetting, und das ist, wie oben beschrieben, nicht ohne Folgen. In der inszenierenden Interaktion vermag der Einbezug einer Handlungskomponente auf psychomotorischer Ebene zu einer über das Visuelle und womöglich taktile Erleben gesteigerten sinnlichen Eindrücklichkeit des Erlebten zu führen, das seine eigene Überzeugungskraft hat. Verlaufseigenschaften psychischer Prozessierung sind im visuellen wie im haptischen Medium sehr unmittelbar greifbar. Die sinnliche Unmittelbarkeit im psychomotorischen Ausdruck und die Bildhaftigkeit des Geschehens setzen der körpertherapeutischen Szene aber auch, wie beschrieben, ihre eigenen Grenzen. Die Psychoanalyse, die sich auf das Medium des Sprechens und der darüber vermittelten Vorstellungen und Phantasien begrenzt, sucht einen intermediären Raum herzustellen, in dem sich der Prozess zwischen den beiden Protagonisten verglichen mit der inszenierenden Interaktion unter diesem Aspekt in einer stärker fließenden Konturierung, zugleich „vermittelter“ und darin wiederum in eigener Tiefe gestaltet. Der geringeren sinnlichen Plastizität entspricht eine größere Freiheit und Beweglichkeit im mentalen Raum, nämlich „alles zu sagen, was einem in den Sinn kommt“. In manchen Eigenschaften weist die Struktur des assoziativen Raumes formal eine größere Affinität zu der Beweglichkeit und den zeiträumlichen Merkmalen des Primärprozesses auf, verfügt somit in mancher Hinsicht auch über eine größere Absorptionskraft, was die Komplexität unbewusster Fantasmen angeht. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die unterschiedlichen Settings in der Psychoanalyse und in der inszenierenden Interaktion verschiedenartig akzentuierte psychische Prozesse begünstigen, die je ihre individuelle Eigenart haben. Von daher gesehen können Psychoanalyse und inszenierende Interakti-
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on nicht einfach additiv zusammengeführt werden, etwa in der Vorstellung, dass daraus dann einfach ein „Mehr“ entstünde. Die beiden Behandlungssettings eröffnen je spezifische Möglichkeitsräume, die in ihrer je eigenen Charakteristik und Verlaufsgestalt verstanden sein wollen. Jörg M. Scharff, Dr. phil. Dipl. psych., Psychoanalytiker in eigener Praxis, Lehranalytiker und Dozent am Frankfurter Psychoanalytischen Institut Adresse: D-61476 Kronberg, Viktoriastraße 31 E-Mail:
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Entwicklungspsychologisch relevante Konzepte im Überblick1 Peter Geißler
1. Allgemeine Vorüberlegungen „Wenn Entwicklung grundsätzlich einen Veränderungsprozess repräsentiert, dann ist Psychotherapie in ihrer Essenz angewandte Entwicklungspsychologie.“ (Schore 2003b) Damit ist die Wichtigkeit entwicklungspsychologischer Konzepte für therapeutisches Handeln umrissen. Wenn in diesem Kapitel Forschungsbefunde aus unterschiedlichen Disziplinen, wie Bindungsforschung, Säuglingsforschung, Humanethologie oder Neurowissenschaften hervorgehoben werden, dann unter folgender Einschränkung: Ihr entscheidender Erkenntnisgewinn liegt meistens nicht in ihrer unmittelbaren Nutzbarkeit zur Steigerung der Effizienz psychotherapeutischer Interventionen; der Gewinn für unsere Disziplin ist eher ein indirekter, indem dadurch unsere Vorstellungen vom Wesen „Mensch“ bereichert und ausdifferenziert werden. Neuere entwicklungspsychologische Vorstellungen wurden durch den Einsatz moderner Technik möglich. Die Videoanalyse und Videomikroanalyse der Kind-Eltern-Interaktion nimmt dabei einen wichtigen Platz ein. Auch sie ist nicht direkt auf therapeutisches Handeln anwendbar, vielmehr ist die Unterscheidung dreier Wissensbereiche erforderlich (vgl. dazu Downing 1999): • Wissensbereich 1: die Säuglingsforschung selbst, d. h. ForschungsSettings sowie deren Zusammenfassung in einem theoretischen Rahmen, wie bei Stern (1991, 1992, 1995, 1997, 1998b, 1999), Lichtenberg (1991) und Dornes (1992, 1996, 1997, 1998, 1999); • Wissensbereich 2: die konkreten, auf Video beobachtbaren Interaktionen im Bereich kontrollierter Beobachtung, beruhend auf einem speziellen Training, um bestimmte Interaktionsmuster zu erkennen und Abweichungen davon identifizieren zu können; • Wissensbereich 3: der Bereich der Anwendung der ersten beiden Felder auf die Arbeit mit erwachsenen Patienten, bei denen sich Spuren früher Interaktionen im Verhaltensbereich zeigen, sich in der Übertragung inszenieren oder sich in Schlüsselszenarien manifestieren.
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In diesem Beitrag führe ich Überlegungen aus früheren Veröffentlichungen fort. (Geißler 1994, 1996, 1997a, 1997b, 1997c, 1998a, 1998b, 1998c, 1998d, 2000a, 2000b, 2000c, 2000d, 2001d, 2001e, 2001f, 2003a, 2003b, 2003c, 2003d, 2003f, 2004b, 2004c, 2004d, 2004e, 2004f, 2004g, 2004h, 2005a, 2005b, 2005c, 2005e, 2005f, 2006c, 2006d, 2006e, 2006f, 2006g, 2007a, 2007b; gem. mit Geißler Ch. und Hofer-Moser 2004, 2007a, 2007b)
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Um eine 1:1-Umsetzung der Studien über die frühe Interaktion auf die therapeutische Situationen bei „tief regredierten Patienten“ kann es auch deshalb nicht gehen, weil erwachsene Patienten, so „tief regrediert“ sie auch sein mögen, zu keinem Zeitpunkt ihrer Regression Babys sind. Die Vorstellung einer zeitlichen Regression ist daher genauso kritisch zu hinterfragen wie die Meta2 pher des „inneren Kindes“ (vgl. dazu Geißler 2001a u. Staemmler 2002), und es ist zu „betonen, dass es... (bei dem, was wir „Regression“ nennen, PG) um die 3 Wiederholung eines früheren... Konfliktmusters in der Beziehung geht und nicht einfach um das Erleben der Beziehung im Eltern-Kind-Modus.“ (Worm 2005a, S. 5) Gegenstand der Entwicklungspsychologie ist die Beschreibung und Erklärung sowie Vorhersage und Beeinflussung menschlichen Verhaltens und Erlebens unter dem Aspekt der Veränderung über die Zeit; wichtigste Zeitperspektive ist dabei die Ontogenese, die Individualentwicklung, der Zeitraum von der Konzeption bis zum Lebensende. Als Kernannahme gilt, dass psychotherapeutisch bedingte Veränderung weitgehend identisch mit Entwicklung ist bzw. dass psychotherapeutische Intervention daran ansetzt, Entwicklungshindernisse zu beseitigen. Überlegungen zur Entwicklung sind abhängig von Überlegungen zum Menschen- und zum Weltbild; dazu möchte ich im Folgenden nur einige Gedanken skizzieren.
2. Exkurs: Entwicklung in größeren Bezügen Die gegenwärtige Entwicklung in der psychoanalytischen Psychotherapie scheint mir durch eine merkwürdige Paradoxie gekennzeichnet zu sein: Auf der einen Seite steht sie ganz im Zeichen detaillierter Forschung. Beispielhaft sei erinnert an die mittlerweile sehr umfangreiche Datenbank in Ulm, an die affektpsychologischen Forschungen rund um die Person von Rainer Krause, an die Säuglingsforschung – Daniel Stern, Joseph Lichtenberg, Beatrice Beebe und Martin Dornes –, an die Interaktionsforschung im Bereich des Nonverbalen von Ulrich Streeck, an die Videomikroanalyse von George Downing usw. Diesem Zuwachs an Detailwissen im Bereich der Mikroebene nonverbaler Kommunikation steht auf der anderen Seite ein wachsendes Bekenntnis zum Nicht-Wissen gegenüber. In der modernen englischsprachigen psychoanalytischen Literatur fallen in jüngerer Zeit Arbeiten auf, wie von Casement, Ferro, Lear oder Reppen und Schulman, die allesamt in die Richtung gehen, sich als Analytiker weitgehend zurückzunehmen und den Patienten selbst die wesentlichen Schritte machen zu lassen – d. h. weg von der Allmacht der Deutung, weg von der MeisterSchüler-Beziehung, weg vom Paradigma des Wissens um unbewusste Vorgänge. Nicht-Wissen und therapeutische „Fehler“ werden in der Psychoanalyse nun auch in Falldarstellungen ebenso salonfähig wie die Schilderung „negati-
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Vgl. dazu auch (2002a, S. 181): „Das Bild vom Kind im Patienten ist meiner Meinung nach sowieso ein unpassendes Bild, das ja je nach Argumentationslinie wie ein Kippbild benutzt wird: einmal zieht man die Karte »Erwachsener« und ein anderes Mal die Karte »Kind im Erwachsenen«. Es geht immer um frühentwickelte, bis in das Hier und Jetzt hineinwirkende, unerledigt nachwirkende Beziehungs- und Sicherungsmuster, an und mit denen wir arbeiten.“ 3 Zu einem solchen Konfliktmuster gehört, wenn wir es therapeutisch reaktivieren, eine damit verbundene Verarbeitungsform.
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ver Dynamiken“, in denen die ohnmächtige und/oder verstrickte Situation des Analytikers deutlich zutage tritt. Scharff (2004a), der einige solcher Arbeiten scharfsinnig zusammengefasst hat, zitiert in seinem Beitrag Hinshelwood, der diese Einstellungsänderung auf den Punkt bringt, indem er klarstellt: „Wir haben nicht ein ideales Modell, das wir manchmal verfehlen, sondern ein Modell, das die Fehler in seinem Zentrum hat.“ (Ebend.) Diese Öffnung hin zum Nicht-Wissen finde ich bemerkenswert; sie findet statt, trotz der eindeutigen forscherischen Fortschritte. Die Idee, dass therapeutische Fehler alltäglich, ja vielleicht sogar wichtig sind, springt einem als Paradigmenwechsel ins Auge. Sie kommt m. E. beinahe einem Bekenntnis gleich, dass wir trotz der enormen Fortschritte in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen bescheiden bleiben müssen und zu akzeptieren haben, dass es einen Bereich gibt, das Unbewusste, das Unbekannte, das Unerkennbare, je nach Nomenklatur, der ständig gegenwärtig ist. Nicht zufällig zitiert der bedeutsame zeitgenössische Psychoanalytiker Ogden (2004) im Hinblick auf die Unfähigkeit des Menschen, sich die Struktur seiner Natur vorzustellen, den PhysikNobelpreisträger P. W. Bridgman: „Die revolutionärste unter den Einsichten, die wir aus unseren neuesten Experimenten im Bereich der Physik gewonnen haben, (ist) die Erkenntnis, dass es unmöglich ist, den menschlichen Bezugspunkt zu überwinden... Dies ergibt sich aus folgender Realisation: Die Struktur der Natur könnte letztendlich so beschaffen sein, dass unsere Denkprozesse ihr nicht in einem Maße entsprechen, das uns erlauben würde, überhaupt darüber nachzudenken... Wir nähern uns nun einer Grenze, jenseits von der wir zu allen Zeiten daran gehindert sein werden, unsere Nachforschungen voranzutreiben, nicht aufgrund der Beschaffenheit der Welt, sondern aufgrund der Beschaffenheit unserer selbst. Die Welt entschwindet und entzieht sich uns, weil sie ihre Bedeutung verliert. Nicht einmal das können wir so ausdrücken, wie wir es gern tun würden...“ Wir befinden uns in einem faszinierenden Spannungsfeld zwischen immer detailreicheren wissenschaftlichen Befunden v. a. aus dem naturwissenschaftlichen Bereich einerseits und einem wachsenden Bekenntnis zu Bescheidenheit und Demut, was unsere Erkenntnismöglichkeiten betrifft andererseits. Der Gewinn des gegenwärtigen Zustandes in einigen naturwissenschaftlichen Bereichen besteht darin, dass bisher Getrenntes allmählich wieder zusammenwachsen kann, wie sich an der Begegnung zwischen Neurowissenschaften, Säuglingsforschung und Psychotherapierforschung erkennen lässt. Ein weiterer Gewinn besteht darin, dass eine Öffnung im Hinblick auf unkonventionelle Erklärungsmöglichkeiten erkennbar wird, die bislang als esoterisch und damit unwissenschaftlich abgestempelt worden waren. Diese Öffnung bezieht Überlegungen zu sog. paranormalen Phänomenen wie Telepathie und Hellsichtigkeit ein. Als Beispiel dafür sei ein Vortrag genannt, der als „Probevortrag“ zwecks psychoanalytischer Graduierung 2005 im Rahmen des Wiener Arbeitskreises für Psychoanalyse gehalten wurde (Sommer-Frenzel 2005). In diesem Vortrag werden telepathische Phänomene innerhalb der psychotherapeutischen Beziehung untersucht, wobei die Autorin auf keine geringeren als Freud und Ferenczi Bezug nimmt, die sich anfangs sehr wohl mit solchen Phänomenen befasst hatten, unter dem Druck der wissenschaftlichen Profilierung jedoch davon Abstand genommen hatten. Einzelne psychoanalytische Autoren, wie z. B. Buchholz (2004b) in seinen „PsychoNews“, nehmen sogar hin und wieder den Begriff „Spiritualität“ in den Mund, was unter Psychoanalytikern alles andere als üblich ist.
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Wechseln wir kurz die Szene und betrachten wir die zeitgenössische Immunforschung: Auch hier ist man längst in Mikrobereiche, auf die molekulare Ebene vorgedrungen. Die Immunforschung ist u. a. deswegen interessant, weil der Kern von Immunprozessen darin besteht, Eigenes von Fremdem zu unterscheiden, also Selbst von NichtSelbst. Man weiß mittlerweile eine Menge darüber, welche Moleküle und Eiweißfraktionen Körperabwehrprozesse steuern und welche Zellen und Organe dabei maßgeblich beteiligt sind. Es sind auf Zellebene die sog. T-Zellen, denen eine Schlüsselrolle zukommt, und auf Organebene die Thymusdrüse. So weiß man, dass eine T-Zelle zwischen Selbst und Nicht-Selbst auf biologischer Ebene unterscheiden kann. Dazu ist sie mit einem Repertoire an Rezeptoren ausgestattet, die auf bestimmten anderen Zelloberflächen präsentierte Eiweißkörper (Peptide) zusammen mit bestimmten individuellen Eiweißmolekülen erkennen. Die präsentierten Peptide, sog. Nanopeptide, erscheinen aber auf Zelloberflächen nicht „nackt“, sondern eng assoziiert mit anderen Molekülen, sog. MHC-Molekülen. MHC-Moleküle können dann erscheinen, wenn im Aufbau des Eiweißkomplexes ein körpereigenes Eiweißfragment eingebaut wird. Der Vorgang ist komplex, läuft aber darauf hinaus, dass der Organismus immunkompetente Zellen unentwegt auffordert, Selbst von Nicht-Selbst zu unterscheiden – als nie endender Prozess.
Die molekularbiologische Forschung der letzten Jahrzehnte hat eine Unmenge an Detailwissen ans Licht gebracht und dabei den Blick auf eine Komplexität im Bereich immunologischer Prozesse ermöglicht, der schier ungeheuer ist. Es ergibt sich nämlich aus den vielen Daten die Frage, wie die T-Zellen die schier unvorstellbare Aufgabe leisten können, die enorme Menge der Eiweißkörper, mit denen sie konfrontiert werden, tatsächlich prüfen zu können. Woher „wissen“ die T-Zellen all dies? Man weiß zwar, dass in der Thymusdrüse eine Art Konditionierungsprozess stattfindet, eine „Erziehung“ der Immunzellen zu dieser Leistung, trotzdem wird dabei nichts darüber ausgesagt, wie die Proteine ausgewählt werden und wer diesen ungeheuer komplexen Lernprozess eigentlich festlegt. Der Großteil der Forscher hofft, durch das Anlegen immer weiterer Vergrößerungen den Blick auf immer subtilere Details, auf molekularer, atomarer und sogar subatomarer Ebene richten zu können, in der Hoffnung, dadurch eine plausible Antwort finden zu können. Dieses Vorhaben erinnert an die ambitionierten Versuche der Quantenphysik, die in der Erforschung von Elementarteilchen mittlerweile auf die Ebene der „Strings“ vorgestoßen ist. Nach der Stringtheorie sind die kleinsten Objekte im Universum keine Punkte, sondern schwingende Saiten – so klein und komplex, dass sie mathematisch erst noch bezwungen werden müssen. Die Strings haben – das kann man mathematisch berechnen – Abmessungen von wenigen „Milliardstel Billionstel“ Metern, sind also so klein, dass sie, sogar durch Teilchenbeschleuniger, praktisch nie sichtbar gemacht werden können. Teilchenbeschleuniger, die die dafür notwendige Energie erbringen könnten, müssten nämlich galaktische Ausmaße haben, um diese Aufgabe zu leisten. Die Strings sind mathematisch errechenbare Entitäten, die als schwingende Saiten entweder als Elektronen, Quarks oder in anderer Form erscheinen können. Alles hängt davon ab, wie diese Saiten schwingen. D. h. die Eigenschaften der Teilchen ergeben sich aus bestimmten Bewegungen der Strings, so wie ein tiefes, „eingestrichenes“ C von derselben Geigenseite herrühren kann wie ein hohes, um eine Oktave nach oben verschobenes „zweigestrichenes“ C. Wenn Strings schwingen, erzeugen sie eine Symphonie, die wir allgemein Universum nennen. Der Stringtheorie nach muss das Universum aus mindestens zehn Dimensionen bestehen, die wir uns allesamt eigentlich gar nicht mehr vorstellen können. In der Stringtheorie ist die Hoffnung enthalten, dass diese Theorie die „letzte große Theorie“ sein könnte, mit deren Hilfe alle Kräfte im Universum beschrieben werden können, die also eine universell gültige Antwort auf die Frage, was unser Universum eigentlich ist,
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liefern könnte. Den Quantenphysikern geht es in diesem Punkt genauso wie den Mikrobiologen, allerdings mit einem interessanten Unterschied: Biologen und Mediziner klammern sich hartnäckig an die positivistische Forschung und hoffen auf immer noch größere mikroskopische Einstellungen; nur wenige sind bereit, alternative Erklärungsmodelle ins Auge zu fassen, wie z. B. Zänker (1999). Physiker tun sich diesbezüglich nicht so schwer: sie diskutieren offen über andere Wege des Verstehens, wie z. B. Feld- und Resonanztheorien (vgl. Popp, Dürr u. Goswami 1999), deren Kernpunkt bestimmte Bewegungsqualitäten sind. Das ist deswegen interessant, weil auch die Säuglingsforschung beim Versuch zu erklären, wie der Säugling „Selbst“ von „NichtSelbst“ unterscheiden kann, u. a. bei Bewegungsqualitäten gelandet ist, die Stern (1992) „Vitalitätsaffekte“ nennt (s. u.).
Zu unserer menschlichen Natur scheint es zu gehören, immer neue Versuche zu starten, das Unbewusste, das Unbekannte, das Unerkennbare zu erforschen, Theorien darüber zu entwickeln, oder zumindest Metaphern zu finden, wie man sich bestimmte Phänomene, mit denen wir es zu tun haben, erklären könnte. Innerhalb der Psychotherapie-Szene waren es am ehesten die „Jungianer“, die sich mit derartigen Grenzphänomenen und Grenzfragen seit je her beschäftigten. Nun wird dieser Diskurs lauter. Er mündet neben dem Eingeständnis der Begrenztheit menschlicher kognitiver Verstehensmöglichkeiten in die Schlussfolgerung, dass so etwas wie „Geist“ im Gegensatz zum Materiellen als Voraussetzung grundsätzlich mitgedacht werden muss; Körperpsychotherapeuten sprechen diesbezüglich gern von „Energie“. Dazu ein Zitat des Physikers Dürr (2000, S. 17f.): „Schon bei den Atomen und ihren Bausteinen stellen wir nämlich fest, dass sie gar keine Materie mehr sind. Wir kommen also zum Ergebnis: Materie ist nicht aus Materie zusammengesetzt. Atome und ihre »Bausteine« haben nicht mehr die Eigenschaften von Materie. Es sind reine Gestaltwesen... Wir stellen fest, die Wirklichkeit ist im Grunde keine Realität, keine dingliche Wirklichkeit. Was bleibt, ist – wie wir es nennen – Potenzialität. Es ist nicht die Realität selber, sondern nur eine mögliche Fähigkeit, sich auf verschiedene Weise zu realisieren, sich als Materie zu manifestieren. Im Grunde gibt es nur »Gestalt«, reine Beziehungsstruktur ohne materiellen Träger. Wir können vielleicht auch sagen: Information.... Das elektromagnetische Feld, das ohne materiellen Träger den Raum erfüllt, ist eine solche immaterielle Gestalt, gewissermaßen ein formiertes Nichts, eine ganzheitliche, hoch differenzierte Formstruktur, in deren spezieller Differenzierung wir z. B. die für uns bestimmten Telefongespräche, die Radio- und Fernsehprogramme, die Existenz und Beschaffenheit von Sonne, Mond und Sternen und vieles, vieles mehr abtasten können. Oder ein anderes, vielleicht noch anschaulicheres Beispiel: eine Schallplatte etwa mit der Matthäuspassion von Bach. Wir hören eine Geige, ein Cello, einen Sopran, einen vielstimmigen Chor, ein differenziertes Orchester. Wir nehmen die Schallplatte in die Hand und fragen uns: »Wo ist dieser Sopran?« Wir sehen auf der Platte nur eine spiralförmig aufgewickelte, verwackelte Rille. Auch wenn wir ein Vergrößerungsglas oder ein Mikroskop zu Hilfe nehmen, werden wir den Sopran nicht finden. Der Sopran ist nämlich in der Gestalt der Rille verborgen, in einer Beziehungsstruktur verschlüsselt. Die materielle Schallplatte ist dabei nur ein nebensächlicher, austauschbarer Träger, er könnte auch eine CD oder ein magnetisches Tonband sein... Die Beziehungsstruktur ist grundlegender als die Existenz des aufeinander Bezogenen. Gewissermaßen: Ein Wald ohne seine Bäume, das Gemeinsame, ist primärer als die einzelnen Bäume zusammengenommen. Die ursprünglichen Elemente sind also Beziehungen der Formstruktur, sie sind nicht Materie. Wenn diese Nicht-Materie
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gewissermaßen gerinnt, zu Schlacke wird, dann wird daraus etwas »Materielles«. Oder noch etwas riskanter ausgedrückt: Im Grunde gibt es nur Geist. Aber dieser Geist verkalkt und wird, wenn er verkalkt, Materie. Und wir nehmen in unserer klassischen Vorstellung den »Kalk«, weil er »greifbar« ist, ernster, als was vorher da war, das Noch-nicht-Verkalkte, das geistig Lebendige.“ Klingen nicht vergleichbare Assoziationen an, wenn man in einem gänzlich anderen Feld von Literatur liest: „Ist die Logik, die einen Anfang, Entwicklungen und ein Ende als Darlegung von Fakten verlangt, die einzig bestehende Logik? ... Es gibt mehr als eine Logik. Es gibt zum Beispiel eine, die verlangt, dass man eine Vielfalt von Intensitäten als Fakten anerkennen muß. Nach dieser Logik beginnt nichts und endet nichts. So gesehen, ist die Geburt kein klares, eindeutiges Ereignis, sondern eine besondere Art der Intensität. Das gilt auch für das Heranreifen und für den Tod.“ (Castaneda 2000, S. 8) Nicht-Materielles, „Geist“ oder wie immer man es nennen soll – es führt uns all dies in sehr grundsätzliche Überlegungen, zu Fragen des Menschen- und Weltbildes. Sogar einige populäre Neurowissenschaftler, wie Edelman, setzen in einer Art platonistischer Argumentation das Immaterielle, einen „Geist“, voraus. (Buchholz 2004) Wir sind in etwas Größeres eingebettet, das wir nicht allein physisch fassen und objektivieren können. Wir erahnen, dass eine ganzheitliche, holistische Weltsicht notwendig ist, um all dies auch nur annäherungsweise fassen zu können; und dass wechselseitige Zusammenhänge, Interaktionen in diesem großen Ganzen enorm wichtig sind. Das haben die Genforscher mittlerweile erkannt – Stichwort „Genexpression“. Unter Genexpression versteht man nun einen viel „interaktionelleren Prozess“ als ursprünglich angenommen wurde. Die Natur des Menschen ist offenbar a priori auf die Einbettung in das Ganze hin ausgerichtet: Angeboren ist dem Menschen von Beginn an seine Fähigkeit und sein Bedürfnis nach Eingebettet-sein in die Sozietät und in die Natur überhaupt, auch wenn dieses Eingebettet-sein relativ störanfällig erscheint. Wie der Fisch das Wasser braucht der Mensch das „soziale Feld“. Und er ist dafür mit Fähigkeiten ausgestattet, die letztlich darin liegen, dass er über angeborene Repräsentanzen verfügt, die ihn befähigen, sich in diesem sozialen Feld von Anbeginn auch bewegen zu können bzw. zumindest die Voraussetzungen dazu 4 mitzubringen. Die Frage der Repräsentanzen ist ein heißes und kontroversielles Thema innerhalb der Psychoanalyse (vgl. dazu Zelnick u. Buchholz 1990), Einigkeit aber scheint mittlerweile darin zu bestehen, dass der Säugling vorgefertigte Strukturen mitbringt, wobei man sich über den Grad deren Differenzierung streiten kann; klar ist auch, dass ab ca. 18 Monaten die Differenzierung deutlich zunimmt. Sprache, Symbolisierung und Abstraktionsfähigkeit sind somit ein Anzeichen für einen differenzierteren Zustand repräsentationaler Funktionen, was nichts daran ändert, dass es schon viel früher zwischenmenschliche Fähigkeiten gibt, die ein gewisses Maß an Selbst-Fremd-Differenzierung von vornherein voraussetzen. „Angeboren“ und „erworben“ sollte man mittlerweile nicht mehr als komplementäre, einander ergänzende Pole betrachten, sondern eher so, dass ein angeborenes Potential sich je nach „Feldbedingungen“ entfaltet bzw. in permanenter Wechselwirkung damit zu individueller einzigartiger
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Die soziale Bezogenheit wurde von Adler unter dem Terminus „Gemeinschaftsgefühl“ als erstem in die Geschichte der Tiefenpsychologie eingeführt (persönl. Mitt. Günter Heisterkamp). Die soziale Bezogenheit seelischer Existenz ist für die Individualpsychologie grundlegend.
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Form „gerinnt“ (Hofer-Moser 2005, persönliche Mitteilung), denn es gibt im Grunde genommen nur Geist, in unterschiedlichsten Beziehungsgestalten, der in unterschiedlichem Ausmaß „Materie gerinnen lässt“. Der individuelle Mensch nimmt daran „holographisch“ teil, er vermag „das Ganze“ ahnend zu erspüren, analytisch denkend aber nur Teilbereiche genauer zu erfassen. Auch soziale Phänomene bzw. Konstrukte wie „freier Wille“, „Verantwortung“ und „Schuld“ sind daher mit reduktionistischem Denken jeder Art, ob psychoanalytisch oder neurowissenschaftlich, in ihrem Wesen, in ihren Beziehungsgestalten nicht zu erfassen, ebenso wenig wie das Wesen der Musik durch Betrachtung einer Schallplatte im Mikroskop.
3. Entwicklungstheorien Der Entwicklungsgedanke hat eine lange Geschichte; bereits Aristoteles (384 – 322 v. Chr.) verweist mit seinem Entelechie-Begriff auf ein „In-sich-selbst-dasZiel-haben“ im Sinne eines “inneren Planes des Werdens.“ (Dreher 2004, S. 6) Von einer wissenschaftlichen Entwicklungspsychologie kann man spätestens seit Darwin sprechen – einer seiner Grundgedanken war das Wachstum und die Entwicklung von einfachen zu komplexen Formen des organischen Lebens. Als Einflussfaktoren auf Entwicklungsprozesse gelten Anlage, Umwelt und selbstgestaltende Prozesse, d. h. interne Steuerungsprozesse von physiologischen Regulationsmechanismen bis hin zum Akt der freien Wahl von Handlungsalternativen. Als Merkmale von Entwicklungsgeschehen gelten Wachstum und Reifung (bezogen auf überwiegend biologisch geprägte Merkmale), Differenzierung und Integration (bezogen auf vorwiegend qualitative Veränderungen im Bereich geistiger und psychischer Leistungen und Formen des Erlebens), Lernen (bezogen auf strukturbildende Prozesse der Erfahrungen und des Übens) und Sozialisation im Sinne einer Abfolge und Bewältigung von Entwicklungsaufgaben. Entwicklungsprozesse sind grundsätzlich aus unterschiedlichen theoretischen Perspektiven verstehbar (vgl. Langfeldt u. Nothdurft 2004): • Endogenistische Perspektive: Entwicklung vollzieht sich aufgrund eines festgelegten inneren Programms, das weder durch die Person noch durch die Umwelt wesentlich gesteuert wird. • Exogenistische Perspektive: Menschliche Entwicklung wird weitgehend durch äußere Umweltbedingungen gesteuert – die Person ist die Summe ihrer durch die Umwelt provozierten Lernprozesse. • Organismische bzw. Selbstgestaltungsperspektive: Entwicklung wird als Prozess verstanden, in dem der Organismus/die Person aktiv gestalterisch tätig ist – die Umwelt hat wenig Einfluss auf die Entwicklung oder wird als solche subjektiv interpretiert. • Interaktionistische bzw. relationale Perspektive: Individuum/Person und Umwelt beeinflussen einander wechselseitig. Als Vertreter der endogenistischen Perspektive gilt Piaget, dessen Einfluss in der Entwicklungspsychologie trotz mancher Revisionen durch die moderne Säuglingsforschung nach wie vor als groß einzuschätzen ist, v. a. im Bereich der kognitiven Entwicklung, deren Grundlage er auf der Handlungsebene ansiedelt (vgl. Dornes 1992, Mertens 1992) und nicht auf der traditionellen psychoanalytischen Annahme der Trennung vom Objekt. (vgl. Bion 1962, Hirsch 2002a) Die
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Idee der Verknüpfung zwischen kognitiver Entwicklung und der Trennung vom Objekt scheint sich in weiten Bereichen der Psychoanalyse hartnäckig zu halten, der genannte Zusammenhang wird als wesentliche Begründung angeführt, warum der Körper auf praktischer Ebene nicht gut integrierbar erscheint: „In der Praxis ist der Körper gerade nicht (Hervorh. PG) Gegenstand der analytischen Theorie insofern als das Tabu der körperlichen Berührung genau wie das Inzesttabu als strukturbildend angesehen wird“ (Green 1975, zit. n. Hirsch 2002a, S. 260, in Worm 2003, S. 37) und somit „Psychoanalyse... nicht direkt bedürfnisbefriedigend arbeiten (will) – es ist nicht das Ziel des Analytikers als empathische Mutter zu handeln.“ (Ebend.) Aus der Sicht einer Psychoanalyse der Lebensbewegungen ist diese Annahme, auch auf der Grundlage der neueren Säuglingsforschung, nicht zu stützen, wie Gisela Worm in ihrem Beitrag zur Widerstandsanalyse (in diesem Buch) unter Hinweis auf die Wichtigkeit der Unterscheidung von Grund- und Ersatzbedürfnissen nachzuweisen versucht. Sie ist jedoch vielleicht ersetzbar durch eine Theorie des Denkens. Eine solche gründet sich auf eine Entwicklung im Handlungsbereich von sensomotorisch fundierten Operationen bis hin zu abstrakten Denkleistungen, wobei Denken dabei immer auch ein Probehandeln darstellt. Piaget bleibt diesbezüglich wegweisend – er ist wichtig für die Idee des „operativen Verstehens“ nach Heisterkamp (s. u.). Piaget zufolge ist Entwicklung biologisch bedingt, und die Erkenntnis der Realität vollzieht sich durch aktive Konstruktion im Sinne eines kontinuierlichen Vergleichs neuer Information mit bereits vorhandener. Erkenntnisgewinn ist grundsätzlich dialektisch, und fußt auf einer Grundspannung zwischen gut organisierbarem Wissen einerseits und Bedürfnis nach mehr oder neuer Information andererseits. Piaget prägte dafür die beiden Begriffe Assimilation und Akkomodation: Durch den Prozess der Assimilation wird Neues in bereits vorhandenes Wissen eingeordnet, durch Akkomodation besteht die Möglichkeit, bereits vorhandenes Wissen veränderten Gegebenheiten neu anzupassen. Wichtig bei Piaget ist ebenso die Idee der Stadienabhängigkeit der Entwicklung sowie der Begriff des Schemas als kleinste Einheit, auf der menschliches Verhalten aufbaut und als Ergebnis von Abstraktions- und Generalisierungsvorgängen mit dem Ergebnis der Bildung von Hypothesen über die Zukunft im Sinne von Grunderwartungen, welche die Voraussetzung für das Erleben von Stabilität sind. Das Schema – gleichbedeutend mit Repräsentanz – ist ein Ordnungsparameter und ein erster Ansatz von Struktur. Piaget gebührt außerdem das Verdienst, geistige Aktivität sensomotorisch zu fundieren: Die Intelligenz entwickelt sich aus reflexartigen Mechanismen, sensomotorischen Abläufen und aus konkreten Operationen, die in einem allmählichen Prozess der Abstraktion zu immer komplexeren kognitiven Repräsentationen gruppiert werden. Piaget ging in seinen Entwicklungstheorien stark von beobachteten Verhaltensaspekten und deren Repräsentation aus, während die zeitgenössische Entwicklungsforschung v. a. bei Stern (1991, 1992) den Schwerpunkt mehr auf das Erlebte und Gefühlte legt. Dadurch entstehen nicht Gegensätze, aber doch Akzentverschiebungen, z. B. bei der Betrachtung von Imitation und Abstimmung. Stern geht es bei solchen Phänomenen mehr als Piaget um Faktoren wie Intensität, Timing und Gefühlsgestalt – also um Vitalitätskonturen (Stern 1992, S. 209, s. u.). So ist z. B. „das Kern-SelbstEmpfinden... mehr als ein sensomotorisches Schema, weil es affektive Züge miteinschließt.“ (Ebend. S. 47) Andererseits hat Piaget ein Denkmodell vorweggenommen, das heute unter dem Begriff „Epigenese“ immer mehr an Bedeutung gewinnt. Dieser Begriff bezieht sich auf die ursprünglich biologische Vorstellung, dass sich Entwicklung in kreativer Weise sukzessiv, in aufeinander folgenden Neubildungen vollzieht. Für Piaget war Entwicklung ein biologischer entstehender Prozess der Selbstorganisation (vgl. dazu Nossent
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2005). Unter „epigenetischen Landschaften“ (Waddington 1957) versteht man besondere Kanalisierungsvorgänge in Entwicklungsprozessen, vergleichbar mit einer Kugel, die durch eine hügelige, leicht abschüssige Landschaft rollt und dabei immer den gangbarsten Weg durch Täler nimmt. Diese Vorstellung ist gut vereinbar mit Piagets Sichtweise eines Äquilibriums in der kognitiven Entwicklung, d. h. einer Tendenz zum Finden eines Gleichgewichts auf der Basis selbstorganisierender Prozesse. In einer kognitiv-epigenetischen Landschaft ist Äquilibration die Antriebskraft jeglicher Entwicklung und führt dazu, dass sich intellektuelle Strukturen wechselseitig anpassen, wodurch schrittweise Denken komplexerer Ordnung entstehen kann. (Nossent 2005)
Im Sinne eines konsequenten Interaktionismus (Nossent 2005, S. 24) entwickeln sich neue Strukturen und Funktionen aus wechselseitigen Interaktionen zwischen bereits bestehenden Konstituenten, d. h. zwischen genetischer Aktivität, Reifung und Funktion. Genetische Aktivität meint, dass Umweltfaktoren direkt auf Genexpressionen einwirken – und dies während der gesamten Lebensspanne. Im Epigenese-Begriff ist implizit enthalten, dass Entwicklung einerseits nicht unbeschränkte Veränderung ermöglicht, dass es also Grenzen gibt; dass jedoch andererseits der Prozess nicht durch bereits vorhandene Information eingegrenzt wird, sondern dass kreative Sprünge stattfinden können. Die interaktionistische Perspektive hat unter dem Einfluss der zeitgenössischen Säuglings- und Kleinkindforschung stark an Bedeutung gewonnen. Interaktion in all ihren Facetten und Erscheinungsweisen betrachten wir ebenso wie Kommunikation, sei sie nonverbal, paraverbal oder verbal, als fundamentale Lebensbewegung. In Anlehnung an die zeitgenössische Forschung (Säuglingsforschung, Bindungsforschung, Gehirnforschung, Gedächtnisforschung, Verhaltensforschung usw.) sowie an die moderne Systemtheorie (vgl. Kriz 1997) sind wir heute erfreulicherweise in der Lage, Entwicklungsprozesse und Lebensvorgänge ganz allgemein nicht mehr überwiegend auf spekulative Annahmen, z. B. im Hinblick auf bestimmte energetische Prozesse zurückführen zu müssen (vgl. Reich 1942). Besonders die psychoanalytisch geprägte Interaktionsforschung, wie sie z. B. von der „Boston Study Group“ (Stern et al. 2002) praktiziert wird, bewirkt, dass wir uns einerseits auf solide akademische Forschung berufen können und dass wir andererseits nicht mehr von einem Gegensatz zwischen dem Sozialen und dem Biologischen ausgehen müssen, sondern immer deutlicher ein Kontinuum vor uns sehen (Buchholz 2004), an dessen Schnittstelle die Interaktion angesiedelt ist. Interaktionserfahrungen beginnen bereits pränatal und dauern an, solange wir leben. Interaktionserfahrungen bilden durch generalisierende Lernprozesse Erwartungen aus, die künftige Wahrnehmungen und Reaktionsweisen beeinflussen. Basale Grunderwartungen sind motorisch-affektiv verankert, sie enthalten teils gelungene, teils misslungene Formen der Interaktion. Aus therapeutischer Sicht sind die misslungenen bzw. konflikthaften Interaktionsmuster im Hinblick auf die Suche nach besseren Lösungen bedeutsam. (Worm 2005a, S. 5) Die videogestützte Säuglingsforschung machte einen Paradigmenwechsel notwendig: Das Baby gilt nicht mehr als passives Wesen, das fast ausschließlich reflexhaft auf seine Umgebung reagiert, sondern – im Rahmen seiner Möglichkeiten und bei angemessener Unterstützung – als „kompetenter Säugling.“ (Dornes 1992) Das Neugeborene ist mit grundlegenden Fähigkeiten im Sinne interaktiver Kompetenzen ausgestattet, die sich offenbar evolutionär als vorteilhaft erwiesen haben. Wir wissen heute, dass der Säugling ohne ein derartiges Verhaltensrepertoir nicht überleben könnte.
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Hauptthema interaktiver Vorgänge sind wechselseitige basale Regulationsvorgänge, wobei selbstregulative und fremdregulative Vorgänge ineinander übergreifen. Insgesamt ist der neugeborene Säugling anfangs stark auf Fremdregulation angewiesen, trägt jedoch seinerseits dazu bei, dass Interaktion überhaupt zustande kommt. Regulative Vorgänge sind auch die Grundlage dafür, dass sich schrittweise Organisation aufbauen kann, und dass als deren Resultat ein erstes Gefühl von Regelmäßigkeit und Geordnetheit als „auftauchendes Selbstempfinden“ entstehen kann (Stern 1992); dieses entwickelt sich gleichsam als Nebenprodukt fortschreitender Organisation, bezogen auf den Prozess an sich und dessen Resultat: „Das Empfinden eines auftauchenden Selbst betrifft .... den Prozeß und das Resultat einer sich entwickelnden Organisation. Es umfaßt das Kennenlernen der Beziehungen zwischen den sensorischen Erlebnissen des Säuglings..... Ein Selbstempfinden wird eines der vielen wichtigen Nebenprodukte der allgemeinen Lernfähigkeit sein.“ (Stern, 1992, S. 73) Die Entwicklungstheorie Daniel Sterns, auf die ich mich ganz wesentlich beziehe, hat im Unterschied zu anderen Entwicklungstheorien einen aus psychotherapeutischer Perspektive unschätzbar wichtigen Vorzug: sie ist am Erleben ausgerichtet und nicht an vorgefertigten Konzepten. Stern dazu am Beispiel des „auftauchenden Selbstempfindens“: „Ich vermute, dass auf einer präverbalen Ebene... das Erlebnis transmodaler Übereinstimmung (vor allem beim ersten Mal) das Gefühl weckt, als entspräche die gegenwärtige Erfahrung einem Erleben aus einer früheren Zeit oder als sei sie von etwas Vertrautem durchdrungen, so dass sie auf irgendeine Weise mit einem Erlebnis aus einem anderen Zusammenhang verwandt zu sein scheint... Insofern sich allmählich eine Struktur abzeichnet, die nur verschwommen wahrgenommen wird, umfaßt dieser Bereich des auftauchenden Erlebens vermutlich auch die Vorahnung einer verborgenen Zukunft. Es ist dringend erforderlich, Prozesse dieser Art auf der Ebene des Erlebens statt auf konzeptueller Ebene zu typisieren.“ (Stern 1992, S. 82, Hervorh. PG)
4. Die systemische bzw. relationale Perspektive von Entwicklung5 Systemisches bzw. „relationales“ Betrachten von Lebensprozessen (vgl. Mitchell 2003) ist eingebettet in eine holistische Perspektive alles Lebendigen, das immer in Beziehung entsteht und nur in ihr vorstellbar ist. Am Anfang des Lebendigen steht daher nicht ein hypothetisch angenommener Trieb, sondern ein Feld, das mehrere Individuen umfasst (Loewald 1977, S. 76). Mit „Feld“ ist die immer schon vorhandene Einbettung in einen größeren Kontext gemeint, einen sozialen Raum als Träger des Feldes, innerhalb dessen bestimmte Wechselwirkungen stattfinden. Basale Wechselwirkungen haben sich allem Anschein nach evolutionär als vorteilhaft erwiesen. Schon der Anfang unseres Erlebens ist von Wechselwirkungen geprägt; es stehen nicht einzelne Sinneseindrücke im Vordergrund, die im Laufe der Entwicklung allmählich zu einem Gesamterleben integriert werden (diese Vorstellung war prägend für die traditionelle Psychoanalyse ebenso
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Auch die relationale Perspektive geht innerhalb der Psychoanalyse im Grunde genommen auf Adler zurück (persönl. Mitt. G. Heisterkamp).
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wie für die Entwicklungstheorie nach Piaget), sondern am Beginn steht ein amodales, ganzheitliches Erleben, das auf der Integration von Informationen aus unterschiedlichen Sinneskanälen fußt (vgl. Stern 1992). Die Konsequenzen hinsichtlich psychoanalytischer Theorie und Praxis sind beträchtlich, denn daraus folgt u. a., dass „der Sekundärprozess nicht nur aus Vorgängen der Aufspaltung, Trennung und Unterscheidung besteht..., sondern dass im gleichen Akt die ursprüngliche Ganzheit durch eine klar erkennbare Form der Integration lebendig bleibt, die aus einer vorher ganzheitlichen Totalität nun eine Totalität mit einer differenzierten Textur macht.“ (Loewald 1977, S. 183) Aus relationaler Perspektive existieren Objekte somit nie unabhängig vom Subjekt, und auch das „Es“ gilt nicht mehr länger als ein von der Außenwelt abgeschnittenes Triebreservoir, nicht mehr als Hort gegen die Anpassung von gesellschaftlichen Kräften, sondern wird in interaktiven wechselseitigen Prozessen erst geschaffen. „Es“-Fragmente sind wie der gesamte Primärprozess der Niederschlag sozialer Interaktion. (Mitchell 2003, S. 80) So gesehen macht die alte Frage der traditionellen Psychoanalyse, warum wir nach Objekten suchen, gar keinen Sinn mehr, denn eine solche Frage setzt voraus, dass „Ich“ und die „Objekte“ getrennte Wesenheiten sind. Anders eine relationale Sichtweise: Im Laufe des Entwicklungsprozesses wird die Realität schließlich objektiv. Wir sind unsere Objekte und unsere Objekte sind wir. Eine solche Sichtweise hat auch Auswirkung auf das Verstehen fundamentaler Lebensprozesse wie auf den der Atmung. Wir werden nicht getrieben, Sauerstoff zu suchen – wir atmen, aber nicht intentional (außer unter traumatischen Bedingungen); durch eine solche Sichtweise werden auch bestimmte traditionelle körpertherapeutische Annahmen modifiziert, z. B. die Annahme früher Bedürfniskonflikte als Grundlage charakterlicher Prägungen. Auch die Objektsuche ist kein Trieb, sie ist in uns Menschen, als Herden- bzw. Hordenwesen, evolutionär angelegt. Eine „relationale“ Psychoanalyse gliedert sich demnach in eine holistische Sicht des Lebendigen und des gesamten Universums ein, wie sie z. B. auch für die moderne Quantenphysik charakteristisch ist. Den Menschen „relational“ zu betrachten und dabei auf evolutionär-biologische Wurzeln zu verweisen heißt nicht, seine kulturellen Leistungen schmälern zu wollen. Sicher bedienen sich Menschen, anders als ihre tierischen Verwandten, in umfänglicher Form der kulturellen Weitergabe ihrer Fähigkeiten, was ihnen eine im Vergleich zur bloßen biologischen Vererbung evolutionär schnellere Entwicklung ermöglicht hat. (Tomasello 2002) Kulturelles Lernen gründet in der Fähigkeit des Menschen seine Artgenossen als seinesgleichen zu verstehen. Im Unterschied zu Menschenaffen interpretieren Menschen andere Menschen als intentionale Wesen, das heißt als Wesen, die Absichten und Überzeugungen hegen und auf der Grundlage von Zwecken handeln. Menschen begreifen sich nicht, wie Menschenaffen, ausschließlich als Spielbälle in einem durch und durch kausal bestimmten Geschehen (Buchholz 2004). Die soziale Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen, kann als zentraler Beschleunigungsfaktor in der Evolution menschlicher Fähigkeiten betrachtet werden. Basis für die enormen sozialen Fähigkeiten des Menschen sind bestimmte angeborene, biologisch sinnvolle Erwartungsstrukturen. Alle lebenden Organismen sind mit solch angeborenen Erwartungen an die Unwelt ausgestattet. So wie Blumen erwarten, dass auf den Frühling der Sommer, dann der Herbst und der Winter folgt, erwarten auch tierische und menschliche Organismen eine ganz bestimmte Umwelt – sie verfügen über genetisch angelegte Theorien, wie sich die Umwelt zu verhalten hat, eine Art angeborenes Wis-
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sen, das sich im Ausleseprozess der Evolution bewährt hat. (Popper 2003) So erwarten Säuglinge, dass sie nach der Geburt gehegt, gepflegt, gestillt und angelächelt werden. Ihrerseits verfügen sie über ein angeborenes prozedurales Wissen, das es ihnen ermöglicht, durch eigene Verhaltensbeiträge Einfluss auf die menschliche Umgebung zu nehmen, sodass ihre angeborenen Erwartungen auch wirklich erfüllt werden. Lernen ist wesensmäßig soziales Lernen, und nicht zufällig ist das Lernen durch Imitation beim Menschen – im Vergleich mit Primaten – besonders weit entwickelt. Die Bedeutsamkeit der Leibfundierung für die spätere Entwicklung kann heute gut mit Erkenntnissen der Systemtheorie, der Biologie und der modernen Gehirnforschung in Einklang gebracht werden. Auch für Piaget waren die entwicklungsmäßigen Errungenschaften des Kindes primär leibfundiert. Soziale Austauschprozesse gründen sich schon auf zellulärer Ebene auf wechselseitige Regulationsvorgänge zwischen einzelnen Zellindividuen.
5. Exkurs: Regulation und Interaktion auf zellulärer Ebene Betrachten wir diese Regulation am Beispiel der Nervenzellen. (Hüther 2005b) Ein nervöser Impuls wird dann weitergeleitet, wenn Regulationsbedarf besteht, d. h. wenn sich ein Systemzustand hinreichend aus einem Gleichgewicht heraus verschoben hat. Diese Gleichgewichtsverschiebung betrifft sowohl die zelluläre als auch die gesamtorganismische Ebene. Auf zellulärer Ebene sind es Veränderungen im Bereich der Zellhaut, der Außenmembran, die regulative Prozesse bewirken; auf Hirnebene erfolgt die sog. Stressreaktion, wenn die Erregung eine solche Intensität erreicht hat, dass sie subkortikale, limbische und hypothalamische Bereiche erfasst. Damit der Organismus auf allen Ebenen seine regulatorischen Möglichkeiten wahren kann, ist es notwendig, dass seine Einzelteile, die sich durch bestimmte funktionelle Spezialisierungen voneinander unterscheiden, miteinander effektiv kommunizieren. Dabei spielen auf organischer Ebene zwei Signaltransduktionswege eine Schlüsselrolle: die nervöse und die humorale Signalübertragung; die nervöse erfolgt über Nervenbahnen, die humorale über chemische Botenstoffe. Immunologische Reaktionen führen z. B. zu Signalstoffen, die mittels Hirnrezeptoren zentralnervöse Leistungen modulieren – es sind die humoralen Signalstoffe, die vom Darm und von anderen inneren Organen produziert werden, neuronale Netzwerke beeinflussen und damit auch das psychische Geschehen. Die Regulationsmöglichkeiten folgen unterschiedlichen zeitlichen Charakteristiken: kurzfristige Regulierungen nehmen bevorzugt den Weg über das zentrale Nervensystem; mittelfristige Regulierungen bevorzugen den humoralen Signaltransduktionsweg; langfristige Regulierungen bedienen sich bestimmter Botenstoffe, wie Dopamin, Kortisol oder Wachstumsfaktoren, die an der Regulation der zellulären Genexpression ansetzen. Durch Aktivierung zellulärer Enzyme werden auf diesem langfristigen Regulierungsweg Proteinbildungen veranlasst, die nicht nur zu funktionellen, sondern auch zu strukturellen Veränderungen auf Zell-, Gewebe- oder Organebene führen und auf diese Weise neue Potentiale nachhaltig entwickeln – wobei gleichzeitig auf andere Nutzungsmöglichkeiten verzichtet wird. Da Zeit- und Energieressourcen nicht unbegrenzt sind, wird bereits auf organismischer Ebene ein grundlegendes Entwicklungsprinzip wirksam: Jede längerfristige Zustandsänderung bringt einerseits einen Spezialisierungs- und Differenzierungsgewinn, hat aber andererseits auch ihren Preis. Die Entfaltung neuer struktureller Möglichkeiten geht mit einem Verzicht auf die Aktivierung bestimmter anderer Potentiale Hand in Hand. Dieses im Dienste selektiver Optimierung (Dreher 2004, S. 60) notwendige Entwicklungsprinzip bleibt als Grundprinzip lebenslang von Bedeutung und kann als biologisch begründet betrachtet werden, ist aber nicht nur auf unsere Biologie beschränkt: Auch psychische Veränderungsprozesse haben ihren Preis. Beispielsweise wird ein Gewinn an innerer psychischer Differenzierung dadurch „erkauft“, dass einfache, reflexhafte, der Abwehr schmerzlicher Affekte und Erinnerungen die-
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nende Bewältigungsmechanismen nicht mehr in gleicher Weise reflexhaft in Kraft treten wie zuvor; die sich zunehmend differenzierende Psyche ist für Affekte im allgemeinen durchlässiger geworden. Dem Gewinn an Lebensfreude steht die grundsätzliche Möglichkeit, sich schmerzlich berühren zu lassen, gegenüber – jeder Entwicklungsgewinn hat seinen Preis. Das Gewinn-Verzichtsprinzip wird während der embryonalen Entwicklung besonders intensiv genutzt. Es ist die Voraussetzung dafür, dass eine Spezialisierung von genetisch zunächst völlig identischen Zellen – vorerst in Keimblätter, später in Gewebe und Organe – überhaupt stattfinden kann. Die speziellen Funktionsaufteilungen im Embryo werden durch lokal unterschiedliche Bedingungen der Zellen regelrecht erzwungen – wobei schon auf dieser Ebene die Ausbildung von Teilbereichen auf eine gelungene Abstimmung zwischen den Einzelbereichen zurückgeht. Differenzierung und Abstimmung gehen auf diese Weise stets Hand in Hand. Gewissermaßen lernen bereits embryonale Zellen durch Kommunikation und Interaktion innerhalb von Zellverbänden und benutzen dabei laufend an Komplexität gewinnende Signalvermittlungsmöglichkeiten. Kommunikation mit dem Zweck des Informationsaustausches und Interaktion mit dem Zweck wechselseitiger Beeinflussung durch spezifische Aktivitäten sind biologisch fundiert.
6. Proto-Selbst, Kern-Selbst und Körper-Selbst Die relationale Perspektive ist biologisch fundiert. Die allererste Aufgabe unseres Gehirns ist nicht das Denken, sondern das Herstellen, Aufrechterhalten und Gestalten von Beziehungen auf zellulärer Ebene – und dies zeitlebens! (Hüther 2005b) Die ersten Beziehungen im sich entwickelnden Gehirn sind einfache Regelkreise zur Steuerung basaler körperlicher Prozesse. Je häufiger sie benutzt werden, umso stabiler werden sie, d. h. sie fungieren im Sinne etablierter Gewohnheiten. Es werden körperliche Prozesse im Sinne von Teilfunktionen automatisiert. Durch Abstimmungsprozesse werden im Gehirn einzelne Regelkreise miteinander verbunden, wodurch übergeordnete neuronale Netzwerke entstehen. Zunächst sind diese Netzwerke morphologisch und funktionell labil, aber je häufiger sie aktiviert werden, umso stabiler werden sie. In der embryonalen Entwicklung vollzieht sich dieser Stabilisierungsprozess zunächst endogen, d. h. in wesentlichen Teilbereichen noch vor der Ausreifung der Sinnesorgane, d. h. vor der Differenzierung verschiedener Kontaktwege mit der Umwelt. Die sich differenzierenden Verschaltungsmuster entwickeln sich in Schritten zu lebenslang unbewussten inneren „Bildern“ der im Körper ablaufenden Reaktionen – ihr Ergebnis ist das „Proto-Selbst“ (Damasio 1999), das physiologische Prozesse repräsentiert. Aus ihm entwickelt sich im Zuge der Ausbildung und Funktion der Sinnesorgane das gefühlte „Kern-Selbst“ (Damasio 1999), indem im limbischen System und im assoziativen Kortex Erregungsmuster erzeugt werden, die ihrerseits Bilder darüber entwickeln, wie der eigene Körper beeinflusst wird, wenn er mit einer bestimmten Antwort auf Veränderungen der äußeren Welt reagiert. Das „Kern-Selbst“ (bei Hüther in etwa identisch mit dem Kern-Selbst nach Stern 1992) wird als Körpergefühl repräsentiert, und zwar auch dann, wenn eine körperliche Reaktion durch eine Erinnerung an eine Reizantwort ausgelöst wird. (Hüther 2005b) Die verschiedenen entwicklungsbezogenen Selbst-Definitionen bei einzelnen Autoren erscheinen insgesamt etwas verwirrend, daher nochmals ein kurzer Vergleich von A. Damasio und D. Stern. (vgl. dazu Fonagy u. Target 2006, S. 348f.) Damasios „ProtoSelbst“ hat insofern eine Ähnlichkeit mit Sterns „auftauchendem Selbst“, als Damasio
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seine Entwicklung mit tiefen Hirnstrukturen in Verbindung bringt, die den physischen Zustand des Organismus in seinen vielen Dimensionen fortlaufend abbilden. Sterns „auftauchendes Selbst“ ist daher mit den „neuronalen Karten erster Ordnung“ Damasios vergleichbar. „Neuronalen Karten zweiter Ordnung“ liegen andere Schaltkreise zugrunde, sie repräsentieren die Geschichte der Veränderungen, die durch die Interaktion des Organismus mit einem Objekt im ursprünglichen „Proto-Selbst“ hervorgerufen werden. Eine solche Karte vergleicht das „Proto-Selbst“ vor und das veränderte „Proto-Selbst“ nach der Interaktion miteinander – seine neuronale Struktur ist Sterns „Kern-Selbst“ analog, denn eben dieser Veränderungsprozess definiert das „KernSelbst“ (Siegel 2001) und ruft gleichzeitig einen Zustand erhöhter Aufmerksamkeit hervor, aus dem schließlich das Bewusstsein hervorgeht (Fonagy u. Target 2006, S. 349). Das „Kernbewusstsein“ entwickelt sich somit in Interaktion! In der dritten Phase nach Damasio entwickelt sich das erweiterte Bewusstsein, es entspricht neuronalen Karten dritter Ordnung und entspricht Sterns „subjektivem Selbst.“ (Ebend.)
„Proto-Selbst“ (Damasio) bzw. „Kern-Selbst“ (Stern) bilden gemeinsam die Grundlage für das „Körperselbst“ als Voraussetzung für die weitere Konstruktion eines „Ichs“. Das „Körperselbst“ ist im Unterschied zum „Proto-Selbst“ und zum „Kern-Selbst“ grundsätzlich bewusstseinsfähig und bildet die basalste Ebene selbst gemachter Erfahrungen – es ist ein Referenzsystem für die Bewertung eigener Erfahrungen. Es wird in seiner Struktur durch regulierende Aktivitäten der elterlichen Bezugspersonen beeinflusst: charakteristische Interaktionserfahrungen sind künftig als „Rigs“ (representations of interactions that have been generalized) verankert (Stern 1992) und prägen forthin die Grunderwartungen. Die Rigs sind demnach vorsprachlich und auf der Körperebene als emotionale Reaktionsmuster verankert – sie sind das Substrat von „Gefühlsgewohnheiten“, d. h. von interaktiv ausgelösten konditionierten und automatisierten Vorgängen. Solche Gefühlsgewohnheiten schließen die Möglichkeit ein, dass bestimmte Affekte (z. B. Ärger) a priori unterdrückt werden. Sie sind mimisch nicht nachweisbar, obwohl sie – gemessen an der Qualität der Interaktion – erwartbar wären. Bei bestimmten einjährigen unsicher-vermeidend gebundenen Kindern war beispielsweise im Kontext potentiell ärgerauslösender Situationen die Gefühlsqualität Ärger mimisch nicht nachweisbar, obwohl physiologische Erregungsparameter eindeutig das Gegenteil anzeigten, d. h. auf eine erhöhte Grundanspannung hinwiesen (Dornes 1997, S. 296). Künftig könnten GanzkörperKodierungen den Nachweis erbringen, ob das Nicht-Fühlen eines erwartbaren und physiologisch indirekt nachweisbaren Affekts (wie z. B. Ärgers, s. o.) nicht doch bestimmte körperliche Korrelate haben könnte – wenn schon nicht mimische, dann z. B. Aktivierungsveränderungen im Bereich bestimmter Atemmuskeln; die Forschung hat sich bisher v. a. auf die mimische Expression konzentriert, nicht aber auf Ganzkörperkodierungen, vermutlich wegen des damit verbundenen hohen technischen Aufwandes.
7. Exkurs: Nonverbale Kommunikation aus evolutionsbiologischer Sicht Die Gehirnentwicklung und die mit ihr einhergehenden Errungenschaften haben einen evolutionären Sinn (Oberzaucher 2005). Homo erectus bildete sich in der Evoluti-
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on unserer Vorfahren vor etwa zwei Millionen Jahren heraus, und zwar als Konsequenz bestimmter Umweltrandbedingungen. Als Jäger und Sammler lebte er in Kleingruppen von maximal 300 Individuen. Die Frauen waren diejenigen, die sich aus den Kleingruppen herausbewegten und sich Männern fremder Gruppen anschlossen, wodurch ihre Anpassungsfähigkeit herausgefordert wurde. Durch einen Klimawechsel wurde es für Homo erectus notwendig, seinen Lebensraum von den tropischen Regenwäldern in die Savannen zu verlegen; dort war jedoch der Raubtierdruck wesentlich größer. Dieser ließ sich durch das Leben in größeren Gruppen reduzieren. Mit steigender Gruppengröße stieg jedoch auch die Komplexität der Gruppenbeziehungen, was zur Ausbildung von Intelligenz und Sprache führte – um mit der großen Masse an sozialer Information umgehen zu können und die sozialen Beziehungen zu pflegen. Sprache war zunächst „Fellpflege.“ (Ebend.) Parallel entwickelte sich reziproker Altruismus nach den Motto: „Ich helfe dir jetzt, damit du mir später hilfst.“ (Wuketits 2000) Um aber nicht ausgenutzt zu werden, war es erforderlich, das Verhalten anderer Hordenmitglieder vorhersagen zu lernen. Nichtsprachliches Verhalten wurde dabei als Kontrollmechanismus notwendig, um dem Lügen-Können durch Worte ein Gegengewicht entgegenzusetzen – um also das „Gemeinte“ zusätzlich zum „Gesagten“ verstehen zu können. Nichtsprachliches Verhalten ist sehr wahrscheinlich ein biologisch verankerter korrektiver Zugang zu zurückgehaltener und falscher Information. Nichtsprachliche Verhaltenssignale bedienen sich verschiedener Kanäle, dem akustischen Kanal (Lautäußerungen), dem olfaktorischen Kanal (Signalgebung über Feromone mit Hilfe des Vomeronasalorgans), dem taktilen Kanal (z. B. Wahrnehmung von feuchten Händen als körperliches Anzeichen von Lüge) und dem visuellen Kanal (statische und bewegte Signale). Der Wahrnehmungs- und Verarbeitungsapparat verfügt zu diesem Zweck über spezielle Dekodierungsmechanismen für nonverbal vermittelte Information. Das menschliche Ohr ist z. B. besonders empfänglich für Oberschwingungen, in denen sich Signale für „Ehrlichkeit“ manifestieren. Der mimische Gesichtsausdruck macht es möglich, Vorhersagen über ein Individuum zuzulassen. Personen mit expressiver Mimik werden deshalb im Allgemeinen attraktiver empfunden als Personen mit wenig expressiver Mimik, weil sie besser einschätzbar sind. (Renninger 2004) Nonverbales Verhalten kann hinsichtlich bestimmter dynamisch-kinetischer Charakteristika schwerer verborgen werden als verbales Verhalten, es ist weniger gut kontrollierbar. Man kann zwar Bewegungsimpulse grundsätzlich unterdrücken, man kann aber nur unzulänglich beeinflussen, wie man sich bewegt; die dynamisch-kinetische Bewegungskontur ist individuell sehr spezifisch. Auch Gestimmtheitsparameter, Einstellungen und Dominanzverhältnisse drücken sich auf nonverbalem Weg aus und sind schwer beeinflussbar. (Oberzaucher 2005) Die Ähnlichkeit in der Bewegungsqualität ist ein wichtiger Attraktor. Untersuchungen am Flirtverhalten zeigen, dass für die „Sympathie auf den ersten Blick“ synchrone Bewegungen eine wichtige Rolle spielen; dieser Aspekt verliert im Laufe länger andauernden Beziehung an Bedeutung, was biologisch sinnvoll ist. (Oberzaucher 2005) Die Fähigkeit, sich hinsichtlich körperlicher Bewegungen zu synchronisieren und sie zu imitieren gilt als wesentlicher Sozialisationsprozess. (Heyes, 1993, 1994) Die Fähigkeit zur Imitation ist auch bei anderen sozialen Lebewesen, v. a. Menschenaffen, anzutreffen, der Mensch übertrifft seine Artverwandten in dieser Fähigkeit aber bei weitem. Hinsichtlich kommunikativer Störungen sind „proximate Ursachen“ aus der Sicht von Biologen solche, die in der Entwicklung des Individuums und seiner sozialen Beziehungen liegen. (Mayr 1993, Wuketits 2005) „Ultimate Ursachen“ von Kommunikationsstörungen liegen aus der Sicht von Biologen tiefer, und zwar in der Stammesgeschichte unserer Gattung, und sie können aus biologischer Perspektive erst über die Rekonstruktion stammesgeschichtlicher Bedingungen, wie z. B. die Sozialisationsbedingung des Menschen als Kleinhordenwesen, ergründet werden. (Wuketits 2005)
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Während die Bindungsforschung mehr die Wichtigkeit von Abstimmungsprozessen betont und untersucht, d. h. inwieweit Abstimmungen gelingen oder misslingen, gehen Biologen, gemeinsam mit Piaget, von einem „kindlichen Egoismus“ aus (Piaget 1973), der im Dienste des individuellen Überlebens steht und biologisch als positiv zu bewerten ist. Bindungsbestrebungen (Abstimmung) und Autonomiewünsche (kindlicher „Egoismus“) gehen aus biologischer Sicht Hand in Hand. Die Sozialisation des Individuums ist dann als „gelungen“ zu bezeichnen, wenn das Individuum sich als Teil einer Gemeinschaft findet, ohne seinen „Eigenwillen“ aufgegeben zu haben. Dem geht gewissermaßen eine Gratwanderung voraus. Denn das heranwachsende Kind als kleiner „Welteroberer“ braucht einerseits eine gewisse Autonomie, ist aber andererseits darauf angewiesen, die Welt innerhalb eines intakten Sozialgefüges zu „erobern“, d. h. es benötigt einen bestimmten Grad an Bindung, „... ein Wissen um den Ort und die Person, bei der man sicher ist, an die man sich dadurch gebunden weiß, dass man ihr etwas zuliebe tun, auf etwas verzichtet oder etwas aufschiebt.“ (Meves 1983, S. 87) Wesentliches Grundmotiv aus der Sicht der Biologen ist das Überleben: Der Mensch wurde von der Evolution mit Fähigkeiten zum Überleben ausgestattet. Als soziale Lebewesen haben wir unseren „genetischen Eigennutz“ allerdings stets mit der jeweiligen Gruppe mehr oder weniger in Einklang zu bringen. Daher mussten sich früh in der Evolution unserer Gattung Mechanismen des gegenseitigen Verstehens und der Abstimmung von Verhaltensformen entwickeln (vgl. Flack 2000). Die Lebensfähigkeit des Individuums bzw. seine eigenen Reproduktionschancen hingen von der Fähigkeit zur Abstimmung ab, und in diesen Zusammenhang ist auch die Entstehung und Entwicklung von Emotionen einzuordnen: sie erleichtern als Indikatoren für innere Befindlichkeiten immer wieder notwendige Abstimmungsprozesse; neuronales Substrat 6 der biologisch fundierten Fähigkeit zur Empathie sind Spiegelneuronen. (s. u.) Proximate und ultimate Ursachen sind das Ergebnis von Lernprozessen, die über individuelles Lernen hinausgehen und generationsübergreifende Auswirkungen haben können; in der transgenerationalen Weitergabe von Lernvorgängen kann man ein basales, biologisches Fundament vermuten, das Lernprozesse in jeder Lebensphase mitzugestalten vermag, und das Lernen nicht auf die individuelle Zeitspanne beschränkt, sondern in einen größeren Zeithorizont einbettet: aus systemisch-biologischrelationaler Perspektive hat Lernen eine überindividuelle Dimension, sie ist langfristig für die gesamte „Art“ von Bedeutung, dient der Arterhaltung.
8. Pränatale Entwicklung Gegenwärtig kann die pränatale Entwicklungsforschung zwar noch wenige spezifische Antworten auf die Frage geben, wie sich bestimmte pränatale Ereignisse und Erfahrungen auf die weitere Entwicklung des ungeborenen Kindes auswirken werden.
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Bis vor kurzem wusste man, dass die Funktion der Spiegelneuronen mit dem visuellen Sinneskanal in Verbindung steht – d. h. die Beobachtung des Gesichtsausdrucks einer Person aktiviert im prämotorischen Kortex des Beobachters die Spiegelneuronen. Kürzlich haben Forscher vom University College London – J. E. Warren et al. – den Nachweis erbracht, dass dieses reflexartige Mitfühlen auch nichtvisuelle Reize einschließt, im Speziellen Lautäußerungen. Interessant an diesen Untersuchungen ist außerdem, dass positiv erlebte emotionale Äußerungen anscheinend zu einer stärkeren Aktivierung der Spiegelneuronen führen als negativ erlebte. Die Forscher vermuten dahinter einen neuronalen Mechanismus zur Stärkung sozialer Bindungen. Quelle: Journal of Neuroscience, 13. 12. 2006, S. 13067. In: Spektrum der Wissenschaft Februar 2007, S. 10.
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Dennoch kann das alte Paradigma, nach dem die Entwicklung des Feten und vor allem des fetalen Gehirns, gesteuert durch genetische Programme, weitgehend autonom abläuft, als überholt gelten. (Hüther 2005a) Zwar kann man als gesichert annehmen, dass jedes Ereignis in die innere Welt des sich entwickelnden Gehirns vordringt und dort auch Spuren hinterlässt, die nachfolgende Entwicklungsprozesse beeinflussen; „aber im Einzelfall ist kaum abschätzbar, wie diese Spuren beschaffen sind, welche Folgen sie haben, ob und wie sie im Verlauf der weiteren Entwicklung kompensiert werden.“ (Ebend. S. 62) Je weiter die pränatale Forschung voranschreitet, umso deutlicher wird, dass schon der im Mutterleib befindliche Fetus, innerhalb bestimmter Grenzen, ein kompetenter Interaktionspartner ist (Milch et al. 2005, S. 148). Bereits in der Fetalperiode entwickelt sich aufgrund der intrauterinen Ausbildung sinnlicher Modalitäten eine Wechselseitigkeit, vor allem als körperliche Abstimmung zwischen Mutter und Kind: „Vielleicht kann man bei Feten noch nicht von Subjekten sprechen, aber Intersubjektivität ist unserer Auffassung nach von Anfang an als ein Möglichkeitsraum vorhanden, als eine konstituierende Bedingung des auftauchenden Selbst, das bereits ein charakteristisches subjektives Design aufweist.“ (Ebend. S. 149) Selbstzustände gehen nämlich mit Körperempfindungen einher, die wahrscheinlich bereits pränatal als biologischer Marker7 abgespeichert werden. (Damasio 1994) Auch selbstregulative Fähigkeiten entwickeln sich in ihren Vorstadien vermutlich pränatal; erfahrungsabhängig werden Hirnstrukturen gebildet, die die neurobiologische Grundlage von Selbstregulation darstellen. (Hartmann et al. 2004, S. 41) Entwicklungspsychologisch frühe unbewusste Erfahrungen strukturieren diejenigen Hirnbereiche, die für die Kontrolle erwachsenen Verhaltens notwendig sind. (Kandel 1998, 1999) Ebenso kann die Relevanz von intrauterin einwirkenden Stressfaktoren im Hinblick auf die fetale und postfetale Entwicklung als belegt gelten. (Van der Bergh 2005, S. 104)
8.1. Fetale Sinne Eine ungefähre Ahnung von den pränatalen regulatorischen Möglichkeiten, die dem Feten zur Verfügung stehen, kann man bekommen, wenn man sich die Entwicklung der Sinneskanäle vor Augen hält. Ein auditorischer Reiz löst von der 20. bis 24. Schwangerschaftswoche an eine motorische Reaktion aus (Shahidullah u. Hepper 1993) und ab der 28. Woche eine Steigerung der Herzschlag-
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Die Grundidee Damasios besteht darin, dass Handlungsoptionen irgendwie geordnet werden müssen. Dazu werden Kriterien benötigt, und als Kriterien werden physiologische Reaktionen herangezogen – „somatic markers“ – die als Handlungspräferenzen wiederum auf emotional-körperlichen Erinnerungen aufbauen. Entscheidungen werden – so Damasio – nicht, wie früher angenommen wurde– rein rational getroffen („Descarte´s Irrtum“), sondern haben eine emotionale Grundlage. Es würde unseren „Arbeitsspeicher“ überfordern, müssten wir jede Entscheidung rational abwägen; daher nutzen wir Erinnerungen an bestimmte relevante Ereignisse und mit ihnen verknüpfte körperlich-emotionale Reaktionen. Vgl. dazu auch die „Qualia.“ (s. u.)
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rate. (Gagnon 1989) Die Reaktion des Feten wird durch die Art des Geräusches, seine Häufigkeit, seine Intensität, seine Dauer und durch den momentanen Verhaltenszustand des Feten beeinflusst. (Hepper u. Shahidullah 1994a, 1994b) Tomatis (1987) vermutet, dass bereits während der Entwicklung des embryonalen Gehirns der Vestibularapparat tausende von Informationen über den sich ständig in Umbau befindlichen embryonalen Körper sammelt, speichert und somit seine Wirkung entfaltet, auch wenn diese zunächst passiver Natur zu sein scheint. Dennoch wird – so seine Annahme – bereits auf vestibulärer Ebene eine frühe Zweiteilung der Welt wahrgenommen: der Körper einerseits und die äußere Welt andererseits. Mit anderen Worten: Vorformen der KörperbildEntwicklung entstehen bereits in utero. Tomatis (ebend.) gelangt aufgrund eigener Experimente, evolutionstheoretischer Überlegungen und durch das Studium weiterer wissenschaftlicher Arbeiten zur Ansicht, dass dem vestibulocochleären System und der Funktion des „Horchens“ als aktivem Vorgang eine zentrale Rolle in der Phylo- und Ontogenese zukommt – die sogar die Entwicklung des Gehirns maßgeblich beeinflusst. Der Embryo ist vom Wesen her „vestibulär“, während der bereits zu aktiven Bewegungen fähige Fetus „cochleär“ zu sein scheint – ganz ausgerichtet auf den Klang der mütterlichen Stimme, die er sofort nach der Geburt wiedererkennt. Auch auf einen basalen Geruchs- und Geschmackssinn kann der Fetus zurückgreifen, und diese beiden Sinneskanäle fungieren intrauterin Hand in Hand. Aufgrund der Fähigkeit des Säuglings, Gerüche und Geschmacksnoten wiederzuerkennen, geht man von der Annahme eines ab der Geburt funktionierenden chemosensorischen Systems aus, auch wenn bisher unbekannt ist, wann es sich entwickelt. (Hepper 2005, S. 70) Somatosensorische Reize sind die ersten, die eine Wirkung auf den Feten ausüben. Wenn er in der 8. Schwangerschaftswoche an den Lippen berührt wird, reagiert er mit Bewegung; (Hooker 1952) diese Reaktionsbereitschaft dehnt sich allmählich auf die Wangen, die Stirn, die Handflächen und danach auf die Oberarme aus. Außer dem Rücken und der Schädeldecke reagieren alle Körperteile von der 14. Schwangerschaftswoche an auf Berührung. Von da an stimuliert sich der Fetus auch selbst (Vries et al. 1985). Ab der 13. Schwangerschaftswoche nimmt die Hand des Feten Kontakt mit seinem Mund auf und man kann beobachten, dass der Fetus am Daumen saugt – d. h. ein kinästhetischer Sinn entwickelt sich, der sich auf die Position der verschiedenen Körperteile untereinander stützt. Ab der 25. Schwangerschaftswoche zeigt der Fetus den sog. Aufrichtungsreflex und begibt sich gegen Ende der Schwangerschaft in eine bevorzugte Position, was auf ein funktionierendes vestibuläres System, das die Position des Körpers im Raum in Beziehung zur Schwerkraft reguliert, schließen lässt. (Hepper 2005, S. 69 ff., Tomatis 1987) Bisher ist umstritten bzw. unbekannt, ob der Fetus Schmerz spürt; auf Stressreize reagiert er ab der 23. Schwangerschaftswoche. (Giannakoulopoulos et al. 1994) Da der mütterliche Organismus für eine gleich bleibende Temperatur in der Gebärmutter sorgt, ist unwahrscheinlich, dass der Fetus größere Temperaturschwankungen spürt. Im letzten Schwangerschaftsdrittel hört der Embryo bereits die Stimme seiner elterlichen Bezugsperson und kann sie nach der Geburt erkennen. Zu dieser Zeit werden auch durch die Zusammensetzung des Fruchtwassers bedingte Ge-
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ruchs- und Geschmacksempfindungen verarbeitet und als frühe Erfahrungen verankert. Von den Brustwarzen der stillenden Mütter werden identische Pheromone abgegeben, die auch im Fruchtwasser enthalten waren. Ändert man die Duftstruktur des Fruchtwassers, suchen neugeborene Kaninchen die spezifischen Duftzugaben überall dort, wo es darnach riecht. Auch beim Menschen scheint es so zu sein, dass Geschmack und Geruch der Muttermilch dem Neugeborenen bereits vertraut sind. (Hüther 2005a, S. 60) Intrauterine Lernvorgänge manifestieren sich auf Gehirnebene in zunehmend effizienteren neuronalen Verknüpfungen und in autonomer werdenden Teilfunktionen. Alles, was ein Neugeborenes an Kompetenzen scheinbar automatisch mit auf die Welt bringt, „hat es intrauterin bereits erfahren, kennen gelernt und in der einen oder anderen Weise bereits „geübt“. Das gilt für die Bewegungskoordination, für die Gleichgewichtsregulation, für die Atmung, für einfache Greifreflexe, aber auch für sehr gezielte Handlungen wie beispielsweise das Daumenlutschen.“ (Hüther 2005a, S. 53–54) Dass der Fetus schon intrauterin eine Menge lernt, ist unmittelbar einleuchtend: Es ist für sein Überleben wichtig, bestimmte Bewegungen und Funktionen (wie die Atemfunktion) bereits im Vorfeld zu üben, um sicherzustellen, dass sie gut funktionieren, wenn sie gebraucht werden. (Hepper 2005, S. 76) Zu diesem Lernen gehören auch all jene Fähigkeiten, die den späteren Säugling in die Lage versetzen, die eigene Mutter wiederzuerkennen. (Ebend. S. 77) Da das visuelle System des Neugeborenen noch nicht ausgereift ist, liefert der Gehör- und Geruchssinn die beste Grundlage für das Erkennen von Menschen in seiner Umgebung, denn diese beiden Sinne funktionieren auch über die Entfernung ohne direkten Blickkontakt zwischen Mutter und Neugeborenem. „Indem er etwas über seine wichtigste Bezugsperson lernt, stellt der Fetus sicher, dass er bevorzugt auf den Menschen reagiert, der sich nach der Geburt mit großer Wahrscheinlichkeit um ihn kümmert. Dieser Vorgang stellt wahrscheinlich auch den Beginn der Bindung dar. Die Mutter (oder eher die Gruppe von Reizen, die die Mutter ausmachen) ist der einzige bekannte Reiz, den das Neugeborene kennt, und stellt daher die ideale und sichere Basis dar, von der aus der neugeborene Säugling seine Umgebung erkunden und etwas über sie lernen kann.“ (Ebend. S. 77)
8.2. Fetale motorische Fähigkeiten Etwa ab der 7. Schwangerschaftswoche lässt sich beobachten, wie der in der Fruchtblase schwimmende Embryo erste, noch sehr unkoordinierte Bewegungen ausführt (Hüther 2005a). Anfangs sind es Zuckungen, die durch die Kontraktion bestimmter Muskeln des Rumpfes und der Extremitäten ausgelöst werden. Zu diesem Zeitpunkt beginnen die vom Rückenmark und vom Gehirn aussprossenden Nervenzellfortsätze mit diesen Muskelzellen in Kontakt zu treten. Jetzt können diese Muskelzellen durch die von bestimmten Nervenzellen erzeugten Erregungen und durch die Wirkung des dabei an den Enden ihrer Fortsätze abgegebenen Signalstoffes (Azetylcholin) zur Kontraktion veranlasst werden, und die Muskelspindeln können nun ihrerseits über sensorische Nerven den Dehnungszustand des Muskels an das Rückenmark und das Gehirn zurückmelden. So entstehen die ersten Verknüpfungen zwischen den motorischen und den sensorischen Bahnen; zunächst im Rückenmark und später auch in den übergeordneten, für die Bewegungskoordination zuständigen Schaltzentralen
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im Gehirn. Hier werden aus einem zunächst bereitgestellten, viel zu großen Angebot an synaptischen Verbindungen allmählich diejenigen Verschaltungsmuster stabilisiert und gebahnt, die bei den zunehmend komplexer und koordinierter werdenden Bewegungsabläufen regelmäßig aktiviert werden. Von Anfang an findet Lernen durch Nutzung und Übung der entsprechenden Körperfunktionen statt. Im Verlauf dieses langwierigen und komplizierten Lernprozesses wird der Embryo in die Lage versetzt, seinen Rumpf, seine Beine und seine Arme in zunehmend koordinierter Weise zu bewegen, regelmäßige „Atembewegungen“ durch die Kontraktion von Zwerchfell und Rippenmuskulatur auszuführen oder seinen Daumen gezielt in den Mund zu stecken. All diese Bewegungsabläufe müssen „eingeübt“ und „erlernt“ werden. Fehlt dem Embryo die Möglichkeit dazu – beispielsweise, weil eine Extremität nicht ausgebildet ist –, so können auch die sich im Gehirn für die Koordination dieser Bewegungen nutzungsabhängig herausbildenden neuronalen und synaptischen Verschaltungsmuster nicht entstehen. Im sich entwickelnden Gehirn wird dann kein „inneres Bild“ (Repräsentanz) der betreffenden Extremität und der ihre Bewegungen steuernden Muskelkontraktionen angelegt. (Ebend) Was für die zentralnervöse Steuerung der Körpermuskulatur gilt, trifft in gleicher Weise – wenngleich weniger deutlich sichtbar oder messbar – für die Herausbildung all jener neuronalen Verschaltungen und synaptischen Netzwerke zu, die an der Steuerung und Koordinierung aller anderen Körperfunktionen beteiligt sind. Dazu zählen all jene sich im Gehirn (in ähnlicher Weise wie die sensomotorischen Repräsentanzen) herausbildenden Regelkreise für die Regulation der Funktion von inneren Organen, von peripheren Drüsen, von Blutkreislauf und Atmung, aber auch des Blutzuckerspiegels oder der Sauerstoffversorgung (bzw. der Kohlehydratsättigung) im Blut. Auch die über Drucksensoren in der Haut von der Körperoberfläche zum Gehirn weitergeleiteten Erregungsmuster führen dort zur nutzungsabhängigen Stabilisierung entsprechender Verschaltungsmuster. Die im Gehirn auf diese Weise herausgeformten inneren Repräsentanzen stellen gewissermaßen ein Bild von der Beschaffenheit der Körperoberfläche dar. Aufbau und Stabilisierung dieser Körperrepräsentanzen sind vollkommen unbewusst ablaufende Prozesse, denn all das geschieht zu einem Zeitpunkt, wo jene Bereiche des Gehirns, in denen später die so genannten bewussten Wahrnehmungen und Reaktionen miteinander verknüpft werden, noch sehr unreif und daher noch nicht funktionsfähig sind. Dennoch entsteht im Gehirn des ungeborenen Kindes ein immer vollständiger und komplexer werdendes inneres „Bild“ über die Beschaffenheit seines Körpers und über die in diesem Körper ablaufenden und vom Gehirn selbst wieder beeinflussbaren Prozesse. (Ebend.)
8.3. Cross-Fostering-Experimente: Belege für die Bedeutung pränataler Einflüsse In zahlreichen Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass unterschiedlich strukturierte Umweltbedingungen schon während der vorgeburtlichen Entwicklung wesentlichen Anteil an der Herausbildung eines adulten Verhaltensrepertoirs haben. (Hüther 2005a, S. 56) Psychische Belastungen der Mütter durch verschiedene Erkrankungen während der Schwangerschaft können in Abhängigkeit von ihrer Schwere und dem Zeitpunkt ihres Auftretens die Gehirnentwicklung durch Störungen in der Proliferation und Migration der Nervenzellfortsätze
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sowie der Ausbildung von Synapsen beeinflussen. Die Wechselwirkung zwischen genetischer Disposition und den pränatalen Rahmenbedingungen lässt sich besonders gut im Tierversuch durch eine als „Cross-Fostering“ bekannt gewordene Technik untersuchen. (Francis et al. 2003) Zwei Gruppen von Mäusen werden durch Inzuchtexperimente selektiert: Die eine Gruppe verhält sich angeborenermaßen in einer neuen Umgebung vorsichtiger, sie braucht mehr Zeit, um sich in einer neuen Umgebung zurechtzufinden. Die andere Gruppe besteht aus Tieren, die sich räumlich besser und rascher orientieren können und über eine gut ausgeprägte Impulskontrolle verfügen. Wurden nun die Embryonen unmittelbar nach der Befruchtung vertauscht, also durch Embryonentransfer den weiblichen Tieren des jeweils anderen Stammes eingepflanzt, so verhielten sich die Nachkommen später, wenn sie geboren und erwachsen geworden waren, genauso wie die Maus, die sie ausgetragen und aufgezogen hatte, und nicht so wie die Tiere des Stammes, von denen sie eigentlich abstammten. D. h. das scheinbar genetisch bedingte und programmierte Verhalten eines bestimmten Mäusestammes ist offenbar durch frühe intrauterine Erfahrungen und Entwicklungsbedingungen bestimmt. In Kombination mit postnatalen Erfahrungen ist es dann so, dass die Jungtiere von ihren „Leihmüttern“ Verhaltensmerkmale ganz offensichtlich übernehmen – entgegen genetischer Programmierung! (Hüther 2005a, S. 57) Was angeboren ist, muss also nicht unbedingt genetisch programmiert sein.
8.4. Fetale Gehirnentwicklung Die fetale Gehirnentwicklung kann als ein sich selbst organisierender Prozess angesehen werden. (Hüther 2005a) Im menschlichen Gehirn findet nämlich etwas, im Vergleich zu anderen Organen, in seiner Ausprägung Besonderes statt: die Modulation der Genexpression neuraler Zellen. „Genexpression“ bezeichnet die Synthese eines spezifischen Eiweißmoleküls nach dem Bauplan der DNA auf einem Gen. Die Synthese von Eiweißstoffen ist wiederum die chemische Grundlage für organismische Organbaupläne. Während früher Phasen der Embryonalentwicklung werden die entsprechenden Genexpressionen weitgehend durch solche Veränderungen bestimmt, die von den Nervenzellen selbst erzeugt werden. In verschiedenen Regionen des Embryos entstehen unterschiedliche lokale, die Genexpression der dort befindlichen Zellen in eine bestimmte Richtung verschiebende Bedingungen, mit der Folge fortschreitender Gewebe- und Organdifferenzierung. Unvorhergesehene Abweichungen der intrauterinen Versorgung des Embryos führen in dieser frühen Zeit in der Regel zu sehr nachhaltigen Veränderungen in der Genexpression, entweder zu schweren morphogenetischen Fehlentwicklungen, oder oft auch zum Tod des Embryos, d. h. zum Abort. Nur oberflächlich erscheint es daher so, dass die Hirnentwicklung von einem inneren, genetischen Programm gesteuert wird. Tatsächlich sind aber zu jedem Zeitpunkt der Hirnentwicklung bereits Rahmenbedingungen entstanden, die dann ihrerseits die weiteren Strukturierungsprozesse lenken. Beispielsweise wird in bestimmten regionalen Nervennetzwerken zunächst ein erheblicher Überschuss an synaptischen Verbindungen produziert. (Hüther 2005b) Anschließend werden all jene synaptischen Verbindungsangebote wieder eliminiert, die nicht in funktionelle Netzwerke integriert und durch synaptische Erregungsübertragung stabilisiert wurden. Auf diese Weise bleiben nur häufig
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genutzte Verschaltungsmuster zwischen Nervenzellen erhalten. Zum Zeitpunkt der Geburt ist der Prozess der Überproduktion und nachfolgenden Elimination nutzungsabhängiger synaptischer Verschaltungen bereits weitgehend abgeschlossen. (Ebend. S. 55) Die hier angelegten Verschaltungen sind für all das zuständig, was unmittelbar nach der Geburt bereits gut funktionieren muss: vegetative Funktionen, angeborene Reflexe und innere Reaktionsmuster zur Lebensbewältigung. In allen jüngeren Gehirnregionen, wie in bestimmten Bereichen des Limbischen Systems und des Kortex, dauert der Prozess der nutzungsabhängigen Strukturierung noch länger nach der Geburt an. In bestimmten Regionen, wie im präfrontalen Kortex, ist dieser Prozess bis zur Pubertät nicht abgeschlossen. Durch die erfahrungs- und nutzungsabhängige Plastizität des Gehirns sind darüber hinaus in diesen Bereichen zeitlebens Überformungen und Modifikationen einmal entstandener Verschaltungen möglich.
9. Körpergedächtnis Lässt sich aus neurowissenschaftlicher Sicht die Annahme eines KörperGedächtnisses stützen? „Alles, was auf den Einfluss vergangener Erfahrungen auf bestimmte, durch die Beschaffenheit der jeweiligen Lebenswelt ausgelöste Veränderungen der Genexpression oder der Herausformung bestimmter Merkmale zurückzuführen ist, muss als eine in der Struktur des sich entwickelnden Organismus festgehaltene Erinnerung an das betreffende Ereignis verstanden werden. Als Gedächtnis wären dann all die vielen Spuren zu betrachten, die sich als Folge der Interaktionen eines Lebewesens mit der äußeren Welt in seine Struktur und seine innere Organisation eingegraben haben. So betrachtet besitzt jede Zelle, jedes Organ, jedes Individuum, ja sogar jede Lebensgemeinschaft ihr eigenes, durch ihre jeweiligen bisher gemachten Erfahrungen herausgeformtes Gedächtnis. Das menschliche Gehirn zeichnet sich dabei nur durch eine Besonderheit aus: Es kann die spezifischen Verhaltensmuster, die durch bestimmte Erfahrungen als innere Repräsentanzen im Gehirn herausgeformt worden sind, zu späteren Zeitpunkten wieder aktivieren und damit ein inneres Erinnerungsbild der betreffenden Erfahrungen erzeugen... Deshalb sind all jene Erfahrungen, die bereits im Säuglingsalter oder gar intrauterin gemacht werden, zwar im Gedächtnis der Zellen, einzelner Organe, einzelner Hirnbereiche oder des ganzen Körpers abgespeichert. Sie können jedoch nicht bewusst explizit erinnert oder mitgeteilt werden.“ (Hüther 2005b, S. 60–61) Daraus ist eine, zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch als spekulativ zu bezeichnende Schlussfolgerung zu ziehen: „Während der ersten drei Lebensjahre, wenn die Fähigkeit zur bewussten Erinnerung allmählich herausgeformt wird, kommt es im Gehirn, insbesondere in den höheren assoziativen Zentren des Kortex, zu tief greifenden Reorganisationsprozessen. Es ist denkbar, dass von diesen Umbauprozessen auch solche Verschaltungen mit erfasst werden, die durch vorher gemachte, frühe Erfahrungen entstanden sind. Dann ließen sich unter Umständen später, wenn die Fähigkeit zum bewussten Erinnern voll ausgereift ist, diese früh entstandenen inneren Bilder zumindest bruchstückhaft, sehr verschwommen oder vorwiegend über Körperempfindungen abrufen.“ (Ebend. S. 61–62) Diese Aussagen sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht vollständig wissenschaftlich abgesichert, aber sie lassen die prägende Rolle der Körpererfahrung hinsichtlich späterer struktureller Entwicklungen erahnen. Sollten sie
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sich als richtig erweisen, wären sie ein gewichtiges Argument für unsere „Psychoanalyse der Lebensbewegungen“. Um den Einfluss z. B. pränataler Umweltfaktoren auf den Menschen überzeugend nachweisen zu können, sind wir künftig auf multidisziplinäre prospektive Studien am Menschen angewiesen, die es derzeit noch nicht gibt. (Van der Bergh 2005, S. 102)
10. Temperament Die pränatale Forschung ist derzeit so sehr im Fluss, dass im Moment noch schwer abschätzbar erscheint, welche Faktoren den „Temperamenten“ als Merkmal im Sinne eindeutig genetisch bedingter Dispositionen zuzurechnen sind – falls eine solche Klassifizierung künftig überhaupt Sinn machen sollte. Gegenwärtig bezeichnet der Begriff „Temperament“ eine Art Rohmaterial zum Zeitpunkt der Geburt, aus dem später die Persönlichkeit geformt wird. Als klassische Temperamentsfaktoren wurden in der akademischen Psychologie Intelligenz und Körperbau genannt (Allport 1968), heute rechnet man auch die Stressreaktivität und die Aufmerksamkeitssteuerung hinzu. (Hartmann et al. 2004) Temperamentsmerkmale sind durch drei Eigenschaften ausgezeichnet: biologische Fundiertheit, frühes Auftreten und zeitliche Stabilität. Das Temperament stellt, gemeinsam mit anderen Faktoren, das Grundgerüst dar, auf dem sich die Persönlichkeit entwickelt. Obwohl es verschiedene Temperamentsdefinitionen gibt, ist man sich in der akademischen Psychologie weitgehend einig darüber, dass mit der Bezeichnung „Temperament“ vor allem bestimmte körperliche Dimensionen gemeint sind, die sich u. a. in der Dynamik (z. B. in der Intensität und im Tempo) psychophysischer Prozesse manifestieren. In diesem Zusammenhang wären die „Vitalitätsaffekte bzw. -konturen“ (Stern 1992) zu den Temperamentsfaktoren hinzuzurechnen. In Temperamentstheorien fließen neuerdings ebenso Regulationskonzepte für Emotionen mit ein. (Hartmann et al. 2004)
10.1. Aufmerksamkeit und Aufmerksamkeitsregulierung Unsere Sinnesrezeptoren werden fast permanent von zahlreichen unterschiedlichen Stimuli gleichzeitig bombardiert. Die Fähigkeit alle eintreffenden Reize gleichzeitig zu verarbeiten ist begrenzt. Wir sind also gezwungen, eine Auswahl zu treffen: Wo wollen wir hinschauen, hinhören, hinfühlen, hinschmecken, hinriechen? Die Reizselektion ist ein wichtiger Vorgang im Rahmen von Lernvorgängen, um Neues von bereits Vertrautem unterscheiden zu lernen, als Voraussetzung für zunehmend differenziertere motorische Reaktionen gegenüber Umwelteinflüssen. Derartige Lernprozesse finden bereits intrauterin statt, und zwar im Bereich bestimmter Körperfunktionen; sie sind an der Ausbildung von Repräsentanzen als unbewusste Organisatoren von Bewegungen und später auch Interaktionen (Zelnick u. Buchholz 1990) von Bedeutung. Reizselektion bedeutet Auswahl; welche Reize als gegenwärtig relevant erachtet werden und wie diese Auswahl getroffen wird, charakterisiert den Begriff der Aufmerksamkeit: Es handelt sich dabei um die Fähigkeit, die Auswahl über Sinnesreize kontrollieren zu lernen, mit dem Ergebnis, dass einzelne Aspekte im Wahrnehmungsfeld beachtet werden, andere hingegen nicht. Die Fähigkeit, sich neuen und unbekannten Reizen zuzuwenden, ist im visuellen Bereich bereits beim Neugeborenen nachweisbar (Friedman 1972) und wird als
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Orientierungsreaktion bezeichnet; das Abflauen der Aufmerksamkeitsausrichtung nach wiederholter Reizdarbietung nennt man Habituation. Während der Habituationsphase wird ein Gedächtnismodell des dargebotenen Reizes aufgebaut. Das Schwächerwerden der Orientierungsreaktion von Reizdarbietung zu Reizdarbietung beruht darauf, dass die Diskrepanz zwischen der Gedächtnisspur und dem wahrgenommenen Reiz im Verlaufe der Reizenkodierung immer kleiner wird. Je vollständiger die Repräsentation ist, desto weniger Zeit benötigen die Vergleichsprozesse zwischen sensorischer Information und Gedächtnisinhalt. Die neuerliche Aktivierung der Habituierungsreaktion erfolgt dann, wenn der Säugling eine Abweichung des neuen Reizes vom gespeicherten Modell des Gedächtnisinhaltes bemerkt. Der neugeborene Säugling zeigt hinsichtlich seines Interesses für neue Reize gewisse Präferenzen, z. B. im visuellen Bereich für die Grenze zwischen Gesicht der Bezugsperson und Haaransatz. Zentral scheint sein Bestreben zu sein, Hypothesen über das, was in der Welt geschieht, zu bilden, indem er Vergleiche vornimmt zwischen schon Bekanntem und Neuem. Babys scheinen wissen zu wollen, welche Merkmale eines Erlebnisses invariant sind und welche nicht. (Stern 1992, S. 67) Affektive und kognitive Prozesse lassen sich dabei nicht ohne weiteres trennen, und das Lernen selbst erscheint affektgeladen und motivierend. Vertraute Reize, wie z. B. der Geruch der Muttermilch, werden sofort erkannt. In der Aufmerksamkeitssteuerung sind anfangs die primären Bezugspersonen von großer Bedeutung, indem sie helfen, ein optimales Umfeld in einer bestimmten Situation herzustellen, z. B. durch sinnvolle und situationsangepasste Affektmodulation (Hartmann et al. 2004). Schritt für Schritt entwickelt das Baby mit ihrer Hilfe die Fähigkeit, die eigene Aufmerksamkeit selbst besser zu regulieren. Wichtig ist dabei die Aufmerksamkeitssteuerung, die in ihrer Entwicklung von der „mühevollen Kontrolle“ (effortful control) und damit auch von Temperamentsfaktoren abhängig ist. (Posner, Rothbart et al. 2000, Hartmann et al. 2004, S. 42) Die primären Bezugspersonen unterstützen den Säugling auf basalkörperlicher Ebene dabei, Zustände von Unbehaglichkeit und Anspannung zu überwinden (z. B. durch herumtragen, wiegen, Vorsingen von Liedern, Sprechen etc., vgl. dazu Hartmann et al. 2004, S. 52–53). Einfühlsame Bezugspersonen bemühen sich darüber hinaus, den Säugling durch fesselnde Reize von seinem Kummer abzulenken bzw. diesen zu vermindern. Dies ist vermutlich der Beginn der Entwicklung eines Kontrollgefühls (Urheberschaft, Effektanz, Kompetenz) gegenüber Unbehagen und Kummer. Je besser ausgeprägt die Fähigkeit zur „effortful control“ ist, umso abgeschwächter werden negative Affekte erlebt und umso eher ist Einfühlung in andere möglich. Wer seine Aufmerksamkeit steuern kann, wird nicht vom eigenen Kummer überschwemmt, wenn er sich mit demjenigen anderer beschäftigt. (Ebend.) Ebenso wächst dadurch die Fähigkeit, eine dominante Reaktion zugunsten der Durchführung einer weniger dominanten hemmen zu können. „Effortful control“ ist ein mehrjähriger Prozess und wird frühestens mit sieben Jahren in Form eines nunmehr relativ stabilen exekutiven Aufmerksamkeitsnetzwerks abgeschlossen. (Rueda et al. 2002; zit. n. Posner et al. 2003, in Hartmann et al. 2004, S. 52–53) Die Fähigkeit zur Aufmerksamkeitsausrichtung im Sinne des Treffens einer Wahl ist eine wichtige Fähigkeit. Sie drückt sich in Augenbewegungen und in der Fixationszeit aus. Ab wann man sie als intentionalen Akt betrachtet, bleibt Gegenstand von Diskussionen. Klar ist aber, dass diese Fähigkeit bestimmte
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neuere Forschungsparadigmen (Stern 1992) überhaupt erst begründen konnte. Dem Habituierungsparadigma liegt zugrunde, dass ein Reiz gezeigt wird, auf den der Säugling seine Aufmerksamkeit richtet. Nach einer gewissen Zeit habituiert der Säugling, dann führt man einen neuen Reiz ein und seine Aufmerksamkeit kehrt zurück – er dishabituiert, bemerkt also den Unterschied zwischen den beiden Reizen; man folgert daraus, dass es sich bei der Habituierung nicht um einen physiologischen Ermüdungsprozess handeln kann, sonst würde die Aufmerksamkeit bei veränderter Reizdarbietung nicht wiederkehren. Beim Präferenzparadigma ist die Fixierungszeit Indikator für visuelle Präferenz, und auch dabei spielt Aufmerksamkeit eine Rolle. Man bietet dem Säugling einen Reiz an und misst die Fixationsdauer; nach einer angemessenen Pause präsentiert man ihm einen zweiten Reiz und misst neuerlich die Fixationsdauer. Oder man bietet dem Säugling beide Reize nebeneinander an. Die Fixationsdauer gilt als quantitatives Maß für bestimmte Wahrnehmungspräferenzen. Beim Überraschungsparadigma überprüft man Erwartungen des Säuglings. Hat er bestimmte Erwartungen, und bemerkt er Abweichungen? Man konfrontiert den Säugling z. B. mit unmöglichen Ereignissen. So reagiert der Säugling überrascht, wenn Mundbewegungen und Ton nicht übereinstimmen, wobei das Erstaunen an mimischen Indikatoren, an Änderungen der Pulsfrequenz und am Zustand einer gewissen allgemeinen Erregtheit erkennbar ist. Offensichtlich erwartet der Säugling, dass akustische Signale mit bestimmten Mundbewegungen übereinstimmen.
10.1.1. Aufmerksamkeitssysteme Man unterscheidet zwei Systeme der Ausrichtung und Kontrolle der Aufmerksamkeit. Ein erstes, basales Aufmerksamkeitssystem ist während der ersten eineinhalb Lebensjahren dominant (Papousek 2004); es zeigt eine parietale Lokalisierung und steht in Verbindung mit der Orientierungsreaktion. Es ist anfangs dadurch beschränkt, als noch keine eigenständige Fähigkeit zur selektiven und aktiven Ausblendung störender Reize ausgebildet ist. In der Aufmerksamkeitsregulation sind Babys daher stark auf regulative Handlungen der Bezugspersonen angewiesen, die ihnen dabei helfen, einen effektiven „Reizschutz“ herzustellen. Ungewohnte, neue Reize haben eine stark aktivierende Wirkung auf die Gehirntätigkeit, gleichzeitig kommt es zu einer raschen Habituierung, mit der Folge, dass der neue Reiz bald an Interesse verliert und Babys daher leicht langweilig wird. V. a. „aufgeweckte“ Babys habituieren sehr rasch. Das basale Aufmerksamkeitssystem bleibt lebenslang aktiv. Ein Beispiel: Beim Lesen dieses Buches sind Ablenkungen durch Ereignisse in der Umwelt (z. B. ein geräuschvoll vorbeifahrendes Auto) oder im eigenen Körper (z. B. Kratzen im Hals) möglich. Solche Ereignisse sind Veränderungen der sensorischen Umwelt und lösen eine Orientierungsreaktion aus; diese dient dazu, die Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Ereignis zu bündeln, während gleichzeitig andere Ereignisse im Sinne einer Filterung ausgeblendet werden (vgl. dazu Cherry 1953). Unsere basale Aufmerksamkeit richtet sich dann z. B. vorübergehend auf den Störreiz, der aber wiederum bald uninteressant wird; nach dieser kurzen Ablenkung können wir zum ursprünglichen Objekt der Aufmerksamkeit rasch zurückkehren. Erst durch die Ausbildung eines zweiten Aufmerksamkeitssystems können störende Reize wirkungsvoll ausgeblendet werden, und das Kind kann dann zielorientiert und selektiv mit Objekten umgehen, es lernt
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zu spielen. Voraussetzung für eine gelingende Aufmerksamkeitsregulierung ist eine sichere Bindung. Anders gesagt: Aufmerksamkeitsprobleme korrelieren deutlich mit Bindungsstörungen – sie treten gehäuft bei unsicher und desorganisiert gebundenen Kindern auf. (Papousek 2004) Ein zweites Aufmerksamkeitssystem wird über das Frontalhirn und neurochemisch über Dopamin gesteuert; es beginnt seine Aktivität zwischen dem 18. und 24. Lebensmonat und damit in jener Zeit, in der das Kind symbolisch zu denken beginnt und damit auch allmählich in die Lage kommt selbständig zu spielen. Im Spiel haben Kinder die Möglichkeit, Aufmerksamkeitsprozesse selbst zu regulieren und die dabei notwendigen hirnphysiologischen Verschaltungen aufzubauen. Die Fähigkeit zum Spiel ist bei unruhigen Kindern beschränkt, sie können sich kaum in ein Spiel vertiefen, und ihre Aufmerksamkeit bleibt auf der ersten basalen Ebene gleichermaßen gefangen. Dadurch wird eine andere Fähigkeit, nämlich die Fähigkeit zu verzögerter Bedürfnisbefriedigung behindert. Überfütterung mit Reizen seitens der Eltern oder durch bestimmtes Spielzeug ist dabei ein wesentlicher Faktor, der Kinder behindert, sich mit Reizangeboten aktiv und selbstgestaltend auseinanderzusetzen; die eigene Initiative tritt dabei in den Hintergrund. Die Folge einer solchen Reizüberfütterung ist kindliche Passivität infolge mangelhafter Gelegenheit, selbst Initiative zu entwickeln und dabei die Aufmerksamkeit zielorientiert beizubehalten. Unsicher gebundene Kinder sind nicht gut in der Lage, sich der Objektwelt gelassen und zielsicher zuzuwenden. Die umsorgende Sozietät, die für ein angemessenes, d. h. weder zu reizarmes noch zu reizhaltiges Angebot an Stimulation sorgt, hat einen unmittelbaren Effekt auf die Entwicklung der Aufmerksamkeitskontrolle – und damit auf alle möglichen Folgeprobleme wie häufiges Schreien und ADHS. Kulturvergleichende Studien zeigen, dass es Aufmerksamkeitsprobleme, wie wir sie in unserer reizüberflutenden westlichen Zivilisation kennen, in bestimmten Teilen Afrikas in dieser Form nicht gibt. (Papousek 2004) Jedoch zeigt sich ebenso, dass die Plastizität in diesem Bereich groß ist. Selbst im Falle von Gendefekten kann ein sehr positives Milieu zu einer befriedigenden Form der Aufmerksamkeitssteuerung führen. (Ebend.) Von geteilter Aufmerksamkeit („divided attention“) spricht man dann, wenn zwei Aufmerksamkeitsbereiche gleichzeitig aktiviert werden, was die Aufmerksamkeitsleistung in der Regel dramatisch verschlechtert, mit Ausnahme von Situationen, die extensiv eingeübt wurden (z. B. Autofahren und Sprechen). Die kindliche Entwicklung besteht in der Abfolge spezifischer Domänen des Erlebens (Stern 1991, 1992, s. u.), und die sich jeweils eröffnenden „Welten“ ziehen die Aufmerksamkeit in ganz spezifischer Weise auf sich. Das Neugeborene ist ein aufmerksamer Betrachter seiner Umgebung. Unwillkürlich richtet es seinen Blick auf den Gesichtsrand der Bezugsperson, in etwa auf den Haaransatz (Stern 1991, S. 27). Zugleich beginnt jedoch seine Aufmerksamkeit weiterzuwandern, weil ihm leicht langweilig wird. Die Ausrichtung der Aufmerksamkeit ist insgesamt stark auf affektive Modalitäten ausgerichtet, die sich in Stimme und Mimik der Bezugspersonen manifestieren. Da es kaum noch festgelegte Bedeutungen gibt, sondern die Welt der Ereignisse und Objekte sich dem Baby zunächst als „Welt der Gefühle“ eröffnet (Stern 1991), wechselt die Aufmerksamkeit sehr rasch, gleichsam von Augenblick zu Augenblick. Es ist dies eine Welt momentan dominierender Affekte und Stimmungen, in der sich „Innen“ und „Außen“ ständig beeinflussen und als Elemente eines kontinuierlichen Raums erlebt werden. Das Verschwimmen dieser Grenze ist bei Neugeborenen
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der Normalfall, und in einem einzigen Augenblick flackern Affekte und Interessen auf, um im nächsten Moment wieder abzuklingen. Die einzelnen Augenblicke werden in den Wachphasen intensiv sinnlich erlebt – sie stellen im Erleben des Säuglings das eigentlich Bedeutsame dar und ziehen dessen Aufmerksamkeit an. Als Erwachsene tauchen wir in diese Welt des Erlebens z. B. dann ein, wenn wir intensiv Musik hören oder wenn wir uns in Augenblicken intensiver Verbundenheit in den Augen eines anderen Menschen gleichsam verlieren. Ab dem 3. Monat können Säuglinge ihre Wahrnehmungen erweitern und zwar allein schon aufgrund der Tatsache, dass sie über einen längeren Zeitraum aufmerksam sein können. Dem Baby erschließt sich nun schrittweise die „Welt der direkten Kontakte“, in der Erfahrungen gemacht werden mit Nähe und Distanz, mit körperlichen Positionierungen und Körperhaltungen, mit wechselseitigem Erregungsniveau und wechselseitiger Kontrolle. (Buchholz 2004, S. 51) Es erwacht somit im eigentlichen Sinn eine interaktive Aufmerksamkeit, und zwar ganz und gar auf der Ebene wechselseitiger körperlicher Regulation, wenngleich noch stark im Dienste eigener körperlicher Bedürfnisbefriedigung. Gemeinsame körpergebundene Erfahrungen von Erregung sind in vielen Variationen bedeutsam, z. B. im Rahmen von Kitzelspielen. Mit dem Erwachen der nächsten Erlebniswelt gerät diese zweite Domäne des Erlebens vom Aspekt der Aufmerksamkeit her in den Hintergrund, nicht aber im Sinne einer Verdrängung, sondern als internalisiertes implizites Körperwissen. Als Erwachsene tauchen wir in diese Erfahrungswelt z. B. im Rahmen intimer körperlicher Spiele und im Rahmen sexueller Begegnung wieder ein. Bestimmte Voraussetzung dafür werden bereits in dieser kindlichen Epoche gelegt, z. B. die Fähigkeit auf körperlicher Ebene gemeinsame lustvoll-affektive Spitzenerlebnisse zu erreichen, und die Fähigkeit, eine positive Erwartung im Hinblick auf BerührtWerden durch eine andere Person auszubilden. Etwa ab dem neunten Monat, einhergehend mit motorischen Reifungsprozessen und damit verbunden der zunehmenden Fähigkeit, den Handlung- und Bewegungsspielraum zu vergrößern, richtet sich die Aufmerksamkeit des Kindes mehr und mehr auf die Gedankenwelt anderer Menschen, auf deren „minds“, auf deren innere Absichten und Intentionen. Die Regulation der Affektzustände geschieht jetzt insbesondere innerhalb von Face-to-faceInteraktionen sowie über geteilte Aufmerksamkeitsprozesse („joint attention“, „shared awareness“); letztere könnte man als frühe Form der Triangulierung ansehen – der gemeinsamen Ausrichtung der Aufmerksamkeit des Babys und der primären Bezugsperson auf ein äußeres Objekt. Bedeutungsträger sind nun die „minds“, d. h. hinter Handlungen verborgene Absichten anderer Menschen, die sich mit eigenen Absichten decken oder von ihnen unterscheiden können. Die Entwicklung der Aufmerksamkeit während der dritten Domäne des Selbstempfindens korreliert eng mit der beginnenden Fähigkeit zur Symbolbildung. Ab dem 9. Monat genügt ein Teilen der Aufmerksamkeit, um die hinter dem manifesten Verhalten stehenden Absichten zu erkennen. Durch eine deklarative Geste, die bedeutet „schau hin!“ ist ein neuer abstrahierender Entwicklungsschritt erreicht, der in die Übernahme des entsprechenden Handlungssymbols mündet. Symbole richten sich als intersubjektive Konstruktionen auf mentale Zustände und nicht auf Verhalten, wodurch der Unterschied zur Ausrichtung der Aufmerksamkeit in der Domäne des Kern-Selbst-Erlebens markiert wird. Symbole heben die Perspektivität und die triadische Struktur der gemeinsamen Aufmerksamkeitsorganisation im intersubjektiven Feld beständig
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hervor, noch vor der Entwicklung von Einwortsätzen um den 18. Monat, die als handlungssymbolische Darstellung einer Gesamthandlung verstanden werden können. (Buchholz 2004) Die dritte Domäne des Erlebens bleibt als nonverbaler Beziehungskontext lebenslang erhalten und begründet die Regulierung im Bereich des Wechselspiels von Aktion und Reaktion, von wechselseitigem Interesse und wechselseitigem Affektaustausch. In den Vordergrund gerückt wird diese Domäne in verschiedenen psychotherapeutischen Settings, v. a. in Settings, die das Wechselspiel feiner Beziehungsfacetten zum Fokus der therapeutischen Aufmerksamkeit machen; je mehr das Setting dabei im Hinblick auf körperliche Handlungsspielräume geöffnet wird, umso größer wird die therapeutisch nutzbare Bandbreite der ersten drei Welten des Erlebens, und desto eher kann das sprachlich-kategorisierende Empfinden der Welt, zumindest zeitweise, in den Hintergrund treten. Wichtig ist dabei zunächst die Erfahrung der nichtsprachlichen Welten und der ihnen eigenen Gesetzmäßigkeiten. Einiges davon kann in Worte gefasst werden, was therapeutisch nützlich ist; bestimmte Erfahrungen – wie z. B. die emotionale Qualität eines Augenkontaktes – entziehen sich jedoch der Versprachlichung; sie wirken, auch wenn man nicht darüber spricht, oder sie wirken, gerade weil man sie nicht durch sprachliche Zergliederung zerstört. Am ehesten können sie auf metaphorische Art und Weise kommuniziert werden (Buchholz 1996), denn „die Metapher ist ein integraler Bestandteil des Bemühens zweier Menschen, einander einen Eindruck davon zu vermitteln, was (bzw. wie) sie (sich) im gegenwärtigen Augenblick fühlen... (denn) eine Metapher ist etwas sehr Lebendiges. Sie ist wie das Leben selbst...“ (Ogden 2004, S. 74f.) 8
10.2. Stressreaktivität – Entwicklung und Einflussfaktoren
Ein zweiter Temperamentsfaktor neben der Aufmerksamkeitsleistung ist die Stressreaktivität (Hartmann et al. 2004). Die motorische und emotionale Reagibilität des Individuums auf Stress, die den Körper auf Muskelaktion und Energiemobilisierung angesichts einer akuten Notsituation vorbereitet, ist sehr unterschiedlich ausgeprägt (Hartmann et al. 2004). Sie ist offensichtlich aber präund postnatal über die psychische und physische Beeinflussung der Genexpression von Stresshormonen veränderbar, wie die Cross-Fostering-Experimente (Francis et al. 1999) zeigten. Die Untersucher kommen zum Schluss, dass „...individuelle Unterschiede in der Genexpression in Gehirnregionen, die die Reaktivität von Stress regulieren, von einer Generation zur nächsten durch Verhalten weitergegeben werden können, [...] wobei der Mechanismus mit [...] Unterschieden in der mütterlichen Fürsorge während der ersten Lebenswochen in Zusammenhang steht... „ Sichere Bindung kann die Stressreaktivität erheblich beeinflussen; dies zeigen die Untersuchungen von Hofer (1994) an Ratten. Ergebnis war, dass neugeborene Ratten deutlich von versteckter Regulation abhängig waren. Durch Säugen und Körperkontakt wurde der normale Herzrhythmus, die Körpertemperatur und ein passendes Aktivitätsniveau erzeugt, welche sich bei Trennung von der Mutter alle reduzierten. Die Regulation des infantilen Zentralnervensys-
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Dieser Abschnitt gründet sich weitgehend auf eine Arbeit von Hartmann et al. 2004 (siehe Literaturverzeichnis).
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tems, also der inneren psychophysischen Zustände des Jungtieres, erfolgt durch das reifere Zentralnervensystem des Erwachsenen (d. h. von außen) unter Berücksichtigung auch gegenseitiger Regulation. Frühe Bindungs- bzw. Umgebungserfahrung beeinflusst die Anpassung des Jungtiers an Stress. Dabei bleibt es jedoch nicht, denn als Folge früher Erfahrungen geht man heute von langanhaltenden neurochemischen Veränderungen aus. (Rogeness und McClure 1996) Insbesondere Verlusterfahrungen wirken sich endokrinologisch aus (Hofer, 1994) und können, zumindest im Tierversuch, die Hirnentwicklung mit der Folge einer veränderten Stressantwort beim erwachsenen Tier (dauerhaft höhere Liquorkonzentrationen von CRF) beeinflussen. (Heim et al. 1997) In ähnliche Richtung weisen Untersuchungen von Levine (1993), der bei Unterbrechung sozialer Beziehungen bei nicht-menschlichen Primaten chronische Cortisol-Erhöhungen bei Mutter und Kind fand. Ähnlich auch die Befunde von Spangler und Grossmann (1993) aus der Bindungsforschung, die den höchsten Cortisol-Response bei unsicher gebundenen Kindern fanden.
11. Vitalitätskonturen und Qualia Nicht nur Aufmerksamkeitssteuerung und Stressreaktivität können aufgrund ihrer starken biologischen Fundierung als Temperamentsfaktoren betrachtet werden. Auch die Vitalitätsaffekte bzw. –konturen (Stern 1992) besitzen diese Eigenschaft, und sie sind in ihren Grundkonturen von Anbeginn vorhanden und zeitlich relativ stabil. Ihnen ist eine Bewegungs- ebenso wie eine Erlebniskomponente eigen – beispielsweise löst eine abrupt ärgerliche Bewegung ein spezifisch anderes Erleben aus als ein Ärger, der langsam anschwillt und sich dadurch in einer anderen Zeitkontur motorisch ausdrückt. Bei den Vitalitätskonturen handelt es sich neben amodaler Wahrnehmung und physiognomischer Perzeption um eine Kategorie des Erlebens, die unmittelbar aus der Begegnung mit Menschen hervorgeht und das „auftauchende Selbstempfinden“ des Säuglings als Prozess und Resultat der Herausbildung von Organisation ermöglicht. (Stern 1992, S. 71 ff.) Vitalitätsaffekte sind dynamische Eigenschaften von Affekten, Handlungen und Wahrnehmungen – Qualitäten wie z. B. „schneidend“, „verblassend“, „aufbrausend“, „flüchtig“, „explosiv“ usw., d. h. besondere Tönungen von Affekten, Handlungen und Wahrnehmungen, die viel spezifischer sind als die oft üblicherweise angelegten Dimensionen angenehm vs. unangenehm und stark vs. schwach. Jede Handlung hat eine typische vitale Tönung. Jemand kann z. B. charakteristischerweise sehr abrupte Bewegungen machen, eine andere Person eher flüchtige. Man kann verschiedene Menschen an diesen für sie sehr charakteristischen Vitalitätszeichen erkennen, und Babys verfügen über die Fähigkeit, unterschiedliche Vitalitätsaffekte zu differenzieren, allem Anschein nach von Anbeginn ihres Lebens an. Dabei zählt nur die ganze Bewegung, die Gesamtheit, vergleichbar mit einem Musikstück, bei dem nur das Gesamte seine Wirkung hat, eine einzelne Note hingegen nichts aussagt. „Wenn sie mit jemandem interagieren – und das hat immer eine gewisse dramatische Form –, dann wächst mit einer gewissen Geschwindigkeit ein Gefühl auch in Ihnen, das eine bestimmte Kontur hat: Genau das meine ich, wenn ich von »Vitalitätskonturen« spreche.“ (Stern 1992,
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S. 85) Körperliche Vorgänge wie Einatmen und Ausatmen, Bewegungen und Haltungen – sie alle haben spezifische Vitalitätskonturen. Vitalitätskonturen sind gerichtet. Menschen haben Motive und Gründe, diese äußern sich in den Vitalitätskonturen, und schon ein Baby kann sie erkennen. Es erkennt die zeitliche Struktur der Bewegung und interpretiert sie von Anfang an. Etwa mit einem Jahr ist es in der Lage, hinter den Bewegungen stehende Absichten vollständig zu begreifen. „Das Baby versteht die Absicht und will sie nachahmen“ (Stern, 1998b, S. 87). Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass es klar zwischen belebten und nicht belebten Objekten unterscheidet. Das Baby geht grundsätzlich davon aus, dass Gegenstände, die keine Menschen sind, nicht die gleichen Motivstrukturen haben. (Stern, 1998b, S. 87) Körperliche Eindrücke und kinetische Momente wie Bewegungsmodalitäten scheinen geeignet, um den uralten philosophischen Streitpunkt der „Qualia“ ein wenig zu erhellen. Der Begriff „Qualia“ meint subjektives Erleben, „über das sich aber nicht mehr sagen lässt“ (Downing 2002, S. 63), wie Philosophen meinten. Qualia bezeichnen einerseits privates Erleben, das letztlich nie wirklich objektiv beschrieben werden kann, und sie gelten als Beleg für die Existenz von Bewusstsein. (Buchholz 2004, S. 74) Andererseits sind Qualia Präferenzen erster Ordnung und entstehen im Körper (s. o.). Unter dem Einfluss der zeitgenössischen neurowissenschaftlichen Forschung ist die Qualia-Frage wieder mehr ins Zentrum des Interesses gerückt (Crick 1994, Damasio 1999, Edelman 1995, Metzinger 1996), vor allem im Kontext der Bewusstseinsforschung. Von einer befriedigenden Theorie des Bewusstseins sei zu fordern, dass „eine solche Theorie nicht nur begrifflich kohärent und empirisch plausibel sein (muss): Wir müssten diese Theorie letztlich auch als eine Theorie über unser eigenes inneres Erleben akzeptieren können. Sie muß der Subtilität und dem phänomenologischen Reichtum dieses Erlebens Rechnung tragen und die Innenperspektive des erlebenden Subjekts wirklich ernstnehmen.“ (Hervorh. PG) (Metzinger, 1996, S. 18) Für Edelman (1995, 2002) sind die Qualia „das vielleicht am schwersten zugängliche Problem im Zusammenhang mit dem Bewusstsein“ (2002, S. 215), denn „die ganz spezielle Qualität subjektiver Erfahrungen – wie Farbe, Wärme, Schmerz oder laute Geräusche – scheint sich wissenschaftlicher Erklärung zu entziehen.“ (Ebend.) Auch Edelman zieht daraus den Schluss, dass man sich stärker mit dem Körper beschäftigen muss, um die Frage der Qualia besser zu verstehen: „Die Entwicklung der frühesten Qualia geschieht in erster Linie auf der Grundlage multimodaler körperzentrierter Entscheidungsprozesse, die von den propriozeptiven, kinästhetischen und autonomen Systemen im Gehirn... eines Embryos beziehungsweise eines Kleinkindes ausgeführt werden. Alle nachfolgenden Qualia sind auf dieses ursprüngliche Ensemble von Präferenzen und Entscheidungen zurückzuführen, es bildet die Basis für das primitivste, ursprünglichste Selbst.“ (Ebend., S. 215 f.) Körperliche, teils willkürlich aktivierte, teils autonom ablaufende Körperprozesse sind die Grundlage der Vitalitätsaffekte; sie lösen innere Wahrnehmungs- und Bewertungsprozesse aus und könnten das Qualia-Problem überbrücken helfen. „Der Säugling nimmt diese Qualitäten in sich selbst wie auch im Verhalten anderer Menschen wahr. Die einzelnen Vitalitätsgefühle können in einer Vielzahl elterlicher Handlungsweisen zum Ausdruck kommen, die keine »regulären« Affekte darstellen: in der Art, wie die Mutter das Baby aufnimmt, wie sie die Windel auseinanderfaltet, wie sie ihr Haar oder das Haar des Babys glattstreicht, wie sie nach dem Fläschchen
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greift, wie sie ihre Bluse aufknöpft. Der Säugling taucht in die »Vitalitätsgefühle« ganz und gar ein.“ (Stern 1992, S. 84) Dabei richtet sich der Säugling nach bestimmten nonverbalen „Grundelementen“: „Das frühkindliche Erleben ist einheitlicher und globaler.... Er (der Säugling) nimmt Empfindungen, Wahrnehmungen, Aktionen, Kognitionen, innere motivationale und Verhaltenszustände unmittelbar wahr: als Intensität, Form, Zeitmuster, als Vitalitätsaffekte, kategoriale Affekte, Lust oder Unlust. Dies sind die Grundelemente des frühkindlichen subjektiven Erlebens. Erkenntnisse, Aktionen und Wahrnehmungen als solche gibt es nicht. Alle Erfahrungen werden zu strukturierenden Konstellationen sämtlicher Grundelemente des subjektiven Erlebens umgeformt“ (Stern, 1992, S. 102), und „... wie der Erwachsene den Tanz, so erlebt der Säugling seine soziale Welt in erster Linie als Welt der Vitalitätsaffekte, bevor sie sich zu einer Welt formaler Handlungen entwickelt.“ (Stern 1992, S. 87)
12. Kompetenzen des Neugeborenen Nicht nur die Fähigkeit zur Unterscheidung charakteristischer Vitalitätsaffekte, zur physiognomischen Perzeption und zur amodalen Wahrnehmung steht dem Neugeborenen als erlebnismäßig und interaktiv kompetentem Wesen zur Verfügung. Die Bindungs-, Säuglings- und Kleinkindforschung eröffnet uns ein zunehmend genaueres Bild von den Bedürfnissen, den Fähigkeiten und auch den Erfahrungsmöglichkeiten in unserer frühesten Lebenszeit. Da zunehmend deutlicher wird, wie sehr man in der Ausprägung dieser Kompetenzen auch von intrauterinen Einflüssen auszugehen hat, lautet die Kernfrage immer weniger, wie psychische Struktur entsteht, sondern wie sie sich entwickelt. Videoanalysen zeigen, was das Neugeborene bereits alles kann – hier ein paar Beispiele (Frischenschlager 1999, S. 36); es kann • Geräusche und Geräuschquellen orten • selektiv auf menschliche und nichtmenschliche Objekte reagieren • dreidimensional wahrnehmen • die Zeit in einem gewissen Ausmaß abschätzen • akustische und taktile Stimuli koordinieren • Wahrnehmungs- und damit verbundene Anpassungsleistungen vollbringen • autoregulatorische Aktivitäten durchführen • Vertrautes von Unvertrautem diskriminieren • Subjekt und Objekt unterscheiden 9
sowie im Kontakt mit den elterlichen Bezugspersonen • lächeln und damit Kontakt herstellen • Kontaktbewegungen mit denen elterlicher Bezugspersonen synchronisieren • einfache Gesichtsausdrücke imitieren (z. B. Bewegungen der Zunge) • einfache Erwartbarkeiten ausbilden • die elterliche Umgebung aktiv beeinflussen
9
Vgl. dazu G. Downings „interaktionelle Mikropraktiken“. (s. u.)
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Mit ausreichender Unterstützung sind Säuglinge außerdem früh in der Lage, gleichzeitig Kontakt zu zwei oder mehreren Personen aufzunehmen und für eine Weile aufrechtzuerhalten. (Fivaz-Depeursinge e. a. 2001) In den ersten Tagen und Wochen ist das Zusammenspiel zwischen Säugling und elterlichen Bezugspersonen noch sehr auf die physiologische Ebene konzentriert. Speziell die Bindungsforschung hat dabei auf die Bedeutung der Feinfühligkeit der elterlichen Bezugspersonen hingewiesen, die ihrerseits auf angeborene intuitive Fähigkeiten zurückgreifen können; Papousék (2004) nennt diese unbewussten Reaktionsmuster „intuitive elterliche Didaktik“ oder „intuitive Elternschaft“, eine Fähigkeit, die Mütter gleichermaßen wie Väter besitzen, um dem Ausdrucksverhalten des Säuglings in adäquater Weise zu begegnen. Feinfühligkeit heißt in diesem Zusammenhang, dass • die Signale des Kindes richtig wahrgenommen werden • dass sie richtig interpretiert werden • dass die Betreuungspersonen dem Entwicklungsstand des Kindes entsprechend reagieren • dass die Reaktion zeitlich gut abgestimmt erfolgt (angemessenes „timing“)
13. Elterliche Kompetenzen („Intuitiv parenting“) Den kindlichen Kompetenzen stehen bestimmte elterliche Fähigkeiten gegenüber, von denen viele kulturübergreifend nachweisbar sind. Sie sind nicht ganz leicht zu systematisieren, da sie oft globaler Natur sind und daher die einzelnen Kategorien starke Überschneidungen aufweisen:
Kognitiv-sprachliche Fähigkeiten • • • • • •
Qualität und Reichtum an sprachlichen Äußerungen und verbalen Kommentaren (beschreibende Sprache) Fähigkeit dem Kind etwas anschaulich zu machen Fähigkeit Affekte verbal zu benennen Klarheit sprachlicher Botschaften Fähigkeit verbal Bedürfnisse auszuhandeln Fähigkeit, komplexe kindliche Signale zu entschlüsseln und verbal in Sprache zu bringen
Vitalität elterlicher Verhaltensweisen • • • • • • • •
Fähigkeit das kindliche Interesse zu wecken, das Kind zu stimulieren Lebendigkeit stimmlicher Äußerungen Art der Vitalitätskontur elterlicher Bewegungen Variationsreichtum im Verhalten Interaktions- und Kommunikationsbereitschaft Reichtum an austauschbaren Affekten Fähigkeit „hightened affectiv moments“ herzustellen und zuzulassen Angstfreiheit im Verhalten
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Interaktive Intelligenz (nonverbales „Know-how“) • • • • • • • • • • • •
Fähigkeit einen optimalen Spielraum und eine freudvolle Spiel- bzw. Interaktionsatmosphäre herzustellen Gespür für richtigen Abstand und adäquate körperliche Haltung und Positionierung Fähigkeit interaktive Signale des Kindes intuitiv richtig zu deuten und darauf spontan zu reagieren Fähigkeit Unterstützung zu geben Timing (Gefühl für Zeit und Rhythmus) Fähigkeit zum Aufbau einer guten rhythmischen Architektur im Handeln Fähigkeit kindliche Verhaltensweisen zu bestätigen (verbal oder nonverbal) Qualität von Augenkontakt und Berührung Fähigkeit Kontaktbrüche zu spüren und zu reparieren Fähigkeit die Interaktion zu strukturieren und zu begrenzen Fähigkeit dem Kind die Führung zu überlassen Toleranz für ablehnende kindliche Signale
Aufmerksamkeitsleistung der Eltern • • •
Fähigkeit aufmerksam für kindliche Signale zu sein und zu bleiben Fähigkeit einen „joint focus“ herzustellen Fähigkeit die Aufmerksamkeitsfokussierung situationsadäquat zu variieren
14. Imitation Eine der wichtigsten Kompetenzen des Neugeborenen besteht in der Fähigkeit zur Imitation – sie gilt als motorische Verankerung der Fähigkeit zur Intersubjektivität, einem primären Motivationssystem. Piaget (1962) verband mit der Fähigkeit zur Imitation das Vorhandensein einer Repräsentation, die ein Bild des zu imitierenden Objekts ermöglicht. Videoanalysen scheinen seine Vermutung zu bestätigen. Von Geburt an imitiert der Säugling Gesichtsausdrücke der Eltern: v. a. Bewegungen der Zunge und der Lippen (Meltzoff u. Moore 1999), und zwar nicht im Sinne bloßer Reflexe, wie detaillierte Videomikroanalysen zeigen, sondern eingebettet in ein „motor project“ (Downing 1999). Das Baby vermag die Zungenbewegung der Bezugsperson nicht nur nach ihren räumlichen Charakteristika, sondern auch nach ihrer zeitlichen Kontur nachzuahmen – zu komplex für eine einfache Reflexbewegung. (Fivaz-Depeursinge 2003) Je häufiger die Eltern ihren Babys Gesichtsausdrücke vormachen und je mehr die Babys diese Ausdrücke imitieren, umso länger und komplexer werden die Bewegungsfolgen. Der Säugling probiert aus, korrigiert die eigenen Bewegungen, sodass man auf eine Intention und ein Ziel schließen kann; es scheint eine (angeborene) Repräsentanz, die Vorstellung eines Zieles zu geben, sodass die Imitationsbewegungen des Säuglings zu verstehen sind als vergleichende Bewegungen zwischen aktuell durchgeführter Aktion und vorgestelltem Zielzustand.
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Diese Beobachtungen bestätigen die These, dass der Säugling alles andere ist als ein passives Wesen, das reflexhaft auf elterliches Verhalten reagiert. Der Säugling ist vielmehr ein aktiver Interaktionspartner, ein „kompetenter Säugling“ (Dornes 1992), der Bewegungen und Imitationen aktiv intendiert. Imitation erweist sich sogar als die Grundlage für Empathie (FivazDepeursinge 2003, Widlöcher 1996). Durch die Entdeckung der Spiegelneuronen im prämotorischen Kortex (Rizzolatti et al. 1999) – Nervenzellen, die nicht auf Bewegung hin aktiviert werden, sondern durch die Beobachtung einer Bewegung – kann die Rolle der Imitation für die Ausbildung von Empathie nun auch neurologisch belegt werden. Voraussetzung für die Feuerung dieser Neuronen ist ein biologischer Akteur; bei unbelebten Objekten, die Handlungen ausführen, springen die Spiegelneuronen nicht an. Hingegen behalten diese Neuronen ihren Aktivierungszustand auch dann bei, wenn die begonnene Handlung unterbrochen wird, was darauf verweist, dass nicht die tatsächliche Handlung, sondern deren Vorstellung den entscheidenden Gesichtspunkt für die Aktivierung der Spiegelneuronen darstellt (Downing 2004a). Wir haben es mit einer „internen Simulation“ (Fivaz-Depeursinge 2003) zu tun, die den Boden für frühe Formen von Intersubjektivität aufbereitet und die als Kompetenz bereits wenige Minuten nach der Geburt zur Verfügung steht. Imitation dient dazu, sich mit dem anderen zu identifizieren. „Ebenso wie der Säugling seine Hand betrachtet und sie bewegt, um ihre Möglichkeiten mittels Sehen und Selbstwahrnehmung zu erforschen, oder wie er einen Gegenstand betastet, um ihn kennen zu lernen, ahmt er den Anderen nach, um ihn und sich zu erforschen, um ihn und sich kennen zu lernen, indem er das gleiche tut wie er.“ (Fivaz-Depeursinge 2003, S. 11) Aus wiederholten Imitationen bildet sich auf diese Weise eine „Wie-Ich-Haltung“ (engl.: „like-me-stance“) heraus, das als „schema of being with“ (Stern 1993) zu verstehen ist, welches die subjektive Erfahrung repräsentiert, dass der Säugling in einer Wahrnehmung, Handlung, Kognition und Affekt einschließenden Einheit lebt; also in einer holistischen Welterfahrung. Solche Repräsentationen sind weder ikonischer noch symbolischer Art, sondern inszeniert (Bruner 1990); sie sind nicht oder nur schwer durch Worte zu vermitteln. Am ehesten könnte man sie in Sprache übersetzten, indem man sagen würde: „Ich bin wie du, und du bist wie ich“.
15. Implizites Wissen Woher wissen Babies unmittelbar nach der Geburt, wie sie ihre Zunge zu bewegen haben, um Imitationsbewegungen auszuführen? Sie verfügen allem Anschein nach über ein angeborenes unbewusstes Handlungswissen. Experimentelle Untersuchungen (Meltzoff u. Moore 1999) lassen folgende Schlüsse zu: 1. Babys verfügen über dieses „implizite“ bzw. „prozedurale“ Wissen. 2. Babys erfassen mit Hilfe dieses Wissens die Intentionen anderer, und zwar auch dann, wenn die imitierenden Personen die Handlung gar nicht komplett ausführen. Sie verfügen offensichtlich über die Fähigkeit Absichten zu erkennen. 3. Es ist dies eine spezifische menschliche Fähigkeit, die uns von Robotern unterscheidet, denn Babys können von Beginn an Menschen von Robotern unterscheiden – sie reagieren auf Roboter anders als auf Menschen (vgl. dazu Stern 1992).
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4. Mit Hilfe impliziten Wissens können Babys intersubjektive menschliche Vorgänge verstehen; sie erfassen menschliche Interaktionen „implizit“. Autistische Kinder verfügen über dieses Wissen in dieser Form nicht, daher haben sie Probleme, sich in andere Menschen einzufühlen. Implizites Wissen hat somit nicht mit explizitem Erkennen, Denken und Verbalisieren zu tun, sondern mit anderen Fähigkeiten, die mehr im Bereich eines körperlichen Spürens anzusiedeln sind. Schellenbaum (2001) spricht von „Spürbewusstsein“. Implizites Wissen spiegelt sich in zwischenmenschlichen Interaktionen, die immer zwei Agenda umfassen: einen inhaltlichen Aspekt (z. B. den Inhalt einer Mitteilung oder den Austausch nonverbaler Signale), und das Teilen von Intersubjektivität. Intersubjektivität schließt somit eine unentwegte gefühlsmäßige Einschätzung der intersubjektiven Situation ein, und die damit verbundenen Handlungen werden unbewusst ständig nachadjustiert. Implizites Wissen ist ein nonverbales Wissen, das therapeutischen Veränderungsprozessen zugrunde liegt (Stern e. a. 2002); es liegt als basale Verstehensebene auch deutenden Interventionen zugrunde. Wenn eine verbal vermittelte therapeutische Interpretation „trifft“, dann hat sich durch die Reaktion des Patienten auf die Interpretation des Therapeuten ein „Now-moment“ (Stern 1997) ereignet, d. h. es hat eine Verschiebung auf der intersubjektiven Ebene zwischen Patient und Therapeut stattgefunden: eine neue Verstehensebene wurde beschritten, die die gesamte Beziehung verändert. Ohne diesen intersubjektiven Aspekt wären verbal vermittelte Deutungen unwirksam (ein computergesteuertes Deutungsprogramm kann daher aus den genannten Gründen psychotherapeutisch nicht wirksam sein). Implizites Wissen heißt: „Was die Einzelnen... tun, hängt von ihren intersubjektiven Zielen ab, die sie keineswegs nur verbal, sondern kinetisch einbringen – als Enactments, die zueinander passen können oder nicht.“ (Buchholz 2004, S. 51) Wir wissen somit mehr voneinander, als wir jemals in Worten ausdrücken könnten („implicit relational knowing“, Stern e. a. 2002), und in „moments of meeting“ aktualisiert sich zwischen Kind und elterlicher Bezugsperson eine frühe Erfahrung der Abstimmung und des Zusammenseins. Das Zusammensein mit einem bedeutsamen Anderen intensiviert unseren „sense of being real“, und deshalb gibt die therapeutische Antwort eine heilsame Wirkung an den Anderen zurück (vgl. auch Buchholz 2004, S. 50 ff). Ohne solche Interaktion mit dem Anderen könnte der Säugling nicht überleben und könnte sich therapeutische Wirkung nicht entfalten. „Was die Einzelnen dabei tun, hängt von ihren intersubjektiven Zielen ab, die sie keineswegs nur verbal, sondern kinetisch einbringen – als enactments, die zueinander passen können oder nicht.“ (Ebend. S. 51) Explizites Wissen bezieht sich auf Äußerungen zu realen Dingen. Es ist bewusst oder vorbewusst, kann aber auch unbewusst sein; in diesem Fall wäre es verdrängt und könnte plötzlich wieder auftauchen. Mit explizitem Wissen kann man deskriptive Äußerungen machen (Stern, 1998b, S. 83); implizites Wissen ist unbewusst, aber nicht verdrängt. Man denkt einfach nicht daran. Es ist nicht erforderlich, implizites Wissen in Worte zu fassen, und es ist nur schwer möglich. Babys haben solches implizite Wissen und können natürlich nicht darüber sprechen. „Die Auseinandersetzung mit Säuglingen führt zur Anerkennung impliziten Wissens, das als einziges Wissen im vorverbalen Bereich existiert.“ (Ebend.)
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Als Beispiel nennt Stern das Küssen. Es ist schwer in Worten zu beschreiben, man stößt hier unweigerlich auf „Übersetzungsprobleme“. Ein anderes Beispiel ist das Bindungsverhalten bei Babys und Müttern. Die Tatsache, dass wir implizites Wissen nur schwer in eine verbale Sprache übersetzen können, heißt nicht, dass es nicht bedeutsam wäre, im Gegenteil: „Meine Behauptung geht dahin, dass das meiste, etwa neunzig Prozent von dem, was wir klinisch beobachten, aus implizitem Wissen besteht.“ (Stern 1998b, S.84) Implizites Wissen äußert sich beispielsweise über Vitalitätskonturen. (s. o.) Die Bedeutung impliziten Wissens für den therapeutischen Prozess liegt auf der Hand. „Das scheint mir für uns alle als Therapeuten sehr wichtig zu sein“ (Stern 1998b, S. 89). Immer dann, wenn es um implizites Wissen geht, müssen wir uns auf die Strukturierung des „Hier und Jetzt“ konzentrieren. Denn im „Hier und Jetzt“ geschieht implizites Wissen, ereignet sich das, was Bollas (1987) das „ungedachte Bewusste“ nennt – alles, was wir immer schon gedacht haben und trotzdem nicht wissen. Im interaktiven Bereich des „Hier und Jetzt“ gilt das Paradigma der nonlinearen Dynamik der Systeme, meint Stern; Improvisationen zählen. Denn die meisten Interaktionen, auch therapeutische, sind im Grunde genommen Improvisationen. Man weiß in der Regel nicht, was als nächstes passiert, und genau das ist aber wichtig, um in den Bereich des impliziten Wissens zu gelangen. Und plötzlich, gänzlich ungeplant, passiert etwas, ein Moment der Begegnung, ein „NowMoment.“ (Stern 1998b, S. 90) Ist die Begegnung gelungen, verlagert sich der Zustand des impliziten Wissens über die Beziehung in einen nächsten Zustand. Mit anderen Worten: Zwei Interaktionspartner versuchen einander zu finden, versuchen zu einem gemeinsamen Kurs zu kommen, und es gibt ständig Korrekturen in der Richtung und Korrekturen bezüglich des Themas, auf das man sich zubewegen möchte. Viele kleine Entscheidungen spielen dabei eine Rolle. Interaktion ist kein lineares, sondern ein dynamisches System. (Stern, 1998b, S. 91)
16. Körpermikropraktiken10 Implizites Wissen, auf welches sowohl Eltern als auch Babys zurückgreifen, steht auf der körperlichen Ebene in Form eines Repertoires körperlicher Mikropraktiken zur Verfügung (Downing 2002, S. 75 ff.); somit ist es ein „prozedurales Wissen“. Körpermikropraktiken spielen als interaktionelle Praktiken bereits ab der Geburt eine Rolle. Sie betreffen das Senden-Können und EmpfangenKönnen von Zustandsmitteilungen in Form körperlich-affektiver Signale. Unterscheidbar sind • verkörperte Fähigkeiten zum Aussenden und Darstellen der eigenen Befindlichkeit („Senden“) • die Fähigkeit, die körperlich-affektive Befindlichkeit eines anderen aufzunehmen („Empfangen“)
10
Vgl., dazu auch den Beitrag von G. Downing in diesem Buch.
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die Fähigkeit darüber in einen Austausch zu treten und zu „verhandeln“ die Fähigkeit, miteinander geteilte körperlich-affektive Zustände zu nutzen, um gemeinsam neue Aspekte der Welt zu entdecken
Körpermikropraktiken wurden mit Hilfe von Videomikroanalysen in Interaktionen zwischen Babies und Borderline-Müttern analysiert (Downing 2004b). Borderline-Mütter interpretieren das Verhalten ihrer Kinder oft falsch, weil sie deren Signale missverstehen. Gleichzeitig senden sie nonverbal (Mimik, Gestik, akustische Signale, Körpersignale) häufig Doppel- oder Mehrfachbotschaften aus; die Doppel- und Mehrfachbotschaften sind umso besser aufzeigbar, je umfangreicher das gesamtkörperliche Repertoire an Körpermikropraktiken in die Analyse einbezogen wird. Mimische und akustische Affektsignale wechseln rasch und sind z. T. auch vermischt: z. B. Freude mit Ärger (aus Ungeduld), Ekel oder Verachtung. Viele Antworten von Borderline-Müttern sind nicht direkte Antworten auf die Signale des Kindes. Borderline-Mütter haben eine eingeschränkte Fähigkeit, sich hinsichtlich bestimmter Bewegungsrhythmen auf ihre Säuglinge angemessen einzustellen. Ihre Fähigkeit, Kontaktbrüche von sich aus zu reparieren ist begrenzt, sie neigen zu einem überdurchschnittlichen Ausmaß an Kontrolle, bestimmen also selbst den Interaktionsverlauf weitgehend und geben wenig Raum für Initiativen des Babys. Einigen Babys gelingt es gut, mit den Verhaltensangeboten ihrer Mütter mehr oder weniger gut zurechtzukommen und eigene Körperstrategien zu finden, dem widersprüchlichen und intrusiven Verhalten solcher Mütter wirkungsvoll zu begegnen, indem sie sich z. B. vom mütterlichen Verhaltens-Input abschirmen. Andere Babys scheinen diesbezüglich keinen guten Weg zu finden: sie produzieren vermehrt Unlustsignale bis hin zum Schreien („Schreibabys“) oder werden nachhaltig in ihren Grundrhythmen (z. B. Schlaf-Wach-Rhythmus) gestört. „Körper-Mikropraktiken werden weitgehend sehr früh geprägt, und zwar durch kleinste Besonderheiten wiederholter Interaktionen während der ersten zwei Lebensjahre. Soweit man weiß gibt es auch Einflüsse aus der späteren Kindheit, zum Beispiel die Nachahmung von Gleichaltrigen, sportliches Training und traumatische Erfahrungen, die zu neuen Körper-Abwehrmechanismen führen können... Aber die präverbale Zeit scheint außerordentlich bedeutsam zu sein.“ (Downing 2003a, S. 75, vgl. auch Beebe 1986, Beebe u. Stern 1977, Tronick 1986) Und: „Der größte Teil der Körperpraktiken, die wir während emotionaler Zustände ausüben, ist entstanden, indem wir sie genauso zu tun gelernt haben. (Auch) wenn unsere eigenen „Lehrer“, Väter, Mütter, Großväter oder Geschwister, sich dieses Einflusses wenig bewusst waren und wir als Eltern das auch nicht sind, übernehmen wir doch eine Rolle des Initiators.“ (Downing 2003a, S. 76–77) Es gibt zwei Arten von Körper-Mikropraktiken, über die jeder verfügt: „Die eine mobilisiert er, wenn er alleine ist, die andere im Kontakt mit einem anderen – wobei sich beide überlappen“; (ebend. S. 77) letztere nennt er „interaktionelle Praktiken“. Die interaktionelle Einübung und Konditionierung körperlicher Mikropraktiken führt bereits früh zu „motorischen Überzeugungen“: „Es sind dies motorische Handlungsabläufe des Körpers, welche a) unsere affektiven Erfahrungen und b) unser Gefühl für Nähe und Distanz in unseren zwischenmenschlichen Interaktionen strukturieren. Mehrheitlich aus dem Unbewussten heraus wirkend,
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repräsentieren motorische Überzeugungen eine Form stillschweigenden und stetigen Wissens. Bei einem Kleinkind organisieren sie beispielsweise die grundlegenden motorischen Abläufe von Körperhaltungen und -bewegungen während der Interaktion mit Anderen. Wann wird es hinsehen? Wann seinen Kopf abwenden? Wann wird es seine Bewegungen rhythmisch auf die Bewegungen des Gegenübers einstellen? Wann wird es dies vermeiden? Wann wird es frei atmen? Wann wird seine Atmung angespannt sein? Durch zahlreiche derartige Details... entwickelt das Kleinkind ausgefeilte Muster im Hinblick auf seine Anpassung an den interpersonellen Tanz. Gleichzeitig bestimmen diese Handlungsprogramme über autonome Erregungszustände und Affekte.“ (Downing 2002, S. 20) Die hier beschriebenen interaktionellen Körpermikropraktiken verstehe ich als Grundbausteine des interaktionellen Körpers (Geißler 2007a, 2007b), der sich mit dem Auftauchen des Kern-Selbst-Empfindens und der damit verbundenen Bezogenheit (s. u.) in dramatischer Weise entfaltet. Die auf dieser Ebene im unmittelbaren körperlichen Kontakt erlernten Interaktionsmuster finden einen repräsentationalen Niederschlag und wirken als „motorische Grundüberzeugungen“ lebenslang, auch wenn sie weiterhin modifiziert werden und, im Zuge des Einsetzens bzw. Fortschreitens der Sprachentwicklung und der Symbolisierungsfähigkeit zunehmend mehr in den Hintergrund unseres Erlebens treten. Als „basales Urgestein unserer Lebenserfahrung“ (Stern 1992) prägen diese interaktionellen Kontaktmuster alle späteren Formen von Interaktion, wie z. B. die Nähe-Distanz-Regulierung oder den Wechsel zwischen Führen und Folgen auf allen verschiedenen Kontaktebenen.
17. Interaktionserfahrungen und operatives Verstehen11 Schon pränatale Erfahrungen werden in der einen oder anderen Form verarbeitet und organisiert; diese Erfahrungen sind zunächst körperliche, und der Organisierungsprozess läuft völlig automatisch, unbewusst ab. Sein erster Niederschlag ist ein „Proto-Selbst“ (s. o.), und der Verlauf dieser Organisierungsprozesse nimmt seine Entwicklung über ein „gefühltes Kern-Selbst“ – immer noch unbewusst. „Proto-Selbst“ und „gefühltes Kern-Selbst“, aus dem sich durch das Hinzutreten von Informationen aus den verschiedenen Sinneskanälen ein „Körper-Selbst“ als Referenzsystem für die Bewertung eigener Erfahrungen herausbildet. Entscheidend für diese Bewertungen ist die Qualität von Interaktionserfahrungen, die zu Grunderwartungen führen, wie sie bereits die Entstehung des „auftauchenden Selbstempfindens“ (Stern 1992) prägen – noch immer auf körperlicher Ebene. Als Niederschläge der durchlebten Erfahrungen und damit verbundenen Lernprozesse bilden sich Repräsentanzen bzw. Schemata heraus, die ihrerseits organisierenden Einfluss auf das Verhalten ausüben; diese sind anfangs rein motorischer Natur und werden als Interaktionsrepräsentanzen – Rigs – konzipiert. (Stern 1992) Fast (1985) nennt sie in Anlehnung an Piaget „Ereignis-Schemata“. Später kommen zu den Handlungsrepräsentanzen symbolische Interaktionsformen hinzu. (Lorenzer 1973) Jedoch können nicht alle Interaktionserfahrungen vom Kind sprachlich benannt und nicht alle sensomotorisch erfahrenen Erlebnisse in die symbolischen Interaktionsformen eingefädelt werden. (Mertens 1992) 11
Vgl. dazu den Beitrag von G. Heisterkamp i. d. B.
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Schemata bzw. Repräsentanzen sind somit als Abstraktionsformen zu verstehen, die eine bestimmte Reihenfolge durchlaufen. Repräsentanzen sind unbewusste, organisierende Strukturen von Interaktionen. (Zelnick und Buchholz 1990, S. 199) Sie werden im Entwicklungsverlauf von einer zur nächsten Organisationsstufe umgewandelt und verdichtet, wobei mit jeder weiteren Abstraktionsstufe der konkrete sinnenhafte, an Affekte und körperliche Interaktionen und Erfahrungen gebundene Kontext erlebnisärmer wird. Und: „Der Prozeß der Bildung prototypischer Repräsentanzen dient (neben der Notwendigkeit, die Erfahrungsvielfalt ordnen zu müssen) vor allem dazu, die Schmerzhaftigkeit des ursprünglich Erlebten aus dem Erfahrungskontext zu lösen, mithin also den Affekt abzuwehren“ (Deneke 1989, S. 594). Trotz dieser Abstrahierungen bleibt der Gesamtzusammenhang gewahrt, zumindest unbewusst: „... Der Zusammenhang zwischen den episodischen Repräsentanzen und ihren Verdichtungen auf höherer Ebene (bleibt) zumindest unbewußt erhalten, weil jedes psychische Geschehen ganzheitlich organisiert und repräsentiert wird.“ (Ebend.) Aufgrund der ganzheitlichen, relationalen Natur des Erlebens und der Organisation von Erfahrung sowie der Bedeutsamkeit von Handlung und Interaktion werden Menschen und Gegenstände vom wenige Monate alten Kind als „Handlungs-Objekte“ erlebt (Leon 1984), d. h. als untrennbarer Teil der Gesamthandlung aufgefasst. Obwohl manche Ansichten Piagets im Lichte der neueren Säuglingsforschung revidiert werden müssen, bleiben seine Konzepte für eine Psychoanalyse der Lebensbewegungen von Bedeutung, da er als einer der ersten nachdrücklich darauf hinwies, dass alle unsere intellektuellen Leistungen in konkreten Operationen oder Kooperationen wurzeln. Aber: „Der Ball, den ein Kind... in die Luft wirft, wird mit der Handlung des Werfens verbunden und ist nicht das gleiche Objekt wie der Ball, der am Boden liegt, zu dem das Kind hinkrabbelt. Die Stimme einer schimpfenden Mutter im Handlungskontext des Hörens wird (zunächst) nicht als dasselbe Handlungs-Objekt erfahren wie das Gesicht einer lachenden Mutter...“ (Mertens 1992, S. 197) Die von Piaget beschriebenen kognitiven Vorgänge der Assimilation und Akkomodation meinen die schrittweise Integration von Handlungserfahrungen mit unbelebten Objekten ebenso wie Menschen und die damit verbundene Anpassung und Weiterentwicklung der Schemata in Richtung weitergehender Abstraktionen – sie sind aber grundsätzlich handlungsfundiert, denn Kleinkinder machen ihre prototypischen Lebenserfahrungen nur im Rahmen umfassender „Handlungseinheiten.“ (Salber 1965) Die in handelnden und interaktiven Zusammenhängen entstandenen Erfahrungsniederschläge bleiben bis ins siebente Lebensjahr in senso-motorische Schemata eingebettet, d. h. sie bleiben ein operatives Geschehen. (Heisterkamp 2004a, Piaget 1948) Noch mehr: „Insbesondere die Kategorien, die seelische Erfahrungen symbolisieren, haben eine bis in die Pubertät reichende operative bzw. interaktive Vorlaufzeit.“ (Heisterkamp 2002a, S. 49) Das heißt, dass sprachliche Abstraktionen, z. B. im Sinne von Deutungen, nur dann greifen können, wenn sie genügend sinnesnah sind. Das heißt auch,
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dass manche interaktiven konflikthaften Erfahrungen ohne symbolischen Transfer auf operative und affektnahe Sinnerfassungsmodalitäten angewiesen sind, will man sie therapeutisch nutzen. Heisterkamp spricht diesbezüglich von „entwicklungsanalogen Sinnerfassungsmodi“ (Heisterkamp 1993, S. 51) und verbindet ihre Bedeutsamkeit mit der Notwendigkeit, das therapeutische Setting hin zu Erfahrungsmodalitäten zu öffnen, die die entwicklungsanaloge Reaktivierung derartiger nicht-symbolisierter Erfahrungen innerhalb des therapeutischen Prozesses gestatten. „Elaborierte Einsichten, die nicht auf basalen Formen des Erfassens gründen, bleiben therapeutisch unwirksam“ (Heisterkamp 2003a, S. 11f.), und: „Nach meinen körperpsychotherapeutischen Erfahrungen muß der Primat hermeneutischen Verstehens, wie er für den psychoanalytischen Dialog zwischen Patient und Therapeut typisch ist, in Frage gestellt werden. Es gibt »Einsichten«, die sich erst dann ergeben, wenn Patient und Therapeut sich einen präverbalen Begriff von dem zu verstehenden seelischen Geschehen gemacht haben. Es gibt bewegungs- und handlungsimmanente Grundformen unmittelbaren Wahr-nehmens, Er-fassens, Be-greifens und Verstehens, welche die entwicklungsmäßig späteren Formen des Erkennens, Einsehens und Verstehens fundieren. Wenn allerdings diese abstrakten Formen ihren Bezug zu den Grundformen verloren haben, werden sie zu formalisierten Leerlaufbewegungen, in denen sich die Fragmentierung der Selbstentwicklung wiederholt.“ Klar ist, dass die Fähigkeit zur Repräsentanzenbildung nicht erst mit der Sprachentwicklung entsteht, sondern bereits viel früher (Mertens 1992, S. 198). Klar ist auch, dass nicht die Befriedigung von Triebbedürfnissen konstituierend ist, sondern das Bezogensein als solches, das auch befriedigend ist, bzw. auch das Bedürfnis nach Intersubjektivität, dessen Bedeutung so groß zu sein scheint, dass diskutiert wird, ob es sich dabei um ein primäres Motivationssystem handeln könnte. (Fivaz-Depeursinge 2003, Stern 1992, Trevarthen 1984) Piaget gebührt außerdem das Verdienst erkannt zu haben, dass die Denkentwicklung an die Anwesenheit des Objekts geknüpft ist und nicht an dessen Abwesenheit bzw. die Erfahrung von Trennung (Bion 1962), mit der Folge, dass „Kleinkindforscher von der psychoanalytischen Auffassung (abrücken), dass die Repräsentanzenbildung zu einem wesentlichen Anteil auf... (die) Internalisierung aufgegebener Objektbeziehungen zurückgeht.“ (Mertens 1992, S. 199) Stattdessen setzt sich die Bedeutsamkeit lebenslanger Interaktionserfahrungen und ihrer Niederschläge in Form von unbewussten Erwartungsmustern mehr und mehr 12 durch. (Ebend.)
18. Organisationsebenen des Erlebens Erleben organisiert sich in aufeinander folgenden Entwicklungsschritten und wird in kommunikativen Zusammenhängen wechselseitig auf folgenden Ebenen reguliert (Frischenschlager 2003):
1. Ebene der physiologischen Regulation 2. Verhaltensebene 3. Regulation auf der affektiven Ebene
12
Zur Frage der Repräsentanzenbildung vgl. auch den Beitrag von U. Volz-Boers in diesem Buch.
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4. Regulation auf einer vorsprachlichen Zeichenebene 5. Regulation auf einer Symbolebene (sprachliche Kommunikation) Die Entwicklung der Organisation psychischen Erlebens hat demnach ihren Ausgangspunkt in physiologischen Regulationen und schreitet fort in Richtung der Symbolebene. „In der normalen Entwicklung ist davon auszugehen, dass die Symbolebene erreicht wird und die nicht symbolisierten Ebenen zwar aktiviert und integriert sind, jedoch im Hintergrund bleiben. Die Kommunikation auf Symbolebene ermöglicht eine ungleich differenziertere Kommunikation, weil sie nicht die Nachteile direkten, impulsgesteuerten Handelns beinhaltet und trotzdem die Möglichkeit eröffnet, über die Sprache alle Ebenen, also Gefühle, Affekte, das Handeln und körperliche Prozesse, zu erreichen.“ (Mertens 1992, S. 78) Erleben ist trotz seiner Vielschichtigkeit und der Verflochtenheit der verschiedenen Ebenen etwas Einheitliches, kann aber unter bestimmten pathologischen Umständen auseinanderfallen, „fragmentieren“. Normales Erleben ist „ganzheitlich und kann nur jeweils in Teilen in Sprache gefasst werden. Daher sind wir in der sprachlichen Alltagskommunikation meist darauf angewiesen, sprachliche Mitteilungen mit einer Reihe von zusätzlichen Informationen zu versehen. Wir verwenden paraverbale Signale wie Melodie, Rhythmus, Mimik, Gestik usw. Auf sprachlicher Ebene selbst werden Metaphern, dramatische Elemente usw. herangezogen, um die Verständigung zu optimieren... Darüber hinaus kann Sprache... deformiert sein, weil Bereiche des Erlebens desintegriert sind. Es kann dann z. B. dazu kommen, dass sprachliche Äußerungen sich nicht in Übereinstimmung mit affektiven Äußerungen befinden. Oder dass wesentliche Bereiche des Erlebens auf Verhaltensebene organisiert sind und keinen Zugang zu Sprache haben.“ (Ebend. S. 79) Die Klassifikation des Erlebens in unterschiedliche Organisationsebenen ist nicht neu; erinnert sei an die Beschreibung der „paranoid-schizoiden“ und der „depressiven“ Position in der kleinianischen Psychoanalyse. Ogden (1989) hat diese Zweiteilung des Erlebens um einen weiteren Modus erweitert – den „autistisch-berührenden“ Modus. Aus unserer relationalen Sicht sind besonders die Klassifikationen nach D. Stern und S. Mitchell von Bedeutung.
18.1. Organisationsebenen des Erlebens nach S. Mitchell Mitchell (2003) unterscheidet vier Ebenen von Organisation:
Modus 1: Nicht-reflexives Verhalten Es ist dies der gesamte interaktive Erlebnisbereich, den die videomikroanalytisch gestützte Säuglingsforschung erhellt hat – der Bereich der wechselseitigen Regulierung des Verhaltens auf einer Ebene der Interaktion, die so subtil ist und sich so rasch vollzieht, dass sie unserem bewussten Erkennen kaum zugänglich ist. Mit ausreichender Übung kann man lernen, davon ein wenig zu spüren, mehr als zu erkennen – spüren z. B., ob der interaktive Austausch angenehm oder unangenehm ist, und auch, wie sich seine „Vitalitätskontur“ (Stern 1998b) anfühlt. Die Frage, wer die Interaktion angefangen hat, ist auf dieser Ebene ein ähnlich unlösbares Unterfangen wie die Frage, was zuerst war: die Henne oder das Ei. Einzig interessant ist die Wechselseitigkeit der Regulati-
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onsvorgänge. Therapeutisch gehören in diesen Bereich jene Interaktionen, die zu Verwandlungserfahrungen in Sinne von „Now-moments“ (Stern 1998b) führen, im zwischenmenschlichen Bereich eine Vertiefung des gegenseitigen Interesses aneinander, und – im erotischen Bereich – das Erleben von Anziehung und erste Vorstufen des Verhaltens, das wir „Flirt“ nennen.
Modus 2: Affektive Durchlässigkeit Auch hier ist die Frage wer angefangen hat bedeutungslos, der Fokus liegt aber mehr auf dem Affekt als im Verhalten. Es geht besonders um Zustände hoher emotionaler Erregung, die ansteckend sind, und damit zusammenhängende Resonanzphänomene. Therapeutisch relevant sind Erlebnisweisen in diesem Modus als Übertragungs-Gegenübertragungs-Gefühle, deren wechselseitige Durchlässigkeit dem Therapeuten die Chance eröffnet, „die eigenen Gefühle als ein Fenster zum tiefsten, oft abgespaltenen Affekterleben des Patienten zu nutzen“ (Mitchell 2003, S. 196). Hierher gehören auch Phänomene, die unter dem Stichwort „projektive Identifizierung“ laufen. Wenn ein Therapeut in seiner Gegenübertragung beispielsweise tiefe Trauer erlebt, befindet sich der Modus 2 im Vordergrund. Kennzeichnend sind also intensive Gefühlsempfindungen, Erregung und Affektempfänglichkeit, die sich aber nicht genau zuordnen lassen und in das Erleben all jener Teilnehmer einfließen, die an der Interaktion beteiligt sind (dazu gehören auch intensive Formen von Gruppenerleben, sei es in Selbsterfahrungsgruppen oder im Bereich von Großgruppenphänomenen wie z. B. in einem Fußballstadion). Intensives Affekterleben kann unter bestimmten (pathologischen) Zuständen den Charakter einer Ersatzbefriedigung annehmen und zu suchtartigen Phänomenen führen – im therapeutischen Feld bekannt als maligne Regression. Im zwischenmenschlichen Feld wäre ein Beispiel ein fortschreitendes Flirtverhalten, bei dem sich bereits ein intensives emotionales Feld aufgebaut hat.
Modus 3: Konfigurationen des Selbst-mit-dem-Anderen In diesen Bereich gehören die Selbst- und Objektrepräsentanzen im Sinne von Erwartungen und Vorstellungen, die wir in Bezug auf andere Menschen haben und die unser Handeln anleiten. Kernberg (1997) spricht in diesem Zusammenhang von Selbst-Objekt-Affekt-Konfigurationen. Der Andere ist in diesem noch bildhaft strukturierten Modus des Erlebens als gänzlich eigenständige Subjektrepräsentanz noch nicht vorhanden: „Er hat zwar eine eigenständige symbolische Repräsentanz, aber bloß unter dem Aspekt bestimmter Funktionen, wie der des Spiegelns, der Erinnerung, der Befriedigung usw.“ (Mitchell 2003, S. 107). Es werden, je nachdem wer an der Interaktion beteiligt ist, gemeinsame Interaktionskonstruktionen herausgefiltert und markiert. Im therapeutischen Bereich geht es dann nicht mehr nur um affektive Offenheit und Nähe, sondern um damit verbundene Vorstellungen, die z. B. ein emotionales Klima von Kameradschaftlichkeit entstehen lassen können (ev. im Sinne einer Übertragung vom Typ der Alter-Ego-Übertragung). Es wird in diesem Modus bereits sorgfältiger differenziert und sortiert, wer gegenüber wem was tut – allerdings noch ohne die Möglichkeit, von einem einzigartigen anderen als einzigartiges Subjekt anerkannt zu werden, den man umgekehrt auch als solches anerkennt.
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Modus 4: Intersubjektivität Im ersten Modus teilen Menschen das, was sie miteinander tun. Man tut etwas miteinander, das Teilen der Gefühle ist aber nicht so wichtig, weil der Schwerpunkt regulatorischer Vorgänge in der Person selbst liegt. Im zweiten Modus teilen Menschen miteinander mehr oder weniger intensive Affekte, wie z. B. im Spiel. Es gibt aber hier keine Repräsentanzen, die ineinander „einhaken“ und für gemeinsame Inszenierungen sorgen. Im dritten Modus teilen Menschen miteinander bestimmte Vorstellungen aufgrund unbewusster Rollenzuschreibungen, wie z. B. „Opfer“ und „Täter“. In der gemeinsamen Inszenierung wird der Andere aber immer noch als Teilobjekt erlebt. Erst im vierten Modus geht es um ein Teilen und auch Mit-Teilen von subjektiver Einzigartigkeit. Erst nun wird der Andere wirklich als Anderer wahrgenommen, und diese Wahrnehmungen können reflektiert und kommuniziert werden. Der Andere ist nun als eigenständiges Subjekt in der seelischen Struktur repräsentiert. Denn „zum vollwertigen Menschsein gehört (in der westlichen Kultur), von anderen menschlichen Subjekten als Subjekt anerkannt zu werden. Zwischen dem Bemühen, unseren eigenen Weg zu gehen, in dem sich die eigene Subjektivität ausdrückt, und unserer Abhängigkeit vom Anderen, der selber Subjekt ist und von dem wir Anerkennung fordern, herrscht eine tiefe und anhaltende Spannung... Im vierten Modus (sind) die Menschen... zu komplexen Wesen geworden..., die bereits über die Fähigkeit verfügen, selbstreflexiv und intentional zu handeln (d. h. über Dinge nachzudenken und zu versuchen, Dinge zu tun), sowie Abhängigkeit (von anderen handlungsfähigen Personen zur eigenen Vervollständigung) zu ertragen.“ (Mitchell 2003, S. 108) Während beispielsweise im Bereich sexueller Intimität die ersten beiden Modi in den Vordergrund des Erlebens rücken, ist ein – wenn auch unbewusstes – Verständnis füreinander bereits Ausdruck des dritten Modus, wogegen der bewusst und in verbundener Weise gesprochene Satz „Ich liebe dich!“ ein selbstreflexives Sich-aufeinander-Beziehen spiegelt, weil darin nicht nur eine Zustandsbeschreibung enthalten ist, sondern auch eine Mitteilung darüber, wie tief man sich auf die Beziehung einlässt. (Ebend. S. 114) Die Fähigkeit, sich tief auf eine Beziehung einzulassen, setzt die Erfahrung sicherer Bindung voraus. Bindungserfahrungen sind zunächst körperlichaffektive Erfahrungen. Mit dem fortschreitenden Eintauchen des Säuglings in neue Welten des Erlebens und Hand in Hand mit seiner fortschreitenden motorischen und kognitiven Reifung gewinnen Mentalisierungsprozesse zunehmend an Bedeutung.
18.2. Organisationsebenen des Erlebens nach D. Stern
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Die aus unserer Sicht interessanteste Theorie von Organisationsebenen des Erlebens ist jene von Stern (1991, 1992). Er postuliert fünf „Welten“ des kindlichen Erlebens, bezogen einerseits auf das Empfinden von sich selbst und andererseits gegenüber Anderen („Bezogenheit“): die „Welt der Gefühle“ (auftauchendes Selbstempfinden bzw. auftauchende Bezogenheit), die „Welt der direkten Kontakte“ (Kern-Selbstempfinden bzw. Kern-Selbst-Bezogenheit), die „Welt der Gedanken“ (subjektives Selbstempfinden bzw. subjektive Bezogenheit), die „Welt der Worte“ (verbales Selbstempfinden bzw. verbale Bezogenheit) und die 13
Vgl. diesbezüglich ebenso den Beitrag von M. Steiner Fahrni in diesem Buch.
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„Welt der Geschichten“ (narratives Selbstempfinden bzw. narrative Bezogenheit). Jedes Erleben in einer der fünf Erlebniswelten ist grundsätzlich verschieden von den anderen. In der kindlichen Entwicklung tauchen diese Erlebniswelten hintereinander auf; ab der Geburt bis zum zweiten Lebensmonat das auftauchende Empfinden, vom zweiten bis zum vierten Monat das KernSelbstempfinden, zwischen dem 7. und 9. Monat das subjektive Empfinden, zwischen dem 16. und 18. Monat das verbale Empfinden und etwa vom 2. bis zum 4. Lebensjahr das narrative Empfinden. Trotzdem handelt es sich beim Stern´schen Modell nicht um ein Phasenmodell: Keiner dieser Erlebensbereiche verschwindet in der Folgezeit nach dem ersten Auftauchen. Jeder von ihnen bleibt lebenslang bestehen, auch wenn er in den Hintergrund rücken mag. Und jeder von ihnen wird durch das Hinzutreten anderer Erlebensbereiche modifiziert. Auf diese Weise entstehen fünf verschiedene Erlebenswelten, „Domänen“, die parallel nebeneinander bestehen und durch eine Hintergrund-VordergrundRelation zueinander gekennzeichnet sind, d. h. dass jeweils eine Domäne gerade im Vordergrund des Erlebens steht. In jeder der Erlebensdomänen setzt sich das heranwachsende Kind mit sehr verschiedenen Lebensthemen auseinander, wie z. B. Bindung und Trennung. In diesem Sinn widerspricht Stern der traditionellen psychoanalytischen Phasentheorie, die von einer Aufeinanderfolge bestimmter phasenspezifischer Themen ausgeht. Im Unterschied zur psychoanalytischen Meinung ist Stern nicht der Ansicht, dass bestimmte Entwicklungsthemen phasenspezifischen Ursprungs und damit Anlass für phasenspezifische Fixierungen sein können. Die Stern´sche Entwicklungsvorstellung läuft letzten Endes darauf hinaus, die ursprüngliche Vorstellung der Regression, die an spezifische Fixierungspunkte in der Entwicklungsgeschichte gebunden ist (vgl. dazu Fenichel 1974) aufzugeben zugunsten einer insgesamt weiteren Auffassung, in deren Kern VordergrundHintergrund-Figurationen stehen wie z. B. in der Gestalttherapie. (vgl. dazu Geißler 2001a, Staemmler 2002) Die Konzeption eines Selbst ist ein wesentliches Konstrukt in Sterns Theorie. Was versteht er unter dem Selbst? (Das Selbst) ist für ihn „ein invariantes Gewahrseinsmuster, das nur anläßlich der Aktivitäten oder psychischen Vorgänge des Säuglings zum Vorschein kommt.... Es ist das organisierende, subjektive Erleben dessen, was wir später verbal als das »Selbst« bezeichnen... Dieses organisierende subjektive Erleben ist das präverbale, existentielle Pendant zu dem objektivierenden, selbstreflexiven, verbalisierbaren Selbst.“ (Stern, 1992, S. 20) Sterns theoretische Ausführungen stellen in der Tat weit reichende Konsequenzen des therapeutischen Verständnisses in Aussicht. „Ich stelle die gesamte Auffassung in Frage, dass bestimmte Entwicklungsphasen im Zeichen bestimmter klinischer Themen... stehen.... Die frappierenden, sprunghaften Veränderungen der sozialen »Präsenz« und »Anmutung« des Kindes können des-
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halb nicht mehr damit erklärt werden, dass es sich aus einer Entwicklungsphase löst und in die nächste eintritt. Vielmehr werden die entscheidenden Veränderungen im sozialen Erleben auf die neuen Arten der Selbstempfindung zurückgeführt, die der Säugling nun entwickelt.“ (Stern, 1992, S. 25) Stern geht – und dies ist eine folgenschwere Grundannahme – davon aus, dass der Säugling sich „mit Vorgängen beschäftigt, die in der Realität stattfinden.... Der Säugling wird also als ein ausgezeichneter Realitätsprüfer betrachtet; die Realität wird in diesem Stadium niemals aus Gründen der Abwehr verzerrt.“ (Stern, 1992, S. 26) Und: „Zahlreiche Annahmen der Psychoanalyse scheinen die Entwicklung viel besser für die Zeit nach der Säuglingsphase zu beschreiben, wenn die Kindheit begonnen hat und die Sprache schon verfügbar ist. Diese Feststellung soll die psychoanalytische Theorie nicht in Abrede stellen; sie besagt nur, dass sie fälschlich auf diese frühe Phase bezogen worden ist, die sie nicht angemessen erfasst.“ (Stern, 1992, S. 26)
Erste Domäne: das auftauchende Selbstempfinden und Bezogen-sein Pränatale Erfahrungen bilden einen entscheidenden Vorläufer der Erfahrung des „auftauchendes Selbstempfindens“ als Organisationsebene der kindlichen Entwicklung, die im Alter ab etwa zwei Monaten von der nächsten Organisationsebene abgelöst wird, dieser jedoch als Hintergrund und als Basis zur Verfügung steht. Ein erstes Gefühl von Regelmäßigkeit und Geordnetheit ist für diese Form des Erlebens charakteristisch. Dabei entwickelt sich, gleichsam als „Nebenprodukt“, ein erstes Selbstempfinden: „... Die Bezugsorganisation für ein Selbstempfinden (ist, Einfüg. P.G.) noch im Entstehen begriffen; anders ausgedrückt: sie taucht auf. Das Empfinden eines auftauchenden Selbst betrifft .... den Prozeß und das Resultat einer sich entwickelnden Organisation. Es umfaßt das Kennenlernen der Beziehungen zwischen den sensorischen Erlebnissen des Säuglings..... Ein Selbstempfinden wird eines der vielen wichtigen Nebenprodukte der allgemeinen Lernfähigkeit sein.“ (Stern, 1992, S. 73) Bezogen auf die Funktion der Affektregulierung dient die interpsychische Regulierung zwischen dem Baby und seinen Eltern insbesondere dem Schutz des noch unreifen Organismus vor intrusiven oder zu starken Reizen. Die Regulierung der somato-psychischen Zustände des Säuglings seitens der Eltern führt dazu, dass eher diffus und ungerichtete subcortikale Erregungsprozesse zu cortikalen Erregungs- und Hemmungsprozessen reifen. Die neurophysiologische Modulation geschieht in erster Linie über Pflegehandlungen (wie Füttern, körperlichen Kontakt, sprachliche Beruhigung) und zirkadiane Schlaf-WachRhythmen. (Vgl. dazu auch Hartmann et al. 2004) Wie erlebt der Säugling dieses auftauchende Selbstempfinden? Hat er irgendeine Wahrnehmung davon? Er nimmt beginnende Selbstorganisationsprozesse wahr; er nimmt aber einen Zustand von „Nicht-Organisation“ nicht wahr. Dazu Stern wörtlich: „Bereits das Neugeborene verfügt über die Fähigkeit, Selbstorganisationsprozesse wahrzunehmen“ (Stern, 1992, S. 24). An späterer Stelle: „Der Säugling kann nicht wissen, was er nicht weiß, und auch nicht, dass er es nicht weiß... Der Säugling macht viele einzelne Erfahrungen, die für ihn vielleicht von herrlicher Klarheit und Lebendigkeit sind. Er nimmt die mangelnde Bezogenheit zwischen diesen Erlebnissen gar nicht wahr... Werden die man-
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nigfaltigen Erlebnisse nun auf irgendeine Weise gekoppelt (assoziiert, assimiliert oder auf andere Art verbunden), so erlebt der Säugling das Auftauchen von Organisation.“ (Ebend. S. 73) Charakteristika dieses Selbstempfindens sind (zusammengefasst in Geißler 2001a, S. 146 ff.): 1. Die Trennung zwischen dem „Innen“ und dem „Außen“ ist vage, und dies färbt das Erleben des Säuglings in besonderer Weise. Eine Vorstellung davon gibt uns Stern, indem er ein Beispiel aus dem Erwachsenenleben anführt, das wohl jeder von uns kennt: „So kehrt sich beispielsweise das Innere nach außen, wenn jemand in Ihrem Beisein etwas Häßliches tut und dieser Mensch ihnen plötzlich widerlich vorkommt. Umgekehrt gelangt das Außen in ihr Inneres, wenn sich bei einem Spaziergang an einem unerwartet klaren, sonnigen Morgen Ihre Lebensgeister plötzlich beleben, und Ihr Körper sich unvermittelt leicht und beschwingt anfühlt. Während ein solches teilweises Verschwimmen der Grenze zwischen Innen und Außen bei uns Erwachsenen immer nur von sehr kurzer Dauer ist, ist es bei Kindern praktisch der Normalfall.“ (Stern, 1992, S. 22) 2. Das Erleben ist von hoher Intensität gekennzeichnet: „Er (der Säugling, Einfüg. P.G.) erlebt... jeden einzelnen Moment intensiv und mit all seinen Sinnen. Viele dieser Augenblicke sind die Prototypen für immer wiederkehrende Situationen in seinem Leben.“ (Stern, 1991, S. 23) 3. Faszination bestimmt das Erleben der Umwelt. Viele Begegnungen mit der Welt sind dramatisch und gefühlsbestimmt (Stern, 1991, S. 24). Die gerade noch erträgliche Intensität erregt den Säugling, er reagiert sofort darauf. „Die Intensität erhöht seine Lebhaftigkeit und aktiviert sein ganzes Wesen“ (Stern, 1991, S. 25). Es scheint geradezu so, wie wenn sich der Säugling an die Grenzen des für ihn Aushaltbaren herantasten würde, wie wenn er den Nervenkitzel lieben würde. (Vgl. dazu Balints Konzept des „thrill“, Balint 1994) 4. Die visuelle Aufmerksamkeit ist in spezifischer Weise ausgerichtet: Dinge werden unverwandt angeblickt, so als würde ihr Blick tatsächlich festhalten (Stern, 1991, S. 26) – etwas, was bei Erwachsenen eher Beunruhigung und Verwirrung auslöst. Lächeln der Bezugsperson zeigt hier keinerlei Wirkung, denn es handelt sich um ein entwicklungsadäquates Phänomen unwillkürlicher Aufmerksamkeit. Trotzdem können, so Stern, Aufmerksamkeitsfokus und visueller Fokus schon getrennt werden (Stern, 1991, S. 27) – eine Fähigkeit, die wir als Erwachsene z. B. beim Autofahren nutzen, indem unser visueller Fokus auf die Verkehrsvorgänge der Straße gerichtet ist, unsere Gedanken dabei aber problemlos abschweifen können. 5. Empfindungen haben häufig, aufgrund der noch vagen Trennung zwischen „innen“ und „außen“, regelrecht bedrängende Qualität. Der Säugling vermag sich gegen Empfindungen noch nicht effizient zu wehren. (Stern, 1991, S. 30) Im Zustand sehr tiefer Regression kann ein solcher Erlebensmodus beim Erwachsenen vorübergehend aktiviert werden: Das Erleben bekommt eine totale Dimension, kleinste Anlässe aktivieren Gefühle hoher Intensität, es entsteht eine im Alltag sonst ungewohnte Affektualisierung des Erlebens. 6. Die Realität wird unmittelbar so wahrgenommen, wie sie ist; Konflikte gibt es in dieser frühen Phase nicht. Dies ist dadurch bedingt, dass der Säugling erst ab dem 3. bis 4. Monat in die Lage kommt, zwei Objekten zugleich seine Aufmerksamkeit zu schenken und sie innerlich zu vergleichen. (Stern, 1991, S. 34) Bevor der Säugling zu einem inneren Vergleich imstande ist, ist er jedoch ganz
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auf die Ähnlichkeiten von Objekten hin ausgerichtet. Erst später ist er dann in der Lage, Abweichungen und Diskrepanzen wahrzunehmen, die ihn in konflikthafte Spannung versetzen können. Dies ist deswegen möglich, weil zu dieser Zeit schon mentale Bilder und Vorstellungen entstehen, die sich vor dem geistigen Auge treffen können. (Stern, 1991, S. 36) Der Säugling konzentriert sich auf eine der beiden Perspektiven und hört das Echo der anderen. Ist die Diskrepanz zwischen den beiden nicht zu groß, wird der Raum wieder eins, der Konflikt ist gelöst. 7. Einsetzende hohe Triebspannungen, wie z. B. Hungergefühle, haben einen verheerenden Einfluss auf die Welt des Säuglings (Stern, 1991, S. 39). Sie führen zu einem inneren Chaos, die Welt wird bindungslos, zerfällt, zerreißt, plötzlich bricht alle Harmonie zusammen. Interessant ist Sterns Annahme, dass der Schrei des Säuglings die zerbrochene Ordnung wiederherstellt. (Stern, 1991, S. 41) Stern (1991) schildert dies im „Tagebuch“ von „Joey“: „Während das Schreien lauter wird, nimmt es Joeys gesammeltes Tun und Erleben vollständig ein und ordnet es... Das geordnete laute Schreien hilft Joey in zweierlei Hinsicht, mit dem Hungergefühl umzugehen. Es handelt sich um ein wundervolles, zielgerichtetes Signal..., um seine Eltern auf sein Unbehagen aufmerksam zu machen und sie zu einer Reaktion aufzufordern. Gleichzeitig hilft es dem Säugling, die Intensität des Hungergefühls abzuschwächen.“ (Stern 1991, S. 41) Er kommt so mit der Außen- und der Innenwelt besser zurecht, und er wird aktiv, gestaltet. Ebenso dämpft der Schrei den Schmerz. 8. Zwischen den Handlungen der Mutter und den eigenen Gefühlen entsteht eine Beziehung. „Wir nehmen an, dass das Baby jetzt anfängt, sich ein Modell, eine Art geistiges Bild der Mutter zu schaffen. Das Modell besteht... aus.... zahlreichen verschiedenen Teilstücken seiner Interaktion mit ihr... Wir nehmen außerdem an, dass das geistige Modell, das er von seiner Mutter aufbaut, ihm als Prototyp dafür dient, was er in seinem späteren Leben im Umgang mit anderen geliebten Menschen erwarten wird.“ (Stern, 1991, S. 49–50) 9. Insgesamt ist es eine Welt der Gefühlstöne und manchmal auch Gefühlsstürme und nicht umsonst zieht Stern den Vergleich mit einer Wetterlandschaft. Viele Erwachsenengespräche drehen sich übrigens um das Wetter – vielleicht gar nicht so zufällig, wie es erscheinen mag. Dass sich diese erste Form von Organisation überhaupt entwickeln kann, beruht wesentlich auf drei Fähigkeiten bzw. Voraussetzungen: amodale Perzeption, physiognomische Perzeption und Vitalitätsaffekte. (Stern 1992)
Zweite Domäne: das Kern-Selbst-Empfinden und -Bezogen-sein Ab dem 3. Monat findet nach Kopp (1982) eine Regulation der emotionalen Befindlichkeit des Säuglings über die sogenannte sensomotorische Modulation statt. Die Regulation der Emotionszustände geschieht jetzt insbesondere innerhalb von Face-to-face-Interaktionen sowie über geteilte Aufmerksamkeitsprozesse („joint attention“). Gleichzeitig verändert sich das Wesen des Säuglings markant. „Mit der Wahrnehmung der eigenen Handlungsfähigkeit, Affektivität und zeitlichen Kontinuität konsolidiert der Säugling zwischen dem zweiten und sechsten Lebensmonat die Empfindung eines Kern-Selbst als getrennter, kohärenter, abgegrenzter körperlicher Einheit.“ (Stern, 1992, S. 24) Das körperliche Erleben des Säuglings spielt dabei eine zentrale Rolle: „Die erste Organisation dieser Art betrifft den Körper: seine Kohärenz, seine Handlungen, Gefühlszustände und
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die Erinnerung an all dies. Auf eine solche Organisation des Erlebens ist das Empfinden eines Kern-Selbst konzentriert.“ (Stern, 1992, S. 73) Stern definiert, was er unter diesem „Selbst“ versteht: „Zum einen unterscheiden wir das körperliche Selbst, das als kohärente physische Entität mit eigenem Willen, einzigartigen Affektregungen und eigener Geschichte erlebt wird. Dieses Selbstempfinden ist uns zumeist gar nicht bewußt. Wir setzen es als selbstverständlich voraus; es in Worte zu fassen, bereitet schon Schwierigkeiten. Es ist ein erlebnishaftes Selbstempfinden, das ich als das Empfinden eines KernSelbst bezeichne.“ (Stern, 1992, S. 47) „Das Kern-Selbst-Empfinden ist also ein erfahrungsgeleitetes Empfinden von Vorgängen, die wir normalerweise als völlig selbstverständlich voraussetzen und uns nicht bewußt machen. Entscheidend ist hier der Begriff »Empfinden« (sense) im Unterschied zu »Konzeption«, »Kenntnis« oder »Gewahrsein« des Selbst oder des Anderen. Die Betonung liegt auf der greifbaren Erfahrungswirklichkeit von Substanz, Handlung, Sinneseindruck, Affekt und Zeit. Das Selbstempfinden ist kein kognitives Konstrukt; es ist die Integration des Erlebens.“ (Stern, 1992, S. 106–107) Die zunehmenden motorischen Fähigkeiten – z. B. die Möglichkeit, eigene Position und Körperhaltung willentlich verändern zu können – schaffen die notwendigen Voraussetzungen dafür, dass sich das Feld der Interaktion mit der Mutter wesentlich differenziert. (Stern, 1991, S. 53) Vor allem der Augenkontakt mit der Mutter ist es, der in dieser Phase in den Mittelpunkt des interaktiven Geschehens rückt: „Wechselseitiger Augenkontakt gibt diesen Interaktionen ihre Struktur... Man kann sagen, dass es in dieser Lebensphase kein bedeutsameres Ereignis gibt als den Blickkontakt. Er bildet die Basis aller Lebensäußerungen...“ Dabei geht es in dieser visuellen Interaktion nicht um etwas Konkretes. Ihre Interaktionen haben einzig zum Ziel, diese Erfahrung auszudehnen. (Stern, 1991, S. 54) Wieder aktiviert wird diese Erfahrung später in ähnlich intensiv erlebten Augenblicken der Nähe mit einem anderen Menschen. (Stern, 1991, S. 56) Für den Säugling ist dies ein selbstverständliches Geschehen: „Ohne von komplizierten Wünschen und Absichten abgelenkt zu werden, kann der Säugling die fundamentale Fähigkeit zur reinen, intensiven Nähe mit einem anderen Menschen erlernen.“ Es geht, mit anderen Worten, in dieser Entwicklungsperiode darum, eine nonverbale Kommunikationsbasis zu erwerben, auf der später alle sozialen Interaktionsformen und auch die Sprache aufbauen. (Stern, 1991, S. 57) Es ist die Qualität des Augenausdrucks der Mutter, auf die der Säugling reagiert. Im stimmlichen Bereich hört er nicht auf die Worte, sondern auf die Sprachmelodie. Misstöne schrecken oder bestürzen ihn. Er spürt die Qualität der Berührungen und reagiert auf diese. Körperkontakt, z. B. über Getragen-Werden, ist in dieser Zeit extrem wichtig. Der Körperkontakt ist ein eigener Raum, der den Gesetzen emotionaler Bindungen gehorcht. (Stern, 1991, S. 86) Reguliert wird in diesem engen Raum auf dieser Entwicklungsstufe nicht durch Distanz, Gerichtetheit und Position, sondern durch emotionale Spielregeln, wie Geborgenheit, Trost und Intimität. Viele Interaktionen laufen über improvisierte Kontaktspiele zwischen Mutter und Kind. „Man hat den Eindruck, dass ... Babys... Spiele lieben, die sie nahe an die obere Toleranzschwelle ihres Erregungsniveaus bringen – vergleichbar vielleicht mit Erwachsenen, die gern mit der Gefahr spielen.“ (Stern, 1991, S. 75) Wenn die Eltern die Kinder in fesselnde Interaktionen einbeziehen, helfen sie ihnen auch dabei, die chaotische Welt zu strukturieren, und zwar dadurch, dass
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die Aufmerksamkeit gebündelt wird. Wenn sie es nicht ist, wenn sie frei herumtreibt, erlebt Joey die Welt weniger kohärent und mehr bruchstückhaft.
Dritte Domäne: das subjektive Selbstempfinden und Bezogen-sein Im Zeitraum zwischen dem 7. und 9. Lebensmonat treten neue vom Säugling intendierte Bewegungen, ausgelöst durch die zunehmende Reifung seiner motorischen Fähigkeiten und den explorativen Regungen, in den Vordergrund. Das Kind beginnt sich von der Mutter weg und wieder zu ihr hin zu bewegen. Das Kind kann jetzt schon selbständig Anteile in der intersubjektiven Regulation übernehmen und es geht zu diesem Entwicklungszeitpunkt nicht mehr nur um Vermeidung von Übererregung, sondern zentral ist die Entwicklung von Distress-Erholungs-Zyklen. (Friedelmeyer 1999) Weder die neurophysiologische noch die sensomotorische Erregungs- und Emotionsmodulation ist durch Intentionalität des Säuglings gekennzeichnet. In dieser Lebensphase erwirbt das Kind die Fähigkeit seine Wünsche und Erwartungen eindeutiger mitzuteilen. Es verfügt über eine aktivere Kontrolle, auch durch eine Reifung seiner Ich-Funktionen, hinsichtlich der Regulierung seiner emotionalen Zustände. Das Kind sucht nun aktiv die Bezugsperson, um aus deren Verhalten und Emotionsausdruck eine Bewertung und Rückkopplung seines emotionalen Erlebens zu erhalten. Durch diese soziale Rückversicherung (social referencing) wird eine wesentliche affektregulierende Wirkung entfaltet (Emde 1988), die zu einer angemessenen Entwicklung der Selbstregulation und auch der intentionalen Vorgänge (Effektanz, Kompetenz, Urheberschaft) beitragen kann. Die soziale Rückversicherung ist auch Teil der Bindungsentwicklung. Die wachsende Fähigkeit zur Kontrolle bildet einen wichtigen Übergang zur Selbstkontrolle und Selbstregulation, wobei die intrapsychische Selbstregulation durch ein größeres Maß an Flexibilität und Adaptationsmöglichkeiten gekennzeichnet ist. Die Selbstregulation kann, ausgehend von unterschiedlichen Theorien, in verschiedener Weise konzeptualisiert werden, wobei vielfach Überschneidungen der Erklärungsmuster auftreten. (Hartmann et al. 2004) Der Säugling entdeckt in dieser Zeit, dass er ein Seelenleben besitzt, d. h. über eigenständige Motive, Absichten und Gefühle verfügt, und dies auch auf andere Personen zutrifft. (Stern, 1992, S. 179) Dornes (1992) meint dazu, auf Stern bezugnehmend: „Kinder dieses Alters merken, dass es andere »minds« gibt als ihre eigenen. Im Kind dieses Alters entsteht die Vermutung, dass es ein Wesen mit einer Psyche ist und dass psychische Zustände des Subjekts (Affekte, Absichten, Aufmerksamkeit) und solche des Objekts teilbar sind, d. h. ausgetauscht werden können. Es entsteht die Idee von Psychen, die getrennt sind, sich aber überschneiden können, indem sie bestimmte Erfahrungen gemeinsam haben und miteinander kommunizieren. Dies ist der Beginn von Intersubjektivität im psychologischen Sinn.“ (Dornes, 1992, S. 80) Selbst und Anderer sind nun nicht mehr nur Kern-Entitäten der physischen Gegenwart, des Handelns, Affekts und der Kontinuität. „Sie umfassen nun auch subjektive mentale Zustände – Gefühle, Motive, Absichten –, die »hinter« den körperlichen Geschehnissen... liegen...“ (Stern, 1992, S. 47–48) Die KernBezogenheit bleibt dabei vollständig erhalten, „sie bildet das basale Urgestein der interpersonalen Beziehungen.“ (Stern, 1992, S. 180) Mentale Prozesse spielen nun eine große Rolle, parallel zur enormen Entwicklung der kognitiven Möglichkeiten als Folge von cerebralen Reifeprozessen in dieser Zeit. Das Kind entdeckt nun seine eigene Gedankenwelt. Sein Erinne-
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rungsvermögen ist jetzt besser – es werden im Moment nicht präsente Objekte erinnert, was man daran erkennen kann, dass Kinder in diesem Alter nach versteckten Gegenständen zu suchen beginnen. Versteckspiele beginnen ihnen Spaß zu machen. Sie verfügen nun über imaginäre Landschaften. Absichten anderer Personen werden nun erkannt, (Stern, 1991, S. 91) eigene Absichten werden mitgeteilt. Durch Gesten zeigt das Kind der Mutter an, dass es möchte, dass sie seine Gedanken liest. Die neuen imaginären Landschaften, die das Kind erschafft, führen immer wieder zu einer Mischung aus Furcht und Faszination. (Stern, 1991, S. 92) Jetzt ist es für das Kind enorm wichtig, welchen Gesichtsausdruck die Mutter bei den Erkundungen, die das Kind unternimmt, zeigt – ob sie z. B. optimistisch oder ängstlich schaut; wie sie also das Geschehen affektiv bewertet. Das Kind übernimmt die mütterliche affektive Bewertung der Situation und richtet sein Verhalten danach aus. Dieses Alter ist aber auch anfällig für Fehldeutungen kindlicher Absichten seitens der Eltern. Die Neugier und Explorationsfreudigkeit kann nun zu Missverständnissen führen – man kann dem Kind nun feindselige Absichten unterstellen, die es nicht hat (wenn es beispielsweise seiner Mutter erkundend in die Augen greifen möchte). Kinder dieses Alter sind sehr bereit, äußere Bewertungen zu übernehmen. In vielen Interaktionssituationen mit den Eltern liegt daher ein potentieller Keim von Wahrnehmungsverzerrungen, die lebenslang bestehen bleiben können. (Stern, 1991, S. 94) Von besonderer Bedeutung sind demnach formale Charakteristika des Verhaltens, also „... das Wie eines Lächelns und anderer festgelegter motorischer Programme, zum Beispiel des Gehens. Durch die Ausführungshinweise eines Verhaltens können, was Zeitmuster, Intensität und Gestalt betrifft, vielfältige »stilistische« Versionen oder Vitalitätsaffekte ein und desselben Zeichens oder Signals oder ein und derselben Handlung gestaltet werden.“ (Stern, 1992, S. 227) Mit anderen Worten: die Formbarkeit des Kindes ist in diesem Alter besonders stark. Die Erfahrung der Gemeinsamkeit als Grundlage für Aspekte psychischer Nähe, der Grad, inwieweit Innenwelten geteilt werden können, beinhaltet beides – positive wie negative Möglichkeiten. Empathie wird in dieser Entwicklungsphase neu empfunden. „Für den ganz jungen Säugling bleibt der empathische Prozeß selbst unbemerkt, er nimmt nur die empathische Reaktion wahr. Etwas ganz anderes ist es, wenn der Säugling spürt, dass ein empathischer Prozeß als Brücke zwischen den beiden inneren Befindlichkeiten aufgebaut worden ist. Die Empathie der Betreuungsperson... wird nun unmittelbar zum Gegenstand der kindlichen Erfahrung.“ (Stern, 1992, S. 181) Und: „In diesem Stadium kann man dem Säugling zum ersten Mal die Fähigkeit zur psychischen Intimität zuschreiben – der Bereitschaft, sich zu öffnen und eine wechselseitige Durchdringbarkeit oder Ergründbarkeit zweier Menschen zu erleben... Die psychische Intimität wird nun ebenso wie die physische möglich. Das Verlangen, in diesem Sinne eines wechselseitigen Sichanvertrauens des subjektiven Erlebens des Anderen zu erkennen und selber erkannt zu werden, ist groß. Es kann sich sogar zu einer starken Antriebskraft entwickeln und als Bedürfniszustand empfunden werden.“ (Stern, 1992, S. 181) Dabei kommt der Gemeinsamkeit von Affekzuständen die allergrößte Bedeutung zu. „Es dürfte klar sein, dass die Gemeinsamkeit affektiver Zustände während der ersten Zeit der inter-
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subjektiven Bezogenheit von herausragender Bedeutung ist...“ (Stern, 1992, S. 191) Gegenstand der Abstimmung sind Verhaltensweisen, sind Vitalitätsaffekte: „Folglich haben wir neben den Affektkategorien auch die Vitalitätsaffekte als subjektive innere Zustände zu betrachten, die so beschaffen sind, dass sie zum Gegenstand von Abstimmungsakten gemacht werden können. Die Vitalität ist für Abstimmungen ideal geeignet, weil sie aus amodalen Aktivitäten, Intensität und Zeit besteht, nahezu jedem Verhalten innewohnt und sich somit ununterbrochen... zur Abstimmung anbietet. Abstimmungen können sich an der Qualität des Gefühls orientieren, mit dem ein Säugling nach einem Spielzeug greift, ein Bauklötzchen festhält, mit dem Fuß stößt oder einem Geräusch lauscht. Indem wir uns mit Hilfe der Vitalitätsaffekte aneinander orientieren und aufeinander abstimmen, können wir mit einem anderen Menschen »zusammensein«, das heißt eine Basis entwickeln, auf der wir innerliche Erfahrungen nahezu kontinuierlich miteinander teilen. Auf diese Weise entsteht das Gefühl der Verbundenheit, das Gefühl, aufeinander abgestimmt zu sein, das uns wie eine ununterbrochene Linie erscheint. Es orientiert sich an der Aktivierungskontur, die sich in jeder Sekunde im gesamten Verhalten abzeichnet, und benutzt diese Kontur, um den Faden des gemeinschaftlichen Erlebens nicht abreißen zu lassen.“ (Stern, 1992, S. 225)
Vierte Domäne: das sprachliche Selbstempfinden und Bezogen-sein Das verbale Selbstempfinden beginnt als neue Organisationsebene des Erlebens im Alter von 15 bis 18 Monaten. Worte kommen aus dem Erleben des Kindes zunächst von außen, sozusagen als Geschenke seitens der Eltern, und dies schon seit der Geburt. Zugleich sind sie aber auch eine Entdeckung in sich selbst – durch das Probieren mit den verschiedenen Klängen (die sich im Mund verschieden anfühlen); auf diese Weise erfährt das Kind viele Möglichkeiten, Silben und Worte zu formen. (Stern, 1991, S. 125) Kinder entdecken auf diese Weise, dass sie nicht nur neuartige Fähigkeiten, sondern auch persönliches Wissen und Erfahrungen haben, die sie mit Hilfe von Symbolen kommunizieren können. Symbole und Zeichen werden nun benutzt, um geistige Landschaften zu bezeichnen. (Stern, 1991, S. 118) Es gibt jetzt nicht mehr nur Gefühle und gemeinsame subjektive Zustände, sondern ein gemeinsames und kommunizierbares Wissen um dieselben. Mit Hilfe von Symbolen kann Neues erfunden werden, die Verbindung symbolischer Vorgänge kann zu neuen Konstellationen führen. Durch Worte kennt die Welt nun keine Grenzen mehr – es entsteht ein neues Gefühl der Unabhängigkeit. (Stern, 1991, S. 119) Das Kind entwickelt in dieser Zeit eine objektive Weltsicht. „Bis zum Alter von achtzehn Monaten scheinen Kinder nicht zu wissen, dass sie im Spiegel ihr eigenes Bild sehen. Nach dem achtzehnten Lebensmonat wissen sie es.“ (Stern, 1992, S. 235) „Jedenfalls sprechen zahlreiche Anhaltspunkte dafür, dass die Kinder in diesem Alter fähig sind, das Selbst zu objektivieren und so zu handeln, als wäre das Selbst eine begrifflich faßbare, äußere Kategorie. Sie beginnen nun, wenn sie von sich selbst sprechen, Pronomina zu gebrauchen (»ich«, »mich«, »meines«) und manchmal sogar Eigennamen. In diesem Alter konsolidiert sich auch die Geschlechtsidentität. Die Kinder erkennen, dass das Selbst als objektive Entität anderen objektiven Entitäten, Jungen oder Mädchen, zugeordnet werden kann.“ (Stern, 1992, S. 236)
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Aber: die Sprache hat aber auch kategorisierende Funktion. Sie unterteilt nonverbale Erlebnisse in strengere Kategorien. Sie zerschneidet den Zeitfluss in Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft. Wörter können globale Erfahrungen nur schlecht abbilden – v. a. Nuancen und Grauzonen kann man schwer sprachlich festmachen. Gesten können derartige Zwischentöne besser darstellen – Mimik und Gestik ist hier schneller und der Sprache überlegen. Sprache kann Denken und Fühlen trennen und kann komplexe Erfahrungen in „armselige Teilstücke“ zerteilen. (Stern, 1991, S. 120) Durch die Sprache entsteht auf der einen Seite ein ungeheurer Freiraum in der Möglichkeit zu kommunizieren: zugleich entsteht aber auch eine Kluft zwischen der vertrauten nonverbalen Welt und der Sprachwelt. Es entstehen zwei verschiedene Versionen desselben Vorgangs: parallele Wirklichkeiten. Die schlichte Ganzheitlichkeit des Erlebens ist für immer zerstört. Verbale und nonverbale Erfahrungswelt bestehen von nun an ständig nebeneinander. Es kann zu einer neuen Art und Weise des Sich-VerlassenFühlens kommen, das sich von der Trennungsangst in der Welt der Gedanken, des subjektiven Selbsterlebens, signifikant unterscheidet: einem Verlassenheitsgefühl durch den Verlust der Lebendigkeit der nonverbalen Welt. Das Kind merkt die Kluft, die entsteht, und sucht immer wieder die Welt der Geräusche, Düfte, Bewegungen und Wärme, die nonverbale Welt sinnlicher Empfindungen auf. Es versucht die Kluft zu schließen, und das gelingt ihm teilweise auch. Sprachliche Fragmente lösen sich immer wieder auf und werden Teil des nonverbalen Flusses; Worte wecken kalte und warme oder andere Gefühle. (Stern, 1991, S. 123) Leider ist die Einfühlbarkeit Erwachsener diesbezüglich häufig recht begrenzt, sodass die Sprache die kindlichen Welten allzu leicht zerstören kann. Dazu ein Beispiel aus Joey´s Tagebuch: Joey sitzt am Boden, versunken in das globale Erleben der Welt, und „kostet“ einen Sonnenstrahl am Fußboden. Seine Mutter kommt zur Tür herein, erschrickt darüber und sagt mit ärgerlicher Stimme „pfui“. Im Nu wird dadurch das nonverbale Erleben des Kindes in Stücke geschlagen – jene Welt wird schlagartig ausgelöscht (Stern, 1991, S. 128) – „Joey fühlt sich nackt, traurig und allein.“ Entgegen früheren Vermutungen weist Stern ausdrücklich darauf hin, dass globale vorsprachliche Erfahrungen auch ohne Umsetzung in Worte gespeichert und abgerufen werden können. Und Verbindungen zwischen diesen non-verbalen Teilstücken können in Form von komplexen Verflechtungen abgerufen werden. Sprache und Symbole werden nicht unbedingt – wie man früher dachte – benötigt, um Darstellungen miteinander verknüpfen zu können. (Stern, 1991, S. 130) „Eine vorsprachliche Begebenheit wird zwar ganzheitlich als ein einziges Erlebnis erlebt, besteht aber eigentlich aus verschiedenen Teilen: wie etwas riecht, aussieht, sich anfühlt und so weiter. Ein Geruch kann Erinnerungen an einen schon einmal erlebten Geruch wachrufen und damit ein vergangenes Erlebnis vollständig wiederentstehen lassen. Symbole und Wörter sind für diese Art von assoziativen Verknüpfungen nicht notwendig, allerdings werden sie benötigt, um das hierbei entstehende Netzwerk klar und in seinen Einzelteilen unterscheidbar zu machen. Die Vernetzungen, die wir Erwachsene produzieren,
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sind schärfer umrissen und können wieder zerlegt werden, wobei ihre ursprünglichen Bestandteile erneut zum Vorschein kommen. Bei Joey ist das nicht möglich, da diese Teile noch niemals in Worte gefaßt wurden.“ (Stern, 1991, S. 130) Wie interferiert die Welt der Worte mit den anderen Welten? „Die Ebenen der Kern- und der intersubjektiven Bezogenheit, die weiterhin als Formen interpersonalen Erlebens erhalten bleiben, werden durch diese neue Ebene in ihrer Bedeutsamkeit nicht beeinträchtigt. Aber sie vermag, manche Erlebnisweisen der Kern- und der intersubjektiven Bezogenheit durchaus umzugestalten, so dass sie von nun an eine Doppelexistenz führen – ihre ursprüngliche als nonverbales Erleben sowie eine Existenz als verbalisierte Version dieses Erlebens... (Es) greift die Sprache ein Stück aus dem Konglomerat von Gefühl, Empfindung, Wahrnehmung und Denken, welches das globale nonverbale Erleben konstituiert, heraus. Dieses Stück wird durch den Prozeß der Sprachbildung transformiert und entwickelt sich zu einer von dem ursprünglichen globalen Erleben isolierten Erfahrung.“ (Stern, 247 ff.) „Mitunter ist das von der Sprache aufgegriffene Stück ein ganz charakteristischer Aspekt, der die Erfahrung als Ganzes wunderbar einfängt... in Wahrheit gelingt ihr (der Sprache) dies nur selten... Das globale Erleben kann zerrissen oder einfach unzugänglich dargestellt werden, so dass es sich entzieht oder eine kaum verstandene Existenz unter falschem Namen führt. Und schließlich sind bestimmte globale Erfahrungen auf den Ebenen der Kern-Bezogenheit und der intersubjektiven Bezogenheit... der Sprache nicht in dem Maße zugänglich, dass sie einen Teil herausgreifen und sprachlich transformieren könnten. Diese Erfahrungen führen dann einfach eine untergründige, nicht-verbalisierte, namenlose..., aber nichtsdestoweniger höchst reale Existenz... Und gerade deshalb sind diese Vorgänge von solch großer Bedeutung.“ (Ebend.)
Fünfte Domäne: das narrative Selbstempfinden und Bezogen-sein Das narrative Selbstempfinden entsteht zwischen drei und vier Jahren und bezeichnet die Fähigkeit des Kindes, persönliche Erlebnisse und Motive in einer erzählenden, kohärenten Geschichte zu organisieren, was über eine bloße sprachliche Beschreibung von Gegenständen oder die Mitteilung von Zuständen weit hinausgeht. Aktivitäten werden vom Kind nun nicht nur wahrgenommen, sondern im Sinne von Handlungssträngen interpretiert. Es beginnt, in menschlichen Verhaltensweisen psychologische Erklärungsmuster zu sehen, die es in die Struktur seiner Schilderungen einbettet. (Stern, 1991, S. 135) Denn es liegt in der Natur des menschlichen Geistes, dass wir für alles nach Erklärungen suchen. (Stern 1991) Wir sind immer wieder Fakten gegenübergestellt, die in einem losen Zusammenhang stehen. Das Erzählen einer Geschichte ist eine von vielen Möglichkeiten, Fakten überschaubar zu ordnen. (Stern, 1991, S. 137) Mit jeder neuen Geschichte schafft das Kind nun auch eine eigene, neue Realität, indem es Fantasien in die Erzählungen und Interpretationen einfließen lässt. So
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besitzt es nun zwei Wirklichkeiten, mit denen es lebt: die eine ist die gelebte subjektive Erfahrung, die andere die jeweilige Geschichte. Es lebt in parallelen Wirklichkeiten. (Stern, 1991, S. 139) Jede der beiden Wirklichkeiten hat eine andere Funktion. „Die erlebte Wirklichkeit ist der gegenwärtige Augenblick, wie er sich in der Zeit vorwärtsbewegt, aber ähnlich einem verfilmten Traum nie festgehalten werden kann. Dieser an Empfindungen, Wahrnehmungen, Gefühlen, Gedanken und Handlungen so unermeßlich reiche Augenblick wird in dem Moment strukturiert, in dem er durchlebt wird. Unser Geist überwindet Raum- und Zeitschranken mühelos mit großer Geschwindigkeit und blendet Erinnerungen ebenso rasch ein und aus wie Phantasien. Das meiste, was wir erleben, ereignet sich simultan: Wir spüren und empfinden im gleichen Augenblick während wir wahrnehmen, handeln, denken. Auch gibt es in unserem Erlebensstrom keinerlei Unterbrechungen, deshalb scheint es, als nähmen wir an unablässigen Vorstellungen teil, die auf den parallelen Bühnen unserer fünf Sinne ablaufen. Ein Chaos entsteht nur deshalb nicht, weil unsere Aufmerksamkeit und unser Bewußtsein ständig unsere fortlaufenden Erfahrungen filtern und strukturieren, so dass wir eher das Gefühl haben, uns auf einer einzigen Schmalspur zu bewegen, anstatt als auf fünf oder mehreren parallelen Strängen. Entsprechend erscheint uns das Leben nicht so sehr als zusammenhangloses Springen von Bühne zu Bühne oder als Kakophonie gleichzeitiger Erfahrungen, sondern als im Wesentlichen linearer, relativ kontinuierlicher und zeitlich zusammenhängender Ablauf.“ (Stern, 1991, S. 151) Das Wesen der subjektiven Erfahrung des Kindes hat sich nun geändert. „Sie ist insofern der Erwachsener ähnlicher, als er (Joey, der hier gemeinte Junge, PG) die verschiedenen Ereignisse viel freier und ohne Rücksicht darauf verknüpft, wann oder wo sie stattfanden und ob sie wirklich geschehen sind oder nur in der Phantasie existieren.“ (Stern, 1991, S. 139) Oft ereignen sich mehrere Dinge gleichzeitig, und weil das Kind mit seinen Assoziationen bezüglich Raum, Zeit und innerer Logik unbekümmert umgeht, lebt es in einem überquellenden Bewußtseinsstrom. Was es gerade eben erlebt hat, kann Ereignisse der nahen und fernen Vergangenheit mobilisieren und mit ihnen zu einem einzigen subjektiven Erfahrungsstrom zusammenfließen. Stern (1991, S. 140): „Mit dem Reichtum und dem ungebändigten Fluß dieser Erlebnisse fühlt sich Joey so wohl wie jeder andere Mensch (sich fühlen sollte)“ – so funktioniert der menschliche Geist, wenn er ungehindert strömen darf. Was geschieht aber, wenn die gelebte und die geschilderte Version stark voneinander abweichen? Hier fällt auf, so Stern, dass bei diesen von Kindern erzählten Geschichten üblicherweise ein Elternteil beteiligt ist, sodass sie eine Gemeinschaftsarbeit wurde. Geschichten dieser Art, in die elterliche Teile einfließen, können beispielsweise dazu führen, dass das Kind einen Verhaltensbereich der Eltern entschuldigt. (Stern, 1991, S. 141) Daran knüpft Stern eine Folgerung für das psychotherapeutische Vorgehen: „In der Psychotherapie geht es ja zumeist darum, verschüttete Dinge ans Tageslicht zu bringen. Die Betroffenen versuchen zunächst ihre erlebte subjektive und ihre erzählte Wirklichkeit aus der Tiefe hervorzuholen und auszusprechen. Beides wird dann miteinander verglichen und durch eine Veränderung einer der beiden Welten so weit in Deckung gebracht, dass beide einigermaßen miteinander in Einklang sind. Meist wird die Welt der Geschichten verändert.“ (Stern, 1991, S. 142)
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Durch das Geschichten-Erzählen schafft das Kind aber auch seine Identität. Dies ist eine der Funktionen der erzählten Geschichten. Es handelt sich bei ihnen um eine Art Selbsterfahrungskurs, in dem das Kind mit seiner Selbstbewertung experimentieren kann. Für das sich in einem Reifungsprozess laufend verändernde Kind ist das Geschichten-Erzählen besonders wichtig, da sich auch seine Identität ständig wandelt. Es muss mit den verschiedenen Versionen seiner Selbstdefinition experimentieren – von den offiziellen bis zu den ganz persönlichen Versionen. Wie sind Narrative strukturell beschaffen? Stern (1997) unterscheidet Oberflächen-Narrative von einer Tiefen-Narrativen. Die Oberflächen-Narrative ist die explizite Geschichte, die jemand erzählt. Sie ist explizit, deklarativ, symbolisch und stellt ein verbalisiertes und bewusstes Ereignis dar. OberflächenNarrative sind Geschichten mit einem Anfang, einer Mitte und einem Ende. Es gibt ein Thema, einen Agenten, der ein Ziel oder einen Wunsch hat und handelt, und zwar in bestimmter Weise, in einem bestimmten Zeitabschnitt und an einem bestimmten Ort. Und das Thema entfaltet sich entlang einer dramatischen Spannungslinie; die Geschichte ist nicht eine Liste von Daten, sondern besitzt eine dramatische Anordnung. Die Tiefennarrative ist implizit und nicht bewusst; sie schildert die Struktur dessen, was passiert, auch wenn man dieses „Was“ selbst nicht weiß oder nicht in Worte fassen kann. Sie ist nicht verbal und behandelt das Nicht-Gesagte, also die Art und Weise, wie man Handlungen anlegt, anordnet, versteht, und was zwischen Menschen geschieht. Es ist die Art und Weise, wie man menschliche Interaktion erfährt. Es ist keine Geschichte, aber es teilt mit, wie man etwas versteht und erlebt. Und es ist genauso wie die Oberflächennarrative universell. Die Tiefenstruktur macht ein Ganzes aus den einzelnen Teilen, ansonsten würde die Welt chaotisch sein. Die persönliche Wahrnehmung und Interpretation kommt in der Tiefen-Narrative zur Geltung. Sie fällt in die Kategorie von implizitem oder prozeduralem Wissen: also nicht verbal und nicht bewusst in deskriptiver Weise, aber nicht notwendigerweise verdrängt. Sie wird in einem anderen Register gespeichert als die Oberflächen-Narrative und wird anders repräsentiert. Tiefen-Narrative können verbalisiert werden, auch wenn das oft recht schwierig ist. Denn wie soll man beispielsweise mit Worten erklären, wie man es genau anstellt, jemand anderen zu küssen? Oder Fahrrad zu fahren, oder zu schwimmen? All dies wird am besten in der Handlung unmittelbar verständlich und nachvollziehbar; es zu verbalisieren ist kompliziert. Beinahe alle Narrative sind Kokonstruktionen, und das gilt für das Feld der Psychotherapie genauso wie für kindliche Narrative. Die meisten autobiografischen Narrative erzählen Kinder in thematischer Verbindung mit den Eltern oder anderen Familienmitgliedern. Die Eltern können auf die Narrative Einfluss nehmen und auf diese Weise die offizielle Version mitsteuern. Oft sind die Mütter nicht am Ort des Schauplatzes gewesen, über das das Kind berichtet, und es stellt sich (experimentell) heraus, dass Mütter sehr verschiedene Stile haben, Narrative kozukonstruieren. Und der jeweilige Stil ist nicht sehr verschieden von dem, wie die Mutter die Spannung des Säuglings reguliert, z.B. wenn sie füttert; wie sie die Bindung reguliert; wie sie lustvolle Spannung beim Spiel aufbaut, usw. In dieser Einflussnahme durch die Eltern schimmert die individuell typische Art und Weise der Affektregulierung durch. In den ersten Lebensmonaten regulierte die Mutter/der Vater emotionale Spannungszustände und
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physiologische Bedürfnisse; nun regulieren sie das Zusammenführen von Information, sodass eine gemeinsame Geschichte daraus entstehen soll. Man kann bestimmte Grundmuster beschreiben, wie die Eltern die Narrative der Kinder mitgestalten. Einige Mütter sind v. a. interessiert an den Fakten – sie wollen wissen, was passiert ist. Die daraus entstehenden Narrative sind gewöhnlich nicht sehr reichhaltig. Andere Mütter sind mehr an den emotionalen Erfahrungen interessiert, die die Kinder bei ihren Erfahrungen hatten. Sie lassen die Kinder mehr erzählen und greifen emotionale Details auf. Die betreffenden Kinder erzählen mehr von der Geschichte, nicht nur sachliche Details, sondern auch darüber, was sie emotional erlebten. Interessant ist außerdem: Wenn beide – Mutter/Vater und Kind – nicht den Höhepunkt der Geschichte konstruieren, dann wird viel weniger von dem, was passierte, erinnert. Ohne den Höhepunkt fallen die Dinge gleichsam ein wenig auseinander, und der Erinnerungsprozess leidet darunter.
19. Bindung und Mentalisierung14 Die Entwicklung und der Aufbau einer Bindungsbeziehung zu den primären Bezugspersonen sind eng verzahnt mit dem Aufbau der Fähigkeit des Säuglings zur Emotionsregulierung bzw. zur Selbstregulation von inneren Zuständen. (Fonagy et al. 2002a, Fonagy und Target 2003) Die Bindungsmuster der primären Bezugspersonen wirken sich sowohl auf die sich entwickelnden Bindungsstrategien des Säuglings aus, wie auch auf dessen Regulationsfähigkeit von inneren Gefühlszuständen. Der Bindungsperson kommt somit eine herausragende Funktion in der Regulierung der kindlichen Emotionen zu. Mit Hilfe der Interaktion zwischen Säugling und primärer Bezugsperson erfährt das Kind zunächst eine interpsychische Regulierung seiner somato-psychischen Zustände und verinnerlicht diese im Laufe der Entwicklung zu der Fähigkeit zur intrapsychischen Regulation. Ausgangspunkt dieses komplexen Prozesses ist die Affektspiegelung (Gergely u. Watson 1996). Der Erwerb selbstreflexiver Funktionen, die sog. Mentalisierung, erlaubt Affektregulation auf repräsentationaler Ebene. Nach Main (1991) ist das Ausmaß mütterlicher Feinfühligkeit zwar wesentlich für die Entwicklung sicherer Bindung, damit verbunden und über Feinfühligkeit hinausweisend sind jedoch die metakognitiven Fähigkeiten der Mutter. Hiermit ist gemeint, dass Mütter mit ausgeprägt vorhandenen metakognitiven Fähigkeiten versuchen, sich die geistige Welt ihres Säuglings vorzustellen, seine möglichen Motivationen mitdenken und auch die Auswirkungen eigener Zustände und Verhaltensweisen auf den Säugling einbeziehen. Solche Mütter sind grundsätzlich in der Lage, zwei Bezugsrahmen – von sich und von ihrem Baby – aufrecht zu erhalten. Dabei versteht die Mutter idealerweise sowohl die Ursachen des kindlichen Unbehagens als auch ihre ggf. eigene Beteiligung hieran, würdigt den affektiven Zustand des Säuglings und nimmt ihren eigenen, davon unterschiedenen Zustand wahr. Unsichere Mütter dagegen zeigen zwar Verständnis für die affektiven Zustände des Säuglings, aber vermitteln wenig, dass
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Dieser Abschnitt gründet sich weitgehend auf eine Arbeit von Hartmann et al. 2004. (siehe Literaturverzeichnis) Vgl. ebenso den Beitrag von G. Poettgen-Havekost in diesem Buch.
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sie diese bewältigen können (unsicher-verstrickte Bindung) oder zeigen Stabilität, aber wenig Affektspiegelung (unsicher-distanzierende Bindung). Nach Fonagy und Target (2003) ist die Entwicklung der Fähigkeit zur Mentalisierung intrinsisch mit der Entwicklung der Selbstregulation verbunden. Denn Selbstregulation benötigt die Repräsentation mentaler Zustände von sich selbst und dem Anderen, um sich selbst – ohne die konkrete Anwesenheit eines regulierenden Anderen – selbst regulieren zu können. Diese Entwicklung setzt voraus, dass der Säugling und das Kleinkind ebenso wie der spätere Erwachsene wissen, dass sie und ihre inneren Zustände mental bei ihren wichtigsten Bezugspersonen repräsentiert sind. Zugleich wird hier auch deutlich, dass Bindungssicherheit nicht einfach nur positive Auswirkungen in der späteren Entwicklung dank der Repräsentation früher Beziehungen hat, sondern dass sie über die Entwicklung der Fähigkeit zur Mentalisierung, einer Fähigkeit zur Interpretation, eine Grundlage für einen, wie Fonagy und Target (2003) es nennen, interpersonalen interpretativen Mechanismus (IIM) darstellt, der erlaubt, im Kontext von Beziehungen Sinn zu stiften. Neurobiologisch gibt es deutliche Hinweise dafür, dass die Entwicklung der rechten Hemisphäre des Gehirns, die in den ersten drei Lebensjahren dominant und spezialisiert auf Affekte und soziale Kognition ist (Schore 2002, 2003c), durch eine sichere Bindung optimal gefördert wird. Da das rechte Gehirn auch die Stressbewältigungssysteme beinhaltet beeinflusst die Bindungsbeziehung auch deren Reifung. Nach Schore (2002, 2003c) sind dieselben Hirnstrukturen, die die Affekte regulieren, auch für die Entwicklung der Mentalisierung notwendig, insbesondere der rechte präfrontale Kortex und dort der Orbitofrontalbereich.
20. Bindung und therapeutische Beziehung15 Die jüngere Psychotherapieforschung (Orlinsky et al. 1994) betont sehr deutlich die Bedeutung von Beziehungsaspekten und damit sicherer Gebundenheit. Unter Zugrundelegung lebenslang bestehender Grundbedürfnisse, wie u. a. des Bedürfnisses nach Sicherheit und Bindung, ist eine Extrapolation entwicklungsfördernder Bedingungen auf die therapeutische Beziehung, trotz vieler Unterschiede zwischen Baby-Eltern- und Patient-Therapeut-Interaktion, sinnvoll. „So wie die Fähigkeiten des Säuglings erst in einer Halt gebenden Beziehung zum Tragen kommen, sollte man sich die sichere Basis auch in der therapeutischen Beziehung vorstellen“ (Frischenschlager 2003, S. 83). Mit der Anerkennung von Bindungsbedürfnissen rückt der Realaspekt des Therapeuten stärker in den Vordergrund (Frischenschlager 2003, S. 85). Die Qualität der therapeutischen Beziehung hängt wesentlich davon ab, auf welche Weise er in der Lage ist, dem Patienten gegenüber sichere Bindung zu signalisieren bzw. herzustellen. Terminologisch legt die Würdigung der bindungstheoretischen Befunde nahe, vom beziehungsmäßigen Gegenüber weniger von
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Dieser Abschnitt gründet sich weitgehend auf eine Arbeit von Hartmann et al. 2004 (siehe Literaturverzeichnis).
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„Objekt“ zu sprechen (denn dieser Begriff legt eine Funktion für das Subjekt nahe, ohne eigene Subjektivität) als vom „Anderen“ wie in der psychoanalytischen Selbstpsychologie. Als psychotherapierelevante Konzepte der Bindungsforschung nennt Frischenschlager (2003, S. 72 ff.):
Bindung als genetisch determiniertes Grundbedürfnis Bei Bindung handelt es sich um ein genetisch determiniertes basales Regulationssystem. Bindung gilt als primäres Motivationssystem (Lichtenberg et al. 2000). Bindung ist eng mit der sozialen Orientierung des Menschen verbunden.
Bindung und Exploration Bindung steht in einem polaren Verhältnis zu Exploration. Verfügt ein Kind über sichere Bindung, kann es seine Umwelt angstfreier explorieren. Angewendet auf die therapeutische Situation heißt dies: Selbstexploration innerhalb der therapeutischen Beziehung bedarf einer sicheren Basis.
Bindung und Feinfühligkeit Vermittelt wird dem Baby Sicherheit durch feinfühlige Eltern. Feinfühligkeit bezieht sich auf die Wahrnehmung der kindlichen Signale, auf deren richtige Interpretation und angemessene sowie – vor allem anfangs – prompte Reaktion; später auch auf kognitive Vorgänge im Sinne des Erkennens von Absichten. Gelingt dies ausreichend häufig und regelmäßig, etablieren sich im Kind Gedächtnisspuren von gelungenen Bindungserfahrungen bzw. Interaktionssequenzen, die als verinnerlichte Grunderwartbarkeiten den Kern der psychischen Struktur festlegen und von hier aus Erleben und Handlung organisieren.
Verinnerlichung bindungsbezogener Erfahrungen Je nach elterlicher Feinfühligkeit entwickeln sich unterschiedliche Bindungsstile als Ergebnis bindungsbezogener Interaktionserfahrungen, entsprechend den „inneren Arbeitsmodellen.“ (Bowlby 1975)
Bindung beim Erwachsenen Beim Kleinkind zeigt sich Bindung vorwiegend in Form der Suche nach körperlicher Nähe; bei Jugendlichen kann es sich möglicherweise hinter Rauflust verstecken, beim Erwachsenen in der Sexualität ausdrücken oder hinter dieser verborgen sein. „Sie kann sich in Bünden und Vereinen, in der Religiosität, aber auch in krankheitswertigen Symptomen manifestieren.“ (Frischenschlager 2003, S. 77) Bindungsverhalten erweist sich als stabil über die gesamte Lebensspanne. Es scheint ein Bestandteil der Organisation der Persönlichkeit zu werden. Es ist für viele Bereiche des Lebens relevant, wie Beziehungsgestaltung, Sexualität, soziale Integration, Liebesfähigkeit, Gesundheitsverhalten usw. Dennoch sind lebenslang ergänzende bzw. korrigierende Beziehungserfahrungen möglich, ebenso wie der Erwerb kompensatorischer Strukturen, kognitiver (teils illusionärer) Konstruktionen oder von Coping- und Abwehrmechanismen. Beim Er-
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wachsenen ist bindungsbezogenes Erleben auf verschiedenen Ebenen organisiert und manifestiert.
Transgenerationale Dimension von Bindungserfahrungen Weil das Betreuungsverhalten von Eltern relativ stabile Grunderwartungen erzeugt, führt dies auch dazu, dass die entwickelten Bindungsmuster an die eigenen Kinder weitergegeben werden. Dies schlägt sich in einer beträchtlichen Vorhersagbarkeit von Bindungsstilen nieder. Der Bindungsstil ist wiederum ein Indikator für spätere selbstregulative Kompetenzen.
21. Selbstregulation16 Selbstregulation ist die Fähigkeit, emotionale Zustände flexibel zu regulieren, entweder durch Interaktion mit anderen Menschen oder ohne andere Menschen. Erfolgreiche, d. h. flexible Selbstregulierung ist die Basis für psychotherapeutische Effektivität, für seelische Gesundheit. Der Bindungsstil steht in einem Verhältnis zur Fähigkeit der Selbstregulation: „Die Entwicklung von Selbstregulation lässt sich aus unserer Sicht hinsichtlich ihrer wesentlichen Komponenten als Teil der Bindungsentwicklung verstehen. So wie die organisierten Bindungsmuster letztendlich der emotionalen Regulation dienen so ist eine verlässliche Bindungserfahrung entscheidend für die Reaktion des Säuglings auf Stress und sein Empfinden von Stresskontrolle. Hieraus geht bereits die wesentliche Beteiligung des Anderen an der Entwicklung selbstregulativer Prozesse hervor. Gleichermaßen spielt Passung (fit) zwischen Säugling und Bezugsperson eine wichtige Rolle für die Selbstregulation.“ (Hartmann et al. 2004, S. 41) Eine der Bedingungen von Selbstregulation ist die Entwicklung von Repräsentationen des eigenen inneren Zustandes auf der Grundlage sprachlicher Symbolisierung über die Entwicklung einer Theorie des Mentalen bzw. der reflexiven Funktion. (Fonagy u. Target 2003, Fonagy et al. 2002a) Einen Schritt auf diesem Weg stellt das Konstrukt des inneren Arbeitsmodells (IAM) dar. (Bretherton 2002) Bei präverbalen Kindern wird es über die Interaktion mit bindungsrelevanten Bezugspersonen erfasst, später über den sprachlichen Dialog. Das IAM bildet, so die Annahme, die tatsächliche relationale Struktur zu den wesentlichen Bindungspersonen ab und schließt insofern nicht nur ein Modell von sich selbst sondern auch ein Modell vom Anderen ein. In den über Geschichten entwickelten Bindungsszenarien werden bereits selbstregulatorische Prozesse im Umgang mit Affekten deutlich. Zunächst jedoch wenden wir uns einem Überblick über die Entwicklung von Selbstregulation zu. Die Entwicklung von Selbstregulation als zentralem Entwicklungsziel kann man sich auf zweierlei Weise vorstellen (Hartmann et al. 2004):
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Dieser Abschnitt gründet sich weitgehend auf eine Arbeit von Hartmann et al. 2004 (siehe Literaturverzeichnis).
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21.1. Modell der wechselseitigen Regulation (Mutual-regulations-ModellMRM, Tronick und Weinberg 1997; ähnlich auch Hofer 1994) Dieses Modell stellt eine Revision der Modelle von Brazelton (1974) der „Reciprocity“ und des Modells von Condon und Sander (1974), der „Synchrony“ dar. Tronick und Weinberg (1997) gehen von der Hypothese aus, dass die Suche nach Intersubjektivität biologisch angelegt ist und ein Charakteristikum der menschlichen Spezies darstellt. Sie begründen dies mit der Tatsache, dass erfolgreiche gegenseitige Regulation zum Entstehen bzw. zur Kreation von dyadischen Zuständen von Bewußtheit führt. (Tronick 1998) Nach Tronick (1996; zit. n. Beebe und Lachmann 2002) beeinflusst jeder Interaktionspartner den Bewusstseinszustand des anderen. Dabei wird im Zuge der Beeinflussung der Selbstregulation des jeweils anderen auch die innere Organisation jedes Beteiligten sowohl in einen mehr kohärenten als auch komplexeren Zustand überführt (wechselseitige Regulation). In diesem Modell sind Mutter und Kind Subsysteme eines dyadischen Systems mit jeweils selbstorganisierender Kapazität und einer Tendenz zur Erweiterung des eigenen Selbstsystems durch andere Systeme (Thelen und Smith 1994) bzw. eines Expansionsbedürfnisses (Tronick 1998). Man kann dieses Modell zwanglos auf die Interaktion zwischen Therapeut und Patient übertragen. Im Gegensatz zu Brazelton und Sander betrachten Tronick und Weinberg (1997) das Wiederherstellen, also die Reparation von misslungenem „Attunement“ als grundlegende Erfahrung einer mutalen Regulation. Ihre Analysen von Mutter-Kind-Interaktionen zeigen, dass 50% des mütterlichen Verhaltens durch den Säugling hervorgerufen wird. 39% des Verhaltens des Säuglings wird durch das mütterliche Verhalten initiiert. Synchronizität beobachteten die Forscher nur über 24% der Beobachtungszeit. Basierend auf diesen Ergebnissen formulieren sie: „... the typical mother-infant interaction is one that moves from coordinated (or synchronous) to miscoordinated states and back again over a wide affective rage.“ Tronick und Cohn (1989) haben demonstriert, dass nur 30% der Interaktionen zwischen Mutter und Kind gut abgestimmt sind, aber 50 bis 70% innerhalb von Sekunden nachreguliert werden. (Gianino und Tronick 1988) Solche Reparationen finden in der Regel alle drei bis fünf Sekunden statt. Diese Ergebnisse wurden von Beebe (Beebe und Lachmann 1994) und Isabella und Belsky (1991) repliziert. Es stellte sich dabei heraus, dass mütterliche Feinfühligkeit im mittleren Bereich für eine normale Interaktion typisch ist. Weiterhin zeigte sich, dass mittlere mütterliche Sensitivität assoziiert war mit sicherer Bindung. In weiteren ausgefeilten Untersuchungen zeigten Jaffe et al. (2001), dass eine hoch koordinierte ebenso wie eine gering koordinierte vokale Abstimmung zwischen Mutter und Säugling im Alter von vier Monaten zu einem unsicheren Bindungsmuster im Alter von zwölf Monaten führt. Ein mittleres Ausmaß an Koordination vokaler Abstimmung mit vier Monaten sagte dagegen ein sicheres Bindungsmuster mit zwölf Monaten voraus.
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Nach Beebe und Lachmann (1994, 2002) ist die Grundlage von Repräsentation und Internalisierung als Basis zukünftiger Selbstregulation in drei wesentlichen Prinzipien zu finden: • andauernde Regulation (ongoing regulation) • Unterbrechung und Wiederherstellung (disruption and repair) • gesteigerte affektive Augenblicke (heightened affective moments) Diese drei Prinzipien definieren den Kern der wechselseitigen Regulation. Über andauernde Regulationserfahrungen werden Erwartungen über den Ablauf von Interaktionen entwickelt. Das Prinzip von Unterbrechung und Wiederherstellung erlaubt die Organisation von Erfahrungen des Coping, der Effektanz und Hoffnung, während das Prinzip der gesteigerten affektiven Augenblicke seinen organisierenden Einfluss durch damit einher gehende Zustandsveränderungen gewinnt. Auf diese Weise entsteht, verbunden mit der Erfahrung von gelungener Reparation seitens des Säuglings (negative Affekte werden in positive überführt), ein positiver affektiver Kern. (Emde 1983, Tronick 1988) Der Säugling macht die Erfahrung, dass er Kontrolle in sozialen Interaktionen hat. Damit verbunden ist das Gefühl des Selbst als Urheberschaft, der Kohärenz und der Kontinuität. Der Säugling entwickelt dazu eine Repräsentation von sich selbst als effektiv, von Interaktionen als positiv und reparabel sowie von der Bezugsperson als vorhersagbar und vertrauensvoll. Nicht zuletzt zu berücksichtigen sind die Zustände des Alleinseins in ihrem Bezug zur Selbstregulation. Winnicott (1965a) spricht die selbstregulatorischen Möglichkeiten des Säuglings an, wenn er dessen Fähigkeit zum Alleinsein erwähnt.
21.2. Kontingenzsuche und Affektspiegelung (Gergely und Watson 1996; 1999) Eine etwas andere Sichtweise regulativer Prozesse im frühen Säuglingsalter wird von Gergely und Watson (1996) eingeführt. Sie bezeichnen den unten dargestellten Ablauf als soziales Biofeedback-Modell der Affektspiegelung. Damit meinen sie – im Unterschied zu Kohuts Spiegelübertragung (Kohut 1971) – einen Prozess, bei dem die Eltern in Reaktion auf die Affektäußerungen des Säuglings „…ihre gezeigte Affektspiegelung in einer Weise markieren, dass diese sich perzeptuell von ihrem realen emotionalen Ausdruck unterscheidet.“ (Fonagy et al. 2002a, S. 177; übers. v. H.-P. Hartmann) Auf diese Weise bemerkt der Säugling die Markierung. Durch Darstellung einer übertriebenen Version ihres tatsächlichen und der Realität angemessenen Emotionsausdrucks wird der gezeigte Affekt markiert. Dieses Verhalten ist vergleichbar mit dem vorgestellten Spiel, bei dem so getan wird, als ob dieser oder jener Affekt vorliege. Wegen dieser Markierung kommt es beim Säugling nach Gergely und Watson (1996) zu einer referenziellen Entkoppelung, d. h. der Säugling kann durch diese Übertreibung den widergespiegelten Affekt als nicht zum Anderen gehörig wahrnehmen. Schließlich kommt es zur referenziellen Verankerung, indem der Säugling den eigenen Affekt im Anderen erkennt. Mittels dieses Modells der Affektspiegelung ist auch
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Affektregulation auf einer elementaren Stufe möglich. In einem weiteren Schritt werden nach Gergely und Watson über die Affektreaktionen (Gesichtsausdruck) der Bezugspersonen des Säuglings dessen Gefühlszustände repräsentierbar. Nach Dornes (2000) wird so der Gesichtsausdruck der Eltern zu einer Repräsentanz der eigenen Gefühlszustände des Säuglings. „Im weiteren Verlauf der Entwicklung wird nun jedes Mal, wenn das primäre Gefühl entsteht, auf das die Eltern mit Spiegelung reagierten, die (sekundäre) Repräsentanz des Gefühls mit aktiviert... (diese Repräsentanz) übt jetzt Signalfunktion aus, informiert das Subjekt über ablaufende Prozesse und trägt zu deren Regulation bei“ (Dornes 2000, S. 202). Die sekundäre Repräsentanz übernimmt damit die Affektregulierungsfunktion des primären Gefühlsfeedbacks. Über diese Externalisierung eigener innerer emotionaler Zustände lernt das Kleinkind seine affektiven Impulse zu regulieren. Dies könnte dem Gefühl kindlicher Allmacht – bzw. etwas bewirken und kontrollieren zu können – entsprechen. (Fonagy und Target 2003) Ganz wesentlich für die regulative Funktion der Affektspiegelung ist die Annahme eines Kontigenzsuchemoduls (contigency detection module – CDM). Denn eine wesentliche Folge geglückter Affektspiegelung ist eben auch Selbstregulation und damit ein subjektives Kontrollempfinden im Umgang mit Affekten. Gergely et al. (2003) machen mit Hilfe der Theorie der Kontingenzsuche einen differenzierten Vorschlag zum Verständnis der Entwicklung dieses Kontrollempfindens. Angestoßen durch viele Untersuchungen über kontingente Reiz-Reaktions-Beziehungen, die zu einer positiven Arousal-Reaktion beim Säugling führen, schlagen sie die Existenz eines Moduls zur Kontingenzsuche (contingency detection module – CDM) beim Säugling vor, welches die kontingenten Beziehungen zwischen Reiz und Reaktion analysiert. Sie unterscheiden drei unabhängige Formen von Kontingenz: zeitlich, sensorisch-relational, räumlich. Das CDM ermöglicht dem Säugling die Unterscheidung solcher Reize, die notwendige Konsequenzen seiner motorischen Reaktionen darstellen und insofern zum Selbst gehören von jenen Reizen, die externen Quellen zugeordnet werden. Gergely et al. (2003) berichten von Versuchen, in denen festgestellt wurde, dass Säuglinge im Alter von drei Monaten etwa gleich häufig das perfekt kontingente Abbild ihrer eigenen Bewegungen vs. eines nicht kontingenten Abbildes präferierten. Im Alter von fünf Monaten werden nicht kontingente Abbilder eigener Bewegungen deutlich bevorzugt, wobei die Nicht-Kontingenz nur relativ gering von perfekter Kontingenz abweichen darf. Aufgrund dieser Daten wird vorgeschlagen, dass perfekte Kontingenzpräferenz in den ersten drei Monaten evolutionär den Sinn hat, zunächst eine primäre körperliche Selbstrepräsentation zu ermöglichen (im Unterschied zur Umgebung). Basch (1992) benutzte den Begriff des „kinship“ (Verwandtschaft) für dieses erste postpartale Stadium der Entwicklung. Des Weiteren ist perfekte Kontingenz vermutlich die Basis späteren Effektanzerlebens. Der Sinn für die Bevorzugung perfekter Reiz-Reaktions-Kontingenzen in den ersten Monaten liegt nach Watson (1994, 1995) in einer Art basaler Kalibrierung des Selbst durch diese Form der Information. Evolutionär sinnvoll ist auf Dauer jedoch die Anpassung an die Umgebung, so dass der Säugling seine Präferenzen von selbstbezogenen hin zu umweltbezogenen Kontingenzen orientieren muss, d. h. wichtiger als Selbststimulation werden die Reize, die als Folge von auf die Umgebung ausgerichteten
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Aktionen zustande kommen und eine weniger perfekte Reiz-Reaktions-Kontingenz aufweisen. Die Entwicklung des CDM in Richtung der Präferenz weniger perfekter Kontingenz scheint andererseits der Unterscheidung Selbst-Objekt (Umgebung) zu dienen. Die elterliche Affektspiegelung (s. o.) wird über den Mechanismus der Suche nach maximaler Kontingenz vermittelt und führt – wie oben beschrieben – zunächst zu einer externen Regulation infantiler Affektzustände. Man geht also davon aus, das der Säugling in den ersten Monaten keine Kontrolle über diese automatischen reizabhängigen primären Affektprozesse hat, die auf der Grundlage angeborener neuronaler Verbindungen ablaufen und zunächst nicht repräsentiert sind.
Über sekundäre Repräsentationen, die mit den primären emotionalen Zuständen des Säuglings verknüpft sind, wird die Grundlage für die Zuordnung dieser emotionalen Zustände zum eigenen Selbst geschaffen. Der Säugling „weiß“ dann, dass diese Affekte zu ihm gehören (als Teil des Kernselbstempfindens nach Stern, 1992).
Damit ist die Grundlage für eine emotionale Selbst-Objekt-Differenzierung gelegt. Erst die wiederholte Erfahrung mit der elterlichen Affektspiegelung schafft die Voraussetzungen für eine stabile Verknüpfung zwischen primären emotionalen Zuständen und sekundären Repräsentationen. Es ist zu vermuten, dass diese Vorgänge neurobiologisch mit einer verstärkten Ausbildung neuronaler Verbindungen zwischen ventralem Tegmentum und orbitofrontalen Kortexbereichen einhergehen, wodurch Affektkontrolle entwickelt wird. (Vgl. Schore 1994) Die Regulation seines negativen emotionalen Zustands erlebt der Säugling über die elterliche Affektspiegelung als durch ihn beeinflussbar, d. h. die eigenen emotionalen Zustände werden zunächst über Externalisierung regulierbar. Wenn der Säugling sekundäre Repräsentationen entwickelt hat, kann er über diese (als externe Affektdarstellung anstelle der elterlichen Affektspiegelung) sich selbst regulieren. Beim vorgestellten Spiel kommt diese Fähigkeit in Form des Umgangs mit einem imaginierten Spielgefährten (z. B. Puppe o. Ä.) zum Ausdruck. In Verbindung mit den oben erwähnten Untersuchungen von Jaffe et al. (2001) zeigt sich also eine nahezu 100%ige Kontingenzpräferenz in den ersten drei Monaten mit dem Ziel der Selbstentdeckung. Die zunehmende Präferenz für weniger kontingente Reize etwa ab dem vierten Monat bereitet den Boden für die zunehmende Bedeutung der Umgebung in Form der wesentlichen Bindungspersonen, d. h. für Exploration und Repräsentation der sozialen Welt, wie sie durch die Eltern vermittelt wird. So ist auch nachvollziehbar, dass die mittelgradige Koordination vokaler Rhythmen im Alter von vier Monaten sichere Bindung im Alter von zwölf Monaten vorher sagt. Ein Fortbestehen der Präferenz für nahezu 100%ige Koordination (Kontingenz) über die ersten drei Monate hinaus kann daher schon auf eine fortdauernde Selbstkalibrierung auf der Basis ungenügender Selbstkenntnis und mangelnder Explorationsbereitschaft hinweisen.
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22. Affekterleben, Körpererleben und bewusste Selbststeuerung Sich selbst angemessen regulieren zu können – sei es mit oder ohne andere Personen – schließt die Fähigkeit ein, mit Affekten selbstverantwortlich umgehen zu können. Denn Emotionen ereignen sich nicht einfach, sie sind vielmehr gewollte Handlungen, die wir erzeugen, „auch wenn wir alltagssprachlich von Emotionen als etwas sprechen, das sich wie das Wetter ereignet.“ (Schafer 1976, zit. in Downing 2003a S. 78) D. h. auch Emotionen sind in gewisser Weise etwas „Willentliches“, also steuerbar – wenn wir lernen auf diesen Bereich aufmerksam zu werden. Bewusste Selbststeuerung oder freier Wille bestehen darin, dass ein Veto gegen einen neuronalen Impuls eingelegt werden kann; d. h. eine Handlung, deren Plan immer der Ausführung vorangeht, kann auch unterbunden werden. (Buchholz 2004, S. 69) Normalerweise macht es keinen Sinn zu sagen dass wir Emotionen wählen: sie geschehen uns: „Wir reagieren, und unsere Reaktion – einschließlich einer ersten kognitiven Bewertung und einigen ersten physiologische Erregungen – geschieht bereits, bevor wir wissen, was geschieht... Aber das heißt nicht, dass es keine Wahl gäbe. Wenn die erste Welle der genannten parallel erfolgenden Reaktionen die Schwelle des Bewusstseins überspült hat, dann (Hervorh. GD) können und sollten wir über die Parameter des Handelns sprechen. Wir können über die verschiedenen Wege sprechen, wie jemand seine Emotionen steuert, sie bekräftigt, beschwichtigt oder unterbricht, sie befragt oder sich weigert, sie anzuerkennen. Wir können auch über ihre Wahrnehmung oder über deren Fehlen sprechen und über einen stetigen Strom minimaler potenzieller Entscheidungspunkte. All das kommt, wenn die Emotion entstanden ist, aber noch während sie andauert.“ (Downing 2003a, S. 79) Die Frage des Übernehmens oder Nicht-Übernehmens von Verantwortung für Emotionen hat nur in solchen Bereichen einen Sinn, in denen wir diese Verantwortung aufgrund innerer konflikthafter Dynamiken vermeiden. Etwas anderes ist es aber, wenn Defizite im Spiel sind: „Wenn es stimmt, dass eine Reihe von komplexen, subtilen Fähigkeiten (im Kontext interaktionellen Handelns, Einfüg. PG) notwendig ist, dann kann das „Übernehmen von Verantwortung“ nicht den schrittweisen Prozess des Erwerbs oder der Verfeinerung von Fähigkeiten ersetzen.“ (Downing 2003a, S. 80) Das heißt mit anderen Worten, dass man Wahlmöglichkeiten nur dann hat, wenn eine entsprechende Fähigkeit überhaupt entwickelt wurde, d. h. eine affektiv-soziale Intelligenz. Emotionen haben eine doppelte Funktion: Sie erfordern Wahlmöglichkeiten, gleichzeitig liefern sie Hinweise, die bewusste Wahl erst ermöglichen. Je besser das Affekterleben mit seiner körperlichen Fundierung verbunden ist, umso angemessener kann gewählt werden. Dazu ein Beispiel: „Ich lege den Telefonhörer auf. Mein Cousin Robert hat mich gerade informiert, dass etwas seine Gefühle sehr verletzte, das ich gestern sagte. Wir hatten versucht, ein Problem mit einem geplanten gemeinsamen Urlaub auszuräumen. Ich fühle mich überrascht, da ich diese Reaktion nicht erwartet hätte, und enttäuscht, verärgert über mich selbst und reumütig. Mir dreht es sich ein wenig, und ich taste mich vorwärts, indem ich meinen Körperzustand nutze, um herauszubekommen, was ich in dieser Situation herausfinden
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möchte. Wie bei jeder affektiven Untersuchung muss ich herausfinden, wie viel es mir ausmacht (Hervorh. GD). Aber in diesem Fall muss ich zugleich etwas anderes herausfinden: was dieses »es« ist, das etwas ausmacht. Ist es meine Zielvorstellung, einen gemeinsamen Urlaub zu organisieren, die ich jetzt anzweifle? Oder ist es meine weiter reichende Zielvorstellung, in der oft angespannten Beziehung einen besseren Bezug zu ihm herzustellen? Oder ist es eine noch weiter gehende Zielvorstellung, die ich vielleicht in den letzten Jahren gewonnen habe, befriedigendere Verbindungen zu meiner ganzen Familie zu bekommen? Oder vielleicht die noch größere Zielvorstellung, grundsätzlich mehr zu beachten, was zwischen mir und anderen geschieht?... Die Emotion ist wie ein Fingerzeig: »Achte jetzt auf das«.“ (Downing 2003a, S. 81f.) Da affektives Erleben nicht immer eindeutig ist, besteht eine Hilfe darin, wenn man gelernt hat, „den Körper zu befragen“, (ebend.) ihn als Wegweiser zur Emotion und zum bedeutsamen Kontext zu nutzen. Dabei können sich im Prozess der inneren Befragung natürlich immer neue und weiter reichende Kontexte erschließen. Der „letzte“ Kontext besteht wohl in existenziellen Fragestellungen (vgl. dazu auch Yalom 1989). Öffnet man sich diesen Fragen – mittels Emotionen – „können tiefe innere Widersprüche entstehen. Meine tiefsten Werte und meine zentralen Annahmen über mich und andere können in Frage gestellt werden“ (Downing 2003a, S. 83). Einerseits haben wir „ein Bedürfnis nach solchen Erfahrungen, gleichzeitig können sie zu Fallen der Selbstqual oder zu Pforten der Wandlung werden.“ (Ebend.) Den Körper als Wegweiser für das emotionale Erleben nutzen zu lernen, kann geübt werden; Voraussetzung dafür ist die Schulung einer körperlichen Aufmerksamkeit, die man auch im Rahmen einer überwiegend verbal geführten Therapie durch Förderung auf der Ebene der körperlichen Selbstwahrnehmung und durch Förderung der Aufmerksamkeit für die feinen Nuancen des nonverbal vermittelten Austausches im intersubjektiven Feld aktivieren kann; je offener das Setting für körperliches Handeln ist, desto breiter kann die Palette dieser körpernahen Erfahrungen werden, umso eher erschließen sich dem erwachsenen Patienten die Hintergrunddomänen des auftauchenden, des Kern- und des subjektiven Selbstempfindens. Momente des auftauchenden Selbstempfindens erschließen sich manches Mal spontan im Kontakt – z. B. über den Augenkontakt; Heisterkamp (2002a, S. 37 ff.) hat dazu ein schönes Beispiel vorgestellt. Die Sprache allein ist – trotz ihrer Möglichkeit über Metaphern sinnliche Bezüge herzustellen – manches Mal nicht weit reichend genug, um den Reichtum der beiden ersten Domänen des Selbstempfindens auszuschöpfen – erst körpernahe Erfahrung hilft uns, die Fülle all dieser Welten zu erschließen, und durch das bewusste Erleben-Können dieser Welten, durch die wiederentdeckte Fähigkeit, sie vom Hintergrund für eine Weile in den Vordergrund zu schieben, entstehen neue Wahlmöglichkeiten; oft geschieht ein solcher HintergrundVordergrund-Wechsel auch spontan, unbeabsichtigt, aber wir können, wenn wir uns für den körperlichen Bereich sensibilisiert haben, einen Augenblick länger in diesem Wechsel verbleiben, ihn mit allen Sinnen erleben, und vielleicht sogar vorübergehend in ein anderes Gefühl für die Zeit eintauchen: der Gegenwartsmoment wird zu einem vollen Moment, anstatt wie sonst nur ein Punkt auf dem Kontinuum zwischen Vergangenheit und Zukunft zu sein. Emotionen stehen einerseits in einem Ergänzungsverhältnis zu Kognitionen; andererseits machen sie im einen oder anderen Fall erst auf rationale Widersprüche aufmerksam (Downing 2003a, S. 85) und tragen damit einen wesentli-
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chen Anteil dazu bei, uns diesen inneren Widersprüchen selbstgesteuert und verantwortungsbewusst zu stellen. Emotionen und körperlich-emotionales Erleben liefern uns – neben einem Sinngefühl im Sinne der Verwirklichung von IchIdealen – die Grundlage für ein primäres Sinngefühl in der Welt – d. h. ein Gefühl des Lebendigseins, des Gesundseins, der Funktionslust und der Eingebundenheit in die lebendige Umwelt. Peter Geißler, Dr. med. et phil., Psychotherapeut, Psychologe, Arzt, Psychodiagnostiker, Gründer und Veranstalter des Wiener Symposiums „Psychoanalyse und Körper“ sowie Gründer und Herausgeber der gleichnamigen Zeitschrift. Adresse: A-2301 Neu-Oberhausen bei Wien, Dr. Paul Fuchsigg. 12 E-Mail:
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Körperbild-Diagnostik Angela von Arnim, Peter Joraschky und Hedda Lausberg
1. Das Konzept „Körperbild“ 1.1. Konzepte zur Beschreibung der Körpererfahrung Traditionell liegt in der Ambivalenz des „Körper-Seins“ und „Körper-Habens“ die Besonderheit, dass der Körper des Menschen sowohl Ausgangspunkt als auch Gegenstand der Erfahrung ist. Die Körperlichkeit tritt dann im Sinne der Aufmerksamkeitslenkung in das Bewusstsein, wenn der Körper in Situationen des Scheiterns selektiv aus der Ganzheit des Selbstgefühls herausgelöst wird. Die Differenzierung von Körpererleben, Körperwahrnehmung, Körperphantasien ist schwierig, weshalb aus Definitionsgründen zunächst einige Konstrukte dargestellt werden sollen, um zu klären, von welchen Prozessen hier die Rede ist. (Joraschky 1983) Wir verfügen über relativ zielsichere Bewegungsschemata, durch die es uns möglich ist, die räumliche Einschätzung des Körpers, Orientierung und Bewegung im Raum auf stabile und verlässliche Standards zu beziehen. Diese Wahrnehmungs- und Bewegungsschemata werden im Konzept des „Körper-Schemas“ sowohl von neurophysiologischer wie neuropsychologischer Seite untersucht. Mittels der Schemata können insbesondere Körperpositionen und -bewegungen und die auf den Körper einwirkenden haptischen Reize in Beziehung gesetzt werden. Abzugrenzen davon sind perzeptiv-kognitive Schemata, die es ermöglichen, den Körper als räumlich ausgedehntes Objekt unter Raumobjekten zu lokalisieren. Durch diese kognitive Struktur ist es uns zum Beispiel möglich, die Orientierungsfähigkeit am Körper, etwa die Rechts-Links-Unterscheidung, durchzuführen. Demgegenüber beschreibt das „Körper-Bild“ den subjektiv phänomenalen Funktionsbereich, alle körperbezogenen Vorstellungen und Gefühle, die in unterschiedlichem Maß bewusstseinsfähig sind. (Dolto 1987) Mit dem Begriff der „Körper-Bewusstheit“ wird dargestellt, wie das Individuum seinem Körper generell oder bestimmten Regionen und Funktionen Aufmerksamkeit und Interesse zuwendet. Mit der „Körper-Zufriedenheit“ wird ein Persönlichkeitsmaß dargestellt, in welcher Form die „Einstellung zum eigenen Körper“ etwa durch Attribute und Eigenschaften, die Personen ihrem Körper zuschreiben, klassifizierbar ist. Ob
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Menschen ihren Körper als positiv, angenehm, attraktiv, sportlich usw. oder als negativ, kränklich, schwach empfinden, ist eng mit den Funktionen der Selbstakzeptanz verbunden. Unter sozial-psychologischen Aspekten wird die Einstellung zum Körper in Beziehung gesetzt zu bestimmten Attraktivitätsnormen, die gesellschaftlich geprägt sind. Die „Körpergrenzen“, die sich etwa auf Kleidungsstücke, Prothese etc. ausdehnen können, werden als Persönlichkeitsvariable verstanden und mit dem Selbstgrenzen-Konzept verbunden. Unter das psychoanalytische Konstrukt des „Körper-Selbst“, welches ein Teilaspekt des Selbst-Konzeptes ist, werden Körpererfahrungen und -phantasien subsumiert. Hierunter fallen vorwiegend unbewusste Überzeugungen, Vorstellungen, Gefühle und Phantasien über den Körper.
1.2. Das Psychoanalytische Konzept des Körperbildes Das Konzept des Körperbildes ist von Schilder (1923, 1935) als eine umfassende Theorie des Körpererlebens entworfen worden. Das Bewusstsein der Körperlichkeit, das dreidimensionale Bild unseres Selbst, wird nach Schilder aus den taktilen, kinästhetischen und optischen Rohmaterialien konstruiert. „Das erlebte Körperbild wird so zur Landkarte der Triebregungen.“ (Schilder 1935) Die beständige Wechselwirkung zwischen dem eigenen Körperbild und dem anderer Personen geht selbstverständlich weit über das Vergleichen nach ästhetischen Gesichtspunkten hinaus. Wegen seiner vielen Schichten kann man das Körperbild mit einem Gemälde vergleichen, das mehrmals übermalt wurde, so dass sich auf derselben Leinwand Bilder befinden können, die zueinander passen – oder auch nicht. Zwischen Idee und Abbild kann also eine produktive oder eine destruktive Spannung herrschen. Der Leib bleibt während des ganzen Lebens – darauf haben vor allem phänomenologische Forschungen (Merleau-Ponty 1966) immer wieder abgehoben – auf den anderen bezogen. In diesem Sinne spricht die französische Phänomenologie von „Intercorporeité“, der Zwischenleiblichkeit. Das Körperbild ist auch aus einer psychoanalytischen Perspektive (Reiff 1988, EI Safti 1972) nicht monadisch, sondern nur intersubjektiv rekonstruierbar. Das Bild des eigenen Leibes entsteht von Anfang an aus frühen Interaktionsmustern und durch die Identifikation mit dem Körper des anderen und den Formen körperlicher Begegnung. Der Mund des Säuglings ist nicht nur Mund, sondern Mund in Verbindung z. B. zur Brust, die Repräsentation des Mundes bewahrt nach psychoanalytischer Sicht diese Erfahrungen in sich auf. Zu diesen interaktionellen Theorien gehören Kestenbergs Analysen der Organ-Objekt-Bilder (1975). Das Körperbild als Struktur ist also eine „lebendige Synthese unserer emotionalen Erfahrungen“ (Dolto 1987), es spiegelt die Integration unseres Körpererlebens während der Individuation, bis es schließlich in eine gefestigte Identität als Körper-Selbst „eingezeichnet“ ist. Die Ganzheitlichkeit des Körper- und Selbsterlebens finden wir bei den Schizophrenen auffallend desintegriert. Dies kommt vor allem in bildnerischen Gestaltungen als Fragmentierung, Abspaltung von Körperteilen, Maskenhaftigkeit des Gesichtes wie auch in Gestaltzeichnungen von „Kopffüßlern“, wie sie in Kinderzeichnungen üblich sind, zum Ausdruck. Diese Gestaltungen spiegeln das Selbstgefühl und Körpererleben Schizophrener, wobei interessanterweise auch bei psychopathologisch weitge-
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hend remittierten Patienten hier Desintegrationsvorgänge in sehr feiner Form diagnostiziert werden können. Dies weist darauf hin, dass die Gestaltung einer komplexen Struktur – zumal wenn unter starker affektiver Beteiligung, wie durch ein projektives Verfahren aktiviert – diagnostisch ein interessantes Messinstrument für die Einschätzung der Selbstkonstanz darstellen kann.
1.3. Aktuelle Entwicklungen In den Internationalen Klassifikationssystemen zur Diagnostik psychischer Störungen (ICD-10, DSM IV) kommt das gestörte Körpererleben, das z. B. bei Patienten mit Borderline-Störungen in der Psychotherapie eine zentrale Rolle spielt, nicht vor. Nachdem in den 60er Jahren die extreme Auffälligkeit der gestörten Körperwahrnehmung bei Patientinnen mit Anorexia nervosa (s. a. Beitrag von Maaser i. d. B.) den Blick der Kliniker auf das Körpererleben richtete, fand es bei anderen psychischen Störungsbildern kaum Beachtung. In den letzten zwanzig Jahren rückten weitere klinische Phänomene in den Blickpunkt, z. B. Körpermanipulationen bei artifiziellen Störungen, offene und verdeckte Dysmorphophobien im Zusammenhang mit plastischen Operationen, Akzentuierung bis hin zur Automutilation des Körperäußeren („Körpermodifikation“) durch Piercing und Tatoos (Stirn 2002). Vor diesem Hintergrund ergab sich für die empirische Forschung die Aufgabe, differenzierter das bewusste Körpererleben in Form von Körperkonzepten empirisch zu erfassen, die Körperkonzepte als Teil des Selbstkonzeptes zu differenzieren, die Körperwahrnehmung psychometrisch zu erforschen und unbewusste Determinanten des Körpererlebens mit Hilfe projektiver Verfahren zu untersuchen. Die Körperbilddiagnostik, angestoßen durch Hilde Bruchs (1962) Beschreibung der Körperschemastörung als Grundstörung bei der Anorexia nervosa, wird in der Mehrheit der empirischen Studien vor allem von zwei Richtungen bestimmt: In der angloamerikanischen Literatur dominieren vor allem sozialpsychologische Untersuchungen über kulturelle Einflussfaktoren auf das Körperbild. Hierher gehören gesellschaftlich akzentuierte Körperideale, der mediale Körper, die Möglichkeit des „Bodyshaping“ durch Fitness oder plastische Operationen. Zum anderen führte die hohe Diskrepanz zwischen äußerem körperlichen Erscheinungsbild und innerem Selbsterleben zur Untersuchung der Körperkonzepte als einen Teil des Selbstkonzeptes, das auf die globale Selbstakzeptanz einen großen Einfluss hat. Die Differenzierung von Körperkonzepten als Teil des Selbstkonzeptes wird insbesondere durch Selbsteinschätzungsverfahren in für das Bewusstsein zugänglichen Kategorien erfasst. Das z. B. bei Traumatisierten häufig vorzufindende schwer beschädigte Körpererleben kann dann auf bewusster Ebene z. B. mit Hilfe von Screeninginstrumenten heute besser auf verschiedenen Ebenen diagnostisch erfasst werden. Diese „Oberflächenstruktur“ des Körpererlebens spiegelt dann die Summe der positiven und negativen Erfahrungen, die das Körperselbst im Rahmen eines intersubjektiven Konstruktions- und Integrationsprozesses konstituieren.
1.4. Das Körperselbst als entwicklungspsychologisch bedeutsame Komponente der Selbstkonzepte und Identitätsbildung Der Prozess der Konstituierung des Körperselbst wird seit ca. dreißig Jahren vor allem von der empirischen Säuglingsforschung und Entwicklungspsychologie
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untersucht (Stern, Lichtenberg, Müller-Braunschweig). Psychodynamische Theorien zeigen im Rahmen der Identitätsentwicklung die verschiedenen Ebenen der Integration vor allem unter entwicklungspsychologischen Aspekten auf: die Bedeutung der Emotionsregulation für die Entwicklung des Selbst im Zusammenhang mit dem Bindungserleben; die Bedeutung der Motivationssysteme „Erkundungsverhalten“ und „Sexualität“, die sich alle im impliziten Gedächtnis niederschlagen und Grundschemata für das Verständnis von Handlungsdialogen sind. Die entwicklungspsychopathologische Stressforschung zeigt, dass die meisten frühkindlichen Belastungen direkt Beschädigungen des Körpererlebens in Form von körperlicher Vernachlässigung und Gewalt, taktiler Deprivation und/oder Überstimulation, Verletzung der körperlichen Schamgrenzen u. a. m. sind, die mit frühen emotionalen Vernachlässigungen meist Hand in Hand gehen. Die Modulation negativer Affekte wie Angst oder Schmerz findet in der frühen Entwicklung durch Beruhigung oder Überstimulation am Körper statt. Die Emotionsregulation, die intersubjektiv im körperlichen Austausch zwischen Eltern und Kind vermittelt wird, steht im engen Zusammenhang mit der Etablierung eines integrierten Körperselbstgefühls. Das beschädigte Körpererleben stellt in diesem Sinne eine Grundstörung, d. h. eine basale Vulnerabilität für spätere Selbstgefühlstörungen, dar. Traumatische Erlebnisse wie Gewalterfahrungen und Verluste in der Frühkindheit beeinträchtigen die Herausbildung eines integrierten Körperbildes; z. B. später in der Pubertät stattfindende körperbezogene Hänseleien in der Schule mit Ausgrenzungserfahrungen in Gruppen „testen“ den Grad der erreichten Affekttoleranz, wie sie in der frühen Kindheit entwickelt wurde. Johnson et al. (2005) geben, abgeleitet aus ihren prospektiven Untersuchungen, folgende Kriterien für entwertende Umgebungen an: sie seien gekennzeichnet durch Hauptbezugspersonen, die • unberechenbar und inadäquat auf persönliche emotionale Erfahrungen reagieren, • unsensibel für emotionale Zustände ihrer Mitmenschen sind, • dazu neigen, auf emotionale Erfahrungen über- oder unterzureagieren, • negative Emotionen besonders kontrollieren müssen und • dazu neigen, schmerzhafte Erfahrungen zu trivialisieren und/oder solche Erfahrungen negativen Einstellungen (z. B. Mangel an Motivation oder Disziplin) zuzuschreiben. Die Wechselwirkung zwischen emotionaler Vulnerabilität und entwertender Umwelt führt dazu, dass Emotionen nicht benannt und moduliert werden können, emotionaler oder interpersoneller Distress nicht toleriert und persönliche Erfahrung nicht als zutreffend erkannt werden kann. Alle diese Entwertungen belasten durch stressreiche Körpererfahrungen die Entwicklung eines kohärenten, stabilen Körperbildes.
2. Sozialpsychologische Untersuchungen zu den Körperidealen und der Bodyismus Generelle soziokulturelle Entwicklungstrends, wie die Überzeugung, dass der Körper grundsätzlich gestaltbar ist, oder das in den Medien repräsentierte unrealistische Schlankheitsideal sind Faktoren, die von außen auf das individuelle Körperbild wirken. Negative Einstellungen zum eigenen Körper und Unzufrie-
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denheit sind nicht nur kennzeichnend für klinische Phänomene, sondern betreffen heute regelhaft relativ große Teile der Bevölkerung, v. a. Frauen. Mit der Verbreitung der Massenmedien kam es zu einer Vereinheitlichung des Schönheitsideals (Mazur 1986). Innerhalb einer Gesellschaft herrscht ein globaler Trend im Körperideal. (Johnston 1993; Thiel 1997) In westlichen Kulturen gilt Schlankheit als Standard. Seit den 60er Jahren werden in den Medien zunehmend schlankere Frauen dargestellt, das gilt für Models, Playmates, Filmschauspielerinnen und Schaufensterpuppen. (Garner et al. 1980; Rintala & Mustajoki 1992; Silverstein et al. 1986; Wiseman et al. 1992) Der reale Entwicklungstrend zeigt aber, dass die Körpergröße und das Körpergewicht von Frauen in den letzten Jahrzehnten stetig zugenommen haben. (Rodin et al. 1985) Gleichzeitig bestehen aber auch mehrere – schlanke – Schönheitsideale nebeneinander. Eco (2004) charakterisiert das Zeitalter der Massenmedien als totalen Synkretismus und spricht vom absoluten und unaufhaltsamen Polytheismus der Schönheit. (ebend. S. 428) Ein weiterer genereller Trend besteht darin, dass die Mode immer mehr vom Körper sichtbar macht und immer weniger Möglichkeiten lässt, Mängel und Unvollkommenheiten zu verstecken. (Johnston 1993) Die Übereinstimmung mit dem geltenden Körperideal stellt eine Art von kulturellem Kapital dar, das für den Einzelnen ein Zugang zu Aufstiegschancen und eine Quelle von Prestige sein kann. In Anlehnung an „racism“ und „ageism“ spricht van den Broek (1988) vom sog. Bodyismus unserer Kultur, was heißt, dass der Körper zur generellen Bewertungsgrundlage wird, an der der Wert der Person gemessen wird – von ihr selbst und von anderen. Die körperliche Erscheinung wird als Ausdruck der inneren Qualitäten eines Menschen interpretiert. Das Körperideal wird damit zum moralischen Ideal. Schlankheit wird zum Ausdrucksmittel für positive Eigenschaften wie Attraktivität, Selbstkontrolle, Leistungsfähigkeit und Erfolg. Dicksein wird als Ausdruck von Faulheit, Charakterschwäche und Versagen interpretiert und der persönlichen Verantwortung des Betroffenen zugeschrieben. (Brownell 1991) Die in den Medien präsentierten unrealistischen Bilder vom idealen Körper lösen bei vielen Mädchen und Frauen Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper aus. Experimentelle Studien (z. B. Hargreaves & Tiggemann 2003) konnten kumulative und langfristige negative Effekte dieser Medienbilder auf das eigene Körperbild zeigen. Repräsentative Untersuchungen aus den USA (Cash & Henry 1995) zeigen, dass fast die Hälfte (48%) der befragten Frauen ihr Aussehen negativ bewerteten und sich zu dick fanden. Im Vergleich zu einer zehn Jahre vorher durchgeführten Untersuchung (Cash et al. 1986) zeigt sich ein deutlicher Anstieg dieser negativen Körperbewertung (Tab. 1). Tabelle 1: Ergebnisse aus drei U.S. surveys zum Körperbild: Unzufriedenheit mit bestimmten körperlichen Merkmalen (Prozentsatz der Befragten)
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Angela von Arnim, Peter Joraschky und Hedda Lausberg
Muskeltonus
25%
30%
32%
45%
45%
57%
Größe
13%
13%
20%
17%
16%
16%
Gesicht
8%
11%
20%
20%
k. A.
k. A.
Gesamterscheinung
15%
23%
34%
38%
43%
56%
Frauen, die sich zu dick finden – ohne es objektiv zu sein – zeigen ein auffälligeres Essverhalten (mehr Diät halten, mehr „binge eating“) und ein niedrigeres subjektives Wohlbefinden. (z. B. Cash & Hicks 1990) Die erlebte Diskrepanz zu unrealistischen Idealen kann als Folge von dysfunktionalen Regulationsmechanismen zum Risikofaktor für die Entwicklung von Essstörungen werden. Weitere individuelle Risikofaktoren für die Entwicklung eines negativen Körperbilds sind: Gehänselt werden, soziale Vergleiche mit Geschwistern und das Vorbild der Mutter sowohl hinsichtlich der Einstellung zum eigenen Körper als auch in Verhaltensweisen wie Gewichtskontrolle und Diät halten. Auch Kritik der Mutter an der äußeren Erscheinung der Tochter wirkt sich negativ auf die Einstellungen der Tochter zu ihrem Körper aus. (Rieves & Cash 1996) Auch wenn die Bedeutung von Schlankheit und Attraktivität für Frauen größer ist als für Männer und sie häufiger unzufrieden mit ihrem Körper sind, betrifft der generelle Entwicklungstrend inzwischen auch zunehmend Männer, für die Muskeldefinition das Ideal darstellt. (z. B. Pope et al. 2000) Zusammengefasst kann festgestellt werden, dass zwischen äußerer Attraktivität, sozialer Resonanz und innerer positiver Körperakzeptanz kein Zusammenhang besteht. Dies macht es für die therapeutische Arbeit verständlich, wie wichtig es ist, den Blick nach innen zu richten, d. h. die Möglichkeiten auch der Menschen mit negativer Körperakzeptanz zu bearbeiten, Außenfaktoren des Körpers für sich nutzbringender einzusetzen, was jedoch meist nur begrenzt gelingt, so dass die Psychotherapie auch für den intrapsychischen Verarbeitungsprozess erforderlich ist.
3. Zugangswege zum Körpererleben als Basis des Körperbildes 3.1. Biografisches Interview zum Körpererleben und Körperbild-Liste (KB-L) Der Hauptzugangsweg zu den subjektiven Dimensionen des Körpererlebens sind die Handlungsdialoge im psychoanalytisch orientierten biografischen Interview. Die individuelle Körperlandkarte bei Patienten mit Mangel- und Überstimulierungserfahrungen ist jedoch häufig sprachlicher Erkundung schwer zugänglich. Hierfür können nur hypothetisch verschiedene Aspekte erörtert werden, die alle noch empirischer Bestätigung bedürfen. Mehrere Faktoren tragen zu einer geringen Differenzierung von Körpererleben und Emotionswahrnehmung bei und machen daher das Körperselbst potenziell desintegrierbar: Bei Patienten mit Somatisierungen fanden wir ein hoch signifikantes deutliches Überwiegen von vermeidendem Bindungsstil im Erwachsenenbindungsinterview sowie in 70% zusätzlich die Kategorie „unresolved trauma“. Beide Faktoren tragen dazu bei, dass Körpererleben nicht expressiv gemacht werden kann (Alexithymiekomponente), wenig wahrgenommen und durch die verhinderte Selbstreflexion kaum verbalisierbar wird. Diese Faktoren von Affektvermeidung, Alexithy-
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mie und mangelnde Symbolisierungskompetenz sind zentrale Themen der Beziehung von Körper und Emotion. Als Zugangsweg zu im impliziten Gedächtnis gespeicherten Beschädigungen des Körpererlebens wird daher gegenwärtig intensiv über die körperliche Gegenübertragung (s. a. den Beitrag von Volz-Boers i. d. B.), oder über Körperinszenierungen in der Übertragung vor allem von psychoanalytischer Seite in der klinischen Forschung berichtet. (Heisterkamp 2002a) Im Rahmen der Erfassung von Körperepisoden ist es wichtig, nicht nur auf traumatische Beschädigungen, z. B. auf sog. „tote Zonen im Körperselbst“, Abspaltungen, Fragmentierungen (Plassmann 1989) zu achten, sondern auch auf die Episoden mit positivem Körperbezug, um auf der „Landkarte des Körpererlebens“ – als Ansatzpunkte ressourcen-orientierter therapeutischer Körperarbeit – auch Orte mit positiven Körpererlebnissen zu „markieren“. Beispiele wären z. B. Erinnerungsepisoden an motorische Erkundungsphasen mit Bewegungslust, Tanzen und spielerische Kontakte. Ein wesentlicher Bereich der Körperbiografie sind einerseits Phasen taktiler Deprivation, und andererseits z. B. Erinnerungen an zärtliche Bezugspersonen, die Fähigkeit, körperliche Tröstung zu genießen, sich anlehnen und gehalten werden können. Übergangsobjekte, wie Stofftiere oder Haustiere zu streicheln, sind in diesem Zusammenhang wichtige Erfahrungen und stehen auch teilweise im Dienste der Selbstheilung bei taktiler Deprivation. Insbesondere in der analen Phase der AbhängigkeitsAutonomie-Entwicklung sind die aggressiven Emotionen des Ausstoßens, die Ekelregulation, die aggressive Abgrenzung und das Ausscheiden wichtige Körpererlebnisse in Verbindung mit Interaktionserfahrungen. Weitere zentrale Themen sind die Klärung von Bewältigungsprozessen, wie bei Gewalterfahrungen, z. B. auch, wie körperbezogene Entwertungen ausgeglichen werden konnten, oder wie das sexuelle Erleben mit dem Erleben von Scham und Zweifel in das Körperselbst integriert wurde; dies nur als kurze Beispiele für die Erörterung der Körperbiografie. In der körperpsychotherapeutischen Arbeit sind wir heute bei einer Vielzahl von Störungen mit einem oft stark beschädigten Körpererleben konfrontiert, wie z. B. bei Essstörungen, Sozialphobie, Borderline- und narzisstische Störungen, Sexualstörungen, Hypochondrie, Schmerzstörungen sowie anderen Somatisierungsstörungen und Dysmorphophobie. Dabei geschieht die Aktivierung der Körperselbst-Vulnerabilität häufig im Verlauf von Chronifizierungsprozessen, wobei die Körpersymptome wie Schmerz, Befindlichkeitsstörungen, Essstörungen, Somatisierungen negative affektive Zirkel schließen. Durch die Chronifizierung der Körpersymptome werden die frühen Narben der Traumatisierung sozusagen daueraktiviert. Küchenhoff (i. d. B.) beschreibt sehr differenziert anhand einer analytischen Falldarstellung, wie sich in den verschiedenen Körpersymptomen seiner Patientin im Grad von individueller Performanz vs. Wiederholungsneigung (Mimesis) verschiedene Formen von sog. Körperinszenierungen zeigen und wie anhand genauer Differenzierung von Körperinterview-Items Entwicklungsstörungen und Traumatisierungen systematisiert werden können – dadurch könnten in der Zukunft durch Querverweise auch OPD-spezifische Strukturkompetenzen gefunden und dabei spezifisch auf den Integrationsgrad des Körperbildes übertragen werden. Laut Küchenhoff schränkt die Reduktion der interaktiven Dimension im Rahmen einer psychodiagnostischen und individuell typisierenden Betrachtungsweise den Nutzen des Inszenierungskonzeptes ein, ermögliche aber andererseits die Systematisierung, die in der patientenzentrierten Betrachtungs-
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weise darauf hinauslaufe, Körperinszenierungen als Ausdruck des Integrationsniveaus der Persönlichkeit, oder, abgekürzt gesprochen, der Struktur anzusehen. (Vgl. Küchenhoff 2000a) Das Ausmaß an Bewusstheit, die Abspaltung, die Freiheitsgrade in der performativen Wiederholung, die repräsentative Vernetzung, die semiotische Funktion (hier fügt er die Unterscheidung einer symbolischen oder indexikalischen Körpersymptomatik ein) – diese Dimensionen kennzeichnen nach Küchenhoff strukturelle Merkmale der Persönlichkeit. (Küchenhoff 2000a) Als Strukturmodell biete sich das Strukturkonzept an, das vom OPDArbeitskreis (Arbeitskreis OPD 1996) entworfen worden ist und das Struktur ausgehend von einem konsistenten Beziehungskonzept entwickle. Das Körperbild solle anhand der sechs Dimensionen der Strukturachse des OPD (Selbstwahrnehmung, Selbststeuerung, Abwehr, Objektwahrnehmung, Kommunikation, Bindung) eingeschätzt werden. (Küchenhoff 2003) Im Jahre 2005 wurde dann eine differenzierte Ratingliste, die sog. Körperbild-Liste (KB-L) entwickelt, die jedes Merkmal der Liste definiert, seine Ausprägung in den vier Integrationsniveaus (gut, mittel, gering, desintegriert) beschreibt und durch Ankerbeispiele vorstellt. Die KB-L lasse sich für die Fremdeinschätzung von Körperinszenierungen gut verwenden. Die charakteristischen Merkmale der Körperinszenierung würden in einem zweiten Schritt graduiert, und zwar nach den bereits beschriebenen vier Strukturniveaus. Merkmale der einzelnen Niveaus für die Körperinszenierungen sind durch ebenfalls tabellarisch zusammengefasste Kriterien gekennzeichnet (vgl. dazu Küchenhoff i. d. B.: Tabelle 1 – Strukturdimension der Körperinszenierungen, und Tabelle 2 – Struktur der Persönlichkeit und Körperinszenierung). Küchenhoff’s OPD-Entwurf für einen Köperbildinterviewleitfaden (s. a. Darstellung des Arbeitskreises OPD 2, 2006) wird inzwischen mit viel Aufmerksamkeit bei psychosomatischen Forschern, Klinikern und z. B. auch in Arbeitskreisen von Körperpsychotherapeuten diskutiert.
3.2. Methoden zur Diagnostik des Körperbildes 3.2.1. Erfassung von Körperschemastörungen Die Körperwahrnehmungs-Forschung wird vor allem beherrscht von der Diagnostik der Körperschemastörungen von Patientinnen mit Anorexia nervosa. Sie erreichte von 1970 bis 1985 großes klinisches Interesse, in den 90er Jahren erfolgte durch die Entwicklung von technischen Erhebungsinstrumenten eine Renaissance. (Thompson u. Smolak 2001) Die Akkuratheit der Körpermaße als Zielkriterium wurde angestoßen durch die Studien von Slade und Russell (1973) als eine der meisten untersuchten Körperbilddimensionen. Verschiedene Apparaturen wurden konstruiert, Videokonfrontationen mit verzerrten Aufnahmen des Körpers, visuelle Abstandsmessgeräte u. a. Es wird bei den Wahrnehmungsuntersuchungen auch zwischen sensorischen Stimulationstechniken und Vorstellungstechniken unterschieden. Obwohl die Messungen präziser geworden sind, die Einflussfaktoren kontrollierbarer, blieb als Ergebnis, dass die zunächst als stabil angesehene Fehleinschätzung sich durch eine Vielzahl von Kontextfaktoren als beeinflussbar erwies. Es ergaben sich unterschiedliche Ergebnisse, ob der Proband gefragt wurde, wie er die Ausmaße eines Körperteils fühlt oder ob er nach der Wahrnehmung gefragt wurde. Die Variation der Messanordnung, der Kleider, der Instruktionen verän-
Körperbild-Diagnostik
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derten die Wahrnehmungsmessungen. Die Retestrealibiltät war nicht sehr hoch. Die Messung der Region und Körperteile stand in geringem Zusammenhang mit der Messung des Gesamtbildes. Diese Faktoren schränkten die Ergebnisse der Wahrnehmungsmessungen ein. Weiterhin bleibt auch die Bedeutung der Wahrnehmungsstörung für die Therapie unklar, da sich auch bei günstigem Behandlungsverlauf der Anorexie die Wahrnehmungsverzerrungen meist kaum zurückbilden.
3.2.2. Projektive Verfahren zur Messung des Körperbildes Mit projektiven Methoden können Motivation, Interessen und Bedürfnisse, also Aspekte der Persönlichkeit gemessen werden, die meist unbewusst sind. In der Klinik werden am häufigsten Zeichnungen des Körperbildes angefertigt oder eine Geschichte über ein bestimmtes Bild erzählt. Hierzu gehören die HumanFigure-Drawings (HFDs) und der TAT. Machover (1940) war der Erste, der Probanden eine Freihandzeichnung der eigenen Gestalt zeichnen ließ. Dabei werden strukturelle Aspekte der Zeichung, Größe und Form eingeschätzt. Dann werden bestimmte Konfliktbereriche reflektiert. Reliabilität und Validität sind bisher nicht untersucht. Trotz der häufigen Verwendung z. B. des Rohrschachtests und HolzmanInkwlot zur Messung der Selbst-Körpergrenzen (Fisher 1986) bleiben Reliabililtätsprobleme bei der Interpretation projektiver Verfahren bestehen. Durch die projektiven Verfahren öffnet sich eine klinische Evidenz, eine vielfältige interpretative Welt; Körpererfahrungen werden angestoßen und thematisiert und klinische Hypothesen gewonnen. Naturgemäß ist immer der Wert des Verfahrens proportional zu den Fertigkeiten, die ein erfahrener Kliniker einsetzen kann. In den letzten zehn Jahren wurden jedoch kaum Arbeiten über Untersuchungen mit projektiven Verfahren veröffentlicht, allerdings ist im Beitrag vom Maaser (i. d. B.) eine ausführliche und differenzierte Falldarstellung einer körperbezogenen Therapie der Anorexia nervosa unter stationären Bedingungen nachzulesen, einschließlich einer Körperbilddiagnostik mit Hilfe von Körperzeichnungen während und nach der Therapie als Verlaufskontrollinstrument.
4. Der Körperbild-Skulptur-Test Im Sinne eines projektiven Verfahrens haben wir seit ca. 20 Jahren im stationären und ambulanten Bereich den Körperbild-Skulptur-Test als ideographisches, intraindividuelles Verlaufsinstrument eingesetzt. In Zusammenarbeit mit Wadepuhl (1994) wurde dabei ein Instrument entwickelt, welches die strukturell formale Analyse des Körperbild-Skulptur-Tests quantitativ möglich machte und gleichzeitig die Kombination mit interpretativen Verfahren erlaubt. Durch die anschließende Besprechung der Körperbild-Skulptur wird ein zusätzliches narratives Element eingeführt. Einzelne Körperteile können mit eigenen Worten und subjektiven Erfahrungen verknüpft werden. Hierdurch kann Gespürtes, Wahrgenommenes in eigener Sprache symbolisiert werden.
4.1. Entwicklung und Methodik Die Eutonie-Pädagogin Gerda Alexander (1978) wandte erstmals systematisch einen dreidimensionalen Körperbild-Test an. Sie ließ ihre „Schüler/innen“ mit
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geschlossenen Augen – d. h. unter Ausschaltung der visuellen Kontrolle – „menschliche Gestalten“ plastizieren. Dabei machte sie die folgende Entdeckung: Erst wenn Körperregionen und Körperteile in der Körperwahrnehmung und affektiv in das Körperbild integriert waren, wurden sie von den „Schülern“ auch plastiziert – vorher, trotz mehrfacher Bemühungen, nicht. Neurobiologisch ist dieses Phänomen hoch interessant, im Sinne von Kants Ausspruch „Die Hand ist die Außenstelle des Gehirns“. In der Folge wurde diese Methode von Körpertherapeuten aller Schulen gern für diagnostische und therapeutische Zwecke eingesetzt, mit dem Ziel, intuitiv Körpertherapieprozesse abzubilden. Als Skulptur-Test wurde das Verfahren von Wadepuhl (1994) operationalisiert und mit Hilfe eines Kodierungsbogens (der inzwischen überarbeitet wurde, Thiel 2003) nach formalen Aspekten ausgewertet. Sie benutzte dieses taktil– propriozeptive Evaluationsinstrument, „um das bewusste und unbewusste Körpererleben dreidimensional auszudrücken.“ (Wadepuhl 1994) Im Körperbild-Skulptur-Test modelliert der Proband mit geschlossenen Augen aus Ton eine menschliche Figur. Er kann ohne Zeitdruck so lange formen, bis es subjektiv zu einem für ihn optimalen Ergebnis gekommen ist. So fließen in das freie, spontan geschaffene Werk Empfindungen und Konflikte unterschiedlicher Art wortlos ein. Durch das Verbinden der Augen ist es möglich, dass ein projektiver Raum geöffnet wird; hierdurch können unbewusste Anteile des Körpererlebens zum Ausdruck gebracht werden. Tabelle 2: Bestandteile des Tests und Testinstruktionen Bestandteile des Tests: 1 Plastizieren einer menschlichen Figur mit geschlossenen Augen 2 freie Gestaltung der Skulptur (Zeit, Materialmenge) 3 halbstrukturiertes Interview im Anschluss zum Selbstrating durch die Patientin 4 Auswertung von Figur und Interview durch Fremdrating
Testinstruktionen: „Bitte plastizieren Sie mit geschlossenen Augen eine menschliche Gestalt. Sie haben dafür so viel Zeit zur Verfügung wie Sie benötigen, um ganz in Ruhe arbeiten zu können. Es ist Ihnen freigestellt, ob Sie die Figur stehend, sitzend oder liegend gestalten möchten. Sollte Ihnen die Menge Ton nicht reichen, können Sie gerne mehr bekommen. Falls Sie aber nicht allen Ton, den Sie jetzt in der Hand haben, verwenden wollen, lassen Sie einen Rest. Wenn Sie das Gefühl haben, dass Ihre Figur fertig ist, öffnen Sie bitte die Augen noch nicht. Stellen Sie sich zuerst vor, wie die Figur aussieht. Wir wollen nachher die Unterschiede besprechen zwischen Ihrer Vorstellung von der Figur und wie sie wirklich aussieht.“ Die meisten Patienten benötigen für die Aufgabe zwischen zehn Minuten und einer halben Stunde. Die Dreidimensionalität des Tests macht andere Aussagen möglich als Körperzeichen-Tests. Es lassen sich z. B. Aspekte der Bewegtheit, Verbindungen der Körperteile untereinander, Vor- und Rückseite sowie Körperhaltungen einschätzen.
Körperbild-Diagnostik
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Beispiel: In klinischen Untersuchungen mit dem Körperbild-Skulptur-Test fand Wadepuhl (1986) z. B. bei Patienten, die hämodialysiert wurden, dass sich in der Körperbildplastizierung der Arm mit dem Shunt meist gut lokalisieren ließ. Für den erfahrenen Therapeuten zeigen sich in den Skulpturen „Auffälligkeiten“ im Körperbild, durch die häufig verdrängte Verletzungen ausgedrückt werden. So können z. B. Eindellungen im Brustkorb auffallen, wobei sich dann beim Besprechen der Skulptur herausstellt, dass hier früher eine TrichterbrustOperation durchgeführt worden war. Oder eine verkrümmte WirbelsäulenDarstellung bringt das Thema gewaltsamer Erfahrungen in der Kindheit in den Dialog. Derartige individuelle Besonderheiten zeigen sich in der Regel auch bei der Wiederholung des Tests, auch wenn unter bewusster Korrektur versucht wird, die Figur anders zu formen. In diesem Sinne kann der Test wie eine Handschrift gesehen werden, weniger beeinflusst durch situative Momente, vielmehr charakterisiert durch eine zeitüberdauernde Gestalt. In der klinischen Anwendung hat die Besprechung der Figur auch therapeutischen Charakter. Hier ist es möglich, assoziativ unbewusste Körperphantasien, Ängste oder Erinnerungen anzusprechen. Es lassen sich unbewusste Impulse mobilisieren, die dann sekundär sprachlicher Symbolisierung zugänglich werden. Kathartische Reaktionen können ausgelöst werden, der körperliche Raum kann entfaltet und schließlich symbolisiert werden. Der Körperbild-SkulpturTest wird von uns als Verfahren zur Messung des Körper-Selbst, der ganzheitlichen Erfahrung des Körpers und indirekt als Maß für Ich-Identität und IchKonsistenz eingesetzt.
4.2. Quantitative und qualitative Auswertung der Körperbild-Skulpturen Mit Hilfe eines Erfassungsbogens (in der 2003 überarbeiteter Form: „KBKB“, Erlanger „Körperbild-Kodierungsbogen“, s. u.) wird die Körperbild-Skulptur getrennt nach siebzehn anatomischen Elementen (Kopf, Auge, Nase, Mund, Ohr, Haar, Hals, Rumpf, Oberkörper, Arm, Hand, Finger, Geschlechtsmerkmale, Unterkörper, Bein, Fuß, Zehen) dichotom codiert (0–1 codierte Variablen). Dazu kommen Angaben zur Haltung (mit Geste, gestreckt, liegend, sitzend), zur Körperlängsachse (geneigt, versetzt) und den Accessoires (Hut, Kleidung, anderes). Auffälligkeiten werden nach Art (Delle, Wulst, Beule), Lokalisation und Anzahl pro Element inklusive ihrer möglichen Zuordnung zu bekannten Symptomen erfasst. Schließlich stehen für die Verbundenheit der Elemente elf Typen zur Verfügung. Aufgrund der Durchschnittswerte von Normalprobanden sind Standardmaße (nach Alter und Geschlecht differenziert) entwickelt worden, da die anatomischen Relationen der Körperteile zueinander nicht den Gestaltmaßen beim Skulptur-Test entsprechen (Sebastian 1996). Die Einschätzung und Auswertung der Skulpturen erfolgt nach drei Dimensionen (Tab. 3): Tabelle 3: Die drei Dimensionen des Körperbild-Skulptur-Tests z z z
Die Proportionalität der Figur Die Vollständigkeit der Figur Die Verbundenheit der Figur
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Die Proportionalität: Die Längenmaße einzelner anatomischer Elemente sowie die Rechts-Links-Symmetrie werden ausgemessen. Die Summe aller Einzelwerte ergibt dann ein Gesamtmaß für die gute oder schlechte Ausgewogenheit der Proportionalität. Als zweite Dimension wird die Vollständigkeit bestimmt. Dazu gehört die Vollzähligkeit der einzelnen Körperteile, insbesondere auch der Hände und Füße, sowie auch die dreidimensionelle Formung der einzelnen anatomischen Elemente. Eine Figur ist z. B. nicht vollständig, wenn eine Reliefgestaltung erfolgt, d. h. der Rücken auf dem Untergrund platt gedrückt ist. Als dritte Dimension wird die Verbundenheit eingestuft: dazu gehören die Schulter-Arm-Einheit, die Kopf-Rumpf-Verbindung, der Arm- und Beinansatz, die Becken-Bein-Einheit etc.. Diese drei Dimensionen wurden an Normstichproben überprüft und erwiesen sich auch im Verlauf als Retest-reliabel. Weitere Kriterien wie die Bewegtheit, die Haltung, Auffälligkeiten der Körperoberfläche wurden eher als qualitative Aspekten eingestuft; diese Dimensionen wurden z. B. mit einer Metaphernanalyse bei Patienten und Ratern untersucht. Tabelle 4: Erlanger Körperbildskulptur-Kodierungsfragebogen (KBKB)
1. Kennung Fig.Nr. / Zeitpunkt Projekt:
Rater:
Datum:
Geschlecht: w
Alter:
Modellierzeit:
FIBS Geschätztes Alter der Figur:
1.1 Erster Eindruck: 2. Deskription der Elemente
Element sichtbar Element verdeckt aus OK-Ebene nach vorne heraustretend aus OK-Ebene nach hinten heraustretend
Busen
undiff. Rumpf ventral undiff. Rumpf dorsal Oberkörper ventral Oberkörper dorsal
Haare
Ohr
Mund
Nase
Auge
Hals
Kopf
2.1 Kopfregion und Oberkörper
Busen
undiff. Rumpf ventral undiff. Rumpf dorsal Oberkörper ventral Oberkörper dorsal
Haare
Ohr
Mund
Nase
Auge
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Hals
Kopf
Körperbild-Diagnostik
Neigung nach links Neigung nach rechts stabil verbunden richtige Platzierung links/rechts symmetrisch voll dreidimensional Länge überproportional Länge unterproportional Massigkeit Überproportional Massigkeit unterproportional Oberflächendeformation * stabil verbunden: Ansatz nicht sichtbar, d. h. aus einem Stück gemacht oder Ansatz verstrichen (modelliert)
2.2 Obere Extremitäten Schulter li
Element sichtbar Element verdeckt aus OK-Ebene nach vorne heraustretend
re
Arm undiff.
Arm proximal
Arm distal
Hand
Finger
best. Finger (1–5)
li
li
li
li
li
li
re
re
re
re
re
re
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Schulter li
re
Arm undiff.
Arm proximal
Arm distal
Hand
Finger
best. Finger (1–5)
li
li
li
li
li
li
re
re
re
re
re
re
aus OK-Ebene nach hinten heraustretend Streckung nach oben Streckung nach unten Streckung zur Seite stabil verbunden* richtige Platzierung Links/rechts symmetrisch voll dreidimensional Länge überproportional Länge unterproportional Massigkeit überproportional Massigkeit unterproportional Oberflächendeformation * stabil verbunden: Ansatz nicht sichtbar, d. h. aus einem Stück gemacht oder Ansatz verstrichen (modelliert)
2.3 Unterkörper und untere Extremitäten Genit.
Unterkörper
ve*** do*** Element sichtbar Element verdeckt
li
Bein undiff. re
Bein Bein proxidistal li re l li re
Fuß li
re
Zehen li
re
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Genit.
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Unterkörper
ve*** do***
li
Bein undiff. re
Bein Bein proxidistal li re l li re
Fuß li
re
Zehen li
re
aus UK-Ebene nach vorne heraustretend aus UK-Ebene nach hinten heraustretend Streckung zur Seite stabil erbunden* richtige Platzierung links/rechts symmetrisch voll dreidimensional Länge überproportional Länge unterproportional Massigkeit überproportional Massigkeit unterproportional Oberflächendeformation * stabil verbunden: Ansatz nicht sichtbar, d. h. aus einem Stück gemacht oder Ansatz verstrichen (modelliert) ** ve= ventral/ vorne *** do= dorsal/ hinten
3. Deskriptionen der Gesamtfigur 3.1 Allgemein auffällig groß auffällig klein weniger als das ursprünglich angebotenes Material verbraucht
3.2 Accessoires Hut
Kleider
Sonstiges:
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3.3 Achsenlage 3.3.1 Geste Geste links recht
raumgreifend links rechts
symmetrisch
offen links rechts
Selbstberührung links rechts
3.3.2 Haltung gestreckt
liegend
sitzend
stehend
kniend
andere Haltung:
* liegende Figur, vom Eindruck her stehend gemeint
Körperlängsachse ist geneigt nach
links
rechts
ventral
dorsal
Körperlängsachse ist versetzt nach
links
rechts
ventral
dorsal
3.3.3 Körperlängsachse 3.4 Oberfläche 3.4.1 Gesamteindruck sehr glatt
glatt verstrichen
wenig glatt verstrichen
deformiert
3.4.2 Deformationen / Auffälligkeiten Kopf li* re** ve do
Hals li* re** ve do
Rumpf li* re** ve do
li. Bein re. Bein li. Arm re. Arm ve do ve do ve do ve do
Ritze Delle Beule Wulst * li = linke Flanke / Seite ** re = rechte Flanke/ Seite ve = ventral do = dorsal
Körperbild-Diagnostik
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4.3. Empirische Untersuchungen Als Instrument zur Therapieevaluation wurde der Körperbild-Skulptur-Test von Sebastian (1996) überprüft. Sie fand eine signifikante Figurveränderung nach einer Eutonie-Körpertherapie im Vergleich zur Kontrollgruppe. Insbesondere ergibt sich eine signifikante Verbesserung bei den Dimensionen „Vollständigkeit der Figur“ wie auch „Verbundenheit der Figur“. In mehreren kontrollierten Studien überprüften und überprüfen wir weiterhin das Instrument für die Therapieevaluation von Körpertherapien, wobei es sich im Längsschnitt als veränderungssensitives Instrument auszeichnet. Für die Therapie kann der Test wiederholt eingesetzt werden, da er immer wieder Anregungen für die Assoziation zu bestimmten Körperpartien bringt. Die Körperpartie, die im Erleben besonders beeinträchtigt ist, erscheint auch in der Figur meist in irgendeiner Weise auffällig – durch Vertiefungen oder Erhabenheiten der Oberfläche, durch Unproportioniertheit der Masse oder der Länge oder durch das Nichtvorhandensein von Körperteilen. Tabelle 5: empirische (kontrolliert-prospektive, z. T. randomisierte) Untersuchungen: Anwendung des KST in Therapiestudien (Universität Erlangen):
Bei Colon-irritabile-Patienten, 10 Std.,Vergleichsstudie körperbezogene Psychotherapie (FE) vs. Naturheilmedikamente u. Placebo Bei Essstörungen, ambulante Gruppe, 12 Pat., 50 Std. Bei chronischen Schmerzpatientinnen mit Fibromyalgiesyndrom
1.
Projekt: Kleingruppen von 3–5 Pat., 50 Doppelstd. Therapie mit einem körpepsychotherapeutischen Verfahren (überwiegend FE)
2.
Vergleichsstudie Körperpsychotherapie (FE plus Tanztherapie) vs. VT (CBT) in Gruppen á 8 Patientinnen, 25 Doppelstd.
3.
Körperpsychotherapie (systemische Tanztherapie), Gruppen v. je 4–5 Patientinnen, 25 Doppelstd.
4.4. Qualitative Analyse des Körperbild-Skulptur-Interviews Ergänzt wird die formal-quanititative sowie die qualitative Analyse des Körperbildes (Fremdrating der Figuren) durch die direkt an das Plastizieren anschließende strukturierte Besprechung der Figur mit der/m Patient/in selbst (Selbstrating der Figur) mithilfe eines Leitfadens (Tab. 6, s. u.), der der Anregung der Assoziation und der Narrativbildung dient, wodurch qualitative Aspekte des Interviewtextes auswertbar werden. Dabei spielt für die Textanalyse eine Rolle, dass der Test bei den Probanden in der Regel eine intensive emotionale Reaktion auslöst, so dass meist ein bedeutungsintensiver Dialog entsteht. Neben der Auswertung der Körperbildskulpturen wurden in allen klinischen Anwendungen auch die dazugehörigen Interviews eingeschätzt. Dazu wurden zum einen die verwendeten Metaphern (z. B. „ein malträtiertes Unfallopfer“, „ein Buddha“, „ein Engel“, „eine Mumie“) untersucht und zum anderen Kategorien gebildet, in die die Aussagen der Patientinnen eingeordnet wurden. Die Beschreibungen der Figuren wurden z. B. in „menschliche vs. nicht menschliche Figur“ oder „lebendige vs. nicht lebende Figur“ eingeteilt. Bei den Erlebnissen der Figuren in den Narrativen der Patienten wurden z. B. „hoffnungsvolle“ und „aussichtslose“ Situationen unterschieden. Außerdem wurden die „Af-
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fekte“ und der „Spannungszustand“, der den Skulpturen von den Patienten zugeschrieben wurde, festgehalten. Des Weiteren wurde erfasst, ob die Patientinnen ihr Werk akzeptieren konnten, wie unzufrieden sie damit waren, und ob und wie sie sich selbst damit identifizieren konnten. Es fand sich häufig im PräPost-Vergleich, dass die Figuren von den Patientinnen zu Therapieende eher als „menschliche Gestalt“ und als lebendig beschrieben wurden. Die Tendenz zur Projektion von positiven Affekten, einhergehend mit Entspannung, auf die Figuren, war z. B. in einer differentiellen Therapiestudie mit Fibromyalgiepatientinnen in beiden Therapiearmen (VT-Gruppe und Körper-Gruppe) zu erkennen, wobei dieses Phänomen in der körpertherapeutischen Gruppe deutlicher ausgeprägt war. Auch die qualitativen Einschätzungen der Rater zu den Figuren der Patienten (Fremdrating) wurden in die Kategorien „Menschlichkeit“, „Lebendigkeit“, „Affektlage“ und „Spannungszustand“ eingeordnet. In Bezug auf Menschlichkeit und Lebendigkeit stimmten die Rater mit den Patientinnen in ihrem Urteil überwiegend überein. Zu Therapieende wurden die Skulpturen auch von den Ratern (bei hoher Interraterreabilität) als „menschlich wirkender“ und lebendiger eingeschätzt. Tabelle 6: Strukturierte Befragung zur Körperbildskulptur (KST-Interview) 1.
Wie hatten Sie sich die Figur vorher, mit geschlossenen Augen, vorgestellt?
2.
Wie fühlten Sie sich beim Formen?
3.
Was fällt Ihnen als erstes (nach Öffnen der Augen) an der Figur auf?
4.
Wie würden Sie die Figur beschreiben?
5.
Was fällt Ihnen zum Kopf/zum Brustkorb/zu Bauch und Becken/zum Rücken/zu den Armen und Händen/zu den Beinen und Füßen ein?
6.
Was fällt Ihnen zur Größe, dem Rechts-Links-Größenverhältnis und zu den Verbindungen der verschiedenen Körperteile ein?
7.
Was sagen Sie zur Haltung der Figur?
8.
Was fällt Ihnen zum gestischen Ausdruck der Figur ein?
9.
Wie ist es mit der Rück- und der Vorderseite Ihrer Figur?
10. Was stellt die Figur dar? Einen Mann, eine Frau, ein Kind? 11. Gab es einen Rest (Tonklumpen)? Wenn ja, was könnte man daraus machen? 12. Was könnte die Figur erlebt haben? 13. Wie fühlte sich die Figur dabei? Wie fühlt sie sich heute? 14. Wie könnte es mit der Figur in der Zukunft weitergehen? 15. Was gefällt Ihnen an dieser Figur? 16. Was würden Sie an der Figur verändern wollen? 17. Gibt es etwas an der Figur, das an Sie selbst erinnert? 18. Wie würden Sie sich wünschen, dass die Figur sich verändert? 19. Wenn Sie sich vorstellen, die Figur würde Sie selbst darstellen, wie sollte sie sich verändern?
Körperbild-Diagnostik
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In den meisten Fällen erkennen Patienten beim KST-Interview zuerst Unstimmigkeiten in Bezug auf die Proportionen. Dabei fallen ihnen unproportionierte Längenverhältnisse noch vor unproportionierten Masseverhältnissen auf. Selten merkt ein Patient die Unvollständigkeit oder Unverbundenheit anatomischer Elemente. Das sind Auffälligkeiten, die erst im Gespräch herausgearbeitet werden. Häufig rücken einzelne bedeutungsträchtige Körperzonen in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Körper-Metaphern können im Dialog häufig zu Körperepisoden erweitert werden. Schließlich kann im Hinblick auf diese Zonen auch ein Fokus für die Körpertherapie abgeleitet werden, da diese Zonen in der Regel schlecht in das Körperselbst integriert sind. Allgemein können bei der qualitativen Analyse des Körperbildes folgende Aspekte betrachtet werden: • Richtet der Patient eine erhöhte Aufmerksamkeit auf seinen Körper? • Ist diese Aufmerksamkeitszentrierung auf den kranken Körper beschränkt, oder ist der Körper auch als gesunder Körper erlebbar? • Lassen sich Metaphern und Bildern, in denen der Körper beschrieben wird, Körpergeschichten zuordnen? Die klinische Relevanz liegt also nicht nur in der Rolle des Tests als diagnostisches Hilfsmittel, sondern auch als Katalysator für den Dialog mit dem Patienten.
4.5. Klinische Erfahrungen a) Der Test sollte möglichst vom Therapeuten selbst durchgeführt werden, weil er als projektiver Test über die Phantasieanregungen Ängste aktiviert, besonders da er mit geschlossenen Augen durchgeführt wird. Hier ist ein stabiles Vertrauensverhältnis wichtig, damit ein entspanntes Formen möglich ist. b) Das Plastizieren hat einen therapeutischen Effekt, da durch die Gestaltformung die Struktur-Integration gefördert wird. c) Der Körperskulptur-Test gibt einen differenzierten Eindruck über die IchKonsistenz und die Integrationsprozesse im Krankheitsverlauf. d) Identitätsstörungen, einschließlich der Geschlechtsidentität, erwiesen sich im Skulptur- Test als sehr häufig dargestellt. Die Identitätsstörungen sind rasch erfassbar und lassen sich im Verlaufsprozess gut beurteilen. e) Der Test kann im Therapieverlauf auch die Rolle eines therapeutischen Agens bekommen, z. B. wenn Patienten die Figuren oder Fotos davon mit nach Haus nehmen, wobei die Skulptur die Funktion eines Übergangsobjektes in Bezug auf die therapeutische Beziehung erhalten kann. Darüber hinaus können sich Patient/innen z. B. in der Gruppentherapie mit „ihrer Figur“ und deren Haltung etc. vorstellen, die Figuren können somit häufig als Einstig in die Selbsterfahrung genutzt werden.
4.6. Überlegungen zu Körperselbststrukturniveau-Einstufungen Die drei Dimensionen Vollständigkeit, Proportionalität und Verbundenheit können in Form von Summenwerten zur Messung der Körperbild-Struktur als Maß für das Strukturniveau eingesetzt werden. Entsprechend der Persönlichkeitsstruktur in der Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik (OPD) wurde die Körperbild-Struktur von uns auf vier Ebenen – einem gut, mäßig, gering und dekompensierten Strukturniveau – eingeschätzt (siehe Abbildungen 6–11). Diese Graduierung ist nicht automatisch gleichzusetzen mit einer entsprechenden
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Störung auf der Persönlichkeitsebene. Für die Körpertherapie erachten wir das Strukturniveau jedoch als ein wichtiges Indikationskriterium, da sich hier Hypothesen zum Schweregrad der Störungen im Körper-Selbst herleiten – Hypothesen, die wir gegenwärtig in Körpertherapie-Verlaufsstudien überprüfen. Dies hat auch zur Folge, dass Entwicklungsmöglichkeiten in Kurz- oder Langzeittherapien entsprechend dem Strukturniveau eingeschätzt werden können. Wir sehen z. B. beim niedrigen Strukturniveau in der Regel die Notwendigkeit zu längerfristigen Therapien. Zur Illustrierung, der Schweregradeinteilung und gleichzeitig der Anwendung des Verfahrens, wie es Körperpsychotherapeut/innen begleitend zu Körpertherapieprozessen einsetzen können, seien hier exemplarisch Bilder aus Fallvignetten vorgestellt (s. u.; drei der vier Bilder entstammen der therapeutischen Arbeit mit chronischen Schmerzpatientinnen). Zur Körperbilddiagnostik führten wir wie bei allen Patientinnen, die an der Universität Erlangen an einer der Studien mit körperorientierte Psychotherapie bei Fibromyalgie teilnahmen (A. v. Arnim), den KST durch. Er ermöglichte, wie uns in der Arbeit mit Schmerzpatientinnen klar wurde, zusätzlich zu den oben dargestellten Funktionen durch das haptische Plastizieren auch die Intensivierung der taktilen propriozeptiven Wahrnehmung. Gleichzeitig diente die Figur als Symbolisierungshilfe innerhalb des therapeutischen Prozesses. Bei Schmerzpatienten treten spezifische Körperbildstörungen auf, die u. a. dadurch zu erklären sind, dass diese Patienten häufig traumatischen Kindheitsbelastungen ausgesetzt waren (Vernachlässigung, Misshandlung und sexueller Missbrauch). Diese Erfahrungen beeinträchtigen in spezifischer Weise sowohl den Selbstwert als auch das Körperbild. Neuere, psychobiologisch geprägte Veröffentlichungen gehen davon aus, dass bei Traumatisierungen sowohl seelische als auch körperliche Verletzungen gleichzeitig im impliziten Körpergedächtnis gespeichert werden. Auf diese Weise eingravierte, dem expliziten Gedächtnis nicht zugängliche Traumata können bei entsprechenden Affekten auch die körperlichen Entsprechungen der Verletzung wieder aktivieren. Schmerz wäre dann so etwas wie eine reaktivierte Körper-Gedächtnis-Spur, die häufig jedoch von den Patienten abgespalten vom damaligen Affekt erlebt wird. Durch Schmerzen jedoch verändert sich das Körperbild, ebenso wie auf der neurobiologischen Ebene ein Schmerzareal im sensiblen Cortex überdimensional groß wahrgenommen wird. Hier gibt es also Wechselwirkungen zwischen Körperbildstörungen, der Entstehung von Schmerz und der Auswirkung von Schmerz auf das Körperbild (wie schon von Schilder 1935 formuliert). Heute könnte man modifizierend sagen: Das Körperbild wird zur Landkarte der erlebten Traumatisierungen. Nun einige exemplarische KST-Abbildungen und ihre Zuordnung zu Strukturniveaus: Abbildung 6: Beispiel für eine Körperbild-Skulptur auf reifem Strukturniveau („gut“: gute Vollständigkeit, gute Verbundenheit, mäßige Proportionalität) einer Patientin mit Fibromyalgie und kumulativer sexueller Traumatisierung in ihrer Biographie
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Frau Z, T1 vor der Therapie (Abb. 6)
Frau Z, T2 nach der Therapie (Abb.6) Abbildung 7: Beispiel für eine Körperbild-Skulptur mit niedrigem Strukturniveau („gering“: nur der Rumpf wurde geformt, im Kopfbereich aggressiver Umgang mit dem Material, Kopf mehrmals beim Plastizieren voller Wut abgerissen, schlechte Proportionalität/Verbundenheit Kopf – Rumpf, ungenügende Vollständigkeit: keine Extremitäten)
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Skulptur T1, vor der Therapie, Frau T. Pat. mit schizoiden Tendenzen und aggressiver Affektabwehr, bei Unerwünschtheit und emotionaler Vernachlässigung in der Kindheit. Metapher im Interview: „Das ist ein lachender Buddha!“
Abbildung 8 (s. o.): Frau T., Skulptur 2, bei Katamnese 3,2 Jahre nach Therapie: „Das bin ich mit meinem Pfiffi“. Vollständigkeit besser, Arme und ein Objekt (ihr Hund) geformt, Verbundenheit weiterhin gering, Proportionen mäßig, weiterhin keine Beine, keine Hände erkennbar) Abbildungen 9 u. 10: Beispiel für eine Körperbild-Skulptur auf insgesamt mittlerem Strukturniveau (T1: mäßig bis gering, T2 nach der Therapie: „mäßig“: mäßige Vollständigkeit, obere Extremitäten bei T1 verdeckt, gute Verbundenheit, mäßige Proportionen, in T1 auffällige Deformierungen der Extremitäten, Figur in T1 fast zweidimensional flach!)
Frau J, T1: „Wie ein Engel, für alle da“ (Abb. 9)
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Frau J, T2, nach der Therapie. „Ich möchte für mich einstehen“ (Abb. 10) Abbildung 11: „desintegiert“: fragmentierter Rumpf, nicht kohärente Körperbildskulptur, keine Verbundenheit der Körperteile, unvollständige und z. T. fehlplazierte Extremitäten, z. B. Bein am Kopf, Proportionen der Körperteile sehr schlecht
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Da die Skulpturen immer auch so etwas wie ein „geronnener Bewegungsausdruck“ sind, wird im Anschluss die Rolle der Bewegungsdiagnostik im Rahmen der Körperbilddiagnostik ausführlicher dargelegt, am Beispiel der Anorexia nervosa veranschaulicht und anschließend auf die Bewegungsanalyse als operationalisiertes „Mikroanalyseinstrument“ fokussiert.
5. Bewegungsanalyse in der Körperbild- und Körperschemadiagnostik 5.1. Bewegungsverhalten und Psychodiagnostik Mehr oder weniger unbewusst vollzieht der Mensch Zuordnungen von bestimmten Bewegungsarten zu Stimmungen, zu Persönlichkeitstypen oder psychischen (und körperlichen) Erkrankungen. Ansätze, die Bedeutung des Bewegungsausdrucks systematisch zu erfassen, fanden sich bereits in der Antike. So herrschte bei den Pythagoräern der Brauch, Bewerber erst als Schüler zuzulassen, nachdem Gestalt, Gang und Körperbewegung genau betrachtet worden waren. (Jamblichus nach J. B. Porta [1593], zitiert nach Kietz 1952) In der Renaissance gewann das Wissen der Antike über den Zusammenhang zwischen Bewegungsverhalten und Persönlichkeit in der Physiognomik wieder an Bedeutung. („De humania physiognomonia“ von Porta 1593) Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde das Gedankengut in der sich neu entwickelnden Ausdruckskunde, insbesondere durch L. Klages (1872–1956), und in der Psychiatrie fortgeführt. Die ausdruckspsychologischen Beobachtungen über den Zusammenhang zwischen Bewegung und Stimmung oder Charakter sind heute wissenschaftlich weniger bedeutsam, immer noch höchst aktuell sind aber die Erkenntnisse der ausdruckspsychologischen Deutungsexperimente. (Eisenberg und Reichline 1939; Mason 1957) Diese zeigten, dass untrainierte, neutrale Beurteiler zwar in ihrer Einschätzung von Persönlichkeitsmerkmalen anhand des Bewegungsverhaltens untereinander relativ gut übereinstimmten, dabei jedoch von einem Außenkriterium (psychologischer Test, Urteil des Vorgesetzten) abwichen. Diese Diskrepanz könnte theoretisch darauf beruhen, dass die Rater und das Außenkriterium unterschiedliche Aspekte erfassen. In einer ähnlich aufgebauten Studie von Wallbott (1989) wichen jedoch zwanzig Rater in ihrer Einschätzung von Patienten mit großer Übereinstimmung von einem sicher objektiven Außenkriterium ab: Die Rater sollten schätzen, ob die Handbewegungen von Patienten dem Aufnahme- oder dem Entlassungsgespräch (ohne Ton präsentiert) entstammen. Dabei wurden Bewegungen, die intensiv, expansiv, sanft, wenig eckig, nicht nervös und nicht plump (deskriptive Skalen) oder mit den Computerparametern großer Umfang, große Reichweite und hohe Beschleunigung korrelierten, von den Ratern mit relativ großer Übereinstimmung dem Entlassungsgespräch zugeordnet. Diese Zuordnung war jedoch falsch. Nur die Schnelligkeit der Bewegungen war tatsächlich beim Entlassungsgespräch signifikant erhöht. Gleichermaßen zeigten Davis und Markus (2006), dass untrainierte Rater bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Aussagen bei polizeilichen Verhören das nonverbale Verhalten falsch interpretierten (falsche Cues wie z. B. kurzer Blickkontakt, falsche Interpretation) und so zu falschen Schlussfolgerungen über die Richtigkeit bzw. Unrichtigkeit der Angaben kamen. Es ist daher anzunehmen, dass bei untrainierten Beurteilern bestimmte, allgemein geläufige Vor-
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Urteile die Interpretation des Bewegungsverhaltens bestimmen. Frijda (1965) folgerte daher: „Die Erkenntnis der Gesetzmäßigkeiten der Ausdrucksdeutung ist vielleicht wichtiger als von Gesetzmäßigkeiten der Ausdrucksbedeutung.“ (Ebend. S. 412) Die ausdruckspsychologischen Studien deuteten ferner bereits auf die Wichtigkeit der Selbstwahrnehmung für die objektive Fremdwahrnehmung hin. So kann der Gang einer anderen Person nur objektiv beschrieben werden, wenn die Selbstwahrnehmung des eigenen Ganges objektiv ist. (Wolff [1932], zitiert nach Frijda 1965) In diese Richtung weist auch eine spätere Untersuchung von Sackheim, Packer und Gur (1978), nach der Fehlwahrnehmungen mit der Identifikation eigener und fremder Stimmen korrelieren. In den letzten Jahren wird der Zusammenhang zwischen Fremdbeobachtung und Selbstwahrnehmung bzw. der eigenen Ausführung von Bewegungen in zahlreichen neurowissenschaftliche Studien belegt. (Parsons, 1998; Bonda et al. 1996; Reed & Farah 1995; Kosslyn et al. 1998; Rizzolatti et al. 1988; Jeannerod 1999; Iacoboni et al. 1999) Zusammenfassend belegen bereits die frühen ausdruckspsychologischen Studien die Notwendigkeit einerseits der Durchführung wissenschaftlicher Studien zu Bewegungsverhalten und psychischer Erkrankung und andererseits die Wichtigkeit der Bewegungsselbsterfahrung und des bewegungsanalytischen Trainings der Bewegungsanalytiker. „Intuitive“ Interpretationen von Bewegungsverhalten von nicht geschulten Personen sind zumindest im Rahmen psychotherapeutischer Arbeit nicht vertretbar. Da der Schwerpunkt dieses Beitrages auf der Bedeutung der Analyse des Bewegungsverhaltens für die Körperbilddiagnostik liegt, soll im Folgenden nur ein kurzer Überblick über die Befunde zu Bewegungsverhalten und psychischer Erkrankung in verschiedenen klinischen Disziplinen wie Psychosomatik, Psychiatrie, Neurologie und aus Forschungsgebieten wie der körperorientierten Psychotherapie, insbesondere der Tanztherapie, und der nonverbalen Kommunikation gegeben werden. In den verschiedenen Gebieten wurde mit unterschiedlichen Methoden bzw. unterschiedlichen untersuchten Bewegungsparametern übereinstimmend festgestellt, dass psychische Erkrankungen mit verändertem Bewegungsverhalten einhergehen. (Wulfeck 1941; King 1954; Sainsbury 1954; Hartwich 1970; Yates 1973, Ekman u. Friesen 1974; Blackburn 1975, Schwartz 1976; Ulrich 1977; Davis 1981; Günther u. Gruber 1983; Birbaumer 1983; Wolf-Schein 1985; Burn 1987; Lausberg et al. 1988; Wallbott 1989; Manschreck 1989; Dosamantes 1990; Hadzi-Pavlovic et al. 1992; Katz et al. 1993) Bei Patienten mit Schizophrenie und Depression wurden „abnormale“ willkürliche und unwillkürliche Bewegungen (Owens 1982; Rogers 1985; Caligiuri et al. 1993; Chatterjee et al. 1995), psychomotorische Defizite z. B. in Geschicklichkeits- und Rhythmusaufgaben (Wulfeck 1941; King 1954; Manschreck 1985, 1989, 1990; Günther et al. 1991), qualitative Veränderungen des Bewegungsverhaltens (Jones 1965; Condon 1969; Davis 1981, Wolf-Schein 1985, Wallbott 1989; Davis et al. 1995) sowie Veränderungen des nonverbalen interaktiven Verhaltens (Ekman u. Friesen 1974; Ulrich & Harms 1985; Ellgring 1985; Gaebel 1992; Hadzi-Pavlovic et al. 1992) belegt. Bei Patientinnen mit Essstörungen wurde Hyperaktivität (Brewerton et al. 1995; Davis 1997; Davis et al. 1994; Kron et al. 1978) sowie qualitative Veränderungen des Bewegungsverhaltens (Burns 1987; Shenton 1990; Gillberg et al. 1994; Lausberg et al. 1996) beschrieben (s. u.). Ferner wurden bei Patienten mit narzisstischer und Borderline-Persönlichkeitsstörungen qualitative Veränderungen des Bewegungsverhaltens dokumentiert. (Davis et al. 1995; Cruz 1995; Ber-
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ger & Cruz 1998) Die Studien weisen übereinstimmend darauf hin, dass die Schwere der Störung des Bewegungsverhaltens mit der Schwere der psychischen Erkrankungen korreliert. (Lang & Buss 1965; Wulfeck 1941; Yates 1973, Günther & Gruber 1983) Pathognomonische Bewegungsmerkmale, d. h. Bewegungsmerkmale, die für eine Diagnosegruppe spezifisch sein könnten, z. B. Fragmentation für Schizophrenie, konnten jedoch in keiner Studie nachgewiesen werden. (Wolf-Schein et al. 1985; Manschreick 1989; Davis et al. 1995; Cruz 1995; Lausberg et al. 1996) Ebenso wenig ließ sich ein Bewegungsmerkmal finden, das spezifisch mit einem Persönlichkeitsmerkmal korrelieren würde. (Allport u. Vernon 1933; Rimoldi 1951; Hargadine 1973; Burn 1987: Lausberg et al. 1996) Nur Eisenberg (1937) wies Korrelationen zwischen dem Persönlichkeitsmerkmal „Dominanz“ und expansiver Bewegung nach. Wallbott schlussfolgerte daher: “Thus we may conclude that movement characteristics are more indicative of the degree of psychopathology, and less of the type of psychopathology.” (Wallbott 1989, S. 133 [Hervorhebungen durch die Autorin]) Die Studien von Wolf-Schein et al. (1985), Davis et al. (1995) und insbesondere Cruz (1995) sind jedoch insofern wegweisend, als sie zeigen, dass Bewegungscluster diagnosespezifisch sind. Signifikante Veränderungen des Bewegungsverhaltens im Therapieverlauf wurden bei schizophrenen Patienten (Freedman & Hoffman 1967; Davis 1981), depressiven Patienten (Ekman und Friesen 1974; Ulrich 1977; Ulrich & Harms 1985; Wallbott 1989), bei psychosomatischen Patienten (Krause & Lütolf 1989; Lausberg et. al 1988) und bei normalen Therapieteilnehmern (Dosamantes 1990) beobachtet. Die Besserung des klinischen Befundes geht einher mit signifikanten Veränderungen in verschiedenen nonverbalen Parametern (körperfokussierte Bewegungen und deren Lateralität, Gestik, Mimik, Blickkontakt, Raumanwendung, Gleichgewicht) in Richtung von gesundem Bewegungsverhalten gemäß der Definition der American Dance Therapy Association. Das bio-psycho-soziale Modell (v. Uexküll 1986) bietet einen geeigneten Ansatz, um Bewegungsverhalten und die psychische Ebene in Beziehung zueinander zu setzen. In diesem Modell werden Prozesse, die intra- und interindividuell auf der physiologischen, psychologischen und sozialen Ebene ablaufen, in Verbindung zueinander gesetzt. Dabei wird von einer Eigenständigkeit der Prozesse auf den verschiedenen Systemebenen ausgegangen. Eine gegenseitige Beeinflussung der verschiedenen Ebenen findet über „Aufwärts- und AbwärtsEffekte“ statt, z. B. informieren somatische „Symptome“ die komplexeren psychischen oder sozialen Systemebenen über den Zustand der einfacheren Ebene, d. h. sie werden dort in Zeichen übersetzt, die gegebenenfalls „Appell um Unterstützung und Hilfe“ bedeuten. „Symptome sind Zeichen, die über den Zustand lebender Systeme informieren. Der Gang, die Haltung und der Gesichtsausdruck eines Patienten informieren den Arzt über den Zustand, in dem sich der Patient befindet.“ (Uexküll 1986, S. 26) In diesem Sinne kann auch Bewegungsverhalten als „Symptom“ betrachtet werden, das Aufschluss u. a. über das Körpererleben gibt.
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Dem bio-psycho-sozialen Modell gemäß besteht zwar eine Korrelation zwischen dem Ausmaß der Störungen auf den verschiedenen Ebenen, eine direkte Übersetzung von einer Ebene in eine andere findet jedoch nicht statt. Dieses Modell ist daher gut vereinbar mit o. g. empirischen Befunden zur Relation zwischen Psyche und Bewegungsverhalten, die keine 1:1-Korrelationen zwischen einzelnen psychischen Merkmalen und einzelnen Bewegungsmerkmalen ergeben, jedoch eine Parallelität des Ausmaßes der Störungen auf den verschiedenen Ebenen aufzeigen. (vgl. Wallbott, 1989) Ferner ist ein Behandlungsansatz auf verschiedenen Ebenen den im biopsycho-sozialen Modell postulierten Aufwärts- und Abwärtsbewegungen zufolge sinnvoll, da eine gegenseitige, indirekte Beeinflussung der Ebenen gegeben ist. Somit wird sich auch eine auf der Bewegungsebene ansetzende Therapie, wie z. B. Tanz- und Bewegungstherapie, auf die übrigen Ebenen, u. a. auf die psychische Ebene einschließlich des Körpererlebens, auswirken.
5.2. Körperbild, Körperschema und Bewegungsverhalten Da die Begriffe Körperschema und Körperbild in der Literatur weiterhin uneinheitlich angewandt werden, soll in diesem Beitrag im Hinblick auf das Thema „Bewegungs- und Körperbild“ noch einmal an die schon erwähnte Begriffsdefinition erinnert werden, die sich am Konsens der verschiedenen Definitionen orientiert. (vgl. Ayres 1961; Baumann 1986; Benton & Sivan 1993; Bielefeld 1986; Bruch 1973; Bytendijk1971; Dolto 1987; Joraschky 1983, 1995; Waldenfels 2000; Goldenberg 2004; Röhricht et al. 2005) Der Begriff Körperschema soll hier entsprechend seiner Verwendung in Neuropsychologie und Wahrnehmungspsychologie für die kognitive Repräsentation des eigenen Körpers gebraucht werden. Diese beinhaltet Form und Größe des Körpers und die Relation der Körperteile zueinander und basiert auf senso-motorischen Erfahrungen mit dem eigenen Körper. Der Begriff Körperbild wird entsprechend seines Gebrauches in Psychologie und Psychoanalyse für den bewussten und unbewussten, emotional-affektive Besetzung und Einstellung zum eigenen Körper angewandt. Die Interdependenz zwischen Körperschema und Bewegungsverhalten ist in zahlreichen Studien belegt (Piaget 1969, 1979; Buytendijk 1971; Baumann 1986; Ayres 1961, Wiegersma 1972, Massion 1994; Jarka 1995) und wird durch aktuelle neurowissenschaftliche Untersuchungen gestützt. (Ersland et al. 1996; Brugger et al. 2000; Goldenberg 2004) Der Zusammenhang zwischen Körperbild und Bewegungsverhalten ist bisher hingegen vergleichsweise wenig in der Literatur thematisiert worden. Ziel empirischer Untersuchungen ist meist der Nachweis einer positiven Korrelation zwischen Bewegungstraining und positivem Körperbild. (Adame et al. 1991; Lewis & Scannell 1995) Vereinzelt werden qualitative Aspekte des Zusammenhangs zwischen Bewegungsmuster und Körperbild berichtet, z. B. die häufig bei Schizophrenen und Autisten auftretenden Bewegungsstereotypien mit repetitivem Eigen- oder Fremdkontakt als ein Versuch, durch Körperstimulation die Körpergrenzen zu stabilisieren. (vgl. Joraschky 1983; Du Bois 1990)
5.2.1. Beispiel: Bewegungsstörungen bei Anorexia nervosa Am Beispiel von Patientinnen mit Anorexia nervosa soll der Zusammenhang zwischen Körperbild/Körperschema und Bewegungsverhalten veranschaulicht werden, da bei dieser Patientengruppe sowohl das Körperbild und Körpersche-
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ma (vgl. Bruch 1973; Meermann & Fichter 1982; Maaser 1982; Joraschky 1983; Feiereis 1989) als auch das Bewegungsverhalten gut erforscht sind. Bei dieser Diagnosegruppe ist Hyperaktivität eine in der ICD-10-Klassifikation angeführte Störung des Bewegungsverhaltens. Zum Zeitpunkt der Diagnosestellung leiden 39% bis 51% der Anorektikerinnen an Hyperaktivität, während der gesamten Lebenszeit treten sogar bei 75% bis 78% hyperaktive Phasen auf. (Kron et al. 1978; Davis 1997) Hinsichtlich qualitativer Veränderungen belegen die vornehmlich aus dem Bereich der Tanztherapie stammenden Studien von Burn (1987), Shenton (1990), Lausberg et al. (1996) und Gillberg et al. (1994) übereinstimmend folgende Veränderungen des Bewegungsverhaltens (im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen): gebundener Bewegungsfluss, geringer Gewichtseinsatz, eher isolierte, periphere Körperbewegungen und geringere Einbeziehung des Unterkörpers. Die Bewegungsfläche wurde nur in einer Studie untersucht und war signifikant kleiner. (Lausberg et al. 1996) Gebundener Bewegungsfluss ist dadurch gekennzeichnet, dass nicht nur der als Agonist wirkende Muskel, sondern auch der Antagonist relativ stark angespannt ist, so dass die durch den Agonisten bewirkte Bewegung jederzeit gestoppt werden kann. Geringer Gewichtseinsatz bedeutet, dass das Körpergewicht nicht – weder mit noch entgegen der Schwerkraft – eingesetzt wird. Bei isolierten Bewegungen werden nur einzelne Körperteile bewegt, im Gegensatz zu ganzkörperlicher Bewegung, bei der der gesamte Körper involviert ist. Mit peripheren Körperbewegungen werden Bewegungen der Arme und Beine bezeichnet, im Gegensatz zu zentralen Bewegungen der Körpermitte. Geringe Einbeziehung des Unterkörpers bedeutet, dass das Becken nicht in den Bewegungsfluss einbezogen wird. Bei kleiner Bewegungsfläche wird der zur Verfügung stehende Raum nicht ausgenutzt, und die Bewegung findet vornehmlich am Platz statt. Diese Ergebnisse zum Bewegungsverhalten lassen sich gut mit den bei Anorexie auftretenden Körperschema- und Körperbildstörungen (vgl. Bruch 1973; Meermann & Fichter 1982; Maaser 1982; Joraschky 1983; Feiereis 1989; Stanton-Jones 1992) vereinbaren. Wichtige Aspekte dieser Störung sind eine Überschätzung der eigenen Körpermaße, das Erleben von Instabilität der eigenen Körpergrenzen und von körperlicher Desintegration, die Ablehnung des Körpers als Sitz bedrohlicher oraler und sexueller Triebe, und die Ablehnung weiblicher Körperlichkeit. Der vorwiegend gebundene Bewegungsfluss der Anorektikerinnen entspricht ihrem Kontrollbedürfnis, das sich insbesondere auf den eigenen Körper, dessen Bedürfnisse und Funktionen bezieht. (Feiereis 1989) Entsprechend ist das Auftreten von freiem Bewegungsfluss als Ausdruck von „Loslassen und dem Bewegungsfluss folgen“ nur selten zu beobachten. Die Vermeidung eines Zustandes, in dem der Körper dem Bewegungsfluss folgend sich quasi selbst überlassen ist, wird auf dem Hintergrund von Ängsten, amorph zu werden, die Grenzen der eigenen Gestalt zu verlieren oder zu zerfließen, nachvollziehbar. (Joraschky 1983) Die isolierte Bewegung einzelner Körperteile bei gleichzeitigem Fehlen ganzkörperlicher Bewegung könnte tendenziell auf einen Zerfall des Körpererlebens, bei dem einzelne Körperteile Eigenleben gewinnen, hinweisen. (Maaser 1982) Ferner erleichtert isolierte Bewegung vornehmlich peripherer Körperteile die Körperkontrolle (vgl. auch Klassisches Ballett). Dementsprechend wird ganzkörperliche Bewegung von den Anorektikerinnen vermieden, da sie zu Hingabe an die Bewegung und Kontrollverlust führen könnte. Die Vermeidung ganzkörperlicher Bewegung bedeutet auch, dass bestimmte
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Körperpartien vom Bewegungsfluss ausgeschlossen werden. Durch Immobilität wird quasi bewegungsmäßig die Existenz eines Körperteils negiert. Hintergrund ist die psychische Besetzung dieser Körperregion – oder die psychischen Prozesse, die durch die Bewegung dieses Körperteils in Gang gesetzt werden könnten. So bleibt der gesamte Mittelkörper, dessen Bewegung im oberen Bereich Emotionen, im unteren Bereich sexuelle Erregung auslösen können, „unbewegt“. Die auffallende Immobilität des Unterkörpers entspricht der Ablehnung sexueller Identität bei Anorexie. (Bruch 1973) Der geringere Einsatz von eigenem Körpergewicht könnte als bewegungsmäßige Manifestation der Ablehnung des eigenen Gewichts gedeutet werden und dem anorektischen Streben, leicht, ätherisch und schwerelos zu sein, entsprechen. (Feiereis 1989; Joraschky 1983) Die kleine Bewegungsfläche kann als Kompensation für die Überschätzung der eigenen Körperdimensionen gewertet werden. (Bruch 1973; Meermann 1982; Joraschky 1983) Aufgrund des quälenden Erlebens, zu voluminös zu sein, versuchen die Anorektikerinnen möglicherweise, nicht noch zusätzlich durch ihre Bewegungen Raum einzunehmen. Körperbild und Körperschema sind somit eng mit dem Bewegungsverhalten verwoben. Bewegung unterstützt die Differenzierung des Körperschemas und beeinflusst das Körperbild in der Regel positiv. (Dieser Einfluss wird u. a. in Körper-, Bewegungs- und Tanztherapien genutzt, indem durch die Vermittlung bestimmter Bewegungserfahrungen gezielt Veränderungen des Körperschemas und des Körperbildes erreicht werden.) Umgekehrt prägen Körperschema und Körperbild das Bewegungsverhalten. Daher können aus dem Bewegungsverhalten Rückschlüsse auf Körperschema und Körperbild gezogen werden.
5.3. Bewegungsanalyse – Methode zur Erfassung des Bewegungsverhaltens Der Begriff „Bewegungsanalyse“ wird in diesem Beitrag analog zu dem allgemeinen Begriff der Analyse definiert: griech. „Auflösung“, die Zergliederung eines Ganzen, z. B. einer Dingwahrnehmung, überhaupt eines Bewusstseinsinhaltes, aber auch eines Charakters in seine einzelnen Teile, Glieder, Seiten, Züge. Grundsätzlich gehört die Analyse zu den Wegen jeder Forschung. Vereinzelung und „Aufspaltung“ müssen als Wirkung der Analyse verstanden werden. „Das Ganze muss immer wieder vergegenwärtigt werden, da seine spezifische Eigenart durch die Analyse verloren geht...“ (Hehlmann 1968, S. 18) Dementsprechend wird unter der Bewegungsanalyse eine Zergliederung von Bewegung in Bewegungselemente verstanden werden. Es sollen hier nur diejenigen Bewegungsanalysesysteme diskutiert werden, deren Kategorien voll operationalisiert sind. Derart operationalisierte Analysesysteme werden in verschiedenen Disziplinen wie Psychiatrie, Psychosomatik, Neurologie, Psychomotorik, Sportmedizin, Tanz- und Bewegungstherapie und in der nonverbalen Kommunikationsforschung angewandt. Entsprechend der Fragestellung des jeweiligen Forschungsgebietes werden dabei unterschiedliche Aspekte des Bewegungsverhaltens erfasst, z. B. in der Psychiatrie „abnormale“ willkürliche und unwillkürliche Bewegungen mit AIMS, Rockland Scale, Barnes Akathisia Scale, Hillside Akathisia Scale oder Simpson-Angus Scale etc.; in der Psychosomatik emotionaler Gesichtsausdruck mit EMFACS; in der nonverbalen Kommunikationsforschung die interaktionelle Distanz (z. B. Proxemik nach Hall 1982) oder die Gesten (z. B. Gestenanalyse nach Efron 1972). Die meisten dieser Analysesysteme sind jedoch für die Diagnostik von Köperschema- und Körperbildstörun-
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gen wenig relevant, da sie nur einen begrenzten Ausschnitt des Bewegungsverhaltens erfassen. Für die Diagnostik von Körperschema- und Körperbildstörungen ist die vorwiegend in der Tanz- und Bewegungstherapie angewandte Laban-Bewegungsanalyse (LBA) am besten geeignet, da sie das gesamte Bewegungsverhalten und insbesondere die Körperanwendung und qualitative Bewegungsaspekte erfasst. (Laban 1988; North 1990) Entsprechend der ursprünglichen Konzeption als Tanznotation kann mit der LBA ein Bewegungsbild so genau beschrieben werden, dass eine fast originalgetreue Wiederholung der Bewegungen möglich ist. Die übergeordneten Bewegungskategorien der LBA sind Antriebe (Effortqualitäten), Form, Raum und Körperanwendung. Die Antriebe umfassen Fluss (freier versus gebundener Bewegungsfluss), Kraft (Einsatz des Körpergewichts mit vs. entgegen der Schwerkraft), Raum (direkter vs. indirekter Umgang mit Raum) und Zeit (beschleunigend vs. verzögernd) [siehe auch oben genannte Beispiele für das Bewegungsverhalten der Anorexiepatientinnen]. Die übrigen Kategorien Form, Raum und Körperanwendung beschreiben, welche Form der Körper annimmt, wo und wie er sich im Raum bewegt, welche Körperteile bewegt werden und ob Körpergewicht verlagert wird. Diese Kategorien werden jeweils durch mehrere Merkmale genauer erfasst. Die LabanMerkmale sind rein deskriptiv und somit für Grundlagenforschung geeignet. Als operationalisierte Form der LBA zur Analyse des Bewegungsverhaltens bei psychosomatischen Patienten in Tanz- und Bewegungstherapie wurde der Bewegungsdiagnosetest (Lausberg 1998) entwickelt. In einer Untersuchung an 21 Patientinnen mit psychosomatischen Erkrankungen erwies sich der Test als geeignet, um Veränderungen des Bewegungsverhaltens im Therapieverlauf (kombiniertes, stationäres Therapiesetting) zu erfassen (Lausberg et al. 1988). An einer Stichprobe von 120 Patientinnen und gesunden Probandinnen konnte der Bewegungsdiagnosetest zwischen verschiedenen psychosomatischen Diagnosegruppen differenzieren. (Lausberg et al. 1996) Das Movement Psychodiagnostic Inventory (Davis 1991, rev. 1997) stellt eine weitere operationalisierte Version der Laban-Bewegungsanalyse dar, die vorwiegende Pathologien im Bewegungsverhalten erfasst und auch in der verbalen Psychotherapie angewandt werden kann. Der MPI besteht aus zwei komplementären Teilen, dem Aktionsinventar (was jemand tut) und dem qualitativen Inventar (wie jemand etwas tut) mit den zehn Bewegungskategorien Disorganisation, Immobilität, geringe Intensität, geringe räumliche Komplexität, Perseveration, Schlaffheit, Diffusion, Übertreibung, Überaktivität und gebundener Fluss. Der MPI wurde bereits in zahlreichen Untersuchungen eingesetzt. (Davis 1981; Nichols 1985; Davis et al. 1995; Cruz 1995; Berger & Cruz 1998) Mit dem Body Movement Coding System (Freedman 1972) werden außer kommunikativen Gesten auch schwerpunktmäßig Selbstberührungen untersucht. Selbstberührungen reflektieren selbstregulatorische psychische Prozesse (Krout 1935; Sainsbury 1954; Mahl 1966; Freedman 1972; Freedman & Bucci 1981) und sind daher für die Psychotherapieforschung relevant. Darüber hinaus wird speziell im Hinblick auf Körpererleben diskutiert, ob Körperstimulation im Sinne von Selbstberührung der Stabilisierung von Körpergrenzen dient. (Joraschky 1983) Die entwicklungspsychologische und neuropsychologische Forschung weist darauf hin, dass Selbstberührungen bevorzugt mit der linken Hand ausgeführt werden, wohingegen für kommunikativen Gesten eine Rechtshandpräferenz besteht. (Trevarthen 1996; Kimura 1973 a, b; Dalby et al. 1980; Lavergne & Kimura 1987; Blonder et al. 1995) Dies deutet darauf hin, dass Selbstberührungen in erster Linie in der
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rechten Hemisphäre generiert werden – wie auch emotionale Mimik und Prosodie (Gainotti 1999; Moscovitch & Olds 1982; Blonder et al. 1995; FernandezCarriba et al. 2002) – und in Zusammenhang mit rechtshemisphärischen kognitiven und emotionalen Prozessen stehen. Zusammenfassend entwickelt sich das bewegungsanalytische Untersuchungsinventar in Richtung operationalisierter und damit „anwendungsfreundlicherer“ Verfahren und dürfte daher in Zukunft auch im praktisch-therapeutischen Bereich an Bedeutung gewinnen.
6. Zusammenfassung und Ausblick Die Körperbilddiagnostik hat sich – trotz weiterhin bestehender „babylonischer Sprachverwirrung“ auf der theoretischen Ebene – in den letzten zwanzig Jahren differenziert und verfeinert, wurde genauer empirisch untersucht und operationalisiert und ist inzwischen nicht nur im klinisch-universitären, sondern auch im ambulanten Bereich, z. B. im Rahmen von Aus- und Weiterbildung oder Supervisionszusammenhängen, in der verbalen analytischen und auch in der Körperpsychotherapie zunehmend besser einsetzbar. Auch auf der neurobiologischen Ebene ist die Bedeutung des „embodiment“, der „Verkörperung“ der emotionalen und der kognitiven Lebensbewegungen (Buchholz 2006) in letzter Zeit mehr beforscht und u. a. auch von „verbalen“ Psychoanalytikern zunehmend erkannt und gewürdigt worden. Es sollte allerdings bei der Anwendung der diagnostischen Instrumente darauf geachtet werden, dass diagnostische Verfahren, die mit dem unbewussten Körperausdruck umgehen, nicht einfach intuitiv, sozusagen mit einem „common-sense-Augenschein“ verwendbar sind, sondern gründlich gelernt und geübt werden müssen. Gerade bei der Weiterentwicklung solcher Evaluationsinstrumente ist jedoch die therapeutische Erfahrung der Kliniker oder „Praktiker“ von großem Nutzen. So erhielt eine der Verfasserinnen kürzlich einen Brief von einem Kollegen: Er habe den Körperbildskulpturtest in seiner Klinik eingebracht und diskutiert und habe bezüglich des KST–Interview–Leitfadens einiges protokolliert (Kämmerer, unveröffentlichte Mitteilung, 2006). Diese „Notizen“ erwiesen sich für die Fokussierung der Interviewfragen als ausgesprochen nützlich.
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Angela von Arnim, Peter Joraschky und Hedda Lausberg Angela von Arnim, Dr. med., Oberärztin, Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Lehrbeauftragte in der Arbeitsgemeinschaft für Funktionelle Entspannung Adresse: D-10825 Berlin, Bozener Straße 18 E-mail:
[email protected] Peter Joraschky, Prof. Dr. med., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Psychoanalytiker (DPV), Mitglied im Sächsischen Institut für Psychoanalyse. Forschungsschwerpunkt: Psychotherapieforschung, Familientherapie, Körperbildforschung Adresse: D-01307 Dresden, Klinik und Poliklinik für Psychotherapie und Psychosomatik, Fetscherstraße 74 E-Mail:
[email protected] Hedda Lausberg, Priv.-Doz. Dr. med., Oberärztin, Fachärztin für Neurologie, Psychosomatik und Psychotherapie, Psychiatrie, Tanztherapeutin (BVT), Leiterin des Berlin Gesture Center. Forschungsschwerpunkte: expressives und kommunikatives Bewegungsverhalten, dessen neurobiologische Grundlagen und Veränderungen bei psychischen Erkrankungen. Adresse: D-013017 Dresden, Klinik und Poliklinik für Psychotherapie und Psychosomatik Universitätsklinikum Carl Gustav Carus der Technischen Universität Dresden Fetscherstr. 74 E-Mail:
[email protected]
KAPITEL
2 Psychoanalyse der Lebensbewegungen
Rahmen, Arbeitsbündnis und Setting – oder die Einrichtung der „psychotherapeutischen Werkstatt“ Günter Heisterkamp und Peter Geißler
1. Psychotherapeutischer Rahmen und analytische Regel Die Psychoanalyse findet im Rahmen einer durch die analytischen Vereinbarungen eingerichteten und ausdrücklich aus dem Alltag herausgenommenen Situation statt. Dadurch entsteht eine Als-Ob-Realität, die trotz allen Ernstes und Notvollen etwas Exemplarisches, ja sogar Spielerisches in das therapeutische Geschehen einbringt. Innerhalb des geschützten Behandlungsfeldes erhält der Patient einen Möglichkeits- und Anregungsraum, um seine bewusste und unbewusste Wirklichkeit mit dem Therapeuten in Szene zu setzen. Dadurch entsteht auch ein therapeutischer Freiraum, insofern das Wirkungsgeschehen zwischen Patient und Therapeut punktuell angehalten, einfühlend begleitet und interaktiv behandelt werden kann. Das therapeutische Zusammenspiel von Patient und Therapeut wird im Arbeitsbündnis geregelt. Das gilt für alle Formen der Analyse seelischer Lebensbewegungen. Darüber hinaus kommen bei einer leibfundierten Psychotherapie einige Modifikationen ins Spiel, die das Wesen der therapeutischen Situation noch unterstreichen, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Es werden ausdrücklich die leiblichen Selbst- oder Lebensbewegungen in die analytische Regel der freien Assoziation mit einbezogen, d. h. der Patient wird gebeten, nicht nur auf seine mentalen Zustände und Einfälle, sondern auch auf seine körperlichen Wahrnehmungen und Empfindungen zu achten. Der Patient möge also – soweit es gehe – alles was ihm einfalle, was er fühle, was er körperlich empfinde und welche körperlichen Impulse er verspüre, mitteilen. Hier folgen wir den Analytikern, die dafür plädieren, „den Abkömmlingen präsymbolischer Erfahrungen auch schon bei der Formulierung der Grundregel gebührende Aufmerksamkeit zu widmen, d. h. den Patienten darum zu bitten, auch auf Selbstzustände, Stimmungen, Körperwahrnehmungen, leibliche Reize zu achten." (Mertens 1990, S. 29) Mit Bezug auf Poettgen-Havekost, Scharff und Worm (i. d. B.) sei erwähnt, dass der Patient am Anfang der Behandlung auch auf eventuelle Handlungs-, Bewegungs- oder Berührungsproben hingewiesen wird. Er wird informiert, dass diese immer vorbereitet werden und dass es sich dabei nicht um zu erledigende Aufgaben handelt, sondern um Angebote und Klärungsmöglichkeiten für sein Erleben. Außerdem würden alle Erprobungen vorher und nachher daraufhin befragt, ob sie förderlich für ihn sein könnten bzw. gewesen sind. Ferner kann
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der Therapeut den Patienten darauf aufmerksam machen, dass selbst vermeintliche Schwierigkeiten bei der Durchführung oder auch die Ablehnung eines solchen Angebotes das Verstehen oft gerade vertiefen und Bewegungs- und Berührungsproben nicht um ihrer selbst willen, sondern nur als Hilfsmittel genutzt werden. Sie bieten dem Seelischen einen Spielraum, um sich möglichst umfassend zu artikulieren, und sie ermöglichen dem Patienten, sich tiefer zu erleben und grundlegend zu verstehen. Dieses Vorgehen erfordert eine dauernde Erneuerung des Arbeitsbündnisses. Weiterhin fokussiert es das Wechselspiel zwischen Imagination und Reflexion. Beides zusammen dient einem vertieften Einlassen auf den therapeutischen Dialog und fördert die Eigenverantwortung des Patienten für seinen Heilungsprozess. Entsprechend dieser Auffassung verändert sich auch das Setting. Die psychotherapeutische Situation wird ausdrücklich über den Beziehungsraum zwischen Couch und Sessel hinaus auf den gesamten Praxisraum ausgedehnt. Der Patient bekommt, falls das anfangs noch keine Überforderung für ihn darstellt, immer wieder die Gelegenheit, sich seinen Platz im Therapieraum zu suchen und einzunehmen. Darin liegt ein von der Geschichte der Tiefenpsychologie wenig beachteter, aber wesentlicher Unterschied zwischen der Freudschen und der Adlerschen Position. Adler erschien es unerheblich, besondere klinische Vorkehrungen dafür zu treffen, dass eine Übertragungsneurose entsteht. Er war vom Beginn seines Wirkens an davon überzeugt, dass der Patient gar nicht anders kann, als seine lebensstiltypische Wirklichkeit auch im „Ordinationszimmer“ auszuformen. So plädierte er für einen größeren Bewegungsspielraum und warnte davor, zu starre Regeln („etwa einen bestimmten Platz anzuweisen“) einzuführen, weil dem Therapeuten dadurch vieles entginge: „Ich sehe einen Vorteil darin, die Bewegungen eines Patienten nicht zu unterbrechen. Es wird sich demnach jeder in seinem Bewegungsgesetz vorstellen." (Adler 1933a, S. 173 f.) Bei dieser geradezu bewegungstherapeutischen Einstellung wundert es nicht, dass er bereits sehr früh auf den „Organdialekt“ und die „Sprache des Körpers“ (z. B. 1912 oder 1931) hinwies: „Recht wertvoll erweist sich mir auch der Kunstgriff, mich wie bei einer Pantomime zu verhalten, auf die Worte des Patienten eine Weile nicht zu achten und aus seiner Haltung und aus seinen Bewegungen innerhalb seiner Situation seine tiefere Absicht herauszulesen. Man wird dabei den Widerspruch zwischen Gesehenem und Gehörtem scharf empfinden und den Sinn des Symptoms deutlich erkennen.“ (Adler 1920, S. 63)
2. Einbeziehung des Therapeuten in die analytische Regel Zur analytischen Regel der freien Assoziation ist anzumerken, dass sie in der Zeit der Einpersonen-Psychologie entstanden ist. Da sich in der Psychoanalyse der Begriff der „Gegenübertragung“ gebildet hat und in zunehmendem Maße mehr zirkuläre und interaktive Konzepte zu den Wirkungszusammenhängen zwischen Patient und Therapeut entwickelt worden sind, erscheint es heute immer sinnvoller, den Patienten auch darauf vorzubereiten, dass die jeweils erlebte Beziehung zum Therapeuten von grundlegender Bedeutung für den Behandlungsprozess ist, dass sie den Dreh- und Angelpunkt der Behandlung darstellt. Entsprechend bereitet der Therapeut seinen Patienten nicht nur auf die Möglichkeit von Berührungs- und Handlungsproben vor, sondern erklärt bereits zu Beginn der Behandlung, dass er auch für eventuelle Inszenierungen zur Verfügung steht. In diesem Sinne bereitet Poettgen-Havekost (i. d. B.) ihre Patienten auf die Behandlung vor:
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„Zu Beginn von Therapien bespreche ich mit den Patienten immer, dass es verschiedene Möglichkeiten der Bearbeitung für sie wichtiger Thematiken gibt, im Sitzen, Liegen, oder auch im szenischen Darstellen, auch unter Zuhilfenahme meiner Beteiligung.“
Entsprechend hebt Scharff hervor: „Bereits in der Settingbesprechung wird der Patient auf die Möglichkeit hingewiesen, dem, was ihn beschäftigt, nicht nur in Worten Ausdruck zu geben, sondern dies darüber hinaus durch den Einsatz des gesamten Körpers psychomotorisch im Behandlungsraum darzustellen. In Analogie dazu wird auch der Analytiker über die körperlichen Ausdrucksmittel Bewegung, Positionierung im Raum, unter Umständen auch Berührung die Szene (mit-) gestalten.“ (I. d. B.)
Die gemeinsamen Bemühungen um eine angemessene Inszenierung stellen eine basale Suchbewegung dar, mit der Patient und Therapeut Modellsituationen des Patienten intersubjektiv erstellen und bearbeiten können. In beängstigenden Situationen ist es für den Patienten wichtig zu wissen, dass er nicht weiter gehen muss, als es für ihn bekömmlich ist, und dass er jederzeit die Probehandlung unterbrechen oder beenden kann. Der Therapeut kann sich zudem erkundigen, ob für den Patienten die Situation noch stimmig ist. Alle diese Interventionen unterstützen und fördern die Selbstregulation des Patienten. Sie findet ihren expliziten Ausdruck, wenn sich Patienten beängstigenden Wahrnehmungen, belastenden Erfahrungen und Konfliktspannungen in selbstdosierten, durch therapeutische Reflexion unterbrochenen Zwischenschritten annähern. Es ist aber nicht vorauszusetzen, dass dies jeder Patient könnte, so dass der Therapeut trotz einer eventuellen Zustimmung besonders auf Anzeichen einer Überstimulierung, Überanpassung, Selbstentfremdung und dgl. mehr zu achten hat sowie auf Hinweise, dass sich der Patient zu bestimmten Formen der Selbstsicherung und der Abwehr (z. B. Verleugnung oder Spaltung) genötigt fühlt (Scharff i. d. B.). Nicht zuletzt wissen wir, dass die Formen einer eventuellen Überanpassung oder Unterwerfung sich ihrerseits wieder in Handlungen besonders deutlich äußern und damit eine neue Szene herausbilden. Begleitet werden alle diese Prozesse von einer kontinuierlichen Beachtung der Gegenübertragung. Wir stimmen mit Thomä und Kächele (1985, S. 262) überein, dass die Substanz psychoanalytischen Tuns nicht an äußeren Momenten wie Frequenz und Position hängen muss und dass „eine Uniformitätsannahme das psychoanalytische Denken verdunkelt.“ Im Buch über das „Basale Verstehen“ wurde die Problematik einer Weiterbildungskandidatin beschrieben, die in den Konflikt zwischen der Anpassung an die strukturellen Bedingungen der Patientin einerseits und an die formellen Vorgaben ihres Weiterbildungsinstitutes andererseits gelangte. (Heisterkamp 2002a, S. 110 ff.) Aus Bildern oder Besuchen des Freudmuseums wissen wir, wie sehr Freud entgegen seiner Spiegelmetapher die Übertragung des Patienten durch seine Person und die persönliche Gestaltung seines Sprechzimmers anregte. Thomä und Kächele (1985, S. 266) greifen demgegenüber die Anekdoten von Analytikern auf, die alle Außenreize zu normieren versuchten, indem sie ein eintöniges Sprechzimmer herrichteten und jahraus, jahrein vom Schneider den gleichen Anzug anfertigen ließen oder sich auf andere Weisen zum vollkommenen Spiegel zu machen versuchten. Was sie
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mit diesen Anstrengungen selbst arrangieren, bleibt unbewusst und erzeugt seine iatrogenen Wirkungen auf den Patienten.
3. Der Umgang mit dem Setting Thomä und Kächele (1985, S. 261 ff.) heben ebenfalls hervor, dass Frequenz und Position zum Kampfplatz werden können, auf dem die verschiedensten unbewussten Motive wirksam werden. Diese Schwierigkeiten, die sich besonders am Anfang, aber auch nicht selten im Verlauf der Behandlung ergeben, sind dem Analytiker bekannt und als Übertragungen zu verstehen, in denen der Patient die Form des Settings im Sinne seiner Struktur verarbeitet. Das können fruchtbare Behandlungssituationen werden, wenn der Analytiker selbst beweglich bleibt und das Standardsetting nicht idealisiert und absolut setzt. Sonst ist ein Macht- und Unterwerfungskomplex im Keim der Behandlung angelegt. Hierbei spielt das Behandlungskonzept eine grundlegende Rolle. Wenn der Analytiker davon ausgeht, dass der Mensch von chaotischen Triebkräften bestimmt wird und dass im Wesentlichen die Motorik diesen zum Ausdruck verhilft, liegt es nahe, den Körper möglichst stillzulegen, damit die unbewussten Phantasien betrachtet werden können, ohne dass sie „ausagiert“ werden können. Das Konzept suggeriert, das Liegen oder Sitzen sei als solches bereits heilsam, bringt jedes Handeln unter Widerstandsverdacht („Agieren“) und erschwert einen flexiblen Umgang mit der Frequenz und der Position. Diese scheinen festgelegte Faktoren zu sein, die außerhalb der Behandlung liegen und nicht selbstverständlich als Medium der Behandlung gesehen werden können. Im Forschungsbericht von Leuzinger-Bohleber (2002, S. 104 ff.) wird deutlich, dass sich die Analytiker der DPV auf dem Weg einer allmählichen psychologischen Relativierung der Frequenz und der Liegeposition befinden. Immer wieder wird die „Flexibilität“ von Kolleginnen und Kollegen gelobt, die die Frequenz und die Position erfolgreich an die strukturellen oder auch wirtschaftlichen Bedingungen des Patienten angepasst haben. So wird z. B. die bewegliche und professionelle Art einer Therapeutin als bemerkenswert hervorgehoben, der es über eine behutsame Frequenzregulierung – von zweimal wöchentlich bis zu einem 14-tägigen Rhythmus über mehrere Jahre – gelungen ist, die Selbständigkeit der Patientin zu fördern. Einer der Gruppenauswerter weist darauf hin, dass die Analytikerin „in kompetenter und kunstvoller Weise die Arbeit mit dem Setting benutzte, um einen pathogenen Regressionsprozess in die Psychose zu verhindern und die Autonomie der Patientin zu stärken. Es scheint uns wahrscheinlich, dass sich die therapeutische Arbeit auf die Autonomieproblematik fokussierte und der Analysandin zu der Fähigkeit verholfen hat, »ihr Leben zu meistern«.“ (Leuzinger-Bohleber 2002, S. 107) Es ist zu beachten, dass auch die Einrichtung des Settings selbst schon ein Wirkungsgeschehen zwischen Patient und Therapeut impliziert und deswegen auch nicht isoliert von der Struktur des Patienten, letztlich auch nicht unabhängig von der Struktur des Therapeuten, betrachtet werden kann. Sich auf die Couch zu legen kann ebenso die Inszenierung einer Überanpassung sein, wie eine Verweigerung dieses Angebots eine gegenabhängige Selbstsicherung darstellen kann. Im Forschungsbericht schimmert ein ambivalenter Umgang mit dem Setting durch. Einerseits wird vielfach die flexible Haltung des Analytikers hervorgehoben, die die strukturellen Bedingungen des Patienten berücksichtigt, andererseits klingt immer wieder eine die hochfrequente Liegeposition verabso-
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lutierende Haltung heraus. Damit provoziert der Analytiker von sich aus viele Anreize für das Unbewusste des Patienten, einen Macht- oder Unterwerfungskomplex zu beleben. So bilden sich bereits am Beginn von Behandlungen – keimhaft angelegt – ausdrückliche oder unausdrückliche Verstrickungen zwischen Patient und Therapeut heraus. Es folgt ein Beispiel für die Schwierigkeiten, das Setting psychologisch zu betrachten und wie sich darin heute noch immer das Bemühen ausdrückt, die Fiktion einer „reinen“ Psychoanalyse zu realisieren, ohne zu merken, welche impliziten Wirkungen dieses Geschehen seinerseits enthält und welche latenten Ziele des Therapeuten dann mit der Behandlung inszeniert werden.
Eine Kontrollanalyse Folgender Fall eines Kollegen ist uns bekannt (vgl. dazu auch Geißler 2003a): Er war Ende der 90er Jahre, nach körperpsychotherapeutischer Vorbildung, Kandidat in einem psychoanalytischen Ausbildungskreis und führte unter Supervision seine erste Kontrollanalyse durch – eine hochfrequente Analyse im Couch-Setting. In seinem Behandlungsraum befanden sich neben der analytischen Couch weiterhin eine Matratze, ein paar Decken und ein bioenergetischer Atemstuhl. Seine aus körpertherapeutischen Zeiten stammende Gewohnheit, seine Patienten – auch den Analysepatienten – zu bitten, die Straßenschuhe im Vorzimmer stehen zu lassen, behielt er bei. Irgendwann in der Supervision der Kontrollanalyse kamen diese Elemente – die Ausstattung des Therapieraumes sowie die Umkleidegewohnheiten – eher beiläufig zur Sprache. Ihnen wurde nun seitens des Supervisors nicht nur Beachtung beigemessen – was verstehbar ist, um mögliche Bedeutungen derartiger Elemente im Hinblick auf mögliche unbewusste Fantasien des Patienten in Betracht zu ziehen – sondern sie bekamen aus der Sicht des Supervisors ein ungeheures Gewicht. Es war, als wolle der Supervisor dem Kontrollanalysanden mitteilen, dass er, wenn er an diesen Gewohnheiten festhalte, nicht wirklich verstanden habe, was Psychoanalyse eigentlich in ihrer Essenz sei – wie wenn es eine „reine“ Analyse geben würde, die sich u. a. darin ausdrücke, dass man sich als mit solch „reiner“ Analyse identifizierter Kandidat von fremden Elementen fern zu halten habe bzw. den analytischen Behandlungsraum nicht durch Fremdes, Nicht-Analytisches kontaminieren solle. Der Supervisor ging sogar so weit, dem Kollegen zu empfehlen, es wäre besser, die Patienten nicht persönlich an der Tür zu empfangen, sondern ihnen mittels eines automatischen Türöffners Eintritt in die Praxis zu gewähren. Es geht uns hier keineswegs darum, die Wichtigkeit, jedes nur erdenkliche unbewusst wirksame Element ergründen zu wollen, zu bestreiten. Wir möchten lediglich auf mögliche implizite Botschaften hinweisen, die derartige Empfehlungen an Ausbildungskandidaten beinhalten können. Es war ja auch nicht so, dass der Supervisor dem Weiterbildungskandidaten direkt die Anweisung gegeben hätte: Installieren Sie einen automatischen Türöffner, erlauben Sie dem Patienten mit Straßenschuhen den Behandlungsraum zu betreten und entfernen Sie andere Utensilien aus dem Therapiezimmer. Jedoch in der Art und Weise, wie der Supervisor durch das beständige Hinterfragen und Gewichten dieser Aspekte seine Bedenken zum Ausdruck brachte, wurde deutlich, wie sehr im gelegen zu sein schien, dem Kontrollanalysanden eine Vorstellung „reiner“ Analyse, die ebenso eine gewisse Privatheit im Kontakt ausschließen sollte, zu vermitteln. Wir wollen auch keineswegs behaupten, dass eine solche Suggestion in psychoanalytischen Ausbildungsinstituten generell üblich sei; aber es gibt sie offensichtlich auch heute noch, und ihre gestaltenden Elemente werden unserer Auffassung nach nicht immer hinterfragt. Atmosphärisch beinhalten sie immer noch etwas von dem traditionellen psychoanalytischen Neutralitätsideal.
Im krassen Gegensatz zu einem solchen, aus unserer Sicht in letzter Konsequenz autoritären Vorgehen, steht dann das ausgesprochen feinfühlige und
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empathische Verständnis, mit dem der Analytiker den analytischen Prozess selbst begleitet. Überspitzt formuliert könnte man dieses einfühlende Verständnis als »Belohnung« für die Unterwerfung unter die analytischen Regeln ansehen, bzw. es könnte für den Patienten diese implizite Bedeutung annehmen. Damit ergäbe sich aus der Sicht des Patienten eine ähnlich schwer fass- und benennbare Double-Bind-Situation, wie sie vielen Patientenbiographien zu Grunde liegt. Berechtigte Autonomiebedürfnisse scheinen unter solchen Umständen wiederum den Bindungsbedürfnissen »geopfert« werden zu müssen, wodurch vorbestehende Gefühle von Ohnmacht und Wut erheblich verstärkt oder sogar erst erzeugt werden.
4. Flexibilität des Settings Während Leuzinger-Bohleber immer wieder aufgrund ihrer Forschungsergebnisse auf die Flexibilität der an der Erhebung beteiligten Psychoanalytiker und Psychoanalytikerinnen verweist, wenn sie Frequenz und Position an die Struktur oder auch die Lebensumstände der Patienten angepasst haben, spricht Gisela Worm (i. d. B.) von einem „flexiblen Setting“. Hier ist der feine Unterschied zu beachten. Die Rede von der Beweglichkeit des Settings ist ja noch etwas anderes als die Rede von der Beweglichkeit des Umgangs mit dem Setting. Allein schon der therapeutische Rahmen beinhaltet eine Reihe von Handlungen, durch die sich die therapeutische Situation immer wieder konstituiert. Der Patient kommt und geht zu den abgesprochenen Zeiten. Es sei auch an die vielen Handlungseinheiten erinnert, die sich ergeben, wenn Patienten durch ihr Verhalten die Einrichtung oder die Erhaltung des therapeutischen Rahmens erschweren, und an die wie auch immer gearteten Reaktionen des Therapeuten. In diesen Fällen wird also mehr oder weniger ausdrücklich gehandelt. Auch Settingspezifitäten, wie das freie Assoziieren auf der psychoanalytischen Couch, können als grandiose körper- und bewegungstherapeutische Handlungsprobe angesehen werden. Atmosphärische Momente, wie z. B. die Ausstattung des Behandlungszimmers, die Kleidung und anderes wirken wie die Basierung für die sich daraus entwickelnden Handlungseinheiten Heisterkamp. (2001a, S. 45 ff.) In dieser weiten Definition von „Handeln“ beinhalten also alle den psychotherapeutischen Raum konstituierenden und gestaltenden Elemente, die der Therapeut bewusst oder unbewusst einführt, explizites oder implizites Handeln. Da der Begriff des Handelns sprachlich oft nur den geplanten oder gezielten Aktivitäten vorbehalten ist, sprechen wir hier noch allgemeiner von Wirkungszusammenhängen und umfassen damit das gesamte atmosphärische, leibliche und interaktive Geschehen zwischen Patient und Therapeut. Dass der Therapeut – über die Methodik hinaus – das therapeutische Geschehen durch sein Tun und Lassen weitgehend gestaltet und auf diese Weise den therapeutischen Prozess unausdrücklich steuert, wird von psychoanalytischer Seite zwar grundsätzlich anerkannt, aber doch in teils einseitiger Weise ausgelegt. Wir vertreten hier den Standpunkt, dass der Analytiker in der Art und Weise, wie er die therapeutische Situation bestimmt, das Setting definiert und den therapeutischen Rahmen (Bezahlungsmodalität, Stundenfrequenz, Ab-
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sageregel etc.) festlegt, einen wesentlichen Einfluss auf die Übertragungsentwicklung ausübt. Auch das durchaus verbreitete Schweigen des Analytikers im Couch-Setting ist ein Handeln, ein gestaltendes Element. Dieses analytische Schweigen und auch andere Handlungselemente werden noch immer oft wie psychoanalytische Parameter verwendet, deren Einführung unabdingbar erscheint, deren Wirkung zwar gesehen und beachtet wird, aber eben doch nur patientenseitig. Dass der Analytiker auf diese Weise den intersubjektiven Raum entscheidend prägt und damit das später im Prozess stattfindende gemeinsame Handeln bzw. die Entwicklung der psychoanalytisch so zentral bewerteten Übertragungsbeziehung unter Umständen entscheidend vorbeeinflusst, wird unserer Auffassung nach noch zu wenig thematisiert. Die psychoanalytische Situation und der psychoanalytische Rahmen werden sozusagen als Instrument für die Erschließung unbewusster Bedeutungen auf Seiten des Patienten genutzt. Dass der Analytiker hier auch einen persönlichen Einfluss nimmt und den therapeutischen Prozess persönlich mitgestaltet, wird in einer derart methodenzentrierten Vorgehensweise nicht beachtet. So entsteht manchmal der Eindruck, dass gleichsam ein „idealer psychoanalytischer Raum“ durch solche unhinterfragbaren SettingVorgaben hergestellt werden soll, den man vor allem in der Dimension des Rahmens dazu benutzt, um „Rahmenabweichungen“ des Patienten als Ausdrucksformen von Widerstand oder „Agieren“ aufzuzeigen und daraus auf unbewusste Vorgänge im Patienten zu schließen. Wir wollen damit nicht die Notwendigkeit bestreiten, Widerstandsäußerungen ernst zu nehmen und sie zu reflektieren; in der Tat äußern sich bestimmte Widerstände des Patienten zuerst an einem gewissen „Rütteln“ an den Rahmenvereinbarungen. Uns ist im Sinne einer relationalen Sichtweise wichtig, auf die Beidseitigkeit in der Gestaltung der gesamten therapeutischen Situation hinzuweisen. Wenn man von einer morphologischen (Adler) oder selbstpsychologischen (Kohut) Vorannahme ausgeht, ergeben sich andere psychotherapeutische Folgerungen für das Setting. Nimmt man in diesem Sinne eine originäre Lebensoder Selbstbewegung an, die auf verschiedenen strukturellen Ebenen entweder von Auflösung oder Erstarrung bedroht ist, dann implizieren die Frequenz und das Setting, wie alle anderen Gegebenheiten des Ambientes, Anhaltspunkte und Anregungen für Inszenierungen, die vielfältige Bedeutungen annehmen können. Dieses Geschehen mit dem Patienten interaktiv auszuloten formt dann bereits in unmittelbarer Weise psychotherapeutische Behandlung aus. Der Patient erfährt während des Wirkungsgeschehens, wie es ist, bei seinen selbstanalytischen Suchbewegungen unterstützt zu werden. Das folgende Beispiel zeigt, wie die Arbeit an und mit dem Setting zu einer bedeutsamen Inszenierung führen kann. Das Beispiel entstammt einer 20-minütigen Demonstration aus einem Kurs anlässlich einer Lindauer Psychotherapiewoche. Den folgenden Erfahrungsbericht verdanke ich (G. H.) dem betreffenden Kollegen, der freundlicherweise unsere Arbeit detailliert beschrieben hat:
Ein Patient möchte von der Couch aufstehen „Bevor wir unseren Handlungsdialog durchgeführt hatten, hatte ich von meiner psychoanalytischen Lehranalyse erzählt, die über drei bis vier Jahre dauerte. Während dieser Zeit lag ich auf der Couch und konnte sehr intensiv eigenständig arbeiten, vor allem über Träume. Ich machte gute Fortschritte und fühlte mich weitgehend geborgen. Im 3./4. Lehrjahr kam es zu einer privaten und beruflichen Krise, ich verlor über-
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raschend meine Assistentenstelle und wurde von meiner damaligen Lebensgefährtin verlassen, was mich aus dem Gleichgewicht brachte, vor allem aber an meinem ärztlichen Beruf zweifeln ließ. Denn es stellte sich heraus, dass ich diesen Beruf hauptsächlich gewählt hatte, um den Wunsch meines Vaters zu erfüllen. In dieser Krise geriet ich stark unter Druck und fühlte das Bedürfnis, persönlicher und direkter mit meinem Analytiker in Kontakt zu treten, ihn vor allem zu sehen. Ich äußerte mein Anliegen, erhielt aber nur eine ausweichende bzw. gar keine Antwort. Der Analytiker hinterfragte meine Anliegen und war nicht bereit, meinem Wunsch nachzugeben. Nach einigen Stunden, die für mich sehr qualvoll waren, entschloss ich mich dann, gleichsam gegen den Willen des Analytikers, von der Couch aufzustehen. Dies war ein mühsamer, von schlechten Gefühlen beladener Schritt. Ich fühlte mich nicht verstanden und unterstützt. Trotzdem setzte ich mich auf den Stuhl, dem Analytiker gegenüber und sogleich erschreckte mich seine Art, mit mir in Kontakt zu treten. Denn er schaute mich nicht an, sondern immer knapp an mir vorbei und dies alle folgenden Stunden. Wir saßen auch relativ weit auseinander, Sinnbild des geringen emotionalen Kontaktes. Obwohl ich die Analyse weiterführen wollte, empfahl mir der Analytiker in den nächsten Stunden, eine Stelle in einer weit weg liegenden Stadt anzunehmen, mit der Folge, dass ich die Analyse beenden musste. Die Versuche meinerseits, mit dem Analytiker anderweitig, sei es brieflich oder telefonisch, in Kontakt zu bleiben, schlug er aus. Bei Ihnen, Herr Heisterkamp, habe ich nun diese Szene wiederholt. Ich lag auf der Couch, Sie saßen hinter mir. Ich erzählte von meinen Nöten, der Trennung von meiner Lebensgefährtin, dem Verlust des Arbeitsplatzes, dem Zweifel an meiner ärztlichen Berufung und Sie gingen mit verständnisvollen, warmherzigen Reaktionen auf mich ein. Ich empfand den Dialog insgesamt als sehr feinfühlig, dicht, behutsam und authentisch. Dann entschließe ich mich aufzustehen, frage Sie aber zuvor, ob das in Ordnung ist. Sie fragen noch einmal zurück, etwa in dem Sinne, ob ich mir das nicht erlauben dürfte und dann unterstützen Sie mich in meinem Anliegen aufzustehen. Ich sitze Ihnen gegenüber und sehe einen freundlich mich anblickenden Mann. Ich erzähle, wie es mir geht, dass mir dieser Schritt gut tut, dass er mich aus meiner passiv-ohnmächtigen Lage, kontaktlosen-isolierten Lage in eine Beziehung bringt. Ich erinnere mich an meine traumatischen Erfahrungen als Säugling und Kleinkind, als ich nach der Geburt wegen eines Pylorospasmus monatelang im Bett liegen musste, angebunden war und verschiedene schmerzhafte Manipulationen, wie tägliche Magenaushebungen, über mich ergehen lassen musste. Ich erzähle auch von den Todesangstanfällen, die ich schon als kleines Kind bis ins Erwachsenenalter hatte. Vieles kommt hoch, was damals in der Analyse nur angerissen werden konnte. Mein Mutterkomplex, mein Vaterkomplex, die anscheinend falsche Berufswahl. Alles lässt sich zwanglos ansprechen, Sie hören aufmerksam zu, gehen auf mich ein. Dann stimmen wir mehrmals unsere körperliche Entfernung aufeinander ab, denn ich habe das Bedürfnis, etwas näher mit dem Stuhl zu rücken, was Sie mir erlauben bzw. mich dazu ermutigen. Das wiederum gibt mir das Vertrauen und den Mut, auch Sie zu bitten, sich auf mich zu zu bewegen. Dass Sie auf meinen Wunsch eingehen, macht mir große Freude und gibt mir ein Gefühl der Selbstwirksamkeit. Wir finden sehr rasch den richtigen Abstand, und es entsteht eine emotional dichte, dialogische Situation. Ich fühle deutlich, wie emotional karg und zurückgezogen meine Mutter war, wie wenig der Vater zur Verfügung stand. Ich fühle, wie sehr der Vater mich mit seinen Leistungserwartungen unbewusst für seine eigene Identität missbraucht hat. Und all das fühle ich, weil ich jetzt eine gute Vaterbeziehung mit Ihnen erlebe. Haltgebend, einfühlsam, jemanden, einen Vater, eine männliche Person, die auf mich eingeht, sich von mir bewegen lässt, auch leibhaftig und so eine doch insgesamt liebevolle Atmosphäre entsteht, gleichsam ein sicherer Raum, eine Wiege, die die Couch nicht mehr sein konnte, die eher an ein Prokrustesbett erinnerte. Und so erlebte ich diesen Schritt, diesen Entschluss vom Liegen auf der Couch zum Sitzen als einen Schritt
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gleichsam des Menschwerdens. Vom ohnmächtig liegenden ausgelieferten Kind zum aufrecht gehenden Erwachsenen. Wir finden ein gutes gemeinsames Ende dieses vielleicht 20minütigen Enactments und ich fühle mich sehr rund. Wir lösen das Setting auf und ich gehe in eine Phase des Nachspürens. Die Gruppe, der wir diesen Handlungsdialog vorgeführt haben, gibt insgesamt sehr positive Rückmeldungen, die mir viel Freude machen. In den folgenden Tagen bin ich sehr erfüllt von diesem Erlebnis und habe den Eindruck, dass etwas wieder gut gemacht wurde, was jahrelang nicht zu Ende kommen konnte.“
Von einem flexiblen Setting auszugehen besagt also, dass auch die Einrichtung der psychotherapeutischen Situation und ihre Modifikationen als ein Wirkungsgeschehen betrachtet werden, bei dem sich die Wirklichkeit des Patienten ins Bild setzt und mit Unterstützung des Therapeuten Spielräume seines Bewegungsmusters ergründet, ausgelotet und modifiziert werden. Diese Überlegungen gelten – cum grano salis – auch für Therapiesituationen bzw. -phasen nicht konkordanter Gegenübertragungen. Wenn der Analytiker vor dem Hintergrund des analytischen Prozesses und im Spiegel seiner Gegenübertragung den Wunsch oder das Tun seines Patienten als Vermeidung erlebt, entsteht mit dem differenten Erleben oder Tun unmittelbar ein neues Enactment, das operativ und progressiv verstanden werden kann. Wenn der Analytiker allerdings das Setting verabsolutiert und idealisiert, sind die Kollusionen mit seinem Patienten vorgezeichnet. Diese Zusammenhänge sind analytischen Kinder- und Jugendlichentherapeuten meistens geläufiger als Analytikern, die nur mit Erwachsenen arbeiten. Deswegen sind bei tiefenpsychologisch orientierten Kinderpsychotherapeuten die Sitzschaukel oder die Hängematte sehr beliebt. Hierin finden Sitzen, Liegen und Bewegung eine schöne Verdichtung, die den Erfassungsmöglichkeiten von Kindern adäquat sind.
5. Atmosphäre der psychotherapeutischen Werkstatt Die Psychologik des Arbeitsbündnisses weitet sich noch aus und entfernt sich noch mehr von bloßen technischen Erwägungen, wenn Thomä und Kächele ihre Ausführungen schließlich mit dem Wohlbefinden des Psychotherapeuten und seiner Echtheit im Kontakt mit dem Patienten in Zusammenhang bringen: „Wenden wir die Maxime an, daß der Analytiker sich in dem Raum wohlfühlen muß, damit auch der Patient dies spüren kann, dann eröffnen sich für die konkrete Raumgestaltung viele Varianten, die daraufhin betrachtet werden können, wieweit sie die Kongruenz von Einstellung und Benehmen des Analytikers zum Ausdruck bringen.“ (1985, S. 266) Mit dem letzten Satz öffnen Thomä und Kächele die noch ziemlich technische Frage nach Frequenz und Position letztlich um eine Dimension, die in der psychoanalytischen Literatur fast gar nicht vorkommt, nämlich der Bedeutung der therapeutischen Atmosphäre für das seelische Wachstum. (Heisterkamp 2005a, 2006) Danach müsste man die Fragen des Arbeitsbündnisses, der Festlegung und Einhaltung der Frequenz sowie der Festlegung des Settings und seiner Modifikationen im Laufe der Behandlung konsequent als basales Wirkungsgeschehen betrachten, das von Therapeut zu Therapeut bzw. von Behandlungskonzept zu Behandlungskonzept variieren kann und jeweils von Stimmungen als Prädikaten des Gesamterlebens durchzogen ist. Stimmungen sind nämlich basalere Formen des Erkundens und Erfassens und qualifizieren auch die bewussten Begründungen. Hier weitet sich die Einrichtung der psy-
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chotherapeutischen Werkstatt in das basale Thema der atmosphärischen Bedingungen seelischer Entwicklung und Behandlung aus. Wenn man bedenkt, dass die psychotherapeutische Situation den Urtypus einer Ankunftssituation nachbildet, dann hat die Einrichtung des therapeutischen Rahmens auf einer basalen Ebene etwas mit dem Ankommen und Willkommenheißen eines Neugeborenen zu tun. Die Verständigung mit dem Patienten über die analytische Regel, die Frequenz und die Position kann dabei ebenso missraten wie die Annahme eines Neugeborenen. Als psychotherapeutische Werkstätten, die den Patienten im Sinne Winnicotts (1974) Möglichkeiten des Halts und förderliche Anregungen für die Lebensbewegungen bieten, werden höchst unterschiedliche Räume bereitgestellt, wie ein Streifzug durch die fotografischen Abbildungen (Guderian 2004) oder die satirischen Darstellungen (Matejek u. a. 2001) von Couch-Welten veranschaulichen. Sie stellen die jeweilige Arbeitswirklichkeit eines Therapeuten dar. In diese wird jeder neue Patient quasi hineingeboren. Er findet jeweils eine spezifische therapeutische Wirklichkeit vor. Er kann nicht anders, als sie im Sinne seiner Struktur zu gestalten, also neu zu erfinden, wie man mit Winnicott (1994, S. 150 ff.) in Anspielung auf seine Brust-Metapher sagen könnte. Für einen schöpferischen Psychotherapieprozess der allmählichen Herausbildung einer für den Patienten heilsamen Atmosphäre ist es angezeigt, dass die Werkatmosphäre auch genügend Anregungen erhält, um darin eine freundliche und wohlige, vertrauensvolle Atmosphäre entdecken zu können und genügend Halt zu finden, um sich eventuell auch von der Wirklichkeit des Therapeuten abgrenzen zu können. Dabei ist es von grundlegender Bedeutung, dass der Therapeut sich in seiner „Werkstatt“ wohl fühlt und der Patient potenziell und implizit an dieser Wirklichkeit teilhaben kann. So gewinnt der Therapeut exemplarische Bedeutung für den Patienten. Die subliminalen Wirkungen hängen mit basalen Formen der Einübung innerhalb der frühen Domänen der Selbstwerdung zusammen, wie uns die neuere Säuglings- und Kleinkindforschung lehrt: „low-tension-learning“, Abstimmung, Ermutigung, operatives Verstehen, Imitation. (Adler 1912; Beebe u. Lachmann 1994, 2002, Dornes 1992, 1997, 1999, Fonagy u. a. 2002, Piaget 1948, Stern 1992) Ein Therapeut, der sich selbst noch nicht hinlänglich gefunden hat, wird sich auch in seiner Praxis nicht wohl fühlen und kann auch nicht anders, als den Patienten allmählich in seine belastende Grundstimmung hineinzunehmen. Wir wissen, dass wir Kindern nichts Besseres wünschen können als hinlänglich glückliche Eltern, gleichgültig welcher Erziehungstheorie diese anhängen. Entsprechendes gilt für Patient-TherapeutBeziehungen. Es sei hier nochmals auf die fatalen Kollusionen zwischen einem Analytiker, der sich um Neutralität und Abstinenz bemüht, und einem Patienten, der aus einem rigiden Herkunftsmilieu stammt, verwiesen. Zur haltenden und fördernden psychotherapeutischen Umwelt gehört primär eine freundliche und annehmende Atmosphäre mit bequemen Möglichkeiten, sich (nach den jeweiligen psychotherapeutischen Erfordernissen) zu setzen und zu legen, aber auch genügend Raum, um sich zu bewegen. Des Weiteren findet man regelmäßig weitere Utensilien in Praxen wie Bilder, Blumen, Teppiche, Kissen, Decken, Matten, Taschentücher usw.. In manchen findet man noch Bälle, Stofftiere, Malzeug, Puppen, Seile und dergleichen mehr. Sie bieten den selbstschöpferischen Suchbewegungen des Seelischen immer wieder wichtige Anhaltspunkte für die Wiederbelebung unbewusster Erinnerungen und Erfahrungen. Sie erleichtern dem Seelischen auch den regredienten Rückgang auf
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Grundstrukturen. Mit Fonagy u. a. (2004) gesprochen, bieten sie dem Unbewussten Anknüpfungsmöglichkeiten an frühe Ebenen der Mentalisierung oder – mit Stern (1992) gesprochen – erleichtern sie den Zugang zu den aktuell wirksamen Domänen der Selbstwerdung. Mit Piaget (1948) gesprochen, regen sie zum operativen und kooperativen Verstehen an. Da Psychotherapie weniger die Anwendung einer spezifischen Technik als die Ausübung einer Kunst und das Schöpferische ein Wesensmerkmal seelischer Produktionen ist, finden wir in den neueren Psychotherapien alle „Kunstgattungen“ vertreten: Skulpturen, Malereien, Dichtungen, Dramen, Musik, Gesang, Tanz, Pantomime, Schauspielerei usw. Sie lassen sich auch nicht aus der Psychoanalyse ausklammern, wenn man nur bedenkt, wie häufig die schöpferischen Gestaltungen des Patienten in Analysen berücksichtigt werden. Freuds Gesamtwerk ist sogar als eine eigene Schreibtherapie aufgefasst worden. Das Träumen wird von Boothe (2005) als schöpferische Selbstheilungsarbeit herausgearbeitet. Man denke auch an den tiefen psychologischen Sinn so genannter Fehlleistungen, die kunstvolle Arrangements darstellen, um widerstrebende Tendenzen doch noch zu vermitteln. Begriffe wie „Enactments“, „Inszenierungen“ oder „Handlungsdialoge“ verdeutlichen, dass die intersubjektiven Schöpfungen zwischen Patient und Therapeut immer mehr ins Zentrum psychoanalytischer Beachtung drängen. In Kunstwerken ist „eine spezifische Art des menschlichen Weltverhältnisses“, ein spezifischer Bezug zur Wirklichkeit oder ein spezifisches Modell der Wirklichkeit in eine fassliche Form gebracht. (Lexikon der Kunst 1996, Bd. 4, S. 115 ff.) Das vorliegende Buch drückt unsere Überzeugung aus, das die Grundlagen der Behandlung darin liegen, mit dem Patienten ein gemeinsames Kunst- und Behandlungswerk zu gestalten. Es besteht aus einer kontinuierlichen Mit-Bewegung und formt eine Atmosphäre heraus, die alle Momente der Behandlung durchzieht und stimmungsmäßig qualifiziert. Die individuellen Ausdrucksformen von psychotherapeutischen Werkstätten machen noch einmal deutlich, dass die Auswahl oder Betonung einzelner Methoden und „Werkzeuge“ immer auch nach individuellen Vorstrukturen geschieht. Es verdeutlicht auch noch einmal die Vielfalt der Möglichkeiten, weist aber auch auf die Begrenztheit der jeweiligen eigenen psychotherapeutischen Kompetenzen hin und schützt einen vielleicht auch vor der Hybris einer allein heil machenden Behandlungsmethode. Zusammenfassend lässt sich sagen: Letztlich ist die Entwicklung eines Arbeitsbündnisses ein grundlegender Bestand- und Handlungsteil der psychotherapeutischen Wirkungseinheit. Die therapeutische Situation bildet eine Ankunftssituation nach dem Urmuster der Geburt. Stimmungen sind basale Formen des Erfassens und Erkundens. Sie reichen tiefer als das Erkennen und begründen dieses. In diesem Sinne qualifizieren sie auch die Erstellung, Erhaltung und Modifizierung der psychotherapeutischen Situation. Durch die Bereitstellungen des Analytikers wird der Patient angeregt, seine personcharakteristischen Ängste und Erfahrungen sowie seine notgeborenen Selbstsicherungen und die daraus resultierenden Konflikte wiederzubeleben. So bildet sich eine entwicklungsfördernde Dialektik zwischen Einstimmung und Umstimmung heraus. Dabei wächst eine intersubjektive Atmosphäre, in der unmittelbare Wandlungserfahrungen geschehen. Die unter den Abwehrformen verschütteten
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Bilder des Angenommen- und des Willkommenseins sowie der Selbstwerdung aus dem Bezogensein (Antoch 2001, Sloterdijk 2000, Witte 2002) können sich wiederbeleben und werden auf der konkreten Handlungsgrundlage des intersubjektiven Geschehens als neue Beziehungsmuster erfahrbar. Bei erfolgreichen Therapien kommt es zu einer „zweiten Geburt“, in der der Patient sich allmählich als liebenswert erleben und selbst übernehmen kann.
Zum Umgang mit Handlungsdialogen in der therapeutischen Beziehung Gisela Worm
1. Die Bedeutung des Körperausdrucks in der Geschichte der Psychoanalyse Trotz aller Vielfalt in den theoretischen Entwicklungen des psychoanalytischen Diskurses bleibt der Umgang mit der Übertragung und den Widerstandsprozessen das einigende Band in der Praxis. Das gilt auch für die sich entwickelnden Ansätze eines analytischen Zugangs zum Umgang mit dem Körper. Auch hier gibt es vielerlei Wege. In allen Zugängen findet sich der Versuch, mit den inneren Beziehungen, die in den Übertragungen relevant werden, in spezifischer Weise umzugehen. Das spontane Aufgreifen oder aktive Initiieren von Körperausdrucksvorgängen und Handlungsdialogen ist dabei der methodenspezifische Weg. Im analytischen Raum hat der Umgang mit der körperlichen Ausdrucks- und Handlungsebene einige Autoren zwar immer wieder beschäftigt, aber in ihrem Hauptstrom versteht sich die Psychoanalyse als „Redekur“. Von den Autoren, die sich außerhalb dieses Selbstverständnisses bewegten, erwähnt Hirsch (2002b) vor allem Deutsch und Ferenczi, da sie sich systematischer auch mit theoretischen Überlegungen zu diesem Thema befasst haben. (Hirsch 2002b) „Hoffähig“ in einem weiteren Sinn sind die averbalen Prozesse in neuerer Zeit jedoch erst durch die Arbeiten von Klüwer (1984/1995) zum Agieren geworden. Klüwer schließt an Argelander (1970b) und Lorenzer (1970) an, die von „szenischem Verstehen“ sprachen. Durch diese Arbeiten bekam das sogenannte „Agieren“ einen neuen Sinn. Wurde bis dahin nur der Widerstandscharakter der averbalen Handlungen gesehen, so betonten diese Autoren deren Ausdrucksgehalt im Sinne einer Information über innere Beziehungskonstellationen. Klüwer schlug daher für diese Form des Verständnisses die Bezeichnung „Handlungsdialoge“ vor. „Handeln“ in der Therapie war damit nicht mehr nur als Vermeidungsverhalten markiert, sondern wurde umgekehrt zu einer möglichen Erfahrungs- und Erkenntnisquelle. Dieser Wechsel in der Bedeutung von „Handeln“ war für die weitere Praxisforschung ganz entscheidend. Vor allem gab diese Entwicklung auch den Blick auf das „Handeln“ des Therapeuten frei. Ist das „Agieren“ oder auch das körperliche Reagieren nicht mehr nur ein möglicher Fehler, sondern ein Medium des Erkennens, so können entsprechende Handlungen oder körperliche Reaktionen des Therapeuten leichter ins Blickfeld geraten. So ist z. B. die von Klüwer erwähnte erstaunliche Reaktion auf einen kleinen Artikel von Sandler zu verstehen, in dem dieser eigenen handelnden Reaktionen aus einem Gegenübertragungsgefühl nachgeht. Das war damals
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noch eine kleine Revolution. (Sandler 1976) In neueren Arbeiten werden entsprechende körperliche Gegenübertragungsreaktionen in vielfacher Weise aufgegriffen. Ein Beispiel ist die von Volz-Boers (2001) beschriebene körperliche Gegenübertragungsphantasie, die einem Patienten buchstäblich „unter die Haut ging“. Eickmann (2001) beschreibt ein sich regelmäßig einstellendes Sodbrennen, durch das er der projektiven Identifikation mit sehr ambivalenten oralen Beziehungsmustern eines Patienten auf die Spur kam. Hess-Liebers (1999) entwickelt Vorstellungen, wie eigene identifikatorische Körperreaktionen zum Verstehen genutzt werden können. Dies sind eindrucksvolle Beispiele, wie Körperreaktionen in verschiedener Weise zur Grundlage eines Verständnisses der aktuellen Beziehungsvorgänge werden. Allerdings wird in allen diesen Arbeiten die rein verbale Bearbeitung der Körperreaktionen beibehalten. Die Möglichkeit von Erinnerung und Erkenntnis durch Handeln stellt vieles an oft impliziten Annahmen oder Wertungen in der Psychoanalyse in Frage. So ist bis heute nicht ausdiskutiert, ob die körperlichen Ausdrucksvorgänge nicht doch in jedem Falle eine „primitivere“ Form des Ausdrucks und der Kommunikation darstellen, im Gegensatz zum differenzierteren Ausdrucksvermögen der Sprache. Weiterhin steht zur Debatte, ob „Körper-Sprache“ im eigentlichen Sinn eine symbolische Ausdrucksform sein kann. (Streeck 2000b, Hirsch 2002b) Die Schwierigkeit theoretischer Einordnung entsteht u. a. dadurch, dass Körperausdruck oft auf den Symptomausdruck reduziert wurde und damit immer als ein entdifferenzierender Vorgang diagnostiziert war. Der körperliche Ausdruck ersetzt dann etwas, das durch Sprache nicht mehr ausdrückbar ist, infolge eines Entwicklungsdefizits oder einer Überlastung des Symbolisierungsvermögens. Körperausdruck entspräche damit immer einem regressiven Vorgang und wäre als „Rückschritt“ auf primitivere Ausdrucksformen zu verstehen. Geißler (2001a) hat sich daher mit dem Begriff der Regression intensiv auseinander gesetzt. Oft werden körperliche Interventionen am Umgang mit „frühen Störungen“ beschrieben. Berührung oder körperlicher Halt ist dann als Unterstützung gedacht für das Erleben einer sprachlich noch nicht ausreichend darstellbaren haltenden Beziehung oder Umwelt. Dies ist eine sinnvolle Form der körperlichen Intervention, stellt jedoch auch eine deutliche Reduzierung der körperlichen Möglichkeiten, auf der Handlungsebene zu intervenieren, dar. Die Grundannahme einer primitiveren Beziehungsform ist dabei erhalten. In der Auseinandersetzung mit diesem Verständnis des Körperausdrucks hat Heisterkamp (2002a) an vielen Beispielen entwickelt, wie organismisches Erleben und Handeln eine eigene Erlebnisform darstellt, die auch zu einer eigenen Form des vom ihm „präsentisch“ genannten Verstehens führt, im Unterschied zu einem reflektierten Verstehen. Die verschiedenen Erfahrungsmöglichkeiten und Erkenntniswege würden dann eher nebeneinander stehen als in einer hierarchischen Ordnung. Ogden (1995) hat in sehr differenzierter Weise dieses Nebeneinander für verschiedene Erfahrungsmodi entwickelt. Er arbeitete auch heraus, dass nicht einzelne Erfahrungsmodi als reifer oder weniger reif zu verstehen sind, auch wenn sie sich lebensgeschichtlich nacheinander entwickeln. Er stellt dagegen überzeugend dar, dass erst durch das Fehlen bestimmter Erfahrungsmodalitäten ein pathologischer Zustand gegeben ist. Diese Sichtweise trifft ebenso auf die verbale Erfahrungs- und Ausdruckweise einerseits und die körperlichen Erfahrungs- und Ausdrucksmöglichkeiten andererseits zu.
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Dennoch ist im psychoanalytischen Diskurs ein entscheidender Schritt im methodischen Vorgehen weiterhin umstritten: Es geht dabei um die Nutzung der Handlungsebene über die Wahrnehmung hinaus als eine eigene Form der Intervention. Das Ziel dieser auf der Handlungsebene ansetzenden Interventionen ist, Bedeutungen zu entschlüsseln. Ein derartiges Vorgehen hieße, der körperlichen Intervention eine eigene Erkenntnis vermittelnde Bedeutung zu geben, die neben den sprachlichen Interventionsmöglichkeiten besteht. In der Psychoanalyse ist dieser Weg absolut neu und trifft auf viele methodenkritische Einwände. Der entscheidende Hintergrund dieser Einwände, aktiv handelnd mit dem Körper umzugehen, bezieht sich auf die besondere Bedeutung der therapeutischen Beziehung in einem psychoanalytischen Methodenverständnis. Dessen Besonderheit liegt in der Betonung der unbewussten Phantasien, die vor allem auch die therapeutische Beziehung bestimmen. Das macht die Einführung aktiver Interventionen auf der körperlichen Ebene auch schwieriger und problematischer, als das in anderen körpertherapeutischen Ansätzen der Fall ist. Auf die Implikationen, die durch dieses Beziehungsverständnis gegeben sind, soll daher in diesem Beitrag in besonderer Weise eingegangen werden.
2. Die Darstellung eines Handlungsdialogs in der Supervision In der folgenden Darstellung wird zunächst ein typischer Handlungsdialog aufgegriffen. Es geht um eine Begrüßungssituation, durch die körperdialogisches Handeln eingeführt wird. Heisterkamp geht ebenfalls auf die besondere Bedeutung der Begrüßungssituation ein, aufgrund von Beispielen, die Hirsch (1994a) ausführlicher darstellt. (Heisterkamp 2002a, S. 140) Schrittweise soll hier demonstriert werden, welche verbalen und körperzentrierten Umgangsweisen mit einem derartigen Spontandialog vorstellbar sind.
Eine ambivalente Begrüßung Ein Kollege schildert mir in einer Supervision die Behandlung einer Patientin, bei der er sich durch eine zunehmende zwiespältige Gegenübertragung sehr befangen fühlt. Seine Ambivalenz beginne schon bei der Begrüßung. Ich bitte ihn, mir die Art der Begrüßung durch wechselnde Rollendarstellung zu demonstrieren. Er beginnt mit der Darstellung der Patientin. Durch eine gebeugte Armhaltung und leichten Zug im Moment der Berührung zieht diese ihn zu sich heran. Da sie sich gleichzeitig im Oberkörper nach vorn neigt, kommt sie ihm besonderes im oberen Körperbereich sehr nahe – Dann wechselt er die Position und fühlt sich in seine körperliche Reaktion ein. Es ergibt sich folgende Haltung: Im Oberkörper hält er sich starr aufrecht, sein Begrüßungsarm ist ebenfalls leicht gebeugt. Von ihm geht jetzt allerdings ein leichter Gegendruck, besonders im Moment der Berührung aus. Es sieht aus, als versuche er, sich einerseits die Patientin „vom Leibe zu halten“, andererseits aber diese Zurückweisung nicht zu deutlich werden zu lassen. In dieser körperlichen Darstellung wird ihm deutlich, wie seine ganze ambivalente Haltung zwischen Ablehnung und erzwungener Freundlichkeit in seiner Art der Begrüßung bereits enthalten ist. Ihre Angst vor Ablehnung, die sie mit überspringender Nähe zu bewältigen versucht, wird ebenfalls sichtbar und fühlbar. Es ist wie eine Momentaufnahme der Beziehung, die in dieser kurzen Szene eine besondere Verdichtung erfährt.
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Diese Verdichtung gilt für viele Handlungsdialoge, die sich spontan während der Sitzung ergeben. In ihrer Vielschichtigkeit lassen sie sich oft erst nach und nach verstehen. Die Verwendung des körpersprachlichen Ausdrucks in der Supervision hat dabei ihre eigenen Möglichkeiten. In dieser Form der Darstellung tauchen oft zunächst unbewusst die spezifischen Signale auf, die die körperlich vermittelte affektive Situation deutlich werden lassen. Der besondere Vorteil liegt darin, dass auch der Supervisand seinem Affekterleben dabei in vielen Fällen sehr viel schneller auf die Spur kommt als bei einer verbalen Vermittlung. Insbesondere sind die Auslöser für eigene Verwicklungen des Therapeuten oft eher in der körperlichen als in der sprachlichen Kommunikation enthalten. So lassen sich die Hintergründe für das Erleben der Beziehungssituation, wie sie sich im Therapeuten abbildet, deutlicher herausarbeiten und verstehen. Im weiteren Verlauf sollen hier jedoch die verschiedenen Möglichkeiten des Umgangs in der Therapie mit diesem spontanen Handlungsdialog beschrieben werden.
2.1. Formen der verbalen Bearbeitung Verwendet man die Begrüßungsszene nur indirekt, käme es etwa zu folgender Deutung: „Ich glaube, es gibt einen Konflikt zwischen uns, in dem Sie sich mehr Zuwendung von mir wünschen, aber bei mir fürchten, dass ich darauf nicht eingehe oder antworte“. Weiterhin gäbe es auch die Möglichkeit, die Begrüßungsszene direkt verbal aufzugreifen und zu sagen: „Es geht mir nach, wie wir uns begrüßen. Mein Eindruck ist, Sie möchten mich näher zu sich heranziehen.“ Gibt man der Gegenübertragung auch einen direkten Ausdruck, könnte man fortfahren: „… und ich ziehe mich davor zurück“. Oder man könnte eine Imagination der Begrüßungsszene anregen durch die Intervention: „Wenn Sie sich noch einmal vorstellen, wie wir uns begrüßen, erscheint Ihnen dabei irgendetwas besonders – oder wie erleben Sie das?“ So viel zu den Formen gängiger verbaler Bearbeitung.
2.2. Die Anregung von Handlungsphantasien Ein weiterer Schritt, der die verbale Ebene zwar beibehält und doch oft in neue Bereiche führt, ist die Anregung einer Handlungsphantasie. In diesem Fall könnte ein entsprechender Vorschlag lauten: „Könnten Sie sich vorstellen, dass wir uns jetzt in der Stunde noch einmal so begrüßen, wie wir es am Anfang tun. Was geschieht in Ihnen, wenn Sie dieser Phantasie einmal folgen?“
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Dieser Zwischenschritt einer Handlungsphantasie kann bereits sehr entscheidend sein. Aufgrund der Konkretisierung der Vorstellung durch die Phantasie einer Handlungswiederholung werden oft die darin enthaltenen Affekte deutlicher. Außerdem ist in dem gesicherten Phantasieraum trotz der Konkretisierung eine Äußerung von Gefühlen möglich, die im direkten Umgang vielleicht eher tabuisiert sind. Man hat als Therapeut auch noch einmal die Möglichkeit, das Ausmaß der dabei auftauchenden Ängste einzuschätzen, um dann die weiteren Schritte zu überlegen. Eventuell ist durch die Handlungsphantasie bereits eine ausreichende Verständnismöglichkeit gegeben. Es ist auch möglich, dass die Reflexionsmöglichkeit für die auftauchenden Affekte in dieser Form eher gegeben ist als durch eine weitere Verdichtung der Beziehung in der Handlungsrealität. Die Sicherung des Phantasieraums durch die „Verabredung“, dass das konkrete Umsetzen in eine direkte Handlungsform ein eigener Entscheidungsschritt ist, ist dabei ein wichtiger Gesichtspunkt. Es ist oft erstaunlich, wie allein durch die Handlungsphantasie Affekte oder auch Abwehrstrategien auftauchen, die vorher nicht zugänglich waren. Einige Reaktionen auf die Anregung der beschriebenen Handlungsphantasie sollen dies veranschaulichen: Ein Patient meinte: „Da werden mir schon die Hände kalt, wenn ich nur daran denke.“ Oder ein anderer sagte: „Da hätte ich Angst, dass ich Ihre Hand nicht mehr loslassen möchte, ich schwitze jetzt schon, wenn ich mir das vorstelle, und dann würden Sie sich vielleicht vor mir ekeln.“ Oder ein weiterer Patient äußerte: „Ich glaube, ich würde mich auf der Stelle umdrehen und weglaufen. Ich könnte es nicht ertragen, dass Sie mich dabei länger ansehen, und ich dann so klein werde.“ Ein Patient sprang gleich auf und ergriff die Flucht nach vorn mit den Worten „Also los, packen wir´s an!“
Aus diesen Reaktionen lassen sich bereits eine Fülle verschiedener Abwehrformen und Ängste erkennen. Körperlicher Rückzug äußert sich in kalt werdenden Händen. Angst vor einem Durchbruch oraler Anklammerungswünsche, die Ekel hervorrufen, taucht auf. Fluchtimpulse und die Angst, in eine beschämende Regression zu geraten, werden spürbar. Oder ein phallischer Parforce-Ritt, der mögliche Kleinheitsängste überspielt, wird als entscheidende Abwehrstrategie erkennbar. Die spezifischen Abwehrformen und Kontaktängste werden allein durch die Handlungsphantasie greifbarer, auch für den Patienten.
2.3. Die Einführung von Handlungsszenen Ein weiterer Schritt wäre dann, eine direkte Handlungsszene zu initiieren. Bei der beschriebenen Begrüßungsszene würde die Anregung z. B. lauten: „Könnten wir uns jetzt in der Stunde noch einmal so begrüßen, wie wir es am Anfang tun? Wir könnten uns erst in einem bestimmten Abstand gegenüberstehen und dann aufeinander zugehen.“ Wenn sich ein Patient darauf einlässt, ist der Verlauf dieser Szene völlig offen. Einmal wäre es wichtig, dem Patienten den Abstand, den er als Ausgangspunkt wählt, zu überlassen. Dann ist oft ein wichtiger Gesichtspunkt, wer den ersten Schritt macht, von wem also die weitere Initiative ausgeht. Die Frage ist
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auch: Ähnelt diese Begrüßungsszene der Begrüßung am Anfang oder macht der Patient jetzt etwas völlig anderes – verstärkt oder vermeidet er den ursprünglichen Ausdruck. Wenn eine Handlungsphantasie der direkten Handlungsinszenierung vorausging, bestätigen sich dann die Ängste des Patienten oder ergibt sich eine ganz neue Konstellation? Oft verstärkt sich erst einmal das Abwehrverhalten. Der Patient bleibt z. B. in einem bestimmten Abstand wie angewurzelt stehen, es ist kein Schritt der Annäherung möglich. Auch das ist ein wichtiger weiterer Ausgangspunkt. Phantasien, die sich jetzt bei der Vorstellung konkreter Annäherung ergeben, können weitere Aufschlüsse geben über die Art der Ängste. Oder eine umgekehrte Situation ergibt sich. Der Patient geht plötzlich ohne besondere Schwierigkeit auf den Therapeuten zu, als sei nichts leichter als das. Vielleicht lässt sich dann zusammen verstehen, dass im konkreten Fall der Patient in der Lage ist, Affekte soweit auszuschalten, dass bestimmte Phantasien, die die Schwierigkeit ausmachen, nicht mehr auftauchen. Auch bei der konkreten Umsetzung von Handlungsdialogen sind also die Art der Verarbeitung von Phantasien, die die Beziehung bestimmen, und das daraus resultierende Abwehrverhalten zunächst im Mittelpunkt der Wahrnehmung und der Analyse. Die geschilderte Handlungsszene bei der Begrüßung sollte hier prototypisch für viele Handlungsszenen stehen, die sich während der Sitzung in oft versteckterer Art ergeben. Bei entsprechender Wahrnehmungseinstellung begleiten sie den Verbaldialog fortwährend, ob der Patient sitzt oder auf der Couch liegt. Wichtig erscheint erst einmal die Schulung dieser Wahrnehmung, da das Aufgreifen von Körpersignalen bei der Betonung des verbalen Ausdrucks im analytischen Vorgehen nicht so selbstverständlich ist – außer im symptomatischen Bereich. So erzählen viele Patienten nachträglich, dass ihre Haltung auf der Couch nie Thema war. Viele Therapeuten berichten eher nebenbei, dass ein Patient über Jahre auf der Couch immer die gleiche Haltung einnahm, sich nie bewegte, sich etwa seitlich legte oder umdrehte. Das eingegrenzte Couchsetting hat sicher manche Vorteile, was die Übersichtlichkeit des Rahmens oder auch die Projektionsmöglichkeit angeht (vgl. Scharff i. d. B.). Aber die Begrenzungen der körperlichen Ausdrucksmöglichkeiten, die damit gegeben sind, sind auch zu reflektieren. Dennoch wären auch in diesem Setting die körpersprachlichen Ausdrucksvorgänge, z. B. eine bestimmte Haltung auf der Couch, aufzugreifen, und durch das Experimentieren mit Haltungsalternativen in ihrer Bedeutung zu entschlüsseln. Die Scham ist dabei ein sehr häufig auftauchender Affekt, wenn man den Körperausdruck in den Mittelpunkt der Wahrnehmung rückt. Die Intensivierung des Schamgefühls ist bei allen Reaktionen auf körperliche Signale zu bedenken, insbesondere wenn man die körperliche Handlung in die Therapie einführt. Wahrscheinlich hat diese Schamreaktion einmal mit der plötzlich auftauchenden Nähe, wie sie bereits in der Handlungsphantasie gegeben ist, zu tun. Zum anderen spielt auch die größere Unkontrollierbarkeit des Körperausdrucks
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eine Rolle, so dass sich ein Patient wie ertappt fühlt, wenn man sich auf den Körperausdruck bezieht. Dies gilt in gleicher Weise für den Therapeuten, auch wenn er erst einmal in der geschützteren Position ist. Aber Patienten lernen den Körperausdruck des Therapeuten ebenfalls zu lesen und sich darauf zu beziehen. Manche Therapeuten geben daher offen zu, dass ihnen ein solcher Umgang buchstäblich zu nah auf den Leib rückt. Das Modell dieses Umgangs mit Handlungsinterventionen lässt sich natürlich auf alle Spontandialoge oder „Enactments“ in den verschiedensten therapeutischen Settings übertragen. Es geht immer darum, eine Körperreaktion oder Handlungssequenz, die zunächst vorbewusst oder unbewusst abläuft, aufzugreifen und als Ausgangspunkt für eine Fortführung des Handlungsdialogs zu nutzen. In Form von Handlungsphantasien oder konkret dargestellten Handlungsszenen kann die implizierte affektive Beziehungssituation dann genauer bearbeitet werden. Die darin enthaltenen Ängste und die Form ihrer Verarbeitung in den verschiedenen Abwehrformen zu verstehen, ist das zunächst angestrebte Ziel. Die Wahrnehmung dieser Körperäußerungen und Körperdialoge erscheint besonders wichtig, wenn man davon ausgeht, dass sich wesentliche affektive Inhalte oft über den Körperausdruck vermitteln. Außerdem ist zu bedenken, dass die inneren Repräsentanzen von Beziehungen auch in starkem Maße von den averbalen Kommunikationsprozessen geprägt sind, und das nicht nur in der präverbalen Zeit, sondern lebenslang. Für das Verstehen dieser Beziehungsmuster ist daher die Wahrnehmung und weitere Nutzung der unbewussten körperlichen Inszenierungen zur Entschlüsselung der Beziehungsgeschichte eine ganz entscheidende Quelle. Die Handlungsspielräume der aktiven Handlungsinszenierungen sind je nach Setting sicher unterschiedlich. Zum Beispiel wäre die geschilderte Anregung, sich gegenüber zu stellen mit einem Patienten, der gewohnt ist, auf der Couch zu liegen, ein viel entscheidenderer Schritt als mit einem sitzenden Patienten. Daher ist auch das Ausmaß der Veränderung zu reflektieren, die eine körperliche Inszenierung innerhalb des gewohnten Settings darstellt. Verschiedene Möglichkeiten und Orientierungslinien beim Umgang mit der Inszenierung von Handlungsdialogen sollen im weiteren Verlauf ausführlicher beschrieben werden.
3. Zur Initiierung von Handlungsdialogen 3.1. Das Setting Soll der Handlungsspielraum in der Therapie über gelegentliche unterstützende Interventionen hinausgehen und in der bereits beschriebenen Form zur Klärung von Beziehungssituationen genutzt werden, so ist eine ausdrückliche Einführung notwendig. Am besten steht diese gleich am Anfang der Therapie, sodass Handlungsinterventionen als Möglichkeit bereits im Rahmen der Therapie enthalten sind. Möchte man während einer Therapie diesen Rahmen durch entsprechende Öffnung des Raums ändern, durch die Anregung, den gesamten Raum zur Darstellung zu nutzen, so ist ein Vorphantasieren der Bedeutung dieser Änderung unbedingt zu empfehlen, besonders wenn ein Patient über keine Vorerfahrungen dieser Art verfügt. In einer laufenden Behandlung verknüpft sich eine solche Änderung meistens notwendigerweise mit der bestehenden
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Übertragungssituation und verstärkt oder verschiebt diese in bestimmte Richtungen. Meistens ist mit dieser Rahmenänderung eine Intensivierung der Affektsituation in der therapeutischen Beziehung verbunden. Das kann von Vorteil sein, wie bereits beschrieben. Es kann aber auch zu überschwemmenden Affekten führen, durch die der symbolische Raum in der Therapie verloren geht. Oder Widerstände verstärken sich unbemerkt, und es kommt zu Pseudoverhalten durch Überanpassung. Die Einführung von Handlungsinterventionen sollte also in jedem Fall mit dem Patienten vorbereitet werden.
3.2. Der Umgang mit verschiedenen Ausdrucksbereichen Bei der aktiven Initiierung von Handlungsdialogen kann man fünf körperliche Ausdrucksbereiche unterscheiden, die in unterschiedlicher Weise in den Mittelpunkt der Wahrnehmung rücken. Diese Ausdrucksbereiche sind: Die Atmung, die Stimme, der Augenausdruck, der motorische Bereich und die Berührung. Im motorischen Bereich sind alle mimischen, gestischen Ausdrucksformen, wie auch Bewegungen im Raum enthalten. Formen des Umgangs mit diesen Ausdrucksbereichen sollen an Beispielen ausführlicher dargestellt und diskutiert werden.
3.3. Die Bedeutung einer Atemreaktion in der therapeutischen Beziehung „Das Böse“ in der verschlossenen Brust Ein Patient erzählte mir von einer Sitzung in einer Atemtherapie. Der Therapeut hatte ihm geholfen, in den Brustkorb zu atmen durch Öffnen der Arme bei der Ausatmung und die Aufrichtung des Oberkörpers. Er hatte sich dabei sehr gut gefühlt. Als er mir die Bewegung vormachen will, macht er es spontan umgekehrt. Bei der Ausatmung öffnet er zwar die Arme, nimmt den Kopf jedoch nach vorn, so dass der Brustkorb eher geschlossen wird. Er bemerkt es selbst und will es sofort ändern, im Sinne der gelernten Übung. Ich bitte ihn jedoch, bei seiner spontanen Bewegung mit der eher geschlossenen Ausatmung zu bleiben. Ich möchte mit ihm zunächst den Sinn seiner spontanen Körperreaktion erfahren. Der Patient wiederholt die Bewegung in der ausgeführten Weise und spürt in sich hinein. Nach einer Weile äußert er: „Ja, da ist viel Böses dahinter, wenn das herauskommt, werde ich nicht mehr geliebt.“ Eine Frau fällt ihm ein, die ihn sehr gekränkt hat. Es tauchen weiterhin viele Kränkungen und Entwertungen durch seine Mutter auf, an die er andererseits sehnsüchtig gebunden ist.
An diesem ersten Beispiel eines Umgangs mit der Atmung sollen verschiedene Aspekte, die für diesen körpertherapeutischen Ansatz spezifisch sind, aufgezeigt werden. Einmal wird der Unterschied zu einer funktionalen Körpertherapie wie der Atemtherapie deutlich. Die Zielsetzung dort ist auch eine Änderung des Körpererlebens. Diese Veränderung wird jedoch nicht mit Beziehungserfahrungen verbunden, jedenfalls nicht im Ansatz der Methode. Hier steht ein anderes Vorgehen im Vordergrund, und das gilt auch für die anderen Körperbereiche. Es geht zunächst nicht darum, ein alternatives Körperverhalten und -erleben zu vermitteln. Sondern das Ziel ist zunächst, die fixierten Muster zu verstehen, in Verbindung mit ihrer Geschichte und aktuellen Funktion der Beziehungsregulierung. Insofern geht es auch nicht um die Anleitung einer Übung mit einem bestimmten intendierten Ablauf. Sondern es geht darum, wenn
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eine Übung zum Ausgangspunkt wird, gerade die Abweichungen oder persönlichen Varianten zu verstehen. Im Blickfeld sind also die jeweils spezifischen körperlichen Ausdrucksmuster. Auch wenn sie im körperlichen Sinn noch so dysfunktional erscheinen, ist das Verstehen im Hinblick auf die darin regulierten Beziehungserfahrungen das zunächst angestrebte Ziel. Das ist auf der körperlichen Ebene die Form der Abwehr- oder Verarbeitungsanalyse. In der Atemtherapie wurde am körperlichen Selbsterleben des Patienten gearbeitet, verbunden mit körperlichen Funktionen und Empfindungen. Diese Umgangsweise stärkt die Selbstwahrnehmung und das Erleben eines funktionsfähigen, abgegrenzten Selbst auch in der angebotenen Alternative. Dies kann ein ganz entscheidender Schritt bei der Stärkung des Körperselbstbildes sein, besonders für Patienten, die mit sehr abgewehrten, fragmentierten und ablehnenden Körperselbstbildern umgehen. Es kann auch ein Schritt in einer ersten Phase einer Therapie sein. Später kommen dann die Beziehungsbedeutungen hinzu. (Vgl. Maaser i. d. B.) Betont man eher das spontane Körperverhalten – wie hier das geschlossene Atemmuster – und stellt die Frage nach dessen Bedeutung, so lenkt man die Wahrnehmung auf die Ausdrucksbedeutung. Durch diese Art der Intervention wird eine andere Körperdefinition eingeführt, die wesentlich diesen Ausdruckskörper meint. D. h. der Körperausdruck wird mit einer Beziehungsphantasie verbunden, die hinter der Spezifität dieses Ausdrucks vermutet wird. Dieser Patient versteht den Wechsel der Perspektive und antwortet gleich mit einer derartigen Phantasie. Er erlebt sein Verschließen der Brust als Ausdruck eines Schutzes in einer wichtigen Beziehung, in der er seine aggressive Reaktion auf erlebte Kränkungen nicht äußern darf. In der Körperhaltung äußert sich also eine Beziehungslösung. Sie setzt sich in diesem Moment erneut durch, wo es nicht mehr um eine „Körperübung“ geht, sondern der Umgang mit dem Körper auch für den Patienten anders definiert ist. Aber nicht immer wird diese Perspektive vom Patienten gleich geteilt. Sehr oft verstehen Patienten die Frage nach ihrem Körpererleben zunächst weiter auf der körperlichen Funktions- oder Empfindungsebene. Es kann lange dauern, bis ein gemeinsames Verständnis und eine Sprache für diese Ausdrucksseite des Körpers gefunden werden. Die im Körperausdruck gebundene konflikthafte Beziehung bleibt bei dieser Reaktion des Patienten zunächst weiter außerhalb der therapeutischen Beziehung. Der Therapeut hat weiterhin eine begleitende Funktion. Doch der Konflikt wird deutlich durch die bewusste Wahrnehmung des dysfunktional erscheinenden Atemmusters. In der Begrifflichkeit der psychoanalytischen Selbstpsychologie ausgedrückt, kann man sagen, der Therapeut handelt als positives Selbstobjekt, indem er dem Patienten den äußeren und inneren Raum öffnet für eine entsprechende Wahrnehmung seines Körpers und den sich darin ausdrückenden Beziehungshintergründen. Eine weitere Möglichkeit, diese Hintergründe der Beziehung zu verstehen, wäre durch die Symbolisierung der Objekte im Raum gegeben. In diesem Falle böte sich an, der in den Assoziationen auftauchenden Frau oder der Mutterfigur, die den Patienten kränkte, in symbolischer Form im Raum einen Platz zu geben. Der Patient könnte sich dann mit dem beschriebenen Atemmuster dieser Figur gegenüberstellen und jetzt angesichts der konflikthaften Beziehung den dahinter verschlossenen Gefühlen nachgehen. Allmählich wären dann alternative Körperhaltungen zu entwickeln, in Verbindung mit Veränderungen im Beziehungserleben. Der Therapeut bliebe auch bei dieser Variante in einer beglei-
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tenden und unterstützenden Rolle. Der Vorteil ist, dass der Therapeut damit weiterhin ein Dritter bleibt, was oft für die Reflexionsmöglichkeit der dargestellten Szene von großer Wichtigkeit sein kann. Eine weitere Stufe der Bearbeitung bestünde, im Unterschied zu den beschriebenen Vorgehensweisen darin, das spontane körperliche Ausdrucksverhalten als Reaktion auf die aktuelle Übertragungsbeziehung zu sehen und dort aufzugreifen und zu bearbeiten. Der Therapeut oder die Therapeutin stünde dann für das kränkende Objekt, von dem für sein Erleben die Kränkung oder die Kränkungsmöglichkeit ausgeht. Seine Körperhaltung und sein Verschließen des Brustkorbs wäre dann eine Reaktion auf die aktuelle Wahrnehmung dieser Beziehungssituation. Die entsprechende Intervention würde dann nicht nach dem inneren Beziehungserleben fragen, in Form von Phantasien oder Erinnerungen, sondern etwa lauten: „Könnte es sein, dass Sie fürchten, von mir gekränkt zu werden und Sie dann Angst haben, auf mich wütend zu werden?“ Oder die Intervention könnte je nach mimischem Ausdruck des Patienten auch lauten: „Ich habe den Eindruck, dass Sie gerade auch mir gegenüber etwas zurückhalten.“ Im weiteren Verlauf wäre wichtig zu sehen, wie der Patient auch körperlich auf diese Intervention reagiert. Denkbar wäre zum Beispiel, dass der Patient sich spontan aufrichtet und sagt: „Ach nein, hier ist das doch anders. Ich weiß doch, dass Sie mir helfen wollen und mich nicht angreifen.“ Dabei könnte es aber sein, dass er den Kopf zur Seite dreht, die Atmung stockt, die Stimme belegt wird oder er sich im Stuhl zurücklehnt. Nach Interventionen, die sich auf ein Körperverhalten beziehen, zeigen sich oft besonders intensiv weitere körperliche Reaktionen. Man kann sie als unwillkürliche Assoziationen zu der angesprochenen Übertragungsthematik betrachten und von ihnen aus die Analyse weiterführen. Dabei ist in einer besonders spannungsreichen Übertragungssituation in der Regel nur das Aufgreifen dieser „Spontanassoziationen“ hilfreich. Aktive Interventionen, mit der Anregung irgendeiner körperlichen Aktivität, werden in einer derartigen Situation oft nicht in ihrer inhaltlichen Intention verstanden, sondern in ihrer Bedeutung innerhalb der erlebten Übertragungssituation. Würde man jetzt zum Beispiel irgendeine körperliche Veränderung anregen, mit dem Ziel den Atemraum zu erweitern, könnte der Patient verstehen, dass man ihn aufs Glatteis führen will. Er hätte innerhalb der erlebten Beziehung vielleicht den Eindruck, dass man ihn zu aggressiven Äußerungen, die in dem Brustkorb verschlossen sind, verführen will, um ihn dann mit Liebesentzug zu bestrafen. In einem fortgeschrittenen Prozess, in dem der Patient diese Gefühle bereits äußern kann, wäre ein solcher Vorschlag nicht unbedingt ein Fehler, da gerade dadurch die Übertragungssituation deutlicher werden kann. Im Allgemeinen aber empfiehlt es sich, bei der Bearbeitung der konflikthaften Beziehung in der Übertragung nur die auftauchenden Spontanassoziationen im Körperverhalten wahrzunehmen und anzusprechen. Die Bedeutungen können dann ganz allmählich vom Patienten selbst durch entsprechende Erinnerungen entschlüsselt werden. In jedem Fall ist zu bedenken, dass bei einer Intensivierung der therapeutischen Beziehung durch Übertragungskonflikte alle Handlungsdialoge, die sich zwischen Therapeut und Patient abspielen, in besonderer Weise nach zwei Richtungen hin zu betrachten sind. Steht sonst der Inhalt im Mittelpunkt, so tritt
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jetzt der Inhalt zurück und die vom Patienten erlebte Bedeutung der therapeutischen Beziehung prägt das affektive Erleben. Das ist bei verbalen Interventionen zwar auch so. Downing spricht von den jeweils zwei Komponenten einer Intervention und unterscheidet den Inhalt von der Metaebene bzw. dem Verhalten des Therapeuten. (Downing 1996, S. 274) Oder er beschreibt diese doppelte Bedeutung folgendermaßen: „Alles worüber der Patient spricht, können wir – ohne Ausnahme – auf zwei Ebenen aufnehmen. Die erste Ebene betrifft den unmittelbaren, direkten Inhalt. Die zweite besteht in möglichen Bezugnahmen auf den Therapeuten und die Therapie – sie ist sozusagen ein metaphorischer, indirekter Kommentar.“ (Ebend., S. 276) Bei einer Deutung ist dann nicht deren Inhalt sondern die Art, wie die Deutung – z. B. mit welcher Stimme – gegeben wird, das Bedeutsame. Je nach dem Erleben der therapeutischen Beziehung wird der Inhalt eher unterstützend, klärend oder kritisch wertend erlebt. Das gleiche gilt für körperzentrierte Interventionen. Es geht dann weniger um den Inhalt der körperlichen oder szenischen Aktion, sondern es geht um die Bedeutung dieser Anregung in der therapeutischen Beziehung. So verstand ein Kollege in einer Supervision beispielsweise nicht, warum ein Patient die Therapie abbrach, nachdem er mit dem sonst sehr angepassten Patienten besonders Körperübungen zum „Nein“-sagen in den Mittelpunkt gestellt hatte. Es ließ sich dann in der Supervision verstehen, dass der Patient die Übung so verstanden haben musste, dass er dem Therapeuten durch Befolgen der Übung dennoch immer „Ja“ sagte. Ein authentisches „Nein“ blieb ihm dadurch nur durch den Abbruch der Behandlung. Alle Interventionen auf körperlicher Ebene sind daher besonders während einer intensiven Übertragungssituation in dieser doppelten Bedeutung zu reflektieren. Bei Handlungsinterventionen kann diese Rahmenbedeutung noch eingreifender erlebt werden, da durch die Handlungsebene oft tiefere und frühere Affektschichten angesprochen werden. Auch die Distanzierungsmöglichkeit kann geringer sein als bei einer verbalen Intervention. An diesem Punkt macht sich oft die Kritik von psychoanalytischer Seite fest, mit dem Verdacht der Manipulation. Es ist aber zu bedenken, dass Deutungen im Prinzip die gleichen Implikationen haben, nur vielleicht weniger auffällig. Es ist sicher notwendig, wenn man die therapeutische Beziehung wesentlich als Übertragungsfeld sieht und definiert, die methodischen Gesichtspunkte der Analyse auch auf den körperlichen Umgang anzuwenden. Das hieße, die Beachtung der Widerstände und besonders ihre Bedeutung für die aktualisierten Übertragungsmuster sollte Priorität haben. (S. a. meinen Beitrag zum Widerstand i. d. B.) Das gilt insbesondere für Phasen in der Therapie, in denen die Arbeit in der Übertragung im Vordergrund steht. In diesen Phasen haben die Körperinterventionen wesentlich das Ziel, die aktuelle therapeutische Beziehung im körperlichen Umgang miteinander zu verdeutlichen – z. B. durch Distanzveränderungen im Raum – und ihren genetischen Hintergrund zu klären.
3.4. Zum Umgang mit der Gegenübertragung Eine besondere Bedeutung kommt bei diesem interaktionellen Umgang der körperlichen Gegenübertragung zu. Oft sind körperliche Reaktionen und Handlungsimpulse hier sehr viel intensiver spürbar als bei einem verbalen Umgang.
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Einmal steht sicher die körperliche Selbstwahrnehmung des Therapeuten durch den körperlichen Umgang mehr im Vordergrund. Außerdem werden eigene körperliche Reaktionsmuster durch die interaktionelle Szene eher aktiviert. Auch hier ist ein eher unterstützender oder übertragungszentrierter Modus der Intervention denkbar. Bei der oben beschriebenen Szene könnte das folgendermaßen aussehen: Der Therapeut bemerkt bei sich, wie der eigene Atem stockt, der Brustkorb angespannt ist, die Hände kalt werden, ein Hustenreiz aufkommt, Bauchgeräusche hörbar werden. Man könnte dieses eigene Körpergefühl in identfikatorischer Weise dem Patienten mitteilen und etwa sagen: „Ich kann jetzt nachempfinden, wie eingeengt Sie sich manchmal im Brustbereich fühlen.“ Mit dieser Antwort bliebe man zunächst auch auf der Empfindungsebene. Wollte man über die Identifikation in der Gegenübertragung die Bedeutungsebene ansprechen, könnte man hinzufügen: „Ich kann auch mit meiner Körperreaktion Ihre Angst vor einer Veränderung nachfühlen, wenn ungewiss ist, was sich dahinter verbirgt.“ Man kann die eigene Körperreaktion jedoch auch als Antwort auf den Konflikt des Patienten in der Übertragungsbeziehung verstehen und entsprechend reagieren. Dann könnte es zu folgender Szene kommen: Der Patient antwortet auf die Frage, ob sein Verschließen des Brustkorbs mit der aktuellen therapeutischen Beziehung zu tun hat, sowohl mit verbaler Verneinung wie durch gleichzeitiges Wegschauen. Eine Möglichkeit wäre, seine körperliche Abwehrreaktion zu benennen. Vielleicht aber löst sein Verhalten auch einen eigenen Impuls, zur Seite zu treten oder einen Schritt zurück zu gehen, aus. Man könnte diesen Impuls wieder verbal ausdrücken oder bewusst handelnd, indem man tatsächlich den Platz verändert. Der Patient könnte darauf erschrocken reagieren und sagen: „Ich wollte Sie nicht vertreiben.“ Wieder mehr in seine Blickrichtung tretend, könnte man vielleicht wahrnehmen, wie sich der Patient erneut nach vorn neigt, um seine Brust zu schützen, in allerdings ganz unbewusster Weise. Bei gleichzeitiger Verbalisierung der Wahrnehmungen und eigenen Reaktionen dazu könnte sich allmählich die Übertragungssituation konkretisieren und benennbar werden, auch in ihrem körperlichen Ausdruck. Wichtig wäre in jedem Fall, die körperliche Art der Reaktion ebenso wahrzunehmen wie die verbale. Das würde sowohl für das Verhalten des Patienten wie für den Therapeuten gelten. Das Verstehen des inneren Beziehungsmusters in der aktualisierten Übertragung, auch in ihrem körperlichen Ausdruck, hat den Vorteil besonderer Evidenz, da die Situation beidseitig intensiv affektiv erlebbar wird. Bisher wurden drei Möglichkeiten des Umgangs mit der Handlungsdimension sowohl auf der Seite des Patienten wie im Umgang mit der Gegenübertragung beschrieben: erstens die Wahrnehmung des Körpers auf der funktionalen Körperebene mit einer begleitenden Rolle des Therapeuten; zweitens die Verknüpfung des Körpererlebens mit der Beziehungsbedeutung auf der Ebene des Körperselbsterlebens. Die zugehörigen Beziehungen kämen dann assoziativ hinzu oder wären durch Symbole im Raum zu konkretisieren. Die Rolle des Therapeuten bliebe auch bei diesem Vorgehen weiterhin in einem begleitenden, unterstützenden Rahmen. Drittens wurde die Bearbeitung der Beziehungen in der Übertragung beschrieben. Der Therapeut reagiert hier aus der Identifikation mit einem Teil des inneren Beziehungssystems des Patienten. Der entscheidende Unterschied liegt also in der therapeutischen Wahrnehmungszentrierung innerhalb einer bestimmten aktuellen Definition der therapeutischen Rollenfunk-
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tion. Während einer Behandlung können diese Formen der Intervention wechseln, je nach Struktur des Patienten oder Stand des therapeutischen Prozesses. Eine Diskussion zur Indikation dieser verschiedenen körperlich-szenischen Interventionsformen findet sich am Schluss dieses Beitrags. Im weiteren Verlauf sollen Beispiele zum Umgang mit anderen Körperbereichen diese Art des Vorgehens weiter illustrieren.
3.5. Zur Bedeutung des Augenausdrucks „Trinkende“ Augen Bei einer Patientin fielen mir ihre großen, wie in einem weiten Meer schwimmenden Augen auf, die etwas unbestimmt Suchendes hatten. In einer Stunde fühlte sie sich so bleischwer, dass sie sich kaum auf einem Hocker halten konnte. Nachdem ich ihr vorschlug, ihrem Körpergefühl weiter zu folgen, ließ sie sich auf den Boden gleiten. Ich setzte mich neben sie auf den Boden, mein Gesicht ihr zugewandt, dabei von ihrem Augenausdruck, dem ich weiter nachgehen wollte, geleitet. Sie schloss zunächst die Augen, drehte mir dann jedoch ihren Kopf so weit wie möglich zu, und schaute mich mit ihren großen Augen in der beschriebenen Weise unverwandt an. Ich bekam dabei zunehmend das Gefühl, ihr ganzes Gesicht und ihr Körper bestehe nur noch aus Augen. Ich konnte ihren Blick gut aufnehmen, und war erinnert an die Stillzeit mit meinen Kindern. Wir sprachen dabei lange nichts. Am Ende sagte die Patientin nur, sie hätte immer weiter so liegen können. Mir wurde fühlbar, welchen Hunger die Patientin danach hatte, in diesem Augenkontakt gehalten und aufgehoben zu sein. – Nachdem wir öfter so gearbeitet hatten, fiel mir jedoch auf, dass sich dadurch an ihrem verschwimmenden Augenausdruck wenig änderte. Ich thematisierte diesen Eindruck und schlug ihr vor, sich einmal vorzustellen, ihre Augen seien Greifer, mit denen sie mich zu sich heranziehen könnte. Zu meiner Verwunderung machte ihr diese Vorstellung große Angst. Trotz aller Intensität des Augenkontakts vorher, verband sie erst mit dieser Vorstellung eine aktive Forderung an mich, die absolut tabuisiert war.
Das passiv abwartende Verhalten wiederholte sich auch auf anderen Körperebenen, war aber zunächst in ihrem Augenausdruck besonders auffällig. Auch hier war das Ziel, in dieser Körperauffälligkeit zunächst den Konflikt zu verstehen – wie hier die Abwehr aktiver Impulse im Augenausdruck. Dabei kann es notwendig sein, die körperliche „Lösung“ erst einmal auch längere Zeit bestehen zu lassen, z. B. um genügend Boden für die Konfliktanalyse zu schaffen. Es kann auch sein, dass in dieser Art des körperlichen Haltes zunächst weniger ein Konflikt enthalten ist als ein großes Defizit in der Grunderfahrung eines haltenden Augenkontakts. Kriterium wäre dabei immer das Auftauchen neuer Entwicklungsschritte auf der Basis dieser Erfahrung. Eine Stagnation oder auch krampfhaftes Festhalten an einer einmal gefundenen Form des therapeutischen Kontakts spricht für dessen Abwehrcharakter. Bei der Durcharbeitung eines derartigen körperlichen Ausdrucks geht es darum, den Raum für neue Formen des Ausdrucks zu öffnen, entweder durch freie Assoziationen, angeregt durch die Frage: „Wie könnten die Augen noch anders schauen, wenn Sie ihnen freien Lauf lassen?“ Oder man kann, wie hier geschehen, Vorschläge machen. Man könnte fragen: „Wenn Sie mit ihren Augen »greifen«, »stechen« oder »schreien« – wie könnte das aussehen?“ Man könnte dies zunächst mit der Patientin zusammen ausprobieren. Dabei wäre den Phantasien nachzugehen, die mit dem veränderten Körperverhalten auftauchen.
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Neue Formen des Körperausdrucks ließen sich in dieser Weise auf der Körperebene durch unterstützende therapeutische Interventionen entwickeln. In einem weiteren Schritt wäre das veränderte Körperverhalten mit der konflikthaften Beziehung zu verbinden, in der die Einschränkung der aktiven Möglichkeiten wesentlich stattgefunden hat. Schrittweise kann man zunächst symbolische Objekte einführen, die die Personen repräsentieren, denen gegenüber zum Beispiel die tabuisierte fordernde Haltung eine besondere Rolle spielte. Die weitere Möglichkeit wäre, der konflikthaften Beziehung im therapeutischen Kontakt nachzugehen. Das würde zu einer Analyse des Konfliktmusters in der Übertragung führen. Die Dosierung dieser Schritte vom Körpererleben zum Umgang mit symbolischen Objekten hin zur Arbeit in der Übertragung hängt wieder von der Struktur der Patienten sowie vom Stand des Prozesses ab. Zur Arbeit in der Übertragung mit dem Körperausdruck ein weiteres Beispiel. Bei dem folgenden Patienten verband sich ein Konflikt spontan mit der Übertragung. Stimme und Augenkontakt standen dabei im Vordergrund.
4. Zur Bedeutung der Stimme Der mörderische Schrei Dieser Patient wurde als Kriegskind oft allein gelassen aufgrund der Abwesenheit des Vaters und einer Mutter, die für den Unterhalt der Familie sorgen musste. Er kämpfte in der Therapie immer wieder mit starken Verlassenheitsgefühlen. In seinem Körperverhalten fiel besonders seine oft heisere oder belegte Stimme auf. Es ergab sich folgende Szene: Der Patient steht mir gegenüber, räuspert sich oft und spuckt in ein Taschentuch. Er versucht auf meine Anregung hin, einen Ton zu machen. Während er dies versucht, zieht sich sein Hals immer mehr zu, die Stimme wird immer gequetschter. Er wendet sich ab, das befreit die Stimme etwas. Dann hält er sich die Ohren zu und meint: „Ich darf es selbst nicht so hören.“ Nach einer Weile geht er in eine Ecke des Raums und legt sich auf den Bauch. Ich höre an der sich steigernden Stimme, wie er immer wütender klingt. Einmal kommt ein halb ersticktes „Mama“ aus ihm heraus, dann kehrt er zu wortlosem Schreien zurück. Später sagt er dazu, er habe erstmalig beim Stärker-werden seiner Stimme gemerkt, wie viel Mörderisches in ihm sei. Er sagt: „Ich hätte dich in dem Moment umbringen können“.
Hier wird deutlich, wie sich eine mörderisch erlebte Aggression mit der Stimme verbindet. Er erlebte tatsächlich seine Stimme als besonders gefährlich, während er seine Körperkraft, trotz massiver Größe, in dem Moment nicht mit einer besonderen Kraft oder Bedrohlichkeit verband. Es ist interessant, wie hier das Körpererleben die frühe Fixierung widerspiegelt und auch die damals beste Beziehungsregulation. Der Schrei blieb ihm buchstäblich im Halse stecken, da lautes Schreien anscheinend eher zu weiterer Ohnmacht führte, eine Abwendung der Mutter zur Folge hatte, oder viel Angst, sie zu zerstören, hinterließ. Hier ist das Erleben dieser Beziehung spontan mit der Übertragung verbunden. Da der Patient trotz des archaischen Impulserlebens über eine genügend stabile Ich-Struktur verfügte, bot sich die Analyse der Körpermuster in der Übertragung weiter an. Zu einem etwas späteren Zeitpunkt steht dieser Patient vor mir und hat den Impuls, aggressiv auf mich loszugehen, was besonders an seinem Augenausdruck auch abzulesen ist. Er fühlt dabei eine zunehmende Taubheit in den Händen und Spannung in den Armen. Nach einem längeren inneren Kampf beginnt er, mich an den Schultern
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zu schütteln, wobei seine Stimme zunächst wieder wegbleibt. Als er lauter wird, muss er weggucken. Er tritt ein paar Schritte zurück und sieht mich aus größerer Distanz an. Er spürt dabei, welche Wut und Kraft jetzt in seine Augen tritt. Dabei wird ihm bewusst, dass ich erst durch den Augenkontakt für ihn zu einer Person werde. Vorher „sei er mit einem Körper umgegangen“. Dies ermöglichte ihm zwar, zu seiner Körperkraft zurück zu finden, aber um den Preis einer persönlichen Beziehung.
Neben der Bedeutung seiner Stimme äußert der Patient hier eine entscheidende Funktion des Augenkontakts. Daher erscheint es mir auch wichtig, den Augen bei einer systematischen Betrachtung der verschiedenen Körperbereiche einen eigenen Stellenwert zu geben. Viele Patienten äußern, dass sie nur mit geschlossenen Augen etwas tun können, was ihnen sonst im Kontakt nicht möglich ist. So kann es auch zunächst einmal wichtig sein, den Augenkontakt aus einem Handlungsdialog herauszunehmen durch die Art des Szenenaufbaus oder durch Schließen der Augen. Die Distanz und das Nichtsehen ermöglichten diesem Patienten in der oben beschriebenen Szene zunächst, die Bedeutung seiner zurückgenommenen Stimme zu erleben. Die Vermeidung des Augenkontakts kann aber auch – wie in dieser Szene vom Patienten bemerkt – zur Abwehr eines Beziehungserlebens werden, was zu einer unbewussten Dauereinschränkung der Kontaktmöglichkeiten führt. Dieser Patient äußerte beispielsweise oft das Gefühl, in seinen Bedürfnissen und Ängsten nicht gesehen zu werden. Das stimmte wahrscheinlich für seine Genese. Aber er wiederholte dieses Erleben in der Gegenwart dadurch, dass er nicht hinsah. „Ich lasse den Anderen verschwimmen“, sagte er, als wir in dem Zusammenhang auch über seine starke Kurzsichtigkeit sprachen. Er neigte auch dazu, im Kontakt durch dieses Nicht-Hinsehen den Anderen zu überrollen, als Ausdruck seiner Wut und Voreingenommenheit, in seiner Bedürftigkeit nicht gesehen zu werden. Allerdings trug ihm dieses Verhalten wieder nur Abwendung, Unverständnis und Ärger ein.
4.1. Bewegungen im Raum Weitere Beispiele sollen den Umgang mit dem motorischen Bereich illustrieren. Wenn man hier alle mimischen, gestischen Äußerungen, Haltungen, wie alle Bewegungen im Raum hinzurechnet, ergibt sich eine ungeheure Vielfalt von Äußerungsmöglichkeiten, die einen Zugang zu den inneren Beziehungsmustern ermöglichen. In den Beispielen wird hier aus der Fülle der motorischen Äußerungen und Bedeutungen, die räumliche Bedeutung der Bewegung aufgegriffen. Oft spiegelt hier die Art der Einschränkung oder Hemmung auch die Entwicklungsstufe wieder, in der dieses Verhalten seinen Ursprung hat.
Eine frühe Verhinderung eigener Lebensbewegungen Eine Patientin, die von ihrer Mutter vorwiegend als Selbstobjekt behandelt wurde, breitet am Anfang der Sitzung immer eine Decke aus, auf die sie sich legt. Eines Tages wird deutlich, dass sie die Grenzen dieser Decke absolut beachten muss. Schon die Phantasie, sich über die Grenzen dieser Decke hinauszurollen, ist von großen Ängsten begleitet. Es wurde für sie darin immer wieder unmittelbar fühlbar, wie sehr sie sich nur im „Bannkreis der Mutter“ oder anderen Beziehungen, die dafür standen, aufhalten durfte.
Dass diese Hemmung und die panischen Ängste, den Raum weiter für sich zu nutzen, sich bereits im Liegen äußerte und sich lange Zeit auch darin hielt,
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machte für mich deutlich, wie früh diese „Bewegungseinschränkung“ im psychischen Sinn bereits eingesetzt hatte. Diese Art der Bewegungseinschränkung hatte bei dieser Patientin besonders augenfällig nichts mit ihrer sonstigen körperlichen Beweglichkeit zu tun. Sie war von Beruf Tanzlehrerin und bewegte sich dadurch rein körperlich ständig in den verschiedensten Räumen. Das Körpererleben in einem Raum, der hier die Bedeutung eines eigenen Lebensraums bekam, war für sie etwas völlig anderes. Eine ähnliche Bedeutung des Raums ergab sich für eine weitere Patientin, allerdings auf einer anderen Entwicklungsstufe.
Das Bewegungstabu einer Festungsfamilie Mit dieser Patientin arbeitete ich zunächst längere Zeit im Sitzen in einer festen Sitzordnung, da sie zunächst wegen einer aktuellen Krise kam. Dann ergab sich jedoch ein längerer Therapieprozess. Nach einiger Zeit fiel mir dabei die besondere Art, ihren Platz einzunehmen, auf. Beim Betreten des Therapieraums huschte sie jedes Mal in möglichst kurzer Zeit in geduckter Haltung auf den Sofaplatz, als dürfte sie dabei auf keinen Fall gesehen werden. Als ich diesen Eindruck thematisierte, schien ich ins Schwarze zu treffen. Sie fühlte nur Abwehr und Angst bei der Vorstellung, sich im Raum zu bewegen. Dennoch wurde sie nach einiger Zeit neugierig, warum sie sich dagegen so wehren musste, zumal ihr therapeutischen Prozesse nicht fremd waren. So ließ sie sich nach längerer Besprechung auf eine Änderung des Settings ein. Die erste Stunde, in der wir mit dieser Änderung umgehen wollten, sagte sie jedoch erst einmal ab. In der folgenden Stunde fand sie eine neue Lösung. Sie baute sich eine Mauer aus Matratzen, hinter der sie sich verbarg. Viele Stunden arbeiteten wir zunächst mit dieser Mauer, hinter der sie jedes Mal verschwand. Aber das Thema der freien Bewegung im Raum und dessen Bedeutung war damit bereits immer im Mittelpunkt ihrer Wahrnehmung und Assoziationen. Erst ganz allmählich traute sie sich dahinter hervor. Den gefährlichen Übertragungsaspekt löste sie dabei teilweise von mir und symbolisierte ihn in einem Gesicht im Raum, das sie mit kalten Augen verfolgte. So war es möglich, mich unterstützend zu erleben, wenn auch immer wieder gemischt mit der Angst vor meinem kritischen Blick.
Es ließ sich folgende Bedeutung herausarbeiten: Die Patientin entstammte einer nach außen sehr geschlossenen „Festungsfamilie“, die von Frauen dominiert wurde. Starke unausgesprochene Ambivalenzen führten dazu, dass absolute Loyalität der Familie gegenüber gefordert war im Festhalten am symbiotischen Familienverband. Die meisten Frauen in der Familie blieben unverheiratet an der Seite der Großmutter. Der Bewegungsraum in der Therapie bekam für diese Patientin die Bedeutung einer Loslösung aus diesem Familienverband auch dadurch, dass sie für ihr eigenes Bewusstsein als Frau dabei in Erscheinung trat. Wir arbeiteten daher nach dem Verstehen der Autonomieproblematik an ihrer Selbstbesetzung als Frau, unter anderem vor einem großen Spiegel im Therapieraum. Zunächst konnte sie ihr Spiegelbild nur mit großer Selbstablehnung anschauen. Allmählich aber fühlte sie sich sowohl im Raum – in der Bedeutung eines eigenen Lebensraums – wie in ihrer weiblichen Erscheinung, trotz sie bedrohender Augen, sicherer. Bis dahin hatten wir uns allerdings nie körperlich berührt, was innerhalb eines solchen Therapierahmens und der Intimität der Themen auffällig war. Da geschah eines Tages etwas Neues.
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4.2. Berührungen Die Angst vor der Nähe in der Berührung Sie erwartet mich nicht sitzend wie sonst, sondern stehend im hinteren Teil des Raums. Hinter einer quer liegenden Matratze geht sie dann unruhig auf und ab. Allmählich traut sie sich vor diese Barriere zu kommen. Ihre Hände wandern dabei zwischen Gesicht und Rücken hin und her. Ich warte, wie sich die Situation weiter entwickelt. Sie hält jedoch über lange Zeit den gleichen Abstand zu mir und ich bekomme ein Gefühl der Stagnation. Als ich dies äußere, meint sie „Ja, ich versuche wieder, Sie zu bannen!“ Diese Form der Beziehungsregulierung zwischen uns, durch die sie versucht, weder eine zu große Nähe noch Entfernung entstehen zu lassen, war ein wiederholtes Thema. Daher versuche ich von mir aus einen neuen Impuls zu geben und gehe mit ausgestreckten Armen und hochgestellten Händen auf sie zu. Das Ziel ist, der Angst vor Berührung weiter auf die Spur zu kommen, und durch die Form des Angebots erst einmal eine abgrenzende Form der Berührung nahe zu legen. Sie kommt mir mit gleicher Arm- und Handhaltung entgegen, bis unsere Hände sich berühren. Einen Augenblick drückt sie schwach gegen meine Hände. Ich erwarte die Entwicklung eines abgrenzenden Berührungsdialogs. Da schluchzt die Patientin plötzlich intensiv auf, geht ein paar Schritte zur Seite, fällt dort auf die Knie, duckt sich zusammen, hält die Hände vor das Gesicht und weint mit dem Ausdruck tiefer Verzweiflung. Ich bin völlig überrascht, kniee mich neben sie, lege einen Arm um ihren Rücken und nehme ihre Hand, die mich kaum berührt. Noch weinend sagt sie: „Das ist ja schrecklich, meine Hand ist ja wie tot, wie können Sie das nur ertragen?“ Als das Weinen schließlich nachlässt, erzählt sie mir von ihrem Erleben. „Es ist die Wärme, die Wärme Ihrer Hand, die kommt dann in mich rein – und da ist dann solche Verzweiflung, solch ein Schmerz in mir.“ Dabei legt sie ihre Hand auf die Brust. Wir verstehen zusammen, dass sie bei dem Bemühen um Abgrenzung in der vereinnahmenden und um Dauerharmonie bemühten Familie, ihre Sehnsucht nach Nähe und Berührung oft unterdrücken musste und ihre Einsamkeit weder fühlen noch äußern wollte.
Berührung im therapeutischen Kontakt kann je nach dem aktuellen Bedeutungszusammenhang zu einem entscheidenden Schlüssel werden für Affekte, die an diese Geste gebunden sind. Oft sind diese Affekte in einem anderen Zusammenhang nicht unbekannt. Bei dieser Patientin waren Trauer und Einsamkeit ein oft besprochenes und gefühltes Thema, in Zusammenhang mit dem Verlust ihres Partners. Sie hatte diese Gefühle aber nicht mit ihrem Kindheitserleben verbunden, jedenfalls nicht mit dieser Intensität des Affekts. In ihrem Bewusstsein war das Geborgenheitsgefühl in der äußerlich sehr stabilen Familienstruktur im Vordergrund. Die lange Beachtung des Widerstands der Patientin gegen jede Form der Berührung war wahrscheinlich eine Voraussetzung dafür, dass sie in diesem Moment die ganze Tiefe der abgewehrten Gefühle zulassen konnte, ausgelöst durch die körperliche Berührung. Die Reflexion des Zeitpunkts für eine Intervention, die hinter die Abwehr geht, ist dabei mindestens ebenso wichtig wie das „Timing“ einer Deutung. „Hinter die Abwehr gehen“ meint hier das aktive Angebot einer Berührung, die von der Patientin bis dahin spürbar vermieden wurde. Verstärkungen der Abwehr oder eine zu starke Labilisierung sind auch im körperlichen Umgang die möglichen Brüche im Prozess der Behandlung. Berührung kann dabei die verschiedensten Formen und Bedeutungen annehmen. Eine breite Darstellung von Berührungsformen findet sich bei Moser (2001) in dem Buch „Berührung auf der Couch“. Eine der wichtigsten Formen ist die Halt gebende Funktion der Berührung. Oft können sich sehr angstbesetz-
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te Gefühle nur unter diesem konkret körperlich spürbaren Halt und dessen symbolischer Bedeutung lösen. Hinzuzufügen ist, dass Selbstberührungen, neben der Berührung im therapeutischen Kontakt, eine ganz wichtige Rolle spielen bei der Erfahrung der eigenen Körperbesetzung. So mögen sich viele Patienten kaum berühren, oder nur an manchen Stellen. Oder sie empfinden sich unter der Selbstberührung taub. An der Form der Selbstberührung, streichelnd zärtlich, mechanisch oder gewaltsam, lassen sich innere Beziehungsstrukturen erkennen und verstehen. Oft ist die Anregung der Selbstberührung eine wichtige Form, da die Berührung im therapeutischen Kontakt neben ihrer lösenden, unterstützenden Bedeutung an entscheidende psychische Traumen rühren kann. So war eine Patientin tief erschrocken, da meine Berührung sie plötzlich an „die spitzen Finger“ ihrer Mutter erinnerte, die sie tief eindringend erlebte. Sie musste sich schnell aufsetzen, um sich meiner Realität zu versichern. Oft machen sich besonders an Berührungen schwer auflösbare Widerstände fest, da in dieser Verdichtung der symbolische Charakter für die Patienten nicht mehr erlebbar ist. Der therapeutische Kontakt wird in dem Fall zum Beispiel als Mutterersatz erlebt, und eine dauerhafte Halt gebende Funktion wird eventuell in sehr aggressiver Weise eingefordert. Kriterien der Indikation für verschiedene Körperinterventionen werden zum Schluss diskutiert.
4.3. Weitere Dimensionen der Interaktion 4.3.1. Aktive und passive Verhaltensweisen und Interventionsformen Bei der zuletzt ausführlich dargestellten Patientin aus der „Festungsfamilie“ wurde der Berührungskontakt in der beschriebenen Stunde von mir initiiert. Das Kriterium an dieser Stelle war die längere Bearbeitung der Autonomieängste, die sich besonders an freien Bewegungen im Raum festmachten, sowie die zunehmenden Signale der Patientin, sich der bisher vermiedenen Berührung im Kontakt zuzuwenden. Es war wiederholt über ihre Sehnsucht und Vermeidung dieser Widerannäherungsformen durch Berührung gesprochen worden. Mir schien es in diesem Moment wichtig, der Patientin mit meiner Initiative entgegenzukommen, da der Prozess an dieser Stelle schon länger stagnierte. Das Ziel, die Angstbarriere durch das Herangehen an die Widerstandsgrenze näher zu verstehen, stand auch hier wieder im Vordergrund. Es gelang ihr dadurch für einen Moment, das Ausmaß ihrer verzweifelten Trauer über die innere Einsamkeit in dieser Familienstruktur zu fühlen. Damit aber ist die Möglichkeit, von sich aus einen Kontakt herzustellen, in dem diese Gefühle einen Raum haben, noch nicht unbedingt gegeben. Das zeigte sich auch im weiteren Verlauf der Behandlung. Als die Patientin probiert, von sich aus auf mich zuzugehen, weicht sie erst einmal schnell wieder ein paar Schritte zurück. Dabei spürt sie, wie eine Wiederannäherung für sie durch dieses Zurückweichen noch schwerer wird. „Ich kann nicht auf Sie zugehen“, sagt sie, „und wenn ich weggehe, kann ich nicht zurückkommen.“ In diesem Erleben wird die statische Lösung des „Bannens“, wie sie es nannte, noch einmal verständlich. Dann probiert sie doch sich anzunähern. Sie streckt die Hände andeutungsweise in meine Richtung. Dabei bleibt sie wieder stehen und hat plötzlich einen auffällig leeren Gesichtsausdruck. Ich hebe meine Hände etwas in ihre Richtung. Da bekommt sie wieder Mut, auch durch mein freundliches Gesicht, wie sie bemerkt. Jetzt wird eine neue Angstbarriere zugänglich. Sie fürchtet bei der Wiederannähe-
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rung, bei mir auf einen völlig leeren, gleichgültigen Gesichtsausdruck zu treffen. Mir fällt dazu ein, dass ich kurz vorher diesen Ausdruck in ihrem Gesicht gespiegelt sah. Über eine Zwischenphantasie, die Hände nach mir auszustrecken, kann sie dann, als ich mich einen Moment zur Seite wende, ihre Hände blitzschnell vorstrecken, um sie dann wieder hinter ihrem Rücken zu verstecken.
Die Durcharbeitung einer bisherigen Verhaltenslösung in einer Beziehung nimmt auch bei dieser Form des Zugangs längere Zeit in Anspruch. Im beschriebenen Fall ging es um eine allmähliche Wiederherstellung eigener Möglichkeiten der aktiven Trennung und Wiederannäherung. Besonders zugänglich wurde mir die Bedeutung eines aktiven oder passiven Verhaltens auch in der Therapie einer anderen Patientin.
Die Wiederannäherung an eine „Schnee-Mutter“ Ihre Behandlung war bestimmt von einer sehr schwierigen Mutterbeziehung. Sie fühlte sich von dieser Mutter immer wie durch einen Graben getrennt, empfand sie als kalt und bezeichnete sie als „Schnee-Mutter“. In einer vorhergehenden Therapie war die Therapeutin diesem Defizit entgegengekommen und hatte für die Patientin – nach deren Worten – öfter eine „Kuschelecke“ gebaut, in der sie beide Platz fanden. Sie deutete an, dass sie sich Ähnliches von mir wünschte, und schaute mehrfach auffordernd zu mir herüber. Ich fühlte jedoch einen deutlichen Widerstand in mir, darauf einzugehen. Als ich dies mitteilte, war sie sehr enttäuscht. Ich fühlte mich daraufhin wie eine Mutter, die etwas Notwendiges verweigert. Dennoch wollte ich mein widerstrebendes Gegenübertragungsgefühl nicht überspringen. Ich suchte nach einer Berührung, die auch für mich stimmte, und bot ihr einen Kontakt über die gegeneinander gestellten Füße im Sitzen auf dem Boden an. Sie ging etwas widerstrebend darauf ein und äußerte den gleichen Vorwurf, den sie auch an ihren Mann hatte. Immer „müsse“ sie etwas, auf ihre Bedürfnisse gehe niemand ein. Ich spürte den SchuldDruck, hatte aber weiterhin Widerstände, auf ihre jammernd-vorwurfvolle Art mit weiteren Angeboten zu reagieren. Über die Füße, die wir immer heftiger gegeneinander drückten, entstand dann eine Art Berührungskampf. Der Patientin wurde jetzt deutlich, dass sie sich von ihrer Mutter nicht nur in Distanz gehalten fühlte, sondern sich auch klein und hilflos machen musste, wenn sie etwas von ihr bekommen wollte.
Trotz der darin enthaltenen teilweisen Selbstaufgabe in ihren aktiven, aggressiven Bedürfnissen, war dies immerhin eine Lösung, an die die erste Therapeutin anknüpfen konnte. Es kann auch erst einmal richtig sein, die Befriedigungsmöglichkeiten aufzugreifen, die Sicherheit gegeben haben, auch wenn diese eine Ersatzlösung darstellen. (Eine Ersatzlösung bezeichnet hier Beziehungsmuster, die wesentlich durch die Anpassung an einschränkende elterliche Verhaltensmuster bestimmt sind unter Aufgabe eigener Grundbedürfnisse. Eine ausführlichere Darstellung dieses Konzeptes findet sich im Kapitel über den Umgang mit Widerständen in diesem Lehrbuch.) Oft ist die körperliche Reinszenisierung eine Möglichkeit, die darin enthaltenen Kompromisslösungen deutlicher zu machen. Das setzt allerdings von therapeutischer Seite voraus, dass die Ersatzlösung nicht bruchlos geteilt wird. In diesem Fall hieße das, durch ein ständiges Entgegenkommen und eine Übernahme des aktiven Teils im Versorgungswunsch der Patientin ein Verstehen des Konflikthintergrunds zu vermeiden. Bei einer Schulung der Wahrnehmung auch der sich körperlich äußernden Gegenübertragungsgefühle ist eine solche Vermeidung oft nur an einem Widerstreben in der Gegenübertragung zu erkennen. Ein Gefühl der Unstimmigkeit in der Gegenübertragung, das sich auch durch Symptome, körperliche Verspannungen, Kältegefühle oder Schmerzempfindungen äußern kann, ist
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unbedingt ernst zu nehmen. Oft liegt es nahe, diese Gefühle beiseite zu schieben und rationalisierend dem Ausdruck eigener Tagesstimmung und körperlicher Verfassung zuzurechnen, weil die Wahrnehmung eines inneren Widerspruchs auch dem Therapeuten unangenehm ist. Sehr oft aber reagiert der Körper sehr viel schneller auf ein konflikthaftes Angebot in der Beziehung, als dem Bewusstsein zugänglich ist. So kann der Körper auch in der Gegenübertragung zu einem entscheidenden Hilfsmittel bei dem Verstehen der Beziehung werden, wenn man seine Signale versteht und nutzt. Ehrlichkeit und Authentizität in der körperlichen Reaktion sind in diesem konfliktzentrierten Vorgehen eine unbedingte Vorraussetzung eines stimmigen Kontakts. Die Stimmigkeit, das heißt die Kongruenz von körperlicher Geste und des beidseitig empfundenen Kontakts ist wohl eines der wichtigsten Kriterien besonders für den Umgang mit Berührung. Verletzungen des Patienten durch verweigernde oder kritische Reaktionen sind natürlich genauso zu vermeiden wie bei einem verbalen Umgang. Auch hier ist zu bedenken, dass negative Reaktionen auf körperliche Signale und Wünsche sehr viel tiefer verletzen können als verbale kritische Konfrontationen. Mein Widerstreben bei dieser Patientin, die Erfahrungen der „Kuschelecke“ fortzusetzen, führte in dem oben beschriebenen Behandlungsabschnitt erst einmal dazu, die Ersatzlösung, sich klein zu machen, zu verstehen. Der Ersatzcharakter darin hatte sich mir durch den leicht erpresserischen Druck, der in der Art der Äußerung ihrer Wünsche zu spüren war, mitgeteilt. Dieser Druck ist ein häufiges Zeichen für eine defizitäre Kompromisslösung in einem Kontaktverhalten. Die Not der nur teilweisen Befriedigung und die teilweise Selbstaufgabe machen die Dringlichkeit aus. Oft wird dieser Hintergrund als „unstillbare Gier“ interpretiert, die nur durch eine Verzichtslösung aufzuheben ist. Das hieße, in dem Wunsch nur das ursprüngliche Bedürfnis zu sehen, das durch die Fixierung unerfüllbar ist. Versteht man den Wunsch in seiner heutigen Form aber als Ersatzlösung, in der der ursprüngliche Wunsch nach Nähe und Wärme und Angenommensein bereits in einer bestimmten Verarbeitung enthalten ist, so erklärt sich der Druck aus dem darin enthaltenen Defizit. Zum anderen ist auch die Angst sehr hoch, das prekäre Gleichgewicht der Beziehung, das in dieser Ersatzlösung gefunden wurde, zu gefährden. Auch daher drängt die alte Lösung in die Wiederholung. In der beschriebenen Behandlungsphase hatte ich zunächst versucht, der Patientin ein Angebot zu machen, das eher ihre aktiven, aggressiven Impulse herausfordert. Die Anfangsinitiative war dabei aber weiterhin von mir ausgegangen. Ein ganz neues Erleben ergab sich für die Patientin einige Zeit später. Sie versuchte dann, von sich aus ihren Sitzplatz zu verlassen und auf mich zuzugehen. Jetzt spürte sie ein zunehmendes Kältegefühl in ihrem ganzen Körper bis hin zu sich blau verfärbenden Händen. Es war, als träfe sie wirklich auf die „Schnee-Mutter“, bei deren Berührung ihr die Hände erfrieren. Es dauerte lange, bis sich, durch eine mehrfache Wiederholung dieser Szene, ihre Angst und Verzweiflung durch ein tiefes Weinen lösen konnte. Modellszenen, die einem Defiziterleben in einem entscheidenden Grundbedürfnis neue Erfahrungen zur Verfügung stellen, sind damit nicht grundsätzlich in ihrem Wert in Frage gestellt. Aber es ist immer zu prüfen, ob eine Vermeidung darin enthalten ist. Das ist vielleicht nicht von Anfang an der Fall, aber kann im Verlauf der Therapie diese Bedeutung annehmen.
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Hier verstand die Patientin erst durch meine Weigerung, ihr aktiv von mir aus mit der von ihr gewünschten Berührung entgegen zu kommen, warum ihr viele Beziehungen so schwer fielen. Ihr Partner fühlte sich durch ihre ständige latente oder offene Vorwurfshaltung buchstäblich erstickt. Die Blockierung ihrer eigenen Annäherungsimpulse war ihr durch das durchgehende Entgegenkommen der ersten Therapeutin nicht deutlich geworden. In ihrem Alltag erwartete sie dadurch jetzt auch, ihr Partner möge ihr ebenso entgegen kommen wie die Therapeutin. Sie nahm die Illusion mit, ein äußeres Entgegenkommen allein löse ihr Problem. Die mögliche Gefahr der Szenen, die erst einmal eine neue Modellsituation herstellen, besteht darin, dass zwar äußerlich neue Erfahrungen und Beziehungen entstehen können, diese aber unverbunden bleiben mit den bisherigen Erfahrungen und deren Verarbeitungen. Die alten Beziehungsverläufe setzen sich dann gleich wieder durch, wenn die äußeren Bedingungen der neuen Szene wegfallen, zum Beispiel in Form der geschützten Therapiesituation. Draußen, in den alltäglichen Beziehungen inszenieren sich schnell wieder die alten Auslöser, und die Enttäuschung ist vorprogrammiert. Daher ist den Gefühlen und Affekten der konflikthaften ursprünglichen Szene und dem Verstehen der drin enthalten Verarbeitungsformen immer ein entsprechender Raum zu geben. Die neuen Befriedigungsmöglichkeiten, verstärkt durch den körperlichen Umgang, können über die Notwendigkeit einer Durcharbeitung der abgewehrten Gefühle leicht hinwegtäuschen. Die behandelte „Aktiv-Passiv-Dimension“ in der Interaktion spielt bei der Analyse dieser Verarbeitungen eine ganz entscheidende Rolle. Dabei kann jedes aktive oder passive Verhalten Abwehrbedeutung bekommen. Zum Beispiel neigte eine Patientin dazu, bei einem Kontakt „Rücken an Rücken“ sich dabei so vorzubeugen, dass sie der tragende Teil war. Sie hatte gelernt, durch die aktive Rolle des Helfers ihr Leben zu stabilisieren. Ein Mann konnte sich nur vorstellen, meine Hände zu tragen. Jedes „Getragen-Werden“, auch im Kontakt der Hände, ließ ihn für sein Gefühl bereits zu klein werden. Oder Patienten spüren, dass sie unbedingt die Kontrolle behalten müssen, zum Beispiel beim Halten des Kopfes im Liegen. Hier tauchen oft sehr frühe Ängste auf, bei Verlust des Selbsthalts fallen gelassen zu werden, ins Bodenlose zu sinken oder sich aufzulösen. Oft sind von daher Dauerverspannungen im Schulter-Nackenbereich zu verstehen. So werden Ängste vor Passivität auf verschiedenen Ebenen sehr schnell über den Körper spürbar und benennbar. Andere Patienten flüchten in die absolute Passivität. Sie wollen nur liegen und gehalten werden oder warten in jedem Fall auf Vorschläge und Anweisungen. Ein Beispiel wurde oben anhand der Patientin mit dem verschwimmenden Augenausdruck beschrieben. In jedem Fall ist darauf zu achten, welcher Pol in diesem polaren Verhaltensmodus verloren gegangen oder unterbesetzt ist und in welchen Körperbereichen dies besonders auffällig ist. Die Wiederherstellung beider polarer Möglichkeiten ist das Ziel.
4.3.2. Symmetrische und asymmetrische Formen der Interaktion Hier geht es um die Bedeutung spiegelbildlicher oder nicht-spiegelbildlicher Interaktionen. Die Symmetrie oder Asymmetrie kann sich sowohl auf die Anordnung der Beziehung im Raum wie auf die Art der Interaktion beziehen. Zunächst werden einige Beispiele zu einer asymmetrischen Raumanordnung dargestellt.
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Ein entscheidender Unterschied im Erleben kann dadurch gegeben sein, dass der Therapeut auf einem Stuhl sitzt und der Patient auf dem Boden. Diese Form der Asymmetrie in der räumlichen Anordnung legt im Allgemeinen ein Erleben in einer Eltern-Kind Konstellation nahe, wie es durch die Asymmetrie des Couch-Settings auch intendiert ist. Manche Patienten stellen diese Veränderung der Sitzordnung spontan her, andere fürchten diese Form der Asymmetrie. Wie stark durch eine plötzliche Veränderung das Erleben von Kindheitssituationen auftauchen kann, beschrieb mir eine Kollegin nach einer Tagung. Auf dieser Tagung hatte ich angeregt, dass in einer paarweisen Arbeit in therapeutischen Rollen der „Patient“ nach einiger Zeit seinen Stuhl verlassen und sich auf den Boden setzen sollte. Diese Kollegin schrieb mir danach, sie sei nach dieser Gruppe plötzlich sehr krank geworden. Sie sei sich sicher, dass ihre Krankheit mit der Übung „Patient sitzt auf dem Boden“ zu tun hatte. Ihre Partnerin habe dabei aus der Therapeutenrolle ihre starke Isolation richtig wahrgenommen. Mehr sei eigentlich nicht gewesen. Zu Hause aber sei durch das Auftauchen der Krankheit plötzlich eine entscheidende Erinnerung aufgetaucht. Auch andere Ereignisse hätten dadurch einen neuen Zusammenhang und Sinn für sie bekommen. Ihre ungeheure Isolation und Sehnsucht als Kind sei plötzlich in ihr aufgetaucht. Oft sei sie bei Liedern, die dieses Gefühl ausdrückten, schon in Tränen ausgebrochen, ohne dieses Gefühl aber mit ihrem Kindergefühl in Verbindung bringen zu können. Das sei durch diese Übung und ihre starke Körperreaktion darauf geschehen. Eindrucksvoll war für mich, wie sich durch die „Übung“ in dieser Form der Asymmetrie ein ihr bereits zugänglicher Affekt mit Erinnerungssituationen verknüpfte. In einem flexiblen Setting kann es auch sein, dass sich ein Patient den Ängsten, die in dieser Regression durch die asymmetrische Anordnung enthalten sind, zunächst nur durch die Umkehr der Situation nähern kann. Eine Patientin äußerte die Bitte, mir von ihr den Kopf im Liegen halten zu lassen. Ich konnte ihr Anliegen verstehen und ging darauf ein. Sie war immer wieder von ihrer Mutter in ein Heim weggeben worden. Sich der mütterlich erlebten Therapeutin in dieser Weise wieder anzuvertrauen, brauchte diesen Vorlauf. Erst durch das Erleben der Situation in der aktiv haltenden Rolle konnte sie sich allmählich in ähnlicher Weise überlassen, allerdings immer nur sehr punktuell. Erhebliche Ängste drohten sie sonst zu überschwemmen. Aber auch alle anderen Aktionen in einem Handlungsdialog tragen diesen symmetrischen oder asymmetrischen Charakter mit den verschiedenen sich darin ausdrückenden Bedeutungen. Das gilt zum Beispiel auch für kämpferische Auseinandersetzungen. Der von Moser (2002) beschriebene „Stierkampf“ wäre ein Beispiel für einen asymmetrischen Ausgangspunkt. Hier hält der Therapeut seine Hände gegen den Kopf des Patienten, der in einer entsprechend gebückten Haltung gegen den Therapeuten anrennen kann. Poettgen-Havekost (2004) beschreibt diese Form des kämpferischen Umgangs auch mit einer Patientin, die darüber wichtige neue Erfahrungen machte. Im Erleben steht hier auch eine eher kindliche Form der Äußerung eines aggressiven Impulses im Vordergrund, von einem wohlwollenden Elternteil gehalten und ermutigt. Eine ähnliche asymmetrische Form in der aggressiven Auseinandersetzung wäre auch durch eine kleinere Geste möglich. Der Patient drückt zum Beispiel mit einer Faust gegen die geöffnete Hand des Therapeuten.
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Wählt man für eine Auseinandersetzung oder ein Kräftemessen eher eine symmetrische Anordnung, so ist oft ein anderes Erleben damit verbunden. Eine Möglichkeit dieser Art ist, mit beiden Händen gleichzeitig gegeneinander zu drücken, und dies auf gleicher „Augenhöhe“. Es kann sein, dass die Auseinandersetzung dadurch ernsthafter wird oder auch bedrohlicher. Die Bedrohlichkeit kann dadurch gegeben sein, dass in dieser Form des direkten körperlichen Kampfes in einer symmetrischen Form die real gegebenen unterschiedlichen körperlichen Kräfte zu wenig berücksichtigt sind, z. B. zwischen einem Mann und einer Frau. Dadurch kann eine derartige Kampfinszenierung von vornherein einen zu destruktiven Charakter annehmen. Oder der Kampf wird unecht, da sich einer der Gegner zu stark zurücknehmen muss. Dann sind eher Auseinandersetzungsformen über die Stimme oder über den Augenkontakt zu wählen. Eine zu starke Bedrohlichkeit kann in einer symmetrischen Anordnung auch durch die schwierigere Unterscheidung zwischen der inneren Bedeutung des Kampfes und dessen Realität gegeben sein. Der Therapeut wird dann real als bedrohlich ablehnendes Gegenüber erlebt. Auch die eigene Aktion des Patienten kann sich in zu realitätsnaher Form mit einem inneren Vernichtungsimpuls verbinden. Es ist aber auch möglich, dass in dieser „erwachsen“ erlebten symmetrischen Form der auf einer kindlichen Ebene erlebte bedrohliche Impuls nicht erreicht wird. Der Therapeut wird in dem Moment nicht mehr in der Übertragung, sondern nur noch als reale Person ohne die Übertragungsbedeutung erlebt. Dann bietet sich wieder eine Anordnung an, die durch die Asymmetrie ein kindliches Erleben nahe legt. In jedem Fall ist zu überlegen, in welcher Form die Hintergründe einer Einschränkung im Erleben und Verhalten am ehesten zugänglich werden, ohne dass die Struktur oder die momentanen Verarbeitungsmöglichkeiten des Patienten überfordert sind.
4.3.3. Bedeutungen räumlicher Anordnungen für den Handlungsdialog Man kann die räumliche Inszenierung von Handlungsdialogen unter drei Gesichtspunkten betrachten: Die Stellung zueinander, die Distanz und die Raumhöhe, auf welcher die Interaktion stattfindet. Die verschiedenen Möglichkeiten und einige Bedeutungen dieser Dimensionen werden an Beispielen erläutert.
Die Folgen einer Fixierung im Gipsbett Mit einer Patientin hatte ich schon länger in einem offenen Setting gearbeitet. Wir waren dabei vor allem mit Bewegungen im Raum umgegangen, oft stehend, manchmal sitzend. Eine hervorstechende Symptomatik waren dabei häufige Rückenschmerzen und Verspannungen im Becken, die sie oft mit Ärger und Wut ihrer Mutter gegenüber verband, da sie das Gefühl hatte, diese Mutter wollte sie „zu brav“. Eines Tages möchte die Patientin sich hinlegen, ich soll mich dahinter setzen, wie im üblichen Couchsetting. Sie möchte zunächst in dieser Form ausprobieren, was passiert, wenn sie mich nicht sieht. Im Hintergrund war deutlich, dass sich eine Übertragung auf mich verdichtete, die vorher durch die Symbolisierung der Mutter durch übereinander geschichtete Hocker und meine begleitende Haltung dabei sich nicht direkt auf mich richtete.
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Durch das Liegen wechseln wir die Raumhöhe, auf der wir arbeiten und in ein durchgehend asymmetrisches Setting. Es ergibt sich gleich eine erhebliche Verunsicherung bei der Patientin. Entscheidend aber wird ein anderer Auslöser. Sie bittet mich nach einiger Zeit, meinen Stuhl neben die Matratzen, auf denen sie liegt, zu rücken. Ich soll ihr gegenüber sitzen, so dass sie mein Gesicht sehen kann. Als ich darauf eingehe, geschieht etwas sehr Überraschendes. Von unten im Liegen zu mir hoch sehend erlebt sie plötzlich mein Gesicht völlig verändert. Sie nimmt jetzt einen grausamen Zug in meinem Gesichtsausdruck wahr, den sie vorher nie so gesehen hatte. Sie phantasiert grausam blickende Augen, die auf ihre hilflose Position im Liegen herunterschauen. Worte erlebt sie nicht. Es ist ein stummer Kontakt. Dabei verstärken sich ihre Rückenschmerzen, die Beine werden wie taub. Durch dieses Körpererleben wird eine Kindheitserinnerung plötzlich präsent. Wegen einer schlechten Haltung hatte ein Kinderarzt den Eltern empfohlen, sie nachts in einer Gipsschale schlafen zu lassen. Viele Monate hatte sie im Alter von zwei bis drei Jahren darin verbracht. Jeden Abend, wenn die Mutter an ihr Bett kam, lag sie in diesem Gipsbett fixiert. Es passte zu der sehr ambivalent erlebten Beziehung zur Mutter, dass sie diese Fixierung mit einer Absicht der Mutter verband, sie in ihren Bewegungsimpulsen zu behindern. Jetzt wurde ihr deutlich, warum sie sich nach allen Bewegungssportarten, die ihr besonderen Spaß machten, mit Rückenschmerzen wieder zurückziehen musste. Die Erinnerung war in dem Moment an diese Form der Asymmetrie gebunden, die die Kindersituation wiederholte und an das veränderte Zueinander im Raum, indem ich meinen Stuhl in ihr Gesichtsfeld rückte.
Das Beispiel macht deutlich, wie stark Übertragungskonstellationen oft an bestimmte körperliche Positionen und Signale gebunden sind. Die Körpersymptomatik wurde dadurch noch einmal auf einer sehr frühen Erlebnisebene zugänglich. Erst nach diesem Erleben mit den verschiedensten Gefühlen von Trostlosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Übelkeit, Hilflosigkeit und „gebrochenem Rückgrat“ angesichts der negativen Mutter war es möglich, neue Erfahrungen auf dieser frühkindlichen Ebene zu vermitteln, die die alte Erfahrung nicht überspringen. Immer wieder sollte ich dann meine Hand unter ihren Rücken legen. Sie suchte in dieser Weise eine Erfahrung mütterlicher Unterstützung an der gleichen, auch körperlich erlebten „Bruchstelle“. Unter dieser Berührung und Beziehungsbedeutung wurden Atembewegungen im Rücken geweckt, die von innen her zu einem neuen Gefühl von Lebendigkeit und Stärke im Rücken führten. Allmählich fühlte sie mehr Bewegungsfreiheit mit nachlassenden „Schmerz-Stopps“, wie sie es nannte. Die verschiedenen Stellungen im Raum können die vielfältigsten Bedeutungen annehmen. Dass Sehen des Therapeuten im Gegenüber kann auch als Kontrollmöglichkeit erlebt werden. Ein Hintereinander-Sitzen, -Stehen oder -Liegen wird dann eher mit der Angst eines nicht kontrollierbaren Überfalls verbunden oder einer zu spät bemerkbaren Ablehnung. Aber den Anderen „im Rücken zu haben“ kann ebenso als besonders schützend oder stützend erlebt werden, eventuell auch in entlastender Weise, mit weniger Beschämung über diesen Wunsch verbunden. Wählt man eher eine Position nebeneinander, so ergibt sich oft die Bedeutung, gemeinsam auf ein Drittes ausgerichtet zu sein. Dadurch ist das Ausmaß der Nähe relativiert. Diese Stellung zueinander kann zunächst ganz wichtig für Patienten sein, die die unmittelbare Nähe zu vereinnahmend oder überfremdend erleben und sich daher im Kontakt leicht verlieren. Durch ein Nebeneinander kann aber auch im Verlauf eines Prozesses der gewachsene partnerschaftliche Charakter bei einer gleichzeitigen symmetrischen Anordnung betont und besonders erlebbar sein.
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Eine andere wichtige räumliche Dimension in der Interaktion ist die gewählte Distanz im Raum. Freie Bewegungsmöglichkeiten im Raum mit den verschiedenen Distanzmöglichkeiten können für einige Patienten bedeuten, den eigenen Freiraum besetzen zu dürfen, Beweglichkeit in einer Beziehung zu behalten, nicht festgehalten zu werden oder sich zur Verfügung stellen zu müssen. Andere wieder erleben die Beziehung durch die Unstrukturiertheit und Offenheit des Bewegungsraums als unberechenbar. Größere Distanzen oder deren Veränderung provozieren Verlassenheitsängste und Ablehnungsgefühle. Bei der oben beschriebenen Patientin aus der „Festungsfamilie“ bildete sich sehr deutlich das Problem der Trennung und Wiederannäherung durch die verschiedenen Distanzmöglichkeiten im Raum ab. Eine weitere entscheidende Dimension in der räumlich inszenierten Beziehung ist die Raumhöhe, auf der die Interaktion stattfindet. Gemeint ist die Bedeutung von Liegen, Sitzen oder Stehen im Raum. Liegt der Patient – wie im Couchsetting – so werden in besonderer Weise regressive Erlebnisweisen nahe gelegt. Dabei ist es allerdings ein Unterschied, ob diese Position eine durchgehende Anordnung ist und zum Rahmen gehört, oder ob es in einem flexiblen Setting zu einer vorübergehenden Form der Interaktion wird. Im letzten Fall ist die regressive Bedeutung oft betonter, da das Liegen sich von anderen Umgangsformen im Raum unterscheidet. Eine nahe liegende Bedeutung ist das Erleben unterschiedlicher Entwicklungsstufen auf den verschiedenen Raumhöhen, wie in vielen der geschilderten Beispiele verdeutlicht. Ein Vorteil des flexiblen Settings ist dabei, dass die Assoziation deutlicher verschiedenen Entwicklungsstufen zuzuordnen ist. Abwehrverhalten durch Regression oder forcierte Progression kann dadurch unmittelbarer erlebt werden. So kann das Liegen sowohl mit Ängsten vor Auslieferung oder Kontrollverlust verbunden sein wie andererseits als einziger Zufluchtsort erlebt werden gegenüber einer belastend erlebten „erwachsenen Haltung“ die eher mit Sitzen und Stehen verbunden wird. Die subjektiven Bedeutungen werden dabei im Verlauf der Behandlung zu einer ganz individuell gestalteten Bedeutungslandschaft des Körpers, in einer jeweils spezifischen Beziehung zu diesem Therapeuten. Diese Bedeutungen sind erst in einem längeren Durcharbeitungsprozess zu erarbeiten, durch das Erleben unterschiedlichster Distanzen, auf verschieden Raumhöhen und symmetrischen wie asymmetrischen Beziehungsformen.
5. Überlegungen zur Indikation In diesem Beitrag werden verschiedene Zugänge zum Körpererleben mit den zugehörigen therapeutischen Rollenfunktionen beschrieben.
Die Anregung körperlicher Wahrnehmungen, von Funktionen und Empfindungen ist die erste Möglichkeit.
Dieses Vorgehen deckt sich mit vielen körpertherapeutischen Ansätzen, die eine Änderung des Körpererlebens auf dieser Ebene des Selbsterlebens anstreben.
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Die zweite Möglichkeit ist um ein Verstehen des Körperausdrucks zentriert. Ausgehend von bestimmten Körperhaltungen, Körperfunktionen oder Körpersymptomen steht die Beziehungsbedeutung eines Körperselbsterlebens im Vordergrund. So können Verzerrungen des Körperbildes verstehbar werden als Ausdruck der Verarbeitung einer Beziehungsgeschichte. Bei entsprechender Wahrnehmungseinstellung können diese Beziehungen in Phantasien, Vorstellungen oder Träumen deutlich werden. Eine eigene Möglichkeit eines körper-szenischen Umgangs stellt die Symbolisierung dieser Beziehungen durch Objektsymbole im Raum dar. Man kann dabei unspezifische Materialien verwenden, wie Kissen, Hocker, Decken oder spezifischere Symbolfiguren wie Stofftiere. Wichtig erscheint in jedem Fall, den Patienten die Art der Symbolisierung selbst wählen zu lassen, da oft schon in dieser Wahl ein spezifisches Charakteristikum der Beziehung zu der dargestellten Figur zum Ausdruck kommt. Bei diesem Vorgehen bleibt der Therapeut weiterhin in einer unterstützenden, Assoziationen oder Inszenierungen anregenden Rolle. Der dritte Weg, der in diesem Beitrag im Mittelpunkt steht, besteht in der Bearbeitung der inneren Beziehungen in der Übertragung auf die Person des Therapeuten. Alle drei Wege haben ihre besonderen Möglichkeiten und ihre Grenzen. Gemeinsam ist ihnen die Grundannahme, dass das Körpererleben als zentraler Teil des Selbsterlebens einen entscheidenden Einfluss auf alle intrapsychischen und interpersonellen Wahrnehmungen und Reaktionen hat. Die Verknüpfung mit den inneren Beziehungsmustern und deren Geschichte bestimmt den Umgang mit dem Ausdruckskörper, im Unterschied zum Erleben des Funktionskörpers in seiner psychosomatischen Bedeutung. Man kann daher die körpertherapeutischen Zugänge als eher körperzentriert oder beziehungszentriert beschreiben. Welcher Zugang sich im spezifischen Fall eher eignet, ist zunächst eine diagnostische Frage. Ein entscheidendes Kriterium ist die Struktur des Patienten. Die Definition von Strukturproblemen und die Einschätzung von deren Schweregrad ist sehr übersichtlich in dem Buch von Rudolf (2004) „Strukturbezogene Psychotherapie“ beschrieben. Dieser plädiert ausdrücklich für eine andere Herangehensweise im Falle einer Strukturproblematik. Er bezieht sich dabei auf verbale Therapieformen. Ähnliches gilt für den Umgang mit dem Körper. Hier bietet sich die Stärkung und Klärung des Selbsterlebens durch die Wahrnehmung des Körpers, besonders für schwere strukturelle Störungen, an, da bei dieser Form des körperlichen Umgangs die belastenden Beziehungserlebnisse zunächst nicht ausdrücklich thematisiert werden. Ein anderes Kriterium ist die Zugangsmöglichkeit eines Patienten zum Erleben des Körpers. Die bewusste Wahrnehmung und Unterscheidung der verschiedenen Körperfunktionen und Empfindungen, von Atem- und Bewegungsmustern beispielsweise, kann eine entscheidende neue Grunderfahrung für Patienten sein, die ihren Körper bis dahin rein mechanistisch, unbelebt oder verzerrt und unabgegrenzt erlebt haben. Es ist oft eine Frage des Behandlungsprozesses, wann die Beziehungserlebnisse, die sich im Körper ausdrücken, zugänglich werden. Bei Patienten, die eher unter starken Traumatisierungen leiden, empfiehlt sich in der Regel, die
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körperzentrierte Wahrnehmung zunächst in den Vordergrund zu stellen. Oft ist erst einmal über den Körper eine Möglichkeit der Spannungsregulierung für die starken Affekthintergründe zu erarbeiten. Führt man durch entsprechende Interventionen den Körper als Ausdruckskörper ein, in dem sich Beziehungserfahrungen niedergeschlagen haben, so empfehlen sich bei einer Strukturlabilität weiterhin Vorgehensweisen, die diese oft traumatischen Beziehungsmuster getrennt vom Therapeuten halten; d. h. Nachfragen und Verknüpfungen halten dieses Beziehungserleben auf der intrapsychischen und intrakörperlichen Ebene. Der Therapeut verhält sich weiterhin als unterstützender Dritter, der den mit dem Körpererleben verbundene Phantasien und den darin gebundenen Affekten durch eine empathische Begleitung Ausdrucksmöglichkeit und Halt gibt. Überlegungen zu den aktuellen Verarbeitungsmöglichkeiten des Patienten stehen bei den einzelnen Schritten im Vordergrund. Immer ist zu bedenken, dass innere Beziehungsmuster, die durch den körperlichen Umgang reaktiviert werden, oft an besonders belastende Erfahrungen rühren, die mental noch wenig verarbeitet werden konnten. Bei einer schwachen Ich-Struktur können daher die aufkommenden Affekte überwältigend, wenig steuerbar oder mit einer Beeinträchtigung der Realitätswahrnehmung in der Unterscheidungsfähigkeit von innen und außen erlebt werden. Projektionen werden zu Realitäten. Daher ist auch der Umgang mit symbolisierten Beziehungen im Raum eine eigene Möglichkeit. Der Therapeut, der eine Szene begleitet, ist deutlich von den szenisch dargestellten traumatischen oder sehr konfliktbelasteten Beziehungen zu unterscheiden. Die Bearbeitung der inneren Beziehungen in der Übertragung ist sicher die strukturbelastendste Form. Sie ist nur sinnvoll, wenn der Patient genügend inneren Abstand zur Reflexion dieser Beziehung behält. Sonst gerät die Übertragungsbeziehung zur retraumatisierenden Wiederholung. Bei einem körperlichen Umgang in der Übertragung sind zwei Gesichtspunkte von besonderer Bedeutung. Einerseits ist der Therapeut in seiner Realität buchstäblich sichtbarer. Das kann Übertragungsphantasien entgegen wirken, wie Scharff beschreibt, z. B. für die Wahrnehmung der Geschlechtsidentität des Therapeuten. (Vgl. Scharff i. d. B.) Die körperliche Wahrnehmung grenzt hier die Variationsbreite der Phantasien ein. Auf der anderen Seite sind oft starke Affekte mit dem Körperausdruck verbunden und in den Körpererinnerungen gespeichert. Daher ist es möglich, dass gerade durch den körperlichen Umgang Beziehungsmuster reaktiviert werden, die die Übertragung in besonderer Weise intensivieren, trotz deutlich wahrnehmbarer Realität des Therapeuten. Daher rührt auch die Gefahr der Überflutung durch Übertragungsaffekte. Es ist meiner Ansicht nach nicht so, dass die Möglichkeit, in der Übertragung zu arbeiten, durch die reale Wahrnehmbarkeit des Therapeuten sehr stark eingeschränkt ist. Die starke Affektbezogenheit des Körpererlebens aktiviert hier in anderer Weise die inneren Beziehungsmuster. Es liegt aber an der Umgangsweise des Therapeuten mit der therapeutischen Beziehung, ob die Übertragungsmuster auch innerhalb der therapeutischen Beziehung intensiviert und aufgegriffen werden. Viele körpertherapeutisch arbeitende Therapeuten bevorzugen die therapeutische Haltung einer eher begleitenden Rolle. Das ist möglich, da über das funktionale Körpererleben und die szenischen Möglichkeiten eigene Formen der
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Verdichtung des Erlebens gegeben sind, während das Couchsetting wesentlich über die Verdichtung der Übertragungsbeziehung an Tiefe gewinnt. Die Auslagerung des traumatischen oder konflikthaften Beziehungserlebens auf getrennte Erlebnisfelder hat durch die Affektverdichtung im Körpererleben ihren eigenen Sinn und spezifische Möglichkeiten. Dennoch wurde in diesem Beitrag die Arbeit mit dem Körperausdruck durch Handlungsdialoge innerhalb der therapeutischen Beziehung in den Mittelpunkt gestellt. Zwei Überlegungen spielen dabei eine Rolle. Einmal hat auch die Arbeit in der Übertragung ihre eigenen Möglichkeiten. Oft hat die unmittelbare Erfahrung, dass eine Beziehung entlastet und verstehbar wird durch die Trennung der inneren Bilder von der realen Person, ihren eigen therapeutischen Stellenwert. Für den Umgang mit den Übertragungsverwicklungen in der Alltagsrealität, die die nahen Beziehungen generell sehr stark bestimmen und verzerren, wird hier sozusagen ein unmittelbares Modell geschaffen in einer zunächst ähnlich verwirrenden Situation. Zum anderen kann das Übertragungserleben untergründig auch die Situationen bestimmen, in denen der Therapeut in der oben beschriebenen Weise bewusst eine unterstützend-begleitende Rolle einnimmt. Ist die Sicht auf die Aktivierung von Übertragungen in der therapeutischen Beziehung zu sehr außerhalb der Wahrnehmung, kommt es leicht zu unbemerkten Widerständen und Fehleinschätzungen der Situation. Ein Beispiel wurde anhand der „Übung zum Nein-sagen“ beschrieben. Um alle drei Möglichkeiten der Beziehung im körperlichen Umgang zu wissen, halte ich angesichts der besonderen Bedingungen des Affekterlebens im Körperausdruck für sehr wichtig. Das gilt ebenso für einen psychoanalytischen Zugang, auch wenn die Beachtung und der Umgang mit der Übertragungsbeziehung hier im Zentrum der therapeutischen Wahrnehmung stehen. Gisela Worm, Dipl. Psych., Psychoanalytikerin (DPV), Psychotherapeutin in freier Praxis, Fortbildung in Primärtherapie, Bioenergetik und Tanztherapie Adresse: D-79410 Badenweiler, Blauenstraße 14 E-Mail:
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1. Überblick Im Hinblick auf die diagnostische Einordnung und die daraus resultierenden behandlungstechnischen Überlegungen beziehe ich mich in Anlehnung an Hirsch (2004) im folgenden auf die Gruppe von Patienten, bei denen multiple und kumulative Traumatisierungen, auch im Sinne einer transgenerationalen Weitergabe, innerhalb ihres familiären Bezugssystems, zu einer psychopathologischen Entwicklung geführt haben. In dieser Arbeit wird nicht Bezug genommen auf Patienten mit akuten einmaligen Extremtraumatisierungen jeden Lebensalters, die eher zu posttraumatischen Belastungsstörungen führen. Im aktuellen psychoanalytischen Diskurs wird dieser Form der Traumatisierung in der Entstehung von schweren Persönlichkeitsstörungen bzw. Borderlinestörungen ein zunehmendes Gewicht eingeräumt. (Kernberg 2000; Bohleber 2003; Fonagy 2002, 2003, 2004; Hirsch 2004; Rohde-Dachser 2004) Die pathologisierenden Beziehungs- und Bindungserfahrungen als Dauerbelastung stehen also im Mittelpunkt der ätiologischen und behandlungstechnischen Betrachtungen. Sie stellen das eigentlich traumatisierende Agens dar, was unter dem Begriff des „Attachment Traumas“ (Hirsch 2004, S. 26 f.) gefasst wird. Die Beziehungsgeschichte dieser Patienten ist gekennzeichnet durch Vernachlässigung und/oder Überstimulierung, verschiedene Formen des Missbrauchs, durch einen Mangel an Reizschutz und Raum für die Entwicklung des eigenen Selbst. Sie sind mit der „Unmöglichkeit“ konfrontiert, „eine überwältigende Realität ... seelisch zu integrieren“ (Bohleber 2004, S. 62 f.), was zu Schädigungen im psychischen und biologischen Gleichgewicht führt. Die Bewegung zur eigenen Individuation „erstarrt“ unter dem Eindruck der Bedrohung durch die oft selbst traumatisierten Bezugspersonen. Es entwickelt sich ein falsches Selbst, das als Anpassungsleistung an die äußeren Gegebenheiten, in Form eines automatisierten Funktionierens, dem eigenen psychischen und physischen Überleben dienen soll. Die traumatisierenden Erfahrungen mit den dazugehörigen Affekten können nicht symbolisiert in die psychische Struktur integriert werden, sondern bleiben abgespalten, isoliert und eingekapselt. Sie sind mit einem Erleben von „äußerster Angst und Hilflosigkeit bei Verlust aller inneren und äußeren Möglichkeiten, sich zu beruhigen“ verbunden, „nicht zu beschreiben, nicht in Worten auszudrücken, nicht zu symbolisieren.“ (Reerink 2003, S. 122 f.) Reerink (2003) spricht von einem „Loch im seelischen Gewebe“, das „unablässig weiter“ wirkt. Auf einer neurophysiologischen Ebene hängt letzteres mit einer Blockade einer corticalen Weiterverarbeitung zusammen, die Erfahrungen sind somit nicht oder nur unzureichend im expliziten Gedächtnis verfügbar und abrufbar.
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Roth (2004) spricht von einer „Fehlfunktion des limbischen Systems“ 1 (S. 152) : Dieses „scheint nämlich starke psychische Verletzungen, besonders solche in früher Jugend, nicht zu vergessen, sondern eher einzukapseln oder abzuschwächen“ (S. 153, Hervorh. GP). Die traumatisierenden Beziehungserfahrungen leben weiter in wortlosen, dafür aber körpersprachlichen Inszenierungen, dissoziativen Handlungen am eigenen Körper. Sie zeigen sich innerhalb eines impulsiven selbstschädigenden Agierens, das oft so voller Turbulenz und Bewegung scheint, und doch in seiner unbewussten Wiederholungsqualität die Erstarrung und Wortlosigkeit nicht beheben kann. Jedoch stellen sie auch eine wichtige und kreative Ausdrucksform dar, die in der Behandlung eine spezifische Form der Beantwortung suchen lässt. Küchenhoff (i. d. B.) weist auf die „performative“ Qualität dieser „Aufführungen“ hin, die in ihrer verändernden und veränderbaren Form die Möglichkeit einer Neugestaltung beinhalten. Im körperlichen Handeln, das interaktive Muster zwischen Subjekt und Objekt, Täter und Opfer beinhaltet, werden Traumafragmente erzählt. Es sind Beziehungsformen, „die äußeren Objekten nicht mehr zugetraut werden können.“ (Küchenhoff i. d. B., Kap. 2.4.3) Die Londoner Forschungsgruppe um Fonagy (2004) beschäftigt sich in ihrer umfassenden Arbeit über die Affektregulierung, Mentalisierung und Entwicklung des Selbst mit der Darstellung und den Auswirkungen des desorganisierten Bindungssystems dieser Patienten. Mit Mentalisierung ist die psychische Fähigkeit gemeint, sich selbst und andere als Personen mit geistig-seelischen Zuständen zu erleben, sowie das eigene und das Verhalten eines anderen reflektieren zu können. Sie entwickelt sich über die Zuschreibung mentaler Zustände durch die primären Bezugspersonen. Diese Zuschreibungen sind zunächst ganz eng an körperliche Ausdrucksformen und -möglichkeiten des Kindes gebunden. Die im körperlichen Ausdruck sich manifestierende psychische Verfassung erfährt durch die Antwort der Eltern eine mentale Sinn- und Bedeutungsgebung, die internalisiert wird und strukturbildend wirkt. Bei Patienten mit schweren Persönlichkeitsstörungen bzw. Borderlinestörun2 gen liegt ein hohes Maß an fehlender Kontingenzresponsivität in der Interaktion mit den Bezugspersonen vor. Die zur Selbstentdeckung und Selbstorientierung notwendige empathische Beantwortung der intentionalen Äußerungen des Kindes ist durch die Pathologie der Eltern schwer beeinträchtigt. Von der Qualität der interaktiven Regulierungs- und Austauschprozesse hängt es jedoch ab, inwieweit sich später Mentalisierungs- und Symbolisierungsdefizite zeigen. Die Tendenz, intrapsychische Vorgänge auf der Ebene handelnder Inszenierungen darzustellen, lässt sich mit dieser traumatisierenden Beantwortung in Verbindung bringen. Es zeigt sich darin ein Rückgriff auf nonverbale Ausdrucksformen, die jenseits der ursprünglich unempathischen Beantwortung liegt.
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Die normalerweise über Neurotransmitter stattfindende Interaktion zwischen Amygdala, Hippocampus sowie cingulärem und orbitofrontalem Cortex ist gestört. 2 Der Zusammenhang zwischen einem bestimmten Verhaltensmuster und dem daraus resultierenden Effekt wird in der Säuglingsforschung als Kontingenz bezeichnet. Das damit verbundene Erleben ist das der Wirkmächtigkeit, d. h. durch die eigene Aktivität kann in der Außenwelt und besonders bei den ersten, wichtigen Bezugspersonen eine vorhersagbare und befriedigende Reaktion erfahren werden. Die Möglichkeit, „kontingent“ zu antworten, ist abhängig von der Fähigkeit zur empathischen Einfühlung.
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In der körperlichen Symbolisierung3 sind Fragmente der ursprünglichen Intentionalität enthalten, aber auch die traumatisierende Beantwortung sowie hinsichtlich des appellativen Charakters der Wunsch nach einer anderen Erfahrung. In der Behandlung zeigt sich somit die Notwendigkeit, mit den Patienten von der Verkörperlichung zur Versprachlichung zu finden.
2. Die traumatisierende Beziehungserfahrung Ich werde im folgenden Abschnitt den Ansatz von Fonagy et al. etwas ausführlicher beschreiben, da er für die Entwicklung behandlungstechnischer Überlegungen im Hinblick auf die Handhabung nonverbaler Mitteilungen dieser Patienten viele Ansatzpunkte enthält. Mit den Ergebnissen der Säuglingsforschung, der Integration dieser Ergebnisse in psychoanalytische Entwicklungstheorien (Stern 1992, 1998, 2002; Lichtenberg 1991, 2001) ist die zentrale Bedeutung von interaktiven Austausch- und Regulierungsprozessen in primären Beziehungen in Bezug auf die Entwicklung des Selbst deutlich geworden. „Die Entwicklung des Selbst ist ein interpersonaler Prozess, der die Interaktion mit den Innenwelten anderer voraussetzt.“ (Fonagy et al. 2004, S. 271) Der in diesem Zusammenhang zentrale Begriff der Affektspiegelung wird in seiner Bedeutung für die Entstehung der Mentalisierungsfähigkeit in dem Konzept von Fonagy und Target (2001, 2002a, 2003, 2006) weiterentwickelt. Die Autoren meinen mit diesem Begriff die Fähigkeit, sich selbst und andere als Personen mit geistig-seelischen Zuständen erleben zu können und „eigene mentale Verfassungen in ursächlichen Zusammenhang mit der mentalen Verfassung anderer Personen zu bringen.“ (Fonagy u. Target 2002a, S. 840) Es handelt sich also um eine psychische Fähigkeit zum Selbsterleben, zur Reflexion über dieses und um die Fähigkeit zur Einfühlung in andere im Hinblick auf Verursachung und Vorhersagbarkeit ihres Verhaltens sowie ein Erleben von Interdependenz. Um eine mentalisierte psychische Realität aufbauen zu können, muss das Kind immer wieder Gelegenheit finden, seine augenblicklichen mentalen Zustände wahrzunehmen, sie im Denken und Fühlen des Objektes repräsentiert zu sehen und den Rahmen wahrzunehmen, auf den sich normalerweise die an der äußeren Realität orientierte Perspektive des Erwachsenen bezieht. Das Kind braucht einen anderen, der „mitspielt, damit es seine Phantasie oder Realität durch diesen anderen repräsentiert sehen kann ... um sie zu reintrojizieren und als Repräsentanz seines eigenen Denkens benutzen“ zu können. (Fonagy 2004, S. 271) Die Bedingungen, die Qualität der Bindungs- und Beziehungserfahrung, im Rahmen derer wir uns selbst durch andere verstehen lernen, sind somit von zentraler Bedeutung. Die Fähigkeit zur Mentalisierung entsteht über „angemessene affektmodulierende Interventionen ... auf die … automatischen Emoti-
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Es wird von einer körperlichen Symbolisierung gesprochen, wenn in einer handelndleiblichen Inszenierung ein Beziehungswissen zum Ausdruck gebracht wird, das nicht oder nur teilweise sprachlich symbolisierbar ist. So wie im Prozess der sprachlichen Symbolisierung etwas elementar-interaktiv-körperlich Erfahrenes zum „Begriff“ wird, ist die körperliche Symbolisierung mit ihren verdichtenden und mehrfach determinierten Bedeutungsebenen als eine andere Sprachform zu sehen. Sie hat in ihrer spezifischen Form der Zeichengebung eine kommunikative Funktion, mit der eine individuelle Geschichte erzählt wird.
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onsäußerungen des Kindes“ und der damit verbundenen „sekundären Regulations- oder Kontrollstruktur über Repräsentationen.“ (Fonagy u. Target 2002a, S. 841) Die Zuschreibung mentaler Zustände ist zunächst ganz eng an körperliche Ausdrucksformen und -möglichkeiten gebunden. Aus der sogenannten 4 „Primary awareness“ , einem körperlich artikulierten vagen Empfinden innerer Zustände, entsteht über die Wahrnehmung der Reaktion der Pflegepersonen eine zunehmende Bewusstheit für diese. In „Bezug auf die Wahrnehmung des eigenen Körpers oder eigener Bewegungen muss der Säugling lernen, die damit verbundenen Empfindungen als Zeichen für eigene mentale Zustände zu lesen.“ (Dornes 2004, S. 298) An dieser Stelle der Entwicklung wird deutlich, wie der körperliche Ausdruck und die psychische Verfassung ursprünglich miteinander verbunden sind und wie sich das Verstehen affektiver Zustände aus dem körperlichen Ausdruck heraus entwickelt. 5 Nach Damasio (2003) beruht auch später das neuronale Selbst nicht auf der Funktion der Sprache (wenngleich diese eine differenziertere Subjektivität ermöglicht, indem sie verbale Erzählungen aus nonverbalen entwickelt), sondern auf frühen sensorischen und motorischen corticalen Assoziationsarealen. Im Prozess der Versprachlichung reagiert die Bezugsperson nach Fonagy normalerweise in einem spielerisch markierenden, einem so genannten „Alsob-Modus“ auf die Äußerungen des Babys. Dies bedeutet, dass die Äußerungen in einer modifizierten Form, übertrieben oder abgeschwächt, „verdaut“ (Bion 1990) zurück gegeben werden und dieser Kommentar vom Baby „referenziell 6 entkoppelt“ als Antwort auf die eigene Befindlichkeit erkannt und internalisiert wird. Das Erhalten einer angemessenen Antwort geht mit einem Gefühl einher, beim anderen etwas bewirken zu können, mit dem Gefühl von „Wirkmächtigkeit.“ (Stern 1996) Mütterliches Containment, Transformation und Repräsentation der „inneren Verfassung des Babys sind notwendig“ (Fonagy u. Target 2002a, S. 852), damit das Kind lernt, seine eigenen Erfahrungen zu reflektieren und durchzuarbeiten. Dabei ist die Entsprechung zur affektiven Verfassung des Kindes von zentraler Wichtigkeit. Gergely (2002) spricht von einem „sozialen Sensibilitätstraining“ 4
Mit „Primary awareness“ ist die angeborene Konkordanz zwischen körperlichem Ausdruck und Gefühl gemeint. Siehe auch Malatesta et al. 1989, zit. nach Fonagy 2004, S. 158. 5 „...der wesentliche Inhalt von Gefühlen ist die Abbildung eines bestimmten Körperzustandes. Das Substrat der Gefühle sind neuronale Muster, die einen bestimmten Körperzustand darstellen und aus denen ein mentales Bild des Körperzustands gebildet wird. Ein Gefühl ist im Wesentlichen eine Vorstellung – eine Vorstellung des Körpers, seines Inneren unter bestimmten Umständen. Das Gefühl einer Emotion ist die Vorstellung des Körpers, der unter dem Einfluss des Emotionsprozesses steht.“ (Damasio 2003, S. 107) 6 „Wir gehen deshalb davon aus (Gergely, 1995a, 1995b, 2000), dass Mütter, um eine Fehlzuschreibung der widergespiegelten Emotionen an sich zu vermeiden, instinktiv veranlasst werden, ihre affektspiegelnden Ausdrücke prononciert zu markieren, um sie von ihren realistischen Emotionsausdrücken unterscheidbar zu machen ... Der markierte Affektausdruck behält gleichwohl genügend Ähnlichkeit mit dem normativen Emotionsausdruck der Mutter, damit der Säugling den dispositionellen Inhalt der Emotion erkennen kann. Wir behaupten indes, dass die Zuschreibung der wahrgenommenen Emotion an die Mutter durch die Markierung des Ausdrucks gehemmt wird. Diesen Prozess werden wir als referentielle Entkoppelung bezeichnen, ... der wahrgenommene Emotionsausdruck wird von seinem Referenten »abgekoppelt«.“ (Fonagy et al. 2004, S. 184 f.)
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ähnlich einem Biofeedbacktraining, was zu einer „perzeptuellen Bewusstheit der eigenen Emotionszustände“ (Fonagy u. Target 2002a, S. 823) führt. Die angemessene Affektspiegelung ist also die Voraussetzung für den Erwerb der Fähigkeit zur Affektregulierung. Die damit einhergehende Bindungssicherheit und Fähigkeit der Pflegeperson, das Kind als mentales Wesen zu imaginieren, sind Prädiktoren für die Entwicklung der Mentalisierungsfähigkeit. Da die empathische Beantwortung der Indikator für die Repräsentierung der zunächst primären Affektzustände ist, liegt hier auch eine Bruchstelle, an der es zu pathologischen Entgleisungen und damit zur Konstituierung eines „falschen Selbst“ kommen kann. Bei Bezugspersonen von traumatisierten Patienten mit Persönlichkeitsstörungen bzw. Borderlinestörungen sind nach Fonagy et al. zwei gravierende Störungen innerhalb dieser Interaktion zu nennen. Zum einen sind diese oft nicht in der Lage, „markiert“ und in einem „Als-ob-Modus“ auf die Befindlichkeit des Kindes zu antworten. Sie lassen sich sozusagen von der affektiven Verfassung „anstecken“ und erleben sich als überwältigt. Die Not des Babys wird zu ihrer eigenen, sie können in ihrem Erleben nicht als getrennte Individuen reagieren. So kann der Ausdruck nicht von der Bezugsperson entkoppelt werden, sondern wird als „tatsächliches Gefühl der Elternfigur erlebt“ (Fonagy u. Target 2002a, S. 855). Der Affekt wird der Betreuungsperson zugeschrieben und nicht dem eigenen Selbst. Das Kind erlebt „seine eigene Gefühlsreaktion als noch gefährlicher und destruktiver ..., weil sie auch noch ansteckend zu sein scheint.“ (Ebend. S. 855) Dies bringt ein Defizit in der Selbstwahrnehmung und der Selbstkontrolle von Affekten mit sich, es kommt nicht zu einer „regulativen Abmilderung“, sondern zu einer „Eskalation der negativen Verfassung ... und damit zu einer Traumatisierung statt zu einem Containment.“ (Ebend. S. 856) Als weiteres Charakteristikum in Bezug auf die Bindungserfahrungen dieser Patientengruppe wird die inkongruente Spiegelung beschrieben. Im Sinne einer erheblichen projektiven Verzerrung werden die mentalen Verfassungen der Bezugspersonen zu Antworten auf die Befindlichkeit des Kindes. Nach Untersuchungen von Koos und Gergely (2001) konfrontieren selbst traumatisierte Mütter ihre Kinder mit einer gravierend eingeschränkten Kontingenzresponsivität. Diese Antworten werden ebenfalls im Sinne eines „falschen (?) Selbst“ internalisiert und wirken als Fremdkörper in der psychischen Struktur. Die verzerrten Selbstrepräsentanzen bringen eine Verkümmerung des eigenen Selbst mit sich, was sich symptomatisch in Form von unerträglichen Leeregefühlen zeigen kann, und/oder im Versuch, über verschiedene Formen der Selbstschädigung sich von diesem fremden Teil im Selbst zu trennen, was allerdings im Grunde oft eine Reinszenierung der ursprünglichen Schädigung bedeutet. Auch die Tendenz zur projektiven Identifizierung, dem ständigen Bemühen, einen als fremd erlebten Selbstanteil loszuwerden und in einem anderen wieder zu verorten, gehört zu den Bewältigungsversuchen. Extrem widersprüchliche Reaktionen der primären Bezugspersonen, die sich zwischen misshandelnden und liebevollen Verhaltensweisen bewegen können, bewirken, dass „eine Verhaltensvorhersage auf der Grundlage der intentionalen psychischen Zustände des Anderen unmöglich“ wird und „ein Gefühl von Unsicherheit und Hilflosigkeit“ entsteht. (Gergely 2002, S. 832) Gergely sieht hier die Ursache für Spaltungsvorgänge. Die sich an die beschriebenen Beziehungserfahrungen heftenden Traumatisierungen haben zur
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Folge, dass die Patienten emotionale Nähe vermeiden, um einer Retraumatisierung, die sich für sie unmittelbar damit verbindet, zu entkommen. Dies bedeutet, dass sie sich in einem circulus vitiosus bewegen, in dem die entstandenen Defizite oft nicht reparabel scheinen, zumal es eine Tendenz zur Wiederholung von Täter-Opfer-Konstellationen gibt, die das frühe Leid perpetuieren.
3. Der Körper als Ausdrucksmedium der traumatischen Erfahrung Schon Freud (1893) weist darauf hin, dass die primäre Reaktion auf eine Traumatisierung eine motorische ist und dass die „assoziativ geweckten Erinnerungen“ primär Körpererinnerungen sind. Dabei beinhaltet die Symptomatik eine „symbolische Beziehung ... zu der Veranlassung ... Es besteht gleichsam die Absicht, den psychischen Zustand durch einen körperlichen auszudrücken.“ (Ebend. S. 19) Wenn sich die Mentalisierungsfähigkeit über die Affektspiegelung, die zunächst die verkörperlichte seelische Befindlichkeit beantwortet, entwickelt, so scheint es nahe liegend, dass sich bei den hier beschriebenen Patienten Ausdrucksformen für ihre seelische Not finden lassen, die zunächst jenseits des sprachlich Fassbaren liegen. Die erfahrenen Bedeutungszuweisungen durch die Bezugspersonen beinhalten eine verfremdete intrusive Qualität, die das eigene Selbst bedroht. Der Rückgriff auf die körperliche Mitteilung wirkt in diesem Zusammenhang wie das Anknüpfen an eine ursprünglichere Mitteilungsform, in der ein Versuch liegt, einen Teil des Selbst zu retten. In den Gedächtnisspuren des Körpers, die im impliziten Gedächtnis repräsentiert sind, zeigt sich die „arretierte, dissoziierte, bis dahin nicht seelisch empfundene ... und somit nicht symbolisierte Erfahrung.“ (Volz-Boers 2001, S. 386) In der körperlichen Symbolisierung liegen meines Erachtens eine nicht mentalisierte, ursprünglich missverstandene Mitteilung, die traumatisierende Beantwortung und der Wunsch nach einer anderen, erkennenden Antwort. Das körperliche Ausagieren des destruktiven traumatischen Potentials fungiert zudem als Schutz vor einer psychotischen Desintegration oder einem möglichen Suizid. Hirsch (2004, S. 77) weist darauf hin, dass „die Dissoziation in Selbst und Körper-Selbst“ die Funktion hat, „das rudimentäre frühe Selbst zu retten.“ Im Sinne eines „fokalen Selbstmordes“ (Menninger 1974) wird die Tendenz zur Selbstvernichtung so in Schach gehalten. Küchenhoff (1999) spricht von Körperinszenierungen, in denen eine pathologische Beziehungsdynamik in Form von destruktiven Handlungen am eigenen Körper oder eines psychosomatischen Geschehens zum Ausdruck kommt. In diesen Inszenierungen findet ein „Angriff“ auf den eigenen Körper statt, dem eine Täter-Opferqualität mit den dazugehörigen Impulsen und Affekten zukommt, die einem Gegenüber nicht mehr zugemutet wird. In diesem Angriff auf den eigenen Körper zeigt sich ein Kampf zwischen verschiedenen Teilaspekten der Person, der mit einem Zerbrechen der Leib-Seele Einheit einhergeht. Ein Körperteil wird objektiviert, zu einem Gegenstand, zu einem Objekt der Außenwelt.
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Es repräsentiert in dieser entfremdeten und abgespaltenen Form einen ursprünglichen Selbst- oder Objektanteil, an dem innerhalb der Handlung, wie z. B. bei der selbstverletzenden Handlung, eine traumatische Erfahrung wiederholt wird. „Die Selbstzerstörung hat die Funktion, die Beziehung zu anderen, die sonst vergiftet wäre, positiv zu erhalten... oder/und ist ein Schutz vor offenen Aggressionen gegen andere ...“ (Ebend. S. 160) Diese Bewältigungsstrategie traumatisierender Erfahrungen enthält den Rückzug aus den Objektbeziehungen. Darin ist der Versuch einer körperlichen Abgrenzung gegen ein intrusives Objekt und gleichzeitig die Vereinigung mit diesem zum Zwecke des Schutzes der alten Täter-Opferkonstellation enthalten. So zeigt sich der Wunsch nach Abhängigkeit und gleichzeitig nach Autonomie in Bezug auf die alten Beziehungsmuster. In der Verletzung von Körpergrenzen wird die Zugehörigkeit zu einem Täterintrojekt demonstriert und gleichzeitig der Wunsch nach Abtrennung. Im therapeutischen Dialog sind wir zunächst damit konfrontiert, dass sich die zentralen krankmachenden Beziehungserfahrungen nicht in Form eines sich mental abbildenden Übertragungs-Gegenübertragungsgeschehens ausbreiten können, was auch mit dem vorhandenen Symbolisierungs- und Mentalisierungsdefizit zu tun hat. „Dabei bildet das Agieren des Therapeuten und des Patienten einen unvermeidlichen Bestandteil der Arbeit, weil der Patient dem Therapeuten nicht nahe bleiben kann, ohne seine fremden Selbstanteile zu externalisieren ... Wenn die Bezugsperson dem Säugling Affektausdrücke gezeigt hat, die kaum eine Entsprechung zum konstitutionellen Selbstzustand des Kindes aufweisen, beruht die Affektregulierung auf sekundären Affektrepräsentationen, die mit den konstitutionellen Selbstzuständen nicht fest verbunden sind. Unzulängliche Spiegelungen durch die Bezugspersonen rufen emotionale Zustände hervor, die das Kind nicht als »wirklich« erleben kann. Infolgedessen sind die sekundären repräsentationalen Strukturen als Instrument, um emotionale Zustände zu erfassen und sie dem Selbst zuzuschreiben, untauglich. Daher können Worte nicht als Grundlage für die auftauchende Fähigkeit des Kindes dienen, über seine eigentlichen Gedanken und Wünsche nachzudenken. Das Ziel der psychotherapeutischen Behandlung solcher Patienten besteht darin, die Verbindung zwischen der bewussten Wahrnehmung eines Affektzustandes und seinem Erleben auf der konstitutionellen Ebene wiederherzustellen ... Wir haben dies als »mentalisierte Affektivität« bezeichnet, der Begriff verweist auf die Fähigkeit, mit der Bedeutung der eigenen Emotionen in Kontakt zu kommen ... eine kongruente Verbindung zwischen den primären und sekundären Affektrepräsentationen herzustellen.“ (Fonagy et al. 2004, S. 21 f.) Dies bedeutet, dass wir in der Verständigung mit den Patienten an die geschilderte Ebene der Mitteilung anknüpfen müssen, an das körperlich symbolisierte Geschehen, an die Handlung, aus dem sich erst allmählich eine sprachliche Symbolisierung entwickeln kann.
4. Die Behandlung Bei den folgenden Fallbeispielen versuche ich den Prozess der Behandlung als Entwicklung ausgehend von der Bruchstelle in Bezug auf die Mentalisierungs-
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und Symbolisierungsfähigkeit zu begreifen. Ich gehe davon aus, dass sich der Zugang zum Verständnis von traumatischen Erfahrungen, die sich in Körperinszenierungen darstellen, zunächst über einen wahrnehmend spiegelnden und u. U. auch handelnden Umgang mit diesen Mitteilungen finden lässt. Auch Scharff (i. d. B.) weist darauf hin, dass dissoziierte traumatische Fragmente sich eher in einem Setting reaktivieren lassen, das einen leiblichen Handlungsdialog in die Behandlung mit einschließt. Das bedeutet, dass ich zusammen mit dem Patienten seine körperlichen Äußerungen wahrnehme und dass sich aus dem Handlungsdialog Bedeutungen erschließen. Heisterkamp (2002, S. 33) beschreibt diese Arbeit als präsentisches oder operatives Verstehen, bei dem „Handlungseinheiten ... wie eigene Subjekte erst ihre Bedeutungen und Wirkungen hervorbringen.“ Auch Ware (i. d. B.) beschreibt in Anlehnung an Heisterkamp die Wichtigkeit der „dialogischen Beziehungsanalyse“, die unter Einbeziehung der leiblichen Dimension umfassend, „ohne real zu schädigen“, alte pathogene Wirkungszusammenhänge in eine behandelbare Form bringt. Aus der „Externalisierung“ (Bettighofer, i. d. B.) entsteht überhaupt erst die Möglichkeit, „intrapsychische und genetische Konflikte zu reflektieren“. Es ist eine basale Arbeit, bei der aus der „Verkörperlichung“ eine „Versprachlichung“ entsteht analog den „konkret-körperlichen Beziehungsformen zwischen Kind und Eltern“, die „die Grundlagen der ersten Selbstvorstellungen des Kindes, auch des körperlichen Selbsterlebens“ beinhalten. (Küchenhoff 1997, S. 44) Es ist ein Bemühen, das darauf zielt, die „Sprache ... mit den lebendig-affektiven triebhaft körperlichen Interaktionen“ wieder zu verbinden. (Ebend. S. 45) Weiterhin signalisiert dieses Vorgehen dem Patienten, dass der bis dahin instrumentalisierte Körper als ein „Dialogpartner“ (ebend. S. 46), der auf andere Weise wichtige Mitteilungen symbolisiert, gesehen und „berührt“ wird. Der Körper, der bisher auch die Funktion hat, die Beziehung zum anderen zu verdrängen, wird so als „Dritter“ in die Beziehung wieder hineingeholt. Diese Art der Arbeit schließt eine Settingvereinbarung zu Beginn der analytischen Behandlung mit ein, in der die Möglichkeit eines szenischen Handlungsraumes, auch unter Zuhilfenahme der Beteiligung des Analytikers, als Möglichkeit integriert wird. Der Hinweis auf die Vielfalt von Ausdrucksformen psychischer Inhalte, auf die Einheit von körperlichen und sprachlichen Mitteilungen, wird so dem Patienten nahe gebracht. Somit wird der Behandlungsraum auch zu einem potenziellen Bewegungsraum.
4.1. Selbstverletzendes Verhalten In dem folgenden Fallbeispiel einer 27jährigen Patientin beschreibe ich diese ersten Schritte exemplarisch anhand einiger Episoden in der Behandlung. Die Patientin suchte mich auf, weil sie sich seit ca. eineinhalb Jahren Schnittverletzungen am linken Unterarm zufügte, die sich für mich, als sie mir diese das erste Mal zeigte, zu einem merkwürdigen Muster gruppierten, das mich an eine Fischgräte erinnerte. Zudem litt die Patientin an immer wieder auftretenden Entzündungen der Stimmbänder. Bei dieser Art der Traumatisierung handelt sich um eine transgenerationale Weitergabe, die in Anlehnung an Faimberg (1987) als „tyrannisches Eindringen
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einer Geschichte“ in das Selbst der Patienten zu verstehen ist. In beiden Herkunftsfamilien der Patientin, die aus der ehemaligen DDR stammen, gibt es eine Fülle von Traumatisierungen durch Krieg, politische Verfolgung, Foltererfahrungen, Überwachung und Verhöre durch den Stasi, und mehrere, teilweise gescheiterte Fluchtversuche unter Lebensgefahr. Infolge dieser Schicksale gibt es bis heute in den Familien durch schuld- und schamhaft besetzte politische und private Loyalitätsthematiken unüberbrückbare Gräben. Die Eltern der Patientin können nach zwei fehlgeschlagenen Versuchen mit ihren beiden älteren Geschwistern in den Westen fliehen, vier Jahre später wird die Patientin geboren. Sie habe den „Neuanfang markieren“ sollen. Ihre ersten Lebensjahre stehen jedoch unter dem Zeichen der seit der Flucht in den Westen bestehenden Angst der Mutter vor Racheakten des Regimes. Sie befürchtet u. a., dass ihre Kinder entführt werden könnten. Mit unnachgiebiger Härte und Strenge verfolgt sie die schulische und musikalische Ausbildung ihrer Kinder, vor allem auch der Patientin, der bei den leistungsmäßigen Anforderungen der Mutter kaum Raum und Zeit für das Kindsein bleibt. Es lässt sich sicher nachvollziehen, auch im Hinblick auf die vorangegangenen theoretischen Ausführungen, wie schwer es den selbst traumatisierten Eltern fiel, sich auf die affektive Befindlichkeit der Patientin einzustellen, und wie die über mehrere Generationen erlittenen Traumatisierungen die Familie umgaben. Die Patientin schilderte öfters ein basales, immer wieder auftretendes Lebensgefühl: dass sie sich wie abgeschnitten von der Welt fühle, wie durch eine todesähnliche kalte Aura umgeben.
Die erste Begegnung Wie sich die prägenden Beziehungserfahrungen innerhalb der ersten 160 Stunden der Behandlung handelnd, körperlich symbolisiert, unbewusst in Szene setzen und allmählich in Worte gefasst werden können, wird in den folgenden Episoden beschrieben. Die Patientin betritt den Raum, äußerlich recht groß und an eine androgyn mythische Figur erinnernd, in ihrem Gang fast etwas starr, automatisiert, gepanzert wirkend. Indem sie so schon an der Tür mit ausgestrecktem Arm auf mich zuschreitet, schaut sie mich mit ihren dunklen Augen bannend, zugleich wie auf einer Bühne strahlend an, um dann meine Hand wie in einen Schraubstock zu legen. Die Annäherung wirkt grenzüberschreitend, zwingend, gleichzeitig kontrolliert, erinnert an einen feurigen Liebhaber, der sich gerade noch in Gewalt hat. Dieser machtvoll eindringende Auftritt löst in mir in der körperlichen Gegenübertragung unmittelbar ein unangenehmes, aversives Gefühl aus, einen Impuls, mich entziehen zu wollen, was sich mit der Phantasie verbindet, in ein Bühnenstück gepresst zu werden, in das ich nicht hineingehöre. In dieser Begegnung manifestiert sich interpersonell erstmalig ein zentrales Beziehungsmuster zwischen intrusivem traumatischem Eltern-Täter-Introjekt und dem Kind-Opfer-Introjekt. In dem Ausdruck der Patientin, der ihr keinesfalls zunächst bewusst zugänglich oder mental repräsentiert ist, „verkörpern“ sich Aspekte auf der „Täterseite“ von Macht und Manipulation, von Eindringen im umfassenden Sinne im Gewand eines strahlend, fast soldatisch-heldenhaft wirkenden Gehabes. In meiner Reaktion zeigen sich die Flucht, das Ausweichenwollen vor diesen Aspekten, die aversive Bewegung gegen das eindringende „falsche Selbst“. Ich spreche die Patientin bei der Begrüßung auf den außergewöhnlich festen Händedruck an; sie ist erstaunt. Die Form der Kontaktaufnahme scheint wie automatisiert abzulaufen, ohne dass sie sich im körperlichen und seelischen Empfinden niederschlagen würde. In der Therapiestunde fällt ihr dann dazu ein, dass sie früher immer
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„ein Bursche“ sein wollte. Die Entdeckung, in dieser Form zu mir zu kommen, macht sie traurig. Da sie in der folgenden Zeit auch manchmal den linken Arm auf dem Rücken legt, wie ein „Page“, entsteht langsam ein szenisches Verstehen, der Bursche, oder Page, im folgenden auch der „Ritter“ der Mutter zu sein. In dieser Figur oder diesem Selbstanteil verkörpert sich die Loyalität zur Mutter, der Selbstanteil, der sich versucht anzupassen, um den Preis der Aufgabe einer Weiterentwicklung zur Frau und Eigenständigkeit.
In der zunächst basalen Beschreibung des Körperausdrucks der Patientin durch mich und unter Einbeziehung meiner körperlichen Antwort in der Szene wird ein Prozess der Wahrnehmung und der gemeinsamen Suche nach einer mentalen Bedeutungsfindung angeregt.
Die Botschaft der Körperinszenierung Ganz im Gegensatz zu dem mächtigen Auftritt steht das von der Patientin geschilderte Gefühl zwischen den Sitzungen, in denen sie befürchtet, „die Erinnerung an meine Stimme“ und den durch unsere Sitzungen vermittelten Halt zu verlieren. Die Sehnsucht nach einer guten haltenden Mutter wird deutlich, ebenso die Brüchigkeit und Fassadenhaftigkeit der zunächst gezeigten Stärke, die sich im Verlauf der Therapie in dem Körperbild des „Eisenkorsetts“ symbolisieren lässt. Das Täterintrojekt, das sich zunächst als Reaktion auf die introjizierten Erfahrungen mit der selbst traumatisierten, als unnachgiebig manipulativ fordernd, strafend, harten Mutter herausgebildet hat, und das Kind, das im existentiellen Sinne „am liebsten verschwinden würde“, wie die Patientin es in einer späteren Stunde ausdrückte, setzen sich in Szene. Das selbstverletzende Verhalten zwischen den Stunden scheint mir dramatisch die Interaktion zwischen diesen Aspekten zum Ausdruck zu bringen, wobei sich in dieser basale Wünsche nach Kontakt, Halt, Begriffenwerden und die Abwehrbewegung gegen diese im Sinne eines Versuchs der Loslösung vom traumatischen Introjekt manifestieren. Die Patientin schneidet sich in den Arm, der nach der guten Mutter sehnsuchtsvoll greifen will. Der schneidende Arm repräsentiert die „böse“ Mutter, die in aller Härte gegen das sehnsüchtige Kind vorgeht. Der schneidende Arm repräsentiert aber auch zugleich das „böse“ Kind, was die Mutter für ihre emotionale Vernachlässigung und ihre Härte strafen will. Mit dieser Körperinszenierung verbindet sich ein illusionäres Gefühl von Unabhängigkeit vom Objekt und Allmacht. In dieser körperlichen Symbolisierung ist die Bedeutung des Arms als Teilobjekt und die Handlung an ihm mehrfach determiniert, so dass sich hier verschiedene Aspekte einer zentralen Szene verdichten. Dieses innere Drama ist zunächst nicht in der Übertragungsbeziehung zu erleben und zu bearbeiten. Erst als die Patientin in einer Stunde spontan äußert, dass sie mir „ein Stück Arm dalassen“ wolle und sie mir einige Stunden später den verletzten Arm zeigt, kann die Beschäftigung damit über das konkrete Darbieten des betroffenen Körperteils beginnen. Ihre Mitteilung löst in mir ein tiefes Erschrecken aus, weil sie sich nicht wie eine Metapher anfühlt und in ihrer Qualität so nahe an der Realität lokalisiert scheint. Ich sehe konkret-körperlich das Bild eines abgeschnittenen Arms, und der „Spielraum“ für einen Umgang in der Phantasie mit diesem Wunsch scheint zunächst minimal. Wir haben es hier nach Fonagy mit dem Modus der Äquivalenz zu tun, das bedeutet, dass die innere und die äußere Realität, das körperliche Handeln und die psychische Verfassung nicht voneinander getrennt sind. Die Patientin wünscht sich von mir, ich solle ihren Arm „mit Liebe bedecken“. Die Vorstellung von Liebe ist an eine körperliche Verstümmelung gebunden, die wie ein archaisches Opfer wirkt. Das Greifen nach der Mutter und der Wunsch, von ihr „begriffen“ zu werden, sind von einem tiefen
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Hass, der mit der erlebten Unerfüllbarkeit dieser Sehnsüchte einhergeht, durchdrungen. Sie opfert ihren Arm, um ihr Selbst zu retten. Die Annäherung an das ersehnte Objekt ist mit der existentiellen Angst verbunden, sich selbst zu verlieren. Als ich der Patientin entgegne, dass ich mir wünsche, dass sie sich für ihren Wunsch nach Liebe nicht zerschneiden müsse, ich aber auch sehen würde, wie anstrengend und kaum auszuhalten es sei, Liebe und Hass in einer Beziehung zu verknüpfen und dabei „ganz“ zu bleiben, kann sie ausdrücken, dass ihr doch nur über das Kranksein meine Aufmerksamkeit sicher sei. Sie vergleicht sich mit einem humpelnden Hund mit kranker Pfote. „Wenn ich gesund werde, muss ich mich von Ihnen trennen, und das ist schrecklich.“ Während sie dies sagt, hält sie ihren Arm wie ein Baby. Nachdem ich ihr mitteile, welches Bild diese Körperhaltung in mir auslöst, kann sie mir am Ende der Stunde sagen, dass sie sich wünsche, ein ganz kleines Baby zu sein und in meinem Schoß zu liegen. So traut sie sich das erste Mal, mir gegenüber einen regressiven Wunsch zum Ausdruck zu bringen und dabei „ganz“ zu bleiben. Als sie mir einige Stunden später, ganz zu Ende der Sitzung, plötzlich ihren Arm zeigt, empfinde ich nahezu selbst einen körperlichen Schmerz. Die Patientin sieht dies in meinem Gesicht, und ich sage ihr: „Ja, es tut weh, ihren Arm so zu sehen.“ Meine Reaktion erinnert mich an die Reaktionen auf Verletzungen meiner Kinder, die manchmal eine körperliche Identifikation auslösten. In der nächsten Stunde berichtet die Patientin mir von einem Traum, in dem sie über und über mit Blut bedeckt ist. Es scheint mir, als müsse sie meinem Mitfühlen ein noch grausameres Bild entgegensetzen, als wolle sie mich vielleicht damit quälen und strafen und mir meine Ohnmacht ihrem Agieren gegenüber demonstrieren. Gleichzeitig fällt ihr aber auch eine Episode ein, in der einer ihrer kleinen fünfjährigen Neffen den anderen, der sich verletzt hat, tröstet, indem er auf die Wunde pustet. Dabei wird sie traurig. Bei aller Sehnsucht nach einem empathischen Objekt, das sie tröstet und in einem umfassenden Sinne sieht, taucht auch immer gleichzeitig die seelische und körperliche Bewegung gegen dieses auf. Es scheint mir kein Zufall, dass der Patientin eine mitfühlende Szene zwischen zwei Kindern einfällt und nicht zwischen einem Erwachsenen und einem Kind. In ihrer Kindheit suchte sie Kontakt, Halt und Trost bei ihrem jüngeren Bruder.
In der beginnenden Therapie dominiert der starke appellative Charakter der selbstschädigenden Handlungen der Patientin. Der Arm wird als Teilobjekt, auch auf einer konkreten Ebene in den Kontakt eingeführt. Über das Eingehen auf die körperlichen Mitteilungen der Patientin im Sinne eines „körperlichen Spiegelns“ unter Einbeziehung des eigenen Körperempfindens entwickeln sich allmählich Bilder und Bedeutungen, zunächst auf einer sehr basalen Ebene. In der Interaktion kommt die schwierige Beziehungsaufnahme zu einem zutiefst verletzten und verzweifelten Kind zum Ausdruck.
Die Ambivalenz in der Annäherung Die regressiven Wünsche aktualisieren gleichzeitig die Seite der Angst vor dem ersehnten Objekt und den damit verbundenen traumatisierenden Erfahrungen. Die Patientin schildert, wie die körperliche Annäherung und Berührung durch andere Menschen sie regelrecht „erstarren“ lässt. Hinter der Erstarrung gibt es den Impuls, „in die hinterste Ecke zu verschwinden“. Die Patientin äußert den Wunsch, dieses Thema mit mir handelnd in Szene zu setzen. Sie bleibt in einiger Entfernung von mir stehen und markiert damit einen Punkt in unserer körperlichen Begegnung, der sich eigentlich immer im Rahmen der Begrüßung und der Annährung an mich ereignet. Im Gegenüberstehen spürt sie zunächst körperlich einen Impuls, nach hinten zu gehen. Sie sagt: „Das Frontale ist schwierig, es ist eine Spannung in mir“.
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Ich selbst spüre einen Druck im oberen Bereich des Brustkorbes, Herzklopfen. Dann spricht die Patientin davon, dass sie ein Engegefühl in der Brust spüre. Zu dem erlebten Körpergefühl stellt sich ein Bild ein: „... es ist wie ein Kampf, der kaum auszuhalten ist, wer greift zuerst an.“ Die Patientin verbleibt in ihrer Position und bemerkt, dass die Enge und Aufregung zunehme. „Ich könnte jetzt auf die Knie gehen, dann ist es besser und Sie sind größer.“ Die Patientin geht in die Knie, sie wirkt, als bitte sie vor einem Altar um Vergebung, dann verlässt sie diese Position wieder. Während die Patientin sich damit beschäftigt, wie sie körperlich eine erträgliche Position zu mir finden kann, spüre ich einen starken, mächtigen Sog nach unten, der mich buchstäblich fast in die Knie zwingt, eine für mich auch überraschende Reaktion. Diese starke körperliche Gegenübertragungsreaktion verstehe ich in diesem Moment als Ausdruck für ein sich dialogisch in Szene setzendes grundlegendes „scheme of being with“ (Stern 1996) der Patientin, das im Zusammensein nur die Unterwerfung oder Dominanz, nicht aber die Gleichwertigkeit im Sehen und der Anerkennung des Anderen (Benjamin 1994) kennt. Das zunächst im Körpererleben erfahrene diffuse „Konglomerat an Gefühlen in der Brust“ lässt sich im gemeinsamen Reflektieren dieser Erfahrung als ein Spektrum von Liebe bis Hass verstehen. Die Patientin bemerkt in der nächsten Stunde, dass ihr keine andere Körperhaltung eingefallen sei, in der sie mir habe einfach nahe sein können. „Da ist so ein Wunsch danach, aber auch so ein Widerstand. Das sitzt hier in der Brust. Aber da will ich weitermachen, obwohl ich Angst habe, sie zu entweihen.“ Die Bedeutung des Entweihens wird anhand von zwei Geschichten, die ihr einfallen, deutlich, in denen sie ihren mangelnden Spielraum beschreibt, innerhalb von erotisch sexuellen Annäherungen von Männern. Sie scheint keine inneren Wahl- und Reaktionsmöglichkeiten zu haben. Sie erlebt in diesen Situationen eine körperliche Erstarrung und kann sich nur noch mit einem sofortigen Beziehungsabbruch retten.
In der körperlichen Annäherung inszeniert sich also unmittelbar die TäterOpferthematik in ihrer aggressiven und sexuell grenzüberschreitend-bedrohlichen Qualität. In der Nähe zu einem anderen ist der eigene Bewegungsraum gefährdet oder löst sich auf. Die Stunde nach dieser körperlichen Erfahrung endet mit dem Wunsch der Patientin, sich in meiner Nähe trotz allem fallen lassen zu können.
Das traumatisierte Kind zeigt sich Als die Patientin in einer Stunde in einen leicht dissoziativen Zustand gerät, können wir dies zum Anlass nehmen, uns mit diesem Symptom, das sie sonst oft zum selbstverletzenden Verhalten bringt, zu beschäftigen. Aus dem diffusen dissoziativen Erleben, in dem der Kontakt zu ihr und auch zu mir in diesem Moment „abgeschnitten“ ist, formen sich zunächst Bilder. Sie sagt: „Da ist zunächst die Traurigkeit, wie Tinte im Wasser, sie breitet sich aus und überrollt mich wie eine Welle, wortlos, sprachlos. Es gibt keine Worte hier. Dann kommt die Selbstverletzung, wenn ich diesen Zustand nicht mehr aushalte, und dann kommt das Bild: ich im Eis gefroren, in einem Eispalast.“ Ich frage sie: „Gibt es einen Körperausdruck für das wort- und sprachlose Überrolltwerden?“ „Ja“, antwortet die Patientin, „ich liege auf meiner Couch, mit dem Bauch nach unten zusammengekrümmt, in der Ecke auf dem großen Schaumstoffkissen“. Ich frage sie, ob sie diese Haltung hier einmal einnehmen wolle, damit wir näher verstehen könnten, welche Bedeutung die wortlose Welle habe. Sie geht zur Couch und legt sich mit dem Rücken zu mir, zusammengekrümmt, wobei sie einen Arm schützend um den Kopf herum legt. Ich sitze auf meinem Sessel, der sich etwas entfernt von der Couch am Fenster befindet. Die Patientin liegt so eine Weile und sagt dann: „Es ist nicht gut, Sie nicht anzuschauen, ich möchte Sie anschauen.“ Ich ermutige sie, dem
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Impuls in ihr zu folgen. Sie schaut mich an unter der Decke, die sie über sich gelegt hat. Nach einer weiteren Pause sagt sie leise: „Das habe ich mir so oft gewünscht, so oft, so oft, das jemand an meinem Bett sitzt, so oft.“ Sie streckt den Arm aus (den verletzten): „Ich würde gerne sagen ... komm her“. Als ich sie frage: „Sie möchten gerne, dass ich mich zu Ihnen setze?“, antwortet sie: „Ja“. Ich stehe von meinem Sessel auf und setze mich neben die Patientin seitlich auf den Rand der Couch, ihr zugewandt; die Bewegung zu ihr hin ist stimmig für mich. Sie hat sich so mit der Decke bedeckt, dass die Fransen über ihr Gesicht fallen. Ich denke an eine Babydecke, wohl auch, weil ihr Gesicht wie das eines ganz kleinen Kindes wirkt. Ich schaue sie an und wir schweigen miteinander. Nach einer Weile greift die Patientin nach meiner Hand. Mit meiner anderen Hand halte ich ihren Arm. Sie wird traurig, eine Träne rinnt über ihr Gesicht. Ich schaue auf ihren Arm und sage: „Es ist der verletzte Arm“. „...und Sie haben keine Angst davor?“, fragt sie zögerlich, „... und sie verachten ihn nicht?“ „Nein“, antworte ich. Es ist eine ruhige und selbstverständliche Begegnung und Berührung, die aufkommende Traurigkeit kommt und zieht sich wieder zurück und erfasst mich auch ein wenig, aber eher leise und nicht wie eine wortlose Welle. Am Ende der Stunde, als wir die Szene miteinander aufgelöst haben und die Patientin mir wieder gegenübersitzt, sagt sie: „Es ist alles ganz warm, als hätte ich einen Verband um den Arm. Es ist jetzt schwer, sie zu verlassen.“ Ich mache mir ein wenig Sorgen, wie sie sich aus dieser neuen Begegnung zwischen uns trennen kann und gebe ihr mit auf den Weg: „Sie haben jetzt einen Verband.“ Und sie erwidert: „Ja, den brauche ich auch immer wieder ein bisschen.“ In dieser Stunde ist es der Patientin gelungen, aus einem dissoziativen Erleben, das sonst im auslösenden Zusammenhang mit dem selbstverletzenden Verhalten stand, in einer anderen Form herauszufinden. Für den Gefühlszustand einer diffusen Traurigkeit, der sonst wie eine „wortlose Welle“ über sie hereinbricht, findet sie zunächst die Metapher „wie Tinte im Wasser, die sich ausbreitet“. Das innerlich Entgrenzte und „Nicht-Containte“ des affektiven Zustandes der Patientin kommt in diesem Bild zum Ausdruck. Der körperliche Ausdruck dieses Zustandes erinnert an einen Menschen, isoliert und ohne Hilfe, der sich vor Angst oder Schmerzen zusammenkrümmt, vielleicht Schläge bekommt oder erwartet. In ihm zeigt sich das von anderen Abgewandte, die Verzweifelung und Ohnmacht. Man könnte auch sagen, dass sich zunächst szenisch das intrapsychische Fehlen eines haltenden und antwortenden Objektes zeigt. „Die Erfahrung einer inneren Leere ... stammt aus der Berührung mit einem potentiellen Raum im Selbst, der nie ausgefüllt worden ist, einer angeborenen und nie erfüllten Hoffnung, einer ungeformten Erwartung, die nie Gestalt gewonnen hat. Ein Gefühl für Gestalt und Wissen wird wiederhergestellt, wenn diese Leere des Nicht-Seins Bedingung, vorstellbar wird.“ (Britton 1998, zit. n. Rohde-Dachser 2004, S. 56) Die Patientin, die sonst aus diesem unerträglichen Zustand nur durch das Schneiden wieder herausfinden kann, kann sich in der therapeutischen Situation aktiv der Analytikerin zuwenden. Dies beinhaltet, dass ihr in ihrer jetzigen Situation andere Möglichkeiten zur Verfügung stehen als in früheren traumatisierenden; sie wendet sich aktiv innerlich von der harten, unempathischen, strafenden Mutter ab und einer anderen Mutterqualität zu. Die Szene wandelt sich damit zu einer entwicklungsmäßig frühen haltenden und auf den Schmerz des Kindes antwortenden Mutter-Kind Interaktion. Die Patientin traut sich, ihren basalen Wunsch nach dieser Mutter zu äußern, die an ihrem Bett sitzen und ihren verletzten Arm halten möge. Dies bedeutet die Anerkennung der Abhängigkeit von einem guten tragenden Objekt. Der verletzte Arm als Symbol für den Hass und das Abschneiden von diesen Objektqualitäten ist dabei auf einer konkret-körperlichen Ebene integriert, was zu dem von der Patientin geäußerten heilenden Körperbild führt.
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Diese Stunde mobilisiert in der Patientin viel Sehnsucht, „Beglückung und Irritation“, aber auch eine „abgrundtiefe Angst“, mich nicht erreichen zu können, was das Leben dann sinnlos machen könnte. Das Wiederfinden eines guten Objektes bringt zunächst die unendliche Gefahr mit sich, dieses wieder zu verlieren. Die Patientin bemerkt, dass sie an gelingende Nähe schon gar nicht mehr gedacht hatte, dass es „ganz ausgeschaltet aus dem Leben“ gewesen sei, „so einfach berührt zu werden, ohne Angst und Ekel.“ Die manchmal einer Gratwanderung ähnelnde Reise geht weiter zwischen Hoffnung und Abgrund. Viele Stunden später bestätigt mich die Patientin in dem, was ich mit ihr zusammen in dieser Stunde inszenierte, indem sie mir sagt, dass sie diese konkrete Erfahrung über viele kritische Momente hinweggetragen habe. Ich war mir manchmal nicht sicher, ob die lebensverneinende Seite gerade nach solchen Stunden nicht zu vehement zurückschlagen würde. Als die Patientin mir einmal in einer Sitzung ihren inneren Zustand der Verzweifelung beschreibt, sehe ich auf einmal das Muster auf ihrem Arm wie die StrichmännchenZeichnung eines Kleinkindes. Sie sagt: „Es ist so, als hänge ich mit beiden Armen in einer Felsspalte.“ Dabei streckt sie zur Demonstration beide Arme auseinanderstrebend über dem Kopf aus. „Mit dem einen Arm an der bösen und dem anderen an der guten Seite, es zerreißt mich, und ich kann nicht mehr, ich will loslassen. Ich möchte dann sagen, ob mich nicht jemand halten kann an den Armen.“ Ihre Haltung erinnert mich an ein Kleinkind, das eine erwachsene Person braucht, um laufen zu lernen. Sie schildert mir dies, nachdem sie mir zuvor von Vögeln erzählt hat, die ihre Jungen aus dem Nest schmeißen würden, und sie, wenn sie noch nicht fliegen könnten, immer wieder kurz vor dem Boden auffangen würden. „Sie haben mich heute kurz vor dem Boden aufgefangen.“ Erst viele Stunden später entwickelt sich in ihr ein weiteres Bild. Die zusammengeknoteten Fäden beim Nähen ihrer Schnitte sehen für sie aus wie kleine Menschen, die untergehen. Die zwei Enden der Fäden sind wie Arme, der Knoten wie ein Kopf, wobei sie denke, dass dieser das endgültige Untergehen verhindere. Dieses drohe durch das Auseinanderreißen ihrer beiden Hautseiten, die zwei Seiten in ihr verkörperten. Die Patientin ist hier in der Lage, aus ihrer Handlung und der damit verbundenen medizinischen Versorgung eine Phantasie zu entwickeln und sie einem mentalen Zustand zuzuordnen.
Diese Entwicklung zeigt, dass die Herausgestaltung der Bedeutung des selbstverletzenden Verhaltens innerhalb eines Mentalisierungs- und Symbolisierungsprozesses über grundlegende dialogische körperliche Erfahrungen verläuft, die dann in Worte zu fassen sind. Mit dieser neuen Form der Repräsentierung erweitert sich der Spielraum für den Umgang mit der seelischen Realität.
4.2. Die psychosomatische Erkrankung als Körperinszenierung Unter Bezugnahme auf Küchenhoff (2000) zeigen sich Körperinszenierungen, die strukturell dem Borderlineniveau zuzuordnen sind, auch in Form von schweren psychosomatischen Erkrankungen. In der Schilderung der folgenden Behandlung wird beschrieben, wie sich gemeinsam mit einer traumatisierten Patientin ein Zugang zu der Bedeutung ihrer Symptomatik einer Lungenfibrose finden lässt, die im Verlauf einer langen analytischen Therapie zum Stillstand kommt.
Die erstarrten Lungenbläschen Die 35-jährige Patientin sucht mich nach der Trennung von ihrem Ehemann auf. Sie äußert die Angst, ihr Leben mit ihrem jetzt einjährigen Sohn nicht alleine meistern zu
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können. Während der Schwangerschaft hatte sich die Beziehung zu ihrem Mann dramatisch verändert. Als werdender Mutter begegnet er ihr angewidert und voller Verachtung, er lässt sie oft allein, um sich über Nacht mit Freunden zu amüsieren. Sie erlebt diese Zeit, als müsse sie durch die Hölle gehen und entwickelt eine Lungenfibrose. Während der Entbindung zieht ihr Mann aus, sie schildert, sich noch nie in ihrem Leben so verlassen und gedemütigt gefühlt zu haben. Mit ihrem Entschluss, sich zu trennen und scheiden zu lassen, bessert sich zunächst die Symptomatik langsam. Bei der zugrundeliegenden Traumatisierung durch die Herkunftsfamilie der Patientin geht es einerseits um emotionale Vernachlässigung, andererseits um eine extreme Einengung und Kontrolle in Bezug auf physische und psychische basale Bedürfnisse sowie um ein körperlich grenzüberschreitendes, missbräuchliches Verhalten der Mutter. Die Patientin ist schon während des ersten Lebensjahres der Betreuung durch wechselnde Bezugspersonen ausgesetzt, bedingt durch häufige Krankenhausaufenthalte einer selbst psychosomatisch erkrankten Mutter (Polyarthritis und Rheuma). Während sie mit der Patientin schwanger ist, leidet sie unter häufigen Nierenkoliken. Ihre weitere Entwicklung ist durch Erinnerungen an sich immer wiederholende abrupte Trennungen von den Eltern charakterisiert, über die im Vorfeld nie gesprochen wird und die deshalb für sie immer völlig überraschend und katastrophal sind. Sie schildert, wie sie mit sechs Jahren wegen einer Tonsillektomie im Krankenhaus abgegeben wird, ohne Vorbereitung auf das, was sie erwartet, oder elterlichen Beistand nach der Operation; wie die Eltern in Urlaub fahren und sie ohne Erklärung bei einer betreuenden Person abliefern. Infolgedessen kann sie sich den Eltern nie nah und verbunden fühlen. Die Mutter erlebt sie kontrollierend und einengend, den Vater, der beruflich viel unterwegs ist, autoritär, cholerisch und eigentlich desinteressiert an ihr und dem drei Jahre jüngeren Bruder. Er schlägt sie öfters im Auftrag der Mutter. Als kleines Kind muss die Patientin lange Zeiten im Laufstall verbringen und darf, um die Nachbarn nicht zu stören, „keinen Pieps“ von sich geben. Ab dem 7. Lebensjahr nimmt die Mutter täglich Intimwaschungen bei ihr vor mit der Begründung, dass sie „da unten“ schmutzig sei. Überhaupt gibt sie der Patientin oft zu verstehen, dass mit ihr „etwas nicht stimmt“. Bis zum Erwachsenenalter erinnert die Patientin, dass die Mutter die Außenwelt als schlecht und voller Gefahren kommentiert. Charakteristisch für den Umgang in der Familie scheint ein Mangel an Einfühlung zu sein, der vor allem in Bezug auf die geschilderten Trennungssituationen für die Patientin zu einer traumatisierenden Interaktionserfahrung wird, und den man auch als „emotionale Sprachlosigkeit“ bezeichnen könnte. Eine weitere zentrale Beziehungserfahrung ist die massive Unterdrückung vitaler und autonomer Impulse und Bewegungen. Die daraus resultierenden Bewältigungsstrategien sind die äußere Unterwerfung und Anpassung, die sich im Kontakt mit der Patientin in einem blassen, etwas hinfälligen, immer freundlich lächelnden Erscheinungsbild manifestiert, das im Gegenüber Gefühle von Desinteresse, Langeweile und Leere evoziert. In der Körpersymptomatik reinszeniert sich dagegen in dramatischer und existentieller Form die traumatisierende Beziehungsgeschichte, der gescheiterte Dialog der Patientin, das Ringen um ihr Überleben.
Der Umgang mit der körperlichen Botschaft in der Behandlung Ich schildere eine Stunde aus dem ersten Jahr der analytischen Psychotherapie. Die Patientin hat ihren Beruf halbtags wieder aufgenommen. Sie beschreibt die Atmosphäre an ihrem Arbeitsplatz, die durch eine sehr strenge, kontrollierende, oft willkürlich handelnde Chefin geprägt ist. Den Angestellten ist während der Arbeit jeglicher persönlicher Kontakt untereinander untersagt. Sie erzählt, dass ihr die Arbeit Spaß mache, sie jedoch nachts Hustenanfälle und keine Luft mehr bekomme. An der Oberfläche scheint also zunächst alles in Ordnung zu sein, aber das Symptom meldet sich. Nun hustet sie auch in der Stunde. Sie berichtet weiter, sie könne mit der Chefin um-
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gehen, letztens habe diese jedoch eine Kollegin zusammen geschrieen. Sie glaube, dass der Fotokopierer, der im Raum stehe, mit den ganzen Ausdünstungen ihr nicht gut tue. Wieder hustet sie heftig. Die Patientin beschreibt einen feindseligen, willkürlichen, unterdrückenden Umgang im Büro und stellt sich der Analytikerin gegenüber so dar, als sei sie der Situation gewachsen. Die vergiftete und schädigende Atmosphäre ordnet sie nicht den Beziehungen zu, sondern dem Fotokopierer. Ihre Angst, aber auch ihre Rebellion gegen diese Bedingungen erlebt sie nicht. Es liegt auf der Hand, dass diese Situation als ein Übertragungsauslöser für die geschilderte Mutterbeziehung fungiert und sie mit der Erzählung in der analytischen Sitzung zugleich auch eine negative Übertragung auf die Analytikerin anspricht. Das so aktualisierte Beziehungsmuster, in dem die Mutter lebensfeindlich unterdrückt und schädigt, beantwortet sie wie gewohnt an der Oberfläche mit einem angepassten, aber auch unterschwellig spürbar überlegenen Verhalten nach dem Motto: „Indem ich fleißig und immer freundlich bin, werde ich mit dieser Mutter fertig.“ Aber das Körpersymptom spricht eine andere Sprache. Diese Sprache ist ihr zunächst mental nicht zugänglich. Ein erster Zugang zu diesem körperlich symbolisierten Dialog wird möglich, als das Symptom in der Therapiestunde auftaucht. Ich bitte die Patientin zu beschreiben, wie dieses Husten sich hier, jetzt in ihrem Körper anfühle, ob sie dafür Worte und Bilder finden könne. Sie sagt: „Die Luft hängt fest, es ist hier“. Sie zeigt auf ihre Brust oberhalb des Herzens. „Es kitzelt in der Lunge, so wie ein Widerstand, eine Blockade, da geht es nicht weiter.“ Die Patientin beschreibt also auf der körperlichen Ebene einen Widerstand, der psychisch zunächst nicht auszudrücken ist. Während sie sich mit ihrer Atmung beschäftigt und sie mich halb liegend dabei anschaut, beginne ich ganz unwillkürlich, in Identifikation mit ihr, mitzuatmen. Es entwickelt sich ein körperlicher Dialog ohne Worte, in dem sich ein immer tieferes Miteinander-Durchatmen entwickelt. Im Nachhinein betrachtet scheint es so, als helfe ich der Patientin durch mein Atmen, sich Luft zu verschaffen und über eine einengende Grenze hinwegzugehen, befreiend und lebensnotwendig. Dabei löst sich nur über dieses gemeinsame Erlebnis, das auf einer übertragenen Ebene wie eine körperliche Berührung wirkt, der somatisierte Widerstand bei der Patientin. Nun entwickelt sie Vorstellungen zu der Einengung der Atmung, indem sie weiter in die Körperwahrnehmung mit mir hineingeht. Sie sagt: „Es fühlt sich an wie ein Schreck.“ Eigentlich hat sie Angst, dass die Chefin sie auch plötzlich anbrüllen könnte ... Die mit ihrer Erkrankung verbundene körperliche Empfindung, keine Luft mehr zu bekommen, verbindet sich assoziativ im weiteren Stundenverlauf mit der Schilderung ihres Tagesablaufs, den sie so voll von sie erschöpfenden Anforderungen erlebt. Ihr ganzer Tag ist ausgefüllt, auch nachts wird sie geweckt von ihrem kleinen Sohn, der in ihren Schlaf eindringt. Ihr Tag und ihre Nächte sind so, dass sie keine Luft mehr bekommt, es fehlt der Raum für sie. Auch am Arbeitsplatz ist kein Raum für vitale und spontane Äußerungen, diese müssen unterdrückt werden. Es ist „eng“, so wie in ihrer Lunge. Im weiteren Verlauf der Stunde deute ich die Geschichte auch im Zusammenhang mit der Übertragung auf mich. Hier gebe es auch Regeln und vielleicht wolle sie hier auch manchmal etwas „Privates“ sprechen. Sie lacht erleichtert. Ja, eigentlich sei sie neugierig, was mich anbetreffe, zumal sie sich hier ja so „ausziehe“, aber das gehöre ja nicht hier her. Das „Nicht-Luft-bekommen“ verbindet sich nun mit ihrer Angst und Strenge in Bezug auf die Behandlungssituation, als gebe es das Verbot, sich hier auszubreiten, sich Raum zu nehmen, vital und spontan zu sein im Kontakt. Das, was sie hier atmosphärisch einatmet, kann und darf nicht benannt werden. Mir fällt an dieser Stelle ein, dass die Patientin wahrscheinlich einige Sitzungen zuvor, vor Stundenbeginn, einmal mitbekam, wie ich im Nebenraum am Telefon ärgerlich geworden war.
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Vom Körpergeschehen zur Bewusstwerdung In dieser Stunde finden wir erstmalig einen Zugang zu der Bedeutung der im Körpersymptom enthaltenen Inszenierung, zunächst über eine basale Einfühlung in das körperliche Geschehen. Daraus entwickeln sich Bilder, Metaphern und Einfälle, die im Zusammenhang mit den Konflikten der Patientin außerhalb und dann innerhalb des Dialogs mit der Analytikerin zu erleben sind. All dies geschieht innerhalb einer Übertragungsszene, die man als körperliche Hinwendung einer fürsorglichen, interessierten Mutter zu einem kranken Kind verstehen kann. In der nächsten Stunde berichtet die Patientin, dass ihre Hustenanfälle in der Nacht verschwunden seien, sie verstehe es selbst noch nicht so ganz. Sie fühle sich seit der letzten Stunde irgendwie körperlich größer, so als könne sie den Dingen mehr entgegensetzen. Dieses Gefühl sei sehr wichtig für sie, da die Mutter ihr doch immer vermittelt habe, dass sie an allen entstehenden Problemen schuld sei und sich zu fügen habe. Sie erinnert dann, wie sie als Dreijährige mit den Eltern in einem Mietshaus wohnte und „keinen Pieps“ machen dürfte. Dann fährt sie fort, es sei so befreiend gewesen mit mir zusammen zu atmen, seitdem achte sie das erste Mal selbst darauf, tief ein- und auszuatmen. Im weiteren Verlauf der Stunde beginnen wir gemeinsam zu begreifen, welche Bedeutung der Atmung und dem Husten zukommt, wie sich innerhalb des Symptoms ein Beziehungsdialog abbildet. Aus der Äußerung der Patientin, „die Luft hängt fest“, entwickelt sich im Prozess das Verständnis einer Szene, in der das Kind mit seinem Wunsch nach Luft und Raum zum Leben an der feindselig einengenden und kontrollierenden Mutter „fest hängt“ und über die Erkrankung einen Kampf um die Löslösung führt. In diesem somatischen Geschehen ist die Patientin jedoch zunächst nicht mit der affektiv mentalen Repräsentierung beider Selbstanteile im Kontakt. Erst über die gemeinsame körperliche Aktion des Atmens stellt sich ein Kontakt zu der eigenen körperlichen Funktion her, die sich dann allmählich in ihrer spezifischen Form mit einer mentalen Bedeutung verbindet. In dieser zunächst ganz unwillkürlich stattfindenden körperlichen „Begegnung“ liegt für die Patientin eine Erfahrung, die anders ist als die mit der Mutter. Sie beinhaltet, dass die Analytikerin ein fundamentales Interesse daran hat, dass sie genug Luft zum Leben hat und dass es zudem von existenzieller Wichtigkeit ist, dass beide im gemeinsamen Raum genug Luft haben. So liegen in dem gemeinsamen Atmen ein berührendes, ein verbindendes und ein abgrenzendes Element. Im weiteren Verlauf der Stunde kann sie dann auch die Analytikerin mit ihrer Neugierde in Bezug auf deren Person „berühren“. Dies ist eine wichtige Entwicklung, weil die Patientin weder von der Mutter in einer angemessenen Form gesehen und beantwortet wurde, noch die Mutter in ihrer mentalen Verfassung begreifen durfte und konnte, und dies auch auf einer sehr basal-körperlichen Ebene. Nachdem mir aufgefallen war, dass die Patientin mir zu Beginn der Stunden immer auffallend flüchtig die Hand gab, so dass ich kaum einen Händedruck wahrnahm und ich sie darauf aufmerksam machte, entgegnete sie mir, dass sie der Mutter nie die Hand habe geben dürfen, weil diese solche Schmerzen gehabt habe. Sie erzählte mir, dass ein ganzes Spektrum an Berührungen tabuisiert gewesen sei, so dass sich ihre Erfahrungen mit Körperkontakt im Wesentlichen auf die geschilderten Übergriffe reduzierten.
Die Geschichte dieser Patientin legt auf überzeugende Art nahe, wie wichtig es ist, einen Behandlungsraum zur Verfügung zu stellen, in dem erstmalig andere basale, lebensnotwendige körperliche Erfahrungen gemacht werden können.
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5. Die Entwicklung im Behandlungsprozess – von der körperlichen Symbolisierung zur Mentalisierung Anschließend möchte ich meine Überlegungen zur Entwicklung des Behandlungsprozesses bei traumatisierten Patienten mit Persönlichkeitsstörungen bzw. Borderlinestörungen als Bewegung darstellen, die von der Körpersymbolisierung zur Mentalisierung führt. In Anlehnung an die Ausführungen von Fonagy et al. (s. o.) haben wir es zunächst in den körperlichen Handlungen mit dem Modus der psychischen Äquivalenz zu tun; das bedeutet, dass der körperliche Ausdruck für den mentalen Zustand steht, so wie dies ursprünglich in der Entwicklung des Babys und Kleinkindes der Fall ist. Der Behandlungsprozess lässt sich charakterisieren als eine Abfolge von wichtigen Schritten, die mit dem Patienten gegangen werden müssen, um diesen Ausdruck als seelischen erleben und begreifen zu können. Aus der Handlung des Patienten, die nicht mental repräsentiert ist, lässt sich auf der Seite des Analytikers über einen identifikatorischen Prozess, der im Wesentlichen auch über die eigene Körperwahrnehmung und die szenisch handelnde Beteiligung läuft, auf den möglichen affektiven Zustand des Patienten schließen. „Die Nachahmung des Verhaltens bildet die Brücke, über die der innere psychische Zustand eines anderen zu mir »gelangt« und zu dem psychischen Zustand wird, den ich selbst erlebe.“ (Meltzoff und Gopnik 1993, S. 358, zit. 7 nach Fonagy et al. 2004, S. 158) Diesem Prozess, dem die Fähigkeit zugrunde liegt, aus Handlungen auf mentale Zustände eines anderen zu schließen, ermöglicht es dem Analytiker über das Agieren des Patienten einen Zugang zu seiner seelischen Befindlichkeit zu finden. Das Handeln des Patienten setzt ein intersubjektives Erleben beim Therapeuten in Gang, dem „die Fähigkeit zugrunde liegt ..., Affekte, Aufmerksamkeit und höherrangige Kognitionsaspekte, z. B. Überzeugungen 8 mit anderen zu teilen.“ (Fonagy et al. 2004, S. 43) Bei Hirsch (2002, S. 248) findet sich ein Hinweis auf Fromm-Reichmann, die schon 1950 darauf hinweist, dass der Analytiker über das „Nachspielen mit dem 9 eigenen Körper ... körpersprachliche Mitteilungen entschlüsseln kann“. Die Affektspiegelung entwickelt sich also über den beschriebenen identifikatorischen Prozess beim Therapeuten. Durch seine Kommentare wird die eigene Körperwahrnehmung, die Wahrnehmung der inneren Befindlichkeit und allmählich auch der interaktionellen Realität beim Patienten angeregt. Im Laufe des Prozesses stellt das Gesagte und das Verhalten des Therapeuten eine sekundäre Repräsentation der Ausdrucksmöglichkeiten des Patienten dar, die wiederum internalisiert werden kann.
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Dazu Dornes, Zur „Simulationstheorie“, in: Rohde-Dachser, Ch., Wellendorf, F. 2004, S. 301. 8 Die Forschungsergebnisse zur Funktion der Spiegelneuronen erklären diese Phänomene auf einer neurophysiologischen Ebene, vgl. dazu J. Bauer (2005). 9 Heisterkamp (2002) weist darauf hin, dass es nicht beim „Nachspielen“ des Therapeuten bleiben sollte, sondern dass in der Behandlung ein Raum für „leibliche Assoziationen“ zur Verfügung gestellt werden sollte, ein szenisches gemeinsames und offenes Ergründen der bisher chiffrierten körperlichen Mitteilungen.
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Ein zweiter wichtiger Schritt im Umgang mit den „Körperinszenierungen“ traumatisierter Patienten besteht darin, diese szenisch im affektregulierenden Sinn aufzugreifen und als ein „Als-Ob-Spiel“, als markierte Externalisierung innerer Zustände aufzunehmen und sie handelnd-spielend weiter auszugestalten. Im spielerischen Umgang können Wünsche und Ängste sowie Abwehraspekte „folgenlos“ ausgelebt und modifiziert werden, was das Gefühl der Kontrolle und Bewältigung verstärkt. Dies verändert die Qualität der inneren Repräsentation. „Solche selbstkontrollierenden modifizierenden Reinszenierungen im sicheren »Als-Ob-Modus« einer fiktiven repräsentationalen Welt dienen deshalb als fiktive Möglichkeit, den Umgang mit der schmerzhaften Erinnerung an das traumatische Ereignis zu erleichtern.“ (Fonagy et al. 2004, S. 301) Erinnert sei an dieser Stelle an das erste Behandlungsbeispiel, in dem geschildert wird, wie die Patientin aus einem dissoziativen Zustand mit Hilfe einer Inszenierung herausfinden kann. In dieser Stunde stellt sich szenisch das zentrale Gefühl des Verlassenseins und der nicht vorhandenen inneren Beantwortung durch ein Objekt dar. Dann verändert sich die Szene, indem, auf die Initiative der Patientin hin, gemeinsam mit der Analytikerin ein hilfreicher und unterstützender körperlicher Kontakt hergestellt werden kann. Diese Begegnung und die handelnde Antwort der Analytikerin kann die Patientin im Sinne eines veränderten Umgangs mit einem zunächst unerträglichen seelischen Zustand introjizieren. Viele Stunden später bemerkt sie zum ersten Mal, dass ihr diese Erfahrung als inneres Bild zur Verfügung stehe und ihr über viele kritische Situationen, in denen sie die Gefahr einer autodestruktiven Entgleisung spürte, hinweggeholfen habe. Ware (i. d. B.) weist darauf hin, welche Chance „die Möglichkeit des unmittelbaren Ansprechens und Behandelns des Körperselbst des Patienten in seiner tiefsten Bedürftigkeit und Verletzlichkeit“ beinhaltet, und wie darin „die Keimformen für das spätere Erleben von Freude und Glück“ (Heisterkamp 2005, S. 219, zit. nach Ware, Eros, i. d. B., Kap. 5.5) liegen. Das Spiel in der Therapie ermöglicht eine „korrigierende emotionale »Umschrift« der negativen Affekterinnerung ..., indem diese im markierten »Als-ObModus« mit einem modifizierten emotionalen Inhalt noch einmal erlebt“ wird. (Fonagy 2004, S. 303)10 Das Aufspüren der bisherigen Bedeutungen und die Möglichkeit einer gemeinsamen Umschrift liegen in der neuen Inszenierung von Patient und Analytiker; es ist eine kreativ gestaltende Bewegung, die sich in diesem Miteinander entwickelt. Über das Finden und Erleben, die Bewusstwerdung der körperlichen Botschaft kann sich eine sekundäre Repräsentation beim Patienten etablieren, die ihm die Reflexion und die Regulation in Bezug auf seine innere Welt ermöglichen. Das bedeutet, dass auch auslösende Situationen, die bisher durch impulsive autodestruktive Reaktionen beantwortet wurden, besser handhabbar werden. Das bisherige damit verbundene Erleben von Verwirrung, Desorganisation und 10
Heisterkamp (2002) weist an anderer Stelle zu Recht auf den irreführenden Charakter des Terminus „korrigierende emotionale Erfahrung“ hin im Sinne einer translativen Fehlleistung. Die neue Erfahrung ereignet sich im Sinne einer impliziten Wandlung, sie wird nicht über eine „gezielte Einwirkung (Erziehung)“ induziert. Insofern müsste es an dieser Stelle „korrektive emotionale Umschrift“ heißen.
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Dissoziation ist im Sinne eines nicht ausreichend repräsentierten mentalen Erlebens und somit als Mentalisierungslücke zu verstehen. In der Behandlungstechnik zeigt sich somit ein grundlegender qualitativer Unterschied zu einem deutenden Vorgehen in einem herkömmlichen Setting. Diese Arbeit kann zu einer Nachreifung des „reflektierenden Modus“ führen, wie Fonagy und Target (s. o.) ihn nennen, und damit zu einer Bewegung aus einer traumatischen Erstarrung werden.
Gabriele Poettgen-Havekost, Dipl. Psych., Psychoanalytikerin (DPG, DGPT), psychologische Psychotherapeutin, Dozentin und Lehranalytikerin am Institut für Psychoanalyse und Psychotherapie e. V. in Hannover. Adresse: D-30900 Wedemark, Fallingbostelerstraße 2 E-Mail:
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„Der Körper lügt nicht“ – ? Zur Widerstandsanalyse in der körperlichen Interaktion Gisela Worm
1. Vorbemerkungen zur Bedeutung des Widerstands Die Bedeutung körperlicher Ausdrucksvorgänge zum Verstehen des Unbewussten ist heute unumstritten und in vielfacher Weise in diesem Lehrbuch beschrieben. Möglichkeiten im Umgang mit dem Körper auf der KörperSelbstebene wie der Beziehungsebene werden in unterschiedlicher Weise betont und in ihrer Wirkungsweise dargestellt. Die Vorteile und Möglichkeiten des Verstehens durch die Integration der körperlichen Ebene sind dabei in vielerlei Hinsicht begründet. Oft bleiben jedoch die Schwierigkeiten, die bei der Einführung körperlicher Interventionen auftreten, im Hintergrund. Das gilt insbesondere für Therapieformen, analytisch oder tiefenpsychologisch orientiert, die sich wesentlich durch den Umgang mit Sprache und ein bestimmtes Verständnis der therapeutischen Beziehung definieren. Die Schwierigkeiten werden eher in kritischen Stellungnahmen von Psychoanalytikern aufgegriffen, dort oft einseitig betont oder verabsolutiert bis zur grundsätzlichen Ablehnung. (Bauriedl 1998, Pfannschmidt 2001, Bovensiepen 2003) Abgesehen von polemischen Auseinandersetzungen bieten diese kritischen Einwände trotz aller Einseitigkeit Anhaltspunkte, die methodischen Implikationen und Komplikationen zu reflektieren sowie Korrektive zu entwickeln. Ein wesentlicher Kritikpunkt von analytischer Seite ist die mögliche Manipulation des Patienten durch die körperlichen Befriedigungsmöglichkeiten, die insbesondere durch den Umgang mit Berührung gegeben sind. Der Verdacht ist nicht unbegründet. Verführerisch ist einmal der im Titel aufgegriffene Satz: „Der Körper lügt nicht“. Dieser Satz stand lange Zeit auf den Fahnen von Körpertherapien, die damit ihre besondere Zugangsmöglichkeit zu unbewussten Prozessen unterstreichen wollten. Diese Aussage kann jedoch suggerieren, dass im Körper eine „via regia“ ins Unbewusste existiert, über die direkt an den wahren Kern des Selbst heranzukommen ist. Eine Idealisierung des Körpers oder auch Ideologisierung liegt auf der Hand. Übersieht man, dass im Körperausdruck sowie in einer körperlichen Interaktion neben den besonderen Erlebnis- und Kommunikationsmöglichkeiten auch spezielle Abwehrmöglichkeiten enthalten sind, so sind manipulative Ergebnisse im Verhalten als Anpassung an die ideologischen Erwartungen des Therapeuten nahe liegend. Das ist vor allem der Fall, wenn die therapeutische Beziehung durch
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die Definition der Therapie und das Verhalten des Therapeuten als Übertragungsfeld verstanden wird, wie das in allen analytischen und tiefenpsychologischen Ansätzen der Fall ist. In diesem Beitrag sollen auch nur diese Therapieformen berücksichtigt werden. Andere Körpertherapien – funktionaler Art oder eher energetisch zentriert – haben andere Voraussetzungen und Zentrierungen, unter denen die hier dargestellten Gesichtspunkte in eigener Weise zu reflektieren wären. Durch die Betonung des Übertragungsgesichtspunkts gewinnt der körperliche Umgang einen eigenen Stellenwert. Manipulationen im Sinne einer Anpassung an die Erwartungen des Therapeuten innerhalb von Übertragungsphantasien haben besonderes Gewicht. Das hier zugrunde gelegte Verständnis der Entstehungsgeschichte dieser Übertragungsphantasien und ihrer aktuellen Wirkungsweise soll daher zunächst dargestellt werden.
2. Die Entstehung neurotischer Übertragungsmuster Neuere Theorien zum Verstehen der therapeutischen Beziehung mit den sich darin äußernden Übertragungsphantasien gehen von einem interaktionellen Verständnisansatz aus. Bei Bettighofer findet sich eine breite, verständliche Darstellung des Wandels innerhalb der Psychoanalyse von einer „EinPersonen“ zu einer „Zwei-Personen“-Psychologie (Bettighofer 1998). Beziehung wird hier immer als eine von allen Beteiligten bestimmte Interaktion gesehen. Das gilt sowohl für die Entstehungsgeschichte der inneren Beziehungsmuster wie für deren Reinszenierung in der therapeutischen Beziehung. Für das spezifische Verständnis der konflikthaften Übertragungsmuster, die in der Therapie besonders relevant werden, übernehme ich hier die Darstellung von Bauriedl (1994), da diese Theorie in einer sehr anschaulichen Weise Ursachen und Verarbeitungshintergründe der Beziehungsmuster vermittelt. Nach diesem Verständnis muss sich das Kind in der Familie in ein System einpassen, in dem in bestimmter Weise die Entfaltung von Wünschen und die Vermeidung von Ängsten reguliert wird. Diese regulierenden Mechanismen prägen das Normsystem der Familie, in das das Kind eingebunden wird. Je labiler das innere Gleichgewicht bei beiden Eltern ist und je spannungsvoller sich dadurch die Beziehung zwischen ihnen gestaltet, umso stärker ist der Anpassungsdruck auf das Kind. Um das System zu stabilisieren, wird das Kind in so genannte Ersatzpartnerschaften eingebunden. In diesen Ersatzpartnerschaften sind vor allem alle Anpassungslösungen enthalten, die wesentlich von den Wünschen und Sicherheitsbedürfnissen oder Angstvermeidungen der Eltern bestimmt sind. Können sich Eltern z. B. wenig Nähe geben, so passt sich das Kind je nach Hintergrund dieses Defizits z. B. folgendermaßen in das System ein: Ein überbetonter Wunsch nach passivem Versorgt-werden im Verhalten des Kindes wäre dann vielleicht als Anpassung an eine nach symbiotischer Nähe bedürftige Mutter zu verstehen, die diesen Wunsch in dieser Rollenverteilung mit dem Kind befriedigt und dort ungefährlicher erlebt als mit einem erwachsenen Partner. Der starke passiv-orale Wunsch des Kindes wäre dann nicht als fixierte „orale Gier“ im Sinne eines ursprünglichen Triebbedürfnisses zu verstehen, sondern als Anpassung an ein elterliches System, in dem diese Haltung die größte Sicherheit und Befriedigung versprach. Oder es ist umge-
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kehrt: die Angst vor einer „verschlingend“ erlebten Nähe wird auf das Kind in Form eines verstärkten Distanzbedürfnisses übertragen. Es entsteht ein forciert-pseudoautonomes Verhalten, in dem wärmende Nähe anscheinend nicht mehr wichtig ist. Die Verachtung dieser Wünsche in Übereinstimmung mit den Eltern stützt das System zusätzlich und stabilisiert das gemeinsame Sicherheits- und Selbstwertgefühl. Je höher das Angstpotenzial und damit auch der Anpassungsdruck in der Familie sind, umso eher gibt das Kind seine unter einem Familientabu stehenden ursprünglichen Wünsche auf. Die primären Bedürfnisse des Kindes werden als Grundbedürfnisse verstanden und sind nicht triebtheoretisch definiert, sondern bereits unter einem sozialen Gesichtspunkt gesehen. Entsprechende Grundbedürfnisse sind: Das Bedürfnis nach Halt, Schutz, Grenzen, Nahrung, Wärme, Selbstbehauptung und geschützter sinnlich-sexueller Entwicklung.
Je stärker diese Grundbedürfnisse unter den sozialen Gegebenheiten abgewehrt werden müssen, desto stärker besetzt sind die Ersatzbefriedigungen in der Anpassungslösung.
Ersatzbefriedigungen entsprechen immer einem Kompromiss zwischen der Befriedigung eines Grundbedürfnisses und einem familienkonformen Umgang damit. Die innere Spannung aber ist umso stärker, je unbefriedigender die Lösung für das Grundbedürfnis ist. Dennoch sind Ersatzbefriedigungen immer Kompromissbildungen zwischen den eigenen Wünschen, die in den Grundbedürfnissen definiert sind, und dem Bedürfnis, in einem bestimmten Familiensystem Anerkennung und die Formen von Halt zu finden, die hier die geringste Angst verursachen. Angewendet auf das zuletzt skizzierte Beispiel hieße das: Das betont autonome Verhalten, durch das jedes Angewiesensein möglichst vermieden wird, muss zunächst um jeden Preis aufrechterhalten werden. Verachtung von Abhängigkeiten oder Delegation von Abhängigkeitswünschen können die Abwehrlinie verstärken. Die Ersatzbefriedigung läge in dem Stolz auf die eigene Unabhängigkeit. Die Ersatzpartnerschaft bestünde in der Bestätigung des elterlichen Normsystems, in dem Autonomie an erster Stelle der persönlichen Sicherung steht. In gleicher Weise könnte man Omnipotenzwünsche als eine Ersatzbefriedigung aus Mangel an verlässlichen Erfahrungen bestätigender Gegenseitigkeit verstehen. Oder sexualisierendes Verhalten wäre als Ersatzbefriedigung auf dem Hintergrund eines Mangels an Angenommensein oder geschlechtlicher Anerkennung zu sehen. Dominanz wäre möglicherweise eine Ersatzbefriedigung für den Mangel an nicht beschämenden Hilflosigkeitserfahrungen in Zusammenhang mit Bedürfnissen nach Anlehnung und Halt. Wichtig ist dabei:
Je tabuierter das ursprüngliche Bedürfnis ist, umso höher ist das Angstpotenzial, das die Ersatzbedürfnisse aufrechterhält. Deren Befriedigung wird darum umso dringlicher eingefordert.
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3. Zur Bedeutung der Abstinenz Eine solche Auffassung der übertragungsneurotischen Wünsche als Ausdruck entsprechender Ersatzbefriedigungen, die die ursprünglichen Wünsche und damit verbundenen Ängste abwehren, prägt in entscheidender Weise auch das Abstinenzverständnis neu. Abstinenz heißt dann nicht, eine Verzichtsleistung für die ursprünglichen infantilen Triebwünsche zu erarbeiten, sondern es geht darum, in den zunächst angestrebten Befriedigungen den Ersatzcharakter zu erkennen, der eine Abwehrform enthält. Ein Nichteinsteigen auf diese vom Patienten angebotenen Ersatzbefriedigungen wäre der Sinn der Abstinenz. Ein Teilen dieser Ersatzbefriedungen käme einer Fixierung des übertragungsneurotischen Musters gleich. Die Dringlichkeit, mit der ein bestätigendes Verhalten auf der Ersatzbefriedigungsebene gefordert wird, wäre dann nicht durch die Stärke der Triebwelt, sondern durch die darin enthaltene Angstabwehr zu verstehen. Daher spricht Bauriedl auch von Suchtelementen, die in den Ersatzbefriedigungen zum Ausdruck kommen, da dadurch die abgewehrten Wünsche und Ängste in der Abspaltung oder der Verdrängung gehalten werden. Entscheidend ist auch, dass durch diese Anpassung an die elterlichen Normsysteme die inneren Beziehungen reguliert und stabil gehalten werden. Die Kompromisslösung in der Ersatzbefriedigung garantiert damit auch den Erhalt lebenswichtiger Beziehungen in der inneren Ökonomie. Diese Bedeutungen machen verständlich, warum der Erhalt dieser Abwehrformen von Befriedigungen so vehement angestrebt wird, auch wenn die darin enthaltenen Einschränkungen der eigenen Lebensmöglichkeiten ins Auge fallen. Die Unterscheidung von Befriedigungen und Ersatzbefriedigungen ist für einen analytischen Ansatz, der körperliche Interventionen einschließt, besonders wichtig, da der traditionelle Abstinenzbegriff alle körperlichen Handlungen ausschließt, jedenfalls wenn diese eine entscheidende Interventionsform innerhalb des Therapiekonzeptes darstellen. Verständlich wird das aus dem triebtheoretisch begründeten Hintergrund dieses Abstinenzverständnisses, das sich letztlich in etwas veränderter Form auch in neueren Begründungen wieder findet. Hirsch fasst diese Argumentation folgendermaßen zusammen: „Der Körper hat auf der theoretischen Ebene seinen Platz bekommen – wie auch auf der Kommunikationsebene. Aber in der Praxis ist der Körper gerade nicht Gegenstand der analytischen Therapie, insofern als das Tabu der körperlichen Berührung genau wie das Inzesttabu als strukturbildend angesehen wird“ (Hirsch 2002, S. 260). Er fährt etwas später fort: „Die Psychoanalyse will nicht direkt bedürfnisbefriedigend arbeiten – es ist nicht das Ziel der Analyse als empathische Mutter zu handeln (Lichtenberg 1983, S. 205), sondern zu erklären und umzuwandeln.“ (Green 1975, S. 535, zit. in Hirsch 2002b, S. 261) Diese Sichtweise bleibt dabei stehen, dass Verschmelzungs- und Inzestwünsche den Grundbedürfnissen entsprechen und vor allem auch über den Körperkontakt in eine nachträgliche Befriedigung drängen, so dass eine unabhängige Strukturbildung verhindert wird und Abhängigkeiten fixiert werden.
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So eingeengt diese Sichtweise auch erscheint, als Hinweis auf mögliche Schwierigkeiten und Sackgassen, die den körperlichen Umgang in einem analytisch verstandenen Setting bestimmen können, soll die Wahrheit dieser Argumente reflektiert werden. Der Gesichtspunkt nahe liegender Widerstände, die besonders durch den körperlichen Umgang provoziert werden, ist dabei entscheidend. Die starke Anpassungsbereitschaft, die im Kind durch die Angewiesenheit auf die Sicherheit des elterlichen Systems gegeben ist, taucht in ähnlicher Weise wieder auf, wenn der Therapeut sich durch das bewusst asymmetrisch gestaltete Setting in dieser elterlichen Position erneut anbietet. Darin liegt die besondere Möglichkeit, aber auch die Schwierigkeit von Therapie überhaupt. Insbesondere aber gilt dies für Therapieformen, die diese Beziehung vor allem unter dem Gesichtspunkt der Wiederholung alter defizitärer, traumatischer oder konflikthafter familiärer Muster sehen. Durch den körperlichen Umgang wird das Erleben der Beziehung im Lichte früher Körpererfahrungen innerhalb einer Eltern-Kindbeziehung im Allgemeinen noch verstärkt. Die sensomotorischen Erlebnisformen knüpfen oft stärker als die Sprachinhalte an das kindliche Erleben an. Dadurch werden Erinnerungen dieser Erlebniswelt auch eher zugänglich. Aber diese intensive Form des Erlebens birgt neben den vielfältigen Möglichkeiten auch zu bedenkende Schwierigkeiten. Diese sollen im Folgenden in der Betrachtung häufig auftretender Widerstände weiter reflektiert werden.
4. Widerstände im Körper-Selbsterleben Zunächst seien die Abwehrprozesse betrachtet, die sich im Körper-Selbst ausdrücken. Ausgangspunkt der „Analyse“ sind körperliche Einschränkungen oder Symptome, bei denen eine psychische Bedeutung angenommen wird. Im Hintergrund steht die Annahme, dass Beziehungserfahrungen und ihre Verarbeitung auch ihren Niederschlag im Körper-Selbsterleben finden und von hier aus wieder zu entschlüsseln sind. Müller-Braunschweig zitiert Thomä und Kächele (1985), die betonen „dass sich unbewusste Phantasien dem eigenen Körper oder Selbstbild einprägen“ – oder „dass bei Identifizierungen der Schatten aufgegebener Objekte auch auf den Körper fällt.“ (Müller-Braunschweig 1994, S. 9–15) Küchenhoff (i. d. B.) spricht von Körperinszenierungen, in denen Beziehungserfahrungen ihren unbewussten Ausdruck finden. Dieser Niederschlag von Beziehungserfahrungen findet sich im Erleben des Körper-Selbst, wie es sich im Körperbild äußert, und im eigenen Umgang mit diesem Körper. Das Ziel der Analyse besteht darin, dieses Selbstbild oder den Selbstumgang wieder in ein Beziehungserleben zu verwandeln und von da aus neue Beziehungserfahrungen zu initiieren, die wiederum das Selbstbild im Körper wie den Selbstumgang verändern. Poettgen-Havekost beschreibt in diesem Band ein entsprechendes Beispiel. Durch dieses Verständnis, das im Unterschied zu funktionalen oder energetisch zentrierten Körpertherapien die Beziehungsgeschichte des Körpers in den Mittelpunkt stellt, werden die Widerstände in besonderer Weise aktiviert. Es geraten ja vor allem die Körperregionen oder Körper-Selbstanteile ins Blickfeld, denen besonders konfliktbelastete oder traumatische Beziehungen zugrunde liegen.
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Der Körper ist in diesem Sinn sozusagen „ein Reservoir für Negativerlebnisse“, die dort in abgespaltener Form ihren Ausdruck suchen. Der Entschlüsselung oder der Aufhebung der Abspaltung, der darin enthaltenen Reminiszenzen gilt daher der Widerstand. Die allgemeinste Form des Widerstands äußert sich in der indirekten Weigerung, sich überhaupt auf eine genauere Wahrnehmung des Körpers einzulassen. Jede Intervention in diesem Sinne z. B. mit der Frage: „Was spüren Sie gerade in Ihrem Körper?“ oder „Wo in Ihrem Körper spüren Sie das?“ wird durch vermehrtes Reden oder Schweigen beantwortet. Andere Patienten antworten immer wieder mit reinen Empfindungen wie: „Fühlt sich kalt, warm, verspannt, schwer, leicht an“. Oder sie reagieren mit Bewertungen dieser Empfindungen: „Es ist angenehm oder unangenehm“. Alle Nachfragen nach weiteren Assoziationen, Gefühlen oder Phantasien, die mit diesen Körperempfindungen einhergehen, werden nicht verstanden. Oft braucht es lange Zeit, um eine „Sprache der Bedeutung“ zu finden. Lenkt man die Aufmerksamkeit auf eine körperliche Besonderheit, wird dies meistens viel eindringender, kritischer oder beschämender erlebt als die Erwähnung eines psychischen Verhaltens. Nun ein Beispiel für einen entsprechenden Dialog aus einem Erstinterview:
Die Kränkung in der Kinderstimme Während die Patientin viel aus ihrer Lebensgeschichte erzählt, fällt mir bei der sonst altersentsprechend aussehenden Frau eine sehr kindliche Stimme auf, die in ihrer Dünnheit und Höhe zum sonstigen Aussehen der Patientin in keiner Weise passt. Daher frage ich: Wie fühlen Sie sich denn körperlich hier im Moment? Patientin: Allgemein etwas angespannt. Therapeutin: Mir fällt Ihre Stimme auf. Patientin: Ja, inwiefern? (Ich spüre an der Art ihres Erstaunens und der Nachfrage der Patientin, dass ich anscheinend einen wunden Punkt bei ihr getroffen habe und bin vorsichtig.) Therapeutin: Ihre Stimme ist so hoch und zart. Patientin lacht – Ach ja, aber das ist nicht immer so. Ich habe mich schon damit beschäftigt, es kommt besonders in solch angespannten Situationen wie hier. (Es ist weiter spürbar, wie prekär für die Patientin dieser Körperausdruck ist. Ich möchte aber dabei bleiben, da ich bei der sonst im Assoziieren schon sehr geübten Patientin spüre, dass ich mit der Beachtung dieses Körperausdrucks ein entscheidendes Thema berühre.) Therapeutin: Wie erleben Sie denn selbst Ihre Stimme hier? Patientin: Etwas gequetscht vielleicht. (Sie antwortet für mein Empfinden ausweichend, allgemein. Daher versuche ich jetzt den Ausdruck noch näher zu benennen.) Therapeutin: Es klingt für mich wie eine Kinderstimme, die so anders als ihr Körper anmutet. Die Patientin wird jetzt nachdenklicher und ruhiger. Sie kann sich im Gespräch weiter auf den Hintergrund der „Kinderstimme“ einlassen, die eine besondere Bedeutung im Umgang mit ihrer „Reh-artigen“ Mutter hatte, wie sie es nennt. Es ist zu ahnen, wie viel an beschämender Anpassung in dieser zurückgenommenen, sich klein machenden Stimme steckt, die ihr zunächst ausweichendes Verhalten verständlich macht.
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Der Unterschied zu einer Stimmtherapie besteht hier darin, zunächst nicht eine Veränderung der Stimmlage anzustreben, sondern gerade den Sinn dieses Stimmausdrucks bzw. die dahinter stehenden Beziehungsphantasien zu verstehen.
5. Die „Beziehungs-Lösung“ als Hintergrund des Widerstands Die einzelnen Schritte der Entschlüsselung wollen wohl überlegt sein. Das Verstehen der Abwehr oder der Verarbeitung der dahinter stehenden Beziehungsgeschichte ist zunächst der wichtigste Teil der Analyse. In dem beschriebenen Beispiel ging es im Weiteren darum, die Situationen zu erfahren, in denen die in der Stimme deutlich werdende Anpassung zur habituellen Lösung wurde. Es ist anzunehmen, dass sich die Patientin durch diese „Lösung“ noch am ehesten von der Mutter angenommen fühlen konnte. Die dadurch gewonnene Sicherheit wurde jedoch mit dem Preis des reduzierten Stimmausdrucks – und aller damit in Zusammenhang stehenden Selbstreduzierungen – erkauft. Das macht auch einen Teil der Beschämung aus, aus der heraus die Patientin zunächst abwehrend reagiert. In jedem Fall steckt hinter dem körperlichen Symptom oder Körperverhalten ein Beziehungsdilemma von unterschiedlicher Heftigkeit und Spannungsintensität. Dem Wiederaufleben dieses Beziehungsdilemmas im Körpererleben wie auch in der Übertragungsbeziehung gilt der Widerstand. Da in den körperlichen Ausdrucksvorgängen, die einen symptomatischen Charakter tragen, oft sehr zentrale oder auch sehr früh geprägte traumatische und konflikthafte Beziehungserlebnisse zum Ausdruck kommen, ist man oft sehr schnell am „wunden Punkt“. Kollegen, mit denen ich diesen Unterschied zur verbalen Analyse diskutierte, meinten „beim Körper gibt es keine Rückzugslinie mehr“. Im verbalen Umgang sei diese viel eher gegeben. Hinter den Widerständen, die sich gegen eine Wahrnehmung des Körpers bzw. der affektiven Bedeutungen wenden, steht daher sehr häufig als entscheidender Affekt die Scham. Das Kränkungspotenzial ist sehr hoch, das in den darin zum Ausdruck kommenden Beziehungserlebnissen enthalten ist. Daher werden Hinweise auf körperliche Besonderheiten auch leicht als Kritik oder als indirekter Korrekturvorschlag empfunden. Patienten meinen, sich sofort anders verhalten zu sollen. Oder sie versuchen, durch Änderung des Verhaltens den symptomatischen Ausdruck zu verbergen. Daher ist es zunächst wichtig, einen „Raum der Toleranz“ für das Vorhandene zu schaffen. Wichtiger als sonst vielleicht ist es zu betonen, dass es nicht um eine Änderung, sondern um ein Verstehen des Körperausdrucks geht, unter dem Gesichtspunkt der „Lösung“ für eine schwierige Beziehungssituation. Oft ist es nicht leicht – sowohl für den Patienten wie den Therapeuten – aus der Negativbewertung einer „Abwehr-Lösung“ herauszukommen und stattdessen die positiven Ich-Kräfte zu sehen, die einen Ausweg in dieser Lösung finden ließen. Wegen des hohen Schamaffektes und der Nähe zu oft schweren traumatischen Anteilen in der Beziehungsgeschichte ist die „Sicherung der zunächst gegebenen Abwehrformen“ statt deren Aufhebung aus verschiedenen Gründen besonders wichtig. Erstens sind Ich-Kräfte in diesen Lösungen gebunden, die bei zu schneller Aufhebung, z. B. durch „Weg-Üben“, das Ich schwächen und überfremden können. Die Anerkennung der Ich-Leistung, die sich in diesem körperlichen Lösungsweg zeigt, stärkt das Ich und schafft Mut und Motivation für die Suche
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nach neuen Lösungen. Schellenbaum beschreibt dies unter energetischen Gesichtspunkten: „Das Energiesignal kann sich im Widerstand zeigen. Die bewusste Identifikation damit holt es aus der Abspaltung, und verlebendigt die im Widerstand gefrorene Energie. Oft steckt das Energiesignal in einem abgelehnten Körperteil und verweist dort auf eine abgelehnte Emotion, deren Symbolträger und Energiesignal der verachtete Körperteil ist.“ (Schellenbaum 1992, S. 117) „Die Energie des früheren Widerstands steht dann für den spontanen Aufbruch zur Verfügung.“ (Ebend. S. 153) Zweitens werden in der Beziehungslösung, die im Symptom zum Ausdruck kommt, Elternbilder geschützt, da jede noch so einschränkende Lösung mit dem Ziel einer Erhaltung der Elternbeziehung gefunden wurde. Entwertet man diesen Lösungsversuch und sieht nur „die Verluste“ darin, nimmt man auch etwas von dem lebenserhaltenden Elternschutz und damit etwas von dem psychischen „Grounding“ oder den Wurzeln. Jede neue Lösung braucht auch eine langsame Änderung der Elternbilder bzw. eine neue Integration. Drittens kann ein schnelles „Ersetzen“ der Lösung darüber hinwegtäuschen, dass die Ängste darunter an die alten Elternbilder bzw. Repräsentanzen gebunden bleiben. Ein „erlaubter“ Impuls durch die Autorität des Therapeuten ist noch lange kein integrierter Impuls. Die Betonung dieser positiven Funktion der Widerstände erscheint auch deshalb im körperlichen Bereich besonders wichtig, da in früheren körpertherapeutischen Ansätzen gerade die schnelle Überwindung der Widerstände propagiert wurde, besonders durch das Einsetzen verschiedenartiger kathartischer Methoden, die diesen Zugang ins Zentrum stellten. Widerstände galten als Hindernisse auf dem Weg zum wahren Kern oder Selbst. Dabei wurde der Übertragungsgesichtspunkt meistens völlig ausgeblendet. Ich denke, dass in einem übertragungszentrierten Zugang nur durch die besondere Beachtung und Bewertung der Widerstände manipulativen Ergebnissen durch neue Anpassungen entgegen gewirkt werden kann. Durch den oft direkteren Zugang zu früheren psychischen Schichten durch die körperliche Interaktion liegen Anpassungen an idealisierte Elternbilder besonders nahe.
6. Widerstände im Übertragungs- und Gegenübertragungsprozess Eine entscheidende Bedeutung haben dabei die Übertragungs- und Gegenübertragungswiderstände. Beide Formen sollen im weiteren Diskurs besonders in einigen markanten Erscheinungsformen beschrieben werden. Zentriert man – wie im Beispiel der „Kinderstimme“ – zunächst auf den Widerstand, der sich in der Wahrnehmung des Körper-Selbst äußert, so kündigt sich oft schon ein Übertragungserleben an. Das heißt, der sich im Körper darstellende Konflikt wird durch die Beziehung zur Therapeutin aktualisiert. Die einschränkende „Reh-Mutter“ ist sozusagen schon im Raum. Der Übertragungsgesichtspunkt kann dennoch länger im Hintergrund bleiben, solange er sozusagen die Analyse des Körpererlebens nicht „stört“. Die Körperzentrierung kann zunächst ein entlastender Zugang sein, da der Therapeut ein neutraler
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oder unterstützender Begleiter bleibt. In diesem Beispiel hieße das, die Patientin erzählt zunächst einmal von der konflikthaften Beziehung zu ihrer Mutter. Ausgangs- und Bezugspunkt bleibt dabei die Auffälligkeit in ihrer Stimme. Man könnte auch diese konflikthafte Beziehung inszenieren lassen mit Hilfe von Objektsymbolen. Eine genauere Beschreibung dieser Möglichkeit findet sich im Kapitel zum Umgang mit Handlungsdialogen in diesem Lehrbuch.
6.1. Szenische Widerstände durch laterale Übertragungen Bleibt jedoch eine entscheidende Übertragungsbeziehung, die sich am Therapeuten fest macht, unbearbeitet, kann die szenische Bearbeitung mit Objektsymbolen oder durch Rollen zum Widerstand werden. Diese Form des „szenischen Widerstands“ soll an Auszügen aus einem längeren Behandlungsverlauf illustriert werden.
Hintergründe einer Krebsphobie Es handelt sich um eine Patientin mit einer Krebsphobie. Die Mutter war bereits in der Schwangerschaft an Krebs erkrankt und starb, als die Patientin vier Jahre alt war. Sie nahm zunächst längere Zeit an einer Gruppe teil, die ich zusammen mit einem Kollegen leitete. In der Übertragung stabilisierte sich zunächst die Beziehung zu diesem Kollegen in Anlehnung an ihre Vaterbeziehung, die ihr lange Zeit Halt gegeben hatte. Zu mir hielt sie sich in vorsichtiger Distanz. Im Zentrum der Bearbeitung stand die sehr schwierige Beziehung zu einer Großmutter mütterlicherseits, bei der die Patientin nach dem Tod der Mutter zunächst einige Zeit lebte. In Rollendarstellungen setzte sie sich mit dieser Großmutter auseinander, der gegenüber sie voller Ablehnung war. Sie erlebte sie vereinnahmend und in der Ausnutzung ihrer Abhängigkeit subtil demütigend. Von der Mutter malte sie ein Porträt. Es zeigt das Bild einer blassen Frau mit geschlossenen Augen, die resignativ in sich versunken ist. Sie erlebte die Mutter als eine von der Großmutter stark dominierte Frau. Mit Hilfe dieses Bildes versuchte sie einen neuen Zugang zu dem inneren Mutterbild zu finden. Wir Therapeuten erlebten uns dabei als Begleiter dieser schwierigen Auseinandersetzungs- und Wiederannäherungsprozesse anhand der symbolisch oder bildhaft dargestellten inneren Beziehungsbilder. Durch die affektive Intensität dieser Szenen entging uns, dass sich zunächst parallel dazu eine starke negative Übertragung auf einen Teil der Gruppe und, wie mir erst allmählich deutlicher wurde, auch mir gegenüber entwickelte. Die Patientin geriet dadurch in der Gruppe zunehmend in eine Randposition, die sie durch die Verbindung mit einer Mitpatientin für sich erträglich machte. Wir versuchten den entstandenen Graben in der Gruppe zu symbolisieren und die Gruppe entsprechend rechts und links davon zu gruppieren. Sie fühlte sich auf ihrer Seite als „Vaterzugehörige“, getrennt von einer verschlingenden Großmutter und Mutter, bei denen sie einen tödlichen Hass gegen sich phantasierte. Auf der anderen Seite sah sie die mutterabhängigen Frauen, die sich Mutters Liebe erhalten konnten – auch in mir als mütterlicher Übertragungsfigur – aber ihr Selbst dabei zu großen Teilen opferten. Sie phantasierte, dass diese Frauen aus ihrer Gefangenheit heraus sie mit Hass auf ihre Freiheit und eine bessere Beziehung zum Vater und Mann verfolgten.
Aber wir hatten zu lange gewartet, diese aktualisierte Übertragungssituation innerhalb der Gruppe zu thematisieren. Ihre Angst vor Verfolgung in der Gruppe war inzwischen zu groß, und in der Tat hatte sich in der Gruppe viel Ablehnung gegen sie angesammelt. So war es nicht mehr möglich, ihr zu einer Unterscheidung der inneren Bilder von der äußeren Realität zu verhelfen. Außerdem wurde auch mir erst allmählich bewusst, wie sich meine Gegenübertragung und
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auch eine eigene Übertragung auf sie angesichts des schwelenden Dauerkonflikts zunehmend verstärkt hatten. Ich machte dabei eine wichtige Erfahrung. Die Entlastung der Übertragung durch symbolisierte Objekte oder Rolleninszenierungen ist einerseits eine Möglichkeit, bei schwierigen Übertragungskonstellationen durch die Distanz zur dargestellten Szene eine Beobachtungssituation zu ermöglichen. Ich ging damals davon aus, dass mit der Klärung der Affekte und der Änderung der Beziehungsbilder durch einen derartigen szenischen Umgang auch die aktuellen Übertragungsvorgänge bearbeitet und entlastet werden. Ich denke heute, dass dies prinzipiell auch der Fall sein kann, aber nicht in jedem Fall so sein muss. Die szenische Arbeit in dieser Form kann auch zum Widerstand werden, wenn dadurch ein sich entwickelnder starker Affekt in der Übertragung auf die aktuelle Situation verleugnet wird und die szenische Arbeit an die Stelle einer Bearbeitung der Übertragungssituation tritt. Die szenische Arbeit kann besonders in einem solchen Fall die Übertragungsarbeit nicht ersetzen, auch wenn es inhaltlich auf beiden Ebenen um die gleichen konflikthaften Beziehungsbilder geht. Bei diesen verschiedenen Möglichkeiten ist also in jedem Fall abzuwägen, welcher Zugang der Beziehungsbearbeitung – in oder außerhalb der aktuellen Übertragungssituation – geeignet erscheint, den wirklichen Affekt zu erreichen und die notwendige Distanz zur Bearbeitung beim Patienten und Therapeuten zu erhalten. Die Möglichkeit einer szenisch-symbolischen Darstellung der inneren Beziehungen bleibt dabei ein wichtiger Zugang gerade durch das oft schwierige Problem der Affektregulation bei einer auch körperlichen Interaktion. Die Patientin schrieb mir zu dieser Phase der Therapie später folgendes: „Ich hatte auch damals schon das vage Gefühl, an den Rollendarstellungen zu lange »festzuhängen«: Einerseits waren sie hilfreich, weil ich dadurch Situationen und Gefühle erst erfassen konnte. Andererseits war in mir aber auch das Gefühl, dass ich die Rollenspiele benutzte, um Auseinandersetzungen mit dir und der Gruppe zu vermeiden. Manchmal hatte ich in dieser Zeit das Bedürfnis dir zu sagen: »Ich fühle, dass du mich ablehnst!«, aber ich befürchtete zu sehr, dass du diese Wahrnehmung als falsch bezeichnen und zurückweisen würdest. Durch das Rollen-Versteckspiel gelang es mir wenigstens, bei meiner »inneren Wahrheit« zu bleiben und diese zu bewahren und zu behüten! Das hat mir damals, als ich mich so isoliert fühlte, bei aller »Labilität« doch auch innerlich sehr viel Halt gegeben. Das »autistische Schweigen« hat mir in vielen Situationen in meiner Kindheit und Jugend geholfen, mein »Selbst« nicht zu verlieren.“
6.2. Die Bedeutung verschiedener Erlebnisebenen im Behandlungsprozess Zur Illustration weiterer Besonderheiten in der Übertragungs- und Widerstandsbearbeitung auch durch die intensivierte körperliche Beziehung sollen einige Szenen aus der weiteren Behandlung der geschilderten Patientin dargestellt werden. Da die entstandenen Schwierigkeiten in der Gruppe schwer lösbar erschienen, beschloss ich mit der Patientin, in einer Einzeltherapie die Behandlung fortzusetzen. Vor allem brauchte es nach meiner Einschätzung für die schwierige Übertragung zwischen uns eine geschütztere Situation. Die negativen Übertragungen brachen sich dann auch bald zwischen uns Bahn. Ich begann mit immer größerem Widerstreben in die Sitzungen zu gehen. Als ich ihr dies mitteilte, drohte zunächst eine Katastrophe, was ich schon befürchtet hatte. Sie wollte
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gehen. Mühsam gelang es, wieder Boden zu gewinnen und ihr dabei die Relativität meiner Ablehnung deutlich zu machen. Sie meinte, meine Ablehnung schon lange in meinen Augen gesehen zu haben. Es war also ein körperliches, averbales Signal, das mir in keiner Weise bewusst war, an dem sich ihre Gefühle wesentlich orientiert hatten. Auch war es wichtig, die Realität meines Hintergrundes für dieses Signal herauszufinden. Eine eigene Übertragung aus einer Mutterbeziehung, die sich auf die unausgesprochene hasserfüllte Atmosphäre bezog, wurde mir dabei zugänglich. Das entlastete sie sehr, da ihre Angst und ihr Rückzug sich genau auf die Sprachlosigkeit über den Hass und die Ablehnung zwischen ihr und der Mutter und zwischen Großmutter und Mutter bezogen. Auch ein möglicher Bedeutungshintergrund der geschlossenen Augen auf dem Porträt der Mutter bekam dadurch noch einmal einen neuen Sinn. Offenbar waren die Augen für die Patientin ganz entscheidend, gerade für die verletzenden Signale.
Erst nach dieser Klärung war es wieder möglich, neu in eine szenische Auseinandersetzung mit der Mutter einzusteigen und dort eine Sprache über die tabuisierten Gefühle zu entwickeln. Sie konnte darüber etwas von der verschütteten Liebe zur Mutter wieder finden. Nach diesem Wiederfinden der Sprache eröffnete sich uns ein neues Feld: die Patientin meinte weiterhin, trotz aller neuen Sichtweisen, könne sie dieser Mutter körperlich nicht näher kommen. Bei der auch körperlichen Wiederannäherung an das Bild der Mutter wurden entscheidende weitere Schritte deutlich. Eines Tages hat die Patientin ein Ecksofa aus Matratzen aufgebaut, auf dem sie mich bereits zu Beginn der Stunde empfängt. Wir sitzen „übers Eck“ und sie sucht mit den Füßen einen vorsichtigen Körperkontakt zu mir. Nach einigen Stunden in dieser Form wagt sie sich noch mehr in meine Nähe auf diesem Matratzensofa und lehnt sich neben mir sitzend an meine Schulter an. Sie macht deutlich, wie wichtig ihr dieser Kontakt zu dem gesunden Körper einer Frau ist. Darüber entsteht in ihr eine neue Sicherheit, in Form eines eigenen, auch körperlich zentrierten lebendigen Lebensgefühls. Aber es ist – wie sie selbst feststellt – eher ihr erwachsener Selbstteil, der diese Nähe zu mir zulassen kann. In einer anderen Ecke des Raums hat sie einen symbolischen Platz für den Selbstteil eingerichtet, den sie als ihr „schweigsames und hasserfülltes Kind“ bezeichnet. Sie macht mir klar, dass sich für diesen Teil durch die neue Körpererfahrung mit mir noch nichts geändert hat.
Diese Patientin stellte dadurch sehr anschaulich dar, dass Neuerfahrungen auch im Körpererleben sich auf ganz verschiedene Schichten beziehen können. Die entscheidende Schicht der traumatischen Verletzung ist oft erst sehr viel später zu erreichen. Die Basis für die weitere Analyse kann jedoch erst einmal in dieser Erfahrung mit der Therapeutin als einem neuen Objekt auf einer eher erwachsenen Ebene liegen. Wenn man allerdings die Abtrennung des tieferen traumatisierten Selbstteils dabei nicht sieht, besteht die Gefahr, dass die Körpernähe zum Ersatzkontakt wird und mit zunehmender Dringlichkeit eingefordert wird, da der bedrohliche Selbstteil im Hintergrund gehalten werden muss. Auf der Basis des wieder gefundenen, lebenserhaltenden neuen Mutterkörpers in mir ereignet sich dann eines Tages der entscheidende neue Schritt. Sie erkennt: der abgespaltene, kindliche Selbstteil klammert sich an den Hass, weil er eine tödliche Bedrohung fürchtet. Sie erinnert plötzlich, dass sie sich fast einmal in einen Fluss gestürzt hatte, aus Verzweiflung über ihre Einsamkeit. Die steigende Sehnsucht nach einer Mutter, die ihre „Muttersehnsucht mit dem Tod bezahlen musste“, erlebte sie als tödliche Gefahr. So hatte sie die Beziehung zwischen Großmutter und Mutter erlebt.
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Sie fühlte an diesem Fluss einen solchen Sog, dass sie nach langem Sitzen sich zwingen musste aufzustehen. Sehnsucht und Tod sind für sie untrennbar verknüpft. Auch die phantasierte Sehnsucht der Mutter nach ihr kann sie nur als ein Hereingesogenwerden in den Tod fühlen. Es brauchte viele Schritte, bis die Patientin sich diesem bedrohten Selbstteil nähern konnte. „Da ist so ein unüberwindbarer körperlicher Widerstand, dorthin zu gehen“ sagte sie öfter, mit Blick auf den symbolischen Platz des abgespaltenen Kindteils. Es brauchte immer wieder den neuen Körperkontakt zu mir als „Mutter-Substitut“, um die Angst, die mit der Wiederannäherung verbunden war, auszuhalten. Immer wieder wird sie dabei von Phantasien überfallen, in denen sie sich von einer triumphierenden Mutter in den Tod gezogen fühlt, sobald ihre Sehnsucht stärker wird. Auch eine getrennte weibliche Identität ist mit diesen Ängsten vor Verfolgung verbunden, die nur überlebbar werden durch den intensiv haltenden Körperkontakt zu mir.
Dennoch sei noch einmal betont, dass diese „Neuerfahrung“ nur den Boden für die Durcharbeitung des durch immense Widerstände geschützten kindlichen erstarrten, verstummten Selbstteils gab. Zu oft werden Neuerfahrungen so angeboten, als könnten sie an die Stelle der alten Repräsentanzen treten und diese überdecken oder auflösen. Darauf bezieht sich zu Recht die Kritik des „Angebots einer besseren Mutter“ oder die Kritik der „Wiedergutmachung“. Es ist auch nicht so einfach, der Versuchung zu widerstehen, eine entsprechende „Neuerfahrung“ anzubieten. Patienten dringen oft darauf, an diesem Punkt stehen zu bleiben. Auch die „Defizit-Hypothese“ ist so misszuverstehen, als ginge es um eine Leerstelle im psychischen Bereich, die einfach durch ein neues Verhalten des Therapeuten zu füllen wäre. Auch diese so genannten „Leerstellen“, als Ausdruck einer fehlenden befriedigenden Interaktionserfahrung, sind immer durch Abwehrformen gegen den darin enthaltenen Schmerz geschützt. Dazu auch ein Beispiel aus einer Supervision :
Die Abspaltung negativer Selbstaspekte Die Kollegin schildert eine Patientin mit einer höchst traumatischen Kindheit, voller Einsamkeit und Ablehnungserfahrungen. Sie hatte die Patientin vor ein paar Jahren schon einmal in Therapie. Damals hatte sie sie oft schützend in den Armen gehalten. Dadurch war es der Patientin zunächst deutlich besser gegangen. Sie kam jetzt durch das Auftauchen erneuter Depressionen zurück, mit dem Wunsch, diesen körperlichen Halt und die darin erlebte Fürsorge wiederum zu erfahren. Die Kollegin aber fühlte auch durch die zwischenzeitliche Beschäftigung mit verschiedenen körpertherapeutischen Konzepten einen Widerstand, in gleicher Weise zu verfahren. Sie fürchtete aber bei einer Weigerung, die Patientin könnte weiter dekompensieren. Dennoch bot sie ihr schließlich als Alternative an, den verletzten inneren Selbstteil – symbolisiert durch ein Kissen – selbst in den Arm zu nehmen. Die Patientin aber machte deutlich, dass sie damit nicht wieder in Berührung kommen wollte, und schleuderte das Kissen wütend in eine Ecke. Die Therapeutin fühlte sich ratlos.
In der Supervision wurde klar, dass die Patientin und mit ihr die Therapeutin versucht hatten, die Verletzung durch „Wiedergutmachung“ in den Armen der Therapeutin als der „besseren Mutter“ zu heilen – und diese Lösung hatte sogar eine Zeit lang getragen. Allerdings waren die tiefe Abspaltung der schmerzlichen Grunderfahrung und die Identifikation mit dem ablehnenden Teil der Mutter gegenüber diesem Selbstteil der Preis. Die körperlich agierte Szene bei der Wiederaufnahme der Therapie machte die Abspaltungsvorgänge deutlich und den erneuten depressiven Zustand der Patientin verständlich. Die inneren Defizite ließen sie eine
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„Wiederauffüllung“ von außen suchen. In der szenischen Supervision fanden wir vor allem auch für die negative Gegenübertragung der Therapeutin folgende Lösung: Der abgelehnte Teil blieb als Symbol im Raum und wurde gemeinsam mit der Patientin, die sich nun nicht mehr so stark an den Arm der Therapeutin klammern musste, zentral im Blickfeld gehalten. Es ist also nicht die körperliche Berührung und der schützende Halt an sich, die zu einer illusionären Ersatzbefriedigung werden, sondern die Abspaltung der bedrohlich erlebten Selbstteile, die durch den neuen Verschmelzungskontakt abgewehrt werden sollen, machen den Ersatzbefriedigungscharakter aus. Gelingt es nicht, diesen bedrohten Selbstteil zu integrieren, bleiben auch die bedrohlichen Täter-Introjekte weiterhin unbewusst, wie in dem Supervisionsfall ebenfalls deutlich wird. In dem Wegwerfen des Kissens wiederholt sie auch die ablehnende Haltung des „Täters“ in sich. Auch das Fühlen dieses Hasses im Täter-Introjekt ist ein wichtiger Schritt. Der Symbolisierung dieser Täterfigur und der Identifikation damit wird ebenfalls meistens ein heftiger Widerstand entgegengesetzt. Hier kann jedoch ein szenischer Zugang besonders hilfreich sein. So malte eine andere Patientin, die zu Beginn der Behandlung eine Krebssymptomatik entwickelt hatte, diese Täterfigur und fühlte in der Identifikation mit diesem Bild den ganzen Hass auf einen Selbstteil, den sie in einer mitgebrachten Puppe dargestellt sah. Sie gab mir dabei die Puppe zum Schutz in den Arm. Nur über diese Identifikation aber scheint oft eine bessere Integration der bedrohlichen Elternbilder und deren „Täterschaft“ möglich. Die neuen methodischen Elemente szenischer Darstellungsmöglichkeiten wie der interaktionellen körperlichen Verdichtung können dabei je nach Situation zum Wachstum und Erkennen beitragen oder eine Entwicklung gerade verhindern, wenn diese Elemente zum Widerstand unter Abspaltung aller Bedrohlichkeiten werden.
6.3. Weitere Möglichkeiten der Verwicklung im Übertragungsgeschehen Die Hauptschwierigkeit besteht darin, bei diesen erweiterten Möglichkeiten das Übertragungs- und Gegenübertragungsgeschehen genügend im Blick zu behalten. Wie oben bereits erwähnt, ist dabei einmal die durch das Körpererleben in der Regression nahe liegende Illusion, man könnte „das innere Kind“ sozusagen unverletzt oder „vor dem Trauma“ unmittelbar erreichen, verführerisch für Vermeidungen. Das Konzept des „Nachnährens“ kann vor allem auch diese Illusionen stützen, wenn es nicht als Voraussetzung gemeint ist für die schmerzvolle Durcharbeitung der frühen Verletzungen. Maaz (2001) hat vor allem darauf eindrücklich hingewiesen. Kompensatorische Erlösungsphantasien bestimmen die Therapie auf beiden Seiten. Im Folgenden sollen daher weitere Übertragungs- und Gegenübertragungswiderstande betrachtet werden, die besonders durch die körperliche Interaktion provoziert werden.
6.4. „Die doppelte Bühne“ In Supervisionen erscheint oft folgendes Problem: Kollegen aus den verschiedensten körpertherapeutischen Richtungen klagen darüber, dass ihnen der körperliche Zugang durch das Kennenlernen tiefenpsychologischer oder analytischer Umgangsweisen zunehmend verloren geht. Diese Änderung hat vor allem mit dem veränderten Beziehungsumgang, der durch die genauere Wahrneh-
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mung der Übertragungen gekennzeichnet ist, zu tun. Ein Beziehungsverständnis, das im methodischen Vorgehen diese Beziehung wesentlich auch als Übertragungsfeld sieht, macht körperliche Interventionen viel komplizierter. Der therapeutischen Aktivität sind engere Grenzen gesetzt. Ein sehr aktives Vorgehen, wie es in anderen körpertherapeutischen Ansätzen durchaus üblich ist z. B. durch „Übungen“, macht hier das Übertragungsfeld leicht zu unübersichtlich. Es ist daher meistens besser, an spontanen Köperausdrucksvorgängen des Patienten anzuknüpfen. Downing (1996) nennt dies „Innere Techniken“ im Unterschied zu „Äußeren Techniken“. Die doppelte Bedeutung von körperlichen Interventionen – auf der inhaltlichen und der Übertragungsebene – ist oft schwer im Blick zu behalten. Eine Patientin nannte diese Komplikation in einem übertragungszentrierten Ansatz treffend: „ein Handeln auf zwei Bühnen“. Das ist nicht allein spezifisch für einen körperpsychotherapeutischen Ansatz. Diese doppelte Sicht ist jedoch auch für analytisch geschulte Kollegen innerhalb einer körperlichen Interaktion neu zu lernen, da der Therapeut in das affektive Geschehen stärker einbezogen ist. Ein Beispiel soll diese Schwierigkeit illustrieren. Hier führte ein Übersehen der Übertragungsbedeutung zu einem gerade noch glimpflich verlaufenen Agieren des Patienten.
Folgen einer „isolierten“ Körperintervention Ich versuchte in einer Sitzung bei einem Patienten, die mir schon lange aufgefallene geringe Besetzung des Beckens und der Beine zu verändern. Dazu ermunterte ich ihn, in recht aktiver Weise aufzustehen, zu stampfen und sich dabei besonders im unteren Körperbereich zu fühlen. Mir fiel dabei zwar auf, wie er immer wieder den Oberkörper hochzog, aber da ich erst einmal eine neue Körpererfahrung ermöglichen wollte und Widerständen damals weniger Gewicht gab, ging ich darauf nicht in verstehender und klärender Weise ein. Auch schien mir die Übertragung zu dem Zeitpunkt der Behandlung weniger im Vordergrund zu stehen. In der nächsten Sitzung berichtete er: Er sei mit dem Gefühl gegangen: „gleich passiert etwas“. Dann provozierte er einen leichten Unfall, bei dem seine Stoßstange demoliert wurde. Er sagte: „Dabei hatte ich das Gefühl, den Unfall fast gewollt zu haben, um Dir zu sagen – sieh, was Du angerichtet hast!“ Er hatte erlebt, dass ich ihn zu der Arbeit gegen seinen Willen provozierte. Es sei meine – und nicht seine – Sache gewesen. Jetzt erst wurde mir deutlich, dass meine Intervention auf der Körperebene zwar nicht unrichtig war, wenn man seine Körperstruktur vor Augen hatte, durch meine forcierte Aktivität aber hatte sich eine Mutterübertragung aktualisiert. Er erlebte seine Mutter als eine Person, die nach seiner Darstellung immer wusste, was für ihn richtig war und ihn dadurch in die Passivität zwang. Ich verstand jetzt: durch dieses „Kastrationserleben“ hatte sich eine starke Aggressivität im phallischen Bereich aufgestaut, die er u. a. durch die Abspaltung des Beckenbereichs auf der Körperebene zu regulieren versuchte. Meine Aktivität führte an die Geschichte dieser Abspaltung heran und mobilisierte die abgewehrten Impulse. Zum Schutz der Beziehung wendete er die Aggression zunächst gegen sich selbst und demolierte seine „Stoßstange“.
An diesem Beispiel wurde mir deutlich, dass sich die Widerstände, die zunächst auf der Körperebene durch bestimmte Körperausdrucksvorgänge oder Körperhaltungen sichtbar werden, oft sehr schnell in dieser Form der beziehungszentrierten Therapie mit einer Übertragung verbinden. Eigene Widerstände, das emotionale Eingebundensein in eine Übertragung wahrzunehmen,
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sind sicher ein Hintergrund für ein derartiges Übersehen der wachsenden Übertragungsspannung und Ausweichen in eine isolierte Körperaktion. Patienten kommen dieser Abspaltung der Beziehungsbedeutung oft entgegen. Sie wollen „Massage“ statt Berührung – „Übungen“ statt spontanen Körpereinfällen zu folgen, die in einer bedeutsamen Beziehung zum unbewussten Sprachrohr dieser Beziehung werden könnten. „Körper-Mechanik“ tritt an die Stelle eines Körper-Erlebens. Durch die in der Interaktion gegebene Verdichtung der Beziehung werden Übertragungswiderstände besonders provoziert. Sie aktualisieren sich vor allem in zweierlei Richtung: entweder eine affektive Bedeutung des Körpergeschehens wird verleugnet, es geht nur um eine neue „Energieverteilung“. Oder die therapeutische Beziehung erfährt eine illusionäre Besetzung. Der Therapeut wird zum „besseren Elternteil“ oder „Partner“. Das gilt sowohl für die Widerstände des Patienten wie die des Therapeuten. Eine derartige Verdichtung der Beziehung kann durch den Umgang mit allen Körperbereichen provoziert werden Die größte Intensivierung aber liegt meistens in der körperlichen Berührung. Daher steht diese Form der Körperintervention auch bei vielen Diskussionen im Vordergrund.
6.5. Der Verlust des symbolischen Raums Im Hinblick auf diese Intensivierung sind auch besondere Schwierigkeiten gegeben, die sorgfältige Überlegungen beim methodischen Vorgehen erfordern. Dies gilt vor allem für strukturelle Störungen, wie sie u. a. von Rudolf (2004) beschrieben werden. Ein wesentlicher Teil dieser Störung – und der wird hier besonders relevant – besteht in einer starken Labilität der Grenzen zwischen innen und außen. Projektionen werden als Realitäten erfahren, besonders in hoch besetzten Affektsituationen. Eine derartige Affektsituation ist auch in einer besonderen Verdichtung der therapeutischen Beziehung gegeben. Dadurch kann es zu dem oft geschilderten Zusammenbruch des symbolischen Raums kommen in Form einer malignen Regression. Der Patient kann die auch zeitlich begrenzte symbolisch-modellhafte Bedeutung der Beziehung nicht mehr als solche wahrnehmen, sondern erlebt das Stundenende als Wiederbelebung einer traumatischen Situation wie in folgendem Beispiel:
Eine missverstandene Berührung Ein Kollege geriet in folgende Situation: Er hatte eine Therapie mit einer BorderlinePatientin in beidseitigem Einvernehmen, aber auch für ihn unbefriedigend unterbrochen. Auf einem Seminar über Körpertherapie hatte er u. a. dann Erfahrungen mit haltgebenden Interventionen gemacht, die ihm auch für diese Patientin in ihrer Haltund Orientierungslosigkeit als Hilfe erschienen. Als sie sich wieder an ihn wandte, bot er ihr in einer Stunde – nicht ohne vorherige Erklärung – seine Hand an. Die Therapie schien daraufhin zunächst wieder Fortschritte zu machen. Die Patientin ging scheinbar entlastet mit neuem Vertrauen darauf ein. Dann aber schlug die Atmosphäre um. Die Patientin beklagte zunehmend das abrupte Ende der Stunde – und der Beziehungskonflikt eskalierte bis zu dem Punkt, wo der Therapeut die Patientin buchstäblich aus dem Behandlungszimmer tragen musste. Es kam zur Anzeige wegen Missbrauchs.
Diese Patientin konnte offensichtlich das Angebot der Berührung nicht mehr als therapeutische Intervention im Sinne eines Angebots von symbolischem Halt
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auf der Körperebene verstehen. Sie erlebte es als Realangebot, in dem die Begrenzung der Stunde zur schweren Enttäuschung und Kränkung in ihrem Erleben geriet. Die therapeutische Ich-Spaltung ging in dieser Nähe für sie verloren durch die starke Mobilisation von Angst, verbunden mit einem hohen Kränkungspotenzial in der wieder belebten Beziehung. Sie bediente sich zur Wiederherstellung ihres Selbstgefühls des ihr geläufigen Abwehrmechanismus der Identifizierung mit dem verfolgenden Objekt, indem sie ihrerseits zur Verfolgerin wurde. Diese desolaten Verläufe passieren sonst sicher auch, aber hier kommt es oft sehr schnell und besonders heftig dazu und erscheint unkorrigierbarer durch die körperliche Nähe. Ein besonderes Lehrstück für den zunehmend schwierigen Verlauf einer Behandlung, in der diese körperliche Verdichtung einen zentralen Stellenwert bekommt, ist in dem Buch mit dem Titel: „Unordnung und spätes Leid“ (Akoluth 2004) thematisiert. Die Autorin beschreibt darin den Verlauf ihrer eigenen Analyse in oft wörtlich zitierter Form und in durchaus nachvollziehbarer Weise. Die für das hier behandelte Thema relevanten Stellen sollen kurz zusammengefasst dargestellt und reflektiert werden: Der Therapeut führt eine unterstützende Berührung ein, indem er die Hand der Patientin hält und sie an der Schulter berührt – ohne eine einführende Frage oder Erklärung. (Ebend. S. 20) Er habe dabei auch einfach weiter gesprochen. Sein Motiv ist aus den Zeilen vorher zu entnehmen. Die Patientin befand sich in einer sehr schwierigen Lebenssituation mit einem schwerkranken Mann. Unterstützende Berührungen in solch schwierigen Lebenssituationen sind nicht völlig unüblich auch in Couch-Analysen (s. Scharff 2006). Dieser Therapeut aber unterstützt die Illusion einer Ersatzpartnerschaft. Er sagt, „er sei, da mein todkranker Mann es nicht mehr sein könne, nun mein Vertrauter geworden.“ (Ebend. S. 20) Er geht auch weiterhin sehr aktiv vor, legt beide Arme um die Patientin und ermuntert sie, das Gleiche aktiv bei ihm zu tun. Sein Motiv wird in einem nächsten Zitat zugänglich: Er sagt: „Sie sollen hier wissen und lernen, dass Sie gemocht und schön gefunden werden.“ (Ebend. S. 22) Dieser Beginn einer entgleisenden Therapie ist insofern zu diskutieren, da es sich bei diesem Vorgehen um ein prinzipielles Problem handelt, wenn dieser Therapeut sich vielleicht auch besonders bedenkenlos auf diesen Weg begibt nach einer sehr begrenzten eigenen Vorerfahrung. Er macht genau das, was in diesem Kapitel schon unter dem Stichwort „Neuerfahrung“ beschrieben wurde. Er versucht, sich direkt als ein neues Objekt anzubieten, und zwar nicht für die Erfahrung der schmerzvollen Defizite und der damit verbundenen Gefühle ihres bisherigen Lebens, sondern er verspricht ihr, sozusagen alles „neu zu machen“ und damit ihr Grundgefühl zu ändern. Das hieße, die „Leerstelle“ eines Defizits neu zu füllen – als sei dort vorher tatsächlich eine „Leere“. Aus dem weiteren Behandlungsverlauf wird dann auch aus vielen Stundenbeschreibungen deutlich, dass sich tatsächlich dort keine „Leerstelle“ befindet, sondern ein randvoller „Topf“ mit den verschiedensten enttäuschenden Beziehungserlebnissen, die den Rückzug und die Abkapselung vom Leben verständlich machen. Die Bearbeitung der Folgen dieses „Defizits“ ist die Alternative zu dieser publizierten Behandlung. Sehr aufschlussreich sind auch die Beschreibungen der Gefühle und Körperwahrnehmungen, die die Patientin im Laufe dieses Vorgehens beschäftigen. Sie schreibt:
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„Ich hörte nicht auf meine innere Stimme, nicht auf seine Körpersprache, die mir zeigte, dass er einen Schritt zurück trat, sein Gesicht abwandte, den Stuhl zur Seite zog, ehe die Berührung und Umarmung geschah. Ich verließ mich auf seine Worte des Erlaubens – ich idealisierte ihn immer mehr. Ich umarmte ihn schließlich ohne sein Anerbieten, ja gelegentlich gegen seinen spürbaren Widerwillen.“ (Ebend. S. 23f.) Die Patientin hatte also durchaus ein Gefühl und eine Wahrnehmung für das Unstimmige der Situation. Wahrscheinlich registrierte sie auch ganz richtig eine zunehmende negative Gegenübertragung beim Therapeuten. Aber ihren Bedenken begegnet er mit dem Versuch zunehmender Affirmationen: „Aber Sie haben doch gesehen, wie ich mich gefreut habe. Ich habe ihnen doch meine Freude und Zuneigung gezeigt.“ (Ebend. S. 24) Der Therapeut versucht offenbar seine eigene Zwiespältigkeit zu überspielen, die negative Gegenübertragung wird nicht zum Anlass einer kritischen Reflexion der Situation. Denn hätte die Patientin mit ihrer Beobachtung seines zunehmenden Widerwillens Recht, wäre hier ein entscheidender Ausgangspunkt für ein Verstehen der Situation gegeben gewesen. Die Patientin schreibt, dass durch diese Widersprüchlichkeit ihrer körperlichen Wahrnehmung und den affirmativen Worten des Therapeuten eine entscheidende Übertragung provoziert wird. Sie sagt schon bald: „Ich fühlte, dass der Analytiker es wie meine Mutter macht. Mögliche Nähe wird durch eine innere Distanzierung aufgehoben“. Das Ganze steigert sich bis zu der Einforderung eines bestätigenden Kusses vom Analytiker, dass seine Liebe zu ihr auch die Frau meint und „erlöst“. Es liest sich wie ein Test der Patientin, durch den endgültig die Unstimmigkeit der Situation klar werden soll – freilich so von ihr sicher nicht bewusst initiiert. Die Verweigerung des Kusses vom Therapeuten lässt sie nun auch deutlich die bestimmende Übertragung äußern: „Sie treiben dasselbe böse Spiel mit mir, wie einst meine Mutter.“ (Ebend. S. 29) Und später: „Meine Eltern wollten beide meine Liebe totschlagen – wie Sie.“ (Ebend. S. 53) Nun kann der Therapeut seine Versuche, die negative Übertragung auszuschalten, auch nicht mehr aufrechterhalten. Es wird deutlich, dass er mit dem Angebot einer idealisierten Vaterfigur auch eine eigene negative Mutterübertragung auf die Patientin hintan halten wollte. Sie schreibt: „Der Analytiker hatte lange Zeit »der bessere Vater« für mich sein wollen und war unversehens zum schlimmeren Vater, zur bösen Mutter mutiert.“ Klarsichtig erkennt die Patientin noch, dass eine beiderseitige grenzüberschreitende „Lösungsstrategie“ in der Vermeidung einer negativen Mutterübertragung zu der Verwicklung führte. (Ebend. S. 151) Diese Spur geht jedoch im weiteren Verlauf des Buches wieder verloren. Die Behandlung endet in einer beiderseitigen Verhärtung und wachsenden Vorwurfshaltung. Auch ihre weiteren Versuche der Klärung außerhalb der Therapie bleiben stecken. Auffällig und berührend an dem Buch ist auch, dass Ferenczi (1988) in seinem Tagebuch einen ganz ähnlichen Verlauf einer Behandlung schildert – einschließlich seiner wachsenden negativen Gefühle und deren Hintergrund. Seine Mutter hatte einmal behauptet, „er bringe sie um“ (ebend. S. 149), woraufhin er Frauen gegenüber seine „mörderischen“ Gefühle nicht mehr wahrnehmen durfte, sondern „sich entgegen innerer Überzeugung zu Güte und Gehorsam zwang“. Dieser innere Konflikt führte in der von Ferenczi beschriebenen Behandlung dazu, dass er seine Grenzen in der Therapie zunehmend aufgab. Damals war der Umgang mit Gegenübertragungen noch wenig bekannt. Aber das
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beschriebene Buch von Akoluth und das Beispiel der Patientin mit der Krebsphobie aus meiner eigenen Praxis zeigen, wie der Umgang mit diesen Gegenübertragungen auch weiterhin ein schwieriges Kapitel ist. Das Buch ist jedoch auch ein Hinweis darauf, wie der körperzentrierte Versuch, diese Übertragungen zu übergehen, zu besonders desolaten Verläufen führen kann. Durch die körperliche Interaktion werden sehr basale Gefühle und Bedürfnisse angesprochen. Der Grat zwischen einem notwendigen Erreichen dieser manchmal sehr früh abgewehrten Affekte und einem therapeutischen Umgang damit, der nicht zu einem Verlust des symbolischen Raums führt, ist oft sehr schmal. Der Therapeut hatte wahrscheinlich im Sinn, der Patientin eine neue Hülle oder „Containermöglichkeit“ für ein Gefühl der Selbstakzeptanz zu geben. Er wurde aber stattdessen von ihr eingesetzt als äußerer Garant dieser Selbstakzeptanz. Auch Ferenczis Patientin äußerte, „dass sie die Spaltung ihrer Person in die unbewusst wissende, leidende und die mechanisch gefühllos doch fortlebende nicht eher aufheben werde, als bis ihr in der Realität ein Leben voll Liebe und Anerkennung als Kompensation geboten werde“ – Ferenczi fährt fort: „Die Patientin gab mir die Rolle dieses vollkommenen Liebhabers.“ (Ferenczi 1988 S. 148) Die Verführung, auf diesen Wunsch einzugehen, ist auch für den Therapeuten aus den verschiedensten Gründen nicht gering. Doch Akoluth schreibt am Ende des Buchs: „Der Trost der vertraulichen Berührungen hatte mich beschwichtigt. Durch die Umarmungen wurde zugedeckt, was aufgedeckt und erkannt sein wollte.“ (Akoluth 2004, S. 103) Scharff geht in einem Artikel auf die auch innerhalb der traditionellen Psychoanalyse geführte Diskussion über die verschiedenen Haltungen zum Thema Berührung anhand verschiedener Beispiele aus der Literatur ein. (Scharff 2006) Zur weiteren Klärung der dort sehr kontrovers geführten Diskussion erscheint es notwendig, verschiedene Zielvorstellungen bei Berührungen zu unterscheiden.
6.6. Unterstützende und konfliktklärende Formen von Berührung Die Möglichkeiten und Schwierigkeiten von Berührung liegen in der damit verbundenen doppelten Funktion: Im Wesentlichen wird die unterstützende Funktion von Berührung beschrieben – auch innerhalb analytischer Falldarstellungen – besonders in Zusammenhang mit frühen strukturellen Störungen. (Zusammenfassung bei Fosshage 2001) Ziel der Intervention ist dabei, in diesem Halt einen Container zu schaffen für frühe Erfahrungen, die nicht mentalisierbar waren oder so traumatisch besetzt, dass ihre Verarbeitung in Bild- und Wortvorstellungen noch nicht möglich war. Oder die Berührung wird als Zugangsmöglichkeit gesehen für Affekte, die „eingefroren“ wurden in körperlich gepanzert wirkenden Bereichen. Ein weiteres Ziel ist auch, die im Körperkontakt erfahrene besondere Präsenz des Therapeuten zu vermitteln sowie die konkrete Erfahrung des Angenommenseins in der erlebten Berührung. Dies sind einige der positiven Möglichkeiten, die vielfach beschrieben wurden.
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Falls der Patient den Therapeuten überwiegend in dieser unterstützenden Funktion eines neuen Objekts wahrnehmen kann, ist gerade die Körperberührung ein entscheidendes Mittel, diese Affekte auf einer frühen Ebene zu erreichen. Durch die neue Form des interaktionellen Affektaustauschs kann der Patient zu einer veränderten Form der Integration, Affektregulierung und struktureller Stabilisierung finden. Selbst- und Objektrepräsentanzen können in der Grenzerfahrung der Berührung – oft wird nur deren möglicher Fusionscharakter gesehen – neue Konturen gewinnen. Voraussetzung ist jedoch, dass der Therapeut sich so verhält und so vom Patienten gesehen wird, dass er ein unterstützendes Selbstobjekt innerhalb einer neuen Erfahrung bleibt. Gerät der Therapeut aber im affektiven Erleben in die traumatische Situation hinein, kommt es zu der vorher durch Abspaltungsvorgänge eingedämmten Affektüberschwemmung, und frühe Abwehrformen der projektiven Identifikation, Spaltung oder Dissoziation werden zum Schutz mobilisiert. Berührung bleibt hier eine Gratwanderung. Eine klare diagnostische Einschätzung der Ausgangsstruktur wie sorgfältige Einleitung und Dosierung der Behandlungsschritte sind sicher unbedingte Voraussetzungen, um desolate Verläufe möglichst zu verhindern. Das gilt natürlich insbesondere für die Einführung aktiver Körperinterventionen, die hier vor allem gemeint und beschrieben sind. Andere Interventionen, die die Beachtung und Entwicklung der Wahrnehmungsfähigkeit von Körpersignalen im gewohnten Setting zum Ziel haben, sind sicher weit weniger folgenreich und daher oft erst einmal die Methode der Wahl. (S. Downing 1996 und i. d. B.) Eine grundsätzlich andere Möglichkeit von Berührung besteht im Unterschied zu dieser unterstützenden Funktion im Ziel der Konfliktklärung durch den Berührungsaustausch. Ziel ist hier nicht, eine defizitäre Funktion wiederherzustellen, wie z. B. auch die innere Wahrnehmung und Benennung von Affektzuständen. Sondern durch die Verdichtung des Kontakts in der körperlichen Interaktion sollen spezielle Abwehrformen und Ängste zugänglich werden, um sie dann weiter bearbeiten zu können. Oft geht es dabei zunächst gar nicht um eine direkte Berührung, sondern um Gesten, die die Perspektive einer Berührung eröffnen.
Die Ambivalenz in der Berührung Ein Patient beklagt sich immer wieder über die abweisende Haltung seiner Frau besonders im körperlichen Zusammensein. Ich strecke ihm meine Hände entgegen, um ein Bild für eine im Raum stehende Berührungsmöglichkeit zu schaffen. Er bekommt sofort Angst und muss die Augen abwenden. Es schließen sich viele Phantasien und Körpererinnerungen an, wie er sich von seiner Mutter sowohl bedrängt wie fallen gelassen fühlte, wenn er sich auf die Beziehung einließ. „Es ging nur um ihre Bedürfnisse“, sagt er. Dabei wurde ihm klar, wie die Distanz in der Beziehung zu seiner Frau für ihn Sicherheitscharakter hat, auch wenn andere Bedürfnisse dabei zu kurz kommen. Meine einfache Körpergeste, ohne eine direkte Berührung, eröffnete hier ein Erinnerungsreservoir als eine Verständnisquelle für seine jetzige Beziehungsregulation. Das Verstehen dieses Konflikts einschließlich seiner bisherigen „Lösung“ ist das Ziel der Intervention.
Verliert man bei dieser Sicht das Ziel eines Konfliktverständnisses auch im Berührungskontakt aus dem Auge, entsteht durch die Berührung leicht ein Ersatzkontakt, der an die therapeutische geschützte Beziehung gebunden ist und an die Stelle realer Kontakte tritt, in der es sehr viel ungeschützter zu Konflikten
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kommt. Therapie kann immer zum Ersatz werden. Die zusätzliche Möglichkeit einer körperlichen Befriedigung kommt jedoch einem weiteren Basisbedürfnis entgegen, was zu einer zusätzlichen Bindung an therapeutische Situationen führen kann. Patienten motivieren ihren Wunsch nach einer „nährenden“ Berührung oft mit der Begründung, in der Therapie erst einmal genügend Erfahrung sammeln zu müssen, um sich in der Realität an Kontakte herantrauen zu können. Auch hier liegt der Ersatz nicht in der Berührung selbst, sondern in den Abwehrprozessen, die sich darin etablieren gegen bedrohliche Konflikterfahrungen, die in der Therapie dann nicht vorkommen dürfen. Diese „Reklamation von Nachfütterung“ ist dann auch das, was in der Alltagsrealität zu neuen Enttäuschungen führt. In der Sitzung kann die Grenzenlosigkeit in diesem Bedürfnis nach Konfliktlosigkeit längere Zeit durch das Nichtbeachten der Begrenzung der Stunden übersehen werden. Die Frage ist: Was macht einen Ersatzkontakt oder eine Ersatzbefriedigung von einer Befriedigung unterscheidbar, die Entwicklung nicht verhindert sondern befördert?
6.7. Wie sind Ersatzbefriedigungen erkennbar? Ein wichtiges Kriterium ist die Dringlichkeit, mit der ein bestimmtes Bedürfnis geäußert und manchmal mit erpresserischen Zügen vom Patienten eingefordert wird. Häufige Formulierungen von Patienten sind dann: „Wenn Sie das nicht tun, werde ich wieder sehr krank werden!“ Oder: „Dann sind Sie genau wie…“ Ein weiteres Charakteristikum ist die stereotype Wiederholung eines bestimmten Verhaltens. Es soll sich nichts ändern an einer einmal gefundenen Form des Umgangs. Oder: Bedürfnisse werden aus ihrer Polarität gelöst, es geht beispielsweise immer um Halt statt auch um Grenzen. Vor allem aber sind die Gegenübertragungsgefühle ein wichtiger Indikator, wenn der Therapeut nicht die vom Patienten angebotene Abwehr teilt und eigene Ersatzbefriedigungen in der gemeinsamen „Lösung“ enthalten sind. Eine entscheidende Gegenübertragung ist dabei der innere Widerstand, auf ein Berührungsbedürfnis einzugehen. Wegen der großen Kränkungsgefahr bei Körpergefühlen und Körperbedürfnissen ist es oft nicht ganz einfach, diese Gegenübertragung ernst zu nehmen und entsprechend zu artikulieren, um dann mit dem Patienten gemeinsam den Abwehrhintergrund zu verstehen. Manchmal kommt es dann in der Supervision zu der Frage: „Wie lange muss ich denn den Patienten noch halten?“ Auch Ferenczi stieß an diese Grenze und fand für sich erst einmal nur eine pädagogische Lösung: Irgendwann muss abgestillt werden! Ich denke, dass hier nur die Schulung einer Gegenübertragungskompetenz auch im Hinblick auf die eigenen Körpergefühle hilft, um diese Gefühle zu orten und unterscheiden zu können. Jedenfalls ist ein Überspringen der eigenen „Körpersprache“ keine Lösung. Die „Unechtheit“ im Körperkontakt ist sicher in verschiedener Hinsicht schädlich. Eine nur widerwillig angebotene Berührung übermittelt sich auf dem körperlichen Weg oft sehr subtil. Sie nährt unter Umständen einen spezifischen traumatischen Hintergrund und führt zur Zementierung des inneren Rückzugs oder provoziert ein „unersättliches“ Einfordern des Gleichen.
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Eines der wichtigsten Kriterien für die Stimmigkeit der Berührung ist dann auch „die Kongruenz der Berührung mit dem Intimitätsgrad der Beziehung und den Themen des Patienten.“ (Fosshage 2001) Es geht jedoch nicht nur darum, die Ersatzbefriedigungen des Patienten zu verstehen, sondern ganz entscheidend sind auch die Gefühle des Therapeuten, die besonders mit einem körperlichen Umgang verbunden sind.
6.8. Ersatzbefriedigungen des Therapeuten Nicht nur für den Patienten sondern auch für den Therapeuten stehen bei einem körperlichen Umgang eigene Verletzbarkeiten stärker im Raum. Die Ablehnung eines Berührungsangebots z. B. ist für die meisten schwerer zu ertragen als die Ablehnung einer Interpretation. So kann es als sehr kränkend empfunden werden, wenn die ausgestreckte Hand des Therapeuten erst einmal mit keiner Geste vom Patienten beantwortet oder sogar mit Verachtung registriert wird. Bei der Demonstration einer derartigen Intervention in einer Supervision kam von vielen Gruppenteilnehmern das Feedback: „Das könnte ich nie!“ Und doch könnten gerade in dieser Aktion und Reaktion die entscheidenden Interaktionshintergründe für viele Beziehungsschwierigkeiten des Patienten deutlich werden. Ist das Kränkungspotenzial des Therapeuten an diesem Punkt selbst sehr hoch, könnte es beispielsweise durch das Eingehen des Patienten auf diese Geste genau zu der Anpassung kommen, in der alte Anpassungsstrategien zementiert werden. Beim Patienten liegt der Schluss nahe, in einer Beziehung könne es nur um die Bedürfnisse des Einen gehen. Gegenseitige Abstimmung sei keine Alternative. Nein-sagen an diesem Punkt führe zu einer Gefährdung der Beziehung. Das sichernde oder sich behauptende Nein ist übersprungen. Es bedarf oft sehr genauer Wahrnehmung der Körpersignale, sowohl beim Therapeuten wie beim Patienten, um entscheiden zu können, ob der Kontakt wirklich stimmig ist. Oft „verrät“ nur eine kalte Hand, eine leichte Starre in der Armhaltung, ein Zucken im Gesichtsausdruck, dass es zu keinem Fluss in der Berührung kommt. Nachträglich wahrgenommen ist ein erstes Überspringen auch kein Fehler, sondern kann zu einem wichtigen Ausgangspunkt neuen Verstehens werden. Aber obwohl der Körper hier nicht „lügt“, sondern feine Signale gibt, gewinnt die durch eine entsprechende Theorie oder Ideologie gestützte Vorstellung von „der heilenden Potenz der Berührung“ leicht die Oberhand. Im Hintergrund können beim Therapeuten verschiedene Motivationen stehen, die die überspringende Verwendung von Berührung nähren. Kriterium für alle Varianten ist oft das Ziel des Therapeuten, dass der Patient sich vor allem in der Therapie „wohl“ fühlen soll und der Therapeut „gut“ bleibt. Die eigentlichen Befriedigungswünsche und Motivationen bleiben dabei unerkannt im Hintergrund außerhalb des Bewusstseins. Da der Patient vielleicht auch vor allem einen „befriedigten“ Therapeuten braucht, der ihm das Gefühl gibt, entsprechend „wirkmächtig“ zu sein, passen die Ersatzbedürfnisse zusammen. Hier steht vor allem die „Wiedergutmachung“ für die defizitären Beziehungen des Therapeuten im Vordergrund. Er verhält sich als „besserer Elternteil“ oder „besseres Kind“, um die Illusion einer „idealen ElternKindbeziehung“ für sich in der therapeutischen Situation zu erleben. Das kommt den Wünschen des Patienten natürlich oft entgegen und wird meistens auch nur da gesehen. Aber nicht nur Patienten wollen, dass ihre Verletzungen
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nie wieder stattfinden und dass in der Therapie die Wunden so ausgelöscht werden, dass die Wiederherstellung einer idealen Eltern-Kindbeziehung möglich erscheint. Die Inszenierung einer Situation, die in ihrem körperlichen Umgang der kindlichen Situation noch mehr gleicht als in einer verbalen Therapie, gibt diesem Wunsch und dieser Illusion möglicherweise zusätzlich Nahrung und Hoffnung. Das Bedürfnis nach dieser Idealität kann auch zur Folge haben, dass alle negativen körperlichen Zeichen und Signale möglichst lange übersehen bleiben. So sind Gegenübertragungsgefühle wie Ekel, Kälte, Atemnot, Hustenreiz, Aufstoßen oder Schmerzen aller Art oft „Störenfriede“, deren Wahrnehmung vermieden werden muss. Dies sind aber gerade im körperlichen Umgang die besonders „hilfreichen Helfer“, die schneller als das kognitive Bewusstsein Widersprüche in der Situation, vor allem im Kontakt signalisieren. Ihre Thematisierung kann immer wieder den entscheidenden Fortschritt bringen. Viele Hinweise auf die Ersatzbefriedigungen des Therapeuten finden sich bei Hilton (2000), der sich besonders mit den „Berührungsfallen“ beschäftigt hat.
6.9. Gegenübertragungskompetenz Die Schulung einer körperlichen Gegenübertragungskompetenz in der Wahrnehmung eigener Empfindungen in allen Facetten ist eine wichtige Voraussetzung, um aktive Körperinterventionen auch im Übertragungsfeld wirklich einsetzen zu können. Bauriedl beschreibt drei Ebenen, auf denen die eigene Problematik der Bewusstwerdung bedarf. Auf der Abwehrebene geht es dabei um die Kenntnis der eigenen Kompensationen durch Ersatzbefriedigungen. Die zweite Ebene betrifft die dahinter liegenden Angstbereitschaften. Diese können bei entsprechender Unbewusstheit zur Abwehr von Situationen führen, die diese Angst provozieren. So könnte es z. B. zu einer angstgeleiteten Vermeidung von Berührungen kommen. Sind die eigenen Bedürfnisse auf der dritten Ebene der Grundbedürfnisse abgespalten, kann dies dazu führen, dass dem Patienten der Ausdruck entsprechender Bedürfnisse sozusagen aufgedrängt wird durch die Forcierung einer „Erlaubnis“. Die Integration dieser Bedürfnisse wird dann verhindert durch die fehlende Durcharbeitung der verhindernden Positionen. Angewendet auf den körperlichen Bereich heißt das, es sollten zunehmend die eigenen Körperstrategien (Downing 1996) bewusst werden, die die Interaktion gestalten. Es wären dann besonders das Abwehrverhalten, die dahinter verborgenen Ängste sowie die eigenen defizitären Bedürfnisse und deren Übermittlung im körperlichen Ausdruck zu erfahren. Fragen, die zur Klärung dieses eigenen Körpererlebens und dessen Äußerungsformen in der Interaktion beitragen können, sind z. B.: Wie erlebe ich meinen Körper – in seinen positiven wie negativen Besetzungen? Worauf bin ich in diesem Körper besonders stolz, worüber schäme ich mich? Wie verfahre ich mit meinen Unsicherheiten? Wo trete ich die Flucht nach vorn an und neige dazu, etwas zu überspringen oder zu überspielen? Was möchte ich verstecken? Wann forciere ich den Kontakt, ergreife betont die Initiative? Wie verfahre ich dabei? Wann vermeide ich den Kontakt? Wie verfahre ich mit meinen negativen Körpergefühlen – auch mit meinen negativen Körperwahrnehmungen beim Anderen? Die Kenntnis dieser körperlichen Ebene der Gefühle sowie deren Ausdrucksformen kommt in den tiefenpsychologischen und analytischen Ausbildungen bisher sicher zu kurz –
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auch wenn sich in der Wahrnehmung von körperlichen Gegenübertragungen eine Änderung vollzieht. Der Umgang damit ist noch ein weiteres Problem.
6.10. Zur Bearbeitung einer erotisch-sexuellen Thematik in der Interaktion Eine spezielle Thematik besonders im Hinblick auf einen auch körperlichen Umgang besteht in der Bearbeitung erotisch-sexueller Affekte und Beziehungsformen. Hier findet sich – nicht nur auf dem Gebiet körpertherapeutischer Behandlungsformen – viel Verwirrendes und eine breite Palette von Widerstandsformen sowohl im theoretischen Verständnis wie in der Praxis. Eine relativ aktuelle Darstellung der verschiedensten Gesichtspunkte zu diesem Thema innerhalb traditioneller Formen analytischer Therapie findet sich in dem DGPT-Band (1998) mit dem Thema „Psychoanalyse der Liebe“. In den Praxisbeitragen geht es auffälligerweise fast ausschließlich um Formen der Sexualisierung ausgehend vom Patienten – also um Abwehrformen, die sich der Sexualität bedienen. Nur Hohage befasst sich mit der Erotik als einer eigenen Dimension innerhalb einer auch über die Kindheit hinausgehenden Form der Entwicklung. Die entscheidende theoretische Schwierigkeit besteht darin, dass die Therapeut-Patient-Beziehung wesentlich unter dem Gesichtspunkt einer ElternKindbeziehung gesehen wird, betont durch die Asymmetrie des Settings. Diese wird im Couchsetting auch räumlich dargestellt, besteht aber in jedem Fall auch durch die asymmetrische Rollenverteilung. Bestimmt das Eltern-Kind Modell allerdings ausschließlich die therapeutisch entscheidende Beziehungsdimension, auf der die Konflikte liegen und ausgetragen werden, so geraten alle erotischsexuellen Bedürfnisse und Affekte in ein potenziell „inzestuöses“ Feld und müssen von daher in irgendeiner Form abgewehrt werden. Das ist auch eine prinzipielle Crux in den analytisch orientierten Verbaltherapien, wie der DGPTBand zeigt. Aber die Thematik gewinnt durch die in einem körperorientierten Setting enthaltene körperliche Intimitätsmöglichkeit noch eine zusätzliche Brisanz. Kritische Kommentare von analytischer Seite konzentrieren sich dabei oft besonders auf diesen Punkt. Die Argumentation lautet zusammengefasst: Durch die Erwachsenheit von Therapeut und Patient ginge es bei einem Berührungskontakt doch selbstverständlich immer auch um die sexuell-erotische Ebene. Ansonsten sei es eine Infantilisierung des Patienten unter Verleugnung der sexuellen Bedeutungen. Die Kritiker treffen insofern einen richtigen Punkt, als es tatsächlich im körperlichen Umgang zu besonderen Schwierigkeiten kommen muss, wenn nur die Eltern-Kind Ebene mit aller Macht festgehalten wird, auch bei dieser Thematik. Diese Sichtweise ist zwar auch in den analytischen Verbaltherapien überbetont, aber durch die weniger sichtbare körperliche Realität bleibt diese erwachsene Realität mehr im Hintergrund oder kann leichter aus der Wahrnehmung ausgeschaltet werden. Außerdem ist der „reine“ Phantasieraum gesicherter. Die körperliche Handlung – auch wenn sie sich in einem symbolischen Raum abspielt, der von beiden Beteiligten in diesem Sinne verstanden wird – ist dennoch näher an der Realisierung. Und Phantasien können sich auch unbemerkt im Hintergrund weiter entfalten. Das alles macht den körperlichen Umgang mit dieser Thematik nicht einfach. Aber es wird unumgänglich, hier ein klares Konzept zu entwickeln, wenn
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der sichtbare Körper so im Vordergrund steht und auch die Körpergefühle sich oft sehr viel direkter äußern. Ein Rahmenverständnis für den körperlichen Umgang im erotischen Bereich wird daher umso dringlicher, da sonst an diesem Punkt tatsächlich die verschiedensten Entgleisungen im Sinne eines nicht verstandenen Widerstands nahe liegen.
6.11. Verführungsmotive bei Patienten Die wichtigste Unterscheidung ist die zwischen einer erotisierenden oder sexualisierenden Abwehr und einer Phase der Therapie, in der eine Entwicklung einer sexuell-erotischen Identität im Vordergrund steht mit den sich hier konzentrierenden Konflikten und Ängsten. Die Unterscheidung ist oft nicht so einfach oder so eindeutig, wie es zunächst erscheint.
Eine sexualisierte Verführung Ein Kollege, der in einem körpertherapeutischen Setting arbeitet, schildert folgenden Behandlungsverlauf. Eine Patientin, von der er weiß, dass sie sich in ihrer weiblichen Identität sehr unsicher fühlt, kommt nach einiger Zeit in zunehmend verführerischer Kleidung in die Therapie. Er interpretiert ihr Verhalten für sich selbst als Versuch, für ihre wachsende Weiblichkeit eine positive Resonanz zu finden. Im Laufe der Therapie kommt es auch zu Atemübungen. Der Therapeut legt zur Unterstützung der doppelten Zentrierung der Atmung im Brust- und Beckenraum seine Hände auf Brustbein und Bauch der vor ihm liegenden Patientin. Es entsteht eine zunehmend intime Atmosphäre. Als Therapeut und Patientin sich einmal gegenüber sitzen, legt die Patientin seine Hand auf ihre Brust. Sie wirkt auf ihn dabei sehr empfindlich und angreifbar. Er fühlt sich angezogen, leicht sexuell erregt, und es ist ihm unbehaglich zumute. Er getraut sich jedoch nicht, seine zwiespältigen Gefühle zu verbalisieren, da er fürchtet, die Patientin bei diesen Schritten der allmählichen Wiederbesetzung ihrer Weiblichkeit zurückzuweisen. So akzeptiert er zunächst die Bedürfnisse der Patientin nach Berührung. Trotz allen Zweifels hat er den Eindruck, dass die Patientin anfängt, als Frau „aufzublühen”. Der Therapeut gesteht, er sei auch dadurch verunsichert worden, dass die Patientin für ihn primär nicht besonders attraktiv gewesen sei. Er habe sich von ihrer Direktheit sogar manchmal abgestoßen gefühlt – was für mich nicht nach einer nachträglichen Verleugnung klingt. Umso unverständlicher ist ihm zunächst, dass er sich der verführerischen Atmosphäre nicht entziehen konnte. Eines Tages beendete die Patientin eine Umarmung am Schluss der Sitzung mit einem Kuss. Die Behandlung endete dann nach kurzer Zeit mit heftigen Anklagen der Patientin gegen den Therapeuten, der sie verführt habe – was sicher richtig ist, trotz des Agierens der Patientin.
Was macht diese Situation so schwierig und verworren? Es handelt sich, wie nachträglich unmittelbar deutlich ist, eindeutig um eine sexualisierende Abwehr, die eine Angst vor Ablehnung oder Nicht-WahrGenommen-Werden überdecken soll. Der Ersatzbefriedigungscharakter in diesem Verhalten wäre u. a. an der widerstrebenden Gegenübertragung des Therapeuten erkennbar gewesen, mit der er die negativ besetzte Weiblichkeit der Patientin wahrnahm, und auf diese mit innerer Abwehr auf ihr sexualisiertes Angebot reagierte. Die Angst vor Ablehnung zu benennen und das sexualisierende Angebot als Abwehr dieser Angst zu erkennen, wäre hier der Ausgangspunkt gewesen. Das Überspringen der Gegenübertragung führte u. a. in die Falle.
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Aber es sind auch prinzipielle Probleme in diesem Beispiel enthalten. Einmal wird die Problematik der Verwendung von „Übungen“ in einer stark von einer Übertragung bestimmten Situation deutlich. Der Therapeut ist dabei kein „neutraler Begleiter“, „Helfer“, „Container“, sondern ein unter der Erwartung der Ablehnung wahrgenommener Mann, der sicher einem früheren Muster entspricht. Unter diesem Beziehungsgesichtspunkt wird die Situation erlebt. Das muss nicht zu jedem Zeitpunkt der Therapie so sein, besonders wenn sie – wie das in vielen körpertherapeutischen Settings der Fall ist – mehr unter energetischen Gesichtspunkten geführt wird und auch so für den Patienten definiert ist. Aber natürlich kommt es auch dort zu der beschriebenen Komplikation. In einem Setting, das den Übertragungsgesichtspunkt generell mehr im Blick hat, wird eine solche „Übung“ wie in diesem Fall die „Atem-Übung“ noch viel eher problematisch. Es ist daher nahe liegend, „Übungen“ dieser Art überhaupt zu vermeiden. Prototypisch erscheinen auch die Hintergründe des Therapeuten, die ihn die Sexualisierung als Abwehrform übersehen ließen. Der Therapeut fühlt sich durch die Sexualisierung auch als Mann herausgefordert und bestätigt. Er übersieht daher die untergründige Macht- und Ablehnungsthematik. Seine eigenen narzisstischen Entwertungsängste lassen ihn das Risiko einer möglichen Verachtung der Patientin, die untergründig spürbar war, nicht auf sich nehmen. Ersatzbefriedigungen einer scheinbaren gegenseitigen Bestätigung auf der erotischen Ebene führen in die Sackgasse. Das scheinbare Funktionieren der Ersatzbefriedigung – wie aus dem Aufblühen der Patientin zu schließen – machen diesen Verlauf oft noch undurchschaubarer. Da, wie bereits allgemein beim Thema Berührung beschrieben, die Kränkbarkeit auf körperlicher Ebene oft größer ist als im verbalen Umgang, liegt es hier besonders nahe, Ablehnungsgefühle zu verdrängen, zu verschweigen und zu überspielen. Auslöser können z. B. ein unangenehmer Geruch, schlechte Haut, Fettleibigkeit und extreme Magerkeit sein, die eine körperliche Anziehung auch im erotischen Sinn verhindern. Es braucht sicher besonderes Taktgefühl im Ansprechen dieser Körpersignale und Toleranz für die oft heftigen Abwehr- und Vorwurfsreaktionen von Patienten, die auf eine entsprechende vorsichtige Thematisierung folgen. Ich habe daher selbst diesen Punkt oft ausgelassen. Aber wenn es gelang, auch dieses unangenehme Körpersignal gemeinsam zu entschlüsseln, war dies für einen neuen Ausgangspunkt der Beziehung oft besonders wichtig.
Hintergründe einer körperlichen Ablehnung in der Gegenübertragung Eine Patientin litt u. a. darunter, dass ihr Mann sich bei ihr impotent erwies. Sie erzählt mir, dass sie viele wechselnde sexuelle Beziehungen hatte, nirgendwo sei etwas Derartiges aufgetaucht. Sie erlebte es als ein reines Versagen des Mannes. Mir ging von Anfang an bei dieser Patientin nach, dass ich sie zwar sympathisch fand, aber sie dennoch erst nach einer Bedenkzeit in Therapie nahm, weil ich ihrem Körper gegenüber Vorbehalte hatte. Ich mochte ihr – in meiner Vorstellung – körperlich nicht nahe kommen. Manche eigentlich sonst natürliche Verhaltensweisen, z. B. Nase putzen, hatten für mich bei ihr irgendetwas Abstoßendes, so dass ich nicht hinschauen mochte. Ich konnte mir meine Körperreaktion nicht erklären und fand zunächst auch keinen Zugang, diese körperliche Gegenübertragung zu thematisieren. Eines Tages erzählte sie jedoch, wie eklig sie oft ihre Mutter fand, die sich zu Hause in ihrer Klei-
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dung gehen ließ, sehr dick wurde und exzessiv rauchte. Besonders wenn sie sich abends über sie gebeugt habe, um ihr einen Gutenachtkuss zu geben, litt sie unter dem Rauchgeruch, wagte aber nichts zu sagen. Jetzt fand ich einen Aufhänger und teilte ihr auch meine ablehnende Körperreaktion mit. Zunächst war sie geschockt, meinte aber, diese Ablehnung habe sie von Anfang an in meinem Gesicht gesehen, was mir völlig unbewusst war. Doch sie hatte natürlich auch vermieden, sich darauf zu beziehen. Wir konnten dann erstmalig über ihre negative weibliche Körperbesetzung sprechen. Ihr wurde deutlich, wie sie sexuelle Kontakte dazu benutzt hatte, diese negative Besetzung nicht wahrnehmen zu müssen und stattdessen versuchte, sich als sexuell attraktive Frau zu fühlen unter diesen „Beweisen“. Sie konnte jetzt ihr Körpergefühl auf Bildern darstellen. Das erste Bild zeigte eine gepanzerte, grobschlächtige „Kumpel-Frau“. Mit viel Zögern und Scham zeigte sie mir dann ein zweites Bild: Darauf war eine Frau mit schönem Körper, leicht verschleiert zu sehen. Erst dann war eine allmähliche Annäherung und gegenseitige Berührung zwischen uns Frauen möglich. Viel Scham und mädchenhafte Schüchternheit kam hinter der äußeren Kompetenz und Forschheit zum Ausdruck. Ihre Sehnsucht nach einer Mutter, die auch in ihrer erotisch attraktiven Körperlichkeit für sie berührbar und zum Spiegel werden konnte, wurde zugänglich. Die häusliche Situation entspannte sich dadurch, dass der Mann das Problem nicht mehr allein trug und er nicht mehr als „Beweisträger“ von ihr eingesetzt wurde.
Besonders im sexuellen-erotischen Bereich ist die narzisstische Kränkbarkeit sehr hoch, da oft sehr frühe auf den Körper gerichtete Kränkungen dahinter stehen. Gambaroff (1988) beschreibt in einer sehr offenen Weise eine auch von ihr aus stark sexualisierte Beziehung zu einem Patienten, bei dem sich eine beiderseitige frühe „Körper-Kränkung“ als Hintergrund herausstellte. Hirsch (1993) weist in überzeugender Weise darauf hin, dass bei Missbrauch in Therapien das narzisstische Defizit auf beiden Seiten meistens als Ursache festzumachen ist, und nicht Frustrationen durch mangelnde Möglichkeiten der Triebbefriedigung.
6.12. Verführungsmotive beim Therapeuten Weitere Motive, in denen die Sexualisierung als Abwehrform eingesetzt wird, sollen vom Therapeuten aus geschildert werden, auch wenn die Motivationen sicher immer beidseitig begründet sind und ineinandergreifen. Allgemeine Faktoren, die auch für den Therapeuten ein sexualisiertes Agieren in der therapeutischen Situation nahe legen, sind folgende: Erstens kommt die Asymmetrie der Rollenverteilung illusionären Vorstellungen entgegen. Der Therapeut kann sich in der Rolle eines Ideal-Partners fühlen, der größer, tüchtiger, klüger, liebevoller, zugewandter und im körperlichen Umgang besonders auch zärtlicher, einfühlsamer und männlich-potenter empfunden wird. Oft führen dann Patienten Vergleiche mit ihren realen Partnerschaften an, die an der Idealität der therapeutischen „Paar-Beziehung“ gemessen werden. Der Therapeut kann sich also nicht nur als der bessere Elternteil, sondern auch als der bessere Partner fühlen, der in seiner bewunderten Männlichkeit oder Weiblichkeit alles real Erreichbare in den Schatten stellt. Das ist nicht einzigartig für den körperlichen Umgang, kann hier aber eine zusätzlich scheinbare Evidenz bekommen und trifft beim Therapeuten vielleicht auch auf ein starkes Bedürfnis nach Bestätigung, auch seiner körperlichen Potenz und Attraktivität. Der zweite spezifische Punkt betrifft die Zeitbegrenzung, die bei dieser „idealen Beziehung“ als Grenzersatz oder künstliche Grenze insbesondere
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gegen Fusions- und Verschmelzungsängste dient. Der Therapeut weiß sich in diesen Grenzen „berechtigt“ gesichert, auch wenn der Patient dagegen anstürmt. Das Recht ist auf seiner Seite, der Patient hat den unberechtigten Wunsch nach „Ewigkeit“. Der dritte Punkt betrifft die Scheinintensität, die bei aller Echtheit der Gefühle bestehen bleibt aufgrund der Einseitigkeit der Kommunikation. Wird diese Tatsache auch vom Therapeuten nicht im Blick gehalten, entsteht eine Pseudointimität, die gerade dadurch so ideal erscheint, da es durch die Einseitigkeit erst einmal weniger zu Konflikten kommt. Auch das ist kein Spezifikum für eine körperbezogene Therapie, aber der Intimitätsgrad ist oft gesteigert durch die Körpernähe und nährt dadurch zusätzlich die Illusion einer idealen Intimität. Es wäre dann nicht die allgemein „grenzüberschreitende Macht der Liebe“ (Klemann 1995, S. 232), die die Situation überschwemmt, sondern es geht um die Verleugnung der Bedingungen, die die Ängste kompensieren, die die Liebessehnsucht hier anscheinend so ideal zur Erfüllung bringen. Diese Bedingungen machen die therapeutische Situation für die Liebe so besonders attraktiv. Wenn der Therapeut diese Illusion teilt, d. h. auch zu seinen Ängsten vor der Liebe draußen „auf der freien Wildbahn“ wenig Zugang hat, ist oft die Missbrauchssituation vorprogrammiert. Der Patient wird zum „Ersatzpartner“, diesmal nicht nur innerhalb eines Eltern-Kind Modells. Das andere Extrem wäre, dass das Verführerische dieser Situation so abgewehrt werden muss, dass eine Verleugnung oder Resonanzlosigkeit auf sexuell-erotische Themen die Situation bestimmt. Die Daueransiedelung der Beziehung im kindlichen Erlebnisbereich wäre eine solche Abwehr.
6.13. Die Abwehr von Erotik und Sexualität Hier beginnt ein weiteres Problem. Geht es nicht mehr nur um ein Abwehrgeschehen, in dem durch Sexualisierung oder Erotisierung Konflikte und Ängste, die auf einer frühkindlichen Ebenen liegen, abgewehrt werden, sondern erscheint die Problematik jetzt auf der erwachsenen Ebene, ist ein anderes Vorgehen in der therapeutischen Situation notwendig. Ich stimme Hohage (1997) vollständig zu, wenn er die Gleichsetzung aller erotischen Regungen mit der ödipalen Elternkindbeziehung kritisiert. Er schreibt: „Wir haben uns allzu blind an Freuds Hypothese gehalten, nach der wir in der Liebe nichts anderes wünschen, als das verlorene Objekt der Kindheit wieder zu finden. Alle erotische Liebe ist in dieser Version nur eine Wiederholung bzw. Neuauflage früherer Objektbeziehungen und ihrer Konflikte. In der Praxis führt dies dazu, dass nahezu reflexartig auf den ÖdipusKonflikt zurückgegriffen wird, sobald erotisches Material in der Analyse, speziell in der Übertragung auftaucht. Die unbedachte ödipale Deutungsstrategie führt den Inzest in die Phantasie und in das Material des Patienten ein. Sie erotisiert in unnötiger, ja sogar schädlicher Weise die Kindheit, und sie enterotisiert die Übertragungsbeziehung zugunsten einer Eltern-Kind-Beziehung. Nicht zuletzt entstellt ein unablässiger Verweis auf die Wiederholung ödipaler Konflikte in der Analyse den Blick auf aktuelle Konflikte, die es zu lösen gilt, wenn frühere Bindungserfahrungen mit den Erfahrungen am neuen Objekt integriert und die neuen erotischen und sexuellen Erfahrungen wieder zu Bindung führen sollen.“ (Ebend. S. 21 f.)
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Im körperlichen Umgang wird diese veränderte Ebene der Beziehung besonders deutlich, wenn man auch räumlich nicht nur asymmetrische Beziehungsformen verwendet. (S. meinen Beitrag über Handlungsdialoge i. d. B.) Hier wird durch die sichtbare erwachsene Realität des Therapeuten und des Patienten im gleichseitigen Gegenüber körperlich spürbar, dass hier nicht ElternKind-Gefühle die Situation bestimmen, sondern auch in der Gegenübertragung sich erwachsene geschlechtsspezifische Sichtweisen und Gefühle einstellen, wenn sich der Therapeut nicht künstlich in eine Elternposition auch in seinen Gefühlen bringt. Fehlt hier ein therapeutisches Modell für diese Situation, wird sie leicht als „real“ missverstanden. Es geht dann um „reale Verliebtheit“ oder „reale Kränkung“, wenn die Verliebtheit nicht auf entsprechende Resonanz stößt. Die Reflexion der Situation unter therapeutischen Gesichtspunkten eines Konfliktverständnisses ist dann nicht mehr möglich. Ein Kollege brachte folgendes Beispiel in die Supervision:
Der verliebte Therapeut Der Kollege schildert eine Patientin mit einer sehr zwanghaften Mutter, von der sie sich mit ihren Gefühlen oft abgelehnt fühlte. Inzwischen empfand sie auch ihrer Mutter gegenüber vorwiegend Verachtung. Zum Vater bestand eine heimliche Gefühlsbeziehung, die jedoch auch vom Vater nach außen durch Vermeidung „jedes außerfunktionellen Kontakts“ abgewehrt und unter Kontrolle gehalten werden musste. Sie kam mit dem Problem eines ständigen Abbruchs von Beziehungen zu Männern von ihrer Seite aus, wobei sie die Männer als unzuverlässig erlebte. Im Laufe der Therapie spürt der Therapeut eine zunehmende Verliebtheit. Er muss auch privat häufig an sie denken und weiß nicht, wie er mit seinen Gefühlen in der Therapie umgehen soll. Vor allem hindert ihn die Angst, die Patientin könnte auch ihn plötzlich fallen lassen.
Deutlich reinszeniert sich hier einmal die heimliche Gefühlsbeziehung zum Vater, die keine Benennung bekommen darf. Aber es reinszeniert sich auch ihr aktueller Umgang mit der Kränkung in dieser Beziehung – wie sicher auch die ursprüngliche Kränkung in der Beziehung zur Mutter. Ihre „Lösung“ ist, der Kränkungsangst durch Kontaktabbruch zuvor zu kommen. Der Therapeut fühlt diese Abwehr in der Gegenübertragung und auch die dahinter stehende Angst. Er ist aber durch diese Kränkungsangst zunächst so gebunden, dass ihm ein Verstehen und Verbalisieren der Situation aus dieser Gegenübertragung nicht gelingt. Die Patientin sieht ihre Art der Abwehr nicht. Sie provoziert den Therapeuten, „Beweise“ seiner Zuneigung zu bringen, „sonst könne sie ihm nicht trauen“. Der Kollege phantasiert in der Supervision, ihr zu sagen: „Ja, ich liebe Sie auch, aber es ist hier Therapie, da wäre es nicht gut, diese Gefühle zu realisieren.“ Dieser Einfall machte uns deutlich, wie er in der verdichteten erotischen Situation nur noch real antworten kann. Die innere Distanz, aus der heraus es ihm möglich wäre, das Problem der Situation zu orten in einem mit seinen Gefühlen stimmigen Ausdruck, ist ihm abhanden gekommen. Eine Ausweichmöglichkeit wäre jetzt, auf die Kränkung der Patientin durch den Vater (und die Mutter) zurückzugreifen, und sich damit in eine Elternposition zu bringen, die die Distanz durch Einführung dieser Eltern-Kind-Perspektive wieder herstellt. Aber es wäre ein Ausweichen deshalb, weil es die tatsächliche Gefühlssituation des Therapeuten nicht wirklich trifft. Er ist verliebt und hat Angst vor ihrer Kränkung. Normalerweise reagieren Patienten deshalb an dieser Stelle auf genetische
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Deutungen (auch wenn sie als projektive Identifikationen angeboten werden – der Therapeut fühlt, was die Patientin als Kind fühlte) mit berechtigter Abwehr. In diesem direkten körperlichen Umgang ist der sofortige Rückgriff auf die Genese oft noch weniger einsichtig, da auch der Therapeut spürbarer wird in seinen Gefühlen – und in einem symmetrischen Setting auch der reale Mann stärker im Blickfeld ist. Es war für den Therapeuten wichtiger, zunächst seine Kränkungsangst ernst zu nehmen und mit dieser Gegenübertragung im Kontext einer modellhaften Partnerschaft umzugehen. Er konnte mit der wieder gewonnenen Distanz dann deutlich in ihrem körperlichen Verhalten die Zeichen benennen, die seine Angst nährten. Erst dann verstand die Patientin, dass sie ihn wirklich erreichte – und wie sie sich durch diese Abwehr in der aktuellen Situation schützte. Es ist dann wieder möglich, auf die genetische Ebene zurückzukommen, und dort das Ausmaß ihrer eigenen Kränkungen zu verstehen. Dieses Beispiel ist im Inhalt und der Dynamik auch nicht spezifisch für eine körperorientierte Therapie. Aber die Affektintensität und die größere Realitätsnähe der eher erwachsenen Ebene machen die größeren Grenzschwierigkeiten aus. Eine Pseudo-Grenze gerade auch im körperlichen Umgang durch die Vermeidung wirklich stimmiger Resonanz wird von Pfannschmidt (1997) beschrieben. Er bringt in sehr überzeugender und offener Weise persönliche Erfahrungen aus verschiedenen körperorientierten, selbst erlebten Therapien ein. Zunächst bezieht er sich auf eine Analyse mit einer weiblichen Therapeutin. Seine Bedürfnisse auf dieser Ebene beschreibt er folgendermaßen: „Meine damaligen sexuellen Bedürfnisse bestanden nicht darin, mit ihr tatsächlich ins Bett zu gehen oder ein Verhältnis mit ihr anzufangen, sondern ich hätte das Bedürfnis gehabt, mir körperlich phantasieren zu dürfen, sie zu lieben und zu wissen, dass das sein kann, ohne dass sie mich auslacht oder dass sie sich tatsächlich verführen lässt… Ich hätte spüren mögen, wie es sich anfühlt, mit meinem männlichen Körper diese Frau zu lieben, und wie es sich anfühlt zu merken, wie sie sich davon berühren lässt, dass ihr Körper mir antwortet.“ (Ebend. S. 199) Er kritisiert dann an einer bioenergetischen Therapie, dass er dort zwar Affekte ausdrücken konnte – aber es ihm auch dort nicht gelang, „die Verbindung zu mir als meinem Körper wirklich herzustellen.“ Er sagt dazu: „Ich habe den Eindruck, dass die ganze Körper-be-Handlung unbewussterweise auch dazu da war, zu verhindern, dass ich ihn (den Therapeuten) mit meinem Körpergefühl berühren konnte. Körperinterventionen können – so habe ich das erfahren – ebenso gut der Abwehr von Begegnung und Berührung dienen.“ (Ebend. S. 201 f.) Entscheidend erscheint ihm, dass es dem Analysanden möglich wird „in seiner Körperphantasie seine eigene geschlechtliche Identität aus der emotionalen Berührung mit dem Körper des Analytikers aufzubauen“, und dass es dazu der inneren Repräsentanz eines erotischen Spielraums bedarf. Er macht in diesem Artikel sehr deutlich, dass es auf dieser Entwicklungsstufe um ein Resonanzerleben auf einer erwachsenen Ebene in der therapeutischen Beziehung geht. Ich würde hinzufügen, es geht auch um die Abwehrstrategien im körperlichen Umgang wie im Gesamtverhalten, die diese Resonanz im Alltag verhindern. Einen stimmigen Umgang mit dieser Thematik auch in der körperlichen Interaktion kann sich Pfannschmidt allerdings nach den enttäuschenden Erfahrungen in der Körperpsychotherapie nicht vorstellen. Was macht die Bearbeitung dieser Thematik in der therapeutischen Situation so besonders schwierig?
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Geht man von einem Partner-Modell aus, so steht dieses der erwachsenen Realität von Therapeut und Patient sehr viel näher als ein Eltern-Kind-Modell. Es ist daher schwieriger, genau den Zwischenraum zu erhalten, der zur Unterscheidung der symbolischen Ebene, auch in den Körpergesten, von der realen Ebene notwendig ist. Es ist sozusagen eine Steigerung des therapeutischen Paradoxons, das immer auf einem Kontinuum zwischen Intimität und Abstinenz, symbolischem Modell und realer Beziehung angesiedelt ist. Ausagieren einer eigenen Übertragung in der Verliebtheit ist daher genauso hinderlich, da es den symbolischen Raum zerstört, wie auch die Leugnung von Gefühlen und Gegenübertragungen auf einer erwachsenen Ebene am Problem vorbeigeht. Ferenczi sprach von der Wichtigkeit der Unterscheidung erwachsener sexueller Gefühle von den kindlichen sinnlichen, nicht-genitalen Bedürfnissen. Um auf diese Bedürfnisse angemessen reagieren zu können, braucht es im körperlichen Umgang einen „sicheren Elternkörper.“ (Moser 2001) Für eine angemessene Resonanz auf die sexuellen und erotischen Bedürfnisse, die vom erwachsenen Teil des Patienten ausgehen, bedarf es sozusagen eines „sicheren Partnerkörpers“. Entscheidend für die Entwicklung eines Resonanzkörpers in diesem Sinn ist sicher ein „ausreichend“ integriertes männliches oder weibliches Körpergefühl mit einem ausreichend sicheren Selbstwertgefühl in diesem Bereich. Das narzisstische Gleichgewicht ist vielleicht das Wichtigste, um Verführung weder selbst zu initiieren, noch in grenzüberschreitender Weise darauf einzugehen, wenn Patienten hier ihre Abwehr oder spontane Potenz entfalten. Den eigenen Körper auch in dieser Resonanzfähigkeit zu entwickeln ist ebenfalls wichtig, um Abwehrhaltungen bei Patienten zu orten, die eben diese Selbstbesetzung und Entfaltung von genitalen Bedürfnissen in einer erwachsenen Identität vermeiden und stattdessen in regressiv-kindlichen Verhaltensweisen gefangen bleiben. Bei dem folgenden Beispiel ging es um diesen Entwicklungsschritt.
Der tabuisierte erotische Mann Es handelt sich um einen Patienten, mit dem ich schon länger gearbeitet hatte. Es war dabei wesentlich um oft panikartige Ängste gegangen, die er seit seiner Kindheit kannte und die er nun in einem abgedunkelten Raum mit mir wieder erlebte. Er umklammerte dabei meine Hände, es entstand eine sehr dichte Beziehung, in der ich ihn tatsächlich wie ein kleines Kind erlebte, das seinen Ängsten in der Dunkelheit hilflos ausgeliefert ist, da beide Eltern nicht erreichbar waren. Auf diesem Boden aber ergab sich eine Entwicklung, in deren Verlauf wir uns öfter gegenüber standen. Seine Beschwerden hatten sich geändert. Er klagte jetzt über eine innere Trennung seiner sexuellen und zärtlichen Gefühle gegenüber seiner Frau. Er könne sich seiner Frau in vielerlei Hinsicht anvertrauen. Es sei ihm möglich, bei ihr zu weinen und sich darin angenommen zu fühlen. Aber die sexuelle Beziehung „kümmere vor sich hin“. Es kam zu folgender Situation in der Therapie: Vor mir stehend klagte er wieder einmal darüber, dass er sich als kleiner Junge fühle. Ich sah ihn von oben bis unten an und sah plötzlich in ihm den Mann. Er hatte für meinen Blick inzwischen eine ausgesprochen männliche Ausstrahlung, die ich vorher so nicht wahrgenommen hatte, und vielleicht auch nicht wahrnehmen konnte, da sie in seinem Körper nicht aktuell war. Er sah meinen Blick, fuhr zusammen und hielt die Hand vor sein Genitale. Nein, das sei schlimm, meinte er – die schrecklichste Vorstellung sei für ihn, vor mir eine Erektion zu bekommen. Er wandte sich ab, entfernte sich im Raum und fuhr mich plötzlich an: „Ich will nicht der Mann sein, der ich sein soll!“ Dann fasste er meine Hände und begann mit mir zu kämpfen. Es wurde ein längeres Ringen, in dem er mich erst wütend durch den Raum schob. Ich wehrte mich und gab dabei auch meinem Ärger Aus-
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druck, der sich auf seine Vermeidung und sein inzwischen manipulativ wirkendes Versteckspiel bezog. Nach einiger Zeit bekam dieser Kampf jedoch mehr und mehr einen erotischen Charakter. Die Spannung löste sich schließlich, während wir uns atemlos und verschwitzt gegenüber standen.
Vieles, woran wir vorher schon gearbeitet hatten durch Erinnerungen zur Geschichte seiner Sexualität, bekam in dieser Körper-Szene noch einmal eine eigene Evidenz. Neue Details wurden ihm zugänglich. So hatte seine Mutter einmal zu ihm gesagt: „Du schwitzt ja wie ein Bulle!“ An seinem Gesichtsausdruck bei dieser Erinnerung war abzulesen, wie viel Abwertung und Verachtung seiner Männlichkeit darin lag. Diese Bemerkung war für ihn umso kränkender, als er sie gleichzeitig verführerisch im Umgang mit ihm erlebte. Er verstand, dass er sowohl ein verführerischer Ersatzpartner sein sollte, wie er auch ihre Abwehr seiner aggressiven, sexuell aktiven Männlichkeit spürte. Diese Abwertung als Mann wollte er nie wieder fühlen – opferte damit aber auch eine lebendige Sexualität. Die ganze Wut über diese Doppelbindung, die sich zunächst in dem Kampf zwischen uns äußerte, war für ihn dabei besonders wichtig. Es wurde für uns beide erlebbar, wie erst dann seine sexuellen Gefühle eine eigene Kraft bekamen und seine Männlichkeit auf einen sichereren Boden stellten. Bei allem vorherigen Verstehen der Zusammenhänge war die körperliche Erfahrung für ihn dabei von besonderer Bedeutung. Es war zwar bekannt, dass seine Hemmung, Angst und Wut auch mir gegenüber von der MutterÜbertragung geprägt waren. Aber in einer Mutter-Sohn-Konstellation hätten sie so nicht gelöst werden können, da erotisch-sexuelle Gefühle dort in dieser Form unter ein verständliches Tabu gefallen wären. Er hätte auch bei einer alternativen annehmenden Mutter seiner Männlichkeit möglicherweise nur erfahren, dass er als „Kind“ männlich sein darf, aber nicht in seiner erwachsenen Männlichkeit mit den dort eigenen sexuell-erotischen Regungen auf eine positive Resonanz stößt. Außerdem hätte eine mütterliche Reaktion zu meinen Gefühlen nicht gepasst, ich fühlte mich als Frau und sah den Mann in ihm. Hätte ich nur den gekränkten Jungen in ihm angesprochen, wäre auch in mir das Gefühl entstanden, dass ich aus Abwehrgründen den Mann in ihm klein mache. Es geht in der Bearbeitung hier auch um die verschiedenen Schichten einer Problematik, wie sie in anderer Weise bei der Patientin mit der Krebsphobie beschrieben wurde. Doch in dieser Entwicklung sind nicht zunehmend regressive oder frühere Schichten zu erreichen, sondern die Problematik ist auch auf der Erlebnisebene des Erwachsenen zu erfahren und zu verstehen. (S. auch Worm 2001) Ich halte es für eine Entwicklung besonders aussichtsreich, wenn eine derartige Erfahrung in einer Übertragungskonstellation innerhalb eines erwachsenen Kontexts möglich ist. Vor allem in einer körperorientierten Therapie, in der die erwachsene Realität von Therapeut und Patient sehr viel deutlicher im Raum steht, sollten auch für diese Übertragungskonstellationen Modelle existieren, um eine Konfliktanalyse in der körperlichen Interaktion zu ermöglichen und immer wieder beschriebene Entgleisungen gerade auch im sexuell-erotischen Bereich zu vermeiden.
Über die Trennung von Körper und Seele Tilmann Moser Von der Psychoanalyse haben die meisten Patienten und Kollegen einen Begriff, sei es durch eine eigene Erfahrung, sei es durch Lektüre, oder sei es auch nur durch die abwertenden Bemerkungen, die an manchen verhaltenstherapeutischen Instituten immer noch der Brauch sind. Der Körper ist stillgelegt auf der Couch, und der Analytiker versucht das Geschehen, das er in der Übertragung mitbekommt, zu deuten. Aber immer mehr wird auch die therapeutische wie die reale Beziehung selbst zu einem wichtigen Agens des Erfolges. Aber wie passt dieses Setting zur lebendigen Einbeziehung des Körpers? Der Körper verfügt über viele Potenziale: Er kann die Kraftmaschine sein im Leistungssport, oder man denke an das expressive Potenzial, ausgedrückt im Theater, im Tanz, in der Pantomime, aber auch im Liebesspiel. Damit verwandt: der Körper als Instrument der Interaktion, als Signalgeber oder als Träger von Gesten und Taten; schließlich, und für uns besonders interessant: der Körper, im Einklang mit der Seele oder davon abgespalten, als immenser Gedächtnisspeicher, für Erlebnisse, für vergangene Interaktionen, für Liebkosungen wie für Angriffe, für Gelungenes wie schmerzlich Misslungenes. Wenn der Mensch Glück gehabt hat, bringt er in sein Erwachsenenleben diesen Schatz positiver oder orientierender Erinnerungen mit, auf dem seine weiteren Erkundungen und Wagnisse beruhen. Es gibt eine positive Unbewusstheit des Körpers, und gelegentlich wird das als Anmut oder Charme bezeichnet, wenn nicht ein falsches Selbst ihm Gesten oder Aktionen aufzwingt, die uns befremden oder gar anwidern. Immerhin könnte man die Hysterie im älteren Sinne bezeichnen als den verzweifelten Versucht, im Unechten echt zu sein. Was meistens misslingt. Auch im Unbewussten stellt der Körper eine ganze Landschaft von Funktionen dar, ganz analog zu dessen bewusstem Einsatz. Aber es kommt eine Funktion hinzu, die uns vor allem in unserem analytischen Bemühen oft erhebliche Schwierigkeiten bereitet. Ich nenne es den Körper als das schützende Versteck der Seele, bei dem sein ursprüngliches Potenzial ins Negative verkehrt wird. Eine Version sind die psychosomatischen Störungen, die manifesten Krankheitswert haben, und denen eine physiologische Fehlverarbeitung aus psychologischen Motiven zugrunde liegt. Worüber ich im folgenden sprechen möchte, sind Formen dieses negativen Potenzials, wo der Körper als Verhinderer und Saboteur des Lebens erscheint, durch seine Fähigkeit zu erstarren, sich abzuspalten von der Seele, eine Lösung in der Lähmung zu suchen, oder wie es Petzold (1977) ausdrückt, in der Dekarnation, dem Auszug oder Rückzug der Vitalität und Expressivität aus dem Körper.
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Die große Frage ist, wie wir auf der Basis unseres analytischen Hintergrundes mit diesen Störungen körpertherapeutisch umgehen können. Sie können lange verborgen bleiben, und das Coucharrangement kann dazu verführen, diese leibseelischen Fehlfunktionen zu übersehen. Erstaunlich ist, in welchem Ausmaß Körpererinnerungen und bewusste seelische Erinnerungen und Aktionspotenziale auseinander fallen können.
Entflechtung einer Erstarrung Eine Patientin mit langer eigenanalytischer Erfahrung setzt sich, etwa in der einhundertsten Stunde, auf die entfernte Ecke der Couch. Sie ist mit behutsamen, auf den jeweiligen Stand der Beziehung bezogenen Körperinterventionen vertraut, hat auch einige Male auf Kissen in meinem Schoß gelegen, sodass sie meinen Atem spüren und ich ihr die Hand auf die Schulter oder auf den Kopf legen konnte. Sie beginnt mit tonloser, hastiger Stimme von ihrer Woche zu berichten. Mir ist unbehaglich, weil ich diese tonlos Stimme kenne: sie ist dann wie nicht vorhanden, ich fühle mich quasi um ihre lebendige Anwesenheit betrogen und in der Gegenübertragung latent böse, weil der Verursacher ihrer Abwesenheit. Dabei weiß ich, dass sie diesen Zustand selbst als quälend empfindet, aber nur eine Beschleunigung des verzweifelten Sprechens erscheint ihr als ein Mittel, mich zu erreichen. Mir selbst ist unbehaglich, ich bin leicht verärgert, weil wir in der vorigen Stunde eine lebendige Nähe erreicht hatten, nachdem zum wiederholten Male eine ängstliche Frage, ob ich sie auslache, überwunden worden war. Ich frage, was ihr helfen könne, und sie bittet mit schwacher Stimme, ob sie sich an meiner Brust bergen könne. Ich spüre in mir eine abwehrende Bewegung und rette mich in eine Frage: Wo sie stecke, wie sie anwesend sei. Ich spüre, dass sie das als Zurückweisung empfindet, da ihr jede Form von Bitten ohnehin wie eine entwürdigende Abhängigkeit vorkommt. Ich bleibe aber fest und beschreibe ihren Gesichts- und Augenausdruck: er sei leer, aber mit einer leichten Panik versehen, misstrauisch und gleichzeitig voll versteckter Sehnsucht. Da kommen Tränen in ihre Augen, und sie sagt:: “Ich möchte gleichzeitig fliehen und zu Dir stürzen. (Das Du stammt aus einer lange Jahre zurück liegenden Teilnahme an einem Seminar mit mir). Die Folge ist eine komplette Lähmung, und ich möchte mich eigentlich verstecken, um Schutz zu finden.“ Schutz finden sei ein elementares Bedürfnis in ihrem Leben, die Mutter war das Gegenteil von schützend, sondern demütigend und verfolgerisch, auch mit Schlägen und massiven Entwertungen. Ich schlage ihr vor, dass wir die beiden Komponenten der Lähmung entflechten. Sie möge erst einmal ihrem Fluchtreflex nachgeben. Sie sucht sich, zuerst mit den Augen, eine Ecke im Raum aus, die ich nicht einsehen kann, verlangt aber, dass ich mich wegdrehe, sie könne es nicht ertragen, bei der Flucht gesehen zu werden. Sie richtet sich mit einer schützenden Schaumstoffrolle in der Ecke ein und schaut, als ich mich wieder umdrehen darf, mit verändertem Gesichtsausdruck zu mir herüber. Sie ist etwa vier Meter entfernt. „Du bist jetzt nicht mehr so gefährlich.“ Sie habe sich früher nur manchmal im Klo einsperren können, um geschützt zu sein; sonst sei ihr nur die Flucht nach innen geblieben, mit der Folge der Erstarrung und der Empfindungslosigkeit des Körpers. Sie habe dann Schläge nicht mehr gespürt. Damit die Mutter wieder gut mir ihr gewesen sei, habe sie um Gnade winseln und Extraleistungen erbringen müssen. Zu diesen Extraleistungen gehörte auch, die sexuell erregten Umarmungen der Mutter nachts im vom Vater verlassenen Ehebett ertragen zu müssen. Ihr Körper habe sich dabei mit Ekel angefüllt, sodass sie bis heute kaum nahe, bzw. intime Berührungen ertragen könne. Nach einer Weile sagt sie, sie möchte näher kommen. Ich muss mich wieder wegdrehen, und sie richtet sich sitzend ein vor meinem Sessel, an den sie sich anlehnt, und spürt den Seitenhalt von meinen Beinen. Diese Form der Nähe ist ihr, nach langen „Vorübungen“, vertraut. Sie schaut mit dem Gefühl von Schutz ins Zimmer, entdeckt
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ein neues Bild, streift kurz ihr Geschwisterproblem, wenn sie deren Spuren im Raum entdeckt. Dann sagt sie: „Ich muss Dich sehen, und dreht sich, mit meiner Zustimmung, so um, dass sie mich gut sehen kann. Sie wechselt zwischen mich Anschauen und den Kopf auf mein Knie sinken lassen, um sich zu erholen. Dass die Flucht erlaubt war und sie, aus der Sicherheit des Abstandes (ich hatte gesagt, sie könne jederzeit wieder in ihre Ecke gehen), sich annähern konnte, führte zu einer großen Beruhigung und zum Erscheinen eines lebendigen, wenn auch noch stark regredierten Selbst. Sie ging zufrieden weg, allerdings mit dem Satz: „Hoffentlich verliere ich Dich nicht wieder.“ Sie kann in den Intervallen mich oft noch nicht halten; entrealisiert mich oft auch ganz bewusst (sie nennt es abschneiden), um nicht den Schmerz der Abhängigkeit und der Sehnsucht zu spüren. Aber sie erzählt auch gelegentlich stolz, dass eine einzelne Körpergeste von mir ihr in Erinnerung bleibe, an der sie sich halten könne. Die Entflechtung der Erstarrung war ein wichtiger Schritt, und ich war froh, dass ich nicht einfach ihrem Wunsch nach rettender Anlehnung nachgegeben hatte, der den inneren, lähmenden Konflikt überdeckte.
Meine zwei einzigen größeren Misserfolge mit analytischer Körperpsychotherapie hängen mit einem solchen langfristigen Nachgeben mit einem Haltsuchen aus Abwehrgründen zusammen. Der Konflikt wird vermieden, und der Halt überbrückt wirkungslos einen Abgrund, in den man nicht schaut. Sèchehaye (1986) spricht hier von kompensatorischen Bedürfnisbefriedigungen, die schädlich sind und die suchtartigen Charakter annehmen können. Ermutigt durch diese Stunde brachte die Patientin erneut ihre Erstarrung mit, um, vollkommen unbewusst, eine neue Konfliktebene anzugehen. Sie legte sich auf die Couch, hatte wieder den Wunsch nach rascher Berührung, den ich aufschieben wollte, um erneut zu klären, was ihn so dringlich machte. Sie legte sich so auf die Seite, dass sie mich gut sehen konnte. Ihr Augenausdruck war von tiefem Misstrauen geprägt. Sie musste auch öfter wegschauen und zwischendurch mich fragen, an was ich dächte. Diese Orientierung ist ihr immer wieder wichtig, weil sie fürchtet, ich zöge mich ebenso unerreichbar in mich zurück, wie sie selbst es tut bei bedrohlicher Nähe, oder ich verberge Hohn hinter meiner freundlichen Maske. Dann macht sie mit Händen und Armen schützende Gesten um ihren Kopf und Nacken, sagt: „Ich habe Angst, Du schlägst mich.“ Ich muss lächeln ob dieses massiven und überraschenden Verdachts, weil ich mich ihr warmherzig zugeneigt fühle. Da explodiert sofort der Verdacht der Verhöhnung. Mit dem Verstand wissen wir beide, dass sie in eine schlagartige, negative Mutterübertragung geraten ist, die mit dem Ausmaß ihrer Bedürftigkeit, ihrer Angst wie ihrer Zuneigung zusammen hängt. Trotz dieses Wissens sei die Angst im Körper groß und durch Deutungen nicht beherrschbar. Ich bin versucht, ihr durch beruhigende Berührung entgegen zu kommen, spüre aber, dass diese Angst ausgehalten sein will, auch im Kontrast zu einer wie immer gearteten, aber noch wartenden alternativen oder emotionale korrigierenden Erfahrung. Die körperliche Angst ist jetzt quasi ein gemeinsames Produkt unserer Inszenierung: ich halte den Rahmen, die Patientin verfügt über ausreichend Ich-Spaltung und erlebt trotzdem heftig das Körperpotenzial der Angst, mit dem sie dauernd leben muss, und das ihr so viel Verzicht auf Nähe aufnötigt. Sie ist verzweifelt über diesen Angstsee in ihr, verzweifelt auch über die lange Dauer unserer Arbeit. Aber ich kann ihr sagen: es sei diese Angstszene, mit ihrer eindringlichen Abspaltung von der erwachsenen Seele, Ausfluss ihres gewachsenen Mutes, an die tiefsten Konflikte, die sie lähmen, heranzugehen. Das beruhigt sie, weil es ihr ein Gefühl von therapeutischer Kooperation und erhalten gebliebenem Arbeitsbündnis vermittelt, und weil sie sich mitten in der Verzweiflung an meine Zuversicht halten kann.
Man kann sogar sagen: Der Körper produziert hier eine andere Übertragung als die Seele, die psychische Erinnerung. In meinem Video „Vaterkörper, Ge-
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burt und Symbolbildung“ (1994b) konnte ich zeigen, dass sogar einzelne Körperbereiche gleichzeitig divergierende Übertragungen konstellieren können, die mit sukzessiven Interventionen auch abgerufen werden können. Wegen dieser potenziellen und oft sehr realen Spaltung zwischen Körper und Seele scheint es mir auch höchst wünschenswert, um nicht zu sagen notwendig, den Körper bei bestimmten Störungen handelnd einzubeziehen, weil sonst wesentliche Anteile eines Konflikt- oder Defektpotenzials nicht zugänglich werden. Die Überlänge vieler klassischer Analysen scheint mir dafür ein Zeugnis zu sein. Wird der Körper nicht angemessen berücksichtigt, so rückt er in die Gestalt eines negativen Potenzials, eines heimlichen Rückzugsortes, in dem sich pathogene Wirkmechanismen verbergen und die Analyse sabotieren…
„Ich trinke Ihre Stimme.“ Dafür ein anderes Beispiel, in dem ich das Lehrgeld eines zu langen kompensierenden Haltes bezahlt habe. Die Patientin mit einer Borderline-Störung war unfähig, die Erinnerung an einen sie beruhigenden, schützenden Halt über die Stunde hinaus zu behalten. Eine Weile schien es zu helfen, die Stunde auf Tonband aufzunehmen, damit sie sie zuhause anhören konnte. Nach einigen Monaten fragte ich sie, was sie denn mit der Struktur der Stunden und mit meinen Deutungen anfangen könne. Sie sagte: „Ich kümmere mich doch nicht um Ihr therapeutisches Gelaber, ich trinke Ihre Stimme.“ Ich war ziemlich verstimmt und merkte, dass ich ein anderes Setting finden müsste, um die Symbolisierung unserer Beziehung zu fördern. Ich verweigerte ihr die Bänder und bat sie, nach den Stunden ein Gedächtnisprotokoll zu schreiben, das ich vor der nächsten Stunde lesen würde. Einige Wochen vergingen zuerst mit der Milderung der Entzugserscheinungen und des Hasses, weil sie nun die Stillung durch meine Stimme nicht mehr bekam. Aber dann fing sie an, einiges von den Stunden zu behalten, wenngleich noch immer sehr selektiv. Aus einem dieser Protokolle möchte ich zitieren, wobei ich zur Übung der Körperwahrnehmung mit ihr zum ersten Mal zu Beginn der Stunde vor den Spiegel getreten bin. Sie schreibt: „Sie wollten ja, dass ich mehr aufschreibe, wie sich der Körper in der Stunde angefühlt hat: Bewusst auf den Körper geschaut habe ich eigentlich nur am Anfang der Stunde vor dem Spiegel. Wie ich in der Stunde schon sagte habe ich hauptsächlich den Nacken gespürt, weil ich den mit der Hand etwas gedrückt und geknetet habe. (Ich bin froh, dass ich sie manchmal zu einer stimulierenden Selbstberührung bringen kann.) Und das war wohl eine unbewusste Strategie von mir, um ein Gefühl im Körper zu haben, auf das ich mich konzentrieren kann. Gleichzeitig war mit dieser Bewegung ja verbunden, dass ich den Arm über der Brust gekreuzt hatte, das hat sich wie eine Schutzbewegung angefühlt. Vor was ich mich schützen möchte, weiß ich nicht. Wenn ich die Arme so über der Brust kreuze, dann ist das auch ein Gefühl, als ob ich mich zusammenhalten könnte. Ich halte mich zusammen und es fühlt sich sicher an. Ich weiß nur nicht, warum ich in Ihrer Anwesenheit so viel verkrampfte Sicherheit brauche. Es ist so paradox, weil ich mich bei niemandem so wohlwollend aufgefangen, akzeptiert und sicher fühle, wie bei Ihnen. Da ist der Verstand dann völlig abgetrennt von meinem Körper: der verkrampft sich in Ihrer Anwesenheit und schließt sich zu, wo´ s nur geht und der Kopf sagt, dass Ihr Zimmer im Grunde der einzige Ort ist, an dem ich Lebendigkeit ausprobieren kann, ohne dass ich mich lächerlich machen könnte oder Angst haben müsste. Der Kopf will den Körper beruhigen, aber der hat so seine eigenen Reflexe.“ So weit ihr Protokolle der Stunde. Die Patientin ist klug, belesen und auf den oberen Etagen der Psyche auch introspektiv begabt. Das hat mich gelegentlich verführt, sie vom Körper abgesehen für hervorragend analysierbar zu halten. Aber der Erfolg blieb auf eine schmerzliche Weise aus.
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Sie ist außerordentlich schreckhaft, hält sich, magersüchtig, für zu dick; hat eine lesbische Freundin, die sie für einige Monate für eine sexuelle Beziehung gewinnen konnte, und die meinte, ihre Angst vor Nähe müsse mit einem früheren Missbrauch zusammen hängen. Genau dies ist auch mein Eindruck, jedenfalls sind ausreichend Symptome dafür da. Aber sie ist von jeglicher Erinnerung abgeschnitten, und wir stehen nach wie vor vor dem Rätsel: Was hat sie veranlasst, den Körper absterben zu lassen, obwohl er als Sport- und Joggingkörper noch hervorragend funktioniert. In der Pubertät ist ihr bereits ihr Kampf gegen die Menstruation bewusst, und das Verbergen des Busens. Aber sie will auch nicht männlich wie ihre älteren Brüder gewesen sein. Auf der Couch schlägt sie ihre Beine so übereinander, dass der Schoß verschwindet, und wenn sie hereinkommt oder geht, kommt sie mir vor wie das hölzerne Bengele. Der Körper weigert sich, den Wünschen der Seele nach Kontakt und Beziehung nachzukommen , er hat ein destruktives Potenzial gespeichert, an dem wir bis jetzt immer wieder scheitern, sodass ein Klinikaufenthalt wegen Magersucht nötig wurde.
„Du kannst mich nicht halten.“ Ein weiteres Beispiel zur Fremdheit des Körpers und für Körperpotenziale, die wenn sie sich nicht entfalten dürfen, unbewusst bedrängend bleiben. Die Patientin leidet an einer gewissen Grenzenlosigkeit, weil sie nie einen limitierenden Halt bei den Eltern gefunden hat. Sie hält sich als Lehrerin für unbegrenzt belastungsfähig und mutet sich bis zur Selbstausbeutung immer wachsende Aufgaben zu. Zur Entgrenzung gehörte eine jahrelange Drogenkarriere, bei der sie in eine Traumwelt abgeglitten war, die ihr half, ihre schrecklichen Kindheitserinnerungen zu vergessen. Eines Tages sagte sie, ihr fehle körperlicher Halt, und zwar mit großer Kraft, sodass sie Halt durch einen Stärkeren spüren könne. Nach einigem Nachdenken und Rückfragen bei ihr über ihre körperlichen Haltephantasien kamen wir überein, dass ich mich zu ihr auf die Couch setze und mit meinen Armen und meinem Körper sie so halten solle, dass sie mit Armen und Schultern absolut eingezwängt wäre. Es begann ein heftiger Kampf, der mir alles an Kraft abverlangte, die ich aufzubieten hatte. Sie sagte immer wieder herausfordernd und triumphierend: Dich schaffe ich, Du kannst mich nicht halten! Es war ein elementares Ringen, bei der es darum ging, ob sie eine stärkere väterliche Kraft erleben und akzeptieren könnte. Wir waren beide schweißgebadet, aber schließlich sagte sie: „Du bist stärker, und es ist gut so, Du kannst mich wirklich halten.“ In der nächsten Stunde meinte sie dankbar, der kraftvolle Halt habe lange in ihr nachgewirkt und in ihrem Körpergefühl etwas verändert. Ich sei ihr auch weniger fremd und sie glaube, mehr Zutrauen zu mir gewonnen zu haben. Zwei Wochen später kehrte sie von einem Kongress zurück und berichtete erfreut, sie habe zum ersten Mal die Natur, das Meer, die Menschen gespürt, und zwar so, dass nicht alles hinter einem Schleier blieb. Sie habe den Sand unter ihren Füssen, das Wasser und die Rinde von Bäumen gefühlt wie nie bisher, und sie sagte es mit leuchtenden Augen und der Begeisterung eines Kindes. In meiner Gegenübertragung stellte sich folgendes Bild ein: Ein Kind rennt auf ein Elternteil zu und wirft sich in dessen Arme, um nicht nur einen spiegelnden Zeugen zu haben, sondern auch um Hilfe zu finden beim Umgang mit dem überstarken Gefühl. Ich schlug ihr diese Szene vor, sie ging zur Tür zurück und rannte auf mich zu, ich fing sie in meinen Armen auf, und sie schluchzte auf und weinte längere Zeit in einer Mischung aus Schmerz über nie Gehabtes und aus Glück über die stimmige Szene. Das Körperpotenzial, das in die Übertragung drängte, tauchte also zuerst als Bild in der körperlichen Gegenübertragung auf. In der klassischen Analyse wäre das Bild vielleicht mitgeteilt worden, und es ist denkbar, dass es ebenfalls zu einem Aufleuchten von Trauer und Glück gekommen wäre, aber nicht mit der gleichen Intensität und der Möglichkeit, sich in haltende Arme fallen zu lassen. Das Erleben ermäßigt das Befremden über einen Körper, der in der Kindheit erstarrt ist, weil er keine Szenen erlebt hat, in denen Affekte in angemessener physiologischer
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und muskulärer Form eine strukturbildende Interaktion gefunden haben. Beim Halten erlebt der Therapeut das Wogen der Affekte mit und spürt, wie sie sich nach dem Sturm langsam beruhigen, bis körperlich Ermattung und psychisch Dankbarkeit und Wohlbefinden eintreten.
Spiel der Hände Dieselbe Patientin kommt zu einem späteren Zeitpunkt und redet rasch und ausdruckslos über Ereignisse der vergangenen Woche. Es ist mühsam, ihr zuzuhören, weil ich nicht den Eindruck habe, einer lebendigen Person gegenüberzustehen. Ich bemerke aber ein ausdrucksstarkes und abwechslungsreiches Spiel der Hände, das bald angenehm, bald mühsam anzusehen ist. Die Finger verschränken sich so ineinander, dass sich einmal ein harmonisches Verschränksein ergibt, indem die Finger beider Hände parallel ineinander greifen (zeigen); ein anderes Mal zeigt sie eine schmerzliche Verstrickung, indem die Finger einen verdrehten Knäuel bilden, das Ganze mit vielen Zwischenstufen. Als partiell beruhigend auch für die Patientin erlebe ich es, als die Hände mit eingekrümmten Fingern haltend ineinander greifen, die aber einen Eindruck des Verhärmt-Seins hinterlassen. Die Patientin ist sich schmerzlich bewusst, dass sie sich verloren hat, und schaut mich mit leerem Blick Hilfe suchend an. Sie ist auch unfähig, von sich aus körperliche Hilfe zu suchen, weil die Verlorenheit und die Resignation zu groß sind. Ich deute ihr, dass sie Kontakt zu sich selbst am Halt an sich selbst sucht und damit auch andeutet, welche Art Beziehungsgestalt ihr früh unzugänglich war, biete ihr an zu versuchen, über meine Hand Kontakt zu mir und zu sich zu finden. Das heftige Handspiel endet, und sie nähert sich meiner Hand mit reglosen, fremdartig sich anfühlenden Fingern, die keinen Kontakt finden. Alles Aktive, in kleinsten Dosen, verläuft sich im Leeren. Auch als sie meine Hand zu fassen versucht, bleibt ihre Hand leblos, ich erlebe in der Gegenübertragung eine Art von Weltraum-Fremdheit, vor der mich ein wenig schaudert. Erst als sie ihre Hand zwischen meine schützenden Hände legen kann, erwacht Leben in ihr In die Augen kommt Bewegung, sie atmet auf und sagt: „Nun fühle ich mich vollkommen beschützt.“ Ihr Gesicht füllt sich, und der Ausdruck großer Verlorenheit verschwindet. Ihr lebendiges Selbst scheint zurückzukehren. Die Hand war das Symbol ihres Selbst, das sie aufgrund einer fundamental ablehnenden Mutter verloren hatte. Die Körperinszenierung, von ihr vollkommen unbewusst vorgenommen, öffnete den Rückweg auf sicheren Boden. In seiner Zerbrechlichkeit und Flüchtigkeit bedarf das aus früher Interaktion heraus gefallene Selbst aber weiterer Festigung: es will erkannt und körperlich begrüßt werden und Schutz finden bei der Begegnung mit sich selbst, bei der es aber den bedeutungsvollen Anderen braucht, der vorübergehend nicht Person, sondern fast nur schützende Substanz ist. Es ist berührend, wie aus den ausdruckslosen, ja fast blinden Augen der erkennende und dankbare Blick auftaucht, der aus der rettenden Substanz des Therapeuten wieder eine Person macht. Damit erfolgt ein wechselseitiges Anerkennen des Anderen als Mensch und Gegenüber.
Wichtig ist die Fähigkeit zur Symbolisierung der Szene, sie erfolgt am ehesten dadurch, dass das Erleben am Schluss in Worte gefasst wird. Aber das ist keine Zauberformel. Gerade bei frühen Störungen kann diese Funktion beschädigt sein. Manchmal hilft die Wiederholung, manchmal die Wiedergabe in einem anderen Medium, etwa dem Malen. Es kann die Gefahr einer süchtigen Entwicklung bestehen, die außerordentlich entmutigend sein mag. Ich habe gute Erfahrungen damit gemacht, den Patienten anzuregen, das emotionale und gedanklich fassbare Erlebnis der Stunde schriftlich festzuhalten, es mir zu schicken oder es zur
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nächsten Stunde mitzubringen. Es handelt sich um eine gezielte Rekapitulation, die in die nächste oder weitere Stunden integriert wird.
Das Nachwachsen der Haut Die gleiche Patientin verbrachte sieben Wochen in einer Klinik, wo sie einen Alkoholentzug absolvierte. Sie kam zu einem Zwischenaufenthalt vor der Entlassung und bat um eine Stunde. Sie sagte, der Entzug sei schrecklich gewesen, mit schwer aushaltbaren körperlichen und seelischen Schmerzen. Sie möchte nie mehr etwas so Schreckliches erleben. Sie habe zeitweise ihren Körper mit Grauen wahrgenommen wie ein Stück blutiges Fleisch ohne Struktur und ohne Haut. Sie bat mich, sie festzuhalten, sie legte sich, von der liegenden Position, hoch zu mir mit dem Kopf auf einem Kissen auf meinem Schoß, aber so, dass ihre Stirn meinen Bauch berührte und ich meinen rechten Arm um ihren Kopf und meinen linken auf ihre Schulter legte. So ruhte sie, tief atmend, eine Weile, bis sie sagte, sie fühle sich geborgen, aber das wichtige sei, dass sich unter meinen Händen wieder Haut und Grenze bildeten. Ich hielt eine tief Verletzte, aber auch eine Genesende. Ich will nicht verhehlen, dass mein Gefühl dem einer Andacht glich. Falls ich von einer Körperenergie sprechen sollte, so ging es um eine weiche, fast zärtliche Strömung, die langsam zur Ruhe kam. „Aus meinem Bauch in ihre Stirn aber flösse eine ganz vorsichtige Energie, der Vorgang käme ihr vor wie Tanken.“ Damit die Beziehung nicht abrisse, hatten wir einige Male telefoniert, aber doch nur so, dass sie mein Weiterleben für sie wahrnehmen konnte. Sie scheint auch den kurzen Telefonaten kleine Portionen von Überlebens-Energie entnommen zu haben, sodass sie in dieser Stunde der Rückkehr relativ leicht an unsere frühere Beziehung anknüpfen konnte.
Die Trennung von Köper und Seele ist ein dankbares Beobachtungsfeld bei früh gestörten und bei Borderline-Patienten. Sie haben eine tiefe, oft unbewusste Sehnsucht, wieder lebendig und ganz zu werden, häufig mit tiefer Resignation verbunden, weil ihnen dieser Weg trotz vielfältiger Versuche nicht geglückt ist. Durch die Berührung erhält der Körperpsychotherapeut für diese Patienten eine bis dahin nicht erlebte Glaubwürdigkeit, und man trifft häufig auf ungläubiges Staunten, dass er aus Fleisch und Blut ist und sich die Dimension der Verlorenheit wirklich vorstellen kann, weil die über den Körper kommuniziert worden ist. Die Aushebung der Abspaltung aber ist ein schmerzhafter Prozess, weil sich die bewussten und unbewussten Erinnerungen an die Schmerzen, die zur Spaltung geführt haben, nicht vermeiden lassen. Aber wenn der Therapeut ein wohlwollender und mitfühlender Zeuge bleibt, können sie leichter ausgehalten werden. Mit fortschreitender therapeutischer Kultur werden die Patienten auch fähig, selbst wahrzunehmen, wo die pathogenen Stellen in der Vergangenheit legen, und es entwickelt sich, sehr zur Freude des Analytikers, ein kompetenter Handlungsdialog, gefolgt von der analytischen Aufarbeitung, die allerdings nicht das A und O sein darf: Manche Enactments dürfen ruhig unkommentiert ins Unbewusste absinken, wo sie ein lebendiges Fundament für das weitere Leben bilden.
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Tilmann Moser Tilmann Moser, Dr. phil., Psychoanalytiker, Körperpsychotherapeut, Publikationen zur analytischen Körperpsychotherapie, zwei Lehrvideos. Adresse: D-79117 Freiburg, Aumattenweg 3 E-Mail:
[email protected] Homepage: www.Tilmannmoser.de
Praxis der Analyse seelischer Lebensbewegungen1 Günter Heisterkamp
1. Seelische Lebensbewegungen Die Wirkungszusammenhänge zwischen Patient und Therapeut, die in der Psychoanalyse unter den Begriffen der Übertragung und Gegenübertragung gefasst werden, bilden das Wesensmerkmal und Hauptinstrument des psychoanalytischen Behandlungskonzeptes. (Ermann 1996, S.119 ff.; Mertens 1990, S. 165 ff.; Mertens 1991, S. 42 ff.; Mertens 1998, S. 63 ff. und S. 269 ff.; Stirn 2002, S. 48 ff.; Thomä und Kächele 1985, S. 53 ff.) Das Übertragungsgeschehen ist auch der Bezugspunkt der folgenden Abhandlung. Sie folgt der Frage, welche Anregungen die psychoanalytische Praxeologie durch eine ausdrückliche Berücksichtigung der leiblichen Fundierung der Wirkungszusammenhänge zwischen Patient und Therapeut erhält. Wenn im Titel von „seelischen“ Lebensbewegungen die Rede ist, handelt es sich nicht um eine Bereichsbezeichnung, die etwa zwischen einer „Psyche“ und einem „Soma“ trennen zu können glaubt, sondern „seelisch“ kennzeichnet den „Psychischen Gegenstand“ (Salber 1982), das der Psychologie eigene Prinzip des Auffassens und Ableitens. Dabei wird die gesamte Wirklichkeit („äußere“ Dinge wie „innere“ Zustände) unter der originären Perspektive des Verhaltens und Erlebens, wie sie sich der Beschreibung, der Introspektion, der Einfühlung und dem Mitfühlen erschließen, zu erfassen und zu verstehen versucht. Mit dem Begriff der Lebensbewegungen soll a priori einer unpsychologischen Festschreibung oder Zerstückelung des Seelischen vorgebeugt und von Beginn an das Ganze sich entwickelnder Erlebnis- oder Handlungseinheiten beachtet werden. Der Begriff „ganzheitlich“ ist im Verlauf der Psychologiegeschichte zu einem Etikett geworden, das oft unganzheitlichen Konzepten angeheftet wird. „Ganzheit“ wird in diesem Beitrag als ein fiktiver oder heuristischer Begriff aufgefasst, der uns ständig vor Augen führt, dass die holistische Erfassung des seelischen Kosmos eine unendliche Aufgabe ist und uns davor bewahrt, irgendeinen erreichten Forschungsstand als abgeschlossen – quasi „ganzheitlich“ erfasst – zu betrachten. Die folgenden Ausführungen stellen somit kein endgültiges Forschungsergebnis dar, sondern nehmen den Leser mit auf einen unendlichen, aber interessanten Weg der Erfassung seelischer Wirklichkeit. Dieser Beitrag hat das Ziel, die leibliche Dimension des Wirkungsgeschehens zwischen Patient und Therapeut psychologisch und psychotherapeutisch zu erschließen. „Der basale Indikator für das, was wirklich ist, ist nun einmal 1
In diesem Beitrag greife ich teilweise auf frühere Veröffentlichungen (1997, 1999a, 2000a, 2002a und b, 2003a, b, und c, 2005a und b) zu diesem Thema zurück und führe sie auf meinem neuesten Stand weiter.
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das Körpererleben.“ (Scharff 2004, S. 83) Indem das leibliche Erleben ebenso systematisch wie das mentale berücksichtigt wird, erweitert sich der Möglichkeitsraum für den Patienten, um mit dem Therapeuten zusammen die unausdrücklichen Modellszenen seiner Kindheit und seines aktuellen Lebens ins Bild zu rücken und zu bearbeiten. Wenn die Erfahrungsniederschläge der vorsprachlichen Entwicklungsphasen in der Wirklichkeitsgestaltung des aktuellen Lebens zugänglich werden, bilden sich basale Formen des Wahrnehmens, Begreifens, Verstehens und Behandelns heraus. Durch eine leibfundierte Analyse der Lebensbewegungen kann der psychische Raum des Unbewussten stärker ausgeschöpft, das analytische Verstehen vertieft und der Rahmen psychotherapeutischer Intervention erweitert werden, allerdings nicht ohne dass sich auch der Möglichkeitsraum für Verstrickungen erweitert. Die seelische Dialektik gilt immer auch für die psychotherapeutische Behandlung. Die in diesem Buch von Küchenhoff prägnant beschriebenen Körperinszenierungen werden hier in behandlungsmethodische Ausführungen hinein weitergeführt. Während die Darstellung der Körperinszenierungen den Blick von außen auf die Ausdrucksformen des Körpers richtet, eine sinnvolle Einteilung der Befunde anbietet und die Suche nach plausiblen Erklärungen anregt, fordert die Zentrierung im Körpererleben die Einfühlung in die Wirklichkeit des Patienten. Erklärungen sind zur Orientierung wichtig, dürfen aber nicht dazu führen, sie für die eigentliche Psychotherapie zu halten. Es geht nicht um den Körper, sondern um das Erleben des (objektalen) Körpers, insbesondere um das (immanente) Körpererleben. In diesem Sinne zentriert Maaser (i. d. B.) die tiefenpsychologische bzw. analytische Behandlung ausdrücklich im Körpererleben und rückt es systematisch in den Vordergrund des therapeutischen Geschehens. Der Weg über das Körpererleben erscheint gerade bei Anorexia-nervosaPatientinnen unumgänglich. Besonders bei Patienten mit extrem erstorbener Lebendigkeit ist der Therapeut auf eine hoffnungsvolle Grundeinstellung angewiesen. Hier ist mit Merleau-Ponty (1966) zu bedenken, dass wir unseren Leib gar nicht wie einen Weltkörper haben können, sondern dass wir unser Leib selbst sind. „Denn in der Tat sind wir immer mehr als das, was wir gerade sind – mehr als unser sichtbarer Körper, was unmittelbare Konsequenzen für die Therapie hat, nämlich das prinzipielle Vertrauen, ein in allen Fällen weiterbestehendes Können über die krisenhafte Augenblickserfahrung hinaus ansprechen zu können.“ (Kühn i. d. B., Kap. 5) Wir können bei unserer psychotherapeutischen Arbeit immer auf ein immanentes Lebenswissen und eine originäre Lebendigkeit bauen. Das Seelische kann nicht stehen bleiben, selbst dann nicht, wenn es erstorben zu sein scheint (Salber 2001), denn selbst die leidvolle Erstarrung ist noch ein Ausdruck der originären „Lebensaffektion.“ (Funke und Kühn 2005, Kühn und Stachura 2005) Die folgenden praxeologischen Ausführungen beleuchten drei Schwerpunkte im breiten Spektrum der Behandlungsformen zwischen einer tradierten und einer erweiterten Form psychoanalytischer Behandlung: • Zum einen werden immer wieder Therapieausschnitte herangezogen und reflektiert, die aus den Behandlungen herkömmlicher psychoanaly-
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tischer Therapien bzw. „analytischer Psychotherapien“, wie es in den deutschen Richtlinien heißt, stammen oder stammen könnten. Diesen Vignetten stehen Beispiele gegenüber, die aus Therapien von Analytikern stammen, die die sprachdialogische Handlung um darüber hinaus gehende Handlungen mit dem Patienten sowie um konkrete Inszenierungen erweitern. „Das spontane Aufgreifen oder aktive Initiieren von Körperausdrucksvorgängen und Handlungsdialogen ist dabei der methodenspezifische Weg“ (Worm, Handlungsdialog, i. d. B., Kap. 1). In den letzten Jahren wird diese Richtung unter dem Schlagwort der „Analytischen Körperpsychotherapie“ subsumiert. Ich halte diese Bezeichnung für irreführend, weil der Körper ja nicht in objektaler Weise – wie etwa beim Masseur oder Physiotherapeuten – behandelt wird, sondern weil in dieser Behandlungsform die seelischen Lebensbewegungen (Wirklichkeiten, Welten usw.) analysiert werden, allerdings unter kontinuierlicher Beachtung der leiblichen Artikulierungen des Selbst und der leiblichen Fundierung alles Seelischen. Deswegen erscheinen mir für diese Form der Behandlung Begriffe wie „leibfundierte“ oder „körperorientierte Analyse“ passender. Zwischen diesen beiden Polen gibt es einen weiten Raum an „Übergangsformen analytischer Psychotherapie.“ Sie lassen sich mustergültig an den Enactments oder Inszenierungen während der Behandlung erläutern. Ich habe bereits an anderen Stellen darauf hingewiesen, dass Psychoanalytiker immer sensibler dafür werden, was sie eigentlich machen, wenn sie das machen, was sie machen. Die „enacted dimension“ (Katz 1998, S. 1132) verweist darauf, dass sich in den letzten Jahren der Begriff des „Handlungsdialogs“ (Klüwer 1983, 1995, 2000) eingebürgert hat, der des „Enactments“ Einzug in den psychoanalytischen Sprachschatz gehalten hat und seit 1990 als Indexwort in englischsprachigen psychoanalytischen Zeitschriften „geadelt“ worden ist. Seitdem hat neben den bekannten Prinzipien der Einsicht und der Beziehung ein weiteres Paradigma Eingang in die Geschichte der Psychoanalyse gefunden, nämlich das Handlungsprinzip.
Die Begriffe des Handlungsdialogs, des Enactments oder der Inszenierung werden in der Psychoanalyse enger gefasst und begrenzt auf unbewusste Verstrickungen zwischen Patient und Therapeut, die entweder bemerkt werden oder unbemerkt bleiben und die der Bearbeitung bedürfen, damit der Behandlungsprozess fortschreiten kann. In meinem Buch über basales Verstehen erweitere ich diese Betrachtung auf das gesamte implizite und explizite Wirkungsgeschehen zwischen Patient und Therapeut. Das bietet u. a. den Vorteil, dass damit auch die entwicklungsförderlichen Handlungseinheiten ins Bild gerückt werden, ob sie nun bemerkt werden oder unbemerkt bleiben. Mit dem Handlungsprinzip finden auch die Formen des basalen Verstehens indirekt Eingang in die Psychoanalyse. (Heisterkamp 2002a) Die Vorgänge des sprachlich repräsentierten, mittelbaren Verstehens werden ergänzt durch die unmittelbaren des präsentischen Erfassens. Mit Piaget könnte man hier vom operativen Verstehen sprechen. (Heisterkamp 1993, 1999a, S. 69 ff.) Hierhin gehören auch die Vorgänge des impliziten oder prozeduralen Einübens. Nicht zu vergessen wären auch die subliminalen Wirkungen atmosphärischer Bedingungen. Der Erkenntniswert von Stimmungen wurde in der Therapieforschung bisher weitgehend übersehen. (Heisterkamp 2005a, 2006 und 2007a)
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Die oben hervorgehobenen psychoanalytischen Behandlungsformen durchzieht als Grundzug die Analyse seelischer Lebensbewegungen oder Lebenswirklichkeiten. In den folgenden Ausführungen werden immer wieder die drei unterschiedlichen Behandlungsformen berücksichtigt. Das breite Spektrum der Darstellung soll zum einen die Kunst einzelner psychoanalytischer Behandlungen zeigen. Darüber hinaus erhält jeder Leser die Möglichkeit, die nicht nur seinem Patienten, sondern auch ihm gemäße Behandlungsweise ausfindig zu machen und sich dem breiten Möglichkeitsraum gegenüber offen zu halten für kreative Einfälle im Wirkungskontext einzigartiger Psychotherapiegeschichten von Patient-Therapeut-Paaren. Das komplexe Wirkungsgeschehen kann sprachlich nur in einer Abfolge von Gedanken erörtert werden. Der Gegenstand bleibt immer derselbe, nur der jeweilige Aspekt, unter dem im Folgenden das Geschehen zwischen Patient und Therapeut analysiert wird, wechselt. Deswegen sind Wiederholungen nicht ganz zu vermeiden. Die Behandlungsbeispiele sind so ausgewählt, dass sie zur Veranschaulichung der jeweils im Vordergrund stehenden Sicht besonders geeignet erscheinen. Sie erfassen in prototypischer Weise das intersubjektive Geschehen und rücken dabei in anschaulicher Weise das erspürte Ganze jedes Mal wieder ins Bild. Zuweilen mag meine Sprache dem in der psychoanalytischen Tradition stehenden Leser etwas ungewöhnlich erscheinen. Sie entspringt meinen Versuchen, die psychoanalytischen Zugangs- und Ableitungsweisen den beobachtbaren Phänomenen der Behandlung anzunähern und zu vermeiden, dass das sich Zeigende in Begrifflichkeiten weit hinter dem konkreten psychotherapeutischen Wirkungsgeschehen verschwindet. Damit versuche ich auch Schritt zu halten mit neueren Wirklichkeitsauffassungen der Philosophie.
2. Praxeologie basaler Mit-Bewegung 2.1. Im intersubjektiven Geschehen bilden sich unmittelbare Bewegungsmuster heraus (Herausbildung) Der zentrale Bezugspunkt meiner folgenden Ausführungen ist also das Übertragungsgeschehen, das Feld impliziter und expliziter Wirkungszusammenhänge zwischen Patient und Therapeut. Um die Überlegungen zu veranschaulichen, möchte ich ein konkretes Beispiel voranschicken, das den intersubjektiven Kosmos, mit dem wir uns in Behandlungen befassen, andeutet:
Eine gehemmte Annäherung Ein etwa 30jähriger, sehr kontrollierter und distanzierter Mann, zu dessen Beschwerden auch eine chronische Gastritis gehörte, kommt nach etwa 150 Analysestunden in einer Sitzung auf eine Reihe von vagen und abstrakten Themen, zwischen denen ich keinen rechten Zusammenhang erkenne, zu sprechen. Ich weiß nicht, worauf er eigentlich hinaus will und werde ungeduldig. Mir fällt für meinen Gefühlszustand der im Rheinland gebräuchliche Ausdruck „fickerig" ein. Er sitzt mir mit übergeschlagenen Beinen und angestrengtem Gesichtsausdruck und mich ständig beobachtend gegenüber. Je länger er redet, umso mehr nimmt mein Kopfdruck zu. Ich spüre eine deutliche Entspannung, als er auf eine konkrete Situation im Badezimmer zu sprechen kommt. Es war am Freitagabend, als seine Freundin und er sich im Badezimmer aufhielten: „Wir waren beide ..." Er stockt und hält den Atem an. Das Wort „nackt", das
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ich für mich ergänzend hinzufüge, kommt ihm offenbar nicht über die Lippen. Nach kurzem Räuspern setzt er neu an: „Meine Freundin wusch sich am Waschbecken und ich hatte mich gerade auch gewaschen. Wir hatten nichts an." Er schlägt sein übergelegtes Bein zurück, beugt sich etwas vor, seine Unterarme zucken andeutungsweise kurz nach vorne: „Sie stand so... als ich sie so sah..., ich wollt ..., ich hatte..." Er schluckt zwischendurch, seine Atmung wird tiefer, in seine Augen tritt ein kurzes Leuchten „... ich wollte sie so..., eh... anfassen, so um den... Unterleib herum". Ich merkte, wie er den nackten Körper seiner Freundin am liebsten von hinten umschlungen und sich vermutlich am liebsten an sie geschmiegt hätte. Während er stockend erzählt, wie er sie von hinten umarmen wollte, kippt sein Körper nach vorne, zucken seine Arme zurück, klemmt er seinen Bauch ein und hält seine Hand davor, wie wenn er einen Tiefschlag in die Magengegend bekommen hätte. Sein Atem stockt. Für einen kurzen Moment erstarrt er wie zu einer Salzsäule. Ich selbst habe unmerklich mit seiner Bewegung mitgeschwungen, merke wie ich mich ebenfalls ansatzweise krümme und spüre auch dumpf eine Einwirkung in der Magengegend. Seine Freundin sei bei der plötzlichen Berührung heftig erschrocken und völlig erstarrt. Sie habe ihm Vorwürfe wegen dieses „hinterhältigen Angriffs" gemacht. Ich ahne das Entsetzen eines gehemmt Liebenden, unter dessen behinderten sehnsuchtsvollen Annäherungen das Liebesobjekt versteinert. Mir fällt als „Modellsituation" (Lichtenberg 1987) ein Kind ein, das in freudiger Erregung auf Mama oder Papa zuläuft und vor eine Wand unerbittlicher Nichtresonanz prallt. Während ich erlebnismäßig noch in dieser Schrecksituation verweile, weicht er für mich abrupt in einen quälenden kognitiven Zirkel wechselseitiger Schuldzuschreibungen und Rechtfertigungen aus. Diese gehen schließlich in kognitive Rekonstruktionsversuche über, in denen er auch einige Kindheitserinnerungen seiner Partnerin bemüht. Währenddessen spüre ich, wie sich mein Kopfdruck erhöht.
Zunächst einmal veranschaulicht das Beispiel, dass es psychologisch unsinnig wäre, die mentalen und die körperlichen Phänomene isoliert zu betrachten. Sie würden nämlich gerade die Erlebenswirklichkeit des Patienten bzw. das Muster seiner aktuellen Lebensbewegung sowie das Wirkungsgeschehen zwischen Patient und Therapeut zerstückeln und das Verstehen erschweren. Isolierungen und Spaltungen des Gesamtgeschehens treten leicht in den Dienst der Abwehr und der Sicherung. Sie werden deswegen als Integrale des Gesamtgeschehens betrachtet, als Momente, die die sich entwickelnde Wirkungseinheit zwischen Patient und Therapeut bedeutungsvoll durchformen. Die leibliche Dimension hat darin eine grundlegende Funktion. Meine stellvertretende Mitschwingung an der Stelle seiner empfundenen Abweisung, meine Tendenzen, am Punkt seiner unmerklichen Verletzung zu verharren, sowie meine Verspannungen während seiner Intellektualisierungen zeigen mir, dass der Patient hier eine Szene schildert, in der sich ein frühes, bis in die aktuelle Beziehungsgestaltung hinein nachwirkendes „Bewegungsmuster“ (Adler 1926, 1933a und b; Heisterkamp 1990, 1995) in Szene setzt, ohne dass er es für die Bewältigung hinreichend in Worte fassen kann. Wenn man das ganze Spektrum seiner seelischen Ausdrucksbewegungen einbezieht, lässt sich deutlich eine Lebensbewegung beobachten, die in eine Sackgasse geraten ist. Der Bewegungsmodus der verhinderten und behinderten Annäherung tritt in mehreren Modifikationen auf: in der Art, wie der Patient sein Problem einleitet; inhaltlich in der berichteten Szene; intrapsychisch in der Schwierigkeit, sich auf sein eigenes Erleben einzulassen; interpsychisch in der eingeschränkten Form der Kontaktaufnahme zu mir.
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Indem der Therapeut auf die leiblichen und leibnahen Momente der Selbstund der Mitbewegung achtet, strukturiert sich das gesamte Wirkungsgeschehen in sinnfälliger Weise. Durch die organismischen Bewegungsanteile werden die Steigerung zum unglücklichen Höhepunkt, der seelische Engpass sowie der notdürftige Umweg besonders deutlich. Der Gesamtprozess gewinnt durch die Ausdrucksbewegungen eine basale Durchgliederung. Das ist umso wichtiger, wenn die emotionalen Züge stark verkümmert sind und die verbalen Äußerungen einer intellektualisierenden Abwehr dienen. Die Gegenübertragung strukturiert sich klarer, wenn der Therapeut für die organismische Resonanz offen ist. Meine Impulse, ihn drängen zu wollen, mein erschrockenes Atemanhalten, die Empfindung eines Tiefschlags in der Magengegend sowie mein Verharren in dieser miterlebten Verletzung, während er sich mit seinen Abwehrformen entzieht, sowie das Quälwerk von Intellektualisierungen spiegeln den Prozess einer verunglückten Annäherung wider. Im Beitrag von Volz-Boers (i. d. B.) finden sich weitere Beispiele leiblicher Gegenübertragungen. Sie veranschaulichen eindrücklich, wie sich der innere Resonanzraum erweitert, wenn der Therapeut mit seinem Körpererleben in Kontakt ist. Die Stelle der immanenten Blockierung markiert auch den Punkt einer sinnvollen Intervention. Der verbale Bericht des Patienten enthält in seinen mentalen und leiblichen Artikulationen eine evidente und spürbare Dramaturgie. Der Höhepunkt seines Handlungsdialoges – im Badezimmer wie auch im Therapiezimmer – ist genau die Stelle, an der die gehemmte Lebensbewegung wieder blockiert wird und an der auch der Wendepunkt zu einem Neubeginn liegen könnte. Im Herunterfallen der Unterarme, im Schließen und Verkleinern der Augen, im Anhalten des Atems, in seiner Schluckbewegung, im Zusammenziehen des Körpers, in der Verspannung des Magens verkörpert er sein individuelles Bewegungsgesetz, demzufolge er sich immer wieder zur Annäherung an seine unerledigte Not- und Konfliktlage gezwungen fühlt, aber gleichzeitig vor den damit verbundenen psychologischen Konsequenzen zurückschreckt und seine Lebensbewegungen angstvoll unterdrückt. Der furchtbare Höhepunkt des Beziehungsdramas ist auch der fruchtbare Moment im Therapieprozess, insofern sich hier der mögliche Wendepunkt für Veränderungen herausbildet. Die bisherigen Beschreibungen entsprechen auch dem Konzept der Interaktionellen Übertragungsanalyse bzw. Übertragungsbearbeitung im Sinne Bettighofers (i. d. B.). In meinem Beitrag soll darüber hinaus herausgearbeitet werden, wie durch die ausdrückliche Berücksichtigung der leiblichen Artikulationen des Selbst die Übertragungs-Analyse leiblich fundiert werden kann. Das fällt mir nicht schwer, da ich mich wie Bettighofer in dieselbe theoretische Entwicklungslinie (Selbstpsychologie, Objektbeziehungstheorie, Intersubjektivitätstheorie) einreihen würde. Allerdings ist diese Entwicklung m. E. bis Adler zurückzuverfolgen, der die sozialpsychologische Perspektive bereits am Anfang der Geschichte der Tiefenpsychologie eingebracht hat und als „Vordenker der intersubjektiven Perspektive in der Psychoanalyse“ (Petra
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Heisterkamp 1996) betrachtet werden kann. Die interaktionelle, intersubjektive oder relationale Perspektive, die heute von der Psychoanalyse neu entdeckt wird, war mit Adler als dem erstem Dissidenten der Psychoanalyse in die Verbannung geraten. Die fundamentale und zentrale Bedeutung des Übertragungsgeschehens bleibt auch bestehen, wo die jeweilige Störung wie z. B. bei der Anorexia nervosa in besonderer Weise nahe legt, die Patienten dabei zu unterstützen, sich zu spüren und wahrzunehmen. Bereits die Schockwirkung beim Anblick eines extrem abgemagerten Körpers vermittelt die Bedrohung (Selbstzerstörung, Selbstauflösung), der sich anorektische Patientinnen ausgeliefert fühlen. Auch bei der Behandlung dieser Patientinnen bleibt die Handhabung der eigenen Gegenübertragung der Dreh- und Angelpunkt, „wobei die größte Gefahr darin besteht, sich entweder von der Massivität der Angst und des Leids gleichsam erschlagen und aus der therapeutischen Rolle hebeln zu lassen oder sich rational von dieser Herausforderung zu distanzieren und die Patientinnen in diesem Verlaufsstadium ihrer Erkrankung für »körperpsychotherapeutisch nicht behandelbar« zu erklären.“ (Maaser i .d. B., Kap. 4.3.3) Am obigen Beispiel der gehemmten Annäherung wird bereits, ohne dass ich als Therapeut interveniert hätte, ein wesentliches Kennzeichen der psychotherapeutischen Wirkungseinheit oder des psychotherapeutischen Werkes deutlich: Der Therapeut bewegt sich mit dem Patienten und lässt sich von ihm bewegen, ohne sich in der Wirklichkeit des Patienten zu verlieren, und beide werden von einer umfassenden Einheit („Beziehung“) bewegt. Die für das psychotherapeutische Werk typische Mit-Bewegung bleibt in der Wirklichkeitsgestaltung des Patienten zentriert bzw. schwingt mit den Lebensbewegungen des Patienten mit. Die Fuge zwischen „Mit“ und „Bewegung“ ist sowohl ein Verbindungsstrich (einfühlender Bezug auf die Wirklichkeit des Patienten) als auch ein Trennungsstrich. Letzterer kennzeichnet einmal die interpsychische Differenzierung zwischen dem Selbsterleben und dem Erleben des anderen. Zum anderen gilt die Trennung auch intrapsychisch, insofern der Analytiker seine Gegenübertragung wahrnehmen kann und genügend Abstand dazu findet, um sie psychotherapeutisch transformieren zu können. Das ist erfahrungsgemäß besonders schwierig bei den „positiven“ Gefühlen der Freude, der Liebe und der Lust (Heisterkamp 1999b, 2000b) und bei den „negativen“ Gefühlen der Ablehnung, des Widerwillens und des Ekels (Krause 2002). In der so verstandenen Mit-Bewegung liegt auch der tiefenpsychologische Sinn der für die psychotherapeutische Behandlung typischen Asymmetrie und Abstinenz. Beide Begriffe lassen sich weniger an äußeren Merkmalen wie der Settingposition oder metrischen Distanz erläutern, als vielmehr am Prinzip des psychotherapeutischen Werkes: Verstehend mit dem Patienten mitzuschwingen und die eigene Teilhabe am Übertragungsgeschehen für die Strukturierungsbemühungen (Selbstbehandlungen) des Patienten zu nutzen. Asymmetrie und Abstinenz gehen verloren, wenn sich die psychotherapeutische Wirkungseinheit der Mit-Bewegung in ein Wirkungsgefüge wechselseitiger Be-Nötigung hinein verändert. Hierbei bildet sich über das Übertragungsund Gegenübertragungsgeschehen ein Beziehungsmuster heraus, das der Abwehr und Sicherung des Patienten und/oder des Therapeuten dient und jeweils den anderen nötigt, eigene Selbstsicherungen zu übernehmen. Wenn z. B. die
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gehemmte Annäherung des Patienten und die Teilhabe des Therapeuten die Kollusion einer intellektualisierenden Abwehr schaffen, schützen sich beide vor der Wiederbelebung eigener Verletzungen und Phantasien. Im Wirkungsgeschehen zwischen Patient und Therapeut erhält die „verkörperte Gegenübertragung“ (Downing 1996) eine das Gesamtgeschehen in grundlegender Weise interpunktierende Bedeutung: wenn der Therapeut flacher oder tiefer zu atmen beginnt; wenn sich sein Kopfdruck erhöht oder verringert; wenn er plötzlich nicht mehr klar sehen kann oder es ihm schwarz vor Augen wird; wenn der Druck in den Ohren zunimmt, Schwindelgefühle oder Ohrgeräusche auftauchen; wenn er müde oder wach wird; wenn sich sein Bauch verkrampft oder entspannt; wenn sein Herz schmerzt, rast oder heftig klopft; wenn sich sein Darm oder seine Blase melden; wenn er zu schwitzen beginnt oder ihn Husten- und Juckreize stören; wenn er sich körperlich verkrampft oder Schmerzen verspürt oder wenn sich muskuläre Verspannungen auflösen; wenn er merkt, dass seine Arme oder Beine „eingeschlafen“ sind; wenn er sich erotisch angezogen oder sexuell erregt fühlt oder keine sexuelle Erregung verspürt, wo sie zu erwarten wäre; wenn seine Stimme die Tonart wechselt, wenn er Bewegungsimpulse spürt usw. usw.. In psychoanalytischen Fallberichten kommt die leibliche Dimension des Wirkungsgeschehens oft sehr kurz bzw. überhaupt nicht zur Sprache, es sei denn, dass körperliche Symptome die Aufmerksamkeit erzwingen. Demgegenüber ist die Art und Weise, wie Poettgen-Havekost (i. d. B.) das Beziehungsmuster einer Patientin, das sich zu Beginn der Behandlung immer wieder ereignet, beschreibt, prototypisch für die ganzheitliche Betrachtungsweise in leibfundierten Analysen.
Die erste Begegnung „Die Patientin betritt den Raum, äußerlich recht groß und an eine androgyn mythische Figur erinnernd, in ihrem Gang fast etwas starr, automatisiert, gepanzert wirkend. Indem sie so schon an der Tür mit ausgestrecktem Arm auf mich zuschreitet, schaut sie mich mit ihren dunklen Augen bannend, zugleich wie auf einer Bühne strahlend an, um dann meine Hand wie in einen Schraubstock zu legen. Die Annäherung wirkt grenzüberschreitend, zwingend, gleichzeitig kontrolliert, erinnert an einen feurigen Liebhaber, der sich noch in der Gewalt hat. Dieser machtvoll eindringende Auftritt löst in mir in der körperlichen Gegenübertragung unmittelbar ein unangenehmes, aversives Gefühl aus, einen Impuls, mich entziehen zu wollen, was sich mit der Phantasie verbindet, in ein Bühnenstück gepresst zu werden, in das ich nicht hineingehöre.“ (Poettgen-Havekost i. d. B., Kap. 4.1.1)
Eine zunehmende Reflexion und Einbeziehung organismischer Gegenübertragungen wirft auch die Frage möglicher Mesalliancen zwischen Patient und Therapeut neu auf. Die Schwierigkeit bzw. Unfähigkeit, sich aus einer basalen, z. B. einer im respiratorischen und mimischen Austausch fundierten Kollusion befreien zu können, machen auf neue Formen des Widerstandes gegen die Auflösung der Übertragung und Gegenübertragung sowie auf verdeckte Übertragungs- und Gegenübertragungsbefriedigungen aufmerksam. Bei Nichtbeachtung des ganzheitlichen Wirkungsgeschehens entsteht leicht eine doppelbödige Analyse, die auf einer abstrakten Ebene lege artis zu verlaufen scheint und auf einer basalen Ebene einer die Störung festigenden Konstellation verhaftet bleibt.
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Wenn die Probleme des Patienten nur an- und durchgesprochen werden, ergeben sich auch leicht die Schwierigkeiten sprachlicher Symbolisierung, die von Geißler (i. d. B. Kap. 18.2) ausführlich behandelt werden: • Sprache kann die Ganzheitlichkeit des Erlebens zerstören. • Sie zerlegt globale Erlebnisse in strenge Kategorien. • Sie zerschneidet den Zeitfluss in Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft. • Wörter können globale Erfahrungen nur schlecht abbilden. • Zwischentöne lassen sich besser durch Mimik und Gestik darstellen. • Sprache kann Denken und Fühlen trennen. • Es kann sich eine Kluft zwischen nonverbaler und sprachlicher Welt ergeben. • Vorsprachliche Erfahrungen können ohne Umsetzung in Wörter behalten werden usw..
2.2. Patient und Therapeut stimmen sich grundlegend ab (Abstimmung) Wenn der Therapeut sich kontinuierlich in das Seelische seines Patienten vertieft, insbesondere den leiblichen Ansätzen seiner Lebensbewegung folgt und ihnen Bewegungs- und Entfaltungsspielräume bietet, ihre Ausformung unterstützt und ihren tiefen psychologischen Sinn anerkennt, übernimmt er in den verschiedenen „Domänen“ des werdenden Selbst basale Funktionen eines Selbstobjektes. Er bietet dem Selbst des Patienten auf den strukturellen Ebenen seiner Entstehung Resonanz und Unterstützung. Der Patient kann sich in basaler Weise wirksam und gespiegelt fühlen. Da es sich bei den Störungen des Patienten um Selbstbehinderungen oder Selbstunterdrückungen im Dienste der Selbstsicherung bzw. der Kompensation von defizitären Beziehungserfahrungen handelt, kann der Patient im therapeutischen Feld die emotional korrektive Erfahrung eines Selbstobjekts machen, das ihn ermutigt, Zentrum der eigenen Initiative zu werden. Durch eine grundlegende Mitschwingung arbeiten wir als Therapeuten ständig an der Profilierung und Fundierung des „auftauchenden Selbstempfindens“, des „Kern-Selbst-Empfindens“ (Stern 1992) sowie an der Konstanz bzw. Kongruenz zwischen Selbsterleben und Selbstnarrativ. (Geißler i. d. B., Kap. 18.2) In der Arbeit an den Lebensbewegungen berücksichtigen wir, dass das Kind schon von frühester Zeit an ein hochaktives, der Steuerung fähiges und in gewissem Sinne kompetentes Wesen ist, das bereits lange vor der Entwicklung von Sprache urtümliche „Bewegungsmuster“ (Adler 1933b, S. 33 ff.) bzw. „schemes of being with“ (Stern 1989, 1996) entwickelt hat. Die Form der Mitbewegung, die sich auf die Behinderungen des Patienten und seine unterdrückten Tendenzen einlässt, ist zentral bezogen auf das „Effektanzbedürfnis“ (Wolf 1988) bzw. das Bedürfnis, wirksam zu sein (Stern 1992). Sie ist zentriert in den ursprünglichen Formen des Selbstempfindens und des Selbsterlebens. Mit dem Patienten zu schwingen und sich empathisch in ihn einzufühlen impliziert eine kontinuierliche präparative und reparative Arbeit an der Kohäsion und Kontinuität, an der Stabilität und Flexibilität des Selbst.
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Eine leibfundierte Behandlung setzt an den basalen Strukturen des Selbst an, die Stern als „Vitalitätsaffekte“ (1992) und später als „Vitalitätskonturen“ (1998) bezeichnet. Vitalitätskonturen reichen bis in die früheste Zeit des auftauchenden Selbstempfindens und des Kernselbsterlebens zurück. „Für den Säugling ist das Erleben von Vitalitätsaffekten wahrscheinlich ein wichtiger und sein Selbsterleben entscheidend strukturierender Teil der Selbsterfahrung.“ (Geißler 2002, S. 47) Ihr hedonischer Tonus legt nahe, dass hier auch die Quelle der Lebensfreude und der Lebenslust zu finden ist. Während der Arbeit an den basalen Formen der Selbstbewegung und der Selbstregulierung taucht wie „selbstverständlich" auch die urtümlichste Form der Spiegelung wieder auf, die aus den herkömmlichen psychoanalytischen Therapieberichten nahezu ausgeblendet ist: die Freude, d. h. „die Selbstfreude über dessen eigenes Sein“ (Kühn i. d. B., Kap. 1) und die Freude an und mit den anderen. Da eine Psychoanalyse der Freude den hiesigen Rahmen sprengen würde, sei hier auf meine diesbezüglichen Veröffentlichungen (Heisterkamp 1999b und c, 2000b, 2003d, 2007b) verwiesen. Der Grundgedanke besteht darin, dass die Freude eine basale Form der existenziellen Resonanz darstellt. Behandlungsmethodisch ist bedeutsam, dass die Freude als Primäraffekt einen regredienten bzw. strukturellen Tiefgang hat und unmittelbar bezogen ist auf die frühen Wirklichkeiten der Selbstwerdung, insbesondere auf das Kernselbsterleben. In der Selbstpsychologie spielen die „intensiven Wünsche, wahrgenommen und anerkannt zu werden" (Hartmann 1995, S. 24) eine grundlegende Rolle. Deswegen ist hier die „Empathie“ von zentraler Bedeutung. Darunter ist ein bestimmter Modus der Beobachtung zu verstehen, „nämlich sich selbst in einen anderen hineinzuversetzen und die Welt aus dessen inneren Bezugsrahmen heraus wahrzunehmen und zu interpretieren“ (Hartmann 1995, S. 26). Unter der Perspektive leiblicher Artikulationen des Selbst muss allerdings auf die Vielschichtigkeit des Empathiebegriffes verwiesen werden. Nach Kohut folgt die Empathie einer Entwicklungslinie, die im frühen Handlungsdialog zwischen Kind und Betreuungspersonen begründet ist: „Sie reicht von frühen Formen – von der Bezugsperson gehalten, berührt und gerochen werden – bis zu der etwas distanzierteren, aber nach wie vor engen Interaktionserfahrung, das Kind mit Worten und Mimik zu halten. Das abenteuerlustige Kind, das sich von der Mutter wegbewegt, um ein neues Gebiet zu erkunden, illustriert dies beispielhaft: Es hält inne und dreht sich um, um sich des bestätigenden und ermutigenden Lächelns der Mutter zu versichern, bevor es weitermacht. Das stolze und beruhigende Lächeln der Mutter stellt nach Kohut eine höhere Form von Empathie dar. Es ersetzt das körpernahe Erleben von Halten und Berühren durch das einfühlsame, aber erlebensmäßig distanziertere Lächeln, in dem sich Stolz und der Glaube an die Fähigkeiten des Kindes widerspiegeln“. (Siegel 2000, S. 178) Das Problem eines bloß mentalen Empathieverständnisses wird deutlich, wenn der Therapeut in seiner Mitschwingung die Blockierung im therapeutischen Prozess bzw. in der Selbstbewegung des Patienten wahrnimmt und darüber spürt, dass die leiblichen Keimformen des Selbst erst einmal einen Bewegungsspielraum benötigen, um die impliziten „Emotionen“ prozedural auszuformen. Hier ist sozusagen dem empathischen Prozess im engeren Sinne noch ein Prozess vorgelagert, der darin besteht, dass der Therapeut in seiner Gegenübertragung merkt, dass die Lebensbewegung des Patienten eingeengt ist, dass er einfühlsam mit dem Patienten diese Fixstelle seiner Entwicklung aufsucht
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und ihm einen Möglichkeitsraum für basale Selbstbewegungen bietet, die auch der Analytiker nicht vorausahnen und schon gar nicht vorausfühlen kann. In der Begleitung dieser Erlebnis- oder Handlungseinheiten bilden sich erst die emotionalen Qualitäten heraus, in denen der Patient gespiegelt werden kann und möchte. Um diese basalen Formen der Empathie phänomengemäß zu benennen und Missverständnissen vorzubeugen, spreche ich hier lieber von Mitschwingung und Mitbewegung und unterscheide zwischen basaler und mentaler Empathie. Diese Leerstelle psychoanalytischen Verstehens habe ich anderenorts ausführlicher dargestellt (Heisterkamp 2002b). Patienten sind sich selten der Affekte bewusst, die ihr Seelisches organisieren. Da sind Angebote an das Unbewusste, sich deutlicher zu artikulieren, sehr hilfreich. Wenn verbale Zugangsweisen und die Technik der freien Assoziation nicht weiterführen und die leiblichen Artikulationen des Selbst (z. B. ticartige Mundbewegungen) immer wieder jenseits der Deutung bleiben, bieten die leiblichen Selbstartikulationen bzw. die sich herausbildenden Enactments immer wieder Anhaltsund Anknüpfungspunkte, um den behinderten Prozess der Selbstbewegung wieder aufzugreifen. Es sei auch auf das Beispiel der Kopfbewegungen („Patient bewegt seinen Kopf hin und her“, Kap. 2.3) oder auch der Beckenbewegungen („Tantalusqualen“, Kap. 2.3) in diesem Beitrag hingewiesen. Im Wissen um die Entwicklungslinie der Empathie ist es sinnvoll, sich kontinuierlich mit den leiblichen Artikulationen des Selbst mitzubewegen und sich basal abzustimmen:
Die eine Hand streichelt die andere Ein sehr kognitiver Oberstudiendirektor der Mathematik und Physik berichtet nüchtern über seinen Vater und streichelt dabei zärtlich mit der einen Hand den Handrücken der anderen. Was er selber gar nicht gemerkt hatte, griff ich, als sein abstrakter Sprachfluss ins Stocken geraten war, auf und fragte mich und ihn, was ihm und uns seine Ausdrucksbewegungen wohl noch mitteilen wollten und schlug ihm, um das zu ergründen, vor – möglichst ohne zu sprechen – einmal eine gewisse Zeit bei diesem Selbstkontakt zu bleiben, um auch die „Geschichte“, die ihm seine Hände gerade erzählten, noch zu verstehen: Nach anfänglichem Erstaunen fällt ihm sofort die behaarte Hand seines Vaters ein, wie er sie beim Frühstück oft gestreichelt hatte und dieser das wohl auch gerne zugelassen und seinerseits mit zärtlichen Gesten beantwortet hatte; wie solche Szenen der Zärtlichkeit immer nur von kurzer Dauer waren, da der Vater aus beruflichen Gründen meistens abwesend war; wie schmerzlich er sie vermisst hatte, als der Vater sich der nachgeborenen Schwester zuwandte und er sich seiner kindlichen Gefühle mit zunehmendem Alter immer mehr schämte. In unserer Beziehung wurde sein überangepasstes Verhalten verständlich, wie er, um den Kontakt zu mir nicht zu verlieren, mich glaubte fleißig mit Assoziationen versorgen zu müssen. Auch seine guten Schulleistungen bildeten eine notdürftige Sicherung der Beziehung zum Vater. Die war umso bedeutsamer, als er die Zärtlichkeiten der Mutter als vereinnahmend erlebte.
Hier bietet sich die Möglichkeit, den leiblichen Artikulationen („Assoziationen“) eine Möglichkeit zu bieten, auf der ihnen eigenen Entwicklungs- und Regressionsebene, in ihrer eigenen Ausdrucksweise und ihrem eigenen Zeitrhythmus die Bedeutungen herauszubilden, die sie verkörpern.
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Das geschieht behandlungsmethodisch relativ einfach dadurch, dass auf das Ansprechen nicht das Durchsprechen folgt, sondern das Erproben eingeschoben ist, in dem die frühen inkorporierten Erfahrungen erst den Anhalt finden, sich zu artikulieren. Hier macht der Therapeut einen Vorschlag, und zwar in der Annahme, dass dadurch die unbewussten Tendenzen, die sonst verloren zu gehen drohen, sich ausdrücken können. Musterbeispiele sind die Behandlungsvignetten, in denen der Therapeut vorschlägt, eine gewisse Zeit, möglichst ohne zu sprechen, bei den Kopf- oder Beckenbewegungen oder Mundbewegungen zu bleiben. Das Ziel liegt darin, dem Patienten einen entwicklungsanalogen Bewegungsspielraum zu bieten, in dem er sein Selbsterleben vertiefen kann. Diese Bereicherung hat auch ihre Schattenseite. Ein gezieltes Angebot kann, wie auch bei verbalen Interventionen, vom eigentlichen Anliegen des Patienten ablenken. Hier ist wie immer die sensible Mit-Bewegung des Therapeuten indiziert, indem er die Auswirkungen seines Tuns und Lassens empathisch begleitet und kontinuierlich darauf achtet, in welcher Szene er sich jeweils mit dem Patienten befindet. Die Kunst des Therapeuten besteht darin, mit dem Patienten einen therapeutischen Weg zu finden zwischen der Skylla der Negierung und der Charybdis der Manipulierung.
2.3. Über eine strukturelle Rückführung auf Kernformen vertieft sich das Selbsterleben (Vertiefung) Wenn der Patient den Therapeuten bzw. wenn der interaktive Prozess beide an eine bedeutsame Stelle bringt, hat die strukturelle Reduktion des Geschehens auf basale Bewegungsmuster eine vertiefende, fundierende und erhellende Bedeutung.
Patient bewegt seinen Kopf hin und her Ein Patient betonte bereits ziemlich am Anfang der Behandlung, dass seine Mutter für ihn „ein Hort von Geborgenheit“ gewesen sei. Nachdem er vorher bereits sehr ablehnend über seinen Vater berichtet hatte und bei den Aussagen zur Mutter den Kopf auf der Couch hin- und herbewegte (als wollte er körperlich sagen: „Das stimmt alles nicht“), griff ich diese Bewegung des Kopfes konkret auf. Ich erwartete aufgrund der Vorerfahrungen, dass ein bloßes An- und Durchsprechen seiner Ausdrucksbewegungen in einen differenzierten sprachlichen Austausch geführt und sich dabei immer weiter von seinem Erleben entfernt hätte. Indem er sich eine Weile seinen Ausdrucksbewegungen überließ, fand er Gelegenheit, die unbewusste Bedeutung seiner Kopfbewegung auszuloten. Dabei stellte er fest, dass er den Kopf weiter nach rechts bewegen konnte, während er bei der Bewegung nach links eine Verspannung spürte. Bald darauf erinnerte er sich daran, wie er im Ehebett zwischen seinen Eltern lag und stellte völlig überrascht fest, dass der Vater auf der beweglichen Seite, also rechts von ihm lag, während die Mutter auf der anderen Seite lag. Dabei spürte er mit leibhaftiger Gewissheit, wie er sich bei der Linksbewegung (in Richtung seiner Mutter) verkrampfte und ihm die Rechtsbewegung (zu seinem Vater, bei dem er öfter im Bett schlafen durfte und an den er sich gerne „ankuschelte“) sehr leicht fiel. So wurde eine tiefe Spaltung und Störung der Triangulierung zugänglich, die mir wiederum zu einer größeren Sensibilität für die Spaltungsvorgänge im Übertragungsgeschehen verhalf.
Wir haben hier ein Beispiel vor uns, in dem die gelebte Geschichte und die geschilderte Version stark voneinander abweichen, weswegen Stern (1997) auch zwischen Oberflächen- und Tiefennarrativ unterscheidet (Geißler i. d. B., Kap. 18.2). Wenn der Therapeut diesen Augenblick der Kopfbewegung nur an-
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spricht, werden die Möglichkeiten des Patienten eingeschränkt, die Erfahrungen zu machen, die in einer konkreten Erprobung liegen würden. Ohne diese bleiben die beim Durcharbeiten gewonnenen Einsichten leicht zu abstrakt. Stattdessen lassen sich die Andeutungen, die sich in den Kopfbewegungen artikulieren, aufgreifen, indem dem Unbewussten ein entwicklungs- und regressionsanaloger Spielraum geboten wird, um die latenten Bedeutungen ins Bild zu bringen, die die Lebensbewegungen implizit enthalten. Das Seelische kann sich hier in basaler Weise äußern, wieder finden und neu regulieren. Das Seelische findet hier eine Chance, sich selbst zu erfahren, sich selbst zu erproben, seiner originären Selbst- und Lebensbewegung inne zu werden und sein Gespür zu vertiefen für das der Lebensbewegung immanente praktische Lebenswissen (Kühn i. d. B.). In der morphologischen Psychologie spricht man in diesem Zusammenhang von einer Selbstbehandlung des Seelischen. Erst wenn diese nicht mehr wie „selbstverständlich“ funktioniert, wird der Besuch bei einem Therapeuten notwendig. (Endres und Salber 2001) Die strukturelle Reduktion liefert einen wichtigen Beitrag zur Problematik der korrektiven Neuerfahrung. Ich stimme mit Worm überein, dass das Konzept der Nachnährung und Nachfütterung zu kurz greift. Dasselbe gilt allerdings auch für die Kritik, die sich mit dem Vorwurf begnügt, der Psychotherapeut wolle die „bessere Mutter sein“ oder „das Rad der Geschichte zurückdrehen“. Die obigen Überlegungen zum regredienten Tiefgang machen aber auch deutlich, dass die Neuerfahrung nicht nur die Beziehungsgrundlage für das nachfolgende Durcharbeiten bildet, wie Worm (i. d. B., Widerstand) hervorhebt, sondern darüber hinaus auch eine operative Form der Bildung neuer Repräsentanzen oder der Entwicklung neuer Beziehungsschemata darstellt. Die Struktur der Behandlung hat per se etwas Heilsames. Hierbei ereignen sich immer wieder unmittelbare Wandlungserfahrungen des Patienten (Heisterkamp 2002a, S. 34 ff.) und des Therapeuten (ebd., S. 218 ff.). Wenn das psychotherapeutische Werk in eine wechselseitige Be-Nötigung entgleist, ereignen sich entsprechende unheilsame Erfahrungen, Wiederholungen bzw. Retraumatisierungen. Die Entwicklung des Selbsterlebens teilt Stern in fünf Bereiche ein: die Bereiche des auftauchenden Selbst, die des Kern-Selbst-Erlebens, die des intersubjektiven Erlebens, die des verbalen Erlebens und die Domäne des narrativen Selbsterlebens. Geißler hebt die Bedeutung der frühen Organisationsebenen des Erlebens für das Setting hervor: je mehr es „im Hinblick auf körperliche Handlungsspielräume geöffnet wird, umso größer wird die therapeutisch nutzbare Bandbreite der ersten drei Welten des Erlebens und desto eher kann das sprachlich-kategorisierende Empfinden der Welt, zumindest zeitweise, in den Hintergrund treten“ (i. d. B., Kap. 10.1.1). Die fünf „Welten“ oder Organisationsebenen kindlichen Erlebens werden in diesem Buch differenziert von Geißler vorgestellt. Er macht auch auf die sich daraus ergebende Grundsatzverschiebung aufmerksam. Es handelt sich nicht um ein Phasenmodell, wo die eine Phase in der folgenden aufgeht. Sie entwickeln sich zwar hinter- und nacheinander und bauen aufeinander auf, sie bleiben aber über das ganze Leben hin bestehen sowie differenzierungsfähig und können sich darüber hinaus gegenseitig beeinflussen. Das Modell der Regression, verstanden als ein Zurückkehren auf einer Zeitachse, verliert hier seine Bedeutung (Geißler 2001).
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Beim Zugang zu den Organisationsebenen des Selbst haben die leiblichen Artikulationen eine basale Bedeutung. Darüber findet sich ein struktureller Zugang zu den „frühen“, bis in das aktuelle Geschehen hinein nachwirkenden Keimformen der Selbstwerdung. Das komplexe aktuelle Selbsterleben ist jederzeit strukturell rückführbar auf immanente Grundgestalten. Und umgekehrt können auch über das aktuelle Selbsterleben diese Grundformen modifiziert werden, insofern der nötige entwicklungsanaloge bzw. strukturelle Zugang gefunden wird.
Auf diese Weise wird die Arbeit an den Domänen des Selbstempfindens und zwischen ihnen zu einem Therapeutikum, denn sie stellt eine unmittelbare Arbeit an der Kohäsion, Stabilität und Integrität des Selbst dar. Die Eigenart dieser früh entwickelten Keimformen oder Grundmuster seelischer Wirklichkeit ist weder für den Patienten noch für den Analytiker ohne weiteres fassbar. Ihre Bedeutung („Wissen“) ist implizit und nur prozedural ausformbar. Innewerden, Wahrnehmen, Verstehen und Behandeln geschehen hier überwiegend in einer operativen Dimension. Wenn Patienten und Therapeuten diese pathische Dimension tiefen psychologischen Gewahrwerdens und Selbstbehandelns nicht wahrnehmen und durch gnostische Interventionen blockieren, kann sie nicht adäquat wirksam werden. Das hat seine praxeologischen Konsequenzen. Wenn der gesamtseelische Prozess zu erstarren oder sich aufzulösen droht, greift der Therapeut gezielt die verbliebenen Rudimente von Lebendigkeit, die sich im körperlichen Bereich am längsten halten, auf. Sie weisen nämlich anschaulich darauf hin und deuten leiblich an, wohin das Seelische tendiert und wie es behandlungsmethodisch weitergehen könnte. So kann er auf Impulse der Zehen, Füße, Beine, Finger, Hände, Arme, Schultern, des Mundes, der Zunge, des Kiefers, des Brustkorbes, des Kopfes, der Augen, des Nackens, des Beckens oder auf ganzkörperliche Bewegungen aufmerksam machen und den Patienten ermutigen, seinen Körper einmal selbst sprechen zu lassen. Ebenso richtet er die Aufmerksamkeiten auf Situationen, in denen der Patient einen körpersprachlichen Dialog mit sich selber führt: z. B. wenn er einen Fuß gegen den anderen drückt, die eine Hand die andere streichelt, wenn er seine Hände aufs Gesicht legt oder er sich selbst im Nacken unterstützt usw.. So kann er Atemtöne oder Modulationen der Stimme aufgreifen und dem Patienten einen Spielraum für seine akustischen Lautmalereien anbieten. Wohlgemerkt: Die leiblichen Artikulationen des Selbst interessieren nicht als isolierte Phänomene, auf die der Psychotherapeut etwa in einer für den Patienten möglicherweise beschämenden Art und Weise einginge, sondern als Momente einer sich im intersubjektiven Feld herausbildenden seelischen Wirklichkeit. Dem entspricht auch sein behandlungsmethodisches Verhalten. Er greift also die leiblichen Phänomene ebenso wie die mentalen immer nur im Kontext des jeweiligen Behandlungsprozesses auf, d. h. manchmal eben auch (noch) nicht.
Die prototypische Intervention besteht darin, den leiblichen Andeutungen wieder den Bewegungsspielraum zu bieten – möglichst unter zeitweiliger Ausklammerung sprachlicher Kommunikation – den sie benötigen, um die basalen Bedeutungen, die sie unbewusst implizieren, operativ zu explizieren. Der tiefe psychologische Sinn offenbart sich dann erst aktualgenetisch in den Erlebniseinheiten, die sich dabei herausbilden.
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Während der Patient sich auf eine solche aktive Imagination (Jung 1916, 1944; Ware 1980, 1984, 2003a, b) einlässt, ereignen sich für ihn immer wieder schöpferische Akte des Selbstverstehens und der Selbstbehandlung. Sie spielen sich oft nur „im Inneren“ des Patienten ab, ohne dass der Analytiker etwas davon bemerkt, und nicht selten gerät dieser ins Staunen, wenn der Patient im Nachhinein von seinen neuen Selbsterfahrungen berichtet. In diesen Fällen begrenzt sich die Funktion des Analytikers darauf, einen solchen Bewegungs- und Spielraum bereitzustellen und das Geschehen als wohlwollender Zeuge zu begleiten. Das Schöpferische dieser Selbstbehandlung zeigt sich eindrücklich in dem folgenden Beispiel.
Tantalusqualen Ein Lehranalysand im dritten Jahr seiner Analyse spricht über eine intime Szene mit seiner Frau. Ich merke, wie ich mich darüber zu wundern beginne, dass er dieses Mal nicht so frei über den sexuellen Kontakt mit seiner Frau reden kann, wie ich das mittlerweile von ihm gewohnt bin. Mit einigen umschweifenden Redewendungen und deutlichen Zeichen der Scham umkreist er eine bestimmte Situation des Liebesspiels, in dem das Konzert lustvoller Interaktionen offenbar ins Stocken geriet. Er schildert, wie sie zusammen im Bett lagen, sich streichelten, wie seine Frau dann seinen Hals, seine Brust und seinen Bauch liebevoll küsste, wie sie zärtlich zum Becken hinunterglitt... an dieser Stelle gerät sein Bericht, wie wohl auch die lustvoll gesteigerte Erlebniseinheit, ins Stocken und er ringt immer wieder nach Worten, um das zu sagen, was er mir eigentlich mitteilen will. Das drückt sich besonders deutlich über seine Körpersprache aus, indem er, auf der Couch liegend sein Becken hebt als würde er es jemandem entgegenstrecken. Als ich mich in seinen Wunsch einfühle, seine Frau möge seinen Penis küssen und vielleicht auch in den Mund nehmen, spricht er von seinen „Tantalusqualen", als seine Frau das Zentrum seiner Lust immer wieder umging, und er spürte, wie er in einen „verzweifelten Luststau" geriet, der ihn eine Zeit lang blockierte, bis er sich durch eine größere Eigenaktivität daraus löste und das Liebesspiel in eine andere, für ihn weniger frustrane Richtung lenkte und so doch noch zu einer für ihn lustvollen Abrundung des sexuellen Kontaktes gelangte. Ich erinnere mich, wie ich zunächst die Tendenz verspürte, ihn, von dem ich bereits wusste, dass er eine relativ befriedigende sexuelle Beziehung zu seiner Frau hatte, zu fragen, ob er nicht mit ihr über seine und ihre Bedürfnisse sprechen könne. Das Steckenbleiben im Liebesspiel und in unserem Dialog als auch die leibliche Selbstartikulation des Problems machten mich allerdings darauf aufmerksam, dass sich hier ein „implizites Wissen", das nur operativ und prozedural fassbar ist, artikuliert hatte und einer entsprechenden entwicklungsgemäßen Form des Wahrnehmens und Verstehens bedurfte. Deswegen machte ich ihn auf die Bewegung seines Beckens aufmerksam, die er nach meinem Hinweis überrascht und lachend aufgriff und wiederholte. Ich hatte das Gefühl, dass er diese Bewegung dann wieder ziemlich abrupt unterbrach, um dann abstrakte Überlegungen über den Umgang mit Sexualität in seiner und der Familie seiner Frau anzustellen. Darüber verflachte auch seine Atmung. Da sich mein Kopfdruck erhöhte und ich emotional immer noch bei der „verzweifelten Stauszene mit ihren Tantalusqualen" verweilte, vermutete ich, dass sich in der Behandlungsszene bedeutsame Gefühle und Affekte, wenn auch noch in intellektualisierender Verdünnung, ankündigten. Deswegen schlug ich ihm vor, einmal, ohne zu sprechen, das Becken zu bewegen und sich seinem Erleben zu überlassen. Sein Becken und schließlich sein ganzer Körper gerieten allmählich in eine heftige Vibration, während sich eine intensive Gefühlsgeschichte immer lauter artikulierte, die über spielerische Lust, heftige Wut bis hin zu einer tiefen Trauer führte. Wie ich nachher erfuhr, hatte sich für ihn der Vorhang zu einem frühen Drama auf dem Wickeltisch geöffnet. Er erlebte sich, wie er etwa ein- oder zweijährig auf dem Wickel-
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tisch lag und seine Mutter ihn „sauber machte". Sie, die er immer als selbstunsicher und hilflos erlebt hatte, machte das sehr gehemmt, insbesondere weil sie von ihrer lustfeindlichen Mutter, also seiner Großmutter, über die Schulter hinweg kontrolliert wurde, und jeden Eindruck zu vermeiden versuchte, ihren Sohn oder sich zu stimulieren. Dabei wird diese prototypische Erfahrung besonders traumatisierend gewesen sein, insofern hier Mutter und Tochter einen sexuellen Missbrauch eben dieser Tochter (der Mutter des Patienten) durch den Vater verdecken mussten. Hier gewann die umgangssprachliche Bezeichnung, die in dieser Familie für den Wickelvorgang verwendet wurde, seine tiefenpsychologische Bedeutung: man redete wie selbstverständlich vom „Wegpacken", sogar vom „Wegmachen" des Kindes! Für meinen Lehranalysanden wurde in diesem Bild sowohl eine Fraktionierung im genitalen Bereich als auch die kompensatorische Überbewertung des Genitals deutlich, die sich auch in zahlreichen missbräuchlichen Zweiersituationen mit der Mutter aus späteren Jahren widerspiegelten. Auch die Verzweiflung wurde als abrupte Erfahrung, unvermittelt in das Getrenntsein gestoßen worden zu sein, verständlich. Sie erwies sich später als Wiederholung eines traumatisch wirkenden Abgestilltwerdens (Heisterkamp 2002a).
Bei der Wiederbelebung erstorbener Lebendigkeit spielt die Entdeckung des Zusammenspiels zwischen emotionaler und respiratorischer Hemmung eine bedeutende Rolle. Reich (1942, 1945) stellt als erster systematisch fest, dass sich „Widerstände“, respektive Selbstsicherungen, im unbewussten Anhalten des Atmens manifestieren und dass sie die Ausformung gefühlsmäßiger und/oder motorischer Erlebniseinheiten blockieren. Das Atmen, genauer der Atemrhythmus, seine Formen und seine Verformungen sind eine basale Form der Selbstartikulation und der Selbstregulation. Jede Selbststörung gründet in einer Deformation dieses organismischen Zirkels. Da das Atmen bzw. insbesondere seine Behinderungen erfahrbar sind, hat es eine grundlegende Bedeutung für eine empathische Mitschwingung im therapeutischen Prozess und natürlich auch für die Selbstwahrnehmung des Patienten. Das gilt insbesondere für die Wirkungskomplexe erlebensleerer und absterbender Patient-Therapeut-Beziehungen. Der respiratorische „Dialog“ spielt in den Therapien eine besondere Rolle, weil viele Patienten unter der Paradoxie leiden, ihr seelisches Überleben dadurch zu sichern, dass sie ihre Lebendigkeit unterdrücken. Sie gelangen darüber in ein existenzbedrohendes Dilemma: Wenn sie ihre vitalen Tendenzen aus Angst vor deren Annullierung unterdrücken, würgen sie sich selber ab. Wenn sie sie zu leben versuchen, fühlen sie sich durch die internalisierten Objekt- und Beziehungsrepräsentanzen blockiert. Das wirkt als implizites Wissen oder als implizite Phantasie bis in die aktuelle Wirklichkeitsgestaltung der Patienten nach. Der Therapeut wird dann in seinem Bemühen, sich für die Übertragungen offen zu halten – zumindest parziell – in die erstorbene „Wirklichkeit“ des Patienten einbezogen. Auf einer basalen Ebene atmet sich ein einfühlsamer Therapeut immer wieder in den Atemrhythmus des Patienten ein. Er gelangt dabei selber in sehr belastende Verfassungen, die ihn nicht selten, wie z. B. bei den traumatisierenden Übertragungen, stark tangieren. Da nun aber die Veränderungen im Therapeuten beginnen (Bauriedl 1994, Herberth und Maurer 1997), taucht die Frage auf, welche Rolle dabei insbesondere die leiblichen Wirkungszusammenhänge spielen und welche behandlungsmethodische Bedeutung sie haben. Auch ein Analytiker wie Dornes, der sich nicht als Vertreter einer leibfundierten Psychotherapie versteht, weist ausdrücklich auf diese Zusammenhänge
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hin: An dieser Stelle wird nämlich eine für die psychoanalytische Theorie typische Schwierigkeit der therapeutischen Umsetzung der Gegenübertragung im Allgemeinen und der projektiven Identifizierung im Besonderen deutlich. Der Therapeut kann eine projektive Identifizierung auch als eine Mitteilung des Patienten verstehen, auf welchem Regressionsniveau die artikulierte Selbststörung anzusiedeln ist und welche entwicklungsanalogen Sinnerfassungsmodi für sein Selbstverstehen angemessen wären. Empathie bekäme hier noch einen tieferen psychologischen Sinn, insofern der Analytiker in seiner leibhaftig erlebten Gegenübertragung auch spüren würde, auf welchem Entwicklungs- oder Regressionsniveau der Patient abgeholt werden müsste, um über eine Vielzahl von Zwischenschritten überhaupt zu der „Einsicht“ bzw. zu dem Selbstverstehen zu gelangen, zu dem der Analytiker mit seiner elaborierten Kunstfertigkeit möglicherweise schon vor ihm gelangt ist. Ich teile die beiden Vorbehalte, die Dornes (1997, S. 69 ff.) gegen die metaphorische Auffassung der projektiven Identifizierung äußert, wonach der Patient den Analytiker mit unerträglichen Selbstzuständen infiziert, um ihn zu bestimmen und zu kontrollieren, und der Analytiker die Funktion hat, die in ihm deponierten Affekte zu entgiften und in metabolisierter Form zurückzugeben. Diese abstrakte und ideale Anforderung steht m. E. noch unter dem fiktiven Reinheitsgebot der Psychoanalyse. Sie setzt den Analytiker unter einen Überich-Druck und erzeugt in ihm Schuldgefühle. Ebenso ist die intentionale Betrachtungsweise zu kritisieren, die dem Patienten die Absicht unterstellt, er wolle den Analytiker manipulieren. Solche Deutungen unwillkürlicher Wirkungszusammenhänge zwischen Patient und Analytiker belasten den Patienten mit einer Verantwortung für seine Affekte und für ihre Wirkungen, die er noch gar nicht übernehmen kann. Dazu berichtet Dornes ein instruktives Beispiel:
Im Analytiker breitet sich Angst aus „Ein Patient betritt den Behandlungsraum, legt sich auf die Couch und schweigt. Nach einer Weile breitet sich Angst im Analytiker aus. Nichts wurde bisher gesagt. Wie entstand diese rätselhafte Angst? Der Analytiker beginnt, darüber nachzudenken. Seine Phantasien können in alle möglichen Richtungen gehen. Dem Modell der projektiven Identifizierung folgend, wird er sie als Abkömmlinge unbewußter Phantasien des Patienten verstehen. Er wird ihm vielleicht eine Auswahl davon probeweise anbieten. Das ist nicht unriskant, denn schließlich sind es seine Phantasien, und wieso sollte er den Patienten damit belasten? Andererseits kann er ihn damit auch anregen, über bisher Unsagbares und Undenkbares nachzudenken. Das muß jeweils im Einzelfall entschieden werden. Nehmen wir an, der Analytiker schweigt zunächst, folgt weiter seinen Phantasien und kommt zu dem Schluß, daß sie seine Angst nicht recht erklären. Belehrt von der Säuglingsforschung oder auch ohne sie besonders begabt, lenkt er die Aufmerksamkeit auf seine Körperprozesse. Er bemerkt, daß er auf eine eigenartige Weise atmet – nicht wie sonst, ruhig und tief, sondern kurz, gepreßt und angespannt. Dann spürt er seine ungewöhnlich feuchten Hände, und seine Aufmerksamkeit wandert wieder zum Patienten, der immer noch daliegt und schweigt. Er sieht Schweißperlen auf dessen Stirn und bemerkt einen eigenartigen Atemrhythmus. Langsam wird ihm klar, daß der Patient von Anfang an so dalag und er (der Therapeut), ohne es zu merken, den Atemrhythmus des Patienten übernommen hat. Die Angst des Analytikers war eine Folge dieser vom Patienten übernommenen Atmung. Der Patient wollte seine Angst nicht loswerden und hatte auch (noch) gar keine Phantasien darüber, sondern seine Angst transpirierte buchstäblich in die analytische Situation und in/auf den Analytiker.“ (Dornes 1997, S. 71)
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Der Patient befindet sich, wie Dornes schreibt, in den „Klauen“ der Angst und der Analytiker lässt sich in seiner offenen therapeutischen Verfassung auf einer organismischen Ebene in die Wirklichkeit seines Patienten einbeziehen. Das geschieht über die oft un- und vorbewussten intersubjektiven Prozesse in einem Konzert von gestischen, mimischen, motorischen und insbesondere respiratorischen Interaktionen. Hier würde eine intentionale Deutung den Patienten nur noch zusätzlich verstören. Vor dem Hintergrund meiner Überlegungen zu behandlungsmethodischen Implikationen von Handlungsdialogen (s. u.) erscheint mir fraglich, ob ein Therapeut überhaupt „richtig liegt“, der sich nur mental in den Patienten einfühlt bzw. wenn er meint, er würde nur das und nichts anderes tun. Wenn sich dem Analytiker die Angst seines Patienten vorwiegend auf organismische Weise vermittelt und sich auf diese Weise auch beim Patienten (z. B. durch Schwitzen) ausdrückt, würde mit einer bloß mentalen Empathie die Regressionsebene des Patienten verfehlt. Zur tiefenpsychologischen bzw. analytischen Weiterbildung sollten Erfahrungen gehören, in denen der Therapeut sein Atmen ausloten lernt. Dabei kann er nachspüren, wie er einatmet und ausatmet und wie er dabei in basaler Weise seine Wirklichkeit gestaltet. Im Resonanzrahmen des eigenen Atemrhythmus werden die Atembewegungen des Patienten zu strukturellen Hinweisen, die die Wirkungseinheit zwischen Patient und Therapeut bedeutungsvoll durchgliedern. In manchen Fällen merkt er unmittelbar, wo sich der Atemrhythmus des Patienten und sein Atem verflachen. In anderen Fällen stellt er erst im Nachhinein fest, wie er über den respiratorischen Austausch mit dem Patienten quasi abstirbt. Er wird daraufhin sensibler für das wechselseitige Arrangement, wie der Patient ihn in seine Erlebenswirklichkeit „hineinatmet“ und wie und wann er sich da wieder „herausatmen“ kann, um den nötigen Abstand zu seinem Patienten zu finden. Dazu findet sich bei Volz-Boers ein beeindruckendes Beispiel. Sie macht im Kontext einer massiven projektiven Identifizierung (Druck hinter dem Brustbein, Schmerzen in Hals und Ohren, Kropfgefühl in der Speiseröhre usw.) deutlich, wie sie sich von der Infizierung durch den Patienten befreien kann: „Ich kann zeitweilig nicht denken, weil es so weh tut. Ich versuche, bewusst ein und aus zu atmen bis in meinen Beckenboden, um funktionsfähig und in meiner eigenen Lebendigkeit zu bleiben.“ (i. d. B., Kap. 1)
Das Innehalten, das Vertiefen der Ein- und Ausatmung, die Veränderung des gesamten Atemrhythmus und die darin ausgedrückte Veränderung des Beziehungsmodus lassen sich als eine basale Strukturierungshilfe für den Therapeuten ansehen, sich aus den unumgänglichen Verstrickungen mit dem Patienten wieder hervorzulösen und seine eigene Lebendigkeit wiederzugewinnen. In dem lebendigen Resonanzrahmen werden die Beeinträchtigungen des Patienten umso klarer fassbar. Mit Bezug auf Dornes (1997) und Moser (2001) lässt sich hervorheben, dass sich die Wirkungszusammenhänge, die wir in der Psychoanalyse als Vorgänge der projektiven Identifizierung zu bezeichnen gewohnt sind, weniger über Introjektionen und Projektionen als über „nonverbale“, also leibfundierte Interaktionen vollziehen. Aus ihrer Entwicklungsgeschichte sind solche Vorgänge weniger als intentionale Akte (nämlich unliebsame Affekte oder grandiose Ziele im Therapeuten abzulagern und kontrollieren zu wollen) zu verstehen, sondern als Formen unmittelbarer Affektinduktion. Eine sprachlich vermittelte Empathie
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kann den Patienten in solchen basalen Wirkungszusammenhängen noch überfordern oder verwirren. Sie findet dann nicht den nötigen regressiven oder strukturellen Tiefgang, da die sprachliche Einfühlung ebenfalls ihre operative Vorgeschichte hat und aus konkreten Gesten und Handlungen der frühen Bezugspersonen erwächst. Die operative Fundierung der Einfühlung wird umso bedeutsamer, je weniger der Patient in seiner Entwicklung überhaupt eine entsprechende Beziehungsrepräsentanz entwickeln konnte. Wenn der Patient eine Möglichkeit erhält, seiner Atemhemmung einmal explorierend nachzugehen, z. B. durch eine wechselweise Vertiefung und Verflachung der Atemkurve, erhält er einen Erprobungsraum, um z. B. die Tiefe und Intensität seiner Angst und ihrer Bedeutungen zu eruieren. Wenn der Therapeut ihm darüber hinausgehend eine Berührung anbieten würde, könnte der Patient eine „konstruktive Überraschung“ erleben, nämlich wie sich seine Angst durch den unmittelbaren Kontakt mindern würde (Moser 2001, S. 177). Es würde natürlich ebenso zur Vereindeutigung und Vertiefung des Erlebens führen, wenn ein Patient erst durch eine entsprechende Berührung merken würde, wie viel Angst er tatsächlich vor Nähe hat und wie er vorschnell dazu tendiert, den Vorschlägen anderer Folge zu leisten. Moser (2001, S. 178 ff.) fundiert an einer solchen Stelle seine Einfühlung („Es muß etwas Entsetzliches sein, was Sie so geängstigt hat. Es ist gut, daß Sie es hier erlebt haben, wo ich Ihnen beistehen kann.“) durch eine körperliche Berührung: z. B. die Hand reichen, die Hand auf die Schulter oder aufs Brustbein legen. Der operative und der empathische Beistand sind beide wichtig. Die Hand wird so zum Symbol einer schützenden Berührung, die dem Patienten in seinen nächtlichen Angstanfällen beisteht. Wer nicht auf körperpsychotherapeutische Interventionen zurückgreifen will, kann über die mentale Einfühlung hinaus herausarbeiten, was den Patienten in basaler Weise in der analytischen Situation beruhigt oder beruhigen könnte: z. B. die Gegenwart des Analytikers, sein ruhiges Atmen, seine wohlige Stimme, sein liebevoller Blickkontakt, ein Kissen auf dem Bauch, ein Plüschtier aus der Praxis, die freundliche Atmosphäre. Auf diese Weise würde das psychotherapeutische Wirkungsgeschehen in Grundformen des Halts und der Anerkennung fundiert.
2.4. Die Bewegungsbilder enthalten behandlungsmethodische Andeutungen (Anspielung) Die Anschauungslogik von Bildern ist behandlungsmethodisch sehr wichtig. Sie vereinheitlichen eine Fülle von Momenten, erfassen simultan ein komplexes Geschehen und bilden einen exemplarischen Sinngehalt heraus. Sie helfen dem Patienten und dem Therapeuten, das umfassende Wirkungsgeschehen nach Grundmustern zu strukturieren. Das bildhafte Verstehen hat aber auch seine Grenzen. Bilder verbleiben noch im objektalen Bereich des Erfassens, in dem „Evidenz“ oder „Einsicht“ vorherrschend sind. Der Erfassensmodus ist dadurch geprägt, dass die Phänomene an den Erkenntnishorizont projiziert und aus einer gewissen Distanz heraus angesehen und zu erkennen versucht werden. Ihr regredienter Tiefgang endet an der Grenze zur operativen Grundlage allen Erlebens. Wenn Fonagy et al. (2004) darauf aufmerksam machen, dass die Mentalisierung interaktiv begründet ist, verweisen sie auf die Voraussetzungen eines operativen Verstehens. Deswegen ist es wichtig, auf die behandlungsmethodi-
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schen Andeutungen und Anspielungen einzugehen, die die leiblichen bzw. handlungsmäßigen Artikulationen des Selbst enthalten. Die Andeutungen oder Anspielungen sind behandlungsmethodische Hinweise, wohin der unbewusste Entwicklungsprozess des Patienten tendiert und auf welcher Entwicklungsebene er einer Unterstützung bedarf. Hier fordert die Tatsache eines basalen Verstehens eine Integration in die analytische Behandlungslehre. Das lässt sich sowohl an den Ausdrucksbewegungen des Patienten als auch an den organismischen Gegenübertragungen des Therapeuten sowie an den Enactments zwischen Patient und Therapeut zeigen. In mehreren Veröffentlichungen habe ich an Beispielen veranschaulicht, • wie Kiefer- und Mundbewegungen im therapeutischen Prozess bedeutsam wurden und diesen Ausdrucksbewegungen die Zeit und der Raum geboten wurden, um in einer Handlungseinheit aktualgenetisch die Bedeutungen zum Ausdruck zu bringen, die sie implizieren: z. B. Erfahrungen des Gestillt- und Abgestilltwerdens; • wie rhythmische Schaukelbewegungen eines Patienten mit einer schweren Selbststörung den behandlungsmethodischen Weg zu einem sich als völlig verloren erlebenden („hospitalisierten“) Kind wiesen und einen unmittelbaren Bezug zu den aktuellen Selbstsicherungen herstellten; • wie das Wegsehen und Hinsehen, das Abwenden und Hinwenden auf die unerledigten Probleme der Phase der Wiederannäherung anspielen und selbstschöpferische Probehandlungen hervorbringen, in denen neue Formen des Festhaltens und Loslassens erprobt werden; • wie die Bewegungen auf der Couch bedeutsame Szenen auf dem Wickeltisch ins Bild bringen; • wie sich im Zucken der Arme und Beine aggressive und expansive Tendenzen andeuten, ausgestaltet werden wollen und entsprechende Kindheitserinnerungen und Alltagserfahrungen wiederbeleben. Im Eingangsbeispiel der gehemmten Annäherung fiel mir das Entwicklungsbild eines Kindes ein, das quasi vor die Wand elterlichen Missverstehens läuft. So hilfreich dieses prototypische Bild zur Erfassung der Situation auch ist, so stößt es als Bild auch an die Entwicklungsgrenze des Verstehens. Behandlungsmethodisch wird das darin deutlich, dass das Bild das Verstehen des Patienten zwar vertiefen, aber die operative Seite der Erfahrung nicht ersetzen kann. Auch wenn der Patient dieses Bild versteht, bleibt die therapeutische Wirkung noch begrenzt, insofern die Möglichkeit basaler Erfahrungen damit noch nicht notwendig gegeben ist. Indem er an die furchtbare und fruchtbare Szene seines Erlebens, insbesondere auf der regressionsanalogen Ebene, zurückkehrt, seinem gehemmten Ausreichen und seinem unterdrückten Atem und seinen sonstigen Empfindungen nachspürt, erhält er die Chance, die Gewissheiten seiner leibhaftigen Erfahrungen zu erspüren. Es sei hier auch auf das eindrückliche Beispiel „Das traumatisierte Kind zeigt sich“ von Poettgen-Havekost (i. d. B., Kap. 4.1.4) hingewiesen: Sie fragt z. B. ihre Patientin, die von ihren Selbstverletzungen spricht, sich dabei von einer kaum zu ertragenden Welle von Traurigkeit überrollt fühlt und der dazu das Bild einfällt, im Eis eingefroren zu sein, ob es einen Körperausdruck für das sprachlose Überrolltwerden gibt. Indem die Patientin schildert,
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wie sie auf ihrer Couch zusammengekauert liegt, wird sie ermutigt, diese Haltung einmal in der Sitzung einzunehmen. Diese Anregung bietet dem Unbewussten der Patientin ein weites Feld zur Artikulation, das sonst in der Artikulation möglicherweise behindert würde. Es wird leibhaftig deutlich, wie sie den Arm schützend um den Kopf legt. Die Patientin spürt, dass sie ihre Analytikerin anschauen möchte, hat sich zuvor mit einer Decke geschützt und entdeckt dann wieder, dass sie sich so oft gewünscht hat, dass jemand an ihrem Bett sitzt. Diese Entdeckung drückt sie unmittelbar aus, indem sie ihren verletzten Arm zur Analytikerin reicht, und schon deutet sie mit basalem Gespür an, was ihr helfen würde, deutet die nächste Szene an und die Analytikerin hat es leicht, dieser Anspielung zu folgen, um der Patientin in ihrer Mit-Bewegung dabei zu helfen, die aus Angst vor einer Wiederholung traumatisierender Erfahrungen vermiedene Szene neu und befriedigend ins Bild zu rücken und abzurunden. Sie findet das optimistische Bild, dass sie an ihrem verletzten Arm nunmehr einen Verband trägt. Sie hat eine gesündere Form gefunden, in der sie sich mit dem Selbstobjekt „verbunden“ fühlt und das eine andere Form der Verarbeitung ihrer grauenvollen Erfahrungen ermöglicht. Oft implizieren die Ausdrucksbewegungen des Patienten bzw. die organismischen Gegenübertragungen des Therapeuten bereits Hinweise oder Andeutungen von Handlungen. Der gemeinsame interaktive Prozess bringt sie hervor, und sie markieren bedeutsame Schaltstellen im psychotherapeutischen Prozess und der intrapsychischen Dynamik des Patienten. In dem Eingangsbeispiel dieses Beitrages („Gehemmte Annäherung“) kann der Therapeut, statt den Rationalisierungen weiter zu folgen, dem Patienten dabei helfen, auf diese problematische Stelle seiner Lebensbewegungen, an der der Therapeut stellvertretend für den Patienten „hängen“ geblieben ist, zurückzublicken. Dabei kehren beide zu der zuvor sprachlich übersprungenen Szene, als der Patient in einer Hinwendung zu seiner Partnerin stecken blieb und der Therapeut einen Tiefschlag in der Magengegend erlebte, zurück. Diese Situation birgt viele psychoanalytische Zusammenhänge, die lege artis an- und durchgesprochen werden können. Die leiblichen Hinweise seitens des Patienten und des Therapeuten deuten darüber hinaus noch die Ebene oder Domäne des Selbst an, auf der die Störung vermutlich entstanden ist und die „regressiv“ bzw. „strukturell“ erreicht werden muss, damit die behinderte Selbstbehandlung des Patienten sich wieder beleben kann. Die operativen Züge der Szene implizieren den Entwurf einer Handlung („ausreichen“), die der Patient zunächst einmal in Gedanken durchspielen kann. Das interaktive Wirkungsgeschehen zwischen Patient und Therapeut ist permanent durchzogen von solchen impliziten Anspielungen auf Handlungsproben oder Probehandlungen. Diese behandlungsmethodischen Andeutungen und Anspielungen lassen sich etymologisch als Vorläufer von Deutungen ansehen. Sie haben selbst eine Entwicklungslinie und gehen auch in ihrer Wortgeschichte auf ein „Hinweisen“ oder „Hinzeigen“ zurück. Den intersubjektiv und unbewusst produzierten Kunstwerken, die wir in der Tiefenpsychologie bzw. Psychoanalyse als Handlungsdialoge, Inszenierungen oder Enactments bezeichnen, habe ich ein ganzes Buch (2002a) gewidmet. Sie enthalten vielfältige Hinweise, wie implizite Bewegungsentwürfe aufgegriffen und in einer entsprechenden Behandlungsform auf einer passenden Entwick-
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lungsebene weitergeführt werden können. Es geht um Beispiele, in denen der Therapeut dem hustenden Patienten ein Bonbon gibt, den fröstelnden Patienten zudeckt oder dem Analysanden hilft, dass sein Auto wieder anspringt. Besonders viele Inszenierungen ranken sich um die Begrüßung bzw. Verabschiedung sowie um die Wahl bzw. Veränderung des jeweiligen Settings. Auch bei Streeck finden sich viele solcher Enactments (1998, 2000b, 2002). Ein besonders eindrückliches Beispiel habe ich von einem befreundeten Kollegen erhalten, der sich und seinen Patienten aus seiner Praxis ausgesperrt und das spontane Angebot seines Patienten zu einer „Räuberleiter“ angenommen hatte, um durch das geöffnete Fenster doch noch in seine Praxis zu gelangen und die Behandlung fortsetzen zu können (Heisterkamp 2002a, S. 68 ff.). Die schöpferische Leistung von Patient und Therapeut liegt darin, dass die Handlungs- bzw. Erlebniseinheiten einen regredienten oder strukturellen Tiefgang haben, dass sie selbstschöpferische Suchbewegungen implizieren, dass sie grundlegende behandlungsmethodische Andeutungen und Anspielungen auf die weitere Entwicklung der Behandlung enthalten, dass sie zu den Ressourcen der Entwicklung zurückfinden, dass sie basale Formen des Gewahrens, Verstehens und Behandelns begründen und last but not least mit der Wiederbelebung unterdrückter Lebensbewegungen viel Freude bereiten. Wegen ihres kognitiven Herkommens fällt der Psychoanalyse die Würdigung der operativen bzw. kooperativen Dimension in der Behandlung noch schwer. Beim Übergang vom tradierten zum erweiterten Setting flexibilisiert der Therapeut seine Position (hinter der Couch oder dem Patienten gegenüber) und bezieht Bewegung und Berührung in seine psychoanalytische Arbeit ein. Dieser Wechsel lässt sich gut an einem Beispiel von Hirsch erläutern, der in seinem Aufsatz über den Körper in der psychoanalytischen Psychotherapie auch auf den gesellschaftlich erlaubten und sogar gewünschten Körperkontakt zwischen Patient und Therapeut eingeht, nämlich den Händedruck vor und nach der Sitzung. An diesem jedem Analytiker vertrauten Berührungsbeispiel zeigt Hirsch in differenzierter Weise, dass Handgeben oder Händeschütteln „oft ein treffender Hinweis für den inneren Zustand eines Menschen" (1994, S. 156) sind:
Patient und Therapeut geben sich die Hand „Er kann von weich, gummiartig, schlaff und kraftlos bis hin zu forsch, kräftig und schmerzhaft aggressiv reichen. Hände können auch kalt oder heiß, trocken oder feucht, hart oder weich sein. Das fehlende Zueinanderfinden zweier Menschen kann auch durch das Verfehlen der beiden aufeinanderzustrebenden Hände ausgedrückt werden. Im Handgeben können auch wieder aversive Tendenzen erscheinen, man denke an extreme Schweißhände oder ekzematöse Hände, so daß die Berührung auch von daher einen gewissen Vorbehalt, eine Abgrenzung enthält. Ambivalenzen entstehen auch, wenn einer der sich Begrüßenden an einem Infekt leidet, den zu übernehmen der andere durch das Handgeben fürchten muss. Auf eine besondere Eigenart mancher Menschen, und eben auch mancher Patienten bin ich nicht zuletzt durch meine ärgerlichen Reaktionen aufmerksam geworden. Ich meine das eigenmächtige Intensivieren und Verlängern des doch meist harmonischen, selbstverständlichen Kontaktes im Händedruck, der in gegenseitiger Übereinstimmung gestaltet wird. In solchen Fällen wird die Hand des anderen deutlich länger festgehalten, teilweise geradezu zwischen Daumen und Finger geklemmt, die Han-
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dinnenfläche des »Opfers« geradezu ausgewischt, als ob es da noch etwas zu holen gäbe. Sicher handelt es sich bei diesem Phänomen um ein Zeichen von Bedürftigkeit und ist dem »Täter« auch nicht bewusst, vielleicht vorbewusst, aber die ärgerliche Reaktion gibt doch den Charakter der Grenzüberschreitung exakt wieder. Dieses Symptom kann im Laufe der Therapie auftreten und wieder verschwinden, immer zeigt es wohl Phasen der erhöhten Bedürftigkeit an. Auch das Gegenteil kann man finden, dass nämlich im Händedruck eine Kontaktverweigerung ausgedrückt wird, indem er flüchtig gestattet oder abgebrochen wird." (Hirsch 1994, S. 156f.)
An dieser prägnanten Beschreibung lässt sich exemplarisch der Umgang mit dem Körper in der Psychoanalyse erläutern. „Handgeben" und „innerer Zustand" werden unmittelbar verknüpft, ohne dass das leibliche Erleben selbst als Brücke über die „Leib-Seele-Kluft“ wichtig würde. Der Körper und sein Ausdruck verbleiben in einer objektalen Position. Was würde ein Psychoanalytiker, der körper- oder bewegungstherapeutische Verfahren in seine Arbeit integriert, anders machen? Der wesentliche Unterschied bestünde darin, dass er dem Patienten, nachdem er ihm seine Beobachtungen mitgeteilt hat, vorschlagen würde, das Handgeben mit in die Analysestunde hineinzunehmen und einmal auszuprobieren, was für eine Handlungseinheit sich dabei ergäbe. Noch so sorgfältige diagnostische Vorerwägungen können nicht näherungsweise den Spielraum möglicher Lebensbewegungen abstecken, der durch eine so einfach anmutende Erprobung eröffnet werden kann. Dies setzt beim Therapeuten die Bereitschaft voraus, sich zu einer Expedition in einen unerforschten Kontinent aufzumachen, bei der er sich auf die unsichere Führung des Patienten einlässt und seiner eigenen psychoanalytischen Kompetenz als Kompass vertraut. Schließlich – und darin liegt ein fundamentaler Unterschied – werden damit die leiblichen Äußerungen als originäre Manifestation des Ich (Kühn 1994), also als Selbstbewegungen beantwortet. Damit gibt der leibfundierte Psychotherapeut seine objektale Sichtweise auch bezüglich der leiblichen Selbstbewegungen auf. Patient und Therapeut lassen in diesem Falle tatsächlich ihre Hände in dem ihnen gemäßen „Organdialekt“ (Adler 1912) miteinander reden. Immer wieder kommt es im Laufe des psychotherapeutischen Wirkungsgeschehens dazu, dass sich die jeweilige Form der Begrüßung oder Verabschiedung in den Fokus der Beachtung drängt. Mal wird sie für den Patienten, mal für den Therapeuten, in manchen Episoden für beide gleichzeitig bedeutsam. Wenn die ritualisierte Form der Begrüßung oder Verabschiedung bedeutungsvoll wird, liegt darin ein operativer Hinweis für die weitere Behandlung. Eine Kollegin berichtete in einer Supervision eine Begrüßungsszene mit einer Patientin, mit der sie immer wieder in einen erlebensleeren Dialog geriet. Dankenswerterweise hat sie ihre Erfahrungen differenziert beschrieben und für diese Veröffentlichung zur Verfügung gestellt:
Ein lebloser Händedruck In einer inzwischen 100 Sitzungen umfassenden analytischen Behandlung bringt die Patientin häufig eine Fülle von zu bearbeitendem Material (z. B. mehrere Träume in einer Sitzung) mit, bei dessen Durcharbeitung ich mich oft sehr angestrengt fühle (zeitweise verbunden mit Kopfdruck) und in mir eine innere Leere entsteht. Diese innere Leere spüre ich oft auch bei unserer Begrüßung. Die Patientin begrüßt mich mit einer munteren, fröhlichen Stimme und strahlt mich dabei an. Zu meiner Verwunderung spüre ich immer wieder, dass ich innerlich unbewegt bleibe. Ich erwidere zwar ihren Händedruck, fühle mich aber wie abgestorben und komme nicht in Mitschwingung. Dies ist mir der Patientin gegenüber peinlich, da ich ihre Sehnsucht nach Reso-
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nanz und Verschmelzung deutlich wahrnehme, mich gleichzeitig im Kontakt mit ihr aber hölzern und zurückweisend erlebe. Zeitweise habe ich auch Schuldgefühle, dass ich der Patientin mit meiner freundlichen Erwiderung etwas vorspiele, was ich innerlich so nicht empfinde. Als ich nach einer Supervision der Patientin gegenüber vorsichtig anspreche, dass wir oft wichtige Themen bearbeiten, ich aber das Gefühl habe, dass wir uns dabei innerlich fern bleiben, erklärt sie, auch sie habe oft das diffuse Gefühl, dass irgendetwas fehle, was sie aber nicht genauer benennen könne. Ich greife das konkrete Beispiel unserer Begrüßung auf und schildere mein Erleben. Die Patientin wirkt ganz erstaunt und sagt, sie wisse überhaupt nicht, was sie dabei spüre, und fände sehr interessant, das herauszufinden. Daraufhin mache ich ihr den Vorschlag, die Begrüßungssituation einmal nachzustellen, um diese Szene unmittelbarer und tiefer verstehen zu können. Sie stimmt diesem Vorschlag sofort zu und möchte direkt damit beginnen. Als könnte sie es kaum abwarten, geht sie sehr schnell aus dem Zimmer und hüpft fast die Treppe herunter (Praxis liegt in der ersten Etage), als wäre sie in der Vorfreude, dass für sie jetzt etwas ganz Wichtiges passiere. Die Patientin kommt die Treppe hoch, lächelt mich an und gibt mir die Hand. Genau wie bei unseren bisherigen Begrüßungen erlebe ich ihren Händedruck wie statisch und habe das Gefühl, eine leblose Hand in meiner zu haben, als wäre diese wie abgetrennt. Ich selbst fühle mich wie innerlich erstarrt, als könnte ich mich nicht mehr bewegen und als wären meine Hand und mein Arm auch wie von mir abgetrennt. Wir halten diesen Händedruck etwas länger, um genauer nachzuspüren und unser Erleben auszutauschen. Die Patientin beschreibt, dass sie sich im Moment überhaupt nicht spüre, sie fühle sich unwichtig und ihr werde deutlich, dass sie mich durch ihr Lächeln auch zum Lächeln bringen und mir ihre Sympathie zeigen wolle. Sie spüre, wie sehr sie darauf angewiesen sei, von mir die entsprechende Reaktion (Zurücklächeln) zu bekommen, da sie sich sonst wie eine Zumutung erleben würde. Gleichzeitig werde ihr bewusst, dass sie mich kaum als individuelle Person wahrnimmt, also weder sich noch ihr Gegenüber wirklich spürt. Wichtig ist ihr in diesem Moment nur, etwas in Gang zu bringen (Pseudolebendigkeit). Uns beide fasziniert, wie deutlich ihr Grundthema in dieser Szene unmittelbar und hautnah fassbar wird: Im Kontakt mit anderen verliert sie sich, ist ganz darauf ausgerichtet, den anderen zu erreichen, um für sich das Gefühl zu bekommen, überhaupt wahrgenommen zu werden und willkommen zu sein. In der folgenden Sitzung berichtet die Patientin, dass sie noch lange über diese Szene nachgedacht und dabei viel über sich erfahren habe. In ihrem konkreten Handeln sei ihr aufgefallen, wie oft sie jemanden fast automatisch anlächele (z. B. ihr fremde Kunden in einem Supermarkt) und verärgert sei, wenn ihre Kontaktaufnahme nicht erwidert werde. Auch im weiteren Behandlungsverlauf spricht die Patientin immer wieder diese Begrüßungsszene an und erklärt, dass ihr im Nachhinein dadurch vieles deutlich geworden sei. Durch das Durcharbeiten und meine Deutungen vorher sei ihr zwar auch vieles bewusst geworden, aber in dieser Unmittelbarkeit des Erlebens habe sie sich auf einer tieferen Ebene verstanden und könne sich daraus viele ihrer Schwierigkeiten erklären. Sie denke jetzt weniger angestrengt über sich und ihre Probleme nach, sondern wenn sie sich nur an diese Begrüßungsszene erinnere, komme sie sofort wieder gefühlsmäßig mit ihrem Grundproblem in Kontakt. In der nachgestellten Begrüßungsszene war ich überrascht und fasziniert, wie unmittelbar ich meine innere Leblosigkeit spürte. Gleichzeitig hat mich beeindruckt, dass schon während des Händedruckes ein Austausch mit der Patientin über unser Erleben möglich war und die Dynamik zwischen uns (die Patientin möchte mich für sich gewinnen, ich fühle mich als Person nicht gemeint und werde von ihrer inneren Leere „infiziert“) deutlich wurde. Dabei entstand zwischen uns eine Nähe und seelische Berührung, die sich in den vorangegangenen Sitzungen nur selten und dann auch jeweils nur für einen kurzen Moment entwickelt hatte.
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Ich fühlte mich seit dieser Szene in der Arbeit mit der Patientin freier, da ich mein Erleben besser zulassen und als etwas Wichtiges verstehen konnte, ohne mich – wie vorher – direkt schuldbewusst zu fragen, was das mit mir und meinen Störungsanteilen zu tun haben könnte. Dadurch gelang es mir, auch zunächst als unpassend oder störend erlebte eigene Affekte als ein hilfreiches Mittel anzusehen, etwas von der Patientin und unserer Beziehung tiefer zu verstehen. Im weiteren Behandlungsverlauf entstanden immer wieder Situationen, in denen ich in eine ähnliche emotionale Abgestorbenheit geriet, die ich aber aufgrund meiner inzwischen größeren inneren Sicherheit für mich besser halten und reflektieren konnte, um sie gegebenenfalls in der Therapie anzusprechen. Die Patientin war dafür offen und sehr daran interessiert, was zwischen uns beiden im Hier und Jetzt der therapeutischen Beziehung entstand. Häufig gab sie anschließend die Rückmeldung, dass sie sich viel deutlicher spüre, wenn wir das, was sich gerade in unserer Beziehung entwickelte, bearbeiteten. Auch sie sprach immer wieder von sich aus an, welches Gefühl sie im Kontakt mit mir habe, und es gelang uns, dies so aufzugreifen, dass ein tieferes Verstehen der Zusammenhänge möglich wurde.
Entsprechende Beispiele zur Begrüßung finden sich bei Worm (Handlungsdialog, i. d. B., Kap. 2) sowie in meinem Buch über heilsame Berührungen. (Heisterkamp 1999a, S. 176–180)
2.5. Dem Unbewussten werden operative Möglichkeiten der Artikulation geboten (Bereitstellung) Wegen der fundierenden und strukturierenden Funktion leiblicher Ausdrucksbewegungen ist es für den Therapeuten verhältnismäßig leicht, die Stelle im therapeutischen Wirkungsgeschehen zu spüren, an der die Selbstbewegung des Patienten in einen Engpass gerät, der beängstigende Formenwandel des Seelischen vermieden werden soll und sich ein neurotisches Bewegungsmuster zu reinszenieren droht. Genau an dieser Stelle tut sich die Schere zwischen der Selbstbewegung des Patienten und der Mit-Bewegung des Therapeuten auf. Hier würde der therapeutische Dialog entgleisen, wenn nicht der Therapeut diesen Moment feststellt und festhält, damit in dieser Zerdehnung die Tendenzen, die unbewusst mit im Spiel sind, ihren Ausdruck finden. Es ist auch die Stelle, an der sich der Therapeut dem eingeschränkten Bewegungsmuster des Patienten verweigert, quasi seine „direkte“ Empathie zugunsten einer „indirekten“ Empathie aufgibt, indem er stellvertretend für den Patienten die aktualisierte Einheit erlebnismäßig weiterführt. Deswegen markiert der Engpass in der Lebensbewegung den Moment einer sinnvollen Intervention. Sie sollte auf die vom Patienten herausgebildete und ganzheitlich wahrnehmbare Bewegungshemmung sowie auf die sich darin zeigenden Bewegungsansätze bezogen sein, in der Szene der gehemmten Annäherung z. B. auf den angehaltenen Atem, die unterbrochene Bewegung, die Empfindung eines Schlages in den Magen als organismische Gegenübertragung. Indem der Patient zur Fixstelle seiner Entwicklung zurückkehrt, erhält er die Möglichkeit, seiner strukturellen Hemmung innezuwerden und sie kreativ zu behandeln. Der Therapeut fokussiert diese Stelle und ermöglicht es dem Patienten, mit Hilfe von Bewegungs- oder Entwicklungsproben die Selbstbehinderung wahrzunehmen und neue Bewegungsspielräume zu erproben.
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Die Selbstbehinderung wird also fokussiert, und es werden Entwicklungsproben bereitgestellt. Worm (2005) macht darauf aufmerksam, dass bei einem interaktiven bzw. intersubjektiven Verständnis des Übertragungsgeschehens der Schritt zu einem aktiven und gezielten Handeln nicht mehr so weit ist. Die von Maaser beschriebenen Körperwahrnehmungs- und Körperspüraufgaben sind dafür ein Beispiel. So beschreibt er (i. d. B., Kap. 4.3.1) eine Wahrnehmungsaufgabe zur Körpergrenze, bei der der ganze Körper von den Füßen bis zum Kopf bei geschlossenen Augen in kleinen Schritten erspürt wird, anschließend das Erleben in einer Zeichnung festgehalten und abschließend die gesamte Frequenz verbal bearbeitet wird. Weiterhin werden von ihm die Patientinnen angeleitet, „sich für die Wahrnehmung ihres eigenen Körpers zu öffnen und über ihr Erleben zu sprechen und hierfür eine differenzierte Sprache zu entwickeln.“ (Maaser i. d. B., Kap. 4.3.2) Eine weitere Anregung besteht darin, einen Summton zu erzeugen und ihm im ganzen Körper nachzuspüren. Mir erscheint auch die Anregung hilfreich, dem Atem einen Ton zu geben, sich mit ihm durch den Körper tragen zu lassen und damit zu spielen. Durch das bedingungslose und kontinuierliche Interesse am Körpererleben der Patientinnen ermöglichen Therapeuten ihnen, sich selbst für ihren Körper und ihr Körpererleben zu interessieren und „eine Art aktiver, innerer Suchbewegung des Ichs in Gang“ zu setzen. (i. d. B., Kap. 4.4.3) Es handelt sich also nicht um „Aufgaben“ oder „Übungen“, sondern um Medien der aktiven Imagination. Im therapeutisch geschützten und reflektierten Rahmen kann die eigene Struktur auf die Probe gestellt, können ihre Entwicklungsgrenzen und Entwicklungschancen ausgelotet werden (Salber 1989, Salber und Rascher 1986). Hoffmann-Axthelm hebt in diesem Band die beiden Verfahren der Körperwahrnehmung und der Inszenierung besonders hervor: „Körperwahrnehmungs-Sequenzen dienen dazu, den eigenen Körper in Momenten, in denen der betroffene Mensch überschwemmt wird von projektiven Phantasien und Eindrücken, wieder als integrierenden Bestandteil der Persönlichkeit zu erfahren: zu tasten, zu massieren, zu atmen und zu spüren, dass »Ich« von Kopf bis Fuß ein zusammengehöriges Ganzes bin und dass mit dieser Wahrnehmung Selbstsicherheit und Wohlbehagen einhergehen. Diese Empfindungen machen es der Klientin leichter, die übermächtigen, bedrohlichen Introjekte auf ihre Wirkung auf die hier und jetzt gelebte Wirklichkeit hin zu überprüfen. Für diese Überprüfung eignet sich die Inszenierung sehr gut: Ein Gegenstand wird an einen Ort in den Praxisraum gestellt, an dem die Klientin ihn sieht, und er repräsentiert nun die Introjekte, während ich als Therapeutin diesen Introjekten die Stimme oder Stimmen gebe, die meine Klientin in ihrem Innern hört oder spürt. Indem sie diese Stimmen nun von außen hört, kann sie diese als früh erlernte, selbstschädigende Identifikationen verstehen und nach neuen, konstruktiven Lösungen suchen. So kann sich allmählich herausschälen, von wem und an welchem Kindheitsort sie gelernt hat, diese früh erfahrenen destruktiven Regungen zu einem Teil ihres Innern zu machen. Der Gegenstand – in einer Therapiegruppe ist es eine Person, die diese Rolle spielt – wird also zum Rollenträger des Negativ-Aspektes einer wichtigen Bezugsperson der Vergangenheit, und wenn das klar genug geworden ist, dann wird ein zweiter Gegenstand für diejenige Person aufgestellt, auf die die Klientin in gegenwärtigen Lebenssituationen ihr verzerrendes Übertragungsmuster projiziert hat – also der Lebenspartner, der Chef, der Therapeut etc.. Gelingt diese Trennung zwischen damals und heute, so entsteht augenblicklich für die aktuelle Beziehung, die
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sich eben noch erdrückend und lähmend angefühlt haben mag, neuer Raum und neue Beweglichkeit.“ (Hoffmann-Axthelm i. d. B., Kap. 4.1.3) Wie evokativ Handlungsproben für das Unbewusste sind und wie sie den Möglichkeits- und Anregungsraum für die Ausformung bisher unzugänglicher Tendenzen des Seelischen erweitern und intensivieren, zeigen eindrücklich die von Reinert in diesem Band und andernorts (2004) geschilderten Beispiele von Borderline-Patienten. Dass dabei auch immer besondere psychotherapeutische Vorsorgeregeln zu berücksichtigen sind, wird dort ebenfalls herausgearbeitet. Ergänzend sei hier eine von Moser (2001) verfasste Handreichung analytischer Körpertherapie erwähnt, die aus einer jahrzehntelangen Erfahrung erwachsen ist. Sie bietet viele konkrete Hinweise, wie der therapeutische Raum für eine Inszenierung von Modellsituationen genutzt werden kann. Dabei befasst er sich zum einen mit den Berührungen auf der Couch (z. B. der Berührung der Stirn, dem Halten des Kopfes, des Nackens, der Hände, dem Experimentieren mit dem Blickkontakt usw.). Zum anderen stellt er Formen vom Therapeuten angebotener Interaktionsformen vor (z. B. Rücken an Rücken sitzen, Kampfspiele, Schlagen und Treten, usw.). Eine Anleitung zur körperpsychotherapeutischen Behandlung zu schreiben birgt die Gefahr der Aufreihung von Übungen und Techniken. Ich habe beziehungs- und prozessferne „Übungsbücher" körpertherapeutischer Provenienz bereits öfters bemängelt. In den Ausführungen Mosers wird dagegen deutlich, dass die Angebote für Handlungsproben im psychotherapeutischen Prozess- bzw. im Übertragungsgeschehen eingebettet bleiben. (s. a. Moser 1993 und 1994) Wenn psychodramatische Zusammenhänge ins Spiel kommen, erhält die Erprobung den Charakter einer „inszenierenden Interaktion“, wie Scharff (1995 a und b, 1998, 2002 und 2004) schreibt. Anfangs wird sie vorwiegend vom Therapeuten eingebracht, später macht auch der Patient selber entsprechende Vorschläge. Dabei handelt es sich um eine Anregung, „eine einfach strukturierte Situation, in der sich das je aktuelle Kernproblem des Patienten verdichtet, handlungsmäßig in Szene zu setzen.“ (Scharff 2004, S. 81) Dieses Vorgehen birgt eine über die Selbst- und Funktionserfahrungen hinausgehende einzigartige Möglichkeit, „im je subjektiven Leiblichsein selbst auf die entscheidende Offenbarung des Lebens zu stoßen, um von daher eine neue Ausrichtung der Existenz vorzunehmen, die durch nichts anderes mehr in Frage gestellt werden kann“ (Kühn i. d. B., Kap. 6).
2.6. Bedeutsame Behandlungsentwürfe werden in der Phantasie durchgespielt (Vorstellung) Während der Behandlung tauchen viele Handlungs- und Behandlungsentwürfe auf, die besonders im Kontext des Übertragungsgeschehens aufschlussreich werden: • wenn z. B. der Therapeut einem Patienten vorschlägt, die Begrüßungsoder Verabschiedungsszene einmal in die Stunde hineinzunehmen und eine Handlungsprobe daraus zu machen; • wenn die nachträgliche Analyse des Enactments der Räuberleiter auf den psychodynamischen Komplex des Haltens und Gehaltenwerdens hinweist und sich eine entsprechende Handlungsprobe aufdrängt, z. B. sich vom Patienten durch eine Hand im Rücken halten zu lassen bzw. dasselbe in umgekehrter Rollenverteilung zu erproben;
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wenn der Patient phantasiert, sich einmal von der Couch oder dem Sessel zu erheben und durch den Raum zu bewegen bzw. ein im Sessel sitzender Patient ausprobieren möchte, wie es sich anfühlt, wenn er sich auf die Couch legt oder umgekehrt;
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wenn der Patient mit dem Abstand und der Position zum Therapeuten experimentieren möchte;
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wenn eine Patientin, die anfangs eine Berührung an ihrem Kopf als Eingezwängtwerden in einen Schraubstock erlebte, zu einem späteren Zeitpunkt der Psychotherapie erneut überprüfen möchte, ob sie eine entsprechende Berührung immer noch so erleben würde (Heisterkamp 1999a, S. 105 ff.) usw..
Zunächst wirken derartige Angebote, insbesondere wenn sie noch erläutert werden, wie bildhafte Deutungen. Darüber hinaus regen sie zu einem fokussierten „Assoziieren“ an. Der Patient antwortet darauf, indem er das Deutungsbild in seiner Weise ausmalt und modifiziert. Worm widmet der Anregung von Handlungsphantasien einen eigenen Abschnitt. Sie zeigt am Beispiel einer zwiespältigen Begrüßungsszene, wie sie diese mit in die Stunde hineinnehmen und die Patientin fragen würde, ob sie sich vorstellen könne, die Begrüßungsszene noch einmal zu wiederholen. Als wesentlichen Zwischenschritt fragt sie die Patientin, was wohl geschähe, wenn sie dieser Phantasie einmal folgen würde. Auch für Worm sind die Handlungsphantasien von „entscheidender“ Bedeutung: Durch die konkrete Vergegenwärtigung werden die in ihnen enthaltenen Affekte deutlicher. Der phantasmatische Raum ist u. U. sicherer, der Therapeut erhält die Möglichkeit, die in der Phantasie auftauchenden Ängste und Sicherungen einzuschätzen, um zu klären, ob die Gefühle und Konflikte ausreichend klar geworden sind und ob eine weitere Erprobung, in der das Erleben vermutlich noch verdichtet würde, indiziert erscheint. Bereits die Handlungsphantasien offenbaren eine Fülle verschiedener Abwehrformen und Ängste, und sie werden auch für den Patienten greifbarer. „Es ist oft erstaunlich, wie allein durch die Handlungsphantasie Affekte oder auch Abwehrstrategien auftauchen, die vorher nicht zugänglich waren.“ (Worm, Handlungsdialog, i. d. B., Kap. 2.2, 2003, 2004) Im Vollzug der Handlungseinheiten wird leibhaftig spürbar, wie häufig wir etwas ganz anderes antizipieren, als wir dann realiter erfahren, wie sich Empfindungen und Gefühle einstellen, die geradezu schlagartig das Seelische strukturieren bzw. umstrukturieren. Die Unterscheidung zwischen Phantasie und Erprobung lässt, worauf Scharff (2004) besonders verweist, einen „Rahmen im Rahmen“ entstehen. Einen solchen Doppelrahmen zu schaffen, stellt eine wiederholte und kooperative Form der Einübung in die psychotherapeutische IchSpaltung dar. Diese Handlungseinheit impliziert und entwickelt ein differenziertes Verständnis für die Als-Ob-Situation psychotherapeutischer Behandlung. Sie leistet einen grundlegenden Beitrag, um die Fähigkeit zu entwickeln, zwischen der Therapie-Situation und der Lebens-Situation zu unterscheiden und den psychotherapeutischen Zweck der Behandlung hervorzuheben. Oft fallen mir zu bestimmten Situationen mehrere Möglichkeiten einer Erprobung ein, sie regen regelmäßig die selbstschöpferischen Kräfte des jeweiligen Patienten besonders an.
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Eine Patientin vor zwei Inszenierungsvorschlägen Nach etwa 150 Stunden spricht eine Patientin darüber, wie sie von ihrer Freundin wegen ihrer Fähigkeit, ihre Mahlzeiten zu regulieren und ihr Gewicht zu halten, beneidet und bewundert werde. Des Weiteren berichtet sie, dass sie von einem Mann zu einem ihr sehr wichtigen, sie aber auch sehr ängstigenden Dienstgespräch ermutigt worden sei. Obwohl ihr das liebevoll gesagt worden und auch so gemeint gewesen sei und ihr das auch alles gut tue, spüre sie weiterhin ein Unbehagen. Was ihr fehlt, offenbart die weitere Analyse: ein Gegenüber, das auch mit ihrer Angst mitgeht. In dieser Stunde zeigt sich, dass ihre »Fähigkeit zu kontrolliertem Essen« der Ausläufer einer anorektischen Phase während der Pubertät ist, in der sich belastende frühe Trennungserfahrungen wiederholten. In der Kindheit litt sie zudem unter einer Angstneurose, die ebenfalls bis in die Gegenwart nachwirkt. Das Gespräch mit dem mächtigen Vorgesetzten ihrer Berufsorganisation belebt die Beziehung zu ihrem Vater, die heftigen Diskussionen und Machtkämpfe mit ihm, der ihr seine Überlegenheit demonstrierte. Ich merke, dass sie sich mehr wünscht, in ihrer Angst wahrgenommen als für die kompensatorisch erworbenen Fähigkeiten gelobt zu werden. Der Versuch, eine analytische Einsicht auf sprachsymbolischer Ebene zu erzielen, scheint mir bei dieser intellektuellen Frau nicht hinreichend fundiert. Ich habe zwei Einfälle, um diese Situation erlebnisnäher ins Bild zu rücken. Ich teile ihr zunächst meine Vermutung mit, dass sie sich in ihrer Kindheit möglicherweise oft allein gelassen gefühlt und sich nach elterlicher Unterstützung gesehnt habe. Mein Vorschlag sei, dass wir uns einmal nebeneinander stellen und ich sie an die Hand nehme. Wir könnten aber auch etwas anderes ausprobieren. Ich würde mich etwas erhöht hinsetzen, während sie sich vor mich setzen und sich mit ihrem Rücken und ihrem Kopf an die Vorderseite meines Körpers anlehnen könnte. Nachdem sie eine Weile nachgedacht hat, antwortet sie: Spontan habe sie sich für den zweiten Vorschlag entscheiden wollen. Der habe sie sofort berührt, aber auch gleichzeitig geängstigt. Sie hatte als Mädchen unter den sexuellen Übergriffen ihres Vaters gelitten. Im Widerstreit zwischen der Sehnsucht nach diesem Halt und der Angst, in dieser Situation missbraucht zu werden, gestaltet sie die Szene um: Sie wolle sich hinlegen und ich solle mit meinem Stuhl in Reichweite zur Couch rücken. Zwischendurch guckt sie mich scheu und ängstlich, aber auch zärtlich an. Ich habe ein liebevolles Gefühl, wie wenn ich am Bett meiner kleinen Tochter sitze und mich über das Dasein und Sosein meines Kindes freue. Ich erinnere mich, dass das eine ähnliche Situation wie die mit ihrem Vater ist, nur dass sie immer wieder entgleist ist, wenn er sie, die sich abends so sehr seine zärtliche Nähe gewünscht hatte, „so unangenehm befummelte“. Sie war dann immer zwischen Entsetzen und Sehnsucht erstarrt und blieb nach diesen schrecklichen Situationen todunglücklich zurück. Nach einer Weile bittet sie mich, ihr meine Hand zu reichen. Sie legt ihre hinein. Ich bin sehr bewegt von der Zartheit dieser Begegnung, und auch sie ist sichtlich ergriffen. Tränen laufen ihr die Wangen hinunter. Sie spüre, wie sehr sie sich einen solchen Kontakt mit ihrem Vater immer gewünscht habe, wie wichtig es für sie sei, in ihrer Not wahrgenommen zu werden, wie tief ihre Sehnsucht nach Zärtlichkeit aus Angst vor Missbrauch verschüttet und wie misstrauisch sie gegenüber allen Annäherungen sei. In einer zarten Suchbewegung hat sie ihre Erfahrungen, Phantasien und Sehnsüchte, Enttäuschungen und Sicherungen in eine leib- und psychodramatische Szene eingebracht, die bis in unsere aktuelle Beziehung und ihr übriges Leben hineinwirken.
Das Beispiel illustriert, wie die Angebote der Erprobung die Phantasien, Erinnerungen, Ängste und Sicherungen der Patientin wachrufen und einen schöpferischen, vom Therapeuten begleiteten Prozess der Selbstbehandlung bewirken. Auch hier ist wieder die behandlungsmethodische Dialektik zu beachten.
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Die größere sinnliche Unmittelbarkeit wirkt nicht per se vertiefend und heilsam. Sie kann in einem bestimmten Wirkungskontext auch kontraindiziert sein. (Scharff i. d. B.)
2.7. Die Handlungsproben werden intersubjektiv gestaltet (Modellierung) Die Modellierung ist ein weiterer Aspekt der basalen Analyse seelischer Lebensbewegungen. Patient und Therapeut versuchen die Form der inszenierenden Interaktion herauszufinden, die dem Entwicklungsniveau der störenden Selbstbehinderung und der notwendigen Selbstbehandlung angemessen ist. In diesem Sinne hebt Moser (1989, S. 192) hervor, dass die Erprobung gleichzeitig konkret genug und ausreichend symbolisch sein sollte. Die gemeinsamen Bemühungen um eine angemessene Inszenierung stellen eine basale Suchbewegung dar, mit der Patient und Therapeut Modellsituationen des Patienten intersubjektiv erstellen und bearbeiten können. In beängstigenden Situationen ist es für den Patienten wichtig zu wissen, dass er nicht weitergehen muss, als es für ihn bekömmlich ist, und dass er jederzeit die Probehandlung unterbrechen oder beenden kann. Der Therapeut kann sich zudem erkundigen, ob für den Patienten die Situation noch stimmig ist. Alle diese Interventionen unterstützen und fördern die Selbstregulation des Patienten. Sie findet ihren expliziten Ausdruck, wenn sich Patienten beängstigenden Wahrnehmungen, belastenden Erfahrungen und Konfliktspannungen in selbstdosierten, durch therapeutische Reflexion unterbrochenen Zwischenschritten annähern. Nicht zuletzt wissen wir, dass die Formen einer eventuellen Überanpassung oder Unterwerfung sich ihrerseits wieder in Handlungen besonders deutlich äußern und damit eine neue Szene herausbilden. Zur Veranschaulichung der Modellierung möchte ich auf ein ausführliches Beispiel von Scharff (2004, S. 67 ff.) eingehen. In der Schlussphase der wieder im Sitzen stattfindenden Behandlung einer Borderline-Patientin, deren zentrale Pathologie in einem tiefen Verstummen lag, nahm Scharff in einer inszenierenden Interaktion den anstehenden Abschied in einem Rollenspiel vorweg. Die offensichtlichen Behandlungsfortschritte hatten nämlich die Frage des unumgänglichen Endes der Behandlung aufgeworfen. In der Situation bevorstehender Trennung brachen die alten Ängste wieder hervor, und ihre negativen Halluzinationen breiteten sich weiter aus. Das Ende der Behandlung hieß für sie, dass zwischen ihr und ihrem Therapeuten nie wirklich etwas gewesen war. Die Patientin wiederholte einen Aspekt ihrer Erfahrung mit der Mutter, die sich unter dem Diktat ihrer eigenen Mutter (also der Großmutter der Patientin) nie dem eigenen Trennungsschmerz gestellt hatte, wenn sie gemäß dem Erziehungsregime ihrer Mutter ihr Kind (die Patientin) in dem großen Wohnhaus weit wegschob, um das Schreien des Kindes nicht mit anzuhören. So kam es dazu, dass sich die Patientin in ihrem Schmerz, ihrer Wut und ihrer Angst nicht im anderen repräsentiert fühlte. In dieser therapeutischen Situation, die etwa zwei Monate vor dem geplanten Ende lag, beschloss Scharff im Einverständnis mit der Patientin, die demnächst anstehende Trennung in interaktiven Szenen vorwegzunehmen. In der Beschreibung wird die intersubjektive und kooperative Modellierung der Szenen mit ihrem impliziten oder operativen Verstehen sehr deutlich:
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Panische Trennungsangst einer Patientin „Die Patientin beginnt die Stunde damit, dass sie sich in einer Panik fühle, an die sie aber nicht richtig herankomme. Heute Mittag habe sie furchtbare Magenschmerzen bekommen, als ihr die Verzweiflung wieder eingefallen sei, die sie überfallen hatte, nachdem sie mich in einer szenischen Arbeit in einer vorangegangenen Stunde wütend von sich weggeschoben hatte. Heute Nacht habe sie auf dem Bett gesessen und sich vorgestellt, meinen Arm ganz fest zu umklammern und mich anzuherrschen: »Du gehst nicht weg!« Dann wieder: Sie wisse aber gar nicht, was sie fühle, was überhaupt sei. Es folgt eine schwierige Passage eines Hin- und Hertastens. Ich sage, in dem Sogar-nichts-Fühlen glaubte ich auch, ein Sich-Verschließen zu erkennen, versuche aber den Raum offen zu halten, indem ich andeute, dass Gefühle, auch das Gefühl der Verzweiflung, einmal zugelassen, die Möglichkeit zu einer Veränderung in sich bergen können. Schließlich kann ich die Patientin fragend ermutigen, ob sie noch einmal eine Idee zu einer szenischen Arbeit hier habe. Darauf nun antwortet die Patientin mit der Vorstellung, sich an mir festklammern und mich festhalten zu wollen. Das Arrangement, das sie aus früheren ähnlichen Szenen kennt, wird sein, dass wir seitlich nebeneinander sitzen: sie auf einem kleinen Hocker, ich auf einem normalen Stuhl, so dass von der körperräumlichen Positionierung her das Verhältnis Kind-Elternfigur angedeutet ist. Dies bildet sich auch darin ab, dass wir in diesen Szenen im Du zueinander sprechen. Im Vorgespräch verständigen wir uns darauf, dass ich ihr mit Bezug auf das miteinander vereinbarte, nun unvermeidliche Ende sagen werde: »Inge, es ist jetzt so weit, ich werde jetzt gehen«. Dies würde dann auch dadurch eine gemeinsam geteilte konkretsymbolische Realität, dass ich tatsächlich aufstehen und mich von ihr trennen würde, auch wenn sie gleichzeitig versuchen würde, mich nicht fortzulassen. Angesichts dieses szenischen Entwurfs ändert sich unmittelbar der Zustand der Patientin, sie wirkt verzweifelt unglücklich. Obwohl sie selbst noch einmal darauf hinweist, dass doch auch sie das Ende will, rührt es mich an, wie sie sagt, dass sie sich nicht vorstellen kann, sich wirklich auf diese Szene einzulassen. Und doch bleibt sie, als wir schließlich zur szenischen Realisierung geschritten sind und wie besprochen nebeneinander sitzen, innerlich beteiligt. Sie bedeutet mir nämlich, ehe ich sagen würde, dass ich gehe, müsste sie schon meinen Arm genommen haben – sie würde sonst fürchten, dass sie, wenn ich das gesagt hätte, überhaupt nichts mehr tun könnte. Ich biete ihr an, dass sie also vorweg ihre rechte Hand auf meinen linken Unterarm legt, doch auch da korrigiert sie: Nein, sie müsse meinen Arm mit beiden Händen umklammern! Dies geschieht, und ich sage nach einer Weile, in der ich mich selbst sammle und den Moment der Trennung in der letzten Stunde vorwegnehme, indem ich ihn innerlich gegenwärtig mache: »Inge, es ist jetzt so weit, ich werde jetzt gehen«. Ich warte eine Weile zu, bis ich das Gefühl habe, dass die Bedeutung dessen, was ich eben mit Worten gesagt habe, sich für die Patientin wie für mich in meinem nun folgenden Handeln auch wirklich ausdrücken wird, und stehe, was auch mir nun sehr schwer fällt, schließlich auf. Nur einen ganz kurzen Moment macht die Patientin den Versuch, mich festzuhalten, dann lässt sie mich in einer wegstoßenden Geste los. Wir sprechen über diesen Verlauf, die Patientin sagt, sie habe mich »weggeschnippt«. Über diesen handelnden Umgang, den die Patientin dann auch sprachlich treffend in Worte fasst, wird der Patientin und mir noch einmal eindrücklich klar, worüber wir im analytischen Durcharbeiten immer wieder gesprochen hatten: Ehe sie zulässt, dass ich ihr irgendeinen Schmerz zufüge, schickt sie mich »in das Land, wo der Pfeffer wächst«. Ich solle keine Bedeutung für sie gehabt haben, in der Negation behält sie die Kontrolle. Auch bei der Wiederholung ergibt sich ein fast identisches Verlaufsmuster wie beim ersten Mal, nur äußert die Patientin beim anschließenden Sprechen, wenn sie einen Stock hätte, dann würde sie auf mich einschlagen. Szenisch kann sich diese Tendenz dann in der Weise gestalten, dass ich, ein Kissen zwischen ihr und mir halte, welches
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das von mir repräsentiert, was sie so in Rage bringt. Die Patientin schlägt mit ihrer Hand auf das Kissen in einer verzweifelt sich wiederholenden Aktion, die ihr, so mein Gefühl, aber nicht wirklich etwas bringt. Im Gegenteil, ich fühle mich an zahlreiche Träume erinnert, in denen die Patientin in endloser Wiederholung auf jemanden einschlug, der aber nicht zu beseitigen war und ihr am Schluss doch immer wieder überlegen blieb. Und doch spüre ich auch etwas von einer Verzweiflung, gegen die die Patientin wie blind anhämmert. Als dämmere es der Patientin, dass sie in dieser Situation auf ewig gefangen sein wird, kündigt sich jetzt überraschend ein mentaler Wechsel an. Die Patientin teilt mir vor der nächsten Szene mit, um es richtig zu spüren, müsse sie auch etwas sagen. Dabei bezieht sie sich nun wiederum auf vorangegangene Passagen unserer analytischen und szenisch-interaktiven Arbeit. Sie müsse dabei zu mir sprechen: »Bitte geh nicht!« Als die Patientin die Szene nun mit diesen Worten begleiten kann, geschieht etwas, das mir noch in allen Einzelheiten gegenwärtig ist. Die Patientin versucht, nachdem ich erneut den Abschied angekündigt und dies im Aufstehen in die Tat umsetze, mich am Arm mit aller Kraft festzuhalten. Ich muss mich wirklich von ihr losreißen. Bis heute kann ich in der Erinnerung ihren verzweifelten Zugriff spüren und das auch für mich schwer erträgliche Erleben, ihr etwas ganz Schlimmes anzutun. Ich vergesse auch nicht das dann folgende erschütterte Weinen der Patientin, in dem der ganze Schmerz über die Trennung, wie ihn ein kleines Kind erlebt, für sie und für mich gefühlte Wirklichkeit wurde. Im abschließenden Teil der Stunde, wieder im gewohnten Gegenübersitzen, sprechen wir über das Erlebte. Bewegt, noch ganz erfüllt und doch mit klarer Stimme teilt mir die Patientin mit, dass sie »es nicht fassen kann«. Sie ist überrascht, wie sehr es ihr gelang, ihrem wahren Erleben schließlich ohne Hemmnis Ausdruck zu geben. »Ich habe es nicht mehr in meine Regie genommen...« Sie hat sich und mir ihren Schmerz zugemutet.“ (Scharff 2004, S. 74–77)
Ich kann der anschließenden Interpretation des Geschehens durch Scharff (s. u.) voll und ganz zustimmen. Indem in differenzierter Weise die einzelnen Sequenzen sprachlich analysiert werden, gerät aber die Unmittelbarkeit des intersubjektiven Geschehens in den Hintergrund der Beachtung. Bei einer basalen Analyse seelischer Lebensbewegungen wird das Handlungsprinzip in fundamentaler Weise bedeutsam. Hier vollzieht sich nämlich ein operatives und kooperatives Verstehen. Nach Piaget (Heisterkamp 1999a, S. 69 ff.) bilden Operationen die Grundlage jeden intelligenten und einsichtsvollen Verhaltens. Indem Patient und Therapeut das machen, was sie machen, entwickelt sich ein unmittelbares Verstehen für die gemeinsam geteilte Wirklichkeit. Die kontinuierliche Abstimmung verstehender Mit-Bewegung bzw. das konkrete Bemühen, die gefährdete Beziehung zu regulieren, implizieren ihre eigenen unmittelbaren Wirkungen. Der Prozess wechselseitiger Abstimmung und die Teilhabe daran sind also ein grundlegendes therapeutisches Agens. Die jeweilige Teilhabe an der therapeutischen Wirkungseinheit stellt gewissermaßen den basalen Möglichkeitsraum bereit, in dem das Seelische der Patientin im Mitsein des Analytikers ihre Wirklichkeit erzeugen und behandeln kann. Am Beispiel von Scharff lässt sich zeigen, dass die kontinuierliche Affektspiegelung, die Abstimmung der Interaktion mithilfe von Einfühlungen und Wiederherstellungen einen Handlungsdialog kennzeichnen, in dem im Sinne des Arbeitskreises um Fonagy (2002, 2004) sich die Fähigkeit zur Mentalisierung entwickelt bzw. gefördert wird. Mit Piaget könnte man sagen, dass die intersubjektive Modellierung der Szene die Systeme von Operationen herstellen, die die notwendige Grundlage bilden, um aus ihnen Bilder und Begriffe wechselseitiger Anerkennung und Verständigung zu elaborieren.
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Um die mit dem Verhalten und Erleben der Patientin mitschwingende Interaktion zu verdeutlichen, werde ich im Folgenden noch einmal auflisten, was Patient und Therapeut während der Behandlung alles miteinander machen: • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •
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Aus dem Therapieverlauf heraus drängt sich das Thema der Beendigung der Behandlung und der Trennung von Patientin und Therapeut immer mehr in den Vordergrund des Erlebens. Diese Entwicklungsaufgabe ruft alle bisher dazu entwickelten Ängste, Abwehr- und Sicherungsformen wach. Analytiker und Patientin verständigen sich darauf, eine solche Kernszene szenisch durchzuspielen bzw. operativ durchzuarbeiten. Dabei knüpft der Analytiker an die Erfahrungen der szenischen Arbeit in früheren Sitzungen an und greift eine behandlungsmethodische Andeutung bzw. Anspielung auf (umklammern). Der Analytiker begleitet die Patientin verstehend durch die dabei wachgerufenen Erfahrungen. Darüber inszeniert sich ein erstes und andeutungsweises Hin- und Hertasten. Der Analytiker fragt die Patientin ermutigend, ob sie einen weiteren Einfall zu einer szenischen Arbeit habe. Die Patientin äußert den Entwurf einer Szene (festklammern und festhalten). Dieser wird modifiziert durch den Analytiker (tatsächlich aufstehen und entfernen). Das Deutungsbild wühlt die Patientin auf. Angesichts des Deutungsbildes verwandelt sich der Zustand der Patientin. Der Analytiker ist berührt von ihrer Reaktion und fühlt sich in ihre Verfassung ein. Die Patientin modelliert ihrerseits wiederum die Handlungsprobe. Ihr Vorschlag wird dann erneut vom Analytiker modifiziert. Nachdem die Szene für beide stimmig ist, wird sie durchgespielt. Die Patientin hält den Analytiker nur kurz fest und „schnippt“ ihn dann quasi weg. Gleichzeitig merkt der Analytiker im Tun unmittelbar, wie schwer ihm selbst die Trennung von der langjährigen Patientin fällt. Die Erfahrungen in der konkret symbolischen Handlung bilden die Grundlage, aus der die Erlebens- und Abwehrformen kontingent abgeleitet werden können. Danach bringt die Patientin erneut eine selbstschöpferische Wende in den Handlungsablauf ein („Bitte geh nicht weg“). Der starke, von Kindern bei Trennungen erlebte Schmerz wird sowohl bei der Patientin als auch beim Analytiker in basaler Weise wirk-lich. Die Patientin ist tief berührt und kann es kaum fassen, dass sie ihr wahres Erleben dem Analytiker gegenüber so unmittelbar, ohne Kontrolle und ohne Hemmungen ausdrücken konnte, nämlich das Erleben schmerzhafter Trauer bei Trennungen. Dieses Mal ist sie der Erfahrung nicht mutterseelenallein ausgeliefert, sondern macht sie getragen von der Resonanz eines mitschwingenden Selbstobjektes.
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Ich habe die wechselseitigen Behandlungen bewusst hervorgehoben, um die operative Dimension seelischer Behandlung, um die die herkömmliche Analyse bereichert wird bzw. werden kann, besonders zu würdigen, und zwar als basale Form des Wahrnehmens, Erinnerns, Verstehens, Behandelns. Wenn man den Interaktionen folgt, spürt man eine durchgängige Linie oder Sinngestalt, die den unmittelbaren Abstimmungsprozess zwischen Patient und Therapeut in den Mittelpunkt der entwicklungspsychologischen und psychotherapeutischen Überlegungen stellt. Bei der obigen Patientin ist der prototypische Abstimmungsprozess mit der Welt (Mutter, Großmutter) sehr früh verunglückt, und die psychotherapeutische Kunst von Scharff besteht darin, dass er mit der inszenierenden Interaktion eine Möglichkeit der strukturellen Erfassung für die Patientin und für sich bereitstellt, in der die Patientin einen Möglichkeits- und Anregungsraum erhält, in dem sie ihren behinderten Prozess der Selbstwerdung im Bezogensein (Antoch 2001) wieder aufnehmen und ihre selbstschöpferischen Kräfte wieder beleben kann. Die Patientin schafft sich neu und wird dabei von einem bedeutsamen Anderen wahrgenommen und erkannt. Die Wirkungsebene der Modellierung durchzieht eine fundierte Form der Anerkennung, die von Daser (2003, 2005) als ein Wesensmerkmal der analytischen Psychotherapie herausgearbeitet wird. Indem Scharff und seine Patientin die Szene ausgestalten und umgestalten, übt die Patientin sich über die interaktive Teilhabe unmittelbar darin ein, ein dialektisches Beziehungsgeschehen mit zu organisieren. Die drei Prinzipien, die nach Beebe und Lachmann (1994, 2002) den Kern der wechselseitigen Regulation ausmachen, sind darin wiederzufinden: Die Modellierung erfordert eine dauernde Regulation. Der Abstimmungsprozess ist immer wieder durch einen Rhythmus von Unterbrechung und Wiederherstellung geprägt und durchsetzt von etlichen Augenblicken gesteigerter Affektivität. Diese Erfahrungen bilden die Handlungsgrundlage, aus der neue Bilder und Begriffe des Bezogenseins elaboriert und internalisiert werden können und die die künftige Selbstregulation fundieren. Die Wirkungseinheit der inszenierenden Interaktion und die damit verbundene Erprobung stellt schon in buchstäblicher Weise eine Behandlung dar, die während des Verlaufes oder anschließend auf die Ebene der Reflexion gehoben werden kann, aber nicht notwendig muss. Dieses gemeinsame Handeln hat seine prozeduralen und impliziten Auswirkungen, die nie gänzlich verbalisiert werden können, obwohl sie bereits basal wirksam sind. Das Körper- und Handlungsgeschehen selbst wird dann zu einer „interpretation-inaction“ (Ogden 1994), d. h. zu einem basalen therapeutischen Vorgang, der allenfalls nachträglich verbalisiert werden kann. Den unmittelbaren Wirkungen der Interaktion ist auch mit noch so „strenger Abstinenz“ nicht zu entgehen, im Gegenteil sind die subliminalen Wirkungen umso fataler, je mehr ein Therapeut Prinzipien wie Neutralität oder Abstinenz formal glaubt realisieren zu müssen und zu können. Scharff bewegt sich in basaler Weise mit der Patientin. In Anlehnung an Fonagy und Target (2002) könnte man hier auch von einer konkreten Einübung in Mentalisierung sprechen. Indem der Therapeut mit der Patientin mitschwingt, entwickelt sich bei der Patientin ein Bewusstsein für ihre seelische Wirklichkeit und korrespondierend auch für die Wirklichkeit ihres Gegenübers. Das gesamte
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Geschehen ist intersubjektiv begründet und knüpft unausdrücklich an unbewusste konsubjektive Früherfahrungen an. Das Selbst ist nämlich nicht das Primäre, sondern Resultat einer mehr oder weniger geglückten Entwicklung der Urerfahrung einer primären Verbundenheit. (Sloterdijk 2000, Witte 2002) Der Prozess der Mentalisierung führt dann nicht in die Entfremdung eines „falschen“ oder „fremden“ Selbst, wenn wir an die rudimentären Vorerfahrungen anknüpfen und dem Patienten dabei helfen, Lücken des allmählichen Symbolisierungsprozesses zu schließen. Wie das geschieht, beginnen wir gerade erst mit Hilfe der Säuglings- und Gedächtnisforschung zu erahnen. Alle Entwicklungsbedingungen für die Fähigkeit zur Mentalisierung lassen sich in dem Prozess der Modellierung beobachten: angemessen affektmodellierende Interventionen, Antworten auf das primäre Erleben und Empfinden der Patientin, Affektabstimmung. Darüber vermittelt sich der Patientin eine unmittelbare Erfahrung ihrer selbst, ihrer Wirkmächtigkeit und ihrer Repräsentanz im Anderen. Die bisherigen Ausführungen vertiefen auch das Verständnis für die fundamentalen Wirkungen psychoanalytischer Behandlungen. Ich habe das z. B. an dem jedem Analytiker geläufigen Phänomen des „holding“ bzw. „containing“ zu erläutern versucht. Unter der Handlungsperspektive wird die außerordentliche Bedeutung dieser Funktionen umfassender wahrnehmbar. Wenn der Analytiker die überwältigenden Liebes- und/oder Hassgefühle des Patienten aufnimmt, wenn er die überflutenden Emotionen der Angst hält, der Panik, der Verlorenheit, der Ohnmacht, der Wut, des Hasses, der Verzweiflung, der Scham usw. und wenn er dabei gleichzeitig weitgehend gelassen und zuversichtlich bleiben kann, erfährt der Patient in diesem interaktiven und intersubjektiven Vorgang eine unmittelbare Beruhigung. Man stelle sich einen Patienten vor, der von panischer Auflösungsangst ergriffen wird, der sich durch die transmodal ausstrahlende Ruhe seines Analytikers und dessen deutliche Bereitschaft zur Übernahme der Rolle eines beruhigenden Objektes gehalten und geschützt fühlt. Diese Beruhigung vollzieht sich direkt im und über das Interaktionsgeschehen und stellt auch eine unmittelbare Bearbeitung seiner frühen Objektbeziehungen dar, die ja alle in Handlungserfahrungen begründet sind. Über die leibliche Dimension dieses Wirkungsgeschehens (Dasein, Mitsein, Mitschwingung; mimischer, motorischer, stimmlicher, respiratorischer „Dialog“ usw.) gewinnt das Wirkungsgeschehen zwischen Patient und Analytiker einen regredienten Tiefgang und einen fundierten Zugang zu prozeduralen und operativen, zu basalen Formen der psychoanalytischen Behandlung. Dieser Zugang zu den frühen Regressionsebenen, auf denen der Handlungsdialog entgleist ist und auf denen er erst wieder bearbeitbar wird, kann durch die Form der Behandlung auch erschwert und behindert werden. Es ist zwischen mittelbaren und unmittelbaren Formen des Gehalten- oder Geborgenseins zu unterscheiden. Sprachsymbolischen Abstraktionen fehlt zuweilen die erlebensmäßige bzw. die operative Fundierung. Solche Erfahrungen entwickeln sich erst auf der Grundlage eines konkreten und im wörtlichen Sinne zu verstehenden Gehaltenwerdens. Erst über einen langwierigen Prozess der Elaboration werden sie zu objektivierbaren Bildern und abstrakten Sprachsymbolen. In diesem Sinne hebt auch Gergely hervor, dass das Urvertrauen über „wiederholte Erfahrungen erfolgreich beruhigender Interaktionen“ entstehe (2002, S. 833).
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Die Modellierung ist ein unmittelbarer, in der Lebensbewegung des Patienten zentrierter Prozess intersubjektiver Abstimmung und Anerkennung. Entwicklungspsychologisch entspricht diesem Geschehen das sensibel abgestimmte Geschehen zwischen dem Kind und seinen Bezugspersonen, in dem es sich allmählich selber findet und immer besser lernt, sich selbst zu übernehmen. Wie für das Kind ist auch für den Patienten die unmittelbare Teilhabe an diesem Prozess strukturbildend. Die Modellierung kann als prototypisch für die Wirksamkeit leibfundierter Analyse angesehen werden. In der fundierten Abstimmung und Regulierung verwirklicht sich eine existenzielle Resonanz und Ermutigung.
2.8. Der Patient lotet den Spielraum seiner Selbstbewegung aus (Erprobung) Neben dem für die Psychoanalyse typischen hermeneutischen Verstehen, das der mittelbaren oder vorstellenden Vergegenwärtigung bedarf (repräsentierendes Verstehen) gibt es noch eine basale Form des Verstehens – erlebensnäher: des Innewerdens – in der sich Sinn und Bedeutung unmittelbar ereignen (präsentisches Verstehen). Dabei geschehen unmittelbare Wandlungen. Die sprachliche Kennzeichnung gerät komplizierter als die gemeinten konkreten Abläufe.
Die leibliche Gewissheit in der Handbewegung Ein exemplarisches Beispiel (ausführlich erörtert in Heisterkamp 2002a, S. 158 ff.) ist für mich die Feststellung einer Patientin, die einen frühen Missbrauch erlitten hatte und die ich im fortgeschrittenen Stadium der Analyse angeregt hatte, ihren Handbewegungen, die das Muster männlicher Masturbationsbewegungen andeuteten, einmal ohne zu sprechen zu folgen. Nachher konnte die Patientin sehr prägnant herausstellen, wie sehr sie ihren Worten, die sie bzw. wir für diese frühe Traumatisierung gefunden hatten, immer wieder misstrauen musste, bis sie ihre Wahrheit in den konkreten körperlichen Bewegungen und leiblichen Empfindungen sicher begreifen konnte. Am Ende dieser Arbeit stand die leibfundierte Erkenntnis: Im Alter von drei Jahren konnte sie ihre Widerfahrnisse nur unzureichend sprachlich kodieren. Ihre Erinnerungen wurden nur im Rahmen einer Handlungseinheit reorganisierbar. Die schlimmen Erfahrungen konnten auch später nicht begriffen werden, da sie die emotionalen Verarbeitungsmöglichkeiten des Kindes überforderten und so der Abwehr zum Opfer fielen. In der verbalen Rekonstruktion waren immer die Zweifel und die damit verbundenen Selbstvorwürfe geblieben. In der leibfundierten Aufarbeitung konnte sie begreifen, was ihr widerfahren war, konnte sie ihre traumatisierende Erfahrung integrieren und wurde frei für weitere Schritte ihrer Selbstwerdung. Aus dem prozeduralen Wissen wurde ein explizites. (Dornes 1992, 1996, 1998) In den Worten der Patientin: „Die körperliche Gewissheit, »Wahrheit« habe ich ganz sicher: in der Handbewegung und im Drücken des Kopfes. Es zu sagen, in Worten mitzuteilen, auszusprechen, ist wie »fremd«, nicht wirklich meines, leider immer wieder.“
Ohne dass man die Gefahren der Manipulation, die mit jeder Intervention verbunden sind, verleugnen müsste, werden hier auch die Gefahren eines Gegenübertragungswiderstandes deutlich, wenn der Therapeut sich um die Möglichkeit bringt, der leiblichen Wahrheit und der leiblichen Verarbeitung im Seelischen gewahr zu werden und die angemessene Ebene der Bearbeitung früher Erfahrungen zu finden. Auch unter der Perspektive dieses Abschnitts erscheint die Frage von Übertragung und Gegenübertragung in einem neuen Licht. Die leiblichen Artikulationen des Selbst dürfen nicht in ihrem eigenen Sinn und ihrer eigenen Bedeutung übergangen werden. Sonst wird das komplexe Wir-
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kungsgeschehen zwischen Patient und Therapeut lückenhaft, verdünnt, abgehoben, also unzulänglich erfasst. Wenn ein wesentlicher Teil der Abwehr leibfundiert ist, also quasi Muskelarbeit darstellt, kann – wie bereits angemerkt – eine ausschließlich verbale Bearbeitung der Widerstände, ohne die leiblichen Grundlagen des Widerstehens entwicklungs- und regressionsanalog zu bearbeiten, zu einer doppelbödigen bzw. widersinnigen Behandlung führen. Während auf der einen Ebene die Selbstschutzmaßnahmen des Patienten differenziert analysiert werden, wird auf einer basalen Ebene die grundlegende Selbstabtötung im Dienste der Selbstsicherung eben durch die Annullierung der basalen Sicherungs- und Abwehrmechanismen fortgesetzt. (Heisterkamp 2003c) Trotz der immer wieder beeindruckenden Intensivierung und Fundierung des Geschehens im Rahmen inszenierender Interaktionen bleibt die Dialektik psychoanalytischer Behandlung bestehen. So wie wir immer wieder Wirkungszusammenhänge rationalisierender Vermeidung beobachten können, lassen sich auch Handlungseinheiten zwischen Patient und Therapeut beobachten, in denen das Angebot einer inszenierenden Interaktion seinerseits dem Widerstand bzw. der Selbstsicherung des Patienten und/oder des Therapeuten dient. Letzteres gilt für die Inszenierungen, in denen die unmittelbar erlebte Beziehung zwischen Patient und Therapeut deutlich und spürbar in den Vordergrund des Erlebens getreten ist. Wenn sich zum Beispiel ein Patient heftig in den Therapeuten verliebt oder eine große Wut auf ihn entwickelt hat, käme es einer Vermeidung gleich, diese bereits aktualisierte Situation auf eine Spielebene zu verschieben. Hier würde die körperpsychotherapeutische Inszenierung unverbindlicher sein als die brisante Szene in der „Übertragungsneurose“ (Scharff i. d. B.). Wo der Patient aber noch gar nicht zur therapeutischen Ich-Spaltung fähig ist oder als dämonisch erlebte Affekte die therapeutische Situation und den Therapeuten überfrachten würden (Moser 1996), stellt die Möglichkeit für eine zweite Bühne (Worm 2005) ein wichtiges Hilfsmittel der psychotherapeutischen Behandlung dar.
2.9. Die Handlungseinheit wird reflexiv begleitet und abgerundet (Nachbereitung) Die bisherigen Überlegungen machen verständlich, dass therapeutische Veränderungen nicht unbedingt an ein ausdrückliches Wissen, Einsehen oder Verstehen gebunden sind. Ich habe anderenorts (2002a, S. 52 ff.) gezeigt, dass die Vielzahl unmittelbarer entwicklungsförderlicher Enactments bzw. Handlungseinheiten nicht beachtet und stattdessen nur die Inszenierungen beleuchtet werden, die eine zu bearbeitende Verstrickung mit dem Therapeuten aufweisen. Therapeuten und Patienten schaffen durch ihr Tun und Lassen des öfteren spezifische Handlungs- und Erlebenseinheiten, die als solche bereits heilsam oder unheilsam wirken, noch bevor sie überhaupt wahrgenommen bzw. durchgearbeitet werden. So ist Stern und seinen Mitarbeitern zuzustimmen, „dass es zur Einleitung einer therapeutischen Veränderung nicht immer notwendig ist, im expliziten
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Bereich zu deuten. Veränderung kann auch durch Modifizierungen des impliziten Wissens bewirkt werden.“ (2005, S. 153) Wie alle bisherigen Beispiele belegen, begleitet das reflexive Moment von Anfang an den therapeutischen Prozess in vielfacher Hinsicht. Es stellt ein menschliches Wesensmerkmal dar, das sozusagen naturgemäß in das therapeutische Wirkungsgeschehen mit eingeht. Die genuine Ambiguität menschlicher Existenz wird durch die Rahmenbedingungen des therapeutischen Settings ausdrücklich hervorgehoben. In der Quasirealität der therapeutischen Situation, in der zwei Menschen verabreden, sich »als« Patient bzw. »als« Therapeut zu verhalten, wird gerade der therapeutische Zweck, insbesondere die dem vertieften Verstehen dienende Modellhaftigkeit der Situation, betont. Indem Therapeut und Patient eine inszenierende Interaktion oder Erprobung vorbereiten, durchführen und nachbereiten, erhält der Patient eine Möglichkeit, den Unterschied zwischen dem Erwarteten und dem Geschehenen zu verstehen und einen differenzierenden Schritt seiner Selbstwerdung zu vollziehen. (Heisterkamp 1999a, Moser 2001, Scharff 2004) Auf der leiblichen Grundlage dieser Erfahrungen findet sich auch ein leib- und erlebensfundierter Zugang zu den Abwehr- und Sicherungsfunktionen dieser psychosozialen Arrangements. (Worm 2003, 2004) Die Reflexion begleitet den gesamten Prozess auch insofern, als die therapeutische Kompetenz gerade darin besteht, die Stellen im therapeutischen Prozess, wo der Patient steckengeblieben ist und sich seine Selbstbehinderung in Szene setzt, zu bemerken und ihm diese Form seiner Selbstsicherung vermitteln zu können. Durch die Kunst therapeutischer Interventionen werden die Fixstellen der individuellen Entwicklung dem reflexiven Bewusstsein des Patienten zugänglich gemacht. Die Nachbetrachtung ist nicht ein Anhängsel, sondern die vorläufige Abrundung einer therapeutischen Phase. Das vorangegangene, gemeinsam durchlebte Wirkungsgeschehen und das aufgetauchte analytische »Material« wird auf eine sprachsymbolische Ebene gehoben, zusammengefasst und mit den bisherigen Einsichten verbunden. Ein wesentlicher Bestandteil der abschließenden Reflexion besteht auch in der Klärung, ob die körperbezogene Arbeit für den Patienten bekömmlich war. Eine leiborientierte Intervention wird wie jede andere im analytischen Prozess vorbereitet, in ihrer Wirkung beobachtet und nachbereitet. Es passiert nichts prinzipiell Neues, lediglich die Dimensionen des Ausdrucks und des Zugangs werden im Sinne einer ganzheitlich orientierten Therapie erweitert. Da die Patienten ihr Handeln in der psychotherapeutischen Situation reflexiv begleiten, erwerben sie bereits während der Erprobung auf der operativen Erfahrungsgrundlage sowie bei der nachträglichen Analyse der Szene ihre fundierten Einsichten. Aus dem operativen Verstehen erwächst das reflexive. Das operative Verstehen verhindert ein erlebensleeres Analysieren. Indem die früh entwickelten Beziehungsmuster im aktuellen Wirkungsgeschehen zwischen Patienten und Analytiker aufgespürt und sowohl operativ als auch reflexiv bearbeitet werden, bleibt die Analyse an den Prinzipien der Realität orientiert. Patient und Psychotherapeut arbeiten an der aktuellen Wirklichkeit der Patienten und unter dem vollen Einsatz ihrer adulten Potenzen. In allen oben angeführten Beispielen finden die Patienten einen Möglichkeits- und Anregungsraum, in dem sie leibfundierte Erfahrungen machen können. In ihnen gründen tiefe psychologische Einsichten, die in der nachträgli-
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chen Analyse daraus abstrahiert und sprachlich gefasst werden können. Oft haben sie sich bereits vor der nachträglichen Reflexion dem operativen oder präsentischen Verstehen im Vollzug der Handlungseinheit erschlossen und führen in der anschließenden Analyse zu einer ihrerseits wieder heilsamen und wohltuenden Ab- oder Übereinstimmung zwischen Patient und Therapeut. Wenn Scharff die Behandlungssequenz mit seiner oben erwähnten Patientin sprachlich differenziert zusammenfasst, gründet die sprachliche Analyse auf den handlungsmäßigen Vorerfahrungen. Jede sprachliche Verdichtung impliziert eine andere therapeutische Wirkung, je nachdem, aus welchem Behandlungskontext sie erwachsen ist. „Ich verstehe die ersten drei Szenen so, dass sie im vertrauten Muster psychischer Abwehr verlaufen. Zunächst versucht die Patientin im »Wegschnippen« die Entwicklung einer schmerzlichen Erfahrung seelisch zu eliminieren, indem meine Bedeutung für sie nicht existieren soll. Im nächsten Schritt (endloses Einschlagen) scheint sie sich einem in seiner Nicht-Einfühlung unerreichbar überlegenen feindseligen Objekt gegenüber zu befinden, von dem sie sich in einem blindwütigen Aktionsrausch befreien möchte. Auf diese Weise ist die Trennung nicht zu realisieren, sie bleibt ein psychisch Unfassbares, Allmacht und Ohnmacht bedingen einander. Die Patientin bleibt aber nicht in dieser Position. Auf dem Hintergrund vieler Jahre analytischer Arbeit und Konfrontation, des in der analytischen Beziehung gewachsenen Vertrauens und der Einsicht in die selbstdestruktiven Aspekte ihres Rückzugs kommt es zur entscheidenden Progression in eine neue mentale Position, in der sie es zulassen kann, ihre Beziehung zu mir neu zu begreifen. Sie muss nun nicht mehr versuchen, meine Bedeutung psychisch zu vernichten, sondern sie kann, auch und gerade wenn ich mich von ihr trenne, meine Bedeutung für sie anerkennen und sich darin erkennen lassen. Sie fasst dies in die Worte: »Bitte geh nicht«. Wenn sie nach der Szene sagt, dass sie »es nicht fassen kann«, hat sich etwas ganz Entscheidendes geändert. Ihr Schmerz ist psychisch real geworden, es gibt den Schmerz in einer gemeinsamen Zeugenschaft. Sie und ich, wir beide wissen um ihr Leid. Das analytische Arbeitsobjekt, um das es in der Schlussphase der Behandlung geht, hat sich konfiguriert – das Erleben schmerzhafter Trauer.“ (Scharff 2004, S. 77) Ich finde die Zusammenfassung sehr treffend. Ich scheue jedoch davor zurück, das Erleben schmerzhafter Trauer in der ausklingenden Phase der Analyse als „Arbeitsobjekt“ zu bezeichnen, weil die Formulierung eine diagnostisch distanzierte Analyse zu entwerfen scheint. Die leibseelische Erfahrungsgrundlage des Trennungsschmerzes der Patientin und des Therapeuten sind weniger ein Gegenstand der folgenden Stunden als vielmehr die Erlebensgrundlage der weiteren psychotherapeutischen Interaktion und Elaboration. Die szenischen Erfahrungen bilden die Handlungsgrundlage eines operativen Verstehens, das allmählich abstrahiert, symbolisiert und integriert werden kann.
3. Das psychotherapeutische Werk Die Schwierigkeiten, Schnittmengen und Unterschiede zwischen Psychoanalyse und Körperpsychotherapie herauszuarbeiten, liegen in den Problemen der Vergleichsbasis. Letztlich ist es nicht eine Frage des Austauschs von Worten, der in
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beiden Verfahren sehr hoch ist. Etwas weiter bringt uns meines Erachtens der Begriff der Szene, die immer eine bewusste oder unbewusste Bedeutung ausbildet. Die klassische Situation „Analytiker hinter der Couch“ stellt ebenso eine Szene dar wie „Therapeut schlägt eine inszenierende Interaktion vor“. Aus diesem Grunde gehe ich von den Wirkungszusammenhängen zwischen Patient und Therapeut und des sich dabei ergebenden Beziehungsgefüges aus und unterscheide Merkmale heilsamer und unheilsamer Wirkungseinheiten. Darin äußert sich auch die Annahme, dass das eigentliche Therapeutikum in der Art und Weise des gemeinsam geschaffenen psychotherapeutischen Werkes und der Art und Weise der unmittelbaren und mittelbaren Teilhabe daran liegt. Wie das letzte Beispiel noch einmal eindringlich zum Ausdruck bringt, handelt es sich bei Behandlungen um ein einmaliges Wirkungsgeschehen zwischen einem individuellem Patienten und einem individuellem Therapeuten. Deswegen ist die Beschreibung eine unumgängliche Methode, um die intersubjektive Geschichte eines Patient-Therapeuten-Paares zu erfassen. Die herkömmlichen „Supervisionen“ oder „Kontrollanalysen“ sind in der latenten Gefahr, im Banne der Worte (überprüfen, kontrollieren usw.) zu bleiben und zu erziehenden oder wertenden Beeinflussungen zu werden. Darüber geht leicht der Sinn für die schöpferischen Kräfte des Patienten und des Therapeuten sowie des gesamten therapeutischen Werkes verloren. Trotz der Einmaligkeit der PatientTherapeuten-Kontakte und ihrer Entwicklungen gibt es aber auch allgemeine Wesensmerkmale der psychotherapeutischen Behandlung, die unabhängig von der individuellen Gleichung des Patienten oder der des Therapeuten gelten. Je mehr sich die zirkuläre Auffassung von Übertragung und Gegenübertragung in der analytischen Forschung behauptet, umso deutlicher wird, dass die tradierten Inbegriffe psychoanalytischer Behandlung (Assoziationen, Einsicht, Abstinenz, Neutralität, Übertragung, Gegenübertragung usw.) ihren Sinn erst bezogen auf die umfassende therapeutische Wirkungseinheit erhalten. Psychotherapeutische Behandlung vollzieht sich in einem spezifisch strukturierten „Behandlungswerk“ (s. Endres und Salber 2001, Salber 2001), das als umfassende seelische Wirkungseinheit mehr und anderes ist als die isolierten Kompetenzen des Patienten und des Analytikers. Insbesondere gilt das für die Gruppentherapie, in der die Grundregel der freien Assoziation analog zum Grundsatz der freien Interaktion (ohne sich und andere körperlich zu verletzen) modifiziert wird. So wie die sich zwischen Patient und Therapeut entwickelnde Wirkungseinheit die individuelle Kompetenz jedes einzelnen übersteigt, so sind zehn Personen, wie Ware hervorhebt (i. d. B.) als Gruppe kompetenter als zehn Einzelpersonen. Auch in Supervisionen werden die gruppendynamischen Vorgänge, die sich spontan oder auch in der szenischen Interaktion entwickeln, besonders aufschlussreich für die unbewussten Wirkungszusammenhänge zwischen dem Unterstützung suchenden Kollegen und seinem Patienten. Das aktive Handeln und Mithandeln des Analytikers hat im analytischen Behandlungswerk eine viel größere Bedeutung, als das um eine „reine“ Psychoanalyse bemühte Bestrebungen wahrhaben wollen. Die immer wieder zwischen Patient und Analytiker entstehenden Enactments bilden das Feld und das Medium für Strukturierungen und Umstrukturierungen. Die Dissonanz der aktuellen Erfahrungen mit den mehr oder weniger bewussten Erwartungen bringt die Beziehungsbilder in den Fokus des Erlebens. Die bisherigen „Repräsentan-
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zen“ müssen mit den aktuellen Erfahrungen neu in Einklang gebracht werden. Indem der Patient diese überkommenen Muster modelliert, findet eine allmähliche Umbildung seiner seelischen Wirklichkeit statt. In diesen fruchtbaren Momenten des Behandlungsprozesses ereignet sich wirklich so etwas wie eine korrektive emotionale Erfahrung. Hier von korrigierender emotionaler Erfahrung zu sprechen, verkennt das Gemeinte. (Heisterkamp 2002a, S. 47) Das Schöpferische dieser Selbstbehandlung ist allerdings komplexer als dieses geflügelte Wort aus den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, als gerade erst der psychotherapeutische Umgang mit der Gegenübertragung entdeckt wurde, es hergibt; denn es bezieht sich auf einen Umbildungsprozess, der sich während der Teilhabe an der therapeutischen Wirkungseinheit ereignet. Ich habe das psychotherapeutische Wirkungsgefüge zwischen Patient und Analytiker auf den Begriff der Mit-Bewegung gebracht und durch zwölf Konstruktionsprinzipien gekennzeichnet (Heisterkamp 2005a). Mit ihnen wird eine eigene „Werkstatt“ mit einem gesicherten „Wirkungsraum“ eingerichtet. Sie sind die „Arbeitsprinzipien“ oder „Werkzeuge“ tiefenpsychologischer Behandlung. Indem Psychoanalytiker und Patient sie entwickeln und aufrechterhalten sowie die Mit-Bewegung immer wiederherstellen, wenn sie verloren zu gehen droht, entfaltet die Teilhabe an diesem Werk ihre eigenen heilsamen Anregungen und Wirkungen. Bettighofer fasst in seinem Abschlusskapitel die wesentlichen Wirkungen der interaktionellen Übertragungs-Analyse zusammen. Ich möchte sie im Folgenden in mein Konzept der verstehenden Mit-Bewegung integrieren. Den zentralen Bezugspunkt analytischer Behandlung bilden dabei die Wirkungszusammenhänge zwischen Patient und Therapeut, in denen jeder jeden bewegt (Übertragung und Gegenübertragung) und beide darüber hinaus noch von der umfassenden Wirkungseinheit bewegt werden. Die Behandlung ist auf die Lebensbewegung des Patienten bezogen und die Rolle des Analytikers ist folglich durch eine Mit-Bewegung charakterisiert. In diesen Kontext gehören auch die fünf Punkte, mit denen Bettighofer (i. d. B.) die Wirksamkeit der interaktionellen Übertragungsanalyse erläutert: 1. Die subjektive Erfahrung wird primär angenommen und der Patient fühlt sich in seinem Denken und Fühlen angenommen. – Das ist der Grundgedanke der verstehenden Mit-Bewegung. Die Fuge zwischen „Mit“ und „Bewegung“ macht darüber hinaus noch auf die Dialektik aus Einfühlung in den Patienten (Bindestrich) und die Wahrnehmung des eigenen Erlebens (Trennungsstrich) aufmerksam. Eine leibfundierte Analyse würde in diesem Zusammenhang noch die existenzielle Resonanz betonen, die neben dem Denken und Fühlen auch die leiblichen Artikulationen des Selbst in ihrer grundlegenden Bedeutung beachten. 2. In belastenden Übertragungssituationen werden die Wahrnehmungen des Patienten angenommen und zusätzlich mit ihrer Weiterverarbeitung verbunden. – In der Selbstpsychologie geschieht das, indem die Selbstobjektbedürfnisse im Erleben des Patienten aufgespürt und die Diskrepanz zwischen dem Erleben des Patienten und dem des Therapeuten nicht nur getrennt gehalten, sondern auch psychotherapeutisch transformiert werden können. Hier wird deutlich, dass die Mit-Bewegung eine psychotherapeutische ist und bleibt, wenn alle Selbstartikulationen des Patienten und des Therapeuten in den Dienst eines tie-
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feren Verständnisses für die Lebensbewegung des Patienten und seine Selbstbehandlung gestellt werden. 3. Wenn der Patient sowohl seinen Anteil wie auch den des Therapeuten besser annehmen und verarbeiten kann, entwickelt sich eine Versöhnlichkeit und eine Subjekt-Objekt- bzw. Subjekt-Subjekt-Differenzierung. – Durch die unmittelbare Erfahrung einer dialektischen Mit-Bewegung, die ständig das Trennende und Verbindende zu regulieren hat, übt der Patient sich allmählich in die Dialektik wechselseitiger Anerkennung ein. Indem der Patient sich in heilsamer Weise gespiegelt fühlt, übt er sich selber in die Kunst der resonanten Kooperation ein. 4. Durch seine Authentizität und Bereitschaft, auch über sich selbst und seinen Anteil zu reflektieren, wird der Therapeut zu einem guten Modell für eine konstruktive Auseinandersetzung. – Im Konzept der Mit-Bewegung ist mit dem guten Modell nicht nur eine individuelle Haltung des Therapeuten gemeint, sondern das umfassende psychotherapeutische Werk. Die Teilhabe an der Einrichtung dieses Werkes, an seiner Erhaltung oder auch an seiner Wiederherstellung, wenn es verloren gegangen ist, sowie die schließliche Auflösung implizieren psychotherapeutische Wirkungen. Beim Bemühen um Wiederherstellung ist es besonders wichtig, dass der Therapeut die Wahrnehmungen des Patienten validieren kann und weder seinen eigenen Anteil an den Beziehungsschwierigkeiten noch die Differenz zwischen sich und dem Patienten verleugnen muss. Darüber gewinnt der Patient zunehmend ein Gespür für den zwischenmenschlichen Beziehungsraum. 5. Durch die wiederholten kooperativen Erfahrungen kommt es zur Bildung einer neuen Interaktionsrepräsentanz. – Die Teilhabe an dem psychotherapeutischen Werk der Mit-Bewegung ist das basale Agens psychotherapeutischer Behandlung. Das Wirkungsgeschehen zwischen Patient und Therapeut bildet das operative, kooperative und konstruktive Feld, in dem neue Bilder der Wirklichkeit erfunden und erprobt, abstrahiert und internalisiert werden können. Nach meinen Forschungen zur Freude in der Psychotherapie würde ich abschließend noch besonders betonen, dass der Analytiker sich von der tiefen Freude des Patienten, wenn ihm ein Neubeginn (Balint) oder eine Selbsterneuerung (Kohut) gelungen ist und sich eine Engstelle seines Seins erweitert (Winnicott), berühren lässt und dass er auch die eigene Freude am gelingenden Therapiewerk nicht verleugnet. In der gemeinsamen Freude ereignet sich dann zwischen beiden eine basale Form wechselseitiger Resonanz und Anerkennung. (Heisterkamp 2003d)
Günter Heisterkamp, Universitätsprofessor, Dr. phil., ehem. Universität Essen, Psychoanalytiker, Lehr- und Kontrollanalytiker der DGPT, DAGG und DGIP Adresse: D-40883 Ratingen, Stolsheide 5 E-Mail:
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KAPITEL
3 Analyse der Lebensbewegungen in der Gruppe
Analytische Körperpsychotherapie der Anorexia nervosa Rudolf Maaser
1. Einleitung Die Anorexia nervosa ist keine Krankheit im Geheimen. Der abgemagerte Körper ist sichtbar und hat eine enorme Ausdruckskraft für jeden, der sich näher mit dieser Erkrankung beschäftigt. Die körpertherapeutische Behandlung bietet sich gewissermaßen zwangsläufig an, denn was sich im körperlichen Ausdruck als Krankheit zeigt, muss auch umgekehrt über den Weg des Körpererlebens verändert werden können. Das Körpererleben der Anorexia-nervosa-Patien1 tinnen bzw. dessen psychotherapeutische Konzeptualisierung ist also unser Thema. Dabei soll das klinische Material in seiner Anschaulichkeit im Mittelpunkt stehen. Als Verständnisrahmen müssen hierfür zunächst die wichtigsten theoretischen und konzeptuellen Eckpunkte umrissartig dargestellt werden.
2. Theorie- und therapiegeschichtliche Aspekte 2.1. Thomäs klassischer Ansatz Nähert man sich der Anorexia nervosa aus tiefenpsychologischer Sicht, so ist als erstes das Werk von Thomä (1961) über die Geschichte, Klinik und Theorien der Pubertätsmagersucht zu nennen. In dieser Studie, die in ihrem empirischen Teil ganz an der Methode der klassischen psychoanalytischen Einzelbehandlung orientiert ist, legt Thomä zum ersten Mal eine umfassende Darstellung dieses Krankheitsbildes vor. Die wichtigsten Eckpunkte sind (Thomä 1961, S. 251 ff.): • Als Grundlage der Magersucht konzipiert Thomä eine Konfliktstruktur nach klassischem Muster der Psychoanalyse: Einem Es auf der einen Seite, das als riesiges Potenzial an sexuellen, aggressiven und vor allem oralen Triebrepräsentanzen verstanden wird, steht auf der anderen Seite ein asexuelles Ich-Ideal als wesentlicher Bestandteil eines übermächtigen Über-Ichs gegenüber. • Die Konfliktstruktur ist auf der Beziehungsebene an die ödipalen Elternfiguren gebunden. • Das Ich der Patienten, gewissermaßen zwischen den Konfliktfronten stehend, muss vielfältige Abwehrmechanismen in Gang setzen und wird 1
Das Thema der männlichen Magersucht wird ausgeklammert, da bei dessen Schwierigkeitsgrad m. E. ein eigenständiger Arbeitsansatz erforderlich ist.
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Rudolf Maaser dadurch erheblichen Ich-Veränderungen unterzogen. Im Zentrum steht dabei eine umfassende Regression auf die orale Entwicklungsstufe: Ödipal gebahnte, libidinöse und aggressive Triebwünsche werden abgewehrt, auf die orale Ebene verschoben und am Körper mit dem entsprechenden anorektischen Verhalten ausgetragen.
2.2. Theoretische Weiterentwicklung Von diesem Orientierungspunkt aus die Theoriegeschichte der Anorexia nervosa bis in die Gegenwart im Einzelnen auszuführen, wäre sicher eine eigenständige Arbeit, denn die umwälzenden Entwicklungen der modernen Psychoanalyse in den letzten Jahrzehnten finden naturgemäß auch in unserem Thema der Magersucht ihren Niederschlag. Umrissartig möge daher der Hinweis auf folgende Schwerpunktverschiebungen (Übersicht bei Reich 1997) als Rahmen genügen: • In modernen Konzepten wird die Anorexia nervosa nicht mehr ausschließlich im Rahmen von Triebkonflikten, sondern vielmehr als Entwicklungsstörung verstanden, d. h. Konflikte um die Themen von Trennung, Grenzen und Autonomie werden auf den Körper verschoben. • Die Konflikte werden komplex auf allen Stufen der individuellen Entwicklung konzeptualisiert: Trennungs- und Autonomiekonflikte werden nicht mehr nur in traditioneller Weise auf der präödipalen und der ödipalen Entwicklungsstufe beschrieben, sondern über das Thema der abgewehrten Weiblichkeit rücken Entwicklungsstörungen in der Pubertät und der Adoleszenz immer deutlicher in den Fokus des wissenschaftlichen Interesses. Zusammenfassend kann man also davon ausgehen, dass sich eine breit aufgefächerte Sicht dieses Krankheitsbildes entwickelt hat. Außerdem gibt es m. E. einige gute Anhaltspunkte, um den heutigen Konzepten einen geschärfteren Blick auf Phänomene des Körpererlebens zu attestieren. „Die Anorexie ist der Versuch, die Raumgrenze zwischen der eigenen Person und anderen Personen, den Abstand zu Mutter, Vater und anderen aufrechtzuerhalten, ohne sich von diesen zu trennen...“ (Reich 1997, S. 53) Dies ist eine Definition, die schon in ihrer Wortwahl „geradezu hautnah“ klingt. Auch Erwägungen über den kommunikativ-symbolischen Ausdrucksgehalt des mageren Körpers als „eine Anklage, ohne anzuklagen, der Gewinn von Aufmerksamkeit ohne offene Konkurrenz, eine (phallische) Rivalität, ohne offen zu rivalisieren“ (Reich 1997, S. 60) wären ein Beleg für diese Sichtweise.
2.3. Empirische Forschung Für die Bearbeitungsgrundlage unseres Themas ist nun auf eine weitere Entwicklungslinie hinzuweisen, nämlich die empirische Forschung. Sie hat sich in den letzten Jahrzehnten ausgiebig mit der Anorexia nervosa befasst und einen kaum mehr überblickbaren Fundus von Forschungsergebnissen erbracht. So wissen wir heute beispielsweise vieles über die genetische Prädisposition (Übersicht bei Treasure u. Holland 1995) oder über die physiologischen Abläufe des Hungerns und der Abmagerung. (z. B. Blundell u. Hill 1993, Szmukler u. Tantam 1984) Auch im Bereich der Körperwahrnehmung und der Beziehung zum eigenen Körper der Anorexie-Patienten wurde viel geforscht. Die Ergeb-
Analytische Körperpsychotherapie der Anorexia nervosa
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nisse sind vielgestaltig, oftmals in Details widersprüchlich und gegenwärtig keinesfalls alle unter das Dach einer einheitlichen theoretischen Sichtweise zu bringen. Es zeichnen sich jedoch auch ein paar entscheidende Kristallisationspunkte ab. Im Überblick gesehen (Zusammenfassungen z. B. bei Garner 1995 oder Rosen 1996; vgl. auch Sack et al. 2002) ergibt sich aus der empirischen Körperbildforschung, dass Patientinnen mit Anorexia nervosa • eine oftmals schwer verzerrte Wahrnehmung ihrer Körpermaße meist in Richtung einer Überschätzung aufweisen • und dass eine massive Abwertung und Ablehnung des eigenen Körpers besteht. Für die Körperpsychotherapie ist damit ein breites Feld möglicher therapeutischer Ansatzpunkte abgesteckt. Dass die empirische Forschung dabei die klinische Erfahrung der relativ geringen Beeinflussbarkeit dieser Körperbildstörungen immer wieder bestätigt (zuletzt bei Sack et al. 2002), darf als eine besondere Herausforderung für unseren körpertherapeutischen Ansatz gelten.
2.4. Stationäre Behandlung Wenden wir uns nun der Therapiegeschichte der Anorexia nervosa zu, so fällt zuerst der Blick auf die stationäre Psychotherapie. Sie hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einem festen Bestandteil der psychotherapeutischen Versorgung entwickelt. Im historischen Vergleich zeigt sich, dass die stationäre Psychotherapie tiefenpsychologischer Orientierung schon immer offen war für nonverbale Verfahren. (Janssen 1987, S. 163 ff.) In dieser Nische der zusätzlichen Therapieangebote der psychotherapeutischen bzw. psychosomatischen Kliniken hat sich die körperbezogene Psychotherapie entwickelt (historische Herleitung bei Geuter 1996), zumindest war die klinisch-stationäre Anwendung in Hinblick auf die praktische Verbreitung und den damit wachsenden Bekanntheitsgrad ihr hauptsächlichstes Entwicklungsfeld. (Müller-Braunschweig 1997, S. 133) So gilt heute die körperbezogene Psychotherapie als fester Bestandteil des extraverbalen, kreativen Zwischenbereichs der stationären Therapiemethoden. (Janssen 2004, S. 220) Da die Anorexia nervosa aufgrund der Schwere des Krankheitsbildes gleichsam „bestens geeignet“ ist für die stationäre Behandlung, nimmt es denn auch nicht Wunder, dass die Behandlungsfortschritte in den letzten Jahrzehnten vorwiegend im Rahmen stationärer Konzepte erreicht worden sind. Wurde die Magersucht noch in den späten 60er Jahren, vor allem unter dem wegweisenden Einfluss der Arbeit von Thomä (1961), „rein psychotherapeutisch“ behandelt, so ist die moderne stationäre Behandlung der Anorexia nervosa in ihrer Kernaussage als eine Kombination von Wiederauffütterung und psychotherapeutischer Aufarbeitung der zugrunde liegenden Persönlichkeitsprobleme konzipiert (Übersicht bei Herzog u. Zeeck 1997). Bei aller Vielfalt der stationären Behandlungskonzepte lassen sich auch unter Einbeziehung nicht tiefenpsychologisch orientierter Ansätze folgende Punkte der Übereinstimmung (vgl. hierzu Herzog u. Zeeck 1997, S. 75 f.) festhalten: • Symptomorientierte Wiederauffütterungsprogramme und psychotherapeutische Ansätze lassen sich zu einem Gesamtkonzept integrieren. • Gewichtsnormalisierung bildet die unverzichtbare Grundlage der Behandlung, genügt aber alleine noch nicht. • Als Ziel der Wiederauffütterung muss eine bestimmte Gewichtsgrenze erreicht werden, zumeist wird ein anzustrebendes Mindestgewicht von
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Rudolf Maaser etwa BMI 19 angegeben. (Da empirische Untersuchungsbelege hierfür fehlen, kann diese Angabe natürlich kontrovers diskutiert werden, siehe Herzog u. Zeeck 1997, S. 88.) Im Mittelpunkt steht jedoch unbestritten die psychische Assimilation des Gewichts als Therapieziel.2 An diesem Punkt wird auch die Bedeutung der körperbezogenen Methoden ohne Einschränkung anerkannt. Für eine gesunde Weiterentwicklung kann die stationäre Behandlung nur ein erster Schritt sein. In den allermeisten Fällen sind eine ambulante psychotherapeutische Weiterbehandlung und oftmals auch weitere stationäre Behandlungsschritte zwingend erforderlich.
Zusammenfassend können wir also festhalten, dass körperbezogene Therapiemethoden in modernen Behandlungskonzepten der Magersucht durchaus „ihren angestammten Platz“ gefunden haben, denn es gilt, das körperliche Erleben der Gewichtszunahme schrittweise in ein gesünderes Körperbild zu integrieren. Dies markiert dann auch die Ebene, auf der unser Ansatz der analytischen Körperpsychotherapie zu konzeptualisieren ist.
3. Ansatz der analytischen Körperpsychotherapie Für die körperbezogene Psychotherapie hat Downing in einem umfassenden Ansatz (Downing 2002) die Grundlagen für die Behandlung der Essstörungen erarbeitet. Downing vertritt zwar in der Praxis ein aus psychodynamischen und kognitiv-verhaltenstherapeutischen Elementen kombiniertes Konzept, seine theoretische Ausrichtung ist jedoch so breit angelegt, dass er damit auch das methodologische Terrain absteckt, auf dem eine modern ausgerichtete analytische Körperpsychotherapie ansetzen muss. Wir fassen die Argumentationslinie Downings in drei Schritten zusammen: • In Hinblick auf die ätiologischen Grundlagen zeigt Downing, dass ein solch komplexes Krankheitsbild wie die Magersucht nicht eindimensional erklärt werden kann. Neben genetischen Prädispositionen, Störungen in der präverbalen Entwicklungsphase, Einflüssen des Familiensystems diskutiert er unter anderem auch die Funktionen und die physiologischen Abläufe des Hungerns sowie nicht zuletzt auch die Bedeutung 3 kulturspezifischer Faktoren. Downing interpretiert die Anorexie nicht so sehr als Ausdruck eines Kampfes um Autonomie, sondern er versteht sie vielmehr als Rebellion, und zwar als Rebellion gegen die gesellschaftlichen Normen für junge Frauen, immer schlank sein und eigene Bedürf-
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Die Angabe einer Zahl als Therapieziel ist m. E. per se schon ein Irrtum. Das Wiedereinsetzen der Periode als „psychosomatisches Ziel“ oder die Entwicklung eines integrierten, altersentsprechenden Körperbildes treffen die Sache besser, wobei natürlich besonders der letzte Punkt oftmals schwer zu operationalisieren ist. 3 Downing erwähnt nicht den besonders in den späten 70er Jahren viel diskutierten phylogenetischen Ansatz (z. B. bei Jonas u. Jonas 1977): Als wir in grauer Vorzeit als Jäger und Sammler über die Steppen streiften, hatten wir häufig lange Hungerperioden zu überstehen. Mitglieder der Horde, die länger als andere hungern konnten und so besser für deren Bestand sorgten, hatten sicher eine herausragende Stellung. Obgleich dieser Ansatz naturgemäß als spekulativ einzuordnen ist, ist die Parallele zur Familiendynamik von Anorexie-Patientinnen, die sich oftmals unbewusst für den Zusammenhalt und damit für das „Überleben“ der Familie aufopfern, durchaus evident.
Analytische Körperpsychotherapie der Anorexia nervosa
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nisse unterdrücken zu müssen. Diese Normen werden durch das anorektische Krankheitsverhalten gleichsam genial unterlaufen, indem sie „in ihr parodistisches Extrem“ (Downing 2002, S. 16) verwandelt werden.4 Damit besteht Downing nicht mehr nur in klassischer Weise auf den Bedingungsfaktoren in der frühen Kindheit, sondern erweitert die Sichtweise um die gesellschaftliche Dimension. Wie gesellschaftliche Normen heutzutage auf den heranwachsenden Frauen lasten und so auch die inneren Kämpfe unserer Anorexie-Patientinnen bestimmen, wird damit besser verständlich. Grundlage der Therapie ist für Downing die moderne Säuglingsforschung. In diesem Punkt rekurriert Downing auf sein Konzept der affektmotorischen Schemata, mit dem er die ersten motorisch ablaufenden Handlungen zwischen dem Säugling und primären Bezugspersonen erfasst. (Ausführlich hierzu Downing 1996, S. 131 ff.) Diese ersten Interaktionen sind präverbal, sozusagen basal-motorisch gebunden, und strukturieren zum einen die eigenen affektiven Erfahrungen und zum anderen das Gefühl von Nähe und Distanz des Säuglings im Umgang mit anderen Personen. Downing nimmt seine eigene klinische Erfahrung und die vieler Körperpsychotherapeuten in der Therapie mit AnorexiePatientinnen als Beleg, dass Störungen im Bereich dieser affektmotorischen Schemata die spätere anorektische Entwicklung bahnen, und verweist an dieser Stelle auf die Ergebnisse der Säuglingsforschung (Downing 2002, S. 22 ff.), die den Umgang von anorektischen bzw. bulimischen Müttern mit ihren Säuglingen vielfach untersucht hat. Demnach verhalten sich anorektische Mütter
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übermäßig kontrollierend, sie unterbrechen die kindliche Aktivität oft, es fehlt eine zeitlich abgestimmte passende Antwort, wenn der Säugling Kontakt aufnehmen will, sie sind zumeist körperlich angespannt und nicht zuletzt im Vergleich zu bulimischen Müttern sind sie allgemein weniger aktiv, eher distanziert-zurückhaltend und vor allem ungeschickter in körperlicher Hinsicht.
Geht man von der Hypothese aus, dass diese Mütter zumindest einige Besonderheiten des Pflegeverhaltens, das sie in ihrer Kindheit erfahren 5 haben, im Umgang mit ihren Kindern wiederholen , so lässt sich leicht nachempfinden, dass das Körpererleben der späteren Anorexie-Patientinnen entscheidend von solchen ersten körperlichen Erfahrungen mit den primären Bezugspersonen geprägt ist, was dann schließlich, wie Downing (2002, S. 24) resümiert, im Fehlen eines autonomen Selbstbildes klinisch zum Ausdruck kommt. Dieses Defizit durchdringt tiefgreifend das Selbstgefühl als körperlich handelnde Personen im Sinne einer
Bei dieser Definition sollte nur nicht überlesen werden – Downing weist darauf hin – dass es sich hierbei nicht um eine gesunde kreative Leistung, sondern um ein schwer pathologisch verzerrtes Bestreben handelt, das in seiner letzten Konsequenz schließlich zur Selbstzerstörung führt. 5 Die Problematik dieser Hypothese wird von Downing durchaus gesehen. (A. a. O., S. 22)
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Rudolf Maaser basalen Körperbildstörung und hat deutliche Schwierigkeiten der Patientinnen im „Aussenden und Empfangen“ von Emotionen (Downing 2002, S. 25), d. h. eine entsprechende Kontakt- und Beziehungsstörung zur Folge. Aus dieser genetischen Sichtweise ergibt sich zusammenfassend folgerichtig der Behandlungsansatz, „das Körpererleben der Patientin systematisch in den Vordergrund des therapeutischen Geschehens zu rücken“ (Downing 2002, S. 10). Hierfür nennt Downing (2002, S. 31 f.) zwei Ansatzpunkte, nämlich Lokalisierung und Beschreibung. In diesem Sinne lernen die Patientinnen, ihre eigene Körperwahrnehmung schrittweise orientierend zu strukturieren sowie ihre Wahrnehmung immer besser hinsichtlich Emotionen und körperlichen Empfindungen zu differenzieren und sprachlich zu erfassen.
Der Weg der körperbezogenen Psychotherapie führt von der Körperwahrnehmung über die differenzierte sprachliche Erfassung hin zu Veränderungsmöglichkeiten, d. h. damit werden die Grundlagen für Entwicklungsschritte, letztlich Nachreifungsschritte, erarbeitet. So verstanden entwirft hier Downing einen allgemeingültigen Ansatz für die körperbezogene Psychotherapie der Anorexia nervosa und plädiert an dieser Stelle, wie eingangs schon erwähnt, teilweise für einen kognitiv-verhaltenstherapeutischen Bearbeitungsmodus. Dies ist selbstverständlich ein vertretbares Konzept, andere Wege sind jedoch auch möglich, nämlich am Körpererleben im Rahmen eines psychoanalytischen bzw. tiefenpsychologischen Konzeptes im Sinne eines das Ich stützenden und Defizite des Selbst ausgleichenden Ansatzes zu arbeiten. Diesen Weg will die vorliegende Arbeit anhand von Beispielen aus der klinische Praxis veranschaulichen.
4. Empirisches Material 4.1. Vorbemerkung Um die Besprechung unserer Fallbeispiele möglichst nicht dem Risiko vermeidbarer Missverständnisse auszusetzen, müssen vorab stichpunktartig die Rahmenbedingungen der Behandlung erläutert werden, die für das Verständnis unseres Anschauungsmaterials wichtig sind: • Unsere Beispiele stammen aus einer stationären psychosomatischen Therapie mit einem speziellen Therapieprogramm für AnorexiePatienten nach dem heute üblichen Standard. Wir berichten also über Ausschnitte aus der Therapie, nicht über Ergebnisse aus der Forschung. • Die Besonderheit unseres Therapieprogramms liegt in der Betonung des körperbezogenen Therapieansatzes: Alle Anorexie-Patientinnen nehmen an einer speziell für anorektische und bulimische Essstörungen entwickelten Gruppe teil, die nach dem Konzept unserer körperbezogenen Psychotherapie arbeitet. (Ausführlich bei Maaser et al. 1994) • Diese indikative (nur aus Anorexie-Patienten bestehende) Gruppe zieht sich als Leitlinie von der Aufnahme bis zur Entlassung durch die gesamte Therapie jeder einzelnen Patientin, d. h. auch anorektische Krank-
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heitsbilder in einem schwer dekompensierten Zustand (bis zu einem niedrigsten Gewicht von etwa 30 kg)6 werden sofort von Beginn ihres stationären Aufenthaltes an körperpsychotherapeutisch behandelt.7 Die Patientinnen sind bzw. werden im weiteren Verlauf schrittweise in ein Bündel von anderen Therapiemaßnahmen, insbesondere Einzelgespräche und verbale Gruppenpsychotherapie, integriert. Die in unseren Fallbeispielen berichteten therapeutischen Verläufe und Effekte sind deshalb im Rahmen eines komplexen Zusammenspiels dieser verschiedenen Therapiemaßnahmen zu sehen. Es darf außerdem nicht vergessen werden, dass die Patientinnen alle in ein Wiederauffütterungsprogramm eingebunden sind. Fortschritte in der körperbezogenen Therapie tragen zur Gewichtszunahme bei, umgekehrt sind entscheidende Veränderungen des Körpererlebens im Sinne eines zirkulären Zusammenhangs nur auf der Grundlage einer Gewichtszunahme denkbar. Unser Anschauungsmaterial stammt aus der oben beschriebenen Grup8 pe (bzw. aus unserer „psychomotorischen Diagnostik“) : Aussagen von Patientinnen, die ihr Körpererleben in bestimmten therapeutischen Situationen schildern (zumeist mitgeschnitten oder nach der Stunde protokolliert), Zeichnungen, die die Patientinnen in der Therapie anfertigen, und 9 Träume, die die Patientinnen selbst berichten und protokollieren.
4.2. Übersicht In der Aufbereitung unseres Anschauungsmaterials wird nun die „körperbezogene Schiene“ gleichsam künstlich aus dem Zusammenhang der gesamten Therapie herausgelöst und als ein therapeutischer Weg beschrieben. Wenn man 10 von einem niedrigsten Aufnahmegewicht von um die 30 kg (bei einer durch-
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Da wir zur Behandlung schwerer psychosomatischer Zustandsbilder und akuter Krisen mit einer speziell hierfür eingerichteten Intermediate Care Station (IC) ausgestattet sind, können wir auch Anorexien auf niedrigstem Gewichtsniveau behandeln. Ausgeschlossen sind lediglich im internistischen Sinne intensivpflichtige Patientinnen. 7 Eine Anorexie mit einem Körpergewicht von 30 kg sofort körperpsychotherapeutisch zu behandeln, ist natürlich nur im Rahmen eines hierauf speziell eingestellten Konzepts möglich. Die Fallbeispiele werden dies deutlich werden lassen. 8 Unsere „psychomotorische Diagnostik“ ist fester Bestandteil der gesamten Aufnahmeuntersuchungen. Alle in einer Woche neu aufgenommenen Patienten werden in einer Gruppe zusammengefasst und mit geschlossenen Augen im Liegen, Sitzen und Stehen ein paar elementare Körperspüraufgaben durchgeführt. Dann fertigen die Patienten jeweils mit der rechten und der linken Hand (geübte und ungeübte Hand mit offenen Augen) eine Zeichnung des eigenen Körpers an, abschließend werden Körpererleben und Zeichnungen besprochen. Dies ist für unsere Patienten der Beginn ihrer Körperpsychotherapie. 9 Es werden Träume verwendet, die sich auf bestimmte Angebote in der Körpertherapie beziehen und den Körper zum Thema haben. Sie werden im Nachfolgenden „Körperträume“ genannt. 10 Bei der folgenden Verlaufsbeschreibung gehen wir von diesem niedrigsten Gewichtsniveau aus, um die ganze Bandbreite der therapeutischen Möglichkeiten der analytischen Körperpsychotherapie aufzuzeigen. Das durchschnittliche Aufnahmegewicht dürfte eher zwischen 35 und 40 kg liegen. Dann ist natürlich eine geringere Gewichtzunahme notwendig und die Behandlungszeit verkürzt sich entsprechend.
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schnittlichen Körpergröße von 165 cm entspricht das einem BMI von etwa 11) ausgeht, umfasst das bis zu einem Gewicht von etwa 60 kg (BMI 22 als fester Markierungspunkt des gesunden Gewichtsbereichs) einen Weg von bis zu 30 kg Gewichtszunahme, wofür bei einem konsequent durchgeführten Wiederauf11 fütterungsprogramm ein Behandlungszeitraum von mindestens sechs, in schwersten Fällen bis zu neun Monaten notwendig ist. Wie verändert sich das Körpererleben unserer Anorexie-Patientinnen auf dieser Strecke von 30 bis 60 kg? An den einzelnen Stationen dieses Weges werden wir das klinische Material eines Fallbeispiels ergänzt mit einzelnen Aspekten aus anderen Therapieverläufen im Sinne eines idealtypischen Verlaufs zusammentragen. Der Übersicht halber gehen wir dabei von einer Einteilung in drei Verlaufsphasen aus: • 1. Phase: 30kg – 35kg (BMI 11 – BMI 13): Dies ist die Einstiegsphase und der Beginn der Therapie. Eine weitere Gewichtsabnahme muss verhindert und eine erste Gewichtszunahme eingeleitet werden. In der Körperpsychotherapie müssen auf dieser Ebene die denkbar schwersten Störungen des Körpererlebens abgefangen werden. Dabei werden wir klinischen Phänomenen wie der Fragmentierung und dem Zerfall des Körpererlebens begegnen. • 2. Phase: 35kg – 47kg (BMI 13 – BMI 17): In dieser Phase kommt der Körperpsychotherapie eine entscheidende Bedeutung zu. Aus den Fragmenten des anorektischen Körpererlebens wird in der therapeutischen Durcharbeitung schrittweise ein gesünderes Körperbild im Sinne einer integrierten Struktur des Körpererlebens „zusammengesetzt“. • 3. Phase: 47kg – 60kg (BMI 17 – BMI 22): Dies ist die Abschlussphase der stationären Therapie. Auf der erarbeiteten Grundlage kann nun die Klärung der innerfamiliären Beziehungen erfolgen. Für das Ziel der Autonomie und der Unabhängigkeit von den Eltern sowie der zukünftigen eigenen Lebensgestaltung gewinnt hier vor allem die verbale Gruppenpsychotherapie als zweites therapeutisches Standbein an Bedeutung. In der Körperpsychotherapie selbst besteht in dieser Phase die Aufgabe darin, zur Erarbeitung einer integrierten psychosexuellen Identität, d. h. zur Annahme der eigenen jugendlichen Weiblichkeit beizutragen.
4.3. Erste Phase 4.3.1. Fallbeispiele Der Schockwirkung, die der Anblick eines abgemagerten Körpers auf diesem Gewichtsniveau auslöst, kann man sich nicht entziehen. So ist auch jede Aufnahme einer Patientin in diesem Zustand immer wieder ein Ereignis für die ganze Klinik. Man muss schon einige Erfahrung damit haben, um sich ein Stück weit davon freimachen zu können. Dann allerdings kann man oftmals feststellen, dass die Patientinnen im Klinikalltag relativ gut zurecht kommen, also auch
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Mit einem Auffütterungsprogramm, im Rahmen dessen alle auftretenden anorektischen Widerstände (Gewichtsstillstand oder -abnahme) therapeutisch konsequent beantwortet werden, ist in der Regel eine Gewichtzunahme gewissermaßen „in einem Zug“ bis in den gesunden Bereich zu erreichen.
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in diesem Zustand zu erstaunlichen Anpassungsleistungen in der Lage sind. Natürlich sind sie, was ihren Körper betrifft, absolut in ihrem anorektischen Krankheitsverhalten und den entsprechenden Einstellungen gefangen. Sie verleugnen den Krankheitswert ihres abgemagerten Körpers, erklären sich für gesund, halten sich manchmal sogar noch für zu dick und haben so zumeist ein bis ins Abstruse verzerrtes „anorektisches Krankheitssystem“ entwickelt. Ein direkter Zugang zu ihrem Körpererleben ist dementsprechend kaum möglich. Um trotzdem darüber etwas in Erfahrung zu bringen, nehmen wir die Zeichnungen, die die Patientinnen im Rahmen der psychomotorischen Diagnostik anfertigen, zu Hilfe. Bei der Betrachtung einer Reihe solcher Zeichnungen fällt zunächst zweierlei auf: Zum einen stellt man erstaunt fest, dass bis auf wenige Ausnahmen alle Patientinnen auf diesem Gewichtsniveau im therapeutischen Sinne verwertbare Zeichnungen herstellen. Außerdem erkennt man, dass darunter auch immer wieder Zeichnungen zu finden sind, die auf den ersten Blick durchaus angepasst und gar nicht so pathologisch wirken. Wir wenden uns zunächst dieser Kategorie zu (Abb. 1):
Angepasst wirkende Zeichnungen von Patientinnen (Abb. 1) 12
Diese Bilder wirken wie Zeichnungen von Kindern: sie sind zwar wenig differenziert, aber vollständig und ganzheitlich. Sie weisen außerdem wenig psychosexuelle Merkmale auf, und alle Patientinnen versuchen irgendwie ein Lächeln zum Ausdruck zu bringen, das ziemlich gequält wirkt. Man könnte sie deshalb als die Bilder der „noch“ fröhlichen Kinder bezeichnen. Was hinter diesem Lächeln zu vermuten ist, wird bei der Betrachtung der Kategorie von Zeichnungen sichtbar, wie sie von den meisten Patientinnen in diesem Gewichtsbereich angefertigt werden (Abb. 2): 12
Wenn die Patienten in der psychomotorischen Diagnostik über Schmerzen klagen, werden sie aufgefordert, die schmerzenden Stellen in ihren Zeichnungen mit Pfeilen zu markieren. Alle Pfeile, auch auf den weiteren Bildern, beziehen sich auf diese Aufforderung.
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Typische Zeichnungen von anorektischen Patientinnen (Abb. 2) In diesen Beispielen kommt die ganze Wucht der anorektischen Pathologie zum Ausdruck: Alles, was oben noch andeutungsweise mädchen- oder jungenhaft aussah, ist fast bis zur Unkenntlichkeit zusammengeschrumpft, die Proportionen sind verschoben, manchmal fehlen ganze Körperbereiche. Die kindliche Fassade des Lächelns scheint als Abwehr nicht mehr zu halten, massiv bedrohliche Ängste brechen durch. Auch in den ersten Äußerungen der Patientinnen hierzu bzw. in den Aussagen über ihr Körpererleben in den ersten Stunden ihrer Körperpsychotherapie ist ein ähnliches Spektrum festzustellen. Ein Teil dieser ersten Reaktionen imponiert durch ihren angepassten und abwehrenden 13 Charakter. Das kann sogar kindlich-fröhlich klingen: „Ich war richtig frei und gelöst, locker und entspannt. Mein Körper reagierte ganz darauf, was die Therapeutin sagte. Es fiel mir gar nicht schwer. Ganz im Gegenteil, es ging ganz automatisch, wie von selbst. Ich hatte dabei keine Anstrengung. Ich fühlte mich danach sogar wohl und irgendwie gelöst und frei.“
Manches wirkt, wenn die Patientinnen in ihrer Art verstanden zu haben glauben, was von ihnen erwartet wird, wie ein gut gegliederter Bericht in der Schule: „Ich spürte, wie das Blut beim Strecken der Arme in Richtung Körper floss und beim Senken der Arme zu den Händen. Ich hatte dabei ein heißes Gefühl im linken Arm. Ab und zu schwankte ich und spannte dann ganz ruckartig die Beinmuskeln an. Ich
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Alle nachfolgenden Aussagen (in Anführungszeichen) werden einschließlich aller sprachlichen Ungeschicklichkeiten und grammatikalischer Fehler als Originalformulierungen wiedergegeben, um einen möglichst hohen Grad an Authentizität zu gewährleisten.
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hatte das stärkste Gefühl in den Fingerspitzen, es war ein kaltes Gefühl dort. Der Kopf war ziemlich schwer. Beim Senken der Arme waren die Arme ganz schwer.“
Sie können auch aufkommende Ängste hinter Trotz verstecken: „Ich habe eine negative Einstellung gegenüber Personen, die einen beobachten. Ich halte nicht sehr viel von derartigen Übungen!“
Manchmal warten sie auch mit medizinischen Erklärungen auf: „Ich kann mir das rein anatomisch erklären durch die Stoffwechselvorgänge, Spannung und Entspannung der Muskeln usw.“
Solche angepassten und abwehrenden Reaktionen sind auch auf diesem Gewichtsniveau möglich, zumeist ist aber die erste Konfrontation mit Körperwahrnehmungsaufgaben mit einem erheblichen Angstpegel verbunden. In der noch relativ harmlosen Form hört sich das so an: „Ich verspürte ein sehr unangenehmes Gefühl und fühlte mich ausgeliefert. – Habe nur gedacht, hoffentlich darf ich meine Augen bald öffnen!“
In der Regel gelangen jedoch die Ängste in massiv-bedrohlicher Weise zum Durchbruch. Das kann soweit gehen, dass die Patientinnen den klotzartigen Einzelteilen, teilweise entleert oder bedrohlich aufgeladen, ihres Körpererlebens ausgeliefert und völlig hilflos gegenüber stehen: „Meine Beine waren ganz leicht, als wären sie gar nicht mehr da. Bis auf die Fersen und Zehen, die ganz fest auf dem Boden standen. Innerlich fühlte ich mich ganz schwer, als wäre etwas darin, was heraus müsste. Ich verspürte zwar mein Gesicht und Haare, aber nicht den Hinterkopf. Meine Jacke brannte wie Feuer auf den Armen. Auch meine Hände, die ich gefaltet hatte, waren heiß. Am hinteren Teil meines Körpers, meinem Rücken verspürte ich, als wäre ich in einer Hülle. Als wäre alles hohl. Ich stand zwar fest auf den Fersen, aber ich merkte, wie mein Körper immer etwas nach hinten oder vorne taumelte. An meinen Hals verspürte ich einen Druck. Ich hatte das Gefühl, als wäre dort eine Hand, die zudrückt.“
Aus diesen Aussagen und den Zeichnungen spricht also eine diffuse Bedrohung. Die Patientinnen können aber nur, wie wir noch öfters sehen werden, eine Vielzahl von Symptomen schildern. Mit Assoziationen, d. h. den herkömmlichen verbalen Zugangsweisen, gelingt es nicht, diese Bedrohung näher zu erfassen. Wir müssen uns schon intensiv auf die Körperwahrnehmung der Patientinnen einlassen, denn hinter der Fassade der diffusen Bedrohung „lauert“ ein Mechanismus, den man nur bei Körperspüraufgaben beobachten kann, die von den Patientinnen eine integrative Wahrnehmungsleistung verlangen. Als Beispiel greifen wir eine Wahrnehmungsaufgabe der Körpergrenze heraus. Dabei stehen die Patientinnen im Raum und haben die Augen geschlossen. Dann wird der ganze Körper systematisch von den Füßen bis hin zum Kopf in einzelnen Spürschritten (Dauer ca. 25 min) durchgegangen: Wie spüre ich meine Haut? Wie spüre ich die Grenze und den Übergang von der Haut zur Luft oder zur Kleidung? Danach zeichnen die Patientinnen mit Bleistift auf ein Blatt Papier, was sie gespürt und wahrgenommen haben, eine verbale Bearbeitung von Zeichnung und Erlebtem schließt dann diese Sequenz ab. Wir sehen in der Abbildung eine Zeichnung, wie sie eine Patientin nach einer solchen Wahrnehmungsaufgabe angefertigt hat.
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Eine angstvolle und bedrohliche Figur (Abb. 3) Dieses Bild (Abb. 3) imponiert sofort als eine schwarze, bedrohliche Figur. In der Schilderung der Patientin kommt dementsprechend eine massive Angstspannung zum Ausdruck: „... die Arme spürte ich durch den Stoff, die Hände spürte ich nicht, das Gesicht spürte ich. Mein Hals wurde immer steifer, als wenn ich einen Krampf bekäme. Im Körper war eine große Spannung, ich zitterte am ganzen Körper. Mir war, als wenn ich jeden Moment umfallen würde. Bauch, Brust und Rücken spürte ich als etwas Lebendes. Mein Hals wurde immer steifer. Ich hatte das Gefühl, als wenn ich meinen Kopf ganz schief halten würde. Ich wollte mich immer wieder gerade aufrichten, aber mir war, als wenn ich den Kopf nicht bewegen könnte.“
Das Erleben der Patientin ist nicht mehr geordnet und konsistent, es ist eher ein Chaos aus einzelnen Teilen mit einem lebendigen Bruchstück als Insel, der Angstpegel erhöht sich erheblich, der Patientin gleitet hier gleichsam das eigene Erleben aus der Hand, so dass schon manche Einzelteile eine Art Eigenleben annehmen. Hier deutet sich eine Dynamik an, die wir im nächsten Beispiel näher untersuchen können. In der nächsten Abbildung (Abb. 4) zeichnet sich eine Patientin nach der gleichen Wahrnehmungsaufgabe ohne Hände, Füße und Kopf, betont im Bild die Bauchgegend und schildert: „Mein Hals war mir unangenehm, er tat mir weh, meine Ellenbogen waren mir unangenehm, wie sie so gerade herunter hängen. Mein Magen war ein komisches Gefühl. Da ich kaum mehr stehen konnte, meine Knie waren unwahrscheinlich wackelig, dass ich jeden Moment meinte, ich falle um... Meine Schultern waren ganz schwer an mir, als würde mich jemand herunterdrücken.“
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Ein in Auflösung begriffener Körper (Abb. 4) Hier scheint das Erleben des eigenen Körpers gleichsam in Auflösung begriffen. Es entsteht der Eindruck von aneinander gestellten, klotzartigen Elementen, die schon Eigenleben annehmen, wobei die Patientin die Bedrohung wie in einer Art Notwehr nach außen projiziert: „... als würde mich jemand herunter drücken“, und sich so dem Zerfall entgegenstemmen möchte. Es deuten sich zwei Bewegungsrichtungen der Dekompensation an: Grenze und Peripherie lösen sich schrittweise auf, Hände und Füße fallen sozusagen ab, der Bauch dagegen gewinnt immer mehr an Bedeutung, wird bedrohlich verstärkt wahrgenommen. Diese beiden Bewegungsrichtungen wollen wir im nächsten Beispiel noch etwas näher untersuchen. Nach der gleichen Spüraufgabe mit dem Thema der Körpergrenze schildert die Patientin ihr Körpererleben: „Ich hatte das Gefühl, dass Beine und Arme fehlten. In der Magengegend fühlte ich Zentnerschwere in mir. Der Hals war trocken und verspannt beim Schlucken. Mein Kopf war wie ein Ballon, und ich hatte das Gefühl, als platzte mir alles auseinander.“
Im Ausdruckscharakter dieser Zeichnung (Abb. 5) verdeutlicht sich die Bewegungsrichtung des Zusammenballens sichtbar: Die Gliedmaßen fallen weg, es bleibt nur ein Klumpen mit Kopf. Im Erleben zeigt sich dagegen eher die Dynamik des Auseinanderplatzens. Die Patientin verwendet das Bild eines Ballons, der zu zerplatzen droht. Dass es sich hierbei nicht um einen situativ gebundenen oberflächlichen Mechanismus handelt, zeigt ein Traum, den diese Patientin 14 in der Nacht darauf träumt und berichtet: „Ich träumte, mein Bett wäre schmal wie ein Brett. Ich wurde immer dicker und dicker und fand keinen Platz mehr. Mein Zimmer war mit schwarzen Fliesen ausgelegt und darauf stand der Name Bibel. Ich fühlte mich wie magnetisch angezogen und plötzlich war da ein schwarz gähnender Abgrund vor mir. Dann erwachte ich.“ 14
Alle nachfolgenden Träume werden in der Originalformulierung wiedergegeben. Bei schriftlicher Festhaltung durch die Patientinnen selbst wurden lediglich aus Gründen der besseren Lesbarkeit orthographische Fehler verbessert.
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Eine zusammengeballte Figur (Abb. 5) Wir sehen, dass sich das drohende Auseinanderplatzen des eigenen Körpers auch im Traum abbildet. Offensichtlich ist hier eine Dynamik der Auflösung und des Zerfalls der Struktur des Körpererlebens in Gang gesetzt worden, wobei sich in einer Richtung nach außen die Körpergrenze auflöst, erst Hände und Füße, schließlich die gesamten Gliedmaßen abfallen, und dann in einer zweiten Bewegungsrichtung das Körpererleben sozusagen nach innen auf Kopf und Bauch zusammenfällt. Oftmals bleibt nur noch der Bauch übrig, die Patientin ist dann gewissermaßen nur noch Bauch. Diese Auflösungsdynamik der Struktur des Körpererlebens markiert m. E. die letztmögliche Stufe der Körperbilddekompensation, die sich als ein gleichzeitiges Auseinander- und Ineinanderzusammen-Fallen, als eine Art „Implosion der Erlebensstruktur“ beschreiben lässt. Die für unsere psychische Gesundheit notwendige Erfahrung und grund15 legende Überzeugung , in unserem Körper wie in einem sicheren Haus zu leben, ist hier offenbar schwer gestört. Die Grundlage für das Gefühl der eigenen Einheitlichkeit, Integrität, Kohärenz und Kongruenz erweist sich als brüchig. Diese Brüchigkeit kann in speziellen therapeutischen Situationen aufgedeckt und sichtbar gemacht werden. Im klinischen Alltag kommen die Patientinnen aber auch auf niedrigstem Gewichtsniveau durchaus zurecht, können manchmal sogar erstaunlich gut angepasst funktionieren. Sie sind eben nicht andauernd in einem inneren Auflösungszustand begriffen, sondern sie bewegen sich sozusagen „auf dünnem Eis“, müssen aber immer wieder gegen diese Bedrohung ankämpfen, um nicht im Auflösungschaos des eigenen Körpererlebens zu versinken. Wie sie dies bewerkstelligen, zeigt uns die Patientin der vorherigen Abbildung. Sie notiert nach der Besprechung der geschilderten Körperspüraufgabe:
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Downing (1996, S. 112 ff.) spricht an dieser Stelle von „motorischer Überzeugung” und erfasst damit im Rahmen seines Konzepts der affektmotorischen Schemata die ersten internalisierten, entsprechend präverbal vermittelten Erfahrungen bzw. Einstellungen bezüglich des eigenen Körpers.
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„Manchmal komme ich mir vor, als wäre ich ein Hampelmann, wo man nur an einem Bändchen ziehen braucht, der dann sein Arme und Beine in Bewegung setzt.“
Eine solche Selbstinterpretation spricht für sich. Die Patientin erlebt ihren Körper entleert, unlebendig, auf die von außen gesteuerte Figur eines Kinderspielzeugs reduziert. Das ist natürlich einerseits eine schwer pathologisch entstellte Selbstsicht, sie hat aber andererseits einen enormen Wert für die Patientin, und zwar als integrative Ich-Leistung, mit der sich die Patientin dem inneren Auflösungssog erfolgreich entgegen stemmen kann, d. h. innerlich aufgelöst lässt es sich kaum überleben, als Hampelmann aber kann man den Alltag einigermaßen bewältigen. Untersucht man die Frage, „wie fühlen sich die Patientinnen in ihrem Körper“, konsequent bis auf dieses Gewichtsniveau (von etwa 35 kg abwärts), so findet man einerseits eine Dynamik der drohenden Auflösung der Erlebensstruktur, eine Art Selbstzerstörung durch Auflösung, und andererseits verzweifelte Abwehrversuche des Ichs der Patientinnen, sich dieser Dynamik mit zumeist schwer depressiv geprägten „Gegenbildern entgegen zu stellen“, die zwar jeglicher Lebendigkeit entleert sind, aber doch im Alltag ein 16 „anorektisches Funktionieren“ ermöglichen. Wir müssen nun weiter nach der Bedrohung fragen und kommen auf das obige Traumbeispiel zurück: Der Körper der Patientin droht zu zerplatzen, was man sicher als eindrückliches Bild einer vernichtenden Bedrohung von innen verstehen kann. Es treten aber auch Gefahren von außen in Erscheinung: schwarze Fliesen, der Name Bibel und ein schwarz gähnender Abgrund, was assoziativ auf Normen, Verbote und göttliche Gesetze verweist, wobei die Bestrafung in Form eines mit einem magischen Sog ausgestatteten Abgrundes auftritt. Theoretischer formuliert: Das körperliche Selbst der Patientin wird von einem mächtigen, autodestruktiv-strafenden Über-Ich auf präödipalem Niveau bedroht. Da sich das Über-Ich bekanntermaßen im Rahmen der ersten Objektbeziehungen entwickelt, führt das zur Frage, ob auch direkt Beziehungen bzw. Objekte in solchen Körperträumen auftauchen. Man muss sich an dieser Stelle erinnern, dass wir uns hier in einem sehr niedrigen Gewichtsbereich, d. h. auch in den ersten Wochen der Therapie befinden. Die Bereitschaft der Patientinnen, uns schon in dieser Therapiephase Träume mitzuteilen, ist natürlich davon abhängig, inwieweit es bereits gelungen ist, eine ausreichend tragfähige therapeutische Beziehung aufzubauen. Im Wesentlichen finden wir dann zwei Arten von Körperträumen mit Objekten. Zunächst ein erstes Beispiel, ein Traum nach einer oben beschriebenen Spüraufgabe: „Mehrere Männer kommen mit einer Schubkarre in die Klinik, auf der eine Frau ohne Arme und Beine liegt. Als sie an der Rezeption vorbeikommen, sagt eine Schwester zu der Frau: Ihre Eltern sind tot!“
Das Ich der Träumerin scheint noch ausreichend zu funktionieren, denn es gelingt ihm durchaus, relativ strukturiert auf ein therapeutisches Angebot zu reagieren, indem es eine Situation aus dem klinischen Alltag als Traumbild produziert. Aber welch eine Aussage: einem kaputten, unvollständigen Körper wird der Tod der Eltern verkündet! Mit solch einem Traumgeschehen haben wir
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Der Hampelmann wäre nach Downing eine für Anorexie-Patientinnen typische motorische Überzeugung. Das hier vorliegende Konzept differenziert an dieser Stelle zwischen früh erworbenem Strukturdefekt einerseits und in der konkreten klinischen Situation erfassbarem Funktionsniveau der Abwehr andererseits.
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ein Niveau erreicht, das sich nur schwer oder vielleicht überhaupt nicht vollständig in Worte fassen lässt. Die Primärobjekte sind ganz einfach tot oder als harte und brutal funktionierende Figuren, als abgespaltene, massiv negativ besetzte Aspekte der Primärobjekte, abgebildet. Die Träumerin versucht offenbar, eine riesige Angst und eine unendliche Leere, letztlich eine tote Beziehung, in einem Bild auszudrücken. Mit solchen Träumen sind wir gleichsam auf dem „untersten, noch kompensierten Niveau“ der anorektischen Psychodynamik angekommen. Hier produzieren die Patientinnen auch noch eine zweite Art von Träumen, in denen jeglicher dynamischer Aspekt fehlt, Beziehungen und andere Traumfiguren jedoch überhaupt nicht auftauchen, sondern nur der eigene Körper der Patientin als Selbstobjekt. Der folgende Traum wurde am nächsten Tag nach einer Spüraufgabe berichtet, bei der unter anderem mit der Vorstellung des eigenen Spiegelbildes gearbeitet wurde: „Ich bin an einem Meeresstrand, Meer, Sand, Dünen, rauschende Wellen. Der Horizont ist sehr weit, aber doch wieder begrenzt. Am Strand kommt mir jemand entgegen. Ich weiß irgendwie, dass ich das selber bin. Ich weiß, dass das mein Körper ist. Ich habe aber kein Gesicht und trage auch keine Kleider, sondern die ganze Oberfläche meines Körpers besteht nur aus Kratern wie bei einer Mondlandschaft, nur über und über mit Kratern übersät.“
In diesem Traum gibt es keine Konfliktfronten, nur den narzisstischen Rahmen eines weiten, aber doch begrenzten Horizonts, und darin der eigene Körper entleert und innerlich zerstört mit einer diffusen, kaum fassbaren, aber doch irgendwie grauenerregenden Angst ausgestattet. „Ich erlebe meinen Körper als Mondlandschaft“ ist eine Zustandsbeschreibung, mit der die Patientin ihre schier unendliche Einsamkeit, ihre kaum fassbare Traurigkeit, letztlich eine „namenlose Angst“ zu bannen versucht. Man könnte Träume in dieser Thera17 piephase in Anlehnung an Kohut (1979, S. 102 ff.) als „Körperbildzustandsträume“ bezeichnen, in denen die Dynamik der Traumbilder sowie der darin handelnden Figuren völlig verblasst, keine fassbare Triebthematik mehr auftaucht und nur noch tote Beziehungen und ein zerstörtes Selbstobjekt übrig bleiben.
4.3.2. Interventionsebenen Wir wollen nun in unserem Gedankengang ein Stück zurücktreten, um dann zu therapeutischen Aspekten in dieser Therapiephase überleiten zu können. Auf dem ersten Abschnitt unseres 30-kg-Weges haben wir zweierlei gefunden. Zunächst einmal Erstaunliches, wie nämlich Kinder, brav angepasst, manchmal fröhlich, aber auch trotzig ihr Körpererleben sozusagen meistern. Aber in einem 17
Kohut spricht in diesem Zusammenhang (1979, S. 102 ff.) im Gegensatz zu Träumen, die Triebwünsche und Konflikte ausdrücken, von Träumen, „die mit Hilfe verbalisierbarer Traumbilder versuchen, die nicht verbalisierbaren Spannungen traumatischer Zustände zu binden.“ Sie sind ein Abbild der Angst des Träumers vor einem unkontrollierten Spannungsanstieg und damit letztlich einer Angst vor der Auflösung des eigenen Selbst. Kohut nennt sie „Selbst-Zustands-Träume“. Er erfasst damit m. E. sehr treffend, wie ein traumatisch schwer geschädigtes Ich nicht mehr abwehren, sondern nur noch in einer Art letztmöglicher Notfallreaktion immer wieder Bilder des Traumas produzieren kann. Diese Sichtweise dürfte deshalb auch vor den Ergebnissen der modernen Traumaforschung bestehen können.
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zweiten Schritt haben wir gesehen, dass hinter der Fassade der infantilen Abwehr eine Bedrohung lauert. Im körpertherapeutischen Zugang wird ein basaler Mechanismus der Selbstzerstörung durch Selbstauflösung zu Tage gefördert, der mit einem schwer diffus-archaischen Angstpotenzial einhergeht und naturgemäß jeden therapeutischen Zugriff äußerst schwierig gestaltet, was einen spezifischen methodischen Ansatz erforderlich macht. Dieser Zugang lässt sich als Differenzierungsansatz relativ einfach beschreiben: Die Patientinnen werden angeleitet, mit einfachen Aufgaben beginnend, sich für die Wahrnehmung ihres eigenen Körpers zu öffnen, die Wahrnehmung zu erlernen, über ihr Erleben zu sprechen und so hierfür eine Sprache zu entwickeln. Dies ist aber nicht nur im quantitativen Sinne einer Verfeinerung der Sensibilität zu verstehen, sondern soll auch als Grundlage die Entwicklung komplexer Verarbeitungsmechanismen ermöglichen. Auf das hierfür von Downing ausgearbeitete Konzept (siehe 18 S. 3; vgl. hierzu Downing 1996, S. 53 ff. und Maaser et al. 1994, S. 95 ff. ) wurde schon verwiesen. Der Differenzierungsprozess betrifft folgende Aspekte: • In der sprachlichen Erfassung des Erlebten wird zwischen
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körperlicher Wahrnehmung und Körperempfindung (z. B. Wahrnehmung der Grenze und räumlichen Ausdehnung eines Körperteils oder Empfindung von Kälte und Druck), der affektiven Komponente des Körpererlebens (z. B. Angst- oder Ekelgefühl) und der Vorstellungs- und Phantasieebene (z. B. Vorstellung des eigenen Spiegelbildes) unterschieden. Auch hier beginnt die therapeutische Hilfestellung in der Differenzierung der Aufgabenstellung (z. B: Wie nehmen Sie jetzt ihre Hand wahr oder was fühlen Sie dabei?) bzw. in der differenzierenden Nachfrage auf die ersten Äußerungen der Patientinnen.
Der Körper wird nicht nur in seiner Ganzheit, sondern auch in allen Ein19 zelheiten erkundet: Was wird wo wahrgenommen? So wird beispielsweise eine ganze Hand in ihren Details der einzelnen Finger erspürt. An dieser Stelle hilft vor allem die Differenzierung in der Aufgabenstellung. Im sprachlichen Austausch wird dann auf dieser Grundlage schrittweise eine differenzierte kognitive Struktur bezüglich Ganzheit und Details des eigenen Körpers entwickelt. Mit den Körperzeichnungen der Patientinnen wird in dieser Therapiephase konsequent ich-stützend und Defizite ausgleichend umgegangen. So werden z. B. fehlende Hände keinesfalls als Defekt mit entsprechendem Angstpotenzial gedeutet, sondern in der Besprechung wird die Ermutigung erarbeitet, sich jetzt in der therapeutischen Arbeit verstärkt um seine Hände zu kümmern, was dann in der nächsten Aufgabenstellung, Wahrnehmung der Hände, im Sinne der Wahrnehmungsdifferenzierung, fortgeführt werden kann. Auch in der Bearbeitung der Körperträume werden keine Defekte, Ängste oder Traumata deutend aufgedeckt, sondern ebenso wie bei den Zeichnungen auf der Ebene der Körperwahrnehmung stützend interve-
Beide unabhängig voneinander entwickelte Konzepte sind inhaltlich im Wesentlichen deckungsgleich. 19 Downing spricht in diesem Zusammenhang von „Lokalisierung“.
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4.3.3. Übertragung und Gegenübertragung Die entscheidende Ebene des therapeutischen Prozesses ist die Arbeit an der Beziehung, d. h. die entsprechende Handhabung der Übertragungs-Gegenübertragungsproblematik. Die Frage ist also: Welche Beziehung brauchen die Patienten in dieser Phase zum Therapeuten ihrer Körperwahrnehmungstherapie? Als ersten Ansatz einer Antwort erinnern wir uns an die Ergebnisse der modernen Säuglingsforschung bezüglich des Umgangs anorektischer Mütter mit ihren Säuglingen. Kehrt man diese Befunde in ihr positives Gegenteil um, so ergibt sich eine Mutterfigur, die nicht kontrollierend und unterbrechend, sondern gewährend und passend auf die Aktivität des Kindes reagiert, die sich aktiv, geschickt und sensibel auf den Rhythmus des Kindes einstellt und die ihm ihre eigene Emotionalität fürsorglich und offen, nicht in Form von Spannungen, zur Verfügung stellt. Auf dieser Grundlage fragen wir weiter: Welche Elternfigur braucht ein Kind, das sich in der Sackgasse seiner Sucht verloren hat und so von schier unerträglichen Ängsten gepeinigt kurz vor der eigenen Selbstzerstörung steht? Es ist klar, dass hier eine sehr frühe, basal-narzisstische Übertragungsebene gefordert ist, sodass die nachfolgenden Aspekte unserer Antwort nur als „Versuch einer Annäherung“ gelten können: • Die Patienten brauchen in der „Zu-Wendung“, die sich bei jeder Aufgabenstellung der Körperwahrnehmung vollzieht, ein bedingungsloses Interesse an ihrem Erleben. „Bedingungslos“ heißt ohne Vorbedingung (vor allem ohne Vorleistung), ohne Grenzen (jegliches Erleben ist interessant) und ohne Anfälligkeit für Störungen. • In der Reaktion auf ihr Verhalten brauchen die Patientinnen eine Therapeutenfigur mit schier grenzenloser Geduld, und zwar eine Geduld, die alles zulässt, auch ein wochenlanges Schweigen oder zunächst überhaupt die Unfähigkeit der Patientinnen, eine Sprache für ihr Körpererleben zu finden, aber auch eine Geduld, die weiß, dass es sich lohnt und die deshalb immer mit ungebrochenem Optimismus bei der Arbeit bleibt. • Die Patientinnen brauchen für die Angst ihrer Tote-Eltern- und Mondlandschaftsträume Therapeuten mit der Fähigkeit, solche kindlichen Ängste aufzunehmen und ihnen in einer Art basaler Resonanz standzuhalten. Eine Beschreibung dieser Beziehungsstruktur, hinsichtlich Aufbau und Ent20 wicklung als aktive Beziehungskonstellation therapeutischerseits verstanden, muss in der gedrängten Form notwendigerweise idealisierend klingen. Es dürfte jedoch klar sein, dass dieses Ideal nie ganz zu erreichen ist, dass aber in der Praxis „ein Stück Annäherung bei grundsätzlicher Orientierung“ genügt, um mit Patientinnen auf diesem Gewichtsniveau körperpsychotherapeutisch arbeiten zu können. Dreh- und Angelpunkt in allen drei oben beschriebenen Aspek20
Es ist nicht das klassische Zurückhalten und Warten, bis und was der Patient überträgt, sondern die Beziehung wird aktiv im Zugang zum Patienten vermittelt.
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ten bleibt natürlich die Handhabung der eigenen Gegenübertragung, wobei die größte Gefahr darin besteht, sich entweder von der Massivität der Angst und des Leids gleichsam erschlagen und aus der therapeutischen Rolle hebeln zu lassen oder sich rational von dieser Herausforderung zu distanzieren und die Patientinnen in diesem Verlaufstadium ihrer Erkrankung für „körperpsychothe21 rapeutisch nicht behandelbar“ zu erklären.
4.4. Zweite Phase 4.4.1. Ansatz und Ausblick Unsere Beispielspatientin hat nun schon etwa 5 kg an Gewicht zugenommen, wir treten in die Mittelphase der Therapie ein. Der Erfolg dieses ersten Schrittes ist unter dreierlei Aspekten grundlegend für den weiteren Verlauf. Zum einen hat die Patientin erfahren, dass eine Gewichtszunahme mit und gegen all ihre schier unüberwindlichen Ängste, Phantasien und Widerstände möglich ist; zum zweiten, dass sie mit ihren für sie unerträglichen Ängsten von ihren Therapeuten „ertragen wird“, und zum dritten hat sie nun gelernt, wie die Körperpsychotherapie abläuft und „was ihr jeweiliger Therapeut von ihr will.“ Oder theoretisch gesprochen: Das Arbeitsbündnis hat sich ausreichend etabliert, die „eigentliche“ therapeutische Arbeit kann nun beginnen. Wir wenden uns nun einer Patientin zu, die wir als Fallbeispiel durch ihre 22 Körperpsychotherapie begleiten wollen. Nach zwei Monaten Therapie und einem erreichten BMI von 12,9 zeichnet die Patientin im Vergleich zur Aufnahmediagnostik wie folgt: In der Aufnahmesituation (Abb. 6) stellt sich die Patientin als „leeres Ge23 spenst“ dar, lediglich in den langen Haaren deutet sich eine psychosexuelle Differenzierung an. In der jetzt angesprochenen Zeichnung (rechts) produziert die Patientin eine leblose, aufgehängte Puppe, ohne Unterschenkel und Füße und immer noch ohne Gesicht, aber die Patientin hat diese Puppe gleichsam vor sich hingestellt und entdeckt ganz verwundert: „Ich habe ja gar kein Gesicht!“ Diese Entdeckung der Patientin markiert den eigentlichen Beginn ihrer Körperpsychotherapie, denn sie hat jetzt offenbar eine Grundlage zur Verfügung, um sich mit Interesse, Neugier und Mut ihrem eigenen Körper zuzuwenden und Entdeckungen zuzulassen.
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An dieser Stelle hilft m. E. nur eine radikal zu Ende gedachte Sicht der Gegenübertragung weiter: „Die Patientinnen sind auf diesem niedrigen Gewichtsniveau körperpsychotherapeutisch nicht zu behandeln“ muss konsequent als ein „Ich kann die Patientinnen in diesem Zustand nicht aushalten“ bearbeitet werden. 22 Mit einem Aufnahmegewicht von 29,1 kg handelte es sich hier um einen außergewöhnlich schweren Fall. Die Patientin benötigte deshalb einen relativ langen Zeitraum, um diesen Fortschritt zu erreichen. In der Regel haben die Patientinnen in drei bis vier Wochen diese Phase unter 35 kg überwunden. 23 Die Patientin zeichnet sich gekonnt in sitzender Position. Dieses Beispiel ist ein Beleg dafür, dass bestimmte Defizite solcher Bilder nicht mit zeichnerischem Unvermögen zu begründen sind.
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Ein „leeres Gespenst“ (Abb. 6) Wir werden nun den therapeutischen Verlauf in dieser Mittelphase der Therapie auf zwei Ebenen, gewissermaßen auf zwei Schienen, näher untersuchen: • 1. Schiene: Diese Ebene betrifft die brüchige Struktur des Körpererlebens. Welche Facetten dieser Brüchigkeit können wir in der Körperpsychotherapie herausarbeiten und für den Therapieverlauf nutzbar machen? D. h. wie konstruiert man aus Bruchstücken einheitliches und kohärentes Körpererleben? Hier beschreiben wir den Weg von Chaos und Fragmenten hin zur integrierten Struktur. Auf diesem Weg wird das schwere körperbezogene Angstpotenzial der Anorexie-Patientinnen aufgearbeitet. • 2. Schiene: Die zweite Ebene beschreibt im Verlauf die therapeutische Veränderung des schweren, auf den eigenen Körper gerichteten Autoaggressionspotenzials. Es ist der Weg von selbstzerstörerischem Ekel und Hass auf den eigenen Körper zu gesunder Selbstbehauptung.
4.4.2. Von Chaos, Angst und Fragmentierung zur integrierten Struktur Auf der ersten Schiene des Therapieverlaufs geht es um die Struktur des Körpererlebens. Der wesentliche Grundzug des anorektischen Körpererlebens, nämlich sich dem eigenen Körper gegenüber, d. h. in der konkreten Situation den jeweiligen Wahrnehmungsaspekten gegenüber, hilflos, ausgeliefert und existenziell bedroht zu fühlen, wurde schon in der ersten Therapiephase herausgearbeitet. Das kann in einer elementaristischen Aneinanderreihung von Schmerzempfindungen zum Ausdruck kommen: „Mir wurde schlecht, meine Füße taten weh, ich hatte Schmerzen um den Nacken und im Kreuz. Meine Schultern schmerzten, meine Arme waren sehr schwer, meine Hände taten weh und schmerzten, mein Hals war wie abgeschnürt. Mein Kopf tat weh und es war mir schwindelig. Ich hatte einen starken Druck auf den Kopf.“
Es kann aber auch zunehmend einen massiven Bedrohungscharakter annehmen:
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„Ich habe das jetzt schon ein paar Mal miterlebt, dass, wenn ich da liege, dass mir da auf einmal ganz schlecht wird, da spüre ich meine Gebeine gar nicht mehr und da kann ich mich überhaupt nicht mehr auf meinen Körper konzentrieren und da wird mir im Kopf ganz schwindelig und da dreht sich alles und ich denke, da fahre ich Karussell, und dann kann ich auch gar nicht mehr liegen bleiben, das ist unwahrscheinlich schlimm und da fange ich auch am ganzen Körper an zu zittern und ich kann mir einfach nicht erklären, woran das jetzt liegen könnte.“
Dieser unstrukturierte Charakter des Körpererlebens, verbunden mit einem massiven Angstpegel, ist ein wesentlicher Bestandteil des anorektischen Krankheitsgeschehens und zieht sich zunächst als eine Art Grundlage weiter durch die Therapie. Er kann sich erst in der zweiten Hälfte dieser Therapiephase schrittweise verändern. Chaos und Angst sind allgemeine Charakteristika des Körpererlebens. In dieser Therapiephase können bei bestimmten Spüraufgaben in der Körperpsychotherapie jedoch auch spezifisch anorektische Mechanismen der Körperwahrnehmung beobachtet werden. Am auffälligsten ist dabei die Entdeckung, 24 dass die grundlegende Erfahrung der Patientinnen , was gehört zu meinem Körper, oft unvollständig und defizitär ist. Vor allem Hände und Füße werden in dieser Weise „nicht erlebt“: „Ich spüre meine Hände nicht.“ „Ich habe keine Füße mehr, sie sind irgendwie nicht da!“
Hände und Füße gehören irgendwie nicht dazu, es ist offenbar „gar nichts da zum Wahrnehmen“, was theoretisch gesehen einem Repräsentanzdefekt im Sinne einer basalen Verleugnung auf sehr frühem Niveau entspricht. Das kann im Einzelfall bis zu einer ganzheitlichen Verleugnung mit primitiv-projektiver Färbung gehen und klingt dann angstvoll-trotzig: Th.: „Was spüren Sie?“ P.: „Ich kann den Apfel in meinem Magen spüren. Es ist der Apfel, den ich vor einer Stunde gegessen habe.“ Th.: „Versuchen Sie genau zu beschreiben, was Sie spüren!“ P.: „Ich kann den Apfel genau spüren.“ Th.: „Wie spüren Sie denn ihren Körper?“ P.: „Ich spüre nur den Apfel, sonst spüre ich nichts!“
In manchen Fällen ist der Verleugnungsmechanismus auch komplexer einzuschätzen: „Ich kann machen, was ich will, es gelingt mir nicht, mein Becken zu spüren. Wenn ich von unten bei den Füßen, so spüre ich alles ganz genau, meine Haut, meine Kleidung, aber nur bis zu einer gewissen Grenze, dann kann ich überhaupt nichts mehr spüren. Das ist immer dasselbe...“
War im Falle der fehlenden Hände und Füße sozusagen „nichts da zum Wahrnehmen“, so könnte der Mechanismus der Nicht-Wahrnehmung des Beckens ein Stück anders gelagert sein. Dieser Körperbereich ist wahrscheinlich für die Patientin sehr angstvoll mit nicht zugelassenen sexuellen Phantasien besetzt, das Becken ist dann gewissermaßen „zu gefährlich zum Wahrnehmen“, was einem Abwehrmechanismus auf differenzierterem Niveau entspräche.
24
Im Sinne Downings wäre auch hier von motorischer Überzeugung zu sprechen.
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Nicht-Wahrnehmen ist in vielen Situationen eine gute Möglichkeit für die Patientinnen, ihr Körpererleben in den Griff zu bekommen und sich so auf ihrem anorektischen Funktionsniveau einigermaßen zu stabilisieren. Das dies nicht immer so gut gelingt, lässt sich am Mechanismus der Fragmentierung aufzeigen. Von Fragmentierung kann man sprechen, wenn übergreifende Einheiten des Körpererlebens nicht erreicht werden bzw. wieder in ihre einzelnen Teile zerfallen. Zunächst hierfür ein Beispiel: P.: „Das Bein gehört gar nicht dazu, nur der Fuß, und der ist weit weg von mir.“ Th.: „Wie weit weg? Ein Meter, zwei Meter oder zwanzig Meter?“ P.: „Zwei bis drei Meter. Ich möchte es wieder heranbringen, damit Leben hineinkommt!“
Die Patientin erlebt also ihr Bein und ihren Fuß als Fragmente außerhalb ihrer körperlichen Einheit. Dieses fragmentierte Körpererleben ist eine häufige Erscheinung bei Anorexie-Patientinnen. Der Mechanismus selbst kann dabei zweierlei Färbung aufweisen. Im ersten Fall handelt es sich dabei um ein Erleben, bei dem die fragmentierten Körperteile ein Eigenleben außerhalb des Steuerungsbereiches des Ichs annehmen. Hierfür einige Beispiele: „Meine rechte Hand ist am Boden angewachsen.“ „... und dann konnte ich auch Arme und Hände fühlen. Bei meinem Kopf hatte ich den Eindruck, als ginge der hoch in die Luft.“ „Mein Kopf, der scheint zu wackeln, als wenn er sich abschrauben wollte. Ich werde so unruhig. Mein Kopf, der scheint hochzugehen, wegzugehen dabei.“ „Mein rechter Arm, der will auch andauernd, er will sich hochheben.“
Unter theoretischem Aspekt gesehen scheinen in diesen fragmentierten Elementen abgespaltene, nicht integrierte Impulse zum Ausdruck zu kommen, der Dynamik der Elemente entsprechend kann man hier von einer primitivprojektiven Abspaltung lebendiger, archaisch-aggressiver Impulse ausgehen. Anders scheinen die Verhältnisse in Fällen zu liegen, bei denen die fragmentierten Elemente eine eigene Dynamik bezüglich ihrer Form und Größe annehmen. Hierfür wiederum einige Beispiele: „Meine Beine fühlen sich unendlich lang an. Ich habe Angst, irgendwo anzustoßen.“ „Das linke Bein fühlt sich jetzt weicher an, vorher war es wie aus Holz, es ist auch länger als das rechte Bein.“ „Ich habe ein Gefühl der Schwerelosigkeit, ein Gefühl, als hätte ich riesengroße Hände.“
Empfindungsqualität, Form und Größe der Elemente verändern sich im Sinne einer vom Ich der Patientinnen weitgehend unabhängigen Dynamik. Wenn einzelne Körperteile riesengroße Dimensionen annehmen, liegt natürlich die Hypothese nahe, dass es sich hierbei um eine Überschwemmung der Körperbildfragmente mit archaisch-narzisstischen Impulsen handelt. Das Ich der Patientinnen versucht sich natürlich der Fragmentierung entgegenzustellen und ein ganzes Bild des eigenen Körpers herzustellen, wobei manchmal ein völlig schief zusammengesetztes Ergebnis zu Stande kommt: „Ich habe ein großes und ein kleines Bein, ich komme mir vor wie ein ConterganKind.“
Eine solche Lösung ist natürlich ein Kompromiss, aber eben eine ganzheitliche Lösung mit stabilisierender Wirkung: als Contergan-Kind kann man genau-
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so wie als Hampelmann im Alltag einigermaßen funktionieren25, d. h. die Patientinnen leben natürlich nicht andauernd in einem fragmentierten Zustand, sondern Fragmentierungsmechanismen des Körpererlebens können in entsprechenden Drucksituationen plötzlich ausgelöst werden und in extremen Situationen auch die Oberhand gewinnen, die Patientinnen verfügen aber über die Möglichkeit, die Fragmentierungen bei Veränderung der Auslösesituation wieder auf dem Niveau des „Funktionierens im Alltag“ zu kompensieren. Zum Abschluss dieses Punktes muss noch ein Wahrnehmungsphänomen besprochen werden, dass bei Anorexie-Patientinnen sehr häufig vorkommt und das im Gegensatz zur Fragmentierung eher überdauernden Charakter hat, nämlich die Aufteilung der Ganzheit des Körpererlebens in zwei Hälften. Dies hat meist die Form, dass die Patientinnen ihren Körper irgendwie geteilt wahrnehmen und dass sich beide Hälften unterschiedlich anfühlen: „Mein Oberkörper, das Zittern ist unheimlich. Es ist ungleich in der rechten und der linken Hälfte.“
Dieses Phänomen kann soweit verfestigt sein, dass das Gefühl einer Spaltung des Körpererlebens immer und sozusagen grundsätzlich besteht, sodass die Patientinnen auch mit noch so großer Willensanstrengung nicht dagegen angehen können: „Das ist auch irgendwie witzig, wenn ich lange liege, dann merke ich, dass ich eine Seite meines Körpers, speziell die linke Seite, recht gut erfühlen kann und die rechte Seite ist so, als wenn ich die... also als ob die unscheinbar und klein ist und gar nicht zu mir gehört, als ob es so zwei Persönlichkeiten in mir sind.“
Wir fassen nochmals etwas theoretischer gesehen zusammen: Nicht-Wahrnehmung und Verleugnung sind Abwehrleistungen des anorektischen Ichs mit durchaus integrierender Wirkung. Sie helfen den Patientinnen, sich in bestimmten Anforderungssituationen auf einem ausreichend stabilen Funktionsniveau zu stabilisieren. Fragmentierung dagegen tritt im Rahmen von signifikanten Anforderungssituationen auf und führt zu vermehrter Regression und damit zur Instabilität. Sie kann plötzlich in den Strom der psychischen Prozesse einschießen, kann letztlich zur völligen Dekompensation des Körperbildes führen, sie ist aber im günstigeren Falle wieder sehr schnell reversibel. Die Zweiteilung dagegen ist „kein aktiver Abwehrmechanismus“, eher ein relativ überdauernder Defekt, an den sich die Patientinnen im Laufe ihres Lebens so gut angepasst haben, dass davon keine instabilisierende, aber auch keine besondere stabilisierende Dynamik ausgeht.
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Dementsprechend wäre das Contergan-Kind analog zum Hampelmann auch als motorische Überzeugung einzuordnen.
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Nach meiner Überzeugung sind wir hier in der analytischen Körperpsychotherapie der Anorexia nervosa auf einem präverbalen Niveau angelangt, auf dem der Säugling in der Symbiose mit der Mutter aufgehoben noch nicht zwi26 schen Selbst und Objekt differenziert bzw. zu differenzieren braucht. In dieser Entwicklungsphase werden alle Erfahrungen des Säuglings basal-körperlich erworben und auch entsprechend gespeichert. Auf das hierfür entwickelte Konzept der motorischen Überzeugung von Downing (1996, S. 112 ff.) wurde schon hingewiesen. Er erfasst damit die motorischen Repräsentanzen, die in der präverbalen Entwicklungsphase internalisiert werden, und ergänzt somit die Objektbeziehungstheorie um die motorische, d. h. um die basal-körperliche Dimension. Oder einfacher ausgedrückt: Das Kind lebt zunächst in einer „Körperzu-Körper-Beziehung“ (Downing 1996, S. 124) mit seiner ersten Bezugsperson und „erwirbt dort körperlich“ die Grundlage seiner Vorstellungen und Überzeugungen bezüglich seines eigenen Körpers. In diesem Sinne ist die Zweiteilung des Körpererlebens, wie sie in der Körperpsychotherapie der AnorexiePatientinnen aufgedeckt werden kann, als eine Art Überbleibsel aus dieser Entwicklungsphase einzuordnen. Die motorischen Überzeugungen bezüglich ihres eigenen Körpers sind brüchig und oft bruchstückartig unvollständig. Es ist davon auszugehen, dass die Mütter der Patientinnen ihnen als Säuglingen zu wenig bzw. nur in spezifisch pathogener Weise zur Verfügung standen, um das Körpererleben in übergreifenden und einheitlichen Strukturen integrieren zu können. Wie das entsprechende Beziehungsmuster im einzelnen ausgestaltet sein muss, um dann in späteren Lebensabschnitten „anorektogene Wirkung“ entfalten zu können, haben wir bereits aus den Ergebnissen der modernen Säuglingsforschung umrissartig erschlossen. Wir wenden uns nun dem therapeutischen Verlauf zu, denn in der analytischen Körperpsychotherapie behaupten wir nicht nur frühe Strukturdefekte aufdecken, sondern diese auch mit unserer spezifischen Methodik erfolgreich behandeln zu können. Die Mittelphase der Therapie unserer Beispielspatientin begann mit einer Entdeckung: „Ich habe ja gar kein Gesicht!“ Wie kommt eine solche Entdeckung zustande und welche Bedeutung hat sie in Hinblick auf den Fortgang der Therapie? Die Antwort liegt auf der Ebene der Gegenübertragung: Grundlage der Therapie ist ein bedingungsloses, geduldiges Interesse am Körpererleben der Patientin. Wenn es gelingt, der Patientin dies zu vermitteln, kann sie ihrerseits Interesse für ihren eigenen Körper entwickeln und wie im 27 vorliegenden Fall mit Verwunderung und Neugier reagieren. Das Ich der Patientin wird angeregt, Körpererleben außerhalb des bisherigen anorektischen Krankheitsverhaltens zuzulassen. Aus diesen „Inseln der Gesundheit“ wird dann im weiteren Therapieverlauf ein anorexiefreies Körperbild rekonstruiert. In methodischer Hinsicht werden hierfür die Körperspüraufgaben schrittweise komplexer gestaltet. Bei Führung durch die Spüraufgaben und in der Bearbeitung des Erlebens werden systematisch alle integrativen Ansätze unterstützt. Wir wollen das anhand einer konkreten Wahrnehmungsaufgabe aufzeigen, bei der es darum geht, den Innenraum des eigenen Körpers mit der Haut als Grenze
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Die Fähigkeit, in der Wahrnehmung zwischen sich selbst und der Mutter zu unterscheiden, wird im Sinne der Objektbeziehungstheorie „erst später gebraucht“ und deshalb auch erst später ausgebildet. 27 Wir müssen zuerst unser Interesse gleichsam „auf die Patientin gegenübertragen“, damit sie dann mit den entsprechenden Entwicklungsschritten reagieren kann.
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in Bezug auf den Außenraum der Umgebung wahrzunehmen und das Erlebte entsprechend zu organisieren. Die Patientinnen stehen dabei mit geschlossenen Augen im Raum und werden schrittweise dazu angeleitet, sich auf das Innere ihres Körpers zu konzentrieren, den Raum in seiner ganzen Ausdehnung bis hin zur Haut als Grenze zu erkunden und von da aus den Außenraum der Umgebung wahrzunehmen. Im anschließenden zweiten Teil der Spüraufgabe werden die Patientinnen dazu aufgefordert, einen Summton zu erzeugen und ihn im Spüren durch den ganzen Innenraum zu verfolgen: Wie weit und wohin gelangt der Ton und was geschieht an der Grenze? Bleibt der Ton im Innenraum oder gelangt er und wie gelangt er nach außen? Außerdem sollen dann auch noch die Töne der anderen Gruppenmitglieder beobachtet werden: Bleiben diese Summtöne außerhalb? Werden sie hereingelassen und wie werden sie hereingelassen? Nach Abschluss der Spüraufgabe bekommen die Patientinnen ein Blatt Papier und einen Bleistift ausgehändigt. Sie werden gebeten, einen großen Kreis auf dieses Blatt zu zeichnen, und es wird folgendes dazu erklärt: Der Kreis symbolisiere ihre Haut als Körpergrenze, das Innere des Kreises ihren Körperinnenraum, der Raum außerhalb des Kreises die Umgebung ihres Körpers. Sie sollten nun möglichst rasch in gegenstandsfreien Formen und Strichen darstellen, was sie wo während der abgelaufenen Spüraufgabe wahrgenommen haben. Wir sehen in der Abbildung 7 die Zeichnung einer Patientin, die an dieser Stelle ihres Therapieverlaufs bereits einen BMI von etwa 15 erreicht hatte:
Beginnende Strukturierung (Abb. 7) Die Patientin berichtet zum ersten Teil der Spüraufgabe (ohne Summton): „Ja, ich habe also durch das lange Stehen einen festen Bodenkontakt gehabt, und durch das lange Stehen war in mir eine Spannung, dadurch dass ich also nur aufrecht stand und fühlte mich aber innerlich warm und wohl. Obwohl es mir auch manchmal passierte, dass ich ein klein bisschen schwankte, aber das machte mir keine Angst, sondern ich konnte damit fertig werden und es war der Druck und die Spannung mehr da, die ich also zum Boden hin mehr spürte und zum Boden hin auch mehr abgelassen habe.“
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Wir sehen, diese Patientin beginnt, das Erleben ihrer Körperschwere und Körperspannung in ihrem Körperinnern in Richtung eines strukturierten Ganzen zu organisieren, die Angst ist gewichen, sogar ein Schwanken kann ertragen werden. Die Aussage der Patientin über den zweiten Teil der Spüraufgabe (mit Summton) lässt die innere Mechanik dieses Therapiefortschrittes noch deutlicher werden. Während der Nachbearbeitung in der Gruppe berichtet die Patientin später als Reaktion auf die Schilderung eines anderen Gruppenmitglieds über dessen erste Erfahrungen in der Körperpsychotherapie: „Ja, bei mir war es auch so, als ich am Anfang in die Körpertherapie hereinkam, da hatte ich auch immer so Spannungen und diesen Druck, den ich jetzt als Angst bezeichnen möchte. Und ich habe also jetzt bemerkt, dass diese Spannungen und dieser Druck ganz woanders herkommen, nämlich diese Spannungen von meinem Körper, sprich von meinen Muskeln, und der Druck von der Körperschwere und dadurch habe ich auch nicht mehr diese Angst, ich habe also ganz fest gestanden und ich fühlte mich sehr wohl durch die Wärme rundherum um den ganzen Körper und habe sogar meine Stimme verändert mit diesem Summton, einmal tief und einmal hoch, habe ich also gewagt, meine Stimme zu benutzen, nicht nur auf einem Ton, sondern sie richtig auszuprobieren. Und das ging durch den ganzen Körper bis hin zu Fuß und Fingerspitzen und ich hatte also keine Angst und keine Scheu davor und das ist eigentlich für mich recht positiv. Und dass ich jetzt auch in meinem Körper nicht mehr diese Zweiteilung spüre, die ich früher hatte, dass ich die linke Seite mehr spüre und die rechte weniger, das ist jetzt praktisch – ja praktisch alles eins geworden.“
Diese Patientenschilderung lässt den Ablauf des erreichten Therapiefortschritts deutlich werden: • Spannung und Druck, vorher so massiv angstvoll wahrgenommen, können jetzt als Muskelspannung und Körpergewicht identifiziert und in den realitätsbezogenen Zusammenhang des Auf-dem-Boden-Stehens sinnvoll integriert werden. Oder anders ausgedrückt: Muskelspannung und Körpergewicht brauchen niemandem Angst zu machen, sie sind im Gegenteil für ein sicheres Stehen einschließlich Schwanken gut zu gebrauchen. • Die Patientin hat gewagt, „ihre Stimme auszuprobieren“, d. h. die Patientin fühlt sich jetzt zu Erprobungsschritten ermutigt und macht dann eine erstaunliche Entdeckung: die bisherige Zweiteilung des Körpererlebens wird aufgehoben. Die Patientin hat offenbar Angst und Zweiteilung besiegt. – Aber wodurch? Die Antwort liegt auf der Ebene der Beziehung, d. h. auf der ÜbertragungsGegenübertragungsebene. Die Patientin konnte dem therapeutischen Interesse an ihrem Körpererleben und der therapeutischen Führung durch ihren Körper in mutigen kleinen Erprobungsschritten „folgen“. Wir gehen in der analytischen Körperpsychotherapie davon aus, dass die Patientin in solchen Situationen die Person des Therapeuten als das gegenteilige Muster ihrer anorektogenen Mutter erlebt, gewissermaßen als sensibles und passendes Einschwingen auf ihre in dieser frühen Entwicklungsphase noch sehr an die körperlichen Rhythmen gebundenen Ängste und Bedürfnisse und dass diese Diskrepanzerfahrung als entscheidender Wirkfaktor auf der Schiene der kindlichen Neugier entsprechende Entwicklungsschritte ermöglicht.
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Wir kommen zurück auf die Zeichnung der Patientin: Sie betont den Kreisumfang (= Körpergrenze) als feste Hülle, in der sie mit den Begriffen Spannung, Druck und Wärme ihr Stehen als festen Bodenkontakt organisiert. Es fällt aber auf, dass diese Hülle undurchdringlich ist, nichts gelangt von innen nach außen (oder umgekehrt). Dies ist kein Zufall; ein Blick auf die nachfolgende Zeichnung (Abb. 8) zeigt, dass der eben geschilderten Patientin an dieser Stelle noch ein entscheidender Entwicklungsschritt fehlt.
Integration von „Innen“ und „Außen“ (Abb. 8) Das Beispiel stammt von einer anderen Patientin aus der Gruppe, die bei dieser Wahrnehmungsaufgabe noch ein deutliches Stück weiter gekommen ist als unsere vorherige Patientin und mit einem BMI von etwa 17 die Gewichtsgrenze hin zur Abschlussphase der Therapie schon erreicht hat. Sie schildert ihr Erleben: „Mein Ton war ein Trichter in mir, ein dunkler, schwerer Ton, der von der Mitte innen breit nach außen gegangen ist. Das Vibrieren war gut. Von außen kamen nur leise, helle Töne an mich heran, von rechts stärker als von links.“
Wir sehen, dass es hier dieser Patientin gelingt, Innen- und Außenraum mit dem Symbol „Trichter“ irgendwie in Verbindung zu bringen. Das Ganze ergibt eine Einheit, in der sie, sich als Zentrum fühlend, eingebettet ist, die totale Ab28 schottung ist nicht mehr notwendig. Die Fähigkeit zur Regulierung der Dynamik zwischen Abschottung und Öffnung ist eine Grundbedingung für die menschliche Kommunikationsfähigkeit. Die analytische Körperpsychotherapie kann m. E. mit ihrer Methode der therapeutischen Wahrnehmungsaufgaben aufzeigen, dass auch die Fähigkeit, wie sich jemand in seinem späteren Leben in der Kommunikation anderen gegenüber öffnen und Signale der anderen aufnehmen kann, in ihrer Struktur präverbal grundgelegt wird. Wir können den 28
Den meisten Anorexie-Patientinnen gelingt diese integrative Leistung erst auf einem höheren Gewichtsniveau. Dieses Beispiel wird hier berichtet, um den Entwicklungszusammenhang in der Mittelphase der Therapie klar herauszuarbeiten.
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„basal-körperlich codifizierten Prototypen“ dieser Fähigkeit bzw. deren Stö29 rungsaspekten bei unseren Anorexie-Patientinnen auf die Spur kommen und uns dadurch therapeutische Möglichkeiten für Veränderungen eröffnen.
4.4.3. Von Ekel und Selbsthass zu Selbstakzeptanz und Selbstbehauptung Wir hatten die strukturellen Defekte des Körpererlebens in der Mittelphase der Therapie aufgedeckt und wenden uns nun auf der zweiten Schiene der Frage zu, wie in Bezug auf die selbstzerstörerische Aggression unserer AnorexiePatientinnen therapeutisch angesetzt werden muss, um eine Entwicklung in Richtung eines gesünderen Umgangs mit dieser Aggression zu bahnen. Hierzu blicken wir wieder zurück zu unserer Beispielspatientin. Sie hat jetzt in der Mittelphase der Therapie einen BMI von etwa 14 erreicht. Am Anfang einer Stunde der Körperpsychotherapie berichtet die Patientin, dass sie aufgeben und abreisen wolle, denn sie schaffe es ja sowieso nicht. Die Patientin wirkt dabei irgendwie gequält, kann aber ihre Befindlichkeit nicht differenzierter benennen. In der Körperwahrnehmung wird dann unter anderem mit der Vorstellung des eigenen Spiegelbildes gearbeitet und mit einer Zeichnung dieses vorgestellten Bildes abgeschlossen. Unsere Patientin zeichnet sich wie folgt (Abb. 9):
Patientin malt ihren unerträglich erlebten Körper (Abb. 9) Der Gruppe fällt sofort auf, dass sich die Patientin zum ersten Mal mit Gesicht gezeichnet hat. Die Patientin jedoch sagt sofort, dass sie ihren Körper unerträglich finde. Auf die Nachfrage, was sie denn an ihrem Körper so unerträglich finde, schildert die Patientin, ihr Bauch sei so ekelig aufgebläht, auch ihre Wangen seien ekelig und unerträglich, und dies habe sie auch in ihrer Zeich29
Downing (2002, S. 25, siehe S. 4) spricht an dieser Stelle von den deutlichen Schwierigkeiten der Anorexie-Patientinnen im Aussenden und Empfangen von Emotionen. Er sieht darin im Sinne seines Begriffs der motorischen Überzeugungen m. E. ebenso völlig zu Recht einen Beleg für einen frühen, präverbalen Strukturdefekt.
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nung darstellen wollen. Andere Gruppenmitglieder weisen noch einmal auf das Gesicht hin, das doch gar keinen so ekligen Eindruck mache, und der Therapeut ergänzt: „Ja, ein Gesicht mit Lebendigkeit!“ In der weiteren Bearbeitung durch die Gruppe wird der therapeutische Dialog auf folgenden zwei Ebenen gefördert: • Zum einen wird die Patientin immer wieder dazu ermuntert, konkret und differenziert zu schildern, was sie denn an ihrem Körper so eklig und unerträglich findet. Das Diffus-Unerträgliche wird konkret auf einen Körperbereich oder auf ein Körperteil bezogen, der Ekel wird schrittweise immer besser besprechbar, erhält dadurch sprachlich gewissermaßen ein konkretes Gesicht. • Zum anderen kann dann auf die angesprochenen Körperbereiche im Einzelnen eingegangen werden. So sind z. B. dicke Wangen nichts Schlimmes, sondern gehören als Pausbäckchen zur gesunden Entwicklung eines Kindes. Aus dicken Wangen, die die Patientin eklig findet, werden so im Gruppenverlauf gesunde Pausbäckchen, über die die anderen Patientinnen teilweise sogar schon etwas neidisch sprechen können und über die sich der Gruppenleiter freut. Die Patientin reagiert im Gruppenverlauf zunehmend erstaunt und verwundert über die Einfälle von Gruppe und Gruppenleiter. Wir sehen in dieser Beispielsstunde, wie die tiefsitzende Ablehnung des eigenen Körpers unserer Patientin aufgedeckt, schrittweise zur Sprache gebracht und damit eine Entwicklung angestoßen wird, bei der Ekel und Selbsthass gleichsam zur gesunden Selbstakzeptanz umgeformt werden. Die geschilderte Beispielsstunde ist natürlich nur der erste Schritt auf diesem Weg, die Verunsicherung durch Erstaunen und Sich-Wundern ist hierzu der Einstieg. In der Regel brauchen die Patientinnen, vergleichbar mit der Überwindung der anorektischen Angst, eine Entwicklung bis zu einem Gewichtsniveau von mindestens BMI 16, um einen ersten Ansatz von „ekelfreier Wahrnehmung“ des eigenen Körpers erreichen zu können, was sich dann am Ende der therapeutischen Mittelphase allmählich stabilisiert (siehe unten). Aus der Erstarrung in Ekel und Selbsthass wird lebendige Selbstakzeptanz, dies ist der erste Aspekt der therapeutischen Bearbeitung des massiv autodestruktiven Aggressionspotenzials der Anorexie-Patientinnen. Der zweite Aspekt betrifft die „therapeutische Umarbeitung“ der Autoaggression in eine progressiv-aggressiv zupackende Selbstbehauptung. Durch unser bedingungsloses Interesse am Körpererleben der Patientinnen provozieren wir Interesse und Neugier der Patientinnen ihrem eigenen Körper gegenüber, eine Art aktiver, innerer Suchbewegung des Ichs soll in Gang gesetzt werden. Dieser Weg lässt sich am besten anhand von Beispielsträumen aufzeigen. Eine Patientin berichtet bei einem BMI von 14 ihren ersten Körpertraum: „Ich arbeite in einer Fabrik und muss am Fließband Schaufensterpuppen Arme und Beine einsetzen.“
Dies ist ein kurzer Traum ohne viel Aktionen, aber sicher ein eindrucksvolles Bild dafür, welche Leblosigkeit zum Ausdruck kommt, wenn „sich ein anorektisches Ich an die Arbeit macht“: Es erscheinen leblose, unvollständige Figuren ohne Bewegungs- und Handlungsinstrumente und ein stumpfsinniges „Fließbandbemühen“ der Träumerin. Diese Leblosigkeit ist natürlich als eine schwer
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30 pathologisch geprägte Selbstsicht einzuordnen, dennoch markiert sie bzw. die entsprechende Interaktionssequenz den Beginn des therapeutischen Rekonstruktionsprozesses: Die Patientin setzt Körper zusammen, d. h. sie bildet in diesem Traum gewissermaßen den therapeutischen Weg ab, den die analytische Körperpsychotherapie entwickeln will, nämlich der Patientin zu helfen, sich ein neues, gesünderes Körperbild zu erarbeiten. In diesem Beispiel ist das selbstzerstörerische Aggressionspotenzial der Patientin noch hinter der Leblosigkeit des Traumbildes versteckt, zumeist kommt es jedoch in den ersten Körperträumen auf diesem Gewichtsniveau von etwa BMI 14 in Bildern zum Ausdruck, die in ihrer massiven, manchmal geradezu grellen Pathologie imponieren. Eine Patientin berichtet als Reaktion auf einen Therapiestunde, in der unter anderem mit der Vorstellung des eigenen Spiegelbildes gearbeitet wurde, folgenden Traum:
„Ein Schulkamerad und einige Bekannte versuchten vergebens, aus Schnee einen Schneemann zu bauen, der Schnee haftete nicht. Ich hatte keine Schwierigkeiten, und er verwandelte sich zu einem Frauenkopf. Ich erstarrte, denn was mich da anschaute, war ich selbst, aber alles in mir sträubte sich gegen das Gesicht: verhärmte Gesichtszüge, grell überschminkt, überhaupt viel Farbe, hellblondes, gefärbtes Haar, quasi alles unecht, eine Maske!“
Hier versucht die Träumerin, ein inneres Bild ihrer körperlichen Identität herzustellen. Es gelingt auch weitgehend, der Schnee hält zusammen, aber das Material ist leblos und kalt: ein Körper aus Schnee! Nur der Kopf als maskenhaftes Abbild verrät die Identität dieses Schneekopfs, nämlich das eigene Gesicht der Träumerin. Das Bemühen um die eigene körperliche Identität ergibt auch in diesem Beispiel ein erschreckendes Bild von Kälte, Leblosigkeit und maskenhafter Leere. Die selbstzerstörerische Pathologie der Magersucht, Ekel und Selbsthass, kommen darin in voller Wucht zum Ausdruck, aber auch hier können wir den gleichen therapeutischen Ansatz entdecken: Die Patientin reagiert auf die Wahrnehmungsaufgaben der Körpertherapie und versucht aktiv, einen Schneemann, d. h. eine ganzheitliche Vorstellung ihres eigenen Körpers zu erstellen. Die Provokation ist also gelungen, diesen Ansatz gilt es nun im weiteren Verlauf auszubauen. Körperwahrnehmung provoziert eine aktive Suchbewegung und diese wiederum fördert als Erstes, was naturgemäß nicht anders zu erwarten war, eine massive autodestruktive Pathologie zutage. Wie lässt sich nun die Entwicklung in Richtung einer gesunden Aggression bahnen und gestalten? Wir wollen dies anhand zweier Körperträume aufzeigen, die sich mit dem Thema der Hände beschäftigen. Mit unseren Händen können wir unter anderem auch schlagen, zupacken oder abwehren. Sie eignen sich also bestens für das Thema Aggression. Außerdem wissen wir, dass Anorexie-Patientinnen ihre Hände bei Zeichnungen ihres eigenen Körpers oftmals weglassen, sie manchmal gar nicht oder nicht zu ihrem Körper gehörig wahrnehmen. (Vgl. hierzu Downing 1996, S. 121 f.) Hände sind deshalb auch in den Körperträumen der Anorexie-Patientinnen von besonderer Bedeutung. Eine Patientin bei einem BMI von etwas über 14, auch in der Mittelphase der Therapie, berichtet nach einer Stunde Wahrnehmungsarbeit mit Händen und Armen folgenden ersten Körpertraum:
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Nach Downing wäre diese Selbstsicht auch als ein Aspekt einer typisch anorektischen motorischen Überzeugung einzuordnen.
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„Ich sah meine beiden Hände und vor mir liegend nochmals meine rechte Hand. Aber ohne einen Tropfen Blut, schneeweiß, und ich war dabei, mit Messer und Gabel diese zu zerteilen, was ich aber nicht schaffte, weil das Messer nicht scharf genug war.“
Die Träumerin versucht, ihre rechte Hand mit Messer und Gabel zu zerschneiden, um sie offenbar auch zu essen. Positiv ist hier wiederum dieser aktive Impuls der Patientin zu werten, sich ihre eigene Hand gleichsam aneignen zu wollen, aber eben auf einem schwer pathologisch verzerrten Identifikationsniveau: Ein Teil des eigenen Körpers wird offenbar in plastisch-bildlicher Weise mit Nahrung gleichgesetzt, autodestruktiv zerstückelt, um dann im Rahmen einer kannibalistischen Inkorporationsphantasie einverleibt zu werden. Wir sehen, welche pathologischen Verformungen der Triebstruktur bzw. der Selbstund Objektrepräsentanzen dem „Handerwerb“ im Wege stehen und ihn in Richtung Selbstvernichtung bahnen. Etwa vier Wochen später ist die Patientin schon einen entscheidenden Schritt weiter gekommen. Auf einem Gewichtsniveau von BMI 16,5 träumt sie wieder von ihren Händen: „Ich fühle mich einer Gruppe gegenüber, wahrscheinlich ist es meine Therapiegruppe. Ich sehe aber nur sehr viele Hände, die auf mich zukommen und mich bedrohen. Meine eigenen Hände habe ich dabei aber auf dem Rücken verknotet. Dann erfolgt ein Szenenwechsel im Traum: Schwester E. (eine ältere, mütterlich wirkende Schwester) spricht mit mir und zeigt mir einen Raum, in dem viele Hände wären. Ich gehe in diesen Raum, dort sind tatsächlich viele Hände ausgestellt: Hände von Erwachsenen, von Kindern, Frauenhände, Männerhände usw. und auch ein paar Fäuste. Als ich das Paar Fäuste sehe, schreie ich voller Wut: »Wem gehören diese Fäuste?« Ich verlasse dann wieder diesen Raum, ohne mir ein Paar Hände auszusuchen. Meine Hände sind dabei immer noch auf dem Rücken verknotet. Draußen spreche ich mit der Schwester: »Ich nehme mir keine Hände, ich habe selber welche!« Darauf antwortet die Schwester: »Ja, dann müssen Sie aber erst den Knoten lösen!« Dann wache ich auf.“
Die Patientin träumt von vielen Händen, als Teil des eigenen Selbst sind sie auf ihrem Rücken verknotet, abgespalten außerhalb des eigenen Selbst werden sie in bedrohlicher Form der Therapiegruppe zugeschrieben oder gleichsam als Sortiment wahrgenommen, das ihr von einer Mutterfigur angeboten wird, wobei ein Paar Fäuste als aggressiv aufgeladenes Symbol aus dieser Auswahl besonders hervorsticht. Die Träumerin fragt voller Wut nach dem Besitzer dieser Fäuste, d. h. der emotionale Zug, gewissermaßen das Streben des Ichs in diesem Traum, geht eindeutig in Richtung einer aggressiv aufgeladenen Auseinandersetzung um den Erwerb und den Besitz dieser Teile des eigenen Selbst. Dieser integrative Zug wird besonders in der Beziehung der Träumerin zur Mutterfigur des Traumes sichtbar. In der Beziehung zur Mutter, aber auch gleichsam aggressiv-abgrenzend gegen die Mutter, schafft die Träumerin eine Identitätsdeklaration bzw. eine Art „Unabhängigkeitserklärung“ im Sinne einer aggressivgesunden Selbstbehauptung: „Ich nehme mir keine Hände, ich habe selber welche!“ Die aggressiv-identifikatorische Auseinandersetzung, in unserem Traumbeispiel projektiv auf eine Schwester übertragen, ist die Schiene, auf der die präödipalen Identifizierungsmuster, im Traumbeispiel als „autokannibalistische“ Inkorporationsphantasie, schrittweise überwunden werden.
4.4.4. Interventionsebenen Wir wollen nun teilweise rekapitulierend noch etwas die interventionstechnischen Ansätze in der Mittelphase der Therapie herausarbeiten, die diese Integ-
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rationsleistung der Patientin ermöglichen. In Bezug auf den Umgang mit den Themen Autoaggression und Abhängigkeit wird die Bandbreite der Interventionen unter folgenden Aspekten schrittweise erweitert: • Die Körperwahrnehmung in Ruhe wird durch Aufgabenstellungen ergänzt, die zunehmend Bewegung, Anstrengung und Kraft sowie schließlich auch die Interaktion mit anderen Gruppenmitgliedern mit einbeziehen. Für unser Thema der Hände wäre das z. B. die Aufgabe, die Hände bei der Bewegung des Öffnens und des Zusammenballens zu Fäusten zu spüren oder mit beiden Händen an einem Tau zu ziehen und sich so mit einem anderen Gruppenmitglied zu messen. In diesem Sinne wird die Aufgabenstellung zum Ende der therapeutischen Mittelphase auf der körperlichen Ebene deutlich aktivitäts- und damit auch „aggressionsfördernder“. • Von Beginn der Therapie an werden Träume bzw. der Bericht und die Besprechung von Träumen als Aufgabe und wichtiger Teil der therapeutischen Arbeit eingeführt. In der Mittelphase der Therapie wird der therapeutische Umgang mit Träumen in Hinblick auf die Interventionstechnik aufgefächerter und komplexer weiter entwickelt. Im einzelnen lassen sich drei Interventionsebenen unterscheiden:
31
Ebene 1: Zu Beginn der therapeutischen Mittelphase bleiben die Interventionsmöglichkeiten darauf beschränkt, alle aktiven Impulse in den Traumbildern systematisch als Therapiefortschritt herauszuarbeiten und dadurch ermutigend zu unterstützen. Der Fließbandtraum ist hierfür ein gutes Beispiel. Für die Patientin wurde erarbeitet, dass dieses Traumbild den Beginn ihrer Körpertherapie zum Ausdruck bringt: Sie macht sich an die Arbeit und setzt Körper zu31 sammen, und das ist ein guter Beginn! Diese Bestätigung genügt , insbesondere ist jede Art von Deutung, die die schwere Pathologie der Leblosigkeit in diesem Traumbild aufdecken würde, an dieser Stelle des Therapieverlaufs zu unterlassen. Ebene 2: In der Mittelphase der Therapie gelangt in vielen Träumen die autodestruktiv verformte Aggression der Anorexie-Patientinnen im vollen Ausmaß zur Geltung. Als Beispiel hierfür hatten wir den Traum von der eigenen Hand, die mit Messer und Gabel zerstückelt wird, berichtet. Zumeist genügt es in solchen Fällen nicht, wie auf der Ebene 1 lediglich den aktiven Impuls des Traumgeschehens als Fortschritt zu bestätigen, denn die Patientinnen werden oftmals von ihren Traumbildern massiv geängstigt. So war auch die Träumerin in unserem Beispiel von der Vorstellung, die eigene Hand zerstückeln und aufessen zu wollen, sehr beunruhigt. Solche Träume müssen deshalb in der Gruppe ausführlich besprochen werden. Unserer Träumerin wurde dabei das Einverleiben-Wollen als durchaus positive Art und Weise, sich etwas anzueignen oder sich mit etwas voll und ganz zu identifizieren, gespiegelt. „Wenn ich jemanden zum Fressen gern habe, dann mag ich ihn doch!“ fiel einer anderen, in
In der Regel genügt diese Bestätigung, um die betreffenden Patientinnen ausreichend zu stabilisieren und zu weiteren Träumen anzuregen. Sollte sich aber der Angstpegel der Träumerin in Bezug auf bestimmte Aspekte des Traumgeschehens dennoch erhöhen, so ist nach den Prinzipien von Ebene 2 zu verfahren.
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ihrer Therapie schon weiter fortgeschrittenen Patientin dazu ein. Die Träumerin reagierte sehr erstaunt und erleichtert auf diesen Einfall. Es geht also darum, der Patientin durch eine positive Herausarbeitung bzw. positive Umdeutung der aggressiven Triebimpulse ihres 32 Traumes schrittweise die Angst vor ihrer Aggression zu nehmen. Natürlich muss sich dafür die massive Autodestruktivität in ihrer ganzen pathologischen Bandbreite entfalten dürfen (siehe Handhabung der Gegenübertragung!), im herkömmlichen Sinne gedeutet wird sie jedoch nicht. Ebene 3: Das Beispiel des zweiten Handtraumes mit den Fäusten und der Selbstbehauptung steht für den Abschluss der therapeutischen Mittelphase. Hier tritt die Aggression zum ersten Mal in einer weitgehend realitätsgerechten, gesunden Form in Erscheinung. Von nun an darf dezidiert und ausführlich von und über Wut gesprochen 33 werden. Mit diesen neuen Möglichkeiten solchermaßen ausgestattet können nun alle im Traumgeschehen aufscheinenden Beziehungskonflikte aufgegriffen und bearbeitet werden, in unserem Traumbeispiel die Beziehung der Patientin zu einer bestimmten Schwester. Theoretisch gesprochen geht es an dieser Stelle des Therapieverlaufs um die Bearbeitung der Beziehungskonflikte auf präödipalem Niveau, d. h. in erster Linie um die Abhängigkeit von der Mutter. Wie weitgehend die Autonomiekonflikte hier schon aufgedeckt und bearbeitet werden können, richtet sich nach dem jeweiligen Entwicklungsstand und den introspektiven Möglichkeiten der betreffenden Patientin. In unserem Beispiel schloss die Patientin die Bearbeitung des Traumes in der Gruppe mit dem emotional auch deutlich spürbaren Vorhaben ab, ihre Standpunkte zukünftig ihrer Mutter gegenüber mutiger vertreten zu wollen.
4.4.5. Übertragung und Gegenübertragung Abhängigkeit und Autoaggression sind die Themen der therapeutischen Mittelphase. Am Beispiel des Handtraumes mit den Fäusten hatten wir schon die Projektion einer Mutterübertragung auf eine Schwester dargestellt. Für den Umgang mit Projektionsmustern der Abhängigkeit gibt es in dieser therapeutischen Verlaufsphase keine besonderen Beschränkungen mehr. Das Thema der Aggression gestaltet sich dagegen oftmals sehr viel schwieriger. Entscheidender Ansatzpunkt im Umgang mit der Aggression, sei es als Ekel oder als autodestruktiver Selbsthass, bleibt naturgemäß die Handhabung der Gegenübertragung. Grundlage hierfür ist eine „Resonanz des Standhaltens“ guter Elternfiguren gegenüber noch so schlimmen Ängsten und Gefühlen des Kindes und die 32
An dieser Stelle darf nicht vergessen werden, dass parallel dazu auf der Ebene des Körpererlebens weiter konsequent am entsprechenden Thema, hier Spüren der Hände, gearbeitet werden muss, um den gewünschten therapeutischen Effekt zu erreichen und den konzeptuellen Rahmen der analytischen Körperpsychotherapie nicht zugunsten einer lediglich verbalen Bearbeitung aufzugeben. 33 Ist dieses Niveau einmal erreicht, dürfen bzw. müssen im weiteren Verlauf auch Rückfälle in die Autoaggression als solche gedeutet, d. h. in ihrer pathologischen Ausrichtung, am besten im Sinne eines Vergleichs zwischen gesunden und anorektischen Erlebens- und Verhaltensweisen, aufgedeckt werden.
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auf diesem Hintergrund mögliche Vermittlung einer neuen Beziehungserfahrung. Um auf unsere Beispielspatientin zurückzukommen: Der Ekel des Kindes bezüglich seiner dicken Wangen wird angenommen und dabei die Freude guter Eltern über die Pausbäckchen ihres Kindes vermittelt. Das Kind darf über seinen Ekel sprechen und erlebt, dass seine Eltern „überhaupt nicht eklig über seinen Körper sprechen,“ sondern sich offenbar sogar freuen. Die Vermittlung dieser Neuerfahrung bleibt der Hebelpunkt, an dem sich die Handhabung der Gegenübertragung zu orientieren hat. Dabei kommt es immer wieder zu äußerst schwierigen Konstellationen der Übertragung-Gegenübertragung: In der Mittelphase können Ekel und Selbsthass über weite Strecken des Verlaufs scheinbar sistieren, d. h. was auch immer den Patientinnen in der Körperpsychotherapie angeboten wird, alles wird – wenn überhaupt reagiert wird – als schlimm und ekelhaft wahrgenommen. Für den betreffenden Therapeuten wird dies dann als schier unerträglicher Projektionsdruck spürbar. Damit eröffnet sich aber die gleichsam „tiefst-mögliche“ Ebene des Gegenübertragungsproblems. Wir müssen als Projektionsfiguren in solchen Situationen dazu bereit sein, Ekel und Selbsthass unserer Patientinnen, der zunächst diffus-ungerichtet erscheint, schrittweise immer strukturierter auf uns zu beziehen, als gezielt an uns gerichtet auf uns zu nehmen, und dennoch geduldig, einfühlsam, aber auch sehr konsequent in der therapeutischen Arbeit „am Körper unserer Patientinnen zu bleiben.“ Dies ist für das Gelingen einer Magersuchtstherapie in dieser Verlaufsphase der entscheidende Punkt.
4.4.6. Zusammenfassung und Ergebnis Die zweite Therapiephase begann mit einer Entdeckung: „Ich habe ja gar kein Gesicht!“ Unser Ansatz der Körperwahrnehmung hatte eine neugierige Suchbewegung der Patientin provoziert, die wir dann im weiteren Therapieverlauf auf zwei Schienen verfolgt haben: •
•
Schiene 1: Auf der Ebene der Struktur des Körpererlebens hat sich gezeigt, dass die „motorischen Überzeugungen“ (nach Downing, siehe oben) der Anorexie-Patientinnen brüchig und/oder nur bruchstückartig unvollständig entwickelt sind. Die therapeutische Führung der Körperwahrnehmung fördert hier das Zusammenwachsen im Sinne einer integrativen Struktur, die Angst vor Chaos und Fragmentierung wird überwunden. Schiene 2: Die autodestruktive Aggression der Anorexie-Patientinnen sitzt tief, sie kommt klinisch fassbar zunächst in gegen den eigenen Körper gerichtetem Ekel und Selbsthass zum Ausdruck. In der Bearbeitung des Körpererlebens wird dieser Ekel und Selbsthass schrittweise zur lebendigen Selbstakzeptanz „umgeformt“, in der aktiven Erprobung des eigenen Körpers wird aus der körperzerstörenden Wut bei „zunehmend deutender“ Bearbeitung der Körperträume ein Ansatz gesunder Selbstbehauptung entwickelt. Wie auf der ersten Schiene die Angst vor Chaos und Fragmentierung wird hier die Angst vor der eigenen Wut überwunden.
Wie sieht nun das Ergebnis dieser Therapiephase aus? Wir kehren zurück zu unserer Beispielspatientin. Bei einem BMI von etwas über 17 (im Vergleich zur „Pausbäckchen-Zeichnung“ eine Gewichtszunahme von 8,6 kg) kommt sie mit
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einer neuen Frisur und mit einem Halskettchen und einem Armreif als Schmuck in die Gruppenstunde und zeichnet sich wie folgt:
„Es ist so schwer, sich an das Fühlen zu gewöhnen“ (Abb. 10) „Es ist so schwer, sich an das Fühlen zu gewöhnen, schwerer als es dauernd zu bekämpfen!“ sagt die Patientin sogleich zu ihrer Zeichnung.
In der Besprechung reagiert die Gruppe dann sehr bestätigend auf diese Zeichnung. So wird festgestellt, dass die Zeichnung jetzt vollständig ist und dass man ganz klar den Körper einer jungen Frau erkennen kann. Die Patientin selbst bemerkt, dass ihre Arme und Hände und auch ihre Beine und Füße so einfach am Körper herunterhängen. Die Gruppe versteht dies dahingehend, dass Arme und Hände eben noch nicht so an das Zupacken gewöhnt sind, und erinnert die Patientin an verschiedene Aussagen über ihre Hände in früheren Gruppenstunden. Die Patientin hatte nämlich wiederholt berichtet, dass sie ihre Hände immer als „so dick“ empfinde und dass sie sie noch nie gemocht habe. Der Gruppenleiter ergänzt: „Aber jetzt haben Sie Hände, das ist doch gut!“ Zum Abschluss der Besprechung ihrer Zeichnung zögert die Patientin etwas und sagt dann noch, dass sie sich sehr habe anstrengen müssen, um ihrem Becken eine weibliche Form zu verleihen. Im Überblick können wir daher folgende Fortschritte zum Abschluss der therapeutischen Mittelphase festhalten: • Die Zeichnung der Patientin ist vollständig, d. h. inhaltlich und formal ausreichend differenziert und integriert. Wir werten dies als Beleg für eine Entwicklung, die das Niveau von Chaos, Fragmentierung und diffuser Angst zumindest in einem ersten Ansatz überwunden hat. • An den herunterhängenden Gliedmaßen der Zeichnung lässt sich noch ein anorektischer Rest von Leblosigkeit erkennen. Autodestruktive Züge kommen aber darin direkt nicht mehr zum Ausdruck. • Die Patientin reagiert auf ihre Zeichnung und spricht vom Fühlen. Das ist ein entscheidender Fortschritt, denn aus der Beschäftigung mit der
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•
Rudolf Maaser Körperwahrnehmung hat sich gleichsam ein Begriff vom Fühlen herausentwickelt. Sie hat damit offenbar die Sprache für ihr Fühlen wiedergefunden und hat jetzt für den weiteren Verlauf einen Ansatz zur Verfügung, Körperwahrnehmung und Körperempfindungen einerseits, von Gefühlen andererseits differenzierend zu unterscheiden und sinnvoll aufeinander zu beziehen. Die Patientin spricht über ihre Schwierigkeiten, ihr Becken zu zeichnen, was auch in der Strichführung der Zeichnung im Bereich des Beckens und der Oberschenkel zum Ausdruck kommt. Damit ergibt sich erstmals ein Ansatz, das Thema der eigenen Weiblichkeit weiterführend zu bearbeiten.
Als Ergebnis der therapeutischen Mittelphase können wir eine Stabilisierung der Struktur des Körpererlebens festhalten, d. h. unsere Beispielspatientin ist in Bezug auf ihren eigenen Körper nicht mehr von Chaos, Fragmentierung und Selbstzerstörung bedroht. Aus Bruchstücken, diffuser Angst und Autodestruktion wurde ein integriertes Körperbild „rekonstruiert“ und somit eine gute Grundlage für die dritte Therapiephase gelegt.
4.5. Dritte Phase 4.5.1. Vorbemerkung Die dritte Verlaufsphase zum Therapieabschluss ist die Phase der Beziehungsklärung, d. h. die Bearbeitung der intrafamiliären Beziehungskonflikte wird jetzt zum zentralen Thema. Die verbalen Therapiemethoden einschließlich Familiengespräche gewinnen so mehr an Bedeutung, dementsprechend verändert sich der Beitrag bzw. der Stellenwert der Körperpsychotherapie. War sie bisher die Leitlinie der Therapie, so wird sie für das Thema der Beziehungsklärung in der letzten Phase eher zu einem haltgebenden Hintergrund. So kann beispielsweise eine Patientin nach einem Familiengespräch in einer Stunde mit Spüraufgaben ihre Körperempfindungen und Gefühle bzw. deren Differenzierung klären und sich so der Sicherheit ihres Körpers als Basis aller psychischen Abläufe immer wieder vergewissern. In diesem Sinne wird die Körperpsychotherapie zu einer Art Geländer, auf das die Patientinnen bei ihrer Konfliktbearbeitung zurückgreifen können, wobei dann inhaltlich gesehen das Thema der psychosexuellen Identität in den Vordergrund rückt. Hierfür gibt es keine spezifischen Angebote der Körperpsychotherapie, die Patientinnen können von allen Aufgabenstellungen auf den verschiedensten Komplexitätsstufen, insbesondere naturgemäß von interaktionellen Angeboten, gleichermaßen profitieren. Insgesamt verändert sich der Zusammenhang zwischen dem Geschehen in der Körperpsychotherapie und der therapeutischen Entwicklung der Patientin, insbesondere unter der Einwirkung der anderen Therapiemethoden, in Richtung eines komplexen, breit gefächerten Therapieprozesses.
4.5.2. Verlaufsaspekte In der Abschlussphase der stationären Therapie lässt sich deshalb der Verlauf in der Körperpsychotherapie nicht mehr im gleichen Maße wie in den vorhergehenden Phasen als eine einheitliche Linie, gewissermaßen als ein Strang der gesamten Therapie, herausarbeiten. In Hinblick auf den zentralen Fokus der
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psychosexuellen Identität leistet die analytische Körperpsychotherapie unter folgenden Aspekten entscheidende Beiträge:
•
4.5.2.1. Identifikation mit der Mutter
Als erster Aspekt ist die weitere Bearbeitung der Mutterbeziehung zu nennen. Als Ergebnis der zweiten Therapiephase hatten wir den Ansatz einer identifikatorischen Auseinandersetzung mit der Mutterfigur (siehe 2. Handtraum) festgehalten. Diese Schiene wird nun im weiteren Verlauf differenziert ausgearbeitet. Unser nächstes Traumbeispiel zeigt diese „Annäherung“ an die Mutterfigur sehr plastisch auf. Bei einem BMI von etwa 19 und in einer Situation der beginnenden offenen Auseinandersetzung in allen Gruppen träumt die Patientin: „Ich bin mit meiner Mutter allein in der Kirche. Es kommt zu einem handgreiflichen Streit mit ihr, zu einem richtigen Ringkampf. Ich drücke meine Mutter auf eine Sitzbank nieder. Ich spüre dabei ganz deutlich die Wärme ihres Körpers. Während des Kampfes wache ich auf.“
Dieser Traum ist ein eindrückliches Beispiel dafür, wie es in der analytischen Körperpsychotherapie gelingen kann, den doch jetzt komplexer gewordenen therapeutischen Prozess gewissermaßen auf der Ebene des Körpererlebens zu verankern. So wird in diesem Traum die Auseinandersetzung mit der Mutter gleichsam hautnah-handgreiflich ausgetragen. Von anorektischer Leere oder Kälte ist nichts mehr zu spüren. Die Patientin phantasiert im Traumgeschehen die Körperwärme der Mutter, konstelliert in differenzierter Weise eine Situation, einerseits durch den Ringkampf aggressiv bestimmt, andererseits durch die Nähe der Körperwärme sehnsuchtsvoll aufgeladen. Mit einiger Berechtigung lässt sich aus diesen Aspekten ein ablaufender Identifizierungsprozess ablesen, der wie der Traum selbst gegenwärtig noch nicht abgeschlossen ist. Wie an dieser Stelle in der Körperpsychotherapie ein weiterer Entwicklungsschritt provoziert werden kann, zeigt unser nächstes Beispiel. Eine Patientin berichtet von einem Traum, bei dem sie mit ihrer Mutter in einem Auto gefahren sei. Sie habe das Auto gesteuert, die Mutter auf dem Beifahrersitz, und sie sei aus Wut über die Mutter besonders schnell und riskant gefahren. Die Mutter habe aber nicht reagiert, sei nur „so leidend“ dagesessen. Sie sei deshalb immer schneller gefahren, bis sie aus einer Kurve getragen worden und ins Meer gestürzt seien. Dabei sei sie dann aufgewacht. Auch hier haben wir das Bild einer aggressividentifikatorischen Auseinandersetzung mit der Mutter, und zwar auf der gleichen Entwicklungsstufe wie der vorherige Traum und ebenso noch ohne Lösung. Nach etwa einer Woche, in der in der Gruppe einerseits mit interaktionellen Angeboten (ein anderes Gruppenmitglied gegen dessen körperlichen Widerstand durch den Raum ziehen oder schieben), andererseits mit Wahrnehmungsaufgaben der Körpergrenze und der eigenen Haut gearbeitet wurde, berichtet die Patientin, dass sich dieser Traum bis zu dieser Stelle fast gleich wiederholt hätte, dann habe sich jedoch ein zweiter Traumteil angeschlossen: „Das Auto rollte diesmal rückwärts in das Wasser. Ich schrie, sie solle die Handbremse anziehen. Ich kriege eine Riesenwut, weil sie wie erstarrt dasitzt und nichts tut. Da ergreife ich die Initiative, ich befreie mich aus dem Auto und kann auch meine Mutter herausziehen. Ich lege sie am Strand nieder. Sie hat einen einteiligen Samtanzug an. Ich öffne den Reißverschluss, da merke ich plötzlich, das bin ich ja selber, der sich da aus der Haut pellt.“
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Die aggressive Auseinandersetzung mit einer depressiv erlebten Mutter (leidend dasitzen und nichts tun) und die Rettung der bedrohten Mutterfigur durch eigenes Zupacken löst den Konflikt (Wut auf die depressive Mutter versus Sehnsucht nach einer stabilen Mutter) in einer Art „dialektischer Identifikationsfigur“: die Träumerin findet sich selbst in der Haut der Mutter. Es handelt sich hierbei zweifellos um ein Identifizierungsmuster auf differenziertem, strukturell hohem Niveau. Die Patientin hatte zu diesem Zeitpunkt bereits ein entsprechendes Gewichtsniveau von BMI 20 erreicht.
•
4.5.2.2. Annahme der eigenen Weiblichkeit
Die Akzeptanz der eigenen Weiblichkeit als besonderer Aspekt der Identifikation mit der Mutter kommt psychosomatisch im Wiedereinsetzen der Periodenblutung zum Ausdruck. In der Abschlussphase der stationären Therapie ist in Hinblick auf das erreichte Gewichtsniveau die Grundlage hierfür geschaffen. Auf der psychotherapeutischen Ebene muss der Konflikt zwischen dem Wunsch nach der Periode und Enttäuschung, Wut und Trauer, wenn sie noch auf sich warten lässt, intensiv bearbeitet werden. Auch hierzu kann die analytische Körperpsychotherapie beitragen, spezielle therapeutische Angebote und Interventionen, um die Periode „herbeizutherapieren“ gibt es naturgemäß nicht. In manchen Fällen scheint dieses Thema im Hintergrund bestimmter Identifizierungsträume auf. So berichtet beispielsweise unsere Träumerin eine Woche später erneut über einen Traum: „Ich fahre mit Vater und Mutter wieder im Auto. Wir suchen etwas, finden aber nicht den Weg, der endet immer auf einer Schotterstraße. Auf einmal sehen wir die Straße, die wir suchen. Wir sind aber von der Straße durch eine Brücke, eine wackelige Hängebrücke, getrennt. Mutter und Vater gehen hinüber. »Seid vorsichtig!« rufe ich. Beide fallen ins Wasser, ich fische sie mit einer langen Stange heraus. Mutter versucht es noch einmal und fällt wieder hinein. Diesmal rette ich sie schwimmend. Dann suche ich gemeinsam mit Mutter am Ufer Steine: große, glasklare und rote Steine. Wir zeigen uns sie gegenseitig und freuen uns gemeinsam darüber. Dann wende ich mich ab und gehe über den Steg. Ich gehe ohne Ängste und Schwierigkeiten hinüber. Ich fühle mich wohl. Drüben ist eine schöne Landschaft, blühende Bäume, Frühling.“
In der Besprechung durch die Gruppe wird als erstes der eigenständige Schritt über Hindernisse als besonderer Fortschritt bestätigt. Zu den glasklaren Steinen fällt der Patientin selbst ein, dass man gewöhnlich von glasklaren Erkenntnissen spricht und erinnert sich dann sofort an ein kurz zuvor stattgefundenes Familiengespräch, in dem die Mutter diese sprachliche Formulierung benutzte. Im weiteren Gruppenverlauf wird zunächst dieses Familiengespräch nachbearbeitet. Zum Abschluss nach den roten Steinen gefragt, assoziiert die Patientin ihre erste Menstruationsblutung: „Blutig, klumpig, ich habe sie damals der Mutter gegenüber verheimlicht, aber ich habe mich eigentlich wohl gefühlt dabei, genauso wohl gefühlt wie am Schluss des Traumes.“ Auf einem Gewichtsniveau von etwas über BMI 21 kam es dann zwei Wochen später zum Wiedereinsetzen der Periodenblutung.
•
4.5.2.3. Identifikation mit dem Vater
Neben der Identifikation mit der Mutter ist natürlich nach der Bedeutung der Vaterbeziehung zu fragen. Arbeitet man in der analytischen Körperpsychotherapie mit Träumen, so tritt der Vater in der Regel erst auf einem Gewichtsni-
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veau von BMI 17 bis 18 zu Beginn der Abschlussphase als strukturierte Traumfigur in Erscheinung. Hierfür ein Beispiel: „Im Traum bin ich auf unserem Hof daheim. Vater kommt mit ein paar Bierkästen und sagt, ich soll sie in den Keller tragen. Ich kann aber nicht, ich bin wie erstarrt, ich kann nichts tun und kann mich nicht bewegen. Ich kann aber auch nichts sagen. Mein Bruder kommt dazu. Ich frage, ob er mir helfen kann. Er tut es nicht und geht weg. Vater geht ihm nach und schlägt ihn. Das ist sehr schlimm für mich. Ich habe Angst und wache auf.“
Dies ist ohne Zweifel ein strukturiertes Traumbild, wobei offenbar Vater mit bedrohlicher Aggressivität gleichgesetzt wird. Nimmt man die Aufforderung des Vaters, Bierkästen in den Keller zu tragen, in ihrer libidinösen Bedeutung hinzu, so ist davon auszugehen, dass hier auf die Vaterfigur bezogene Phantasien und Wünsche abgewehrt werden, was sich schließlich in der erstarrten Körperhaltung der Träumerin manifestiert. Hierzu muss man als Zusatzinformation wissen, dass die Träumerin in diesem Traum eines ihrer Symptome darstellt, weswegen sie in die stationäre Behandlung gekommen war. Sie hatte nämlich seit ihrer Kindheit schon immer das Gefühl, sie könne nicht richtig laufen. In der Schule sei sie in Sport die Schlechteste gewesen. Beim Obststehlen sei sie oft als die Einzige erwischt worden, weil sie beim Weglaufen am langsamsten war. Sie fühle sich auch jetzt oftmals wie erstarrt, jede Geh- und Laufbewegung würde ihr Schmerzen bereiten. Wir sehen an diesem Beispiel, wie auf diesem Gewichtsniveau in der Körperpsychotherapie Träume evoziert werden, die den psychodynamischen Hintergrund aufklären helfen. In unserem Beispiel dient die körperliche Erstarrung als anorektische Körperempfindung offenbar der Abwehr aggressiver und sexueller Impulse. Dies lässt sich auch in unserem nächsten Traumbeispiel aufzeigen: „Ich bin mit meinem Vater auf einem Flugplatz. Wir besichtigen ein Sportflugzeug. Mein Vater führt mich außen herum, erklärt mir alles und will mich zum Einsteigen bewegen. Erst nach längerem Zureden besteige ich mit meinem Vater das Flugzeug und wir fliegen davon. Erst ist es ganz schön, aber dann wird es mir schlecht und ich muss erbrechen.“
Dieses Traumgeschehen spricht für sich, auch hier wird das anorektische Symptom in seiner psychodynamischen Bedeutung klar: Es geht um die Abwehr verführerisch-sexueller Aspekte der Vaterfigur, wobei wir die differenzierte Struktur der Traumfiguren einschließlich deren Verhalten als Beleg dafür werten können, dass wir jetzt in der dritten Phase der Therapie gewissermaßen „auf dem triangulär-ödipalen Niveau angelangt sind.“ Die Identifikation mit dem ödipalen Vater ist natürlich anders gelagert als die Auseinandersetzung mit der Mutter und dem damit untrennbar verbundenen Thema der eigenen Weiblichkeit. In der Körperpsychotherapie vollzieht sie sich eher im Hintergrund, insbesondere wenn eine Therapeutin die Körperpsychotherapie durchführt, tritt aber durchaus auch in körpernahen Aspekten in Erscheinung. Wir erinnern uns an unsere Beispielspatientin. Sie hatte ihre Hände nie gemocht, sie seien immer „so dick“ gewesen. In einer ihrer letzten Stunden vor Abschluss der Therapie ging es wieder um das Erleben der eigenen Hände bzw. um die damit verknüpften Vorstellungen und Erinnerungen. Eine andere Patientin sprach über ihre Hände und dass diese so aussähen wie die Hände ihrer Mutter. Unsere Patientin reagierte daraufhin sehr angerührt bei der Betrachtung ihrer Hände: „Bei mir sind es die Hände meines Vaters, ich habe die Hände meines Vaters!“
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Sie konnte dann ausführlich über ihren Vater und dessen Hände sprechen. Wir sehen, wie in diesem Beispiel die Identifikation mit dem Vater über das Thema der Hände zur Sprache kommt. Das „körperliche Erbe“ des Vaters wird hier aufgedeckt und psychotherapeutisch an der Annahme dieser Anteile gearbeitet.
•
4.5.2.4. Pubertätskrise und anorektische Entwicklung
In der Schlussphase der Therapie hatten wir zunächst Identifikationsmuster aufgedeckt und bearbeitet, die sich auf die ödipalen Elternfiguren bezogen. Um nicht das Missverständnis zu fördern, die Möglichkeiten der analytischen Körperpsychotherapie wären damit erschöpft, soll nun an einem weiteren Beispiel gezeigt werden, wie an einem im psychogenetischen Sinne anderen Brennpunkt der Entwicklung körpertherapeutisch gearbeitet werden kann. Wir wenden uns hierfür zwei Zeichnungen einer 27-jährigen Patientin zu, die seit ihrem 13. Lebensjahr unter einer schweren anorektischen Entwicklung mit zeitweise auch lebensbedrohlichen Einbrüchen gelitten hatte. Sie war mit einem BMI von fast 16 relativ kompensiert in die stationäre Behandlung gekommen und zeich34 nete sich in der Aufnahmediagnostik (linkes Bild Abb. 11) mit deutlich jungenhaften Zügen.
„Da ist der Junge wieder!“ (Abb. 11) Das rechte Bild entstand in der letzten Therapiephase bei einem BMI von 21. Es ergab sich aus der therapeutischen Aufgabe, sich sein Spiegelbild vorzustellen und es dann zu zeichnen. Bei der anschließenden Besprechung ihrer Zeichnung reagiert die Patientin sofort affektiv: „Da ist der Junge wieder!“ Sie erzählt dann, dass sie in ihrer Kindheit schon immer ein Junge hatte sein wollen. Mit Beginn der Pubertät, dem Zeitpunkt der ersten anorektischen Dekompensation, habe sie sich oft als Junge verkleidet in Transvestitenkneipen herumge34
Mit den Pfeilen am Kopf wollte die Patientin eine Schwindelsymptomatik darstellen.
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trieben. Sie habe sich dafür eine vollständige Jungen-Garderobe zugelegt und sei dann, immer wenn sie es vor den Eltern verbergen konnte, nach der Schule und am Abend gewissermaßen in eine zweite Haut geschlüpft. Einmal sei sie dabei von einer Klassenkameradin beobachtet worden. Sie hätte dann gesagt, das sei ihr Bruder gewesen. Der Bericht über ihr Doppelleben und den erfundenen Bruder macht der Patientin sichtlich Spaß, sie lächelt dabei öfters. In diesem Beispiel wurde durch die therapeutische Arbeit am Spiegelbild ein Zusammenhang aufgedeckt, der den Blick auf den psychodynamischen Hintergrund der anorektischen Entwicklung dieser Patientin freilegt. Seit ihrer Kindheit wollte die Patientin schon immer ein Junge werden, oder theoretisch gefasst: Ihre frühkindliche Entwicklung mit all den darin enthaltenen Störungsaspekten mündete offenbar im „Latenzzeitideal“ eines jungenhaften Selbstbildes. In der Pubertät wurde dann dieses Identifikationsmuster real ausagiert: Die Patientin schlüpfte in die Rolle des erfundenen Bruders und lebte so gewissermaßen das Körperbild eines pubertären Jungen aus, offensichtlich durchaus mit Lustgewinn. Wo aber sind die weiblichen Anteile der Patientin geblieben? In der Besprechung des Spiegelbildes erfahren wir von der Patientin zunächst, dass sie ihre erste Menstruation sehr unangenehm erlebt hatte. Spürbar wird dabei, dass besonders die Mutter in dieser Zeit sehr unempathisch mit der Patientin umgegangen ist. Dann fällt ihr als Erinnerung an diese Zeit ein, wie sie mit ihrer Mutter ihren ersten Büstenhalter gekauft habe. An die Verkäuferin könne sie sich noch genau erinnern, diese habe „so an ihr herumgetatscht“, das sei ekelhaft gewesen. Offensichtlich wurden die Erfahrungen, die mit pubertärer Weiblichkeit zu tun haben, auf der „Schiene ekelhaft“ erlebt, d. h. im theoretischen Sinne einer massiven Abwehr auf diese Schiene verschoben. Dafür wurde ein Latenzzeitideal ausgelebt und so gewissermaßen in die Adoleszenz hinübergerettet. Auf diese Weise bleibt die Patientin auch in ihrer späteren Entwicklung der Junge, der sie schon immer seit ihrer Kindheit sein wollte, anstatt eine junge Frau zu werden. Aus dieser Perspektive gesehen ist die Anorexie als Entwicklungsstörung in der Pubertät bzw. als pathologische Lösung der Pubertätskrise zu verstehen. Wir haben mit der Erinnerung an den erfundenen Bruder und an den ersten 35 Büstenhalterkauf als eine Art „körperbezogenes Trauma“ einen psychodynamischen Zusammenhang aufgedeckt, der am Brennpunkt der Pubertätskrise die Weichenstellung in Richtung anorektische Entwicklung verständlich werden lässt. Diese körperbezogenen Erfahrungen und Traumata in dieser Entwicklungsphase zur Sprache zu bringen und intensiv daran zu arbeiten, ist von entscheidender Bedeutung für den weiteren Therapieverlauf, denn ohne Bearbei36 tung traumatischer Erfahrungen in Latenz und Pubertät läuft jede Therapie einer Anorexie Gefahr, lediglich Stückwerk zu bleiben.
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Inwieweit diese erinnerte Szene lediglich als Deckerinnerung für eventuell noch schwerere Traumata fungierte, konnte in diesem Fall nicht geklärt werden. 36 Die in dieser Entwicklungsphase möglichen körperbezogenen Traumata, unter anderem auch sexuelle Missbrauchserfahrungen, sind sicher vielgestaltig und wären in einer Zusammenschau eine eigene Arbeit wert. An dieser Stelle wurde gezielt kein Beispiel mit sexuellem Missbrauch ausgewählt, um nicht einem alten, schon längst widerlegten Vorurteil, bei Anorexien seien vermehrt Missbrauchserfahrungen nachzuweisen, erneut Vorschub zu leisten. (Hierzu auch Downing 2002, S. 26)
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4.5.3. Interventionsebenen In Hinblick auf die therapeutischen Angebote und die Interventionstechnik sind für die Abschlussphase der stationären Therapie keine neuen Ansätze zu beschreiben. Es lässt sich lediglich eine wachsende Bedeutung der aufdeckenden Konfliktbearbeitung festhalten. Dieser Punkt braucht deshalb nicht weiter ausgeführt werden.
4.5.4. Übertragung und Gegenübertragung Entscheidende Veränderungen ergeben sich jedoch auf der Ebene von Übertragung und Gegenübertragung. Mit der Bearbeitung von Erinnerungen aus Latenzzeit und Pubertät verschiebt sich der Bezugspunkt der therapeutischen Beziehungsmuster auf ein neues Entwicklungsniveau. Waren unsere Patientinnen zu Beginn der dritten Phase noch die kleinen Mädchen, die mit erwachender kindlicher Wut um die Anerkennung und die Liebe ihrer Eltern kämpften, so befinden sie sich jetzt, „ein paar Kilogramm später“, beispielsweise mit dem Thema der Menstruationsblutung mitten in der Pubertät, d. h. auf einer Gratwanderung zwischen Kindheit und Adoleszenz. Dementsprechend ist die Therapie der Pubertät ein Drahtseilakt, der eine Neueinstellung der Gegenübertragungsmuster im Koordinatensystem von Latenz, Pubertät und Adoleszenz erforderlich werden lässt. Einerseits ist zu gewährleisten, dass die infantilen Anteile in jeglicher Form zugelassen werden und in der therapeutischen Beziehung aufgehoben sind, andererseits muss auf dem Weg zum Erwachsen-werden ein klarer Rahmen zur Überwindung der Kindlichkeit zur Verfügung gestellt werden. Welcher Aspekt in der jeweilig konkreten klinischen Situation zur Geltung gebracht werden muss, erfordert einen hohen Grad an therapeutischer Flexibilität und Mut, die Übertragungs-Gegenübertragungsebene durchaus auch aktiv zu strukturieren, um in dieser Verlaufsphase möglichst optimale Entwicklungsanreize für unsere Patientinnen zu setzen. Wir müssen uns auch in der Körperpsychotherapie spezifisch auf diese Entwicklungsphase einstellen. Die Patientinnen brauchen z. B. beim Thema Menstruationsblutung keine „präödipale Mutterfigur“, sondern Therapeuten, die als „gute Eltern der Pubertät“ diese Entwicklungsphase mit ihnen nochmals und diesmal besser durchstehen, um dann ihre Kinder als junge Erwachsene „in das eigene Leben zu entlassen“.
4.5.5. Zusammenfassung und Therapieabschluss Die intrafamiliäre Beziehungsklärung ist das Thema der Abschlussphase. Darin eingebettet ist die psychosexuelle Identität mit einem stabilen altersentsprechenden Körperbild als Ziel der Fokus der körperpsychotherapeutischen Arbeit. Wir sind dieses Ziel auf zwei Wegen angegangen: zum einen über die Bearbeitung von Identifizierungsträumen gleichsam von der ödipalen Schiene aus, zum anderen durch die Aufdeckung von körperbezogenen Erinnerungen und Traumata aus der Perspektive von Latenzzeit und Pubertät. Dabei steht und fällt die Möglichkeit eines stationären Behandlungskonzeptes der Anorexia nervosa mit einem entscheidenden Beitrag der analytischen Körperpsychotherapie mit der aktiv-strukturierenden Konstellation der Übertragungs-Gegenübertragungsmuster auf dem Spannungsbogen von der basal-narzisstischen Ebene bis hin zur Beziehung auf adoleszentem Niveau.
Analytische Körperpsychotherapie der Anorexia nervosa
385
Wir kehren zurück zu unserer Beispielspatientin und einer Zeichnung des eigenen Körpers aus der Abschlussphase ihrer Therapie. Diese Zeichnung entstand zwei Wochen vor der Entlassung bei einem BMI von etwas über 19 im Anschluss an eine Gruppenstunde mit dem Thema: Wie erlebe ich jetzt meinen Körper? Vergleicht man alle Zeichnungen in der Serie, so kann man als Ergebnis 37 dreierlei festhalten :
Zeichnung aus der Abschlussphase der Therapie (Abb. 12) •
•
•
37
Die Abschlusszeichnung (Abb. 12) ist sowohl formal wie auch inhaltlich ausreichend strukturiert und differenziert, d. h. sie ist einerseits ganzheitlich vollständig und realitätsgerecht in ihren Proportionen, andererseits weist sie eine entsprechende Ausgestaltung der verschiedenen Körperbereiche auf, sodass insgesamt der Eindruck einer sexuellen Differenzierung mit jugendlich-weiblicher Ausstrahlung entsteht. In diesem Sinne wurde die in der Mittelphase erarbeitete Grundlage weiter ausgebaut. In der Zeichnung sind keine Anzeichen für Auflösung, Bedrohung, Selbstzerstörung oder andere autoaggressive Aspekte mehr aufzufinden. Auch unter diesem Gesichtspunkt erweist sich die Grundlage der Mittelphase als ausreichend stabil. Klinisch gesehen heißt das, wir haben keinen Anhalt mehr für anorektische Phantasien, Ängste und Mechanismen. Im Vergleich zur Zeichnung zum Abschluss der Mittelphase (siehe S. 21) hängen Schultern, Arme, Beine und Füße nicht mehr in der Luft, son-
Die wirklich „schönen“ Zeichnungen unserer Beispielspatientin eignen sich besonders gut, um die in der analytischen Körperpsychotherapie erreichten Fortschritte zu demonstrieren. Sie sind jedoch keinesfalls ein Beleg für eine bereits vollständig gesundete Struktur. Das rekonstruierte Körperbild ist „nur“ eine Art gesundes, aber noch sehr fragiles Grundgerüst, das in der ambulanten Psychotherapie weiter ausgebaut und stabilisiert werden muss.
386
Rudolf Maaser dern die ganze Figur steht fest und ausdrucksvoll auf dem Boden. Wir werten dies als Beleg, dass es der Patientin in dieser Phase gelungen ist, die anorektische Leblosigkeit entscheidend zu überwinden. In der Dynamik des Stehens kommen Energie und gewachsenes Selbstbewusstsein zum Ausdruck.
Im Abschlussgespräch wird der Patientin die ganze Serie vorgelegt und die gesamte Entwicklung besprochen. Da die Patientinnen dabei zumeist unter einer enormen Erwartungsspannung in Bezug auf die Situation daheim stehen, sind diese Gespräche im Sinne einer stabilisierenden Ausrichtung durchzuführen. Einzelheiten und große Zusammenhänge sind dabei nicht von großer Bedeutung. Entscheidend ist, ob es auf der Übertragungs-Gegenübertragungsebene gelingt, die Patientin wirklich loszulassen. In diesem Sinne ist es auch 38 unerlässlich, die Patientinnen nochmals auf die ambulante Weiterbehandlung vorzubereiten. Mit unserer Beispielspatientin wurde die noch ausgebliebene Periode als Thema für die Weiterbehandlung ausführlich problematisiert. Zum Abschluss wäre noch einmal auf die Frage des Therapiezieles zurückzukommen. Es dürfte klar geworden sein, dass die Angabe einer Gewichtszahl als Therapieziel – wir hatten eingangs darauf hingewiesen – nach dem Verständnis der analytischen Körperpsychotherapie nicht sinnvoll erscheint. Aus körpertherapeutischer Perspektive bleibt die wieder einsetzende Menstruationsblutung der „psychosomatische Fixpunkt“. Dieser ist in der Regel an einen BMI von mindestens 20 mit deutlicher Tendenz in Richtung BMI 22 gebunden. Insofern ist der BMI 22, solange die Periode ausbleibt, als sekundärer Orientierungspunkt nützlich. Da bei der Entlassung aus der stationären Therapie verschiedene reale Be39 dingungen mit zu berücksichtigen sind, ist jeder Entlassungszeitpunkt immer auch ein Kompromiss. Das macht die Arbeit der analytischen Körperpsychotherapie nicht leichter, aber keinesfalls unmöglich, nämlich dazu beizutragen, aus jedem individuellem Therapieverlauf das herauszuholen, was Entwicklungsperspektiven der betreffenden Patientin einerseits und reale Bedingungen des stationären Settings andererseits als Optimum möglich machen.
5. Strukturmodell und weitere psychotherapeutische Perspektive Wir kommen nun auf den theoretischen Bezugsrahmen unseres Konzepts zurück und wollen abschließend zeigen, dass sich das hier vorgestellte 3-PhasenModell der körpertherapeutischen Behandlung sinnvoll in eine allgemeine Objektbeziehungstheorie integrieren lässt. Wir folgen damit dem Ansatz Downings (1996, S. 112 ff.), die Theorie der Körperpsychotherapie als Objektbeziehungstheorie unter Ergänzung der körperbezogenen Dimension zu verstehen. In der Sicht der psychoanalytischen Objektbeziehungstheorie entwickelt sich die gesamte Persönlichkeit aus Beziehungen in der frühen Kindheit. Zunächst wird die Regulierung der kindlichen Psyche durch die betreuenden Bezugspersonen gewährleistet. Über Internalisierungsvorgänge werden diese Regulative von außen schrittweise zu Bestandteilen der eigenen Psyche umgewandelt. Die
38
Die Notwendigkeit der ambulanten Weiterbehandlung muss natürlich als Thema in der gesamten Abschlussphase konsequent bearbeitet werden. 39 In erster Linie geht es hier um Bedingungen von Arbeitsplatz und Schule oder auch um Bedingungen, die vom Kostenträger bestimmt werden.
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Entwicklung einer Persönlichkeit einschließlich ihrer Störungsaspekte vollzieht sich damit entlang eines Reifegradienten von ersten Fragmenten bis hin zur vollständigen, integrierten und differenzierten Struktur, wobei sich auf der psychogenetischen Zeitachse dieses Gradienten die Schwere der Psychopathologie von früher bis neurotischer Störung abbilden und auf verschiedenen Strukturniveaus beschreiben lässt. Das gegenwärtig bekannteste Konzept hierfür ist das 40 Strukturmodell der OPD (Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik; Zusammenfassung zur Strukturtheorie der OPD bei Rudolf et al. 1995). Die OPD unterscheidet mit gut integriertem, mäßig integriertem, gering integriertem und desintegriertem Niveau insgesamt vier Integrations- bzw. Strukturniveaus. Auf dem nachfolgendem Schaubild haben wir zunächst unser Phasenmodell in Form 41 von drei aufeinander aufbauenden Stufen dargestellt und dann zum Vergleich die Einordnung nach OPD entsprechend eingearbeitet: 1. Phase Desintegriertes/Geringes Integrationsniveau
Dekompensation des Körperbildes Zerfall und Auflösung Autodestruktion
2. Phase Geringes/Mäßiges Integrationsniveau
3. Phase Mäßiges/Gut integriertes Integrationsniveau
Rekonstruktion des Körperbildes Chaos und Fragmentierung Autoaggression und Abhängigkeit Duale Beziehungskonflikte (präödipales Niveau)
Integrierte Struktur des Körperbildes Autonomie und psychosexuelle Identität Trianguläre Beziehungskonflikte (ödipales, pubertäres bis adoleszentes Niveau)
BMI 11
BMI 13
BMI 17
BMI 22
30 kg
35 kg
47 kg
60 kg
Wir können jetzt im Vergleich überprüfen, in welcher Weise sich die verschiedenen Strukturniveaus des OPD-Konzepts auf unserem 3-Stufen-Modell abbilden lassen: • 1. Phase: Wir hatten in dieser Phase klinische Phänomene wie Fragmentierung und Auflösung der Struktur des Körpererlebens beobachtet. 40
Das Strukturmodell der OPD bezieht sich vor allem auf ein entsprechendes Konzept der Klassifizierung von Persönlichkeitsstörungen nach Kernberg (1996). Die OPD selbst wurde nicht von einem einzelnen Autor, sondern von einer Arbeitsgruppe entwickelt. 41 Dabei darf keinesfalls übersehen werden, dass sich beide Modelle in Hinblick auf ihren theoretischen Status grundlegend voneinander unterscheiden. Das 3-Phasen-Modell der Magersuchtsbehandlung ist ein klinisches Konzept, das einen idealtypischen Therapieverlauf beschreibt, das OPD-Modell ist ein allgemeines objektbeziehungstheoretisches Strukturmodell auf naturgemäß viel höherem theoretischen Abstraktionsniveau.
388
•
•
Rudolf Maaser Theoretisch gesehen wäre dies ein Zerfall im Bereich der Selbstrepräsentanzen und deshalb nach OPD auf desintegriertem Strukturniveau einzuordnen. Da die Patientinnen auf diesem Niveau in ihrer Alltagsbewältigung durchaus funktionieren – der Hampelmann wäre als Abwehrleistung auf dissoziiertem Niveau zu verstehen – können wir in dieser Phase auch Anteile von geringem Strukturniveau festhalten. 2. Phase: Zu Beginn der Mittelphase sind die Selbstrepräsentanzen von Fragmentierungsangst und Chaos bedroht sowie Triebrepräsentanzen und Abwehr schwer autoaggressiv verzerrt, zum Abschluss der Mittelphase stabilisiert sich die Struktur des Körpererlebens, und im Bereich der Objektrepräsentanzen werden abhängige Beziehungsmuster herausgearbeitet. Insofern spannt sich hier der Bogen vom geringen bis hin zum mäßigen Strukturniveau. In dieser Bandbreite wären alle Varianten abgedeckt, die man allgemein als frühe Störung bezeichnet. 3. Phase: In der Abschlussphase hat sich die Struktur des Körpererlebens gut stabilisiert. Wir können in diesem Bereich deshalb von einem gut integrierten Niveau ausgehen. In Hinblick auf die Objektrepräsentanzen spielt das Thema der Abhängigkeit noch eine große Rolle, sodass auch Anteile von mäßigem Strukturniveau zu berücksichtigen sind.
In der Zusammenschau kann dementsprechend festgehalten werden, dass sich das dargestellte 3-Phasen-Behandlungskonzept auf den Stufen des objektbeziehungstheoretischen Strukturmodells der OPD abbilden lässt, d. h. unser therapeutisches Modell kann durchaus den Anspruch einlösen, in theoretischer Hinsicht „nicht in der Luft zu hängen“, es kann gewissermaßen „theoriekompatibel“ im Sprach- und Denkgebäude einer allgemeinen Objektbeziehungstheo42 rie vermittelt und kommuniziert werden. Auf der therapeutischen Ebene der Praxis kann man sich im Rahmen dieses 3-Phasen-Modells jederzeit bezüglich des gegenwärtigen Standes eines individuellen Therapieverlaufs orientieren und daraus jeweils konkrete Perspektiven ableiten, welche therapeutischen Aufgaben als nächster Schritt anzubieten und welche Interventionstechniken dabei anzuwenden sind. An dieser Stelle ist in Hinblick auf die Praxis auf ein mögliches Missverständnis hinzuweisen: Unser 3-Phasen-Behandlungskonzept der Magersucht hat das Ziel, unsere Patientinnen „anorexiefrei“ und so stabil 43 wie möglich , d. h. ausreichend autonom und konfliktfähig, zu entlassen, damit sie dann anschließend ambulant weiter behandelt werden können. Unter der Perspektive des OPD-Strukturmodells gesehen wird jedoch keinesfalls der Anspruch erhoben, mit diesem Behandlungskonzept könne man eine Magersucht im Rahmen einer etwa halbjährigen stationären Behandlung auf allen Ebenen dieses Modells bis auf ein gesundes Niveau „durchtherapieren“. Das wäre sicher eine absolut unrealistische Vorstellung. Wir können aber erreichen, die Patientinnen auf den unteren Strukturebenen so weit zu stabilisieren, dass dann in der ambulanten Behandlung schwerpunktmäßig auf integriertem Niveau bzw. weitgehend vom integrierten Niveau aus weiter an den auf allen Ebenen noch bestehenden Defiziten und Konflikten gearbeitet werden kann. Hierfür ergeben 42
In einer Zeit der Theorieverwirrung gibt es zur Orientierung zu dem von Downing vorgezeichneten Weg einer Objektbeziehungstheorie mit körperbezogener Dimension als Ergänzung m. E. keine Alternative. 43 Das in der analytischen Körperpsychotherapie rekonstruierte Körperbild ist die Grundlage hierfür.
Analytische Körperpsychotherapie der Anorexia nervosa
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sich aus der Zusammenschau beider Modelle einerseits Perspektiven zur Behandlung von Beziehungskonflikten, andererseits kann damit jeder auftretende Rückfall in anorektische Denk- und Verhaltensweisen strukturell eingeordnet und entsprechend therapeutisch beantwortet werden bzw. frühzeitig eine Wiedereinweisung in die stationäre Behandlung erfolgen. Wo allerdings die Grenzen bzw. Gewichtsgrenzen für die Notwendigkeit der Wiedereinweisung zu setzen sind, ist in jedem einzelnen Fall eine individuelle Entscheidung, die sich auch nach den Gegebenheiten und Möglichkeiten des ambulanten Behandlungssettings richtet. Es steht aber außer Zweifel, dass eine Kombination aus verbaler und körperbezogener Psychotherapie in jeder Hinsicht die beste Perspektive bieten dürfte. Rudolf Maaser, Dr. phil., Psychologischer Psychotherapeut, Leiter für interne Schulung und Therapiecontrolling an der Psychosomatischen Klinik Bad Neustadt (Röhn-Clinicum) Adresse: D-97615 Bad Neustadt / Saale, Salzburger Leite 1 E-Mail:
[email protected]
Eine Bühne für die Seele: Körpertherapie in der analytischen Gruppentherapie Roland Heinzel 1
1. Vorbemerkungen
Auch wenn die Integration körperorientierter Verfahren in die psychoanalytische Behandlung mittlerweile kein Tabuthema mehr ist und sich viele Tagungen und Kongresse verschiedenster Schulen ebenso wie zahlreiche Autoren damit befassen (s. z. B. Bühring im Deutsches Ärzteblatt Heft 44, Nov. 2002), so ist diese Kombination in den analytisch begründeten Gruppenverfahren immer noch vergleichsweise selten, vor allem im ambulanten Sektor. Das liegt offensichtlich an der konkreten und übertragungstechnischen Schwierigkeit, analytische Körperarbeit mit mehreren Personen gleichzeitig durchzuführen, sowie an der Tatsache, dass die genannten körpertherapeutischen Modelle im Wesentlichen als Einzeltherapieverfahren konzipiert sind. (S. Heinzel 2001a) So gibt es im Bereich der meisten körpertherapeutischen Verfahren (z. B. nach Pesso, Downing, Lowen, Pierrakos, Fuchs, Boyesen u. a.), auch wenn ihre Ausbildungen normalerweise in Gruppen erfolgen, über die Integration von körpertherapeutischen Elementen in einen regulären psychodynamischen Gruppenprozess relativ wenig Literatur. Aus den genannten Gründen arbeiten die üblichen körpertherapeutischen Selbsterfahrungs- und Therapiegruppen meist am Anfang mit gemeinsamen Gruppenübungen, um dann zur Einzelarbeit vor der Gruppe überzugehen. In einer solchen Arbeit gibt es normalerweise einen „Protagonisten“, mit dem dann entweder der Therapeut bzw. Gruppenleiter allein oder zusammen mit einem Teil der übrigen Gruppe arbeitet, meist unter seiner Regie (Beispiel: Der Protagonist wird auf eine Decke gelegt und von allen berührt, hochgehoben und „gewiegt“). Nach einer solchen Arbeit schildern der Protagonist und die übrigen Gruppenmitglieder, was sie bei sich und anderen wahrgenommen und emotional erlebt haben. Eine direkte psychodynamische Körperarbeit kann allenfalls mit zwei bis drei Patienten durchgeführt werden, die im Fokus sind – eine Einbeziehung der ganzen Gruppe wäre in der Tat kaum überschaubar. Dies wäre dann eine Gruppenübung, ein Gruppenerlebnis, aber keine dynamische bzw. analytische Therapie. So weist z. Schütz (in: Maaser et al. 1994) darauf hin, dass therapeutische Arbeit mit dem Körper per se noch keine Psychotherapie
1
Dieser Beitrag wurde, einschließlich des Fallbeispieles „Barbara“, in modifizierter Form zum ersten Mal veröffentlicht in: Psychoanalyse und Körper Nr. 6, 4. Jg., Psychosozial-Verlag 2005, Heft 1, S. 63–79.
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Roland Heinzel
darstelle. Erst durch deren Einbettung in einem Übertragungsraum und durch das sprachliche Durcharbeiten entfalte sie ihre therapeutische Wirksamkeit. 2 Berliner , der sich mit dem Beitrag der Gruppe zur „körpervermittelten analytischen Psychotherapie“ ausführlich befasst hat, versucht eine solche Integration durch eine Differenzierung von vier unterschiedlichen Sichtweisen des menschlichen Körpers: des realen organischen, des symbolischen, des imaginären und des „Übergangskörpers“. Wichtig im Zusammenhang mit der Gruppentherapie ist wohl der letzte der genannten Blickwinkel: der reale Körper, der dem Patienten im Übertragungsraum – vor allem im erweiterten Übertragungsraum der Gruppe – zu Gefühlen und Fantasien verhilft. Hierzu schreibt er: „Bei bestimmten Personen und zu bestimmten Zeiten aktiviert das In-BewegungSetzen, die Berührung des realen Körpers, der als „Übergangskörper“ verstanden wird, die Übertragung im therapeutischen Raum, der als »Übergangsraum« gesehen wird.“ (Berliner 2001, S. 197) Er nennt dann drei Konsequenzen, die sich aus dieser Überlegung ergeben: • Das Herauskristallisieren der Übertragung und der psychischen und körperlichen Widerstände des Klienten. (Hierbei unterscheidet Berliner – ebenso wie es in den verbalen Gruppenmethoden üblich ist – zwischen der Übertragung auf den Therapeuten und auf andere Gruppenmitglieder.) • Die emotionale Überschwemmung (Muskelanspannung, laute Stimme usw.); sie könne zu einer Lockerung der Hemmungen und evtl. zur Katharsis führen, wobei die Suggestion des Therapeuten und namentlich anderer Gruppenmitglieder besonders hilfreich sei. • Die Aktivierung der inneren, imaginären, assoziativen Welt, was sich in regressiven Phantasien, Gedanken, Gefühlen und Körperbewegungen äußert, die Hinweise auf die Beziehungsdynamik der Ursprungsfamilie geben können. Diese Wirkungen treffen in besonderem Maße für die psychodynamische Gruppentherapie zu, die man ja ganz offenkundig auch als einen erweiterten Übergangsraum betrachten kann. Solche komplexe Wechselwirkungen beim Einsatz körpertherapeutischer Verfahren in der analytischen Gruppe möchte ich an Hand eines Fallbeispieles veranschaulichen:
Barbara Barbara kam in die Gruppe, als bei ihr nach acht Jahren Dienst als Soldatin der Bundeswehr und zu Beginn ihrer Physiotherapie-Ausbildung schwere depressive Zustände und Panikattacken auftraten. Hinzu kamen zunehmende Konflikte mit ihrem damaligen Partner (auch Bundeswehr-Offizier). Bei den Vorgesprächen fiel mir – neben ihren stromlinienförmig kurz geschnittenen dunklen Haaren – der „Kasernen-Ton“ ihrer Stimme auf, der so gar nicht zu ihren depressiven Verstimmungen und ihrer zunehmenden Verletzlichkeit passen wollte.
2
Jacques Berliner war ursprünglich Bioenergetischer Lehrtherapeut und Internationaler Trainer am IIBA (International Institute for Bioenergetic Analysis). Er gilt seit den 80er Jahren als einer der Hauptbegründer des „psychoanalytischen Flügels“ innerhalb der Bioenergetischen Analyse. Seine kritische Hinterfragung des bioenergetischen Energiemodells führte zu starken Spannungen im IIBA und zur Einberufung des „Back-toBasics“-Programm von Alexander Lowen im Jahre 1989, das mit dem Ausschluss Berliners und einigen seiner Kollegen aus dem IIBA endete.
Körpertherapie in der analytischen Gruppentherapie
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Seit ihrer Kindheit hat die Patientin mehrere bedrohliche Erfahrungen gemacht: Der Vater streichelte sie, als sie vier Jahre alt war, im Intimbereich, ebenso der Großvater und der spätere Stiefvater – was im Kind große Verwirrung hinterließ. Einige Zeit später verließ der Vater die Familie ohne Angabe von Gründen; der bald hinzukommende Stiefvater war Quartalstrinker, der später an Leberkrebs starb. Später kümmerte sich vor allem die Oma um sie, wie eine Ersatzmutter. In der Pubertät versuchte der Bruder mehrfach, sie zu missbrauchen. Von einem ihrer ersten Partner bekam sie mit Anfang 20 ein Kind. Weil er sich mit der Vaterrolle nicht anfreunden wollte, war sie bereit, es zunächst ohne ihn aufziehen, aber da wurde bei ihr ein Morbus Hodgkin festgestellt, der sie monatelang in Lebensgefahr und Todesangst versetzte. Durch Chemotherapie konnte er beherrscht werden, aber da die Patientin in dieser Zeit ihr Kind nicht versorgen konnte und auch die Mutter sich von ihr abwandte („Du bist nicht mehr meine Tochter!“), fühlte sie die Notwendigkeit, den Sohn dem Freund (und dessen vereinnahmender Mutter) zur Adoption freizugeben. Beim Vorgespräch war er sechs Jahre alt, die Patientin hat ihn bis dahin nicht mehr gesehen. Sie sagte: „Wenn mich meine Mutter damals unterstützt hätte, hätte ich meinen Sohn nicht hergeben müssen!“ Dabei weint sie. Es ist offenkundig, dass die Patientin all diese Kränkungen und Zurückweisungen nur überlebt hat, weil sie sehr früh die „Flucht nach vorn“ antrat und eine harte, kämpferische Seite entwickelte – die „Soldatin“, einschließlich Offizierslaufbahn. Ihre Sehnsucht nach Geborgenheit und Zugehörigkeit hat sie darunter begraben – ihr unbewusstes Bild von sich drückt aus: Ich bin es nicht wert, gemocht zu werden. In der Gruppe hat sich die Patientin bald recht aktiv eingebracht, allerdings wird von manchen ihr etwas aufgesetzt forsches Auftreten kommentiert. Sie redet oft länger „um den heißen Brei“ herum, kaum einer versteht sie. Erst nach einem Jahr kommen manche Gruppenteilnehmer in Kontakt mit ihren „weicheren“ Seiten, vor allem nachdem sie von sich aus ein Bild von dem kleinen, einsamen Mädchen gemalt hat, das tief in ihr auf Zuwendung und Anerkennung hofft, aber von der rauhen „KämpferBarbara“ missachtet wird. Seit Frühjahr 2003 wirkt sie viel weiblicher und weicher, sie hat ihre Haare wachsen lassen und ihr ursprüngliches Blond wieder zugelassen. Niemand kann mehr in ihr die „Soldatin“ erkennen.
2. Körperarbeit innerhalb der Gruppendynamik? Während meiner Assistenzarzt-Zeit, in der ich auch meine Ausbildung zum zertifizierten Bioenergetischen Analytiker absolvierte, habe ich in der tagesklinischen Abteilung meiner psychotherapeutisch-psychiatrischen Klinik auch bioenergetische Methoden in die Gruppentherapie eingebracht. Mein besonderes Augenmerk galt dabei von Anfang an der Einbettung der körpertherapeutischen Elemente in das Übertragungsgeschehen sowie den subtilen Übergängen von der verbalen Arbeit über gestalttherapeutische und andere Inszenierungen hin zur Körpertherapie im engeren Sinne. Da solche Querverbindungen und Integrationsversuche all denen in unserer Ausbildungsgruppe, die Gruppenarbeit machten, sehr schwierig erschienen, gründeten wir einen Arbeitskreis, der sich mit der Anwendung bioenergetischer Konzepte auf die psychodynamische Gruppentherapie befasste. Dabei stießen wir auf mehrere grundsätzliche Probleme: 1. Es gab damals in der bioenergetischen Theorie kaum verwertbare Hinweise oder gar Strukturierungshilfen für eine echte bioenergetische Gruppenarbeit. 2. Wir hatten selbst nur Erfahrungen in der körpertherapeutischen Einzelarbeit. Die Selbsterfahrung in der Ausbildungsgruppe beruhte nicht auf echter psychodynamischer Interaktion; sie war auf die (hauptsächlich US-amerika-
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nischen) Trainer und Trainerinnen ausgerichtet und bestand vorwiegend aus „Einzelarbeit vor der Gruppe“. Die anfängliche Vernachlässigung multipler Übertragungsphänomene, Rivalitäten, Untergruppenbildungen, SündenbockMechanismen usw. holte uns zwei Jahre nach Beginn der Ausbildung beim „Evaluations“-Workshop (zur Einschätzung unserer Lernfortschritte) schmerzhaft ein, als plötzlich das „Therapieren vor der Gruppe“ auf dem Programm stand. 3. Die einzige Art von echter „Bioenergetik“ in der Gruppe bestand aus gemeinsam durchgeführten Übungen und Übungs-Workshops. Aber auch hier fand keine Interaktion statt – zumindest keine therapeutisch reflektierte. Es ging eher um persönliche Selbsterfahrung und um die technische Handhabung von Übungen und Interventionen, weniger um deren Einbettung ins Übertragungsgeschehen oder gar in einen Gruppenprozess. 4. Das in unserer Stadt angebotene gruppentherapeutische AusbildungsCurriculum war von drei psychoanalytischen Instituten erstellt worden und deshalb rein auf verbale Kommunikation, Deutung und Übertragungsarbeit ausgerichtet. Für Erfahrungen mit möglichen Erweiterungen dieses Settings in andere Richtungen trug man selbst die Verantwortung. Aus diesen Gründen lag auch in der tagesklinischen Gruppenarbeit, soweit körpertherapeutische Elemente eine Rolle spielten, der Schwerpunkt auf der „Einzelarbeit vor der Gruppe“, zu der die Mitpatienten dann am Ende ihre „feed backs“ geben konnten. Nach meiner Niederlassung als Psychoanalytiker und ambulanter Gruppentherapeut stellte ich sehr schnell fest, dass ich, was aktives Eingreifen, das Vorschlagen von Übungen usw. betraf, deutlich zurückhaltender wurde als damals in der Tagesklinik. Das war auch verständlich, denn damals kümmerten sich mehrere Therapeuten und Kontaktschwestern um die Tagesklinikpatienten; außerdem konnte man einen Patienten, der durch die Körperarbeit sehr aufgewühlt oder stark regrediert war, auch einmal für eine Nacht in den stationären Bereich verlegen. Aber nun, in meiner ambulanten Praxis, mussten die Patienten ja alle nach der Sitzung mit dem Auto nach Hause fahren. Da durfte ich es nicht riskieren, allzu konfrontativ oder regressiv zu arbeiten, was bei aktiven körpertherapeutischen Elementen doch eher vorkommt. Mittlerweile habe ich 19 Jahre lang in vier bis fünf kontinuierlichen ambulanten analytischen Gruppen mit je einer Doppelstunde pro Woche gearbeitet und einige Erfahrungen sammeln können. Einen kleinen Einblick in die Komplexität des Gruppengeschehens, vor allem wenn man körpertherapeutische Elemente integriert, möchte ich anhand einer Gruppenszene veranschaulichen, in der Barbara (s. o.) die Hauptrolle spielte. Wenn sich bei mir Patienten telefonisch melden und nach Körpertherapie fragen, pflege ich zu sagen, dass ich „nicht methodenorientiert, sondern prozessorientiert“ arbeite, d. h., dass ich mich eher am Entwicklungsstand der Patienten orientiere, wobei die angewandten Therapiemethoden variieren können. So wie z. B. eine Übertragungsdeutung, die zu früh angebracht wird, den Patienten eher verwirren kann, so kommt es auch bei einem körpertherapeutischen Angebot darauf an, in welcher Phase seiner therapeutischen Entwicklung bzw. auf welchem Regressionsniveau er gerade ist: Erlebt er in der Regression gerade einen frühkindlichen Mangelzustand, so kann ich überlegen, ob ich ihn in seinem Einsamkeitsschmerz begleite und ihm verbal meines Rückhaltes versichere oder ihm „mütterlichen“ Halt gebe (inszenierte „Holding function“) – wobei ich mir bewusst sein muss, dass ich damit zunächst die Regression bzw.
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die infantile Abhängigkeit des Patienten verstärke. (S. Berliner 1998) Diese Abhängigkeit wird natürlich auch durch die Gruppenmatrix gefördert, aber, im Unterschied zur Einzeltherapie, kommt es dabei sicher nicht zur Reinszenierung eines dualen Beziehungsmusters. Ist der Patient an einem Punkt, wo er an seine bisher verdrängten aggressiven Impulse kommt, kann ich überlegen, ob ich ihn frustriere, um seine Enttäuschungswut zu provozieren, oder ob ich mit ihm eine Aggressionsübung mache (Schlagen, Treten). Wenn sich der therapeutische Prozess mehr auf ödipalem Niveau bewegt, so werde ich genau abwägen, ob ich noch eine körpertherapeutische Intervention wage, denn hier geht es wahrscheinlich eher um eine Begleitung in die Progression bzw. Autonomie. Die Patienten, die gezielt nach Körpertherapie fragen, sind im Allgemeinen schon „vorgebildet“ und verstehen meistens, was ich mit „prozessorientiert“ meine. Mit Prozessorientierung meine ich auch keine Beliebigkeit, im Gegenteil: Wie schon anfangs erwähnt, ist Körperarbeit per se noch keine Psychotherapie, sondern es bedarf dazu – worauf auch Maaser et al. (1994) mehrfach hinweisen – eines ausgearbeiteten metapsychologischen Bezugsrahmens und einer differenzierten Methodik. Aus meiner Sicht ist ein tiefenpsychologischer Hintergrund und die Beachtung von Übertragung und Widerstand – also im Grunde eine „analytische Haltung“ – unabdingbar. Wenn diese Bedingungen vorliegen, so meine ich, kann man auch „prozessorientiert“ arbeiten, gleichgültig mit welcher konkreten Technik. Ich schlage von mir aus selten eine körpertherapeutische Aktion vor, aber die Patienten wissen, dass diese Art von Arbeit „dazugehört“, sie können sie auch selbst einbringen. Ich habe im Lauf der Zeit festgestellt, dass diese Erweiterung des Settings weniger eine Frage der Quantität sondern eher des rechten Zeitpunktes ist. Wenn im Verlauf der dreijährigen Therapiedauer eines Patienten (was in meinen Gruppen in etwa der Durchschnitt ist) ein Patient ein oder zweimal eine körpertherapeutische Arbeit gemacht hat, dann war das erfahrungsgemäß jedes Mal ein entscheidender Augenblick, ein Wendepunkt in sei3 nem Prozess. Dass über die Hälfte meiner Patienten während ihrer Therapiezeit selbst keine direkte Körpererfahrung machen, wird durch den Umstand relativiert, dass solche körpertherapeutische „Sternstunden“ meist für mehrere oder alle Mitpatienten, auch wenn sie selbst gar nicht direkt beteiligt waren, ebenfalls zentrale Erlebnisse sind, die Schwellensituationen markieren, an die sie sich immer wieder erinnern, die oft sogar für längere Zeit zum Bestandteil der „Gruppentradition“ werden. Hier zeigt sich ein entscheidender Vorteil der Gruppentherapie, den ich immer wieder beobachten kann: Patienten können körpertherapeutische Arbeiten eines Mitpatienten identifikatorisch miterleben, ohne selbst direkt „gearbeitet“ zu haben. Es kann zu einem derartigen Perspektivenwechsel zwischen einer eigenen Thematik und einer Identifikation mit dem Protagonisten – im Gegensatz zur Einzeltherapie – zwar grundsätzlich bei jeder Form interaktiver Gruppenarbeit kommen. Gleichwohl sind emotionale und physische Resonanzen bei körperlichem bzw. „szenischem“ Arbeiten oft stärker und unmittelbarer als bei rein verbaler Arbeit, und solche Szenen werden auch später immer wieder einmal von Mitpatienten erwähnt. Auch Gegenübertragungsgefühle nehme ich oft zu-
3
Vgl. dazu auch: Ch. Geißler (1998): „Den Löffel in die Hand nehmen…“ In: Geißler, P. (Hg.): Analytische Körperpsychotherapie in der Praxis. Pfeiffer bei Klett-Cotta. „Leben lernen“ 127 (München), S. 83í98.
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Roland Heinzel
erst im Körper wahr. So war es auch bei Barbara in der Sitzung, die ich nun schildern möchte.
Eine dramatische Sitzung In einer Sitzung im Oktober 2003 geht es, wie so oft, um das Thema der abwesenden Väter. Barbara sitzt lange Zeit sehr still dabei – ungewöhnlich für sie, die meistens regen Anteil am Gruppengeschehen nimmt. Ich denke mir, dass sie noch sehr mit ihrem Schmerz beschäftigt ist. Sie hat nämlich vor kurzem einen „Brief“ vorgelesen, den sie an ihre Traurigkeit geschrieben hat. Sie hat sie eingeladen, sich hervorzuwagen, sie hat sie angenommen. Deshalb wirkt sie in letzter Zeit ruhiger, aber auch dünnhäutiger. Nun verschiebt sich das Thema der Gruppe in Richtung auf Verlusterlebnisse allgemein, auch auf Trennungen in Partnerschaften. Zwei Patienten berichten von Trennungen, die sie selbst provoziert haben. Ich merke, dass Barbara sehr traurig wird, und schaue auffällig zu ihr hin – da beginnt sie zu weinen. Darauf setzt sich Karoline, eine zwar junge, aber füllige und oft „mütterlich“ wirkende Mitpatientin, die schon öfters Mitgefühl mit Barbara geäußert hat, neben sie, legt ihr den Arm um die Schulter und tröstet sie. Barbara lässt sich an ihren Busen sinken und weint stärker. Alle nehmen jetzt Anteil. Als nach einiger Zeit das Weinen nachlässt, frage ich sie, was sie so traurig macht. Sie kann es gut artikulieren: Es ist der Schmerz darüber, dass sie in ihren Partnerschaften immer wieder erst am Mann einen Halt gesucht, aber dann offenbar selbst unbewusst mit dazu beigetragen hat, dass er sie verlässt. Sie erkennt, dass es eine destruktive Kraft in ihr gibt, die es ihr nicht gönnt, glücklich mit einem Partner zu sein. So lange sie von einem Mann (oder zwei Männern) begehrt wird, ist sie zufrieden. Aber in einer richtigen Partnerschaft erwacht ihr „Saboteur“. Ich frage sie, wo der herkommt und was da immer wieder mit ihr geschieht. Schließlich erwähnt sie ihren Vater, der sie in der Kindheit verlassen hat. „Ich mache immer was, dass mir das gleiche passiert: Dass ich wieder verlassen werde wie damals! Das ist doch furchtbar!“ „Warum hat er euch verlassen?“ fragt einer aus der Gruppe. „Das weiß ich doch nicht!“ ruft sie verzweifelt. Ich ermuntere sie, dieses Gefühl direkt auszudrücken, als wenn der Vater da wäre. Daraufhin ruft sie unter Tränen. „Warum gehst du fort??“ In diesem Moment wird mir in Sekundenbruchteilen klar, dass ich jetzt meine übliche Therapeutenrolle verlassen muss – ich riskiere intuitiv, in die „Rolle des bösen Vaters“ zu schlüpfen: „Das verstehst du noch nicht!“ Mit einem Aufschrei bäumt sie sich auf, die Tränen fließen noch stärker, sie ruft nochmals: „Warum lässt du uns allein?“, und ich sage kalt und abweisend: „Das geht euch nichts an!“ Ich merke, wie sie in sich zusammensinkt, es schüttelt sie, und Karoline verstärkt ihre „Tröstungs“-Bemühungen. Aber es dauert nicht lange, da mischt sich bei Barbara in den Schmerz erstmals eine kleine, aber spürbare Komponente von Enttäuschungswut, die sie befähigt, sich etwas vom mütterlichen Busen ihrer Trösterin zu lösen. Nun gibt es verschiedene Möglichkeiten, weiterzugehen. Ich könnte abwarten, was als nächstes kommt, ob ein anderes Gruppenmitglied einsteigt, oder ich könnte weiter nach dem Verlusterlebnis fragen – oder in der Rolle des bösen Vaters bleiben. Ich stehe auf und stelle mich vor sie hin. „Passt es dir nicht, wenn ich gehe? Ärgerst du dich darüber?“ Sie nickt, noch etwas schwach, zwischen den Tränen. Ich vermute, dass jetzt ihre Wut ganz nahe an der Oberfläche ist, und wage eine weitere Provokation: „Von deiner Wut merke ich aber nicht viel!“ Da ballt sie die Fäuste und macht sich wieder ein Stück von Karoline los. In diesem Moment beginnt der „körpertherapeutische“ Abschnitt. Ich wechsle kurz in die „offizielle“ Therapeuten-Rolle, strecke die Hände aus und schlage ihr vor, dage-
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gen zu drücken, um damit ihren Ärger „aus-zu-drücken“. Sie geht sofort darauf ein, wirkt aber noch sehr schwach. Ich deute an, dass es mit ihrer Wut ja wohl nicht weit her sein könne, wenn sie so halbherzig drücke – da erwacht „die Bestie“ in ihr, sie steht auf und liefert mir einen mit aller Härte durchgeführten Kampf, eine Art Ringkampf im Stehen. Sie beginnt zu schreien: „Du bist gemein! Geh nicht weg! Lass uns doch nicht allein! Du darfst uns nicht im Stich lassen!“ usw. Ich muss alle Kraft aufwenden, um von ihr nicht durch den ganzen Raum gestoßen zu werden. Den Druck in ihren Händen erlebe ich allerdings mit der Zeit immer weniger als ein „Wegdrücken“, sondern immer mehr als ein Festhalten. Nun wird deutlich: Es geht ihr nicht um die Distanzierung – sie möchte ja, dass der Vater dableibt!! Als sie mich schließlich schluchzend umklammert hält, sage ich leise in ihr Ohr: „O. k., ich bleibe da!“ Im Zeitlupentempo führe ich sie an ihren Platz zurück, lasse sie sich hinsetzen und wickle sie in eine Decke ein. Dann sehe ich mich in der Gruppe um: Viele haben Taschentücher in der Hand, einige weinen halblaut, auch Männer wischen sich die Augen. Ich gehe an meinen Platz zurück, und nach einem kurzen Blickkontakt mit Barbara, die kaum merklich nickt, ermuntere ich die andern, zu berichten, wie es ihnen ergangen ist. Nun kommen mehrere Geschichten vom Verlassenwerden zum Vorschein, die die Patienten z. T. noch nie erwähnt haben. Sie berichten aber nicht aus der früheren Opferposition heraus, sondern dringen wie Barbara zum schwierigeren Problem vor, zum inneren Saboteur, der all ihre Bemühungen um Zuwendung und Zufriedenheit zunichte macht, vor allem indem er das alte Muster des Alleingelassenwerdens immer wieder konstelliert oder sogar provoziert und alle seelischen Energien an sich bindet. Dabei entsteht ein kaum auflösbares Konglomerat von der Wut auf den andern, der einen benutzt oder/und verlässt, und von der Wut auf sich selbst, dass man das alles mit sich machen lässt. Viele äußern Bewunderung, ja Neid auf Barbara, weil sie endlich so eindeutig an ihren bisher versteckten „heiligen Zorn“ gekommen ist – und weil man plötzlich gespürt hat, wie viel Kraft in ihr steckt. Das kann ich – noch ziemlich außer Atem – nur bestätigen. Als wieder Stille eintritt, schauen alle zu Barbara. Die hat gerade ziemlich unvermittelt und ohne erkennbaren Anlass zu lachen angefangen – erst leise und glucksend, dann immer hemmungsloser. Dieses Lachen aus der Tiefe ihres Bauches ist unwiderstehlich und steckt alle an. Schließlich lacht die ganze Gruppe befreit.
3. Die Mehrdimensionalität An dieser Gruppensitzung habe ich besonders deutlich erkannt, wie eng in manchen entscheidenden Momenten des therapeutischen Geschehens viele Aspekte miteinander verwoben sein können, obwohl sie in verschiedenen „Disziplinen“ der psychotherapeutischen Ausbildung jeweils als maßgeblich hervorgehoben werden – leider sogar in unterschiedlichen, oft sogar gegeneinander agierenden „Schulen“. Grob vereinfacht könnte man die meisten Schulrichtungen auf einer Skala anordnen, die vom rein verbalen und nicht-handelnden Reflektieren am einen Ende bis zum gemeinsamen Erleben und Handeln ohne Reflexion auf der anderen Seite reicht. Dabei stellt sich bei genauerer, schulenunabhängiger Betrachtung heraus, dass jeder Pol in dieser Polarität eine Abwehr des anderen sein kann, wenn er zu sehr betont oder verabsolutiert wird. Da es sich um eine „dialektische“ Spannung zwischen beiden handelt, kann man nie gleichzeitig beide Dimensionen gleichzeitig verwirklichen. Dennoch ist für uns als Therapeuten natürlich wichtig, dass wir zwischen diesen Polen immer oszillieren können. Die
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Körperverfahren sind naturgemäß eher dem Handlungspol zuzuordnen, die psychoanalytischen dem Reflexionspol. (Vgl. dazu den Beitrag von Scharff i. d. B.) So beinhaltet der Begriff „psychoanalytische Körpertherapie“ in sich schon eine Spannung und Herausforderung. Eine ähnliche dialektische Polarität kann man zwischen dem „Hier und Jetzt“ und dem „Dort und Damals“ erkennen: Auch hier wird jeder Pol gern zur Abwehr des andern gebraucht: Pol A: „Man kann doch nicht alles nur so oberflächlich im Augenblick betrachten, man muss doch herausfinden, wie das Symptom bzw. der zugehörige Mensch sich entwickelt hat.“ Pol B: „Egal, was früher war – in der Gegenwart wirkt das Symptom; jetzt, hier und heute muss man Verantwortung für sein Leben übernehmen...“ Auf solche therapeutischen Dimensionen möchte ich nun anhand der geschilderten Szene einzeln eingehen.
3.1. Die biographische Dimension: Der „Kampf um die Erinnerung“ (Mitscherlich 1975) Kurz nachdem ich bei einem Patienten die Anamnese erhoben und den Kassenantrag gestellt habe, verblasst oft ein großer Teil seiner Biographie wieder aus meinem bewusst abrufbaren Gedächtnis – bei ca. 40 Gruppenpatienten kann und will ich nicht immer alle Lebensgeschichten präsent haben. Aber die Ereignisse im Leben der Patienten, die im Laufe des Therapieprozesses relevant werden, diejenigen Erfahrungen, die mit Gefühlen und aktuellen Beschwerden in Zusammenhang gebracht werden können, sind mir während der Gruppensitzung im Allgemeinen durchaus gegenwärtig. So war es auch mit Barbara, deren Leidensgeschichte schon öfters Thema in der Gruppe war, vor allem die wiederholten Situationen, in denen sie benutzt und im Stich gelassen wurde. Ebenso hatten wir in der Gruppe die vielfältigen Kompensationen besprochen, mit denen sie sich im Laufe des Lebens über diese schweren Kränkungen hinweggerettet hatte. Die wichtigsten Aspekte ihrer Biographie habe ich ja dargestellt. Gegen die analytisch begründeten Verfahren wird oft von Skeptikern der Einwand vorgebracht, dass man ja die Vergangenheit nicht mehr ändern könne und dass es deshalb doch sinnlos sei, „in der Kindheit herumzuwühlen“. Wer sich allerdings auch nur oberflächlich mit den psychodynamischen Theorien und Verfahren befasst, wird schnell erkennen, worum es bei dieser biographischen Dimension geht: Um das „Er-Innern“ – das heißt, das Verschüttete, Abgespaltene wieder ins Innere, in den Mittelpunkt des Bewusstseins und der Gefühle zu bringen. Hierbei sind sowohl die Gruppe als auch körpertherapeutische Elemente mitunter sehr hilfreich. Natürlich berichtet ein Patient im Vorgespräch und oft auch in Gruppensitzungen über seine Biographie. Aber wir wissen alle, dass das, was dem Bewusstsein zugänglich ist, meistens nicht zum Verständnis der Symptomatik ausreicht. Die wirklich relevanten kausalen Faktoren liegen oft im Verborgenen. Wenn nun aber ein anderes Gruppenmitglied etwas aus seiner Biographie berichtet, worin für den betreffenden Patienten eine Parallele zu eigenen verschütteten Erfahrungen enthalten ist, kann es zu einer Resonanz und im Sinne des oft geschilderten „Aha-Erlebnisses“ kommen. Da die hintergründig wirksamen Komplexe immer auch emotional aufgeladen sind (Jung 1971a), werden sie oft nicht durch einen „biographischen Bericht“, sondern durch eine emotio-
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nale Erfahrung erlebbar – dies kann auch eine zunächst körperlich wahrgenommene Erfahrung sein, also eine Erinnerung, die im so genannten „Körpergedächtnis“ gespeichert ist. Es versteht sich von selbst, dass auch die Körpererfahrung eines Mitpatienten eigene Gefühle und Erinnerungen auslösen kann. (S. Abschnitt 4) Im Allgemeinen enthüllen sich die wirklich relevanten biographischen Faktoren auf diese Weise allmählich, gewissermaßen Schicht für Schicht. In seltenen Fällen kommt es allerdings auch zu plötzlichen Durchbrüchen und Zusammenbrüchen von Abwehrformationen (s. u.), die dann die ganze Gruppe aufwühlen, aber auch deren Zusammenhalt fördern.
3.2. Die psychodynamische Dimension und die Abwehr Eng mit dem biographischen Verständnis verknüpft ist die psychodynamische Betrachtungsweise, die – ausgehend von Freud – von dem Konstrukt seelischer Energien bzw. Kräfte ausgeht, die man selbst nicht wahrnehmen, sondern nur aufgrund ihrer Wirkungen erschließen kann. Jung hat hierfür den Begriff des „gefühlsbetonten Komplexes“ eingeführt, womit er einen psychischen Faktor meint, der „…energetisch gesprochen, eine Wertigkeit besitzt, welche zeitweise diejenige der bewussten Absicht übersteigt.“ (Jung 1978, S. 111) Er definiert ihn als „Bild einer bestimmten psychischen Situation, die lebhaft emotional betont ist und sich zudem als inkompatibel mit der habituellen Bewusstseinslage oder -einstellung erweist.“ (a. a. O. S. 111) Da sich herausgestellt hat, dass solche Komplexe – gesunde wie pathologisch veränderte – vor allem in der Kindheit entstehen bzw. gebahnt werden, als Folge von einschneidenden Erfahrungen, bemüht man sich nun in den psychodynamischen Ansätzen bzw. Modellen, die weitere Geschichte dieser Komplexe aufzuspüren, vor allem wenn sie – obwohl zunächst als Überlebensmechanismus wirksam – später zu Einschränkungen des Wohlbefindens oder gar der seelischen oder körperlichen Gesundheit führen, die deshalb so schwer zugänglich sind, weil sie, wie Jung es formuliert, „abgesprengte Teilpsychen“ sind, deren Ätiologie ein „sogenanntes Trauma“ ist. (A. a. O. S. 113) Auch bei Barbara haben wir in der Gruppe versucht, die vielfältigen innerseelischen Komplexe und Überlebensmechanismen zu verstehen, die ihr geholfen haben, trotz schwerer und z. T. traumatischer Kindheitserfahrungen keine schwereren strukturellen psychischen Schäden davonzutragen, ja sogar in der Berufswelt recht gut zu „funktionieren“. Darüber hatte ich im Kassenantrag einige Hypothesen aufgestellt, und darüber haben wir auch öfters in der Gruppe gesprochen – auch über die Folgen dieser Traumata und den hohen Preis, den sie für ihre progressive Abwehr bisher in ihrem Leben bezahlte – der höchste war der Verzicht auf ihren Sohn, mit dem sie bis Anfang 2004 keinen Kontakt hatte und den sie über lange Strecken sogar aus ihrem Gedächtnis verbannt hatte (inzwischen gab es einen Briefwechsel). Ich kann an dieser Stelle nicht alle komplexen Wechselwirkungen und Verästelungen ihrer psychosexuellen Entwicklung beschreiben, auch nicht die verschiedenen Kompensationen und Kräfte, die sie lange Jahre einigermaßen in Balance halten konnte und die sie vordergründig stabilisiert haben. Wesentlich ist, dass die Konflikte mit ihrem Freund und die Beendigung ihrer Soldatenlaufbahn dieses Gefüge ins Wanken brachten, so dass ihre frühen Traumata und
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Defizite sie in Form der Depression und Panik-Attacken wieder einholten. Man kann bei solchen Manifestationen einer zugrunde liegenden psychischen Störung natürlich nie sicher wissen, wie viel von den aktuellen Entwicklungen im Innen und Außen, die zum Ausbruch einer Symptomatik und zum Therapiewunsch führen, unbewusst inszeniert wird, um das Bewusstsein auf einen zugrunde liegenden Komplex aufmerksam zu machen und eine verfahrene, langfristig destruktive seelische Blockade endlich zu lösen. Von einer finalen Betrachtungsweise her gesehen wäre dies als der „Sinn der Krankheit“ anzusehen. In günstigen Fällen werden Patienten bereits bei weniger dramatischen Beschwerden vom Partner oder einem Freund, einer Freundin „in die Gruppe geschickt“. Einer vagen Ahnung folgend, kommen sie zum Erstgespräch, ihre Psychodynamik liegt noch ziemlich im Verborgenen; der Therapeut (und vielleicht auch der Patient) ahnen, dass das äußere Symptom die berühmte „Spitze des Eisbergs“ ist, der Patient ist motiviert, in diesem Fall nicht vorwiegend durch Leidensdruck, sondern durch Neugier auf sich selbst und auf die Gruppe. Wenn es dann auch noch gelingt, den Gutachter zu überzeugen, dass er die Therapie braucht, kann er in die Gruppe kommen. Die psychodynamischen Psychotherapieformen bieten ja im Grunde so etwas wie eine „Destabilisierung in einem stabilen Rahmen“; bildlich gesprochen wird der Patient mit seinen pathologischen Komplexen in der ambulanten Langzeit-Gruppe gleichsam „auf kleiner Flamme gewärmt“, bis sich – oft erst nach vielen Monaten oder erst im zweiten Jahr – die ersten Fixierungen, Kompensationen und Fehlentwicklungen aufzulösen beginnen. Die analytische Körperarbeit kann hier – wohldosiert – Hilfestellungen geben, wenn eine sehr frühe Fixierung verbal schwer zugänglich ist oder wenn der Patient seine Gefühle hinter einer rationalisierenden Abwehr verbirgt. Doch wenn es dann zum Zusammenbruch der bisherigen Abwehrstruktur kommt, ist die Gruppe da, um diesen Patienten aufzufangen, bzw. es steht eine stationäre Therapiephase zur Debatte. Allerdings ist es in einem solchen Fall immer noch eine Herausforderung, Kassen, Kliniken und Hausärzten oder anderen organmedizinischen Kollegen klar zu machen, dass dieser Zusammenbruch kein „Rückfall“ ist, sondern ein dynamisch notwendiger Schritt zur langfristigen Progression und Gesundung (wobei sich namentlich Privatversicherer und deren „Beratungsärzte“ oft als ziemlich unbelehrbar erweisen). Schließlich ist noch ein weiterer Aspekt des psychodynamischen Ansatzes zu nennen, der in den meisten interaktionellen Gruppen eine Rolle spielt, ob sie nun das Etikett „analytisch“, „tiefenpsychologisch fundiert“, „psychodramatisch“ oder „gestalttherapeutisch“ heißen: Ich meine die Arbeit mit den „inneren Objekten“, also mit den innerpsychischen Repräsentanzen v. a. früherer wichtiger Bezugspersonen, bzw. mit dem, was die psychosexuelle Entwicklung aus diesen gemacht hat, aber auch mit eigenen Anteilen, Komplexen, Teilpersönlichkeiten usw.. Der große Vorteil der Gruppe besteht darin, dass sich Konstellationen solcher inneren Objekte spontan in der Gruppe manifestieren können und damit für das Erleben und für die Bearbeitung zugänglich werden. (S. Abschnitt 4) Als eine solche innere Repräsentanz hat Barbara (im Sinne der schon von Freud beschriebenen „Identifikation mit dem Aggressor“) wesentliche Anteile derjenigen früheren Bezugspersonen, die sie missbraucht und im Stich gelassen haben, verinnerlicht. Dadurch konnte sie sich zwar einerseits in ihrem Bewusst-
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sein etwas aus der Opferrolle befreien und selbst als Handelnde erleben, aber der Preis dafür war, dass sich ein tief im Unbewussten wirkender Minderwertigkeitskomplex und in dessen Kern ein destruktiver Anteil entwickelt hat, der sie an einer erfüllten Partnerschaft und Berufsfindung hinderte – den sie und inzwischen auch einige Mitpatienten den „Saboteur“ nennen. Dabei spielen bei ihr auch Teilidentifikationen mit den beiden Vätern und mit der Mutter eine Rolle. Dieser Anteil war ihr bis zu der beschriebenen Gruppensitzung fast völlig unbewusst. Aber in ihrem beginnenden Trauerprozess entstand ihre Bereitschaft, aus der reinen Opferrolle herauszukommen und sich jenseits der Verbitterung und Passivität ihrem unterdrückten Ärger und damit auch ihren konstruktiven Gestaltungskräften zuzuwenden, die bislang gelähmt waren. Die Abwehrstrategien, die den Therapieprozess zu blockieren drohen, nennt man ja im Allgemeinen „Widerstand“. Analog zu den (vor allem von Anna Freud – 1936 – beschriebenen) Abwehrmechanismen können sie im Wesentlichen den bekannten Phasen der psychosexuellen Entwicklung zugeordnet werden. Hier wird ein Vorteil der analytischen Gruppe erkennbar: Wenn – wie üblich – die Gruppenmitglieder sich in unterschiedlichen Stadien ihres Prozesses befinden, werden sich auch ihre jeweiligen Widerstandsphänomene voneinander unterscheiden, so dass sie sich auf diese Weise gegenseitig relativieren können. Wenn z. B. einige Patienten auf oraler Ebene „im Widerstand“ sind, werden sie vielleicht um Ratschläge bitten, schweigen, oder sich heimlich gegenseitig „füttern“ (z. B. nach der Gruppe in der Kneipe), anstatt sich an ihre verdrängten schmerzhaften Gefühle, an Mangel und Einsamkeit heranzutasten; sicher werden sie eher Harmonie suchen. Diejenigen, die gerade dabei sind, eine anale Fixierung mit Aggressionshemmung zu lockern, werden möglicherweise ganz im Gegenteil eher Konflikte austragen wollen. Wieder andere dagegen sind vielleicht zur gleichen Zeit eher in einem „reiferen“ Widerstand, der in rationalisierenden Diskussionen besteht, und manche machen vielleicht dauernd Witze. Man sieht: das Gruppengeschehen bleibt lebendig, und es gibt sowohl Konfliktstoff als auch Ansatzpunkte für Therapeuten und motivierte Gruppenmitglieder. Aus dieser Sicht ist es in der Gruppe etwas leichter, mit dem Widerstand eines einzelnen Patienten umzugehen, denn es können sich aus der Gruppe heraus Gegenbewegungen bilden, die z. B. einen Vielredner stoppen, ein Mauerblümchen integrieren usw. Barbaras Widerstand zeigte sich gelegentlich in einer Überbetonung ihrer progressiven Abwehr, indem sie sich in den Mittelpunkt rückte und mit (immer noch) relativ lauter Stimme und manchmal in einem mehr dozierenden Tonfall über ihre Gefühle sprach. Dabei waren Aspekte der Selbstdarstellung nicht zu übersehen. Die Selbstdarstellung ist in der Tat ein vor allem in der Gruppe genau zu beachtendes und zu kontrollierendes Widerstandsphänomen. Die Selbstdarstellung ist in der Tat ein vor allem in der Gruppe genau zu beachtendes und zu kontrollierendes Widerstandsphänomen. Wenn ein Patient sich etwas aus den frühen Fixierungen herausgearbeitet hat und nun ödipale Komponenten in den Vordergrund treten, kann er beginnen, mit andern um die Gunst des Therapeuten oder des Publikums zu rivalisieren, und sich dabei gleichsam „hysterisch“ zu gebärden. An dieser Stelle müssen deshalb körpertherapeutische Elemente besonders sorgfältig überlegt und
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dosiert werden, denn sonst kann das „Mitagieren“ des Therapeuten, wenn es nicht genau reflektiert wird, zu einer narzisstischen Kollusion führen: Therapeut und Patient inszenieren vor der Gruppe eine Körperarbeit, um deren Bewunderung zu erlangen – ein Phänomene, das man gelegentlich in Ausbildungsgruppen beobachten kann. Umgekehrt kann man natürlich auch an der Diskrepanz zwischen verbaler Artikulation und Körperausdruck Widerstandsphänomene besser erkennen (in steifer Körperhaltung zurückgehaltene Wut, durch flaches Atmen in Schach gehaltene Angst usw.). Barbara hatte sich ab dem zweiten Jahr vor allem im Bereich der verbalen Selbstdarstellung eingerichtet. Wenn sie etwas vortrug, wirkte es meist relativ gut reflektiert und in gutem „Therapeutendeutsch“ formuliert. Als ich in der geschilderten Gruppenszene auf sie zuging, hatte ich dabei u. a. im Sinn, sie genau aus dieser verbalen Ebene herauszulocken in eine andere Dimension, die wir in den drei Jahren ihrer Therapie bei ihr selbst noch nicht betreten hatten. Meine Hoffnung war dabei, sie auf einer nonverbalen Ebene unmittelbarer emotional zu erreichen – was dann offenkundig auch gelang. Natürlich kann man gegen ein solches Vorgehen einwenden, dass damit die im Patienten normalerweise funktionierende Abwehr umgangen wird, ähnlich wie es Freud im Hinblick auf die Hypnose erkannte, von der er dann Abstand nahm. Andererseits halte ich es nicht für zwingend, dass die Abwehr immer erst in der Reflexion durchgearbeitet werden muss. Man kann auch einmal einem Impuls folgen und dann von diesem Erlebniskern aus die Abwehr angehen, gleichsam „von innen“ aufrollen. In unserem Fall war das deutlich zu erleben, als die Patientin nach ihrer großen Gefühlsaufwallung, der Wut gegen den Vater und dann ihrer Sehnsucht kein Wort mehr sprach, sondern plötzlich aus tiefstem Bauch zu lachen anfing. Diese Erfahrung, die nach Heisterkamp (1993) eine Wiederbelebung der blockierten Lebensbewegung ist, kann dann ein Gegengewicht zu der eher kontrollierenden sprachlichen Reflexion darstellen, mit der die Patientin bislang ihre neuen Erfahrungen zu ordnen und zu kanalisieren suchte, um von ihnen nicht überwältigt zu werden.
3.3. Die Dimension des längerfristigen Gruppenprozesses Im ersten Jahr waren die Mitpatienten Barbara eher reserviert begegnet. Sie wirkte immer etwas hart, mit einer aufgesetzten Festigkeit und Bemühung, die man ihr nicht ganz abnehmen konnte. Sogar wenn sie ihre Panik schilderte, wirkte das so, als habe sie ja eigentlich alles im Griff. Nur wenn sie erzählte, wie wenig sie sich gegenüber ihrem zwar väterlich wirkenden, aber im Grunde völlig patriarchalisch-dominanten Freund behaupten konnte, erkannte man bei ihr gewisse „Schwächen“. Was ihre weit weg wohnende Herkunftsfamilie betraf, so berichtete sie nur knapp und mit einer sehr zur Schau getragenen Distanz von ihr. Erst ganz allmählich ermunterten sie mutige Mitpatienten, auch einmal etwas weichere, unsichere Anteile in der Gruppe zu zeigen. Dabei versuchten sie, sowohl ihre zur Schau gestellte Forschheit als auch ihren Hang zu Selbstmitleid immer wieder liebevoll, aber unerbittlich zu spiegeln. Aber ihre Trauer zuzulassen – das gelang ihr erst, nachdem sie sich von ihrem Freund getrennt hatte und sich nicht täglich wieder neu von ihm irritieren und demütigen ließ. Ab diesem Zeitpunkt unternahm sie kleine Schritte hin zu einer echten Autonomie, die nicht mehr von der früheren progressiven Abwehr gespeist war,
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sondern die „das ängstliche Kind in ihr“ respektierte und z. B. auf eine Bahnfahrt neben sich sitzend imaginierte. Dadurch konnte sie sich langsam für die Trauerarbeit öffnen. So hat sich Barbara in dem halben Jahr vor der geschilderten dramatischen Gruppensitzung mit der Unterstützung der anderen Gruppenteilnehmer allmählich ihrer Traurigkeit nähern können, aber auch ihrer Sehnsucht nach den „verlorenen Vätern“.
3.4. Die Dimension der aktuellen Gruppendynamik und -interaktion In der geschilderten Gruppensitzung hatten andere Patienten von ihren abwesenden Vätern gesprochen, aber auch von Konflikten mit ihren Partnern, in denen sich die alten Enttäuschungen wiederholten. Barbara, die ohnehin wohl als Folge ihrer therapeutischen Regression an diesem Tage sehr dünnhäutig war, hörte nur zu, bis sie schließlich ihre Trauer und Enttäuschung nicht mehr verbergen konnte und in Tränen ausbrach. Derartige Resonanzphänomene kann jeder, der in interaktionellen Gruppen arbeitet, häufig beobachten. Natürlich wird bei einem Gruppenmitglied nur an der Stelle eine Emotion wachgerufen, die mit seinem derzeitigen Entwicklungsstand, Regressionsniveau und der gerade therapeutisch aktuellen Thematik zu tun hat. Dies war bei Barbara das Verlassenheitsgefühl, das sie nun nicht mehr progressiv abwehrte, sondern immer mehr zuließ. Und an dieser Stelle kam Karoline ins Spiel, die sie in ihrer Trauer annahm und einfach festhielt. Ich vermute, dass diese Schutzfunktion, diese Stärkung durch ein mütterliches Objekt (welches kein „bezahlter Therapeut“ war!) im Moment der Verletzlichkeit bei Barbara das Tor öffnete zu der schmerzhaften Selbsterkenntnis, dass sie Teile der gegen sie gerichteten Aggression bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt in sich trug. Damit war sie reif für einen kleinen „Triangulierungsschritt“, d. h. jetzt konnte sie sich, mit der (damals abwesenden, aber jetzt präsenten und sehr unterstützenden) Mutter im Rücken dem Väterlichen zuwenden. Es ist leicht einzusehen, dass solche Dreierkonstellationen, die ja in der Einzeltherapie auf personaler Ebene nicht möglich sind, auch den Anreiz für eine ödipale Weiterentwicklung bzw. Nachreifung bieten können. Sicher kann man auch in der therapeutischen Zweiersituation abwesende Dritte verbal und imaginativ mit einbeziehen, aber wenn der Patient noch nicht diese Imaginationsfähigkeit hat bzw. wenn ihn seine regressive Abwehr der Triangulierung an dieser Einbeziehung hindert, dann kann ein reales Erleben – vor allem wenn es auch noch auf körperlicher Ebene mit vollzogen wird – eine deutliche Unterstützung sein. Ein weiterer wesentlicher Aspekt der Psychodynamik besteht in der Einbeziehung des „Körperbildes“ (siehe Spitz 1946, Mahler 1975, Federn 1978, Jacobson 1982 u. a.) und seines Niederschlags in der Psyche bzw. seiner Störungen. Die konkrete Arbeit mit dem Körper kann solche Störungen bewusst machen und damit einen Weg ebnen, wie einerseits der Körper, der bei einer neurotischen Hemmung mitagiert bzw. mitleidet, von dieser Verformung befreit werden kann, und wie andererseits bei vorwiegend psychosomatischen Erkrankungen die im Seelischen nicht mehr erlebbaren Vorstellungen, die „somatisiert“ wurden, wieder „re-psychisiert“ werden können. In beiden Fällen geht es letztlich um eine Hilfe zur Bewusstwerdung, besseren Symbolisierung und Artikulation von Gefühlen, die durch das Einwirken von mehreren Personen in der
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Psychodynamik der Gruppe intensiviert werden kann. (Vgl. dazu Maaser et al. 1994, S. 10)
3.5. Die Dimension der Übertragung und Gegenübertragung Wie sich aktuelle emotionale Komponenten der Gruppendynamik auf die Gruppenmitglieder und ihre Übertragungen auswirkt, beschreibt Berliner anschaulich unter dem Stichwort „Dramatisierung“: „Wenn der Gruppenzusammenhalt entsteht, kann sich die Übertragung entwickeln. Einige (Patienten) teilen dem Therapeuten und einigen Gruppenteilnehmern ihre bewussten Phantasien mit. Andere weiten sie aus, indem sie, je nach dem Echo, das sie damit hervorrufen, ausschmücken oder im Gegenteil eingrenzen. Im ersten Fall werden die Phantasien des einen zu Phantasien des andern. Beim Übergang vom einen auf den andern verändern sie sich, wobei es bei der Verarbeitung zu zärtlichen, komischen oder konfliktgeladenen Szenen kommt.“ (Berliner 2001, S. 231) Es ist leicht vorstellbar, wie es zwischen latenten und verbalisierten Phantasien einerseits und dargestellten „Szenen“ und körpertherapeutischen Prozessen andererseits zu Übergängen, Zwischenstufen und Wechselwirkungen kommt, die zwar sehr komplex und kaum vorhersehbar, aber auch sehr fruchtbar sein können. In unserem Fall war es zumindest eine Dreier-Konstellation – aber auch hier gab es viele Möglichkeiten des weiteren Vorgehens: Ich hätte weiter auf der aktuellen gruppendynamischen Ebene bleiben können, indem ich Barbara frage, wie es ihr mit der mütterlichen oder schwesterlichen Unterstützung jetzt gehe, oder indem ich schweige und warte, wie andere auf ihr Weinen reagieren. Ich hätte auch wieder auf die biographische Ebene wechseln und sie nach ihren Vätern ausfragen können. Aber im Bruchteil einer Sekunde entschloss ich mich, in die Rolle des „bösen“ Vaters zu schlüpfen. Ich traute ihr an dieser Stelle zu, nicht in ihrer Angst und Hilflosigkeit zu verharren, sondern ihre latente Aggression jetzt als eine eigene Kraft zu spüren und damit nicht mehr selbstdestruktiv gegen sich, sondern gegen mich zu richten. Da Barbara mich die meiste Zeit über eher als gutes, gewährendes väterliches Objekt erlebt hatte, fiel mir dieser Rollenwechsel nicht leicht. Aber mir war klar, dass jetzt genau diese Auseinandersetzung anstand. Das Wissen um unsere tragende Beziehung ermutigte mich auch zu dieser spontanen Intervention. Berliner (1998, S. 72) warnt zu Recht davor, dass sich durch körperliche Aktivitäten eine möglicherweise in der Übertragung bestehende latente Aggression entlädt, anstatt in der Reflexion bearbeitet zu werden. Diese Gefahr ist aber größer, wenn die Wut an einem Objekt wie einem Polster abreagiert wird. In unserem Fall bot ich mich ja selbst als Objekt an. Im Nachhinein kann man ja das, was in derartig zugespitzten Situationen in Millisekunden in einem selbst abläuft, nur mühsam rekonstruieren. Maaser et al schreiben hierzu: „Jedes praktische therapeutische Vorgehen ist methodologisch gesehen immer eine Art Vorgriff, ist nie vollständig theoretisch durchdrungen, kann nie theoretische Endgültigkeit beanspruchen…“ (Maaser et al. 1994, S. 20) Ich glaube, mir half in diesem Augenblick ein Gegenübertragungs-Anteil, der langsam etwas ungeduldig wurde mit dieser Frau, die uns lange Zeit recht
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nachvollziehbar und wohl formuliert über ihre Gefühlsentwicklung Rechenschaft gegeben hatte und nun in letzter Zeit zu einer „Heulsuse“ zu werden drohte, die von der früheren Kämpferin ins andere Extrem des Selbstmitleids abglitt. Aus diesem Gegenübertragungs-Anteil heraus hätte ich z. B. auf verbale Weise formulieren können: „Komm, jetzt spüre doch endlich deine Wut! Du hast doch ein Recht, dich über einen solchen egoistischen Vater zu ärgern! Wenn du jetzt nicht endlich aufstehst und in die Offensive gehst, dann hast du ja vielleicht nichts Besseres verdient als all die Freunde, die dich ausnutzen und dann wieder fallen lassen!“ – Natürlich habe ich von all dem nichts gesagt, sondern es in meinen schroffen, oben zitierten Satz gekleidet, den der Vater gesagt haben könnte, als er die Familie verließ. Die zentrale Frage, wie man in einem Augenblick, wie ich ihn geschildert habe, als Therapeut reagiert, welche Intervention, welche Entscheidung man wählt, wird wohl nie ganz zu beantworten sein. Im Einzelnen geht es um die Fragen: – Was erfordert die Dynamik der bereits in Gang gekommenen Inszenierung im Augenblick? – In welcher Übertragungsrolle befinde ich mich als Therapeut bereits? – Möchte ich diese Rolle beibehalten oder sollte ich besser eine andere anstreben? Und wenn ja, in welche und mit welchen Mitteln? Und wenn nicht, sollte der Therapeut auf eine Meta-Ebene gehen und das Geschehen beschreiben oder gar deuten? – Wie weit sind die Mitpatienten im aktuellen Übertragungs- bzw. Übergangsraum des Patienten mit einbezogen? Wie weit sollen sie mit angesprochen bzw. in der momentanen therapeutischen Arbeit integriert werden, um den Übertragungs- bzw. Übergangsraum zu erweitern? – Geht es mir als Therapeut darum, mich als eine Manifestation eines inneren Objektes bzw. für eine Teilobjektbeziehung des Patienten zur Verfügung zu stellen, oder strebe ich eine „korrektive Neuerfahrung“, im Sinne von F. Alexander (1956) und G. Heisterkamp (2002a), an? Am besten kann man sich diesen Fragen wohl noch mit differenzierten Gegenübertragungs-Konzepten annähern. So hat sich z.B. Robert Ware (2000) u. a. in Anlehnung an Christopher Bollas ausführlich mit der Fähigkeit des Therapeuten befasst, die Gefühle, die der Patient in ihm auslöst, mit Hilfe seiner „Gegenübertragungs-Kapazität“ zu erfassen und zugänglich zu machen (vgl. seinen Beitrag dazu i. d. B.). Berliner (2001) betont, dass die latente oder manifeste Übertragung auf die „Geschwister“ in der Gruppe eine fast ebenso wichtige Rolle spielt. Dies konnte man in unserer Gruppenszene deutlich erkennen (ebenso, dass Geschwisterund Eltern-Übertragungen durchaus ineinander übergehen können). Was nun die Gegenübertragung betrifft, so muss ich noch auf einen wichtigen Punkt aufmerksam machen: auf die Angst des Therapeuten vor der Gruppe, vor dem gerade agierenden Patienten und vor einem „Misserfolg“: Solange der Therapeut glaubt, eine Reaktion, eine Intervention sei die „richtige“, wird er immer mit der Gefahr leben müssen, etwas „falsch“ zu machen – und er wird dieser Gefahr auch nicht entrinnen, wenn er gar nichts macht, denn es gibt ja auch „Unterlassungssünden“. Auf die vielfältigen manifesten und latenten Ängste des Gruppentherapeuten habe ich an anderen Stellen hingewiesen. (Heinzel 2001a, 2003) Es liegt auf der Hand, dass bei der Anwendung körpertherapeutischer Verfahren eine solche „Angst, etwas falsch zu machen“ eher
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noch größer wird, da man ein ungewöhnlich wirksames Instrument in Händen hat (dessen Anwendung die Gruppenteilnehmer auch oft erwarten), und weil, wie bereits erwähnt, bei einem „aktiveren Eingreifen“ die Gefahr des nicht genügend reflektierten Mitagierens größer ist, als wenn man sich auf die verbale Ebene beschränken würde.
3.6. Die körpertherapeutische Dimension Da wir verschiedene biographische und emotionale Themen dieser Art schon öfters durchgesprochen hatten, auch mit gelegentlichen Tränen, hatte ich – ebenfalls in den erwähnten Millisekunden – die Intuition, dass man nun eine weitere Dimension einbringen müsste, um nicht das bekannte Gefühlsbeschreibungs-Ritual fortzuführen und um das Übertragungsgeschehen noch deutlicher erlebbar zu machen und zu verankern. Die Umarmung von Karoline hatte ja auch schon den Aspekt einer körperlichen Inszenierung (wie sie ja in vielen, auch weniger körpertherapeutisch orientierten Gruppen oft vorkommt). Nun erschien mir Barbara fähig und bereit, auch mit mir szenisch und körperlich in Interaktion zu treten. Die nun folgende Interaktion unterscheidet sich in mehrfacher Hinsicht von eher wahrnehmungsorientierten körperlichen Selbsterfahrungen, bei denen es um „Hinspüren“, „Selbsterleben“ und Ähnliches geht. (S. Maaser et al. 1994) Bei solchen Gruppenveranstaltungen (in Workshops, in Kliniken usw.) wird ein geschütztes, ruhiges Setting bereitgestellt, in dem sich die Patienten allmählich „einlassen“ können, ohne ein bestimmtes Ziel zu verfolgen (wie „Entspannung“ oder „Konzentration“). Hier hingegen, im beschriebenen Beispiel, ging es um einen vom Therapeuten aktiv herbeigeführten, unvermittelten Wechsel in eine „Szene“. Solche szenische Interaktionen im Sinne von aktiv intendierten „Enactments“ (Klüwer 1983, Heisterkamp 2002a und 2003a), wurden ja ursprünglich als ein unbewusstes Widerstandsphänomen betrachtet, bzw. als eine Neigung früh gestörter Patienten, den analytischen Raum für die Inszenierung früher Objektbeziehungen zu benutzen, weil sie noch keine reifere Symbolisierungsfähigkeit haben. (Steiner 2000) Klüwer (1983) hat aber schon darauf hingewiesen, dass man eine solche präverbale Kommunikationsform des „Handlungsdialogs“ in der Therapie aufgreifen kann, um dem Patienten auf dem Weg zu einer besseren Symbolisierung zu helfen. Auch wenn man als Therapeut selbst einen solchen Dialog einleitet, kann er ein Bindeglied zwischen der verbalen therapeutischen Arbeit und der Körpertherapie im eigentlichen Sinne darstellen. Der Vorteil davon ist, dass man immer so weit gehen kann, wie es für den Patienten erträglich und zuträglich ist. Wenn man spürt, dass er überfordert ist, kann man die Szene so „stehen lassen“. Dies ist ein Punkt, der bei der Lowen’schen Bioenergetik oft problematisch werden kann: Man spürt dort oft die Erwartung, es müsse an einer bestimmten Stelle eine Sequenz, ein piece of work, „durchgezogen“ und zu einem kathartischen Abschluss gebracht werden. Auch Berliner weist auf diese Gefahr hin. (Berliner 1998) Der Enactment-Begriff wird also von analytischen Körpertherapeuten anders verwendet, und zwar im Sinne eines bewussten und dosierten „Mitagierens“, das entweder unbewusste Enactment-Elemente des Patienten aufgreift oder sogar selbst Handlungsdialoge anstößt.
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Die Kunst der Andeutung, der bildhaften Vorstellung von Inszenierungen, der Annäherung an konkrete Handlungen und der Handlungsdialoge kann man wohl nur im Laufe der Zeit durch Erfahrung lernen. Aber diese Erfahrung lohnt sich, denn gerade „unvollständige“ Szenen können in der Gruppe bei Mitpatienten unterschiedliche, aber wertvolle Resonanzen erzeugen. Ich konnte an dieser Stelle zunächst meine Rolle als Vater unterstreichen, indem ich mich vor sie hinstellte. Da ich selten von meinem Sessel aufstehe, hat eine solche „Aktion“, wenn sie einmal stattfindet, meist eine stärkere Wirkung. Barbara ließ sich gottlob nicht einschüchtern, sondern sah mir mutig ins Gesicht, ihre anklagende Frage wiederholend. Erst jetzt war ich mir sicher, dass sie auch im bioenergetischen Sinne noch weitergehen konnte, und ich schlug ihr vor, gegen meine Hände zu drücken. Von diesem Moment an nahm der Prozess wieder einen großteils eigengesetzlichen Verlauf. Barbara wendete sich von der neben ihr sitzenden „Mutter“ ab und ging mit mir auf Konfrontation – allerdings, wie oben angedeutet, erst noch etwas halbherzig. Deshalb provozierte ich sie, ganz aus meiner „Böser-Vater-Rolle“ heraus, so weit, dass sie sich von ihrem Platz erhob, und dadurch konnte sie mir besser Paroli bieten. Und nun erlebte ich etwas, was mir aus vielen bioenergetischen Arbeiten vertraut ist: Der Patient, der noch sehr in seiner Ambivalenz verhaftet ist, ist nicht in der Lage, seine körperlichen Kräfte zu mobilisieren. So habe ich einmal mit einer recht schmächtigen Patientin mit einer Decke ein „Tauziehen“ veranstaltet, in dem sie sich „ihr Leben endlich nehmen“ wollte, was ich natürlich nicht hergab. Zuerst hatte sie nur halbherzig gezogen, bis ich ziemlich ironisch bemerkte, sie glaube offenbar im Grunde, dass ihr gar kein eigenes Leben zusteht. Erst durch diese Provokation wurde sie so wütend, dass sie ungeachtet ihrer Zierlichkeit mir die Decke einfach wegzog – ich konnte sie tatsächlich nicht mehr halten. Ähnlich erging es mir nun mit Barbara, nachdem ich sie provoziert hatte. Plötzlich wuchs sie mit ihren Körperkräften über sich selbst hinaus und erwies sich, obwohl viel leichter und physisch schwächer als ich, in diesem Kampf als mir gleichwertig. Auch an dieser Stelle muss man sich natürlich die Frage stellen, wie weit es sich bei diesem Handeln auf der unmittelbaren Körperebene um ein Ausagieren bzw. einen Widerstand handelte. Es könnte ja sein, dass Barbara im Kampf mit mir lediglich ihre gut eingeübte verbale progressive Abwehr in eine körperliche umgewandelt hatte und sich stärker oder offensiver gebärdete als sie wirklich war. Ich glaube, dass kaum jemand in der Lage sein dürfte, während des Geschehens diese Komponenten von „Echtsein“ und „Agieren“ wirklich sicher auseinander zu halten. Es zeigt sich oft erst im Nachhinein, vor allem durch Betrachtung des weiteren Verlaufs, ob das Vorgehen im Sinne eines therapeutischen Fortschrittes produktiv war oder nicht. Das bewusste, dosierte Mitagieren des Therapeuten, wie es Heisterkamp (2002a) und manch andere in gewissen Fällen für vertretbar halten, nutzt die sensumotorische Intelligenz des Patienten (Dornes 1997) und kann auf diese Weise den Zugang zu frühen Handlungs- und Interaktionserinnerungen des Patienten ebnen. Ein so fruchtbar gewordenes Enactment und direkte körpertherapeutische Elemente können ihm auch helfen, sich seiner Abwehr bewusst zu werden, um sie dann irgendwann als nicht mehr erforderlich „loszulassen“. Wahrscheinlich ist so etwas bei Barbara geschehen, als aus ihrem Kampf gegen den Vater spontan ein Kampf um den Vater wurde (siehe dazu auch Moser
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1994a und 2003.) Denn der Eigengesetzlichkeit eines intensiven, im richtigen Moment durchgeführten körpertherapeutischen Prozesses entsprechend kam sie – wie es oft bei Patienten in einer solchen Arbeit geschieht – alsbald an ihre „unter“ der Wut liegenden wahren Bedürfnisse und Sehnsüchte, nämlich den Wunsch, den Vater festzuhalten und seine Nähe zu spüren. Wenn ihr das irgendwann ein Therapeut mündlich gesagt hätte, hätte sie es sicher weit von sich gewiesen, aber in dieser dramatischen Situation „sprach ihr Körper diese subjektive Wahrheit aus“, so dass sie für jeden sichtbar und erfahrbar war. Dies kam auch bei der anschließenden Besprechung in der Gruppe zum Ausdruck, bei der viele Patienten berichteten, dass sie sowohl die Wut als auch die Sehnsucht bei Barbara und bei sich selbst erlebt hatten. Ich habe mich natürlich hernach selbst gefragt, warum ich schließlich die Rolle des „bösen Vaters“ verlassen habe und gesagt habe: „O.k., ich bleibe“. Wollte ich die Szene mit einem „happy end“ abschließen? Tat sie mir leid? Dachte ich, sie habe nun genug gelitten und gekämpft? Wollte ich ihr zu einer „korrektiven Neuerfahrung“ verhelfen? Ich kann es natürlich nicht mit Sicherheit angeben – vermutlich ist es von allem etwas; vor allem glaubte ich wohl halbbewusst, ich könne ihre neu erworbene, kämpferische Haltung mit einer „neuen“ Reaktion meinerseits „belohnen“, die von ihren früheren Erfahrungen mit den Vätern abweicht. Das würde ihr die Botschaft vermitteln: „Es lohnt sich, um jemanden zu kämpfen!“ Und diese Botschaft scheint angekommen zu sein, worauf der weitere Verlauf hindeutet: Ich meine damit das spätere, aus der Tiefe des Leibes hochsteigende „homerische“ Lachen von Barbara, für das sie keinerlei äußerlichen Anlass gebraucht hatte. Es war ein Ausdruck der Erlösung aus der Ambivalenz zwischen Wut und Sehnsucht und ein sichtbares und spürbares Zeichen der tiefen Befreiung ihrer vorher blockierten Selbstbewegung, die sie vor allem körperlich spürte, und die alle ansteckte und mitriss. George Downing (in Geißler 2001b, S. 152) nennt solche Gefühle „Meta-Emotionen“ und meint damit solche, die mit dem Einsetzen eines „zunächst neuartigen Zustandes an sich“ zu tun haben. Spätestens an dieser Stelle ist die Patientin – sogar dann, wenn vorher noch eine Komponente ihres Widerstandes mitgespielt haben sollte – wirklich „bei sich angekommen“ und bereit zu einem Neubeginn.
4. Umgang mit Komplexität Die Aufzählung dieser Blickwinkel ist sicher nicht vollständig, aber es ging mir mehr um die Darstellung einer Komplexität, die letztlich nur als Ganzheit zu erahnen ist und innerhalb derer die Bevorzugung jeder einzelnen Dimension zur Abwehr von anderen benutzt werden kann. Deshalb ist man fast versucht, vom Therapeuten so etwas wie eine „gleichschwebende Aufmerksamkeit“ zwischen ihnen zu erwarten, denn rational ist dieses Zusammenspiel nicht mehr zu erfassen. Thomä und Kächele (1985, zit. nach Maaser et al. 1994) weisen demgemäß ja auch darauf hin, dass ebenso wichtig wie die „Strukturierungsarbeit“ des Therapeuten auch die Aktionen und der Entwicklungsanteil des Patienten sind und dass sich der therapeutische Prozess aus einer Wechselwirkung dieser beiden Größen ergibt. Dieser Gesichtspunkt gilt natürlich für Einzel- wie für Gruppentherapie (dort mit viel mehr Einflussgrößen) und für verbale wie für Körpertherapie.
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Ich glaube, mittlerweile ist dem Leser verständlich geworden, wie wenig produktiv es ist, bei den Ausbildungen in Einzel- oder Gruppentherapie zu sehr nach Methoden und Verfahren zu trennen. Die Aufspaltung der Psychotherapie in verschiedene „Schulen“ war sicher für längere Zeit ein notwendiges Übel, da – gerade bei den aufregenden Umstrukturierungsprozessen, deren Zeuge wir als Therapeuten sein dürfen – viele Aspekte des innerseelischen und interaktionellen Geschehens erst einmal einzeln verstanden werden müssen. So hat sich die Psychoanalyse und viele ihrer Abkömmlinge ja erst einmal als Gegenbewegung gegen die akademische Psychologie entwickeln müssen, ebenso wie sich die neoreichianischen Schulen als Gegenbewegung gegen die (verbale) Psychoanalyse entwickelten. Die Psychoanalytiker, vor allem die aus dem Freud’schen und neofreudianischen Lager, warfen den Körpertherapeuten lange Zeit vor, die notwendige therapeutische Abstinenz zu missachten und unreflektiert mitzuagieren, oder gar eigene uneingestandene Bedürfnisse nach körperlicher Nähe am Patienten zu befriedigen. Die Körpertherapeuten umgekehrt warfen den „sprechenden Attrappen“ (Moser 1986) der Psychoanalyse vor, möglicherweise beim Patienten das Trauma des Alleingelassenwerdens zu wiederholen, wenn sie nicht auch körperlich mit ihm in Interaktion gingen. Das Schlimme ist: Beide Seiten hatten mit ihren Vorhaltungen weitgehend Recht!! Eine Zwangsneurose 500 Stunden rein verbal auf der Couch zu behandeln, kann eventuell wirklich ein Kunstfehler sein, und in jeder Sitzung mit einem Patienten oder Klienten eine körpertherapeutische Aktion zu veranstalten, ohne genügend auf Übertragung und Gegenübertragung zu achten, ebenso! – Aber die jeweilige eigene Position auf alle denkbaren Fälle zu verallgemeinern und aus allem ein Dogma zu machen, halte ich in jedem Falle für kontraproduktiv. Bei der Polarisierung zwischen verbaler und körpertherapeutischer Arbeit wurde meistens übersehen, dass es (worauf Robert Ware immer wieder hinweist) gar nicht so wesentlich ist, ob eine konkrete körperliche Aktivität bzw. Berührung stattfindet oder nicht. (Ware 2000) Viel entscheidender ist die Frage, wie man mit der dialektischen Alternative „Handeln“ und „Verstehen“ umgeht. Alle, die solcherlei gegenseitiges Misstrauen seit den 70-er Jahren hautnah mitbekommen haben, vor allem die, welche (wie ich) als Wanderer zwischen den Systemen von verschiedenen Seiten immer wieder misstrauisch beäugt wurden, werden froh sein, dass die Zeit der Identitätsfindungen und Profilneurosen jetzt allmählich zu Ende geht. Denn wie sehr alle diese (z. T. von verschiedenen Schulen lange Zeit kontrovers vertretenen) Aspekte ineinander greifen und sich – trotz der zwischen ihnen durchaus oft vorkommenden Spannungen – insgesamt fruchtbar ergänzen, hat ja das von mir beschriebene Beispiel deutlich gezeigt. Doch leider muss ich immer wieder feststellen, dass ein wesentlicher Aspekt, der den meisten Therapeuten – bewusst oder unterschwellig – zu schaffen macht, im Akzeptieren der Komplexität des Gruppengeschehens zu finden ist. Ob es sich nun um die Vertreter der „reinen Gruppenanalyse“ handelt, die nur Gruppendeutungen abgeben, ob um die Gestalttherapeuten, die mit einem Patienten „vor der Gruppe“ arbeiten, oder um die Psychodrama-Therapeuten, die einen Protagonisten das Feld aufstellen lassen, oder gar um rein körpertherapeutisch orientierte Kollegen, die entweder die ganze Gruppe in den „Elefan-
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ten“4 gehen lassen oder mit einem Patienten vor der Gruppe „auf die Matte“ gehen – für die meisten ist die Dramatik und Vielfalt eines innerseelischen. also psychodynamischen und gleichzeitig interaktionellen, also gruppendynamischen Geschehens einfach zu komplex. Und hier scheiden sich meiner Meinung nach die Geister: Wenn ein Therapeut mit einer bestimmten Schule identifiziert ist, oder wenn er (noch) kein genügendes Selbstvertrauen hat, dann neigt er dazu, metapsychologische Theorie-Anteile und methodische Versatzstücke seiner Ausbildung anwenden zu wollen. Er hängt noch an der Illusion, es gebe in einem bestimmten Augenblick der Therapie- bzw. Gruppensitzung „eine richtige“ Vorgehensweise, zu der sein psychoanalytisches oder gestalttherapeutisches oder bioenergetisches Über-Ich zustimmend nickt und sagt: „Gut gemacht, so hätte es Freud/Perls/Lowen usw. auch gemacht!“ Was hinter diesem Dilemma vermutlich ursächlich verborgen ist, dürfte mit den vielfältigen nicht aufgearbeiteten Restübertragungen auf die jeweiligen Schulengründer zu tun haben. Wie oben schon angedeutet, mussten sich die Therapierichtungen im Laufe des 20. Jahrhunderts ja jeweils gegen ein etabliertes Paradigma durchsetzen. Und wie wir wissen, geschieht die Ablösung aus dem Elternhaus ja selten als kontinuierliches „Herauswachsen“, sondern oft in einer Art „Losreißen“, einer „Flucht nach vorn“ (wie bei Barbara!), in der man seine eigene (in diesem Fall therapeutische) Identität in Abgrenzung gegenüber der alten „Schule“ findet, was selten ohne Polarisierungen abgeht – ebenso wie zwischen der „Schulmedizin“ und der Alternativ-Medizin. Auf dem Titelblatt einer Abiturszeitung im Gymnasium unserer Söhne prangte einmal der Text: „Erwachsen ist man, wenn man etwas tun kann, obwohl es die Eltern verlangt haben!“ Eine schönere als diese (meines Wissens auf Watzlawick zurückgehende) Formulierung kenne ich kaum, da sie den Vorgang der Versöhnung mit dem elterlichen Prinzip im Vorgang des Erwachsenwerdens in aphoristischer Zuspitzung zum Ausdruck bringt. In den 70-er und 80-er Jahren, als ich meine Ausbildungen in Medizin und Psychologie, in Psychoanalyse, Gruppentherapie, Bioenergetik usw. in voneinander getrennten Schienen bzw. Curricula absolvieren musste, war für eine integrative Sichtweise noch kein rechter Platz, weder für mich persönlich noch in berufspolitischen Dimensionen. Aber seitdem, in den Jahren der Praxis, hat sie sich allmählich entwickelt – und so geschieht es, denke ich, den meisten Kollegen, die ihrem „therapeutischen Elternhaus“, sei es tiefenpsychologisch, verhaltenstherapeutisch oder körpertherapeutisch, langsam entwachsen und zu ihrem eigenen Stil finden. Erst auf dem Boden einer solchen Identität bin ich vermutlich fähig, auch auf die „innere Stimme“ (vor allem die meiner körperlich-seelischen Gegenübertragung) zu hören, die mir in diesem Moment – wie geschildert, manchmal in Sekundenbruchteilen – zuflüstert, ob ich jetzt lieber schweigen, eine Deutung geben, die Gruppe einbeziehen, eine Gegenübertragungsrolle annehmen, nach biographischen Parallelen fragen oder eine Übung vorschlagen soll. Und was sie mir eingibt, wird nicht nur variieren von Patient zu Patient, sondern auch von Tag zu Tag – je nach meiner Stimmung. Aber wenn es mit meinem Gefühl und meiner Intuition übereinstimmt, wird es, hoffe ich, nie ganz falsch sein.
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Beim „Elefanten“ beugt sich der Pat im Stehen nach vorne, bis die Finger den Boden berühren.
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Allen, die mit Gruppen arbeiten und dabei als Grenzgänger zwischen verbalen, tiefenpsychologischen Verfahren und Körpertherapie mit ihren Patienten Seelenarbeit leisten, wünsche ich für das Sammeln von Erfahrung Mut und Ausdauer, und für die praktische Umsetzung die nötige Gelassenheit und den erforderlichen Glauben an sich selbst und ihre Intuition. Roland Heinzel, Dr. med. Dipl. Psych., Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychosomatische Medizin. Methoden: Psychoanalyse, Gruppentherapie, Bioenergetische Analyse Adresse: D-78256 Steißlingen, Reitergäßle 15 E-Mail:
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Gruppentherapie und Gegenübertragungs-Kapazität1 Robert Ware His technique was, as he said, „bold, persistent experimentation. . . Take a method and try it. If it fails, admit it frankly and try another. But above all, try something.“ Arthur Schlesinger Jr. – 2 Zitat von Franklin Delano Roosevelt. (Schlesinger 1998, S. 52)
1. Einführung Über die Jahre wurde mir immer mehr das interaktive, seelische und körperliche Erleben des Therapeuten innerhalb der therapeutischen Beziehung wichtig. Insbesondere interessierte ich mich für die Bedeutsamkeit des sogenannten „Vaterkörpers“ (Ware 1996) sowie für erotische (erotisch-sexuelle) Übertragungen und Gegenübertragungen. (Ware 1999; 2001; 2002; 2004; 2006a, b) Vor einigen Jahren stieß ich auf einen Begriff des englischen Psychoanalytikers Christopher Bollas: Er beschrieb ein Phänomen, das mir schon lange vertraut war, ohne dass ich es hätte benennen können, nämlich „countertransference capacity“ (Bollas 1987/1997) bzw. „Gegenübertragungs-Kapazität“. In den hier geschilderten kasuistischen Vignetten versuche ich anhand einiger gruppentherapeutischer Erfahrungen den interaktiven, beziehungsanalytisch-körperpsychotherapeutischen Gebrauch von Gegenübertragungs-Kapazität darzustellen. Es handelt sich um einen virtuellen Raum im Therapeuten, in dem einzelne Patienten oder die Gruppe als ganzes mittels unbewusst verlaufender Prozesse konflikthafte frühere Beziehungsmuster, innere Objektbeziehungen und unaussprechbare Affekte wiederholend inszenieren. Ich beginne (Teil 1, „Der Gruppenleiter als Mitspieler und seine Gegenübertragung“) mit einem konkreten Beispiel konflikthafter Gegenübertragung und erläutere danach das Konzept der Gegenübertragungs-Kapazität. Im Vergleich zu den weitgehend kontrollierten interaktiven Einflüssen des herkömmlichen psychoanalytischen Settings befindet sich der analytische Gruppentherapeut in einer paradoxen Doppelrolle als fachkundiger Prozessbeobachter und mitagierende Realperson. (Maaser/Besuden 1998; Heinzel 2001) Wichtiger noch für die tiefere Interaktivität des Therapieprozesses, er ist zugleich stets ein teilnehmender „Mitspieler“ in der unbewussten Inszenierung psychodynamisch relevanter Interaktionen. In Teil 2,
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Der folgende Beitrag beruht auf (Ware 2000). Er wurde hier gründlich überarbeitet und erweitert. 2 Seine Technik bezeichnete er als „zupackendes, stetiges Experimentieren…. Nimm eine Methode und probiere sie aus. Wenn sie versagt, gib's offen zu und versuche eine andere. Aber vor allem, probiere etwas aus." (Übers. RW)
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„Aus der Praxis...“, erörtere ich einige mir wichtig gewordene allgemeinere Teilaspekte der Praxis interaktiver und körperbezogener analytischer Gruppentherapie. Insbesondere geht es um Beziehung, Interaktion, Inszenierung, Kompetenzsteigerung, Intersubjektivität, Treffen außerhalb der Gruppe sowie Aufgaben und Verantwortung von Gruppenmitgliedern und Gruppenleiter. Teil 3, „Körpertherapeutische Inszenierung“, stellt weitere Beispiele körperbezogener analytischer Gruppentherapie kurz dar, die vor allem interaktive Möglichkeiten wortloser, „körpersprachlicher“ Inszenierung und handlungssymbolischer „Deutung“ von Übertragung und Gegenübertragung versinnbildlichen.
2. Teil 1. Der Gruppenleiter als Mitspieler und seine Gegenübertragung Vor ein paar Jahren schloss ich meine Praxiswoche in der schwäbischen Provinz mit einer bewegenden Gruppentherapiesitzung ab, um am anderen Tag nach Norddeutschland zu fahren und den 60. Geburtstag eines guten Freundes und Kollegen mitzufeiern, der dort Klinikdirektor war. Nach einem anregenden wissenschaftlichen Seminar am Tag wurde ein festlicher Abend ausgerichtet. Im Verlauf des Abends inszenierten zwei Kollegen als Festeinlage ein psychiatrisch-psychotherapeutisches Interview, einen kleinen Sketch von John Savlinsky. Während die versammelten Festteilnehmer, die meisten von ihnen „vom Fach“, sich vor Lachen die Seiten hielten, schwankte ich zwischen Amüsement und tiefen Beschämungsgefühlen. Der Text dieses kleinen Sketches hätte in größeren Ausschnitten ein Protokoll meiner Gruppentherapiesitzung von vor zwei Tagen sein können! Die intendierte Verballhornung wirkte auf mich wie ein grausamer Spiegel meiner therapeutischen Rollen-„Darstellung“. Was den meisten Anwesenden äußerst witzig vorkam, war für mich nüchterne Wirklichkeit. Innerlich – trotz besseren Wissens – fühlte ich mich wie ein therapeutischer Versager. Vor dem inneren Auge meines Ideal-Ichs schämte ich mich in Grund und Boden bei dieser Bloßstellung.
Beschämungskonflikte, abgewehrt und ausagiert (Joseph, Theodor, Annemarie) Was war in der Therapiegruppe geschehen? Um dies zu verstehen, muss ich den Verlauf der letzten zwei Gruppensitzungen kurz darstellen. In der Vorwoche ging es – so mein jetziger Erkenntnisstand – um umfassende, kaum aussprechbare Beschämungskonflikte bei einigen Gruppenmitgliedern, insbesondere bei zwei Männern. Der Protagonist, ich nenne ihn Joseph, wurde als Kind und Jugendlicher vom eigenen Vater jahrelang tagtäglich sexuell missbraucht. Er überlebte durch Abspaltung jeglicher Gefühlswahrnehmung, worunter er heute noch leidet. Der zweite, Theodor, saß stillschweigend in der Runde mit schmerzverzerrtem Gesicht. Seit über einem Jahr weigerte er sich trotz offensichtlicher aktueller persönlicher Not beharrlich, seine allseits spürbare tiefe Verletztheit in der Gruppe zur Sprache zu bringen. Er kann es nicht anders; seine tiefste Kränkung vermag er bisher weder gedanklich noch sprachlich zu erfassen. Dieser Mann, ein gut aussehender athletischer Typ, ist in emotionaler Armut und Einsamkeit aufgewachsen. Beide Eltern arbeiteten voll in einem Familienbetrieb, die vier Jungen waren gänzlich auf sich selbst angewiesen, Gefühle wurden nicht mitgeteilt. Theodor entwickelte eine relativ gut funktionierende, macho-hafte Persona als false-self-Schutz für sein sehr verletzbares wahres Selbst. Gegen Ende der genannten Sitzung reagierte Theodor – der später von einem Gruppenmitglied als „der Bauch der Gruppe“ bezeichnet wurde – plötzlich mit heftigen Attacken gegen „diese Form von Therapie“. Aus ihm heraus strömten starke Affekte
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(Schmerz, Wut, Zorn), genau die Gefühle, die die Gruppe bei dem sehr viel affektarmeren Joseph vergeblich gesucht hatte. Die gesammelten Schamaffekte und die Beschämungsangst – so meine jetzige, nachträgliche Deutungshypothese – wurden in ihrem selbstzerstörerischen Potenzial stellvertretend für die Gruppe als Ganzes durch Theodors zornige Attacken auf die „nutzlose“ Therapie abgewehrt; nutzlos deswegen, weil sie die Beschämung an den Tag zu bringen drohte, vor der er beschützt werden wollte. Zum Schluss der Sitzung kam es zwischen Theodor und mir zu einem kurzen, aber heftigen Gerangel, ein „Abblitzen“ im ursprünglichen Sinne des Wortes, nämlich das Verpuffen von Pulver, das wirkungslos von der Pfanne des Gewehrs abbrennt! Die Sitzung war zu Ende, die abgewehrten Affekte kamen nicht zur Sprache. Dies sollte der nächsten Sitzung vorbehalten bleiben. In der Folgesitzung, zwei Tage vor dem genannten Sketch, ergriff Annemarie sofort das Wort. In der Vorwoche hatte sie als Einzige die unsägliche Beschämung des sexuell missbrauchten Joseph verstanden und der Gruppe nun einfühlsam darlegen können. Für Joseph war die Beschämung unaussprechlich, d. h. so groß, dass man es mit Worten nicht beschreiben kann. Zu den Hauptgründen für Annemaries Therapiewunsch gehörte die Bewältigung eines sexuellen Missbrauchs ihrer damals 4-jährigen Tochter durch einen geistig behinderten Jugendlichen, während das Kind sich in der vermeintlichen Obhut ihres Vaters (des geschiedenen Mannes der Patientin) befand. Als ko-abhängiges erwachsenes Kind eines Alkoholikers und jetzt Mutter einer sexu3 ell vergewaltigten Tochter leidet Annemarie nicht weniger als die beiden Männer unter der existentiellen Beschämung und Verletzung der Missbrauchten. Derzeit empfindet Annemarie, wie sie es ausdrückt, „ganz ungeheuerlich“ die Hilf- und Sinnlosigkeit angesichts dieser für ihr Selbstgefühl paradigmatischen Traumata. Die kumulative Traumatisierung durch ihre dysfunktionale Alkoholiker-Herkunftsfamilie steckt ihr nicht weniger in den Knochen als der Missbrauch ihrer Tochter. Auch Annemarie spricht immer wieder ihre Verzweiflung über die Therapie aus, nicht selten äußert sie Selbstmordphantasien. Gegenwärtig fühlt sie sich öfters von den anderen Gruppenmitgliedern wenig oder sogar falsch verstanden. An diesem Abend spricht sie aus, wie sehr sie in der Vorwoche – sie hatte sich „vergeblich“ zu Wort gemeldet – das Gefühl gehabt hatte, dass der Therapeut die Arbeit mit Theodor ihr und ihrer Not vorgezogen hatte. Es sei wieder einmal wie in ihrer Herkunftsfamilie gewesen, wo immer ihr Bruder bevorzugt wurde. Sie müsse (emotional) „verhungern“ und könne nichts tun, um ihre Not selbst zu lindern. Ihr könne und wolle niemand helfen, ihr „Fehler“ sei es, überhaupt etwas zu wollen. So äußert sie immer wieder einen kaum verhüllten Vorwurf an Therapeut und Gruppe. Ich greife den vordergründigen Übertragungsaspekt von Annemaries Misere heraus. Weil sie mir wirklich leid tut, versuche ich, ihren Schmerz empathisch-verständnisvoll aufzufangen. Doch es gelingt mir nicht; ich finde nicht in ihren Rhythmus und den des Gruppenprozesses hinein. Unbeholfen biete ich nur zunehmend belehrende Deutungen an. Ohne es zu merken, „verrenne“ ich mich in überflüssige Erklärungsversuche. Ein unterschwelliges Unwohlsein steigt allmählich in der Gruppe auf, doch zunächst rührt sich niemand. Alle hören wie gebannt zu. Ich laufe weiter ins Leere meiner Lehrversuche. Erst nach geraumer Zeit unterbricht mich (endlich!) mein Nebensitzer. Irritiert und missbilligend bemerkt er, ich würde nur „glätten“ – ich verstehe „kletten“; beides stimmt! Andere Teilnehmer bestätigten seine Kritik. Erst im Nachhinein geht mir auf, dass ich mich unbewusst an einer pseudo-analytischen Deutungsgebärde festgeklammert („geklettet“) habe, um die Wogen der unterschwelligen Panik der Patientin und der Gruppe zu „glätten“ – ein nahezu klassisches Beispiel von Gegenübertragungswiderstand gegen Gegenübertragungserleben (Bollas 1987, S. 249). Anstatt die (meine) Panik bewusst zu erleben, dass zuviel (selbst-) destruktive Aggressi3
Zur Steigerung der Erlebnisqualität des Szenenablaufs wechsele ich hier – wie auch in späteren Therapieszenenbeschreibungen – in eine präsentische Gegenwartszeitform über.
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on freigesetzt werden könnte, dass das Therapiegeschehen außer Kontrolle geraten oder irgendeine andere Katastrophe geschehen könnte, agiere ich unbewusst die Panikabwehr pseudoanalytisch mit. Diese „glättend/klettende“ Deuterei stieß mir dann in der Verballhornung des Sketches wie ein Sodbrennen auf.
2.1. Mitspieler in der Inszenierung Normalerweise fällt es mir in Therapien nicht schwer, mit Aggression (wie bei Theodor) umzugehen, auch dann nicht, wenn sich in einer Sitzung archaische Affekte gegen meine Person entladen. Eine Vielzahl körpertherapeutischer Aggressionsabfuhrübungen erleichtern es, solche Affekte, auch Zorn, Hass und Wut, ohne Schaden für den Patienten oder das therapeutische Setting zum Ausdruck kommen zu lassen. Die Möglichkeit zum Einsatz solcher Techniken erweitert die Containerfunktion beim körpertherapeutisch arbeitenden Psychoanalytiker um eine wichtige Dimension. (Vgl. Heisterkamp 1993) Dadurch fühlen sich Patienten in ihren schwierigsten Affekten ernst genommen, geschützt und gehalten. Umso auffallender und erklärungsbedürftiger ist dann im aktuellen Fall mein offenkundiges „Versagen“. Erst sehr viel später, bei der Reflexion meiner Beschämungsreaktion auf den Sketch, wurde mir bewusst, wie sehr es in diesem Fall nicht um Aggression, sondern um die Abwehr von Schamkonflikten und Panik geht. Theodors Attacken, Josephs Gefühlstaubheit, Annemaries vorwurfsvolle Selbstquälerei stammen alle drei, so ergibt die Analyse der Gegenübertragungsreaktionen, letztendlich aus unaussprechlicher, existentiell bedrohlicher Beschämung. Wie komme ich zu dieser Schlussfolgerung? Nachträglich verstehe ich mein scheinbares Versagen vom Prozess her als eine Folge der Übernahme der zugrunde liegenden Panik der Patientin und anderer in der Gruppe, vermutlich sogar der (vorbewussten) Panik der Gruppe als Ganzes. Für das Therapiegeschehen war es offensichtlich wichtig, dass ich am eigenen Leib die in der Gruppe noch unbewusste Panik erlebe, die – so mein jetziges Verständnis – durch die existentielle Angst vor (selbst-)zerstörerischer archaischer Aggressivität infolge von Beschämung ausgelöst wurde. Außerdem sollte ich aber auch am eigenen Ich die lähmende, unbewusste Angstabwehr erleben und miterleiden, wodurch ein realitätsangemessenes Funktionieren des Analytiker-Ichs „versagt“. Ein vergleichbares Versagen bisheriger Anpassungsund Abwehrfunktionen ist in aller Regel das auslösende Geschehen, das die Patienten in Therapie bringt. Beschämung ist die subjektiv empfundene, schandvolle Bloßstellung und damit existentielle Gefährdung des eigenen Selbstes. Nicht zufällig heißt auf deutsch dasselbe Wort „Scham“ (ahd. scama) ursprünglich Beschämung, Schande und Genitale, Geschlechtsorgan, Entstehungsort der eigenen Existenz – von daher auch Geschlecht i. S. v. Sippe, Familie, Generation. Somit hat Scham auch mit Ehre, Ruf, Ansehen und dem existentiellen Verletztungspotenzial der ehrenschändenden Beschämung zu tun. (Vgl. Leibig 1998) Wir Gruppen- wie auch Einzeltherapeuten werden nach meiner Erfahrung immer wieder vom Therapieprozess selbst genötigt, vom Katheder unseres Fachwissens und der Autorität der Therapeutenrolle herabzusteigen. Ob wir darin einwilligen wollen oder nicht, nehmen wir dann – in Anspielung auf eine klassische Märchenfigur – eine Dümmling-Rolle im therapeutischen Prozessverlauf ein und spielen im Geschehen unbewusst mit.
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In solchen Momenten verlasse ich vorübergehend die Rolle des fachkundigen Prozessbeobachters und befinde mich als partizipierender Mitspieler in der Inszenierung des pathologischen Konfliktes. Mein subjektives Erleben ist dann häufig, dass ich von allen guten Geistern verlassen werde und zeitweilig die „dümmsten, ärgerlichsten, unmöglichsten Dinge“ sage, tue, anstelle. Diese Art von „dümmlinghafter“ mitspielender Teilnahme an der Inszenierung des Konfliktes vollzieht sich meistens auf zweierlei Weise. Entweder nimmt der Therapeut eine spezifische, für den Patienten lebensgeschichtlich und psychodynamisch relevante Rolle ein und empfindet, fühlt und verhält sich wie eine bedeutsame Person (Vater, Mutter, Geschwister, Lebenspartner, Liebhaber, Missbraucher usw.) aus der zugrunde liegenden, pathogenen Szene. Oder aber, wie im obigen Fall, übernimmt und verhält er sich synton mit einem Affekt – oder der Abwehr eines Affekts, der in der Regel vom Patienten (ggf. von der Gruppe als solcher) unbewusst als unaushaltbar oder unaussprechlich – mit Worten nicht zu beschreiben – empfunden wird. Wie ging es in meiner Therapiegruppe weiter? Nach der Intervention des neben mir sitzenden Gruppenmitgliedes erwachte die Gruppe aus ihrem Dornröschen-Schlaf. Auf mich wirkte es wie die Befreiung aus einem somnolenten Zustand, in dem ich ernsthaft zu versumpfen drohte und mich in leeren Deutungshülsen wie der Frosch im Milchbottich immer mehr abstrampelte. Mein Urvertrauen in den Gruppenprozess kehrte wieder, ich konnte der Gruppe ihre therapeutische Kompetenz und Verantwortung wieder überlassen und mich vorerst in die Rolle des reflektierenden Beobachters und Hinterfragers zurückziehen. Die Gruppe selbst befasste sich nun mit den vorgefallenen und hintergründigen Gefühlskonflikten, konkret mit Schuldgefühlen, Alleinsein, niemandem Vertrauenkönnen, Angst und Abhängigkeit, Starkseinmüssen usw.. Es wurde sehr eingehend und offen an den Übertragungs- und Beziehungskonflikten innerhalb der Gruppe gearbeitet. In einem Wort, die Gruppe hatte nach durchlebter Angst, Panik und Widerstand wieder zu ihrer eigenen therapeutischen Kapazität (Fähigkeit und Fassungsvermögen) zurückgefunden. Ein märchenhaftes Happy-End? Überhaupt nicht! Denn spätestens das Erleben von derart existentiellen Beschämungsgefühlen bei dem abendlichen Sketch genügte, um mich unmissverständlich daran zu erinnern, dass das grundlegende Problem des therapeutischen Umgangs mit unaussprechbaren konflikthaften Affekten zwar aufgespürt, aber noch nicht durchgearbeitet und gelöst worden war.
2.2. Gegenübertragungs-Kapazität Mit seiner Bereitschaft und der Fähigkeit zum Mitspielen erfüllt der Therapeut eine der allerwichtigsten therapeutischen Aufgaben – Bollas nennt sie „Gegenübertragungs-Kapazität.“ („countertransference capacity“, Bollas 1987/1997) Das englische Wort „capacity“ bedeutet sowohl Fähigkeit, ein auf Begabtheit, Tüchtigkeit, Geschicktheit, auf Wissen und Können beruhendes Befähigtsein, als auch Kapazität = Fassungsvermögen, auch geistige Fassungskraft (Duden). Weil es mir mit Bollas (1987) um eine räumliche Metapher geht, gebrauche ich hier Kapazität im Sinne der umfassenderen Bedeutung des Originals. (Bei Bollas 1997 wird an dieser Stelle capacity nur mit Fähigkeit übersetzt.) Im Innern des Therapeuten soll ein virtueller „Raum“ geschaffen werden, der dazu dient, die unbewussten Kommunikationen des Patienten zu empfangen und so mit seiner innersten Befindlichkeit in Kontakt zu treten. (Bollas 1987, S. 248–250) Der Patient – auch die Gruppe als solche – benutzt diesen virtuellen Freiraum, um Übertragungen zu entfalten und mitzuteilen. Mittels unbewusst verlaufender Induktionen und projektiver Identifikationen können konflikthafte frühere Bezie-
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hungsmuster, innere Objektbeziehungen, nicht aussprechbare Erlebnisse und unaussprechliche Affekte vollständiger artikuliert und wiederholend inszeniert werden. Somit ermöglicht die Gegenübertragungs-Kapazität eine umfassendere und differenziertere Kommunikation zwischen Patient, Therapeut und Gruppe, als dies durch verbale Mitteilung alleine möglich ist. „Wenn wir Gegenübertragung als einen normalen und allgegenwärtigen Zustand verstehen, dann schafft diese Überzeugung einen Raum für Mitteilungen des Patienten, da der Patient unsere Überzeugung und diesen Raum unbewusst wahrnimmt.” (Bollas 1987, S. 248) Den Gebrauch dieses Innenraums des Analytikers durch seinen Patienten bezeichnet Bollas als eine „Form von Beziehung und Erkenntnis“ (a form of relating and knowing), die es dem Analytiker gestattet, auch nonverbale, sogenannte „primitive” Seinszustände und Affekte seines Patienten zu erleben. (Ebend., S. 248) Aus dieser Perspektive, schreibt Bollas, ist der Versuch, das Ideal einer stets neutralen, gleichbleibenden Aufmerksamkeit zu verwirklichen, eher „ein Widerstand im Analytiker gegen Gegenübertragungserleben“ und verhindert nur den Gebrauch der Übertragung im obigen Sinne. (Ebend., S. 249 f.) Für Paula Heimann (1960, S. 10 – zitiert nach Bollas 1987, S. 201) braucht der Therapeut neben der gleichbleibenden, freien Aufmerksamkeit, die ihm ermöglicht, gleichzeitig auf verschiedenen Ebenen zuzuhören, „eine frei ansprechbare gefühlsmäßige Sensibilität, um die Gefühlsbewegungen und unbewussten Phantasien seines Patienten wahrzunehmen und ihnen nachzuspüren“. Damit, so Bollas, schafft er für die Patienten einen inneren „potenziellen Raum“ (Winnicott 1973), in dem sie ihr konflikthaftes frühkindliches Erleben wiederholend inszenieren können, ohne dass sie von den kognitiven Urteilen und Deutungen des Analytikers „belästigt“ werden. (Bollas 1987, S. 201) Bollas betrachtet die therapeutische Beziehung aus der Sicht der Gegenübertragung. Es ist m. E. genauer, von einem dynamischen seelischen Zwischenraum zwischen Analysand und Analytiker zu sprechen, an dem beide Interaktionspartner teilhaben. In diesem prozesshaften Zwischenraum wird die Übertragungs-/Gegenübertragungsbeziehung von einem „gemeinsamen Unbewussten“ getragen und genährt, von dem C. G. Jung bereits 1946 in seiner „Psychologie der Übertragung“ schrieb. (Jung 1946, § 367; vgl. § 364) Dieser virtuelle Zwischenraum ist zugleich ein schützender Spielraum i. S. v. Winnicott (1973) und Pfannschmidt (1998; vgl. Ware 2006b, in diesem Buch), in dem die erotisch-sexuellen, aggressiven, sorgenden, angstbesetzten, freudevollen, tröstenden u. a. Aspekte von Übertragung und Gegenübertragung mittels Inszenierungen mitgeteilt werden. Angesichts der multiplen und multidimensionalen Übertragungsebenen innerhalb einer Therapiegruppe gestattet dieser virtuelle Zwischenraum in der analytischen Gruppenpsychotherapie eine nochmalige Steigerung von komplexen und differenzierten Wahrnehmungs-, Artikulierungs- und Interaktionsmöglichkeiten für die unbewussten Mitteilungen der Gruppenteilnehmer. (Vgl. Heisterkamp 2002a)
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Unsere Patienten erzeugen und inszenieren im interpersonalen Raum der Übertragung/Gegenübertragung die inneren Prägungen ihres herkömmlichen Erlebens auf solch zwingende Weise, dass der Therapeut, oft ohne es zu merken, sich gedrängt fühlt und sich zeitweilig so verhält, wie es die Patienten unbewusst erwarten. Operativ bin ich dann weitgehend in meinem Gefühl und Verhalten und in meinen Interaktionen mit dem Patienten Vater, Mutter, Missbraucher oder wer auch immer. Der Patient erlebt mich nicht nur so in seiner Projektion – der klassische Übertragungsbegriff – sondern ich erlebe und verhalte mich unbewusst zeitweilig so, wie er es von früher her kennt und erwartet. Hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zwischen Projektion und projektiver Identifikation, wo die konflikthafte Beziehungsdynamik wiederholend inszeniert wird. Als Gegenstand der Projektion bin ich in der Regel deren Zuschauer, wogegen ich in der Inszenierung emotional involvierter Mitspieler bin, häufig, wie gesagt, ohne dessen bewusst zu sein. So werde ich zeitweilig von Gefühlen und archaischen Affekten in Besitz genommen und übermannt. In dieser Position erlebe ich nicht selten das Gefühl, „der Dumme“ zu sein, und empfinde zeitweilig Wut, Beschämung und andere sehr archaische Gefühls- und Interaktionsimpulse. In aller Regel ist ja genau das die unbewusste Mitteilung. Am eigenen Leibe erlebt ist immer am besten verstanden – wer es verstehen kann! So wird die analytische Einstellung des Therapeuten allerdings häufig vorübergehend „bekümmert und verformt, wenn in der Übertragung der Analysand von uns als Objekt Gebrauch macht.“ (Bollas 1987, S. 249) So wird die Gegenübertragungsanalyse zu einem speziellen Fall therapeutischer Interaktion und analytischer Reflexion dessen, was der Patient mit uns macht – und wir mit ihm. Die therapeutische Bearbeitung vollzieht sich prozesshaft im stetigen Austausch, verbal und nonverbal, mit dem Patienten bzw. mit der Patientengruppe. In einem gern zitierten Bonmot von Bollas heißt es: „Um den Patienten zu finden, müssen wir ihn in uns selbst suchen.“ (Ebend., S. 202; vgl. Berliner 2001, S. 235: „Die Gegenübertragung ist in erster Linie »der Andere in einem selbst«.“) Ausschlaggebend für Bollas ist, dass der Therapeut Mittel und Möglichkeiten findet, diese subjektiven emotionalen Zustände „dem Patienten und sich selbst als Gegenstände der Analyse bereitzustellen, auch wenn er noch nicht weiß, was sie bedeuten.“ (Bollas 1987, S. 201) Bollas meint ferner, dass „bei raren, aber bedeutsamen Gelegenheiten der Analytiker seine Erfahrung als Objekt der Übertragung des Patienten auch in dessen Anwesenheit analysieren darf“ (ebend., S. 200 f.) – eine sehr vorsichtige Formulierung. Nach meiner Erfahrung führt an einer gründlichen Erörterung solcher Vorkommnisse und Gefühle häufig kein Weg vorbei.
3. Teil 2. Aus der Praxis interaktiver körpertherapeutischer Gruppentherapie 3.1. Beziehung, Interaktion und Inszenierung Die therapeutische Gruppe ist eine Darstellungsbühne. Krankmachende Beziehungsmuster werden im Beziehungsgeflecht der Gruppe unbewusst agiert; so entstehen spontane Inszenierungen. Zeitweilig können sie sogar mithilfe von psychodramatischen oder systemischen „Aufstellungen“ auch aktiv initiiert werden (siehe unten „Lisa“). Für die Praxis der analytischen Gruppentherapie
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ergeben sich daraus neue Erkenntnisse sowohl über das Phänomen des Agierens im Unterschied zum unbewussten Widerstand durch Ausagieren als auch über neue Möglichkeiten interaktioneller Inszenierung. Es ist ein Verdienst der Gruppenanalyse, erkannt zu haben, dass Agieren innerhalb der therapeutischen Situation eine ebenso wichtige Aussagekraft besitzt wie die verbalen Äußerungen der Patienten. (Battegay 1999, S. 56) Diese Erkenntnis schafft einen neuen Möglichkeitsraum für eine offenere, interaktiv-„dialogische“ analytische Reflexion von Übertragung und Gegenübertragung. Beim Psychodrama Morenos ebenso wie bei den systemischen Aufstellungen Hellingers werden psychodynamisch relevante Szenen bewusst angeleitet. Hingegen hat es mich immer wieder fasziniert, mit welcher Regelmäßigkeit und in welchem Ausmaß die Szenen eines innerseelischen Familiendramas in der analytischen Therapiegruppe mit großer Differenziertheit in den Interaktionen der Gruppenmitglieder untereinander (einschließlich des Gruppenleiters) unbewusst in Szene gesetzt werden. Diese szenischen Interaktionen beeindrucken durch die vielfältige Rollenaufteilung verschiedener innerer Objekte und Affektzustände auf mehrere Gruppenmitglieder. So empfindet beispielsweise ein Teilnehmer Wut, ein anderer Trauer, ein Dritter Verachtung oder Angst, und womöglich schläft sogar einer ein, der den szenisch dargestellten Konflikt nicht aushält und sich widerständig in den Schlaf flüchtet. Es kommt auch vor, dass die gesamte Gruppe oder ein Teil davon eine konflikthafte Einstellung zum Protagonisten-Ich einnimmt, zum Beispiel Frauen, die gegen einen machohaft agierenden Selbstanteil des Protagonisten opponieren. Dies alles geschieht nicht nur durch Projektion der inneren Erlebnisbilder eines Gruppenmitgliedes, sondern regelmäßig auch in Gestalt von projektiver Identifikation der inneren Seelendynamik, von der die Gruppenteilnehmer unversehens ergriffen werden und, ohne sich dessen bewusst zu werden, diese durchspielen. Das Gruppengeschehen stellt einen interpersonalen, interaktionalen Beziehungsraum dar, in dem gleichzeitig neue Lern- und Selbsterfahrungen gemacht werden können. Innerhalb dieses Raumes können Patienten ihre krankmachenden Schwierigkeiten und Konflikte unbewusst inszenieren, um sie dann mithilfe der spiegelnden und interagierenden Gruppe besser zu verstehen und befriedigender damit umgehen zu lernen. Die Gruppentherapie bietet einen Ort des sozialen Erlernens und des Probehandelns für neue Einstellungen, neue Verhaltensweisen und korrektive emotionale Erfahrungen. Dadurch werden Therapiegruppen zu Bühnen sowohl für unbewusste wie auch für bewusste Inszenierungen. Fürstenau unterscheidet zwei grundlegende, miteinander interagierende Prozesse: zum einen einen Prozess allmählicher Strukturierung und Normalisierung des Selbst, der „wiederholte Phasen starker, strukturell sich ausprägender Rückfälle in regressive Krisen" durchläuft. Zum anderen findet in Zusammenhang mit der Analyse von Übertragung und Widerstand ein Prozess der schichtweisen szenischen Entfaltung und Aufarbeitung überkommener Fixierungen statt. (Fürstenau 1977, S. 858, zitiert nach Maaser/Besuden 1994, S. 69 f.) Darüber hinaus beschreiben Maaser/Besuden eine spezifische „quantitative wie qualitative Fähigkeitserweiterung“ in der körperbezogenen Psychotherapie auf Grund bewusst geförderter Sensibilisierung von Wahrnehmung und Verarbeitung der basalen, körpernahen Erlebniswelt, die einen strukturellen Bestandteil der Selbstrepräsentanz darstellt. (Ebend., S. 70) Nach meiner Erfahrung ist der Erkenntnis- und Wandlungswert von solchen durchlebten, mit-
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agierten szenischen Interaktionen um ein vielfaches intensiver und effektiver als nur kognitiv vorgetragene verbale Deutungen. Neben dem Durcharbeiten von unbewussten Übertragungen und Widerstände ermöglicht die Gruppenarbeit „das Sammeln von Realitätserfahrungen wie auch die Infragestellung von früh erlernten neurotischen Verhaltensweisen und das Neuerlernen eines der aktuellen Realität angemesseneren Verhaltens.“ (Battegay 1999, S. 58 f.) So entsteht eine prozesshafte „Verstärkerwirkung“ von Gefühlen und Kognitionen im Gruppenprozess. Das Erkennen unverarbeiteter Probleme bei anderen Gruppenmitgliedern und das Miterleben von deren Gefühlen und Gefühlskonflikten können latente und gehemmte Gefühle, Phantasien, Impulse und Erinnerungen scheinbar gefühlsarmer, überkontrollierter Teilnehmer mobilisieren. Bei anderen Teilnehmern werden mit dem Gefühlsbereich eng verbundene kognitive Funktionen aktiviert. Alle werden mit der Realität anderer Beziehungsmuster und Verarbeitungsformen in dem „realitätsintensiven Beziehungssystem“ der Gruppe konfrontiert. (Ebend., S. 58 f.) Es werden „Spielräume für die Erprobung wechselnder Beziehungskonstellationen und damit für Selbstregulations- und Selbstorganisationsphänomene“ hergestellt. (Heinzel 2001, S. 114) Auf diese Weise werden vorher abgewehrte Konflikt- und Mangelerfahrungen sowie bisher unerkannte psychische und soziale Ressourcen sichtbar, erlebbar, behandel- und handhabbar.
3.2. Kompetenzsteigerung in der Gruppe Eine Therapiegruppe ist weit mehr als die Summe ihrer Teilnehmer. Zehn Personen als Gruppe sind kompetenter als zehn Einzelpersonen. Mag der Einzelne (Therapeut) noch so erfahren und kompetent sein: wenn Therapeut und neun Patienten zusammenarbeiten, ergibt sich eine Potenzierung des Gesamtwissens und der gesamten Lebenserfahrung aller Beteiligten. Natürlich potenzieren sich auch Wissen und Können des Therapeuten in der Gruppe, denn seine Kompetenz – wie auch die aller anderen Gruppenteilnehmer – speist sich sowohl aus den bewussten Fähigkeiten der Gruppenteilnehmer wie vor allem aus dem „gemeinsamen Unbewussten“ (Jung) der Gesamtgruppe. Der Cartoonist Tom Wilson ließ einmal seine Hauptfigur, den ewigen Verlierer ‚Ziggy’, geradeheraus verkünden: „Viele von uns sind kompetenter als manche von uns ... aber keiner von uns ist so kompetent wie wir alle zusammen!!“ Dies ist eine Devise für Gruppentherapie. Die Vielfalt von Sichtweisen in einer Gruppe ermöglicht wie in einer Holographie eine „rundere“ Sicht auf das einzelne Gruppenmitglied und seine Therapiearbeit, als sie in der Gegenüberstellung zweier einzelner Personen entstehen kann. „Der Spiegel der Gruppe ... ist unbestechlich.“ (Hirsch 2004, S. 175) In einer Runde von mehreren Personen hat psychisch wie physikalisch jeder Teilnehmer eine andere, z. T. ganz andere Sicht, Ausstrahlung und Wirkung auf das einzelne Gruppenmitglied und seine Arbeit. Der szenische Reichtum der Gruppenarbeit wird noch vertieft, indem zeitweilig die einzelnen Teilnehmer unbewusst ganz unterschiedliche Rollen im Beziehungsdrama des einzelnen Protagonisten übernehmen und aus ihrer jeweiligen Rollenperspektive interagieren und berichten. Die Vielschichtigkeit und Differenziertheit dieser originären und systemischen Perspektivenvielfalt ist in der Einzeltherapie nicht gegeben, wenngleich dort ähnliche Übertragungs- und Gegenübertragungsphänomene zu verzeichnen sind. In der Gruppe existieren „multiple und multidi-
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mensionale“ Übertragungsebenen, die sich aus den Übertragungen der einzelnen Teilnehmer auf- und untereinander im Beziehungssystem der Gruppe addieren. (Battegay 1999, S. 65 f.) Diese Vielfalt bezieht sich im Übrigen nicht nur auf die szenische Arbeit einzelner Teilnehmer, sondern betrifft ebenso das Gruppengeschehen insgesamt. Für die begleitende Aktivität des Gruppentherapeuten stellt sie eine äußerst wertvolle Ergänzung und ein kritisches Korrektiv seiner Arbeit dar. Infolge der Vielzahl von Personen und der Dynamik der Gruppe als Ganzes stellt das Gruppengeschehen größere Ansprüche an die Aufnahme-, Verarbeitungs- und Reaktionsfähigkeiten des Therapeuten, als dies in der Einzeltherapie der Fall ist. Seine eigenen Reaktionen, Empfindungen und Einfälle simultan zu analysieren ist da wie dort gleichermaßen erforderlich. Doch stellt die Komplexität der Gruppensituation den Gruppentherapeuten vor eine größere Herausforderung. Dafür hat er den Vorteil, dass er auf die kumulierten und potenzierten Reaktionen und auf das gesammelte Wissen und die Gesamterfahrung der ganzen Gruppe für seine eigene selbstreflektierende, analytische Tätigkeit zurückgreifen kann. Das positive Potenzial der immanenten, nicht immer bewusst artikulierten Selbstreflexion im Gruppenprozess – vieles wird der Therapeut dem Spiegel der spontanen Gruppeninteraktionen entnehmen müssen – wiegt hier die erhöhte Komplexität bei weitem auf, die durch die vielfältigeren Ansprüche an die Gruppenfähigkeit des Gruppenleiters entstehen. Die erhöhte Effektivität der perspektivischen Vielseitigkeit bedeutet eine Bereicherung des Therapieprozesses für alle Beteiligten – für den Therapeuten nicht weniger als für die Patienten. Wenn der Therapeut sie fördern und zur Geltung kommen lassen kann, funktioniert sie weitgehend selbständig, unabhängig von seiner Erfahrung, seinem Wissen und seiner Kompetenz als Gruppenleiter, der in einer gegebenen Situation stets nur über (s)eine Sichtweise verfügt. Andererseits tastet sie weder die prinzipielle Asymmetrie des therapeutischen Settings noch die besondere Stellung, Autorität und analytische Kompetenz des Therapeuten in der Gruppe an. Vielmehr setzt sie diese voraus. So entsteht eine Art Sicherungssystem von sich selbst regulierenden und korrigierenden „checks and balances“, in dem auch der Therapeut eine ständige Rückkoppelung und Korrektur erhält. Sehr treffend bemerkt Heinzel: „Seit meiner Beschäftigung mit Aspekten der Chaos- und Komplexitäts-Forschung wurde mir ... immer deutlicher, dass eine »echte Gruppenfähigkeit« [des Gruppentherapeuten – R.W.] vermutlich ein bestimmtes Maß an intuitivem Vertrauen in Selbstregulations- und Selbstorganisationsprozesse von Gruppen voraussetzt, die nicht nach klassischen einzeltherapeutischen Regeln gedeutet werden können.“ (Heinzel 2001, S. 113) Die Redewendung „checks and balances“ bezieht sich auf das Prinzip der Gewaltenteilung (Exekutive, Legislative, Gerichtsbarkeit) als Grundstein des demokratischen Staatswesens. Sie lässt sich ins Deutsche nicht direkt übertragen. „Checks“ bezieht sich auf vielfältige Formen von (Qualitäts-) Kontrolle, Prüfung, Verifizierung zusammen mit der Möglichkeit, im gegebenen Fall einen Riegel vorzuschieben – auch das ist ein „check“. „Balances“ bedeutet Ausgleich, Ausgewogenheit, auch Auswuchten, Gleich- und Gegengewicht. Eine entsprechende „Demokratisierung“ des Therapieprozesses eignet sich nach meiner Erfahrung bestens für einen konsequent interaktivdialogischen, beziehungsanalytischen Therapieansatz. Möglicherweise ist die Potenzierung von perspektivischer Kompetenz sowie von Lern- und Selbsterfahrungsmöglichkeiten am Modell anderer Bezugspersonen eine nahe liegende
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Erklärung dafür, weshalb die analytische Gruppentherapie entweder gleich wirksam oder in manchen Fällen sogar noch effektiver als Einzeltherapie zu sein scheint – so das Ergebnis einer bundesweiten katamnestischen Evaluationsstudie von Heinzel, Breyer und Klein (1998). Sicher gilt für Therapiemethoden insgesamt, dass die Kompetenzerweiterung der Patienten zu den allerwichtigsten Therapiezielen gehört. Das erste und unmittelbare Ziel der Patienten ist natürlich, ihre Krankheitssymptome zu beheben. Darüber hinaus bezwecken analytische Therapieverfahren, die krankhaften Strukturen heilsam zu beeinflussen und eine Nachreifung der Persönlichkeit zu ermöglichen. Zu dieser Nachreifung gehört aber auch ganz unmittelbar eine Kompetenzsteigerung des Patienten im Umgang mit Lebenskonflikten und Lebensmöglichkeiten, mit Schicksalsschlägen und Chancen. Längerfristig ist der Erwerb solcher Lebenskompetenz der wichtigere Therapieerfolg auch in Bezug auf seelische und körperliche Gesundheit, Kontakt-, Beziehungs- und Arbeitsfähigkeit, Lebensgenuss und Freude.
3.3. Gesteigerte Intersubjektivität Nicht weniger als die Kompetenz der Gruppe und ihrer einzelnen Mitglieder ist auch das Maß an gesteigerter Intersubjektivität ein wichtiger Wirkfaktor in der Therapiegruppe. Hier gilt – vergleichbar mit der „Grundregel“ der freien Assoziation in der Einzelanalyse – der Grundsatz der freien Interaktion verbal und emotional innerhalb der Gruppe. Diese Offenheit bezieht sich ganz besonders auf die gefühlsmäßigen Reaktionen, die andere Gruppenmitglieder und natürlich auch der Therapeut in einem auslösen. Solche Gefühle wie Unmut, Ärger, Wut, Hass, Neid, Mitleid, Verwunderung, Verwirrung, aber auch Freude, Zuneigung, erotisch-sexuelle Anziehung, Verliebtheit und Liebe müssen prinzipiell vorrangig besprochen und ausgetragen werden, weil sonst die innere Beteiligung jedes Gruppenmitglieds und in der Folge der Prozessverlauf als solcher beeinträchtigt werden kann und wird. Mit dankbarer Anerkennung erinnere ich mich an eine Gruppenteilnehmerin, die vor vielen Jahren, als es sehr um das Austragenkönnen von eher negativ bewerteten Gefühlen in der Gruppe ging, darauf hinwies, „wieviel Liebe in dieser Gruppe vorhanden ist.“ Ihre Geste hat weit über diese einzelne Gruppensitzung hinweg Früchte getragen. Auch in Psychotherapien gilt als goldene Regel, „Mögest du niemals taub sein gegen die Liebe.“ (Michaels 1996) Dieses Sich-Äußern und Sich-Bewegen ist in einem körperbezogenen psychoanalytischen Setting, wie ich es praktiziere, auch wörtlich zu verstehen. Nicht nur die verbale Äußerung von Gedanken und Gefühlsregungen ist erwünscht, sondern ebenso ausdrücklich und bewusst wird die Offenheit für körperliche Gesten, Bewegungen und Interventionen der Gruppenteilnehmer untereinander gefördert. Battegay schreibt: „Freud beschränkte sich, wie wir aus der heutigen Sicht der Gruppenpsychotherapie erkennen können, zu sehr auf das Wort. Es kommt in der Gruppenanalyse ebenso zum Beispiel auf die Haltung und die Verhaltensweisen, die Mimik und Pantomimik, den Augenausdruck, die Hautdurchblutung, Körperhaltung, Sitzhaltung der Beteiligten an, da die Interaktionen in der Gruppe nicht nur auf verbaler, sondern ebenso sehr auf averbaler Ebene vor sich gehen“ (ebd., S. 56). Berliner betont, wie sehr die Gruppe persönliche Aspekte offenbart und Affekte und Assoziationen hervorbringt, „die in einer Zweierbeziehung niemals auftreten würden.“ (Berliner
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2001, S. 177; auch S. 204, S. 223) Nicht selten kommt es in körpertherapeutisch analytischen Gruppen vor, dass ein Gruppenmitglied unaufgefordert einem anderen Teilnehmer anbietet, ihn oder sie tröstend in den Arm zu nehmen und einen bitter benötigten Halt zu geben. Ebenso freimütig finden auch kritische Konfrontationen oder – in der Regel mit gutem Gespür für die Verletzungsgrenzen des anderen – auch wütende (verbale) Angriffe statt. Bekanntlich können auch reale Konflikte und negative Übertragungskonflikte mit dem Gruppenleiter im Schutze und mit der Stütze einer Gruppe eher ausgesprochen und ausgetragen werden als in mancher therapeutischen Zweierbeziehung. Oder die Gruppenmitglieder untereinander ersinnen körpertherapeutische „Szenen“, um eine innere Konfliktsituation erlebbarer und (be-)greifbarer werden zu lassen. Freie Interaktion heißt, jeder möge sich in der Gruppe so äußern und so bewegen, wie es ihm möglich ist. Solche Interaktionen sind häufig eine ganz wichtige Quelle sowohl für die Inszenierung unbewusster psychischer Konflikte und das Auffinden von Konfliktlösungen als auch für die Förderung der Selbstverantwortung, Kompetenz und Fürsorge der einzelnen Gruppenmitglieder und der Gruppe als solcher. Um den Gruppenprozess zu vertiefen, ist es notwendig, dass die Gruppenmitglieder im geschützten Raum all das offen aussprechen können, was sie bewegt, auch unangenehme, „peinliche“ oder „verbotene“ Themen, Gedanken, Gefühle und Handlungen. Allgemein vermeiden wir aus Angst vor Beschämung, wirklich offen und ungeschützt miteinander umzugehen, besonders vor einer Versammlung von anderen Personen. In unserem sonstigen Leben in der Gesellschaft, auf der Arbeitsstelle, im Familienkreis, ist es eher unüblich und oft gar nicht ratsam, sich emotional offen und frei zu äußern, wie es für die Gruppenarbeit erforderlich ist. Vertrauen in den Schutzraum Gruppe gewinnt man meistens erst im Laufe einer längeren Gruppenteilnahme. Umso wichtiger gilt von Anfang an als Grundsatz der Gruppenarbeit: „Offenheit nach innen, Verschwiegenheit nach außen.“ Verschwiegenheit außerhalb der Gruppe über all das, was im Gruppengeschehen gesagt wird und geschieht, ist eine unerlässliche Bedingung für die Offenheit nach innen in einer Therapiegruppe. Sie gewährleistet die notwendige Vertraulichkeit des Gruppengeschehens. Ebenso gewährleistet sie die innerseelische, handlungssymbolische „Geschlossenheit des Gefäßes“ – eine Metapher aus der Alchemie, die C. G. Jung so sehr als Bildersprache für seelische Entwicklung liebte. Dieses Gefäß symbolisiert sowohl die einzelne Seele wie auch die Gruppe selbst als Ort therapeutischen Geschehens. Heutzutage kann man seine Wirksamkeit mit der eines Backofens oder eines Dampfkochtopfes vergleichen. Der seelische „Gärungsprozess“ wird da wie dort unterbrochen, wenn man „den Deckel lupft“ und „den Dampf herauslässt“. Die Mitglieder einer Therapiegruppe gestehen sich größtmögliche gegenseitige Offenheit und den Schutz der Verschwiegenheit zu, weil sie gemeinsam im selben Boot sitzen. Offenheit findet nur dann statt, wenn eine zugrunde liegende Einstellung tragender Rücksicht auf die Möglichkeiten und Fähigkeiten der Einzelnen gewährleistet wird. Das Recht eines jeden, jederzeit nein zu sagen – verbal oder körperlich-gestisch, auch unwillkürlich – ist oberstes Gebot. Dass viele in Therapie sind, weil sie nicht in bewusster Absicht nein sagen können, ist kein Widerspruch. Daraus ergibt sich immer wieder der Anlass und die Notwendigkeit der therapeutischen Auseinandersetzung, bis sie sich adäquat abgrenzen können. Erfreulich ist, wie vielseitig feinfühlig Gruppenmitglieder in solchen Angelegenheiten mit- und untereinander sein können. Nach meiner Er-
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fahrung ist hier, wie in so vielem anderen auch, letztlich die Einstellung und das Verhalten des Gruppenleiters ein prägendes Vorbild für die Gruppenkultur.
3.4. Die Geschlossenheit des Gefäßes – Sich außerhalb der Gruppe treffen Zu der erforderlichen „Geschlossenheit des Gefäßes“ gehört nicht nur Vertraulichkeit und Verschwiegenheit nach außen, sondern ebenso sehr ein reifer Umgang mit Begegnungen von Gruppenmitgliedern untereinander außerhalb der Gruppensitzungen. Ein Agieren außerhalb der therapeutischen Gruppe, etwa die Bildung von Untergruppen oder Paarformationen, kann nicht effektiv verhindert werden. Umso wichtiger ist es zu empfehlen und zu fördern, dass solches Agieren wieder in die Gruppe gebracht wird, da sonst wertvolle Regungen und Impulse verloren gehen. Zur Frage der Geschlossenheit des Gefäßes und des sich Treffens außerhalb der Gruppensitzungen sind mir folgende Erwägungen besonders wichtig: Der wichtigste Grundsatz heißt: Unbeschadet der Tatsache psychischer Regressionen auf kindliche Positionen innerhalb des Therapieprozesses werden Gruppenteilnehmer stets als erwachsene Personen gesehen, die erwachsene Selbstverantwortlichkeit für ihre eigene Lebensführung behalten. Es soll im Rahmen der Therapie keine Entmündigung, auch keine Infantilisierung stattfinden. Das lateinische Wort „infans“ heißt „stimmlos“. In einer bevorzugt verbalen, psychoanalytischen Psychotherapie kann und darf keine Stimmlosigkeit erzeugt werden. Erstes Ziel einer jeden analytischen Therapie ist es, dem Unbewussten und dem Unausprechlichen eine Stimme zu geben. Das Gegenstück zur erwachsenen Selbstverantwortlichkeit der Gruppenteilnehmer ist die Verantwortlichkeit des Gruppentherapeuten für die Unverletzlichkeit, die Kohärenz und die Kontinuität des Gruppenprozesses und des Beziehungssystems der Gruppe als Ganzem. Beziehungssystem und Prozess sind die Grundlage und das primäre „Werkzeug“ der Gruppentherapie, ohne welche die therapeutische Wirksamkeit der Gruppe schwer beeinträchtigt und verhindert wird. Auch die Gruppenmitglieder nehmen an dieser Verantwortung wesentlich teil. Die überkommene Gruppen-Regel: „Kein Treffen außerhalb der Gruppensitzungen“ soll gewährleisten, dass partikulare Beziehungen zwischen zwei oder mehreren Gruppenmitgliedern außerhalb und neben der Gruppe sich nicht verselbständigen. Die Erfahrung zeigt, dass partikulare Beziehungen (auch sogenannte „normale Freundschaften“) Neid und Ärger unter anderen Gruppenteilnehmern wecken, die sich von derlei Gruppierungen ausgeschlossen fühlen. Selbstredend gehören solche Reaktionen zum Gegenstand der Analyse in der Gruppe. Vor allem aber pflegen solche Beziehungen neben der Gruppe Energie und Kraft, auch Leidensdruck und Libido (Anerkennung, Zuneigung, gegebenenfalls auch erotisch-sexuelle Begierde) aus dem Gruppenprozess abzuziehen, wodurch die Gruppe in ihrer Kohäsion und Effektivität zum Teil oder ganz gelähmt werden kann. Was oben über Verschwiegenheit außerhalb der Gruppe gesagt wird, gilt umso mehr für jegliches Ausagieren außerhalb der Gruppe, insbesondere für das Eingehen von besonderen, gleich- oder gegengeschlechtlichen oder gar intimen Freundschaften mit anderen Gruppenmitgliedern auf
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Kosten des Gruppenprozesses. In aller Regel erweist sich ein solches Verhalten als eine schwerwiegende Verweigerung, sich auf den Therapieprozess und auf das Beziehungssystem der Gruppe einzulassen. Sollten dennoch solche Außenbeziehungen zustande kommen, sind erfahrungsgemäß psychodynamisch wichtige, unbewusste Inszenierungen früherer Beziehungsmuster am Werk. Gegebenenfalls kann es sich auch weniger um einen regressiven Widerstand als um ein progressives Probehandeln neuer Beziehungsmuster handeln. (Vgl. Ware i. d. B., Eros) In beiden Fällen, ob Widerstand oder Individuationsstreben, handelt es sich um Interaktionen, die stets als prozesshafte therapeutische Ressourcen in die Arbeit der Gruppe eingebunden werden wollen. Deswegen ist es unabdingbar, dass solche Außenerfahrungen, so wert- und sinnvoll, manchmal sogar so notwendig sie sein mögen, wieder in die Gruppe hineinfließen. Beispiele: Ein Gruppenmitglied wendet sich in tiefer Not an ein anderes Gruppenmitglied, um dadurch die Zeit zwischen den wöchentlichen Sitzungen oder in Ferienzeiten besser zu überbrücken; ein Gruppenmitglied vertraut einem Anderen etwas an, worüber es sich zu sehr schämt, es unmittelbar in die Gruppe zu bringen. Als Metapher für diesen „Umweg“ im Gruppenprozess sei das Denkspiel erwähnt: Dreimal drei Punkte sollen mit vier aneinandergesetzten geraden Linien verbunden werden. Unerfahrene neigen dazu, die 9 Punkte als ein (virtuelles) Quadrat wahrzunehmen, obwohl diese Gestalt real nicht vorhanden ist. Um die Aufgabe zu lösen, muss man die vier Linien z. T. außerhalb der virtuellen Gestalt ziehen, sonst ist sie nicht zu lösen. Anders ausgedrückt, scheinbar „private“ Begegnungen können ein wichtiger Teil des Gruppenprozesses sein. Ob sie nun für die betroffenen Einzelteilnehmer und für den Gruppenprozess förderlich oder schädlich sind, hängt vor allem davon ab, in wieweit solche Erfahrungen in den Gruppenprozess (sprich: in die formalen Gruppensitzungen) wieder einfließen und dort bearbeitet und integriert werden können. Letztlich gehören sie von Anfang an zum virtuellen Gruppenprozess ebenso sehr wie die ausnahmsweise stattfindenden Einzelsitzungen eines Gruppenmitgliedes mit dem Therapeuten. Letztere betrachte ich immer als virtuelle Gruppensitzungen, d. h. eine Gruppensitzung, wo nur Therapeut und ein Gruppemitglied real anwesend sind, die Gruppe als solche jedoch virtuell präsent ist. „Völlig normal“ – so die Bezeichnung eines Gruppenmitglieds – ist es ebenso, dass zwischen Gruppenmitgliedern unterschiedliche persönliche Zuneigungen und Abneigungen entstehen. Nur ist die Gruppentherapie nicht dazu da, um innerhalb der Gruppe „normale Beziehungen“ zu fördern oder neue Freundschaften zu knüpfen. Vielmehr bearbeitet die Gruppentherapie analytisch (ggf. körperpsychotherapeutisch analytisch) anhand von bestehenden Beziehungen und aufgrund von Inszenierungen innerhalb der Gruppeninteraktionen die mitgebrachten Beziehungskonflikte, -hemmnisse, und -ängste der Gruppenteilnehmer. Damit zielt die Therapie auf größere Beziehungsfähigkeit, größere Freiheit, Genussfähigkeit und Freude in und an Beziehungen sowohl innerhalb der Gruppe wie auch im Lebensalltag außerhalb der Gruppe. Dies alles schließt andererseits nicht aus, dass in einer gegebenen Gruppe eine Art therapeutische Lebensgemeinschaft entsteht, wo die Grenzen zwischen „Innen“ und „Außen“ zeitweilig zerfließen. Doch gerade hier fließt stets das therapeutische Geschehen „außerhalb“ in die formalen Gruppentherapiesitzungen hinein und findet dort seine kritische Reflexion und analytische Bearbeitung.
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Letzten Endes kann die herkömmliche Regel: „Kein Treffen außerhalb der Gruppensitzungen“ auch so verstanden werden, dass es für Therapiegruppen kein „Außerhalb" gibt. Alles, was unter Gruppenmitgliedern geschieht, ob innerhalb oder außerhalb von Gruppensitzungen, ist ein integraler Teil des Gruppenprozesses.
3.5. Verantwortung und Aufgaben von Gruppenmitgliedern und Gruppenleiter Die erste Aufgabe aller Gruppenmitglieder ist zu lernen, selbstverantwortlich für sich selbst zu sorgen und ihre eigene Kompetenz aufzuspüren und zu entfalten. Auf dem Weg dahin müssen sie lernen, wie sie den Gruppenprozess als ein therapeutisches Instrument für den eigenen Therapie- und Wachstumsprozess benutzen können. Nicht weniger als das Skalpell für den Chirurgen ist für die Gruppenteilnehmer die Gruppe selbst das entscheidende Instrument zur Förderung des eigenen Heilungs- und Entwicklungsprozesses. Es genügt nicht, medizinischen Laien ein Skalpell in die Hand zu drücken, um aus ihnen Chirurgen zu machen. Genauso brauchen Patienten Zeit und Erfahrung, um sich das Therapieinstrument Gruppenprozess zunutze zu machen. Sie darin zu fördern ist die erste Aufgabe des Therapeuten. Doch am allermeisten lernen die Gruppenteilnehmer am Modell der erfahreneren Gruppenmitglieder und durch eigenes Mitmachen. Die wichtigste Aufgabe und Verantwortung des Gruppentherapeuten ist es, den Gruppenmitgliedern ihre eigene therapeutische Kompetenz zu vermitteln: aufdecken, fördern, verstärken, vorleben heißt hier die Devise. Zu den wichtigsten Funktionen des Gruppenleiters (Battegay, ebend., S. 66) gehört es, die Gruppe mit emotionaler Zuwendung und Anerkennung zu versorgen, ihr zu helfen, interaktionell schwierige, konflikthafte Situationen zu entwirren und ihr „energetisierend“ Kraft zu geben, in dem er die Gruppenteilnehmer zur immer neuen Arbeit an sich selbst ermutigt und sie darin unterstützt. Der Gruppenleiter ist sowohl Projektions- als auch Modellfigur – die beiden „Eckpunkte des Übertragungsrahmens.“ (Maaser/Besuden 1994, S. 75) Sein Umgang mit der eigenen Person, auch körperlich, in der realen Interaktion mit den Gruppenteilnehmern ist von eminenter Bedeutung. Nicht das Gruppengespräch zu leiten, sondern die Gruppe in ihrem Prozess fördernd zu be-gleiten ist seine Aufgabe. Von ihm wird erwartet, dass er „die psychischen Elemente, die ihm von den Gruppenteilnehmern übertragen werden, zu erfassen, aufzunehmen, umzuformen und zu symbolisieren“ vermag. (Berliner 2001, S. 227) Dennoch ist es nur scheinbar ein Paradox: der Therapeut mit seinem Fachwissen und seiner Erfahrung ist nur die „zweitwichtigste“ Ressource für die Gruppe. Die wichtigste Ressource ist stets die Gruppe selbst. Je mehr dem Therapeuten diese Aufgabe gelingt, umso flexibler und beweglicher wird er für seine zweite und entscheidende Aufgabe im gruppentherapeutischen Prozess: das Mitspielen in der Inszenierung. Der Therapeut erfüllt in der Gruppe eine einzigartige Doppelrolle als Fachmann und Mensch, kritisch interagierender Beobachter und mitspielender Teilnehmer zugleich. Auf Grund seiner Beschäftigung mit Psychotherapieforschung weist Heinzel darauf hin, dass der eigentliche Wirkfaktor in jedem Therapieverfahren weniger eine spezifische verfahrensimmanente Methodik ist als vielmehr der Mensch, der dieses Verfahren anwendet. „Nach Meinung vieler Psychotherapieforscher sind ohnehin für fast alle Therapieerfolge im Wesentlichen unspezifische ... Faktoren ver-
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antwortlich, wie z. B. Verständnis, Respekt, Interesse, Ermutigung, Anerkennung, Vergebung, Mobilisierung von Hoffnung usw. ... Die eigentliche therapeutische Situation [ist] der interpersonelle Kontext.“ (Heinzel 2001, S. 113) In einer interaktionalen beziehungsanalytischen Perspektive ist es ja gerade der Therapeut-Mensch mit seinem Fachwissen nebst bisheriger Lebens- und Therapieerfahrung und einer ganzen Palette von interpersonalen, „menschlichen“ Reaktionsweisen – „genuinen Persönlichkeitsanteilen und Vorerfahrungen“ (ebend., S. 112) –, der in der Therapie inszenierend mitspielt und reflektierenddeutend interagiert. Wieder fällt mir eine einstige Patientin ein, die mich mehrfach liebevoll ihren „Vater-Mutter-Mensch“ nannte, ihre sehr zutreffende Bezeichnung für eine Selbstobjektübertragung innerhalb einer offenen und spielerischen therapeutischen Beziehung. Zu dem Mitspielen des Therapeuten gehört selbstverständlich auch die kritische Reflexion und Analyse des Prozesses. Doch am wichtigsten ist das Spielen-Können. „Wenn der Therapeut nicht spielen kann, ist er für die Arbeit nicht geeignet.“ (Winnicott 1973, S. 66)
4. Teil 3. Körperpsychotherapeutische Inszenierungen in der analytischen Gruppenpsychotherapie Ein wortloses Psychodrama (Joseph) Zur Versinnbildlichung und Konkretisierung meiner Gedanken zur körperpsychotherapeutischen Inszenierung und Gegenübertragungs-Kapazität in der Gruppentherapie möchte ich eine weitere klinische Vignette aus der eingangs geschilderten Gruppe berichten. Es handelt sich wieder um Joseph, den wir oben bereits kennen gelernt haben. Ich habe dieses Beispiel gewählt, weil es auf besondere Weise die Möglichkeiten körpertherapeutischer Arbeit auch in Gruppen aufzeigt. Außergewöhnlich an dieser handlungssymbolischen Übertragungsarbeit ist, dass die Arbeit selbst fast völlig wortlos verlief. Hinzu kommt, dass diese emotional äußerst intensive Interaktion, obwohl allem Anschein nach eine Einzelarbeit in der Gruppe, tatsächlich von der ganzen Gruppe getragen wurde. Mein eigenes Gefühl während der Arbeit mit Joseph versicherte mir deutlich, dass die Gruppe wie eine Person unterstützend um uns herum stand. Selten habe ich die Solidarität einer Therapiegruppe so intensiv und so konkret erlebt. Ein averbales, handlungssymbolisches Analysieren ist zwar außergewöhnlich, aber kein seltenes Vorkommnis in der körperpsychotherapeutischen Arbeit. Gar nicht so selten dient das Reden der Abwehr von beunruhigenden, oft tief beängstigenden Affektzuständen. Natürlich kann man ganz im Sinne der klassischen Psychoanalyse solche Therapiewiderstände auch verbal bearbeiten. Doch gibt es, wie Moser betont, „einfach Affekte, die zuviel an Substanz verlieren oder zu entfremdet wirken, wenn man ihnen ausschließlich die rein verbale Gestalt aufzwingen will. ...Wenn ein so elementarer Affekt in einer Gruppe eine sichtbare und spürbare Daseinsberechtigung hat, ist ein Teil meines Selbst nicht mehr ausgeklammert und nur durch dauernden Kraftverbrauch niederzuhalten. Ein so ursprünglicher Ausdruck eines Gefühls wirkt auf die anderen ansteckend und belebend.“ (Moser 2004, S. 322 f.) Nach meiner Erfahrung ist es oft zweckmäßiger, einen Widerstand in der verbalen Interaktion mithilfe einer averbalen körperlichen Intervention zu umgehen. So kann man häufig den abgewehrten Affekt unmittelbar „ansprechen“ und zum Ausdruck bringen (oder kommen
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lassen), während man dem Patienten z. B. mit einer geeigneten Haltetechnik hilft, seine Ängste auszuhalten und zu verwandeln.
Ein wortloses „Psychodrama“ (Joseph) Joseph war damals Mitte Fünfzig und arbeitete im Gesundheitswesen. Er nahm seit drei Jahren an der körperbezogenen psychoanalytischen Therapiegruppe teil. Vor Weihnachten, in der letzten Sitzung des Jahres, meldete er sich zum ersten Mal seit Monaten wieder als Protagonist zu Wort und erklärte, es gehe ihm wie jedes Mal hier: „Ich weiß nichts, womit ich anfangen könnte.“ Prüfende Interventionen anderer Gruppenteilnehmer führten nicht weiter. Mir stand recht nachhaltig die Vorstellung vor Augen, mit Joseph direkt körperlich zu arbeiten, was damals in dieser Gruppe eher selten vorkam. Ich wartete zunächst einmal ab. Doch auch weiterhin passierte nichts. Joseph fand trotz aktiver Gruppenteilnahme kein Thema, spürte außer Verlegenheit auch keine Gefühlsregung, an der man weiterarbeiten könnte. Schließlich schlug ich ihm vor, etwas Körperliches zu versuchen. Er stand auf, legte seine Brille und Schuhe ab und nahm unter meiner Anleitung eine Stellung ein, die man in der Bioenergetik „den Bogen“ nennt. Der Körper wird im Stehen in einem leicht nach hinten gespannten Bogen gebeugt, das Gewicht auf die Fußballen verlagert, die Hände (oder Fäuste) werden in die Taille gedrückt. Joseph atmete trotz Aufforderung kaum; er wirkte insgesamt sehr starr – „wie in einem Schockzustand“, fiel mir dazu spontan ein. (Den folgenden Szeneablauf beschreibe ich in der erlebnisnäheren Gegenwartsform.) Ich nehme Joseph gegenüber eine spiegelnde Stellung ein und schaue ihm wohlwollend und gelassen in die Augen. Er gibt an, nichts zu fühlen. Doch in seinen Augen sehe ich einen unsäglichen Schmerz. Nach wenigen Augenblicken versucht Joseph – es ist seine Art von Selbstschutz – mit entwaffnendem Lächeln und Witzelei sein nicht einmal bewusst wahrgenommenes Unbehagen zu überspielen. Ich bitte ihn, dies zu unterlassen und die ernste Miene beizubehalten. Die Angst ist ihm buchstäblich ins Gesicht geschrieben. Ferner sehe ich ein leichtes, aber deutliches Zusammenzucken der Augenbrauen, das auf Unverständnis und Verzweiflung hinweist. Ich fordere Joseph auf, diese Geste bewusst zu betonen und mehrmals „Warum?“ zu wiederholen; seine Augen werden feucht, eine einzelne Träne wird sichtbar. Joseph gibt an, keine Gefühle zu spüren; ebenso wenig fallen ihm Bilder oder Erinnerungen ein. Seine Augen dagegen sprechen Bände. Wir stehen so einander gegenüber, sicher eine ganze halbe Stunde lang; es wird kaum gesprochen. Was geredet wird, ist inhaltlich eher belanglos, dient vielmehr der Aufrechterhaltung des Kontaktes. Die (wortlose) Kommunikation über die Augen ist nämlich so schmerzhaft, dass es für jeden von uns kaum auszuhalten ist. Doch scheint es uns beiden – auch eine wortlose Verständigung – wichtig zu sein, dabei zu verweilen und durchzuhalten. Ich habe das Gefühl, dichter bei ihm zu sein als je zuvor in seiner mehrjährigen Therapie. In meinem Rücken spüre ich felsenfest die Solidarität der Gruppe mit dem wortlosen Psychodrama in ihrer Mitte. Josephs Schmerz ist unsagbar (äußerst groß, stark, unbeschreiblich) und unaussprechlich (so groß, dass man es mit Worten nicht beschreiben kann). Dennoch, obwohl er ihn selbst nicht bewusst wahrnimmt, ist sein Schmerz über die Augen sichtbar und kommunizierbar geworden. Was ich meine zu sehen und zu spüren, ist der überwältigende Schmerz und das verzweifelte Unverständnis eines Knaben, der fünf Jahre lang von seinem eigenen Vater sexuell missbraucht wurde. Im Alter von 8 bis 12 Jahren musste Joseph Tag für Tag während Vaters Mittagsschlaf sich zu ihm ins Bett legen. Tag für Tag wiederholte sich dasselbe grausame Spiel, ohne dass in der Familie von Mutter oder Bruder je ein Wort darüber gesprochen wurde, warum Joseph immer den Vater ins Bett begleiten musste. Erst im Alter von 12 Jahren wagte Joseph selbst zum ersten Mal, dem Vater gegenüber nein zu sagen. So wortlos wie er angefangen hatte, hörte der Missbrauch wieder auf. Josephs Geschichte ist in der Gruppe mehrmals erzählt worden. Auch seine Wahrnehmungsstörung ist öfters in den drei Jahren Gegenstand z. T. beachtlicher the-
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rapeutischer Arbeit gewesen. Sein unaussprechlicher Schmerz und seine Verzweiflung während und infolge des Missbrauchs konnten jedoch erst an diesem vorweihnachtlichen Abend am Jahresende mir und der Gruppe – wortlos – mitgeteilt werden. Die Mitteilung geschah genauso wortlos wie das traumatische Geschehen selbst. Zum Schluss dieser für ihn wie auch für mich körperlich und emotional qualvollen Arbeit wird Joseph, dessen Beine zu verkrampfen beginnen, wieder aktiv in die Gruppe aufgenommen, die er die ganze Zeit nicht anzuschauen wagte. Erst nimmt ihn ein anderer Mann – eine gute Vaterfigur – spontan in die Arme, dann bauen ihm zwei Frauen – die bislang fehlende, gute Muttergestalt – ein warmes, schützendes Nest aus Schafsfellen, wo er sich „wie eine Made im Speck“ (so Joseph) wohl fühlen und ausruhen kann. Erst jetzt beginnt es für Joseph spürbar „einzudämmern“, dass die Gruppe all seinen Schmerz, seine Scham und Schuld über das Vergangene bezeugen, annehmen und mittragen kann und will. Die Arbeit hat insgesamt 90 Minuten gedauert. Ich fühle mich zum Schluss paradoxerweise von Joseph durch dessen vertrauensvolles Sich-Einlassen auf diese lange, schmerzhafte Arbeit reichlich beschenkt. Das Beispiel lasse ich hier ohne Kommentar oder weitere Diskussion stehen und wende mich einem zweiten Beispiel fast wortloser körperpsychotherapeutischer Psychoanalyse zu.
Sprechende Augen (Lisa) Wenn der verbale Diskurs in der Gruppe stagniert, wie es oben im Fall von Joseph geschah, werden nicht selten beunruhigende, beängstigende oder beschämende, unaussprechliche Affektzustände abgewehrt. So ging es der 44jährigen Lisa, einer unverheirateten Mutter von zwei Kindern, die vom 4. bis zum 13. Lebensjahr von ihrem Vater sexuell missbraucht wurde. Eines Abends, trotz der vorgegebenen ausdrücklichen Absicht, den Missbrauch weiter zu bearbeiten, verschanzte sich Lisa immer mehr in einer Opferrolle, aus der es offenkundig keinen Ausweg gab. Als innerpsychisches Bollwerk dient das Opfer-Täter-Schema – genauer das OpferTäter-Retter-Schema – oft als ein verzweifelter Schutzwall gegen selbstzersetzende innere Objekte und Affektzustände. (Ware 1995, S. 58–63) Die Wiederbelebung im therapeutischen Prozess der grauenvollen Vergewaltigungen des Körperselbst – oft durch eine geliebte Person der näheren Verwandtschaft – bedroht die lädierten, geschwächten Ich-Grenzen der Patientin mit erneuter Überflutung und Auflösung. Missbrauchte beiderlei Geschlechtes benötigen konkretes, oft auch körperliches „Containment“ für die unaussprechlichen archaischen Affekte von Angst, Panik, Horror, Hass (zuweilen aber auch für die beim Missbrauch mit tiefer Beschämung erlebte sexuelle Lust), wie sie mit frühen Erlebnissen von sexueller Gewalt einhergehen. Unabhängig von körperlichem oder seelischem Zwang (roher Gewalt) ist ein sexueller Missbrauch schon deswegen „überwältigende Gewalt“, weil er gegen die unbefestigten oder gar ungeformten Grenzen der sexuellen Identitätsfindung des geschlechtlich unreifen Kindes begangen wird. In der Vorgeschichte von Inzestfällen fehlt meist eine genügend gute, Halt und Schutz gebende Mutter. Paradoxerweise ist manchmal der Vater-Verführer der Einzige, der dem Opfer seiner (des Vaters) sexuellen Gewalt Zuwendung, Zärtlichkeit oder auch ein Gefühl von Attraktivität gegeben hat. Gelegentlich suggerierte ihm Vaters Begierde die Illusion von Macht und Kontrolle. Somit gewährt der Täter dem Opfer den Schein eines eigenen Existenzraums, was sicher ein wichtiger Grund dafür ist, weshalb Missbrauchte oft so hartnäckig an der identitätsstiftenden Opferrolle als funktionierendem Kern eines falschen Selbst festhalten. (Vgl. Ware i. d. B., Eros) So war es auch an jenem Abend mit Lisa. Je mehr die Gruppe auf ihren Wunsch einzugehen versuchte, den inzestuösen Missbrauch weiter zu bearbeiten, umso stärker flüchtete sie in die Opferrolle hinein. Das Gruppengespräch stagnierte, bis ich – einer spontanen Eingebung folgend – Lisa anbot, das Opfer-Täter-Retter-Di- bzw. Trilemma mit drei Personen aus der Gruppe aufzustellen. Sie wählte eine Frau (A.) als Opfer, stellte ihr einen Mann (R.) als Täter gegenüber und im Dreieck zu den beiden einen
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zweiten Mann (W.) als Retter. Was dann spontan und ohne Worte geschah, zeigte die Widerstandskonstellation umfassender und anschaulicher, als je eine verbale Deutung es vermocht hätte: Während der „Täter“ R. sich mit den Augen Hilfe suchend an den „Retter“ W. wandte, richtete sich das „Opfer“ A. nach anfänglichem Fluchtimpuls auf und verwandelte sich zu einer richtigen Powerfrau. Unterdessen fing Lisa an, lautstark und gotterbärmlich zu weinen. Nachdem sie sich etwas beruhigte, bat ich sie, ihren Platz in der Aufstellung als „Opfer“ einzunehmen und die (von A. vorgelebte) Stärke in sich nachzuspüren. Nun geschah das Unverhoffte – „das ungedachte Bekannte“ (Bollas 1987, S. 1–10) – das neue Erkenntnis und Einsicht brachte: Lisa stellte sich vor dem Täter-Vater auf und schaute ihn – ihr natürlich völlig unbewusst – mit einer anbetenden, bedingungslosen Liebe in ihren Augen an. Wieder brach sie unter lautem Weinen zusammen und musste erst von R., dann vom Therapeuten gehalten werden, um nicht vollends zu kollabieren. Als ich Lisas anbetende Augen sah, fiel mir eine bisher nie verstandene, eher umstrittene Intervention ein, die ich meine, einmal bei 4 Bert Hellinger gehört zu haben. Lisa fing sich wieder. Ich bat sie, sich noch einmal ihrem Vater (R.) gegenüber hinzustellen, ihm in die Augen zu schauen und zu sagen: „Papa, ich habe es für Dich getan!“ Sie zögerte, verweigerte sich zunächst stillschweigend, dann sprach sie es zaghaft aus … und wurde mit einem Mal ganz ruhig. In ihrem wahren Selbst angekommen, ruhte sie jetzt in sich. Im geschützten Raum der therapeutischen Gruppe konnte Lisa den verletzlichsten Kern ihres wahren Selbst auch für sich selbst offenbaren: Die Kraft der bedingungslosen kindlichen Liebe zum Vater hat ihr über vier Jahrzehnte hinweg das Überleben des Inzests ermöglicht. In der sehr bewegenden Szene an diesem Abend hat ihr die Liebe zum Vater zumindest auch den Ansatz zur Versöhnung mit dem eigenen Missbrauchsschicksal jenseits der Opfer-Täter-Retter-Dynamik und nicht zuletzt zur Versöhnung mit dem bisher gehasst-geliebten Vater eingeläutet.
Selbstredend sind wie in der klassischen Psychoanalyse solche Therapiewiderstände verbal bearbeitbar (vgl. Berliner 1998). Nur möchte ich bezweifeln, ob man in solchen Fällen wie bei Joseph und Lisa mit verbalen Mitteln den Finger (Deuten = mit dem Finger zeigen) so tief und ein-deutig in die emotionale Wunde legen kann, wie es in diesen interaktiven Inszenierungen geschah. Auch Heinzel, der das identifikatorische „Miterleben [in der Gruppe], ohne selbst direkt ‚gearbeitet‘ zu haben,“ hervorhebt, sieht im szenischen Geschehen „ein[en] entscheidenden Vorteil der Gruppentherapie“: „Emotionale und physische Resonanzen (sind) bei körperlichem bzw. ‚szenischem‘ Arbeiten oft stärker und unmittelbarer als bei rein verbaler Arbeit, und solche Szenen werden auch später immer wieder einmal von Mitpatienten erwähnt.“ (Heinzel i. d. B.) Deswegen auch ist es häufig zweckmäßiger, den Widerstand in der verbalen Kommunikation nicht direkt deutend zu konfrontieren, sondern mittels szenischer körperlicher Intervention so vorzugehen, dass der abgewehrte affektive Inhalt unmittelbar zum „Sprechen“ kommen kann. „Man kann auch einmal einem Impuls folgen und dann von diesem Erlebniskern aus die Abwehr angehen, gleichsam ‚von innen‘ aufrollen“ (ebend.). Die Abwehr wird unterlaufen, wenn der Therapeut bei der eigenen und der affektiven Körperwahrnehmung des Patienten bleibt. In der Wahrnehmungsdifferenzierung von Körper- und Gefühlserleben in der therapeutischen Interaktion findet bereits „basales Verstehen“ (Heisterkamp 2002a) und „Selbsterklärung“ (Müller-Braunschweig 1994,
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Wie einst Ferenczi, so wird manchmal auch Hellinger unnötig verschmäht. Ich habe schon Gutes und Wertvolles bei ihm erlebt und gelernt! Hier will ich nicht für ihn plädieren, nur – wie bei anderen auch – die Quelle zitieren, wo ich diese ungewöhnliche Intervention her habe.
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S. 11 f.) bei Patient und Therapeut statt. Inszenierungen wie bei Joseph, Lisa und Ronald (s. u.) sind gleichermaßen „interpersonelle aktive Imaginationen“ (Ware 1980) und „entwicklungsförderliche Handlungsdialoge“ (Heisterkamp 2003a), die unmittelbar heilsam wirken. Das heißt, deren therapeutische Wirkung ist nicht grundsätzlich vom sekundärprozesshaften Durcharbeiten im herkömmlichen Sinne abhängig. (Heisterkamp, ebend., S. 260 ff.) Welche Intervention sich jeweils konkret als geboten erweist, ist nicht primär eine Frage gelernter Technik. Solche Inszenierungen sind weder planbar noch zielgerichtet herstellbar. Entwicklungsförderlich können sie erst auf der Grundlage ausgiebiger therapeutischer Erfahrung, Empathie, Resonanz und Akzeptanz stattfinden. Dadurch wird der psychotherapeutische Möglichkeitsraum zu einer „Bereitstellung für mögliche explizite und implizite Wandlungen.“ (Heisterkamp 2003a, S. 266) Therapietechnisch erfordert diese Bereitstellung ein genaues Hinhören auf die Eingebungen des schöpferischen gemeinsamen Unbewussten innerhalb der gegenwärtigen Übertragung-GegenübertragungsDynamik. Wie es Winnicott (1973) einmal sinngemäß ausdrückte: Wenn ich bereit bin zu warten, kommt der Patient stets von selbst auf die richtige Deutung – bzw. auf die angemessene symbolträchtige Handlung als deutenden Fingerzeig, der ihm (dem Patienten) weiterhelfen kann. Nur muss man hier wieder einmal mit Bollas (1987, S. 202) bedenken: „Um den Patienten zu finden, müssen wir ihn in uns selbst suchen.“ Dies ist eine bevorzugte Gestalt des therapeutischen Mitspielens im Fluss des Übertragungs-/Gegenübertragungsgeschehens.
Inszenierung im Körpertraum (Barbara) Manche Träume kommen einem so real vor, dass ich sie „Real-Träume“ nenne. In der Regel begleiten sie einen weit in den Tag hinein, als wären sie wirklich geschehen. So ging es mir an einem verschneiten Sonntagmorgen im Vorfrühling dieses Jahres. Ich träumte: Barbara, ein 55jähriges, seit über einem Jahr getrennt lebendes Gruppenmitglied, hat wieder szenisch in der Gruppe gearbeitet, diesmal mit mir, dem Therapeuten. Zum Abschluss ihrer Arbeit [hier beginnt die Traumhandlung] liegen wir beide am Boden, sie halb auf mir. Ich halte sie in meinen Armen. Es ist wie am Ende einer anstrengenden körpertherapeutischen Arbeit, wenn eine kurze Abschlussphase von Entspannung und Konsolidierung stattfindet. Nun bewegt sich Barbara, eine vollschlanke, große Frau, geringfügig so, dass sie voll auf mir und zwischen meinen Beinen liegt. Fast sottovoce tuschelt sie wie zu sich selbst: „Ich spüre ihn!" Gemeint ist offenkundig mein halb-erigierter, aber noch weicher Penis, auf dem sie liegt. Ich spüre zwar deutlich den Kontakt, aber keinerlei sexuelle Erregung. Sie liegt ganz einfach entspannt und ruhig in meinen Armen [wie eine Tochter in den Armen ihres Vaters – so kommt es mir im Nachhinein vor]. Ende des Traumes.
Real hat Barbara in ihrer dreijährigen Teilnahme an dieser Gruppe öfters mit Hilfe von szenischen Aufstellungen emotional sehr bewegende Arbeiten geleistet, zuletzt in der jüngsten Sitzung zehn Tage vor dem Traum. (Zur szenischen Arbeit vgl. Worm i. d. B.) Zum Hintergrund des Traumgeschehens, das real so nie vorgekommen ist, sei erwähnt: Mir ist die „Bonding"-Technik der New Identity Process von Daniel Casriel durchaus vertraut. (Vgl. Moser 1993) In eher seltenen therapeutischen Situationen, wo ein festes und sehr umfassendes körperliches Halten des/der Patient/in erforderlich erscheint oder gewünscht wird (z. B. von Patient/innen, die dieses Verfahren während eines psychosomatischen Klinikaufenthaltes kennengelernt haben), lege ich mich auf ihn (oder sie) in vol-
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ler Körperlänge und halte ihn ganz fest, während er (oder sie) sich in einen tiefen, oft erschütternden Affekt (am häufigsten Schmerz und Trauer, gelegentlich auch Wut und Zorn) begibt. Dieses Fest-Halten kann auch im Sitzen (nebenoder voreinander) oder im Stehen stattfinden. Es handelt sich meistens um Zulassen und Bearbeiten von „sprengenden" Affekten, die gefühlsmäßig den Patienten ohne äußeren, realen Halt zu überfluten und seine labilisierte IchStruktur aufzulösen drohen. Mit entsprechendem Halt durch eine vertraute Person kann er sich dann diese Affekte von der Seele („aus vollem Bauch heraus“) schreien. Das lautstarke Schreien bewirkt nicht nur eine kathartische Entladung, sondern eröffnet die Möglichkeit eines tiefgründigen, leibhaftigen Erlebens und Erfassens von traumatischen seelischen Konflikten. Am eigenen Leib erlebt, ist immer am tiefsten und effektivsten erfasst. Im Traum war die obige Szene (der erinnerte Trauminhalt) der Abschluss einer bewegten, anstrengenden szenischen Arbeit (keiner Casriel-Arbeit). Der Traum beginnt mit einer Phase des Zur-Ruhe-Kommens. Real hatte sich Barbara in der Sitzung zehn Tage vor dem Traum mit dem schmerzhaften Abschied von ihrem jüngsten (Pflege-) Sohn befasst, der nach Abschluss seiner Lehre demnächst als letztes Kind ausziehen wird. Ferner kamen noch einmal ihre (sehr vorsichtig vorgetragenen) Verliebtheitsgefühle für den neun Jahre älteren Joseph zur Sprache, der jetzt nach längerer Pause wieder an der Gruppe teilnimmt. Stets im Hintergrund ist der seelisch kranke Ehemann, der den Pflegesohn inzwischen völlig ablehnt. Das Kind, das er im Alter von drei Monaten ins Haus geholt hatte, soll jetzt Barbara nach seinem Willen „rauswerfen“. Dieser immer schon schwierige Sohn, den Barbara alleine durch Pubertätsentwicklung und berufliche Lehre begleitet hat, ist ihre letzte Bindung an das eheliche Eigenheim, das wiederum ihr einziges echtes Zuhause seit dem Verlust ihres Vaters darstellt. Real verlor Barbara ihren Vater durch einen tragischen Verkehrsunfall, als sie 14 Jahre alt war. Damals musste sie „auf einen Schlag erwachsen werden" und die Verantwortung für ihre unselbständige, kränkelnde, oft operierte, depressive Mutter auf sich nehmen. Um der Kontrolle ihrer Mutter zu entkommen, willigte sie mit 23 Jahren „aus Torschlusspanik" in die Eheschließung mit einem fünf Jahre älteren Kommilitonen („einem grünen 68er") ein. Es war von Anfang an, so Barbara, „eine kognitiv-rational, sozialideologisch fundierte Zweckgemeinschaft, keine Liebesgemeinschaft". Barbara blieb – überverantwortlich, parentifiziert und „total überfordert" – über 25 Jahre lang in der Gefangenschaft dieser Hänsel-und-Gretel-Ehe, bis ihr Mann endogen depressiv erkrankte und die Ehe zunehmend zerfiel. Mit einer schweren Anpassungsstörung (Angst und depressiver Reaktion) suchte Barbara ambulante therapeutische Hilfe. In der analytischen Gruppe fand sie den Raum und den Anreiz zur nachholenden Reifung. Mein „Körpertraum“ (Ware 2006a) erschien mir so real, als handele es sich um eine reale Gruppensitzung am Vorabend. Schon fast wach musste ich mich mehrmals vergewissern, dass es „nur“ ein Traum war. Bereits im Halbschlaf ging mein „Deutungs-Hirn“ an die Arbeit, doch erst bei vollwachem Bewusstsein erkannte ich, dass mein Traumerleben im Sinne einer syntonen Gegenübertragung bzw. einer introjektiven Identifikation zu verstehen sei: Dieses „Ich spüre ihn!" verweist dann zunächst nicht auf das Geschlecht als Sexualorgan, sondern auf die phallische Kraft des Vaters. Diese väterliche Kraft vermisste Barbara völlig in ihrer pubertären Entwicklung und in ihrem weiteren Ehe- und Familienleben. So war ihr rational-kontrollierender Ehemann vielmehr (in An-
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lehnung an André Greens „tote Mutter" – Green 1993) ein „toter Vater", dem die phallische Kraft fehlte, ihre reife erotische Weiblichkeit erwecken zu können. Über weite Strecken ihrer Therapie in der Gruppe bemühte sich Barbara, den realen Vaterverlust und die schmerzhafte Lücke, die er in ihrem Leben hinterließ, abzuspalten und bewusst zu verdrängen. Doch lebte er trotzdem im Gedächtnis der Gruppe. An entscheidenden Stellen ihres Prozesses – so auch in der erwähnten Sitzung – wurde er immer wieder „hervorgeholt". Daraus ergaben sich tief bewegende Inszenierungen, mittels derer Barbara sich im Schutze der Gruppe auf ihre erschütternde Trauer einlassen konnte. Übertragungs- und erst recht die eher seltenen Gegenübertragungs-Träume ereignen sich aus dem „gemeinsamen Unbewussten" der tragenden kommunikativen Dynamik der Therapiegruppe. Somit ergibt sich nun in meinen Traum hinein- (!) und aus ihm hervorgehend ein vertieftes Verständnis der derzeitigen therapeutischen Entwicklung der Patientin, einschließlich ihrer aktuellen „Verliebtheit“ in den ältesten männlichen Teilnehmer der Gruppe. Obwohl er selbst kinderlos geblieben ist, tritt Joseph in dieser Gruppe immer mehr als jemand hervor, der sehr warme, sensible, ja „väterliche" Eigenschaften in sich birgt. Für die Gruppe wird nun deutlich spürbar, wie sehr Barbaras offen eingestandenen Gefühle für Joseph eine pubertäre Entwicklung darstellen: die erste erotische Verliebtheit der Tochter jenseits des eigenen Vaters. Für Barbara stellt der 67jährige Therapeut naturgemäß das Vaterobjekt dar, der sie bei zeitweilig sehr schmerzerfüllten Inszenierungsarbeiten (schon mehrfach „Aufstellungen“ mit dem Vater) schützend begleitet. Ihre Wertschätzung und Zuneigung gegenüber dem Therapeuten-Vater hat sie schon mal mit einer liebevollen Karte oder einem kleinen Geschenk kundgetan. Wie auch mit den anderen Teilnehmern dieser Gruppe, verabschieden wir uns am Ende der Therapiesitzung mit einer herzlichen Umarmung. Doch bisher ist nur in allervorsichtigsten Anflügen irgendetwas von erotisch-sexuellem Charakter spürbar gewesen. Auch im Traum ist nichts direkt von sexueller Erregung, verschweige denn Verführung, zu spüren. Die weiche Erektion hat nichts von hervordrängender sexueller Triebhaftigkeit an sich. Vielmehr hat sie, so der spontane Einfall beim Erwachen, symbolischen Charakter: die phallische Kraft des Vaters, ja, aber sowie sie sich konkret in der erotisch-sexuellen Begegnung von Therapie-Vater und Therapie-Tochter hervortut und realisiert.
Konsequenzen für die Therapie? Die erste und unmittelbare Konsequenz für die Therapie ist eine Einstellungskorrektur bzw. –schärfung in der Gegenübertragung des Therapeuten-Träumers. Es hat den Anschein, als käme Barbara jetzt „in die Pubertät" ihrer therapeutischen Nachreifung. Im weiteren Verlauf ihres Therapieprozesses wird es wichtig sein, ihr mehr als bisher innerhalb der Übertragungs-/Gegenübertragungsdynamik im Gruppengeschehen als MannVater, als erotisches und sexuelles „Mannsbild" zur Verfügung zu stehen. Bei der pubertären Reifung der Tochter ist der Vater auf besondere Weise als Mann gefragt, den die keimende erotisch-sexuelle Weiblichkeit seiner Tochter auch sexuell berührt. Ohne dass sie Ziel seiner Begierde wird, soll sie ihm „spürbar" werden. „Ich habe ihn gespürt!", heißt es im Traum. Gerade auch in seiner sexuellen Männlichkeit soll der Vater für seine Tochter spürbar sein und sie wiederum in ihrem erotisch-sexuellen Frauwerden spüren, anerkennen, würdigen und fördern. Indem er sich über diese Reifung mit ihr freut, macht er ihr Mut zum Weiterreifen: in ihrer erotisch-sexuellen Selbstfindung wie auch in der ganz neuen und fremdartigen Begegnung mit dem anderen und mit dem eigenen Geschlecht. So verstehe ich „den halb-erigierten, aber noch weichen Penis" meines Traumes. Es gilt nunmehr, mit erhöhter Wahrnehmung für die (erotisch-
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sexuellen) Reifungsdimensionen von Barbaras Entwicklung ansprechbar zu sein und sie bewusst zu fördern. Nach der langen Gefangenschaft in einer letztlich unfruchtbaren ehelichen Verbindung, bricht Barbara nun selbständig, ohne Mann und ohne Kinder, in die große weite Welt menschlicher Beziehungen und Leidenschaften auf. Bei der nachholenden Entfaltung ihrer eigenen phallischen Schöpferkraft soll sie in ihrer Therapiegruppe sowohl am Therapeuten als auch an den anderen Männern und Frauen lebendige Modelle, Begleiter und Zeugen ihrer Entwicklung erleben können.
Vorsprachliches Verstehen – Körperanalytisches „Deuten“ (Ronald) Ronald war ein beruflich erfolgreicher, groß gewachsener 30-jähriger Mann, der wegen Selbstfindungs- und Beziehungsschwierigkeiten in die Therapiegruppe kam. Beide seiner Eltern waren chronische Alkoholiker und starke Raucher. Immer wieder stürzten ihre episodischen Saufgelage ihn, ein stark parentifiziertes Einzelkind, in existentielle Konflikte; er fühlte sich für ihr Überleben verantwortlich. So kam es unmittelbar vor den Sommerferien, nachdem er seine Eltern tagelang telefonisch nicht erreichte, dazu, dass er durch die halbe Bundesrepublik fuhr, um sie besinnungslos betrunken in der Wohnung vorzufinden. Sein Bericht war für die ganze Gruppe erschütternd. Dem sonst so wortgewandten Ronald zitterte die Stimme, als er erzählte, wie er zehn Minuten lang klingeln musste, bis ihm die Wohnungstür aufgemacht wurde, und wie ihm in der Wohnung ein „absolutes Chaos“ schwerster Verwahrlosung entgegenkam. Ronald stand wie gelähmt da und musste befürchten, dass sein Weggehen erneutes Saufen veranlassen könnte. Nachdem er das Allernötigste geregelt hatte, kehrte er voller Verzweiflung an seinen Wohnort in Süddeutschland zurück. Vergleichbare Szenen hatte er bereits fünf- oder sechsmal im letzten Jahr erlebt. Ronald befand sich offenkundig in einem schweren Schockzustand. Ein Vierteljahr später meldete sich ein stark erkälteter Ronald wieder zu Wort: Anlässlich des Cannstatter Wasenfestes (das Stuttgarter „Oktoberfest“) kamen seine Eltern wie im Vorjahr eine Woche lang ungebeten zu Besuch. Obwohl er nach seiner üblichen Sunnyboy-Art wie ein Wasserfall redete, wirkte Ronald an diesem Abend unterschwellig eher verloren, niedergeschlagen, geschockt. Er fühlte sich „erschöpft und wie lahm gelegt“, als würde er „den Bezug zu meiner eigenen Person verlieren.“ Er war offensichtlich orientierungslos und kurz davor sich aufzulösen. Während die Gruppe sich sehr feinfühlig um Ronald kümmerte und immer neue Anläufe nahm, ihn zu verstehen und zu unterstützen, fühlte ich mich – ihm synton – „von allen guten Geistern verlassen“. „Wenn ich mich auf andere verlasse, dann bin ich verlassen“, beteuerte Ronald und brachte damit sein Grundgefühl im Leben zum Ausdruck. Mehr und mehr ging das Gruppengespräch an mir vorbei. Trotz bewussten Bemühens konnte ich kaum noch zuhören und war froh, dass sich die Gruppe so einfühlend seiner annahm. In meinem Inneren spürte ich zunächst einen sehr intensiven, dumpfen Schmerz, der aus dem Hintergrund des sich abwickelnden Gesprächs mit Ronald zu mir herzukommen schien. Zunehmend geriet ich selbst in einen schockähnlichen Zustand; ich wurde gefühlstaub, fühlte mich von dem Gruppengeschehen vor meinen Augen abgeschnitten und isoliert. Inhaltlich nahm ich das Gespräch gar nicht mehr wahr. Mir war allerdings unterschwellig schon bewusst, dass ich auf ein unbewusstes Rollenangebot Ronalds, d.h. auf eine unbewusste Kommunikation mittels projektiver Identifikation, eingegangen war und einen unaussprechlichen Anteil seines leidenden Selbst nun am eigenen Leibe erlebte. Noch stellte sich allerdings nicht die Frage, wie ich dieses Erlebnis in mitteilbare Erfahrung verwandeln könnte. Nach einer dreiviertel Stunde stand ich auf und ging kurz aufs Klo. Ich kam in mehrfacher Hinsicht erleichtert zurück und notierte kurz (schriftlich, noch während der Sitzung) den obigen Verlauf der Gegenübertragungsresonanz. Im Gespräch ging es um Ronalds „Zuhause“. Ein Gruppenmitglied, Michael, äußerte sich aufgeregt positiv darüber, wozu Ronald, der am Rhein aufgewachsen ist, sagte, er
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fühle sich nur „am Wasser“ wohl. In mir entstand das krasse Bild, dass Ronald nirgends zuhause sei und es zum letzten Mal „im [Frucht-] Wasser“ im Leibe seiner Mutter war. Eine andere Teilnehmerin, Paula, behauptete, dass Alkoholiker im Grunde „wissen“, dass sie Alkoholiker sind und nur damit konfrontiert werden müssten. Ronald beklagte sich, dass mit seinen Eltern kein sinnvolles Gespräch mehr möglich wäre, die Eltern würden nur verleugnen, dass so etwas wie im Sommer wieder vorkommen würde. Mir wurde nun bewusst, dass hier anscheinend keiner so recht nachempfinden konnte, wie sich die innere Notlage eines erwachsenen Kindes eines Alkoholikers (EKA) anfühlt, geschweige denn die noch größere existenzielle Not des einzelnen Kindes zweier Alkoholiker. In solchen scheinbar uneinfühlbaren Situationen erzähle ich öfters, wie meine eigene Herkunft als erwachsenes Kind eines Alkoholikers (mein Vater), obwohl kein Geheimnis, während 15 Jahren sehr guter Psychotherapien nie Gegenstand eigener therapeutischer Arbeit wurde. Erst nachdem ich in mehrjähriger Auseinandersetzung mit dieser Dimension meines Werdeganges neue Einsicht und eine neue Einstellung dazu bekommen hatte, erwarb ich die erforderliche persönliche und professionelle Kompetenz, um andere EKAs in ihrem Heilungsprozess zu begleiten. Ronald konnte mit seinen Eltern über deren und seine Not nicht reden, weil es für sie ein Nicht-Thema war. „Das wird nicht mehr vorkommen!“, verleugnete lapidar seine Mutter. Was nicht sein durfte, konnte auch nicht sein. Die bittere Notlage von Ronald und seinen Eltern „durfte“ nicht existieren; sie konnte nur verleugnet werden. Dies ist die verrückte und verrückt machende Logik und der zentrale Abwehrmechanismus in der dysfunktionalen Alkohol-Familie. Plötzlich, wie aus tiefer innerer Bewegtheit heraus, stand ich auf, erklärte kurz der Gruppe diese Aporie des „Nicht-Themas“ und lud Ronald ein, mit mir zusammen eine Körperübung zu machen. Mit ungewohnter Klarheit spürte ich in meinem Körper eine Möglichkeit, Ronald regressiv zu dem letzten wirklich sicheren Ort in seinem Leben zu begleiten. Wir knieten beide auf dem Boden, so dass die Stirn den Boden und wir beide uns Scheitel an Scheitel berührten. Ich ließ mich vom Bild eines Säuglings leiten, der, in der Wiege abgelegt, so lange nach oben ruckelt, bis sein Scheitel Berührung findet – wie im Mutterleib. Nach einer Weile spürte ich, wie Ronald erst zaghaft, dann immer fester mit seinem Kopf gegen meinen Kopf drückte. Während andere in der Gruppe, so berichteten sie nachher, an Aggression und Kampf (zwei Böcke) dachten oder befürchteten, wir würden einander Schmerz zufügen (die Schädel eindrücken!), meinte ich zu spüren, wie Ronald die Grenzen und die Festigkeit dieses Halts und Containments auslotete. Die „Übung“ habe ich mit keinem Wort erklärt, wir haben während der Übung nicht gesprochen. Nach einer gewissen Zeit verständigten wir uns (averbal) darauf aufzuhören und setzten uns auf dem Boden einander gegenüber. Ronald sah wie umgewandelt aus, erschöpft, aber entspannt und vor allem in sich ruhend und ruhig. Er, der sonst soviel zu reden hatte, dass man ihn immer wieder anhalten musste, wollte nur still bei sich bleiben. Die Gruppe tauschte sich über die einzelnen Erlebnisse während der Arbeit aus. Ich berichtete von den mich bewegenden Leitbildern und den aus der Arbeit gewonnenen Erkenntnissen und Einfühlungen: in Ronalds Grundangst, ins Nichts zu fallen, wenn er nicht redet; in die Notwendigkeit eines festen averbalen (begleitenden) Halts auf perinataler Ebene für das säuglingshafte Körperselbst; in das „Nirgends zuhause außer im Wasser“. Schließlich fanden wir das Bild vom fliegenden Holländer, der dazu verdammt wurde, die Weltmeere zu befahren, bis ihn eine Frau – oder ein „VaterMutter-Mensch“ – lieb haben würde. Ronald schien zumindest für diesen Abend bei sich „zuhause“ angekommen zu sein.
5. Abschluss – körperpsychotherapeutische Haltung und Kapazität Wie jede gute Körperintervention entstand auch die therapeutische Körperarbeit mit Ronald – wie auch bei Joseph, Lisa und mutatis mutandis Barbara – in-
Gruppentherapie und Gegenübertragungs-Kapazität
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nerhalb des gruppentherapeutischen Prozesses ganz spontan aus einem Körpergefühl im interpersonellen Zwischenraum des Übertragungs-/Gegenübertragungsgeschehens heraus. Solche Interventionen werden nicht systematisch gelehrt, noch habe ich diese Interventionen vorher je gesehen – dafür aber eine Vielzahl an unterschiedlichsten körpertherapeutischen Szenen miterlebt, aus denen heraus eine körperbezogene therapeutische Haltung, Bereitschaft und Kapazität entstehen. Natürlich überprüfte ich kurz und kritisch, ob sie im Verlauf der aktuellen Szenen einen therapeutischen Sinn ergeben. Als handlungssymbolische „Deutungen“ entstehen sie, wie jeder schöpferischer „Fingerzeig“, in freier Imagination als Funktion der Gegenübertragungs-Kapazität. Sie stellen jeweils auch eine „gemeinsame interpersonelle aktive Imagination“ dar. (Ware 1980) In der imaginativen Konkretisierung und Inszenierung wird ein unbewusster seelischer Inhalt mittels projektiver Identifikation im Therapeuten induziert. Dadurch kann ein unaussprechlicher oder unsagbarer Konflikt, aber auch ein schöpferischer Beitrag zur Konfliktlösung leibhaftig mitgeteilt, ins Bewusstsein gehoben und erfahrbar gemacht werden. Auch hier will ich von weiterem Kommentar absehen und nur anmerken, wie sehr das Körpergeschehen als solches in jeder Hinsicht die Funktion einer psychoanalytischen Deutung übernimmt und selbst zur mutativen Deutung wird. Bereits 1960 schrieb die englische Psychoanalytikerin Margret Little: „Das Körpergeschehen kann zur Deutung werden. Danach wird die Verbalisierung zur zweiten Stufe in einem ZweiStufen-Prozess, bei dem beide Stadien für die reale Einsicht wichtig sind; doch kommt die zweite Stufe nur durch die erste, also durch das Körpergeschehen, zur Wirkung.“ (Little [1960] 1981, S. 112; hier zitiert nach Searles 1974, S. 243) Es ist eine Deutung im Averbalen, ein körperanalytisches Deuten (Fingerzeig) im Bereich von vorsprachlichem Geschehen und basalem Verstehen. An Deutlichkeit und körperlicher Konkretheit lassen solche „Deutungen“ im Rahmen von basalem Verstehen (Heisterkamp 2002a) nichts zu wünschen übrig. Abschließend möchte ich noch einmal körperpsychotherapeutisch erfahrenen Psychoanalytikern das Wort überlassen: „Der Psychoanalytiker Loewald hat u. a. auf die besondere Bedeutung des vorsprachlichen Erlebens hingewiesen, das dem späteren Wort seine Fülle und Farbigkeit gibt. Das »Be–greifen« muss zunächst sinnlich erlebt worden sein, ebenso wie »Eigen–ständigkeit« oder »Stand–halten«, um den aus diesen psychomotorischen oder anderen Sinnesgebieten entstehenden Wortsymbolen den vollen Bedeutungs- und Erlebnisgehalt zu geben. Bei der Trennung vom eigenen Körpererleben leidet auch die Bedeutungshaltigkeit der Sprache, und es vermindert sich deshalb die Möglichkeit, über die Sprache in einer Psychotherapie Bedeutungen emotional zu erleben bzw. von Worten berührt zu werden und damit auch Erlebnisse wieder lebendiger werden zu lassen.“ (MüllerBraunschweig 1994, S. 13; vgl. Ware 2003) Der Psychoanalytiker Günter Heisterkamp führt in seinen neueren Schriften die Diskussion einen entscheidenden Schritt weiter mit der Reflexion über den unmittelbaren Wandlungscharakter solcher „enactments“ und Inszenierungen: „In den Handlungsdialogen werden sprachlich unzugängliche Komplexe und Selbstzustände erst wieder fassbar. ... Mit der Reaktualisierung früher Handlungsdialoge eröffnet sich eine neue Dimension regressions- und entwicklungsanaloger Behandlungen.“ (Heisterkamp 2003a, S. 267) So postuliert Heisterkamp, wie ich meine zurecht, eine programmatische oder gar paradigmatische Bedeutsamkeit für das Handlungsprinzip neben den bereits etablierten Prinzi-
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pien der Deutung und der Beziehung im Wirkungsgeschehen psychoanalytischer Therapien. (Ebend., S. 257, S. 269; vgl. Heisterkamp 1993, 2002a, 2003e, 2005) Meine beiden Beiträge zum vorliegenden Band stellten ursprünglich Erfahrungsberichte und -reflexionen zum Thema der GegenübertragungsKapazität in körperbezogenen psychoanalytischen Einzel- und Gruppentherapien dar. Umso mehr freut mich, eine große Übereinstimmung hinsichtlich dieser neuen Dimension therapeutischen Wahrnehmens, Denkens, Handelns und Be-Handelns festzustellen. Robert Ware, Dr. theol., Psychotherapeut, Fachpsychologe für psychoanalytische Psychotherapie (DGPT, DAGG, DGAP), Gastdozent am C. G.-Junginstitut Zürich. Adresse: D-72664 Kohlberg, Bildäckerstraße 2 E-Mail:
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KAPITEL
4 Spezielle Anwendungen
Die Kunst des Liebens. Sexualität und Sexualisierung im Spiegel des körperpsychotherapeutisch orientierten Handlungsdialoges Dagmar Hoffmann-Axthelm
1. Einleitung Schickt man sich an, im Rahmen eines „Handbuches“ – eines Mediums also, in dem es um die Vermittlung präziser, gesicherter Information gehen sollte – über Erotik und Sexualität in der körperorientierten Psychotherapie nachzudenken, dann sind Zweifel angesagt. Wie kann ich diesem Anspruch angesichts einer Forschungssituation genügen, die an Vielfalt – wenn nicht gar an Heterogenität – das ihre sucht? In der beispielsweise Freuds Ödipuskomplex den einen als Kristallisationspunkt menschlich-sexuellen Seins schlechthin gilt (z. B. Brech et al. 1999), während andere ihn für eine Karikatur erachten (Roth 2000, S. 189), dritte in ihm kein allgemein gültiges Konzept, sondern den Ausdruck einer individuellen pathologischen Prägung sehen (Dornes 2000, S. 35, 96 f.) und er 2 vierten allenfalls als „theoretische Fiktion“ (Mertens 2, 1996, S. 13) oder als veraltetes Konzept (Rudolf 1996, S. 100) erscheint? Immerhin ist es tröstlich, dass ich mich in dieser unübersichtlichen Situation nicht allein, sondern in guter Gesellschaft weiß. So seufzt die amerikanische Körperpsychotherapeutin Virginia Wink: „Das ganze Gebiet der Sexualität ist riesig, rätselhaft, verwirrend, überwältigend, aufregend, und – trotz aller kultureller Besessenheit – ein wenig verstandener Aspekt der menschlichen Existenz.“ (Wink 2002, S. 227) George Downing (2000, S. 29) fragt sich: „Was bedeutet es, mit einem sexuell lebendigen Körper in dieser Welt zu leben? Ich glaube, wir sind weit davon entfernt, dies vollkommen zu verstehen. Trotz ihrer offensichtlichen Bedeutung taucht die Frage in der psychotherapeutischen Literatur kaum auf.“ Und Heisterkamp (2001, S. 67) wundert sich darüber, „dass es kaum psychologische Publikationen gibt, die sich mit der Freude und der Lust, die im Verlauf des sexuellen Handlungsdialoges erlebt wird, befassen, während mit den Beiträgen zu Sexualstörungen ganze Bibliotheken gefüllt werden können.“ Dieser verwirrliche Befund lässt sich u. a. auf folgende Gründe zurückführen: 1. Wer – zumal aus der körperorientierten Perspektive heraus – über Sexualität schreibt, läuft in einer dem Themenkreis von Missbrauch und Grenzüberschreitungen innerhalb der Psychotherapie sehr hellhörigen Zeit Gefahr, gleichfalls mit entsprechenden Verdächtigungen konfrontiert zu werden. (Moser 1992a, S. 20 f.; Wink 2000)
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2. In der heutigen Praxis begegnen wir als Therapeuten erheblich häufiger präödipalen als ödipalen Konstellationen (Bettighofer 2001, S. 95 f.), so dass diesen in der Literatur mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird als den reiferen Strukturen. 3. Trotz aller gegen die Tabuisierung kreatürlicher Sexualität geführten Feldzüge herrscht nach wie vor diesem Thema gegenüber ein schambesetztes Unbehagen in unserer Kultur. (Moser 1992a, S. 19) 4. Die Erotik, entfaltet sie sich in ihrer ganzen Kraft, ist eine nahezu unbezwingliche, dem Bewusstsein nur partiell sich unterwerfende Macht (Heisterkamp 2001, S. 67). Mit den Worten C.G. Jungs ist sie ein „Übermächtiges“, ein „Dämon“, mit dem man „nie ganz fertig“ oder „nur zum eigenen Schaden“ fertig wird. (Jung 1971b, S. 127) Wenn es hier mithin nicht darum gehen kann, mit diesem Thema „fertig“ zu werden, so scheint es angesichts der vielen Unwägbarkeiten angebracht, zunächst einen möglichst klaren Rahmen abzustecken, welche Aspekte dargestellt werden sollen und auf welcher Basis dies geschieht. Die Basis ist durch die analytisch orientierte Körperpsychotherapie gegeben. Ich werde mich weitgehend auf die in dieser psychotherapeutischen Richtung entwickelten Erkenntnisse beschränken, während im engeren Sinne der Psychoanalyse zugehörige Konzepte wie Ödipuskomplex, Penisneid etc. unberücksichtigt bleiben. Entsprechendes gilt für das von mir genutzte Verständnis der Konzepte von „Übertragung“ und „Gegenübertragung“. Zum Ersten geht es nicht um Übertragung als anthropologisches Phänomen in dem Sinne, dass in früher Kindheit erlernte Beziehungsmuster auf Erwachsenenbeziehungen übertragen werden, sondern lediglich um die pathologische Variante dieses Geschehens. (Thomä/Kächele 1 1996, S. 65 ff; Worm 2000, S. 85 ff.) Zum Zweiten wird das Wirken von Übertragung und Gegenübertragung nicht im Rahmen des Konzeptes der durch Freud fundierten „Einpersonen-Psychologie“ verstanden, nach dem der Therapeut nicht als individuelle, durch seine eigene Geschichte geprägte Persönlichkeit, sondern als gleichsam neutraler Spiegel verstanden wird, der dem Klienten seine pathologisch verzerrten Beziehungsmuster von objektiver Warte her zurückspiegelt. Vielmehr folge ich dem Konzept des „Handlungsdialoges“, nach dem die therapeutische Beziehung als ein von zwei fühlenden und handelnden Menschen gestaltetes Geschehen verstanden wird, in dessen Rahmen sich als wesentliches, aber keineswegs einziges Element die Aktualisierung der traumatisierten Vergangenheit der Klientinnen und Klienten gestaltet. (Zuletzt Heisterkamp 2002a) Im Hinblick auf die Terminologie gilt dies: „Erotik“ steht für alle „körperlichen und geistig-seelischen Erscheinungsformen der Liebe […], soweit sie den Aspekt geschlechtlicher Anziehung und sinnlicher Lust einbeziehen“, „Sexualität“ für „einen funktionellen Teilaspekt der Erotik“ – die genitale Triebhaftigkeit. (Ware 2004a, S. 141) Der Begriff „erotische Übertragung“ bezieht sich auf einen Entwicklungsschritt, der in die Richtung auf eine genitale Sexualität zielt, während „sexualisierende Übertragung“ jenen Abwehrmechanismus meint, bei dem in früher Kindheit unerfüllt gebliebene Bedürfnisse nach Geborgenheit durch sexuelle Phantasien oder sexuelles Agieren kompensiert werden. (Worm 2000, S. 88; Ware 2004a, S. 141) Aus dem unter Punkt 2 genannten Grund werde ich mich auf die sexualisierenden Übertragungsmuster bei Männern und Frauen beschränken.
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2. Das geschlechtliche Erwachen Sexualisierung, Sexualität und Erotik entstehen nicht aus dem Nichts, sondern sie sind maßgeblich dadurch geprägt, wie ein Mensch als kleines Kind seiner Geschlechtsidentität innegeworden ist – ein Geschehen, das seinem Bewusstsein wahrscheinlich damals kaum zugänglich war und an das er als Erwachsener wenig konkrete Erinnerungen hat. Weil es im gegebenen Zusammenhang aber von zentraler Wichtigkeit ist, zumindest die Konturen des sexuellen Erwachens zu verstehen, möchte ich mich eines Hilfsmittels bedienen. Es ist eine bewährte Methode, sich Inhalten, die nicht voll bewusstseinsfähig sind, durch die Welt des Mythos anzunähern, gelten Mythen in der Entwicklungspsychologie doch als in Geschichten gefasste Einsichten des Menschen über die Persönlichkeitsentwicklung der eigenen Spezies. (Bischof 2000, besonders S. 195 ff) Nach dieser Sichtweise sind sie das Ergebnis kollektiven Wissens um das Gelingen oder Misslingen psychischer Entwicklungs- und Reifungsschritte, die im gesamten Spektrum des menschlichen Lebens von der frühen Kindheit über das Heranwachsen, die Individuation, Partnerschaft, Elternschaft, das Altern und den Tod möglich sind. Dieses Wissen reicht nicht nur über das Individuum, sondern auch über die Grenzen kognitiven Verstehens hinaus und tief in das Unbewusste hinein. Mythen spiegeln ein menschliches Urwissen über die eigene Gattung, das jenseits persönlicher Erfahrung beheimatet ist und das mittels märchen- bzw. mythenhafter Gestalten und Geschichten eine Übersetzung in den Bereich des sinnlich Erfassbaren erlaubt bzw. vermittelt. Hier liegt der Grund für die unmittelbare Evidenz und nie verblassende Aktualität dieser alten Überlieferungen: Sie nähren sich aus Inhalten, die in jedem Menschen Erinnerungsspuren hinterlassen haben. Diese Spuren wohnen als schattenhafte Ahnungen im Unbewussten, und sie erwachen immer dann zu Interesse und Aufmerksamkeit, wenn in irgendeiner Form an ihrem Vorhandensein gerührt wird. Im gegebenen Zusammenhang scheint mir der Mythos von der Vertreibung der Ureltern Adam und Eva aus dem Paradies in besonderem Maße geeignet zu sein, etwas mehr Klarheit in die Nebelzone des sexuellen Erwachens zu bringen, und so möchte ich die Geschichte trotz ihres enormen Bekanntheitsgrades hier nochmals skizzieren. Gott erschafft bekanntlich erst Adam, und dann, als diesem das Männerdasein zu einsam und zu langweilig wird, Eva. „Und die beiden“ heißt es im Schöpfungsbericht, „der Mensch und sein Weib, waren nackt und schämten sich nicht.“ (1. Moses, 2, 23 ff.) Unschuldig leben sie im Paradies unter der Obhut Gottes, der es ihnen an nichts fehlen lässt. Die einzige Einschränkung: Gott erlässt das strikte Verbot, vom Baum der Erkenntnis zu essen. Weil aber verbotene Früchte besonders verlockend und süß sind, lassen sich die beiden von der Schlange verführen und tun eben dies: Sie essen vom „Apfel der Erkenntnis“, und „da gingen ihnen die Augen auf, und sie wurden gewahr, dass sie nackt waren; und sie hefteten Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze.“ (1. Moses, 3, 7.) Am Abend macht Gott seinen üblichen Spaziergang im Garten Eden und erwartet, hier seine Geschöpfe zu treffen, aber diese haben sich vor ihm versteckt. Gott ruft sie, und Adam antwortet aus dem Gebüsch: „Ich hörte dich im Garten; da fürchtete ich mich, weil ich nackt bin, und verbarg mich“. Gott fragt ahnungsvoll: „Wer hat dir gesagt, dass Du nackt bist? Hast Du etwa von dem Baume gegessen, von dem ich dir zu essen verboten habe?“ Adam muss es zugeben, wobei er sogleich die Schuld auf Eva schiebt. Das nützt ihm aber wenig, denn alsbald erfolgt das bekanntes Strafgericht, das mit der Vertreibung aus dem Paradies und der Verurteilung beider Geschlechter zu einem Leben voller Mühe, Arbeit, Schweiß und Schmerz vollzogen wird, einem Leben, an dessen Ende der Tod steht.
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Übersetzt man das Bild von Adam und Eva im Paradies, behütet und bewirtet von einem eher mütterlich um ihr leibliches Wohl und ihre kindliche Unschuld besorgten Gott, in die Sprache des menschlichen Lebens, so darf man es als Ausdruck einer Lebenswirklichkeit deuten, wie sie ein Kind im Familienkreis vor der Entdeckung des Geschlechtsunterschiedes wahrnehmen mag, geborgen in der mütterlichen bzw. elterlichen Symbiose. Die verführerische Schlange steht für das Wachstumspotenzial, das auf die Ausbildung der eigenen Identität und die damit verbundene erwachende sexuelle Neugier gerichtet ist – der Biss in den Apfel führt zur Erkenntnis der komplementären sexuellen Ausstattung. Im Mythos geschieht an dieser Stelle etwas Überraschendes: Adam und Eva gehen nach der Entdeckung des Geschlechtsunterschiedes durchaus nicht freudig ans Werk des sexuellen Experimentierens, sondern sie schauen sich an, und noch ehe sie sich aus Angst vor Gott als ihrem elterlichem Über-Ich verstecken, verstecken sie sich voreinander: sie verdecken ihre Geschlechtsteile mit Feigenblättern. Sie, die vorher keine Scham kannten, schämen sich plötzlich voreinander. Wenn es also wahr ist, dass in diesem Mythos eine urmenschliche Erfahrung gestaltet ist, dann heißt das, dass der erste erkennende Blick eines Kindes auf den anatomischen Unterschied durchaus nicht lustvoll ist, sondern dass er beängstigende, vielleicht sogar traumatisierende Dimensionen hat. Was lehrt uns zu diesem Punkt die Entwicklungspsychologie? In den ersten Lebensjahren, heißt es etwa bei Norbert Bischof, wird das Elternpaar vom Kind mehr oder weniger als mütterlich geprägte Ureinheit erlebt. Das Kind „weiß zwar, dass es Männer und Frauen gibt und dass dieser Unterschied auch auf die Eltern anwendbar ist; mit dieser Tatsache kann es aber noch sorglos umgehen. Das liegt wohl daran, dass das Kind anfänglich das eigene Geschlecht noch nicht als unveränderbar erfährt und sich somit noch nicht zwingend und ausschließlich einem der beiden Elternpole zugewiesen sieht.“ (Bischof 2000, S. 308 f., vgl. zusammenfassend auch Rauchfleisch 2001) Für den durchschnittlichen Erwachsenen ist die Zweigeschlechtlichkeit eine Selbstverständlichkeit, über die er nicht weiter nachdenkt. Aber ehe er diese Abgrenzungsfähigkeit erreicht hat, musste er als Kind heftige Trennungsängste überwinden. Adam und Eva schämen sich voreinander. Scham aber setzt Schwäche und Verletzlichkeit, Verletzlichkeit Angst und Angst Gefahr voraus. Bis eben waren Adam und Eva noch Geschlechts-Zwillinge, und sie erlebten auch ihre Eltern resp. ihren mütterlichen Gott als gleichgeschlechtlich. Nun hat ihr Forscherdrang die unumstößliche Evidenz der Verschiedenheit ergeben, und im Kind zerbricht ein Gefühl, das ihm bislang Sicherheit vermittelt hat: das Gefühl einer aus dem Erleben des Gleichseins erwachsenen Geborgenheit. Statt Geborgenheit droht nun plötzlich das Gespenst von Einsamkeit, Verlorenheit, Schutzlosigkeit – mythologisch symbolisiert durch das unwiederbringlich verlorene Paradies und das Geworfensein in die Vereinzelung. Wie geht ein zweieinhalbjähriges Kind mit solchen Ängsten um? Im glücklichen Fall hat es verständnisvolle Eltern, die ihm helfen, den sich auftuenden Abgrund zu überbrücken. Aber ungeschehen können sie den Bruch natürlich nicht machen. Gottes Unerbittlichkeit in Sachen Paradies-Ausschluss spiegelt präzises anthropologisches Wissen um die Notwendigkeit, die Dinge so zu akzeptieren, wie sie von der Natur vorherbestimmt sind. Der erste kindliche Blick auf das andere Geschlecht scheint also nicht Lust und Neugier auszulösen – die stellen sich spätestens in der Zeit der Doktorspie-
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le ein – sondern Angst. Angst aber bewirkt entweder Aggression oder Rückzug, und es scheint anthropologisch vorgezeichnet, dass der kleine Junge eher den aggressiven, das kleine Mädchen eher den defensiven Weg wählt. Waren beide bislang in gleicher Innigkeit mit der Mutter verbunden, die sie als Spenderin von Schutz, Geborgenheit und Wärme wahrnahmen, so erkennt der kleine Adam sich jetzt als Ebenbild seines Vaters. Ob er will oder nicht, er muss die warme Muttersphäre verlassen und der werden, der er ist. Und wenn er den Graben, der ihn bislang vom Vater trennte, überwunden und sich mit ihm als werdender Mann identifiziert hat, wird er stolz auf diese Abgrenzungstat sein. Die kleine Eva darf in der Mutter hingegen weiter ihr erwachsenes Vorbild sehen – sie muss sich nicht umidentifizieren. Während Adam also den Unterschied progressiv verarbeitet, indem er die weibliche Sphäre aktiv verlässt und eine neue Welt entdeckt, bleibt Eva auf ihrem angestammten Territorium. Klein-Adam mag mit milder Verachtung auf seinen verlorenen GeschlechtsZwilling schauen, sich selbst als stark und überlegen erleben; aber klammheimlich wird in ihm bei allem Stolz auch eine Sehnsucht mitschwingen nach dem verlorenen weiblichen Paradies, in dem mütterliche Wärme, Geborgenheit und Zärtlichkeit herrschten. Die Trennung geschah in einem Alter, in dem sich ihm das Geheimnis der Andersartigkeit der Weiblichkeit noch keinesfalls voll entschleiert hat, und so wird ihn vielleicht lebenslang eine geheimnisvolle Sehnsucht nach diesen frühen Düften und Schwingungen begleiten. Demgegenüber wird die Dynamik der aufblühenden Geschlechtsidentität beim Mädchen dadurch bestimmt, dass es die Ähnlichkeit mit der mütterlichen Körperlichkeit zwar als beruhigend, aber je länger je mehr auch als eher eintönig und reizlos erlebt und dass es folgerichtig seine Neugier zunehmend dem zwar undeutlich als fremd und insofern beängstigend, aber gleichermaßen auch faszinierend erlebten Anderen ihrer männlichen Umgebung zuwendet. Der Vater (oder eine andere männliche Bezugsperson) wird zum ersten Geliebten, idealisierend ausgestattet mit allen nur vorstellbaren Attributen von Schönheit, Macht, Mut, Wohlwollen und Liebenswürdigkeit. Die kleine Eva liebt ihn, wenn er das zulässt, mit hingebungsvoller Verschmelzungsliebe, fühlt sich als Einheit mit ihm, als sein Lebensmittelpunkt im Sinne seiner „kleinen Prinzessin“, auf der sein stolzer, liebender, ermunternder Blick ruht. Auch Eva wird als herangereifte Frau, hat sie diese Vaterbezogenheit glückhaft erleben dürfen, eine heimliche Sehnsucht bleiben: diejenige nach dem Märchenprinzen, der ihr – stolz, kühn und schön – sein Herz zu Füßen legt und ihr gelobt, sie nie zu verlassen. Genitales Verlangen oder gar der Wunsch nach genitaler Stimulierung gehört für beide Geschlechter angesichts der auf dieser Stufe noch unausgebildeten körperlich-hormonellen Ausstattung nicht zu diesem Gefühlsspektrum. Für Adam wie für Eva gilt, soll die Integration der Geschlechtsidentität in das Gesamtselbst gelingen, dass beide Elternteile diesen Prozess liebevoll fördernd begleiten. Idealerweise sollten die Eltern ihren Kindern eine reife, erwachsene Paarbeziehung vorleben, die Im Sinne Winnicotts „gut genug“ ist (Winnicott 1965b), d. h. lebendig, respektvoll und körperhaft; eine Paarbeziehung, in der sie ihre eigenen narzisstischen und sexuell-erotischen Bedürfnisse leben können, so dass sie nicht Gefahr laufen, diese missbräuchlich auf Kosten ihrer Kinder auszuleben; eine Paarbeziehung auch, die den narzisstischen und libidinösen Begehrlichkeiten ihres Nachwuchses natürliche Grenzen setzt und die ihm gleichwohl den notwendigen Entwicklungsspielraum zur Selbstentfaltung gibt.
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Im einzelnen ist es Sache der Mutter, in Verbundenheit mit ihrem Partner ihrem kleinen Sohn einerseits Raum zu geben für seinen Identifizierungsprozess mit dem Vater, ohne sich deswegen ungeliebt zu fühlen, und andererseits ein offenes Herz für die Zärtlichkeit zu haben, die der Sohn ihr gleichwohl geben möchte. Ebenso braucht die Tochter liebevolles mütterliches Verständnis dafür, dass sie ihren Vater in manchen Entwicklungsphasen interessanter findet als ihre Mutter sowie die Sicherheit, sie – die Tochter – dürfe, wenn das Spiel mit den töchterlich-väterlichen Spannungen zu viel Ladung erhält, jederzeit und ohne Schuldgefühle in den sicheren weiblichen Hafen zurückkehren. Entsprechend ist es Sache des Vaters, seinem Sohn ein männliches Vorbild zu sein, mit dem dieser sich identifizieren kann, ohne dass er ihm deswegen den gelegentlichen Rückweg zu des Sohnes „erster Liebe“, seiner Ehefrau, versperrt. Und die Weiblichkeit seiner Tochter wird gedeihen, wenn er ihr ein liebevoll bewundernder Vater ist, der ihre Idealisierungen in realistischem Rahmen sieht und ihren gelegentlichen Rückzügen auf das Mutter-Tochter-Territorium deswegen mit freundlicher Gelassenheit begegnen kann. Wink Hilton (1996, S. 81) hat, ausgehend von einem reifen Elternpaar, das sich seiner eigenen Sexualität gewiss ist und sie mit dem Partner/der Partnerin lebt, zwei plastische Lebensbotschaften formuliert, die einem jungen Menschen zu einer mit Stolz, Selbstbewusstsein und offenem Herzen gelebten Geschlechtsidentität verhelfen können. Den gleichgeschlechtlichen Elternteil lässt sie dem Kind sagen:
„Es freut mich, dass Du mir ähnlich bist. Ich habe Freude an der Kraft Deiner Sexualität. Ich stehe hinter Dir und unterstütze Dich, wenn Du dem Objekt Deiner Begierde gegenüber stehst…“ Und für den gegengeschlechtlichen Elternteil formuliert sie diese Botschaft: „Ich bestätige und akzeptiere Deine Sexualität und es freut mich, dass Du sie hast. Ich habe vor Deinen Gefühlen keine Angst und fordere nicht von Dir, meine Bedürfnisse zu befriedigen. Und ich bin absolut und unzweideutig nicht verfügbar. Deshalb kannst Du sicher sein, Deine Gefühle haben und erleben zu dürfen. Ich kann mit ganzem Herzen Dein Hinausgehen in die Welt und Deine Suche nach dem richtigen Objekt für Deine Leidenschaft und Deine Liebe unterstützen.“
3. Sexualität leben Die hier – idealtypisch dargestellt – zum Ausdruck kommende elterliche Haltung bietet die beste Voraussetzung, dass junge Menschen beiderlei Geschlechts durch alle dazugehörigen Unsicherheiten und Ängste hindurch allmählich das reiche Instrumentarium ihrer sexuellen Ausdrucksmöglichkeiten entdecken und leben lernen können. Menschen, deren sexuelles Erwachen von der familiären Umgebung miterlebt, unterstützt und positiv gespiegelt worden ist, lernen nach und nach, die gegengeschlechtliche Identität eines potenziellen Partners, einer potenziellen Partnerin nicht als Bedrohung, sondern als mit Spannung und Lust wahrgenommene Ergänzung und Erfüllung des eigenen sexuellen Empfindens und Sehnens zu erfahren. Wenn ich vom „reichen Instrumentarium“ des sexuellen Austausches spreche, dann deshalb, weil sich in der Erotik Klangfarben aus frühester und früher Kindheit mit solchen mischen, die aus der Zeit der geschlechtlichen Reife stammen. In der geglückten körperlichen Vereinigung mischen sich regressive
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und progressive Energien zu einer reich instrumentierten Symphonie der Sinne. So reich und rauschhaft dieses Miteinander dem subjektiven Erleben sein kann, so liegen hier freilich auch Ursachen für mannigfaltige Verwirrungen und Verletzungen. Für die Psychotherapeutin und den Psychotherapeuten, die mit ihren sexuell verwirrten Klienten entsprechende Themen bearbeiten, ist es daher von essentieller Wichtigkeit, frühkindliche und genitale Strebungen zu erkennen und voneinander zu unterscheiden. Denn wenn in diesem Bereich im therapeutischen Handlungsdialog Verwirrung aufkommt resp. die bestehende Verwirrung nicht früher oder später zugunsten von Transparenz und Kontur verschwindet, dann besteht die akute Gefahr, dass die Sprache der „Zärtlichkeit“ mit der der „Leidenschaft“ (Ferenczi 1972) verwechselt wird, was innerhalb und außerhalb der Therapie schnell in die Abgründe sexuellen Missbrauchs führen kann. Als hilfreich erweist sich für diesen Differenzierungsprozess George Downings Unterscheidung von drei Ebenen sexuellen Erlebens (2000, S. 37): Als erste Ebene führt er „die dominanten Schemata erotischer Empfindungen“ an – womit er jene kraftvollen energetisch-emotionalen Erregungszustände meint, die Wilhelm Reich den „Orgasmusreflex“, er selber „Wellenbewegung“ nennt und die vor der Pubertät nicht aktiviert werden, also eindeutig der Erwachsenen-Sexualität zugehören. Zum Zweiten nennt er eine Reihe früh auftretender Schemata, die machtvoll in die genitale Sexualität einfließen und die mit „Berührung, mit körperlicher Nähe, Sinnlichkeit“ und Zärtlichkeit zu tun haben. Zum Dritten unterscheidet er Muster, „die ebenfalls früh erscheinen und die […] Formen von proto-erotischen Empfindungen reflektieren – die genitale Berührung zum Beispiel, die im zweiten Jahr auftritt. Oder die verschiedenen Formen sexueller Neugier oder des sexuellen Humors, die Kinder jeglichen Alters animieren können.“ Dies im übrigen nicht autoerotisch, sondern in dy- bzw. triadischem Kontakt mit den Pflegepersonen, einem Kontakt, der nach Ausweis der Säuglingsforschung ein hohes affektives Intensitätsnieveau erreichen kann und der die (im gelungenen Fall) lustvolle Erfahrung mit sich bringt, dem Gegenüber den Zugang zum eigenen Körper zu erlauben. (Geißler 2001c) Nehmen wir als Beispiel dafür, wie alle drei Ebenen in der ErwachsenenSexualität zusammenspielen, den erotischen Zungenkuss. Dieser hat seine frühen Wurzeln im hingebungs- und vertrauensvollen Saugen des Babys an der Mutterbrust, gehalten, gestreichelt, beschützt und gewärmt vom mütterlichen Körper, begleitet von liebevollem Geflüster und Gemurmel. Als Erwachsene küssen wir mit Leidenschaft eine Partnerin oder einen Partner, von dem oder von der wir uns erotisch angezogen fühlen, dem oder der wir uns also auch zu einem guten Teil körperlich und psychisch anvertrauen. Dementsprechend küssen wir ihn oder sie nicht nur mit unserer Zunge und unseren Lippen, sondern wir halten unser Gegenüber und lassen uns halten, wir streicheln und wir werden gestreichelt, wir geben gurgelnde Töne von uns, wir tauschen die Wärme unserer Körper aus. Mit einem Wort: wir suchen und finden beim Küssen viele wunderbare Empfindungen aus früher Kindheit, die unser Körpergedächtnis gespeichert hat, die wir zwischenzeitlich verloren haben und die wir erotisch küssend wiederfinden. „Denn was ist küssen anderes“ fragt Adrienne Blue, „als Saugen und nuckeln, lecken und sondieren mit den Lippen an denen des oder der Geliebten und das Ertasten des Nippels im Mund – der Zunge? Wir küssen so gern, weil der Kuss schon Teil unserer allerersten Liebesbeziehung war.“ (Blue 1996, S. 52)
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Den leidenschaftlichen Zungenkuss vollziehen wir meist mit geschlossenen Augen, und das folgt einer andere Erinnerungsspur: der Sehnsucht nach früh empfundener paradiesischer Gleichheit vor dem Sündenfall des genauen Hinschauens. Das Verschmelzen im Zungenkuss eröffnet einerseits den Weg zum genitalen Begehren, und andererseits verweist es auf die ganz frühe Erinnerung von Gleichsein und Zusammensein. Der mit geschlossenen Augen ausgetauschte Zungenkuss ist „homo-erotisch“, können wir uns doch beim blinden Küssen, dieser „Hochzeit der Innigkeit“, in geschlechtsloser Einigkeit für ein paar Augenblicke verschmolzen fühlen. (Blothner 1995, S. 6) Auch Downings dritter Punkt, die „proto-erotischen“ Schemata lächelnder Neugier oder Vorfreude, stimulieren wir beim Küssen, wobei hier wohl eher der „kleine Kuss“ – zum Beispiel der auf die Nase oder auf die geschlossenen Lippen – zuständig ist. Wie auch immer. In einem stetigen Crescendo vom kleinen Kuss, der kleinen Berührung über den Zungenkuss und das körperliche Verschmelzen wächst die „Lust des Coeundi“ (Heisterkamp 2001) an zu einem zwingenden Drang zur genitalen Vereinigung, jenem Fest der Verschmelzung, in dem die Liebespartner sich in ihrer Männlichkeit resp. Weiblichkeit erleben und als eben diese vom Gegenüber begehrt werden. Wie in anderen Selbstbereichen ist es auch in der Sexualität zutiefst beruhigend und befriedigend, vom Partner als der- bzw. diejenige gesehen zu werden, die man ist – als Frau, als Mann –, und so geht mit dem erfüllten Liebesakt eine tiefe, entspannte Zufriedenheit einher, ein harmonischer Rückzug in die heimatlichen Gefilde der eigenen Identität im Wissen, dass die Feier des eben keineswegs „kleinen Unterschiedes“ (Schwarzer 1975) eine Quelle beidseitig erlebter Vitalität, Freude und Liebe ist – und damit ein wichtiger Beitrag zum physischen und psychischen Wohlergehen des Paares.
4. Sexualisierende Übertragung bei Frauen und therapeutische Neuanfänge Menschen, die ihre genitale Sexualität als Vereinigung komplementärer, psychisch-anatomischer Gegensätzlichkeit leben und genießen können, suchen selten den Weg in die psychotherapeutische Praxis. Hier begegnen wir eher Persönlichkeiten, die unter unausgefüllter, mit Widerwillen oder unter gar nicht gelebter Sexualität leiden.
Frau P. Frau P., eine attraktive, sehr feminin wirkende Frau um die Dreißig ist seit etlichen Jahren bei mir in Therapie. In der ersten Zeit verliefen ihre häufiger wechselnden Männerbeziehungen stets nach demselben Muster. Angezogen von ihrer Attraktivität und ihrer freundlichen, warmen, dabei stets zum Flirt bereiten Natur, kamen die Männer auf sie zu, und obwohl Frau P. innerlich meist ambivalent war, entwickelte sich jeweils bald eine Liebesbeziehung. In den ersten Wochen erlebten beide Partner ihre Sexualität als befriedigend, doch bald stellten sich bei meiner Klientin je nachdem Gleichgültigkeits-, Ratlosigkeits- oder Fremdheitsgefühle ein, und beim Sexualkontakt erlebte sie nur noch Widerwillen oder gar Ekel. Das führte dazu, dass sie sich den Männern verweigerte, woraufhin die Beziehung in der Regel von Seiten der Männer aufgegeben wurde, was Frau P. immer wieder verzweifeln ließ. In meiner Gegenübertragung spürte ich während solcher Episoden keinen wirklichen Kontakt zu Frau P., eher Leere – graue, freudlose Fahlheit –, und ich verstand diese
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Gefühlsebene als Ausdruck einer großen Orientierungs- und Ratlosigkeit im Innern meiner Klientin, und dies vor dem Hintergrund einer tiefen Sehnsucht nach mütterlicher Wärme und Geborgenheit, die sie in den Männerbeziehungen unbewusst ebenso sehnsüchtig wie vergeblich zu finden hoffte. Indem ich begann, diese frühkindliche Sehnsuchtsebene vorsichtig in meine Spiegelungen und Deutungen einzubeziehen, fühlte sich Frau P. mehr und mehr verstanden, und allmählich wurden Vertrauen und Herzlichkeit zu prägenden Charakteristika unseres Kontaktes. Möglicherweise ermutigt durch diese behutsam sich entwickelnde therapeutische Vertrauensbeziehung wandte sie sich einem Mann zu, mit dem sie auch jetzt noch zusammen ist. Der ließ sich von Frau P.s auch ihm gegenüber aufflammender Ambivalenz nicht einschüchtern, und obgleich mit anfänglich zufriedenstellendem Sexualverkehr und anschließendem Verflachen der Beziehungsverlauf dem üblichen Muster folgte, ließ sich Herr Q. nicht abweisen. Die beiden verstehen sich in fast allen Bereichen sehr gut, nur die Sexualität ist nach wie vor unbefriedigend. Bei beiden besteht aber der Wunsch nach einer Änderung im Sinne eines tieferen und häufiger gelebten sexuellen Austausches. Frau P.s frühkindliche Prägung ist in vielen Zügen symptomatisch für die Ausbildung sexualisierender Übertragungsmuster bei Frauen. Sie war das älteste Kind eines „1968er-Paares“: Der Vater, von einem fernen Kontinent stammend, hatte gerade sein Studium beendet, die Mutter hatte eben damit begonnen; beide steckten voller Selbstverwirklichungs-Ideen, und bald nach der Geburt von Frau P. begann der Vater, seine Vorstellungen von freier Liebe zu praktizieren, während die Mutter versuchte, ihr Studium zu meistern. Für das kleine Kind blieb unter diesen Umständen wenig Zeit, Raum und Geborgenheit. Nach vier Jahren kam ein Sohn zur Welt, was die Ehe aber nicht retten konnte. Der Vater trennte sich von der Familie, ging zurück in seine Heimat und baute sich dort eine neue Existenz und eine neue Familie auf. Die nun allein erziehende Mutter war mit ihrer Berufsausbildung und den beiden kleinen Kindern hoffnungslos überfordert. Sie suchte Halt bei wechselnden Liebhabern, die im Haus – und im Schlafzimmer – ein- und ausgingen. Bedingt durch eine akustisch durchlässige Zimmerwand war Frau P. häufige Ohrenzeugin des mütterlichen Sexuallebens, und es kam auch vor, dass sie das Paar, das sich über die traumatisierende Wirkung solcher Erfahrung auf ein Kind offenbar nicht im klaren war, beim Sexspiel im Bett antraf. Ich selber fühlte mich, wenn Frau P. in unseren Sitzungen diese Kindheit auferstehen ließ, an der Oberfläche schmuddelig, klebrig, von Juckreiz geplagt und im Hinblick auf meine psychische Lebendigkeit tief verschlossen. Auch diese Gefühle ließen sich hilfreich einbringen, indem ich ihr einerseits empathisch mein Entsetzen über dieses Ausmaß des Missbrauchs spiegelte und gleichzeitig meine Bewunderung darüber ausdrückte, dass sie es unter diesen chaotischen, extrem belastenden Umständen geschafft hatte, nicht nur ihren Kinderalltag mit schulischen und häuslichen Verpflichtungen zu meistern, sondern auch ihre Identität und Integrität zu bewahren. Berührenden Ausdruck fand diese „integere Identität“ in einem Traum: Sie lag im Badezimmer der mütterlichen Wohnung in der Badewanne, die voll kalten Wassers war, und die Tür war fest verschlossen. Für Frau P. waren die im Traum gestalteten Elemente von Frische, Reinheit und Sicherheit ein wohltuendes Gegengift gegen die schwüle, unabgegrenzte Schmuddeligkeit ihrer Kinderrealität, was ich sehr gut einfühlen konnte, wenn sich in meiner Gegenübertragung daneben auch Trauer und Wut über die Höhe des Preises einstellten, die sie für die Verteidigung ihrer Selbstachtung hatte bezahlen müssen. Es erfüllt mich mit Freude, dass Frau P., die vor drei Jahren den frühen und plötzlichen Tod ihrer Mutter hat erleben müssen – und auf reife Art betrauern können –, in ihrer Gefühls- und Übertragungsdifferenzierung so weit fortgeschritten ist, dass sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt auf den verantwortungslosen und übergriffigen negativen Aspekt ihrer Mutter in Inszenierungen mit kraftvoller Wut einprügeln kann, ohne damit den geliebten Muttersapekt zu verlieren oder von Schuldgefühlen überfallen zu werden.
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Erwartungsgemäß entwickelte Frau P. einen ausgeprägten Ekel vor der Körperlichkeit ihrer Mutter, lernte aber allmählich, sich, so gut es ging, vor der permanent sexualisierten Atmosphäre durch Rückzug in einen narzisstischen Kokon zu flüchten. Gleichzeitig baute sie in ihrer Phantasiewelt ein idealisierendes Bild von ihrem Vater als schönem, liebevollem und starkem Retter aus ihrer häuslichen Not auf, das immer dann zu wanken begann, wenn sie ihn und seine neue Familie in den Schulferien besuchte und in ihm statt der erhofften Lichtgestalt eine einerseits überbeschäftigte, abwesende, andererseits in Momenten der Nähe grenzüberschreitende, ihrerseits sexualisierende Persönlichkeit antraf. Zurück im Chaos des mütterlichen Haushalts baute sich das Vaterideal dann schnell wieder auf.
Neben etlichen individuellen Ausprägungen weist Frau P.s Geschichte Züge auf, die bei Frauen, die zu sexualisierender Übertragung neigen, als Gesetzmäßigkeiten zu werten sind. (Hoffmann-Axthelm 1994, S. 54–100; 1998; 2000) Von zentraler Bedeutung ist hier, dass diese Frauen in ihrer Kindheit nicht die Möglichkeit hatten, eine stabile weibliche Identität aufzubauen, wie sie bereits skizziert wurde. Es fehlte ihnen ein weibliches, mütterliches Vorbild, das ihnen die Haltung einer sich selbst in ihrer sexuellen Ausstattung und den damit verbundenen charakterlichen Eigenheiten bejahenden Frau beispielgebend vorgelebt und dieses Bild ihrer Tochter im lebendigen, austauschenden Kontakt mitteilend vermittelt hätte. Und es fehlte ein liebevoller Vater, der dem Kind den Unterschied zwischen zärtlicher und leidenschaftlicher Liebe hätte erahnbar machen können, indem er seiner Tochter Herzensliebe, Aufmerksamkeit und Stolz und seiner Frau darüber hinaus erotische Hingabefähigkeit geschenkt hätte. Mit anderen Worten: Vorraussetzung für ein lebendiges Hineinwachsen in die eigene Geschlechtsidentität ist die Existenz eines weiblichen und eines männlichen „Kontinents“ (Rohde-Dachser 1991) in der Lebensgemeinschaft, in der das Kind aufwächst. Diese beiden „Kontinente“ sind spürbar voneinander abgegrenzt, dabei aber mit Brücken oder Schiffspassagen jederzeit ohne Mühe zu überwinden (s. oben). Es ist ein Gemeinplatz, dass wir nur solche Haltungen weitergeben können, die wir selbst in einer Weise erlernt und erfahren haben, dass sie uns in Fleisch und Blut übergegangen, also ein unbezweifelter Teil unserer inneren Wahrheit geworden sind. Wer genug Gutes im Rahmen seiner Identitätsbildung erfahren durfte, der wird diese Erfahrung – wahrscheinlich weitgehend unbewusst – den eigenen Kindern weitergeben können. Wer demgegenüber in diesem Bereich unter früh entstandenen Defiziten leidet, wird – wiederum unbewusst – notgedrungen diese Defizite weitergeben. Ein erstes Defizit ist hierbei mit einer in früher Kindheit wurzelnden Mutter-Tochter-Beziehung gegeben, die nicht „gut genug“ war, um die Entstehung einer stabilen weiblichen Identität zuzulassen, ein zweites mit einer unabgegrenzten Vaterbeziehung. Auch eine Mutter wie diejenige von Frau P. hat unzweifelhaft „das Beste“ für ihre Tochter gewollt. Sie selbst stammte aus einer Familie, in der – wie so oft – die Sexualität als vitale Lebenskraft nicht spürbar war, sondern aus der Perspektive des heranwachsenden Mädchens eher als ein großes, bedrohliches Gespenst im Hintergrund lauerte, zumal der Großvater von Frau P. nonverbal eine sexualisierend-vereinnahmende Haltung ausgestrahlt zu haben scheint. So hatte auch Frau P.s Mutter die für eine stabile Geschlechts-Identitätsbildung unverzichtbaren Qualität beschützt heranreifender Weiblichkeit nicht erfahren können, und folgerichtig gab sie dieses Defizit an ihre Tochter weiter. Von Seiten der Mutter war der Kontakt geprägt durch Wechselbäder zwischen zärtlicher bis heftiger körperlicher und seelischer Nähe einerseits und langen Phasen lähmender Depression andererseits, während derer die Mutter im
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Bett lag und es der siebenjährigen Tochter überließ, nach der Schule das Essen für die dreiköpfige Familie zuzubereiten. Diese schlüpfte in solchen Zeiten – so gut es ging – in die Rolle des sorgenden Familienoberhauptes, wobei die unausgereiften narzisstischen und sexuellen Anteile – Sehnsucht nach Geborgenheit und Ekel vor körperlicher und seelischer Überstimulation – ins Unbewusste verbannt wurden. Gelegentlichen Jähzornsausbrüche, mit denen Frau P. ihr Recht auf eine angemessene Kindheit zu artikulieren suchte, konnte die Mutter nur mit eisigem Schweigen begegnen, so dass in Frau P.’s Gesamtselbst auch die aggressiven Strebungen keine adäquate Ausreifung in Richtung auf das Durchsetzen eigener Rechte erfahren konnten. Die Entwicklung meiner Patientin mündete schließlich nach dem Schulabschluss in eine massive Depression, die einen Klinikaufenthalt notwendig machte.
Im Hinblick auf das Phänomen der weiblichen sexualisierenden Übertragung lassen sich aus Frau P.’s Geschichte folgende Punkte verallgemeinern: Diese Frauen haben sich als Kinder 1. nicht ausreichend gut mit ihren Müttern identifizieren können, so dass es ihnen an einer stabilen weiblichen Identität mangelt. 2. Kompensatorisch haben sie ihre (anwesenden oder abwesenden) Väter idealisiert und gelernt, oberflächlich den väterlichen Erwartungen zu entsprechen. Sie sind zu „Vatertöchtern“ geworden, die ggf. mit ihren Müttern um die Aufmerksamkeit und Zuwendung ihrer Väter wetteifern – und dies in der unbewussten Hoffnung, hier die Geborgenheit und den Schutz zu finden, den sie ursprünglich von ihren Müttern ersehnten. 3. Erwachsen geworden, übertragen sie dieses doppelbödige Liebesmuster auf ihre Partner. Sexualität, in der ersten Verschmelzungs-Begeisterung von den Frauen meist lustvoll gegeben und genommen, wird mehr und mehr zum Vehikel körperlicher und seelischer Symbiosewünsche. 4. Der eigentliche Sexualakt erweist sich je länger, je weniger als der Kern des Begehrens. Im Gegenteil, die durch frühkindliche sexuelle Überstimulierung entstandenen Wunden melden sich mit Symptomen wie Ekel und Angst zurück. Am Ende steht als einziger Ausweg aus dieser Not die sexuelle Verweigerung. 5. In ihrem Selbst sind Frauen mit dieser Struktur nicht ausreichend gut verankert. Da sie nicht genug Geborgenheit, Schutz und Bestätigung bietende Introjekte in sich haben integrieren können, nährt sich ihr Selbstwertgefühl durch wechselnde Identifikationen mit als überlegen und machtvoll erlebten – meist männlichen – Persönlichkeiten, Idealisierungen, denen nach den ersten Enttäuschungen in aller Regel die Entwertung folgt. 6. Es ist diesen Frauen auf Grund der eigenen Rollendiffusion kaum möglich, im männlichen Gegenüber eine eigene, andere, abgegrenzte Persönlichkeit zu sehen und dieser einerseits mit Respekt, andererseits in nur auf temporäre Verschmelzung der Geschlechterpolarität gerichtetem sexuellem Begehren zu begegnen.
4.1. Therapeutische Wege 4.1.1. Das Erkennen der sexualisierenden Abwehr Unter der Voraussetzung, dass zwischen Therapeutin und Patientin eine genuine Sympathie gegeben ist, erlebe ich das Klima in Therapien mit sexualisierenden Klientinnen als ernsthaft und konstruktiv. Inhaltlich stehen zu Beginn der Therapie in der Regel Beziehungsprobleme im Mittelpunkt: Die Patientinnen
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berichten von ihren wechselnden Partnerschaften, Liebschaften, Dreiecksbeziehungen etc., wobei – je nach Stand der Dinge – entweder die idealisierende oder die entwertende Haltung im Vordergrund steht oder auch Unmut bzw. Verzweiflung, dass „der Richtige“ noch nicht aufgetaucht ist. Ich höre aufmerksam zu und bemühe mich, das Geschehen aus meiner Sicht zurückzuspiegeln und langsam Gesetzmäßigkeiten und Muster im Sinne des Wiederholungszwanges aufzuzeigen. Die Patientinnen reagieren hierauf in der Regel aufmerksam, interessiert und offen, und ich erlebe mich im Spiegel dieser Übertragung meist wie ein geschlechtsloser, in seinem Erfahrungsvorsprung akzeptierter Elternteil. Ungeachtet dessen, dass die besprochenen Inhalte sexueller Art sind, kann ich mich im Spektrum meiner Gegenübertragungsempfindungen weder bei Frau P. noch bei anderen, ähnlich strukturierten Patientinnen an sexuelles Interesse, an körperlich-sexuelle Stimuli oder an verwandte Regungen wie Aufregung, Spannung oder Neugier erinnern. Viel eher empfinde ich im Gefühlsspektrum dunkle Elemente wie Verwirrung, Verlorenheit, Einsamkeit, Ratlosigkeit, Trauer – und vor allem Angst, diesen vielleicht hilfreichsten aller Wegweiser zu tiefer liegenden Gefühlen; und ich suche Wege, diese in den Handlungsdialog einzubringen. Dabei erweist sich das Entwickeln von Emotionen aus körpersprachlichen Wahrnehmungen als außerordentlich nützlich. Viele Patientinnen sind sich, während sie mehr oder weniger geläufig über ihre sexuellen Erfahrungen sprechen, weder des Abwehrcharakters noch ihrer Angst bewusst, das Ausmaß ihrer oralen Bedürftigkeit wahrzunehmen. Sie spüren aber einen „Kloß im Hals“ oder ihre verkrampfte Magenmuskulatur. Bitte ich sie, den schmerzenden Körperteil im Sinne einer Schutz und Wärme vermittelnden Handlung mit ihrer Hand zu bedecken, so löst sich die Spannung meist sehr bald und weicht Gefühlen wie Müdigkeit, Schwere und Trauer – das überforderte Kind in der Erwachsenen beginnt körpersprachlich, von seinem frühen Leid zu berichten.
4.1.2. Identität und Rolle Frauen mit einem sexualisierenden Übertragungsmuster haben keine stabile Identität aufbauen können. Die Spiegel, in denen sie sich als Kinder betrachten lernten, erweisen sich im Erwachsenenalter als verzerrte Wirklichkeit. Im Falle von Frau P. warf ihr „Vaterspiegel“ ihr ein Bild zurück, das sie dazu anhielt, in seiner Schönheit und seinem Charme zu versinken, ohne ihm die Schattenseiten seiner Egozentrik und seiner inneren sowie äußeren Abwesenheit anzukreiden. In ihrer Phantasie sah sie sich als seinen Lebensmittelpunkt, seine Prinzessin, die er auf seinen Armen durch das Leben trug. Der „Mutterspiegel“ forderte von dem Kind grenzenloses Verständnis für die oral-sexuelle Bedürftigkeit der Mutter und „männliche“ Unterstützung sowie eine pflegeleichte, unkomplizierte Psyche. Das Spiegelbild des kleinen Bruders schließlich – eines gleichfalls sehr verwirrten, depressiven Kindes – bat um Lebensorientierung in fast allen Bereichen. Frau P. lernte also, sich in recht unterschiedlichen Rollen zu bewegen: Sie fühlte sich als Prinzessin, als Geliebte, als weibliche Konkurrentin ihrer Mutter (und später auch ihrer Stiefmutter), als Partnerin, Trösterin und Managerin der Mutter sowie als mütterliche Mentorin ihres Bruders. Dass sie in dieser Rollendiffusion kaum eine Möglichkeit fand, zu sich selber zu kommen, liegt auf der Hand. Eine der wenigen Möglichkeiten, sich zu spüren, war se-
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xuelle Selbststimulation. Dennoch gelang es ihr – sie kann heute noch nicht sagen, wie – ihren Gymnasialabschluss und eine Berufsausbildung zu machen. Therapeutische Hilfe suchte sie aus einer umfassenden Ratlosigkeit heraus – naturgemäß konnte ihr keine der erlernten Rollen auf Dauer das Gefühl geben, ein sinnvolles, erfülltes Leben zu leben. Wiederum erwiesen sich im Hinblick auf diese Thematik körperorientierte Interventionen als sehr nützlich. Dem diffusen Rollenverständnis entsprach ein nicht weniger unklares Körpergefühl. Wie im Falle ihrer geistigen und seelischen Ausstattung so litt Frau P. auch darunter, ihre körperlichen Grenzen und Möglichkeiten nicht kennen und nutzen zu können. Sie ging früh zu Bett, schlief ganze Wochenenden durch und war tagsüber doch stets todmüde. Hier halfen leiborientierte Interventionen, die den Körper als Gefäß für Emotionen und Energien spürbar machen, und dabei vor allem: tiefes, gleichmäßiges Atmen von Kopf bis Fuß, Selbstmassage von Kopf, Armen, Becken und Beinen und energetisierenden Handlungen wie Schlagen von Armen und Beinen in Rückenlage auf einer Matratze. (Steinmann 2002, S. 308) So gelang es der Klientin immer schneller und besser, aus eigenem Vermögen aus dem Zustand körperlicher und seelischer Apathie zu Wachheit, Stärke und Lebenslust zu gelangen. Allmählich zeigten sich energetische, Ressourcen, eine neue Kraft und Klarheit, die nicht nur mich, sondern auch sie selbst staunen machten und die sie schnell im Dienste des eigenen Wachstums zu nutzen lernte. Ihr Gesichtsausdruck, der zu Beginn der Therapie von Müdigkeit, Enttäuschung und Hoffnungslosigkeit geprägt war, spiegelt je länger je mehr ihre Emotionen: die Augen leuchten bei Begeisterung und Freude, sie sind zurückgezogen bei Trauer und bohrend, wenn sie wütend ist. Die Haut, ehedem ein wenig gelblich und wie unrein, strahlt hell leuchtend. Darüber hinaus hat sie in den letzten drei Jahren in einem beeindruckenden Arbeitsaufwand eine zweite Berufsausbildung absolviert, die ihr innere und äußere Befriedigung vermittelt, und sie hat tatkräftig und kompetent ihr neues Berufsleben angepackt. Der unvermeidliche Nebeneffekt dieses verbesserten Gespürs für die eigene Körperidentität war: mit aller Klarheit fühlt sie ihr tiefes Unvermögen, im sexuellen Kontakt Befriedigung zu finden.
4.1.3. Träume, Körperarbeit und Inszenierung Beim Umgang mit einer Abgrenzungsproblematik wie der hier beschriebenen habe ich sehr gute Erfahrungen mit den beiden Körpertherapie-orientierten „Säulen“ Körperwahrnehmung (z. B. Hoffmann-Axthelm 1996, S. 143, 153 ff.) und Inszenierung (Pesso 1991) gemacht: Körperwahrnehmungs-Sequenzen dienen dazu, den eigenen Körper in Momenten, in denen der betroffene Mensch überschwemmt wird von projektiven Phantasien und Eindrücken, wieder als integrierenden Bestandteil der Persönlichkeit zu erfahren: zu tasten, zu massieren, zu atmen und zu spüren, dass „Ich“ von Kopf bis Fuß ein zusammengehöriges Ganzes bin und dass mit dieser Wahrnehmung Selbstsicherheit und Wohlbehagen einhergehen. Diese Empfindungen machen es der Klientin leichter, die übermächtigen, bedrohlichen Introjekte auf ihre Wirkung auf die hier und jetzt gelebte Wirklichkeit hin zu überprüfen. Für diese Überprüfung eignet sich die Inszenierung sehr gut: Ein Gegenstand wird an einen Ort in den Praxisraum gestellt, an dem die Klientin ihn sieht, und er repräsentiert nun die Introjekte, während ich als Therapeutin diesen Introjekten die Stimme oder Stimmen gebe, die meine Klientin in ihrem Innern hört oder spürt. Indem sie diese Stimmen nun von außen hört, kann sie diese als früh erlernte, selbstschädigende Identifikationen verstehen und nach
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neuen, konstruktiven Lösungen suchen. So kann sich allmählich herausschälen, von wem und an welchem Kindheitsort sie gelernt hat, diese früh erfahrenen destruktiven Regungen zu einem Teil ihres Innern zu machen. Der Gegenstand – in einer Therapiegruppe ist es eine Person, die diese Rolle spielt – wird also zum Rollenträger des Negativ-Aspektes einer wichtigen Bezugsperson der Vergangenheit, und wenn das klar genug geworden ist, dann wird ein zweiter Gegenstand für diejenige Person aufgestellt, auf die die Klientin in gegenwärtigen Lebenssituationen ihr verzerrendes Übertragungsmuster projiziert hat – also der Lebenspartner, der Chef, der Therapeut etc.. Gelingt diese Trennung zwischen damals und heute, so entsteht augenblicklich für die aktuelle Beziehung, die sich eben noch erdrückend und lähmend angefühlt haben mag, neuer Raum und neue Beweglichkeit. Frau P. hat ein sehr gutes Gespür dafür, ob sie sich in ihrem Körper erlebt oder nicht und beginnt häufig von sich aus die Stunde mit dem Vorschlag, zunächst ruhig in sich hineinzuatmen oder mittels einer Selbstmassage der eigenen Körpergrenzen inne zu werden. Das bringt sie in der Regel zu einer tieferen Wahrnehmung ihrer selbst und schafft Raum für die schwierige Arbeit an der Neugestaltung der Introjekte. Naturgemäß ist hier ein zentrales Thema die Beziehung zu Herrn Q. Frau P. mag ihn sehr und braucht ihn als verständnisvollen Gesprächspartner und unterstützenden Freund. Andererseits erlebte sie ihn vor allem in den ersten Jahren ihrer Beziehung in seiner Körperlichkeit manchmal als unabgegrenzt oder gar ein wenig abstoßend, obwohl sie sich selbst dafür hasste. Parallel dazu träumte sie von sexuell extrem attraktiven Männern mediterranen Typs, jungen Ebenbildern ihres Vaters, zu denen sie sich im Traum in unwiderstehlicher Verschmelzungsliebe hingezogen fühlte und denen gegenüber sie Herrn Q. keine Chance einräumte und einräumt. Hier geht es immer wieder um die Abgrenzung des frühen, idealisierten Vaterintrojektes von der realen Persönlichkeit Herrn Q.’s, was wir mehrfach mit Inszenierungen bearbeiteten. So stellten wir in einem Fall einerseits – repräsentiert durch einen Sitzsack – einen „latin lover“ auf, zum anderen – repräsentiert durch einen Stuhl – den realen Herrn Q., und ich bat sie, mit beiden Aspekten zu sprechen. Sie schaute zunächst den Repräsentanten von Herrn Q. an und sagte ihm, wie sehr sie ihn schätze, dass sie ihn aber leider nicht lieben könne. Dann wandte sie sich dem Repräsentanten des Verschmelzungsliebhabers zu und sagte ihm, indem sie eine Traumsequenz erinnerte, wie wunderschön er mit seinen dunklen Augen, dunklen Haare und dem schicken weißen Anzug aussehe. Sie beide seien ein tolles Paar, das am sonnigen Sonntag an der Meerespromenade flaniere und eine wunderschöne Zeit miteinander verbrächte. Wie immer bei solchen Inszenierungen achtete ich genau auf meine Gegenübertragung: Im Falle von Herrn Q. spürte ich eine leise, halbschwere Traurigkeit, im Falle des Traummannes hingegen gähnende Langeweile. Es war dann aber nicht nötig, diese Wahrnehmungen einzubringen, denn Frau P. spürte sofort, dass der „Mann ohne Schatten“ eine Reinkarnation ihres kindlich bewundernden Blickes auf den fernen, wunderschönen Vater war und dass eine Beziehung wie diese „nur eine Zwischenstation“ sein könne, ohne Echtheit, ohne Nähe, ohne das Potenzial konstruktiver Auseinandersetzung zwischen MIR und DIR. Sie gab dem den Verführer repräsentierenden Sitzsack einen Tritt, womit sie das Introjekt auf Distanz brachte und wandte sich nun nochmals dem realen Aspekt von Herrn Q. zu. Dankbar erkannte sie, wie sehr sie in ihm den letztlich destruktiven Verführer sucht und ihn – zu ihrem Glück – nicht findet. Frau P. merkt mehr und mehr, dass sie die Rolle von Vaters „Prinzessin“ eigentlich nicht mehr einnehmen will. Kürzlich gelang es ihr in einer anderen Inszenierung, in der wir das negative Vaterintrojekt aufstellten, erstmals, auf diesen Verführer-Aspekt einzuschlagen und das Recht zu beanspruchen, „hässlich“ zu sein, d.h. nicht als niedliches kleines Mädchen, sondern um ihrer selbst willen geliebt zu werden. Im Hinblick auf Herrn Q. erwiesen sich die Inszenierungen des negativen Aspektes einer sexuell unabgegrenzten, unklar nach Sperma riechenden, etwas schmuddeligen
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Mutter als hilfreich. Je klarer diese nonverbalen, tief und früh ins Körperselbst eingedrungenen Wahrnehmungen dem Mutterbild zugeordnet werden können, desto weniger stört sie sich an der Körperlichkeit von Herrn Q. Zur Zeit lässt sie die Vorstellung in sich wachsen, dass sie die Sexualität nicht so ernsthaft bedrohlich erleben sollte und plant für die nähere Zukunft eine entsprechende Experimentierphase. Gleichzeitig wird ihr immer klarer, wie sehr sie Herrn Q. als „ideale Mutter“ im Sinne der PessoTherapie (PBSP; Pesso 1991) braucht: als Fels in der Brandung, als zuverlässige, Wärme, Schutz und Anerkennung gebende Elterngestalt, vor der sie, weil sie sich tief im Innern doch mehr nach Herrn Q.s echter Männlichkeit als nach seiner Mütterlichkeit sehnt, gelegentlich den Respekt verliert. Sie findet die Beziehung immer dann spannend und prickelnd, wenn Herr Q. auf seine eigenen Bedürfnisse hört und sich ihr gegenüber besser abgrenzt. Für das Ziel, in der Zukunft vermehrt eine in weiblichmännlicher Gegengewichtigkeit und Individualität angesiedelte Sexualität und Erotik zu leben, ist dies eine gute Voraussetzung.
5. Sexualisierende Übertragungsmuster bei Männern und therapeutische Neuanfänge Was für Frauen gilt, trifft gleichermaßen für Männer zu: Sehr selten suchen Männer mit ödipaler Struktur, also Persönlichkeiten mit mehr oder weniger gesund entwickelten oralen und narzisstischen Selbstanteilen, wegen einer Störung im sexuellen Bereich um therapeutische Hilfe nach. Gisela Worm hat einen solchen Fall beschrieben (Worm 1996). Auch bei Männern begegnen wir in der psychotherapeutischen Praxis viel häufiger dem Muster der sexualisierenden als demjenigen der sexuellen Übertragung.
Herr A. Herr A., ein bald fünfzigjähriger, allein stehender Mann, suchte therapeutische Hilfe, weil er den Zugang zu sich selbst nahezu gänzlich verloren hatte. Obwohl er einen Arbeitsplatz in einem interessanten, ihn ansprechenden Milieu hatte, sah er in seinem Leben keinen Sinn. Er hatte keine nahen, nährenden Beziehungen, mit seiner Herkunftsfamilie war der Kontakt auf ein Minimum reduziert, Frauenbeziehungen ging er auf Grund diffuser Ängste seit langem aus dem Wege und von Freundschaften fühlte er sich schnell enttäuscht. Er stammt aus einer rigiden, Über-Ich-orientierten Familie. Seine Mutter kam aus einem geistig eher bescheidenen Haus und heiratete in eine Familie hinein, die sie mit ihren hohen, an religiösen und moralischen Werten gewonnen Ansprüchen gänzlich dominiert und eingeschüchtert zu haben scheint, mit deren Haltung sie sich aber über die Jahre notgedrungen zu identifizieren lernte. Als Ältesten trafen diese Ansprüche Herrn A. mit besonderer Härte. Soweit es sich – vor allem auf der Grundlage seiner Körpersprache und seiner Träume – rekonstruieren lässt, wurde er schon als Säugling und Kleinkind nicht mit liebevoller, Schutz und Wärme spendender Mütterlichkeit betreut, sondern nach Maßgabe kalter, von kinderlosen väterlichen Verwandten diktierter Regeln. Später verstand das sensible, künstlerisch und intellektuell gleichermaßen begabte Kind schnell, dass sich seine Mutter ebenso verloren und einsam in der Großfamilie fühlte wie er, und so wurde er allmählich zu ihrem Vertrauten, der sein Möglichstes tat, ihr mit Rat und Tat beizustehen. Da traf es ihn umso mehr, dass er als 6-Jähriger wegen einer schweren Krankheit seiner Mutter für mehre Monate zu jenen kinderlosen Verwandten gegeben wurde, die in Kindern kleine, gehorsame Marionetten sahen. Er fühlte sich von seiner Mutter verraten und erinnert sich noch heute, dass er alles nur Erdenkliche getan hätte, um wenigstens „vor der Tür des elterlichen Hauses“ schlafen zu dürfen. Dass unter solchen Umständen keine männliche Identität gedeihen konnte, liegt auf der Hand, zumal es für alle Belange der Sexualität nur moralisierende Verachtung gab. Auch der Vater konnte
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dem Sohn keine glaubhafte Männlichkeit vorleben, mit der dieser sich hätte identifizieren können oder wollen: Herr A. erlebte ihn den dominierenden älteren Schwestern des Familienclans gegenüber als schwach und ausgeliefert. Wenn z. B. die ältere Schwester des Vaters es für richtig hielt, Herrn A. als Halbwüchsigem das Fußballspielen mit Schulkameraden zu verbieten, dann wurde dieses Verbot von seinem Vater durchgesetzt. Er lernte aber bald, dass er seinen Vater in dessen Schwäche bloßstellen konnte, indem er sich mit ihm verbale Kämpfe lieferte, die der Vater, meist aus der Verliererposition heraus, damit quittierte, dass er den Sohn zusammenschlug, solange er der körperlich dominierende war; später reagierte er mit hilflosen Jähzornsanfällen. Als Erwachsener suchte Herr A. flüchtige Beziehungen zu Frauen, die allein der sexuellen Bedürfnisbefriedigung galten und in denen er sich frei von Verantwortung fühlte. In zwei länger dauernden Beziehungen ließ er sich von mütterlichen Frauen „erwählen“ und geriet sehr bald in tiefe, identitätsauslöschende Symbiosen, aus denen er sich dann jeweils durch eine rigorose Trennungsaktion herauslöste. Im Verlauf der Therapie begegnete er – nachdem er die Hoffnung nahezu aufgegeben hatte – doch einer Frau, die ihm viel bedeutet, mit der er einen reichen Interessenaustausch hat und die er sexuell begehrt. Es tut hier nichts zur Sache, wie sich die Beziehung entwickelt. Für den gegebenen Zusammenhang ist demgegenüber relevant, in welch heftige emotionale Wechselbäder Herr A. stürzte, nachdem die Phase einer eher gelassenen gegenseitigen Annäherung abgeschlossen war. Aus Gründen, die mit ihrer Geschichte zu tun haben, wollte Herrn A. s Freundin die Beziehung zunächst nicht auf die erotische Komponente ausweiten und zog sich, um Herrn A. nicht zu sehr zu verletzen, ein wenig zurück. Dieser Rückzug riss bei Herrn A. alte, durch frühe Trennung und Ausgeliefertsein an übermächtige Pflegepersonen verursachte Wunden mit einer Heftigkeit auf, die besorgniserregend war – er wurde buchstäblich liebeskrank. Er konnte sich bei der Arbeit nicht mehr konzentrieren, dachte Tag und Nacht an nichts anderes als an die Freundin, grübelte, warum sie ihn nicht anriefe, telefonierte, schrieb, wanderte an ihrem Fenster vorbei und musste sich schließlich mit einer Darmgrippe ins Bett legen. In seiner Not erinnerte er sich an die alten Rezepte und versuchte, die Beziehung mit einem klaren Schnitt zu beenden, was ihm aber nicht gelang, da nach drei Jahren Psychotherapie seine früheren Spaltungsmechanismen nicht mehr so konsequent wie früher funktionierten. In der Therapie fanden wir schließlich weniger selbstdestruktive Möglichkeiten, mit der Situation umzugehen.
5.1. Therapeutische Wege 5.1.1. Identität und Rolle Ebenso wie die von einem sexualisierenden Übertragungsmuster betroffene Frau weist auch das Persönlichkeitsspektrum des unter dieser Pathologie leidenden Mannes eine Rollendiffusion auf, die ihn, kommt es zu einer Beziehungsbildung, fast zwangsläufig in lähmende Depression führt. Wie Herr A. vertraten diese Männer als Kinder die Stellung des Ehemannes an der Seite ihrer Mütter, wobei die Mütter signalisierten, sie – die Söhne – dürften sie nicht verlassen; die Botschaft, die bei den Söhnen ankam, war also die, dass sie alle ihre auf Individuation und Ausbildung einer gesunden Männlichkeit gerichteten Wünsche nur heimlich, im Untergrund, an ihren Müttern vorbei zu realisieren versuchen mussten. Wie Herr A. verachteten sie ihre Väter dafür, dass sie zu schwach waren, um den Erwachsenenplatz an der Seite ihrer Ehefrauen einzunehmen, sehnten sich aber heimlich danach, von ihnen, den Vätern, beachtet und von der mütterlichen Vereinnahmung erlöst zu werden. Die Väter waren durch diese Verachtung ihrerseits gekränkt und gaben den Söhnen das Gefühl,
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dass sie zu sehr „Muttersöhne“ wären, als dass sie je männliche Anerkennung verdienten. So lernten diese Männer Frauen gegenüber nie, sich auf reife Art anders – eben männlich – zu zeigen. Sie fühlten keine Berechtigung, ohne Schuldgefühle ihren Bestrebungen nachzugehen und ihre Sexualität zu leben und zu genießen. Wenn diese „Muttersöhne“ als Erwachsene einer Frau begegnen, die sie interessiert, dann werden sie über kurz oder lang ihr mitgebrachtes Muster auf diese neue Beziehung übertragen. Eine verinnerlichte Mutterstimme wird von ihnen fordern, das Wohlergehen der Partnerin in den Mittelpunkt zu stellen, ihre Sorgen zu teilen und ihr mit Rat und Tat zur Seite zu stehen – und genau das werden sie tun. Das sexuelle Begehren, das zunächst zu beglückender Verschmelzung geführt haben mag, wird sich nicht zu einem den Alltag erfrischenden und gegebenenfalls die Beziehung immer wieder versöhnenden Austausch entwickeln, wie dies in einer reifen Partnerschaft wünschbar und möglich ist. Statt dessen wird die Sexualität immer mehr ein Fährschiff zu jener Kinderinsel innerhalb der eigenen Seelenlandschaft, auf der die versteckte Hoffnung wohnt, doch noch – diesmal von Seiten der Partnerin – das selige Gefühl zu bekommen, der beglückende Lebensmittelpunkt einer liebenden Mutter zu sein, ein Gefühl, das natürlich keine Partnerin der Welt für länger als einige wenige Glücksmomente wird vermitteln können. Die Unstillbarkeit dieser frühen Bedürftigkeit wird beschämend wirken und daher aufs Neue verdrängt werden, und die Partnerschaft wird darüber ausdörren und auseinander brechen oder in Resignation und Langeweile dahinvegetieren.
5.1.2. Regression und Inszenierung Bezogen auf das Phänomen der sexualisierenden Übertragung gilt für Männer und Frauen das Gleiche. Das Wichtigste ist, die unterschiedlichen Rollen zu erkennen, sie trennen zu lernen und zu realisieren, in welche Gebiete der eigenen Seelenlandschaft sie gehören. Im Falle von Herrn A. erwiesen sich neben viel verbaler Verständigungsarbeit die körperorientierten Konzepte der Inszenierung und des Grounding als sehr hilfreich. In jener Zeit seiner „Liebeskrankheit“, in der er – vor innerem Schmerz verstummt – mir gegenüber auf dem Sessel saß, folgte ich meiner körperorientierten Gegenübertragung: Ich spürte eine unendliche Schwere und Mattigkeit und schlug ihm vor, sich auf eine Matratze zu legen. Dort begleitete ich ihn in leisen, kleinen Schritten zu einem Zustand feiner Öffnung, Entspannung und Energetisierung, der es ihm möglich machte, seinen Schmerz körperlich zu spüren und zu weinen. Es folgten Erinnerungsbilder an den kleinen Jungen, der von seiner kranken Mutter getrennt worden war, und vielleicht zum ersten Mal verband sich ein alter Schmerz mit seiner wirklichen, auf dem Seelengrund verborgenen Ursache – der viel zu früh erlittenen Einsamkeit. Er konnte erkennen, dass seine Bedürftigkeit, deren er sich immer so sehr geschämt hatte, dass er sie bis zur Unspürbarkeit in seinem Innern verschlossen hatte, der berechtigte Reflex auf eine Wunde war, die ihm wahrscheinlich bereits als Säugling und in späteren Lebensjahren immer wieder zugefügt worden war. Die Anwendung von Techniken der Inszenierung waren immer dann von Nutzen, wenn Herr A. seine Partnerin als bedrohliche, namenlose Macht empfand und diese Projektion als die aktuelle und wirkliche Wahrheit empfand. In solchen Fällen „spielte“ ein Kissen diesen bedrohlichen Übertragungsaspekt der Partnerin. Ich bat ihn, in sich hineinzuhorchen, was das Kissen zu ihm „sagte“, und er merkte dann jeweils bald, dass es die alten, früh erlernten verurteilenden und moralisierenden Stimmen waren, die den Erwachsenen im Kontakt mit seiner Partnerin zu einem zwei-, dreioder vierjährigen kleinen Jungen schrumpfen ließen. Es wurde also ein zweites Kis-
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sen – deutlich vom ersten getrennt – installiert und dies wurde zum Träger jener alten, destruktiven Familienbotschaften. Immer wieder beeindruckend war hierbei, wie die körperlich und psychisch erlebte Spannung zwischen ihm und Kissen Nr. 1 augenblicklich wich und sich auf Kissen Nr. 2 verlagerte, wo sie im Sinne einer destruktiven Vergangenheitsprägung bearbeitbar wurde. So gelang und gelingt es Herrn A. immer besser, seine Partnerschaft in das adäquate Gleichgewicht zu bringen.
Der therapeutische Umgang mit sexualisierenden Übertragungsmustern führt also keineswegs progressiv und geradlinig in die ödipalen Gefilde männlicher und weiblicher Sexualität und Erotik. Um diesen Kontinent zu erobern, ist zunächst die Reise zurück in eine Kindheit voller sprachloser Verwirrung, Einsamkeit, Angst und Sehnsucht vonnöten. Erst wenn die Seele sich hier, an ihrem dunkelsten, verletztesten Ort, verstanden fühlt, wird sie ihr weites Gewässer nicht immer wieder gegen die Staumauer des Wiederholungszwanges prallen lassen, sondern es in die einladenden Landschaften des Neubeginnes von Geschlechtlichkeit, Liebe und Erotik fließen lassem können.
Dagmar Hoffmann-Axthelm, Dr. phil., Körperpsychotherapeutin und Musikwissenschaftlerin, Mitarbeiterin an der Musikakademie Basel, Herausgeberin der Buchreihe „Körper und Seele“ Adresse: CH-4051 Basel, Gerbergässlein 14 E-Mail:
[email protected]
Eros und Sexualität im Spielraum der körperpsychotherapeutischen Beziehung Robert Ware
1. Einleitung Als Gegenstand analytisch-therapeutischer Reflexion findet das intrapsychische und interpersonelle Geschehen im Spielraum der Psychotherapie stets vor einer virtuellen Öffentlichkeit statt, die ein Drittes in der Zweisamkeit des therapeutischen Paares darstellt. Zu dem empathisch-einfühlsamen Mit-Erleben in Freud und Leid aufgrund des gemeinsamen Unbewussten mit unseren Patienten gesellt sich stets ein kritisches Denken und Fühlen, in dem die „Öffentlichkeit” der therapeutischen Gemeinschaft und des therapeutischen „Werkes” ihren Niederschlag findet. So entsteht ein innerer triangulärer Raum – ein „Spielraum” – des Mitfühlens und Handelns sowie des kritischen Prüfens sowohl gegenüber dem eigenen Erleben wie gegenüber dem Patienten mit seinem Leiden und seinem Entwicklungspotenzial.
Träume vom Küssen und Baden, und das Dritte von Zwei Zur Einleitung in die Thematik berichte ich ein verdichtetes Beispiel solchen Zusammenspielens: eine intersubjektive Inszenierung im Traum und in der therapeutischen Beziehung. Gegen Ende des sechsten Jahres einer analytischen Psychotherapie träumte eine geistig-religiös sehr sensible 48-jährige Patientin: „Ich gehe zur Therapie zu Herrn W. Wir stehen irgendwo im öffentlichen Bereich, nicht im Therapieraum, und küssen uns. Ich spüre Herrn W’s Behutsamkeit. Genieße das Küssen. Wir lassen uns Zeit. Nehme wahr, dass einmal der Impuls von mir ausgeht. Da ist in mir nichts von Scham, Verbot, schon gar nicht von Übergriff zu spüren, nur herzliche, wohltuende Übereinstimmung. Auf dem Weg von der Therapie überlege ich, wie Herr W. das jetzt wohl mit seinem Therapieverständnis zusammenbringt? Ein wenig erstaunt bin ich schon, dass das jetzt so geschehen ist – aber es ist mir kein Problem. Ich spüre viel Vertrauen und Verbundenheit.” (Vgl. Ware 2006a) Sie erzählte den Traum scheu, verschämt und verlegen. Als sie sich entschuldigend von ihm zu distanzieren begann, fuhr spontan aus mir heraus: „Aber wir haben uns schon geküsst!“ Nicht körperlich natürlich, erklärte ich ihr, sondern seelisch und geistig sind wir uns doch sehr nah gekommen, haben uns innerlich tief berührt und in diesem Sinne auch “geküsst”. (Solch symbolisches „Küssen” muss selbstverständlich von jeglicher sexualisierenden Handlung in der Therapie klar unterschieden und abgegrenzt sein. Sexualisierung seitens des Therapeuten ist eine besonders sadistische Form ausagierender Abwehr gegen seelische Wandlung beim Patienten. Zur Sexualisierungsabwehr seitens der Patient/innen siehe Hoffmann-Axthelm i. d. B.)
Der Traum und meine spontane Reaktion auf ihn markierten im interaktiven Feld therapeutischer Inszenierung ein außergewöhnliches Wandlungsgesche-
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hen. Erstmalig in der Therapie trat die Patientin als erwachsene Frau aus der tiefgründigen Beschämung und der lebenslangen Ablehnung ihres weiblichen Körpers hervor. Betont wird die Öffentlichkeit des Geschehens jenseits von Scham und Verbot. Es ist, um mit Jung zu sprechen, „die nackte Wahrheit“ der Übertragungsbeziehung, die sich vor aller Welt sehen lassen kann. (Jung 1946, § 450 ff) Jung schreibt (anhand einer Reihe alchemistischer Bilder) in der Psychologie der Übertragung: „Die schamhafte Verhüllung ist gefallen. In ungehemmter Natürlichkeit stehen sich Mann und Frau gegenüber.“ (§ 451) So träumte ich einst als junger Therapeut von meiner ersten Analysandin (eine Vaterinzest-Tochter): Ich sitze mit ihr vor einem großen Außenfenster nackt in einer Badewanne. Das Folgebild in Jungs Kommentar heißt „Das Eintauchen im Bade“ (§ 453 ff) und weist darauf, dass das Individuum „nie vollständig ist ohne die Beziehung auf den anderen Menschen“ (§ 454). Das Eintauchen ins Bad des Unbewussten geschieht „durch das Heraufkommen... sexueller Libido“ innerhalb der Übertragung/Gegenübertragungsbeziehung (§ 455) und ist die Vorbereitung auf die coniunctio, „wodurch die Triebenergie wenigstens zum Teil in eine symbolische Tätigkeit übergeleitet wird“ (§ 460) und seelische Wandlung stattfindet.
2. Eros therapeutikos, therapeutische Liebe Im Laufe der Jahre bin ich zunehmend zur Überzeugung gelangt, dass die tiefste therapeutische Arbeit im Bereich gestörter Beziehungsintimität im Spektrum von Übertragung und Gegenübertragung geleistet sein will. Ob diese Intimität sich im Bannkreis von Neid, Hass und Wut in der sogenannten negativen Übertragung oder in der nicht weniger konfliktreichen Intensität von Erotik, Verliebtheit und Sexualität ereignet, stets muss man sich auf ein „Spiel mit dem Feuer” einlassen. Sei es „mit dem Feuer der äußerst schrecklichen, destruktiven, unbezogenen, unverwandelbaren Aggression” (Samuels, 1993, S. 158), sei es „mit dem schrecklichen Feuer inzestuöser Erotik und Sexualität.” (Ware 1996, S. 212 mit Verweis auf Jung 1946, GW 16, § 503) Im Falle des libidinösen Feuers kann das erotisch-sexuelle Verlangen zwischen Analytiker und Analysandin höchst problematisch sein, birgt aber bei konstruktiver Handhabung die Kraft für ein machtvolles Wandlungsgeschehen, wie dies im Traum meiner Patientin dargestellt wurde. Unsere Aufgabe als Therapeuten ist es, unseren Patienten beiderlei Geschlechtes einen genügend guten und großen „potenziellen Raum" in unserer Gegenübertragungs-Kapazität einzurichten und zur Verfügung zu stellen. Nur so kann eros therapeutikós, therapeutische Liebe sich entfalten und wirksam werden. Raum geben heißt Grenzen feststellen und wahren, zu allererst die Grenzen des eigenen Ertragen-Könnens, einschließlich Begrenzungen durch die eigenen narzisstischen und sadistischen Strebungen. Raum geben heißt ebenso, die Integration eigener Sexualität, Emotionalität und Geschlechtsidentität stetig weiterzuentwickeln und darin gegründet zu sein. Hierbei sind unsere Patienten mit ihren opportunen wie inopportunen Anregungen zeitweilig die besten Lehrer. Beginnen will ich mit einer musikalischen Metapher: Vor einigen Jahren habe ich in der Kirche St. Nikolai in Herzberg im Harz eine Orgelführung erlebt. Dort wurde die größte überkommene, 1845 vom ortsansässigen Orgelbauer Johann Andreas Engelhardt gebaute Orgel gespielt, ein Instrument von außergewöhnlicher Klangfarbe und Ausdruckskraft. Zum Abschluss der Führung
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wurde uns eine hölzerne 32–Fuss-Pfeife vorgeführt, deren Klang ohne gewisse, bei der Orgelrenovierung vorgenommene Eingriffe für das menschliche Ohr nicht hörbar gewesen wäre. Vor der Renovation war der von dieser Pfeife erzeugte „Ton” nur in der unmittelbaren Umgebung als ein leichtes Beben und im Kirchenraum als eine diffuse Spannung wahrnehmbar gewesen. Das Kirchenschiff war etwa zehn Meter zu kurz, als dass die Klangwellen sich damals hörbar hätten entfalten können. Physikalisch gesehen hatte der Raum für das Entstehen einer Resonanz gefehlt, die die Schwingung als Klang wahrnehmbar gemacht hätte. Diese Begebenheit ist für mich eine Metapher für die tiefen und die hohen Töne der erotischen Übertragung und Gegenübertragung. Um hörbar zu werden und um sich entfalten zu können, brauchen sie einen entsprechenden Raum. Die tiefsten Töne der erotisch-sexuellen Übertragung und Gegenübertragung sind immer vorhanden, auch dort, wo sie nicht oder noch nicht hörbar sind, sondern nur als ein gewisses Beben im Körper oder als eine diffus wahrnehmbare Spannung im Therapieraum in Erscheinung treten. Wenn sie nicht vorhanden wären, so möchte ich mit anderen Vertretern der heutigen Psychoanalyse behaupten, würde keine „Kur“ stattfinden. Eros therapeutikós, therapeutische Liebe, ist das Medium und letztendlich das Movens jeder Therapie. (Scharfetter 1993) „Die therapeutische Wirksamkeit (ist) eine Funktion der Liebesfähigkeit des Therapeuten.“ (Heisterkamp 2003e, S. 302; vgl. 1988, S. 47 ff) Nur wenn die tiefen und die höhen Töne therapeutischer Liebe sich entfalten und wirksam werden, haben unsere Patienten/-innen die Chance, im Wechselspiel von Abgrenzung und Offenheit ihr erotisches Potenzial angstfrei und in Freude zu leben. In Übertragungen und Gegenübertragungen treten nicht selten sexuelle Phantasien, Gefühle, Wünsche und Impulse auf, die oft auf beiden Seiten – auf derjenigen der Klienten/Patienten wie auf der der Therapeuten – als bedrückender Störfaktor empfunden werden. Wenn mit bedrängender Konkretheit Eros und Sexus in den Mittelpunkt therapeutischer Interaktion geraten, können sie den erfahrensten Therapeuten in einen Strudel widerstreitender Gefühle bringen und konfrontieren ihn mit eigenen Triebimpulsen und ethischen Konflikten. Erotisiertes Ausagieren scheint in Psychotherapien trotz Strafbarkeit vor dem Gesetz (§ 174c der deutschen StGB) eine bleibende, tückische Versuchung darzustellen. Obgleich dieses heikle Thema gelegentlich zur Sprache gebracht wird (vgl. Gambaroff 1997; Orbach 2000; Ware 2001, 2004a), gehört weiterhin die Wirkung von Erotik und Sexualität in der therapeutischen Beziehung im Rahmen des psychotherapeutischen Berufsbildes schulenübergreifend zu den stärksten Tabus unseres Berufsstandes. Sowohl die stete Arbeit an der Verfeinerung therapeutischer Kompetenz als auch am berufsethischen Kodex verlangen eine offene, aufrichtige Diskussion dessen, was sich im therapeutischen Umgang mit Erotik und Sexualität bisweilen als extreme seelische und körperlich-triebhafte Affektstürme äussern. Auf das potentielle Eintreten solcher Erschütterungen werden die wenigsten Psychotherapeuten – ob es sich um Psychoanalytiker, Körperpsychotherapeuten, Verhaltenstherapeuten oder um welche Schule es sich auch immer handelt – in ihren Ausbildungen angemessen vorbereitet. Nach wie vor fehlt ein Sprachraum der Art, wie ihn Tauber anmahnt, der frei ist von Beschämung, Beschuldigung und Verdächtigung und in dem dieser Diskurs hilfreich und mit Respekt geführt werden kann:
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„Lange habe ich gedacht, dass uns ein starkes Unbehagen im Umgang mit Liebe, Zuneigung und Zärtlichkeit blockiert; wir haben erkannt, dass wir mit Angst, Hass, Zorn usw. umgehen müssen, aber wir bleiben unklar und vermeiden Liebe, Zuneigung und Zärtlichkeit […]. Das Thema ist auf so tückischer Weise schwierig, dass wir keine normale Sprache haben, um mit unseren Kollegen darüber nachzudenken.” (Tauber 1979, S. 66 f – Übersetzung von RW)
3. Therapieabbruch wegen Sexualisierung (Angelika) Eine erste heftige Konfrontation mit der angesprochenen Thematik erlebte ich Ende der Siebziger Jahre als junger Therapeut einer schwer gestörten jungen Frau (Angelika – s. Ware 1980), die in ihrer Kindheit wahrscheinlich inzestuös missbraucht worden war. Die öffentliche und die Fachdiskussionen über sexuellen Missbrauch begannen erst gegen Ende der 80er Jahren. Vorher fristete das Thema ”Missbrauch” bzw. „sexuelle Gewalt“ ein Schattendasein in Psychotherapien. Meine Versuche, die Unwägbarkeiten und Aporien erotisierter (sexualisierter) Übertragungen und Gegenübertragungen in Supervisionen zu thematisieren, stießen trotz des Wohlwollens meiner Gesprächspartner/-innen eher auf taube Ohren als auf fachliche Kompetenz. Die damaligen Kollegen waren offensichtlich überfordert, und ich wurde meiner Unerfahrenheit und oft naiven Experimentierfreude überlassen. Trotz beeindruckender Fortschritte brach Angelika die Therapie im Zuge einer überhitzter Sexualisierung in der Übertragung und Gegenübertragung nach dreieinhalb Jahren (ca. 400 Sitzungen) ab. Zur Vermeidung der aus ihrer Sicht drohenden Katastrophe eines weiteren sexuellen Missbrauchs – nun in der Therapie – verzichtete sie auf weitere Behandlung. Mein damaliges Unvermögen, mit dieser erotisierten Dynamik therapeutisch umzugehen, veranlasste sie, sich zu schützen, was in ihrem Prozess durchaus als Fortschritt zu werten war. Mir aber wurde diese Erfahrung ein Stein des Anstoßes und ein fortwährender Ansporn, mich mit dieser Thematik auseinander zu setzen. (Ware 1995) Mittlerweile ist im Zuge langjähriger Erfahrung der Stachel meines damaligen Unvermögens der Freude des Forschens und Entdeckens im therapeutischen Prozess gewichen. In diesem Beitrag werde ich mich vor allem mit dem Wachstumsund Wandlungspotenzial befassen, das im Phänomen erotischer und sexualisierter Übertragungen und Gegenübertragungen enthalten ist. Wie überaus wichtig es ist, differenziert und feinfühlig mit Gefühlsstrebungen wie Liebe, Zuneigung und Zärtlichkeit in therapeutischen Beziehungen umzugehen – in der Übertragung statt nur an derselben arbeitend (Worm 2000, S. 70; Körner 1989) –, will ich hier reflektieren und anhand einiger klinischen Beispiele erläutern. (Da ich eigene Erfahrungen reflektiere, werde ich mich im Text sprachlich wie inhaltlich weitgehend auf die Konstellation männlicher Therapeut/weibliche Patientin beschränken.)
4. Erotik und Sexualisierung „Erotik” verstehe ich im Sinne aller körperlichen und geistig-seelischen Erscheinungsformen der Liebe, soweit sie den Aspekt geschlechtlicher Anziehung und sinnlicher Lust einbeziehen. „Sexualität” bezeichnet demgegenüber in meinem Sprachgebrauch einen funktionellen Teilaspekt der Erotik und bezieht sich auf genitale Triebhaftigkeit: Lust, Reiz, sexuelle Impulse sowie entspre-
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chende Phantasien und Verhaltensweisen. „Erotisch-sexuell” heißt, dass beide Dimensionen zusammenwirken. Mit Gisela Worm (2000, S. 88) unterscheide ich „erotisierte” oder „sexualisierte” (Gegen-)Übertragung, die ein Ersatz- oder Abwehrbedürfnis darstellt, von „erotischer” (Gegen-)Übertragung, in der sich eine integrierte Sexualität zu entwickeln anschickt. Nicht selten, wie ich meine, dient eine Sexualisierung des Therapiegeschehens der Vermeidung und Verleugnung von unerträglichen archaischen Konflikten, wie sie in den Behandlungen von sogenannten Früh- und Persönlichkeitsstörungen oder im Zuge von Traumatisierungen regressiv wiederbelebt werden. Ebenso teile ich die Meinung Worms, dass „in der Praxis […] diese Unterscheidung auf die Dauer sicher manches klarer, aber leider nicht einfacher” macht (ebd.). Erotik und Sexualität sind psychosomatische Phänomene mit darauf aufbauendem komplexem, hochgradig symbolischem Charakter. Häufig erscheinen sie im Leben eines Menschen als Metaphern für Konflikte und Entwicklungsmöglichkeiten, die ursprünglich nicht sexuell determiniert sind. Leicht finden psychische Konflikte in der Sexualität Ausdrucksformen, die im sonstigen Sozial- und Arbeitsleben der betroffenen Person gar nicht oder nur schwach konturiert auftauchen. Und doch: Welche symbolische bzw. metaphorische Bedeutung auch immer erotischsexuelle Phänomene im Therapieprozess gewinnen, reale, triebhafte „Sexualität muss vorhanden sein, wenn ihre symbolische Bedeutung gedeutet werden soll.” (Samuels 1985, S. 207) An der erotisch-sexuellen Übertragung und Gegenübertragung möchte ich aufzuzeigen versuchen, auf welch vielschichtige und bedeutsame Art Liebe, Zuneigung und Zärtlichkeit in erotischen Inszenierungen enthalten sein können. Der psychoanalytisch-körperpsychotherapeutische Prozess bietet auch in diesem Rahmen ein dynamisches Interaktionsfeld, innerhalb dessen alte ebenso wie aktuelle interpersonelle Konflikten wiederholend inszeniert werden können. Die Entschlüsselung solcher unbewussten Inszenierungen und Handlungsdialoge (Heisterkamp 2001c, 2002a, 2003e; Streeck 2000a) gehört zu den wesentlichen Aufgaben der Therapie. Persönlich bevorzuge ich den Begriff unbewusste Inszenierung, der den szenisch-dramatischen Charakter solcher spontan auftretenden, verbalen wie averbalen Dialoge unterstreicht. Für Jung ist der Traum mit einem Theater vergleichbar, in dem die psychische Gesamtwirklichkeit objekt- und subjektstufig dargestellt wird. Shakespeare hat bekanntlich das ganze Leben als eine Bühne bezeichnet. Ich betrachte die therapeutische Beziehung als eine solche Lebensbühne, ein Spielraum, in dem sich die tieferen pathogenen Störfaktoren, aber auch salutogene Ressourcen Geltung verschaffen und integrierbar werden. Traum, Komplex und Körpergeschehen sind alle Spielfelder therapeutischer Beziehung. (Ware 2003b) Die sprachlichen und nicht-sprachlichen Interaktionen und Kommunikationen stellen den intersubjektiven Gegenstand von Reflexion und Dialog in der Therapie dar. Mit dem erotisch-sexuellen Spielraum will ich nun fortfahren. Im sechsten Abschnitt gehe ich der Frage nach Berührung, latentem Missbrauch oder körperlichen Containment in der psychoanalytisch-körperpsychotherapeutischen Beziehung nach. Der siebente Abschnitt befasst sich mit der Entwicklung und der Wahrnehmung erotisch-sexueller Gegenübertragungs-Kapazität. Der achte Abschnitt ist eine Betrachtung über erotisches Erkennen und ‚zölibatäre’ Gegenübertragung. Damit meine ich einen bewussten Verzicht auf offenes oder unterschwelliges sexuelles Ausleben (Sexualisierung) zugunsten eines höher-
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wertigen Zieles. Mit Verweise auf frühere Arbeiten (Ware 1999, 2001, 2002, 2004a) verzichte ich hier auf ausführlichere klinische Darstellungen.
5. Der erotisch-sexuelle Spielraum „Intimität” (Lat. „intimare” heißt „erkennen” und „erkannt werden”) bezieht sich im therapeutischen Kontext auf die Intersubjektivität therapeutischen Erkennens, d.h. auf die Erschließung des Verstehens innerer und äußerer Objektbeziehungen aus der Art der aktuellen Begegnung. Die therapeutische Begegnung ist in diesem Sinne stets „als unbewusste Inszenierung einer gemeinsamen Szene zu verstehen.” (Bauriedl 1998, S. 354) Über die „gegenseitige Beeinflussung” und „gegenseitige Wandlung” in der therapeutischen Beziehung schrieb C. G. Jung 1929, als er auf „die Benutzung eines höchst wesentlichen Erkenntnisorgans“ verwies, nämlich „die durch die Übertragung bewirkte Gegenübertragung.” (Jung 1929, § 163 f – Hervorhebung von CGJ) Über „Gegenübertragungsliebe als solche“ schrieb 1988 der Psychoanalytiker Irwin Hirsch: „[Sie] wird in der Literatur normalerweise nicht diskutiert, auch nicht auf professionellen Konferenzen, doch ist sie wahrscheinlich unvermeidbar und womöglich wesentlich für eine fruchtbare längerfristige analytische Erfahrung." (I. Hirsch 1988, S. 210) Mann, eine erfreuliche Ausnahme, bestätigt in seinem umfassenden Überblick 1997: „little has been written on the subject.“ (1997, S. 1; vgl. Mann 1999; 2002) Ähnlich Downing: „Trotz ihrer offensichtlichen Bedeutung taucht die Frage in der psychotherapeutischen Literatur kaum auf.“ (Downing 2000, S. 29) Drastisch fragt Green 1998 vor dem Fachpublikum des Anna Freud Centers in London: „Ist der psychoanalytische Puritanismus daran schuld, dass wir die Bedeutung der Sexualität für die Lebensfreude so gering schätzen?“ Er beklagt eine „antisexuelle Haltung...innerhalb der Psychoanalyse.“ (Green 1998, S. 1186) Eros und Sexualität waren schon immer ein Stein des Anstoßes in der Geschichte der Psychoanalyse (vgl. Krutzenbichler/Essers 1991 über das Begehren des Analytikers und die Furcht des Forschers vor der Liebe). In Therapien erscheinen Eros und Sexus meistens als symptomatische Aspekte umfassenderer Beziehungsstörungen, so auch in der Übertragung/Gegenübertragung. Einen entwicklungsfördernden analytischen Umgang mit erotischen und sexuellen Gefühlen, Phantasien und Impulsen in der Therapiebeziehung befürwortet Pfannschmidt (19989 in „Der ‘Gebrauch der Lüste’ in der Analysestunde.” Ihm verdanke ich die Metapher eines erotisch-sexuellen Spielraums. Mit direktem Bezug auf Winnicotts „Übergangsraum” als psychischer Ort schöpferischer Imagination umfasst dieser interaktive Spielraum das therapeutische Paar und dessen Erleben von Erotik und Sexualgefühlen. Im geeigneten Fall und ohne die Asymmetrie der therapeutischen Beziehung preiszugeben, regt Pfannschmidt an, dass Patient und Therapeut ihre erotischen und sexuellen Gefühle und Phantasien mitteilen, sie „genießen” und sie analytisch bearbeiten. (Ebend., S. 368) Abstinenz ist gewahrt, solange der Therapeut nicht eigenen Triebbedürfnissen, sondern der Analyse der Beziehungsinteraktion in Übertragung und Gegenübertragung verfolgt. Ebenso „spielerisch" und experimentierfreudig begeben sich Analytiker und Patienten an die Konfliktbearbeitung der Ängste vor und Hemmungen von Sexuallust und erotischer Lebensfreude. Erotische Begierde und sexuelle Phantasien können zeitweilig extreme Angst oder gar Horror (Kumin 1985) hervorbringen. Solche Reaktionen bedürfen ebenso
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wie neckende, stichelnde, scherzende verführerische Impulse, auch seitens des Therapeuten, der eingehenden Bearbeitung. Heimliche Tendenzen des Therapeuten, auf Kosten der therapeutischen Beziehung sadistische, narzisstische oder sexuelle Befriedigungen zu ergattern, müssen einer schonungslosen Analyse der Gegenübertragung unterzogen werden. Nicht selten stellen auch sie einen wesentlichen Anteil der unbewussten Inszenierung dar. Pfannschmidts Ausführungen berühren meine eigenen Gedanken an mehreren Punkten. 1996 schrieb ich zum Thema Vaterkörper und männliche Identitätsfindung über erotisches und aggressives Playback als spielerische Metapher für das lebendige Zusammenspiel von Erotik und Aggression zwischen Vater (bzw. Eltern) und Kind wie zwischen Analytiker und Analysanden/-innen. (Ware 1996, S. 211–214) Playback in diesem Sinne ist eine zutiefst persönliche, körperliche und gefühlsmäßige Bezogenheit, die sich in entwicklungsfördernden, spiegelnden Rückmeldungen an das Kind (den Analysanden) über dessen Wachstumspotenzial im Bereich von erotischen wie aggressiven Triebimpulsen und Objektbeziehungen niederschlägt. In zwei Arbeiten 1999 und 2000 griff ich Bollas´ räumliche Metapher der Gegenübertragungs-Kapazität (Bollas 1987) auf, um die Inszenierung der erotisch-sexuellen Gegenübertragung zu reflektieren. In diesem metaphorischen Beziehungs-Raum der Gegenübertragung benutzt der Analysand in seiner Übertragung unbewusste induktive Prozesse, um seine inneren Objektbeziehungen vollständiger zu artikulieren und an frühere Kindheitszustände zu erinnern. Diese basalen Formen von Kommunikation, Erkenntnis und Beziehung werden in den jüngsten Schriften von Günter Heisterkamp (2002a, 2003a, 2003e, 2005a) weiter erforscht und herausdifferenziert.
5.1. Ein dialogischer Übergangsraum Es ist präziser, von einem seelischen Übergangsraum zu sprechen, der gleichermaßen Analysand und Analytiker umfasst, und an dem beide Interaktionspartner teilhaben. Diesen dynamischen Übergangsraum in der Übertragung/Gegenübertragungsbeziehung nennt Jung (1946, § 364; 367) das „gemeinsame Unbewusste“. Er umfasst, näher spezifiziert, den je anderen erotischsexuellen, aggressiven, sorgenden, angstbesetzten, freudevollen, tröstenden, schützenden Spielraum Pfannschmidts. Jung (1929, § 163 f) betont die Gegenseitigkeit von Beeinflussung und Wandlung in der therapeutischen Beziehung und sieht ähnlich wie Bollas in der Gegenübertragung „ein höchst wesentliches Erkenntnisorgan“. Ausführlicher beschreibt Bauriedl die Gegenseitigkeit der analytischen Beziehung: „Es wird deutlich, dass die analytische Beziehung als ein Ineinandergreifen von Übertragung und Gegenübertragung von beiden Beteiligten zu verstehen ist. Übertragung bedeutet dann das Wahrnehmen und Handeln im bisherigen eigenen Beziehungssystem, Gegenübertragung bedeutet Wahrnehmen und Handeln im Beziehungssystem des Beziehungspartners. Was sich in der analytischen Beziehung entwickelt, ist aus dieser Sicht als unbewusste Inszenierung einer gemeinsamen Szene zu verstehen.“ (Bauriedl 1998, S. 354 – Hervorhebung im Orig., Kursiv v. Verf.)
Neuere psychoanalytische Erkenntnisse gehen davon aus, dass in diesem szenischen „Raum“ Therapeut und Patient sich wechselseitig behandeln. (Heisterkamp 2003a, S. 258, 273, 276) Im Sinne einer interpersonellen und interaktiven Psychoanalyse möchte ich im Spielraum der Analysestunde für eine dialogische Beziehungsanalyse plädie-
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ren. Der primäre Gegenstand der analytischen Arbeit in dieser Sicht (und Praxis) ist die therapeutische Beziehung als reziprokes, dialogisches Geschehen, das gegebenenfalls in größtmöglicher Offenheit geführt wird. Gemeint ist eine Arbeit vielmehr in als eine Arbeit an der Übertragung/Gegenübertragung, die ich in der Folge von Winnicott und Margaret Little als ein bi-polares, dynamisches Beziehungsgeschehen verstehe. Die therapeutische Beziehung ist ein „dialektisches Interaktionsgeschehen“ (Heisterkamp 2002a, S. 9), das letztlich nur perspektivisch und begrifflich in „Übertragung“ und "Gegenübertragung“ aufgespalten werden kann. Darin besteht auch die Berechtigung der Begriffspaarung „Übertragung/Gegenübertragung“. Dabei halte ich die Präzisierung von Bauriedl für wichtig: In der Gegenübertragung befindet sich der Therapeut idealiter stets im Beziehungssystem seines Patienten. Auch die dialogische Arbeit bezieht sich vordergründig auf die gemeinsame unbewusste Inszenierung einer Szene des Patienten. Die Offenheit, Intensität und Gefühlsintimität dieses Dialogs wird, zum einen, vorrangig durch die Möglichkeiten und Bedürfnisse des Patienten bestimmt, sekundär nicht weniger durch die Möglichkeiten und Fähigkeiten des Therapeuten, sowie, zum dritten, durch das Bestehenbleiben der prinzipiellen Asymmetrie der therapeutischen Verbindung beschränkt. Die Gegenseitigkeit interpersoneller, interaktiver, beziehungsanalytischer Arbeit hebt die Asymmetrie des therapeutischen Settings nicht auf. Sie setzt sie voraus. Man vergleiche zur Frage der Selbstmitteilung des Therapeuten die in Mertens 2000 referierten Arbeiten. Downing (1996, S. 324) äußert sich zurückhaltend bezüglich „direkter Enthüllung” des Therapeuten gegenüber seinem Patienten; persönlich zieht er die „indirekte Enthüllung” vor. Doch räumt er ein: „Einige Therapeutinnen und Therapeuten – Bollas (1987) ist ein Beispiel dafür – verlassen sich ausdrücklich auf die direkte Enthüllung und empfinden sie als zuverlässiges und vielseitiges Instrument”. Soweit die Selbstmitteilung dem Entwicklungsstand der therapeutischen Beziehung entspricht und für dieselbe förderlich erscheint, schließt Hirsch sogar die Verliebtheitsgefühle des Analytikers ein. (M. Hirsch 1997, S. 125 f; vgl. Ware 1999; 2004a) Abstinenz ist für Hirsch gewahrt, solange „die Bedürfnisse des Analytikers in keinem Moment an die erste Stelle treten“ und die analytische Reflexion nicht verloren geht (ebd., S. 126). An dieser Stelle wird oft auf Ferenczis vielfach geschmähte und falsch verstandene Versuche mit „mutueller Analyse" warnend hingewiesen. (Ferenczi 1988 – vgl. dort das Vorwort von J. Dupont, S. 22–25) Anstatt von „mutueller Analyse“ mit der Suggestion einer symmetrischen Beziehungskonstellation zu sprechen, empfiehlt sich die Bezeichnung „dialogische Arbeit [bzw. Analyse]... in der therapeutischen Beziehung.“ (Geuter 1996, S. 99 f) Zur Gegenübertragungsanalyse des Therapeuten (alleine oder im Dialog mit seinem „Beziehungspartner”) gehört selbstverständlich auch die Überprüfung des eigenen Beziehungssystems, das in der gemeinsamen Szene immer mitschwingt. Hier gilt wiederum ein berühmtes Bonmot Winnicotts (1947/1976, S. 78 – sinngemäß verkürzt): Psychoanalytische Forschung [gemeint ist die Therapie – R.W.] ist die Fortsetzung der eigenen Analyse mit anderen Mitteln.
5.2. Übertragungen des Therapeuten An dieser Stelle ist die Unterscheidung der Gegenübertragung von der Übertragung des Therapeuten von Bedeutung. Im Prinzip ist davon auszugehen, dass alles, was in der therapeutischen Beziehung geschieht, Teil einer gemeinsamen unbewussten Inszenierung im Beziehungssystem des Patienten ist oder zumin-
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dest sein kann. Darin besteht die für die therapeutische Verbindung charakteristische Asymmetrie. Auch mit seinen Übertragungen im engeren Sinne bewegt sich der empathisch sensible Therapeut meistens im Rahmen der unbewussten Inszenierungen seiner Patienten. Aufgabe der analytischen Arbeit ist es, diese Inszenierungen aufzudecken, zu deuten und durchzuarbeiten. Wichtig wäre es, bei der Gegenübertragungsanalyse sorgfältig unterscheiden zu können, was aus dem Beziehungssystem des Therapeuten herrührt und als eigene Übertragung zu betrachten ist. Es ist fraglich, ob diese Unterscheidung letztlich überhaupt möglich ist. Da wir es immer mit einer Szene von beiden zu tun haben, besteht die Kunst des Therapeuten darin, von der gemeinsamen Szene genügend Abstand zu finden, um ihre Bedeutung für den Patienten in den Mittelpunkt zu stellen (vgl. Heisterkamp 2003e). Ferner müsste zwischen benignen, prozessfördernden und malignen, neurotischen Übertragungsanteilen des Therapeuten unterschieden werden. Leider ist diese konzeptuelle Klarheit in der Praxis kaum umzusetzen. Versteht man die psychoanalytische Situation als ein intersubjektives System der reziproken Regulierung, vermischt sich immer die Gegenübertragung im strikten Sinne (Beziehungssystem des Patienten) mit unerkannten Übertragungen des Therapeuten. Dennoch bleibt die Forderung bestehen, dass der Therapeut für Einflüsse eigener Übertragungen stets offen bleibt und kritisch mitreflektiert, was oft am effektivsten in kollegialer Intervision stattfindet. Über die eigene Analyse und Supervision hinaus geschieht dies jedoch am zweckmäßigsten im analytisch reflektierten Dialog mit dem Patienten durch genaues Hinhören auf die verbalen und averbalen Reaktionen auf meine Interventionen. Als Faustregel für die Praxis pflege ich meine Gegenübertragungsreaktionen zunächst für mich zu behalten und zu prüfen, bis sich kognitiv oder gefühlsmäßig herausstellt, dass oder im günstigen Fall sogar wie sie prozessrelevant sind. Oft ist es die Beharrlichkeit von Gedanken, Gefühlen, Handlungsimpulsen oder sonstigen Assoziationen, die mich veranlasst, sie ausdrücklich in den Beziehungsdialog einzubeziehen.
5.3. Gebrauch der Lüste in der therapeutischen Beziehung Zwei Sätze Pfannschmidts (ebd., S. 368 f) zu den „Möglichkeiten, sich an der Erotik in der Analysestunde zu erfreuen", finde ich von programmatischer Bedeutung: 1. „Die Übereinkunft, erotische und sexuelle Phantasien...nicht physisch mit den dazugehörigen gesellschaftlichen Konsequenzen zu realisieren, sondern sie unter dem Schutz des Rahmens...spielerisch zu äußern, macht[e] es möglich, sie zu erleben, sie zu genießen und sie dadurch in der Interaktion...zu verändern, zu ‘bearbeiten‘ und neu in das eigenen Körpererleben (das Selbst) zu integrieren“ (ebend.). 2. „Dieses spielerische Erleben im Raum der Erotik, in dem der Analytiker...den geschützten Spielraum garantiert, in welchem er sich gleichzeitig als spielerisches Gegenüber erotisch berühren läßt und diese Berührtheit nicht leugnet, ist die Voraussetzung für die Entwicklung und die Korrektur erotischen Erlebens und für die Integration beängstigender, unbekannter, abgespaltener, verdrängter sexueller Impulse und Gefühle.“ (Ebend.) Dort, wo es gelingt, jegliche Interaktion zwischen Analysanden und Analytiker, einschließlich der Gefühle, Phantasien und Impulse des Therapeuten selbst,
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als unbewusste Inszenierung einer gemeinsamen Szene zu verstehen, wird die Gegenübertragung zum wichtigsten Empfangsorgan für die häufigen unbewussten Kommunikationen seiner Patienten. „Denn die Inszenierung von Konflikten und Defekten durch den Patienten stellt bereits eine Neuauflage ursprünglich ungelöster Kommunikationsversuche dar, bei denen die verlorene leib-seelische Wechselseitigkeit des Dialogs mit Mutter oder Vater zu gewalttätigen seelischen Lösungen geführt hatte“ (Moser 1992c, S. 84). Voraussetzung für einen lege artis „Gebrauch der Lüste“ – „l’usage des plaisirs“, eine Formulierung des französischen Philosophen M. Foucault (Pfannschmidt ebd., S. 366) – ist die gewissenhafte Prüfung und fachkundige Analyse der Gegenübertragung – ohnehin der Grundstein jeder beziehungsorientierten, interpersonellen Psychoanalyse. Ob es sich um erotisch-sexuelle, aggressive, neid- oder freudevolle, mütterliche oder väterliche oder sonstige Reaktionen handelt, stets ist nach allen Regeln der psychoanalytischen Kunst zu erforschen, was gerade in der gemeinsamen Szene „gespielt“ bzw. ins Szene gesetzt wird. Die zweite Voraussetzung für den Gebrauch der Lüste in der therapeutischen Beziehung ist ein ausdrückliches und unwiderrufliches Einvernehmen, dass weder erotisch-sexuelle noch aggressive Triebimpulse in destruktiver körperlicher Aktivität gegen die Person des Anderen (Analysand wie Analytiker) bzw. gegen seine/ihre persönliche Integrität ausagiert werden. Die erste Pflicht des Therapeuten ist stets, die persönliche Integrität seines Patienten wie auch seiner selbst zu achten, zu schützen und zu fördern. Jeder Kompromiss in diesem Bereich schadet der therapeutischen Beziehung als einziger Grundlage einer sinnvollen Zusammenarbeit. Ausagieren ist hier als terminus technicus für einen schädlichen unbewussten Widerstand zu verstehen, der von Agieren im Sinne eines „handelnden Inszenierens“ (Sandler et a. 1971, S. 87–95) oder „Enactments“ (Streeck 2000a) oder „Handlungsdialogs“ (Klüwer 1983; s. Heisterkamp 2002a, S. 26 f) zu unterscheiden ist. Dies ist von besonderer Bedeutung in der Beurteilung von interaktiven, etwa körperpsychotherapeutischen, psychodramatischen u. ä. angewandten analytischen Therapieverfahren, wo eine Fülle an direkten körperlichen und aktiv imaginativen Techniken es ermöglichen, auch aggressive und gar erotisch-sexuelle Gefühle, Phantasien und Impulse handelnd zu inszenieren, gegebenenfalls in konkret körperlicher Auseinandersetzung mit dem Therapeuten bzw. mit anderen Teilnehmer/-innen in der therapeutischen Gruppe. (Vgl. Ware i. d. B., Gruppe) Modifizierte körperliche Aggressivität und erotisch-sexuelle Ausdrucksformen können auf diese Weise ohne real zu schädigen körperlich umgesetzt und ausgetragen werden, wodurch häufig eine Verdichtung und Vertiefung deren realer Wirkungskraft zu erzielen ist. „Besonders durch die operative bzw. leibliche Dimension dieser Wirkungszusammenhänge setzen sich die bis in die Gegenwart hinein unerledigt gebliebenen und im Laufe der Entwicklung nur unzulänglich bewältigten Entwicklungsdefizite und unzulänglich regulierten Konflikte in Szene und gewinnen, indem sie sich interaktiv herausbilden, eine fassbare, unmittelbar verstehbare und behandelbare Form.“ (Heisterkamp 2003e, S. 299)
5.4. Schutz partnerschaftlicher Intimität vor Gegenübertragungswiderstand Im weiteren Verlauf seines Aufsatzes vollzieht Pfannschmidt eine Kehrtwende, die, obwohl sie sicherlich eine klassische Position der Psychoanalyse wiedergibt, in diesem Kontext für mich nicht nachvollziehbar ist. Zunächst plädiert er über-
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zeugend dafür, das Sprachtabu bezüglich erotisch-sexueller Impulse und Gefühle in der Analysestunde aufzuheben und führt zum Vergleich den offenen Umgang in der Analyse mit Aggression, Sorge, Angst, Freude usw. an. [Nach empirischen Untersuchungen von Heisterkamp (2000b) wird im psychoanalytischen Diskurs gerade auch die Freude weitgehend tabuisiert!] In der Gegenseitigkeit der analytischen Beziehung, wie er zu Recht feststellt, „[konstelliert schon] das Aussprechen von erotischen Gefühlen, die man einem anderen Menschen gegenüber hat,... den Intimraum mit ihm.“ (Ebend., S. 367) Dann aber, angeblich zum wirkungsvolleren Schutz dieses Intimraums, postuliert er mit dogmatischer Konsequenz die Aufrechterhaltung des Tabus der physischen Berührung, denn „nur auf diese Weise [ist] auch in der tiefen Regression für den Analysanden in jedem Moment die Tatsache gegenwärtig, dass es sich um den analytischen Spielraum und nicht um den partnerschaftlichen Intimraum handelt.“ (Ebend., S. 372) In der Tiefe der Regression ist es vielmehr der Analytiker, dem in jedem Moment diese Tatsache gegenwärtig sein muss. Die tief regredierte Patientin befindet sich in einem Notzustand, wo sie Schutz und Containment braucht. Gerade in den Wehen und Wirren der Regression ist eine richtig verstandene „partnerschaftliche Intimität“ sehr vonnöten – „eine persönliche Beziehung innerhalb des unpersönlichen Rahmens der ärztlichen Behandlung.“ (Jung 1929, § 163) Klauber (1976, S. 813) schreibt: „Immer noch – so scheint mir – wird das wesentliche Merkmal der psychoanalytischen Beziehung am meisten vernachlässigt – dass es nämlich eine Beziehung ist: eine sehr eigenartige, aber eine eindeutige. Patient und Analytiker brauchen einander (...). Auch der Analytiker braucht den Patienten, um seine Gedanken kristallisieren und mitteilen zu können, und hierzu gehören einige seiner geheimsten Gedanken über intime menschliche Probleme, die nur im Kontext dieser Beziehung organisch wachsen können. Sie können nicht in der gleichen unmittelbaren Weise mit einem Kollegen oder gar mit einem Ehepartner geteilt und erlebt werden. Aus eben diesem analytischen Verstehen bezieht der Patient den wesentlichen Teil seiner Heilung.” Solange die Patientin der strukturellen Schwächung des „regredienten Tiefgangs“ (Heisterkamp 2003e, S. 299–302) unterliegt, ist ihr am allerwenigsten geholfen, an das analytische Setting erinnert zu werden. Der Analytiker dagegen braucht an dieser Stelle Distanz zu eigenen unbewussten Triebimpulsen. Je hilfloser die Patientin seiner Macht ausgesetzt ist, umso akuter wird die unwillkürliche Versuchung des Machtmissbrauchs und umso gravierender die Verantwortung des Analytikers für die Integrität seiner Beziehungspartnerin (und damit auch für die eigene berufliche Identität). Nach meiner Erfahrung entstehen im Therapeuten bei tief regressiven Zuständen nicht selten erotisierte, gelegentlich auch sadistische Phantasien gegenüber der Patientin. [Für Stoller (1985) ist der Wunsch zu demütigen („the desire to humiliate“, ebd., S. 3) ein zentrales Thema von Erotik – „the form the hostility takes in erotic excitement.” (Ebend., S. 63)] An dieser für mich eher ernüchternden Tatsache kann der Therapeut in der Regel zweierlei erkennen: (1) die eigene Macht-Übertragung: die Versuchung der Rache für alle früher erlittenen Kränkungen durch eine Frau, 1 und nicht selten (2) die syntone Gegenübertragungs-Verstrickung in der unbe-
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Die syntone Gegenübertragung (Fordham 1974, passim) bezeichnet die Wahrnehmung des Therapeuten bei sich selbst von meist noch unbewussten Gefühlszuständen
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wussten masochistischen Abwehr der Patientin von tiefer Angst, Bedrohtheit und Panik in der regressiven Hilflosigkeit. Die Sexualisierung der Abwehr in der Gegenübertragung stellt vermutlich auch hier eine „Sprachverwirrung zwischen den Erwachsenen und dem Kind” (Ferenczi 1933) dar. Eine verwandte Form von Gegenübertragungswiderstand können sexualisierte Gefühle und Phantasien im Umgang mit früh gestörten, strukturell schwachen oder tief regredierten Patientinnen darstellen. Diese scheint mir eine weitere Variante des Phänomens vom Schlaf des Analytikers (Zwiebel 1992) zu sein. Wie Müdigkeitsreaktionen in der Gegenübertragung können auch sexualisierte Impulse dazu dienen, den Therapeuten vor unerträglichen Affekten, vor projektiv induzierten seelischen Spaltungen oder vor den bedrohlichen namenlosen Ängsten, etwa perinataler Mutterverlassenheit, zu schützen.
5.5. Halten und Berühren in analytischer Psychotherapie Die angesehene englische Psychoanalytikerin Margaret Little äußert sich an zwei Stellen zum Berührungstabu der herkömmlichen psychoanalytischen Schulen. Einmal schreibt Little über ihren eigenen Arbeitstil: „Ich gebrauche meine Hände ziemlich viel, sowohl in Gestik wie auch zur Berührung, während ich Wahn [„delusion“ = Illusion, Wahnvorstellung – R. W.] analysiere. Aber es ist nicht einfach zu vermitteln, gerade wie, wann und warum ich mich bewege oder einen Patienten berühre. Meistens lege ich einfach meine Hand irgendwohin, je nach dem Kontext (...). Ich wurde einmal gefragt, ‚Wann berühren Sie einen Patienten?‘ Damals antwortete ich, ‚wenn ich es nicht mehr aushalte, nicht zu berühren‘. Seither kann ich besser beurteilen, ob es zuträglich ist oder nicht, und habe zudem weniger Angst vor Spontaneität. Man hatte geglaubt, dass jeglicher körperliche Kontakt zwischen Analytiker und Patient unweigerlich als eine sexuelle Verführung verstanden werden müsse. Dies lernten wir so als Studenten; dass dies so nicht zutrifft, ist nur auf diese Weise, durch reale Erfahrung zu entdecken“ (Little 1981, S. 100 – Übers. v. Verf.). An einer anderen Stelle berichtet Little, wie sie zu Zeiten tiefster Regression von ihrem Lehranalytiker Winnicott Stunde um Stunde in ihrer Wohnung (!) physisch gehalten wurde. (Little 1994) Meine jahrzehntelange Erfahrung mit körperpsychotherapeutischer psychoanalytischer Psychotherapie zeigt, dass diese praxeologische Einstellung nicht nur für schwer gestörte Psychotiker oder sogenannte früh gestörte Personen, sondern auch für höher strukturierte Psychoneurotiker von zeitweilig unverzichtbarem Nutzen sein kann. Berührt zu werden gehört neben Atmen, Trinken, Essen, Sexualität und Anerkennung zu den Grundbedürfnissen des Menschen. „Im Austausch zwischen Berühren und Berührtwerden liegen die Keimformen für das spätere Erleben von Freude und Glück.“ (Heisterkamp 2005a, S. 219) Die lege artis Erweiterung des analytischen Settings um die Dimension der phyund -prozessen seines Patienten (ebd., S. 275), sowie von dessen noch unbewussten Selbst- oder Objektrepräsentanzen. Andere Autoren sprechen an dieser Stelle von (durch den Patienten) induzierter Gegenübertragung (Downing 1996, S. 316 ff, der insbesondere die Verkörperung von Gegenübertragungsreaktionen herausarbeitet) bzw. unterscheiden konkordante (gleichartige, mit dem Erleben des Gegenübers übereinstimmende emotionale Reaktionen) und komplementäre (entgegengesetzte) Gegenübertragung, z. B. die Identifikation mit einem inneren Objekt, etwa einer Beziehungsperson des Patienten. (Vgl. Thomä/Kächele 1985, S. 96 ff)
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sischen Berührung bedeutet weder sexuelle Verführung noch unrechtmäßige Triebbefriedigung, sondern die Möglichkeit des unmittelbaren Ansprechens und Behandelns des Körperselbst des Patienten in seiner tiefsten Bedürftigkeit und Verletzlichkeit.
Heilende Zärtlichkeit Unter der Überschrift „Heilende Zärtlichkeiten” berichtet die Stuttgarter Zeitung, Nr. 180 (6.08.2004), S. 8: „Nicht nur die Zeit, sondern auch das Kuscheln mit einem Artgenossen heilt alle Wunden – zumindest bei Hamstern: Sind die Nager alleine und werden zusätzlich noch gestresst, heilen Verletzungen deutlich langsamer als in der tröstlichen Anwesenheit eines Gefährten. Grund dafür ist wahrscheinlich das ‘Kuschelhormon’ Oxytocin, das bei sozialen Kontakten ausgeschüttet wird: Es vermindert die Wirkung des Stresshormons Cortisol, durch das die lebenswichtige Wundheilung gestört wird.” Als Quelle angegeben ist: „Psychoneuroendocrinology”, 26, Band 8. Eine langjährige Patientin, 46 Jahre alt und alleinerziehende, berufstätige Mutter, kam vor kurzem niedergeschlagen und unruhig in die Therapiesitzung: „Ich wollte heute nicht kommen“, erklärte sie. „Ich traue mir nicht auszusprechen“, ... was sie am allermeisten brauche, dass sie jemand im Arm halte – 50 Minuten lang ohne groß darüber reden zu müssen. So geschah es. Zunehmend beruhigte sie sich und trat aus ihrer depressiven Erstarrung heraus. In der Folgezeit konnte sie zum ersten Mal in ihrer Therapie so konkret Sexual- und Partnerschaftsängste zur Sprache bringen und bearbeiten.
Wie Bauriedl (1998, S. 359; 1999, S. 174) scheint auch Pfannschmidt an den Folgen des psychoanalytischen Tabus von körperlicher Berührung zu laborieren. Er schreibt auch warum: „In der Zeit, in der ich bioenergetische Therapien durchführte und in der mir die Erfahrung des Arbeitens in der Übertragung noch nicht zur Verfügung stand, musste ich eine Behandlung abbrechen, was für die Patientin eine Retraumatisierung darstellte (...). Diese Erfahrung war für mich neben anderen Überlegungen ein Anlass, von sog. Körpertherapien Abstand zu nehmen. Ich mache seither keine physischen Interventionen mehr.“ (Ebend., S. 375) Die Erfahrung war für die Patientin eine Retraumatisierung, schreibt Pfannschmidt. Sie muss auch für ihn selbst ein schwerwiegendes Misserfolgserlebnis gewesen sein. Jeder, der einen solchen schmerzhaften Therapieabbruch erlebt hat, versteht die Angst eines Kollegen vor erneutem Misserfolg; Therapieabbrüche sind häufig traumatisch für beide Seiten. Der Konflikt verschärft sich erheblich, wenn der Therapeut meint, der Abbruch sei eine Folge eigener mangelhafter Technik oder persönlicher Unzulänglichkeit. In solchen Fällen wird zurecht meistens eingehende Supervision oder weitere eigene Analyse empfohlen. Selbstredend ist jede Entscheidung für einen persönlichen praxeologischen Stil entsprechend der „persönlichen Gleichung“ (Jung 1921, § 9 f.) des Therapeuten mit oder ohne körpertherapeutische Anteilen voll zu respektieren. Praxeologische Rationalisierungen dagegen sind zweifelhafte kontraphobische Maßnahmen. Im vorliegenden Fall insbesondere tut Pfannschmidt den sich stets vertiefenden praktischen Erfahrungen und theorietechnischen Reflexionen der analytischen Körperpsychotherapie, der Bioenergetischen Analyse und anderer körperpsychotherapeutischer Verfahren im Namen einer defensiven, „rechtgläubigen“ Lehrmeinung sehr unrecht. Man kann durchaus auf klassische Wei-
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se verbal deutend arbeiten, vermutlich in den meisten Fällen mit gutem Erfolg, wenn man den affektiven Zustand als Basis der Arbeit nimmt. Wenn ich für eine beziehungsoffenere, handlungssymbolische und körperpsychotherapeutische Zugangsweise plädiere, will ich keinem anderen Ansatz widersprechen, sondern eine fruchtbare Alternative darstellen, die ich für ebenso psychoanalytisch halte wie die sogenannte klassische Technik. [Eine sehr differenzierte Unterscheidung der „Erfahrungsräume" in den Settings der klassischen Psychoanalyse und bei (psychoanalytischer) „inszenierender Interaktion“ findet man bei Jörg Scharff (1998), der „eine große gemeinsame Schnittmenge“ feststellt. „Was unterschiedlich ist, lässt sich oft als andere Akzentsetzung beschreiben, und nur in wenigen Punkten bestehen fundamentale Differenzen.“ (Ebend., S. 58)]
6. Berührung: latenter Missbrauch oder körperliches Containment Das Berührungsverbot ist für herkömmliche Psychotherapien charakteristisch. „Don’t touch the patient!“ gilt heute nach wie vor als Goldene Regel therapeutischen Handelns. Berührung, Zugewandtsein, Zuneigung jeglicher Art zwischen Therapeuten und Patientin wird schnell verdächtigt, eine Sexualisierung der Beziehung darzustellen. Unter Gleichgeschlechtlichen unterliegt Berührung rasch einer latent homophobischen Abwehr. Historisch und kulturbedingt stellt das Berührungsverbot vor allem ein defensives Konstrukt zum Schutze des Therapeuten und der therapeutischen Beziehung dar. (Fetscher 1997, S. 196) In diesem Sinne hat es gute Dienste geleistet. Andererseits verführt es dazu, dass in der therapeutischen Beziehung unbewusst die „emotionale Armut” eines pathogenen Elternhauses (Ehrenberg 1992) wiederholt und eine heilsame Behandlung dadurch verunmöglicht wird. Gelegentlich kann eine unterlassene Berührung gerade dort erneut verwunden, wo es darum geht, eine „Inzestwunde” – so nennt Robert Stein den Oedipuskomplex (Stein 1981) – zu überwinden. Wie Realinzest kann in der Therapie auch ein so genannter „paradoxer“, nicht ausagierter Missbrauch (Lewis 2000) oder ein „verfehlter Inzest” (Douglas 1997) in Gestalt emotionaler Zurückhaltung, Kälte, Distanzierung oder Gleichgültigkeit des Therapeuten alte Wunden wiederbeleben und neue schlagen. Paradoxer Missbrauch wie „verfehlter Inzest“ („missed incest“) dürfte in der therapeutischen Beziehung nicht selten der unbewusst inszenierten Abwehr von „latentem Inzest” (Hirsch 1994b, S. 198–213) in der Psychogenese dienen. Latenter Inzest bezeichnet unbewusste inzestuöse Dynamik: die in der Kindheit nicht offen ausagierten inzestuösen Wünschen oder Phantasien sowie mehr oder weniger subtile inzestuöse Verhaltensweisen und atmosphärische Einstellungen von Seiten der Eltern oder eines Elternteiles. Das gilt auch in der aktuellen therapeutischen Beziehung für den Therapeuten, wenn er sich im Strudel einer nicht erkannten resp. nicht verarbeiteten, syntonen (induzierten) Gegenübertragung auf seine Patientin verfängt oder seinen eigenen latenten Inzestwünschen verfällt. Bleiben sie unerkannt, können derartige Verstrickungen in Therapien zu kontraphobischen Distanzierungsmaßnahmen führen, und diese werden von Patientinnen oder Patienten nicht selten als Wiederholung alter Verletzungen in Form von Kälte und Zurückweisung empfunden. Nach meiner Erfahrung kann eine verwundete weibliche oder männliche Geschlechtsidentität erst dann heilen, wenn die Frau oder der Mann in ihrem tiefsten Wesen durch liebevolle Anerkennung und Zuwendung „berührt” worden sind.
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Solche Berührung findet psychisch ebenso wie körperlich auf vielfältige Weise statt. (Vgl. Moser 2001) Schon bei der klassischen psychoanalytischen Deutungstechnik spielt beim Liegen auf der Couch der Stimmklang und beim Gegenübersitzen der Augenkontakt eine grosse Rolle. Eine warme, zugewandte Stimme bzw. ein empathischer Blick verleihen dem Deutungsinhalt Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit. Hinzu kommen in der analytischen Körperpsychotherapie Hand- und Körperberührung im engeren Sinne. Bereits das scheinbar alltägliche Begrüßungs- oder Abschiedsritual des Handgebens am Anfang und Ende der Sitzung kann als bewusste therapeutische Interaktion eine bedeutungsvolle Geste sein, die Respekt, Achtung, Zugewandtheit und Anerkennung der erwachsenen Person gegenüber ausdrückt und somit eine Deutung ohne Worte beinhaltet. Persönlich bin ich ein ausgesprochener „Hands-on“-Psychotherapeut, der in geeigneten Situationen zwanglos und gern berührt. Oft spüren meine Hände geeignete therapeutische Interventionen, bevor mein analytischer Verstand, der als kritische triangulierende Instanz immer mitredet, es nachvollziehen kann. In solchen Fälle warte ich zunächst ab und prüfe Handlungsimpulse oder Gefühlsreaktion. Bevor ich berühre, frage ich prinzipiell immer nach, ob der/die Patient/-in damit einverstanden ist. Wichtiger als seine/ihre verbale Antwort sind oft die unwillkürlichen körperlichen Reaktionen auf meine (angebotene) Berührung. Häufig fungiert schon die verbale Mitteilung einer Berührungsvorstellung als wirksame mutative Deutung. In manchen meiner Therapien (lange nicht allen!) gibt es konkret körperliche Interaktionen und Berührungen (von einfachen Handberührungen über klassische „Übungen“ bis hin zum Festhalten an meinem Körper). Nicht selten finden solche Interventionen in einer bestimmten Phase einer Therapie statt und später verzichtet die Patientin von sich aus auf weitere körperliche Interventionen. Meine Erfahrungen mit der Bioenergetischen Analyse (nach Lowen) haben mich gelehrt, dass manche Körperpsychotherapeuten den oder die Patient/-in so gut wie nie berühren, andere wiederum berühren häufig und viel. Die Unterschiede erklären sich m. E. vor allem aus den charakterlichen Grunddispositionen der jeweiligen Therapeut/-innen, denn alle arbeiten körperlich interaktiv. Schließlich will ich das bewusst nicht steuerbare, physisch aber feststellbare Strömen sexueller Duftstoffe, sogenannter Pheromone (Crenshaw 1997), erwähnen. Es ist für das Zustandekommen einer Therapie von entscheidender Bedeutung, ob man jemanden gut oder gar nicht riechen kann. Dies ist nicht nur eine Metapher, sondern auch eine physische Realität. Gerade die nicht steuerbare Wirksamkeit von Pheromonen macht deutlich, wie wichtig für die therapeutische Arbeit eine offene, aber klar abgegrenzte Integration von Emotionen und Geschlechtlichkeit, Herz und Sexus im Eros des Therapeuten sind. Der englische Psychoanalytiker John Klauber (1976, S. 814) bezieht sich auf Greenson (1974), „der die Fähigkeit des Analytikers, seinen Patienten zu lieben, für die wesentliche Voraussetzung seines Berufes hält”. Das Problem mit Liebe in der therapeutischen Beziehung ist nicht die Sexualität als solche, sondern die mangelnde Integration der Sexualität in unserer Gesellschaft und Kultur, in unseren Weiterbildungsprogrammen und in unserer Person. Hier gilt vor allem, dass der Therapeut in der Realität seiner eigenen sexuellen und emotionalen Identität fest verankert und geerdet ist und bleibt, gleichviel, was in der Feuerprobe des Therapieprozesses geschieht. Ebenso unabdingbar ist, dass er seine eigenen Grenzen im seelischen wie im körperlichen Bereich kennt und respektiert.
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Der Herzschlag des Therapeuten (Elena) Zur Verdeutlichung dieses zentralen Punktes fällt mir ein sicher außergewöhnliches Beispiel aus der körperpsychotherapeutschen Praxis ein: eine schwer traumatisierte Patientin, Elena, die von der Geburt bis zum 18. Lebensjahr von ihrer Mutter sowie von Mutters Freunden und später vom Stiefvater auf brutale Weise körperlich misshandelt und sexuell missbraucht worden war. In der Mitte einer sehr langen Therapie brauchte sie es regelmäßig – eine Zeitlang sogar in jeder Sitzung –, von mir gehalten zu werden. Zusätzlich zu diesem Halt, der ihr half, „namenlose Ängste” (Bion 1990, S. 232) auszuhalten, brauchte sie es, immer wieder ganz konkret meinen Herzschlag zu hören und zu spüren. So kuschelte sie sich vor mir auf dem Teppich sitzend zusammen und drückte ihr Ohr an meine Brust, während ich sie fest in meinen Armen hielt. In syntoner Gegenübertragung hatte ich selbst hierbei zwei Phantasien: Zum einen empfand ich es wie eine Regression in einen pränatalen Zustand, wo es Herzschlag und Atmung sind, die den Fötus primär bemuttern. Die Mutter der Patientin hatte sie postnatal offensichtlich eher wie eine leb- und empfindungslose Puppe behandelt, so dass der pränatale Raum womöglich ihre einzige Erfahrung von Schutz und Sicherheit darstellte (vgl. in diesem Band: i.d.B. Ware Gruppe, das Beispiel von Ronald). Zum anderen empfand ich, dass es ihr darum ging, einen Mann als ein Geschöpf aus Fleisch und Blut zu erleben, als jemanden, der ein Herz hat und sie nicht wie so viele andere Männer in ihrer Geschichte zu eigenen Zwecken missbrauchte. Diese Vorstellungen wurden von ihr später bestätigt. Bezeichnenderweise empfand ich bei dieser körperlichen Intimität, obwohl ich in dieser Therapie durchaus gefühlsbetonte sexuelle Phantasien kannte und zulassen konnte, in diesen Momenten ausschließlich väterliche Zärtlichkeit und Rührung. Wenn die Beziehungsebene klar definiert ist, kann sich der Therapeut auf angemessene, „genügend gute“ Art zur Verfügung stellen.
Kennzeichnend für die Arbeit insbesondere mit sexuell Missbrauchten, Frauen wie Männern, ist nach meiner Erfahrung die Notwendigkeit konkretkörperlichen „Containments“ für die unaussprechlichen archaischen Affekte (Angst, Panik, Horror, Hass, Wut), die mit frühen Erlebnissen von überwältigender Gewalt einhergehen. In der therapeutischen Wiederbelebung von Erinnerungen an die schrecklichen Vergewaltigungen des Körperselbst drohen diese Affekte auszuufern und die lädierten, geschwächten Ich-Grenzen der Patient/-innen zu überfluten und aufzulösen. Nicht selten ist für eine Patientin das Gehaltenwerden gerade durch einen Mann wichtig. In der Vorgeschichte von Inzestfällen fehlt meist eine genügend gute, halt- und Schutz gebende Mutter. Paradoxerweise ist manchmal der Vater-Verführer der Einzige, der der Patientin Zuwendung, Zärtlichkeit oder auch ein Gefühl von Attraktivität gegeben hat. Gelegentlich suggerierte ihr seine Begierde die Illusion von Macht und Kontrolle (letztlich in Identifikation mit dem Aggressor). Somit gewährte er ihr den Schein eines eigenen Existenzraums, was sicher ein wichtiger Grund dafür ist, weshalb Missbrauchte oft so hartnäckig an ihrer – identitätsstiftenden – Opferrolle als funktionierendem Kern eines falschen Selbst festhalten. (Vgl. Ware i. d. B., Gruppe, die Beispiele von „Joseph" und „Lisa“). Da diese Menschen von ihren Müttern keine Geborgenheit erlebten, lernten sie, sie zu verachten. In der Hoffnung, die unbewusst vermisste Mutterliebe in scheinbar mütterlichen Vateranteilen zu bekommen, wenden sie sich später oft lieber an einen männlichen Therapeuten als an eine Frau. (Vgl. Hoffmann-Axthelm 2000) Im übrigen kommen in solchen Therapien nicht selten auch unbewusste sadomasochistische Inszenierungen von Hass, Wut, Neid, Eifersucht und Rachebedürfnissen vor, für die Interaktionsmöglichkeiten in einem sicheren, abgegrenzten und
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Halt gebenden Beziehungsraum geschaffen werden müssen. Dies stellt oft sehr hohe Anforderungen an die Standfestigkeit und das Durchhaltevermögen des Therapeuten, nicht zuletzt angesichts der Tatsache, dass solche Affekte regelmäßig in erotisch-sexueller Verkleidung daherkommen. (Vgl. Davies/Frawley 1991, bes. S. 16 ff)
6.1. Strukturierende Grenzen des therapeutischen „Möglichkeitsraums” Vielleicht die wichtigste Schutzmaßnahme für beide Teilnehmer am Therapieprozess sind die vorgegebenen Grenzen des Therapie-Settings: die begrenzte Sitzungszahl und -frequenz, das Einhalten der Zeit, die implizit oder explizit vereinbarte Ausgrenzung jeglichen sexuellen Ausagierens sowie die trotz aller internen Sturm- und Nähe-Erlebnisse strikt gewahrte Asymmetrie der therapeutischen Beziehung. (s. u. S. 476 Winarick 1985) All dies sind strukturierende Rahmenbedingungen, deren Einhaltung gänzlich in der Verantwortlichkeit des Therapeuten liegt. Das Gewähren und Gewährleisten des symbolischtherapeutischen „Möglichkeitsraums” gehört zum Wesen der therapeutischen Situation. Die Verletzung dieser Bedingungen seitens des Therapeuten ist immer ein schwerer sadomasochistischer Angriff auf die therapeutische Verbindung und die persönliche Integrität des Patienten. [Zum Selbstverständnis und zur Werteordnung des Analytikers vgl. Fetscher 1997, S. 232 ff; Ehrenberg 1992, S. 164 ff; Hirsch 1997.] „When a therapist engages in sex with a patient, he or she is engaging in potentially homicidal activity.“ (Kenneth Pope, cited in Anonyma 1994, S. 1; vgl. Ware 1995) „Seelenmord” (Wirtz 1989) ist im Falle des Missbrauchs der therapeutischen Beziehung keine Metapher sondern seelische Realität. Entgegen einer häufigen, vielleicht sogar naheliegenden Unterstellung gegenüber Körperpsychotherapien, wonach Körperkontakt gleichbedeutend mit erotisch-sexueller Ambivalenz oder gar Verführung verstanden wird (vgl. Bauriedl 1998; 1999), ist die durchgängige Erfahrung von körpertherapeutisch arbeitenden Kollegen, dass dies relativ selten vorkommt. Die direkte Arbeit mit dem Körper wird vom Therapeuten in aller Regel „erotisch ernüchternd...eher asexuell als sexuell anregend“ erlebt. (Downing 1996, S. 309) Downing bezeichnet als „sexuelles Echo“ die Verführungsängste des Patienten, meistens vor Beginn konkreter Körperarbeit (ebd.). Ein ähnliches Phänomen ist oft bei Analytiker-Kolleg/-innen festzustellen, die keine eigene Erfahrung mit Körperarbeit oder Berührung gemacht haben. Dort, wo Verführungssituationen in der Therapie zum realen Problem werden, dient die Sexualisierung regelmäßig der Abwehr von tiefen Ängsten des Patienten oder/und des Analytikers. In solchen Fällen kann sich der Druck der Erotisierung in der Übertragung wie in der induzierten Gegenübertragung bis zu erpresserischer Bedrohung der therapeutischen Verbindung steigern (G. Worm, pers. Mitteilung). Allerdings sind solche Situationen nicht spezifisch für Körperpsychotherapie. Der Regelfall ist, dass der empathische Therapeut meistens gefühlssynton mit dem Erleben seiner Patienten bleibt. Häufig ist mir kognitiv und körperlich sehr bewusst, dass ich eine anziehende erwachsene Frau halte oder berühre, während mein emotionales Erleben und Handeln sich voll auf die momentane regressive Gefühlslage der Patientin einstellt. (Vgl. „Dorothea", Ware 1999, S. 82–86; „Kathleen“, Ware 2001, S. 164–176) Wenn es gelingt, sich „ohne Erinnerung und Begierde“ (Bion 1991, S. 22: „memory and desire“ = Begehren) auf
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die Szene einzulassen, scheint dieser nahe liegende und verständliche Vorbehalt gegen körpertherapeutische Arbeit gegenstandslos zu sein. Voraussetzung ist natürlich, dass das therapeutische Beobachter-Ich als dritte, kritische Instanz aufrechterhalten wird. Dies ist eine Konkretisierung der fachlich geläufigen Vorstellung von einer bewussten Ich-Spaltung des Therapeuten in kritische Beobachter- und einfühlende Teilnehmer-Rollen. Als Beziehungspartner im Spielraum der Analyse bin ich zutiefst persönlich involviert und verantwortlich sowohl für die Herstellung eines (objektalen) „Arbeitsbündnisses" als auch für das Zustandekommen und den Umgang mit (subjektaler) therapeutischer Intimität und Nähe. Anders ausgedrückt: Idealiter beseelen den Analytiker sowohl die identifikatorische Verbundenheit mit der Patientin als auch ein kritischer Forscherdrang, der stets wissen will, was in der realen therapeutischen Beziehung inszeniert wird, bzw. welches „ungedacht Bekannte“ (Bollas 1987, S. 1– 10) die tiefere unbewusste Dynamik der Übertragung/Gegenübertragung bewegt.
7. Erotisch-sexuelle Gegenübertragungs-„Kapazität” Der englische Psychoanalytiker Christopher Bollas definiert Gegenübertragungs-Kapazität als einen virtuellen „Raum“ im Innern des Therapeuten, der dazu dient, die unbewussten Mitteilungen des Patienten zu empfangen (Bollas 1987, S. 248–250 – vgl. ausführlicher hierzu in diesem Band). In eigenen Gefühlen, Empfindungen, Phantasien und Impulsen nimmt der Therapeut sozusagen am eigenen Leib Kenntnis von der inneren Befindlichkeit seines Patienten. Unbewusst werden innere Objektbeziehungen, defizitäre Selbstsicherungsstrategien, bedrohliche Ängste und Affekte, aber gottlob auch unentdeckte kreative Kräfte und Kompetenzen im seelischen „Empfangsraum” des Analytikers (Bollas, ebd.) bzw. im dynamisch-dialogischen Feld des "gemeinsamen Unbewussten" (Jung, s. o. S. 10), an dem Patient und Therapeut gleichermaßen teilhaben, (re-) inszeniert. So versucht der Patient, „seinen Therapeuten in seine emotionale Wirklichkeit einzubeziehen und im Sinne seiner Verfassung ein- und umzustimmen.“ (Heisterkamp 2005a, S. 22) Gegenübertragungs-Kapazität ermöglicht eine differenziertere emotionale Kommunikation zwischen Patient und Therapeut, als dies rein verbal geschehen kann. Aus dieser Perspektive stellt das Ideal einer stets neutralen, gleichbleibenden Aufmerksamkeit „einen Widerstand im Analytiker gegen Gegenübertragungserleben“ dar und verhindert nur einen fruchtbaren Gebrauch dieser „Form von Beziehung und Erkenntnis” in der Übertragung/Gegenübertragung (Bollas, S. 249 f – Betonung v. Verf.). Winarick (1985, S. 387) empfiehlt in einer Studie über die „,Chemie’ der Verliebtheit” („,chemistry’ of personal attraction”) in der therapeutischen Beziehung, einige Eckdaten der Gegenübertragung zu reflektieren, um die neurotischen wie die gesunden Aspekte des Phänomens „persönliche Anziehung” in therapeutischen Beziehungen besser bewerten zu können. Dazu zählt er Phantasien bezüglich des Patienten oder der Patientin, eigene Selbstwert- und Selbsthassgefühle, eigene wiederholende Inszenierungen früherer Rollen bzw. Aspekte lebensgeschichtlich bedeutsamer Beziehungen und schließlich – last not least – die gegenwärtige Lebenssituation des Therapeuten. Gerade für die Analyse von Verliebtheitsgefühlen in Übertragung und Gegenübertragung scheinen mir diese Punkte hilfreich zu sein. Erotisch-sexuelle Gegenübertragungsreaktionen sind ebenso universell, aber auch ebenso vielfältig wie jede
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andere Art von Liebe, Nähe und Verliebtheit. „Unsere Motivation involviert stets gesunde und neurotische Elemente. Das Beste, was wir tun können, ist zu versuchen, die neurotischeren Elemente wahrzunehmen, damit wir sie – eher als sie uns – kontrollieren können.” (Ebend. – Übersetzung RW) Was es auf alle Fälle in der Übertragung und Gegenübertragung zu vermeiden gilt, ist eine blinde Wiederholung der pathogenen Situation, obwohl es gerade dies ist – in Gestalt von zunächst unbewussten projektiven und introjektiven Identifikationen –, das häufig den Auftakt zu einer therapeutischen Inszenierung darstellt. In den seltensten Fällen ist der pathogene Gehalt einer Inszenierung von Anfang an bewusst, außer es handele sich um vertraute Wiederholungen. Therapeuten müssen lernen, wie Blinde zu sehen! Das bedeutet eine stetige Ich-Aufteilung zwischen einem möglichst objektiven, (selbst-) kritischen Beobachter und einem introspektiven, einfühlend-reflektierenden Anteil beziehungsweise zwischen einem partizipierenden Mitspieler und einem reflektierenden Hinterfrager, dessen Neugierde immer wissen will, was gerade in der Übertragung/Gegenübertragung gespielt wird. Das Bewusstsein für solche unbewussten Inszenierungen kann und will geschärft werden, indem man fortwährend seine Gegenübertragungsreaktionen befragt. Ebenso hat der mitfühlende und mitinszenierende Therapeut stets seine eigene Übertragungen – im Unterschied zu syntonen Gegenübertragungen innerhalb des Beziehungssystem des Patienten – zu befragen, um sich und den Patienten vor den Gefahren unterschwellig narzisstischer, sadistischer oder latent sexueller Missbrauchstendenzen zu schützen. Bereits die bewusste Wahrnehmung von syntonen bzw. unbewusst induzierten Gegenübertragungsimpulse „stellt eine gewisse Distanzierung vom unmittelbaren Erleben dar und nimmt diesem etwas von seiner bedrängenden Kraft.” (Fetscher 1997, S. 203) Ich möchte präzisieren: nicht die Distanzierung vom Affekt ist erforderlich, was ja häufig spontan versucht wird. Der Affekt soll ja gerade behalten (contained), therapeutisch verarbeitet und in der vertrauensvollen Übertragung/Gegenübertragungs-Beziehung von seiner destruktiven Wirkungskraft „entgiftet“ werden. Die „größere Rollendistanz” des wahrnehmenden Therapeuten-Ichs ermöglicht ein heilsames Containment von „verrücktmachenden” Affekte seitens des mitfühlenden und miterlebenden Ich-Anteils in der therapeutischen Beziehung. (Ebend., S. 230; 204 Anm. 10) Dies gilt auch für den Umgang mit erotischen und sexuellen bzw. sexualisierten Gefühlen, Phantasien und Impulsen, so auch mit den Verliebtheitsgefühlen von Patientin oder Therapeut. Im Unterschied zu den gemeinsam erlebten Verliebtheitsgefühlen real Liebender ermöglicht die im therapeutischen Kontext stattfindende analytische Reflexion der erlebten Verliebtheit eine kritische Distanz zu diesen Gefühlen wie auch zum jeweiligen Therapiepartner. Im und durch den triangulären „Raum” analytischer Bewusstwerdung und Reflexion entsteht im Vergleich zu real Liebenden eine ganz andere und neue, von gemeinsamem Erkennen und Verstehen getragene Intimität.
7.1. Angst vor Körperberührung oder optimal erotischer Umgang Angesichts der vielfältig geäußerten Ängste vor Körperberührung in der klassischen Psychoanalyse mag es erstaunen, dass die Erfahrung von konkretem körperlichem Halt oft alles andere als eine Begünstigung des Ausagierens verbotener narzisstischer und libidinöser Triebwünsche mit sich bringt. Immer wieder
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kann ich erleben, dass heftige erotisch-sexuelle Gefühle und Phantasien in der Gegenübertragung in dem Augenblick aufhören, in dem ein angemessener körperlicher Kontakt zustande kommt. Eine mögliche Erklärung liegt auf der Hand: Es handelt sich um eine zweckgebundene Erotisierung des „Vaters”, die darauf zielt, ihn entweder als frühes triangulierendes oder überhaupt als liebendes Objekt zu gewinnen. Entgegen herkömmlichen Verführungsvorstellungen, nach denen die Patientin versucht, den Therapeuten zum sexuellen Ausagieren zu verlocken, entsteht m. E. die Sprachverwirrung meistens auf Seiten des erotisierten Therapeuten-„Vaters”. Wenn es der „Tochter” gelingt, die volle emotionale Aufmerksamkeit des ersehnten Objektes auf sich zu lenken, kann von ihrer Seite aus die Erotisierung als Mittel zum Zweck fallengelassen und die Präsenz des Vaters im Sinne von Schutz, Geborgenheit, Sicherheit und Freude gewährendem und Erkenntnis stiftendem Objekt genossen und genutzt werden. Mit fortschreitender Analyse und bei optimalem Verlauf tauchen später reife Formen erotisch-sexueller Bezogenheit zwischen Patientin und Therapeuten auf, die keiner solchen inszenierenden Interaktion mehr bedürfen, sondern auf einer erwachsenen Beziehungsebene analysiert und integriert werden können. Dem Adlerianer Thomas Reinert, einem Befürworter einer differenzierten Einbeziehung des Körpers in einer „modifiziert-analytischen“ Langzeitbehandlung von Borderline-Persönlichkeiten (Reinert 2004, S. 232–239; vgl. Reinert 2003), pflichte ich bei: „Diese Gefahr einer Sexualisierung der therapeutischen Beziehung besteht in der Tat dann, wenn ‘Körperarbeit‘ unreflektiert praktiziert wird, wenn überhaupt nicht verstanden wird, was in der therapeutischen Beziehung gerade geschieht. Hier ist die Gegenübertragung des Therapeuten von entscheidender Wichtigkeit.“ (Ebend., S. 234) Die Einbeziehung des Körpers auf welche Weise auch immer in den therapeutischen Prozess ist stets nur ein (oft zentraler) Aspekt des Angebots einer aufrichtigen, subjektalen Beziehung (von Subjekt zum Subjekt) zu einer beziehungsgestörten Person. (Hierzu ausführlich: Moser 2004a passim) Gegenübertragungs-Kapazität ist keine statische Größe, die als eine Technik gelehrt und gelernt werden kann. Sie entsteht vielmehr in der lebendigen prozesshaften Kumulierung von persönlichen Erfahrungen, Erkenntnisse und Fachwissen, wobei es letztendlich auf die Wahrhaftigkeit der Beziehungsgenerierung ankommt. Wird der pathogenetische Wiederholungszwang nicht erkannt und bearbeitet, dann tritt mit oft verheerenden Folgen das ein, was Rupprecht-Schampera im Hinblick auf die pathologische Beziehung zwischen Therapeuten/Vater und Patientin/Tochter so beschreibt: „Reagiert der Vater [der Therapeut – R. W.] aber auf eine ebenfalls erotisierte Weise auf das kleine Mädchen [die Patientin] oder bringt er gar eigene frustrierte sexuelle Wünsche oder ungelöste sexuelle Konflikte in die Beziehung zur Tochter [zur Patientin] ein, so wird sich ein verschieden gravierendes, aber doch immer tendenziell traumatisches Geschehen zwischen den beiden ergeben […], eine vielleicht höchst intensive Begegnung, in der die Generationengrenzen verwischt werden, in der eine Konfrontation mit erwachsener Sexualität stattfindet, Übergriffe erlebt und Affektstürme ausgelöst werden. [...] Das Mädchen [die Patientin] hat den Vater [den Therapeuten] zwar als ödipales, inzestuöses Objekt gewonnen mit allen damit verbundenen Befriedigungen und Größenphantasien, aber der Vater [Therapeut] versagt erneut als drittes Objekt. [...] Ich bin der Meinung, dass das typische hysterische Persönlichkeitsbild sich dann ergibt, wenn bei dem Versuch, den Vater [den Therapeuten] auf erotisierte Wei-
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se als frühes trianguläres Objekt zu gewinnen, noch einmal eine belastende Erfahrung mit ihm, d.h. eine Enttäuschung an ihm geschieht und diese nun das psychische Gefüge des Kindes zusätzlich bedroht.” (Rupprecht-Schampera 1997, S. 646 – Hervorhebung von R.–S.) Was geschieht, wenn die meist regressiv pubertäre Therapie–„Tochter” vom Therapeuten–„Vater“ männliches Wahrgenommenwerden und bestätigende Anerkennung ihrer werdenden, noch unreifen Geschlechtlichkeit in Erfahrung bringen will? Die Patientin braucht es, im Handlungsdialog mit dem Therapeuten erleben zu können, dass er sie auf zugewandte, respektvolle und abgegrenzte Weise mit seinem erotisch-sexuellen Sensorium wahrnimmt und gutheißt, was er sieht und erlebt. Der „optimal erotische Umgang” (Samuels 1985) des Vaters mit der Tochter – resp. des Therapeuten mit der Patientin – beinhaltet keine unrechtmäßige Triebbefriedigung, sondern die Bestätigung Ichstruktureller Fähigkeiten und Bedürfnisse im Zuge der weiblichen Identitätsfindung. (Vgl. Moser 1992b, S. 29–34) Eine aus ängstlicher Zurückhaltung oder gefühlloser Distanz falsch verstandene Abstinenz kann an dieser Stelle genauso verletzen wie jeder Übergriff, denn sie enthält die Botschaft „Als Frau bist Du nicht o.k”. Ein Blick, eine Geste, ein freundliches Wort, ein Kompliment im richtigen Moment können wesentliche Bestandteile der erotischen Schwingungen im Handlungsdialog zwischen „Therapie-Vätern“ und „Therapie-Töchtern“ 2 sein. (Vgl. Ware 1996, S. 211–14)
Am Selbstobjekt (Vaterkörper) konkret gehalten (Dorothea) Zur Erläuterung ein kurzes Beispiel (ausführlich in: Ware 1999, 2004a) aus einer Therapie mit einer 39-jährigen verheirateten Frau und Mutter, die ich Dorothea nenne. Die Auseinandersetzung mit Dorotheas erotisch-sexueller Ausstrahlung deckte zunächst eine unbewusste Grundannahme auf, dass sie sich einem an ihr interessierten Mann nur verweigern könne, oder dass sie sich an seine realen oder vermeintlichen Wünsche unterwerfen müsse. Eine erlösende Erkenntnis stellte sich mittels Übertragungsinszenierungen ein: Ich stellte zu meiner eigenen Verblüffung fest, dass ich mich wie ein von ihr abgewiesener, frustrierter Liebhaber fühlte. Vorsichtig reflektierend eröffnete ich ihr mein Gegenübertragungsgefühl. Erstaunt und berührt erzählte sie daraufhin, genau das hätten ihr verschiedene frühere Freunde auch gesagt. Nun erkannte sie an dieser Konstellation den eigenen lähmenden Konflikt mit dem sie verlassenden Vater, von dem sie sich damals frustriert und abgewiesen fühlte. Aus ihr heraus strömten bisher abgespaltene Affekte von Enttäuschung, Schmerz, Trauer und Wut. Im weiteren Verlauf der Therapie wollte sie nun immer wieder für eine kurze, manchmal auch längere Zeit am Vaterkörper des Therapeuten konkret gehalten werden. In solchen Momenten stellte ich für sie körperlich die Erfahrungsmöglichkeit eines lebenswichtigen, selbst-strukturierenden und selbst-erhaltenden Selbstobjekt dar
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Erst nach Abschluss meiner Arbeit wurde ich auf die hoch differenzierten Ausführungen von J. Scharff (2006) anlässlich der diesjährigen Lindauer Psychotherapiewochen zum Thema körperliche Berührung im hochfrequenten psychoanalytischen Setting aufmerksam gemacht. Hier möchte ich nur seinen Schlusssatz zitieren: "Schließlich ist die Berührung nur ein Spezialfall des großen Themas, wie Erkenntnisgewinn und psychischer Fortschritt, wie Gewähren und Versagen in der Psychoanalyse ausbalanciert werden – und ob man nun berührt oder nicht, vor einem Agieren in der einen oder anderen Richtung ist niemand geschützt" (kursiv RW). (Vgl. auch Scharff i. d. B.)
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(vgl. Wolf 1988b, S. 184). Dabei erlebte ich sie mal als kleines Mädchen, das Schutz, Geborgenheit und Zärtlichkeit beim Vater suchte, mal als die etwas ältere, pubertäre Tochter, die Vaters Anerkennung ihrer werdenden Weiblichkeit in Erfahrung bringen wollte; wieder ein anderes Mal war sie eindeutig die erwachsene Tochter, die auch als solche vom Mann und Vater körperlich gesehen, gewürdigt und anerkannt werden wollte. Und schließlich habe ich sie manchmal in einer gefühlsmäßig ganz eigenartigen Gleichzeitigkeit all dieser Lebensalter erlebt: als Kind, als Jugendliche und als erwachsene Frau. Das körperliche Angenommensein war für Dorothea auch zur Entwirrung und Entgiftung der frühen, inzestuös erlebten Überstimulierung im Elternhaus wichtig. Meine Bereitschaft, die eigene Person auch körperlich zur Verfügung zu stellen, half Dorothea, in mir eine zugewandte und wohlwollende väterliche Präsenz zu erleben, die es ihr ermöglichte, bei sich zu bleiben. Dadurch lernte sie die ganze Tiefe eigener Gefühlsregungen dem „Vater” gegenüber bewusst zu erleben und verbal wie körperlich in jeweils entwicklungsadäquater Gestalt mitzuteilen. Körperlich gehalten von einem väterlichen Selbstobjekt, konnte sie die tiefe Trauer über das in Kindheit und Jugend nicht ausreichend Gelebte bewusst erfahren. Sie konnte den Vater in Gestalt des Therapeuten nach und nach idealisieren, liebhaben und erotisch-sexuell begehren, ohne Angst vor „Sprachverwirrung” (Ferenczi 1933/1972) – vor Sexualisierung seitens des Therapeuten-Vaters – haben zu müssen.
8. „Erotisches Erkennen“ – „Zölibatäre“ Gegenübertragung In diesem letzten Abschnitt möchte ich mich jenseits gängiger Klischeevorstellungen über das klerikale Zölibat auf eine Besonderheit der Übertragung/Gegenübertragungsbeziehung konzentrieren, die ich „keusche“ oder „zölibatäre“ Gegenübertragung nenne. Im Prolog der autobiographischen „Erinnerungen, Träume, Gedanken“ (1976) schreibt Jung von dem „Mythos meines Lebens“ (in der englischen Übersetzung: „personal myth") und anderweitig (Jung 1921, § 9 f) von einer „psychologischen persönlichen Gleichung". Zu mir als ehemaligem katholischem Priester gehört das Zölibat bzw. das Gelöbnis der Keuschheit integral zum „personal myth“ und zu den „erzählten Geschichten" (Jung) meines Lebens. In der Gestalt der psychotherapeutischen Abstinenz gehört diese „Keuschheit“ ebenso zur persönlichen Gleichung meiner beruflichen Identität. Dieser Umstand spielte nun eine bedeutsame Rolle im Verlauf des erotisch-sexuellen Erkenntnisprozesses mit einer damals 43jährigen verheirateten Mutter von zwei Söhnen am Anfang der Pubertät. Ich nenne sie Kathleen. Ihre relativ kurze (2½ Jahre), aber intensive Therapie hat zu den folgenden Erkenntnissen sehr beigetragen. (Ausführliche Falldarstellung in: Ware 2001, 2002) Ich stelle eine Analogie zwischen dem Ideal priesterlicher Keuschheit und dem Gebot therapeutischer Abstinenz fest. Die sexuelle Abstinenz des Psychotherapeuten ist ein professionell zweckgebundenes Partialzölibat, das am effektivsten wirkt, wenn der Therapeut in seinem Privatleben lust- und liebevolle Sexualität genießt. Wenn diese Optimalbedingung nicht gegeben ist, muss der Therapeut umso fester in seiner eigenen Geschlechtsidentität und ethischen Standhaftigkeit geerdet sein. Darin unterscheidet sich therapeutische Abstinenz wesentlich von dem häufig lust- und sexualfeindlichen Pflichtzölibat des römisch-katholischen Klerus (vgl. Drewermann 1989). Bei Psychotherapeuten wie beim Klerus stellt allerdings die Wiederkehr des Verdrängten (ob nun Eros, Sexus oder Machttrieb) die größte Gefahr für das Gelingen des Werkes der therapeutischen Wandlung dar. „Zölibatär” („ehelos”) beinhaltet hier den Verzicht auf gelebte sexuelle Beziehung zugunsten eines höheren Wertes. Analog zum
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Ideal der „Ehelosigkeit" des katholischen Priesters dient die „Keuschheit” und Abstinenz des Psychotherapeuten seelischer Heilung, Wandlung und der Verwirklichung des Selbst. Im „Brautgemach" (Jung 1946, § 503) erotisch-sexueller Übertragung und Gegenübertragung wird mit der Priesterimago das Geschehen über ein rein „säkulares” Verzichten hinaus in einen sakralen Kontext erhoben. Die vertiefte Einsicht in die erotische Bezogenheit des Verzichtes zugunsten eines höheren Wertes geschieht in der Therapie vor dem idealen Hintergrund eines erfüllten Sexuallebens.
Sexualisierung im Traum (Kathleen) Im Verlauf der Therapie mit Kathleen wurde der erotisch-sexuelle „Spielraum“ nie verlassen, dafür aber immer wieder um neue Dimensionen ihres „persönlichen Mythos" erweitert. Inmitten einer sehr bewegten Spätphase ihrer Therapie sagte Kathleen eines Tages kurzerhand ihre Sitzung telefonisch ab: Ihr Schwiegervater sei gestorben, ihr Mann brauche Unterstützung, ihr (außerehelicher) Freund habe ihr seine neue Verliebtheit zu einer jüngeren Frau mitgeteilt, und seit drei Tagen habe sie nichts mehr gegessen. Sie traue sich in dieser Verfassung nicht Auto zu fahren. Außerdem habe sie heute Nacht geträumt: „Ich habe mit Ihnen geschlafen... Es war nur ein halber Akt... eine Art Impotenz gewesen [ein versuchter Geschlechtsverkehr?, fragte ich; sie bejahte]... Ich habe Ihnen von (dem Freund) erzählt; Sie waren mit mir sehr unzufrieden und sind auf mich zugekommen... Sie haben sich von mir abgewendet und wollten nichts mehr von mir wissen.“ Ende des Traumes und des kurzen Telefongesprächs. Wie schon oft an kritischen Stellen, schlug Kathleens Urmisstrauen in Verlassenheitsängste um. Zum ersten Mal berichtete sie von einem Übertragungstraum mit sexuellem Inhalt. Dass sie mir den Traum am Telefon mitteilte, zeugte von ihrer inneren Verwirrtheit, Angst und Ambivalenz gegenüber dem Traumgeschehen. Sie fürchtete, entnahm ich dem Traum, dass die therapeutische Verbindung ebenso sehr wie die reale Liebesbeziehung sich als „impotent”, „nur ein halber Akt”, als ein therapeutischer coitus interruptus erweisen könnte. Würde ich sie nun auch wie Freund und Schwiegervater endgültig verlassen? Im Nicht-essen-können klang ihr früher Mutterverlust an. Die frühe Verlassenheitsproblematik brach voll auf. Im Traum wurde (vergeblich) versucht, sie mit Sexualisierung der Beziehung zu mir abzuwehren.
Das Paternoster auf lateinisch und gestreichelt werden Eine Woche später kam Kathleen wie gewohnt und eröffnete die Sitzung mit einer äußerst ungewöhnlichen Bitte. Sie wünschte sich, „das Paternoster auf lateinisch” vorgesagt zu bekommen und von mir gestreichelt zu werden! Als ich den Gebetstext nicht auswendig wusste, bat sie um so nachhaltiger, dass ich ihn ausfindig mache. Weder damals noch später konnte sie mir einen Grund für ihren Wunsch nennen. Man könnte darin die Vermeidung des realen Mannes zugunsten des idealisierten, erhabenen und enthaltsamen Priesters und in dem Wunsch nach Gestreicheltwerden einen letzten Versuch der Sexualisierung vermuten. Bei Frauen mit unausgereifter sexueller Identität löst die Begegnung mit „körperlich und emotional real präsenter männlicher Sexualität“ einen defensiven Rückgriff auf symbiotisches Erleben, Idealisierung, Sexualisierung und Abspaltung aus. (Hoffmann-Axthelm 2000, S. 73) Ohne auf diese Abwehr- und Schattenaspekte der Interaktion näher einzugehen, möchte ich hier einen neuen, prospektiv-finalen Aspekt hervorheben. Nachträglich meine ich, Kathleen wollte meine stellvertretende, therapeutische Vaterschaft „im Himmel” geerdet wissen, damit sie sich um so fester bei mir im irdischen Vaterkörper erden konnte – konkret in der Vorstellung vom Gestreicheltwerden ohne „Sprachverwirrung" (Sexualisierung) befürchten zu müssen. Im Gestreicheltwerden sucht sie einen schützenden
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Ausgleich für den drohenden existenziellen Verlust ihres Selbstgefühls in der perinatalen Verlassenheit. „Die therapeutischen Maßnahmen von Streicheln, Berühren, dem Kinde Zuflüstern dienen alle der Erschaffung eines Körperschemas, das sie mit narzißtischem Selbstwert versehen, um schließlich eine verstärkte Ichstruktur hervorzubringen.” (Keiser 1958, S. 640) Hinzu kommt, dass im „Vater unser” ein transzendenter Dritte in unsere Dualität eingeführt wird. Diese lebendige Triangulierung hatte Kathleen bei ihren Eltern nie erlebt. Kathleen ging es jetzt ums Ganze, um alle Register der Beziehungen zum Vater, zur Mutter und zum Therapeuten. Am Scheideweg zwischen Oben und Unten, Vergangenheit und Zukunft, Inzest und Eros definierte sie nun selbst ihre „Übertragung": Sie brauche mich jetzt, sagte sie, „nicht als Vater noch als Therapeuten noch als Mann, sondern als Priester, der für mich und über mir betet”. Verblüfft fand ich hierfür keine Deutung und habe die Szene „nur” weitergespielt. Kathleen wusste, dass ich ehemaliger katholischer Priester bin; sie selbst ist konfessionslos „agnostisch” erzogen worden. Mit dem Paternoster (auf lateinisch) und der Priester-Bitte schwor Kathleen für mein Ohr mich und sich ein auf den sakralen Charakter und den sakralen Raum der therapeutischen Verbindung. Mir kamen Assoziationen zu ihrer früher geäußerten religiösen Sehnsucht nach Ganzheit und „sphärischem Erleben". Sie hatte schon öfters eine sehr sensible spirituelle Seite gezeigt, die auch gelebt werden wollte, nur fand sie in keiner herkömmlichen Religiosität eine Heimat. Jetzt appellierte sie an den Priester – so meine Empfindung damals – als Vermittler einer ursprünglichen Ganzheit in der „großen Runde” einer letztlich weiblich-mütterlichen Gottheit. Der Priester stellt in diesem Zusammenhang das Selbstobjekt dar, spiegelnd und idealisiert zugleich, das eine Brücke zur Ganzheit des eigenen Selbst vermitteln kann.
Mit Jung gesprochen konstelliert sich an diesem Brennpunkt therapeutischer Wandlung ein Priester-Archetyp. Im Priesterarchetyp, schreibt Jung in einer Abhandlung über die Wandlungssymbolik der Messe, tritt das Mysterium einer überzeitlichen Ordnung hervor, in der Wandlung als ein wahres und reales „Wunder” sichtbar wird. (Jung 1942/1954, GW 11, § 307 – Hervorhebung im Orig.) Hier, am tiefsten Punkt ihrer Verlassenheit und Verzweiflung angelangt, pochte Kathleen auf ein solches „Wunder” archetypischer Wandlung. Im Lichte von „Paternoster" und Priester-Übertragung verkörpert der Wunsch nach Gestreicheltwerden ihr tiefes Bedürfnis nach Heil bringender Handauflegung und priesterlich-väterlicher Segnung. Ebenso handlungssymbolisch verkörpert Kathleens Berührungswunsch ein reales Bedürfnis nach Vertiefung und Realisierung von verständnisvoller Nähe und empathischer Annahme gegenüber den Anfechtungen frühester Verlassenheit. So vertraute sie mir ihr innerstes, wahres Selbst – „zu treuen Händen” – wie ein neugeborenes Kind in erwachsener weiblicher Gestalt an. Gleichzeitig musste auch die erwachsene Frau gesehen und „gehalten” werden, damit das abgespaltene verletzte früheste Selbst in die erwachsene Persönlichkeit integriert werden konnte. In der therapeutischen Beziehung ging es um eine umfassende, reife, weibliche Identitätsfindung, die ausdrücklich Erwachsene und Kind, Geist, Seele und Körper, einschließlich Erotik und erwachsene Sexualität in sich vereint. In diesem Sinne vertieften wir uns bei der Bearbeitung der „Priester”-Übertragung in ein ausführliches Gespräch über Erotik, Sexualität und Verzicht in der therapeutischen Beziehung, um sozusagen die letzten Reste an Sexualisierung beiseite zu legen.
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8.1. Abgegrenzte Offenheit Sexuelle Erotik war in der Arbeit mit Kathleen eine stetige Dimension der therapeutischen Beziehung, in der auch von meiner Seite Offenheit herrschte. Unter sorgsamer Beachtung und Reflexion der kommunikativen Nuancen des verbalen und averbalen „Handlungsdialogs“ innerhalb der therapeutischen Beziehung begann ich mit der Zeit immer direkter, die in mir entstandenen erotischsexuellen Gefühlsregungen als Aspekte der therapeutischen Beziehung und als Spiegelung ihres erotischen Selbst vorsichtig mitzuteilen. Die Selbstmitteilung des Therapeuten von inneren Bildern, Gefühlsregungen, Assoziationen, auch erotischen Inhalts, war für Kathleen von zentraler Wichtigkeit. Gegen die Ambivalenz und die latenten inzestuösen Angebote ihres Vaters, die zur enormen seelischen Verwirrung in der weiblichen Identitätsfindung der Tochter führten, schien meine in sich abgegrenzte Offenheit wie ein Gegengift zu wirken. Für Kathleen war es unentbehrlich, aufrichtig zu wissen und konkret zu hören, wie es mit ihrem Gegenüber emotional bestellt war – „die Gefühle [ihres] Analytikers spüren zu können.“ (Pines 1997, S. 176) Mehr noch: es war für sie eine heilsame Wiedergutmachung, wenn der Therapie-Vater ehrlich und unaufdringlich zu seinen Gefühlen stehen und sie gegebenenfalls aussprechen konnte. Mich hinter rigiden Abstinenzregeln oder sonstigen Deutungsstrategien zu verschanzen, hätte für Kathleen bedeutet, dass ich mich genauso verwirrend und verklausuliert wie ihr Vater verhalten würde. Die Transparenz abgegrenzter Offenheit halte ich generell für eine Grundeinstellung therapeutischer Bezogenheit. Mit Welter-Enderlin (2000, S. 51) ist festzuhalten: „Ich [habe] keine Angst vor Nähe (...). Ich weiß, dass ich mich zurückziehen kann und daher habe ich keine Scheu davor, auch Nähe herzustellen (...). Diese in mir selbst verankerte Bindungsfähigkeit stellt für Paare [bzw. Patienten/-innen – R. W.] so etwas dar wie einen ‘Rahmen’, innerhalb dessen sie sich sicher fühlen können. Er verstärkt ihre Bereitschaft, sich zu öffnen, und ermöglicht mir gleichzeitig, destruktive Interaktions- und Kommunikationsmuster kraftvoll zu unterbrechen, sodass neue Möglichkeiten Platz bekommen“. Im Verlauf der Therapie mit Kathleen gab es eine Fülle an spontan entstandenen körperlichen Interaktionen und Berührungen. Bezogen auf den „Gebrauch der Lüste“ war jedoch das Wesentliche, zum einen der ausdrückliche Verzicht auf jegliche sexualisierende Körperintervention zugunsten kritischer Reflexion und verbaldialogischer Analyse von Übertragung und Gegenübertragung. Zum anderen war ich in meinen körperlichen Interventionen stets bemüht um eine „positiv väterliche“, genuin erotische (d.h., nicht erotisierte) Zuwendung, Anerkennung und Würdigung – auch körperlich – ihrer werdenden und erwachsenen erotisch-sexuellen Weiblichkeit. So haben wir uns oft, zum Beispiel, zum Abschied am Ende der Sitzung kurz in Arm genommen – eine bedeutungsvolle Geste, die im Anschluss an manch tiefes Regressionserlebnis Respekt, Achtung, und Verstärkung ihrer erwachsenen Person ausdrückte. Kathleen hatte eine starke sexuelle Ausstrahlung; dass sie verführen konnte, war ihr bekannt. Ihre Verführungskünste hat sie in der Übertragung/Gegenübertragung mehrfach bewusst demonstriert. Sie spürte recht genau – wie bei ihrem Vater –, wann sie bei mir sexuelle Begierde, auch Neid, Eifersucht oder Wut auf den Freund ausgelöst hatte, und später sprach sie es öfters von sich aus an. An solchen Stellen trat ich projektiv identifikatorisch voll in die Fußstapfen ihres Vaters und konnte so seine Begierde und narzisstische Wut spüren, dass er (wie ich) die Tochter letztendlich sexuell nicht besitzen durfte. Auch diese induziert wiederbelebten und inszenierten Gefühle habe ich Kathleen im Zuge der klärenden Bearbeitung der Vater-Tochter-Beziehung
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mitgeteilt. So konnten wir sein ständiges Schlagen der Tochter als Abreaktion und Abwehr unbewusster Inzestwünsche verstehen. Dem entsprachen bei Kathleen ein ebenso starkes Bestrafungsbedürfnis, das mit kindlichen und jugendlichen Inzestwünschen ihrerseits zusammenhängen wird. Kathleens Rollenangebot ging so weit, dass sie lange erwartete und mich sogar aufforderte, dass ich sie schlage und bestrafe – wie es ihr Vater vielfach getan hatte. Sowohl im Schlagen der Tochter früher wie jetzt in Kathleens Übertragungsangebot erkenne ich im nach hinein ein ersatzweises sadomasochistisches Ausagieren des Inzestes – „the form the hostility takes in erotic excitement.” (Stoller 1985, S. 63) Dies war stets die Grenze, an der eine wandlungswirksame Entidentifizierung stattfand, zunächst beim Therapeuten-Vater, sodann bei der Therapie-Tochter.
8.2. Die Chance des Neubeginns Die Neuauflage und wiederholende Inszenierung alter Trieb- und Rollenkonflikte mit einer neuen Besetzung der Vaterrolle durch den Therapeuten bietet die Chance des Neubeginns und der Wiedergutmachung. Zeitweilig und vorübergehend ist ein empathisches Einschwingen in die Regression des Patienten förderlich und vermutlich unvermeidlich, wenn ein tiefer gehender therapeutischer Prozess zustande kommen soll. Es ist die „Infektion" des Therapeuten mit der Krankheit des Patienten, wovon Jung u. a. behaupten, sie sei notwendig und heilsam. Searles, Winnicott und Little schreiben in diesem Zusammenhang von notwendiger therapeutischer Symbiose. Meines Erachtens kommt der Analytiker nicht umhin, sich in Übertragungsinszenierungen zu verstricken, um mit den Patienten/innen zusammen alte Muster aufzubrechen und neue Beziehungsformen zu kreieren. Kirschner (1998, zit. nach Mertens 2000, S. 82) bestätigt, dass der Analytiker in bestimmten Fällen eine „Spiegelposition” einnimmt und sich in der „imaginären Liebe” verstricken lässt, bis er im Prozessverlauf allmählich als getrennte Existenz deutlicher hervortritt. Im analytischen Prozess geht es „nicht nur um die Interpretation alter Erlebnisdispositionen, sondern um die Generierung einer neuen, bis dahin noch nie erlebten Form der Beziehung, in der sehr viel Realität des Analytikers zum Tragen kommt.” (Mertens 2000, S. 78) Heisterkamp verweist auf die phänomenologische Entstehung des Selbst aus dem Wir, sowohl ontologisch wie auch in der Nachreifung einer anerkennenden und achtsamen, fördernden Behandlungsatmosphäre – entwicklungsanalog zu der Beziehung liebender Eltern zu ihrem neugeborenen Kind. (Persönliche Mitteilung 2005; vgl. Heisterkamp 2005a, S. 220 f) „Das hat überhaupt nichts damit zu tun, dem Patienten eine bessere Mutter oder ein besserer Vater sein zu wollen, sondern mit der therapeutischen Kunst, nachträglich bisher fehlende oder fraktionierte Repräsentanzen zu bilden. Das geschieht durch einen basalen Zugang zu den Erfahrungsebenen, auf denen sich unter günstigeren Entwicklungsbedingungen die Imagines oder Repräsentanzen für Halt, Sicherheit, Geborgenheit usw. gebildet hätten.“ (Heisterkamp 2002a, S. 262) Das empathische Mit-Erleben des „gemeinsamen Unbewussten“ darf nie zur Aufgabe der „gemeinsamen intersubjektiven Wahrheit" des psychotherapeutischen Arbeitsbündnisses führen. (Gilch-Geberzahn 1998, S. 40 f) Die Gefahr einer „zu gründlichen, langfristigen Identifikation“ (ebend.) – ein Zuviel an Mitfühlen – ist ernst zu nehmen. Als dritte, kritische Instanz muss ein „innerer triangulärer Denkraum" erhalten bleiben, aus dem heraus die Erkenntnis- und Deutungsarbeit stattfindet (ebd.). In seiner bewussten therapeutischen Ich-
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Spaltung als Beobachter-Teilnehmer ist der Analytiker stets doppelt verpflichtet. Seinem Patienten schuldet er ungeteilte empathische Aufmerksamkeit – „gleichschwebend“ (Freud) und „ohne Erinnerung und Begehren“ (Bions 3 „memory and desire“ – Bion 1991, S. 22) , aber zugleich „in einem belebten, von Leidenschaft gekennzeichneten Feld.“ (Schwartz-Salant 1998, S. 195) Doch dieser Pflicht wird er nur gerecht, indem er der gemeinsamen intersubjektiven Wahrheit des analytischen „Werkes“ Genüge tut. Das Werk stellt sehr hohe Anforderungen an die Beziehungsfähigkeit und an die Impulskontrolle des Therapeuten. Diese beiden, Beziehungsfähigkeit und Impulskontrolle, sind die zwei Beine der therapeutischen Tätigkeit.
9. Abschluss: gehandelte „Deutung“ am lebendigen Leib Mit dem Hinweis auf einen höheren, finalen Wert des Verzichtes wird zugleich der unterschwellig stigmatisierende, moralische Beiklang des psychopathologischen Begriffes „Ausagieren“ zugunsten eines größeren Gutes aufgehoben. Dies scheint für Patienten wie Kathleen umso wichtiger zu sein, deren Therapie nur in vivo (am lebendigen Leib, interaktiv) und nicht „nur“ in verbo rein sprachlicher Mitteilung und Reflexion durchgeführt werden kann. Das Körper- und Handlungsgeschehen selbst wird dann zur „Deutung“ ( d. h. zum primären therapeutischen Agens), wodurch erst in zweiter Instanz die Verbalisierung zur Wirkung kommen kann. (Little 1960, S. 378) Etymologisch bezeichnet „Deutung” zunächst ein körperliches Handeln: „mit dem Finger zeigen“ im Sinne einer erklärende Handbewegung. Für die „reale Einsicht“ sind, wie Margaret Little betont, beide Aspekte – körperliche Handlung und verbale Reflexion – „unerlässlich“. Solche Patienten benötigen häufig einen handlungssymbolischen körperpsychotherapeutischen Therapie„Raum“, weil ein averbales Kommunikationsmedium unabdingbar wird. Nötigenfalls wird es sogar im Ausagieren selbst geschaffen! Über eine Patientin, die mit Kathleen viele Ähnlichkeiten aufweist, schreibt die Psychoanalytikerin Pines: „Das konkrete Ausagieren ihrer sexuellen Phantasien [bedeutete] keinen Widerstand gegen die Analyse, sondern...ein unbedingt erforderliches Durcharbeiten ihrer traumatischen Vergangenheit, das durch die Analyse begünstigt worden war.“ (Pines 1997, S. 184) Umso mehr ist ein Verzicht auf gelebte (ausagierte genitale) sexuelle Betätigung und Befriedigung im Spielraum der Analysestunde unumgänglich und unumstößlich. Denn diese bedeuten einen schweren sadomasochistischen Angriff auf die therapeutische Beziehung (Ware 1995). Nichtsdestoweniger wäre es naive Verleugnung so zu tun, als dürfe in der therapeutischen Beziehung der Therapeut keine sexuellen Gefühle, Phantasien oder Handlungsimpulse emp3
Die verflachende Übersetzung des englischen „desire” mit „Wunsch“ – statt etwa „Begehren“ – war mir schon immer fragwürdig. „Desire“ bedeutet ebenso „Verlangen, Begierde, starke Sehnsucht, Lust”.
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finden, oder mitteilen, als wäre dies „nur“ ein Störfaktor, den es zu unterdrücken gilt. Auch wenn Sexuelles in der Therapiebeziehung nicht immer als (Gegen-) Übertragungskonflikt thematisiert wird, bleibt es eine Realität, die beachtet werden will. Daraufhin sind jedoch die wenigsten Psychotherapeuten und Psychoanalytiker adäquat ausgebildet und vorbereitet. Pfannschmidts Antwort auf das „Fehlen eines handhabbaren psychoanalytischen Konzepts, wie mit den erotischen Gefühlen in der Analyse angemessen und entwicklungsfördernd umgegangen werden kann“ (ebend., S. 364 f) kann ich nur beipflichten. Diesem Defizit hält er das viel versprechende Konzept eines „erotisch-sexuellen Spielraums“ entgegen. Es ist sehr zu wünschen, dass weitere therapeutische Erfahrungen berichtet und ihre praxeologischen Konsequenzen fundiert erörtert werden. Nur so können diese im Erfahrungsraum sowie im Reflexionsraum, in therapeutischen Behandlungen ebenso wie in der Neurosenlehre und in der Theorie der Technik fruchtbar werden.
Langzeitbehandlung bei Patienten mit Borderline-Störungen Thomas Reinert Als Tiefenpsychologen gehen wir davon aus, dass der Mensch sich auf der Basis mitgebrachter Erbanlagen und körperlicher Voraussetzungen im Rahmen dessen, was ihm seine Umgebung ermöglicht, entwickelt. Dabei entsteht ein Gerüst aus Ängsten, Fiktionen, Erfahrungen, Gewissheiten, Sicherheiten usw.. Alle diese sind Bestandteile des Unbewussten und des Bewusstseins, bilden zusammen eben die Struktur der Persönlichkeit, wenn man so will, adlerianisch ausgedrückt: den Lebensstil des Individuums. Im Idealfall erfolgt diese Entwicklung einer Struktur und einer Persönlichkeit als ein mit Schwankungen einigermaßen harmonisches Kontinuum im Sinne eines Reifungsprozesses bis zu einer mehr oder weniger stark ausgebildeten sowohl realitäts- als auch gefühlsfundierten Autonomie, die dem schließlich „erwachsenen“ Menschen ermöglicht, sein Leben zu führen in einer selbstverständlichen Flexibilität und Adaptationsfähigkeit, die es v. a. zulassen, sich angstfrei auf Beziehungen einzulassen, ohne aber von ihnen abhängig zu werden oder zu bleiben. Je vollkommener diese Entwicklung gelingt, desto freier und souveräner ist der Mensch in der Lage, sein Leben zu gestalten, desto weniger Arbeit und Energie muss er auch aufwenden für die Auseinandersetzung mit den sich täglich stellenden Aufgaben bei der Lebensgestaltung und: vor allem im Rahmen der Abwehr von Ängsten und Befürchtungen. Wenn diese Entwicklung aber nun, wie bei schwergestörten Patienten, alles andere als ideal abgelaufen ist, so stellt sich die Frage, wo sind auf diesem Entwicklungsweg welche Hemmnisse aufgetreten, welche Auswirkungen haben diese gehabt, und was an Aufgabenstellungen vermag infolgedessen dieser Mensch nun zu bewältigen und was nicht. In den letzten ca. fünfzehn Jahren hat sich das Wissen über die menschliche Entwicklung in der frühen Lebenszeit geradezu explosionsartig vermehrt. Dies kann eigentlich nur mit Freude aufgenommen werden; und es ist eher angebracht, alle neuen Erkenntnisse als willkommene Erweiterung des bisherigen Wissens und damit als Bereicherung zu erleben und miteinander in Beziehung zu setzen. Dies geschieht aber nur in begrenztem Ausmaß: Die einzelnen wissenschaftlichen Bereiche und Forschungsrichtungen scheinen nach wie vor bestrebt, die jeweils eigenen Erkenntnisse als die verbindlichen und entscheidenden betrachten lassen zu wollen und die Ergebnisse anderer Wissenschaftler gering zu schätzen oder gar zu ignorieren. So tut sich die Psychiatrie nach wie vor schwer, Erfahrungen der Tiefenpsychologie als fundiert anzuerkennen und in den eigenen wissenschaftlichen Kontext zu integrieren; aber auch innerhalb der tiefenpsychologischen Schulen werden Erkenntnisse von Kollegen/innen, die andere Forschungsansätze verfolgen, beargwöhnt, wenn nicht gar bekämpft oder verleugnend ignoriert.
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1. Zum Stand der „Entwicklungs“-Forschung Im Folgenden soll deshalb kurz und überblicksartig sowie auch ansatzübergreifend auf einige wichtige Forschungserkenntnisse hingewiesen werden, die sich im genannten Zeitraum ergeben haben und in der Lage sind, das frühere Bild vom „präödipal-gestörten Menschen“ zu modifizieren und zu ergänzen, bzw. zu erweitern:
1.1. Hirnforschung Die Hirnforschung hat beweisen können, dass nicht bestimmte Hirnzentren in fester Zuständigkeit verantwortlich zu machen sind für seelisches Erleben, sondern dass sich dieses organisch niederschlägt durch Ausbildung neuronaler Netzwerke, die von frühesten Lebenszeiten an geknüpft werden und prinzipiell bis ins hohe Alter hinein beeinflussbar und wir damit erlebnis- und erfahrungsfähig bleiben; dabei erfolgt die Anregung zur Bildung von Synapsen sowohl von Seiten der Gene, die aber „nur etwa 50 % eines bestimmten Persönlichkeitsmerkmals erklären können“ (Ledoux, 2002/2006, S. 47) als auch permanent von außen durch Verarbeitung des mittels der Sinnesorgane übermittelten WeltErlebens. Wir müssen aber offenbar davon ausgehen, dass es „während der Individualentwicklung bei limbischen Lern- und Gedächtnisbildungsprozessen »senbible« Phasen gibt“, in denen „Netzwerkstrukturen und –funktionen so verändert (werden), dass sie gegen späteren Veränderungen relativ resistent sind.“ (Roth, 2001, S. 13) Roth geht davon aus, dass „das bewußte Ich... ab dem 4. Lebensjahr“ in die bis dahin bereits gebildete „»limbische« Persönlichkeit ... hineingestellt und von ihr getragen“ wird und fügt hinzu ( S. 13): „Dies würde bedeuten, dass Veränderungen außerhalb dieser sensiblen Phasen mit zunehmendem Alter immer schwerer vonstatten gehen. Dies würde insbesondere für limbische Netzwerke gelten, die aufgrund traumatischer Ereignisse, d. h. aufgrund starker affektiver und emotionaler Belastungen in ihren Strukturen festgelegt wurden. Entsprechend hoch müßte die emotionale Aktivierung (...) sein, um diese Prägungen wieder aufzuheben, damit sich an unserer Persönlichkeit überhaupt noch etwas ändert.“ Das entspräche einer geradezu vollständigen Bestätigung Adlers, der bekanntlich (1931b/1982, S. 179; 1932/1982, S. 217) bereits sehr viel früher annahm, dass die Persönlichkeits- (bei ihm genannt: „Lebensstil“) Bildung im Wesentlichen im Alter von fünf Jahren abgeschlossen sei. Als nunmehr auch naturwissenschaftlich bewiesen kann ebenfalls die Existenz des Unbewussten angesehen werden, das heute weitgehend als „implizites Wissen“ unserer Emotions-Systeme (Ledoux 2002, S. 46) diskutiert wird. Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch die Erkenntnis, dass vom Menschen gemachte Erfahrungen sich bis auf die Ebene der Gene auswirken: „Neue Erfahrungen verändern... die Genexpression. Im Gehirn geschieht das bis in(s) hohe Alter und bildet die Grundlage für die lebenslange Plastizität und Lernfähigkeit dieses Organs.“ (Hüther, 2004, S. 59)
1.2. Babyforschung Die Babyforschung, die in ihrer heutigen Form erst durch die Entwicklung der Videotechnik möglich wurde, zeigt uns, dass lange vor Ausbildung sprachlicher Strukturen und Fähigkeiten das Kind zu intensiven körperfundierten Erfahrungsbildungen in der Lage ist. Zwischen Mutter und Baby existiert ein subtiles
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und sensibles Kommunikations-System, das verantwortlich ist für die Ausbildung eines Netzes der „Grundregulation und eine feinfühlige gegenseitige Einstimmung erfordert… Dabei bilden generalisierte Erfahrungen früher Interaktion Repräsentanzen, die bis zum Erwerb des symbolischen Denkens episodisch oder prozedural im Gedächtnis abgelegt werden... Alltägliche, sich wiederholende Erfahrungen finden ihren Niederschlag im Frühgedächtnis als Repräsentanten generalisierter Interaktionen... und erhalten im Verhalten des Erwachsenen ihren häufig unbewussten Ausdruck.“ (Milch, 1998, S. 12) Zu den grundlegenden Bedürfnissen des Säuglings gehört „das nach Kontinuität (z. B. im Sinne der biologischen Rhythmen der Mutter), Kontiguität (Körperkontakt), Kontingenz, Interaktion und »feed back«.“ (W. E. Freud, 2003, S. 312) Wichtig ist es dabei, sich klar darüber zu sein, dass die frühe Kommunikation also ganz wesentlich und entscheidend auf der Körperebene abläuft, dass auch die Familienatmosphäre, in die das Kind hineingeboren wird, sich ihm über den Körper vermittelt: „Am Anfang empfängt das Kleine alles das, was vom Familienmythos kommt, direkt über den Körper der Mutter, selbstverständlich nicht in Form von Erzählungen, sondern in einer Unzahl von konkreten Einwirkungen, in den allerfeinsten Nuancen einer Liebkosung, in Tonfällen, die durch Wiederholung zu Signifikanten werden, in über Tastsinn und Gehör laufenden Musikfolgen, in der Nähe, Wärme oder Distanz des Kontaktes.“ (Rodulfo 1996, S. 84) Auch Rodulfo hebt die Bedeutung der Kontinuität der Zuwendung und Lebensrhythmen hervor und spricht hier von einer notwendigen „Oberflächenbildung“ des Lebens. Dornes betont die Bedeutung von „Spielräumen“ zwischen Mutter und Kind für die Entwicklung des Säuglings: „In solchen Spielräumen, aber auch in anderen interaktiven Situationen niederer Spannung wird über das Selbst und die Welt der Objekte viel gelernt. Möglicherweise werden diese Prozesse, weil sie undramatisch sind, später nicht mehr mit der gleichen Deutlichkeit erinnert wie die hohen Spannungszustände. Ihre Auswirkung und Bedeutung für die Entstehung von psychischen Strukturen, kognitiven Stilen, Charaktereigentümlichkeiten und Charakterpathologien ist deshalb nicht genügend beachtet worden. Die Säuglingsforscher plädieren für eine Würdigung der Bedeutung von Interaktion und Aktivität in niederen Spannungszuständen und für die Ausarbeitung ihres Beitrages zur normalen und pathologischen Strukturbildung.“ (Dornes 2000, S. 27) Dabei haben offenbar die „nonverbalen Interaktionen“ entscheidende Bedeutung: „Säuglinge können weder sprechen noch die sprachlichen Äußerungen ihrer Eltern verstehen. Die vokale Begleitmusik der Sprache wie Melodie, Tempo, Rhythmus (...) und die Körpersprache der Bewegungen, Gesten und Gesichtsausdrücke haben jedoch auf den Säugling eine Wirkung. Über solche »Kanäle« werden Affekte kommuniziert und induziert – bei Eltern und bei Säuglingen.“ (Dornes 1997, S. 67 f.) Weist die Kommunikation Brüche auf, scheinen „kontinuierliche Erfahrungsmuster eher als spezifische Erfahrungen die Vorläufer und Ursachen von Pathologie“ zu sein. (Dornes, 1992, S. 74) Ein für unser Thema besonders wichtiger Aspekt berührt die Affekt-Regulation des Kindes: Die frühkindlichen intensiven Affekte werden von der Mutter moduliert: „Diese beseitigt sie zwar nicht gänzlich, wohl aber ihre übermäßige Dauer. Auf diese Weise erwirbt das Kind Toleranz für Affektspannungen, denn es hat erfahren und gelernt, dass bald Abhilfe geschaffen wird.“ (Dornes 1997, S. 39) Dieser Hinweis der Säuglingsforscher erscheint deshalb besonders interessant, weil häufig die Affekt-Dysregulation von Borderline-Patienten als sozusagen „mitgebrachte“, also genetisch bedingte, Pathologie angesehen wird.
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Rodulfo (1996, S. 120) hebt in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Toleranz der Familie, in die das Kind hineingeboren wird, in Hinsicht auf die gezeigten Affekte des Kindes und dessen darin zum Ausdruck kommende Spontaneität hervor: (Dabei)... „ist die Gewalt, mit der auf dieses Abweichungspotenzial geantwortet wird, umso größer, je schwerer die Pathologie des Familienmilieus ist.“
1.3. Pränatale Psychologie Wurden die ersten Pränatalpsychologen (Gustav Hans Graber 1924 u. Otto Rank 1924) noch eher belächelt und wissenschaftlich nicht ernst genommen, da zu der Zeit, in der sie ihre Annahmen veröffentlichten, Möglichkeiten zur Beobachtung des intrauterinen Lebens des Fetus noch nicht gegeben waren und man deshalb ihre Überlegungen als spekulativ verwerfen konnte (vgl. z. B. Balint 1968/1973, S. 73/74), so hat sich dies seit vor allem der Entwicklung der Ultraschall-Technologie grundlegend gewandelt: Wir wissen heute, dass das Kind intrauterin schon relativ früh eine individuelle (körperlich vermittelte) Reagibilität besitzt. (vgl. Alberti 2005, S. 20 ff; Hüther 2005a) Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass nicht erst das konkrete Verhalten der Mutter während der Schwangerschaft von Bedeutung ist, sondern bereits „Erwartungen und Hoffnungen“ der Eltern für die Entwicklung des Fetus eine Rolle spielen: „Der Kinderwunsch kann vorwiegend positiv oder negativ besetzt sein und ist auf jeden Fall ambivalent. Nicht selten finden wir auf der bewußten Ebene einen Kinderwunsch, auf einer tieferen aber starke unbewußte Ablehnung. Es wird vielfach angenommen, dass eine starke emotionale Besetzung die pränatale Entwicklung entscheidend beeinflußt und die weitere Entwicklung mitbestimmt. ... Sobald eine Frau schwanger ist, hat sie oft eine lebhafte Phantasiebeziehung mit dem Fetus (...), die von Projektionen ihrer Wünsche bestimmt wird. Wie die spätere reale Beziehung zum Kind, so wird auch die Phantasiebeziehung bereits beeinflußt von der unbewußten Bedeutung, die diese spezielle Schwangerschaft für die Mutter hat... (W. E. Freud 2003, S. 301/302) W. E. Freud’s auf Veröffentlichungen verschiedener älterer Autoren (Corliss; Greenacer; Verny und Kelly) basierende Vermutung, dass intrauterin gemachte Erfahrungen gespeichert würden, wird heute von den Hirnforschern bestätigt: „... beginnt das limbische System seine Arbeit bereits im Mutterleib und setzt sie verstärkt in den ersten Wochen, Monaten und Jahren unseres Lebens fort – in einer Lebensphase also, in der die für uns wichtigsten Dinge passieren. Es bewertet alles, was Körper und Gehirn tun, entsprechend der Regeln des impliziten (unbewussten) assoziativen Lernens nach ’gut/lustvoll/erfolgreich’ und damit zu wiederholen bzw. ’schlecht/schmerzhaft/erfolglos‘ und damit zu vermeiden, und legt diese Bewertungen im emotionalen Erfahrungsgedächtis ab.“ (Roth, 2001, S. 10) Obwohl auch die Intrauterinzeit durchaus von Bedrohung belastet sein kann (vgl. Ringel 1987, S. 27/28; Reinert 1997; Krens u. Krens 2006, S. 33 ff.) und somit nicht obligatorisch einen „paradiesischen Zustand“ repräsentiert, scheint, so die Ansicht von Grunberger (1985/1988 Bd. II, S. 158/159), die ich selbst in zahlreichen Therapien bestätigt gefunden habe, die Intrauterinzeit in unserem unbewussten Gedächtnis mit positiver Bedeutung tief verankert zu sein, dafür sprechen nach Grunberger: „die ’Erinnerung‘ an einen besonderen Zustand des Hochgefühls und die Sehnsucht danach, sowie das Wiederaufleben dieses Zustands in bestimmten Situationen, das Bewußtsein der eigenen
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Unverwundbarkeit, Reinheit und Einmaligkeit, die Phantasie, grenzenlos, ewig und unsterblich zu sein usw. – alles Merkmale, deren Wurzeln in den besonderen Lebensbedingungen des Fötus liegen.“
1.4. Bindungsforschung Ganz wesentliche Erkenntnisse über die Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit hat in den letzten Jahren (mit offenbar gegenwärtig noch zunehmender Bedeutung) die Bindungsforschung geliefert. Sie hat uns beigebracht, wie wichtig für die gedeihliche Entwicklung des Babys eine „partnerschaftliche“ Interaktionalität und aufmerksame, flexible Responsivität der Eltern, insbesondere der Mutter sind: „Der Säugling erfährt durch seine Mitteilungen, dass er, im Interesse seiner Lebensbedürfnisse mehr oder weniger wirkungsvoll auf seine Bindungspersonen, die der wichtigste Teil seiner Umwelt sind, einwirken kann… Ohne mütterliche Feinfühligkeit, Kooperation (Zusammenspiel) und Annahme des Kindes durch die Mutter kann der Säugling ... keine Kompetenz entwickeln.“ (Grossmann u. Grossmann 2003, S. 213) Nach Milch (1998, S. 12) (der sich hierbei auf Untersuchungen von Fonagy et al. stützt) „lassen Befragungen schwangerer Erstgebärender mit dem AAI (= Adult Attachment Interview), das Erwartungen gegenüber eigenen Kindern einschließt, Vorhersagen von hoher Wahrscheinlichkeit zu, welches Bindungsmuster das Kind mit einem Jahr zu seiner Mutter aufbauen wird“. Verschiedene Untersuchungen deuten darauf hin, dass Borderline-Patienten in ihrer frühen Kindheit in Folge fehlender oder unzureichender Responsivität oder sogar traumatisierenden Verhaltens der Umgebung eine „äußerst instabile Bindungserfahrung“ gemacht haben; und dies verhindert offenbar die Mentalisierung der Umgebungserfahrung: „Nach Fonagy werden Kinder von misshandelnden Eltern oder anderen wichtigen Bezugspersonen dazu gezwungen, mental eine Umgebung zu akzeptieren, in der Gedanken zu erschreckend sind, um sie zu denken und Gefühle zu intensiv, um erfahren zu werden. Auf die Dauer wird so die Mentalisierung defensiv vermieden und eine Intoleranz gegenüber alternativen Perspektiven ausgebildet.“ (Buchheim, Strauß und Kächele 2002, S. 131)
1.5. Einbeziehung des Körpergeschehens in die psychoanalytische Arbeit Zu wesentlichen Fortschritten beim Verständnis insbesondere schwererer psychischer Problematiken, also vornehmlich der sog. „präödipalen Störungen“, hat m. E. auch die Einbeziehung des Körpergeschehens in die psychoanalytische Arbeit geführt. Diese Setting-Erweiterung ist auf der einen Seite nach wie vor in der Psychoanalyse umstritten (vgl. Bauriedl 1998; Hilgers 1995; Reinert 1996b), findet andererseits aber immer selbstverständlicheren Eingang in die Literatur. (Vgl. Geißler 2002, S. 38) Dass Letzteres jetzt erst so spät erfolgt, erklärt sich einerseits ohne Schwierigkeiten aus der Geschichte der Psychoanalyse. Andererseits ist es inhaltlich eigentlich verwunderlich: Ähnlich wie Heisterkamp (1993, S. 10) weist Rodulfo (1996, S. 48/49) darauf hin, dass jede Ich- und Selbst-Bildung beim Kind zunächst und allererst auf der Körperebene erfolgt. Er schreibt, das Baby muss sich zunächst „einen Körper verschaffen“: „Wenn nämlich gesagt wird, dass es anatomisch gesehen einen solchen hat, führt das lediglich zu Irrtümern. Aus symbolischer Sicht ist dies nämlich eine Lüge. Es ist nicht sein Körper, denn ihm fehlt viel dazu, ihn annehmen zu können. Es ist allenfalls erlaubt zu sagen, das es über die Möglichkeit verfügt, einen Körper zu haben,
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also Besitz von seinem Körper zu ergreifen im Prozess eines komplizierten historisch-strukturellen Werdens. Und um das zu bewältigen, wird ihm nicht so sehr sein Instinkt helfen, sondern in erster Linie die Elternfunktion.“ Durch die zunehmend systematische Einbeziehung des Körperlichen in ihre Theorie und Praxis verändert sich aber auch die Psychoanalyse. Sie wird quasi ’mehrdimensionaler‘: „Die Psychoanalyse vor allem als Spender eines Orts zu begreifen und nicht als eine Deutungsmaschine macht ihre historische Neuausrichtung aus. Diese Auffassung ist nur dann umsetzbar, wenn sie zu einem wohlbestimmten Ort wird, der mit Bedacht gestaltet worden ist.“ (Rodulfo 1996, S. 48)
2. Zur Genese der Borderline-Pathologie Obwohl vielfach in der Literatur schwere Traumatisierungen (vor allem gewalttätiger und sexueller Art) für die Genese der Borderline-Störung verantwortlich gemacht werden (vgl. z. B. Goldman et al. 1992, S. 1723–1726; Herman 1994, S. 175; Rohde-Dachser 1995, S. 141), scheinen sich zunehmend Erkenntnisse durchzusetzen, dass Traumatisierung zwar bei vielen (vor allem weiblichen) Borderline-Patienten in der Anamnese eine wohl wesentliche Rolle gespielt hat, dass aber Borderline-Störungen multifaktoriell verursacht werden. Gerne wird auf genetische Faktoren verwiesen (vgl. Livesley 2006), aber neuerdings tauchen auch immer häufiger Texte auf mit Hinweisen auf wichtige Entstehungsfaktoren im Bereich der psycho-dynamischen Atmosphäre, die in den Herkunftsfamilien der Patienten/innen herrschte: So spricht Linehan von einer „invalidierenden Umgebung“, in der diese Menschen aufgewachsen sind, „d. h., dass sie in einem Milieu groß geworden sind, in dem ihre emotionalen Erfahrungen für nicht valide (gültig), für ’nicht wahr‘ erklärt wurden. Ihr Erleben und Wahrnehmen wurde ihnen weggeredet, abgesprochen, verdreht, eben invalidiert. Es wurden in ihrer Umgebung schmerzliche Emotionen heruntergespielt oder missachtet oder gar als falsch interpretiert. Für das Kind bedeutet das eine Diskrepanz zwischen dem eigenen Erleben und dem, was die Umwelt, in der Regel die Eltern, als richtig bestätigt. Die Kinder lernen somit nicht, wie sie ihre eigenen Gefühle wahrhaben, benennen oder regulieren oder angemessen auf Umweltreize emotional reagieren können.“ (Schäfer, Rüther und Sachsse 2006, S. 57/58) Diese Beschreibung legt sehr anschaulich (sie stammt auch aus einem „Ratgeber für Betroffene und Angehörige“) wichtige Bestandteile der Familiendynamik dar. Der angesprochene Linehan’sche Ansatz bleibt jedoch in sich oberflächlich und berührt nicht die weitergehenden Fragen • •
warum die geschilderte Dynamik so ist, wie sie ist und warum sie sich so katastrophal auswirkt, wie das vor allem bei schweren Borderline-Störungen der Fall ist.
Es erstaunt mich immer wieder, mit welcher Ignoranz in der Literatur der jüngeren Zeit (außer bei Rohde-Dachser 1979/1995) dauerhaft über eine fundierte Theorie hinweggegangen wird, die seit immerhin bereits 1973 vorliegt und als m. E. tiefgehendstes der vorliegenden Erklärungsmodelle sehr viel beitragen kann zum Verständnis der Psychodynamik der Borderline-Störung: Wolberg (1973) beschreibt als Spezifikum der in den Herkunftsfamilien von Borderline-Menschen vorherrschenden Atmosphäre eine tödliche Bedrohung des Kindes, wenn es denn im Rahmen seiner Individuierungs-Versuche nicht dem von Seiten der Eltern oder zumindest eines Elternteils, häufig der Mutter, mehr oder
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weniger bedrohlich zum Ausdruck gebrachten Erwartungsrahmen entspricht. Die Bedrohung wird nach Wolberg als „real“ erlebt und führt zu einer grundlegenden Notmaßnahme des Kindes, nämlich, zusammengefasst ausgedrückt, auf die von außen an es herangetragenen Wünsche und Erwartungen möglichst komplett einzugehen, dabei in dem Versuch, die Forderungen der Umgebung bereits antizipierend zu erfassen, sogenannte „Identifikations-Phantasien“ mit masochistischem Charakter zu bilden, was automatisch zu einer Unterdrückung eigener Gefühle und Bedürfnisse und langfristig zu einem unbewussten Verzicht auf die Entwicklung einer eigenen Identität und Persönlichkeit führt. (Wolberg 1973) In meiner bisher ca. 20-jährigen Arbeit mit Borderline-Patienten/innen habe ich diese Sichtweise immer wieder bestätigt gefunden und in konsequenter Weiterverfolgung der darin enthaltenen Grund-Erkenntnis eine Systematik der Borderline-Krankheit entwickelt, die „im wesentlichen auf individualpsychologisch-analytischen Erkenntnissen (beruhend) und in ganz vorwiegend intentionaler Perspektive m. E. in der Lage ist, recht ausnahmslos alle im Rahmen der Borderline-Pathologie zu erlebenden Phänomene und Dynamiken als in sich psycho-logisch verstehbar zu machen“ (Reinert 2006), so dass für mich die Borderline-Störung, trotz aller zuweilen bizarr erscheinenden Symptom-Ausbildungen, als ein in sich schlüssiges und auch psychotherapeutisch behandelbares Krankheitsbild erscheint. (S. a. Reinert 2001, 2003 u. 2004) Adler hat 1923 (1982, S. 79) davon gesprochen, der Mensch müsse nach seiner Ankunft auf der Welt „Wurzeln schlagen“ im Leben. Diese Anleihe aus dem Pflanzenreich ist durchaus in der Lage, anschaulich zu machen, worum es bei Beginn des Lebens geht: Von der Umgebungsbeschaffenheit hängt ab, wie sich die Wurzel eines Baumes entwickeln kann. Ist sie im Rahmen einer unfruchtbaren Umgebung nur schwach ausgebildet worden und nicht fest im Boden verankert, wird der ganze Baum nicht richtig genährt, wird instabil bleiben, sich kümmerlich entwickeln und einen nur schwachen Stamm, wenige dürre Äste, spärliches Laub und schon kaum Früchte hervorbringen können. Übertragen auf die seelische Entwicklung des Menschen kann man als „Wurzel“ ein „Gefühl der Zugehörigkeit zur Welt“, dazu das „Selbst“-Gefühl und (daraus abgeleitet) das „Selbstwert-Gefühl“ ansehen. Sind diese nicht oder nur schwach ausgebildet, werden alle späteren Entwicklungsschritte des heranwachsenden Kindes davon durchdrungen und geprägt sein (bzw. von den Versuchen, diesen Mangel zu kompensieren und den sich daraus ergebenden Konflikten). Wende ich dieses „Baum-Modell“ speziell auf den Borderline-Menschen an, so lässt sich sagen, dass diese Patienten im Sinne Adler‘s (1923/1982, S. 49) „Prozess des ’Wurzelschlagens‘“ im Leben, bereits früh schwere SozialisationsDefizite erlitten haben, folglich nur über „notdürftige SelbstsicherungsMöglichkeiten“ verfügen und fortan zu einer Gruppe von Menschen gehören, von denen er schreibt: „Sie bewegen sich wie Fremdlinge unter den anderen und schalten sich von den gemeinsamen Aufgaben aus. Der Varianten gibt es unzählige.“ Nicht Wurzeln fassen im Leben können diese Menschen wegen einer ganz spezifischen Dynamik in der Herkunftsfamilie, die ihnen gegenüber (offen oder versteckt, vgl. Reinert 2004, S. 112–118) „Unerwünschtheit“ zum Ausdruck bringt, entweder durchaus leiblich-existentiell oder aber zumindest als ’Individuum im eigenen Recht.‘ (Ammon in Anlehnung an Searles 1998, S. 70f) D. h., das Kind wächst auf in dem Gefühl, für die Umgebung, insbeson-
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dere die Familie, keinerlei Wert zu besitzen, wenn nicht gar einen Un-Wert darzustellen. Und fühlt: Wenn es nicht so ist (und es kann in solchen Familien gar nicht so sein) wie es erwartet wird, dann ist (ausgesprochen oder aber in der Atmosphäre spürbar) der Wunsch vorhanden, das Kind möge gar nicht erst geboren worden sein, verschwinden oder solle im Grunde am besten entfernt, also quasi noch „nachträglich abgetrieben“ werden. Das Kind kommt so obligatorisch in Todesangst... (Reinert 2006). Um dies noch einmal ganz deutlich hervorzuheben: Im Gegensatz zur Genese anderer, durchaus auch schwerer, struktureller Problematiken wie z. B. der narzisstischen Persönlichkeitsstörung, ist für die Borderline-Krankheit spezifisch das Grundgefühl der existentiellen Bedrohung! Der „existentielle Kernkonflikt“ ist als „Spannung zwischen der Bewußtheit von der Unausweichlichkeit des Todes und dem Wunsch, weiter zu existieren“ (Yalom 1989/2000, S. 19) zwar Grundbestandteil eines jeden menschlichen Lebens und archetypisch verankert; er wird aber im Normal-Fall der gesunden Entwicklung im Rahmen unseres Erziehungs- und Reifungs-Prozesses, durch ermutigende Sicherheitsvermittlung in Form von Beispielgebung der versorgenden Erwachsenen und durch (im Schutze elterlicher Fürsorge erworbene) Lebensbewältigungs-Befähigungen soweit kompensiert, dass die potenziell von ihm ausgehende Angst im Alltagsleben kaum noch eine Rolle spielt, wenn sie nicht unter besonderen Umständen, wie z. B. bei Traumatisierung, mobilisiert wird. Dass in Familien mit einer wenig Geborgenheit vermittelnden Grundatmosphäre auch Traumatisierungen (in unterschiedlichen Ausformungen) gehäuft vorkommen, verwundert nicht, ist aber im Rahmen der Entstehung der Borderline-Pathologie sicher nur als ein zusätzlicher (natürlich massiver!) Verstärkungs-Faktor zu sehen. (Vgl. a. Hirsch 1996, S. 33) Während also bei normaler Entwicklung die sich bereits spätestens bei der Geburt angesichts des Verlustes des intrauterinen „Kontinuums“ und der plötzlichen Konfrontation mit basalen Nöten wie Hunger, Kälte, Alleinesein... obligatorisch einstellenden existentiellen Ängste (vgl. Adler 1923/1982, S. 48; Graber 1924/1970/1978, S. 38; Grunberger 1985/1988, Bd. II, S. 158/159) mit Hilfe der primären Objekte überwunden und bei gelingendem Prozess von einer mehr oder weniger großen Freude an der eigenen Existenz abgelöst werden, haben Borderline-Menschen keine kontinuierlich aufeinander aufbauenden Entwicklungsschritte in ausreichender Harmonie erlebt, so dass die existentiellen Bedrohungs-Gefühle zumindest latent erhalten geblieben sind. Diese können lange Zeit angesichts ausreichender äußerer Lebens-strukturierender und haltgebender Bedingungen (die dabei wie eine „Pseudo-Struktur“ wirken) verborgen bleiben (wie das bei den sogenannten „Als-Ob-Persönlichkeiten“, ein Ausdruck von Helene Deutsch, der Fall ist). Solche „Pseudo-Strukturen“ brechen aber in der Regel in Krisensituationen (typischerweise bei Wegfall äußerer Rahmenbedingungen z. B. am Ende der Schulzeit, bei Verlassen des Elternhauses etc.) in sich zusammen, so wie man sich ein Zirkuszelt vorstellen kann, das außen von einem Kran hochgehalten worden ist, das aber bei dessen Abzug in sich zusammenfällt, wenn innerhalb des Zeltes keine stützende Struktur vorhanden ist: Die existentiellen Ängste werden dann unvermittelt in archaischer Intensität wieder virulent. Kurz zusammengefasst kann man die Borderline-Pathologie auch bezeichnen als Ausdruck des Erlebens einer bei Todesgefahr verbotenen eigenständigen Entwicklung, damit auch als Ausdruck einer extrem und bis zur SelbstAbtötung blockierten, in der Regel aber meist in der Tendenz (pathologisch-
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regressiv) rückwärts gerichteten Lebensbewegung. (Vgl. Heisterkamp 1990, S. 86; Reinert 1996, S. 37–47) Infolge seiner festen Überzeugung, einen Unwert darzustellen, kann sich der Borderline-Patient eine wirkliche Lebens-Berechtigung nicht vorstellen. Dieses negative Selbst-Bild wird notwendigerweise in jedwedes Gegenüber zunächst hinein-projiziert und bestimmt die Kommunikation des Borderline-Menschen: In seinen Augen kann er, der keinen Wert besitzt, auch keine Ansprüche stellen; Borderline-Patienten können sich deshalb nicht selbst in ihren Interessen vertreten. Es fehlt ihnen also die Ich-Funktion der „konstruktiven Aggression“. Gleichzeitig hat der Borderline-Mensch natürlich aber auch eigene Wünsche, Sehnsüchte, Strebungen, er ist ja nicht von Natur aus ein „Gefühls-Krüppel“; die Gefühle sind nur, weil immer für nicht berechtigt erklärt und in der Folge davon dann vom Patienten auch für unberechtigt gehalten, nicht ausgebildet worden. (Dies dürfte sich sogar hirnorganisch nachweisen lassen.) Im Patienten existiert also immer ein Kampf zwischen seinen Sehnsüchten einerseits und andererseits der Überzeugung, selbige gar nicht haben zu dürfen. Die beschriebene (über den Mechanismus der projektiven Identifizierung immer wieder neu bestätigte) Überzeugung, vom anderen getötet oder wenigstens in der Lebendigkeit abgetötet werden zu sollen und andererseits die Wahrnehmung seiner Wünsche und Sehnsüchte, die er wohl immer wieder vorübergehend dissoziativ abspalten, nicht aber permanent abstellen kann, lassen den Borderliner sich hilflos fühlen wie zwischen zwei Mühlsteinen, die ihn, sich gegeneinander bewegend, zermahlen. Daraus resultiert eine mörderische Destruktivität, die wiederum zwiegespalten wahrgenommen werden muss: Richtet er sie nach außen, verstärkt das das Gefühl, „böse“ und wertlos zu sein um die Dimension, jetzt durch die Aggression dazu auch noch schuldig zu werden, was im privatlogischen Empfinden des Patienten den in das Objekt projizierten Tötungs-Wunsch umso berechtigter erscheinen lässt. Schuldlos kann der Patient deshalb die mörderische, destruktive Wut nur gegen sich selbst gerichtet ausleben, wodurch er im Sinne einer „Kompromisshandlung“ quasi „zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt“, nämlich zum einen die Aggression momentan „abreagieren“ zu können und zum zweiten sich gleichzeitig auch noch selbst zu bestrafen. In seiner subjektiven Logik empfindet sich der Patient auf eine paradoxe Weise in dem Augenblick der Selbstbestrafung auch noch in imaginierter Übereinstimmung mit den Wünschen und Urteilen der Umgebung. Das kann ihn sogar „beruhigen“. Gegen das Objekt gerichtet kann Aggression dagegen schuldgefühlfrei oder -arm nur ausgelebt werden, wenn der Patient die Verantwortung für diese Aggression (zumindest projektiv) vorher im Objekt „untergebracht“ hat. Das Objekt muss zuerst (manipulativ) in die Rolle des Täters versetzt werden, der durch irgendetwas am Patienten schuldig geworden ist. Es handelt sich um einen masochistischen Mechanismus, für den ich an anderer Stelle in dieser Arbeit noch ein Beispiel bringen werde. Aus den als unvereinbar erlebten beiden Sphären, die der Borderliner in sich spürt, nämlich einerseits seinen als unberechtigt erlebten, aber unbezwingbaren Sehnsüchten und Wünschen und andererseits der Notwendigkeit, sich den Forderungen einer bedrohlichen Umgebung anpassen zu müssen („Identifikationsphantasien“) resultiert eine grundlegende tiefe innere Spaltung des BorderlineMenschen in sich: Er lebt quasi in zwei Welten (vgl. Wurmser 1994, S. 5/6), der „offiziellen“, in der er auf jegliche Identität, Selbst-Vertretung und Verantwortungsübernahme für die eigene Person verzichtet und andererseits der „eige-
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nen“, die er niemandem offenbart, in der nur privatlogische Gesetzmäßigkeiten herrschen und in der der Patient mit einer ganzen Palette von „autoregulativen Mechanismen“ sein Gefühlsleben beherrscht und kontrolliert: Hierher gehören alle die heute gerne so genannten „Co-Morbiditäten“, die im Rahmen der ICDbasierten Diagnostik den Borderlinern als Zusatzleiden attestiert werden: Essstörungen, Suchtverhaltensweisen, selbstverletzende Praktiken etc. Die Mechanismen sind von Individuum zu Individuum anders ausgeformt, werden einzeln, in Kombination, abwechselnd oder nacheinander phasenweise praktiziert. Sie dienen alle eigentlich aber nur dem einen Ziel: Das Gefühlsleben autark zu „gestalten“, ohne dabei auf reale und lebendige Objekte angewiesen zu sein. Diese zeichnen sich im Erleben des Borderline-Menschen nämlich eben durch ihre Lebendigkeit und damit Unberechenbarkeit aus, wobei jegliche Lebendigkeit diesen Menschen massive Angst macht. (Vgl. auch Rohde-Dachser 1979/1995, S. 134) An dieser Stelle sei kurz hingewiesen auf die hohe Attraktivität, die Drogen jedweder Art als „Ersatz-Objekte“ für Borderline-Kranke haben: Mit ihrer Hilfe kann die Befindlichkeit im Sinne eines subjektiv angenehmen „Verschmelzungs-Erlebens“ beeinflusst werden; Drogen sind zwar nur ein Ersatz und damit für die Beziehungs-Aufnahme „zweite Wahl“, dessen ist sich der Patient bewusst, aber das Ersatz-Objekt ist • relativ berechenbar, • auf seinen Befehl hin verfügbar und • in der Wirkung, zumindest zunächst, seinem eigenen Willen unterworfen; (vgl. Wurmser 1997; Reinert u. Bergner, 2000) Jeder Kontakt des Patienten mit Real-Objekten muss unter seiner unbedingten Kontrolle stattfinden. Diese wird u. U. sehr subtil ausgeübt und noch lange nicht jedes Mal sofort dem Objekt unmittelbar bewusst; ihre Wahrnehmung durch das Objekt ist jedoch auf Dauer unvermeidlich, verbreitet sich doch in der Regel durch den Kommunikations-Stil des Borderline-Menschen eine „lähmende“ Gesprächs-Atmosphäre, die das Objekt zunehmend dem Gefühl aussetzt, manipuliert zu werden mit der Folge der Entstehung einer aggressiven Gegenübertragung und Auftauchen des Wunsches nach Beendigung erst der Begegnung und dann der gesamten Beziehung. Insgesamt lässt sich zusammenfassend feststellen: Alles und jedes in der Umgebung des Borderline-Menschen muss in seinem Gefühl unter seiner Kontrolle sein, damit er sich einigermaßen sicher fühlen kann vor der permanenten und in ihrem Ausmaß kaum adäquat zu beschreibenden Todesangst. Es ist deshalb für den Patienten auch höchstgradig beunruhigend, wenn er einen wesentlichen „Bereich“ seiner Existenz nicht lückenlos und ständig kontrollieren kann: Seinen Körper! Dieser führt in gewisser Weise ein Eigenleben, folgt biologischen Notwendigkeiten und gibt Signale und Bedürfnisse zum Ausdruck, die beim gesunden Menschen als Teil der eigenen Person im Rahmen der als selbstverständlich empfundenen Ganzheitlichkeit wahrgenommen werden. Für den Borderliner sind diese Signale aus dem eigenen Körper in ihrer relativen Autonomie wie alles Lebendige beängstigend. Das Bestreben des Patienten ist es deshalb, auch den Körper in buchstäblich allen Belangen unter seine willensmäßige Kontrolle zu bekommen. Der eigene Körper wird, wie Mathias Hirsch (1989) umfangreich im Rahmen der Beschäftigung mit selbstdestruktivem Patienten-Verhalten beschrieben hat, „als Objekt“ erlebt und: be-handelt. Der Körper wird als solcher vom Borderliner nahezu ausschließlich unter „funktionalen“ Gesichtspunkten erlebt und erfüllt dabei parallel mehrere Aufgaben,
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wobei, abhängig vom gerade aktuellen „psychischen Aufenthaltsort“ des Patienten in der Welt mal die eine, mal die andere Funktion in den Vordergrund der Betrachtung rückt.
3. Zum „Körper-Selbst“ des Borderline-Menschen Obwohl der Körper insofern für den Borderline-Patienten permanentes Beschäftigungsfeld ist und sich am Körper eine ganze Menge des bei diesen Menschen zu beobachtenden Krankheits-Geschehens abspielt, sind entsprechende wissenschaftliche Untersuchungen zum „Körperselbst“ dieser Patienten rar. So schreiben Joraschky, von Arnim und Pöhlmann (2006, S. 207): „In der klinischen Arbeit mit Patientinnen mit Borderline-Persönlichkeitsstörungen fiel schon immer die auffällige Störung des Verhältnisses zum eigenen Körper auf, dennoch fehlt dieses Kriterium in den Diagnosekriterien der Borderline-Persönlichkeitsstörung. Auch in theoretischen Überlegungen zur Borderline-Persönlichkeitsstörung sind Körperkonzepte bisher wenig berücksichtigt worden. Lediglich bei Rhode-Dachse (1995) wird ein verzerrtes Körperbild als ein Beispiel für inhaltliche Denkstörungen bei Patientinnen mit Borderline-Persönlichkeitsstörungen aufgeführt. Dass diese charakteristischen Merkmale eher unbeachtet blieben, mag damit zusammenhängen, dass ein Gespräch über das Körpererleben mit den Patienten als schwierig gilt. Die Patienten, die Hass oder Ekel gegenüber ihrem eigenen Körper äußern oder den Körper von sich selbst getrennt wahrnehmen, können jedoch ganz konkret zum Körpererleben befragt werden, so dass die Ausblendung dieser Dimension in der Forschung als bemerkenswert beschrieben werden kann.“ Ähnlich äußert sich Rudolf (2004, S. 62): „Aus allgemein psychologischer und speziell psychoanalytischer Sicht spielt der Körper allerdings eine merkwürdig unbedeutende Rolle und wird häufig nur als eine(r) von vielen Aspekten der Selbstrepräsentanz berücksichtigt. Wenn jedoch ein Therapeut – z. B. aufgrund seiner Erfahrungen in der Psychosomatik – erst einmal auf die Körperdimension aufmerksam geworden ist, wird er das außerordentliche Gewicht veränderten Körpererlebens bei strukturellen Störungen nicht mehr übersehen können.“ Erwähnt wird im Zusammenhang mit Borderline-Patienten allerdings gelegentlich deren so genanntes „Körperagieren“. Dieses wird von einigen Autoren aber eher gesehen als Weg zur Erlangung von Lust oder Allmachts-Gefühlen, wobei diese hedonistisch, also unter dem Aspekt der Lust-Gewinnung vergleichbar dem süchtigen Verhalten (meines Erachtens: fehl-)interpretiert werden. (Vgl. Kernberg 1975/1978, S. 149; Hirsch 1989, S. 17) Fast hat man bei solchen Literaturstellen den Eindruck, als würde hier den Patienten ihr Verhalten als quasi inadäquat zum Vorwurf gemacht; m. E. besteht hier die Gefahr, die kompensatorische Funktion derartiger Macht-Ambitionen, also die Aufgabenstellung der Abwendung subjektiver Not und deren Verkehrung ins Gegenteil, zu vernachlässigen. (Vgl. Reinert 2004, S. 27/28) Nach meiner langjährigen Erfahrung im Umgang mit diesen Menschen erfüllt der Körper für den Borderline-Patienten unbewusst oder bewusst in etwa folgende Aufgaben: Zum einen ist er (unbewusst wie bei psychosomatischen Patienten) genutzter „Austragungs-Ort“ unausgelebter und abgewehrter psychischer Konflikte, Borderline-Menschen werden verstärkt somatisch krank. Ein häufig im Rahmen
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schwerer Borderline-Syndrome anzutreffendes Phänomen ist eine u. U. jahrelang feststellbare vegetative Dysregulation mit z. B. dem Phänomen der „Zentralisierung“ mit auch in gut beheizten Räumen gegebenem Frieren der Patienten, die oft dann auch sehr kalte Extremitäten aufweisen; das Schmerzempfinden ist erheblich reduziert; und bei Patientinnen besteht (auch bei fehlender Anorexie oder außerhalb anorektischer Phasen), als leiblicher Ausdruck der Ablehnung der eigenen Weiblichkeit, eine dauerhafte Amenorrhoe. BorderlinePatienten ziehen z. T. aber aus körperlicher Krankheit auch so etwas wie eine „sekundäre Identität“: Auftretende körperliche Erkrankungen geben dann dem ansonsten sich oft „leer und ratlos“ fühlenden Patienten als quasi „Orientierungshilfe“ Verhaltensweisen vor, oder sie entschuldigen Versäumnisse, für die der Patient aus seinem Unwertgefühl heraus nicht die Verantwortung übernehmen möchte oder kann. Dazu ein kurzes klinisches Beispiel:
Körperliche Krankheit als identitätsstiftendes Medium Ein zum damaligen Zeitpunkt 23-jähriger junger Patient mit einer schweren Borderline-Störung, der immer wieder mit erheblichen Alkohol-Intoxikationen in der Klinik stationär aufgenommen werden musste, war direkt stolz darauf, als nach einiger Zeit beim Absetzen von Alkohol bei ihm körperliche Entzugserscheinungen auftraten, wiesen diese ihn doch jetzt als „manifesten Alkoholiker“ aus, er konnte sich nunmehr als solchen bezeichnen, gehörte zu dieser Gruppe und hatte von da an eigentlich eine durch die somatische Abhängigkeit bestimmte Lebensführung vorgegeben.
Zum zweiten wird der Körper empfunden als Träger von Gefühlen und ist damit auch Adressat für subjektive Gefühls-Wünsche des Patienten; der Körper wird zum „Mittel zum Zweck“, zur Befindlichkeits-„Schraube“, an der autoregulativ gedreht werden kann. Auch hierzu praktische Beispiele:
Der Körper als „benutzbares“ Objekt Ein 25-jähriger, von illegalen Drogen abhängiger Patient, der die Drogen injizierte, fasste sein Interesse am Leben in einem einzigen Satz zusammen: „Ich will gutes Feeling auf Kommando.“ In erschreckendem Maße wird gerade bei Drogenabhängigen immer wieder deutlich, wie sie den Körper überhaupt nicht als „das leibliche Selbst“ wahrnehmen, sondern als eben Fremd-Körper, so, wenn sie ihn absuchen nach Venen, die sich zur Injizierung von Drogen eignen, und dabei sogar vor z. B. den Zungen- oder Penis-Venen nicht zurückschrecken oder Abszesse sich unbehandelt in vital-bedrohlicher Weise am Körper entwickeln lassen.
Oder man denke auch an die häufig praktizierte Prostitution als Weg für die Finanzierung der Drogen, bei der praktisch der Körper „in Zahlung gegeben wird“ für die Gefühls-Steuerung. Eine ganz besondere Bedeutung kommt, vor allem bei schwerergestörten Borderline-Patienten, der Körperoberfläche zu: Diese ist ja ganz allgemein der fassbarste Teil der Grenze zwischen „Selbst“ und „Nicht-Selbst“. BorderlinePatienten besitzen, wie bereits dargelegt wurde, kein durch ein Strukturgerüst jederzeit aufrecht erhaltbares stabiles Selbst. Insbesondere dann, wenn der Patient im Rahmen der geschilderten „Identifikations-Phantasien“ sehr weitgehend auf die vermeintlichen oder echten Bedürfnisse anderer Objekte eingeht, droht ihm dabei oder anschließend ein Gefühl des „Selbst-Verlustes“, das bis zum bedrohlich-angstmachenden Auflösungs-Empfinden gehen kann. Dieses
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führt zur Panik und ist unerträglich! Im Rahmen seiner autoregulativen Gefühlssteuerung wird in solchen Zuständen die Körperoberfläche zum „Ort“, an dem und mit dessen „Hilfe“ der Patient eine Abgrenzung zwischen sich und der Welt wiederherstellen kann, um diese bedrohliche Selbst-Auflösung zu stoppen oder rückgängig zu machen: Dies geschieht, indem sich der Patient durch extreme Reize Gefühle an dieser Körperoberfläche verschafft: Patienten setzen sich dann bewusst dem Frieren aus oder auch großer Hitze, indem sie z.B. sehr heiß duschen oder baden. Oder aber sie führen Selbstverletzungen durch, die dann subjektiv vom Patienten nicht als „destruktiv“ oder „autoaggressiv“ wahrgenommen werden, sondern so wie ein probates Hilfsmittel, also als ein die Befindlichkeit aushaltbar machendes Positiv-Verhalten. Selbstverletzungen können deshalb sehr verschiedene „innere“ Bedeutungen für den Patienten haben; und ich möchte „davor warnen, die Bedeutung bestimmter SymptomVerhaltensweisen bei verschiedenen Patienten nur aus der Phänomenologie heraus gleichzusetzen. Und sogar bei einem einzelnen Menschen können bestimmte Verhaltensweisen zu verschiedenen Zeitpunkten jeweils anderen Gefühlshintergründen entspringen.“ (Reinert 2004, S. 159) Zum dritten ist der Körper dadurch, dass seine materielle Präsenz sich (im Empfinden des Patienten: „leider“) nicht verleugnen lässt, der Teil der eigenen Person, der für die Objekte sichtbar, damit in seiner Erscheinung und seinem Aussehen aber auch bewertbar ist und somit für die gesamte Person des Patienten „verantwortlich“ gemacht werden kann. Der Körper entzieht sich dadurch dem Begehren des Patienten, jedwede Beziehung bewusst und willentlich zu kontrollieren, wird deshalb gehasst, ggf. auch bestraft und gequält. Letzteres geschieht auch oft dann, wenn der Körper projektiv zum lokalisierbaren Träger und „Beweis“ des eigenen Unwertes gemacht und in u. U. grob verzerrter Weise wahrgenommen oder phantasiert wird, was im Ausmaß bis an koenästhetisch-psychotisches Erleben heranreichen kann. Dazu einige klinisch-praktische Beispiele: Schwerer kranke Borderline-Patienten vermuten nicht selten „das Schlechte“, „das Schwarze“, „den ganzen Dreck“ im Inneren ihres Körpers; diese Projektionen sind u. U. Grund für schwere Selbstverletzungen. Bei bestimmten Essstörungs-Patienten/innen steht im Hintergrund ihres Verhaltens der Wunsch, den Körper quasi „aufzulösen“ mit der Phantasie, zum reinen „Geistwesen“ werden zu wollen, und sei dies um den Preis des Todes.
Eine harmlose Variante zeigt folgendes kleines Fallbeispiel:
Ablehnung bestimmter Körperteile So wie viele andere derartig Betroffene kam auch Sabine, eine damals 24-jährige Patientin mit einer schweren Borderline-Störung häufig mit in die Ärmel ihres weiten Pullovers gezogenen Händen zu den Sitzungen. Die Hände waren dabei zur Faust geballt und umschlossen jeweils das Ärmelende. Immer wieder zwischendurch versuchte ich, dies anzusprechen, bis in einer Sitzung der Patientin auf einmal klar wurde, worum es hier ging: Sie erklärte mir: „Ich hasse meine Hände! Denn die verpflichten mich zu handeln, und ich kann doch nichts tun!“
Obwohl oft, z. B. in der Psychiatrie, das erstmalige Auftreten einer Borderline-Symptomatik gleichgesetzt wird mit dem Beginn der Krankheit, ist aber eigentlich mit Sicherheit davon auszugehen, dass die wesentlichen Grundlagen für die spätere Entstehung des Krankheitsbildes bereits in frühester Lebenszeit
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gelegt wurden. Nach meiner Erfahrung äußern so gut wie alle BorderlinePatienten bei genauer und differenzierter Anamneseerhebung, dass sie sich bereits als Kinder „nicht richtig dazugehörig“, in zumindest einigen Lebensbereichen als „Außenseiter“ oder „nicht als selbstverständlichen Teil der Welt“ empfunden hatten. In einigen Fällen gelang es an Hand von noch vorhandenen Bildern, die die späteren Patienten als Kinder, also bereits lange Zeit vor Ausbruch der Krankheits-Phänomenologie, gemalt hatten, ein Welterleben des Kindes nachzuweisen, das die wesentlichen Elemente der späteren Borderline-GrundThematiken schon eindeutig erkennen lässt. (Reinert 1997a)
4. Das breite Spektrum der Borderline-Pathologie Dabei muss allerdings auch noch berücksichtigt werden, dass sich unter dem Begriff „Borderline-Patienten“ ein riesiges Spektrum unterschiedlicher Schweregrade dieses Krankheitsbildes verbirgt, das von Psychose-nahen, nahezu unstrukturierten Menschen mit kaum gegebener selbständiger Lebensfähigkeit bis zu äußerlich gut integrierten „Als-ob-Persönlichkeiten“ reicht, bei denen nur unter Stress und in Krisensituationen überhaupt eine Borderline-Pathologie in Form eines dann vorübergehenden Wegbrechens ihrer Ich-Funktionen oder eines Teils derselben in Erscheinung tritt. Wir sprechen ja hier mit Kernberg bekanntlich von sehr unterschiedlichen „Funktions-Niveaus“ der Betroffenen. Dabei ist aber jeder Versuch einer Typologie derartiger psychischer Krankheiten (vgl. a. Rudolf 2004, S. 195–198) m. E. meist nur unzureichend in der Lage, die individuellen Störungsmuster eines Patienten abzubilden. Geeigneter erscheint mir die Ansiedelung aller schwereren seelischen Pathologien auf einem „gleitenden Spektrum archaischer Ich-Krankheiten“, wie sie Ammon (1979/1998, S. 98) vorgenommen hat. Der Vielfalt struktureller Gegebenheiten entsprechend unterschiedlich ist auch der Grad an Desintegration des Körpers in die Gesamtpersönlichkeit des Patienten in dessen subjektivem Erleben. Die Desintegration einzelner Persönlichkeits-“Bereiche“ geschieht nach Reiter (2004, S. 21), der sich hier auf verschiedene Säuglingsforscher beruft, in ganz früher Lebenszeit, möglicherweise sogar in Grundzügen bereits pränatal. Elementar wichtig für eine gesunde Entwicklung scheint die ungestörte Ganzheitlichkeit der Wahrnehmung des Kindes, das dabei quasi „automatisch“ die verschiedenen Sinneseindrücke miteinander verbunden und untereinander verknüpft erlebt: „Bereits der Fetus nimmt ’amodal‘ wahr. Die Sinne sind untereinander verknüpft und üben sich gegenseitig ein. Vor der Ausbildung symbolischsemantischer Verarbeitung (diese ist ca. erst ab dem 18. Monat möglich) ist die Gefahr groß, bei emotionalen Überlastungen die Amodalität zurücknehmen zu müssen. Die Distanzierungsmöglichkeit zur Situation ist nicht gegeben. Ganzheit wird durch Abspaltungen ersetzt. Die neue Organisation verfestigt sich strukturell. Der Verlust der Ganzheit ist demnach schon vorgeburtlich möglich.“ Für Fuchs (2000, S. 242) geht es bei der normalen Entwicklung um ein Gleichgewicht zwischen emotionalem und kognitivem Weltbezug: „Ihre Konkurrenz kann zu einer fruchtbaren Komplementarität werden. Gelingt diese Integration jedoch nicht, so kommt es zu Spaltungsphänomenen, die entweder den wahrgenommenen Gegenstand betreffen oder eher die Gefühlsbeziehung zu ihm. Ersteres ist bei Borderline-Störungen als Spaltung in ein ’gutes‘ und ein ’böses‘ Objekt je nach der momentanen Gefühlsrichtung vielfach beschrieben worden.“ Stimmungen und Gefühle können dann u. U. in ihrer Isolierung „weltver-
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schließend“ wirken statt „welterschließend“. Diese Spaltung basiert wesentlich auf dem Körpererleben: „Die Leiblichkeit gleicht dann einem Empfangsgerät, das aufgrund einer fixierten Eigenschwingung nur noch eine Wellenfrequenz aus dem Umraum herausfiltert, diese aber ohne Dämpfung maximal verstärkt. Die affektiv vermittelte Repräsentanz der Wirklichkeit dominiert die Wahrnehmung dann so, dass es zu Verfälschungen bis hin zu illusionären Verkennungen oder Wahnwahrnehmungen kommt.“ Hinsichtlich des Körpers können solche Wahrnehmungs-Verfälschungen bei schwererkranken Borderline-Patienten massiv sein! Die sehr anschauliche Beschreibung einer solchen Gestörtheit, die Rudolf (2004, S. 64), bezogen auf eine sicher ein Extrem darstellende Horror-Roman-Figur lieferte, ist im Vergleich mit der Wiedergabe des Körpererlebens mancher meiner Patienten/innen kaum überzeichnet: „Die ... Merkmale des Körpererlebens sind qualitativ anders als die neurotischen Selbstwertzweifel, welche strukturell besser integrierte Patienten auf den eigenen Körper beziehen. Es ist nicht nur die narzisstische Kränkung fehlender Attraktivität, es ist das Erleben einer falschen, toten, künstlichen Körperlichkeit, die keine Funktionslust und keine Vitalität kennt, die keine Ähnlichkeit mit anderen Menschen und keine wechselseitige Anziehung gestattet. Manchmal heißt es in Psychotherapieberichten: ’Die eigene Körperlichkeit ist der Patientin völlig fremd‘. Diese kurze und nüchterne Aussage lässt nur ahnen, welcher Abgrund aus Ratlosigkeit und Verzweiflung sich für denjenigen auftut, der in der Wohnung des eigenen Körpers fremd ist und für den notwendigerweise die Körper der Anderen nicht Nähe und Vertrautheit, sondern Bedrohung und Verwirrung auslösen.“
5. Zur Notwendigkeit der Modifikation des therapeutischen Verfahrens Meiner Meinung nach ist es deshalb einerseits inhaltlich richtig, wenn Cierpka (2004, S. VII) schreibt: „Erfahrene Therapeuten wissen, dass bei diesen Patienten nicht nur mit der Standardtechnik ... gearbeitet werden kann. Die Überprüfungen der Behandlungspraxis von schwerergestörten Patienten zeigt, dass bei diesen Patienten ihrem Funktionsniveau entsprechende Techniken eingesetzt werden müssen, wenn Veränderungen erreicht werden sollen.“ Andererseits fällt hier erneut die sich im heutigen psychotherapeutischen Schrifttum ausbreitende Verwendung des Begriffes „Technik“ auf. Dazu Rodulfo (1996, S. 35): „Wir teilen mit Autoren wie Lacan oder Winnicott das tiefe Mißtrauen, das das Wort ’Technik‘ weckt, denn immer läuft es auf eine bestimmte Standardisierung hinaus und neigt dazu, in Rezepten und vorfabrizierten Vorgehensweisen zu gerinnen. Jeder Analytiker soll seinem Scharfsinn vertrauen, was das Vermeiden dieser Falle angeht.“ Wenn nachhaltige Struktur-Beeinflussungen bei solchen Patienten angestrebt werden und nicht nur Symptomverbesserungen, ist m. E. eine analytische Behandlung ohne Einbeziehung des Körpers nicht möglich! Die immer wieder aufgeworfene Frage, ob die Körperlichkeit in die psychoanalytische Arbeit direkt miteinbezogen werden sollte oder nicht, ist für mich nach langjähriger Erfahrung damit eindeutig beantwortet. Aber das Entscheidende ist an dieser Stelle gar nicht die Frage „ob oder ob nicht“ sondern vielmehr die Frage des „Wie“! Die bloße „Mobilisierung“ des Körper-Erlebens im Therapieprozess „einfach mal so“, ohne entsprechendes Verstehen dessen, was damit induziert
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wird, ist durchaus nicht ungefährlich, wie ich an Beispielen noch zeigen werde. Körperorientierte Psychotherapie erfordert gerade bei schwerer gestörten Patienten/innen ein sorgfältig reflektiertes Vorgehen und m. E. obligatorisch die Möglichkeit einer kurzfristig verfügbaren Supervision. Auszugehen ist in jedem Falle von der evidenten Grund-Tatsache, „dass das Körpererleben als zentraler Teil des Selbsterlebens einen entscheidenden Einfluss auf alle intrapsychischen und interpersonellen Wahrnehmungen und Reaktionen hat“ (Worm i. d. B., Handlungsdialog). Zu unterscheiden ist nach Worm dabei aber zwischen dem „Ausdruckskörper“ in seiner „Verknüpfung mit den inneren Beziehungsmustern und deren Geschichte“ und dem „Funktionskörper in seiner psychosomatischen Bedeutung.“ „Körperarbeit“ mit frühgestörten Patienten kann und muss, jeweils angepasst an deren sehr verschiedene Entwicklungs-Niveaus, in Art und Vorgehensweise differenziert praktiziert werden: Worm (i. d. B.): „Man kann ... die körpertherapeutischen Zugänge als eher körperzentriert oder beziehungszentriert beschreiben. Welcher Zugang sich im spezifischen Fall eher eignet, ist zunächst eine diagnostische Frage. Ein entscheidendes Kriterium ist die Struktur des Patienten.“ Ist bei einem Patienten der Körper als Teil des Selbst relativ gut integriert und bereits in sich abgegrenzt, kann mit Hilfe des leiblichen Erlebens z.B. eine Beziehungs-Problematik unmittelbar gefühlt und damit dem Patienten im Rahmen des in der Stunde ablaufenden „Handlungsdialoges“ (vgl. Heisterkamp 2002a) sehr viel eingängiger und plastischer zum Bewusstsein gebracht werden, als dies (wenn überhaupt!) auf verbal-analytischem Wege möglich wäre. Hier ist auch Raum für die „Beschleunigung der Introspektion“, die Moser (2004b) sich mit Recht von der mikroperspektivischen Interpretation des in der körperorientiert ablaufenden Analyse wahrnehmbaren Geschehens verspricht.
6. Der sadomasochistische Abwehrmechanismus des BorderlinePatienten Deshalb möchte ich Im Folgenden zunächst in einem ausführlichen Fallbeispiel deutlich machen, wie durch eine körpertherapeutische Intervention oder Probehandlung einem relativ stabilen Borderline-strukturierten Menschen ein wesentlicher Bereich seines Empfindens und seiner typischen Reaktionsweisen zugänglich gemacht werden konnte:
Gerd Gerd, ein 43-jähriger Patient mit einer stark narzisstisch ausgeformten BorderlineStörung, war verbaler Arbeit nur in sehr geringem Ausmaß zugänglich. Deutungen wurden abgelehnt, wurden wortreich „blasenförmig“ verändert bis sie überhaupt keinen Sinn mehr ergaben. Seine Reaktionen lösten in meiner Gegenübertragung Lähmung, Resignation, aber auch Aggression aus. Es war ein sonderbares „Spiel“, das zwischen uns beiden ablief. Er schien entschlossen zu sein, das Heft des Handelns für sein Leben in der Hand zu behalten (Kontrolle) und mir war die Rolle eines „Dieners“ zugedacht, der ja mal „kluge Vorschläge“ machen kann, das hatte ich ja wohl gelernt, dazu war ich ja wohl auch da, denn die Krankenkasse zahlte ja für seine Behandlung. Eine Beziehung auf der Gefühlsebene war offensichtlich lange Zeit überhaupt nicht vorhanden. Die Arbeit mit diesem Patienten war sehr mühsam, getragen von meinen Versuchen, ihm vor Augen zu führen, wie er sich einerseits mir gegenüber verhielt, wie ausbeutend, andererseits auch: wie einsam er doch war. Lange Zeit war ein The-
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ma, dass der Patient immer wieder in die Stunden kam mit aktuellen Ereignissen, die er außerhalb der Sitzungen wieder einmal frisch erlebt hatte und die ihn völlig entrüsteten ob des Verhaltens der anderen, die er sämtlich als feindselig und bedrohlich erlebte. Er war immer das Opfer, er konnte in seinem Erleben machen was er wollte, immer endete alles so, dass er letztendlich das Leid auf seiner Seite hatte. Vorsichtige Deutungen meinerseits im Rahmen der minutiösen Rekonstruktion stattgehabter Situationen stand er völlig negativ gegenüber; es drohte auch in unserer Beziehung sofort (dies auch nach langer Zeit!) der Verdacht seinerseits, ich könne „auf der anderen Seite“ stehen und mit den anderen gegen ihn zu Felde ziehen. Als er wieder einmal sich ausführlichst und breitest ausließ über eine stattgehabte Misshandlung durch irgendjemand außerhalb, entschloss ich mich, die Situation insofern zu nutzen, als seine Affektlage eigentlich die war, die ich gerne im Rahmen der Übertragungsbeziehung zwischen uns einmal hätte aufkommen sehen. Ich fragte ihn, ob er bereit sei, sich darauf einzulassen, etwas auszuprobieren, das mit Nähe und Ferne, Bedrohlichkeit und Schutz zu tun hätte. Zögerlich stimmte er zu. Ich postierte ihn in die Mitte des großen Therapieraumes, in dem die Behandlung stattfand, stellte mich in eine der Ecken des Raumes und kündigte ihm an, ich würde jetzt ganz langsam, Schritt für Schritt, auf ihn zukommen und er möge spüren, wann meine Nähe für ihn unangenehm werde und dann durch ein „Stopp!“ mir Einhalt gebieten. Er war einverstanden und ich begann, ausgehend von einer Ecke, langsam auf ihn zuzuschreiten, kam näher und näher, er schaute mir direkt ins Gesicht, etwas unschlüssig, es kam kein „Stopp!“. Ich entschloss mich, die Handlung konsequent fortzusetzen. Ich kam näher, erreichte ihn, unsere Bäuche berührten sich, ich ging weiter und trieb ihn langsam vor mir her. Er ging zurück, wortlos, etwas ratlos guckend, ließ sich aber von mir immer weiter zurückdrängen. Schließlich erreichten wir die diagonal gegenüber liegende Ecke des Raumes im Verhältnis zu der, von der aus ich „losmarschiert“ war. Ich ging noch weiter: Ganz langsam und vorsichtig drückte ich ihn leicht mit seinem Körper in die Ecke hinein. Kaum spürte er aber mit seinem Rücken die beiden hier zusammenlaufenden Wände, hob er plötzlich die Arme und versetzte mir einen so heftigen Stoß, dass ich etliche Meter weit zurückgeschleudert wurde, mich aber fangen konnte, so dass überhaupt nichts passierte. Er war selbst sehr verwundert über das, was hier abgelaufen war. Deutlich machen ließ sich daran dann im anschließenden Gespräch ein ganz wesentlicher Teil der Psychodynamik, die bei ihm immer wieder in den verschiedensten Situationen ablief, was ihm aber in Worten nicht nahezubringen gewesen war. Ich bat ihn, sein Erleben zu beschreiben. Er schilderte, dass er gar nicht den Punkt in sich gespürt habe, an dem es für ihn unangenehm wurde mit meiner Nähe. Er habe keinen Grund gehabt. „Stopp!“ zu sagen. Ich fragte zurück: Ob es ihm denn in irgendeiner Weise angenehm gewesen sei, von mir praktisch erreicht und dann immer weiter zurückgetrieben worden zu sein. Nein, das sei fürchterlich gewesen! Aber: Welches Recht habe er denn, mir Vorschriften zu machen?! Ich: Aber er habe sich ja schließlich gewehrt! Und zwar erheblich! Ich sei doch durchs halbe Zimmer geflogen. Was in Ordnung sei. Ich hätte ja schließlich den Versuch vorgeschlagen und ihn aufgefordert, seinem Gefühl zu folgen. Er spürte ein Stück weit in sich hinein und konnte dann feststellen, dass es der Druck im Rücken gewesen sei, die Aussichtslosigkeit seiner Situation, er habe ja nicht mehr weiter zurückgehen können. Ich deutete: „Also: Wenn ich Sie buchstäblich in die Enge treibe und Sie, ebenfalls buchstäblich mit dem Rücken an der Wand stehen, dann haben Sie das Recht, sich auch kraftvoll zu wehren. Dann trage ich ja die Verantwortung für Ihre aggressive Handlung.“ Das konnte er jetzt im Zusammenhang erstmalig als seinem Gefühl entsprechend erleben. Der Verlauf dieser Stunde erwies sich für die weitere Therapie als sehr wichtig und hilfreich.
Deutlich wird an diesem Beispiel: Wir haben es bei Borderline-Patienten immer wieder mit einem Phänomen zu tun, das vordergründig betrachtet paradox wirkt: Diese Menschen sind im äußeren Auftreten und im Kontakt mit der
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Umwelt oft sehr aggressiv getönt, unnahbar, inadäquat, haben aber ihrerseits große Angst vor Aggression, sowohl der potentiellen von außen kommenden, als aber auch der eigenen, deren Ausübung sie in Folge ihres Unwertgefühles und ihrer fehlenden Existenzberechtigung (s. o.) als unberechtigt empfinden und mit tiefen Schuldgefühlen beantworten. Es ist quasi so in ihrem Empfinden, als würden sie im Rahmen ihrer tief empfundenen Minderwertigkeit das Gefühl haben, durch ein Sichtbarwerden ihrer inneren Aggression diesen Unwert, der ohnehin schon als drückend erlebt wird, noch zu verstärken. So als würden sie gerade dadurch beweisen, dass der Andere, dem sie projektiv unterstellen, sie als negativ und überflüssig zu empfinden, berechtigt sei, sie wirklich abzulehnen und einer Bestrafung, vielleicht sogar der Vernichtung zu überantworten. Der masochistische Verarbeitungsmodus, der hierdurch eingeleitet wird, erweist sich also als eine konsequente Umsetzung eines tiefen Gefühls, nicht berechtigt zu sein, sich als Person, als „Ich“ in der Welt zu behaupten. Im Rahmen dieser masochistischen Verarbeitung müssen die Patienten natürlich dann ihre eigene, ja durchaus im Sinne des „Sich-Behauptens“ notwendige konstruktive Aggression unterdrücken und förmlich nach Situationen suchen, sie erwarten oder sogar herbeiführen, in denen ein anderer an ihnen „schuldig“ wird, also quasi in Richtung der Verantwortungsübernahme für die Aggression des Patienten in eine „aggressive Vorleistung“ geht, die dann erst die Berechtigung verschafft, sich dagegen zu wehren. Also: Der Patient muss Opfer werden, braucht den anderen in der Rolle des Übergriffigen, „Bösen“, was natürlich die gesamte Kontaktaufnahme und Beziehungs-Gestaltung des Patienten immer nach demselben Muster ablaufen lässt; wirkliche Beziehung auf gleicher Ebene ohne „sadomasochistische Rollenverteilung“ ist diesen Patienten nahezu nicht möglich. Sie befinden sich notgedrungen aus ihrem „Unwert-Erleben“ der eigenen Person heraus in einer permanenten Aufmerksamkeits- und Anspannungs-Verfassung, so als lebten sie, um diesen anschaulichen Adler’schen Ausdruck noch einmal zu verwenden, permanent wie „in Feindesland“. Ein fürchterlich anstrengendes Leben!
7. Gefahren durch Einbeziehung des Körpers in die Therapie Schwerer gestörte Borderline-Patienten mit unsicheren Ich-Grenzen wären aber mit einer so unmittelbaren Konfrontation mit ihrem Körper-Erleben massiv überfordert, und ein derart direktes Vorgehen könnte dann sogar Gefahren heraufbeschwören, wie ich an einigen konkreten Beispielen deutlich machen möchte. Diese gehören zu den Erfahrungen, durch die ich im Laufe der Jahre gelernt habe, bei diesen Patienten mit der Einbeziehung des Körpers in den therapeutischen Prozess äußerst zurückhaltend zu sein, ja, sogar in manchen Fällen den Patienten eher zu bremsen, wenn er selbst, in Überschreitung seiner eigenen Grenzen und seiner zum aktuellen Zeitpunkt gegebenen Möglichkeiten des Verkraftens und Stabil-Bleibens (vor allem außerhalb der therapeutischen Sitzungen!), voranschreiten will und sich dabei, ohne dies zu ahnen, der Gefahr aussetzt, von archaischen Gefühlen überrollt zu werden und sich einer kompletten Auflösung seiner empfundenen Körpergrenzen auszusetzen. Hier droht dann tatsächlich der „unerwünschte regressive Sog“, vor dem Rohde-Dachser (1987, S. 280) mit Recht warnt. Die beiden ersten der folgenden Fallbeispiele zeigen, dass es bei Patienten mit einem bestimmten Störungsgrad noch nicht einmal besonderer therapeuti-
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scher Vorgehensweisen bedarf, um u. U. in der Therapiesituation massive psychotische Erlebensweisen hervorzurufen:
7.1. Liegen führt zu Zerfall und Verlust der Ich-Grenzen Michael Michael, ein 32-jähriger Patient mit ausgeprägter Borderline-Struktur mit schwerer sekundär entstandener Suchtkrankheit, in deren Verlauf er in parasuicidaler Weise immer wieder lebensbedrohliche Intoxikationen herbeiführte und zu anderen Zeiten in alkoholisiertem Zustand mit massiver Gewalttätigkeit in Erscheinung trat, wollte nach zunächst erfolgreich absolvierter stationärer Entwöhnungsbehandlung bei mir eine modifiziert-analytische Behandlung beginnen. Es wurden im Vorfeld einige Probesitzungen vereinbart, in deren erster er mich beim Betreten des Therapie-Raumes fragte, wohin er sich denn setzen solle. Da ich meinen Patienten/innen die Gestaltung des Settings weitgehend selbst überlasse (vgl. Reinert 2004, S. 191/192), erklärte ich dem Patienten, das könne er selbst entscheiden. Er schaute im Raum umher, wirkte etwas ratlos und fragte dann, was denn „normal“ sei. Ich erwiderte, das sei keine Frage der „Normalität“, er möge nach seinem Gefühl vorgehen, er könne auch verschiedene Aufenthaltsorte im Raum erproben, sich hinlegen oder setzen, er dürfe auch herumlaufen, er brauche auch nicht für die ganze Stunde eine bestimmte Position jetzt festzulegen, könne vielmehr jederzeit aufstehen und sich irgendwo anders hinbewegen. Er fragte erneut, was denn meine anderen Patienten da machten. Ich: Das sei sehr unterschiedlich, die meisten lägen allerdings. Gut, meinte er, dann wolle er das auch ’mal ausprobieren. Er nahm sich ein Kopfkissen und legte sich auf den im Therapieraum als „Couch“ dienenden Matratzenstapel; ich setzte mich ihm schräg gegenüber, so dass er mich jederzeit sehen konnte. Der Patient lag zunächst ganz still, dann beobachtete ich nach wenigen Minuten eine zunehmende körperliche Unruhe, seine Atmung beschleunigte sich und schließlich sprang er mit einem Satz auf, stand dann mit angstvoll verzerrten Gesichtszügen vor mir, schwer atmend, ihm stand der Schweiß auf der Stirn. Nee, meinte er, das Liegen sei nichts für ihn: „Da fliegen einem ja Arme und Beine weg!“
Also: Das bloße Liegen in meiner Anwesenheit hatte innerhalb von Minuten eine schwerste Dissoziation mit Gefühlen des Zerfalls und der Auflösung der Körpergrenzen ausgelöst. Im zweiten Fallbeispiel wird in Kurzform eine außergewöhnliche TherapieSitzung beschrieben, über die ich an anderem Ort (Reinert, 2004 S. 244–246) ausführlicher berichtet habe.
7.2. Liegen als Auslöser einer Übertragungspsychose Sabine Sabine, eine bei Therapiebeginn 24-jährige schwerstkranke Borderline-Patientin, die im Laufe der Zeit nahezu alle bei Borderline-Patienten zu beobachtenden Symptomatiken aufwies, war mehrere Jahre lang in meiner modifiziert-analytischen Langzeitbehandlung. Sie stammte aus einer hoch-pathologischen Familie und war in früheren Jahren einem sexuellen Missbrauch durch den Vater ausgesetzt gewesen. Ihr Erleben war häufig psychosenah, die Patientin litt unter vielem anderen immer wieder auch unter einer erheblichen Schlafstörung, so auch in der Zeit, aus der die Vignette stammt: Die Patientin erschien zu einer abendlichen Sitzung in einem erbarmungswürdigen und sichtbar erschöpften Zustand, der in mir auch ein Gefühl des Mitleids auslöste. Aus diesem Gefühl heraus und ohne jegliche weitere therapeutische Absicht,
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fragte ich die Patientin einfach ganz freundlich, ob sie sich denn nicht einmal hinlegen wolle. Sie griff den Vorschlag auf. Nur wenige Minuten, nachdem die Patientin sich hingelegt hatte, begann sie plötzlich, sich zu verändern: Sie bat mich, das Licht zu löschen (worauf ich mich nicht einließ), dann begann sie sarkastisch und sehr befremdlich zu lachen, erwartete dann den Beginn „des Spiels“. Zu meinem Entsetzen (das als konkordante Gegenübertragungsreaktion verstanden werden kann) war die Patientin plötzlich fest davon überzeugt, ich sei ihr verkleideter Vater, trüge nur eine Maske und hätte sie mit perfider Raffinesse in den Therapieraum gelockt, um dort in Abgeschiedenheit und ungestört den früheren sexuellen Missbrauch wieder aufnehmen zu können.
In diesem Falle hatte die bloße, freundlich gemeinte Einladung, sich einmal hinzulegen, eine massive Übertragungs-Psychose heraufbeschworen. Die beiden nächsten Fallbeispiele zeigen eine andere Gefahr auf, die sich dadurch ergeben kann, dass im Verlauf einer Behandlung der EntwicklungsStand eines Patienten falsch eingeschätzt und der Patient zu früh ermutigt oder wenigstens nicht daran gehindert wird, aggressiven Impulsen zu folgen und diese auszuleben:
7.3. Bewusste Selbstverletzung als Ergebnis eines zu frühen Auslebens aggressiver Impulse in der Therapie Der bereits erwähnte Patient Michael wies immer wieder schwerste AggressionsZustände auf, in denen er schier barst vor Wut und Destruktivität. Er war Handwerker von Beruf und von ausgesprochen kräftiger Statur; seine Aggressionsausbrüche unter Alkoholeinwirkung waren sowohl in der Klinik, die ich leite, als auch in seinem Umfeld außerhalb gefürchtet. Nicht ohne Stolz erzählte mir der Patient, dass „mindestens vier, manchmal sechs“ Polizeibeamte erforderlich gewesen seien, um ihn im Rahmen solcher Exzesse zu bändigen. In einer Sitzung sprach der Patient über die ungeheure Aggression, die er seinem Vater gegenüber empfand; er saß vor mir mit geballten Fäusten, rotem Kopf und zitternd vor Erregung. In dieser Situation erschien es mir sinnvoll, den Patienten einzuladen, diese aktuell vorhandene Wut an dem in meinem Therapieraum befindlichen Sandsack auszulassen, womit er sofort einverstanden war. Wir gingen also zu dem Sandsack, der in einer Ecke des Raumes hing, der Patient konzentrierte sich einen Moment lang, holte dann Schwung und schlug mit einem lauten Schrei seine rechte Faust mit großer Wucht gegen den Sandsack, dann ein zweites Mal, holte zu einem dritten Hieb aus, den er auch „abfeuerte“, wobei er jedoch blitzschnell die Schlagrichtung änderte, bevor die Faust den Sandsack erreichte, so dass sie mit voller Wucht und ungebremst auf die Wand neben dem Sandsack krachte und danach vier blutige Platzwunden an den Fingerknöcheln aufwies. Als ich ihn wenig später fragte, warum er ganz gezielt und bewusst vor die Wand statt auf den Sandsack geschlagen hatte, meinte er, der Vater habe ihm „doch nichts wirklich getan“, da könne er doch seine Wut nicht gegen den richten!
7.4. Unbewusste Selbstverletzung als Ergebnis eines zu frühen Auslebens aggressiver Impulse in der Therapie Marion Marion, eine zu Therapiebeginn ca. 30-jährige Patientin mit einer schweren Borderline-Krankheit, über die ich ausführlich bereits (1997b) berichtet habe, litt unter einer massiven Selbstwertstörung nach überlebtem Abtreibungsversuch und späterem sexuellen Missbrauch durch den eigenen Vater. Ihre Aggression konnte sie nie offen ansprechen, nur immer in autodestruktiven Handlungen gegen sich selbst richten. Die
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Patientin hatte bereits über 200 Sitzungen absolviert, als sie in einer Stunde im Rahmen einer Negativ-Übertragung einen heftigen Wutausbruch entwickelte und unvermittelt auf mich losging. Bevor es mir gelang, ihre beiden Unterarme zu fassen, um sie festzuhalten, richtete sie einen Boxhieb gegen meine Brust, wobei der dort in der Tasche meines Hemdes befindliche Kugelschreiber getroffen wurde und aufgrund der Richtung des Schlages in hohem Bogen irgendwohin in den Raum flog und dann verschwunden war. Es kam mit der Patientin zu einem heftigen Gerangel, wobei sie sich kräftemäßig voll auslebte, ich sie dabei aber festhielt; das Ganze dauerte letztlich ca. 15 – 20 Minuten, bis die Patientin vor Erschöpfung aufhörte zu kämpfen und sich entkräftet auf den Boden setzte. Ich nahm ihr gegenüber Platz und begann, mit ihr über das Stattgehabte zu sprechen. Währenddessen fiel mein Blick auf ihren linken Fuß und ich erschrak: Aus dem Hosenbein ihrer Jeans lief Blut hervor. Ich sprach die Patientin darauf an, die daraufhin, ebenfalls erstaunt, ihr Hosenbein hochzog. Unser Blick fiel auf eine frische Wunde im Bereich der linken Wade, hervorgerufen offenbar durch den noch in einem Loch ihrer Jeans steckenden Kugelschreiber, den sie sich auf irgendeinem mysteriösen Wege inmitten des Gerangels in das linke Bein gespießt hatte, ohne dies überhaupt zu merken. Die Wunde musste chirurgisch versorgt werden.
Die zwei Vignetten zeigen Selbstverletzungsverhaltensweisen der beiden Patienten, einmal bewusst und einmal unbewusst herbeigeführt; derartige Ereignisse sind typische Ausdrucksformen des masochistischen Mechanismus, auf den bereits hingewiesen wurde: Bevor die Patienten nicht im Rahmen des therapeutischen Nachreifungs-Prozesses eine ausreichend stabile Autonomie und einen wenigstens basalen Selbstwert gewonnen haben, die es ihnen erlauben, sich vom sowohl gehassten als auch geliebten (inneren) Eltern-Objekt zu lösen und abzugrenzen, wird es beim Versuch, die Aggression gegen das Objekt zu richten, obligatorisch zu gleichzeitigen Selbstbestrafungen in Form von Selbstverletzungen kommen, ja kommen müssen. Es ist frappierend, immer wieder in solchen Situationen zu erleben, dass Patienten, einer unbewussten Regie folgend, „einen Weg“ finden werden, eine Selbstverletzung zu bewerkstelligen. Die Regelmäßigkeit des Auftretens dieser Folgen einer „vorschnellen“ Aggressions-Thematisierung belegt anschaulich die Allgemeingültigkeit des beschriebenen sado-masochistischen Mechanismus innerhalb der Borderline-Pathologie und zeigt, dass entsprechende Nachreifungs-Prozesse wirklich lange Zeit in Anspruch nehmen und von außen so wenig „beschleunigt“ werden können, wie z. B. die Reifung einer Frucht, es sei denn um den Preis einer „ungesunden Notreife“: Dabei gilt für die körperorientierte Therapie ganz genauso, was Tenbrink ganz allgemein für analytische Therapien von Borderline-Patienten beschreibt: „Erst dadurch, dass der Patient die Möglichkeit erhält, seine Form der Erlebnisverarbeitung und Beziehungsgestaltung in der analytischen Situation zu entfalten – und zwar so lange und so intensiv, wie er es braucht und nicht wie der Analytiker es gerne hätte – entsteht die Voraussetzung für eine Veränderung, die allerdings bei solchen Patienten, bei denen die unter der Beziehungsoberfläche liegenden tiefgreifenden Defizite (kein ausreichend gutes inneres Objekt) in zugespitzter Form existieren, in der Regel sehr viel Zeit braucht.“ (Tenbrink 1998, S. 106; s. a. Reinert 2005)
8. Die Arbeit mit extrem gestörten Borderline-Patienten In Therapien gelangen nach meiner Beobachtung in zunehmender Häufigkeit auch Borderline-Patienten, die in extremer Weise „ihren Körper bis dahin rein mechanistisch, unbelebt oder verzerrt und unabgegrenzt erlebt haben“ (Worm
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i. d. B.). Bevor man bei solchen Menschen auch nur im Entferntesten an eine analytische Arbeitsweise denken kann, muss es hier zunächst in der Behandlungszielsetzung für einen u. U. durchaus längeren Zeitraum um anderes gehen: Nämlich darum, den Patienten ein Erleben ihres Körpers und ein Körpererleben erst möglich zu machen! Für diese Menschen stellt u. U. „die bewusste Wahrnehmung und Unterscheidung der verschiedenen Körperfunktionen und Empfindungen von Atem- und Bewegungsmustern“ bereits eine „neue Grunderfahrung“ (ebend.) dar. In besonderer Weise gilt es hier, „dem Patienten eine der Entwicklungs- und Regressionsebene seiner Störung adäquate Form der Selbstartikulation“ zuzubilligen, damit auch er eine Chance hat, „sich in ganzheitlicher Weise wahrzunehmen, sich leibhaftig zu spüren, basal zu begreifen und in operativer Weise selbst zu behandeln.“ (Heisterkamp 1998b, S. 13) Der Charakter der Therapie kann dabei sehr verschieden sein: Während die Rolle des Therapeuten bei reiferen Patienten eher der eines „Katalysators“ gleicht, der eine Entwicklung induziert, ohne aber selbst in sie eingewoben zu werden, ist bei derart drastisch „frühgestörten Patienten“ jedoch eine langzeitige intensive Beziehungsgestaltung mit einer vorübergehenden tiefen Abhängigkeit des Patienten vom Therapeutenobjekt unabdingbar, wobei der Therapeut (nach von Minden 1988, S. 11) „keine Scheu davor haben (darf) mit seinem Patienten tief in eine frühkindliche Erlebniswelt einzusteigen“ und sich in multipler Weise als „Verwandlungs-Objekt“ (Bollas 1997) verwenden zu lassen. Wenn wir Adler’s Anweisung an den Therapeuten im Umgang mit dem Patienten konsequent befolgen, „mit den Augen (des Patienten) zu sehen, mit (seinen) Ohren zu hören und mit (seinem) Herzen zu fühlen“ (1928/1982, S. 224), dann bedeutet das, dass wir uns beim Borderline-Patienten hineinversetzen müssen in ein Sein unter der Bedingung ständig präsenter Todesangst. Die existenzielle Bedrohung ist ohne Zweifel die elementarste und archaischste aller denkbaren Bedrohungs-Möglichkeiten, die dem Menschen als archetypisch verankerte Todesangst immanent ist, die aber im Alltag mit Hilfe verschiedenster Mechanismen tief verdrängt oder auf „spielerische Art und Weise“ gebannt wird: Interessanterweise gehören zu den meistgelesenen Büchern Kriminalromane, und es erzielen Kriminalfilme höchste Zuschauerzahlen, in denen es ja in der Regel um „Mord und Todschlag“ geht. Die Wirkung dieser Bücher und Filme kann so verstanden werden, dass das untergründig als Bedrohung dauerhaft existierende Thema im Buch oder Film in Form der Tat-Darstellung per Identifikation mit dem Opfer auf eine distanzierte und damit für den Leser oder Zuschauer gefahrlose Art und Weise aktiviert wird in Form eines „an der Grenze zum Unwohlsein“ angesiedelten Nervenkitzels, der dann auf wohlige Art und Weise und mit beruhigender Wirkung wieder besänftigt und aufgelöst wird, wenn der Täter, als Verkörperung und Symbolisierung von Bedrohung und Gefahr, dann dingfest gemacht, „hinter Schloss und Riegel“ gebracht oder auch getötet wird. Wenn wir uns vorstellen, dass diese Todesangst permanenter Bestandteil des täglichen Lebens wäre, so scheint uns diese Vorstellung geradezu unaushaltbar zu sein. Ungefähr so kann man sich die Lebensrealität schwerkranker Borderline-Patienten aber vorstellen! Und versteht dann durchaus, dass viele dieser Patienten im Suizid eine potentielle „Erlösungsmöglichkeit“ sehen, um sich aus dieser Drangsal und Not befreien zu können. Die Suizidalität der Borderline-Patienten drückt deshalb in aller Regel keinen wirklichen Todeswunsch aus, sondern entspricht einer „Suche nach Erlösung“ von einer diffusen tödlichen Bedrohung, die für den Borderline-Menschen von allen Objekten aus-
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zugehen scheint, mit denen er in einen tieferen Kontakt eintritt. Auch für Borderline-Therapien, die „einen guten Verlauf nehmen“, gilt meist lange Zeit, dass der Patient sich die Option des Suizides offen hält, auch für den Fall, dass in seinem Empfinden die Therapie scheitert. Es ist davon auszugehen, dass die Todesangst das ganze bisherige Leben über den Borderline-Menschen begleitet hat; und meine therapeutischen Erfahrungen belegen immer wieder, dass, je früher im Leben sie eintrat, desto früher auch (nämlich genau an dieser Stelle) die Lebensbewegung des Patienten blockiert und die entsprechenden „autoregulativen Mechanismen“ (vgl. Reinert 2004, S. 139) zur Selbst-Sicherung in Gang gesetzt wurden. D. h.: Die eigentliche Reifung des „wahren Selbst“ ist an dieser Stelle stehen geblieben, an der die Todesbedrohung in das implizite Wissen des Kindes aufgenommen wurde. Dies wird in der Regel unter später erworbenen und „aufgesetzten“ anscheinenden seelischen und strukturellen Kompetenzen einer reifer erscheinenden (Als-ob)Persönlichkeit verborgen, die aber in sich instabil und brüchig bleibt, so wie ein Haus nie stabil sein könnte, das auf durch Außenkräfte permanent bedrohten und „wackeligen“ Fundamenten errichtet würde.
9. Der „orale Modus des Seins“ Wenn diese aufgesetzten und unechten Pseudokompetenzen und scheinbar festen Strukturgegebenheiten in der Therapie als solche nicht erkannt werden, so führt das oft zu einem katastrophalen Missverständnis sowohl in der Erwartung des Patienten an die Therapie, als aber auch beim Therapeuten und letztlich zu einem Misserfolg der Behandlung, der dazu beiträgt, das Vorurteil zu untermauern, diese Patienten seien mit analytischer Methodik nicht zu behandeln; insbesondere deshalb nicht, weil sie zu einer „malignen Regression“ tendierten, die den therapeutischen Prozess blockieren und letztlich zerstören müsse. Das Missverständnis kommt dadurch zustande, dass der Patient dem Therapeuten als „konflikthafter Oralcharakter“ (Grunberger 1971/1982, S. 160) entgegentritt und der Therapeut den rein oral ausgerichteten Seins-Modus des Patienten als dessen eigentliche Struktur missinterpretiert. Zu erklären ist diese permanent und dauerhaft oral ausgerichtete Form der Beziehungsaufnahme, die der Patient tatsächlich praktiziert, dadurch, dass in aller Regel in der frühesten Lebenszeit des Patienten der orale Beziehungsmodus auch die einzige Art der Beziehungsaufnahme der Umgebung mit dem Säugling war: Auf Schreien wurde mit dem Fläschchen mit Milch oder Tee reagiert, war das Kind gesättigt, mit dem Schnuller. Ganz oft war das „Abstellen des Schreiens“ Hauptanliegen der elterlichen Bemühungen um das Kind, wohingegen alle anderen Weisen der Beziehungsaufnahme vernachlässigt wurden. Der Weltbezug des Kindes wurde notgedrungen ein „oraler“, wobei sich natürlich in späterer Lebenszeit dieser „orale Modus“ keineswegs auf die Aufnahme irgendwelcher Substanzen mit dem Mund beschränkte, sondern der orale Modus ist zu sehen als jede Form der „Einverleibung“, des „Bekommens“, des „Verlangens“ und der von außen erwarteten „Bedürfnisbefriedigung jeder Art“. So spricht man bezeichnender Weise unter Jugendlichen davon, sich noch „ein Video reinzuziehen“, Suchtpatienten sprechen davon, einen „Druck zu brauchen“, und der orale Modus macht auch vor dem Körper nicht Halt, etwa wenn Männer untereinander darüber sprechen, jetzt „eine Frau zu brauchen“ oder eine Frau „vernaschen“ zu wollen.
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Borderline-Patienten gehen mit dieser oralen Welt-Sicht auch an die Therapie heran. Der Therapeut wird in der Anfangsphase der Behandlung in der Regel unter dem Aspekt getestet und bewertet, was er denn „bringt“, was er dem Patienten „geben kann“ usw. Dabei gehört es zum impliziten Wissen des Patienten, dass er eigentlich anderes braucht, es besteht eine untergründige Sehnsucht nach andersartigen Formen der Beziehungsaufnahme, die der Patient aber nicht kennengelernt hat, sondern nur diffus erahnt und deshalb auch gar nicht als Wunsch real empfinden, geschweige denn formulieren kann. Bewusst kennt er nur den oralen Modus! Auch Körpertherapie kann, wenn sie im Rahmen des oralen Erwartungsmodus angestrebt wird, „konsumiert“ werden und wird dann, wenn sie auch nicht zur „Sättigung“ der Sehnsüchte und eigentlichen Bedürfnisse geführt hat, enttäuscht wieder verlassen werden, mit Aussagen wie: „Hat mir auch nichts gebracht!“ Therapeuten, die sich in der Behandlung von Borderline-Patienten auf diesen oralen Modus einlassen (im Rahmen dessen z. T. massiv und mit hochgradiger Aggressivität vom Patienten alles Mögliche eingefordert wird!) werden in der Regel scheitern, insbesondere, wenn sie die Ambition hegen sollten, den so bedürftig erscheinenden Patienten wie „die bessere Mutter“ nach-nähren zu wollen. Verdächtigerweise wird hier oft von einer „korrigierenden emotionalen Erfahrung“ gesprochen, die man dem Patienten angedeihen lassen möchte. Mit Sicherheit wird man damit jedoch auch nicht irgendeine Form von „Sättigung“ der Sehnsüchte des Patienten erzielen, ganz im Gegenteil, man wird den Erwartungshunger bis zur Unerträglichkeit steigern und den Patienten in seinem oralen Seins-Modus bestärken und verfestigen. (Vgl. Reinert 2004, S. 234–239) Je schärfer und fordernder ein Patient/eine Patientin z. B. vom Therapeuten den Einsatz „körpertherapeutischer Mittel“ verlangt, desto näher liegt die Vermutung, dass hier ein oraler Bemächtigungswunsch ausgelebt wird. (Vgl. Worm i. d. B., Handlungsdialog; Moser 2001, S. 18–23) Der Therapeut muss sich darüber im Klaren sein, dass das eigentliche implizit erahnte Sehnen des Patienten in eine ganz andere Richtung geht, die ihm aber eben nicht bewusst ist: nämlich „erkannt“ zu werden in seiner wirklichen basalen Bedürftigkeit. (Vgl. in Anlehnung an Balint: RohdeDachser 1979/1995, S. 181) Die eigentlichen Bedürfnisse liegen eindeutig im Bereich des präsymbolischen Erlebens und sind deshalb auf verbalem Wege nicht „anzusprechen“. Und auch nicht in einer anderweitig symbolisierten Form. Erreicht werden kann der Patient nur in der Art und Weise, die der Entwicklungsstufe entspricht, auf der seine Reifung arretiert wurde (bzw. in einen Engpass geriet und sich fixiert hat): auf der körperlichen Ebene in primärprozesshaft direktem Empfinden und Erleben. Wie ist nun aber diese Ebene zu erreichen?
10. Die Tiefenregression Es bedarf hier zunächst einer durchaus langen Periode der BeziehungsKnüpfung zwischen Therapeut und Patient, in der verschiedene Phasen durchlaufen werden (vgl. Reinert 2004, S. 192–205). Durch die dabei obligatorisch stattfindenden „vielen unzähligen Situationen und Mikrointeraktionen, in denen der Analytiker auf eine wohltuende und heilende Art mit dem Patienten und seinen Affekten umgeht“ die vom Patienten „kumulativ introjiziert (werden) und ... auf einer tiefen affektiven Ebene im prozeduralen oder impliziten Gedächtnissystem zu einem neuen ’impliziten Beziehungswissen‘ beim Patien-
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ten führen“ (Bettighofer i. d. B.), entsteht zwischen dem Patienten und dem Therapeuten dabei eine immer tragfähigere Beziehung, die den Patienten erahnen lässt, dass hier etwas anderes stattfindet, als er es aus seinen bisherigen Beziehungen kannte. Es wächst sein Wunsch, sich auf diesen Therapeuten vorsichtig einzulassen und dies nicht mehr auf einer oralen, sondern auf einer für andere Erfahrungen offenen Seins-Ebene. Damit ergibt sich die Möglichkeit zu einem Prozess der Tiefen-Regression, d. h. einer solchen auf die Stufe eines basalen Empfindens und damit die Chance eines „Neubeginns“ im Sinne Balints. Um das noch einmal deutlich zu sagen: Es geht hier nicht um eine „korrigierende“ sondern um eine „korrektive“ Erfahrung, d. h. eine Neu-Erfahrung auf Beziehungsebenen, die einer dem Patienten bis dahin bestenfalls rudimentär und in Form von Sehnsüchten basaler Art bekannten Seins-Stufe entsprechen. (Vgl. Heisterkamp 2002a, S. 47) Wichtig ist es (mindestens in dieser Phase der Behandlung), dem Patienten die Gestaltung des Settings in der therapeutischen Situation freizustellen und ihm Möglichkeiten zu eröffnen, eine Umgebung zu formen, die seinem Gefühl entspricht. D. h.: Er bekommt hier im wörtlichen Sinne zum ersten Mal in seinem Leben die Chance, sich einen „Raum zu gestalten“, also, im übertragenen Sinne: Raum und Platz auf der Welt werden ihm zur Verfügung gestellt, wie dies Rodulfo (1996) für die Ankunft eines Menschen auf der Welt als notwendige Grunderfahrung für unabdingbar hält, um ein Lebensrecht überhaupt empfinden zu können. In dieser Therapiephase wird der Patient nach meiner Erfahrung obligatorisch • die Körperebene als Erfahrungs-Ebene selbst in die Therapie einführen (wobei ganz wichtig ist zu betonen: nicht in einer erotisierten sondern in einer basalen und kindlichen Empfindungsweise!) und • sich auch symbolisch noch einmal „an den Anfang“ seines Lebens zurückbegeben, nämlich in den Uterus.
11. Die „Ruhe der bloßen Existenz“ Es kommt ganz häufig zu einer Thematisierung eines intrauterinen Seins (vgl. Reinert 2004, S. 240–242) im Körperkontakt mit dem Therapeuten. In diesem Stadium der Therapie geschieht in aller Regel „Ungeheuerliches“ für den Patienten: Er erlebt zum ersten Mal in Anwesenheit eines lebendigen, damit unkontrollierbaren und damit wiederum obligatorisch potentiell gefährlichen Objektes einen Zustand, in dem er weder aufpassen und kontrollieren muss, noch unter irgendeinen Erwartungsdruck gesetzt wird, noch irgendeiner Gefahr ausgesetzt ist, ganz im Gegenteil: Das mittlerweile mit ganz viel Vertrauen ausgestattete Objekt schützt und bewacht diesen Zustand im Empfinden des Patienten. Es kommt zu einem Zustand, der vom Patienten mit tiefer Beglückung wahrgenommen wird und den ich als „die Ruhe der bloßen Existenz“ bezeichnet habe. (Reinert 2003, S. 215; 2004, S. 242–244) Ähnliche Regressionszustände beschreiben auch Kernberg (1988, S. 362) und Bollas. (1997, S. 268) Dieses Stadium der Therapie stellt einen entscheidenden Wendepunkt der gesamten Entwicklung dar. Es ist in der Zeit danach eine Entwicklung auf einer ganz neuen Seins-Ebene fest zu erwarten, auf der der Patient seine eigenen Gefühle als solche wahrzunehmen, ernst zunehmen und als Grundlage eigener Entscheidungsfindungen zu nutzen lernt. Das ist die Voraussetzung für die Entwicklung einer Struktur, die in sich stabil ist und dann die gesunde Auseinandersetzung mit der Welt der Objekte und den Objekten selbst ermöglicht.
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Spätestens in diesem Stadium der Behandlung wird die Veränderung des Patienten im Sinne einer „Gesundungs-Tendenz“ von der Umgebung realisiert; die gesamten Beziehungsaufnahmen des Patienten im täglichen Leben nehmen einen anderen Charakter an, es kommt zu ganz andersartigen Kommunikationen mit der Umwelt als zuvor, wodurch die Nachreifung als solche noch einmal massiv beschleunigt wird. In geradezu frappierendem Tempo werden nunmehr neue Erfahrungen gemacht, die Symptomatik verschwindet meist komplett, der Patient gesundet im Laufe der Zeit in wesentlichen Bereichen, beginnt sein Leben zu lieben und zu gestalten.
12. Körpertherapie im Stadium der Tiefenregression Bei der Suche nach geeigneten „Fallbeispielen“ für diesen Buchbeitrag dachte ich sehr schnell an eine Patientin, „Laura“, deren Therapie im geschilderten Sinne m. E. ausgesprochen wünschenswert verlaufen war und fragte sie, ob sie mir die Genehmigung zur Veröffentlichung von Teilen ihrer Behandlung geben würde. Sie war nicht nur spontan dazu bereit, sondern bot darüber hinaus ihrerseits an, aus ihrer Patientensicht das durchlebte Stadium der Tiefenregression darzustellen, worauf ich dankbar und mit Freude einging. Sie brachte dann einige Zeit später eine bebilderte Darstellung der ganzen „Lagen“ körperpsychotherapeutischer Art, die in ihrer Therapie zeitweise eine Rolle gespielt hatten, an, die mich sehr berührte und die mir auch noch einmal vor Augen führte, was die Patientin hier erlebt und offenbar sehr genau und differenziert registriert hatte. Im Folgenden finden sich die originalen Darstellungen der Patientin, an denen ich keinerlei Veränderungen vorgenommen habe. Jedoch scheint es mir erforderlich, ihre Abbildungen und Beschreibungen aus therapeutischer Sicht zu erläutern und zu kommentieren: Über Laura habe ich bereits in mehreren Arbeiten berichtet. (Vgl. Reinert 2004; 2006b; 2006c) Es handelte sich um eine bei Therapiebeginn 28-jährige junge Frau mit einer ausgesprochen komplexen Borderline-Symptomatik, zu der gehörten: • eine vollkommene Isolation im Leben mit buchstäblich keinerlei persönlichen oder näher gehenden Kontakten; menschliche Nähe konnte die Patientin überhaupt nicht aushalten, geriet in solchen Situationen sofort in panische Angst und musste jedwede Umgebung in jeder Hinsicht kontrollieren; • eine komplett „doppelte Wirklichkeit“ (vgl. Wurmser 1994) mit einer fassadären, gefühllosen Existenz im Alltag und einer „privaten inneren Welt“, in der sie sich mittels „autoregulativer Mechanismen“ (vgl. Reinert 2004, S. 139) steuerte; • eine weitgehende „Gefühls-Unfähigkeit“ (also Alexithymie); sie spürte ihren Körper unter normalen Umständen nicht, fror allerdings überall, auch in warmen Räumen, weshalb sie, auch im Sommer, in ihrer Wohnung die Heizung dauerhaft in Gang hielt; sie war nicht in der Lage, überhaupt ihre Befindlichkeit mitzuteilen, Begriffe wie „Trauer“, „Wut“, „Freude“ konnten nicht mit eigenem Empfinden in Verbindung gebracht werden; • eine Neigung, sich selbst zu verletzen durch Schneiden in den Genitalbereich; dabei waren die Schnitte u. U. so tief, dass sie gynäkologischerseits genäht werden mussten;
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die Tendenz, sich immer wieder große Mengen des eigenen Blutes „abzuzapfen“ und sich dann mit diesem Blut von Kopf bis Fuß einzureiben; eine dauerhafte, je nach den äußeren Lebensumständen mehr oder weniger akute Suizidalität; sie hatte „als Sicherheit“ dauerhaft die „kompletten Werkzeuge“, um sich umbringen zu können, griffbereit zu Hause gelagert; deutliche Essstörungs-Tendenzen mit jedoch im Gesamtkontext untergeordneter Bedeutung und ohne bedrohliche anorektische Phasen, wohl jedoch immer, trotz Norm-Gewicht, mit der Selbst-Vorstellung, „zu dick“ zu sein.
Die Therapie der Patientin gestaltete sich über lange Zeit sehr schwierig, musste ausgesprochen behutsam erfolgen, insbesondere, weil Laura´s Erleben lange Zeit ausgesprochen Psychose-nah angesiedelt war. (Vgl. Reinert 2004, S. 246–249) Zunächst ging es darum, der Patientin zu helfen, sich selbst konstant und zuverlässig zu fühlen, damit auch, sich als „konturiertes“, in-sich und von der Umgebung abgegrenztes „Selbst“ zu erleben. Dies war auf der verbalen Ebene überhaupt nicht erreichbar: Ich stellte der Patientin deshalb alle Möglichkeiten zur Verfügung, um sich in irgendeiner, ihrem jeweiligen Befinden entsprechenden Weise in der therapeutischen Situation erst einmal wenigstens einigermaßen angstfrei „aufhalten“ zu können, dann auch: menschliche Nähe als nichtbedrohlich kennen und zunehmend selbstverständlich ertragen zu lernen. Ich ermutigte die Patientin zu diesem Zweck, den Therapieraum jeweils auf sich wirken zu lassen, ihn gegebenenfalls zu verändern, dann zu spüren, ob sich etwas und was sich in ihrer (Selbst-)Wahrnehmung veränderte. Ich selbst trat als Person zunächst weitgehend in den Hintergrund zurück und überließ der Patientin jede Initiative, war jedoch ständig mit ihr in Kontakt, ließ sie die Nähe zu mir entsprechend ihrem Gefühl festlegen, wurde für Laura so zu einem „Verwandlungsobjekt“ (im Sinne von Bollas 1997) für die verschiedensten Übertragungen. Mit der Zeit entwickelte die Patientin durch Ausprobieren ein Gefühl für bestimmte Körperlagen, die sie gezielt einnehmen konnte, um dann immer wieder gleiche und beruhigend-positive Erfahrungen zu machen. Ich ließ es zu, dass die Patientin mich dabei „benutzte“, war natürlich immer im Kontakt mit meiner Gegenübertragung und meinen persönlichen Grenzziehungen. (Vgl. Zwiebel 2003) Es erwies sich als ausgesprochen hilfreich für die Patientin, in einzelnen Stunden ihre Wahrnehmung der eigenen Körperoberfläche zu fördern, indem ich, anfänglich einer Phantasie der Patientin folgend, über einige Körperpartien mit der Hand strich. Dies hatte nichts zu tun mit einem erotischen „Streicheln“! Die Patientin befand sich überhaupt nicht in einem „oralen Bedürfnis-Modus“; es ging nicht um die Befriedigung von „Zärtlichkeits-Bedürfnissen“, sondern um ausschließlich die Selbst-Wahrnehmung der Patientin. Laura spricht in ihren folgenden Beschreibungen der „Lagen“ hierbei missverständlich von „Streicheln“. Ich wollte die Darlegungen der Patientin in keiner Weise korrigieren oder gar zensieren. Aus ihren weiteren Äußerungen geht aber auch klar und deutlich hervor, dass es sich gerade darum handelte, Nähe und Berührt-Werden als gefahrlos zu erleben. (Für eine zweifelsfreie und therapeutisch jederzeit korrekte Grenzwahrung bei einer derartigen Arbeit und die Ermöglichung einer für den Patienten/die Patientin nicht nur gefahrlosen sondern förderlichen Durchführung derartiger „Begegnungen“ von Patient(in) und
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Therapeut(in) trägt selbstverständlich ausschließlich letztere(r) die Verantwortung.) Diese Art von körperpsychotherapeutischem Arbeiten fand keineswegs die ganze Therapiedauer lang statt! Laura „lernte so das Fühlen“, wie sie das selbst nannte. Das führte bei ihr zu wesentlichen Veränderungen: Das unnormale Frieren ließ deutlich nach, ihre Menstruationen, die seit der Menarche nicht mehr aufgetreten waren, setzten wieder ein, wurden immer regelmäßiger. Die Patientin wurde selbständiger in ihrer Lebensführung, gewann dem Leben jetzt auch freudvolle Seiten ab und entschied die bis dahin immer hochgradig ambivalent besetzte Frage, ob sie denn überhaupt „leben“ wolle, schließlich ganz eindeutig zugunsten des Lebens. Die Suizidalität trat mehr und mehr in den Hintergrund. Dementsprechend änderte sich auch der Charakter der Therapie: Körperpsychotherapeutische Elemente traten zunehmend in den Hintergrund, die Behandlung nahm immer mehr „typisch psychoanalytische“ Formen an, und Laura konnte schließlich als (nahezu) jederzeit „in sich stabiles Selbst“ mit mir verbal in Kontakt und Auseinandersetzung treten, schließlich auch klare (und für die weitere Therapie unabdingbare!) Negativ-Übertragungen entwickeln und: aushalten.
12.1. Die Höhle Wenn ich ganz zusammengerollt wie ein Embryo am Bauch des Therapeuten liege, fühle ich mich sicher. Umgeben und begrenzt vom Körper des Therapeuten habe ich keine Angst und bin mit dem Therapeuten verschmolzen. Worte gibt es in dieser Lage noch nicht, nur das Gefühl der Sicherheit, ohne Angst oder Schmerz. Ich kann alle Verantwortung an den Therapeuten abgeben und eine unendliche Ruhe erleben. Könnte ich jetzt noch in den Bauch reinkriechen, wäre ich im Uterus zurück.
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12.2. Die Kuhle In dieser Lage bin ich nicht mehr so beengt, die Beine können sich bewegen. Ich lasse Nähe zu, bin aber dem Therapeuten abgewandt und der Bauch ist geschützt. Ich glaube, es ist eine Testlage: • Lässt der Therapeut mich nicht fallen? • Zur Sicherheit liege ich aber noch so viel auf der Matratze, dass ich zur Not auch alleine liegen bleibe, sollte der Therapeut mich doch fallen lassen. • Wie lange erträgt der Therapeut mich? • Tut er mir auch nichts? • Zur Sicherheit ist nur der Rücken frei, der sehr viel mehr aushalten kann als der Bauch, wenn doch etwas passiert. In dieser Lage hat das Streicheln begonnen, immer nur an Stellen, die ich wollte. Ich habe angefangen, meine Körpergrenzen zu erfahren, wurde mir der Körperteile bewusst, die gestreichelt wurden. So habe ich meinen Rücken und meine linke Schulter kennengelernt. Wenn ich mich etwas drehe, ist auch ein Streicheln am Bauch möglich, allerdings ist diese Lage dann offener und gefährlicher. Zur Not kann ich mich ja wieder zurückdrehen.
Abb. 2
12.3. Die Schosslage Als Säugling auf dem Schoss vom Papa. Diese Lage gibt ganz viel Trost und Geborgenheit. Die Herztöne des Therapeuten hören, seine ruhige Atmung, seine Stimme. Und wenn ich das Gefühl habe, wie ein Baby gesäugt werden zu wollen, um irgendwie auch im Inneren eine Verschmelzung zu spüren, nehme ich als Brustersatz seinen Daumenballen zum Nuckeln. Aller Schmerz ist verschwunden, ohne Worte ist die Ruhe perfekt – einfach nur da sein dürfen.
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Auch hier habe ich durch Streicheln meinen Körper entdeckt und meine Grenze empfunden. So wurde es für mich normal, einen Rücken, einen Bauch und einen linken Arm zu besitzen und sie zu spüren.
Abb. 3
12.4. Die Rücken-an-Bauch-Lage Diese Lage hat für mich zwei Bedeutungen: A) Ich mache mich ganz klein und ziehe die Beine zur Brust. Wenn der Therapeut dann mit seinen Armen um meinen Körper und meine Beine fasst und mich ganz fest zusammenpresst, dann fühle ich mich.
Abb. 4
Langzeitbehandlung bei Patienten mit Borderline-Störungen
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B) Der Therapeut umgibt meinen Körper überall mit seinem, das ist die Rettung vor dem Zerfall. Wenn sich meine Grenzen auflösen und ich Gefahr laufe, auszulaufen, dann ist das die optimale Lösung. Wenn ich selber keine Grenze mehr habe, fühle ich so die Kraft des Anderen, seine Festigkeit und seinen Halt. Die Angst vor dem Tod wird kleiner und ich fühle wieder meine Grenze. Wenn ich mich klein zusammenrolle und nur mit meinem Rücken den Bauch des Therapeuten leicht berühre, fühle ich etwas ganz anderes. Um diese Lage aushalten zu können, muss ich meine Grenze schon alleine empfinden. Mit ein bisschen Hilfe durch den Bauch des Therapeuten liege ich dann ganz alleine und fühle mich trotzdem. Wenn ich mir zwischendurch doch etwas Sicherheit holen muss, rutsche ich einfach ein bisschen weiter zum Therapeuten und wende mich ihm etwas zu: So berühre ich ihn großflächiger, kann meine Grenze und Sicherheit wiederfinden, um wieder alleine liegen zu können. In dieser Lage habe ich vor allem meinen Nacken und Hinterkopf durch das Streicheln kennengelernt. Auch wenn das Gefühl für die Körperteile am Anfang immer wieder nach der Stunde verschwand, kann ich es jetzt schon über längere Zeitabschnitte behalten und mir manchmal – auch ohne Berührung – in Gedanken zurückholen. Wenn ich ganz viel Vertrauen habe, lege ich meinen rechten Arm nach hinten auf die rechte Körperseite des Therapeuten. Dann ist meine rechte Schulter frei. Nach meiner Frage: „Ich darf doch liegen, wie ich will?“ und der Antwort: „Ja“, bin ich dann auch sicher, dass meinem nun nicht mehr geschützten Brüsten nichts passieren wird. Es ist wunderschön, die Muskulatur der Schulter loszulassen, die doch sonst immer die Brüste beschützt. Und wenn doch ein bisschen Angst hochkommt, sage ich: „Ich hab´ gar keine Angst“ und nach seiner Antwort: „Brauchen Sie auch nicht“, ist alles wieder o. k.
12.5. Die Bauch-an-Bauch-Lage Sich einlassen und sich und seine Grenze über eine möglichst große Fläche in der Berührung zum Therapeuten spüren. Geredet wird da nicht viel. Ich fühle einfach nur, spüre, wie die Körperwärme des Therapeuten in mich strömt, höre seine Herztöne, seine Atmung und komme zur Ruhe. Da gibt´s nicht viel zu sagen: Ich bin einfach nur da.
Abb. 5
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12.6. Die „Psychoanalytenlage“ Das ist die erste Lage, in der „wirkliche“ psychoanalytische Arbeit möglich ist. Ich bin mir meines Körpers bewusst, spüre meine Grenzen, habe keine Angst und darf liegen, wie ich möchte. Jetzt kann auch die Sprache beginnen, loszulassen. Und wenn ich das schaffe, habe ich ein Gefühl der Freiheit: zu sagen, was ich denke zu denken, was ich möchte zu fühlen, was kommt und zu liegen, wie es eben passt, das ist Freiheit ! Die Beine anziehen oder nicht; den Therapeuten berühren oder nicht; mein Gesicht dem Therapeuten zuwenden oder nicht; ruhig liegen oder nicht; mich streicheln lassen oder nicht und reden oder eben nicht. Und alles mit freiem Bauch und ungeschützten Brüsten, unterhalb des Therapeuten, ohne Angst, dass er etwas Schlimmes tut. Vor der „Psychoanalytenlage“ brauche ich meistens genügend Zeit in den anderen Lagen, um erst einmal angstfrei zu werden, den eigenen Körper zu fühlen und loszulassen. Dann ist auch das freie Reden in der „Psychoanalytenlage“ möglich und sollten dabei Gefühle von Angst, Grenzverlust oder Zerfall entstehen, gehe ich einfach wieder in eine der anderen Lagen, denn da bin ich sicher.
Abb. 6 Zusammenfassend ist es mir (T. R.) noch einmal wichtig, deutlich zu machen, dass m. E. keine wirkliche strukturelle Veränderung derart schwer gestörter Patienten möglich ist, wenn es nicht gelingt, den „oralen Seinsmodus“ zu überwinden. Wird dieser nicht erkannt und bleibt Atmosphären-bestimmend, so wird der Patient in seiner Struktur gefangen bleiben, er wird nie „seelisch satt“ werden, wie ein „Fass ohne Boden“ bleiben, in das der Therapeut Zuwendung in beliebiger Menge hineinfüllen kann, ohne jeden wirklichen therapeutischen Effekt. Vielmehr wird der Patient sich auf Dauer auch von diesem Therapeuten
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nicht in seiner wirklichen Grundbedürftigkeit „erkannt“ fühlen, wird den Therapeuten deshalb enttäuscht verachten und in oral-aggressiver Art ausnutzen, bis dieser das nicht mehr aushält. Das ist die „berühmte“ maligne Regression, vor der bei Borderline-Patienten immer wieder und mit Recht gewarnt wird. Und es gehört zu den Schattenseiten der potenziell so großartigen „Behandlungswissenschaft Psychoanalyse“, wenn sie immer wieder dann, wenn sie mit ihrer Methodik nicht erfolgreich ist, dazu neigt, dies dem Patienten „in die Schuhe zu schieben“; dann ist der Patient „für die Psychoanalyse nicht geeignet“, er „konnte sich nicht genügend einlassen“, war „nicht ausreichend introspektionsfähig“ oder wie immer es sonst noch gerne begründet wird, so als ginge es darum, dass hier der bedürftige Mensch einer Methode und nicht die Methode dem bedürftigen Menschen zu dienen habe. Borderline-Therapien in der beschriebenen Art brauchen viel Zeit! Es ist hier von Stundenkontingenten in der Größenordnung von 700 bis 800 auszugehen. Ich möchte mich hier Sigmund Freud anschließen, der 1905 (S. 19 f) schrieb: „Ich finde es auch ganz berechtigt, dass man bequemere Heilmethoden in Anwendung bringt, solange man eben die Aussicht hat, mit diesen letzteren etwas zu erreichen. Auf diesen Punkt kommt es allein an; erzielt man mit dem mühevolleren und langwierigeren Verfahren erheblich mehr als mit dem kürzeren und leichten, so ist das erstere trotz alledem gerechtfertigt.“ Thomas Reinert, Dr. med., Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin, leitender Arzt der Fachklinik Langenberg, Psychoanalytiker, ärztlicher Ausbildungsleiter am Alfred-Adler-Institut Düsseldorf Adresse: D-42555 Velbert, Fachklinik Langenberg, Krankenhausstraße 17 E-Mail:
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Das implizite Beziehungswissen in Träumen von Erwachsenen Maria Steiner Fahrni „An interpenetration of mind/body states often is achieved through implicit nonverbal communication, but wisdom about one another is enhanced by words.“ (Lichtenberg 2005, S. 68)
1. Einleitung Der Vierklang – Träume, Körperpsychotherapie, Säuglings- und Gedächtnisforschung – ist für praktisch tätige PsychotherapeutInnen eine Chance und eine Herausforderung zugleich. Es gilt, sich mit vier unterschiedlichen Erkenntnisbereichen so vertraut zu machen, dass sie untereinander entwicklungsfördernd verknüpft und in die psychotherapeutische Praxis integriert werden können. Ziel dieser Arbeit ist es, Zusammenhänge und Wirkungen der verschiedenen Bereiche aufzuzeigen, welche bedeutsam sind sowohl für die therapeutische Beziehung wie auch für den therapeutischen Prozess. Ausgangspunkt für jede Weiterentwicklung zum Thema Traum ist auch heute noch die psychoanalytische Traumauffassung nach Freud. Nicht nur die psychologische, sondern auch die therapeutische Bedeutung des Traums wurde durch Befunde der experimentellen Traumforschung bestätigt, auch, wenn sich innerhalb der Psychoanalyse in den letzten hundert Jahren gewisse Aspekte des Traumes und des Träumens gewandelt haben. Beispielsweise wird in der vorliegenden Arbeit dem manifesten Traum jene Bedeutung zugemessen, welche bereits in den fünfziger und sechziger Jahren von Autoren wie Erikson (1954) und Schultz-Hencke (1968) postuliert wurde. Dieser Aufwertung des manifesten Traumes schließen sich auch moderne Psychoanalytiker wie z. B. Palombo (1984) und Mertens (1999) an. Eine Umsetzung der Einsichten aus dem obengenannten Vierklang in die psychotherapeutische Praxis führt zu folgenden Fragestellungen: • Wie können Erkenntnisse aus der psychoanalytischen Traumtheorie und der Säuglings- und Gedächtnisforschung für das Verstehen von implizitem, d. h. nicht bewusstem Beziehungswissen in Träumen von Erwachsenen für den Psychotherapieprozess genutzt werden? • Wie kann dieses erweiterte Verständnis zusammen mit körperpsychotherapeutischen Elementen angewendet werden? Für diese Fragestellungen sind aus theoretischer Sicht folgende Punkte wichtig:
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Aus der Gedächtnisforschung: Es gibt zwei grundsätzlich verschiedene Systeme des Gedächtnisses mit unterschiedlichen Eigenschaften. Das sind das deklarative/explizite und das nichtdeklarative/implizite/prozedurale Gedächtnis. Die Unterscheidung eines impliziten Gedächtnisses, das Bewegungsabläufe und gewohnte Interaktionsprozesse speichert, und eines expliziten Gedächtnisses, das Inhalte erinnert und benennt, führte zu einer fruchtbaren Neukonzeptualisierung psychoanalytischer entwicklungspsychologischer Annahmen (Mertens 2004, 2005), welche auch ein erweitertes Verständnis für Träume ermöglichen (Steiner Fahrni, 2004). Aus der Säuglingsforschung: „Die Entwicklung der Selbstempfindungen“ nach Stern (1985) und seine Erkenntnisse über den „Gegenwartsmoment“ (Stern 2002, 2005) liefern wichtige Hinweise für die psychotherapeutische und psychoanalytische Intervention. Aus der psychoanalytisch basierten Körperpsychotherapie: Die psychotherapeutische Arbeit mit dem Traum geschieht sowohl unter Einbezug des im Traum dargestellten Beziehungsgeschehens als auch von Übertragung und Gegenübertragung innerhalb der therapeutischen Dyade. Therapeutin und Klient sind im Umgang mit dem Traum in einen gegenseitigen Beziehungsprozess eingebunden. Beide tauschen sowohl intra- als auch interpsychische Erfahrungen aus. Zudem wirken sie wechselseitig regulierend aufeinander ein. (Beebe 2004, 2005) Anhand von vier Träumen wird nun gezeigt, wie aus dem Beziehungs- und Handlungsgeschehen aus manifesten Träumen frühes prozedurales Beziehungswissen der Träumerin erkannt und als Hypothese explizit gemacht werden kann. Zum besseren Verständnis bei der Bearbeitung der Traumbeispiele sei auf Folgendes hingewiesen: Sie als Leser werden immer mit beiden Gedächtnissystemen beteiligt sein, mit dem deklarativ-expliziten und mit dem implizit-prozeduralen (das Bewegungsabläufe und Beziehungseindrücke aus der vorsprachlichen Zeit erfasst). Da letzteres uns nicht bewusst ist, stellt sich die Frage, ob überhaupt und gegebenenfalls wie wir darüber in einen Dialog kommen können? Vor dieser Frage stehen wir beim Lesen einer Fallgeschichte und das Selbe gilt für den psychotherapeutischen Dialog. Angesichts dieser unterschiedlichen Gedächtnissysteme beginnen wir bei der Traumbearbeitung mit dem deklarativen Gedächtnis mit seinen Unterformen semantisches, episodisches und autobiographisches Gedächtniss. Wir richten unsere Aufmerksamkeit auf das Traumbild und fragen nach dem Wo? Wann? Wer? Was? Wie? Diese in Abschnitt 4 vorgestellte, konkrete Herangehensweise an den Traum wird in Anlehnung an Downing (1985) die Methode des „phänomenologischen Eintauchens“ genannt. Sie dient sowohl dem Auffinden von Implizitem (prozedural Nichtbewusstem) wie auch Explizitem (dynamisch Unbewusstem). Das Eintauchen in die Phänomene des Traumes, besonders des Beziehungsgeschehens im Traum, zielt weniger auf Interpretation ab, als auf einen gemeinsamen Prozess des Eintauchens in den Traum. Der Träumer „beschreibt“ (verbal, gestisch-mimisch, unter Umständen auch handelnd) das Charakteristische der im manifesten Traum erscheinenden einzelnen Phänomene. Dabei achtet die Therapeutin besonders auf Anteile aus Beziehungserfahrungen der frühen Kindheit (wie z. B. sensomotorische, taktile, emotionale Anteile und/oder der Umgang mit Zeit und Raum, etc.), verknüpft Auffallendes mit dem im Traum dargestellten Kontext und stellt es dem Klienten neu zur Verfügung. Seine Reaktion darauf, kann sowohl mit dem prozeduralen Bezie-
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hungsgeschehen im Traum zu tun haben wie auch mit dem aktuellen Beziehungsgeschehen zwischen Klient und Therapeutin, das sich möglicherweise im Traum spiegelt. Das von Sandler & Sandler (1997) formulierte Modell eines Vergangenheits- und eines Gegenwarts-Unbewussten kann dabei klärend sein. Ein Hauptaugenmerk liegt auf dem Auffinden von frühen prozeduralen Beziehungserfahrungen, die noch heute wirksam sind und sich unter Umständen hemmend auf die aktuellen Beziehungen auswirken. Dabei steht das wirklichkeitsgetreue Rekonstruieren von autobiographischen Erinnerungen (deklaratives Gedächtnissystem) nicht im Vordergrund, da diese immer wieder von neuen Erfahrungen überformt werden. Wichtiger ist „...der Erwerb neuer Beziehungserfahrungen und das Umlernen bzw. die Löschung alter emotionaler Beziehungsregeln...“ (Mertens 2004, S. 223)
2. Traum und Körper in der Psychoanalyse und in der Körperpsychotherapie 2.1. Überblick Der Traum gehört zu den rätselhaftesten Fähigkeiten des Menschen. Jede Epoche und jede Kultur hat ihre spezifische Form des Umgangs damit gefunden. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts bekam mit Sigmund Freuds Traumtheorie (1900) die Beantwortung der Frage nach der Bedeutung und dem Sinn von Träumen eine neue Dimension. Niemandem vor Freud ist es geglückt, die Traumsymbole als Ausdruck von Wünschen zu erkennen, die durch Normen zensuriert werden, sich im Individuum verdichten und dessen Haltungen und Verhalten bestimmen.
2.2. Das Unbewusste Für Freud ist das Unbewusste der intrapsychische Ort, an dem Triebe, tabuisierte Impulse und unerfüllte Wünsche unter Verschluss gehalten werden bis sie über ein Symptom, über den Lapsus oder in Träumen sichtbar und damit psychoanalytischer Deutung und Rekonstruktion zugänglich werden. Während sein frühes Schichtenmodell die Ebenen „unbewusst-vorbewusst-bewusst“ unterscheidet, geht sein späteres Konzept der Strukturtheorie (1923) neben unbewussten Prozessen im Es auch von solchen im Ich aus (z. B. bei der Abwehr) und im Über-Ich (z. B. von unbewussten Schuldgefühlen bei Spannungen zwischen Ich und Über-Ich). Obwohl das Denken in Beziehungen für die Psychoanalyse von Anfang an kennzeichnend war, gab es im Verlauf ihrer Geschichte Zeiten, in denen das Bezogensein auf den Andern wenig beachtet wurde. Das hatte den Vorteil einer vertieften Erforschung der bewussten und der unbewussten Struktur menschlicher Phantasie- und Vorstellungswelt. Das Einbeziehen des Anderen allerdings ruhte während langer Zeit. In den letzten Jahrzehnten haben wir nun erlebt, dass neben einem rein intrapsychischen Modell auch ein relationales Konzept wie die Intersubjektivität in der psychoanalytischen Literatur Platz bekommen hat. Dies bedeutet eine Rückbesinnung auf Freud, der bereits 1921 sagt: „Im Seelenleben des Einzelnen kommt ganz regelmäßig der Andere als Vorbild, als Objekt, als Helfer und als Gegner in Betracht...“ (Ebend. S. 73) Im Folgenden werde ich mich vor allem auf diesen interpsychischen Aspekt einer Zwei-Personen-Psychologie konzentrieren.
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Die vorliegende Arbeit nimmt Gesichtspunkte dieser neueren Erkenntnisse auf, die das Bild unbewusster Prozesse erweitern (Buchholz und Gödde 2005a). Gemäß dem Verständnis von Intersubjektivität geht die Säuglingsforschung von einem „prozeduralen“ Unbewussten aus. Das sind Wissensstrukturen im Unbewussten über Selbst und Objekt, Gefühle und Interaktionen, die nicht verdrängt, aber auch nicht bewusst sind. (Lichtenberg 1991; Dornes 1997, S. 310, u. 1998, S. 25; Mertens 2005) Es sind beispielsweise in frühen Beziehungen unbewusst erlernte Gefühlsgewohnheiten, die prozedural, d. h. während einer Tätigkeit, erworben wurden. Wenn z. B. Trost und Warmherzigkeit alltägliche Erfahrungen des Säuglings sind, die er im Zusammensein mit seiner Bezugsperson macht, so versetzt ihn dies in die Lage, Beziehungswissen oder Gefühlsregeln zu etablieren, welche ihm helfen, sich z. B. allmählich selbst zu beruhigen. Im Unbewussten befinden sich nach dieser Auffassung Elemente relationaler Natur. (Altmeyer 2005, S. 651, u. 2006, S. 93 ff)
2.3. Die psychoanalytische Körperpsychotherapie Es wird davon ausgegangen, dass wesentliche Formen des psychischen Erlebens und Verhaltens durch ein komplexes Repertoire an Körperstrategien und – kompetenzen geprägt werden. Dieses Repertoire (z. B. was geschieht beim Austausch von Blickkontakt) wird während der Kindheit erworben. Durch die körperorientierte Psychotherapie können im Austausch mit dem Therapeuten Aspekte dieses Grundrepertoires als solche erkannt, reaktiviert, benannt und wenn möglich auch reorganisiert werden. Worm (2004) nennt in diesem Prozess folgende Elemente: Neben dem verbalen Assoziationsprozess ist das Wahrnehmen und Verstehen der nonverbalen körperlichen Phänomene als zweiter Assoziationsprozess wichtig. Zu den nonverbalen Assoziationen gehören z. B. motorische Reaktionen, Ausdrucksformen der Stimme, der Atmung, Hautreaktionen und wahrnehmbare Organreaktionen. Diese Reaktionen werden durch entsprechende Interventionen verstärkt, gefolgt von einem Übersetzungsprozess, analog einer Bemerkung des Analytikers, der verbal etwas markiert und dieses so in den Fokus der Aufmerksamkeit rückt. „Eine körperliche Äußerung kann nicht nur durch eine verbale Interpretation entschlüsselt werden, sondern es gilt auch der umgekehrte Weg: Eine verbale Assoziation kann ebenso durch eine bewusst initiierte körperliche Darstellung verdeutlicht werden. Versprachlichung oder Verkörperung sind einander ergänzende Wege zum Verstehen.“ (Worm 2004, S. 7) Weitere Techniken ermöglichen Körpererfahrungen, die dem Klienten helfen, einen besseren Zugang zu seinen Gefühlen zu bekommen, den eigenen Körper in Beziehungen kompetenter zu nutzen, freier zu werden von selbstzerstörerischem Verhalten und zu erfahren, dass seine Handlungen bei Andern etwas bewirken.
2.4. Traumbearbeitungskonzept Begonnen wird mit dem genauen Beobachten und dem Verstehen eines Traumes unter Zuzug von Konzepten aus der Säuglings- und Gedächtnisforschung (Abschnitt 3). Gerade im Unterricht ermöglicht dieses Vorgehen bei jungen AnalytikerInnen, im Zusammenhang mit dem Traum weit verbreitete Berührungsängste abzubauen. Die Lernenden benutzen eigene Träume, um diese mit Konzepten aus der Säuglingsforschung zu ergründen. Nach einer gewissen Zeit
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werden auch fremde Träume durch entsprechende Konzeptbrillen angeschaut und mögliche Hypothesen über frühe Beziehungserfahrungen aufgestellt. Das Traumbearbeitungskonzept beinhaltet des Weiteren die Methode des „phänomenologischen Eintauchens.“ (Abschnitt 4) Dadurch gelangen Klient und Therapeutin zu neuen Details des Traumes, d. h. mittels einer spezifischen Fragetechnik kann sich der Klient besser erinnern und tiefere Einsichten in das Geschehen des Traumes gewinnen. Dies geschieht auf der Basis der neuen Erkenntnisse aus der kognitiven Gedächtnispsychologie. Für klassisch geschulte Psychoanalytiker mag diese Tendenz zur verstärkten Aktivität auf Seiten des Analytikers durchaus befremdend erscheinen. Aus meiner praktischen Erfahrung ist dieses Vorgehen aber eine wesentliche Hilfe sowohl beim Erinnern an die Träume, als auch bei deren Bearbeitung. Klienten fühlen sich während des gemeinsamen Prozesses der phänomenologischen Traumbildexploration auf eine gewisse Art in spielerischem, triangulärem Kontakt mit der Therapeutin. Diese Art des Fragens und die daraus resultierenden Antworten helfen, neue Zusammenhänge zu erkennen, welche die Klienten bereichern und oft freudig überraschen. So können durch das genaue Betrachten der einzelnen Phänomene des Traumes Gefühle deutlicher wahrgenommen und differenzierter benannt werden. Gleichzeitig beginnt ein Körperprozess, den die Therapeutin durch Körper- oder verbale Interventionen begleitet. Daran anschließen können sich die in der körperorientierten Psychotherapie verbreiteten Methoden des Handlungsdialogs, der szenischen Darstellung und des Enactments. (Heisterkamp 2002a, Streeck 2000a)
2.5. Traum und Körper in der psychoanalytischen Literatur 2.5.1.
Allgemeiner Überblick
Die psychoanalytische Literatur zum Traum ist reichhaltig. Es liegen viele Lehrbücher vor. (z. B. Thomä u. Kächele 1985; Lippmann 2000; Blechner 2001) Einen guten Überblick über die Entwicklung der psychoanalytischen Traumtheorien und die wissenschaftliche Traumforschung seit Freud geben die kommentierten Zusammenstellungen von Deserno (1999), Mertens (1999) und Ermann (2005b). Träume von Kindern und Jugendlichen haben Foulkes (1978, 1982, 1999), Strauch & Meier (1992) und Strauch (2000, 2002) erforscht. Dank Eriksons (1954) und Schultz-Henkes (1949, 1968) neuer Gewichtung wurde der manifeste Traum ebenfalls zum akzeptierten, psychoanalytischen Arbeitsinstrument. Zudem haben Autoren wie Ferenczi (1913), Stekel (1935), Bion (1967), Morgenthaler (1986), Bollas (1987), Hamburger (1999), Hartmann (1999) und Leuschner, Hau & Fischmann (2000) wesentliches zum Verständnis des Traumes beigetragen. Koukkou & Lehmann (1998, 2000) haben als Hirnforscher durch ihr Zustandswechsel-Modell wichtige neue Erkenntnisse zum psychophysischen Traumgeschehen erbracht. Leuzinger-Bohleber (2002, S. 66) betont, wie Moser und von Zeppelin (1996) lange bevor das Gehirn Gegenstand des allgemeinen Forschungsinteresses wurde, erkannten, „wie anregend der Dialog mit den Neuro- und Kognitionswissenschaften für Psychoanalytiker sein kann.“ Bis Mitte des 20. Jahrhunderts ist das Thema Körper und Traum in der Literatur kaum greifbar. Entsprechendes muss aus einzelnen Äußerungen verschiedener Autoren, die auf Körper und Traum signifikant Bezug nehmen, zusammengetragen werden. Es seien hier zwei Beispiele genannt.
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2.5.2. Sigmund Freud (1856 – 1939) Freud ist als Arzt an einer Verbindung von Psychoanalyse und Neurowissenschaft interessiert, und daran, wie das Körperliche im Seelischen repräsentiert ist und umgekehrt, wie das Seelische somatisch wird. Der Körper tritt in seinem Werk beim Thema Konversion speziell in Erscheinung und in seiner Sexualtheorie (1905a), in der er die libidinöse Besetzung von Körperregionen als Organisator der psychosexuellen Entwicklung ansieht. Einerseits ist der Trieb eine biologische Größe, anderseits wirkt er ins Seelenleben hinein und wird dort repräsentiert. Entsprechend geformte Gegenstände aus dem Traum benützt Freud als symbolische Repräsentanz einzelner Körperteile, besonders der Genitalien (lange Objekte als Phallussymbole, hohle Objekte als weibliche Symbole). Ausführlicher zur Sprache kommen die so genannten Sinnesreize im Traum. Diese Sinnesreize tauchen auf als eigene physiologische Bedürfnisse (Durst, Harndrang, etc.) oder sie wirken von außen auf den Schlafenden ein (das Krähen eines Hahns kann sich in das Angstgeschrei eines Menschen verwandeln). (Freud 1900, Bd. II/III, S. 24) Im Traum von Irmas Injektion (Freud 1900, S. 111) kommen sämtliche Sinneswahrnehmungen vor: der Geschmack (der Ananaslikör), der Geruch (der Amylgeruch), die Berührung (er perkutiert sie), das Visuelle (Irmas Hals) sowie auditive Eindrücke (z. B. Dialog Freud-Irma). Freud spricht bezüglich des Traumes allgemein wenig von Körperteilen, in seinen eigenen Träumen aber spielten sie eine große Rolle: z. B. Augen, Hand und Knie im Traum der Table d’hôte (Freud Bd. III, S. 649). Vor allem die Augen kommen in vielen, bedeutsamen Träumen Freuds vor (Traum nach dem Tod seines Vaters: „Man bittet, die Augen zuzudrücken“ oder „Man bittet, ein Auge zuzudrücken“, ebd., S. 322). Freud macht den Körper wieder zum Thema, mit der Frage nach dem „rätselhaften Sprung aus dem Seelischen ins Körperliche“. (1916/1917, S. 265) Und 1923, ein Viertel Jahrhundert nach seiner „Traumdeutung“, leitet er in seiner Strukturtheorie die Ich-Entwicklung von der Körperwahrnehmung ab: „Das Ich ist vor allem ein körperliches, es ist nicht nur ein Oberflächenwesen, sondern selbst die Projektion einer Oberfläche.“ (Ebend. S. 253) Damit formuliert er die Doppelnatur der Körperrepräsentanzen: der Körper als Subjekt und als Objekt. (Merleau-Ponty, 1974) Der Körper ist das Instrument, auf dessen Oberfläche sich viel vom Inneren mitteilt, resp. er manifestiert, was sich innerlich abspielt: z. B. zeigt Gähnen Müdigkeit, Schlottern Frieren, Erröten Scham.
2.5.3. Paul Schilder (1886 – 1940) Paul Schilder, der sich bereits früher (1935) mit dem Begriff Körperbild beschäftigte, schreibt in einem zukunftweisenden Artikel über das Körperbild in Träumen (1942). Mit seinen Aussagen nimmt er einige Resultate aus der Säuglingsforschung vorweg: Im Körperbild formieren sich von Geburt an alle erlebten Erfahrungen. Das Körperbild setzt sich nicht nur aus Wahrnehmungen zusammen, sondern enthält auch Elemente von Repräsentanzen und Gedanken. Damit der Mensch seinen Körper als Objekt wahrnimmt, ist der Körper darauf angewiesen, andere Körper um sich herum zu erleben. (Schilder 1942, S. 113) Ein Körperbild entwickelt sich also nur, wenn mindestens zwei Körper da sind, d. h. im Prozess mit einem andern Körper. Im Traum erscheint oft ein Körper allein und trotzdem ist der individuelle und begleitende Körper des oder der Anderen eingeschrieben, „anwesend“ und mitgemeint.
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Schilder ist es wichtig, dass über Körperbild-Veränderungen im Traum ein Fachdialog in Gang kommt, ebenso wie auch über die Beziehung zwischen Symbol und Körperbild. Oft erscheint das Körperbild direkt im manifesten Traum ohne symbolische Verkleidung. Es kann sich um das Körperbild eines Erwachsenen handeln oder um jenes aus einem früheren Entwicklungsstadium mit kindlichen Attributen. Ein häufiges Motiv für Körperbilder im Traum sind Ängste um die Integrität des eigenen Körpers. Schilder regt die Diskussion an mit Fragen wie: Wie sehen im manifesten Traum Veränderungen des eigenen Körperbildes aus? (Ein Beispiel dafür könnte sein: „Ich ging im Traum an Krücken“). Auf welche Art wird das Körperbild von andern Personen im Traum verändert? (Beispiel: „Mein Freund ist im Traum jünger und größer als in Wirklichkeit.) Welche Teile des manifesten Trauminhalts sind symbolischer Ausdruck für Probleme des Körperbildes? (Beispiel: „Ich verunfalle mit meinem Auto. Ich und der Wagen, beide sind in einem deplorablen Zustand.“)
2.5.4. Literatur anderer Provenienz Jung (1971c) beschäftigte sich in seiner Theoriebildung indirekt mit dem Körper, z. B. formulierte er das Konzept der Subjekt- und Objektstufe sowie jenes der kollektiven Archetypen im Traum. Spezifisch zum Thema Traum und Körper hat der Jungianer Mindell zwei Bücher verfasst: „Traumkörper-Arbeit“ (1993) und „Traumkörper in Beziehungen.“ (1994) Aus anderen Schulen ist die Gestalttherapie (Petzold, 1992) zu erwähnen, die darauf hinweist, wie die Arbeit mit dem Körper das Träumen stimuliert (ebend. S. 68), wie auch die Schrift eines Vertreters der Focusing-Methode „Dein Körper – Dein Traumdeuter“. (Gendlin, 1987)
3. Einbezug von Gedächtnis- und Säuglingsforschung 3.1. Überblick Mit den nun folgenden interdisziplinären Überlegungen wird die theoretische Grundlage für den Umgang mit Träumen entwickelt. Die beiden Standbeine stammen aus der Gedächtnisforschung: Sie hat Einsichten in das implizite, prozedurale Beziehungswissen formuliert, die wir für den Umgang mit Träumen auch therapeutisch nutzen können und aus der Säuglingsforschung: Neben Resultaten aus drei verschiedenen Experimenten wird das entwicklungspsychologische Konzept von Stern (Die Entwicklung der Selbstempfindungen, 1985) beigezogen. Mit dem Begriff ‚Momente der Begegnung im Hier und Jetzt’ (Stern 2002, 2005) fließen auch Gedanken zum therapeutischen Vorgehen ein.
3.2. Gedächtnisforschung In der Hirnphysiologie und der Neurowissenschaft sind große Entwicklungen im Gang und wir sehen, dass Erkenntnisse aus dieser Forschung in die therapeutischen Verfahren mit einbezogen werden. Es wurde schon seit einiger Zeit angenommen, dass das präverbale Erfahrungswissen anderen Gesetzmäßigkeiten der Erinnerung unterliegt als das spätere, verbal organisierte Wissen. „Man konnte aber lange nicht erklären, warum dies so war. Erst die Unterscheidung von zwei Systemen, die des nichtdeklarativen und des deklarativen Gedächtnis-
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ses führte zu einer Neukonzeptualisierung psychoanalytischer entwicklungspsychologischer Annahmen.“ (Mertens 2004, S. 231) Die Inhalte des prozeduralen Gedächtnisses sind nichtbewusste Wissens- und Fühlstrukturen über sich selbst und über andere. Sie sind zu Beginn des Lebens noch nicht psychodynamisch organisiert und können folglich auch nicht verdrängt oder unbewusst werden im psychodynamischen Sinn. Mertens (2004) fährt weiter: „Neurobiologisch und -psychologisch betrachtet sind nichtdeklaratives/implizites und deklaratives/explizites Gedächtnissystem vollständig unabhängig: Subcorticale Strukturen, wie vor allem die Amygdala, sind für das prozedurale Gedächtnis verantwortlich, der Hippocampus für das deklarative und autobiographische Gedächtnis. LeDoux (1994) hat vermutet, dass der Hippocampus in den ersten Lebensjahren noch kein ausgereiftes abrufbares Gedächtnis für explizit deklarative Inhalte bereitstellt, während das prozedurale Gedächtnis bereits funktionsfähig sei. Aus diesem Grund können unter ähnlichen Auslösebedingungen sehr frühe, z. B. Angst machende Erfahrungen reaktiviert werden, ohne dass aber der dazu gehörige Kontext mnestisch zugänglich gemacht werden kann. Nur mit Hilfe des Kontextes – oder mit anderen Worten einer deklarativ vorgenommenen Bedeutungszuschreibung – können die frühen prozeduralen Gefühlskonditionierungen unterbrochen werden.“ (Ebend. S. 231) So wurde begonnen, das implizite Gedächtnis (gegenüber dem expliziten Gedächtnis) stärker zu gewichten. (Lyons-Ruth 1998, Sherry u. Schacter 1987, Schacter 1994) Dieses prozedurale Wissen, „how to do things with others“ („wie macht man etwas mit anderen“) wird im impliziten Gedächtnis gespeichert. Durch vorsprachliche und vorsymbolische Aktionssequenzen lernen Kleinkinder implizit Erwartungen zu haben, wie Beziehungen funktionieren. Für Lyons-Ruth (1998), die das implizite Beziehungswissen „implicite relational knowing“ nennt, sind in der Arbeit mit Erwachsenen auf einer impliziten Ebene ähnliche Mechanismen evident. Das Verständnis des impliziten Gedächtnisses wurde nicht nur durch die Säuglingsforschung, sondern auch durch Studien über die nonverbale Kommunikation bereichert (Bänninger-Huber 1992, Frey et al. 1980, Krause, Steimer-Krause und Ullrich 1992 u. a. m.). Clyman (1992) bespricht die Konsequenzen der Anwendung von implizitem und explizitem Gedächtnissystem für therapeutische Veränderungsprozesse. Ein Bewusstsein für das eigene implizite Beziehungswissen brauchen auch wir Therapeuten. Lichtenberg (2005) ist deshalb zunehmend davon überzeugt, dass Therapeuten in einem psychotherapeutischen Prozess zu einem viel größeren Ausmaß als bisher angenommen, selbst in den Fokus kommen müssen, damit sie ihre eigenen spontan ablaufenden Beziehungsprozesse und Regulierungsformen aus dem impliziten Gedächtnis wahrnehmen und reflektieren können. Erst aus dieser optimalen Position heraus können Therapeuten bei ihren Klienten sowohl das handelnd Dargestellte (Implizite), als auch das Verbale (Explizite) erfassen und behandelnd begleiten.
3.2.1. Das implizite, prozedurale Beziehungswissen Das in der Entwicklung früh entstandene prozedurale oder implizite Gedächtnis basiert auf prozeduralen Erfahrungen, die das „Wie“ betreffen. Im Gegensatz dazu umfasst das später entstandene explizite, deklarative Erinnerungswissen – auch semantisches (Collins u. Quillian, 1969) und episodisches (Tulving 1972) Gedächtnis genannt – den Inhalt, d. h. das „Was“. Das implizite Gedächtnis ist
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affektiv-somatisch gespeichert (z. B. wie balanciere ich meinen Körper beim Radfahren), das explizite begrifflich und bildhaft (was erzähle ich davon). Das zum expliziten Gedächtnis gehörende autobiografische Gedächtnis und dessen Entwicklungslinie wurden von Köhler (1998) konzeptualisiert. Unter prozeduralem Wissen versteht Dornes (1998) ein Wissen, das auf bestimmten Fähigkeiten beruht, zu denen jedoch kein bewusster Zugang besteht. Wenn wir z. B. beim Autofahren vom zweiten in den dritten Gang schalten, so wird das Wissen über die Schaltprozesse nicht explizit abgerufen, aber seine Existenz wird durch den erfolgreichen Schaltvorgang demonstriert. Der Lernvorgang könnte aber unter bestimmten Umständen bewusst gemacht und in Sprache, d. h. in deklaratives Wissen umgesetzt werden: Wenn ich mit der rechten Hand von einem Gang in den nächsten schalte, betätige ich gleichzeitig mit dem linken Fuß die Kupplung, etc. Dafür wäre es notwenig, den automatisierten Ablauf bewusst zu hemmen und sich jede einzelne Teilbewegung vorzustellen. Wir gehen hier umgekehrt vor: Jede Bewegung wurde vorgestellt und geübt. Und das Üben des Schaltens führte zur Automatisierung. Deklaratives Wissen hat sich in prozedurales verwandelt. Beim Laufen-Lernen ist es umgekehrt. Ein- bis eineinhalb Jahre alte Kinder stellen sich nicht jeden einzelnen Schritt vor und üben ihn dann immer wieder, sondern der Lernprozess vollzieht sich „prozedural“ ohne dass der Vorgang selbst explizit ins Bewusstsein gerufen wird. „Man kann also zwei Formen prozeduralen Wissens unterscheiden: eines, das zunächst deklarativ/explizit/bewusst war (wie das Gänge schalten) und dann via Automatisierung unbewusst wurde (sekundär prozedurales Wissen); ein anderes, das nie deklarativ war, sondern von Anfang an prozedural/implizit/unbewusst ist.“ (Dornes 1998, S. 26) Stern (2005, S. 129) schlägt vor, implizites prozedurales Wissen präziser als „nicht bewusst“ zu bezeichnen, weil es nicht „dynamisch unbewusst“ ist und deshalb nicht durch Widerstände vom Bewusstsein ferngehalten wird. Es ist inneres Wissen, das der Säugling z. B. hundertfach mit seiner Mutter erfuhr, wofür er aber nie Sprache fand. Dieser Teil ist zwar nicht kognitiv präsent, aber auch nicht verdrängt. Vieles von diesem impliziten Wissen ist gar nicht in Worte übersetzbar. Damit taucht eine wichtige Fragen auf: Wie unterscheidet sich das implizite Beziehungswissen vom dynamisch Unbewussten? In Abschnitt 5 wird beschrieben, wie altes und blockierendes Beziehungswissen aussieht und wie dieses von beiden, von der Träumerin und der Therapeutin, aktiv in einer Szene gestaltet wird. Daraus entfaltet sich in der Folge die neue Beziehungserfahrung, und gleichzeitig wird mit der Szene Material für die spätere Bearbeitung psychodynamischer Konflikte gewonnen. Auf diese Art werden abwechslungsweise unterschiedliche Aspekte einer fortlaufenden Entwicklung miteinander verknüpft. Den Traum aus der Sicht des impliziten Modus zu untersuchen, ist vom klinischen Standpunkt aus auch deswegen wichtig, weil die Regulation der therapeutischen Beziehung oft nonverbal, nicht-bewusst und implizit geschieht. Grosse Teile der Übertragung können der Kategorie des impliziten Wissens zugeordnet werden. Nur weniges davon kann und wird verbalisiert, also explizit gemacht. Für unsere Praxis sind jedoch immer beide Gedächtnisformen wichtig. „Entscheidend ist, dass verbale Deutungen und implizite Erweiterungen des intersubjektiven Feldes komplementäre Akte darstellen, die einander in der Praxis wechselseitig fördern. Aber sie erfordern unterschiedliche Erklärungsmodelle.“ (Stern, 2005, S. 197)
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3.2.2. Der Einfluss des Impliziten auf die psychotherapeutische Arbeit mit Träumen Frühe Interaktionserfahrungen und Beziehungseindrücke jenseits der Sprache bleiben gedächtnispsychologisch im Bereich des impliziten Gedächtnisses und versuchen (bei Traumatischem drängend), eine Verbindung zum deklarativen autobiographischen Gedächtnis herzustellen. Beispielsweise kann ein Erwachsener in Therapie den körperlichen Anteil der Emotionen oft nur über Handlungen und Enactments äußern. Die Therapeutin wird unweigerlich in solches Geschehen verstrickt und wird dies zunächst als affektive Spannung erleben, bis sie allmählich das Verhalten des Klienten versteht, es symbolisieren und somit in den Dialog bringen kann. So gilt es zwei Punkte zu unterscheiden: Der erste betrifft den expliziten verbalen Inhalt des Traumes, aber auch sonstige Inhalte wie Aktuelles, die Vergangenheit, die Zukunft, Probleme außerhalb des Praxisraumes wie Arbeit, Familie, negative Gefühle, irritierende Gedanken. Stern (2005) nennt das die „explizite Agenda“. (Ebend. S. 129) Bildlich gesprochen stehen Therapeut und Patient Seite an Seite und schauen auf ein Drittes. Beide suchen nach dessen darunter liegender Bedeutung und ko-konstruieren die entsprechende Hintergrundgeschichte. (S. a. Steiner Fahrni 2006) Der zweite Punkt betrifft die Regulation der Beziehung zwischen Therapeutin und Klient. Diese Regulation charakterisiert einen Großteil der therapeutischen Beziehung: die haltende Umwelt, die Übertragungs- und Gegenübertragungsbeziehung, aber auch die „reale“ Beziehung. Die „implizite Agenda“ kreiert und reguliert diese Beziehung außerhalb der bewussten Wahrnehmung. Die Regulierung des unmittelbaren intersubjektiven Feldes in der Therapiestunde ist ebenfalls ein Aspekt der impliziten Agenda, welche von besonderem Interesse ist. Sie ist insofern grundlegend, als sie die explizite Agenda kontextualisiert. Nach Stern (2005, S. 193) herrscht in Erzählungen „Gegenverkehr“ zwischen implizitem und explizitem Wissen. Bilder, Gefühle, Intuitionen aus dem impliziten Bereich müssen durch den, der spricht, in den verbalen, expliziten Bereich übersetzt werden. Und in umgekehrter Richtung müssen durch den Zuhörer Worte in Bilder, Gefühle und Intuitionen übertragen werden. Diese Wechselseitigkeit macht auch verständlich, warum die schon von Balint (1949) entwickelte Sichtweise von einer „Ein-Personen-Psychologie“ auf eine „Zwei-Personen-Psychologie“ wichtig ist (s. a. Bettighofer i. d. B.), ebenso auch das Wahrnehmen und Reflektieren der Gegenübertragung seitens des Therapeuten.
3.2.3. Traumbeispiel Zur Illustration dient ein Traum einer 48-jährigen Frau, hier Irene genannt, aus meiner psychotherapeutischen Praxis:
Der Hallenbad-Traum „Ich befinde mich in einem Hallenbad, stehe im Wasser am Bassinrand. Rechts etwas entfernt von mir stehen fünf oder sechs Leute. Meine Therapeutin ist dabei. Sie zeigt den Leuten eine seitliche Schwimmtechnik. Sie schwimmt ein paar Meter und hält dann an. Jetzt schwimmen die Leute einzeln mit dieser Technik zur Therapeutin. Ich schaue zu und frage mich, ob ich das wohl auch könnte. Ich versuche es von meinem Platz aus. Es gelingt mir.“
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Welches implizite Beziehungswissen zeigt dieser Traum? Irene steht abseits von den andern und beobachtet das Geschehen aus der Distanz. Sie hat einen Platz gefunden, sowohl für sich, als auch für die Therapeutin und die Lernenden. Eine mögliche Hypothese über ihr erfahrenes implizites Beziehungswissens könnte lauten: Jemand macht etwas vor und die andern versuchen in geordneter Weise es nachzumachen. Etwas ausprobieren kann ich aber nur, wenn ich für mich bin. Wenn andere mir nah sind, ist es für mich schwierig, zu lernen. Als Erstes soll uns das Skelett der im Traum vorkommenden Beziehung klar vor Augen stehen. Wenn wir eine Vorstellung vom Beziehungsmuster haben, dann können wir uns fragen, um welche Art von Verbundenheit es sich handelt? Downing (i. d. B.) unterscheidet zwischen einer kooperativen Verbundenheit und einer emotionalen. Die erste Form meint eine Beziehung, in der gemeinsam aktiv etwas unternommen wird, die zweite Form meint eine Beziehung, in der auch ein emotionaler Austausch stattfindet. Ohne die Träumerin zu konsultieren, können wir uns dem Emotionalen im geträumten Beziehungsgeschehen zuwenden. Das Traumbild ist anfangs durch Gefühls-Distanz gekennzeichnet. Was die gelungene Nachahmung bei Irene auslöst, sagt der Traum nicht. Um darüber mehr zu erfahren, wenden wir uns dem zweiten Standbein, der Säuglingsforschung, zu.
3.3. Säuglingsforschung Es stellt sich nun die Frage, welche Aspekte aus der Säuglingsforschung zusätzlich das Verständnis für den Traum fördern und wie dieses in den therapeutischen Prozess eingebettet werden kann. Von Geburt an lernen Kinder in Interaktionen, wie etwas gemeinsam, aber auch wie etwas allein gemacht wird. An diese Erfahrungen werden implizite Erwartungen geknüpft, wie Beziehungen oder Handlungen ablaufen. In dem nun folgenden Abschnitt wird anhand des Hallenbadtraums an drei Experimenten gezeigt, wie Aspekte aus der Säuglingsforschung für das Auffinden von implizitem Beziehungswissen im Traum genutzt werden können.
3.3.1. Drei Experimente zur Imitation, Erwartung und Kontingenz a) Zur Imitation: Schon Freud erkannte: „Die Nachahmung ist aber die beste Kunst des Kindes und das treibende Motiv der meisten seiner Spiele.“ (1905b, S. 258) Kugiumutzakis’ (1988) Forschungen mit Neugeborenen zeigten, dass knapp eine Stunde alte Säuglinge bereits fähig sind, die Zunge so aus dem Mund zu strecken, wie es ihnen vorgemacht wird (z. B. aus dem linken oder rechten Mundwinkel). Die Imitation ist offenbar ein elementarer Aspekt menschlicher Verhaltensmöglichkeiten, um mit einem anderen, als ähnlich erkannten Wesen in eine intersubjektive Kommunikation zu treten (siehe auch Trevarthen, 1998). Meltzoff gelang es in einem Pilotversuch zu zeigen, wie der Säugling die Nachahmung nutzt, um den Anderen zu identifizieren (Meltzoff u. Moore 1999), resp. Übereinstimmungen zwischen den eigenen und den Aktionen des Modells („you are like me“) zu entdecken. Nach Meltzoff entstehen auf diese Weise erste präsymbolische Empfindungen für Intersubjektivität. FivazDepeursinge (2003) formulierte dafür den Begriff „Die Wie-Ich-Haltung“ (engl. „Like me stance“). Anhand von Videoaufnahmen zeigte sie, wie ein spielerisches und imitierendes Hin und Her zwischen Eltern und Kind hilft, in wechselseitiger Bezogenheit die Körperrepräsentanzen aufzubauen und wie der rezip-
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roke Austausch von Imitationen, z. B. von mimischen Signalen, die Kommunikation zwischen Baby und Eltern variabler und lebendiger macht. Dieser Austausch lässt den Säugling aber auch die Andersartigkeit eines Gegenübers erkennen. Zum Beispiel: „Aha, der macht bei diesem Spiel nicht mit.“ Wenn man Träume auf der Basis dieses Konzepts betrachtet, dann kann das Element der Imitation für das Verstehen des individuellen Menschen fruchtbar sein. Durch die mehrfach beobachtete Imitation der seitlichen Schwimmtechnik lernt die Träumerin des Hallenbadtraums, die Aufgabe zu strukturieren und sie in der Folge selbst auszuführen. Aus „Imitieren, um wahrzunehmen“ (Gaddini, 1980), wird „Imitieren, um zu sein.“ (Böhme-Bloem 2002, S. 101) Hypothetisch kann die Frage abgeleitet werden: Bin ich wie die andern, die meiner Therapeutin nah sind? Träumend rückt zudem der gemeinsame Fokus der Aufmerksamkeit triangulär auf den „prozeduralen Lernvorgang“: die spezifische Schwimmtechnik. b) Zur Erwartung: Im klassischen Still-face-Experiment von Tronick et al. (1979) werden Mütter angewiesen, im Spiel mit ihrem drei Monate alten Kind nach einem Zeichen regungslos dazusitzen. Das Kind versucht, die Mutter zur Kontaktaufnahme zu bewegen. Wenn das nicht gelingt, reagiert es ernüchtert und reguliert seine Emotionen durch Rückzug, indem es wegschaut und sich selbst tröstet, wenn es ihm möglich ist. Dieses Experiment belegt, dass Säuglinge nicht nur Interaktions- und Kommunikationsbedürfnisse, sondern sehr früh auch schon diesbezügliche Erwartungen haben. Wenn ihre Erwartungen nicht erfüllt werden, reagieren sie. Welche implizite Erwartung ersehen wir also aus dem Hallenbadtraum? Irene erwartet, das zeigt das implizite Beziehungswissen des Traums, dass jemand für einen geordneten Ablauf sorgt, d. h. sie hat in ihren frühen Beziehungen erfahren, dass jemand Struktur vorgibt. c) Zur Kontingenz: Unter Kontingenz wird hier nicht wie üblich „Zufälligkeit“ verstanden, sondern es geht um die zweite Bedeutung dieses Begriffs, nämlich um „die Häufigkeit und die zeitliche Reaktion oder Resonanz des Er1 wachsenen auf die Handlung des Babys“. (Papousek 1997) In dem ebenfalls klassischen Experiment von Murray u. Trevarthen (1985) kommunizieren zweimonatige Säuglinge via Bildschirm mit ihren Müttern. Wird nun eine Verzögerung von dreißig Sekunden eingebaut, so dass der Säugling die interagierende Mutter von vor dreißig Sekunden sieht, so passen deren Verhaltensweisen nicht mehr zu denen, die er im Moment ausführt. Sie sind nicht mehr kontingent. Fehlt die zeitlich kontingente Reaktion, so hat das ähnliche Auswirkungen auf den Säugling wie die ausbleibende Reaktion der Mutter im Still-faceExperiment. Weitere Varianten dieses Experiments zeigen, dass anscheinend Säuglinge schon mit zwei bis drei Monaten auf ihnen verständlich erscheinende Unterbrechungen der Interaktion anders reagieren als auf unverständliche. Sie verstehen also die Interaktion nicht nur als einen Austausch von Reizen, der gelingt oder nicht gelingt, sondern als eine kommunikative Gesamtsituation. Im Hallenbadtraum fällt auf, wie die Lernenden und Irene handelnd auf das reagieren, was die Therapeutin zeigt. Der Traum gibt jedoch keinen Hinweis darauf, ob die Therapeutin eine anerkennende Bestätigung gibt, d. h. die Handlung der Lernenden explizit verankert. Daraus leite ich ab, dass Irene in ihren frühen Beziehungen zwar gewohnt war, von anderen etwas vorgegeben zu bekommen und darauf zu reagieren, nicht aber, auf ihre eigenen Aktivitäten eine 1
Siehe auch Fonagy et al. 2004, S. 175 ff.
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Resonanz zu bekommen. Die darin zum Ausdruck kommende Übertragung wird in Abschnitt 5 reflektiert. In Träumen Erwachsener tauchen die Elemente Imitation, Erwartung, Kontingenz immer wieder auf. Diese Elemente können verwendet werden, um den Grad der Erfüllung oder Nicht-Erfüllung der betreffenden Kategorie in der seelischen Struktur der Träumenden zu erkennen, und um in der psychotherapeutischen Arbeit das Interaktive zu stärken und das intersubjektive Feld zu erweitern. Beispielsweise hat die Erfahrung, oft ohne Kontingenz, ohne Antwort, ohne Resonanz geblieben zu sein, zur Folge, dass sich Selbstwahrnehmung und Selbstwirksamkeit emotional nicht mit der Bezugsperson verknüpfen konnten. Das Bedürfnis nach Resonanz wartet aber im Menschen unbewusst weiter auf Erfüllung. In diesem Zusammenhang können in Erwachsenentherapien zwischen Klientin und Therapeutin Sackgassen entstehen, wenn sie aus den zwei unterschiedlichen Gedächtnissystemen (dem prozeduralen und dem deklarativen) miteinander zu kommunizieren versuchen. Dies wäre der Fall, wenn die Therapeutin bei der Bearbeitung des Hallenbadtraums auf die örtliche Absonderung der Träumerin als Konflikt zu sprechen käme, während die Klientin eine Bestätigung für die gelungene Schwimmtechnik erwartet. Es ist wichtig, zuerst ihr neues implizites Wissen der gelungenen Bewegung in Worte zu fassen und das Konfliktgeschehen später zu benennen. Ein anerkennender Hinweis aus dem prozeduralen Gedächtnissystem könnte sein, dass es Irene träumend gelungen ist, sowohl in sicherer Distanz zu Andern, wie auch selbst aktiv an einem Lernprozess mit ihnen teilzunehmen.
3.3.2. Die Entwicklung der Selbstempfindungen und der Gegenwartsmoment nach Stern (1985): Stern nannte sein Konzept der Entwicklung der Selbstempfindungen auch die vier Realitäten des Säuglings (1999), nämlich: die interaktive, die intersubjektive, die Wort- und die narrative Realität (s. a. Geißler i. d. B.). Dabei beinhaltete der Begriff „Realität“ auch Austausch. In seinen neueren Veröffentlichungen (2002, 2005) kommen diese Termini aber nicht mehr vor, sondern Stern arbeitet nun mit neuen Begriffen, von denen hier vier erläutert werden: Der Gegenwartsmoment („present moment“) ist als gelebte Mikrogeschichte mit einem minimalen Plot und einem dramatischen Spannungsbogen strukturiert, der aus Vitalitätsaffekten besteht (das sind subjektive Erfahrungen wie z. B. eine ansteigende Wut, die zum Eklat führt) und eine zeitliche Dynamik hat. (2005, S. 248) Das Vorangehen („moving along“) ist der Prozess des Weitergehens in der Sitzung. (Ebend. S. 252) Der Jetzt-Moment („now moment“) ist ein Gegenwartsmoment, der sich im Prozess des Vorangehens unvermutet einstellt. Das ist ein hochaffektiver Moment während der Sitzung, weil er den Charakter der Beziehung zwischen Patient und Therapeut in Frage stellt. (Ebend. S. 251; ein Beispiel dafür siehe später) Der Begegnungsmoment („moment of meeting“) ist ein geglückter JetztMoment zwischen zwei Beteiligten. Er entsteht durch spezifisches, authentisches Verhalten. In einem solchen Augenblick findet intersubjektiver Austausch statt, welcher das intersubjektive Feld zwischen den beiden Beteiligten verändert. Dies muss nicht in Worte gefasst oder narrativiert werden, um eine dauerhafte Wirkung zu entfalten (ebend. S. 247–248) .
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Stern präsentiert uns damit ein therapeutisches Anwendungsmodell, um Veränderungsprozesse des „impliziten Beziehungswissens“, resp. des „intersubjetkiven Beziehungskontextes“ in der psychotherapeutischen Arbeit zu strukturieren und zu benennen. Veränderungsprozesse unter entwicklungspsychologischer Perspektive anzuschauen, heißt auch, auf die „wechselseitige Regulation von Zuständen“ (Beebe & Lachmann 2004) als der zentralen Aktivität in der Mutter-Kind- oder Therapeutin-Klient-Dyade zu achten. Diese dyadische Abstimmung zwischen zwei Personen basiert auf einem Mikro-Austausch von Informationen über die Sinneswahrnehmung und auf dem affektiven Austausch. Der Kern wechselseitiger Regulation findet sich laut Beebe & Lachmann (2004) in den folgenden drei Prinzipien: andauernde Regulation (ongoing regulation), Unterbrechung und Wiederherstellung (disruption and repair) und gesteigerte affektive Augenblicke (heightened affective moments). Den Verlauf dieser „wechselseitigen Regulation“ und die „gegenseitige Abstimmung“ nennt Stern „moving along“. Dieser Prozess der gemeinsamen Vorwärtsbewegung orientiert sich an zwei Zielen: dem physisch-interaktiven Ziel und dem intersubjektiven Ziel. Das physisch-interaktive Ziel beschreibt, wie sich Mutter und Kind, resp. Klient und Therapeutin durch Handlungen aufeinander abstimmen und gegenseitig regulieren. Bei gemeinsamen Aktivitäten wie Stillen, Baden, Wickeln lernen Mutter und Säugling, sich wechselseitig zu regulieren. Blickkontakte, Berührungen, stimmlicher Austausch, Bewegungen, Gefühlsäußerungen usw. werden von beiden Personen wechselseitig wahrgenommen und veranlassen beide zu Reaktionen. Bei solchen sich ständig wiederholenden Mikroaustauschen wird das „Sich-zusammen-Organisieren-und-Regulieren“ eingeübt. Zwischen Klient und Therapeutin geschieht das bereits bei der Begrüßung und auf dem gemeinsamen Weg vom Wartzimmer in den Behandlungsraum. Schon in diesen ersten Momenten der Begegnung erhält die Therapeutin Informationen beispielsweise über den Blick oder die Hand des Klienten; ist sie feucht oder trocken, warm oder kalt, ist der Händedruck fest oder weich? Gibt es auf dem Weg vom Wartzimmer zum Praxisraum Verzögerungen oder Beschleunigungen? Wie sind bei der Verabschiedung Blick, Stimme, Körperhaltung beim Klienten und bei der Therapeutin? Dabei gibt es menschliche Verhaltensweisen, die hilfreicher sind, um einen Andern zu regulieren und andere, die es weniger sind. Dieses Geschehen bereitet das intersubjektive Ziel vor. Die Träumerin des Hallenbadtraums zeigt, dass sie sich selbst regulieren kann. Das Interaktive jedoch konstelliert sich im Traum lediglich zwischen Therapeutin und den anderen Lernenden. Diesbezüglich ist zwischen Irene und der Therapeutin noch Aufbauarbeit nötig. Das intersubjektive Ziel beschreibt, was die beiden Dyadepartner Mutter und Kind oder Klient und Therapeutin gegenseitig innerpsychisch voneinander verstehen. Diese zweite Entwicklung ist die wechselseitige Anerkennung der Motive, Wünsche und impliziten Ziele. Stern (2003) definiert Intersubjektivität als eine natürliche Fähigkeit des Menschen, den mentalen Zustand des anderen („mind“) lesen zu können, und zwar durch visuelle und auditive Wahrnehmungen, mit oder ohne Worte. Diese Fähigkeit erlaubt uns, eine Hypothese darüber anzustellen, was ein anderer Mensch fühlt und erfährt, sie erlaubt uns, seine Gedanken nachzuvollziehen, kurz, uns eine Vorstellung vom Innenleben („state of mind“) eines anderen zu machen. Damit wird der Grund gelegt für wichtige
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Fähigkeiten wie Empathie, Identifikation, Übertragung- und Gegenübertragung. Im Hallenbadtraum geht es nicht nur um die einzuübende Handlung (physisch-interaktives Ziel), sondern um eine innere Erfahrung, um etwas Mentales, auf das die Träumerin nun aufmerksam wird (intersubjektives Ziel). Am mentalen Leben eines Andern zu partizipieren, lässt in ihr ein Verständnis für das Handeln einer andern Person entstehen, eine angemessene Empathie für die Intentionen und Gefühle des Andern kann sich besser entfalten. Könnte es sein, dass bei Irene neben dem Aspekt des „Selbst-aktiv-Werdens“ noch etwas anderes im Gang ist, z. B. Aktivitäten und Gefühle der Therapeutin nachvollziehen und verstehen zu wollen? Das könnte heißen, dass im Hallenbadtraum ein erster Hinweis auf Intersubjektivität gegeben wird.
3.4. Zusammenschau: das implizite Beziehungswissen, das physischinteraktive und das intersubjektive Ziel im Hallenbadtraum Ohne weitere Kenntnisse der Person wird nun versucht, anhand des Hallenbadtraums frühes implizites Beziehungswissen von Irene hypothetisch explizit zu machen: Der Traum von Irene beginnt im Hallenbad, d. h. das Traumgeschehen spielt sich im Innern ab. Sie steht am Bassinrand und beobachtet, wie ihre Therapeutin Anderen eine Schwimmtechnik vermittelt. Eine wechselseitige, interaktive Regulation mit Irene fehlt. Diese findet lediglich zwischen den Andern statt. Irene weiß sich aber selbst zu regulieren. Sie weiß, unter welchen Bedingungen sie in der Lage ist, eine prozedurale körperliche Fähigkeit zu entwickeln. Sie kann sich diese Bedingungen selbst schaffen und es gelingt ihr, die beobachtete Schwimmtechnik ebenfalls vorsichtig auszuführen. Eine Hypothese von Irenes implizitem Beziehungswissen könnte lauten: Um beim Lernen nicht beobachtet, kontrolliert oder kritisiert zu werden, ist es nötig, sich genügend Distanz zu Andern zu schaffen. So konnte Irene die von ihr gewünschten spezifischen Fähigkeiten durch Imitation für sich allein erwerben. Gleichzeitig könnte aus dem Trauminhalt implizit abgeleitet werden, dass sich Dank der gemeinsam gemachten Erfahrung (gleiche Schwimmbewegung) in Irene nun, aus der Sicherheit eines eigenen Raumes heraus, ein Bewusstsein für wechselseitige, interaktive Regulation zu entwickeln beginnt. Soviel zum interaktiv-physischen Ziel. Mit der Betrachtung des impliziten prozeduralen Beziehungswissens im Traum ist eine neue Zugangsebene gefunden worden, die es ermöglicht, – Hypothesen über Beziehungsmuster der Träumerin aus der Vergangenheit zu bilden und zu fragen, – ob es diesbezügliche Parallelen gibt im Hier und Jetzt der therapeutischen Beziehung. Implizites Beziehungswissens im Traum so zu verstehen, bedeutet, den Traum als Instrument für therapeutische Entwicklungsschritte zu benutzen und in Nachfolgeträumen Veränderungen im Psychotherapieprozess aufzuzeigen. Wie letzteres in der Praxis aussieht, soll in Abschnitt 4 und 5 gezeigt werden.
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4. Voraussetzungen und Techniken für den Umgang mit dem Traum in der psychotherapeutischen Praxis 4.1. Kernfragen Nachdem nun das implizite Beziehungswissen, die Wichtigkeit der gemeinsamen Erfahrung einer Interaktion sowie die gegenseitige- und die SelbstRegulierung vorgestellt wurden, kann auf folgende Fragen eingegangen werden: Wie wird konkret mit einem Traum gearbeitet? Wie wird implizites Beziehungswissen aufgefunden, wenn in der Therapiestunde ein Traum erzählt wird? Wie wird mit dem Gefundenen umgegangen? Was davon wird explizit gemacht? Wie wird der Traum in den körperorientierten Kontext der Psychotherapie eingebettet?
4.2. Einstieg in die Arbeit mit dem Traum Im Verlauf des Erstinterviews genügt ein Hinweis, dass auch mit Träumen gearbeitet wird. Viele Menschen äußern Zweifel daran, ob Träume tatsächlich eine ernst zu nehmende Bedeutung haben. Erstaunlich aber ist, dass viele Klienten sich schon in der ersten Sitzung an einen Traum erinnern, wenn sie dazu ermuntert werden. Es gibt Klienten, die sich an ihre Träume erinnern möchten, aber es gelingt ihnen nicht. In solchen Fällen ist es empfehlenswert, die Zeit vor dem Schlafengehen bewusst zu gestalten, z. B. indem man auf das Fernsehen verzichtet, sich gedanklich in Ruhe auf den nächsten Tag vorbereitet, Entspannungsübungen macht und sich vielleicht auch konkret vorstellt, was man zu träumen wünscht. Der Klient kann sich sagen: „Ich möchte heute Nacht träumen“, er kann sich sogar ein bestimmtes Thema vornehmen, das träumend erscheinen soll. Er kann sich außerdem sagen: „Ich möchte mich am Morgen an den Traum erinnern.“ Dafür kann es hilfreich sein, morgens während des Aufwachens den Trauminhalten genügend Raum zu geben, um sie ins wache Bewusstsein aufsteigen zu lassen. Manchmal wird das Erinnern auch dadurch unterstützt, dass man sich nochmals in die letzte Schlafposition legt, um den Traum „herausfließen“ zu lassen. Neben dem Bett liegen Papier und Schreibstift, um beim Erwachen während der Nacht oder am Morgen zumindest Stichworte des Traumes unmittelbar festzuhalten. Daraus kann ein Traumtagebuch entstehen.
4.3. Der emotionale Kontakt zum Traum Emotionen im Traum können genussvoll sein, manchmal aber auch Angst und sogar Panik auslösen. Sie können auch ein Anstoß sein für Auseinandersetzungen mit entscheidenden Dingen unseres Lebens. In der Praxis werden oft Träume erzählt, ohne dass beim Erzählenden Emotionen zum Ausdruck kommen. Das kann unterschiedliche Gründe haben. Jemand kann allgemein wenig Kontakt zu den eigenen Gefühlen haben, es gibt Klienten, die ihre Gefühle abwehren, andere wiederum erzählen den Traum erst ganz am Schluss der Therapiestunde, so dass kein Raum mehr bleibt, sich auch emotional in den Traum zu vertiefen. Im Gegensatz dazu gibt es Menschen, die von den Gefühlen in ihren Träumen überflutet werden, sei es während des Träumens oder auch beim Erzählen davon. Wenn Klienten im Schutz der therapeutischen Beziehung im Zusammenhang mit einem Traum gefühls-
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starke Erfahrungen machen können, fühlen sie sich zunehmend in der Lage, ihre Emotionen zu begrenzen, wie intensiv diese im Traum auch sein mögen. Obwohl die Emotionen im Traum von grundsätzlicher Wichtigkeit sind, werden laut Traumforschung spontan nur bei 25% der Träumerzählungen Gefühle direkt genannt. (Strauch u. Meier, 1992) Wenn hingegen der Träumer detailliert über seine Gefühle befragt wird, benennen 75 % der Befragten ihre Gefühle. Das bestätigt, wie wichtig das Herausarbeiten des emotionalen Höhepunktes eines Traumes ist. In diesem Zusammenhang sind die emotionalen und körperlichen Fähigkeiten („Körper-Mikropraktiken“, Downing 2003a) des Therapeuten besonders gefordert, da es seine Aufgabe ist, einem Klienten, der seine Kompetenzen in diesem Bereich noch nicht ausreichend entwickeln konnte, weiterführende Impulse zu vermitteln.
4.4. Die therapeutische Beziehung Eine Hauptaufgabe in der Psychotherapie ist die Entwicklung der therapeutischen Beziehung und die Gestaltung derselben in gegenseitiger Abstimmung. Auch bei der Arbeit mit dem Traum wird das intersubjektive Feld in kleinen Verhandlungsschritten aufeinander abgestimmt. Von Moment zu Moment wird zwischen Therapeutin und Klient gegenseitig versucht, den eigenen mentalen Zustand und den des Andern immer wieder zu regulieren. Insofern dieses gegenseitige „Lesen“ bewusst geschieht, kann es durch Worte reguliert werden. Vieles dieses dyadischen Prozesses geschieht aber nicht bewusst. Es bietet sich jedoch immer wieder eine Gelegenheit, das interaktive und intersubjektive Geschehen zwischen Klient und Therapeutin zu betrachten. Ist der Klient beispielsweise auf seinem Stuhl einwenig nach hinten gerückt, so kann diese Bewegung aufgenommen werden, weil sie u. a. Ausdruck dafür sein könnte, dass er das eben Gesagte nicht mochte. Wenn Therapeutin und Klient den Ablauf ihres Beziehungsprozesses in dieser Weise bearbeiten, ist das therapeutische Geschehen nicht länger ausschließlich ein Seite-an-Seite stehen und auf eine dritte Sache schauen, sondern sie schauen einander gegenseitig „face-to-face“ an, und machen sich selber gegenseitig zum Fokus, oder sie wechseln die Positionen immer wieder erneut. (Stern 2005, S. 130) Während dieses Prozesses entstehen Begegnungsmomente, die eine neue intersubjektive Umwelt erzeugen und den Bereich des impliziten Beziehungswissens verändern können. (Stern 2002, S. 984) Im Hallenbadtraum wird physisch-interaktives Beziehungsgeschehen deutlich. Von und mit jemand anderem im eigenen Raum etwas zu lernen, ist das Thema. Dieser Aspekt bezieht sich auch auf die therapeutische Beziehung. Mit der Therapeutin als Instruktorin thematisiert die Träumerin sowohl das alte Beziehungsmuster mit ihrer Mutter (Mutterfiguren geben etwas vor), wie auch eine neue Art von Bezogensein mit der Therapeutin (die Träumerin bewegt sich autonom) und findet träumend eine individuelle Integration beider Modelle: Auf Distanz zur Therapeutin und zu andern kann sie Neues lernen und (anhand der gemeinsamen Schwimmtechnik) Triangulierung erfahren.
4.5. Zum konkreten Vorgehen beim Auffinden von prozeduralem Beziehungswissen Laut Stern (2002) gibt es eine Beziehung zwischen dem prozeduralen Wissen und der verbalen Sprache, resp. der erzählten Geschichte. In der Oberflächen-
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struktur von Geschichten geht es um ein „Wissen was“, in der Tiefenstruktur um ein „Wissen wie“. Das gibt Aufschluss darüber, wie eine Interaktion mit einem andern Menschen wahrgenommen und gestaltet wird. Um beim Zuhören einer Traumerzählung auch an diese tiefere Ebene heranzukommen, eignen sich zwei sich ergänzende Vorgehensweisen: Die Strukturierungskriterien (4.6.) ermöglichen dem Therapeuten, einen Traum auch ohne die Kommentare und Assoziationen des Klienten anzuschauen und Hypothesen über sein prozedurales Beziehungswissen aus der Vergangenheit, aus dem aktuellen Lebenskontext oder aus dem Hier und Jetzt der therapeutischen Beziehung zu formulieren. Die Strukturierungskriterien geben Hinweise, wie sich jemand träumend selbst reguliert, und ob und wie er auch andere regulieren kann, resp. sich interaktiv (d. h. durch andere) regulieren lässt. Wenn der Therapeut der Traumerzählung auf diese Weise folgt, weiß er, in diesem Traum reguliert sich der Träumer beispielsweise vor allem, indem er Kontakt schafft, in jenem Traum, indem er Grenzen setzt, etc. Damit lassen sich außerdem rasch therapeutische Ansätze finden. Das phänomenologische Eintauchen (4.7.) hingegen ist eine aktive Befragungstechnik, um zum einen zur detaillierten Traumgeschichte, zum Plot zu kommen und zum andern, um sowohl die dramatische Spannungslinie der Traumgeschichte wie auch das Übertragungs- und Gegenübertragungsgeschehen herauszuarbeiten, das sich aktuell entwickelt. Während des phänomenologischen Eintauchens können sich „Now-Moments“ (Stern 1998, 2005) ereignen oder das, was Heisterkamp (2001a, 2005b) „unmittelbares, präsentisches Verstehen“ nennt. Im Gegensatz zum „repräsentierenden Verstehen“, welches ein Ereignis nachträglich und sprachsymbolisch vermittelt, soll das „präsentische Verstehen“, dessen Wesen und Wirkung gerade in der Gegenwärtigkeit und der Unmittelbarkeit der Begegnung liegt, im Vordergrund der Beobachtung bleiben. Eine Traumbearbeitung mit der Methode des phänomenologischen Eintauchens verlangt beides: das „präsentische“ und das „repräsentierende“ Verstehen. Wie hängen nun die beiden Vorgehensweisen miteinander zusammen? Die Strukturierungskriterien schaffen Zugang hauptsächlich zum Regulierungsstil des Träumers, resp. zu seinem physisch-interaktiven Ziel. Das phänomenologische Eintauchen schafft (über den Weg des „präsentischen Verstehens“) Zugang zu „impliziten Wandlungserfahrungen“ (Heisterkamp 2001a) und damit zum intersubjektiven Austausch der beiden Beteiligten. Diese beiden Interventionsmethoden, die im Folgenden beschrieben werden, sind weniger als Handlungsanweisungen zu verstehen, denn als Hinweise darauf, wie Therapeuten mit ihren Klienten mit Träumen in einen lebendigen, kreativen Austausch kommen können.
4.6. Der Zugang zum physisch-interaktiven Ziel: Die Strukturierungskriterien Ähnlich wie Videoaufnahmen mittels bestimmte Strukturierungskriterien untersucht werden, versuchen wir das auch mit Träumen. Das hilft sowohl beim Hören einer Traumerzählung, den Traum zu strukturieren, als es auch erlaubt, außerhalb der Therapiestunde, in der ein Traum erzählt wurde, darüber zu reflektieren, welches implizite Beziehungswissen aus einem Traum abzuleiten ist.
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Folgende Kriterien erweisen sich als nützlich: a) Art des Beteiligtseins: Sieht der Träumer dem Traumgeschehen als Beobachter zu oder ist er aktiv beteiligt? b) Verbindung: Wie nimmt jemand Kontakt auf? Ist der Kontakt vor allem von emotionaler Qualität oder ausgerichtet auf eine gemeinsame Handlung? Oder beides (s. affektive Verbindung und kooperative Verbindung bei Downing i. d. B.)? Was geschieht, wenn der Kontakt gestört wird? Kann der Kontakt wieder hergestellt werden im Sinne von „disruption and repair“? (Beebe 2004) c) Grenzen: Wie setzt jemand Grenzen? Kann ein Träumer aktiv Grenzen setzen? Werden ihm Grenzen gesetzt oder fehlen Grenzen? d) Autonomie: Wie autonom ist jemand im Traum? Kommen implizite Abhängigkeiten zum Ausdruck? e) Organisation von Raum und Zeit: Wie organisiert jemand Raum und Zeit? Wie werden die Körper im Raum angeordnet? Gibt es einen gewissen Rhythmus? f) Sprache: Wie wird sie verwendet? •
Anwendung der Strukturierungskriterien auf den Hallenbadtraum:
a) Irene nimmt im Hallenbadtraum zunächst eine beobachtende Position ein, d. h. sie schaut dem physisch-interaktiven Geschehen zwischen Therapeutin und Lernenden zu. Die Beobachterinnen-Rolle hilft ihr, sich zu regulieren. Aufgrund des Wissens um die Funktion der Spiegelneuronen (Bauer 2005) wird davon ausgegangen, dass beim Beobachten die selben Areale feuern, wie wenn die Träumerin selbst an einer Interaktion beteiligt ist und sie deshalb, durch dieses „Priming“ (das ist der früheste Teil des prozeduralen Gedächtnisses), unbewusst bereits eine Ahnung von interaktivem Austausch haben dürfte. Und tatsächlich, es bleibt im Traum nicht beim Beobachten, nach mehrmaligem Zuschauen wird Irene Imitierende und somit selbst Handelnde. Als selbst Handelnde stärkt sie gleichzeitig ihre körperlichen Fähigkeiten. b) Es handelt sich um eine Verbindung, die auf Lernen ausgerichtet ist (kooperative Verbindung). Irene ist durch die Imitation der Schwimmbewegungen mit der Therapeutin und der Lerngruppe verbunden. c) Der Traum beginnt mit einer Grenzsetzung: Irene reguliert sich mittels der räumlichen Distanz zur Schwimmgruppe. Erscheint in einem Traum die sichtbare Interaktion auf Distanz und ohne eigene Beteiligung, ist zu überlegen, welche Art von Beziehungswissen die Träumerin wohl erlebt und verinnerlicht hat. Dahinter könnte sich folgendes Beziehungswissen verbergen: „In der Nähe anderer verschwindet das Eigene, auch die eigene Urheberschaft.“ Wird der Traum so verstanden, dann ist der Träumerin durch das Distanzschaffen, zusätzlich zur Fertigkeit des Schwimmens, ein wichtiger Entwicklungsschritt gelungen. Sie konnte sich durch die im Traum inszenierte Distanz Raum schaffen, um selbst wieder Urheberin von Handlungen zu werden. Zusätzlich kann überlegt werden, ob sich die Träumerin durch die Grenzsetzung vor Kontrolle und Kritik schützt. Damit verbunden wäre ein implizites Beziehungswissen wie: „In der Nähe anderer werde ich kontrolliert und kritisiert.“ d) Die Träumerin handelt insofern autonom, als sie sich räumlich von den andern separiert. Zudem bestimmt sie selbst, zu welchem Zeitpunkt sie die Handlung imitiert.
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e) Der Körper der Träumerin ist räumlich von der Gruppe entfernt. Zudem verfügt sie über eine rhythmische Struktur: Zuerst schaut sie mehrmals die Bewegungen an und dann macht sie diese selbst. g) Es kommt keine Sprache im Traum vor. Mit den Strukturierungskriterien lassen sich aus dem präverbalen Bereich Aspekte finden, wie z. B. die Regulierungsart, aber auch primäre Muster des Bezogenseins der Träumerin, die zum Verständnis eines Traumes beitragen. Der Hallenbadtraum ist ein Beispiel dafür, wie durch Beobachten und selbstregulierte Distanz zur Eigenaktivität gefunden wird (das physisch-interaktive Ziel).
4.7. Der Zugang zum intersubjektiven Austausch: Die Technik des 2 phänomenologischen Eintauchens (nach Downing) Die alten Griechen nannten den günstigen Augenblick „Kairos“. Das ist der Moment, an dem etwas Neues auftaucht, sich abzeichnet oder entsteht. Diesem Augenblick kann Bedeutung verliehen werden, resp. es kann ins Bewusstsein gerufen werden, dass er eine kurze emotionale „gelebte Geschichte“ (Stern 2005, S. 16) darstellt. Solche Augenblicke, solche Gegenwartsmomente werden sowohl im Traum erlebt, als auch, wenn Klientin und Therapeutin in die Phänomene des Traumes eintauchen, was von beiden Seiten Erkundungsgeist (Lichtenberg 2005, S. 182) braucht. Einen Gegenwartsmoment explizit zu machen ist nicht ganz einfach, weil er auf eine prozedurale nonverbale Form hintergründiger Bezogenheit hinweist. Indem aber dem Phänomenologischen diese neue explorative Sorgfalt geschenkt wird, kann der Gegenwartsmoment ins Bewusstsein gelangen, obwohl er intuitiv und implizit gebildet wird. Klient und Therapeutin engagieren sich in ko-kreativer Arbeit, die Phänomenologie des Traumkontextes, der Trauminhalte und des Traumerlebens systematisch zu erforschen und zu beschreiben. Die Erforschung dieser Gegenwartsmomente ist deshalb so bedeutungsvoll, weil sich dadurch das Erleben der Träumerin, aber auch jenes zwischen Klientin und Therapeutin stetig vertieft. Das phänomenologische Eintauchen bildet somit zusammen mit den Erkenntnissen aus dem impliziten Prozess- und Beziehungswissen das theoretische Konzept für den Umgang mit dem Traum. Das phänomenologische Eintauchen ist eine effektive und aktive Befragungstechnik, um sich einem Traum anzunähern, sich in ihn zu vertiefen, und um die beiden erwähnten Aspekte herauszuarbeiten: aus dem deklarativen Gedächtnis die genaue Handlung einer Geschichte (Wo? Wann? Wer? Was? Wie?) und aus dem nichtdeklarativen Gedächtnis die dramatische Spannungslinie, die sich zunehmend aufbaut, während sich die Handlung entfaltet. Anders ausgedrückt: Es gibt einerseits eine Vordergrundgeschichte (explizites bewusstes Wissen) und anderseits das dahinter liegend Erlebte (implizites, nicht gewusstes, bezogenes Prozesswissen, das nicht psychodynamisch organisiert ist). Dieses Implizite zeigt sich in der Gegenwart zwischen Klient und Therapeut nach den Regeln, die während der frühen Kindheit des Klienten gesetzt wurden. So
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Diese Methode kann in Traumseminaren gelernt werden. Um ein vertieftes Verständnis dafür zu bekommen, ist der direkte Austausch zwischen AusbildnerIn und StudentIn unerlässlich. Ich kann deshalb hier nur in groben Umrissen andeuten worum es geht.
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können frühe z. B. Angst machende Erfahrungen reaktiviert werden und durch die Therapeutin mittels des im Traum erscheinenden Kontextes einer erweiterten Bedeutungszuschreibung zugänglich gemacht und/oder in einen neuen, emotional schützenderen Beziehungszusammenhang gebracht werden. Dank der Sprache können zwischen Klient und Therapeutin wichtige Erlebnisaspekte detailliert herausgearbeitet, benannt und somit kognitiv, evt. sogar körperlich verankert werden. Diese Technik fördert die Kompetenz des Träumers, seine Träume und damit sich selbst besser zu verstehen. Diese Technik fördert aber auch die Fähigkeit des Therapeuten, Träume von Klienten möglichst bildhaft zu erfassen. Damit ihm das gelingt, soll er auch nachfragen, denn auch Fragen, die im Zusammenspiel mit dem Träumer auftauchen, können weiterführend sein. Wenn er eine genaue Vorstellung vom Traum hat und vom Kontext, in dem der Traum geträumt wurde, kann er sich ein Bild davon machen, wie der Träumer z. B. Regulierung oder Kontingenz erfahren oder nicht erfahren hat (also Aspekte aus der interaktiven Realität), oder wie ein Träumer den Austausch von Gefühlen gespeichert hat (intersubjektive Realität). Die Fragen, die der Therapeut stellt, betreffen die Qualität der im Traum erscheinenden Objekte: Wo spielt der Traum (Ort)? Wann beginnt der Traum (Tages- und/oder Jahreszeit)? Wer kommt im Traum vor (Personen, Tiere)? Was zeigt der Ablauf des Traumes inhaltlich? Wie werden die Traumhandlungen ausgeführt? Es schließen sich Fragen nach den Gefühlen an, und zwar nach den Gefühlen des Träumers im Traum, aber auch nach den Gefühlen am Morgen beim Erwachen und im gegenwärtigen Moment. In der Körperpsychotherapie spielen zudem die Körperaspekte der Gefühle eine wichtige Rolle. Diese werden mittels der klassischen körperpsychotherapeutischen Interventionstechniken erforscht, konzeptualisiert und in einem Körperprozess zur Entfaltung gebracht. Dieses Vorgehensmodell bei der Annäherung an Träume erlaubt Klientin und Therapeut sowohl in die Vergangenheit, als auch in die Aktualität des Träumers einzutauchen. Je nachdem im Traum erscheinenden Kontext werden Erinnerungen wach und es ist die Aufgabe des Therapeuten, dem Träumer neue Verknüpfungen als Hypothese anzubieten. „Wie, wann und mit welchen Erläuterungen er seine Konstruktionen dem Analysierten mitteilt, das stellt die Verbindung her zwischen beiden Stücken der analytischen Arbeit, zwischen seinem Anteil und dem des Analysierten.“ (Freud 1937, S. 45) Damit betont Freud das Gemeinsame am Konstruieren von Traummaterial. Und weiter fragt Freud: „...welche Garantien haben wir während der Arbeit an den Konstruktionen, dass wir nicht irre gehen und den Erfolg der Behandlung durch die Vertretung einer unrichtigen Konstruktion aufs Spiel setzen?“ (1937, S. 48) Die Erfahrung zeigt, dass, je nach Fortgeschrittenheit der Arbeit, je nach aktueller Offenheit den unbewussten Prozessen gegenüber, ganz unterschiedliche Reaktionen möglich sind. Lässt das angebotene, neue Verstehen eines Traumteiles die Träumerin unberührt, empfiehlt es sich, zu einem nächsten Traumteil zu gehen und dort die gemeinsame Eintaucharbeit fortzusetzen. Kommt ein „Nein“, so ist das zu respektieren. Oft zeigt sich in der Praxis, dass das im Verlauf der Traumbearbeitung Verneinte, am Ende der Stunde von der Träumerin selbst als passend und zutreffend formuliert wird. Je mehr Flexibilität und Eigenraum eine
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Träumerin erlebt, desto schneller kommt ein dialogischer Prozess in Gang, d. h. desto weniger Widerstand und negative Übertragung baut sich zwischen den Beteiligten auf. Bleiben Widerstand und negative Übertragung bestehen, dann sind diese in adäquater Form in den Dialog zu bringen, damit der Eintauchprozess von neuem ungehindert fließen kann. Kommt ein „Ja“, so ist zu prüfen, ob es ein authentisches „Ja“ ist oder die Zustimmung möglicherweise gegeben wird, um es der Therapeutin recht zu machen. Ein authentisches „Ja“ ist beispielsweise auch daran zu erkennen, dass im unmittelbaren Anschluss neue Erinnerungen oder Assoziationen auftauchen. Am Schluss einer solchen Traumbearbeitung verankert ein zusammenfassender Kommentar, was durch das phänomenologische Eintauchen erarbeitet wurde: Das Aufgefundene wird anerkannt, die wichtigsten Punkte zusammengefasst und die Ressourcen benannt. Es wird nach den Lebensbereichen gefragt, in denen die gewonnenen Erkenntnisse sich auswirken und in welcher Weise, und welche „ersten kleinen Schritte“ zur Veränderung ins Auge gefasst werden können. Im Hallenbadtraum erkannten wir als wiederkehrendes Beziehungsmuster die Distanzierung. Das Neue, welches Irene ansprach und zu erforschen begann, war die im Traum durch die Therapeutin ausgeführte spezielle Atemtechnik in Koordination mit der Schwimmbewegung. Diese benutzten wir für eine Körperarbeit an Atmung, Bewegung und deren Koordination. Wie diese Körperarbeit, die sich aus der Betrachtung des Traumes entwickelte, im therapeutischen Prozess und in Irenes Lebensgeschichte eingebettet ist, davon berichtet der nächste Abschnitt.
5. Der Transfer in die psychotherapeutische Praxis 5.1. Angaben zur Träumerin und Aspekte zum bisherigen Therapieverlauf Bisher wurde anhand von Entwicklungskonzepten versucht, das prozedurale Beziehungswissen von Irene hypothetisch zu formulieren und Auskunft über ihre interaktiven und intersubjektiven Möglichkeiten zu bekommen. Nun folgen einige Angaben zur Lebensgeschichte, sowie zu den Gründen und Zielen der Psychotherapie: Vor vier Jahren kam Irene wegen erneuten Burnoutsymptomen wie depressive Erschöpfungszustände, Schlafstörungen, Appetitmangel und Gewichtsverlust in die Psychotherapie. Sie war damals 48 Jahre alt, verheiratet, kinderlos und arbeitete im pädagogischen Bereich. Sieben Jahre davor hatte sie sich aufgrund derselben Problematik schon einmal fünf Jahre lang in eine Psychotherapie begeben. Bei Beginn dieser zweiten psychotherapeutischen Arbeit, die zweimal wöchentlich sitzend stattfand, fühlte sie sich erschöpft, leer und kaum arbeitsfähig. Das Zusammensein mit Kolleginnen oder mit Freunden im privaten Bereich vermied sie. Sie empfand es als eine nicht zu bewältigende Belastung. So war neben Erwerbs- und Hausarbeit kaum Kraft und Raum für anderes. Ihr gleichaltriger Mann, der tüchtig war im Beruf, mit hohem Engagement für seine betagten Eltern sorgte und für ökologische Fragen in der Gemeinde zuständig war, verstarb überraschend an einem Herzinfarkt, ein Jahr nach Beginn unserer Psychotherapie. Als Therapieziele wünschte sich die Klientin, aus der Erschöpfung herauszukommen, sich nicht mehr von andern bestimmen und einengen zu lassen,
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selbstverständlicher den eigenen Raum zu beanspruchen und die eigene Meinung gegenüber anderen klarer zu vertreten. Im Verlauf unserer Arbeit wurde ersichtlich, dass Irene zwar die Fähigkeit entwickelt hatte, körperlich-affektive Befindlichkeiten anderer aufzunehmen, ihre eigenen jedoch weder wahrzunehmen noch auszusenden in der Lage war. Auch die Fähigkeit, sich mit jemanden über ihre Befindlichkeiten auszutauschen, war kaum vorhanden. Irene zeigte eine forciert entwickelte Selbstregulation. Auf interaktive Regulationsangebote einzugehen, war ihr jedoch nicht möglich. Das wurde verständlich, als die Klientin über ihre depressive, intrusive Mutter zu erzählen begann. Die Erfahrung, dass nicht die Mutter, sondern Irene selbst die gestörte Interaktion jeweils wieder hatte reparieren müssen, schilderte die Klientin in folgender Kindheitserinnerung, die sich offenbar über Jahre fortgesetzt und Irene traumatisiert hatte: „Ich sitze am Mittagstisch vor dem halbleer gegessenen Teller. Alle Familienmitglieder sind schon lange vom Tisch gegangen. Ich darf erst aufstehen, wenn ich fertig gegessen habe. Das Essen schöpft jeweils die Mutter. Wenn ich nachmittags Schule habe, kann ich nach einer Stunde Am-Tisch-Sitzen wieder in die Schule gehen, wenn ich frei habe, sitze ich bis zum Abendessen und bekomme erst Abendessen, wenn ich vorher das Mittagessen aufgegessen habe.“ Daraus hat Irene folgende Überzeugung entwickelt: „Es wird etwas von mir gefordert, das ich nicht kann.“ Als Therapeutin empfand ich diese Formulierung für eine derart lang andauernde und traumatisierende Erfahrung mit einer zentralen Beziehungsperson nicht adäquat. Ich hatte den Eindruck, dass die Klientin weder ein klares Bild des frühen Beziehungsgeschehens hatte, noch in der Lage war, das Erfahrene emotional zu gewichten. Positive Ausnahmen gab es mit der Mutter kaum, und wenn, waren sie immer mit einem Zwang gekoppelt: z. B. sang Irene zuhause gerne mit der Mutter. Die Mutter, die sich gerne und oft in Kirchen aufhielt, zwang aber Irene, in der Kirche in Anwesenheit anderer Leute mit ihr zusammen zu singen, was Irene peinlich war. Geglückte Beziehungserfahrungen gab es mit dem Vater und dem um fünf Jahr jüngeren Bruder. Außer dem jüngeren Bruder haben sich sowohl der Vater wie der ältere Bruder und sie selbst, dem Frieden zuliebe, der Mutter untergeordnet. Zwischen Irene und der Therapeutin entwickelte sich erst allmählich eine gute Arbeitsbeziehung. Während vielen Stunden gab es Phasen, in denen sich die Klientin schweigend zurückzog. Dabei blickte sie abwesend und verloren vor sich hin. In diesen Stunden war in der Gegenübertragung zur Klientin kaum mehr Kontakt wahrnehmbar, dafür dominierten bei der Therapeutin Schwere, Anspannung und das Gefühl, dass nur schon ihr eigener Atem die Klientin stören könnte. Es wurde vorsichtig versucht, diese Gegenübertragung zu thematisieren: „Kann es sein, dass Sie, um sich ganz auf sich, auf Ihre Gedanken und Gefühle konzentrieren zu können, Stille und möglichst wenig Bewegung im Raum brauchen?“ Irene bejahte und erzählte, dass sie als Baby nur getrunken habe, wenn es absolut still und niemand als die Mutter im Raum gewesen sei. Deswegen sperrte die Mutter den um dreizehn Monate älteren Bruder in ein anderes Zimmer. Die Nahrungsaufnahme sei von Geburt an schwierig gewesen. Irene habe die Flasche von Anfang an verweigert und laut Mutter wäre Irene verhungert, wenn „ich Dich nicht zum Trinken gezwungen hätte.“ Damit schenkte die Mutter dem Kind zwar räumlich, was es brauchte, aber indem sie das Baby zum Trinken zwang, verfehlte sie die zur Entspannung des kindlichen
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Erregungszustandes nötige interaktive Regulation. Wenn sich solch prozedurales Geschehen bei Lebensbeginn täglich mehrmals ereignet, entstehen implizite Beziehungsmuster, die auch im Erwachsenen weiterwirken, ohne dass ihm dies bewusst ist. Beispielsweise kann sich auf diese Weise eine Überbewertung der Selbstregulation entwickeln und eine Skepsis gegenüber therapeutischen Interventionen. Diese Skepsis geht auf ihre Sensibilität zurückgeht, aufgrund derer Irene bereits als Säugling das Verhalten ihrer Mutter verständlicherweise als eindringend erlebte. So entsteht im Zusammensein mit Anderen schnell die Angst, von ihnen beherrscht und mit ihren eigenen Bedürfnissen nicht wahrgenommen zu werden. Im ersten Jahr unserer Arbeit wurde mit zunehmendem Vertrauen das Schweigen seltener, und Irene konnte allmählich über ihre innere Leere sprechen. Im Austausch mit der Therapeutin wurde versucht, die Bedeutung der Leere über Atem- und Körperwahrnehmungsübungen zu verstehen. Die mit dieser Klientin anfänglich selten vorkommende Körperarbeit auf der Matratze war insofern ungewöhnlich, als Irene die Matratze lange Zeit hinter den Stuhl der Therapeutin schob, so dass die Therapeutin die Klientin gar nicht sehen, sondern nur hören konnte. Die Therapeutin verstand das als einen Rückzug, der sie vor einem fordernd und kontrollierend erlebten Gegenüber schützen sollte. Geschützt vom Stuhl der Therapeutin fühlte sie sich weniger beobachtet und kontrolliert und konnte sich so mit der Zeit immer besser auf ihre Körperwahrnehmung und ihren Atem konzentrieren.
5.2. Assoziationen zum Hallenbadtraum und körperpsychotherapeutische Schritte Nachdem die Klientin den Hallenbadtraum (in der 300. Stunde) erzählt und bereits gewisse Erläuterungen zu den Phänomenen gegeben hatte, wandten sich Klientin und Therapeutin den verbalen und averbalen körperlichen Äußerungen im Sinne eines doppelten Assoziationsprozesses (Worm 2004, S. 7) zu. Als erstes begann die Träumerin über die Therapeutin im Traum zu sprechen. Eine Beobachtung betraf das Ausatmen der Therapeutin beim Zeigen der Schwimmtechnik. Das führte zu einer Körperarbeit. Irene führte die im Traum beobachtete Schwimmbewegung mit gleichzeitiger, rhythmischer Atmung im Stuhl sitzend mehrmals aus, was ihr gut gelang. Dabei suchte Irene aktiv die Augen der Therapeutin, um eine unterstützende Resonanz für ihre Bewegung zu erhalten. Die Therapeutin, die dies als kurzes gelungenes interaktives Geschehen wertete, atmete im gleichen Rhythmus mit, hielt den Augenkontakt mit der Klientin über die ganze Sequenz und begleitete sie mit bestätigenden Worten. Sich selbst mit soviel Körperausdruck und Atmung vor den Augen der Therapeutin zu zeigen, war erst seit einigen Monaten möglich geworden. Daraufhin assoziierte Irene, dass sie in der Realität beim Schwimmen immer außer Atem gerät, weil sie vermutlich etwas mit der Koordination nicht richtig macht. Es ist bemerkenswert, dass der Klientin im Traum und während der Körperarbeit im Austausch mit der Therapeutin „trocken“ etwas gelingt, das sie in der Realität im Wasser noch nicht kann. Damit wird ihrem alten, prozeduralen Beziehungswissen „Es wird etwas von mir gefordert, das ich nicht kann“ träumend und in der Körperarbeit eine neue Erfahrung entgegengesetzt. Sie kann interaktiv ein Selbstregulierungsproblem zur Sprache bringen, mag aber das „Außer-Atem-Geraten“ noch nicht weiter explorieren. Auf das Angebot der Thera-
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peutin, den Konflikt mit der Koordination von Atmung und Bewegung gemeinsam anzugehen, kann sie nicht eingehen. Irenes „Nein“ bedeutet zwar einen selbstregulatorischen Schritt, der ihre Autonomie stärkt, aber sie kann diesen noch nicht für etwas Weiterführendes nutzen. Anstatt einer interaktiven Regulierung stellen sich Rückzug, Passivität und Leere ein. Dieses Geschehen, das auch an Irenes schlaff werdendem Körper sichtbar wird, zeigt ihr nicht bewusstes prozedurales Abwehrverhalten, wenn sie befürchtet, einer Situation ausgesetzt zu werden, die sie als eindringend empfinden könnte. Eine Möglichkeit wäre, den innerpsychischen Konflikt zu deuten. Hier wird zuerst der prozedurale Weg versucht. Wenn sich nach einer Selbstregulation eine nötig werdende interaktive Regulation nicht konstellieren will, ist es gut, sich nochmals folgendes zu vergegenwärtigen: Jeder Partner bringt den eigenen regulatorischen Stil ein, beeinflusst das Verhalten des andern und wird davon wiederum beeinflusst. Darüber hinaus beeinflusst die Art, in der die Selbstregulierung jedes Partners verläuft, den Erfolg der interaktiven Regulation und umgekehrt. (Beebe 2002) Da die Interaktion Teil eines wechselseitigen Kreislaufes ist, kann jeder Partner zu jedem Zeitpunkt die interaktive Matrix verändern. Nach Heisterkamp gilt es, frühzeitig zu erkennen, wenn sich der Therapeut in ein spezifisches Übertragungsgeschehen des Klienten hineinziehen lässt und abzuwägen, wann und wie mit diesem Übertragungs- und Gegenübertragungsgeschehen umzugehen ist, damit es für den Klienten psychotherapeutisch genutzt werden kann. (2005b, S. 136) Wie bereits beschrieben hatte mich Irenes selbstregulatorisches Verhalten oft meinerseits in einen Zustand der Bewegungslosigkeit gebracht. Diesmal schien der Zeitpunkt gekommen zu sein, die schwer in Gang zu bringende interaktive Regulation zu thematisieren und womöglich zu verändern. Es versteht sich von selbst, dass Prozedurales vom Klienten selbst nicht bemerkt wird. Deshalb wäre es nicht förderlich, ihn unvermittelt explizit darauf anzusprechen. Hier wird ein Versuch gemacht zu zeigen, wie Irene an das Prozedurale herangeführt und dieses in einer Kombination von Explizitem und Implizitem bearbeitet werden kann. Die Therapeutin, die nicht nur Irenes Wünsche nach Autonomie, sondern auch nach nicht eindringender Unterstützung wahrgenommen hat, stärkt das Bezogensein indem sie explizit macht, wie sie beide nun bei einem Punkt angelangt sind, der immer wieder auftritt, wenn nämlich nach einem gelungenen selbstregulatorischen Schritt das Ungleichgewicht zwischen Irenes stark passiver und ihrer kaum wahrnehmbaren aktiven Seite sichtbar wird. Die Frage der Therapeutin, ob sie beide heute diese Polarität anschauen möchten, bejaht Irene. Dieses „Ja“ kann durchaus als Irenes Hoffnung gedeutet werden, dass zusammen mit der Therapeutin etwas Neues gelingen könnte. Als Ausgangspunkt wird ein innerpsychischer Konflikt gewählt, weil ein interpersoneller sofort wieder Rückzug auslösen könnte. Erwähnenswert bezüglich dieser Therapiestunde sind die Wechsel, die laufend geschehen, und zwar vom Impliziten, wenn durch Körperarbeit Prozedurales bearbeitet wird, zum Expliziten, wenn der Konflikt verbal (Rückzug in die Passivität nach einem selbstregulierenden Nein) angegangen wird. Da Irene sich im verbalen Bereich wohler und sicherer fühlte, konnte sie auf dieses therapeutische Angebot eingehen. Wie wir sehen werden, war dies jedoch nur für kurze Zeit möglich, denn das nächste prozedurale Geschehen wartete bereits.
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Weil nämlich in den Therapiestunden wiederholt über Irenes Passivität gesprochen wurde, wird diesmal das Aufbauen einer Szene vorgeschlagen (s. auch Worm/Handlungsdialog i. d. B.). Infolge des Angebots der Therapeutin, im Raum Symbole für ihre aktive und für ihre passive Seite zu suchen, wählt Irene zunächst lustlos irgendwelche Kissen (jede therapeutische Intervention wird als eindringend empfunden und löst emotionalen Rückzug aus), so wie sie früher bei der Mutter mechanisch ausführte, was diese von ihr verlangte. Weil dieses Verhalten nun zu Irenes implizitem Beziehungsmuster geworden ist, hat sie es verpasst, ihre eigenen Wünsche wahrnehmen zu lernen. Das beginnt sie nun zu spüren. Weil sie es aber nicht aushält, nicht zu wissen, was sie selbst möchte, führt sie das aus, was sie glaubt, das die Therapeutin von ihr erwartet. Irene erlebt nun, wie die Therapeutin auf ihre lustlosen, mechanistischen Handlungen eingeht und ihr vorschlägt, gemeinsam durch den Raum zu gehen (interaktive Regulierung). Die Therapeutin begleitet sie Seite-an-Seite durch den Raum (als das sie unterstützende Objekt), schaut mit ihr Verschiedenes an, u. a. auch Stofftiere, benennt einzelne und stellt sie in Irenes Nähe. Damit erlebt Irene, dass die Beziehung zur Therapeutin nach ihrem emotionalen Rückzug in ihr lustloses Verhalten nicht unterbrochen bleiben muss, sondern dass es eine Öffnung hin zu etwas Drittem (die Suche nach Symbolen) und ein gemeinsames Weitergehen gibt. In der Folge gelingt Irene die Wahl: Sie entscheidet sich für zwei Stofftiere. Für die passive Seite wählt sie einen größeren Hund und für die aktive Seite einen aus dem Ei schlüpfenden Dinosaurier. Indem sie die Tiere auf die Arme nimmt, kommt sie in direkten Kontakt mit ihren beiden gegensätzlichen, ungleich großen Seiten. Irene erklärt, dass der kleine „Dino“ eben erst geboren worden sei. Spielerisch lässt sie ihn „selbstschöpferische Suchbewegungen“ (Heisterkamp Ebend, S. 124) machen. Die Therapeutin beteiligt sich an dem kleinen Rollenspiel, indem sie „Dino“ begrüßt und ihn nach seinen Wünschen fragt. Die Klientin nennt in der Rolle des Dinos dessen Wünsche nach Nahrung und Betreuung. Daraufhin wendet sich die Therapeutin direkt an die Klientin und fragt, ob sie sich vorstellen könne, für den jungen Dino aktiv zu werden, was die Klientin bejaht (Jetzt-Moment). Die Therapeutin sagt, dass Irene vermutlich möchte, dass der soeben geborene Dino gedeihe (physisch-interaktives Ziel) und beginne, das Leben im Austausch mit anderen lebenswert zu finden (intersubjektives Ziel). Irene stimmt dem zu. Es berühre sie, das zu hören, sagt Irene, weil sie oft denke, das Leben sei nicht lebenswert (im Sinne Sterns: ein Moment der Begegnung). Mit dem Bearbeiten des Hallenbad-Traumes wurde es Irene möglich, sich in Anwesenheit der Therapeutin zu bewegen und zu atmen (Schwimmbewegung und die dazu passende rhythmische Atmung). Das phänomenologische Eintauchen und der verbale und emotionale Austausch über das Aufgefundene halfen ihr, die Bewegung im Traumgeschehen real in der Gegenwart der Therapeutin selber aktiv auszuführen. Das alte implizite Beziehungsmuster, das in dieser Therapieszene reaktiviert wurde, ist folgendes: was man von mir fordert, kann ich nicht, und wenn ich die Kraft aufbringe, aktiv zu werden, so tue ich lustlos, wovon ich glaube, dass man es von mir erwartet. Dadurch, dass die Therapeutin die alte Szene mit der kontrollierenden und kritisierenden Mutter mitdenkt, kann sie sich als unterstützendes Objekt einbringen und so die Szene für Irene zu einer neuen Erfahrung werden lassen: Sie überwindet die Angst, es misslinge und sie werde dafür kritisiert und nimmt sich Zeit, wahrzunehmen, zu wäh-
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len und zusammen mit der Therapeutin eine kleine Geschichte mit einem emotionalen Spannungsbogen zu erleben. Wie Stern (2005) bemerkt, wirkt die Vergangenheit in einem solchen Moment „auf die gefühlte Gegenwart ein, wird aber selbst nicht wahrgenommen. Sie ist stumm und gibt sich nur unter einem objektiven Blickwinkel zu erkennen. Sie besteht im Wesentlichen aus dem verdrängten Unbewussten und dem impliziten Nicht-Bewussten.“ (Ebend. S. 207) Das ist der Gegenwartsmoment, der genutzt wird. Der Konflikt des Rückzugs nach einer selbstregulierenden Grenzsetzung wird zwar explizit angesprochen, bearbeitet wird dieser aber prozedural auf einer interaktiv regulierenden Ebene: Nach einer Unterbrechung gibt es eine ko-kreative Wiederherstellung, d. h., währenddem Klientin und Therapeutin zusammen durch den Raum gehen und die Tiere gemeinsam anschauen und benennen, kann Irene nicht nur eine neue Gefühlserfahrung machen (gesteigerter affektiver Augenblick), welche ihr erlaubt zu wählen, sie kann auch neues implizites Beziehungswissen aufbauen und in einer symbolischen Spielhandlung die neuen Gefühle und Wünsche in einen Dialog bringen. Die Übertragung wurde nur insofern angesprochen, als es der Klientin diente zu verankern, dass sie trotz Anwesenheit eines anderen bei sich bleiben, wählen und für sich aktiv werden konnte. Das Übrige des Übertragungsgeschehens wurde nicht angesprochen. Explizit gemacht wurden die Wünsche der neugeborenen aktiven Seite und ihre eigene mütterliche Fürsorglichkeit. Wie ist die Hallenbadtraum-Stunde nun im therapeutischen Prozess eingebettet? In der Stunde vor dem Hallenbadtraum erzählte Irene von einem Sonntag, an dem sie sich überhaupt nicht gespürt habe. Sie wisse nichts mehr davon. Es sei wie ein Loch. Dieses Gefühl der völligen Passivität und Leere sei schon in ihrer ersten Therapie ein Thema gewesen. Die frühere Therapeutin habe einmal gesagt, sie fühle sich manchmal in den Stunden wie eine Vortragende mit einem sich entfernenden Publikum. Hier nun ein Ausschnitt aus der Stunde vor dem Hallenbadtraum: Irene: Es interessiert mich nun zu hören, wie es Ihnen geht, wenn ich in dieser Leere bin? (Jetzt-Moment: Dieser ist auch deshalb so wichtig, weil im Hallenbadtraum von der Therapeutin noch keine Resonanz erwartet wurde. Nun aber hat Irene eine Erwartung, die sie formuliert.) Th: Das Bezogensein, das ich üblicherweise zwischen uns spüre, kann ich in einem solchen Moment kaum mehr wahrnehmen. Beispielsweise reden wir über etwas und plötzlich ist unser Kontakt unterbrochen. Nehmen Sie das auch wahr? Irene: Jetzt eben passiert es wieder. Ich weiß nicht, was ich Ihnen antworten soll und dann ziehe ich mich zurück. Th: Beides hat hier Platz, das Wissen und das Nicht-Wissen. Irene: Das macht mich jetzt traurig, obwohl ich es auch als Entlastung empfinde. Th: Auch Entlastung und Trauer dürfen sein. Irene: Ich verstehe die Trauer nicht. Th: Kann es sein, dass Sie darüber traurig sind, welch’ langen Weg Sie gegangen sind bis jemand im Zusammensein mit Ihnen wahrnimmt, wie einsam Sie sich in einem solchen Moment fühlen? Irene: Ja, und wie hilflos. Ich werde viel als die Starke wahrgenommen. Darin fühle ich mich überhaupt nicht erkannt. Dann kommt diese Frage: was für einen Sinn hat das Leben noch? Th: Auch mit dieser Frage fühlten Sie sich lange allein. Irene: schweigt ca. drei Minuten, dann: „Jetzt habe ich gespürt, dass ich atme“. (Gegenwartsmoment)
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Th: Wie gut, das zu spüren. Irene: Sie haben mir einmal, als ich mich nicht mehr spürte, die Hand auf die Schulter gelegt und damals spürte ich: „Ich atme“. (Der Gegenwartsmoment aktiviert einen Moment der Begegnung aus unserer gemeinsamen Vergangenheit.) Th: Und eben spürten Sie Ihren Atem im Zusammensein mit mir, sogar ohne dass ich Ihnen die Hand auf die Schulter gelegt habe. (Damit wird Irene gezeigt, wie sie einen Moment der Begegnung aus der Vergangenheit in der Gegenwart nutzen kann.)
Diese Sequenz illustriert, wie die Klientin a) fähig geworden ist, ihre eigene körperliche Befindlichkeit (der Leere) wahrzunehmen und der Therapeutin mitzuteilen, b) wie sie eine interaktive Regulierung benutzt, um sich selbst zu regulieren (sie erinnert sich, durch die Berührung der Therapeutin den Kontakt zu sich selber und zu ihrer Atmung wieder gefunden zu haben), und wie sie c) die Fähigkeit erworben hat, mit der Therapeutin darüber in einen Dialog zu kommen. Das war das Geschehen in der Stunde vor dem Hallenbadtraum. Dann folgt die Stunde mit dem Hallenbadtraum. Bevor nun von der Therapiestunde nach dem Hallenbadtraum berichtete wird, lohnt sich ein kurzer Blick zurück auf den Anfang unserer psychotherapeutischen Arbeit. Um Veränderungen während eines Therapieprozesses festzustellen, werden Kriterien wie Anmeldungsgrund, Therapieziele (Abschnitt 5.1) und der Initialtraum herangezogen. In der Stunde vor dem Hallenbadtraum gelang es Irene, sich an das repetitive Verhalten des plötzlichen Rückzuges während eines Beziehungsaustausches mit der ersten Therapeutin zu erinnern, und dies mit mir wieder zu erleben, durchzuarbeiten und neue Verknüpfungen im Körper zu machen (Erinnerung an die Berührung der Schulter und das Spüren des eigenen Atmens). Wenn wir uns das vergegenwärtigen, wird deutlich, dass wie Irene die interaktive Regulierung diesmal als nicht eindringend erlebt (beides hat hier Platz, das Wissen und das Nichtwissen, etc.) und dass es ihr im Anschluss glückt, autonom und sich selbst regulierend aus der Leere und Erschöpfung herauszukommen (jetzt habe ich gespürt, dass ich atme), was ihrem ersten Therapieziel entspricht. Nun noch zum Initialtraum von Irene (4. Therapiestunde): „Ich sehe drei Gruppen von Leuten (ungefähr zehn Leute pro Gruppe). Die Einen sind blau, die Andern grau oder grün, die Dritten braun. Die Kleider und die Gesichter haben dieselbe Farbe. Sie sind in Bewegung, gehen durcheinander. Dann gruppieren sich die Blauen und stellen sich in einer Reihe vor einem Eingang auf. Sie warten darauf, dass sie einzeln hineingehen können. Ich stelle fest, dass der Eingang beim Haus meiner Therapeutin ist, jedoch rechts vom Hauseingang, wo es in die Tiefgarage geht.“
Wenn wir Initial- und Hallenbadtraum vergleichen, so stellen wir fest, dass Irene im Geschehen nicht mehr nur Beobachterin ohne eigene Aktivität ist, sondern dass sie im Hallenbadtraum selbstverständlich eigenen Raum beansprucht (eines ihrer genannten Therapieziele) und aktiv wird. Die neuesten Forschungen haben gezeigt, dass Hirnareale auch feuern, wenn wir lediglich beobachten, aber wir entwickeln zusätzliche Fähigkeiten, wenn wir uns selbst bewegen. Im Initialtraum zeigt Irene ihre Strukturierungsfähigkeit, wie aus Ungeordnetem Ordnung entsteht und wie Farben, ihre, wie sie selber sagt, verschiedenen Bewusstseinsstufen symbolisierend, unseren weiteren Therapieprozess beschreiben. Zuerst kommen die Blauen (Irene assoziiert zu den Leuten, die einzelnen Therapiestunden): Die Blauen, ihre bewussten Anteile, warten in Reih und Glied auf Bearbeitung. Die Braunen oder Grünen, ihre bewusstseinsferneren und die Grauen, ihre unbewussten Anteile sind noch nicht voneinan-
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der unterschieden, befinden sich aber vor dem Eingang in die Tiefe. Soweit der kurze Blick auf den Psychotherapiebeginn. In die Stunde nach dem Hallenbadtraum bringt Irene einen weiteren Traum, den Bibliothekkarten-Traum: „Ich habe von Ihnen geträumt. Sie sagen mir, dass Sie wie ich auch eine solche Karte haben, um in der Bibliothek Bücher zu holen. Sie stehen hinter einem offenen Fenster. Es kann sein, dass Sie bei mir zu Hause reinschauen. Ich liege noch im Bett und Sie sagen es mir durch das Fenster in mein Bett. Ich wache auf, weiß, dass ich heute Morgen zu Ihnen in die Stunde komme und freue mich darauf.“
Mit diesem Traum stellt die Träumerin eine Verbindung mit ihrer Therapeutin her: Die Träumerin lässt die Therapeutin szenisch in ihre Nähe und es kommt zum Blickkontakt durchs Fenster, was nach dem Hallenbadtraum ein Entwicklungsschritt in Richtung Verbundenheit, resp. emotionale Bezogenheit ist. Hier holt sie sich Blickkontakt und stimmlichen Austausch (prozedurale Intersubjektivität), d. h. es wird träumend ein Mangel an Blickkontakt (wegen der traumatisch erlebten Beziehung zur Mutter) wettgemacht. Dies zeigt Irenes Bereitschaft für einen emotionalen Beziehungsaufbau mit der Therapeutin. Auch wenn Irene im Bett liegt, ist sie von Traumbeginn an Beteiligte: Sie tauscht die Blicke mit der Therapeutin aus und hört ihr zu. Sowohl das Gehörte, wie die Blicke, wie auch das Wissen um die kommende Therapiestunde lösen bei der Träumerin ein freudiges Gefühl aus. Und dieser interaktive und intersubjektive Austausch geschieht in einer begrenzten Verbundenheit, d. h. es findet ein emotionaler Austausch mit der Therapeutin statt trotz der Begrenzung. Es darf zwischen Klientin und Therapeutin beides gleichzeitig sein: die Begrenzung (durch Innen- und Außen-Räume) und der emotionale Austausch (durch Blicke: implizite Intersubjektivität und durch Sprache: explizite Intersubjektivität). Hinzu kommt nun Sprache, d. h. Irene träumt, dass die Therapeutin ihr sagt: Ich bin wie Du, wir haben die gleichen Karten (für die Bibliothek). Wir haben ein gemeinsames Interesse: die Freude an und den Zugang zu Büchern. Damit wird der intersubjektive Austausch auch explizit gemacht. Gleichzeitig erhält Irene, etwas, was der Hallenbadtraum noch nicht zeigt, von der Therapeutin Resonanz auf etwas Implizites im Traum (die Bibliothekkarte der Träumerin). Das deutet an, dass Irene weiß, dass sie und ihre inneren Zustände mental bei ihrer Therapeutin repräsentiert sind und sich bei ihr die Fähigkeit zur Mentalisierung (Fonagy et al. 2004) entwickelt. In diesem Traum kommen auch alle Kriterien einer Traumgeschichte vor: das Regulierende im Interaktiven (Irene holt die Therapeutin in die Nähe aber nicht in den gleichen Raum und sie schauen sich gegenseitig an), der intersubjektive Austausch (beide haben Freude an und Zugang zu Büchern) und die Verständigung über Worte. Eine Traumerzählung ist auch eine inszenierte Geschichte mit einem emotionalen Spannungsbogen mit einem Anfang, einem Höhepunkt und einem Schluss. Zur Stärkung ihrer intersubjektiven Kompetenz wird der Klientin mit emotional abgestimmten Worten der Traum nochmals erzählt, um die früher spärlich erfahrene Affektspiegelung in der erwachsenen Frau besser zu etablieren und die Entwicklung der Fähigkeit zur Mentalisierung (Fonagy u. Target 2002b) weiter zu vertiefen. Zu Beginn der Psychotherapie hatte sie noch wenig Vorstellung davon, dass Beziehung fördernd und nicht nur eindringend und fordernd sein muss. Dieses Wissen war noch nicht bewusst zugänglich, ihr implizites Beziehungswissen war traumatisch durchtränkt. Aufschlussreich wäre zu fragen, ob das gleiche Ziel erreicht worden wäre, hätte die Therapeutin den Zugang nicht auf der pro-
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zeduralen, sondern auf der Ebene des Konfliktes gesucht? Grundsätzlich können wir nicht a priori wissen, ob etwas aus dem impliziten prozeduralen Wissen oder aus einem Konflikt kommt. Das können wir jeweils erst aus weiterem Material ersehen. Das implizite Beziehungswissen ist nicht der psychoanalytischen Konflikttheorie unterstellt. Es kann lange ruhen, resp. die Klientin weiß um nichts anderes. Es ist ihr nicht bewusst, was sie über Beziehungen weiß. Als Therapeutin führe ich die Klientin an ihr implizites Beziehungswissen heran. Dank den neuen Beziehungserfahrungen zwischen den beiden wird altes implizites Beziehungswissen neu überschrieben. So gewinnt die Klientin nicht nur an Sicherheit, sondern es wird möglich, von der Handlungs- auf die Vorstellungsebene zu kommen und somit zur seelischen Repräsentanz. Wenn etwas den Weg zur Symbolisierung noch nicht gefunden hat, braucht es den handelnden Dialog zwischen Therapeutin und Klientin, bis beides, das implizite Beziehungswissen und der psychodynamische Konflikt, sicht-, unterscheid-, benennund bearbeitbar wird. Wenn der Hallenbadtraum bei der Klientin die aktive und interaktive Seite anregte, so half der Bibliothekkarten-Traum, abgegrenzte, intersubjektive Erfahrungen mit der Therapeutin zu machen ohne sie als eindringend zu erleben. Vorangegangen war ein gemeinsamer Prozess, wie interaktiv-regulierend alte Beziehungsmuster zu neuen Beziehungserfahrungen verändert und repräsentiert werden können.
5.3. Vom gegenseitigen Imitieren zur synchronen Bewegungs-Interaktion Angeregt durch den Hallenbadtraum hat sich zwischen Irene und der Thera3 peutin im Verlauf einiger Stunden ein Imitier-„Spiel“ etabliert. Dabei geht es nicht nur um die auszuführenden Handlungen, sondern um innere Erfahrungen, um etwas Mentales, auf das Irene nun aufmerksam geworden ist. Am mentalen Leben eines andern zu partizipieren kreiert in uns einen Sinn für das Handeln, Teilnehmen und Verstehen einer andern Person. Irene bittet die Therapeutin, mit dem Vormachen zu beginnen und ist bereit, danach die Rolle der Instruierenden zu übernehmen. Die Therapeutin ist einverstanden und bittet die Klientin darauf zu achten, was sie beim jeweiligen Durchgang körperlich, emotional und kognitiv erlebt in Bezug auf sich selbst, die Therapeutin und den Raum zwischen ihnen beiden. Irenes Kommentar (im Anschluss an die Übung): „Wenn ich die Imitierende bin, habe ich immer Angst, dass ich das sowieso nicht kann (altes implizites Beziehungswissen). Und dann komme ich sofort in einen Widerstand (neues Konfliktbewusstsein). Anfangs dachte ich, dass es schwieriger ist, als es dann tatsächlich war. Das Nachmachen ist mir gelungen (neue Erfahrung). Es war einfacher, weil ich den Abstand zu Ihnen mit meinem Oberkörper kontrollieren konnte (ihre körperliche Fähigkeit zur Selbstregulation und ihr dafür entwickeltes Bewusstsein). Jetzt denke ich, es ist wie im Hallenbadtraum, in dem der Abstand auch wichtig war (retrospektive Erkenntnis). – Wenn ich diejenige bin, die die Bewegung vorgibt, habe ich ein besseres Gefühl, weil ich die größere Wahl habe (Autonomie). In dieser Rolle bin ich aber etwas mehr bei Ihnen, weil ich mir im Voraus vorstellen muss, was Sie dann machen müssen (Empa-
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Dabei handelt es sich um eine Adaptation einer Pesso-Übung (1969). Diese Körperbewegungen (z. B. mit Kopf, Armen, Beinen) oder die Schritte durch den Raum dienen der Selbst-, der Fremd- und der räumlichen Wahrnehmung in der Rolle als Instruierende oder Instruierte.
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thie). In dem Moment, in dem wir beide mit ausgestreckten Armen dastanden und die Handrücken nach unten zeigten, kam der Wunsch in mir auf, mit Ihnen zusammen etwas zu tragen (Wunsch nach Gemeinsamkeit).“ Auf die Frage der Therapeutin, was das sein könnte, antwortet Irene: „Eine kleine Weltkugel.“ Im Praxisraum befindet sich eine größere Tonkugel, die beide anschauen. Die Therapeutin holt die Kugel und streckt sie der Klientin zum Mittragen entgegen. Es haben alle vier Hände Platz, ohne dass sie sich berühren müssen. Die Therapeutin trägt anfangs mehr vom Gewicht. Ohne zu sprechen entsteht nun ein Hin und Her zwischen Klientin und Therapeutin, indem abwechselnd die eine oder andere das Gewicht der Kugel übernimmt, einmal etwas mehr, einmal etwas weniger, manchmal tragen beide ungefähr gleichviel. Kommentar von Irene: „Ich habe etwas Positives erlebt und ganz ohne den Widerstand, den ich sonst sofort spüre. Im Moment, in dem ich mehr Gewicht übernahm, hatte ich Angst, dass die Kugel runterfällt. Positiv war, dass ich fühlte, wie sicher ich stand und nicht das Bedürfnis hatte, mich zurückzuziehen.“
Diese gemeinsam kreierte Erfahrung zwischen Klientin und Therapeutin wird zum Verankerungspunkt in der gemeinsamen Geschichte. Sie repräsentiert in eindrücklicher Weise, wie dieses interaktive, prozedurale Wechselspiel half, die Übergänge zwischen interaktiver- (zusammen das Gewicht tragen) und Selbstregulation (selbst mehr vom Gewicht tragen) gemeinsam zu üben. Damit fand Irene erstmals Zugang zur interaktiven Regulation, ohne dass dieser psycho-dynamische Konflikt explizit formuliert worden wäre. Dies bestätigt, dass bei dieser Klientin prozedurales Erleben mit anschließendem verbalem Austausch weiterführend ist. Wie die nächsten fünfzig Psychotherapiestunden zeigen, ist es für einen traumatisierten Menschen, der immer wieder in tief depressive Phasen kommt, schwer, sich die neurowissenschaftlich fundierte Faustregel „use it or loose it“ zu eigen zu machen. Deshalb wird es von Irene und der Therapeutin noch viel geduldige Arbeit brauchen, um diesen in der therapeutischen Dyade erstmals erlebten Zugang zur interaktiven Regulierung körperlich, kognitiv und auch emotional weiter zu verankern. Es wird interessant sein zu beobachten, wie Nachfolgeträume in Bezug auf das implizite Beziehungswissen aussehen werden.
5.4. Fünfzig Stunden später In den fünfzig folgenden Stunden gibt es immer wieder depressive „Einbrüche“, welche Irene als „Löcher“ beschreibt, in denen sie sich vollkommen unfähig erlebt, in irgendeiner Weise aktiv zu werden. Sie fühlt sich kaum. Wenn sie sich spürt, beschreibt sie es als: „ich fühle mich schlecht“, „unfähig“, „total passiv“. In solchen Phasen frage auch ich mich, wo unsere Aufbauarbeit geblieben ist, die wir vier Jahre lang, aber auch im Zusammenhang mit den beiden Träumen geleistet haben? „Greift“ unsere Arbeit überhaupt? Versuche, ihre Ressourcen anzusprechen, brachten sie in den alt bekannten Zustand: „Ich bin unfähig“. Ich bekam mehr und mehr den Eindruck, dass Irene das, was wir erarbeitet hatten, immer wieder „verspurlosen“ ließ. Ich fragte mich und später auch die Klientin, ob dieses Verspurlosen möglicherweise Irenes kreative Bewältigungsstrategie ihrer alles bestimmenden Mutter gegenüber darstellen könnte. Alles gemeinsame Erleben mit der Mutter zu „löschen“, sich in Todesphantasien zurückzuziehen: das war offenbar ihr gefundener „Ausweg“, aus
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4 dem unerträglichen Beziehungsgeschehen. Hofer-Moser (2006) spricht in solchen Phasen von „Inseln“, die, wenn auch schon recht groß, noch nicht zu einem zusammenhängenden und überall tragenden Festland geworden sind. Gerade weil ihr diese neu entstandenen Inseln jetzt ausreichend bewusst geworden sind, wird auch der alte Mangel prägnanter und bewusster und muss über Trauer und Depression nochmals neu bewältigt werden. Ein weiterer Traum bringt schließlich eine Wende.
Der Prüfungs-Traum (355. Stunde): „Ich bin an einer schriftlichen Prüfung. Wir müssen zu drei Themen Stellung beziehen. Die Prüfungen werden eingesammelt, später bekommen wir sie zurück. Der Prüfende nennt jemanden und sagt, er hätte zwei Punkte. Dann ruft er mich auf und sagt, ich hätte Null Punkte. Ich nehme das Blatt und zerreiße es, ohne ein Wort zu sagen. Die meisten Andern scheinen alle drei Punkte zu haben.“
Welches implizite Beziehungswissen zeigt dieser Traum? Irene ist erstmals Teil einer Gruppe! Dieses neue prozedurale Beziehungswissen konnte sie verankern. Neu erscheint in diesem Traum deutlich das psychodynamische Konfliktmaterial. Irene wagt, einer Autorität gegenüber ihre Meinung zu äußern; 5 vorläufig allerdings erst prozedural, d. h. spontan handelnd. Für das Durchsetzen der eigenen Meinung (Irenes letztgenanntes Therapieziel) braucht es deshalb noch weitere, auch explizite Schritte. Ausgehend davon, dass alle im Traum erscheinenden Anteile, eigene Anteile repräsentieren können, legt die Klientin in dieser Therapiestunde symbolisch für alle erscheinenden Prüflinge Kissen auf den Boden: für die Zweier, die Nuller und die Dreier. Ich schlage ihr vor, sich zuerst an den Ort eines Prüflings mit drei Punkten zu stellen und sich einzufühlen. Sie nimmt wahr, wie gut sie hier stehen kann, wie leicht ihre Schultern werden und wie stark sich ihre Wirbelsäule anfühlt. Sie erinnert sich, wie die Therapeutin in ihrer ersten Therapie schon sagte: „Sie wagen nicht, Erste zu sein.“ Damit erinnert sich Irene an eine unterstützende Beziehungssituation aus der Vergangenheit (mit ihrer früheren Therapeutin). In der Stunde, die auf den Prüfungstraum folgte, spricht Irene erstmals von ermunternden Erfahrungen mit ihrer Großmutter mütterlicherseits, die sie jeweils ermutigt habe, die eigene Meinung zu äußern. Ich erwähne nebenbei, wie klar sie im Prüfungs-Traum der letzten Stunde wagte, Ihre Meinung gegenüber einer Autorität handelnd kundzutun. Das Implizite des Traumes mache ich also erst eine Stunde später explizit. Die Träumerin fügt bei: „Ja, und wie ich zu meinem inneren Anteil »Nein« sagen konnte, der den Nullpunkten (TraumaPol) soviel Raum gibt und den vielen Drei-Punkte-Anteilen (Ressourcen-Pol) keine Beachtung schenkt.“ Damit ist Irene etwas Implizit-Prozedurales aus der Traumbearbeitung der letzten Stunde bewusst geworden. Dies konnte sie als innerpsychischen Konflikt explizit machen. Durch die therapeutische Intervention am Ressourcen-Pol (Einfühlen lassen in das Dreier-Resultat im Traum) wurde das Kippen in den Trauma-Pol erschwert. Das sprachliche Anerkennen des handelnden Ausprobierens eines eigenen Weges in der nächsten Stunde (die eigene Meinung gegenüber einer Au4
Persönliche Mitteilung Wie Heisterkamp und Geißler (i. d. B.), Leuzinger-Bohleber zitierend, betonen, haben Patienten mit mangelnder Symbolisierungsfähigkeit kaum andere Möglichkeiten, als innere Konflikte durch Handlungen darzustellen. 5
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torität handelnd kundzutun) ermöglichte Irene, ihrem impliziten affektiven Erleben selbst eine explizite Bedeutung zu geben. Damit gelang ihr eine Verbindung zwischen der prozeduralen und der expliziten, narrativen Ebene. In der 358. Stunde berichtet Irene: „Es geht mir jetzt so viel besser, obwohl sich äußerlich nichts geändert hat. Ich arbeite am gleichen Ort, mit den gleichen Leuten und doch ist etwas geschehen, was mir ein ganz neues Lebensgefühl gibt. Ich war in einem Zustand von totaler Sinnlosigkeit, wie in einer Wüste. Ich brauchte alle Energie, um zu überleben. Nun habe ich aus der Wüste der Sinnlosigkeit herausgefunden. Ich sehe, dass die Wüste nicht dauerhaft ist. Die Wüste liegt hinter mir, der Nebel hat sich gelichtet und ich beginne wieder zu leben.“ Neben dem hier dargestellten Prozess waren therapeutisch nicht nur die Übertragungsanalyse wichtig, sondern viele unterstützende, anerkennende, den alten Teufelskreis durchbrechende Interventionen, die Irene unmittelbar regulierten. So konnte sie ihre jahrelang erlebte Hilflosigkeit in selbst gestaltetes Leben transformieren.
6. Zusammenfassende Erkenntnisse und Fazit für die Praxis Ziel dieser Arbeit war es, aufzuzeigen, wie Erkenntnisse aus der psychoanalytischen Traumtheorie, aus der Gedächtnis- und aus der Säuglingsforschung für das Verstehen von implizitem Beziehungswissen in Träumen von Erwachsenen in den körperorientierten Psychotherapieprozess integriert und praktisch genutzt werden können. Es zeigte sich, dass das Modell von zwei unterschiedlichen Gedächtnissystemen klärend wirkt: das System des Impliziten und das System des Expliziten. Es wurde speziell auf das implizite Beziehungswissen (implizites relationales Wissen) eingegangen, welches nach Stern (2005) das „Zusammensein mit Anderen“ begrifflich fasst. Implizites Beziehungswissen ist der Bereich des Wissens, der aus motorischen Abläufen, Affektmustern, Erwartungen, aber auch Denkmustern besteht, der nonverbal und nicht bewusst ist. Dies alles finden wir auch in unseren Träumen. Es bleibt zu fragen: wie gelingt uns der Übergang in die Welt des expliziten Wissens? Es wird immer wieder eine neue Herausforderung sein, den Traum, der eine „tiefe Selbstwahrnehmung in Bildern“ (Benedetti 2006) ist und einen schöpferischen Prozess des Denkens und Fühlens in Gang bringt, in Worten wiederzugeben; und zwar deshalb, weil beide Gedächtnissysteme an diesem Geschehen beteiligt sind: das Implizite, welches das Traumbild prozedural erfasst, und das Explizite, welches das im Traum Erlebte in Worte übersetzt. Von uns Therapeuten verlangt die Bearbeitung eines Traumes mit einem Klienten eine besondere Achtsamkeit hinsichtlich der Gedächtnissysteme, aus denen heraus kommuniziert wird. Teilt sich einer der Beteiligten unvermittelt aus einem anderen Gedächtnissystem mit als bisher, ist es wichtig, dies wahrzunehmen. Die zweite Frage dieser Arbeit war, wie dieses erweiterte Verständnis zusammen mit körperpsychotherapeutischen Elementen angewendet werden kann? Um dieses Geschehen auf beiden Ebenen (implizite und explizite Ebene) zu unterstützen, wird bei der Aufarbeitung eines Traumes im Rahmen der psychoanalytischen Körperpsychotherapie zuerst mit der expliziten Ebene, d. h. mit dem „Eintauchen in die erlebte Phänomenologie“ eines Traumes begonnen. Wie bei einer Geschichte befragt die Therapeutin die Träumerin nach dem Wo? Wann? Wer? Was? Wie? Dadurch wird die Träumerin motiviert, genau zu beo-
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bachten und zu beschreiben, was sie im Traum erlebt hat. Das gibt der Therapeutin die Möglichkeit, sich dem Traum ebenfalls anzunähern und zu überlegen, wo auf Implizites eingegangen werden könnte, z. B. auf das „Wie“ einer im Traum vorkommenden Bewegung. Erst diese auf der expliziten Ebene differenziert erarbeiteten Traumdetails ergeben das Material, aus dem implizites, prozedurales Wissen erfasst, u. U. wieder erlebt und neu formuliert werden kann. Dabei sind sowohl Bilder aus dem Traum wie auch der im Traum erscheinende und erlebte Körper wegleitend. Es wird versucht, frühere Körper- und frühere, implizite Beziehungsmuster in ihrer Bedeutung zu erkennen, zu verstehen und diese mit Methoden der psychoanalytischen Körperpsychotherapie für neue Beziehungserfahrungen zu öffnen. Dabei kann es im Hinblick auf den psychotherapeutischen Prozess von Nutzen sein, während der Traumbearbeitung Übertragungs-Phänomene aufzunehmen und deren Entfaltung zu ermöglichen. So kann es im Zusammenspiel zwischen Klientin und Therapeutin zu „impliziten Wandlungserfahrungen“ (Heisterkamp 2001a) kommen. Dies wurde anhand von zwei Träumen während drei aufeinander folgenden Psychotherapiestunden aufgezeigt. Mit dem während der Bearbeitung des Hallenbadtraumes entstandenen Rückzug der Träumerin stellte sich zwischen Klientin und Therapeutin ein Beziehungskontext her, der vermutlich vergleichbar ist mit demjenigen, in welchem der Rückzug entstanden war. So konnte dieses Beziehungsgeschehen, das zu einem ihrer alten impliziten Beziehungsmuster gehörte, angesprochen, bearbeitet und in neue Beziehungserfahrungen gebracht werden. Diese Transformation geschah primär in einer prozeduralen Handlung zwischen Klientin und Therapeutin und erst in einem zweiten Schritt durch explizites Ansprechen des Konflikts. D. h. die sprachliche Symbolisierung erfolgte erst, nachdem vorher das sprachlose und ohne reflektierendes Bewusstsein Erlebte abgelaufen war. Der Vierklang Träume, Körperpsychotherapie, Säuglings- und Gedächtnisforschung vermittelt nicht nur diagnostische Orientierung und differenzierte Therapiewege im Umgang mit den beiden Gedächtnissystemen, sondern er ermöglicht auch einen vertieften Einblick in den psychotherapeutischen Entwicklungsprozess.
Maria Steiner Fahrni, Dipl. Psych., Psychotherapeutin SPV, Körperpsychotherapeutin, Lehrtherapeutin, Supervisorin und Dozentin am Psychoanalytischen Seminar Zürich und am Schweizerischen Institut für körperorientierte Psychotherapie (SIKOP) Adresse: CH-8702 Zollikon, Guggerweg 17 E-Mail:
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Unbehagliche Anfänge: Wie man Psychotherapie mit schwierigen Patienten in Gang setzen kann George Downing Aus dem Englischen übersetzt von Wolfgang Mayr Berüchtigterweise sind manche Patienten am Beginn einer Psychotherapie extrem widerständig. Misstrauisch und ängstlich, scheint das, was sie sagen und wie sie sich verhalten, die Sitzungen oft zu einer Atmosphäre der Schalheit zu reduzieren. Viele leiden, diagnostisch gesehen, an Borderline-Störungen, Psychosen, Schizophrenie oder bipolaren Störungen – häufig liegt eine Komorbidität vor. Drogenmissbrauch, Selbstverletzung, eine Essstörung und/oder exzessive Aggression können zu den Begleitumständen gehören. Diese Patienten können auch stark ausgeprägte und unangenehme Gegenübertragungs-Reaktionen hervorrufen. Der Analytiker oder Psychotherapeut (von nun an: Therapeut) mag sich zeitweise unfähig, bedrückt, nicht anerkannt, verwirrt, auf schmerzliche Weise verwundbar oder ärgerlich fühlen. Mit dem Auf- und Abebben dieser Gefühle können diese in weiterer Folge die Therapie behindern. Ausagieren, Kollusionen und Machtkämpfe können, mit negativer Beteiligung von beiden Seiten, das Interaktionsfeld zu beherrschen beginnen. Eine vernünftige Lösung dieses Dilemmas stellt die strenge Selektion dar, wer in Therapie aufgenommen wird. Es kann einfach die Tür vor Patienten verschlossen werden, die keine richtige Behandlungsbereitschaft zeigen. Das ist, in unterschiedlichen Ausprägungen, die Lösung Kernbergs und seiner Kollegen (Kernberg 1984b, Clarke et al. 2006) und auch die Linehams. (1993) Beide setzen von Beginn an die Latte hoch. Bei Kernberg muss der Patient bestimmte Standards der Befragungsfähigkeit erfüllen. Diese Bereitschaft wird durch das bekannte „strukturelle Interview” oder ähnliche Vorgehensweisen erhoben (Kernberg 1984b). Lineham fordert von seinen Patienten, dass sie die Regeln und Einschränkungen eines umfangreichen Verhaltensprogramms mit verschiedenen Komponenten und „Modulen” akzeptieren. Zusammen mit weiteren Erfordernissen muss der Patient bereit sein, sich auf das „Gesamt-Paket” einzulassen. (Lineham 1993) Beide Behandlungs-Strategien haben ihre Vorteile – aber auch ihren Preis: Eine nicht unerhebliche Untergruppe von Personen, die Therapie dringend be1 nötigen würde, bleibt auf diese Weise auf der Strecke . Die Frage ist daher, ob es Alternativen gibt.
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Dieses Problem ist vor allem in Europa brisant, wo nach wie vor in psychiatrischen Abteilungen von Krankenhäusern Psychotherapie angeboten wird.
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Ein anderer, weniger strenger Ansatz ist in den letzten Jahren entstanden. Viele Psychoanalytiker und analytisch inspirierte Psychotherapeuten glauben mittlerweile, dass die differenzierte Beachtung des Ausagierens in der therapeutischen Beziehung eine wichtige Rolle spielt. Der Gedanke dahinter ist, dass Enactments nicht nur unvermeidbar sind, sondern dass es Möglichkeiten gibt, sie in vorteilhafter Weise für den therapeutischen Prozess zu nutzen. Mitchell (1998) hat diese Sichtweise zusammengefasst als eine, die den Therapeuten als in Strukturen und sich wiederholenden Konfigurationen der Beziehungs-Matrix des Analysanden verstrickt sieht. Die Anstrengung, einen Weg aus dieser Verstrickung herauszufinden, die damit verbundenen gemeinsamen Bemühungen von Analytiker und Analysand, diese Konfigurationen zu beobachten, zu verstehen und andere Kanäle der Begegnung zu entdecken, bilden den „Knackpunkt“ in der analytischen Veränderung. Neue Kanäle zu entdecken: Die Annahme besteht hier, dass etwas Neues auf beiden Seiten passieren muss. Modelle, die eine „Zwei-Personen-Psychologie” in den Vordergrund stellen, begleiten oft eine derartige Perspektive. (Z. B. Aron 1995) Es kommt auch häufig zu einer Anlehnung an die neue Kindheitsforschung, speziell an diejenigen mikro-analytischen Studien, mit denen sorgfältig der Austausch, der Sekunde für Sekunde (oder in noch kürzeren Zeitabständen) zwischen Eltern und Kindern stattfindet und kodiert wird. (Z. B. Beebe 2000, Fivaz-Depeursinge & Corboz-Warnery 1999, Fogal 1993, Stern 1985, Tronick 1998) Geradeso wie Eltern und Kinder ständig einander beeinflussen, so tun das – und das ist die Idee dahinter – Therapeut und Patient in gewissermaßen analoger Weise. Begriffe wie „zweiseitige Prozesse” oder „gegenseitige Beeinflussung” scheinen das Versprechen einer neuen Sichtweise für das Verständnis der therapeutischen Beziehung in Aussicht zu stellen. Eine solche Orientierung, die das Enactment hervorhebt, ist üblicherweise als allgemeine, für alle Patienten geltende Arbeitsweise, beabsichtigt. Sie wird nicht als spezifisch für die Behandlung stark gestörter Patienten betrachtet. Es können jedoch in der Literatur Fallbeispiele gefunden werden, die in das diagnostische Profil passen, mit dem ich mich auseinandersetze. Da wurden befremdliche, turbulente, labyrinthische Sackgassen aufgezählt, und auch Schlüs2 se für Techniken zur Behandlung solcher Patienten gezogen. Der therapeutische Ansatz, den ich beschreiben will, ist ziemlich ähnlich geartet. Jedoch schlage ich – im Gegensatz zu anderen Techniken – eine ungefähre Aufeinanderfolge von klinischen Schritten vor, während in den völlig offenen Modellen psychodynamischer Ausrichtung stärker strukturierte Techniken vorzufinden sind. In dieser Hinsicht hat mein Ansatz Affinitäten zu Kernbergs Sichtweise, ist jedoch wesentlich weniger stringent hinsichtlich des Kriteriums, wer in Behandlung aufgenommen wird und wer nicht. Der Stil, der therapeutischen Beziehung besondere Aufmerksamkeit zu widmen, ist den gegenwärtigen Beziehungs- und Intersubjektivitäts-Modellen näher. Das meiste, was ich dazu beizutragen habe, steht den Ansichten von Beebe und Lachmann (2002), Ehrenberg (1992, 1995), Knoblauch (1997), Streeck (2004) und den Mitgliedern der „Boston Change Process Study Group” (Tronick et al 1998, Stern 2004) am nächsten. Gemeinsam ist diesen Autoren die Hervor3 hebung des „close tracking” , einer Wachsamkeit gegenüber feinsten Nuancen 2 3
Siehe Gabbard (1998), der einen guten Überblick gibt. Übersetzt: „dicht auf den Fersen sein“ (Anm. d. Übers.).
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im therapeutischen Austausch. Es ist kein Zufall, dass die meisten der genannten Autoren sowohl einen „Kindheitsforscher-Mantel“ als auch einen „Psychoanalytiker-Mantel“ tragen bzw. getragen haben.4 Was mich selbst betrifft, be5 ziehe ich mich auf einen vergleichbaren Hintergrund. Ich möchte an dieser Stelle das, was ich die „Körper-zu-Körper-Architektur“ der therapeutischen Beziehung nenne, hervorheben. Das bedeutet: den Fluss, die gegenseitige Verknüpfung von Körper-Vorgängen, die beide Personen ins Spiel bringt: deren Gesten, Bewegungen, Tonfall, Gesichtsausdruck, Veränderungen der Körperhaltung und dergleichen. Meine Annahme ist: obwohl es allgemein akzeptiert ist, dass wir unsere Augen und Ohren im nonverbalen Geschehen brauchen, so ist in Wirklichkeit diese Ebene des Austauschs eine weit6 gehend ungenutzte Ressource. Vieles von dem, was ich vorschlage, ist auf die psychodynamische Psychotherapie insgesamt anwendbar, nicht nur auf die Körperpsychotherapie; dennoch werde ich einige spezielle Implikationen für Körperpsychotherapie diskutieren. Es gibt mittlerweile eine starke Denktradition darüber, wie psychoanalytische Ansätze zur therapeutischen Beziehung mit körperpychotherapeutischen Methoden kombiniert werden können. Unter anderen haben Aalberse (2006), Cornell (2002), Geißler (1998b, 2002, 2005d), Heisterkamp (1993, 2002a), Klopstech (2002), Moser (1989, 2001) und Worm (1994, 1998) bedeutsame Bei7 träge dazu geliefert. Ein ähnlicher Standpunkt wird im Folgenden reflektiert. Bevor ich mich den erwachsenen Patienten zuwende, muss ich ein Thema der frühen Entwicklung aufwerfen. Von großer Bedeutung für Kliniker ist das, was man als affektive Verbindung bezeichnen könnte. Dies ist der sichtbare (und hörbare) emotionale Austausch, der zwischen Eltern und Säugling bzw. Kind stattfindet. Stimme, Gesichtausdruck, Körperbewegung und gelegentlich Berührung kommen dabei am häufigsten zum Einsatz. Gefühls-ÄußerungsSignale werden hin- und hergesendet mit einer Wechselseitigkeit, die die Forscher, je nach Disziplin, „matching”, „mirroring”, „echoing’, „attunement” oder
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Beebe ist auch ein Kindheitsforscher, genauso wie Lyons-Ruth, Sanders und Stern aus der Boston Group. Tronick ist das einzige (ehemalige) Mitglied der Boston-Gruppe, das ausschließlich Forschung betreibt, obwohl er enormes Wissen über Psychotherapie zur Diskussion beiträgt. Streeck hat sich lange Zeit mit Mikro-Analysen von auf Video aufgezeichneten Therapiesitzungen befasst. Viele intelligente Betrachtungen über die Implikationen der Kindheitsforschung für die psychodynamische Theorie können auch bei Lichtenberg (1989b, Lichtenberg et al. (1992), sowie bei Dornes (2000) gefunden werden. 5 Ich selbst kann auch eine bescheidene Einbindung in die Kindheitsforschung aufweisen. Von größerer Bedeutung für die hier vorgestellten Gedanken ist die klinische Erfahrung mit Eltern-Kleinkind- und Eltern-Kind-Beziehungen. Die Interventions-Methodologie mit diesen Diaden beinhaltet Video-Aufnahmen von deren Interaktion, und die Verwendung von Videobändern als Mittel zur therapeutischer Reflexion mit den Eltern. (Downing 2003, 2004, Wortmann-Fleischer et al. 2005) Die Folgerungen aus dieser Arbeit hat meine Art und Weise, wie ich individuelle Psychotherapie mit Erwachsenen durchführe, beeinflusst. Über einige Beobachtungen zu Übereinstimmungen und Unvereinbarkeiten zwischen Psychotherapie mit Erwachsenen und den Video-Interventionen siehe Coen’s (2002, Kapitel 10) Diskussion von Beebe’s Arbeiten. 6 Wie Jacobs (2005) und Coen (2002) herausarbeiten, stellt dies auch eine vernachlässigte Dimension in der Ausbildung zum Psychotherapeuten dar. 7 Relativ nahe dem therapeutischen Rahmen, den ich anbiete, scheint mir G. Heisterkamp mit seinen Arbeiten über Enactments und deren nonverbaler Dimension zu stehen.
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8 „synchronization” nennen. bezeichnet werden. Beebe (2002), FivazDepeursinge (Fivaz-Depeursinge & Corboz-Warnery 1999), Fogal (1993), Rochat (2001), Stern (1985) und Tronick (1998, 2000, 2004) sind einige von denen, die die Variabilität und die Wechselhaftigkeit dieser gegenseitigen Signalisierungen dokumentiert haben. Die Konzepte der „dyadic expansion” (übers.: „diadische Erweiterung”) Tronick’s (1998, 2004) und Beebe’s (Beebe & Lachmann 2002) „heightened affective moments”(übers.: affektiv Spitzenmomente) stellen diesbezüglich wichtige 9 Untergruppen dar. (Vgl. dazu Downing 2004c) Ich teile das gegenwärtig vorherrschende Interesse an der Affektsynchronisierung. Dennoch gibt ist ein anderes Phänomen, das ich vorschlagen möchte, das gleichermaßen unser Interesse verdient. Wir sollten unterscheiden zwischen dem, was ich affective connection (übers.: affektive Verbindung) nenne, und collaborative connection (übers.: kollaborative Verbindung) Diese beiden Phänomene sind, zumindest teilweise, voneinander zu unterscheidende Aspekte der Eltern-(Klein)Kind-Beziehung. Es scheint so gut wie sicher zu sein, dass beide von allergrößter Bedeutung für die kindliche Entwicklung sind. Die kollaborative Verbindung sieht nämlich anders aus als die affektive Verbindung.
Mit kollaborativ meine ich die wechselseitige Koordination zur Erreichung eines praktischen Zieles, z. B.: Ein Vater ist seinem Kleinkind beim Anziehen seines Hemdchens behilflich. Gerade im richtigen Augenblick hebt der kleine Bub seine Arme in die Höhe, um zu helfen. Der Elternteil macht sich am Hemdchen zu schaffen, während das Kind mit seinen Armen leicht herumwackelt. Sie kooperieren miteinander, und das ist ein Moment kollaborativer Verbindung. Das aufmerksame Studium zahlreicher Videoaufnahmen hat mich zu der Schlussfolgerung veranlasst, dass eine sachkundige kollaborative Verbindung unabhängig von einer zuverlässigen affektiven Verbindung bestehen kann; das 10 gleiche gilt auch umgekehrt. Es handelt sich um bis zu einem gewissen Grad voneinander unabhängige Fähigkeiten. In der Eltern-(Klein)Kind-Psychotherapie kann man recht häufig Diaden vorfinden, die ausgezeichnete Muster kollaborativer Verbindung entwickelt haben, aber deren wechselseitige emotionale 11 Regulierung typischerweise flach bleibt. Es gibt sogar Diaden, die gut koope8
Übers.: matching = spielerisch-kämpferische Anpassung; mirroring = Spiegelung; echoing = ein Echo geben; attunement = Abstimmung; synchronization = Synchronisierung (Anm. d. Übers.). Dass es geringfügige Unterschiedlichkeiten zwischen einigen dieser Fachtermini gibt, hat auf den vorliegenden Punkt keine Auswirkungen. 9 Stark vereinfacht beschreiben „diadische Erweiterungen” gemeinsame Gefühlszustände, in denen beide Personen für kurze Zeit in einen komplexeren und wechselseitig koordinierten Ausdruck eintreten. „Affektiv Spitzenmomente” sind hingegen Ausbrüche intensiven, wechselseitigen Glücksgefühls. 10 Mit Videoaufnahmen meine ich jene, die die Eltern-Kleinkind- oder Eltern-KindInteraktionen zum Zweck psychotherapeutischer Intervention aufzeichnen. (Beebe 2003, Papousek 2000) Die Art und Weise der Analyse dieser Bänder ist stark beeinflusst vom Hintergrundwissen über mikroanalytische Forschung (Downing and Tronick, Manuskript in Arbeit), obwohl ihr nicht die üblichen experimentellen Kodierungen zugrunde liegen. 11 In der Sprache der Bindungstheorie gibt es oft Diaden, in denen das Kind zwar eine vermeidende Bindung entwickelt hat, obwohl sich beide Partner der Diade in einem gro-
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rieren, deren Affektabstimmung jedoch, wenn sie stattfindet, üblicherweise in Irritation, Frustration und Ärger abgleitet: die Affekte, die sie einander zeigen, sind negative. Weniger häufig findet man Diaden mit gut ausgeprägten Fähigkeiten zu positivem affektivem Austausch, aber schlechten kollaborativen Mustern; nichtsdestotrotz, auch solche Diaden gibt es. Offensichtlich haben affektive und kollaborative Verbindungen einige Aspekte gemeinsam. Der bedeutsamste davon hat wahrscheinlich etwas mit „temporal dynamics“ (übers.: zeitlichen Dynamiken) zu tun, um einen Begriff von 12 Stern (2004) zu verwenden. Beispielsweise haben die Untersuchungen von Jaffe & Beebe (1999) gezeigt, wie Kleinkinder im Alter von vier Monaten bereits den einen oder anderen Stil zeitlicher Strukturierung des interaktiven Flusses meistern. Dies betrifft z. B. die Rhythmen des sich Abwechselns im Rahmen einer gemeinsamen Handlung, die Länge der Pausen zwischen den Lautproduktionen der beiden Interaktionspartner – der eine Partner hört auf mit einer akustischen Artikulation, und dann entsteht eine Pause bis der andere Interaktionspartner mit seinen Lauten einsetzt – und die relative Zeitdauer, mit der jeder Partner Laute zu geben pflegt. Was Jaffe und Beebe beobachtet haben, war der affektive Austausch gemeinsam mit der rhythmischen Struktur. Aber oft hat die zielgerichtete Zusammenarbeit im Handlungsbereich eine ähnliche Zeitkontur. Genereller gesprochen, setzen sowohl affektive als auch kollaborative Verbin13 dungen eine gewisse Wechselseitigkeit voraus. Das, was ich kollaborative Verbindung zu nennen pflege, nimmt an Komplexität zwischen dem zweiten und vierten Lebensjahr zu. Mit der Zunahme der Bedeutung der Sprache entstehen zwei neue Fähigkeitsmuster: die Fähigkeit zu verbaler Verhandlung und die Fähigkeit, Verträge zu schließen. Die wundervollen Beobachtungen Wootton’s (1997) z. B. unterstreichen die Fähigkeit von Dreijährigen, solche Verträge kognitiv zu begreifen. Ihre Beharrlichkeit, dass der Elternteil sein Wort zu halten hat, geht Hand in Hand mit einem Eifer, der jedem Rechtsanwalt zur Ehre gereichen würde: “Aber Du hast gesagt, dass Du, wenn ich mein Müsli gegessen hab’….” Was ich den Ausarbeitungen Wootton’s hinzufügen würde, ist – basierend auf klinischen Videostudien – die enorme Vielzahl an Variationen unter Familien hinsichtlich dessen, was deren Unterstützung für die Entwicklung dieser Kompetenzen betrifft. Einige Kinder entwickeln ein Sich-vollständig-zuhause-Fühlen in der Welt kooperativer Abkommen. Für andere wiederum bleibt all dies fremdes Terrain. Sollten auch kollaborative Verbindungen, genauso wie die affektiven, zur Intersubjektivität beitragen? Zu guter letzt bleibt das eine semantische Entscheidung, abhängig davon, wie man „Intersubjektivität“ definiert. Nehmen wir an, wir definieren sie auf einer breiten Basis: als eine gegenseitige Bewusstheit über einen gemeinsamen Inhalt, zusammen mit einem gemeinsamen Gefühl für die Tatsache der Wechselseitigkeit im Bereich dieses Inhalts. Beide Modi der Verbindung – die affektive ebenso wie die kollaborative – gehören klarerweise ßen Ausmaß an eine gute Zusammenarbeit im Hinblick auf gemeinsamen praktischen Aufgaben gewöhnt haben. 12 In seinen zahlreichen Arbeiten spricht Stern auch von „dynamic contours” (übers.: dynamischen Konturen) und „vitality affects” (übers.: Vitalitätsaffekten). Den letzteren Ausdruck halte ich für eine nicht so optimale Begriffswahl, u. a. weil er die von mir vorgeschlagene Unterscheidung zwischen affektivem und kooperativem Austausch verwischt. 13 Fogal’s „Beziehungs“-Kodierungs-System ist auf interessante Weise hinsichtlich beider Aspekte relevant (Fogal, unveröffentlichtes Manuskript).
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in den Rahmen einer solchen Definition. Es sind die gemeinsamen Gefühle, die hinsichtlich der affektiven Verbindung zählen; bezüglich der kollaborativen Verbindung sind es die zielgerichteten Intentionen. In Sterns zuletzt erschienenem Buch „Der Gegenwartsmoment“ (Stern 2004), in dem Intersubjektivität ausführlich diskutiert wird, fallen sowohl gemeinsame Gefühle als auch gemeinsame Intentionen in diese Rubrik. Sterns Vorschlag, unser theoretisches Vokabular zu erweitern, erscheint mir daher sehr sinnvoll. Beebe und ihre Kollegen (Beebe et al. 2005) haben eine vorzügliche kritische Übersicht über den gegenwärtig verschiedenen Gebrauch des Begriffs „Intersubjektivität” veröffentlicht. Sie zeigen auf, wie chaotisch die Fachliteratur hinsichtlich dieses Themas geworden ist, und machen Vorschläge für einen einheitlicheren Gebrauch. Eine ihrer Empfehlungen ist, dass wir eine Vielzahl verschiedener „Formen” von Intersubjektivität anerkennen. Diesem Beispiel folgend, könnten wir sagen, dass die kollaborative Verbindung eine wichtige Kategorie der Intersubjektivität darstellt. Die Beebe-Forschergruppe hat auch betont, dass wir sowohl die präymbolischen als auch symbolischen Schichten der Intersubjektivität mit größerem Nachdruck anerkennen müssen. Auch von diesem Blickwinkel aus scheint es hilfreich zu sein, dem Konzept der kollaborativen Verbindungen einen Platz einzuräumen. Offensichtlich ist deren präsymbolische Schicht stark ausgeprägt. Fähigkeiten wie 1. das „Lesen” der motorischen Absicht des anderen, 2. die eigenen motorische Absicht mit der des Anderen abzustimmen, 3. den Anderen seine Prozesse an die eigenen anpassen zu lassen, und 4. zu korrigieren, wenn die Abstimmung verloren gegangen ist usw., kommen hier ins Spiel. All dies hat 14 auch ausgeprägte symbolische Anteile. Enthalten sind weitere Fähigkeiten, wie klare sprachliche Kommunikation von Absicht oder Wunsch, die Fähigkeit zur Interpretation dessen, was der andere sagt, sowie die Verhandlung an sich, Sprechakte des Verhandelns, sprachlich gesteuerte wechselseitige Abstimmungen und das verbale Signalisieren des Erfüllens der Erfolgsbedingungen (z. B. eine gemeinsam durchgeführte Handlung wurde zu Ende geführt oder ein Ver15 trag erfüllt). In jedem Fall scheint der Hauptpunkt auf der Hand zu liegen. Die verschiedenen Leistungen dieser „Arbeitsbündnisse“ stellen einen Schlüsselfaktor in der Entwicklung dar, ungeachtet dessen, welche semantischen Entscheidungen wir bezüglich der Etikettierung getroffen haben. Liegt es nicht auf der Hand, dass die kollaborative Verbindung für die Psychotherapie genauso grundlegend ist wie die affektive Verbindung, oder sogar bedeutsamer? Zu einem großen Teil ist unsere therapeutische Arbeit von einem Zustandekommen eines guten Arbeitsbündnisses abhängig. Darüber hinaus scheint es sich gerade um jenes Element zu handeln – um jenes atmosphärische Medium – das am Beginn von Therapien am häufigsten 14
Ein Teil dessen, was Benjamin (1998) als zur Intersubjektivität gehörig mit einbezieht, scheint mit diesem symbolischen Grad an kollaborativer Verbindung zu tun zu haben. Zum Beispiel streicht Benjamin heraus, welch unterschiedliche Verhandlungsprozesse möglich werden, wenn der Patient zu lernen beginnt, dass der Therapeut über ein von ihm unabhängiges Zentrum an Subjektivität verfügt. 15 Die Fähigkeiten, die ein Kind optimalerweise hinsichtlich Verhandlung und Verträgen entwickeln sollte, sind weitläufiger als jene, die aufeinander abgestimmte Arbeitsbündnisse ermöglichen. Dies verleugnet nicht die Tatsache, dass Verhandlungen und dergleichen kritische Komponenten des Aushandelns auf einer symbolischen Ebene darstellen können.
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nicht vorhanden ist. Das anfängliche Klima in der Therapie mag brüsk oder aggressiv sein, oder abgestumpft, oder übersexualisiert, oder überfrachtet mit Gesprächsinhalten, die nirgendwohin führen. Eine gut funktionierende Zusammenarbeit scheint oft so weit entfernt zu sein wie der Mond (von der Erde). Und dennoch fühlt sich der Patient oft genug zum Äußersten entschlossen und erzeugt ein entsprechendes Dringlichkeitsgefühl beim Therapeuten. Diese Situation erscheint auf den ersten Blick paradox. Wenn es stimmt, dass die Fähigkeit zur Zusammenarbeit ihren eigenen separaten Entwicklungssträngen folgt, dann bietet sich deren Einbindung geradezu an. Die Patienten, die ich beschreiben werde, sind Personen, die, was auch immer ihre Schwierigkeiten auch sein mögen, ein Defizit in diesem Entwicklungsbereich aufweisen. Zumindest in vielerlei Hinsicht ist das wahrscheinlich der Fall. Die Exploration der Lebensgeschichte dieser Patienten (die manchmal erst zu einem späteren Zeitpunkt in der Therapie erhellt werden kann) bestätigt eine solche Hypothese immer wieder. Ihre frühen Bezugspersonen konnten oder wollten, aus welchen Gründen auch immer, nicht jene Unterstützung bieten, die ein Kind braucht, um eine differenzierte Fähigkeit zu einer soliden Zusammenarbeit aufzubauen. Infolgedessen kommen diese Patienten sozusagen mit dem Fehlen eines wesentlichen Instrumentariums in der Psychotherapie an – nämlich hinsichtlich der Durchführung des Projekts „Psychotherapie“. Ihre allumfassende Intelligenz mag hoch entwickelt sein oder auch nicht. Ihre Gefühlswahrnehmung mag gut ausgebildet sein oder auch nicht, es handelt sich hier um andere Faktoren. Der spezifische Faktor, nämlich ihre kollaborativen Fähigkeiten, ist davon unabhängig. Die störenden Einflüsse eines solchen Defizits auf die aufkeimende therapeutische Beziehung können weit reichend und beträchtlich sein. Für den Therapeuten kann es überaus klärend sein, diesen wesentlichen Punkt zu verstehen, manchmal sogar befreiend. Er bietet eine Optik, eine Orientierung, einen Rahmen für das Verständnis solcher Patienten. Selbstverständlich befinden sich beide – Patient und Therapeut – hier in einem Schlamassel in dieser Anfangsphase der Therapie. Dem Patienten geht, zumindest zum Teil, etwas ab, was er am meisten bräuchte, damit die Dinge anders ablaufen können als sie es tun. Und auf Seiten des Therapeuten kann man in der Folge auch Verwirrung und Umständlichkeit und alles andere als optimale Reaktionen erwarten. Die Wahrscheinlichkeit negativer interaktiver Spiralen ist daher groß. Diese Wahrscheinlichkeit ist sozusagen in die Voraussetzungen des diadischen Systems eingebaut. Eine derartige Perspektive soll nicht etwa die zugrunde liegenden Ängste, das Misstrauen, die Vergeltungsimpulse usw. auf beiden Seiten der Beziehung unberücksichtigt lassen. Das Mächtige daran ist deren Kombination. Die Wirkungen sind additiv. Verzerrte psychische Repräsentanzen sind im Spiel, genauso wie die fehlende Zusammenarbeit des Patienten. Die Bemühungen, die dann von beiden Seiten unternommen werden, sind geradezu zum Scheitern verurteilt. Daraus resultierende Enttäuschungen werden weitere negative Ergebnisse nach sich ziehen. Der Patient wird empfinden, dass er nicht bekommt, was er braucht. Der Therapeut wird empfinden, dass er nicht das geben kann, was gebraucht wird. Und beide haben unglücklicherweise Recht. Denken Sie daran, dass eine derartige Beschreibung, in dem Ausmaß, in dem sie zutreffend ist, der unmittelbaren Notwendigkeit, all dies als Folge von projektiver Identifizierung zu postulieren, vorbeugt. Stattdessen ist die Erklä-
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rung eine etwas weniger komplexe. Das Fehlen von Zusammenarbeit, zusammen mit verzerrten Überzeugungen und Repräsentationen, liefert mehr als gute Belege für solche interaktiven Phänomene. Es soll hier nicht geleugnet werden, dass bei manchen Patienten die eine oder andere Form von projektiver Identifizierung auch im Spiel sein kann. Aber die Perspektive, die ich empfehle, würde eher Vorsicht bei solch einer Schlussfolgerung nahe legen. Ich werde später noch darauf zurückkommen. Wie bedeutend ist ein solcher Standpunkt in der Folge für die Technik? Ich glaube, dass es jede Menge verschiedener Wege gäbe, praktischen Nutzen aus dieser Weise, die Dinge zu sehen, zu ziehen. Was ich jetzt weiter beschreiben werde, ist eine alternative Sichtweise. Ich habe ein „Set“ von Richtlinien als brauchbar gefunden; dieses hat sich ebenso für eine Anzahl anderer Psychotherapeuten, die ich ausgebildet oder supervidiert habe, als nützlich erwiesen. Es leuchtet ein, dass man in der Arbeit mit jedem Patienten mit einer genauen Verhaltensbeobachtung beginnt. Sie kann vielerlei Formen annehmen. Wofür ich eintrete, ist das genaue Beachten körperlicher Nuancen. Wie strukturieren der Patient und ich gemeinsam unser Zusammensein von Körper zu Körper? Was sind unsere reziproken Bewegungen, Haltungen, unser Tonfall, unsere Atempausen, unsere Gesichtsausdrücke, unsere Zeitabstimmung? Was für eine interaktive Gestalt steigt in diesem flüchtigen Moment auf? Das Berücksichtigen-Lernen all dieser Faktoren auf einer differenzierten Ebene ist nicht einfach. Das braucht Zeit, Erfahrung und bestimmte Hintergrundinformationen. Aber die Mühe, sich mehr von dieser Fähigkeit anzueignen, lohnt sich sehr. Fast überflüssig zu erwähnen ist, dass ein großes Problem darin besteht, dass viele dieser beziehungsmäßig relevanten Ereignisse sich weitgehend außerhalb unserer Aufmerksamkeit abspielen. Solche prozeduralen Prozesse werden nur verschwommen auf einer bewussten Ebene wahrgenommen, wenn überhaupt. Nichtsdestoweniger ist es absolut möglich, das Ausmaß dessen, was wir wahrnehmen, zu erweitern. Durch Übung kann ein „systematischer Mikrofokus” (Knoblauch 2000, S. 53) entwickelt werden. Einfacher für den Therapeuten ist es, wenn er „face to face“ arbeitet. Trotzdem kann man auch im Couch-Setting von diesem Ansatz profitieren, auch wenn dabei das Spektrum beobachtbarer Körpersignale geringer ist.16 Die begleitenden Sprachereignisse sind natürlich gleichermaßen bedeutsam; wohl sogar noch mehr. Ich beabsichtige nicht, das Non-verbale zu romantisieren. Sprachlicher Diskurs hat seine eigene Komplexität, und den gesprochenen Inhalt sorgfältig aufzunehmen, erfordert spezielle Fertigkeiten in diesem Bereich. (Ogden 1997) Aber mehr vom prozeduralen, wechselseitigen Austausch 16
Der Therapeut, der mit dem Patienten im Couch-Setting arbeitet, kann selbstverständlich den Körper des Patienten sehen. Aber weil der Patient nur auf die Stimme des Therapeuten reagiert und nicht auch auf die Fülle der visuellen Informationen, wird das, worauf der Patient „zurückkehrt”, weniger Komplexität aufweisen. McLaughlin (2005) macht interessante Kommentare über körperliche Ereignisse, die im Couch-Setting beobachtbar sind.
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aufzunehmen ist die schwierigere Aufgabe. Es ist auch eine, an die wir weniger gewöhnt sind. Ein systematischer Mikrofokus ist in der Arbeit mit jedem Patienten nützlich; mit schwerer gestörten und schwierigeren Patienten kann er fruchtbare Wege eröffnen. Hier ist nicht der angemessene Platz für eine praktische Übersicht, wie 17 man an die Beobachtung von Mikroprozessen herangeht. Aber einige allgemeine Bemerkungen seien mir gestattet. Zuerst geht es darum, wie man das Objekt der Beobachtung konzeptualisiert. Ein hilfreicher Weg, darüber nachzudenken, könnte der folgende sein. Jede Person bringt, zu jeder Zeit, wenn sie oder er mit einer anderen Personen eine Beziehung eingeht, ihr oder sein eigenes, einzigartiges Repertoire an dem mit, was wir als „body micropractises” (übers.: Köpermikropraktiken, Downing 2004c) bezeichnen könnte. Es sind dies grundlegende Strategien, den Körper hinsichtlich der Organisation von Interaktion einzusetzen. Ein derartiges Repertoire wird zuerst während der frühen Kindheit aufgebaut. Es wird in der Folge über die restliche Zeit der Kindheit hinweg modifiziert. Was der Therapeut beobachten will, ist, mit anderen Worten, ein gemeinsam komponiertes Produkt solcher Mikropraktiken. Der Patient bringt sein Repertoire mit, der Therapeut/ die Therapeutin sein/ihr eigenes. Jeder mobilisiert anfänglich einen kleinen Teil seines oder ihres Repertoires. Aber diese Ereignisse haben weiterhin systematische Folgen. Was er, der Patient, mit seinem Köper tut, hat unmittelbare Auswirkungen auf den Therapeuten, und umgekehrt. Einschränkungen und Möglichkeiten werden festgelegt, einige davon von Sekunde zu Sekunde. Wie in der Folge jeder darauf reagiert, hat Wirkung auf den anderen Interaktionspartner und ruft weitere Reaktionen hervor. Das daraus resultierende System ist auf seine Weise einzigartig. Es ist idiosynkratisch hinsichtlich der vorliegenden Beziehung, ungeachtet der zahlreichen Parallelen (für beide Personen) zu anderen Beziehungen in der Vergangenheit und Gegenwart. Es entwickelt auch schnell ein Eigenleben. Innerhalb von Minuten besitzt diese konstruierte Matrix ihre eigene Dynamik, ihre eige18 19 Obwohl keine der Parteien sich nen stochastisch determinierten Tendenzen. vornehmlich bewusst darüber ist, wie man es bewerkstelligt hat, hat sich bereits eine Architektur herausgebildet.20 Sie stellt von nun an eine zwingende Realität dar, mit der man leben muss, gleichgültig, ob man sie will oder nicht. 17
Das ist ein Thema, das besser im Kontext von Supervisionen und Trainings bearbeitet werden kann. 18 In den frühen Jahren des psychoanalytischen Denkens (z. B. Deutsch 1952, Needles 1959) haben einige Autoren vorgeschlagen, solche Phänomene als zu den Primarprozessen gehörig zu kategorisieren. Aber das scheint hinterfragbar zu sein. Haben wir uns einmal zu einem beziehungsmäßigen Bild nonverbaler Ereignisse vorgearbeitet, wird klar, dass wir es eher mit komplexeren Sachverhalten zu tun haben als mit einfachen „Entladungen” (wie sie Primärprozessen eigen sein sollen, PG). Eine gute Diskussion dieser Thematik findet sich bei McLaughlin (2005). 19 Sofern der Begriff der “Regression” eine “Rückkehr” zu primärprozesshaften Tendenzen meint, ist auch eine solche Annahme fragwürdig. Da im klassischen psychoanalytischen Denken der Regressionsbegriff eine solche Verknüpfung nahe legt, schien es zweckmäßig, die Reichweite des Begriffes zu diskutieren. (Anmerkung von P. Geißler, siehe ausführliche Diskussion in: P. Geißler: Mythos Regression. Psychosozial-Verlag, Gießen 2001) 20 Ogdens (1994a, b, 1997) Begriff eines „analytischen Dritten” liegt einer solchen Annahme nicht fern. Trotzdem scheint Ogden nur bewusste und unbewusste subjektive Er-
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Das soll nicht bedeuten, dass diese Realität statisch und unveränderlich ist. Im Gegenteil, ein Grad von Undeterminiertheit bleibt immer vorhanden. (Fogal 1993) Die Muster eines gemeinsam aufgebauten Interaktionssystems sind und bleiben „schlampig” und „schludrig.” (Tronick 2005) Variationen sind ständig im Gange. Dennoch, trotz einer gewissen Instabilität, hat das Gesamt dieser Realität bestimmte verhaltensmäßige Regelmäßigkeiten. Diese besonderen Muster bilden auch für beide beteiligten Personen ein entsprechendes Netzwerk von (nicht bewussten) kognitiven Erwartungen. (Beebe und Lachmann 2002) Die „Körper-zu-Körper-Architektur“ ist, obwohl ständigen Veränderungen unterworfen, nichts Kurzlebiges. Sie ist eine objektive Präsenz, eine Macht, die man vielleicht übersehen kann, jedoch nicht magisch umgehen kann. Die Beobachtung dieser körperlichen Realität im eigentlichen Sinne ist nicht einfach. Das trügerischste Zielobjekt ist man natürlich selbst. Es kann schwierig genug sein, ein gutes Auge dafür zu kultivieren, was der Klient tut. Aber zumindest sind seine körperlichen Handlungen breit im Visier des Wahrnehmungsfeldes des Therapeuten – wohingegen man wenig vom eigenen körperlichen Tun sieht. Meistens muss man die eigenen motorischen Handlungen kinästhetisch nachempfinden, gemeinsam mit dem Hören der eigenen Stimme. Gleichwohl kann diese Fähigkeit erlernt werden. Die traditionelle „gleichschwebende Aufmerksamkeit” kann erweitert werden. Es kann eine Empfänglichkeit kultiviert werden, die nicht nur am sprachlichen Inhalt teilnimmt, und nicht nur an der Fantasietätigkeit und den Assoziationen, sondern auch am 21 Fluss der wechselseitigen Körper-Ereignisse. Ein bereits vertrautes Terrain für viele Analytiker und psychodynamische Psychotherapeuten ist das Gewahrsein der Gegenübertragung. Das was ich meine, ist zwar nicht genau dasselbe, aber wegen seiner Nähe kann es als Einstiegshilfe dienen. Mit diesem Begriff meine ich die Gegenübertragung in einem weiteren Sinn, d. h. alle Gefühlsreaktionen dem Patienten gegenüber, umfassend und unabhängig davon, ob sie von der Lebensgeschichte des Therapeuten eingefärbt sind oder nicht. Über Jahrzehnte hinweg hat sich eine „Goldader“ analytischen Denkens mit der Gegenübertragung in diesem Sinn beschäftigt (siehe Tansley and Burke 1989, als Überblick). Es wurde auch hervorgehoben, wie das Erlebnis des Nachspürens der Gegenübertragung in besonderer Weise vorteilhaft sein kann, wenn man mit schwerer gestörten Patienten arbeitet. (Searles 1965, 1979b) Was man noch hinzufügen könnte ist, noch mehr Aufmerksamkeit dem zu schenken, was man als „Einbettung der Gegenübertragung“ bezeichnen könnte. Mit „Einbettung” meine ich das Zusammenspiel zwischen der „Körper-zuKörper-Architektur“ und der subjektiven Erfahrung des Therapeuten. Jeder,
fahrungen im Sinn zu haben. Es handelt sich um die Kombination der jeweiligen Subjektivitäten von Patient und Therapeut, die er als ein „ausgeprägtes” ko-konstruiertes Phänomen sieht. Ogden lässt genau das unter den Tisch fallen, was ich akzentuiere, nämlich den Fluss von objektiv Beobachtbarem, von „Körper-Handlungen“. 21 Siehe auch McLaughlin 2005, Kapitel 9 und 10. Es sind die „kinesics” (übers.: Bewegungen) des Patienten, die der Therapeut – den Empfehlungen McLaughlins folgend – versuchen sollte, im Vordergrund zu halten zu. McLaughlins fruchtbare Kommentare können auf die Interaktions-Matrix als Ganzes angewendet werden.
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der es bereits gewohnt ist, den Minutiositäten der Gegenübertragung zu folgen, tut das bereits bis zu einem gewissen Ausmaß. Aber es kann auf besondere Weise einem noch schärferen Fokus unterzogen werden. Ich kann versuchen, beides wahrzunehmen, nämlich was ich mich selbst handeln und sagen erlebe, ebenso wie meine emotionalen Reaktionen auf das, was ich und der Patient tun und sagen. Bewusstsein über die Handlungen überschneidet sich mit der Bewusstheit hinsichtlich der Reaktionen. Renik (1993) hat sogar nahe gelegt, dass Bewusstheit über die Handlungen einen besseren Zugang (zur Gegenübertragung, Anm. d. Übers.) ermöglicht. Es kann gleichermaßen produktiv sein, auf konkrete subjektive Körpererfahrungen zu fokussieren, wenn man sich auf seine eigenen Gefühlslagen einstellt. Ziehen Sie eine Form innerer Befragung in Betracht: Wie ist im Moment meine Stimmung, meine Gefühlslage? Das wird mich wahrscheinlich zunächst zu folgenden Begriffen führen: Scham, Langeweile, Zufriedenheit. Aber erwägen Sie eine mögliche Erweiterung: Wo spüre ich das in meinem Körper, und wie fühlt sich das an? Und in der Folge: wie geht mein Körper damit um? Weiche ich zurück? Mache ich ein bisschen ein finsteres Gesicht? Sacke ich in meiner Brust etwas zusammen? Oder spüre ich gar keine besondere körperliche Reaktion? Die innere Erforschung der Körpersensationen und körperlich-motorischen Ereignisse kann interessante Ergebnisse aufweisen. Zum einen wird möglicherweise ein differenzierterer Kontakt mit der Gegenübertragungsbefindlichkeit 22 selbst hergestellt. Zweitens wird jeder Zugriff auf die eigenen begleitenden motorischen Abstimmungen mehr Information über den beidseitigen Austausch bieten. Was der Therapeut auf der Handlungsebene spürt, ist auch (zum Teil) das, was auf den Patienten auftrifft. Einen weiteren Vorteil stellt die Meisterung stark negativer Emotionen dar. Diese kann man besser handhaben, wenn deren subjektives körperliches „Milieu” deutlicher unterschieden werden kann. Man kann auf diese Weise eine Art von „Vorwärts-Rückwärts-Aufmerksamkeits-Fokus“ entwickeln. In manchen Augenblicken mögen die externen Mikroprozesse mehr in den Vordergrund treten: Ich bemerke, wie der Sprechrhythmus des Patienten schneller wird und auch der meine, usw. In anderen Momenten können „innere” Ereignisse mehr hervorgehoben werden: Etwas in der Qualität des Schweigens z. B. bewirkt eine Enge in meiner Brust und hinterlässt eine Spur von Ängstlichkeit. Oft werden beide Dimensionen auf natürliche Weise in eine verbundene Bewusstheit gleiten: Jetzt sehe ich, wie sie Ihre Augen abwendet, und ich spüre nun, wie sich meine Kehle ein wenig zusammenzieht, und zugleich höre ich eine Spannung in meiner Stimme; jetzt sehe ich, wie Ärger ihre Gesichtszüge verhärtet, und wie ich, als Reaktion darauf, eine Verlegenheit spüre, und wie sich meine körperliche Haltung verändert in einem spontanen Versuch, die Verlegenheit zu kaschieren. Vom Verweilen in einer Dimension kann man leicht in eine andere wechseln. Kritisch festzuhalten ist hier, dass emotionale Signale, im Sinne diskreter Affektäußerungen (Furcht, Freude, Abneigung, etc.) nicht die einzigen Ereignisse sind, und häufig nicht die Hauptereignisse, die vor sich gehen. Sie haben ihre offensichtliche Bedeutung. Aber eine Menge anderer Arten von Körpervorgängen kommt genauso ins Spiel. Viele körperliche Handlungen kalibrieren auf
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D. Stern (1997) hat den Bedarf und die Grenzen für eine klarere Wahrnehmung der Gegenübertragungszustände unterstrichen, noch vor und unabhängig von jeglicher Interpretation.
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subtile (und nicht-subtile) Art das Ausmaß an Engagement, insbesondere im Bereich von Distanz oder Nähe. Andere stellen das Niveau der geteilten Lebendigkeit und Aktivierung wieder neu ein (im Sinne von Dämpfung oder Anhebung). Weitere körperliche Ereignisse fließen sofort in den gesprochenen Inhalt ein, indem sie eine sprachliche Botschaft einfärben oder sie metaphorisch illustrieren. (Vgl. Golden-Meadow 2003, Streeck 2004) Wiederum andere haben mit der Selbstregulierung zu tun, (weitgehend) unabhängig von interpersonaler Regulierung, wie wenn jemand, der zu lange in einer Körperhaltung gesessen ist, einfach aus Gründen der Bequemlichkeit von seiner Position zu einer anderen 23 überwechseln muss. Manchmal wird ein einziges Ereignis verschiedene Funktionen zugleich erfüllen. Die Beobachtung auf dieser nuancierten Ebene muss unterbrochen werden. Es gibt so vieles Andere, das unsere Aufmerksamkeit während einer Therapiesitzung beansprucht. Aber sie kann, wenn auch nicht ununterbrochen, so doch regelmäßig einbezogen werden. Die Idee dahinter ist, sie als ein ganz grundlegendes Instrument anzusehen, und uns diesem Geschehen nicht nur zuzuwenden, wenn Enactments passieren. Auf diese Weise kann der Therapeut im Falle von stattgefundenen Enactments besser einschätzen, was sich im Zuge derselben entfaltet hat – und nicht nur im Zuge von Enactments. So wie Patient und Therapeut während der Therapie verschiedene Teile ihrer selbst an die Oberfläche bringen, werden diese Wechsel von gegenseitigen „self states” (übers.: Selbst-Befindlichkeiten, Bromberg 1998, Knoblauch 2000) von größeren oder kleineren Tranformationen des wechselseitigen Mikroaustauschs begleitet sein. Je einfühlsamer sich der Therapeut für diese Matrix macht, desto eher wird er eine größere Achtsamkeit diesen Fluktuationen gegenüber entwickeln. Mit schwierigen Patienten kann es von besonderem Interesse sein, diesen Fluktuationen und Variationen Beachtung zu schenken, wenn Enactments und Verwicklungen stattfinden. Selbstverständlich versucht man festzuhalten: Was tut der Patient und wie handeln wir auf der körperlichen Ebene, wenn wir unsere Sackgassen fabrizieren? Und, wann fühlt sich die Sackgasse unangenehmer an, und wann weniger? Und, wann bringen wir erfolgreiche kollaborative Interaktionen zustande, wenn auch nur für kurze Zeit? Wenn die Beobachtungsaufgabe nach diesem Muster neu entworfen wird, kann zusätzliche und nützliche Information gewonnen werden. Ich wende mich nun dem zu, wie man diese Information in praktischen Nutzen umsetzen kann. Die Beobachtung von Mikroprozessen ist die eine Sache, darüber offen zu sprechen eine andere. Soll der Patient „angebohrt” werden? Ich schlage vor, genau das zu tun, aus Gründen, die bald offensichtlich werden sollten. Aber wann „bohrt“ man, und wie? Vorsicht ist auf jeden Fall angebracht. Die potenziellen Hindernisse sollten nicht unterschätzt werden. Sich auf eine explizite Diskussion über die miteinander konstruierten Körperprozesse zuzubewegen, bedeutet ein neues Element in die Therapie einzuführen. Mit jedem Patienten sollte man sorgfältig überlegen, wie man einen solchen Übergang gestalten kann, und dies umso mehr, wenn eine stürmische, angstvolle oder eine anderwärtig unproduktive therapeutische Beziehung dominiert. Sonst könnten zerstörerische, paranoide Untertöne eher akzentuiert statt verringert werden. Es hat gute Gründe, dass viele psychoana-
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Beebe und Lachmann (2002) haben betont, dass man interpersonale Regulierung von Selbst-Rgulierung unterscheiden sollte.
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lytische Psychotherapeuten, die mit schwer gestörten Patienten arbeiten, einen Zugang entwickelt haben, im Rahmen dessen man in frühen Phasen der Therapie nur minimale Deutungen gibt. Das Risiko ist das einer iatrogenen Verschlimmerung einer bereits problematischen Situation. Trotzdem gibt es Lösungen, die aus diesem Dilemma herausführen. Die Reihenfolge der Schritte, die ich nun nachzeichnen will, ist in gewisser Weise stringent, nichtsdestoweniger stellt sie einen Rahmen für eine „Minimal-Deutungs-Position” dar. Aber nach einer solchen eher restriktiven Art vorzugehen, wird sich mit den meisten Patienten definitiv lohnen. Der erste Schritt ist in gewissem Sinn ein vorbereitender. Er beinhaltet noch keine Diskussion der beidseitigen Prozesse. Eher stellt er eine Basis dar für das, was bald zu solch einer Diskussion führen wird. Wie auch immer, das ist nicht sein einziger Nutzen, wie bald deutlich werden sollte. Man ist bestrebt, sich in einem günstigen Moment auf eine beziehungsmäßige Definition des Konflikts zuzubewegen. Dieses Beispiel und die weiteren folgenden entstammen einer aktuellen Therapie. Die Patientin war eine amerikanische Geschäftsführerin Anfang vierzig, in Paris lebend.
Die Geschäftsfrau Patient: Ich profitiere hier überhaupt nichts. Ich komme hierher, ich rede. Was soll das? Ich lerne überhaupt nichts. Nichts in meinem Leben hat sich verändert. Therapeut: Sie klingen enttäuscht. Patient: Nennen Sie’s ruhig stinksauer. Und enttäuscht obendrein. Sch… Therapeut: Und trotzdem kommen sie weiter hierher. Sie müssen wohl hoffen, dass sich da noch was anderes abspielen kann. Patient: Mein Optimismus schwindet dahin, ehrlich gestanden. Therapeut: So versuchen wir also beide etwas in Gang zu bringen, was für Sie hilfreich sein wird. Aber bisher haben wir es nicht zuwege gebracht, einen Weg zu finden, auf dem Sie sich unterstützt fühlen. Kein Wunder, dass Sie die Schnauze voll haben und enttäuscht sind.
Beachten Sie, dass die letzte Intervention verschiedene Komponenten aufweist. Sie bewegt sich auf eine Sprache des „wir” zu. Aber sie wahrt auch den Fokus auf den Konflikt, auf Gefühle und Motivationen, die einander widerspre24 chen oder gegeneinander wirken. Zugleich enthält sie einen impliziten Hinweis auf Verantwortlichkeit. Auch das wird als etwas Gemeinsames präsentiert, als etwas, das beiden Seiten angehört. Keiner der beiden Beteiligten kann sich diesbezüglich aus dem Staub machen. Eine vernünftige Enthüllung der Gegenübertragung kann manchmal in einem solchen Kontext möglich bzw. nützlich sein. Therapeut: Ich bin verärgert. Gut, dass es mal heraußen ist. Wenn Sie mich so anschreien und mir alle möglichen Schimpfworte an den Kopf schmeißen, kann ich fast nicht anders, als aufhören Ihnen zuzuhören. Meine ganze Aufmerksamkeit ist mit meinem Ärger beschäftigt.
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Mit „Konflikt” meine ich hier vermischte Motivationen, die leicht feststellbar sind. Eine Vielzahl von Konflikten im Patienten weisen nicht diese Zugänglichkeit an der Oberfläche auf.
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Patient: Das ist ganz schön unprofessionell. Schauen Sie, ich brauche Raum, um mich auszudrücken, verstehen Sie? Ich kann die Brave draußen im Leben gut genug spielen. Das sollte doch der Platz sein, wo ich meine Maske fallen lassen kann. Therapeut: (sich ein wenig beruhigend): Wir bewegen uns im Kreis, wenn wir in diesen Schrott geraten. Patient: Und ich bin derjenige, der dafür auch noch zahlt. Therapeut: Stimmt. Das hat sich in letzter Zeit einige Male abgespielt. Wir beginnen zunächst mit etwas, was wie eine akzeptable Sache scheint, aber binnen kurzem sind wir beide verärgert. Ich kann noch nicht richtig verstehen, wie wir beide dorthin gelangen. Und ich kann auch noch nicht verstehen, was wir unternehmen müssen, um uns da wieder hinaus zu bewegen.
Und wieder haben wir hier den Schritt zum „Wir”-Diskurs, sowie zu einer damit verbundenen gemeinsamen Verantwortlichkeit für den Prozess. Einige Aussagen verwenden auch eine Art von Vorahnung. Wenn der Therapeut sagt: „..habe nicht recht verstanden, wie wir in das hineingeraten sind”, wird die Patientin nicht erwarten, dass eine Erforschung dieses „Wie” gerade jetzt möglich sein wird. Im Moment ist das zuviel verlangt. Aber die Intervention lässt eine weitere Erforschung vorausahnen. Sie übermittelt, dass diese Erforschung erstrebenswert und möglich ist, und dass sie früher oder später aufgegriffen wird. Genauso steht der Kommentar “Ich verstehe noch nicht was wir tun müssen, um da hinaus zu kommen” im Dienste einer solchen Vorausahnung. Es wird nicht die Erwartung geweckt, dass sofort (kursiv PG) eine Lösung gefunden werden kann. Insgesamt wird dadurch implizit gesagt, dass Wiedergutmachung und Verhandlung lebendige Möglichkeiten darstellen. Implizit wird auf diese Weise 25 Hoffnung vermittelt. Natürlich steht hier mehr auf dem Spiel, als nur eine Basis für die spätere Thematisierung von Mikroprozessen zu legen. Das Klima, das durch den wiederholten Aufruf zu einem „Wir“-Diskurs etabliert werden kann, wird der weiteren Zusammenarbeit insgesamt zuträglich sein. Der nächste Schritt besteht darin, explizit die Mikroebene einzuführen, aber in einer beabsichtigt reduzierten, begrenzten Weise. Man fordert diesen Fokus nicht vom Patienten ein, man führt ihn auch nicht wirklich im Hinblick auf die Beziehung als Ganzes ein, sondern beginnt mit dem Therapeuten. Die Idee dahinter ist, mit der Erforschung des Verhaltens des Therapeuten zu beginnen, so wie es der Patient wahrnimmt. Hier ist ein Beispiel. Therapeut: Sie sagen, dass Sie mich gefühllos finden. Sogar kalt. Was tue ich denn, dass Sie diesen Eindruck von mir haben? Patient: Sie sitzen nur so da und reden, was Therapeuten halt so reden. Aber unterschwellig glaub’ ich nicht, dass Sie irgendetwas berührt. Sie machen nur Ihre Arbeit. Therapeut: Aber so, wie Sie es ausdrücken, klingt es, als würde ich etwas Bestimmtes tun, vielleicht die Art, wie ich rede, die Ihnen den Eindruck von Gefühlskälte vermittelt. Es könnte mein Tonfall sein, zum Beispiel. Oder ein Gesichtausdruck, der dann und wann auf meinem Gesicht erscheint. Oder die Art, wie ich Sie anschaue oder nicht anschaue. Patient: Ich hab keine Ahnung. Therapeut: Nun, in Wirklichkeit passiert dermaßen viel auf dieser Ebene für jeden von uns, in jeder Beziehung; ich meine, mit diesen subtilen Blicken oder mit dem Tonfall oder derartigen Dingen. Meistens sind wir uns nicht bewusst, dass wir es tun. Und die
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Hoffnung wird dadurch auch auf Seiten des Therapeuten verstärkt, was manchmal von nicht geringer Bedeutung ist, wie Mitchell (1993) betont.
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andere Person ist sich nicht bewusst, davon beeinflusst zu sein. Aber sie haben ihre Wirkung. Sie wirken die ganze Zeit. Also stell’ ich mir vor, dass es da sehr wohl etwas geben könnte, was ich meinerseits tue, und was auf irgendeine Weise auf Sie einwirkt.
In diesem Beispiel nimmt die Patientin das Angebot nicht sofort an. Das bedeutet, dass sie nicht mit Einzelheiten darauf antwortet, was sie am Verhalten des Therapeuten bemerkt hat. Trotzdem ist der Keim gesät worden. Wenn diese Einladung einmal klar ausgesprochen worden ist, ist es für den Patienten ungewöhnlich, in der Therapie lange fortzufahren, ohne derartige Be26 obachtungen zu machen. Oft kommt eine Bemerkung dazu im weiteren Verlauf der Sitzung oder in den beiden darauf folgenden Stunden. Aus irgendeinem Grund scheint das ein eher einfach zu thematisierendes Thema für den Patienten zu sein, verglichen mit anderen. Schließlich ist der Therapeut hier in diesem Raum präsent, visuell und akustisch; also fehlt es dem Patienten nicht an faszinierenden Stimuli. Zweitens können solche Beobachtungen, weil ja die Kritik am Therapeuten einer der „Tagesordnungspunkte” des Patienten darstellt, wunderbar diesem Zweck entsprechen. Hier gibt es eine Art Fortsetzung. Ich entnehme mein Beispiel demselben obigen Fall. Der folgende Austausch spielte sich in der darauffolgenden Sitzung ab. Patient: Was mich irritiert, ist nicht das, was Sie tun, sondern das, was Sie nicht tun. Therapeut: Was meinen Sie damit? Patient: Sie sitzen da wie ein Frosch am Ufer eines Teiches. Sie beobachten mich und warten nur. Irgendwie träge, wirklich. Nur darauf wartend, bis ein Käfer vorbeikommt, um ihn schnappen können. Therapeut: Warten Sie ein wenig. Das ist ein interessantes Bild. Wenn ich bei Ihnen derartig schlecht wegkomme, könnte ich mir vorstellen, dass Sie mich gefühllos finden, wie Sie das das letzte Mal ausgedrückt haben. Aber schauen Sie, was genau mache ich, das in Ihnen dieses Frosch-Bild hervorruft? Ist es die Art, wie ich sitze, oder etwas anderes? Patient: Erraten. Therapeut: Wann komme ich Ihnen hier mehr wie dieser Frosch vor? In welchen Augenblicken ? Patient: Vielleicht, wenn ich etwas Wichtiges sage und keine Reaktion von Ihnen kriege. Therapeut: Meinen Sie eine gefühlsmäßige Reaktion? Patient: Na klar. Therapeut: Sagen Sie mir das, wenn das das nächste Mal passiert? Parient: Einverstanden. Wenn’s mir auffällt.
Ein Frosch, der nach Käfern schnappt, klingt klarerweise auch nach einem Therapeuten, der gefährlich sein könnte. Eine derartige Repräsentation hat ihre Bedeutung auf einer anderen Ebene und verdient auch erforscht zu werden – aber alles zu seiner Zeit, und dies eher während einer stürmischen Periode! Weil der Patient hier eine minimale Zustimmung zum MikrobeobachtungsProjekt gemacht hat, war es in dieser Sequenz wahrscheinlich förderlicher, es dabei zu belassen. Ausgehend von der vergifteten Atmosphäre, von der die Sit-
26
Man kann mit Patienten zu tun haben, die fast überhaupt nichts reden, gleichgültig, was das scheinbare „Thema” ist. Diese Patienten erfordern einen anderen technischen Zugang schon am Beginn. Wenn einmal ein Dialog in den Sitzungen in Gang gekommen ist, kann der Schritt zur Mikrobeobachtung eingeführt werden.
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zungen gegenwärtig durchdrungen sind, wird es später nicht an Gelegenheiten zur Erforschung herausfordernder und paranoider Repräsentationen mangeln. Lichtenberg, Lachmann und Fosshage (1992) schlagen zur Unterstützung etwas vor, was sie „weary the attribute” (übers.: Zermürbung der Zuschreibungen) nennen. Ihr Konzept ist, dass eine zu vorzeitige Konfrontation über die Genauigkeit der Zuschreibungen des Patienten gegenüber dem Therapeuten geradezu unvorteilhaft, aber zumindest voreilig sein könnte. Nehmen Sie einmal an, dass die Patientin feststellt, dass sie den Therapeuten z. B. aggressiv, oder distanziert, oder zu freundlich, oder verstört findet. Indem der Therapeut diese Beurteilung nicht herausfordert, kann er sich direkt der Erforschung der Bedeutung für die Patientin zuwenden und darüber hinaus dem, wie sie (die Patientin) zu einem derartigen Schluss gelangt ist. Nur zu einem späteren Zeitpunkt, wenn überhaupt, würde der Therapeut tatsächlich vielleicht die Genauigkeit der Zuschreibung hinterfragen. Aron (1995), Hoffman (1983) und andere geben ähnliche technische Empfehlungen. Was ich vorschlage, geht in die gleiche Richtung, aber mit einer stärkeren Akzentuierung der Ermutigung des Patienten, sich in die relevanten Details des nonverbalen Verhaltens des Therapeuten einzulassen. „Was genau habe ich gemacht, um Sie auf diese Idee zu bringen?” Oder: „Was habe ich wie bewegt?” Das sind Spielarten eines Ansporns, die dem Patienten dazu dienen, einen Ausgangspunkt für größere Bewusstheit über die „Körper-zu-KörperArchitektur“ zu gewinnen – oder jedenfalls mehr Bewusstheit über eine Seite derselben, als Anfang. Ein derartiger Schritt birgt das Risiko einer Kollusion, eines geheimen Einverständnisses. Die Einladung, den Therapeuten zu hinterfragen, kann vom Patienten (bewusst oder unbewusst) als eine masochistische Unterwerfung von Seiten des Therapeuten empfunden werden, sogar bis zu dem Ausmaß, dass der Patient und Therapeut in eine sadomasochistische gefärbte Szene geraten. Das kann bewirken, dass das therapeutische Setting sogar als noch gefährlicher erlebt wird als zuvor. Natürlich – wäre hier ein Gegenargument – kann jede Entscheidung zu irgendeiner Technik das Risiko und das Potenzial einer Kollusion 27 beinhalten. Gleichwohl ist es erstrebenswert, dem folgenden Schritt besondere Vorgangsweisen hinzuzufügen. Man sollte die „Wahrnehmungs-DeutungsVerbindung“ explizit machen. Therapeut: Schauen wir einmal, ob ich das richtig verstanden habe. Vor einigen Minuten haben wir miteinander gestritten. Wir waren beide verärgert. Dann haben Sie sich beruhigt, Sie sind nachdenklicher und entspannter geworden, so würde ich es bezeichnen, und dann haben Sie angefangen, über einige Aspekte Ihrer Beziehung mit Susan zu reden, die schmerzlich für Sie sind. Und wie Sie so geredet haben, haben Sie bemerkt, dass ich mich nicht viel bewege, dass mein Körper angespannt zu sein schien, dass ich Sie angeschaut habe, aber dass da nicht viel Ausdruck in meinem Blick war, und dass meine Stimme monoton schien. Patient: Ja. Therapeut: Und auf der Grundlage dessen, was Sie gesehen und gehört haben, sind Sie zum Schluss gekommen, dass ich kein Interesse an Ihrer Beziehung zu Susan habe, und dass ich nicht wirklich etwas von Ihrem Leben erfahren möchte. Patient: Richtig. Therapeut: Können wir uns das genauer anschauen? Patient: Wenn Sie wollen. 27
Diese Argumentation wird von Ehrenberg (1992) überzeugend dargelegt.
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Therapeut: Also: wie haben Sie diesen Sprung gemacht? Sie haben mich nervös und kleinlaut gesehen. Was hat Sie von dieser Wahrnehmung zur Idee geführt, dass ich nicht interessiert sei?
Auch hier dienen solche Interventionen mehreren Absichten. Ich hebe hier hervor, wie sie die Bewegung in Richtung Zusammenarbeit unterstützen. Aber das Gesamtgebiet, das diese thematisieren, hat auch etwas zu tun mit dem was Fonagy (1993, 2002) „Mentalisierung” genannt hat: die generelle Fähigkeit des Patienten, die Geisteszustände und das Verhalten anderer Personen zu dechiff28 rieren. Auch die Offenlegung der Gegenübertragung kann in einem solchen Dialog nützlich sein, wie man an diesem Fallbeispiel im Weiteren sehen kann. Patient: Na gut, war das so daneben? Therapeut: Ich war tatsächlich recht interessiert. Es kam mir so vor, als würden Sie über etwas Wichtiges sprechen, und ich habe mich damit ziemlich verbunden gefühlt. Aber klarerweise habe ich Ihnen dafür keine Anhaltspunkte gegeben. Patient: Um es gelinde auszudrücken… Therapeut: Wissen Sie, ich kann mich nicht so rasch beruhigen, wenn ich einmal verärgert bin. Ich meine, ich beruhige mich, aber Schritt für Schritt. Ich glaube, wir beide sind ziemlich gereizt geworden, und nachher sind Sie in der Lage gewesen, davon sofort herunterzukommen, aber für mich geschieht das Beruhigen in langsamerer Weise. Können Sie das nachvollziehen?
Natürlich hängt eine derartige Rückmeldung über die eigene innere Befindlichkeit davon ab, wie sehr der Therapeut generell zuhause ist in der Enthüllung der Gegenübertragung. Für diejenigen – wie mich selbst – die diese Enthüllung als hilfreiches Werkzeug betrachten (und das umso mehr bei schwer gestörten Patienten), eröffnen in der Folge Diskussionen dieser Art eine Reihe von weiteren Möglichkeiten. Gabbard (1998) und andere haben hervorgehoben, wie derartige Enthüllungen den Patienten erkennen lassen, dass sie „eine Wirkung auf den Therapeuten haben”. Während das ein Vorteil sein kann, sehe ich deren Nützlichkeit auf einer beträchtlich breiteren Basis. Der Patient kann über seine eigene Wahrnehmung und Deutung psychischer Prozesse hinzulernen, was üblicherweise einen kritischen Faktor für diese Patienten darstellt. Zu anderen Zeiten wird dies auch sichtbar machen können, mit welcher Bestimmtheit die Handlungen des Patienten Wirkungen in der psychischen Ökonomie der anderen Person zeitigt, Wirkungen, die oft dem entgegengesetzt sind, was der Patient wirklich will. Es kann zeitweise hilfreich sein, den Fokus auf die Mikroebene mit dem „Wir-Diskurs” über Kooperation und Zusammenarbeit zusammenzuführen, wie nun gezeigt wird: Therapeut: Es sieht für mich so aus, als wäre hier so etwas Ähnliches vorgegangen. Wir fangen an, uns in der Arbeit ein Stück mehr in Richtung Zusammenarbeit vorwärts zu bewegen. Und wie ich gerade festgestellt habe: Ich habe aufmerksam verfolgt, was Sie gesagt haben. Aber es sieht so aus, dass ich für meinen Teil, während ich länger gebraucht habe zum Abkühlen, noch angespannt war, und möglicherweise diese Art von Dingen zurückgehalten habe, die jemand normalerweise tut, um jemand anderen wissen zu lassen, dass ihm zugehört wird. Ich meine so etwas wie mit dem 28
Fonagy legt hier ein hervorragendes Konzept vor. Meiner Meinung nach unterschätzt Fonagy aber die Rolle der Defizite von Abstimmungen hinsichtlich wechselseitiger nonverbaler Prozesse des Patienten (vgl. Harrison 2003).
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Kopf ein wenig zu nicken, oder mit mimischen Gesten zu reagieren. Und auf Ihrer Seite hatten Sie, mit so wenigen Signalen von mir kommend, zu raten, wo ich innerlich war, und Sie haben geraten, dass ich Sie ausgeblendet habe. Schaut das wie ein vernünftiges Bild der Lage aus? Patient: Sicher, weil wie sollte ich das denn wissen? Wenn Sie da so sitzen wie aus Stein, wie könnte irgendjemand das wissen? Therapeut: Selbstverständlich. Aber vergessen wir nicht, dass Sie einen großen Sprung gemacht haben, der darin bestand, mich in ziemlich negativer Weise zu interpretieren. Es kommt mir wichtig vor, das anzumerken. Patient: Na gut, vielleicht.
Ein Therapeut, der sich mit dieser Art der Intervention vertraut macht, wird schnell einen passenden Zugang finden. Mit der Zeit wird sich eine sichtbare Entspannung durch diese Zugangsweise einstellen, zumindest über die meiste Zeit hinweg, und das wird weiter hilfreich sein, die latenten Aggressions-/Unterwerfungs-Szenarien zu entschärfen. Natürlich kann man manchmal ein gewisses Unbehagen in der Gegenübertragung empfinden, wenn man den Mikrofokus auf sich selbst richtet. Dann und wann wird man eine oberflächliche Verlegenheit aushalten müssen. Aber mit Erfahrung wird, in den meisten Fällen, dieser Effekt leicht erträglich sein. Schließlich wird diese Einstellung des Therapeuten dem Patienten gegenüber eine Botschaft übermitteln, so als würde man zu ihm sagen: Schau, sich mit diesen Dingen zu befassen ist in Ordnung, das ist keine große Sache. Vom Beispiel des Therapeuten wird der Patient ebenso lernen, wie völlig normal es ist, dass jemand blinde Flecken bezüglich der eigenen Mikrobeiträge hat. Außerdem dauert diese anfängliche Asymmetrie in der Therapie nicht lange an. Von dem Augenblick an, wenn der Therapeut mehrmals in dieser Weise unter die Lupe genommen wurde, brechen Zeiten an, in denen es für beide Seiten natürlich erscheint, dass der Patient auch eine Neugier seinen eigenen nonverbalen Beiträgen entgegenbringt. Das kann sogar schon in der ersten Sitzung geschehen, während der eine solche Diskussion (fokussiert auf den Therapeuten) stattfindet. Oder dieses Interesse kann einige Sitzungen später auftauchen. Die Fokussierung auf den Therapeuten dauert üblicherweise nicht besonders lange an. Schritt für Schritt wird die Idee des wechselseitig komponierten „Etwas“, insbesondere der „Körper-zu-Körper-Architektur“ oder wie immer man es auch bezeichnen mag, Form annehmen. Ein gemeinsames Vokabular für dieses Geschehen wird sich ebenso entwickeln. Der vielleicht erleichterndste Faktor in all dem ist Humor. Wer weiß warum, aber da ist irgendetwas, was wirklich faszinierend ist an diesem Mikroaustausch, und auch spaßig. Patienten lernen das zu schätzen. Wenn einmal die anfängliche Schamgrenze auf beiden Seiten herabgesetzt ist, neigen diese Untersuchungen mehr oder weniger ziemlich amüsant zu werden. Sogar ein Patient, der zu anderen Zeiten hoch defensiv gegenüber allem ist, was mit Ausdruck und Spiel zu tun hat, mag sich während solcher Explorationen entspannen. Sobald eine solche Verspieltheit einmal entwickelt ist, zusammen mit einem Forschergeist sowohl seitens des Patienten als auch des Therapeuten, sind auch weitere Spielarten dieser Technik möglich. Es kann zum Beispiel vorgeschlagen werden, dass der Patient für kurze Zeit imitiert, was der Therapeut gemacht hat.
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Das kann äußerst klärende Informationen für den Therapeuten bereitstellen.29 Der Therapeut kann sogar die Imitation imitieren, was dem Patienten wiederum Rückmeldung gibt, damit der Therapeut das Imitierte auch richtig versteht. Zeitweise kann das auch zu einer genaueren Wahrnehmung der tiefer liegenden Gegenübertragungsgefühle führen. Mikrountersuchungen im „Hier und- Jetzt“ dienen nicht der Absicht, alles ins „Nette” zu wenden, und auch nicht als Ersatz für die Exploration tiefer liegender Ängste oder feindseliger Gefühle. Aber behutsam angewendet, eignet sich diese Technik gut, um widerständige Patienten in produktivere Formen des Dialogs einzubinden. Diese Technik bewirkt auch eine gewisse Entmystifizierung der Beziehung. In beiden Beziehungspartnern entsteht ein Bewusstsein etwa der Art: „Das ist es, was wir machen, und zwar gemeinsam.“ Eine derartige Entmystifizierung wirkt beruhigend, auch wenn der Austausch noch zeitweise aggressiver Art ist, oder Momente der Leere enthält oder ein Gefühl des Gegeneinander-Arbeitens. Was Sandler (1960) einen „background of safety“ (übers.: Hintergrund an Sicherheit) genannt hat, wird dadurch verfestigt. Und was ist mit den projektiven Identifizierungen? Dazu ein kurzer Exkurs. Wenn irgendetwas, was ich mit der hier vorgestellten Technik aufzeige, zutrifft, dann müssen wir uns ernsthafte Fragen hinsichtlich der Sinnhaftigkeit des Konzepts der projektiven Identifizierung stellen. Der Punkt, wie bereits erwähnt, ist, dass jene Übertragungs- und Gegenübertragungsphänomene, die wir oft als projektive Identifizierung etikettieren, häufig sinnvoll auf eine Weise erklärt werden können, wie ich es hier dargestellt habe. Im Unterschied zum Konzept der projektiven Identifizierung scheint mir meine Erklärungsweise die knappere und die transparentere zu sein und auch eine, die sich in grundlegenderer Form auf empirisch Beobachtbares stützt. Andererseits herrscht zwischen beiden Erklärungsweisen keine logische Unvereinbarkeit. Bestimmte Verhaltensweisen und bestimmte subjektive Gefühle können früh in der Therapie auftauchen, und die tiefer liegenden Gründe dafür können prinzipiell vielfältiger Natur sein. Ein Patient mag etwa (1) seine Zusammenarbeitsdefizite erfahren und (2) ein unbewusstes Bedürfnis haben, dass der Therapeut eine bestimmte Erfahrung machen sollte und (3) es könnte zusätzlich so sein, dass dieses unbewusste Bedürfnis des Patienten, zumindest zu einem Teil, 30 einige seiner Aktionen motiviert. Warum also nicht? Wenn das meiste an menschlichem Verhalten überdeterminiert ist, dann warum nicht das, was wir projektive Identifizierung nennen, genauso? Und könnte die projektive Identifizierung nicht einen Teil dieser Determinierung ausmachen? Was mich betrifft: Ich neige zu einer Position in der Mitte. Ich finde das Konzept der projektiven Identifizierung nach wie vor nützlich. Zu manchen Zeiten ist es sinnvoll, an die unbewussten Wünsche des Patienten, dem Therapeuten auf diese Weise spezielle Erfahrungen vermitteln zu wollen, zu denken. Aber ich vermute, dass der Rahmen des Verständnisses der projektiven Identifizierung weitgehend überstrapaziert 29
Eine gute Hypothese dazu ist, dass der Patient auf einer prozeduralen Ebene besser „weiß” als auf einer deklaratorischen, was er - vom Therapeuten kommend - registriert hat. Das erklärt die Nützlichkeit von Imitation, die prozedurales „Know-how“ aktiviert. 30 Die Ursache einer projektiven Identifikation erfordert die Aspekte (3) ebenso wie (2), um ihr eine kausale oder motivierende Kraft zuzuschreiben.
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wurde. Wir haben (und auch ich habe es meinerseits auch vielfach getan) zu schnell und zu unkritisch zur Hypothese der projektiven Identifizierung gegriffen. Wahrscheinlich war das so, weil die projektive Identifizierung oft als einzige Erklärung zur Verfügung zu stehen schien. Ein wenig Scheinheiligkeit im Hinblick auf Mängel in unserer eigenen Vorgangsweise („der Patient hat es in mich hineinversetzt”) mag dabei auch eine Rolle gespielt haben. Nach diesen Bemerkungen ist es sinnvoll anzumerken, dass die verschiedenen Theorien, die sich rund um die projektive Identifizierung entwickelt haben, immer zwei Teile aufwiesen. Einer davon war die Geschichte der Erklärung, warum (Hervorh. PG) projektive Identifizierung stattfindet (d. h. als eine Abwehr, oder als Test, oder als ein Weg, dem Therapeuten etwas zu demonstrieren etc.). Der andere war gedacht als Vorschlag für eine (Interventions)Technik (Hervorh. PG), also zentriert auf Folgerungen darüber, was der Therapeut in einer solchen Situation tun sollte. Von den Arbeiten Paula Heimanns (1950) und Bions (1959) ausgehend, 31 wurden diese beiden Aspekte immer gemeinsam betrachtet. Vieles von diesem praktischen überlieferten Wissen bleibt wertvoll von dem Standpunkt aus, der hier dargestellt wurde. Oft kann einiges von diesem „Was kann man damit tun”-Denken für sich allein stehen, im Unterschied zur Frage nach dem „warum“. Einige von Bions (1959) Reflexionen über “containment” z. B. passen gut in die gegenwärtige Perspektive. Bion empfahl, dass der Therapeut sich bemühen sollte, Raum für anscheinend unaushaltbare Gefühle zu 32 schaffen, um dann zu versuchen, sie innerlich zu „entgiften”. Ogden (1994a, b) hat wortgewandt dargestellt, wie der Therapeut lernen muss, sich den Feinheiten des interaktiven Prozesses „zu fügen”. Winnicott (1958) hat hervorgehoben, wie der Therapeut durch (ausreichende) Erhaltung eines Gleichgewichts die (omnipotenten, Einfüg. PG) Ängste des Patienten, den Therapeuten zerstören zu können, reduzieren kann. Die meisten Theorien über die projektive Identifizierung haben auch einen Akzent auf alte Szenen aus der frühen Kindheit des Patienten gesetzt. Die Idee ist üblicherweise, dass der Patient, indem er Emotion X und Verhalten Y „in” den Therapeuten hineinversetzt, ein interaktives Schlüsselmuster, das einst mit einem Familienmitglied (typischerweise einem Elternteil) stattgefunden hat, wiederbelebt. Der Patient reinszeniert nach dieser Vorstellung dieses Muster, so als wollte er dem Therapeuten demonstrieren, wie er die alte Szene einst erlebt hat, oder um zu sehen, ob er eventuell gegenwärtig eine neue, bessere Erfahrung machen kann. Bietet die vereinfachte Erklärung, die ich vorgeschlagen habe, auch Platz für dieses Phänomen? Sie bietet nicht nur Platz für dieses Phänomen, sie sagt voraus, dass solche Ereignisse mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit stattfinden, nicht weil der Patient (notwendigerweise) eine unbewusste Absicht hat, frühe Muster zu reinszenieren, sondern einfach weil seine Körpermikroprozesse auf diese Weise operieren.
31
Melanie Klein , die dieses Konzept als erste beschrieben hat, hatte eine begrenztere Vorstellung der projektiven Identifizierung. Nachdem sie keine Annahmen hinsichtlich bestimmter Reaktionen seitens des Therapeuten getroffen hatte, erteilte sie diesbezüglich auch keine spezifischen klinischen Ratschläge. 32 Andererseits empfahl Bion, die projizierten Gefühle in Form von Interpretationen „zurückzugeben“. Dieser Aspekt der Position Bions wird manchmal in der heutigen Fachliteratur übersehen, wenn man sich auf „containment” bezieht.
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Natürlich mag der Patient auch, wie schon vorher festgestellt, eine unbewusste Absicht haben. Aber auch wenn das nicht der Fall ist, bleibt trotzdem eine Wahrscheinlichkeit bestehen, dass verschiedene Teile des Repertoires an Körpermikroprozessen durch bestimmte Stimuli in der unmittelbaren Situation aktiviert werden. Dass einiges von dem, was mobilisiert wird, sich teilweise auswirken wird auf die Art und Weise, wie sich die Dinge in der Vergangenheit abgespielt haben, scheint nahezu unvermeidlich. Was aktiviert wird, wird auch eine „Hervorrufungskraft” aufweisen, die den Therapeuten beeinflusst. Diese Kraft allein kann ausreichend sein, um ähnliche oder auch komplementäre Re33 aktionen im Therapeuten zu induzieren. Ein diesbezüglich illustratives Ereignis spielte sich in einem Forschungssetting an der Universität Heidelberg ab, und zwar im Rahmen einer Studie über die Beziehung zwischen hospitalisierten Borderline-Müttern und deren (ebenfalls hospitalisierten) Kleinkindern. In unserem Forschungsdesign wurden diese Mütter aus Gründen, die hier nicht weiter ausgeführt werden müssen, auf Video aufgenommen, während sie mit ihren Kindern interagierten. Auf Band aufgenommen wurde zusätzlich eine im Kontakt mit Babys äußerst erfahrene Forschungsassistentin. Eine Mutter-Kind-Diade war von extremer Übergriffigkeit seitens der Mutter gekennzeichnet, etwas nicht Untypisches in einer derartigen Stichprobe. Das interessante Ereignis aber hatte mit der Forschungsassistentin zu tun. Sie war etwas irritiert nach der Videoaufnahme. Sie sagte, sie hätte sich selbst als deutlich übergriffiger erlebt als unter normalen Umständen. Als wir das Video später anschauten, konnten wir bestätigen, dass ihr Verhalten vom Üblichen abwich. Etwas von dem bereits entwickelten Interaktionsstil des Kindes, eines lebhaften, vitalen fünf Monate alten Mädchens, hat etwas Ungewöhnliches in der Forschungsassistentin in Bewegung gesetzt. Nun, kann man dieses Ereignis dadurch erklären, dass das Baby die unbewusste Absicht hatte, dass die Forschungsassistentin übergriffig werden sollte? Oder war das Ereignis einfach ein gutes Beispiel für die Wirkmacht, die das Repertoire eines menschlichen Wesens auf ein anderes auszuüben imstande ist? Auch in diesem Fall ist die Hypothese einer unbewussten „Absicht” natürlich rein logisch möglich. Aber es scheint mir, dass es nicht viele Hinweise für ihre Plausibilität gibt. Ich kehre zu praktisch-therapeutischen Erwägungen zurück. Hat sich der Patient einmal mehr an die gelegentlich stattfindenden, auf den Moment bezogenen Mikrountersuchungen gewöhnt, werden auch darauf bezogene Ableitungen möglich. Eine davon betrifft die gegenwärtigen Außenbeziehungen des Patienten. Üblicherweise reden Patienten, auf die ich mich hier beziehe, viel über ihre Außenbeziehungen, und zwar in einer anklagenden Art und Weise. Andere Personen, ob Partner, Kollegen oder auch Kinder, werden mit hoher Wahrscheinlichkeit als unsensibel, provokant, egozentrisch, ausbeuterisch usw. dargestellt. Die Einsicht der Patienten in die eigenen Beiträge zur destruktiven Beschaffenheit der Beziehung ist gewöhnlich minimal. In diesem Fall könnte ein interessanter Weg fortzufahren darin bestehen, mit den Zuschreibungen über die jeweils dargestellte Person weiterzuarbeiten und in der Folge nach Einzelheiten auf dem Gebiet des Mikroaustausches und der
33
Dieser Gedanke legt nahe, dass manches Mal mehr von unseren eigenen KindheitsMustern mobilisiert wird als wir wahrzunehmen pflegen.
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Kooperation zu fragen. Wie provoziert Person X, wie unterbricht sie, wie weicht sie aus etc.? Was spielt sich auf der Ebene ihrer Körperbewegungen ab, wie ist ihr Tempo, ihr Tonfall, wie verhält es sich mit ihren Gesichtsausdrücken? Und auch: Auf welche Weise, unter welchen Umständen ist X gut in der Zusammenarbeit, und auf welche Weise und in welchem Kontext ist sie es nicht? Was erscheint unentwickelt in den Kooperationsfähigkeiten der Person X? All diese Fragen betreffen eine Aufgabe, die solche Patienten normalerweise recht gern durchführen. Der primäre Zweck solcher Fragen besteht nicht darin, die Zuschreibungen des Patienten in Frage zu stellen (obwohl der Therapeut das manchmal auch tun mag). Was dagegen erreicht werden soll, ist, dass die Neugier des Patienten im Hinblick auf spezifische Beobachtungen geweckt werden soll, die ihn dazu führen, dass er beginnt, seine interpersonalen Erfahrungen 35 genauer zu reflektieren und auf seine Wahrnehmungen zu achten. Mit der Zeit wird der Patient lernen, seine Beobachtungen systematischer darzustellen. Er wird schrittweise bemerken, was er selbst tut und wie seine eigenen Handlungen zu den unbefriedigenden Aspekten einer Beziehung mitbeitragen. Auch Bezugnahmen auf bestimmte Aspekte der Kindheit des Patienten können hilfreich sein, sehr hilfreich sogar für viele Patienten. Der Gedanke dabei ist, die kollaborativen Fähigkeiten als eine Reihe von Fähigkeiten zu thematisieren, die die Eltern ihrerseits besessen haben oder nicht und in deren Entwicklung die Eltern das Kind unterstützen konnten oder nicht. Antworten auf solche Fragen zu finden ist für viele Patienten höchst erhellend. Es wird dadurch ein neuer Rahmen für den Blick auf die eigenen Grenzen geschaffen. Und noch ein weiterer Anreiz wird dadurch ermöglicht: Anstatt sich jeweils selbst die Schuld zuzuschreiben, oder, was gewöhnlich noch öfter vorkommt, einfach zu verleugnen, dass er – der Patient – überhaupt ein Problem hat, kann er nun damit beginnen, sich mit der Wirklichkeit zu konfrontieren, dass für ihn, während er aufgewachsen ist, etwas nicht zur Verfügung gestanden ist, was zu bekommen ihm tatsächlich zugestanden wäre. Ein Patient mag dazu bereit sein oder auch nicht, darüber zu einem frühen Zeitpunkt in der Therapie zu sprechen. Glücklicherweise ist es, aus welchen Gründen auch immer, der „Kindheits-Strang“, der sich oft in der Psychotherapie als leichter anzusprechen erweist als eine Reihe anderer Stränge bzw. Themen. Irgendwie empfinden die meisten Patienten das Sprechen über ihre Kindheit als nicht so belastend oder gefährlich oder beschämend, zumindest auf den ersten Blick, jedenfalls kaum vergleichbar mit der emotionalen Schwere von TraumaErinnerungen. Auch ruft das Reden über die Kindheit nicht dieselben Ausmaße an Verzweiflung hervor, die manche Patienten erleben, wenn sie sich unmittelbar einem frühen emotionalen Defizit gegenüber sehen. Ich meine damit nicht, dass das Reden über die Kindheit keine affektive Aura aufweisen würde. Wenn jemand zu begreifen beginnt, was damals in diesem Bereich geschehen ist und was nicht, mag er wohl von Traurigkeit, Zorn und/oder Bitterkeit überwältigt werden. Manchmal kommen Schuldgefühle 34
Vergleiche Sullivan’s (1954) mehr sprachlich orientierten “Wer-sagt-was-zu-wem”Befragungsstil. 35 Ein diesbezüglich brauchbares Explorationsmodell ist D. Sterns „mikroanalytisches Interview“, auch Küchentisch-Befragung genannt (Stern 2004). Stern beschreibt die Befragung so, als würde sie in einem Forschungssetting durchgeführt werden. Aber Elemente davon können in einfacher Weise auch auf einen psychotherapeutischen Kontext angewendet werden (Stern, persönliche Mitteilung).
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hoch, besonders im Zusammenhang mit den eigenen Kindern des Patienten. Für einige wenige Patienten mag eine intensive Scham über die chaotische Beschaffenheit der eigenen (Herkunfts-)Familie auftauchen. Aber diese Reaktionen werden selten als angstvoll oder unerträglich empfunden. Tatsächlich kann sich dieser Bereich bei Patienten, die im Allgemeinen wenig Neigung zur Konfrontation mit der eigenen Vergangenheit verspüren, als ein praktikabler Weg herausstellen. Ein weiterer Vorteil der Thematisierung der Verbindungen zur Kindheit besteht darin, dass eine realistischere Ahnung von Veränderungsprozessen herausgearbeitet werden kann. Angenommen, dass ein Aspekt blockierter Entwicklung zur Frage steht, dann sollte man dann offensichtlich erwarten, dass auf diesem Gebiet schrittweise therapeutischer Fortschritt stattfindet. Dem Patienten kann dazu verholfen werden zu akzeptieren, dass ein zögerlicher, unbestimmter, „Zwei-Schritte-vorwärts-ein-Schritt-zurück-Veränderungsprozess“ mehr als natürlich ist. Hin und wieder wird ein Patient darüber besorgt sein, dass die Tatsache, dass der Therapeut das Thema Vergangenheit einbringt, gleichbedeutend damit ist, dass er selbst – der Patient – an allen Verwirrungen in der therapeutischen Beziehung in Wirklichkeit selber schuld ist. Dem kann schnell abgeholfen werden. Der Therapeut erklärt einfach, dass jedes Chaos oder jede Stagnation in der Beziehung zum Prozess dazugehört, und dass unvermeidlicherweise beide Seiten dazu beitragen, und dass dynamische Systeme eben auf diese Weise funktionieren würden (natürlich würde man das in Worten erklären, die der Sprache des Patienten angemessen wären). Manchmal kann ein Patient mit etwa folgenden Worten argumentieren: „Wenn soviel von alledem, was für mich wichtig gewesen wäre, in meiner Kindheit gefehlt hat, bedeutet das nicht, dass ich derjenige bin, der die größten Defizi36 te hat?“ Nach meiner Erfahrung ist die beste Erwiderung darauf (nachdem dieses Argument schließlich meistens zutrifft), dem nicht zu widersprechen, aber es einfach ein wenig herunterzuspielen z. B. so: „Wer weiß, es kann schon sein, es ist aber nicht so wichtig, der wichtige Punkt ist, dass wir hier festgefahren sind, und zumindest etwas davon muss von uns beiden kommen, und das Problem, aus dieser Sackgasse herauszukommen, ist daher ein gemeinsames.“ Was ich für den möglicherweise technisch wirksamsten Schritt halte, ist der am schwierigsten zu beschreibende. Ich nenne es einen Anpassungsversuch 37: ein bewusstes, punktgenaues Variieren der prozeduralen, interaktiven Muster, die vom Therapeuten eingeführt werden. Das heißt: Man wird sich eines wiederholt negativen Musters bewusst. Man baut (auf unmerkliche Weise) ein Gewahrsein auf über das „Wer-tut-was“, und in welcher typischen Abfolge dieses Muster auftritt. Dann, in einem günstig erscheinenden Augenblick, moduliert der Therapeut etwas an seinem eigenen Verhalten, meist nur ein klein wenig und nur ganz kurzzeitig. Zum Beispiel fügt er eine Nuance hinzu, eine ungewohnte Körperbeugung zu einer Handlung, oder einen leicht geänderten Tonfall, oder eine minimal andere Bewegungsqualität in der Körperhaltung oder etwas dergleichen. 36 37
Gemeint ist hier: Ich als Interaktionspartner im System Patient-Therapeut (Anm. PG). Orig.: „modulation probe“
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Der Therapeut sollte dabei vorsichtig sein. Die Idee dahinter ist keinesfalls, die „Körper-zu Körper-Architektur“ gleichsam wie mit einem vorgefassten Ideal auf eine Linie zu bringen. Es geht nicht darum, ein Lächeln auf Seiten des Patienten mit einem eigenen Lächeln genau abzustimmen, oder mit der Körperhaltung des Therapeuten jene des Patienten widerzuspiegeln. Weil die nonverbale Matrix einer Beziehung einzigartig ist, darf das, was teilweise als produktive Variante funktionieren mag, auch eine eigene idiosynkratische Logik aufweisen. Man weiß eben nicht immer im Vorhinein, was passieren wird, und man darf bzw. muss Erfindergeist einsetzen. D. Stern (1997) hat in diesem Zusam38 menhang von einer „Fessel des Wissensgebietes“ gesprochen, und wie deren Unwiderstehlichkeit die Erfindergabe des Therapeuten abwürgen kann. Stern (ebend. S. 194) merkt an, dass diese Fesseln abgestreift werden können, wenn der Therapeut dazu in der Lage ist, sich Alternativen zu der gerade ablaufenden Interaktion vorstellen zu können. Man sollte jedoch ebenfalls darauf achten, dabei nicht zu übertreiben. Das Risiko besteht darin, zu viel an Künstlichkeit einzuführen und damit eine „Gestelztheit“ einer bereits befrachteten Beziehung oben draufzusetzen. Andererseits ist auch nicht zu erwarten, dass ein neu hinzugefügter (oder weg gelassener) Zwischenton dem Therapeuten, der es ausprobiert, „natürlich“ erscheinen muss. Der Versuch mag sich eigenartig, unflüssig und auch unorganisch anfühlen. Ein Zusatzbemerkung etwa wie „Na gut, ich werde das einfach einmal ausprobieren“ ist meistens unumgänglich. Man führt also eine leichte Modulation ein. Und dann achtet man darauf, ob irgendetwas Entsprechendes, wie geringfügig auch immer, vom Patienten zurückkommt. Wenn der Therapeut z. B. seinen Ärger in der Stimme um ein Quäntchen reduziert, oder wenn es ihm gelingt, die Spannung, die er in seiner Augenregion verspürt, bewusst ein wenig zu vermindern, dann verlagert der Patient vielleicht seine eigene Stimme ebenfalls ein wenig, oder er korrigiert seine Körperhaltung minimal, schaut mit seinen Augen weniger streitlustig aus, oder verringert die aufgeladene Intensität in seinen Gesten. Wenn der Therapeut irgendetwas Derartiges auf der Seite des Patienten feststellen kann, dann kann er versuchen, diese Modulation noch einen Schritt weiterzuführen, um zu sehen, ob das im Gegenzug eine gleichartige Reaktion hervorruft. Zeitweise wird dadurch vielleicht sogar eine „Kette“ (Greenspan & Shanker 2004) an Modulationen folgen, ein fortgesetztes Vorwärts und Rückwärts von einander abwechselnden Reaktionen. Gelegentlich kann man sogar die Zahl der Glieder in dieser Kette abzählen. Natürlich wird oftmals eine Modulationsprobe nirgendwohin führen. Nichts Besonderes scheint vom Patienten zurückzukommen, zumindest nichts für den Therapeuten Erkennbares. Das stellt aber kein weiteres Problem dar, denn wechselseitige Prozesse bewegen sich rasch weiter. Normalerweise verschwindet daher die nicht geglückte Modulation einfach wieder im Strom der Interaktion. Wenn der Patient auf den Modulationsversuch des Therapeuten positiv anspricht und antwortet, geht es um die Entscheidung, ob man kurz darauf verbal eingeht oder nicht. Ich finde, dass es dafür keine Regel gibt. Manches Mal erweist sich ein Verbalisieren als produktiv, manchmal als überflüssig.
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Orig.: “grip of the field“
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Eine andere Art mit einer solchen prozeduralen Antwort umzugehen besteht darin einfach festzuhalten, dass (Hervorh. PG) sie geschehen ist, um dann früher oder später ähnliche Modulationen auszuprobieren und darauf zu achten, wohin sie führen. Stephen Knoblauch (2000), der sehr gute Beispiele für Modulationsproben geliefert hat, schlägt eine Analogie zum Jazz vor. Man führt eine Modulation auf jene geistesverwandte Art ein, so wie ein Jazzmusiker die Melodieführung übernimmt und eine kleine Variante zu dem hinzufügt, was gerade vorher von einem anderen Musiker gespielt wurde. Es scheint nicht leicht zu sein, für diesen Vorgang eine bessere Metapher zu finden. Eine solche Gesamtausrichtung im therapeutischen Vorgehen, wie ich sie hier beschreibe, kann für jeden Therapeuten, der psychodynamisch arbeitet, produktiv sein. Viele weitere zusätzliche Möglichkeiten eröffnen sich besonders für Therapeuten, die es gewohnt sind, körperorientiert zu arbeiten. Es wird manchmal angenommen, dass, je schwerer der Patient gestört ist, desto weniger Techniken indiziert wären, die unmittelbar auf den Körper fokussieren. Das ist nach meiner Erfahrung überhaupt nicht der Fall. Der Therapeut muss einfach die richtigen Techniken kennen und eine gute Urteilskraft aufweisen, wann und wie er sie anwenden kann. Weiters sollte man ein allgemeines Prinzip nicht vergessen: Je schwerer gestört der Patient ist, desto größer ist sein Bedarf für etwas, was auf positive Weise dazu verhelfen kann, den Körper und das prozedurale „In-der-Welt-sein“ neu zu organisieren. (Vgl. Röhricht u. Priebe 2006) Auf diese Weise in der Beziehung zu arbeiten, wie hier vorgestellt, ist ein großer Schritt hinsichtlich der Aufmerksamkeit auf das körperliche Geschehen. Der Patient sieht in zunehmendem Masse, wie er zur Architektur der Mikroprozesse beiträgt. Er/sie (der/die PatientIn) beobachtet auch, wie der Therapeut dazu beiträgt. Zu beobachten und zu erkennen, wie und was von beiden Seiten kommt, nimmt eine eigene, ineinander verwobene Gestalt an. Ein Teilbereich davon ist, wie er/sie seinen/ihren eigenen Körper subjektiv wahrnimmt. Die zweite Gestalt hat damit zu tun, wie er/sie den eigenen Körper in bestimmten Momenten der Interaktion organisiert: wo genau er/sie sein/ihr Becken platziert, die Art, wie er/sie die Schultern anspannt, eine Veränderung im Atemmuster usw. Diese vielfältigen Perspektiven auf den Körper werden sich in der Art und Weise, wie sich die Dinge in der Therapie entwickeln, oft auf beinahe unvermeidliche Weise miteinander verflechten.
Ein siebzehnjähriger Vater Jason, ein siebzehnjähriger Vater eines zwei Monate alten Sohnes, begab sich in Therapie, um Hilfe bei seiner Umstellung in die Verantwortung der Elternschaft zu bekommen. Der Beginn der therapeutischen Beziehung war beherrscht von Misstrauen und Ärger. Wahrscheinlich wäre Jason nicht bei mir in Therapie geblieben, wäre er nicht mit der gesetzlichen Drohung konfrontiert gewesen, die Fürsorge für sein Kind zu verlieren. Immerhin gelang es uns, trotz seiner, sozusagen von außen aufgezwungenen Teilnahme, Schritt für Schritt einen Weg zu echteren Momenten von Zusammenarbeit zu finden. (Ich sollte hinzufügen, dass solche Fortschritte häufig einfacher in Eltern-Kind-Psychotherapie-Settings zu bewerkstelligen sind, aus einer ganzen
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George Downing
Reihe von Gründen, die ich hier nicht weiter ausführen werde.) In einer vorangegangenen Sitzung hatte ich ihn darin unterstützt, ein neues mögliches Verhalten zur Verbesserung seiner Interaktion mit seinem Sohn durchzudenken. Jason zeigte bemer39 kenswerten Erfolg in den darauf folgenden Tagen im Bereich des „vocal matching“ mit seinem Baby. Während solcher Versuche verspürte Jason des Öfteren das Aufkommen einer intensiven emotionalen Wärme, die er als etwas beinahe „Brennendes” in seiner Brust beschrieb. Obwohl diese neuen Empfindungen auf körperlicher Ebene als teilweise angenehm von ihm erfahren wurden, so lösten sie bei ihm doch beträchtliche Ängste aus. Wir wandten uns für den Rest der Sitzung einer Reihe von behutsamen Körpertechniken zu. Jason empfand Stück für Stück ein Nachlassen der chronischen Muskelverspannung in seiner Brust. Gleichzeitig damit bahnten sich Gefühle der Traurigkeit und der Angst ihren Weg, zusammen mit Erinnerungen, die er mit für ihn erschreckender Gewalt in seiner Herkunftsfamilie verband. Durch die Erforschung einiger Alternativen, sich selbst durch Kontaktnahme mit seinen Beinen zu unterstützen, und durch die Art und Weise, wie er sein Becken im Verhältnis zu seinen Beinen einrichten konnte, fand er neue Wege, diese auftauchenden Gefühle erheblich besser auszuhalten. Wir kamen zu dem Schluss, dass er in den nächsten Tagen mit meiner Hilfe einige praktische Entscheidungen, den Kontakt zu seinem Sohn betreffend, machen sollte. Wenn seine Gefühle von Wärme und Verbundenheit sich nur ein gewisses Maß über seine Behaglichkeitsgrenze hinaus intensivieren sollten, dann würde er sie immerhin für eine größere Anzahl von Sekunden zulassen können. Und er würde sich auch seinen Beinen und seinem Becken zuwenden, um darauf zu achten, welche Anpassungen in dieser Region sein Erleben leichter handhabbar machen würden. Wenn andererseits die Wärmegefühle zu schwer auszuhalten wären, oder zu intensive Ärger- und Traurigkeitsgefühle aufkommen würden, dann sollte er sein affektives Engagement zu diesem Zeitpunkt aktiv vermindern. Wir erstellten auf diese Weise einen Arbeitsplan für die nahe Zukunft, mit dem wir uns direkt auf das Trauma konzentrierten, das mit seinen früheren Gewalterfahrungen in seiner Herkunftsfamilie verbunden war. In der folgenden Sitzung, nicht lange danach, waren wir in der Lage, einen Austausch zwischen uns beiden in Verbindung mit derselben Thematik bis ins Detail zu explorieren. Er war traurig geworden, und auch ich selbst wurde in der Folge traurig, und das hatte zu einem stillen Blickaustausch für einige Sekunden zwischen uns beiden geführt. Ich hatte diesen Wechsel in unserer Stimmung mehr oder weniger bewusst bemerkt und konnte Jason dazu bringen, das Geschehen mit mir gemeinsam zu erkunden. Wir waren in der Lage zurückzublicken und die eben beschriebenen Schritte zu rekonstruieren. Seine zugrunde liegende Angst in Zusammenhang mit mir – vor der Art der emotionalen Verbindung, die für einen Augenblick gegenwärtig gewesen war, zusammen mit meinem unterschwelligen Unbehagen darüber, dass ein solcher positiver Austausch in unserer Beziehung nicht öfter vorkam (ein Unbehagen, dass ich als ein übertriebenes Bedürfnis nach Bestätigung zu erkennen begann) – kamen zur Diskussion. Es wurde ihm sehr deutlich, wie er seinen Oberkörper im Moment des abrupten Wechsels neu einrichtete, indem er ihn aufrichtete und versteifte.
Der Einsatz von Körpertechniken bietet eine natürliche Ergänzung zur therapeutischen Akzentuierung des wechselseitigen Austauschs. Jede dieser beiden Perspektiven – die verbale und die körperliche – eröffnet einen jeweils anderen Zugang zu Körpermikropraktiken und deren potenzieller Reorganisation. In habe versucht, einen bescheidenen Beitrag in diesem Zusammenspiel technischer Schritte vorzustellen. Ich habe versucht darzulegen, auf welche Weise solche Schritte ihre spezifische Nützlichkeit in einer frühen Arbeitsphase 39
Übers.: Abstimmung im Stimmbereich
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die therapeutische Beziehung erhalten können, wenn diese besonders dornig und unproduktiv ist. Meine vorgeschlagenen Schritte sind nicht als Ersatz für die Aufdeckung unbewusster Abwehr, unbewusster Motive oder Ängste in der therapeutischen Beziehung zu verstehen. Noch weniger sollten sie so verstanden werden, dass sie eine tiefere intrapsychische Arbeit ersetzen könnten. Dennoch haben sie ihren eigenen Wert, den man – so hoffe ich – dieser kurzen Darstellung intuitiv entnehmen mag. George Downing, Dr. phil., Körperpsychotherapeut, Supervisor am Salpetriére-Hospital in Paris, Gastprofessor für Klinische Psychologie an der Universität Klagenfurt. Adresse: F-75016 Paris, 10 Rue Massenet E-Mail:
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KAPITEL
5 Weiterbildung und Ausblick
Überlegungen zur Erfassung des körperlichen Geschehens in der Weiterbildung zum Psychoanalytiker Peter Geißler, Günter Heisterkamp und Tilmann Moser
1. Übergangsformen Derzeit steht die Psychoanalyse vor der psychologiehistorischen Entwicklungsaufgabe, sich für die unmittelbaren Wirkungszusammenhänge zwischen Patient und Therapeut zu öffnen. Bisher wurden diese nur als Erfahrungsgrundlage für das nachträgliche Durcharbeiten betrachtet. Mittlerweile wird aber immer deutlicher, dass dieser unmittelbare Austausch seine eigenen heilsamen bzw. unheilsamen Wirkungen impliziert. Bei wachsender Sensibilisierung für das Gesamtgeschehen kann der Therapeut zunehmend tiefer erfassen, was er alles macht, indem er das macht, was er macht. Neben den Prinzipien der Deutung und der Beziehung wird dann auch ein latent wirksames Handlungsprinzip erkennbar. Psychoanalytiker und tiefenpsychologisch orientierte Therapeuten haben mehrere Möglichkeiten, sich der operativen Dimension bewusst zu werden und ihre psychotherapeutische Kompetenz zu entwickeln, den Patienten dabei zu unterstützen, sich selbst wiederzufinden und zu übernehmen, seines immanenten Lebenswissens inne zu werden, seine Lebensbewegungen zu erweitern und zu steigern. Zunächst hat jeder Therapeut die Gelegenheit, sich im Rahmen des tradierten Settings und auf der Grundlage seines psychoanalytischen Verständnisses allmählich auf die leibliche Dimension des psychotherapeutischen Wirkungsgeschehens einzulassen und erste Erfahrungen mit dieser praxeologisch noch weitgehend unerschlossenen Dimension zu machen. Er kann das Prinzip von Ansprechen und Deuten allmählich relativieren, indem er den leiblichen Artikulationen des Selbst einen Spielraum bietet, wo sie prozedural die Bedeutungen ausformen und implizit mitteilen (Geißler u. Heisterkamp i. d. B.), die sie anders nicht ausdrücken können. So kann der Therapeut dem Patienten z. B. anbieten, einmal länger und ohne zu sprechen bei einer im Therapieprozess spontan aufgetauchten Hand- oder Kopfbewegung zu bleiben und sich auf den Vorgang der Bewegung wahrnehmend einzulassen. Typische Beispiele dazu finden sich in vielen Aufsätzen dieses Buches. Eine unausdrückliche „Weiterbildung" kann der Therapeut insbesondere bei den Patienten machen, die es nicht mehr im Sessel oder auf der Couch hält und den Therapeuten, ob er es will oder nicht, in eine Handlungseinheit einbeziehen. Derartige Enactments erschließen sich, wenn der Therapeut darin ein Geschehen zu sehen lernt, auf das der Patient angewiesen ist. Hier lässt sich
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Peter Geißler, Günter Heisterkamp und Tilmann Moser
auch ein Bezug zu Piaget (1946) herstellen, nach dem alle intellektuellen oder mentalen Leistungen aus operativen Formen heraus in einem allmählichen Abstraktionsprozess entstanden sind. In seiner Handlung reorganisiert der Patient eine Modellszene, um sie möglichst mit aktiver Hilfe des Therapeuten entwicklungs- und regressionsanalog zu begreifen und zu behandeln. Die Inszenierungen oder Enactments enthalten meist eindrückliche Andeutungen bzw. Anspielungen, wie die Behandlung weitergehen könnte. Ein schönes Beispiel dafür hat mir (G. H.) in einer meiner Supervisionsveranstaltungen eine homöopathisch arbeitende Ärztin geschildert, die den Grundsatz der Homöopathie „similia similibus curantur“ auf eine körperliche Intervention anwandte. Im Rahmen einer homöopathischen Behandlung stieß sie beinahe zufällig auf die heilsame Wirkung einer leibfundierten Spiegelung. Sie war so freundlich, diese Erfahrung niederzuschreiben.
Wie müssen Sie sich verbiegen! Es handelt sich um eine etwa fünfzigjährige Patientin, die bei mir in wechselnden Abständen wegen akuter Erkrankungen, die ich aber immer mit ihr zusammen ganzheitlich angeschaut habe, in Behandlung ist. Erwähnenswert ist aus der Anamnese im Besonderen, dass sie etwa zwischen dem 9. und 12. Lebensjahr vom eigenen Vater sexuell missbraucht wurde. Von ihrem Ehemann ist sie seit mehreren Jahren getrennt. Sie hat zwei Töchter und lebt seit kurzem mit ihrem neuen Lebenspartner in dessen Haus zusammen. Eines Tages rief sie mich an, da sie starke Rückenschmerzen hatte. Bei der Konsultation stellte sich heraus, dass sie seit zwei Wochen Schmerzen im Nacken hatte und seit zwei Tagen in der linken Schulter, in den linken Arm ausstrahlend. Die letzte Nacht hatte sie sitzend im Sessel verbracht. Erst durch Ausstrecken des Armes über den Kopf hatte sie eine Haltung gefunden, die erträglich war. Ich habe sie gebeten, mir diese Stellung einmal vorzumachen. Da ich es als außergewöhnlich erlebte, bei Schmerzen solch eine Haltung einzunehmen, habe ich die Körperhaltung ungläubig nachgemacht, was sie dann sehr komisch fand. Wir mussten beide darüber lachen. Ich habe ihr zurückgemeldet, wie anstrengend und voller Spannung diese Haltung für mich wäre und spontan gefragt: „Wie müssen Sie sich verbiegen, dass die Situation einigermaßen erträglich für Sie ist?" Über diese Frage kamen bei ihr viele Assoziationen zu ihrer Lebenssituation. Ich habe ihr zum Schluss der Sitzung noch ein homöopathisches Mittel gegeben und sie gebeten, mir spätestens drei Tage später wieder Bescheid zu geben, bei Verschlechterung früher. Die Rückmeldung nach drei Tagen war, dass sie schon am Nachmittag nach der Konsultation bei mir beschwerdefrei war und geblieben ist.
Wir wissen, und der Umfang dieses Lehrbuchs zeugt davon, dass eine solche Spiegelung nicht wie eine Wunderheilung wirkt und das nachträgliche Durcharbeiten überflüssig macht. Hier wird vielmehr die Erfahrung einer ganzheitlich orientierten Ärztin geschildert, die sie auf die leibliche und interaktive Dimension psychotherapeutischer Behandlung neugierig werden ließ. Wenn man diese Bedenken berücksichtigt, kann man das Beispiel als eine Weiterführung des von Fromm-Reichmann (1959, Heisterkamp 2002a, S. 132 ff.) in die Psychoanalyse eingeführten Verfahrens der stellvertretenden Nachahmung betrachten, insofern das Nachspielen einer körperlichen Haltung nicht mehr heimlich geschieht, sondern intersubjektiv einbezogen ist.
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2. Ergänzung zur herkömmlichen psychoanalytischen Weiterbildung Müller-Braunschweig (2002) plädiert dafür, dass in der psychoanalytischen Ausbildung die Aufmerksamkeit für „nonverbale“ Abläufe ebenso geschult wird, wie das schon für die unbewussten Inhalte geschieht. Die Förderung der analytischen Kompetenz im Umgang mit leiblichen Lebensbewegungen ist in doppelter Hinsicht von Bedeutung. Zum einen hilft sie dem Analytiker bzw. bereitet ihn darauf vor, die Fülle von Enactments oder Handlungseinheiten, in die er im Laufe der langen Behandlungen einbezogen wird, basal zu verstehen und sich so zu verhalten, dass ein operatives Verstehen ermöglicht wird und förderliche Entwicklungen geschehen können. Zum anderen kann er lernen, wie die leiblichen Ausdrucksbewegungen so in die analytische Behandlung einbezogen werden können, dass sie durch die Art der Intervention nicht gleich wieder in den Hintergrund der Beachtung gedrängt werden, sondern den zeitlichen und räumlichen Möglichkeitsraum erhalten können, damit die Bedeutungen, die sie implizieren, ins Bild gelangen und erfahrbar werden. Eine wichtige Ergänzung zur psychoanalytischen Weiterbildung wären Seminare, in denen der angehende Analytiker die basalen Verstehens- und Erfahrungsmöglichkeiten selbst erleben kann. Im Rahmen von Weiterbildungsveranstaltungen in Psychodrama, Bewegungs-, Tanz-, Körper- oder Integrativer Psychotherapie ist es am besten möglich, „by doing“ die „Erkenntnisdignität" des Leibes (Kühn 1995) zu verstehen. Bei konkreten Handlungs-, Bewegungs- und Berührungsproben kann der Teilnehmer am eigenen Leibe erfahren, dass es unmittelbare Modi der Selbstwahrnehmung, des Selbstverstehens und der Selbstbehandlung gibt, die dem hermeneutischen Verstehen vorangehen und es begründen. Unsere eigenen Erfahrungen aus körperpsychotherapeutischen Weiterbildungen zeigen, wie sich bereits bei weitgehend technisch organisierten Anordnungen, die der bloßen Einübung in spezifische Verfahren dienen, fruchtbare Erfahrungen ergaben. Obwohl die Weiterbildungsveranstaltungen nur in Blockform durchgeführt und die einzelnen Blöcke auch noch von verschiedenen Trainern geleitet wurden und wenig Bezug untereinander hatten, haben wir dabei bewegende und tiefgehende Selbsterfahrungen gemacht und Erinnerungen aus den ersten Jahren unseres Lebens wiederbelebt. Die Gefahr solcher isolierter Erfahrungen und die damit eventuell verbundenen Risiken der Überforderung eines Patienten mit ichstrukturellen Defiziten seien erwähnt, stehen hier aber nicht im Vordergrund. Anfangs war es sogar so, dass ich (G. H.) die aus dem Prozess herausgelösten leibfundierten Selbsterfahrungen „als eingefleischter Analytiker“ nicht wahrhaben wollte, weil sie vermeintlich doch erst im Laufe eines psychotherapeutischen Prozesses hätten erarbeitet werden können. Ich lernte aber mehr und mehr wahrzunehmen, dass ich durch die quasi aus einem analytischen Prozess herausgelösten Angebote immer wieder überraschender und tiefgehender Ereignisse meiner Biographie innewurde. Nirgendwo sonst ist mir die ubiquitäre Tendenz des Seelischen, sich immanent zu verstehen und zu behandeln, d. h. selbstschöpferisch in einer Art Suchbewegung das Umfeld auf Anhaltspunkte für die Strukturierung und Umstrukturierung des Selbst abzutasten, so deutlich geworden.
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Diese schöpferische Kraft, die Adler (1908, 1933a, 1995, Hellgardt 1995, S. 416 ff.) schon vor fast 100 Jahren begrifflich in die Tiefenpsychologie eingeführt hat, wird meines Erachtens in der gegenwärtigen Psychoanalyse noch nicht gebührend berücksichtigt. In exemplarischer Weise können Teilnehmer in solchen Übungen wahrnehmen, wie wir dem Unbewussten mit einer Handlungsprobe einen weiten Raum sowie einen bedeutungsvollen Anhalt bieten, um prozedural erfahrbar und bearbeitbar zu werden. Vor dem theoretischen Hintergrund des sich entwickelnden Selbstempfindens und Selbstwerdens verstehen wir die Notwendigkeit einer strukturellen Reduktion und die Bedeutung entwicklungs- und regressionsanalogen Verstehens und Behandelns. Als ein Beispiel für ein derartiges Übungsseminar sei auf einen informativen Aufsatz von Oelmann (2003) verwiesen, in dem er Übungen zur organismischen Selbsterfahrung (Sehen, Spüren, Atmen, Töne machen, Ausdehnen, Zusammenziehen, Sitzen, Liegen, Hüpfen usw.) und zu den Primäraffekten (spielerisches Aufsuchen und Antippen der verschiedenen Primäraffekte) anbietet. Die von Oelmann beschriebenen Möglichkeiten, sich selbst zu erfahren, stellen für Therapeuten eine gute Gelegenheit dar, die organismische Selbsterfahrung zu vertiefen und sich wie in einem kasuistisch-technischen Seminar für basale Wirkungszusammenhänge der Behandlung zu sensibilisieren. Erst wenn man sie am eigenen Leib erfahren hat, kann man sie dem Patienten fundiert als Selbsterfahrungsmöglichkeiten anbieten. Das gilt natürlich auch für die Erfahrungen der Analyse: Wer nicht selber eine längere Zeit auf der Couch gelegen hat, kann nur abstrakt und kognitiv darüber sprechen, schreiben, diskutieren. Weiterbildungsangebote bei Vertretern „analytischer Körperpsychotherapie“ (Geißler, Heisterkamp, Moser, Worm u. a.) bieten diese Handlungsproben bereits im Kontext der psychoanalytischen Neurosen- und Behandlungstheorie an, was bedeutet, dass sie selbstpsychologisch, beziehungsanalytisch und konflikttheoretisch reflektiert werden. Oft erleichtern konkrete Handlungshilfen den Zugang zu einer Tiefendimension von Affekten (die sich dann nicht selten in „kathartischer“ Form zeigen), wie sie im tradierten psychoanalytischen Setting eher selten auftauchen. Daher besteht ein gewisser Zusammenhang zwischen Settingvorgabe und Qualität der affektiven Involvierung (vgl. Scharff 1998); ein abgestimmtes und differenziertes Vorgeben entsprechender Instruktionen wird vorausgesetzt, damit die Suggestion beim Teilnehmer nicht als Zwang erlebt wird. Der Teilnehmer soll immer genügend Spielraum erleben können, die Vorgaben individuell auszugestalten. Es erweist sich in der Regel als sinnvoll, die Anregung zu einer Erprobung nur in ihren Kerninformationen mitzuteilen und möglichst alle ergänzenden oder beispielhaften Konkretisierungen wegzulassen. Die „vage“ Instruktion wird dadurch gewissermaßen zu einer operativen Variante der Bilder des Rohrschach- oder des Thematischen Apperzeptionstests. Die offenen Stellen werden vom Teilnehmer selbst projektiv ausgestaltet, so dass die Möglichkeit der individuellen Ausformung der Kerninstruktion weitgehend gewahrt bleibt. Zur Veranschaulichung schildere ich (G. H.) einige individuelle Szenen, die sich aus dem Angebot einer Übung ergeben haben. Sie besteht darin, dass ich die Teilnehmer einer Weiterbildungsgruppe gebeten hatte, sich in Dreiergruppen zu formieren, und Folgendes auszuprobieren: Einer legt sich hin, ein anderer
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bewegt sich um den Liegenden herum und ein Dritter beobachtet das Geschehen. Die Kleingruppe hatte Zeit genug, um alle Positionen einmal durchzuspielen. Dabei ergaben sich vielfältige Szenen, die im Folgenden nur angedeutet werden können. Bereits die auf die Anregungen erfolgenden Reaktionen sind bedeutsam, wenn zum Beispiel nachgefragt wird, ob man auf dem Bauch oder auf dem Rücken liegen „solle“ oder ob man sich bei der Übung anschauen „solle““ oder nicht usw.:
Szenen einer Übung aus einer Weiterbildungsgruppe – Eine Frau ist betroffen darüber, wie sehr sie den vermeintlichen Anweisungen des Leiters, sich nicht zu berühren, brav gefolgt ist, als sie merkt, dass einige nicht nur um den Liegenden herumgehen, sondern ihn sogar berühren. Sie selbst wäre andererseits aber auch in der Liegeposition höchst enttäuscht gewesen, wenn plötzlich einer sich anders verhalten hätte, als sie es in ihrer Folgsamkeit sofort antizipiert hatte. – Eine andere hat spontan die Phantasie, noch bevor sie mit der Übung angefangen hat, dass ihr toter, von ehemaligen Zwangsarbeitern am Ende des Krieges erschlagener Vater am Boden liegt. Sie wird sofort von einer tiefen Trauer überfallen. Wir entdecken hier auch das Bild eines schrecklichen Mangels an Resonanz, der für ihre Kindheit typisch war. Sie war ohne den Vater mit einer traumatisierten Mutter aufgewachsen, die hilflos die Ermordung des Vaters hatte mit ansehen müssen. – Bei einem älteren Teilnehmer fällt auf, dass er den Herumgehenden sofort als Soldaten („SS-Offizier“) antizipiert, der aggressiv um sein Opfer herummarschiert. – Ein Gruppenmitglied findet, dass ein Dritter als teilnehmender Beobachter hier gar keinen Platz hätte. Dieser könne allenfalls mit dem anderen herumgehen. Das wird beispielhaft dafür, wie er aus einer Dreieckskonstellation eine Zweiersituation macht. Als es zwischen den beiden anderen innig wird, will er weggucken, kann es nicht aushalten, sich aus dieser Innigkeit ausgeschlossen zu erleben. – Eine Teilnehmerin kann nicht ertragen, dass der Mitspieler so ruhig liegt. Diese Ruhe mache sie unsicher, weil sie nicht wisse, wie sich der andere fühle. Das wird zum Hinweis, in welchem hohen Maße sie sofort Verantwortlichkeit für den anderen übernimmt. Sie sucht ihre Sicherheit immer außerhalb. Sie kann sich nicht auf ihr eigenes Erleben verlassen. „Sobald ich nicht genau weiß, wie es dem anderen geht, springe ich an wie eine soziale Feuerwehrfrau.“ – Ein anderer hat die Phantasie, dass er um die kranke Mutter herumgeht und der Vater abseits steht. Er spürt dann auch die Zerreißprobe zwischen der Tendenz, bei der Mutter zu bleiben, und dem Bedürfnis, von dem Vater entlastet zu werden, aber damit auch den Platz des Liebhabers an der Seite der Mutter zu verlieren. – Ein weiterer Teilnehmer spürt, wie es ihm allein bei der Vorstellung der Übung heiß wird, noch bevor seine Angst, dass es zu nahe werden könnte, sich in Worte fassen lässt. – Eine Frau erlebt sich sofort in einer gestörten Triangulierung, in der sie sich ausgeschlossen fühlt. – In einer anderen Kleingruppe wird einer Teilnehmerin deutlich, dass sie auf den um sie Herumgehenden auf der einen Seite ihres Körpers zugewandt reagiert, während sie ihn geradezu abzuschütteln versucht, wenn er sich auf der anderen Körperseite zwischen ihr und die Beobachterin, die sie als Mutterfigur wahrnimmt, zu drängen scheint, als dürfe niemand zwischen sie und ihre Mutter kommen.
Auch Worm macht in ihrem Aufsatz „Zum Umgang mit Handlungsdialogen in der therapeutischen Beziehung“ (i. d. B.) auf die offene Aufgabenstellung aufmerksam: Es gehe nicht um eine bestimmte Durchführung von Übungen, sondern um die abweichende Art der Ausführung. Diese individuelle Performance enthält die wesentlichen Bedeutungen. Sie bildet besonders deutlich die individuellen Lebensbewegungen heraus. Der körperpsychotherapeutisch ge-
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schulte Behandler kann von der Fähigkeit profitieren, affektiv-körperliche Vorgänge rasch wahrzunehmen. Er ist kraft dieser Wahrnehmungskompetenz weniger in Gefahr, die unbewussten Artikulationsformen des Patienten durch vorschnelle verbale Interventionen abzuschneiden, sondern er bietet den sich vielleicht nur andeutenden Ausdrucksimpulsen den Bewegungsspielraum, in dem sich die angedeuteten Sinn- und Bewegungsgestalten auch ausformen können, so dass das Seelische prototypisch an Bedeutung gewinnen kann. In Veranstaltungen szenischer Supervision (Moser 2007, Heisterkamp 2006, Worm i. d. B., „Widerstand“ Kap. 2) werden die Lebensbewegungen ausdrücklich auf den psychotherapeutischen Prozess des Patienten bezogen und reflektiert. Die entsprechenden szenischen Interaktionen bzw. Erprobungen können mittels vielfältiger psychodramatischer Rekonstruktionen und Neukonstruktionen nach- und durchgespielt werden. Dabei werden die sich im psychotherapeutischen Prozess als Enactments oder Ausdrucksbewegungen artikulierenden Andeutungen auf mögliche prozesshafte und operative Anregungen betrachtet. Das Handeln in einer anschaulichen Szene und einem durch konkrete Berührungen verdichteten Raum setzt auf Seiten des Therapeuten eine hoch entwickelte Gegenübertragungskompetenz voraus, die durch eine leibfundierte Selbsterfahrung und durch die Möglichkeiten einer szenischen Supervision erworben werden. (Worm 2005, S. 270 ff.)
3. Integration in die Weiterbildung zum Psychoanalytiker Es fällt nicht ganz leicht, allgemeingültige methodische Richtlinien aufzustellen, wie man die nötige Behandlungskompetenz erwerben kann. Ausbildungswege haben grundsätzlich einen sehr individuellen Verlauf, was in der Natur unseres Gegenstandes liegt. Eine starre Normierung der Ausbildung würde gegen das Prinzip des Lebendigen verstoßen und auf implizitem Weg eine kontraproduktive Botschaft darstellen. Je mehr Lernen auf kreative und nicht schulisch normierte Weise stattfinden kann, umso besser. Hans-Joachim Maaz fragte sich 1997 anlässlich der Gründung der Sektion „Analytische Körperpsychotherapie“ in der DGAPT in seinem Vortrag: „Ist analytische Körperpsychotherapie eine eigene Schule – soll es eine Schule sein? Ich tu mich schwer, das so zu benennen... Die Antwort, die mir am besten gefallen würde, wäre: Ich begründe eine Schule, indem ich keine Schule begründe.“ Er meinte damit wohl, dass er jeglicher schulenbedingten Dogmatisierung entgegenwirken wolle, die sich im Laufe der Zeit aufgrund institutioneller Dynamiken und Sicherungsmechanismen so häufig einstellt. Ihm war gleichsam als emanzipatorisches Prinzip wichtig, dass sich jeder einzelne Therapeut frei fühlen sollte, aus dem Gelernten das zu machen, was seiner Person am meisten entspräche. Ihm war ebenso wichtig, dass ein multimodaler Therapieansatz in erster Linie dem Patienten verpflichtet sein muss und nicht einer Methode.
Andererseits sind methodische Überlegungen dann angebracht, wenn es um die wissenschaftliche Begründung eines therapeutischen Ansatzes und um seine Erlernbarkeit im Rahmen von Ausbildungs- und Fortbildungsprogrammen geht. Bestimmte methodische Logiken und Systematiken erleichtern das Lernen bzw. machen es überhaupt erst möglich. Klar sollte sein, dass jede Systematisie-
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rung implizit den Preis in sich birgt, dass ursprünglich Ganzheitliches und Lebendiges zerteilt und damit auch entfremdet wird; wir brauchen hier eine dialektische Sichtweise, die ebenso den Vorteil wie den Nachteil methodischer Kategorisierungen betont. Ähnlich wie in der Handhabung des Abstinenzprinzips ist die innere Haltung der Ausbilder bei weitem wichtiger als starr vorgegebene Regelwerke. Optimal ist eine Ausbildung in einem psychoanalytischen Institut, das sich nicht gegenüber anderen Methoden abschottet, sondern ihnen gegenüber offen ist. Der supervisorische Prozess kann zusätzlich durch das gelegentliche Benutzen von Videoaufnahmen bereichert werden und dabei helfen, die Gegenübertragungskompetenz auf unmittelbar anschauliche Weise zu erweitern. Aber bei der Rückbeziehung auf den Behandlungsprozess ist wiederum zu vermeiden, dass die mikroanalytischen Beobachtungen zu einem krampfhaften Bemühen um Feinstabstimmung werden, die das sich zeigende Wirkungsgeschehen zwischen Patient und Therapeut partikularisieren und zu atomisieren drohen und dann ihrerseits den Widerständen des Patienten und Therapeuten zuspielen können. Von fundamentaler Bedeutung ist und bleibt bei der Weiterbildung die Selbsterfahrung, allerdings eine, die im leiblichen Austausch zwischen Patient und Analytiker fundiert ist.
4. Vom Segen der Selbsterfahrung (von Tilmann Moser) Wichtig erscheinen mir vier verschiedene Settings zur Selbsterfahrung beim Erlernen analytischer körperpsychotherapeutischer Kompetenz: 1. In der Einzelarbeit, meistens aber in einer Fortbildungsgruppe, gibt der Leiter, wie Günter Heisterkamp es beschreibt, bestimmte Situationen vor, in die sich die Teilnehmer übungshalber hineinbegeben, entweder mit vorgegebenen Phantasien, mit zwischenmenschlichen Handlungssequenzen, meist mit vorgegebenen Rollen von Therapeut, Patient und vielleicht Beobachter. Meist genügen wenige Minuten, um intensive affektive Erlebnisse zu provozieren. Das Erfahrene kann zwischen den Beteiligten in der Minigruppe oder im Plenum besprochen werden. Das Ergebnis ist ein Stück Erleben, das mitgeteilt und damit „bezeugt“ und objektiviert wird, gleichzeitig in gewissem Umfang „verdaut“ wird. Hat das Erleben eine existenzielle Tiefe berührt, dann nimmt der Betreffende dies mit in seine (in den meisten Fällen) laufende Psychotherapie oder Analyse. Das wichtigste Ergebnis ist, neben dem durchaus möglichen therapeutischen Aspekt, die Gewinnung einer affektiven Evidenz für die Körper-Sprache seines Unbewussten, um so mehr, wenn derjenige mit einem ihm fremden Affekt, Beziehungsfragment oder mit einer ungewohnten Einfärbung oder Heftigkeit eines Konflikts konfrontiert wurde. Auf dieses Evidenz-Erlebnis mag er oder sie ihr weiteres Interesse an körperpsychotherapeutische Fortbildung gründen. Es ist sozusagen ein Würfel gefallen. Heisterkamp hat die trotz seiner analytischen Skepsis fortdauernde Wirkung solcher Evidenzerlebnisse im Vorigen beschrieben. 2. Aus solchen Ministrukturen kann sich bei einem solchen Seminar, wenn der Leiter dazu bereit ist, eine intensivere Einzelarbeit entwickeln, zu der es einer ausdrücklichen Verabredung, eines „Kontrakts“ bedarf. Der Proband fragt, ob er zu einem der Themen „arbeiten“ könne, und Analytiker und Klient müssen herausfinden, ob eine einmalige Tiefenarbeit unter Zuhilfenahme auch kör-
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pertherapeutischen Interventionen für den Protagonisten verkraftbar und integrierbar ist. Es geschieht ein Stück intensiver Selbsterfahrung, die durchaus als therapeutisch anzusprechen ist. Der Leiter wird sich noch sicherer fühlen, wenn er oder sie weiß, dass der Betreffende in Therapie ist oder eine gründliche Therapie abgeschlossen hat. Gisela Worm hat diese Form körperanalytischer Einzelarbeit in der Gruppe zu einer gewissen Meisterschaft gebracht. Hier ist der Gewinn doppelt: Evidenzerleben und meist intensiver therapeutischer Gewinn durch den Charakter des unerwarteten Anstoßes in Analyse und Selbstanalyse. 3. Die am tiefsten greifende Form der körperanalytischen Fortbildung ist natürlich eine Therapie oder Analyse bei einem gut ausgebildeten analytisch geschulten Körpertherapeuten. Hier ist die Selbsterfahrung integriert in eine langjährige, beziehungsorientierte Arbeit, in der sowohl Interventionen des Therapeuten stattfinden mit nachfolgender verbaler Integration, wie auch der von Heisterkamp angesprochene Raum zur Verfügung steht für spontane Inszenierung, also einem „Agieren“ in der Analyse, das in die therapeutische Beziehung integriert wird. Dem Patienten steht hier, intensiver als in den anderen Formen, eine Möglichkeit der langsamen Identifizierung mit wichtigen Handlungs- und Deutungsmerkmalen des Therapeuten zur Verfügung, als dem auch aus der klassischen Analyse vertrauten Lernen am Modell. 4. Die von mir am meisten geübte Form der Vermittlung von analytischer Körperpsychotherapie ist die „Supervision als Inszenierung“. (Moser 2007) Die Teilnehmer, Psychotherapeuten, bringen in ihrem Lebensgepäck einige ihrer schwierigsten, sie beunruhigenden Patienten mit in ihren Supervisionstermin in der Gruppe. Für mich wichtig ist bei Kollegen, die noch nie mit körpertherapeutischen Interventionen gearbeitet haben, der so genannte „Durchbruchspatient“. Es ist der Patient, der den Kollegen in eine wichtige Sackgasse geführt hat, bei dem die Ahnung oder auch das deutlich Gefühl entsteht, der Körper gehöre angesichts averbaler und schwer oder unauflösbarer Verstrickungen mit einbezogen in die Therapie. Aber wie? Denn ohne Fortbildung ist das ein ängstigendes Abenteuer, und manchmal droht nebenbei oder hauptamtlich das klassisch-analytische Über-Ich, dem schon die Versuchung oder die Phantasie einer Berührung von Übel ist. Aber der Kollege will sich ja seinem Dilemma stellen und riskiert es, vor den KollegInnen als ratlos dazustehen. Er oder sie berichtet also, und nach einer Weile frage ich, vielleicht nach mehreren Schritten, ob er oder sie die Rolle des Patienten übernehmen mag. Der Grad der Identifizierung ist oft genug erstaunlich tief und den Beteiligten vorher oft nicht bewusst. Diese Identifizierung ist oft auch eine körperliche, und wenn dies klar ist durch die Interaktionen der zugehörigen Familienmitglieder, dann schlage ich vor, ob der Protagonist sich „am eigenen Leib“, der zugleich partiell der Leib des Patienten ist, hilfreiche Berührungen vorstellen könnte. Oft handelt es sich um haltende Berührungen, die phantasiert werden; andere schlage ich vor, aggressive oder Grenzen setzende, und nun geht es ans Erproben, mit den unbedingt nötigen Rückfragen, ob der nächste Schritt vollzogen werden kann. In der Rolle des Patienten, also in gewisser Hinsicht durch diese Indirektheit erleichtert, können ganz neue Erfahrungen zugelassen werden. Sie berühren gleichzeitig das eigene Selbst wie die durch Identifizierung präsent gemachte Person des Patienten. Wenn der Vorgang glückt, gewinnt man eine doppelte Evidenz: für die eigene Person wie für die des Patienten. Und meistens ist das Ergebnis der Mut, in der nächsten Zeit, Vorausphantasie-
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ren mit dem Patienten vorausgesetzt, eine erste Berührung zu wagen, mindestens aber bestimmte Körperhaltungen oder Körpergefühle in der Gegenübertragung anzusprechen. Auch dies braucht natürlich Vertiefung durch die Wiederholung, vielleicht eine dauerhafte Supervision mit einem sachkundigen Kollegen, Selbsterfahrung in der eigenen Therapie, oder Austausch in der Intervisionsgruppe mit Kollegen, die sich zu einem ähnlichen Weg entschlossen haben.
Der unsichtbare Leib. Affektivität und Fleisch in phänomenologischer Sicht Rolf Kühn Seitdem die Menschen auf Erden leben, Gruppen und Paare bildeten, produzierten und konsumierten, haben sie sich in einer unmittelbaren Leiblichkeit bewegt, die als spontanes Lebenswissen keinerlei Wissenschaft bedurfte, um sich ihres eigenen Bewegungsvollzuges in Tun und Handeln stets gewiss zu sein. Die Reflexion oder jede Art von Theorie kann einem solch absolut phänomenologischen Leibsein nicht nur nichts hinzufügen, sondern sie verstellt sogar dessen innere Natur als originäres oder lebendiges Praxiswissen, wenn der „Körper“ zum Thema des Denkens wird. Dies zeigt auf überdeutliche Weise die Ideengeschichte des Leibbegriffs von Philosophie und Theologie bis hin zu den Naturwissenschaften heute, denn entweder wurde der Leib als Körper der „Seele“ entgegengesetzt, welcher das eigentliche bzw. unveränderlich ewige Sein zukam, oder er wurde den übrigen „Weltkörpern“ angeglichen, um wie diese letztlich nur physikalisch-chemische Materie zu sein. Damit sind in Kürze die wesentlichen Vorgaben des Leibverständnisses genannt, die sich vom metaphysischen Leib-Seele-Dualismus der Antike über die galileisch-cartesianische Körperdefinition als res extensa bis hin zur rein funktionalen, gen-kybernetischen Auffassung des Organischen in der Gegenwart spannen. Man sollte sich also keinen Illusionen hingeben: In der streng wissenschaftlichen Biologie und Medizin, wie teilweise auch schon in der Psychologie, gibt es weder Leiblichkeit noch Leben mehr, da diese auf ausschließlich materielle Prozesse reduziert wurden. Dies schlägt natürlich auf das Selbsterleben des je eigenen Leibseins bei den Individuen in der Moderne zurück, um sich entsprechend auch bis in die theoretischen Konzepte der Human- oder Kulturwissenschaften hinein wiederfinden zu lassen. (Kamper/Ritter 1976; Agamben 2002) Kann man aufgrund des wirkungsgeschichtlichen Befundes folglich sagen, dass der sogenannte Leib-Seele-Dualismus eine Problematik darstellt, die das Denken selbst hervorbringt, so fehlen durchaus auf der anderen Seite nicht jene Versuche gerade in der phänomenologischen Philosophie, um der angezeigten Unmittelbarkeit des Leiblichen gerecht zu werden. Schon vor Husserl entdeckte der Descarteskritiker Pierre Maine de Biran (1766–1824) jene leibimmanente Apperzeption, welche das Ichbewusstsein auf die rein praktische „Anstrengung“ zurückführt, wie sie mit jeder muskulären oder willentlichen Intention ohne weitere Vorstellung gegeben ist. Ein solch rein leibliches Existenz- oder Ichgefühl als Cogito schließt die Welt nicht aus, weil die originäre Welterfahrung dabei jener Widerständigkeit gleicht, auf welche die subjektive Anstrengung als Selbstbewegung stößt, wie es die einfachste phänomenologische Tastanalyse offenbart. (Kühn 1992, S. 246 ff.) Die klassische Phänomenologie ab
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1900 beschrieb diese leibliche Grundgegebenheit als das Verhältnis von sinnlichen Kinästhesen und Intentionalitäten, das heißt als die immer mögliche Iteration eines an unseren Leibkörper gebundenen „Ich kann“, wodurch sich die verschiedenen Modalisierungen des Erscheinungssinnes als Phänomen für unser Bewusstsein ergeben. (Husserl 1985, S. 72 ff.) Insbesondere die französische Phänomenologie hat diesen intentionalen Leib als je eigenen subjektiven Leib noch eingehender herausgearbeitet, denn für Merleau-Ponty bin ich beispielsweise derart mit der Welt verflochten, dass meine eigene Subjektivität nicht nur immer eine „in-karnatorische“ ist, sondern diese leibliche Ek-sistenz „überkreuzt“ sich mit der Transzendenz der Welt als solcher, um im affektiv-sinnlichen Erleben dieser Welthaftigkeit meine Daseinsmöglichkeiten überhaupt zu entwerfen. (Ebend. 1966, Teil I) Sieht man von Nietzsche ab, der schon durch die „Umwertung aller Werte“ theoretische Idealisierungen schlechthin als leibfeindlich aufheben wollte, um gerade der ursprünglicheren „leiblichen Vernunft“ im Sinne eines reinen „Leben-wollens“ zum Durchbruch zu verhelfen, so verbinden sich die genannten phänomenologischen Ansätze zusammen mit dem Bemühen um eine „radikale Lebensphänomenologie“ bei Michel Henry zu einem Leibdenken, welches zur Zeit als das äußerste Vordringen in diesem Bereich angesehen werden kann. (2002, S. 149 ff.) Es soll im Folgenden als eine reine „Phänomenologie des Fleisches“ diskutiert werden, wobei es für das Verständnis entscheidend ist, nicht nur die erwähnte Unterscheidung des sichtbaren oder objektivierten Körpers (Wahrnehmung, Naturwissenschaften) vom subjektiven bzw. intentionalen Leib des eigenen Erlebens (reduktive Phänomenologie) durchzuführen, sondern darüber hinaus auch die anfangs angedeutete Unmittelbarkeit unseres immanenten Leibwissens in den Blick zu bekommen. Letzteres ist nichts anderes als jene innere Selbstbewegung, wie sie im einfachsten Eindruck oder in der bescheidensten Geste als affektives Geschehen phänomenologisch gegeben ist. Die speziellen Methodenprobleme radikal phänomenologischer Reduktion können hier nicht Gegenstand einer eigenen Untersuchung sein, dürften aber aus der Analyse selbst einsichtig werden.
1. Selbstaffektion als phänomenologisches Ursprungswesen Gefühl oder Affekt wesenhaft als leiblicher Grundgegebenheit innewohnt, hat nichts mit dem gewöhnlich verwandten Begriff der „Affektion“ gemein. Diese bezeichnet eine „Selbsterregung“ des Gemüts, welches gemäß Kant durch den „inneren Wahrnehmungssinn“ der Zeit affiziert wird, sofern ich nach seiner Sichtweise nur etwas in der Aufeinanderfolge von Momenten empfinden kann. Damit ist aber gerade die Affektion bereits durch den vorgegebenen Zeithorizont als „Welt“ bestimmt, so dass es sich dabei nicht mehr um eine „Selbstaffektion“ im radikalen Sinne zu handeln vermag, die als rein phänomenologisches Leben – oder als urleibliches Pathos – jeder Welt voraus liegt. Jede wirkliche oder vorgestellte Welt bildet insofern eine völlige Andersheit gegenüber irgendeinem Gefühl oder Affekt, insofern kein Welt- oder Gegenstandssein jemals von sich aus eine lebendige Empfindung hervorbringt. Selbstaffektion als radikal phänomenologisches Ursprungswesen des immanenten Lebens meint also grundlegend, dass sich jedes Gefühl zunächst ohne Vermittlung des zeitlichen und äußeren Wahrnehmungssinns in sich selbst affiziert.
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In seiner materialen Getrenntheit von der Welt ist ein solches Pathos die konkrete, weil individuelle Erscheinens- oder Offenbarungsrealität des Sicherfahrens. Es ist daher zugleich die radikalste Phänomenalisierung von leibgebundenem Erscheinen überhaupt, auch wenn sie nicht existentielle Losgelöstheit von der Welt bedeutet. Einfacher gesagt, ist diese Affektivität als Erfahrungsmöglichkeit unser Leben zu jedem Augenblick selbst – ein Leben, von dem wir nie getrennt sein können, um überhaupt etwas zu erfahren oder zu erleben. Deshalb betrifft die lebensphänomenologische Analyse auch nicht dieses oder jenes einzelne psychologische Gefühl, sondern die allein mit sich selbst identische Offenbarung der Affektivität als ursprüngliche Wirklichkeit allen Erscheinens. Eine Aussage wie „Ich fühle eine große Liebe in mir“ ist daher zweideutig, da es neben der Affektivität als Vermögen zu fühlen kein zusätzliches Vermögen zu dieser Liebe hinzu gibt, um diese zu fühlen. Diese Liebe – wie jedes andere Empfinden – erfährt sich also nicht selbst als etwas Fremdes wie von außen, sondern sie erfährt sich in allen Punkten ihres „Seins“ als sich selbst. Das heißt, sie gibt und empfängt sich als absolutes Affiziertsein, in welches originär weder eine bestimmte Form des Wahrnehmungssinnes noch ein bestimmter Inhalt eingehen. Alle noematischen Inhalte sind jeweils intentional entworfene Vorstellungen, die gegenüber dem Ursprungsempfinden immer schon sekundär sind. Diese Unterscheidung ist grundlegend bei der Aufforderung, wie etwa in den Therapien, jemand solle sein Gefühl spüren oder benennen. Denn was dann sprachlich ausgedrückt wird, ist eine Vorstellung des Gefühls, während es wesentlicher ist, das Fühlen – gleich welches – als identisch mit dem eigenen Leben selbst zuzulassen. (Kühn 1994, S. 49 ff.) Wenn das, was affiziert, mit dem identisch ist, was affiziert wird, dann sind mithin Akt und Inhalt der Selbstaffektion in jedem Gefühl oder Eindruck dasselbe leibliche Erscheinen. Der phänomenologische Sachverhalt, „sich selbst fühlen“ zu können, beinhaltet in ontologischer Hinsicht auf diese Weise ein transzendentales Sich, welches sich jeweils in seiner Selbstheit affektiv als diese bestimmte Affektion in ihrer Affektivität gibt. Deshalb gebührt einer solchen „Selbstheit“ auch der Name einer lebendigen Ipseität, denn jedes Gefühl ist dann nicht nur ein Gefühl dieses „Sich“ seiner konkreten Ermöglichung nach, sondern es offenbart auch dieses Sich an es selbst – nämlich das zu sein, wie es fühlt. Ich-sagen und Selbst-gefühl treten also stets miteinander auf, und ob ein Gefühl näher oder weiter von „mir“ entfernt zu sein scheint (oder ich mich sogar von ihm „distanziere“ oder „befreie“), ändert nichts daran, dass jede Existenzbestimmung in sich ein leibliches Ich birgt, welches zunächst selbstaffektiv ist. Ein solch affektives Sich des „Sub-jekts“ geht daher jedem psychologischen, reflexiven oder logischen Subjekt voraus, da diese sich immer als ein Gegenüber des vorstellenden Bewußtseins setzen. Jedes Bewußtsein als reine Empfänglichkeit gründet jedoch seinem Ursprung nach in der immanenten Passibilität seiner Affektivität, so dass es eben angemessener wäre, vom „Mich im Akkusativ“ zu sprechen als von einem akthaft verstandenen „Ich“. Bedeutet aber jedes Sich-sein die konkrete Ipseität der je einzelnen Affektion, die „ich bin“, dann umschließt diese lebendige Ge-gebenheit als ursprünglichste Passivität die Unmöglichkeit, diesen Selbstbezug eines solchen Selbstseins von sich aus jemals brechen zu können. Bei Nietzsche erscheint schon in der „Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik“ ein solches „Ur-Leiden“ im Sinne des unaufhebbaren Pathos der Subjektivität als maßgeblich für das Sein schlechthin, so dass sich hier festhalten lässt: Die Affektivität bildet die
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immanent leibliche Offenbarung allen Seins in dessen Erscheinen selbst, und zwar so, dass sich „Sein“ als Selbsterscheinen in seiner ursprünglichen Passibilität als passio gibt, das heißt im doppelten Sinne von Erleiden und Leidenschaft. Und dies bedeutet für die ursprünglich phänomenologische Offenbarungswahrheit des Gefühls als sich erleidender Affekt, dass jedes Gefühl sich selbst gegenüber ganz ausgeliefert ist, um zu sein, wie es ist. Dieses reine Sichertragen als Selbsterprobung des Gefühls ist stärker und älter als jede Freiheit und bildet somit eine Identität ohne mögliche „Flucht vor sich selbst“. Deshalb ist auch jedes Verständnis von Gefühl oder Affekt im Sinne einer gegenständlichen actio und reactio, wie sie in allen Dualismen von Seele/Geist oder Körper/Vernunft auftritt, in phänomenologischer Hinsicht unzureichend. In seinem Sich-selbst-gegeben-sein als passible Übereignung an sich selbst tritt vielmehr das Gefühl als „etwas“ auf, das sich schon immer ge-geben ist. Lebensphänomenologisch darf diese radikale Vor-gegebenheit für den analysierenden Blick jedoch nicht so ausgelegt werden, als wäre das „Schon“ des Gefühls in seinem Schon-gegeben-sein von jenem konkreten Vermögen getrennt, welches das Gefühl in sich erfährt. Denn dieses „Schon“ betrifft das Vermögen selbst, welches in seiner leiblichen Ausübung immer bereits gegeben ist, da es mit der Selbstaffektion des Sich-fühlens in seiner Affektivität identisch ist. Dieses Sich-ertragen im bereits Schon-gegeben-sein bildet den Grund für die Dichte des Gefühls bei gleichzeitigem Wachsenkönnen, wobei es keiner vorstellenden Transparenz Raum gibt. Wenn ein Gefühl dennoch für das Denken als übersteigbar aufzutreten scheint, dann bedeutet dies nur unser Eindringen in seine selbstaffektive Immanenz als Ertragen seines eigenen Seins mit seinem ganzen inneren Reichtum. Pathos besagt daher lebensphänomenologisch nicht nur, mit der gesamten Last eines leiblichen Eindrucks, Gefühls oder Affekts als mit dem Wesen meiner absoluten Subjektivität selbst beladen zu sein, sondern dabei gleichzeitig auch die radikale Ohnmacht der Passibilität in solcher Immanenz leben zu müssen. Denn die Ohnmacht des Gefühls, welche zugleich seine Kraft ist, besteht genau darin, sich weder verweigern noch annehmen zu können, da das Gefühl in seinem vor-reflexiven Entstehen zunächst von jeglicher bejahenden oder verneinenden „Stellungnahme“ unabhängig ist. Daher bedeutet das Pathos der Selbstaffektion deren immanente Distanzlosigkeit als das Wesen der Gefühlsrealität. Und wenn diese phänomenologische Notwendigkeit der inneren Selbstoffenbarung des Gefühls als grundlegende Nicht-Freiheit zu bezeichnen ist, dann muss gesehen werden, dass eben solches Leben ursprünglicher als jede Freiheit ist und jenes voraus liegende Vermögen bildet, auf dem jede Freiheit als „Ich kann“ erst aufzubauen vermag. (Henry 2002, S. 216 ff.) In dieser Hinsicht kennzeichnet mithin das leibliche Pathos als sinnliches Gefühl ein absolutes „Voraus“ des Lebens selbst, welches im Sichauferlegt-sein des Gefühls dessen innere Gesetzhaftigkeit entfaltet, welche als Ursprung keiner psychologischen Distanzierungsmöglichkeit unterliegen kann. Diese transzendentale Urgegebenheit des Sich-ertragen-müssens im Gefühl als rein phänomenologisches Leben lässt sich auf keine besondere Gefühlsfärbung in der Wahrnehmung zurückführen, da ein solches Sich-ertragen die wesenhafte Natur der affektiven Materie als prinzipielle Passibilität im Sinne seiner Selbstausgeliefertheit definiert. Keinen Rückzugsraum mehr hinter sich zu besitzen, um der Passibilität des rein affektiven Sich-ertragen-müssens im Gefühl entweichen zu können, heißt aber für eine lebensidentische Analyse des Gefühls ebenfalls, dass damit
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zugleich die Selbstfreude über dessen eigenes Sein gegeben ist. Denn das Gefühl ist allein jene „Gabe“ in allem Erscheinen, die sich weder selbst verweigern noch von uns verweigert werden kann: es ist unmöglich, dass ein entstehendes Gefühl sich nicht manifestiert! Ohne irgendeine vermittelnde Dialektik in Anspruch nehmen zu müssen, bleibt deshalb in streng phänomenologischer Hinsicht zu unterstreichen, dass das Sich-erleiden und das Sich-erfreuen jedes Gefühls dasselbe Wesen des einen fleischlichen Pathos in seiner Passibilitität umfassen. Denn die Selbsterfahrung der Ohnmacht, nichts anderes als Gefühl sein zu können, ist zugleich dessen Freude oder Kraft, in sich selbst die ausschließliche Offenbarung seines lebendigen oder leiblichen Selbstseins zu besitzen. Die lebensphänomenologische Ohnmacht und Kraft stehen sich daher nicht wie zwei widersprüchliche oder zufällige Bestimmungen gegenüber, sondern sie bilden das eine Wesen der Affektivität in ihrem Pathos. Als Ursprungskraft versammelt dementsprechend das Gefühl alles in sich, was in ihm zur Selbstheit des Sich gelangt, und bildet auf diese Weise die „Mächtigkeit des Seins“ in seinem phänomenologischen Erscheinen. Und insoweit in der reinen Passibilität des Sich-ertragens des Gefühls, der Anstrengung, des Triebs oder einer Leidenschaft kein intentionales „Hervorbringen“ stattfindet, gibt es auch keinen Kampf oder Konflikt, um Getrenntes zu vereinen oder zu versöhnen, wie der Gegensatz von Leib und Seele meistens suggerieren soll.
2. Gefühl als „Lebendigkeit“ Dass das Wesen solcher Subjektivität die transzendentale Affektivität selbst darstellt, bedeutet also unausweichlich, dass das Sich unseres Seins, wie es sich in der Ursprungspassibilität ereignet, zu sich selbst gelangt – das heißt als Leben. Nur im Leben sowie durch das Leben sind in der Tat Eindruck, Gefühl oder Affekt möglich, da die Affektivität als transzendentale Lebendigkeit die einzig angemessene Bestimmung des absolut phänomenologischen oder subjektiven Ego zulässt. Letzteres kann all seine Akte, welche auch immer, nur aufgrund der ihm passiv übereigneten Lebensaffektion vollziehen. Diese ursprüngliche Leben ist daher weder ein empirisches Leben im Sinne eines Biologismus, Vitalismus oder Psychologismus, aber auch kein romantisches oder idealistisches als irgendein „Subjektivismus“ oder „Individualismus“. Wenn Sein radikal phänomenologisch Leben bedeutet, dann ist damit keine besondere Existenzweise mehr propagiert, sondern es wird auf dem Boden der immanenten Selbstaffektion des leiblichen Lebens die innere Wesensstruktur von allem ausgesagt, was ist und sein kann. Denn um zu sein, bedarf alles Erscheinenkönnen der Affektion als jener Kraft, etwas überhaupt erscheinen zu lassen. Die Affektivität als transzendentales Leben, das Leben als Gefühl, meint somit das Gefühl als unsere absolute Verlebendigung – mit anderen Worten jenes rein phänomenologische Ursprungswesen, welches die sich selbst phänomenalisierende Urphänomenalität schlechthin ist. Die Lebendigkeit darf hier also nicht als ein besonderes pyschologisches Verhalten bzw. als ein hervortretender Charakterzug verstanden werden, sondern sie ist auch dort ganz gegeben, wo etwas nach außen für die Wahrnehmung als „unlebendig“ erscheint, was besonders in der Therapie für die Begegnung mit dem Anderen nicht unerheblich ist. Die grundlegende Gegebenheit unserer selbst bleibt in allem „Ausdruck“ die unabweisbare Phänomenalität des transzendental Affektiven selbst, welches sich in den nie
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abreißenden Gefühlsfärbungen unseres sinnlichen wie emotionalen Lebens kundtut. Allein dadurch besitzen wir eine unverbrüchliche Gewissheit, welche allerdings nie zu einer evidenten Vorstellung werden kann, weil sich das Affektive – diesseits von Welt und Zeit als Transzendenz – in der Unsichtbarkeit der rein passiblen Lebensübereignung gibt. Jedes Gefühl erinnert auf diese Weise an meine transzendentale Geburt im Leben, die als solche nicht wie etwas Vergessenes erinnerbar ist, da Gefühl und Lebensgeburt nicht in einem retentionalen Verhältnis zueinander stehen wie intentionales Erleben. Vielmehr bildet das Verhältnis von Gefühl und Lebensgeburt eine zeitlose Geschichtlichkeit meines absoluten Werdens aus der rein affektiven Materie der Lebenspassibilität zu jedem Augenblick heraus, weshalb wir sie im Unterschied zur zeitlichen oder biographischen Geschichtlichkeit auch genauer Historialität nennen wollen. Dass dabei ebenso die Welt mit ihren Erscheinungen insgesamt stets affektiv gefärbt auftritt, liegt demzufolge an keiner „Projektion“ von Gefühlen auf das Weltsein, so als wäre dieses zunächst ein farbloser Filmstreifen. Alles Erscheinen von Welt und Gegenständen gründet vielmehr prinzipiell im urleiblichen Verhältnis von Affektivität und Phänomenalisierung als Ursprungsgegebenheit. Was „gegenüber“ den Objekten als Gefühl empfunden wird, ist mithin die Wirklichkeit unserer verlebendigenden Akte selbst, welche diese Gegenstände "entstehen" lassen. Ist nämlich die Affektivität die tatsächliche Verwirklichung aller nur denkbaren Erfahrungen, so ermöglicht diese Affektivität das wirkliche Erscheinen all dessen, was sich uns dank unseres lebendigen Affiziertseins als affektiv gefärbte Realität gibt. Es bleibt des Weiteren zu verstehen, wie die bisher dargestellte Selbständigkeit des affektiven Lebens zugleich die alleinige Abhängigkeit von sich selbst einschließt, ohne damit eine Tragik oder Dramatik in einem existentiellen Sinne zu sein. Vielmehr bedeutet diese reine Selbständigkeit die innere Gewissheit des Lebens um sich selbst. Wenn in der Tat diese durch nichts ersetzbare Gewissheit des Lebens als leibliches Gefühl ausschließlich auf dem ständigen Wandel der Gefühlsveränderungen selbst beruht, dann besagt dies gerade die Verwirklichung des absolut phänomenologischen Lebens als ununterbrochene Historialität. Letztere ist also das innere Werden des phänomenologisch Absoluten als Leben im Sinne der Zusammengehörigkeit von Sicherleiden und Sichertragen. Die besondere Färbung oder Resonanz der je einzelnen Gefühlsbestimmtheit geht daher nicht sekundär in einem transzendenten oder gegenständlichen Sinne aus der impressional feststellbaren Affektion hervor. Vielmehr sind die unendlichen Gefühlsnuancen die Wirklichkeit des Absoluten als Leben selbst, so wie dieses jeweils „ist“. Die Selbständigkeit des Gefühls, seine Autonomie als absolute Passibilität der Affektivität, vollzieht sich daher so, dass dieses Sich-selbst-empfangen und Sich-selbst-ertragen genau jene Selbstabhängigkeit darstellt, welche das reine Erfreuen des Gefühls an sich selbst ausmacht. Die Gefühlsschwingungen lassen sich in ihrem lebendig transzendentalen Entstehen deshalb auch nicht durch kausal erklärende Ereignisse festhalten. Denn auf diese Weise wäre es zum Beispiel unerklärbar, wie ein an sich „trauriges Ereignis“ keineswegs die Freude ausschließt. Die innere Gesetzhaftigkeit der unentwegten Gefühlsmodalisierung besagt im Gegenteil, dass Sich-erleiden und Sich-erfreuen dieselbe affektive Materie einschließen, nämlich die historiale Verwandlung von Leid/Freude in Freude/Leid, welche die nicht abreißenden Grundstimmungen des absoluten
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Lebens selber sind. Denn das leibliche Leben will sich als solches in allem selbst erfahren, und wo es sich selbst-erleidend im Schmerz erfährt, erlebt es sich zugleich transzendental auch als die Freude, das Leben zu sein, da es ohne diese seine Selbstaffektion nicht den Schmerz erfahren könnte. In diesem Sinne birgt der affektive oder historiale Wandel stets dasselbe phänomenologische Fleisch in sich: die Selbstgewißheit des Lebens und seine Seligkeit, sich empfinden zu können, was zugleich das Wesen unserer ursprünglichen Leiblichkeit als ein solch affektives Fleisch ausmacht. (Henry 2002, S. 190 ff.) Niemand befindet sich jemals vor seinem Schmerz wie vor einem Gegenstand, denn nur die Vorstellung des Schmerzes kann sich unter einer transzendenten oder projizierten Form darbieten. Früher als solches Vorgestelltsein (zum Beispiel als Empfindung in einem bestimmten Körperteil) muss die originäre Wirklichkeit des Schmerzes als solche gegeben sein und als Empfinden-können im affektiven Ursprung der Lebensimmanenz ruhen. Noch genauer gesagt, wurzelt der Schmerz in der Sich-selbst-gegebenheit der leiblichen Ursprungspassibilität des Sich-erleidens, so dass die „Wahrheit des Schmerzes“ sehr wohl schmerzhaft ist, wenn man diese nicht auf die Ebene der bloß faktischen Vorgestelltheit einschränkt. Die affektive Konkretheit des Schmerzhaft-seins ist Anlass für die Wahrheit seiner phänomenologischen Transparenz, welche das affektiv-passive Sich-gegeben-sein des Schmerzhaften an die Phänomenalität der Affektivität als solche zurück bindet. Im Bereich der letzteren bildet jedes Schmerzhafte eine Weise des affektiven Lebens und eine Konkretisierung dessen, was an unterschiedlichen Gefühlsfärbungen überhaupt möglich ist. Insofern also der Schmerz die Affektivität offenbart, offenbart er zugleich deren phänomenologisches „Wie“ – oder noch besser gesagt: offenbart er jedes „Wie“ des Erscheinens in dessen phänomenologischer Weise als Affektivität. Denn bliebe der Schmerz nur in Bezug auf die Objektivität einer Welt wahr, dann wäre er bloß ein psychologisch „subjektiver Zustand“, der aufgrund dieser äußeren Verbindung seine relative Wahrheit nur von dieser Weltordnung her bezöge, ohne in dieser tatsächlich entstanden zu sein, wie wir anfangs schon festhielten. Als Wie der affektiven Offenbarung des Lebens wurzelt der Schmerz hingegen – wie jedes andere Gefühl – in der Unsichtbarkeit des Lebens und hat daher teil an der Freude, mit der sich das Leben in seiner Immanenz an sich selbst gibt, um zu sein. Da diese Freude kein Einzelgefühl ist, sondern zur phänomenologischen Struktur des Empfinden-könnens als solchem gehört, ist die Freude auch im Schmerz vorhanden – als jene „Trunkenheit“, wie Nietzsche sie nannte, um sich selbst in allem zu erfahren. Wir beabsichtigen damit keinerlei Apologie des Schmerzes, sondern der Schmerz ist phänomenologisch nur möglich durch seine Teilhabe an jenem Ur-leiden des Lebens, welches als Passibilität seines Sich-gebens und Sich-empfangens die Freude an sich selbst mit umfasst. Wenn niemand sein Gefühl bisher hat sehen können, dann ist solche „Dunkelheit“ kein Mangel, keine Undurchlässigkeit, sondern wie Novalis in den „Hymnen an die Nacht“ dichtet, die Weise seiner Offenbarung selbst: „Du hast die Nacht mir zum Leben verkündet.“ Hierin ruht nicht nur der ontologische Grund für die abgründige Lebenseinheit von Freude und Schmerz, sondern auch die Möglichkeit, radikal phänomenologisch zu erklären, warum sich das Gefühl in psychologischer Hinsicht der Introspektion entzieht. Eine solch thematisierende Aufmerksamkeit setzt nämlich das Gefühl für Wahrnehmung und Reflexion von vornherein als Grenzmodus des Welt-
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seins an, wodurch das sich in seine Dunkelheit entziehende Gefühl wie eine Schwächung dieses Weltseins erscheint. Die lebensphänomenologische Kritik an diesbezüglich philosophischen oder psychologischen Gefühlsverkürzungen ist daher nicht nur der Versuch, die Eigenwesentlichkeit des Empfindens angemessener in den Blick zu bekommen, sondern die prinzipielle Unersetzbarkeit unseres leiblichen Seins durch irgendwelche theoretischen oder technischen Substitute überhaupt aufzuweisen.
3. Gefühl und Existenz Anstatt also hier der unberechtigten Anklage von Dunkelheit, Verworrenheit oder dem angeblichen Wertechaos der Gefühle weiter nachzufolgen, wie sie einer einseitigen Phänomenbeschreibung als Sich-zeigen-müssen in der Welt eigen ist, soll auf einige existentielle Aspekte im Zusammenhang mit der bisherigen transzendentalen Affektivitätsbestimmung eingegangen werden. Wenn jede Gefühlsfärbung von sich selbst her erscheint und bestimmt, was sie von außen affiziert, dann stellt sie unser Verhalten in Frage, die Existenz gemeinhin nach zufälligen Ereignissen auszurichten, damit diese Freude und Lust bringen, oder um Schmerz und Unlust zu vermeiden. Neugierde und Vertrauen in den wechselnden Lauf der Eindrücke und Empfindungen sowie der Versuch, diese teilweise auf individueller wie kultureller Ebene zu „organisieren“, um Bedürfnisse, Begehren und Strebungen zu befriedigen, kommen jedoch aus den Gefühlsfärbungen im bisher genannten Sinne ebenso hervor wie Epikurismus, Ästhetizismus, Utilitarismus und Pragmatismus. Letztere besitzen nämlich ihre Wurzel oft in der Leere der eigenen oder gesellschaftlichen Existenz, die in der heutigen Postmoderne eines anything goes geradezu den Boom von Psychologisierung der Verhaltensweisen und ihrer „Therapien“ heraufbeschwören muss. Dass das Gefühl von seinem lebensphänomenologischen Wesen her jedoch keineswegs zufällig ist, lässt sich auch daran erkennen, dass es bisher philosophisch nicht möglich war, eine plausible Genese und Beschreibung der Haupteigenschaften der Gefühle zu entwickeln, obwohl es immer wieder versucht wurde. Die tiefenpsychologischen, funktionalen oder humanistischen Psychologien des Gefühls geben so im allgemeinen vor, unser Leben mit Hilfe der Affekte und Emotionen den Dingen „anzupassen“, um ein „Gleichgewicht“ zwischen dem lebendigen Dasein und dem Umfeld herzustellen. Dieser postulierte Anpassungscharakter der Gefühle modifiziert sich dabei natürlich auf vielfältige Weise, wodurch der Zirkelschluss von der „affektiven Zufälligkeit“ belegt zu sein scheint. Eine jede Art solcher „Thymopraktik“ muss sich aber bewusst sein, dass der Versuch, die Affektivität durch die Anpassung zu erklären, diese Affektivität bereits genau voraussetzt. Denn die Anpassung an einen transzendenten Außenbezug, Sinn oder Wert ruht im ontologischen Grund des Lebens als phänomenologischer Immanenz selbst, wie wir zu zeigen versuchten. (Henry 2004) Deshalb lässt sich das Verhältnis des Lebens zum äußeren Sein der Welt, wie es in der sinnlichen Affektion zum Ausdruck kommt, auch nicht durch eine bloß rezeptive Hervorbringung des Affiziertseins durch externe Erregung oder Reiz verstehen. Die nicht weiter reduzierbare Bestimmung des Gefühls erfolgt durch das je einmalige Sich der Affektivität, welche vor aller existentiellen Entscheidung das absolut phänomenologische Leben mit all seinen konkreten Gefühlsmöglichkeiten ist. Und gerade dadurch bildet sich das Verhältnis von Leben
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und Sein als Historialität einer ebenso individuellen wie subjektiven MetaGenealogie heraus, welche nicht mehr auf etwas zurückgeführt werden kann, das sich in uns ohne uns bilden würde. Aber eine solche „innere Geschichte“ ist weder eine bloß psychologische „Spontaneität“ noch eine „triebdynamische“ Realitätsübereinstimmung bzw. eine biographische Existenzialität, sondern sie enthält unaufhebbar das, was jede Erfahrung in ihrer phänomenologischen Gesetzhaftigkeit beinhaltet: die zuvor genannte Historialität des affektiven Lebens als dessen ständig innere Selbstverwandlung. Und diese mit keinem Weltgegenstand jemals vergleichbare affektive „innere Geschichte“ ist zugleich die Struktur meiner leiblichen Sinnlichkeit als einer unverwechselbaren Subjektivität, mit anderen Worten das, was das Wesen dieser Subjektivität als lebendiger Selbstheit ausmacht – nämlich prinzipiell zu fühlen, was aufgrund dieses Sich-fühlens überhaupt gefühlt werden kann. Denn hat ein Stein oder ein Computer jemals gefühlt? Wäre unser Fühlen wirklich ein Ereignis in der Außenwelt, so gäbe es in der Tat nur eine Weise zu fühlen, und diese wäre die objektive Weise im Unterschied zur individuellen Sinnlichkeit oder zur subjektiven Selbstheit. Allein unsere jeweilige Subjektivität kennt das unvergleichbare Glück zu empfinden, so dass überall, wo leibliches Empfinden gegeben ist, auch Subjektivität gegeben ist, in welcher das Leben seine ihm eigentümliche Freude kostet. Aristoteles sagte, dass „die Seele die Substanz als Form eines natürlichen Körpers“ sei, der „das Leben in voller Potenz besitzt“, und „wir so fühlen, dass wir sehen und hören.“ (Über die Seele, 412a u. 425b) Am Ende einer durch das aristotelische Denken wesentlich geprägten Metaphysikgeschichte hält Heidegger andererseits fest, Leben bezeichne „eine Weise des Seins, für das uns aus der bisherigen Ontologie jede Kategorie fehlt.“ (1994, S. 112) Am Abstand zwischen beiden Zitaten lässt sich vielleicht am besten ermessen, dass eine Phänomenologie des „subjektiven Lebens“ eigentlich noch ungeschrieben ist und die gegenwärtigen Unsicherheiten und Krisen sie als eine Notwendigkeit des „Überlebens“ unter anderem heraufbeschwören. Dieser praktische Blick auf Gegenwart und Zukunft sollte uns jedoch nicht verkennen lassen, dass die Phänomenologie das radikale Bedenken der Selbstphänomenalisierung jeglicher Erscheinung bleibt. Wenn wir daraufhin erkennen müssen, dass die Affektivität selbst kein „Phänomen“ im herkömmlich gegenständlichen Sinne darstellt, dann stehen wir damit eben erkenntnistheoretisch, ethisch wie therapeutisch vor der Frage nach der Ursprungsgegebenheit des Erscheinen-könnens, welches keine abstrakte Theorie ist, sondern wir selbst. Und tritt angesichts dieses Sachverhaltes das Gefühl als jene affektive Materie der Phänomenalisierung auf, die weder etwas Undurchdringliches besitzt noch von äußeren Erkenntnisvorgaben her beleuchtet werden muss, dann erfährt eine solche Affektivität eine bisher unerreichte ontologische Würde: Das Gefühl ist jene Mächtigkeit oder Kraft, durch die jedes nur denkbare Nichts prinzipiell zurückgewiesen wird und eine tatsächliche Präsenz gegeben ist, da es eine durch nichts unterbrochene fleischliche Phänomenalisierung beinhaltet.
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Welt und Bewusstsein kann ich verlieren, aber nicht das Fühlen als mein Fühlen. Insofern besitzen wir dann in solchem Empfinden einen leiblichen Grund, der alles gründet, was uns affiziert und sich so manifestiert. Das zuvor genannte „Glück“ des Lebens als seine „Trunkenheit“ entspricht also keinem schwärmerischen Elan, sondern es enthält den Hinweis auf eine Wirklichkeit, in der „Geist“ oder „Seele“ und „Gefühl“ nicht mehr auseinander fallen. Wir sind damit nicht nur diesseits aller Nichts-, Differenz- oder GeworfenheitsPhilosophien, sondern wir sind auch grundsätzlich der Einseitigkeit des Bewusstseins als „Verstand“ enthoben, um angeblich mit ihm unser Leben in abstrakter Weise der Umwelt „anzupassen“. Andererseits versinken wir aber mit der transzendentalen Affektivität in ihrem Unterschied zu jeder entwirklichenden Vorstellung auch nicht in das Unbewusste eines triebhaften oder vital-organischen Lebens, welches dem Erklärungsmuster eines blinden Mechanismus ohne wirkliche „Ich“-Selbstgegebenheit folgt. Dies bedeutet, dass wir mit dem Gefühl, welches sich unter keinerlei Gesetz als Triebfeder unseres Handeln vereinnahmen lässt, ein inneres Ethos besitzen, das dem „Wort“ seiner Selbstoffenbarung gleichursprünglich ist – nämlich stets um das dem Leben „Notwendige“ zu wissen. Denn in seiner absolut phänomenologischen Materialität kennt das Gefühl keinen Irrtum, welcher nur von der interpretierenden Vorstellung herrühren kann. Mit anderen Worten lässt sich zu jedem Augenblick unsere Zugehörigkeit zum Gefühl als die Letztgegebenheit des Wirklichen leben, insofern eben die Affektivität die leibliche Selbstoffenbarung des Wirklichkeitsbezuges schlechthin ist. Dieser nichtintentionale Bezug ist in das Wesen der Wirklichkeit des Affektiven eingeschrieben und bildet seine nicht-thematische Präsenz in ihrer Unmittelbarkeit. In den reflexiven Vorurteilen der „Gefühlsdeutungen“ geht diese ebenso unsichtbare wie unhörbare Präsenz unter, und damit verringert sich auch die Motivation und Kraft zum Handeln. Denn jedes Gefühl ist immer auch schon Vorzeichnung des Tuns im Sinne einer beweglichen Bündelung von inneren Energien auf Anstrengung und Aktion hin. Der traditionelle wie aktuelle Versuch, mittels des Denkens als Vernunft oder Wissenschaft dem Gefühl die Berührung mit der Absolutheit des phänomenologischen Lebens zu nehmen, bedeutet daher nicht nur eine Missachtung der phänomenologischen Realität als solcher, sondern zugleich auch die Auslöschung der subjektiven Praxis, welche an sich die Lebenswelt als Kulturwelt trägt.
4. Leiblichkeit als Ursprungsleib Da menschliches Sein immer lebendiges Sein ist, tut sich nunmehr die Frage auf, wie wir uns diesem Leben praktisch nähern können. Wir wissen bisher, dass das Leben aus keinem Abstand heraus zu betrachten ist, da es in keinem unserer leiblichen oder geistigen Vollzüge fehlt. Insofern bleibt die Gegebenheit der subjektiven Lebendigkeit eine Bedingung, von der aus alles Tun erst möglich wird. Das Leben irgendwie sehen zu wollen, setzt daher dieses Wollen des Sehens als Leben bereits voraus. Schon durch diese einfache Annäherung lässt sich behaupten, dass das Leben als prinzipielles Vermögen oder als Potenzialität, konkret etwas zu vollziehen, im Können dazu bereits anwesend ist. Wenn daher die Wirklichkeit des Lebendigseins in jeder Schau als Sehen und in jeder Bewegung als Sichbewegen schon vorgegeben ist, dann lässt sich eine solche Lebenspräsenz als das Sichereignen dieses Lebens selbst eben nicht
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nochmals in eine Wahrnehmung oder Beobachtung erheben, die nicht wiederum es selbst wäre. Folglich muss das „Lebensphänomen“ aus dem methodischen Anspruch jeglicher Sichtbarmachung herausgenommen werden. Dies bedeutet, dass keine Weltgegenständlichkeit zur Verfügung steht, woraufhin sich das Leben als ein „Sich-zeigen“ entwerfen könnte, um für uns zu einem Phänomen wie die sichtbaren Dinge zu werden. Oder philosophisch allgemeiner gesagt, umschließt der Weltbegriff seiner phänomenologischen Wahrheit nach eine Andersheit als Außenheit, welche nie eine Innerlichkeit kennt, weil sich alle welthaften Inhalte stets in einem räumlichen und zeitlichen Neben- bzw. Nacheinander befinden. Die Welt als der Inbegriff aller denkbaren Ob-jekte ist damit nur eine Vorgabe für die Vor-stellung, in welche die radikale Immanenz unseres subjektiven oder leiblichen Lebens nicht einzugehen vermag. Wenn das Leben sich jedoch auf keinen Welthorizont hin projizieren lässt, um in einer Vorstellung zugänglich zu werden, so lenkt dies auf die andere Erscheinensweise des Lebens hin, nämlich auf seine Verborgenheit als NichtVorstellung, worin aber gerade die Effektivität der lebendigen Selbstoffenbarung zum Ausdruck kommt. In dem Maße, wie sich das Leben tatsächlich gibt, ist die Weise seiner Gegenwärtigkeit eine verbleibende Unbenennbarkeit im Sinne einer De-finition. Diese glaubt nämlich, die ununterbrochen anströmende Lebensrealität durchsichtig machen zu können, indem eine begriffliche oder experimentelle Ausgrenzung eines bestimmten Lebensphänomens in funktionaler Hinsicht stattfindet. Fallen aber Welt, Vorstellung und Begriff als unangemessene Vergegenwärtigungsformen der originären Lebensmitteilung fort, dann bleibt zu bedenken, ob nicht gerade unsere verborgene Leiblichkeit jene Weise ist, welche mit der phänomenologischen Materialität als Selbstaffektion des Lebens identisch ist. Diese Leiblichkeit ist von vornherein diesseits eines anatomisch gegliederten Körpers wie auch eines intentionalen Leibes zu verstehen, der es uns scheinbar von sich aus erlaubt, auf die Welt zuzugehen und in ihr zu handeln. Denn es zeichnet die originäre Leiblichkeit gerade wesenhaft aus, dass sie mir nicht bewusst wird, wenn ich handle; sie ist ge-geben, ohne im eigentlichen Sinne wahrgenommen zu werden. Und wir wissen andererseits, dass eine zu starke Selbstbeobachtung beim Handeln dieses schwieriger oder sogar unmöglich machen kann. Demzufolge wäre die affektive Immanenz der leiblichen Lebendigkeit eine solche, die radikal phänomenologisch an keine transzendente Weltvorgegebenheit gebunden ist und mit keinem empirischen Fühlen oder Vermeinen verwechselt werden darf. Vielmehr ist die den Augen verborgene Selbstaffektion meines Lebendigseins meine Leiblichkeit als solche, die ich daher auch den „Ursprungsleib“ nennen kann. Ganz zu Beginn haben wir schon indirekt auf diesen Ursprungsleib hingewiesen, indem wir sagten, dass das unmittelbar praktische Wissen der Menschen um ihr Leben in jedem Können auftritt, welches jedes lebendige Tun begründet und begleitet, so dass jedes „Ich kann“ immer auch ein „Ich bin“ beinhaltet. Dass es – von außen gesehen – biographische, materielle oder psychologische Begrenzungen dieser grundlegenden Könnensgewißheit gibt, liegt auf der Hand, so wie sie gerade auch während einer Körpertherapie erfahren werden. Aber selbst solche Einschränkungen, die schmerzhaft empfunden werden können, lassen sich nur von der Grundgegebenheit dieses (in allen Vollzügen
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fortbestehenden) Ich-kann-Lebensgefühls her verstehen. Alle hermeneutischen oder psychologischen Deutungsversuche der als bereichernd oder beschnitten erfahrenen Lebensführung verweisen daher im Grunde auf die große phänomenologische Wende zurück, die Descartes zu Beginn der Neuzeit einleitete. Denn das eigentlich von ihm formulierte Cogito findet sich nicht so sehr in der Form seines bekannten radikalen Zweifels, der zur Scheidung der res cogitans und extensa führte, als vielmehr in seiner Aussage, daß ich in diesem Zweifel dennoch „zu sehen scheine“ (videre videor). Man halte sich diese Situation der äußersten phänomenologischen Epoché klar vor Augen: nicht nur die Welt insgesamt ist ausgeklammert, weil mich die Sinne trügen können, sondern auch der „Mensch“ mit seinem Körper und dessen Augen sowie allen anderen Sinnen. Was jedoch bedeutet dann „sehen“ für ein Wesen, welches keinerlei vertrauenswürdigen Augen mehr besitzt? Es kann nicht mehr die „reine Schau“ sein, wie Husserl methodologisch noch meinte, sondern nur die Befreiung von allen Bedingungen, welche nicht dieses ursprüngliche „es scheint mir“ (videor) selbst sind, worin sich das „Sehen“ (videre) als originäre Gegebenheit manifestiert – wie immer es auch zunächst um seine Glaubwürdigkeit bestellt sein mag. Die phänomenologische Kernfrage ab Descartes lautet daher, auf welchem Grund dieses Sehen sich selbst erscheint, so dass alles ursprüngliche Erscheinen auf diese Weise ein Sich-erscheinen darstellen muss: „Aber es scheint mir doch (at certe videre videor), als ob ich sähe, hörte, Wärme fühlte, das kann nicht falsch sein, das eigentlich ist es, was an mir Empfinden (sentire) genannt wird, und dies, genau so verstanden, ist nichts anderes als Bewußtsein (cogitare).“ (Zweite Meditation, 1959, S. 51 f.) Was bleibt also vom Menschen, von seiner „Seele“ als Empfinden, wenn infolge dieser Bestimmung Descartes' das Subjekt von allem entleert ist, was die Vielfalt und den Reichtum seines gedanklichen und emotionalen „Inneren“ ausmacht? Wenn eine solche Seele als Wesen reiner Phänomenalität allen Erscheinens kein selbsttransparentes Nichts mit einem überklaren Bewusstsein darstellen soll, dann ist sie als reine Form nicht denkbar, sondern nur als die Unendlichkeit des Lebens im Sinne eines Vermögens des „Hervor-bringens“. Dass alles Sein sein Werden im Erscheinen findet, bedeutet mithin für die phänomenologische Wirklichkeit der Gesamtheit des Seins, das dieses Erscheinen in einem unmittelbaren Sich-selbst-erscheinen erfolgt. Allein dadurch schon kommt der Gedanke an die affektive oder leibliche Mächtigkeit eines „Vermögens“ auf, wodurch sich eine solche sich-selbst-offenbarende Manifestation ereignet, ohne mit bestimmten seelischen, bewussten oder unbewussten Vorstellungsinhalten identisch sein zu können. Denn alle Vorstellungen gehören prinzipiell in den Bereich von Horizont und Sichtbarkeit und können also nicht das Verbleibende in der Seele als empfindende Lebendigkeit bilden. Jeder kann sich dies unmittelbar verdeutlichen, wenn er auf die geistigen oder leiblichen Akte schaut, welche eine unendliche Vielfalt an Vorstellungs- bzw. Handlungswirklichkeit hervorzubringen vermögen. Diese Akte sind nämlich jeweils nur für einen kurzen Augenblick Wirklichkeit, und nur diese Zeit ihrer Dauer entspricht eigentlich ihrer rein gegebenen Gegenwärtigkeit als Selbstvollzug. Wie die Vorstellungsinhalte oder Handlungsziele fallen sie nach einem kurzen Auftreten im Bewusstseinsfeld wieder in das Dunkle des Vergessens als Latenz zurück. Seelenvermögen wie Vorstellungen sowie die ihnen entsprechende Aktualisierung unterliegen folglich dem Gesetz einer umfassenden Phänomenalität nur
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im Augenblick ihrer Hervorbringungswirklichkeit. Die Möglichkeit für die „Seele“ jedoch, sich unmittelbar jederzeit dieser Hervorbringungsfähigkeit bemächtigen zu können, entspricht einer grundsätzlichen Möglichkeit als Wesen jeglicher Mächtigkeit oder Potenzialität überhaupt. Denn wenn die Seele oder das reine Ich als selbstaffiziertes „Bewusstsein“ nur jeweils von ihren Fähigkeiten ein Wissen erhält, indem sie diese Vermögen als Akte realisiert, wie gelingt es dann der Seele, sie zu nutzen, ohne vorher eine Idee davon zu haben? All diese Schwierigkeiten und notwendigen Überlegungen im Vorfeld des phänomenologisch Leiblichen verweisen darauf, dass es einer radikal materialen Phänomenologie bedarf, um solchem Erscheinen in seinem konkreten Vollzug gerecht zu werden, mit anderen Worten: das Sein der Erscheinungen nicht nur von außen oder formal zu betrachten, sondern als lebendige Manifestation. Denn das Problem löst sich nicht dadurch, dass man darauf verweist, die Erscheinung sei nur endlich, weil sie kurz in den Horizont der Welthaftigkeit eintritt, um dann wieder aus deren Licht zu verschwinden. Es geht vielmehr darum, das Auftreten und Bleiben des Lebens als Leben in jeder Erscheinung so zu ergreifen, dass es als seelische „Materialität“ in ihrer phänomenologischen Immanenz einleuchtet. Das Sich-erfahren, welches im Augenblick des reinen oder affektiven Cogito erfolgt, bedeutet daher die phänomenologische Bestimmung des „Menschen“ schlechthin, sofern er ein lebendiges Wesen ist. Oder anders gesagt, umfasst dieses Sich-erfahren als Selbsterprobung die Gesamtheit der Wirklichkeit, welche sich hier selbst erfährt. Und genau diese affektiv fleischliche Kraft oder Energie tritt in das nur momenthaft gegebene Licht der akthaften Evidenz nicht ein, wie wir beim Gefühl schon zeigten. Ich muss diese Kraft als meinen „Urleib“ immer schon besitzen, und zwar so, dass ich ganz mit ihm übereinstimme, das heißt, mit ihm in einem unzerreißbaren Band verbunden bin, kraft dessen diese originäre Mächtigkeit sich in sich selbst zusammenfügt, und zwar als jenes Selbst, welches ich bin. Diesseits der Welt mithin und ohne deren Transzendenz bildet sich in unserem phänomenologisch materialen Inneren, in unserer Seele als Leiblichkeit, das erlebbare Wesen allen Vermögens und Könnens, aller Mächtigkeit und Kraft.
5. Das immemoriale Gedächtnis der Leiblichkeit Was deshalb als gesuchte Herkunft jeder möglichen Potenzialität oder Selbstbewegtheit bleibt, wenn die Vorstellung formal wie inhaltlich hierzu wegfällt, ist die effektive Praxis des Leibes. Mit letzterem kann nicht unser Körper in einer thematisierenden Vorstellung des „Ich denke“ gemeint sein, wie die traditionelle Philosophie und Psychologie ihn sieht, sondern nur jene originäre Leiblichkeit, welche es tatsächlich erlaubt, unsere wesenhafte Mächtigkeit des „Könnens“ überhaupt zu ergreifen. Denn der originäre Leib ist der Inbegriff all unserer Vermögen, so dass sein Wesen – die Leiblichkeit als Ursprungsleib – auch nur vom affektiven Wesen solchen Mächtig-sein-könnens her zu verstehen ist. Bei dieser Sicht löst sich die täuschende Vorstellung von Körperakten im Plural als erste auf. Bei der Analyse des Leibes in seiner tatsächlichen Wirkweise, das heißt in der Ausübung seines reinen Vermögens, tritt keineswegs ein leiblicher Akt jeweils in Erscheinung, sofern dieser nur die Vor-stellung von unserer Leiblichkeit als Mächtigkeit ist. Letztere zerteilt sich nämlich nach dem äußeren Gesetz der Welt und der entsprechenden transzendenten Darstellung unseres Denkens in die Aneinanderreihung einer Vielzahl von Akten, sofern
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dieses Außer-sich von Welt und Denken nicht selbst eingeklammert wird. Denn hinsichtlich der grundlegenden Mächtigkeit des Leib-sein-könnens als phänomenologisch materialer Leiblichkeit bildet die Aktvielfalt einen bloßen Schein. Schopenhauer deutet dies in seinem Hauptwerk „Die Welt als Wille und Vorstellung“ an, indem er annimmt, dass der Wille – als ursprüngliches Wesen der Mächtigkeit – in seiner körperlich sichtbaren Aktualisierung verloren geht. Ohne diese Interpretation hier weiter aufgreifen zu können (Kühn 1992, 311 ff.), kann feststellend gesagt werden, dass die unendliche Fähigkeit der Leibmächtigkeit in ihrer unablässigen Hervorbringungskraft niemals vom Denken erfasst zu werden vermag. Die Aktvielfalt ist deshalb ebenso eine bloße Problematik des Denkens in dem von ihm geschaffenen intentionalen Vorstellungsraum wie der Leib-SeeleDualismus. Nur vom Wesen der leiblich phänomenologischen Mächtigkeit in uns selbst her kann im Gegenteil dazu empfangen werden, was diese als ständige Möglichkeit hervorbringt: nämlich sich selbst als unmittelbares Können. Was lehrt uns beispielsweise hierüber die Hand als eines der aktiven Vermögen unseres Leibes? Als Können oder Mächtigkeit im aufgesuchten Sinne erscheint sie dem wahrnehmenden Blick in der Bedeutung des Nehmens von unbegrenzter Befähigung für ein je akthaftes Ergreifen. Als absolut subjektives Vermögen zu solchem Greifen und Fassen ist die Hand jedoch niemals ein Akt, der sich in der Transzendenz der Welt erfüllen würde. Die Hand ist letztlich nicht die in Zeit und Raum abgrenzbare Bewegung eines effektiv gewordenen Aktes, sondern ihre ontologische Möglichkeit bleibt die Wirklichkeit ihrer immanent verharrenden Mächtigkeit: die phänomenologische Materialität dieser Mächtigkeit als Fleisch der Leiblichkeit. Dieser radikal materiale Begriff des Fleisches soll zu verstehen geben, dass die Leiblichkeit als affektive Grundmächtigkeit nicht als eine bloß ideale Möglichkeit aufzufassen ist, von der aus niemals irgendeine Realität tatsächlich hervorgebracht werden könnte. Vielmehr handelt es sich hierbei um die ursprüngliche, ontologische Möglichkeit, welche als solche die Wirklichkeit bildet. In Bezug auf das gewählte Beispiel der Hand bedeutet dies, dass die ontologische Ursprungsrealität, zu nehmen und zu greifen, nicht nur die phänomenologische Wirklichkeit der Hand bildet, sondern den Leib als Ursprungsleib selbst, das heißt als jenes fundamentale „Ich kann“, welches ich bin. Diese konstitutiv ontologische Möglichkeit der Realität als ein solches Können der materialen Ursprungsleiblichkeit wird hier als Potenzialität im eigentlichen Sinne bezeichnet. (Henry 2002, S. 238 ff.) Überall, wo also von einem vitalen, triebhaften, begehrenden, expressiven oder unbewussten „Sein“ die Rede ist (wie zum Beispiel bei Nietzsche, Schopenhauer, Freud oder Scheler), da stellt sich jeweils die Frage nach dem zu denkenden effektiven Vermögen als phänomenologisch radikaler Potenzialität solcher Urleiblichkeit als Fleisch. Dabei ist die Problematik der Weltgegebenheit zugleich mit zu berücksichtigen, denn in der Potenzialität als jenem Erscheinenswesen, worin alle Leibvermögen beruhen, liegt auch die Bezugsmöglichkeit zur Welt schlechthin begrün-
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det, auf welche die einzelnen leiblichen Sinne und Bewegungsfähigkeiten uns hin öffnen. Daher erscheint uns die Welt niemals in nur einem bestimmten individuierten Akt als ge-gebene Welt, sondern „Welt“ bildet sich für uns nur in dem Maße, wie ich die grundsätzliche Möglichkeit eines Zugangs zu „etwas“ – und damit zur Welt – habe. Welt ist nicht schon dadurch, dass ich einmal sehen, tasten und hören kann; vielmehr muss dieses Sehen und Hören als ein Empfinden und Fühlen so oft möglich sein, wie das Subjekt es will. Genau dazu ist die leibliche Möglichkeit als Potenzialität vorhanden, und deshalb bleibt die Ausübung dieser oder jener sinnlichen Fähigkeit nicht ein in seiner Herkunft unbenennbarer Akt, sondern er beruht auf der mir stets ge-gebenen Möglichkeit, die ich praktisch selbst bin, wie wir zu Beginn mit Maine de Biran (2005) andeuteten. Dieser phänomenologische Status der Grundmächtigkeit als Potenzialität im wesenhaft materialen Sinne als Fleisch der lebendigen Leiblichkeit ist daher nicht zunächst intentional und von der Transzendenz der Welt her zu verstehen. Zweifelsohne ist unser sinnlicher Leib als die Gesamtheit unserer Vermögen anzusprechen, welche wir über die Welt haben. Aber die originäre Mächtigkeit, dank derer die einzelnen Leibvermögen aktualisierend ergriffen werden können, trägt in sich selbst keine von diesen bestimmte Fähigkeiten. Wie wir mit Descartes oben sagten, ist jene Ursprungsmacht immer schon ge-geben, wenn wir uns anschicken, intentionalen Gebrauch von einzelnen „Seelen“Fähigkeiten zu machen. Im lebensphänomenologischen Sinne ist dementsprechend ein Ursprungsleib anzuerkennen, in welchem jene lebendige oder fleischliche Grundmacht wohnt und ihr Wesen als Erscheinen entfaltet, das heißt in der Identität von solcher Mächtigkeit und Leiblichkeit. Eine diesbezüglich originäre Leiblichkeit als Vermögen oder Ur-können besitzt weder Augen noch Hände oder Ohren, wie Leib und Körper in einem sichtbaren Sinne sie „haben“, denn nur durch die prinzipielle Ermöglichung dieser Leiblichkeit hindurch sind Sehen, Greifen oder Hören gegeben – nämlich als das, was wir im praktischen Können sind. Aus diesem Grunde ist es sinnvoller zu sagen: wir sind unser Leib, anstatt vom Leib haben zu sprechen. Denn in der Tat sind wir immer mehr als das, was wir gerade sind – mehr als unser sichtbarer Körper, was unmittelbare Konsequenzen für die Therapie hat, nämlich das prinzipielle Vertrauen, ein in allen Fällen weiter bestehendes Können über die krisenhafte Augenblickserfahrung hinaus ansprechen zu können. Die Lebensphänomenologie ist die prinzipielle „Theorie“ dieses Mehr, indem sie jenes Mehr als Ursprungsleiblichkeit aufdeckt, in welcher der rein subjektive Leib zuallererst zu sich selbst wird, indem er sich ge-geben ist – und zwar gegeben als lebendiger, das heißt im Fleisch des Lebens, wie hierauf noch auszuführen bleibt. Jegliches Denken, welches das Wesen seiner personalen Sammlung oder Identität dem retentionalen und sich erinnernden Gedächtnis anvertraut, liefert sich deshalb einem Widerspruch aus. Denn Sprache und Wort sind nicht nur selbst bereits als linguistisch vorgegebene Struktur „Gedächtnis“, sondern zusätzlich im Vollzug aus dem Gedächtnis heraus diesem anvertraut. Gleich einer im Vorhinein geheimnisvoll waltenden Harmonie wäre das Gedächtnis auf diese Weise eine Art transzendentales „Ich denke“, welches all unsere Vorstellun-
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gen oder Assoziationen begleitete, um ihnen je ihr Sein in der phänomenologischen Aktualität zu vermitteln. Soll jedoch eine solch problematische Virtualität von Gedächtnislatenz nicht wiederum als ein mythologisch oder anonym strukturelles Unbewusstes gedacht werden, dann muss nach der Möglichkeit des Gedächtnisses und nach der Mächtigkeit gefragt werden, worin es letztlich ruht. Die je individuelle Hand als unser vermögendes Leibsein hatten wir als radikal subjektives Vermögen zum Greifenkönnen erkannt. Es ist dieses Vermögen, welches jedes Mal nehmend zugreift – und kein isolierter Akt, der von allen anderen abhebbar wäre. Was so ergriffen wird, nämlich das „Feste“ oder „Widerständige“, ist diesem Greifen prinzipiell zugänglich, weshalb in solcher Bewegung des Nehmens das Wiederkennen aller möglichen Gegen-stände erfolgt, die uns Wider-stand entgegensetzen. Die Erkenntnis des Festen, welche sich in der Greifbewegung des Nehmens erschöpft, ist mithin unser leiblich uranfängliches Gedächtnis von Welt, da es die je identische Wiedererkennungsmöglichkeit von Gegenständlichem beinhaltet. Diese Bewegung des Greifens im ausholenden oder nehmenden Umfassen ist stets dieselbe Bewegung; sie ist die Ausübung einer einzigen wie einzigartigen Mächtigkeit, die unmittelbar praktisch darum weiß, was sie tut. Als ein solches Selbst- oder Lebenswissen gelangt sie als originäre Leiblichkeit zu sich selbst, denn sie bedeutet dann die Urmächtigkeit in ihrer Immanenz als Fleisch, sofern der unauflösbare Zusammenhang von Leben und Leib dieses Fleisch ist. Das Wesen dieser leiblich vermögenden Innerlichkeit als unser Fleisch ist dann eben weder irgendein Unbewusstes als psychologisches Konstrukt noch ein bloß biologisches oder vitales Prinzip, sondern das erste effektive phänomenologische Erscheinen. Anders gesprochen: es ist das zu sich selbst gelangende Leben in sich selbst als fleischliche Selbstaffektion, sein materiales Sichereignen von lebendigem Leiblichsein. Aus diesem Grund kann das Gedächtnis nicht zunächst eine Vorstellung sein, sondern es beruht vielmehr in unserer Leiblichkeit als Ur-mächtigkeit, der dann auch das vorstellende Gedächtnis angehört, sofern dieses selbst ein Können beinhaltet. Wollte man also dem Repräsentationscharakter des Gedächtnisses die Zusammenführung unseres weltzeitlich fragmentierten Seins zubilligen, anstatt es in der voraus liegenden Leibimmanenz als phänomenologischer Grundeffektivität anzusiedeln, dann käme dies einer Missachtung des Wesentlichen gleich. Dieses Versammeln hat in der Tat immer schon stattgefunden, insofern in der Grundoffenbarung der fleischlichen Leibmächtigkeit die originäre Sammlung von Leib/Leben selbst ge-geben ist. Sie umfasst das Übereinstimmen des Werdens des Seins mit sich selbst als Leben, das heißt dessen Ankünftig-werden als bleibende Selbstaffektion und somit als Pathos oder Passibilität – als praktisch wissendes Gedächtnis des Lebensempfangs, der sich „nach außen“ zerstreuen kann, ohne sich jemals dabei als leibimmanente Urermächtigung ver-äußeren zu müssen. Mit der Realität der Lebensaffiziertheit als fundamentalem „Ich kann“ im Sinne der dargestellten Potenzialität ist deshalb hiermit ein Leiblichkeitsverständnis gewonnen, welches die begrifflichen wie intentional-phänomenologischen Begrenzungen von Körper wie Leib hinter sich lässt. Gewonnen ist nämlich eine Ursprünglichkeit, worin Erscheinen und Leben sich in der Wirklichkeit ihrer materialen Selbst-gebung als identisch erweisen. Die fleischliche Leiblichkeit als unmittelbar „gewusste“, das heißt als praktische IchPotenzialität, ist dann nicht nur die erste oder ursprüngliche „Wahrheit“ im
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phänomenologischen Sinne ohne irgendwelche weiteren Vermittlungen, sondern die auch immer präsente Gegebenheit des Erscheinens als eines lebendigen. Als Existenz oder Person ist somit kein „Aus-druck“ denkbar, der nicht unmittelbar zugleich immer ein lebensaffektiver wäre, wozu die geistige wie kulturelle Bereicherung gehört, so dass eine solche Leiblichkeit selbst schon eine sinnliche Ästhetik beinhaltet, welche den beiden Grundtonalitäten von Freude und Schmerz zuzuordnen ist und sicher auch in keiner Körpertherapie fehlen kann. Aber eine solche Lebensherkunft muss noch um einen Schritt weiter analysiert werden, denn wenn unser Leben in einem unmittelbaren Bezug zum absoluten Leben steht, dann ist unser Leiblichkeitsvermögen als affektives Fleisch eben nicht nur eine Potenzialität, welche sich selbst trägt, sondern eine noch ältere fleischliche Passibilität diesseits des „Ich kann“. Wir müssen daher in die tiefste Wahrheit der Leiblichkeit noch vorstoßen, welche die unaufkündbare Verknüpfung von Leben/Leib als solche darstellt.
6. Leiblichkeit als Fleisch Lebensphänomenologisch ist es ungenügend, einfach nur empirisch festzustellen, dass es nie einen Leib ohne Leben und nie ein Leben ohne Leib gibt. Worin besteht nämlich die konkrete Ermöglichung einer solch abgründigen Inkarnation, welche die äußerste Wirklichkeit unserer absolut fleischlichen oder passiblen Subjektivität selbst ausmacht? Das Leben gibt sich selbst an sich selbst in seiner Selbstaffektion, wie wir zu Beginn sagten, das heißt in seiner Selbstgebung, welche keine bloß formale oder logische Möglichkeit ist, sondern eine Gebung in tatsächlicher Effektivität. Dieses Sich-selbst-geben des Lebens an sich selbst in seiner reinen Immanenz besitzt daher notwendigerweise eine phänomenologische Materialität, welche wir als die grundsätzliche Potenzialität unseres ursprünglichen Leibseins erkannt haben. Die Selbstgebung des Lebens in seiner Materialität ist also eine leibliche Gebung, denn nur ein Leib ist in der Lage, sich wirklich hin-geben zu können. Ist die Selbstgebung des Lebens mithin eine leibliche, so muss aber auch verstanden werden, wie dieser Leib im Leben wird, da er nicht früher als das Leben selbst gegeben ist, aber auch nicht später, sondern in unmittelbarer Gleichursprünglichkeit mit diesem Leben. Letzteres ist immer ein Sich-geben im Sich-empfangen, mit anderen Worten in der Materialität einer absolut phänomenologischen Passibilität, in welcher die Selbstheit des Lebens zu sich selbst gelangt. Diese Ipseität als Empfänglichkeit des ununterbrochen sich selbst-zeugenden Lebens, welches sich in die Passibilität des Empfangenwerdens hinein gibt, ist auf diese Weise eine phänomenologisch „materialisierte“ Phänomenalität als Phänomenalisierung des Lebens selbst, um erst dadurch konkret zum Leben zu werden. Die Materialität der Selbstheit des Lebens beinhaltet somit im originär phänomenologischen Sinne die Passibilität der Lebensrezeptivität als jenes selbstaffektive Fleisch, in dem sich Hingabe und Empfang des Lebens konkretisieren. Unser subjektives oder empfindendes Leibsein als Ursprungsleib setzt infolgedessen immer schon voraus, dass das Leben sich selbst ge-geben hat, um unser Leibsein material oder konkret in transzendentaler Hinsicht zu ermöglichen – und diese Ermöglichung als originäre Bedingung unserer Leiblichkeit ist die genannte Ur-Fleischlichkeit des Lebens selbst. Werden wird dank einer rein passiblen Geburt im Leben geboren, so beinhaltet diese Passibiliät unseres Lebensempfangs als Geburt die Selbstaffektion des absolut phänomenologischen
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Lebens, das heißt seine fleischlich offenbarende Hingabe an sich selbst als die reine Innerlichkeit des Lebens. Wo immer wir daraufhin unseren Leib empfinden, berühren oder bewegen, ist dies nur möglich in der Immanenz der lebendigen Ur-Fleischlichkeit als der reinen Passibilität des Lebens. Wir bewegen uns daher in allem Tun, Denken und Fühlen in einer In-karnation oder Fleischwerdung, welche älter ist als wir selbst, da sie uns vorausliegt, ohne von uns getrennt zu sein. Die theoretischen wie praktischen Folgen hieraus sind gewaltig, denn unser Können, welches in der Potenzialität unseres Leibes als Gedächtnis ruht, bedeutet somit ein Können in der reinen Passibilität des Lebens selbst, welche sich als Fleisch seiner Selbstaffektion offenbart. In jedem Können stoßen wir deshalb nicht nur auf das immemoriale Gedächtnis des Lebens als Ab-grund unseres Könnens, sondern wir berühren ebenfalls das Leben als originäre Fleischlichkeit selbst, das heißt seine innerste Reziprozität von Selbstoffenbarung und Sich-geben. Es herrscht hier kein tieferes Gesetz des Erscheinens mehr als diese Fleischlichkeit des Lebens vor aller Zeit, denn wir empfangen hierin nicht nur unser Leiblichsein als Ich-können, sondern in solch absoluter Subjektivität allen Tuns und Empfindens berühren wir auch die Nacht des Selbstvergessens des Lebens selber in seinem sich-offenbarenden Fleisch, wovon uns kein Augenblick und keine Gegebenheit jemals trennen kann. (Kühn 2004) Außer dieser Konsequenz, dass wir in der Nacht unseres Leibes der Nacht des Lebens selbst in seiner fleischlichen Materialität als Offenbarung seiner größten Innerlichkeit gewiss werden, ergibt sich des weiteren, dass gerade die thematische oder wahrnehmungsmäßige „Unbewusstheit“ unseres Leibes in allen Vollzügen auf solchem „Schweigen des Lebens“ beruht. Nur weil das Leben sich selbst nicht in der Welt zu zeigen vermag, kein Phänomen oder Gegenstand in ihr ist, können wir mit jener unmittelbaren Spontaneität und Effektivität handeln, welche das Können unseres Leibes kennzeichnen, und zwar als ständig – und damit frei – uns zur Verfügung stehend. Das „Schweigen unserer Organe“ ruht also im schweigenden Fleisch des absolut phänomenologischen Lebens selbst, dessen Offenbarung auf diese Weise sein Selbstvergessen beinhaltet, in das unser Leib mit dem Selbstvergessen seinerseits eingetaucht ist. Dieses doppelte Selbstvergessen als Nicht-Erinnerbarkeit des Leibes und des Lebens bedeutet dementsprechend die Originarität der subjektiven Praxis vor allem vorstellenden Denken, denn in solcher Praxis, welche ohne jede Distanz zum Leben ist, entfaltet sich die Fülle des Leibes als die reine Fleischlichkeit unserer Lebendigkeit. Von hier aus lässt sich letztlich außerdem noch verstehen, warum gerade die leibliche oder subjektive Praxis uns wieder zum Leben in einer „Wiedergeburt“ zurückzuführen vermag, wenn wir in der Illusion oder Krise eines scheinbar selbstgesetzten „Ich kann“ jenes ursprüngliche Leben vergessen hätten. In den scheinbaren Begrenzungen unseres Handelns, im körperlichen Schmerz, aber auch in der uns überwältigenden Freude an einem unverdient Guten und Schönen, stoßen wir darauf, dass nicht wir die Quelle des Seins in seinem lebendigen Erscheinen sind. Das „Ich kann“ erfährt sich dann von einer noch älteren Potenzialität getragen, die all unsere Lebensäußerungen durchzieht, weshalb in solcher „Rückwendung“ zum Leben die Urermächtigung des Lebens wieder in den Vordergrund tritt – und damit sein notwendiges Selbstvergessen als das Fleisch unseres Leibes. Dass mein Leben immer Leibsein ist, und meine Leiblichkeit immer Leben, gründet phänomenologisch also gerade auf der Distanz-
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losigkeit des Lebens als seiner radikalen Innerlichkeit, welche in ihrer absolut selbstaffektiven Materialität das Fleisch der Lebensselbstoffenbarung ist, um diese in allem Empfinden zu erproben. Aus diesem Grunde gibt es in der Welt niemals ein „Fleisch“, und damit kein Leben und keine Selbstgebung in ihr, denn Fleischlichkeit meint in diesem rein lebendigen Sinne die Kohärenz des Erscheinens in all seinen Punkten, welches dank dieser absoluten Einheit eben alle Erscheinung zu tragen vermag. Ohne hier in einem dogmatisch theologischen Sinne sprechen zu müssen, beinhaltet also gerade unser Leiblichsein die höchste wie einfachste Offenbarung: nämlich im Fleisch seines unablässigen Empfindens und Fühlens als Selbstempfinden das Fleisch des absoluten Lebens zu berühren, welches sich als solches Empfinden-können gibt – wovon die christologische Inkarnation im Gegensatz zu aller Gnosis der sprechendste Ausdruck ist. (Kühn 2005) „Körpertherapien“, welche ausschließlich auf Selbst- und Funktionserfahrungen abzielen, könnten demzufolge eine einzigartige Möglichkeit versäumen, im je subjektiven Leiblichsein selbst auf die entscheidende Offenbarung des Lebens zu stoßen, um von daher eine neue Ausrichtung der Existenz vorzunehmen, die durch nichts anderes mehr in Frage gestellt werden kann. Dieser Perspektivenwechsel ist schwierig heute, weil nicht nur das Leibsein zumeist auf den rein objektiven Körper in seiner Sichtbarkeit und medialen Zurschaustellung reduziert ist, sondern solches Sich-zeigen überhaupt als die einzige „objektive Wahrheit“ propagiert wird. So paradox es also in einer Zeit der vollkommen enttabuisierten Darstellungen des Körperlichen erscheint, zumal im Bereich der Erotik und der Gewalt – die phänomenologische Entdeckung der reinen Leiblichkeit im öffentlichen Bewusstsein steht noch aus, um dadurch zugleich zum Zentrum einer erneuerten Kultur und Menschenwürde zu werden. Denn nur in einem Denken, welches vermeint, den Leib als ausschließlich sichtbaren Körper vorzeigen zu müssen, kann auch die Auffassung vorherrschen, dass er nicht mehr als ein welthafter Körper unter anderen Weltkörpern darstelle, um so bei gegebenem Anlass rücksichtslos liquidiert zu werden, sei es durch Kriege oder manipulative Eingriffe. Im Gegenzug hierzu erweist sich die enge Berührung von Lebensphänomenologie und reflektierter Körpertherapie als eine Chance wie Notwendigkeit zugleich, die reine Leiblichkeit als selbsterprobte Lebendigkeit zu ihrer Quelle im „Fleisch des Lebens“ zurückzuführen.
Rolf Kühn, PD Dr. phil., Lehrtätigkeit im Fachbereich Philosophie Universität Wien, Beirut und Nizza. Hauptforschungsgebiete: Phänomenologie, psychologische Anthropologie, Religions- und Kulturphilosophie Adresse: D-79194 Gundelfingen, Heuweiler Weg 19 E-Mail:
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Verzeichnis der Beispiele „Hier bin ich! Sieh mich doch an!“ Eine Patientin redet vor sich hin Einer Analytikerin wird speiübel Frau A. Fallbeispiel Frau D. Das erste Telefonat Fallbeispiel Frau D. Erstgespräche Die ersten Analysestunden … Fallbeispiel Herr J. Erstgespräch Fallbeispiel Herr J. Der Analysebeginn Fallbeispiel Herr J. Tiefe Regression Beispiele zur Ko-Kreation von Erfahrung Keine Sexualität bitte! Dem Patienten zuhören Die tote Katze Patientin mit Schreibblockaden Beispiel einer verunsichernden Eingangsszene Der Analytiker „ist es satt“ An einer Mauer abprallen Eine Kontrollanalyse Ein Patient möchte von der Couch aufstehen Eine ambivalente Begrüßung „Das Böse“ in der verschlossenen Brust „Trinkende“ Augen Der mörderische Schrei Eine frühe Verhinderung eigener Lebensbewegungen Das Bewegungstabu einer Festungsfamilie Die Angst vor der Nähe in der Berührung Die Wiederannäherung an eine „Schnee-Mutter“ Die Folgen einer Fixierung im Gipsbett Die erste Begegnung Die Botschaft der Körperinszenierung Die Ambivalenz in der Annäherung
Müller-Braunschweig, S. 5 ebenda, S. 7 ebenda, S. 19 Küchenhoff, S. 26 ff. Volz-Boers, S. 43 f. ebenda, S. 44 f. ebenda, S. 47 ff. ebenda, S. 50 f. ebenda, S. 51 f. ebenda, S. 54 f. Bettighofer, S. 63 ebenda, S. 65 f. ebenda, S. 70 ebenda, S. 71 ebenda, S. 72 ebenda, S. 74 ebenda, S. 74 f. ebenda, S. 75 f. Heisterkamp, Geißler, S. 203 ebenda, S. 205 ff. Worm, Handlungsdialoge, S. 213 ebenda, S. 218 ebenda, S. 223 ebenda, S. 224 f. ebenda, S. 225 ebenda, S. 226 ebenda, S. 227 ff. ebenda, S. 229 ebenda, S. 233 f. Poettgen-Havekost, S. 247 f. ebenda, S. 248 f. ebenda, S. 249 f.
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Verzeichnis der Beispiele
Das traumatisierte Kind zeigt sich ebenda, S. 250 ff. Die erstarrten Lungenbläschen ebenda, S. 252 f. Der Umgang mit der körperlichen Botschaft in der Behandlung ebenda, S. 253 f. Vom Körpergeschehen zur Bewusstwerdung ebenda, S. 255 Die Kränkung in der Kinderstimme Worm, Widerstand, S. 264 Hintergründe einer Krebsphobie ebenda, S. 267 ff. Die Abspaltung negativer Selbstaspekte ebenda, S. 270 Folgen einer „isolierten“ Körperintervention ebenda, S. 272 Eine missverstandene Berührung ebenda, S. 273 Die Ambivalenz in der Berührung ebenda, S. 277 Eine sexualisierte Verführung ebenda, S. 282 Hintergründe einer körperlichen Ablehnung in der Gegenübertragung ebenda, S. 283 f. Der verliebte Therapeut ebenda, S. 286 Der tabuierte erotische Mann ebenda, S. 288 f. Entflechtung einer Erstarrung Moser, S. 292 f. „Ich trinke Ihre Stimme.“ ebenda, S. 294 f. „Du kannst mich nicht halten.“ ebenda, S. 295 f. Spiel der Hände ebenda, S. 296 Das Nachwachsen der Haut ebenda, S. 297 Eine gehemmte Annäherung Heisterkamp, S. 302 f. Die erste Begegnung ebenda, S. 306 Die eine Hand streichelt die andere ebenda, S. 309 Patient bewegt seinen Kopf hin und her ebenda, S. 310 Tantalusqualen ebenda, S. 313 f. Im Analytiker breitet sich Angst aus ebenda, S. 315 Patient und Therapeut geben sich die Hand ebenda, S. 320 f. Ein lebloser Händedruck ebenda, S. 321 ff. Eine Patientin vor zwei Inszenierungsvorschlägen ebenda, S. 327 Panische Trennungsangst einer Patientin ebenda, S. 329 f. Die leibliche Gewissheit in der Handbewegung ebenda, S. 334 Angepasst wirkende Zeichnungen von Patientinnen (Abb. 1) Maaser, S. 351 Typische Zeichnungen von anorektischen Patientinnen (Abb. 2) ebenda, S. 352 Eine angstvolle und bedrohliche Figur (Abb. 3) ebenda, S. 354 Ein in Auflösung begriffener Körper (Abb. 4) ebenda, S. 355 Eine zusammengeballte Figur (Abb. 5) ebenda, S. 356 Ein „leeres Gespenst“ (Abb. 6) ebenda, S. 362 Beginnende Strukturierung (Abb. 7) ebenda, S. 367 Integration von „Innen“ und „Außen“ (Abb. 8) ebenda, S. 369
Verzeichnis der Beispiele Patientin malt ihren unerträglich erlebten Körper (Abb. 9) „Es ist so schwer, sich an das Fühlen zu gewöhnen“ (Abb. 10) „Da ist der Junge wieder!“ (Abb. 11) Zeichnung aus der Abschlussphase der Therapie (Abb. 12) Barbara Eine dramatische Sitzung Beschämungskonflikte, abgewehrt und ausagiert Ein wortloses „Psychodrama“ (Joseph) Sprechende Augen (Lisa) Inszenierung im Körpertraum (Barbara) Vorsprachliches Verstehen – Körperanalytisches „Deuten“ (Ronald) Frau P. Herr A. Träume vom Küssen und Baden, und das Dritte von Zwei Heilende Zärtlichkeit Der Herzschlag des Therapeuten (Elena) Am Selbstobjekt (Vaterkörper) konkret gehalten (Dorothea) Sexualisierung im Traum (Kathleen) Das Paternoster auf lateinisch und gestreichelt werden Körperliche Krankheit als identitätsstiftendes Medium Der Körper als „benutzbares“ Objekt Ablehnung bestimmter Körperteile Gerd Michael Sabine Marion Die Höhle (Abb.1) Die Kuhle (Abb.2) Die Schoßlage (Abb. 3) Die Rücken-an-Bauch-Lage (Abb. 4) Die Bauch-an-Bauch-Lage (Abb. 5) Die „Psychoanalytenlage“ (Abb. 6) Der Hallenbad-Traum Die Geschäftsfrau
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ebenda, S. 370 ebenda, S. 377 ebenda, S. 382 ebenda, S. 385 Heinzel, S. 392 f. ebenda, S. 396 f. Ware, Gruppe, S. 414 ff. ebenda, S. 429 f. ebenda, S. 430 f. ebenda, S. 431 ff. ebenda, S. 435 f. Hoffmann-Axthelm, S. 448 ff. ebenda, S. 455 ff. Ware, Eros, S. 459 ebenda, S. 471 ebenda, S. 474 ebenda, S. 479 f. ebenda, S. 481 ebenda, S. 481 f. Reinert, S. 498 ebenda, S. 498 ebenda, S. 499 ebenda, S. 502 f. ebenda, S. 505 ebenda, S. 505 f. ebenda, S. 506 f. ebenda, S. 514 ebenda, S. 515 ebenda, S. 516 ebenda, S. 516 ebenda, S. 517 ebenda, S. 518 Steiner Fahrni, S. 530 Downing, S. 567 ff.
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Verzeichnis der Beispiele
Ein siebzehnjähriger Vater
ebenda, S. 579 f.
Wie müssen Sie sich verbiegen!
Geißler, Heisterkamp, Moser, S. 586
Szenen einer Übung aus einer Weiterbildungsgruppe
ebenda, S. 589
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Sachregister A AAI (Adult Attachment Interview) 491 Abstinenz 15, 61, 71, 72, 208, 261ff., 288, 305, 332, 339, 409, 464, 466, 479ff., 591 Affektabfuhr 62 Affektabwehr 62 Affektregulierung 63, 143, 153, 160, 240ff., 277 Affektspiegelung 154ff., 160f., 241ff., 256, 330, 549 Agieren V, 3, 32, 61ff., 202, 205, 211, 240, 244ff., 256, 272, 282, 284, 288, 406ff., 411, 420, 425, 442, 459, 461, 468ff., 479, 484, 495, 555, 592 Aktiv-Passiv-Dimension 231 Alexithymie 170, 512 Als-ob-Modus 243, 257 Amygdala 43, 240, 528 Anorexia nervosa 12, 167, 172, 173, 188, 191f., 300, 305, 343ff. Arbeitsbündnis 8, 16, 199ff., 293, 361, 476, 484, 560 Atmung 55, 87, 109, 117, 118, 136, 218ff., 316, 515, 518, 524 Aufmerksamkeitsregulierung 121ff. Augenausdruck 146, 218, 223ff., 423 Ausagieren 244, 288, 407, 420, 425, 459, 461, 468, 475, 477, 484ff., 555 Ausdruckskörper 219, 236, 237, 502 Autistisch-berührender Modus 139 Automutilation 167 B Babyforschung 488ff. Basales Verstehen 301, 429 Begrüßung 3, 43, 47, 213ff., 247, 249, 320ff., 473, 534 Berührtwerden 5, 470, Berührung 3, 5, 15, 17, 43, 55, 84, 88, 90, 95, 97, 106, 116, 131, 146, 199ff., 218, 227ff., 259, 262, 271ff., 283, 297, 317ff., 326, 392, 409,
447, 463, 468ff., 517f., 524, 526, 534, 548, 557, 587, 590, 592 Beschämung 234, 265, 412ff., 424, 460, 462 Bewegungsanalyse 12, 188ff., Bewegungsausdruck 83, 88, 188 Bewegungsmuster 191, 207, 236, 302ff., 508 Bewegungsschema 165 Bewegungsraum 226, 235, 250 Beziehungslösung 219, 266 Beziehungswissen 61, 63, 65, 67, 78, 79, 81, 241, 510, 521ff. Bindung 27, 34, 35, 41, 57, 61, 71, 88, 99, 114, 117, 124, 126, 134, 141, 142, 146, 147, 153, 154ff., 168, 170, 172, 204, 239ff., 285, 433, 483, 491ff., 558 Bioenergetik, Bioenergetische Analyse 1, 10, 203, 287, 392, 393, 394, 406, 407, 410, 429, 471, 473 Blickkontakt 43, 86, 117, 146, 188, 190, 317, 325, 397, 524, 534, 549 Bodyismus 168ff. Borderlinestruktur, Borderlinestörung 135, 167, 189, 239, 243, 252, 256, 273, 294, 297, 325, 328, 478, 487ff., 555ff. C Containing, Containment 30, 36, 52, 54, 85, 242, 243, 276, 283, 333, 416, 430, 436, 463, 469, 472ff., 574 Couch-Setting 203, 205, 232, 562 D Deckerinnerung 383 Dekarnation 291 Deklaratives Gedächtnis 41, 64, 522, 523, 527ff., 541 Deutung 2, 13, 37, 41, 46, 58, 60ff., 80, 82, 85, 93, 95, 100, 214ff., 221, 227, 286, 293f., 309, 315ff., 374, 394, 409ff., 431ff., 449, 473, 483,
666 485, 492, 502f., 523, 529, 567, 570, 571, 585, 592, 604, 606 Dissoziation 33, 35, 36, 41, 53, 244, 258, 277, 505 Doppelte Bühne 271ff. Dramatisierung 85, 88, 404 Durcharbeiten 28, 87, 96, 311, 322, 329, 392, 421, 432, 485, 585, 586 Dysregulation 489, 498 E Effektanz 122, 147, 159, 160, 307 Ein-Personen-Psychologie 60, 530 Einsicht 9, 19, 61, 71, 80, 87ff., 138, 301, 311, 315, 317, 327, 336, 337, 338, 431, 437, 481, 485, 525, 575 Ekel 44, 135, 171, 215, 252, 280, 292, 305, 359, 362, 370ff., 448, 450f., 497 Einverleiben 373, 374, 509 Elternkörper 288 Embodiment 195 Empathie 49, 68, 114, 132, 148, 308ff., 315, 316, 317, 432, 535 Enactment VII, 6, 13, 84, 85, 133, 207, 209, 217, 297, 301, 309, 318, 319, 320, 325, 335, 338, 406, 407, 437, 468, 525, 530, 556, 557, 566, 585, 586, 587, 590 Entidentifizierung 484 Epigenese 106, 107 Erinnern 62, 87, 121, 332, 465, 525, 536, 548, 609 Ersatzbedürfnis 106, 279, 463 Ersatzbefriedigung 140, 261, 262, 271, 278, 279ff. Ersatzkontakt 269, 277, 278 Ersatzlösung 229, 230 Ersatzobjekt 496 Ersatzpartnerschaft 260, 261, 274, 285, 289 Ersatzmutter 393 Erstarrung 10, 205, 240, 249, 250, 258, 292, f., 372, 381, 471 Externalisierung 67, 94, 160, 161, 246, 257 F Fixierung 4, 41, 47, 80, 142, 224, 230, 233, 262, 400, 401, 420 Flash back 89 Fragmentierung, fragmentiert 138, 139, 166, 171, 187, 219, 350, 362ff., 376, 387, 388, 610 Freie Assoziation 41, 56, 223
Sachregister Freude 5, 47, 51, 257, 275, 297, 340, 376, 418, 448, 449, 453, 468, 469, 470, 549, 565, 599, 604, 611, 612
111, 305, 423, 461, 478, 600,
135, 308, 426, 462, 487, 601,
206, 320, 441, 464, 494, 602,
207, 322, 446, 465, 512, 603,
G Geburtsphantasie 16, 55 Gedächtnissystem 60, 64, 510, 522, 523, 528, 533, 553, 554 Gegenübertragungskapazität 405, 411ff., 460ff. Gegenwartsmoment 163, 522, 533, 540, 547, 548, 560 Genexpression 104, 107, 110119, 120, 126, 488 Genitalität, genital 288, 314, 442, 445, 447ff., 462, 485 Geschlechtsidentität 149, 183, 237, 443, 445, 446, 450, 460, 472, 480 Gesichtsausdruck 19, 43, 48, 74, 113, 114, 129, 131, 148, 160, 190, 193, 228, 229, 234, 279, 289, 292, 302, 453, 489, 557, 562, 576 Gestik VI, 18, 43, 135, 139, 150, 190, 307, 470 Gewalt, Gewalterfahrung 11, 30, 46, 56, 91, 168, 171, 175, 228, 247, 306, 415, 431, 462, 468, 474, 490, 492, 505, 580, 613 Gleichschwebende Aufmerksamkeit 94, 408, 564 Glück 5, 56, 57, 252, 257, 291, 295, 396, 445, 446, 457, 470, 511, 533, 543, 558, 603, 604 Grounding 266, 457 Gruppenarbeit 5, 6, 393, 394, 421, 424 Gruppendynamik 393ff., 403ff. Gruppengeschehen 394, 396, 401, 409, 420, 422, 424, 434, 435 Gruppeninteraktion 422, 426 Gruppenleiter 371, 377, 391, 411, 412, 420, 422, 424, 427ff. Gruppenmatrix 395 Gruppensitzung 397, 398, 401, 403, 410, 412, 423, 425, 426, 427, 433 Gruppentherapie 183, 338, 391ff., 411ff. Gruppenübung 391 H Habituation 122 Halluzination 43, 45, 46, 328
Sachregister Handlungsdialog VI, VII, 3, 6, 13, 43, 58, 59, 61, 66, 67, 73, 84, 85, 168, 170, 205, 207, 209, 211ff., 238, 246, 267, 286, 297, 301, 304, 308, 316, 319, 323, 325, 330, 333, 406, 432, 437, 441ff., 463, 468, 479, 483, 502, 510, 525, 546, 589 Handlungseinheit 137, 204, 246, 299, 301, 309, 318, 321, 326, 334ff., 585, 587 Handlungsphantasie 4, 73, 214ff., 326 Handlungsprinzip 301, 330, 435, 585 Handlungsprobe 200, 204, 319, 325, 328ff., 588 Handlungssymbolik, handlungssymbolisch 2, 125, 126, 412, 424, 427, 428, 437, 472, 482, 485 Handlungsszene 3, 215ff. Hass 29, 48, 53, 56f., 74, 249f., 268f., 294, 333, 362, 370ff., 416, 423, 430, 454, 460, 462, 474, 497, 499, 507 Haut 16, 30, 55f., 97, 118, 283, 297, 344, 353, 360, 367, 379f., 423, 453, 524 heightened affective moment 159, 534, 558 Hingabe 192, 450, 611, 612 Hippocampus 43, 67, 240, 528 Holding, Holding function 333, 394 Humor 447, 572 Hysterische Abwehr 54 Hysterische Inszenierung 32 Hysterie, hysterisch 15, 51, 97, 291, 401, 478 I Identitätsstörung 14, 47, 183 Imitation 53, 106, 110, 113, 131ff., 208, 531ff., 573 Implizites Wissen 67, 132ff., 313, 314, 488, 533 Infantilisierung 281, 425 Inkorporationsphantasie 373 Inszenierende Interaktion 73, 83ff., 336, 338 Interaktionelle Übertragungsanalyse 59ff. Interaktionserfahrung 56, 107, 112, 136ff., 156, 171, 253, 270, 308, 530 Interaktionsrepräsentanz 81, 136, 340 Internalisierung 35, 138, 159, 386 Intersubjektivität 47, 59, 67, 115, 131ff., 141ff., 158, 304, 412, 423ff.,
667 464, 523, 524, 531, 534, 535, 549, 556, 559, 560 Interventionsebene 3, 358ff., 373ff., 384ff. Interventionstechnik 374, 384, 388, 541 Intrapsychisch 13, 36, 40, 59, 60, 61, 66, 67, 70, 80, 147, 154, 170, 236f., 246, 251, 303, 305, 319, 459, 502, 523, 581 Introjekt 245, 247, 248, 271, 324, 451, 453, 454 Introjektion 69, 316 Introjektive Identifikation 433, 477 Inzest, inzestuös 28, 56, 281, 285, 430, 431, 460ff., 472f., 478, 480, 482, 483, 484 Inzesttabu 106, 262 Inzestwunde 472 K Katharsis, kathartisch 392 Kern-Selbst 36, 38, 161 Kern-Selbstempfinden, Kern-Selbsterleben 308 Kollaborative Verbindung 539, 558ff. Kollusion 76, 207, 208, 306, 402, 555, 570 Komorbidität 555 Kontigiutät 489 Kontingenz, kontingent 160, 161, 240, 331, 531ff. Kontingenzresponsivität 240, 243 Kontrollverlust 192 Korrektive emotionale Erfahrung 257, 339, 420 Körperagieren 497 Körperausdruck 3, 7, 42, 87, 195, 211ff., 236, 248, 259, 264, 272, 301, 318, 402, 544 Körperbild 11, 12, 27, 28, 34, 38, 42, 51, 165ff., 236, 248, 251, 263, 346ff., 403, 497, 526f. Körperbilddiagnostik 165ff., 346ff. Körperbildentwicklung 116 Körperbildforschung 345 Körperbildstörung 10, 192ff., 345ff. Körperbildzustandstraum 358 Körpererleben 1, 10ff., 29, 34, 42, 43, 49, 56, 57, 162ff., 165ff., 218ff., 235ff., 250, 265ff., 300, 304, 324, 343ff., 437, 467, 497, 501, 502, 508 Körpergedächtnis 88, 120ff., 184, 399, 447
668 Körpergrenze 30, 31, 51, 166, 173, 191ff., 245, 324, 353ff., 454, 504, 505, 515 Körperideal 167ff. Körperinszenierung 10, 23ff., 41, 58, 84, 171ff., 244, 246, 248, 253ff., 297, 300 Körperintervention 2, 3, 221, 228, 272ff., 287, 292, 436, 483 Körperkontakt 10, 15, 49, 126, 146, 255, 262, 269, 270, 276, 278, 320, 475, 489, 511 Körperliche Gegenübertragung 39ff., 171, 212, 250, 283 Körpermikropraktik 134ff., 580 Körperresonanz 42, 58 Körperschema 191ff., 482 Körperschemadiagnostik 188 Körperschemastörung 167, 172ff. Körpersensorik 58 Körpersignal 135, 216, 277, 279, 283, 562 Körpertraum 349, 357ff., 432 Körperwahrnehmung 11, 42, 165ff., 199, 254ff., 274, 280, 294, 324ff., 348, 353ff., 431, 453, 526, 544 Körper-zu-Körper-Architektur 557, 564, 570, 572, 578 Küssen 45, 134, 153, 313, 447, 448, 459 L Lebensaffektion 300, 599ff Lebensbewegung VII, VIII, 2, 7ff., 18, 39, 73, 106, 107, 121, 137, 195, 199, 208, 225ff., 239, 299ff., 402, 495, 509, 585, 587, 589, 590 Lebensphänomenologie 596, 609, 613 Leibliche Gewissheit 334ff. Leibmächtigkeit 608, 610 Leibwissen 13, 596 Leidenschaft 435, 446ff., 485, 598f. Libido 425, 460 Limbisches System 43, 490 M Maligne Regression 66, 140, 273, 509, 519 Manipulation 221, 247, 259f., 334 Marker, biologischer (somatischer) 115, Matching 557, 558, 580 Mentalisierung 41ff., 58, 67, 141, 154ff., 209, 240ff., 256ff., 317, 330f., 491, 549, 571
Sachregister Metakognitive Fähigkeit 154 Mikroprozess 563ff. Mimesis 23, 25, 32, 33, 36, 171 Mimik VI, 74, 87, 113, 124, 135, 139, 150, 190, 195, 307, 308, 423 Mitagieren, 61, 402 Mitbewegung 18, 304ff. Mithandeln 63ff., 338 Mitschwingung 18, 303, 307ff., 321, 331ff., 445, 466 Modellsituation 73, 201, 231, 303, 325, 328 Modellszene 59, 67, 230, 300, 586 Moment of meeting 533 Motorische Überzeugung 136, 357, 365 Moving along 533, 534 Mutative Deutung 437, 473 Mutterkörper 269 N Neid 57, 327, 371, 397, 423, 425, 442, 460, 468, 474, 483 Neuanfang, Neubeginn, Neuerfahrung 52, 247, 269ff., 304, 311, 340, 376, 405, 408, 448ff., 455, 458, 484ff., 511 Neukonstruktion 590 Neurosenlehre 486 Neutralität 61ff., 72, 78, 203, 208, 332, 338 Neurowissenschaften 4, 7, 8, 9, 99, 101, 104, 105, 120, 128, 189, 191, 526, 551 Now-moment 6, 66, 133f., 140, 533, 538 O Objektlosigkeit 46 Objektrepräsentanz 56, 140, 277, 373, 388, 470 Ohnmacht 14, 50, 76, 79, 101, 204ff., 224, 249, 251, 333, 337, 598, 599 Omnipotente Überzeugung 90 Omnipotenz, omnipotent 53, 57, 574 Omnipotenzwunsch 261 Ongoing regulation 159, 534 OPD 34ff., 171ff., 183, 387, 388 Operative Dimension 332 Operatives Verstehen 136ff., 208, 246, 587 Oral, oraler Modus 192, 212, 215, 260, 343f., 401, 452, 455, 509ff., 518, 519 Organdialekt 200, 321 Orgasmusreflex 447
Sachregister
669
P Parentifizierung, parentifiziert 433, 435 Passibilität 13, 597ff. Performanz 23ff., 33, 36, 37, 171 Pesso-Therapie 455 Phantasieraum 215, 281 Phänomenalisierung 597, 600, 603 Phänomenologisches Eintauchen 540ff. Praxeologie, praxeologisch 299ff., 470f., 486, 585 Prämotorischer Cortex 114, 132 Pränatale Entwicklung, pränatal 41, 107, 114ff., 137, 143, 474, 490ff., 500 Präsentisches Verstehen, präsentisch 4, 212, 246, 301, 334, 337, 415, 538 Präsymbolisch 199, 510, 531, 560 Primärprozess, primärprozesshaft 55, 56, 93, 94, 97, 109, 510, 563 Priming 539 Prosodie, prosodisch 195 Proto-Selbst 111ff., 136 Psychose, psychotisch 9, 46, 202, 500, 505, 513, 555 Q Qualia 115, 127ff. R Rahmen 199ff. Regression, regrediert 40, 46ff., 66, 72, 85, 90, 100, 142, 144, 202, 212, 215, 232ff., 271, 288, 311, 319, 335, 344, 365, 392ff., 420, 425, 436, 446, 457ff., 469ff., 484, 495, 504, 563, 586 Regressionsebene, Regressionsniveau 73, 79, 309, 315f., 333, 508 Regressionsphase 56 Rekonstruktion 64, 303, 334, 372, 387, 503, 523, 590 Relational V, 2, 8, 13, Rhythmus 8, 16, 18, 56, 85, 131, 135, 139, 314ff., 332, 360, 415, 489, 539, 544, 565 S Säuglingsforschung 10, 99ff., 240, 241, 315, 347, 360, 366, 522ff., 553 Scham 28, 168, 171, 215, 216, 247, 261ff., 280, 284, 309, 333, 412ff., 419, 424, 426,
167, 447, 234, 312, 430,
442ff., 457ff., 526, 565, 572, 576, 577 Scheme of being with 250 Schmerz 19, 61, 68, 72, 82, 105, 108ff., 137, 139, 158, 205, 305, 523, 528, 553 Schrei 124, 135, 145, 223, 224, 328, 397, 433, 509, 567 Sehnsucht 27, 45, 48, 76, 218, 227f., 232, 248f., 252, 269f., 284f., 292f., 303, 321, 327, 379f., 393, 402f., 408, 445, 448f., 458, 482, 485, 490, 495, 510f. Sekundärprozess, sekundärprozesshaft 109, 432 Selbstberührung, 180, 194, 228 Selbstempfinden 108ff., 143ff., 161, 307ff., 588, 613 Selbsterfahrung 6, 16, 18, 19, 140, 153, 183, 189, 308, 313, 391, 393, 394, 406, 420, 422, 587ff., 599 Selbstheit 597ff. Selbstobjekt 64, 71, 219, 225, 277, 307, 319, 331, 339, 358, 428, 479ff. Selbstorganisation 106, 143, 419 Selbstregulation, Selbstregulierung 108, 115, 147, 154f., 157ff., 194, 201, 308, 314, 328, 332, 421, 540, 543ff., 550, 566 Selbstrepräsentanz 56, 243, 388, 420, 497 Selbstverletzung 15, 29ff., 250, 318, 499, 506ff., 555 Selbstverlust 15, 46 Selbstwahrnehmung 4, 34, 132, 163, 172, 189, 219, 222, 243, 314, 533, 553, 587 Setting 4, 8, 16, 47, 59, 68, 83ff., 126, 138, 163, 194, 199ff., 216ff., 226, 232ff., 246, 258, 263, 277, 281ff., 291, 305, 311, 320, 336, 386, 389, 394, 395, 406, 411,416, 422f., 466, 469ff., 491, 505, 511, 562, 570, 579, 585, 588, 591 Settingbesprechung 84, 201 Settingposition 305 Sexualisierung, sexualisierend 31, 261, 281ff., 441ff., 459, 462ff., 561 Sexualität 15, 27, 44f., 51, 65, 92, 156, 168, 281, 285ff., 313, 441ff., 459ff. Sinnlichkeit, sinnlich 43, 87ff., 115, 125, 150, 163, 261, 288, 328, 437, 443, 447, 462, 596ff. Spiegelneuronen 6, 114, 132, 256, 539 Sprachverwirrung 195, 470, 478ff.
670 Spürbewusstsein 133 Stimmklang 16, 55, 473 Stressreaktivität 121, 126ff. Strukturmodell 34, 172, 386ff. Strukturniveau 15, 36ff., 172, 183ff., 387ff. Symbolisierung 39, 58, 67, 104, 157, 175, 219, 233, 236, 241, 244, 248, 256ff., 294, 296, 307, 403, 508, 550, 554 Symbolisierungsfähigkeit 136, 171, 212, 246, 406, 552 Symbolisierungshilfe 184 Symbolisierungsdefizit, Symbolisierungslücke 43, 236, 245 Symbolisierungsprozess 252, 333 Symbolisierungsstörung 46 T Temperament 121ff Tiefenregression 510ff. Todesangst 14, 46, 206, 393, 494, 496, 508, 509 Tonfall 6, 56, 401, 489, 557, 562, 568, 576, 577 Trauer 5, 48, 140, 227, 228, 295, 313, 331, 337, 380, 402, 420, 433, 434, 449, 452f., 479f., 513, 547, 552, 589 Trauerarbeit, Trauerprozess 401, 403 Traumgeschehen 521ff. Traumatische Inszenierung 32f. Traumatisierung 5, 10, 12, 41, 47, 51, 89, 92, 171, 184, 236, 239ff., 334, 415, 463, 492, 494 Trennungsangst 46, 57, 150, 329ff., 444 Triangulierung 125, 310, 403, 482, 537, 589 Triebbefriedigung 62, 284, 471, 479 U Unterbrechung und Wiederherstellung 64, 69, 159, 332, 534, 547 Übergangsobjekt 171, 183 Übertragungsdeutung 394 Übertragungsneurose 95f., 200, 335 Übertragungspsychose 505 Urheberschaft 122, 147, 159, 539 Ursprungsleib 604ff. V Vaterkörper 293, 411, 465, 479ff. Verachtung 57, 135, 253, 261f., 279, 283, 286, 289, 420, 445, 455f.
Sachregister Verführung 90, 276, 282ff., 434, 470ff., 478 Verkörperlichung 241, 246 Verkörperte Gegenübertragung 306 Verschmelzung 81, 262, 271, 285, 322, 445, 448, 451, 451, 454, 457, 496, 515 Verwandlungsobjekt 513 Vitalitätsaffekt, Vitalitätskontur 103, 106, 121, 127ff., 308, 533, 559 W Wahrnehmungszentrierung 86ff., 222 Wandlungserfahrung 140, 209, 311, 538, 554 Weinen 5, 77, 89, 227ff., 288, 330, 396f., 404, 429, 457 Widerstand 4, 41, 62f, 66, 67, 75, 81, 83, 87, 90, 91, 106, 202, 205, 211, 218, 212, 227ff., 238, 250, 254, 259ff., 306, 311, 314, 334, 335, 350, 361, 379, 392, 395, 401f., 406ff., 421, 428, 431, 468, 469ff., 485, 529, 542, 550, 555, 573, 590f., 595, 610 Wiederholungszwang 66, 452, 458, 478 Wirk(ungs)geschehen V, VI, VII, 199ff., 299ff., 438, 585, 591 Wirkmacht, Wirkmächtigkeit 240, 242, 279, 333, 575 Wut 6, 15, 46, 48ff., 79, 185, 204, 220, 224ff., 233, 270, 288f., 313, 328ff., 373ff., 384, 395ff., 402ff., 415f., 419ff, 433, 449, 453, 460, 474, 479, 483, 495, 506ff, 533 Z Zärtlichkeit, zärtlich 16, 27, 50, 55, 171, 228, 284, 288, 297, 309, 313, 327, 404, 430, 445ff., 462f., 471, 474, 480, 513 Zölibatäre Gegenübertragung 463, 480ff. Zorn 56, 397, 415, 416, 433, 451, 456, 462, 576 Zustandsveränderung 159 Zwei-Personen-Psychologie 60ff., 523, 530, 556
Autorenverzeichnis Adler A, 104, 108, 200, 205, 208, 303, 304, 305, 307, 321, 478, 487, 488, 493, 494, 504, 508, 588 Alberti B, 490 Alexander F, 405 Alexander G, 173 Allport GW, 121, 190 Altmeyer M, 524 Ammon G, 493, 500 Antoch RF, 210, 332 Anonyma, 475 Anzieu D, 92, 97 Argelander H, 84, 211 Arnim A v, 5, 11, 12, 165ff., 184, 497 Aron L, 556, 570 Auchter T, 42 Aulagnier P, 46 Ayres J, 191 Balint M, V, VI, 60, 96, 144, 340, 490, 510, 511, 530 Bartosch E, 68 Basch MF, 160 Battegay R, 420, 421, 422, 423, 427 Bauer J, 6, 256, 539 Baumann S, 191 Bauriedl Th, 259, 260, 262, 280, 314, 464, 465, 466, 471, 475, 491 Bänninger-Huber E, 528 Beebe B, 61, 62, 63, 64, 100, 135, 158, 159, 208, 332, 522, 534, 539, 545, 556, 557, 558, 559, 560, 564, 566 Benedetti G, 553 Benjamin J, 250, 560 Benton A, 191 Berger MR, 195 Berliner J, 392, 395, 404, 405, 406, 419, 423, 427, 431 Bettighofer S, 1, 12, 59ff., 60, 61, 64, 246, 260, 304, 339, 442, 511, 530 Bielefeld J, 191 Bion WR, 105, 138, 242, 474, 475, 484, 485, 525, 574 Bischof N, 443, 444
Bohleber W, 13, 67, 202, 204, 239, 525, 552 Bollas Ch, 6, 43, 53, 134, 405, 411, 415, 417, 418, 419, 431, 432, 465, 466, 476, 508, 511, 513, 525 Bolognini S, 97 Boothe B, 209 Boston Change Process Study Group, 64, 557 Bovensiepen G, 259 Bowlby J, 156 Böhme-Bloem Ch, 532 Brazelton TB, 158 Brech E, 441 Bretherton I, 157 Bromberg P, 566 Bruner J, 132 Bucci W, 194 Buchheim A, 491 Buchholz MB, VIII, 8, 19, 68, 101, 104, 107, 109, 121, 125, 126, 128, 133, 137, 162, 195, 524 Burn H, 190, 192 Butler J, 25 Bühring P, 391 Casement PJ, 89, 100 Cash TF, 169, 170 Cierpka M, 501 Ciompi L, 40 Clyman R, 528 Coen S, 557 Cohen Y, 54 Condon WS, 158, 190 Corboz-Warnery A, 556, 558 Cornell B, 557 Crenshaw TL, 473 Crick F, 128 Cruz RF, 189, 190, 194 Damasio AR, 43, 111, 112, 115, 128, 242 Daser E, 332 Davies JM, 475 Deneke FW, 137 Descartes R, 606, 609
672
Autorenverzeichnis
Deserno H, 525 Deutsch H, 19, 25, 211, 494, 563 Dolto F, 166, 191 Dornes M, 99, 100, 105, 107, 112, 132, 147, 160, 208, 242, 256, 314, 315, 316, 334, 407, 441, 489, 524, 529, 557 Douglas C, 472 Downing G, 12, 25, 99, 100, 128, 129, 131, 132, 134, 135, 136, 162, 163, 221, 272, 277, 280, 306, 346, 347, 348, 357, 359, 363, 366, 370, 372, 376, 383, 386, 388, 391, 408, 441, 447, 448, 464, 466, 470, 475, 522, 531, 537, 539, 540, 555ff., 557, 558, 563 Drewermann E, 480 Du Bois R, 191 Dürr HP, 103 Eckard-Henn A, 14 Edelman GM, 4, 104, 128 Ehrenberg D, 68, 72, 82, 472, 475, 456, 470 Eickmann M, 212 Eisenberg P, 188, 190 Ekman P, 189, 190 Emde R, 147, 159 Emrich M, 8, 9 Endres N, 311, 338 Erikson EH, 521, 525 Ermann M, 61, 299, 525 Essers H, 464 Fast I, 136 Feiereis H, 192, 193 Fenichel O, 142 Ferenczi S, V, VI, 81, 101, 211, 276, 278, 288, 431, 447, 466, 480, 525 Ferro A, 86, 94, 100 Fetscher R, 472, 475, 477 Fivaz-Depeursinge E, 130, 131, 138, 531, 556, 558 Flack WF, 114 Fongay P, 41, 42, 58, 61, 64, 67, 112, 154, 155, 157, 159, 160, 209, 239, 240, 241, 242, 243, 248, 256, 257, 258, 317, 330, 491, 532, 549, 571 Fosshage J, 276, 279, 570 Foulkes D, 525 Frawley MG, 475 Freedman N, 190, 194 Freud A, 30, 401, 464
275, 470,
132, 111, 208, 245, 332,
Freud S, VIII, 13, 19, 39, 41, 62, 83, 85, 86, 92, 94, 101, 200, 201, 209, 244, 285, 399, 400, 402, 409, 410, 423, 441, 442, 484, 519, 521, 523, 525, 526, 531, 541, 608 Freud WE, 489, 490 Frey S, 528 Friedman S, 121 Friesen WV, 189, 190 Frijda NH, 189 Frischenschlager O, 129, 138, 155, 156 Fuchs T, 391, 501 Funke G, 300 Fürstenau P, 51, 420 Gabbard G, 556, 571 Gaddini E, 51, 53, 58, 532 Gagnon R, 116 Gambaroff M, 284, 461 Garner DM, 169, 345 Gehde H, 8, 9 Geißler Ch, 99 Geißler P, V, 3, 4, 5, 12, 16, 68, 99ff., 100, 136, 142, 144, 199ff., 203, 212, 307, 308, 310, 311, 395, 408, 447, 491, 533, 552, 557, 563, 585ff., 588 Gendlin ET, 527 Gergely G, 154, 159, 160, 242, 243, 333 Geuter U, 345, 466 Gill MM, 61, 81 Görnitz B, 10, 19 Görnitz Th, 19 Götzmann L, 16 Graber GH, 490, 494 Grawe K, 65 Green A, 106, 262, 432, 464 Greenson R, 473 Greenspan S, 578 Grossmann K, 127, 491 Grossmann KE, 491 Grunberger B, 490, 494, 509 Guderian C, 208 Hall ET, 193 Hamburger A, 525 Harrison A, 571 Hartke R, 89 Hartmann E, 526 Hartmann HP, 115, 121, 122, 126, 143, 147, 154, 155, 157, 159, 308 Haynal AE, V Heidegger M, 603 Heigl-Evers A, 70, 82
Autorenverzeichnis Heimann P, 416, 574 Heinzel R, 6, 8, 391ff., 405, 411, 421, 422, 423, 427, 431 Heisterkamp G, V, 4, 5, 6, 7, 11, 16, 64, 73, 81, 84, 89, 104, 106, 108, 136, 137, 138, 163, 171, 199ff., 200, 201, 204, 206, 207, 212, 213, 246, 256, 257, 299ff., 301, 303, 305, 308, 309, 311, 314, 320, 323, 326, 330, 334, 335, 336, 339, 340, 402, 405, 406, 407, 415, 416, 418, 431, 432, 437, 438, 441, 442, 448, 461, 463, 465, 466, 467, 468, 469, 470, 476, 484, 491, 495, 502, 508, 511, 525, 538, 545, 546, 552, 554, 557, 558, 585ff., 586, 588, 590, 591, 592 Heisterkamp P, 305 Hepper PG, 115, 116, 117 Henry M, 169 Herberth F, 314 Herzog Th, 345, 346 Hess-Liebers W, 212 Heyes CM, 113 Hilgers M, 491 Hilton R, 280, 446 Hirsch I, 464 Hirsch M, 105, 106, 211, 212, 213, 239, 244, 256, 262, 284, 320, 321, 421, 466, 472, 475, 494, 496, 497 Hoffman I, 190, 570 Hoffmann-Axthelm D, 1, 324, 325, 441ff., 450, 453, 459, 474, 481 Hohage R, 281, 285 Holder A, 40 Hooker D, 116 Husserl E, 595, 596, 606 Hüther G, 110, 111, 115, 117, 118, 119, 120, 488, 490 Iacoboni M, 189 Isabella R, 158 Iser W, 23, 24, 25 Jacobs T, 61, 557 Jacobson E, 42, 46, 403 Jaffe J, 158, 161, 559 Jakobsen, Th, 34 Janssen PL, 97, 345 Joraschky P, 5, 11, 165ff., 191, 192, 193, 194, 497 Joseph B, 4, 19 Jung CG, 103, 313, 398, 399, 418, 421, 424, 442, 460, 463, 464, 465,
673 469, 471, 476, 480, 481, 482, 484, 527 Junkert-Tress B, 65 Kandel ER, 115 Katz GA, 301 Katz MM, 189 Kächele H, VII, 201, 202, 207, 263, 299, 408, 442, 470, 491, 525 Keiser S, 482 Kern F, 14 Kernberg OF, 5, 65, 140, 239, 387, 497, 500, 511, 555, 556 Kimura D, 194 Kinston W, 54 Klar H, 89 Klauber J, 469, 473 Klemann M, 285 Klopstech A, 8, 9, 557 Klüwer R, 6, 59, 84, 85, 211, 301, 406, 468 Kohut H, 56, 60, 68, 69, 159, 205, 308, 340, 358 Koós O, 243 Koukkou M, 525 Köhler L, 529 Körner J, 462 Krause R, 4, 100, 190, 305, 528 Kriz J, 107 Krutzenbichler HS, 464 Kugiumutzakis G, 531 Kutter P, 43, 51 Küchenhoff J, 2, 9, 10, 23ff., 25, 26, 30, 34, 38, 41, 84, 171, 172, 240, 244, 246, 252, 263, 300 Kühn R, 13, 300, 308, 311, 321, 325, 587, 595ff., 597, 608, 612, 613 Laban R, 12, 194 Lachmann FM, 61, 62, 63, 64, 158, 159, 208, 332, 534, 556, 558, 564, 566, 570 Langfeldt HP, 105 Lausberg H, 11, 12, 165ff., 189, 190, 192, 194 LeDoux JE, 488, 528 Lehmann D, 525 Leibig B, 416 Leuzinger-Bohleber M, 67, 202, 204, 525, 552 Lewis RA, 472 Lewis RN, 191 Lichtenberg JD, 59, 67, 69, 99, 100, 156, 168, 241, 262, 303, 521, 524, 528, 540, 557, 570 Lineham M, 555 Little M, 97, 437, 466, 470, 484, 485
674 Livesley WJ, 492 Loewald H, 18, 108, 109, 435 Lorenzer A, 136, 211 Lowen A, 391, 392, 406, 410 Lyons-Ruth K, 528, 557 Maaser R, 10, 11, 167, 173, 192, 219, 300, 305, 324, 343ff., 348, 359, 391, 395, 404, 406, 408, 411, 420, 427 Maaz HJ, 271, 590 Mahler MS, 403 Main M, 154 Maine de Biran P, 595, 609 Mann D, 464 Manschreck TC, 189 Markus KA, 188 McDougall J, 25, 30 McLaughlin J, 562, 563, 564 Meltzoff A, 131, 132, 256, 531 Merleau-Ponty M, 24, 166, 300, 526, 596 Mertens W, 8, 105, 136, 137, 138, 139, 199, 299, 441, 466, 484, 521, 522, 523, 524, 525, 528 Milch W, 8, 68, 115, 489, 491 Mindell A, 527 Mitchell SA, 8, 13, 18, 61, 68, 69, 72, 74, 82, 108, 109, 139, 140, 141, 556, 568 Mitscherlich A, 398 Moore AM, 131, 132, 531 Morgenthaler F, 525 Moser T, VI, 3, 73, 94, 95, 96, 227, 232, 288, 291ff., 316, 317, 325, 328, 335, 336, 407, 409, 428, 432, 441, 442, 468, 473, 478, 479, 502, 510, 557, 585ff., 588, 590, 591, 592 Moser U, 525 Murray L, 532 Müller-Braunschweig H, 1ff., 5, 15, 51, 168, 263, 345, 431, 435, 587 Nagler N, V Needles W, 563 Nothdurft W, 105 Oberbracht C, 34 Oberzaucher E, 112, 113 Ogden TH, 49, 52, 55, 101, 126, 139, 212, 332, 562, 563, 564, 574 Orange DM, 59, 68 Orlinsky DE, 155 Ott J, 70, 82 Palombo SR, 521
Autorenverzeichnis Papousek M, 123, 124, 130, 532, 558 Person ES, 89 Pesso A, 95, 391, 453, 455, 550 Petzold HG, 291, 527 Pfannschmidt H, 259, 287, 418, 564, 565, 567, 568, 571, 586 Piaget J, 105, 106, 107, 109, 110, 114, 131, 136, 137, 138, 191, 208, 209, 301, 330, 586 Plassmann R, 171 Plessner H, 24 Poettgen-Havekost G, 10, 84, 154, 199, 200, 232, 239ff., 263, 306, 318 Popp FA, 103 Posner ML, 122 Pöhlmann K, 497 Priebe S, 579 Putzke M, 8 Ranefeld J, 91 Rank O, 490 Rapaport D, 39 Rauchfleisch U, 444 Reerink G, 239 Reich G, 344 Reich W, V, 107, 314, 344 Reinert T, 14, 15, 325, 478, 487ff., 490, 491, 493, 494, 495, 496, 497, 499, 500, 505, 507, 509, 510, 511, 512, 513 Reiter A, 500 Renik O, 565 Ringel E, 490 Rizzolatti G, 132, 189 Rochat P, 558 Rodulfo R, 489, 490, 491, 492, 501, 511 Rohde-Dachser Ch, 239, 251, 256, 450, 492, 496, 504, 510 Rosenfeld HA, 57 Roth G, 240, 488, 490 Roth N, 18 Rothbarth, MK, 122 Röhricht F, 191, 579 Rudolf G, 70, 236, 273, 387, 497, 500, 501 Rüther E, 492 Sachsse U, 492 Salber W, VII, VIII, 7, 137, 299, 300, 311, 324, 338 Sampson H, 66 Samuels A, 460, 463, 479 Sandler AM, 523
Autorenverzeichnis
675
Sander J, 39, 40, 42, 56, 66, 84, 211, 112, 468, 523, 573 Schacter DL, 528 Schafer R, 162 Scharfetter C, 461 Scharff JM, V, 2, 3, 8, 42, 73, 83ff., 85, 96, 101, 199, 201, 216, 237, 246, 274, 276, 300, 325, 326, 328, 330, 332, 335, 336, 337, 398, 472, 479, 588 Schäfer U, 492 Schellenbaum P, 133, 266 Schilder P, 166, 526, 527 Schore AN, 8, 9, 99, 155, 161 Schultz-Hencke H, 521 Searles HF, 437, 484, 493, 564 Sèchehaye M, 293 Shahidullah S, 115, 116 Shanker S, 578 Sherry D, 528 Siegel AM, 60, 112, 308 Sloterdijk P, 210, 333 Spangler G, 127 Staemmler FM, 100, 142 Steiner J, 406 Steiner Fahrni M, 141, 521ff., 522, 530 Stekel W, 525 Stern DN, VI, 6, 9, 17, 54, 61, 62, 63, 64, 65, 68, 69, 81, 99, 100, 103, 106, 107, 108, 109, 111, 112, 121, 122, 123, 124, 127, 128, 129, 132, 133, 134, 135, 136, 138, 139, 140, 141, 142, 143, 144, 145, 146, 147, 148, 149, 150, 151, 152, 153, 161, 162, 166, 186, 170, 202, 208, 209, 241, 242, 250, 307, 308, 310, 311, 335, 522, 527, 529, 530, 533, 534, 537, 538, 540, 546, 547, 553, 556, 557, 558, 559, 560, 565, 575, 576, 578 Stirn A, 167, 299 Stoller RJ, 469, 484 Stolorow RD, 68 Strauch I, 525, 537 Strauß B, 5, 491 Streeck U, 61, 62, 6365, 68, 100, 212, 320, 463, 468, 525, 556, 557, 566 Sullivan HS, 60, 576
Thomä H, VII, 39, 42, 60, 70, 201, 202, 207, 263, 299, 343, 345, 408, 442, 470, 525 Thompson JK, 172 Tomasello M, 109 Tögel C, V Treurniet N, 54 Trevarthen C, 138, 194, 531, 532 Tronick EZ, 135, 158, 159, 532, 556, 557, 558, 564
Target M, 41, 111, 112, 154, 155, 157, 160, 241, 242, 243, 258, 332, 549 Tauber ES, 461, 462 Taylor C, 24 Tenbrink D, 507
Yalom ID, 163, 494
Uexküll T v, 190 Ulrich G, 189, 190 Van der Bergh BRH, 115, 121 Volz-Boers U, 2, 11, 15, 16, 17, 39ff., 50, 138, 171, 212, 244, 304, 316 Vries JPP de, 116 Wallerstein R, VII, 59, 60 Ware RC, 2, 5, 6, 8, 246, 257, 313, 338, 405, 409, 411, 415ff., 418, 426, 430, 432, 433, 437, 442, 459ff., 460, 461, 462, 463, 464, 465, 466, 468, 474, 475, 479, 480, 485 Watson JS, 154, 159, 160 Wegner P, 56 Weinberg MK, 158 Weiss J, 66 Widlöcher D, 132 Wink Hilton V, 446 Winnicott DW, V, VI, 51, 53, 55, 57, 91, 97, 159, 208, 340, 418, 428, 432, 445, 464, 466, 470, 484, 501, 574 Wirth HJ, 68 Wirtz U, 475 Witte KH, 210, 333 Wittenberger G, V Wolberg AR, 492, 493 Wolf ES, 64, 69, 71, 307, 479 Worm G, 2, 3, 4, 43, 73, 84, 87, 91, 100, 106, 107, 199, 204, 211ff., 259ff., 289, 301, 311, 323, 324, 326, 335, 336, 432, 442, 455, 462, 463, 475, 502, 507, 510, 524, 544, 546, 557, 588, 589, 590, 592 Wortmann-Fleischer S, 557 Wuketits FM, 113 Wulf C, 9, 23, 24 Wurmser L, 495, 496, 512
Zelnick L, 104, 121, 137 Zeppelin I v, 525 Zwiebel R, 470, 513