Arist von Schlippe Jochen Schweitzer
Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung Mit 20 Abbildungen 9. Auflage
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Arist von Schlippe Jochen Schweitzer
Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung Mit 20 Abbildungen 9. Auflage
Vandenhoeck & Ruprecht
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.ddb.de› abrufbar. ISBN 3-525-45659-X © 2003, 1996 Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen. http://www.vandenhoeck-ruprecht.de Printed in Germany. – Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Satz: KCS GmbH, Buchholz/Hamburg Druck und Bindearbeiten: Gulde-Druck, Tübingen
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Inhalt
Vorwort (Helm Stierlin) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Vorwort der Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Geschichte und Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1.
Von der Familientherapie zur systemischen Therapie und Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Einige Geschichten zur Familientherapie . . . . . . . . . . 1.2. Modelle im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3. Das Mailänder Modell und die Folgen . . . . . . . . . . . . 1.4. Lösungen statt Probleme: Lösungsorientierte Kurztherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5. Kooperation statt Intervention: Das Reflektierende Team . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6. Interaktion als Konversation: Die Narrative Denkrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.7. Ursprungsordnung und Demut: Der Ansatz Bert Hellingers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
II. Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.
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Vom Suchen, (Er)finden und Nutzen theoretischer Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 2.1. Das Wörtchen »systemisch« – Ein projektiver Test? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 2.2. Eine kurze Geschichte systemtheoretischer Wellen . . 50
6
Inhalt
2.3. Was »ist« ein System? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4. Kybernetik 1. Ordnung: Teil und Ganzes, Grenzen, Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5. Von der Homöostase zu Fluktuation, Chaos und Synergetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6. Wie Leben sich selbst erzeugt: Die Theorie autopoietischer Systeme . . . . . . . . . . . . . 2.7. Nichts als Kommunikation: Die Theorie sozialer Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.8. Rückbesinnung auf die Person: Die personzentrierte Systemtheorie . . . . . . . . . . . . . . . 2.9. Eine gemeinsam erschaffene Welt: Der soziale Konstruktionismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.10. Das Ende der großen Entwürfe: Postmoderne Philosophien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
54 57 61 67 70 74 78 81
3.
Kernfragen systemischer Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 3.1. Realität: Was ist wirklich? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 3.2. Kausalität: Was verursacht was? . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 3.3. Sprache und Rekursivität: Wie erzeugen wir soziale Wirklichkeiten? . . . . . . . . . 93
4.
Ein systemisches Verständnis von »Problemen« . . . . . . . . . 4.1. Problemdeterminierte Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2. Was ist ein Problem? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3. Wie werden Probleme erzeugt? . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4. Können Probleme nützlich sein? . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5. Wie chronifiziert man ein Problem? – Eine Anleitung 4.6. Formen von Klinischen Systemen . . . . . . . . . . . . . . .
102 102 102 105 108 110 114
III. Praxis: Zwischen Wissenschaft, Handwerk und Kunst . . . . .
116
5.
116 116 117 118 119 121
Haltungen, Grundannahmen, Zielsetzungen . . . . . . . . . . . . 5.1. Den Möglichkeitsraum vergrößern . . . . . . . . . . . . . . 5.2. Hypothesenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3. Zirkularität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4. Von der Allparteilichkeit zur Neutralität . . . . . . . . . . 5.5. Von der Neutralität zur Neugier . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6. Irreverenz: Respektlosigkeit gegenüber Ideen, Respekt gegenüber Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
122
Inhalt
7
5.7. Therapie als Verstörung und Anregung . . . . . . . . . . . 123 5.8. Ressourcenorientierung – Lösungsorientierung . . . . 124 5.9. Kundenorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 6.
7.
8.
9.
Erste Zugänge: Hypothesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1. Erste Hypothesen entwickeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2. Informationsquellen: Anmeldebögen, Telefonate, Akten . . . . . . . . . . . . . . . 6.3. Repräsentationsformen für Systeminformationen: Genogramm, Systemzeichnung, Organigramm . . . . . 6.4. Hypothesen über den Zuweisungskontext . . . . . . . . .
127 127
Systemisches Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1. Zirkuläres Fragen: Zur Form systemischer Gesprächsführung . . . . . . . . 7.2 Frageformen, die Unterschiede verdeutlichen . . . . . . 7.3. Wirklichkeits- und Möglichkeitskonstruktionen: Inhaltsbereiche systemischer Gesprächsführung . . . . 7.4. Fragen zur Wirklichkeitskonstruktion . . . . . . . . . . . . 7.5. Fragen zur Möglichkeitskonstruktion . . . . . . . . . . . . 7.6. Problem- und Lösungs-Szenarien . . . . . . . . . . . . . . . 7.7. Anfangs- und Abschlußfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.8. Stilistische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
137
Familienskulptur und andere metaphorische Techniken . . . 8.1. Die Arbeit mit der Familienskulptur . . . . . . . . . . . . . 8.2. Das Familienbrett und andere symbolische Darstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3. Videokonsultation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4. Die Externalisierung des Problems . . . . . . . . . . . . . . 8.5. Metaphern, analoge Geschichten, Witze, Cartoons . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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138 143 145 145 155 160 162 163 164 164 168 169 169 173
Kommentare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 9.1. Anerkennung, Kompliment, wertschätzende Konnotation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 9.2. Umdeutung – Reframing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 9.3. Splitting: Das Team oder der Therapeut ist sich uneinig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
10. Schlußinterventionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
182
8
Inhalt
10.1. Grundsätze für die Entwicklung von Schlußinterventionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2. Mögliche Inhalte von Schlußinterventionen . . . . . . . 10.3. Handlungsvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4. Rituale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.5. Ordeals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
182 184 187 191 197
11. Die Arbeit mit dem Reflektierenden Team . . . . . . . . . . . . . 199 11.1. Einen Kontext für Veränderung gestalten . . . . . . . . . 199 11.2. Das Spiel mit der Reflektierenden Position . . . . . . . . 203 12. Der äußere Rahmen: Kontrakte, Ziele, Verläufe . . . . . . . . . 12.1. Wie oft, wie lange? Sitzungsabstände und Gesamtdauer . . . . . . . . . . . . . 12.2. Einmal ist keinmal? Single Session Therapy . . . . . . . 12.3. Wen wann einladen? Teilnehmerzusammensetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4. Wozu »wozu« fragen? Zielklärung . . . . . . . . . . . . . . 12.5. Einige »typische« Verläufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.6. Wann und wie aufhören? Der Abschluß . . . . . . . . . .
205
209 210 212 214
IV. Vielfalt der Praxisfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
216
13. Settings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.1. Familientherapie ohne Familie: Die systemische Einzeltherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2. Der Blick zurück: Familienrekonstruktion in der Gruppe . . . . . . . . . . . . 13.3. Am liebsten live: Die systemische Fallsupervision . . 13.4. Opium für das Volk? Teamsupervision und Organisationsberatung . . . . . . 13.5. Wenn Chefs Rat suchen: Coaching von Führungskräften . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.6. Do it yourself: Das Auftragskarussell als Mittel der Selbstsupervision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.7. Mit größeren Systemen arbeiten: Die Familie-Helfer-Konferenz . . . . . . . . . . . . . . . . . .
216
205 207
216 219 222 227 234 238 241
14. Anwendungsbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 14.1. Familienmedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246
Inhalt
14.2. 14.3. 14.4. 14.5. 14.6.
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Psychiatrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Soziale Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
248 250 254 256 260
V. Kritische Einschätzung systemischer Beratung . . . . . . . . . . .
262
15. Viel Feind, viel Ehr? Auseinandersetzungen um die systemische Therapie . . . . . 15.1. Gender-Sensitivity: Wie frauenfeindlich ist die systemische Therapie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.2. Systemische Familientherapie als konservative Sozialtechnologie? . . . . . . . . . . . . . 15.3. Alles Erfindung, alles beliebig? . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.4. Entsolidarisierung und fehlende Ethik? . . . . . . . . . . . 15.5. Fast-Food-Therapy: Muß gute Therapie kurz sein? . . . . . . . . . . . . . . . . . .
262 262 266 268 271 273
16. Was nützt systemische Therapie? Zum Stand der Evaluationsforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.2. Ergebnisse aus Sekundäranalysen . . . . . . . . . . . . . . . 16.3. Evaluationsstudien diesseits und jenseits des Kontrollgruppenzwangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.4. Zur Wirksamkeit anderer systemischer Settings . . . . 16.5. Zur Zukunft der Evaluationsforschung . . . . . . . . . . . 16.6. Was noch erforscht wird: Nicht-evaluative systemische Forschung . . . . . . . . .
290
VI. Schluß: Glauben Sie keinem Lehrbuch! (Allenfalls unserem) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
293
VII. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
295
VIII. Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Für Rita und Margret
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Vorwort
Díeses Lehrbuch dürfte in seiner Art einmalig sein. Denn zwar häufen sich die Texte, die sowohl in die Familien- und Paartherapie als auch in die systemische Theorie und Praxis einführen, doch findet sich darunter, soweit mir bekannt, weder im deutsch- noch im fremdsprachigen Schrifttum ein Werk, das sich mit dem vorliegenden vergleichen ließe. Um verständlicher zu machen, auf welch schwieriges und anspruchsvolles Projekt sich die beiden Autoren eingelassen haben, möchte ich die Entwicklung der systemischen Therapie mit den Anfängen der Psychoanalyse vergleichen, die nun schon bald hundert Jahre zurückliegen. Diese verstand sich damals als eine neue Wissenschaft vom Seelenleben, obschon oder weil sie sich weitgehend auf Begriffe und Modelle stützte, die zu jener Zeit die Naturwissenschaften, allen voran Physik und Chemie, anlieferten oder nahelegten. Man denke an Ausdrücke wie Widerstand, Verdrängung, Besetzung, Reaktionsbildung und Sublimierung. Das aus solchen Begriffen geknüpfte Theoriegeflecht machte es möglich, einen neuen Erkenntnis- und Handlungsbereich zu erschließen oder vielleicht richtiger: zu konstruieren. Damit eröffnete sich ein neues Verständnis von seelischen Prozessen und von Psychotherapie, es eröffneten sich neue Perspektiven, ja, es bahnte sich, in Wechselwirkung mit gesellschaftlichen Veränderungen, ein allgemeiner Bewußtseinswandel oder, wie es der Dichter W. H. Auden ausdrückte, ein Wandel des geistigen Klimas der westlichen Welt an. Die frühen Psychoanalytiker, die diese Entwicklung anstießen, waren zumeist schöpferische Außenseiter. An den Universitäten fanden oder suchten sie keinen Platz, und sie setzten sich über die Grenzen hinweg, die den wissenschaftlichen Disziplinen gezogen waren. Vieles davon dürfte auch auf die systemische Theorie, Therapie und Beratung zutreffen, wie diese sich in den letzten Jahrzehnten entwickelt haben. Auch sie gediehen weitgehend außerhalb etablierter akademi-
erstellt von ciando
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Vorwort
scher Strukturen, auch sie sind überwiegend das Werk schöpferischer Außenseiter, auch sie schöpfen aus unterschiedlichen Wissens-, Erfahrungs- und Tätigkeitsbereichen, auch sie eröffneten neue Perspektiven, und auch sie zeigen sich, wie ich meine, als Bewirkende wie auch als Betroffene eines geistigen Klimawandels. Aber es finden sich auch Unterschiede: Der systemische Ansatz läßt sich im Unterschied zu dem der Psychoanalyse nicht auf eine überragende Gründerpersönlichkeit zurückführen, die eine Bewegung hervorbrachte. Er entwickelte sich an vielen Orten und in vielen Köpfen fast gleichzeitig oder in rascher Folge, und es kennzeichnen ihn vielfältige Prozesse der wechselseitigen Befruchtung und der gegenseitigen Durchdringung und Abgrenzung, Prozesse, die nachzuvollziehen und zu beschreiben zukünftigen Historikern noch erhebliche Schwierigkeiten bereiten dürfte. Und systemische Theorie und Praxis nähren sich am Ende unseres Jahrhunderts von Modellen und Denkweisen, die uns inzwischen der postmoderne wissenschaftliche und philosophische Zeitgeist beschert hat, so etwa die Modelle der nach dem Zweiten Weltkrieg erblühenden Systemwissenschaften wie Kybernetik, Informationstheorie, Kommunikationstheorie, Spieltheorie, allgemeine Systemtheorie, Chaostheorie etc. und so auch die Denkweise des radikalen Konstruktivismus. Und sie tun dies zu einer Zeit, da die elektronische Revolution die Bewohner unseres Planeten immer mehr miteinander vernetzt und zugleich einer ständig ansteigenden Informationsschwemme aussetzt. Diese Andeutungen sollen an dieser Stelle genügen, um die Aufgabe zu verdeutlichen, die sich Arist von Schlippe und Jochen Schweitzer mit diesem Buch gestellt haben: Aus der Fülle der rapide anwachsenden und sich aus unterschiedlichsten Quellen und Theorien speisenden Informationen mußten sie auswählen, was dem heutigen Wissensstand entspricht, mußten sie die Spreu vom Weizen trennen, das heißt nur das jeweils Wesentliche übernehmen und dies in verständlicher Sprache darstellen, mußten sie um Zusammenschau, um Integration, aber auch um faire Berichterstattung bemüht sein und durften sie doch die Unterschiede oder gar Konflikte zwischen den theoretischen Positionen und Behandlungsansätzen nicht vertuschen. Und ich kann sie nur bewundern und dazu beglückwünschen, wie elegant sie dieses Projekt bewältigt haben – auch wenn ich selbst an der einen oder anderen Stelle etwas andere Akzente gesetzt hätte. Daß ihnen das so eindrucksvoll gelang, ist sicher nicht nur ihrem weiten Erkenntnishorizont, ihrem Blick für das Wesentliche und ihrer Fähigkeit zur verständlichen Darstellung komplexer Zusammenhänge, sondern wohl
Vorwort
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auch der Tatsache zu danken, daß sie beide Vollblutkliniker sind, vor deren kritischem Blick letztlich nur Bestand hat, was auch für die Praxis relevant ist. Und dennoch: ungeachtet all meiner guten Wünsche, die dieses Lehrbuch bei seiner Geburt begleiten, beschleicht mich doch die Frage, ob damit nicht auch eine Phase der schöpferischen Anarchie zu Ende geht, die mitzuerleben und wohl auch mitzugestalten nicht zuletzt unserem Heidelberger Team vergönnt war. Bedeutet dies, daß jetzt eine langweiligere Zeit des Ordnens, des Kategorisierens, des Verdeutlichens, des Lehr- und Lernbarmachens, der Verschulung der systemischen Therapie und Beratung eingesetzt hat, die kommen mußte, aber auch zu etwas Wehmut, wenn nicht Besorgnis Anlaß gibt? Immerhin: Auch darin zeigt sich mir das Besondere dieses Buches, daß sich dessen Autoren nicht unbedingt als routinierte Lehrbuchschreiber ausweisen und daß, wie es mir bei der Lektüre des Buches schien, ihre Freude am lockeren Darstellen oder, wenn man so will, ihr schriftstellerischer Spieltrieb der ernsten Lehrbuchbeflissenheit gleichsam immer wieder einen Streich spielt, was, wie ich meine, dem Buch nur guttut. Helm Stierlin
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Vorwort der Autoren
Systemische Therapie und Beratung haben ihre Adoleszenz hinter sich gebracht, sie sind »erwachsen« geworden: Jahre eines schnellen Wachstums, einer stürmisch-kreativ-chaotischen Entwicklung, des Spottes über »veraltete« Paradigmen und der Individuation gegen diese, der Gruppenstreitigkeiten zwischen rivalisierenden Schulen liegen hinter ihnen. Heute steigt mit zunehmender Zahl an Veröffentlichungen das Bedürfnis nach einem integrierenden Überblick. Systemtherapeutisches Wissen ist in unzähligen Publikationen in Zeitschriften, Büchern und Heften verstreut. Es wird Zeit für ein Lehrbuch, das die Erkenntnisfortschritte mehrerer Dekaden und verschiedener systemtherapeutischer Schulen zusammenträgt, das die Vielfalt bewährter systemischer Praktiken in anschaulicher Form darstellt, die Breite der Anwendbarkeit systemischer Konzepte aufzeigt und das sich schließlich auch der Kritik an der systemischen Arbeit widmet. Es ist unser Anliegen, mit diesem Buch solch ein Lehrbuch vorzulegen. Es ist bewußt breit angelegt und eignet sich damit sowohl für denjenigen, der sich in dem Bereich einen Überblick verschaffen will, als auch für den, der sich gründlich einarbeiten möchte. Gleichzeitig kann es als Handbuch genutzt werden, das heißt die einzelnen Teile beziehungsweise Kapitel sind unabhängig voneinander lesbar. So ist es möglich, sich nur mit dem theoretischen Teil zu befassen oder auch diesen zu überspringen und nur den Praxisteil zu konkreter Anleitung zu nutzen. Bei der Gestaltung des Buches haben wir uns von der Überlegung leiten lassen, daß systemische Therapie und Beratung sich mittlerweile sowohl über die Familie, als auch über die Therapie hinaus entwickelt haben und in andere Beratungskontexte vorgedrungen sind. Nach wie vor werden sie schwerpunktmäßig in den helfenden Berufen rezipiert. Doch werden systemische Denk- und Praxismodelle zunehmend in
Vorwort der Autoren
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anderen Dienstleistungsbereichen wie Unternehmen, Sozialmanagement, Verwaltung und Politik genutzt. Deshalb muß ein Einführungsbuch neben Grundlagen und Methodik auch die Arbeit mit Einzelnen, Gruppen, Teams und Organisationen zumindest ansatzweise mit beschreiben. Der gewählte Buchtitel soll verdeutlichen, daß wir zwischen systemischer Therapie und systemischer Beratung keine grundsätzlichen theoretischen oder methodischen Unterschiede sehen. Unterschiede ergeben sich eher aus den Handlungsfeldern. Medizin, Psychotherapie, Sozialarbeit, Management und Politik weisen wichtige differente »Eigen-Logiken« auf, auf die sich im systemischen Rahmen tätige Personen sinnvollerweise einstellen sollten. Daher haben wir versucht, spezifische Überlegungen zu unterschiedlichen Bereichen in das Buch mit einzuarbeiten. Wir haben uns entschieden, schulenübergreifend den »Stand der Kunst« darzustellen und dabei zugleich nicht darauf zu verzichten, Streitpunkte (auch zwischen uns), Widersprüche und Unterschiede deutlich zu machen. Wir konzentrierten uns schwerpunktmäßig auf Modelle, die etwa seit Beginn der 80er Jahre diskutiert werden. Eine Begrenzung ist notwendig, auch wenn eine Reihe klassischer Konzepte so nicht die Würdigung erfahren, die ihnen zukommt und die wir ihnen gegenüber auch selbst empfinden, etwa das Delegationskonzept von Boszormenyi-Nagy und Stierlin oder die Ansätze von Satir und Minuchin. Daher sei hier explizit auf zusammenfassende Darstellungen verwiesen etwa bei von Schlippe 1984, Kriz 1985, Stierlin 1994. Wir Autoren sind seit langem miteinander befreundet und gleichzeitig Lehrtherapeuten an zwei konkurrierenden Weiterbildungsinstituten. Wir arbeiten an verschiedenen Fakultäten verschiedener Universitäten. Unsere Entwicklungen sind von unterschiedlichen »Schulen« systemischer Therapie geprägt und haben uns doch einen ähnlichen Weg von wachstumsorientierten und strukturellen Modellen zu systemisch-konstruktivistischen Ansätzen geführt, wobei wir uns die Vorliebe für eine erlebnisintensive, handlungsorientierte und spielerische therapeutische Methodik bewahrt haben. In dieser Konstellation sehen wir die Chance, daß dieses Buch einen Beitrag dazu leistet, daß systemische Therapie und Beratung sich weniger in Schulen und Richtungen verzetteln, sondern daß die Beiträge sowohl verschiedener Ausbildungsinstitute als auch verschiedener Modelle zu einem modernen systemischen Rahmenkonzept gewürdigt werden. Wir haben lange überlegt, wie wir mit der männlichen und weibli-
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Vorwort der Autoren
chen Form der Bezeichnung von Personen beiderlei Geschlechts umgehen wollen. Eine durchgehend doppelte Benennung beeinträchtigt unseres Erachtens die Lesbarkeit, ebenso eine durchgehend männliche oder weibliche Form. Wir haben uns entschieden, mit allen Formen zu experimentieren, um durch dieses Stilmittel die Sensibilität für die Thematik im Bewußtsein zu halten. Es sind natürlich immer beide Geschlechter gemeint, auch da, wo wir nur eine Form verwendet haben. Ein jedes Buch hat viele »Mütter« und viele »Väter«. Wir danken neben den vielen, von denen wir gelernt haben, besonders unseren Kolleginnen und Kollegen vom Heidelberger Institut für Systemische Forschung und vom Weinheimer Institut für Familientherapie für zahllose Anregungen und Diskussionen, die sich in diesem Buch niedergeschlagen haben. Explizit danken wir Jürgen Kriz für seine freundschaftliche Unterstützung sowie Reinhard Voß und Kai Hamborg für wichtige Hinweise zu den Bereichen Schule und Management/Organisationsberatung. Ganz besonders zu Dank verpflichtet sind wir Matthias Ochs für seine kenntnisreichen Anregungen und hilfreiche Kritik. Arist von Schlippe und Jochen Schweitzer
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I. Geschichte und Überblick
1. Von der Familientherapie zur systemischen Therapie und Beratung Die systemische Therapie entstand nicht von heute auf morgen. Ihre Wurzeln reichen weit in die Psychotherapiegeschichte hinein. In den 50er Jahren begannen erste Pioniere, das gewohnte Feld der Einzeloder Gruppentherapie zu verlassen und mit Familien zu arbeiten. Die Familientherapie entstand, und ihre Konzepte gewannen immer mehr Anhänger. Je mehr die Familientherapie sich ein anerkanntes Terrain eroberte, desto mehr wurde die Orientierung an der Familie als Behandlungseinheit hinterfragt. Schließlich ist sie nur eine Form, in der Menschen sich sozial organisieren. Die Bedeutung einer systemischen Perspektive als einer bestimmten Weise, die Welt wahrzunehmen, rückte in der Vordergrund: »Von der Familientherapie zur systemischen Perspektive« (Reiter et al. 1988). Familientherapie und systemische Therapie beanspruchen bis heute, mehr zu sein, als nur eine weitere Therapieform. Systemtherapeutische Techniken ergeben sich aus der Frage, wie in sozialen Systemen Menschen gemeinsam ihre Wirklichkeit erzeugen, welche Prämissen ihrem Denken und Erleben zugrunde liegen und welche Möglichkeiten es gibt, diese Prämissen zu hinterfragen und zu »verstören«. Je mehr diese Aspekte in den Vordergrund traten, um so weniger wichtig wurde die Frage, mit welchem sozialen (Teil-)System man gerade arbeitete oder ob wirklich immer die ganze Familie anwesend sein müsse. Zunehmend weniger wird daher von »Familientherapie« gesprochen, zunehmend mehr von »systemischer Therapie«, beziehungsweise außerhalb des engeren Psychotherapiefeldes von »systemischer Beratung«. Dieser Entwicklungsgang soll im folgenden nachgezeichnet werden.
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Geschichte und Überblick
1.1. Einige Geschichten zur Familientherapie Die Liste möglicher Vorläufer der Familientherapie ist lang. Erste Ansätze familienorientierter Arbeit finden sich bereits in der Sozialarbeit des letzten Jahrhunderts. Bereits 1890 kritisierte die amerikanische Sozialarbeiterin Zilpa Smith ihre Kollegen: »Die meisten von euch behandeln arme oder kranke Einzelpersonen, ohne ihre Familienbeziehungen zu sehen. Wir behandeln die Familie als Ganzes, meist mit dem Ziel, sie zu erhalten, manchmal aber auch, um bei der Auflösung zu helfen« (Broderick u. Schrader 1981, S. 6, übers.von uns). Auch in Psychologie und Psychotherapie sind einige Namen zu nennen, die den Weg für eine systemorientierte Sichtweise bereiteten: z. B. Kurt Lewin mit seiner Feldtheorie (»Der Lebensraum einer Person als Feld«) oder Jacob Moreno, der Begründer des Psychodramas, der den Menschen und sein soziales Netz als unauflösliche Einheit betrachtete. Als Vorläufer kann man auch Alfred Adler ansehen. Seine Theorie ist im wesentlichen eine Theorie der sozialen Determinierung menschlichen Verhaltens. Doch ist es wichtig, an dieser Stelle eine Unterscheidung zu treffen zwischen einer familienbezogenen Sichtweise von Problemen und der Entwicklung explizit systemischer Interventionsformen. Das wissenschaftliche Interesse ging noch für lange Zeit in die Richtung der Suche nach Ursachen beziehungsweise der einen Ursache psychischer Störungen. Diesem Muster folgten lange auch die frühen Familienstudien etwa ab den 40er Jahren. Das Interesse daran stieg sprunghaft an, zunächst über die Entdeckung der »schizophrenogenen« oder allgemeiner der »pathogenen« Mutter. In ausgesprochen maskulinistischer Tendenz wurde beispielsweise über das »gestörte sexuelle Leben der Mütter« gesprochen, die den Eindruck von »erotisch nicht ausgereiften Frauen« machten – und offensichtlich über erotisch ausgereifte Männer verfügten, deren Sexualleben völlig ungestört verlief. Wie die Männer das anstellten, entzog sich der Beobachtung, es wurde ja nach einer innerhalb einer Person liegenden Ursache gesucht. Familienbefunde in dieser Zeit wurden in Form linearer Verursachungsketten dargestellt – etwa über die Unterscheidung verschiedener »maternaler Mißbrauchsmodi«. Dennoch soll diese Periode nicht abqualifiziert werden. Sie zeigt, wie schwierig es war und ist, sich aus vorgegebenen Denkschemata zu lösen. Sie macht deutlich, wie sehr die Prämissen, auf denen unser Denken beruht, die Kategorien, die wir vor unserer Wahrnehmung bereits entwickelt haben, diese in einer Weise beeinflussen, daß wir nur wenige Jahr-
Von der Familientherapie zur systemischen Therapie und Beratung
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zehnte später kopfschüttelnd vielleicht sogar das bestaunen, was wir selbst geschrieben haben. In dieser Zeit wurden auch die ersten Versuche gemacht, den Rahmen des durch die Psychoanalyse vorgegebenen Settings zu verlassen. Es kam zu verschiedenen, zunächst vereinzelten Versuchen, die Familie mit einzubeziehen, wobei eine Familientherapie im heutigen Sinne wohl noch nicht durchgeführt wurde, sondern eher gruppentherapeutische Techniken auf Schizophrene und deren Eltern übertragen wurden, etwa in Form gemeinsamer Gruppenpsychotherapie mit Müttern und Töchtern oder Therapiegruppen für Patienteneltern und anderes (Schindler war hier ein Vorreiter, s. Hosemann et al. 1993). All diese Versuche ermöglichten den Perspektivenwandel, der für die damaligen Theoretiker und Praktiker so dramatisch war, daß sie ihn als »Paradigmawechsel« erlebten und beschrieben. Als ein erster Meilenstein erschien 1945 das Buch von Richardson: »Patients have Families«, und es scheint, als sei dies zu dem Zeitpunkt tatsächlich eine sensationelle Entdeckung gewesen. Anders als bei Freud kann bei der systemischen (Familien-)Therapie nicht von einem genialen Begründer gesprochen werden, auf den sich alle Theoriebildung aufbaute. Es sind eher eine ganze Reihe herausragender Persönlichkeiten hier zu nennen, und es dürfte nicht zu entscheiden sein, wer »der oder die erste« war, der/die mit Familien begann zu arbeiten. Die Geschichte, die Virginia Satir (oft als »Mutter der Familientherapie« bezeichnet) gern erzählte, wenn sie von der Entstehung der Familientherapie spricht, spiegelt sicher stellvertretend die Erfahrungen vieler ihrer Kollegen wider: Ihr war 1951 eine 26jährige Schizophrene überwiesen worden, die bereits von mehreren Therapeuten erfolglos behandelt worden war. Nach sechs Monaten, in der Therapie hatten sich Fortschritte gezeigt, rief plötzlich die Mutter dieser Frau an und drohte Satir mit einer Klage wegen »Entfremdung von Zuneigung«. Satir: »Aus irgendeinem Grund hörte ich an diesem Tag zwei Botschaften in der Stimme der Mutter: eine verbale Drohung und eine nonverbale Bitte. Ich entschied mich auf die Bitte einzugehen und die Drohung zu ignorieren. Ich lud sie ein, zu mir zu kommen. Zu dieser Zeit war das eine äußerst ungewöhnliche Sache, die ich tat. Gleichwohl nahm sie meine Einladung an« (zit. nach Jürgens u. Salm 1984, S. 404). Im ersten gemeinsamen Kontakt, so Satir, sei ihr aufgefallen, daß die Patientin sich wieder so verhielt wie in den ersten Tagen zu Beginn der Therapie, und Satir erarbeitete mit beiden ein neues Gleichgewicht. Die Frage nach dem Vater führte dann zum nächsten Schritt bei der Ausweitung des Settings. Der Kommentar Satirs mag die Stimmung in der Fachwelt gut widerspiegeln: »Damals wurden Väter nicht wirklich als ein Teil des Gefühlslebens einer Familie angesehen, deshalb dachten Therapeuten gewöhnlich gar nicht an sie.« Als der Vater kam, erlebte Satir einen neuen Schock: »Sowohl die Mutter als auch die Tochter waren da, wo wir angefangen hatten.« Hatte sie zu Beginn auf die intra-
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psychischen Aspekte der Tochter geachtet, im nächsten Schritt an der Kommunikation zwischen Mutter und Tochter wichtige Aspekte der später formulierten Kommunikationstheorie wahrgenommen, so entdeckte sie nun Strukturaspekte des Systems, der Triade: Allianzen, Koalitionen, Einbeziehung eines Dritten in einen verdeckten Konflikt und so weiter. Nach einiger Zeit zog sie noch den »perfekten Bruder« der Patientin hinzu und erarbeitete mit der ganzen Familie ein Gleichgewicht, das erlaubte, die Therapie erfolgreich zu beenden.
In den 50er und 60er Jahren waren es vor allem drei Institute, die durch Forschungsarbeiten zur Schizophrenie die Entwicklung vorantrieben. An der Yale-Universität arbeitete ein Team um Theodore Lidz, in Washington, am National Institute for Mental Health (NIMH), forschten Lyman Wynne und Mitarbeiter (z. B.Wynne u. Singer 1965). In Palo Alto schließlich entstand das »Mental Research Institute«, kurz MRI (s. hierzu Bodin 1981). Es wurde 1959 von Don Jackson, Jules Riskin und Virginia Satir gegründet, später arbeiteten unter anderem Jay Haley, Paul Watzlawick, John Weakland, Richard Fisch dort (die frühen Arbeiten des MRI sind bei Bateson et al. 1969 zusammengefaßt). Dieses Institut erregte besondere Aufmerksamkeit durch Studien zur Schizophrenie im sozialen Kontext, speziell durch die Double-bind-Theorie (»Doppelbindungstheorie« – siehe Kasten). Es muß eine sehr aufregende Zeit gewesen sein. Einerseits standen die Vorreiter einer anderen Art, Probleme zu sehen, unter großem Druck ihrer Standeskollegen, für die oft noch die strikten Abstinenzregeln der klassischen Psychoanalyse galten, andererseits eröffneten sich unter familientherapeutischer Perspektive neue und interessante Möglichkeiten, die Probleme von Menschen zu verstehen. Satir berichtet über diese Zeit: »Diese frühe Periode war aufregend für diejenigen von uns, die mit Familien zu arbeiten begonnen hatten, denn wir bewegten uns auf völlig neuem Gebiet. Es war ängstigend, sich über die Grenzen des Erlaubten hinauszuwagen, denn wir setzten theoretisch und manchmal buchstäblich unser berufliches Ansehen aufs Spiel« (Jürgens u. Salm 1984, S. 405). Es können an dieser Stelle nicht alle Pioniere und Gründer familientherapeutischer Schulen vorgestellt werden. Es handelt sich um ein sehr weitmaschig vernetztes Feld von Personen, Orten und Institutionen. Zu nennen sind hier neben den bereits erwähnten noch Nathan Ackermann in New York (nach seinem Namen ist eines der bedeutendsten systemischen Ausbildungsinstitute in Amerika benannt), Carl Whitaker, John Bowlby, Murray Bowen, Ronald Laing und David Cooper, Robin Skynner und viele andere (vgl. Stierlin 1994). Ivan Boszormenyi-Nagy legte mit der Entwicklung der Mehrgeneratio-
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Was ist Double-bind? Zunächst ist eine Grundbedingung das Bestehen einer engen Beziehung, die für einzelne oder alle Beteiligten eine hohe Bedeutung hat (z. B. für das Kind in einer Familie, aber auch in anderen Kontexten, z. B. Psychotherapie, materielle Abhängigkeit, Krankheit usw.). Gleichzeitig ist dieser Kontext durch eine gewisse Anspannung gekennzeichnet, wie sie eine »Straferwartung« mit sich bringt: ein Lernkontext, der eher auf der Vermeidung von Strafe aufbaut als auf dem Streben nach Belohnung. In dieser angespannten Situation sieht sich eine Person einer paradoxen Aussage oder auch einer paradoxen Aufforderung ausgesetzt. Paradox deshalb, weil sie zwei unvereinbare Signale enthält – etwa die mit zusammengekniffenen Lippen gemachte Aussage: »Natürlich liebe ich dich, das weißt du doch!« Auf welcher Seite der Botschaft man dann auch reagiert, man hat eine Bestrafung zu erwarten. Paradoxe Handlungsaufforderungen beziehen sich auf Verhalten, das nicht ausgeführt werden kann, da es nur spontan entstehen kann: »Ich möchte, daß du auf mich zugehst und mir zeigst, daß du mich liebst!« oder: »Was soll ich denn jetzt mit dem Blumenstrauß, jetzt hast du ihn mir doch nur mitgebracht, weil ich gestern gesagt habe, daß du mir nie Blumen mitbringst! Du sollst sie mir freiwillig, von dir aus mitbringen!« Zu dieser Kommunikation müssen noch drei Aspekte hinzutreten: – das Verbot über die Situation zu sprechen (die Metakommunikation ist tabuisiert), – das Verbot, die Situation zu verlassen, – eine Allgegenwart dieser Kommunikationsform, die eine habituelle Erwartung eines »paradoxen Universums« erzeugt. Unter diesen Bedingungen ist, so die Autoren, ein Kontext gegeben, in dem das Auftreten schizophrener Kommunikation wahrscheinlich ist (nach Bateson et al. 1969, Watzlawick et al. 1969). Die Double-bind-Theorie hatte für die Entwicklung der Familientherapie eine große Bedeutung, auch wenn sie bis heute umstritten und nicht empirisch bewiesen und wohl auch nicht beweisbar ist (Olson 1972). Eine ausführliche kritische Auseinandersetzung mit der Theorie findet sich in Cronen et al. 1982.
nenperspektive von Vermächtnis und Verdienst die Grundlage für die Entwicklung des frühen Heidelberger Modells. In der Philadelphia Child Guidance Clinic entwickelte Salvador Minuchin mit der strukturellen Familientherapie ein Konzept, das in den 70er und den beginnenden 80er Jahren sehr beliebt war. Besonderes Aufsehen erregte Mitte der 70er Jahre das Team um Mara Selvini Palazzoli aus Mailand. Das Mailänder Modell ist für praktisch alle Konzepte systemischer Therapie von unschätzbarer Bedeutung geworden. Daher wird es in den nächsten Abschnitten dieses Kapitels ausführlicher vorgestellt. In Deutschland lehnten sich die frühen Konzepte eng an die Psychoanalyse an, so etwa das familientherapeutische Modell Horst Eber-
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Geschichte und Überblick
hard Richters in Gießen (1963, 1972). Richter gründete 1971 die »Arbeitsgemeinschaft für Familienforschung und Familientherapie« (Reiter 1988), aus ihr ging die »Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Familientherapie« (DAF) hervor, die bis heute als familientherapeutischer Verband aktiv ist. Die Arbeitsgruppe um Eckhard Sperling in Göttingen zählt ebenfalls zu den psychoanalytisch ausgerichteten Pionieren (Sperling 1983, Massing et al. 1982), das Konzept der »Beziehungsanalyse« von Thea Bauriedl (z. B. 1980) ist in diesem Zusammenhang ebenfalls zu erwähnen. Auch das Heidelberger Modell der Arbeitsgruppe um Helm Stierlin entstand anfangs in der Tradition psychoanalytischen Denkens. Im Lauf seiner Weiterentwicklung wurden zunehmend Anregungen des Mailänder Modells, später auch lösungsorientierter und narrativer Ansätze integriert, so daß es heute in Theorie und Methodik als explizit systemisches Konzept anzusehen ist, das vor allem im Umgang mit »harten« Krankheiten und »rigiden« Systemen sowie in der engen Theorie-Technik-Verbindung seine besondere Stärke hat (Simon 1988a, Weber u. Stierlin 1989, RückerEmbden-Jonasch u. Ebbecke-Nohlen 1992, Stierlin 1994, Retzer 1994, Schweitzer u. Schumacher 1995). Im deutschen Sprachraum ebenfalls weit verbreitet ist das Konzept des Instituts für Familientherapie Weinheim, ursprünglich 1975 von Maria Bosch gegründet. Von der Humanistischen Psychologie und dem Ansatz Virginia Satirs ausgehend stellt das »Weinheimer Modell« gegenwärtig einen Versuch dar, die Vielfalt systemischer Perspektiven, speziell den Mailänder Ansatz, die Selbstorganisationstheorie und das Reflektierende Team zu integrieren (von Schlippe u. Kriz 1987, Molter u. von Schlippe 1991, Tröscher-Hüfner 1991, besonders auch das Buch zur systemischen Paartherapie von Lenz et al. 1995). Erwähnt werden soll hier noch das Konzept der Hamburger Arbeitsgruppe um Kurt Ludewig, der 1992 unter expliziter Bezugnahme auf die Theorie Maturanas einen Entwurf einer »allgemeinen systemischen Therapie« vorstellte. In der Schweiz sind die Arbeiten des »Instituts für Ehe und Familie« und der aus ihm hervorgegangenen Arbeitsgruppen bedeutsam, z. B. von Josef Duss-von Werdt et al. (1995) zur Scheidungsmediation und z. B. von Rosmarie Welter-Enderlin (1992) zur Paartherapie; (zur Arbeit des »Meilener Instituts« s. a. Welter-Enderlin u. Hildenbrand 1996). Jürg Willi und Mitarbeiter entwickelten an der Grenzlinie zur Psychoanalyse Konzepte unter anderem für die Paartherapie (1976, 1991a) und für die psychosomatische Konsiliartätigkeit (1991b). Ebenfalls in der Schweiz lehrt Gottlieb Guntern, der ausgehend vom Ansatz Minuchins eine komplexe
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»Ökoanthropologie« formulierte (z. B.1992). Mit einem provokanten Artikel über den »Paradigmawechsel« löste er 1981 eine heftige Debatte zwischen Familientherapie und anderen Therapieformen aus. In Österreich hat die Arbeitsgruppe um Ludwig Reiter (z. B. Reiter et al. 1988) u. a. das Konzept des »Reflektierenden Teams« (S. 199–204) weiterentwickelt und sich zugleich um die empirische Überprüfung systemischer Therapie bemüht (s. a. Reiter et al. 1993). Die Aufzählung bleibt notwendigerweise subjektiv, Vollständigkeit dürfte an dieser Stelle unmöglich sein. Eine interessante Rückschau auf die letzten 20 Jahre deutschsprachiger Familientherapie mit Interviews einer ganzen Reihe der hier erwähnten Personen findet sich bei Hosemann et al. 1993.
1.2. Modelle im Überblick Die systemische Therapie gibt es nicht. Vielmehr ist darunter ein breiter Oberbegriff zu verstehen, der so etwas ist wie eine Klammer um eine Vielzahl von Modellen, die durchaus auch in sich sehr heterogen sein können (Lieb 1995). Bei aller Vorsicht, die solch einem Vorhaben zukommt, soll an dieser Stelle versucht werden, die verschiedenen Modelle und Konzepte systemischer Therapie in einem Schema zusammengefaßt darzustellen (S. 24). Wir sind uns dessen bewußt, daß wir damit weder allen Modellen gerecht werden können, noch daß die dargestellten durch die grobe Systematisierung in Konzepte »klassischer« Orientierung, »Kybernetik 2. Ordnung« und »narrative Ansätze« angemessen erfaßt werden. Gerade bei den letzten beiden Kategorien dürften die Überschneidungen sehr groß sein. Dennoch hoffen wir, daß die Systematik ein wenig zur Entwirrung beiträgt. Jedes der erwähnten Modelle hat zur Entwicklung moderner systemischer Therapie und Beratung einen spezifischen Beitrag geleistet; systemisches Arbeiten bezieht sich mehr oder weniger deutlich auf diese Konzepte. Dies hat damit zu tun, daß es ja nicht die reinen Konzepte sind, die sich »fortpflanzen«, sondern daß therapeutische Kompetenz in der jeweils ganz persönlichen Auseinandersetzung jedes Therapeuten mit einer Vielzahl von verschiedenen Lehrern und Lehrerinnen erworben wird (vgl. Orlinsky 1994), die als Modelle, sei es über eine begeisterte Übernahme oder empörte Abgrenzung, systemische Praxis beeinflußten. Das große Verdienst der strukturellen Familientherapie Minuchins liegt darin, daß in diesem Konzept die Bedeutung von Grenzen und
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Geschichte und Überblick
Systemtherapeutische Modelle im Überblick Name
Quelle
I. KLASSISCHE MODELLE Strukturelle StrukturaFamilientherapie lismus (z. B. Minuchin 1977)
Systembegriff
Zentrale Methoden
Struktur, Grenzen Hierarchien
Herausfordern der Grenzen Stabilisilierung der Subsysteme
MehrgenerationenModell (z. B. BoszormenyiNagy u. Spark 1981; Stierlin 1978)
Psychoanalyse
Unsichtbare Bindungen über Generationen
Klärung der »Konten« und der Vermächtnisse
Erlebnisorientierte Familientherapie (z. B. Satir 1990, Whitaker 1991)
Humanistische Psychologie
Selbstwert und Kommunikation
Skulptur, Reframing
Strategische Familientherapie (z. B. Haley 1977)
Kybernetik
Familie als kybernetischer Regelkreis
Paradoxie, Ordeals, Hausaufgaben
Kybernetik
Das Familienspiel
Zirkularität, Hypothetisieren, Neutralität, Paradox
Familienspiele als Sprachspiele
Zirkuläre Fragen, Hypothetische Fragen
Menschen konstruieren multiple Realitäten
Reflecting Team, Kooperation
Soziale Konstruktion sozialer Realitäten durch Sprache
Multiple Dialoge, Kreation kooperativer Kontexte, Reflektierendes Team
Systemisch-kybernetische Familientherapie (Selvini Palazzoli et al. 1977)
II. »KYBERNETIK 2. ORDNUNG« Systemisch-konstrukKonstruktitivistische Therapie vismus (z. B. Boscolo et al. 1988, Stierlin 1988a) Reflecting Team (z. B. Andersen 1990)
Konstruktivismus
III. NARRATIVE ANSÄTZE Therapie: konstruktive Sozialer und hilfreiche Dialoge Konstruk(z. B. Anderson u. tionismus Goolishian 1990, 1992) Therapie als Dekonstruktion (z. B. White 1992)
Postmoderne Philosophie (z. B. Derrida, Foucault)
Systeme bestehen aus Geschichten, Menschen sind Erzähler
Externalisierung, Suche nach Ausnahmen
Lösungsorientierte Kurz-Therapie (z. B. de Shazer 1989)
SprachPhilosophie (Derrida,
»Aus der Sprache gibt es kein Entrinnen«
Solution Talk, »Wunderfrage«, Hausaufgaben
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Strukturen thematisiert wurde. Bis heute bleibt es eine hilfreiche Frage in der Arbeit mit Familien, auf welche Weise das Elternsubsystem und das der Kinder miteinander in Beziehung sind und ob die Grenzen in der Familie klar oder diffus sind. Die mutige und klare, oft konfrontative Art Minuchins hat viele ermutigt, in der Therapie Wagnisse einzugehen und eine deutliche Sprache zu sprechen. Minuchin und seine Arbeitsgruppe gehören darüber hinaus bis heute zu denjenigen, die ihre Arbeit systematisch empirischer Überprüfung unterzogen (vgl. Aponte u. VanDeusen 1981) und die Konzepte für die Arbeit mit Randschichtfamilien entwickelten (Minuchin et al. 1967). Das Mehrgenerationenkonzept, das Boszormenyi-Nagy formulierte und das zum Konzept von Delegation und bezogener Individuation von Stierlin (z. B. 1975) weiterentwickelt wurde, führte die Perspektive in die systemische Therapie ein, über das aktuelle Geschehen hinaus danach zu suchen, wie Verhalten, Erleben oder auch Symptome Sinn ergeben, wenn man Vermächtnisse aus früheren Generationen berücksichtigt und die Frage stellt, inwieweit diese erfüllt wurden beziehungsweise erfüllbar waren. Eine generationenübergreifende Perspektive wurde auch in den familientherapeutischen Konzepten eingenommen, die wir in Tabelle 1 unter dem Begriff »erlebnisorientiert« zusammengefaßt haben. Es ist das große Verdienst von Satir, gerade in einer Phase, in der der Blick auf das Individuum und auf die therapeutische Beziehung eher vernachlässigt wurde, darauf verwiesen zu haben, daß der Selbstwert einer Person für eine stimmige Kommunikation unerläßlich ist, und daß somit eine vertrauensvolle therapeutische Beziehung einen wesentlichen Bestandteil des Veränderungsprozesses darstellt (vgl. die Untersuchungen von Green u. Herget 1991). Ihre Fähigkeit, schnell einen herzlichen und liebevollen Kontakt aufzubauen, bleibt bis heute bewundernswert. Die dem erlebnisorientierten Ansatz zugeschriebene Methode der Familienskulptur ist bis heute Standardmethode in der systemischen Arbeit. Whitaker, der ebenfalls dieser Orientierung zugerechnet werden kann, betonte die Bedeutung des kreativen Spiels. In seiner sehr unorthodoxen Art zu arbeiten ist er bis heute ein Vorbild, wie man die von Theorien gesteckten Grenzen kreativ und erfolgreich überschreitet. Aus der strategischen Familientherapie, die sich mit dem Namen Jay Haleys verbindet, bezieht die systemische Therapie bis heute eine besondere Sensibilität für die verschiedenen Positionen, in die man als Therapeut geraten kann. Auch wenn es gegenwärtig für weniger wichtig gehalten wird, daß der Therapeut »up« bleibt im Sinne von Macht und Überlegenheit, so geht es doch bis heute darum, wie es für Thera-
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peuten möglich ist, angesichts vielfältiger »Einladungen« zur Verwirrung eine Position zum System zu behalten, die es ermöglicht, klar zu bleiben. In diesem Ansatz wurde außerdem damit begonnen, mit kreativen, außergewöhnlichen, ja, »verrückten« Aufgaben einfache Lösungen für vertrackte Probleme zu suchen, ein bis heute wichtiges Handwerkszeug. Der Akzent der nun folgenden Darstellungen wird auf neueren Konzepten liegen, die auf die hier nur kurz beschriebenen klassischen Modelle folgten. Für deren detaillierte Darstellung verweisen wir auf von Schlippe 1984, Kriz 1985, Stierlin 1994.
1.3. Das Mailänder Modell und die Folgen Das Mailänder Modell hatte für die Entwicklung der systemischen Therapie und Beratung eine enorme Bedeutung. Perspektiven wie Zirkularität, Neutralität und Methoden wie das zirkuläre Fragen sind heute aus dem systemischen »Werkzeugkasten« nicht mehr wegzudenken. Viele Gedanken, die in diesem Buch verarbeitet sind, beziehen sich mehr oder weniger explizit auf dieses Konzept. Es sollen im folgenden daher die Entwicklungslinien des Modells genauer nachgezeichnet und einige bedeutsame Aspekte beleuchtet werden. Dem zirkulären Fragen als zentraler systemischer Methode ist im weiteren Verlauf des Buches das Kapitel »Systemisches Fragen« gewidmet.
Geschichten zur Geschichte des Mailänder Modells Der Begriff »Mailänder Modell« ist eng verbunden mit den Namen von vier Therapeuten, die 1975 mit einem aufsehenerregenden Buch an die Öffentlichkeit traten, 1977 erschien es auf deutsch: »Paradoxon und Gegenparadoxon«. Das Buch beschreibt ein Therapiemodell von Familien mit schizophrenen Mitgliedern, das von der Kürze des Vorgehens und von der – behaupteten – Effektivität her alles in den Schatten stellte, was es bisher an Ansätzen in dem Bereich gab. Die vier Mitglieder der Mailänder Arbeitsgruppe waren Mara Selvini Palazzoli, Luigi Boscolo, Gianfranco Cecchin und Giuliana Prata. Die hervorstechendste Persönlichkeit war dabei zweifellos Mara Selvini Palazzoli. Sie stammte aus einer wohlhabenden Mailänder Familie und erlebte eine Erziehung, die durch Distanz geprägt war – emotionales Zentrum waren für sie über lange Zeit ihre Amme und die
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Gouvernanten. Sie selbst beschreibt ihre Familie als »nicht glücklich« und erzählt, daß sie in ihren Therapien oft an diese ihre Ursprungsfamilie denke (Zundel u. Zundel 1987). In ihrer klinischen Tätigkeit war sie zunächst viel mit magersüchtigen Mädchen konfrontiert. Aus dieser Tätigkeit erwuchs ihre Motivation, eine Ausbildung in Psychoanalyse zu machen. Sie lernte bei Kapazitäten wie Benedetti, Boss und Cremerius und wurde zu einer Spezialistin für die Behandlung von Magersucht. Sie war jedoch mit den zeitaufwendigen und schwierigen Therapien, von denen ein relativ hoher Prozentsatz scheiterte, so unzufrieden, daß sie nach neuen Wegen suchte, mit dieser Störung zu arbeiten. In dieser Zeit stieß sie auf Bateson, dessen Gedankengut sie faszinierte. Dies führte zu einer totalen Veränderung ihrer Sichtweisen über psychische Störungen und legte den Grundstein für ihr familientherapeutisches Konzept. Diese Entwicklung läßt sich deutlich an ihrem Buch »Magersucht« ablesen (1982, im Original 1974): Erst im letzten Teil wird der Schritt von einer analytischen zu einer systemischen Perspektive vollzogen. Im Mai 1967 gründete sie in Italien das erste familientherapeutisch orientierte Zentrum und schloß sich nach einer längeren Anfangsphase 1971 mit den drei anderen (Boscolo, Cecchin, Prata) zusammen, die wie sie Ärzte und ausgebildete Psychoanalytiker waren und ebenfalls bereit, das Bezugssystem der Analyse zu verlassen. Die Arbeitsgruppe begann, familientherapeutisch mit Familien zunächst mit magersüchtigen, später auch mit schizophrenen Mitgliedern zu arbeiten. Nach etwa 10 Jahren Zusammenarbeit trennten sich Ende der 70er Jahre die Männer und die Frauen voneinander und entwickelten getrennte Konzepte weiter. Selvini Palazzoli beurteilt das Mailänder Modell der 70er Jahre später eher kritisch, doch blieb sie auf dem Weg, ihre Interventionen immer weiter zu verfeinern und vor allem Systeme mit schizophrener Transaktion immer perfekter zu verstören. Ihre Konzepte versteht sie als sich ständig verändernde Größen: Es komme darauf an, immer neue Wege der Veränderung zu suchen. Sie ging immer von der Überzeugung aus, daß sie es sei, die verändert: »Ich habe verstanden, daß man erfinderisch sein muß. Und so habe ich auch diese Verschreibung erfunden. Und jetzt heile ich Schizophrenie in fünf, sechs Sitzungen. Man muß eben den eigenen Kopf benutzen« (in einem Interview in Henning 1987, S. 14). Zu ihren späteren Entwicklungen zählen die Methode der invarianten Verschreibung in schizophrenen Familien und Versuche, ihre Ideen auch auf größere soziale Systeme anzuwenden – etwa Betriebe oder soziale Dienste (Selvini Palazzoli et al. 1984). Ende der 80er Jahre schrieb sie davon, das
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Individuum »wiederentdeckt« zu haben (Selvini Palazzoli et al. 1987) und an der Entwicklung eines komplexen Ansatzes zu arbeiten, der individuenbezogene und systembezogene Perspektiven integriert (Selvini Palazzoli et al. 1992). Ihre Arbeitsweise ist (bzw. war) sehr drastisch, getragen durch die Persönlichkeit einer Frau, die sich ihrer Kompetenz voll bewußt ist und für die Disziplin, Technik und Genauigkeit wichtigere therapeutische Qualitäten sind als Empathie, Wärme oder Kongruenz. Ein Beispiel für eine Schlußintervention Selvinis aus ihrer späteren Zeit illustriert dies (Zundel u. Zundel 1987, S. 140): Ein körperbehinderter Vater und seine jüngere, hübsche Frau haben zwei Kinder, Anna und Federica, die Indexpatientin, sie gilt seit der Kindheit als schizophren. Die Beziehungen der Mutter zu den eigenen und den Schwiegereltern sind extrem gespannt, obwohl die Mutter sich viel Mühe gab, ihnen alles recht zu machen. Der Ehemann unterstützt seine Frau nicht, sondern macht ihr wegen der Störung der Tochter Vorwürfe; die Mutter ihrerseits greift ihren Mann heftig an, wenn er mit Federica schimpft. Am Ende der 2. Sitzung kommt Selvini zu folgender Schlußintervention: »Deine Mutter benimmt sich fast wie eine Heilige, um deinen Großeltern zu gefallen. Sie haßt deinen Vater, aber sie kann es ihm nur sagen, wenn du die Blöde spielst und er dich schimpft; dann kann sie Dampf ablassen. Und für deinen Vater tust du auch etwas ganz wichtiges. Deine Mutter ist eine schöne Frau und dein Vater ein Krüppel, alt und eifersüchtig. Deine Mutter würde gern mal rauskommen und Freunde haben, aber sie muß zu Hause bleiben, weil sie ein verrücktes Kind hat – Du bist ja so dumm, daß du dich in die Probleme deiner Eltern mischst. Du bist dumm, nicht weil dir ein Psychiater gesagt hat, du seist verrückt, sondern weil du beschlossen hast, verrückt zu sein, um so mächtig zu sein. – Deine Schwester wird bald einen Freund haben und dann in einem weißen Schleier mit ihm in der Kirche stehen. Und du? Machst du dann immer noch ein blödes Gesicht und äh, äh?«
Der ursprüngliche Rahmen des Mailänder Modells Das Mailänder Team versuchte schon früh, einen »kybernetischen Konstruktivismus« zu verwirklichen. Motive, Gefühle, Bedürfnisse und individuelle Konflikt wurden als Konstrukte einer überkommenen Epistemologie betrachtet. Familie wird gesehen als regelgeleitetes System: Wie bei jeder anderen Gruppe auch entwickeln sich in einer Familie im Lauf der Zeit Regeln, die die Verhaltensspielräume der einzelnen beschreiben und begrenzen. Im Fall einer Familie mit klinischen Problemen ist in diesem Prozeß ein System entstanden, das sich über Transaktionen reguliert, die genau auf die jeweilige Symptomatik zugeschnitten sind, die beklagt wird: »Die Macht liegt in den Spielregeln« (Selvini Palazzoli et al. 1977, S.15). Daher ist jedoch eine Veränderung – so sehr die Familie leidet – nicht im Interesse der Fami-
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lie, denn das »Spiel« muß weitergehen; dies ist die Paradoxie, mit der die Familie die Therapeuten konfrontiert: ›Ändert uns, ohne uns zu ändern!‹ – und die mit dem »Gegenparadoxon« beantwortet wird (bzw. wurde): ›Wir können Euch nur unter der Bedingung ändern, daß ihr euch nicht ändert!‹. Die Therapie wird oft auch als »lange Kurztherapie« bezeichnet. Sie kann sich durchaus über Monate oder gar Jahre hinstrecken; die Gesamtzahl der Interviews jedoch bleibt im allgemeinen gering, da zwischen den Terminen lange Zeitintervalle liegen. Früher waren es meist zehn Sitzungen, die maximal um weitere zehn erweitert wurden, inzwischen liegt die Zahl weitaus darunter. Das bekannteste (und am häufigsten kopierte) Merkmal des Mailänder Ansatzes ist das Setting, also der Aufbau der Sitzung: Zwei Therapeuten (später nur noch einer) arbeiten mit der Familie, zwei andere sitzen hinter der Einwegscheibe und beobachten die Sitzung. Sie unterbrechen die Sitzung sofort (z. B. durch einen Telefonanruf oder eine Pause), wenn sie den Eindruck haben, daß die Therapeuten etwas Wichtiges übersehen haben oder von der Systemdynamik gefangengenommen worden sind. Die Sitzung besteht, wenn sie im »klassischen Stil« durchgeführt wird, aus fünf Bestandteilen: I.
Vorsitzung: Diskussion der Teammitglieder über die bislang vorliegende Information, erste Hypothesen: 5–20 Minuten. II. Interview: Der Therapeut (früher waren es zwei) interviewt die Familie. Dieser Teil des Gespräches dient nur dem Ziel, Informationen einzuholen, nicht dazu, Interaktionen in Gang zu bringen. Das Team beobachtet: 50–90 Minuten. III. Zwischensitzung: alle Mitglieder des Teams diskutieren in einem separaten Raum ihre Hypothesen und entwickeln eine Schlußintervention: 15–40 Minuten. IV. Schlußintervention: die Entscheidungen des Teams werden der Familie mitgeteilt, oft verbunden mit einer paradoxen Verschreibung, oder der Verschreibung eines Rituals. Der Rest des Teams beobachtet sehr genau die Reaktionen der Familienmitglieder: 5–15 Minuten. V. Nachsitzung: Diskussion im Team über die Sitzung und die letzten Reaktionen: 10–20 Minuten.
Nach der Schlußintervention wird die Sitzung schnell beendet, eine Diskussion wird nicht gestattet; es ist nur die Absicht, neue Information in das System einzugeben, jedes Gespräch darüber würde diesen Input verwässern. Konsequenterweise werden auch Versuche von Familienmitgliedern, frühere Sitzungen zu verabreden, als Manöver betrachtet, sich anbahnende Veränderungen in der Familie zu stoppen – daher wird auch auf Krisenanrufe gelassen reagiert.
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Wie Hoffman (1982, S. 289) schreibt, kann diese Haltung durchaus »stählerne Nerven« verlangen, wenn etwa eine Frau völlig aufgelöst anruft und eine vorgezogene Sitzung verlangt: ihr Mann sei so deprimiert, daß er drohe, seinen Penis abzuschneiden. Das Team interpretiert diesen Anruf als Versuch, die Kontrolle über das Setting zu bekommen und reagiert mit der Aussage, man habe diese Reaktion vorausgesehen, die nächste Sitzung werde wie vorgesehen ablaufen (ob der Mann dann seinen Penis noch hatte, wird nicht berichtet).
Ziel ist es, dem Therapeuten zu helfen, in der Therapeutenposition zu bleiben und sich nicht von den Versuchen der Familie ablenken zu lassen, die Kontrolle aufzugeben und sich auf die Position eines Familienmitgliedes zu begeben. Dies ist besonders für die Familien wichtig, mit denen in Mailand vorzugsweise gearbeitet wurde: Familien mit schizophrenen Mitgliedern und sogenannter schizophrener Interaktion. Die Fähigkeit der Therapeuten, sich unabhängig zu halten, zum anderen aber auch die vielfach kritisch vermerkte Kühle und Distanz des Konzeptes lassen sich sicher auch darauf zurückführen. Eine wichtige konzeptuelle Akzentverschiebung im Vergleich zu früheren Vorstellungen ergab sich aus dem Systembegriff, wie ihn das Mailänder Team verstand. Das entscheidende System, um das es in der Therapie geht, besteht nicht aus Personen, sondern aus Information und Kommunikation. Daher wird weniger das »von Haut umschlossene Individuum« als Einheit angesehen, sondern der Fokus liegt auf »Einheiten von Bedeutungen, von Regeln. Familien werden als Informationssysteme gesehen, weniger als physikalisches System von Masse und Energie« (Tomm 1984, S. 8). Daher ist das ausdrückliche und vorrangige Ziel der Therapie nicht auf eine einzelne Person gerichtet. Es geht weder darum, den »Indexpatienten« zu verändern, noch anderen Familienmitgliedern einen mehr oder weniger großen Beitrag am Zustandekommen der Störung zuzuschreiben, sondern nur darum, so schnell wie möglich das Familienspiel aus dem Gleichgewicht zu bringen, es zu verändern und die Regeln auszutauschen, nach denen die familiäre Interaktion organisiert ist. Selvini Palazzoli et al. berichten hier von der Schwierigkeit für sie als Therapeuten, sich von der »Tyrannei der sprachlichen Konditionierung« zu befreien, die nahelegt, beispielsweise bei jemandem der weint, auch zu sagen, er sei traurig: »Wir mußten uns dazu zwingen, das Verbum sein systematisch zu vermeiden und durch das Verb scheinen zu ersetzen. Wenn also z. B. der Vater … in der Sitzung traurig erschien, mußten wir uns richtig anstrengen, um nicht zu sagen, daß er traurig war … Statt dessen mußten wir uns still darauf konzentrieren, die Wirkungen zu beobachten, die ein derartiges Verhalten bei den anderen hervorrief … Gerade unsere Fehler … zwangen uns zu lernen, … daß in der Familie mit schizophrener Transaktion alles nur Schachzüge sind, die die Weiterführung des Spiels gewähr-
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leisten sollen. Daß alles nur gezeigt, vorgetäuscht wird« (Selvini Palazzoli et al. 1977, S. 33f, Hervorhebungen im Original).
Für den Therapeuten ist es von entscheidender Bedeutung, ob es ihm gelingt, sich aus dem Spiel herauszuhalten, denn »derjenige, der das Spiel mitspielt, hat es schon verloren« (Selvini Palazzoli 1977, S. 47). Da das Spiel die ganze Familie in einem Paradoxon gefangenhält, entwickelten die Mailänder in den 70er Jahren die bereits erwähnte Technik des Gegenparadoxons, um solchen Familien zu helfen: Verschreibungen, die auf verschiedenen Ebenen in sich paradox sind und es so der Familie unmöglich machen, das Spiel nach den bisher gültigen Regeln weiterzuspielen (siehe auch Kapitel »Schlußinterventionen«). Die zum Teil minutiös ausgearbeiteten Verschreibungen, die oft völlig verblüffenden Umdeutungen der Familiensituation darstellen, haben das Mailänder Team weithin bekannt gemacht. Später berichteten sowohl Selvini Palazzoli als auch Boscolo und Cecchin, daß sie die Paradoxie als Interventionstechnik wesentlich seltener einsetzten (Telfener 1987), da deutlich wurde, welche verändernde Kraft bereits im zirkulären Fragen und in den Kommentaren steckt, die allein über die Fragetechnik die Familie mit einer neuen Sichtweise konfrontieren.
Leitlinien, Grundprinzipien und zirkuläres Fragen In verschiedenen Beiträgen entwickelten die Mailänder Leitlinien für Leiter systemtherapeutischer Sitzungen (Selvini Palazzoli et al. 1981). Sie gehören heute als »Standardausrüstung« zur Grundhaltung systemischer Therapie und werden daher im Kapitel »Haltungen, Grundannahmen, Zielsetzungen« ausführlicher beschrieben. Es sind dies die Prinzipien des Hypothetisierens, der Zirkularität und der Neutralität. Sie sind eng aufeinander bezogen. Wie die Seiten eines Dreiecks bilden sie die »Angelpunkte der therapeutischen Technik dieses Modells« (Telfener 1987, S. 162). In einem Beitrag, der 1985 erschien, nennen Selvini Palazzoli und Prata verschiedene Grundprinzipien für die Intervention. Da sie eher methodische Aspekte reflektieren, sind sie unter »III. Praxis« näher beschrieben. Es handelt sich um: – die positive Konnotation aller Verhaltensweisen, – Familienrituale, – ausgedehnte Abstände zwischen den Sitzungen, – paradoxe Verschreibungen.
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Geschichte und Überblick
Diese Prinzipien dienen dem Ziel, das Spiel der Familie so schnell wie möglich zu erfassen und zu verändern. Die bedeutsamste Methode allerdings, die vor allem durch das Mailänder Team in die systemische Therapie eingeführt wurde, ist das zirkuläre Fragen, eine konsequente methodische Umsetzung systemischer Erkenntnistheorie (hierzu im Kapitel »Systemisches Fragen«).
Die invariante Intervention Auf der Suche nach Wegen, die Spielregeln in Familien mit schizophrener Transaktion noch effektiver zu verändern als bisher, entwickelte nach der Trennung des ursprünglichen Teams Selvini Palazzoli eine Interventionsform, die inzwischen als invariante Verschreibung bekannt ist, das heißt allen Familien wird dieselbe Aufgabe gegeben, unabhängig von der jeweiligen Konfliktlage (Selvini Palazzoli u. Prata 1985, Henning 1987). Hierzu werden mit den Familien zunächst zwei Sitzungen geführt, am Ende des zweiten Gesprächs sagt der Therapeut als Schlußkommentar: »Ich kann Ihnen folgendes sagen: Das Team kam zu dem Schluß, daß hier eine Familientherapie angezeigt ist. Die nächste Sitzung findet an dem und dem Tag zu der und der Zeit statt. Ihr (dabei werden die Söhne und die Töchter bei ihrem Namen und in der Reihenfolge ihres Alters angesprochen) werdet zu Hause bleiben. Nur Sie beide, die Eltern, werden kommen« (aus: Henning 1987, S. 6f). Danach wird die Sitzung sofort beendet. Im nächsten Gespräch geht es um die Reaktionen der Familienmitglieder beziehungsweise der Ehepartner selbst auf die Intervention, danach wird eine sehr komplexe Verschreibung gegeben, die in 4 Stufen ausgeführt werden muß: 1) Der Inhalt der Sitzung muß von dem Paar unbedingt geheimgehalten werden, das Paar hat dies jedem, der fragt, ausdrücklich mitzuteilen. 2) Etwa nach einer Woche geht das Paar an genau bezeichneten Terminen und in einer genau verordneten Frequenz abends aus, ohne irgend jemandem zu sagen, wohin, vielmehr wird nur ein abwechselnd von dem Vater und der Mutter geschriebener Zettel auf den Küchentisch gelegt mit dem Text: »Heute abend werden wir nicht zu Hause sein.« Wie die Eltern den Abend verbringen, bleibt ihnen überlassen, die Bedingung ist nur, daß sie gegessen haben, wenn sie nicht vor 23 Uhr nach Hause kommen. 3) Auf Fragen der Kinder, wo sie gewesen seien, antworten die Eltern nur, daß dies Dinge seien, die nur sie etwas angingen. 4) Beide Eltern führen getrennt ein Tagebuch, in dem sie die verbalen und nonverbalen Reaktionen der Kinder auf ihre Unternehmungen notieren. Diese Notizen werden in den Therapiesitzungen durchgesprochen.
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Wenn die Eltern diese Verordnungen befolgen, werden in den nächsten Sitzungen die Intervalle elterlicher Abwesenheit immer weiter vergrößert, zunächst auf ein Wochenende. Wieder verlassen sie das Haus unter Hinterlassung eines Zettels »Wir werden am … nach 23 Uhr zurück sein«. Das letzte Stadium ist die Verschreibung einer längeren Abwesenheit, wobei die Eltern von kleinen Kindern hier für einen professionellen Baby-Sitter sorgen müssen, auf keinen Fall Verwandte für diese Aufgabe hinzuziehen dürfen. Die Methode wurde im Rahmen eines 1979 begonnenen Projekts entwickelt, von Erfahrungen mit 19 Familien wurde berichtet. Alle hatten sehr schwere und entmutigende Krankengeschichten hinter sich (6 Fälle chronischer kindlicher Psychose, 10 chronisch schizophrene Patienten, 3 Fälle akuter halluzinatorischer Psychosen). Der Indexpatient zeigte in 10 von diesen 19 Fällen, und zwar dann, wenn die Eltern die Geheimhaltungsverschreibung wahrten, sofort eine Besserung und gab schrittweise sein psychotisches Verhalten auf. »Die Verordnung unterbricht offenbar das laufende Spiel, ohne daß es für den Therapeuten notwendig ist, zuvor zu verstehen, welches Spiel abgelaufen ist« (Selvini Palazzoli u. Prata 1985, S. 279). Ein 1985 angekündigter Abschlußbericht liegt allerdings nach wie vor nicht vor.
Der Weg von Boscolo und Cecchin Boscolo und Cecchin begannen nach der Trennung des Teams, auf der Basis des Modells Familientherapeuten auszubilden. Sie machten dabei die Erfahrung, daß ein in einer ganz spezifischen Situation entwickeltes Modell nicht universell einsetzbar ist, daß vielmehr das Mailänder Konzept sich wandlungsfähig zeigen muß. Mittlerweile verstehen sie es mehr als einen Rahmen, der hilft, die eigene Wahrnehmung für eine große Vielfalt von Praxisfeldern zu organisieren. Mit zunehmender Praxisorientierung hinterfragen sie auch zunehmend die Grundannahmen des früheren Mailänder Modells, seine mit Metaphern des Kalten Krieges durchsetzte Sprache, in der die Klientenfamilien eher als Gegner angesehen werden, deren »Strategien«, »Gegenangriffe« und »Manöver« erkannt und durchkreuzt werden müssen. Inzwischen hat sich ihre Arbeit »immer weiter von den instrumentellen Modellen der ›strategischen‹ Anfänge weg entwickelt« (Boscolo et al. 1988, S. 27).
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Interessant ist eine Analyse, die im ersten Kapitel des genannten Buches über das ursprüngliche Mailänder Konzept vorgenommen wird. Nach Meinung der Autoren besteht in diesem ein impliziter erkenntnistheoretischer Bruch: Einerseits ist es getragen vom Respekt vor der »systemischen Weisheit« und der Selbstorganisation eines Systems, andererseits hat es deutlich strategische Züge (vgl. die oben erwähnten »Kalte-Krieg-Metaphern«). Möglicherweise, so Boscolo et al. (1988 S.16ff), hat dieser Bruch etwas mit einer unausgetragenen Kontroverse des ursprünglichen Teams am Mental Research Institute in Palo Alto zu tun. Während Haley auf die Notwendigkeit der Power des Therapeuten setzte und strategisch genau geplante Interventionen für unabdingbar hielt, um therapeutische Veränderungen zu induzieren, setzte sich Bateson zeitlebens dafür ein, nicht in Selbstorganisationsdynamiken einzugreifen, weil jede Form von Eingriff sich über kurz oder lang als schädlich für die Ökologie des Systems herausstellen würde. Zentral war damit die Frage nach der Bedeutung von Macht angesprochen – und ihre Bedeutung ist bis heute in der systemischen Debatte nicht ausdiskutiert (z. B. Levold 1986, Collmann 1993, Goodrich 1994, von Schlippe 1995). Dieser ungelöste Konflikt spiegelt sich in dem Mailänder Modell, vielleicht ja sogar in dem Mailänder Team wider, wenn man die unterschiedlichen Wege der Mitglieder des ehemaligen Kernteams verfolgt.
Boscolo und Cecchin entwickelten sich zunehmend in Richtung auf ein Konzept der Kooperation und der Gestaltung konstruktiver Dialoge, wie es für viele Ansätze charakteristisch ist, die sich auf eine »Kybernetik 2. Ordnung« berufen (s. S. 53). Es geht zunehmend mehr darum, festgefahrene, starre Mono- oder auch Dialoge in Systemen durch sprachlich bewegliche Angebote zu öffnen, gemeinsam mit dem System daran zu arbeiten, eine Vielfalt von Perspektiven zuzulassen – und nicht die eine durch die eine andere zu ersetzen. Da sie Maturana (s. a. S. 67) folgend davon ausgehen, daß es nicht möglich ist, »instruktiv« zu interagieren, also Systeme zu zielgerichteter Veränderung zu bringen, zielen ihre Interventionen nicht mehr auf ein jeweils spezifisches Ergebnis, sondern sollen eher verstören, anregen: »Cecchin hat einmal bemerkt, daß das Paradies einer Kybernetik erster Ordnung verloren ist, eines Paradieses, das glauben machte, man könne eine ›Bombe‹ ins System werfen, die genau das Ziel … trifft. Es gibt eben keine Bomben, keine Ziele, nichts ›da draußen‹, nur ein großes evolvierendes, beobachtendes System, das sich aus all den Leuten zusammensetzt, die an dem ursprünglichen Problem beteiligt sind. Das Ergebnis ist bestimmt durch die gemeinsame Anstrengung, das meist alle überrascht« (Boscolo et al. 1988, S. 31).
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1.4. Lösungen statt Probleme: Lösungsorientierte Kurztherapie Das Modell der lösungsorientierten Kurztherapie grenzt sich von der üblichen Weise systemischer Therapie und Familientherapie explizit ab (z. B. de Shazer 1989c). Von der ersten Frage an wird direkt auf die Lösung und nicht auf das Problem zugegangen: »Problem talk creates problems, solution talk creates solutions!« So kann z. B. die Aussage eines Patienten: »Herr Doktor, ich habe eine Depression!« mit der Frage beantwortet werden: »Woher wissen Sie das?« und: »Haben Sie diese Depression den ganzen Tag, 24 Stunden, auch wenn Sie schlafen?«
Die lösungsorientierte Kurztherapie wurde etwa ab Mitte der siebziger Jahre am Brief Family Therapy Center in Milwaukee, USA, von Steve de Shazer, seiner Frau Insoo Kim Berg, Eve Lipchik und anderen Teammitgliedern entwickelt (für eine ausführliche Einführung s. Walter u. Peller 1994 oder Eberling u. Hargens 1996). Kernaussage ist die Vorstellung, es sei ein großer Irrtum der Psychotherapie, zu vermuten, daß zwischen einem Problem und seiner Lösung ein Zusammenhang bestehe. Im Gegenteil, es zeige sich, »daß der Prozeß der Lösung sich von Fall zu Fall stärker ähnelt als die Probleme, denen die Intervention jeweils gilt« (de Shazer 1989b, S. 12). Berühmt geworden ist die Metapher des Türschlosses: »Die Klagen, mit denen Klienten zum Therapeuten kommen, sind wie Türschlösser, hinter denen ein befriedigendes Leben wartet. Die Klienten haben alles versucht … aber die Tür ist immer noch verschlossen; sie halten ihre Situation also für jenseits ihrer Lösungsmöglichkeit. Häufig hat dieser Schluß immer weiter gehende Bemühungen zur Folge: Nun versuchen sie herauszufinden, warum das Türschloß so und nicht anders beschaffen ist oder warum es sich nicht öffnen läßt. Dabei dürfte es doch klar sein, daß man zu Lösungen mit Hilfe eines Schlüssels und nicht mit Hilfe eines Schlosses gelangt … Eine Intervention braucht nur in der Weise zu passen, daß die Lösung auftaucht. Es ist nicht nötig, daß sie es an Komplexität mit dem ›Schloß‹ aufnehmen kann« (de Shazer 1989b, S.12f).
Ressourcen werden in diesem Ansatz als vorhanden vorausgesetzt, im Gespräch wird eine Erwartung von darauf aufbauender weiterer Veränderung geschaffen. Das therapeutische System wird mit dem Ziel baldmöglichster Beendigung angelegt. Aus dem Grund ist es besonders wichtig, zu erheben, woran denn für beide Seiten erkennbar sein könnte, daß das Problem gelöst ist. Auf diesen Aspekt des Kontraktes wird besonderer Wert gelegt. Vom Setting her ist die Arbeit »klassisch« angelegt: ein Team beobachtet das Gespräch durch die Scheibe, das Interview wird unterbrochen, nach der Pause wird den
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Klienten ein Schlußkommentar mitgeteilt, meist verbunden mit einer Aufgabe. Für die erste Sitzung wird folgende Struktur beschrieben (nach Loth 1992): 1) Einführung in die Arbeitsweise 2) Darlegung der Beschwerde 3) Exploration der Abweichungen von den die Beschwerde beinhaltenden Regeln, also Ausnahmen: Wann tritt das Problem nicht auf, wenn man es eigentlich erwartete? 4) Aufstellen von Therapiezielen 5) Definition potentieller Lösungen 6) Unterbrechung: Konsultationspause 7) Bekanntgabe der Botschaft des Teams an die Klienten
Für die kurztherapeutische Arbeit sind verschiedene Techniken kennzeichnend, zum Beispiel: Die Frage nach Veränderungen vor Therapiebeginn Die Frage nach Veränderungen, die zwischen Anmeldung und Gesprächstermin erfolgten. Bei einer gezielten Nachfrage zeigte sich, daß 2/3 der anmeldenden Klienten bereits vor dem Erstgespräch Veränderungen wahrgenommen hatten, die sie als wünschenswert in bezug auf die von ihnen identifizierten Probleme einschätzten (WeinerDavis et al. 1987). Die Wunderfrage Besonders bekannt geworden ist die »Wunderfrage«, eine Form, nach Ausnahmen zu fragen, die noch gar nicht passiert sind: »Wenn das Problem durch ein Wunder plötzlich weg wäre: Was würden Sie am Morgen danach als erstes anders machen? – und dann? Was würde Ihr Mann/Ihre Frau/Ihr Kind/Ihr Chef anders machen, woran würden Sie es erkennen? Wie werden diese Menschen auf Ihr verändertes Verhalten verändert reagieren? Wer wäre davon am meisten überrascht? Und wenn dann nach dem Wunder zwei Monate / ein halbes Jahr / fünf Jahre vergangen sind, wie würden Ihre Beziehungen sich dann verändert haben?« (vgl. S. 159). Hausaufgaben Von Beginn an wird in dem Konzept an Veränderung gearbeitet. Daher gehören »Hausaufgaben« zum essentiellen Repertoire. Hierzu werden die Beziehungen zwischen ratsuchender Person und Therapeut je nach der Art, wie die Probleme dargestellt werden, in unterschiedliche Kate-
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gorien unterteilt und entsprechend unterschiedliche Kontraktangebote gemacht: Besucher (Visitor) Besucher kommen oft nicht freiwillig, es gibt keine explizite Beschwerde, keine Veränderungserwartung/keinen Veränderungsauftrag. In diesem Fall werden nur »Komplimente« gemacht, die bisherigen Lösungen positiv gewertet, ansonsten weder Therapie noch Aufgaben angeboten. Klagende (Complaiant) Als »Klagende« werden Personen mit Beschwerden bezeichnet, doch wird die Veränderung in erster Linie von anderen erwartet (z. B. vom Therapeuten oder vom Ehepartner). In der Therapie werden hier vor allem Verhaltensbeobachtungs- oder Denkaufgaben gestellt. Kunden (Customer) Nur Personen, die eine Beschwerde haben, aber darüber hinaus die Vorstellung mitbringen, aktiv etwas dagegen tun zu können, werden als Kunden angesehen, mit denen es einen Veränderungskontrakt gibt. Sie bekommen neben Beobachtungsauch verhaltensrelevante Aufgaben.
Es folgen einige Beispiele für Standardaufgaben aus diesem Ansatz. Sie haben alle das Ziel, der Annahme der Klienten, sie hätten ihr Verhaltensrepertoire für die Problemlösung bereits ausgeschöpft, entgegenzuwirken (de Shazer u. Molnar 1983): – »In der Zeit von jetzt bis zu unserem nächsten Treffen möchte ich, daß Sie genau beobachten, was in Ihrem Leben (Ihrer Ehe, Familie, Beziehung usw.) so bleiben soll wie bisher!« Dahinter steht die Erfahrung, daß Klienten dazu neigen, ihre Aufmerksamkeit auf die wahrgenommene Stabilität eines problematischen Musters zu richten und Abweichungen davon nicht zu registrieren. In etwa 90 % der Fälle berichten Klienten dann von Ereignissen, die sie als positiv erlebten und über die ansonsten gar nicht gesprochen worden wäre (s. a. Weiss 1988). – »Machen Sie etwas ganz anderes!« Die Überraschungsintervention besteht einfach in der Aufforderung, sich anders zu verhalten als gewohnt. Einem zerstrittenen Paar kann beispielsweise die Aufgabe gegeben werden, täglich einmal den anderen völlig zu überraschen, sich also in einem gewohnten Muster überraschend anders zu verhalten. Besonders eignet sich diese Intervention bei Klagen, die mit immer wiederkehrenden Interaktionsschleifen zu tun haben (z. B. Wutanfälle eines Kindes). – In ähnlicher Weise kann eine den Zufall induzierende Aufgabe helfen, die Vielzahl der zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu erhöhen: »Werfen Sie beim nächsten Mal, wenn Sie sich nicht entscheiden können, ob Sie das oder das tun sollen, eine Münze!« – »Achten Sie darauf, was Sie tun, wenn Sie die Versuchung/der Zwang überkommt das Symptom zu zeigen (oder ein anderes Verhalten, das mit dem Problem verbunden ist)!« Die dahinterstehende Vorstellung ist, daß Klienten vielfach zu der Annahme neigen, ihr Problemverhalten habe nichts direkt mit ihnen zu tun, sei außerhalb ihrer Kontrolle. – »Viele Leute hätten in Ihrer Situation … gemacht!« Eigentlich keine Aufgabe,
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Geschichte und Überblick doch von den Autoren als »Vierte Standardintervention« bezeichnet, um die Idee zu verändern, mit der viele Klienten leben, nämlich daß ihre Reaktion auf ihr Problem die einzig logische Möglichkeit sei.
Die Hausaufgaben in der lösungsorientierten Kurztherapie zeichnen sich oft durch Kreativität und Leichtigkeit aus, mit denen meist verblüffend einfache Lösungen für scheinbar schwerwiegende Probleme gefunden werden. Dafür können auch Problemerklärungen herangezogen werden, die völlig abwegig sind, sofern sie nur dazu dienen, die Aufmerksamkeit auf neue Lösungswege zu richten. Furman und Ahola (1995, S. 102f) berichten von einer Frau, die wegen heftiger Streitigkeiten mit ihrem Mann eine Beratung suchte. Fast täglich gebe es um eine Schranktür Streit, die sie meist offenzulassen pflegte, während ihr Mann darauf bestünde, daß sie geschlossen sei. Nach der Diskussion mit dem Team erhielt sie den Auftrag, dem Mann mitzuteilen, das Team sei der Ansicht, daß das Offenlassen des Schrankes eine unbewußte, vielleicht sogar vorbewußte Geste sei, mit der die Frau ihre Bereitschaft signalisiere, mit ihm zu schlafen. Drei Wochen später berichtete sie lachend, es habe überhaupt keinen Streit mehr gegeben, ihr Mann habe gesagt, dies sei das Verrückteste, was er je gehört habe – und die Tür mache er nun immer selbst zu.
1.5. Kooperation statt Intervention: Das Reflektierende Team Ein bedeutsamer Vertreter der Konzepte, die sich an der »Kybernetik 2. Ordnung« orientieren, ist der norwegische Therapeut Tom Andersen (1990). Er war unzufrieden mit dem Setting, welches das Zweikammermodell der »klassischen« systemischen Therapie vorgab. Die exklusive Diskussion des Teams hinter dem Einwegspiegel wurde zunehmend als erniedrigend für die Familie erlebt und eher nicht als ein Kontext, der Kooperation nahelegte. Nachdem die Arbeitsgruppe erlebte, wie durch ein technisches Versehen eine Familie die Debatte des Teams im Nebenraum verfolgen konnte und, anders als befürchtet, nicht etwa ärgerlich, sondern hochmotiviert, an- und aufgeregt reagierte, begann Andersen zunehmend mehr, den Familien zu ermöglichen, der Diskussion des Teams zuzuhören (die Mikrofone wurden umgestellt, so daß die Familie die Gespräche des Teams im Nebenraum verfolgen konnte oder das Team beriet sich im gleichen Raum vor der Familie). Sie fanden heraus, daß dies allein bereits große Effekte hatte, und zwar Effekte, die Schlußinterventionen oder paradoxe Kommentare zu erübrigen schienen. So entstand das Reflecting Team (RT) als eine alternative Methode zu Konzepten, die die Macht des Therapeu-
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ten in den Vordergrund stellten, wie das klassische Mailänder Modell oder auch der strukturelle Ansatz. Es stellt insofern eine »systemische Revolution« dar, als es viele liebgewonnene systemische Arbeitsformen in Frage stellt wie den Einwegspiegel (und die Möglichkeit, sich dahinter zu verstecken) oder Verschreibungen und Schlußinterventionen (mit dem damit einhergehenden Nimbus von therapeutischer Allmacht). Aber es stellt unseres Erachtens auch einige grundsätzliche Fragen an systemische Therapie: Ob ein Modell, dessen Ziel ein emanzipatorisches ist, nämlich Menschen zu befähigen, ihre Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen, und das darüber hinaus sogar von der Unmöglichkeit zielgerichteter Beeinflussung ausgeht, nicht auch in seiner Struktur emanzipatorisch sein sollte, ob sich Inhalt und Form nicht deutlicher entsprechen sollten. Das RT-Modell sieht Therapie eher als einen Kontext von Kooperation an als von Macht. Konsequenterweise wird ein Weg versucht, wie Therapeuten, Team und Familie möglichst eng zusammenarbeiten können, um Lösungen für die aktuellen Probleme zu finden. Ein interessanter Effekt ergibt sich aus dem Konzept auch auf die Fachleute selbst: Vor der Familie sind sie in ganz anderer Weise gezwungen, sorgsam mit ihrer Sprache umzugehen, Ausdrücke zu vermeiden, die einen »beschuldigenden Fachdiskurs« implizieren (Hoffman 1996, S. 72) wie »projizieren«, »überengagierte Mutter«, »Verstrickung« und so weiter. Sie müssen eine der Familie und der Situation angemessenere Sprachform finden. Die Methode selbst ist im Kapitel »Die Arbeit mit dem Reflektierenden Team« ausführlicher dargestellt.
1.6. Interaktion als Konversation: Die Narrative Denkrichtung Die Diskussion in den letzten Jahren ging auch noch in eine andere Richtung, nämlich, ob die Systemtheorie überhaupt nötig und angemessen sei, um menschliche, vor allem soziale Systeme zu verstehen und zu modellieren. Sie begannen, eher auf die Art und Weise der Erzählungen (Narrationen) zu achten statt auf Systemkonflikte, Grenzen und Hierarchien (Boeckhorst 1994). Die Entwicklung verlagerte sich von dem Interesse an Verhalten immer mehr zum Interesse an Ideen und zwar nicht nur persönlichen, sondern kollektiven Ideen (Hoffman 1996). Nicht nur die Sprache allein, sondern die Bedeutungsmuster, die durch diese Sprache vermittelt würden – und dies sind in sozialen Systemen eben Geschichten – bauen Realitäten in Systemen
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auf (Sluzki 1992). Wirklichkeit besteht aus nichts anderem als Geschichten: darüber sprechen Menschen miteinander, nicht über Allianzen, Grenzen, Regeln und Redundanzen (es sei denn, es handelt sich um Familientherapeuten-Familien …)! »Mir gefiel diese Vorstellung. Ich hatte langsam das Gefühl, daß menschliche Ereignisse sich hin- und herschlängelten wie schlechte Romane des 18. Jahrhunderts und sich nicht ordentlich in netten sich wiederholenden Wendungen abspielten. Anstatt ihnen die Rückkoppelungsschleifen der kybernetischen Theorie aufzuzwängen, begann ich, sie so zu betrachten, als wären sie Wasserfälle und Flüsse. Ich sagte mir: ›Denk‹ nicht an wiederkehrende Zyklen, denk an Flüsse im Lauf der Zeit‹« (Hoffman 1996, S.17).
Die Familie ist nun der engste soziale Nahraum, in dem die Geschichten der einzelnen nicht nur am intensivsten miteinander konfrontiert sind, sondern auch am intensivsten im ständigen Austausch stehen. Geschichten werden nicht allein erfunden, Erzählungen brauchen neben dem Erzähler auch den Zuhörer. Wichtig zu beachten ist: auch ohne Worte kann man erzählen. Die Geschichte: »Mich mag sowieso keiner« braucht nicht viele Worte, um sich selbst und anderen gegenüber immer wieder neu erzählt zu werden. Es ist dieser Prozeß auch als »Family’s Construction of Reality« bezeichnet worden, als »Family Paradigm« (Reiss u. Olivieri 1983): Jedes Familienmitglied macht für die Interpretation von Wirklichkeit von einem gemeinsamen System von Begriffen und Überzeugungen Gebrauch, von einer »narrativen Tradition« (Boeckhorst 1994), also einer Erzähltradition, die jeweils für eine spezifische Familie gilt. »Die herrschende Tradition bestimmt, welche Aspekte der Wirklichkeit wir auswählen und wie wir sie interpretieren. Diese Tradition schließt alternative Interpretationen aus und sorgt dafür, daß andere Aspekte der Wirklichkeit nicht gesehen werden. Dies impliziert, daß eine bestimmte Vorstellung der Wirklichkeit immer unvollständig ist, und es impliziert weiter, daß, je mehr wir von einer Sache sehen, wir von etwas anderem um so weniger sehen« (Boeckhorst 1993, S. 9).
Narrative Traditionen sind Tendenzen, die eine Familie ihren Mitgliedern vermittelt über die Bedeutung von Verhalten und von Dingen. Stierlin (1994) spricht in diesem Zusammenhang auch vom »Familiencredo«, also den inneren oder auch ausgesprochenen Überzeugungen der Familie, die den Rahmen dafür abgeben, das, was geschehen ist, in einer bestimmten Weise zu erzählen und damit lebendig zu halten. Die Perspektive, Wirklichkeit in sozialen Systemen über Geschichten wahrzunehmen, führt dann zu der neuen interessanten Frage, welche Geschichten eigentlich das Leben oder auch eine Familie regieren.
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Von welcher Art sind die Geschichten, die jemand sich und seiner Umgebung über sich selbst erzählt? Auf welche Ereignisse greift er dabei zurück, auf welche nicht? Die Rolle des Therapeuten ist dabei, mit »grenzenloser Neugier« und aus einer Position des »Nicht-Wissens« (Anderson u. Goolishian 1992) die Bedeutungen des Klienten kennenzulernen (für die dieser Experte ist), sie zu verstehen und so für eigene und gemeinsame Erzähltraditionen zu sensibilisieren. Es kann mit White (1989) gefragt werden: »Welchen Geschichten erlaubst du dein Leben zu regieren? Willst du, daß diese Geschichten dein Leben regieren?« Anschließend wird danach gesucht, diese Geschichtensysteme zu dekonstruieren, indem man alternatives Wissen findet, zum Beispiel durch die Suche nach Ausnahmen: »Wann hast du dich zum letzten Mal erfolgreich geweigert, der Geschichte zu glauben, daß du immer der Verlierer bist? Wie hast du das gemacht, diese Geschichte zurückzuweisen? Was war die Einladung und wie hast du ›nein‹ dazu gesagt? Und wer von all den Menschen, die dich als Kind gekannt haben, würde am wenigsten erstaunt sein zu hören, daß du das geschafft hast?«
Jeder Mensch baut sich seine eigene Geschichte durch eine besondere Erzähltradition auf, die das Erlebte als »die Regel« oder »typisch« beschreibt. Das bedeutet dann, daß andere Geschichten, die es sicher
Abbildung 1 (copyright: Nils Grabbe)
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auch gegeben hat, die aber als einmalige Ereignisse beschrieben wurden, ignoriert oder als nicht bedeutsam gewertet wurden. Mit ihrer Erarbeitung kommt es zu einem Prozeß, der in der Therapie »das Heimische exotisieren« genannt wird (White 1992 in Anlehnung an Bourdieu): die vertraute Art, die Wirklichkeit zu sehen, wird unvertraut gemacht, indem gerade nach den Momenten gesucht wird, wo eben nicht alles wie erwartet abgelaufen ist. Beispiel: Ein 45jähriger Mann, der als Ausländer seit mehreren Jahrzehnten in Deutschland lebt, erzählt seine Geschichte so, daß er »zweimal ins Exil gegangen« sei, »exiliert von Geburt an«: Seine Erzählung legt den Akzent auf den Wunsch der Mutter, ihn abzutreiben, da sie ihn, das zweite Kind, nicht hatte haben wollen. Sie hatte sogar ihrem Mann mit Suizid gedroht, wenn er dem nicht zustimme. Der habe jedoch, gemeinsam mit dem Arzt, die Mutter dazu gebracht, ihn auszutragen. Beide hätten ihr klargemacht, sie sei körperlich für eine Abtreibung zu schwach, und außerdem sei es eine Sünde. Ein Defizit-Narrativ bestimmt die Interpretation des Lebens: »exiliert von Geburt an«. Wie kann diese Geschichte anders erzählt werden? Sie kann nicht ungeschehen gemacht werden, jedoch gibt es die Möglichkeit, zu entscheiden, auf welche Bestandteile der Geschichte wir zurückgreifen, um uns unsere Identität zu bestätigen. Im Gespräch wird der Akzent zunächst leicht verschoben, es wird auf die in der Geschichte enthaltenen Implikationen geachtet: Hat die Mutter ihn abgetrieben? Nein. Wo lag ihre Entscheidung? Nicht in der Situation beim Arzt, sondern da, wo sie sich entschied, sich nicht umzubringen, wo sie entschied, weiterzuleben. Wo liegt noch Kraft? Da ist trotz ungünstiger Ausgangsbedingungen ein Baby am Leben geblieben, bereits 45 Jahre lang. Das wird zum Ausgangspunkt für die Entwicklung einer neuen Erzähltradition, eine, die eher die Kraft und die Entscheidung für das Leben zum Ausgangspunkt nimmt, eine Chance zur vorsichtigen Veränderung scheinbar festgefügter innerer Bilder.
1.7. Ursprungsordnung und Demut: Der Ansatz Bert Hellingers Wohl kaum ein Ansatz hat die Diskussion in der systemischen Therapie in neuerer Zeit so angefacht und polarisiert wie der Bert Hellingers. Aus diesem Grund soll er hier ein wenig ausführlicher behandelt und diskutiert werden als die anderen beschriebenen Konzepte. Hellinger entwickelte einen ungewöhnlichen Weg lösungsorientierter »Ultra-Kurztherapie«, der vor allem in »Aufstellungen« besteht, einer bestimmten Form von Skulpturarbeit, in der eine Person im Rahmen einer Gruppe ihre Herkunftsfamilie aufstellt. Er geht dabei nur von wenigen Basisdaten aus. Nur äußere Ereignisse sind wichtig: »Ist jemand gestorben, wurde jemand verstoßen, gab es einen früheren Mann oder ein ausgeklammertes Kind? Nur das ist von Interesse, ich
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brauche keine Personenbeschreibungen, ich betreibe keine langwierigen Anamnesen« (1995b, S. 22). In den Skulpturen sucht Hellinger dann nach einem »guten Bild«, das eine Repräsentation einer »guten Ordnung« für den Betreffenden darstellen könnte, ein neues inneres Bild als Ressource. Er läßt sich dabei von den Rückmeldungen der Rollenspieler leiten (also er fragt, ob eine Veränderung in der Konstellation als »besser« oder »schlechter« erlebt wird). Auf diese Weise führt er einen Ratsuchenden oft sehr schnell an existentiell bedeutsame Punkte heran (meist dauern die Konstellationen nicht mehr als 20–30 Minuten) und sucht über Rituale (Sätze, Verneigungen) oder Metaphern nach einer Lösung. Der Eisbär Da war einmal ein Eisbär, den haben sie im Zirkus mitgefahren. Die haben ihn aber nicht für die Vorstellung gebraucht, sondern nur zur Ausstellung. Er war also immer in dem Wohnwagen drin. Der war aber so eng, daß er sich nur zwei Schritte vorwärts und zwei Schritte rückwärts bewegen konnte. Dann haben sie Mitleid gehabt mit dem Eisbären und haben sich gesagt: »Den verkaufen wir jetzt in einen Zoo.« Dort hatte er nun ein großes freies Areal. Doch auch da ging er immer nur zwei Schritte vor und zwei Schritte zurück. Da fragte ihn ein anderer Eisbär: »Ja, warum machst du das?« Da sagte er: »Das kommt daher, weil ich so lange im Wohnwagen war« (in: Weber 1993, S. 45).
Die Klarheit seiner Konzepte, die Schlichtheit seiner Interventionen beeindrucken, die Absolutheit, mit der er sie vertritt, vor allem auch seine Aussagen über die Beziehungen von Männern und Frauen, provozieren und reizen zu heftigem Widerspruch (z. B. Krüll 1995, Simon u. Retzer 1995). Seine Konzepte können hier nur überblickartig vorgestellt werden, für eine ausführliche Auseinandersetzung verweisen wir auf die entsprechende Literatur (vor allem: Weber 1993, Hellinger 1994) oder auch auf die Lehrfilme (Hellinger 1995a und c).
Die Ursprungsordnung Hellinger geht davon aus, daß in sozialen Systemen zumindest im westlichen Kulturkreis eine Ordnung besteht, die eine bestimmte Wirkung auf die Systemmitglieder ausübt. Er nennt sie die »Ursprungsordnung«. Diese richtet sich nach dem Zeitpunkt des Eintritts in ein System: Ein Systemmitglied, das früher Mitglied des Systems wurde, hat einen höheren »Rang« als eines, das später gekommen ist. So haben Eltern Vorrang vor den Kindern, Erstgeborene vor den später
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geborenen und so weiter. Diese Ordnung ist »vorgegeben«. Sofern die Ursprungsordnung respektiert ist, gelingen Beziehungen, wird sie verdreht, kommt es zu Störungen. Diese Dynamik sieht er nicht nur in Familien als wirksam an. Auch zum Beispiel in Organisationen kommt es an den Punkten zu Störungen, wo die später gekommenen Personen den länger im System lebenden ihre Achtung und ihren Respekt verweigern. Wenn eine psychische Störung diagnostiziert wird, findet sich ein Systemmitglied (oft ein Kind) nicht selten in einer Position, die ihm »nicht gemäß« ist. Die Anmaßung ist dabei der zentrale Motor der Verstrickung, Demut die Lösung. Wann immer eine Person im System die Idee entwickelt – das Recht zu haben, die elterliche Beziehung in Ordnung zu bringen, – einen Elternteil verachten zu müssen oder zu dürfen aus Treue zu dem anderen, – das Recht zu haben von Eltern Genugtuung zu verlangen, Rache üben zu dürfen, zu entwerten, auszuschließen, – ein älteres Geschwister »überholen« zu dürfen, überlegen zu sein, in all diesen Fällen handelt eine Person der Ursprungsordnung zuwider und damit gegen die Gesetzmäßigkeiten im System. Symptome weisen oft auf diese verdeckte Anmaßung hin, es kann sich eine Dynamik von unbewußter Bestrafung ergeben. Wenn es im therapeutischen Kontext möglich wird, den Eltern »demütig« gegenüberzutreten (meist durch ein Ritual, das in unterschiedlichen Formulierungen beinhaltet: »Ich danke euch für das, was ich von euch bekommen habe, es reicht, den Rest mache ich selbst«), dann stellt sich oft innerer Frieden ein: »Wenn man den Eltern Ehre erweist, kommt etwas tief in der Seele in Ordnung« (Hellinger 1995b). Aus dieser Perspektive zeigt sich auch die Idee, daß es darum gehe, den Eltern zu verzeihen, als eine Form der Anmaßung. Respekt und Demut kann auch bedeuten, da, wo Eltern Schuld auf sich geladen haben, diese bei ihnen zu belassen. »Ein Kind, das mißhandelt wurde, das darf sagen: das ist sehr schlimm, und es darf sagen: Das verzeihe ich dir nie … Es kann sagen: Du mußt es tragen. Was Kinder aber gewöhnlich machen, ist, daß sie es auf sich nehmen. Es ist viel schwerer, die Schuld bei den Eltern zu lassen und auch die Verantwortung« (Hellinger in Weber 1993, S. 218).
Die Zugehörigkeit zum System ist für jeden Menschen unabdingbar. Es ist daher auch eine Form der Anmaßung, wenn eine Person aus dem System ausgeschlossen und dadurch nicht gewürdigt wird, aus welchem Grund auch immer. In der Aufstellungsarbeit fragt Hellinger
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daher zunächst immer nach möglicherweise ausgeblendeten Personen, zum Beispiel ob es bei Eltern frühere Partner gegeben hat oder verstorbene Kinder, und stellt diese meist mit auf. Die Beachtung dieser Dynamik, die sich ja auch in anderen Ansätzen findet (etwa bei Stierlin oder Satir), wird ergänzt durch einen weiteren, wesentlichen Aspekt: die Identifikation. Wenn eine Figur im System ausgeklammert wurde, kommt es oft dazu, daß ein Späterer im System sich unbewußt mit dem nicht Gewürdigten identifiziert und ihn oder sie nachahmt, oft verschlüsselt in (schwerer) Symptomatik. Die Dynamik ist für Hellinger immer Liebe und die Bindung des Kindes an sein System (Schicksalsbindung), und doch ist das Opfer immer umsonst, da es einen Lösungsversuch an der falschen Stelle bedeutet. Denn selbst aus Liebe bleibt es eine Anmaßung, zu versuchen, etwas für einen anderen zu lösen. Als heilend wird es hier erlebt, den Ausgeschlossenen anzuschauen, zu würdigen und ihm »einen Platz im Herzen« zu geben. Eine ähnliche Lösung gibt es für die Dynamik der Nachfolge, bei der man (mehr oder weniger bewußt) versucht, einem Menschen, der früh oder dramatisch starb, nachzufolgen (etwa durch Selbstmord). Es kann dann oft das Leben nicht »genommen« werden, weil das als schuldhaft erlebt wird. Das hängt mit dem Ausgleich von Geben und Nehmen zusammen.
Ausgleich von Geben und Nehmen Das Schlüsselwort für die Suche nach Lösungsdynamiken ist der Ausgleich. Schuld und Unschuld in Systemen hängen eng damit zusammen. Es geht im System immer darum, daß gegeben und genommen wird (Hellinger 1991). Der Geber im System ist dabei immer in einer scheinbar vorteilhafteren Position, seine Position ist die Unschuld. Wer nimmt, macht sich schuldig: »Es gibt kein Nehmen ohne diesen Preis« (1991, S. 20). Manchmal versuchen Menschen, dieser Dynamik auszuweichen, »unschuldig« durchs Leben zu gehen, und sie vermeiden auf diese Weise, am sozialen Austausch teilzuhaben. Doch dies ist eine Illusion. Die Weigerung zu nehmen, oft mit Depression verbunden, versteckt sich hinter vielen Begründungen: Es sei nicht das Richtige, es sei zu wenig und ähnliches. Da, wo es möglich wird, zu nehmen (vor allem von den Eltern), erfahren die Betreffenden oft eine enorme Zufuhr an Energie und Kraft. Ähnlich verhält es sich mit der Idee, es könne möglich sein, nur als Gebender durchs Leben zu gehen (HelferIdeal). Auch diese Vorstellung beschreibt Hellinger als beziehungs-
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Geschichte und Überblick
feindlich. Der Ausgleich im System, ein ständiges Geben und Nehmen, geht mit der Erkenntnis einher, daß es unmöglich ist, unschuldig durch das Leben zu gehen, und daß es manchmal keine andere Möglichkeit gibt, Ausgleich herzustellen, als zu danken.
Die unterbrochene Hinbewegung Alle bislang besprochenen Aspekte von Hellingers Konzept beziehen sich auf ein Grundprinzip, durch das er Störung erklärt: die systemische Verstrickung. Ein zweites Grundprinzip stellt die unterbrochene Hinbewegung dar, und gerade hier zeigen sich die körpertherapeutischen Wurzeln des Konzepts. Die frühe Hinbewegung des Kindes zur Mutter beziehungsweise zu den Eltern ist ein natürlicher, körperlicher Vorgang. Wenn hier in der Entwicklung an früher Stelle durch eine Trennung oder ein Trauma dieser Prozeß nicht gelingt, blockiert das Kind seine Fähigkeit zu nehmen, wird die Hinbewegung unterbrochen. Die therapeutische Arbeit zielt hier darauf ab, diese Bewegung wieder möglich zu machen und sie zu ihrem Ziel zu führen: der Erfahrung der Liebe und dem Gefühl des Danks.
Die Suche nach der Kraft Von besonderer Bedeutung für systemische Therapeuten dürfte die grundlegende Strategie Hellingers sein, danach zu suchen, was einen Menschen aus der Position des Opfers und der Ohnmacht herausführt. Auch die viel kritisierte Aufforderung, sich den Eltern gegenüber demütig zuzuwenden, verfolgt letztlich das Ziel, eine autonome und kraftvolle Position zu ermöglichen. Das, was man ablehnt, muß man dauernd im Blick haben, das, was man liebevoll und freundlich anschauen kann, kann man loslassen: »Nur was wir lieben, gibt uns frei« (1993, S. 51). So wird es möglich, aus der Opferposition auszusteigen und gleichzeitig »gut« zu sein. Beschreibungen, die kraftvoll sind, werden gesucht. Alles was schwächt, wird unterbrochen. »Viele Probleme entstehen durch ihre Beschreibung, und sie werden durch die wiederholte Beschreibung aufrechterhalten. Eine Beschreibung, die zur Abwertung führt, ist schon deswegen falsch. Die richtige Deutung, die hilft, ist immer ehrenwert« (Hellinger 1993, S. 31).
Von der Familientherapie zur systemischen Therapie und Beratung
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Wahrheitsverständnis Abschließend soll etwas über das Wahrheitsverständnis Hellingers gesagt werden, denn gerade dies ist es, was in der Diskussion die schärfsten Auseinandersetzungen provoziert. Anders als der Konstruktivismus beschreibt er Wahrheit nicht als subjektive Konstruktion eines Beobachters. Hiervon grenzt er sich deutlich ab: »Wer konstruiert, ist immer daneben« (1995, mündlich). Gleichzeitig bezieht er sich aber auch nicht auf die scheinbare Alternative eines objektivistischen Verständnisses von Wahrheit. Für ihn als Phänomenologen ist Wahrheit etwas, das aus einer »inneren Schau« heraus entsteht und nur für den Moment Gültigkeit besitzt: »Das Merkwürdige bei diesen Aufstellungen ist, daß es eine Art der Wahrnehmung gibt, die über das Mitgeteilte weit hinaus geht. Plötzlich gibt es eine Teilnahme an einem Wissen. Ich weiß nicht, wo das herkommt … Die Wahrheit, das Richtige, erscheint blitzartig, und zwar ganz kurz. Wenn ich irgendeinen Zweifel daran äußere … verschwindet die Wahrnehmung … Für mich ist die Wahrheit immer etwas Augenblickliches, aus dem Dunkel taucht plötzlich eine Einsicht auf, auf die gehe ich zu, und sie taucht wieder unter. Und dann taucht später vielleicht etwas anderes, etwas ganz Entgegengesetztes auf. Das nehme ich genauso auf wie das erste, ganz im Sinne von Heraklit, der sagt: alles fließt. Die Wahrheit ist nichts Festes« (Hellinger 1995b, S. 22–24).
Mit dieser Definition stellt er sich in eine philosophische Tradition, die (auch wenn er sich dagegen abgrenzt) mit der systemischen Erkenntnistheorie verwandt ist, wenn auch nicht deckungsgleich: Die Beobachterabhängigkeit der Wahrnehmung, die Erkenntnis, daß alles, was gesagt wird, von einem Beobachter gesagt wird, daß unabhängig von diesem »Wahrheit« und »Objektivität« nicht denkbar sind, all diese Überlegungen gehören in das Repertoire systemischer Erkenntnistheorie. Im Unterschied dazu geht Hellinger jedoch davon aus, daß in dem Moment seiner Erkenntnis diese tatsächlich »wahr« ist – auch wenn dies im nächsten Moment wieder verlorengeht und nicht festgehalten werden kann. Und die Wahrnehmung muß dem Klienten zugemutet werden, auch dann, wenn sie konfrontativ ist: »Der Therapeut darf vor dem Schrecklichen keine Angst haben« (1993, mündlich). Aus dieser Überzeugung leitet sich seine oft drastische und konfrontierende Arbeitsweise ab. Aus systemischer Sicht wird ihm dabei oft (und u. E. zu Recht) vorgeworfen, daß er seine Aussagen so absolut setzt und sie nicht als seine Sicht beschreibt, etwa: »So sehe ich es, jetzt, es kann auch anders sein.« Dies wird besonders dann bedeutsam, wenn seine Arbeiten und Aussagen in Bild und Schrift festgehalten, praktisch
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Geschichte und Überblick
geronnen sind (Heraklit kannte noch keinen Videorecorder), denn damit gehen sie teilweise ihres Kontextes verlustig und werden zu Aussagen, derer sich mancher Therapeut als »kleiner Hellinger« bedienen mag, ohne sie kontextangemessen einzusetzen. Ein weiterer kritischer Punkt: Therapeutische Konzepte können auch unter dem Aspekt betrachtet werden, welche »Szene« sich in ihrem Setting gestaltet oder (re-)aktualisiert. Ein therapeutisches Vorgehen, wie das in diesem Abschnitt skizzierte, steht so gesehen in der Gefahr, die Ausrichtung auf eine mehr oder weniger charismatische Zentralfigur zu fördern, die dazu einlädt, die Komplexität psychosozialer Wirklichkeit auf eine (und nur eine) bestimmte Weise zu reduzieren. Auch hier liegt die Gefahr in der Verführung zur undifferenzierter Nachahmung und in der Verführung zu scheinbarer Macht. Warum haben Hellingers Konzepte gerade in der letzten Zeit so enorm an Popularität gewonnen? Sicherlich hat dies zum einen damit zu tun, daß Gunthard Weber, ein profilierter Vertreter des Heidelberger Teams, Hellingers Arbeit bei einem größeren Kreis systemischer Therapeuten bekannt gemacht hat (1993). Doch zum anderen könnte sich hier auch eine Gegenbewegung auf die aktuell diskutierten postmodernen und konstruktivistischen Konzepte andeuten, die immer in der Gefahr der Beliebigkeit stehen und so ihrerseits ein Bedürfnis nach Ordnung, »Wahrheit« und klaren Strukturen entstehen lassen.
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II. Theorie
2. Vom Suchen, (Er)finden und Nutzen theoretischer Grundlagen 2.1. Das Wörtchen »systemisch« – Ein projektiver Test? Das Wörtchen »systemisch« ist mittlerweile zu so etwas wie einem »projektiven Test« psychosozialer Professionen geworden: Alle führen es im Munde und meist tun zwei, die darüber reden, als meinten sie damit das gleiche. Bei genauem Hinhören zeigt sich aber oft eine babylonische Bedeutungsvielfalt des Begriffs. Die sprachliche Nähe zu »systematisch« läßt manche hoffen, systemisches Denken könne Ordnung und Struktur in das Chaos menschlicher Beziehungen bringen. Andere versprechen sich davon vor allem eine ganzheitliche Blickrichtung, Beschreibungen, wie alles mit allem vernetzt ist. Es sind auch nicht wenige, die fürchten, systemische Ansätze seien vor allem technokratisch, eine Art Autoreparaturwerkstatt für menschliche Beziehungen. Doch genauso viele freuen sich über den jetzt endlich »wissenschaftlich« erbrachten Nachweis (und das dazugehörige Fremdwort), daß »instruktive Interaktion« in lebende, selbstorganisierende Systeme unmöglich sei. Auf ganz andere Weise sind lösungsorientierte Pragmatiker von der Vorstellung angetan, sich nicht mehr mit der Analyse von Problemen aufhalten zu müssen, sondern gleich zu deren Lösung schreiten zu können. Theorie-Anarchisten bejubeln bereits das »Ende der großen Entwürfe« (Fischer et al. 1992), während andere sich von der Systemtheorie nach wie vor eine Universaltheorie versprechen, die für alle Phänomenebenen von der Zelle bis zur Gesellschaft eine einheitliche transdisziplinäre Theoriesprache bereithält. Das Problem ist: Sie haben alle mehr oder weniger recht, denn in allen Aussagen steckt ein Teil, der zumindest partiell auf die System-
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theorie zutrifft. Nach über vier Jahrzehnten ihrer Entwicklung liegen von »der Systemtheorie« zahlreiche Varianten vor, die unterschiedliche Schwerpunkte setzen und jeweils ganz verschiedene Handlungskonsequenzen nahelegen. Offensichtlich ist die »Halbwertzeit« systemischer Denkansätze relativ kurz (Schweitzer u. Herzog 1990), jagen sich innerhalb der systemischen Ansätze die kleinen Paradigmenwechsel, ist es eher verpönt, sich auf Autoren zu beziehen, deren Veröffentlichung schon längere Zeit zurückliegt, von »St. Bateson« vielleicht abgesehen. Systemisches Denken ist heftig in Bewegung, ähnlich vielleicht wie unsere Zeit überhaupt. Wir wollen diese Bewegung zunächst kurz historisch skizzieren.
2.2. Eine kurze Geschichte systemtheoretischer Wellen Systemtheorie ist als erstes in der Biologie (von Bertalanffy 1956) und Physiologie (Cannon) entwickelt worden. Zum Durchbruch kam sie nach dem Zweiten Weltkrieg als Kybernetik, das heißt als Steuerungslehre technischer Systeme. Nicht zufällig hat die systemische Familienforschung ihren Anfang etwa 1950 in Palo Alto im »Silicon Valley« genommen, der Hochburg der amerikanischen Computerindustrie. Kernfrage war damals die nach der Erhaltung von Gleichgewicht (Homöostase s. S. 61), nach der Angleichung eines Ist- an einen Sollzustand, vor allem durch Zuführung von Information, die Abweichungen anzeigt und Korrekturen in Richtung des Sollzustandes einleitet (negatives Feedback). Die Prämisse dieser Forschung war, daß auch komplexe Prozesse plan- und steuerbar seien, sofern man sich von ihnen ein Bild machen kann, das ihre Komplexität realistisch abbildet. Diesem Verständnis von Systemtheorie entsprachen in der Familientherapie der sechziger und vor allem siebziger Jahre die strukturellen (Minuchin 1974) und strategischen (Haley 1977, Selvini Palazzoli et al. 1977) Ansätze. Diese entwickelten Vorstellungen darüber, wie ein »funktionales« Familiensystem aussehen sollte, und leiteten daraus ab, wie Therapeuten durch oft massiv eingreifende Interventionen ein System zum Übergang von einem »dysfunktionalen« zu einem »funktionalen« Zustand bewegen könnten. Diese Entwicklung hielt jedoch nicht das, was sie versprach. Die Vorstellung der zielbewußten und geplanten Steuerung von Systemen erwies sich als trügerisch. Im Zuge zunehmend kritischer Fragen an die bisherige Praxis wurden die normativen Vorstellungen von der »guten« (= funktionalen) Familie mehr und mehr hinterfragt: Wer sollte das
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bestimmen? Welcher Beobachter könnte je im Besitz einer Norm sein, die nicht ihrerseits auf eine soziale Übereinkunft in einem sozialen System bezogen wäre? Langsam verschob sich die Bedeutung des Begriffs »systemisch«, ein Verständnis »jenseits von Homöostase« (Dell 1982) entstand, für die Familientherapie bedeutete das auch eine Hinterfragung ihrer selbst: »Das Familiensystem ist nur eine Idee, die uns alle vom Wege abgebracht hat. Es ist besser, das Konzept des Familiensystems völlig beiseite zu lassen und über die Behandlungseinheit als Bedeutungeinheit zu reflektieren« (Boscolo et al. 1988). Dies paßte zu der Entwicklung in anderen Feldern. In der Chemie entdeckte Prigogine, wie in chemischen Prozessen scheinbar »wie von selbst« neue Ordnungen, die »dissipativen Strukturen« (vgl. S. 63), entstanden. In der Physik wurden mit der Synergetik (Haken 1984) und weitergehend mit der Chaostheorie (Gleick 1990, Kriz 1992) ähnliche Phänomene beschrieben: Systeme können unter bestimmten Randbedingungen durchaus aus sich heraus, »selbstorganisiert«, neue Strukturen entwickeln, sich verändern und nicht nur einmal gefundene Strukturen stabilisieren. Damit wurde die Homöostase als Zentralbegriff der Systemtheorie abgelöst. Jetzt interessierte nicht mehr so sehr das Gleichgewicht, als vielmehr die Veränderung in Systemen, die (im Detail) unvorhersehbar, nicht lokal planbar und oft irreversibel sich von einem zunächst scheinbar stabilen Zustand in neue, oft überraschende Formen hineinentwickelt (man spricht hier dann von »Phasenübergang« vom griechischen »phasis« = Erscheinungsform). »Ordnung durch Fluktuation« wurde zum Schlüsselwort (Jantsch 1982, Dell u. Goolishian 1981). Die Formulierung eines »Zweiten Gesetzes der Systeme«, nach dem »die Dinge immer geordneter werden, wenn man sie sich selbst überläßt« (Makridakis nach Dell u. Goolishian 1981, S. 110), kennzeichnet diese Veränderung der Sichtweise. Besonders nachhaltig beeinflußten Anfang der achtziger Jahre die erkenntnistheoretischen Überlegungen zur Autopoiese (Selbstorganisation) lebender Systeme die Perspektiven der Systemtheoretiker (Maturana u. Varela 1987, Fischer 1991). Der Fokus verschob sich mehr und mehr auf die innere, autonome Selbstorganisationslogik lebender Systeme, auf ihre operationale Abgeschlossenheit und damit auch auf die Grenzen externer Einflußnahme. Die Umwelt erscheint nun nicht mehr als interventionsmächtige Planungsinstanz. Damit werden nun auch Therapeuten nur in der Lage gesehen, das System anstoßen, anregen, verstören und in Eigenschwingung versetzen zu können. Die Idee, daß sie kontrollieren könnten, was im System passiert, wurde aufgegeben. Nach wie vor wird jedoch die Möglichkeit wahrgenom-
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men, daß Systeme von außen zerstört werden können, so daß diese Gedanken nicht das Ende therapeutischer Verantwortung bedeuten. Das Konzept der Autopoiese beinhaltete darüber hinaus noch allgemeine erkenntnistheoretische Aussagen über Leben, Wahrnehmen und anderes: Leben wird als eine Form von Erkennen angesehen, Systeme existieren niemals »wirklich«, sondern die Welt wird durch unsere Wahrnehmung »erschaffen« (ein Satz, der mißverständlich sein könnte; besser: Die Welt ist ohne unsere Wahrnehmung so, wie sie ist, nicht denkbar). So hebt diese Theorie die Unterscheidung in Theorien über die Dinge und Theorien über das Erkennen auf. Damit trifft sie sich mit einem Modell, das, aus der philosophischen Erkenntnistheorie kommend, ganz ähnliche Überlegungen hervorbrachte: mit dem radikalen Konstruktivismus (z. B. von Glasersfeld 1981, von Foerster 1985, eine ausführliche Bibliographie bei Hejl u. Schmidt 1992). In beiden Theorien wird Wirklichkeit als nicht loslösbar vom Beobachter gesehen, der diese Wirklichkeit durch den Akt der Beobachtung erst hervorbringt. Alle unsere Beschreibungen der Wirklichkeit können nicht – wie es das Alltagsverständnis nahelegt – als quasi »fotografische Ablichtungen« einer vorgegebenen Wirklichkeit verstanden werden, sondern vielmehr erscheinen gerade die Beschreibungen selbst als die eigentlichen Bausteine dieser Wirklichkeit, eine subjektlose Theorie gilt als unmöglich (vgl. Lieb 1995). Chaostheorie, Synergetik, dissipative Strukturen, Autopoiese-Konzept und Konstruktivismus haben großen Einfluß auf die Diskussion und die Praxis systemischer Therapie und Beratung seit Anfang der achtziger Jahre. Die Freude an strategisch-kämpferischen Interventionen läßt nach, vielleicht auch der Druck dazu. Da Systeme ohnehin tun, was ihrer Selbstorganisation entspricht, da Weiterentwicklung unvermeidbar ist und da Therapeuten ihre Klientensysteme weder objektiv beschreiben noch instruktiv lenken können, verändern sich auch die Bilder über die Rolle der Therapeuten und Berater. Sie sind nun weniger Experten für »die Sache« – niemand kennt die Situation besser als die Klienten selbst –, sondern eher Experten für die Ingangsetzung hilfreicher Prozesse, sie sind eher diejenigen, die Dialoge ermöglichen, in denen unterschiedliche Wirklichkeitskonstruktionen beschrieben werden und in denen mit alternativen Konstruktionen gespielt wird. Sie sind eher neugierig auf die (oft eigentümliche) Eigen-Logik ihrer Klientensysteme und versuchen deren Nützlichkeit für die Lebenspraxis ihrer Klienten wertzuschätzen; erst im nächsten Schritt werden weitere, ebenfalls mögliche Verhaltens-, Denk- und Fühlweisen hypothetisch durchgespielt, um so die Zahl der Möglichkeiten zu vergrößern.
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Schließlich reflektieren sie ihre eigene Beteiligung an der Erzeugung der Probleme und erwägen manchmal, ob eine Beendigung der Therapie nicht auch die Beendigung des Problems einläuten könnte. Geschichtsschreiber der Systemtheorie bezeichnen die Phase von etwa 1950 bis 1980 manchmal als die der »Kybernetik 1. Ordnung«, eine Phase der Entwicklung von Theorien über beobachtete Systeme. Die Zeit der Entwicklung von Theorien über Beobachter, die ein System beobachten – etwa ab 1980 also –, gilt als die der »Kybernetik der Kybernetik« oder »Kybernetik 2. Ordnung« (z. B. Hoffman 1987, Schiepek 1991): die Prinzipien der Kybernetik werden auf diese selbst angewandt. Ob postmoderne Ideen, wie sie etwa unter dem Slogan »Das Ende der großen Entwürfe« derzeit mit beraterisch-therapeutischer Praxis konfrontiert werden (Schweitzer et al. 1992), sich noch einer Kybernetik 2. Ordnung zuordnen lassen, oder ob sie bereits auf ein Denken jenseits der Systemtheorie verweisen, muß sich noch zeigen.
Kybernetik ist die Bezeichnung für ein wissenschaftliches Programm zur Beschreibung der Regelung und Steuerung komplexer Systeme. In der Familientherapie wurden die Konzepte der Kybernetik schon früh aufgenommen. Erst in der Rückschau zeigt sich, daß vielen der kybernetischen Konzepte die Vorstellung unterliegt, damit Aussagen darüber zu haben, wie ein System »wirklich ist«: es hat Grenzen, Regeln, Subsysteme, Koalitionen usw. Diese »Aussagen auf dem Niveau der Ereignisse« werden heute als »Kybernetik 1. Ordnung« bezeichnet und kritisch gesehen, da sie ein Denken in Begriffen von Kontrolle, Steuerung und Regelung implizieren: »Solange wir kybernetische Analogien gebrauchen, werden wir uns also auch herumschlagen mit Themen wie Macht und Kontrolle und zielgerichtetem Eingreifen« (Boeckhorst 1993, S. 10). Bei der Kybernetik 2. Ordnung werden die kybernetischen Prinzipien auf die Kybernetik selbst bezogen (daher 2. Ordnung), es geht um die »Landkarten«, um die Fragen, wie menschliche Erkenntnis kybernetisch organisiert ist. Es wird bezweifelt, daß es »da draußen« objektiv vom Therapeuten erkennbare Systeme »gibt«. Vielmehr müssen der Beobachter und seine Erkenntnismöglichkeiten als Teil des Kontextes, den er beobachtet, mitkonzeptualisiert werden. Zwangsläufig ergibt sich daraus eine Abgrenzung zu Modellen, die Hierarchie und Kontrolle implizieren.
Der rasche Wandel der jeweils dominanten systemtheoretischen Konzepte muß nicht bedeuten, daß sie nun »verfallen« und unbrauchbar werden. Auch diese stellen ja Versuche dar, die Komplexität psychosozialer Wirklichkeit in Begriffe zu fassen. Wenn man davon ausgeht, daß nur eine Vielfalt der Perspektiven sozialen Wirklichkeiten gerecht wird,
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dann wird es möglich, danach zu suchen, wie Altes zumindest teilweise in Neues integriert werden kann und wo die Versuche früherer Systemtherapeuten auch für die Gegenwart hilfreich sein könnten. Vor zuviel Arroganz (»Was du da machst, ist ja noch Kybernetik 1. Ordnung!«) möchten wir warnen. Es kann durchaus hilfreich sein, Hierarchien, Koalitionen und Subsystemgrenzen zu thematisieren – sofern man nicht glaubt, es gäbe diese wirklich. Und genauso kann es ein möglicher therapeutischer Weg sein, ein Klientensystem durch eine provokante Schlußinterventionen zu verstören – solange man nicht glaubt, es damit in eine bestimmte Richtung steuern zu können (oder gar zu müssen). In diesem Sinn wollen wir im folgenden zum einen verschiedene Aspekte von Systemen (also »Kybernetik 1. Ordnung …«) vorstellen, zum anderen über einige systemtheoretische Konzeptionen, die in der jüngeren Vergangenheit besonders diskutiert worden sind, einen Überblick geben.
2.3. Was »ist« ein System? Hier geht es schon los: der Systembegriff erweist sich bei genauerem Hinsehen als schillernd. Einigkeit besteht in sehr globalen Definitionen, etwa bei Hall und Fagen (1956), die ein System als »Satz von Elementen oder Objekten zusammen mit den Beziehungen zwischen diesen Objekten und deren Merkmalen« verstehen (S. 18). Doch was heißt das? Zum einen ist es fraglich, ob es sinnvoll ist, Objekte von ihren Eigenschaften zu trennen. Kriz (1985, S. 230) kritisiert zu Recht, daß es nicht um Beziehungen zwischen Objekten und deren Merkmale gehen könne, wenn es doch gerade die Merkmale sind, die die Beziehungen zwischen den Objekten repräsentieren. Zum anderen macht es doch offenbar einen Unterschied, ob ich ein Heizungssystem mit Brenner, Heizung und Temperaturregler als System konzeptualisiere, oder eine Seidenspinnerraupe, einen Ameisenhaufen, einen Menschen oder gar eine Familie, eine Gesellschaft. Wer oder was ist zum Beispiel in einer Familie ein »Regler« und wer »dreht« wie an ihm? Und dann wird das, was ein System ist, ja auch nicht (nur) über seine Innenwelt definiert. Ein System wird immer erst dann als solches erkennbar, wenn es von einer Umwelt unterschieden werden kann, das heißt, es geht offenbar gar nicht ohne den Beobachter, der die Entscheidung darüber trifft, was er oder sie als »System«,
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was als Umwelt betrachtet. Systeme entstehen dadurch, daß ein Unterschied gemacht wird zwischen Elementen, die »innen« (im System) und »außen« (in der Umwelt) sein sollen. Willke (1993) definiert System daher als »einen ganzheitlichen Zusammenhang von Teilen, deren Beziehung untereinander quantitativ intensiver und qualitativ produktiver sind als ihre Beziehungen zu anderen Elementen. Diese Unterschiedlichkeit der Beziehungen konstituiert eine Systemgrenze, die System und Umwelt des Systems trennt« (S. 282).
Wir kommen also dazu, Systeme und den Prozeß der Unterscheidung als eng miteinander verbunden anzusehen. Eine erste Unterscheidung, die man vornehmen kann, ist dann die zwischen lebenden und nichtlebenden Systemen. Offenbar gelten in beiden völlig unterschiedliche Dynamiken. Plastisch wird dies, wenn man die Fragen, die man stellt, wenn man eine Beule im Auto eines Freundes sieht, mit den Fragen vergleicht, wenn man eine Beule im Kopf des Gegenübers wahrnimmt: In beiden Fällen wird man zunächst vermuten, daß irgendeine Kraft auf das System eingewirkt und es deformiert hat. Doch während man sich beim Auto nicht wundern wird, drei Wochen später dieselbe Beule zu entdecken und höchstens vielleicht fragt: »Warum hast du das denn noch nicht weggemacht?«, wird man bei der Beule im Kopf des Gegenübers, wenn sie nach drei Wochen noch genauso frisch ist wie am ersten Tag, eher genau umgekehrt fragen: »Warum hast du das denn immer noch?« und damit implizit: »Was hast du dafür getan, um die Beule aufrechtzuerhalten?« (s. Simon 1990, S. 28f). Der Unterschied ist offenbar, daß lebende Systeme sich durch eine besondere Eigendynamik auszeichnen, die sie aktiv aufrechterhalten – z. B. durch ein bestimmtes Verhalten, sei es daß der Betreffende täglich vor einen Schrank läuft, der ihm im Weg steht, oder sich täglich neu mit dem Hammer auf den Kopf schlägt, »weil es so schön ist, wenn der Schmerz nachläßt …«. Für lebende Systeme gilt also: »Alles verändert sich, es sei denn, irgendwer oder – was sorgt dafür, daß es bleibt, wie es ist« (Simon 1990, S. 29). Heinz von Foerster prägte für diese Unterscheidung den Begriff der »trivialen vs. nichttrivialen Maschinen«. Erstere sind für einen Beobachter potentiell vollständig durchschaubar und von ihm steuerbar – zumindest theoretisch, nämlich wenn er hinreichend kompetent ist und alle Informationen verfügbar hat. Nichttriviale Systeme sind dagegen in ständigem Wandel und weisen eine Eigendynamik auf, die sich der genauen Analyse und Beeinflussung von außen entzieht.
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Die Unmöglichkeit, ein nichttriviales System zu berechnen Ein Beispiel für ein triviales System: nehmen wir eine schwarze Kiste, in die wir nicht hineinsehen können. Auf der einen Seite sind vier verschiedenfarbige Knöpfe angebracht und auf der anderen vier Lampen, ebenfalls z. B. rot, gelb, grün, blau. Das Innenleben ist unbekannt. Ein Untersucher, der nun Aussagen darüber machen möchte, drückt auf den gelben Knopf, die gelbe Lampe leuchtet auf, dasselbe bei den anderen Farben. Das System ist hoch vorhersagbar, die Verknüpfungen sind eindeutig. Viele Maschinen, Geräte usw. folgen diesem Prinzip. Ganz anders ist dies bei nichttrivialen Systemen. Um es wieder ganz einfach zu machen, stellen wir uns äußerlich wieder die gleiche Kiste vor, nur mit dem Unterschied, daß sie über zwei innere Zustände verfügen kann: den Zustand A und den Zustand B. Wir können nun A »gute Laune« nennen, B »schlechte Laune«. Und wie wir das auch kennen, das, was außerhalb passiert, ist mit unserer Laune verknüpft. Nehmen wir also an, daß jedes Drücken des Knopfes eine Auswirkung auf die Laune hat, und zwar, indem es sie entweder ändert oder bestätigt: Zustand A: »Gute Laune« (+) Zustand B: »Schlechte Laune« (–) Das System reagiert wie folgt: Das System reagiert wie folgt: Knopf: Lampe: Laune wird: Knopf: Lampe: Laune wird: rot rot + rot grün + gelb gelb – gelb blau + grün grün + grün gelb – blau blau – blau rot –
Ein Forscher gerät hier an den Rand der Verzweiflung: Zunächst gibt er rot ein, es kommt rot, dann gibt er gelb ein, es kommt gelb, dann gibt er wieder rot ein, nun kommt aber grün usw. Es gibt bereits hier 2 hoch 16 = 65 536 mögliche Kombinationen. Wenn man die Zustände nur um ein weniges mehr steigert, nehmen wir vier Eingabe- und Ausgabewerte (etwa: gute/schlechte Laune, erregt/gehemmt, euphorisch/schüchtern, wütend/ erfreut), so kommen wir bereits auf 10 hoch 970 Mill. Verhaltensmöglichkeiten des Systems, eine Zahl, die jenseits aller Berechenbarkeit liegt, sie ist »transcomputional«. Und doch ist das nur eine geringfügige Zustandskomplexität verglichen mit einem Tier, einem Menschen oder gar einer Familie. In all diesen Fällen ist die Annahme eines einfachen Ursache-Wirkungs-Denkens unhaltbar! (nach: von Foerster 1988a, Simon 1991)
Lebende, dynamische Systeme verfügen offenbar über eine potentiell unendlich große Bandbreite von Möglichkeiten, sich zu verhalten. Damit stellt sich die Frage, wieso wir in solch dynamischen Systemen überhaupt miteinander leben können, wieso uns der Bäcker am Morgen mit Brötchen bedient, obwohl es doch bei dem Universum seiner Möglichkeiten äußerst unwahrscheinlich ist, daß er überhaupt zweimal hintereinander das gleiche tut. Und plötzlich sind wir mittendrin in der Frage, wie Ordnung entsteht: Was sind das für Ordnungen, die lebende
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Wesen miteinander entwickeln, um ihre potentiell grenzenlose Komplexität zu reduzieren und dafür zu sorgen, daß sie füreinander vorhersagbar werden? Wie geschieht das in Systemen, daß die Möglichkeiten der einzelnen soweit eingeschränkt, »trivialisiert« werden, daß wir uns aufeinander verlassen können – und daß gleichzeitig trotzdem möglichst noch soviel Spielraum bleibt, daß das Leben interessant bleibt, daß es freundliche und unfreundliche Bäcker gibt, die Schrippen, Milchbrötchen und Mehrkornbrot anbieten, mal etwas teurer, mal etwas billiger, die aber eben doch letztlich ihre Mitmenschen mit einem bestimmten Nahrungsmittel versorgen. Und wie sehen Systeme aus, in denen diese Prozesse der Einschränkung die Mitglieder so sehr auf die Funktionsbedingungen des jeweiligen Systems hin ausrichten, daß nur noch wenig Spielraum bleibt, daß den einzelnen der Zugang zu ihrer »potentiellen Komplexität« (von Foerster 1988a, S. 33) fast ganz verlorengeht?
2.4. Kybernetik 1. Ordnung: Teil und Ganzes, Grenzen, Regeln Das Verhältnis von Teil und Ganzem: Subsysteme und Umwelten Wenn man wie in der älteren Systemtheorie Systeme als real existierende Einheiten betrachtet – wenn man also aus heutiger Sicht gesehen »so tut, als gäbe es Systeme« – dann kann untersucht werden, wie sie ihre Funktionen über die Differenzierung in Subsysteme ausüben. Um eine stabile Struktur zu halten, ist ein System ab einem bestimmten Komplexitätsgrad gehalten, Subsysteme auszubilden – bei einem zu hohen Vernetzungsgrad ohne Subsystembildung sinkt die Stabilität. Man spricht dann vom »too richly cross-joined-system« (Hoffman 1975). In gewissen Familien kann es dann bedeutsamer sein, Kommunikationen eher zu blockieren statt sie zu fördern. Es gibt viele Möglichkeiten der Subsystembildung. Jedes System läßt sich zunächst nach innen hin in Subsysteme untergliedern. Bei der Familie kann dies das elterliche, das Geschwister-Subsystem oder das der männlichen und das der weiblichen Mitglieder sein. Aber auch andere Aufteilungsformen sind denkbar hinsichtlich weicherer Kategorien: die »Fußballiebhaber« sind möglicherweise ein anderes Subsystem als die »Kinogänger«. Nach außen hin kann man ein System als
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Teil eines größeren Systems sehen, in das es quasi eingebettet ist, eine Schulklasse ist Teil der Schule, diese wiederum Teil des Schulsystems als Subsystem der Gesellschaft oder ähnliches. Eine besondere Bedeutung wird oft der Abgrenzung des elterlichen Subsystems im Kontext der Gesamtfamilie beigemessen (besonders in der strukturellen Familientherapie). Da, wo dessen Funktion und Abgrenzung unklar ist, wird der Bestand der Familie als bedroht gesehen. Ein geordnet verlaufender Entscheidungsprozeß – so die Überlegungen – verlangt klare Grenzen. Wenn die Ehepartner die Entscheidungen des anderen jeweils boykottieren oder wenn die Kinder gezwungen sind, Entscheidungen zu treffen, mit denen sie überfordert sind, kann es zu Symptomen kommen, die auf die Störung im Kommunikationssystem Familie hinweisen. Das bedeutet nicht, daß Kinder nicht am Entscheidungsprozeß beteiligt sein sollten (die autoritäre Familie ist auch in Modellen der Kybernetik erster Ordnung nicht Idealbild!), sondern, daß ihnen keine Elternfunktionen übertragen werden dürfen: Kinder leben in einer Situation ungleich verteilter Macht, und es ist Bestandteil sozialen Lernens, daß sie lernen, in solchen Situationen zu verhandeln (Minuchin 1977) und die Erfahrung machen: »Ich bin nicht allmächtig und ich bin nicht ohnmächtig!« (Cohn 1975). Die Beteiligung von Kindern an Elternfunktionen, manchmal auch an Partnerfunktionen wird bei Stierlin als »Parentalisierung« bezeichnet, für Haley (1980) ist dieses Muster das Kennzeichen sogenannter »perverser Dreiecke«, in vielen der »klassischen« familientherapeutischen Modelle das zentrale Merkmal dysfunktionaler Familienstrukturen. Die zuletzt beschriebenen Aspekte zeigen sehr deutlich, wie schnell die Verwendung systemischer Begriffe aus der »Kybernetik 1. Ordnung« in normative Beschreibungen übergehen kann – und dann wieder Einschränkung produziert statt Möglichkeiten zu öffnen. Es ist eine ständige Herausforderung für die systemische Therapie, sich dieser Gefahr bewußt zu sein.
Grenzen »Stellen Sie sich vor, ich sei blind und ich benutzte einen Stock. Ich mache tap, tap, tap. Wo fange ich an? Ist mein geistiges System an dem Griff des Stockes zu Ende? Ist es durch meine Haut abgegrenzt? Fängt es in der Mitte des Stockes an? Oder beginnt es an der Spitze des Stockes? Aber das sind alles unsinnige Fragen. Der Stock ist ein Weg, auf dem Umwandlungen von Unterschieden übertragen werden. Die richtige Weise, ein System abzugrenzen, besteht darin, die Grenzlinie so zu ziehen, daß man keinen dieser Wege in einer Weise durchschneidet, die die Dinge unerklärbar macht. Wenn das, was man zu erklären versucht, ein gegebenes Stück
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Verhalten ist, etwa die Fortbewegung eines Blinden, dann wird man hierfür die Straße, den Stock und den Mann benötigen, die Straße, den Stock und so weiter, immer wieder im Kreis herum. Wenn sich der Blinde aber hinsetzt, um zu essen, werden sein Stock und dessen Nachrichten nicht mehr relevant sein – sofern es das Essen ist, was man verstehen möchte« (Bateson 1981, S. 590).
Wieder stößt man hier auf den Beobachter, der den Begriff »Grenze« als Kategorie nutzt, um zu beschreiben, wie sich die Beziehung (man spricht hier auch von »struktureller Koppelung«) zwischen einem Menschen und seiner Umwelt bzw. einer Gruppe von Menschen und ihrer Umwelt gestaltet. Grenzen sind in sozialen Systemen das, was für die Zelle ihre Membrane ist. Sie ermöglichen Abgrenzung gegen die Umwelt und damit Identitätsbildung und regulieren die kommunikative Abschottung oder Anschlußbereitschaft des Systems. Grenzen können mehr oder weniger durchlässig sein. Anschaulich zeigt sich das am Unterschied zwischen der früheren Berliner Mauer und den heutigen Bezirksgrenzen innerhalb Berlins. In Physik und Chemie werden diese Grenzen durch atomare, elektromagnetische oder Gravitationskräfte bestimmt, in der Zellbiologie durch Membrane. In sozialen Systemen hingegen entstehen Grenzen durch Vereinbarungen darüber, was und wer zum System dazugehören und nicht dazugehören soll. Über die Mitgliedschaft definiert ein soziales System stets auch, was den Kern seiner Identität, seine Sinngebung ausmacht. Beispielsweise definiert sich eine Kernfamilie dadurch, daß weder die Oma (weil zu »Großfamilie« gerechnet), noch die Chefin des Vaters (weil zu »Arbeit« gerechnet), noch der Freund der Tochter (weil zu »Freunde« gerechnet), dazugehören sollen. Staaten müssen sich die Frage stellen, ob sie den Sinn ihrer Mitgliedschaft in ethnischer Blutsverwandschaft (»Nationalstaat«) oder auf faktischem Zusammenleben begründen wollen (»Multikulturelle Gesellschaft«).
Soziale Systeme konstituieren ihre Grenze also entlang der Frage, welches ihr Sinn sein soll, und welche Elemente und Operationen zu ihnen gehören sollen und welche nicht. Bei der Beschreibung von Familien lassen sich verschiedene Grenzen unterscheiden: Minuchin unterscheidet drei verschiedene Qualitäten: starre, klare und diffuse Grenzen, je nachdem, wie die Subsysteme in der Familie voneinander und wie die Familie nach außen abgegrenzt sind (ausführlich hierzu Minuchin 1977). »… die Ausgrenzung eines ›Systems‹ (unterhalb der gesamten ›Weltevolution‹) und die Trennung zwischen ›System‹ und ›Umwelt‹ ist ein Artefakt, dessen Konstruktion für unseren begrenzten menschlichen Geist im Hinblick auf die Beantwortung bestimmter Fragen notwendig ist und sinnvoll sein kann. Gleichwohl ist wichtig, sich dieser artifiziellen Begrenzung bewußt zu sein« (Kriz 1996).
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In der systemischen Therapie und Beratung ist das Offenlegen, Definieren und Infragestellen bisheriger Grenzziehungen oft ein wichtiges Gesprächsthema. Das Thema zeigt sich vielfach bereits szenisch an der Frage, wer an Gesprächen teilnimmt und wer nicht: Ob der verantwortliche Oberarzt, der Leiter einer Verwaltungsabteilung oder der Geschäftsführer bei einer Teamsupervision dabeisein soll oder nicht, zeigt oft, ob die Mitarbeiter ihn sich engagiert und informiert wünschen, oder ob er sich eher raushalten soll. Ob die 19jährige Frau mit Eßstörungen mit ihren Eltern oder allein zur Therapie kommen will, zeigt etwas über ihre Individuationsbestrebungen. Der Wunsch, sich in der Sitzung mit den Großeltern auseinanderzusetzen oder sie lieber »draußen zu halten«, kann je nach Kontext über Selbstvertrauen der mittleren Generation oder über Abgrenzungswünsche und -versuche Auskunft geben.
Innerhalb der Sitzungen kann durch die Nutzung der Einwegscheibe oder durch räumliche Abgrenzung mit neuen Grenzziehungen experimentiert werden, zwischen zwei Gesprächen kann dies durch Rituale oder Experimente geschehen. Ein Teil der Familie kann hinter der Einwegscheibe mitverfolgen, wie die anderen ihre Subsystemkonflikte auch ohne Einmischung erfolgreich besprechen. In der strukturellen Familientherapie gehört es zum Handwerkszeug, mit der Sitzordnung zu experimentieren, beispielsweise ein zwischen den Eltern sitzendes Kind zu seinen Geschwistern zu setzen. Voneinander entfremdete Geschwister haben durch die in Anwesenheit der Eltern ausgesprochene Empfehlung, Geheimnisse vor den Eltern bewußt zu hüten, die Chance, eine verschworene Gemeinschaft zu bilden. Ein isolierter Dienststellenleiter kann zu einer Teamsitzung eingeladen werden, ein überlasteter Teamleiter kann seine Mitarbeiter bitten, Routinebesprechungen probeweise für drei Monate ohne ihn abzuhalten.
Regeln Die Einschränkungen der Verhaltensoptionen der Mitglieder eines Systems lassen sich gut über Regeln beschreiben. Der Regelbegriff ermöglicht es, immer wiederkehrende Verhaltensweisen auf einer höheren Abstraktionsebene zu beschreiben beispielsweise: »In dieser Familie ist man entweder stark, aktiv und helfend oder schwach, passiv und krank«, »Beziehungen werden nicht definiert« oder: »In dieser Familie wird nicht über Gefühle gesprochen«. Regeln sind Beschreibungen eines Beobachters, der Rückschlüsse darauf zieht, wie sich die Mitglieder eines Systems darauf geeinigt haben, Wirklichkeit zu definieren, welche Bedeutung sie den Dingen zuweisen und welches Verhalten sie als »möglich« oder »unmöglich« ansehen. Ihre typische Form ist: »Immer wenn … dann …«. Sie lassen sich sowohl als Beschreibungen
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(Deskriptionen): »So ist es in der Familie« als auch als Verhaltensanweisungen (Präskriptionen) »Wenn …, dann tue …« formulieren. Regeln können von den Systemmitgliedern selbst formuliert werden, wenn sie Teil ihrer Selbstbeschreibung geworden sind. Man spricht dann von expliziten Regeln. Viel häufiger aber sind implizite Regeln: sie werden oft meist erst dann deutlich und formulierbar, wenn sie übertreten wurden und dies als Problem bewertet wird. Die Erfahrung zeigt, daß es für Therapeuten und Berater hilfreich ist, zentrale Familienregeln zu formulieren, die in einen sinnvollen Zusammenhang mit symptomatischem Verhalten gestellt werden können. Wo einengende Regeln gelten, greifen die Familienmitglieder oft zu komplizierten Umwegen. In einer Familie, in der zum Beispiel Bedürfnisse nicht ausgesprochen werden dürfen, werden die einzelnen in umständlicher Weise versuchen, die anderen davon zu überzeugen, daß sie vielleicht gern genau das täten, was man eigentlich selbst tun will.
2.5. Von der Homöostase zu Fluktuation, Chaos und Synergetik Das Homöostase-Konzept Die frühe Systemtheorie hat sich vor allem dafür interessiert, wie Systemparameter unter wechselnden Umweltbedingungen konstant gehalten werden können – also für die Bedingungen des Gleichgewichts, der Homöostase. Homöostase wird durch negatives Feedback sichergestellt: Eine Abweichung vom Gleichgewichtszustand wird wahrgenommen und löst eine regulierende Handlung aus, die den Parameter auf den alten Wert zurückführt. Wir füllen zum Beispiel den Tank neu auf, wenn die Anzeige im Auto absinkt; wir geben dem Pferd die Sporen, wenn das Tempo absinkt, oder wir versuchen ein vergleichbares Ergebnis über Schläge oder Schuldgefühle bei unserem Kind zu erzielen. Positives Feedback hingegen heißt: Auf die Rückmeldung einer Abweichung vom Sollzustand folgen Handlungen, die das System noch weiter vom Gleichgewichtszustand wegbringen in Richtung auf Eskalation: Der Vater schlägt das Kind, das Kind schlägt zurück, daraufhin schlägt der Vater noch massiver zu und so weiter.
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Das Homöostasekonzept setzt einen Sollzustand, einen Idealzustand, voraus, an dem gemessen der Istzustand bestenfalls identisch, im Regelfall aber eine Minusvariante ist. Darin steckt eine implizite negative Konnotation real existierender Systemzustände – sie sind tendenziell dauernd korrekturbedürftig. In der Therapie wird es schwer, den familiären Umgang in wertschätzender Weise zu beschreiben. Aus systemischer Sicht führt das Konzept zu zwei Problemen. Zum einen verleitet es Therapeuten dazu, den Sollzustand von außen zu definieren, zum anderen fehlt darin die Möglichkeit, daß ein System sich von sich selbst aus in neue, unvorhergesehene, kreative Zustände versetzen kann. Schließlich schreibt es Systemen zu einseitig eine konservative Tendenz zur Beharrung zu. Diese Sicht wurde im Lauf der Zeit zunehmend als mechanistisch angesehen: »Organismen streben nicht auf Gleichgewichtszustände und Homeostasis zu, wie mechanistisch-atomistische Natur- und Menschenbilder bis hin zur Freudschen Psychoanalyse es postulieren … statt dessen trotzen Organismen gerade dem zweiten thermodynamischen Hauptsatz und produzieren Ordnung statt Entropie … Daß Systeme über hyperzyklische, metabolische und schließlich sinnkonstituierende Prozesse Ordnung (Negentropie) ›unwahrscheinliche‹ Zustände und organisierte Komplexität produzieren und daß diese organisierte Komplexität Gesetzmäßigkeiten aufweist, welche sich nicht auf die Gesetze der Physik reduzieren lassen, dies gibt … der Theorie lebender Systeme ihre besondere Bedeutung« (Willke 1991, S. 98f).
Die dem Homöostasemodell unterliegenden Vorstellungen von Ordnung hatten ihre Entsprechung in bekannten Menschen- und Gesellschaftsbildern. Es war eigentlich keine andere Ordnung denkbar als die von »Law and Order«, die zu ständigem Eingreifen zwingt, in der ständig von außen durch Interventionen der Istzustand dem Sollzustand angeglichen werden muß (vgl. die Kritik von Kriz 1992a, S. 17ff). Neue Antworten auf die Frage, ob denn überhaupt eine andere Form von Ordnung möglich sei, bereiteten sich aber bereits langsam vor. Eine ganze Reihe von verschiedenen Theorien in den unterschiedlichsten Feldern beschäftigte sich mit immer wieder der gleichen Frage: Wie und unter welchen Bedingungen organisieren sich Systeme von selbst, wie entsteht Ordnung? Es waren zunächst meist naturwissenschaftliche Theorien: Die Theorie der dissipativen Strukturen entstand in der Chemie, die Synergetik in der Physik, die Autopoiese-Theorie in der Biologie. Die Geistes- und Sozialwissenschaften haben von diesen Theorien Anleihen gemacht, und, ob zurecht oder nicht: die systemische Therapie hat viel von dem Gedankengut aufgegriffen.
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»Jenseits der Homöostase«: Fluktuation Der belgische Physiker und Nobelpreisträger Prigogine entdeckte bei seinen Forschungen über die Selbstorganisation chemischer Prozesse erstaunliche Phänomene: In hochvernetzten, dynamischen Systemen können sich unter bestimmten Bedingungen spontan Ordnungen entwickeln, ohne daß es eine ordnende Instanz von außen gibt. Prigogine entdeckte, daß aus Abweichungen von einem zunächst stabilen Gleichgewichtszustand unter Energieverbrauch neue Organisationsformen entstanden, er nannte sie »dissipative Strukturen«, um damit ein Paradox zu beschreiben (Prigogine u. Stengers 1981, S. 21): Dissipation (»Zerstreuung«) läßt an Chaos und Auseinanderfallen denken, Struktur ist das Gegenteil davon. Dissipative Strukturen sind Systeme, die ihre Stabilität und ihre Identität nur dadurch behalten, daß sie ständig für die Strömungen und Einflüsse ihrer Umgebung offen sind, ständig im Wandel (Briggs u. Peat 1990, S. 207). Bei Systemzuständen, die vom Gleichgewicht stark entfernt sind, kann, eventuell nur einfach zufällig, ein kritischer Wert überschritten werden, jenseits dessen das System nicht mehr in den früheren Zustand zurückkehrt, sondern in einen neuen, nicht vorhersehbaren. In der Meteorologie ist dies als Schmetterlingseffekt bekannt: in hochgradig instabilen Systemen schwanken die Wahrscheinlichkeiten der Prozeßabläufe häufig um etwa 50 %; es ist unvorhersagbar, ob das System in den einen oder den anderen Zustand fällt (man spricht in diesem Zusammenhang auch von »Bifurkation«, s. Kriz 1992). Hier sind dann die winzigsten Zufälle bedeutsam, beispielsweise der Flügelschlag eines Schmetterlings: »Kleine Ursachen können riesige Wirkungen zeitigen« (Hüfner 1987). Wenn es gerade der durch den Schmetterling erzeugte Luftstrom ist, der dazu führt, daß der eine Systemzustand zu 50,0000000000000001 % Wahrscheinlichkeit eintritt und der andere eben zu 49,9999999999999999 % nicht, dann hat genau dieser Flügelschlag vielleicht einen Hagelsturm »verursacht«. Hier wird bereits deutlich, wie unsinnig es ist, in diesen komplexen Zusammenhängen mit dem Ursachen-Konzept zu operieren (vgl. hierzu S. 90–93). Diese Erkenntnisse unterstützten die Tendenz in der systemischen Therapie, die Gespräche nicht so sehr als Gelegenheit des »Durcharbeitens«, vielmehr als Anregung zu verstehen. Interventionen sind eher dem »Schlag des Schmetterlingsflügels« vergleichbar, der in einem komplex vernetzten System die Turbulenzen anregen, verstärken kann. Auch unterstützten diese Überlegungen die Idee, daß es auf die Erzeu-
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gung und Nutzung von »Zuständen weit vom Gleichgewicht« ankomme, also auf Interventionen, die bisherige Bilder eher verstören als verfestigen. Gleichzeitig ist jedoch die Kontrolle über mögliche entstehende Muster nicht möglich, das System sucht sich den eigenen Bedingungen gemäß einen neuen Attraktor selbst: es wird etwas Neues entstehen, doch was es ist, entzieht sich therapeutischer Kontrolle.
Synergetik: vom Chaos zur Struktur Die Synergetik wurde von dem deutschen Physiker Haken entwickelt (Haken 1987, Kriz 1992a). Ihre Kernfragen lauten: »Wie entsteht Ordnung?« und: »Gibt es allgemeingültige Prinzipien der Selbstorganisation, unabhängig von der jeweiligen Natur der Teile?« Als eine »Feldtheorie« (vergleichbar der psychologischen Gestalttheorie der 20er und 30er Jahre) untersucht sie, wie die Teile in einem Feld zusammenwirken (»Syn-Ergetik«) und ihr Verhalten selbst organisieren, so daß sich für das Ganze eine bestimmte Ordnung, eine Struktur ergibt, die dann neue, makroskopische Eigenschaften zeigt. Analysiert wird, wie verschiedene Komponenten so zusammenwirken, daß ein »kooperatives Verhalten« der Teile zur Selbstorganisation des Gesamtsystems beiträgt. Gut erkennbar ist dies bei physiologischen Vorgängen, bei denen eine Vielzahl von Einzelkomponenten (z. B. Zellen) damit befaßt ist, sich im Sinne der Gesamtheit (z. B. Körper) zu koordinieren. Interessant ist aber, daß sich solche Prozesse auch in physikalischen Systemen finden, wo sich unter bestimmten Bedingungen Moleküle plötzlich synergetisch verhalten, so als hätten sie sich über eine gewisse Entfernung hinweg darauf verständigt, sich gemäß der Funktionsbedingungen des Gesamtsystems zu verhalten. Haken entdeckte dieses Phänomen zuerst beim Laserstrahl. Wenn man einer LaserLampe, in der Gas-Moleküle ungeordnet herumfliegen, Energie zuführt, dann kommt es nach einiger Zeit zu einem Zustand, der so aussieht, als ob die chaotisch fluktuierenden Atome sich »verabreden«. Sie entwickeln ein geordnetes Muster, und zwar selbstorganisiert, also ohne daß irgendeine Instanz von außen diese Ordnung vorgibt. So entsteht die gleichmäßige Laserlichtquelle (1987, S. 39). Haken spricht hier von »Ordnern«, also bestimmten Strukturen, die zwar einerseits durch die Elemente erzeugt werden, sie aber ihrerseits wieder »versklaven«, indem sie dem Verhalten der Elemente eben diese Ordnung aufzwingen: »Langlebige, langsam veränderliche Größen versklaven kurzlebige, schnell veränderliche Größen« (Haken 1987). Ein Muster-
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beispiel eines »Ordners« ist die Sprache, die als »langlebige Größe« jedem, der sich ihrer bedient, ihre Gesetzmäßigkeiten aufzwingt (andere psychologisch relevante Ordner: Sitten und Gebräuche, Schule, Kultur, Familie). »… die spontane Entstehung geordneter Strukturen in offenen Systemen (ist) kein Einzelfall, sondern ist in Natur und Technik weit verbreitet. Dies führte mich … dazu, ein interdisziplinäres Forschungsgebiet zu begründen, das ich SYNERGETIK nannte und das sich als erstes der systematischen Behandlung derartiger Übergänge von mikroskopischem Chaos zu makroskopischer Ordnung widmet. Wie die … Theorie zeigte, wird die Ordnung in den verschiedenen Systemen durch ganz bestimmte Veränderliche, die sog. Ordner, bestimmt. Im Beispiel des Laserlichts ist die Lichtwelle ein solcher Ordner. Diese kann die Bewegung der Elektronen in den Atomen in seinen Bann zwingen, … sie versklavt die Atome. Umgekehrt kommt das Lichtfeld erst durch die Lichtausstrahlung der Atome zustande, so daß wir eine zirkuläre Kausalität vor uns haben. Das Verhalten des einen bedingt das Verhalten des anderen« (Haken 1988, S. 67f).
Es wird beobachtet, wie sich auf verschiedenen Systemebenen neue Strukturen und Regelmäßigkeiten bilden (»Emergenz«) und wie sich solche Regelmäßigkeiten verändern (»Phasenübergang«). So zeigt sich das Laserlicht in einem gewissen Bereich recht stabil, doch wenn man die Randbedingungen stark verändert (Energiezufuhr), dann kommt es zum Umschlag in einen anderen Systemzustand. Die von der Synergetik untersuchte Dynamik von »Chaos« und »Selbstorganisation« spiegelt Erfahrungen aus der Therapie wider: Mit einer Variation der Umweltbedingungen (Gespräch) kann ein System (Familie) zwar möglicherweise in einen neuen qualitativen Zustand übergehen (also, wie man auch sagt, einen neuen »Attraktor« aufsuchen, ein neues Muster). Welcher Zustand dies jedoch ist (Streit, Trennung, Familienfrieden), ist nicht durch die Randbedingungen (Gesprächsführung) determinierbar. Dabei sind die Zusammenhänge zwischen der Veränderung der Umgebungsbedingungen und der des Systems nichtlinear, das heißt das Prinzip der »starken Kausalität« gilt nicht,: kleine Ursachen können große Wirkungen haben. Und umgekehrt: »Je nach Systemzustand (d. h. der bisherigen ›Geschichte‹ des Systems) können große Umgebungsveränderungen ggf. überhaupt nichts bewirken, während andererseits minimalste Einflüsse große Veränderungen auslösen können« (Kriz 1995, S. 159). Für die Therapie bedeutet das, die chaotischen Prozesse nutzen zu lernen, um dem System zu helfen, von einem als unbefriedigend erlebten Ordnungszustand in einen anderen
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Abbildung 2 (aus: til mette 1993) überzugehen. Tschacher betont, »daß es irgendwann … notwendig ist, den Übergang in ein neues dynamisches Regime, einen neuen Attraktor anzuregen … Der Übergang (Phasenübergang …) in den neuen Attraktor ist der ›energieaufwendigste‹ Schritt innerhalb der Therapie … Die zugehörige Therapiephase ist ›heiß‹: konfrontativ,
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emotional, intensiv.« (1990, S. 156f). Welcher neue Ordnungszustand sich aus einer solchen »heißen«, engagierten Phase ergibt, ist nicht im vorhinein bestimmbar. Eine explizit von der Synergetik ausgehende Theorie psychotherapeutischer und systemtherapeutischer Prozesse stellt die »personzentrierte Systemtheorie« dar (S. 74–77). Eine aus der Selbstorganisationstheorie abgeleitete Methodik ist die »Musterunterbrechung« bzw. die »Unterlassungsintervention« (s. Lenz et al. 1995; auch S. 188), bei der versucht wird, durch Unterbrechung eines alten Musters eine Phase von Instabilität zu erzeugen, in der das System einen neuen möglichen Attraktor aufsuchen kann.
2.6. Wie Leben sich selbst erzeugt: Die Theorie autopoietischer Systeme Die chilenischen Biologen Humberto Maturana und Francisco Varela haben Konzepte über die Eigentümlichkeiten lebender (biologischer) Systeme entwickelt, die diese von physikalisch-chemischen Systemen in der unbelebten Natur und von technischen, vom Menschen gemachten Systemen unterscheiden. Diese Ideen sind mit einer gewissen Faszination auch auf psychische und soziale Systeme angewandt worden, wobei die Berechtigung dieser Übertragung kritisch diskutiert wurde (auch von Maturana u. Varela selbst z. B. 1987, s. a. Maturana im Gespräch mit Riegas u. Vetter 1990; eine Auflistung verschiedener kritischer Beiträge gibt Jones 1993, S. 23ff). Ludewig nennt als Kernthesen der biologischen Kognitionstheorie Maturanas und Varelas: – »Menschliches Erkennen ist ein biologisches Phänomen und nicht durch die Objekte der Außenwelt, sondern durch die Struktur des Organismus determiniert. – Menschen haben ein operational und funktional geschlossenes Nervensystem, das nicht zwischen internen und externen Auslösern differenziert; daher sind Wahrnehmung und Illusion, innerer und äußerer Reiz im Prinzip ununterscheidbar. – Menschliche Erkenntnis resultiert aus ›privaten‹ Erfahrungen, ist als Leistung des Organismus grundsätzlich subjektgebunden und damit unübertragbar. – Der Gehalt kommunizierter Erkenntnisse richtet sich nach der biologischen Struktur des Adressaten« (Ludewig 1992, S. 59).
Der Kernbegriff der Theorie ist Autopoiese (aus dem Griechischen, wörtlich »Selbst-Erzeugung«). Bei allen Lebewesen sind deren Kom-
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ponenten zu einer autopoetischen, also sich selbst erzeugenden Organisation verknüpft. Sie produzieren und reproduzieren beständig sowohl ihre einzelnen Elemente als auch die Organisation der Beziehungen zwischen diesen Elementen in einem selbstrückbezüglichen (rekursiven) Prozeß – vereinfacht: Sie reproduzieren die Elemente, aus denen sie bestehen, mit Hilfe der Elemente, aus denen sie bestehen. Ein Beispiel dafür ist die Zelle. Sie ist eine Molekülfabrik, die fortwährend ihre Bestandteile (Moleküle) erzeugt und dabei zugleich jene Elemente (Membrane), die die Zelle nach außen abgrenzen und damit wiederum die Weiterproduktion von Molekülen ermöglichen. Autopoietische Systeme werden folgendermaßen charakterisiert: – Sie sind strukturell determiniert, das heißt die jeweils aktuelle Struktur determiniert, in welchen Grenzen sich ein Lebenwesen verändern kann, ohne seine autopoietische Organisation zu verlieren, also zu sterben. – Sie haben keinen anderen Zweck, als sich selbst zu reproduzieren. Alle anderen Behauptungen über ihren Sinn werden durch Beobachter an sie herangetragen. – Sie sind operationell geschlossen, das heißt sie können nur mit ihren Eigenzuständen operieren und nicht mit systemfremden Komponenten. Operationelle Geschlossenheit meint etwas ganz anderes als informationelle Geschlossenheit. Lebende Systeme können sehr wohl Umweltinformationen aufnehmen (»hören«, verarbeiten). Aber sie sind nicht unbegrenzt beeinflußbar, formbar, instruierbar durch diese. Die Außenwelt wird nur soweit zur relevanten Umwelt (und von dort kommende Informationen werden nur soweit zu relevanten Informationen), wie sie im System Eigenzustände anzustoßen, zu »verstören« vermag.
In verschiedenen Arbeitsfeldern kann diese Sichtweise dazu anregen, das So-Sein, die Eigenheiten von Schülern, Patienten, Klienten oder Mitarbeitern, auch wenn sie nicht gefallen, zunächst einmal als zu deren Struktur passend, für deren Überleben nützlich anzusehen. Veränderungen werden dann möglich sein, wenn sie zu der Struktur passen. Das verlangt von Ärzten, Pädagogen, Managern oder Beratern, diese Struktur kennenzulernen, wertzuschätzen und Veränderungsanregungen auf diese hin abzustimmen. Alle fachlichen Interventionen, die dies nicht tun, werden entweder nicht befolgt oder sie zerstören die Arbeitsbeziehung (Abbruch der Behandlung, innere Emigration, Kündigung). Ein 14jähriges, psychotisch verwirrtes Mädchen schläft seit Jahren im Elternbett zwischen Vater und Mutter. Mehrere Kinderpsychiater und -psychologen haben dies kritisiert und mit Nachdruck (Androhung von Sorgerechtsentzug) zu ändern versucht, ohne bleibenden Erfolg. Bei genauem Fragen zeigt sich, daß in dieser
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Familie große Angst vor dem baldigen Tod des Vaters herrscht (Dialysepatient in kritischer Verfassung) und es nur wenige befriedigende Außenkontakte gibt. Das nächtliche Zusammenrücken wird als wärmende, tröstende Möglichkeit erlebt, »noch ein biss’l zusammenzusein«. Als wir dies, für sie offensichtlich erstmalig in der langen Behandlergeschichte, verstehen, anerkennen und unter den derzeitigen Umständen als sinnvoll »fachlich genehmigen«, kommt es zunächst zur Erleichterung. Später, nach einigen Monaten, regen sich dann bei der Tochter erste Auszugswünsche, »weil es auf dem Ritz doch immer so hart ist«. Nach einem knappen Jahr hat die Familie andere Rituale des Zusammenseins entwickelt, und die Tochter schläft im eigenen Bett.
Zentral ist in der Theorie der Begriff der Autonomie. Lebende Systeme erzeugen, regulieren und erhalten sich selbst, sind also von außen nicht determinierbar (zumindest nicht konstruktiv, denn natürlich kann eine Kraft von außen auf das System in einer Weise einwirken, daß es zugrunde geht). Diese Vorstellung der Autonomie bringt es mit sich, daß lebende Systeme als nicht verfügbar angesehen werden. A kann nicht einseitig bestimmen, was B tun, erleben oder denken möge: »Instruktive Interaktion« ist nicht möglich. Welche Zwangsmaßnahmen man auch immer anwenden mag, man kann einen Menschen etwa nicht dazu zwingen, einen anderen zu lieben oder »freiwillig und gern« mit ihm zusammenzuleben. An genau dieser Stelle sind bislang die Diktaturen gescheitert: Es konnten Menschen in Grenzen dazu gezwungen werden, sich auf bestimmte Weise zu verhalten, aber sie konnten nie dazu gezwungen werden, dies gern zu tun, mit Freude und Spaß – wie heißt es in einem Lied von Wolf Biermann: »Wenn ein Diktator es schaffen würde, alle seine Feinde zu töten: in seinen eigenen Söhnen würden ihm neue erwachsen.«
Die Überlegungen zur Unmöglichkeit instruktiver Interaktion haben in der systemischen Arbeit weitreichende Folgen gehabt. Von kämpferischen Metaphern ging man zu eher kooperativen über, von Veränderungsbemühungen zum Verstehen, was die Handlungsmöglichkeiten vor allem im Umgang mit »widerständigen« oder »chaotischen« Klienten erhöhte. In der Heimerziehung lassen sich vielfach scheinbar destruktive Verhaltensweisen wie Weglaufen, Klauen und anderes beobachten, die in Verbindung stehen mit familiären Stilen wie einem dramatisch schnellen Schwanken zwischen Bindung und Ausstoßung, Fürsorge und Ablehnung (Minuchin et al. 1967). Statt, wie es in vielen Fällen geschieht, ärgerlich zu reagieren, kann es aus Sicht der beschriebenen Theorie möglich werden, nicht das jeweilige Verhalten zu werten, sondern das Schwanken zwischen den Polen als Bestandteil der Selbstorganisation des Systems wahrzunehmen. Dann läßt sich das scheinbar chaotische Verhalten als Ausdruck der Autonomie des Systems anerkennen (Schweitzer u. Reuter 1991a), zumindest wird es jedoch möglich, damit zu rechnen und sich darauf einzustellen.
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Wie können nun zwei operationell geschlossene Lebewesen in Austausch treten? Gibt es überhaupt so etwas wie Austausch, wenn man für den anderen nur Anstöße, Verstörungen darstellen kann, die dieser der eigenen Organisationsstruktur gemäß verarbeitet? Die Antwort liegt im Konzept der Ko-Evolution. Zwei lebende Systeme können sich »strukturell koppeln« und »gemeinsam driften«. Menschen können sehr wohl füreinander bedeutsame Umwelten darstellen und sich gegenseitig Anstöße vermitteln. Von struktureller Koppelung sprechen Maturana und Varela, wenn sich zwei (oder mehr) autopoietische Einheiten so organisiert haben, daß ihre Interaktionen einen rekursiven und sehr stabilen Charakter erlangt haben (1987, S. 85), daß sie zueinander »passen«. Rekursiv heißt, daß die Einheiten sich jeweils wechselseitig verstören, und zwar so, daß die jeweiligen Verstörungen gut zueinander passen und vom jeweils anderen in immer gleicher Weise verarbeitet werden. In diesem Fall »driften« die beiden Systeme gemeinsam. Die Übernahme von Maturanas Überlegungen in die Theorie systemischer Therapie ist vielfach kritisiert worden (Kriz, 1988, 1990 a+b, Köck 1990, Hoffman 1990, Jones 1993). Insbesondere wird in Frage gestellt, ob die Übertragung von Konzepten der Biologie auf Menschen angemessen ist und ob nicht der Kontext, in dem »individuelle, autopoietische Einheiten« (Jones 1993) leben und in dem sie gemeinsam Wirklichkeiten erzeugen, zu sehr vernachlässigt wird. Allerdings war die – oft eher metaphorische als präzise – Rezeption der Theorie (s. Steiner et al. 1991) seit den frühen 80er Jahren hilfreich, den Übergang von einem eher kämpferischen zu einem mehr kooperativen Vorgehen zu vollziehen.
2.7. Nichts als Kommunikation: Die Theorie sozialer Systeme Maturana und Varela selbst waren, wie gesagt, vorsichtig mit der Übertragung ihrer Theorie der Autopoiese lebender (= biologischer) Systeme auf soziale Systeme. Es fragt sich, inwieweit diese biologische Theorie überhaupt für die Erklärung sozialer Phänomene »paßt«. Dies zu klären ist eine der Aufgaben, die sich Niklas Luhmann gestellt hat. Luhmann, von Haus aus Soziologe, will dabei nicht nur die Theorie Maturanas »übersetzen«, sondern er verfolgt das ehrgeizige Ziel, eine universale Theorie zu entwickeln, ein komplexes Denk- und Begriffssystem zum Verständnis sozialer Systeme (Reese-Schäfer
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1992). An dieser Stelle sollen nur einige von Luhmanns zentralen Konzepten herausgegriffen und in ihrer Bedeutung für systemische Therapie diskutiert werden (ausführlich hierzu: Luhmann 1984, zur Einführung: Reese-Schäfer 1992). Luhmann sieht die allgemeine Systemtheorie in einem tiefgreifenden Wandel begriffen (1988a). Die moderne Systemtheorie grenzt sich von früher verwendeten technizistischen Konzeptionen ab, mit der »noch immer die kalt glitzernden Entwürfe der 50er Jahre assoziiert« werden (Reese-Schäfer 1992, S. 10, so z. B. die in der Soziologie lange Zeit dominierende allgemeine Systemtheorie von Talcott Parsons). Die Veränderung liegt vor allem in der Abkehr von der Vorstellung der Planung und Steuerung, wie sie sich ja auch mit dem Begriff der Kybernetik 2. Ordnung verbindet (S. 53) hin zur Beschreibung von Systemen als selbstreferentiell. Selbstreferenz ist ein Aspekt, der in Verbindung mit der Vorstellung der »Selbstschöpfung« (Autopoiese) auf die Geschlossenheit eines jeden Systems verweist: Es schafft sich durch seine Operationen selbst, hält sich dadurch aufrecht. Operationale Geschlossenheit meint dabei, daß jedes System fortwährend seine Selbstorganisation verwirklicht – und nichts als diese. Luhmann schlägt vor, drei Klassen autopoietischer Systeme voneinander zu unterscheiden: Leben, Bewußtsein und Kommunikation (z. B. 1988a, 1988b). Diese drei Systeme, so Luhmann, operieren unabhängig voneinander, bewußte (also psychische) und soziale sind demnach keine lebenden Systeme, soziale keine bewußten, wenngleich alle drei vielfältig verknüpfbar sind und sich gegenseitig voraussetzen. Auch wenn Luhmann nun fragt: »Wissen wir das nicht sowieso?« (1988a, S. 48), mag diese Unterscheidung zunächst verwirren. Denn was bedeutet es schließlich, daß Leben, Bewußtsein und Kommunikation unabhängig voneinander operieren, eben in sich operational geschlossen? Das heißt: Bewußtsein kann nicht kommunizieren, nur Kommunikation kann Kommunikation erzeugen: »Menschen können nicht kommunizieren, nicht einmal ihre Gehirne können kommunizieren, nicht einmal das Bewußtsein kann kommunizieren. Nur die Kommunikation kann kommunizieren« (1988b, S. 884; gerade diese Aussage ist nicht unwidersprochen geblieben: z. B. Maturana im Gespräch mit Riegas u. Vetter 1990, s. a. Kriz 1990a+b). Doch im gewissen Sinn wissen wir das tatsächlich »sowieso«: Leben und Bewußtsein laufen beispielsweise unabhängig voneinander ab: Das Bewußtsein merkt nur wenig von dem Leben des Körpers, und alle
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neurophysiologische Forschung bringt keine Erkenntnis darüber, was wir unter Bewußtsein verstehen.* »Das Leben lebt sein Leben, ohne daß ihm Bewußtsein oder Kommunikation hinzugefügt werden könnte« (Luhmann 1988a, S. 48). Als autopoietische Systeme, die füreinander Umwelten darstellen, können sie sich wechselseitig anstoßen, anregen, aber nicht gezielt beeinflussen: »Bewußtsein … hat die privilegierte Position, Kommunikation stören, reizen, irritieren zu können. Bewußtsein kann die Kommunikation nicht instruieren, denn die Kommunikation konstruiert sich selbst« (1988b, S. 893, Hervorhebungen im Original). Daß gerade Bewußtsein und Kommunikation so eng aneinandergekoppelt sind, liegt für Luhmann an einem sehr zentralen Begriff: Sinn. Sinn gilt für beide Systeme, denn sowohl Bewußtsein als auch Kommunikation sind durch die Produktion von Sinn gekennzeichnet, und daher kann durch den Sinnbegriff ihre gegenseitige Durchdringung besonders gut begrifflich dargestellt werden. Sinn ist die aktive Auswahl, über die aus der »Überfülle des Möglichen« das menschliche Erleben Ordnung herstellt: »Erleben und Handeln ist Selektion nach Sinnkriterien« (ReeseSchäfer 1992, S. 35). Und auch das wissen wir »sowieso«: Wie wenig es uns oft gelingt, Aspekte von »Leben« ins Bewußtsein zu bringen (wie schwer ist es oft, Emotionen, körperliche Ereignisse also, bewußt wahrzunehmen), geschweige denn Inhalte unseres Bewußtseins in Kommunikation zu überführen. Luhmann nennt dieses Phänomen »Kapazitätsüberschuß«: Die jeweiligen Systeme stellen füreinander Umwelten dar, und sie sind immer komplexer als das jeweils andere. Wenn beispielsweise zwei Personen sich unterhalten, ist das, was sie sagen, viel weniger als das, was in ihrem jeweiligen Bewußtsein vor sich geht (an Gedanken, Gefühlen, Beobachtungen über die eigene Stimmung, die des anderen, die Gesprächsatmosphäre usw.). Das, was sie sagen wollen, ist so viel mehr, als das, was sie schließlich herausbringen. Die bewußten Gedanken begleiten die Beiträge zur Kommunikation, sie »umspielen« sie, ohne daß alles von ihnen kommunikative Wirklichkeit wird. Das eine Bewußtsein steht nicht in direktem Kontakt mit dem anderen, so etwas wäre vielleicht nur über eine »Standleitung« von Gehirn zu Gehirn denkbar (oder glücklicherweise undenkbar). Gleichzeitig läuft die Kommunikation schneller und komplexer ab, als daß das Bewußtsein mit ihr stets schritthalten könnte. Daher kommt es nur begrenzt mit ihr zur Deckung, – und so werden * z. B. wird in einem aktuellen Lehrbuch der Psychophysiologie darauf hingewiesen, daß ein jahrzehntelanges Forschungsprogramm zur Analyse kognitiver, mentaler Prozesse (das psychische System i. S. Luhmanns) mit Hilfe ereignisbezogener Hirnpotentiale im EEG (das lebende System) kein einziges schlüssiges Ergebnis erbracht habe (Velden 1994, S. 102f).
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die beiden Personen auch nach Ende ihres Gesprächs noch über dieses nachdenken, einzelne Aspekte gedanklich wiederholen usw. – und es wird weniger in ihrem Bewußtsein sein, als in der Kommunikation enthalten war.
Das hat auch damit zu tun, daß die autopoietischen Systeme dadurch gekennzeichnet sind, daß sich ihre Elemente in einem fortwährenden Strom immer wieder neu erzeugen. Und das ist gut so, sonst ergäbe sich schnell eine unkontrollierbare Komplexität, sogar Chaos: »Man stelle sich nur den Lärm vor, der entstehen müßte, wenn die gesprochenen Worte nicht mehr verklingen würden, sondern immer weiter zu hören wären!« (Luhmann 1988b, S. 892). Das jeweilige Ereignis ist schon wieder verschwunden, kaum ist es entstanden. Es mag Spuren hinterlassen, doch »was erinnert werden soll, muß in den jeweiligen Systemen hochselektiv behandelt werden« (Luhmann 1988a, S. 51). Das heißt nichts anderes, als daß Menschen jeweils gezielt aus der Komplexität des Geschehens das herausnehmen, also erinnern, was zu ihren bevorzugten Sinnkonstruktionsmustern (oder sagen wir: Persönlichkeit, Belief-System, Life-Script, Lebensstil, Familienregelsystem usw.) paßt. Die drei Systeme Leben, Bewußtsein, Kommunikation sind natürlich ständig aneinander beteiligt. Ohne Leben kämen Bewußtsein und Kommunikation zum Erliegen, ohne Bewußtsein gäbe es keine Kommunikation – und dies gilt wohl auch umgekehrt. Doch kann es bei den drei Systemen nie eine problemlose Deckung geben, wenn sie sich auch partiell überlappen können (Luhmann nennt dies »Interpenetration«), ja es kann sich eine hohe Kongruenz ergeben, beispielsweise ist vorstellbar, daß es in einer psychotherapeutischen Interaktion über Sprache möglich wird, einen Bewußtseinsinhalt sehr genau zu kommunizieren, und daß über die Rückmeldung des Therapeuten die Erfahrung gemacht wird, daß der kommunizierte Inhalt auch beim anderen angekommen ist. Das Konzept der relativen Autonomie von sozialem, psychischem und biologischem System hat wichtige Implikationen für systemische Therapie: – Gefühle sprechen nicht: Therapie ist nicht der Umgang mit Gefühlen, sondern der Umgang mit Kommunikationen über Gefühle. Es lohnt daher davon auszugehen (für Klienten wie für Therapeuten), daß sie von der Beobachtung des anderen nie verläßlich auf dessen Bedeutungsgebungen schließen (»Ich weiß schon, was Sie jetzt fühlen«), sondern diese immer nur erkunden können. – Menschen verstehen einander prinzipiell nicht: Zwei Menschen können sich nicht direkt gegenseitig in ihre Gefühle oder Gedanken hineinsehen, sondern nur, indem die Kommunikation ihr eigenes psychisches System anregt und in Bewegung bringt. Wichtig dabei zu beachten: Dieser Prozeß wird nur partiell gelingen, die kongruente Deckung von Bewußtsein und Kommunikation ist ein Sonderfall.
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Theorie
– Kommunikative Muster sind autonom gegenüber den Gedanken und Gefühlen der Beteiligten: Wenn Kommunikation kommuniziert, dann läßt sich das »Eigenleben« kommunikativer Muster anschauen: »Die Fortsetzung von Kommunikation erfordert offensichtlich die Erhaltung einer eigenen Organisation …, die nur so lange fortgesetzt werden kann, als dies der Fall ist« (Luhmann 1988b, S. 887). Das Kommunikationssystem legt eine »eigene Geschichte« an und von daher kann es hilfreich sein, sich ohne Rückgriff auf Metaphern des psychischen Systems mit dieser Organisation zu befassen. – Systemische Therapie kann, wie jegliche kommunikative Therapie, nicht direkt auf die biologische Ebene einwirken, sondern diese lediglich anregen. Umgekehrt können Genetik und Stoffwechsel nicht direkt das Verhalten eines Menschen determinieren, sondern lediglich anregen. Das verdeutlicht die Grenzen systemischer Therapie bei somatischen Krankheiten und zugleich die Grenzen biologischer Therapien (und die Chancen systemischer Therapie) bei psychiatrischen Krankheiten.
2.8. Rückbesinnung auf die Person: Die personzentrierte Systemtheorie In Abgrenzung zu Luhmanns auf soziale Systeme und Kommunikation eingegrenztem Fokus stellt die »personzentrierten Systemtheorie« von Jürgen Kriz den Entwurf eines »Mehrebenenansatzes« dar (Kriz 1990a, 1991, 1992b, 1994). Hier werden ausdrücklich die psychischen und physiologischen Aspekte der Kommunikation zum Thema gemacht. So führt Kriz die von Luhmann sozusagen aus der Theorie hinausgeworfene Person wieder ein. Auch er geht dabei zunächst von beobachtbaren Regelmäßigkeiten (Mustern oder Strukturen) in den Interaktionen zwischen Mitgliedern sozialer Systeme aus, die als selbstorganisiert anzusehen sind. Gleichzeitig sind diese Interaktionen jedoch stets auch als persönlicher Ausdruck der beteiligten Individuen zu sehen. Individuelle Prozesse stellen die Basis für die Interaktionen dar. Kriz spricht hier allgemein von »Kommunikationen«, die er in drei Phänomenbereiche aufteilt (1990a): 1) kommunikative Handlungen (»efferente Kommunikationen«), das gesamte Spektrum der Ausdrucksmöglichkeiten einer Person, 2) Wahrnehmungen (»afferente Kommunikationen«), das Spektrum der Eindrücke einer Person, die aktiv von ihr gestaltet werden, 3) Gedanken und Gefühle (»selbstreferente Kommunikationen«), das heißt der Strom der Kognitions-Emotions-Phänomene im Bewußtsein. Eine Person kommuniziert ständig (auch) mit sich selbst, ist ständig im inneren Dialog begriffen. Der Mensch im Wachbewußtsein kann nicht anders, als ununterbrochen im Strom seiner Eindrücke zu stehen (wahrzunehmen), ununter-
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brochen einen Ausdrucksstrom von sich zu geben (kommunikativ zu handeln) und ununterbrochen den Strom selbstreferenter Gedanken und Gefühle zu verewigen. Dabei ist bedeutsam, daß die drei Aspekte jeweils nur einen kurzen Moment andauern. Was wir beobachten, beschreiben und gegebenenfalls therapeutisch verändern möchten, sind die stabilen Strukturen der dynamischen Prozesse, die aus diesen flüchtigen Elementen gebildet sind. Als Berater sind wir ja nicht (zumindest nicht dauerhaft) zufrieden, wenn zum Beispiel ein Streit ums Haushaltsgeld beigelegt ist, das betreffende Paar aber sofort beim nächsten Streit ums Aufräumen zeigt, daß die Struktur, über die die (flüchtigen) Interaktionssequenzen laufen, nach wie vor stabil geblieben ist. Therapeutisch interessant ist es, ob das Muster des ablaufenden Streits anders geworden ist.
An dieser Stelle wird die Verbindung zur Synergetik deutlich: Erst im Zusammenwirken der Prozeßteile sind Stabilität und Veränderung verstehbar; die (flüchtigen) »Elemente« tragen ständig zur Aufrechterhaltung der Struktur bei und werden andererseits in ihrer Dynamik von dieser Struktur »versklavt«. Aus diesem Grund geht natürlich eine Beeinträchtigung in einem der drei (Teil-)Bereiche zwangsläufig mit einer Beeinträchtigung des gesamten Prozesses einher. So lassen sich die efferenten Kommunikationen unter dem Gesichtspunkt von Kongruenz/Inkongruenz betrachten (z. B. Satir 1990). Die afferenten Kommunikationen können Wahrnehmungsabwehr, Selektivität und Verzerrung unterworfen sein. Ganz besonders können die selbstreferenten Kommunikationen, der innere Dialog durch die Prämissen moderiert werden, die eine Person im Lauf ihrer lebensgeschichtlichen Erfahrungen entwickelt hat. Die Beziehung zwischen Eindrücken und Ausdruck (Handlungen) wird durch zwei bedeutsame Vorgänge moderiert: – durch neuronale Prozesse, also das, was als Gedächtnis oder (nicht zwangsläufig bewußt ablaufender) innerer Dialog bezeichnet wird und – durch nichtneuronale Körperprozesse, die über Interozeptoren an neuronale Prozesse gekoppelt sind, z. B. Hormone, Blutwerte, aber auch chronische Muskelverspannungen, Körperpanzer (vgl. auch das »Gedächtnis des Leibes« bei Petzold z. B. 1984b, 1993). Die Möglichkeiten, in diese Prozesse einzugreifen, sind durch die Fähigkeit zur Selbstreflexion gegeben. Diese erst schafft die Voraussetzung, sich von sich selbst, vom bloßen Sein im unmittelbaren Hier-undJetzt zu distanzieren und auf sich zurückzublicken – und zwar in zweierlei Hinsicht (Kriz 1990a, S. 101f):
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Die Perspektive vom »Dort« auf das »Hier«, also auf sich selbst aus der Position eines anderen zurückzublicken, sein eigenes Objekt zu sein, ist von G. H. Mead (1980, Original 1934) und dem symbolischen Interaktionismus thematisiert worden. Die »Erwartungs-Erwartungen«, die Frage, wie ein jeweils »generalisierter anderer« die Person sieht, sind als zentrale Konstituenten systemischer Prozesse bereits dort thematisiert. Die Perspektive vom »Dann« auf das »Jetzt«, die die Begründung für eine als geschichtlich erlebte Lebenswelt darstellt, denn durch sie ist Vergangenheits- und Zukunftsbezug möglich, was wiederum Basis darstellt für Phänomene wie Trauer (auf Vergangenes gerichtet) und Furcht (auf Zukunft hin orientiert). Für das Verständnis klinisch-psychologischer Prozesse sind damit insbesondere vier Prozeßebenen zu betrachten. In ihrer synergetischen Vernetzung moderieren sie sich jeweils gegenseitig: 1) Körperprozesse – unter anderem Hormonsystem, Immunsystem, Atmung, Haltung und Körperpanzer, 2) Kognitions-Emotions-Prozesse und Bewußtsein (also der Strom selbstreferenter Kommunikationen), 3) impressive und expressive Kommunikations-Prozesse (also der Strom der afferenten bzw. efferenten Kommunikationen), 4) Interaktionelle Kommunikationen (also das, was z. B. als »Paardynamik«, »familiäre Regeln« etc. beschrieben wird). Der Familie ist ein besonderer Stellenwert für die betrachteten Dynamiken einzuräumen. Die dort ablaufenden Prozesse sind durch eine besondere Dichte und Schnelligkeit des existentiellen Austauschs gekennzeichnet. Dies steht im Zusammenhang mit der hohen Intimität und Körperlichkeit in der Familie, mit spezifischen Erwartungen an Geborgenheit und Sinnbestätigung sowie mit der Unkontrolliertheit der familiären Interaktionen. Jede Person ist als »Transformator« an den ständig ablaufenden Kommunikationen beteiligt. Dabei ist nicht nur der Ausdruck des einen der Eindruck des anderen, sondern die Dynamik familiärer Kommunikation hat ihre besondere Stabilität durch den Bezug auf eine gemeinsame Geschichte, auf ein gemeinsames Familienparadigma und auf gemeinsame Sinndeutungsmuster. Entsprechend beeindruckt die enorme Stabilität bei der Beobachtung familiärer Interaktionsmuster. Die ja meist nur jeweils wenige Sekunden umfassenden leiderzeugenden Interaktionsmuster werden immer und immer wieder wiederholt. Es ist oft erstaunlich, wie gut auch hoch zerstrittene Familienmitglieder »zusammenarbeiten«, um ein Transaktionsmuster aufrechtzuerhalten, in dem sich jeder als Verlierer fühlt.
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Für einen Beobachter scheinen die Kommunikationen oft nicht Reaktion auf eine vorhergehende Aussage zu sein. Sie werden vielmehr durch die Erwartungsstrukturen bestimmt, die sich im Lauf der Zeit herausgebildet haben. Dieses Phänomen wurde bei Bandler et al. 1978 als »geeichte Kommunikation« bezeichnet: Eine Person B reagiert auf das kommunikative Angebot ihres Gegenübers A nicht »sinnvoll« (aus der Sicht eines Beobachters), sondern sie greift einen Teilaspekt aus diesem Angebot heraus und ergänzt diesen vor dem Hintergrund der eigenen Erwartungsstrukturen.
»Was haben Sie wahrgenommen?« »Wie mein Mann mich angeguckt hat, wußte ich schon Bescheid!« »Haben Sie gehört, was er gesagt hat?« »Nein, mir ist sowieso klar, was er sagen würde, wenn er so guckt!«
A dient hier nur noch als relativ unspezifischer Auslöser, um den »inneren Film« erwarteter Bedeutungen bei B ablaufen zu lassen, auf den dann mit einer entsprechenden Handlung reagiert wird (wobei mit hoher Wahrscheinlichkeit von B zu A äquivalente Prozesse ablaufen werden). Das sich in jeder Familie im Lauf der Zeit einschleichende »längst Bekannte« ist hier ins Extreme gesteigert. Einer Kommunikation wird schon im Ansatz die bereits erwartete Deutung zugeordnet. Reagiert wird nicht mehr auf das Geäußerte, sondern auf das Erwartete. Möglichkeiten der Veränderung sind reduziert, denn aufgrund fehlender Rückkoppelungsschleifen setzen sich immer nur die zu den Erwartungen des jeweils anderen passenden Kommunikationsanteile durch. Neue Erfahrungen werden nicht zugelassen. Spontan auftretende Fluktuationen in den Kommunikationen können nicht mehr zur Veränderung genutzt werden, da diese durch die vorgegebenen Deutungskategorien schnell wieder nivelliert werden. Alle arbeiten mit daran, eine starre, quälende Ordnung aufrechtzuerhalten: »Es ist immer dasselbe!« Die personzentrierten Systemtheorie bietet eine integrative Perspektive auf psychotherapeutische Techniken an: Entscheidend ist, ob eine Intervention das Muster, in dem eine Person mit sich selbst oder mehrere Personen miteinander kommunizieren, verändert oder nicht. Es ist unwichtig, welche äußeren Kriterien eine Intervention, ein Setting oder ähnliches erfüllt; wichtig ist die Frage, inwieweit sie in den Prozeß in konstruktiver Weise etwas Neues einführt, einen »Unterschied, der einen Unterschied macht«, um eine Metapher von Bateson zu benutzen (ausführlicher hierzu: von Schlippe 1990).
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2.9. Eine gemeinsam erschaffene Welt: Der soziale Konstruktionismus Der amerikanische Sozialpsychologe Ken Gergen gilt als Hauptvertreter des sozialen Konstruktionismus. Er sieht ihn als explizit »postmoderne« Theorie (S. 81–86) an, die versucht, die modernistischen Vorstellungen vom Menschen als Maschine, dessen Handeln einem kalkulierbaren Programm gleicht, zu ersetzen durch ein »Modell vom Menschen als soziale Konstruktion, dessen Handeln in einer komplizierten Weise mit den gesellschaftlichen Prozessen verwoben ist« (1990, S. 191). In dieser Sicht erscheint der Mensch nicht mehr als »faktische Entität«, die von Umwelteinflüssen bestimmt ist, sondern selbst als »eine Art sozialer Konstruktion«: »Er ist so, wie die anderen – und er selbst – ihn sich vorstellen« (1990, S. 195). Ähnlich wie der Konstruktivismus geht der Konstruktionismus von der prinzipiellen Unerfaßbarkeit einer »objektiven Realität« aus. Er kritisiert jedoch, daß im Konstruktivismus und in der Theorie autopoietischer Systeme das Individuum, sein Gehirn und seine Art, eine Welt zu erschaffen, Ausgangspunkt der Beobachtung sind. Im Gegensatz dazu geht der soziale Konstruktionismus explizit von der Bezogenheit aus, von der Koordination der Personen untereinander. Individualität wird eher als Nebenprodukt angesehen. Menschliche Wirklichkeit wird in Prozessen menschlicher Kommunikation »gesellschaftlich konstruiert« in einem jeweils spezifischen historischen Kontext. Eine besondere Bedeutung mißt der soziale Konstruktionismus dabei der Sprache zu. Sie ist das wichtigste Medium dieser Prozesse, sie ist »sowohl Produkt als auch ›Produzent‹ menschlicher Wirklichkeit« (Luckmann 1990, S. 204). Sprache ist immer sozial und erfordert die Koordination von mindestens zwei Personen. »Der soziale Konstruktionismus stimmt mit dem Konstruktivisten darin überein, daß wir die Welt konstruieren, aber diese Konstruktionen sind grundsätzlich linguistischer Natur und nicht psychologischer (biologischer oder kognitiver). D. h. unsere Substantive isolieren und fragmentieren unser Verständnis dessen, was wir vorfinden, unsere Verben konzeptualisieren unsere Welt im Hinblick auf Handlungen und Wirkungen, unsere Geschichten schaffen Reihenfolge und Ordnung usw., und auf diese Weise schaffen wir uns eine verständliche Welt. Diese Konstruktionen erlangen ihre Bedeutsamkeit nicht dadurch, daß sie unsere Handlungen irgendwie vom Kopf her dirigieren, sondern weil wir sie in unseren Beziehungen mit anderen benutzen« (Gergen im Interview mit Deissler et al. 1994, S. 122).
Während im Konstruktivismus Konstrukte und Wahrnehmungen so gesehen werden, daß sie ihre Form durch das »Anstoßen« des Organis-
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mus an seine Umwelt erhalten, sieht der soziale Konstruktionismus Ideen, Bilder und Erinnerungen als etwas, das durch sozialen Austausch hervorgebracht und durch Sprache vermittelt wird: »Alles Wissen … erwächst aus dem Raum zwischen den Menschen, aus dem Reich der ›gemeinsamen Welt‹ … Einzig durch eine fortwährende Konversation mit seinen nahestehenden Interaktionspartnern gewinnt das Individuum ein Gefühl für Identität oder eine innere Stimme« (Hoffman-Hennessy 1992, S. 17). Konversation, der Dialog wird als das gesehen, wo »Wirklichkeit« entsteht, und damit eröffnen sich für die Therapie eine Menge neuer Metaphern. Beraterinnen werden ermutigt, in Begriffen und Konzepten wie »Geschichte«, »Metapher«, »Umgang mit Bedeutung«, »Rhetorik und Verhandlung« zu denken (Deissler et al. 1994), also auf die Art zu achten, wie in Systemen gemeinsam Bedeutung geschaffen, hergestellt wird. So wird der soziale Konstruktionismus zu der zentralen Grundlage des narrativen Ansatzes in der systemischen Therapie (S. 39ff). Wenn Wirklichkeit im Dialog entsteht, besser gesagt im »Multilog«, dann ist es bedeutsam, danach zu suchen, wo bei Personen, die sich als eingeschränkt erleben, der »Multilog« in einen »Monolog« umgekippt ist (van Trommel 1994, mündlich), und zwar in einen »kollektiven Monolog«, der alle Beteiligten im System gleichermaßen eingrenzt. Auf der Sinnebene haben wir es hier mit einer Entsprechung des Regelbegriffs zu tun. Regeln grenzen das Verhalten von Menschen in Systemen ein. Der gemeinsame Monolog – eine Art des gemeinsamen Miteinander-Sprechens, das Perspektiven und Möglichkeiten ausgrenzt – bedeutet eine Festlegung der Wahrnehmung der Wirklichkeit auf eine einzige, starr begrenzte Weise. Hier kommt es darauf an, in einen veränderten »Tanz der Bedeutung« einzutreten. »Bedeutungsgebung besteht in einem Prozeß ständiger Entfaltung, ist niemals festgelegt und immer abhängig von der Form unseres gemeinsamen Tanzes. Wir schaffen gemeinsam die Realität, aber es ist immer eine Realität ohne Anker, immer offen für eine Umwandlung – in der nächsten Konversation … Es ist niemals ganz klar, welches Spiel wir spielen (Gergen im Interview mit Deissler et al. 1994, S. 125f).
Welche Kraft in dem expliziten Verzicht auf scheinbar »richtige« Standpunkte zugunsten von Perspektivenvielfalt liegen kann, schildert Gergen: »Die großen Veränderungen, die wir heute im sowjetischen System wahrnehmen, beruhen nicht auf dem Einfluß eines einzelnen mächtigen Führers. Große Teile dieser Gesellschaft, einschließlich mancher Mitglieder der Regierung, waren bereits
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auf diese Veränderungen vorbereitet. Und diese Vorbereitung war hauptsächlich auf die Tatsache zurückzuführen, daß trotz der immensen Bemühungen um Isolation, Kommunikation mit dem Rest der Welt nicht verhindert werden konnte. Während die Jugend Moskaus die ansonsten verbotenen Stile der britischen Rockszene absorbierte, importierte die regierende Elite alternative Realitäten von jenseits der Mauer … Der postmoderne Perspektivismus ist ein sehr effektives Werkzeug, um dem übermächtigen Einfluß lokaler Realitäten zu entkommen« (1990, S. 209).
Gergen hat sich besonders mit dem Konzept des »Selbst« in der Gegenwart beschäftigt (1991). Er spricht hier von »sozialer Sättigung«. Das Selbst ist nicht mehr das in der Haut eingeschlossene Individuum. Dadurch, daß die Person heute in vielfältiger Weise in soziale Kontexte eingebunden ist, kann auch das Selbst nicht mehr ein individuelles Konstrukt sein, sondern vielmehr Ausdruck von Beziehung und Bezogenheit: »Mit zunehmendem sozialen Kontakt nehmen wir die anderen sozusagen in uns auf: Wir nehmen einzelne Abschnitte und Teile ihres Lebens mit uns mit. Tatsächlich werden wir in zunehmendem Maße mit anderen Menschen ›besetzt‹. Jeder von uns wird zunehmend eine bunte Mischung von Potentialen, wobei jedes Potential eine oder mehrere der Beziehungen, in die wir uns einlassen, darstellt« (Gergen 1990, S. 195).
Welche Konsequenzen ergeben sich aus den Überlegungen für die Therapie? Wenn ein Sachverhalt aus unterschiedlichen Perspektiven unterschiedlich gesehen werden kann und die unterschiedlichen Perspektiven zu unterschiedlichen Konsequenzen, Urteilen, Entscheidungen führen, dann verliert die Sache selbst zunehmend an Bedeutung: »Statt dessen verlagert sich das Interesse auf die Art und Weise, wie soziale Gruppen die Sache sehen, benennen und kategorisieren« (Gergen 1990, S. 197). Hier ist die Verbindung zu Vorstellungen, wie sie den zirkulären Fragen zugrunde liegen, unmittelbar evident (vgl. Kap. »Systemisches Fragen«). Auch Gefühle werden anders gesehen als gewohnt, nämlich als Beziehungskomponenten: »Meine Depression ist demnach nicht mehr ein Stück von mir; sie entsteht aus der Art und Weise meiner Beziehung zu anderen. Sie ist vergleichbar mit einer Tanzbewegung zweier Tänzer, die nur aus dem Zusammenhang des komplexen Tanzes heraus Sinn macht. Es ist daher ›unsere Depression‹; ich bin nur ihr Träger« (1990, S. 198). »Wenn man einmal den Weg zum postmodernen Denken eingeschlagen hat, gibt es keine Umkehr zu den ›harten Tatsachen‹ und den ›Dingen an sich‹. Da jedoch die Postmoderne keine Grundannahmen, kein striktes Programm hat, ist sie auch entsprechend tolerant. Entgegen der Moderne z. B. versucht sie nicht, andere Redeweisen über das Selbst zu unterdrücken. Wie uns die Architektur und die Kunst zeigen, lädt uns die Postmoderne dazu ein, mit unserer Vergangenheit so umzugehen, wie es uns beliebt. So brauchen wir uns nicht der frühen Begriffswelt des Selbst zu
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entledigen. Wir können uns ihr ruhig hingeben, etwa wie überlieferten Bräuchen und Spielen. Wir können weiterhin Begriffe verwenden wie Leidenschaft, Intuition, Kreativität, Persönlichkeitseigenschaften usw. – Nicht, als ob diese Begriffe dem Bezeichneten gerecht würden, sondern weil sie uns bei der Weiterführung von Traditionen, die uns Halt geben, helfen. Das bedeutet nicht, daß man diese Begriffe weniger ernst nehmen sollte; es ist nur wichtig, ihre historische und kulturelle Relativität zu beachten. Vielleicht steckt ja in der Betrachtungsweise des Selbst als Beziehung die Chance für eine neue weltweite Harmonie. Wenn wir vollständig voneinander ›bevölkert‹ sind, wenn mein Dasein gleichzeitig dein Dasein ist, wie können wir dann dem anderen etwas antun, ohne damit uns selbst etwas anzutun? Genau diese Entwicklung auf eine weltweite Interdependenz hin ist es, die ich als den besten Effekt der postmodernen Wende ansehe. Es ist eine Entwicklung, zu der eine verantwortungsbewußte Psychologie viel beizutragen haben müßte« (Gergen 1990, S. 198).
Eine ausführliche kritische Diskussion der Thesen Gergens findet sich in der Psychologischen Rundschau Nr. 41, 1990, S. 191–210.
2.10. Das Ende der großen Entwürfe: Postmoderne Philosophien Die aus der französischen Philosophie kommende Debatte der »Postmoderne« und damit verwandte sprachphilosophische Überlegungen beeinflussen seit Ende der achtziger Jahre auch die systemische Beratung. Als einen Startpunkt kann man eine Schrift von Jean François Lyotard ansehen, die 1979 erschien: »Das postmoderne Wissen«. Darin diagnostiziert Lyotard für das postindustrielle Zeitalter das »Ende der großen Meta-Erzählungen«, denen heute kein Glaube mehr geschenkt werde. Zu diesen Meta-Erzählungen gehören die großen Schöpfungsmythen und die großen heilsversprechenden Zukunftsentwürfe. Lyotard sieht diese als »Sprachspiele«, wirft ihnen Anfälligkeit für Totalitarismus vor und diagnostiziert eine Zerstreuung, Heterogenisierung, Pluralisierung dieser Sprachspiele. Viele heterogene Theorien und Entwürfe existieren gleichberechtigt nebeneinander; sie lassen sich nicht mehr auf eine große, integrierende, »bessere und wahrere« Meta-Theorie zurückführen. Wolfgang Welsch, ein deutscher Postmoderne-Theoretiker, versteht Postmoderne als »Verfassung radikaler Pluralität« (1991, S. 4) auf unterschiedlichsten Ebenen: eine Gesellschaft mit Differenzen auch in den Grundwerten; ein Individuum, das selbst »im Plural lebt«, also auch in sich selbst gegensätzlichste Ideen und Lebensweisen vereinigt; eine Theorie, die zu jeder Behauptung deren Entstehungs- und
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Gültigkeitskontext gleich mitbenennt und die den Sinn jeder Äußerung immer wieder neu zu verschieben bereit ist. In diesem Sinn verabschiedet die Postmoderne die Moderne, die sogenannte Neuzeit und »deren Grundobsession: die Einheitsträume« (Welsch 1991, S. 6). Postmodernes liegt dort vor, wo ein »grundsätzlicher Pluralismus von Sprachen, Modellen, Verfahrensweisen praktiziert wird, und zwar nicht bloß in verschiedenen Werken nebeneinander, sondern in ein und demselben Werk« (Welsch S. 16 f). Dies geht mit einer grundsätzlich fragenden, neugierigen Haltung auch sich selbst gegenüber einher: »… sich selbst gegenüber immer Zweifel behalten, sich nie ganz ernst nehmen« (Richterich 1993, S. 29). Diese Ideen passen zu aktuellen Gesellschaftsdiagnosen etwa in der Soziologie (Beck 1986) und auch zur Architektur, von der die Postmoderne wesentliche Impulse bezogen hat. »Derrida geht davon aus, daß Bauen wie Denken und Schreiben Modi sind, eine Welt zu bahnen. Wenn er sagt: ›Man wohnt in der Schrift, Schreiben ist eine Art Wohnen‹, so gilt das Umgekehrte ebenso: Auch Bauen und Wohnen sind Arten zu ›schreiben‹, nämlich: Sinnprozesse zu generieren und zu vollziehen. Daher ist Architektur ein Welt-Thema. Mit Säulen, Plätzen und Dächern ›schreibt‹ man eine Welt« (Welsch 1991, S. 145).
Sie liefern auch systemischer Beratung ein weiteres Argument dafür, mit ganz unterschiedlichen Wirklichkeitsentwürfen in Familien, Gruppen, Organisationen zu spielen und keine für richtiger als die andere zu halten. Beratung heißt, weitere, zusätzliche Geschichten zu erzählen und damit Komplexität anzubieten, aus denen sich die Ratsuchenden neuen Sinn konstituieren können. Viele, nicht nur Systemtherapeuten, sehen in dieser Reduktion von Beratung auf Konversation allerdings auch die Gefahr von Beliebigkeit und (nachfolgender) Inkompetenz. Doch letztlich entspricht das »wilde Denken«, dem die Postmoderne Vorschub leistet, der Realität psychotherapeutisch Arbeitender, von vielen Meistern zu lernen. Orlinsky formulierte dies sogar als spezifisches Modell für Therapie: »Learning from many masters« (1994). In der Gegenwart nutzen viele Therapeuten eher die Vielfalt der Möglichkeiten für die Entwicklung eines eigenen Stils, als daß sie sich auf einen einzigen »großen psychotherapeutischen Entwurf« stützen und ausschließlich nach ihm operieren. Die Bezugnahme auf verschiedene Modelle, auch auf philosophische Überlegungen orientiert sich dabei eher an dem, was zu den Anforderungen der Praxis paßt (zur Rezeption von Philosophie in der systemischen Therapie s. Fischer u. Schweitzer 1992). Vor allem zwei Denker des französischen Poststrukturalismus haben
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der systemischen Diskussion besondere Anstöße gegeben: Foucault und Derrida. Die Hoffnung ihrer geistigen Vorgänger, der Strukturalisten (z. B. Levi-Strauss) war, über das Studium unbewußter kollektiver Strukturen letztlich auf die Struktur des menschlichen Geistes zu stoßen (also noch die Hoffnung auf einen »großen Entwurf«). Der Strukturalismus beeinflußte das Denken in gewissen Bereichen der Psychoanalyse, vor allem der französischen (z. B. Lacan), in der (»strukturellen«) Familientherapie hat sich vor allem Minuchin darauf berufen. Foucault und Derrida beschäftigten sich vor allem mit der Sprache. Es interessierte sie, welche Strukturen, vor allem welche gesellschaftlichen Machtstrukturen sich hinter der Sprache und unserer Sprachverwendung verbergen und sich in der Sprache reproduzieren. Der 1984 verstorbene Foucault gilt als einer der zentralen Denker der Postmoderne. Er hat sich zeitlebens vor allem mit dem Thema »Macht« auseinandergesetzt und wie diese sich in gesellschaftlichen Handlungsvollzügen reproduziert, insbesondere über Sprache und über Wissen. Er suchte nach den impliziten Systemen, die die herrschenden Wirklichkeitskonstruktionen und das alltägliche Verhalten bestimmen, wollte »ihren Ursprung finden, ihre Formierung aufzeigen sowie den Zwang, den sie auf uns ausüben« (1974). »Philosophie ist eine Bewegung, mit deren Hilfe man sich nicht ohne Anstrengung und Zögern, nicht ohne Träume und Illusionen von dem frei macht, was für wahr gilt, und nach anderen Spielregeln sucht« (Foucault zit. nach Fink-Eitel 1989). »… deswegen kann ich nicht den … Strukturalisten zugerechnet werden … Ich befasse mich ja im Grunde nicht mit dem Sinn und auch nicht mit den Bedingungen seines Erscheinens, sondern mit den Bedingungen der Veränderung oder Unterbrechung des Sinns: mit den Bedingungen, unter denen der Sinn erlischt, damit etwas anderes erscheinen kann« (Foucault 1974, S. 9f).
Zur Verfolgung dieses Zieles diente ihm die »archäologische Methode«. Foucault versuchte zu rekonstruieren, auf welche Weise die Gesellschaft in unterschiedlichen Epochen die Diskurse kontrolliert, um daraus Rückschlüsse auf Verschleierungsstrategien der Gegenwart zu ziehen. Er identifizierte drei gesellschaftliche Ausschließungsprozeduren, über die sich Macht reproduziert (1991): – das verbotene Wort, vor allem im Bereich Politik und Sexualität – die Unterscheidung zwischen Vernunft und Wahnsinn – die Unterscheidung zwischen Wahrem und Falschem.
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Foucaults Herkunft als Psychologe klingt in vielen seiner Schriften an. Die hermeneutische Arbeit der Bewußtmachung der unbewußten Bedingungen aktuellen Bewußtseins war ein wichtiges Ziel. Für systemische Therapie sind vor allem seine Überlegungen wichtig, wie Menschen ihre Freiheit zum »selbstbestimmten Existenzentwurf« verlieren, indem durch soziale Herrschaft ihnen das Wissen darum genommen wird. Hier läßt sich eine Verbindung ziehen zu der systemischen Arbeit mit dem »Möglichkeitssinn« (S. 155), mit Ausnahmen (»Unique events«, S. 158) und anderem. Der Mensch als »souveränes Subjekt jeder möglichen Erkenntnis« (Foucault zit. bei Fink-Eitel 1989, S. 45) hat die Fähigkeit zur Suche nach alternativem Wissen bereits in sich. Derrida, ein Schüler Foucaults, Philosoph und Literaturtheoretiker setzt die Suche nach den Hintergründen dessen fort, was unsere Sicht von Wirklichkeit vorgibt und prägt. Ähnlich wie Foucault geht es ihm weniger darum, ein neues System des Wissens zu entwerfen, als vielmehr Zweifel an den herrschenden Diskursen zu wecken. Für ihn ist Verstehen mit einem Bruch des gewohnten Bezuges (z. B. mit der Vernunft) verbunden. Er vertritt eine »Strategie einschneidender Pluralisierung«. Dazu braucht es »ein neues Schreiben – eines, das mehrere Sprachen zugleich spricht und mehrere Texte zugleich hervorbringt« (zit. nach Welsch 1991, S. 143). Entscheidend ist für ihn, daß der Sinn nie präsent ist, sondern immer auf verschiedene Bahnen verstreut, verschoben. Aus diesem Grund schreibt Derrida oft in einer schwer verstehbaren dichterischen, fast surrealistischen Sprache. »Das Symbol? Eine große holokaustische Feuersbrunst, letztlich ein AllBrand, in den wir, zusammen mit unserem ganzen Gedächtnis, unsere Namen, die Briefe, die Photos, die kleinen Gegenstände, die Schlüssel, die Fetische etc. hineinwerfen würden.« »… ich werde nie dahin gelangen, die Verseuchung ist überall, und die Feuersbrunst würden wir niemals entfachen. Die Sprache vergiftet uns das Geheimste unserer Geheimnisse, man kann nicht einmal mehr bei sich in Frieden verbrennen« (Derrida 1988).
Derrida gilt als besonderer Vertreter der »Philosophie der Differenz«: »Die Differenz denken, heißt danach: nicht identifizieren, das Andere und das Verschiedenartige nicht zurückführen auf dasselbe und Gleichartige … Das Denken der Differenz kann nur selbst different, differierend sein und nicht stets wieder dasselbe« (Kimmerle 1988, S. 7). Insofern verbietet es sich fast, über Derrida zu schreiben, ihn festzuschreiben, da er sein Ziel stets darin sieht, gerade die Festschrei-
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bung aufzulösen. Und so wird auch Derridas zentrale Praxis, die Dekonstruktion (Culler 1988), von ihm explizit nicht als Methode verstanden. Was genau gemeint ist, bleibt vielschichtig, wird jeweils ganz verschieden präsentiert, als philosophische Position, als politische oder intellektuelle Strategie oder als ein bestimmter Modus der Lektüre. Vielleicht läßt sich Dekonstruktion am ehesten als eine bestimmte kritische »Haltung« gegenüber jeglichen bestehenden Beschreibungen verstehen: »… bei einem klassischen philosophischen Gegensatz hat man es nicht mit der friedlichen Koexistenz eines Vis-à-Vis, sondern mit einer gewaltsamen Hierarchie zu tun … Einer der beiden Ausdrücke beherrscht … den anderen, steht über ihm. Eine Dekonstruktion des Gegensatzes besteht zunächst darin, im gegebenen Augenblick die Hierarchie umzustürzen« (Derrida zit. nach Culler 1988, S. 95). Der Praktiker der Dekonstruktion arbeitet zwar innerhalb eines Begriffssystems, aber mit der Absicht, es aufzubrechen, mit dem Sinn zu spielen, indem immer wieder neue Verbindungen, Korrelationen und Kontexte bereitgestellt werden. Solange man noch auf der Seite der Vernunft steht, hat noch nicht wirklich eine Dekonstruktion stattgefunden. Hier lassen sich Querverbindungen zur Praxis des hypothetischen Fragens in der systemischen Therapie ziehen, zur Suche nach Ausnahmen und zum Entwickeln alternativer Geschichten (»das Vertraute unvertraut machen«) bei White (1992) – aber auch zum spielerischen Umgang mit alternativen Realitäten, wie es sich in Therapieformen findet, die gezielt Kreativität zur Entwicklung neuen Sinns einsetzen, wie z. B. im Psychodrama oder in der Integrativen Therapie (Petzold 1993). Derrida (ist) sich des Paradoxen seiner Theorie durchaus bewußt … Worauf es ankommt, ist … das Paradox auszuhalten, auf immer neuen Wegen die Randzonen zu erkunden, in die man gelangt, wenn man die Metaphysik verläßt und eine neue Position nicht erreicht hat, welche Namen andere dafür auch immer ersinnen: Poststrukturalismus, Antihumanismus, Postmodernismus oder Interpretationspluralismus … Die Positionen sind und bleiben different, stets anders, stets im Fluß« (Kimmerle 1988, S. 111 und S. 114f).
Der herrschende Diskurs soll durch Dekonstruktion aufgebrochen werden. In dieser Haltung steckt eine tiefe Skepsis gegenüber der dargestellten Wirklichkeit und eine ständige Bereitschaft, die vorgegebenen Konstruktionen wieder aufzulösen, eine »Politisierung dessen, was sonst als neutraler Rahmen gilt« (Culler 1988, S. 174). Bereits die Beschreibung eines Gegenstandes aus mehreren Perspektiven ist Dekonstruktion, aber auch die Suche nach den scheinbar nebensächlichen Details, die einer Geschichte, wenn sie aufgegriffen werden, eine
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andere Wendung geben können: »Etwas Geschriebenes zu ›dekonstruieren‹, bedeutet daher, eine Art strategische Umkehrung einzusetzen, indem man besonders jene nicht beachteten Details aufgreift (wie z. B. beiläufige Metaphern, Fußnoten, zufällige Richtungsänderungen der Argumente), die immer und notwendigerweise von den Interpreten der orthodoxeren Meinungen übergangen werden« (Derrida zit. nach Jones 1993, S. 139). Dekonstruktion erlaubt, darüber nachzudenken, welche Geschichte sich hinter einer dominierenden Erzählung verbirgt: wo liegt alternatives Wissen, welche Gesichtspunkte wurden ausgelassen, unterdrückt? Eine weitere Form der Dekonstruktion findet sich im Umdrehen von Ursache-Wirkungszusammenhängen – auch hier ergibt sich ein Bezug zur therapeutischen Praxis, wenn etwa der Satz »Ich bin traurig, weil meine Freundin mich verlassen hat« einmal umgedreht wird: »Meine Freundin hat mich verlassen, weil ich traurig bin«.
3. Kernfragen systemischer Therapie Während im vorangegangenen Kapitel verschiedene systemtheoretische Konzepte vorgestellt wurden, sollen in diesem Abschnitt nun drei zentrale Kernfragen ausführlicher behandelt werden: »Was ist wirklich?«, »Wie steht es mit der Kausalität?« und: »Welche Rolle spielt die Sprache in diesem Zusammenhang?« Bei der Darstellung der unterschiedlichen Ansätze wurden diese Fragen bereits gestreift. Weil sie jedoch zentrale erkenntnistheoretische Prämissen der systemischen Therapie berühren, sollen sie im folgenden eingehender diskutiert werden.
3.1. Realität: Was ist wirklich? »Ein System ist nicht ein Etwas, das dem Beobachter präsentiert wird, es ist ein Etwas, das von ihm erkannt wird« (Maturana 1982, S. 175). In diesem Satz steckt die Essenz systemischer Erkenntnistheorie: Ein System wird nicht als etwas angesehen, das es »gibt«, sondern als etwas, von dem nur dann sinnvoll gesprochen werden kann, wenn man es in Beziehung zu demjenigen sieht, der es erkennt. Der Beobachter fällt die Entscheidung darüber, wie er oder sie die hochkomplexe Ganzheit eines Ökosystems aufteilt in Subganzheiten, zum Beispiel »Mensch«, »Familie«, »Verhalten«. Wenn es aber Systeme, von denen ja dieses Buch handelt, nicht »gibt« – was gibt es denn dann überhaupt?
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Damit stellt sich die Frage nach einem systemischen Verständnis von Wirklichkeit.* Wirklichkeit kann nie losgelöst gesehen werden von ihrem Betrachter. Das heißt nicht, daß es keine Realität »an sich« gäbe, daß es aber sinnlos ist, von ihr zu sprechen, ohne den konstitutiven Prozeß zu berücksichtigen, der in der Wechselwirkung zwischen einem erfahrenden System und einem zu erfahrenden System liegt: »Systeme erkennen Systeme« (Schiepek 1987). Die Frage, ob »Wirklichkeit« unabhängig vom erkennenden System existiert, ist müßig (Kriz 1981). Eine solche Position stellt den »naiven Realismus« (Keeney), dem wir in der Alltagswelt mehr oder weniger selbstverständlich unterliegen, radikal in Frage. Sie wird »konstruktivistisch« genannt. Die konstruktivistische Philosophie ist derzeit die erkenntnistheoretische Grundlage systemischen Denkens. Sie verbindet sich mit Namen wie Heinz von Foerster (Watzlawick u. Krieg gaben 1991 eine Festschrift für ihn heraus), Gregory Bateson, Humberto Maturana, Francisco Varela, Ernst von Glasersfeld u. a. (s. die Literaturliste von Hejl u. Schmidt 1992). Kernfrage des Konstruktivismus ist, auf welche Weise wir aktiv an der Konstruktion unserer eigenen Erfahrungswelt Anteil haben. Erkennen ist das Vornehmen von Unterscheidungen durch das erkennende Subjekt. Ohne diese Fähigkeit wäre keinerlei Orientierung möglich und damit kein Überleben. Wir sind darauf angewiesen, Konzepte, »Landkarten« über die Welt zu entwickeln, die uns das Zurechtfinden erleichtern. Auch bei scheinbar selbstverständlichen Begriffen wie z. B. »Seele«, »Körper«, »Krankheit«, »Familie« handelt es sich um solche Konzepte. Es ist ein folgenschwerer Schritt, wenn man die Konzepte, die man sich konstruierte, um in der Welt Orientierung zu finden, mit der Wirklichkeit verwechselt (ein Kategorialfehler). Die Kernfrage ist: »Wo befindet sich das, wovon ich spreche: ›da draußen‹ oder in meinem Kopf?« oder noch genauer: »Wo ›ist‹ eigentlich der ›Kopf‹, von dem ich spreche?« Wir neigen dazu, zu vergessen, daß es sich bei unseren Begriffen um Möglichkeiten des Begreifens handelt und nicht um die Dinge selbst: »Bei unserer Wahrnehmung der Welt vergessen wir alles, was wir dazu getan haben, sie in dieser Weise wahrzunehmen« (Varela 1981). Noch krasser formuliert von * Von »Wirklichkeit« soll im folgenden gesprochen werden, um die phänomenale Welt zu charakterisieren, die Welt also, wie sie durch den Beobachter erkannt worden ist. »Realität« bleibt als Begriff für die der Erkenntnis zugrundeliegende transphänomenale Welt reserviert.
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Foerster: »Die Umwelt, so wie wir sie wahrnehmen, ist unsere Erfindung« (1981, S. 40). Castaneda, ein amerikanischer Anthropologe, der bei einem indianischen Heiler in die Lehre ging, schreibt: »Die erste Handlung eines Lehrers besteht darin, die Idee einzuführen, daß die Welt, die wir zu sehen glauben, nur eine Sichtweise, eine Beschreibung der Welt ist. Dies zu akzeptieren scheint eine der schwierigsten Aufgaben überhaupt zu sein. Wir sind auf selbstgefällige Weise in unsere bestimmte Weltsicht verstrickt, die uns zu Empfindungen und Handlungen zwingt, als ob wir alles über die Welt wüßten. Ein Lehrer zielt von seiner allerersten Handlung an darauf ab, diese Sichtweise zu beenden. Hexenmeister nennen es die Beendigung des inneren Dialogs. Und sie sind überzeugt davon, daß es die wichtigste Technik ist, die ein Lehrling lernen kann« (Castaneda 1974).
Der Konstruktivismus steht in der Tradition der These Kants, daß der Verstand seine Gesetze nicht aus der Natur schöpft, sondern sie ihr vorschreibt, daß also jede Theorie immer auch eine Theorie des Beobachters, des Forschers sein muß. Auch scheinbar feststehende Säulen der Erkenntnis, wie Raum und Zeit, müssen statt als Gegebenheit der objektiven Welt als unvermeidliches Begriffsgerüst unserer Vernunft betrachtet werden (von Glasersfeld 1991, S. 23). Dies bringt eine radikale Verschiebung des Wissensbegriffs mit sich: »Wenn Zeit und Raum Koordinaten oder Ordnungsprinzipien unseres Erlebens sind, dann könnten wir uns Dinge jenseits der Erlebenswelt überhaupt nicht vorstellen, denn Form, Struktur, Ablauf von Vorgängen und Anordnung irgendwelcher Art sind ohne dieses Koordinatensystem im wahrsten Sinne des Wortes undenkbar. Was wir Wissen nennen, kann demnach unmöglich Abbild oder Repräsentation einer vom Erleben unberührten ›Realität‹ sein« (von Glasersfeld 1991, S. 23).
Wirklichkeit ist das Produkt wirk-samer Unterscheidungen. Das bedeutet, daß es prinzipiell möglich ist, Weltkomplexität auf verschiedene Weise zu reduzieren. Gleichzeitig sind wir in einem hohen Ausmaß persönlich verantwortlich für das, was wir als »wirklich« oder »wahr« ansehen. Die Entscheidung für ein Modell kann nämlich nicht aufgrund von »richtig« und »falsch« fallen, höchstens aufgrund einer bestimmten Vorstellung von richtig und falsch. Passender ist es daher, sich aufgrund von Kriterien der Angemessenheit und ethischen Vertretbarkeit für eine Sicht von Wirklichkeit zu entscheiden. Aus einer systemischen Weltsicht folgt daher die Achtung vor allen Versuchen, die Komplexität der Welt zu reduzieren und auf immer neue Weise in Konzepte zu bringen, die als Landkarten Handlungsleitlinien bieten. Im Bereich der zwischenmenschlichen Beziehungen wird es meist eher möglich sein, diesen Wirklichkeitsbegriff zu akzeptieren. Hier haben wir es mit dem Bereich der sogenannten »weichen« oder »Bezie-
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hungsrealität« (Simon u. Stierlin 1984, S. 41f) zu tun: Ob mich meine Partnerin »wirklich« liebt oder nur so tut, das wird schwerlich jemand »objektiv« beurteilen (obwohl es genügend Leute gibt, die solches versuchen). Aber ob das, worauf ich schreibe, ein Tisch ist oder ein Schnitzel, das ist doch eindeutig – oder? Erst in diesem Jahrhundert zeigte sich in der Physik die Relativität auch solcher Aussagen. Das, was wir als fest und unverrückbar erleben, ist ein Prozeß, ständig in Bewegung. Die Unschärferelation faßt die Erfahrung der Physiker zusammen, daß es die Position des Beobachters, die Art seiner Fragen ist, die darüber entscheidet, ob sich ein Teilchen als Teilchen zeigt oder als Welle. Die Forscher der damaligen Zeit berichten von tiefen Erschütterungen, da sie ihr gesamtes Bild einer festgefügten Wirklichkeit in Frage gestellt sahen (Heisenberg 1955). Ähnlich formulieren es Cramer und Kaempfer 1990: »Die Welt ist ein Prozeß. Sie ist nicht, sie geschieht!« Wichtig ist es jedoch, diesen Prozeß nicht als einen individuellen, sondern als einen gemeinschaftlichen zu verstehen – Wirklichkeit nicht als Ergebnis eines persönlichen, sogenannten solipsistischen Prozesses, sondern als ein konsensuelles Phänomen zu sehen. Menschen leben nicht allein, sondern immer in sozialen Zusammenhängen. Was wir als »Wirklichkeit« bezeichnen, entsteht im Dialog, im Gespräch. Das, was wir für wirklich halten, haben wir in einem langen Prozeß von Sozialisation und Versprachlichung als wirklich anzusehen gelernt. Systeme konstruieren gemeinsame Wirklichkeiten als Konsens darüber, wie die Dinge zu sehen sind. Die gemeinsame Sichtweise davon, was als »Wirklichkeiten« in einem System erlebt wird, ist sehr weitgehend bestimmend für Glück oder Unglück, Zufriedenheit oder Unzufriedenheit. Eine Warnung: Die hier skizzierte Position sollte nicht dazu führen, Wirklichkeitskonstruktionen als willkürlich und in der Hand der Betroffenen selbst anzusehen. Manche »Anleitung zum Unglücklichsein« (Watzlawick 1983) könnte dies mißverständlich unterstellen, wenn damit die implizite Botschaft verbunden ist, jeder sei ausschließlich seines eigenen Glückes Schmied. Wirklichkeitskonstruktion ist auch eine Qualität des gesellschaftlichen Umfeldes, nicht nur der Familie. Auch weiche Wirklichkeitskonstruktionen können harte Fakten schaffen, das merkt man nicht unbedingt erst, wenn man hinter Gefängnisgittern steckt. Schneewind et al. (1983) sprechen hier von der »Angebotsstruktur des ökologischen Kontextes«: Um zum Beispiel entscheiden zu können, ob man schwimmen gehen will oder nicht, muß erst mal ein Schwimmbad in der Nähe sein und genügend Geld, um den Eintritt zu bezahlen. Oder krasser: die Wirklichkeit einer Frau, ihr Leben als Hausfrau, Mutter und heldenhafte Stütze ihres Mannes zu verbringen, wird nicht von ihr und ihrem Mann im gemeinsamen Diskurs ausgehandelt (wenngleich dies heutzutage häufiger geschieht als früher). Sondern eine Vielzahl vorgegebener Strukturen wie
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fehlende Kindergartenplätze, wenige verfügbare Teilzeitstellen und vieles mehr erzwingen vielfach diese Art von »Wirk-lichkeit«.
3.2. Kausalität: Was verursacht was? Die erkenntnistheoretischen (auch: epistemologischen) Prämissen haben Konsequenzen für ein systemisches Verständnis von Kausalität. Wenn es ein System losgelöst vom Beobachter nicht »gibt«, wenn gleichzeitig jeder Systembeteiligte seinerseits als Betrachter gesehen werden kann, dann richtet sich das Augenmerk auf Muster, und zwar auf Muster von Beziehungen und Wechselwirkungen. Es wird deutlich, daß eine Änderung bei einem Teilbereich des Systems eine Veränderung bei einem anderen mit sich bringt. Denn auch eine Änderung ist nicht etwas, das objektiv passiert, sondern das von vielen unterschiedlichen Personen unterschiedlich wahrgenommen und als Änderung bezeichnet wird – und so bei den jeweiligen Beobachtern etwas verändert, verstört –, die sich daraufhin anders verhalten, was wiederum als Änderung von anderen wahrgenommen wird und so weiter. Eine Änderung im System ist also untrennbar mit Veränderungen, Verstörungen in anderen Systembereichen verbunden. Damit wird die Hintergrundannahme, daß alles eine oder mehrere Ursachen habe und daß deshalb die Frage »warum?« bedeutsam sei, in Frage gestellt. Eine große Zahl von Autoren weist darauf hin, daß die Konzeptualisierung von Kausalität als geradlinigem Wirkungsprinzip nicht zulässig ist, wenn man soziale Zusammenhänge als Systeme konzeptualisiert. In sozialen Systemen ist von der Rekursivität sozialer Prozesse auszugehen. Verhaltensweisen des einzelnen sind durch die der anderen (mit-) bedingt und bedingen sie gleichzeitig, so daß eine linear kausale Sichtweise eine unzulässige Verkürzung darstellt. Hier wird vielfach der von Norbert Wiener, dem Begründer der Kybernetik, geprägte Begriff »zirkuläre Kausalität« verwendet, um den Prozeß zu verdeutlichen, in dem die Teile eines Systems wechselwirkend aufeinander einwirken. In einem solchen Wechselwirkungsgefüge hat jede Handlung Rückwirkungen auf die handelnde Person selbst, ein Aspekt, der als »Selbstreferenz« oder »Selbstrückbezüglichkeit« bezeichnet wird. Der Begriff der zirkulären Kausalität könnte implizieren, daß es nur um eine andere Art von Kausalitätsverständnis gehe, wenn man systemisch denke. Dies ist irreführend. In der familientherapeutischen Diskussion wurde daher verstärkt überlegt, ob es nicht sinnvoller sei, auf den Kausalitätsbegriff gänzlich zu verzichten. So schlägt Dell (1986)
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vor, von der »Ko-Evolution von Mustern« zu sprechen und so deutlich zu machen, daß an die Stelle der Suche nach Ursachen die Beschreibung von Mustern tritt, innerhalb derer keiner Größe eine determinierende Stellung zugeordnet werden kann. Der Vorteil des »Muster«Konzepts ist, daß damit auch der Beobachter einbezogen werden kann. »Die Grundtatsache der ›inneren Erfahrung‹ ist, daß die Ursache imaginiert wird, nachdem die Wirkung erfolgt ist … Das kausale Schema wird … also keine unbezweifelbare Grundlage, sondern das Produkt einer rhetorischen Operation« (Nietzsche zit. nach Culler 1988, S. 96). Die Frage, ob es Kausalität »gibt« oder nicht, hat nicht nur die systemische Therapie beschäftigt. Von Foerster (1988, S. 24) zitiert Wittgenstein: »Der Glaube an den Kausalnexus ist der Aberglaube«. Unseres Erachtens haben wir es primär mit einem epistemologischen Problem zu tun. Der Begriff »Kausalität« stellt einen Komplexitätsreduktionsversuch eines Beobachters dar. Kausalität »gibt« es in unserem Kopf, nicht »da draußen«. Damit wird die Frage nach dem Verwendungszusammenhang von Kausalität eine pragmatische und nicht eine Frage von »richtig« oder »falsch«. Dies ist wichtig, denn der Verzicht auf den Glauben an Kausalität könnte zu der Frage führen, was man als Therapeut oder Therapeutin denn dann noch für Möglichkeiten hat zu intervenieren. Dieser Verzicht muß nicht gleichzeitig den Glauben an Wirksamkeit in Frage stellen. Doch mit allem was ich in einem System tue, werde ich Teil eines komplexen Wechselwirkungsgefüges, kann ich die Wirkung meines Handelns nicht im Voraus berechnen. In der Therapie kann es sogar sinnvoll sein, mich als außerhalb der Familie zu beschreiben, als eine für das System bedeutsame Umwelt, die Randbedingungen für Veränderung bereitstellt. In der Supervision genau dieser Tätigkeit ist es dann sinnvoll sich als Teil des Musters, als Teil des Problemsystems zu verstehen und die Wechselwirkungszusammenhänge zu betrachten, in denen ich stehe. Der Biologe Riedl (1981) sieht in dem Denken in Kausalitätszusammenhängen eine angeborene Erkenntnisstruktur. Er spricht daher auch von unseren »angeborenen Lehrmeistern«, die in einer mittelmäßig komplex strukturierten Lebenswelt evolutiv sinnvoll sind. Es ist sinnvoll, in Kausalzusammenhängen zu denken, solange man mit Alltagssituationen und dem hauptsächlichen Umgang mit der dinghaften Welt konfrontiert ist: Wer Licht haben möchte und auf den Schalter drückt, hat mit Hilfe des Kausalitätsdenkens ein funktionales Ergebnis erzielt. Die Vorstellung, daß er mit diesem Akt in Interaktion getreten
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ist mit kumulierter gesellschaftlicher Erfahrung, daß er über den Umgang mit funktionell veränderter Materie und über sein Verhalten im Rahmen erwarteter Handlungsmuster (er benutzt nicht den Hammer, um das Licht anzuknipsen) eine Beziehung eingeht zu einer Fülle von Menschen, ohne die dieser Lichtschalter nicht möglich geworden wäre, wäre für die Erreichung des Ziels »Licht« eher hinderlich (vgl. Kriz 1981). Es handelt sich bei dem Akt um einen pragmatisch effektiven Erkenntnisvorgang: Die Konzepte »Licht« und »Schalter« wurden über eine Kausalbeziehung effektiv in Zusammenhang gestellt. Schalter
→
Licht
Wenn ich als erkennendes Subjekt jedoch einen ähnlichen Kausalzusammenhang zwischen den von mir vorgenommenen Komplexitätsreduktionen: »Körper« und »Störung« oder »Mutter« und »schizophrenes Kind« herstelle, vergesse ich, daß diese Konzepte keine Dinge repräsentieren, sondern Prozesse. Ich vergesse den Erkenntnisakt, den es bedeutet hat, in die mich umgebende Komplexität eine Grenze zu ziehen und das Konzept »Mutter« daraus zu isolieren. Dasselbe habe ich mit dem komplexen Bündel von Handlungen und Kommunikationen gemacht, die ich dann gemeinsam mit meiner Sprachgemeinschaft »psychische Krankheit«, »Schizophrenie« oder ähnliches nenne. Auf diese beiden Erkenntnisakte werde ich nun von meinem angeborenen Lehrmeister aufgefordert, die kausalorientierte Erkenntnisstrategie anzuwenden: Mutter
→
Schizophrenie
oder, genauso problematisch: Familie
→
Krankheit
Wenn überhaupt, so sind zwischen die Begriffe Milliarden von Interaktionspfeilen zu ziehen, stellvertretend für den Prozeß der Transaktionen in einem komplexen Feld, der sich in einer unendliche Zahl kleiner Sequenzen vollzieht. Es ist nicht falsch, das Geschehen zwischen einer Mutter und ihrem Kind in kleine Ausschnitte von kausalen Teilbeziehungen zu zerlegen: »Weil die Mutter X tut, darum tut das Kind Y.« Ein solcher Versuch der Komplexitätsreduktion kann hilfreich sein, er ist in unzähligen Beratungsfällen handlungsleitende Landkarte des Beraters gewesen (und wahrscheinlich nicht permanent
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erfolglos). Doch scheint eine Sichtweise, die beide Personen als Teil eines gemeinsam entwickelten Musters sieht, diesem rekursiven Prozeß mehr gerecht zu werden und vor allem implizite Schuldvorwürfe zu vermeiden. Es ist also nicht so sehr die Frage, ob es richtig ist, sondern wie sinnvoll und ethisch vertretbar es ist, die Interaktionen zum Beispiel zwischen Eltern und Kind in Richtung auf eine bestimmte Ursache-Wirkungs-Abfolge hin zu interpunktieren und diese kontextungebunden zu sehen, ohne die Beziehungen zwischen den Eltern und dem Rest der Familie und die Wechselwirkungen zwischen Eltern und Kind mit einzubeziehen (von Schlippe u. Matthaei 1987). Kausalität läßt sich für eine systemische Sichtweise als ausschließliches Erklärungsprinzip nicht als ausreichend ansehen. Die Rolle einzelner Personen wird in der familientherapeutischen Theoriebildung nicht mit Begriffen von kausalen Erklärungsprinzipien beschrieben. Das Kind wird weder als »krank« noch als »Opfer« der es »ausbeutenden« oder »kranken« Mutter beziehungsweise Eltern betrachtet. Es ist vielmehr Teilnehmer an einer bestimmten Art von »Beziehungstanz« (Minuchin), der mit Leid für alle Beteiligten einhergeht. Ein Symptom wird eher als Signal verstanden, als ein Hilferuf für die ganze Familie – daher wird der »Patient« auch meist als »Indexpatient« bezeichnet, um seine Rolle als »Anzeiger« im System auszudrücken. Im Lichte einer systemischen Erkenntnistheorie wird die Frage nach der Ursache der Störung bedeutungslos. Die Suche nach Antwort auf die Frage nach der Ursache erübrigt sich, da es sich um ein Problem der Frage handelt und nicht der Antwort. Daher leistet die Systemtherapie weder eine »Behandlung der Ursachen« noch eine der Symptome, sondern sie gibt lebenden Systemen Anstöße, die ihnen helfen, neue Muster miteinander zu entwickeln, eine neue Organisationsgestalt anzunehmen, die Wachstum ermöglicht.
3.3. Sprache und Rekursivität: Wie erzeugen wir soziale Wirklichkeiten? Das »Reich der Sprache« Wenn »Wirklichkeit(en)« als das Ergebnis konsensueller Übereinkünfte gesehen werden können, wenn es sinnvoll erscheint, das Konzept der Kausalität vor allem als Erkenntnisinstrument und nicht als
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ontologische Einheit wahrzunehmen, dann stellt sich eine Frage ganz besonders: Wie wird in sozialen Systemen das »hergestellt«, was wir gemeinsam mit anderen als Wirklichkeit erleben? Menschen sind zwar »nicht die einzigen Tiere, die in ihrer sozialen Existenz sprachliche Bereiche hervorbringen. Dem Menschen eigentümlich ist jedoch, daß sie in ihrer sprachlichen Verhaltenskoordination einen neuen Bereich von Phänomenen hervorbringen, nämlich das Reich der Sprache« (Maturana u. Varela 1987, S. 226). Dieses »Reich der Sprache« bringt es mit sich, daß wir es immer mit zwei verschiedenen Ebenen zu tun haben, mit den Dingen und mit dem Sprechen über die Dinge. Kraß wird es von Tomm (1989b) so ausgedrückt: »Der ›Geist ist nicht im Gehirn‹, er liegt in den linguistischen Interaktionen menschlicher Akteure« (S. 201). Wir können keine Erkenntnis über die Welt der Dinge erlangen, ohne uns in die Welt der Beschreibungen zu begeben: »Sprache wurde niemals von jemandem erfunden, nur um damit eine äußere Welt zu internalisieren. Deshalb kann sie nicht als Mittel verwendet werden, mit dem sich eine solche Welt offenbar machen läßt. Es ist vielmehr so, daß der Akt des Erkennens in der Koordination des Verhaltens, welche die Sprache konstituiert, eine Welt durch das In-der-Sprache-Sein hervorbringt« (Maturana u. Varela 1987, S. 253). Jaynes beschreibt in einer ausführlichen Arbeit über das Bewußtsein (1988) die Sprache als ein »Wahrnehmungsorgan« und nicht einfach nur als »Kommunikationsmittel«. Bewußtsein scheint dabei analog zu funktionieren wie die Wahrnehmung: Da wir kein Bewußtsein von dem haben können, was uns nicht bewußt ist, konstruieren wir permanent eine kontinuierliche und konstante Welt des Erlebens, überbrücken wir »blinde Flecken« des Bewußtseins und stabilisieren so unsere Welt in einem aktiven und selbstorganisierten Prozeß: »… das Gefühl von einem reich und ununterbrochen dahinströmenden Innenleben, einem Strom, der sich bald gemächlich durch träumerische Stimmungen windet, bald reißend in die Schluchten jäher Einsichten hinabstürzt, ein andermal wieder gleichmäßig durch unsere hochgestimmten Tage rauscht – dieses Gefühl ist nichts anderes als … eine Metapher dafür, wie das subjektive Bewußtsein dem subjektiven Bewußtsein erscheint … Und genauso, wie die Löcher in der Raumwahrnehmung, die der blinde Fleck hervorruft, ›gestopft‹ werden, ohne daß die kleinste Lücke hinterbleibt, schließt sich das Bewußtsein über seinen Zeitlöchern und gibt sich den täuschenden Anschein eines Kontinuums« (Jaynes 1988, S. 37f).
Dieser Prozeß geschieht nun nicht individuell, sondern sozial-kommunikativ: Wir erzählen uns selbst und uns gegenseitig ständig, wie die Welt ist, und halten sie damit stabil. »Menschen sind unverbesserliche
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und geschickte Geschichtenerzähler, und sie haben die Angewohnheit, zu den Geschichten zu werden, die sie erzählen. Durch Wiederholung verfestigen sich Geschichten zu Wirklichkeiten, und manchmal halten sie die GeschichtenerzählerInnen innerhalb der Grenzen gefangen, die sie selbst erzeugen halfen« (Efran et al. 1992, S. 115). Unsere Sprache stellt den Rahmen dar, vor dem unsere Erfahrungen Bedeutungen bekommen, ja, unsere Erfahrungen sind ohne diese Bedeutungsgebung überhaupt nicht (mehr?) denkbar. Menschliches Leben findet in einer Welt der Bedeutungen statt, in Konversation, im Gespräch und im Erzählen: »Das Bewußtsein ist aus solchem Stoff, wie Dichtung ist … ein Werk der sprachlichen Metaphorik« (Jaynes 1988, S. 77f). Diese Vorstellungen führen inzwischen bei einigen Vertretern systemischer Therapie zu der Frage, ob Kybernetik und Systemtheorie als Rahmenkonzept nicht durch eine eher linguistische Betrachtungsweise abgelöst werden sollten. Familiensysteme werden nicht mehr als kybernetische Einheiten angesehen, in denen Mitglieder einer Familie wechselseitig ihr Verhalten regulieren, sondern viel mehr als sprachliche Systeme, in denen Mitglieder durch ihre Konversationen Bedeutungen erzeugen und so eine gemeinsame Darstellung der Wirklichkeit schaffen.
Sprache als Ordner, Sprache als Trivialisierung Landläufige Vorstellungen von Sprache verstehen diese als Möglichkeit der Abbildung von Welt. Das Wort »Tisch« repräsentiert das Ding »Tisch« in meinem Kopf. Die Aufgabe der Sprache sehen wir dann meist darin, Beschreibungen zu liefern, die sich an Begriffen wie Wahrheit, Objektivität und Realität messen lassen. Daß und in welchem Ausmaß Sprache jedoch gerade eine konstituierende Funktion für unsere Erfahrung von Wirklichkeit hat, müssen wir uns immer wieder ins Bewußtsein holen. Für Haken, den Begründer der Synergetik, ist die Sprache das Musterbeispiel eines Ordners, der jeden, der sich seiner bedient, versklavt (1987, S. 64). Noch weitergehend versteht Whorf (zit. nach Mengham 1995, S. 18) die Sprache als »nahezu eigenständige Intelligenz«, die sich der sprachlichen Kompetenz einzelner Menschen bedient. »… wollen wir überhaupt aus der Nacht der Sprachlosigkeit heraustreten, …, dann müssen wir uns den Ordnungskräften, den Regeln und grammatischen Strukturen, die in der Sprache zur Wirkung kommen, unterwerfen …Ursache-Wirkungsketten bzw. Punktuierungen erwachsen gleichsam unreflektiert aus der Weise, wie sich
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Subjekt und Prädikat zusammenfügen, überhaupt, wie sich Wörter in Sequenzen ordnen, sich daraus Sätze und somit auch Erklärungen ergeben. ›Der Stein zertrümmert die Scheibe. Der Vater drangsaliert die Mutter. Die Treulosigkeit des Mannes bricht der Frau das Herz. Lotte wurde von ihren Schulkameradinnen wegen ihrer Pummeligkeit gehänselt und entwickelte daher eine Magersucht usw.‹ Also: Wenn immer wir überhaupt sprechen, wenn immer wir durch die Sprache bzw. ihre Grammatik vorgegebenen Linien folgen, ergeben sich Ursache-Wirkungsverknüpfungen, Erklärungen, Sinn und Realitätsbezug fast zwangsläufig wie von selbst« (Stierlin 1990, S. 267f).
In diesem Zusammenhang ist von Foersters Begriff der »Trivialisierung« von Bedeutung. Er entspricht dem, was Haken als »Ordner« beschreibt. In beiden Fällen wird für die einzelnen Elemente durch die Zugehörigkeit zum System die Zahl der Wahlmöglichkeiten reduziert. Lebende Systeme mit einem unendlich großen und niemals vorhersagbaren Repertoire an möglichen Verhaltens- und Erlebensweisen werden im Verlaufe ihrer Zugehörigkeit zu einem System »trivialisiert«, das heißt, es werden Klassen von Verhaltensweisen ausgebildet, die zu den Systemregeln passen, andere werden unterdrückt (von Foerster 1981). Hierzu ein Beispiel: Es ist bekannt, daß das Wahrnehmungssystem Neugeborener in der Lage ist, neue Information in vielfältigster Weise zu strukturieren. Säuglinge begleiten bereits kurz nach ihrer Geburt die sprachlichen Angebote ihrer Umwelt durch minimale Körperbewegungen und beginnen auf diese Weise, den kontinuierlichen Sprachfluß, der auf sie einströmt, zu interpunktieren und zu zerlegen – und zwar gleichgültig, ob es sich um Chinesisch, Russisch oder Deutsch handelt (Kriz et al. 1987, S. 25). Diese universale Fähigkeit geht im Lauf weniger Monate verloren. Dafür wird jedoch die Muttersprache immer eindeutiger in Phoneme zerlegt, das heißt, das Kind versteht diese immer besser auf Kosten der Universalität seines Sprachverständnisses. Es hat also eine Einschränkung stattgefunden, das stimmt. Aber es stimmt auch nur zum Teil, denn es ist auch eine Bewältigungsleistung auf einem höheren Niveau erfolgt: das Verständnis einer Sprache. Sprache ist ein System. Der Einstieg in dieses System, die strukturelle Koppelung zwischen dem kognitiven System des Kindes und dem System Sprache bedeutet eine Reduzierung der Wahlmöglichkeiten und gleichzeitig eine Verbesserung im Umgang mit Weltkomplexität: »Happa, happa« ist keine beliebige Lautfolge mehr, sondern einigermaßen fest vorhersagbar verknüpft mit Nahrung. Lernen ist also Einschränkung und Erweiterung zugleich (nach von Schlippe 1991, S. 369); Haken (1987) spricht in diesem Zusammenhang von der »Janusköpfigkeit« der Sprache.
In der Sprache manifestieren sich dabei auch gesellschaftliche Strukturen, die den Spielraum einer Person in der Familie und den der Familie selbst begrenzen: »… jeder ist zugleich Opfer und Täter in einem Prozeß, der zwar familiäre Sinnprovinzen zuläßt, der aber nicht darüber hinwegtäuschen kann, daß auch in der Familie der allergrößte Teil täglicher menschlicher Handlungen Botschaften sind an uns selbst und
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andere in erster Linie zur Aufrechterhaltung gesellschaftlicher Wirklichkeit« (Kriz 1990, S. 103).
Rekursivität der Sprache Sprache bietet eine besondere Qualität: die Möglichkeit der Reflexivität. Darin liegt eine Chance. Wir können über die Art und Weise, wie wir Wirklichkeit schaffen und interpunktieren, reflektieren – auch wenn, wie Stierlin (1990) betont, es erstaunlich ist, wie wenig bislang alles Hinterfragen gegen die »Ordnungsgewalt der Sprache« auszurichten vermochte. Daß die unreflektierte Verwendung von Sprache nämlich nicht ganz ungefährlich ist, darauf verweist er, wenn er überlegt, wie sich durch Sprache die Vorstellung einer harten und widerspruchsfreien Ordnung durchsetzen kann: »Wie das möglich wird, zeigt sich vielleicht am eindrucksvollsten an dem, was wir Abstraktion nennen. Indem uns Sprache von einer konkreten Anschauung und einem gegebenen Kontext zu abstrahieren gestattet, ermöglicht sie letztlich auch einen Reflektionsprozeß, der dazu führen kann, die Grenzen und Gefahren unseres Sprachgebrauchs zu erkennen, die Sprache als Ordner zu hinterfragen. Aber Abstraktion – und damit zeigt sie ihr Janusgesicht – bringt auch die Versuchung mit sich, das jeweils Abstrahierte zu verdinglichen. Gerade die Weise, wie Sprache Verdinglichungen ermöglicht und legitimiert, erweist sie dann als ›harten Ordner‹. Das gilt nicht zuletzt für die deutsche Sprache und insbesondere die deutsche psychologische Fachsprache, die inzwischen weitgehend in unsere Umgangssprache eingeflossen ist. Sie zeigt sich übersät mit Verdinglichungen wie ›das Unbewußte‹, ›die Depression‹, ›der Trieb‹, ›die Psychose‹, ›der psychische Apparat‹, ›das Selbst‹ oder gar ›das wahre Selbst‹. Es zeigt sich gleichsam eine Sprachlandschaft, die uns an Betonsilos in Satellitenstädten – Wohngebirge der Verdinglichung – denken läßt« (Stierlin 1990, S. 268).
Die Möglichkeit, Sprache reflexiv auf sich selbst anzuwenden, verweist auch auf Verantwortung: Wenn Wirklichkeit Ergebnis eines konsensuellen Abgleichungsprozesses ist, dann sind wir aufgefordert, ständig diesen Abgleichungsprozeß zu überprüfen. Da uns Kriterien wie Wahrheitsnähe nicht (mehr) zur Verfügung stehen, bieten sich andere Kriterien an. Ludewig schlägt vor, »Nutzen, Schönheit, Respekt« als Rahmen zu wählen, an dessen Einhaltung das Verhalten eines Therapeuten evaluiert werden könne (1988). Natürlich sind dies Kriterien, die in einer ganz anderen Weise als das Kriterium der Wahrheitsnähe den Diskurs erfordern – eine unauflösbare merkwürdige Schleife: mit sprachlichen Mitteln muß die Verwendung von Sprache qualifiziert werden. »Übereinstimmung (ist) etwas Zerbrechliches,
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ständig neuem Aushandeln und Kontroversen unterworfen« (Anderson u. Goolishian 1990, S. 213). Ein gutes Beispiel des sorgsamen Umganges mit Sprache findet sich im Umgang mit Schlüsselwörtern. Das Arbeiten mit Schlüsselwörtern Schlüsselwörter sind Wörter, die in besonderer Weise geeignet sind, Optionen in einem System neu zu öffnen, das sich in einer bestimmten Wirklichkeitssicht festgefahren hat. Wie Boscolo et al. (1993) betonen, gibt es Schlüsselwörter, die für viele Situationen passen, andere gelten nur für jeweils eine spezifische Gelegenheit. Je vielfältiger sich an Schlüsselwörter neue und ungewohnte Konnotationen anknüpfen können, desto hilfreicher sind sie potentiell, da sie aktive assoziative Suchprozesse auslösen. Als ein Beispiel führen Boscolo et al. (1993, S. 113ff) das Wort »Streik« an. Bei einer Familie, in der sich der Symptomträger weitgehend zurückgezogen hat und zu einem ans Haus gefesselten Einsiedler geworden ist, wäre es möglich, die Familie zu fragen: »Wie erklären Sie sich die Tatsache, daß sie/er in Streik getreten ist?« oder den Betroffenen selbst: »Warum haben Sie beschlossen, in Streik zu treten?« Gerade im Kontext von (psychischer) Krankheit bietet das Wort eine Fülle von neuen Bedeutungen an, es ist polysemantisch. Es ist verknüpft mit der Vorstellung eines freiwilligen, absichtlichen Verhaltens (und nicht dem Bild, hilflos der Krankheit ausgeliefert zu sein). Es impliziert eine Beziehung (Streik:wem gegenüber?). Es ermöglicht weiteres Nachdenken: Streiks können gerechtfertigt oder ungerechtfertigt sein, für jemanden oder gegen jemanden ausgerufen werden, können darauf abzielen, etwas zu erreichen oder etwas zu verhindern und so weiter. Schließlich impliziert es Endlichkeit statt Unendlichkeit (vgl. Schweitzer u. Schumacher 1995). Schlüsselwörter, so behaupten Boscolo et al., erleichtern den Wechsel von einem »Sprachspiel« zu einem anderen – und es entspricht therapeutischer Ethik, daß dieses neue Sprachspiel den Beteiligten mehr Spielraum einräumt als das alte. Ein wichtiges Schlüsselwort für neue Sprachspiele ist das Wort »Gedanke«. Durch die Frage danach, wann z. B. dem Vater zum erstenmal der Gedanke kam, er könne seinen Kindern kein guter Vater sein, wird aus dem ontologischen Spiel: »Wer ist inkompetent?« ein epistemologisches Spiel: »Wer denkt, er sei inkompetent?« Damit wird ein hohes Maß an Mehrdeutigkeit erzeugt.
Die Rekursivität der Sprache verweist ferner auf die Fähigkeit, das erlebte Interaktionsgeschehen permanent zu qualifizieren, also innere Kommentare über die Interaktion und über das eigene Erleben abzugeben. Dieses Phänomen ist als »innerer Bezugsrahmen« in der Psychotherapie ein Begriff: In Familien sind es vielfach nicht die Auseinandersetzungen selbst, mit denen die Familienmitglieder sich das Leben schwermachen, sondern die inneren Bewertungen dieser Auseinandersetzungen.
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Dieser innere Bezugsrahmen läßt sich durch eine Skulptur externalisieren: Ein Ehepaar zeigte eine verstrickte und durch geeichte Kommunikationsschleifen gekennzeichnete Interaktion. im Lauf des Gespräches wurde deutlich, daß was immer der Partner sagte, vom anderen in einer ganz spezifischen Weise »geeicht« interpretiert wurde. Der Ehemann erlebte sich in vielfacher Hinsicht als »übergebügelt«, die Frau sah seine Reaktionen auf ihre Wünsche als ein Zeichen, daß sie doch nie das bekommen würde, was sie brauche. Eine Skulptur machte diese Verstrickung deutlich: Das Ehepaar setzte sich einander gegenüber, in der Hand hielten beide eine Schnur, die sie verband. Seitlich versetzt hinter ihnen saß auf jeder Seite ein »Monster« als Berater, es war der externalisierte innere Bezugsrahmen. Auf dem Beraterstuhl für den Mann lag ein Zettel mit der Aufschrift »Immer werde ich übergebügelt!«, auf dem Beraterstuhl der Frau der Zettel: »Nie bekomme ich, was ich brauche!« Es wurde deutlich, daß jede der durch das Band symbolisierten Interaktionen der beiden durch diese Monster qualifiziert wurde. Im nächsten Schritt wurde eine »Als-Ob-Wirklichkeit« eingeführt: Vom Raum wurde durch eine Markierung ein »unwirklicher« Raum abgeteilt, in dem die beiden versuchten, ohne ihre »Berater« (»die haben für einen Moment frei …«) in Kontakt zu kommen. Es entwickelte sich schnell eine ganz neue Qualität des Gesprächs.
Sprache und Systeme Sprachliche Koordination dient Menschen in sozialen Systemen dazu, sich auf bestimmte gemeinsame Themen zu einigen, die einen gemeinsamen Sinn konstituieren. Solch ein Sinn kann langdauernd sein wie »Ehe«, »Familie« oder ähnliches. Er kann aber auch kurzfristig sein wie die Zusammenkunft zum Zweck, ein gemeinsames Buch zu schreiben. In jedem Fall läßt sich neu betrachten, wie ein spezifisches System sich um ein Drittes herum neu oder anders bildet. Dieses Dritte kann nun mehr oder weniger massiv zu einem organisierenden Prinzip werden, um das herum sich das jeweilige Kommunikationssystem aufbaut. Daher wird bei Systemen, die sich um ein Problem herum organisieren, auch von »Problemsystemen« oder »problembezogenen Systemen« gesprochen: Menschen konstituieren über ihre Handlungen ein Problemsystem, das heißt ein System, zu dem der Vorsatz gehört, das Problem zu beseitigen. In ähnlicher Weise kann man beispielsweise bei den Kommunikationen von Autoren, Hilfskräften, Kollegen, Verlegern, Lektoren, die das Ziel verfolgen, ein Buch herauszubringen, von einem »Buchsystem« sprechen, ähnliches gilt für Einzelhändler, Lieferanten und Kunden, die in gemeinsamer Kommunikation ein »Lebensmittelsystem« bilden und anderes. Da es nicht um die Personen selbst geht, sondern um die Kommunikationen und Interaktionen zwischen ihnen, liegt die Zusammensetzung eines Problemsystems nie in starrer
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Weise fest, mit der Veränderung einer Problemdefinition kann auch sie sich verändern (Anderson u. Goolishian 1990, Loth 1991). Besonders interessant ist die Rolle der Sprache bei scheinbaren »hard facts«, etwa wenn eine organisch nachweisbare Erkrankung vorliegt: Exkurs: Chronische Krankheit in ihrem sprachlichen Kontext Bei der Beschäftigung mit chronischer Erkrankung ist es unseres Erachtens wichtig, zwei Bereiche zu unterscheiden, die sich auf verschiedene Aspekte menschlicher Wirklichkeit beziehen: Krankheit und Chronizität. Wir sind gewohnt, alle mit einer Krankheit verbundenen Prozesse mit dem Wort »Krankheit« zu belegen. Nehmen wir als Beispiel das kindliche Asthma (vgl. von Schlippe u. a. 1994). Beim Asthma spielen sich die Verkrampfung der Bronchien, das Wirken der Medikamente, das Abklopfen eines Thorax auf einer ganz anderen Ebene ab als das Sprechen über diese Phänomene. Es ist ein großer, vielleicht sogar entscheidender Unterschied, ob das Rasseln in der Lunge als »Anzeichen einer kleinen Erkältung«, als »es ist nichts, du bildest dir das nur ein«, als »spastische Bronchitis« oder als »Asthma« beschrieben wird. Was »innendrin« passiert, ändert sich zunächst nicht, egal, wie es benannt wird. Doch die Art des Umgangs damit wird entscheidend durch die Art Beschreibungen moderiert und damit mittelfristig auch die Krankheit selbst. Je länger ein Geschehen andauert, um so wichtiger ist es, zwischen der Krankheit und dem Sprechen über Krankheit zu differenzieren. Denn eine »kleine Erkältung« geht tatsächlich meist nach ein paar Tagen vorbei, unabhängig davon, wie über sie gesprochen wird. Doch bei einer länger andauernden Krankheit werden über die Sprache entscheidende Weichen dafür gestellt, wie eine Person mit der Krankheit umgeht, wie sie ihre eigenen Möglichkeiten einschätzt und erlebt. Chronizität, das heißt nicht beziehungsweise nicht nur, eine Krankheit zu haben und an ihr über einen nicht absehbaren Zeitraum hinweg zu leiden, sondern heißt vor allem: über Krankheit zu sprechen, mit sich selbst, mit anderen. Von chronischer Krankheit zu sprechen, ergibt daher nur Sinn, wenn man sich neben den krankheitsbezogenen Routinen vor allem die sprachgebundenen Prozesse anschaut, die damit verbunden sind, zum Beispiel beim kindlichen Asthma: – sich zu fragen: warum ich??? – dem Ehepartner vorzuwerfen, warum er/sie geheiratet habe, obwohl er doch wissen mußte, daß sein Onkel und seine Großtante Asthma gehabt hatten – sich selbst mit Schuldgefühlen zu zerquälen – den Tod zu phantasieren und unter diesen Phantasien bereits Todesängste zu erleiden – sich zu fragen, was die Nachbarn, Freunde, Verwandten über einen denken – eine Selbsthilfegruppe zu gründen bzw. einer beizutreten – mit schlechtem Gewissen den Arzt zu belügen, wenn er nach dem Rauchen fragt – zu inhalieren und ärgerlich daran zu denken, daß andere Kinder nach draußen gehen können; deswegen auf die Mutter zu schimpfen, die einen dazu zwingt – mit Mutter und Vater ums Inhalieren zu streiten – ständig die nächste Katastrophe zu erwarten – für die Mutter: vor Angst nicht schlafen zu können, und dann sicherheitshalber gleich im Kinderzimmer zu liegen, um die Atemzüge des Kindes zu hören – auch wenn der Ehemann zunehmend ärgerlich wird
Kernfragen systemischer Therapie
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– für die Geschwister: eifersüchtig zu sein auf die Aufmerksamkeit, die der Kranke bekommt – für das Kind selbst: sich und anderen deutlich zu machen, daß man »nichts« kann, hilflos ist – in der Schule daher durchzusetzen, daß es vom Sport befreit wird – verschiedene Fachleute zu konsultieren. Die sagen dann solche Dinge wie: das wächst sich aus; das ist psychosomatisch; damit müssen Sie Ihr ganzes Leben leben; lassen Sie alle Medikamente weg; wenn Sie nicht alle Medikamente regelmäßig nehmen, wird es Ihnen ganz schlecht gehen; nehmen Sie nur natürliche Substanzen; machen Sie Akupunktur oder Diät usw. – für die Fachleute selbst: in den Einrichtungen bestimmte Meinungen zu haben und zu propagieren, vehement über die Kollegen schimpfen, die für/gegen Naturheilkunde sind, für/gegen psychologische Betreuung eintreten usw. und entsprechend: – auf Kongressen und in Büchern eigene Erfahrungen und Lehrmeinungen vorzustellen und zu verteidigen, andere Vorstellungen als irrig abzutun, Forschungsetats zu beantragen usw. Ein Reigen von sprachlichen Interaktionen, und die Fachleute sind nicht objektive Beobachter dieser Prozesse, sondern sind mit dabei, diesen Reigen mitzugestalten, fortzusetzen, gegebenenfalls sogar in Gang zu setzen. Die Beziehungsumwelt von Krankheit ist im wesentlichen ihr sprachlicher Kontext. Was wir als körperliche Krankheit erleben und so bezeichnen, wird durch den Akt der Versprachlichung (auch) eine soziale Konstruktion. Und von dem Moment an reagieren wir nicht nur auf die Krankheit, sondern wir konstruieren die Phänomene mit, mit denen wir es zu tun haben. Wenn wir uns über die Art, wie wir Krankheit beschreiben, Gedanken machen, wird es möglich, eine wichtige Unterscheidung zu ziehen: Schafft die Art, in der von Patienten, Familien und Fachleuten über Krankheit gesprochen wird, Freiräume oder reduziert sie sie? (nach: von Schlippe et al. 1994).
Das bisher Gesagte läßt sich nun ausweiten auf ein systemisches Verständnis von Problemen überhaupt. Probleme sind die sprachliche Organisation um etwas herum, das ohne diese sprachliche Organisation möglicherweise gar nicht bestünde, auf jeden Fall aber völlig anders aussähe. Ein Problem erzeugt ein System, nicht umgekehrt.
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4. Ein systemisches Verständnis von »Problemen« 4.1. Problemdeterminierte Systeme Der von Goolishian und Mitarbeitern (z. B. 1988) eingeführte Begriff »Problemdeterminiertes System« verdeutlicht die Grundidee der Problementstehung. Nicht ein System (z. B. eine Familie, eine Klinik, eine Firma) »hat« das Problem als sozusagen zu ihm gehörendes Strukturmerkmal (»Herr Doktor, ich habe eine Depression« – »Haben Sie sie mitgebracht?«). Vielmehr kann man die Dinge auch andersherum betrachten: Um ein wie auch immer, möglicherweise sogar zufällig entstandenes Verhalten oder Thema herum entwickelt sich ein durch die Kommunikationen über das Problem charakterisiertes Sozialsystem. Ein Problem erschafft ein System. Ein solches Verständnis hat viele weitreichende Implikationen. Die erste: Probleme werden nicht als Ausdruck einer inhärenten »Dysfunktionalität« (einer Pathologie) eines sozialen Systems gesehen, sondern als Folge einer Verkettung von Umständen. Einstmals prominente, jedoch implizit schuldzuweisende Konzepte wie »elterliche Kommunikationsabweichungen« (Wynne u. Singer 1965), elterlicher Zwist (»Embroglio«, Selvini Palazzoli et al. 1991) oder »schizophrenogene Mutter« gehören in dieser Sichtweise zur Theoriegeschichte. Problemsysteme können sich aus ganz verschiedenen Handlungen ganz verschiedener Akteure auf ganz verschiedenen Systemebenen zusammensetzen: Zum Problemsystem »Psychose« etwa kann gehören, was ein Patient tut, sein Nachbar, ein Polizist, ein Krankenwagenfahrer, verschiedene Mitarbeiter der Nervenklinik, verbunden mit einer (psychiatrischen) Krankheitslehre und den Handlungen um eine zu erwartende Frührente; zum Problemsystem »mangelnde Leistung einer Abteilung« die Interaktionen der fünf Mitarbeiter, des Abteilungsleiters, seines Vorgesetzten und des Betriebsprüfers vor dem Hintergrund einer Konjunkturflaute.
Entsprechend sind lösungsorientierte Interventionen auf ganz verschiedenen Ebenen möglich. Und häufig ist eine »Generalsanierung« desjenigen sozialen Systems, in dem das Problem als erstes bemerkt und beklagt wird, gar nicht erforderlich, denn nicht das System muß sich verändern, sondern nur die Kommunikationen rund ums Problem. Ein Problem gilt als gelöst, wenn alle oder zumindest die »wichtigen« Leute meinen, daß das Problem gelöst sei. Diese Idee legt weitreichenden Missionierungsideen unter Beratern und Therapeuten gewisse Zügel an.
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4.2. Was ist ein Problem? Ein Problem ist etwas, das von jemandem einerseits als unerwünschter und veränderungsbedürftiger Zustand angesehen wird, andererseits aber auch als prinzipiell veränderbar. Ähnlich definiert Ludewig als Problem »jedes Thema einer Kommunikation, die etwas als unerwünscht und veränderbar wertet« (1992, S. 116). Die Elemente dieser Definition implizieren bereits mögliche Lösungswege: 1) »Ein Zustand«: Wenn ein Problem von einer Reihe von Personen als Zustand angesehen wird, ist dies bereits eine gewaltige Selektionsleistung. Aus vielen gleichzeitigen Prozessen wird einer oder werden einige in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt, es wird ihm ein Name gegeben, andere Prozesse treten in den Hintergrund. Und dies geschieht nicht nur einmal! Eine Fülle von Handlungen und Kommunikationen, die von verschiedenen Personen als »immer das gleiche« oder »es ändert sich nichts« beschrieben werden, sind nötig, um das aufrechtzuerhalten, was dann schließlich »Zustand« oder »Problem« genannt wird. 2) »Von jemandem«: Es braucht immer einen oder mehrere Beobachter, die einen Zustand entdecken und beschreiben. Diese können sich einig sein oder sich auch heftig darüber streiten, ob etwas ein Problem ist und wo das Problem »wirklich« liegt. 3) »Unerwünscht/veränderungsbedürftig«: Der Zustand wird von zumindest einigen der Beschreiber als unerwünscht beziehungsweise veränderungsbedürftig beschrieben. Er gilt als »nicht in Ordnung«, und darin liegt das Motiv, ihn zu ändern oder darauf zu dringen, daß ihn jemand ändert. An dieser Stelle ist es hilfreich, zwischen »Problem« und »Leiden« zu unterscheiden. Ein Leiden wird erst dann zum Problem, wenn ein Leidender, der subjektiv Leid empfindet, dies einem anderen mitteilt – oder dieser das bei ihm vermutet –, und wenn sich daran weitere Kommunikationen anschließen. Wenn zum Beispiel jemand von sich sagt, er leide und ein anderer reagiert darauf mit: »Das bildest du dir nur ein!« und sich abwendet, entwickelt sich daraus weder ein Problemsystem, noch ein Hilfesystem, es sei denn, es gibt jemanden, der auf diesen Vorgang sprachlich reagiert und ihn problematisiert: »Da leidet jemand, und man hilft ihm nicht!« (Loth 1994, s. a. Anderson u. Goolishian 1990). 4) »Veränderbar«: Der Zustand gilt als prinzipiell veränderbar, das heißt er wird zumindest von einigen am Problemprozeß beteiligten Personen (»Mitgliedern«) als veränderbar beschrieben. Probleme unterscheiden sich vom »Schicksal«, von »Pech«, von »Tragödien« dadurch, daß zumindest irgend jemand glaubt, irgendein Beteiligter des Problemsystems (meist ein anderer …) könne den unerwünschten Zustand wieder beenden. Meist ist der Dissens der verschiedenen Beschreibungen bereits ein Teil des »Problems«: »Du könntest es verändern, wenn du nur wolltest!« – »Nein, es kommt einfach so über mich!«
Das Zusammenwirken dieser vier Faktoren konstituiert das, was schließlich als »Problem« beschrieben wird. Es ist ein wesentlicher Teil des Beratungsprozesses, die an dem Zustandekommen des »Problemzustands« beteiligten Personen und Kommunikationen zu identifizie-
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ren und in den Lösungsprozeß – leibhaftig oder zumindest in Gedanken – mit einzubeziehen. Zunehmend wird daher nicht mehr von »Familientherapie« gesprochen, weil das unterstellt, es gebe so etwas wie »geborene Mitglieder« – als seien an jedem Problem zwangsläufig alle Familienmitglieder beteiligt (und auch noch gleichermaßen betroffen). Vielmehr wird mit dem Begriff »Problemsystem« versucht, das Ineinandergreifen der verschiedenen Beschreibungen zu beschreiben, die das hervorbringen, was wir gewohnt sind, »Problem« zu nennen. In jedem Fall läßt sich dann neu die Frage stellen, wer als Mitglied (zur genaueren Bestimmung des Mitgliedschaftsbegriffs s. Ludewig 1992, S. 110ff) eines solchen Problemsystems angesehen werden kann. Es kann nach Ideen gesucht werden, welche Mitgliedschaften außerdem noch möglich sind. So kann jemand, dessen Umgang mit Alkohol als problematisch beschrieben wird, in anderen Systemen durchaus ein anderes, konstruktives Verhalten zeigen, kann beispielsweise Abrechnungen korrekt ausführen oder gut Klavier spielen (Loth 1994). Systemische Beratung beschäftigt sich mit sehr unterschiedlichen Problemen: mit akuten oder chronischen Symptomen im Gesundheitswesen, mit Armut und damit korrelierten Verhaltensproblemen in der sozialen Arbeit, mit Ehekrieg und Generationenzwist in der Familienberatung, mit Ineffizienz und Arbeitsunzufriedenheit in der Organisationsberatung. Generell aber kann man systemische Beratung als den Versuch ansehen, von einem Problem-Zustand zu einem Nicht-Problem-Zustand, also zu einer Lösung zu kommen. Dies kann auf ganz verschiedenen Wegen erreicht werden: indem man ganz neue Prozesse initiiert (»neue Zustände«), aber auch indem man die bisherigen Prozesse anders bewertet (»positive Umdeutung«) oder indem man deren Unveränderbarkeit akzeptiert und bearbeitet, wie man am besten zurechtkommt mit dem, was man nicht verändern kann (»Akzeptieren des Unveränderbaren«). Die Nähe zum verhaltensorientierten Problemlöseansatz ist hier offenkundig (vgl. Lazarus u. Launier 1981), doch wird die interpsychische Komponente gegenüber der intrapsychischen stärker gewichtet. Es kann auch nicht regelmäßig erwartet werden, daß die Problem-Lösung im Konsens aller Problem-Beteiligten erfolgt: Manchmal halten hinterher einige das Problem für gelöst, andere für verschlimmert, Dritte sehen keine Veränderung.
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4.3. Wie werden Probleme erzeugt? Vereinfacht läßt sich die beginnende Erzeugung eines Problemes so skizzieren (s. Goolishian u. Anderson 1988, Ludewig 1992, Weber u. Retzer 1991): 1) Problementdeckung – Problemerfindung Jemand (z. B. ein oder mehrere Familienmitglieder, Lehrer, Vorgesetzte, Polizeibeamte, Berater) kommt beim Beobachten des Verhaltens eines oder mehrerer anderer Menschen (Ehepartner, Familienmitglieder, Schüler, Betriebsabteilung, Tatverdächtige) oder bei der Beobachtung seiner Selbst zu der Idee, hier sei »etwas nicht in Ordnung«. 2) Entstehung eines Problemdeterminierten Kommunikationssystems Diese Idee verbreitet sich in der Kommunikation mit anderen in der Weise, daß das Problem zum hauptsächlichen Inhalt und Mittelpunkt der kommunikativen Beziehungen der beteiligten Menschen wird: immer mehr Menschen werden einbezogen, und zugleich verengt sich deren kollektive Aufmerksamkeit immer mehr auf das, was »nicht in Ordnung ist«.
Abbildung 3: »Vergangenheit als Schicksal«-Erklärung (s. S. 106)
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3) Problemerklärung Es wird eine Erklärung für das Problem gesucht, gefunden und ausgehandelt, die einerseits so plausibel ist, daß sie überlebt, die aber andererseits keinen gangbaren Ausweg aus dem Problem, keine Lösungswege anbietet. Einige Arten von Erklärungen mit Ausweglosigkeitscharakter eignen sich dafür besonders. – »Vergangenheit als Schicksal« – Erklärungen, welche irreversiblen Ereignissen in der Vergangenheit (Fehlern, Schuld, frühkindlicher Traumatisierung, genetischen Defekten, Unfall- oder Vergiftungsfolgen) einen determinierenden, nicht mehr korrigierbaren Einfluß auf das aktuelle Problem zuschreiben, etwa »er ist an dieser Beziehung zerbrochen«, »sie ist seelisch vernichtet«. – Erklärungen, die komplexe zwischenmenschliche Probleme zur »Schuld« der individuellen Eigenschaften eines einzelnen Beteiligten versprachlichen, dem gleichzeitig die Fähigkeit oder der Wille zur Lösung der Probleme abgesprochen wird (ein böses Kind – »im Kern schlecht«, ein unfähiger Kollege, eine marode Organisation). – »Wir sind alle zu klein und schwach«: Erklärungen, die alle Problembeteiligten für hilflos erklären und die Lösungsmacht einer außenstehenden dritten Partei zuschreiben, auf die man aber keinen Einfluß zu haben glaubt – »Die da oben«, »Die Gesellschaft«, »Gott«, »Der KGB/die CIA«, »der Markt« – »seine Eltern haben ihn so im Griff, daß er einfach unfähig ist, sich aus der Umklammerung zu lösen.« 4) Problemstabilisierendes Handeln Alle Beteiligten verhalten sich dauerhaft so, als ob es keinen Weg aus dem Problem gebe oder als sei die Lösung ausschließlich in der Hand irgendeiner anderen Person. Hier zeigt sich besonders deutlich die Kraft der Beschreibungen. Denn da, wo die Sprache dazu verleitet, Symmetrische Beziehungen folgen der Devise: »Auge um Auge, Zahn um Zahn« – so rüsten und schaukeln sich Ehemann und Ehefrau, Polizei und Verbrecher, zwei Kriegsparteien gegenseitig auf – in der Gewißheit, daß die andere Seite einen nur unterkriegen will und daß Angriff die beste Verteidigung ist. Komplementäre Beziehungen: Der Kranke verhält sich krank, der Sünder sündig, der Hilflose hilflos – komplementär dazu ist der Heiler im DauerDienst am Kranken, verkündet der Priester eine besonders heilige Moral, will der Helfer unablässig helfen (wenn eine Paarbeziehung ausschließlich auf einer solchen Art von Komplementarität beruht, spricht man auch von »Kollusion«, genauer dazu: Willi 1976).
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Abbildung 4: Symmetrische Beziehung und symmetrische Eskalation keine Lösungen – oder nur eine einzige – zu sehen, lassen sich auch keine neuen kreativen Wege finden. In problemstabilisierenden Dauerbeziehungen werden darüber hinaus oft besonders stark symmetrische und komplementäre Beziehungsformen eingenommen, die sich wechselseitig verstärken und stabilisieren.
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4.4. Können Probleme nützlich sein? In der älteren Systemtheorie-Rezeption wird eine Erklärung angeboten, warum Probleme in Systemen erzeugt und aufrechterhalten werden: weil sie nützlich seien für die Erhaltung des aktuellen Gleichgewichts (Homöostase) angesichts von bedrohlich erlebten Veränderungen seiner inneren oder äußeren Umwelt. Im Lebenszyklus eines Systems kommt es aufgrund der biologischen Entwicklung der Mitglieder (Reifung) und aufgrund der Weiterentwicklung der sozialen Umwelt nach längeren Stabilitätsphasen immer wieder zu »kritischen Übergängen«: Geburt eines Kindes, Tod eines Ehepartners oder Scheidung, Pensionierung, Arbeitslosigkeit. Diese werden bedrohlich erlebt, weil sie die Identität des Systems in Frage stellen. Es setzt dann ein Versuch ein, das alte Gleichgewicht wiederherzustellen. Jackson (1957) formulierte erstmals die Idee, daß Symptome eines Familienmitgliedes dafür nützlich (»funktional«) seien und daß deshalb manche Symptome nach ihrem Auftreten nicht im Zuge von Fluktuationen wieder verschwinden, sondern sich stabilisieren. Seither hypothetisieren Familientherapeuten über »die Funktion des Symptoms«. Einige Funktionshypothesen sind besonders populär geworden: Familien mit einem schizophrenen Mitglied wollen nicht aus ihrem »psychotischen Spiel« aussteigen (Selvini Palazzoli et al. 1975; dt. 1977); ein Mensch in einer Paarbeziehung, der sich vom anderen Liebe wünscht, aber nicht glaubt, daß er sie je bekommen wird, wird Liebesangebote des anderen nicht zur Kenntnis nehmen, weil sie seine Idee durcheinanderbringen würde, man müsse sich damit abfinden, daß man diese ohnehin nicht bekommt (Elkaim 1992); Jugendliche lassen ihr Leben scheitern, weil sie aufgrund einer entsprechenden elterlichen Delegation (Stierlin 1980) diesen nicht zumuten wollen, ihr Kind erfolgreicher oder glücklicher als sie selbst werden zu sehen, oder weil sie ihnen die fürs Erwachsenwerden notwendige Trennung nicht zumuten wollen. Allerdings ist ein Symptom in dieser Sicht nicht ein plattes Beharren auf dem alten Status quo. Es demonstriert zugleich, daß es »so wie bisher nicht mehr geht«, daß aber Neues auch noch nicht möglich ist. Wird ein Teenager-Mädchen anorektisch, wird die sorgenvolle Zuwendung der Eltern zugleich aktiviert (»Laßt mich nicht sterben!«) und frustriert (»Ich esse nicht, was Ihr mir vorsetzt!«). Der dreißigjährige Psychotiker, der noch bei den Eltern lebt, mit diesen aber kaum spricht – und wenn, dann für diese unverständlich wirres Zeug –, bleibt den Eltern treu und grenzt sich zugleich von diesen ab. Liebespartner mit massiven sexuellen Funktionsstörungen (Impotenz, Vaginismus) kommen nicht (mehr) körperlich zusammen, bewahren aber im übrigen große Teile ihrer Beziehung.
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Symptomatisches Verhalten hat oft einen Doppelcharakter: es ist zum Problem geworden und zugleich zu einer Lösung. Es verursacht Leiden und verhindert zugleich anderes (von den Beteiligten als noch schlimmer phantasiertes) Leid. Ein Mann klatscht dauernd laut in die Hände. Ein anderer fragt ihn: »Warum tun Sie das?« Er: »Um die Elefanten zu vertreiben!« Der andere: »Aber hier sind doch gar keine Elefanten!« Der erste: »Eben, da sehen Sie, wie gut das wirkt!«
Die Vorstellung, Symptome verfügten über eine Funktion im System, würden also gewissermaßen gebraucht, erscheint heute als nicht ganz unbedenklich. Zu leicht ist die Kurzschlußidee impliziert, daß die Verhaltensstörungen des Kindes schon verschwinden würden, wenn sich die Eltern nur einig wären – oder daß schizophrene Symptome verflögen, wenn nur die Familie den Indexpatienten losließe. Die im Abschnitt »Kausalität: Was verursacht was?« entwickelten Gedanken gelten auch hier: wenn die »Funktion« als etwas gesehen wird, das sich im System befindet, dann kann dies irreführend sein. Sieht man im Sinne einer Kybernetik 2. Ordnung jedoch den Beobachter als Teil des Kontextes, dann wird deutlich, daß die Funktionalität besser in dessen Kopf gesucht wird. In diesem Moment ist dann das Konzept eines, das pragmatisch nützlich sein kann! Es ermöglicht nämlich in vielen Fällen dem Berater oder der Beraterin einen Ausweg aus der schwierigen Situation, das Symptom beseitigen zu sollen. Er oder sie kann nun der Familie den für sie verblüffend neuen Rahmen anbieten, daß er/sie noch gar nicht so sicher sei, ob das Symptom überhaupt verschwinden dürfe. Vielmehr sei eher davor zu warnen, weil das Familiengleichgewicht zu sehr aus den Fugen gerate. Eine solche Intervention kann die Beweglichkeit sowohl des Beraters als auch der Familie steigern. Denn wenn die Familie eine neue Sicht des Problems hinzugewinnt, wird die Zahl der zur Verfügung stehenden Möglichkeiten erhöht. Boeckhorst (1988, S. 24ff) unterscheidet vier verschiedene Ansatzpunkte, die Bedeutung von Symptomen zu beschreiben. Sie alle können je nach Situation einen hilfreichen Rahmen für den Beratungskontext darstellen: – ein Symptom weist auf eine ineffektive Lösung eines Problems hin. – ein Symptom hat eine Schutzfunktion und stabilisiert die Familienbeziehungen, indem es zum Beispiel ermöglicht, einen Beziehungskonflikt zu stoppen, die Aufmerksamkeit von anderen konfliktträchtigen Beziehungen in der Familie abzuziehen. Der Symptomträger hilft auf diese Weise einem anderen Familienmitglied, das zunächst im Hintergrund bleibt.
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– ein Symptom verschafft Macht, der Indexpatient kann die Interaktionen in der Familie zwingend organisieren, ohne dafür zur Verantwortung gezogen werden zu können. – ein Symptom kann symbolisch und metaphorisch hinweisen auf andere Probleme in der Familie.
4.5. Wie chronifiziert man ein Problem? – Eine Anleitung Lebende Systeme befinden sich ständig im Übergang. Ein lebendes System (ob Körperzelle, Haustier, Psychologe oder Psychiatrie-Patient) kann sich nicht nicht verändern. Und doch orientierte sich Therapie lange an der Frage: »Wie schaffen wir es, uns zu verändern?« Viel interessanter ist aus systemischer Sicht die Frage: »Wie schaffen es manche Menschen, sich nicht zu verändern oder zumindest den Eindruck zu erwecken, sie veränderten sich nicht?« Und vor allem: wie sorgt ein Mensch in Kommunikation mit anderen dafür, daß ein Problem sich nicht nach einiger Zeit wieder auflöst, sondern dauerhaft wird? Es gehört eine gewisse Fähigkeit dazu, als »Probleminhaber« sich rund um das eigene Problem ein chronisches Zeiterleben zu konstruieren – mit unendlicher Vergangenheit, mit einer Gegenwart im Schneckentempo und einer nicht mehr vorhandenen Zukunft. Jeder von uns kann in sich einen chronifizierten Erlebenszustand erzeugen. Anregungen dazu haben wir in einem »Problembaukasten« dargestellt (S. 112f); wer mehr über diesen Prozeß lernen möchte, sei unter anderem auf Ciompi 1980, Weber 1988, Hildenbrand 1993, Simon 1993, Schweitzer u. Schumacher 1995 verwiesen. Die Chronifizierung von Problemen läßt sich nur schwer im Alleingang bewerkstelligen. Am Beispiel psychiatrischer Krankenkarrieren läßt sich zeigen, wie dabei die kommunikativen Handlungen vieler Beteiligter ineinandergreifen und Chronizität erzeugen: die der Angehörigen, des psychiatrischen Fachpersonals, der verschiedenen Versorgungssysteme, der Medien, der Wissenschaft, vieler sozialrechtlicher Bestimmungen und so weiter. Anfangs entlastet in der Familie die Definition eines Mitglieds als »psychisch krank« dieses zunächst von belastender Verantwortung dafür, sein Verhalten erwartungskonform zu verändern. Nicht er oder sie selbst als Inhaber eines freien Willens ist schuld, sondern die Krankheit. Dies erleichtert es den Angehörigen, sich nicht gegen den Patienten, sondern gegen seine Krankheit zusammenzuschließen. Zugleich werden auch Schuldgefühle bei den Angehörigen gelindert. All dies
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macht das Konzept »Psychiatrische Krankheit« in Familien so attraktiv. Allerdings entspricht der »Schuldlosigkeit« aller Beteiligten auch eine weitgehende Einflußlosigkeit. Was kann man bei genetisch oder frühkindlich erworbenen Krankheiten schon tun, außer Pflege, Fürsorge und Abschirmung des Kranken von Eigenverantwortung? Die Handlungsfolgen dieses Krankheitskonzepts ähneln denen des Behinderungskonzepts: Behinderten kann man allenfalls beibringen, »kleine Schritte zu machen, anstatt aufrecht zu gehen« (Simon u. Weber 1988). Die unterschiedlichen Vorstellungen von dem Wesen psychischer, insbesondere psychiatrischer Krankheiten haben zu unterschiedlichen Arbeitsformen geführt. Die Angehörigenarbeit (auch: psychoedukative Therapie) geht von der Vorstellung aus, die Verletzlichkeit für psychiatrische Krankheiten sei biologisch oder durch Kindheit determiniert und müsse fortlaufend bewältigt werden, etwa indem der Kranke und seine Angehörigen lernen, auf Auslöser zu achten und mit Schüben konstruktiv umzugehen (z. B. Hahlweg et al. 1989). Aus systemischer Sicht wird befürchtet, daß gerade dieses Vorgehen die Krankenrollen eher verfestigt und eine Veränderung verhindert. Zu dieser Kontroverse ausführlich: Retzer 1991. Psychiatrische Versorgungssysteme sind oft als »therapeutische Ketten« organisiert, in denen der Ausgang des Patienten aus einer Behandlungseinrichtung oft zugleich der Eingang in eine weitere ist: etwa aus der Klinik in ein Wohnheim, aus dem Wohnheim in die Obhut des Sozialpsychiatrischen Dienstes, aus der Arbeitstherapie einer Klinik in die gemeindenahe Werkstatt für Behinderte. Dies fördert die Bildung von Patientensubkulturen mit gemeinsamem Krankenschicksal. Schließlich sorgen sozialrechtliche Bestimmungen dafür, daß es gerade für wirtschaftlich gefährdete Personen ein Überlebensmuster werden kann, einmal vorhandene Probleme zu konservieren oder gar zu eskalieren (vgl. Schweitzer u. Schumacher 1995). Das gegenwärtige Wohlfahrtssystem ist auf dem Prinzip der Bedürftigkeit aufgebaut: Wer nichts hat, bekommt wenigstens ein Existenzminimum an Leistungen (Rehabilitationsmaßnahmen, Anschlußheilbehandlungen, Frühberentung), wenn er ein hinreichend schweres und hinreichend chronifiziertes Problem vorweisen kann. Dies macht den Rückeinstieg aus einer langweiligen, aber streßarmen Patientenkarriere in eine perspektivenarme Konkurrenzgesellschaft nach einer längeren Unterbrechung riskant. Der Begriff des »Problemsystems« ermöglicht demgegenüber, die gesamte Organisation um ein Problem herum, die gesellschaftliche Organisierung psychischen Leidens (Keupp u. Zaumseil 1978) als einen Teil des Problemzusammenhangs wahrzunehmen und zu hinterfragen.
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Do it Yourself: Tips zur Chronifizierung eines Problems Grundkurs 1) Vermeiden Sie es, Unterschiede im Zeitverlauf wahrzunehmen. Richten Sie daher Ihre Aufmerksamkeit auf das, was gleich geblieben ist, beachten Sie nicht, was sich verändert hat. 2) Vermeiden Sie es, Veränderungen in Ihrem Leben, wenn sie sich schon nicht umgehen lassen, durch Übergangsrituale deutlich zu markieren. Feiern Sie weder Geburtstage noch bestandene Prüfungen, weder Ihre Hochzeit noch ihre Pensionierung, gehen Sie weder zu Jubiläen noch zu Begräbnissen. 3) Betrachten Sie sich grundsätzlich als Opfer, nie als Täter/Akteur vergangener Geschehnisse. Analysieren Sie möglichst ausführlich, wie und warum Ihre lieblosen oder überfürsorglichen Eltern, Ihre unterdrückerischen Lehrer, Mitschüler, Chefs und Kollegen, Ihre Krankheit oder die gesellschaftlichen Verhältnisse Ihnen noch nie eine Wahlmöglichkeit gegeben haben. 4) Wenn Sie sich so eine stabile Problem-Vergangenheit geschaffen haben: lassen Sie sich nicht von der Idee irritieren, Sie könnten es sich heute vielleicht bessergehen lassen als damals. Gehen Sie von der Devise aus: »Meine Vergangenheit ist mein Schicksal«. 5) Beschreiben Sie sich Ihr gegenwärtiges Verhalten möglichst als Ausdruck von Defiziten, nie etwa als sinnvolle oder gar kreative Reaktion auf gegebene Umstände. Betrachten Sie Ihr Verhalten und das anderer Menschen nie in seinem Kontext, sondern als Ausdruck ewig gleichbleibender Eigenschaften oder Defekte. 6) Vermeiden Sie es, sich die Zukunft detailliert auszumalen, allenfalls global als ein finsteres oder leeres Loch. Falls es Ihnen derzeit schlechtgeht: vermeiden Sie vor allem, sich genau zu vergegenwärtigen, was sie anders als heute tun würden, wenn es Ihnen wieder besserginge. Wenn dies mental geschafft ist, müssen Sie sich nur noch entsprechend verhalten, und Sie haben ein stabil chronifiziertes inneres problemdeterminierendes Erlebensmuster. Hilfreich ist nun, wenn wichtige Menschen um Sie herum diese Ansichten teilen, Sie darin bestärken und Sie entsprechend als einen »hilflosen armen Wurm« behandeln.
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Tips zur Chronifizierung speziell psychiatrischer Probleme Aufbaukurs Um eine psychiatrische Chronifizierung zu erreichen, bedarf es noch einiger Handlungen mehr – und auch noch »freundlicher Hilfestellung« durch die Umgebung: 7) Vermeiden Sie es, Ihr Verhalten so darzustellen, daß die Umgebung es als verständlich und einfühlbar wahrnehmen könnte (sonst erreichen Sie »nur« eine neurotische Chronifizierung). 8) Verhindern Sie aber auch, daß Ihre Umgebung den Eindruck bekommt, das Ganze würde Ihnen Spaß machen oder wäre von Ihnen gewollt (sonst besteht die Chance, daß das Ganze unter der Rubrik »Persönlichkeitsstörung« oder »Delinquenz« verläuft, das bringt viel Streit und offenen Konflikt mit der Umgebung mit sich). 9) Ermöglichen Sie es unbedingt, daß man Sie in einer psychiatrischen Einrichtung vorstellt, denn ohne Diagnose werden Sie nicht als krank anerkannt. Ohne offiziellen »Krankenstatus« wird aber Ihre Umgebung immer wieder im Zweifel sein, ob Ihr Verhalten ausschließlich Ausdruck Ihrer »Geisteskrankheit« oder nicht doch auch Ihrer Lust und Unlust, Ihrer Vorlieben und Entscheidungen ist. Sie brauchen die Bestätigung Ihrer Weltsicht durch Ärzte, Pflegepersonal, Sozialarbeiter und Psychologen. 10) Bauen Sie nun Ihre »Minussymptomatik« oder Ihre »produktiven Symptome« weiter aus. Dann können Sie mit etwas Hilfe die Voraussetzungen erreichen, um sozialrechtlich als erwerbsgemindert, als dauerhaft psychisch behindert oder Frührentner anerkannt zu werden. 11) Verändern Sie systematisch Ihren Bekanntenkreis. Halten Sie sich in Kliniken, Tagesstätten, Patientenclubs, beschützenden Einrichtungen auf, bis Ihr Freundeskreis vorwiegend aus Menschen besteht, die die Welt ähnlich sehen wie Sie. 12) Spätestens jetzt haben Sie es geschafft. Es existiert eine Krankenakte, die unabhängig von Ihnen selbst ein Eigenleben führt und laufend vervollständigt wird. Achtung: Risiken und Nebenwirkungen dieses »Baukastens«: Ab Punkt 9 ist der Prozeß nicht mehr aus eigener Kraft umkehrbar. Sie laufen Gefahr, daß jeder Versuch, sich wieder »normal« zu verhalten (z. B. durch offensive Veränderung Ihrer gegenwärtigen Lage) als Beweis Ihrer Verrücktheit gegen Sie gekehrt wird (z. B. als »beginnender Schub«)!
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4.6. Formen von Klinischen Systemen Ludewig (1992) unterscheidet vier Arten von Hilfesystemen mit jeweils unterschiedlichen Auftragskonstellationen. Dieses Schema kann helfen, zu überprüfen, ob man als Berater oder Therapeut »auftragsgerecht« arbeitet. Auf der Basis unterschiedlicher Auftragskonstellationen sind die Kontrakte mit den Klienten oder Kunden in einer Weise auszuhandeln, daß diese die Möglichkeit einer »informierten Zustimmung« (Reiter-Theil et al. 1991) haben, wenn sie über die Art des jeweiligen Hilfsangebotes Bescheid wissen (Loth 1994, 1996). Klinische Hilfesysteme (aus Ludewig 1992, S. 123) (1. Grund des Leidens, 2. Hilfestellung, 3. Dauer) Anleitung Typ: »Hilf uns, unsere Möglichkeiten zu erweitern!« 1) Fehlen oder Mangel an Fertigkeiten 2) Zurverfügungstellen von Wissen 3) Offen Beratung Typ: »Hilf uns, unsere Möglichkeiten zu nutzen!« 1) Interne Blockierung des Systems 2) Förderung vorhandener Strukturen 3) Begrenzt, je nach Umfang des Auftrags Begleitung Typ: »Hilf uns, unsere Lage zu ertragen!« 1) Unabänderliche Problemlage 2) Stabilisierung des Systems durch fremde Struktur 3) Offen Therapie Typ: »Hilf uns, unser Leiden zu beenden!« 1) Veränderliche Problemlage 2) Beitrag zur (Auf-)Lösung des Problemsystems 3) Als Vorgabe begrenzt
Wir halten es für sinnvoll, diese Auftragskategorien noch durch eine weitere zu ergänzen, die in unserer Gegenwart gar nicht so selten anzutreffen ist: Selbstentdeckung Typ: »Hilf mir, mich besser kennenzulernen!« 1) Kein akuter Problemdruck 2) Bereitstellung therapeutischer Kompetenz 3) Offen, frei vereinbart
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Vielfach suchen Menschen eine Therapeutin, einen Therapeuten auf, um über sich selbst zu reflektieren, und zwar nicht nur wenn sie dies beispielsweise für eine Weiterbildung benötigen. Ein solcher »Selbstentdeckungskontrakt« setzt nicht unbedingt ein Problem voraus, das zu lösen wäre. Vielmehr geht er vielleicht einher mit einem diffusen Unbehagen oder auch mit dem Bedürfnis, zu sich selbst in eine andere Form von Beziehung zu treten als bisher gewohnt. Dieses Vorhaben setzt einen ganz anderen »Problembegriff« als den hier diskutierten voraus, der von daher durchaus auch kritisch zu hinterfragen ist (vgl. Portele 1992, S. 170ff). Es geht dabei weniger um die Perspektiven anderer auf ein Problem, als vielmehr um die Art und Weise des Umgangs einer Person mit sich selbst und mit den Personen ihres Umfelds. Problemlösung kann hier ein Nebeneffekt sein. Auch im Rahmen eines solchen Kontrakts sind die im weiteren Verlauf des Buches vorgeschlagenen Methoden sinnvoll einsetzbar (speziell in der systemischen Einzeltherapie, S. 216–219).
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III. Praxis: Zwischen Wissenschaft, Handwerk und Kunst
5. Haltungen, Grundannahmen, Zielsetzungen Systemische Therapie und Beratung stellen weder eine unmittelbar wissenschaftsgeleitete Anwendung systemtheoretischer Konzepte noch einen rein handwerklichen Satz von Techniken dar. Zwischen beides treten die Person des systemisch Arbeitenden sowie der Kontext, in dem systemisch gearbeitet wird. Beides wird miteinander verbunden durch eine Reihe grundlegender, das konkrete Handeln inspirierender Prämissen und Haltungen.
5.1. Den Möglichkeitsraum vergrößern Der Biokybernetiker von Foerster hat die Zielrichtung systemischen Denkens und Handelns mit dem »ethischen Imperativ« beschrieben: »Handle stets so, daß du die Anzahl der Möglichkeiten vergrößerst!« (1988, vgl. auch von Schlippe 1991). Dieser Imperativ hat Konsequenzen für die Praxis. Alles, was die Zahl der Möglichkeiten einschränkt (Tabus, Denkverbote, Dogmen, Richtig-/Falsch-Bewertungen) steht systemischem Arbeiten entgegen. Das bringt systemisches Denken in Konflikt mit fundamentalistischen Religions- und Moralvorstellungen und mit rigide kanonisierten Wissenschaftstraditionen. Gleichzeitig kann es viel Spaß machen, das Gewußte in Frage zu stellen, das kaum Gedachte zum Thema zu machen. »Alle Therapie versucht im weitesten Sinne, die Beschreibungen zu verändern, über die Wirklichkeit erfahren wird. Therapie ist in meinen Augen ein gemeinsames Ringen um Wirklichkeitsdefinitionen. Alle psychologischen Maßnahmen verändern, wenn sie erfolgreich sein sollen, die Art und Weise, wie in der Familie übereinander, über Probleme, über psychische Störungen, Krankheit und die damit zusammenhängenden Optionen gesprochen wird. Sie verändern also die
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den Betroffenen gemeinsamen Sinnstrukturen im Kontext eines jeweiligen Systems. Und dabei braucht es … neben neuen kognitiven Konzepten auch neue Erfahrungen, nicht nur der Kopf muß eine neue Geschichte erfinden, sondern der Leib muß sie neu erfahren« (von Schlippe 1995b, S. 23f).
5.2. Hypothesenbildung Eine Hypothese ist eine vorläufige, im weiteren Verlauf zu überprüfende Annahme über das, was ist. In der klassischen Wissenschaftstheorie dient sie als Erkenntniswerkzeug, das Untersuchungen zu der Frage anregt, ob eine Hypothese beizubehalten oder zu verwerfen ist. In der systemischen Therapie wird Hypothetisieren seit Selvini Palazzoli et al. (1981) etwas anders verstanden. Der Wert einer Hypothese liegt hier in der Frage, ob sie nützlich ist. Ihre Nützlichkeit mißt sich an ihrer – Ordnungsfunktion: Sie soll die vielen Informationen im Familiengespräch selegieren in für den Therapeuten Bedeutsames und Irrelevantes und so einen Weg zu kognitiver Ordnung bahnen – zunächst im Therapeutenkopf. – Anregungsfunktion: Hypothesen mit Neuigkeitscharakter sollen zunächst dem Therapeuten, dann der Familie neue Sichtweisen anbieten – nicht nur das überprüfen, was alle ohnehin schon denken, sondern neue Möglichkeiten aufwerfen und untersuchen. Gerade wenn »immer wieder dasselbe abläuft«, fördern Hypothesen mit Überraschungsgehalt das Unerwartete und Unwahrscheinliche.
So geht es nicht darum, die eine richtige Hypothese zu finden. Vielmehr führt gerade die Vielfalt der Hypothesen auch zu einer Vielfalt von Perspektiven und Möglichkeiten. Es ist also durchaus vertretbar, »lineare« Hypothesen aufzustellen, sofern man sich dafür offenhält, daß es »vielleicht alles auch ganz anders« ist. Vielfach bieten Hypothesen, die den gewohnten Beschreibungen entgegenstehen, neue und überraschende Erkenntnisse. Beispielsweise schlägt Hellinger vor, daß man sich als Therapeut immer »neben den Ausgeschlossenen« stellen solle und sagt: »Es ist immer umgekehrt als dargestellt« (Weber 1993). Furman und Ahola (1995) sprechen davon, daß es gerade die ungewöhnlichen, einfallsreichen Erklärungen sind, die für Problemlösungen gute Katalysatoren darstellen. Man müsse sich nur von der Vorstellung lösen, es gebe die eine richtige. So fragen Sie gelegentlich nach der »unwahrscheinlichsten und abstrusesten Erklärung« für ein Problem, die dem Klienten einfällt (1995, S. 116).
Eine systemische Hypothese ist mit um so größerer Wahrscheinlichkeit passend und nützlich, je mehr Mitglieder eines Problemsystems
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sie umfaßt und je mehr sie in der Lage ist, die Handlungen der verschiedenen Akteure in wertschätzender Weise zu verbinden. Eine Hypothese sollte möglichst so formuliert sein, daß sie alle Mitglieder eines Problemsystems einschließt und dabei entweder gute Absichten mit unbeabsichtigten negativen Folgen oder umgekehrt das Leiden an einem Problem mit positiven Nebenwirkungen des Problems verknüpft.
5.3. Zirkularität Zirkularität bedeutet so etwas wie Kreisförmigkeit. Zirkuläres Denken ist der Versuch, das Verhalten der Elemente eines Systems als Regelkreis zu beschreiben, so daß die Eingebundenheit dieses Verhaltens in einen Kreislaufprozeß sichtbar wird. »Stellen Sie sich einen Baum und einen Mann mit einer Axt vor. Wir beobachten, daß die Axt durch die Luft saust und bestimmte Arten von Einschnitten in einer schon existierenden Kerbe an der Seite des Baums hinterläßt. Wenn wir nun diese Menge von Phänomenen erklären wollen, werden wir es mit Unterschieden an der Schnittseite des Baumes, … auf der Retina des Mannes, … in seinem Zentralnervensystem … in seinen nach außen gehenden nervlichen Mitteilungen, … im Verhalten seiner Muskeln, … in der Flugbahn der Axt bis hin zu den Unterschieden zu tun haben, welche die Axt dann an der Seite des Baums hinterläßt. Unsere Erklärung wird (zu bestimmten Zwecken) immer wieder diesen Kreislauf durchlaufen. Wenn man irgend etwas im menschlichen Verhalten erklären oder verstehen will, dann hat man es im Prinzip immer mit … vollständigen Kreisläufen zu tun« (Bateson 1983, S. 589).
In der Praxis entstehen zirkuläre Hypothesen, indem zunehmend einzelne Ursache-Wirkungs-Hypothesen zusammengefügt werden. So kann aus der Wechselwirkung der Ideen: »Die Schüler sind unmotiviert, weil sie schlechte Pädagogen haben« und: »Die Pädagogen sind frustriert, weil ihre Schüler unmotiviert sind« zunächst die Idee entstehen: »Schüler und Pädagogen frustrieren und demotivieren sich gegenseitig.« Weitere Kreisläufe können etwa gesellschaftliche Zusammenhänge mit einbeziehen: »Die Schulpflicht und ihre Umsetzung machen die individuelle Motiviertheit von Schülern und Lehrern für das Überleben der Institution Schule entbehrlich; entsprechend motivieren unmotivierte Schüler und frustrierte Pädagogen den Staat immer wieder dazu, die gesetzliche Schulpflicht in der bisherigen Form aufrechtzuerhalten.«
Die methodische Anwendung des zirkulären Denkens wird im Kapitel »Systemisches Fragen« ausführlich behandelt.
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5.4. Von der Allparteilichkeit zur Neutralität »Allparteilichkeit« (Boszormenyi-Nagy 1975, Stierlin u. a. 1977) ist die Fähigkeit, für alle Familienmitglieder gleichermaßen Partei ergreifen zu können, die Fähigkeit, die Verdienste jedes Familienmitgliedes (an)zuerkennen und sich mit beiden Seiten ambivalenter Beziehungen identifizieren zu können. Eng mit Allparteilichkeit verwandt ist das Konzept der Neutralität (Selvini Palazzoli et al. 1980). Neutralität ist für systemische Berater zum einen eine Voraussetzung, um von allen Beteiligten als kompetent akzeptiert zu werden, zum anderen, um nicht unterschiedslos in bestehende Beziehungsmuster eingebaut zu werden. Neutralität ist in erster Linie nicht eine Frage der Absicht, sondern eine Frage der Wirkung. Wenn den Teilnehmern einer systemischen Beratung hinterher unklar ist, auf wessen Seite der Berater mehr gestanden hat, welche der vertretenen Ideen er favorisiert und wie er zum Problem steht – dann hat der Berater sich neutral gezeigt. Neutralität ist ein häufig mißverstandener Begriff. Neutralität heißt nicht, keine eigene Meinung zu haben, sondern lediglich, diese nicht in einer doktrinären Form einzubringen wie: »So sollten Sie sein und so nicht!« (vgl. Cecchin 1988). Ein Berater kann sehr wohl seine eigene Meinung sagen und dennoch Neutralität wiedergewinnen, indem er oder sie deutlich macht, daß diese Meinung für das Klientensystem eventuell überhaupt nicht paßt. Neutralität meint auch nicht kühle Distanziertheit. Im Gegenteil, ein emotionslos unpersönlicher Stil, wie er im frühen Mailänder Modell oft praktiziert wurde, wird heute eher kritisch gesehen. Auch in der systemischen Therapie, so zeigen Untersuchungen (z. B. Green u. Herget 1991), ist der Aufbau einer warmen, empathischen Beziehung eine bedeutsame Grundlage für die Kooperation im Therapieverlauf. Das heißt, daß die Beraterin durchaus Anteil nehmen und sich phasenweise im Gespräch stark mit einzelnen Mitgliedern engagieren kann, ja sogar »muß, um zu versuchen, die Bedeutung sogar hinter den widerwärtigsten Handlungen oder Ereignissen zu finden« (Hoffman 1996, S. 67). Neutralität kann wiedergewonnen werden, wenn starkes Engagement mit A durch starkes Engagement mit B ausgeglichen wird, und wenn intensive Anteilnahme durch nachfolgende Reflexion wieder einer stärkeren Metaposition weicht.
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Es lassen sich verschiedene Arten von Neutralität unterscheiden: 1) Neutralität gegenüber Personen: Es bleibt unklar, auf Seite welcher Personen der Berater mehr steht. Dies hilft, nicht in Konflikte zwischen den Mitgliedern verwickelt zu werden. Es ermöglicht zudem eine produktive »innere Distanz« zu den Einzelnen und erleichtert es damit, den Fokus der Aufmerksamkeit auf das »Dazwischen« zu richten. 2) Neutralität gegenüber den Problemen oder Symptomen: Es bleibt offen, ob die Beraterin das Symptom bzw. Problem eigentlich für etwas Gutes oder Schlechtes hält – ob sie es gut oder eher schlecht findet, wenn ein Jugendlicher von zu Hause abhaut, wenn die Oma in Mamas Erziehungspraktiken eingreift, wenn Papa nur selten zu Hause ist, wenn der Opa säuft, wenn Mama Valium nimmt, wenn jemand eine Straftat begeht. Zugleich bleibt offen, ob die Beraterin das Problem »wegmachen« oder seinen Erhalt fördern will. Dies fördert eine respektvoll-ambivalente Haltung gegenüber den Problemen, die sowohl das Leiden daran als auch den möglichen Nutzen des Problems für die Aufrechterhaltung der Selbstorganisation des Klientensystems würdigt und anerkennt. Eine solche Haltung immunisiert gegen allzu interventionistische, kontextinsensitive »Hau-Ruck«- oder »Weg-mit …«-Haltungen 3) Neutralität gegenüber Ideen: Es bleibt offen, welche von den im Gespräch vertretenen Problemerklärungen, Lösungsideen, Werthaltungen, Meinungen der Berater bevorzugt. Es bleibt unklar, ob er es gut oder schlecht findet, wenn Kinder noch mit 40 bei den Eltern wohnen oder schon mit 14 von zu Hause ausziehen, wenn die Wohnung täglich geputzt wird oder nur einmal im Jahr, wenn ein Paar es in der Sexualität lieber sado-masochistisch oder lieber rein platonisch hält. Dadurch wird der Beratungsprozeß offengehalten für andere und eventuell bessere Ideen als die des Beraters. Zudem schützt es davor, in symmetrisch eskalierende Kämpfe um das »richtigere« Krankheitskonzept oder das »bessere« Behandlungskonzept einzusteigen.
Es wäre unseres Erachtens ein besorgniserregendes Zeichen von Berufskrankheit, würden Systemiker sich allerorten und jederzeit neutral zeigen. Wir sehen Neutralität als eine professionelle Haltung für spezielle Beratungskontexte. Sie taugt nicht (zumindest nicht immer) für den Umgang mit eigenen Kindern, Liebhabern, Kollegen. Sie taugt nicht für professionelle Situationen, in denen Fürsorge oder soziale Kontrolle angezeigt sind. Es empfiehlt sich vielmehr, sich jeweils bewußt zu sein, in welchem Kontext es als sinnvoll anzusehen ist, Neutralität zu verwirklichen und in welchem nicht. Für den in dieser Hinsicht besonders umstrittenen Bereich sexuellen Mißbrauchs verweisen wir zum Beispiel auf Collmann et al. 1993. In keiner Weise wollen wir Neutralität gar als politische Grundhaltung empfehlen. Und schließlich lassen sich auch gute Gründe dafür finden, in der systemischen Beratung eine neutrale Haltung bewußt aufzugeben.
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5.5. Von der Neutralität zur Neugier Cecchin versuchte 1988, die Prinzipien der Neutralität, der Zirkularität und des Hypothesenbildens, die er 1981 gemeinsam mit dem alten Mailänder Team formuliert hatte (Selvini Palazzoli et al. 1981), unter dem Gesichtspunkt der Neugier neu zu begründen. Neutralität begünstigt eine Haltung respektvoller Neugier, im Gegensatz zur Gewißheit der Kausalität und zur moralischen »One-up«-Position. Eine so verstandene Neugier erleichtert rekursiv die Neutralität. Beides wird, wie Cecchin meint, durch einen »ästhetischen Standpunkt« gefördert, also durch ein Interesse an Mustern und an der Vielfalt möglicher Muster statt durch Bewertung (vgl. auch Ludewig 1988, Loth 1991). Hypothesenbildung und zirkuläres Fragen sind sozusagen technische Mittel, eine Neugierhaltung aufrechtzuerhalten. Zwischen allen dreien besteht eine rekursive Beziehung – sie erzeugen sich gegenseitig. Beispielsweise tötet die Idee, eine oder gar die »richtige« Beschreibung gefunden zu haben, jegliche Neugier auf weitere mögliche Beschreibungen. Neugier hingegen erzeugt weitere, zusätzliche Beschreibungen. Therapeuten und Berater können Symptome von Neugierverlust bei sich bemerken: Langeweile und psychosomatische Symptome (Kopfschmerzen, Schwitzen, hoher Blutdruck, Rückenschmerzen) während der Arbeit. Die Idee der Neugier als systemischer Grundhaltung hat mehrere Implikationen. Sie steht einer Reparaturlogik entgegen – der Idee nämlich, man könne ein anderes System vollständig durchschauen und dann steuern oder – in der Sprache Maturanas – mit diesem »instruktiv interagieren«. Systemische Neugier interessiert sich für die jedem System immanente Eigenlogik, die als weder gut noch schlecht, sondern schlicht als wirksam angesehen wird, weil sie sich für dieses System offensichtlich evolutionär bewährt hat. Wenn wir nicht zu wissen meinen, was für ein System gut oder schlecht ist, steht Neugier auch zu sozialer Kontrolle im Gegensatz. Neugier impliziert darüber hinaus eine Haltung, die die »Unwissenheit des Therapeuten« als Ressource versteht (Anderson u. Goolishian 1992, Epstein 1996). Das Nicht-Wissen stellt einen bestimmten Standpunkt dar, dessen vorrangiges Ziel es ist, die vorschnelle Erkenntnis zu verhindern: »Wir …sind aufgefordert, dieses Nichtwissen … dazu zu nutzen, weitere Puzzle-Varianten zu fördern und die vorschnelle Schließung des Dialogs zu verhindern … Fragen wir von einer Perspektive des Wissens, geleitet von Theorien oder eigenen Verstehenskonzepten, so erfragen wir damit die Geschichte, die bereits in unse-
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rem Kopf ist« (Epstein 1996). »Foucault meint, Motiv seiner Arbeit sei die ›Neugier, nicht diejenige, die sich anzueignen versucht, was zu erkennen ist, sondern die, die es gestattet, sich von sich selber zu lösen‹« (Fink-Eitel 1989, S. 11).
5.6. Irreverenz: Respektlosigkeit gegenüber Ideen, Respekt gegenüber Menschen Cecchin et al. (1992, 1993) empfehlen systemischen Therapeuten Respektlosigkeit gegenüber jeglichen Gewißheiten. Die interessanteste Frage dabei ist natürlich: Wann lohnt es sich, auch systemischen Überlegungen bewußt zu mißtrauen, ihnen gerade nicht zu folgen und zum Beispiel bewußt linearen Hypothesen zu folgen, sich unneutral, parteilich zu zeigen, Schuldzuschreibungen vorzunehmen und so weiter? Am besten wäre es natürlich, an dieser Stelle dem Leser, der Leserin eine klare Anweisung zu geben, wann von den Inhalten dieses Buches abgewichen werden sollte. Wir wollen der Versuchung widerstehen. Statt dessen ein Beispiel: In einer Therapiesitzung im Mailänder Familientherapieinstitut verspürte ein Therapeut den Wunsch, einer Mutter Erziehungsinstruktionen zu geben. Die Kollegen lehnten dies als nutzlos ab. Schließlich entschloß man sich, die kontroverse Debatte zu nutzen. Der Therapeut sagte zur Mutter: »Sie haben mich erfolgreich überzeugt, daß Sie inkompetent sind. Ich glaube Ihnen und meine, ich sollte Ihnen ein paar Instruktionen geben. Meine Kollegen hinter dem Spiegel sagen, Instruktionen zu geben sei nutzlos. Sie haben eine systemische Theorie, die es ihnen nicht erlaubt, so zu denken. Deshalb habe ich mit meinen Kollegen ein Übereinkommen getroffen. Sie gaben mir die Erlaubnis zu glauben, daß Sie inkompetent sind. Allerdings nur für die nächsten drei Monate, und für diese Überzeugung soll ich auch die Konsequenzen tragen. In drei Monaten werden wir wieder darüber diskutieren.« Der Therapeut gab ihr dann einige einfache Instruktionen. Drei Monate später hatte die Patientin die Instruktion befolgt und ihr Verhalten hatte sich gebessert. Der Therapeut sagte: »Meine Kollegen wollen gerne wissen, weshalb Sie meine Instruktionen befolgt haben. In der systemischen Theorie gehorchen Menschen nicht. Warum haben Sie gehorcht?« Sie antwortete: »Ich habe Ihre Anweisungen befolgt, weil ich Sie besser leiden kann als die Leute hinter dem Spiegel« (nach Cecchin et al. 1992, S. 11f).
Es scheint so, als ob gerade die Flexibilität im Umgang auch mit eigenen Glaubenssätzen das innovative Potential freilegt beziehungsweise freihält, das in Therapie und Beratung nötig ist. Von Milton Erickson, dem »Urvater« der Kurztherapie wird erzählt, er habe über zwei Jahre hin jeden Abend einen schizophrenen Patienten zum Fernsehen empfangen. Eckard Sperling, eine wichtige Pionierfigur psy-
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choanalytischer Familientherapie, nahm schwer gestörte Patienten zeitweise in seine Familie auf, ja, er nahm sogar einmal eine magersüchtige Patientin mit in den Familienurlaub: »… ich werde nie vergessen, wie sie zum ersten Mal schmecken lernte, als wir ein Muschelgericht in St. Maries de la Mer aßen« (in Hosemann et al. 1993, S. 122). Von ihm stammt auch die erfrischende Aussage: »Ich glaube keiner Theorie, sondern ich benutze sie nur. Ich benutze von der Theorie jeweils das Teilstück, das mir hilft, … solange es mir hilft« (S. 127). Beide handelten einem alten Sprichwort gemäß, das lehrt, sich keiner Autorität, keinem Lehrsatz blind anzuvertrauen: »If you meet Buddha, kill him« (Kopp 1978).
5.7. Therapie als Verstörung und Anregung Die deutschsprachigen Übersetzungen von Maturanas Konzept der »Perturbacion« sind bislang unbefriedigend geblieben. Der Begriff »Verstörung« (Ludewig 1983, 1992) läßt beim ersten Hören mehr an nächtliche Ruhestörung, unhöfliches Benehmen und andere Flegeleien denken, als daß ernsthafte Berater und Therapeuten damit gern in Verbindung gebracht werden mögen. Nehmen wir als Beispiel einen Ameisenstamm, bei dem die Regel gilt, daß eine Ameise, wenn sie auf dem Weg zum Futter auf eine andere trifft, sich an diese anschließt und hinterher läuft. Die Ameisen finden auf diese Weise lange Zeit zu ihren Futterquellen. Ein Problem bekommen sie, wenn der Kopf der ersten Ameise einer langen Ameisenkette auf den Schwanz der letzten Ameise derselben Kette trifft. Dann schließt sich der Kreis, die Ameisen laufen dauernd in diesem Kreis herum und verhungern schließlich, weil sie vor lauter Kreisen nicht mehr zur Futterquelle finden. Systemische Therapie dieses Ameisenstammes im Sinne einer Verstörung würde bedeuten, an irgendeiner Stelle zwischen zwei Ameisen ein Brett zu legen, welches die Kette unterbricht. Damit wäre das Muster außer Kraft gesetzt, »verstört«, und die erste Ameise hinter dem Brett müßte einen neuen Weg suchen. Damit wäre die »Therapie« beendet. Verstörung kann eine sehr ökonomische Intervention sein: Keine Ameise muß »nachreifen«, keine muß hinzulernen, keiner müssen medikamentöse oder fürsorgerische Hilfestellungen zuteil werden. Die Unterbrechung des Musters reicht. Ein gutes Beispiel für solche Teufelskreise sind Schlafstörungen. Ein Mann kam in die Beratung, weil er an Durchschlafstörungen litt. Jede Nacht wache er auf, sehe auf die Uhr, sehe wieder auf die Uhr und gerate unter immer stärkeren Druck: »Jetzt habe ich schon wieder eine halbe, eine dreiviertel, eine ganze Stunde nicht geschlafen, ich muß doch morgen fit sein, wie soll das weitergehen?« Der Kreis war geschlossen: er konnte nicht schlafen, weil er nicht schlafen konnte. In diesem Fall bestand die »Therapie« aus einer simplen Empfehlung: Er solle seinen Wecker umdrehen und nicht mehr darauf gucken, bis dieser am Morgen klingele. Dadurch fehlte ihm die »Möglichkeit«, sich mit der abgelaufenen Zeit unter Druck zu set-
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zen, er wußte nicht mehr, wie lange er wachgelegen hatte. Der Kreis war unterbrochen, die Schlafstörungen verschwanden (und waren, wie eine Nachbefragung zeigte, auch nach zwei Jahren nicht wieder aufgetreten).
Ob eine Intervention eine signifikante Verstörung wird, entscheidet das Klientensystem: Wenn die Ameisen über das Brett klettern, wenn der Mann trotz des umgedrehten Weckers nicht schläft, hat keine nachhaltige Verstörung stattgefunden. Ludewig (1992) schlägt daher inzwischen vor, mit »Verstörung« nur die geänderte Reaktion des Klientensystems auf eine Intervention zu bezeichnen, das entsprechende Tun des Beraters aber als »Anregen« zu bezeichnen. Das paßt auch besser zum »sanften« Selbstverständnis der meisten Therapeuten und Berater. Verstörung, Infragestellen, In-Zweifel-Ziehen kann einerseits durch kritisches Anzweifeln bisheriger liebgewordener Glaubenssätze geschehen. Der Effekt stellt sich oft aber auch als Folge neuer Anregungen und Ideen ein, die die bisherigen Ideen überhaupt nicht direkt kritisieren, aber in deren Licht jene irrelevant werden. Das gezielte Entwickeln neuer Zukünfte (S. 155–162) findet sich außerhalb der systemischen Beratung etwa in Robert Jungks »Zukunftswerkstätten« und ist philosophisch bereits in Ernst Blochs »Prinzip Hoffnung« (1959) angelegt.
5.8. Ressourcenorientierung – Lösungsorientierung Das Prinzip der Lösungsorientierung ist von der Gruppe um Steve de Shazer, Eve Lipchik, Insoo Kim Berg u. a. (S. 35–38) ausgearbeitetet worden. Zentral ist die Annahme, daß jedes System bereits über alle Ressourcen verfügt, die es zur Lösung seiner Probleme benötigt – es nutzt sie nur derzeit nicht. Um die Ressourcen aufzufinden, braucht man sich nicht mit dem Problem zu beschäftigen, der Fokus liegt von vornherein auf der Konstruktion von Lösungen. Lösungsorientiertes Denken steht in pragmatischem Gegensatz zu Defizit-Konzepten welcher Herkunft auch immer – vom DopaminMangel über die frühe Störung bis zur dysfunktionalen Familie. Aus lösungsbezogener Perspektive ist dabei nicht die Frage, ob es solche Defizite »gibt« oder »nicht gibt«, sondern welche Optionen sie den Betroffenen eröffnen oder verschließen. Als soziale Konstruktionen interessieren vor allem die Nützlichkeit oder Schädlichkeit der Konzepte in der Alltagspraxis. Und es erweist sich therapeutisch oft als nützlicher, davon auszugehen, Menschen verfügten an jedem Punkt ihrer Entwicklung über eine Vielzahl von Möglichkeiten, sie entschie-
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den sich aber – aus subjektiv respektablen Gründen – vieles von dem, was sie tun könnten, zumindest vorläufig noch nicht (oder nur manchmal) zu tun.
5.9. Kundenorientierung Kundenorientierung stammt als Idee ursprünglich aus dem Wirtschaftsbereich: das Angebot soll genau auf die Nachfrage abgestimmt werden (Loth 1996). Andererseits verweist das Wort Kunde ethymologisch auf einen »Kundigen« – einen, der sich auskennt, der selbst Bescheid weiß (Ludewig 1992, Hargens 1993b). Beide Ideen lassen sich gut im Konzept der »Kundenorientierung als systemischer Dienstleistungsphilosophie« (Schweitzer 1995a) verbinden. Es bedeutet, daß Leistungserbringer möglichst genau das anbieten, was ihre Kunden subjektiv haben wollen, und nicht das, was sie nach Meinung der Fachleute »brauchen«. Professionelle Interventionen richten sich nicht nach »objektiver Indikation« oder »Bedürftigkeit«, sondern nach dem subjektiven »Bedarf« der Kunden. Kundenorientierung bietet zahlreiche Anregungen sowohl zur Gestaltung ganzer institutioneller »Dienstleistungs-Pakete« (Schweizer u. Reuter 1991b), zur Themenwahl in Therapiegesprächen, für Interventionsentscheidungen beispielsweise in einem Jugendamt (Brandl-Nebehay u. Russinger 1995) oder zur Supervision stagnierender Behandlungen und Beratungen. Bisherige Erfahrungen vor allem aus Fallsupervision und Teamberatung zeigen, daß kundenorientiertes Arbeiten einerseits dort unnötige Arbeit und Mühsal vermeiden hilft, wo man feststellt, daß man eigentlich gar keinen Auftrag hat. Scheinbar »unkooperative«, »unmotivierte« oder »schwierige« Klienten, Angehörige oder Fachleute zeigen sich in dieser Perspektive einfach als Nicht-Kunden, die eben keinen Bedarf formuliert haben (vgl. S. 37). Andererseits können damit aber auch Versorgungslücken deutlich werden: Die Kunden wollen schon etwas, aber nicht das, von dem die Fachleute bisher dachten, daß die Kunden es wollten. Eine Kooperation zwischen Anbietern und Kunden, durch die Kundenwünsche möglichst präzise erfüllt werden, wird zunächst von den Kunden und längerfristig auch von den Anbietern als befriedigender erlebt. In Arbeitsbereichen, in denen der Kunde ohnehin schon »König« ist, macht dieses Prinzip keinen Unterschied. Es hat aber große innovative Schubkraft in allen Kontexten, in denen dies nicht der Fall ist, nämlich:
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– überall da, wo Dienstleistungen von den Kunden mangels Finanzkraft nicht selbst »gekauft« werden (können), sondern von Dritten »gewährt« werden – z. B. von Krankenkassen, Rentenversicherern, Sozialhilfeträgern, Jugendämtern, Personalabteilungen. – verschärft dort, wo Dienstleistungen zwar »am Kunden« ausgeführt werden, aber – mehr oder minder ausgeprägt, mehr oder minder verdeckt – gegen oder zumindest ohne dessen ausdrücklichen Willen. Dies ist regelmäßig in Strafvollzug und Forensischer Psychiatrie der Fall, häufig auch in Jugendhilfe, Suchtbehandlung, öffentlichem Gesundheitswesen, beim TÜV, im Amt für öffentliche Ordnung und so weiter.
In diesen Bereichen erweist sich die genaue Klärung der Kundenwünsche als ein Weg, unnützen Verschleiß von Zeit, Geld und Energie dadurch zu vermeiden, daß man nichts anbietet, was auf keine Nachfrage trifft. Andererseits ist diese Klärung etwa in öffentlichen Gesundheits- und Sozialdiensten, insbesondere solche für ärmere Klienten und mit hoheitlichen Kontrollaufgaben, aus mehreren Gründen keineswegs einfach: 1) Diese Institutionen sind nicht nur ihren Patienten oder Klienten verpflichtet. Eine psychiatrische Klinik etwa liefert wesentliche Dienstleistungen für erschöpfte Angehörige und Nachbarn, für Polizei und Gerichte. Und in ihr arbeiten Fachleute, die ihre eigenen Ideale und Zielvorstellungen in der Arbeit mit Patienten realisieren wollen; diese müssen mit dem subjektiven Bedarf der Patienten nicht übereinstimmen. 2) Kundenaufträge sind in diesem Bereich nur selten klar formuliert. Häufig wollen Menschen aus verständlichen Gründen nicht so gern sich und anderen klarlegen, was sie eigentlich wollen: Manche bevorzugen das Klagen gegenüber dem Wünschen. Sie gehen davon aus, daß andere ohnehin das nicht tun, was sie möchten, und haben sich das Äußern von Wünschen daher gänzlich abgewöhnt. Manche haben sich aus der Kommunikation mit anderen verabschiedet. Um zu verhindern, daß andere sie verstehen, kommunizieren sie möglichst so unklar, daß man sie auf nichts festnageln kann. Manche sagen oft aus Gründen sozialer Erwünschtheit nicht das, was sie wollen, sondern was sie denken, was der andere hören will.
Eine spezifisch systemische Kundenorientierung erfordert daher als erstes eine ausführliche Klärung, wer alles zu den Auftraggebern gehört, und was diese jeweils genau wollen. Die Grundfragen solcher Auftragsklärung sind: »Wer will was? Von wem? Wieviel? Ab wann? Bis wann? Wozu? Gegen wen?« (S. 148). Dabei können zwei Typen von »unmöglichen Auftragslagen« deutlich werden: 1) Verschiedene externe Auftraggeber können sich nicht darüber einigen, was die Fachperson tun soll. 2) Fachperson und Kunde haben widersprüchliche Vorstellungen.
Erste Zugänge: Hypothesen
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Beides erfordert Verhandlungsstrategien. Im ersten Fall kann der Fachmensch den Auftrag an die sich streitenden Auftraggeber zurückgeben und diese um eine Klärung bitten. Im zweiten Fall kann er sein Angebot klar und deutlich unterbreiten und den Kunden vor die Wahl stellen, ob er dieses annehmen oder ablehnen will. Eine kundenorientierte Haltung läßt sich in den Sätzen zusammenfassen: Ich tue nichts, wenn ich nicht überzeugt bin, daß meine Tat zufriedene Nutznießer findet. Ich schreite erst zur Tat, wenn mein Kundensystem mir einen Auftrag erteilt hat, der mit meinen Mitteln auch realisierbar ist.
6. Erste Zugänge: Hypothesen 6.1. Erste Hypothesen entwickeln Das Hypothetisieren wurde bereits als »Grundhaltung« systemischer Therapie beschrieben (vgl. S.117f). Welche Methoden bieten sich nun an, um in den konkreten Prozeß des Hypothetisierens einzusteigen und wie können die Vorinformationen genutzt werden, um anregende systemische Hypothesen zu entwickeln? Es bietet sich an, die vor der Beratung bereits verfügbaren Informationen aus Akten, Anmeldebögen, Telefongesprächen in optischen Kurzrepräsentationen des Klientensystems (Familien-Genogramm oder -strukturzeichnung, Institutions-Organigramm, Netzwerkzeichnung mit allen Beteiligten, Ereignis-Chronologie) zu verbinden und im Dialog mit sich selbst oder im Team zu diskutieren.
6.2. Informationsquellen: Anmeldebögen, Telefonate, Akten Es empfiehlt sich, bei Neuanmeldungen für Familien telefonisch neben Daten zur Person auch Angaben über die Haushaltszusammensetzung (wer wohnt unter einem Dach?) sowie über den Überweisenden zu erfragen und möglichst auch eine Kurzdarstellung des Problems aus Sicht des Anmeldenden zu erheben. Am Heidelberger Institut für systemische Forschung, Therapie und Beratung wird anschließend ein Bogen zugesandt (Abb 5.).
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Dieser Bogen dient dann als Basis zur Erstellung eines Genogrammes (s. S. 130f). Sich allein auf das Genogramm zu stützen, könnte dazu führen, das Familiensystem vorschnell zum ausschließlichen Problemsystem zu erklären. Zudem liefern Genogramme Vergangenheitsdaten, aber keine Informationen über Zukunftsvorstellungen. Außerfamiliäres System und Zukunftsvorstellungen kann man mit einem zweiten Formular erheben, das nach Vor- und Parallelbehandlungen bei anderen Helfern sowie nach den unterschiedlichen Problemdefinitionen und Lösungserwartungen der Teilnehmer fragt (Abb. 6, S. 129): selbst
1. Geschw.
2. Geschw.
3. Geschw.
Vater
Mutter
1.Kind leibl. adopt.
2.Kind leibl. adopt.
3.Kind leibl. adopt.
Partner
Name Geburtstag (evtl.Todesjahr) Leben im selben Haus (ja-nein) Familienstand Dauer der Partnerschaft / Heirat (von-bis) Staatsangehörigkeit Religion Schulbildung Beruf schwere Krankheit oder Behinderung psychische Störungen bereits behandelt? besondere Stärken und Fähigkeiten
Abbildung 5: Familienfragebogen des Heidelberger Instituts für systemische Forschung Akten sind eine zwiespältige Informationsquelle. Sie können im Leser eine »Problemtrance« erzeugen, ihn schon vor seinem Tätigwerden von der Hoffnungslosigkeit allen Tuns und von der tiefen Gestörtheit seiner Klienten überzeugen. Dies gilt besonders, wenn die Akten dick sind und nach dem Motto »je dicker die Akte, desto hoffnungsloser der Fall« gelesen werden. Michael White (pers. Mitteilung) hat deshalb sarkastisch empfohlen, Akten gar nicht zu lesen, sondern nur zu wiegen. Akten können sinnvoll unter der Perspektive gelesen werden, zu welchen Beziehungsgestaltungen die Klienten frühere Beraterinnen eingeladen haben und welche Interventionen schon früher probiert
129
Erste Zugänge: Hypothesen
wurden und scheiterten. Außerdem können Akten Beziehungsinformation über Systeme liefern, denen der Klient früher angehörte. Man sollte sie sozusagen »mit einer konstruktivistischen Optik« lesen: Was sagt die Akte über die Beziehung des Schreibers oder der Schreiberin zum Beschriebenen? (vgl. auch S. 136). Vorinformation vor dem 1. Gespräch
Name:
1. Welches Problem (welche Probleme) führt (führen) Sie her? 1. 2. 3. 2. Wurde dafür in der Vergangenheit professionelle Hilfe gesucht? ja nein Falls ja: Wann, wo, welche? Einrichtung
Zeitraum von bis
Was wurde dort gemacht
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
3. Sind Sie (Ihre Familie) derzeit auch andernorts in Behandlung/Betreuung/Beratung? ja nein Falls ja: Einrichtung
seit wann
was wird dort gemacht?
1. 2. 3.
4. Was wünschen/erwarten Sie sich von uns? 1. 2. 3.
5. Woran würden Sie es hinterher merken, wenn Ihre Wünsche/Erwartungen erfüllt sind: Was wäre dann anders? 1. 2. 3.
Abbildung 6: Zusatzbogen des Heidelberger Instituts für systemische Forschung
130
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6.3. Repräsentationsformen für Systeminformationen: Genogramm, Systemzeichnung, Organigramm Genogramme Genogramme dienen der übersichtlichen Darstellung von komplexen Informationen über Familiensysteme. Man benutzt dazu meist eine Zeichensprache, für die sich bestimmte Symbole eingebürgert haben (vgl. McGoldrick u. Gerson 1990, Heinl 1987, 1988): Ein Genogramm umfaßt je nach Gesprächsverlauf bis zu drei Generationen, ausgegangen wird von der eigenen Herkunftsfamilie beziehungsweise der Familie des Indexpatienten. In einem Haushalt gemeinsam lebende Personen können umkreist werden, es können aber auch für jede Familienebene separate Blätter verwendet werden. In das Bild lassen sich dann wichtige Fakten einschreiben: – Name, Vorname, Alter beziehungsweise Geburtsdatum, eventuell Todesdatum – Datum der Heirat, eventuell auch des Kennenlernens, Daten von Trennung und Scheidung – Wohnorte, Herkunftsorte der Familie, Ortswechsel – Krankheiten, schwere Symptome, Todesursachen – Berufe
= männlich
= weiblich
= verstorben
= ungeborenes Kind
= Abtreibung, Fehlgeburt, Totgeburt 1978
∞
= Ehe = nichtformalisierte Lebensgemeinschaft
T S 1981
1982
= Ehe mit Trennung (T) bzw. Scheidung (S) = Familie mit einem Sohn, einer Tochter, einem eineiigen und einem zweieiigen Zwillingspaar sowie einem Pflege- bzw. Adoptivkind (PK oder AK)
Abbildung 7: Symbolsprache des Genogramms
131
Erste Zugänge: Hypothesen
Interessant können auch »weiche« Informationen sein: – – – –
drei Eigenschaften, die der Person zugeschrieben werden ein Begriff zur Kennzeichnung der jeweiligen Familienatmosphäre Hinweise auf bestimmte Streitfragen in der Familie (z. B. Eifersucht) Tabus und »weiße Stellen« im Genogramm: Von wem ist nichts überliefert, worüber wurde nicht gesprochen? Welche Ereignisse werden verschleiert? – Krankheiten: McGoldrick u. Gerson (1990) weisen auf die Möglichkeit des Einsatzes des Genogramms als Basisdokumentation in einer familienärztlichen Praxis, auf der die Krankheiten verschiedener Familienmitglieder in ihrem zeitlichen Zusammenhang schnell deutlich werden.
Es ist möglich, bestimmte Teile des Genogramms farbig hervorzuheben oder um besondere familiäre Ereignisse, Einflüsse oder transgenerationelle Muster zu ergänzen. Familienfotos oder Gegenstände (z. B. ein Werkzeug des Großvaters) können dazu beitragen, die »Kreise und Kästchen« mit Leben zu füllen. Das Wichtigste bleiben jedoch die Geschichten, die zu den Genogrammdaten erzählt werden. Sie bilden den Hintergrund für ein neues Verständnis der Gegenwart. 1815–96 81
1835–
–1879
61
79
66
Amalia Nathanson
Berman Bernays
Emmeline
Jakob
Sally Rebecca Kanner H. 32 H. 51? 1857–57 1833– 1836– 63
H. 55 1858– 1860– 38
60 Julius
Emmanuel Philip
Anna
36 Rosa
1861–
1862–
1863–
1866–
35
34
33
30
Marie
Dolfi
Paula
1830–
1855–72 17
1860–
Isaac
Alexander
36 Eli 1868– 28
1856–
Minna 1861–
40
35 Sigmund Martha
H. 86 1887–
1889–
1891–
1892–
1893–
1895–
9
7
5
4
3
1
Mathilde
Martin
Oliver
Ernest
Sophie
Anna
Abbildung 8: Genogramm der Familie Freud, 1896 (aus: McGoldrick u. Gerson 1990, S. 19)
132
Praxis: Zwischen Wissenschaft, Handwerk und Kunst
Ein interessantes Beispiel: Sigmund Freud litt mit 40 Jahren kurzzeitig an Migräne und einer belastenden Arbeitsstörung (er konnte nicht mehr publizieren). Das Genogramm (Abb. 8, S. 131) liefert hier zahlreiche Hypothesen: Ist er durch die vielen Kinder überlastet? Stellt die kurz zuvor in dem Haushalt eingezogene Schwester seiner Frau eine Versuchung für ihn, den immer um Vernunft und Triebkontrolle bemühten Mann dar? Es wäre auch möglich, daß sich eine ähnliche Konstellation wie in seiner Herkunftsfamilie ergibt: Die zweite Frau des Vaters war wesentlich jünger als ihr Mann, ja, gleich alt wie dessen Söhne aus erster Ehe. Eine andere Möglichkeit wäre, daß Freud seit Einzug dieser Schwester, welche eng mit seiner Frau verbunden sein könnte, in seiner Familie zu einer randständigen Figur wurde. Hat er sich deshalb in die Migräne zurückgezogen? Er war schon in seiner Herkunftsfamilie der Älteste einer langen Geschwisterreihe: Ist die ewige Verantwortung ihm zuviel geworden? Und schließlich: Sein Vater ist in jenem Jahr gestorben – was mag dieses Ereignis für ihn, den sehr auf seinen Vater ausgerichteten Sohn bedeutet haben? Ausführlich ist dieses Genogramm diskutiert bei McGoldrick und Gerson; Marianne Krüll (1979) hat das familiengeschichtliche Material und dessen Bezüge zur Freudschen Theorieentwicklung ausführlich untersucht.
Systemzeichnungen Das Genogramm läßt sich zum Ausgangspunkt für Systemzeichnungen nehmen, für die Minuchin (1977) eine bestimmte Form der »Kurzschrift« vorgeschlagen hat (Abb. 9, s. S. 133). Diese hat sich bewährt, um die vorläufigen Hypothesen zum Ende eines Familiengespräches zusammengefaßt zu skizzieren. In keinem Fall sollten diese Skizzen als »Systemdiagnosen« verstanden werden. Ausgehend von den für das Problemsystem als bedeutsam angesehenen Personen können die folgenden Systemaspekte in die Zeichnung beziehungsweise die Zeichnungen integriert werden (es kann sinnvoll sein, mehrere anzufertigen, je nach Aspekt, den man verdeutlichen möchte): Als Allianz wird eine Beziehung bezeichnet, die eng ist, sich aber nicht gegen jemanden Drittes richtet, – anders als die Koalition, die ein (meist geheimes) Bündnis zweier gegen einen Dritten darstellt und zwar über die Grenzen mindestens zweier Generationen hinweg. Meist geht die Koalition auch mit der Umleitung eines verdeckten oder offenen Konflikts einher, vielfach ist dann ein Kind in eine elterliche Auseinandersetzung einbezogen, Minuchin spricht dann von Triangulation. Verdeckt wird ein Konflikt dann genannt, wenn für einen Beobachter viele Anzeichen, inkongruente Kommunikation, Andeutungen usw. dafür sprechen, der Konflikt aber von den Beteiligten nicht explizit angesprochen wird.
Erste Zugänge: Hypothesen
133
flexibel:
Abbildung 9: Symbole für Systemzeichnungen
Zeit, Raum, Energie Kantor und Lehr erarbeiteten 1977 ein Modell der Dimensionen, auf denen sich Familienleben vollzieht. Als wichtige Möglichkeiten, Zugang zum familiären Alltag zu gewinnen, beschrieben sie die drei Bereiche Zeit, Raum und Energie. Es sind Bereiche, über die es leicht möglich ist, ins Gespräch zu kommen: Wieviel Zeit verbringen welche Subsysteme miteinander? Wieviel Prozent der Energie setzt man wofür ein? Wie wird der gemeinsam zur Verfügung stehende Raum genutzt? Will man die historische Gleichzeitigkeit familiärer Prozesse herausarbeiten, bietet sich eine »Chronologische Karte« an. Dabei wird, beginnend mit dem Kennenlernen der Eltern des Ausfüllenden, für jedes Familienmitglied (Reihen) in jedem Jahr (Spalten) ausgefüllt, was wichtiges geschah und mit zeitgeschichtlichen Ereignissen verglichen, für die es ebenfalls eine Spalte gibt. Eine solche Chronologie braucht viel Zeit, fördert aber oft überraschende Zusammenhänge zutage. Schneller und leichter kann dem Genogramm eine kurze Problemchronologie angefügt werden, in der in zeitlicher Abfolge hintereinander die Daten der Ersterkrankung, der ersten Diagnosestellung, bisheriger Krankenhausaufenthalte und ambulanter Psychotherapien
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Praxis: Zwischen Wissenschaft, Handwerk und Kunst
aufgelistet werden. Dies hilft, Zusammenhänge von Problemkarriere und Familienentwicklung deutlich werden zu lassen. Die räumliche Entsprechung der Chronologie ist der »Wohnungsgrundriß« (Hubschmid 1983). Hier wird entweder jedem Familienmitglied oder einzelnen die Aufgabe gegeben, den Grundriß der Familienwohnung einmal aufzuzeichnen. Aus den Unterschieden der einzelnen Zeichnungen können Hinweise auf das unterschiedliche Erleben des Raumes durch die Familienmitglieder gezogen werden. Besonderheiten (etwa das Fehlen von Türen und Wänden, extrem unterschiedliche Größen für vergleichbar große Räume usw.) können Anlaß zu interessanten Reflexionen sein: »Im Lauf der Entwicklung müssen … immer wieder und immer mehr Türen geschlossen werden, damit die nächste Generation autonom werden kann. Dieser Prozeß ist schmerzhaft, begleitet von Verlusten. Dieser Schmerz wird fühlbar, wenn in der Therapie von Türen die Rede ist« (Hubschmid 1983, S. 229).
Organigramm Eine Beratung von Institutionen geht meist von dem formalen Organigramm aus. In vielen Institutionen existiert ein solches bereits, sonst gehört die Erstellung zu den ersten Schritten im Beratungsprozeß. Das Organigramm beschreibt die meist hierarchische Strukturierung der Entscheidungs- und Organisationsabläufe. Jeweils gleichberechtigte Mitarbeiter oder Abteilungen werden nebeneinander gezeichnet, bei größeren Firmen werden nur die jeweiligen Führungsebenen aufgelistet. Stabsstellen (z. B. Sekretärin) werden oft nicht offiziell aufgezeichnet, es empfiehlt sich jedoch, sie von vorneherein mit einzubeziehen, denn ähnlich wie beim Genogramm dient auch das Organigramm vor allem der Initiierung bedeutsamer Gespräche über die Arbeitsbeziehungen, und dabei spielen Sekretärinnen oft eine besonders wichtige Rolle. Dies führt dann zu den meist viel interessanteren »informellen Organigrammen«. Malik (1989, z. B. S. 492) unterscheidet zwischen der Oberflächen- und der Tiefenstruktur von Organigrammen. Die Tiefenstruktur spiegelt die Beziehungsmuster wieder, ihre Erarbeitung ist oft Teil oder gar Kern des Beratungsprozesses. Die Erarbeitung der Unterschiede zwischen formalem und informellem Organigramm liefert wichtige Hypothesen zu Koalitions- und Machtfragen in der Einrichtung.
135
Erste Zugänge: Hypothesen
Fragen, die an das Organigramm gestellt werden können: – Wer besetzt welche formelle, wer welche informelle Position? Wer nimmt informelle Leitungsfunktionen wahr? Wer ist informeller Informationsknotenpunkt, in wessen Zimmer finden zum Beispiel die Kaffeepausen statt usw.? – Wer ist wie lange schon Mitglied des Systems (vgl. die sog. Ursprungsordnung S. 42ff)? – Wo lassen sich Konfliktlinien, Koalitionen und Allianzen erkennen (vgl. die Systemzeichnungen S. 133)? – Wo gibt es »Gespenster«, also Leute, die »dazugehören«, obwohl sie schon das System verlassen haben, zum Beispiel besonders beliebte verstorbene Vorgesetzte, gegen deren Nimbus der Nachfolger nur mühsam ankommt oder, in karitativen Einrichtungen nicht selten: engagierte emeritierte Geschäftsführer, die als Rentner im Vorstand des Vereins sitzen und so ihren Nachfolger kontrollieren. – Wo liegen die »Leichen im Keller«? Durch welche Geschehnisse sind Personen eventuell schicksalhaft miteinander verbunden? – Wer ist durch wen an welche Position gekommen (evtl. mit »Leichen im Keller« verknüpft)? – Unterschiede bei Vollzeitkräften, Teilzeitkräften, in der Bezahlung, in der Gehaltsstufe und so weiter: Welche Arbeit wird mehr/weniger geschätzt? – Die »Schatzkiste« des Systems: Welche vergangenen Ressourcenerfahrungen werden beschrieben?
Ve r t r e t e r v e r s a m m l u n g TrägerEbene
Vo r s t a n d
1. Vorsitzender diverse Ausschüsse
Geschäftsführungsebene
Geschäftsführer
Sekretärin
verschiedene Dienste Abteilungsleiterkonferenz ErziehungsBeratung
Dienststellenebene
Altenpflege
Soz.-päd. Familienhilfe
A-Stadt B-Stadt
Suchtberatung
Allgem. Sozialer Dienst
A-Stadt B-Stadt
Abbildung 10: Beispiel-Organigramm eines großen sozialen Verbandes
Wohnheim
136
Praxis: Zwischen Wissenschaft, Handwerk und Kunst
6.4. Hypothesen über den Zuweisungskontext Mit der Veränderung der Blickrichtung von der Familie zum Problemsystem ergab sich ein neuer wichtiger Bereich des Hypothetisierens, nämlich über die Rolle der Person, die die Klienten in die Therapie oder Beratung geschickt hat. Auch wenn der Zuweisende kein Mitglied des Klientensystems, sondern beispielsweise ein Therapeut ist, kann er oder sie durchaus über die kommunikative Handlungen am Problemsystem beteiligt sein. Erstmals wurde die Relevanz dieser Frage von Vertretern des Mailänder Modells diskutiert, die eine Reihe von therapeutischen Fehlschlägen damit erklärten, daß sie ein wichtiges Mitglied des Systems und seine Funktion für die Aufrechterhaltung der Symptomatik übersehen hatten, eben den Zuweisenden: »Welches ist die gegenwärtige Position des Zuweisenden in gerade dieser Familie? Ist er soweit einbezogen, daß er zu einem wichtigen Mitglied im Familiensystem geworden ist?« (Selvini Palazzoli et al. 1983). Diese Frage führt sehr häufig zu der Erkenntnis, daß sich oft schon viele Helfer in irgendeiner Weise mit der Problematik bereits befaßt haben – seien es Ärzte, Sozialarbeiter, Psychologen oder Psychiater. Probleme, die nicht gelöst werden bzw. für die Menschen versuchen, sich nicht verantwortlich machen zu lassen, haben eine Tendenz, auf andere Systemebenen verschoben zu werden. Nicht selten arbeiten an einem Problem mehrere Therapeuten gleichzeitig, vielleicht gar gegeneinander und manchmal sogar, ohne voneinander zu wissen. Je mehr sich ein Therapeut »abmüht«, ein Problem für jemand anderen zu lösen, um so frustrierter wird er oder sie, um so stärker ist sein Bedürfnis, jemand anderen zu finden, der die Arbeit übernimmt. Durch seine Bemühungen kann er oder sie aber bereits so sehr Teil des Problems geworden sein, daß es wichtig ist, eine Lösung unter seiner Einbeziehung zu suchen. Die Hypothesenbildung in den in diesem Kapitel beschriebenen Schritten, sollte daher mögliche Zuweisenden miteinbeziehen, etwa über seine Einzeichnung in ein Genogramm oder eine Systemzeichnung.
Systemisches Fragen
137
7. Systemisches Fragen Fragen zu stellen ist nicht nur eine Art der Informationsgewinnung, vielmehr wird immer gleichzeitig auch Information geschaffen, generiert. In jeder Frage versteckt sich nämlich auch eine implizite Aussage, die die gewohnte Art, wie in der Familie die Dinge gesehen werden, potentiell verstören kann. Wenn etwa eine Therapeutin fragt: »Ist das Symptom stärker, wenn Sie dabei sind oder Ihr Mann?«, dann steckt darin implizit das Angebot, das Symptom als Beziehungsphänomen zu sehen und nicht als individuelles Problem des Kindes. Wenn die Frage dadurch beantwortet wird, daß ein Unterschied beschrieben wird (»bei mir« oder »bei meinem Mann«), dann ist damit das implizite Angebot der Wirklichkeitsbeschreibung angenommen. Ähnliches gilt für die Frage: »Wann hat Ihre Tochter sich entschieden, nicht mehr zu essen?« oder: »Gesetzt den Fall, Herbert hätte sich damals nicht entschieden, depressiv zu werden, wie hätte sich der Streit zwischen Ihrer Frau und Ihrer Mutter weiterentwickelt?« Jede Antwort außer einer vollständigen Verwerfung der Frage bestätigt die Implikation, daß die »Krankheit« etwas ist, das zumindest in Grenzen in der Kontrolle des »Kranken« ist. Die Frage, ob diese Art von Implikation dauerhaft von einer Familie akzeptiert wird, zeigte sich in einer empirischen Untersuchung als zentraler Punkt für die Stabilität therapeutischer Veränderungen (Retzer et al. 1989).
Therapie stellt sich auf dieser subtilen Ebene als ein gemeinsames Ringen um Wirklichkeitsdefinitionen dar (von Schlippe 1995b, BraunBrönneke 1990). Eine kleine Denkaufgabe hierzu (in Anlehnung an Hargens 1996): Überlegen Sie einmal, welche Implikationen sich in den folgenden Fragen verstecken, mit denen ein Erstgespräch eröffnet werden könnte: Seit wann besteht die Krankheit? Weshalb sind Sie hier? Was ist Ihr Problem? Was können wir heute für Sie tun? Welche Lösung möchten Sie heute erreichen? Was sollte heute hier geschehen, damit Sie nachher zufrieden nach Hause gehen?
Der genauere Blick auf die scheinbar harmlose Methode des Fragens zeigt, daß es sich um eine Form der Intervention handelt, die nicht unterschätzt werden sollte. Entsprechend dem kommunikationstheoretischen Axiom, daß man »nicht nicht kommunizieren« kann (Watzlawick et al. 1969), ist es unmöglich, Fragen zu stellen, ohne damit zugleich bei den befragten Personen eigene Ideen anzustoßen. Schmidt (1985) beschreibt entsprechend die systemische Therapie auch als eine Form der Hypnotherapie: Durch die Fragen werden implizite Botschaften übermittelt, derer man sich als Therapeut bewußt sein
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Praxis: Zwischen Wissenschaft, Handwerk und Kunst
sollte. Da systemische Therapie und Beratung vielfach mit mehreren Personen gleichzeitig geschieht, potenziert sich natürlich auch die Wirkung der Fragen, denn es entsteht nicht nur neue Information für den, dem die Frage gestellt wurde, sondern auch für die Zuhörer des Gesprächs.
7.1. Zirkuläres Fragen: Zur Form systemischer Gesprächsführung Eine besondere Rolle spielt in der systemischen Therapie das zirkuläre Fragen. Die grundlegende Überlegung dieser Methode ist, daß in einem sozialen System alles gezeigte Verhalten immer (auch) als kommunikatives Angebot verstanden werden kann: Verhaltensweisen, Symptome, aber auch die unterschiedlichen Formen von Gefühlsausdruck sind nicht nur als im Menschen ablaufende Ereignisse zu sehen, sondern sie haben immer auch eine Funktion in den wechselseitigen Beziehungsdefinitionen. Daher kann es interessanter sein, diese kommunikativen Bedeutungen sichtbar zu machen, als den betreffenden Menschen ausführlich nach seinen eigenen Empfindungen zu befragen. Konsequenterweise steht daher auch bei Fragen bezüglich der Symptome im Zentrum, wie jedes Familienmitglied diese versteht, welche Erwartungen und Beobachtungen damit verbunden sind und wie darauf reagiert wird. »Man kann direkt fragen …: ›Wie fühlst du dich?‹ Wir tun das nicht …, wir fragen jemand anderen: ›Was denkst du, wie deine Schwester sich fühlt?‹ Ein Gefühl ist eine Botschaft an einen anderen. Und so fragen wir den, der die Botschaft empfängt, nicht den, der sie sendet. Und auch bei einer Beziehung … fragen wir einen anderen: ›Wie siehst du diese Beziehung?, weil auch eine Beziehung eine Botschaft an einen anderen ist« (Cecchin, Diskussionsbeitrag in: von Schlippe, Kriz 1987, S. 39; übers. durch uns).
Systemisches Fragen
139
Ein Beispiel (Abb. 11–15 aus: von Schlippe et al. 1994, S. 23–25)
Abbildung 11 In anderen therapeutischen Orientierungen sind wir gewohnt, so zu fragen:
Abbildung 12
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Praxis: Zwischen Wissenschaft, Handwerk und Kunst
Eine solche Perspektive ist wichtig. Gefühle können als Ausdruck der Existenz einer Person wahrgenommen und wertgeschätzt werden. In dem Wort »Ausdruck« steckt jedoch bereits mehr: Jedes Gefühl wird ausgedrückt – und kann dann auch als Botschaft von jemandem an jemanden verstanden werden:
Abbildung 13 Helmut weint. Hannelore nimmt dies wahr und Helmut weiß, daß Hannelore dies wahrnimmt. Dieser kommunikative Aspekt wird in der üblichen Frage nicht berücksichtigt. Dafür braucht es eine andere Art von Frage:
Abbildung 14
Systemisches Fragen
141
Und es gibt immer Dritte, die auf die Beziehungen von zwei anderen schauen:
Abbildung 15 Mit dieser Fragetechnik entsteht neue Information im System. Helmut erhält eine Information über die mögliche Bedeutung seines Weinens für Hannelore, Hannelore erhält Information über die möglichen Intentionen von Helmut und beide erhalten eine Rückmeldung über ihre Beziehung aus der Sicht von Stefan. Bei allen Beteiligten werden so neue Sichtweisen und Denkprozesse angeregt. »Menschen denken ständig über andere nach und darüber, was andere über sie denken und was andere denken, daß sie über andere denken, usf. Man fragt sich, was nun in den anderen vorgehe, man wünscht oder fürchtet, daß andere Leute wissen könnten, was in einem selbst vorgeht« (Laing et al. 1971, S. 37).
Diese Art der Informationssammlung fragt nach Mustern, nicht nach Dingen. Ein Symptom, ein Problem, eine Krankheit sind keine Dinge, sondern Prozesse, gebildet durch Handlungen und Kommunikationen verschiedener Personen:
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Praxis: Zwischen Wissenschaft, Handwerk und Kunst
Was tut Ihr Mann, wenn Ihr Sohn das tut, was Sie verhaltensgestört nennen? Wie reagiert der Sohn darauf? Wie genau verhält sich Ihr Sohn anders, wenn Ihr Mann ihn als ›gesund‹ beschreibt?
Auf diese Weise wird Krankheit entdinglicht, »verflüssigt« (Simon u. Weber 1988a), und es wird möglich, die Verhaltensweisen, die sie bilden, in Beziehungskontexte zu stellen:
Für wen ist denn das, was Ihre Tochter tut, ein Problem? Wer ist darüber am meisten beunruhigt, wer am zweitmeisten? (usw.) Wer merkt es in der Familie zuerst, wenn das auftritt, was Dr. Meier als Schizophrenie bezeichnet?
Auch eine Beziehung kann als Kommunikation an einen Dritten angesehen werden. Informationen hierzu werden durch Fragen danach erzeugt, wie ein Familienmitglied die Beziehung zwischen zwei anderen sieht. Man nennt dies auch »Tratschen über Anwesende«:
Was denken Sie, wie Ihre Frau die Beziehung zwischen Ihnen und Ihrem Vater einschätzt? Sieht Ihre Schwiegermutter das wohl so ähnlich oder ganz anders? Angenommen, Ihre Schwester würde laut aussprechen, was sie über Ihre Mutter denkt, was wäre das am ehesten, was sie sagen würde?
Auf diese Weise wird Information sowohl gesammelt als auch sichtbar gemacht, sind Frage und Intervention kaum noch zu trennen. Beziehungsmuster werden deutlich, ohne daß man sich in inhaltliche Auseinandersetzungen verwickelt. Mit jeder zirkulären Frage wird auch ein Angebot zum Einnehmen einer Außenperspektive auf das eigene soziale System gemacht. Das Klientensystem wird damit zum einen herausgefordert, die »Wirklichkeit« nicht in den gewohnten Interpunktionsmustern zu beschreiben. Zudem geben die Familienmitglieder einander in ihren Antworten indirekt Rückmeldung und klären auf diese Weise ihre Vermutungen übereinander ab (ihre »Erwartungs-Erwartungen«, vgl. S. 77). Manche Menschen setzen sich, wie Laing et al. (1971, S. 45) schreiben, extremen Qualen aus, weil sie anderen beharrlich eine viel größere Fähigkeit unterstellen, zu wissen, was in ihnen vorgeht, als diese anderen tatsächlich haben. Hier kann das zirkuläre Fragen wohltuend helfen, Mißverständnisse übereinander aufzuklären. Es liegen mittlerweile eine ganze Reihe von verschiedenen Versuchen vor, zirkuläre Fragen zu klassifizieren und zu ordnen (z. B. Penn 1983, 1986, Rothermel u. Feierfeil 1990, Tomm 1988a+b, 1989a, 1994, von Schlippe u. Kriz 1993, Palmowski u. Thöne 1995, Lenz
Systemisches Fragen
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et al. 1995). Einige von diesen unterscheiden nach der Form, andere nach den Zielsetzungen, dritte nach den Inhalten der Fragen. Wir haben uns in unserer Darstellung an zwei großen Inhaltsbereichen orientiert: Fragen zur Wirklichkeitskonstruktion in Systemen und Fragen zur Möglichkeitskonstruktion. Selbstverständlich werden dadurch Inhaltsbereiche benannt, die nur in einer didaktischen Abhandlung wie dieser trennbar sind, sich im Gespräch aber beständig mischen.
7.2. Frageformen, die Unterschiede verdeutlichen Zuvor sei aber noch auf einige spezielle Formen zirkulären Fragens hingewiesen, die besonders hilfreich bei der Herstellung und Verdeutlichung von Unterschieden sind (weitere Beispiele u. a. bei Penn 1983).
Klassifikationsfragen Klassifikationsfragen arbeiten Unterschiede in den Sichtweisen und Beziehungen besonders intensiv und deutlich heraus, indem sie diese in eine Rangreihe bringen:
Wen schätzt die Chefin aus dem Mitarbeiterkreis Ihrer Meinung nach am meisten, wen am zweitmeisten, wen am wenigsten? Angenommen, hier würde jemand kündigen: Wer wäre der erste? Wer freut sich über den Einzug der Schwiegermutter in den Haushalt am meisten, wer am wenigsten? Wer ist heute mit dem meisten Optimismus hergekommen, wer am skeptischsten? Wird die Tochter als erste Lust kriegen, den Familienhaushalt zu verlassen, oder werden die Eltern schon zuvor Lust kriegen, sie zum Auszug aufzufordern?
Prozentfragen Prozentfragen (»Zu wieviel Prozent halten sie dies für … und zu wieviel Prozent hingegen für …?«) laden dazu ein, Ideen, Überzeugungen, Stimmungen, Krankheitskonzepte, Meinungen übereinander genauer zu differenzieren. Sie vermögen insbesondere Ambivalenzen, widersprüchliche Strebungen in einzelnen und in sozialen Systemen zunächst zu verdeutlichen und im weiteren Verlauf zu »verflüssigen«.
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Zu wieviel Prozent halten Sie Ihr Verhalten für den Ausdruck einer Stoffwechselerkrankung, zu wieviel Prozent für den Ausdruck Ihres Lebensstils? Wenn Sie es noch stärker als Stoffwechselerkrankung betrachten würden: Würde Ihr Leben dadurch leichter oder komplizierter, angenehmer oder trostloser? Wenn es im Herzen ihrer Frau zwei Tendenzen gäbe: eine will sich von ihrem Mann trennen, eine will bei ihm bleiben – wieviel Prozent des Herzens Ihrer Frau möchten sich derzeit von Ihnen trennen? Wieviel Prozent möchten bei Ihnen bleiben? Wenn man Mutters ganze Energie in einem runden Energiekuchen darstellen könnte: Wieviel Prozent von diesem Kuchen werden derzeit dadurch verbraucht, daß sie sich mit den Schulschwierigkeiten der Kinder herumschlägt? Für wie felsenfest halten Sie auf einer Skala von 0 bis 100 % die Kündigungsabsicht der Kollegin Schmidt? Und wie hoch schätzen Sie auf dieser Skala die Kündigungsabsichten der anderen Kolleginnen ein?
Übereinstimmungsfragen Übereinstimmungsfragen (»Sehen Sie das genauso oder anders?«) nach der Zustimmung oder Ablehnung zu Antworten auf vorausgegangene Fragen geben zum einen Hinweise auf das »Wer mit wem?«, auf Koalitionen und Kartelle. Zum anderen ermöglichen sie nach einer längeren Phase des zirkulären Fragens denjenigen eine eigene Stellungnahme, über die zuvor gesprochen wurde.
Sehen Sie das genauso wie Ihre Kollegin oder würden Sie ihr da eher widersprechen? Der Unternehmensvorstand hält die Krise Ihrer Firma für konjunkturbedingt, der Personalrat führt sie auf Managementfehler zurück. Welcher Sicht neigt Ihres Erachtens der Aufsichtsrat eher zu? Papa hält dich für Mamas Kind – du dich auch, oder hältst du dich eher für Papas Kind?
Subsystemvergleiche Man kann einen Dritten einladen, die Intensität verschiedener dyadischer oder triadischer Beziehungen miteinander zu vergleichen. Noch direkter als die Übereinstimmungsfragen verdeutlichen die Antworten darauf, »wer mit wem besser kann.«
Wie sehen Sie das als Sohn und Bruder: Hat Ihr Vater zur Zeit eine engere Beziehung zu seiner Frau oder zu seiner Tochter? Wie sehen Sie das als Kirchenälteste: Sympathisiert der Gemeindepfarrer stärker mit den traditionsbewußteren Kirchenmitgliedern oder stärker mit den moderneren?
Systemisches Fragen
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Gerade in Klientensystemen, in denen jede Art von Unterschiedlichkeit angstbesetzt ist, können solche Frageformen ein wichtiger therapeutischer Schritt sein. Sie vermitteln, daß Unterschiede und Veränderungen akzeptierbar, zu erwarten, eigentlich selbstverständlich sind. Mit ihnen kann man relativ leicht und relativ bald vermeintliche Tabuthemen anschneiden – denn man unterstellt (deutet) nichts, man fragt ja nur. Man muß nicht darauf warten, daß solche Themen, oft nach qualvollem Zögern, von den Teilnehmern selbst angesprochen werden, sondern kann alle Hinweise, Hypothesen, Spekulationen, Vermutungen, Intuitionen sofort in solche Fragen übersetzen.
7.3. Wirklichkeits- und Möglichkeitskonstruktionen: Inhaltsbereiche systemischer Gesprächsführung Damit ein System sich verändern kann, wenn es sich verändern will, braucht es über seine internen und externen Beziehungszustände zweierlei Informationen: über das, was ist, und über das, was sein könnte. Entsprechend unterscheiden wir Fragen zur Wirklichkeitskonstruktion und Fragen zur Möglichkeitskonstruktion. Erstere sollen den aktuellen Kontext erhellen, die zweiten neue Möglichkeiten in den Blick rücken. Zwischen beiden gut hin und her wechseln zu können, macht viel von der Kunst systemischer Interviewführung aus (s. zusammenfassende Kästen S. 146 und 147).
7.4. Fragen zur Wirklichkeitskonstruktion Fragen zur Wirklichkeitskonstruktion oder Gegenwartsfragen dienen dazu, aktuelle Beziehungsmuster deutlich zu machen. Sie befassen sich im wesentlichen mit zwei großen Bereichen: dem Kontext des Arbeitsauftrags und dem Kontext des präsentierten Problems beziehungsweise den vielen verschiedenen Perspektiven, die zusammengenommen dieses erst konstitutieren.
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Praxis: Zwischen Wissenschaft, Handwerk und Kunst
Fragen zur Wirklichkeitskonstruktion – Fragen, die aktuelle Beziehungsmuster deutlich machen – 1. Fragen zum Auftragskontext 1) Den Überweisungskontext erfragen: Wer hatte die Idee zu diesem Kontakt? Was möchte er/sie, was hier passieren soll? Warum gerade dieser Klient, warum gerade zu mir, warum gerade jetzt? 2) Die Erwartungen erfragen: Wer will hier was von wem (von mir, von uns)? Wer ist optimistisch, wer skeptisch? Was müßte ich (müßten wir) tun, um die Erwartungen zu erfüllen? Was müßte ich (müßten wir) tun, damit es ein Mißerfolg wird? 2. Fragen zum Problemkontext 1) »Das Problempaket aufpacken«: Aus welchen Verhaltensweisen besteht das Problem? Wem wird dieses Problemverhalten gezeigt, wem nicht? Wo wird es gezeigt, wo nicht? Wann wird es gezeigt, wann nicht? Woran würden Sie erkennen, daß es gelöst ist? 2) Die Beschreibungen rund ums Problem erfragen Wer hat es zuerst als Problem bezeichnet? Wer würde am ehesten bestreiten, daß es sich überhaupt um ein Problem handelt? Was genau meint Dr. X, wenn er/sie sagt »verhaltensgestört«? 3) Den »Tanz um das Problem« erfragen: Wer reagiert am meisten auf das Problemverhalten, wer weniger? Wen stört es, wen nicht? Wie reagieren welche anderen darauf? Wie reagiert das »Problemkind« auf die Reaktionen der anderen? Wie reagieren die anderen auf die Reaktionen es »Problemkindes«? (bis ein Kreislauf deutlich wird) 4) Erklärungen für das Problem erfragen: Wie erklären Sie sich, daß das Problem entstanden ist, wie daß es dann und dann auftritt und dann und dann nicht? Welche Folgen haben diese Erklärungen? 5) Bedeutung des Problems für die Beziehungen erfragen: Was hat sich in den Beziehungen verändert, als das Problem begann?
Was würde sich in den Beziehungen verändern, wenn das Problem wieder aufhören würde?
Systemisches Fragen
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Fragen zur Möglichkeitskonstruktion – Fragen, die bisher noch nicht verwirklichte Beziehungsmöglichkeiten durchspielen – 1. Lösungsorientierte Fragen (»Verbesserungsfragen«) 1) Fragen nach Ausnahmen vom Problem: Wie oft (wie lange, wann) ist das Problem nicht aufgetreten? Was haben Sie und andere in diesen Zeiten anders gemacht? Wie haben Sie es geschafft, in diesen Zeiten das Problem nicht auftreten zu lassen? 2) Fragen nach Ressourcen: Was möchten Sie in Ihrem Leben gern bewahren, wie es ist? Was machen Sie gern, gut? Was müßten Sie tun, um mehr davon zu machen? 3) Die Wunderfrage: Wenn das Problem plötzlich weg wäre (weil eine Fee Sie geküßt hat, nach einer Operation, durch Gottes Wirken oder aus sonstigen Gründen): Was würden Sie am Morgen danach als Erstes anders machen? Was danach? Wer wäre am meisten überrascht davon? Was würden Sie am meisten vermissen in ihrem Leben, wenn das Problem plötzlich weg wäre? 2. Problemorientierte Fragen (»Verschlimmerungsfragen«) Was müßten Sie tun, um Ihr Problem zu behalten oder zu verewigen oder zu verschlimmern? Was könnte ich/könnten wir tun, um Sie dabei zu unterstützen? Wie könnten Sie sich so richtig unglücklich machen, wenn Sie dies wollten? Wie könnten die anderen Sie dabei unterstützen? Wie könnten die anderen Sie dazu einladen, es sich schlechtgehen zu lassen? 3. Kombination lösungsorientierter und problemorientierter Fragen 1) Fragen nach dem Nutzen, das Problem (vorläufig) noch zu behalten: Wofür wäre es gut, das Problem noch eine Weile zu behalten oder es gelegentlich noch einmal einzuladen? Was würde schlechter, wenn das Problem weg wäre? 2) Zukunfts-Zeitpläne: Wie lange werden Sie Ihrem Problem noch einen Platz in Ihrer Wohnung gewähren? Wann werden Sie es vor die Tür setzen? Wie lange wäre es dafür noch zu früh? 3) Fragen nach einem »bewußten Rückfall« Wenn Sie Ihr Problem schon längst verabschiedet hätten, es aber noch einmal »einladen« wollten: Wie könnten Sie das tun? 4) »Als-ob«-Fragen Wenn Sie gegenüber anderen nur so tun wollten, als ob Ihr Problem wieder zurückgekehrt wäre, ohne daß es da ist, wie müßten Sie sich verhalten? Würden die anderen erkennen, ob Ihr Problem tatsächlich wieder da ist, oder ob Sie nur so tun, als ob?
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Praxis: Zwischen Wissenschaft, Handwerk und Kunst
Der Auftrag im Kontext Bei der Auftragsklärung geht es inhaltlich um die Klärung der oft vielfältigen und widersprüchlichen Erwartungen, der expliziten, vor allem aber der bislang unausgesprochenen Aufträge der verschiedenen an einer systemischen Beratung beteiligten Parteien – und das sind oft nicht nur die Teilnehmer an einem Beratungsgespräch! Oft haben Dritte, die aktuell gar nicht dabeisitzen, das Gespräch veranlaßt: der Jugendrichter schickt einen straffälligen Jugendlichen im Rahmen einer Bewährungsauflage zur Psychotherapeutin; die Hausärztin überweist einen Patienten mitsamt Familie an die Familientherapeutin, der Personalchef schickt seine zerstrittenen Abteilungsleiter oder Sekretärinnen zu einem »Kommunikationsseminar« in die firmeneigene Abteilung für Organisationsentwicklung. Der Regelfall ist, daß die Erwartungen zwischen den Klienten beziehungsweise Kunden und zwischen den anwesenden oder nichtanwesenden Überweisern unterschiedlich und oft kontrovers sind. Diese Diskrepanzen müssen als erstes geklärt und ausgehandelt werden – andernfalls gerät der Berater in Zwickmühlen, Dilemmata, da er mit unlösbaren Aufträgen konfrontiert ist. Solche Auftragsklärung Die Grundfragen der Auftragsklärung lauten:
Wer will was? (Wer ist mein Auftraggeber? Will der, der vor mir sitzt, überhaupt etwas von mir? Was müßten ich und der, der vor mir sitzt, tun, um den Auftraggeber zufriedenzustellen?) Von wem? (Bin ich es überhaupt, der hier angefragt ist?) Ab wann? (Gibt es jetzt schon einen Auftrag für mich?) Bis wann? (Ist es schon zu spät?) Wieviel? (Wie viele Therapiesitzungen, Behandlungstage, neue Anregungen wünschen die Klienten?) Wozu? (Was genau soll hier zu welchem Endzweck gemacht werden?) Mit wem? Gegen wen? (Wie einig oder uneinig sind verschiedene Kunden untereinander bezüglich der gewünschten Dienstleistung?)
Besonders nützlich können dabei die Umkehrungen dieser Fragen sein: Wer will nichts? (Ist jemand evtl. gar kein Kunde?) Was nicht? (Welche Dienstleistungen sind evtl. irrelevant?) Von wem nicht? (Welche Anbieter halten sich irrtümlicherweise für angesprochen?) Wann noch nicht? (Ist es zu einer längerfristig sinnvollen Maßnahme evtl. noch zu früh?) Wann nicht mehr? (Ist die Nachfrage bereits erloschen?) Wozu nicht? (Über welche Zielsetzungen besteht evtl. gar kein Konsens?).
Systemisches Fragen
149
steht vor allem am Anfang eines jeden Beratungsprozesses an. Sie kann aber auch im weiteren Verlauf nötig werden, wenn Krisen oder Unklarheiten über den Beratungsprozeß auftreten, und wenn über das Ende der Beratung entschieden werden muß (eine Möglichkeit, in Eigensupervision ein solches Auftragsgeflecht zu klären, ist das »Auftragskarussell«, s. S. 238ff) 1) Den Überweisungskontext erfragen Die Rolle der überweisenden Personen wurde oben bereits diskutiert (S. 136). Es ist unseres Erachtens nicht angebracht, diesen mißtrauisch gegenüberzustehen, wie dies Selvini et al. 1983 nahelegten. Vielmehr lohnt es sich gerade aufgrund der Überlegung, daß es in der systemischen Therapie um den Aufbau von Kooperationsbeziehungen geht – und nicht um ein Gegeneinander der verschiedenen Professionen oder Dienste –, folgendes zu erkunden:
Wer hatte die Idee zu diesem Kontakt? Was verspricht sich diese(r) Überweiser(in) davon? Was müßte hier geschehen damit der Überweiser hinterher sagt: Das hat sich gelohnt/das hat sich nicht gelohnt? Warum hat die Überweiserin gerade Sie hierhergeschickt? Warum hat man Sie gerade zu mir geschickt?
Die Antworten auf diese Fragen verdeutlichen insbesondere die Eigenmotiviertheit oder Fremdmotiviertheit der Klienten, deren spezifisches Eingestimmtsein und ihre Vorinformation über die systemische Beratung. Sie geben auch Hinweise, welche Funktion die systemische Beratung in der Beziehung zwischen Klienten und Überweisern hat, welche Dienstleistungen eigentlich wirklich gewünscht werden. All diese Kenntnisse können dem Berater helfen, unnötiges Überengagement zu vermeiden – etwa wenn Bescheinigungen des guten Willens und des »Sich-bemüht-Habens« zur Vorlage beim Überweiser gewünscht werden (»Herr … war am … zu familientherapeutischen Gesprächen in unserer Ambulanz«) oder wenn gegenüber Rententrägern, Jugendämtern oder anderen Kostenträgern dokumentiert werden soll, daß »auch dies nichts gebracht hat«. Beispiele: – Ein Sexualstraftäter, dem Familientherapie als Teil einer Bewährungsauflage verordnet worden war, kam mit seiner Familie in die Heidelberger Ambulanz zu einem Erstgespräch. Am Ende empfahlen wir, vor einem zweiten Gespräch mit dem Bewährungshelfer zu klären, welche »Dosis« an Familientherapie zur Erfüllung der Bewährungsauflage erforderlich wäre: würde eine Sitzung reichen, 10 Sitzungen oder müßten es mehr sein? Zur zweiten Stunde kam er mit der Information, es gäbe keine »Mengenvorgabe«, formal könne es bei einer
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Sitzung bleiben. Ab da konnten wir uns weit offener der Frage zuwenden, wie es mit den eigenen Interessen der Familie an solchen Sitzungen aussah. – Eine Fünfzehnjährige mit elektivem Mutismus (sie spricht nur mit der Mutter) kommt mit der alleinerziehenden Mutter zum Erstgespräch. Schnell zeigt sich, daß mindestens 12 professionelle Helfer (Heil- und Reitpädagogin, Hausaufgabenhilfe-Zusatzlehrerin, Pflegefamilie, Jugendamtmitarbeiter, Kinderpsychiaterin, Neurologe u. a.) mit dem Schicksal des Mädchens betraut sind. Den Familientherapeuten wird klar, daß sie als »Nr. 13 und 14« eingeladen sind, und sie verlegen sich auf die Frage: »Was würde mit all den Helfern und zwischen Mutter und Tochter geschehen, wenn die Tochter beginnen würde, wieder zu sprechen?« – Ein Fachdienst in einer großen Einrichtung bekommt die lange gewünschte Supervision finanziert. Allerdings soll von seiten der obersten Geschäftsführung diese Supervision der Erreichung eines Zieles (der Absicherung und Beschleunigung einer Organisationsreform) dienen, die von der Mehrzahl der Fachdienstmitarbeiter abgelehnt wird. Der Supervisor lädt daher zum ersten Termin einen Vertreter der Geschäftsleitung ein und erkundet, inwiefern Supervisionsziele von Geschäftsleitung und Fachdienstmitarbeitern sich decken oder sich widersprechen. Dabei kommt heraus, daß der Geschäftsführung diese Supervision ziemlich egal ist, sie damit den Mitarbeiterwünschen entgegenkommen wollte, die Finanzierung in der Gesamteinrichtung aber nur vertreten konnte, wenn die Supervsion mit einem ganz anderen Ziel als dem der Mitarbeiter nach außen begründet wird. Damit sind alle zufrieden und die weitere Supervision wendet sich frei von Paranoia den Problemen und Wünschen der Fachdienstmitarbeiter zu.
2) Die Erwartungen der Anwesenden erfragen Wenn der Kontext, in dem die Beratung stattfinden soll, geklärt ist, rücken die Erwartungen der Anwesenden in den Blick und die Frage, inwieweit diese übereinstimmen. Oft liegen die Erwartungen extrem weit auseinander: Der Mann möchte mittels der Paartherapie eine Ehescheidung abwenden, die Frau im Gegensatz dazu ihren Mann vom Sinn der Scheidung überzeugen; ein Vater möchte den schon erwachsenen Sohn endlich aus dem Haus bekommen, die Mutter ihn zu Hause besser integrieren. Für die Klärung dieser unterschiedlichen Erwartungen beispielsweise in einer Paarberatung bieten sich Fragen an wie:
Was denken Sie, verspricht Ihre Frau sich von diesem Gespräch? Denken Sie, Ihre Wünsche und die Ihrer Frau stimmen überein, oder wie unterscheiden sie sich? Was müßte ich heute tun, um die Erwartungen Ihrer Frau zu erfüllen? Was könnte ich tun, damit das Gespräch aus der Sicht Ihres Mannes ein absoluter Mißerfolg wird? Woran würden Sie es merken, wenn diese Beratung ihr Ziel erreicht hätte? Was würden Sie dann anders tun als heute und was würde Ihre Frau dann anders machen? Angenommen, diese Paartherapie würde zeigen, daß Sie beide nicht zusammenpassen: wer von Ihnen wäre darüber eher schockiert, wer eher erleichtert?
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Das Problem im Kontext Nach der Klärung der Erwartungen von Überweisern und Gesprächsteilnehmern kann nun das präsentierte Problem in den Blick rücken. 1) »Das Problempaket aufpacken« Globale Problembeschreibungen sollten zunächst differenziert werden, um das Problem eingegrenzter und damit leichter bearbeitbar zu machen. Dabei empfiehlt es sich zunächst zu fragen, aus welchen Verhaltensweisen und Beschreibungen das Problem aus der Sicht der Gesprächsteilnehmer besteht.
Was genau tun (oder denken) Sie, wenn (Sie sich depressiv fühlen; – Sie sich für eine schlechte Mutter halten; – Sie sich an ihrem Arbeitsplatz überfordert fühlen; – Sie an Ihren Führungsqualitäten zweifeln)?! Was ist es, was Ihr Sohn tut, wenn er das macht, was Dr. X »verhaltensgestört« nennt?
Dann sollte weiter differenziert werden, wem, wo und wann dieses Problemverhalten gezeigt wird und – wieder wichtig: wem, wo und wann es nicht gezeigt wird:
Wem?: Schlagen Sie beide Kinder oder nur den Sohn oder nur die Tochter? Zeigen Sie sich auch Ihren Kollegen gegenüber antriebsgemindert oder nur gegenüber Ihrer Frau? Wo?: Verspüren Sie als Staatsanwalt Schuldgefühle nur nach Strafprozessen oder auch nach Zivilprozessen? Trinken Sie Alkohol nur im Betrieb oder auch zu Hause? Wann?: Zeigen Sie sexuelles Interesse gegenüber Ihrer Frau eher, wenn sie Sie bedrängt oder wenn sie Sie in Ruhe läßt? Kritisieren Sie Ihre Mitarbeiter eher, wenn diese eigenständig handeln oder wenn diese Sie wegen jeder Kleinigkeit fragen?
2) Die Beschreibungen rund um das Problem erfragen Neben der bereits erwähnten »Entdinglichung« geht es hier darum, gemeinsam mit der Familie Unterschiede über die Art herzustellen, wie das Problem von den verschiedenen Personen gesehen wird. Die oben erwähnten Klassifikationsfragen (»Wer mehr, wer weniger?«) oder Prozentfragen können hier hilfreich sein, um Nuancen zu verdeutlichen (s. S. 143f; ausführlich s. Kim Berg u. de Shazer 1993).
Für wen ist das Problem größer, für Sie oder Ihren Freund? Wer hat es als erster als Problem bezeichnet? Was denken Sie, warum Dr. X empfohlen hat, hierherzukommen? Wer ist am ehesten zuversichtlich, daß Sie im nächsten Jahr auf diese Zeit zurückblicken und sagen: das war eine wichtige Erfahrung, wir haben geschafft,
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was wir uns vorgenommen haben? – Sagen wir mal »10« bedeutet, Sie sind »sehr zuversichtlich« – auf einer Skala von 1–10, wo würden Sie sich einordnen? – Und wo würden Sie Dr. X einordnen? Was denken Sie, welche Verhaltensweisen von Ihrer Frau es sind, die Ihre Tochter am meisten beunruhigen? Sie sagen, es sei für Sie beide gleich wichtig, hierherzukommen, überlegen Sie einmal – für wen denn ein kleines bißchen mehr, sagen wir 51 %, für wen eher 49 %? Ab wieviel Prozent Besserung würden Sie sagen, daß unsere Gespräche erfolgreich waren? Zu wieviel Prozent schätzen Sie sich derzeit als psychisch krank ein, zu wieviel gesund?
3) Den Tanz um das Problem erfragen Nachdem das Problemverhalten und die Kontexte, in denen es bevorzugt gezeigt wird, differenziert sind, lassen sich die Interaktionskreisläufe, in die es eingebettet ist und die das Problemverhalten am Laufen halten, erkunden. Dabei muß zwar zwangsläufig zunächst bei einer Seite angefangen werden; am Ende sollte aber deutlich werden, wie jeder der Beteiligten zugleich »Täter« und »Opfer« in diesem Kreislauf ist. Auch hier geht es um Unterschiede, zunächst in der Intensität der Reaktion auf ein Verhalten: Wer reagiert heftiger, wer reagiert überhaupt nicht? Wen stört es, wen nicht?
Nehmen auch Ihre Arbeitskollegen an Ihrer Kleidung Anstoß, oder nur Ihre Kunden? Wenn der Vater oft dienstlich von zu Hause weg ist: Wen in der Familie stört das und wer ist darüber ganz froh?
Dann interessiert die Art der Reaktion der anderen:
Wenn Sie morgens bis elf Uhr im Bett liegen – zeigt Ihre Mutter eher Verständnis, eher Sorge oder eher Ärger? Wenn Sie Ihrem Mitarbeiter mit Kündigung drohen – arbeitet er danach mehr, weniger oder genausowenig wie zuvor?
Nachdem die Reaktion der anderen genauer beschrieben ist, kann man zur anderen Seite des Kreislaufs zurückkehren, nämlich zur Reaktion des Problemträgers auf die Reaktionen der anderen:
Angenommen, Sie drohen Ihrem Mitarbeiter regelmäßig mit Kündigung, aber der arbeitet danach genausowenig wie vorher – lassen Sie sich dann eher was Neues einfallen oder verstärken Sie eher die Drohung? Stehen Sie morgens um elf eher aus dem Bett auf, wenn Ihre Mutter Ihnen einen Eimer Wasser über den Kopf schüttet oder wenn sie Sie sorgenvoll bemitleidet? Was würden Sie tun, wenn sie sich entscheiden würde, ganz gleichgültig zu werden? Und wie würde Ihr Vater dann handeln?
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Entscheidend ist bei diesen Fragen, daß die Teilnehmer dabei sich selbst als Teil von immer wieder ähnlich ablaufenden Kreisläufen sehen können und insbesondere die Konsequenzen ihres Handelns in den Antworten deutlich werden. 4) Erklärungen für das Problem erfragen Ähnlich wichtig sind mit den Kreisläufen verbundene Ideen, und zwar insbesondere die, mit denen die Teilnehmer sich das Problem erklären. Denn jede Erklärung erweitert oder beschränkt auch den Raum möglicher Problemlösungen. Es ist daher interessant, wer welche Erklärungen für das Problem hat, wie die Unterschiede der Perspektiven aussehen und welche Handlungsfolgen wiederum diese Erklärungen haben.
Wie erklären Sie sich, daß … (Ihre Mutter sich scheiden lassen will, Ihr Sohn sich heute für psychisch gesünder hält als vor vier Wochen, Ihr Mann nicht mehr trinkt)? Angenommen, es gäbe einen Zusammenhang zwischen dem depressiven Verhalten Ihrer Tante und der Entscheidung der Großmutter, nach Kanada zu gehen, wie könnte ich mir den vorstellen?
Beispiele: Ein Sozialwissenschaftler wird wegen »paranoid-halluzinatorischer Psychose« in eine psychiatrische Klinik eingewiesen und während der Behandlung dort über seine »biologisch bedingte Vulnerabilität« aufgeklärt. Danach kommt er mit seiner Frau zu einer systemischen Paartherapie. Im Therapieverlauf schwankt er immer wieder zwischen zwei Krankheitskonzepten: »Ich bin und bleibe Psychotiker« und »Ich erlebe und verhalte mich gelegentlich psychotisch, das ist aber nichts Dauerhaftes und zu mir Gehöriges«. Es wird deutlich, daß er beide Krankheitskonzepte je nach Situation einsetzt: Bei der Genehmigung von Kuraufenthalten durch seinen Arbeitgeber und zur Erleichterung der Entscheidung, seiner Familie zuliebe einen anstrengenden Pendler-Job nicht anzunehmen, betont er sein »Psychotiker-Sein«; im Alltag mit Frau und kleinem Sohn, mit denen er das Zusammenleben sehr genießt, vergißt er dies häufig oder gerät ins Zweifeln an seiner Diagnose. Der Therapeut nennt dies einmal scherzhaft »elektive Psychose« (Schweitzer 1993). In einer Genogrammarbeit mit Lisa, einer als manisch-depressiv beschriebenen Klientin entwickelt sich ein Gespräch, in dem die Unterschiede in der Krankheitserklärung als Teil eines größeren familiären Konfliktmusters deutlich werden (von Schlippe in Limberg 1995, S. 39): Th: Das ist interessant: also die Katrin (Schwester) ist jemand, die sagt: »Das kommt von den ganzen Streitigkeiten, vor allem zwischen Walter (Bruder) und dem Vater. Da hat die Lisa das von gekriegt und ich habe auch Angst, daß ich das selbst kriege.« Kl: Ja. Th: Und die Oma, die könnte eher denken: »Das ist ’ne Stoffwechselstörung, das hat was mit dem Gehirn zu tun«, ja? Kl: Die ist da sehr aufgeschlossen, also sie versteht den organischen Grund. Th: Jetzt würde mich noch interessieren: wenn wir den Vater fragen würden:
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Kl: Th: Kl: Th:
Kl:
Praxis: Zwischen Wissenschaft, Handwerk und Kunst »Wie kommt das, daß Lisa »krank« geworden ist?«, was würde der dazu sagen? Der würde das auch als organische Krankheit ansehen. »Das ist organisch«, würde der sagen. »Das ist organisch« und meine Mutter würde sagen: »psychisch«. (notiert im Genogramm, wer die »Krankheit« als organisch und wer sie als psychisch bezeichnen würde): Also der Wilhelm (Vater) würde sagen »organisch«, Maria (Mutter) würde sagen: »psychisch« …Und was würden Sie selbst am ehesten sagen? (zögert): Psychisch.
5) Bedeutung des Problems für die Beziehungen erfragen Hypothesen zum Sinn oder dem »Nutzen« des Problems in den Beziehungen der Systemmitglieder lassen sich entwickeln, indem durch Fragen der Anfang und das (hypothetische) Ende des Problems mit Beziehungsveränderungen der Mitglieder in Zusammenhang gebracht werden. Symptome werden im systemischen Modell vielfach im Kontext von Übergängen im Lebenszyklus der Familie gesehen. Hier können zirkuläre Fragen helfen, die Veränderungen, die mit bestimmten Ereignissen in Zusammenhang stehen, zu verstehen.
Haben sich Ihre Kinder vor der Einschulung von X besser verstanden oder danach? War das Verhalten, das Sie als aggressiv erleben, vor dem Tod der Oma stärker als heute?
Es ist auch möglich, Fragen nach dem Vergleich der An- oder Abwesenheit von Personen zu stellen.
Ist der Streit zwischen Ihrem Sohn und Ihrer Schwiegertochter stärker, wenn Ihre Enkelin im Hause ist oder nicht?
Entsprechend interessant kann die Frage danach sein, was sich in den Beziehungen wieder verändern würde, wenn das Problem wieder aufhörte. Beispiel: Ein 14jähriger wird wegen oft wiederkehrender Hyperventilationstetanien in eine Kinderklinik eingewiesen. Die Antworten auf die oben vorgeführten Fragen zeigen, daß die geplanten Scheidungsverhandlungen zwischen den Eltern der Auslöser sind: Immer wenn Vater, der schon ausgezogen ist, kommt, um mit der Mutter über den Verkauf des Hauses zu verhandeln, wovor es allen graust, beginnt der Junge zu hecheln, fällt um, die Mutter greift zum Telefon, der Sanitätswagen kommt, Junge und Mutter fahren ins Krankenhaus, die Verhandlung ist wieder einmal hinausgeschoben.
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7.5. Fragen zur Möglichkeitskonstruktion Allgemeines Fragen zur Möglichkeitskonstruktion wecken den »Möglichkeitssinn«, die »Konjunktivitis« (Simon u. Weber 1988c, S. 365). Was bedeutet das? Therapeuten sind häufig empathisch dem Leid der Menschen gegenüber, mit denen sie arbeiten. Doch sollten sie nicht mindestens genauso empathisch gegenüber den Lösungen sein, die diese Menschen bislang gefunden haben und vor allem gegenüber den Möglichkeiten, die für die Betroffenen noch offenstehen? Genau dafür bieten sich die Fragen zur Möglichkeitskonstruktion an. Sie ermöglichen es, zirkulär kreative neue Möglichkeiten einzuführen. Da man ein System nicht zu neuen Lösungen zwingen kann, ist diese Form der Frage auch ein Mittel, um spielerisch neue Wege anzubieten. Diese müssen nicht realistisch, ja, nicht einmal realisierbar sein. In jedem Fall aber fügen sie ein neues Element hinzu: »Angenommen daß …«, »Gesetzt den Fall, daß …«, »Was wäre, wenn …« und: »Wer würde dann wie reagieren?« Und es ist möglich, gegebenenfalls schnell wieder zurückzugehen: »Es war ja nur eine Frage, kein Vorschlag oder gar eine Hausaufgabe …« Die Fragen ermöglichen somit ein unbedrohliches Probehandeln und wirken daher der Angst vor Veränderung entgegen. Das hypothetische Fragen ermöglicht dabei, »frecher« zu sein als sonst. Es wird eine »Als-ob-Realität« entworfen, die niemanden festlegt.
Wenn Sie sich vorstellen, die Entscheidung Ihrer Tochter, mit dem Essen aufzuhören, wäre eine Art von Protest – wogegen könnte sich dieser Protest am ehesten richten? Angenommen, Ihr Mann würde sich entscheiden, seiner Mutter zu sagen, daß er nicht mehr möchte, daß sie ihm jeden Morgen die Brote für die Arbeit schmiert, was denken Sie, wie sie reagieren wird? Was wäre, wenn Ihr Sohn entscheiden würde, die Schule völlig aufzugeben und den Rest seines Lebens zu Hause bei Ihnen zu verbringen? Gesetzt den Fall, Ihre Frau würde sich entscheiden, all die Probleme aus der Vergangenheit in einen großen Umschlag zu packen, zuzukleben und in eine Schublade zu legen, würden Sie sich dann besser oder schlechter verstehen als jetzt? Angenommen, Sie wollten es jetzt darauf anlegen, daß Ihre Tochter das symptomatische Verhalten wieder zeigt. Was müßten Sie tun? Und wenn Ihre Frau das wollte, müßte sie etwas anderes tun oder dasselbe? Sie sagen, Ihr Sohn kann nicht für sich sorgen: Angenommen, er würde bei einem Schiffsunglück an eine unbewohnte Insel gespült werden – Würde er überleben? Was meinen Sie? Und Sie? Wenn jetzt Mama krank werden würde und einige Zeit ins Krankenhaus käme: Wie würde sich das auf die Beziehung zwischen Vater und Kindern auswirken?
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Fragen zur Möglichkeitskonstruktion können auch nach dem möglichen Sinn von Symptomen fragen, ein Reframing (s. S. 177–181) darstellen und gleichzeitig Alternativen ausprobieren: Beispiel: In einem Gespräch im Rahmen eines Fallseminars wird mit einem Patienten, Herbert, statt des Begriffs »Krankheit« der Buchstabe »X« verwendet. »X« hatte sich zum erstenmal in der Pubertät gezeigt, in einer Zeit, in der mehrere belastende Familienereignisse kulminierten: Th: Manchmal wählt man ja solche »X«’e, um Protest auszudrücken. Gerade wenn man so mit 14 in einer bewegenden Umbruchszeit ist, alles geht drunter und drüber, und dann wird noch ein Bruder geboren, der auch noch krank ist, zwischen den Eltern ist Streß – wenn ich mir vorstelle, Sie hätten da offen, vehement, massiv protestiert, auf den Tisch gehauen: »Ich habe keine Lust mehr!«, denken Sie, daß Sie dann mehr oder weniger »X« gebraucht hätten? Kl: Weniger. Th: Ah ja, das heißt das war damals auch ein Stück einer Lösung, lieber ein bißchen X und ein bißchen weniger auf den Tisch hauen. Kl: Ja, genau. Th: Gilt das heute auch? Kl: Manchmal schon, wenn ich keine Kraft für Auseinandersetzungen habe.
Hypothetisch kann auch die Rolle des Therapeuten hinterfragt werden: Gesetzt den Fall, es gäbe keine Therapeuten auf der Welt, was würden Sie dann tun, um Ihr Problem zu lösen? Gesetzt den Fall, wir würden Ihnen mitteilen, daß Ihr Problem unlösbar ist. Wie würden Sie, wie Ihr Mann darauf reagieren?
Eine Variante des hypothetischen Fragens ist das Fragen in die Zukunft (sogenanntes »Feedforward«, Penn 1986):
Stellen Sie sich einmal vor, es wären fünf Jahre vergangen: Welches der Kinder wird als erstes das Haus verlassen? Für wen wäre der Trennungsprozeß am schwierigsten? Wie werden Eure Eltern ihr Leben gestalten, wenn Ihr Kinder das Haus verlassen haben werdet?
Hypothetische Fragen können sich darüber hinaus noch sogar auf Ereignisse beziehen, die völlig unmöglich sind. Diese sogenannten »existentiellen« Fragen (Boscolo et al. 1988) eignen sich zum Aufdecken von Tabuthemen und verdeckten Phantasien in Familien:
Wenn Sie sich einmal vorstellen, Ihr Sohn wäre nicht geboren worden, Sie hätten ihn gar nicht gehabt, wie sähe Ihre Beziehung dann aus? Wenn du statt als Junge als Mädchen geboren worden wärest, würdest du dann auch dagegen protestieren, daß dein Vater unbedingt will, daß du Abitur machst? Und in welcher Form? Oder würde es dann bei euch um andere Themen gehen? Wie würde denn dann die Beziehung zwischen dir und deiner Mutter anders aussehen?
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Auch Ideen über die Vergangenheit können hypothetisch neu durchgedacht werden:
Wenn Sie Ihre Idee »Meine Mutter hat mich nie geliebt« eintauschen würden gegen die Idee: »Sie hat mich schon geliebt, sie hat es sich nur nicht zu zeigen getraut« – würde dadurch für Sie irgend etwas anders? Angenommen Sie bleiben dabei, daß Ihre miserable Kindheit Ihr Leben verpfuscht hat: Wie wird sich das auf Ihren Umgang mit Ihren eigenen Kindern auswirken? Angenommen Sie stellen Ihres Vaters Diagnose in Frage, daß Sie ein hochbegabtes Genie sind: Würde Sie das eher deprimieren oder eher erleichtern?
Besonders viele Möglichkeitsfragen sind in dem lösungsorientierten Therapieansatz (S. 35–38) entwickelt worden. Unseres Erachtens ist jedoch damit vorsichtig zu verfahren. Jede Frage ist, wie anfangs verdeutlicht, immer auch eine Intervention, die implizit eine bestimmte Sicht von Wirklichkeit anbietet. Fragen nach Lösungsmöglichkeiten können die Norm implizieren, daß ein Problem eigentlich gelöst werden sollte. Aber wenn Probleme auch als nützlich angesehen werden können, zum Beispiel als eine kreative Lösung für ein systemisches Dilemma, dann kann es auch und gerade um die Entwicklung wertschätzender Perspektiven für »das Problem« gehen und darum, jede Form der Normsetzung zu vermeiden (auch die der schnellen Effizienz!). Daher empfiehlt es sich, den Lösungsfragen »Verschlimmerungsfragen« gegenüberzustellen – zum Beispiel danach, wie ein Problem absichtlich erzeugt, erhalten, verschlimmert oder verewigt werden könnte. Beide Typen von Möglichkeitsfragen (und ihre Kombination) sollen im folgenden vertieft werden.
Lösungsorientierte Fragen (»Verbesserungsfragen«) J: Gut, du meinst, du hast ein Problem, und ich denke, wenn ich dich fragen würde: »Wie würdest du dein Problem benennen?«, könntest du das in einem Wort beschreiben oder in einem Satz, ja? P: Nicken. J: Mich interessiert: Wie würde der Satz aussehen für die Lösung? (Hargens 1995, S. 38).
Ob beim Arzt, im Sozialamt, in der Unternehmensberatung: Klienten schildern meist als erstes ihr Problem. Darauf ist ihr Fokus schon seit langem gerichtet; andernfalls wären sie nicht gekommen. Aber je länger sich der Blickwinkel auf das Problem konzentriert und allmählich verengt hat, um so mehr ist »das, was funktioniert« aus dem Blickfeld
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hinausgeraten. Gerade das könnte aber Hinweise geben für die Konstruktion von Lösungen für das, was nicht funktioniert. Deshalb lohnt es, sei es nach einer anfänglichen Phase der Problembeschreibung oder auch sofort, auf die Suche nach Erfahrungen oder Ideen zu gehen, die neue Möglichkeiten jenseits des Problems eröffnen. »Und wenn Sie erwartet haben, daß Sie nun zusammen die optimale Lösung herausarbeiten, so kann das manchmal geschehen. Aber manchmal scheint nicht einmal dies das Hauptinteresse der Therapeutin zu sein. Denn sie fragt immer weiter nach anderen möglichen Lösungen oder anderen möglichen Perspektiven, so daß Sie nachher vielleicht ganz leer im Kopf, aber mit einem Blumenstrauß von Alternativen im Herzen nach Hause gehen. Manche ziehen natürlich den gutgefüllten Kopf, die zwar Leid erzeugenden, aber dafür gewohnten Denk-, Fühl- und Handlungsmuster vor und werfen den Blumenstrauß weg – Blumen sind schließlich äußerst vergänglich. Manche aber, die Klugen, freuen sich an dem Duft der Blumen und wissen, daß sie gerade geübt haben, ein Problem einfach fallen zu lassen« (Essen 1993, S. 33).
1) Fragen nach Ausnahmen vom Problem Vergleicht man Problem-Zeiten mit Nicht-Problem-Zeiten, so werden die Bedingungen dieser Unterschiede deutlich. Dazu bieten sich drei aneinander anschließende Fragen an:
Wie oft (wie lange, wann, wo) ist das Problem nicht aufgetreten? Was haben Sie und andere in diesen Zeiten anders gemacht? Wie haben Sie es da geschafft, das Problem nicht auftreten zu lassen? Wie könnten Sie mehr von dem machen, was Sie in Nicht-Problem-Zeiten gemacht haben?
2) Fragen nach Ressourcen – unabhängig vom Problem Bei Klientensystemen, die in ihrer Situation »alles« schrecklich erleben und dies schon lange, kann es nützlich sein, sich darüber hinaus nach Lebensbereichen zu erkundigen, mit denen die Mitglieder zufrieden sind, in denen sie sich wohl oder kompetent fühlen – nicht nur im Vergleich mit den Problemsituationen. Man kann beispielsweise fragen:
Was möchten Sie in Ihrem Leben gern so bewahren, wie es ist? Was gefällt Ihnen an sich selbst (an Ihrem Partner, Ihrer Familie)? Solche Fragen können auch als Hausaufgabe mitgegeben werden: Bitte besprechen Sie vor dem zweiten Gespräch miteinander, was Sie in ihrer Familie (Ihrem Betrieb, Ihrer Verwaltung, Ihrer Gemeinde) gerne so lassen möchten wie es ist, was Sie also gerade nicht verändern wollen. Und teilen Sie mir die Ergebnisse beim nächsten Mal mit, damit wir hier nicht an Dingen herumverändern, die eigentlich bewahrt werden sollten.
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Ressourcenorientierte Fragen sind vor allem sinnvoll, wenn im Klientensystem Ideen wie: »Nichts könnte nicht noch verbessert werden« und »Man muß ständig an sich arbeiten« vorherrschen und zu einer Last geworden sind, so daß weitere Veränderungsarbeit dieses Muster nur noch bestärken würde. 3) Die Wunderfrage Manche Klientensysteme wissen keine Ausnahmen zu berichten, »nichts« gefällt ihnen mehr an sich, »alles« ist furchtbar, keinerlei Ausnahmesituationen können ausgebaut werden. Da bleibt allenfalls noch ein Wunder … Und genau nach solchen Wundern kann man sich erkundigen (vgl. S. 36):
Wenn das Problem durch ein Wunder über Nacht weg wäre: Woran könnte man erkennen, daß es passiert ist?
Wichtig ist, das, was nach dem Wunder geschieht, genau zu erfragen:
Wer würde als erstes erkennen, daß das Wunder über Nacht geschehen ist, und woran? Was würden Sie danach als erstes anders machen? was als zweites? Was würden die Menschen um Sie herum danach anders machen? Wenn Sie etwas anders machen würden – wie würden die Menschen um Sie herum darauf reagieren? Wer wäre am meisten überrascht davon? Wie sähe die Beziehung zwischen Ihnen einen Monat (ein Vierteljahr, ein Jahr, fünf Jahre) nach dem Wunder aus?
Die Wunderfrage erzeugt zwei Effekte. Zum einen ist sie so unverbindlich (für ein Wunder kann man ja nichts), daß man Veränderungen phantasieren kann, ohne sich gleich schon für deren Herstellung verantwortlich fühlen zu müssen. Zum anderen stellt man häufig fest, daß das, was man nach dem »Wunder« tun würde, nichts Übernatürliches ist, sondern recht schlichte, handfeste Tätigkeiten. Hat man zuvor schon über Ausnahmen vom Problem gesprochen, entdeckt man oft, daß man nach dem Wunder einfach mehr von dem tun würde, was man heute schon in Ausnahmen hier und da macht – daß also sozusagen das Repertoire für die Zeit nach dem Wunder heute schon vorhanden ist. Je nach Situation ist es dann denkbar, beispielsweise mit einem Klienten abzusprechen, sich für einen bestimmten Zeitraum einmal so zu verhalten, als sei das Wunder bereits passiert (z. B. für 10 Minuten am Tag).
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Problemorientierte Fragen (»Verschlimmerungsfragen«) Verschlimmerungsfragen führen auf entgegengesetztem Weg zu einem ähnlichen Ergebnis wie Verbesserungsfragen: Durch sie wird deutlich, wie Probleme aktiv erzeugt und aufrechterhalten werden, und dabei wird im Umkehrschluß deutlich, was man unterlassen könnte, wollte man das Problem loswerden:
Was könnten Sie tun – angenommen, Sie nähmen sich dies vor – um Ihr Problem absichtlich zu verschlimmern, zu behalten oder zu verewigen?
Im Anschluß daran werden die Interaktionspartner einbezogen:
Wie könnten die anderen Ihnen dabei helfen, Ihr Problem zu behalten? Wie könnten die anderen Sie dazu einladen, es sich schlechtgehen zu lassen?
7.6. Problem- und Lösungs-Szenarien Wenn sowohl Lösungsideen als auch Ideen zur Problemerzeugung im Gespräch entwickelt worden sind, also sozusagen ein »Know-how« für gegensätzliche Veränderungsrichtungen vorliegt, dann kann man mit großem Gewinn beide als Möglichkeiten sehen und damit verschiedene Szenarien durchspielen. 1) Fragen nach dem Nutzen, das Problem noch zu behalten Man kann mit den Klienten überlegen, wofür es gut wäre, das Problem noch eine Weile zu behalten oder es gelegentlich noch einmal »einzuladen«. Dazu kann man etwa fragen: Wenn das Wunder eingetreten wäre: was wird dann für Sie besser und was wird für Sie schlechter? Wird Ihr Mann (Ihr Chef, Ihre Kollegen, Ihre Kinder) diesen Zustand nach dem Wunder eher begrüßen oder eher darüber traurig werden? Beispiel: Ein Bankkaufmann hatte seinen Beruf schon immer gehaßt und sich von ihm überfordert gefühlt. Er traute sich aber nicht, eine andere Laufbahn ins Auge zu fassen, unter anderem, weil er sich ohnehin wenig zutraute. Eine Karriere als manisch-depressiver Psychotiker, vorübergehend frühberentet, hatte ihm aus diesem Schlamassel herausgeholfen. Gefragt, was er machen würde, wenn die Psychose von einer Fee weggenommen würde, zeigt er heftige nichtpsychotische Angst, wieder in jenen ungeliebten Job zurückzumüssen.
2) Zukunfts-Zeitpläne Man kann erkunden, welche »Zukunftschancen« der Beziehung zwischen den Klienten und ihrem Problem eingeräumt werden:
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Wie lange werden Sie Ihrem Problem noch einen warmen Platz in Ihrer Wohnung gewähren? Hat es überhaupt schon ein eigenes Zimmer? Werden Sie es irgendwann vor die Tür setzen? Wann wäre dies frühestens? Werden Sie mit Ihrer Psychose Ihr Leben lang zusammenbleiben, oder sehen Sie diese Beziehung eher als »Ehe auf Zeit«? Wie lange werden Sie (als magersüchtige junge Frau) es noch schaffen, ihre gelegentlich aufkeimende Lust auf gutes Essen durch Einsatz Ihres starken Willens noch im Schach zu halten? Wann wäre frühestens ein Durchbruch Ihrer Lebenslust zu befürchten? Wir haben verstanden, daß du auf deine Eltern wütend bist und sie bestrafen willst: Was denkst du, wann du sie genug bestraft hast – in einem Jahr, in zwei Jahren oder schon in einigen Monaten?
3) Fragen nach einem »bewußten Rückfall« Eine therapeutisch besonders wirksame Frage ist die nach einem »absichtlichen Rückfall« in schon vergangene Problemverhaltensweisen: Wenn Sie Ihr Problem schon längst verabschiedet hätten, es aber noch einmal einladen wollten: Wie könnten Sie das besonders charmant und wirkungsvoll tun? Beispiel: Eine 14jährige war einmalig psychiatrisch hospitalisiert worden. Danach hatte sie intensivste Fürsorge aller Familienmitglieder erfahren, was ihr gut gefiel. Am Ende der Familientherapie wurde mit ihr überlegt, ob es nicht große künftige Möglichkeiten eröffne, immer dann, wenn sie die Zuwendung der anderen unzureichend fände, nur kurz den Hinweis zu geben: »Ich erinnere Euch nur an …« (Name des psychiatrischen Krankenhauses).
4) »Als-ob«-Fragen Wenn im Gespräch der Nutzen eines Problems (einer Krankheit, eines Konflikts, einer Leistungsschwäche) besonders deutlich geworden ist, stellt sich die Frage, ob man diesen Nutzen nicht auch mit weniger Aufwand und Selbstschädigung erreichen könnte. Dazu kann man durch Fragen einen Unterschied zwischen dem Problem selbst und dem Präsentieren des Problems, dem »So-tun-als-ob« konstruieren (vgl. dazu Madanes 1980):
Angenommen Sie hätten nächste Woche kein Kopfweh mehr, wollten aber Ihren Partner gern weiter zu dem rücksichtsvollen Verhalten bewegen, das er an den Tag legt, wenn er Sie kopfwehgeplagt dasitzen sieht – wie könnten Sie das erreichen? Angenommen, Sie würden Ihrem Partner gegenüber nur so tun, als hätten Sie Kopfweh – würde er sich dann genauso rücksichtsvoll verhalten?
Solche »Als-ob-Fragen« spielen gedanklich die bewußte Simulation des Problems auf deren Folgen hin durch.
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7.7. Anfangs- und Abschlußfragen Neben verschiedenen, Unterschiede erzeugenden Formen (S. 143ff) und Inhaltsbereichen (S. 145–161) systemischer Gesprächsführung wollen wir abschließend noch einige Fragen speziell zum Anfang und zum Abschluß systemischer Therapien und Beratungen vorstellen. Anfangsfragen Gerade in der Situation zu Beginn eines Gesprächs werden oft unausgesprochen Weichen gestellt – ob ein Gespräch eher in eine Sackgasse führen wird oder der gemeinsamen Suche nach Lösungen dient.
Was soll heute hier passieren, daß dies ein gutes Gespräch wird? Was ist seit unserer letzten Sitzung geschehen, das Sie überrascht hat? Was hat sich bis heute schon an Positivem verändert? Wem aus der Familie ist es in der letzten Zeit am besten gegangen? Was müßte heute passieren, daß dies die letzte Sitzung wird? Welche Frage möchten Sie heute als erste gestellt bekommen? Welche Idee haben Sie im Kopf, was heute hier passieren soll/wird?
Abschlußfragen Abschlußfragen dienen dazu, das Ende der Therapie vorzubereiten und die Idee der Endlichkeit der therapeutischen Beziehung in das Beratungssystem einzuführen.
Wie lange denken Sie, daß Sie uns noch brauchen werden? Wer von Ihnen hat mehr Interesse an einer möglichst langen Fortführung der Beratung, Sie oder Ihre Frau? Angenommen, aus irgendeinem Grund müßte die Therapie heute beendet werden, was würden Sie dann tun?
Bei Klientensystemen, bei denen Therapie (oder Supervision) zum Teil ihres Lebensstils geworden zu sein scheint, bewähren sich die etwas drastischeren »Therapeut-weg«-Fragen:
Wenn ein Erdbeben alle Ärzte, Psychologen und Sozialarbeiter verschlucken würde, alle übrigen Menschen aber nicht: wie würden Sie dann Ihr Problem lösen?
Zeigt sich bei den Klienten starkes Zögern, ein Leben ohne Therapie (oder Supervision) zu imaginieren, kann man diese Tendenz in Fragen aufgreifen:
Wie lange würden Sie gern künftig weiter zu mir kommen: noch ein Jahr, zwei Jahre, fünf Jahre oder zwanzig Jahre?
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7.8. Stilistische Aspekte Angesichts der scheinbaren Eleganz und Leichtigkeit zirkulärer Fragen sei auf einige wichtige Aspekte zu deren Verwendung und Erlernen hingewiesen: – Zirkuläre Fragen stoßen zwar oft viel schneller zu kritischen Gesprächsthemen vor. Aber auch sie müssen sich am Tempo der Klienten orientieren, müssen sich an kritische Themen allmählich herantasten und nicht »mit der Tür ins Haus fallen«. – Zirkuläre Fragen sind kein Selbstzweck. Sie sind nur dann nützlicher als die einfacheren direkten Fragen, wenn sie mehr Informationen erzeugen als diese. In der Praxis werden sie sich mit direkten Fragen oft ablösen. – Auch zirkuläre Fragen müssen zum Sprachverhalten des Klientensystems passen. In Unterschichtsfamilien wird man eher fragen: »Wer nervt die Mama am meisten: die Oma oder der Papa?« und nicht: »Reagiert, deiner Meinung nach, die Mutter stärker auf das, was sie für großmütterliche Einmischungsversuche hält, oder stärker auf das, was sie für Vaters typisch männliche Unterdrückungsstrategien hält?« Bei Kindern wird man Fragen und Antworten oft bildlich verdeutlichen, zum Beispiel Prozentfragen anhand eines Maßbandes von einem Meter Länge. – Anfänger werden zirkuläres Fragen zunächst unvertraut, anstrengend, komplex finden, manchmal auch langweilig. Es braucht eine gewisse, allerdings endliche Zeit, bis einem diese Art des Fragens »in Fleisch und Blut übergeht«, sich mit der eigenen Intuition verbindet und dann gar nicht mehr als Technik erlebt wird. Gerade als Anfänger sollte man sich davon nicht vorschnell entmutigen lassen: Es gilt immer, »angemessen ungewöhnlich« (Andersen 1990) zu fragen und einen Spannungsbogen zu halten.
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8. Familienskulptur und andere metaphorische Techniken 8.1. Die Arbeit mit der Familienskulptur Die Technik der Familienskulptur gehört zu den interessantesten erlebnisintensivierenden Methoden, die die Familientherapie entwickelte. Über die Aufgabe, die Beziehungen der Familie in Haltung und Position darzustellen, wird ein ganzheitlicher Zugang zu dem komplexen System Familie auf unterschiedlichen Ebenen ermöglicht. Die auf diese Weise geschaffene symbolische Repräsentation der Familienbeziehungen geschieht ohne Rückgriff auf die digitale Sprache und wird daher meist sehr schnell verstanden (von Schlippe u. Kriz 1993). Damit bietet sich die Skulptur als Technik an, die in ihrer Handlungssymbolik (Duhl 1992) unabhängig von der jeweiligen Altersstufe, der Schichtzugehörigkeit und den damit verbundenen Sprachproblemen sowie unabhängig von der jeweiligen Problematik einsetzbar ist. Sie umgeht Rationalisierungen und führt daher oft schneller zu den wesentlichen Themen der Familie. Gleichzeitig ist die Skulptur eine Technik, die es ermöglicht, familiäre Abläufe in ihrer Gleichzeitigkeit und gegenseitigen Bezogen- und Bedingtheit der Teilprozesse darzustellen. Dazu bedarf es oft nicht einmal eines besonders großen Aufwands: In einem Familiengespräch im Rahmen eines Seminars, das V. Satir leitete, beginnt die Mutter, sich über die Tochter zu beklagen und diese anzugreifen. Satir unterbricht: »Ich möchte Ihnen einmal zeigen, was ich gesehen habe, darf ich?« Und dann nimmt sie die Hand der Mutter und fordert sie auf, mit ausgestrecktem Finger auf die Tochter zu zeigen. Auf die Frage an die Tochter, was sie tue, wenn die Mutter sich so verhalte, dreht diese der Mutter den Rücken zu. »Ist es das, was Sie erreichen wollen?« fragt Satir die Mutter. Diese verneint, Satir läßt die Mutter das Bild stellen, was ihr vorschwebt: Die Tochter steht ihr gegenüber und blickt ihr offen ins Gesicht. »Wie können Sie erreichen, daß Ihre Tochter das tut?« Die Mutter verwandelt den anklagenden Finger in die offene Hand – und es wird möglich, über die Bedürfnisse, Wünsche und Sehnsüchte der beiden Menschen aneinander zu sprechen (aus: Metzmacher et al. 1982).
Gerade zu Beginn einer Familientherapie lassen sich leicht »nebenbei« einmal Skulpturelemente verwenden – zum Beispiel über die Distanz der Stühle das Ausmaß von Nähe und Abstand zu bestimmen oder eine bestimmte Körperhaltung einnehmen zu lassen. Dann fällt später das Stellen einer größeren Skulptur leichter. Für diese ordnet am besten zunächst ein Familienmitglied, das nicht im Zentrum der Konflikte
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steht, die ganze Familie ohne Worte so im Raum an, daß sich eine aus seiner Sicht stimmige Repräsentation der Beziehungen der Familie ergibt – wie ein Bildhauer, der eine Skulptur, ein Denkmal baut. Wenn dieses Bild steht, ergänzen die Rückmeldungen der anderen über ihre Gefühle, über Stimmigkeit und Unstimmigkeit das Bild, das dann entweder entsprechend verändert werden kann, oder es bleibt als Bild Repräsentant für eine der vielen Perspektiven in der Familie stehen: »So erlebt dieses Familienmitglied seine Familie in diesem Moment.« Schweitzer und Weber (1982) geben einige Grundelemente für die Skulpturarbeit an, der Therapeut kann durch entsprechende Fragen das stellende Familienmitglied unterstützen: – räumlicher Abstand als Symbol für emotionale Nähe: Wer steht wem wie nah, wie fern? – oben/unten als Symbol der hierarchischen Strukturierung: Wer setzt sich am stärksten durch, steht vielleicht gar auf einem Podest (Stuhl o. ä.)? Wer steht ganz unten in der familiären Entscheidungshierarchie, sitzt vielleicht auf einem Stuhl oder gar auf dem Boden? – Mimik und Gestik als Ausdruck differenzierter Familienstrukturen: Wer faßt wen an? Wer guckt wohin? Wer steht eventuell gebeugt und mit geballten Fäusten da, wer gerade mit offenen Händen? Wer rüttelt heimlich am Fuß des »auf dem Podest« stehenden Mitglieds?
Der »Bildhauer« wird ermutigt, all diese Grundelemente zu verwenden, auszuprobieren und zu verändern, bis er oder sie zufrieden ist. Anschließend werden alle Familienmitglieder aufgefordert, in der Position zu verharren und die damit verbundenen Empfindungen wahrzunehmen. Die von diesen angegebenen Gefühle, ihre Änderungswünsche und Alternativskulpturen können dann Gegenstand einer intensiven Auseinandersetzung sein. Hier bieten sich eine Reihe von Fragen an:
Was ist es für ein Gefühl, in dieser Position zu sein? Paßt es zu dem Gefühl, das der oder die Betreffende in der Familie hat? (an jeden). Wußten Sie/wußtest du, daß der »Bildhauer« die Familie so sieht? Stimmen Sie/stimmst du mit dem Bild überein? Was sollte geändert werden? Welche Veränderungen wünscht sich jeder, um sich besser zu fühlen?
Gerade wegen der vielfältigen Möglichkeiten ist auch Vorsicht beim Einsatz der Skulptur angebracht: Therapeuten könnten sich verleiten lassen, zu schnell zu viel in der Skulptur unterzubringen oder eine problematische Skulptur nicht auszuhalten und zu früh zu einer Lösung hin zu treiben. Die Therapeutin sollte sich zudem bewußt sein, daß die Skulptur
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bestimmte Widerstandsformen unterlaufen kann und daher besonders darauf achten, die Integrität der Familie zu wahren. Gleichzeitig erfordert es durchaus Mut, die Familie zu solchen ungewöhnlichen Handlungen zu bewegen. Erleichtert wird dies durch den frühzeitigen Einsatz von Bewegung und kleinen »Miniskulpturen«. Hingegen können Aufforderungen wie: »Ich habe da in der Ausbildung so eine komische Technik kennengelernt, wenn Sie unbedingt wollen, können wir sie ja mal versuchen …« die Skulpturarbeit von vornherein zum Scheitern verurteilen. Auf der anderen Seite kann ein leichter und selbstverständlicher Umgang mit der Skulptur auch Aktivität, Spaß und Freude in die Therapie bringen. Spielerisch kann auf diese Weise eine systemische Sichtweise der Familie nahegebracht werden: Die Zirkularität von Verhalten in sozialen Systemen, eine Mehrgenerationenperspektive, die positive Bedeutung und der Sinn von Symptomen und anderes mehr. Es ist jedoch nicht nur diese Seite, die in der Skulptur deutlich wird, oft zeigt sie der Familie auch überdeutlich, wo sie steht. Diese Konfrontation muß der Therapeut gemeinsam mit der Familie aushalten, wenn sie wirksam sein soll. Zum Standardvorgehen sind eine Reihe von Erweiterungen und Differenzierungen möglich: – Neben der Stellung der Skulptur durch ein Familienmitglied (die Inside-OutPerspektive, Müller 1992), kann der Therapeut auch eine Outside-In-Perspektive einführen, wenn er oder sie der Familie eine Rückmeldung geben möchte, wie er oder sie diese im Moment erlebt: »Ich möchte Ihnen einmal ein Bild zeigen …« – Eine Simultan-Skulptur entsteht, wenn jedes Familienmitglied aufgefordert wird, sich im Raum so zu plazieren, wie es im Moment seine Beziehung zu den anderen erlebt. – Der Austausch eines in der Skulptur stehenden Familienmitgliedes durch eine andere Person, zum Beispiel den Co-Therapeuten, macht es möglich, daß dieser die mit der Position verbundenen Empfindungen und Impulse aussprechen kann. – Auch Mitglieder der erweiterten Familie können spielerisch mit einbezogen werden zum Beispiel durch Möbelstücke und ähnliches. – Die Aufforderung an alle Familienmitglieder, sich eine Überschrift oder Metapher für die Skulptur auszudenken, kann die Atmosphäre noch einmal verdichten. In ähnlicher Weise kann der Einsatz von symbolischen Gegenständen den Grad der Involvierung noch steigern – z. B. die Verwendung von Bändern und Schnüren, die den Personen um Hand oder Fuß gebunden werden, um starke Bindungen deutlich zu machen. Schnüre lassen sich auch einsetzen, um den persönlichen Raum zu markieren, den eine Person für sich beansprucht (s. Müller 1992). – Wichtige Aufschlüsse ergeben sich aus Skulpturen vor und nach bestimmten gravierenden Familien-Lebensereignissen (z. B. dem Tod eines Großelternteils). Hierdurch wird deutlich, wie sich Beziehungen durch äußere Veränderungen neu konstellieren. Entsprechendes gilt für zu erwartende
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Zukunftsereignisse – wie den Weggang eines Kindes aus dem Hause oder ähnliches. Bedeutsam für die Suche nach den familiären Ressourcen kann die Aufforderung sein, innerhalb der Skulptur eine Haltung, einen Platz zu suchen, der einer größeren Zufriedenheit entsprechen würde oder die Aufforderung, eine Wunschskulptur zu stellen. Eine interessante Variante stellt die Möglichkeit dar, die Skulptur lebendig werden zu lassen, indem Bewegungsabläufe gespielt werden. Bestimmte redundante Verhaltenssequenzen werden in Szene gesetzt und mehrfach wiederholt oder jeder wird aufgefordert, in »Slow-Motion« seinen Impulsen nachzugeben und gleichzeitig auf die Veränderung der anderen Familienmitglieder zu reagieren. In ähnlicher Weise kann auch der Zustand vor einer Symptombildung gestellt werden, und dann auch: Wie könnte es aussehen, wenn jetzt das Symptom nicht mehr da wäre? In Familien, in denen ein bestimmtes Thema zum »organisierenden Prinzip« geworden ist (sei es eine chronische Krankheit oder Sucht), kann auch dieses selbst als Person oder Gegenstand in die Skulptur eingebaut werden: Was passiert beispielsweise, wenn die Krankheit (symbolisiert durch einen Gegenstand), auf die alle gebannt starren, nicht mehr so nah bei der Mutter steht wie bisher? (von Schlippe u. Lob-Corzilius 1993). Ähnlich wie ritualisierte Bewegungen können auch Worte oder Sätze ritualisiert und wiederholt werden. Dieses Vorgehen schafft eine konfrontative Dichte, die viele Emotionen auslösen kann. Beispiel: Bei einem geschiedenen Paar, das um ein Kind kämpft, stellt die Therapeutin eine Skulptur, in der beide Eltern am Kind zerren. Die Skulptur wird in Bewegung gesetzt: das Kind läßt sich einmal zu der einen, dann zu der anderen Seite ziehen. Schließlich bekommen beide Eltern Sätze: »Nur bei mir bist du sicher!« und: »Du willst doch eigentlich zu mir!« Das mehrfache Durchspielen der Bewegung und die Wiederholung der Sätze konfrontiert massiv das Muster der Einbeziehung des Kindes in den Paarkonflikt.
– Eine Skulptur kann auch in der Einzeltherapie eingesetzt werden, etwa über leere Stühle, die Personen symbolisieren. Dadurch, daß die Klientin sich in jeden Stuhl setzt, kann sie einen Teil der Gefühle in der jeweiligen Position nachempfinden. – In Ausbildung und Supervision ist die Skulptur schließlich eine wichtige Technik zur Hypothesenbildung und zur Analyse der Position des Therapeuten im System. Hier stellt meist die TherapeutIn selbst das eigene Bild von der Familie und bekommt aus den Rückmeldungen der Rollenspielteilnehmer entsprechende Hinweise. – Eine Erweiterung stellt die Möglichkeit dar, ein Stück Familiengeschichte mit der Familie nachzuspielen zum Beispiel die Zeit des Kennenlernens der Eltern. Dies ist meist sehr zeitaufwendig und erfordert viel Bereitschaft, sich einzulassen. Daher bietet sich dieser Weg eher für Familienseminare oder in der Ausbildung (Familienrekonstruktion) an. Das folgende Beispiel wurde bewußt aus einem nicht familientherapeutischen Kontext gewählt: Im Rahmen eines Fallseminars, das in Kooperation zwischen dem LKH Osnabrück und dem Fachgebiet Klinische Psychologie abgehalten wird, wird
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mit Patienten und Studenten gemeinsam die persönliche und die klinische Geschichte der Patienten aus systemischer Sicht diskutiert und durch Skulpturen rekonstruiert. In diesem Seminar berichtete die Patientin Claudia, eine junge Frau von etwa 28 Jahren über ihre Familiengeschichte: Die Mutter hatte sie als uneheliches Kind geboren, zwischen der Mutter und deren Mutter, (der Großmutter der Patientin), einer fanatisch religiösen Frau, bestand ein erheblicher Konflikt, der nach der Geburt kulminierte. Die Mutter, so beschrieb Claudia, wurde von der Großmutter ständig entwertet, und Claudia sah sich schnell ins Zentrum dieses Konfliktes einbezogen – so war ein immer wieder von der Oma wiederholter Ausspruch: »Du armes Kind kannst ja nichts dafür, Gott liebt auch die Bastarde!« Sie selbst erlebte es als »Schmach und Schande«, überhaupt auf der Welt zu sein. In einer Skulptur, mit den Studenten als Rollenspielern, stand die Großmutter hinter der Mutter und hatte diese »fest im Griff«, Claudia stand abseits, ihr unehelicher Vater stand ebenfalls abseits und blickte die Mutter an, ohne daß diese seinem Blick begegnete. In dieser Situation zeigte sich, daß der Großmutter-Mutter-Konflikt alle anderen Prozesse in dem System dominierte. Um auszuprobieren, was möglich gewesen wäre, wenn dies anders gewesen wäre, nahm der Therapeut an dieser Stelle einmal die Großmutter aus der Skulptur heraus. Was geschieht dann: Mutter und Mann blicken sich an, es »knistert«, ein neues Bild entsteht: »Sie sind ein Kind der Liebe!« -diese Liebe durfte wegen des alten Konflikts nicht lebendig sein, aber es gab sie. Die Patientin nahm aus diesem Seminar ein Ressourcenbild mit, der Satz »Ich bin ein Kind der Liebe« begleitete sie bis zu ihrer Entlassung aus dem LKH in vielen Therapiegesprächen (von Schlippe u. Schramer 1993; vgl. auch die Arbeit mit »Schlüsselwörtern« S. 98).
8.2. Das Familienbrett und andere symbolische Darstellungen Die metaphorische Arbeit mit Familiendarstellungen ist nicht abhängig davon, daß alle Familienmitglieder »aufgebaut« werden. Man kann Skulpturen mit Szeno-Püppchen, Lego-Männchen oder »Menschärgere-Dich«-Steinen stellen, auch die Zeichnung »Familie in Tieren« kann als Variante der Arbeit mit Familienskulpturen angesehen werden (ausführlich hierzu Arnold et al. 1988, dort sind auch noch weitere Verfahren vorgestellt). In der systemischen Therapie hat sich besonders das Familienbrett bewährt, das von Ludewig et al. 1983 vorgestellt wurde: ein 50 x 50 cm großes Holzbrett mit einem Satz von Figuren ermöglicht es den Familienmitgliedern, Relationen zu Nähe und Distanz symbolisch darzustellen. Die Autoren heben den diagnostischen Wert des Familienbretts hervor, die Aufstellungen eigneten sich außerdem gut für Forschungsfragen im Rahmen einer dialogischen Forschungsmethodik. Ähnliches gilt für den Familiensystemtest FAST (Gehring 1993), auch hier lassen sich Holzfiguren auf einem 45 x 45 cm Brett mit 81
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kleinen Feldern zueinander in Beziehung setzen. Durch kleine unterlegbare Klötzchen vermutet der Autor, auch zu Aussagen über Hierarchiebeziehungen in der Familie gelangen zu können. Abgesehen von der Nützlichkeit des Instruments in der Forschung bietet sich auch dieses Konzept im Beratungskontext da an, wo man nicht mit »großen« Familienskulpturen arbeiten möchte.
8.3. Videokonsultation Weit über eine symbolische Darstellung hinaus geht das in Holland von Maria Aarts entwickelte Konzept der Videokonsultation. Therapeut oder Therapeutin gehen mit der Kamera in die Familien hinein und filmen Interaktionssequenzen, von denen aussagekräftige Ausschnitte danach mit den Familien (meist den Eltern) auf Mikroebene angeschaut und ressourcenorientiert reflektiert werden (Hawellek 1995). Diese Methode, die zunächst als Hilfestellung für Eltern mit »Schreibabies« entwickelt wurde, wird zunehmend auch in der systemischen Therapie genutzt (vgl. Fivaz-Depeursinge 1991). Es werden die Sequenzen ausgesucht, die zu der bisherigen Familiensicht einen bedeutsamen und konstruktiven Unterschied erzeugen helfen. Dabei können auch hypothetische Fragen eingesetzt werden (»Angenommen, Sie hätten sich an dieser Stelle abgewechselt und gewartet, wie das Baby auf Ihre Frau reagiert … – was denken Sie, wäre geschehen?«). Der Vorteil dieses Vorgehens liegt in der Entwicklung sehr konkreter Handlungsoptionen: Das Alltagsgeschehen in der Familie wird in Sprache gefaßt, Interaktionssequenzen, die der normalen Wahrnehmung verborgen sind, werden bewußt gemacht. Auf diese Weise bekommen Eltern oft zum erstenmal ein Bewußtsein für kommunikative Angebote ihrer Kinder.
8.4. Die Externalisierung des Problems Die Externalisierung wurde als Technik von dem australischen Familientherapeuten Michael White entwickelt (z. B. 1989, 1992). Über einen sorgsamen Umgang mit Sprache wird dabei versucht, ein Problem und die persönliche Identität eines Patienten zu unterscheiden und damit die Muster der Beschreibungen zu verstören, über die das Problem aufrechterhalten und stabilisiert wird. In der herkömmlichen Sprachtradition neigt ein Problem dazu, »auf die Identität oder Persönlichkeit eines Patienten herabzufallen. Dies geschieht aufgrund des
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›gesunden Menschenverstandes‹, der sagt, ›die Person, die das Problem hat, ist das Problem‹. Das medizinische Modell und DSM III nähren diese Annahme: ›die Störung ist in der Person‹« (Tomm 1989, S. 202) – mit den entsprechenden Folgen, ein »Entkommen wird immer schwerer«. Mit der Externalisierung wird genau dies wieder rückgängig gemacht. Diese Methode entwickelte White in seiner Arbeit mit Kindern. Er fand heraus, daß Kinder viel leichter kooperierten, wenn sie nicht als »das ungezogene Kind« bezeichnet wurden, das sich bessern müsse, sondern wenn sie in einer Weise gefragt wurden, die nicht sie selbst mit dem Problem gleichsetzte, sondern wenn statt dessen zum Beispiel gefragt wurde, wann denn »der Schlingel« sie wieder einladen würde, Unsinn zu machen und wie sie darauf reagieren würden, ob sie immer dieser Einladung folgten oder nur manchmal und wie es sei, wenn sie dem »Schlingel« widersprächen. Berühmt wurde das Beispiel einer Arbeit mit der Familie eines Jungen, der sich mit seinem Einkoten auseinandersetzte (s. White u. Epston 1990, S. 61 ff): Nick »hatte sich mit dem ›Dreck‹ angefreundet« (im Englischen: mit der Bezeichnung ›Sneaky Poo‹ besser personifizierbar und wohl etwas besser getroffen als in der deutschen Übersetzung). Er »war sein Spielgefährte geworden«. Indem die Geschichte vom »bösen (oder kranken) Kind« auf diese Weise neu erzählt wurde, wurde ein neuer Kontext eröffnet. Vom Kontext der Bewertung oder der Umerziehung war das therapeutische System übergewechselt zu einem Kontext von Erforschung und Entdeckung: In welcher Beziehung standen die einzelnen Personen zum Problem, welche Auswirkungen hatte der »Dreck« auf das Leben und die Familienbeziehungen? Was tat er in Nicks Leben? – Er isolierte ihn von anderen Kindern und nahm seiner Zukunft den Glanz, – er machte es für Nick und für die anderen unmöglich, Nick zu sehen wie er wirklich war, – keiner konnte erkennen, wie interessant und intelligent er eigentlich war. Was tat er im Leben von Nicks Mutter und Vater? – er brachte sie dazu, ihre Fähigkeiten als Mutter und ihre Person selbst anzuzweifeln, – er brachte den Vater dazu, sich von seinen Freunden zu isolieren, weil er es nicht wagte, Besuch einzuladen, schon gar nicht über Nacht, Und die Familienbeziehungen? – Er trieb einen Keil zwischen Nick und seine Eltern und vertrieb die Freude, die zwischen Mutter und Sohn gewesen war. Die Tyrannei des Drecks hatte auch die Beziehung zwischen Vater und Sohn beeinträchtigt, und schließlich litt auch die Beziehung der Eltern darunter, da sie sich nur noch über »Sneaky Poo« unterhielten und füreinander kaum noch Aufmerksamkeit hatten.
Gerade die letzten Fragen ermöglichen es den Familienmitgliedern, ihren Druck loszuwerden, ohne daß das Kind selbst die Ursache ist und
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dadurch noch mehr unter Druck gerät. Es wird durch die Einführung des externalisierten Problems ermöglicht, eine bislang symmetrische Beziehung: »Du böses Kind mußt dich ändern oder es knallt!« (und es knallt entsprechend oft …) in eine komplementäre zu verwandeln: »Wir sind gemeinsam Opfer von Sneaky Poo«, – oder wie man das Problem auch immer nennt –, »und wir stehen zusammen, um uns schrittweise wieder Terrain guten gemeinsamen Lebens zu erobern.« Im nächsten Schritt geht es dann um die Suche nach Ausnahmen. Jeder Mensch konstituiert sich seine Geschichte über spezifische Geschichten, die als die Regel oder typisch erlebt werden, während andere Geschichten, die es sicher auch gegeben hat, die aber als einmalige Ereignisse klassifiziert wurden, ignoriert werden. Mit der Suche nach Ausnahmen beginnt die Dekonstruktion, der Versuch, das »Heimische zu exotisieren«, eine alternative Geschichtsschreibung, indem danach gesucht wird, was eben nicht typisch abgelaufen ist. Die Externalisierungstechnik führt damit unmittelbar an die Ressourcen der Familie heran. »Gab es Zeiten, in denen ihr den hinterhältigen Dreckmacher besiegt habt, ihm nicht gehorcht habt, wo er euch aufforderte, Nick auszuschimpfen und ihr euch geweigert habt, und statt dessen ihm ein anderes Angebot gemacht habt?« – Obwohl der Dreckmacher Nick ständig zum Mitspielen anregte, erinnerte Nick sich an verschiedene Situationen, wo er hätte nachgeben können, dies aber nicht getan hatte. – Auch die Mutter erinnerte sich, daß es neulich eine Situation gegeben hatte, in der der Dreckmacher versuchte, sie völlig verzweifelt sein zu lassen, sie hatte dem nicht nachgegeben, statt dessen Radio gehört und sich geweigert, an ihren Fähigkeiten als Mutter zu zweifeln. – Der Vater konnte sich an keine Ausnahme erinnern, auf die Frage des Therapeuten, wie er denn wohl gegen den Dreckmacher protestieren könne, meinte er aber dann, er werde einem Kollegen davon erzählen. – Und auch in der Familie selbst gab es immer wieder Momente, wo der Dreckmacher die Beziehungen noch nicht ganz zum Erliegen gebracht hatte.
Die Methode der Externalisierung bietet sich in vielen Kontexten als hilfreich an: – Bei psychotischem Verhalten: »Wie hat die Schizophrenie dich dazu gebracht, dich zurückzuziehen und den Kontakt zu anderen zu meiden? Wie hast du es geschafft, dich neulich den Anweisungen der Schizophrenie zu widersetzen? Was sagt dir das über deine Fähigkeiten und dein Können, das du normalerweise nicht bemerkt hättest?« (vgl. Tomm 1989). – Bei Gewalttätigkeit: »Wenn ein Mann vorhätte, eine andere Person zu beherrschen und zu kontrollieren, welche Bedingungen müßte er schaffen?« – »In welche dieser Werthaltungen und Strategien bist du in deinem Leben eingeführt worden und wie?« – »Willst du weiterhin dein Leben diesem spezifischen Wissen unterordnen, wie du als Mann zu sein habest?« – »In welchem Maße hältst
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du es für angemessen und zumutbar, das Leben eines ›Instruments der Macht‹ zu führen?« (nach White 1992). – Bei hochsymmetrisch zerstrittenen Ehepartnern: »Vielen Dank, ich habe jetzt verstanden, wie das Muster aussieht, das Sie, wie es scheint, voll im Griff hat. Was richtet es in Ihrem Leben an? Sind Sie ihm immer unterworfen oder nur von Zeit zu Zeit? Was würden Sie tun, wenn Sie Ihre Beziehung von der Tyrannei dieses Musters befreit hätten?«
Eine Gefahr der Externalisierung in der Form, wie White sie verwendet, liegt darin, daß sie dem Problem nicht neutral gegenübersteht, sondern dieses einseitig negativ konnotiert. Zwar wird das Problem von der Person abgelöst. Aber das Problem selbst wird als etwas nur Negatives, Schlechtes, Böses, zu überwindendes beschrieben – es soll beseitigt werden. Dies widerspricht dem Selbstverständnis systemischer Therapie und Beratung, alle Phänomene in einem System als zumindest auch sinnvoll für dessen Selbstorganisation anzusehen. Gerade eine Beschreibung, die niemanden entwertet, die vielleicht sogar ermöglicht, vorzuschlagen, das beklagte Problem noch beizubehalten, eröffnet dem Berater und der Familie oft neue Bewegungsspielräume. Mit der Externalisierung, wie White sie verwendet, entscheidet man sich für eine Perspektive, die das Problem möglichst beseitigen möchte. Externalisierungsfragen – Wie wirkt das Problem auf dein Leben ein? – Wie hat es dein Selbstbild beeinflußt? – Wie deine persönlichen Beziehungen? – Welche Einflüsse haben diese Sichtweisen auf dein Leben allgemein und auf den Umgang mit anderen Menschen im besonderen? – Wie bist du in diese Sichtweise eingeführt worden? Wodurch hast du dich zu dieser Sichtweise einladen/verführen lassen? – Bist du denn überhaupt damit einverstanden, daß diese Geschichten dein heutiges Leben bestimmen und beeinflussen? – Welche Erfahrungen widersprechen diesen Geschichten? Wo gibt es Ausnahmen? – Historisierung: »Wenn ich als Zuschauer damals dein Leben mitverfolgt hätte, was könnte ich erlebt haben, das mir erklären könnte, wie du zu dem fähig warst, was du da geschafft hast (= die Ausnahme)?« oder: »Wer von all den Personen, die dich als jungen Menschen gekannt haben, wäre am wenigsten erstaunt darüber, daß du zu diesem Schritt fähig warst, dich den Problemen entgegenzustellen, die dir das Leben schwermachen? (nach: White 1992, S. 52ff)
Es läßt sich jedoch auch anders mit der Externalisierung arbeiten, indem man mit den Klienten diskutiert, wie sie ihr externalisiertes Pro-
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blem auch wertschätzen, pflegen, behalten könnten, wenn es für irgend etwas nützlich ist: Eine an Bulimie leidende berufstätige, verheiratete, kinderlose Frau »widmet« sich der Bulimie jeden Abend von 20 bis 24 Uhr – der Zeit, wo es zu sexuellem Kontakt mit ihrem Mann kommen könnte. In diesem »Dreiecksverhältnis« (sie, er und die Bulimie) ist er auf »die Bulimie« eifersüchtig. Würde sie aber ihre »abendliche Liaison« mit der Bulimie aufgeben, hätte sie derart starke Angst vor seinen sexuellen Wünschen, daß sie ihn eher verlassen wollte, als sich dieser dauernd zu erwehren oder gar ihnen nachzugeben. Das sieht er auch so und sagt: »Lieber die Bulimie im Schlafzimmer, als meine Frau ganz weg.« Daraufhin wird diskutiert, wie lange sie zwecks Beziehungserhaltung das Dreiecksverhältnis sinnvollerweise weiterführen sollten. Bei vier bettnässenden Jungen führe ich (J. S.) die Figur eines »mächtigen Kommandanten« ein, der »im Hirn jedes Jungen seine Kommandozentrale errichtet« und von dort aus über eine Nervenleitung zum Blasenschließmuskel diesem die Befehle geben kann: »Halte dicht!« oder »Schieß los!«. Wir diskutieren, wie die beiden Befehle sich unterschiedlich auf das Familienleben auswirken würden. Dabei wird deutlich, daß nasse Betten die Mutter darin bestärken, noch nicht wieder in den Beruf zurückzukehren, was besonders der Vater schätzt und Mutters eigener Ambivalenz entgegenkommt. Wir empfehlen daher als Schlußaufgabe: »Sagt dem Kommandanten einen schönen Gruß: Die meisten Nächte soll er wie bisher manchmal dicht halten, manchmal losschießen befehlen. Nur in zwei Nächten, auf die Ihr Euch einigen sollt, sollen alle vier ihrem Kommandanten den Auftrag geben, dem Schließmuskel den Befehl zu geben: ›Heute nacht schießt du dreimal los!‹«
8.5. Metaphern, analoge Geschichten, Witze, Cartoons Schon immer sind in der Therapie Vorgehensweisen populär gewesen, bei denen nicht auf den ersten Blick klar ist, worum es geht: Witze oder Geschichten, die scheinbar mit dem Problem nichts zu tun haben, metaphorische Rituale, Cartoons. Spätestens seit der Veröffentlichung des Buches von S. Freud: »Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten« 1905 (zit. nach Bernhardt 1985) war Humor auch in der Psychoanalyse potentiell »hoffähig«. Bei Trenkle (1994) findet sich eine ganze Fundgrube therapeutisch nutzbarer Witze, Skynner und Cleese (1995) schrieben ein humorvolles Buch für Familien mit vielen Cartoons. Ein Meister der Verwirrung war Milton Erickson (s. z. B. Rosen 1990), der häufig mit Klienten über die Lösung ganz anderer als der präsentierten Probleme diskutierte. So besprach er mit einem Ehepaar mit Sexualproblemen ausgiebig die Gestaltung eines festlichen Abendessens mit Vorspeise, Hauptgang und Dessert, mit viel Muße und Zeit während und zwischen den einzelnen Gängen, mit dem genußvollen
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Schmecken der einzelnen Bestandteile, mit Kerzen und romantischer Hintergrundmusik, ohne je ein Wort explizit über Sexualität zu verlieren. Lankton und Lankton (1994) konstruieren mit Klienten metaphorische Rituale, etwa morgens um fünf Uhr auf einen Berg zu steigen und im Sonnenaufgang dort oben einen bestimmten Stein meditativ zu betrachten. Dies hat zunächst nichts mit dem Problem zu tun, doch setzt die Aufgabe intensive Sinnfindungsprozesse in Gang: Warum wohl hat der Therapeut mir diesen Auftrag gegeben? Es ist bekannt, daß viele kreative Lösungen sich gerade dann einfinden, wenn die Pfade eingefahrener Denkbahnen und quälender scheinbarer Gewißheiten verlassen werden.
Abbildung 16 (aus: Skynner u. Cleese 1995, S. 164)
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9. Kommentare Die Bedeutung der Sprache zeigt sich besonders in der Art, wie Berater die Problembeschreibungen der Klienten kommentieren. Die »große« Schlußintervention ist dabei nur eine Form des Kommentars, wenngleich eine besondere, der wir einen größeren Abschnitt widmen wollen (S. 182–199). Aber auch fast jede kleinere Äußerung stellt einen Kommentar dar, ein sprachliches Angebot, die »Wirklichkeit« auf eine bestimmte Weise wahrzunehmen. Wir wollen hier drei solche Formen näher beschreiben: die positive oder wertschätzende Konnotation, das Reframing und die Möglichkeit, daß die Therapeuten sich zum Anwalt der Ambivalenz machen: das Splitting der Therapeuten.
9.1. Anerkennung, Kompliment, wertschätzende Konnotation Oft, vor allem wenn die Klienten sich schwergetan haben mit der Entscheidung, zur Beratung zu gehen, kann es nützlich sein, das Engagement anzuerkennen, das darin zum Ausdruck kommt: »Daran, daß Sie heute Ihrer Familienmitglieder zuliebe hierhergekommen sind, obwohl Sie sich von dieser Beratung nichts versprechen, ist uns deutlich geworden, wieviel Sie für das Wohlergehen Ihrer Familienmitglieder zu tun bereit sind – selbst in Situationen, wo Sie gar nicht glauben, daß es nützt«.
Die Technik der positiven Konnotation wurde im Mailänder Modell entwickelt aufgrund sprachphilosophischer Überlegungen (vgl. S. 93–101). Die Linearität der Sprache zwingt zu Bewertungen, zu einem »Moralismus, der der Sprache inhärent ist« (Selvini Palazzoli et al. 1977, S. 58). Dieser Festlegung versuchten die Mailänder durch die grundsätzlich positive Beurteilung aller Verhaltensweisen in der Familie zu entgehen. Die Kunst liegt darin, der Versuchung zu widerstehen, zirkuläre Abläufe wieder einseitig zu interpunktieren und zum Beispiel das Symptom mit psychopathologischen Kategorien anderer Familienmitglieder in eine lineare Beziehung zu setzen (»der eine verhält sich so, weil der andere so stark gestört ist«). Untrügliches Indiz dafür, daß der Therapeut oder die Therapeutin im inneren Dialog einer feststehenden Interpunktion aufsitzt, ist, wenn sich bei ihn oder ihr Ärger oder Empörung über einen oder mehrere in der Familie entwickeln. Die Familie wird dann aufgeteilt in »gute« und »böse« Mitglieder, es wird schwer, das Zusammenspiel des Ganzen zu sehen.
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Die positive Konnotation arbeitet dieser Tendenz entgegen: Der Therapeut muß sich zwingen, sehr konsequent eine systemische Sicht der Familie beizubehalten (also auch nicht ironisch »positiv« zu werden) und jede Verhaltensweise als konstruktiven Beitrag des entsprechenden Familienmitgliedes anzusehen, die Einheit und Kohäsion der Familie zu erhalten. Da diese Art des Kommentars gleichzeitig eine Metakommunikation darstellt (der Therapeut spricht in der Familie über die Kommunikationen), wird eine neue Gesprächsform eingeführt: Eine Beziehung wird klar definiert, ohne Gefahr der Abwertung. Gleichzeitig etablieren die Therapeuten eine eindeutige Komplementarität und sind damit nicht in der Gefahr, in den symmetrischen Streit des Familienspiels verstrickt zu werden: der Inhalt dessen, was sie sagen, ist ja mit der Tendenz des Systems, seinen eigenen Bestand zu erhalten, konform. Gerade durch die ausdrückliche Bestätigung jedes Mitglieds vermeiden die Therapeuten die Abweisung. Manchmal kann Anerkennung allerdings auch eine implizite Beleidigung sein – so könnte ein Klient sich zum Beispiel fragen, für wie dumm oder stützungsbedürftig er von den Therapeuten eingeschätzt wird, »wenn die solchen Schmus reden« oder eine Familie hat das Gefühl, daß die traurige und ernste Situation überhaupt nicht verstanden wurde, wenn diese positiv konnotiert wird. Daher ist unserer Meinung nach die Formulierung »wertschätzende Konnotation« besser geeignet. Sie macht deutlich, daß nicht jedes Verhalten unbedingt positiv gewertet werden muß, und doch kann eine wertschätzende Haltung deutlich machen, daß die Therapeutin sich bemüht, die subjektiven Hintergründe für jedes Verhalten nachzuvollziehen, sich »in die Schuhe« des jeweiligen Menschen hineinzustellen und danach zu suchen, welche Bedeutung sein Verhalten im Kontext des Gesamtsystems haben mag. Ein Beispiel dafür, wie über eine zirkuläre Frage Zugang zu einer wertschätzenden Konnotation gefunden werden kann: Ein Ehepaar kam in Therapie, nachdem die Frau ca. ein halbes Jahr zuvor entdeckt hatte, daß ihr Mann seit Jahren eine Freundin hatte. Zwischen beiden hatte sich in der Folge ein Muster von Anklage und Rückzug, eine festgefahrene Geschichtsschreibung entwickelt, die sich auch in den Gesprächen fortsetzte. Beide Partner beschrieben sich gegenseitig als »immer schon schwierig«, der Mann meinte, seine Frau habe immer nur an ihm herumgenörgelt, während er sich aufgeopfert habe, um der Familie ein gutes Leben zu ermöglichen, die Frau sah sich von ihm als Stütze seiner Karriere und Erzieherin seiner Kinder ausgebeutet. Es war für den Therapeuten schwer, sich dem Sog, Partei zu ergreifen, zu entziehen, die Schwere, mit der das Problem geschildert wurde, ließ eine »positive Konnotation« nicht ohne weiteres zu. Erst durch die Frage wurde hier eine Öffnung des »gemeinsamen Monologes« des Paares möglich: »Was Sie erzählt haben, geht weit über Sie beide als Mann und Frau hinaus. Es
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berührt Fragen, wie in unserer Gesellschaft Rollen von Männern und Frauen definiert sind. Was ich weiß, ist, daß hier ein wenig Frieden möglich ist, wenn Mann und Frau sich gegenseitig Anerkennung vermitteln können dafür, welche Leistung sie vollbracht haben, diese zugewiesenen Rollen mit Leben zu füllen. Und ich würde daher jetzt gern jedem von Ihnen die gleiche Frage stellen: Wer denken Sie, kann von Ihnen beiden diese Leistung beim anderen besser anerkennen? Ihr Mann bei Ihnen oder Ihre Frau bei Ihnen?« Diese Frage rief bei beiden Verblüffung hervor, und nachdem sie sich darauf eingelassen hatten, beantworteten sie sie. Es wurde deutlich, wie wenig sie sich bislang für diese Seiten gegenseitig anerkannt hatten. Dadurch konnten sie sich im nächsten Schritt auf ein Ritual einlassen, das es ihnen ermöglichte, lange ungesagten Dank aneinander auszusprechen. Die wertschätzende Konnotation lag hier in der Struktur der Frage begründet. Wie auch immer sie beantwortet wird, sie führt zu einer wertschätzenden Beschreibung des anderen, ob nun einer der beiden gesagt hätte:»Ich kann meinen Partner besser anerkennen!«, oder: »Mein Partner kann es besser!«
9.2. Umdeutung – Reframing Die Umdeutung ist vielleicht die wichtigste systemische Intervention überhaupt. Bei dieser Methode wird einem Geschehen dadurch ein anderer Sinn gegeben, daß man es in einen anderen Rahmen (engl. »frame«) stellt, einen Rahmen, der die Bedeutung des Geschehens verändert. Bateson hat wiederholt darauf hingewiesen, daß die Bedeutung einer Information von Kontextmarkierungen abhängt – Kennzeichen, die zeigen, wie eine Aussage zu verstehen ist. Der Satz: »Jetzt mache ich dich fertig!« wird, lachend bei einem Schachspiel gesagt, völlig anders verstanden als bei einem Streit in der Kneipe mit wutverzerrtem Gesicht. Der Gesichtausdruck und die Situation selbst sind dann solche Kontextmarkierungen. Es sind Möglichkeiten, über die Lebewesen den sozialen Sinn ihrer Kommunikation qualifizieren. Dieser soziale Sinn ist der Rahmen, der bestimmt, wie eine Äußerung zu verstehen ist. Ein veränderter Rahmen verändert die komplette Bedeutung einer Kommunikation, auch wenn deren Inhalt selbst sich nicht ändert. Besonders prägnant zeigt sich das im Witz: Es treffen sich zwei Rechtsanwälte. Fragt der eine: »Wie geht’s?«, sagt der andere: »Schlecht! Ich kann nicht klagen!«
Eine Äußerung, die unter den gängigen Kontextmarkierungen des Alltags positiv erlebt wird, ist im juristischen Frame negativ: nicht Klagen-Können. In vielen Witzen wird der Zuhörer zunächst in einen gewohnten Frame eingeführt, durch die Pointe wird dieser Rahmen dann plötzlich erschüttert, die leichte Erschütterung macht den Witz aus.
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Abbildung 17 (copyright: Dieko) Eine schwere und existentiell erschütternde Form der Veränderung des Rahmens, unter dem die Wirklichkeit erlebt wurde, kann es andererseits sein, wenn etwa ein Ehepartner dem anderen im Streit vorwirft: »Ich habe dich nie geliebt!« oder wenn herauskommt, daß ein Partner eine langjährige Beziehung neben der Ehe hatte. In einem solchen Fall wird rückwirkend die ganze Vergangenheit in ein anderes, negatives Licht gestellt. Auch das ist Reframing.
Die Frames, mit denen Menschen leben, die in die Therapie kommen, gehören meist nicht zu den lustigen. Daher geht es im Kontext von Beratung darum, dem Rahmen, in dem das Klientensystem ein Ereignis wahrnimmt, einen anderen Rahmen gegenüberzustellen – eben einen systemischen. Das bedeutet, daß die Beraterin sich bei jeder
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Äußerung oder Verhaltensweise des Klienten fragt, wie diese sich unter systemischer Sicht darstellt: Welcher Kontext wäre denkbar, unter dem das Problem sinnvoll wäre, ja, vielleicht sogar die beste Lösung darstellen würde? »›Meine Frau braucht ewig, um sich für etwas zu entscheiden. Sie muß sich sämtliche Kleider im Laden anschauen und miteinander vergleichen, bevor sie eins auswählt.‹ – ›Sie entscheidet also sehr sorgfältig. Ist es nicht ein tolles Kompliment, daß sie von allen Männern dieser Welt ausgerechnet Sie gewählt hat?‹« (Bandler u. Grinder 1985, S. 27).
Der systemische Rahmen stellt eine für den Klienten oft überwältigend andere Sicht der Dinge dar: Das Denken in Ursache-WirkungsZusammenhängen wird mit einer prozeßhaften, zirkulären Weltsicht konfrontiert – und zwar in jeder therapeutischen Äußerung! Dem Reframing liegen die bereits beschriebenen Prämissen des systemischen Modells zugrunde: – Jedes Verhalten macht Sinn, wenn man den Kontext kennt. – Es gibt keine vom Kontext losgelösten Eigenschaften einer Person. – Jedes Verhalten hat eine sinnvolle Bedeutung für die Kohärenz des Gesamtsystems. – Es gibt nur Fähigkeiten. Probleme ergeben sich manchmal daraus, daß Kontext und Fähigkeit nicht optimal zueinander passen. – Jeder scheinbare Nachteil in einem Teil des Systems zeigt sich an anderer Stelle als möglicher Vorteil.
In jeder therapeutischen Äußerung, kommt mehr oder weniger explizit dieses systemische »Belief-System« zum Ausdruck. Besonders gilt dies für die zirkulären Fragen: »Meine Tochter magert immer mehr ab!« – »War das vor oder nach Ihrer Trennung, daß sie sich entschieden hat, nichts mehr zu essen?« (Prämisse: Das Nicht-Essen ist eine aktive Entscheidung, die auf das innerfamiliäre Beziehungsgeschehen bezogen ist – jedes Verhalten macht Sinn, wenn man den Kontext kennt).
Ein Reframing kann auf eine Einzelperson bezogen sein: »Ich werde immer so schnell ärgerlich!« – »Und Sie wünschen sich auch noch andere Möglichkeiten, um deutlich zu machen, was Ihnen mißfällt?« (Prämisse: Es gibt nur Fähigkeiten …)
und es kann auf einen Systemzusammenhang bezogen sein: Ein ständiger Streit kann ganz anders gesehen werden, wenn er in den Bezugsrahmen von Lebendigkeit gestellt wird: »Ich finde es beeindruckend zu sehen, wie engagiert und lebendig Sie darum ringen, die optimale Distanz zwischen sich zu finden!« (Prämisse: Jedes Verhalten hat eine sinnvolle Bedeutung für die Kohärenz
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des Gesamtsystems). Dieselbe Prämisse würde auch einer Konfrontation in diesem Beispiel zugrunde liegen: »Ich finde es enorm, wie Sie es schaffen, Ihre Frau zu schützen, indem Sie so schnell so wütend werden, daß Ihre Frau sich aus einer Auseinandersetzung mit Ihnen heraushalten kann – sie braucht sich nur noch auf die Art Ihrer Reaktion zu beziehen und braucht sich nicht mit Ihren Argumenten zu befassen.«
Bekannt geworden ist ein Reframing, das gut in Familien mit magersüchtigen Töchtern eingesetzt werden kann: Statt die Magersucht als Krankheit zu sehen, betont der Therapeut die Opferrolle des Kindes, das in einem Alter, in dem andere Jugendliche sich der Kontaktpflege mit Gleichaltrigen widmen, dafür sorgt, daß das gesamte Konfliktpotential der Familie sich auf sie konzentriert.
Ebenfalls »klassisch« zu nennen ist ein Reframing, das, wenn es im Erst- oder Zweitkontakt möglich ist, den Symptomträger merklich entlasten kann: Wenn durch die Fragen der Therapeutin die Vernetzung des Problems in der Gesamtfamilie deutlich geworden ist, viele Wünsche nach Veränderung und Hoffnung auf Wachstum formuliert werden konnten, kann sich die Therapeutin anerkennend an den Indexpatienten wenden und ihm vermitteln, daß er es war, der die Aufgabe des »roten Warnlichts« für die Familie übernommen hat – und dafür sorgte, daß nun alle an einem Ort sitzen, wo sie miteinander nach Wegen suchen können, daß es allen besser geht als vorher: Alle können gewinnen! – Es ist leicht nachvollziehbar, daß dieser Frame ein völlig anderer ist als einer, der ein Problem als Ärgernis oder Belastung beschreibt.
Eine Unfähigkeit kann in eine besondere Fähigkeit umdefiniert werden: »Sie schaffen es, Ihrem Hunger nicht nachzugeben, sondern zu fasten, egal wie schwer es manchmal fällt. Da zeigen Sie enorme Willensstärke« (Anorexie). »Es gelingt dir mit Ausdauer, deinen Mund zu halten und nichts von dem auszuplaudern, von dem du dir noch nicht sicher bist, ob Mutter und Vater ein Ausplaudern recht wäre« (Mutismus).
oder Nichtentwicklung in loyales Verhalten: »Sie haben sich entschlossen, es sich in Ihrer Ehe nicht bessergehen zu lassen, als es Ihrer Mutter in deren Ehe ging. Das macht es Ihrer Mutter leichter, mit ihrer eigenen schweren Ehe weniger zu hadern, wenn Sie sie darin bestätigen: auch meine Ehe geht schief, das ist mit Ehen immer so.«
Ein therapeutisches Reframing muß einen prägnanten Unterschied zu der bisherigen Wirklichkeitssicht herstellen. Es muß beim Gegenüber einen Zweifel wachrufen über das, was er oder sie »in Wirklichkeit« tut. Die wichtigste Funktion eines Reframings ist die Verstörung der bisherigen Sicht der Dinge. Wenn »alles auch anders sein« könnte, anders gesehen werden könnte, ist schon viel dafür getan, daß
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die Dinge nicht mehr so festgefahren und rigide erlebt werden wie bisher. Eine ausführliche Beschreibung der Methode findet sich bei Watzlawick et al. (1974, S. 118ff) und bei Bandler u. Grinder (1985).
9.3. Splitting: Das Team oder der Therapeut ist sich uneinig Ambivalenz, Unentschiedenheit, Konflikte gehören zum menschlichen Leben ganz allgemein dazu. In Systemen, die sich über Probleme definieren, wird oft nur die eine Seite der Ambivalenz formuliert, die andere wird unausgesprochen agiert: »Er sollte selbständiger werden!« – (»Wenn er doch nur immer unser kleiner Junge bliebe …«). »Du bist immer so abweisend!« (»O je, was würde nur passieren, wenn ich tatsächlich erhört werden würde!«)
In vielen Fällen lassen sich Therapeuten dahin verführen, sich auf eine (meist die laut vorgetragene) Seite der Ambivalenz zu stellen: »Ja, was könnten Sie denn tun, daß es Ihnen besserginge?«, »Vielleicht sollten wir es einmal mit einer beschützten Wohngemeinschaft versuchen, um Ihnen zur Selbständigkeit zu verhelfen?« Das System reagiert dann oft in einer Weise subversiv, die den Berater frustriert. Alle guten Vorschläge funktionieren nicht, die Gefahr einer symmetrischen Eskalation des Beratungssystems wächst: »Wenn Sie beim nächsten Mal nicht das getan haben, was ich Ihnen vorgeschlagen habe, dann …!« Im Heidelberger Konzept wurde der Begriff vom Therapeuten als »Anwalt der Ambivalenz« geprägt, um genau diese Falle zu vermeiden. Jeder Kommentar, der in eine Richtung geht, verstärkt möglicherweise das Gegenteil. Hier kann das Splitting eine Möglichkeit sein, indem man entweder die Ambivalenz selbst in sich erzeugt: »Ich hatte neulich eine Familie hier im Gespräch, denen habe ich … empfohlen. Ich bin fast versucht, dies bei Ihnen auch zu tun, doch habe ich das starke Gefühl, daß es für Sie vielleicht nicht passen könnte …«
oder indem das Team (hinter der Scheibe oder als Reflecting-Team) die Seiten der Ambivalenz übernimmt: »Wir haben intensiv über das vorgestellte Problem gesprochen. Wir konnten uns nicht einigen. Einige Kollegen meinten, daß es für Sie vielleicht doch keine Alternative zur Trennung gibt, weil der Groll aufeinander so groß sei. Die anderen wie-
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der meinten, daß gerade dieser Groll Zeichen Ihrer intensiven Liebe und Zuneigung ist, die Sie sich zur Zeit nur auf diese Weise zeigen können, so daß dies gerade ein Zeichen ist, daß Sie zusammenbleiben sollten. Ich selbst merke auch, daß ich sehr unschlüssig bin und gar nicht weiß, was ich Ihnen empfehlen soll.«
Das Splitting ermöglicht so, die Fallen des »Entweder-Oder« zu umgehen. Wie auch immer die Familie beim nächsten Mal wiederkommt, es kann eine Bestätigung für die eine oder die andere Seite sein (oder auch gerade nicht …).
10. Schlußinterventionen 10.1. Grundsätze für die Entwicklung von Schlußinterventionen Unter »Schlußintervention« soll hier jede Form von Intervention verstanden werden, die der Familie »etwas mit auf den Weg gibt«, seien es zusammenfassende Resümees am Ende des Gesprächs, seien es paradoxe oder nichtparadoxe Handlungsvorschläge oder Aufgaben. Schlußinterventionen werden meist mündlich gegeben, doch nutzen auch viele Therapeuten die schriftliche Form zum Beispiel durch Briefe (s. hierzu besonders White 1989). Die Prinzipien der oben diskutierten Kommentare (Anmerkung, Kompliment, wertschätzende Konnotation, Reframing, Splitting) passen auch in die Schlußintervention hinein. Für alle abschließenden Interventionen gilt, daß sie optimalerweise ein ausgewogenes Verhältnis von Vertrautem und Neuem enthalten. Sie sollten also »anschlußfähig« (bestätigend) und gleichzeitig »verstörend« (herausfordernd) sein oder, mit Andersen (1990) gesprochen »angemessen ungewöhnlich«. Sie sollten: – möglichst nur das aufgreifen, worüber gesprochen wurde beziehungsweise was wahrnehmbar war, – die Metaphorik der Klienten aufgreifen und ggf. weiterführen, – Bekanntes, Neues und Verwirrendes miteinander kombinieren (»DrittelRegel«), um Nachdenken und Auseinandersetzung anzuregen, – möglichst deutlich, anschaulich und durchaus auch drastisch sein, – bei Handlungsvorschlägen stets eine zeitliche Begrenzung implizieren: Es ist ein »Experiment«, es ist befristet bis zur nächsten Sitzung, oder es wird »vorläufig« empfohlen, noch nichts zu ändern, da es gerade im Moment »noch zu früh« zu sein scheint.
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»Meine Hypothese ist, daß unser Therapeut sich aufopfert, weil er glaubt, daß er dadurch seinem Team ermöglicht, zusammenzubleiben. Seine offensichtliche Unfähigkeit hat den Effekt, daß seine Kollegen sich kompetent fühlen, und dient auch dazu, den verdeckten Konflikt zwischen Supervisor und Supervisand zu verschleiern. Ich vermute, er wird gleich hereinkommen, sagen, daß er uns in einem Dilemma sieht, und uns verschreiben, nichts zu verändern. Ich schlage vor, daß wir mit einem Splitting reagieren, wodurch ihre verdeckten Probleme offengelegt werden! Einverstanden?«
Abbildung 18: Nicht nur das Team hat eine Pause … (copyright: Brian Cade) Genauso wichtig wie eine gute Mischung aus Bestätigung und Verstörung ist, daß die Schlußintervention zum institutionellen Kontext der Beraterin paßt, das heißt, sie nicht in Schwierigkeiten bringt. Ein Schulpsychologe im staatlichen Schulamt sollte sich möglicherweise hüten, das Schulschwänzen eines Schülers mit noch so guten Begründungen über ein Reframing hinaus zu verschreiben. Ein katholischer Priester wird vorsichtig sein, bei einer Paarberatung Abtreibung oder Scheidung als Möglichkeit im Schlußkommentar einzubeziehen. Beide würden möglicherweise ihren Ruf bei ihren Klienten, insbesondere aber bei ihrem Arbeitgeber zu drastisch verstören.
Was passiert in der Schlußintervention? Aus der Sicht der Selbstorganisationstheorie (s. S. 64–67) geht es darum, sprunghafte Änderungen im Sinne von »Phasenübergängen« zu provozieren, dem System zu helfen, einen neuen »Attraktor« aufzusuchen (Tschacher 1990). Dazu braucht es eine Phase der Instabilität, in der kurzfristig Chaos herrscht. Diese Phase ist naturgemäß mit Irritation, Unsicherheit und Angst verbunden. Schlußinterventionen bieten in dieser Unsicherheit einen Sinnrahmen und schaffen gleichzeitig einen Kontext, innerhalb dessen die Familienmitglieder für einige Zeit füreinander unvorhersagbar werden: Die gewohnte Art, miteinander umzugehen ist verlegt. Das ist die Voraussetzung für die Veränderung des Musters. Durch
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eine zeitliche Begrenzung wird gleichzeitig vermittelt: Diese Phase wird nicht der neue Dauerzustand sein. Ein wichtiger Aspekt bei der Schlußintervention ist die Pause. Die Ankündigung eines Kommentars gibt Anlaß und Erlaubnis, im Gespräch eine Pause zu machen und inneren Abstand zu gewinnen. Die Pause erzeugt auch bei den Klienten gespannte Erwartung: Was danach gesagt wird, wird besonders aufmerksam aufgenommen. Die Pause zeigt auch eine gegenseitige Wertschätzung auf: »Sie sind uns so wichtig, daß wir uns gut überlegen, was wir Ihnen empfehlen« und: »Was wir sagen, ist uns soviel wert, daß wir uns den Luxus der Pause gönnen«. Schlußinterventionen als Instrument der systemischen Beratung sind nicht unumstritten. Insbesondere geht es dabei um zwei Überlegungen: 1) Zunehmend wird das Interview selbst als Intervention gesehen. Besonders die »Möglichkeitsfragen« erlauben in der Interviewgestaltung viel »Neuigkeitserzeugung«. Ein gutes Interview hat, in Frageform und damit weniger massiv, schon vieles von dem vorweggenommen, was in der Schlußintervention wiederholt wird. 2) Vielfach wurde der »Orakelspruch«-Charakter von Schlußinterventionen kritisiert: Nach Beratungen im »Off«, jenem undurchsichtigen Raum hinter der Scheibe, wie ein »Deus ex machina« ins Beratungszimmer getragen, förderten sie autoritäre, nicht-partnerschaftliche Beziehungsmuster. Diese Kritik führte unter anderem zur Entwicklung des Reflektierenden Teams, das noch ausgiebig beschrieben wird (s. S. 199–205). Da Schlußinterventionen jedoch bei aller Kritik nach wie vor ein wichtiges systemisches Handwerkszeug sind, sollen die verschiedenen Elemente und Möglichkeiten im folgenden konkreter dargestellt werden.
10.2. Mögliche Inhalte von Schlußinterventionen Mögliche Inhalte von Schlußinterventionen sind zum einen Kommentare und Meinungsäußerungen, die Eindrücke aus dem Gespräch, Hypothesen und so weiter noch einmal besonders pointiert zusammenfassen. Zum anderen können dazu Handlungsvorschläge gehören:
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etwas bis zum nächstenmal ausprobieren, was einen Unterschied machen könnte. Beispiel: Drei Generationen leben auf einem früheren Bauernhof unter einem Dach. Eltern und Kinder kommen in Familientherapie und klagen über die schrecklichen Großeltern: diese würden die Familie »ausbeuten« sowie Eltern und Kinder »spalten«. Die zirkulären Fragen führen zu einer anderen Beschreibung der »Ausbeutung«, daß sich nämlich die Eltern (besonders der Vater, der »eingeheiratete Schwiegersohn«) unter starkem inneren Druck fühlen, »diese alten Leute nicht zu vernachlässigen«. Sie vermuten dauernd, daß die Großeltern etwas von ihnen wollen könnten, und tun dies dann schon vorausschauend, wenngleich mit großem inneren Ressentiment. Ein zweites geschildertes Problem in dieser Familie ist das Verhalten der Tochter. Seit einer psychiatrischen Episode vor einem Jahr verhält sie sich nach Meinung der Eltern noch sehr »kindlich«, erzählt der Mutter dauernd nicht nur alles Wichtige, sondern auch viel Unwichtiges. Leider plappert sie auch im Dorf alles mögliche aus der Familie aus, was der Mutter überhaupt nicht recht ist. Andererseits hängen die Eltern sehr an der Tochter und sehen deren Erwachsenwerden mit sehr gemischten Gefühlen entgegen. Der Schlußkommentar lautet folgendermaßen: »In Ihrer Familie gilt nach unserem Eindruck als Leitlinie: Anteilnehmen, füreinander dasein, sich übereinander den Kopf zerbrechen. Das scheint einerseits anstrengend, wenn wir an die Magenschmerzen des Vaters, oder den Klinikaufenthalt der Tochter denken, ist aber auch sehr anerkennenswert. In so vielen anderen Familien gilt: ›Jeder schaut, daß es ihm selbst gutgeht.‹ So ohne Vorbehalte füreinander dazusein und füreinander zu denken wie bei Ihnen, ist selten. Das Problem ist aber: so oft wissen sie trotz aller Gedanken nicht, was die Großeltern nun wirklich von Ihnen wollen. Daher machen wir Ihnen bis zum nächsten Treffen folgenden Vorschlag: Jeden Abend, wenn Vater von der Arbeit und die Kinder aus der Ganztagsschule nach Hause kommen, setzen sich Eltern und Kinder zehn Minuten zusammen. Mutter berichtet, wie die Großeltern heute geguckt haben, welche Andeutungen oder Gesten sie machten, welche Worte sie beiläufig fallen ließen. Dann überlegen Sie alle vier gemeinsam, was die Großeltern heute gefühlt, gedacht und gewollt haben könnten, ohne es zu sagen. Das tun Sie jeden Abend zehn Minuten lang, nicht länger und nicht kürzer. Danach schlagen wir Ihnen an je einem von drei aufeinanderfolgenden Abenden ein unterschiedliches Vorgehen vor: Am Montag geht Vater in die Wohnung der Großeltern und sagt: ›Sagt uns bitte klar, was Ihr wollt!‹ Am Dienstag geht keiner rauf, und Sie lassen es sich einfach gutgehen, unabhängig von dem, was die Großeltern heute gedacht oder gewollt haben könnten. Am Mittwoch tun Sie keins von beidem, sondern Sie grübeln den ganzen Abend weiter darüber nach, was die Großeltern gedacht, gefühlt oder gewollt haben könnten, ohne es zu sagen. Nun noch ein Vorschlag an dich (zur Tochter): Wir empfehlen dir, dich vorübergehend noch etwas unselbständiger zu verhalten, als du wohl schon bist – insbesondere der Mutter alles zu erzählen, was dir einfällt und die Mutter zu fragen, was davon du im Dorf erzählen darfst. Damit bleibst du im engen Kontakt mit der Mutter und respektierst deren Wunsch, daß du nur manches ausplauderst. Du bist ja einerseits offensichtlich auf dem Weg, selbständig zu werden. Doch wir empfehlen: Mach langsam damit, damit die Umstellung dir und insbesondere deinen Eltern nicht zu abrupt kommt und damit zu schwer fällt!«
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Abschließend wird der Familie noch eine kleine Geschichte mit nach Hause gegeben. »Ein Mann will ein Bild aufhängen. Den Nagel hat er, nicht aber den Hammer. Der Nachbar hat einen. Also beschließt unser Mann, hinüberzugehen und ihn auszuborgen. Doch da kommt ihm ein Zweifel: Was, wenn der Nachbar ihm den Hammer nicht leihen will? Gestern schon grüßte er mich nur so flüchtig. Vielleicht war er in Eile. Aber vielleicht war die Eile nur vorgeschützt, und er hat etwas gegen mich. Und was? Ich habe ihm nichts angetan; der bildet sich da etwas ein. Wenn jemand von mir ein Werkzeug borgen wollte, ich gäbe es ihm sofort. Und warum er nicht? Wie kann man einem Mitmenschen einen so einfachen Gefallen abschlagen? Leute wie dieser Kerl vergiften einem das Leben. Und dann bildet er sich noch ein, ich sei auf ihn angewiesen. Bloß weil er einen Hammer hat. Jetzt reicht’s mir wirklich. Und so stürmt er hinüber, läutet, der Nachbar öffnet, doch bevor er ›Guten Tag‹ sagen kann, schreit ihn unser Mann an: ›Behalten Sie sich Ihren Hammer, Sie Rüpel!‹« (Watzlawick 1983, S. 37 f).
Betrachten wir diese Schlußintervention genauer, so finden wir darin folgende Kommentarteile und Handlungsvorschläge: Kommentar-Teile: – Eine Anerkennung der Anteilnahme, des »Sich-übereinander-GedankenMachens« bei gleichzeitig großer Anstrengung, – eine Umdeutung des »Plapperns« der Tochter als Vermeidung einer zu raschen Verselbständigung, die eventuell alle überfordern könnte, – eine Verwirrung, die Geschichte, die zunächst scheinbar nichts mit den geschilderten Problemen zu tun hat. Handlungsvorschläge: – ein Ritual für die ganze Familie, das ihr Alltagsritual in zugespitzter Form verschreibt, mit einem Experiment in drei Variationen, – eine »Als-ob«-Verschreibung der »Kindlichkeit« der jugendlichen Indexklientin. Wie reagierte die Familie auf diese Schlußintervention? Sechs Wochen später berichtet die Tochter, sie habe sich nicht an die Empfehlung gehalten, das käme überhaupt nicht in die Tüte (sie trotzte in der Tat schon während des Schlußkommentars). Die Eltern erzählen, schon auf der Heimfahrt sei Ihnen klargeworden, daß die Großeltern sich eigentlich ganz gut selber helfen könnten und schon sagen würden, wenn sie etwas bräuchten. Deshalb habe man die Vorschläge überhaupt nicht ausgeführt, dazu sei keine Gelegenheit mehr gewesen.
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10.3. Handlungsvorschläge Handlungsvorschläge sollten sich an das Kommentierte anschließen und es konkretisieren und zuspitzen. Drei wesentliche Formen lassen sich unterscheiden: »Mehr desselben tun«, »Etwas unterlassen« und »Etwas Neues erproben«.
»Mehr desselben tun« In diesem Fall wird empfohlen, absichtlich mehr von dem zu tun, was zwar einerseits das beklagte Problem aufrecht hält, andererseits aber auch offenbar Vorteile hat. Auf diese Vorteile muß vorher in einer positiven Umdeutung nachhaltig hingewiesen worden sein. Die Aufforderungen spitzen dann das Problemmuster zu, erscheinen absurd, halten der Familie im Kontext wertschätzender Konnotation einen Spiegel vor und machen es leichter, zu entscheiden, ob man sich weiterhin quälen, oder ob man doch etwas verändern will. Je nachdem, worauf der Handlungsvorschlag sich bezieht, kann man eher nur das Symptomverhalten oder ein größeres Interaktionsmuster rund um das präsentierte Problem verschreiben. Man kann: – einem elektiv mutistischen Kind empfehlen, absichtlich noch eine Weile weiterzuschweigen; – einem Mann mit Entscheidungsschwierigkeiten empfehlen, in der nächsten Zeit Entscheidungen absichtlich noch besonders lang herauszuziehen, aber mit seiner Freundin ausgiebig über die Vor- und Nachteile der Optionen zu sprechen; – einem Paar mit Sexualproblemen für ein Vierteljahr verbieten, miteinander zu schlafen; – einem Psychotiker empfehlen, vorläufig weiterhin unklar und mehrdeutig mit seinen Familienangehörigen zu kommunizieren, dies vielleicht sogar für eine Weile noch zu steigern und so weiter.
»Etwas unterlassen« Am deutlichsten steuert die »Unterlassungsintervention« eine Phase von Instabilität und Fluktuation im System an. Es soll Kreativität freigesetzt werden, die zur Entwicklung von etwas Neuem erforderlich ist. Vor der Ungewißheit dieser Phase schrecken oft Klienten, aber auch Therapeuten zurück. Bei der Musterunterbrechung wird sie erwartet, ja, begrüßt. Daher wird die Schlußintervention meist mit der Ankündi-
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gung von Irritationen und Veränderungen eingeführt, die keiner, auch die Therapeuten nicht, voraussehen könne. Nach der Anerkennung bereits gefundener Problemlösungen wird bei der Musterunterbrechung im Kommentar meist eine Verhaltensaufgabe gegeben, die darin besteht, bestimmte Handlungen zu unterlassen, die bislang tragend für das bisherige Muster waren. Das Konzept der Musterunterbrechung wurde von einer Arbeitsgruppe des Teams des Instituts für Familientherapie, Weinheim weiterentwickelt (Ellebracht et al. 1993, Brunner u. Lenz 1993, Osterhold u. Lenz 1994) und vor allem für die systemische Paartherapie ausführlich beschrieben (Lenz et al. 1995). Ellebracht et al. 1993 berichten von dem Fall eines Paares, bei dem der Mann unter der Zwangsvorstellung litt, seine Partnerin zu töten. Täglich und nächtlich quälten ihn diese Gedanken und Phantasien. Eine seit fünf Jahren laufende psychoanalytische Einzeltherapie zeigte keinen Effekt, der Psychoanalytiker drängte darauf, daß das Paar sich trennen solle, ein Ansinnen, das beide weit von sich wiesen. Im ersten Gespräch zeigte sich schnell, daß die Symptomatik ein fester Bestandteil des Lebens des Paares war. Sehr viel Zeit, Energie und Aufmerksamkeit wurden auf Gespräche über »das Problem« verwendet. Ein Leben ohne die Symptomatik war für beide kaum noch vorstellbar. Die (gekürzte) Schlußintervention lautete in diesem Fall: »Wir sind bereit, Sie darin zu unterstützen, daß sich Ihr Wunsch, ohne die Zwangsvorstellungen zu leben, erfüllen wird. Wir möchten Sie aber warnen: Wir können die Zwangsvorstellungen nicht aus Ihrem Leben und Ihrer Beziehung entfernen, ohne daß sich Ihr Leben insgesamt ändern wird. Sie müssen mit großen Veränderungen … rechnen. Keiner, auch wir nicht, kann … voraussagen, wie diese Veränderungen aussehen werden. Es ist sogar möglich, daß Sie sich nach erfolgreicher Therapie trennen … Wollen Sie dennoch diese Therapie? Überlegen Sie es gut! (Beide antworten spontan mit einem entschlossenen Ja.) Gut, wir werden Ihnen dann eine Verhaltensaufgabe bis zum nächsten Gespräch in vier Wochen geben. Es wird sehr, sehr schwer für Sie sein, sich daran zu halten, und der Erfolg der Therapie wird von Ihrer … Mitarbeit abhängen. Dazu brauchen Sie eine hohe Motivation, ohne die es nicht gehen wird. Wir sind noch nicht überzeugt, daß Sie die notwendige Motivation mitbringen, aber das wird sich ja zeigen. Die Aufgabe wird Ihr Leben umkrempeln, und deshalb wird sie so schwer zu erfüllen sein.« Bis zur nächsten Sitzung in vier Wochen wird dann verschrieben, daß beide in ihren Gesprächen und Handlungen alles unterlassen, was im weitesten Sinne mit der Symptomatik zu tun hat: keine Diskussion mehr, keine Absprachen. Der Mann soll sich verhalten, als ob es das Problem nicht gäbe. Das Paar wird verabschiedet mit der Aufforderung, sich in den nächsten Tagen zu melden, ob sie sich daran halten wollten oder nicht. Im anschließenden Therapieverlauf zeigt sich, daß nach relativ kurzer Zeit die Symptomatik keine Rolle mehr spielte, sich jedoch erhebliche Turbulenzen in der Beziehung der beiden Partner ergaben, die bisher festen Rollen (der Mann als problematischer Patient, die Frau als »makellose«, erfolgreiche Anwältin) drehten sich um, der Prozeß mündet mehr und mehr in einen Zustand, der von den Therapeuten
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als »normale Beziehungskrise« beschrieben wird. Diese mündete schließlich in eine einvernehmliche Trennung.
»Etwas Neues erproben« Soweit auch oder hauptsächlich etwas »Neues zu tun« empfohlen wird, geben Handlungsvorschläge Raum zum Experimentieren. Das leuchtet schnell ein, hat aber einen Haken: Neues kann Angst machen, weil es unvertraut ist. Deshalb kombinieren die meisten Handlungsvorschläge Vertrautes und Neues zu verschiedenen Formen von Experimenten. Einige solcher Formen können sein: 1) Veränderungen zeitlich noch hinausschieben Es kann Klienten empfohlen werden, bestimmte Veränderungen, mit denen sie spontan schon begonnen haben, absichtlich noch hinauszuschieben, das Neue absichtlich »noch nicht« zu tun, eine »zu schnell angelaufene« Entwicklung zu bremsen (»Die Notbremse zu ziehen, nicht mit dem ICE durch die Familiengeschichte zu fahren«), der Lust auf Veränderung vorläufig noch zu widerstehen. Eine Variante davon kann die Empfehlung an eine Familie oder ein Team sein, von bestimmten Veränderungen, über die in der Sitzung gesprochen wurde, bereits zu träumen und sie sich auszuphantasieren, aber bis zur nächsten Sitzung davon noch nichts in die Tat umzusetzen – auch wenn es schwerfällt. 2) Bislang gleichzeitig Getanes künftig nacheinander tun (»gerade und ungerade Tage«) Viele Probleme in Systemen haben mit ungelösten Ambivalenzspannungen zu tun, die erfordern, daß widersprüchliche Dinge gleichzeitig getan werden sollten: als Jugendlicher gleichzeitig ganz viel Zeit mit den Eltern und ganz viel Zeit mit der Freundin verbringen, ein erfülltes und lebendiges Leben leben und gleichzeitig in der Trauer über die verstorbene Mutter deren Andenken zu bewahren, als Vater in der Arbeitswelt gleichzeitig ganz viel Geld heranschaffen und zu Hause mit den Kindern zusammensein und so weiter. Fast all dies läßt sich entweder nacheinander oder in Arbeitsteilung bewältigen, nicht aber durch die gleichen Personen zum gleichen Zeitpunkt. Handlungsvorschläge können Wege anbieten, diese Synchronie (»Alles gleichzeitig«) in eine Diachronie (»Eins nach dem anderen«) zu transformieren. Klassisch ist die von Selvini Palazzoli et al. (1979) erstmals vorgestellte Verschreibung der »gera-
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den und ungeraden Tage«. Ein Beispiel dazu aus eigener Praxis (J. S.): Ein 30jähriger Mann wohnt noch bei den Eltern und arbeitet in einer Werkstatt für psychisch Behinderte. Mit beidem ist er maximal unzufrieden, fühlt sich unausgelastet und unterfordert, attestiert sich ungenutzte Möglichkeiten. Zugleich, oft schon einen Halbsatz später, berichtet er, wie ihm die Möglichkeiten fehlen, daß er nicht anders kann. Beide Beschreibungen bietet er dauernd in ganz schnellem Wechsel an. Am Ende des Gesprächs wird ihm empfohlen, die Woche in sieben Tage einzuteilen. Am Montag solle er sich verhalten wie ein junger Mann mit vielen Möglichkeiten, am Dienstag wie einer aus der Behindertenwerkstatt, am Mittwoch als Mann mit eigener Meinung und eigenen Plänen, am Donnerstag als heranreifender Frührentner, am Freitag als ein Mann mit Kompetenzen, abgeschlossener Berufsausbildung, der vielleicht auch für Frauen interessant sein könnte, am Samstag wieder als völlig abhängiges und hilfloses Kind, das sich zu Hause von Mama versorgen lassen muß. Nur den Sonntag – den solle er so gestalten, wie er wolle.
3) Kleine Variationen des Problemverhaltens Man kann empfehlen, ein symptomatisches Verhalten oder größeres Problemmuster vorläufig noch beizubehalten, aber kleine Variationen bezüglich Raum, Zeit, Ablauf oder beteiligten Personen vorzunehmen. Beispiele: – Einer Familie mit vier bettnässenden Söhnen wurde zunächst geraten, daß die Jungen an einem Abend sich gemeinsam rund um ein Bett versammeln und dann absichtlich und gemeinsam hineinpinkeln sollten. Bezüglich des Abziehens und Waschens der nassen Bettbezüge war die Empfehlung, daß sie in Woche 1 von Mutter, in Woche 2 von den Söhnen, in Woche 3 vom Vater abgezogen und in die Waschmaschine gesteckt werden sollten. – Einem Vater, der abends zum Leidwesen von Frau und Kindern stets in einer Weise in den Keller zu seinem Computer verschwand, daß unklar blieb, ob er dort unten Besuch wünsche oder nicht, sollte sich von seinen Kindern eine Ampel mit drei Signalalternativen Rot, Grün und Gelb bauen lassen um damit seine Wünsche, dort besucht zu werden, kundzutun. – Berühmt geworden ist die Aufforderung an eine Familie mit einer bulimischen Tochter, die ihr Abendessen regelmäßig ins Klo erbrach, alles einzukaufen, was zu einem abendlichen Freßanfall gehörte, dies feierlich auf ein Tablett zu stellen, dieses gemeinsam ins Bad zu bringen und es dort, ohne den Umweg über den Magen der Patientin, ins Klo zu spülen.
4) So tun, als ob (ein Problem noch bestünde oder schon gelöst wäre) Die Empfehlung an ein ratsuchendes System beziehungsweise Einzelpersonen, sich in der nächsten Zeit auch bei Abwesenheit des Problems so zu verhalten, als ob es da wäre, kann helfen, zu einer neugierigen Forscherhaltung zu gelangen. Die Aufgabe, nur so zu tun, als ob man den anderen hasse, als ob man gerade eine manische Phase
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habe oder von Kopfschmerzen gequält werde und dann zu beobachten, wie die Umwelt reagiert, kann helfen, die Interaktionsmuster zu erkennen, die sich um das Symptom herum gebildet haben. Und in dem Moment ist man ihnen schon nicht mehr so unterworfen (Madanes 1980). Einer Kopfschmerzpatientin, die sich nur mittels Kopfschmerzen den überfordernden Anforderungen anderer zu entziehen wußte, wurde empfohlen, diese Kopfschmerzen künftig schon etwas früher anzudeuten, bevor sie voll da waren, um damit ein Frühwarnsignal auszusenden, und auf diese Weise zu testen, ob sie damit der Überforderung nicht schon früher Einhalt gebieten könne.
10.4. Rituale Rituale sind Verdichtungen von Abläufen, die sich im Sinne einer komprimierten, kollektiven und symbolischen Handlung wiederholen. Als solche gehören sie in die Traditionen aller Kulturen, ja, sie stellen vielleicht auch die älteste Form der Psychotherapie dar (Gilligan 1995). In gewisser Weise ist Psychotherapie selbst auch eine Form des Rituals, das Klienten einen Statusübergang vom Problemzustand zum Nicht-Problemzustand ermöglicht und dafür einen Rahmen vorgibt (Stundenzahl, einen bestimmten Prozeß usw.). So vermuten Boscolo und Bertando (1994, S. 282), daß in der Gestaltung von Psychotherapien sich unwissentlich die Struktur von Übergangsriten reproduziert: »Therapiezeit ist auf jeden Fall eine separate Zeit, die die daran Beteiligten … sehr stark als eine Art heilige Zeit erfahren.« Rituale sind Handlungen, die zusammengefaßt, verdichtet und zugespitzt das aufzeigen, was ohnehin passiert – systemtheoretisch ausgedrückt: symbolisierte Redundanzen. Sie stellen damit eine machtvolle nichtverbale Sprachform dar (was sie für die Arbeit mit multikulturellen Systemen prädestiniert, z. B. Özelsel 1995). Ihre übliche Funktion ist das Aufrechterhalten von Ordnung, von Struktur in Sinnsystemen, also die Bestätigung dessen, was ist (s. a. Kruse u. Dreesen 1995). Diese Funktion kann auch für die Einführung und Verdeutlichung von Veränderungen genutzt werden, indem man Unerwartetes, Neues, kleine Abweichungen einführt. So kann man bei Ritualen den Zeitpunkt variieren, an dem sie stattfinden, den Ort, die Zuschauer und Mitmacher, die Handlung selbst und diese Veränderung mit einer veränderten Sinngebung verbinden (siehe Kasten S. 192). Interessant ist auch die Frage, für welche Ereignisse die Gesellschaft keine Rituale zur Verfügung stellt und sie so tabuisiert. So gibt es für
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Bestandteile eines Rituals nach Imber-Black et al. 1993: – die Wiederholung: eine bestimmte Handlung wird mehrfach ähnlich begangen. – das Tun: es wird nicht nur geredet. – das Besondere: das Tun wird aus dem Alltäglichen herausgehoben. – die Ordnung: sie haben einen definierten Anfang und ein definiertes Ende. – die Sinnträchtigkeit: sie drücken einen »Sinn« aus, der über die bloße Handlung hinausweist. – das Kollektive: sie werden gemeinsam vorbereitet und ausgeführt. Unser Alltagsleben ist reich an Ritualen. Da gibt es zum einen Mitgliedschaftsrituale. Neue Mitglieder werden mit einem Ritual begrüßt (Taufe, Schultüte, Einstandsparty), für Leistungen oder Entbehrungen geehrt (Muttertag, Bundesverdienstkreuz) oder als nicht mehr Dazugehörige verabschiedet (Pensionierung, Begräbnis). Rituale strukturieren die Zeit, ja das ganze Leben (Geburtstagsfeiern, Konfirmation), das Jahr (Weihnachten, Ostern, Urlaub) und den Alltag (Tischgebet). Vielfach sind die Rituale auf Übergänge im Lebenszyklus zugeschnitten, doch gibt es auch Rituale des Zusammengehörens: Auf regelmäßigen Konferenzen oder Fachkongressen vergewissern sich die Mitglieder eines Krankenhauses oder einer Fachgesellschaft, wer schon, noch oder weiterhin dazugehört, und mit welchem Status. Und es gibt Rituale der Machtentfaltung. Wie ein Staat bei einer Militärparade, zeigt etwa die Arbeiterschaft auf einer Demonstration ihre Stärke, die Wiener Society demonstriert beim Opernball ihren Glanz, der Klinikdirektor demonstriert bei der Klinikskonferenz, auf der er eine Stunde lang fast ausschließlich monologisiert, wer hier »das Sagen hat«. Vielfach entwickeln Gemeinschaften auch ganz eigene Rituale, über die es lohnend sein kann zu sprechen: »Wie vertragen Sie sich nach einem Streit?« – »Wie feiern Sie Geburtstage?« Es kann gerade in diesen eigenen Ritualen eine Menge Zündstoff aus den Herkunftsfamilien versteckt sein: Der Weihnachtsbaum wurde in der einen Familie immer mit Lametta geschmückt (»Ohne Lametta kein Weihnachten!«), in der anderen Familie ohne (»Lametta ist spießig!«): »Worauf haben Sie sich geeinigt?« In der Paartherapie kann es sinnvoll sein, auch nach intimen Ritualen zu fragen. Bei einem Paar stellte sich heraus, daß »Licht ausmachen« für die Frau ein Signal darstellte, daß sie gern mit dem Mann schlafen würde, während er dies als Zeichen ihres Desinteresses verstand.
Scheidung, homosexuelle Trauung, Menarche, erste Pollution und so weiter in unserer Kultur fast keine Rituale, obwohl es sich um häufige und emotional hochbesetzte Ereignisse handelt. In Therapie und Beratung kann man zunächst die Rituale eines sozialen Systems erkunden und dann fragen, wie zufrieden die Mitglieder des Systems mit ihren Ritualen sind. Dabei kann sich herausstellen,
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daß die Rituale als zu starr und rigide erlebt werden, als hohl und sinnentleert. Auf der anderen Seite kann auch ein Mangel an Ritualen beklagt werden, besonders wenn abrupte kulturelle Brüche (z. B. Migration) oder Tabus (z. B. bei homosexuellen Paaren) die Entfaltung von Ritualen behindern. Es können sich aber auch die Ressourcen eines Reichtums an flexibel gehandelten Ritualen zeigen (ausführlich dazu Imber-Black 1993). Je nach dabei deutlich werdendem »Bedarf« des Klientensystems nach Infragestellung bestehender und Anregung zu neuen Ritualen kann dann das Experimentieren mit verschiedenen Ritualformen empfohlen werden.
Spezielle rituelle Handlungen 1) Gehenlassen, sich verabschieden Man kann Klienten empfehlen, gegenständliche Symbole ihrer »alten Identität« auszusuchen wie alte Fotos, ein Spielzeug, einen besonderen Stein, die Krankenakte und ähnliches oder diese herzustellen, etwa ein Bild, einen Brief. Im nächsten Schritt wird überlegt, welches grundlegende Ritual für den Übergang am besten geeignet ist: den Gegenstand an das Grab eines Elternteils zu bringen, ihn zu verbrennen, einzugraben? Welcher Ort, welche Zeit und welche Teilnehmer sind passend? Eine Frau beschäftigte sich mit ihren Problemen, stabile Partnerbeziehungen einzugehen. Im Zuge ihrer Auseinandersetzung mit ihrem früh verstorbenen Vater entschied sie sich, seinen Ehering, den sie seit seinem Tod am Finger trug, an seinem Grab einzugraben und ihn ihm so zurückzugeben. Dies war für sie die symbolische »Scheidung von meinem Vater«. In einer Gruppe berichtet eine Frau davon, von ihrem Onkel über Jahre sexuell mißbraucht worden zu sein. Ihre Schuldgefühle hängten sich an ihre gefühlsmäßige Ambivalenz in jener Zeit und verdichteten sich zu dem Satz: »Ich bin selbst schuld!« Am Ende des Gruppengesprächs schreibt sie den Satz auf ein Papier, das anschließend mit der Gruppe gemeinsam draußen verbrannt wird.
Die Trauer um den Abschied entweder von verstorbenen Personen oder von beendeten Lebensphasen kann durch Rituale kreativ gestaltet werden – in Familien wie in Organisationen. Dazu drei Beispiele: In einer Familie, in der der getrennt lebende Vater sich das Leben genommen hat, ist es zwischen Mutter und beiden Söhnen unmöglich, sich über den Tod des Vaters zu unterhalten. Denn die Mutter ist vor allem wütend über den Suizid (»Jetzt hat er mir auch noch dies angetan«), die Söhne sind vor allem traurig. Einzig »Neutraler« ist ein Bruder der Mutter. Ich (J. S.) empfehle daher diesem Bruder, an zwei
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getrennten Abenden einmal mit seiner Schwester, einmal mit seinen Neffen zum Grab des Vaters auf den Friedhof zu gehen. Dort soll er mit den beiden Jungen über alles sprechen, was diese schon zu Lebzeiten und jetzt nach seinem Tod vermissen; mit seiner Schwester soll er am Grab über all den Ärger sprechen, den der Verstorbene ihr eingebrockt hat. Ein junger Mann hat jahrelang sehr symbiotisch mit seiner Mutter zusammengelebt. Nach Lektüre psychologischer Bücher kam er zu der Meinung, von Mutter als »narzißtisches Partnersurrogat« ausgebeutet worden zu sein, und begann eine unerbittliche Suche nach allen seelischen Verwundungen, die ihm schon von klein auf zugefügt worden sein könnten. Mutter und Schwester teilten diese Überzeugung und gingen ähnlich auf die Suche. Daraufhin wurde vorgeschlagen, bis zum nächsten Gespräch in drei Monaten möglichst viele biographische Traumata zu erkunden und aufzuschreiben; der Indexpatient, der von einer Schriftstellerlaufbahn träumt und Germanistik studiert, sollte alles aufschreiben und zu einem Buch zusammenstellen. In der Tat bekomme ich (J. S.) nach drei Monaten einen dicken Stapel handgeschriebener Anklagen und Vermaledeiungen überreicht – mit dem Kommentar, nun sei es genug, jetzt wolle man sich der Zukunft zuwenden. Der Indexpatient war drei Wochen zuvor aus der Wohnung der Mutter ausgezogen. Ein Berufsgruppenteam in einer großen Organisation soll dezentralisiert, das heißt, in einzelne Abteilungen verteilt werden. Eine Mehrheitsfraktion wehrt sich dagegen, freilich aufgrund der Machtverhältnisse erfolglos. Bei einer Organisationsberatung wird thematisiert, ob die Aufgabe des Beraters eher die Begleitung bei einem aktiv gestalteten Übergang oder die Begleitung in einem langanhaltenden Trauerprozeß sein soll. Schließlich wird empfohlen, die sechs Wochen bis zur nächsten Sitzung vorwiegend der Trauer um die verlorengegangen »guten alten Zeiten« zu widmen. Alternativ wäre eine würdevolle »Beerdigung« des alten Berufsgruppenteams denkbar; dazu erscheine es mir (J. S.) aber noch zu früh. Beim nächsten Mal höre ich, daß eine Kollegin im alten Bürogebäude weiße Leinentücher über die Büromöbel gelegt habe und auf den Sekretariatsschreibtisch einen Friedhofsblumenstrauß. Seitdem wolle niemand dort mehr arbeiten; alle hätten mit viel Energie an ihren Umzügen auf die neuen Abteilungen gearbeitet.
2) Unterschiedliche Glaubenssätze und Ideen erproben Wenn ein soziales System zwischen widersprüchlichen Ideen über das Problem und die mögliche Lösung schwankt, dann kann man empfehlen, in mehr oder weniger stark ritualisierter Form mit beidem zu experimentieren. Eine junge Familie kommt mit ihrem als »hyperaktiv« diagnostizierten fünfjährigen Sohn. Die Eltern fragen sich nach dem »Warum« und schwanken zwischen drei Erklärungskonzepten des als unerträglich aufmüpfig, unruhig und anstrengend beschriebenen Jungen, die in folgender Reihe favorisiert werden: (1) »eine körperliche Störung unklarer Herkunft«, (2) »wir haben alles falsch gemacht in der Erziehung«, (3) »das ist sein Temperament, so ist er einfach«. Ich (J. S.) empfehle ihnen, in neun Wochen wiederzukommen und bis dahin den Sohn je drei Wochen so zu behandeln, als habe er eine körperliche Störung unklarer Herkunft (Woche 1–3), als hätten sie in der Erziehung alles falsch gemacht (Woche 4–6) und als sei er einfach eben so (Woche 7–9). Beim nächsten Gespräch berichten die Eltern, sie hät-
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ten sich entschlossen, dem Sohn deutlicher Grenzen zu zeigen. Das sei sehr anstrengend, habe aber gute Ergebnisse gebracht. Nur hätten sie die 3 mal 3 Wochen gar nicht auseinanderhalten können: selbst wenn er eine körperliche Störung habe und selbst wenn dies sein Temperament sei, könne man ihm einfach nicht alles durchgehen lassen.
3) Geben und Nehmen In der tiefenpsychologischen Literatur ist der Begriff »Übergangsobjekt« (z. B. Winnicott 1989) seit langem gebräuchlich. Übergangsobjekte bilden eine Brücke, die eine alte Beziehung in eine neue Entwicklungsstufe hineinnehmen hilft. In der ursprünglichen Bedeutung geht es um ein Symbol für die Mutter, das dem Kind die Ablösung von ihr erleichtert. Im therapeutischen Kontext können beispielsweise Fotos, Steine oder Bilder diese Funktion übernehmen. Jeder Gegenstand, der für die Familie Bedeutung gewonnen hat, kann diese Funktion erfüllen (z. B. ein Schusteramboß als Symbol für die Tradition einer Handwerkerfamilie). In Trennungsprozessen kann es helfen, wenn die sich Trennenden ein Symbol finden für das, was konstruktiv und bereichernd in der Beziehung gewesen ist. Eine angstbesetzte Prüfung läßt sich leichter überstehen mit einem Talisman, einem kleinen Stein oder Gegenstand, der einem vom Therapeuten geschenkt wurde und den man in der Hand halten kann, wenn man befragt wird. 4) Ritualisierte Muster- und Symptomverschreibungen Wenn man das Symptom und seine interaktionelle Einbettung als Ritual erkundet, dann kann man das, was dort ohnehin abläuft, bewußt verschreiben. Tut man dies in einem Kontext wertschätzender Konnotation, werden neue Lösungen möglich. »Intensivpflegetag«: Eine Patientin eines sozialpsychiatrischen Dienstes leidet an multiplen psychischen und körperlichen Beschwerden, wegen derer sie in ein ambulantes »Intensivbetreuungsprogramm« kommt. Der Betreuer ist durch die permanente Klagsamkeit der Klientin genervt. In einer Supervision wird deutlich, daß die in ihrer Kindheit wahrscheinlich sexuell mißhandelte Patientin durch ihre Beschwerdeklagen zugleich viel Zuwendung bekommt, aber sich jegliche sexuelle Avancen vom Leibe hält. Das Problem ist nur: keiner betreut sie gern, weil ihre Dauerklagen so auf die Nerven gehen. Das Team beschließt daher das Ritual eines monatlichen »Intensivpflegetages«. An diesem Tag bekommt die Patientin Rund-Um-die-Uhr-Pflege gleich durch zwei professionelle Betreuer und zwei Mitbewohner; sie wird in jeglicher Hinsicht gepflegt und verwöhnt. An den anderen Tagen wird bescheidenes Standardprogramm gefahren. Folge: Die Patientin genießt diese »gesicherte« Zuwendung außerordentlich und klagt in der Folgezeit weitaus weniger. »Notaufnahme«: Ein Dreizehnjähriger ist nach acht Jahren bei der Mutter in Norddeutschland zum geschiedenen Vater in Süddeutschland und dessen Mutter
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umgezogen. Die neu entstandene Oma-Vater-Sohn-Familie freut sich, beschnuppert sich, ist aber gegenseitig auch voller Mißtrauen. Es kommt zu Streits und gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Vater und Sohn. Vater schaltet die Kinder- und Jugendpsychiatrie ein, droht mit stationärer Aufnahme. Immer wieder geschieht nun folgendes: Zu Hause herrschen körperliche Bedrohungen, die Jugendpsychiatrie wird angerufen, beim Gespräch ist die Lage oft schon wieder entspannt oder das Gespräch fällt aus, weil »der Junge heut morgen eine Biologiearbeit schreiben muß«. Den Behandlern wird klar, daß die Jugendpsychiatrie Teil eines Rituals geworden ist – die Drohung mit ihr reicht, um zu Hause wieder »abzurüsten«. In einem Brief schlagen wir daher vor: »Wenn es zu Hause wieder Streit gibt, rufen Sie uns bitte sofort an. Wir reservieren Ihnen dann einen Gesprächstermin eine Woche später, mit sofortiger stationärer Aufnahmemöglichkeit. Sie rufen uns drei Tage vor dem Gesprächstermin an, ob die Terminvereinbarung ausgereicht hat, oder ob Sie das Gespräch noch zusätzlich brauchen.« Von da ab kommt keine Chaosmeldung mehr, lediglich eine Silvester-Grußkarte drei Monate später.
Ritualisierte Musterverschreibungen schaffen eine zugleich humorvolle und absurde Zuspitzung: sie »machen deutlich, was läuft«, erkennen dies als sinnvoll an und erzeugen einen gewissen Druck, »diesen Blödsinn so nicht weiterzumachen«. 5) Dokumentation als Ritual Man kann den Klienten empfehlen, Testamente und Zeugnisse ihrer Interaktionen zunächst anzufertigen und dann zu studieren. Etwa kann man einem »verbal gewalttätigen Vater« vorschlagen, im Wohnzimmer immer auf den Aufnahmeknopf eines bereitstehenden Tonbandgerätes zu drücken, wenn es »wieder losgeht«, und sich die Aufnahme hinterher allein oder mit seiner Frau anzuhören. Man kann auch einer Familie das Videoband einer Therapiesitzung mit nach Hause geben. Beides bewirkt, daß das System sich intensiver selbst zu beobachten beginnt und die eigenen Redundanzen wahrnimmt. In Arbeitsfeldern, in denen Klientenakten zur Tradition gehören (z. B. Sorgerechtsgutachten, Jugendgerichtshilfe, Sozialamt, Psychiatrie, stationäre Jugendhilfe) stellt es eine enorme Intervention dar, Gutachten und Berichte über Klienten(familien) mit diesen gemeinsam zu schreiben oder zumindest von vornherein mit den Klienten zu verabreden, ihnen hinterher eine Kopie des Berichtes oder Gutachtens zu geben. Ähnlich interessant ist es, Klienten zu ermuntern, Einblick in ihre eigenen Behandlungsdokumente zu nehmen und mit den Behandlern in einen Diskurs über unterschiedliche Wahrnehmungen zu treten, die den Übergang in eine neue Identität als »Gesunde/r« dokumentieren. Ein schönes Fallbeispiel dazu findet sich in Roberts (1993).
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6) Hilfsmittel für Rituale Bestimmte redundante Sätze können auch als Sprech- oder gar Gesangs-Chöre inszeniert werden. In einem Workshop zur Arbeitszufriedenheit »Wie dekonstruiere ich meinen Job« (Schweitzer 1992) wurden die Teilnehmer eingeladen, zunächst individuell aufzuschreiben, welchen inneren Satz sie sich selbst aufsagen müßten, wenn sie sich bezüglich ihrer Arbeit maximal hilflos, unglücklich, einflußlos fühlen wollten und was sie zu sich sagen müßten, wollten sie mit mehr Mut und Energie ihrer Arbeit gegenübertreten. Anschließend wurden ein »Problemchor« und ein »Lösungschor« gegründet. Ein einzelner »Zuhörer« nannte zunächst seinen »Problemsatz«, hörte sich dann die »Problemsätze« aller Chormitglieder an und wählte denjenigen aus, der ihn/sie am meisten runterziehen würde. Dieser Satz wurde dann vom ganzen Chor intoniert – wahlweise als Sprechchor oder Gesang, laut oder leise, schnell oder langsam, jedenfalls immer und immer wieder, mindestens zehnmal. Nach einigen Durchgängen wurde unterbrochen und der Zuhörer nach seinen inneren Reaktionen gefragt. Meist zeigt sich folgender Ablauf: zunächst versinkt er/sie zunehmend tiefer in Depression, irgendwann geht diese über in aufkeimenden Ärger darüber, »sich selbst so runterzuziehen«, schließlich in den Impuls, »das so nicht mehr mit mir zu machen« (oder machen zu lassen).
Rezepte sind eine weitere Möglichkeit, kreativ mit Ritualelementen zu spielen. Hier läßt sich die Vorerwartung vieler Menschen nutzen, indem ihnen explizit ein Rezept gegeben wird – etwa die Aufgabe, an sechs Tagen in der Woche dreimal täglich jeweils fünfmal hintereinander zu sich selbst zu sagen: »Ich bin nichts wert« und nur an einem Tag ohne Wiederholung: »Selbst ich könnte liebenswert sein.«
10.5. Ordeals Jay Haley (1989) hat, angeregt durch die Arbeit Milton Ericksons, eine bestimmte Klasse von Ritualen unter dem Begriff »Ordeal« zusammengefaßt. Ordeal bedeutet im Deutschen soviel wie: Tortur, Roßkur, Feuer- oder Nagelprobe. Ein therapeutisches Ordeal besteht darin, daß einem von einem Symptom geplagten Menschen eine Aufgabe auferlegt wird, die zwar konstruktiv für den Betreffenden ist, doch aufwendiger, schwieriger und unangenehmer als das Symptom selbst. Es soll eine wohlgemeinte Qual hervorrufen, die größer ist als die vom Symptom verursachte. Das Ordeal soll kurz nach oder während des Auftretens des Symptoms ausgeführt werden. Die Grundidee ist: Wenn man es einem Menschen schwerer macht, ein Symptom zu haben, als es aufzugeben, wird er es eher aufgeben. Damit eine solche Roßkur therapeutisch wirkt und nicht zu einem Instrument von Therapeuten-
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Sadismus oder Klienten-Masochismus verkommt, sind wichtige Voraussetzungen zu erfüllen: – Es muß in einem therapeutischen, nicht ausbeuterischen Kontext eingesetzt werden, in dem nur der Klient, nicht der Therapeut einen Nutzen von der Ausführung des Ordeals hat, und in dem es nicht für Macht- oder Rachestrategien mißbraucht werden kann. – Der Klient muß entschlossen sein, sein Problem überwinden zu wollen, und dafür etwas zu investieren, das heißt er muß bereit sein, das Ordeal auf sich zu nehmen. – Die Durchführung des Ordeals sollte zwar anstrengend und qualvoll sein – aber das Ordeal darf keine schädigenden Auswirkungen für irgend jemanden haben, sondern sollte im Gegenteil für etwas nützlich sein. – Die Handlungen des Ordeals müssen im Bereich des Verhaltensmöglichkeiten des Klienten liegen.
Das bietet sich beispielsweise bei Schlafstörungen an: Der Klient soll nachts statt zu schlafen etwas anderes tun, was nützlich, aber unangenehm ist – beispielsweise die Wohnung putzen, Jogging oder Gymnastik machen bis zum Erschöpfungszustand (also weit über den Punkt hinaus, wo es noch Spaß macht), alle quälenden Gedanken, die ihm nachts spontan einfallen, absichtlich oder ausführlich über eine zuvor festgelegte Zahl von Stunden durchdenken. Ein wichtiger Bestandteil der Ordeal-Arbeit ist die Vorbereitung. Dabei ist es nicht notwendig, daß Klient oder Familie vorher wissen, was auf sie zukommt. Es kann sogar sinnvoller sein, wenn der Therapeut zunächst sagt, er wisse einen Weg, doch sei er sehr beschwerlich, erfordere sehr viel Mühe, mehr als derzeit das Symptom. Nur wenn sie wirklich dazu bereit wären, würde er ihm verraten, was es sei. Dieser sogenannte »Teufelspakt« testet die Motivation des Klienten, und das Ordeal ist nur dann hilfreich, wenn diese hoch genug ist. Haley stellt dabei sein Licht nicht unter den Scheffel wie in der Fallgeschichte eines schüchternen Mannes deutlich wird: »Ich sagte: ›Ich kann dieses Problem lösen und Ihnen garantieren, daß Sie sexuelle Beziehungen zu einer Frau haben werden. Aber Sie müssen zustimmen, genau das zu tun, was ich sage.‹ – ›Ganz gleich, was geschieht?‹ – ›Ganz gleich, was geschieht!‹ … In der folgenden Woche kam er wieder und schwor, er würde tun, was ich sage: ›Ich möchte mit einer Frau ins Bett gehen‹, sagte er, ›und darum bin ich bereit, alles zu tun.‹« Das Ordeal bestand dann darin, daß der Mann jede Nacht von 2–3 Uhr stehend wissenschaftliche Literatur lesen müsse, solange, bis er mit einer Frau geschlafen habe: »›Die Aufgabe ist beendet, wenn Sie mit einer Frau sexuelle Beziehungen haben, oder wenn Sie 80 Jahre alt sind, was immer zuerst eintritt‹« (1989, S. 154f).
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11. Die Arbeit mit dem Reflektierenden Team 11.1. Einen Kontext für Veränderung gestalten Das Reflektierende Team (RT, vgl. S. 38f) geht von der Überlegung aus, daß Veränderung optimal da entstehen kann, wo es »einen Freiraum für den Gedankenaustausch zwischen zwei oder mehreren Menschen gibt, und wo die individuelle Integrität beider oder aller gesichert ist« (Andersen 1990, S. 45). Verstehen hat in diesem Sinne nicht das Ziel, herauszufinden, wie die Dinge »wirklich« sind. Vielmehr wird Verstehen eher im Sinne eines aktiven »Spiels mit Bedeutungen« beschrieben. Es geht um die Herstellung eines Klimas von Kooperation, in dem assoziatives Denken, das Herstellen und Wahrnehmen von Beziehungen zwischen Dingen und Ereignissen erleichtert werden. Es geht nicht um die »Abgrenzung zwischen Selbst und Umwelt, Vordergrund und Hintergrund, Fokus und Kontext«, sondern vielmehr um die »spielerische Wahrnehmung der Verbundenheit und Vernetzung aller Dinge« (Essen 1995). Auf diese Weise lassen sich in menschlichen Systemen Entwicklungsprozesse in Gang setzen, die nicht vorhersagbar, nicht planbar sind, dafür aber lebendig und an die Bedingungen des ratsuchenden Systems optimal angepaßt. Voraussetzung ist dabei, daß die Verstehensimpulse frei von dem Bedürfnis nach aktiver oder gar manipulativer Einflußnahme eingegeben werden. Zentrale Begriffe sind daher: – – – –
Kooperation, prinzipielle Gleichberechtigung aller am Prozeß Beteiligter, Transparenz des Geschehens, das Anbieten von Komplexität, aus der sich das ratsuchende System seiner Bedürfnislage und Struktur gemäß bedient, und zwar – angemessen ungewöhnliche Konversation: weder sollte ein so großer Unterschied zu den Beschreibungen des ratsuchenden Systems gemacht werden, daß er diese bedroht, noch ein zu geringer, der nicht wirklich etwas Neues anbietet. »Es gibt so viele Ähnlichkeiten zwischen dem Austausch in freundschaftlichen Unterhaltungen und beim Atmen, daß ich das Verständnis des einen das Verständnis des anderen inspirieren lasse …Wenn wir die Atmung als Metapher benutzen, müssen wir also der Geschwindigkeit und Veränderung einer Person in ihrem Zuhören, Denken und Reden folgen. Wenn wir das nicht tun, könnte die Konversation ersterben« (Andersen 1990, S. 47f).
Die Grundstruktur der RT-Arbeit liegt darin, daß eine Trennung hergestellt und aufrechterhalten wird zwischen einem therapeutischen System, das aus der Familie (Team, Paar oder ähnlichem) und einem
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Berater besteht und einem beobachtenden System, dem Reflektierenden Team, in dem meist zwei bis vier Personen sitzen. Diese Struktur wird vorher mit der Familie besprochen und grundsätzlich nur durchgeführt, wenn alle Familienmitglieder einverstanden sind: die Möglichkeit, »nein« zu sagen, wird im RT als grundlegend angesehen. Falls kein Konsens zu finden ist, kann keine gleichberechtigte Kooperationsbeziehung entstehen. Dann wird zuerst gemeinsam nach einem Weg gesucht, der aus der Sicht aller als hilfreich erlebt wird: »Wie würden Sie die Sitzung gern nutzen?« Auch auf »unausgesprochene Neins« sollte sorgfältig geachtet werden. Das Gespräch beginnt immer im therapeutischen System, in dem die Beraterin versucht, über »angemessen ungewöhnliche« Fragen Information zu generieren und jedem Familienmitglied die Möglichkeit zu Beschreibungen zu geben. Meist nach einer Zeit von etwa 20–25 Minuten wird die Sitzung unterbrochen für eine Reflektionsphase, in der das Team im »Metalog« über die Sitzung reflektiert. Die Familie schaut dabei zu, entweder durch ein »Umschalten« der Videoanlage oder, wie heute vermehrt praktiziert, dadurch, daß das Team mit im gleichen Raum sitzt. Das ratsuchende System kann auf diese Weise die dort entwickelten Überlegungen und Entwürfe anhören, ohne sich in der Notwendigkeit zu sehen, sofort dazu Stellung beziehen zu müssen. Man kann sich das so vorstellen, als ob man an einer geöffneten Tür vorbeigeht und den eigenen Namen hört: es ist viel interessanter, stehenzubleiben und zuzuhören, als hineinzugehen und »mitzumischen«. Es gibt offenbar einen Unterschied im Erleben von gerichteter Kommunikation, die an einen selbst gerichtet ist und sofort zur Reaktion auffordert, und ungerichteter Kommunikation, die die Freiheit läßt, sich aus ihr zu »bedienen«, ohne sofort Position beziehen zu müssen. Für das Team gelten dabei nur die folgenden Regeln: – Die Teammitglieder hören einander sorgfältig zu. Dabei spricht jeder eher »zu sich selbst« als zu den anderen (natürlich ergibt sich daraus auch meist ein Gespräch), oft in der Form, daß er/sie sich Fragen stellt: Wie kann die Situation, das Problem ergänzend zur vorgetragenen Beschreibung beschrieben werden? Welche möglichen anderen Perspektiven oder Erklärungen bieten sich an? – Es wird eher vorsichtig, unsicher, suchend, »konjunktivisch« (»es könnte sein …«, »ich bin nicht sicher«) gesprochen als festlegend und diagnostizierend. Es geht ja nicht darum, die eine »richtige« und endgültige Erklärung zu finden, die es aus systemischer Sicht ohnehin nicht gibt. Vielmehr ist es die aktiv aufrechterhaltene Vielfalt, die dem ratsuchenden System helfen kann, mehrere Perspektiven gültig sein und nebeneinander existieren zu lassen und so die inneren und äußeren Dialoge (wieder) zu öffnen. Das
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Team ist so ein Modell, wie man von einer »Entweder-oder«-Logik zu einer »Sowohl-als-auch«-Logik übergehen kann (Perlesz et al. 1994). – Daraus folgt, daß abweichende Meinungen im RT nicht als Infragestellung der eigenen Position gesehen, sondern als Möglichkeiten und Anregungen begrüßt werden, weiter nachzudenken, um jeweils neue, integrierende Perspektiven zu finden. – Alles, was gesagt wird, wird aus einer wertschätzenden Perspektive heraus gesagt, Entwertungen passen nicht zum Denkmodell des RT. Dies muß nicht bedeuten, daß zwangsläufig eine »immer positive« Sprache gewählt werden muß (s. S. 176). Nach unserer Erfahrung schätzen es zumindest eine ganze Reihe von Klienten, wenn sie – etwa im Sinne der Provokativen Therapie (Farelly u. Brandsma 1986) – auch konfrontativ, klar und drastisch angesprochen werden, sofern der Kontext von Wertschätzung »stimmt«. Beispiel: Ein Paar, beide Akademiker, setzt sich mit dem Thema »Streit« auseinander. Der Umgang ist sehr liebevoll, Harmonie ist ein hoher Wert. Der therapeutische Prozeß nach der Krise der Familie (im Zusammenhang mit Verhaltensauffälligkeiten des Sohnes) hat, so sagen beide, viel Verkrampfung aus der ganzen Familie herausgenommen. Im ersten Teil des Gesprächs war mehrfach der ängstliche, sorgenvolle Blick der Frau an den Mann aufgefallen, wenn kritische Themen angesprochen wurden. Mehrere Male hatten im Gesprächsverlauf beide begonnen, sich auch kritisch gegen Äußerungen des Therapeuten abzugrenzen. Gleichzeitig fiel auf, daß vor allem der Mann sehr gelehrt über das Streiten sprach, zum Beispiel.: »Mein Vater sagte immer, ›Schimpfen reinigt die Seele‹, Streiten kann etwas sehr wichtiges sein!« Die 3. Reflektionspause beginnt wie folgt (B = Beobachter): B1: Ich würde gern einmal etwas riskieren. B2: Warum nicht? B1: O. k., ich würde gern einmal unzensiert vorlesen, was ich mir hier auf den Zettel geschrieben habe. – Da steht: »Ob das seiner Frau nicht auf den Wecker geht, wenn er so gelehrt übers Streiten redet?« »Streiten ist etwas sehr Wichtiges«, das klingt wie »Sex kann etwas Wunderbares sein, aber am richtigen Platz!« – was soviel heißt wie: bloß nicht! Und auf der anderen Seite haut er ihr ganz schön Entwertungen um die Ohren, wenn er zu ihr sagt: »Wenn du dich dann ausgetobt hast, ist wieder Ruhe!« Also, ich wundere mich, daß sie da nicht stinkwütend ist auf ihn, aber nein, sie lächelt.– Darüber habe ich viel nachgedacht und mir auf meinem Zettel ganz dick das Wort »Ursprungsfamilie« unterstrichen! Ich habe vorhin mehrfach einen Blick der Frau an ihren Mann gesehen, der sehr ängstlich auf mich wirkte, wenn es um kritische Themen der Familie ging und gedacht: die hat ganz schön Angst vor ihm. Jetzt habe ich ein neues Bild, daß er vielleicht auch Angst vor ihr hat, daß die aber besser versteckt ist. Ich fände es interessant, zu besprechen, welche Regeln beide über das Streiten und Auseinandersetzung in ihren Herkunftsfamilien gelernt haben. Streiten ist, glaube ich, ein dickes Tabuthema. B3: Glaube ich nicht. Frau W. scheint doch sehr interessiert an einer Veränderung zu sein. Sie sagt: »Wir sollten es mal probieren!« B1: Da bin ich skeptisch: Solange da noch Regeln aus den Herkunftsfamilien gültig sind, die Streit verbieten, fürchte ich, geht das nicht gut!
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B2: Also ich sehe das ganz anders: Wir haben hier doch erlebt, wie beide sich dem Therapeuten gegenüber abgrenzen konnten und ihren Ärger sagen konnten. Ich traue es beiden zu, konstruktiv zu streiten, wenn sie das wollen. B3: Ich denke auch, daß sie das könnten, falls sie das wollen, und ich finde, so das muß jedes Paar für sich entscheiden. B1: Ist ja interessant: Die beiden Frauen meinen, sie könnten, wenn sie wollten, der Mann ist eher skeptisch! (alle lachen, auch das Ehepaar). In der auf diese Pause folgenden letzten Gesprächssequenz reagiert das Paar sehr angeregt, eine ganze Reihe von Streitgeschichten aus den Herkunftsfamilien und ihre Wirkung auf die Gegenwart werden deutlich. Th: Gab es etwas, was besser nicht hätte gesagt werden sollen? Herr W.: O nein, im Gegenteil, es war sehr erfrischend, am Anfang habe ich noch gedacht: Was soll das, das ist so harmlos, so ein positives Getue, aber was jetzt gesagt wurde, da kann ich viel mit anfangen! Frau W.: Mit dem Wort Streit-Lust kann ich viel anfangen. Ich habe richtig Lust, damit zu experimentieren!
Die Reflexion sollte nicht zu viel Zeit in Anspruch nehmen (ca. 5–10 Min.) und nicht durch zu viele Ideen verwirren. Reiter (1991) beispielsweise Reiter et al. (1993) schlagen sogar vor, das RT bewußt eher als »fokussierendes Team« zu gestalten (besonders bei schwerer gestörten Patienten) und sich in der Reflexion auf bestimmte ausgewählte Aspekte zu beschränken, die vorher mit der Familie besprochen werden. Anschließend sorgt der Berater dafür, daß jeder aus dem ratsuchenden System auf das Team reagieren kann. Es bieten sich dazu Fragen an, sie sollten natürlich nicht schematisch immer an jeden gestellt werden:
Gibt es in dem, was Sie gehört haben, etwas, wozu Sie etwas sagen möchten, worüber Sie weiter sprechen möchten? Gab es etwas, dem Sie gar nicht zustimmen konnten, worüber besser nicht gesprochen worden wäre? Gibt es etwas, was Ihnen gefehlt hat?
Die letzte Frage kann auf Aspekte hindeuten, die vom Team gar nicht angesprochen wurden. Vielleicht hat jemand in der Familie in eine ganz andere Richtung gedacht und interessante neue Bedeutungszusammenhänge hergestellt. Das ist, so vermutet Andersen (1990, S. 55f), vielleicht sogar der wichtigste Aspekt der Reflektionsphase – daß die Mitglieder des ratsuchenden Systems die Möglichkeit haben, mit sich selbst zu reden, während sie dem Team zuhören. Insgesamt wird ein 60- bis 90minütiges Gespräch etwa zwei bis dreimal für eine Reflexionsphase unterbrochen. Das »letzte Wort« sollte auf jeden Fall die Familie haben. Abschließend wird über die Wünsche in bezug auf die Zukunft gesprochen: Weiß das »festgefahrene System«
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schon, ob es noch einmal kommen möchte und wann? Oder wollen sie noch darüber nachdenken und anrufen? Auch hier soll der Rahmen durch ein Klima partnerschaftlicher Kooperation bestimmt sein. Wenn diese basalen Regeln beachtet werden, kann das RT keinen Schaden anrichten und kann im Gegenteil eine große Vielfalt von Möglichkeiten bereitstellen. Vor allem die offene Art des Umgangs wird von vielen Klientensystemen als sehr angenehm empfunden: »You don’t expect professional psychologists, psychiatrists, whatever, to give you their opinion … it’s like you get the secret inside information« (Antwort in einer Klientenbefragung durch Smith et al. 1993).
11.2. Das Spiel mit der Reflektierenden Position Um dem Eindruck entgegenzuwirken, es handle sich bei der RT-Arbeit um eine »Luxustherapie«, die mit großem Aufwand nur für wenige Klientensysteme bereitstellbar ist, hier noch ein paar Argumente: Es ist sicher richtig, daß es noch dauern wird, bis auch Träger, Institutionen und so weiter den Wert schätzen lernen, den eine personalaufwendigere, aber von der erforderlichen Sitzungsanzahl her weitaus weniger intensive Beratungsarbeit bedeutet. Vielfach lassen sich Institutionen versuchsweise auf einen »RT-Tag« pro Monat oder sogar pro Woche ein, an dem das Team mit dieser Arbeit experimentiert, oder es finden sich privat praktizierende Kollegen für einen regelmäßigen Experimentiertermin zusammen. Aber auch mit weniger personellen Möglichkeiten lassen sich reflektierende Positionen verwirklichen: Bei zwei Therapeuten kann einer das Gespräch führen, der andere es beobachten, das Reflektionsgespräch führen dann beide Therapeuten vor der Familie. Genauso ist auch möglich, daß beide das Gespräch führen und sich dann zu einem »Meta-Dialog« (Hargens 1995b) zusammensetzen. Ein Beispiel: »Ich möchte kurz mit dir über eine Sache sprechen, die mir im Kopf herumgeht. Wenn ich so höre, was Herr Meier erzählt, könnte ich den Eindruck habe, er würde meinen, er sei ein hoffnungsloser Fall. Wenn er uns heute hier mehrmals fragt: Können Sie mir helfen? könnte ich auf die Idee kommen, er hätte keine klare Idee, wie er sein zukünftiges Leben gestalten würde. Ich könnte mich ungeheuer aufgerufen fühlen, ihn auf einige seiner Stärken hinzuweisen. Ich könnte denken, ich müßte gut sein, ich müßte ihn kurieren, ich müßte ihn bei der Hand nehmen und ihm den Weg zeigen. Ich hätte auch schon ganz interessante Ideen. Ich könnte ihm beispielsweise empfehlen, seine Frau und seine beiden Kinder zu befragen, was sie sich von ihm erwarten und wünschen würden und dann könnte er … aber nun wäre ich schon fast dabei … Genau dieses ›verantwortlich fühlen‹ würde
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es mir jetzt schwermachen, aufmerksam zuzuhören. Wie siehst du das? Wie kann ich da raus?« (Hargens 1996).
Schließlich läßt sich sogar, wenn der Therapeut allein ist, ein Reflexionsgespräch vor der Familie durchspielen, indem man die eigenen ambivalenten Anteile zu Wort kommen läßt oder, und das ist besonders spannend: man bittet die Familie (oder Einzelpersonen, Paare) auf einen anderen Platz, setzt sich ebenfalls um und führt, nachdem das ratsuchende System so zum reflektierenden Team geworden ist, einen Metalog über das gemeinsame Gespräch. Dies kann zu sehr interessanten neuen Perspektiven führen. Kritisch ist zum RT-Ansatz anzumerken, daß das wenig strukturierte Angebot das ratsuchende System mit zuviel Komplexität überfordern könnte. Die Schlußintervention bietet durch Fokussierung und durch evtl. Handlungsaufforderungen hier mehr Möglichkeiten der Komplexitätsreduktion und auch der Intensivierung an die Hand. Lenz et al. (1995) vermuten aus diesem Grund, daß für Systeme in akuten Krisen und für Familien mit schizophrenen Mitgliedern das RT nicht geeignet ist. Manche Familien nutzen auch offenkundig das Angebot des Teams nicht als Anregung, sondern als Bewertung, gegen die sie sich abgrenzen müssen, auch hier liegt möglicherweise eine Kontraindikation vor (Wetzig 1992). Ein Beispiel, das den Kontrast der Möglichkeiten der Arbeit mit Schlußinterventionen und mit dem RT gut verdeutlicht: Bei einem gemeinsam durchgeführten Lehrauftrag an der Universität Leipzig führten beide Autoren in zwei Halbgruppen mit zwei Rollenspielfamilien parallel Familiengespräche nach dem RT (A. v. S.) und nach dem Heidelberger Konzept (J. S.). Zu Beginn des zweiten Gespräches wechselten die Therapeuten, und die Rollenspielfamilien wurden aufgefordert, sich wieder in die Situation zu versetzen, als hätten sie noch keinen Termin gehabt, was (in Grenzen) gut gelang. So konnten die Zuhörer an beiden »Familien« gut den Unterschied der beiden Methoden verfolgen. Die Rückmeldungen der Familien waren interessant: beide erlebten das Interviewverhalten des Therapeuten ähnlich und fühlten sich gut aufgehoben. Die Unterbrechungspause vor der Schlußintervention wurde jedoch als unangenehm beschrieben »Was reden die da über uns?«, während die Offenheit des RT-Settings als angenehmer Kontrast wirkte. Die durch die Schlußintervention gesetzte Verbindlichkeit wiederum gab der Familie jeweils viel Sicherheit, im Gegensatz zu der vagen und offenen Vereinbarung im RT, die die Familie nur wenig »an die Hand« nahm.
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12. Der äußere Rahmen: Kontrakte, Ziele, Verläufe 12.1. Wie oft, wie lange? Sitzungsabstände und Gesamtdauer In der systemischen Beratung wird davon ausgegangen, daß die entscheidenden Prozesse nicht während der Sitzung selbst geschehen, sondern zwischen den Sitzungen. Dem ratsuchenden System soll ein signifikanter Impuls gegeben werden: »Anstoßen statt Durcharbeiten«. Im Batesonschen Sinn geht es um eine Information, die einen bedeutsamen Unterschied zu den bisherigen Beschreibungen des Systems macht (von Schlippe 1991). Wenn dieser Unterschied bedeutsam ist, so wird sich dies in einer veränderten Art zu kommunizieren niederschlagen. Denn da zwei Menschen nicht in identischer Weise auf das Geschehen in der Therapie reagieren können, werden die einzelnen nach der Sitzung auch unterschiedlich und neu aufeinander reagieren. Der eine kommuniziert mit dem anderen anders als gewohnt, der wiederum nimmt diesen neuen Input auf und reagiert darauf verändert usw. Durch diese neuen Feedbackschleifen, diesen »Wirbel von Rückmeldungen« (Selvini Palazzoli 1983/4) kann ein sogenannter »Runaway« im System einsetzen, die Interaktionen gruppieren sich um einen neuen Attraktor, und die Interaktionsregeln ändern sich. Die Veränderung braucht jedoch Zeit, um sich im System auszubreiten. Es ist daher sinnvoll, zwischen den Sitzungen längere Zeitintervalle verstreichen zu lassen (i. d. R. mindestens 3–4 Wochen), um den verändernden Informationen Gelegenheit zu geben, sich »durch das System hindurchzuarbeiten«. Erst nach einiger Zeit kann man sehen, ob sich tatsächlich neue Muster entwickelt haben, oder ob die Veränderungsimpulse »geschluckt« worden sind. Als Faustregel läßt sich sagen, daß je heftiger die Veränderungstendenzen im Klientensystem sind, desto enger auch die Abstände zwischen den Sitzungen gewählt werden sollten; je schleppender die Veränderung verläuft, desto länger sind die Abstände zwischen den Gesprächen. Es gibt noch einen wichtigen Nebeneffekt längerer Abstände, auf den nur selten hingewiesen wird: Auch die Ankündigung von Dauer und Frequenz stellt (wie jede Handlung des Therapeuten) selbst eine Intervention dar. Das Angebot weitabständiger Sitzungen fungiert als eine Definition, in der die Autonomie des ratsuchenden Systems akzentuiert wird. Die therapeutische Beziehung wird weniger als dauerhafte »Krücke« für einen nicht allein gehfähigen Partner definiert, sondern
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vielmehr als Anreger und Impulsgeber im Rahmen einer erwachsenen Kooperationsbeziehung gesehen. Therapeutischer Erfolg muß nicht mit einer hohen Dichte therapeutischer Sitzungen einhergehen nach dem Motto »je mehr, desto besser« (dafür gibt es auch keine empirischen Belege). Wenn das Entscheidende nicht in der Sitzung passiert, sondern zu Hause, dann können wenige, unter Umständen ja sogar schon eine Sitzung hilfreich sein. Daher ist es oft sinnvoll, eher wenige Gespräche anzubieten, diese aber über einen längeren Zeitraum zu verteilen. Systemische Therapie wurde daher auch schon als »lange Kurzzeittherapie« bezeichnet. Ein Fallbeispiel: Ein Team einer psychiatrischen Langzeiteinrichtung bat mich (J. S.) um eine Beratung bei Kooperationsproblemen im Team rund um das Thema »Schichtdienst-Dienstübergaben«. Es hatte zuvor bereits vier Jahre Supervision bei einem Supervisor anderer Ausrichtung gemacht. Ich bot maximal 10 Sitzungen zu je zwei Stunden an. Diese könnten, müßten aber nicht genutzt werden. In der vierten Sitzung wurde ein Brainstorming gemacht, was die Kolleginnen und Kollegen gern als erstes, zweites, drittes etc. an ihrer Arbeitssituation verändern würden. Als ich fragte, wie lange die Verwirklichung der Veränderung Nr. 1 (eine Verhandlung mit der weit entfernt angesiedelten Geschäftsführung über mehr Entscheidungskompetenzen) mindestens brauchen würde, war die Antwort: fünf Monate. Darauf bot ich, unter heftigem Protest des Teams, den nächsten Supervisionstermin sechs Monate später an. Bei diesem Termin hatten sich weit einschneidendere Veränderungen eingestellt als nach allen vorigen Sitzungen, unter anderem ganz andere Leitungs- und Schichtdienststrukturen sowie ein Wechsel mehrerer Mitarbeiter.
Umgekehrt kann es sinnvoll sein, in Krisenzeiten, in denen viel in Bewegung ist, die Sitzungsabstände zu verkürzen. Eine alleinerziehende Mutter kam mit ihren Söhnen in Familientherapie aufgrund der Sorge, der ältere Sohn könne so (schlimm) werden wie ihr geschiedener Mann. Nach vier Sitzungen in ein- bis dreimonatigen Abständen hatte sich diese Sorge gelegt, das Verhältnis Mutter – älterer Sohn gebessert. Wir beendeten die Therapie und verabredeten einen »Nachschautermin« acht Monate später. Nach fünf Monaten kam ein »Brandanruf«: Der Vater hatte Selbstmord begangen – die größte Befürchtung der Mutter war eingetreten, neue Ängste über ihren Sohn wurden wach, und auch die Mutter berichtete über akute Suizidtendenzen. In dieser Situation wurden ein Termin binnen einer Woche sowie eine Reihe von Kriseninterventionsmaßnahmen verabredet. Dies genügte, die Situation zu entspannen, in der Woche drauf noch mal intensiv über Möglichkeiten, es sich gut- oder schlechtgehen zu lassen, zu sprechen, verschiedene angemessene Trauerrituale zu erörtern. Ein weiterer Termin war erst zwei Monate später nötig, dort wurde dann das Ende der Therapie beschlossen.
Ein wichtiger Punkt in diesem Zusammenhang ist die Frage nach der Gesamtdauer einer Therapie. Zum »Informed Consent« (ReiterTheil et al. 1991), also der Kooperation der Therapeutin mit dem
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informierten Klienten gehört unseres Erachtens auch die Vereinbarung über den zeitlichen Rahmen. Dies wird unterschiedlich gehandhabt, auch von uns Autoren. So wird im Heidelberger Konzept (J. S.) eher eine »maximal nötige« Anzahl von Sitzungen angeboten und zwar meist zehn Gespräche, die über einen sehr variablen (evtl. mehrjährigen) Zeitraum verteilt sein können. Im Durchschnitt werden aus diesem Angebot fünf Sitzungen genutzt. In der Arbeit mit dem Reflektierenden Team (A. v. S.) wird nach jeder Sitzung ein neuer Kontrakt über die Weiterführung der Gespräche geschlossen. Hier liegen die meisten Therapien zwischen 5 und 15, selten mehr als 20 Sitzungen. Die Gesamtdauer kann je nach Art des inhaltlichen Kontraktes deutlich variieren, Beratungsarbeit nach einem »Selbstentdeckungskontrakt« (S. 114f) etwa erstreckt sich oft über einen längeren Zeitraum. Generell gilt, daß eine Entideologisierung der Langzeittherapie nicht mit einer Ideologisierung der Kürze einhergehen sollte: eine Therapie ist nicht zwangsläufig deshalb gut, weil sie kurz ist (vgl. S. 273–276) und Therapiezielvereinbarungen wie »Nachsozialisation« (Petzold 1993) sollten nicht entwertet werden, nur weil sie sich aus dem systemischen Modell selbst heraus nicht ergeben.
12.2. Einmal ist keinmal? Single Session Therapy Interessante Anstöße zur Frage der Gesamtdauer einer Therapie kamen von Moshe Talmon. Er beschrieb 1990 ein Projekt, an das er mit großer Sorge herangegangen war, nämlich in Telefonkatamnesen den Effekt von Therapiegesprächen (hauptsächlich mit Familien) zu untersuchen, die nach dem ersten Kontakt abgebrochen worden waren. Statt der erwarteten Vorwürfe seiner Klienten zeigte es sich, daß viele Klienten von wesentlichen Veränderungen bereits nach diesen Einmalkontakten berichteten (genauer: 78% berichteten von »Improvement« und »Much Improvement«). Dieser Befund steht im Widerspruch zum »common sense«, einmalig bleibende Therapiesitzungen tendenziell als Mißerfolg zu werten oder als Zeichen der Therapieunfähigkeit der Klienten. Erst später, so Talmon, habe er erfahren, daß bereits Freud und einige psychoanalytische Therapeuten nach ihm über »Single-Session-Therapies« (SST) geschrieben hatten. Die hier kurz skizzierten Erfahrungen können zu interessanten Überlegungen führen: Könnte es sein, daß die Länge einer Therapie sehr viel mehr von den Meinungen von Therapeuten und Klienten
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über diese Länge abhängig ist als von dem tatsächlich ablaufenden Prozeß? Könnte es sein, daß, ehe ein therapeutisches Wort gesprochen wurde, ehe die Therapie begonnen worden ist, gesellschaftlich vermittelte Bilder von Therapie (»Wo ist denn Ihre Couch, Herr Doktor?«) einen unmittelbaren Einfluß auf den Therapieprozeß selbst haben – und nicht nur auf den Prozeß (Länge, Intensität), sondern auch auf die Bilder von therapeutischer Macht (die beim Therapeuten liegt) und Ohnmacht des Klienten? Aussagen wie »Der Prozeß der Problementstehung hat so lange gedauert, da können Sie nun nicht eine schnelle Lösung erwarten!« wären dann so etwas wie »hypnotische Interventionen«, mit denen Therapeuten Problembilder bei sich und ihren Klienten stabilisieren und eben auch Bilder über die therapeutischen Rituale ihrer Veränderung. Entsprechend verlaufen auch die Argumentationslinien der Kritik, die Talmons Ergebnisse als »allerhöchstens Krisenintervention« oder »keine echte Therapie« bezeichnen: »Mir wurde klar, daß Therapeuten größere Schwierigkeiten haben, das Phänomen der SST zu akzeptieren als ihre Patienten« (Talmon 1990, S. 13). Talmon führten diese Überlegungen zu der Konzeption der »Single Session Therapy«. Dabei wird von vorneherein die Erwartung der Klienten darauf gerichtet, daß die Therapie kurz sein wird, etwa durch die folgende Begrüßung: »Wir haben herausgefunden, daß etwa ein Drittel der Leute, die zur Therapie kommen, bereits eine Sitzung als hilfreich und ausreichend empfunden haben. Gleichzeitig möchte ich, daß Sie folgendes wissen: Wenn Sie, sei es heute oder irgendwann in der Zukunft, meinen, daß weitere therapeutische Arbeit zu tun ist, stehen wir gern für weitere Sitzungen zur Verfügung. Einverstanden? – Gut. – O K, was möchten Sie heute für sich erreichen?« (Talmon 1990, S. 37, alle Zitate übersetzt durch uns).
Die Gespräche werden sorgfältig vorbereitet. Bereits im Telefonkontakt werden Suchprozesse angeregt, beispielsweise durch die Aufgabe, bis zum Gesprächstermin auf die Dinge zu achten, von denen der Klient gern möchte, daß sie in seinem/ihren Leben weiter geschehen sollten: »Auf diese Weise helfen Sie mir, mehr über Ihre Ziele zu erfahren, und wohin Sie gelangen möchten« (Talmon 1990, S. 19). Gerade die Haltung, die Klientin in die »One-Up-Position« zu bringen (»Sie helfen mir …«), wird als Element der Bemächtigung (»Empowering«) betont. Sie soll »Eigentümerin« sowohl der Behandlung als auch des Behandlungsergebnisses bleiben. Die Sitzung selbst wird dann mit viel Zeit und Aufmerksamkeit geführt, das Vorgehen ist ähnlich wie bei der lösungsorientierten Therapie:
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– Fokus auf die Kompetenzen der Ratsuchenden und nicht auf deren Defizite (von daher auch ein eher reservierter Umgang mit herkömmlicher Psychodiagnostik), – Beschreibung der Probleme im Sinne prinzipiell lösbarer »normaler Lebensprobleme«, – Unterbrechung der Sitzungen durch Besprechungspausen, – Schwerpunkt liegt auf Gleichberechtigung und Kooperation, – abschließende Kommentare beziehungsweise Feedback mit dem Fokus auf Anerkennung, Komplimenten, Aufgaben. Statt Diagnosen werden Reframings angeboten, die das Problem in lösbaren Begriffen reformulieren und Autonomie implizieren. Beispielsweise wird die Angst eines Klienten reframed als »Entscheidung, sich mit Bildern von Katastrophen zu erschrecken«.
Bedeutsam ist der »Last-Minute-Issue«: »Gibt es etwas, was wir bislang noch nicht angesprochen haben, von dem Sie aber gern erzählen möchten? Gibt es noch Fragen von Ihnen an uns?« (Talmon 1990, S. 49f). Oft führt erst diese Frage zu den wesentlichen, emotional hoch besetzten Themen (»Sagen Sie mir die Wahrheit, bin ich verrückt oder ist das, was ich zur Zeit durchlebe, noch normal?«).
12.3. Wen wann einladen? Teilnehmerzusammensetzungen »Die Vorgabe lautet daher nicht: Es müssen alle kommen, die am Problem beteiligt sind. Die Vorgabe lautet statt dessen: Es können alle kommen, die zu einer Lösung beitragen wollen und können« (Loth 1996).
Problemsystem und Lösungssystem müssen nicht zwangsläufig identisch sein. Während es noch vor wenigen Jahren als unabdingbar galt, die ganze Familie zur Therapie zu bekommen, so wird dies heute eher als Einladung zu symmetrischer Eskalation zwischen Therapeut und Familie angesehen, bei der letztlich das ratsuchende System verliert: Entweder es kommen alle und der Therapeut hat eine besondere Machtposition erworben (wie angenehm für ihn oder sie …), oder die Familie, beziehungsweise einzelne weigern sich »erfolgreich«, und so sind alle der Möglichkeit konstruktiver Änderung beraubt. Der Vorteil dieses Vorgehens lag darin, daß auch widerstrebende und ängstliche Personen in eine Situation gebracht wurden, die ihnen neue Erfahrungen überhaupt erst ermöglichte. Dies wird heute auf eher sanfte Art angegangen: immer wieder neu wird eine Einladung ausgesprochen auch an andere Personen, immer unter der Überschrift, daß alle eingeladen sind, die meinen, einen Beitrag zur Lösung der bestehenden Probleme mit leisten zu können. Wichtig ist es dabei, auch »Besucher«-Beziehungen (S. 37) zu würdigen (Loth 1996), also Personen, die kein unmittelbar geäußertes Eigeninteresse an Veränderung formulieren, sowohl einzu-
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laden, als auch wertzuschätzen, wenn sie kommen. Auch ihre Beschreibungen können einen wichtigen Beitrag zur Lösung darstellen. Die Frage, in welcher Teilnehmerzusammensetzung am ehesten neue Informationen und neue Impulse entstehen, kann im Verlauf der Therapie immer wieder neu gestellt werden. Entsprechend kann es sich lohnen, von Sitzung zu Sitzung teilweise andere Teilnehmerinnen einzuladen. – Bei Anorexie wird oft mit der Kernfamilie begonnen. Später, wenn Individuationsprozesse einsetzen, wird die Indexpatientin allein eingeladen, eventuell mit Freundin oder Freund. Umgekehrt kann bei Bulimie oft anfangs die Indexpatientin allein kommen (die ja ihre Symptomatik oft lange vor der Familie verheimlicht), bis sie sich traut, offen mit ihren Eltern zu reden. – Wenn die über sechzigjährigen Eltern hochmotiviert mit ihrem gänzlich unmotivierten dreißigjährigen, als chronisch schizophren diagnostizierten Sohn kommen, dann liegt oft der eigentliche Auftrag darin, zu klären, wie lange und wie viel diese Eltern noch das »Betreuungspersonal« des Sohnes spielen wollen. Wenn dies – und nicht mehr Symptomatik und Karriere des Sohnes – als Beratungsthema herausgearbeitet ist, könnte eine Klärung unter Umständen effektiver ohne den Sohn erfolgen. Allerdings wäre auch denkbar, daß er gerade dies gern mit Interesse verfolgen möchte. Umgekehrt wird es bei einem 35jährigen, frühberenteten, bislang von der Mutter mitversorgten Psychiatriepatienten eine interessante Entwicklung sein, wenn er der Mutter das weitere Mitkommen zu Therapiesitzungen »verbietet«.
12.4. Wozu »wozu« fragen? Zielklärung In der systemischen Therapie gibt es über die Bedeutung klar formulierter Zielvorstellungen ein breites Spektrum von Meinungen. Besonders die lösungsorientierte systemische Therapie (und mit ihr Hypnotherapie und NLP) sehen in der Formulierung klarer Therapieziele die Grundvoraussetzung für ihre Arbeit. Ziele helfen aus dieser Sicht dazu, vom Problemzustand zu einem Lösungszustand zu kommen – es ist leichter, sich von einer Vision anziehen zu lassen, als von einem Problemzustand wegzustreben und nicht zu wissen wohin eigentlich. Auf der anderen Seite steht die Sorge, daß Ziele ihrerseits das ratsuchende System trivialisieren. So warnte von Foerster (1988b, S. 123): »Eine zielorientierte Therapie würde rechts und links die Entwicklungsmöglichkeiten der Familie kastrieren.« Anregung und Verstörung als zentrale Prinzipien systemischer Therapie erlauben nur, »eine Familie aus ihrem Eigenverhalten heraus(zu)scheuchen, um so die Möglichkeit zu eröffnen, in einen anderen Bereich zu kommen«. Ziele sollten immer nur kurzfristig bestimmt werden, etwa über die
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Frage: »Was soll heute hier geschehen, daß Sie am Ende sagen: Das war eine gute Sitzung?« Sie sollten »kontinuierlich zur Disposition stehen« (Schiepek 1991, S. 110), also dynamisch sein. Natürlich ist es auch wichtig, in ratsuchenden Systemen die Bilder von Lösungszuständen zu erfragen, doch sollten diese als Aussagen über die gegenwärtigen Entwicklungsperspektiven gesehen werden, so daß sie nicht in die Gefahr geraten, sich zu verselbständigen. Ein Gespräch über Ziele kann beispielsweise helfen, Idealbilder von Veränderung abzuklären, die unreflektiert sonst zum Ende der Therapie das Erreichte zunichtemachen könnten (»Gemessen an dem, was wir eigentlich wollten, haben wir noch nichts erreicht!«). Zielformulierung und Zielabstimmung sind fortlaufende, sich mit dem Fortschreiten der Therapie wandelnde Prozesse (s. a. Loth 1996). Wenn man sich dessen bewußt bleibt, sind Kriterien der Zielformulierung hilfreich, wie sie etwa bei Walter und Peller (1994, S. 72ff) zu finden sind. Kriterien für eindeutig definierte Ziele (Walter u. Peller 1994, S. 82) Kriterium 1. positiv
Schlüsselwort »statt dessen«
2. prozeßhaft 3. Hier und Jetzt
»wie«, Verbform auf dem Weg sein
4. So spezifisch wie möglich 5. Im Kontrollbereich der Klientin 6. In der Sprache der Klientin
»spezifisch« »Sie«
Musterfrage »Was werden Sie statt dessen tun?« »Wie werden Sie das tun?« »Wenn Sie heute aus der Sitzung herausgehen und auf dem Weg zu Ihrem Ziel sind, was werden Sie anders machen, oder wie anders werden Sie anders zu sich sprechen?« »Wie werden Sie das im einzelnen tun?« »Verfügen Sie über Möglichkeiten, das Ziel zu erreichen?«
Worte der Klientin verwenden
Immer geht es um die konkrete Beschreibung dessen, was den Zielzustand ausmacht, statt, was ihn nicht ausmacht. »Ich will keine Angst mehr haben« ist in diesem Sinn kein positiv formuliertes Ziel; auf diese Aussage sollte zwangsläufig die Frage folgen: »Was wäre denn statt dessen da, wenn die Angst weg wäre?« Für die systemische Therapie ist dazu noch die Frage nach den ökologischen Auswirkungen von Ziel-
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zuständen bedeutsam: »Wenn statt der Angst sich Unternehmungsfreude und Abenteuerlust in Ihnen breitmachen, wer würde da am ehesten Sorge bekommen und gegensteuern?«
12.5. Einige »typische« Verläufe Es gibt bislang noch wenig systematische Forschung über charakteristische zeitliche Verläufe systemischer Therapie und Beratung. Aus eigenen unterschiedlichen Erfahrungen heraus haben wir verschiedene für uns »typische« Muster unterschieden. – Zur Arbeit mit dem Reflektierenden Team im norddeutschen Lehrpraxisverbund* (A. v. S.) können Paare und Familien an einem der etwa alle 6–8 Wochen stattfindenden Arbeitstreffen einen Termin belegen. Jede Sitzung wird neu vereinbart, vielfach entscheiden sich die ratsuchenden Systeme sofort für einen neuen Termin beim nächsten oder übernächsten Treffen. Es entwickeln sich auf diese Weise jeweils spezifische Muster von Verläufen, die ganz auf die Bedürfnisse der jeweiligen Familie zugeschnitten sind. Anfangs wird oft über drei bis fünf Sitzungen hin der jeweils folgende Termin belegt, später werden die Abstände größer gewählt. – In Familientherapien an der Universität Heidelberg (J. S.) werden vom Therapeuten mit einem kleinen Team hinter der Einwegscheibe relativ lange Sitzungen (Gesamtdauer meist zwei Stunden mit allen Pausen und Vor- und Nachbesprechungen) angeboten. Eine »Systemische StandardFamilientherapie« sieht dabei so aus: Insgesamt finden meist vier bis sechs Sitzungen statt, die ersten zwei bis vier im monatlichen Abstand. Wenn in diesen eine entscheidende Veränderung des Problemmusters geschieht, werden die beiden übrigen in größeren Abständen verabredet (drei Monate, vier Monate, sechs Monate). Dies dient der Erprobung neuer Lösungsversuche und der Angstreduktion gegenüber Rückfällen. Am Schluß wird die Familie gebeten, nach einem Jahr noch mal anzurufen, um zu erzählen, wie alles weitergegangen ist. Zu diesem Verlaufsmuster gehören die nach meinem Eindruck erfolgreichsten Therapien. »Erste und zweite Runde«: Manchmal treten in Therapien nach Abschluß oder in der »Ausdünnungsphase« nochmals kritische Ereignisse auf, die entweder die neugewonnenen Lösungsansätze verschütten und die alten Probleme scheinbar wieder »von vorne anfangen« lassen oder die die Familie mit ganz anderen Problemen konfrontieren. Dann biete ich eine »zweite Runde« an, die aber häufig kürzer ist als die erste, weil man gut auf Erfahrungen aus der »ersten Runde« aufbauen kann. – »Single Session Therapies«: Verläufe mit ein oder maximal zwei Sitzungen bleiben im günstigen Fall so kurz, weil die Klienten für neue Anregungen sehr offen sind und diese schnell und autonom umzusetzen vermögen. Im ungünstigen Fall sind sie kurz, weil das Ankoppeln zwischen Therapeut(en) * Gemeinsam mit Gesa Jürgens und Michael Grabbe
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und Familie nicht gelingt, es kommt kein über das Kennenlernen und die Bestandsaufnahme hinaus tragfähiger Kontrakt zustande. – »Unendliche systemische Therapien« beginnen bei mir (J. S.) meist jenseits der siebten oder achten Sitzung. Sie zeigen entweder an, daß in dieser Therapie keine wirklich problemlösenden Ideen erzeugt wurden. Feststellbar ist dies an den Berichten der Klienten und an den Unlust- und Lähmungsgefühlen des Therapeuten. Oder sie signalisieren, daß Therapeut und Familie einander nicht gehenlassen wollen – weil sie den Kontakt so angenehm finden oder weil die Familie ein Leben ohne Therapie nicht anvisieren mag.
Aus Supervisionen in anderen klinischen oder sozialpädagogischen Arbeitskontexten kennen wir auch andere, an den jeweiligen Kontext sinnvoll angepaßte zeitliche Verlaufsmuster. Bei Migrantenfamilien lassen sich Phasen mit hoher und mit niedriger Therapiebereitschaft unterscheiden (Sluzki 1979); im Heimkontext oder in der Sozialpädagogischen Familienhilfe, wo Kinder oder Familien über einen längeren Zeitraum betreut werden, besteht eine besondere Herausforderung darin, die Bedeutung systemischer Konzepte in diesen Rahmenbedingungen zu erarbeiten (z. B. Schindler 1996). Zwei mögliche Modelle in diesem Zusammenhang: – »Das Hausarztmodell«: Zum Hausarzt geht man, wenn man Beschwerden hat; ist man gesund, bleibt man weg. Zum Hausarzt geht man also im glücklichen Fall jahrzehntelang, aber manchmal für ein bis fünf Jahre gar nicht, und wenn, dann nur kurz. In diesem Modell ist die Familientherapeutin eher so etwas wie ein »general practitioner« (Braverman 1990). Es bewährt sich u. E. nicht nur in Arztpraxen, sondern auch in gemeindepsychologisch orientierten Erziehungs- und Lebensberatungsstellen, vor allem mit Unterschichtspatienten. Aber auch in der Führungskräfteberatung kann es sinnvoll sein. – »Patienten systemisch anbinden«: Manchmal kann es auch aus systemischer Sicht sinnvoll sein, Patienten langfristig »anzubinden«. Zum einen, wenn man ihnen nicht traut und sie auf die sanfte Art beaufsichtigen will (z. B. mißhandelnde oder vernachlässigende Eltern im Jugendamt, verwahrloste oder suizidgefährdete Klienten im Sozialpsychiatrischen Dienst), zum anderen, weil man den künftigen Einbezug immer neuer Helfer dadurch vermeiden will, daß man klarmacht: Dieser Patient ist schon versorgt – nämlich durch mich. Dieser Effekt kann bereits durch sehr weitmaschige Kontakte erzielt werden.
In Supervision, Team- und Organisationsberatung können sehr unterschiedliche Zeitabläufe sinnvoll sein: – Wenn man Trainingseffekte erzielen will, was vor allem bei der »Fallsupervision« in Aus- und Weiterbildungskontexten der Fall sein wird (vgl. S. 222–227), sollten Supervisionstermine kontinuierlich und in nicht zu großen Abständen stattfinden. – Geht es um Krisenintervention, also um die Lösung eines aktuellen professionellen Kooperationsproblems, ist wie in der Familientherapie eine Maximalzahl von Sitzungen mit variablen Abständen zu bevorzugen. – Bei Team- und Organisationsentwicklung kann es sinnvoll sein, einen entspre-
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chend langen Zeitraum der Zusammenarbeit festzulegen und nicht von vornherein eine Gesamtzahl von Sitzungen zu vereinbaren. Hier empfiehlt es sich, in vorher verabredeten Abständen Zwischenbilanzsitzungen einzulegen, in denen jeweils der inhaltliche und zeitliche Kontrakt neu festgelegt werden sollte. Gänzlich unbefristete Maßnahmen führen u. E. meist zu einer Stabilisierung konflikthafter Muster (vgl. S. 231).
12.6. Wann und wie aufhören? Der Abschluß Wann ist eine systemische Beratung zu Ende? Einfachste Antwort: Wenn das ratsuchende System der Beraterin berichtet, das beklagte Problem sei entweder hinreichend gelöst beziehungsweise gebessert oder aber man habe die Hoffnung aufgegeben, es mittels dieser Beratung zu lösen. In beiden Fällen wird die Beratung beendet, wenn auch mit sehr unterschiedlichen Empfindungen. In der Praxis ist es allerdings nur selten so, daß alle Betroffenen sich einig sind. Einzelne Mitglieder des ratsuchenden Systems widersprechen, ein Überweiser ist nicht einverstanden oder auch der Berater selbst meint, eigentlich seien noch therapeutische Schritte notwendig. Hilfreich kann es daher sein, in Zwischenbilanzen immer wieder einmal Erreichtes und gewünschte Ziele einander gegenüberzustellen, um zu vermeiden, daß Idealbilder davon, was therapeutische Erfolge ausmachen könnte, die erfolgten Schritte entwerten. Uneinigkeit im therapeutischen System ist ansonsten zu behandeln wie jeder Unterschied, dem man begegnet, nämlich mit Hilfe zirkulärer oder hypothetischer Fragen: »Angenommen, Ihr Mann ist mit dem Ergebnis der Paartherapie zufrieden, Sie aber nicht: werden Sie ihn erfolgreich zu weiteren Sitzungen bewegen können? Wenn nein: würden Sie dann allein zu weiteren Gesprächen kommen wollen? Wenn ja: würde er das begrüßen, sich darüber ärgern und dann doch mitkommen oder nicht? Angenommen, Sie bleiben sich uneinig: wird das Auswirkungen haben auf Ihre Entscheidung, ob Sie zusammenbleiben?« usw.
In vielen Fällen ist es jedoch auch so, daß die Mitglieder des ratsuchenden Systems sich noch unsicher zeigen und meinen, noch weitere Unterstützung zu benötigen. Hier können Fragen helfen, den Abschluß der Therapie vorzubereiten wie zum Beispiel: »Wie lange denken Sie, daß Sie uns noch brauchen werden?« (vgl. S. 162). Glücklicherweise erfolgt jedoch der Abschluß der Gespräche oft auch einvernehmlich, erwartet und beiderseits mit der Beschreibung einer erfolgreich verlaufenen Arbeit, auch wenn manche Maximalziele vielleicht nicht erreicht wurden. In der Abschlußsitzung wird meist
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eine Bilanz gezogen, in der noch einmal der Bogen von den Beschwerden und Erwartungen des Erstgesprächs aus geschlagen wird zu den erreichten Veränderungen. Interessant ist auch die Frage danach, was aus Sicht des Klientensystems wirksam war und wer aus dem Umfeld der Ratsuchenden Veränderungen bemerkt hat und sich eventuell seinerseits anders verhält. Persönliche Rückmeldungen der Beraterin, ein symbolisches Geschenk oder ähnliches können das Abschiedsritual bereichern. Zur Rückfallprophylaxe empfiehlt sich sowohl eine Vorhersage von Krisen als zu erwartende Lebensereignisse als auch eine Diskussion, was die Klienten tun könnten, um die schon bewältigten Probleme absichtlich wieder »einzuladen«. Die dabei genannten »Rezepte« können auf einem »Rezeptblock« schriftlich zum Aufbewahren und gelegentlichen Nachschauen mitgegeben werden. Oft wird auch ein »Nachschautermin« in 6 oder 12 Monaten verabredet, der als nicht mehr zur Beratung gehörig definiert wird, sondern der Rückmeldung über die vergangene Arbeit dient.
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IV. Vielfalt der Praxisfelder
13. Settings 13.1. Familientherapie ohne Familie: Die systemische Einzeltherapie Noch in den siebziger Jahren als familientherapeutischer »Kunstfehler« betrachtet (die Selvini-Gruppe pflegte nicht vollständig erschienene Familien unverrichteterdinge wieder nach Hause zu schicken), ist seither die Einzeltherapie in den zunehmend erweiterten Kanon »respektabler« systemischer Settings aufgenommen worden (Weber u. Simon 1987, Weiss 1988). Damit wurde zum einen der Kreis möglicher Klienten erweitert auch auf solche, die weit von ihrer Familie entfernt leben, die Familienprobleme zunächst einmal bewußt »für sich« klären möchten, oder bei denen andere Familienmitglieder an einer Mitarbeit nicht interessiert sind. Maßgeblich war hier auch der Gedanke, daß die in ein Problem verstrickten Personen nicht zwangsläufig die sein müssen, die zu seiner Lösung optimal beitragen können. Vielmehr kann die Individuation (das »Nicht-mehr-Mitspielen«) eines Familienmitglieds auch dann wesentliche Veränderungsprozesse bei anderen auslösen, wenn diese im Therapieprozeß selbst nicht beteiligt waren. Von anderen Formen der Einzeltherapie unterscheidet sich eine systemische Form durch Stil und Inhalte des therapeutischen Interviews: zirkuläres Fragen, Auftragsklärung, Problemkontextualisierung, hypothetische Verbesserungs- und Verschlimmerungsfragen finden dort genauso Anwendung wie Schlußkommentare, Handlungsvorschläge und Reflektierende Positionen. Wie in der Familientherapie geht es auch hier darum, dem Klienten zu vermitteln, daß Probleme aus Verhaltensweisen und deren Beschreibungen durch den Betreffenden selbst und signifikante Andere bestehen und nicht Ausdruck einer tie-
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feren, »dahinter liegenden« individuellen Störung oder Pathologie darstellen. Wie in der Familientherapie auch wird die Beratung oft von einem Team im Raum oder hinter einer Scheibe verfolgt und in Pausen oder durch Reflektionen vor dem Ratsuchenden diskutiert. Wie in der Familientherapie werden auch hier in der Regel eine Maximalzahl von Sitzungen (meist bis etwa 10) und hinreichend große Abstände zwischen den Sitzungen (selten unter 3–4 Wochen) vereinbart, da davon ausgegangen wird, daß sich die entscheidenden Veränderungen nicht während des Interviews sondern zwischen den Sitzungen vollziehen. Da das soziale System der Klienten allerdings nicht physisch, sondern nur symbolisch in der Therapie anwesend ist, sind im Vergleich zur Familientherapie einige andere Akzente nötig. Um das soziale System hinreichend präsent zu machen, kann es visualisiert werden. So läßt sich etwa das Genogramm im Gespräch mit den Klienten auf den Tisch legen und mit ihnen anschauen und diskutieren. Ein kanadischer Geschäftsmann kommt in Deutschland zu einer Einzeltherapie, weil es ihn bedrückt, daß er in einem Umfang wichtige Termine und Verabredungen nicht einhält (»ich komme immer zu spät«), der ihn »teamunfähig« erscheinen läßt und seine Laufbahn gefährdet. Er möchte verstehen, was dahintersteckt und es ändern. Wir betrachten zusammen sein Genogramm. Die Familienatmosphäre beschreibt er als sehr distanziert, aber von starken Leistungserwartungen bestimmt. Fast alle Beschreibungen seiner Eltern und seiner drei Geschwister enthalten irgendwie das Wort »successful«: »highly successful«, »not yet successful«, »successful in business, but not in private matters«. Aufgrund der Karriere des Vaters mußte die Familie fast alle zwei Jahre umziehen, konnte er nirgendwo Freundschaften schließen. Er scheint darüber verärgert, spricht aber davon sehr sachlich und mit leiser, gepreßter Stimme. Hat er je gegen das Umziehen rebelliert? Nein, nie, – nur in seinen Gedanken. Ich (J. S.) frage ihn, ob er zu Hause auch oft zu spät gekommen sei? Ja, ganz oft kam er zu spät zum Abendessen. Das habe die Eltern enorm verärgert. Er habe dies aber nie als Rebellion, sondern als eigene Unfähigkeit angesehen. Ich biete ihm eine Umdeutung an: das Zuspätkommen als »kleine Rebellion« – als Weg, wenigstens ein bißchen das nicht zu tun, was die als ungerecht erlebten Eltern forderten. Darauf reagiert er erst ungläubig, dann sehr interessiert, schließlich mit erleichtertem Lachen. Ich empfehle ihm ein Experiment: in den nächsten drei Wochen dreimal irgendwo bewußt absichtlich zu spät zu kommen, und zwar idealerweise dann, wenn er sich über irgendwen geärgert hat. Jedes Zuspätkommen solle er einer Person widmen, über die er sich in letzter Zeit geärgert hat. Dieser Person solle er einen kurzen Brief schreiben: »Liebe/lieber … aus Ärger über Dich komme ich heute hier zu spät. Das sage ich Dir aber nicht. Ätsch!« Diese Briefe solle er nicht absenden, sondern in einer kleinen Mailbox ablagern und zum nächsten Gespräch mitbringen.
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Vielfalt der Praxisfelder
Manchmal wird man Familienmitglieder, Lehrer oder Kollegen mit Figürchen auf dem Tisch als Skulptur aufstellen lassen und daran Beziehungsfragen diskutieren (vgl. S. 168f). Eventuell wird ein »leerer Stuhl« dazugestellt, symbolisch mit einem wichtigen Partner besetzt und die Beziehung zu diesem erfragt. Eine gute Möglichkeit ist es auch, für verschiedene Personen Kissen oder mehrere leere Stühle aufzubauen, auf die sich der/die Ratsuchende nacheinander setzen kann, um mehr Klarheit über das Konfliktfeld zu bekommen (vgl. S. 238ff). Mit zirkulären Fragen können nicht nur die Beiträge der Klienten, sondern auch die wichtiger Bezugspersonen zum Beziehungsmuster erfragt werden: »Was würde Ihre Frau denken, wenn sie wüßte, daß Sie diese Therapie machen? Würde sie eher erleichtert, eher verärgert oder aber gleichgültig reagieren, wenn sie das erführe? Angenommen ihr wäre das ganz egal, ob Sie eine Therapie machen oder nicht: dächten Sie dann eher »ich bin ihr egal« oder »sie läßt mir angenehm viel Freiraum«?
Dennoch bekommt im Vergleich zur Familientherapie die TherapeutKlient-Beziehung zwangsläufig eine größere Bedeutung. Insbesondere wird die emotionale Reaktion der TherapeutIn (im analytischen Sprachgebrauch: die »Gegenübertragung«) als Informationsquelle über die Beziehungsangebote des Klienten bedeutsamer, weil man über die emotionale Reaktion der Beziehungspartner »draußen« weniger erfährt. Wie man die eigenen Reaktionen nutzen kann, und wie auch systemische Einzeltherapie recht kurz sein kann, zeigt folgendes Beispiel: Eine Fremdsprachenkorrespondentin mit hervorragenden Italienischkenntnissen, Ende 20, kommt allein zur systemischen Therapie. Seit ihrem 14. Lebensjahr leide sie unter langen Episoden von Angstzuständen, stets in wichtigen Übergangszeiten: vor der Konfirmation, vor dem Abitur, vor dem Berufsabschluß, ein Jahr danach beim Arbeiten in Italien. Folge dieser Ablösungsängste ist regelmäßig eine »Rückkehr in Mamas Schoß«: Mutter litt selbst 10 Jahre unter Angstneurose, Vater erschien beiden sehr abwesend, die Angst bekräftigt immer wieder das Frauenbündnis. Aber genau diese Angst will sie nun endlich überwinden, will endlich Männerbeziehungen eingehen und nach Italien auswandern. Sofort gerate ich (J. S.) als Therapeut mit ihr in Rangeleien über das Setting. Die Familie will sie nicht mitbringen, weil sie sich von der ablösen möchte. Sie möchte die (regelmäßig kassenfinanzierte) Therapie partout selbst bezahlen, um in dieser die Kontrolle zu behalten und den Therapeuten auch zur Rechenschaft ziehen zu können. Vier Psychotherapien hat sie bereits nach kurzem wieder abgebrochen, stets in Ärger auf die als unfähig erlebten Therapeuten. Auf Nachfrage erfahre ich von sehr vielen »Fettnäpfchen«, in die ich in der Therapie mit ihr treten könnte. Ich ahne, daß ihr Therapieabbruch bei mir nicht lange ausbleiben wird, ich ärgere mich über ihre Kontrollstrategien und bin zugleich von ihrer darin gebundenen vitalen Energie beeindruckt. Ob man ihren Ärger und ihre Energie nutzen kann?
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Nach dem ersten Gespräch zieht sie von zu Hause aus, bleibt aber in qualvollen depressiven Dialogen der Mutter engstens verbunden. Nach dem zweiten Gespräch empfehle ich ihr daher zum einen als Ritual, einmal wöchentlich eine halbe Stunde zu Hause, neben dem Telefon sitzend und auf einen Anruf der Mutter wartend, darüber zu grübeln, zu welchen guten Zwecken und über wie viele künftige Jahre sie das »Frauen-Angst-Bündnis« weiter aufrechterhalten und pflegen sollte. Zum anderen berichte ich, ein Teil meines Teams sei in der Diskussion in der Pause zur Meinung gekommen, die Therapie sei eher ein Problem als eine Lösung: Sie bekräftige sie in der Idee, sie selbst sei noch nicht reif genug, gut genug, und die Therapie fördere bei ihr die Tendenz, selbstkritisch an sich selbst »herumzuschrauben«. Deshalb habe sie vernünftigerweise die vier vorigen Therapien bald wieder abgebrochen. Wahrscheinlich sei bei ihr weniger Therapie besser für ihr Selbstbewußtsein. Eine andere Kollegin habe aber gemeint, das wäre ja gerade das Gute an einer Therapie – fortgesetzte Selbstbezweiflung würde das bislang so wichtige »Frauenbündnis« unterstützen und am Laufen halten. Als Kompromiß zwischen diesen zwei Meinungen weiblicher Kolleginnen hätte ich mich entschlossen, ihr zwei Therapiesitzungen in den nächsten fünf Jahren anzubieten. Die Klientin verläßt verärgert den Raum. Ich erfahre von ihr später, daß sie einen Job in Italien begonnen hat und dort bereits seit über einem Jahr lebt.
13.2. Der Blick zurück: Familienrekonstruktion in der Gruppe Die Familienrekonstruktion stellt eine aus der Familientherapie hervorgegangene Methode der Gruppentherapie dar (Satir 1986, Nerin 1989, 1992, Kaufmann 1990, Conen 1993, Hecker 1983). Sie wurde ursprünglich zur Selbsterfahrung von FamilientherapeutInnen entwickelt, um diesen zu helfen, den Einfluß der eigenen Herkunftsfamilie auf ihre Tätigkeit zu reflektieren (z. B. Reich 1984). Inzwischen wird sie auch in stationären psychosomatischen und psychiatrischen Einrichtungen mit Patienten erprobt (u. a. Kröger et al. 1986; Schweitzer u. Schumacher 1995, S. 137–141, s. a. von Schlippe u. Schramer 1993, Limberg 1995). Die Grundidee ist, die eigene Familiengeschichte mit der Unterstützung einer Gruppe darauf anzuschauen, wie sie das »Heute« eines Menschen im Guten wie im Schlechten mitformt. Ziel ist, sich von solchen Einflüssen da frei zu machen, wo sie das gegenwärtige Leben behindern, und sich gleichzeitig bislang noch ungenutzte Ressourcen für die eigene Identität zu erschließen. Aus narrativer Sicht geht es darum, alte, dominante und einengende Geschichten, nach denen man sein Leben gestaltet in Frage zu stellen und neue, bekömmlichere zu (er)finden. Alte Lerninhalte hatten eine Bedeutung für das Überleben und halten sich daher so hartnäckig. Daher kann es notwendig werden,
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in die Situationen zurückzugehen, in denen bestimmte Regeln über das Leben gelernt wurden, und diese »mit neuen Augen« anzuschauen. Dabei geht es für Nerin (1989) um das Finden der »Basic Rule of Survival«. Er meint damit so etwas wie eine grundlegende Entscheidung, die ein Kind darüber trifft, wie es in dem von ihm wahrgenommenen Kontext am besten überlebt (vergleichbar dem »Script« in der Transaktionsanalyse oder dem »Lebensstil« in der Individualpsychologie). Vor allem wenn diese Regeln sogenannte Universalien enthalten wie »nie« oder »immer«, sind sie tendenziell lebensfeindlich. »Ich darf nie jemandem vertrauen außer mir selbst!«, »Ich darf nie irgendeinen Menschen verärgern!« sind solche möglichen »Basic Rules«. Sie sind an die Vorstellung des psychischen (und damit für ein Kind auch des physischen) Überlebens gekoppelt: »Wenn mich jemand ablehnt, gehe ich zugrunde …« Ihre Veränderung kann daher nicht nur die Angelegenheit einer kognitiven Neuorientierung sein, sondern es bedarf einer die ganze Person erfassenden Erfahrung, die die affektiven Voraussetzungen dafür bietet, daß neues Lernen geschieht. Typischer Aufbau eines Familien-Rekonstruktions-Seminars: 12 bis maximal 24 Teilnehmer treffen sich mit zwei bis drei Leiterinnen für eine Reihe von Tagen (meist fünf bis neun) in einer Bildungsstätte. Alle haben ein drei bis fünf Generationen umfassendes Genogramm ihrer Familie vorbereitet, manchmal auch eine Familienchronologie, in der alle Daten, Fakten und Ereignisse seit der Geburt der Großeltern im Überblick ablesbar sind. Dazu haben die Teilnehmer vorher Interviews mit Familienangehörigen geführt. Bereits dies kann erstaunliche Erfahrungen für alle Beteiligten bedeuten, – Eltern, Großeltern, Tanten können sich über das Interesse freuen oder mit Sorge und Angst reagieren. Sie haben Informationen über Geburts- und Sterbedaten, über Wohnorte, Berufe, Konfessionen, über schwere oder chronische Krankheiten, über Geburten, Frühgeburten, Totgeburten und Abtreibungen, aber auch wichtige politische und wirtschaftliche Ereignisse eingetragen und schließlich auch Angaben über persönliche Stile und Eigenschaftszuschreibungen einzelner Familienmitglieder gesammelt. Viele haben alte Fotos mitgebracht und den Stammbaum damit dekoriert. Manche stießen bei ihren Recherchen auf ängstlich gehütete Tabuzonen. Andere entdeckten, daß über einen Zweig der Herkunftsfamilie sehr viel, über einen anderen überhaupt nichts herauszufinden war. Zunächst helfen sich je zwei Teilnehmer, in gegenseitigen Interviews die eigene Frage an die Familienrekonstruktion zu formulieren: Was an meiner heutigen Lebensgestaltung scheint mir hinderlich oder selbstquälerisch? Welche Aspekte meiner Familiengeschichte belasten mich oder geben mir Rätsel auf? Was möchte ich verändern oder besser verstehen? Im weiteren Seminarverlauf steht meist eine individuelle Familienrekonstruktion über etwa ein bis drei Stunden im Mittelpunkt. Dabei wird die eigene Frage im Gespräch präzisiert, dann das Genogramm ausführlich besprochen. Nach einiger Zeit entwickeln Leiter und Teilnehmer Vermutungen, welche Aspekte der Familiengeschichte zur Beantwortung der Frage besonders »ergiebig« sein könnten. Anschließend wird
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die dazu passende Situation der Familiengeschichte in einer Skulptur dargestellt oder auch ein Stück Familiengeschichte über eine Reihe verschiedener Skulpturen rekonstruiert. Auch das psychodramatische Durchspielen bestimmter Familiensituationen (z. B. »Familie um den Eßtisch versammelt«) ist möglich, wobei es die Spielsituation immer wieder möglich macht, daß die Szenen unterbrochen und reflektiert werden. Beispiel: Ein junger Mann empfindet, so wie er sagt, »eigentlich unangemessen oft und stark« Schuldgefühle für alles mögliche. Sein Großvater war SS-Mitglied, Bauingenieur und im Zweiten Weltkrieg »irgendwo im Südwesten des Generalgouvernements Polen« eingesetzt. War das eventuell im KZ Auschwitz? Was hat der Großvater dort gemacht? Fühlt der junge Mann, der seinem Opa eng verbunden war, sich mitschuldig für Taten, von denen er unklar ahnt oder vermutet, der Großvater könne sie begangen haben? Diese Phase der Familiengeschichte wird dann in Szene gesetzt: in einer Skulptur oder einem Rollenspiel, angereichert mit historischen Informationen, die in der Gruppe über die damalige Zeit verfügbar sind. Ein Gruppenteilnehmer spielt den Großvater, andere seine Familienmitglieder und Mitarbeiter, wieder andere spielen die Lagerinsassen im KZ. Ein erstes Szenenbild entsteht, wird erlebt, Empfindungen und Eindrücke der Mitspieler und der Zuschauenden werden ausgetauscht. Der vorstellende Teilnehmer schaut von außen zu, (kann aber auch zeitweise mit seinem »Stellvertreter« tauschen, um auch eine Innensicht zu erfahren). Die Empfindungen der Rollenspieler helfen, die Situation »lebendig« werden zu lassen, Verstrickung, Abhängigkeiten und Schuld werden deutlich. Verbindungen von Familienregeln, Familienatmosphären und zeitgeschichtlichen Idealen wie »Männlichkeit«, Gefühlsverleugnung und Härte werden deutlich. Was bedeutet all das für den jungen Mann, für sein Verhältnis zum Großvater, für sein Verhältnis zu sich selbst? – (Er soll nach allgemeiner Familienmeinung »dem Opa sehr ähnlich« sein). Hier gibt es eine Möglichkeit, die in der Realität nicht zur Verfügung stand: er kann mit seinem Rollenspiel-Opa sprechen, ihn danach fragen, wie er sich in der Konstellation fühlt, ob und wie er seine eigene Schuld erlebt, und ihm davon erzählen, wie sehr ihn all das belastet, was in jener Zeit passiert ist. Diese Phase der Rekonstruktion kann emotional sehr bewegend sein und damit die affektive Grundlage für eine Veränderung innerer Bilder ermöglichen. Ziel ist es hier, Schuld, die man unberechtigterweise auf die eigenen Schultern geladen hat, dort zu lassen, wo sie hingehört und gleichzeitig Verantwortung für die Folgen des eigenen Tuns zu übernehmen. Dazu gehört auch, Eltern oder Großeltern als Menschen differenziert zu sehen, mit Fehlern und liebenswerten Seiten, weder ausschließlich als »Teufel«, noch ausschließlich als »Heilige«, und sich so aus dem Bann alter familiärer Muster zu lösen. Es kann an dieser Stelle auch versucht werden, ein »gutes inneres Bild« mit dem Protagonisten zu entwickeln, indem die Familie entsprechend der »Ursprungsordnung« (S. 43ff) gestellt wird. Vielfach wird das von den Darstellern wie eine Erlösung aus der Verstrickung erlebt. Wenn die Geschichte soweit rekonstruiert ist, daß plausible Vorstellungen für das aktuelle Problem verfügbar sind, dann fragt sich: »Was damit tun?« Die Gruppe kann hier Ideen entwickeln. Er könnte die noch lebende Großmutter befragen, um besser zu erfassen, was genau los war. Es könnte eine Seite geheimer Faszination am Großvater geben, mit
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der es sich lohnt, sich näher auseinanderzusetzen, z. B. in der Überprüfung faschistoider Tendenzen im eigenen Wertesystem. Er könnte aber auch die per Identifikation übernommenen Schuldgefühle in einem symbolischen Ritual dem verstorbenen Großvater »zurückgeben«: »Es ist deine Schuld, nicht meine, ich lasse sie jetzt da, wo sie hingehört!«. Je nachdem, von welcher der Ideen sich der vorstellende Teilnehmer angesprochen fühlt, wird eine neue Situation inszeniert – oft eine im »Heute«, in der neue Lösungen für das aktuelle Problem gesucht werden.
Oft geht es in der Rekonstruktion um eine Form der Versöhnung mit den eigenen Eltern oder Großeltern, die aber auch nicht vorschnell oder erzwungen geschehen darf. Erst wenn deren Verhalten – oft erstmals – vor dem Hintergrund des zeitgenössischen Kontextes und ihrer jeweils spezifischen familiendynamischen Konfliktsituation verständlicher wird, kann es zu einer versöhnlicheren Einstellung kommen. Versöhnung sollte dabei nicht mit Verzeihen verwechselt werden. Es ist durchaus angemessen, elterliche Schuld als solche zu benennen (etwa bei Mißhandlung, Mißbrauch). Und es ist wichtig, sie bei den Eltern zu lassen und sie nicht wegzunehmen, was nur eine Fortsetzung eines Verstrickungsmusters bedeuten würde. Ein versöhnlicher Blick auf die Eltern wird dann möglich, wenn man sowohl die Position des Racheengels als auch die des gütigen verzeihenden Richters aufgegeben hat.
13.3. Am liebsten live: Die systemische Fallsupervision Noch vor wenigen Jahren nur in eingeweihten Kreisen bekannt, ist der Begriff Supervision inzwischen ein neues Modewort geworden, das vielfach benutzt wird. Der Trend läßt sich auch am Entstehen entsprechender Gesellschaften und Ausbildungsinstitute ablesen, der »gute alte Psychoboom ist von einem Supervisionsboom abgelöst« worden (Molter 1994), und mit ihm wurde die Organisation als potentieller Kunde systemischer Ansätze entdeckt. Entsprechend sind die Konzepte und Veröffentlichungen sprunghaft angestiegen, wird mit neuen Begriffen jongliert (von denen man sich möglichst wenig schrecken lassen sollte!) Im therapeutischen Bereich hat die Fallsupervision die längste Tradition, etwa in psychoanalytischen Balintgruppen (z. B. Rappe-Giesecke 1994, Drees 1995) oder in der Therapieausbildung vieler Schulen (genauer: Pühl 1994). Die Bereitschaft, das eigene Handeln immer wieder kritisch zu überprüfen und im KollegInnenkreis zur Diskussion zu stellen, gehört zum Ethos therapeutischen Handelns,
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das gilt auch für systemische Therapie. Systemische Fallsupervision versteht sich als eine Art kontinuierlichen Trainings, eine Möglichkeit, die eigene Arbeit im Kreis der KollegInnen zu präsentieren und zu reflektieren im Sinne kontinuierlicher Weiterqualifikation. In ihr wird der Umgang mit den Klienten (Patienten, Kunden, Mandanten) bzw. den entsprechenden Systemen diskutiert, mit dem Ziel, diesen mit geringstmöglichem Aufwand möglichst effektiv und angenehm zu gestalten (Lenz 1992).
Voraussetzungen externer Fallsupervision Fallsupervision wird optimalerweise mit einem Supervisor gemacht, der mit dem Behandlungskonzept des Teams vertraut und dafür qualifiziert ist. Wenn innerhalb eines Teams oder zwischen Supervisor und Team unterschiedliche Behandlungskonzepte bevorzugt werden, sollte zunächst geklärt werden, wie man mit diesen Unterschieden respektvoll so umgehen kann, daß sie sich gegenseitig bereichern. Das ist um so einfacher, je mehr unterschiedliche Institutionstypen und Behandlungsansätze der Supervisor in seiner Laufbahn selbst kennengelernt hat. Hilfreich ist es aber auch, wenn man systemisches Denken nicht unbedingt als Behandlungsmethode, sondern auch als Entscheidungshilfe bei Indikationsstellungen nutzt. Eine schon lange bestehende Erziehungsberatungsstelle hat in den letzten drei Jahren heftige Veränderungen durchgemacht. Der Träger verlangt mehr Öffnung nach außen, mehr gemeindepsychologische Arbeit und stellt eine neue Leiterin ein, die diese Orientierung durchsetzen soll und will. Sie sucht dafür unter anderem systemisch orientierte Fallsupervision. Für die älteren, meist tiefenpsychologisch ausgebildeten, sehr erfahrenen Mitarbeiter stellt dies eine Entwertung und Infragestellung ihrer bisherigen Arbeitsweise dar. Die Supervision kommt schließlich mit der Vereinbarung zustande, darin einerseits systemisch-familientherapeutisches Handwerkszeug fallbezogen zu trainieren, andererseits aber bei allen Fällen jeweils zu prüfen, wo tiefenpsychologische Einzel- oder Gruppentherapie auch aus systemischer Sicht sinnvoll wäre, und welche der »alten« tiefenpsychologischen Qualifikationen für die »neue« Arbeit weiterhin nutzbar bleiben (z. B. die Arbeit mit Übertragung und Gegenübertragung, mit Träumen, Spieltherapie mit Kindern usw.).
Auffälliges äußeres Kennzeichen systemischer Fallsupervision ist die hohe Wertschätzung möglichst »direkter« Supervisionsformen (Montalvo 1973, Boscolo u. Cecchin 1984). Die direkteste Form ist dabei die Live-Supervision. Hier wird die Beratung vom Supervisor und der Supervisionsgruppe beobachtet. Diese sitzen mit im Raum oder hinter
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einer Einwegscheibe und greifen in den Prozeß mit ein – mit Beobachtungen oder Vorschlägen, sei es als Reflektierendes Team (S. 199f) oder in der Diskussion in den Pausen. Verwandte Formen sind die Konsultation und die Video-Supervision. Bei der Konsultation führt ein Supervisor mit dem Klientensystem und dem Therapeuten ein gemeinsames Interview, in dem er mit beiden über die bisherige Therapie, über hilfreiche und weniger hilfreiche Aspekte aus den jeweiligen Perspektiven und über künftige Arbeitsschritte spricht. Bei der Video-Supervision wird eine Therapiesitzung auf Video aufgezeichnet und in einer Supervisionsgruppe analysiert. Diese Form erlaubt auch Mikro-Analysen einzelner Interaktionen. Schon etwas indirekter ist die Supervision durch Fallrekonstruktion im Rollenspiel: Die Gruppenmitglieder spielen anhand einiger Vorgaben das reale Klientensystem nach. Die dabei beobachtbaren Muster werden analysiert, alternative Vorgehensweisen im Brainstorming erdacht und im Rollenspiel gleich erprobt. Ein sehr erlebnisorientierter Weg, wenn auch vom konkreten Beratungsprozeß entfernter, ist die Supervision mithilfe von Skulpturen (S. 164-168). Sie eignet sich, um die Position des Beraters im Klientensystem eindringlich zu verdeutlichen und um (durch die Befragung der Rollenspieler) Zugang zu verschiedenen möglichen »Kundenwünschen« zu bekommen. Dadurch, daß das Symptom beziehungsweise das Problem ebenfalls in der Skulptur dargestellt werden kann, ist es möglich, um über die Bedeutung des Symptoms zu hypothetisieren (wem steht es näher, wohin möchte der Therapeut es stellen, wie reagiert die Familie usw.). Am indirektesten schließlich ist die in anderen Ansätzen vielfach geläufigste Supervisionsform: der Behandler erzählt, die Supervisionsgruppe hört zu und meldet eigene Resonanzen und Ideen zurück. Die Präferenz für die verschiedenen Supervisionssettings ist stark schulenabhängig. Zum strukturellen Ansatz (Minuchin et al.) lernte ich (J. S.) in einem sechswöchigen Intensivkurs 1980 an der Philadelphia Child Guidance Clinic ein Konzept kennen, das ganz auf Live- und Video-Supervision fokussierte: In einer Gruppe mit sechs Supervisanden und einem Supervisor wurden jeden Nachmittag drei Familien für je 80 Minuten gesehen. Ein Therapeut arbeitete mit der Familie, die Gruppe saß hinter einer Einwegscheibe. Der Supervisor gab über Telefon häufig Kommentare, Empfehlungen oder auch direktive Anweisungen über das Vorgehen. Kreative Supervisoren kamen gelegentlich selbst oder schickten Gruppenmitglieder in den Therapieraum, um dort etwas »in Szene zu setzen«, was den Therapieprozeß voranbringen sollte.
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Beispiel: Im Fall einer depressiven alleinerziehenden Mutter mit zwei sehr ausagierenden jugendlichen Söhnen nutzte der Supervisor die Situation, als einer der Söhne an der Videokamera im Therapieraum herumzuschrauben begann. Mit einem Monteurskoffer betrat er den Raum, stellte sich als Videotechniker vor, machte eine dramatische Szene und hörte damit nicht auf, bis die Mutter sich entschied, ihren Sohn darauf zu verpflichten, gemeinsam mit ihm die Kamera zu »reparieren«. Dies wurde so lange gemacht, bis er den »Erfolg« der »Reparatur« konstatierte. Dieser Prozeß machte der Mutter (ohne daß dies von irgendwem ausgesprochen wurde) deutlich, daß sie mit Erfolg ihren Sohn dazu bringen konnte, Verantwortung für seine Handlungen zu tragen. Alle weiteren Interventionen konzentrierten sich dann auf diesen Fokus. Die je drei Therapien des vorausgegangenen Nachmittags wurden am nächsten Morgen in ebenso langen Video-Supervisionen exzerptweise (meist mehrere Sequenzen zu fünf bis acht Minuten) angesehen und diskutiert, alternative Optionen erarbeitet und gelegentlich in sehr kurzen Rollenspielsequenzen erprobt.
Dieser Supervisionsstil hat sich (wie die strukturelle Familientherapie insgesamt) in Europa nicht gehalten, weil er zu autoritär auf den Supervisor fokussierte und nicht genug Raum für die Entwicklung eigener Therapiestile zu geben schien. Insbesondere die Verwendung von Telefonen oder Sendeknöpfen im Ohr des Therapeuten, mit denen dieser Instruktionen des Supervisors mitten im Gespräch mit Klienten empfängt, wird heute eher nicht geschätzt. Zwei typische Live-Settings in der systemischen Ausbildung: Am Heidelberger Institut (J. S.) wird eine eher reflexive Live-Supervisionsform praktiziert. Hier führen ein oder zwei Therapeuten ein Interview mit dem Klientensystem, das sie nur selten unterbrechen. Die Beobachtergruppe berät den/die Therapeuten vor der Sitzung bei der Entwicklung von Vorabhypothesen zur Gesprächsstrukturierung und in einer Pause vor der Schlußintervention. Am Institut für Familientherapie, Weinheim (A. v. S.) wird die Live-Supervision meist über die folgenden Bausteine gestaltet: – Vorgespräch: Welche Fragen hat die Therapeutin an die Gruppe, welche Wünsche an das Vorgehen und an bestimmte Arten der Unterstützung durch Supervisor und/oder Gruppe? Welche basale Information über die Familie muß die Gruppe haben? – Entscheidung für ein Setting: 1) Die Therapeutin führt das Gespräch, die Supervisorin sitzt hinter ihr. In zwei bis drei Unterbrechungen und im Gespräch vor der Familie holt sich die Therapeutin unmittelbar Unterstützung und neue Ideen. Die Supervisionsgruppe ist meist mit im Raum und gibt der Familie am Schluß ein kurzes Feedback. 2) Die Therapeutin führt das Interview, die Supervisorin ist zusammen mit zwei bis drei Gruppenmitgliedern Teil eines Reflektierenden Teams. In zwei bis drei Pausen wird vor der Familie und den Therapeuten über das Gespräch reflektiert. – Nachbesprechung: Feedback an die Therapeutin. Ideen und Anregungen für ein weiteres Vorgehen.
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Das Arbeiten mit Live-Supervision in einer Einrichtung verändert deren Stil. Es entsteht viel Transparenz – jeder weiß oder kann sich leicht informieren, was der andere macht. Die Folge ist meist: weniger Phantasien übereinander, aber mehr handfeste Kritik aneinander und Auseinandersetzung miteinander: »Seit unserer Arbeit mit dem reflektierenden Team müssen wir uns auch als Berater mehr der kleinen Öffentlichkeit unseres eigenen Teams stellen, werden unsere Stärken und Schwächen innerhalb unserer Gruppe klarer. Wir werden uns gegenseitig einschätzbarer und stehen selbst mehr im Kontakt mit unserer Kompetenzentwicklung und unserer Effektivität als TherapeutInnen« (aus einem Erfahrungsbericht über die Live-Arbeit mit dem Reflektierenden Team in Kriz et al. 1996).
Wann ist Fallsupervision wirksam? Nach einer Überlegung von Schumacher (1995) immer dann, wenn in der supervidierten Therapie oder Beratung bestimmte Aspekte (»Unterscheidungen«) so einseitig betont worden sind, daß das Problem sich verhärtet hat. Supervision soll dann die »Balance der Unterscheidungen« wiederherstellen. Wird beispielsweise in der Therapie einseitig über die Vergangenheit gesprochen, sollte Supervision das Gespräch über Zukünfte anregen. Wird einseitig über Ideen gesprochen, dann sollte Supervision die Handlungsebene stärker beleuchten. Wird einseitig über Lösungen des Problems gesprochen, sollte Supervision Form, Bedingungen und Nutzen des Problems in den Mittelpunkt rücken.
Fallsupervision ohne Supervisor Natürlich sind all die vorgestellten Supervisionsformen auch ohne Supervisor oder Supervisorin denkbar, sofern nicht zuviel unausgesprochene Konkurrenz die Falldiskussionen lähmt. Doch auch ohne solche Konkurrenz kann sich aus unserer Erfahrung ein Supervisionsprozeß in die Richtung entwickeln, daß sich die Kollegen in immer phantastischeren Hypothesen und Anregungen überschlagen, während derjenige, der den Fall vorgestellt hatte, immer verwirrter wird. Daher kann sich hier folgendes Modell anbieten: – Derjenige, der einen Fall vorstellen möchte, wählt einen »Supervisor«, der Fragen und Hypothesen steuert und gegebenenfalls eine Skulptur anleitet (o. ä.) – Der »Supervisor« sucht sich einen »Moderator«, der auf den Gesamtprozeß achtet. SupervisorIn und ModeratorIn wechseln bei jeder Fallbesprechung. – Der Supervisionsprozeß selbst verläuft dann in drei Stufen: 1) Problemschilderung (Bericht, Kassette, Video usw.) mit Nachfragen durch Supervisor und Gruppe. Der Moderator achtet darauf, daß in dieser Phase keine Vorschläge und Hypothesen gemacht werden.
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2) Phase der Hypothesenbildung und Hypothesenvielfalt. Dabei achtet der Supervisor darauf, daß Entwertungen vermieden werden und daß der Supervisand nicht überfordert wird. Der Moderator trägt Sorge dafür, daß der Hypothesenbildungsprozeß offen verläuft, daß also nicht versucht wird, »die eine« richtige Hypothese zu finden, sondern daß die Hypothesen sich gegenseitig bereichern. 3) Der Supervisand nimmt Stellung zu dem, was aus a) und b) für ihn neu war. Danach erfolgt eine Einigung über das weitere Vorgehen: Skulptur, Rollenspiel, Entwickeln von alternativen Interventionen. – Der Moderator achtet darauf, daß die Struktur von 1–3 beibehalten wird.
13.4. Opium für das Volk? Teamsupervision und Organisationsberatung Im Unterschied zur Fallsupervision dienen Teamsupervision und Organisationsberatung der Lösung von Problemen, die sich in einer Einrichtung, unabhängig von einzelnen Klienten (Patienten, Kunden, Mandanten) immer wieder stellen. Probleme mit Klienten sind hier meist nur der Anlaß, der auf einen Weiterentwicklungsbedarf in Organisationen wie Krankenhäusern, Verwaltungen, Verbänden oder in kleineren Einheiten wie Fachdiensten, Stationen, Abteilungen hinweist. Die Begriffe Organisationsentwicklung (OE), Organisationsberatung, Personalentwicklung, Teamentwicklung, Teamsupervision oder auch Teamcoaching (Buchner 1995) sind dabei nicht immer klar voneinander abzugrenzen. Am ehesten kann man sie sich in einem übergeordneten Verhältnis zueinander vorstellen: Organisationsentwicklung stellt den übergeordneten Begriff für Maßnahmen dar, die »Lernfähigkeit einer Organisation bzw. ihre Flexibilität und Innovationsbereitschaft zu stärken« (Gebert 1995, S. 481). Gebert unterscheidet einen strukturalen Ansatz, zu dem Organisationsberatungsmaßnahmen zu zählen sind, und einen personalen Ansatz, der die Personalentwicklungsseite umfaßt (s. a. Holling u. Liepmann 1995). Teamsupervision ist dann als Maßnahme der Organisationsberatung zu sehen, die auch Personalentwicklungsaspekte umfaßt. Für eine genauere Begriffsbestimmung und Vertiefung verweisen wir auf die entsprechende Literatur, z. B.: Schuler 1995, Filsinger 1992, Fatzer 1991a, Fatzer 1993, Pühl 1994, Schreyögg 1992, s. a. die Literaturverweise im Abschnitt »Management«, S. 256–260). Bei der Team- und Organisationsberatung braucht der Berater von der inhaltlichen Arbeit nicht unbedingt viel zu verstehen. Dies kann sogar nützlich sein, weil er so dem Team konzentrierter helfen kann, seine eigenen Lösungen zu finden, indem er oder sie sich ausschließ-
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lich als »Experte für die Entwicklung von Kooperationsbeziehungen« versteht. »Die meisten Berater verstehen sich als Problemlöser und Spezialisten für die Einführung von Veränderungen. Ihre Diagnose betrachten sie als Wahrheit, der sich das Unternehmen stellen muß. Sie halten Wandel für planbar und denken in eindeutigen Ursache-Wirkungsbeziehungen. Folgerichtig lassen sie sich gerne in bestehenden Machtstrukturen in Unternehmen einbeziehen, um hierarchisch hochstehende Personen für ihre Ideen zu gewinnen. Ein systemischer Berater geht von einem anderen Denkansatz aus: Er versteht sich in erster Linie als Impulsgeber, dessen Interventionen darauf zielen, die Wahlmöglichkeiten des Systems zu erhöhen. Ob sich daraus neue Handlungsmuster ergeben oder nicht, bleibt dem Klientensystem überlassen. So gesehen ist eine Diagnose immer vorläufig und wird als Hypothese formuliert … Ein systemisch denkender (und handelnder) Berater wird immer Distanz zum Klientensystem wahren und nicht einseitig Veränderungen propagieren. Statt dessen hat er im Blick, daß sich Systeme selbst organisieren und ein Gleichgewicht von Verändern und Bewahren bestehen muß« (Hauser 1994, S. 12).
Die drei im folgenden detaillierter dargestellten Faktoren sind unseres Erachtens für das Gelingen von Team- oder Organisationsberatung besonders bedeutsam: Vernetzung »von oben nach unten« (Top-down), Zielorientierung, Zeitgestaltung.
»Top-down«-Vernetzung der Supervisionsergebnisse Das erste, was bei einer Supervisionsanfrage abgeschätzt werden sollte, ist die Frage, wie autonom das anfragende System organisiert ist. Fragen: Wie ist die Geschichte, die dazu führte, daß eine Supervision vereinbart wurde? Wer kam auf die Idee zur Supervision? Wer ist auf der Trägerebene der unmittelbare Vorgesetzte und wie ist seine/ ihre Meinung zu der Supervision? Gibt es vereinbarte Rückmeldeschleifen über den Supervisionsprozeß?
In stärker hierarchisch organisierten Institutionen oder auch bei erkennbar großem inhaltlichen Interesse des Trägers (der ja die Maßnahme bezahlt und schon deshalb Teil des Auftragskontextes ist) sollten Teamberater nicht nur mit dem Team, mit dem sie arbeiten, sondern auch mit der Leitung über die Ziele der Beratung sprechen (Gotthard-Lorenz 1990). Es ist also vor der Supervision zu klären, ob und wie die Verantwortlichen auch Verantwortung übernehmen für die Umsetzung eventueller Supervisionsergebnisse in der Institution.
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Bestehen über diese Ziele zwischen Leitung und Team verschiedene Meinungen, beschäftigt sich diese Supervisionsphase (auch »Contractingphase« genannt) mit nichts anderem als diesen Unterschieden. Die Teamsupervisorin geht solange keinen Kontrakt ein, wie sich Leitung und Team noch nicht geeinigt haben, worüber und wozu sich das Team mit dem von der Leitung verwalteten Geld mit der Teamsupervisorin unterhalten soll: »Das Wichtigste passiert, noch bevor man mit Supervision … beginnt« (Klinglmair 1991, S. 94). Dabei kann deutlich werden, daß diese Meinungsverschiedenheiten auch durch Supervision nicht geändert werden können. Dann wird diese Teamsupervision nicht geschehen, und alle haben es sich erspart, sinnlos Zeit zu vertun. Hierzu ein Negativbeispiel: Ich (J. S.) berate eine Filiale eines kleinen »psychosozialen Konzerns« zur Lösung der dort endemischen Kooperationsprobleme. Im Verlauf zeigt sich, daß die Zentrale sich oft, aber in ganz unvorhersehbarer Weise in die Alltagsgeschäfte der Filiale einmischt und es dieser schwerer macht, klare Organisationsstrukturen zu entwickeln. In einem Beratungsprozeß über eineinhalb Jahre entwickelt sich, stimuliert durch eine neue Leitung, eine solche klarere Organisationsstruktur, in der auch die Zusammenarbeit der Mitarbeiter viel unkomplizierter wird. Ich beende meine Arbeit. Ein halbes Jahr später bekomme ich einen Anruf. Ein neuer Leiter fragt an, ob ich in der Filiale nicht wieder Supervision machen könnte. Der vorherige Leiter sei gegangen (worden), weil er entsprechende klare Strukturen auch gegenüber der Zentrale eingefordert habe, und damit einen »Grabenkrieg« ausgelöst habe.
Verhandelt man zunächst mit der Organisationsspitze über die Ziele der Beratung einzelner Teams, landet man statt dessen möglicherweise vermehrt bei Leitungssupervision, Coaching oder größeren Organisationsentwicklungsprojekten und weniger bei der üblichen dezentralen Teamsupervision. Diese Auffassung wird beispielsweise von Fürstenau (1990) vertreten, der meint, Supervisionsanfragen deuteten in jedem Fall auf ein Leitungsdefizit hin – folglich solle mit dem Leiter daran gearbeitet werden, dieses zu beheben und nicht durch einen »Gastarbeiter« im Team. Um die Vernetzung »von oben nach unten« zu gewährleisten, sind die Fragen zu klären:
Wie werden Führungskräfte und Entscheidungsträger regelmäßig und in geeigneter Weise über die Prozesse (nicht über die Inhalte, vor allem nicht persönlicher Art!) informiert, die durch die Supervision in Gang kommen? Wie wird geklärt, welche Umsetzungsunterstützung durch welche Führungskraft gewährleistet wird? Wie werden die von Veränderungen betroffenen Subsysteme informiert? (nach: Klinglmair 1991, S. 98).
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Ziel- statt Problemorientierung Die Orientierung an den meist widersprüchlichen Kundenwünschen wird auch in weiteren Sitzungen durchgehalten. Zentral ist die Formulierung und Fixierung von Zielen, von »Visionen« (Schmelzer 1995), die in einer der ersten Sitzungen auf einem großen Wandpapier aufgeschrieben werden können (vgl. S. 210ff). Kriterien der Zielformulierung – positiv formuliert, also: Wo wollt Ihr hin?, statt: Was soll nicht (mehr) sein? – konkret und genau definiert, also klare Bezüge: wie genau wird das aussehen, statt: »weniger x und mehr y« – sinnlich wahrnehmbar, von außen erkennbar: woran würde der Supervisor, ein Mitarbeiter, der Chef erkennen, daß das Ziel erreicht ist? – aus eigenen Mitteln erreichbar: liegt die Zielerreichung in der Kompetenz des Teams (fachliche, persönliche und finanzielle Ressourcen)? – kontextsensibel: Paßt das Ziel zur Unternehmenskultur, läßt es sich mit den Zielen der Institution vereinbaren? Sind die Konsequenzen im ökologischen Kontext vertretbar?
Das Blatt mit den Zielen kann in der Einrichtung an einen Ort gelegt werden, wo es angeschaut oder wieder hervorgeholt werden kann. So eröffnen sich viele Spielmöglichkeiten: Es kann je nach Lage im »Giftschrank« sicher eingeschlossen werden, als »süße Verlockung« im Personalraum hängen oder als »Damoklesschwert« über dem Stationszimmertisch schweben. Von Treffen zu Treffen kann dann die Bedeutsamkeit dessen, was an Veränderungen geschehen ist, immer wieder an diesen anfänglichen Zielen gemessen werden. Das erlaubt Fragen wie: Ist das Ziel eventuell schon erreicht? Hat man es aufgegeben? Welche Prioritäten bestehen? Hat man neue Ziele entwickelt, für die man keine Supervision mehr braucht? Es empfiehlt sich, bei jeder solchen Zielevaluation die Weiterführung der Teamsupervision wieder in Frage zu stellen: Braucht man sie noch, will man sie noch? Die Teamberatung steht also theoretisch dauernd vor ihrem möglichen Ende.
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Zeitgestaltung: Flexibel und endlich Eine endliche Team- oder Organisationsberatung arbeitet zielabhängig mit einer sehr flexiblen Zeitgestaltung. Eine Möglichkeit ist es, keine feste Zahl von Gesprächen und keine Mindestzahl, sondern eine Maximalzahl von Sitzungen zu vereinbaren, die man nutzen kann, aber nicht nutzen muß, etwa zwischen drei und 15 Sitzungen. Diese Verabredung impliziert die Erwartung, daß Änderungen innerhalb überschaubarer Zeit möglich sind, es sei denn, man will sie nicht mehr. Diese Maximalzahl an Sitzungen kann dann in einem potentiell unendlichen Zeitraum abgerufen werden, in unserer Erfahrung oft während ein bis zweieinhalb Jahren. Spaßhaft kann mit Teams besprochen werden, daß sie die übrigbleibenden zwei oder drei Sitzungen noch bis zur Pensionierung des Supervisors abrufen können. Dies impliziert, daß Änderung nicht schnell geschehen muß, ja gar nicht geschehen muß, und daß das Team Wahlfreiheiten hat, bestimmte Veränderungen anzugehen oder es bleiben zu lassen. Bei all diesen Überlegungen sollte jedoch auch beachtet werden, daß, ähnlich wie in der Therapie, es sehr unterschiedliche inhaltliche Aufträge gibt, die entsprechend unterschiedliche Kontrakte bedeuten (S. 114). Nicht immer geht es um schnelle Änderungen, und manchmal kann ein Supervisionsauftrag auch darin bestehen, in belastenden Kontexten für eine gewisse Zeit Unterstützung zu bieten (etwa in der Arbeit mit Krebskranken und Sterbenden). Die Orientierung an Kurzzeitnormen sollte in keinem Fall zum Dogma werden, wenngleich auch in solchen Fällen Zeitbegrenzung und Zwischenbilanzsitzungen dafür sorgen können, daß Supervision keine »unendliche Geschichte« wird (hierzu Simon 1991b). Ziel der Supervision ist immer, sich selbst überflüssig zu machen. Unseres Erachtens sind Teamsupervisionen, die als fester Bestandteil des Konzeptes einer Einrichtung verordnet werden und ständig angeboten sind, weniger hilfreich als zeitlich begrenzte Maßnahmen, die sich ein Team womöglich auch noch erkämpft hat. Sonst kann die Supervision sogar zu einer Konfliktvermeidungseinrichtung werden: alle konflikthaften Punkte werden auf den Gesprächstermin verschoben, – und dann kriegt man »die zwei Stunden« auch herum, ohne die heißen Eisen anzusprechen. Die Abstände zwischen den Sitzungen werden danach gewählt, wie lange das Team braucht, um mit den Ideen aus der Sitzung soweit experimentiert zu haben, daß man deren Brauchbarkeit beurteilen
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kann. Faustregel: Je weniger passiert, desto größer die Abstände (vgl. S. 205ff).
Der Beginn einer Supervision: Zugänge zu Teamwirklichkeiten Das gesamte Repertoire systemischer Beratung läßt sich auch für die Supervision nutzen. Vor allem Skulpturarbeit, reflektierendes Team (bzw. das Spiel mit reflektierenden Positionen unter Einbeziehung einzelner Teammitglieder, vgl. S. 203f) und zirkuläres Fragen eignen sich gut als Zugangsformen auch institutioneller Systeme (Anregungen für Fragen finden sich bei Gester 1992, viele kreative Übungen und Aufgaben sind bei Brandau und Schüers 1995 beschrieben). Die Fragen müssen natürlich der institutionellen Wirklichkeit und der Arbeitswelt angepaßt werden: bedeutsame Subsysteme bilden sich in Institutionen durch hierarchische Unterschiede, aber auch durch unterschiedliche Ausbildungen (Akademiker und Nichtakademiker o. ä.), verschiedene Aufgabenbereiche und durch unterschiedliche Gehaltsstufen. Die Kooperation dieser unterschiedlichen Subsysteme und vor allem die damit verbundenen Empfindungen von mehr oder weniger Selbstwert, Eifersucht und Geringschätzung können wichtige Hinweise liefern. Wichtige Fragen können sich, wie in der Familienarbeit auch, auf den Zeitpunkt und die Entstehungsgeschichte des Supervisionskontakts beziehen:
Warum wird gerade jetzt Beratung gesucht und warum gerade diese Beraterin gewählt? Wer hat die Initiative ergriffen? Was könnte seine besondere Hoffnung sein? Wer unterstützt das Projekt, wer ist eher skeptisch (Rangreihe)? Wer im Team ist mehr als 50 % an Veränderung interessiert? Gab es schon ähnliche Vorhaben, wie sind sie verlaufen? Wie sehen die Aufträge der unterschiedlichen Personen (auch nicht anwesende) aus?
Wenn der jeweilige Kontext gut geklärt ist, lassen sich Fragen stellen, die explizit das aktuelle Beziehungsnetz beziehungsweise die Teamkultur fokussieren:
Wenn Sie eine Metapher für Ihr Team finden sollten, welche wäre dies? Welche brisante Frage sollte/dürfte ich auf keinen Fall stellen?
Einige mögliche »brisante« Fragen:
Mit wem müßte ich mich hier am ehesten verbünden, um zu scheitern? Welche Beziehung sieht wer im Team als die brisanteste/als die stabilste? In welcher Beziehung wird die meiste/wenigste Konkurrenz gesehen? Worum geht es dabei (Leistung, Beliebtsein)?
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Wer hält sich hier für am kompetentesten? Wer ist der nächste, der das Team verlassen wird und warum? Wer wird am längsten bleiben? Was glauben Sie, wen Ihr Nachbar für den heimlichen Chef des Teams hält?
Wie man scheitern kann In systemischen Supervisionen wird oft gefragt, was man tun könnte, um absichtlich zu scheitern. Wie Team- und Organisationsberater scheitern können, läßt sich in einigen bewährten Tips zusammenfassen (siehe unten): Diese Art von »angetörnt-sedierend-unendlich-ineffektiver« Teamberatung wurde provokativ als »Opium für das Volk« bezeichnet (Schweitzer 1996), systemische Supervision dagegen als »nüchtern-stimulierend-endlich«. In Stil und Atmosphäre ist systemische Team- und Organisationsberatung einerseits eine relativ nüchterne Angelegenheit. Sie zielt nicht grundsätzlich auf die Aktivierung emotional intensiver Erlebnisse in der Supervisionssitzung, sondern auf die Stimulation von Ideen zur möglichst einfachen Lösung komplizierter Probleme. Andererseits zeichnet sie sich oft durch geringen Ernst aus. In systemischen Teamberatungen wird oft gelacht, werden Geschichten oder gar Witze erzählt, werden ungewöhnliche Fragen gestellt und auch seltsame Ideen nicht zensiert. Was angestrebt wird, sind gemeinsame Visionen über eine bessere künftige Praxis, und »tiefer Ernst« ist seinerseits nur selten Bestandteil solcher Visionen! Team- und Organisationsberatung: Tips zum Scheitern 1) Man verabrede sich mit denen, die gerade da sind und etwas wollen. Vor allem mit denen, die in der Institution wenig Einfluß haben. 2) Man verbünde sich mit diesen, erzeuge Intimität in der warmen Stube, höre sich das Schimpfen über die Institution empathisch oder auch zustimmend an. 3) Man fördere mit Kaffee, Kuchen, Kerzen eine besonders gemütliche Atmosphäre. 4) Als häufigste Frage erkundige man sich: »Wie fühlen Sie sich denn dabei?« 5) Man definiere möglichst viele institutionelle Strukturen und Zwänge in persönliche oder zwischenmenschliche Kompetenzdefizite um. 6) Man lege einen regelmäßigen, möglichst 14tägig oder idealerweise wöchentlichen Sitzungsabstand fest. 7) Man verzichte darauf, zu erfragen, was zwischen den Sitzungen gelaufen ist. Man vergesse die anfänglich geäußerten Zielsetzungen und erfinde statt dessen immer neue.
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13.5. Wenn Chefs Rat suchen: Coaching von Führungskräften Der Begriff »Coaching« nimmt im Kontext von Organisationsberatung erst etwa seit Mitte der 80er Jahre einen immer größeren Stellenwert ein, vorher umschrieb er Maßnahmen zur Betreuung von Leistungssportlern (Rauen 1996). Als Beratungskonzept kann Coaching verschiedenerlei bedeuten (Hauser 1991): – die Beratung von Führungskräften durch einen außenstehenden Berater/Supervisor – die Beratung durch firmeneigene Berater als Qualifizierungsangebot für Führungsnachwuchskräfte – die Beratung von Untergebenen durch eine Führungskraft.
Das gestiegene Interesse im Managementbereich an Coaching hat mit einer langsamen Bewußtseinsveränderung zu tun. Führungsqualität und persönliche Entwicklung werden zunehmend als untrennbar miteinander verknüpft erlebt (Bayer 1995), die Angst, sich psychologische Unterstützung zu holen, ist gesunken. Inhaltlich geht es beim Coaching darum, institutionelle Konfliktsituationen auf eigene Anteile und eigene Möglichkeiten hin zu reflektieren. Dazu gehört auch die Konfrontation mit möglicherweise vernachlässigten Führungsaufgaben. Beispiel: In einem Coaching-Prozeß mit dem Leiter einer Erziehungsberatungsstelle werden die folgenden typischen Führungsaufgaben dieser Position erarbeitet: – Personalführung und -kontrolle, – Personalpflege, – Personalentwicklung, – inhaltlich-konzeptionelle Führung, Ziele der Erziehungsberatungsstelle, – Außenvertretung und Öffentlichkeitsarbeit, – Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit, – fallbezogene Mitarbeit im Team. Durch einfache Methoden (Zeit- und Energieverteilungskuchen: »Wieviel Prozent meiner Zeit und Energie widme ich welcher Aufgabe?«) wurde dieses Aufgabenspektrum mit der Alltagsarbeit des Leiters konfrontiert. Dies führte vor Augen, daß er einige Aspekte völlig vernachlässigt hatte, und daß ihm daher von Seiten des Trägers zu Recht vorgeworfen wurde, er kümmere sich zu viel um Therapie und zu wenig um die Belange der gesamten Einrichtung.
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Coaching durch einen externen Berater Der Coach ist hier ein meist psychotherapeutisch geschulter Berater, der sich als neutraler Außenstehender anbietet. In diesem Fall sind Coachingprozesse am ehesten therapeutischen Prozessen vergleichbar, Querverbindungen von beruflichen und persönlichen Thematiken sind herstellbar. Es geht darum, Wahrnehmungsblockaden zu lösen, Selbstorganisationsprozesse anzuregen (Hauser 1991, 1993) und Selbstmanagement zu fördern (Schreyögg 1994). Im Unterschied zur Therapie ist es für einen Coaching-Kontrakt sinnvoll, eine Grenze zu vereinbaren, bis zu der persönliche Fragen angesprochen werden können (etwa wenn es um biographisches Arbeiten oder um gefühlsmäßig sehr intensive Themen geht). Im Vergleich zum landläufigen Verständnis von Therapie kann Coaching erfordern, daß der Berater eine klarere Position bezieht, etwa über die offene Rückmeldung über wahrgenommene »blinde Flecken« (Lenz u. Osterhold 1994). Besondere Bedeutung kommt im Coaching dem Contracting zu. Ähnlich wie in der systemischen Arbeit mit anderen Systemen ist die Frage: »Wer ist mein Auftraggeber?« zentral. Optimal ist es, wenn ein Ratsuchender im eigenen Interesse und als »Selbstzahler« kommt, wenn eine Führungskraft auf eine neue Position gekommen ist und jemanden sucht, mit dem sie ihr neues Arbeitsfeld reflektieren kann. Hier ist der Kontrakt eindeutig. In vielen Fällen wird jedoch Coaching »verordnet«, dann ist die Etablierung eines persönlichen Arbeitsbündnisses schwieriger. In einem Fall half es dem Klienten, die mit der Zuweisung verbundene Kränkung zu überwinden, als er erfuhr, was die Coaching-Sitzungen seine Firma kosteten: ›Soviel bin ich denen wert, daß sie eine solche Summe investieren, weil sie mich nicht abschieben wollen!‹
Abzuklären ist in jedem Fall auch die Bedeutung, die die Beratung für den Vorgesetzten hat, besonders, wenn die Firma diese bezahlt. Bei Personen aus der mittleren Führungsebene sollte klar sein, daß sie für ein solches Unterfangen die Unterstützung ihres Chefs haben. Hier kann einiges an (kostenloser …) Vorarbeit erforderlich sein, teilweise kann das jedoch auch der Ratsuchende selbst übernehmen. Generell gilt: Solange die Auftragslage unklar ist, besteht kein Kontrakt, solange kein Kontrakt besteht, gibt es keine Beratung. Hauser (1991) unterscheidet ähnlich wie in der Therapie zwischen formalem Kontrakt (Zeit, Ort, Bezahlung) und inhaltlichem Kontrakt, für den er vorschlägt, Fragen danach zu stellen, ob der Coachee bereit
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ist und sich für mutig genug hält, die gegenwärtige Konstellation selbstkritisch zu betrachten, nach eigenen Anteilen an der Patt-Situation mitzusuchen und, ob es durch die Beratung überhaupt etwas zu gewinnen gebe.
Abbildung 19 (aus: Brandau 1991, S. 92)
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Coaching durch firmeneigene Berater In einigen Firmen stehen für Führungskräfte interne Spezialisten als Coachs zur Verfügung. Dies hat den Vorteil, daß der interne Coach die Abläufe im Betrieb (und die damit verbundenen Personen) gut kennt. Der Nachteil ist, daß er nie völlig neutral sein kann. Der firmeninterne Coach wird meist eher vom mittleren bis unteren Management konsultiert. Die Gründe sind ähnlich: Auch hier fehlt oft Rückmeldung, wird Unterstützung bei beruflichen Übergängen gesucht. Wie beim externen Coaching auch ist hier für das Zustandekommen eines überlebensfähigen Kontraktes die Unterstützung durch den Vorgesetzten unabdingbar. Dessen Funktionen dürfen durch das Coaching nicht geschwächt und schon gar nicht ersetzt werden.
Coaching durch einen Vorgesetzten In diesem Fall ist Coaching ein Aspekt von Führung. Der Vorgesetzte bietet sich als Unterstützung an, etwa im Rahmen von Projekten, um die Mitarbeiter in ihren Potentialen zu unterstützen. Darin drückt sich ein bestimmtes partnerschaftliches Selbstverständnis von Führung aus. Führung wird weniger traditionell, sondern mehr in ihrer Mentorfunktion begriffen, als Beitrag, ein Klima zu verwirklichen, in dem die Potentiale der Mitarbeiter sich entwickeln können (Rauen 1996). Mehr als in den anderen Coachingformen muß hier sensibel darauf geachtet werden, daß die basale Voraussetzung für jede Beratung gegeben ist: Vertrauen. Ohne Vertrauen als Basisressource (Weidlich 1995) kann kein Beratungsprozeß gelingen, und wenn Mißtrauen und Mißverständnisse zwischen verschiedenen Führungsebenen bestehen, sollte zunächst daran gearbeitet werden, ehe man sinnvoll coachen kann. Gute Voraussetzungen für diese Form von Führung bieten Unternehmen, die durch flexible Hierarchien, Teamorientierung und »Management by objectives« (Führen durch Zielvereinbarung) gekennzeichnet sind (ein empfehlenswertes Buch zum Thema Führung speziell für soziale Organisationen ist Lotmar u. Tondeur 1994, weitere Hinweise s. S. 256 ff).
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Das Coaching-Gespräch In einem systemisch ausgerichteten Coaching-Gespräch kann die ganze Bandbreite systemischer Methodik eingesetzt werden. Die von Hauser (1993) vorgeschlagene »Rafael«-Methode kann dabei eine gute Strukturierungshilfe sein (Rauen 1996). RAFAEL-Methode: Report: »Was ist passiert?« Bericht über Wahrnehmung und Bewertung der Situation und des eigenen Verhaltens Alternativen: »Was würden Sie beim nächsten Mal anders machen?« Feedback: »So habe ich Sie erlebt!« Austausch: »Welche Dinge sehen wir verschieden?« (Diskrepanzen in Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung werden benannt und besprochen. Erarbeitung von Lösungsschritten: »Was ist als Nächstes zu tun?«
13.6. Do it yourself: Das Auftragskarussell als Mittel der Selbstsupervision Ein wesentliches Element der Kontextklärung, sei es zu Beginn einer Therapie oder Beratung, sei es in einer kritischen »festgefahrenen« Situation im Beratungsverlauf, ist die Klärung der Aufträge, die man erhalten hat und sich bemüht, zu erfüllen. Vielfach ist es gerade der Versuch, alle, auch die widersprüchlichen Aufträge zu erfüllen, der zu dem Gefühl von »Sackgasse« in Beratung, Supervision und Therapie führt. Je früher daher die Auftragssituation prägnant ist, um so eher ist die eigene Bewegungsfähigkeit gewährleistet. Das Auftragskarussell stellt eine Form der »Self-care«-Technik dar (von Schlippe 1990, 1992, 1996b), die entweder allein oder in der Gruppe durchgeführt werden kann. Es liefert einen schnellen Überblick über die offenen und verdeckten Aufträge im Problemsystem, wie sie jeweils aktuell wahrgenommen werden. Als Methode ist es der von Virginia Satir entwickelten »Parts-Party« verwandt (s. hierzu Klockmann 1992).
Offene und verdeckte Aufträge Die Klärung der Auftragssituation ist oft dadurch erschwert, daß Aufträge nicht nur offen vergeben werden (»Die Beziehungen im Team sollen besser werden«), sondern auch verdeckt (»… und dazu muß X
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das Team verlassen; bitte stelle fest, daß dies der einzige Weg ist, und übernimm die Verantwortung für seinen Hinauswurf!«). Verdeckte Aufträge sind vielfach nicht bewußt und auch daher gerade zu Beginn einer Auftragsübernahme schwer verhandelbar. Neben der ausführlichen Abklärung beispielsweise über zirkuläres Fragen kann das Auftragskarussell hier hilfreich sein.
Durchführung Die Durchführung soll hier am Beispiel der Eigensupervision in dem Fall beschrieben werden, daß ein Supervisor sich in einer Team-Supervision festgefahren hat. Für die Situation der Übernahme eines aktuellen Auftrags und die Durchführung in der Gruppe oder mit einem Kollegen sind einige Schritte entsprechend abzuwandeln. 1. Raum schaffen Sorgen Sie für einen Ort, an dem Sie für etwa eine bis anderthalb Stunden ungestört sind. Versetzen Sie sich in eine »meditative Haltung« in bezug auf das Team. Fragen Sie sich ohne »Zensur«: Wer alles erscheint mir für die Beurteilung der Situation wichtig zu sein? Laden Sie alle inneren und äußeren Figuren (s. u.) ein, indem Sie ihnen einen Stuhl (oder ein Kissen) bereitstellen und einen Zettel mit dem Namen darauflegen. 2. Das äußere und das innere Problemsystem Wichtig ist hier, zunächst neben den unmittelbar am Prozeß beteiligten Personen sich auch auf Menschen zu konzentrieren, mit denen Sie nicht direkt im Kontakt stehen. Das Problemsystem kann durchaus diese mit einbeziehen. Daher ist neben der Frage nach den Teammitgliedern auch die Frage nach dem institutionellen Kontext der Supervisionsgruppe bedeutsam: welche Personen entwickeln eine Perspektive auf das Geschehen der Supervision, welche Arten von Aufträgen könnten sie direkt oder indirekt vermitteln. Problemsysteme werden jedoch nicht nur durch äußere Personen gebildet, sondern auch durch »innere Personen«, also Repräsentationen eigener kritischer oder auch unterstützender Anteile. Fragen Sie sich also nicht nur nach »realen« Personen, sondern auch nach inneren. Es können Menschen aus der eigenen Geschichte sein wie etwa ein strenger leistungsfordernder Vater, eine hilfsbedürftige Großmutter, aber auch sehr persönliche innere Anteile wie der »Anwalt des Kindes« (Brönneke u. a. 1992), die »innere Feministin« o. ä. Satir fordert in der Parts-Party die Protagonisten auf, für die inneren Anteile Phantasiefiguren zu wählen (Märchengestalten, Filmschauspieler, Politiker, historische Gestalten o. ä.). Versammeln Sie auch diese um sich, vergessen Sie dabei aber nicht, auch hilfreiche innere und äußere Personen mit einzubeziehen (z. B. den Partner/Partnerin, der/die sagt: »Egal, wie du das Problem löst, ich mag dich!«). Vergessen Sie auch und vor allem nicht Ihren kreativen inneren Teil, der schon viele Probleme für Sie erfolgreich gelöst hat.
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3. Aufträge fokussieren Im nächsten Schritt gehen Sie mit all diesen Gestalten in Kontakt, indem Sie sich auf ihren Stuhl setzen und sich mit ihnen identifizieren. Die Gestalttechnik der Identifikation ermöglicht eine unmittelbare Erlebnisnähe, die »über den Kopf« nicht zu leisten ist. Die Identifikation vermag auch fundiertere Hypothesen über den offenen Aufträgen unterliegende verdeckte Aufträge zu erbringen. Versuchen Sie, den Prozeß der Identifikation mit einem möglichst prägnanten Satz zu den offenen und zu den verdeckten Aufträgen abzuschließen: »Es soll in unserem Team weniger Streit geben!« – »Sorge dafür, daß mein Chef mich anerkennt!« – »Schmeiß X raus!« Gerade dieses Präzisieren gelingt natürlich leichter mit einem Helfer. 4. »Der Weg von 1000 Meilen beginnt mit dem ersten Schritt« – die Fülle differenzieren Nach dem Prozeß der verschiedenen Identifikationen kann es Ihnen gehen wie vielen, die angesichts der Vielfalt der zum Teil widersprüchlichen Aufträge ein Gefühl von Hilflosigkeit und Ohnmacht überfällt: »Das kriege ich nie unter einen Hut!« Man wird mit der gesamten Komplexität konfrontiert und erlebt diese als nicht reduzierbar. Hier ist es wichtig, sich getreu dem obigen chinesischen Sprichwort zu verhalten und zu differenzieren. Nehmen Sie Ihren Stuhl und setzen Sie sich nacheinander jeder einzelnen Person gegenüber und achten Sie darauf, was Ihnen möglich ist und was nicht: »Den Auftrag in der Form werde ich nicht akzeptieren. Ich kann Ihnen aber das und das anbieten!« Es ist nicht nötig, allen Aufträgen zu entsprechen, man kann ihnen eigene Angebote entgegensetzen, nur müssen die Aufträge bekannt sein. 5. Umsetzung in die Praxis Vielfach genügt die Durchführung des Auftragskarussells, um wieder Zugang zur eigenen Handlungsvielfalt zu haben. An zwei Punkten könnte eine explizitere Umsetzung bedeutsam sein: bei sehr problematischen offenen Aufträgen und bei sehr hartnäckigen inneren Anteilen. Im Falle sehr widersprüchlicher Aufträge sollten diese im Supervisionssystem offen thematisiert werden, denn dann ist der Kontrakt noch nicht klar. Eine solche Klärung kann beispielsweise dazu führen, daß die Arbeit beendet wird oder daß sie auf einer anderen Ebene, gegebenenfalls mit anderen Personen, fortgesetzt wird. Bei sehr hartnäckigen inneren Anteilen muß mit diesen eine Vereinbarung getroffen werden. So kann zum Beispiel der »innere Abwerter« sich bereit erklären, für die Zeit der Supervision außerhalb des Raumes, vielleicht auf einem extra dafür reservierten Platz, zu warten, wenn Sie bereit sind, sich nach der Sitzung seinen Argumenten zu stellen (eine solche Verabredung sollten Sie allerdings unbedingt einhalten!).
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13.7. Mit größeren Systemen arbeiten: Die Familie-Helfer-Konferenz Alle bislang beschriebenen Settings arbeiten mit sozialen Systemen mit relativ klar beschreibbaren Außengrenzen: Individuen, Familien, Teams, Organisationen. Die beiden letzten hier beschriebenen Settings hingegen dienen der Lösung von Problemen zwischen Systemen, zwischen denen es zwar kaum »face-to-face interaction« gibt, die aber dennoch oder gerade deshalb die Arbeit des jeweils anderen nachhaltig behindern und deren Ergebnisse vereiteln können. Klassisches Beispiel sind die Beziehungen zwischen Familien und öffentlichen Diensten des Gesundheits- und Sozialwesens. Solche Konstellationen sind als »Family-School-Interface« (Aponte 1976), »Family and Agency Network« (Adams 1979), »Spannungsfeld zwischen Familien und anderen beratenden Institutionen« (Rotthaus 1986) oder »Familie-Helfer-System« (Schweitzer 1987) beschrieben worden. Hier entwickeln sich um eine hilfesuchende Familie herum Zusammenarbeitsformen zwischen mehreren zuständigen Diensten, die aus Sicht der einzelnen Dienste alle vernünftig sind, die aber in ihrer Wechselwirkung kontraproduktive Wirkungen (für die Familie wie für die Dienstleister) zeitigen, die niemand so gewollt hat. Einige Beispiele: – Ein Kind stört außerordentlich in seiner Schulklasse. Die Lehrerin vermutet familiäre Konflikte hinter diesem störenden Verhalten und überweist zur Erziehungsberatungsstelle. Dort angekommen, berichten die Eltern, zu Hause verhalte sich das Kind prima; sie vermuten, die auch ansonsten labil wirkende Lehrerin sei einfach überfordert. Was sie hier sollen, ist ihnen unklar. – Ein 14jähriger, in einem Kinderheim lebender Junge wird wegen gewalttätiger »Durchbrüche« in eine kinder- und jugendpsychiatrische Klinik eingewiesen. Nach zunächst erfolgreich scheinender Anfangsphase scheitert diese Behandlung zunehmend an folgender Konstellation: Die Heimerzieher sind sich uneinig, ob sie den Jungen auch nach gelingender Therapie zurückhaben wollen; die geschiedenen Eltern streiten sich über das Sorgerecht für ihn; der Vater drückt dem Jungen gegenüber bei Wochenendbesuchen seine deutliche Skepsis über den Sinn des Klinikaufenthaltes aus; die Jugendpsychiatriemitarbeiter entzweien sich darüber, ob sie sich das bedrohliche Auftreten des Jungen wirklich »antun« müssen. – Ein Arbeitsmigrant der ersten Generation, Ende 50, wird mit unklaren Schmerzzuständen erst in die orthopädische, von dort in die neurologische Klinik eingewiesen. Dort ist nach 14 Tagen nichts gefunden worden, am 15. Tag steht die Entlassung an. Um »nichts zu übersehen«, überweist die Neurologie den Patienten am letzten Tag zur psychosomatischen Untersuchung. Dieser kommt dort hochgradig verärgert an, sowohl weil man bei ihm nichts gefunden hat, als auch weil man ihn nun auch noch für verrückt erkläre.
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Wenn solche Kooperationsprobleme zwischen mehreren Institutionen rund um dieselben Klienten entweder immer wieder oder in einem Einzelfall sehr massiv auftreten, kann eine meist einmalige systemische Beratung mit den Beteiligten sinnvoll sein. Hierzu sind Formen der Beratung mit externer, in die Fallarbeit nicht verstrickter SupervisorIn entwickelt worden, und solche, die ohne eine solche Metaposition auskommen müssen.
Mit externer Beratung: Das »Family and Larger Systems Interview« Als Beispiel einer Familie-Helfer-Konferenz mit externer Beratung sei das von Evan Imber-Black (1992) entwickelte »Family and Larger Systems Interview« beschrieben. Imber-Black bietet KollegInnen, die in einem Behandlungsfall »festgefahren« sind und dies auf eine unproduktive Familie-Helfer-Kooperation zurückführen, eine einmalige Beratung in ihren Räumen ein. Die Kollegin, die dies initiiert, lädt selbst die Familie und die anderen Fachleute zu diesem Gespräch ein, und zwar mit dem Tenor: »Helfen Sie mir, aus einer unproduktiven Situation wieder herauszukommen, durch Teilnahme an diesem Gespräch.« Die externe Beraterin folgt drei Grundprinzipien: Sie interessiert sich nicht für die inhaltlichen Positionen, sondern für die damit verbundenen Beziehungsprozesse; Thema ist nicht das Binnenleben der Familie oder der einzelnen Institutionen, sondern deren Zusammenspiel; sie bemüht sich um strikte Neutralität – Voraussetzung dazu ist unter anderem, mit dem Fall zuvor und auch künftig nicht direkt befaßt zu sein. Den prototypischen Ablauf eines solchen Gespräches haben wir in einem »Leitfaden« zusammengefaßt.
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Leitfaden für ein »Family and Larger Systems Interview« 1. Vorbesprechung: 1) Nachfragender Helfer trägt bisherigen Verlauf vor 2) Die Beraterin (und Team, wenn vorhanden) bilden vorläufige Hypothesen (in Abwesenheit des nachfragenden Helfers) 2. Interview: 1) Wer ist einbezogen? Wie viele Menschen? – Wie lange schon? – Wann/unter welchen Umständen wurden Helfer einbezogen? 2) Problemdefinition – Worin liegt das Problem? Wer gibt wem die Schuld am Problem? – Wer hat das Problem als erster bemerkt? – Wen betrifft es am stärksten? 3) Wahrnehmung von Rollen – Wie sieht jeder seine Aufgabe? – Was würde jeder gerne tun? Was kann jeder tun? 4) Meinungen über den durch die Hilfe erzielten Fortschritt – Derzeit: Geht es voran? Stagniert es? Wird es schlimmer? – Wurde die Situation durch Hilfe schlimmer oder besser? – Wem hat die Hilfe am meisten geholfen? – Wer freut sich am meisten über den Fortschritt? Wer leidet am meisten unter Nichtfortschritt? – Welche Hilfe war am nützlichsten? – Wie optimistisch oder pessimistisch sind alle über weiteren Verlauf? 5) Feste Meinungen über »Familie« und »Helfer« – Wer in der Familie hält Hilfe von außen für sinnvoll oder notwendig? (auch: welche nicht anwesenden Familienmitglieder) – Was denken die Helfer über die Nutzung ihrer Hilfe durch die Familie, was denken sie über die Hilfsbedürftigkeit der Familie? 6) Alternativen: – Was, wenn sich das Problem plötzlich von selbst löst? – Was, wenn das Problem (in 1, 2, 5 Jahren) immer noch ungelöst ist? – Was, wenn plötzlich alle Hilfe aufhörte? Dazu ist jeweils zu fragen: – Für wen wäre es am härtesten? – Würde es dem Indexpatienten besser- oder schlechtergehen? – Für wen würde sich am meisten ändern? 3. Nachbesprechung (Beraterin und Team): 1) Neuformulierung der Hypothese: Funktion des Symptoms im FamilienHelfer-System 2) Formulierung einer Intervention. Als Interventionen nach der Sitzung kommen »Meinungen« (positive Konnotationen), die Empfehlung von Ritualen, die Empfehlung einer veränderten Teilnehmerzusammensetzung künftiger Therapiegespräche sowie die Versendung von Protokollen an alle Beteiligten in Frage. (aus: Schweitzer 1987a, S. 82f., in Anlehnung an Manuskriptvorlagen von Imber-Black)
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Ohne externe Beratung: Familie-Helfer-Konferenzen Steht eine externe Beratung nicht zur Verfügung, sollte keiner der Beteiligten versuchen, diese Rolle zu imitieren. Die Fachkollegen werden ihm verübeln, wenn er »im gleichen Boot sitzt« und zugleich »den Therapeuten spielen will«. Im kinder- und jugendpsychiatrischen Bereich stellt sich besonders häufig das Problem, die Erwartungen von Jugendlichen, Angehörigen, Heimerziehung und Jugendamt an eine stationäre jugendpsychiatrische Familie-Helfer-Konferenz in der Kinder- und Jugendpsychiatrie zur Entscheidung, ob ein Jugendlicher aus einer Jugendhilfeinrichtung dort aufgenommen werden soll: 1. Vorklärung: Wir erkundigen uns (telefonisch oder aus Akten), wer alles die stationäre Behandlung wesentlich beeinflussen könnte (im Guten wie im Schlechten) und laden diese Parteien ein. Meist sind dies der Jugendliche, ein bis zwei Angehörige, ein bis drei Vertreter des Heimes, ein Jugendamtsmitarbeiter, manchmal eine Lehrerin, eine Erzieherin oder Krankenschwester der in Frage kommenden Station. 2. Problemdefinition und Lösungsvorschläge: Jeder Teilnehmer wird nach seiner Sicht des Problems, nach seinen Ideen über dessen Lösung und nach seiner Zustimmung oder Ablehnung zur Sicht der anderen Teilnehmer befragt. 3.1. Gegenüberstellung: Die Teilnehmer diskutieren die Unterschiede zwischen ihren Vorstellungen, erreichen im günstigen Fall einen Konsens. Bei rigide verhärteten Positionen führt dies nicht weit, und wir gehen über zu 3.2. Zirkulären, hypothetischen Fragen über die voraussichtlichen künftigen Auswirkungen verschiedener Lösungsversuche im System. Dieser ermöglicht den Teilnehmern vorauszusehen, welche nützlichen oder schädlichen Konsequenzen ihr Lösungsversuch in den Verzweigungen des Gesamtsystems voraussichtlich haben wird und kann zur Überprüfung festgefahrener Positionen führen. Im günstigen Fall kommt es nun zu einer 4. Kontraktbildung: Wir versuchen, mit allen Teilnehmern eine Vereinbarung über das weitere Vorgehen zu treffen. Diese kann weitere ambulante Gespräche, einen Verbleib im Heim, eine Rückkehr in die Familie oder auch eine stationäre Therapie mit möglichst klarer Zeit- und Zielperspektive beinhalten. Ist kein Konsens möglich, wird verabredet, wie der Klärungsprozeß fortgeführt werden soll. 5. Protokollversendung: Nach dem Gespräch versenden wir (mit Erlaubnis der Anwesenden) ein Gesprächsprotokoll, – auch und gerade an die Mitglieder, die eingeladen waren, aber nicht erschienen sind. Dies beinhaltet besonders die Voraussagen der Anwesenden darüber, wie sich der Abwesende voraussichtlich künftig verhalten wird. Oft erhalten wir umgehend eine Rückmeldung des Angeschriebenen. (nach: Schweitzer 1987b, S. 251f)
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Behandlung von solchen Jugendlichen aufeinander abzustimmen, die in der Heimerziehung als »nicht mehr tragbar« angesehen werden. Beispielhaft für diesen Kontext wurde von Schweitzer et al. (1986, s. a. 1987b) eine dieser Situation angepaßte Form der Familie-Helfer-Konferenz entwickelt: Die einladende Klinik bittet alle Beteiligten, ihr zu helfen, sich klarzuwerden, ob, zu welchem Ziel und auf welche Weise die Klinik mit ihrem Angebot stationärer Behandlung nützlich sein könnte. Ein Klinikmitarbeiter ist Moderator dieser Gespräche. Das bedeutet: ihm wird eine Gesprächsleitung zugestanden, nicht aber das Recht, aus einer Metaposition heraus schlaue Umdeutungen zu formulieren oder gar Experimente, Rituale, Hausaufgaben zu empfehlen. Der Konferenzablauf ist in Tabelle 6 beschrieben. Erfahrungen mit diesem Vorgehen zeigen, daß die stationäre Behandlung damit sehr viel konfliktärmer verläuft, weil der Jugendliche miterlebt, daß die für ihn wichtigen Erwachsenen eine gewisse Übereinstimmung erzielten. Allerdings reicht dies allein oft nicht aus, um sicherzustellen, daß Verabredungen aus diesen Konferenzen auch nach der stationären Behandlung realisiert werden. Ein ähnliches Vorgehen, allerdings ohne Beteiligung der Familie beschreibt Hawellek (1990) für die Arbeit mit Pflegefamilien.
14. Anwendungsbereiche Viele Dienstleistungsberufe haben mehr und andere Aufgaben als »nur« die Anregung von Selbstorganisation. Sie sollen ihren Kunden das geben, was diese in ihrem Repertoire gerade nicht verfügbar haben. Zum Beispiel: Geld (Sozialhilfe), eine Gipsschiene (Chirurgie), Antibiotika (Medizin), Hausaufgabenaufsicht (Jugendhilfe), Einschluß hinter Gittern (Strafvollzug), Gehaltserhöhungen oder Kündigungsdrohungen (Personalabteilungen). Auch hier kann systemisches Denken nützlich sein: – Es kann helfen, mit den Adressaten der Dienstleistung reibungsfreier zu kooperieren, indem der Kooperationskontext genau geklärt wird: Wer erteilt welchen Auftrag? Was wird die Maßnahme in anderen Bereichen des Problemsystems bedeuten? Wer wird von dort aus gut kooperieren oder über »Widerstand« zeigen, daß er mit den Maßnahmen nicht einverstanden ist? – Es kann helfen, die Effekte des eigenen fachlichen Tuns im sozialen System des Dienstleistungsempfängers realistischer einzuschätzen und bei Stagnationen zu prüfen, ob »mehr desselben«, »begründetes Nichtstun« oder »etwas ganz anderes tun« sinnvoller wäre – ob eine Operation, ob eine Diätempfehlung, ob Nach-
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hilfeunterricht, ob die Verlegung in eine andere Justizvollzugsanstalt aussichtsreich erscheinen. – Es kann helfen, die Kooperation mit Vorgesetzten, Mitarbeitern und externen Fachleuten zu erleichtern – mit Schulräten, Arzthelferinnen, Industriemeistern, Elternbeiräten, Sekretärinnen oder Amtsrichtern, indem all diese Personen als Teil des Kontextes wahrgenommen werden und ihr potentieller Beitrag zur Lösung der anstehenden Fragen geschätzt wird.
Systemisches Denken ist in solchen Bereichen weniger als die primäre Arbeitsmethode zu sehen, sondern eher als Perspektive und Hilfsmittel zur Entscheidungsfindung, welches Vorgehen aus dem eigenen fachlichen Kanon erfolgversprechender als andere scheint. In diesem Kapitel sollen einige ausgewählte Kontexte im Sinne eines erweiterten Literaturüberblicks jeweils kurz vorgestellt werden, in denen bislang am Rande oder außerhalb traditioneller Therapie- und Beratungskontexte systemische Konzepte ein- und umgesetzt worden sind (wohl wissend, daß diese Auswahl bruchstückhaft bleiben muß). »Klassische« Anwendungsfelder wie die Erziehungs- und Familienberatung (Hahn u. Müller 1993), die psychotherapeutische Praxis und die psychosomatische Klinik haben wir in diese Übersicht bewußt nicht aufgenommen.
14.1. Familienmedizin In Deutschland ist eine Umsetzung systemischer Konzepte im Kontext der Organmedizin bislang nur in Ansätzen beobachtbar. Zwar wurden, vor allem aus zwei daran arbeitenden Heidelberger Arbeitsgruppen, wichtige Beiträge zur familienpsychosomatischen Theoriebildung (Wirsching u. Stierlin 1982, Stierlin 1988, Retzer 1993, Simon 1995), zur systemischen Therapiemethodik bei körperlichen Krankheiten (z.B. Retzer 1988) und zu einer systemisch inspirierten stationären Psychosomatik vorgelegt (Petzold 1979, Kröger, Bergmann u. Petzold 1986). Die Integration dessen in die »Alltagsmedizin« steht jedoch noch am Anfang, wenngleich sie gerade in den letzten Jahren an Bedeutung sehr zugenommen hat. Häuser schilderte 1989, welche systemischen Fragen und Methoden sich in der medizinischen Klinik einsetzen lassen. Wirsching (1983) beschrieb aus systemischer Sicht die Probleme eines psychosomatischen Konsiliar- oder Liasondienstes. Für die Pädiatrie ist ein integratives Konzept der Betreuung asthmakranker Kinder bei Könning et al. (1994) beschrieben, in das systemische Familiengespräche einbezogen sind (s. a. von Schlippe u. Lob-Corzilius
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1993, vgl. S. 101f). Theiling (1995) reflektierte eine familienmedizinische Perspektive in der Kinderklinik. Ullrich (1995) versuchte, Überlegungen aus der Feldforschung als Bezugsrahmen für psychosoziale Konzepte im Krankenhaus nutzbar zu machen. Der gesamte Bereich der Eßstörungen ist ebenfalls ein Aufgabenfeld der Familienmedizin. Wir verweisen hier exemplarisch auf Weber und Stierlin (1989), Schmidt (1989), E. Petzold et al. (1990) und Gröne (1995). Mit der Familiendynamik und -therapie bei Krebserkrankungen Erwachsener (insbesondere Brustkrebs) befassen sich Arbeiten aus der Heidelberger Gruppe (Wirsching u. Stierlin 1981, Stierlin et al. 1983, Wirsching 1990). Mit den schwierigen Auftragskonstellationen psychosozialer Mitarbeiter in der Arbeit mit krebskranken Kindern beschäftigt sich ein Aufsatz von Thiel (1995), dort findet sich auch ein ausführlicher Gesprächsleitfaden. Für die allgemeinärztliche Praxis finden sich hilfreiche Anregungen bei Weiss 1988, 1989 und Frederichs 1990. In Nordamerika hat sich bereits in größerem Umfang eine »Family Systems Medicine« als Kooperation von Allgemeinmedizin und Familientherapie herausgebildet. Ihre Kernbestandteile sind: 1) »Family Practitioners« (Allgemeinärzte, meist mit zusätzlichen pädiatrischen und geburtshilflichen Kenntnissen) und Familientherapeuten arbeiten gemeinsam in derselben Kliniksambulanz oder in miteinander verbundenen Praxen (Dym u. Berman 1986). 2) Bestimmte Familiendiagnostika, besonders das Genogramm, bei dem stark auf medizinische Familieninformationen fokussiert wird, sowie systemische Beratungsstrategien werden im ärztlichen Alltagsgeschäft, nicht (nur) in davon abgegrenzten speziell psychotherapeutischen Situationen verwendet. 3) Es werden Kriterien entwickelt und gelehrt, was der Family Practitioner selbst tun und wo er an die Familientherapeutin überweisen sollte. Plausible und nachvollziehbare Überweisungsformen werden erprobt, sei dies die ausführliche, Beschwerde und Familiendynamik miteinander verknüpfende, inhaltliche Begründung durch den Family Pracitioner, oder seien dies kurze gemeinsame Überweisungsgespräche beider Fachleute mit der Familie. 4) Zahlreiche Forschungsergebnisse wurden über die Rolle familiärer Interaktion bei klassischen Problemen der medizinischen Alltagspraxis vorgelegt – von Diabetes, Asthma, Neurodermitis über Alzheimer, Alkoholismus und somatisch fixierte Depressionen bis hin zu Schwangerschaftsbetreuung, Kindesmißhandlung und Sterbebegleitung (zum Überblick: McDaniel et al. 1990, S. 16–30, sowie McDaniel et al.1992, S. 26–35) 5) Familientherapeutische Elemente sind an einigen Orten integriert in die Facharztweiterbildung von »Family Practitioners«.
Seit Beginn der 80er Jahre besteht die Zeitschrift »Family Systems Medicine« als Diskussionsforum für die Kooperation zwischen Primärmedizin und Familientherapie. Als gute Lehrbücher sind McDaniel,
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Campbell und Seaburn (1990) für Primärärzte und McDaniel, Hepworth und Doherty (1992) für Familientherapeuten zu empfehlen. Ein wesentlicher Motor dieser Entwicklung ist der Kostendruck im amerikanischen Gesundheitswesen, auf den mit einer gewissen Stärkung der Bedeutung der Primärärzte zu Lasten der spezialisierten Fachärzte reagiert wird. Die enge Verknüpfung dieser primärärztlichen Versorgungsaufgaben mit der Familientherapie als einer sowohl kurzzeittherapeutisch wie auch an der Gesundheit aller Familienmitglieder orientierten Psychotherapiemethode wird als Chance gesehen, die somatische Fixierung psychischer Probleme ebenso wie eine Chronifizierung belastender Krankheitsverarbeitungsstrategien frühzeitig zu erkennen und diesen präventiv zu begegnen. Erwartet wird dadurch unter anderem eine Reduktion medizinisch oft nicht induzierter und kostspieliger apparativer Diagnostik und Therapie. Susan Mc Daniels formuliert das Ziel, »mit weniger Geld eine gleich gute oder bessere Versorgung zu gewährleisten, indem zwei Fachdisziplinen miteinander und beide mit der Familie kooperieren, und dadurch die unterschiedlichen Ressourcen dieser Beteiligten optimal für den Gesundungsprozeß genutzt werden« (mündlich 1995). Für die Weiterentwicklung einer systemischen Familienmedizin gilt es, eine Reihe von Problemen zu überwinden (Herzog u. Schweitzer 1990): theoretisch und in Forschungsprojekten den Leib-Seele-Dualismus, in der Versorgungspolitik das bestehende »zersplitternde« Abrechnungssystem medizinischer Leistungen. Zwischen den Berufsgruppen stehen neue Zusammenarbeitskulturen zwischen Pflege, Medizin und psychosozialen Berufen auf der Tagesordnung bespielsweise durch die Entwicklung von interdisziplinär ausgerichteten Konsultationskonzepten (s. z. B. Theiling et al. 1994) und von darüber hinausgehender »Collaborative Care« (Peek u. Heinrich 1995).
14.2. Psychiatrie Die Psychiatrie ist eines der frühesten Entwicklungsfelder systemischer Theoriebildung gewesen (S. 20f, s. Dell 1981). Beispielsweise zeigte schon das »Denver-Projekt« von Pittmann et al. (1981, im Orig. 1966), daß Familientherapie auf Hausbesuchsbasis als Alternative zur Klinikeinweisung gleich gute klinische Resultate bei geringeren sozialen Nebenwirkungen zeigte. Ein Konzept der Systemkonsultation als Integration psychoedukativer und systemischer Konzepte in der Psychosetherapie legte Wynne (1991) vor. Sehr bedeutsam für die theoretische
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Diskussion sind auch die Arbeiten von Ciompi, der Konzepte von Freud, Piaget und Systemtheorie in ein umfassendes Modell integrierte (z. B. 1982). Drei interessante neuere Entwicklungen im deutschen Sprachraum sollen hier kurz beschrieben werden: 1) Familientherapie bei Psychosen In der Familientherapieambulanz der Universität Heidelberg wurde die ambulante systemische Therapie mit erwachsenen psychotischen Patienten theoretisch und praktisch weiterentwickelt. Besonders ist hier zu verweisen auf: Stierlin et al. 1986, Weber et al. 1987, Weber und Retzer 1991, Simon et al. 1989, Simon 1990, Schmidt 1992, Schweitzer 1993 und Retzer 1994; zu Untersuchungen über die Wirksamkeit des Vorgehens s. S. 287. Psychose-spezifisch zeigten sich folgende Vorgehensweisen als besonders wirksam: – Die Erkundung der Krankheitskonzepte von Patient und Angehörigen sowie deren Folgen für die Lebenspraxis sowie das Durchspielen alternativer Krankheitskonzepte – oft, aber keineswegs notwendigerweise mit der Folge einer Infragestellung und »Erweichung« (Simon u. Weber 1988a). Krankheitskonzepte werden damit tendenziell wählbar, werden zu Optionen, für oder gegen die man sich entscheiden kann. – Die Beobachtung und Infragestellung vorherrschender Muster der Zeitorganisation. Gefragt wird, ob widersprüchliche Konflikttendenzen in Individuen und Familien eher alle zugleich ausgelebt werden, wie oft bei schizophrenen Symptomen (»synchrone Zeitorganisation«), oder ob sie zeitlich entzerrt und in einer starren Rollenverteilung von verschiedenen Familienmitgliedern vertreten werden, wie oft bei manischen und/oder depressiven Symptomen (»diachrone Zeitorganisation«). – Die Beschreibung von Beziehungsrealitäten in den Familien: Herrscht eher Klarheit, Sicherheit, Konsens bis hin zu Rigidität in der Beschreibung dessen, was ist, (»harte Wirklichkeitskonstruktion«) oder wird eher Diffusität, Unklarheit, Dissens bis hin zum Chaos in der Kommunikation erzeugt (»weiche« Wirklichkeitskonstruktion)? Ziel der systemischen Therapie ist es, extrem synchrone Zeitorganisation und weiche Beziehungsrealitäten (oft bei schizophrenen Störungen) oder extrem diachrone Zeitorganisation und harte Beziehungswirklichkeiten (oft bei manisch-depressiven Störungen) durch geeignete Fragen und Interventionen so weit in Frage zu stellen, daß ein Dialog über unterschiedliche Positionen, Bewertungen und Interessen in der Familie zustande kommen kann. – Die Erkundung und Infragestellung von Chronifizierungsstrategien (vgl. S. 110–113). Es wird gefragt, nach welchen evtl. chronifizierenden Ideen vor allem über die Vergangenheit und die Zukunft die Familie lebt und wie das psychiatrische Problem bislang aufrechterhalten wurde. Dabei wird auch beachtet, inwieweit professionelle Betreuer ungewollt zur »Zementierung« der Rolle der Psychose in der Familie beitragen. 2) Kinder- und Jugendpsychiatrie Seit 1980 wurde die Arbeitsweise einiger kinder- und jugendpsychiatrischer Kliniken unter systemischen Gesichtspunkten reorganisiert. Einerseits bildeten sich Teams von klinisch tätigen Familientherapeuten, die in einem Teil ihrer Arbeitszeit ambulante Familientherapie anstatt oder nach einem stationären Aufenthalt anbo-
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ten (z. B. Ludewig et al. 1984, zum Einsatz des Reflektierenden Teams in diesem Zusammenhang: Höger 1994). Andererseits wurde versucht, auch den stationären Alltag umzugestalten: indem durch Kotherapie, Teamsplittings und niedrige Familiengesprächsfrequenz eine gewisse Metaposition gegenüber der familiären Dynamik angestrebt wurde, indem der Krisendruck der Familie nicht einfach abgenommen wurde, indem die Funktion des stationären Aufenthaltes für die Familiendynamik erkundet und offen angesprochen wurde, indem mit unterschiedlichen Krankheitsmodellen gespielt wurde (Schweitzer 1984). Zunehmend wurden die Eltern als Erziehungsverantwortliche respektvoll in die Planung des Klinikaufenthaltes und sogar in die Lösung alltäglicher Krisen dort (z. B. über Telefonkontakte) einbezogen, damit diese schon während des Klinikaufenthalts ihre zuvor oft erschütterte elterliche Kompetenz wiedergewinnen und wieder mehr Verantwortung für ihre Kinder übernehmen können (Pleyer 1983, Rotthaus 1986, 1990). 3) Systemische Sozialpsychiatrie Der Ausbau gemeindepsychiatrischer Dienste und die Reduktion psychiatrischer Klinikbetten kann sich darauf beschränken, »alten Wein in neue Schläuche zu gießen«, wenn nicht parallel zu neuen Versorgungsstrukturen auch neue Behandlungsansätze implementiert und »Sprachen« neu gelernt werden (Molter 1993). Die Nachfrage nach systemischen Konzepten und Techniken ist groß, doch müssen diese auf sozialpsychiatrische Kontexte mit ihren vielen widersprüchlichen Aufträgen angepaßt werden (z. B. Wedekind u. Georgi 1990, Vollhard u. Keller 1990, Deissler 1990, Spengler 1992, Ellebracht u. Vieten 1993). Keller (1988, 1996) sowie Deissler et al. (1992) entwickelten Konzepte in Form vorwiegend am Reflektierenden Team orientierter Kooperations- oder Verhandlungsgespräche zwischen allen Beteiligten stationärer Psychiatrie. Ähnliche Ansätze von Seykkola (1994, 1995) in Lappland trugen drastisch dazu bei, stationäre Einweisungen überflüssig zu machen. Von vergleichbaren Erfahrungen berichten Barbaro und Cechnicki (1993) in Polen, Mozzicato et al. (1993) in Italien. Für den ambulanten Bereich entwickelten Schweitzer und Schumacher (1995) in Handlungsforschungsseminaren mit Praktikern Interventionsformen für Sozialpsychiatrische Dienste, Wohnheime und Wohngemeinschaften, die die Option einer »endlichen Psychiatrie« in die Arbeit mit ambulanten Patienten einführen helfen können. Armbruster (1998) und Kollegen bezogen diese Interventionsformen auf eine Typologie häufiger sozialpsychiatrischer Problemsituationen und evaluierten ihre Nützlichkeit. Mit dem Thema »Leitung« in psychiatrischen Einrichtungen sowie mit einem systemischen »Design« beruflicher Rehabilitationseinrichtungen für Psychiatriepatienten hat sich Lauterbach (1991, 1995) befaßt.
14.3. Soziale Arbeit Soziale Arbeit ist das professionelle Unterstützungssystem für Individuen und Gruppen, bei denen Armut, körperliche oder geistige Beeinträchtigung, stigmatisierte Verhaltensweisen und gesellschaftliche Benachteiligung zu längerdauernden und intensiven sozialen Problemen kumuliert sind. In ihrer Praxis spielen neben Beratung vor allem die Sicherung von Ressourcen (Einkommen, Unterkunft, Pflege, Bildung) sowie die Parteinahme für die Klienten in sozialpolitischen Aus-
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einandersetzungen und gegenüber Verwaltungen (Staub-Bernasconi 1989) eine Rolle, andererseits aber auch die »sanfte soziale Kontrolle« des Verhaltens der Klienten, das »Doppelmandat von Hilfe und Kontrolle« (Ritscher 1991). Angesichts einer »diffusen Allzuständigkeit« (Thiersch 1986) für viele verschiedene und schwere Probleme, deren Lösungskriterien oft verschwommen und deren Lösungsstrategien oft unklar definiert sind, bietet das Methodeninventar systemischer Beratung für die Sozialarbeit viele Anregungen. Es liegen mittlerweile einige Bücher für die praktisch-methodische Umsetzung vor (z. B. Oswald 1988, Pfeifer-Schaupp 1995, Burnham 1995). Angesichts einer Praxiswelt voll »harter Realitäten« werden allerdings Theorieentwürfe wie der radikale Konstruktivismus oder eine rein kommunikativ angelegte Systemtheorie auch von Theoretikern der Sozialarbeit kritisch bewertet (Staub-Bernasconi 1989, HollsteinBrinkmann 1993, Graf 1994, Heiner 1995): als zu idealistisch und indem reale soziale Ungerechtigkeiten zum Randthema gemacht werden auch anfällig für neoliberale Ideologien (vgl. S. 271ff). Interessante Anregungen für eine spezifisch systemische Sozialarbeit liegen bislang vor zum Kontext Jugendamt (Liechti et al. 1989, Brandl-Nebehay u. Russinger 1994), zur sozialpädagogischen Familienhilfe (Hecker 1986, Eckhardt 1991, Rieforth 1993), zur stationären Jugendhilfe (Pohl 1994, Schweitzer 1995b) und zur Sozialpsychiatrie (Wahlster 1995, Schweitzer et al. 1995) vor. Daraus exemplarisch drei Anregungen: 1) Brandl-Nebehay u. Russinger (1995) unterteilen Auftragskonstellationen im Jugendamt danach, ob die Klienten freiwillig kommen oder gegen ihren Willen kontaktiert werden und ob materielle oder psychosoziale Probleme gelöst werden sollen (s. Abb. 20). Beratung kann im Jugendamt ähnlich wie in einer Beratungsstelle und Service ähnlich wie in einer Bankfiliale ablaufen. Beim Versorgen liegt die Herausforderung darin, über dem Aufdecken von AusstatFreiwilligkeit »Beratung« psychosoziale Probleme
»Service« materielle Probleme
»Erziehung«
»VersorgenFürsorgen« Kontrolle
Abbildung 20 (aus: Brandl-Nebehay u. Russinger 1995, S. 94)
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tungsdefiziten nicht die Ressourcen der Klienten zu übersehen, sowie sich nicht die komplette Verantwortung für die Lösung aller Probleme anzuziehen. Dabei helfen systemische Fragen, die Ziele der Klienten zu klären: »Womit möchten Sie beginnen? Was planen Sie selbst? Wo kann das Jugendamt helfen und was können Sie selbst tun?« Auch Vergangenheits- und Zukunftsfragen nach den Auswirkungen materieller Hilfe können sinnvoll sein: »Welche Unterstützung hat Sie bislang unabhängiger, welche noch abhängiger gemacht? Würden Ihnen künftig eher Anstrengungen helfen, Ihr Einkommen zu erhöhen oder Ihre Ausgaben zu verringern, um mit Ihrem Geld auszukommen?« Erziehung als partiell fremdbestimmter Lernprozeß, bei denen die Sozialarbeiterin den Klienten die Richtung vorgeben soll (z. B. zu lernen, ihre Kinder nicht mehr zu schlagen oder besser zu versorgen) ist eine zentrale Aufgabe des Jugendamts. Systemiker im Jugendamt können solche Erziehungsaufgaben nicht mit dem Hinweis verweigern, nach dem Selbstorganisationsprinzip seien soziale Systeme »nicht instruierbar«. Ein sinnvoller Weg ist hier, die Kontrollauflagen des Jugendamtes (»Wir erwarten von Ihnen, daß …«) klar zu formulieren und damit den Klienten ein Problem (die lästige Sozialarbeiterin) und ein Ziel (diese wieder loszuwerden) zu verschaffen. Darüber kann dann mit systemischen Methoden verhandelt werden. Wenn die Kontrollauflagen eine aggressive Beziehungsdynamik erzeugt haben, kann dies im »Splitting« (s. S. 181f) vielleicht eine andere Kollegin übernehmen. 2) Heimerziehung ist ein Kontext, in dem aufgrund der Komplexität der Situation systemische Konzepte einerseits besonders bedeutsam sind, andererseits aber auch besonders herausgefordert werden: Systemisches Arbeiten hat hier mit der klassischen Familientherapie oft nur wenig gemein (Brönneke et al. 1992). Familienorientierung als konzeptuelle Basis der Heimerziehung (Börsch u. Conen 1987, Schweitzer u. Reuter 1991a, Conen 1992, Brönneke 1992, Schindler 1996) heißt neben Familiengesprächen vor allem, das komplexe Geflecht aus Aufträgen und Kommunikationen zwischen Familie, Heimgruppe, Heimleitung, Jugendamt, Beratungseinrichtungen usw. sorgfältig zu handhaben, und bei jeder Intervention die Bedeutung für andere Systembereiche abzuschätzen (Risau-Peters et al. 1996). Und auch in der konkreten Alltagsarbeit werden lösungsbezogene, teils auch paradoxe Interventionstechniken auf den alltäglichen Umgang mit Kindern angewandt.
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In einer Gruppe 12- bis 14jähriger Mädchen braut sich eine Bambule zusammen. Der Erzieher reagiert auf umgeworfene Möbel, zerdeppertes Geschirr und eingeschlagene Fenster, indem er »den Affen macht«: mit eingeknickten Beinen vornübergebeugt, die Arme schlenkernd, einen ausgelassenen Schimpansen nachmimt. Er kratzt sich unter den Armen, läßt kurze schrille Schreie los, hängt sich an den Türrahmen, schreit einem Mädchen ins Ohr. Es entwickelt sich ein Affenjagd, die zunehmend in Gelächter übergeht. Diese Affenjagd, einstmals spontan angefangen, hat sich inzwischen zu einem typischen Ritual bei bedrohlichen Zuspitzungen entwickelt. Die Aufforderung an einen oft rülpsenden Jungen, ob er nicht das ABC rülpsen könne (das sei nicht ganz einfach), oder einen laut schimpfenden Jungen an weitere Schimpfwörter zu erinnern, die er noch vergessen hat, sind weitere Beispiele, durch die Aufforderung zu »Mehr desselben« die Situation eher zu einem komischen als zu einem ernsten Machtkampf zu machen (Pohl 1994).
3) Sozialarbeit mit oft sehr isoliert lebenden und »aneckenden« chronischen Psychiatrie-Patienten in einem sozialpsychiatrischen Dienst hat die Aufgabe, diesen eine ihnen angemessene Lebenswelt außerhalb des Psychiatrischen Krankenhauses aufbauen zu helfen und zugleich neue, menschenwürdigere Formen sozialer Kontrolle für »verrücktes« Verhalten zu entwickeln. In zwei Handlungsforschungsprojekten in einem Sozialpsychiatrischen Dienst (Schweitzer et al. 1995, Armbruster 1998) wurde dazu die »systemisch-sozialpsychiatrische Handwerksliste« entwickelt: Eine systemisch-sozialpsychiatrische Handwerksliste (Schweitzer, Armbruster, Menzler-Fröhlich, Rein, Bürgy 1995) 1) Mitgehen (»Pacing and Leading«, Akzeptieren und Weiterentwickeln) mit den scheinbar pathologischen Verhaltensweisen der Klienten, um diese nutzbar zu machen: – Mitgehen mit Spinnereien, seltsamen Hobbys, aufreibenden Lebensstilen; – Mitgehen mit »nervigen« Krankheits- und Leidensbekundungen. 2) Gegenangehen gegen sozial inakzeptables Klientenverhalten: – Entscheiden, ob ein sehr abweichendes Verhalten eines Klienten sein Privatvergnügen (»Küraufgabe«) oder ein sanktionsbedürftiges Problem ist (»Pflichtaufgabe«); – Pflichtaufgaben der Klienten formulieren und kontrollieren; – Küraufgaben der Klienten anregen und ihnen anheimstellen. 3) Die Kontaktdichte zwischen Klient und Betreuer von der Schwere der Symptomatik abkoppeln – damit es sich nicht lohnt, sich besonders krank zu zeigen. 4) Sprechen über Vergangenheit und Zukunft – über die Vergangenheit, um Anschluß an frühere Lebensentwürfe, Bedürfnisse, Kontakte, Fähigkeiten wiederzugewinnen; – über die Zukunft, um neue Entwürfe und Handlungsideen zu erzeugen. 5) Vernetzung und Familienberatung 6) Rollenaufteilung (»Splitting«) zwischen Mitarbeitern: – zwischen Kontrolleur und Berater – zwischen Dienstleister/Pfleger und Berater
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14.4. Schule Der Kontakt systemischer Fachleute, die nicht selbst Lehrer sind (z. B. Erziehungsberater, Kinderpsychiater, Schulpsychologen) zum schulischen Geschehen wird meist durch »Problemschüler« hergestellt, die sie diagnostizieren oder therapieren sollen, beziehungsweise zu deren Hinaus- oder Hineinempfehlung sie gutachterlich beitragen sollen. In diesem Aufgabenfeld verlief die Nutzung systemischen Denkens bislang in verschiedenen qualitativen Schritten, die freilich nur mancherorts und keineswegs geradlinig vollzogen wurden: 1) Von der anamnestisch-testdiagnostischen Bestimmung von im Schüler liegenden Gründen für Leistungsversagen oder störendes Verhalten zur Einbeziehung der Familie im Sinne eines familientherapeutischen Ansatzes mit dem Ziel der Veränderung von Familienstrukturen, die als wesentlich für Schulprobleme angesehen wurden (Hennig u. Knödler 1985). 2) Die unter dem ersten Punkt implizite Gefahr der »Familientherapeutisierung« von Schulproblemen führte zu der Sicht, Schulprobleme als »Inter-System-Probleme« zwischen Schüler, Lehrer, Klasse und Familie zu verstehen (Osterhold u. Eckhardt 1985, Hess u. Mueller 1985, Palmowski 1995). Bei dieser Perspektive sind zumindest bei Beratungsbeginn »Familie-Schule-Interviews« wichtig (Aponte 1976, Schug et al. 1985). 3) Der nächste Schritt führte von der Beratung von Problemfällen zur Präventionsarbeit bei Schulproblemen auf der Ebene der Unterrichtstätigkeit (Ergenzinger 1985, Molnar u. Lindquist 1990), der Lehrerfortbildung (Schug et al. 1985, Brauckmann 1985), der Lehrersupervision (Ehinger u. Henning 1994, Voß 1996), der Schulsozialarbeit (Brunner 1992), der schulischen Organisationsentwicklung (von Lüde 1996) und der Vernetzung von Schule und außerschulischer Jugendhilfe (Engel 1996). Für die systemische Beratung bei als »Problemschüler« bezeichneten Kindern scheinen nach dem Stand der Diskussion folgende Vorgehensweisen besonders hilfreich zu sein: – Das für Lösungen relevante Schul-Problem-System sollte zu Beginn einer Beratung zunächst weit gefaßt werden: Schüler, Familie, Lehrer, Klasse, eventuell darüber hinaus auch Schulleitung, Schulverwaltung, außerschulische Peergruppe und so weiter. Andernfalls akzeptiert die systemische Beraterin unbemerkt zuvor getroffene Schuldzuweisungen (»Kein Wunder bei dieser Familie« oder »Dieser Lehrer ist einfach unfähig«), die eine produktive Kooperation erschweren. Die Optik läßt sich dann im Einzelfall oft schnell auf Subsysteme eingrenzen, zum Beispiel auf Familienkonstellationen, Lehrer-Familien-Kon-
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stellationen, Lehrer-Schüler-Konstellationen, Lehrerkollegiums- oder Schulbehörde-Konstellationen (Hess u. Müller 1985). – Ein hierfür geeignetes Setting kann das Familie-Schule-Interview sein, wie es Aponte (1976) beschrieben hat. Ähnliche Vorgehensweisen berichteten später im deutschen Sprachraum Schug et al. 1985, Osterhold u. Eckhardt 1985, Hess u. Müller 1985. Wenn die Schule ein Kind zur Erziehungsberatungsstelle überweist und die Familie kein Problem mit dem Kind zu Hause sieht, wird nach Telefonaten mit der Mutter, dem Beratungslehrer und evtl. dem Schulleiter ein gemeinsames Erstgespräch an der Schule gehalten. Anwesend sind das Kind, die Familie, der Klassenlehrer, der Beratungslehrer, der Schulleiter sowie ein bis zwei Therapeuten. Explizit wird hier als Ziel formuliert, daß es darum geht, Lösungen zu finden, und nicht darum, nach Gründen für die Schwierigkeiten zu suchen. Insbesondere den schulischen Mitarbeitern muß glaubhaft verdeutlicht werden, daß sie als Ressourcen und nicht verdeckt als »Patienten« angesprochen werden. Auf solche verdeckten symmetrischen Eskalationen, die ihre Wurzeln in festen Vorurteilen über die jeweils andere Berufsgruppe haben können, ist sorgfältig zu achten. In diesem Erstgespräch geht es darum, das Kind als eine Person mit Interessen und Wünschen, und erst in zweiter Linie als Problemträger kennenzulernen. Alle am Gespräch Beteiligten können ressourcenorientiert zirkulär befragt werden (z. B. nach Ausnahmen vom Problemverhalten). So kann herausgearbeitet werden, von welchen Kontextbedingungen das Verhalten des Kindes abhängt – Unterschiede zwischen Zuhause und Schule, zwischen den Eltern, zwischen verschiedenen Lehrern und zwischen Lehrer und Schulleiter werden deutlich. Daraus lassen sich dann systemische Schlußinterventionen entwickeln, manchmal auch »Hausaufgaben« für die Beteiligten. In größeren Abständen werden diese Familie-Schule-Interviews wiederholt, um Fortschritte und neu aufgetretene Probleme zu besprechen. Parallel dazu können einige Gespräche nur mit der Familie mit dem Schwerpunkt auf innerfamiliären Problemen geführt werden. – Einige entscheidende Unterschiede zwischen Schule und Familie sind zu berücksichtigen. Die Schule ist meist insofern weniger auf eine Problemlösung mit eigenen Mitteln angewiesen, als sie Störenfriede leichter ausschließen kann (Nichtversetzung, andere Schule), als dies der Familie möglich ist. Zum zweiten sind Lehrer genauso Fachleute wie Erziehungsberater oder Schulpsychologen, was es ihnen manchmal schwerer als den Eltern machen kann, sich selbst als Teil eines Problemsystems in den Blick zu nehmen. Drittens sind Schulen größer und komplexer als Familien; die Klärung, wer hier im Einzelfall eine wichtige Rolle spielt, ist aufwendiger. Dazu gehört auch ihre hierarchische Organisation, die von Beratern erkundet und respektiert werden muß. All dies macht verständlich, daß Erziehungsberater und Schulpsychologen sich meist an die Familie leichter herantrauen als an die Schule.
Wie kann systemisches Denken für die Lehrerin in konflikthaften Unterrichtssituationen nützlich sein? Ergenzinger (1985) betont, die Sensibilisierung für die Kommunikationsaspekte von störendem Schülerverhalten ermögliche gerade da, wo Schüler die Autorität des Lehrers herausfordern, entspanntere und weniger eskalierende Reaktionen. Er wendet Watzlawicks Kommunikationsaxiome sowie die
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Prinzipien der positiven Umdeutung und der Symptomverschreibung kreativ auf klassische Konfliktsituationen im Unterricht an (ein ganz ähnliches Vorgehen beschreiben Molnar et al. 1985). »Es gibt kein Verhalten ohne positiven Sinn«: Schüler wollen auch mit sehr störendem Verhalten etwas für ihre Selbstachtung und Entwicklung Nützliches erreichen, dem Lehrer damit eine Botschaft geben, insbesondere an seine Zuwendung appellieren. Molnar et al. 1985 empfehlen, auch Störungen als kooperative Beiträge zu interpretieren. Im guten Fall gelingt es dem Lehrer, darauf nicht mit Abwertung zu reagieren, sondern mit Neugier (»Wozu machst du das? Was willst du damit erreichen?«) und dann dem Schüler dieses zuvor störende Verhalten zu erlauben oder ihn sogar dazu aufzufordern.
Systemisches und konstruktivistisches Denken beschränkt sich nicht auf »Trouble-Shooting«, sondern beginnt, wenn auch zögerlich, auch für die Gestaltung der Schule als Institution genutzt zu werden. Dies geschieht beispielsweise in der Diskussion angemessener Lehr- und Lernmethoden (Fuhr u. Gremmler-Fuhr 1988, Brunner 1990, Brügelmann u. Ballhorn 1990), in der allgemeinen Didaktik (Kösel 1995, Reich 1996), in einzelnen Fachdidaktiken wie Mathematik (Bauersfeld 1983, Wittmann 1988), Physik (Aufschnaiter et al. 1992) oder Sportpädagogik (Cachay u. Bähr 1992) sowie in der Förderdiagnostik für integrative Grundschulen (Eberwein 1993) und in der Psychomotorik (Balgo u.Voß 1995). Für ein detaillierteres Studium der Thematik verweisen wir auf die Sammelbände von HuschkeRhein (1989, 1990, 1992) und von Voß (1996).
14.5. Management Modernes Management vollzieht sich heute in einem Kontext besonderer Ungewißheit. Wirtschaftliche Entwicklungen werden immer weniger planbar, durch die hochgradige Vernetzung wirtschaftlicher Zusammenhänge schlagen globale Veränderungen unmittelbar auf kleinere Einheiten durch. Ein Beispiel ist die Bedeutung der Öffnung des Europäischen Marktes für soziale Institutionen. Während über Jahrzehnte die soziale Pflege (Krankenpflege, Altenfürsorge, »Essen auf Rädern«) fest in der Hand bestimmter sozialer Träger lag, drängen jetzt zum Teil kostengünstigere Anbieter aus dem Ausland auf den deutschen Markt und zwingen soziale Unternehmen zu massiven Umstrukturierungen, um konkurrenzfähig zu bleiben.
Hier können systemische Perspektiven besonders wichtig und hilfreich sein, geht es doch in jedem Fall um den Umgang mit organisierter
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Komplexität, um die Steuerung von Systemen, deren Verhalten nicht komplett kontrollierbar ist, ja oft sogar eher chaotisch abläuft als vorhersagbar. Die »Logik des Mißlingens« (Dörner 1992) durch den Einsatz kurzfristiger Lösungsversuche jeweils akut auftretender Probleme ist eine große Gefahr. Merkmale komplexer Handlungssituationen Dörner (1992) untersuchte das Verhalten von Personen in komplexen Handlungssituationen. Er fragte dabei, welche Strategien in diesen Situationen besonders effektiv sind. Seine Versuchspersonen sahen sich in einer Computersimulation als »Bürgermeister von Lohausen« oder »König von Tanaland« mit einem System konfrontiert, das aus vielen komplex vernetzten Variablen bestand, die sich gegenseitig beeinflußten. Sie waren teilweise intransparent, das heißt man hatte nicht über alle Prozesse die Übersicht, und schließlich entwickelten sie sich eigendynamisch weiter. Komplexität erfordert die gleichzeitige Beachtung vieler Merkmale. Man kann fast nie nur eine Sache machen, die Beeinflussung einer Variable hat Neben- und Fernwirkungen. Das bedeutet vor allem, daß Ziele (positiv formuliert und spezifisch) eine Abschätzung der Auswirkungen in anderen Bereichen beinhalten sollten und möglichst in Zwischenziele aufgegliedert werden, bei denen über Feedback eine Neubewertung des Erreichten erfolgt. Dynamik erfordert eine Abschätzung von Entwicklungstendenzen. Die Analyse des gegenwärtigen Zustands reicht nicht aus, man muß sich über die Entwicklungstendenz des Ganzen klarwerden. Die Intransparenz des Geschehens erfordert ein gewisses Maß an Strukturwissen, d. h. Überlegungen darüber, wie die Variablen eines Systems sich gegenseitig beeinflussen. Gleichzeitig ist das Wissen um die Begrenztheit dieses Wissens wichtig. Das ist oft ein Problem: »Menschen, wenn sie schon nicht Recht haben, behalten es doch gern« (Dörner 1992, S. 65).
Seit einiger Zeit werden neben systemischer Beratung von Teams und Institutionen (vgl. S. 227–233) zunehmend spezifisch systemisch ausgerichtete Ansätze zum Management nachgefragt. Die Beschreibung von Organisationen aus systemtheoretischer Sicht verlief über einen längeren Zeitraum interessanterweise parallel zur Entwicklung der Familientherapie. So beschreiben etwa Bleicher 1972 oder Steinbuch (1988, erste Auflage: 1977) bereits ausführlich die Organisation als »hochkomplexes« System und betonen die Notwendigkeit einer »ganzheitlichen Sichtweise«. Wie in der systemischen Therapie läßt sich auch hier eine Entwicklung von der Kybernetik erster zur Kybernetik zweiter Ordnung (S. 53) beobachten. Malik (1989, erste Auflage 1977) etwa beschreibt die Organisation als kybernetisch reguliertes System noch auf der Basis der Vorstellung von Steuerung und Kontrolle. Systemisches Management wird hier verstanden als Funk-
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tion, die möglichst optimal die verschiedenen Systemkomponenten koordiniert und Auswirkungen von Maßnahmen in dem einen Bereich auf den anderen abschätzt. Ein mittlerweile schon »klassisches« Buch zum ganzheitlichen Umgang mit organisierter Komplexität in Organisationen ist das von Ulrich und Probst (1988). Eher im Sinne der Kybernetik zweiter Ordnung stellen sich Managementstrategien dar, die sich als »Delphin-Strategien« (Lynch u. Kordis 1991) begreifen, also als die Möglichkeit, vor allem die Beweglichkeit und damit Operationsfähigkeit des Managers im Organisationssystem zu wahren, ohne in Sackgassen zu geraten. Zunehmend werden auch Selbstorganisationstheorien im Managementbereich umgesetzt, etwa wenn Organisationsentwicklung als selbstorganisiertes Lernen verstanden wird (Greif 1996, ein praxisbezogenes Handbuch hierzu: Greif u. Kurtz 1996). Ein wesentlicher Aspekt von Führung besteht dann in der Bereitstellung von Bedingungen für die Verwirklichung von Selbstorganisation (Malik 1990, Klimecki et al. 1991). Auf den Aspekt der »Selbstführung« als Ergebnis von Selbstorganisation im Management verweist das Lehrbuch von Kieser und Kubicek (1992). Eine kritisch-konstruktive Bezugnahme auf die Autopoiesetheorie findet sich bei Kirsch und zu Knyphausen (1991). Den chaostheoretischen Begriff des Fraktals wählt Warnecke (1996), um die Dynamik von Selbstorganisation und Selbstoptimierung in kleinen, schnellen Regelkreisen in Unternehmen zu diskutieren. Erst seit vergleichsweise kurzer Zeit läßt sich eine engere Berührung zwischen der systemischen Therapie und dem Managementbereich beobachten. Etwa seit Ende der 80er Jahre stieg die Zahl der Veröffentlichungen, die sich mit der Übertragung systemtherapeutischer Konzepte in den Bereich der Managementberatung befassen, sprunghaft an. Beispiele dafür: – Das Buch »Hinter den Kulissen der Organisation« (Selvini Palazzoli et al. 1984) war unseres Wissens die erste Veröffentlichung aus systemtherapeutischer Perspektive zur Organisationsdynamik. Das Konzept des »Familienspiels« wurde auf Organisationen übertragen. – Ein Themenheft der Zeitschrift für systemische Therapie Bd. 6 befaßte sich mit der Bedeutung des systemischen Ansatzes für Organisationen (Schmitz 1988, Buchinger 1988, Wimmer 1988, Christ u. Wedekind 1988, Möller et al.1988). – In der Jahrbuchreihe »Managerie« (Schmitz et al. 1992, Gester et al. 1993, Heitger et al. 1995) wird jeweils in einer Vielzahl von Beiträgen systemisches Denken und Handeln im Management reflektiert. – König und Volmer (1993) übertragen systemische Konzepte auf die Beratung von Organisationen, bleiben dabei allerdings recht allgemein. – Das Kieler Beratungsmodell (auch Kiel-Meyner-Konsultationsmodell), ur-
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sprünglich für das Coaching von Sportmannschaften entwickelt, wird mittlerweile im Managementbereich (Grau u. Möller 1990) und in der Beratung von Politikern eingesetzt (Grau u. Hargens 1992). Schmid (1992) beschreibt das Umgehen mit »Komplexitätsökonomie«: Durch die Beratungstätigkeit darf die Kapazität der Ratsuchenden nicht noch zusätzlich belastet werden. Ein systemisches Bild des vielstrapazierten Begriffs »Unternehmenskultur« entwirft Osterhold (1996, s. a. 1994). Die Kunst modernen Managements besteht darin, drei Bereiche eines Unternehmens im Sinne einer ausgewogenen Unternehmenskultur zu balancieren: Unternehmensgewinn (Wirtschaftlichkeit), Kundenzufriedenheit und Mitarbeiterzufriedenheit als gleichberechtigte Ziele eines integrierenden Managements. Vom beraterischen Vorgehen her orientiert sie sich am Konzept der Musterunterbrechung (S. 188), das heißt an der Notwendigkeit, in Veränderungsprozessen durch eine Phase von Chaos und Instabilität hindurchzugehen. Ein Konzept systemisch evolutionären Managements entwickelten Königswieser und Lutz (1990). Das größte Problem bei der Implementierung systemischer Denkweisen in Organisationen besteht für sie in der Änderung eingefahrener Wahrnehmungsmodalitäten (Königswieser 1990, Königswieser u. Pelikan 1990). Basierend auf einer ausgiebigen Aufarbeitung moderner Systemtheorien befaßt sich das Buch von Wagner (1995) mit Veränderungsprozessen in Organisationen. Für Familientherapeuten interessant ist besonders der Beitrag von Saar (1995). In den Handbüchern von Fatzer (1991a und 1993) finden sich mehrere Beiträge zu explizit systemischen Ansätzen in der Organisationsberatung (z. B. Borwick 1991). Explizit mit der systemischen Beratung sozialer Organisationen befaßt sich der Sammelband von Schönig und Brunner (1993).
Als ein Beispiel für die Umsetzung von Selbstorganisationsimpulsen im Management soll hier der Begriff Projektmanagement (auch Projektorganisation) beschrieben werden, eine bestimmte Form der Unternehmensorganisation, die dazu führt, daß starre Hierarchien flexibilisiert werden, die Mitarbeiter kreative Freiräume erhalten und das Unternehmen als Ganzes sich schneller an veränderte Bedingungen anpassen kann. Beim Projektmanagement werden für bestimmte Aufgaben Arbeitsgruppen eingesetzt, deren Mitarbeiter aus verschiedenen Abteilungen für eine begrenzte Zeit für die Realisierung des Projekts zusammenkommen. Das Projekt ist durch einen Arbeitsplan definiert mit begrenzten Zielsetzungen, mit klar umrissenen Ressourcenzuteilungen, detaillierter Zeitplanung und definierten Feedbackschleifen über Zwischenbilanzen und oft auch über wissenschaftliche Evaluation (Heintel u. Krainz 1990). Die Projektmitarbeiter entstammen unterschiedlichen Bereichen und Hierarchieebenen und entwickeln im optimalen Falle eine Aufgabenstruktur, in der jeder sich und seine Kompetenzen gleichberechtigt einbringt unter der Führung eines Projektleiters.
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Vielfalt der Praxisfelder
Zunehmend wird auch in Institutionen der Gesundheitsversorgung zu dieser Organisationsform gegriffen (Pelikan, Demmer u. Hurrelmann 1993). Beispiel: In einer komplexen Projektmanagementmaßnahme in Wien wirkten im Rahmen eines Unterprojekts »Gesunde Ernährung im Krankenhaus« folgende Personen mit: – der Leiter der Küchenregie und sein Stellvertreter, – die Küchenleiterin, – die Leiterin des Diätbüros, – ein Wissenschaftler (Diabetologe), – eine Diätassistentin des Diabetiker-Schulungsprogramms, – zwei Stationsschwestern, – ein Oberarzt, – ein leitender Beamter des Küchenreferats des Wiener Krankenanstaltenverbundes. Alle MitarbeiterInnen entschieden sich freiwillig für diese Aufgabe und hatten die Möglichkeit, jederzeit davon zurückzutreten. Es konnten durchschnittlich zwei Wochenarbeitsstunden Dienstzeit für das Projekt eingesetzt werden. Tatsächlich engagierten sich viele weit über dieses Ausmaß hinaus auch in ihrer Freizeit (Pelikan, Lobnig u. Nowak 1993).
Ein Projekt hebt nicht die Hierarchie auf, doch wird diese durch sachbezogenen Austausch entscheidend moderiert. Der Erfolg eines Projektes hängt nämlich einerseits davon ab, ob es durch die Spitze des jeweiligen Bereichs getragen wird, andererseits stellt es neue Anforderungen an Leitungsfunktion: auf die durch die strukturelle Macht mögliche stärkere inhaltliche Einflußnahme bewußt zu verzichten. Es ist dabei auch mit zu berücksichtigen, welche indirekte Macht zum Boykott auf niedrigeren Hierarchieebenen liegen kann, wenn diese nicht einbezogen werden. Eine ausführliche Beschreibung des Vorgehens im Projektmanagement gibt Steinbuch (1988), ein guter Überblick über die Beratungsaufgaben im Zusammenhang mit Projektmanagement findet sich bei Eck (1991).
14.6. Politik Politik gilt als Arena von Machtkämpfen. Was kann da systemisches Denken nutzen? Eine Podiumsdiskussion mit der Niedersächsischen Umweltministerin Monika Griefahn, der Heidelberger Oberbürgermeisterin Beate Weber und dem Berliner Ärztekammerpräsidenten Ellis Huber über »Ökologische Politik als Interaktionsprozeß« (Schweitzer 1992a) zeigte, daß diese sich einiger Techniken bedienen, die dem systemischen Denken sehr vertraut sind:
Anwendungsbereiche
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1) Sie versuchen mit hypothetischen Fragen (»Was wird … tun, wenn ich …?«) die möglichen Folgen politischer Entscheidungen abzuschätzen. 2) Sie versuchen meist, sehr konflikthaltige Entscheidungen nicht »durchzudrücken«, sondern durch Konsensgespräche mit den Konfliktbeteiligten verbindliche Entscheidungen vorzubereiten. 3) Sie erproben Projektgruppen und Kommunikationskanäle innerhalb ihrer Verwaltungen, die zum Teil »quer« zu den klassischen Ressorts liegen (Projektmanagement). 4) Sie versuchen, bestimmte Begriffe offensiv in ihrem Sinne zu besetzen, auszufüllen und zu propagieren: »Eine … Kampagne lief unter dem Motto: ›Steptanz statt Valium‹. Man braucht diese Zuspitzung für die öffentliche Arbeit, um Schlagzeilen zu produzieren, um auch in der Bildzeitung … zu stehen … Es bedarf natürlich immer öffentlicher Unterstützung, um politische Veränderungen durchzusetzen« (Huber in Schweitzer 1992a, S. 357f).
Für alle diese Versuche gilt, daß sie Regeln formulieren, Strategien umsetzen, Ziele verfolgen und Visionen zulassen. Ein zunehmend bedeutsames Setting ist dabei der »Runde Tisch«. Der Begriff wurde in der letzten Phase der DDR 1989/1990 berühmt, als Gruppen aus der Bürgerbewegung über Konferenzen am Runden Tisch faktisch an der Regierung des Landes beteiligt waren. Griefahn hat Runde Tische mit Industrie, Kommunalpolitik und Umweltverbänden eingerichtet, um über eine Mülldeponie bei Hannover oder eine Teststrecke für Mercedes-Benz in Ostfriesland einen Entscheidungskompromiß zwischen den Beteiligten zu entwickeln. Weber hat die lokalen Industrie- und Einzelhandelsverbände einerseits und die Verkehrsinitiativen andererseits zur (hochgradig konflikthaltigen) Erarbeitung eines Heidelberger Verkehrskonzepts zusammengebracht. Hierbei ging es nach einiger Zeit nicht mehr ohne einen vermittelnden Moderator – einen Stadtplaner, der aus dem fernen Nürnberg herbeigebeten wurde. Bei diesen Prozessen handelt es sich nicht um herrschaftsfreie Diskurse – sie gehen einher mit heftigsten Pressekampagnen, mit Lobbyistentum und dem Einsatz administrativer und wirtschaftlicher Macht. Sie können auch frustrierend sein, wenn »viel geredet wird und wenig geschieht«. Sie sind in Situationen besonders wichtig, wo letztlich »keiner für sich allein gewinnen kann«. Und die sind in der Politik eher die Regel als die Ausnahme. Eine ausführliche Analyse der vorhandenen Möglichkeiten zur Bürgerbeteiligung und ein Modell ihrer optimalen Nutzung im Rahmen von »Planungszellen« als Alternative zur »Establishment-Demokratie« ist bei Dienel 1992 beschrieben.
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V. Kritische Einschätzung systemischer Beratung
15. Viel Feind, viel Ehr? Auseinandersetzungen um die systemische Therapie Die Familientherapie und später die systemische Therapie sind kontinuierlich Gegenstand lebhafter kritischer Auseinandersetzungen gewesen und sind es weiterhin.* Einige Themen dieser Kritik, ihre Rezeption und Verarbeitung innerhalb der Fachszene dazu wollen wir im Folgenden skizzieren und kommentieren.
15.1. Gender-Sensitivity: Wie frauenfeindlich ist die systemische Therapie? Das Englische kennt für den deutschen Begriff »Geschlecht« zwei Bezeichnungen: während Sex das biologische Geschlecht anzeigt, beschreibt der Begriff Gender die hier thematisierte soziale Seite der Geschlechtsrolle. Etwa ab Mitte der 80er Jahre begannen vor allem Familientherapeutinnen kritisch die Bedeutung der Geschlechtsrolle in der Familientherapie zu diskutieren. »Das Geschlecht – eine vergessene Dimension in der Familientherapie« hieß ein Kongreß der DAF 1987. Ein für diese Debatte im deutschen Sprachraum wichtiges Heft der Zeitschrift Familiendynamik erschien ebenfalls 1987. Dagmar Hosemann, Marianne Krüll, Rosmarie Welter-Enderlin, Almuth Massing und Ilona Schöll-Schwinghammer setzten sich mit dem »impliziten Sexismus« mancher scheinbar neutraler Konzepte auseinander und suchten nach Wegen für eine »frauenfreundlichere« Therapie. Die
* Eine »belletristische« Verarbeitung dieser Diskussion findet sich bei Schweitzer und Herzog 1990b.
Auseinandersetzungen um die systemische Therapie
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Vorstellung gleich gewichteter Machtverteilung in Familien wurde kritisiert, weil diese paradoxerweise zu einer Fortschreibung bestehender Ungleichgewichte in Familien führe. Besonders das Konzept der Neutralität erschien als »männliche Fassade« (Tröscher-Hüfner 1989, S. 21), als eine machtvolle Technik, Unselbständigkeit und Abhängigkeit zu fördern (vgl. S. 119f). »Unsere These ist, daß die Familientherapie die herrschenden sozialen Geschlechterrollen akzeptiert hat und dabei ignoriert, daß diese die Frauen unterdrücken; sie hat ein traditionelles Familienmodell übernommen und dabei übersehen, daß es die Frauen benachteiligt. Diese Unfähigkeit zur Erkenntnis hat zu einer Theorie, Praxis und Ausbildung geführt, die die Frauen unterdrückt« (Goodrich et al. 1991, S. 32).
Inzwischen liegen zahlreiche Veröffentlichungen zu diesen Fragen vor (z. B. Walters et al. 1991, Goodrich et al. 1991, Penn u. Sheinberg 1992; zur deutschsprachigen Diskussion zusammenfassend: RückerEmbden-Jonasch u. Ebbecke-Nohlen 1992). Die Gender-Debatte in der systemischen Therapie und Beratung wurde und wird besonders kontrovers am Thema »sexuelle Gewalt gegen Frauen – sexueller Mißbrauch« geführt (zur Übersicht: Ebbecke-Nohlen, in Vorb.). Zentrale Kritikpunkte richten sich auf Elemente eines verdeckten oder offenen Sexismus in der systemischen Therapie, besonders der Paarund Familientherapie. Kernpunkte der Kritik sind die folgenden: – Wenn nach wie vor in unserer Gesellschaft Geschlechterrollen sozial so organisiert sind, daß Männer eher in dominante, Frauen eher in untergeordnete Positionen gelangen (ein Blick in das Personalverzeichnis beinahe jeder deutschen Universität gibt dafür ein Beispiel), dann wird durch therapeutische Neutralität gegenüber diesem Sachverhalt dieses Ungleichgewicht weiter stabilisiert (Goodrich et al. 1991). – Während systemische Therapie und Beratung überwiegend von Frauen praktiziert wird, werden führende Funktionen in diesem Feld überwiegend von Männern besetzt (z. B. das Schreiben von Lehrbüchern …). – Walters et al. sehen die Gefahr, daß gerade Therapeutinnen in Familientherapien in eine »unmögliche« Lage geraten können (1991, S. 246 f). Therapieziele wie weibliche Autonomie und Selbstbestimmung können zumindest vordergründig mit Vorstellungen einer reibungslos funktionierenden Familie kollidieren. Die Therapeutin zeigt sich, wenn sie diese Fragen nicht reflektiert hat, unbewußt als »Beschützer« der Männer (Tröscher-Hüfner 1989) und schreckt vor einer – und sei es auch vorübergehenden – Konfliktverschärfung zurück. – Entsprechend läßt die Vernachlässigung von Fragen realer, physischer und ökonomischer Macht in Therapien deren meist asymmetrische Verteilung unangetastet. Solche Fragen sind beispielsweise: »Wer hat die Kontrolle über das Bankkonto, wer die Übersicht über die Finanzen? Wer entscheidet, ob die Familie an einen anderen Ort umzieht oder nicht? Wer benutzt das große Familien-
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Kritische Einschätzung systemischer Beratung
auto hauptsächlich? Wer arbeitet, Beruf und häusliche Arbeit zusammengerechnet, mehr Stunden in der Woche?« (Anregungen zu weiteren interessanten Fragen finden sich bei Pinl 1995). – Das Prinzip der gegenseitigen zirkulären Beeinflussung in sozialen Systemen bedeutet nicht, daß es keine Unterschiede in der Qualität der Wirkung gäbe. Insbesondere bei Gewalt und Mißbrauch hat das »Opfer« meistens einen geringeren Spielraum als der »Täter« zur Beeinflussung des anderen. Dies in einem verkürzten Zirkularitätsverständnis nicht zu berücksichtigen, kann (gewollt oder ungewollt) Gewaltverhältnisse zementieren. – Väter kommen in Familien zunehmend abhanden, unvollständige Familien, meist alleinerziehende Mütter mit ein oder mehreren Kindern, werden häufiger. Hier kann die Idee »Kinder (und besonders Jungen) brauchen Väter« problemerzeugend wirken, wenn sie die Mutter-Kinder-Familie als Minusvariante begreift und behandelt, statt auf deren Stärken und Möglichkeiten zu bauen. – Besonders die therapeutischen Interventionen strukturell-strategischer Ansätze werden oft angegriffen, weil sie kaum mehr seien als »notdürftig verschleierte Alibis, Ungleichheiten in der Machtverteilung zu schützen oder zu verbergen« (Walters et al. 1991, S. 247).
Die Diskussion ging einher mit einer zunehmenden Sensibilisierung für Metabotschaften in Interventionen, die auf geschlechtsbezogenen Vorurteilen beruhten. Beispiel aus der Therapie mit einer alleinerziehenden Mutter und ihrem Sohn (Therapeutin ist Peggy Papp): »Mutter: Ich weiß, es klingt albern, aber … es würde anders ausgehen, wenn er bei seinem Vater wäre, denn sein Vater ist ein Mann und würde aus ihm einen Mann machen. Therapeutin: Aha, ich verstehe. Und was werden Sie aus ihm machen? Mutter: Ich glaube, ich habe das Gefühl, daß ich seine Männlichkeit zerstöre, wenn ich meine Autorität als Mutter einsetze. Therapeutin: Wenn er also dazu erzogen werden soll, daß er eines Tages ein Mann wird, darf nur sein Vater ihm Disziplin beibringen? Und was wird seine Mutter tun? Ihrem Sohn erlauben, daß er sie diszipliniert? Mutter: Es stimmt, ich habe ihm viel Macht eingeräumt. Trotzdem bin ich sehr aufgebracht darüber. Ich hadere selbst mit mir … Therapeutin (an den Sohn): Wie hoch ist der Anteil der Kämpfe gegen deine Mutter, die du gewinnst? Jimmy: Och, vielleicht zwei Drittel … Therapeutin: Und Sie machen sich Sorgen wegen seines Selbstbewußtseins? Mutter: Ja, so albern es klingt.« (aus: Walters et al. 1991, S. 265).
Wie wichtig diese Sensibilisierung ist, zeigt eine bei Schneewind (1991, S. 291) zitierte über mehrere Jahrgänge wissenschaftlicher Zeitschriften in USA durchgeführte Inhaltsanalyse. Diese ergab, daß bei zwei Drittel der Befunde die Mütter für die Störungen ihrer Kinder verantwortlich gemacht wurden, während die Väter meist in idealisierter und positiver Weise beschrieben wurden.
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Die Gender-Diskussion hat zu einer langsamen Veränderung systemischer Praxis geführt. Besonderen Niederschlag fand die Kritik in einer neuen Art des Fragens, nämlich in Fragen, die direkt oder zirkulär die Genderperspektive in Familien verdeutlichen und damit einen Bewußtwerdungsprozeß in der Familie einleiten. Die Zusammenstellung der Fragen auf S. 265f stammt teils von uns, teils von Virginia Goldner (1991, auf einem Seminar), teils sind sie bei Hargens 1996 beschrieben. Gender-Fragen
Herkunftsfamilie Was war für Sie am schwierigsten, was am besten, in Ihrer Familie als Mädchen/Junge aufzuwachsen? Wären Sie lieber als Kind des anderen Geschlechts geboren worden? Für welches Verhalten wurde man bei Ihnen zu Hause als Junge/Mädchen besonders anerkannt, mit welchem Verhalten machte man sich besonders schuldig? Was erspürten Sie von Ihrer Mutter/Vater an Gefühlen darüber, wie sie/er sich als Frau/Mann empfand? Woraus zog Ihre Mutter/Ihr Vater die größte Lust und Befriedigung als Frau/Mann? Welche impliziten und/oder expliziten Botschaften gab Ihnen aus heutiger Sicht Ihre Mutter/Ihr Vater über die Last und das Vergnügen, in der Ehe die Frau/der Mann zu sein? Wenn Sie sich heute die »Politik« (das Miteinander, die Regeln) Ihrer Eltern vorstellen, wer von beiden, meinen Sie, hatte das Sagen? Wer entschied darüber, wer entscheiden durfte? Was meinen Sie, wie die beiden sich mit diesem Arrangement fühlten? Leisteten sie offen oder verdeckt Widerstand, bekämpften sie sich, verhandelten sie?
Gegenwart Was, denken Sie, zeichnet Sie als gute Mutter/guten Vater aus? Was als gute Ehepartnerin? Wie würde Ihr Partner diese Frage beantworten? Angenommen, Sie wären ein Mann/eine Frau (jeweils das andere Geschlecht): Wie würden Sie Ihr Problem beschreiben, wie würden Sie es lösen? Wie würde unser Gespräch anders verlaufen, wenn ich als Therapeutin ein Mann/eine Frau wäre? Was denkt wohl Ihr Mann/Ihre Frau über mich, auf welcher Seite ich eher sein könnte, welche Dinge ich besser/weniger gut verstehen kann? Was bedeutet das, was Sie über die Geschlechtsrollen in Ihrer Herkunftsfamilie gelernt haben, heute für Sie? Wenn es dabei um Aufträge/Delegationen geht: Inwiefern sind Sie diesen Aufträgen gerecht geworden, wie haben Sie ihnen widerstanden, wie haben
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Kritische Einschätzung systemischer Beratung Sie sie bewußt bekämpft? (Aufträge z. B. für die Partnerwahl, für das Gelingen oder Mißlingen von Partnerbeziehungen etc.) Wenn Sie dagegen gekämpft haben/kämpfen würden, wer von Ihrer Herkunftsfamilie wäre darüber erfreut, wer ängstlich, unzufrieden, bedroht, enttäuscht? Wie erleben Sie heute die Regeln der Hierarchie beziehungsweise die Regeln, bei welchem Verhalten Ausschluß droht? Angenommen Sie würden sich entscheiden, den alten Regeln nicht mehr zu gehorchen, wer fühlte sich in Ihrem heutigen Leben davon am meisten bedroht? Wie würde er oder sie versuchen, Sie dazu zu bringen, wieder zurückzugehen? Wie würde sich das bei Ihnen selbst und in Ihrer Beziehung ausdrücken? Wie gerecht erleben Sie die Verteilung von Einkommen und Konsum, Arbeit und Freizeit in ihrer Partnerschaft? Möchten Sie diese verändern? Wie frei oder unfrei erleben Sie sich, zu den Wünschen des anderen »nein« zu sagen? Wenn Sie sich trennen würden: Für wen brächte das in welcher Hinsicht (finanziell, Wohnung, Kontakt mit Kindern, Reaktionen Dritter …) mehr Probleme mit sich? Wen würde dies eher von einer Trennung abhalten?
Zukunft (die nächste Generation) Was möchten Sie Ihrer Tochter/Ihrem Sohn über das Frau-Sein, Mann-Sein mitgeben? Was wünschen Sie, daß Ihre Tochter/Sohn nicht übernimmt, sozusagen zurückläßt oder ablehnt? Was möchten Sie als Frau Ihrem Sohn/als Mann Ihrer Tochter mit auf den Weg geben bezüglich Männlichkeit/Weiblichkeit, während er/sie aufwächst und was sollte er/sie zurücklassen? Welche Veränderungen wären Sie bereit, jetzt zu machen, durch die es für Ihre Kinder eher möglich wäre, Gleichwertigkeit zu erfahren?
15.2. Systemische Familientherapie als konservative Sozialtechnologie? Während die »Gender-Debatte« sich schwerpunktmäßig aus der Familientherapie selbst heraus entwickelte, gab es vor allem in den achtziger Jahren eine Reihe von kritischen Einwänden gegen die systemische Familientherapie »von links«. Die Familientherapie, so der Kern der Vorwürfe, sei entstanden aus einem Unbehagen am Zerfall der bürgerlichen Familie und versuche, dieser Zeiterscheinung mit sozialtechnologischen Mitteln entgegenzuwirken. Als Familientherapie in einer Zeit des Verfalls bürgerlicher Familienstrukturen versuche sie,
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Ideal und Mythos konservativer Politik zu konservieren: die Frauen am Herd und die Kinder unter der Knute der Eltern zu halten sowie die Familie als preisgünstige Agentur zur Reproduktion der Ware Arbeitskraft notdürftig zu erhalten. Da, wo es eigentlich um die Entwicklung alternativer Lebensformen gehe, leiste die Familientherapie also Anpassungsarbeit: »Widerstand gegen gesellschaftliche Anforderungen ist als ›systemwidrig‹ im Theoriemodell nicht vorgesehen« lautet eine, leider nicht weiter belegte Aussage von Körner u. Zygowski (1987, S. 167) und weiter: »Systemisches Denken erweist sich somit als parteiliches Vorgehen, das sich aus dem Interesse an der Funktionsfähigkeit des zum System formierten Erkenntnisgegenstands erklären läßt.« Eine »an der Computerlogik orientierte Systemsprache« verdeutliche die technokratische Zielsetzung, Familien quasi wie ein Auto zum TÜV zu bringen, auf daß sie wieder reibungslos funktionieren und sich des Zusammenhangs ihrer Probleme mit gesellschaftlichen Herrschaftsmechanismen nicht bewußt werden. Im Sinne von Habermas’ (1988) Unterscheidung von »System« als dem Bereich politischer Steuerung und Zweckrationalität und »Lebenswelt« als dem Bereich nichtstandardisierter Lebensvollzüge handelnder Subjekte versuche »die systemische Therapie« immer mehr Lebenswelt unter Systemzwänge zu stellen und die sich diesem Prozeß entgegenstellenden Blockaden wegzutherapieren: »Die Familienmitglieder werden … zu Systemelementen degradiert und damit ihrer Individualität beraubt« (Körner u. Zygowski 1988, S. 41)*. Anders als in der Gender-Debatte beschränkt sich das Niveau der Kritik leider vorwiegend auf die Ebene der »Entlarvung« bürgerlicher Strukturen. Das macht es – meist ja auch selbst kritisch engagierten systemischen TherapeutInnen – schwer, sich inhaltlich damit auseinanderzusetzen: die Ablehnung ist einerseits »total«, andererseits werden Beispiele gern aus der Literatur der 70er Jahre gewählt und oft aus dem Zusammenhang gerissen, wird weitgehend die neuere Diskussion (z. B. die Kybernetik 2. Ordnung) nicht zur Kenntnis genommen, werden heterogene Vorurteile assoziativ aneinandergereiht. Noch in einer Publikation von 1995 wird das »patriarchale Maschinenmodell der systemischen Therapie« angeprangert (Schulte 1995). Das ist bedauerlich, denn natürlich braucht die systemische Therapie qualifizierte * In der Zeitschrift »Psychologie Heute« findet sich eine über drei Monate (Heft 4–6/1988) gehende Debatte eines kritischen Beitrags von Körner und Zygowski.
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Kritische Einschätzung systemischer Beratung
kritische Impulse auch von außen. Und die haben seit Ende der 80er Jahre (leider) nachgelassen. Vielleicht liegt das aber auch daran, daß die Attraktivität ideologiekritischer »Entlarvungen« in Zeiten nachläßt, in denen nicht mehr so sehr die Tabuisierung gesellschaftlicher Probleme als vielmehr deren offen-gleichgültige Hinnahme erlitten wird. In solchen Zeiten wird die Brüchigkeit sozialer Systeme wie der Familie sehr offensichtlich. Da sich jedoch einerseits für die Aufgabe der Mehr-Generationen-Solidarität bislang keine überzeugenderen alternativen Sozialformen entwickelt haben, gewinnt auch die »Reparatur« der Familie als möglicher Lebensform wieder an Charme und Wert. Und da andererseits alternative soziale Systeme wie Wohngemeinschaften, Alleinerziehende, unverheiratete oder auch homosexuelle Paare inzwischen ebenfalls potentielles Klientel systemischer Therapeuten geworden sind, greift eine Kritik nicht mehr, die unterstellt, daß es um die Rettung eines statistisch selten werdenden »Vater-Mutter-zwei-Kinder«-Verbundes gehe. Und doch wäre eine politisch engagiertere Theorie und Praxis systemischer Therapie durchaus zu wünschen (Schiepek 1991, S. 358f).
15.3. Alles Erfindung, alles beliebig? Beliebigkeit der Begriffe Der »Import« naturwissenschaftlicher Theorien in die Psychologie ist immer ein zweischneidiges Unternehmen (Schiepek 1991, s. a. Herzog 1984). Besonders der Begriff der Autopoiese (S. 67–70) geriet ins Kreuzfeuer der Kritik (Fischer 1991). Eingeführt, um die Funktion der lebenden Zelle zu beschreiben, entwickelte er sich zum umfassenden erkenntnistheoretischen Konzept. Die Zusammenhänge zwischen der Konzeption von Autopoiese und den neurobiologischen Arbeiten Maturanas sind dabei zumindest fraglich (Kriz 1990b, 1995a, S. 161), Kriz greift darüber hinaus die Verwendung des Begriffs Autopoiese in der Konzeption Luhmanns (S. 70–74) für psychotherapeutische Kontexte scharf an. Insbesondere sieht er die Aussage, es gebe keinen Input und keinen Output in operational geschlossene Systeme, als irreführend an. Sie impliziert eine ontologische Aussage (»es gibt sie nicht«). Dabei ist eigentlich eher zu fragen, ob es sinnvoll ist oder nicht, sie zu verwenden. Und natürlich, so Kriz, ist es sinnvoll, davon zu sprechen, daß Menschen in ihrem Gehirn Informationen verarbeiten,
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auch dann, wenn diese Information im Gehirn nicht exakt dasselbe wiedergibt, was der Sender meinte: Gedanken und Kommunikationen können sinnvoll voneinander getrennt werden, ohne daß man die Systembereiche als abgeschlossen definieren muß (Kriz 1994b).
Beliebigkeit der Realität Neben dem Autopoiesekonzept ist vor allem der radikale Konstruktivismus vielfach wissenschaftstheoretisch angegriffen worden (zur Übersicht: Fischer 1995, die ausführlichste Auseinandersetzung findet sich bei Nüse et al. 1995). Einerseits werden dem radikalen Konstruktivismus eine postmoderne Haltung des »Anything-goes« (i. S. Feyerabend 1986) und die Beliebigkeit »terminologischer Nebelbomben« (Girgensohn-Marchand 1992, S. 105) vorgeworfen, andererseits wird der Verzicht auf weitergehende Ansprüche an die Erkenntnis von Realität und Wahrheit angegriffen. Vor allem die Radikalität des radikalen Konstruktivismus wird moniert (Groeben 1995, Obrecht 1991), ein »Fundamentalismus«, der in »Verantwortungslosigkeit« münde (Graf 1994). Auch der »kritische« bzw. »wissenschaftliche Realismus«, den die genannten Kritiker vertreten, leugne nicht, daß unsere Bilder von Realität Erzeugnisse unseres Gehirns sind, daß menschliches Wissen subjektabhängig ist, doch geht er davon aus, »daß es eine konkrete Welt gibt und daß wir sie (in Schritten) zu erkennen vermögen« (Obrecht 1991, S. 283). Kernpunkt der Argumentation ist, daß die These von der »Welt als Erfindung« selbst »eine Erfindung« ist, also nur »ausgedacht«, nicht entdeckt (Nüse et al. 1995, S. 16). Dabei werden unseres Erachtens allerdings besonders die Aussagen von Glasersfelds (1981) mißverstanden, wenn ihm unterstellt wird, er gehe vom Nicht-Vorhandensein einer Realität außerhalb des menschlichen Erkenntnisapparates aus. Nach unserem Verständnis geht er lediglich von einer prinzipiellen Nicht-Erkennbarkeit dieser Realität aus (vgl. S. 86–90). Und da bleibt zwischen dem Konstruktivismus und seinen Kritikern sicher ein bedeutsamer Unterschied bestehen, wenn es etwa bei Nüse et al. (1995) heißt: »Nichts spricht dagegen, daß unsere ›Ideen‹ … das Richtige über die Welt sagen« (S. 78), oder an anderer Stelle: »Die Welt ist in einem gewissen Sinn durchaus so beschaffen, wie man sie wahrnimmt. Ihre Beschaffenheit wird aber in der Wahrnehmung auf eine Weise repräsentiert, die nicht diese Beschaffenheit ist. Wer etwas anderes erwartet, hat nicht realisiert, was mit ›Repräsentation‹ gemeint ist. Die Wahrnehmung liefert eben nur ein Bild von der Welt« (S. 155).
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Kritische Einschätzung systemischer Beratung
Aus konstruktivistischer Sicht sind dies Aussagen eines Beobachters und man fragt sich, woher dieser die Gewißheit der Behauptung nimmt. Mit dem Begriff »Bild« steht man in der Gefahr, sich in der unlösbaren Frage zu verlieren, wer denn dieses Bild qualifiziert, wer also feststellt, daß es eine »richtige« Abbildung der Welt ist: Es ist immer wieder nur ein Beobachter, und dieser befindet sich zudem immer in den Gesetzen der Sprache (S. 93–101) gefangen, man bräuchte einen »Gottesstandpunkt« für die endgültige Entscheidung (Zitterbarth 1994). Es ist vielleicht sinnvoller, die Frage, ob in unserem Kopf ein Abbild entsteht oder nicht, in den Bereich der unentscheidbaren Sprachspiele zu verbannen.
Der beliebig veränderbare Mensch Ein anderer »Beliebigkeitsvorwurf« kommt von entwicklungspsychologischer Seite. Dort wird es als eine zentrale Schwäche systemischer Ansätze gesehen, daß sie undifferenziert die Plastizität und Modifikationsfähigkeit menschlichen Verhaltens betonen (Chasiotis u. Keller 1992, S. 88). Evolutionsbiologisch begründbar ist dagegen die Formbarkeit des Verhaltens im frühen Menschenalter am höchsten. Wieder findet sich hier die Kritik an einem vereinfachten Zirkularitätsverständnis: die Annahme, daß Mutter und Kind einander wechselseitig gleichermaßen stark beeinflußten, sei irreführend. Hierzu zwei Argumente: Zum einen finden sich in der Familientherapiegeschichte eine ganze Reihe Beispiele dafür, daß ein zirkuläres Verständnis von Systemen gerade, was das Verhältnis Eltern und Kinder angeht, nicht mit der gleichen Stärke von Einflüssen gleichgesetzt wird. So nennt Satir (1979) die Eltern die »Architekten der Familie«, denen für das Familienklima eine besondere Verantwortung zukommt, Stierlin betont die »Realität der stärkeren Persönlichkeit« (z. B. Simon u. Stierlin 1984). Zum anderen ist die Frage, wie die pragmatischen Folgen dieser Überlegungen aussehen. »Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr« kann auch zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung werden. Auch wenn es aus evolutionsbiologischer Sicht Argumente für diese Sicht gibt, so gibt es doch auch Argumente dafür, daß Menschen über Optionen verfügen, wenn sie den Blick für ihre potentielle Vielfalt öffnen. Ein Rollstuhlfahrer wird vielleicht nicht mehr laufen lernen, und doch kann er das für ihn vielleicht noch nie gedachte Ziel verwirklichen, an der Olympiade der Querschnittsgelähmten teilzunehmen, wenn er die Chance hat, eine solche Vision zu entwickeln und zu verfolgen.
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Durch die Säuglingsforschung (insbesondere Stern 1992) wird eine weitere kritische Anfrage auch an die Überlegungen in diesem Buch gerichtet, nämlich, ob die Betonung der verbalen Seite der Sprache für die Entwicklung konsensueller Welten nicht überakzentuiert ist. Es gibt »viele Hinweise dafür, daß die beziehungsstiftenden Kommunikationsleistungen des Menschen vorsprachlicher Natur sind« (Chasiotis u. Keller 1992, S. 89). Das Konzept der nonverbalen, vorsprachlichen »Affektabstimmung« (Stern 1992) und deren Bedeutung für das kindliche Selbst und seine sozialen Beziehungen würde sich für die systemische Therapie sicher gewinnbringend auswerten lassen, etwa über eine Untersuchung der Bedeutung der »Affektabstimmung« zwischen Therapeuten und Klientensystem.
15.4. Entsolidarisierung und fehlende Ethik? Die Ausbreitung konstruktivistischen Denkens verlief etwa zeitgleich mit dem postmodernen Denken sowie mit einem gesellschaftlichen Prozeß, der von Soziologen als Individualisierung und Pluralisierung von Lebenslagen und -stilen beschrieben wird: Vorgegebenes, Verbindendes und Gemeinsames läßt nach, jedes Individuum kann und muß die Spielregeln seiner äußeren Existenz, ja sogar seiner Identität andauernd neu aushandeln. Dazu paßt das konstruktivistische Denken. Die Kritik setzt an der Negativseite dieser Entwicklung an. Politisch-ideologisch gehen sie zeitlich parallel mit einem Vordringen marktwirtschaftlicher, speziell neoliberaler Tendenzen: private Marktprozesse, nicht öffentliche Daseinsvorsorge sollen die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse regulieren. Sozialpolitisch verlaufen sie zeitlich parallel zu einem Abbau sozialstaatlicher Leistungen. Dem konstruktivistischen Denken wird zwar nicht vorgeworfen, neoliberale Sozialstaats-Abbau-Strategien zu propagieren, aber doch, zu diesen gut zu passen und daher auch für diese gut verwendbar zu sein (Graf 1994). Das ist nicht von der Hand zu weisen: – Viele systemische Berater sind als Organisationsberater in Unternehmen und zunehmend auch im öffentlichen Dienst bei »schlankmachenden« Rationalisierungsstrategien tätig und dort offensichtlich gefragt (vgl. S. 256–260). Die Theorie paßt offenbar zu Effektivierungsprozessen, die neben erfreulichen Wirkungen auch die Freisetzung von Arbeitskraft zur möglichen Folge haben. – Einige (wenige) Schlüsselwörter der aktuellen konstruktivistisch-systemischen Diskussion knüpfen an marktwirtschaftliche Denkfiguren an. Besonders deutlich wird dies bei Begriffen wie »Radikale Marktwirtschaft« (Simon 1991a) oder
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Kritische Einschätzung systemischer Beratung
»Kundenorientierung als systemische Dienstleistungsphilosophie« (Schweitzer 1995a). Zwar stellen beide Denkfiguren keine Aufforderungen zur »totalen Vermarktung« dar, sondern bei Simon geht es um eine systemische Beschreibung menschlicher Austauschprozesse (»Wer handelt, der handelt«), bei Schweitzer um eine Metapher für das Ernstnehmen von Nutzerwünschen gerade in marktfernen Dienstleistungssystemen (S. 125f). Aber man kann sich schon fragen, inwieweit solche Metaphern aktuell vorherrschende neoliberale Diskurse nicht nur deskriptiv aufgreifen, sondern damit auch präskriptiv befördern. – Wenn man sich selbst eine »Anleitung zum Unglücklichsein« (Watzlawick 1983) schreiben und dieser folgen kann, ist man dann nicht stets seines eigenen Glückes und Unglückes Schmied und ergo selbst daran schuld, wenn man arm und hungrig ist (Bohnke 1985)? Eignet sich konstruktivistisches Denken, den Armen und Ausgegrenzten zu ihrem Elend auch noch die exklusive Verantwortung für dieses zuzuschustern? Die Gefahr einer solchen Beschreibung liegt sicher nahe, wenngleich das nicht gleich bedeuten muß, daß systemisches Gedankengut konservative Strömungen widerspiegelt.
Die differenzierteste Kritik an einer Familientherapie, die sich an der Kybernetik erster Ordnung orientierte, findet sich bei Bauriedl (1980). Sie sieht die Gefahr, daß lösungsorientierte Konzepte dazu genutzt werden, um Bezogenheit abzuwehren, indem Therapie sich nicht am Erleben von Menschen orientiert. Die ausschließliche »positivistische Betrachtung der Verhaltensebene« (S. 80) geht für sie regelmäßig mit manipulativen Therapietechniken einher, weil dadurch die Subjekt-Subjekt-Beziehung aufgehoben wird. Ihre kritischen Anfragen an den verdeckten Mißbrauch therapeutischer Macht, vor allem im laxen Umgang mit Manipulationsvorwürfen bleiben unseres Erachtens eine aktuelle persönliche Anfrage an jeden Therapeuten. Unabhängig von der Diskussion um die Kybernetik 2. Ordnung forderte sie die Einbeziehung des relativen Standorts des Diagnostikers oder Therapeuten in eine »Relativitätstheorie« menschlicher Beziehungen. Die genannten Anfragen führen zur »Gretchenfrage« nach den ethischen Aspekten systemisch-konstruktivistischen Denkens. Der berühmte Imperativ von Foersters: »Handle stets so, daß du die Zahl der Möglichkeiten vergrößerst« (1988, 1993) liegt einem Aufsatz von von Schlippe (1991) über systemische Ethik zugrunde. Die scheinbare Beliebigkeit systemischer Theorie führt damit zu einer besonderen Betonung der eigenen Verantwortung (von Foerster 1993, S. 73ff) und nicht, wie Nüse et al. (1995, S. 302ff) vermuten, zu einer rein »zweckrationalen und utilitaristischen Ethikvorstellung«.
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Vier ethische Grundpositionen systemischer Therapie: 1) Denke und handle ökologisch valide (Oder: »Es gibt immer einen größeren Kontext.«) 2) Achte auf die Definitionen und Bewertungen, die du vornimmst (Oder: »Es könnte auch alles ganz anders sein.«) 3) Besinne dich auf deine persönliche Verantwortung (Oder: »Es gibt kein Richtig und Falsch, aber du bist Teil des Kontextes und alles, was du tust, hat Konsequenzen!«) 4) Achte darauf, in respektvoller Weise Unterschiede zu schaffen (Oder: »Füge dem Bild des/der Klienten etwas Neues hinzu.«) (von Schlippe 1991, S. 371).
Wenn diese nicht mehr abgeschoben werden kann an Instanzen wie »Objektivität« oder »Wahrheit«, dann ist das eigene Handeln an immer wieder zu hinterfragenden Maßstäben zu messen, die ihrerseits mit der Ethik der Wertegemeinschaft abzugleichen sind. Batesons aus dem Bewußtsein des Eingebettetsein in größere Kreisläufe entstandene Sorge, daß jede einseitige machtvolle Interventionen in die Natur und in das Leben anderer Menschen potentiell dem Ökosystem schade, führt darüber hinaus zu einer »Ethik der Nicht-Intervention«: Manchmal kann es besser sein, mit weniger Intervention zu reagieren als mit mehr (z. B. Schweitzer 1989, Liechti et al. 1989). Ein aus dem systemischen Selbstverständnis abgeleitetes Ökologieverständnis geht davon aus, daß wir selbst Teil des Prozesses sind, den wir beobachten. So gesehen ist der andere auch Teil von uns; wenn wir ihm schaden, schaden wir auch uns selbst. Es findet sich im systemisch-konstruktivistischen Denken allerdings keine Ethik etwa der Gerechtigkeit und speziell keine Ethik der Solidarität (es sei allerdings dazu gesagt, daß auch viele andere psychologische Theorien über keine modellimmanente Ethik verfügen!). Auf die Notwendigkeit einer solchen weisen in jüngster Zeit Sozialarbeitstheoretikerinnen (z. B. Staub-Bernasconi 1986), PostmoderneTheoretiker (z. B. Baumann 1991) und auch systemische Berater (z. B. Pfeifer-Schaupp 1995, 1996) vermehrt hin. Doch wenn diese Begriffe von einer Wertegemeinschaft als bedeutsam beschrieben werden, kann eine »Diskurs-Ethik« (Pfeifer-Schaupp 1996) sie zu konsensuell verbindlichen Werten bestimmen.
15.5. Fast Food Therapy: Muß gute Therapie kurz sein? Als die Familientherapie und aus ihr heraus systemische Therapie und Beratung ihre Entwicklung begannen, waren die Qualitätskriterien guter Psychotherapie weitgehend von der Psychoanalyse bestimmt. Dazu
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gehörte auch eine hinreichend große Zahl von Sitzungen. In der kassenärztlich finanzierten Psychotherapie in Deutschland seit 1969 sind dies (noch) bis zu 80 Sitzungen, in der kassenärztlich finanzierten Psychoanalyse bis zu 240 Gespräche, private und Lehranalysen gehen oft weit darüber hinaus. Interessanterweise wurde die psychoanalytische Therapie im Lauf ihrer historischen Entwicklung immer länger. Helm Stierlin zitiert gern aus einer Unterhaltung mit Michael Balint, wonach zu Freuds und noch zu Ferenczis Zeiten eine Lehranalyse in einem viertel bis halben Jahr erfolgreich absolviert werden konnte. Die Familientherapie und später die systemische Therapie wurden dagegen im Lauf ihrer Entwicklung immer kürzer. Selbstverständlich gibt es darauf auch kritische Blicke – nicht nur von Psychoanalytikern. Wenn Therapie ausschließlich als »Problemlösung« definiert wird, und wenn mit dieser Definition weitergefaßte Verständnisse von Therapie (etwa »Selbsterkenntnis«, »Begleitung« o. ä.) entwertet werden, kann sich darin ein Reduktionismus zeigen, der mit systemischer Erkenntnistheorie nicht kompatibel ist. Es ermöglichen gerade »unterschiedliche Standpunkte unterschiedliche Perspektiven auf denselben komplexen Gegenstand« (Kriz 1985, S. 298), und durch Ausblendung werden mögliche wesentliche Dimensionen menschlicher Existenz nicht erfaßt. Es kann sich gerade die Abwesenheit von Problemen als Problem herausstellen, wenn etwa jemand im Verlauf einer Selbsterfahrung oder Therapie herausfindet, daß sich in seiner bisherigen Art, zu leben »als sei alles o. k.«, eine Entfremdung von sich selbst ausdrückt (Portele 1992), eine Form der Gewalttätigkeit sich selbst gegenüber, eine Anpassung an eine Umgebung, die reibungsloses Funktionieren verlangt. »In einer Gesellschaft, in der Formalisierung, Quantifizierung und Abstraktion Denken und Handeln dominieren, ist die Bildung sinnlicher Begriffe sowie begriffene Sinnlichkeit Emanzipation. In einer Gesellschaft, die auf Anästhesierung angelegt ist, in der das Schweigen der Organe gesund und die Abwesenheit von Gefühlen als normal gilt, ist die leibliche Wahrnehmung, die Fähigkeit, sich zu spüren und die Sprache der Organe zu verstehen und zu sprechen, praktische Kritik, … ist die Entdeckung von Kontakt, … von inniger Nähe, von Herzenswärme und Liebe ein radikales Gegenprogramm« (Schuch 1988, S. 131).
Für so etwas wie eine »gestörte Beziehung zu sich selbst« hat die systemische Therapie bislang kein Konzept, anders als etwa Psychoanalyse, Gestalt- und Gesprächspsychotherapie. Klienten, die mit einem diffusen Unbehagen in die systemische Therapie kommen, könnten mit einem Kompliment oder einer kreativen oder gar witzigen Umdeutung weggeschickt werden, nach der ihr Problem eigentlich doch eine gute
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Lösung sei. Bauriedl (1980) warnte, daß ein ausschließlich am schnellen Outcome orientiertes Therapieverständnis gesellschaftlich bedingte Abwehrprozesse verstärken kann. Die besondere Sensibilität für Abhängigkeit kann auch in der Abwehr von Bezogenheit münden. Wenn das Motto der Kurzzeittherapie: »Wenn Therapie länger dauert als 10 Sitzungen, taugt der Therapeut nichts«, zur Ideologie gerinnt, wird der, der an den Effizienzforderungen einer Gesellschaft leidet, in der Therapie mit eben diesen Mechanismen konfrontiert. Entsprechend groß ist die Neigung »Siegergeschichten« zu erzählen, also alles, was »kurz und gut« gelaufen ist. »Verlierergeschichten« bleiben den Ausbildungskandidaten vorbehalten (von Schlippe 1995b). Daher sollte auch das Verstehen als eine für Veränderung bedeutsame therapeutische Funktion gepflegt werden. Verstehen nicht im Sinne von: »So war es, und darum bin ich so!«, sondern: »So habe ich mein Schicksal erlebt, so habe ich es verarbeitet, das war und ist mein Schmerz, und so habe ich mich bislang gegen ihn geschützt.« Dann kann die potentiell emanzipatorische Seite eines Symptoms oder auch eines diffusen Unbehagens genutzt werden. Ein solcher Prozeß kann oft länger dauern als nur ein paar Sitzungen. Diese Überlegungen bedeuten keinen Verzicht auf die kritische Anfrage an den Sinn hochfrequenter Therapie. Doch zwischen 5 und 400 Sitzungen (jeweils als »Regelfall«) liegt ein breites Feld möglicher Kontrakte. Der Gewinn, der durch die systemische Therapie erreicht wurde, nämlich ein Konzept bereitzustellen, das nichtinvasiv, entpathologisierend und kooperativ vorgeht, bleibt auch dann erhalten, wenn man mit Klienten auf die Suche nach Rätseln in der eigenen und/oder Familienvergangenheit geht. Neben »Problemlösungskontrakten« sollten auch »Selbstentdeckungskontrakte« (S. 114f) in der systemischen Therapie und Beratung ihren Ort haben können. Schließlich sind auch Kontrakte denkbar, in denen ein Vertrauensaufbau über eine längere Zeit hinweg hilfreich ist, um Klienten die Möglichkeit zu geben, zum Beispiel über schambesetzte Erfahrungen zu sprechen, Braverman (1990) etwa berichtet von entsprechenden Beispielen. Neue Krankenkassenregelungen etwa in den USA (»managed health care«) begrenzen die Zahl von Psychotherapiesitzungen auf maximal 20 bei schweren psychiatrischen Problemen und auf maximal 6–10 bei »normalen Problemen«. Dies erzeugt für Klienten wie für Therapeuten eine unangenehme »Hast, kurz zu sein«, die inzwischen auch von engagierten Kurzzeittherapeuten kritisiert wird. Eve Lipchik etwa (1994) betont, daß auch aus lösungsorientierter Sicht die Kooperation zwischen Therapeutin und Klient sich auch auf Themen beziehen kann und
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sollte, die vom Klienten möglicherweise noch nicht formuliert werden können. »Der Prozeß (der systemischen Kurztherapie, d. Verf.) sollte rasch geschehen, aber ohne Hast; methodisch konsistent, aber nicht standardisiert; effizient, aber niemals unpersönlich; klar fokussiert, aber mit Sinn auch für eher verborgene Botschaften der KlientInnen. Kurztherapie verlangt ebensoviel Feinheit, Geduld und Einfühlungsvermögen wie jede andere gute Therapie. KurztherapeutInnen … erweisen sich, ihren KlientInnen und dem Gesundheitssystem einen guten Dienst, wenn sie sich an das Sprichwort erinnern: Kurztherapie geht langsam« (Lipchik 1994, S. 234).
16. Was nützt systemische Therapie? Zum Stand der Evaluationsforschung * Der Druck zum empirischen Wirksamkeitsnachweis von Dienstleistungsangeboten angesichts verschärfter Kosten-Nutzen-Diskussionen (»Qualitätssicherung«) hat in den neunziger Jahren das Thema der Evaluation systemischer Therapie und Beratung vermehrt in den Blickpunkt gerückt. Daher soll auch in diesem Buch dieses Thema behandelt werden. Zuvor jedoch einige kritische Anmerkungen zu dem Zeitgeist, der sich mit dem Wort »Qualitätssicherung« verbindet. Es würde sich sicher lohnen, die impliziten Vorannahmen, die der Diskussion unterliegen, einmal zu überprüfen und zu fragen, was es wohl bedeutet, daß sich gerade jetzt die besondere Intensivierung der Debatte um die »Wissenschaftlichkeit« von Therapieverfahren beobachten läßt. Die Überakzentuierung methodischer gegenüber inhaltlichen Fragen überfordert jedenfalls nicht selten auch die an der Diskussion beteiligten Fachleute, wie die heftige Debatte um die große Studie zur Wirksamkeit der Psychotherapie von Grawe et al. (1994) zeigt – und die Überlegung, ob es sich hier nicht eher um politische Fragen als um sachliche handelt, liegt nahe (Hargens 1994b). Kriz (1996), der sich sowohl mit der Studie von Grawe et al. als auch mit Psychotherapieforschung generell auseinandergesetzt hat, weist darauf hin, daß Methodik und Statistik eine inhaltliche Auseinandersetzung nicht ersetzen können. In jede Forschungsfrage gehen subjektive Ansichten des Forschers mit ein und je feiner die Methodik, desto schwerer sind diese zu erkennen. Für * Wir danken Herrn Matthias Ochs, Osnabrück, für seine entscheidende Mitwirkung bei der Erstellung dieses Kapitels.
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ihn liegt das Problem der Psychotherapieforschung vor allem darin begründet, »daß oft so getan wird, als handele es sich um rein methodische Fragen, während dahinter schwerwiegende und keinesfalls konsensfähige inhaltliche – um nicht zu sagen: weltanschauliche – Vorentscheidungen liegen« (Kriz 1996, S. 146). Es beginnt bereits mit der Frage danach, was die inhaltliche Konsistenz des untersuchten Verfahrens ausmacht. Mit diesem Definitionsproblem steht, wie Schiepek (1994, S. 297) verdeutlicht, die systemische Therapie nicht allein: »das heterogene Bündel … ›systemischer‹ Praxisvarianten verbindet allenfalls lose ›Familienähnlichkeit‹«, doch: »auch andere Therapieströmungen erweisen sich … als nur familienähnliche ›fuzzy sets‹ von Konzept- und Praxisvarianten« (S. 298). Die Frage ist dann in der vergleichenden Forschung, ob die Varianz innerhalb eines Ansatzes wirklich viel geringer ist als die zwischen zwei Ansätzen. Es gibt gute Gründe, dies zu bezweifeln (z. B. von Schlippe 1988). Und wenn dann eine Studie über die Effektivität eines solchen »familienähnlichen« Bündels von therapeutischen Handlungen beginnt, stößt man auf das zweite Problem, nämlich die völlig unterschiedlichen Kriterien darüber, was »Therapie-Erfolg« eigentlich »ist«. Auch wenn das klar sein sollte, liegt der nächste Dissens in der Frage, wie dieses Kriterium operationalisiert und gemessen werden soll. Dies alles sind Fragen, die zwar erörtert, aber nicht abschließend geklärt werden können, da es sich jeweils um Entscheidungen im Forschungsprozeß handelt. Darüber hinaus weist Kriz (1991) darauf hin, daß beim Einsatz »klassischer« Analyseinstrumente in systemisch-empirischen Fragestellungen eine ganze Reihe von grundsätzlichen Problemen und möglichen Forschungsartefakten auftreten können. Für eine Vertiefung dieser forschungsmethodisch brisanten Fragen verweisen wir auf die Arbeiten von Kriz (1981, 1991, 1996). Kern seiner Aussagen ist, daß unter dem Signum »wissenschaftlicher« Forschung heftige ideologische Auseinandersetzungen verbrämt ausgetragen werden können: »In einem halben Jahrhundert werden die Wissenschaftler wahrscheinlich die jetzige Debatte als Musterbeispiel für unsere Thematik ›Einflüsse von Kultur und Ideologien auf Wissenschaft‹ anführen« (S. 145). Es stellt sich die Frage: »Wer bestimmt eigentlich das Feld, auf dem die Auseinandersetzungen ausgetragen werden?« Hierzu noch ein Beispiel: Die herrschende Logik von Evaluationsstudien begünstigt den Wirksamkeitsnachweis von Therapierichtungen, die selbst einer solchen Logik folgen. So können verhaltensorientierte Paar- und Familientherapien leichter über Therapiemanuale standardisiert werden als andere Ansätze, die sich, wie etwa in diesem Buch dargestellt, über einen flexiblen Satz von Heuristiken definieren (s. a. Wynne 1988). Shadish und
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Sweeney (1991) zeigten, daß der Standardisierungsgrad einer Interventionsmethode einen wesentlichen Beitrag zur scheinbar überlegenen Effektivität behavioraler Ansätze leistet, vor allem deshalb, weil die Kriterien leichter meßbar sind. Wenn systemische Therapiestrategien mit einer ähnlich hohen Standardisierung implementiert werden (z. B. Green u. Herget 1989) erweisen auch sie sich als sehr effektiv. Wittmann und Matt (1986) haben darauf hingewiesen, daß die Spezifität eines Meßinstruments hinsichtlich der Therapiemethode (z. B. Angstinventare für eine verhaltenstherapeutische Phobie-Behandlung) mit der Höhe von Effektstärken zusammenzuhängen scheint. Tatsächlich demonstrierten Szapocznik et al. (1989) die deutliche Wirkung einer strukturellen Familientherapie mit einem Inventar, das spezifisch für diese Therapiemethode konstruiert wurde (Structural Family Systems Ratings). Zur systemischen Therapie im Sinne der Kybernetik 2. Ordnung liegen nur wenige aus ihr selbst heraus definierte Erfolgsmaße vor. Solange wird sie im Vergleich zu anderen Verfahren auf deren Feldern nicht unbedingt »besser« abschneiden (Kriz 1991). Der einzige uns bekannte Versuch, ein eigenes Erfolgsmaß »Kundenzufriedenheit« zu erarbeiten, stammt von Ludewig (1993).
All die genannten Aspekte sollten bedacht werden, wenn wir jetzt im folgenden versuchen, Aussagen über den »Stand der Forschung« zu machen. Natürlich sind wir daran interessiert, die unseres Erachtens gute empirische Befundlage der systemischen Therapie zu dokumentieren, wohl wissend, daß auch wir dies nicht ideologiefrei tun, daß all die zusammengetragenen Befunde von anderer Seite aus, anders gruppiert und gewichtet, ein völlig anderes Bild zeichnen würden.
16.1. Überblick In der Geschichte familientherapeutisch beziehungsweise systemisch ausgerichteter Evaluationsbemühungen lassen sich verschiedene Phasen beschreiben: Von der Pioniergeneration war es besonders die Arbeitsgruppe um Minuchin, von der beachtliche Bemühungen um empirische Belege für die Wirksamkeit ihrer therapeutischen Arbeit ausgingen. Aponte und VanDeusen führen in einer Übersicht 8 Outcome-Studien und 7 Prozeßstudien auf (1981, S. 350ff). Die Untersuchungen waren oft sehr kreativ; so wurden bei Kindern die freien Fettsäurewerte während eines Familieninterviews abgenommen, es zeigte sich, daß diese bei den diabetischen Kindern mit der Intensität des elterlichen Konflikts variierten, bei anderen Kindern nicht (Minuchin et al. 1981, s. a. S. 286). Auch die Gruppe um Selvini Palazzoli bemühte sich um empirische Studien (z. B. zur invarianten Intervention – Selvini Palazzoli u. Prata 1985), doch blieb es bei einer deskriptiven Auswertung von Ein-
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zelbefunden, die im Rahmen der empirischen Wissenschaft nicht rezipiert wurden. Die »konstruktivistische Wende« anfangs der achtziger Jahre verstärkte dann erkenntnistheoretische Zweifel an der objektiven Erforschbarkeit der »Wirkungen« therapeutisch-beraterischer Interventionen und führte zu einer Abnahme der empirischen Aktivitäten zugunsten von beispielhaften Einzelfallschilderungen und von erkenntnistheoretischen Auseinandersetzungen (von Lask 1987 abfällig als »Episto-Babble« bezeichnet). In der familientherapeutischen Literatur läßt sich eine lebhafte Diskussion zwischen den Vertretern dieser »konstruktivistischen Wende« (z. B. Bradford Keeney, Lynn Hoffman oder Karl Tomm) und Psychotherapieforschern verfolgen, die nicht gleich das Kind mit dem Bade ausschütten wollten. Tomm (1983) argumentierte, daß das Konzept der zirkulären Kausalität eine Unterscheidung zwischen abhängiger Variable und unabhängiger Variable nicht zulasse und so traditionelle Psychotherapieforschung hinfällig werde. Gurman (1983), einer der Hauptvertreter familientherapeutischer Evaluationsforschung, erwiderte, daß traditionelle Psychotherapieforschung nur dann hinfällig wird, wenn man »wrong, and extremely naive questions« (S. 232) nach linearen direkten Zusammenhängen zwischen abhängiger und unabhängiger Variable stelle. Das traditionelle Methodenarsenal empirischer Forschung (z. B. multiple Korrelations- und Regressionsanalysen) biete Familientherapieforschern noch eine Fülle von Möglichkeiten, die systemisch relevanteren Fragen nach Interaktion und zirkulären Zusammenhängen systemtherapeutischer Variablen zu untersuchen. Ähnlich argumentiert auch Wynne (1988). Gurman resümiert: »The ›new epistemologists‹ have nothing to fear but their own fearful maps of the psychotherapy researcher’s territory«, (1983, S. 233), indem er geschickt konstruktivistische Argumentationsmuster aufgreift. Recht unabhängig davon liefen akademische Aktivitäten, zum Beispiel, der Familienforschung (Olson u. Miller 1983). In Deutschland arbeitet vor allem Klaus Schneewind daran, die Familienpsychologie in den psychologischen Fächern zu plazieren (1991). Diese Autoren waren und sind durchaus positiv an Familientherapie interessiert und verfolgen die diesbezügliche Forschung aufmerksam und kritisch (z. B. Schneewind 1991, S. 266ff).
Parallel zu dieser Debatte lief jedoch auch ein gewisses Maß an familientherapeutischer evaluativer Forschungsaktivität weiter. Hier entstanden Arbeiten, die u.a. in die weiter unten dargestellten Metaanalysen Eingang gefunden haben. In jüngerer Zeit wird zunehmend die Frage nach dem Selbstverständnis einer explizit systemischen Psychotherapieforschung aufgeworfen. Schiepek (1994) plädiert etwa für eine veränderte Forschungspraxis, die vielfältige qualitative und quantitative empirische Methoden anwendet, dabei jedoch lineare durch nichtlineare Methoden ergänzt und die Untersuchungsdesigns besonders auf deren ökologische Validität prüft.
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Moon, Dillon und Sprenkle (1990) halten qualitative Forschung für die »logic research expression« konstruktivistischer Therapieansätze: Das würde bedeuten, den Fokus auf narrative und ausführliche Einzelfallstudien zu legen. Ein von Sells, Smith und Sprenkle (1995) vorgestelltes Forschungskonzept verbindet qualitative Forschungsmethoden (Interviews, Feldbeobachtungen, Ethnographie u.v.m) mit quantitativen Verfahren (z. B. Inferenzstatistik) und schlägt so eine Brücke zwischen traditioneller Evaluationsforschung und konstruktivistischem Denken. Einen etwas anderen Weg haben synergetisch orientierte Psychotherapieforscher eingeschlagen. Mit dynamischen mathematischen Modellen und innovativen Analysemethoden (z. B. sequentiellen Plananalysen), werden Psychotherapieprozeßverläufe auf Mikroebene ausführlich ausgewertet und dann qualitativ interpretiert (z. B. Schiepek et al. 1995 a u. b, Schiepek u. Strunk 1994, Tschacher u. Grawe 1996). Was die empirische Absicherung der Wirksamkeit systemischer Therapie beziehungsweise Familientherapie anbetrifft, so gibt es unter Experten noch keinen umfassenden Konsens. Statt dessen trifft man in der Fachliteratur auf eine bunte Vielfalt widersprüchlicher Meinungen, Statements und Beurteilungen. Die Urteile hängen teilweise auch mit den Zusammenfassungsmethoden, den Kriterien für den Einbezug von Studien und mit den von den Autoren selbst vertretenen Therapierichtungen zusammen. In älteren Übersichtsarbeiten, die auch Studien ohne Kontrollgruppen integrierten, wird insgesamt ein positives Bild der Wirksamkeit systemischer Paar- und Familientherapien gezeichnet (z. B. Gurman u. Kniskern 1978, Nash deWitt 1980, Aponte u. VanDeusen 1981). Neuere Sekundäranalysen nach der Methodik von Metaanalysen und/oder Box-Counting-Verfahren (S. 281f), die z. T. nur Evaluationsstudien mit Kontrollgruppendesign in ihrer Übersicht berücksichtigen, beurteilen die Wirkung familientherapeutischer Behandlungen teils skeptisch, teils positiv. Die Bandbreite reicht dabei von kritischen Resümees bis zu generell positiver Beurteilung der Befundlage. Einige Beispiele: Heekerens zieht aus seiner Sekundäranalyse (1990) den Schluß, daß »man die vorgefundenen Ergebnisse keineswegs als ›gesicherten Effektivitätsnachweis der Familientherapie‹ anbieten« könne, und »von ›demonstrierter Überlegenheit‹ gar kann überhaupt nicht die Rede sein« (S. 8). Im Forschungsgutachten zum Psychotherapeutengesetz (Meyer 1991) heißt es ähnlich: »Die Wirksamkeit für systemische Familientherapie als Therapieverfahren ist bisher zwar nicht negativ ausgefallen, aber die bisher vorliegenden Wirksamkeitsnachweise sind in ihrer Breite und Qualität alles andere als befriedigend.« (S. 95). Demgegenüber halten Shadish et al. (1993) die Wirksamkeit systemischer Therapie für so
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belegt, daß sie weitere Evaluationsstudien mit einfachem Kontrollgruppendesign nicht mehr als nötig ansehen. Bommert et al. (1990) gelangen aufgrund einer zusammenfassenden Analyse verschiedener Sekundäranalysen aus dem angloamerikanischen Raum zu der Einschätzung, daß mit einer Erfolgsquote von etwa zwei Drittel der Fälle »die Effektivität der Familientherapie (besonders der nichtbehavioralen Familientherapie) als sicher gelten« kann (S. 105), und mit Einschränkungen zu der Aussage, daß Familientherapie sich als »effektiver oder mindestens ebenso erfolgreich wie andere Behandlungsformen« erweist (S. 106). Verschlechterungsraten liegen mit etwa 3 % im Rahmen der auch bei Individualtherapie beobachteten Befunde.
16.2. Ergebnisse aus Sekundäranalysen Mit dem Begriff Sekundäranalyse werden Arbeiten bezeichnet, die vorliegende Untersuchungen zusammenfassen und nach bestimmten statistischen Regeln vergleichen. Zwei Arten Sekundäranalysen werden im Rahmen von Psychotherapieforschung vorgenommen. 1) Bei dem Standard Box Count Approach werden statistisch signifikante Ergebnisse ausgezählt, symbolisch in drei »Schachteln« (Boxes) abgelegt: signifikant-positive, signifikant-negative und nichtsignifikante Befunde werden anschließend vergleichend dargestellt (Hedges u. Olkin 1985). Ein Beispiel der Zusammenfassung der familientherapeutischen Forschung nach diesem Modell liefert Heekerens (1990a). Aus methodischen und inhaltlichen Gründen wurde dieser Ansatz an verschiedenen Stellen kritisiert. Das Problem liegt bei der statistischen Power: Bekannt ist, daß Untersuchungen bei gleicher Effektstärke (s. u.) um so eher signifikante Ergebnisse erbringen, je größer die Stichproben sind. Psychotherapiestudien werden jedoch oft an kleineren Stichproben durchgeführt (für 83 % der von Grawe et al. untersuchten Arbeiten lag die Behandlungsgruppengröße unter 30, wie Geldschläger und Runde 1994 aufzeigen). Wenn nun viele dieser eventuell wegen der kleinen Gruppengröße nicht-signifikanten Ergebnisse nebeneinandergestellt werden, kommt man zu dem sogenannten Fehler zweiter Art: Eigentlich bedeutsame Befunde werden systematisch nicht erfaßt. Der reine Vergleich der Signifikanzen führt auch dazu, daß ein signifikanter Unterschied aus einer hervorragenden Untersuchung an 100 Personen genauso gewichtet wird wie ein signifikanter Unterschied in einer methodisch schwachen Untersuchung an 10 Personen (Geldschläger u. Runde 1994, S. 298). Als zweites Problem kommt hinzu, daß in Metaanalysen und im Box-CountApproach davon ausgegangen wird, daß die Varianzen von Therapiegruppe und Kontrollgruppe im Vor- und Nachtest homogen sind. Tat-
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sächlich aber ist die Varianz in der Therapiegruppe nach einer Therapie größer (Problem der Varianzerweiterung), auch das beeinflußt die statistische Power negativ (näheres hierzu z. B. bei Cook u. Leviton 1980, auch Geldschläger u. Runde 1994.) 2) Die Metaanalyse als eine weitere sekundäranalytische Methode bietet die Möglichkeit zur quantitativen Integration signifikanter und nichtsignifikanter Primärstudien mit differenzierter Varianzaufklärung. Es gibt mehrere mathematische Kombinationsverfahren und statistische Kennwerte zur metaanalytischen Aggregation von Studien. Der wichtigste Begriff ist hier der der Effektstärke, mit der die unterschiedlichen Ergebnisse der verschiedenen Arbeiten standardisiert und so miteinander verglichen werden. Am häufigsten werden die Effektstärken einzelner Primärstudien zu einem mittleren Effektstärkemaß zusammengefaßt, das dann durch einen einzigen Wert die Wirkung einer bestimmten therapeutischen Orientierung repräsentiert. Die Berechnung der Effektstärke erfolgt nach einer einfachen Formel: Die Differenz zwischen dem Mittelwert einer Behandlungsgruppe und dem der Kontrollgruppe im Posttest wird durch die Postteststreuung in der Kontrollgruppe geteilt (was Varianzhomogenität voraussetzt, die praktisch nie gegeben ist!). Es ergibt sich eine Metrik, bei der 0 keine Veränderung bedeutet, positive Werte eine Verbesserung, negative eine Verschlechterung (Grawe u. Braun 1994). Grawe et al. arbeiteten in ihrer umfangreichen Analyse zur Psychotherapieforschung (1992, 1994) sowohl mit dem Box-Count-Approach als auch im Rahmen der Therapievergleichsstudien mit der Berechnung von Effektstärkemaßen. Für eine detaillierte Einführung in die statistischen Konzepte verweisen wir auf die Einführung von Fricke und Treinies (1985) und auf das Themenheft Nr. 1 zur Metaanalyse des Jahrgangs 1983 des Journal of Consulting and Clinical Psychology. Man kann sich leicht vorstellen, daß auch die Methode der Metaanalyse einige Kritik erfuhr. So bemängeln Reinecker, Schiepek und Gunzelmann (1989), daß durch das Effektstärkenmaß qualitative Unterschiede zwischen Therapiemethoden verschleiert werden. Man merkt also nicht mehr, daß man »Äpfel mit Birnen« vergleicht. Die eingangs angesprochenen subjektiven Entscheidungsschritte beim Planen und Durchführen einer Untersuchung drohen in einer Metaanalyse natürlich immer mehr verlorenzugehen. Zudem verzerren die unterschiedlichen Reliabilitäten der Meßinstrumente die Befunde, die klinische Relevanz von Veränderungen wird oft nicht mehr erkennbar. Schließlich werden bei der Metaanalyse systematisch solche Studien bevorzugt,
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die mehrere Erfolgsmaße pro Veränderungsbereich verwendeten. »Um bei Grawe u. a. gut ›abzuschneiden‹, kann also die Empfehlung gegeben werden, möglichst viele Meßinstrumente einzusetzen und darauf zu vertrauen, daß sicherlich eines dieser Instrumente einen Unterschied hervorbringt« (Geldschläger u. Runde 1994, S. 297). Eysenck (1978) bezeichnete »Meta-Analyses« gar als »Exercise in Mega-Silliness«. Auf einen wichtigen Punkt verweisen Green und Herget 1991: die Kulturdifferenz. Sie sehen es im kulturellen Kontext der USA als völlig unangebracht an, Klienten nach dem Stil des ursprünglichen Mailänder Modells zu behandeln, der dort als zu autoritär und abstinent erlebt werden würde. Wenn kulturelle Unterschiede in den Metaanalysen nicht herausgefiltert werden, steht man in der Gefahr, nicht etwa nur Äpfel mit Birnen zu vergleichen (was ja immerhin noch Kernobst wäre), sondern vielleicht Pizza mit Holzschuhen. Bislang sind Metaanalysen, die systemtherapeutische beziehungsweise paar- und familientherapeutische Evaluationsstudien einschließen, von Hazelrigg et al. (1987), Hahlweg und Markmann (1988), Meyer et al. (1991), Shadish et al. (1993) und Grawe et al. (1994) vorgelegt worden. Dabei fällt auf, daß die Zahl der in die Untersuchung einbezogenen Studien sich extrem unterscheidet, und zwar deshalb, weil die Kriterien, nach denen Arbeiten in die Metaanalyse aufgenommen wurden, sehr unterschiedlich waren. Bei Meyer et al. blieben nur acht, bei Grawe et al. zehn Therapievergleichsstudien zur Familientherapie übrig (ein für die systemische Therapie bedeutsames Ausschlußkriterium in diesen beiden Studien war, daß nur Untersuchungen in die Analyse eingingen, bei denen die Behandlungsdauer über vier Sitzungen lag; Kurztherapien hatten also keine Chance – Ludewig berichtet 1993 z. B. eine durchschnittliche Dauer von 2,9 Sitzungen). Bei Hazelrigg et al. waren es 20 familientherapeutische Studien, bei Shadish et al. hingegen, die paar- und familientherapeutische Arbeiten zusammenfaßten, waren es 163. Hahlweg und Markmann, die speziell die behaviorale Paartherapie untersuchten, kamen auf 17 Primärstudien. Dennoch fallen die Wirksamkeitsbeurteilungen der Metaanalysen recht ähnlich aus (unterscheiden sich jedoch von einigen Statements aus narrativen Sekundäranalysen): 1) Familientherapie und Paartherapie haben positive Wirkungen im Vergleich zu nichtbehandelten Kontrollgruppen.
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Shadish et al. (1993) und Hazelrigg et al. (1987) berechneten fast identische als »mittelhoch« zu bezeichnende Effektstärken von .51 und .45 bzw. .50. Da die Meßinstrumente im Bereich Familientherapie meist über geringe bis mittlere Reliabilitäten verfügen, ist zu erwarten, daß diese Werte noch höher ausgefallen wären, wenn entsprechende Korrekturformeln eingesetzt worden wären (Fricke u. Treinies 1985). Für systemische Paartherapie errechneten Shadish et al. eine Effektstärke von .63. Für die behaviorale Paartherapie lagen die Werte noch höher: Die Studie von Hahlweg und Markmann ergab ein Effektstärkemaß von .95. Umgerechnet bedeutet dies, daß 83 % der Fälle der Experimentalbedingung am Ende der Therapie bessere Posttest-Maße aufweisen konnten als die Fälle in der Kontrollbedingung. Dieser zunächst sehr beeindruckende Wert relativiert sich, wenn er mit der von Shadish et al. errechneten Effektstärke für verhaltensorientierte Paartherapie in Beziehung gesetzt wird. Die Autoren bezogen nämlich auch nicht veröffentlichte Dissertationen in ihre Studie mit ein. Diese werden oft nicht publiziert, weil die Ergebnisse nicht signifikant geworden sind, was das Gesamtbild natürlich wieder verändert. Sie kamen auf einen Wert von .74, der von der oben angegebenen Effektstärke von .63 nicht mehr signifikant verschieden ist.
2) Familientherapie hat auch im Vergleich zu einigen alternativen Behandlungsansätzen positive Wirkungen. Hazelrigg et al. stellten fest, daß die Überlegenheit der Familientherapie gegenüber anderen Verfahren mit länger werdendem Katamnesezeitraum verblaßt. Shadish et al. und auch Hahlweg und Markman fanden jedoch keine signifikanten Unterschiede zwischen »Posttest«- und »Follow-up« Effektstärkemaßen.
3) Es gibt keinerlei Hinweise, daß Familientherapie im Vergleich zu anderen Behandlungen negative Wirkungen hat. Im übrigen scheinen bestimmte Moderator- und Mediator-Variablen, die mit dem eigentlichen Therapiegeschehen nichts zu tun haben, für die Varianz verschiedener Effektstärken wesentlicher zu sein als die Therapieorientierung (Shadish u. Sweeney 1991; Shadish et al. 1993). Die Effektstärke nimmt wie beschrieben ab, wenn unveröffentlichte Dissertationen einbezogen werden, und sie nimmt zu, wenn die Meßinstrumente für Therapieerfolge auf die Stärken der jeweiligen Therapierichtung zugeschnitten sind. Schließlich scheinen dann, wenn Unterschiede in der Wirksamkeit verschiedener Therapierichtungen berichtet werden, diese die psychotherapeutische Orientierung der Forschers mindestens ebenso stark oder stärker zu reflektieren wie substantielle, replizierbare Differenzen zwischen den therapeutischen Richtungen (s. a. Alexander et al. 1994).
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Dies läßt sich beispielhaft an Zitaten aus zwei Arbeiten verdeutlichen, an denen der im Zentrum der deutschsprachigen Diskussion stehende Berner Psychologieprofessor Klaus Grawe maßgeblich mitgewirkt hat. Grawe, Donati und Bernauer (1994) urteilen: »Das Differenzwert-Profil … zum Vergleich von psychoanalytischer Therapie und Familientherapie spricht ebenfalls, wie der Binominaltest, für eine überlegene Wirkung der Familientherapie« (S. 669). Wenngleich dieses Urteil lediglich auf einer Untersuchung, allerdings mit 30 Einzelvergleichen, basiert, so steht es doch im krassen Widerspruch zu dem Fazit, das Meyer, Grawe et al. (1991) im Forschungsgutachten zu Fragen eines Psychotherapeutengesetzes ziehen: »Um dem systemischen Ansatz den Stellenwert eines eigenen und gleichrangigen Ansatzes neben dem psychoanalytischen … einzuräumen, fehlen bisher jegliche Grundlagen« (S. 95). Zur Interpretation dieses Widerspruchs muß man sich eventuell Grawes Koautoren hinzudenken, zu denen 1991 namhafte Psychoanalytiker gehörten, 1994 jedoch nicht.
Zusammenfassend können wir sagen, daß die empirische Befundlage, was die Effektivitätsstudien zur Familientherapie anbetrifft, sicher noch nicht befriedigend ist, um in der gegenwärtigen Diskussion auf dem Feld, auf dem sie sich zur Zeit abspielt, voll gegen universitär etabliertere Methoden gegenzuhalten. Gleichwohl ist die Zahl der Arbeiten für ein so junges und heterogenes Modell wie das der systemischen Therapie ermutigend hoch, und auch die Ergebnislage ist vielversprechend. Interessanter als die Versuche, das eigene Vorgehen auf dem Feld einer sich nicht originär systemisch verstehenden Wissenschaftstradition zu rechtfertigen, sind unseres Erachtens Arbeiten, die sich sowohl »diesseits« als auch »jenseits« des Kontrollgruppenzwangs bewegen. Eine Auswahl von ihnen referieren wir im folgenden Abschnitt.
16.3. Evaluationsstudien diesseits und jenseits des Kontrollgruppenzwangs Eine Fülle von Studien, die häufig an führenden Zentren der familientherapeutischen Entwicklung gemacht wurden, zeigen ein breites Spektrum klinischer Evaluationsbemühungen, auch wenn viele zum Beispiel wegen fehlender Kontrollgruppen nicht in die Metaanalysen aufgenommen wurden. Im folgenden seien beispielhaft einige wichtige Untersuchungen (mit und ohne Kontrollgruppendesign) kurz beschrieben. An der McMaster Universität in Hamilton (Kanada) wurden 279 Familientherapien mit Kindern und Jugendlichen als Indexpatienten nach dem »McMaster Model of Family Therapy« durchgeführt und evaluiert (Woodward et al. 1981, Santa-Barbara et al. 1979). Neben Selbst- und Fremdratings zur Erreichung modellspezifi-
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scher Therapieziele wurde die Zufriedenheit der Therapiekunden (consumer satisfaction), die Erreichung fallspezifischer, individueller Therapieziele (goal attainment) und der weitere Behandlungsbedarf nach Therapieende (recidivism) parallel erhoben. Bei hohen Besserungsraten (79 %) zeigte sich, daß »objektive« Veränderungsparameter und subjektive Zufriedenheit der Kunden wenig miteinander zusammenhingen. An der Philadelphia Child Guidance Clinic, dem Zentrum der strukturellen Familientherapie in den siebziger Jahren, wurden mehrere Evaluationsstudien mit Kindern und Jugendlichen mit Asthma, Diabetes und Anorexie durchgeführt. An der ersten großen Studie (Minuchin, Baker, Rosman, Liebman, Milman, Todd 1975, zit. nach Gurman u. Kniskern 1981, S. 350) nahmen 13 Familien mit einem diabetischen, 23 mit einem anorektischen, 10 mit einem asthmatischen Kind teil. Die Besserungsrate in dieser Studie lag bei 90 %. Dieses enorm positive Ergebnis konnte jedoch nicht mehr repliziert werden. Bei der zweiten großen Studie (Minuchin et al. 1981) nahmen 53 Familien mit einem anorektischen Kind teil. Hier betrug die Besserungsrate 86 %, was angesichts der ansonsten recht ungünstigen Prognose von Magersucht außergewöhnlich erscheint, wie Gurman et al. (1986) zurecht feststellen. Zu den Diabetes-Studien gab es später lebhaften kritischen Disput unter anderem zwischen Coyne und Anderson 1988 sowie Rosman und Baker 1988. Das Manko der Outcome-Studien lag in den fehlenden Kontrollgruppen, weshalb die Arbeiten auch nicht in Metaanalysen Eingang fanden. Und doch sind sie nicht ohne Aussagekraft. Zum einen beeindruckt ihre Fülle, zum anderen könnte man sie auch als »Eigenwartegruppendesign« verstehen: die Zahl der Klinikaufenthalte vor und nach der Behandlung wurde über lange Zeit hin verfolgt und die diesbezüglichen Zeitintervalle könnte man entsprechend vergleichen. Evaluationen lösungsorientierter systemischer Therapien gehen von einer einfachen, aber einleuchtenden Überlegung aus: Eine Therapie wird begonnen, wenn die Klienten etwas als Problem wahrnehmen, und sie ist erfolgreich, wenn die Klienten eine Lösung wahrnehmen. Warum sollte der, der den Erfolg definiert, ein anderer sein, als der, der das Problem definiert? Deshalb reicht der Bericht des Klienten, sein Problem sei gelöst, als entscheidende Outcome-Variable aus. Probleme »sozial erwünschten« Antwortverhaltens bleiben hierbei freilich ungelöst. De Shazer et al. (1986) führten eine telefonische Nachbefragung bei einem Viertel von 1.600 Patienten des Brief-Family-Therapy-Instituts in Milwaukee durch. Ca. 70 % gaben an, entweder ihr Therapieziel oder zumindest soviel Besserung erreicht zu haben, daß sie keine weitere Therapie benötigen. Erstaunlich ist auch, daß von 28 Klientinnen, die bereits in der zweiten Stunde eine Problemverbesserung berichteten, 23 sechs Monate nach Therapieende angaben, daß diese Verbesserung noch anhalte. Fisher (1984) arbeitete mit einem ähnlichen kurzzeittherapeutischen Setting und konnte in den katamnestischen Daten keine bedeutsamen Differenzen zwischen Langzeit- und Kurzzeittherapie identifizieren. Ludewig (1992, S. 184) berichtet von einer schriftlichen Nachbefragung. Von 532 angefragten ehemaligen Patienten-Familien aus einer kinder- und jugendpsychiatrischen Ambulanz beantworteten 225 einen selbstentwickelten »Hamburger-Evaluations-Fragebogen« (Rücklaufquote 42%; um sicherzugehen, daß nicht nur wohlwollende Fragebögen zurückkamen, wurden stichprobenartig Telefoninter-
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views mit den anderen Familien geführt). Nach durchschnittlicher Therapiedauer von drei Sitzungen (Range: 1–12 Sitzungen) gaben ca. 60 % der Antwortenden an, das Problem sei jetzt gelöst oder gebessert. Ca 75 % beschrieben, mit dem jetzigen Zustand des Kindes und mit ihrer Lebenssituation insgesamt zufrieden zu sein. Ludewig (1993) konnte auch zeigen, daß bezüglich der Zufriedenheit mit der aktuellen Befindlichkeitslage sehr kurze Therapien (1–3 Stunden) genauso positive Effekte erzielen, wie längere Therapien (über 7 Sitzungen). In den wenigsten Fällen allerdings ergab sich eine Lösung des Problems während oder direkt nach der Therapie. Hier werden die Grenzen von Prä-Post-Designs bei systemischer Kurzzeittherapie deutlich: Verstörungen, vielleicht durch die Therapie angestoßen, brauchen ihre Zeit, um sich »durchzuarbeiten« (vgl. S. 205f). Zur systemischen (Familien-)therapie bei Eßstörungen liegen im deutschen Sprachraum eine abgeschlossene und eine noch laufende Evaluationsstudie vor. Weber und Stierlin (1989) untersuchten 42 Familien mit magersüchtiger Tochter nach systemischer Familientherapie und mindestens zwei Jahren Katamnesezeitraum. Sie fanden deutliche Verbesserungen in den Dimensionen Gewichtszunahme, Menstruation, Individuation von der Herkunftsfamilie, Beziehungen zur Peer-Gruppe, Familieninteraktion und Familienklima. Jäger et al. (1996, aus der Gruppe um Freyberger an der MHH Hannover) vergleichen die Wirkungen stationär-tiefenpsychologischer und ambulant-systemischer Therapie bei BulimiePatientinnen in einem teilweise randomisierten Design, wobei die Patientinnen insgesamt über mehr als drei Jahre beobachtet werden. Die systemische Behandlungsmodalität erweist sich im Vergleich zu einer Wartekontrollgruppe als deutlich wirksam, und insgesamt als nur etwas weniger wirksam als die stationäre Therapie. Sechs-Jahres-Katamnesen werden zur Zeit vorbereitet. Zur systemischen Therapie bei Psychosen liegen ebenfalls zwei Studien vor. Retzer et al. (1989) beziehungsweise Retzer (1994) evaluierten 60 Therapien mit je 20 manisch-depressiven, schizophrenen und schizoaffektiven Indexpatienten. Outcome-Maße waren vor allem die Rehospitalisierungsrate und die Zahl verordneter Psychopharmaka. Die Rückfallrate sank nach systemischer Familientherapie bei zwei Drittel der Indexpatienten, die Zahl verordneter Psychopharmaka bei etwa einem Drittel. Schweitzer et al. (1995) evaluierten 18 systemische Beratungen langjährig chronifizierter ambulanter Patienten eines sozialpsychiatrischen Dienstes. Nach der Beratung suchten drastisch weniger Patienten die Klinik zu einem stationären Aufenthalt auf als davor. Die Selbstwahrnehmung der Patienten und deren Fremdeinschätzung durch die Berater veränderte sich in die Richtungen »weniger psychisch krank« und »weniger eingeschränkt in der Lebensbewältigung«. Zur (allerdings stark an verhaltenstherapeutische Konzepte angelehnten) Familientherapie bei delinquenten Jugendlichen legten James F. Alexander und seine Mitarbeiter an der University of Utah eine Reihe von methodisch sehr guten Kontrollgruppen-Untersuchungen vor (Zusammenfassungen z. B. bei Russell et al. 1983, Alexander et al. 1994, Heekerens 1988). In einer frühen Studie (Parsons u. Alexander 1973) wurde von signifikanten Veränderungen der familiären Interaktionsmuster berichtet, operationalisiert durch eine anhand verschiedener Kriterien ausgewertete Diskussion zwischen den Familienmitgliedern. Eine aktuellere Studie (Barton, Alexander, Waldron, Turner u. Warburton 1985, zit. bei
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Alexander et al., 1994) mit einem forschungsstrategisch recht anspruchsvollen Design (»client and therapist variation strategy«) konnte Hinweise auf die Generalisierbarkeit der Interventionsmethode auch auf schwere Formen der juvenilen Delinquenz liefern. Auch zum Reflektierenden Team (RT) können einige empirische Befunde vorgelegt werden. Ausführlich wurde das RT auf der Grundlage der sogenannten »Ethnographic Content Analysis« erforscht, die multimethodal qualitative und quantitative Vorgehensweisen integriert (Sells, Smith u. Sprenkle 1995). Angefangen von einem allgemeinen »Brainstorming«, in dem Klienten und Therapeuten unselektiert alle möglichen persönlichen Erfahrungen mit dem RT äußerten, bis hin zu einer konkreten Operationalisierung von Hypothesen, wurden hierbei sämtliche Phasen des Forschungsprozesses durchlaufen. Höger, Temme und Geigen (1994), Höger und Temme (1995) interessierte die Wirkung und differentielle Indikation zur Therapie mit dem RT in der Kinderpsychiatrie. Die Wirkung des RT äußerte sich im Vergleich mit einem poliklinischen Standard-Therapieprogramm vor allem in der Behandlungszufriedenheit der Klienten. Der Schweregrad der Diagnose stellte keinen differentiellen Indikator dar. Vergleichbare Ergebnisse zur Wirkung des RT berichteten auch Reiter et al. (1993). Außerdem beobachteten sie in ihrer Studie einen unvermuteten negativen Zusammenhang zwischen der Größe des RT und der Behandlungszufriedenheit des Therapeuten. Kleinere RTs scheinen also nicht nur weniger aufwendig zu sein, sondern zumindest von den Therapeuten auch angenehmer erlebt zu werden. Eine Befragung von Wetzig (1992) zeigte neben der positiven Beurteilung des RT durch Klienten, Therapeuten und Beobachter auch kritische Aspekte auf und zwar dann, wenn für Klienten nicht ausreichend Möglichkeit bestand, auf die Teamreflexionen zu reagieren. Kritische Rückmeldung gab es auch, wenn bereits ein Teammitglied sich in negativer Form äußerte. Ein eher »methodisch« angelegtes »Splitting« innerhalb des Teams entspricht ja ohnehin nicht dem Selbstverständnis des RT und es erwies sich auch nicht als hilfreich. Andersens (1990) Aussagen über den Wert genauer kooperativer Vereinbarungen zu Beginn der Therapie erfuhren hier eine Bestätigung.
16.4. Zur Wirksamkeit anderer systemischer Settings Einzeltherapie: Szapocznik (1989) konnte in einer kontrollierten Studie die Effektivität einer systemischen Einzeltherapie nachweisen, die sich konzeptuell an den strukturellen Ansatz von Minuchin anlehnte. Weiterbildung: Die Rückwirkung systemischer Weiterbildung auf die alltägliche Kooperation von Fachleuten in Gesundheits- und Sozialberufen wurde von Schweitzer (1995b) untersucht. Interviews mit 52 psychiatrisch tätigen Weiterbildungsteilnehmern zeigten eine Reduktion unproduktiven (lähmenden) Verantwortungsdrucks durch sorgfältigere Auftragsklärung, eine positive Umbewertung schwieriger Kooperations-Situationen, größere Gelassenheit und mehr Optimismus
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sowie einen »Zeitspareffekt« durch frühzeitigeres Abschließen unproduktiver Beratungen. Eine Befragung von 149 Weiterbildungsteilnehmern zeigt eine signifikant reduzierte Wahrnehmung belastender Kooperationsprobleme mit Klienten und Angehörigen, nicht aber mit Kollegen aus dem eigenen Team. Ähnliche Ergebnisse erbrachten Studien von Hipp (1985) und von Rieforth (1996), die jeweils an kleinen Stichproben einen Einfluß systemischer Weiterbildung auf das professionelle Selbstverständnis der Teilnehmer nachweisen konnten, Rieforth fand auch nach fünf Jahren noch deutliche Effekte. Die genannten Studien stellen erste Schritte dar, ein Ausbildungsziel »Systemkompetenz« (Schiepek 1996) zu definieren und zu evaluieren. Zur systemischen Fallsupervision und zur systemischen Organisationsberatung sind uns zwar Fallstudien und zum Teil quantitative Prozeßanalysen, aber bislang keine empirischen Evaluationsstudien bekannt.
16.5. Zur Zukunft der Evaluationsforschung Aus der Problematik, daß Studien zur Wirksamkeit systemischer Therapie den ihr theoretisch fremden Ansprüchen quasiexperimenteller und insbesondere verhaltenstherapeutischer Evaluationsforschung erwartungsgemäß oft nur mit großen »Verrenkungen« genügen können, lassen sich unterschiedliche Konsequenzen ziehen. 1) Sogenannte Multi-Center-Studien können dezentral viele, in »naturalistischen Settings« der jeweiligen Zentren ablaufende systemische Therapien mit einheitlicher Methodik beforschen und deren Ergebnisse in einem »Zentralcomputer« miteinander verrechnen. Eine solche Studie läuft derzeit von einer Arbeitsgruppe aus Mitgliedern zweier Universitätsinstitute (Göttingen und Freiburg) und zweier familientherapeutischer Dachverbände (DAF und DFS) (Cierpka u. a. 1994, Zander u. a. 1995). 2) Man kann verstärkt echte Kontrollgruppendesigns anstreben. Allerdings ist der damit verbundene Aufwand für eine systemische Therapieforschung, die derzeit nur an ganz wenigen Orten universitär und in der Drittmittelforschung verankert ist, oft nur schwer zu bewältigen. 3) Man kann eigene, zur Systemtheorie besser passende Qualitätskriterien für Qualitätsstudien formulieren und durchzusetzen versuchen. Dies versuchen derzeit Synergetikforscher um Schiepek, die kontrollierte, prospektive Forschung mit systemtheoretischen Beschreibungsparametern erproben. 4) Der Praxis selbst scheinen kontrollierte Studien weitgehend gleichgültig zu sein. Dort folgt die Rezeption systemischer Konzepte offensichtlich ganz ande-
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ren Entscheidungskriterien als denen der psychologischen Versuchsplanung. Dies legt die Fortentwicklung einer für Praktiker, Klienten und Finanziers relevanten systemischen Praxisforschung (Schweitzer u. Schumacher 1995, S. 82–87) nahe. Sie entsteht in dichter Kooperation zwischen Praktikern, Praxisberatern (Supervisoren) und Begleitforschern in gemeinsamen Praxisforschungs-Projekten. Innovative Praxiskonzepte werden aus der Kritik bisheriger Praxis abgeleitet, mittels Brainstorming formuliert, mittels Projektmanagement institutionell verankert und mittels Supervision weiterentwickelt. Der Prozeß solcher Praxisentwicklung wird mittels teilnehmender Beobachtung beforscht. Sein Erfolg wird anhand non-reaktiver Outcomedaten erhoben, die in der täglichen Praxis ohnehin »anfallen«. Erfolgskriterium ist die Verwirklichung der Projektziele der verschiedenen Beteiligten (Praktiker, Klienten, Finanziers, Wissenschaftler), die untereinander keineswegs identisch sein müssen. Die Übertragbarkeit der Ergebnisse wird nach Kontextähnlichkeit beurteilt, nicht nach inferenzstatistischen Kriterien. »Die Praktiker beeindruckt die gegenwärtige Psychotherapieforschung ohnedies nicht … Der Therapeut … wird seine Vorgehensweise und Weltsicht nicht deswegen wechseln, weil eine Untersuchung unter (für ihn) nicht genau geklärten Umständen bei einem Klientel (das er schwerlich beurteilen kann) hinsichtlich einiger Kriterien (von denen er vielleicht manche keineswegs teilt) die statistische Nullhypothese, daß Therapie nicht wirkt (wovon er jeden Tag … das Gegenteil erfährt) ›signifikant‹ zurückweisen konnte. Es würden auch jene Wissenschaftler wenig Gehör finden, welche Menschen von einem 4-Gang-Menü in gemütlicher Atmosphäre weglocken und in einen Hamburger-Imbiß entführen wollen – mit dem Argument, es sei wissenschaftlich erwiesen, daß man dort viel schneller satt werde … Damit soll keineswegs bestritten werden, daß es eine der sozial relevanteren Fragen wäre, wer die Zeche für welches Menü bezahlen soll und selbstverständlich gehört diese Frage gründlich diskutiert. Allerdings ist dies … keine Methoden-Frage, und sie läßt sich daher über das Abzählen von Pommes frites auch nicht beantworten« (Kriz 1996, S. 153).
16.6. Was noch erforscht wird: Nicht-evaluative systemische Forschung Jenseits der Evaluationsforschung gibt es vielfach systemisch inspirierte Forschungsansätze, deren Darstellung den Raum dieses Buches sprengen würde. Auf sie sei hier nur exemplarisch hingewiesen: Therapie-Prozeßforschung: Pinsof (1989) stellt ein Konzept zur prozessualen Erforschung von Familientherapie vor, das den Anspruch erhebt, systemisches Denken mit einer quantitativ orientierten Untersuchungsstrategie zu verbinden. Eine wichtige Überlegung seines Konzeptes ist die Betrachtung zirkulärer Interaktionen zwischen direkt und indirekt am Therapieprozeß Beteiligten (z. B. zwischen dem Supervisions-System und dem Therapie-System). Schiepek et al. (1995 a+b) versuchten, den Therapieverlauf in seinem Prozeßcharakter auf verschiedenen Ebenen zu modellieren: »Erst die Erfassung kompletter Therapien erlaubt es, Diskontinuitäten, kritische Episoden oder nichtsta-
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tionäre Prozesse zu identifizieren« (1995a, S. 5). Sie untersuchten mit Hilfe sequentieller Plananalyse, wie die »Pläne« von Therapeuten und Klienten sich gegenseitig aktivierten und dadurch im Verlauf koevolvierten. Sie versuchen, das entsprechende Methodeninventar zur Analyse nichtlinearer Prozesse zu entwickeln (s. a. Schiepek u. Strunk 1994, Ochs 1996). Ausgehend von der Vorstellung, daß in jeder zirkulären Frage von Therapeuten implizit das Angebot an die Familie enthalten ist, die Wirklichkeit in einer anderen Weise wahrzunehmen als bisher, fand Braun-Brönneke (1990) bestimmte Cluster von Implikationen, über die im Prozeßverlauf verhandelt wird. Schröder (1992) untersuchte darauf aufbauend, wie in der therapeutischen Interaktion sich Familienmitglieder und Therapeuten gegenseitig beeinflussen, die Wirklichkeit in einer bestimmten Weise wahrzunehmen. Beide Arbeiten konnten den Therapieprozeß so als ein wechselseitiges Ringen um Wirklichkeitsdefinitionen modellieren (s. a. von Schlippe 1995b). Supervisions-Prozeßforschung untersucht, unter welchen Kontextbedingungen Supervisionsprozesse neue Anregungen für Therapie und Beratung erzeugen. Schumacher (1995) berechnete beispielweise mit Markov-Modellen die Wahrscheinlichkeiten dafür, daß nach einer Supervision in der darauffolgenden Therapiesitzung eine Veränderung des Therapieprozesses auftritt. Familiendiagnostik (Übersichten: Cierpka 1988, Heekerens 1990b, Schneewind 1991): Theoretisch interessante Dimensionen familiärer Beziehung wie Kohäsion, Adaptabilität, Konfliktspannung oder Autonomie werden durch die Familienmitglieder selbst in Fragebögen oder durch die Familie beobachtende Experten mittels Rating-Verfahren eingeschätzt. Häufig Verwendung finden zum Beispiel die Family Adaptability and Cohesion Evaluation Scales (FACES), die jedoch sowohl unter testtheoretischen (Heekerens 1990b), als auch unter epistemologischen Gesichtspunkten recht kritisch diskutiert wurden (von Schlippe u. Schweitzer 1988); unsere Kritik ging dabei jedoch über den FACES hinaus als kritische Anfrage an den Einsatz von Fragebögen in der Familienforschung generell. Nach wie vor bleiben Fragebögen in der Familienforschung im Einsatz. Als Outcome-Maß von Effektivitätsstudien wird häufig aufgrund ihrer Praktikabilität die Family Environment Scale (FES) eingesetzt. Aus ihr heraus entstand als Neuentwicklung in Deutschland das Familiendiagnostische Testsystem (FDTS) (Schneewind 1991), das Familienbeziehungen auf verschiedenen Systemebenen erfaßt. An dem McMaster-Model of Family Functioning orientiert sich das Family Assessment Measure, das von Cierpka (1988) als FAM III ins Deutsche übertragen wurde. In der Paartherapie kommt gelegentlich auch der Gießen-Test zum Einsatz (Brähler und Brähler 1988). Eine familiendiagnostische Alternative zu Fragebogeninventaren stellen Skulpturverfahren dar wie das Familienbrett (Ludewig et al. 1983) oder der Familien-Systemtest (FAST Gehring 1993, vgl. S 168). Familien-Interaktions-Forschung (Übersichten bei Riskin u. Faunce 1972, Reiss 1981, Brunner 1984, Retzer 1994): Redundante Interaktionssequenzen werden anhand von Transkripten realer Interaktionsprotokolle »herausgefiltert«. Als Ausgangsmaterial können »natürliche« Situationen wie alltägliche Familiengespräche und Familientherapiesitzungen (bei Brunner 1984) dienen, oder aber spezielle Interaktionsexperimente (bei Haley 1962, 1967, Winter u. Ferreira 1967, Reiss 1981, Herzog et al. 1996, Kröger 1994). Bei letzteren müssen Familienmitglie-
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Kritische Einschätzung systemischer Beratung
der gemeinsam eine bestimmte Aufgabe lösen; ihre Interaktion wird dabei aufgezeichnet und mit Ratingverfahren ausgewertet.
Gerade die nichtevaluative Forschung zeigt sich als ein Bereich, ohne unmittelbaren Rechtfertigungsdruck (»wir sind effektiv, glaubt uns doch bitte …«) nach Methoden und Analyseinstrumenten zu suchen, die den systemischen Grundannahmen adäquat sind.
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VI. Schluß: Glauben Sie keinem Lehrbuch! (Allenfalls unserem)
Am Ende des Buches stecken wir in einem Dilemma: Einerseits sind wir davon überzeugt, daß wir mit Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, nicht instruktiv interagieren können. Sie werden mit dem Geschriebenen ohnehin machen, was Sie wollen. Andererseits wollen wir natürlich durchaus etwas »beibringen«. Systemische Therapie und Beratung sind keine Geheimwissenschaften, sondern durchaus lehr- und lernbar – wenngleich sicher nicht allein durch die Lektüre eines Buches. Jedoch: schreiben wir damit nicht auch etwas fest, was im Fluß ist? Trivialisieren wir eventuell durch unsere zahlreichen Gebrauchsanweisungen eine komplexe und kreative Praxis? Verleiten wir dazu, Zensuren für »unsystemisches« Arbeiten zu verteilen, oder machen wir dies sogar selbst? Dieses Dilemma können wir nicht auflösen. Wir können Ihnen zum Gebrauch des Buches nur noch ein paar Empfehlungen mitgeben und eine kleine Geschichte: 1) Einer von uns beiden meint, Sie sollten uns manchmal besser nicht glauben, sondern statt dessen das tun, was Sie für richtiger halten. 2) Wenn es Ihnen nicht paßt, was wir geschrieben haben, könnte es hilfreich für Sie sein, sich anhand der Informationen oder Phantasien über uns Autoren vorzustellen, aus welchem Kontext wir beide das so geschrieben haben, und warum das für Ihren Kontext gerade nicht paßt. 3) Wenn beides nichts hilft, schlagen wir Ihnen vor, daß Sie auf die traditionell kurze Halbwertzeit systemischer Konzepte vertrauen – und auf die nächste, überarbeitete Auflage des Buches.
So stehen wir am Ende dieses Buches in einer ähnlichen Situation wie in Therapien. Auch dort haben wir es nicht in der Hand, was die Menschen, mit denen wir arbeiten, aus den Sitzungen mit nach Hause nehmen. Oft ist es etwas, das uns selbst eher beiläufig zu sein schien. Das befreit einerseits, steigert aber auch die Verantwortung. Denn alles, was wir an Komplexität anbieten, kann potentiell für die Ratsuchenden als
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Schluß
Quelle neuen Sinns dienen. Darum ist es vordringliches Ziel, eine Sprache zu erlernen, die vom Glauben an die Möglichkeiten von Menschen getragen ist. Dazu noch eine letzte Geschichte. Sie führt uns zu einer Konsultationssitzung. Am Ende einer langen Sitzung, mit vielen zirkulären Fragen, Anregungen, Reflecting Team ging die Frau, Mutter eines »psychisch Kranken«, der sich geweigert hatte an dem Gespräch teilzunehmen, zufrieden nach Hause. Doch was sich für sie am Schluß in der Nachbefragung als zentralste Erfahrung herausstellte, war, daß der Therapeut (A. v. S.) ihr zum Abschluß des Gesprächs gesagt hatte, er habe sie »als sympathische Frau kennengelernt«. Alles andere hatte sie vergessen, für sie blieb das die größte Ressource. Sie berichtete, daß, wann immer sie in einer kritischen Situation in ihrem Heimatdorf stehe, wo sie als Mutter eines »Verrückten« eine Außenseiterposition einnehme, sie nun anders damit umgehen könne: »Ich sage mir, die sind eben so, und denke an den Satz: ›Ich habe Sie als sympathische Frau kennengelernt‹« (Limberg 1995, S. 114).
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VIII. Register
Abschluß 214ff Abschlußfragen 162 Affektabstimmung 271 Allianz 20, 40, 132, 135 Allparteilichkeit 119ff Als-Ob– Fragen 161 – Verschreibung 155ff – Realität 155ff Alternatives Wissen, alternative Geschichten 41, 85, 171 Ambivalenz 175, 181f Analoge Interventionen/Geschichten 173ff Anfangsfragen 162 Angehörigenarbeit (s.a. psychoedukative Therapie) 111 Anorexie (s. Magersucht) »Anstoßen statt Durcharbeiten« 205 Asthma 100 Attraktor 65, 67, 183, 205 Auftrag148, 252 – Erwartungsklärung 216, 238 – Auftragskarussell 149, 238ff Auftragskonstellation 114, 251 Ausnahmen 84, 158, 171 Autonomie, autonom 69, 73f, 205, 209, 263, 291 Autopoiese, autopoietisch 51f, 62, 67ff, 258 Bedeutung(en) 95 Beliebigkeit 268ff Belief-System (s. Glaubenssystem) 179 Beobachter 47, 53f, 60 Beschreibungen 100
Besucher 209ff bewußter Rückfall: s.Rückfall Beziehungsrealität 88f, 249 bezogene Individuation 25 Bezogenheit 272, 275 Box-Count-Methoden 280, 281ff Bulimie 210 Cartoons 173ff Chaostheorie, Chaos 49, 51f, 61, 63, 64ff, 73, 183, 258f chronifizieren, Chronifizierung 110ff, 248f chronisch 100, 104 chronische Krankheit 100 chronisches Zeiterleben 110 Chronizität 100, 110f Chronologie 127, 133f – chronologische Karte 133 – Familienchronologie 220 – Problemchronologie 133f Coaching 229, 234ff Contracting (s. Kontrakt) Defizit, Defizitorientierung 124 Defizit-Narrativ 42 Dekonstruktion 85f, 171 Delegation 25, 107 Delphin-Strategien 258 Depression 80, 97 Diachronie (s.a. Zeitorganisation) 189, 249 Diskurs-Ethik 273 dissipative Strukturen 51f, 62f Doppelbindungstheorie (s.a. Doublebind) 20f Double-bind 20f
Register Dynamik 257 Dysfunktionalität, dysfunktional 50, 102, 124 Effektivität 277, 285 Effektstärke 278, 281ff Eigendynamik/Eigenlogik 55, 121 Eigenverhalten 210 Einzeltherapie, systemische 216ff, 288 Entfremdung von sich selbst 274 Epistemologie, epistemologisch 91 Erwartungs-Erwartungen 76 Ethik (Ethos) der systemischen Therapie 222, 271ff Evaluation, Evaluationsforschung, Evaluationsstudien 276ff, 283, 285ff, 289ff existentielle Fragen 156 Externalisierung, externalisieren 99, 169ff Familie-Helfer-Konferenz 241ff Familie-Helfer-System 241 Familienbrett 168f Familiendiagnostik 291 Familiendiagnostisches Testsystem (FDTS) 291 Familiengleichgewicht (s.a. Homöostase) 109 Familienmedizin 246ff Familienparadigma, Family Paradigm 40, 76 Familienrekonstruktion 219ff Familienskulptur (s. Skulptur) Familienspiel 168, 176 Familien-Systemtest (FAST) 168f Familientherapie, erlebnisorientierte 25 psychoanalytische 21ff strategische 25, 33, 50, 52, 264 strukturelle 21, 23, 58, 83 Familie – Schule – Interview 254f Family Adaptability and Cohesion Evaluation Scales (FACES) 291 Family and Larger Systems Interview 242f Family Assessment Measure (FAM III) 291 Family Environment Scale (FES) 291 Family Practitioner 247
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Fast-Food-Therapy 273ff Feedback 61, 205, 209 Feedforward 156 Feldtheorie 18, 64 Fluktuation 51, 61, 63f, 107 Fokussierendes Team 202 Forschung 168f Forschungsartefakte 277 Fraktal 258 Funktionalität, Funktion des Symptoms 109 Gegenübertragung 218, 223 Gender 22, 262ff Gender-Fragen 265f Genogramm 127ff, 136, 217, 220, 247 »Gerade und Ungerade Tage« 189f Gesamtdauer 205ff Geschichten/Geschichtenerzählen (s.a. Analoge Interventionen) Geschlechtsrolle (s. Gender) Gewalt 171, 264, 274 Gießen-Test 291 Glaubenssystem/Belief-System/Glaubenssätze 122, 124 Grenze 23, 40, 53, 55, 57ff, 97 Handlungsvorschläge 184, 186ff harte Realität (harte Ordner) 97 Hausarztmodell 213 Hausaufgaben 36, 38 Heidelberger Modell, H. Team, H. Konzept, H. Institut 22, 48, 207, 225 Heim, Heimerziehung 252 Hilfesystem 103, 114f Homöostase 50f, 61ff, 106 Hypothese(nbildung) 117 ff, 121f, 127ff, 131, 136, 145, 184 hypothetisches Fragen 85, 155f, 169, 214, 216, 245, 261 Hypothetisieren 31, 107, 117ff, 127 Implikation, impliziert 137, 291 Indexpatient 30, 93, 243 informed consent 206 instruktive Interaktion, Instruktion 34, 49, 69, 121, 292 Integrative Therapie 85 Interaktionsregeln 205
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Register
Interpenetration 73 Interpunktion 142 Inter-System-Problem 254 Intransparenz 257 invariante Verschreibung, inv. Intervention 27, 32f, 278 Irreverenz (Respektlosigkeit) 122ff Kausalität (s.a. zirkuläre Kausalität) 65, 86, 90ff, 109, 121 Kieler Beratungsmodell 258f Kinder- und Jugendpsychiatrie 241, 249f Klassifikationsfragen 143, 151 Koalition 20, 53, 132, 135 Kommentar(e) 175ff, 184, 186, 209, 216 Kommunikation 20, 30, 70ff, 94, 102f Kommunikation, geeichte 77 kommunikationstheoretische Axiome 137 komplementäre Beziehung (vgl. symmetrische Beziehung) 106 Komplementarität 176 Komplexität, organisierte 50, 57, 62, 73, 82, 199, 257 Komplexitätsreduktion 88, 92, 204 Kompliment 209 Konfrontation 166 Konnotation, positive 31, 175f, 243 – wertschätzende 175ff, 195 Konstruktionismus, sozialer 78ff Konstruktivismus, konstruktivistisch 28, 47, 48, 52, 78, 87ff, 129, 269, 271 Konstruktivismus, radikaler 52, 251, 269 – kybernetischer 28 Konsultation 224, 293 Kontextmarkierung 177 Kontrakt 114f, 205ff, 229, 235, 245 Kontrolle, soziale 120, 126, 252 Konversation 39ff, 79, 82, 95, 199 Kooperation, kooperieren 34, 38f, 149, 199f, 202, 206, 209, 232, 242, 245f, 250, 275, 288ff Kreativität, kreativ 38, 81, 85, 174, 187, 239 Krisenintervention 213
kritische Übergänge 106 Kunden, Kundenorientierung 125ff, 271 Kundenzufriedenheit 259, 278 Kurztherapie (s.a. lösungsorientierte Kurztherapie) 29, 35ff, 42, 122, 206, 286 Kybernetik 50, 53, 95 Kybernetik 1. Ordnung 34, 53f, 57ff, 257, 272 Kybernetik 2. Ordnung 23, 34, 38, 109, 257, 267 Live-Supervision 222ff Lösung 35ff, 43, 45, 109, 124, 128, 136, 137, 155, 157f, 209f, 219, 222, 241, 244, 257 lösungsorientiert, lösungsorientierte Kurztherapie 35ff, 49, 102, 157, 210, 275, 286 Lösungsorientierung 124f, 272 Macht 34, 39, 48, 53, 83, 172, 208f, 260, 262ff, 272 Magersucht, magersüchtig 27, 123, 180, 210, 286f Mailänder Modell 21f, 26ff, 119, 136, 175 Management 237, 256ff Manipulation 272 Medizin, systemische: s.Familienmedizin Mehrgenerationenperspektive 20f, 25, 166 Mental Research Institute (MRI) 20, 34 Metaanalysen (s.a.Sekundäranalysen) 279ff, 285 Metakommunikation 176 Metaphern 173ff, 232 Migration, Migranten 193, 241 Mitglied/Mitgliedschaft 104, 136 Mißbrauch, sexueller 120, 222, 264 Mißhandlung 222 Möglichkeiten 116ff Möglichkeitsfragen 155ff, 184 Möglichkeitskonstruktion 155 Möglichkeitsraum 116ff Möglichkeitssinn 84, 155 Multi-Center-Studien 289
Register multikulturelle Systeme 191 Muster 74, 90, 91, 141, 153, 172, 184, 205 Musterunterbrechung (s. Unterlassungsintervention) 67, 187ff Musterverschreibung 195f Mutismus 180 Nachsozialisation 207 Narration 39 narrativ(er Ansatz) 23, 39ff, 79, 219 National Institute for Mental Health (NIMH) 20 Neugier 41, 121ff Neutralität 26, 31, 119ff, 242, 263 Nützlichkeit, Nutzen, nützlich 97, 106, 117, 124
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problemdeterminiertes System: s. Problemsystem Problemkontext 216 Problemschüler 275 Problemsystem 99, 102ff, 111, 117, 136, 209, 239, 245 Problemtrance 128 Projektmanagement 259ff, 290 Provokative Therapie 201 Prozentfragen 143f, 151 Psychiatrie 248ff Psychodrama 85 psychoedukative Therapie: (s.a. Angehörigenarbeit) 111, 248 Psychose, psychotisch 97, 107, 108, 153, 161, 187, 249, 287 Qualitätssicherung 276
Objektivität, objektiv 47, 95 operationelle und informationelle Geschlossenheit 68, 70 Ordeal 197f Ordner 64f, 95ff Organigramm 127, 134ff Organisationsberatung 213, 227ff, 234, 289 Organisationsentwicklung 148, 213, 227, 254, 258 organisierendes Prinzip 99 Paartherapie, systemische 188 Paradigmawechsel 19, 23 Paradoxie, Paradoxon, paradoxe Verschreibung, paradoxe Intervention 26, 28, 31, 38, 182 Parts Party 238 Pause 184 Personalentwicklung 227 personzentrierte Systemtheorie 74ff Pflegefamilien 244 Phasenübergang 51, 183 Pluralität/Pluralisierung 81ff Postmoderne Philosophie, postmodern 48, 53, 78, 80ff, 271, 273 Prämissen 18 Prävention 248, 254 Problem 99, 101ff, 118, 120, 136, 141, 151, 157f, 187f, 209, 219, 222, 230, 241 Problemdefinition 100, 103ff, 243f
Rafael-Methode 238 Realismus, kritischer/wissenschaftlicher 269 Realität 87ff, 95f Realitätskonstruktionen 89 Reflektierende Position 203f Reflektierendes Team 22f, 38f, 184, 199ff, 207, 212, 232, 250, 288 Reframing (s.a. Umdeutung, positive Umdeutung) 156, 175, 177ff, 183, 209 Regeln (explizite, implizite, deskriptive, präskriptive) 28, 30ff, 40f, 53, 57, 60ff, 79, 118 Rekursivität, rekursiv 70, 97ff Respektlosigkeit (s.Irreverenz) Ressourcen 121, 135, 158, 171, 255, 259 Ressourcenorientierung 158, 169, 255 Ritual 31, 43, 173f, 191ff, 215, 255 Rückfall 161 Rückfallprophylaxe 215 Rückkoppelung, s.a. Feedback 77, 141, 205, 228 Runder Tisch 261 Säuglingsforschung 271 Schizophrenie, schizophren 18f, 26ff, 30, 33, 92, 102, 107, 142, 171, 204, 210, 249 Schlafstörungen 198
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Register
Schlüsselwörter 98, 168 Schlußintervention(en) 38, 182ff Schmetterlingseffekt 63 Schule 254ff Sekundäranalysen (s.a. Metaanalysen) 280ff Selbst 67, 80 Selbstentdeckungskontrakt 115, 207, 275 Selbstorganisation 34, 51f, 64f, 71, 74, 172, 235, 245, 252, 258 Selbstorganisationstheorie 22, 67, 183, 258 Selbstreferenz, selbstreferentiell 71, 90 Selbstreflexion 75 Selbstrückbezüglichkeit 90 Self-Care 238 Sexualität 173f Single Session Therapy 207ff, 212 Sinn/Sinngebung/Sinnfindung 59, 72, 82, 85, 96, 99, 174, 177, 192 Sitzungen/Sitzungszahl/Sitzungsabstände 205ff Skulptur 25, 42f, 99, 164ff, 218, 224, 232, 291 Sozialarbeit 18, 250ff Sozialpädagogik 213, 250ff Sozialpädagogische Familienhilfe 213, 251 Sozialpsychiatrie 213, 250, 253 Spieltherapie 223 Splitting 175, 181f, 252f Sprache 78, 83, 86, 93ff, 164, 169, 175 stationäre Jugendhilfe 251 strategisch, strategische Familientherapie 33, 50, 52, 264 Struktur, Strukturen 23, 49, 50, 64ff, 68, 74, 83, 96 strukturelle Determinierung 68 strukturelle Kopplung 70 Subsysteme 53, 57ff, 145, 232 Supervision 91, 125, 150, 206, 213, 254, 291 – Fallsupervision 222ff, 289 – Selbstsupervision 238ff – Teamsupervision 227ff symmetrische Beziehung/Eskalation (vgl. komplementäre Beziehung) 106, 171f, 181, 255
Symptomverschreibung (s.a. paradoxe Intervention) 195f Synchronie (s.a. Zeitorganisation) 189, 249 Synergetik 51f, 61f, 64ff, 75f, 95 Systemische Medizin (s.Familienmedizin) Systemkompetenz 289 Systemkonsultation 248 Systemzeichnungen 131ff, 136 Teamberatung (Teamentwicklung, Teamcoaching, s a. Supervision) 125, 213, 227 Teamkultur 232 Teufelspakt 198 Top-Down-Vernetzung 228f Triade 20 Triangulation 132 triviale/nicht triviale Systeme/Maschinen 55, 56 Trivialisierung, trivialisieren 95f, 292 Übereinstimmungsfragen 144 Übergangsobjekt 195 Übertragung 223 Überweiser 148 Überweisungskontext 149 Umdeutung, positive (s.a. Reframing) 31, 104, 177ff Unique Events (s. Ausnahmen) Unterlassungsintervention (s.a. Musterunterbrechung) 187ff Unternehmenskultur 258 Ursache (s.a. Kausalität) 90, 118 Ursprungsordnung 42ff, 135, 221 Verbesserungsfragen 157ff, 216 Vermächtnis und Verdienst 21 Verschlimmerungsfragen 157, 160, 216 Verschreibung, invariante 27 –, paradoxe 31 Verstehen 199 Verstörung 90, 123ff, 137, 210 Vertrauen 237 Videokonsultation 169 Videosupervision 224ff
Register Wahrheit, wahr 47, 95 Weinheimer Modell (Institut für Familientherapie, Weinheim) 22, 188, 225 Weiterbildung, systemische 288f wertschätzend, Wertschätzung (s.a. Konnotation) 201 Wirkung, Wirksamkeit 91ff, 118 Witze 173ff, 177 Wohnungsgrundriß 134 Wunderfrage 36, 159 Zeit, Zeitorganisation (s. a. Synchronie/Diachronie) 249 Zeitgestaltung 231ff Ziele 205ff, 211 Zielformulierung 230
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Zielklärung 210ff, 228, 230 zirkulär 270 zirkuläre Kausalität 65, 90ff, 279 zirkuläres Denken 118 zirkuläres Fragen 26, 121, 138ff, 179, 214, 216, 218, 232, 239, 245f Zirkularität 26, 31, 118, 121, 166, 264, 270 Zufriedenheit 89, 287 Zukunftsfragen (Feed-Forward-Fragen) 156 Zukunftswerkstatt 124 Zukunftszeitpläne160f Zuweisungskontext 136 Zwangsvorstellungen 188 Zweikammermodell 38
Bildnachweis Abb. 1: copyright: Nils Grabbe Abb. 2: »Komm schon, komm schon«; mit freundlicher Genehmigung des Lappan-Verlags, Oldenburg Abb. 3: copyright: til mette Abb. 4: copyright: Freimut Wössner Abb. 5 u. 6: copyright: Heidelberger Institut für systemische Forschung Abb. 10–15: copyright: Arist von Schlippe Abb. 16: mit freundlicher Genehmigung des Junfermann-Verlags, Paderborn Abb. 17: copyright: Jürgen Dieko Müller Abb. 18: copyright: Brian Cade; mit freundlicher Genehmigung des Australian and New Zealand Journal of Family Therapy Abb. 19: mit freundlicher Genehmigung des Otto-Müller-Verlags, Salzburg
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Ordeals, in die mehrere Personen einbezogen sind, können auch Beziehungsmuster verändern. Haley berichtet den Fall eines 16jährigen Jungen in einer Stieffamilie, der sich täglich viele verschiedene Gegenstände in den Anus einführte und das Badezimmer verschmutzte, welches von der Stiefmutter heimlich wieder saubergemacht wurde, damit die Geschwister nichts mitbekamen. Der Vater widmete sich allein seiner Arbeit, hatte kaum Kontakt zu dem Jungen und überließ allen Dreck und Ärger seiner neuen Frau. Das Ordeal sah nun so aus: Abends nach der Arbeit mußte dem Vater berichtet werden, wenn der Jungen sich etwas in den Anus gesteckt und das Badezimmer verschmutzt hatte. Der Vater sollte dann den Jungen mit in den Hof nehmen, wo dieser ein ein Meter tiefes und ein Meter breites Loch graben sollte; in dieses Loch sollte er das gesamte Verschmutzungsmaterial aus dem Badezimmer begraben und das Loch wiederzuschaufeln – das Ganze im Herbst bei Kälte und hartgefrorenem Boden. Dies funktionierte: Der Junge verlor den Spaß an den Badezimmeraktionen und hörte nach einigen Wochen damit auf, worüber sich der Vater freute und nun mehr Zeit mit dem Jungen verbrachte, wodurch die Stiefmutter erleichtert war, die sich wiederum ihrem Mann mehr anzunähern begann, was wiederum das symptomatische Verhalten des Jungen zunehmend überflüssig machte (1989, S. 29f).