Holger Preuß / Markus Kurscheidt Norbert Schütte
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Holger Preuß / Markus Kurscheidt Norbert Schütte
Ökonomie des Tourismus durch Sportgroßveranstaltungen Eine empirische Analyse zur Fußball-Weltmeisterschaft 2006 Mit einem Geleitwort von Dr. Wolfgang Schäuble, MdB, Bundesminister des Innern
RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Mit freundlicher Unterstützung des Bundesinstituts für Sportwissenschaft.
1. Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009 Lektorat: Claudia Jeske | Britta Göhrisch-Radmacher Gabler ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-1955-7
Geleitwort Die FIFA Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland war ein herausragendes Ereignis für unser Land. Sie bot nicht nur spannende Wettkämpfe. Wir konnten zudem zahlreiche Gäste aus aller Welt willkommen heißen, die friedlich und ausgelassen mit uns feierten. Hierzu hat das Public Viewing einen wichtigen Beitrag geleistet. Zum ersten Mal in der Fußballgeschichte war das gemeinsame Verfolgen der Spiele auf Großbildleinwänden ein fester Bestandteil der Weltmeisterschaft, und es war im ersten Anlauf ein großer Erfolg. Mehr als vier Millionen Menschen verschiedenster Herkunft, die keine Eintrittskarte erhalten hatten, waren somit dennoch Teil des „Sommermärchens“. Durch die Weltmeisterschaft hat das Bild Deutschlands im Ausland eine spürbare Aufwertung erfahren. Wir konnten uns als weltoffene Gesellschaft und „Land der Ideen“ präsentieren. Neben der Freude an dem Sportfest wäre dies allein Grund genug gewesen, die Ausrichtung der Weltmeisterschaft mit öffentlichen Mitteln zu unterstützen. Zugleich erzeugen solche sportlichen Großereignisse, insbesondere durch den „Eventtourismus“, erhebliche Geldzuflüsse für das Austragungsland. In der vorliegenden Studie sind die Autoren Prof. Dr. Holger Preuß, Dr. Markus Kurscheidt und Dr. Norbert Schütte der wichtigen Frage nachgegangen, wie groß die wirtschaftliche Bedeutung der Fußball-WM für Deutschland tatsächlich war. Im Unterschied zu bisherigen Studien erfolgte mit dieser Studie erstmals eine Großerhebung „bottom-up“. Dazu wurden nahezu 10.000 Besucher an den Stadien und auf den Public Viewing-Plätzen befragt. Das unabhängige wissenschaftliche Vorhaben der Forschergruppe wurde von der WMStabstelle des Bundesministeriums des Innern ideell unterstützt und vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) finanziell gefördert. Zentrale Ergebnisse konnten bei der Sportministerkonferenz im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2007 in Stuttgart bereits vorgestellt werden sowie in Auszügen in den Bericht der Bundesregierung zur Fußball-Weltmeisterschaft einfließen. Nun liegt mit diesem Band eine umfassende Dokumentation des Konsum- und Reiseverhaltens von Sporteventtouristen in Deutschland für die Fußball-WM 2006 vor. Damit ist eine beachtliche Datengrundlage für verbesserte Prognosen zu den Wirkungen künftiger Großereignisse verfügbar, von der zum Beispiel auch die Organisatoren der Bewerbung um die Olympischen Winterspiele in München 2018 profitieren können. Besonders erfreulich ist ein Teilergebnis dieser Untersuchung. Es konnte nachgewiesen werden, dass die Steuermehreinnahmen durch die WM-Besucher aus dem Ausland mindestens der Summe entsprachen, die von der öffentlichen Hand für den Bau der WMStadien investiert wurde. In der Gesamtschau wurde somit der deutsche Steuerzahler durch die Bereitstellung modernster Spielstätten faktisch nicht belastet.
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Geleitwort
Ich freue mich, dass diese wichtige Studie nun auch der breiten Öffentlichkeit als Buch zugänglich ist. Allen Interessierten wünsche ich eine anregende und informative Lektüre.
Dr. Wolfgang Schäuble, MdB Bundesminister des Innern
Vorwort Während unserer langjährigen intensiven Erforschung der ökonomischen Auswirkungen von (Mega-)Events im Sport sind wir immer wieder auf die Schwäche gestoßen, dass viele Modellrechnungen dadurch relativ ungenau sind, dass sie zwangsläufig auf vielen unsicheren Annahmen und kausallogischen Abschätzungen beruhen. Empirische Daten, insbesondere über zentrale autonome Mittelzuflüsse durch die Konsumausgaben der EventBesucher, fehlen weitgehend. Mit der „FIFA Fußball-Weltmeisterschaft 2006TM“ in Deutschland bot sich die einmalige Gelegenheit, Daten über ein Mega-Event im eigenen Lande zu sammeln und damit wichtige Informationen zur Effizienzsteigerung zukünftiger Sportgroßveranstaltungen zu erhalten. Mitunter können die Ergebnisse dieser Studie auch zu grundlegender Politikberatung über die Finanzierbarkeit solcher Mega-Events herangezogen werden. Generell bietet die vorliegende Arbeit zahlreiche neue Erkenntnisse über Sportgroßveranstaltungen, wobei ein Fokus auf der Methodik zur Ermittlung der ökonomischen Auswirkungen lag. Dieses ambitionierte Projekt, bei dem letztlich knapp 10.000 Besucher der Fußball-WM befragt und fast 1,5 Millionen Einzeldaten ausgewertet wurden, wäre nicht ohne die Unterstützung zahlreicher Personen und Institutionen realisierbar gewesen. Die Initiative für dieses Forschungsprojekt ging von den Autoren aus. Der Forschungsantrag wurde in einem standardisierten Gutachtenverfahren vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp, Bonn) für eine Förderung ausgewählt und maßgeblich finanziert. Zu danken haben wir also zuvorderst dem BISp, namentlich Professor Dr. h.c. Georg Anders und Dipl.Finanzwirt Dipl.-Sportl. Andreas Pohlmann, für die begleitende Betreuung, aber auch den anonymen Gutachtern, die sich für die Förderung dieses Projektes ausgesprochen haben. Eine Teilbefragung wurde – im Hinblick auf die UEFA EURO 2008TM – zudem von der Hochschule für Wirtschaft (HSW, Luzern, CH) über das BASPO (Schweizer Bundesamt für Sport) bezuschusst. Gedankt sei hier Professor Dr. Jürg Stettler und Dr. Heinz Rütter für zahlreiche Diskussionen und die Gelegenheit, auf einer Fachtagung in Luzern 2007 erstmals Teilergebnisse wissenschaftlichen Kreisen vorzustellen. Die Autoren danken des Weiteren dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) für die ideelle Unterstützung diese Studie. Mit Hilfe des DFB konnte im Jahr 2005 ein wichtiger Pre-Test beim Confederations Cup durchgeführt werden, außerdem stellte der DFB nach der WM wertvolle Informationen aus den Datenbanken des WM-Organisationskomitees bereit. Schließlich ermöglichte der DFB genau ein Jahr nach der Fußball-WM eine deutschlandweit medienwirksame Verbreitung der zentralen Ergebnisse dieser Studie. Institutionell geht an dieser Stelle auch ein Dank an Norbert Tödter (Deutsche Zentrale für Tourismus e.V.) für die Bereitstellung vieler, teilweise unveröffentlichter, touristischer Daten; an die adidas AG für die Erlaubnis einer Befragung der WM-Besucher in der
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Vorwort
Adidas-Arena am Berliner Reichstag; an Eckhard Viehöfer (Leitung des WM Accommodation Service) für die Informationen über die Hotels, in denen große Fangruppen aus dem Ausland abgestiegen sind; und an Dr. Christian Wacker (Direktor des Deutschen Sport & Olympia Museums, Köln) für die Erlaubnis zur Befragung im brasilianischen Fanclub. Überdies sei noch das von uns initiierte Netzwerk von Event-Forschern EURNEST (European Research Network on Events, Sports and Tourism) genannt. Die methodische Grundsatzdiskussion zu diesem Projekt startete mit einer Runde international ausgewiesener Empiriker, die ihre Gedanken, Methodenkompetenz und praktischen Erfahrungen im Vorfeld unserer Untersuchung teilten und erörterten. Anwesend waren u. a. die Professoren Stefan Késenne (BEL), Wladimir Andreff (FRA), Chris Gratton (GBR), Harry Arne Solberg (NOR) und Dr. Egbert Oldenboom (NED). Diskussionen der Ergebnisse und wertvolle Anregungen verdanken wir außerdem Prof. emer. Dr. Bernd Rahmann (Universität Paderborn), Herrn Norman Hänsler, M. A., Dipl.Volkswirt Gerd Ahlert (GWS mbH, Osnabrück) und Prof. Dr. Annette Spellerberg (TU Kaiserslautern). Die Befragung von fast 10.000 WM-Besuchern in elf WM-Städten und bei zahlreichen Public Viewings wäre nicht ohne die Unterstützung eines 17-köpfigen erfahrenen und engagierten studentischen Teams möglich gewesen. Allen Studierenden, die durchschnittlich bei acht Befragungen im Einsatz waren, gilt ein großer Dank. Geleitet wurde das Befragerteam u. a. von Kai Gemeinder. Im Zuge dieser Studie wurden außerdem zahlreiche Diplomarbeiten verfasst, wobei die Mainzer Studierenden Matthias Müller, Thomas Scherf, Daniel Schmidtke, Jens Teusen und der Hamburger Student Sebastian Krauss spezielle Gruppen von Besuchern befragten. Wichtige Daten zum Vergleich der FußballWM mit anderen deutschen Sportgroßveranstaltungen lieferten zwei weitere Diplomarbeiten, verfasst von Oliver Groh (Befragung der Zuschauer der Handball-WM) und Konstantin Rentrop (Befragung bei der Hockey-WM). Von studentischer Seite waren aber auch einige Kurse einbezogen, denen hier ebenfalls gedankt sei. Diese kamen von der FH Kufstein (Prof. Dr. Uwe Eisermann), der Deutschen Sporthochschule Köln (Prof. Dr. Christoph Breuer), der State University of New York (Prof. Dr. Ted Fay), der Hochschule BiTS Iserlohn (Dr. Michael Welling) sowie der Ruhr-Universität Bochum und der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Ohne ein gutes Backoffice-Team, das sich um die Dateneingabe, Fahrten zu den WMStädten, Teamzusammensetzungen, Recherchearbeiten und letztlich die Formatierungen kümmert, ist so ein Projekt kaum zu vollenden. Gedankt sei daher ganz besonders Kai Gemeinder, Karsten Liese und Michaela Ivak.
Holger Preuß, Markus Kurscheidt & Norbert Schütte
Inhaltsverzeichnis Geleitwort ............................................................................................................................ V Vorwort............................................................................................................................. VII Kurzfassung.......................................................................................................................... 1 1
Einleitung................................................................................................................... 15 1.1 Ausgangsproblematik......................................................................................... 15 1.2 Gegenstand und Motivation der Untersuchung ................................................. 17 1.3 Aufbau der Untersuchung .................................................................................. 21
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Ökonomischer Impakt von Sportgroßveranstaltungen ........................................ 23 2.1 Event-ökonomische Betrachtung der Fußball-Weltmeisterschaft ..................... 23 2.1.1 Die Fußball-WM als ‚Mega-Event’ – eine institutionelle Analyse ...................................................................................................... 26 2.1.2 Umsetzung der Event-Konzeption zur Fußball-WM 2006 ....................... 35 2.1.3 Eingrenzung des Untersuchungsfeldes dieser Studie................................ 42 2.2 Stand der sportökonomischen Impaktforschung................................................ 45 2.2.1 Ermittlung regionaler und gesamtwirtschaftlicher Auswirkungen von Sportgroßveranstaltungen................................................................... 46 2.2.2 Methodische Ansätze zu Sportgroßveranstaltungen im Vergleich ................................................................................................... 50 2.3 Kreislauf- und tourismustheoretische Aspekte von Großsport-Events.............. 55 2.3.1 Theorie und Methode der Berechnung wirtschaftlicher Impulse.............. 55 2.3.2 Theorie des Sport-Event-Tourismus ......................................................... 58
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Methodik der empirischen Untersuchung.............................................................. 63 3.1 Methodisches Instrumentarium.......................................................................... 64 3.1.1 Standardisierte Zuschauerbefragung bei Public Viewings und in Stadien ................................................................................................... 64 3.1.2 Sekundäranalyse und Vergleich mit kompatiblen Untersuchungen......................................................................................... 74 3.1.3 Besuchertypen-Beobachtung..................................................................... 75 3.1.4 Frequenzbefragung.................................................................................... 77
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Inhaltsverzeichnis
3.1.5 Qualitative Beobachtung............................................................................77 3.1.6 Allgemeine Dokumentenanalyse ...............................................................78 3.2 Qualität und Repräsentativität der Primärdaten..................................................79 3.2.1 Messprobleme ............................................................................................79 3.2.2 Datenqualität ..............................................................................................82 3.2.3 Repräsentativität der Daten........................................................................93 3.3 Datenverarbeitung und Auswertung...................................................................97 3.3.1 Quantitative Daten .....................................................................................97 3.3.2 Qualitative Daten .......................................................................................99 4
Ergebnisse der empirischen Erhebung..................................................................101 4.1 Profil der Besucher der Stadien und Public Viewings .....................................101 4.1.1 Soziodemographische Daten....................................................................101 4.1.2 Psychographische Daten ..........................................................................110 4.2 Reise- und Konsummuster................................................................................116 4.2.1 Elementanalyse von Reisemustern ..........................................................116 4.2.1.1 Detailanalyse der Aufenthaltsdauer ............................................119 4.2.1.2 Detailanalyse der Art der Beherbergung ....................................121 4.2.1.3 Detailanalyse der Anreise nach Deutschland .............................123 4.2.1.4 Detailanalyse der Organisationsform der WM-Reise.................125 4.2.1.5 Detailanalyse der Anreisewege zum Stadion und Public Viewing ...........................................................................125 4.2.1.6 Detailanalyse der Zwischen- und Anschlussreisen.....................130 4.2.2 Elementanalyse von Konsummustern......................................................132 4.2.2.1 Detailanalyse der Ausgaben für Merchandiseartikel..................138 4.2.2.2 Detailanalyse der Ausgaben für Eintrittskarten ..........................141 4.2.2.3 Detailanalyse der Ausgaben für Gastronomie ............................145 4.2.2.4 Detailanalyse der Ausgaben für Shopping .................................147 4.2.2.5 Detailanalyse der Ausgaben für Unterkunft ...............................149 4.2.2.6 Detailanalyse der Ausgaben für die tägliche Anreise.................151 4.3 Varianz der Reise- und Konsummuster............................................................153 4.3.1 Bestimmungsfaktoren ..............................................................................153 4.3.2 Psychographische Bestimmungsfaktoren ................................................157 4.3.3 Herkunftsland der Besucher als Bestimmungsfaktor...............................162 4.3.4 Bestimmungsfaktor Besuchertypen .........................................................165 4.3.5 Bestimmungsfaktor Reisemuster .............................................................167
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4.3.6 Bestimmungsfaktor Turnierplanung ....................................................... 168 4.3.7 Erkenntnisse durch ein komplexes Erklärungsmodell ............................ 170 5
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung des konsumtiven Impulses der Fußball-WM 2006 ................................................................................................... 175 5.1 Formalisierte Modellierung des ökonomischen Impakts................................. 175 5.1.1 Berechnung des Primärimpulses ............................................................. 175 5.1.1.1 Berücksichtigung verschiedener Besuchergruppen ................... 175 5.1.1.2 Elemente des Konsummusters ................................................... 179 5.1.1.3 Allgemeine Annahmen zur Berechnung des Primärimpulses.... 181 5.1.1.4 Algorithmen zur Berechnung des Primärimpulses durch Stadionbesucher ......................................................................... 183 5.1.1.5 Algorithmen zur Berechnung des Primärimpulses durch Besucher von Public Viewings .................................................. 186 5.1.1.6 Bestimmung des Primärimpulses durch Begleitpersonen von Stadionbesuchern und Besuchern der Public Viewings ......................................................................... 188 5.1.1.7 Bestimmung des Primärimpulses durch Anschlussreisen .......................................................................................... 188 5.1.1.8 Umgang mit Risiko und Unsicherheit im Modell...................... 188 5.1.1.9 Sensitivitätsanalyse der Daten des Primäreffektes ..................... 190 5.1.2 Abschätzung der gesamtwirtschaftlichen Wirkungen des Primäreffektes.......................................................................................... 195 5.1.2.1 Anforderungen an das einzusetzende Modell ............................ 195 5.1.2.2 Das makroökonomische Simulationsmodell INFORGE................................................................................... 196 5.1.2.3 Einbindung des Primärimpulses in das INFORGEModell ........................................................................................ 200 5.2 Modell zur Bestimmung des Primärimpulses durch die Besucher der Fußball-WM 2006............................................................................................ 201 5.2.1 Berechnung des Mengengerüstes der Besucher und Besuchstage ............................................................................................. 202 5.2.2 Berechnung des Wertgerüstes der Besucher ........................................... 214 5.2.3 Berücksichtigung der Importsubstitution durch „Home Stayers“.................................................................................................... 219 5.3 Gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Besucher der FußballWM 2006 ......................................................................................................... 221 5.3.1 Gültigkeitsbereich der Ergebnisse........................................................... 221
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5.3.2 Gesamtwirtschaftlicher Netto-Impakt der ausländischen WM-Besucher und „Home Stayers“........................................................222 5.3.3 Verdrängungen und Umverteilungen durch die Besucher der Fußball-WM .............................................................................................226 5.3.3.1 Änderungen des Konsumverhaltens der inländischen WM-Besucher .............................................................................226 5.3.3.2 Verdrängungseffekte durch die Besucher der Fußball-WM................................................................................236 6
Diskussion und Fazit ...............................................................................................251 6.1 Stärken und Schwächen des „Bottom up“-Ansatzes ........................................252 6.2 Optimierung zukünftiger primärempirischer Erhebungen ...............................264 6.2.1 Reduktion der Anzahl von Konsummustern infolge unbedeutender Kategorien ...............................................................................267 6.2.2 Reduktion der Anzahl von Konsummustern durch Hochrechnungen ......................................................................................270 6.2.3 Reduktion der Anzahl von Konsummustern durch gezielte Befragungen .............................................................................................272 6.3 Die ökonomische Bedeutung der WM-Besucher für Deutschland .....................275 6.3.1.1 Erklärungen der Höhe des Konsums von WM-Besuchern..........275 6.3.1.2 Erklärungen der Varianz im Konsum von WM-Besuchern ........276 6.3.1.3 Erklärungen der Unterschiedlichkeit zu anderen Events............277 6.3.2 Erkenntnisse zur gesamtwirtschaftlichen Auswirkung ...........................279
Literatur- und Quellenverzeichnis .................................................................................283 Anhang ............................................................................................................................295
Kurzfassung Gegenstand und Zielstellung Besucher von Sportgroßveranstaltungen konsumieren offensichtlich anders als normale Städtetouristen. Außerdem unterscheiden sich die Event-Touristen verschiedener Sportveranstaltungen hinsichtlich ihres Konsumverhaltens sowie ihres Sozial- und Reiseprofils in Abhängigkeit von den geografischen und sozio-ökonomischen Strukturen des Austragungsorts. Auf diese beiden Hauptbefunde deuten die (bislang wenigen) Besucherbefragungen von sportlichen Groß-Events in der internationalen Fachliteratur hin (v. a. Lee & Taylor, 2005; Daniels, Norman & Henry, 2004; Mondello & Rishe, 2004; Gelan, 2003). In Ermangelung detaillierter Mikrodaten zu deutschen Sportgroßveranstaltungen basieren daher alle bisher durchgeführten Prognosen (z. B. Rahmann et al., 1998; Kurscheidt, 2006) und (erste Ex-post-)Hochrechnungen (z. B. Deutsche Bundesbank, 2006) zu den gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen der „FIFA Fußball-WM 2006TM“ auf Plausibilitätsschätzungen oder makroökonomischen Sekundärdaten, welche die primärempirischen Vorgänge nur in Teilen widerspiegeln (können). Mithin muss beim derzeitigen Stand der Forschung vermutet werden, dass die methodisch schwer exakt zu isolierenden, tatsächlichen wirtschaftlichen Effekte der Fußball-WM noch nicht treffend erfasst wurden. Daher war eines der wesentlichen Ziele dieser Studie, die wirtschaftliche Wirkung durch den Konsum der – vornehmlich auswärtigen – Besucher bei der „FIFA Fußball-WM 2006TM“ (Fußball-WM) im Nachhinein auf der Grundlage von Zuschauerbefragungen genauer zu berechnen. Darüber hinaus wurden Konsummuster, Reiseverhalten und Sozialprofil der in- und ausländischen WM-Besucher ermittelt und analysiert, um daraus zugleich grundlegende Aussagen zu Charakteristika, Typologien, Zusammensetzungen und Verhaltenweisen der international kaum erforschten Besuchermassen bei sportlichen Mega-Events für Deutschland als Ausrichtungsort ableiten zu können. Die forschungsleitenden Fragen sind: 1.
Welches soziodemographische und psychographische Profil hatten die Besucher der Fußball-WM in den Stadien und auf den Fan-Festen der WM-Städte?
2.
Mit wem und wie lange reisten die Gäste zur Fußball-WM innerhalb Deutschlands?
3.
Welche Konsummuster wiesen die Besucher (Inländer und Ausländer) der FIFA Fußball-WM auf, d. h. wofür gaben sie wie viel Geld aus?
4.
Durch welche Variablen lassen sich die Konsummuster erklären, und inwiefern können daraus Schlussfolgerungen für zukünftige Abschätzungen von Primärimpulsen von Sportgroßveranstaltungen gezogen werden?
Kurzfassung
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5.
Welche gesamtwirtschaftlichen Impulse für das Bruttoinlandsprodukt, die Beschäftigung, Steuereinnahmen etc. für eine Region bzw. Deutschland gehen auf die Reiseverkehrsausgaben der Besucher der Fußball-WM zurück?
Forschungsstand der ökonomischen Event- und Zuschauerforschung Themenschwerpunkte und untersuchte Veranstaltungen In den vergangenen 20 Jahren sind zahlreiche Forschungsarbeiten zu den ökonomischen Auswirkungen von (sportlichen) Großveranstaltungen durchgeführt worden (siehe u. a. Kurscheidt, 2006; Fanelsa, 2003; Jeanrenaud, 1999; Preuß, 1999; Maennig, 1998; Rahmann et al., 1998; Schneider, 1993). Grundsätzlich wird die Bedeutung von Besuchern als unmittelbarer ökonomischer Faktor der Ausrichtung eines Sportgroßereignisses in der Literatur gewürdigt. Chang (2001) und Preuß & Weiss (2003) beschreiben den Tourismus sogar als eine maßgebliche Größe autonomer Mittelzuflüsse durch Sportgroßveranstaltungen. Auffallend sind in vielen Arbeiten jedoch die auf Informationsmangel zurückzuführenden Ungenauigkeiten in der Berechnung der ökonomischen Auswirkungen eines Events durch konsumtive Ausgaben ihrer Besucher (siehe auch u. a. Snowball, 2004; Crompton, 1995). Obwohl der Konsum von Teilnehmern, Organisatoren und Zuschauern eine wesentliche ökonomische Größe einer Sportgroßveranstaltung darstellt, liegen zu diesem Themenbereich also kaum valide, empirisch abgesicherte Daten und noch weniger theoretische Betrachtungen vor. Norman, Backman & Backman (2002) fanden einige Mängel bei der Evaluation von wirtschaftlichen Impulsen durch Touristen. Ihrer Meinung nach herrsche erstens Verwirrung darüber, wer von den Ausgaben der Touristen profitiert, und zweitens fehle oft eine genaue Abgrenzung der betrachteten Region. Daher komme es zu Problemen der Identifikation von Mitteln, die neu in die Region kommen bzw. lokale Konsumausgaben darstellen (siehe auch Gelan, 2003). Für jede Prognoserechnung wirtschaftlicher Auswirkungen eines Sportgroßevents ist es unverzichtbar, zunächst den Primärimpuls durch den Konsum zu bestimmen, um dessen Auswirkungen dann durch ein gesamtwirtschaftliches Modell zu berechnen. Burns, Hatch & Mules (1986) leisteten Pionierarbeit in Bezug auf Wirtschaftlichkeitsberechnungen unter Einbeziehung von Besuchern, als sie den Adelaide Grand Prix von 1986 untersuchten. Ihrem Ansatz folgte eine Vielzahl anderer Modelle, wobei in Deutschland in der Sportökonomie das gesamtwirtschaftliche Modell INFORGE (INterindustry FORecasting GErmany) für Prognoserechnungen genutzt wird. Es ist ein zur Analyse ökonomischer Fragestellungen entwickeltes Simulations- und Prognosemodell. INFORGE/SPORT (Sektorales Disaggregiertes Modell/SDM) ist eine Erweiterung des Modells, welches sich direkt auf den aktiven und passiven Sportkonsum bezieht. Dieses bildet sportspezifische Verflechtungsbeziehungen mit allen Bereichen der Volkswirtschaft im Detail auf der Branchenebene ab. Das Modell, welches auch international in der Sportökonomik als
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führend gelten kann (Kurscheidt, 2005), basiert auf den volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) des Statistischen Bundesamtes. Es berücksichtigt insbesondere das Kontensystem der VGR und die Input-Output-Tabellen (Meyer & Ahlert, 2000). Alle Modelle dieser Art (siehe auch Daniels, Norman & Henry, 2004) gehen indes davon aus, dass der Primärimpuls bekannt ist. Dazu bedarf es aber nicht nur der Bekanntheit des Konsumverhaltens der Besucher, sondern auch ihrer Anzahl (Snowball, 2004) und vor allem der Information, ob es sich bei der entsprechenden Konsumausgabe um autonome Mittelzuflüsse handelt oder ob diese aus der Region stammen und daher lediglich Umverteilungen ansonsten ohnehin in der Region getätigter Ausgaben darstellen. Dazu hat Preuss (2004a) ein Modell entwickelt, mit dem die touristischen regionalen Wirkungen einer Sportgroßveranstaltung ermittelt werden können. Diesem Ansatz folgt auch die vorliegende Studie. Mit Blick auf die internationale Literatur ist festzustellen, dass der Schwerpunkt der theoretischen Forschung sich mit der Modellbildung zur gesamtwirtschaftlichen Auswirkung einer Sportgroßveranstaltung beschäftigt. Betrachtet man die empirischen Forschungsergebnisse, so fallen zunächst zahlreiche Studien über Sportgroßveranstaltungen auf, die den Konsumimpuls durch Veranstaltungsbesucher berücksichtigen. Jedoch werden die dazu notwendigen Konsummuster der Besucher häufig nicht explizit erhoben bzw. evaluiert. Dies mag zum einen daran liegen, dass die meisten Studien ex ante angefertigt wurden und daher keine Daten verfügbar waren. Jedoch konnten auch die Verfasser von Expost-Studien nicht auf Datenmaterial zurückgreifen, denn Erhebungen der Konsummuster zur Zeit der Veranstaltung wurden versäumt. Daher handelt es sich durchweg um recht globale Erfassungen der ökonomischen Auswirkungen (siehe etwa Baade & Matheson, 2004; Hotchkiss, Moore & Zobey, 2003; Spilling, 1999, 1996). Es ist aber von besonderer Bedeutung, die Konsummuster der Besucher von Sportgroßveranstaltungen – also den Primäreffekt – unmittelbar empirisch zu ermitteln, um eine zuverlässige Evaluierung oder Prognose der wirtschaftlichen Auswirkungen vornehmen zu können, wobei Ex-ante-Studien naturgemäß auf Vergangenheitswerten beruhen müssen. Tourismusbezogene Analysen von Sportgroßveranstaltungen wurden u. a. von Lee & Taylor (2005), Daniels, Norman & Henry (2004), Jones & Munday (2004), Preuss (2004b), Gelan (2003), Chalip (2002), Andranovich, Burbank & Heying (2001) und Spilling (1998) durchgeführt. Hier sollen nicht die zahlreichen Auftragsstudien angeführt werden, die zumeist im Vorfeld von Olympischen Spielen und zunehmend auch zu FIFA Fussball-WeltmeisterschaftenTM oder UEFA-Europameisterschaften angefertigt wurden. Viele dieser Arbeiten weisen teils erhebliche methodische Mängel auf, die in der einschlägigen unabhängigen Literatur bereits hinlänglich diskutiert worden sind (z. B. Baade & Matheson, 2004; Crompton, 1995). Die genannten „seriösen“ tourismuswirtschaftlichen Event-Untersuchungen decken dabei dagegen andererseits ein breiteres Spektrum an sportlichen Wettkämpfen ab, welches über die geläufigen Mega-Ereignisse hinausreicht. So sind auch etwa Golfturniere (Gelan, 2003) oder Volksläufe (Daniels, Norman & Henry, 2004) darunter zu finden (siehe außerdem Mondello & Rishe, 2004; Gibson, Willming & Holdnak, 2003).
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Erkenntnisdefizite und Forschungsbedarf Zu dem vorstehenden äußerst knappen Abriss angesichts der mittlerweile recht umfangreichen eventökonomischen Literatur können in Bezug auf das Untersuchungsinteresse dieses Forschungsprojekts die folgenden Aspekte zusammenfassend herausgestellt werden: 1.
Es gibt immer noch wenige wissenschaftliche, unabhängig durchgeführte Ex-postStudien über Mega-Events.
2.
Es gibt noch weniger empirische, konsumökonomische Erhebungen unter Besuchern von Sportgroßveranstaltungen, insbesondere nicht von bedeutenden Fußball-Turnieren.1
3.
Es gibt kaum Erhebungen und konkrete, wissenschaftlich abgesicherte Erkenntnisse zum Reise- und Konsumverhalten von Eventtouristen, insbesondere (gar) nicht von Mega-Events bzw. Sportgroßveranstaltungen in Deutschland.
4.
Es gibt keine Betrachtung der Auswirkungen eines Mega-Events auf das Konsumverhalten einheimischer Zuschauer.
Die zuvor aufgeführten Punkte sind aber essentiell für jede Prognose oder Machbarkeitsstudie der Wirkungen eines Mega-Events oder einer Sportgroßveranstaltung in Deutschland. Dies verdeutlichen insbesondere die unsicheren Vorhersagen zum konsumtiven Primärimpuls der Fußball-WM, dem Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Studie. In Ermangelung zuverlässiger empirischer Daten mussten bisher nach konsumökonomisch plausiblen Überlegungen Szenarien gebildet werden, um „einigermaßen“ realistische Größenordnungen zu ermitteln (siehe Rahmann et al., 1998). Dieses Vorgehen führte auf Grund der Unsicherheiten in der Prognosemodellierung unweigerlich zu großen Schätzspannen. So lagen die Hochrechnung für die Konsumausgaben ausländischer Besucher der Fußball-WM im Vorfeld zwischen 447 und 804,6 Mio. € (Kurscheidt, 2006, 2004), d. h. die obere Grenze des Schätzintervalls war fast doppelt so hoch wie die untere. Ursache dafür waren fehlende (Erfahrungs-)Werte über die Stadionauslastung, den Anteil auswärtiger Zuschauer, deren durchschnittliches Ausgabeverhalten etc. Für genauere Prognosen wären gerade in Deutschland erhobene Daten von großem Nutzen, denn sie zeigen das Konsumverhalten von Ausländern in deutschen Städten und das der hiesigen Bevölkerung in einer deutschen Stadt, in der ein Mega-Event oder eine Sportgroßveranstaltung stattfindet. Des Weiteren soll durch dieses Forschungsprojekt auch die oftmals vorherrschende Skepsis des Event-Managements in der Praxis gegenüber der wissenschaftlichen Event-Ökonomik verringert werden, da die Erkenntnisse der Studie von unmittelbarem Wert für die Veranstaltungspraxis sind. In der Gesamtschau betritt das Vorhaben mithin weitgehend Neuland. 1
Lee & Taylor (2005) zur FIFA WM 2002TM ist nach unserer Kenntnis bislang die Einzige.
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Methodik Die Datenerhebung umfasste 18 Hauptbefragungen vor dem und im Stadion (47,4 % aller Fälle), 15 Hauptbefragungen auf Fan-Festen (29,8 %), zehn Spezialbefragungen, die auf methodisch bedeutsame Kontrollgruppen (besonders ausgewählte Nationen, Befragungen nach dem Stadionbesuch etc.), etwa für Konsistenzprüfungen, abzielten (19,2 %), und schließlich eine kleine Residualgruppe (3,6 %). Die Gesamtbefragung erstreckte sich auf elf WM-Städte (alle außer Hannover). Die übergeordnete Auswahl der Erhebungsorte und -zeitpunkte erfolgte nach A-priori-Informationen über die Turnierorganisation und das bekannte Event- bzw. Fußball-Nachfrageverhalten in Form einer komplexen theoriegeleiteten Systematik, welche die Attraktivität der Spiele, deren Zeitpunkt, den Standort, die spielenden Mannschaften etc. berücksichtigte, um systematische Einflüsse auf die Gesamtstichprobe zu kontrollieren. Die Umsetzung an und in den Stadien und auf den Fan-Festen zu den ausgewählten Erhebungsterminen – also die Verteilung örtlicher Befragungspositionen – folgte dann einem zufallsgesteuerten Auswahlverfahren (zweifach geschichtete Klumpenstichprobe) zur Gewährleistung der lokalen Zufallsziehung und Repräsentativität bei vernachlässigbarer Nicht-Teilnahmebereitschaft (v. a. durch Ansprache der Probanden in Ruhebzw. Wartesituationen; siehe zur Befragungsmethodik bei Event-Zuschauermassen auch Gelan, 2003; Faulkner & Raybould, 1995). Entgegen den Klischeevorstellungen über die Teilnahmebereitschaft von Fußballfans an Befragungen und im Vorfeld von offizieller Seite (Organisationskomitee, WM-Stab der Bundesregierung) geäußerten Befürchtungen über die Erreichbarkeit ausreichend vieler WM-Besucher war die Aufgeschlossenheit der Befragten durchweg hoch, was entscheidend zu einem reibungslosen Erhebungsablauf vor Ort und einem Stichprobenumfang (deutlich) über den ursprünglichen Planungen beitrug. Der Befragungszeitraum an den Stadien (beginnend ca. vier Stunden vor dem Anpfiff) deckte nach anderen primärempirischen Erhebungen (v. a. eine verkehrswissenschaftliche Studie der TU Kaiserslautern; Spellerberg, West & Wilbert, 2007) bis zu 95 % der Stadiongrundgesamtheit ab. Ebenso weisen die Stichprobenentnahmen im Vergleich zu offiziell verfügbaren Kennzahlen und ähnlichen Großbefragungen (ebd.) repräsentative Anteile von Ticketkategorien sowie soziografischer Merkmale der „Normalzuschauer“ auf (d. h. VIP-Gäste sind weitgehend ausgenommen). Insgesamt wurden n=9.456 Besucher von geschulten Teams interviewt, darunter 59,4 % Inländer (25,1 % auf Fan-Festen und 34,4 % am Stadion) und 40,6 % Ausländer (15,8 % auf Fan-Festen und 24,7 % am Stadion). Damit darf die Erhebung als international mit weitem Abstand umfangreichste Befragung dieser Art gelten. In bisherigen primärempirischen Konsumstudien zu Sportgroßveranstaltungen lagen die Stichproben zumeist zwischen rd. 400 und 700 Probanden (Daniels, Norman & Henry, 2004; Mondello & Rishe, 2004). Nur Gelan (2003) und Lee & Taylor (2005) gingen mit gut 970 bzw. 1.600 Befragten darüber hinaus, liegen aber immer noch um fast das Sechs- bis Zehnfache unter dem
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Kurzfassung
Sampleumfang dieser Untersuchung.2 In der späteren Auswertung wurde deutlich, dass die Rahmenbedingungen der Fußball-WM in Deutschland eine so große Erhebung erforderlich machten, um valide Ergebnisse und überdies Erkenntnisse zur Komplexitätsreduktion für zukünftige Studien dieser Art zu ermitteln. Der Fragebogen wurde in Deutsch und mit Unterstützung von Muttersprachlern in Englisch, Französisch, Spanisch und Portugiesisch aufgelegt. Er umfasste 18 Fragen, aus denen ca. 150 auszuwertende Variablen hervorgingen, und durchlief zuvor einen umfassenden Pretest bei drei Spielen an zwei Standorten (zweimal Frankfurt/M und einmal Köln) des FIFA Confederations Cup 2005 (n=2.422) sowie beim ersten WM-Spiel in München (mit Hilfe mündlicher Befragungen). Daneben wurde noch eine Reihe anderer Methoden eingesetzt (u. a. Beobachtungsstrichlisten an Stadionzugängen mit insgesamt n=8.809), welche die Hauptbefragung hinsichtlich Details ergänzen und deren Repräsentativität überprüfen sollten. Nachdem in der Auswertung die individuellen Reise- und Konsummuster der EventTouristen sowie deren Verteilung nach Besuchertypen ermittelt wurden, konnten diese Eckdaten für die gesamte Fußball-WM anhand von Stadionbelegungen und konservativen Schätzungen für die Besucherzahlen der Fan-Feste hochgerechnet werden. Letztere erfolgten auf Grundlage der teilweise detailliert geführten Statistiken der WM-Städte und lagen unter den Schätzungen, die in den Medien kolportiert und/oder vom Organisationskomitee vorgenommen wurden. Für diese Studie wurden ferner ausschließlich die WMinduziert zusätzlich nach Deutschland geflossenen Mittel berücksichtigt, wobei u. a. Anschlussreisen in Deutschland und mitreisende, nicht fußballinteressierte Personen ebenfalls berücksichtigt wurden. Das durch ein sehr komplexes Modell zur Aggregation der Mikrodaten ermittelte Ergebnis von mesoökonomischen Primärimpulsen gemäß der erhobenen Konsumkategorien bildet die Grundlage für eine gesamtwirtschaftliche Modellrechnung mit dem sektoral disaggregierten Modell INFORGE, welches sportspezifische Verflechtungsbeziehungen mit allen Bereichen der Volkswirtschaft im Detail auf der Branchenebene abbildet (siehe für ein ähnliches Vorgehen Daniels, Norman & Henry, 2004). Das INFORGE-Modell, welches derzeit von mehreren Bundesministerien und wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstituten im Zuge der makroökonomischen Politikberatung und Analyse eingesetzt wird, basiert auf den amtlichen Daten der VGR 2
Lee & Taylor (2005) unternehmen allerdings zwei Befragungen, wobei eine bei knapp 4.900 Probanden liegt. Jedoch wurden in dem Rahmen keine Konsummuster erhoben, sondern nur sehr kurz nach dem Reisehintergrund gefragt, um die Touristentypen unter den Besuchern zu unterscheiden. Erst in der weniger umfangreichen späteren Befragung wurde das Konsumverhalten erfasst. Die lokalen Gegebenheiten ermöglichten es in Südkorea, die jeweiligen Erhebungen bei der Ankunft und Abreise an Flugund Seehäfen durchzuführen, wobei indes das Inländerverhalten nicht wie in dieser Studie abgebildet werden kann.
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des Statistischen Bundesamtes und berücksichtigt insbesondere das Kontensystem der VGR sowie dessen Input-Output-Tabellen. Die eigentliche Berechnung mit dem ökonomischen Simulations- und Prognosemodell wurde im Auftrag der Autoren dieser Studie von Gerd Ahlert (Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung mbH (GWS), Osnabrück) durchgeführt.
Zentrale Ergebnisse Die sicherlich nachhaltigste Neuerung und Überraschung dieser Fußball-WM stellten die Fan-Feste dar, welche in ihrer Größe, Qualität und auch ökonomischen Bedeutung so nicht vorhersehbar waren. Als Fan-Fest werden die großen Veranstaltungen in den zwölf Austragungsstädten der Fußball-WM bezeichnet, die trotz großer konzeptioneller Unterschiede das sog. „Public Viewing“ als Kernleistung vorsahen, also das kollektive Anschauen der Spiele auf einer Großbildleinwand. Aufgrund der Beschränkung auf die offiziellen Fan-Feste in den zwölf WM-Städten dürften die Ergebnisse dieser Studie die bundesweite Bedeutung der Fan-Feste weit unterschätzen, denn es soll in Deutschland angeblich rund 2.000 Public Viewings gegeben haben. Der Erfolg dieser „Side-Events“ war so groß, dass die Kapazitäten noch während der Weltmeisterschaft erheblich aufgestockt wurden. Einerseits unterschieden sich Besucher, die ausschließlich Fan-Feste frequentierten, signifikant von denen, die (auch) ins Stadion gingen. Andererseits gab es lediglich wenige, die nur das Stadion besucht und die Fan-Feste gemieden haben. Damit wurden die Fan-Feste auch empirisch nachweisbar ein integraler Bestandteil des Sportereignisses und erweiterten substanziell seine sozio-ökonomische Tragweite. Denn gemeinsam war den Fan-Festen mit den Spielen in den Stadien, dass sie sowohl Publikumsmagneten für Inländer als auch Ausländer waren. Vor allem das Attraktionspotenzial für Letztere war vor der Fußball-WM unsicher und unter Eventexperten umstritten. Für die hier interessierende ökonomische Analyse ist dabei ein Inländer eine Person mit Wohnsitz in Deutschland und ein Ausländer entsprechend eine Person mit Wohnsitz außerhalb Deutschlands. Die tatsächliche Nationalität spielt für diese Unterscheidung keine Rolle. Die Fan-Feste wurden also nicht nur von Personen besucht, die am Ort wohnen bzw. sich gerade aufhielten, sondern waren ein eigenständiger Reisegrund. So befand sich auf den Fan-Festen ein wechselhafter, aber oft beträchtlicher Anteil ausländischer Besucher (22,4 % explizite WM-Touristen neben 22,9 % Gelegenheitsbesuchern und „Urlaubsverschiebern“, den sog. „Time Switchers“), welche für ihren gesamten Aufenthalt bei der Fußball-WM keine Eintrittskarten hatten. Im Durchschnitt besaßen die StadionBesucher 2,2 Eintrittskarten, wobei es keine signifikante Differenz zwischen inländischen und ausländischen Besuchern gab. Dies ist wohl auf das besondere internetbasierte Ticketing zurückzuführen. Daher reisten auch die Inländer – auf Grund der bundesweiten Verteilung der WM-Spiele schon in der Gruppenphase – in beachtlichem Maße durch
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Gegenstand und Zielstellung
Deutschland. Die inländischen Besucher von Fan-Festen waren durchschnittlich 2,1 Tage und Karteninhaber sogar im Mittel drei Tage „außer Haus“. Die ausländischen Gäste hielten sich mit durchschnittlich ca. 9,5 Tagen als Stadionbesucher und 11,9 Tagen als Besucher des Public Viewing erwartungsgemäß länger für ihre Event-Reise hier zu Lande auf. Die Fußball-WM beeinflusste überdies die Urlaubsplanungen vieler Inländer. 6,5 % der inländischen Besucher der Fußball-WM verzichteten vollständig auf ihren Urlaub und 8,2 % verlegten ihren Urlaub auf einen anderen Zeitpunkt, um die praktisch einmalige Chance, dem Ereignis in Deutschland selbst beizuwohnen, nicht zu versäumen. Hinsichtlich des sozio- und psychografischen Profils ist zunächst festzustellen, dass die WM-Spiele vornehmlich gemeinsam mit Freunden und Angehörigen verfolgt wurden. Die Besucher sind zu 34 % mit Familienmitgliedern ins Stadion gekommen und zu 63 % mit Freunden. Weniger als 6 % gingen allein ins Stadion. Insgesamt hatten zudem 12,5 % der Besucher Begleitung mitgebracht, die nicht mit im Stadion oder auf dem Fan-Fest war. Vor allem die Fan-Feste erwiesen sich als attraktiv für Frauen. Dort waren fast doppelt so viele inländische Frauen (44 %) wie in den Stadien (24 %) anwesend. Ferner zogen die WM-Veranstaltungen vor allem junge Menschen an, wobei das Durchschnittsalter der Besucher im Stadion (34 Jahre) signifikant höher als bei den Fan-Festen (31 Jahre) war. Zum Vergleich: Das mittlere Alter in Industrieländern liegt bei über 37 Jahren. Des Weiteren kamen in die Stadien insbesondere Besucher mit hohem Bildungsniveau. 71 % hatten mindestens Abitur, 47 % sogar einen universitären Abschluss. Das Einkommensniveau der Inländer auf den Fan-Festen war signifikant niedriger als das der Stadionbesucher. Das Einkommen der ausländischen Besucher wiederum war signifikant höher als das der Inländer. Diese Nachfragestrukturen deuten zum einen auf die Wirksamkeit von individuellen Budgetrestriktionen hin und dokumentieren zum anderen die erlebnisorientierten Präferenzen junger, flexibler und finanziell gut gestellter Konsumenten in den heutigen Dienstleistungsgesellschaften. Dieses Phänomen der sog. „Eventisierung“ wird in den hier untersuchten Konsumausgaben der WM-Besucher immer wieder deutlich. Schließlich müssen die Konsummuster der unterschiedlichen Besuchergruppen erhoben werden, um die ökonomische Wirkung der Fußball-WM berechnen zu können. Gefragt wurde daher nach den Ausgaben für Eintritte, Essen und Trinken, die Anreise zum Stadion, Einkäufe sowie – in den entsprechenden Fällen – für Übernachtungen und die Anreise von der Unterkunft zum Stadion. Dabei werden die Ausgaben für internationale Flugreisen nicht eingerechnet (siehe analog Lee & Taylor, 2005). Was die Höhe des Konsums und auch die Verteilung auf die jeweiligen Ausgabenbereiche anbelangt, zeigen sich kaum einheitliche Muster, sondern vielmehr eine erhebliche Heterogenität. Dieser Befund deckt sich mit den theoriegeleiteten Plausibilitätsschätzungen der wirtschaftswissenschaftlichen Prognosen vor dem Fußball-Event (Kurscheidt, 2006; Rahmann et al., 1998) und ist auf das besagte Phänomen der Eventisierung zurückzubeziehen. Um den Primärimpuls genau zu ermitteln, waren 40 Konsummustergruppen zu bilden. Dabei sind zu unterscheiden:
Zentrale Ergebnisse
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Stadionbesucher versus Public-Viewing-Besucher
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Tagestouristen versus Touristen mit Übernachtung(en)
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Besucher nach Herkunftsländern (Inländer versus Ausländer aus dem benachbarten Europa versus weiter anreisende Europäer versus Fernreisende versus Osteuropäer versus Europäer aus wohlhabenden Ländern)
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Besuchertypen: Diese bestimmen maßgeblich, welche Komponenten des Konsummusters zur Berechnung der ökonomischen Auswirkung herangezogen werden dürfen. So sind von WM-Touristen die gesamten Konsumausgaben zu berücksichtigen, von „Casuals“ (Touristen, die auch ohne die Fußball-WM im Land wären) dagegen nur die Eintrittskarte(n) und ggf. der Kauf von Fanartikeln (Preuss, 2004a).
Die Auswertung zeigte, dass die WM-Besucher im Gegensatz zu den normalen Städtetouristen eine höhere Konsumneigung haben. Sie geben im Mittel als Übernachtungsgast rund 1,5-mal und als Tagesbesucher sogar bis zu viermal mehr aus als Durchschnittstouristen in den vier deutschen Millionenstädten. Diese Befunde stehen im Einklang mit anderen Befragungen, bei denen die entsprechenden Faktoren des höheren EventKonsums 1,8 bis 2 betrugen (siehe Lee & Taylor, 2005; Gelan, 2003). Dort konnten allerdings nicht im gleichen Umfang Tagesbesucher erfasst werden, sodass für diese Größenordnung die Vergleichsmaßstäbe fehlen. Die Evidenz dieser Studie deutet jedenfalls auf eine weit überdurchschnittliche Konsumneigung von Event-Besuchern gegenüber den auswärtigen Tagesgästen im normalen Tourismus hin. Bei der Kalkulation des volkswirtschaftlichen Nutzens muss indes beachtet werden, dass die Ausgaben nicht aller ausländischen Besucher einen zusätzlichen ökonomischen Beitrag darstellen: 10 % der gesamten WM-Besucher sind Touristen, die angaben, dass sie auch ohne die Fußball-WM in diesem oder im nächsten Jahr nach Deutschland gekommen wären. Allein durch den Konsum der ausländischen WM-Touristen, welche speziell für das Ereignis anreisten, sowie durch die Ausgaben der inländischen „Urlaubsverzichter“ (sog. „Home Stayers“, zusammen 33 % der Stadionbesucher und über 26 % der Besucher von Fan-Festen) wurde binnen der 30 Turniertage und der 39 Tage vor und nach der Fußball-WM ein Primärimpuls von 2,86 Mrd. € erzeugt. Dieser wirtschaftliche Anstoß bewirkt bis zum Jahresende 2008 eine Erhöhung des Bruttoinlansprodukts (BIP) von 3,88 Mrd. €. Gezählt wurde damit nur das sozusagen „frische Geld“, das nach Deutschland floss bzw. nicht abfloss, also jene Zahlungsströme, die ohne die Fußball-WM nicht ins Land gekommen oder nicht hier verblieben wären (siehe auch z. B. Tyrrell & Johnston, 2001; Burgan & Mules, 1992). In dem Sinne waren die Fan-Feste über den Beitrag zur Partystimmung hinaus ein wichtiger ökonomischer Erfolgsfaktor. Von den über 900.000 ausländischen Besuchern der FanFeste kamen fast 21 % auch ohne Stadionticket allein wegen der Fußball-WM. Insgesamt trugen die ökonomisch relevanten Fan-Fest-Besucher knapp 1 Mrd. € zum Primärimpuls bei. Dabei wurden u. a. anteiliger Konsum (z. B. für Fanartikel) auch von „Casuals“ und
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Gegenstand und Zielstellung
„Time Switchers“ berücksichtigt oder die Ausgaben von mitgereisten Personen. Aber nicht nur die WM-Städte profitierten von den Besuchern, sondern auch weitere Teile Deutschlands. So kamen mit jedem Fernreisenden durchschnittlich 0,6 zusätzliche Touristen, die – anstatt zum Fußball zu gehen – einkauften oder sich die Umgebung ansahen. Außerdem reisten die europäischen Besucher im Durchschnitt sechs Tage, die Fernreisenden 16 Tage durch Deutschland, wobei 42 % der europäischen Besucher noch einmal eine dreitägige Anschlussreise machten und 34 % der Fernreisenden sogar eine siebentägige. Die insgesamt 1,265 Mrd. € Steuermehreinnahmen, induziert durch die ausländischen WM-Besucher und zuhause gebliebenen Inländer, decken somit die Ausgaben der öffentlichen Hände für die Finanzierung der Stadionneu- und -umbauten. Schließlich kann die durch WM-bedingte Konsumausgaben erzeugte Beschäftigungswirkung auf 38.254 Jahre Arbeitsvolumen (sog. Arbeitsmannjahre) beziffert werden, wobei die damit verbundenen Jobs im Bau- (700 Mannjahre) oder Gastgewerbe (3.700), beim Handel (8.300) oder in der Dienstleistungsbranche (17.000) sich in ihrer Laufzeit stark unterscheiden und wohl eher kurzfristiger Natur sind. Auch könnten sie in Teilen durch Überstunden, Reorganisation von Arbeitsprozessen und weitere gezielte Produktivitätssteigerungen substituiert worden sein. Genauere Ergebnisse zu den geschaffenen Arbeitsverhältnissen als die pauschale Volumenangabe lassen sich aus methodischen Gründen leider nicht ableiten (siehe auch Daniels, Norman & Henry, 2004, zu dieser „occupation-based“ Modellierung und ähnlichen Berechnungen). Dies ist jedoch für eine ökonomische Ex-post-Evaluierung der Fußball-WM 2006 als gesellschaftliches Projekt nach den üblichen praktikablen Wohlfahrtskriterien (v. a. das Kompensationskriterium nach Kaldor-Hicks) nicht die entscheidende Größe (Kurscheidt, 2008, 2006; Preuss, 2004b). Der zentrale Befund ist, dass es auch bei sehr vorsichtiger Kalkulation einen nennenswerten wirtschaftlichen Effekt durch die event-spezifisch zurechenbaren Ausgaben von Veranstaltungsbesuchern gegeben hat. Danach refinanziert dieser gesamtwirtschaftlich gesehen die WM-bedingten öffentlichen Kosten für v. a. Stadioninvestitionen. Es dürfte sogar für die öffentlichen Haushalte infolge der fiskalischen Rückflüsse ein Überschuss erzielt worden sein, der potenziell einen Teil der weiteren Kosten, wie insbesondere für staatliche Sicherheitsleistungen, abdeckt. Dies lässt sich auf Grund der komplexen föderalen Strukturen und zusätzlicher Intransparenzen in jenem Ausgabenbereich nicht abschließend klären (Kurscheidt, 2008). Die Ergebnisse deuten aber stark darauf hin, dass bereits der unmittelbare ökonomische Impakt des Sportereignisses Deutschland als Ausrichternation einen positiven Nettonutzen gestiftet hat. Darüber hinaus profitierte das Land unter anderem in der Standortpolitik von Bekanntheits- und Imagewirkungen, in der Innen- bzw. Gesellschaftspolitik von Sozialisations- und Integrationseffekten etc. sowie in der Außenpolitik von der z. B. auf den FanFesten „gelebten“ Völkerverständigung. All jene sogenannten intangiblen Wirkungskomplexe entziehen sich naturgemäß einer treffenden Berechnung in Geldeinheiten, schaffen
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ebenso einen wahrgenommenen Wert, der sich indirekt auch wieder ökonomisch niederschlagen kann (z. B. durch Folge-Tourismus, höhere Exporte etc.). Wahrscheinlich übersteigt diese Nutzenwirkung zusammen mit den entsprechenden Folgeeffekten den monetär-volkswirtschaftlichen Beitrag sogar bei weitem.
Diskussion und Fazit Angesichts des Literaturdefizits in der Ex-post-Analyse von (sportlichen) Großveranstaltungen im Allgemeinen und dem Mangel an Zuschauerbefragungen im Speziellen liefert die vorliegende Studie einen durchaus wesentlichen Erkenntnisfortschritt für die ökonomische Eventforschung. Zum einen liegt ihr Stellenwert darin, dass sie auch international als bislang mit Abstand umfangreichste und detaillierteste Erhebung von Mikrodaten zu Besuchermassen bei Mega-Events gelten darf. Zudem stellen die Befunde zum Reise- und Konsumverhalten sowie zu Anteilen gesamtwirtschaftlich relevanter Touristengruppen für zukünftige Prognosen über die ökonomische Auswirkung von Großereignissen und konkrete Organisationsplanungen in der Praxis wichtige Eck- und Vergleichswerte zur Verfügung. Schließlich sind das Untersuchungsdesign und die erzeugte Evidenz aufschlussreich für strittige Fragen in den dominierenden theoretisch-methodischen Diskussionen um Großevents als öffentlich geförderte Maßnahmen in der Standortpolitik. Die Studie bestätigt eindeutig, dass selbst unter höchst vorteilhaften Rahmenbedingungen – wie sie zur FIFA Fußball-WM 2006TM in Deutschland gegeben waren (hervorragendes Wetter, kaum Sicherheits- oder Imagebeeinträchtigungen durch Gewaltakte, funktionierende Abläufe, auch wirtschaftlicher Erfolg des Fan-Fest-Konzepts, gute Infrastruktur, Vermeidung gravierender spezifischer Fehlinvestitionen, fast euphorische Event-Atmosphäre unter den Veranstaltungsbesuchern, Interaktion mit der Bevölkerung etc.) – vorübergehende Großereignisse kein sinnvolles Instrument aktiver kurz- bis mittelfristiger Konjunktur- oder Wachstumspolitik darstellen. So belaufen sich der errechnete Beitrag zum deutschen BIP in 2006 auf lediglich 0,13 % (d. h. 3,2 Mrd. €) und das induzierte Arbeitsvolumen auf nur 0,09 % (d. h. 34.800 Mannjahre) der gesamten Beschäftigung in dem WM-Jahr. Ungeachtet der empfundenen „Größe“ der Veranstaltung sind die seriös zurechenbaren Wirtschaftseffekte immer noch zu gering, um starke regionale oder nationale Wirtschaftsräume substanziell zu beeinflussen. Die Konjunktur- und Wachstumswirkung der Ereignisse ist mithin eher als „angenehmer Nebeneffekt“ zu werten. Indessen gilt es, den ökonomischen Impakt in der Veranstaltungsplanung im Hinblick auf eine gesamtwirtschaftliche Refinanzierung eventbedingter Kosten zu optimieren (etwa in Anlehnung an den sog. Event-Leverage-Ansatz; Chalip, 2004, 2002). Zuvorderst sollten die Großereignisse aus wirtschaftspolitischer Perspektive daher als Investitionen in das Standortmarketing aufgefasst werden (sog. Event-Signaling; Kurscheidt, 200, 2005).
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Daraus sowie aus der festgestellten Heterogenität der komplementären Konsummuster von Event-Touristen resultiert eine bedeutende methodische Einsicht: Die veranstaltungsspezifischen Kaufkraftzuflüsse durch die auswärtigen Besucher und inländischen „Home Stayers“ (sog. Importsubstitution; Cobb & Weinberg, 1993) sind in der Relation zu klein und verteilen sich derart differenziert auf eine Vielfalt von Branchen, dass sie in amtlichen Makrostatistiken – auch mit geeigneten ökonometrischen Verfahren – kaum erkennbar werden. Damit wird ein „Top-Down“-Ansatz zur Ex-post-Ermittlung der Event-Wirkungen anhand makroökonomischer Daten stets auf statistische Probleme stoßen. Die tatsächlichen Effekte sind dann nicht hinreichend trennscharf von veranstaltungsunabhängigen Vorgängen zu isolieren, und selbst wenn, können die Varianzen schwerlich ein Ausmaß annehmen, welches einen signifikanten Einfluss der Interventionsvariablen für das Großereignis anzeigt. Einige vornehmlich US-amerikanische Studien haben bereits solche mangelnden Signifikanzen bei sportlichen Mega-Events aufgezeigt (z. B. Baade & Matheson, 2004, und die dortigen Verweise). Die daraus gezogene Schlussfolgerung, dass es grundsätzlich keinen nennenswerten ökonomischen Impakt bei der Ausrichtung von Sportgroßveranstaltungen gibt, geht nach den Erkenntnissen der vorliegenden Befragungsuntersuchung indes zu weit. Vielmehr ist die Wirkungsmessung offensichtlich nur treffend nach einem „BottomUp“-Prinzip zu leisten, also über die primärempirische Erhebung von mikroökonomischen Daten durch Stichproben unter den WM-Besuchern. Die zuversichtliche Einsicht aus dieser Studie ist, dass ein solcher Zugang unter Vermeidung bekannter methodischer Fehler in früheren Analysen (siehe hierzu v. a. Crompton, 1995; Faulkner & Raybould, 1995) machbar erscheint und zu fruchtbaren Resultaten führen kann (siehe auch Lee & Taylor, 2005; Gelan, 2003). Die pessimistische Erkenntnis besteht darin, dass der empirische Aufwand solcher Untersuchungen groß ist und die Gelegenheit der Befragung nicht verpasst werden darf, wenn eine genaue Evaluierung im Nachhinein ermöglicht werden soll. Weitere Auswertungen des erhobenen Datensatzes deuten auf statistische Anhaltspunkte für eine Minimierung des Befragungsaufwands bei zukünftigen Studien. Hinreichend valide Ergebnisse sind nur unter bestimmten Prämissen bei geringeren Stichprobenumfängen ermittelbar. Eventuelle gegenläufige ökonomische Effekte durch die Verdrängung von Touristenbesuchen und Umverteilungen der Konsumausgaben sowie durch das Auftreten anderer konsummindernder Wirkungen bei den Inländern gilt es weiterhin zu erforschen. Die vorliegende Untersuchung konnte darauf nicht im Detail eingehen, liefert jedoch erste plausible Annahmen zu diesem Bereich. Zu diesem Themenkomplex fehlen beim derzeitigen Stand in der Literatur jedoch sowohl eine einheitliche Methodik als auch überzeugende Evidenz (siehe auch Lee & Taylor, 2005). Dessen ungeachtet werden Verdrängungen als oft wiederholtes Argument zur Erklärung der schwachen Befunde in den erwähnten „Top-Down“-Studien herangezogen. Die ad hoc verfügbaren Indizien für einen maßgeblichen Umfang von z. B. inländischen „WM-
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Flüchtlingen“ und ausländischen „WM-Vermeidern“ unter den touristischen Stammgästen sind allerdings nicht gegeben. Für eine erste eigene Prüfung der These wurden ein Jahr nach der Fußball-WM 665 Passanten in Fußgängerzonen des Rhein-Main-Gebietes befragt. Dabei konnte nur ein Inländer identifiziert werden, der extra wegen der Fußball-WM einen Auslandsurlaub gemacht hat, der keine andere Urlaubsreise ersetzte. Dieser Einzelfall in der Stichprobe kann durchaus zufällig sein und ist damit noch kein hinreichender empirischer Beleg. Dennoch spricht der Befund eher dafür, dass es nur wenige „WMFlüchtlinge“ in dem Sinne gegeben hat, dass durch die WM ansonsten inländischer Konsum im Ausland getätigt wurde. Wenn das ausweichende Verhalten der Inländer so bedeutsam gewesen wäre, wie von einigen Beobachtern behauptet, hätte die willkürliche Zufallsziehung klarer fündig werden müssen. Die Statistik der Deutschen Bundesbank zu den Reiseverkehrsausgaben von Inländern im Ausland belegt diese Einschätzung ebenfalls für die relevanten Monate. Des Weiteren sollten die positiven WM-Tourismuseffekte mögliche während der Fußball-WM verdrängte Touristen kompensiert haben. Auch sind hohe Verdrängungen kausallogisch nicht zu begründen. Darauf deutet unter anderem eine Erhöhung allein der registrierten grenzüberschreitenden Reiseverkehrseinnahmen (Übernachtungsausgaben und – v. a. bargeldloser – Konsum ausländischer Gäste) im zweiten Quartal des Jahres 2006 im Verhältnis zu 2005 um knapp 1,5 Mrd. € hin (Deutsche Bundesbank, 2006). Diese Größenordnung wird (auch trendbereinigt) durch diese Studie bestätigt, wenn man mit Bedacht die unterschiedlichen Datenbasen und betrachteten Zeitabschnitte einander angleicht. Ferner stiegen die Übernachtungen laut den Beherbergungsstatistiken der Statistischen Landesämter im Juni 2006 gegenüber dem Vorjahresmonat in den WM-Städten nominal stark an. Lediglich die beiden im Städtetourismus führenden Metropolen Berlin und München hatten hierbei – wenig überraschend – einstellige prozentuale Einbußen zu verzeichnen. Alle anderen WM-Städte (bis auf Hannover) haben in Prozenten zweistellig zulegen können. Erwartungsgemäß besonders profitieren konnten die zentral gelegenen Verkehrsdrehkreuze Frankfurt (25,9 %) und Köln (21,6 %) sowie die sonst vergleichsweise tourismusschwachen Städte Dortmund (45,3 %) und Kaiserslautern (30 %). Bei näherer Betrachtung lassen sich die offensichtlichen Besucherrückgänge in München und Berlin jedoch eindeutig auf einen auf den WM-Monat begrenzten starken Rückgang der inländischen Besucher zurückführen (wahrscheinlich v. a. Geschäftsreisende). Dieser konnte nicht durch den insgesamt stark gestiegenen ausländischen Tourismus überkompensiert werden. Gesamtwirtschaftlich sind aber die ausländischen Besucher bedeutend, während die Inländer (überwiegend) lediglich Umverteilungen auslösen. Insgesamt ist jedoch letztlich im Jahr 2006 auch der inländische Tourismus angestiegen, d. h. die Einbußen von München und Berlin im WM-Monat wurden auch beim inländischen Tourismus über das Gesamtjahr kompensiert. Hier wird deutlich, dass in der Argumentation um Verdrängungen von Touristen vorschnell vernachlässigt wird, dass es durch die FußballWM zu erheblichen zeitlichen Umbuchungen gekommen sein kann und nicht unbedingt zu totalen Verdrängungen. Insbesondere Geschäftsreisen, Messen und Kongresse, Besu-
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che von Freunden und Familienmitgliedern von Ausländern werden wegen der FußballWM nicht zwingend ausgefallen, sondern lediglich auf einen anderen Zeitpunkt verschoben worden sein. In den Makrostatistiken sind diese zeitlichen Verschiebungen allerdings nicht direkt sichtbar. Schließlich dürften die grundsätzlich konservativen Wertansätze in dieser Studie die positive Tourismuswirkung noch unterschätzen. Ebenso wurde auf eine Quantifizierung des zu erwartenden Folgetourismus auf Grund der eventinduzierten Bekanntheits- und Imageverbesserung verzichtet. Dieses „Sicherheitspolster“ müssten die nicht berechneten, indirekt durch die WM induzierten Mittelabflüsse zumindest aufwiegen. In der Gesamtschau der Messprobleme in die eine oder andere Richtung ist es daher unwahrscheinlich, dass die hier vorgestellte Hochrechnung, welche sich auf den Beitrag der WM-Besucher (ohne VIPs) beschränkt, den Nettoeffekt entscheidend verfehlt.
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Einleitung
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Ausgangsproblematik
Die FIFA Fußball-Weltmeisterschaft 2006TM stellte für Deutschland nicht nur eine herausragende Sportveranstaltung und ein großes Gesellschaftsereignis dar. Ihre überragende Bedeutung offenbart sich vielmehr in der Tatsache, dass die Austragung eines solchen weltweit beachteten Mega-Events nur in generationellen Zeitabständen möglich ist. Dabei waren die 32 Jahre, die zwischen der Fußball-WM 1974 und dem Turnier im Jahr 2006 lagen, sowohl aus deutscher Perspektive als auch im internationalen Vergleich ein ungewöhnlich kurzer Zeitraum. Normalerweise ist für die Gastgeberländer – selbst für große Nationen – eher zu erwarten, nur alle 40 bis 50 Jahre eine Fußball-WM oder Olympische Spiele ausrichten zu dürfen (Kurscheidt, 200; Preuss, 2004b). Davon zeugen nicht zuletzt die schwierigen Bemühungen der letzten 20 Jahre, erneut ein olympisches Großereignis nach Deutschland zu holen. Angesichts der gestiegenen internationalen Konkurrenz um sportliche Mega-Events wird sich die nächste Chance auf eine Fußball-WM erst wieder nach sehr langer Zeit ergeben. Ebenso ist die Aussicht auf olympische Winter- oder Sommerspiele in einer deutschen Stadt vorerst ungewiss. Somit bot die „FIFA Fußball-Weltmeisterschaft 2006TM“ (so der geschützte Markenname; fortan Fußball-WM) auf absehbare Zeit eine einmalige Gelegenheit für die deutsche Forschung und Praxis, wertvolle Erfahrungen sowie aussagekräftige Daten einer Sportgroßveranstaltung zu sammeln. Solche Mega-Ereignisse liefern ein umfassendes und komplexes Anschauungsmaterial für die Organisation anderer zukünftiger großer Sportwettkämpfe. Bei aller Aufmerksamkeit für die vergangene Fußball-WM und die anstehende Olympiabewerbung von München für 2018 darf nicht übersehen werden, dass Deutschland häufig Ausrichter von Weltmeisterschaften in verschiedenen Sportarten sowie von sonstigen bedeutenden Sportveranstaltungen ist (sog. Special-Events). Zuschauer- und medienträchtige Wettkämpfe im Spitzensport sind eine unverzichtbare Säule für das Funktionieren des (deutschen) Sportsystems. Ohne die Vorbild- und Kommunikationsfunktion der sportlichen Großereignisse kommen auch der unterklassige Leistungs- und Breitensport im weit verzweigten Sportvereinswesen sowie der informelle Freizeitsport nicht aus (Breuer, 2007). Diese „Leuchtturmprojekte“ signalisieren den gesellschaftlichen Stellenwert des Sports in unterschiedlichen Zeitabständen (seltene Mega- vs. regelmäßigere Special-Events) und Intensitäten (Massensportarten und Weltmeisterschaften vs. „Randsportarten“ und kontinentale oder regionale Turniere). Sie sind Impulsgeber für vielfältige gesellschaftstragende Wirkungen weit über das Sportsystem hinaus und für die Sportpartizipation sowie die Stützung und Übertragung sportspezifischer Werte von besonderer Bedeutung. Die unterliegenden Wirkungszusammenhänge und -prozesse sind keineswegs unumstritten. Sie bedürfen weiterer empirischer Absicherung (Rittner & Breuer, 2004; Rahmann
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Einleitung
et al., 1998). Jedoch zeigt eine Reihe von Indizien, dass die Ausrichtung von Sportgroßveranstaltungen in Deutschland im Grundsatz in Wissenschaft und Politik anerkannt und gesellschaftspolitisch als wünschenswert betrachtet wird. Umstritten sind vielmehr das Ausmaß, die Verteilung von Finanzierungslasten zwischen privatem und öffentlichem Engagement (sog. Public-Private-Partnerships) sowie sportliche und organisatorische Schwerpunktsetzungen bei der Auswahl oder (regionalen) Ausgestaltung der Großereignisse. Überdies sind die Vorstellungen von validen Ansätzen und Kriterien einer entsprechenden Bewertung von Sportgroßveranstaltungen zur effektiven politischen Entscheidungsfindung oftmals unklar (Kurscheidt, 200). Dessen ungeachtet ist vor dem Hintergrund der verschärften Bewerberkonkurrenz sowie der gesellschaftlichen Funktionen herausragender Sport-Events durchaus die Einsicht vorhanden, dass die Durchführungskosten zumindest teilweise durch öffentliche Mittel zu tragen sind. Daher stellt sich in Anbetracht der knappen staatlichen Ressourcen zu Recht die Frage, ob die eingesetzten Steuermittel wohlfahrtssteigernd verwendet wurden. Idealerweise wären sogar alternative Mittelverwendungen für Projekte mit ähnlich gelagerten politischen Zielsystemen zu prüfen. Zunehmend werden in dieser Hinsicht die engen Verflechtungen zwischen den gesellschaftlichen Teilsystemen des Sports und der Wirtschaft gewürdigt, um insbesondere im Fall der Sportgroßveranstaltungen über deren multidimensionale sozio-ökonomische Effekte Synergien in verschiedenen politischen Zielbereichen zu erschließen. In der Tat ist dieser Politikansatz dazu geeignet, die Wohlfahrtswirkung einer staatlichen Projektinvestition zu optimieren. In diesem Sinne herrscht unter Entscheidungsträgern aus der Sportpolitik und sportbasierten (regionalen) Wirtschaftspolitik weitgehende Einigkeit darüber, dass öffentlich unterstützte Investitionen in das (regionale) Sportangebot einen durchaus nennenswerten Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung leisten können. Diese Ansicht geht speziell in der Bundesrepublik auf zwei viel beachtete empirische Erhebungen zum ökonomischen Gewicht sportlicher Aktivitäten in der deutschen Volkswirtschaft zurück (vgl. Meyer & Ahlert, 2000; Weber et al., 1995). Danach beliefen sich sportbezogene Finanzströme in 1998 auf ein Gesamtvolumen von gut 27 Mrd. € mit einem Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 1,4 %. Damit trug der Sport nicht nur erheblich zur Schaffung von Einkommen und Beschäftigung in Deutschland bei, sondern wies auch mit knapp 4 % in der jüngeren Vergangenheit ein überdurchschnittliches Wachstum pro Jahr auf. Der private Verbrauch der Deutschen für den Sport (im Allgemeinen) bildete 1998 mit 20,8 Mrd. € die mit Abstand größte Endnachfragekomponente, wobei beachtliche 9,7 Mrd. € nichtsportspezifischen Produktionsbereichen zuflossen. Darin zeigt sich das für Freizeit- und Unterhaltungsdienstleistungen charakteristische komplementäre Konsummuster, welches auch die Sportwirtschaft kennzeichnet und für substanzielle Zahlungsströme zugunsten anderer Branchen sorgt (vgl. Kurscheidt, 2005, 2000). Neben dem Handel profitieren die Wirtschaftssektoren Transport und Gastronomie am stärksten – Branchen, die auch durch Sportgroßveranstaltungen stimuliert werden.
1.2
1.2
Gegenstand und Motivation der Untersuchung
17
Gegenstand und Motivation der Untersuchung
Hauptgegenstand und übergeordnete Intention dieser Studie ist, die konsuminduzierte wirtschaftliche Wirkung eines aus nationaler Sicht einmaligen Mega-Events – der FußballWM 2006 – für die strukturellen Verhältnisse in Deutschland möglichst präzise zu bestimmen. Dabei liegt der Fokus auf dem veranstaltungsbedingten Konsum, weil die anderen ökonomisch entscheidenden Primärimpulse wie einerseits die Ausgaben des Organisationskomitees (OK) und andererseits die WM-bezogenen (Sport-)Infrastrukturinvestitionen hinreichend bekannt sind, um die intersektoralen Verflechtungen und gesamtwirtschaftlichen Effekte zu berechnen. Demgegenüber stellt die Ermittlung der wirtschaftlich relevanten Anzahl der WM-Besucher und deren Konsumausgaben während der FußballWM eine besondere methodische Herausforderung dar. Bevor dieser Umstand anhand der Literaturlage deutlicher herausgearbeitet werden kann, ist aber zunächst die Motivation der Studie genauer in den Gesamtzusammenhang jüngerer Entwicklungen und deren Erforschung einzuordnen. Da der Spitzensport essentiell auf Wettkampfbegegnungen beruht, die im Zuge der fortschreitenden Professionalisierung immer stärker vermarktet werden (Kommerzialisierung des Sports), bilden Sportgroßveranstaltungen wie die Fußball-WM eine zentrale Antriebsfeder für weite Bereiche der Sportmärkte und für die mit ihnen verflochtenen Branchenteile außerhalb des Sports (u. a. Kurscheidt, 2000; Mullin, Hardy & Sutton, 2000; Andreff, 1999). Die Groß-Events heben sich aufgrund ihres Ereignischarakters vom sportlichen Alltagsgeschehen wie beispielsweise den Sportligen ab. Daher fokussiert sich gleichermaßen das Interesse der Metropolen und mittelgroßen Städte wie auch der Sportverbände nicht nur in Deutschland darauf, Spitzenveranstaltungen zu akquirieren, um den Sport und damit indirekt die regionale Wirtschaft zu fördern. Eine hervorgehobene Stellung in jenem internationalen Markt der Sportgroßveranstaltungsserien – mit den Weltfachverbänden als Anbieter auf der einen und den Städten und Nationalverbänden als kooperierende Nachfrager auf der anderen Seite – nimmt die exklusive Kategorie der erwähnten Mega-Events ein. Dazu gehören nach schlüssiger und zunehmend anerkannter Auffassung nur Olympische Winter- und Sommerspiele sowie Fußball-Weltmeisterschaften (v. a. Hall, 1992, 1989; siehe auch Fanelsa, 2003; Rahmann et al., 1998; Spilling, 1999, 1996). Diesen folgen die – allerdings regional beschränkten – Asian Games, Commonwealth Games und Pan-American Games sowie die Fußball-Europameisterschaften (sog. EURO). Zum einen setzen sich sportliche Mega-Events nach allen quantitativen und qualitativen Größenmaßstäben (d. h. Teilnehmerfeld, Zuschauerzahlen, Medieninteresse, ökonomische Auswirkungen, Bedeutung, Prestige, Investitionen etc.) klar von anderen Sportgroßveranstaltungen ab. Zum anderen weisen sie als einzige eine Universalität und damit geografische sowie sozio-politische Unabhängigkeit von konkreten Ausrichtungsorten auf. Sie können in diesem Sinne als „footloose industries“ (Häußermann & Siebel, 1993, S. 29) bezeichnet werden.
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Einleitung
Bewerbungen um Sportgroßveranstaltungen erleben seit einigen Jahren gerade in Deutschland einen Boom. So wurden die Kandidaturen um die Fußball-WM 2006, Hockey-WM 2006, Handball-WM 2007, Turn-WM 2007, Leichtathletik-WM 2009, Fußball-WM 2011 der Frauen und viele mehr gewonnen. Vor diesem Hintergrund sowie im Zuge der Olympiabewerbungen für die Sommerspiele im Jahr 2012 und aktuell der Winterspiele 2018 hat sich das ohnehin vorhandene Interesse an der Austragung beachteter Sportwettkämpfe noch verstärkt. Allein im Jahr 2007 wurden in Deutschland 14 Weltmeisterschaften ausgetragen, davon acht in olympischen Sportarten. Angesichts knapper öffentlicher Ressourcen versuchen die Politiker, mit einer solchen „Festivalisierung der Stadtpolitik“ (Häußermann & Siebel, 1993) substanzielle autonome Wachstumsimpulse durch Sportgroßereignisse auszulösen. Dabei haben sie nicht nur die Infrastrukturentwicklung und den durch die weltweite Berichterstattung induzierten Imageeffekt im Sinn, sondern es wird auch ganz konkret auf die erheblichen Konsumausgaben des lokalen Organisationskomitees und der Besucher des Groß-Events abgezielt, weil diese überwiegend autonom sind und somit der regionalen Wirtschaft einen beträchtlichen Impuls geben können. Hieran wird deutlich, dass ein vordergründig sportpolitisches Interesse an einer Großveranstaltung maßgeblich durch wirtschaftspolitische Ziele mitbestimmt wird. Mit sportlichen Großereignissen wird ein komplexes Zielsystem verfolgt, wobei die ökonomische Perspektive – z. B. aus Sicht der Sportverbände – auch eine untergeordnete Rolle spielen kann. Regionalpolitisch ist eine wirtschaftliche Kalkulation allerdings notwendig, um zu entscheiden, ob man überhaupt in den durchaus kostspieligen Bieterwettbewerb um die Ausrichtung einer Sportgroßveranstaltung eintreten soll. Ist der Zuschlag erteilt, so haben die Städte im Rahmen der Vorbereitungen mitunter hohe Kosten zu tragen. Bei der Fußball-WM 2006 waren dies insbesondere öffentliche Mittel für den Bau einiger Stadien (v. a. Berlin und Leipzig) sowie die Modernisierung weiterer Arenen und die Verbesserung der allgemeinen Infrastruktur zumindest an Verkehrsknotenpunkten (u. a. im Stadionumfeld). Der Ausbau Letzterer erfolgte vor allem unter dem Gesichtspunkt, die Besuchermassen zu beherbergen, zu unterhalten, zu transportieren und zu versorgen. Diesen Ausgaben standen indes kaum direkte fiskalische Rückflüsse durch die WM gegenüber. Indirekt profitierte ein Spielort aber dadurch, dass er sich als attraktiver bzw. produktiver Wirtschafts-, Wohn- und Tourismus-Standort präsentierte. Der wesentliche Teil autonomer Mittel, die durch die Fußball-WM 2006 in die Austragungsstädte geflossen sind, waren – neben Landes- und Bundeszuweisungen für Stadion- und sonstige Infrastrukturinvestitionen – die Ausgaben der auswärtigen Besucher vor Ort. Jede seriös angelegte Wirtschaftlichkeitsberechnung einer Sportgroßveranstaltung bedarf also einer soliden Kenntnis der Konsumausgaben von Event-Touristen und Erkenntnissen über die Änderung von Konsummustern der einheimischen Besucher, um den ökonomischen Nutzen für die Region annähernd realistisch zu prognostizieren. In der sportökonomischen Literatur zu Groß-Events sind theoretische Abhandlungen zu Konsummustern der
1.2
Gegenstand und Motivation der Untersuchung
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Zuschauer jedoch kaum zu finden. Nur wenige unabhängige Event-Studien beziehen sich auf empirisch ermittelte Konsummuster. Sie stammen etwa aus den USA (Crompton, 1999), aus England (Gratton, Dobson & Shibli, 2000) und Deutschland (Gans, Horn & Zemann, 2003). Bis auf Lee & Taylor (2005), die sich mit der Fußball-WM 2002 (auf Südkorea beschränkt) befassen, untersuchten diese Autoren aber vergleichsweise kleinere Festivals und Sportveranstaltungen. Konsumausgaben der Besucher von sportlichen Großereignissen wurden von den Verfassern dieser Studie bei den Commonwealth Games in Manchester 2002 (Deutsche Sporthochschule Köln), Asian Games in Busan 2002 (Universität Mainz), den Olympischen Spielen in Athen 2004 (Universität Mainz), dem FIFA Confederations Cup 2005TM (fortan Confed-Cup; Universität Mainz und Ruhr-Universität Bochum), der Hockey-WM 2006, Handball-WM 2007 und Turn-WM 2007 (alle Universität Mainz) in Deutschland erhoben. Gegenwärtig besteht in der Event-Forschung noch immer große Unsicherheit über das Konsumausmaß und die Konsumwirkung bei Sportgroßveranstaltungen. Der Mangel an unabhängigen, wissenschaftlich begleiteten empirischen Untersuchungen führt zu einer großen Streuung in den Prognosen der zahlreichen auf dem Markt zu findenden Impaktstudien, die zu sportlichen Großveranstaltungen angefertigt wurden. Häufig wird in diesen Arbeiten daher auf bekannte Konsummuster von Touristen der Region zurückgegriffen und einfach mit der Anzahl der zur Verfügung stehenden Eintrittskarten multipliziert. Mit diesem Vorgehen wird weder in lokal ansässige und auswärtige Besucher bzw. danach unterschieden, wer wirklich autonome Ausgaben tätigt. Auch differieren die allgemeinen Konsummuster teils erheblich in verschiedenen Städten und erst recht von denen der Event-Touristen. In Anbetracht der Bedeutung touristischer Ausgaben bei einer Sportgroßveranstaltung bot sich für Deutschland im Hinblick auf die Fußball-WM 2011 der Frauen, die Leichtathletik-WM 2009 und eine Bewerbung um Olympische Winterspiele 2018 in München mit der Fußball-WM 2006 auf längere Sicht die einmalige Chance, das event-bezogene Konsumverhalten von sowohl internationalen als auch inländischen Besuchern in der Bundesrepublik zu erheben. Daraus lassen sich Implikationen für die aktive Optimierung der regionalwirtschaftlichen Auswirkungen im Vorfeld kommender Sportgroßereignisse in Deutschland ableiten. Mithin ist es das Ziel der vorliegenden Studie, weder speziell den Fußball zu erkunden, noch das Erlebnis der Fußball-WM für die Bevölkerung und die ausländischen Besucher zu berechnen. Vielmehr wird darauf abgestellt, mit Hilfe der Erkenntnisse aus dieser Untersuchung zukünftige Sportgroßveranstaltungen effizient planen zu können, nicht zuletzt mit dem Ziel, den Einsatz öffentlicher Subventionen zu optimieren. Daher liegt das Hauptaugenmerk eben nicht auf der ökonomischen Wirkungsanalyse der FußballWM 2006 selbst – diese ist eher ein „Nebenprodukt“ –, sondern auf der Übertragung grundlegender empirisch-methodischer Einsichten für die Begleitforschung zu und der Organisation von zukünftigen Sportgroßveranstaltungen. Die Forschungsfragen dieser
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Einleitung
Studie sind daher in einem weiteren Kontext der sozio-ökonomischen Analyse von sportlichen Großereignissen zu sehen. Insbesondere soll die Untersuchung zu einer Verbesserung der Methodik zur Ermittlung wirtschaftlicher Effekte von Mega-Events und Sportgroßveranstaltungen beitragen. In diesem Zusammenhang stellen die Reise- und Konsummuster der Besucher der Fußball-WM 2006 das primär in dieser Studie untersuchte Objekt dar. Die vorstehende Problemskizze deutet bereits an, dass eine geeignete sozio-ökonomische Analyse der Konsummuster von Besuchern einer Sportgroßveranstaltung ein nach wirtschaftlichen Kriterien determiniertes Modell erfordert. Dieses muss konsumökonomische Überlegungen, psychologische Verhaltensmuster und die wirtschaftliche Stärke eines Standortes berücksichtigen. Ein solcher, in der Sportökonomik neuartiger Ansatz auf einer soliden Datenbasis soll Erkenntnisse zu bisher vernachlässigten Forschungsfragen am Gegenstand der Fußball-WM 2006 liefern: 1. Welche ökonomische Bedeutung hatten die Besucher der Fußball-WM und welche wesentlichen Faktoren beeinflussten diese? 2. Welche konsumtiven, soziodemographischen und psychographischen Unterschiede gab es bei den Zuschauern der Public Viewings und denjenigen im Stadion? 3. Welche soziodemographischen, psychographischen o. ä. Variablen beeinflussten das Konsummuster der Besucher der Fußball-WM 2006? Kann das Konstruktionsmuster des Besucherkonsums überhaupt durch bestimmte Faktoren erklärt werden? 4. Welches Reiseverhalten hatten die Besucher der Fußball-WM, und welche unabhängigen Variablen beschreiben dieses? 5. Welche gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen (BIP, Arbeitsplätze, Steuerrückflüsse) hatte die Fußball-WM 2006 durch die WM-Besucher? 6. Welche methodischen Erkenntnisse können aus dieser empirischen Erhebung für die zukünftige Event-Forschung gewonnen werden? Können Ex-ante-Schätzungen zu den Auswirkungen zukünftiger Sportgroßveranstaltungen verbessert werden?
1.3
1.3
Aufbau der Untersuchung
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Aufbau der Untersuchung
In Kapitel 2 dieser Studie erfolgen zunächst eine event-ökonomische Betrachtung der Fußball-WM 2006 sowie eine definitorische Eingrenzung des Untersuchungsfeldes. Es wird herausgestellt, dass im Rahmen dieser Studie, nur ein Teil der wirtschaftlichen Wirkungen der Fußball-WM berechnet wird. Außerdem behandelt dieses Kapitel die theoretischen Grundlagen und stellt den Stand der empirischen ökonomischen Impaktforschung zu Sportgroßveranstaltungen dar. Es wird vor allem begründet, worin die Stärken der „bottom-up“ gestalteten empirischen Datenerhebung liegen, um die direkten gesamtwirtschaftlichen Wirkungen der Fußball-WM zu berechnen. Schließlich werden die grundlegenden kreislauf- und tourismustheoretischen Aspekte von Sportgroßveranstaltungen erörtert, insbesondere die theoretischen Betrachtungen der wirtschaftlich relevanten Konsumausgaben von Sport-Event-Touristen. In Kapitel 3 werden die verschiedenen zum Einsatz kommenden Methoden dargelegt, begründet und hinsichtlich ihres Beitrags zu den offenen Forschungsfragen diskutiert. Ferner wird zur Repräsentativität der empirisch erhobenen Daten Stellung genommen. Kapitel 4 charakterisiert zuerst die WM-Besucher im Stadion und bei den Public Viewings auf Grundlage soziodemographischer und psychographischer Daten. Dann folgt eine Detailanalyse der einzelnen Elemente des Reisemusters (Aufenthaltsdauer, Beherbergungsart, Anreise zum WM-Quartier, Organisation der WM-Reise, Aufenthaltsorte während der Fußball-WM sowie die Zwischen- und Anschlussreisen) und des Konsummusters (Merchandiseartikel, Eintrittskarte, Gastronomie, Shopping, Übernachtung, tägliche Anreise). Erst danach werden spezielle Bestimmungsfaktoren geprüft, die sich signifikant auf das Reise- und Konsummuster auswirken. In Kapitel 5 wird das komplexe Modell beschrieben, auf dessen Grundlage der wirtschaftliche Primärimpuls durch den Konsum der Fußball-WM-Besucher berechnet wurde. Dazu ist das Modell zunächst theoretisch zu formulieren und dann zu erläutern, unter welchen Annahmen es in dieser Studie auf die Fußball-WM angewendet wurde. Anschließend werden die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen durch die Konsumausgaben der WMBesucher für Deutschland dargestellt und mögliche Verdrängungswirkungen erläutert. Schließlich bietet Kapitel 6 ein zusammenfassendes Fazit und eine vertiefende Diskussion. Es widmet sich zunächst der Notwendigkeit zur exakten Bestimmung des Primärimpulses durch eine primärempirische Erhebung, um die gesamtwirtschaftliche Wirkung der Fußball-WM 2006 treffend berechnen zu können. Erörtert werden dabei die Stärken und Schwächen des angewendeten „Bottom-Up“-Ansatzes. Das Kapitel befasst sich nachfolgend v. a. mit methodischen Ansätzen zur Reduktion des aufwändigen Forschungsdesigns, damit künftige Erhebungen mit demselben Ziel forschungsökonomischer angelegt werden können, ohne damit das Ergebnis signifikant zu verschlechtern. Anschließend geht es dann noch einmal auf die zentralen Befunde ein und bietet Erklärungen für die erhebliche Varianz innerhalb der Konsummuster der Fußball-WM-Besucher. Abschließend werden die
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Einleitung
durch den Konsum der WM-Besucher induzierten gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen weiterführend reflektiert.
2
Ökonomischer Impakt von Sportgroßveranstaltungen
2.1
Event-ökonomische Betrachtung der Fußball-Weltmeisterschaft
Das gesellschaftliche Phänomen geplanter Veranstaltungen, die mitunter durch eine erhebliche Anzahl von Teilnehmern und Zuschauern und hohe Werte bei anderen Größenmerkmalen gekennzeichnet sind, ist keine Erscheinung der (Post-)Moderne, sondern eine anthropologische Konstante, die sich weit in der Geschichte zurückverfolgen lässt (Green, 2001; Klein, 1996). Jedoch entstand erst im Zuge eines quantitativen Wachstums und substanzieller qualitativer Veränderungen dieser Gesellschaftsereignisse sowie deren Wahrnehmung seit den 1980er Jahren eine zunehmend eigenständige, interdisziplinäre EventForschung, die zunächst vornehmlich aus der angelsächsischen Freizeit- und Tourismuswissenschaft hervorgegangen ist (v. a. Hall, 1992, 1989; Getz, 1991; Syme et al., 1989; AIEST, 1987; Burns, Hatch & Mules, 1986; Ritchie, 1984). Aus sozio-ökonomischer Perspektive lassen sich auf der Nachfrage- und Angebotsseite zwei zentrale gesellschaftliche Prozesse identifizieren, welche jene realen sowie wissenschaftlichen Entwicklungen angetrieben haben. In allen wohlhabenden Nationen beobachtet man Individualisierungs- und Pluralisierungstendenzen, die zu einer Suche nach Bezugsgruppen in „Szenen“ und einer hohen Wertschätzung eines „Erlebniskonsums“ geführt haben (v. a. Schulze, 2000). Diesen Bedürfnissen entsprechen die konstitutiven Merkmale der heutigen Events mit ihrem zeitlich beschränkten, interaktiven Ereignischarakter in idealer Weise. Darauf beruht schließlich die herausragende Aufmerksamkeits- und Attraktivitätswirkung der erlebnisbezogenen Veranstaltungen in der Wahrnehmung der Menschen, weil sie sich aus der sonstigen Kontinuität des jeweiligen Umfelds abheben. Deshalb wird in der deutschsprachigen Literatur zur gesellschaftlichen Analyse von Events auch von einer „Soziologie des Außergewöhnlichen“ (Gebhardt, Hitzler & Pfadenhauer, 2000) gesprochen. Wirtschaft und Politik haben auf diese Nachfragetrends mit innovativen Veranstaltungsangeboten zu gewerblichen Zwecken sowie einer Instrumentalisierung der Ereignisse für übergreifende Zielbereiche reagiert und damit das eigentliche Wachstum der Event-Branche erzeugt. Neben dem direkten kommerziellen Interesse, durch Zuschauereinnahmen, die Veräußerung von Werbe- und TV-Übertragungsrechten, Merchandising sowie Catering betriebliche Umsätze zu generieren, werden von den Austragungsregionen der Großveranstaltungen wirtschaftspolitische Ziele verfolgt. Im Vordergrund stehen hier die ökonomischen Auswirkungen der Ereignisse im engeren Sinne und ihr Zusammenhang mit der Event-Ausrichtung, d. h. Einkommens- sowie Beschäftigungseffekte. Diese werden vornehmlich durch die Investitionsausgaben für veranstaltungsbedingte Infrastrukturen im Vorfeld, denen allerdings Finanzierungskosten gegenüberstehen, sowie durch die Konsumausgaben der Event-Besucher während des Ereignisses angestoßen (u. a. Rahmann et al., 1998). Dabei verwenden die Event-Touristen ihr Geld nicht nur für den Veranstaltungskonsum selbst (v. a. Eintrittskarte, Verpflegung
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Ökonomischer Impakt von Sportgroßveranstaltungen
und Fanartikelkäufe vor Ort), sondern sie haben – v. a. als Übernachtungsgäste – auch Aufwendungen für Kost und Logis, Souvenirs, Transport sowie weitere Vergnügungen (sog. komplementärer Konsum). Jene event-externen Kaufkraftzuflüsse kommen einer Reihe von Wirtschaftszweigen zugute, die tourismusrelevante Sachgüter und v. a. Dienstleistungen anbieten, wie zuvorderst die Hotel- und Gastronomiebranche. Von den investiven Maßnahmen profitieren die Bauindustrie und -dienstleister, die in der Folge ihre Wirkung als Konjunkturtreiber entfalten sollen, während der Besucherkonsum weiter zur Stärkung der Tertialisierung in den typischerweise städtischen Austragungsregionen beiträgt. Insgesamt bettet sich der Veranstaltungstrend mit diesen mesoökonomischen Vorgängen in den allgemeinen Strukturwandel zugunsten der Freizeit- und generell der Dienstleistungsbranchen ein. Darüber hinaus kann die intensive Wahrnehmung der Großereignisse – bei überlegtem Einsatz – für Kommunikationsziele über die Großveranstaltung hinaus effektiv genutzt werden, was sich wiederum mittel- bis langfristig wirtschaftlich positiv niederschlagen dürfte (v. a. Chalip & Costa, 2005; Chalip & McGuirty, 2004; Clausen, 1997). Für die Ausrichtungsorte sind Zielgruppen in diesem Kontext betriebliche Investoren, Touristen und produktive Arbeitsbevölkerung, wobei die jeweilige Gewichtung unter diesen Personenkreisen von der regionalen Ausgangskonstellation abhängt. Idealerweise sollen über Bekanntheits- und Imageeffekte – verstärkt durch die mediale Berichterstattung – Folgeinvestitionen und Folgetourismus (Preuss, 2007b) sowie eine günstige Bevölkerungsentwicklung stimuliert werden. Außerdem sind positive Wirkungen für gesellschaftlich relevante Sozialisations-, Integrations- und Identifikationsprozesse sowie eine Förderung der Völkerverständigung (sog. Bildung von Sozialkapital) intendiert. Jedoch weisen diese Effekte auch Gefahren auf, insbesondere im Sicherheitsbereich (v. a. Gewaltakte durch Rowdies, Hooligans oder Terroranschläge). Ebenso sind die vorgenannten wirtschaftlichen Wirkungen nicht frei von Risiken. So können – event-bedingt – auch „normale“ Städtetouristen oder die übliche Investitionstätigkeit unter anderem durch event-induzierte Preissteigerungen verdrängt werden (sog. Crowding-out). Es gilt grundsätzlich, dass die hier nur kurz skizzierten sozio-ökonomischen Effekte der Austragung von Großereignissen einen Potenzialcharakter haben (siehe für umfängliche Beschreibungen und Problematisierungen dieser Wirkungskomplexe u. a. Gans, Horn & Zemann, 2003; Allen et al., 2002; Getz, 1997; Schneider, 1993; Ritchie, 1984). Ob, wann und in welchem Ausmaß sie sich bei einer Veranstaltungsausrichtung manifestieren, ist empirisch im Einzelfall zu prüfen, und zwar prognostisch als Planungsgrundlage im Vorfeld (Ex-ante-Analyse) und/oder evaluierend im Nachhinein als Erfolgsmessung und Erfahrungssicherung für die Zukunft (Ex-post-Analyse). Insbesondere mit dieser Thematik hat sich – abgesehen von frühen, viel kritisierten Auftragsstudien (siehe hierzu etwa Crompton, 1995; Getz, 1994) und ersten unabhängigen Vorläufern (z. B. Burgan & Mules, 1992; Burns, Hatch & Mules, 1986; Davidson & Schaffer, 1980) – seit etwa Mitte der 1990er Jahre verstärkt die ökonomische Literatur zu (sportlichen) Groß-Events befasst (u. a. Kurscheidt, 2006; Preuss, 2004b; Fanelsa, 2003; Jeanrenaud, 1999; Preuß, 1999;
2.1
Event-ökonomische Betrachtung der Fußball-Weltmeisterschaft
25
Steiner & Thöni, 1999, 1995; Maennig, 1998; Rahmann et al., 1998, und die dortigen Verweise). Erst in den letzten Jahren hat sich aus dieser Zunahme an Publikationen sowie aus der betriebswirtschaftlichen Schwesterdisziplin des Event-Managements (siehe v. a. Allen et al., 2002; Getz, 1997, 1991; Hall, 1992) ein spezialisiertes Teilgebiet herausgebildet, welches als Event-Ökonomik bezeichnet werden kann (Kurscheidt, 200). Dieser neueren Literaturströmung, die sich der ökonomischen Erforschung von (Groß-) Veranstaltungen über die rein kreislauftheoretisch-volkswirtschaftlichen Zusammenhänge hinaus widmet (siehe dazu z. B. Baade & Matheson, 2002, 2001, 2000; Crompton, 1995), schließt sich die vorliegende Studie an. Angesichts der multidimensionalen Wirkungen der Großereignisse auf die Gesellschaft und der Vielfältigkeit der heutigen Events dürfen dabei eine institutionelle Betrachtung sowie die Verfolgung von Elementen eines sozio-ökonomischen Ansatzes nicht ausbleiben. Im Folgenden sollen daher zunächst die ökonomisch relevanten Aspekte der Fußball-WM sowohl auf der Basis der allgemeinen als auch der wirtschaftswissenschaftlichen Event-Forschung theoretisch und anhand verallgemeinerter Fakten untersucht werden. Vor diesem Hintergrund lässt sich im nächsten Schritt der Kenntnisstand der sportökonomischen Impaktforschung in Anbetracht der mittlerweile umfangreichen Literatur spezifischer darstellen. Daraus ergeben sich die methodischen Ansätze zur Lösung der ökonomischen Prognose- und Evaluierungsproblematik, deren Messprobleme, dieses Kapitel abschließend, behandelt werden. Terminologisch ist an dieser Stelle festzuhalten, dass das zuvor knapp umrissene „neue“ Veranstaltungsphänomen mit den unterliegenden Gesellschafts- und Wirtschaftsprozessen (u. a. Interaktivität unter Gleichgesinnten, komplementärer Erlebniskonsum, Tertialisierung) nach Gebhardt, Hitzler & Pfadenhauer (2000) unter den prägnanten Begriff „Eventisierung“ subsumiert wird. Von dem Event-Terminus ausgegrenzt werden sollen jedoch alle Veranstaltungen, die in der Regel einen jährlichen Austragungsturnus unterschreiten. Im Sportsystem zählen hierzu insbesondere Wettkampfbegegnungen im Rahmen von Ligen-Meisterschaften, sodass neben Turnieren im Individual- und Mannschaftssport allenfalls noch Endspiele einer Playoff-Serie zum Ende einer Ligasaison (z. B. der „Super Bowl“; Baade & Matheson, 2000; Porter, 1999) unter den hier verwendeten Begriff des Events fallen. Dessen ungeachtet sind aus soziologischer Perspektive auch hier Charakteristika der Eventisierung zu beobachten (Inszenierung mit Rahmenprogramm und Showelementen usw.; Knoblauch, 2000). Ebenso wird die in jüngster Zeit stark zunehmende Anzahl von Veröffentlichungen zu Unternehmensveranstaltungen nach dem neuartigen metakommunikativen Konzept des Event-Marketing weitgehend ausgeklammert (u. a. Drengner, 2003; Nufer, 2002; Sistenich, 1999; Nickel, 1998). Schließlich ist anzumerken, dass in der vorliegenden Untersuchung die Begriffe (Groß-)Veranstaltung und Ereignis synonym zu dem erläuterten Event-Terminus gebraucht sowie nach dem neueren Verständnis aufgefasst werden. Für genauere – hier weniger relevante – sozialtheoretische Differenzierungen zu den Begrifflichkeiten sei etwa auf Knoblauch (2000) verwiesen.
Ökonomischer Impakt von Sportgroßveranstaltungen
26
2.1.1
Die Fußball-WM als ‚Mega-Event’ – eine institutionelle Analyse
Neben der grundlegenden Abgrenzung des Event-Begriffs hat die institutionell systematisierende Literatur3 insbesondere fünf Merkmale zur Unterscheidung der Veranstaltungen erarbeitet: (1) (2)
(3) (4) (5)
Veranstaltungsturnus (aus Sicht des Austragungsorts) Event-Konzeption (zentrale Produkt- bzw. Markenmerkmale zur Erzeugung eines Wiedererkennungswerts unter Wahrung der Einzigartigkeit der jeweiligen Ausrichtung) Zeit (Event-Dauer und Intensität des Programmablaufs) Austragungsinhalt (sportlich, kulturell, sonstig) Größe (als qualitatives Bedeutungsmaß)
Während im Bereich von Kunst und Kultur, einschließlich historischer Jubiläumsfeiern und Konzerte, intendiert singuläre Ereignisse (z. B. Christo’s Reichstagsverhüllung) von Bedeutung sind, stellen sie im Sport eher die Ausnahme mit vergleichsweise geringer Relevanz dar (z. B. Show-Wettkämpfe, Benefiz-Spiele, Rekordversuche wie Weltumseglungen). Typischerweise handelt es sich um regelmäßige Veranstaltungen im Rahmen einer Event-Serie (Kurscheidt, 2006). Hier ist indessen zu differenzieren zwischen GastEvents, die in einem Turnus von zumeist ein bis vier Jahren an unterschiedlichen Ausrichtungsorten stattfinden (insbesondere die Welt- und Europameisterschaften der jeweiligen Sportfachverbände), und in der Regel traditionsreichen Turnieren an einem festen Standort wie etwa im Tennis- und Golfsport (z. B. Wimbledon). Aus Sicht der lokalen/regionalen Ausrichter stellen die einzelnen Durchführungen des sportlichen Event-Formats jedoch oftmals ein singuläres Ereignis dar, weil eine Wiederholung einer Veranstaltung aus einer herausragenden Turnierserie oftmals kaum oder nur in größeren, teilweise sogar in generationellen Zeitabständen – wenn überhaupt – planbar ist (Rahmann et al., 1998). Im längeren Zeitverlauf kristallisiert sich bei den meisten Veranstaltungsserien nach dem historischen Ursprung über die Jahrzehnte ein bewährter Wettbewerbsmodus (sportliches Format) heraus, der allerdings im Durchführungsmodus (Event-Management der ausrichterspezifischen Umsetzung) immer wieder an den Zeitzusammenhang angepasste Modifikationen bzw. Innovationen erfahren kann (Kurscheidt, 2008). Es muss sich indes ein Wiederkennungswert des Events als Produkt und (Qualitäts-)Marke einstellen, um den langfristigen Erfolg der Serie zu gewährleisten. Damit sind Erscheinungsbilder (Namen, Logos, Farben etc.) und standardisierte Abläufe gemeint, die unter den Begriff Event-Konzeption oder -Format gefasst werden können (Getz, 1997). Dessen ungeachtet repräsentiert jede Austragung wieder einen Einzelfall, da die sportlichen und gesellschaftlichen Konstellationen durch unterschiedliche Zuschauer- und Teilnehmerkreise sowie Ereignisse substanziell ständig variieren. Dadurch bleiben der Reiz der für Events konstitutiven Außer3
u. a. Fanelsa, 2003; Allen et al., 2002; Rahmann et al., 1998; Getz, 1997; Schneider, 1993; Hall, 1992, 1989; Ritchie, 1984.
2.1
Event-ökonomische Betrachtung der Fußball-Weltmeisterschaft
27
gewöhnlichkeit sowie die damit verbundene Spannung und das immer wieder neue Erlebnis erhalten. Die zeitliche Dimension zeigt sich in der – meist langfristigen – Entwicklung der EventSerie, der Dauer der eigentlichen Veranstaltungsaustragung sowie in einzelnen Abschnitten des für das Event-Format charakteristischen Programmablaufs. Danach lassen sich beispielsweise grobe Unterscheidungen in traditionelle oder neuere Trendveranstaltungen, in kurze oder längere Ereignisse und Events mit zunehmender oder gleichverteilter bzw. abnehmender Intensität der jeweiligen Durchführung treffen. Vor allem die beiden letzteren Punkte sind von durchaus entscheidender Bedeutung für die sozio-ökonomischen Auswirkungen (Kurscheidt, 200; Fanelsa, 2003; Schneider, 1993). Die größte Vielfalt weist die Differenzierung von Events nach dem Austragungsinhalt bzw. der Zuordnung nach Gesellschaftsbereichen auf (Kurscheidt, 200; Getz, 1997). Vereinfacht wird allerdings oft grob in die Hauptkategorien Sport-, Kunst- und Kultur-Events sowie sonstige Events unterschieden. Obwohl sich der weit überwiegende Teil der Event-Forschung fast ausschließlich mit Großveranstaltungen beschäftigt, stellt sich gerade das zentrale Kriterium der Größe als besonders problematisches Merkmal dar (Schneider, 1993). Schließlich ist das Merkmal Größe mit absolutem Maßstab kaum sinnvoll zu erfassen, sondern es muss ähnlich dem Ereignischarakteristikum von Events relativ zu dem jeweiligen Umfeld gesehen werden. Dafür ist jedoch sowohl für die betrachtete Veranstaltung als auch deren geografische und gesellschaftliche Umgebung der treffende Größenmaßstab festzulegen. Auf der EventSeite können als quantitative Indikatoren subjektbezogene Größen wie Teilnehmer- und Besucherzahlen, Medienreichweite, Flächen- und Baubedarf oder Wertgrößen wie Investitions-, Kosten-, Umsatz- oder Gewinnsummen herangezogen werden. Alle diese Variablen sind jedoch nicht unabhängig, sondern korrelieren untereinander. Überdies resultieren sie aus qualitativen Dimensionen wie Veranstaltungsinhalt, -image und -programm, Präferenzen der Zielgruppen, dem außeralltäglichen Ereignischarakter etc., deren Ausprägungen schwerlich zu fassen sind und sich nur relativ zu gesellschaftlichen oder systemischen Bezügen erschließen. Auch das Event-Umfeld liefert insofern keinen konstanten Verhältnismaßstab, als dessen Abgrenzung vorab zu definierenden Konventionen und somit teils subjektiven Einschätzungen unterliegt sowie gleichzeitig eine Restriktion für die obigen Indikatoren darstellt (Kapazitätsgrenzen vorhandener Infrastrukturen, geografisch-topografische Gegebenheiten, Siedlungsstrukturen, öffentliche Haushaltslage etc.). Daher gelingt es auch nicht, über Relationen wie z. B. Event-Besucher oder Investitionen pro Einwohner des Austragungsortes objektive und definitorisch aussagekräftige Veranstaltungskategorien aus quantitativen Größenordnungen abzuleiten. Fanden sich in der frühen Event-Literatur noch Klassifizierungsversuche nach solchen Maßzahlen, so begnügt sich die heutige Veranstaltungsforschung damit, dass der Größenbegriff eher als qualitatives oder psychologisches Bedeutungsmaß im Hinblick auf das Event-Management und die standortpolitische Nutzung zu
Ökonomischer Impakt von Sportgroßveranstaltungen
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verstehen ist. Denn letztlich wird der Erkenntnisfortschritt durch eine diffuse Unterscheidung zwischen großen und kleinen Ereignissen nicht entscheidend eingeschränkt, während zweifelhafte quantitative Parameter irreführend sein könnten. Vor diesem Hintergrund wurde in der Event-Literatur eine dreigeteilte konzeptionelle Typologie von Großveranstaltungen nach Special-, Hallmark- und Mega-Events vorgeschlagen, die jedoch teilweise missverständlich dargestellt wurde.4 Dabei erscheint es am fruchtbarsten, diese Event-Typen nach den primären Intentionen und Funktionen der Großereignisse zu differenzieren (Kurscheidt, 200). Nach dieser Vorstellung liegt den Special-Events ein besonderer thematischer Anlass zugrunde (z. B. ein sportlicher Wettkampf), wozu ein konkretes Ergebnis (z. B. Ermittlung eines Siegers) und eine inhaltliche Identitätsvermittlung durch die Veranstaltung (z. B. mit einer Sportart) erzeugt werden sollen (Analoge Beispiele ließen sich etwa für Kultur-Events nennen.). Dagegen steht bei Hallmark-Events der regionale (Marken-)Bezug mit dem Hauptziel einer touristischen Attraktivitätssteigerung und Anreicherung der Destinationenmarke klar im Vordergrund. Dies sollte von dem „Hallmarkcharakter“ unterschieden werden, den (sehr) traditionsreiche Special-Events nach langjähriger Wiederholung an einem Austragungsort typischerweise annehmen. So waren beispielsweise die ursprünglichen Intentionen der „Kieler Woche“ die Tourismusförderung und das Standortmarketing. Heute werden solche Veranstaltungen – wie auch die boomenden Stadtmarathons – aber entsprechend regionalpolitisch genutzt. Die Events sind untrennbar mit dem Ort verbunden oder sogar „umgekehrt“ wie etwa Wimbledon mit den English Open im Tennis. Mega-Events sind schließlich – nach der überzeugenden und sich zunehmend durchsetzenden Abgrenzung von Hall (1992, 1989)5 – eine exklusive Gruppe von nur vier herausragenden Ereignissen: (1) Olympische Winter- und (2) Sommerspiele, (3) Fußball-Weltmeisterschaften und (4) EXPO-Weltausstellungen. Sie heben sich durch ihre weltweite Bekanntheit, besondere Größe und universelle Bedeutung von allen anderen Veranstaltungen ab. Sie sind durch ein starkes Eigenimage bzw. eine event-spezifische Identität oder gar einen „Mythos“ (Getz, 1997, S. 6) gekennzeichnet. Gemäß ihrer grundlegenden Event-Konzeption und primären Ausrichtungsziele weisen diese Großereignisse die oben bereits knapp skizzierten unterschiedlichen sozio-ökonomischen Wirkungspotenziale auf, und zwar in Abhängigkeit von den Produktionsmöglichkeiten des betreffenden Austragungsorts (siehe auch Mondello & Rishe, 2004). Prinzipiell stoßen alle Großveranstaltungen Wohlfahrts-, Image- und sozio-kulturelle Wirkungskomplexe an, die es im Rahmen eines strategischen Event-Managements nach Effizienzgesichtspunkten zu evaluieren und zu steuern gilt (Kurscheidt, 200): (1)
4 5
Wohlfahrtswirkungen (weitgehend quantitativ/tangibel) Hauptziel: Schaffung von Einkommen und Beschäftigung einschließlich der fiskalischen Inzidenz (expansive Wirkungen)
Fanelsa, 2003; Allen et al., 2002; Rahmann et al., 1998; Getz, 1997; Hall, 1992. siehe auch Rahmann et al., 1998.
2.1
Event-ökonomische Betrachtung der Fußball-Weltmeisterschaft
29
Darüber hinaus sind sie … - investiv v. a. über die Stützung der Bauindustrie (neue Infrastruktur), - konsumtiv v. a. über Tourismusförderung, - konsumtiv v. a. über die Stärkung der Dienstleistungswirtschaft (Tertialisierung), - kontraktiv unter Kontrolle von Substitutions-, Verdrängungs-, Preis- und Finanzierungseffekten (Trade-offs). (2)
Kommunikations- und Imagewirkungen (weitgehend qualitativ/intangibel) Hauptziel: standortpolitische Signalwirkung und Markenführung - nach außen: Investorenwerbung und Positionierung in der Standortkonkurrenz - nach innen: „industrielles Selbstbewusstsein“ und „Euphorie-Effekt“ (verbessertes Investitions- und Konsumklima, erhöhte Arbeitsproduktivität) Dieses Ziel wird unter Kontrolle der Fiskalillusion infolge von „(interessen-)politischen Sendungsgewinnen“ (v. a. nach innen) verfolgt.
(3)
Sozio-kulturelle (Neben-)Wirkungen (weitgehend qualitativ/intangibel) Hauptziel: Stadt-, (lokale/regionale) Freizeit- und Gesellschaftsentwicklung (v. a. weiche Standortfaktoren) - über neue, verbesserte bzw. erweiterte (Freizeit- und Verkehrs-)Infrastruktur (teils harte Standortfaktoren und Optionalwert der Nutzungsmöglichkeit) - über soziale Interaktivität wie (Lokal-)Stolz, geteilte Emotionen, Integration, Identifikation und Völkerverständigung (v. a. Bildung von Sozialkapital) Dieses Ziel wird unter Kontrolle von Sicherheitsimplikationen bzw. -risiken (Abläufe, Hooliganismus, Terrorgefahr etc.) sowie unter Kontrolle von ökologischen Implikationen (Menschenmassen, Naturalressourcenverbrauch etc.) verfolgt.
Neben dieser neueren effizienztheoretischen Strukturierung in sozio-ökonomische Wirkungskomplexe findet man in der Event-Literatur auch die folgende Unterteilung nach Effektbereichen6, deren Heuristik allerdings nicht einheitlich ist: (1) (2) (3) (4) (5)
wirtschaftliche bzw. ökonomische Effekte, touristische Effekte, Auswirkungen auf die Stadtentwicklung bzw. Infrastruktur, sozio-kulturelle Effekte oder Funktionen, Auswirkungen auf den (lokalen/regionalen) Erlebnis- und Freizeitwert, teils auch unter psychologischen Wirkungen zusammengefasst, sowie politische Effekte.
Die Fußball-Weltmeisterschaft soll im Folgenden nach den vorgestellten Kategorien und Konzepten charakterisiert werden. Nach den in Tabelle 2.1 aufgeführten quantitativen als auch qualitativen Größendimensionen ist sie eindeutig den Mega-Events zuzuordnen. Vor diesem Hintergrund illustriert Abbildung 2.1, dass die Fußball-WM als global bedeut6
u. a. Fanelsa, 2003; Klein, 1996; Syme et al., 1989; Ritchie, 1984.
30
Ökonomischer Impakt von Sportgroßveranstaltungen
sames Großereignis (Charakteristikum der Universalität) mit sportlichem Austragungsinhalt über Mega-Veranstaltungen hinaus höchstens noch mit herausragenden SpecialEvents des Sports und – bereits unter (deutlichen) Abstrichen – aus Gesellschaftsbereichen wie Kunst und Kultur zu vergleichen ist. Infolge der weltweiten Ortsungebundenheit der Ausrichtung („footloose“-Eigenschaft) sind Parallelen zu regional orientierten HallmarkEvents höchstens in Teilaspekten des Event-Managements zu ziehen. Das hängt unter anderem mit dem besonders akzentuierten Eigenimage der – so der eingetragene Markenname – „FIFA Fußball-WeltmeisterschaftTM“ als Qualitätsmarke im Weltmarkt der Großveranstaltungen zusammen. Dieses Markenimage beruht auf einer gleichermaßen ausgeprägten nationalen wie auch sport-inhaltlichen Identitätsvermittlung. Zum einen wird die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit dadurch stark fokussiert, dass Wettkämpfe in nur einer Sportdisziplin Gegenstand des Mega-Ereignisses sind, welche zudem als die global am weitesten verbreitete und beliebteste Sportart gilt. Zum anderen treten Nationalmannschaften aus aller Welt an, um die beste Landesauswahl im Fußball zu ermitteln, was für eine zusätzliche Bündelung des Interesses aus außersportlichen, z. B. patriotischen Motiven sorgt. Ferner ist die vierjährige Ausrichtung stark national geprägt, weil erkennbar das gesamte Austragungsland mit mehreren Spielorten involviert ist und für das betreffende Event-Jahr mit der Fußball-WM assoziiert wird. Aus der Sicht eines Gastlandes ist indes diese übergeordnete Betrachtung der FIFA-Weltmeisterschaft als Sportgroßveranstaltung und globale Event-Serie gemäß Abbildung 2.1 zu differenzieren in Bezug auf: (1) (2) (3)
den Veranstaltungsturnus, die räumliche Tragweite der sozio-ökonomischen Wirkungen und die Event-Konzeption.
2.1
Event-ökonomische Betrachtung der Fußball-Weltmeisterschaft
31
Großveranstaltungen (Mega- und Special-(vents
sonstige Sport Turnus sozio ökonomische Wirkung
regelmäßig
Kunst und Kultur
singulär regelmäßig
national regional/ lokal
Fußball-Weltmeisterschaft
(Wirtschaft, Politik/Staat, Wissenschaft, Privat)
singulär regelm. singulär
national regional/ national lokal
regional/ lokal
Eventkonzeption/-merkmale: - eine Sportart, mind. zehn Spielorte über das Land verteilt - mehrwöchige Dauer (1 Monat) - abnehmende Eventintensität (Gruppen-, Playoff-Phase)
Abb. 2.1: Institutionelle Merkmale von Fußball-Weltmeisterschaften (Quelle: Kurscheidt (200), modifiziert und erweitert nach Rahmann et al. (1998, S. 91)) Angesichts immenser Zeitabstände zwischen einer – wenn überhaupt – wiederholten nationalen Austragung stellt sich die Fußball-WM als singuläres Großereignis dar. Tabelle 2.1 dokumentiert, dass bei bisher 19 durchgeführten oder bereits vergebenen Weltmeisterschaften erst vier Ländern die Möglichkeit einer erneuten Ausrichtung von der FIFA gewährt wurde. Abgesehen von dem Sonderfall Mexikos, welches nur 16 Jahre nach der ersten WM im Lande 1986 für das damals wirtschaftlich und politisch instabile Kolumbien kurzfristig eingesprungen war, ist normalerweise mit mindestens 50 Jahren „Wartezeit“ auf eine Wiederholung zu rechnen. So hatten Italien und Frankreich ihre letzte WM noch vor dem Zweiten Weltkrieg ausgerichtet, bevor sie nach 56 bzw. 60 Jahren nochmals Gastland sein durften. Demgegenüber war die Vergabe der WM 2006 an Deutschland nach „lediglich“ 32 Jahren Zeitabstand zur ersten Austragung kaum erwartbar. Eine dritte Weltmeisterschaft hier zu Lande ist mithin auf sehr lange Zeit nicht zu erwarten.
Ökonomischer Impakt von Sportgroßveranstaltungen
32
Tab. 2.1: Kennzahlen zu Fußball-Weltmeisterschaften (1930–2014) Nr. Jahr 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17
1930 1934 1938 1950 1954 1958 1962 1966 1970 1974 1978 1982 1986 1990 1994 1998 2002
Ausrichter Uruguay Italien Frankreich Brasilien Schweiz Schweden Chile England Mexiko Deutschland Argentinien Spanien Mexiko Italien USA Frankreich Korea/Japan c) Korea Japan
18 2006 Deutschland 19 2010 Südafrika f) 20 2014 Brasilien g)
Quali- WM- WM- Städte/ fikation Teams Spiele Stadien a)
ZuZuschauer schauer gesamt pro Spiel 434.000 24.111 395.000 23.235 483.000 26.833 1.337.000 60.773 943.000 36.269 868.000 24.800 776.000 24.250 1.614.677 50.459 1.673.975 52.312 1.774.022 46.685 1.610.215 42.374 1.856.277 35.698 2.407.431 46.297 2.517.348 48.411 3.587.538 68.991 2.785.100 43.517 2.705.197 42.269 1.266.560 d) 39.580 1.438.624 d) 44.957
– 27 21 19 33 46 49 51 68 90 95 103 110 103 130 168 193 – –
13 16 15 13 16 16 16 16 16 16 16 24 24 24 24 32 32 – –
18 17 18 22 26 35 32 32 32 38 38 52 52 52 52 64 64 32 32
1/3 8/8 9 / 10 6/7 6/6 12 / 12 4/4 7/8 5/5 9/9 5/6 14 / 17 9 / 12 12 / 12 9/9 9 / 10 20 / 20 10 / 10 10 / 10
194 – –
32 32 –
64 64 –
12 / 12 3.115.800 e) 48.684 e) 9 / 10 – – – – –
TVZuschauer b)
– – – – – – – – – – – – 13,5 Mrd. 26,7 Mrd. 32,1 Mrd. 33,4 Mrd. 28,8 Mrd. – – – – –
a)
Anzahl der Teams in der Vorrunde (tatsächliche Qualifikation, ohne Rückzüge und bereits gesetzte Teams). kumulierte, weltweite TV-Einschaltungen über den Gesamtverlauf des Turniers (FIFA-Angaben, soweit verfügbar). In Zuschauerstunden gemessen soll die WM 2002 mit 49,2 Mrd. Std. einen Rekord für Sportgroßereignisse markiert haben. Die Olympischen Spiele von Sydney 2000 bleiben mit 36 Mrd. Zuschauerstunden nach IOC-Angaben in der Tat deutlich dahinter (siehe dazu Szymanski, 2003, S. 1176). c) erstmalige Ausrichtung in Asien und erstmalig zwei Ko-Austragungsnationen, Verteilung von Spielen, Stadien etc. paritätisch über beide Länder. d) eigene Berechnung nach den FIFA-Angaben zur durchschnittlichen Zuschauerzahl, welche aus ungeklärten Gründen in der Summe nicht ganz die offizielle Gesamtzuschauerzahl ergibt. e) eigene Schätzungen bei 90 %-Kapazitätsauslastung. f) Die Republik Südafrika wurde am 15. Mai 2004 in Zürich als Gastgeber der WM 2010 bestimmt. Die Beibehaltung des Modus mit 32 Teams gilt als sicher. 10 WM-Stadien (davon zwei in Johannesburg) wurden bereits festgelegt und genehmigt (vgl. http://fifa.com). Es ist die erste Ausrichtungsvergabe unter der neuen Rotationsregelung, nach der nur die Nationalverbände eines Kontinents bewerbungsberechtigt sind. g) Es ist gut möglich, dass die Anzahl der Endrundenteams dann nochmals erhöht wird. b)
Quellen:
diverse „InfoPlus“-Informationsübersichten der FIFA unter http://fifaworldcup.yahoo.com
Des Weiteren sind die event-induzierten sozio-ökonomischen Auswirkungen für den Ausrichter bei mindestens zehn über das Land verteilten Spielorten, die für die Durchführung
2.1
Event-ökonomische Betrachtung der Fußball-Weltmeisterschaft
33
des aktuell gültigen WM-Modus mit 32 Mannschaften und 64 Begegnungen in der Endrunde erforderlich sind, sicherlich von nationaler Tragweite. Wie die Effekte räumlich ausstrahlen, hängt indes von der regionalen Verteilung sowie der Siedlungs- und Wirtschaftsstruktur der WM-Städte und der umgebenden Regionen ab. Je nach Anzahl, Auswahl und Beschaffenheit der Standorte kann es zu einer Ballung der Wirkungen in bestimmten räumlichen Clustern oder zu Spillover-Effekten kommen. In jedem Falle werden die lokalen/regionalen Auswirkungen (teils sogar sehr) unterschiedlich ausfallen, da die örtlichen sozio-ökonomischen Konstellationen divergieren. Mithin sind die Effekte nach den räumlichen bzw. föderalen Ebenen differenziert zu betrachten. Ähnliches gilt für die Betroffenheit nach Branchen und Gesellschaftsgruppen. Neben deren sozio-ökonomischer Tragweite ist ein zentraler Aspekt die besondere institutionelle Organisationsform der Fußball-WM im Verhältnis zu anderen Sportgroßveranstaltungen und Mega-Events (Kurscheidt, 200). Sie kann in Bezug auf den Veranstaltungsinhalt (eine Sportart) als eindimensional, jedoch räumlich als regional diversifiziert charakterisiert werden, da mehrere Standorte, die über das Austragungsland verteilt sind, benötigt werden. Dagegen ist das Durchführungskonzept der Olympischen Spiele (zahlreiche Sportarten an überwiegend auf eine Stadt bzw. deren Einzugsgebiet beschränkten Stätten) und noch mehr der EXPOs (kulturell wie konzeptionell vielfältige Aussteller an einem relativ begrenzten Messe-Ort) als multidimensional, aber regional konzentriert zu beschreiben. Mithin ist das Kriterium der Anzahl der notwendigen Austragungsorte einschließlich der ebenfalls ökonomisch bedeutsamen lokalen Investitionen und deren Finanzierung von hoher Relevanz für die Effektivität des Events. Dafür sind Fußball-Weltmeisterschaften durch die Beschränkung auf eine Sportart in der Tat nach ihrer Signalisierung und sportinhaltlichen Identitätsvermittlung eindimensional. Darin liegt aber der Vorteil, dass die Aufmerksamkeit fokussierter und die Ausrichtung des Events organisatorisch einfacher und wirtschaftlich günstiger ist. Hingegen ist die Durchführung vieler Sportwettbewerbe auf engem Raum und in kurzer Zeit wie etwa die der Olympischen Spiele und anderer Multi-Sport-Events sehr kostenintensiv. Darüber hinaus sind die Anforderungen an die Gestaltung des Rahmenprogramms hoch. Um mit Hilfe von Eröffnungs- und Abschlussfeiern sowie (Medaillen-)Zeremonien und Kulturprogrammen etc. einen erkennbaren event-spezifischen Überbau für die sehr unterschiedlichen Sportdisziplinen zu schaffen, sind weitere finanzielle und organisatorische Anstrengungen nötig. Auch ist die Koordination der dadurch komplexeren Abläufe im Event-Management anspruchsvoll und insbesondere weitgehend ausrichterspezifisch. Andererseits erzeugt die örtliche, zeitliche und sportliche Intensität eine äußerst starke Signalisierung, die zudem ein etwaiges Imagerisiko über die verschiedenen Sportarten streut. Dies wiederum ist ein Problem gerade im Fußball angesichts dessen Anfälligkeit für gesellschaftliche Fehlentwicklungen wie v. a. Aggressionserscheinungen unter Sportlern und Zuschauern. Folglich ist die Anzahl der beteiligten Sportarten an der EventKonzeption ebenfalls eine effizienzrelevante Betrachtungsdimension.
34
Ökonomischer Impakt von Sportgroßveranstaltungen
Abb. 2.2: Sozio-ökonomische Typologie von Sportgroßveranstaltungen (Quelle: Kurscheidt, 200 Demnach kann davon ausgegangen werden, dass eine stärkere Ausprägung der beiden Merkmale die Reichweite der sozio-ökonomischen Wirkungen der Veranstaltung sowie die Koordinationskosten und/oder die Investitionskosten in die Sportinfrastruktur erhöht. Da Fußball-Weltmeisterschaften und Olympische Spiele als die einzigen Mega-Events unter den Sportgroßveranstaltungen die beiden Extreme der skizzierten Konstellation verkörpern, nehmen sie quasi die Außenpositionen in einer sozio-ökonomischen Typologie von sportlichen Großereignissen ein. Abbildung 2.2 stellt nun die erläuterten Zusammenhänge in einem Vier-Felder-Portfolio dar. Dabei sind neben der Fußball-WM und den Olympischen Spielen ähnlich geartete Special-Events in demselben Feld abgebildet. Als bedeutende Multisportveranstaltungen wären insbesondere die Commonwealth Games und Asian Games zu nennen. Sportlich eindimensionale, aber regional diversifizierte Ereignisse sind v. a. bei Mannschaftssportwettbewerben anzutreffen. Bekannte Beispiele sind hier zuvorderst die UEFA-
2.1
Event-ökonomische Betrachtung der Fußball-Weltmeisterschaft
35
Europameisterschaft EURO sowie z. B. Weltmeisterschaften im Handball und Eishockey. Weiterhin nimmt der Rad- und Rallye-Motorsport größere Räume (z. B. nationale Rundfahrten) in Anspruch. Die einfachste und für die meisten Sport-Events zutreffende Kategorie in Abbildung 2.2 ist das Feld I der sowohl regional als auch sportlich eindimensionalen Veranstaltungen, wozu unter vielen anderen Schwimm- und Tenniswettkämpfe als Special-Events sowie (Marathon-)Stadtläufe oder etwa die „Kieler Woche“ im Segelsport als Hallmark-Events gehören. Etwas weniger eindeutig ist die Zuordnung von inhärent multidisziplinären Sportarten wie insbesondere der Leichtathletik und der Nordischen Kombination. Vor allem Letztere weist die zusätzliche Besonderheit auf, dass sie sehr unterschiedliche Sportanlagen voraussetzt, während Erstere weitgehend in der gleichen Sportstätte ausgeübt wird, indes in Bezug auf die Anzahl der Sportarten durch die diversen Disziplinen eher als mehrdimensional gesehen werden kann. Daher sind diese Veranstaltungen, z. B. Weltmeisterschaften, zwischen den Feldern I und II einzuordnen. Schließlich kann Feld IV als verallgemeinerte Kategorie aufgefasst werden. Zum einen ist theoretisch vorstellbar, dass Multisportveranstaltungen zukünftig stärker über Großräume verteilt durchgeführt werden; zum anderen gibt es etwa aus europäischer Sicht veritable „Event-Jahre“, in denen eine zeitliche Konkurrenz zwischen Sportgroßereignissen gegeben ist. Dann entsteht in der Konsumentenwahrnehmung bereits „ungewollt“ ein Veranstaltungstyp, der beide Kriterien miteinander vereint und deshalb im weiteren Sinne als „Meta-Event“ bezeichnet werden könnte.
2.1.2
Umsetzung der Event-Konzeption zur Fußball-WM 2006
Ein zentrales Novum in der Event-Durchführung seit der WM 1998 ist die modifizierte regionale Zuordnung der Gruppenspiele. Wurden die sechs Begegnungen einer Gruppe vormals an einem bis höchstens drei Spielorten ausgetragen, galt ab der Weltmeisterschaft in Frankreich das neue Prinzip, die Matches nicht erst in der Playoff-, sondern bereits in der Gruppenphase „frei“ auf jeweils andere Stadien zu verteilen. Dies sollte für eine Gleichbehandlung der Teams, aber auch eine breitere regionale Verteilung der Zuschauernachfrage und WM-Touristen sorgen. Das führt jedoch zu einem erheblichen Anstieg der Reisebewegungen sowie potenziell zu einer Häufung von Übernachtungen in zentral oder verkehrsgünstig gelegenen (u. a. mit Flughafen) und touristisch attraktiven Städten. Andererseits bestehen für die Mannschaften und Event-Touristen auch Kosten- und/oder KomfortAnreize, die WM-Städte mit ihren hochpreisigen und überlaufenen Hotelquartieren zugunsten anderer Regionen zu meiden. Mithin mögen die Tourismuseffekte stärker als bei den Endrunden zuvor auf das Umland der WM-Spielorte ausstrahlen. Allerdings wird es einigen WM-Standorten schwer fallen, veranstaltungsinduziert substanzielle Übernachtungszahlen zu generieren und die auswärtigen Event-Besucher – auch mit Blick auf den Folgetourismus – an die Destination zu binden (siehe dazu Preuss, 2007b). Systematische primärempirische Erkenntnisse zu der genauen Allokationswirkung dieser Regelung liegen allerdings bis heute nicht vor. Daher sind die für das event-touristische Destinatio-
36
Ökonomischer Impakt von Sportgroßveranstaltungen
nenmanagement zuständigen Personen und Organisationen derzeit noch gezwungen, ihre Konzeptionen und operativen Vorbereitungen unter einem hohen Maß an Unsicherheit zu entwickeln bzw. darüber Entscheidungen zu treffen. Dessen ungeachtet galt und gilt die Event-Konzeption des Turniers von 1998 unverändert auch für die WM-Endrunden 2002 und 2006 sowie voraussichtlich darüber hinaus. Die Begegnungen in den Stadien als eigentlichen „Event-Locations“ werden neuerdings durch das sog. „Public Viewing“ flankiert. Als „Public Viewing“ bezeichnet man publikums- und medienwirksame Übertragungen insbesondere von Mega-(Sport-)Events auf Großbildleinwänden an zentralen oder sonstigen geeigneten Orten, oft begleitet von einem (fußball-)kulturellen Rahmenprogramm. Seinen Ursprung hat es bei der Fußball Weltmeisterschaft im Jahre 2002, als es noch vereinzelt, vornehmlich an südkoreanischen WM-Spielorten für die einheimischen Fans eingerichtet wurde. Auf Grund des Erfolgs kam es in 2006 erstmals nahezu flächendeckend ebenso in Nicht-WM-Städten zum Einsatz. Aus Sicht der Veranstaltungsorganisatoren und Ordnungsbehörden hat dies zunächst den Vorteil, dass die Übernachfrage nach Tickets im freien Verkauf sowie der damit verbundene Menschenstrom auf diesen alternativen „Erlebnis-Konsum“ der Matches umgeleitet bzw. kanalisiert werden. Dies soll den logistischen Druck auf die WM-Standorte mindern und somit infrastrukturellen Engpässen sowie Sicherheitsproblemen vorbeugen. Vor dem Hintergrund des Event-Leveraging-Ansatzes ergibt sich daraus überdies die Chance, touristische und wirtschaftliche Potenziale durch die Bündelung von zielgruppenorientierten Dienstleistungen sowie eine über die WM-Spielorte hinausreichende Verzahnung mit dem nationalen Austragungsort zu erschließen. Inwieweit das ausgedehnte „Public Viewing“ diese Erwartungen erfüllt (hat), werden erst Begleit- und Folgeforschung oder zumindest anekdotische Evidenz zur WM 2006 aufzeigen können. Intuitiv erscheint diese Innovation jedoch als wirtschaftlich vorteilhaft nicht nur für die Kommunen des Gastlandes, sondern auch für die FIFA als Ausrichter, da – vor allem bei entsprechender Medienberichterstattung – ein neuer Programminhalt mit bisher ungenutztem Imagepotenzial sowohl für die WM-Marke selbst als auch die Spielorte geschaffen wurde. Dagegen muss eine vorläufige ökonomische Bewertung der regionalen Verteilung der Gruppenspiele ambivalent ausfallen. Im Hinblick auf die Zeitdimension des seit 1998 – unter graduellen Abweichungen – gültigen Durchführungsmodus kann das folgende Schema des Spielplans der WM 2006 in Deutschland als institutionelle Vorgabe bis mindestens 2010 festgehalten werden. Das Turnier mit seinen insgesamt 64 Begegnungen nimmt vom 9. Juni bis zum 9. Juli 31 Tage in Anspruch, die sich fast gleichmäßig auf 15 Erstrunden- und 16 Zweitrundentage aufteilen. Dabei ist die Event-Intensität der Gruppenphase bis zum 23. Juni mit 48 Spielen im Ganzen durchschnittlich relativ hoch. Sie unterliegt allerdings bereits einer gewissen Inszenierung. So umfasst der Auftakttag neben dem Eröffnungsspiel des Gastgebers gegen Costa Rica (18 Uhr) nur ein weiteres Match der gleichen Gruppe (21 Uhr), um nicht direkt mit voller Intensität in den Wettbewerb zu starten. Danach folgt vom 10. bis 19. Juni die zehntägige Hauptphase der ersten Runde mit täglich stets drei Partien (jeweils um 15, 18
2.1
Event-ökonomische Betrachtung der Fußball-Weltmeisterschaft
37
und 21 Uhr). Zu dem Zeitpunkt ist in allen acht Gruppen der 2. Spieltag abgeschlossen, sodass alle Mannschaften ihre relative Form schon unter Beweis stellen konnten und die Spannung über den Ausgang der ersten Runde steigt. In den meisten Gruppen dürfte dann erst das dritte und letzte Punktspiel nach dem „Liga-System“ über das definitive Weiterkommen der Erst- und Zweitplatzierten entscheiden. Mithin erreicht der Turnierverlauf während der viertägigen Endphase der Gruppenmatches mit je zweimal zwei zeitgleichen Begegnungen (jeweils um 16 und 21 Uhr) einen vorläufigen Höhepunkt. Dem schließt sich ab dem 24. Juni die Playoff-Phase mit den 16 Partien der zweiten Runde ohne Pause mit je zwei Achtelfinals (jeweils um 17 und 21 Uhr) an. Der 28. und 29. Juni sind dann als erste Ruhetage der WM nach dem intensiven Zweitrundenauftakt vorgesehen. Danach werden stets zwei Wettbewerbstage von zwei Ruhetagen getrennt. Zunächst sind je zwei Viertelfinals (Uhrzeiten wie zuvor) hintereinander auszutragen. Die beiden Halbfinals (je 21 Uhr) haben darauf als einzige Matches am 4. und 5. Juli die volle Aufmerksamkeit, wie auch der Turnierabschluss mit dem Spiel um den dritten Platz (21 Uhr) sowie dem Finale (20 Uhr) am 8. und 9. Juli. Wie schon das Einordnungsschema der Abbildung 2.1 als auffällige Merkmale der WMEvent-Konzeption hervorhebt, weist das Mega-Ereignis demnach mit rund einem Monat im Vergleich zu anderen Großveranstaltungen eine lange Dauer auf. Dabei kann die Event-Intensität in Bezug auf die Gruppenphase und folgenden Eliminationsspiele als abnehmend beschrieben werden. Bei genauerer Betrachtung des Spielplans zeigen sich indes bis zum Ende der ersten Runde sogar eine in Stufen zunehmende Intensität und ein entsprechend geplanter Spannungsbogen, der durch den Verzicht auf Ruhetage zwischen den beiden Runden während der Achtelfinals trotz der bereits erfolgten Halbierung der Teilnehmerzahl noch recht hoch gehalten wird. Erst die letzten 12 Tage des Turnier- und Durchführungsschemas sind mit nur noch acht verbleibenden Spielen sowie sechs Ruhetagen in der Intensität deutlich reduziert. Dieser relativ späte Intensitätsabfall im EventVerlauf und die damit verbundene Fokussierung auf den Wettbewerbsabschluss erscheinen im Hinblick auf die zeitliche Nachfrageentwicklung als durchdachte Angebotskonzeption, die wie folgt unterteilt werden könnte: (1) (2) (3) (4) (5)
Turnierauftakt mit v. a. dem Eröffnungs- und einem weiteren Gruppenspiel (ein Tag) Gruppen-Hauptphase mit täglich drei Spielen (zehn Tage) Gruppen-Endphase mit täglich vier Spielen (vier Tage) Playoff-Hauptphase mit täglich zwei Achtel- bzw. Viertelfinals und zwei Ruhetagen (acht Tage) Playoff-Endphase bzw. Turnierabschluss mit je nur einem Spiel (Halbfinals, Spiel um den 3. Platz, Finale) und vier Ruhetagen (acht Tage)
Mit diesem Phasenverlauf verändert die Weltmeisterschaft nicht nur ihren Charakter als sportliche Großveranstaltung, sondern stellt auch unterschiedliche organisatorische Anforderungen an die verantwortlichen Personen und Institutionen in zentralen Bereichen des Event-Managements. Zunächst ist mit einem – sowohl regional im Austragungsland als
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Ökonomischer Impakt von Sportgroßveranstaltungen
auch von der Herkunft der Gäste – breit verteilten, hohen touristischen Aufkommen zu rechnen. Dieses dürfte bereits nach der Gruppenphase sowie verstärkt den Achtelfinals und anschließenden Ruhetagen erheblich abnehmen, da dann nur noch acht Nationen im Wettbewerb vertreten sind. Ferner konzentriert sich diese touristische Nachfrage zusehends auf die Großstädte, welche auf Grund der hohen Kapazität und/oder Ausstattungsqualität ihrer WM-Stadien noch im Spielplan ab den Viertelfinals vertreten sind. Im Falle der WM 2006 sind dies z. B. noch sieben von ursprünglich zwölf Spielorten. Im Rahmen der strategischen Überlegungen zum Event-Leveraging sind mithin die Entscheidungsträger im Destinationenmanagement gefordert, unterschiedliche Konzepte für die zu erwartende touristische Übernachfrage während der intensiven Veranstaltungsphasen einerseits und für die Bindung der Gäste – möglicherweise sogar über die letzte WM-Begegnung am betreffenden Standort hinaus – andererseits auszuarbeiten. Überdies gilt es, zielgruppenadäquate Angebote für individuelle zeitliche Freiräume der EventTouristen und die Ruhetage im allgemeinen Spielplan zu entwickeln. Neben Fantreffs oder anderen sog. „Side-Events“, der Positionierung kultureller Attraktionen und der Konzeption von Ausflugspaketen (Stadt- und Umlandtouren etc.) kann hier wiederum das „Public Viewing“ einschließlich eines Rahmenprogramms ein effektives Leveraging-Instrument darstellen. Die infrastrukturellen Voraussetzungen zur Lösung der zentralen Managementaufgaben in der vorstehend geschilderten Durchführung sind bereits Jahre im Voraus zu planen und bis zum Beginn der Weltmeisterschaft zeitpunktbezogen zu erfüllen. Dazu sind eine genaue Kenntnis der erörterten institutionellen Vorgaben und deren organisatorischen Implikationen von großer Bedeutung. Denn auf dieser Informationsgrundlage müssen in der Praxis die zeitlich und wirtschaftlich weitreichenden Infrastrukturentscheidungen getroffen werden. Diese Einrichtungen sind analytisch zu differenzieren nach (1) (räumlich) mobilen vs. immobilen Einrichtungen und (2) event-übergreifenden vs. event-spezifischen Infrastrukturen. Aus Effizienzsicht stellt sich die Herausforderung einer langfristig tragfähigen Infrastrukturplanung, die sowohl die eventspezifischen als auch Nachnutzungsbedürfnisse erfüllt. Im Hinblick darauf sind die notwendigen Infrastrukturen überdies sachlich nach ihrem Gegenstands- und Nutzungsbereich zu unterscheiden. Zum einen könnte man abstrakt in (1) bauliche, (2) logistische, (3) (Daten-)Netzwerk- und (4) (immaterielle) Dienstleistungsstrukturen unterteilen; zum anderen liegt eine konkretere Differenzierung nach Aufgabenfeldern im Event-Management nahe: (1) (2)
(3)
Sportinfrastruktur (v. a. Stadien, sonstige Sportstätten, Trainingsgelände), Medien- bzw. Informationsinfrastruktur (v. a. Medien-, Konferenz- und Übertragungszentren, Reporterplätze und sog. „Mixed Zones“ in den Sportstätten, Datennetzwerke), Sicherheitsinfrastruktur (v. a. Leitzentralen, Absperrungen, Verkehrsleitung, Funksysteme, Luftraumüberwachung),
2.1
(4) (5)
Event-ökonomische Betrachtung der Fußball-Weltmeisterschaft
39
Verkehrsinfrastruktur (v. a. Flughäfen, Bahnhöfe und Fernverbindungen, ÖPNV, Fernstraßen, Zubringer, Naherschließung, Parkplätze, Leitsysteme, Beschilderung), Unterkunftsinfrastruktur (v. a. Hotels verschiedener Kategorien, Camping-/Wohnmobilplätze, Fancamps, Sportlerunterkünfte).
Da die Durchführung der Weltmeisterschaftsendrunde mehrere über das Ausrichtungsland verteilte Spielorte erfordert, stellt die Bestimmung der lokalen WM-Standorte die zentrale strategische Grundsatzentscheidung dar. Obwohl die Beschaffenheit des jeweiligen vorhandenen oder geplanten Fußballstadions dabei sicherlich ein Hauptkriterium ist, muss die Qualität der gegebenen bzw. noch zu errichtenden oder auszubauenden weiteren Sportinfrastruktur als wichtiges Nebenkriterium beachtet werden. Generell kommen dafür zunächst nur Großstädte mit einem hohen Maß an allgemeiner Infrastrukturausstattung in den obigen fünf Bereichen in Betracht, um die anspruchsvollen logistischen Aufgaben in Verbindung mit den großen Menschenmassen zu erfüllen. Auf Grund des regionalen Nachfragepotenzials solcher Ballungsräume verfügen sie in der Regel auch über eine prinzipiell geeignete Großsportstätte und können dem Optimierungsproblem zwischen event-spezifischen Kapazitätserfordernissen und der langfristigen Nachnutzung der Infrastruktur am besten entsprechen. Allerdings sind die wenigsten Austragungsländer in der Lage, die seit der Erweiterung der Endrunde von 1998 mindestens notwendigen zehn Stadien ausschließlich in solchen Metropolen aufzubieten. Daher muss bei einigen WMSpielorten entweder auf mittelgroße Städte zurückgegriffen werden, die historisch bedingt starke Fußballstandorte sind, oder auf solche Großstädte, die ein hinreichendes Potenzial für zukünftigen professionellen Erstliga-Fußball aufweisen. Die Betrachtung der Stadionkonzepte der kommunalen Kandidaten für die WM 2006 in Tabelle 2.2 bestätigt, wie schon teils im vorangegangen Abschnitt angesprochen, dass neben der Schalker Spielstätte auch in Frankfurt/M., Düsseldorf und München mit Investitionen zwischen 126 und 340 Mio. € aufwändige Vorhaben verfolgt wurden. Der Berliner Sonderfall des sehr großen, denkmalgeschützten maroden Olympiastadions von 1936 war nur mit Hilfe von 242 Mio. € auf WM-Niveau zu bringen. Auch die Neu- bzw. Vollumbauten in Leipzig und Köln überschreiten noch deutlich die Marke von 100 Mio. €. Selbst Umbauten auf einer recht guten Baugrundlage wie in Nürnberg und Stuttgart benötigen über 50 Mio. €, um den für notwendig erachteten WM-Standard zu erreichen. Einzig die Konzepte in Hannover und Mönchengladbach zeigen, dass unter vorsichtiger Planung ein WM-reifes Stadion „nur“ zwischen ca. 65 und knapp 90 Mio. € kosten muss. Unterhalb dieser Beträge kann es sich indes lediglich um Um- oder Ausbauten handeln. Alle 16 Bewerberstädte zusammen veranschlagen über 1,8 Mrd. € für ihre Baumaßnahmen, wobei die 12 ausgewählten WM-Städte auf gut 1,5 Mrd. € kommen.
Ökonomischer Impakt von Sportgroßveranstaltungen
40
Tab. 2.2: Stadioninvestitionen und -finanzierung der 16 Bewerberstädte zur WM 2006 (Quelle: Kurscheidt, 200)
Betreiber (Mio. €)
196
B
–
–
1,7
28
–
–
12,7
17
–
–
Dortmund
F Ausbau
2003
60.000
595 BL
–
36
–
–
–
36
–
X
Düsseldorf
M Neubau
2005
51.500
570 RL
218
–
–
B / 64
–
86,4 X
Frankfurt/M.
M Neubau
2005
48.000
650 BL
126
–
20,5
64
–
41,5 X
Gelsenk.
M Neubau
2001
52.000
285 BL
192
–
B
Hamburg
F Neubau
2000
50.000
1.700 BL
97
–
–
Hannover
F Vollumb.
2005
45.000
525 BL
3,5 64,5
–
11,3 10,2
–
34 – 9 –
Kaiserslautern
F Ausbau
2003
48.500
100 2.L
22,9 71,2
–
21,7
Köln
F Vollumb.
2004
45.000
1.000 2.L
7,5 117,5
–
–
Leipzig
F Neubau
2004
44.000
530 OL
Leverkusen
F Umbau
–
22.500
160 BL
– –
24,4
115 2,8
M'gladbach
F Neubau
2004
43.000
270 BL
München
F Neubau
2005
66.000
1.300 BL
Nürnberg
FL Umbau
2005
45.500
490 BL
–
Stuttgart
FL Umbau
2003
60.000
550 BL
10,5 51,5
60
51
–
– 11
21
–
–
–
87
–
B
35,8
340
–
–
–
56
–
28
–
15,3
Summen: 173,5 Investitionssumme der 16 Bewerberstädte: 1.844,5 Investitionssumme der 12 WM-Städte: 1.508,7
28 –
46 –
54,8 136,8 X 16 –
7,7 18,9 25,5
Namensr.
Stadt (Mio. €)
242
550 BL
Land (Mio. €)
3.400 BL
43.000
FußballLiga
76.000
2004
Sitzplatzkapazität
2004
FL Umbau
Fertigstellung
FL Vollumb.
Bremen
Baumaßnahme
Berlin
Stadt
Funktion
Bund (Mio. €)
Fremdkapital (Mio. €)
Finanzierung
Investition (Mio. €)
Mehrkosten (Mio. €)
Nachfrage Investition Einwohner (in Tsd.)
Stadion
–
70 X 43 X –
–
84,5 X
43
–
–
2,8
–
X
–
51,2 –
300
40 X
–
–
X
–
36,3 –
247 96,8 279,9 488,5 635,7 öffentl. finanziert: 623,7 § 33,8 % öffentl. finanziert: 511,2 § 33,9 %
Ein Vergleich mit den Stadionkosten der letzten Fußball-WM in Deutschland 1974 macht die Veränderungen in den qualitativen und quantitativen Dimensionen deutlich. Damals betrugen die gesamten Bauinvestitionen in die Sportinfrastruktur umgerechnet 139,58 Mio. € und blieben damit um 13,8 Mio. € unter der ursprünglich veranschlagten Summe. Rechnet man die Mehrkosten von Düsseldorf heraus, entspricht dies in etwa Kostensteigerungen von 140 Mio. € für die Bauprojekte zur WM 2006, wobei diese Summe mangels transparenter Informationen wahrscheinlich noch substanziell unter den tatsächlichen Zusatzkosten liegt. Man würde mit dem damaligen Betrag heute nur ein großzügig konzipiertes oder gerade einmal zwei sehr zurückhaltend geplante WM-Stadien erhalten. Daher war die Finanzierung damals auch noch vollständig aus staatlichen Mitteln darstellbar. Die Tabelle 2.2 weist zwar nur einen direkten öffentlichen Finanzierungsanteil im engeren Sinne von knapp 34 % aus, jedoch trügt diese Zahl. Denn addiert man – ohne Düsseldorf und Mönchengladbach – nur die rein öffentlichen Kredite für Stadionbauten ohne private
2.1
Event-ökonomische Betrachtung der Fußball-Weltmeisterschaft
41
Beteiligung, ergibt sich allein ein Tilgungsbetrag von 251,3 Mio. €. Diesem wären noch Zinszahlungen hinzuzurechnen, um die faktische Finanzlast für die öffentlichen Haushalte zu ermitteln. Überdies wurden teilweise Bürgschaften für private Investoren gestellt oder zinsgünstige Darlehen vergeben. Beide Komponenten können, wie oben angedeutet, bei für manchen Standort zu erwartenden Unterschreitungen der anvisierten jährlichen Erlösströme zu langfristigen Folgebelastungen aus der Unterdeckung von Betriebs- und/oder Kapitalkosten führen. Auch kann die Arealerschließung bei Neubauten sehr kostenintensiv sein. So mussten für die Münchener Allianz-Arena von Stadt und Land rund 200 Mio. € für Verkehrsinfrastruktur um das neue Stadion aufgewendet werden. Ferner entstehen der bayrischen Kommune – wie ebenso andernorts – nicht weiter bezifferte, laufende Kosten/entgangene Erlöse, beispielsweise durch eine Grundstücksmiete, die unter dem Marktpreis liegt. Während die erforderlichen Unterkunftskapazitäten für die zahlreichen WM-Besucher aus dem In- und Ausland weitgehend durch das vorhandene Angebot (Hotels, Pensionen, Fremdenzimmer, Campingplätze etc.) der privaten Fremdenverkehrswirtschaft gedeckt sind, stellt die Gewährleistung effektiver Verkehrs- und Sicherheitsinfrastruktur wieder eine zentrale staatliche Aufgabe im Management des Mega-Events dar. Hierfür gilt zunächst, dass das existierende Fern- und Nahverkehrsnetz des WM-Gastlandes – zumal einer weit entwickelten, dicht besiedelten Industrienation wie 2006 Deutschland – den überwiegenden Teil des event-spezifischen Nutzungsbedarfs abdecken können sollte. Selbst im Umfeld der Stadien, wo die größten Engpässe auftreten, sind zumeist bereits leistungsfähige ÖPNV-Strukturen und Parkplätze vorhanden, da sie ebenso im normalen Ligenbetrieb der Großsportstätten benötigt werden. Dies gilt umso mehr für den Fernverkehr einschließlich der Bahnhöfe und Flughäfen. Solche Infrastrukturen können und brauchen nicht speziell für eine Fußball-Weltmeisterschaft erstellt oder maßgeblich verändert zu werden. Mithin konzentrieren sich die (Aus-)Baumaßnahmen auf die gezielte Vorziehung, Beschleunigung und teilweise Anpassung ohnehin geplanter Projekte in der Weiterentwicklung des überregionalen sowie lokalen Verkehrswesens. Dennoch mögen diese auf den Stichtag des Turnierbeginns fokussierten Planungskorrekturen umfangreich und in einzelnen Bereichen substanziell sein. Da überdies alle Ebenen des – im Falle Deutschlands – föderalen Staates berührt sind, stellt sich die Herausforderung vor allem in der Koordination der Maßnahmen und betroffenen Institutionen.
Ökonomischer Impakt von Sportgroßveranstaltungen
42
2.1.3
Eingrenzung des Untersuchungsfeldes dieser Studie
Die vorliegende Studie untersucht die ökonomischen Wirkungen durch die Besucher der Fußball-WM in Deutschland 2006. Die WM wird vom OK in enger Zusammenarbeit mit den Ausrichterstädten, der Regierung des Landes und der FIFA organisiert und durchgeführt. Damit die ökonomischen Wirkungen der Fußball-WM gemessen werden können, bedarf es einer institutionellen, thematischen, räumlichen und zeitlichen Abgrenzung des Untersuchungsfeldes. Institutionell betrachtet, setzt sich der Weltfußball aus vielen Subsystemen zusammen. Jedes dieser Subsysteme ist selbst wieder ein aktives Element, weil es autonom agiert und reagiert. Das macht den Fußball zu einem hochsensiblen System, das sich im Laufe der Zeit mit jeder Veränderung eines seiner Subsysteme selbst verändert hat. Die Abbildung 2.3 zeigt aus institutioneller Sicht einige Systeme, die den Fußball abbilden.
Fußball Nationale Verbände
FIFA
Kontinentalverbände
Land
Land
…
Land
…
8-12 Städte
Städte
…
Städte
…
Städte
Städte
…
OK
OK
…
Ggf. Liga
…
OK
Liga
…
WM Männer
Confederations Cup Männer
…
Nationale Meisterschaften Männer
…
EURO
Champions League
…
Abb. 2.3: Institutionelle Abgrenzung des Untersuchungsfeldes Das Untersuchungsfeld dieser Studie ist nicht die Gesamtveranstaltung Fußball-WM, sondern nur ein Teilaspekt, nämlich die ökonomischen Implikationen. Daher wird das in Abbildung 2.3 dargestellte Untersuchungsfeld „WM Männer“ in einem nächsten Schritt thematisch weiter eingeschränkt.
2.1
Event-ökonomische Betrachtung der Fußball-Weltmeisterschaft
politische Implikationen
psychologische Implikationen
ökologische Implikationen
Fußball WM 2006 Männer in Deutschland
technologische Implikationen
touristische Implikationen
ökonomische Implikationen
43
soziologische Implikationen
kulturelle Implikationen
Abb. 2.4: Thematische Abgrenzung des Untersuchungsfeldes Thematisch beschränkt sich diese Studie allein auf die ökonomischen Implikationen der Besucher der WM-Stadien und der offiziellen Fan-Feste der Ausrichterstädte. Damit werden viele andere ökonomische Wirkungen der Fußball-WM nicht berücksichtigt.
geänderte veränderter Export incl. post-event Tourismus Konsumquote
Konsum des OK
Private Investitionen
Ökonomische Implikationen Staatskonsum Fußball WM 2006 Männer in Deutschland
Konsumausgaben der Besucher
Intangible Effekte
verändertes Image des Standortes
Investitionen der öffentlichen Hand
veränderter Lebensstil
Abb. 2.5: Thematische Abgrenzung des ökonomischen Untersuchungsfeldes
Ökonomischer Impakt von Sportgroßveranstaltungen
44
Schließlich wurden lediglich die Stadionbesucher befragt, die „normale“ Eintrittskarten hatten, und nicht die VIP-Gäste. Dies reduziert die Anzahl der Besucher erheblich und führt daher zu einer konservativen Berücksichtigung der ökonomischen Auswirkungen der Besucher. Wahrscheinlich wird von den VIP-Besuchern aber auch nur eine geringe wirtschaftliche Wirkung ausgehen, da Sie zumeist von einem Sponsor eingeladen werden, der nicht nur den Eintritt und das Catering, sondern auch die Kosten der Unterkunft übernimmt. Sofern es sich dann um vorwiegend in Deutschland agierende Unternehmen handelt, sind diese Ausgaben als Umverteilungen zu betrachten. Die Ergebnisse dieser Studie bilden also nur einen Teil der gesamtwirtschaftlichen ökonomischen Effekte der FußballWM ab. Die räumliche Abgrenzung dieser Studie bezieht sich auf das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland. Die Berechnung der gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen der Fußball-WM bezieht sich in dieser Studie auf Deutschland. Da die Daten jedoch differenziert erhoben wurden, ist es zukünftig tendenziell auch möglich, Berechnungen für einzelne Standorte vorzunehmen. Die Abgrenzung des Raumes ist für die Berechnungen der gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen von besonderer Bedeutung. Die Größe des Raumes bestimmt maßgeblich die Höhe des zu ermittelnden Primärimpulses. Unterschiedlich große Regionen verändern die Höhe der autonomen Ausgaben (Mittelzuflüsse) und Importe (Mittelabflüsse). Außerdem wirkt sich die Größe des Untersuchungsraumes auf die Höhe des Multiplikators aus. Dieser ist umso geringer, je kleiner und/oder wirtschaftlich schwächer eine Region bzw. ein Land ist. Die Wahl der Bundesrepublik Deutschland als Abgrenzungsraum ermöglicht es, sehr detaillierte und komplexe Modelle zur Berechnung der gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen anzuwenden. In dieser Studie wird das Modell INFORGE (GWS, Osnabrück) verwendet. Eine weitere entscheidende Größe zur Berechnung des Primärimpulses ist die zeitliche Abgrenzung der zu berücksichtigenden Konsumausgaben. In dieser Studie wird lediglich der Zeitraum der Fußball-WM 2006 (9. Juni bis 9. Juli 2006) sowie ein zusätzlicher Zeitraum von 39 Tagen jeweils vor und nach der WM berücksichtigt. Es werden maximal 40 Tage pro Besucher berücksichtigt.
ante WM
39 Tage vor WM
9.6.2006 bis 9.7.2006
39 Tage nach WM
post WM
Abb. 2.6: Zeitliche Abgrenzung des Untersuchungsfeldes Besucher, die sich länger als 40 Tage in Deutschland aufhielten, werden als „Inländer“ eingestuft. Denjenigen, die einen sehr viel längeren Aufenthalt in Deutschland angegeben haben, wird unterstellt, dass der Besuch der Fußball-WM nur eines neben anderen Motiven war, nach Deutschland zu reisen. Die Umbenennung aller aus dem Ausland
2.2
Stand der sportökonomischen Impaktforschung
45
angereisten WM-Besucher, die sich länger als 39 Tage vor oder nach der WM in Deutschland aufhielten, in Inländer ist eine äußerst konservative Betrachtungsweise. Somit werden alle diejenigen, die sich länger als 40 Tage in Deutschland aufgehalten haben, nicht in die Berechnung des Primärimpulses einbezogen. Außerdem werden in dieser Studie sowohl Besuche vor der Fußball-WM als auch alle durch die WM ausgelösten Reiseaktivitäten nach der WM (Post-Event-Tourismus) nicht berücksichtigt. Damit werden die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen der WM bezüglich der Besucher und Touristen wahrscheinlich stark unterschätzt. Eine weitere zeitliche Komponente betrifft die Auswirkungen des temporär begrenzten Primärimpulses. Durch Multiplikatoreffekte erstrecken sich die Auswirkungen des kurzzeitigen Impulses lediglich bis in das Jahr 2008.
2.2
Stand der sportökonomischen Impaktforschung
Wie eingangs dieses Kapitels bereits knapp erläutert, steht die ökonomische Analyse der Auswirkungen von (sportlichen) Großereignissen auf ihre Austragungsorte klar im Mittelpunkt der Event-Ökonomik. Nach den zuletzt vorgenommenen Eingrenzungen soll im Folgenden nun die ökonomische Impaktforschung im Sport auf der methodischen Diskussionsebene vertieft werden. Vorab ist jedoch der vergleichsweise diffuse Impaktbegriff anhand von Unterscheidungsmerkmalen der betreffenden Studien zu präzisieren: (1)
(2)
(3)
Gesellschaftsbereich: Insbesondere Sport- und Kulturanalysen weisen Parallelen zu wirtschaftlichen Effekten des jeweiligen gesellschaftlichen Teilsystems auf. Aber auch die Umwelt, private Haushaltsproduktion sowie allgemein Freizeit und Tourismus sind u. a. häufig Felder von Impaktuntersuchungen. Analyseobjekt: Im Sport können z. B. generell Sportaktivitäten betrachtet werden. Erst eine Beschränkung auf (bedeutende) Sportwettkämpfe begründet tatsächliche Event-Impakt-Analysen. In dem Zusammenhang erlauben indes Untersuchungen von herausragenden Special- und vor allem Mega-Events im Sport Rückschlüsse auf das gesamte Sportsystem, da sie als dessen konzentrierte Abbildung gesehen werden können. Forschungsmotivation: Mitunter wird quellenkritisch nach Auftrags-, Drittmittelbzw. Gutachten- und unabhängigen Studien differenziert. Dabei ist die Forschungsaufgabe naturgemäß entweder extern vorgegeben oder entsteht quasi intern aus einem originär wissenschaftlichen Erkenntnisinteresse.
Über diese allgemeinen Kriterien hinaus können die Arbeiten methodisch-analytisch spezieller charakterisiert werden: (4)
Zeitlich: Üblicherweise wird nach dem Zeitpunkt der Studien in Ex-ante- und Expost-Analysen unterschieden. Eng verbunden damit sind die Funktionen solcher Untersuchungen, sodass von Prognose- vs. Kontrollstudien gesprochen wird. Dar-
46
(5)
(6) (7)
Ökonomischer Impakt von Sportgroßveranstaltungen
über hinaus ist der Zeithorizont im Sinne von kurzfristig und langfristig orientierten Analysen zu beachten. Theoretischer Ansatz und Aggregationsniveau: Nach dem Betrachtungs- und/oder Verdichtungsfokus sowie methodologisch sind makro- und mesoökonomische von mikro- bzw. nutzentheoretischen Studien abzugrenzen. Dies schließt allerdings nicht aus, dass etwa Letztere Makroprozesse (z. B. Multiplikatorwirkungen in einer Kosten-Nutzen-Analyse) und Erstere produktionstheoretische Fundierungen aus der Mikroökonomik (z. B. komplementäre Produktionsbeziehungen in der Input-OutputAnalyse) beinhalten. Räumliche Einheit: Der Analyseschwerpunkt kann auf den nationalen, regionalen oder engeren lokalen (sozio-)ökonomischen Auswirkungen liegen. Methodik: Der methodische Ansatz bestimmt schließlich die genaue Form der Operationalisierung des Untersuchungsinteresses. In dieser Hinsicht ist zunächst zwischen (positiven) Wirkungs- und (normativen) Evaluierungsanalysen zu unterscheiden. Die konkret verwendete Methodik dieser Studientypen determiniert letztlich die möglichen Berechnungsziele und -größen. Neben zusätzlich erforderlichen Annahmen (z. B. in Form von Schätzungen) und Konventionen liegt insbesondere hierin die Bedingtheit empirischer Ergebnisse solcher Analysen, was von großer Bedeutung für deren treffende Interpretation ist.
In dieser Untersuchung stehen zum einen sportbezogene (Mega-)Event-Impakt-Studien im Vordergrund. Es handelt sich ferner um eine unabhängige Studie zur Ermittlung der gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen der WM durch ihre Besucher. Die hier durchgeführte Ex-post-Analyse richtet den Blick ausschließlich auf das weitgehend kurzfristige tourismusbezogene Evaluierungsproblem. Hier handelt es sich ferner um eine makroökonomische Studie, die die Wirkungen der WM auf ganz Deutschland untersucht, wobei die Konsistenz mit vorangegangenen Prognosen berücksichtigt werden muss.
2.2.1
Ermittlung regionaler und gesamtwirtschaftlicher Auswirkungen von Sportgroßveranstaltungen
In den vergangenen 20 Jahren sind zahlreiche Forschungsarbeiten zu den ökonomischen Auswirkungen von (sportlichen) Großsportveranstaltungen durchgeführt worden (vgl. u. a. Kurscheidt, 2006; Dwyer, Forsyth & Spurr, 2006; Fanelsa, 2003; Jeanrenaud, 1999; Preuß, 1999; Maennig, 1998; Rahmann et al., 1998; Schneider, 1993, und die dort angegebene Literatur). Grundsätzlich wird die Bedeutung von Besuchern als unmittelbarer ökonomischer Faktor der Ausrichtung eines Großsportereignisses in der Literatur gewürdigt. Chang (2001) und Preuß & Weiss (2003) beschreiben den Tourismus sogar als eine maßgebliche Größe autonomer Einnahmen durch Großsport-Events. Auffallend sind in vielen Arbeiten jedoch die Ungenauigkeiten in der Berechnung der ökonomischen Auswirkungen durch den Konsum von Besuchern (vgl. u. a. Snowball, 2004; Crompton, 1995; Frechtling, 1994). Obwohl der Konsum von Teilnehmern, Organisatoren und Zuschauern eine wesentliche ökonomische Größe einer Großsportveranstaltung darstellt, lie-
2.2
Stand der sportökonomischen Impaktforschung
47
gen zu diesem Themenbereich kaum valide, empirisch abgesicherte Daten und noch weniger theoretische Betrachtungen vor. Norman, Backman & Backman (2002) fanden einige Mängel bei der Evaluation von wirtschaftlichen Impulsen durch Touristen. Ihrer Meinung nach herrsche erstens Verwirrung darüber, wer von den Ausgaben der Touristen profitiert, und zweitens fehle oft eine genaue Abgrenzung der betrachteten Region. Daher komme es zu Problemen der Identifikation von Mitteln, die neu in die Region kommen bzw. lokale Konsumausgaben darstellen (siehe auch Gelan, 2003). Für jede Prognoserechnung wirtschaftlicher Auswirkungen eines Großsport-Events ist es unverzichtbar, zunächst den Primärimpuls durch den Konsum zu bestimmen, um dessen Auswirkungen dann durch ein gesamtwirtschaftliches Modell zu berechnen. Burns, Hatch & Mules (1986) leisteten Pionierarbeit in Bezug auf Wirtschaftlichkeitsberechnungen unter Einbeziehung von Besuchern, als sie den Adelaide Grand Prix von 1986 untersuchten. Ihrem Ansatz folgte eine Vielzahl anderer Modelle, wobei in Deutschland in der Sportökonomie das gesamtwirtschaftliche Modell INFORGE (INterindustry FORecasting GErmany) für Prognoserechnungen genutzt wird. Es ist ein zur Analyse ökonomischer Fragestellungen entwickeltes Simulations- und Prognosemodell. INFORGE/SPORT (SDM = Sektoral Disaggregiertes Modell) ist eine Erweiterung des Modells, welches sich direkt auf den aktiven und passiven Sportkonsum bezieht. Es bildet sportspezifische Verflechtungsbeziehungen mit allen Bereichen der Volkswirtschaft im Detail auf der Branchenebene ab. Das Modell, welches auch international in der Sportökonomik als führend gelten kann (vgl. Kurscheidt, 2005), basiert auf den volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) des Statistischen Bundesamtes. Es berücksichtigt insbesondere das Kontensystem der VGR und die Input-Output-Tabellen (vgl. Meyer & Ahlert, 2000). Alle Modelle dieser Art (vgl. Daniels, Norman & Henry, 2004) gehen indes davon aus, dass der Primärimpuls bekannt ist. Dazu müssen aber nicht nur die Konsummuster der Besucher, sondern auch deren Anzahl (siehe auch Snowball, 2004) bekannt sein. Auch Informationen darüber, ob es sich um autonome Konsumausgaben handelt oder ob diese aus der Region stammen und daher lediglich Umverteilungen ansonsten ohnehin in der Region getätigter Ausgaben darstellen, müssen vorhanden sein. Dazu hat Preuss (2004a) ein Modell entwickelt, mit dem die touristischen regionalen Wirkungen einer Großsportveranstaltung ermittelt werden können. Diesem Ansatz folgt auch die vorliegende Studie. Mit Blick auf die internationale Literatur ist festzustellen, dass der Schwerpunkt der theoretischen Forschung sich mit der Modellbildung zur gesamtwirtschaftlichen Auswirkung einer Großsportveranstaltung beschäftigt. Betrachtet man die empirischen Forschungsergebnisse, so fallen zunächst zahlreiche Studien über Sportgroßveranstaltungen auf, die alle den Konsumimpuls durch Veranstaltungsbesucher berücksichtigen. Jedoch werden die dazu notwendigen Konsummuster der Besucher häufig nicht explizit erhoben bzw. evaluiert. Dies mag zum einen daran liegen, dass die meisten Studien ex ante angefertigt wurden und daher keine Daten verfügbar waren. Jedoch konnten auch die Verfasser von
48
Ökonomischer Impakt von Sportgroßveranstaltungen
Ex-post-Studien nicht auf Datenmaterial zurückgreifen, denn die Erhebung der Konsummuster zur Zeit der Veranstaltung wurde versäumt. Daher handelt es sich durchweg um recht globale Erfassungen der ökonomischen Auswirkungen (vgl. z. B. Baade & Matheson, 2004; Hotchkiss, Moore & Zobey, 2003; Spilling, 1999, 1996). Es ist aber von besonderer Wichtigkeit, die Konsummuster der Besucher von Sportveranstaltungen unmittelbar empirisch zu ermitteln, um eine zuverlässige Evaluierung oder Prognose der wirtschaftlichen Auswirkungen vornehmen zu können, wobei Ex-ante-Studien naturgemäß auf Vergangenheitswerten beruhen. Tourismusbezogene Analysen von Großsportveranstaltungen wurden u. a. von Lee & Taylor (2005), Daniels, Norman & Henry (2004), Jones & Munday (2004), Preuss (2004b), Gelan (2003), Chalip (2002), Andranovich, Burbank & Heying (2001) und Spilling (1998) durchgeführt. (Nicht aufgeführt werden hier die zahlreichen Auftragsstudien, die zumeist im Vorfeld von Olympischen Spielen und zunehmend auch zu Fußball-Weltmeisterschaften oder UEFA Europameisterschaften angefertigt wurden.)
2.2
Stand der sportökonomischen Impaktforschung
49
Tab. 2.3: Relevante Befragungsstudien zu Sportgroßevents
Gibson, Willming & Holdnak (2003)
Mondello & Rishe (2004)
Daniels, Norman & Henry (2004)
Gelan (2003)
Lee & Taylor (2005)
Sportgroßevent & Untersuchungsinteresse „FIFA Fußball-WM 2002“, Südkorea/Japan (Studie beschränkt sich auf Südkorea): Mega-Event, Zuschauerturnier Reine Erhebung von ausländischen Event-Touristen (Fans, Journalisten & Offizielle) in Bezug auf konsumtiven Primärimpuls, nationale InputOutput-Impaktschätzung
Methodik & Stichprobenumfang
Zwei Interviewbefragungen von ein- bzw. ausreisenden Touristen an drei zentralen Flug- und zwei Seehäfen des Landes n = 4.886 gesamt zur Klassifizierung einreisender Touristen, davon 57,7 % EventTouristen; n = 1.602 gesamt zur Ermittlung der Konsummuster ausreisender Event-Touristen „1999 British Open“, Carnoustie, Örtliche Interviewbefragung von Schottland, GB: Zuschauern Spitzen-Golf, Zuschauerturnier n = 976 gesamt, davon 23 % Nach (auswärtigen) Lokale, 77 % auswärtige Besuchertypen differenzierte Schotten, sonstige UK- und Erhebung des lokalen Überseegäste; davon 93 % konsumtiven Event-Touristen, 7 % TimePrimärimpulses, lokale InputSwitchers/Casuals; von den Output-Impaktschätzung Lokalen 5 % Home-Stayers „Cooper River Bridge Run Systematische Ansprache von 2001“, Charleston, SC, USA: Aktiven (Läufern, Walkern) zur Straßen-Volkslauf Adressenerhebung, postalische Befragung Vergleich verschiedener InputOutput-Modellierungen für n = 676 gesamt, davon 419 lokale Impaktschätzungen Auswärtige; hiervon n = 377 zur anhand des erhobenen Berechnung von Konsummuster konsumtiven Primärimpulses und Primärimpuls Sieben US-amerikanische Schriftliche Befragungen von Männer-/ Frauen-AmateurZuschauern vor Ort durch Sport-Events: diverse Freiwillige Multisport-/Lauf-Events, n = 400-600 pro Veranstaltung je Zuschauerturniere nach Teilerhebung bzw. Erhebung auswärtiger Eventuntersuchtem Event Touristen zur Ermittlung des konsumtiven Primärimpulses, Vergleich regionaler InputOutput-Impaktschätzungen zwischen Events Spiele (1999 und 2000) der Schriftliche Befragungen von „Gators“, American FootballZuschauern vor Ort bei der PreTeam der University of Florida, Game-Party auf dem Parkplatz, Gainesville, USA: Amateurvertiefte Folgeinterviews Ligaspiele, Zuschauerwettkampf n = 181 gesamt (Befragung); („small-scale sport event“) n = 20 gesamt (Interviews) Erhebung des Reise- und Konsumverhaltens von Fans eines unterklassigen (Universitäts-) Sportteams
Anmerkungen & Ergebnisse Event-Touristen geben im Mittel 1,8-mal soviel aus wie „normale“ ausländische Freizeittouristen Bedeutung exakter Primärimpulsberechnung für die Impaktschätzung wird betont; Besonderheit: hoher Anteil japanischer „Normaltouristen“ wurde verdrängt Event-Touristen geben im Mittel gut doppelt soviel aus wie lokale Besucher, davon 58,4 % lokal auf dem Golfskurs Anteil der Käufe lokaler Güter ist entscheidend für den Verbleib der Kaufkraft vor Ort und kann aktiv gefördert werden Modellergebnisse der Impaktschätzung variieren bei gleichem Primärimpuls erheblich in Funktion der verwendeten Sekundärdaten Das beschäftigungsbasierte Modell wird bevorzugt Unterschiede zwischen Events und Austragungsorten können, müssen aber nicht bestimmend für Impaktdifferenzen sein Zentrale Variablen sind: Anzahl und Herkunft auswärtiger Besucher, Nähe involvierter Teams, Konsummuster, Aufenthaltsdauer und Zuweisungen auswärtiger Institutionen Vergleichsweise weniger relevant für diese Studie, da es sich um Ligaspiele handelt; aber auch hier im Mittel hohe spielbezogene Ausgaben/Kopf von Event-Touristen ($293,38) Auch diese kleineren Events werden bei gezielter Nutzung („Leveraging“) als sozioökonomisch fruchtbar erachtet
50
Ökonomischer Impakt von Sportgroßveranstaltungen
Viele dieser Arbeiten weisen erhebliche methodische Mängel auf, die in der einschlägigen unabhängigen Literatur bereits hinlänglich diskutiert worden sind (vgl. etwa Baade & Matheson, 2004; Crompton, 1995). Die genannten „seriösen“ tourismuswirtschaftlichen Event-Untersuchungen decken dabei neuerdings ein breiteres Spektrum an sportlichen Wettkämpfen ab, als der vorherrschende Begriff von Mega-(Sport-)Events abdeckt. So sind auch Golfturniere (Gelan, 2003) oder Volksläufe (Daniels, Norman & Henry, 2004) darunter zu finden (siehe überdies Mondello & Rishe, 2004; Gibson, Willming & Holdnak, 2003).
2.2.2
Methodische Ansätze zu Sportgroßveranstaltungen im Vergleich
Rein wirkungsanalytisch gilt es, sowohl bei Ex-ante- als auch Ex-post-Studien zum ökonomischen Impakt von Sportgroßveranstaltungen den nach kreislauftheoretischen Vorüberlegungen zu erwartenden schematischen Verlauf event-induzierter Wirtschaftsaktivität über die Zeit empirisch abzubilden. Besonders aufschlussreich hierzu sind die allgemeingültigen, langfristigen Event-Impakt-Modelle von Spilling (1999) in Abbildung 2.7. Als Maßstab für die tatsächlich veranstaltungsbedingten ökonomischen Wirkungen auf den Austragungsort ist die (hypothetische) Status-quo-Situation der „normalen“ Entwicklung ohne das Event heranzuziehen. Dann muss angesichts des inhärent temporären Charakters eines singulären Großereignisses grundsätzlich von dem Intermezzo-Modell 1 ausgegangen werden. In der Prä-Event-Phase sorgen vornehmlich (Sport-)Infrastrukturinvestitionen für erste Wirtschaftsimpulse und stoßen überdies Multiplikatoreffekte an. Die Investitionen sind jedoch weitgehend endogen aus der Wirtschaftskraft der Ausrichtungsregion zu finanzieren, weshalb sie zugleich kontraktive Effekte mit sich bringen. Demgegenüber stellen die Ausgaben auswärtiger Veranstaltungsbesucher einen Nettozufluss für den örtlichen Wirtschaftsraum dar, der sich ebenfalls multiplikativ verstärkt. Dadurch kommt in dem Modell der hohe Ausschlag in der Präsenzphase zustande, welcher infolge der kreislaufökonomischen Verflechtungen noch nachwirkt. In der weiteren Post-Event-Phase verstetigen sich allerdings wieder die wirtschaftlichen Prozesse, weil der vorübergehende Anstoßeffekt des Ereignisses ausgelaufen ist. Vorerst ist also festzuhalten, dass das skizzierte Intermezzo-Muster in der Natur einer einmaligen Großveranstaltung liegt und stets, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung, auftritt. Dies ist in den anderen Impakt-Modellen durch die gestrichelte Linie angedeutet. Die entwicklungspolitische Idealvorstellung wäre, wenn das Event sowie ggf. flankierende Maßnahmen das Angebot und/oder die Fähigkeiten des Standorts derart verändern (sog. Legacy Effekt, siehe Preuss, 2007c), dass über eine erhöhte Produktivität wie im Modell 2 ein nachhaltig steilerer Wachstumspfad erschlossen wird. Ursachen hierfür könnten Verkehrs- oder Technologieinvestitionen sein, die auch event-übergreifend und langfristig die lokale Wirtschaft endogen positiv beeinflussen. Zusammen mit den Signal- und Imagewirkungen kann damit eine Attraktivitätssteigerung verbunden sein, die für kontinuierliche exogene Zuflüsse durch Folgetourismus, Direktinvestitionen, Zuzüge oder Erschließung
2.2
Stand der sportökonomischen Impaktforschung
51
sonstiger neuer Wirtschaftsbeziehungen ursächlich ist (Preuss, 2007a). Als Parade- oder vielmehr Ausnahmebeispiel für dieses günstigste Szenario gelten die Olympischen Spiele von Barcelona 1992. Wirtschaftsaktivität
Impakt -Modell 1: Intermezzo
A
Prä -Event
B
Event
C
Post -Event
Impakt -Modell 2: Änderung der Wachstumrate
Prä -Event
A: Prä -Event -Phase B: Präsenzphase C: Post -Event -Phase
Entwicklung ohne Event (status quo)
Neue Wachstumsrate
Event
Post -Event
Impakt -Modell 3: Neues Niveau der Wirtschaftsaktivität
Entwicklung ohne Event (status quo)
Neues Niveau der Wirtschaftsaktivität
Prä -Event
Event
Post -Event
Entwicklung ohne Event (status quo)
Zeit
Abb. 2.7: Langfristige Event-Impakt-Modelle (Quelle: Kurscheidt (200), modifiziert nach Spilling (1999, S. 138)) Ein noch besseres und durchaus realistisches Impakt-Schema wird durch das Modell 3 beschrieben. Dabei koppelt sich die Post-Event-Entwicklung insofern von dem Intermezzo ab, als der zeitlich befristete Impuls über das Großereignis hinaus teilweise konserviert werden kann. Es tritt eine Art „Hysteresis-Effekt“ ein, der zu einer veranstaltungsinduziert anhaltenden Niveauverschiebung der Wirtschaftsaktivität und damit gleichfalls des örtlichen Wohlstands führt. Prinzipiell dürften für eine solche Konstellation ähnliche Vorgänge wie im Modell 2 verantwortlich sein, nur in geringerer Intensität, welche für eine kontinuierliche Erhöhung der regionalen Wachstumsrate nicht ausreicht. In der empirischen Prognose und Evaluierung jener allgemeingültigen Event-Impakt-Szenarios wurden in der Vergangenheit hauptsächlich drei methodische Zugänge verwendet, nämlich Satellitensysteme, Input-Output-Analysen (IOA) und Kosten-Nutzen-Analysen (KNA).
Ökonomischer Impakt von Sportgroßveranstaltungen
52
Tab. 2.4: Methoden der Impaktanalyse im Vergleich (leicht modifiziert in Anlehnung an Kurscheidt (2000, S. 52)) Satellitensystem
Input-Output-Analyse
Kosten-Nutzen-Analyse
Analyseziel
Aufstellung eines Datensystems zu den Kosten und Nutzen eines wichtigen Gesellschaftsthemas, welches bisher nicht oder ungenügend in der VGR erfasst wurde
Analyse der Produktionsstruktur eines Wirtschaftsraums oder Erfassung der Auswirkung einer exogenen Änderung der Endnachfrage auf das Produktionssystem
Entscheidung über ein öffentliches Großprojekt oder Politikprogramm nach normativen Kriterien (Allokationseffizienz) und dem Opportunitätskostenprinzip
Angewandte Methoden
x
Rechnungsergebnis
Fundierende Theorien
verschiedene pragmatische Schätzmethoden (oft einfache Extrapolationen und Multiplikatoranalysen)
x
Ökonometrie
x
x
verschiedene IOAspezifische Methoden
Investitionsrechnung (v. a. Diskontierung)
x
Methoden der Entscheidung unter Unsicherheit (z. B. worst-/best-caseAnalyse)
x
frei gestaltbares Datensystem
x
technische Inputkoeffizienten
x
Nettogegenwartswert
x
x
ergänzende qualitative Informationen
x
Vorhersage von Variablen des Input-Output-Systems
Tabellen der Kosten- und Nutzenposten nach einer präzisen Klassifizierung
x
spezifische (v. a.) mikroökonomische Theorien zu der untersuchten Thematik
x
makroökonomische Kreislauftheorie
x
Wohlfahrtsökonomik
x
x
mikroökonomische Produktionstheorie (der komplementären Güter)
mikroökonomische Theorie (v. a. Allokationsund Investitionstheorie)
x
Input-Output-Ökonomik (nach W. Leontief)
(i. w. S.) Politökonomik
x
x
Kreislauftheorie (insoweit als das Datensystem mit der VGR verknüpft ist)
Beziehung zur VGR
soweit wie möglich damit verknüpft, aber nicht vollständig harmonisiert
gehört zu ihr, d. h. sie ist vollständig mit ihr harmonisiert
keine explizite Beziehung
Raumeinheit
national (seltener regional)
insbesondere national,
insbesondere national,
aber auch regional und lokal je nach der Reichweite des untersuchten Impulses
aber auch regional und lokal je nach der Reichweite des untersuchten Projekts oder Programms
Satellitensysteme arbeiten mit volkswirtschaftlichen Datensätzen und in der Regel ergänzenden qualitativen Informationen als Ganzes. Sie werden mit dem Ziel aufgestellt, die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (VGR) um spezielle, als wichtig erachtete gesellschaftliche Phänomene zu ergänzen, die nicht isoliert ausgewiesen werden und nicht oder nur geringfügig im Bruttoinlandsprodukt (BIP) enthalten sind. Letzteres liegt meistens daran, dass ein hohes Maß an staatlicher Intervention und Externalitäten oder ein Mangel
2.2
Stand der sportökonomischen Impaktforschung
53
an funktionierenden Märkten in den betreffenden Gesellschaftsbereichen vorliegt (z. B. Bildung, Umwelt, Haushaltsproduktion). Ein Satellitensystem kann als eine Parallelrechnung zur VGR verstanden werden. Mit ihm wird versucht, alle relevanten Auswirkungen des betrachteten Untersuchungsgegenstands nach einer freien Klassifizierung von Kosten und Nutzen aufzuführen, d. h. eine globale Bilanz der induzierten realen und monetären Größen zu erstellen. Auf dem Gebiet des Sports wurde der Ansatz insbesondere zur Erfassung der (nationalen) wirtschaftlichen Bedeutung aller sportbezogenen Aktivitäten, aber auch in der frühen Phase der ökonomischen Sport-Event-Forschung eingesetzt. Die Input-Output-Analyse (IOA) umfasst alle quantitativen Analysemethoden, welche auf die Diagnose und Vorhersage struktureller Inderdependenzen eines Wirtschaftsraumes auf der Grundlage von statistischen Input-Output-Tabellen abstellen. Diese Matrizendarstellungen geben alle Güter- und Dienstleistungsströme eines Wirtschaftsgebiets, ausgedrückt in monetären Werten und gründlich klassifiziert in Produktgruppen und Industriesektoren nach standardisierten Definitionen, wieder. In den Tabellen werden folgende Strukturkategorien aufgeführt: (1) (2) (3)
der intermediäre Input (Vorleistungen bzw. interindustrielle Produktion), die Beziehung des Produktionssystems zur Endnachfrage (öffentliche und private Verwendung, Bruttoinvestitionen und Export) sowie der Primärinput (Abschreibungen, Steuern minus Subventionen, Löhne und Gehälter, Einkommen aus selbstständiger Arbeit und Gewinne sowie Importe).
Es handelt sich um eine umfassende und konsistent aufgestellte Datenbasis, welche die Produktionsstruktur der betreffenden Wirtschaft mithilfe technischer Koeffizienten abbildet. Mit der Schätzung ökonometrischer Gleichungssysteme auf Basis der Input-OutputTabellen können Auswirkungen exogener Variationen der Endnachfrage auf das Produktionssystem simuliert werden. Neuere, tief disaggregierte Input-Output-Modelle sind mit einem hohen Grad an Endogenität der Variablen leistungsfähige Analyseinstrumente des ökonomischen Impakts des Sports und seiner Veranstaltungen. Die Stärke der IOA besteht zum einen in der Harmonisierung mit den Größen der VGR und der detaillierten Abbildung der Wirtschaftsverflechtungen. Dies erlaubt eine branchenspezifische Berechnung von Sekundäreffekten und/oder von vergleichsweise – ebenso sektoral – exakten Multiplikatoren. Wenn die IOA zum anderen auf Input-Output-Tabellen beruht, die mit dem Datenkranz eines sportspezifischen Satellitensystems verknüpft sind, werden für die Sportökonomik besonders aufschlussreiche Untersuchungen möglich. Auch unabhängig von einer solchen sportbezogenen Datenbasis ist die IOA generell die am weitesten verbreitete Methodik in der Impaktanalyse von Sportgroßevents. Die Kosten-Nutzen-Analyse (KNA) schließlich ist ein breit angelegter und flexibler methodischer Zugang zur Identifizierung und Evaluierung (sozio-)ökonomischer Rückwirkungen von (vornehmlich) öffentlichen Großprojekten oder Politikprogrammen mit dem Ziel einer rationalen Entscheidungsfindung nach dem Opportunitätskostenprinzip und Wohlfahrtskriterien (Allokationseffizienz). Zuerst unterscheidet der Ansatz projektindu-
54
Ökonomischer Impakt von Sportgroßveranstaltungen
zierte Wirkungen in klar definierte Kosten- und Nutzenkategorien, einschließlich des indirekten Impakts und intangibler Effekte, also schwer oder nicht-monetarisierbare qualitative Auswirkungen. Dann werden diese soweit wie möglich bewertet, zusammengerechnet und über den gesamten (langfristigen) Planungshorizont diskontiert. Am Ende können die oft komplexen positiven und negativen Rückwirkungen und Interdependenzen zu einer hoch aggregierten Ziffer reduziert werden: dem Nettogegenwartswert. In der Untersuchung von sportlichen Großereignissen weist die KNA als explizite (normative) Evaluierungsmethodik im Verhältnis zu den vorgenannten, üblicheren (positiven) Wirkungsanalysen eine Reihe von konzeptionellen Vorteilen auf. Denn die anderen methodischen Zugänge (1) (2)
(3) (4) (5)
unterscheiden nur implizit zwischen positiven und negativen Auswirkungen des betrachteten Events, beschränken sich oftmals auf kurzfristige Effekte, und selbst wenn ein längerer Zeithorizont berücksichtigt wird, können die langfristigen Wirkungen nicht konsistent intertemporal evaluiert werden, vernachlässigen intangible Effekte, liefern kein theoretisch fundiertes Entscheidungskriterium und orientieren sich an keiner explizit ausgewiesenen Wohlfahrtsfunktion.
Demgegenüber ist die KNA ausdrücklich auf diese Analyseanforderungen einer angemessenen Projektevaluierung ausgerichtet. Daher verwundert es, dass KNAs bisher selten empirisch auf konkrete sportbezogene Veranstaltungsfälle angewandt wurden. Zudem stammen die meisten Studien aus dem deutschsprachigen Raum, obwohl die KNA im Allgemeinen in der angelsächsischen Literatur und staatlichen Praxis deutlich populärer ist. Einerseits nährt dies die in der Event-Forschung oft geäußerte Einschätzung, dass treffende Impaktprognosen im Vorfeld der Ereignisse von den Verantwortlichen gar nicht erwünscht sind und kaum ökonomisch-rational über Veranstaltungsbewerbungen entschieden wird. Für diese Neigung der (verbands-)politischen Entscheidungsträger wurden nicht zuletzt im vorangegangenen Abschnitt theoretische Erklärungen erarbeitet. Andererseits mehren sich in jüngerer Zeit verstärkt Stimmen unter den internationalen EventÖkonomen, die die KNA als am besten geeigneten Ansatz zur Entscheidungsunterstützung bei Sportgroßereignissen ansehen. Dessen ungeachtet ist auch die KNA kein „methodisches Allheilmittel“ und beinhaltet – allerdings in der einschlägigen Literatur hinlänglich bekannte – Analyseprobleme, die in der Anwendung bisweilen mit einem gewissen Pragmatismus zu lösen sind. Indes sind die anderen Impaktmethoden mit ähnlichen Schwierigkeiten behaftet, was somit die analytische Ausgangslage der KNA nicht maßgeblich schlechter erscheinen lässt. Die vorliegende Studie kann zum einen als ein primärempirischer Baustein für eine KNA als Ex-post-Evaluierung zur Fußball-WM 2006 und zum anderen für zukünftige Events als Blaupause für Ex-ante-Analyse angesehen werden.
2.3
Kreislauf- und tourismustheoretische Aspekte von Großsport-Events
2.3
Kreislauf- und tourismustheoretische Aspekte von Großsport-Events
2.3.1
Theorie und Methode der Berechnung wirtschaftlicher Impulse
55
Ziel der Studie ist es, möglichst umfassend die ökonomischen Auswirkungen der FußballWM 2006 durch die Besucher für die Bundesrepublik Deutschland zu berechnen. Da die Berechnungen sich ausschließlich auf den konsumtiven Impuls der Besucher der WM beschränken, wird nach der Bestimmung des Primärimpulses hier das sektoral disaggregierte makroökonomische Modell INFORGE (INterindustry FORecasting GErmany) verwendet, um den wirtschaftlichen Gesamteffekt zu berechnen. Damit erfüllt die Impaktanalyse die Ansprüche an diese Studie. Für das Berechnen des Primärimpulses ist es von großer Bedeutung, zwischen Mittelzuflüssen und Mittelabflüssen zu unterscheiden. Dabei sind die Netto-Mittelzuflüsse der einzelnen Wirtschaftssektoren (disaggregiert) zu erheben. Dies ist eine sehr komplexe Aufgabe. Folgende grundlegende Begriffe sind – den Annahmen des Export-BasisKonzeptes folgend – dabei zu unterscheiden: (1)
Mittelabflüsse: Diese bedeuten einen Entzug von finanziellen Mitteln, die dann für die Bewohner Deutschlands nicht mehr zu Einkommen führen bzw. Arbeitsplätze sichern/schaffen können. Mittelabflüsse sind quasi Importen gleichzusetzen. => Beispiel: Frankfurter Bürger führen einen zusätzlichen Auslandsurlaub durch, um der Fußball-WM im eigenen Lande zu entgehen.
(2)
Mittelzuflüsse: Diese bedeuten zusätzliche Nachfrage und stimulieren die Wirtschaft. Mittelzuflüsse sind wie Exporte zu behandeln. Im Weiteren werden sie auch „autonome Ausgaben“ genannt. => Beispiel: Amerikanische Bürger kommen wegen der WM nach Deutschland und konsumieren in Deutschland. Außerdem werden auch Importsubstitutionen (Verzicht inländischer Bewohner auf einen Auslandsurlaub) als Mittelzuflüsse betrachtet (Cobb & Olberding, 2007).
(3)
Umverteilungen: Dies sind Ausgaben, die aus Deutschland stammen und wieder in Deutschland zu Einnahmen führen. Der Begriff Umverteilung wird weiter als in seiner üblichen Bedeutung (mit hoheitlicher Macht durchgesetzte Umverteilung von Einkommen und Vermögen) betrachtet und schließt die Umverteilung der Nachfrage bzw. die Veränderung der intraregionalen Ressourcenallokation ein. => Beispiel: Hamburger Bürger besuchen ein WM-Spiel und verzichten dafür auf einen Kino- und Restaurantbesuch. Umverteilungen sind in den seltensten Fällen als neutral anzusehen, da die Mittel durch die WM in andere Wirtschaftssektoren fließen als in ihrer alternativen Verwendung. Dabei kommt es zu positiven Wirkungen, wenn z. B. die Vorleistungsver-
56
Ökonomischer Impakt von Sportgroßveranstaltungen
flechtungen stärker und/oder die Lohnquoten höher sind. Aber auch negative Wirkungen sind denkbar, wenn z. B. die Ausgaben für die WM in Wirtschaftssektoren erfolgen, die stärker importieren, höhere Steuern zahlen oder zu mehr Gewinnen führen als die alternative Ausgabe. (4)
Verdrängungen: Diese treten auf, wenn WM-bedingte Mittelzuflüsse dazu führen, dass alternative Mittelzuflüsse nicht erfolgen, die aber ohne die WM zeitnah erfolgt wären. => Beispiel: Ausländische WM-Besucher füllen die Hotelkapazitäten so stark, dass übliche ausländische Städtetouristen ganz auf einen Besuch verzichten (und ihn auch nicht zeitnah verschieben).
Auf die WM-bedingte zusätzliche Nachfrage reagiert der Markt zuerst mit einer Steigerung der Produktion, dann mit Preisänderungen und bei absehbar langfristig erhöhter Nachfrage auch mit Investitionen. Während durch Produktionssteigerung die erhöhte Nachfrage befriedigt werden kann und keine Preiserhöhung erfolgen muss, kommt es bei Kapazitätsengpässen zu Preiserhöhungen und damit zu Verdrängungen. Dabei wird u. a. die preiselastische private Nachfrage von der unelastischen öffentlichen Nachfrage oder private durch andere (unelastische, da Event-Besucher) private Nachfrage verdrängt. Bei Mega-Events wie der Fußball-WM kann es aber trotz einer Preiserhöhung zu kapazitätsüberschreitender Nachfrage kommen, die dann zu weiteren Verdrängungen führt (z. B. bei Auslastung der Hotels oder zu geringer Anzahl von Eintrittskarten; Solberg & Preuss, 2007). Die Fußball-WM führt jedoch nur in einzelnen Sektoren – räumlich begrenzt und für einen kurzen Zeitraum – zu stark erhöhter Nachfrage (z. B. Dienstleistung, Tourismus, Bauwirtschaft), was dann auch nur kurzfristige Verdrängungen nach sich ziehen kann. Die überwiegende Zahl der Verdrängungen wird wegen der absehbaren Kurzfristigkeit der erhöhten Nachfrage sehr wahrscheinlich zu einer Verschiebung der Nachfrage führen. Empirische Belege gibt es z. B. für die Besucher von Kongressen und Konferenzen. Jedoch ist eine Kompensation auch bei den Geschäftsreisen oder den Besuchen von Freunden und Verwandten anzunehmen. Bevor nähere Betrachtungen zur Ermittlung der ökonomischen Wirkungen der FußballWM angestellt werden, sollen noch einige weitere Begriffe erläutert werden. In Anlehnung an Rahmann et al. (1998, S. 97) sollen die zu berücksichtigenden unterschiedlichen Arten von Kosten und Nutzen für eine gesamtwirtschaftliche Analyse eines Mega-Events beschrieben werden. Dabei wird klar, dass in dieser Studie nicht alle Kosten und Nutzen berücksichtigt werden. Direkt vs. indirekt: Direkte Mittelzuflüsse und Mittelabflüsse sind unmittelbar mit der WM verbunden. Dies sind z. B. Ausgaben der Besucher in den Stadien und beim/für das Public Viewing oder Ausgaben der Inländer, die wegen der WM einen zusätzlichen Auslandsurlaub durchführen. Indirekte Mittelzu- und -abflüsse entstehen dagegen gewis-
2.3
Kreislauf- und tourismustheoretische Aspekte von Großsport-Events
57
sermaßen als Beiprodukt, wie z. B. die Verbesserung der touristischen Infrastruktur oder des Images. Das führt zu einer erhöhten Anzahl von Besuchern, die aber nicht wegen der WM kommen, sondern lediglich Deutschland bereisen wollen. Es wird deutlich, dass eine genaue Abgrenzung der direkten von den indirekten Kosten und Nutzen nur definitorisch möglich ist. So kann man darüber streiten, ob die Ausgaben einer nicht fußballinteressierten Begleitperson eines WM-Besuchers zu direkten/indirekten Mittelzuflüssen führen. Tangibel vs. intangibel: Zunächst ist trennscharf zwischen tangiblen Effekten (quantifizierbar) und intangiblen (nicht quantifizierbar) zu unterscheiden. Intangible Effekte können nur mit Hilfe qualitativer Aussagen beschrieben werden und führen nicht direkt zu Mittelzuflüssen oder -abflüssen. So lassen sich beispielsweise die Freude und der friedlich gefeierte Enthusiasmus der deutschen Bevölkerung über das erfolgreiche Abschneiden der Nationalmannschaft als intangibler Nutzen beschreiben. Indirekt hat dies das Image der Deutschen verbessert, was sich mittelfristig in erhöhten Inbound-Touristenzahlen und damit Mittelzuflüssen auswirken kann. Diese Effekte werden in dieser Studie nicht berücksichtigt. Es werden ausschließlich die monetären tangiblen Mittelzuflüsse und erfassbaren Mittelabflüsse berücksichtigt, die über die Abfrage der Konsummuster direkt ermittelt werden konnten. Nicht alle Mittelzu- und -abflüsse sind einfach, valide und vollständig zu erfassen. Die Analytiker sind in der Realität mit Problemen auf vier Ebenen konfrontiert. Dabei beschreiben die beiden ersten Ebenen die Schwierigkeit der Datenerfassung und die beiden anderen das Bewertungsproblem (Abb. 8.2). Auf der ersten Ebene muss der Analytiker zwischen WM-bedingten und nicht WMbedingten Effekten unterscheiden. In dieser Studie wird sehr konservativ vorgegangen. Daher werden nur die Besucher der offiziellen Public Viewings und der Stadien erfasst. Das zweite Erfassungsproblem (Ebene 2) liegt in der Erhebung der Daten. Es können nur die Informationen verarbeitet werden, die über den Fragebogen erhoben wurden. Dieser beschränkt sich auf die Reise- und Konsummuster. Es mag allerdings weitere Ausgaben gegeben haben, die nicht erfasst wurden, nicht angegeben wurden oder einfach vom Befragten sehr schlecht geschätzt wurden. Bei der anschließenden Bewertung (Ebene 3) muss eine Abgrenzung zwischen monetarisierbaren und nicht monetarisierbaren Wirkungen erfolgen. Reisemuster, Konsumänderungen u. ä. sind nicht monetarisierbar, während das Konsummuster zu Marktpreisen bewertete Mittelzuflüsse darstellt. Diese müssen schließlich noch nach ihrer tatsächlichen Wirkung für die Region hinterfragt werden (Ebene 4). Inländer, die z. B. nur während der WM ihren Konsum verändern, bewirken geringere Mittelzu- bzw. -abflüsse als ausländische WM-Besucher, die ausschließlich wegen der WM angereist sind.
Ökonomischer Impakt von Sportgroßveranstaltungen
58
Ebene 1 Erfassung
nicht WMbedingter Effekt
Ebene 2 Erfassung
Ebene 3 Bewertung
Ebene 4 Bewertung
WM-bedingter Effekt
Daten nicht zu erheben
nicht monetarisierbar
kein Mittelzufluss
Daten zu erheben oder gut zu schätzen
monetarisierbar
Mittelzufluss
Entscheidungsproblem
Abb. 2.8: Erfassungs- und Bewertungsprobleme ökonomischer Effekte der Fußball-WM Besucher (in Anlehnung an Preuß (1999, S. 23))
2.3.2
Theorie des Sport-Event-Tourismus
Wirtschaftlich bedeutend sind die autonomen Konsumausgaben der WM-Besucher in Deutschland. Daher gilt es in einem ersten Schritt zu unterscheiden, ob ein jeweiliger Besucher zu berücksichtigen ist. Ob ein Produkt als Sachgut physisch exportiert wird oder ein Ausländer nach Deutschland kommt, um eine Dienstleistung (Unterhaltung durch die Fußball-WM) vor Ort zu konsumieren, ist gleichwertig. In beiden Fällen handelt es sich um Exporte. In der folgenden Betrachtung der Besucherströme zur WM ist es zentral zu ermitteln, ob es zu WM-induzierten Exporten gekommen ist und damit autonome Mittel nach Deutschland gekommen sind. Dies ist kein triviales Unterfangen, denn die entscheidende Größe, die für den Primärimpuls relevanten Mittelflüsse zu ermitteln ist, bedarf der Berücksichtigung der Motivation zum WM-Besuch. Abbildung 2.9 differenziert zunächst schematisch die denkbaren Bewegungen der In- und Ausländer, die durch die Fußball-WM induziert werden.
2.3
Kreislauf- und tourismustheoretische Aspekte von Großsport-Events
„Home Stayer“ Einwohner, die es vorzogen in Deutschland zu bleiben und hier ihr Geld auszugeben, anstatt für einen Urlaub im Ausland zu einem ggf. auch anderen Zeitpunkt „Verlängerer“ Touristen, die ohnehin Deutschland besucht hätten, aber wegen der WM länger bleiben „WM-Tourist“ Personen, die Deutschland nur wegen der WM besuchen
B
„Umbucher“ Einwohner, die Deutschland für ihren Urlaub verlassen und diesen gezielt auf den Zeitraum der WM gelegt haben
C
D
„Casuals“ Touristen, die auch ohne die WM zur Zeit der WM nach Deutschland gekommen wären „Inländer“
E
I
A
59
F
H „Flüchtlinge“ Einwohner, die Deutschland wegen der WM verlassen, um Urlaub zu machen
„Timeswitcher“ Touristen, die Deutschland besuchen wollten, aber zu einem anderen Zeitpunkt
G „Vermeider“ Touristen, die ausbleiben, aber ohne die WM gekommen wären G1 = „Time Switcher“ G2 = „ganz verloren“
Abb. 2.9: Besuchertypen (Quelle: Preuss, 2005) Die Abbildung zeigt die zu differenzierenden Besuchertypen der Fußball-WM. Zu unterscheiden sind prinzipiell die Inländer (Pfeilursprung im Dreieck) von den Ausländern (Pfeilursprung außerhalb des Dreiecks). Gruppen A, B und C: Mittelzuflüsse nach Deutschland Die Gruppen A, B und C führen autonome Mittel nach Deutschland. Der WM-Tourist und der Verlängerer sind beide Besuchertypen, die ausschließlich wegen der WM nach Deutschland gekommen sind. Ihr gesamter Konsum kann als Mittelzufluss berücksichtigt werden. Die „Home Stayers“ (Gruppe C) sind allerdings Inländer, die wegen der FußballWM auf einen Auslandsurlaub verzichten und daher ihr gesamtes alternatives Urlaubsbudget in Deutschland ausgeben (sog. Importsubstitution; Cobb & Olberding, 2007; Cobb & Weinberg, 1993). Gruppen D, E, F, G1 und I: überwiegend neutrale Wirkungen Die Gruppe D ist als neutral zu betrachten, denn die Inländer, die zwar während der Fußball-WM Deutschland verlassen, dabei aber auf keinen anderen Auslandsurlaub verzichten, bewirken keinen Mittelabfluss. Diese spezielle Gruppe wird allerdings häufig als „Flüchtlinge“ (Gruppe H) wahrgenommen, da es sich um Inländer handelt, die angeben, wegen der WM ins Ausland zu reisen. Tatsächlich bewirken diese jedoch nur eine
60
Ökonomischer Impakt von Sportgroßveranstaltungen
zeitliche Umverteilung der Mittelabflüsse, die genaugenommen nur mit ihrem Zinseffekt berücksichtigt werden dürfte. Da „Umbucher“ jedoch ihren geplanten Urlaub teils vor, teils hinter das Event „ziehen“, dürften sich die Zinseffekte in ihrer Summe ausgleichen. Die Gruppen E, F und G1 sind nur von ökonomischer Relevanz, sofern sie a) durch den Besuch der Fußball-WM mehr konsumieren als in einem „üblichen“ Urlaub in Deutschland, b) der Konsum während der Fußball-WM ein anderer ist und damit andere Wirtschaftsbranchen mit unterschiedlich hoher Bruttowertschöpfung tangiert werden. Besonders schwer ist zwischen der Gruppe F (Timeswitcher) und den Gruppen A und B (WM-Tourist & Verlängerer) zu unterscheiden. Alle sind Ausländer, die den Zeitpunkt ihrer Reise wegen der WM ausgesucht haben. Die Timeswitchers wollten allerdings ohnehin nach Deutschland kommen und verlegten ihren Besuch aufgrund der WM lediglich. Damit kann ihr Konsum kaum als autonomer WM-induzierter Mittelzufluss bewertet werden, denn ein Großteil der Ausgaben wäre ohne die Fußball-WM ebenfalls in Deutschland getätigt worden. Die Gruppe I (Inländer) ist nur von ökonomischer Relevanz, sofern sich die marginale Konsumquote der Inländer kurz- bzw. langfristig ändert, ohne dass die kurz-/langfristig erhöhten Ausgaben zu einer anderen Zeit wieder gespart werden. Dieser Aspekt wird im Verlauf dieser Studie später genauer thematisiert. Genau genommen muss die Gruppe I jedoch in diejenigen unterteilt werden, die a) „normale“ Inländer sind, die auf keinen Urlaub im Ausland verzichten, und b) diejenigen, die auf eine Reise zur Fußball-WM verzichten, weil die WM im eigenen Lande stattfindet. D. h. diese Inländer verzichten zwar nicht direkt auf einen Auslandsurlaub (wie die „Home Stayers“ – Gruppe C), wären allerdings in ein anderes Land gefahren, wäre die Fußball-WM nicht nach Deutschland vergeben worden (Oldenboom, 2006, S. 99).
Gruppen G2 und H: Mittelabflüsse aus Deutschland Diese Gruppen können in empirischen Untersuchungen während einer Großsportveranstaltung nicht befragt werden. Sie müssen allerdings bei Berechnungen eines event-induzierten Primärimpulses berücksichtigt werden. Mit Gruppe H (Flüchtlinge) sind diejenigen Inländer erfasst, die allein wegen der FußballWM einen zusätzlichen Auslandsurlaub durchführen und damit Mittel aus Deutschland abführen, die sie ohne die Fußball-WM in Deutschland verausgabt hätten. Allerdings ist hier bereits einschränkend anzumerken, dass das Hauptreisemotiv die „Flucht“ vor der WM gewesen sein und dies empirisch erfasst werden muss.
2.3
Kreislauf- und tourismustheoretische Aspekte von Großsport-Events
61
Ungleich schwerer ist die Abschätzung der Gruppe G2 (Vermeider, die ganz auf ihren Urlaub verzichten). Auch sie können nicht während des Events befragt werden. Dabei ist diese Gruppe von der Gruppe G1 zu unterscheiden. Während die Gruppe G1 ihren Besuch in Deutschland wegen der WM lediglich verschiebt, lässt die Gruppe G2 diesen ganz ausfallen. Auch hier spielt die Reisemotivation wieder eine besondere Rolle. Als Gruppe G2 müssen alle diejenigen gezählt werden, die definitiv ohne die WM nach Deutschland gereist wären, für die die WM also der Hauptanlass zum Verzicht auf diese Reise nach Deutschland war (siehe Preuss, 2005). Für das Modell zur Berechnung des Primärimpulses der Fußball-WM bedeutet die Differenzierung der WM-Besucher nach Abbildung 2.9, dass nicht alle ausländischen Besucher der Fußball-WM berücksichtigt werden dürfen (lediglich A und B), aber auch nicht alle Inländer vernachlässigt werden dürfen (Gruppe C muss einbezogen werden). Während diese drei Gruppen (A, B, C) mit ihrem gesamten Konsum bzw. Reisebudget in die Berechnung des Primäreffektes einfließen, ist dies bei den Gruppen E, F und I komplizierter. Bei diesen muss die Änderung ihres Konsums während der WM berücksichtigt werden. Da die Inländer (Gruppe I) wegen der Fußball-WM wahrscheinlich nicht ihre marginale Konsumquote verändert haben, können die Inländer (Gruppe I) im Modell dieser Studie vernachlässigt werden. Die Gruppen E und F werden hingegen mit dem Unterschied ihres WM-Konsummusters zu dem Konsummuster „normaler“ Städtetouristen berücksichtigt. Die Gruppen H und G sind nicht durch eine Befragung der Besucher während der WM zu ermitteln. Für eine exakte Ermittlung wäre der entgangene Mittelzufluss der Gruppen H und G2 vom Primärimpuls abzuziehen. In einer Formal ausgedrückt ließe sich der Primärimpuls folgendermaßen ausdrücken. ǻ Y = A + B + C + ǻ E + ǻ F – H – G2
3
Methodik der empirischen Untersuchung
Die Ermittlung des Konsums von Besuchern auf Sportveranstaltungen ist keine triviale Aufgabe. Mögliche „Bottom-up-Erhebungsmethoden“ von Konsumausgaben können ansetzen bei: a)
der Angebotsseite, indem z. B. eine Befragung im Einzelhandel und Beherbergungsund Gastronomiegewerbe durchgeführt wird;
b)
der Nachfrageseite, indem die Event-Besucher befragt werden.
Bisher wurden die Konsumausgaben von Event-Besuchern oft im Rahmen von Auftragsstudien zu ökonomischen Auswirkungen dieser Events nach Plausibilitäten und kaum abgesicherten (event-unspezifischen) Eckwerten geschätzt. Der Mangel an unabhängigen, methodisch soliden empirischen Erhebungen zieht unweigerlich eine große Streuung in den Konsumprognosen der zahlreichen Impaktstudien, die zu Mega-Events angefertigt wurden, nach sich. Häufig wird in diesen Arbeiten auf bekannte Konsummuster von Touristen der Region zurückgegriffen, oder es werden gar Schätzungen nach rein kausallogischen Überlegungen durchgeführt, wie dies z. B. Brenke & Wagner (2007a, S. 11) zur Fußball-WM 2006 tun. In der sportökonomischen Literatur zu Sportgroßveranstaltungen sind theoretische Abhandlungen über Konsummuster von Besuchern ebenfalls kaum zu finden. Nur sehr wenige Event-Studien verwenden unmittelbar empirisch gestützte Konsummuster von Besuchern der sportlichen Großereignisse. Ein Grund dafür ist, dass diese nur ex post ermittelt werden können, der überwiegende Teil von Studien aber ex ante erstellt wurde. Wissenschaftler, die Konsumausgaben erhoben haben, stammen aus den USA (Daniels, Norman & Henry, 2004; Mondello & Rishe, 2004; Crompton, 1999), Australien und Südkorea (Lee & Taylor, 2005), Großbritannien (Gelan, 2003; Gratton, Dobson & Shibli, 2000), den Niederlanden (Oldenboom, 2006), Schweiz (Stettler et al., 2005) und Deutschland (Gans, Horn & Zemann, 2003). Diese Autoren untersuchten jedoch überwiegend kleinere Festivals und mittelgroße Sportveranstaltungen. Konsumausgaben der Besucher von herausragenden sportlichen Großereignissen oder Mega-Events wurden bisher lediglich von Lee & Taylor (2005), Oldenboom (2006) und Preuß erhoben (bei den Commonwealth Games in Manchester 2002, den Asian Games in Busan 2002, den Olympischen Spielen in Athen 2004 (in Kooperation mit der „Forschungsgruppe Olympia“), dem FIFAConfederations Cup 2005TM (Confed-Cup; in Kooperation mit Kurscheidt & Schütte) sowie mit Unterstützung von Mainzer Studierenden bei der Hockey-WM 2006 in Mönchengladbach, der Handball-WM 2007 und der Turn-WM 2007 in Deutschland). Ungeachtet dieser Untersuchungen besteht gegenwärtig in der Event-Forschung große Unsicherheit über das Ausmaß und die Wirkung des Konsums von Besuchern von Sport-
Methodik der empirischen Untersuchung
64
großveranstaltungen. Insbesondere die Möglichkeiten der Messung des Primärimpulses werden kontrovers diskutiert (siehe hierzu z. B. Gelan, 2003; Faulkner & Raybould, 1995). Die Erhebung der Daten zur Ermittlung der Konsum- und Reisemuster von Besuchern der Fußball-WM erfolgte für diese Studie nach einer mehrfach geschichteten Klumpenstichprobe (siehe Kapitel 3.2.3). Dazu wurden viele einzelne Befragungen während der offiziellen Public Viewings und in Stadien der Ausrichterstädte zwischen dem 9.6.2006 und dem 5.7.2006 durchgeführt. Eine besondere Herausforderung stellte die empirisch-methodisch angemessene Erhebung der Konsummuster der Besucher auf den Public Viewings dar, denn über deren Grundgesamtheit existieren keine ausreichenden Informationen, um die Repräsentativität der Ergebnisse zweifelsfrei zu überprüfen. Die Ermittlung der Daten in den verschiedenen Stichproben erfolgte daher mit Hilfe unterschiedlicher methodischer Zugänge. Dieser Methodenmix diente u. a. dazu, die Qualität der Datenerhebungen abzusichern oder auch von den Stichproben auf die Grundgesamtheit der Public-ViewingBesucher hochrechnen zu können. Übergeordnet wird mit der vorliegenden Studie das Ziel verfolgt, die vielfältigen methodischen Möglichkeiten zur Messung von Konsum- und Reisemustern bei Sportgroßevents auf ihre Gleichwertigkeit und Qualität hin zu untersuchen, um künftigen Forschungen auf diesem Gebiet eine empirisch fundierte Leitlinie bereitzustellen. Im Folgenden werden die eingesetzten Erhebungsmethoden erläutert sowie die Qualität und Repräsentativität der Daten dieser Studie mit Kennziffern sowie Beobachtungen beschrieben.
3.1
Methodisches Instrumentarium
Tabelle 3.1 gibt einen Überblick aller zum Einsatz gekommenen Methoden und der damit verbundenen Zielsetzung.
3.1.1
Standardisierte Zuschauerbefragung bei Public Viewings und in Stadien
Den Kern der Untersuchung bildet eine standardisierte Fragebogen-Befragung von EventBesuchern (n=9.456). Dabei handelt es sich um Besucher von Fußballstadien (n=5.098) und Public Viewings (n=4.078). Das Erhebungsvorgehen folgte dem zufallsgesteuerten Auswahlverfahren der mehrstufigen Klumpenstichprobe. Für die Befragung der Stadion- und Public-Viewing-Besucher wurde ein nahezu identischer Fragebogen entwickelt. Derjenige für die Public Viewings unterscheidet sich von dem an den Stadien eingesetzten lediglich in Details. Beide Fragebögen standen auf Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch und Portugiesisch zur Verfügung. Sie lagen in der handlichen Form einer vierseitigen DIN-A5-Broschüre vor, die für eine schriftliche Beantwortung ausgelegt und im Durchschnitt in nur ca. zehn Minuten auszufüllen war.
3.1
Methodisches Instrumentarium
65
Tab. 3.1: Übersicht der verwendeten Methoden Methode
Standardisierte Befragung (Fragebogen)
n= 9.456
n= 1.196 n= 2.615
Vergleich mit Vorgängerstudien n= 2.422 (Sekundäranalysen) n= 848 n= 814 BesuchertypenBeobachtung
n= 8.809
Frequenzbefragung
n= 278
Details und Varianten -
Public Viewing vs. Stadion Inländer vs. Ausländer
-
mündlich vs. schriftlich vor vs. im Stadion in 11 von 12 WM-Städten
Ziel -
Erhebung der Reise- und Konsummuster nach Orten und Typen von EventBesuchern
-
Methodenvergleich
Commonwealth Games 2002 Olympische Spiele Athen 2004 (Fußballturnier) Confed-Cup 2005 Hockey-WM 2006 Handball-WM 2007 Zählung am Stadioneingang bzw. im Stadion hinsichtlich Geschlecht, Erwachsener vs. Kind und Fanzugehörigkeit (Nation) Kurze mündliche Befragung zur Herkunft der Besucher -
Einordnung der Reise- und Konsummuster durch Vergleich Analyse der Effekte von Einzel- vs. Multi-SportEvents, Inland vs. Ausland, Sportart Repräsentativitätstests Beobachtung von Fanverhalten Repräsentativitätstests Methodenerprobung
-
Qualitative Beobachtung
-
Sammlung von ergänzenden Informationen zur besseren Interpretation der Ergebnisse aus der standardisierten Befragung
Dokumentenanalyse
Dokumente - des OK der Fußball-WM - der Veranstalter der offiziellen Public Viewings in WM-Städten - der Wirtschaftsverbände, Banken, Tourismusverbände etc. - Zeitungsberichte zur WM - andere quantitative wiss. Erhebungen
Sammlung von ergänzenden Informationen zur standardisierten Befragung Repräsentativitätstest (Nationenverteilung der verkauften Tickets, Anzahl von Besuchern der Public Viewings, andere soziodemographische Daten)
Modellrechnung nach INFORGE (Sport)
Eingang in das Modell finden die hochgerechneten primären Konsumausgaben der Besucher der Fußball-WM
Berechnung der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung der Besucher der Fußball-WM
Beobachtung des Fanverhaltens Beobachtung des Kaufverhaltens
66
Methodik der empirischen Untersuchung
Der Fragebogen beinhaltet 18 umfassende Frageblöcke, aus denen ca. 150 Variablen generiert wurden. Als Folge der im Beantwortungsfluss gezielt platzierten Filterfragen mussten die Fragebögen nie komplett ausgefüllt werden. Diese Filter bezogen sich auf spezielle Frageblöcke, die z. B. entweder für Tagestouristen oder Touristen mit Übernachtung konzipiert waren und später noch einmal für Inländer (Personen mit Wohnsitz in Deutschland) oder Ausländer. Die Teilnahmebereitschaft bzw. Rücklaufquote war außerordentlich hoch und lag bei über 99 %. Dies ist damit zu erklären, dass ein Befrager sich in seinem lokalen Befragungsbereich und damit in unmittelbarer Nähe der WM-Besucher für die Beobachtung des Antwortverhaltens, allgemeine Assistenz (u. a. Ausgabe und Rücknahme von Stiften) sowie Rückfragen der Teilnehmer aufhielt. Das Bemühen, in einem klar zugewiesenen, abgegrenzten örtlichen Bereich eine möglichst hohe Rücklaufquote zu erreichen, hat einen methodischen Hintergrund. Denn bei einer mehrstufigen Klumpenstichprobe sollte im letztlich ausgewählten Klumpen möglichst eine Totalerhebung erfolgen oder angenähert werden. Außerdem hatte die Präsenz des Befragers auch einen forschungsökonomischen Grund: Die Beobachtung des Befragers ermöglichte, auf dem zurückgegebenen Fragebogen eine kurze Bewertung des Befragten vorzunehmen und somit offensichtliche Beeinflussungen der Antworten durch andere Gruppenmeinungen, (ggf. zu starken) Alkoholkonsum oder sprachliche Probleme zu identifizieren und zu vermerken. Schließlich übte die Präsenz des Befragers indirekten Druck aus, den Fragebogen ordentlich bzw. überhaupt auszufüllen, wobei die Form der schriftlichen Befragung genügend Anonymität ließ, damit sensible Fragen, z. B. nach Einkommen und Alter – die zur Vermeidung von Reaktanz zudem erst am Ende platziert waren –, zu einem hohen Prozentsatz beantwortet wurden. Pretests Der Untersuchung wurden zwei Pretests vorgeschaltet. So konnten die Fragenkomplexe ausgewählt werden, die sich in vorangegangenen Erhebungen zur gleichen Thematik bewährt hatten. Dies war z. B. die Befragung beim Confed-Cup 2005 in Frankfurt. Die Auswertung der Fragen zeigte dort bereits die hohe Validität der Ergebnisse. Des Weiteren diente die erste Befragung in München (WM-Eröffnungsspiel) als Pretest. Die Verständlichkeit des Fragebogens wurde durch eine große Zahl gezielter mündlicher Befragungen und eine genaue Beobachtung der Reaktion der Befragten, insbesondere bei Ausländern, überprüft. Außerdem erfolgte eine sorgfältige Durchsicht der durch schriftliche Befragungen erhobenen Daten im Hinblick auf ausgelassene Fragen und mögliche Fehlinterpretationen. Der Fragebogen stellte sich bereits im ersten WM-Einsatz als sehr solide heraus, sodass keine Änderungen vorgenommen werden mussten. Damit konnte der Münchener Datensatz vom Eröffnungsspiel (n=242) in die Gesamterhebung integriert werden.
3.1
Methodisches Instrumentarium
67
Erhebungstechniken Insgesamt wurden drei Erhebungstechniken eingesetzt, und zwar mündlich und schriftlich „offline“ vor Ort sowie schriftlich „online“. Die überwiegende Anzahl der örtlichen Befragungen erfolgte schriftlich, wobei sich der Befrager wie angemerkt immer in direkter Nähe aufhielt. Mündliche Befragungen erwiesen sich als zeitaufwendig und daher forschungsökonomisch ineffizient. Außerdem konnten so nur Besucher befragt werden, deren Sprache die Befrager mächtig waren. Auch die Kurzbefragungen zur Ermittlung grundlegender Eckdaten in Bezug auf die Grundgesamtheit haben sich als ineffizient herausgestellt. Nachdem die Qualität der schriftlich erhobenen Daten überprüft worden war, wurden daher keine mündlichen Befragungen mehr durchgeführt. Als dritte Erhebungstechnik kam das Internet zum Einsatz. Dabei sollten die Adressaten einen digitalen Fragebogen ausfüllen, falls sie ein Spiel im Stadion verfolgt hatten. Anschließend wurden sie gebeten, den Link an Bekannte, die ebenfalls im Stadion waren, weiterzuleiten („Schneeballsystem“). Diese Onlinebefragung diente zum einen dazu, die Eignung dieser Erhebungsmethode zur Ermittlung von Konsummustern zu testen, und zum anderen, die Zahl der Befragten nach dem Besuch eines Spiels zu erhöhen. Insgesamt wurden außerhalb des Stadions (n=4.907) und im Stadion (n=522) Besucher befragt. Tabelle 3.2 führt die genaue Verteilung der Orte der Befragung auf. Diese gibt jedoch die später unterschiedenen Besuchertypen nicht wieder, da einige Besucher zwar auf den Public Viewings befragt wurden, aber zur Gruppe der Karteninhaber gehörten, wie umgekehrt auch Public-Viewing-Besucher vor dem Spiel am Stadion interviewt wurden, die anschließend dann zum nahe gelegenen Public Viewing gingen. Tab. 3.2: Übersicht zu den Befragungsorten Stadion außerhalb n=4.377 innerhalb n=522 Internet ex post n=161 ______________________ Summe n=5.060
Public Viewing
n=4.043
Sonstige Hotel im Spielort nicht zuzuordnen
n=72 n=11 n=18
Insgesamt: n= 9.456
Generell begannen die Befragungen vier Stunden vor dem Spiel, in wenigen Fällen auch schon vorher in Zubringerzügen. Weit vor dem Spiel sammelten sich die Fußballfans bereits in großer Zahl vor den Stadien, um auf Freunde zu warten, die Atmosphäre vor dem Stadion zu genießen oder noch etwas zu essen und zu trinken. Diese für einen reibungslosen Verlauf der Befragungen äußert vorteilhafte Verhaltensweise wurde zudem durch das Sommerwetter zur Zeit der WM begünstigt. In der Nähe der Stadien konnte somit bis ca. eine Stunde vor dem Spiel störungsfrei befragt werden. Dann begann in der
68
Methodik der empirischen Untersuchung
Regel eine allgemeine Unruhe, wenn die Besucher sich in Richtung Stadioneingang bewegten, was die Befragungen zunehmend erschwerte. Daher wurde die Erhebung stets zu diesem Zeitpunkt eingestellt. Innerhalb der Stadien konnten nur vergleichsweise wenige Besucher befragt werden (n=522), weil das Befragerteam mangels Unterstützung durch das OK 2006 nur begrenzten Zutritt hatte. In den Stadien wurden Orte zur Befragung gewählt, an denen wartende Zuschauer anzutreffen waren, z. B. auf den Tribünen vor dem Spiel, in der Halbzeitpause oder vor den Cateringständen. Bei den Public Viewings bzw. angrenzenden Fan-Festen erfolgten die Befragungen auf ähnliche Weise wie vor den Stadien. Die Erhebungen begannen ebenfalls ca. vier Stunden vor Spielbeginn. Die Befrager suchten sich wieder Plätze, an denen sie Menschen in Wartesituationen antrafen. Dabei wurde gleichermaßen darauf geachtet, möglichst viele Fragebögen gleichzeitig in einem überschaubaren Bereich (Klumpen) zu verteilen. Die Fan-Feste in den WM-Städten hatten sehr unterschiedliche Organisationsformen. Im Zentrum stand das eigentliche „Public Viewing“, ein abgesperrter großer öffentlicher Raum, von dem aus man auf einer Leinwand gemeinsam ein Fußballspiel verfolgen konnte. Der Eintritt war unentgeltlich, wenngleich Sicherheitskräfte den Zutritt kontrollierten. Viele Fan-Feste hatten außer der Leinwand für das Public Viewing zusätzliche Bühnen, auf denen ein Begleitprogramm mit z. B. Musik, Tombolas, Quizshows stattfand. An einigen Austragungsorten schlossen sich „Fan-Meilen“ an, auf denen für Unterhaltung durch Musikgruppen, Straßenkünstler u. ä. gesorgt wurde sowie Waren unterschiedlichster Art angeboten wurden. Befragt wurde sowohl auf den Fan-Festen (in Kaiserslautern auch „Kulturmeile“ genannt) als auch innerhalb des abgesperrten Platzes mit der Großbildleinwand (z. B. Hamburg, Berlin), dem eigentlichen Public Viewing. Oft (z. B. in Köln) wurden zunächst Besucher auf dem Fan-Fest angesprochen und nicht sofort auf dem Gelände vor der Leinwand, da sich dieses meistens erst unmittelbar vor dem Spiel füllte. Die Public Viewings hatten überwiegend Stehplätze, auf denen relativ schlecht interviewt werden konnte. Sehr einfach dagegen war das Befragen auf den temporären Tribünen wie z. B. bei den Public Viewings in Frankfurt/Main („Mainarena“) oder in Berlin („Adidas Arena“). An einigen Spielorten mischten sich die Besucher des Public Viewing mit denen, die ins Stadion gingen. Beispielsweise bildeten die Fan-Feste in Kaiserslautern, Nürnberg und Dortmund eine „Fanmeile“ unmittelbar vor dem Stadion. So verweilten die Stadionbesucher gern auf dem Fan-Fest, bevor sie in das Stadion strömten. Da sich die Fragebögen für Besucher des Public Viewing und Stadions nur in zwei Fragen unterschieden, war dies für die Datenerhebung unproblematisch. Diejenigen, welche eine Stadionkarte besaßen, wurden als Stadionbesucher registriert und nicht mehr als Besucher des Fan-Festes in der Auswertung behandelt. Damit wurden Doppelerfassungen unter den Besuchern ausgeschlossen.
3.1
Methodisches Instrumentarium
69
Eine praktische Schwierigkeit für die umfassende Erhebung der Daten war, dass die Spiele in der Gruppenphase zeitlich nah beieinander lagen. Da im Wesentlichen nur ein geschultes Befragungsteam von 17 Personen zur Verfügung stand und der Befragungskorridor relativ kurz war, konnten nicht so viele Spiele, wie wünschenswert gewesen wäre, aufgesucht werden. Als eine zusätzliche Möglichkeit, Konsum- und Reisemuster ausgewählter Ausländergruppen zu erheben, bot sich die Befragung in Hotels an. Mit Hilfe der Leitung des WM Accommodation Service, Herrn Eckhard Viehöver, sowie des Accommodation Guide waren die Anschriften der Hotels, in denen größere Zahlen von ausländischen Besuchern untergebracht waren, bekannt. Ohne die Zufallsstichprobe an den Stadien und in Public Viewings zu beeinflussen, wurde deshalb durch eine Sonderbefragung versucht, die Daten zu Konsum- und Reisemustern bestimmter Ausländergruppen (z. B. der Brasilianer) abzusichern. Dies geschah in Form einer schriftlichen Befragung in Hotels. Dort wurden jeweils am WM-Informationsdesk in der Hotellobby Fragebögen hinterlegt. Die Bereitschaft der Hotelbetreiber, diese Befragung zu unterstützen, war geteilt. Letztlich wurden lediglich 72 Hotelbögen ausgefüllt. Ein weiterer Versuch zur Befragung von Besuchern ausgewählter Nationen war, sie in den Städten, in denen während der Fußball-WM viele Hotels durch diese Gruppe belegt waren, mittels Straßenbefragungen oder an deren nationalen Treffpunkten (z. B. Kulturfest und Fantreff der Brasilianer im Deutschen Sport & Olympia Museum, Köln) anzusprechen. Dieses Konzept ist ebenfalls weitgehend gescheitert. Die Besucher des brasilianischen Kulturfests und der Fantreffpunkte entpuppten sich als überwiegend in Deutschland wohnende Brasilianer und waren damit für die Zwecke dieser Studie als Inländer zu werten. Nach Angaben der Industrie und Handelskammer sollen während der Fußball-WM 5.000 Brasilianer ein Hotelzimmer in Köln gebucht haben7. Sie waren jedoch letztlich nur selten in Köln anzutreffen, da sie wahrscheinlich an Spieltagen ihrer Mannschaft hinterher reisten und an spielfreien Tagen des brasilianischen Teams touristische Ziele außerhalb Kölns besuchten. Da sich zeigte, dass sich die ausländischen Besuchergruppen sehr gut vor den Stadien und auch in den Public Viewings erfassen ließen und der Rücklauf bei den Hotelbefragungen vergleichsweise gering war, kann für künftige Studien empfohlen werden, sich auf Public Viewings und Stadionbefragungen zu beschränken. Befragungsteam Für die vorliegende Studie waren verschiedene Befragergruppen aktiv. Der Hauptanteil der Befragungen wurde von einem 17-köpfigen, geschulten und entlohnten Team Studierender der Johannes Gutenberg-Universität Mainz durchgeführt. Dazu sind gezielt hoch motivierte Studierende ausgewählt worden, die über (sehr) gute englische Sprachkenntnisse verfügen (und ggf. eine dritte Sprache beherrschen). Außerdem hatten sich die meis7
http://www.ihk-koeln.de/Service/Presse/PresseinformationenMaiJuni06/230506_BrasilienFanWM.jsp, letzter Zugriff 18.12.2007.
70
Methodik der empirischen Untersuchung
ten Studierenden bereits bei der Befragung der Besucher des Confed-Cup 2005 engagiert und brachten Erfahrungen in der Feldforschung mit. Nicht immer konnte das gesamte Team zu einem Standort geschickt werden. Daher variierte die Anzahl der Mitglieder in den Befragerteams zwischen vier und 13 Personen, wobei im Durchschnitt acht Interviewer im Einsatz waren. Ein ebenfalls bezahltes und geschultes Team von Studierenden der Fachhochschule Kufstein unterstützte das Befragerteam an zwei Spieltagen in München. Auch diese Studierenden hatten Erfahrung im Befragen von Event-Besuchern, denn sie führten zuvor eine ähnliche Untersuchung beim Hahnenkammrennen in Kitzbühel 2006 durch. Hinzu kamen fünf Diplomanden, die im Zuge ihrer wissenschaftlichen Abschlussarbeit Besucher befragten. Sie übernahmen allerdings Sonderbefragungen, welche die allgemeine Zufallsstichprobe verzerrungsneutral ergänzten. Drei Diplomanden konzentrierten sich auf bestimmte Ausländergruppen (Brasilianer, Argentinier, Australier). Der vierte Diplomand führte zahlreiche Befragungen beim Hamburger Public Viewing auf dem Heiligengeistfeld durch. Der fünfte Diplomand befragte innerhalb verschiedener Stadien in Deutschland, da er als Praktikant der Bitburger Brauerei Zutritt zu allen Stadien hatte. Schließlich halfen in relativ kleinerem Umfang auch Studierende aus verschiedenen Kursen der Universitäten Mainz, Bochum, der Deutschen Sporthochschule Köln, der Hochschule BiTS Iserlohn und der State University of New York (SUNY Cortland) bei der Befragung mit. Alle Befragungen mit studentischen Gruppen wurden sowohl von Dozenten als auch von Mitgliedern des geschulten Befragerteams begleitet und die Befrager zuvor eingewiesen, um die gleiche Erhebungsgüte wie bei dem etatmäßigen Team zu gewährleisten. Die ordnungsgemäße Befragungsarbeit wurde geprüft und mit einer Kursbescheinigung gewürdigt. Dadurch konnten etwa die methodisch bedeutsamen Folgebefragungen an einem WM-Spielort (v. a. Dortmund und Frankfurt/Main) sowie die hinreichende Erfassung von Spielen unter Beteiligung der deutschen Nationalmannschaft und von Stadionbesuchern eines Halbfinales (beide Dortmund) realisiert werden. Wahl der Befragungsorte Die Auswahl der Befragungsorte und -städte erfolgte hypothesengeleitet. Zu vermuten war, dass bestimmte Variablen einen Effekt auf die Konsum- und Reisemuster haben könnten. Daher wurden die in Tabelle 3.3 dargestellten WM-Spiele ausgewählt. Die einzelnen Befragungen waren so angelegt, dass Vergleiche der Ausprägungen von intervenierenden Variablen (folgende Punkte A bis E) möglich sind.
3.1
Methodisches Instrumentarium
71
Tab. 3.3: Übersicht zu den Befragungsorten und zur Zahl der Befragungen Ort
Spiel
Public Viewing
Stadion
Berlin
Spiel 48:
Ukraine – Tunesien
137
401
Dortmund
Spiel 17: Spiel 55:
Deutschland – Polen Brasilien – Ghana
Spiel 61:
Deutschland – Italien
11 24 20 59 312 225 107 25 158 613 105 133 219 13 29 53 73 794 395 231 -
180 179 202 386 273 185 102 403 376 447 309 79 242 299 344 161
Spiel 3: England – Paraguay Spiel 14: Südkorea – Togo Australien – Brasilien* Frankfurt/Main Spiel 27: Spiel 37: Niederlande – Argentinien Spiel 60: Brasilien – Frankreich Gelsenkirchen Spiel 59: England – Portugal Hamburg 25 von 64 möglichen Spielen Hannover Spiel 12: Australien – Japan Kaiserslautern Spiel 53: Italien – Australien Spiel 26: Tschechien – Ghana Köln Spiel 35: Schweden – England Spiel 49: Deutschland – Schweden* Leipzig Spiel 50: Argentinien – Mexiko Spiel 1: Deutschland – Costa Rica München Spiel 62: Portugal – Frankreich Nürnberg Spiel 19: England – Trinidad Tobago Stuttgart Spiel 13: Frankreich – Schweiz Internet Diverse Spiele im Stadion ex-post Sonstige Diverse Spiele 461 689 Summe 4.093 5.111 * Spiele, die bei einem Public Viewing verfolgt wurden, das nicht in der Stadt der Austragung dieses Spiels lag, wohl aber in einer WM-Ausrichterstadt
A) Spielorte Unterschiede im Konsummuster der Besucher könnten mit dem Spielort in Verbindung stehen. Daher wurden elf von zwölf Spielorten der Fußball-WM in die Untersuchung einbezogen. In der Auswertung zu testende intervenierende Variablen in Bezug auf das Konsummuster der Besucher sind: -
Kleinere Stadt (< 250.000) versus Großstadt (>= 250.000) Einzelstandort versus Metropolregion (Ruhrgebiet, Rhein-Main)
Methodik der empirischen Untersuchung
72
-
Ostdeutschland versus Westdeutschland
B) Turnierphase Unterschiede im Konsummuster der Besucher könnten mit dem Zeitpunkt des Spiels im Verlauf des Turniers zusammenhängen. Daher wurden Spiele vom ersten Spieltag bis zum Spiel um Platz Drei in die Befragung aufgenommen. Eine Übersicht der Erhebungsverteilung nach diesem Kriterium zeigt die Tabelle 3.4. Tab. 3.4: Gruppenspiele der Vorrunde versus Finalspiele
Gruppenphase (die ersten drei Spiele) Gruppenphase (die Entscheidungsspiele) Achtelfinale Viertelfinale Halbfinale Spiel um Platz Drei Gesamt nach Befragungsort
Public Viewing Anzahl Prozent 1.810 44,4
Stadion Anzahl Prozent 2.779 56,3
Gesamt 4.589 (50,9 %)
496
12,2
881
17,8
1.377 (15,3 %)
415 217 1.098 42
10,2 5,3 26,9 1,0
661 384 232 -
13,4 7,8 4,7 -
1.076 (11,9 %) 601 (6,7 %) 1.330 (14,8 %) 42 (0,5 %)
4.078
100,0
4.937
100,0
9.015 (100 %)
Tab. 3.5: Uhrzeit des Spielbeginns, Public Viewing versus Stadion, Daten der Befragung Public Viewing 15:00 Uhr 16:00 Uhr 17:00 Uhr 18:00 Uhr 21:00 Uhr Gesamt nach Befragungsort
Anzahl Prozent Anzahl Prozent Anzahl Prozent Anzahl Prozent Anzahl Prozent Anzahl Prozent
593 14,5 245 6,0 545 13,4 1.173 28,8 1.522 37,3 4.078 100,0
Stadion
Gesamt
1.311 26,6 403 8,2 928 18,8 1.264 25,6 1.031 20,9 4.937 100,0
1.904 21,1 648 7,2 1.473 16,3 2.437 27,0 2.553 28,3 9.015 100,0
3.1
Methodisches Instrumentarium
73
C) Zeitpunkt der Befragung Unterschiede im Konsummuster der Besucher könnten sich aus dem Zeitpunkt der Befragung ergeben. Daher sind in der Gesamtstichprobe sowohl Spiele berücksichtigt, die am Nachmittag angestoßen wurden, als auch solche, die am Abend stattfanden (Tab. 3.5). Außerdem wird unterschieden, ob die Spiele am Wochenende oder werktags ausgetragen wurden (Tab. 3.6). Schließlich kann es – zumindest für den Konsum von Speisen und Getränken im Stadion – von Bedeutung sein, ob ein Besucher frühzeitig im Stadion war oder eher spät. Deshalb wurden die genauen Zeitpunkte der Befragung registriert. Tab. 3.6: Wochentag des Spiels, Public Viewing versus Stadion, Daten der Befragung
Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend Sonntag Gesamt nach Befragungsort
Anzahl Prozent Anzahl Prozent Anzahl Prozent Anzahl Prozent Anzahl Prozent Anzahl Prozent Anzahl Prozent Anzahl Prozent
Public Viewing
Stadion
Gesamt
140 3,4 805 19,7 1.147 28,1 525 12,9 389 9,5 726 17,8 346 8,5 4.078 100,0
473 9,6 1.132 22,9 358 7,3 518 10,5 969 19,6 1.056 21,4 431 8,7 4.937 100,0
613 6,8 1.937 21,5 1.505 16,7 1.043 11,6 1.358 15,1 1.782 19,8 777 8,6 9.015 100,0
D) Spielpaarung Unterschiede im Konsummuster der Besucher könnten von der Spielpaarung abhängen. Zu unterscheiden wären u. a. die von den Besuchern als (besonders) attraktiv empfundenen Spiele gegenüber den als weniger attraktiv eingeschätzten. Außerdem kann aus der Sicht des Besuchers die Beteiligung „seiner“ Nationalmannschaft einen Einfluss haben. Die Aspekte lassen sich zusammenfassen als: -
hoch attraktive Begegnung versus wenig attraktive Begegnung mit deutscher Beteiligung versus ohne deutsche Beteiligung mit „eigener Nationalmannschaft“ versus ohne „eigene“ Nationalmannschaft Nationen mit hohem BIP/Kopf versus Nationen mit niedrigem BIP/Kopf deutsche Nachbarstaaten versus Nationen, die weiter von Deutschland entfernt sind
74
Methodik der empirischen Untersuchung
E) Ort des Fußballkonsums Unterschiede im Konsummuster der Besucher könnten auch mit dem Ort, an dem das Spiel gesehen wird, in Verbindung stehen. Dazu werden Besucher der Public Viewings von denen im Stadion unterschieden.
3.1.2
Sekundäranalyse und Vergleich mit kompatiblen Untersuchungen
Die Daten der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 werden mit fünf Datensätzen verglichen, die kompatibel mit dem hier verwendeten WM-Fragebogen sind. Gemeinsam ist allen Zuschauerbefragungen, dass sie bei internationalen Sportgroßveranstaltungen stattfanden. Des Weiteren können sie in vier Dimensionen unterschieden werden, die ggf. intervenierend auf den Konsum der Zuschauer wirken: 1.
Deutschland/Ausland: Zwischen den Ländern differierende Angebots- und Preisstrukturen mögen einen Einfluss auf die Auswahl sowie den Umfang der konsumierten Güter haben.
2.
Fußball/kein Fußball: Es wäre denkbar, dass bestimmte Sportarten spezielle Zielgruppen anziehen, was für Wettkämpfe im Rahmen von Multisport-Events bereits nachgewiesen werden konnte (Preuss, Seguin & O’Reilly, 2007). Während vor allem Fußball eine sehr breite Zielgruppe anspricht, kann sich dies z. B. beim Handball oder Feldhockey spezifischer darstellen.
3.
Anzahl der beteiligten Sportarten: Bei Multisport-Events stehen verschiedene Sportarten in Konkurrenz zueinander. Die Entscheidung, eine bestimmte Sportart zu besuchen, geht nicht allein auf das individuelle Interesse an ihr zurück, sondern wird vielmehr auch durch Mitreisende, die Verfügbarkeit und den Preis der Eintrittskarten zu dem jeweiligen Wettkampf etc. bestimmt (Preuß et al., 2006).
4.
Anzahl der Austragungsorte: Diese Variable hat vor allem Auswirkungen auf die Reisemuster, aber desgleichen – und teilweise dadurch induziert – auf den Konsum, denn je konzentrierter die Veranstaltungen an einem Ort stattfinden, desto eher ist mit lokalen temporären Preiserhöhungen zu rechnen (infolge lokal massierter Nachfrageüberhänge, örtlicher Angebotsmonopole etwa innerhalb/nahe der Wettkampfstätten oder gar spekulativer Preisspiralen), jedoch mit relativ niedrigen Reisekosten zu den Veranstaltungsstätten.
Diese Abbildung 3.1 greift die in Abbildung 2.2 beschriebene sozio-ökonomische Typologie von Sportgroßveranstaltungen nach Kurscheidt (20) noch einmal auf, erweitert sie allerdings um die für diese Studie wichtigen Dimensionen Fußball/kein Fußball und Inland/Ausland. Nach Maßgabe der Datenverfügbarkeit zeigt sie eine mögliche Zusammenstellung der im Vergleich zur Fußball-WM analysierbaren Events. Insbesondere Auswertungen zum Confed-Cup 2005, zur Hockey-WM 2006 und Handball-WM 2007 werden
3.1
Methodisches Instrumentarium
75
noch in Kapitel 6 für eine komparative Betrachtung herangezogen. Die Auswahl der Events erfolgte so, dass möglichst alle intervenierenden Variablen der obigen vier Dimensionen Berücksichtigung finden. Ziel der vergleichenden Analyse der anderen Datensätze ist es, Besonderheiten der Fußball-WM bzw. Gemeinsamkeiten in den Konsummustern der Besucher aufzudecken. Deutschland
Ausland
eine Stadt
gesamtes Land
Fußball WM 2006
Fußball WM 2006 Fußball
Confederations Cup 2006
Olympische Spiele Athen 2004
eine Sportart
Hockey WM 2006 (Mönchengladbach)
Confederations Cup 2006 Handball WM 2007
andere Sportart(en)
Hockey WM 2006 (Mönchengladbach)
Commonwealth Games 2002 (Manchester)
Handball WM 2007
Abb. 3.1
mehrere Sportarten
Commonwealth Games 2002 (Manchester)
-
Olympische Spiele Athen 2004
Übersicht vorhandener Datensätze anderer Events
Methodisch wurden die Stichproben sehr ähnlich wie bei der Fußball-WM gezogen. In allen Untersuchungen haben geschulte Befragerteams Fragebögen, die in weniger als zehn Minuten auszufüllen waren, an verschiedenen Stellen im und am Spielort verteilt und direkt wieder eingesammelt. Es gab keine nennenswerten Ablehnungsquoten. Die Fragebögen lagen jeweils auf Englisch und ggf. auch auf Deutsch vor. Die Befragungsklumpen am Stadion bzw. Blöcke im Stadion wurden willkürlich ausgesucht, wobei dann in einem Klumpen angestrebt wurde, alle Besucher zu befragen. Bei den Olympischen Spielen in Athen 2004 sowie beim Confed-Cup 2005 sind sämtliche Zuschauerblöcke im Stadion systematisch aufgeteilt und dann befragt worden.
3.1.3
Besuchertypen-Beobachtung
Die Besuchertypen-Beobachtung wurde speziell für diese Studie entwickelt. Da für die Fußball-WM nur geringe Informationen über die Grundgesamtheit der Stadionbesucher zugänglich waren und kaum Kenntnisse zu den Public-Viewing-Besucher vorlagen, diente sie der groben Überprüfung der Repräsentativität der gezogenen Stichproben. Die Besuchertypen-Beobachtung erfolgte entweder im Eingangsbereich des Stadions, an den Eingangskontrollen am Stadion („Eingangsschranke“ zur Sicherheitszone um das Stadion) oder in der Adidas Arena am Brandenburger Tor in Berlin (Public Viewing). Dazu wurden von einer Person wenige offensichtlich zu beobachtende Merkmale per Strichliste
Methodik der empirischen Untersuchung
76
auf einem speziell erstellten Datenblatt festgehalten. Jeder vorbeikommende Besucher wurde erfasst, sodass die Stichprobe für den gewählten Standort und Zeitraum eine Vollerhebung von Häufigkeiten der beobachteten Merkmale darstellt (Tab. 3.7). Tab. 3.7: Übersicht zur Besuchertypen-Beobachtung Ort Stadion Köln Eingangsbereich Stadion Köln Eingangsschranke Adidas Arena Berlin In der Arena Olympiastadion Berlin Eingangsschranke Stadion Leipzig Eingangsschranke Stadion Dortmund Eingangsschranke Stadion Gelsenkirchen Eingangsschranke Stadion Dortmund Eingangsschranke
Spiel
Anzahl
Spiel 26: Tschechien – Ghana
n= 1.091
Spiel 35: England – Schweden
n= 1.450
Spiel 47: Spanien – Saudi Arabien
n= 345*
Spiel 48: Ukraine – Tunesien
n= 462
Spiel 50: Argentinien – Mexiko
n= 869
Spiel 55: Brasilien – Ghana
n= 1.406
Spiel 59: England – Portugal
n= 1.097
Spiel 61: Deutschland – Italien
n= 2.089
Summe n= 8.809 * Hierbei handelt es sich um eine vollständige Auszählung der am Erhebungsnachmittag wenig besuchten Adidas Arena.
Die so erhobenen Daten bezogen sich auf das Geschlecht, das (grobe) Alter (i. S. v. Erwachsener versus Kind), die Fanbekleidung (neutrale Kleidung versus Fanbekleidung) und die Nation der Fanbekleidung. Diese Erfassung erlaubt jedoch kaum, zweifelsfrei auf die Nationalität des Besuchers zu schließen, weil sich Deutsche mitunter mit anderen Nationen solidarisierten und deren Trikots trugen oder „Inländer“ im Sinne dieser Studie (wohnhaft in Deutschland) waren. Dennoch konnten mit diesem Vorgehen fruchtbare Informationen über die Fanzugehörigkeit ermittelt werden. Die Datenblätter wurden in bestimmten Intervallen (15 bzw. 30 Minuten) gewechselt, um auch die Dimension Zeit abzubilden. Eine Überprüfung der Repräsentativität der mittels Fragebögen gezogenen Stichproben erfolgt über einen Vergleich mit den Ergebnissen der Strichliste. Grob war dies anhand der Fanzugehörigkeit möglich, sehr viel genauer allerdings über die Geschlechterdifferenzierung. So konnte zumindest geprüft werden, ob die schriftliche Befragung eine offensichtliche Verzerrung enthielt. Diese forschungsökonomische Methode hat sich letztlich sehr
3.1
Methodisches Instrumentarium
77
bewährt, um angesichts fehlender Angaben zur Grundgesamtheit weitere Anhaltspunkte über die Korrektheit der Stichprobenziehung und damit die Datenqualität zu erhalten.
3.1.4
Frequenzbefragung
Die Frequenzbefragung ist eine Kurzbefragung, die am Institut für Tourismuswirtschaft (ITW) der Hochschule für Wirtschaft (HSW) Luzern entwickelt und z. B. bei KulturEvents (Schwing- und Älplerfest 2005 in Luzern, Lauberhornrennen, Ruder-WM etc.) erfolgreich erprobt wurde (Stettler et al., 2005). Die Besucher eines Events werden kurz mündlich über ihre Herkunft, Übernachtungsart und Geschlecht befragt. Auch für diese Studie ist die Frequenzbefragung einmal eingesetzt worden, um die Daten der Hauptbefragung auf Repräsentativität zu testen. Dazu wurde ein Spiel in Kaiserslautern ausgewählt. Auf dem Public Viewing vor dem Spiel Italien – Australien (Spiel 53, Achtelfinale, 26.6.2006, 17.00 Uhr) wurden auf diese Weise 278 Besucher befragt. Dabei erwies sich die Frequenzbefragung als methodisch auf die Fußball-WM übertragbar. Eine Stärke dieser Befragungsmethode ist es, wesentliche Angaben auch von Besuchern zu bekommen, die das Ausfüllen eines langen Fragebogens ggf. verweigern würden. Diese Stärke kam bei der Fußball-WM allerdings insofern nicht zum Tragen, als die Quote nicht-kooperativer Personen verschwindend gering war. In den wenigen Verweigerungsfällen waren die Gründe entweder der zu dicht am Spielbeginn liegende Befragungszeitpunkt – was in der Folge wie oben erwähnt zusehends vermieden wurde – oder die Sprachbarriere, insbesondere bei Besuchern osteuropäischer Nationen. Alle anderen möglichen Nicht-Teilnahmegründe, z. B. generelle Ablehnung von Auskünften, erhebliche Trunkenheit, Gruppenzwang, treffen gleichermaßen auf die Frequenzbefragung zu. In der Gesamtschau stellte sich die Frequenzbefragung bei der Fußball-WM als forschungsökonomisch unzweckmäßig heraus. Die kurze mündliche Befragung zur Erhebung weniger, eher allgemeiner Informationen schnitt nach dem entscheidenden Kriterium „Befragte pro Zeiteinheit“ im Verhältnis zu der hier hauptsächlich verwendeten Befragungstechnik vor allem deshalb schlechter ab, weil der Befrager sukzessiv vorgehen muss. Demgegenüber erzeugte die simultane schriftliche Befragung – bei mindestens gleicher Antwortqualität – nicht nur mehr und präzisere Informationen von den WM-Besuchern (umfangreicherer Fragebogen), sondern auch eine insgesamt größere Fallzahl im gleichen Zeitraum. Daher wurde die Frequenzbefragung aus Testgründen nur bei einem Spiel eingesetzt und danach als alternative Technik verworfen.
3.1.5
Qualitative Beobachtung
Auch wenn das Grundkonzept dieser Studie maßgeblich auf einer quantitativen Erhebung beruht, flossen in die Methodik und den Erkenntnisprozess zahlreiche Beobachtungen sowie kurze (Experten-)Interviews ein. Ziel der ergänzenden qualitativen Forschung war es, zentrale Informationen im Hinblick auf die notwendigen Schätzungen von Daten zu sam-
Methodik der empirischen Untersuchung
78
meln, welche weder primärempirisch mit den Hauptbefragungen ermittelt werden konnten, noch über Dritte erhoben und sekundärempirisch zugänglich niedergelegt worden waren. Dies war insbesondere für die Bestimmung der Häufigkeitsverteilung von Besuchern verschiedener Ländergruppen auf den Public Viewings von Bedeutung. So wurde z. B. die Struktur der Fan-Feste und Public Viewings sowie die Stadionumgebung der verschiedenen Standorte beobachtet. Im Laufe der Fußball-WM sind viele Public Viewings erweitert oder zusätzliche Standorte eingerichtet worden. Die genaue Kenntnis dieser Vorgänge ist für die Mengenschätzungen der Besucher bei den Public Viewings von höchster Bedeutung. Ein weiteres Augenmerk lag auf dem generellen Verhalten der Besucher sowie speziell auf deren Konsumverhalten. Dabei wurde z. B. auf die Kundendichte und/oder das Kaufverhalten in verschiedenen Geschäften sowie Restaurants geachtet. Systematische, sozialpsychologische Beobachtungen von Besuchern einzelner Nationen (z. B. Brasilianer und Engländer) helfen überdies, die Konsummuster plausibel zu erklären. So war etwa auffällig, dass die Brasilianer intensiv dem Shopping nachgingen, und zwar vorwiegend in (teils größeren) Bezugsgruppen („peer groups“). Fans aus Trinidad & Tobago reisten ebenfalls in organisierten, jedoch recht geschlossenen Gruppen an und waren aufgrund dieses engen Sozialbezugs kaum individuell zu befragen. Die Engländer hingegen fanden sich in großen, informellen Massen an Spielorten zusammen, an denen die englische Mannschaft antrat („Schlachtenbummlertum“), und verwandelten gleichsam die ganze Stadt in eine bzw. ihre „Partyzone“. Sowohl die Niederländer als auch Schweden planten sogar das Auftreten ihrer Fans und formierten sich zu, mitunter beeindruckenden, „Prozessionen“ zu den Stadien (informelle Großkollektive). Infolge des weniger verbindlichen, dynamischen und eher spontan spaßorientierten Gruppenzusammenhalts waren die WM-Besucher der letztgenannten drei Nationen aufgeschlossen für die individuelle Befragungsansprache. Schließlich haben sich Fernreisende aus sehr wohlhabenden Nationen kaum in Public Viewings begeben (z. B. Saudi-Arabier) und waren daher – auch bedingt durch deren vergleichsweise geringen Anzahl – nur vereinzelt in der Erhebung zu erfassen. Derlei Beobachtungen halfen außerdem, die Qualität der einzelnen Stichproben abzusichern. Der Forschungsleiter vor Ort beobachtete den Befragungsverlauf in den zugewiesenen lokalen Befragungsbereichen und konnte somit nachvollziehen, ob die jeweiligen Stichprobenklumpen von der Verhaltensstruktur der Besucher untereinander Abweichungen aufwiesen. Diese Sammlung von Erfahrungen und Eindrücken bei der konkreten Feldarbeit ist oftmals sehr hilfreich für Plausibilitätsprüfungen in der Auswertung.
3.1.6
Allgemeine Dokumentenanalyse
Wichtige Informationen in Bezug auf die Forschungsfragen liegen in Form von Dokumenten aus der Praxis und Marktforschung vor. Von besonderer Bedeutung sind hierbei:
3.2
1.
Qualität und Repräsentativität der Primärdaten
79
Dokumente der Organisatoren der Fußball-WM -
Angaben über die Anzahl der verkauften Tickets nach Nationalität für jedes der 64 Spiele, Anzahl der verkauften Karten nach Kategorie (A bis D)
-
Abschlussbericht der Bundesregierung zur Fußball-WM
2.
Dokumente der Veranstalter der Fan-Feste Berichte oder Dokumente, die über die Besucheranzahl, den Aufbau, die Kapazität und z. T. sogar über Konsumausgaben der Besucher der Fan-Feste Auskunft geben
3.
Berichte über die (meso-)ökonomische Wirkung der Fußball-WM Tabellen zum Absatz von Gütern und Dienstleistungen vor und während der Fußball-WM, etwa der Bierkonsum o. ä. Tabellen über den Konsum von Touristen in Deutschland, gegliedert nach Herkunftsland Zeitungsberichte (Printversion und Onlineversion) Berichterstattung über die WM, den Stadionbesuch und Public Viewings
4.
Andere Studien, die im Rahmen der Fußball-WM durchgeführt wurden Erhebungen der DZT (Deutsche Zentrale für Tourismus e.V.) Erhebungen von TNS (Infratest) (Befragungen von Ausländern zum Image Deutschlands) Erhebungen der Forschungsgruppe um Prof. Topp und Prof. Spellerberg (TU Kaiserslautern) Dokumente von Wirtschaftsverbänden, Researchabteilungen von Banken, der DZT etc.
3.2
Qualität und Repräsentativität der Primärdaten
3.2.1
Messprobleme
Offiziell kauften Besucher aus 210 Ländern Eintrittskarten zur Fußball-WM, wobei die meisten Tickets auf die teilnehmenden 32 Nationen entfielen. Es war zu vermuten, dass die Besucher unterschiedlicher ausländischer Herkunft auch differierende Konsum- und Reisemuster aufwiesen. Außerdem stand zu erwarten, dass weitere determinierende oder intervenierende Größen (Dauer und Grund der WM-Reise sowie die bereits angesprochenen Variablen Spielort, Spielphase, Zeitpunkt der Befragung, Spielpaarung und Ort des Fußballkonsums) Einfluss auf das Konsummuster haben würden. Theoretisch hätte die Gesamtstichprobe daher 32 Nationen (inkl. der Inländer) umfassen müssen, deren jeweilige Teilstichprobe groß genug wäre, um überdies Tagestouristen von Übernachtungsgästen, Fan-Fest- von Stadionbesuchern und schließlich extra angereiste Fußballfans (WM-Touristen) von denen zu unterscheiden, die den Besuch der Fußball-
80
Methodik der empirischen Untersuchung
WM mit einem normalen Deutschland- oder Europaurlaub verbanden (v. a. Time Switchers, Casuals). Daraus ergab sich ein methodisch unlösbares Problem, wie folgendes Rechenbeispiel veranschaulichen soll: Selbst wenn 50 Personen aus jeder Gruppe ausreichend wären, ein Konsummuster zu bestimmen, und diese zudem gleichverteilt über die Unterscheidungsmerkmale sowie Nationen in die Erhebung eingehen würden, hätte die gesamte Stichprobe nach dieser äußerst hypothetischen Vorstellung einen Umfang von mindestens 12.800 Personen annehmen müssen – davon 12.400 ausländische Besucher. Dies war nicht nur aus forschungsökonomischen Gründen ausgeschlossen, sondern gänzlich unrealistisch, weshalb von vornherein mit gewissen Messproblemen zu rechnen war. Im Gegenteil bestand in der Planungsphase zu dem Forschungsdesign vielmehr große Unsicherheit darüber, ob während der Fußball-WM in Deutschland überhaupt ausreichend ausländische Besucher befragt werden könnten. Denn in den Pretests, z. B. bei den Commonwealth Games in Manchester oder dem Confed-Cup 2005 in Deutschland, konnte nur ein geringer Anteil an Ausländern erfasst werden. Weil aber zur Fußball-WM 41,4 % der offiziell verkauften Tickets an Personen auswärtiger Herkunftsländer gingen, erwies sich diese Sorge über die Machbarkeit des Vorhabens frühzeitig als unbegründet. Im Zusammenhang mit der Befragung von Ausländern traten dennoch folgende Probleme auf: Verteilung der Nationalitäten Die Besucher verschiedener Nationen waren bereits in der Grundgesamtheit unterschiedlich stark vertreten. Während Gäste aus den Nachbarländern, aber auch und insbesondere Engländer, in sehr großer Zahl angereist waren, fanden sich aus ärmeren und weiter entfernten Ländern kaum Besucher in Deutschland ein. So konnten z. B. nur wenige Togolesen interviewt werden. Zudem stellte sich heraus, dass Befragte mit entsprechendem Trikot überwiegend Togolesen waren, die in Deutschland leben (z. B. Studierende oder Asylanten) und damit als Inländer zu betrachten sind. Außerdem gab es viele Deutsche, die Karten für ein Spiel mit togolesischer Beteiligung – eben wegen des geringen Absatzes in dem Herkunftsland – bekommen hatten und sich nun mit dem Underdog aus Togo solidarisierten. Das Tragen togolesischer Fanbekleidung war deshalb ein unzureichendes Merkmal für die treffende Unterscheidung von In- und Ausländern im Sinne der Untersuchung. Dies galt faktisch für alle schwarzafrikanischen Mannschaften ebenso wie für Trinidad & Tobago. Zahlreiche ausländische Fangruppen waren außerdem in Reisegruppen organisiert, die gemeinsam (per Bus) zum Stadion fuhren und sich daher an den Befragungsorten gar nicht oder erst zeitnah zum Spielbeginn aufhielten. Teilnahmebereitschaft In der Gesamtschau waren die Ausländer jedoch erfreulich aufgeschlossen und füllten bereitwillig die Fragebögen aus. Allerdings gab es Besuchergruppen, die leichter zu befragen waren als andere. Im Grundsatz war zu beobachten, dass Besucher aus Nationen des ehemaligen Ostblocks (oft wegen der Sprache) und aus Afrika (teils aus diffusen Ängsten,
3.2
Qualität und Repräsentativität der Primärdaten
81
Misstrauen o. ä.) den Befragungen nicht so offen gegenüber standen wie Besucher aus Nationen mit langer demokratischer und demoskopischer Tradition. Ausnahmen bildeten indessen Italiener (teils aus sprachlichen Gründen) und Franzosen, die eine ungewöhnlich geringe Teilnahmebereitschaft zeigten, obwohl der Fragebogen zumindest in Französisch zur Verfügung stand. Sprachprobleme Sprachprobleme machen die Messungen mitunter in zweifacher Weise schwierig: Erstens konnten Besucher mit v. a. außereuropäischen und/oder weniger verbreiteten Landessprachen nicht in ihrer Muttersprache angesprochen werden; zweitens senkte sich bei denjenigen, die keinen Fragebogen in ihrer Muttersprache erhielten und unsichere Fremdsprachenkenntnisse aufwiesen, tendenziell die Qualität der Antworten. Die Auswirkung der Verständigungsschwierigkeiten – zunächst beim Erstkontakt im Hinblick auf die Teilnahmebereitschaft – ist natürlich einerseits von der jeweiligen Herkunftsnation und andererseits vom Sprachvermögen der Befrager abhängig. Dabei waren selbstverständlich alle Kommunikationen auf Deutsch und Englisch unproblematisch. Allerdings beherrschte nur ein Teil der Interviewer überdies Französisch, Spanisch oder gar weniger populäre Fremdsprachen (in Grundzügen). Zumindest wurde die Ansprache etwa von Brasilianern und Argentiniern in ihrer Landessprache von einigen Befragern eingeübt, was die Kooperationsbereitschaft dieser WM-Besucher positiv beeinflusste. Das Auffordern zur Beteiligung an der Befragung war also regelmäßig erfolgreicher, wenn ein Fragebogen in der jeweiligen Muttersprache vorlag. Besucher der anderen Nationen, insbesondere osteuropäischer, wiesen das Ausfüllen eines Fragebogens teils aus mangelnden Sprachkenntnissen ab oder bedurften eines Eins-zu-eins-Interviews, um die Verständigung sicherzustellen. Die korrekte Übersetzung der Fragebögen im Vorfeld der Untersuchung war hingegen gänzlich unproblematisch. Sie wurden neben Deutsch in Englisch, Spanisch, Portugiesisch und Französisch aufgelegt, wobei jeweils sehr sprachkompetente Personen verantwortlich zeichneten, die eng mit der Studie und den Forschungsinhalten vertraut waren (mit Ausnahme der portugiesischen Übersetzung). Abschließend wurden die Fragebögen dann noch einmal von einem Muttersprachler (zumeist fachkundige internationale Kollegen) auf evtl. Feinheiten korrigiert. Während es keine Schwierigkeiten in der rein sprachlichen Übersetzung der überwiegend und bewusst einfach gestellten Fragen gab, gestaltete sich einzig die international gleichwertige Angabe bzw. Unterteilung der Bildungsformen als mitunter schwierig. Letztlich waren in diesem Punkt nicht alle Fragebögen vollkommen äquivalent zu übersetzen, was den unterschiedlichen Bildungssystemen geschuldet ist. Allerdings basieren sämtliche abgefragten Themenkomplexe auf einfachem Alltagswissen und betreffen weder „Tabuthemen“ noch psychographische Einstellungen, die möglichen interkulturellen Differenzen oder Vorbehalten unterliegen könnten.
Methodik der empirischen Untersuchung
82
Unvollständig ausgefüllte Fragebögen Ein schwerer wiegendes Problem ergab sich daraus, dass eine Reihe der Fragebögen nicht vollständig beantwortet war. Da sich einige Fragekomplexe über mehrere Teilfragen erstrecken mussten, bedeutete das Nicht-Ausfüllen einer ggf. zentralen Unterfrage, dass der gesamte Themenkomplex nicht in die Auswertung einfließen konnte. Wurde z. B. der Konsum abgefragt, aber nicht darauf eingegangen, für wie viele Personen diese Angabe gemacht wurde, sind die Konsumausgaben nicht treffend auszuwerten. Andererseits ist dieses Antwortverhalten eines zumeist geringen Anteils der Befragten ein typisches Phänomen dieser primärempirischen Methodik und insofern keine spezifische Problematik der vorliegenden Studie. Außerdem können die übrigen Fragenkomplexe berücksichtigt werden, wenn der betreffende Fragebogen die üblichen Konsistenzprüfungen besteht. Schließlich wurden die bekanntermaßen „sensiblen“ persönlichen Fragen zum Bildungssowie Einkommenshintergrund erst am Ende und in kategorialen Skalen gestellt. Erfahrungsgemäß ist dies ein probates Mittel, um Auslassungen zu minimieren, was auch in dieser Befragung gegriffen hat. Letztlich sind diese Ergebnisse auch nur für Teilfragen des Forschungsdesigns von Relevanz. Insgesamt traten die theoretisch antizipierten Messprobleme jedoch erfreulicherweise in deutlich geringerem Umfang auf, als zuvor erwartet bzw. befürchtet.
3.2.2
Datenqualität
Die für diese Studie zu erhebenden Fakten und Informationen stellen unterschiedliche Ansprüche an die Befragten und die spätere Auswertung. Folglich hat das Niveau bzw. die Komplexität dieser Anforderungen eine gewisse Rückwirkung auf die jeweilige Datenqualität, die es zu würdigen gilt. Viele Fragen sind etwa so simpel oder eindeutig, dass sie kaum durch Umweltfaktoren wie Zeitnot, Gruppenmeinungen oder Alkohol beeinflusst werden können (z. B. Fragen nach Geschlecht oder Nationalität). Andere Themenbereiche sind jedoch anspruchsvoller in der Beantwortung und/oder Auswertung, insbesondere wenn mehrere Teilfragen eine komplexe Information enthalten (z. B. in Bezug auf die am Reisemotiv orientierte Einstufung des Besuchertyps: „Time Switcher“ etc.). Dazu muss der Befragte mehrere Antworten geben, die in der Summe seine ursprüngliche Reiseintention und sein tatsächliches Reiseverhalten trennscharf abbilden, um in der Auswertung gleichermaßen treffend die Typusabgrenzung wie -zuordnung zu leisten. Dem wurde indes bereits in der Anlage der Fragen Genüge getan. Allerdings verursachte die Datencodierung und -eingabe einen besonderen Aufwand für nur ein spezifisches – wenngleich bedeutendes – Teilinteresse der Untersuchung. Die inhaltliche Anforderung an die Befragten war dabei jedoch nicht hoch. Sie mussten lediglich eine Folge von relativ einfachen Fragen beantworten. Schließlich gibt es Fragenkomplexe wie vor allem nach dem Konsumverhalten, bei denen der Befragte überlegen und z.T. schätzen muss – wobei der Grad der Exaktheit der Angabe mit einem Vermerk („eher genau“ versus „eher grob“ geschätzt) vom Befragten selbst mit einem Kreuz
3.2
Qualität und Repräsentativität der Primärdaten
83
angezeigt werden konnte. Diese Antworten unterliegen in ihrer Qualität naturgemäß größeren Schwankungen. Daher wurden einige Fragen eingebaut, um die individuallogische Konsistenz zu überprüfen. In der Gesamtbetrachtung war die Beantwortung qualitativ mindestens zufriedenstellend und lag in Teilen über den Erwartungen. So sind z. B. nur sehr wenige Fragebögen stark lückenhaft ausgefüllt worden. Selbst die für viele Teilnehmer indiskret erscheinende Frage nach der Höhe ihres Einkommens wurde von 80,6 % beantwortet. Es gibt eine Reihe von Gründen, welche nach theoretischen Vorüberlegungen die Datenqualität bei einer Befragung zur Fußball-WM potenziell verschlechtern könnten. Folgende erwartbare Einflussfaktoren auf die Güte der Antworten wurden geprüft: 1.
Beeinflussung des Befragten durch Dritte (Gruppenmitglieder, Verwandte etc.)
2.
Beeinflussung der Befragten durch Alkoholkonsum
3.
Beeinflussung des Befragten durch Zeitnot oder mangelnde Geduld (unvollständig ausgefüllte Fragenblöcke)
4.
Beeinflussung durch den Befragungszeitpunkt
5.
Verständnisschwierigkeiten, sofern der Fragebogen nicht in der Muttersprache vorlag
6.
Schwierigkeiten der Schätzung des eigenen (zukünftigen) Konsums
7.
Keine Befragung an allen Standorten
8.
Individuell unterschiedliche Vorgehensweise bei der Befragung (Befragerbias)
Letztlich erwiesen sich die meisten dieser befürchteten Probleme als unbedeutend, wie die weiteren Ausführungen genauer darlegen.
Zu 1. Beeinflussung der Befragten durch Dritte Da die wenigsten Besucher allein zu den Stadien und zum Public Viewing gingen, war zu erwarten, dass die Befragten mitunter durch die Einflussnahme von Begleitern in ihrem Antwortverhalten gelenkt würden. Bei den Pretests hatte sich gezeigt, dass die Befragung einzelner Mitglieder einer Gruppe dazu führen kann, dass diese durch Äußerungen der anderen beeinflusst werden. Zudem wurde über den Rest der Gruppe (der nicht befragt wurde) indirekt Zeitdruck auf den Befragten ausgeübt. Außerdem kam es häufiger vor, dass bei Paaren nur der Mann den Bogen ausfüllte oder er seiner Frau ggf. Hinweise zu den Antworten gab. Dabei muss eine Beeinflussung dieser Art nicht immer negativ ausgelegt werden, da sie auch zur Anhebung der Güte von Angaben beitragen kann. Für diese Studie ist die Einflussnahme der Gruppe von den Befragern erhoben worden. Bei 7.303 Befragten wurde durch die Befrager der Gruppeneinfluss nach ihrer Beobach-
84
Methodik der empirischen Untersuchung
tung notiert. Dabei waren 73,1 % ohne jeglichen vermerkten Einfluss durch Dritte, während 23,7 % leicht und nur 3,2 % nach Meinung der Befrager stark beeinflusst wurden. Überdies waren die Interviewer auch aus forschungsökonomischen Erwägungen angehalten, alle Mitglieder einer Kleingruppe zur Beantwortung einzuladen. Die Erfahrung zur WM zeigte, dass typischerweise die Teilnahme einer Person aus der Gruppe schnell das Interesse der anderen nach sich zog. Insgesamt ist der Einfluss von Dritten bei Befragungen auf Sportgroßveranstaltungen nicht zu vernachlässigen. Allerdings konnten keine signifikanten Unterschiede im Konsummuster der stark beeinflussten Personen erkannt werden, wohl aber (erwartungsgemäß) eine deutlich niedrigere Anzahl der ausgefüllten Fragen.
Zu 2. Beeinflussung der Befragten durch Alkoholkonsum In Anbetracht der „Feierkultur“ unter den Fußballzuschauern und insbesondere während einer Weltmeisterschaft bei schönstem Wetter ist die Befürchtung gerechtfertigt, dass starker Alkoholkonsum der Besucher die Qualität der Antworten – insbesondere der Schätzungen des Konsums – verschlechtert. Tatsächlich war ein großer Teil der Zuschauer bereits vor den Spielen alkoholisiert, wobei zu beobachten war, dass die Alkoholisierung zunahm, je später das Spiel angesetzt war. Allerdings war festzustellen, dass die meisten Befragten – selbst bei den späten Spielen – letztlich nicht so stark beeinträchtigt waren, als dass sie den Fragebogen nicht mehr richtig und gewissenhaft hätten ausfüllen können. Salopp formuliert waren diese Personenkreise „trinkfest“. Für diese Studie wurden Datensätze von Besuchern, bei denen es sich während der Befragung herausstellte, dass sie zu stark alkoholisiert waren, vom Befrager als solche gekennzeichnet und später herausgenommen. Besucher, deren Alkoholisierungsgrad aus Sicht der Befrager „erträglich“ erschien, wurden zwar berücksichtigt, allerdings vom Befrager mit dem Vermerk „Verständnis unter Einschränkungen“ gekennzeichnet. Die Auswirkungen des Verständnisses der Fragen werden unten noch einmal unter „Sprachproblemen“ aufgeführt.
Zu 3. Beeinflussung der Befragten durch Zeitnot Die Beantwortung des Fragebogens dieser Studie dauert ca. zehn Minuten, sofern keine Sprachprobleme vorliegen. Die erfolgreiche Umsetzung der Befragungen wurde dadurch gesichert, dass sie bis zu vier Stunden vor dem Spiel begannen.
3.2
Qualität und Repräsentativität der Primärdaten
85
100% Deutschland 90% 80% 70% 60% 50%
England Frankreich USA Niederlande Mexiko Japan Schweiz
40% 30% 20% 10% 0% mehr als 5h
bis 5h
bis 4h
bis 3h
bis 2h
bis 1h
bis 0,5h
Verzerrungen in der Abbildung ergeben sich dadurch, dass die Bereitschaft, an einem Interview teilzunehmen, bei Besuchern und Besucherinnen, die erst kurz vor Spielbeginn angereist waren, sehr gering war.
Abb. 3.2:
Ankunft am Stadion nach Spielort (Quelle: Spellerberg et al. (2007, S. 42))
Fast alle Besucher befanden sich in Wartesituationen und konnten infolgedessen leicht angesprochen werden. Die Befragungsklumpen wurden außerdem so gewählt, dass sich dort viele Besucher, die Zeit hatten, aufhielten (z. B. auf einem Rasenstück an der S-Bahn entspannt sitzende Personen anstatt beweglicher Besuchermassen auf dem Hauptfußweg). Dies könnte grundsätzlich die Stichprobe beeinflusst haben, denn Personen, die sehr spät zum Stadion kamen oder nach ihrer Anreise unmittelbar ins Stadion drängten, wurden weniger häufig befragt. Äußerst zweifelhaft ist allerdings, ob diese Variable einen bedeutenden Einfluss auf die abgefragten Informationen hatte – mit Ausnahme vielleicht des Konsums von Speisen und Getränken an dem Spieltag, wobei dieser auch vorher anderswo hätte erfolgen können. Letztlich waren es aber ohnehin nur sehr wenige Besucher, die spät ins Stadion kamen, was die Untersuchung von Spellerberg et al. (2007) eindeutig zeigt (Abb. 3.2 und 3.3).
Methodik der empirischen Untersuchung
86
100%
alle Spielorte Berlin Frankfurt
80%
Gelsenkirchen Kaiserslautern Nürnberg
60%
Stuttgart
40%
20%
0% mehr als 5h
bis 5h
bis 4h
bis 3h
bis 2h
bis 1h
bis 0,5h
Verzerrungen ergaben sich dadurch, dass die Bereitschaft, an einem Interview teilzunehmen, bei Besucher/innen, die erst kurz vor Spielbeginn angereist waren, sehr gering war.
Abb. 3.3:
Ankunft am Stadion – Vergleich der Spielorte (Quelle: Spellerberg et al. (2007, S. 40))
Die Abbildungen dokumentieren, dass die Ankunft am Stadion differenziert nach Spielorten und nach Nationen sehr früh erfolgte. 75 % der Besucher waren bereits 3h und 90 % zwei Stunden vor dem Anstoß im Stadion bzw. in Stadionnähe. Bis ca. eine Stunde vor Anstoß des Spiels konnte gut befragt werden, was bedeutet, dass weit mehr als 90 % der Stadionbesucher als potenzielle Befragungsteilnehmer anzutreffen waren. Für diese Studie wurde der jeweilige Zeitpunkt der Befragung festgehalten, wobei konstatiert werden konnte, dass die Qualität der Daten im Laufe der Zeit bis zum Spielbeginn nicht abnahm. Tab. 3.8: Mittelwerte des Interviewzeitpunkts in Stunden vor dem Anpfiff Wohnort der Befragten in Deutschland im Ausland
Public Viewing 2,1 2,6
Stadion 2,5 2,6
Teilt man den Datensatz nach Befragungen in den Public Viewings und an den Stadien sowie nach Inländern und Ausländern auf, so sind keine nennenswerten Korrelationen
3.2
Qualität und Repräsentativität der Primärdaten
87
zwischen den soziodemographischen Daten und dem standardisierten Zeitpunkt der Befragung erkennbar. Dies kann als deutlicher Hinweis darauf angesehen werden, dass der Befragungszeitpunkt vor dem Spiel keinen nennenswerten Einfluss auf die Ergebnisse hatte.
Zu 4. Beeinflussung durch den Befragungszeitpunkt Optimal wäre eine Befragung am Abreisetag der Besucher gewesen, da dann jeder Befragte mehr oder minder genau gewusst hätte, was er ausgegeben hat („Recall“-Methode versus der hier verwendeten „Diary“-Methode (Faulkner & Raybould, 1995); siehe auch Mondello & Rishe (2004) und Gelan (2003), die ebenfalls Letztere einsetzen; Lee & Taylor (2005) sowie Daniels, Norman & Henry (2004) nutzen wiederum in unterschiedlichen Vorgehensweisen – Abreiseinterview vs. postalische Befragung – die „Recall“-Methode). Dies ist bei einem Mega-Event mit weltweiter Besucherbeteiligung in einem zentral gelegen Land technisch jedoch nicht möglich. Demgegenüber fanden etwa Lee & Taylor (2005) bei der FIFA WM 2002 in Südkorea eine andere Situation vor, die es erlaubte, den Großteil der Event-Touristen bei der Ausreise an bedeutenden Flug- und Seehäfen zu erfassen. Im Fall Deutschlands hätte dies auf Grund des wesentlich differenzierteren (individuellen) Grenzverkehrs unweigerlich die Stichprobenziehung verzerrt. Die Befragung vor dem Spiel brachte jedoch kaum Schwierigkeiten mit sich. Lediglich die Fragen zum „heutigen“ Verzehr von Essen und Trinken sowie ggf. Ausgaben für den Kauf von Merchandiseartikeln mussten von den Befragten geschätzt werden, wobei diese Schätzung ggf. umso spekulativer ausfiel, je früher am Tag die Befragung stattfand. Andererseits unterschätzt man seine erlebnisorientierten Konsumausgaben üblicherweise, weshalb es i. d. R. zu einer relativ niedrigen Angabe geführt haben müsste und damit einem konservativen Schätzansatz entspricht. Die Ausgaben in den wertmäßig bedeutenderen Konsumkategorien sind allerdings auch vor einem Spiel vergleichsweise genau zu beziffern, wie z. B. für Eintrittskarten, Fahrten, Einkäufe, Übernachtung oder Anreise. Nach theoretischen Vorüberlegungen ist die Ungenauigkeit der Konsumangaben tendenziell umso größer, je früher die Besucher während der Fußball-WM in der Befragung erfasst wurden, d. h. wenn sie sich erst seit kurzem in Deutschland aufhielten. Deshalb wurde abgefragt, wie viele Tage der WM-Besucher bereits in Deutschland war und wie lange er noch bleiben würde. Daraus kann ermittelt werden, zu welchem Zeitpunkt der Reise der betreffende Besucher in die Stichprobe einging (Tab. 3.9).
Methodik der empirischen Untersuchung
88
Tab. 3.9: Aufenthaltsdauer der Befragten aus dem Ausland in Deutschland zum Interviewzeitpunkt (nur Ausländer mit Übernachtung) (Prozentualer Anteil des Aufenthalts in Deutschland) 0 – 10 % über 10 % bis 20 % über 20 % bis 30 % über 30 % bis 40 % über 40 % bis 50 % über 50 % bis 60 % über 60 % bis 70 % über 70 % bis 80 % über 80 % bis 90 % über 90 % bis 100 %
Public Viewing in %
Stadion in %
5,0 8,4 10,9 11,1 26,6 5,1 11,4 8,6 3,7 9,1
6,6 10,9 10,6 11,7 24,8 4,9 9,4 7,3 4,4 9,4
Es wurden nur Fälle in die Berechnung aufgenommen, die nicht länger als 40 Tage Gesamturlaubszeit angaben.
Die Vermutung liegt nahe, dass alle Besucher, die bis zu 30 % ihrer geplanten Reisedauer in Deutschland verbracht hatten (28,1 % der Stadionbesucher, 24,3 % der Public-ViewingBesucher), möglicherweise Schwierigkeiten in der Beantwortung einiger Fragen zum Konsum gehabt haben könnten. Tabelle 3.10 zeigt indessen, dass die Dauer des Aufenthalts zum Zeitpunkt der Befragung mit der Höhe des angegebenen Konsums nicht oder in vernachlässigbarem Ausmaß korreliert; d. h. die Schätzungen der Besucher, die auf ihrer WM-Reise relativ frühzeitig erfasst wurden, weichen nicht von den Angaben der anderen, schon länger anwesenden WM-Besucher substanziell ab. Interessant ist hier das Antwortverhalten, welches bei den mündlichen Interviews beobachtet werden konnte. Ein Teil der Befragten hat eine sehr klare Vorstellung von den Ausgaben, da es sich um regelmäßige Fußballzuschauer handelt, deren Konsum gewissermaßen einer „rituellen“, im Durchschnitt üblichen Handlungsweise folgt. Eine weitere Gruppe besteht aus Eingeladenen, die daher mit Bestimmtheit sagen können, dass sie kaum etwas selbst ausgeben werden. Dazu gehören nicht nur Familienmitglieder, sondern auch Geschäftspartner oder Firmenangehörige von Sponsoren. Schließlich bilden diejenigen Personen eine im Datensatz leicht zu identifizierende Gruppe, die selten oder bislang noch nie Fußballspiele besucht haben und mangels Erfahrungswerten schlechter ihr Konsumverhalten abschätzen können. So wollten etwa einige aus diesem Besucherkreis von den Preisen für Snacks und Getränke im Stadion abhängig machen, was sie tatsächlich ausgeben.
3.2
Qualität und Repräsentativität der Primärdaten
89
Tab. 3.10: Konsummuster in Abhängigkeit von der Aufenthaltsdauer in Deutschland
Übernachtung Fanartikel Tägliche Reisekosten Gastronomie Shopping Eintrittskarten
Public Viewing Tau b sig. 0,15 0,59 -0,08** 0,00 -0,01 0,65 0,07** 0,00 0,05* 0,05 0,00** 0,98
N 824 1.031 1.071 981 1.027 1.102
Tau b -0,005 0,04* 0,01 0,01 0,02 0,03
Stadion sig. 0,81 0,02 0,76 0,47 0,36 0,14
n 1.219 1.635 1.636 1.495 1.635 1.559
* signifikante Korrelation auf dem Niveau p<0,05 ** hochsignifikante Korrelation auf dem Niveau p<0,01
Um diesen Effekt besser einschätzen zu können, wurden die Ergebnisse der Ex-postBefragung (per Internet) mit der Ex-ante-Befragung vor den Stadien verglichen. Die Tabelle 3.11 belegt, dass die Gruppen sich in ihren Angaben lediglich bei den gastronomischen Ausgaben signifikant unterscheiden. Bemerkenswert ist allerdings, dass die ex-postBefragten in diesem Bereich einen niedrigeren Konsum aufwiesen. In den anderen Ausgabenkategorien zeigen sich keine signifikanten Abweichungen. Tab. 3.11: Konsummuster von deutschen Tagestouristen (Stadion) in Frankfurt am Main
Fanartikel Tägliche Reisekosten Gastronomie Shopping Eintrittskarten
Z-Werte 0,93 0,69 3,35** 0,46 0,57
Stadion sig. 0,35 0,72 0,00 0,98 0,90
n 496 698 679 606 429
Zu 5. Beeinflussung durch Sprachprobleme Schwierigkeiten bei der Beantwortung der Fragen in einer Fremdsprache gab es naturgemäß nur, wenn der WM-Besucher über relativ geringe Sprachkenntnisse verfügte. Daher notierte jeder Befrager auf dem zurückgegebenen Fragebogen, ob Probleme dieser Art aufgefallen sind. Die Tabelle 3.12 weist nach, dass nur wenige Besucher gravierende Verständnisschwierigkeiten hatten, wobei dies durchaus auch bei Inländern der Fall sein konnte. Einerseits waren dies Befragte mit Migrationshintergrund oder (stark) alkoholisierte Personen (siehe oben). Überdies muss der Anteil der Besucher, bei denen vonseiten der Befrager Zweifel am vollen Verständnis der Fragen vorlagen, nicht zwingend falsche oder substanziell von den Tatsachen abweichende Angaben gemacht haben. Zudem mag sich dies nur auf Teil-
Methodik der empirischen Untersuchung
90
fragen auswirken, die in der Auswertung stets Gegenstand von individuell kausallogischen Tests waren. Letztlich war dieser Vermerk nur eine Vorsichtsmaßnahme, die wohl nur bei starker Ausprägung Relevanz hat, und die Anzahl dieser Fälle ist sehr niedrig. Tab. 3.12: Verständnisindex nach Interviewort und Wohnsitz in Prozent Public Viewing
Verständnis voll vorhanden Verständnis unter Einschränkungen Verständnis kaum bis gar nicht vorhanden Total
Wohnsitz im Inland 88,4
Stadion
Wohnsitz im Ausland 82,4
Wohnsitz im Inland 88,7
Wohnsitz im Ausland 78,6
9,6
15,1
10,8
19,6
2,0
2,3
0,6
1,8
100,0
100,0
100,0
100,0
In der Formulierung des Fragebogens wurde größter Wert auf eine leichte Verständlichkeit gelegt. Außerdem wurden überwiegend Fakten und kaum Meinungen abgefragt, sodass Sprachprobleme nicht zu größeren Verzerrungen geführt haben dürften.
Zu 6. Schwierigkeiten der Schätzung des eigenen Konsums Ein aus der Konsumforschung bekanntes Problem liegt in der allgemeinen Schwierigkeit der Menschen, ihren Konsum treffend zu schätzen. Zum einen ist dies im vorliegenden Fall darauf zurückzuführen, dass ein Teil der Befragten ggf. Schwierigkeiten bei der Umrechnung in Euro bzw. US-Dollar hatte. Zum anderen beobachtet man das Phänomen, dass Erinnerungen an „kleine“ Ausgaben oder Urlaubsausgaben, insbesondere in einem Flow-Erlebnis (Csikszentmihalyi, 2000), oft verdrängt bzw. nicht (klar) bewusst wahrgenommen werden. Letzteres dürfte allerdings tendenziell zu einer Unterschätzung der tatsächlich getätigten Konsumausgaben geführt haben, was den durch diese Studie berechneten Primärimpuls dann eher niedriger ausfallen lässt. Mithin begründet auch dieser unumgängliche, kognitive Sachverhalt implizit einen konservativen Messansatz in der Methodik.
Zu 7. Fehlende Befragungen an einigen Standorten Aus forschungsökonomischen Gründen konnte nicht an allen zwölf WM-Standorten in größerem Umfang befragt werden. Es galt daher zu prüfen, ob die Ausgaben der Besucher sich in Abhängigkeit eines bestimmten Spielorts verändern. Dazu wurden Besucher derselben Nationalität (hier am Beispiel der Engländer, Australier und Inländer) hinsichtlich
3.2
Qualität und Repräsentativität der Primärdaten
91
ihres Konsums an verschiedenen WM-Standorten und zu verschiedenen Spielen untersucht. Beispiel Engländer: Die Tabelle 3.13 zeigt, dass die Konsummuster der Engländer zwischen zwei Begegnungen an verschiedenen Spielorten und mit jeweils anderen Spielpaarungen keine bedeutsamen Abweichungen aufweisen. Tab. 3.13: Konsummuster von englischen Touristen mit Übernachtung (Stadion) im Vergleich von Spiel 3 (Frankfurt/Main) und Spiel 59 (Gelsenkirchen)
Unterkunft Fanartikel Tägliche Reisekosten Gastronomie Shopping Eintrittskarten
Z-Werte 0,69 0,49 1,21 1,17 0,79 1,76**
Stadion sig. 0,73 0,97 0,10 0,13 0,56 0,00
n 140 152 151 141 154 138
Der einzige signifikante Unterschied ist in der Konsumkategorie „Eintrittskarten“ belegbar, was natürlich durch die höheren Preise der Eintrittskarten bei einem Playoff-Spiel (Spiel 59 – Viertelfinale) zu erklären ist. Dabei waren nicht nur die regulären Preise höher, sondern auch die Schwarzmarktpreise, die hier im Konsum mit erfasst wurden. Beispiel Australier: Auch hier sind keine signifikanten Differenzen festzustellen, außer bei den Fanartikeln. Die Abweichung beträgt knapp über 3 € und ist beim zweiten Spiel der Australien höher. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass die Australier überraschend im Achtelfinale gegen Italien standen und die Euphorie die Kaufneigung von Fanartikeln leicht erhöht hat (Tab. 3.14). Tab. 3.14: Konsummuster von australischen Touristen mit Übernachtung (Stadion) im Vergleich von Spiel 12 (Kaiserslautern) und Spiel 53 (Kaiserslautern)
Unterkunft Fanartikel Tägliche Reisekosten Gastronomie Shopping Eintrittskarten
Z-Werte 0,55 1,37* 0,85 0,85 1,09 1,16
Stadion sig. 0,93 0,05 0,47 0,47 0,18 0,14
n 120 169 186 171 170 158
Beide Spiele der Australier fanden in Kaiserslautern statt. Damit kann also zugleich nachgewiesen werden, dass sich die Konsumausgaben der Besucher einer Nationalität zwi-
Methodik der empirischen Untersuchung
92
schen einem Spiel in der frühen Phase des Turniers und dem in einer späteren nicht signifikant voneinander unterscheiden. Beispiel Inländer: Dieser Befund kann noch einmal durch die Betrachtung von inländischen Besuchern bestätigt werden. Über vier Spiele (von Spiel 3 in der Vorrunde bis zum Spiel 60 im Viertelfinale) werden dazu die Konsummuster der inländischen Tagestouristen in Frankfurt/Main miteinander verglichen (Tab. 3.15). Tab. 3.15: Konsummuster von inländischen Tagestouristen (Stadion) im Vergleich von Spiel 3, 14, 37,16 in Frankfurt/Main
Fanartikel Tägliche Reisekosten Gastronomie Shopping Eintrittskarten
Stadion (Tagestourist) Chi²-Wert sig. 4,54 0,21 7,12 0,07 2,21 0,55 6,62 0,09 5,10 0,16
Ebenso keine signifikanten Unterschiede im Konsum weisen die Touristen mit Übernachtung (Stadion) in Frankfurt auf. Hierfür wurden Spiel 3 und Spiel 14 einander gegenübergestellt (Tab. 3.16). Tab. 3.16: Konsummuster von inländischen Touristen mit Übernachtung (Stadion) im Vergleich von Spiel 3 und 14 in Frankfurt/Main
Unterkunft Fanartikel Tägliche Reisekosten Gastronomie Shopping Eintrittskarten
Stadion (Tourist mit Übernachtung) Chi²-Wert sig. 0,01 0,91 0,00 1,00 4,34* 0,04 1,58 0,21 2,40 0,12 7,52** 0,01
Die Ergebnisse der Vergleiche belegen, dass eine Differenzierung nach Standorten sowie nach der Lage im Verlauf des Turniers kaum signifikante Abweichungen im Konsumverhalten derselben Nationalitäten nach sich zieht. Zu 8. Individuell unterschiedliche Vorgehensweise bei der Befragung (Befragerbias) Der möglichen Verzerrung durch bestimmte Vorlieben von Befragern ist auf verschiedene Weise begegnet worden. Zunächst wurde im Rahmen einer Schulung allen Befragern das
3.2
Qualität und Repräsentativität der Primärdaten
93
Problem des Befragerbiases bewusst gemacht. Sie waren dazu angehalten, sich gegenüber jedem zu Befragenden gleich zu verhalten und vor allem auf möglichst alle Personen im ausgesuchten Befragungsklumpen zuzugehen und diese auch zu befragen. Da fast immer auf eine schriftliche Befragung zurückgegriffen wurde, wird ein Befragerbias z. B. durch die Betonung bestimmter Fragen von vornherein ausgeschlossen. Außerdem wird das Risiko eines Befragerbias´ auch dadurch minimiert, dass immer mehrere Interviewer vor Ort waren, was die Gefahr des Einflusses einer bestimmten Person auf die Ergebnisse nivelliert.
3.2.3
Repräsentativität der Daten
Wie bereits angemerkt, erfolgte die Erhebung der Daten nach dem zufallsgesteuerten Auswahlverfahren der mehrstufigen Klumpenstichprobe. Dieses Vorgehen war deshalb angeraten, weil keine Informationen über Konstruktionsmerkmale der Grundgesamtheit der Public-Viewing-Besucher und nur wenige über die Stadionbesucher existierten. Von der Grundgesamtheit der Public-Viewing-Besucher ist lediglich die Anzahl bekannt. Über die Population der Stadionbesucher gibt es neben der Anzahl der Zuschauer drei zentrale Informationen: erstens die Anzahl der Besucher je Stadionsektor, zweitens die Anzahl der Besucher nach Preiskategorien der Eintrittskarten und drittens die Anzahl der Ausländer (nach Nationalität) im Stadion. Der Erhebungsprozess der Befragung durchlief mehrere Auswahlebenen: 1. Stufe: Es wurde eine gezielte Auswahl typischer Spiele nach den oben dargelegten a-priori-Informationen bzw. -Überlegungen getroffen. 2. Stufe: Das Gelände an einem Spielort zu einem bestimmten Spiel wurde in verschiedene „Klumpen“ aufgeteilt. In die durch Zufall ausgewählten Klumpen postierte sich je ein und mitunter mehrere Befrager. 3. Stufe: In einem ausgewählten Klumpen wurden per Zufallsauswahl möglichst viele Besucher befragt. Häufig wurden sogar alle Besucher eines Klumpens befragt. Weil alle gewählten Befragungsorte um das Stadion bzw. auf dem Fan-Fest verteilt lagen, gibt es keinen Anlass zu der Annahme, dass diese „natürlichen“ Kleingruppen, die sich in einem Bereich am Stadion/Fan-Fest aufhielten, untersuchungsrelevante spezielle Merkmalsausprägungen aufzeigten (zur Klumpenstichprobe und mehrstufigen Auswahl vgl. Kromrey 1998, S. 286-288; Bahrenberg, Giese & Nipper, 1990, S. 20; Hantschel & Tharun, 1980, S. 65). Über die Grundgesamtheit der Besucher auf den Public Viewings liegen keinerlei Konstruktionsmerkmale vor, sodass letztlich nur die mehrstufige Klumpenstichprobe anzuwenden war und keine abschließende Aussage über die Repräsentativität dieser Daten gemacht
Methodik der empirischen Untersuchung
94
werden kann. Für die Hochrechnungen im Modell konnte jedoch auf die Gesamtzahl der Besucher zurückgegriffen werden. Über die Grundgesamtheit der Stadionbesucher existieren außer den genannten Konstruktionsmerkmalen Ergebnisse aus einer zweiten groß angelegten empirischen Untersuchung (Spellerberg et al., 2007). Diese wurde mit Hilfe einer anderen Methode und mit einem anderen Auswahlverfahren durchgeführt. Im Folgenden soll die Konvergenz zentraler soziodemographischer Daten dieser beiden Stichprobenuntersuchungen von WMBesuchern überprüft und dargestellt werden. Spellerberg et al. (2007) befragten 6.282 Stadionbesucher an sechs Standorten nach der Methode der geschichteten Stichprobe (insbesondere anhand der Stadionsektoren). Die Befragung erfolgte durch mündliche Interviews. Einige soziodemographische Daten wurden für beide Studien identisch abgefragt. In den folgenden Tabellen 3.17 bis 3.20 werden wesentliche Variablen dieser Erhebung (Befragung Mainz [MZ]) mit denen der Studie von Spellerberg et al. (Befragung Kaiserslautern [KL]) verglichen. Tab. 3.17: Mit wem gehen Sie zu der Veranstaltung? (Quellen: Spellerberg et al. (2007) und eigene Daten)
Allein mit Familie, Partner/in mit Geschäftspartner(n) mit Freunden, Freund/in mit Arbeitskollegen/innen mit einer organisierten Gruppe n. e. = nicht erhoben
Befragung MZ Anzahl Prozent 258 5,4 1.888 39,4 174 3,6 2.781 58,0 254 5,3 140 2,9
Befragung KL Anzahl Prozent 491 8 2.895 47,2 n. e. n. e. 3.397 55,4 n.e. n.e. 123 2
Tab. 3.18: Geschlechterverteilung nach Wohnort (Quellen: Spellerberg et al. (2007) und eigene Daten)
in Deutschland im Ausland
Befragung MZ weiblich männlich 23,9 76,1 18,8 81,2
Befragung KL Weiblich Männlich 21,8 78,2 17,7 82,3
3.2
Qualität und Repräsentativität der Primärdaten
95
Tab. 3.19: Alter in Klassen nach Spielort und Wohnort in Prozent (Quellen: Spellerberg et al. (2007) und eigene Daten) Befragung MZ Inländer Ausländer 1,3 1,1 19,0 21,1 37,0 40,7 25,4 22,9 10,3 9,1 5,6 3,9 1,3 0,7 0,1 0,4
bis 15 Jahre 16 bis 25 26 bis 35 36 bis 45 46 bis 55 56 bis 65 66 bis 75 über 75
Befragung KL Deutsche Ausländer 0,5 0,6 19,2 17,6 33,5 40,0 27,6 26,6 12,1 10,9 5,6 3,7 1,5 0,6 0,1 0,1
Tab. 3.20: Durchschnittsalter nach Wohnort (Quellen: Spellerberg et al. (2007) und eigene Daten) in Deutschland im Ausland
Befragung MZ 35,2 33,9
Befragung KL 35,9 34,8
Zwischen den zentralen Daten der beiden Erhebungen, denen unterschiedliche Erhebungsverfahren zugrunde liegen, sind keine großen Unterschiede festzustellen. Das weist darauf hin, dass beide Untersuchungen die Grundgesamtheit richtig abbilden. Schließlich kann die Repräsentativität der Stichprobe unter den Stadionbesuchern noch durch den Abgleich mit bekannten Konstruktionsmerkmalen erfolgen. So kann zunächst die Preiskategorie von Eintrittskarten miteinander verglichen werden. Die Verteilung der Eintrittskarten nach Kategorien (A-D) ist in Tabelle 3.21 für alle Personen der Stichprobe, die bis zu drei Karten gekauft haben, dargestellt und in Beziehung zu deren Verteilung in der Grundgesamtheit gesetzt. Tab. 3.21: Anzahl der Befragten nach Preiskategorie in Stichprobe und Grundgesamtheit (Quelle: Daten der Grundgesamtheit vom WM-OK 2006 (OK, 2006)) Befragung Kategorie A Kategorie B Kategorie C Kategorie D
Anzahl
In Prozent
1.165 1.208 1.042 385
30,7 31,8 27,4 10,1
Grundgesamtheit Abweichung in Prozent von GG 40,9 -10,2 27,8 4,0 22,5 4,9 8,8 1,3
Methodik der empirischen Untersuchung
96
Es zeigt sich, dass zu wenige Besucher der Kategorie A befragt wurden, während die Auswahl der anderen Kategorien mit maximal 4,9 % Abweichung akzeptabel erscheint. Die zu schwache Repräsentativität der Besucher aus Kategorie A kann daran gelegen haben, dass viele dieser Kartenbesitzer durch VIP-Zugänge ins Stadion gelangten und daher nicht befragt wurden. Unterstellt man, dass die Besitzer der teuersten Karten wahrscheinlich mehr konsumieren, da sie wohlhabender sind, so dürften die Hochrechnungen den gesamten Konsum der Besucher erneut eher unter- als überschätzen. Ein weiteres Konstruktionsmerkmal der Grundgesamtheit der Stadionbesucher ist deren Nationalität. Allerdings gibt es einen gravierenden Unterschied zwischen den verfügbaren empirischen Daten und den Angaben des WM-OK 2006 über die Grundgesamtheit der Stadionbesucher (Zuschauer). Die offiziellen Daten berücksichtigen weder die Tatsache, dass nicht immer diejenigen, welche die Karten bestellt haben, diese auch benutzen (z. B. Bestellung für die Familie oder einen Freund), noch den Schwarzmarkt, der zu erheblichen Abweichungen der Anzahl und des Anteils von Nationalitäten in den Stadien und von den Statistiken der personifiziert verkauften Karten im Vergleich zur Wirklichkeit führt. Die Erhebung in dieser Studie deutet darauf hin, dass mindestens 8 % der Karten auf dem Schwarzmarkt gekauft wurden. Es ist anzunehmen, dass die wirkliche Anzahl weitaus höher liegt. Außerdem wurde für diese Studie lediglich der dauerhafte Wohnsitz abgefragt, nicht aber die Nationalität des Befragten. Immigranten, Gaststudenten, Asylanten und ähnliche Gruppen wohnen eine längere Zeit in Deutschland, kaufen ihre Eintrittskarte allerdings als „Ausländer“, da sie zum Kauf ihre Nationalität angeben mussten. In Deutschland lebten 2006 über 15 Mio. Migranten, von denen laut Statistischem Bundesamt (2007g) immerhin rund 7,3 Mio. keinen deutschen Pass haben. Aus diesen beiden Gründen kann die folgende Tabelle 3.22 nur einen groben Anhaltspunkt für die Qualität der Stichprobe liefern. Die Differenzierung der Nationen erfolgt hier nach den Gruppen, die später auch Gegenstand der Analyse sein werden. Tab. 3.22: Anzahl von Stadionbesuchern nach gruppierten Nationalitäten Anzahl Ein- Anzahl Eintrittstrittskarten laut karten nach SM & OK M Inländer 1.263.154 1.205.444 Osteuropa 45.969 48.943 Europa Nachbarn 88.888 94.639 Europa fern 128.367 136.673 Europa teuer 208.771 222.279 Fernreisende 419.906 447.076 Summe
2.155.055
2.155.055
Anzahl Besucher
Besucher in %
Besucher in der Stichprobe in %
552.190 29.396 47.223 62.643 96.540 184.797
56,8 3,0 4,9 6,4 9,9 19,0
54,7 0,8 4,0 1,4 20,5 18,6
972.789
100
100
SM = Schwarzmarkt, M = Migranten
Die beiden letzten Spalten der Tabelle zeigen die Grundgesamtheit (mit den oben erwähnten Schwächen) und die Stichprobe im Vergleich. Danach ist die Gruppe der Befrag-
3.3
Datenverarbeitung und Auswertung
97
ten aus europäischen Ländern mit hohem BIP/Kopf (später als „Europa teuer“ bezeichnet) überrepräsentiert und die der Besucher aus weit entfernten europäischen Ländern unterrepräsentiert. In späteren Berechnungen der über alle Gruppen geltenden durchschnittlichen Angaben werden diese Verzerrungen durch entsprechende Gewichtungen berücksichtigt. Allerdings ist eine Gesamtrepräsentativität für die Zielsetzung dieser Studie nicht notwendig, sondern lediglich eine Repräsentativität für Teilgruppen. Im Wesentlichen geht es um zwei Verwendungen der Daten: 1.
zur Ermittlung von Reise- und Konsummustern. Diese werden allerdings in Teilgruppen differenziert dargestellt, sodass die einzelnen Teilgruppen (sechs Ländergruppen) repräsentativ sein müssen. Für die Anwendung multivariater Verfahren ist es lediglich wichtig, dass alle Gruppen ausreichend stark vertreten sind. Zur Analyse der Reise- und Konsummuster bedarf es daher keiner Repräsentativität der gesamten Stichprobe.
2.
zur Ermittlung des Primärimpulses. Die Grundlage des Mengengerüstes basiert jeweils auf den Erhebungen der Grundgesamtheit durch das OK (Eintrittskarten) und die WM-Städte (Public Viewings; siehe Kapitel 5.1). Dabei werden Daten aus der Stichprobe lediglich zur Berechnung der Konsumausgaben einzelner Teilgruppen verwendet. Auch hier müssen nur die einzelnen Teilgruppen (sechs Ländergruppen) repräsentativ sein.
3.3
Datenverarbeitung und Auswertung
3.3.1
Quantitative Daten
Die Daten der Befragung der WM-Besucher lagen standardisiert in einem Fragebogen vor. Sie wurden von drei bezahlten Kräften und den Diplomanden in eine vorgegebene SPSS-Datendatei eingegeben. Dabei stand ein „Manual“ (Codierungshandbuch) zur Verfügung, in dem nicht nur alle Kodierungen, sondern auch Anweisungen für Zweifelsfälle detailliert erklärt waren. Die Variablennamen wurden mit großer Sorgfalt gewählt, damit es bei den späteren Auswertungen nicht zu Verwechslungen kommen kann. Dies wurde durch drei Maßnahmen erreicht: 1. Jede Variable enthält am Anfang die Fragennummerierung des Fragebogens. 2. Jede Variable wird durch eine lautmalerische Umschreibung der Variablen ergänzt. Dies ist insbesondere bei Statementbatterien eine für die Übersicht effektive Maßnahme. 3. Jede Variable erhält einen ausführlichen Kommentar (Lable), um im Zweifelsfall genau nachzuprüfen, welche Variable vorliegt. Nach der Eingabe von 9.456 Fragebögen, wobei jeder Fragebogen ca. 150 Variable enthielt (also ca. 1,4 Mio. Informationen), erfolgte eine aufwändige Datenreinigung. Auch
98
Methodik der empirischen Untersuchung
wenn die Digitalisierung mit größter Sorgfalt erfolgte, konnten Eingabefehler bei einer derart hohen Fallzahl nicht vermieden werden und erzeugten so viel Arbeit in der notwendigen Datenbereinigung. Wie später gezeigt und begründet wird, weisen die Konsumausgaben der WM-Besucher keine Normalverteilung auf. Die Ausgaben erwiesen sich vielmehr als mehrgipflig und extrem schief verteilt. Die selbst für die heterogene Klientel der WM-Besucher teilweise äußerst stark voneinander abweichenden Angaben zu den einzelnen Konsumkategorien ließen zunächst „statistische Ausreißer“ vermuten. Daher mussten extrem hohe Werte in den einzelnen Fragebögen kontrolliert werden, um auszuschließen, dass es sich um Eingabefehler handelte. In einigen Fällen konnten fehlende Werte aus anderen Angaben ermittelt werden. Dies geschah vor allem bei den für diese Studie bedeutsamen Konsummustern. Es zeigte sich, dass viele der Befragten in den Konsumabfragen nicht angegeben hatten, für wie viele Personen die Ausgabe getätigt wurde. Diese Daten wurden konsequent aus der Auswertung genommen. Allerdings wurden bei denjenigen, die angegeben haben, dass sie „allein“ zum Spiel gekommen sind, die entsprechenden Angaben in den Fragebögen nachgetragen, und daher konnten diese Konsummuster im Weiteren berücksichtigt werden. Aus codiertechnischer Sicht bestand eine weitere Schwierigkeit: Viele WM-Besucher, die in der einen und anderen der abgefragten Konsumkategorien nichts ausgegeben hatten, haben dies wahrscheinlich nicht durch eine „Null“ kenntlich gemacht, sondern das Feld einfach offen gelassen. Dies ist ein typisches Problem bei schriftlichen Befragungen, bei denen zwischen einer „Null“ und „keiner Angabe“ unterschieden werden muss. Für die Berechnung der durchschnittlichen Ausgaben in einer Konsumkategorie hat die Berücksichtigung einer „Null“ (d. h. „keine Ausgabe“) eine wichtige Bedeutung, während diejenigen, die diese Frage lediglich nicht beantwortet haben, in den Berechnungen nicht berücksichtigt werden dürfen („missing value“). In dieser Studie wurde folgendermaßen vorgegangen: Wenn die Befragten in derselben Frage in einigen Konsumkategorien etwas eingetragen haben, so wurde im Fall einer offen gelassenen Konsumkategorie unterstellt, dass dort „keine Ausgabe“ erfolgte. Nur sofern die gesamte Frage nach Konsumausgaben nicht beantwortet wurde, sind die leeren Kategorien nicht berücksichtigt worden („missing values“). Trotz der aufgeführten Gründe, welche die Datenqualität mindern können, war die Ausfüllqualität der Fragebögen in dieser Studie außerordentlich gut. Andere Konsumentenbefragungen zeigen sehr viel schlechtere Ergebnisse in dieser Hinsicht. Es scheint, dass die gute Stimmung bei der Fußball-WM und die innere Verbundenheit der Befragten mit dem Fußball die Erhebung spürbar begünstigt haben. Die gute Qualität der Daten lässt sich u. a. daran erkennen, dass in gut 70 % der Fälle die wesentlichen Fragen (zum Konsummuster) beantwortet wurden. Dazu musste sowohl die Höhe der Ausgaben als auch die Anzahl der Personen, für welche die jeweilige Ausgabe gilt, sowie der Zeitraum des Auf-
3.3
Datenverarbeitung und Auswertung
99
enthalts in Deutschland angegeben werden. So wurden beispielsweise zur Bestimmung der Variable „Ausgaben für Shopping pro Person und pro Tag“ drei Angaben aus dem Fragebogen verrechnet. Dies konnte bei 72,4 % der Fälle erfolgen. An einigen Stellen des Fragebogens bestand die Möglichkeit einer offenen Antwort, etwa bei der Frage nach der Unterbringung oder dem Kauf der Eintrittskarte. Bei der Codierung wurde dazu zunächst nach dem Prinzip der möglichst identischen Erfassung der Angaben auf dem Fragebogen (Aufgabe der Codierer) vorgegangen. Offensichtliche Fehlangaben und Rechtschreibfehler wurden dabei allerdings korrigiert. Erst im zweiten Schritt wurde durch eine verantwortliche Person über die Bildung einer weiteren Variable entschieden. Der gesamte Datensatz wurde mit statistischen Angaben zu den Herkunftsländern ergänzt, sodass Korrelationsanalysen zwischen Konsum und z. B. dem BIP pro Kopf durchgeführt werden konnten. Als Quellen dienten dazu Daten von der Redaktion Weltalmanach (2005) und dem CIA (2008). Die Auswertung der Daten wurde mit SPSS 14.0 durchgeführt. Eine Besonderheit dieser Untersuchung ist, dass bei jeder Auswertung immer nur Teile des Datensatzes Verwendung gefunden haben. Dies liegt an der komplexen Zusammensetzung des Datensatzes. So wurden die Spezialerhebungen (z. B. bestimmter Ländergruppen durch Diplomanden oder die Internetbefragung) immer dann ausgeblendet, wenn es um die repräsentative Darstellung der Stadionbesucher o. ä. ging. Zudem wurde durchgängig zwischen den Erhebungen in den Public Viewings und vor den Stadien unterschieden. Für den Vergleich mit anderen Befragungen (Hockey-WM, Confed-Cup usw.) wurde ein eigener Datensatz aus den entsprechenden Datensätzen zusammengestellt. Dabei wurden abweichende Kodierungen vereinheitlicht und jeweilige besondere Variablen aus den einzelnen Erhebungen weggelassen. Des Weiteren lag ein Datensatz des Organisationskomitees der Fußball-WM in Excel vor, der die Nationalitätsverteilung der Eintrittskartenkäufer beinhaltete. Dieser wurde in einen SPSS-Datensatz umgewandelt, der dann ebenfalls um bestimmte Variable der Länder (BIP, Ländergrößen etc.) ergänzt wurde. Schließlich wurden die „Frequenzanalyse“ und die „Besuchertypenbeobachtung“ mit Hilfe von Excel ausgewertet.
3.3.2
Qualitative Daten
Der Schwerpunkt der Arbeit liegt in der Analyse der quantitativen Daten. Die qualitativen Daten werden vor allem zur Interpretation der quantitativen Daten und für Plausibilitätschecks verwendet.
100
Methodik der empirischen Untersuchung
Die qualitativen Daten liegen als kurze Beschreibungen vor, die während oder direkt nach dem Ereignis aufgezeichnet wurden. Es fand auch keine spezielle Auswertung statt, wie sie etwa bei Intensivinterviews inzwischen zum Standard (Lamnek, 1993) geworden ist. Stattdessen fließen die Ergebnisse an verschiedenen Stellen in den Bericht ein.
4
Ergebnisse der empirischen Erhebung
4.1
Profil der Besucher der Stadien und Public Viewings
Zunächst stellt sich die Frage, wer die Besucher der Fußball-WM überhaupt waren. Sie sollen in diesem Kapitel anhand ihrer soziodemographischen Daten (Alter, Geschlecht, Bildung, Einkommen und Herkunft) sowie der psychographischen Angaben (Fußballinteresse, Fanbekenntnis, Attraktivität des WM-Spiels) beschrieben werden. Die soziodemographischen und psychographischen Variablen werden in einem späteren Teil dazu verwendet, die Konsummuster der Besucher zu erklären. Das Profil der WM-Besucher wird in diesem Kapitel konsequent nach Stadionbesuchern und Public-Viewing-Besuchern differenziert, denn dies waren zwei verschiedene Veranstaltungsformen, die ein unterschiedliches Klientel angezogen haben. Hier soll noch einmal betont werden, dass in dieser Studie nur die Besucher der FußballWM untersucht wurden, die keine VIPs waren, also nur diejenigen, die ihre Eintrittskarte durch Kauf erwerben konnten. Daher ist die Grundgesamtheit der folgenden Auswertungen auf 2,15 Mio. Zuschauer beschränkt, obwohl 3,2 Mio. Eintrittskarten verfügbar waren. Des Weiteren wird hier zwischen Zuschauern und Besuchern unterschieden, wobei ein Besucher immer die Person an sich ist, die aber durchaus mehrere Male Zuschauer gewesen sein kann (siehe Definition in Kapitel 5.1.1.1).
4.1.1
Soziodemographische Daten
Mehr als die Hälfte der Zuschauer in den Stadien stammt aus Deutschland. Tabelle 4.1 zeigt den Anteil der frei verkauften Eintrittskarten nach der Nationalität des Zuschauers. Dies sagt weder etwas über die Anzahl der Besucher aus, noch über den Wohnort des Zuschauers, da die Nationalität durch das Organisationskomitee beim Kauf der Eintrittskarten anhand von Pässen ermittelt wurde. Des Weiteren zeigt Tabelle 4.1 lediglich den Anteil offiziell verkaufter Eintrittskarten und berücksichtigt nicht den Erwerb von Karten auf dem Schwarzmarkt, VIP-Karten oder Karten aus Sponsorenkontingenten. Anhand der empirischen Erhebung kann gezeigt werden, dass der Anteil der auf dem Schwarzmarkt verkauften Eintrittskarten hoch ist und stark zwischen den Nationalitäten schwankt.
Ergebnisse der empirischen Erhebung
102
Tab. 4.1: Verteilung der Eintrittskarten nach Nationalität (Quellen: OK 2006 und eigene Berechnungen) Prozent der verfügbaren Eintrittskarten
Anzahl der Eintrittskarten nach Nationalität
Deutschland
58,6
1.263.154
Teilnehmer-Nationen mit den meisten Zuschauern Großbritannien und Nordirland Vereinigte Staaten von Amerika Japan Schweiz Schweden Sonstige Teilnehmer-Nationen
3,9 3,2 2,9 2,8 2,6 21,5
83.288 70.005 62.046 59.469 55.788 463.280
Nicht-Teilnehmer-Nationen mit den meisten Zuschauern Österreich Kanada Finnland Dänemark Russische Föderation Sonstige Nicht-Teilnehmer-Nationen
0,7 0,5 0,3 0,2 0,2 2,7
14.153 9.908 6.182 5.387 4.482 57.913
Summe
100
2.155.055
Für die Public Viewings konnte eine analoge Aufstellung nicht durchgeführt werden, da die Nationalitäten der Besucher auf den Fan-Festen nicht erfasst wurden. Allerdings können folgende zwei Aussagen über die Ausländer bei den Public Viewings gemacht werden: 1.
Die Erhebung bei 25 Spielen in Hamburg (n=623) hat ergeben, dass durchschnittlich 17,9 % der Besucher im Public Viewing Ausländer waren, wenn gleichzeitig keine Spiele im Hamburger WM-Stadion stattfanden.
2.
Die Anzahl der ausländischen Besucher bei gleichzeitigem Spiel „ihrer“ Nationalmannschaft in derselben Stadt schwankte ausgesprochen stark. So waren die Engländer, Niederländer und Schweizer auf den Public Viewings äußerst zahlreich erschienen, ja sogar in der Mehrzahl, während Fans aus Saudi-Arabien, Trinidad & Tobago oder auch Südkorea generell wenig auf den Public Viewings anzutreffen waren. Als höchster Wert konnte ein Ausländeranteil von 61,3 % bei Spiel 59 (England – Portugal) gemessen werden. In der späteren Phase des Turniers wurden für die zahlreich erschienenen Engländer erweiterte Public Viewings eingerichtet, in denen die Live-Reportage auf Englisch übertragen wurde. Die Beobachtungen bestätigen, dass die Anteile der ausländischen Besucher in einigen Public Viewings noch höher gelegen haben dürften (z. B. Schweden – England in Köln). Das Spiel England –
4.1
Profil der Besucher der Stadien und Public Viewings
103
Paraguay in Frankfurt dürfte einen Anteil an Engländern von über 80 % gehabt haben, und auf der Innenstadtseite des Public Viewings (Mainarena) dürfte deren Anteil sogar bei 95 % gelegen haben, wenn man davon ausgeht, dass alle, die Fanartikel oder Trikots von England trugen, auch aus England kamen. Fans aus Paraguay konnten nur vereinzelt gesehen werden (Schätzung basiert auf einer stichprobenartigen nicht protokollierten Zählung von Trikots am Ausgang des Public Viewings). Der niedrigste gemessene Ausländeranteil bei einem Spiel lag bei 14,7 % (Italien – Australien in Kaiserslautern). Dies ist umso erstaunlicher, als das Spiel Australien – Japan in Kaiserslautern eine sehr hohe Ausländerquote von 58,1 % aufweist. Aber genau das ist ein gutes Beispiel für die starken Schwankungen der Ausländeranteile auf den Public Viewings. Diese sind sicherlich zum Teil durch intervenierende Variablen zu erklären. So hat das Spiel Australien – Japan bereits um 15 Uhr begonnen, weshalb deutlich weniger Inländer das Public Viewing besuchen konnten, als dies bei einer späteren Anstoßzeit der Fall gewesen wäre. Die im Weiteren analysierten Daten beziehen sich auf alle Stichproben (Kapitel 3, Tab. 3.3). Dies waren zu 59,4 % Inländer (25,1 % Public-Viewing-Besucher und 34,4 % Stadionbesucher) und 40,6 % Ausländer (15,8 % Public-Viewing-Besucher und 24,7 % Stadionbesucher). Unter den Befragten ist eine klare Dominanz von männlichen Besuchern im Stadion (75 % bis 87 % bei den erhobenen Spielen) festzustellen, obwohl die Fußball-WM auch bei weiblichen Besuchern Interesse erweckte. Letzteres kann insbesondere am hohen Anteil der weiblichen Besucher auf Fan-Festen abgelesen werden. Insgesamt ist das allgemeine Interesse der weiblichen Bevölkerung an der Fußball-WM im eigenen Land hoch: „Interessierte sich während der letzten Bundesligasaison ein Drittel der weiblichen Zuschauer für Fußball, waren es bei den Livespielen der Fußball-Weltmeisterschaft 43 Prozent. Betrachtet man nur die Spiele mit deutscher Beteiligung, war sogar jeder zweite Zuschauer eine Frau.“ (Geese et al., 2006, S. 456) Diese Ergebnisse werden durch die Strichlistenerhebung (n=8.765) und die Erhebung von Spellerberg et al. (2007, S. 18) bestätigt. Differenziert man die Geschlechterverteilung nach Nationen, so zeigen sich erhebliche Unterschiede. Diese lassen sich zum einen durch unterschiedliche Fankulturen erklären, zum anderen aber auch durch den unterschiedlichen Grund der Anreise und die geplante Aufenthaltsdauer. Tendenziell gilt: Je weiter die Anreise der Besucher und je länger der Aufenthalt (inkl. Anschlussreise), desto häufiger sind die Besucher mit Familien angereist und haben damit einen höheren weiblichen Anteil.
Ergebnisse der empirischen Erhebung
104
Tab. 4.2: Geschlechterverteilung nach Wohnort in Prozent Public Viewing weiblich männlich
Stadion weiblich männlich
Deutschland
44,0
56,0
23,9
76,1
Ausland Frankreich Schweden Argentinien England / UK Schweiz Brasilien USA Südkorea Österreich Australien Niederlande Mexiko Spanien
22,5 15,1 27,3 20,8 17,6 22,0 19,0 39,2 37,7 20,3 27,9 28,1 35,9 17,5
77,5 84,9 72,7 79,2 82,4 78,0 81,0 60,8 62,3 79,7 72,1 71,9 64,1 82,5
18,8 9,4 11,1 14,8 15,8 16,3 17,1 17,6 17,9 20,0 20,8 26,5 27,3 28,1
81,2 90,6 88,9 85,2 84,2 83,7 82,9 82,4 82,1 80,0 79,2 73,5 72,7 71,9
Die Altersverteilung bei allen Befragten reicht im Stadion von 12 bis 85 Jahren (Ø 35 Jahre) und auf Public Viewings von 12 bis 82 Jahren (Ø 31 Jahre). Die Altersverteilung der gesamten Stichprobe ist in Abbildung 4.1 veranschaulicht und zeigt die schiefe Normalverteilung. 25 20 15 10 5 0 85 Jahre 1 5 9 1 1 2 2 Stadionbesucher
3 41 45 49Alte 53 57
12 Jahre
Public-Viewing-Besucher
Abb. 4.1: Verteilung des Alters in der Stichprobe
4.1
Profil der Besucher der Stadien und Public Viewings
105
In der Stichprobe der schriftlichen Befragung wurden Jugendliche unter 15 Jahren kaum befragt. Daher ist diese Altersgruppe in Abbildung 4.1 unterrepräsentiert. Allerdings wurden Kinder in der Strichlistenerhebung berücksichtigt. Es konnte anhand der Besuchertypenbeobachtung festgestellt werden, dass die Schweden (0,4 % beim Spiel 35) z. B. sehr selten Kinder mit ins Stadion brachten, Kinder aus Ghana gar nicht gesichtet werden konnten (0,0 % beim Spiel 26), wohingegen Engländer (8,7 % beim Spiel 59) und Mexikaner (6,3 % beim Spiel 50) vergleichsweise viele Kinder ins Stadion mitbrachten. In der Studie von Spellerberg et al. (2007, S. 23) sind ähnliche Ergebnisse zu finden. Danach haben 11 % der Stadionbesucher aus Deutschland und 6 % der Stadionbesucher aus dem Ausland Kinder ins Stadion mitgebracht. Differenziert man weiter nach Inländern und Ausländern, so zeigen sich signifikante Unterschiede in der Altersverteilung (Stadion t=2,6; p<0,05 / Public Viewing t=7,0; p<0,05). Demnach sind die Ausländer signifikant jünger als die Inländer. Tab. 4.3: Alter in Klassen nach Spielort und Wohnort in Prozent Public Viewing bis 15 Jahre 16 bis 25 26 bis 35 36 bis 45 46 bis 55 56 bis 65 66 bis 75 über 75 Durchschnittsalter
Stadion
Inländer
Ausländer
Inländer
Ausländer
1,4 30,2 36,2 19,7 8,5 2,7 1,1 0,2
1,6 39,7 36,0 15,2 4,9 1,8 0,4 0,3
1,3 19,0 37,0 25,4 10,3 5,6 1,3 0,1
1,1 21,1 40,7 22,9 9,1 3,9 0,7 0,4
32,1**
29,8**
35,2**
33,9**
** signifikanter Unterschied zwischen Inländern und Ausländern, t-Test jeweils für Public Viewing und Stadion berechnet; p<0,01
Die Fußball-WM war ein Event, das überwiegend von jüngeren Menschen besucht wurde. Dies mag daran gelegen haben, dass der Kauf von Eintrittskarten über das Internet für ältere Menschen nicht leicht war. Es kann aber auch darin begründet sein, dass dieses multikulturelle Event und insbesondere die Fan-Feste mit ihrem Festivalcharakter tendenziell eher jüngere Menschen angezogen haben. Nur wenige Besucher kamen allein ins Stadion (Ø 5,4 %) oder zum Public Viewing (Ø 5,7 %). Überwiegend gingen die Besucher mit Freunden und/oder ihrer Familie zum Fußball. Ausländische Fans sind im Vergleich zu den Inländern häufiger mit Freunden oder in einer organisierten Gruppe angereist.
Ergebnisse der empirischen Erhebung
106
Tab. 4.4: Gruppenzusammensetzung nach Wohnort in Prozent (Mehrfachantworten möglich) Public Viewing
Stadion
Inländer Ausländer Gesamt Allein mit Familie, Partner/in mit Geschäftspartner(n) mit Freunden, Freund/in mit Arbeitskollegen/innen mit einer organisierten Gruppe
6,4 33,4 ** 1,3 ** 71,0 10,8 3,3 *
5,0 20,9** 1,3 72,6 3,9** 5,2*
5,7 28,0 1,3 71,3 7,7 4,2
Inländer Ausländer Gesamt 5,1 44,2** 4,1 56,6** 6,2** 2,2**
5,4 34,1** 3,0 61,0** 4,2** 3,7**
5,4 39,4 3,6 58,0 5,3 2,9
* signifikanter Unterschied zwischen Inländern und Ausländern, t-Test jeweils für Public Viewing und Stadion; p<0,05 ** signifikanter Unterschied zwischen Inländern und Ausländern, t-Test jeweils für Public Viewing und Stadion; p<0,01
Spellerberg et al. (2007, S. 24) fanden heraus: „Die Mehrheit der Befragten (45 %) besuchten das Stadion zu zweit und 39 % waren in einer Gruppe aus drei bis fünf Personen unterwegs“. Die Stichprobe dieser Studie zeigt außerdem, wie viele Personen den befragten WM-Besucher begleiteten, aber nicht zum Fußball gegangen sind. Diese Gruppe ist von besonderer Bedeutung, denn sie ist nicht vor den Stadien oder im Public Viewing anzutreffen, muss aber als „Begleitpersonen von WM-Besuchern“ zu den WM-induzierten Konsumenten gezählt werden. Tab. 4.5: Anteil der Personen mit fußballabstinenten Begleitpersonen und deren durchschnittliche Anzahl in Prozent Public Viewing
Stadion
Inländer Ausländer Gesamt
Inländer Ausländer Gesamt
Anteil an Personen, die mit fußballabstinenten Begleitpersonen unterwegs sind
9,7**
16,2**
12,5
6,9**
19,0**
12,5
Mittelwert der Anzahl an fußballabstinenten Begleitpersonen
2,4**
3,0**
2,7
2,4
2,5
2,5
* signifikanter Unterschied zwischen Inländern und Ausländern, t-Test jeweils für Public Viewing und Stadion; p<0,05 ** signifikanter Unterschied zwischen Inländern und Ausländern, t-Test jeweils für Public Viewing und Stadion; p<0,01
Auffallend ist, dass die Ausländer signifikant häufiger Begleitpersonen hatten als Inländer. Betrachtet man die Verteilung der Begleitpersonen genauer, so ist festzustellen, dass die Besucher entweder mit einer Begleitperson oder in einer etwas größeren Gruppe angereist waren. Die folgende Tabelle zeigt die Anzahl der fußballabstinenten Begleitpersonen, so-
4.1
Profil der Besucher der Stadien und Public Viewings
107
fern Begleitpersonen angegeben wurden. Der Unterschied zwischen Inländern und Ausländern bezüglich der Anzahl ist nur gering. Lediglich im Public Viewing ist der Unterschied signifikant. Tab. 4.6: Anzahl der Begleitpersonen nach Wohnort in Prozent
1 Begleitperson 2 Begleitpersonen 3 bis 5 Begleitpersonen 6 bis 10 Begleitpersonen mehr als 10 Begleitpersonen Gesamt
Public Viewing
Stadion
Inländer Ausländer Gesamt
Inländer Ausländer Gesamt
34,3 27,4 24,0 8,0 6,3 100,0
30,7 16,0 31,6 17,0 4,7 100,0
31,4 20,7 29,4 13,1 5,4 100,0
33,8 23,6 32,5 8,3 1,9 100,0
34,0 20,8 31,7 6,7 6,7 100,0
33,0 21,4 31,9 7,4 6,2 100,0
Zur Berechnung des ökonomischen Primäreffektes ist hier allerdings die Reisemotivation zu berücksichtigen. Danach ist zu unterscheiden, ob die Besucher und deren Begleiter wegen des Besuchs der Fußball-WM „anders“ als im alternativen Urlaub bzw. Alltag konsumieren oder nicht. Außerdem ist zu beachten, ob es sich bei den Besuchern und ihren Begleitern um Personen handelt, die auch ohne die Fußball-WM nach Deutschland gekommen wären und lediglich eine andere Deutschlandreise substituierten (siehe Kapitel 2.3.2). Daher darf die relativ hoch erscheinende Anzahl von Begleitpersonen nicht komplett als WM-induzierte Konsumentengruppe gewertet werden (detaillierte Informationen in Kapitel 5.1). Tabelle 4.5 zeigt, dass ausländische Besucher häufiger in Gruppen unterwegs waren als die inländischen Besucher. Die Beobachtungen und auch die Untersuchung von Spellerberg (2007, S. 24) zeigten, dass die Besucher aus bestimmten Nationen eher in Gruppen reisen und sogar die Anreise zum Stadion gemeinsam organisierten. Dies sind z. B. die Besucher aus Brasilien, Ecuador und Trinidad & Tobago. Dagegen sind Besucher aus Australien oder England überwiegend in kleinen individuellen Gruppen gereist. Das Bildungsniveau der Besucher ist sehr hoch. Das deutet darauf hin, dass es einen Selektionsprozess unter den üblichen Fußballfans gegeben haben muss. Diese Selektion lässt sich durch drei Tatsachen erklären: erstens durch das relativ komplizierte Bestellverfahren von Eintrittskarten über das Internet, zweitens durch relativ hohe Preise und drittens durch die Möglichkeit, sehr teure Karten auf dem Schwarzmarkt erwerben zu können bzw. die erworbenen Karten für hohe Preise weiterverkaufen zu können (siehe dazu Feddersen, Sievers & Völpel, 2005).
Ergebnisse der empirischen Erhebung
108
Tab. 4.7: Bildungsniveau der Befragten Public Viewing Inländer ohne Abschluss Hauptschulabschluss Mittlere Reife (Fach-)Abitur Berufsbildende Schule Uni-/FH-Abschluss n=
1,7 6,0 26,4 30,2 7,9 27,8 2.040
Ausländer 1,9 7,7 12,1 18,6 11,4 48,3 1.476
Stadion Inländer 1,0 4,4 21,9 29,4 3,5 39,8 2.333
Ausländer 1,7 6,6 15,3 16,3 5,3 54,8 2.016
Das Bildungsniveau der inländischen Besucher ist höher als im Bundesdurchschnitt. Nach offiziellen Angaben besaßen 2006 44,8 % der Deutschen als höchsten Bildungsabschluss den der Hauptschule, 30,5 % die Mittlere Reife oder einen vergleichbaren Abschluss wie etwa den einer berufsbildenden Schule, 11,9 % die Fachhochschul- oder Hochschulreife und 12,8 % einen Uni- oder FH-Abschluss (Statistisches Bundesamt, 2007h, S. 15). Das Bildungsniveau korreliert mit dem Einkommensniveau (tau b=0,15**, p<0,01), das ebenfalls überdurchschnittlich hoch ist. Tab. 4.8: Durchschnittliches persönliches monatliches Netto-Einkommen Public Viewing Inländer kein eigenes Einkommen / Hausfrau weniger als 500 € 500 bis 1000 € 1001 bis 2000 € 2001 bis 3000 € 3001 bis 5000 € mehr als 5000 € n=
Ausländer
Stadion Inländer
Ausländer
0,7
0,1
0,4
0,3
21,9 16,6 35,3 14,8 7,1 3,6 1.933
19,4 14,4 25,4 17,0 13,4 10,3 1.469
15,6 12,6 27,9 21,7 14,0 7,9 2.153
10,8 11,1 17,2 17,2 21,3 22,2 1.966
Die Ausländer haben ein signifikant höheres Einkommen als die Inländer und auch die Stadionbesucher haben ein signifikant höheres Einkommen als die Besucher der Public Viewings. Beide Erkenntnisse lassen sich durch die relativ hohen Kostenbarrieren erklären, die für den Konsum eines Spiels der Fußball-WM überwunden werden müssen. Die Ausländer haben Anreise, Unterkunft und Eintrittskarten zu finanzieren und die Stadionbesucher die Anreise zum Stadion und die Eintrittskarte.
4.1
Profil der Besucher der Stadien und Public Viewings
109
Logischerweise steigen die Reisekosten mit zunehmender Entfernung von Deutschland. Dabei spielt weniger die Kilometerzahl eine Rolle, als vielmehr die Tatsache, ob eine günstige und bequeme Anreise per PKW oder Bus möglich ist. Dies gilt in der Regel für alle Besucher aus Deutschland und aus den Nachbarstaaten. Ist die Entfernung zu groß, sodass übernachtet werden muss oder nur eine Flugreise attraktiv ist, werden die Reisekosten so hoch, dass sich eher wohlhabende Schichten den Besuch der Fußball-WM leisten. Die folgende Tabelle zeigt die Einkommensunterschiede der WM-Besucher nach Ländergruppen (siehe Definition in Kapitel 5.1.1.1). Tab. 4.9: Median der Einkommenskategorie nach Ländergruppen Stadion Inländer Europa fern Osteuropa Europa Nachbarn Europa teuer Fernreisende
Public Viewing
Median
n
Median
n
3,0 3,0 4,5 5,0 5,0 5,0
2.268 71 34 156 846 752
3,0 3,0 3,0 4,0 4,0 5,0
1.790 43 13 277 485 282
(1) weniger als 500 € / (2) 500 bis 1000 € / (3) 1001 bis 2000 € / (4) 2001 bis 3000 € / (5) 3001 bis 5000 € / (6) mehr als 5000 €
Ähnliche Ergebnisse zeigten sich in der Studie von Spellerberg et al. (2007, S. 21), wo sich lediglich 4 % der lateinamerikanischen Fans als „Wenigverdiener“ bezeichneten, während sich dieser Kategorie 18 % der polnischen und kroatischen Fans zuordneten. Schließlich wurde erhoben, ob die Besucher selber den Fußballsport oder andere Sportarten betreiben oder betrieben haben. Tab. 4.10: „Ich war/bin aktiver Fußballer“ in Prozent Public Viewing Trifft nicht zu Habe mal/spiele etwas Fußball Trifft voll zu
Stadion
Gesamt
Inländer
Ausländer
Inländer
Ausländer
51,7 20,3 28,0
25,4 34,6 40,1
35,6 22,0 42,4
25,0 32,5 42,6
36,2 27,0 36,8
Die Daten zeigen eine deutliche Polarisierung der Besucher. Danach waren genauso viele Besucher nie aktive Fußballer (36,2 %) wie diejenigen, die sich als solche bezeichnen (36,8 %). Es fällt auf, dass vor allem zahlreiche inländische Besucher der Public Viewings nie Fußballer waren. Dies ist wahrscheinlich mit dem hohen Frauenanteil in den Public
Ergebnisse der empirischen Erhebung
110
Viewings zu erklären. Unter den ausländischen Fans sind keine Unterschiede zwischen Public-Viewing-Besuchern und Stadionbesuchern festzustellen. Tab. 4.11: „Ich war/bin in anderen Sportarten als Fußball aktiv“ in Prozent Public Viewing Trift nicht zu Habe mal/ betreibe eine andere Sportart Trifft voll zu
Stadion
Gesamt
Inländer
Ausländer
Inländer
Ausländer
24,4
12,9
19,3
13,6
18,1
37,4
43,6
37,5
40,9
40,3
38,1
43,5
43,2
45,6
41,6
Berücksichtigt man auch andere Sportarten, so zeigt sich, dass die WM-Besucher insgesamt überwiegend selber Sporttreibende sind oder waren. 81,9 % der Befragten gaben an, dass sie eine andere Sportart als Fußball betreiben/betrieben haben. Ingesamt sind es lediglich 10,5 % der Besucher, die weder Fußball noch eine andere Sportart betreiben/ betrieben haben. Damit ist das Publikum bei der Fußball-WM also auch selber sportlich aktiv/aktiv gewesen.
4.1.2 Psychographische Daten Die psychographischen Daten zeigen die Einstellungen der WM-Besucher zum Fußball. Es wurde zum einen erhoben, inwiefern die WM-Besucher üblicherweise im eigenen Wohnzimmer („zu Hause“) Fußball verfolgen; zum anderen wurde gefragt, ob die Besucher Fan einer der spielenden Mannschaften sind und wie sie die Attraktivität der Spielpaarung einschätzen. Damit die Ergebnisse besser abgebildet werden können, wird für die folgenden deskriptiven Darstellungen – wie schon zuvor – lediglich zwischen Inländern und Ausländern sowie zwischen Stadionbesuchern und Public-Viewing-Besuchern unterschieden. Die größten Fußballfans sind wohl unter denjenigen auszumachen, die auch Spiele der unteren Ligen im Fußball verfolgen. Dies sind im Durchschnitt immerhin ein Viertel der WM-Besucher. In Tabelle 4.12 ist wieder ein starker Unterschied zwischen den inländischen Stadionbesuchern und den inländischen Public-Viewing-Besuchern auszumachen, wobei dieser interessanterweise nicht allein auf den hohen Frauenanteil bei den inländischen Public-Viewing-Besuchern zurückzuführen ist. Zwar kann nachgewiesen werden, dass Frauen ein hochsignifikant deutlich geringeres Interesse an den unteren Fußball-Ligen haben als die Männer (p<0,01), aber es findet sich ebenfalls ein hochsignifikantes Gefälle zwischen den stärker interessierten männlichen inländischen Stadionbesuchern und den weniger interessierten Public-Viewing-Besuchern (p<0,01). Mit anderen Worten: Das Public Viewing war in erheblichem Maße auch für inländische Männer interessant, die sich weniger für
4.1
Profil der Besucher der Stadien und Public Viewings
111
Fußball interessieren. Dies ist ein weiterer Beweis für die Sonderstellung der FußballWM, die in starkem Maße auch wenig sportartgebundene Personen zu einem Besuch der Fan-Feste und der Public Viewings bewegte. Tab. 4.12: „Ich verfolge die Fußballspiele der unteren Ligen in meinem Land“ in Prozent Public Viewing Trifft nicht zu Trifft wenig zu Trifft mittel zu Trifft eher zu Trifft voll zu Arithm. Mittel
** ** ** ** **
(1) (2) (3) (4) (5)
Stadion
Gesamt
Inländer
Ausländer
Inländer
Ausländer
35,2 15,2 18,2 12,7 18,5 2,7
26,0 13,1 18,1 16,2 26,5 3,0
22,0 13,7 19,7 17,6 27,1 3,1
24,3 14,0 20,3 15,6 25,8 3,0
27,1 14,0 19,0 15,6 24,3 3,0
Anders verhält es sich mit denjenigen, die Fußball der höchsten Liga in ihrem Land verfolgen: Dies sind im Allgemeinen fußballinteressierte Besucher, die hier die Mehrheit ausmachen. Die Tabelle zeigt eine stark rechtsschiefe Verteilung der Daten. Tab. 4.13: „Ich verfolge die Fußballspiele der höchsten Liga in meinem Land“ in Prozent Public Viewing Trifft nicht zu Trifft wenig zu Trifft mittel zu Trifft eher zu Trifft voll zu Arithm. Mittel
(1) (2) (3) (4) (5)
Stadion
Gesamt
Inländer
Ausländer
Inländer
Ausländer
15,1 9,3 14,6 14,1 46,9 3,7
12,1 9,6 11,4 15,5 51,4 3,8
7,0 5,0 11,0 11,5 65,5 4,2
12,0 7,2 12,7 15,9 52,2 3,9
11,5 7,7 12,8 14,2 53,9 3,9
Das starke Interesse an der höchsten nationalen Liga unter den Inländern ist damit zu erklären, dass die Bundesliga eine der Top-Ligen in Europa ist und die Ausländer häufig auch aus Ländern mit unbedeutenden Ligen kommen, aber internationale Wettbewerbe verfolgen. Schließlich wurde abgefragt, ob die Besucher internationale Fußballwettbewerbe verfolgen. Wie zu erwarten war, stimmte dem die überwiegende Mehrheit zu.
Ergebnisse der empirischen Erhebung
112
Tab. 4.14: „Ich verfolge internationale Fußballwettbewerbe“ in Prozent Public Viewing Inländer Trifft nicht zu Trifft wenig zu Trifft mittel zu Trifft eher zu Trifft voll zu Arithm. Mittel
(1) (2) (3) (4) (5)
8,5 7,6 13,7 25,9 44,4 3,9
Ausländer 7,0 5,6 11,8 17,5 58,1 4,1
Stadion
Gesamt
Inländer
Ausländer
5,0 5,8 12,5 25,2 51,4 4,1
5,2 4,7 10,9 18,2 61,1 4,3
6,7 6,4 12,8 22,0 52,2 4,1
Unabhängig vom Interesse am Fußball stellte sich die Frage nach der allgemeinen Fußballbegeisterung. Daher wurde gefragt, ob die Besucher „so viele Spiele der Fußball-WM wie möglich“ sehen. Geese et al. (2006, S. 456) ermittelten im Deutschen Fernsehen eine durchschnittliche Reichweite von 10,27 Mio. Zuschauern (47,1 % Marktanteil) für Spiele ohne deutsche Beteiligung. Das sind immerhin 38 % mehr als zur Fußball-WM 2002 in Japan/Korea und 11 % mehr als zur Fußball-WM in Frankreich 1998. Allerdings gab es während der vergangenen Weltmeisterschaften kaum organisierte Fernsehnutzung außer Haus. Geese et al. (2006, S. 457) ermittelten per Telefoninterview, dass durchschnittlich 14,1 Mio. Menschen die Spiele der deutschen Mannschaft außerhalb des eigenen Haushalts gesehen haben und weitere 23,7 Mio. im eigenen Haushalt. So sollen ca. 20 % der Zuschauer außer Haus die Public Viewings besucht haben und die übrigen 80 % die Spiele auf Bildschirmen in der Gastronomie oder auf anderen Großbildleinwänden verfolgt haben. Tab. 4.15: „Während der Fußball-WM sehe ich so viele Spiele wie möglich“ in Prozent Public Viewing Trifft nicht zu Trifft wenig zu Trifft mittel zu Trifft eher zu Trifft voll zu Arithm. Mittel
(1) (2) (3) (4) (5)
Stadion
Gesamt
Inländer
Ausländer
Inländer
Ausländer
3,5 3,7 11,1 16,7 65,0 4,4
6,0 4,9 9,0 15,3 64,8 4,3
2,7 3,0 7,8 15,5 71,1 4,5
5,7 4,2 9,7 15,9 64,5 4,3
4,6 4,4 9,8 16,2 65,0 4,3
Die Tabelle zeigt, dass diejenigen, die im Stadion waren oder ein Public Viewing aufsuchten, auch viele andere Spiele der Fußball-WM gesehen haben. Dabei unterscheiden sich die Inländer im Stadion signifikant von den drei anderen Gruppen (ANOVA, p<0,05), die wiederum untereinander keine signifikanten Unterschiede aufweisen. Der leicht niedrigere Wert der ausländischen Besucher könnte damit erklärt werden, dass sie neben der Fußball-WM auch viel Zeit aufwenden, etwas anderes von Deutschland zu sehen. Bei den
4.1
Profil der Besucher der Stadien und Public Viewings
113
inländischen Public-Viewing-Besuchern dürfte ihre allgemein geringere Fußballbindung – verglichen mit inländischen Stadionbesuchern – das geringere Interesse erklären. Die Vergabe zahlreicher Eintrittskarten mit Hilfe des Lossystems oder über Gewinnspiele legt die Vermutung nahe, dass viele der inländischen Stadionbesucher nicht unbedingt Fan einer der zwei spielenden Mannschaften waren. Die Erhebung bestätigt dieses Bild für die Inländer, die überproportional häufig zu Spielen gegangen sind, bei denen die deutsche Mannschaft nicht spielte. Allerdings haben sich viele Inländer mit einer Mannschaft solidarisiert und sich in dieser Befragung als „Fan“ ausgegeben. Das bestätigt auch die qualitative Forschung, wonach die Befrager berichteten, dass es viele sympathisierende Inländer (oft mit Migrationshintergrund oder auf Grund längeren Auslandsaufenthalts in Deutschland) bzw. inländische Erlebniskonsumenten gab, die mit dem Trikot eines der im Match vertretenen Nationalteams ihre Begeisterung für das Großereignis oder schlicht die Freude über die Tatsache, eine Eintrittskarte erlangt zu haben, ausdrücken wollten. Konkret in Zahlen lässt sich dies durch die Befragung belegen. Dabei unterscheiden sich alle vier Gruppen in Tabelle 4.16 signifikant voneinander (ANOVA, p<0,05). Tab. 4.16: „Sind Sie Fan eines der Teams, deren Spiel Sie heute besuchen?“ in Prozent Public Viewing Fan einer Mannschaft Basis: Spiele mit deutscher Beteiligung Basis: Spiele ohne deutsche Beteiligung
Stadion
Inländer
Ausländer
Inländer
Ausländer
53,0 85,5 47,4
79,8 58,3 79,5
50,3 95,1 32,1
86,0 78,6 85,8
Wenn Deutschland nicht spielte, waren 32 % der Inländer im Stadion „Fan“ einer der spielenden Mannschaften. In Public Viewings waren dies immerhin 47 %. Dies zeigt mitunter die Anziehungskraft der Public Viewings. Betrachtet man dagegen die aus dem Ausland angereisten WM-Besucher, so liegen die Werte deutlich höher. Im Stadion erwiesen sich 86 % der Befragten als „Fan“ einer der spielenden Mannschaften und in den Public Viewings immerhin noch 80 %. Dies zeigt ein sehr selektives Besuchsverhalten, das für im Ausland wohnende WM-Besucher typisch ist. Bei einem Besuch in Deutschland ist Zeit eine knappe Ressource. Daher wird diese während der Fußball-WM gezielt so verwendet, dass man die Spiele „seiner“ Nationalmannschaft besucht, während die Opportunitätskosten für Spiele von Mannschaften, deren Fan man nicht ist, zu hoch sind, als dass man auf andere Erlebnisse während eines Urlaubs in Deutschland verzichtet. Betrachtet man die Kongruenz der Anhängerschaft, d. h. man ist Fan der Mannschaft des Landes, in dem man seinen Wohnsitz hat, so bestätigt sich das obige Ergebnis. Wie erwartet sind die ausländischen WM-Besucher besonders kongruent, denn 77 % der Stadionbesucher und 72 % der Public-Viewing-Besucher sind Anhänger der Mannschaft ihres Wohnlandes. Ein Grund dafür, warum nicht nahezu alle Besucher aus dem Ausland Fan
Ergebnisse der empirischen Erhebung
114
der ihrem Wohnsitz entsprechenden Nationalmannschaft sind, liegt nach den vorliegenden Beobachtungen (qualitative Forschung) vor allem im Migrationshintergrund vieler WMBesucher. So kamen z. B. viele Anhänger der mexikanischen Mannschaft aus den USA. Ein weiterer Grund könnte in der Kultur des Fußballs begründet liegen. Dazu gehört, dass viele auch Fan erfolgreicher ausländischer Mannschaften sind. So hat beispielsweise Brasilien aufgrund seines Erfolgs, der attraktiven Spielweise und vielen internationalen Stars viele Anhänger außerhalb Brasiliens. Schließlich führt auch die Achtung vor der Leistung anderer Mannschaften, die ein Teil der Fairness-Kultur im Fußball ist, dazu, dass man sich mit kleineren Nationen („David“) solidarisiert, die mitunter erfolgreich gegen etablierte Nationen („Goliath") spielen. Wer zum Fußballspiel geht, will auch mit einer Mannschaft mitfiebern und benennt sich daher schnell zum Fan einer Mannschaft. Tab. 4.17: Kongruenz der Anhängerschaft in Prozent Public Viewing Kongruente Anhängerschaft
Stadion
Inländer
Ausländer
Inländer
Ausländer
40,1
71,8
62,5
76,9
Gesamt 61,9
Alle Gruppen unterscheiden sich signifikant voneinander (ANOVA, p<0,05)
Diese Erkenntnis ist aber auch für die Impaktforschung von Bedeutung und belegt, dass in den Stadien und Public Viewings die spielenden Mannschaften eine selektive Variable für den überwiegenden Anteil (ca. 75 %) der anwesenden Zuschauer darstellen. Damit erweist sich die Qualifikation der Mannschaften als entscheidendes Moment für einen Großteil des zu erwartenden gesamtwirtschaftlichen Impakts einer Fußball-WM. Es wird von folgender Hypothese ausgegangen: Je weiter entfernt der Wohnort des WMBesuchers, desto höher die Reisekosten nach Deutschland, und je höher die Reisekosten, desto stärker der „Fangrad“. Dazu wurde eine Variable „Reiseentfernung“ mit folgenden Ausprägungen gebildet: Deutschland (0), Nachbarländer inklusive Slowakei (1), weiteres Europa (2) und Überseestaaten (3). Untersucht wurde nun der Zusammenhang zwischen der Reiseentfernung und dem „Fangrad“. Es ergab sich eine aussagekräftige positive Korrelation (tau b =0,34). Auch diese Erkenntnis ist für die spätere Impaktberechnung interessant. Es wird sich zeigen, dass die Fernreisenden (höchste Reisekosten) mehr konsumieren als alle anderen ausländischen WM-Besucher. Allerdings gibt es auch Ausnahmen: Die Fußball-WM ist so attraktiv, dass aus Nichtteilnehmerländern, allen voran Österreich (siehe Tab. 4.1), ebenfalls Fußballfans anreisen, nur um grundsätzlich die Fußball-WM zu erleben, d. h. ohne Fan zu sein. Bei den in Deutschland wohnenden Zuschauern liegt die Kongruenz mit der Nationalmannschaft logischerweise sehr niedrig. Im Stadion betrug sie 63 % und in den Public Viewings lediglich 40 %. Diese niedrigen Quoten lassen sich vor allem damit begründen, dass sehr viele Inländer nicht zu Spielen der Deutschen Nationalmannschaft gehen konn-
4.1
Profil der Besucher der Stadien und Public Viewings
115
ten und daher „irgendwelche“ anderen Spiele wählten bzw. dafür Karten zugeteilt bekamen. Schließlich kann die „Einstellung zum Spiel“ nicht nur durch den „Fangrad“, sondern auch dadurch bewertet werden, als wie attraktiv die besuchte Begegnung empfunden wurde. Tab. 4.18: „Wie stufen Sie die Spielpaarung ein?“ in Prozent Public Viewing sehr unattraktiv eher unattraktiv teils/teils eher attraktiv sehr attraktiv Arithm. Mittel
(1) (2) (3) (4) (5)
Stadion
Gesamt
Inländer
Ausländer
Inländer
Ausländer
3,2 4,7 20,1 36,5 35,5 4,0
4,9 6,1 15,3 28,9 44,8 4,0
3,2 4,9 20,1 36,6 35,2 4,0
6,2 4,9 13,0 26,2 50,2 4,1
4,2 5,1 17,8 32,8 40,1 4,0
Die Tabelle zeigt, dass trotz des relativ geringen Bekenntnisses, Fan einer der beiden spielenden Mannschaften zu sein, viele Inländer die von ihnen besuchte Veranstaltung als attraktiv beurteilen. Dabei schätzen die Fans einer der beteiligten Mannschaften die Attraktivität der Paarung hochsignifikant höher ein (4,2) als die neutralen Besucher (3,7) (t-Test, p<0,01). Des Weiteren lässt sich als signifikanter Zusammenhang nachweisen, dass je weiter das Turnier fortschreitet, als desto attraktiver die Begegnungen bewertet werden (tau b= 0,16**). Da in dieser Studie nicht alle Spiele untersucht wurden, kann das „attraktivste Spiel“ der Fußball-WM 2006 in Deutschland nicht ermittelt werden. Dennoch ist es interessant zu sehen, welche Nationen an den hier erfassten und als besonders attraktiv eingeschätzten Begegnungen beteiligt waren. Dazu wird das Votum der neutralen Besucher von dem der Fans einer Mannschaft getrennt berücksichtigt. Die attraktivste Begegnung aus Sicht der neutralen Besucher war Brasilien – Frankreich (4,7). An zweiter Stelle steht Tschechien – Italien (4,5), gefolgt von Niederlande – Argentinien (4,3) und den beiden Partien England – Portugal sowie Brasilien – Ghana (4,2). Bei den Einschätzungen der Fans beeinflusst der große Anteil deutscher Fans an den Zuschauern das Ergebnis, sodass die attraktivste Partie Deutschland – Italien (4,8) war. Die nächsten vier Partien wurden in ihrer Attraktivität alle gleich eingeschätzt (4,7). Es handelt sich um zwei Spiele mit deutscher Beteiligung (Deutschland – Argentinien und Deutschland – Schweden) und zwei Partien mit französischer Beteiligung (Brasilien – Frankreich; Frankreich – Schweiz). Mit Ausnahme der Schweiz – hier hat sich die hohe Anzahl an Schweizer Fans in der Stichprobe bemerkbar gemacht – sind dies (abgesehen von Ghana) traditionell hochklassige Fußballmannschaften, die fast alle auch schon Weltmeister waren. Die Nennung von
Ergebnisse der empirischen Erhebung
116
Ghana erklärt sich vermutlich dadurch, dass Ghana eine Partie gegen Brasilien spielte und zudem – weil technisch brillant – als „Geheimtip“ aus Afrika besonders reizvoll erschien. Tab. 4.19: Die fünf attraktivsten Begegnungen in der Stichprobe Neutrale Besucher Spielpaarung Arithm. Mittel Brasilien – Frankreich 4,7 Tschechien – Italien 4,5 4,3 Niederlande – Argentinien England – Portugal 4,2 4,2 Brasilien – Ghana
Fans Spielpaarung Arithm. Mittel Deutschland – Italien 4,8 4,7 Brasilien – Frankreich 4,7 Frankreich – Schweiz Deutschland – Argentinien 4,7 4,7 Deutschland – Schweden
Fünfstufige Likert-Skala (1 = nicht interessant / 5 = hoch interessant)
4.2
Reise- und Konsummuster
Ziel dieses Abschnitts ist es, Faktoren zu identifizieren, die einen signifikanten Einfluss auf die Reise- und Konsummuster der WM-Besucher haben. Dazu werden zunächst weiterhin die beiden Gruppen Stadionbesucher und Public-Viewing-Besucher unterschieden. Die soziodemographischen und psychographischen Daten der Stichprobe werden dazu herangezogen, erste beeinflussende Faktoren auf das Konsum- und Reiseverhalten zu finden. Außerdem werden die in der Theorie gebildeten Gruppen von WM-Touristen (Kapitel 2.3) und eine Kategorisierung der Ausgaben herausgearbeitet.
4.2.1
Elementanalyse von Reisemustern
Es ist das Ziel dieser Studie, die ökonomischen Implikationen der Besucher der FußballWM zu analysieren. Dazu sind nicht nur die Konsummuster von Bedeutung, sondern auch die Reisemuster, die häufig eng mit dem Konsum verbunden sind. Eine detaillierte Betrachtung der Reisemuster liefert viele Erklärungen zum Konsumverhalten der Besucher. Außerdem sind die Reisemuster für die Tourismuswirtschaft von Interesse. Die Besonderheit der Fußball-WM in Deutschland war, dass zwölf Spielorte über ganz Deutschland verteilt lagen und zudem im Vorfeld festgelegt wurde, dass jedes Team in der Vorrunde in drei verschiedenen Städten zu spielen hatte. Dies beeinflusste das Reiseverhalten der WMBesucher und unterscheidet sie damit von vielen anderen Weltmeisterschaftsbesuchern, die überwiegend an einem Ort verweilen (wie etwa bei der Hockey-WM 2006 in Mönchengladbach oder der Turn-WM 2007 in Stuttgart).
4.2
Reise- und Konsummuster
117
Tab. 4.20: Reisemuster von Besuchern der Fußball-WM, unterschieden nach „ein versus mehrere Standorte“
ein Standort mehrere Standorte
ohne Reise X X
Inländer Tages- mehrfache tourist Reisen X X X
ohne Reise X X
Ausländer Tages- mehrfache folgt dem tourist Reisen* Team X X X X
* von einem Standort aus
Weltmeisterschaften mit mehreren Standorten weisen die Besonderheit auf, dass es Besucher gibt, die ihre Unterkunft an einem festen Ort beziehen und zu den verschiedenen Spielorten reisen. Diese Besucher konsumieren dabei relativ viel in Städten, die keine Spielstädte sind (z. B. Shopping, Unterkunft). Dieses Reisemuster wurde von einigen großen Reiseveranstaltern (Agenturen) genutzt, die große Hotelkapazitäten für eine Nationalität buchten. So lebten viele Brasilianer während der gesamten Fußball-WM in Köln, viele Mexikaner in Düsseldorf, die Argentinier und Australier vorwiegend in Frankfurt etc. Eine besondere Gruppe sind die Besucher, die ihrem Team folgen und den Unterkunftort immer in der Stadt wählen, in der das nächste Spiel ausgetragen wird. Die in dieser Studie erhobenen Reisemuster setzen sich aus den folgenden Bestandteilen zusammen: 1.
Aufenthaltsdauer: Diese umfasst die gesamte Aufenthaltsdauer in Deutschland und wurde nur bei Besuchern erhoben, die ihren Wohnsitz außerhalb Deutschlands haben. Eine Aufenthaltsdauer von über 40 Tagen führte dazu, dass der Befragte als Inländer kategorisiert wurde, da eine WM-Reise einschließlich einer Anschlussreise kaum über sechs Wochen dauern dürfte, wenn die WM das Hauptreisemotiv war. Viele Befragte gaben eine Aufenthaltsdauer von 4-6 Monaten an, weil sie z. B. in Deutschland studieren oder vorübergehend arbeiten.
2.
Art der Beherbergung: Diese wurde differenziert in einer geschlossenen Frage erhoben, wobei Mehrfachantworten möglich waren. Dies erschwert die Zuordnung der Ausgaben für die Unterkunft, war jedoch notwendig, da viele Besucher während ihres WM-Aufenthalts den Ort wechselten.
3.
Anreise nach Deutschland: Diese wurde über eine geschlossene Frage abgefragt. Bei den ausländischen Besuchern wurde die Anreise vom Wohnort zur WM-Unterkunft erhoben.
4.
Organisationsform der WM-Reise: Erhoben wurde hier lediglich, ob die WMReise privat oder über einen Reiseveranstalter organisiert wurde.
5.
Aufenthaltsort während der Fußball-WM: Abgefragt wurde, in welcher Stadt der Befragte während der Fußball-WM überwiegend übernachtet hat.
Ergebnisse der empirischen Erhebung
118
6.
Anschlussreisen: Es wurde nach einer Anschlussreise/einem längeren Aufenthalt in Deutschland vor oder nach der Fußball-WM gefragt.
Die notwendige Gruppierung der ausländischen Besucher bringt ein Problem in der Darstellung der Daten mit sich. Die Vermutung, dass verschiedene Ausländergruppen unterschiedliche Reise- und Konsummuster haben, liegt nicht nur nahe, sie bestätigt sich auch durch die empirischen Daten. Hierfür sind zwei Faktoren maßgeblich verantwortlich, nämlich die Entfernung vom Heimatland und das jeweilige BIP pro Kopf. Es ist naheliegend, dass die Konsumausgaben und die Aufenthaltsdauer von Besuchern steigen, je weiter ihr Heimatland von Deutschland entfernt liegt. Dies erklärt sich daraus, dass die Anreiseausgaben quasi als Eintrittsbarriere desto höher werden, je weiter das Land von Deutschland entfernt liegt. Wer es sich aber wiederum leisten kann, einen hohen Preis für die Anreise zu zahlen, der verfügt wahrscheinlich auch über ein hohes Einkommen und – damit verbunden – über ein höheres Budget für den Aufenthalt. Der zweite Faktor ist durch die relativen privaten Konsumausgaben zu determinieren (Statistisches Bundesamt, 2007b, Tabelle 7.8) und findet sich im BIP pro Kopf wieder. So ist Deutschland für osteuropäische Nachbarn (Tschechische Republik, Slowakei und Polen) ein sehr teures Reiseland, während für andere Nachbarländer (z. B. Niederlande, Frankreich oder Österreich) die privaten Konsumausgaben in etwa auf demselben Niveau liegen. Letztlich ist Deutschland ein eher günstiges Reiseziel für die Briten, die Skandinavier und die Schweizer. Unter Berücksichtigung dieser beiden Faktoren lassen sich die WM-Besucher wie folgt einteilen: Inländer:
Dies sind alle Besucher, die ihren Wohnsitz in Deutschland haben. Dabei wird nicht nach der Nationalität differenziert.
Osteuropa:
Dies sind Polen sowie Slowakische und Tschechische Republik. Alle drei Nationen liegen relativ nah zu bzw. grenzen an Deutschland, sodass Besucher einfach mit dem Auto anreisen konnten.
Europa Nachbarn: Dies sind Dänemark, Belgien, Luxemburg, Frankreich und Österreich. Diese Nationen sind Nachbarn von Deutschland und gehören nicht in die anderen Gruppen. Europa teuer:
Dies sind England, die Schweiz, Schweden, Finnland und Norwegen.
Europa fern:
Dies sind alle übrigen europäischen Nationen, deren WM-Besucher überwiegend per Flugreise nach Deutschland kommen.
Fernreisende:
Dies sind alle nicht-europäischen Länder.
Die durchschnittlichen Ausgaben der Ausländer werden hier in aggregierter Form nach Gruppen differenziert. Wie in Kapitel 3 gezeigt, ist in der Stichprobe die Gruppe der Befragten aus „Europa teuer“ überrepräsentiert und die der Besucher aus „Europa fern“ unterrepräsentiert. Sofern Angaben auf Basis der einzelnen Gruppen vorgenommen werden, ist dies für die Aussagen unbedeutend.
4.2
Reise- und Konsummuster
119
4.2.1.1 Detailanalyse der Aufenthaltsdauer Zunächst können die Besucher der Fußball-WM danach unterschieden werden, ob sie lediglich eine Tagesreise durchgeführt (Tagesbesucher) oder auch übernachtet (Übernachter) haben. Tabelle 4.21 zeigt hochsignifikante Unterschiede zwischen den Inländern und den Ausländern. Während die Inländer überwiegend Tagestouristen sind, übernachten die Ausländer i. d. R. zumindest einmal. Tab. 4.21: Touristen mit Übernachtung und Tagestouristen nach Wohnort in Prozent
Inländer Ausländer
Public Viewing Stadion Übernachter Tagestourist Übernachter Tagestourist 15,9 84,1 28,3 71,7 83,0 17,0 86,8 13,2
Chi²-Test für Stadionbesucher Chi²=1.539,7; p<0,01 Chi²-Test für Public Viewing-Besucher Chi²= 1.546,4; p<0,01
Die Chi²-Tests beziehen sich jeweils auf die Vierfeldertafel des Public Viewing bzw. auf die des Stadions. Sie bestätigen das offensichtliche Ergebnis, dass die Inländer und Ausländer unterschiedlich häufig übernachten bzw. Tagestouristen sind. Unter den inländischen Tagestouristen gibt es viele Besucher, die am Austragungsort oder in der näheren Umgebung wohnen. Weil aber die Stadionbesucher häufig nicht wählen konnten, welches Spiel sie sehen (Los oder Gewinnspiel) und zudem die gewünschten Spiele höchstens zufällig in ihrer Wohnortnähe ausgetragen wurden, kamen nur 38,1 % der inländischen Tagesbesucher aus der entsprechenden WM-Stadt oder der unmittelbaren Umgebung. Dies ist bei den Besuchern der Public Viewings anders. Sie kamen zu 59,4 % aus der näheren Umgebung. Das Übernachtungsverhalten von WM-Touristen, die im Ausland wohnen, lässt sich noch weiter aufschlüsseln. Dabei zeigen sich wenig überraschende Zusammenhänge. Die Tabelle 4.22 zeigt, dass die Public Viewings häufiger von Tagestouristen besucht werden als die Stadien. Außerdem nimmt der Anteil der Touristen mit Übernachtung mit zunehmender Entfernung zu und erreicht logischerweise bei den Fernreisenden 100 %.
Ergebnisse der empirischen Erhebung
120
Tab. 4.22: Touristen mit Übernachtung und Tagestouristen nach Ländergruppen in Prozent
Osteuropa Europa Nachbarn Europa teuer Europa fern Fernreisende
Public Viewing Übernachter Tagestourist 75,0 25,0 70,7 29,3 84,5 15,5 84,2 15,8 100,0 0
Stadion Übernachter Tagestourist 77,1 22,9 67,6 32,4 81,5 18,5 79,3 20,7 100,0 0
Die Aufenthaltsdauer der WM-Besucher wird in der folgenden Tabelle dargestellt. Die Angaben berücksichtigen eine mögliche Anschlussreise in Deutschland nicht. Tab. 4.23: Aufenthaltsdauer in Tagen
Inländer Osteuropa Europa Nachbarn Europa teuer Europa fern Fernreisende Ausländer* Ø
Public Viewing Übernachter + nur Übernachter Tagestourist 6,8 2,1 6,1 5,2 5,7 5,2 8,4 8,2 17,8 17,1 13,4 13,4 14,0 11,9
Stadion Übernachter + nur Übernachter Tagestourist 5,8 3,0 6,3 5,8 6,0 5,1 8,9 8,4 12,4 12,2 16,2 16,2 13,00 9,5
* nach entsprechender Gewichtung
Die Gesamtdauer der Reise kann sehr gut durch die zuvor verwendete Entfernungsvariable erklärt werden. Dazu werden die Ländergruppen ordinal skaliert (Inländer (1) / Europa Nachbarn (2) / Europa fern (3) / Fernreisende (4)) und mit der Dauer der Aufenthaltstage korreliert. Es zeigen sich hochsignifikante Zusammenhänge: Je weiter ein Besucher von Deutschland entfernt wohnt, umso länger war die Aufenthaltsdauer in Deutschland. Das bestätigt auch ein Korrelationstest (Stadionbesucher tau b=0,57 und Public Viewing tau b=0,65). Dieses Ergebnis mag nicht überraschen, wohl aber die Dauer der Aufenthalte der Besucher, die keine Stadionkarte besaßen und daher die Fußball-WM nur in Public Viewings verfolgen konnten. Die Public Viewings haben offenbar in ganz erheblichem Maße Tourismus induziert. Inländer und Ausländer nahmen die Fußball-WM zum Anlass zu reisen, um einige Spiele in einem Public Viewing zu sehen. Ökonomisch relevant ist dabei, dass viele die Fußball-WM als den entscheidenden Reisegrund angegeben haben. Sie haben daher einen autonomen Mittelzufluss nach Deutschland ausgelöst.
4.2
Reise- und Konsummuster
121
Der hohe Ausländeranteil an den WM-Besuchern der Public Viewings kann u. a. dadurch erklärt werden, dass viele Ausländer gezielt zu bestimmten Public Viewings reisten, um „ihrer“ Nationalmannschaft am Spielort möglichst nahe zu sein. So kamen z. B. Engländer (mit Low-Budget-Airlines), Schweizer (mit Sonderzügen) oder Niederländer in großer Anzahl in die Spielorte „ihrer“ Mannschaften, obwohl sie mit hoher Wahrscheinlichkeit ausschließen konnten, noch eine Eintrittskarte auf dem Schwarzmarkt erwerben zu können. Andere Public Viewings waren trotz geringerer räumlicher Distanz vom Heimatland für diese WM-Fans uninteressant. So wurden z. B. im räumlich nahegelegenen Public Viewing in Köln kaum Niederländer gesichtet, als ihre Mannschaft in Leipzig spielte. 4.2.1.2 Detailanalyse der Art der Beherbergung Die WM-Besucher wurden gefragt, wo sie während der Fußball-WM übernachten. Da es sich um eine geschlossene Frage handelt, konnten mehrere Antworten angegeben werden, denn es ist plausibel, dass einige während ihrer WM-Reise zu mehreren Spielorten verschiedene Beherbergungsarten nutzen. Tab. 4.24: Unterkunftsart nach Ländergruppen (Mehrfachnennungen möglich) Inländer Familie/Freunde Private Unterkunft (Miete) Wildes Camping/Auto Camping Pension 1- bis 3-Sterne-Hotel 4- bis 5-Sterne-Hotel Sonstiges n=
33,3 3,8 11,3 9,9 7,0 17,2 16,6 8,4 574
OstEuropa 15,9 9,1 45,5 4,5 9,1 9,1 11,4 4,5 44
Europa Nachbarn 11,2 1,1 28,4 14,6 5,3 17,1 12,9 16,6 356
Ausländer Europa Europa fern teuer 29,5 11,6 3,8 3,1 14,3 12,3 14,3 16,2 13,3 5,3 21,9 33,5 17,1 23,6 7,6 7,3 105 1.253
Fernreisende 20,5 3,3 7,2 9,1 8,0 33,9 29,0 7,1 1.205
Die Tabelle zeigt wenig überraschende Ergebnisse. Danach übernachten Inländer häufiger bei der Familie oder Freunden, während die Fernreisenden oder Besucher aus „Europa teuer“ öfter in Hotels nächtigen. Hervorzuheben ist die relativ hohe Anzahl von Besuchern aus benachbarten Nationen, die wildes Camping/Auto als Übernachtungsort angegeben haben. Diese Kategorie beinhaltet allerdings alle kostenlosen Übernachtungsformen (z. B. „die Nacht durchmachen“, im PKW, auf dem Bahnhof oder in der Bahn). Die Verteilung der WM-Besucher auf die verschiedenen Unterkunftsarten ist in sehr ähnlicher Dimension ebenfalls in den Ergebnissen einer Erhebung von TNS Infratest Verkehrsforschung im Auftrag der DZT (Bangerth, 2007, S. 17) zu finden.
Ergebnisse der empirischen Erhebung
122
Tab. 4.25: Unterkunftsart nach Ländergruppen im Stadion und Public Viewing (Mehrfachnennungen möglich) Public Viewing Stadion Europa Europa FernEuropa FernInländer Nachbarn fern reisende Inländer Nachbarn Europa fern reisende 87,7 15,8 3,0 2,9 80,5 23,4 3,5 2,2 11,8 12,5 14,8 25,2 16,8 13,2 11,4 17,8
zu Hause Freunde/Familie Private Unterkunft (Miete) wildes Camping/ Auto Camping Pension 1- bis 3-Sterne-Hotel 4- bis 5-Sterne-Hotel
1,2
2,0
3,1
5,2
1,6
2,8
2,5
2,7
2,6
31,6
15,0
8,7
3,2
13,4
10,0
6,1
1,6 1,4 2,0 1,6
12,5 3,3 11,6 4,2
21,7 4,5 25,9 19,0
10,1 8,7 26,9 18,6
2,1 1,7 5,1 5,9
3,9 6,0 23,6 16,4
13,7 4,8 32,4 27,6
8,6 7,4 37,2 33,1
Auffallend und teilweise aber auch nicht überraschend bei den Ergebnissen ist: 1.
Je weiter entfernt der Besucher wohnt, umso weniger übernachtet er zu Hause. Diese zu erwartende Aussage wird durch eine signifikante Korrelation von tau b= 0,74** für Public-Viewing-Besucher und von tau b=0,67 für Stadionbesucher bestätigt.
2.
Public-Viewing-Besucher präferieren durchschnittlich günstigere Unterkünfte.
3.
Public-Viewing-Besucher aus Nachbarländern nehmen mit Abstand am häufigsten die Möglichkeit wahr, die Nächte durchzufeiern, in Autos zu schlafen oder wild zu campen. Diese Möglichkeit nutzen übrigens nicht nur junge Menschen. Beobachtungen bestätigen dies. So waren viele Schweden mit Wohnmobilen angereist und campten quasi wild in der Innenstadt von Berlin. Die „Straße des 17. Juni“ in BerlinTiergarten, an die das Public Viewing grenzte, war auf beiden Parkstreifen komplett mit schwedischen Wohnmobilen belegt, als die schwedische Nationalmannschaft in Berlin gastierte.
4.
Je weiter entfernt jemand wohnt, desto eher nimmt er auch teure und sehr teure Übernachtungsmöglichkeiten wahr. Diese Aussage ist durch relativ starke Korrelationen von tau b=0,26 bis 0,36 für beide Hoteltypen statistisch abgesichert.
Gemietete Zimmer und Pensionen werden von den WM-Besuchern wenig gewählt. Das offizielle Camping wurde vor allem von Besuchern aus Nachbarländern und dem weiteren Europa genutzt. Die Übernachtungsart kann ebenfalls mit den zuvor eingeführten Entfernungsvariablen erklärt werden. Dazu werden die Ländergruppen wie oben ordinal skaliert (1-4) und die Unterkunftsart nach Kosten (zu Hause (1) / Freunde, Familie (2) / Auto (3) / Campingplatz (4) / privates Zimmer, Pension (5) / Hotel 1 bis 3 Sterne (6) / Hotel 4 bis 5 Sterne (7)). Hier ergibt sich ein Korrelationskoeffizient von tau b=0,54 (p<0,01).
4.2
Reise- und Konsummuster
123
4.2.1.3 Detailanalyse der Anreise nach Deutschland Die Anreise vom Wohnsitz zur WM-Unterkunft in Deutschland erfolgte durch verschiedene Verkehrsmittel. Dabei wurden hier lediglich diejenigen befragt, die nicht „zu Hause“ übernachteten. Die Inländer und Besucher aus den benachbarten Nationen reisten überwiegend mit dem PKW an. Bei allen anderen war es vor allem das Flugzeug, wobei innerhalb Europas viele Low-Budget-Airlines benutzt wurden. Tab. 4.26: Anreise zur WM-Unterkunft in Prozent (Mehrfachnennungen möglich) Public Viewing
Stadion
Inländer Ausländer Gesamt PKW Reisebus Öffentliche Verkehrsmittel Linienflugzeug Charterflugzeug Low-Budget-Airline
55,5 2,4 48,4 1,3 1,1 1,9
42,5 5,4 27,5 15,3 7,1 12,6
46,0 4,6 33,1 11,6 5,5 9,8
Inländer Ausländer Gesamt 67,8 3,3 36,1 6,1 0,5 3,6
34,3 5,6 28,2 26,2 6,9 13,8
45,3 4,8 30,8 19,6 4,8 10,5
Das von der Bundesregierung begleitete Umweltprogramm „Green Goal“ setzte sich zum Ziel, dass die Fußball-WM klimaneutral realisiert wird. Daher sollten mindestens 50 % der WM-Besucher mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen (BMI, 2006, S. 53-55), um den Ausstoß von klimaschädlichem Kohlendioxid möglichst gering zu halten (Spellerberg et al., 2007, S. 9). In dieser Studie wurde allerdings nicht die Anreise zum Stadion, sondern zur WM-Unterkunft abgefragt. Für diese Strecke wurde das Ziel von „Green Goal“ verfehlt, denn nur knapp ein Drittel der WM-Besucher nutzten öffentliche Verkehrsmittel bei der Anreise. Wie zu erwarten war, ist zu erkennen, dass je weiter entfernt jemand von Deutschland wohnt, desto weniger individuelle Reisemittel wie PKW oder Motorrad genutzt werden. Etwas überraschend ist hingegen, dass viele Fernreisende nicht das Flugzeug als Reisemittel angegeben haben. Dies könnte auf folgende Gründe zurückzuführen sein: 1.
Ein Teil der Befragten mag die Frage missverstanden oder oberflächlich gelesen haben und dann das Verkehrsmittel von der Unterkunft zum Stadion/Public Viewing angegeben haben, anstatt das Verkehrsmittel vom Heimatort zur WM-Unterkunft in Deutschland.
2.
Ein Teil der Befragten ist tatsächlich nicht geflogen, sondern ist per Bahn (z. B. aus der Ukraine) angereist.
3.
Ein Teil der Befragten wohnt eigentlich in Überseeregionen, lebt aber aufgrund von bestimmten Umständen zurzeit in einem anderen europäischen Land als Deutschland. Dies gilt z. B. für viele Australier, denn viele von ihnen verbringen eine Zeit
Ergebnisse der empirischen Erhebung
124
(häufig Studium) in Großbritannien. Immerhin gaben 61 % der Australier (n=321) an, über die Straße nach Deutschland gekommen zu sein (Teusen, 2007, S. 65). Tabelle 4.27 zeigt, dass die Public-Viewing-Besucher im Durchschnitt die jeweils günstigere Alternative zur Anreise nach Deutschland wählten. Das kann u. a. an den zuvor aufgezeigten niedrigeren Einkommen der Public-Viewing-Besucher liegen. Tab. 4.27: Anreise der Ausländer zur WM-Unterkunft in Prozent (Mehrfachnennungen möglich)
PKW Reisebus Öffentliche Verkehrsmittel Linienflugzug Charterflugzeug Low-Budget-Airline
Public Viewing Stadion Europa Europa FernEuropa Europa Nachbarn fern reisende Nachbarn fern 64,8 40,3 21,7 53,2 38,0 6,0 4,6 5,8 5,2 3,4 25,8 19,0 42,7 31,5 18,8 4,7 18,6 23,5 10,1 24,7 1,6 7,8 10,9 4,0 9,7 1,1 21,3 11,9 8,0 21,3
Fernreisende 21,3 7,6 35,2 36,3 5,8 10,6
Eine weitere zentrale Frage ist es, ob die WM-Besucher zu den Spielen der Fußball-WM, die über ganze Deutschland verteilt stattfinden, an einem Ort/in einer Region verweilen und von dort zu den einzelnen Spielen fahren oder oft ihre Unterkunft wechseln. Verbleiben sie an einem Standort, so nutzen sie ihn sozusagen als HUB (Hauptunterkunftsbasis). Untersucht werden konnte dazu lediglich, ob viele ausländische WM-Besucher eine Unterkunft am Ort des Flughafens hatten, an dem sie angekommen sind. Tab. 4.28: Übernachtungsort und Flughafen
Anzahl Prozent
Public Viewing Stadion Flughafen und Übernachtungsort identisch 355 351 56,9 52,9
Tabelle 4.28 zeigt, dass über 50 % der WM-Besucher, die mit dem Flugzeug nach Deutschland gekommen sind, den Ankunftsort auch als Übernachtungsort wählten. Dies kann aber durchaus auch damit zusammenhängen, dass viele der Besucher nur eine kurze Aufenthaltsdauer hatten und den Flughafen wählten, der am dichtesten am Spielort ihrer Nationalmannschaft lag. Dieser Zusammenhang lässt sich statistisch bestätigen. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer betrug bei denjenigen, die am Ort des Flughafens ihr WM-Quartier nahmen, genau 9,3 Tage, während es bei den anderen im Durchschnitt 12,2 Tage waren. Der Unterschied beträgt knapp drei Tage und ist hochsignifikant (t-Test, t=5,4; p<0,01).
4.2
Reise- und Konsummuster
125
4.2.1.4 Detailanalyse der Organisationsform der WM-Reise Bezüglich der Organisationsform der WM-Reise kann die Hypothese aufgestellt werden: Je weiter entfernt von Deutschland jemand wohnt, desto eher reist er mit einer Reisegruppe zur Fußball-WM. Die statistischen Tests zeigen dabei keine Unterschiede zwischen den Besuchern von Stadien und denen von Public Viewings. Daher sind die beiden Gruppen in der folgenden Tabelle zusammengefasst worden. Tab. 4.29: Organisation der WM-Reise in Prozent (Mehrfachantworten möglich) Inländer Osteuropa Europa Nachbarn Europa teuer Europa fern Fernreisende Gesamt
Selbst
Reiseveranstalter
Sonstige
93,5 83,7 78,6 89,0 83,8 69,7 84,0
2,0 14,3 11,1 5,2 10,8 24,8 10,2
4,8 2,0 11,2 6,1 4,5 6,6 6,2
Der Tabelle ist zu entnehmen, dass der wichtigste Reiseagent der Reisende selbst ist. Dabei spielt sicherlich die zunehmende Nutzung des Internets eine wichtige Rolle, aber auch das zunehmende Angebot im Internet von Seiten der Tourismusbranche, die Unterkünfte und Eintrittskarten auf elektronischem Weg vertreibt. So haben sich beispielsweise laut Aussage von Hoteliers aus dem Donnersbergkreis bei Kaiserslautern die Australier ihre Zimmer überwiegend individuell per Internet reserviert. 4.2.1.5 Detailanalyse der Anreisewege zum Stadion und Public Viewing Die Reisewege zu den Stadien und Public Viewings werden in diesem Abschnitt lediglich für die Inländer untersucht. Abbildung 4.2 zeigt exemplarisch die inländischen Reisebewegungen der Stadionbesucher für Spiel 37 in Frankfurt. Dazu wurden drei Entfernungen (Luftlinie) unterschieden. Alle Postleitzahlen (gerundet auf die beiden ersten Stellen), die überwiegend im Radius 100 km um den Veranstaltungsort vertreten sind, bilden die erste Kategorie. Die zweite Kategorie ist der Radius zwischen 100 und 200 km um die WM-Stadt. Die dritte Kategorie schließlich enthält alle Postleitzahlen über 200 km Entfernung vom Spielort. In einigen Fällen lagen Postleitzahlenbezirke gleichermaßen in zwei Radien. Dann wurde der Bezirk dem Radius zugeschlagen, in dem die größeren Städte liegen.
126
Ergebnisse der empirischen Erhebung
Abb. 4.2: Herkunft der Inländer beim Spiel 37 in Frankfurt (Stadionbesucher) Die durchschnittliche Verteilung aller in dieser Studie durchgeführten Erhebungen bei Stadionbesuchern und bei Besuchern des Public Viewing (sofern es in der Stadt besucht wurde, in der das Spiel ausgetragen wurde) ist in Tabelle 4.30 abgebildet. Es zeigt sich klar, dass die Public Viewings eher Veranstaltungen mit regionalem Einzugsfeld waren, während diejenigen, die Stadionkarten hatten, signifikant häufiger längere Anreisewege auf sich genommen haben. Trotz der Schwierigkeiten, Eintrittskarten für bestimmte Spiele zu erhalten, stammte dennoch die Hälfte der Stadionbesucher aus der näheren Umgebung oder der WM-Stadt selbst (im 100km-Radius).
4.2
Reise- und Konsummuster
127
Tab. 4.30: Anreise der Inländer zu den WM-Spielen (Mehrfachantworten möglich)
Public Viewing Stadion Total
Anzahl Prozent Anzahl Prozent Anzahl Prozent
im 100kmRadius 971 67,2 929 49,9 1.900 57,5
Entfernung im 200kmRadius 178 12,3 393 21,1 571 17,3
Total weiter entfernt als 200 km 295 20,4 538 28,9 833 25,2
1.444 100,0 1.860 100,0 3.304 100,0
Chi² = 102,0; p< 0,001
Tab. 4.31: Anreise der Inländer zu Public Viewings in Abhängigkeit von einem WM-Spiel am selben Ort zur selben Zeit (Mehrfachantworten möglich)
kein Live-Spiel am Standort gleichzeitig LiveSpiel am Standort Total
Anzahl Prozent Anzahl Prozent Anzahl Prozent
im 100kmRadius 362 87,9 971 67,2 1.333 71,8
Entfernung im 200kmRadius 15 3,6 178 12,3 193 10,4
Total weiter entfernt als 200 km 35 8,5 295 20,4 330 17,8
412 100,0 1.444 100,0 1.856 100,0
Chi² = 67,91; p<0,01
Tabelle 4.31 zeigt deutlich, dass WM-Spiele, die auf Public Viewings übertragen wurden, wenn nicht gleichzeitig in derselben Stadt im Stadion gespielt wurde, auch bei den Inländern zu weniger Reisebewegungen führten. D. h. dass nicht nur weniger ausländische WM-Besucher, sondern auch weniger überregional anreisende inländische Besucher in die Public Viewings gekommen sind, die nicht in der WM-Stadt lagen, in der gespielt wurde. Für die Modellbildung heißt dies, dass die Anreise zu den verschiedenen Spielen inhomogen ist und viele Besonderheiten aufweist. Regionalökonomisch betrachtet, sind alle WMBesucher mit weiter Anreise positiv zu bewerten, da sie – je nach Abgrenzung des Betrachtungsraumes – dann autonome Mittel in die Region bringen. D. h. nicht nur die Nationen, die ein WM-Spiel bestreiten, sondern auch die Austragung/Nicht-Austragung in derselben Stadt hat einen Einfluss auf die ökonomische Relevanz der Ausgaben der WMBesucher in den Public Viewings. Wie unterschiedlich die Anzahl der von fern angereisten Inländer bei unterschiedlichen Spielen ist, zeigt die folgende Tabelle.
Ergebnisse der empirischen Erhebung
128
Tab. 4.32: Anreise der Inländer zu WM-Spielen in Prozent Entfernung
München Stadion Spiel 1 Berlin Stadion Spiel 48 Adidas Arena Berlin Spiel 47 Dortmund Stadion Spiel 61 Dortmund Stadion Spiel 17 München Public Viewing Spiel 62 Dortmund Stadion Spiel 55 Köln Stadion Spiel 26 Nürnberg Stadion Spiel 19 Berlin Public Viewing Spiel 48 Gelsenkirchen Public Viewing Spiel 59 Frankfurt Stadion Spiel 14 Frankfurt Stadion Spiel 24 Köln Public Viewing Spiel 26 Gelsenkirchen Stadion Spiel 59 Stuttgart Stadion Spiel 13 Kaiserslautern Stadion Spiel 12 Frankfurt Stadion Spiel 3 Frankfurt Public Viewing Spiel 37 Frankfurt Stadion Spiel 60 Frankfurt Stadion Spiel 37 München Public Viewing Spiel 1 Kaiserslautern Stadion Spiel 53 Kaiserslautern Public Viewing Spiel 12 Stuttgart Public Viewing Spiel 13 Frankfurt Public Viewing Spiel 60 Nürnberg Public Viewing Spiel 19 Hamburg Public Viewing alle Frankfurt Public Viewing Spiel 14 Kaiserslautern Public Viewing Spiel 53 Leipzig Public Viewing Spiel 50 Frankfurt PV Spiel 27 (Spielort München) Total
im 100 km Radius 19,21 29,73 31,25 37,88 38,57 39,33 40,43 43,22 47,67 53,85 54,72 59,38 61,54 61,60 61,65 63,10 63,79 66,46 70,21 71,05 76,19 78,38 78,57 79,49 82,02 84,62 85,23 86,28 86,44 95,88 96,00 98,06 61,62
im 200 km Radius 17,88 23,17 6,25 20,45 20,00 11,03 21,28 33,90 39,53 13,46 41,51 21,88 30,77 16,80 18,80 16,67 18,97 20,25 23,40 13,16 11,90 10,81 13,10 17,95 13,48 0,00 11,36 5,57 10,17 3,09 0,00 1,94 15,32
weiter entfernt als 200 km 62,91 47,10 62,50 41,67 41,43 49,64 38,30 22,88 12,79 32,69 3,77 18,75 7,69 21,60 19,55 20,24 17,24 13,29 6,38 15,79 11,90 10,81 8,33 2,56 4,49 15,38 3,41 8,15 3,39 1,03 4,00 0,00 23,06
In Tabelle 4.32 zeigt sich z. B., dass das Eröffnungsspiel in München (inkl. Eröffnungsfeier) mit Beteiligung der deutschen Nationalmannschaft eine besonders hohe Attraktivität besaß und daher lediglich 19,2 % der WM-Besucher aus der Umgebung mit unter 100 km Radius kamen. Insgesamt zeigten alle untersuchten Veranstaltungen in Berlin eine relativ hohe Quote von Besuchern, die aus entfernteren Regionen gekommen sind. So zog das Spiel 48 (Ukraine gegen Tunesien) im Berliner Olympiastadion lediglich 29,7 Prozent an Besuchern aus der Umgebung (unter 100 km) an.
4.2
Reise- und Konsummuster
129
Besondere Beachtung galt den Spielen der deutschen Nationalmannschaft. Da hier eine große Nachfrage nach Eintrittskarten bestand und diese letztlich nach Losverfahren vergeben wurden, erklärt sich, dass diese Spiele die wenigsten inländischen Besucher aus der Region (Radius unter 100 km) hatten (Tab. 4.33). Der Chi²-Test zeigt, dass die Tatsache, dass die deutsche Nationalmannschaft spielte, zu größeren Reisebewegungen bei den Stadionbesuchern geführt hat. Für Public Viewings konnte dieser Zusammenhang statistisch nicht nachgewiesen werden. Tab. 4.33: Anreise der Inländer zu Spielen der Deutschen Nationalmannschaft Entfernung
Public Viewing
Stadion
Spiel ohne deutsche Mannschaft Spiel mit deutscher Mannschaft Total Spiel ohne deutsche Mannschaft Spiel mit deutscher Mannschaft Total
Anzahl Prozent Anzahl Prozent Anzahl Prozent Anzahl Prozent Anzahl Prozent Anzahl Prozent
im 100 km im 200 km Radius Radius 920 174 66,6 12,6 51 4 81,0 6,3 971 178 67,2 12,3 796 311 55,4 21,6 133 82 31,4 19,4 929 393 49,9 21,1
Total weiter entfernt als 200 km 287 20,8 8 12,7 295 20,4 330 23,0 208 49,2 538 28,9
1381 100,0 63 100,0 1.444 100,0 1437 100,0 423 100,0 1.860 100,0
Public Viewing: Chi² = 5,68; p>0,05 (n.s.) / Stadion: Chi² = 115,93; p<0,01
Schließlich können die Reisebewegungen auch noch auf der Basis von Postleitzahlen (PLZ) dargestellt werden. In Tabelle 4.34 sind diese – nach der 1. Stelle der PLZ sortiert – für alle untersuchten Spiele im Detail aufgelistet. Man kann deutlich erkennen, dass Besucher aus den ostdeutschen Bereichen (PLZ 0 und 1) in Relation zur Bevölkerungsanzahl unterproportional bei den WM-Spielen anzutreffen waren. Ein Grund mag die relativ große Distanz zu vielen WM-Städten gewesen sein. Die meisten WM-Besucher kamen jeweils aus dem PLZ-Bereich, in dem das WM-Spiel stattgefunden hat.
Ergebnisse der empirischen Erhebung
130
Tab. 4.34: Anteil von Inländern nach Postleitkennziffern nach WM-Spiel 0 München Stadion Spiel 1 München PV Spiel 1 Frankfurt Stadion Spiel 3 Kaiserslautern Stadion Spiel 12 Kaiserslautern PV Spiel 12 Stuttgart Stadion Spiel 13 Stuttgart PV Spiel 13 Frankfurt Stadion Spiel 14 Frankfurt PV Spiel 14 Dortmund Stadion Spiel 17 Nürnberg Stadion Spiel 19 Nürnberg PV Spiel 19 Köln Stadion Spiel 26 Köln PV Spiel 26 Frankfurt Stadion Spiel 37 Frankfurt PV Spiel 37 Berlin Stadion Spiel 48 Berlin PV Spiel 48 Kaiserslautern Stadion Spiel 53 Kaiserslautern PV Spiel 53 Dortmund Stadion Spiel 55 Gelsenkirchen Stadion Spiel 59 Gelsenkirchen PV Spiel 59 Frankfurt Stadion Spiel 60 Dortmund Stadion Spiel 61 München PV Spiel 62 Hamburg PV alle
1
2
Postleitzahl (1. Stelle) 3 4 5 6
7
8
9
3,7 0,9 3,3 5,1 11,7 5,1 7,5 10,3 15,4 7,5 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 3,5 3,5 50,9 3,5 0,3 1,5 0,9 5,0 0,9 9,4 20,6 4,4 1,5 2,1 0,0 0,6 0,9 0,3 1,5 6,7 14,3 7,3 1,5 2,1 0,0 0,0 1,1 1,1 0,0 6,5 31,2 2,2 0,0 0,0 0,0 0,0 0,3 0,7 2,0 2,7 0,7 17,8 3,0 1,0 0,0 0,0 0,0 0,5 0,0 0,0 0,5 40,6 2,0 1,5 0,8 0,8 0,8 5,0 2,5 12,0 21,1 2,5 2,1 3,3 0,0 0,0 0,0 2,7 1,4 1,0 31,4 1,4 1,0 1,4 0,6 2,6 9,1 12,3 22,1 13,6 13,0 8,4 4,5 4,5 1,1 0,0 0,0 0,4 1,4 1,4 1,4 0,7 6,5 17,9 0,3 0,0 0,5 0,3 0,0 0,3 1,1 0,5 2,2 42,9 0,4 0,0 3,0 8,7 7,8 18,3 5,2 4,3 1,7 1,3 0,0 1,0 4,9 2,9 14,6 28,3 2,0 5,9 1,0 0,5 0,8 0,0 1,5 1,5 1,5 6,8 16,7 0,8 0,8 0,0 1,0 0,0 1,0 2,9 1,0 6,7 26,9 1,0 1,0 1,9 10,2 27,3 11,0 6,3 4,4 2,2 1,9 1,9 1,4 4,7 8,0 31,8 1,1 2,3 8,0 3,4 0,0 4,5 0,0 0,0 0,8 0,0 0,3 2,4 1,1 4,3 29,5 6,0 1,1 0,0 0,9 0,0 0,0 0,0 0,0 6,0 74,1 1,7 0,0 0,9 2,5 1,2 2,5 6,1 10,4 16,0 1,8 2,5 6,1 8,0 0,8 2,1 2,9 2,1 23,0 12,8 5,8 0,4 1,6 2,1 0,0 0,0 1,4 2,8 29,9 1,4 0,7 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 9,1 1,3 9,1 18,2 6,5 2,6 2,6 0,0 1,2 8,9 5,9 13,6 19,5 16,6 7,7 3,0 2,4 0,0 0,2 0,6 0,6 0,2 0,2 2,0 1,0 13,5 2,6
0,0
2,3
71,9 3,6
1,6
0,3
1,0
0,3
0,8
0,2
Der zur Postleitzahl der Region, in der das jeweilige Stadion liegt, gehörende Anteil ist fett gedruckt.
4.2.1.6 Detailanalyse der Zwischen- und Anschlussreisen Anschlussreisen sind von der eigentlichen WM-Reise zu unterscheiden. Sie sind Reisen, die entweder vor oder nach der WM durchgeführt werden. Dabei verfolgen die WMBesucher übliche touristische Zielsetzungen. Für die Ermittlung des Primärimpulses sind allerdings nur die Anschlussreisen zu berücksichtigen, die von ausländischen WM-Besuchern durchgeführt werden, die hauptsächlich wegen der WM nach Deutschland gekommen sind. „Time Switchers“ und „Casuals“ hätten diese Reisen durch Deutschland auch ohne die Fußball-WM durchgeführt und haben daher keine zusätzlichen Mittel nach Deutschland gebracht. Die Anschlussreisen der „WM-Touristen“ und ihrer Begleitpersonen tragen allerdings immerhin fast 300 Mio. € nach Deutschland, was gut 10 % des gesamten durch die Fußball-WM induzierten Primärimpulses entspricht.
4.2
Reise- und Konsummuster
131
Von den WM-Besuchern, die länger als einen Tag blieben, gaben gut 26 % an, dass sie einen Urlaub in der Region anschließen wollen. Dabei unterscheiden sich die Angaben der Stadionbesucher statistisch nicht signifikant von denen der Public Viewings (t-Test). Tab. 4.35: Intention und Dauer geplanter Anschlussreisen Public Viewing Ich habe vor, einen Urlaub / längeren Aufenthalt in der Region anzuschließen. (in Prozent) Dauer des geplanten zusätzlichen Aufenthalts (in Tagen)
Stadion
26,3
26,3
5,6
5,9
Eine Aufschlüsselung nach Ländergruppen zeigt dieselben überwiegend nicht signifikanten Ergebnisse zwischen Stadionbesuchern und Public-Viewing-Besuchern. In der jeweiligen Ländergruppe unterscheiden sich die Intentionen nach einer geplanten Anschlussreise lediglich bei den Fernreisenden. Tab. 4.36: Intention und Dauer geplanter Anschlussreisen nach Ländergruppen
Inländer Osteuropa Europa Nachbar Europa teuer Europa fern Fernreisende
Public Viewing Intention Dauer in Prozent in Tagen 13,0 6,9 12,5 1,0 28,5 3,5 20,4 4,1 47,6 6,8 45,2* 7,2
Stadion Intention Dauer in Prozent in Tagen 15,0 4,1 34,8 3,8 26,1 4,4 22,7 4,8 58,1 4,0 37,0* 7,4
* Unterschied zwischen Stadion und Public Viewing ist signifikant auf dem Niveau p<0,05 (t-Test).
Selbstverständlich widmen die WM-Besucher nicht jeden Tag der Fußball-WM. Daher gibt es nicht nur Anschlussreisen, sondern auch Reisen zwischen den Spielen. Dies war bei vielen ausländischen Besuchern der Fall, die längere Zeit in Deutschland waren. Tabelle 4.37 zeigt, dass die Anzahl der Tage ohne Fußball bei Stadionbesuchern signifikant höher war als bei den Besuchern der Public Viewings. Tab. 4.37: Intention und Dauer geplanter Zwischenreisen Public Viewing Während der Fußball-WM gibt es auch Tage, an denen kein Besuch eines Public Viewing oder eines Stadions stattfindet. (in Prozent) Anzahl der Tage ohne Fußball (in Tagen)
Stadion
41,8
43,8
5,8*
6,5*
* Unterschied zwischen Stadion und Public Viewing ist signifikant auf dem Niveau p<0,05 (t-Test).
Ergebnisse der empirischen Erhebung
132
Auch hier gibt es zwischen Stadion- und Public-Viewing-Besuchern nur geringe signifikante Unterschiede, wenn die Besucher nach Ländergruppen aufgeschlüsselt werden. Tab. 4.38: Intention und Dauer von Zwischenreisen nach Ländergruppen
Inländer Osteuropa Europa Nachbar Europa teuer Europa fern Fernreisende
Public Viewing Intention Dauer in Prozent in Tagen 54,9 6,7 42,1 3,6 29,6* 3,9 31,5* 3,7 47,7 8,3 48,3 7,0
Stadion Intention Dauer in Prozent in Tagen 46,4 7,7 30,8 3,4 41,5* 6,3 38,2* 5,2 45,8 6,1 46,5 6,7
* Unterschied zwischen Stadion und Public Viewing ist signifikant auf dem Niveau p<0,05 (t-Test).
Die Intention und auch die Dauer der Zwischenreisen unterscheiden sich jedoch bei einem Vergleich der einzelnen Ländergruppen untereinander erheblich. Zwischenreisen sind eine strukturelle Besonderheit bei Sportgroßveranstaltungen einer Sportart, die sich über einen längeren Zeitraum hinziehen. Nicht an jedem Tag – insbesondere gegen Ende des Turniers – werden Spiele angeboten, was die Besucher veranlasst, an diesen spielfreien Tagen „normalen“ touristischen Angeboten nachzugehen und damit ihr Interesse an Anschlussreisen verringert. Zur Berechnung des Primärimpulses in dieser Studie werden die Zwischenreisen im Gegensatz zu den Anschlussreisen nicht gesondert berücksichtigt.
4.2.2
Elementanalyse von Konsummustern
Die in dieser Studie erhobenen Konsumausgaben setzen sich aus den folgenden Bestandteilen zusammen: -
Übernachtungsausgaben: Dazu wurden neben den Übernachtungsausgaben pro Person und Tag auch die Anzahl der Tage sowie die Art der Unterkunft abgefragt. Nach den Gesamtübernachtungsausgaben wurde zusätzlich gefragt, um die individuallogische Konsistenz der Antworten überprüfen zu können.
-
Fanartikel: Hierzu wurden die Ausgaben für jegliche Art von (offiziellen und inoffiziellen) Merchandisingartikeln erhoben.
-
Tägliche Reiseausgaben: Hier wurden die Ausgaben erhoben, die täglich anfallen, also die Anreiseausgaben von der WM-Unterkunft zum Spielort. Dies schließt für alle übernachtenden Besucher die Anreise vom Wohnort zum WM-Unterkunftsort aus. Für die Tagestouristen wurden hingegen die Ausgaben vom Heimatort zum Spielort erhoben.
4.2
Reise- und Konsummuster
133
-
Gastronomie: Dies beinhaltet alle Ausgaben für Essen und Trinken.
-
Shopping: In dieser Kategorie wurde differenziert nach allgemeinem Shopping und den Ausgaben für Merchandiseartikel gefragt.
-
Eintrittskarten: Abgefragt wurden die Ausgaben für Eintrittskarten in die Stadien, aber auch für andere Eintritte, zum Beispiel im Rahmen des Kulturprogramms.
-
Sonstiges: Diese Restkategorie sollte alle Ausgaben für Güter des persönlichen Bedarfs, Unterhaltung etc. erfassen.
Eine erste deskriptive Analyse der Daten zeigt bereits die Auffälligkeit, dass die Ausgaben in einigen Konsumkategorien eine sehr starke Varianz hatten. Außerdem war keine Normalverteilung der Daten zu erkennen, was u. a. durch den Kolmogorov-Smirnov-Test überprüft wurde. Damit müssen viele im Folgenden durchgeführte Analysen anhand nichtparametrischer Tests überprüft werden. Im Folgenden soll daher zunächst eine Detailanalyse der einzelnen Konsumkategorien erfolgen. Bevor die Konsumausgaben der WM-Besucher im Detail dargestellt werden, soll beschrieben werden, in welchen der genannten Kategorien die Besucher keine Ausgaben getätigt haben. Um Interpretationsfehler zu vermeiden, wurden in Tab 4.39 und 4.40 nur diejenigen WM-Besucher berücksichtigt, die bei der Frage nach den Konsumausgaben in mindestens einer Kategorie einen Eintrag und in den anderen Kategorien entweder eine „Null“ oder nichts eingetragen haben. Eine wichtige Erkenntnis dieser Studie ist, dass es eine erhebliche Anzahl von WM-Besuchern gibt, die in einzelnen Kategorien nichts ausgeben haben, was allerdings nicht besagt, dass nicht in anderen Konsumkategorien mitunter sehr stark konsumiert wurde. Tab. 4.39: Anteil von Tagestouristen, die nichts ausgegeben haben
Eintritt Fanartikel Shopping Gastronomie Reiseausgaben Sonstiges
Public Viewing Inländer Europa Europa teuer 41,2 51,7 43,2 28,3 45,1 37,0 64,4 66,4 54,9 2,2 6,3 3,1 31,6 38,9 30,9 76,8 75,4 46,4
Stadion Fern- Inländer Europa Europa Fernreisende teuer reisende n. ex. 13,4 36,5 20,3 n. ex. n. ex. 37,3 57,1 45,6 n. ex. n. ex. 72,3 66,1 47,4 n. ex. n. ex. 3,8 4,8 4,9 n. ex. n. ex. 15,6 38,7 45,0 n. ex. n. ex. 80,8 67,7 71,7 n. ex.
Europa = „Osteuropa“, „Europa Nachbarn“ und „Europa fern“ n. ex. = als Tagestouristen nicht existent
Ergebnisse der empirischen Erhebung
134
Tab. 4.40: Anteil von Touristen mit Übernachtung, die nichts ausgegeben haben
Eintritt Fanartikel Shopping Gastronomie Reiseausgaben Übernachtung Sonstiges
Public Viewing FernInländer Europa Europa teuer reisende 28,9 52,1 33,5 27,0 34,6 44,6 35,3 30,8 62,0 46,2 38,9 28,7 3,5 4,7 1,4 2,8 34,8 43,3 36,4 40,6 29,9 30,4 13,1 8,2 74,7 67,9 65,7 61,9
Stadion FernInländer Europa Europa teuer reisende 16,6 33,0 17,1 19,7 39,1 49,7 36,2 30,7 66,8 54,0 40,0 31,8 6,6 3,9 3,0 5,3 32,0 39,2 43,0 46,6 35,0 21,7 6,4 5,7 73,5 60,8 62,1 63,3
Europa = „Osteuropa“, „Europa Nachbarn“ und „Europa fern“
Im Weiteren werden die Konsumausgaben der WM-Besucher genauer analysiert, die etwas ausgegeben haben. Viele Konsummuster zeigen eine Kurtosis mit sehr hohen positiven Werten, was heißt, dass die Wölbung der Verteilung Ȗ2 > 0 ist. Daher liegen viele Daten enger als bei der Normalverteilung am Mittelwert, allerdings mit sehr langen Flügeln mit teilweise einzelnen starken Peaks. Auch die Schiefe der Verteilung zeigt hohe positive Werte, was bedeutet, dass besonders der Flügel in die positive Richtung lang ist. Keine der Konsumkategorien konnte mit Hilfe des Kolmogorov-Smirnov-Tests als hinreichend normalverteilt identifiziert werden. Zudem ist die Standardabweichung der Daten in den einzelnen Konsumkategorien häufig sehr hoch. Die fehlende Normalverteilung und die zudem noch hohe Standardabweichung verbieten die Nutzung des arithmetischen Mittels zur Beschreibung der Daten. Dennoch kann aus dem arithmetischen Mittel für eine ökonomische Interpretation – nachdem die Ausreißer eliminiert wurden – ein wichtiger Schluss gezogen werden: Nimmt man die arithmetischen Mittelwerte der einzelnen Konsumkategorien (unter Einbeziehung derjenigen, die nichts ausgegeben haben) und multipliziert sie mit der Anzahl der WM-Besucher, so ergibt das Produkt genau den Anteil des Primärimpulses der entsprechenden Konsumkategorie. Für eine inhaltliche Interpretation des Konsumverhaltens oder die Ermittlung von Unterschieden im Konsumverhalten verschiedener Gruppen kann jedoch nicht auf das arithmetische Mittel und parametrische Tests zurückgegriffen werden. Die fehlende Normalverteilung der Daten in den einzelnen Ausgabekategorien verlangt – auch nach Bereinigung um Ausreißer und damit eine erhebliche Reduktion der hohen Standardabweichung – nach einer detaillierteren explorativen Analyse der Daten. Unterschiede in der Verteilung der Daten verschiedener Gruppen können durch nichtparametrische Tests ermittelt werden. Dazu bietet sich nach der Definition bestimmter
4.2
Reise- und Konsummuster
135
Typen der Chi²-Test an, für ordinalskalierte Daten allerdings auch der Mann-Whitney-UTest und schließlich für intervallskalierte Daten der Kolmogorov-Smirnov-Z-Test. Ohne die Konsummuster verfälschen zu wollen, wird in der weiteren Auswertung aufgrund von Plausibilitätsüberlegungen sowie z.T. statistischer Berechnungen (Scree-Test) ein Teil der Daten jeder Konsumkategorie abgeschnitten, damit robuste Durchschnittswerte des Konsums sichtbar werden.
1800
Standardabweichung und Mittelwert M itte lw e r t S ta n d a r d a b w e ic h u n g
1600 1400 1200 1000 800 600 400 200 0 100
98
96
94
92
90
88
86
84
82
80
78
76
74
72
70
68
in %
Abb. 4.3: Arithmetisches Mittel und Standardabweichung bei sukzessiver Elimination von jeweils 2 % der Fälle am Beispiel der Übernachtungsausgaben (in €) englischer Stadionbesucher Die Abbildung illustriert, wie sich die Standardabweichung reduziert, wenn nur wenige Prozent der extremen Daten abgeschnitten werden. Dennoch ist nicht mit Sicherheit auszuschließen, dass es sich bei den Extremwerten wirklich um Ausreißer handelt. Das Eliminieren der Extremwerte wird für diese Studie aber wie folgt begründet: 1.
Teilweise sind in einzelnen Konsumkategorien extrem hohe Angaben getätigt worden. Diese können durchaus richtig sein, da die Fußball-WM als herausragendes gesellschaftliches Ereignis auch sehr reiche Besucher anzieht. Die extrem hohen Ausgaben können jedoch auch auf Missverständnissen des Interviewten beruhen. So kann die/der Interviewte z. B. überlesen haben, dass sie/er lediglich Tagesangaben machen sollte, statt dessen aber Angaben über die Kosten der gesamten Reisezeit gemacht hat. Außerdem könnte übersehen worden sein, dass die Ausgaben auf eine Person bezogen werden sollten, der Befragte aber die Ausgaben der ganzen Familie angegeben hat. Diese Fehler können sowohl an zu flüchtigem Lesen als auch an Sprachproblemen gelegen haben.
Ergebnisse der empirischen Erhebung
136
2.
Indem die nicht plausiblen extrem hohen Ausgaben jeder Konsumkategorie ausgeschlossen werden, sinkt die Standardabweichung beträchtlich. Das arithmetische Mittel beschreibt daher die Ausgaben der großen Mehrzahl der Besucher besser, wenngleich die Schiefe und zum Teil die mehrgipfeligen Histogramme der Daten einer Konsumkategorie dem arithmetischen Mittel den Großteil seiner Aussagekraft nehmen. Werden diese um die Ausreißer und extremen Werte bereinigten arithmetischen Mittel als Grundlage für die Berechnung des gesamten Primärimpulses durch die Fußball-WM verwendet, so liegt letztlich eine Unterschätzung des konsumtiven Impulses vor, was einem eher konservativen Vorgehen entspricht.
Die folgenden Tabellen zeigen die durchschnittlichen Ausgaben der Konsumenten nach Konsumkategorien, und zwar gegliedert nach Ländergruppen. Diese Werte können zur Berechnung des Primärimpulses verwendet werden, denn sie beziehen auch diejenigen ein, die nichts ausgegeben haben. Als gutes Beispiel kann der durchschnittliche Wert von 410 €/Nacht von „fernreisenden“ Stadionbesuchern herangezogen werden. Natürlich haben nicht die meisten der 480 Personen über 400 € pro Übernachtung ausgegeben, sondern viele haben weniger bezahlt. Doch haben einige (nicht wenige) auch 2000 € für eine Nacht investiert (z. B. Kingsuite im 5-Sterne-Hotel). Tab. 4.41: Durchschnittliche Ausgaben von Stadionbesuchern mit Übernachtung (in €) Inländer
Unterkunft pro Nacht und Person Fanartikel pro Person gesamt Shopping pro Person gesamt Gastronomie für diesen Tag Eintritt pro Person gesamt Anreise für diesen Tag
102,58 (476) 36,91 (592) 30,02 (599) 39,69 (541) 220,99 (552) 41,37 (578)
Osteuropa 73,89 (18) 22,60 (26) 20,67 (25) 18,12 (24) 90,42 (24) 34,39 (25)
In Klammern = Anzahl der berücksichtigten Fälle
Europa Nachbarn 275,68 (88) 26,11 (111) 40,84 (109) 53,94 (104) 140,26 (105) 53,33 (108)
Ausländer Europa teuer 314,69 (606) 45,45 (640) 92,79 (650) 57,87 (599) 253,31 (580) 44,83 (647)
Europa fern 82,67 (36) 43,88 (42) 76,26 (43) 35,02 (39) 184,30 (42) 41,04 (42)
Fernreisende 410,63 (480) 66,05 (610) 159,33 (634) 43,47 (614) 248,08 (587) 35,97 (676)
4.2
Reise- und Konsummuster
137
Tab. 4.42: Durchschnittliche Ausgaben von Stadionbesuchern (Tagestouristen; in €) Inländer
Unterkunft pro Nacht und Person Fanartikel pro Person gesamt Shopping pro Person gesamt Gastronomie für diesen Tag Eintritt pro Person gesamt Anreise für diesen Tag
Osteuropa
Europa Nachbarn
Ausländer Europa teuer
Europa fern
Fernreisende
entfällt
entfällt
entfällt
entfällt
entfällt
entfällt
25,74 (1528) 15,26 (1531) 24,01 (1479) 132,65 (1497) 15,44 (1556)
9,38 (8) 20,00 (8) 25,00 (7) 138,75 (8) 46,25 (7)
16,54 (53) 20,92 (53) 33,42 (49) 127,09 (50) 45,28 (52)
34,49 (127) 46,00 (130) 41,26 (118) 183,47 (120) 33,46 (126)
11,25 (12) 26,67 (12) 38,47 (12) 130,00 (12) 12,83 (12)
entfällt entfällt entfällt entfällt entfällt
In Klammern = Anzahl der berücksichtigten Fälle
Tab. 4.43: Durchschnittliche Ausgaben (in €) von Public-Viewing-Besuchern mit Übernachtung Inländer
Unterkunft pro Nacht und Person Fanartikel pro Person gesamt Shopping pro Person gesamt Gastronomie für diesen Tag Eintritt pro Person gesamt Anreise für diesen Tag
55,42 (209) 31,66 (243) 55,86 (244) 34,18 (255) 75,22 (240) 25,36 (266)
Osteuropa 24,33 (15) 41,67 (18) 38,33 (18) 35,14 (18) 61,39 (18) 14,17 (18)
In Klammern = Anzahl der berücksichtigten Fälle
Europa Nachbarn 77,99 (180) 26,24 (205) 47,22 (204) 55,93 (206) 50,64 (201) 27,90 (214)
Ausländer Europa teuer 136,29 (393) 46,80 (403) 108,57 (414) 60,30 (393) 98,81 (398) 32,47 (430)
Europa fern 76,52 (35) 25,86 (41) 56,62 (40) 24,20 (40) 68,48 (39) 16,21 (42)
Fernreisende 225,97 (210) 55,68 (236) 137,98 (244) 34,64 (242) 92,88 (242) 28,45 (270)
Ergebnisse der empirischen Erhebung
138
Tab. 4.44: Durchschnittliche Ausgaben von Public-Viewing-Besuchern (Tagestouristen; in €) Inländer
Unterkunft pro Nacht und Person Fanartikel pro Person gesamt Shopping pro Person gesamt Gastronomie für diesen Tag Eintritt pro Person gesamt Anreise für diesen Tag
Osteuropa
Europa Nachbarn
Ausländer Europa teuer
Europa fern
Fernreisende
entfällt
entfällt
entfällt
entfällt
entfällt
entfällt
22,86 (1341) 24,49 (1328) 22,55 (1411) 25,35 (1329) 5,51 (1488)
43,57 (28) 66,79 (28) 61,41 (27) 65,21 (28) 35,11 (31)
15,83 (6) 10,00 (6) 6,67 (6) 17,67 (6) 16,67 (6)
20,85 (86) 19,25 (85) 41,87 (83) 20,66 (84) 23,74 (89)
33,09 (76) 63,67 (75) 47,32 (65) 78,52 (71) 25,72 (72)
entfällt entfällt entfällt entfällt entfällt
In Klammern = Anzahl der berücksichtigten Fälle
Die Tabellen zeigen, wie unterschiedlich die Konsumausgaben sind, wobei hier lediglich die Nationalitäten (Ländergruppen), übernachtende Besucher von Tagestouristen und Stadionbesucher von Public-Viewing-Besuchern unterschieden werden. Die hier dargestellten durchschnittlichen Konsumausgaben dienen lediglich als Grundlage für die Modellberechnungen des Primärimpulses und haben aufgrund der erwähnten fehlenden Normalverteilung wenig Aussagekraft als isolierte Kennzahl. Daher folgt eine explorative Analyse der einzelnen Konsumkategorien. 4.2.2.1 Detailanalyse der Ausgaben für Merchandiseartikel Der weltweite Umsatz mit lizenzierten WM-Merchandiseartikeln betrug 2 Mrd. US$, davon wurden 1,6 Mrd. US$ in Europa und 1 Mrd. US$ allein in Deutschland erzielt (DFB, 2007). In dieser Studie wurden jedoch nur die Besucher der Fußball-WM in den deutschen WM-Städten nach ihren Ausgaben für Merchandiseartikel befragt. Daher ergeben sich für diesen Bereich weit geringere Umsätze als die, die deutschlandweit erzielt wurden. Bezüglich der späteren Berechnung des gesamtwirtschaftlichen Impakts der Fußball-WM sind Ausgaben für Fanartikel die, die von den Besuchergruppen der „WM-Touristen“, aber auch von den „Casuals“ und „Time Switchers“ getätigt wurden. Den beiden letztgenannten Gruppen wird unterstellt, dass sie während der Fußball-WM in den anderen Konsumkategorien nicht mehr oder anders konsumiert haben als in ihrem alternativen Deutschlandurlaub. Dies ist eine konservative Annahme, da wahrscheinlich auch von diesen Gruppen mehr konsumiert bzw. mehr bezahlt wurde, da die Preise in den WM-Städten
4.2
Reise- und Konsummuster
139
zur WM allgemein etwas höher waren. Im später vorgestellten Modell (Kapitel 5.2) zur Berechnung des Primärimpulses werden die Ausgaben für Merchandiseartikel als zusätzliche Ausgaben zum üblichen Urlaubsbudget berücksichtigt. Im Fragebogen wurde die gesamte Ausgabe abgefragt, die ein WM-Besucher für „Fanartikel“ getätigt hat. Es ist davon auszugehen, dass die Befragten dabei nicht zwischen offiziellen Lizenzprodukten und gefälschten oder nicht-lizenzierten Fanartikeln (wie z. B. Fahnen, T-Shirts mit dem Schriftzug Deutschland etc.) unterschieden haben. Diese Unterscheidung ist allerdings nicht wichtig, da das Ziel dieser Studie nicht die Berechnung der Einnahmen der FIFA ist, sondern die Ermittlung der Ausgaben für Fanartikel jeglicher Art. In der späteren Modellrechnung werden 25 % des gesamten Merchandiseumsatzes als Lizenzabgabe an die FIFA abgezogen (Import), bevor die gesamtwirtschaftlichen Wirkungen aus den verbleibenden 75 % des Umsatzes berechnet werden. Betrachtet man die gesamte Stichprobe, so haben zunächst rund 40 % der Befragten keine Merchandiseartikel gekauft, und die übrigen verteilen sich wie in Abbildung 4.4 abgebildet. Typ 2
Anzahl 900
Typ 3
Typ 4
800 700 600 500 400 300 200
1001-3000
401-500
501-1000
301-400
201-300
91-100
101-200
81-90
71-80
61-70
51-60
41-50
31-40
21-30
11 bis 20
0
1 bis 10
100
Euro
Abb. 4.4: Ausgaben der Besucher für Merchandiseartikel in der Gesamtstichprobe Abbildung 4.4 dient nicht der Bestimmung der Größe jeder der vier Typen, sondern lediglich als Grundlage zur qualitativ-explorativen Bildung von Konsumtypen für die Konsumkategorie „Merchandising“:
Ergebnisse der empirischen Erhebung
140
Typ 1 bilden diejenigen, die gar keine Merchandiseartikel gekauft haben. Diese sind nicht in der Abbildung berücksichtigt. Typ 2 bilden diejenigen, die wenige Fanartikel gekauft haben, z. B. eine Fahne und einen Schal oder ein Andenken wie z. B. das Maskottchen „Goleo“, eine Tasse, eine Kappe etc. Typ 3 bilden diejenigen, die sich wahrscheinlich ein Trikot und einen Schal gekauft haben (ca. 50 €) oder ein lizenziertes DFB-Trikot und andere Kleinigkeiten (ca. 100 €). Typ 4 bilden diejenigen, die mehr als 100 € ausgegeben haben. Diese könnten z. B. ganze Kollektionen von Artikeln gekauft haben oder auch einzelne teurere Artikel wie z. B. die Serie von Gedenkmünzen, Schmuck etc. Hinzu kommen diejenigen, die mehrere Merchandiseartikel als Geschenke gekauft haben. Bei der Angabe zu dieser Konsumkategorie waren die Befragten sich nicht immer sicher. Lediglich 47 % der Public-Viewing-Besucher und 50 % der Stadionbesucher gaben an, dass ihre Antwort „genau“ sei. Dies bestätigt die Annahme, dass die Ausgaben von vielen geschätzt wurde, was die Spitzen bei glatten Euro-Beträgen (50 €, 100 €) erklärt. Tab. 4.45: Arithmetisches Mittel und Standardabweichung der Ausgaben für Fanartikel nach Typen und Ländergruppen Inländer Typ 1 (0 €) Typ 2 (1 - 49 €) Typ 3 (50 - 100 €) Typ 4 (> 100 €)
0 (0) 18,0 (9,7) 69,5 (22,6) 184,87 (51,7)
Ausländer Europa Europa Fernfern teuer reisende 0 (0) 0 (0) 0 (0) 19,2 (9,8) 21,2 (9,8) 21,2 (10,7) 68,4 (22,2) 73,5 (23,9) 77,4 (23,5) 221,4 (95,1) 221,8 (65,1) 224,2 (66,4)
Gesamt Arithm. Mittel 0 (0) 18,7 (9,9) 72,1 (23,3) 211,4(63,8)
In Klammern = Standardabweichung
Die Tabelle zeigt die arithmetischen Mittelwerte (in €) der zuvor gebildeten Typen. Unterschiede in der Verteilung der Ausgaben für Fanartikel können für die gesamte Gruppe aufgrund einer fehlenden Normalverteilung jedoch nur mit Hilfe des Mann-Whitney-U-Tests überprüft werden. Einige offensichtlich intervenierende Variable werden hier bereits ausgegrenzt, indem der Test nur für Stadionbesucher durchgeführt wurde, die sich als Fan einer der Mannschaften bezeichneten.
4.2
Reise- und Konsummuster
141
Tab. 4.46: Mann-Whitney-U-Test für Stadionbesucher, die Fan einer Mannschaft sind, differenziert nach Ländergruppen Mittlerer Rang Inländer 700,9 766,9 592,2 n=946
sig.
Ausländer Europa Europa Fernfern teuer reisende 843,6 814,9 510,5 303,5 415,2 359,4 436,2 556,0 635,3 n=208 n=625 n=561
0,000 0,034 0,001 0,000 0,000 0,000
Ist die asymptotische Signifikanz (sig.) kleiner 0,05, so kann von einer unterschiedlichen Verteilung der Daten ausgegangen werden. Die Tabelle zeigt jeweils einen Vergleich von zwei Verteilungen. Sie bestätigt die oben gut zu erkennenden Unterschiede der arithmetischen Mittelwerte. Danach geben die Inländer signifikant mehr aus als die Besucher aus Nationen „Europa fern“, allerdings weniger als die Besucher aus Nationen „Europa teuer“ und „Fernreisende“. Die Fernreisenden geben noch einmal signifikant mehr aus als die Besucher aus Nationen „Europa teuer“. 4.2.2.2 Detailanalyse der Ausgaben für Eintrittskarten Der Gesamtumsatz des Organisationskomitees mit Eintrittskarten zur Fußball-WM 2006 betrug 302 Mio. €. Diese Summe errechnet sich jedoch aus dem Nennwert („Face Value“) der Eintrittskarten, zu dem das Organisationskomitee die Karten verkauft hat. Tabelle 4.47 zeigt, wie hoch die offiziellen Preise (Nennwert) für Eintrittskarten der Fußball-WM waren: Tab. 4.47: Offizielle Preise der Eintrittskarten der Fußball-WM 2006 (Quelle: www.FIFAworldcup.com (18.04.2006)) Eröffnungsspiel Gruppenspiel Achtelfinale Viertelfinale Halbfinale Spiel um Platz 3 Finale
Kategorie A 300 € 100 € 120 € 180 € 400 € 120 € 600 €
Kategorie B 180 € 60 € 75 € 110 € 240 € 75 € 300 €
Kategorie C 115 € 45 € 60 € 85 € 150 € 60 € 220 €
Kategorie D 75 € 35 € 45 € 55 € 90 € 45 € 120 €
142
Ergebnisse der empirischen Erhebung
Insgesamt wurden 69 % aller Eintrittskarten (2,16 Mio. von 3,13 Mio.) zu diesen Preisen mit ggf. einem Verkaufsaufschlag von maximal 10 % verkauft. 61,2 % der Befragten dieser Studie haben ihre Eintrittskarten per Internet oder Post bestellt, während 14,7 % eine Freikarte hatten, 4,6 % ihre Eintrittskarte in einem pauschalen Reiseangebot mitkauften und 25,1 % ihre Eintrittskarten über einen anderen Weg, z. B. den Schwarzmarkt, den Fanclub, die FIFA, durch „Beziehungen“ oder über Dritte erwarben. In dieser Studie wurden die tatsächlichen Ausgaben der WM-Besucher für ihre Eintrittskarten abgefragt und damit auch die Ausgaben für den Kauf von Karten auf dem Schwarzmarkt erhoben. Immerhin haben 4,1 % der Befragten offen angegeben, dass sie Eintrittskarten auf dem Schwarzmarkt erstanden haben. Hinzu kommen alle, die als Bezugsquelle eBay o. ä. angaben. Darüber hinaus gibt es eine ganze Reihe von nicht eindeutigen Angaben. So kann die Bezugsquelle Internet genauso auf Schwarzmarktaktivitäten hinweisen wie auf den offiziellen Kauf der Karte über das Internet. Diese Gruppe ist in etwa genauso groß wie die Gruppe derer, die eindeutig auf dem Schwarzmarkt Eintrittskarten gekauft hat. Die tatsächliche Anzahl dürfte wesentlich höher liegen. So zeigt Abbildung 4.6 (Typ 4), dass allein 8,8 % derjenigen, die nur eine Eintrittskarte gekauft haben, mehr dafür bezahlten, als ihr „Face Value“ anzeigte. Außerdem ist festzustellen, dass WM-Besucher bestimmter Nationen sich häufiger Eintrittskarten auf dem Schwarzmarkt besorgt haben als die anderer Länder. Spitzenreiter sind hier die Brasilianer, die ihre Eintrittskarten zu 13 % auf dem Schwarzmarkt erstanden haben. Die hohe Nachfrage nach Eintrittskarten hat trotz der primär sicherheitspolitisch intendierten Personifizierung der Eintrittskarten zu starker Aktivität auf dem Schwarzmarkt geführt. Abbildung 4.5 zeigt, dass die überwiegende Zahl der Befragten nur eine Eintrittskarte hatte. Das lag u. a. auch am Vergabesystem, das verhinderte, dass eine Person auf offiziellem Weg viele Eintrittskarten erwerben konnte (siehe auch Feddersen et al., 2005). Eine Ausnahme waren die „Follow Your Team“-Karten, die den kleinen erhöhten Balken bei der Anzahl von sieben Eintrittskarten im folgenden Diagramm erklären könnten. Insgesamt gaben 11,6 % der Befragten an, dass Sie im Besitz von „Follow Your Team“-Karten waren, was die Abbildung 4.5 allerdings nicht belegt. Differenziert nach der Herkunft der WM-Besucher zeigt der Mann-Whitney-U-Test hochsignifikante Ergebnisse darin, dass Fernreisende (n=833) häufiger mehrere Eintrittskarten gekauft haben als Inländer (n=1.991), Besucher aus „Europa fern“ (n=252) und „Europa teuer“ (n=745). Die Besucher aus „Europa teuer“ haben durchschnittlich genauso viele Eintrittskarten gekauft wie die Inländer. Schließlich haben die Besucher aus Nationen „Europa fern“ signifikant weniger Eintrittskarten erstanden als alle anderen Gruppen.
4.2
Reise- und Konsummuster
143
in %
50 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
mehr
Anzahl Tickets
Abb. 4.5: Anzahl der Eintrittskarten pro Person (n=4.290)
Typ 3
Typ 2 25
Typ 4
in %
20
15
10
5
>1 00 0
10 00
55 0
55 1-
40 0
24 9
40 1-
25 0-
19 9
20 0-
14 9
9
4
9
4
11 9
15 0-
12 0-
10 0-
75 -9
60 -7
45 -5
35 -4
<3 5
0
in Euro
Abb. 4.6: Ausgaben für Eintrittskarten bei Kauf einer Eintrittskarte ohne VIP-Karten (n=1.515)
Ergebnisse der empirischen Erhebung
144
13,3 % derjenigen Besucher, die nur eine Eintrittskarte besaßen, haben dafür nichts bezahlt. Weitere 3,9 % haben weniger bezahlt, als die billigste Eintrittskarte offiziell gekostet hat. Diese beiden Gruppen bilden den Typ 1. Die Verteilung in Abbildung 4.6 zeigt, dass die Mehrzahl der Eintrittskarten bis zu 119 € gekostet hat. Dies betrifft die Spiele der Vorrunde sowie die Kategorien B, C und D der Achtelfinals, Kategorien C und D der Viertelfinals und Kategorie D der Halbfinals. Daher fiel die Mehrzahl der Eintrittkartenpreise in den Bereich unter 120 € und bildet somit den Typ 2. Typ 3 bilden diejenigen, die ihre Eintrittskarte auf dem Schwarzmarkt erstanden haben oder eine teurere Eintrittskarte gekauft haben. Die Preise lagen zwischen 120 € für das Achtelfinale Kategorie A und 400 € für das Halbfinale Kategorie A. Alle Preise über 400 € (Typ 4) sind wahrscheinlich für Eintrittskarten auf dem Schwarzmarkt bezahlt worden, denn lediglich die Finalkarten der Kategorie A kosteten 600 €. Allerdings wurde während des Finales nicht befragt und alle, die genau eine Eintrittskarte hatten und befragt wurden, können daher keine Finalkarte besessen haben. Eine Ausnahme bilden Befragte, die auf dem Public Viewing getroffen wurden und genau eine Finalkarte besaßen, was sicherlich eher die Ausnahme war. Typ 4 machen unter den Besuchern, die nur eine Eintrittskarte hatten, mindestens 8,8 % aus.
14
in %
12 10 8 6 4 2
<3 5 35 -4 4 45 -5 4 55 -6 4 65 -7 4 75 1 0 -9 9 01 12 19 01 14 39 015 16 9 01 18 79 019 20 9 02 25 49 02 30 99 03 35 49 039 40 9 04 45 49 049 50 9 07 75 49 0 10 -99 00 9 15 149 00 9 -1 99 >2 9 00 0
0 in Euro
Abb. 4.7: Ausgaben für Eintrittskarten pro Person (n=3.638)
4.2
Reise- und Konsummuster
145
Auf die Frage, ob die Befragten ihre Ausgaben für Eintrittskarten grob oder genau angegeben haben, antworteten 60,8 %, dass ihre Angaben exakt seien. In Abbildung 4.7 ist es schwer, die in Abbildung 4.6 definierten vier Typen zuzuordnen, da unterschiedlich viele Eintrittskarten aus verschiedenen Kategorien (A-D) gekauft wurden. Differenziert man die Ausgaben für Eintrittskarten allerdings nach Herkunft der Besucher und dividiert die Ausgaben durch die Anzahl der Tage, die eine Person wegen der Fußball-WM in Deutschland verbracht hat, so zeigt der Mann-Whitney-U-Test, dass die Inländer im Vergleich zu allen anderen Gruppen – verständlicherweise – am meisten für Eintrittskarten pro WM-Tag ausgegeben haben, gefolgt von Besuchern aus „Europa teuer“. Die Fernreisenden, die die längsten Aufenthalte unter allen Besuchern hatten, gaben am wenigsten für Einrittskarten pro WM-Tag aus, während sie in absoluten Zahlen am meisten ausgaben. 4.2.2.3 Detailanalyse der Ausgaben für Gastronomie Die Besucher der Fußball-WM wurden danach befragt, was sie an diesem Tag (Befragungstag) für „Gastronomie“ ausgeben. Diese Frage wurde nur auf den aktuellen Befragungstag bezogen, da die Schätzung/Kalkulation dieser Ausgaben über einen längeren Zeitraum sehr schwer und damit wahrscheinlich spekulativ gewesen wäre. Abbildung 4.8 zeigt die Verteilung der Ausgaben aller befragten Besucher und macht noch einmal deutlich, dass diese ihre Ausgaben relativ grob geschätzt haben, da sehr häufig runde Summen angegeben wurden. Dies bestätigt auch die Einschätzung von lediglich 40,7 % der Befragten, die sich in der Lage fühlten diese Angabe genau zu machen. Abbildung 4.8 zeigt, dass die Public-Viewing-Besucher in fast allen Kategorien weniger für die Gastronomie ausgegeben haben als die Stadionbesucher – außer denen, die für weniger als 10 € oder mehr als 100 € konsumiert haben. Dieses Ergebnis kann allerdings durch ein Ungleichgewicht von Besuchern verschiedener Ländergruppen im Public Viewing und im Stadion bedingt sein. Daher wurde der Mann-Whitney-U-Test für jede Ländergruppe einzeln durchgeführt. Dieser zeigt ebenfalls signifikante Unterschiede zwischen Stadion- und Public-Viewing-Besuchern im gastronomischen Konsum in den Gruppen der Inländer (z=-5,66; p<0,001) und der Fernreisenden (z=-2,92; p<0,004). In beiden Gruppen haben die Stadionbesucher mehr konsumiert. Die Verteilung in Abbildung 4.8 lässt drei Typen erkennen: Typ 1 bilden wieder diejenigen, die nichts ausgegeben haben. Dies ist für die Konsumkategorie „Gastronomie“ allerdings lediglich ein über die Ländergruppen gewichteter Anteil von 5,4 % der gesamten WM-Besucher. Typ 2 bilden die Besucher, die bis zu 30 € ausgegeben haben. Hierunter fallen Besucher, die relativ wenig konsumiert haben und z. B. lediglich etwas Fast Food und Getränke gekauft haben.
Ergebnisse der empirischen Erhebung
146
Typ 3 bilden die Besucher, die über 30 € ausgegeben haben. Die Abbildung zeigt einen Peak bei 41 - 50 €, was mit dem hohen Anteil derer zu tun haben könnte, die ihren Konsum grob geschätzt und mit glatten Beträgen angegeben haben. Ein Teil dieser Gruppe geht wahrscheinlich am Spieltag in ein Restaurant, wobei auch der starke Konsum alkoholischer Getränke leicht zu Ausgaben über 30 € führen kann. Typ 2
Typ 3
in %
30
Public Viewing Stadion
25 20 15 10 5
>1 00
51 -1 00
41 -5 0
31 -4 0
-3 0 21
. -2 0 11
<1 0
0
in Euro
Abb. 4.8: Ausgaben für Gastronomie pro Tag und pro Person Des Weiteren lassen sich Unterschiede zwischen den verschiedenen Ländergruppen erkennen. Abbildung 4.9 zeigt, dass die Stadionbesucher verschiedener Länder in der Gastronomie unterschiedlich konsumieren. Lediglich zwischen den Besuchern „Europa fern“ und den Fernreisenden ist statistisch kein Unterschied festzustellen (z=-1,05; p<0,293).
4.2
Reise- und Konsummuster
147
Typ 2
Typ 3
in %
35
Deutschland Europa fern Fernreisende Europa teuer
30 25 20 15 10 5
00 >1
00 -1 51
0 41 -5
-4 0 31
-3 0 21
0. -2 10
<1
0
0
in Euro
Abb. 4.9: Ausgaben für Gastronomie pro Tag und pro Person für Stadionbesucher nach Ländergruppen
4.2.2.4 Detailanalyse der Ausgaben für Shopping In Verbindung mit der WM-Reise gingen viele Besucher auch einkaufen. Laut einer Studie von AIESEC bewerteten die WM-Besucher die Shoppingmöglichkeiten in den zwölf WM-Städten insgesamt als gut. Dabei erhielten Stuttgart signifikant bessere, Kaiserslautern und Dortmund schlechtere Noten als die anderen Städte (AIESEC, 2006). Für diese Studie wurden die Gesamtausgaben beim Shopping während des Aufenthalts in Deutschland abgefragt. Dabei gaben 45,8 % der Stadionbesucher und 50,9 % der PublicViewing-Besucher an, dass ihre Angaben genau gewesen seien. Die Abbildung 4.10 zeigt Unterschiede bei den durchschnittlichen Ausgaben für Einkäufe. Es fällt zunächst auf, dass die überwiegende Zahl der Public-Viewing-Besucher wenig ausgegeben hat. Damit im Vergleich der Besucher der Public Viewings und der Stadionbesucher die Ungleichgewichtung durch unterschiedlich stark befragte Ländergruppen nicht zum Tragen kommt, wurde der Mann-Whitney-U-Test auch hier für jede Ländergruppe einzeln durchgeführt. Dieser zeigt signifikante Unterschiede zwischen Stadion-
Ergebnisse der empirischen Erhebung
148
und Public-Viewing-Besuchern im Shopping in den Gruppen „Europa“ (z=-2,28; p<0,05) und „Fernreisende“ (z=-2,62; p<0,01). In beiden Gruppen haben die Stadionbesucher mehr eingekauft als die Public-Viewing-Besucher. Bei den „Inländern“ und „Europa teuer“ sind keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Veranstaltungen festzustellen. Typ 2
Typ 3
in %
30
Public Viewing Stadion
25 20 15 10 5
00 >5
20 150 0
15 020 0
10 115 0
51 -1 00
25 -5 0
<2 5
0
in Euro
Abb. 4.10: Ausgaben für Shopping pro Tag und pro Person für Stadionbesucher und Public-Viewing-Besucher Die Verteilung in Abbildung 4.10 lässt drei Typen erkennen: Typ 1 bilden wieder diejenigen, die nichts ausgegeben haben. Dies ist für die Konsumkategorie Shopping ein Anteil von 58,3 % der gesamten WM-Besucher. Typ 2 bilden die Besucher, die bis zu 100 €/Tag ausgegeben haben. Dies ist die Mehrzahl der Besucher. Typ 3 bilden die wenigen Besucher, die über 100 €/Tag ausgegeben haben, wobei die Abbildung zeigt, dass viele zwischen 200 und 500 €/Tag ausgegeben haben.
4.2
Reise- und Konsummuster
149
Auch hier können wieder signifikante Unterschiede zwischen den verschiedenen Ländergruppen nachgewiesen werden.
Typ 2
Typ 3
in %
35
Inländer Europa Europa teuer Fernreisende
30 25 20 15 10 5
>5 00
20 150 0
15 120 0
10 115 0
51 -1 00
25 -5 0
<2 5
0
in Euro
Abb. 4.11: Ausgaben für Shopping pro Tag und pro Person für Stadionbesucher nach Ländergruppen In allen Ländergruppen wurden überwiegend bis zu 100 €/Tag und Person ausgegeben, wobei die Besucher aus „Europa teuer“ und die Fernreisenden mehr ausgegeben haben als die Inländer und sonstigen Europäer. Der Mann-Withney-U-Test bestätigt für alle Gruppen untereinander hochsignifikante Unterschiede (p<0,01) mit Ausnahme der Gruppen Inländer und „Europa“.
4.2.2.5 Detailanalyse der Ausgaben für Unterkunft Die Verteilung der Spielorte über ganz Deutschland ermöglichte die Nutzung fast der gesamten touristischen Beherbergungsinfrastruktur Deutschlands. Daher standen ausreichend Kapazitäten aller Preisklassen zur Verfügung. Dennoch konzentrierte sich die
Ergebnisse der empirischen Erhebung
150
Beherbergung der Ausländer vor allem auf die Spielorte, da in diesen viele der vom Organisationskomitee organisierten Unterkünfte lagen (OK, o. D.). in %
80
4-5 Sterne 1-3 Sterne Pension Camping
70 60 50 40 30 20 10
50 110 00
30 150 0
25 130 0
20 125 0
15 120 0
10 015 0
50 -9 9
<5 0
0 in Euro
Abb. 4.12: Ausgaben für Übernachtungen pro Tag und pro Person nach Unterkunftsart Die Ausgaben für eine Unterkunft pro Tag und Person sind verständlicherweise abhängig von den unterschiedenen Unterkunftsarten (Kapitel 4.2.1.2). Allerdings zeigt die Verteilung einige nicht sofort einleuchtende Besonderheiten. So gibt es eine große Anzahl von Nennungen mit Ausgaben für Hotels aus dem 4-/5-Sterne-Segment unter 50 € oder für andere Unterkunftsarten sogar unter 20 €. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass die Unterkunft im Grunde umsonst war (z. B. von einem Sponsor oder Familienmitglied übernommen), dann aber Hotelnebenkosten (z. B. Telefon, Essen, Bar, Minibar etc.) angegeben wurden. Eine andere Besonderheit ist, dass eine große Anzahl von WM-Besuchern unter 100 € für 4-/5-Sterne-Hotels ausgegeben hat. Dies kann damit zusammenhängen, dass die Ausgaben der Übernachtung pro Tag abgefragt wurden und außerdem die Anzahl der Personen im Zimmer angegeben werden sollte. Damit wurde für diese Berechnungen der Zimmerpreis bei Belegung mit zwei Personen durch zwei dividiert, was zu Preisen unter 100 € führen kann. Tabelle 4.48 zeigt, was im Jahr 2006 Hotelzimmer in den WM-Städten im 3- bis 5-Sterne– Segment kosteten:
4.2
Reise- und Konsummuster
151
Tab. 4.48: Durchschnittliche Preise für 3- bis 5-Sterne-Hotels (Zimmer) in WM-Städten im Vergleich zum Vorjahr (Quelle: HotelBenchmarkTM-Studie von Deloitte & Touche (2007)) 2006 (in €) München Frankfurt Hamburg Berlin Köln Stuttgart Hannover Nürnberg Leipzig Kaiserslautern Gelsenkirchen Dortmund
110 109 100 97 95 93 92 89 63 n. v. n. v. n. v.
Veränderung zum Vorjahr 2005 + 10,1 % + 7,3 % + 11,8 % + 13 % + 9,8 % + 10,5 % + 1,7 % + 10,7 % + 9,2 % n. v. n. v. n. v.
n. v. = nicht veröffentlicht
Im Durchschnitt lagen die Preise für Hotelzimmer in Deutschland zwischen Januar und Oktober für 5-Sterne-Hotels bei 134 €, für 4-Sterne-Hotels bei 77 € und für 1- bis 3Sterne-Hotels bei 57 € (Deloitte & Touche, 2007). Diese Dimensionen stimmen in etwa mit denen der obigen Abbildung überein. Einige der angegebenen Ausgaben sind allerdings wesentlich höher als diese Durchschnittswerte. Dies lässt sich z. T. durch die Varianz der Hotelpreise in einem bestimmten Sterne-Segment erklären, z. T. aber auch über die Belegung von Suiten mit unterschiedlich vielen Personen und/oder die Berücksichtigung der Hotelnebenkosten in der abgefragten Ausgabenkategorie. Einige extrem hohe Angaben müssen jedoch als Ausreißer bewertet werden und sind in die späteren Modellberechnungen (Kapitel 5) deshalb nicht einbezogen worden. 4.2.2.6 Detailanalyse der Ausgaben für die tägliche Anreise Die Anreiseausgaben wurden nur für den Tag, an dem die Befragung durchgeführt wurde, erhoben. Damit die Reiseausgaben vom Heimatort zur WM-Unterkunft ausgeschlossen werden können, wurden nur Angaben von Besuchern berücksichtigt, die bereits länger als einen Tag in Deutschland waren und mindestens einen weiteren Tag in Deutschland blieben. Damit wurden auch die Tagestouristen mit durchaus hohen Anreiseausgaben ausgeschlossen.
Ergebnisse der empirischen Erhebung
152
Typ 2 in %
40
Typ 3 Public Viewing Stadion
35 30 25 20 15 10 5
>1 09
10 010 9
90 -9 9
80 -8 9
70 -7 9
60 -6 9
50 -5 9
40 -4 9
30 -3 9
20 -2 9
10 -1 9.
<1 0
0
in Euro
Abb. 4.13: Ausgaben für die „heutige Anreise“ von Besuchern, die von ihrer WM-Unterkunft anreisen Das Ergebnis in der Abbildung ist nicht überraschend. Bereits bei den Reisemustern wurde gezeigt, dass die Anreise zu den Stadien durchschnittlich weiter (und damit teurer) war als die zu den Public Viewings. Dies hängt zum einen eng mit dem Spielsystem zusammen, nach dem die Mannschaften auch in der Vorrunde den Standort wechselten und das damit die Fans unter den WM-Besuchern zwang, hinter ihrer Mannschaft her zu reisen, zum anderen mit dem System der Eintrittskartenvergabe, nach dem die Eintrittskarten zum Teil verlost wurden. Andere Auswertungen, z. B. eine Differenzierung nach Ländergruppen, ergeben nach dem Mann-Whitney-U-Test einige signifikante Unterschiede. Danach geben die Inländer weniger aus als die Fernreisenden (z=-3,064; p<0,01). Dies lässt sich dadurch erklären, dass wohl doch viele Inländer Eintrittskarten für Austragungsorte gekauft haben, die in der Nähe ihres Wohnortes liegen, während ausländische Besucher wahrscheinlich öfter hinter ihrer Mannschaft her gereist sind. Die Verteilung in der obigen Abbildung lässt wiederum drei Typen erkennen:
4.3
Varianz der Reise- und Konsummuster
153
Typ 1 bilden wieder diejenigen, die nichts für die Anreise ausgegeben haben (49,1 %). Dies sind zahlreiche Besucher, da in den Eintrittskarten eine kostenlose Anreise mit dem ÖPNV eingeschlossen war. Typ 2 bilden die Besucher, die unter 30 € ausgegeben haben. Dies ist die Mehrzahl der Besucher. Typ 3 bilden die wenigen Besucher, die 30 € und mehr ausgegeben haben.
4.3
Varianz der Reise- und Konsummuster
Ein zentrales Ergebnis der Detailanalyse ist, dass die Konsummuster von WM-Besuchern verschiedener Ländergruppen signifikante Unterschiede aufweisen können. In den folgenden Abschnitten soll versucht werden, mit Hilfe der Inferenzstatistik die wesentlichen Bestimmungsfaktoren zu identifizieren, um schließlich möglichst formalisierte Konsummuster zu bestimmen. Kennt man die das Konsum- und Reisemuster beeinflussenden Faktoren, so lassen sich die zu erwartenden Muster bei zukünftigen Sportgroßveranstaltungen besser vorhersagen. Methodisch wird hier aufgrund der häufig fehlenden Normalverteilung der abhängigen Variablen auf Korrelationsberechnungen nach Kendall´s tau b zurückgegriffen. Dieser ist im Unterschied zum Korrelationskoeffizienten nach Spearman weniger anfällig für Extremwerte (Bühl & Zöfel, 1998, S. 311). Im Weiteren gelten die Hypothesen dann als bestätigt, wenn der Korrelationswert über r=0,1 liegt und der Zusammenhang signifikant ist.
4.3.1
Bestimmungsfaktoren
Soziodemographische Faktoren, die die Stichprobe beschreiben, wurden bereits in Abschnitt 4.1 vorgestellt. Hier soll nun ihr Einfluss auf die Konsummuster der Fußball-WMBesucher ermittelt werden. Die Hypothese bezüglich des Alters lautet: Je älter der WM-Tourist ist, desto höher sind die Konsumausgaben. In Bezug auf das Alter als Einflussfaktor für das Konsummuster sind zwar signifikante Zusammenhänge festzustellen, doch haben diese alle einen geringeren Korrelationskoeffizienten als 0,2 und sind daher sehr schwach. Da der Zusammenhang allerdings signifikant ist, bestätigt sich der Zusammenhang, dass mit steigendem Alter tatsächlich mehr ausgegeben wurde. Der höchste – wenngleich relativ schwach ausgeprägte – Zusammenhang zeigt sich in der Korrelation zwischen Alter und Übernachtungsausgaben von Public-Viewing- und Stadi-
Ergebnisse der empirischen Erhebung
154
onbesuchern. Zudem findet sich ein ebenfalls schwacher Zusammenhang bei den Ausgaben der Public-Viewing-Besucher für Gastronomie. Tab. 4.49: Konsummuster in Abhängigkeit vom Alter
Übernachtung Fanartikel Tägliche Reisekosten Gastronomie Shopping Eintrittskarten
Public Viewing Tau b sig. 0,12 ** 0,00 0,03 0,08 0,02 0,12 0,11 ** 0,00 0,02 0,30 0,06 ** 0,00
N 1.207 2.430 3.040 2.841 2.549 2.715
Tau b 0,11 ** -0,02 -0,02 0,07 ** -0,03 ** 0,07 **
Stadion sig. 0,00 0,12 0,17 0,00 0,01 0,00
n 1.881 3.409 4.035 3.756 3.713 3.067
* signifikante Korrelation auf dem Niveau p<0,05 ** hochsignifikante Korrelation auf dem Niveau p<0,01
Derselbe grundsätzliche Zusammenhang gilt auch für die Ausländer, wobei hier aufgrund der Fallzahl lediglich die Besucher aus England und der Schweiz untersucht wurden. Damit kann die Hypothese bestätigt werden. Bezüglich des Einkommens lautet die Hypothese: Je größer das Einkommen des WMBesuchers, desto höher die Konsumausgaben. Bezüglich des Einkommens ist nur eine sehr schwache Korrelation festzustellen. Allerdings besteht für die meisten Kategorien ein signifikanter positiver Zusammenhang zwischen dem Einkommen und der Konsumkategorie. Tab. 4.50: Konsummuster in Abhängigkeit vom Einkommen
Übernachtung Fanartikel Tägliche Reisekosten Gastronomie Shopping Eintrittskarten
Public Viewing Tau b sig. 0,18** 0,00 0,00 0,78 0,11** 0,00 0,24** 0,00 0,07** 0,00 0,10** 0,00
n 971 1.943 2.427 2.249 2.040 2.194
Tau b 0,19** 0,03* 0,04** 0,20** 0,07** 0,07**
Stadion sig. 0,00 0,02 0,00 0,00 0,00 0,00
n 1.788 3.147 3.715 3.474 3.419 2.841
* signifikante Korrelation auf dem Niveau p<0,05 ** hochsignifikante Korrelation auf dem Niveau p<0,01
Das Einkommen wurde durch eine direkte Frage erhoben. Der Zusammenhang zwischen Konsum und Einkommen erscheint zunächst trivial. Die Ergebnisse des Korrelationstests zeigen allerdings einen relativ schwachen Zusammenhang. Zudem variieren die Ergeb-
4.3
Varianz der Reise- und Konsummuster
155
nisse stark nach der Konsumkategorie, wobei das Einkommen vor allem die Ausgaben für Gastronomie und Übernachtung beeinflusst. Dieser Zusammenhang gilt ebenfalls für ausländische Besucher, z. B. für die Australier, Engländer und Schweizer. Bei den Schweizer Stadionbesuchern gibt es einen Zusammenhang, der größer r=0,2 ist und besagt, dass mit steigendem Einkommen mehr für die Unterkunft ausgegeben wird (Kendall-tau-b; r=0,27; p< 0,01). Damit kann die Hypothese bestätigt werden. Bezüglich des Geschlechts könnte vermutet werden, dass Männer mehr ausgeben als Frauen. Geschlecht und Konsumverhalten zeigen jedoch ebenfalls nur schwache Zusammenhänge. Die Tabelle 4.51 zeigt, dass die Unterschiede zwar signifikant sind, der Z-Wert allerdings sehr niedrig ist. Lediglich bei den Ausgaben für die Gastronomie treten stärkere Unterschiede auf, die hier einen erhöhten Konsum (vermutlich von alkoholischen Getränken) bei den Männern belegen. Zudem besteht ein schwacher Zusammenhang von Übernachtungsausgaben und Geschlecht, wobei Männer die höheren Ausgaben tätigen. Tab. 4.51: Ausgaben in €/Tag nach Geschlecht
Übernachtung Fanartikel Tägliche Reisekosten Gastronomie Shopping Eintrittskarten
Z-Wert 2,02** 0,96 2,88** 6,61** 1,56* 2,31**
Public Viewing sig. 0,00 0,31 0,00 0,00 0,02 0,00
n 1.194 2.397 3.003 2.809 2.519 2.681
Z-Wert 1,83** 1,06 1,45* 3,81** 1,12 1,55*
Stadion sig. 0,00 0,21 0,03 0,00 0,16 0,02
n 1.858 3.349 3.987 3.718 3.646 3.027
* signifikanter Unterschied, Kolmogorov-Smirnov-Z; p<0,05 ** signifikanter Unterschied, Kolmogorov-Smirnov-Z; p<0,01
Differenziert man die Konsumausgaben nach Ausländergruppen, was hier speziell für die Gruppen der Australier, Engländer und Schweizer getestet wurde, so sind im Unterschied zu den Inländern ebenfalls kaum signifikante geschlechtsspezifische Unterschiede in den Ausgaben der Besucher zu finden. Lediglich bei den Engländern (Public Viewing) zeigte sich ein signifikanter Unterschied darin, dass die Männer mehr für die Gastronomie ausgaben als die Frauen. Bei den Schweizern (Stadionbesucher) gaben die Männer lediglich mehr für die Unterkunft aus. Das Konsumverhalten wird aber auch durch die Begleitpersonen beeinflusst. Da das Geschlecht einen Einfluss auf das Konsumverhalten hat, unterscheidet sich das Konsumverhalten auch in den jeweiligen Gruppenzusammensetzungen. Es zeigt sich, dass nur in der Konstellation, bei der der Partner bzw. die Familie die Fußball-WM mitbesucht, die Frauen im Durchschnitt mehr ausgeben als die Männer. Ansonsten liegt der Konsum bei
Ergebnisse der empirischen Erhebung
156
den Männern in allen Gruppenzusammensetzungen höher als bei den Frauen. Die höchsten Ausgaben wurden getätigt, wenn die Befragten ein WM-Spiel mit Freunden besuchten. Es folgen die Familie und dann mit deutlichem Abstand die Arbeitskollegen und schließlich der alleinige Besuch. Tab. 4.52: Ausgabeverhalten von Inländern in €/Tag nach Begleitpersonen
Keine Begleitperson Partner/Familie Freunde Arbeitskollegen
Public Viewing männlich weiblich 6,2 4,7 22,9 40,3 75,5 67,8 7,7 7,6
sig. 0,03* 0,00** 0,00** 0,52
männlich 5,70 32,9 62,1 5,5
Stadion weiblich 2,8 61,7 45,1 4,9
sig. 0,00** 0,00** 0,00** 0,23
* signifikanter Unterschied zwischen Public–Viewing- und Stadionbesuchern, chi²; p<0,05 ** signifikanter Unterschied zwischen Public-Viewing- und Stadionbesuchern, chi²; p<0,01
Damit kann die Hypothese bestätigt werden, dass das Geschlecht einen Einfluss auf das Konsumverhalten der WM-Besucher hatte. Bezüglich der Bildung kann folgender Zusammenhang vermutet werden: Je gebildeter ein Besucher ist, desto mehr gibt er aus. Diese Hypothese liegt nahe, weil formal besser gebildete Personen im Durchschnitt über ein höheres Einkommen verfügen. Die Daten zeigen, dass das Bildungsniveau einen starken Einfluss auf den individuellen Konsum hat. Jedoch steigen die Konsumausgaben nicht mit zunehmender Bildung. Tab. 4.53: Mittelwertvergleich Konsummuster (Ausgaben pro Tag in €) mit dem Bildungsgrad nach Kruskal-Wallis (Public Viewing) Public Viewing ohne Hauptschul- Mittlere Abschluss abschluss Reife Übernachtung 86,46 120,76 107,25 Fanartikel 9,18 14,89 16,16 Tägl. Reisekosten 29,33 14,47 13,87 Gastronomie 26,59 35,70 31,53 Shopping 10,97 15,49 13,98 Eintrittskarten 11,66 12,94 22,23
(Fach-) Uni/FH Abitur Abschluss 86,46 129,50 14,48 11,85 14,39 20,09 30,33 36,89 18,63 15,65 19,28 23,10
Chi² 36,54** 6,72 3,50 25,83** 8,05 14,06*
sig. 0,00 0,15 0,48 0,00 0,09 0,01
* signifikanter Unterschied, Kruskal-Wallis; p<0,05 ** signifikanter Unterschied, Kruskal-Wallis; p<0,01
Die Elemente der Konsummuster zeigen teilweise einen Zusammenhang mit dem Bildungsgrad. Dabei sind die Zusammenhänge bei Besuchern des Public Viewing schwächer
4.3
Varianz der Reise- und Konsummuster
157
und weniger häufig als bei den Stadionbesuchern. Bei den Public Viewing-Besuchern sind die Konsumkategorien Fanartikel, tägliche Anreise und Shopping jeweils für eine Person und pro Tag nicht signifikant verschieden. Bei den Stadionbesuchern (Tab. 4.54) sind alle Mittelwerte der Konsumkategorien signifikant unterschiedlich voneinander. Tab. 4.54: Mittelwertvergleich Konsummuster (Ausgaben pro Tag in €) mit dem Bildungsgrad nach Kruskal Wallis (Stadion) Stadion ohne Hauptschul- Mittlere Abschluss abschluss Reife Übernachtung 418,67 304,65 322,68 Fanartikel 8,45 10,09 12,74 Tägl. Reisekosten 22,93 31,79 33,83 Gastronomie 59,27 44,40 37,59 Shopping 6,37 12,71 11,54 Eintrittskarten 59,57 57,38 80,80
(Fach-) Abitur 161,26 12,41 26,73 32,51 7,96 80,84
Uni/FH Abschluss 318,82 12,21 34,44 38,28 14,38 74,43
Chi² 12,27* 13,13* 14,48* 34,74** 34,46** 13,25*
sig. 0,02 0,01 0,01 0,00 0,00 0,01
* signifikanter Unterschied, Kruskal-Wallis; p<0,05 ** signifikanter Unterschied, Kruskal-Wallis; p<0,01
Tab. 4.55: Konsummuster in Abhängigkeit vom Bildungsgrad
Übernachtung Fanartikel Tägliche Reisekosten Gastronomie Shopping Eintrittskarten
Tau b 0,12** -0,04* 0,01 0,04** 0,04* 0,05**
Public Viewing sig. 0,00 0,02 0,69 0,00 0,04 0,00
N 1.045 2.170 2.719 2.530 2.281 2.430
Tau b 0,00 0,00 0,02 0,00 0,06** 0,01
Stadion sig. 0,93 0,79 0,09 0,83 0,00 0,69
N 1.760 3.210 3.782 3.526 3.490 2.875
* signifikante Korrelation auf dem Niveau p<0,05 ** hochsignifikante Korrelation auf dem Niveau p<0,01 Bildung wurde ordinal skaliert (ohne berufsbildende Schule)
4.3.2
Psychographische Bestimmungsfaktoren
Psychographische Faktoren, die die Stichprobe beschreiben, wurden bereits in Abschnitt 4.1 vorgestellt. Hier soll nun ihr Einfluss auf die Konsummuster der WM-Besucher beschrieben werden. Bezüglich der Attraktivität der Begegnung kann folgender Zusammenhang vermutet werden: Je größer die erwartete Attraktivität einer WM-Begegnung ist, desto höher wer-
Ergebnisse der empirischen Erhebung
158
den die Konsumausgaben sein. Diese Hypothese kann jedoch nicht bestätigt werden, da keine Konsumkategorie mit der Attraktivität der Begegnung eine signifikante Korrelation von über 0,1 aufweist. Auch wenn ein solcher Zusammenhang bei der Fußball-WM nicht nachzuweisen ist, so heißt dies nicht, dass dieser bei anderen Sportveranstaltungen nicht doch bestehen könnte. Hier ist anzunehmen, dass die Fußball-WM bereits eine so hoch geschätzte Veranstaltung ist, dass die Spielpaarung unabhängig von ihrer Attraktivität oder der Sportbindung des WM-Besuchers keinen Einfluss auf die Konsumlaune ausübte. Tab. 4.56: Konsummuster in Abhängigkeit von der Einschätzung der Attraktivität der Begegnung
Übernachtung Fanartikel Tägliche Reisekosten Gastronomie Shopping Eintrittskarten
Public Viewing Tau b sig. -0,04 0,10 0,03 0,15 0,07 ** 0,00 0,03 0,11 0,02 0,37 0,01 0,67
n 1.059 2.121 2.670 2.510 2.239 2.377
Tau b 0,05** 0,03* 0,04** 0,07 0,03* 0,00
Stadion sig. 0,01 0,04 0,00 0,00 0,03 0,84
n 1.715 3.090 3.657 3.426 3.363 2.785
* signifikante Korrelation auf dem Niveau p<0,05 ** hochsignifikante Korrelation auf dem Niveau p<0,01
Bezüglich des Grads der Fußballbindung kann folgender Zusammenhang vermutet werden: Je stärker die Bindung zum Fußball, desto höher die Konsumausgaben. Die Fußballbindung kann sehr unterschiedlich gemessen werden. Eine erste Operationalisierung der Bindung bezieht sich auf die eigene Aktivität im Fußball. Die Ergebnisse bestätigen diese Hypothese allerdings nur für Besucher der Public Viewings bezüglich der Konsumkategorie Gastronomie und Eintrittskarten für z. B. Museen, Diskos, Theater etc.. Tab. 4.57: Konsummuster in Abhängigkeit von aktiver Fußballbindung
Übernachtung Fanartikel Tägliche Reisekosten Gastronomie Shopping Eintrittskarten
Public Viewing Tau b sig. 0,04 0,11 -0,02 0,25 0,07 ** 0,00 0,17 ** 0,00 0,04 * 0,01 0,10 ** 0,00
n 1.204 2.418 3.036 2.840 2.546 2.701
* signifikante Korrelation auf dem Niveau p<0,05 ** hochsignifikante Korrelation auf dem Niveau p<0,01
Tau b 0,02 0,01 0,03* 0,09** 0,03 0,04**
Stadion sig. 0,26 0,48 0,04 0,00 0,07 0,00
n 1.898 3.426 4.069 3.795 3.725 3.077
4.3
Varianz der Reise- und Konsummuster
159
Die Sportbindung zu anderen Sportarten als Fußball hat keinen signifikanten Einfluss auf die Konsumaktivität. Die Hypothese bestätigt sich hier nicht. Tab. 4.58: Konsummuster in Abhängigkeit von aktiver sonstiger Sportbindung
Übernachtung Fanartikel Tägliche Reisekosten Gastronomie Shopping Eintrittskarten
Tau b 0,03 -0,02 0,02 0,04 * 0,04 * 0,01
Public Viewing sig. 0,12 0,25 0,29 0,01 0,01 0,58
n 1.190 2.381 2.979 2.793 2.504 2.659
Tau b 0,01 0,04 * -0,02 0,06 ** 0,02 0,02
Stadion sig. 0,59 0,01 0,19 0,00 0,14 0,15
n 1.874 3.356 3.993 3.728 3.651 3.021
* signifikante Korrelation auf dem Niveau p<0,05 ** hochsignifikante Korrelation auf dem Niveau p<0,01
Die Fußballbindung kann auch anhand des Interesses an den Spielen der höheren Ligen (der Nation des Befragten) gemessen werden. Auch bei dieser Operationalisierung der Fußballbindung zeigen sich ähnliche Ergebnisse wie zuvor. Die Hypothese, dass eine höhere Fußballbindung zu verstärktem Konsum führt, bestätigt sich nur für die Besucher des Public Viewing in der Konsumkategorie Gastronomie. Ansonsten muss die Hypothese verworfen werden. Tab. 4.59: Konsummuster in Abhängigkeit vom Interesse an den höheren Ligen im Heimatland
Übernachtung Fanartikel Tägliche Reisekosten Gastronomie Shopping Eintrittskarten
Public Viewing Tau b sig. 0,02 0,31 0,05** 0,00 0,06** 0,00 0,16** 0,00 0,02 0,28 0,09** 0,00
n 1.197 2.410 3.023 2.829 2.530 2.696
Tau b 0,02 0,05 ** 0,02 0,05 ** -0,06 ** 0,12 **
Stadion sig. 0,38 0,00 0,07 0,00 0,00 0,00
n 1.895 3.421 4.067 3.788 3.721 3.071
* signifikante Korrelation auf dem Niveau p<0,05 ** hochsignifikante Korrelation auf dem Niveau p<0,01
Eine weitere Operationalisierung der Fußballbindung kann z. B. auch über das Interesse an Spielen der unteren Fußballligen vorgenommen werden. Diese unterstellt eine noch stärkere Bindung, gemessen am passiven Fußballkonsum. Doch auch in dieser Form bestätigt sich die Hypothese nur für den Konsum in der Gastronomie bei Besuchern der Public Viewings.
Ergebnisse der empirischen Erhebung
160
Tab. 4.60: Konsummuster in Abhängigkeit vom Interesse an den unteren Ligen im Heimatland
Übernachtung Fanartikel Tägliche Reisekosten Gastronomie Shopping Eintrittskarten
Public Viewing Tau b sig. 0,02 0,26 0,03* 0,03 0,07** 0,00 0,15** 0,00 0,03 0,05 0,10** 0,00
n 1.197 2.403 3.014 2.825 2.526 2.682
Tau b -0,01 0,02 0,03 ** 0,06 ** 0,00 0,04 **
Stadion sig. 0,45 0,11 0,01 0,00 0,93 0,00
n 1.874 3.377 4.021 3.754 3.673 3.041
* signifikante Korrelation auf dem Niveau p<0,05 ** hochsignifikante Korrelation auf dem Niveau p<0,01
Die Fußballbindung kann aber auch am Interesse an internationalen Fußballturnieren gemessen werden. Wieder kommt es zu denselben Ergebnissen wie zuvor, allerdings findet sich nun auch bei den Stadionbesuchern erstmals eine sehr schwache Korrelation mit den Ausgaben in der Gastronomie. Tab. 4.61: Konsummuster in Abhängigkeit vom Interesse an internationalen Fußballturnieren
Übernachtung Fanartikel Tägliche Reisekosten Gastronomie Shopping Eintrittskarten
Public Viewing Tau b sig. 0,05* 0,05 0,06** 0,00 0,04** 0,01 0,13** 0,00 0,04** 0,01 0,07** 0,00
n 1.211 2.428 3.042 2.851 2.548 2.709
Tau b 0,05** 0,05** 0,05** 0,10** 0,02 0,06**
Stadion sig. 0,01 0,00 0,00 0,00 0,08 0,00
n 1.890 3.403 4.047 3.776 3.702 3.058
* signifikante Korrelation auf dem Niveau p<0,05 ** hochsignifikante Korrelation auf dem Niveau p<0,01
Schließlich wurde das Fußballinteresse noch speziell auf die Fußball-WM in Deutschland bezogen gemessen. Dazu musste angegeben werden, ob man versucht, möglichst viele Spiele während des Turniers zu sehen. Diese direkte Verbindung zu der Fußball-WM zeigt die meisten Zusammenhänge mit der Konsumaktivität. Neben dem bekannten Ergebnis des steigenden gastronomischen Konsums bei steigendem Interesse am Fußball (v. a. bei Besuchern des Public Viewing), wird für beide Gruppen erstmals auch ein Zusammenhang von Ausgaben für Fanartikel mit dem WM-Turnierinteresse statistisch bestätigt. Das mag daran liegen, dass sich aus Sicht des Besuchers der Kauf von Fanartikeln umso mehr lohnt, je länger er sich in Deutschland aufhält, weil er die erworbenen
4.3
Varianz der Reise- und Konsummuster
161
Artikel häufiger nutzen kann. Es zeigt sich bei Stadionbesuchern außerdem ein leichter Zusammenhang zwischen der Ausgabe für Eintrittskarten und dem Turnierinteresse. Tab. 4.62: Konsummuster in Abhängigkeit vom Wunsch „möglichst viele Spiele sehen“
Übernachtung Fanartikel Tägliche Reisekosten Gastronomie Shopping Eintrittskarten
Public Viewing Tau b sig. -0,01 0,68 0,10 ** 0,00 0,03 0,08 0,13 ** 0,00 0,04 * 0,02 0,05 ** 0,00
n 1.211 2.431 3.048 2.855 2.552 2.721
Tau b 0,01 0,11 ** 0,02 0,04 ** -0,01 0,11 **
Stadion sig. 0,76 0,00 0,09 0,00 0,48 0,00
n 1.901 3.434 4.083 3.808 3.732 3.088
* signifikante Korrelation auf dem Niveau p<0,05 ** hochsignifikante Korrelation auf dem Niveau p<0,01
Letztlich wurde zur Operationalisierung der Sportbindung ein eigener Index geschaffen, der die zuvor genannten Faktoren berücksichtigt. Dieser wurde durch die einfache Addition der sechs zuvor einzeln analysierten Items geschaffen, wobei alle Indeces mit dem gleichen Gewicht einbezogen wurden. Allerdings ist auch hier kein anderes Ergebnis festzustellen. Lediglich zwei Konsumkategorien stehen in einem statistisch messbaren Zusammenhang mit der Sportbindung. Dies sind bei Public-Viewing-Besuchern nur die positiv korrelierten Ausgaben in der Gastronomie und die für Eintrittskarten. Tab. 4.63: Konsummuster in Abhängigkeit vom Index Sportbindung
Übernachtung Fanartikel Tägliche Reisekosten Gastronomie Shopping Eintrittskarten
Public Viewing Tau b sig. 0,02 0,24 0,05** 0,00 0,08** 0,00 0,18** 0,00 0,05** 0,00 0,10** 0,00
n 1.229 2.465 3.096 2.891 2.589 2.756
Tau b 0,01 0,07** 0,04** 0,09** 0,02 0,08**
Stadion sig. 0,73 0,00 0,00 0,00 0,08 0,00
n 1.940 3.513 4.170 3.878 3.819 3.147
* signifikante Korrelation auf dem Niveau p<0,05 ** hochsignifikante Korrelation auf dem Niveau p<0,01
Bezüglich der Fußballbindung muss die Hypothese, dass der Konsum mit steigendem Interesse am Fußball steigt, weitgehend verworfen werden. Lediglich bezüglich der gastronomischen Ausgaben kann dies bestätigt werden, was wahrscheinlich mit der „Feierkultur von Fußballfans“ zusammenhängt, die desto stärker ausgeprägt ist, je mehr sich der WMBesucher für den Sport interessiert.
Ergebnisse der empirischen Erhebung
162
4.3.3
Herkunftsland der Besucher als Bestimmungsfaktor
Im Folgenden wird von der Hypothese ausgegangen: Je weiter entfernt das Herkunftsland von Deutschland, desto höher die Konsumausgaben. Hintergrund dieser Hypothese ist das „Kostenfiltertheorem“. Es geht davon aus, dass 1. die WM-Besucher im Durchschnitt umso mehr ausgeben, je reicher sie sind. Dieser Zusammenhang wurde oben bereits belegt; 2. die Anzahl ärmerer Besucher abnimmt, je höher die Reisekosten sind. Diese Kosten wirken wie ein Filter, der dafür sorgt, dass bestimmte soziale Schichten die Fußball-WM nicht mehr ohne subjektiv höchste finanzielle Anstrengungen besuchen können. Die Grenzkosten steigen überproportional, je geringer das verfügbare Einkommen ist; 3. die Höhe der Reisekosten zwar unabhängig von der exakten Entfernung vom Wohnort nach Deutschland ist, allerdings einer ordinalen Rangordnung folgt. Eine gewisse Evidenz dieser Hypothese konnte bereits mittels der soziodemographischen Eigenschaften der WM-Besucher aus verschiedenen Ländern nachgewiesen werden. Für die weiteren Berechnungen wurde die folgende ordinal skalierte Entfernungsvariable geschaffen: a.
aus Deutschland (0) = sehr billige Anreise möglich;
b.
aus Nachbarländern Deutschlands (1) = Anreise per Auto und Reisebus einfach zu organisieren;
c.
aus entfernten europäischen Ländern (2) = Anreise überwiegend mit dem Flugzeug, wobei es zu den meisten Ländern bereits Verbindungen mit LowBudget-Airlines gibt. Allerdings muss dann i. d. R. übernachtet werden;
d.
aus nicht-europäischen Ländern (3) = Die Fernreisenden müssen per Flugzeug anreisen und auch übernachten.
Nahezu alle Teile der Konsummuster korrelieren positiv und hochsignifikant mit dieser Entfernungsvariablen. Tabelle 4.64 zeigt allerdings einige Ausnahmen. So stehen die Ausgaben für Fanartikel in keinem nennenswerten Zusammenhang mit der Entfernungsvariablen. Es verwundert nicht, dass die täglichen Reisekosten bei Stadionbesuchern unabhängig von der Entfernungsvariablen sind, denn auch die Fernreisenden werden sich am Tag des Spiels überwiegend in Deutschland aufgehalten haben. Bei den Besuchern der Public Viewings ist jedoch wieder ein Zusammenhang festzustellen, der sich wahrscheinlich mit der Anreise sehr vieler Fans aus den Nachbarstaaten erklären lässt (Tagestouristen), die extra für ein Spiel aus ihrem Heimatland in die WM-Stadt gereist sind, in der ihre Nationalmannschaft spielte (insbesondere Engländer und Niederländer).
4.3
Varianz der Reise- und Konsummuster
163
Tab. 4.64: Konsummuster in Abhängigkeit von der Entfernung von Deutschland
Übernachtung Fanartikel Tägliche Reisekosten Gastronomie Shopping Eintrittskarten
Public Viewing Tau b sig. 0,29 ** 0,00 -0,07 ** 0,00 0,16 ** 0,00 0,21 ** 0,00 0,18 ** 0,00 0,11 ** 0,00
n 1.154 2.367 2.941 2.763 2.482 2.636
Tau b 0,21 ** 0,01 0,01 0,19 ** 0,33 ** -0,21 **
Stadion sig. 0,00 0,56 0,53 0,00 0,00 0,00
n 1.796 3.296 3.889 3.645 3.599 2.979
* signifikante Korrelation auf dem Niveau p<0,05 ** hochsignifikante Korrelation auf dem Niveau p<0,01
Auffallend ist auch, dass die Korrelation zwischen den Ausgaben für Eintrittskarten (Stadionbesucher) und der Entfernungsvariablen bei den Stadionbesuchern zwar signifikant und relativ hoch, aber negativ ist. Dies liegt in der Berechnung der Variable Eintrittskartenausgaben begründet, die in Relation zur Anzahl der Aufenthaltstage (Eintrittsausgaben/Tag) ausgedrückt ist. Da Fernreisende durchschnittlich mehr Tage in Deutschland verweilen als die anderen Gruppen, haben sie relativ gesehen geringere Ausgaben für Eintrittskarten pro Tag. Eine weitere Hypothese, die mit dem Herkunftsland der Besucher zusammenhängt, lautet: Je höher die Kaufkraft im jeweiligen Herkunftsland, desto höher die Konsumausgaben. Die Kaufkraft der Bevölkerung eines Landes wird in der Regel durch das BIP pro Kopf berechnet. Dazu wird hier auf die Datengrundlage des CIA (2008) zurückgegriffen: Tab. 4.65: Konsummuster in Abhängigkeit vom BIP pro Kopf
Übernachtung Fanartikel Tägliche Reisekosten Gastronomie Shopping Eintrittskarten
Public Viewing Tau b sig. n -0,02 0,37 1.154 0,03 * 0,04 2.367 0,03 * 0,03 2.941 0,09 ** 0,00 2.763 0,02 0,20 2.482 0,01 0,75 2.636
Tau b 0,09 ** 0,05 ** 0,05 ** 0,11 ** 0,10 ** 0,02
Stadion sig. 0,00 0,00 0,00 0,00 0,00 0,13
n 1.796 3.295 3.888 3.644 3.598 2.978
* signifikante Korrelation auf dem Niveau p<0,05 ** hochsignifikante Korrelation auf dem Niveau p<0,01
Die Daten zeigen, dass es kaum nennenswerte Korrelationen gibt. Lediglich bei den Stadionbesuchern zeigen sich sehr schwache Werte im Bereich Shopping (0,10**) und Gastronomie (0.11**).
Ergebnisse der empirischen Erhebung
164
Eine weitere Hypothese bezüglich des Herkunftslandes bezieht sich auf die Inflationsrate: Je geringer die Inflationsrate im jeweiligen Herkunftsland, desto höher die Konsumausgaben. Auch hier werden wieder die Daten der Länderstatistik des CIA (2008) benutzt. Tab. 4.66: Konsummuster in Abhängigkeit von der Inflationsrate des Heimatlandes
Übernachtung Fanartikel Tägliche Reisekosten Gastronomie Shopping Eintrittskarten
Public Viewing Tau b sig. n -0,03 0,14 1.052 -0,01 0,43 2.220 -0,06 ** 0,00 2.779 -0,15 ** 0,00 2.612 -0,03 0,13 2.334 -0,04 * 0,01 2.482
Tau b 0,01 -0,02 -0,05 ** -0,10 ** -0,03 -0,08 **
Stadion sig. 0,72 0,29 0,00 0,00 0,06 0,00
n 1.677 3.145 3.733 3.499 3.452 2.836
* signifikante Korrelation auf dem Niveau p<0,05 ** hochsignifikante Korrelation auf dem Niveau p<0,01
Das Ergebnis widerlegt die Hypothese klar. Die Konsummuster erweisen sich als relativ unabhängig von der Inflationsrate des Heimatlandes. Eine letzte Hypothese bezüglich des Herkunftslandes könnte der Entwicklungsgrad sein. Dieser wird, wie allgemein üblich, anhand des Anteils des tertiären Sektors (Dienstleistungen) am BIP operationalisiert. Die Hypothese lautet: Je größer der Dienstleistungssektor des jeweiligen Herkunftslandes, desto höher die Konsumausgaben. Tab. 4.67: Konsummuster in Abhängigkeit vom Anteil der Dienstleistungen am BIP Konsumkategorie Übernachtung Fanartikel Tägliche Reisekosten Gastronomie Shopping Eintrittskarten
Public Viewing Tau b sig. n 0,15 ** 0,00 1.039 -0,05 * 0,01 2.203 0,13 ** 0,00 2.759 0,24 ** 0,00 2.592 0,11 ** 0,00 2.316 0,06 ** 0,00 2.460
Tau b 0,12 ** 0,02 0,03 0,23 ** 0,19 ** -0,07 **
Stadion sig. 0,00 0,22 0,05 0,00 0,00 0,00
n 1.615 3.058 3.643 3.408 3.367 2.755
* signifikante Korrelation auf dem Niveau p<0,05 ** hochsignifikante Korrelation auf dem Niveau p<0,01
Diese Hypothese kann für einige Teile des Konsummusters bestätigt werden. Einen erkennbaren Einfluss hat der Entwicklungsgrad auf die Ausgaben der Besucher in den Konsumkategorien Übernachtung, Shopping und Gastronomie, und zwar sowohl bei Besuchern des Public Viewing als auch bei den Stadionbesuchern. Allerdings sind alle Zusammenhänge sehr schwach.
4.3
Varianz der Reise- und Konsummuster
165
Die Bestimmungsfaktoren, die sich auf das Herkunftsland beziehen, sind insgesamt nicht stark ausgebildet. Allerdings kann festgehalten werden, dass die Entfernung sowie der Entwicklungsgrad eine gewisse Rolle spielen, weniger das BIP pro Kopf und die Inflationsrate. Wahrscheinlich besuchen eher die Personen die Fußball-WM, denen höhere Inflationsraten oder ein niedriges BIP/Kopf in ihrem Land wenig ausmacht, da sie so gut situiert sind, dass diese Indikatoren nicht mit ihrem persönlichen Wohlstand korrelieren.
4.3.4
Bestimmungsfaktor Besuchertypen
Eine wesentliche Differenzierungsvariable für die Konsummuster von WM-Besuchern ist die Unterscheidung der Besuchertypen. Zur Berechnung des Primärimpulses werden später nur die Teile der jeweiligen Konsummuster berücksichtigt, die gesamtwirtschaftlich wirksam werden. Damit ergibt sich eine unterschiedliche Bedeutung der Besuchertypen. Wenn z. B. die gesamten Konsumausgaben eines „WM-Touristen” berücksichtigt werden, aber für einen „Time Switcher” lediglich die Ausgaben für Merchandiseartikel und die Eintrittskarten, dann ergeben sich offensichtlich Unterschiede in der Höhe des für den Primärimpuls zu berücksichtigenden Konsums. Hier soll aber untersucht werden, inwiefern die unterschiedlich motivierten WM-Besucher unterschiedlich konsumieren. Dazu werden die WM-Besucher in vier Gruppen eingeteilt. Die Gruppierung erfolgt nach der Überlegung, dass der Aufwand, der betrieben wird, um ein WM-Spiel zu sehen, von Gruppe 1 bis zu Gruppe 4 zunimmt. Gruppe 4 hat danach die höchsten finanziellen Aufwendungen für den Besuch eines WM-Spiels und in Bezug auf nicht finanzielle Ressourcen auch die höchsten Opportunitätskosten auf sich genommen (siehe zur Gruppierung: Preuss, Seguin & O’Reilly, 2007, S. 17) -
Gruppe 1: Diese Gruppe umfasst die „Inländer”, die keine „Home Stayers” sind und ihren Urlaub auch nicht umgebucht haben („Umbucher“). Es sind also Personen, die in Deutschland wohnen und eines oder mehrere Spiele der Fußball-WM besuchen. Viele dieser Personen wären nicht zu einem WM-Spiel gefahren, wenn es nicht in Deutschland stattgefunden hätte. Außerdem haben die Besucher dieser Gruppe niedrige Kosten für den Besuch eines Spieles, da sie ja in Deutschland wohnen.
-
Gruppe 2: „Casuals” & „Time Switchers”. Diese Gruppe besteht aus WM-Besuchern, die sich in Deutschland befinden oder Deutschland zu einer anderen Zeit besuchen wollten. Deshalb ist anzunehmen, dass die Personen dieser Gruppe nicht vorrangig wegen der Fußball-WM nach Deutschland gekommen sind, sondern auch aus einem anderen Grund. Ihre Ausgaben für die Fußball-WM sind daher nicht sehr hoch, da die generellen Kosten (Unterkunft, Anreise etc.) auch ohne die WM angefallen wären. Wenn kein WM-Spiel besucht wird, werden sie Nicht-WM-Attraktionen und andere touristische Ziele besuchen.
-
Gruppe 3: Dies sind die Inländer, die wegen der Fußball-WM auf einen Auslandsurlaub verzichtet haben („Home Stayers“) und auch nicht planen, diesen zeitnah nachzuholen. Auch wenn ihre direkten Kosten zum Besuch der Fußball-WM nicht so
Ergebnisse der empirischen Erhebung
166
hoch sind, so haben sie relativ hohe Opportunitätskosten, denn diese Besucher haben auf ihren Urlaub verzichtet, um die WM-Spiele zu sehen. -
Gruppe 4: Dies sind die „WM-Touristen” und „Verlängerer”. Diese Besucher sind vorrangig wegen der Fußball-WM in Deutschland und haben die Reise nach Deutschland (bzw. die Verlängerung ihrer Reise) wegen der Fußball-WM durchgeführt. Dadurch haben sie WM-bedingt hohe Ausgaben, die sie auf sich nehmen (Unterkunft, Anreise etc.), was eine hohe Präferenz für die Fußball-WM ausdrückt.
Es wird davon ausgegangen, dass im Vergleich verschiedener Variablen zum Konsumund Reisemuster die unterschiedlich hohe Präferenz für die Fußball-WM sichtbar wird. Tab. 4.68: Konsummuster (Stadionbesucher) in Abhängigkeit von Besuchertypen Gruppe 1 Gruppe 2 Gruppe 3 Gruppe 4 Inländer „Casuals” & „Time ohne „Home Stayers” Switchers”
Aufwand (oder Opportunitätskosten) n= berücksichtigte Fälle (in %) Unterkunft pro Nacht und Person Fanartikel pro Person pro Tag Anreise für diesen Tag Gastronomie für diesen Tag Shopping pro Person und Tag Eintritt pro Person und Tag Während der WM sehe ich so viele Spiele wie möglich Besuch der WM mit Familie, Partner/in Aufenthaltsdauer in Tagen
niedrig
mittel
„Home Stayers”
„WMTourist” & „Verlängerer”
hoch
sehr hoch
Chi-²
sig.
1.669 42,3
828 21,0
291 7,4
1.160 29,4
88,51
255,83
107,97
398,66
13,20 21,72 26,91 7,00 90,69
10,01 44,05 48,41 15,37 55,52
19,82 29,06 34,09 8,65 96,72
10,25 39,29 50,60 18,08 58,09
4,42
4,31
4,67
4,30
36,4 0,00**
0,35
49,9 0,00**
0,45
0,33
0,38
2,46
10,77
4,46
117,4 0,00** 11,6 8,3 274,9 447,4 128,9
0,01* 0,04* 0,00** 0,00** 0,00**
11,23 1228,5 0,00**
* signifikante Unterschiede nach Kruskal-Wallis-Test auf dem Niveau p<0,05 ** hochsignifikante Unterschiede nach Kruskal-Wallis-Test auf dem Niveau p<0,01
Tabelle 4.68 zeigt für die meisten Variablen die erwarteten signifikanten Ergebnisse. Danach geben die „Home Stayers“ (Gruppe 3) jeweils mehr aus als die Inländer (Gruppe 1) und die „WM-Touristen“ (Gruppe 4) meistens mehr als die „Casuals“ & „Time Switchers“ (Gruppe 2). Dieses Ergebnis bestätigt auch eine Befragung der Besucher der Commonwealth Games in Manchester 2002 (Preuss, Seguin & O’Reilly, 2007, S. 18).
4.3
Varianz der Reise- und Konsummuster
167
Tab. 4.69: Konsummuster (Public-Viewing-Besucher) in Abhängigkeit vom Besuchertyp Gruppe 1 Gruppe 2 Gruppe 3 Gruppe 4 Inländer „Casuals” & „Time ohne „Home Stayers” Switchers”
Aufwand (oder Opportunitätskosten) n= In Prozent der berücksichtigten Fälle Unterkunft pro Nacht und Person Fanartikel pro Person und Tag Anreise für diesen Tag Gastronomie für diesen Tag Shopping pro Person pro Tag Eintritt pro Person und Tag Während der WM sehe ich so viele Spiele wie möglich Besuch der WM mit Familie, Partner/in Aufenthaltsdauer in Tagen
niedrig
mittel
„Home Stayers”
„WMTourist” & „Verlängerer”
hoch
sehr hoch
Chi-²
sig.
1518
714
187
698
48,7
22,9
6,0
22,4
31,47
145,44
36,79
135,71
110,60 0,00**
15,67
10,36
22,60
8,06
26,13 0,00**
9,12 23,60 16,68 18,39
20,93 47,43 17,24 17,32
7,42 28,88 10,66 26,21
34,95 51,12 12,98 22,63
138,72 0,00** 247,56 0,00** 99,73 0,00** 55,88 0,00**
4,29
4,23
4,58
4,34
24,28 0,00**
0,34
0,23
0,32
0,19
64,37 0,00**
1,94
9,40
2,92
8,39 1327,86 0,00**
* signifikante Unterschiede nach Kruskal-Wallis-Test auf dem Niveau p<0,05 ** hochsignifikante Unterschiede nach Kruskal-Wallis-Test auf dem Niveau p<0,01
Für Besucher des Public Viewing kann keine Variable gefunden werden, die über die vier Gruppen die ansteigende Bindung an die Fußball-WM zeigt. Allerdings zeigt diese Tabelle eindeutig, dass alle hier getesteten Variablen hochsignifikant in den unterschiedlichen Gruppen verschieden sind und die Variable „Besuchertyp“ eine wichtige Differenzierungsvariable ist.
4.3.5
Bestimmungsfaktor Reisemuster
Ein weiterer Bestimmungsfaktor für den Konsum kann auch durch das Reisemuster gegeben sein. Danach müsste der Konsum/Tag abnehmen, je länger der WM-Besucher sich in Deutschland aufhält.
Ergebnisse der empirischen Erhebung
168
Tab. 4.70: Konsummuster in Abhängigkeit von der Verweildauer in Tagen
Übernachtung Fanartikel Tägliche Reisekosten Gastronomie Shopping Eintrittskarten
Public Viewing Tau b sig. 0,16** 0,00 -0,17** 0,00 0,26** 0,00 0,20** 0,00 0,09** 0,00 0,07** 0,00
n 1.102 2.277 2.493 2.308 2.265 2.378
Tau b 0,12** -0,10** 0,21** 0,18** 0,16** -0,29**
Stadion sig. 0,00 0,00 0,00 0,00 0,00 0,00
n 1.797 3.144 3.201 2.925 3.154 3.033
* signifikante Korrelation auf dem Niveau p<0,05 ** hochsignifikante Korrelation auf dem Niveau p<0,01
Trotz intervallskalierter Variablen wurde der Zusammenhang hier nach Kendall-tau-b berechnet, da es sich bei den Konsumausgaben um nicht normalverteile Daten handelt. Tabelle 4.70 zeigt, dass die Zusammenhänge zwar alle hochsignifikant, aber nicht sehr stark sind. Da die meisten Vorzeichen der Korrelation positiv sind, zeigt dies obendrein, dass die Ausgaben mit zunehmender Aufenthaltsdauer ebenfalls zunehmen. Gut zu erklären sind die negativen Vorzeichen bei Stadionbesuchern. Fanartikel werden wahrscheinlich eher an einem Tag gekauft. Bei längerem Aufenthalt werden die Ausgaben daher geringer. Dasselbe gilt für Eintrittskarten: Da Tagesbesucher eine Karte nur für den einen Tag haben, werden Besucher, die länger in Deutschland sind, nicht für jeden Tag eine Karte erhalten haben. Auch die positive Korrelation mit Shopping ist gut zu erklären, denn je länger der Aufenthalt in Deutschland ist, desto mehr Zeit hat man durch Tage ohne Eintrittskarte und desto eher möchte man auch etwas aus dem Urlaubsland mitnehmen.
4.3.6
Bestimmungsfaktor Turnierplanung
In diesem Abschnitt gilt es zu überprüfen, ob der Zeitpunkt des Spielbeginns und/oder der Befragungszeitpunkt im Turnierverlauf einen Einfluss auf das Konsummuster der Besucher hatten. In Bezug auf den Spielbeginn kann die Hypothese aufgestellt werden: Je später das Spiel angepfiffen wird, desto höher werden die Konsumausgaben. Die Überlegung hinter dieser Hypothese ist, dass ein später Anpfiff Zeit lässt, sich vorher mit Freunden zu treffen, um z. B. Essen zu gehen. Die Korrelation des Spielbeginns mit den einzelnen Konsumausgaben zeigt keine Zusammenhänge, womit die Hypothese verworfen werden muss. Dieses Ergebnis wird durch die Beobachtungen gestützt. An Spieltagen wurde in den Läden an den Spielorten wenig eingekauft. Die Besucher wollen sich wahrscheinlich an diesen Tagen nicht mit einem Einkauf belasten bzw. wissen, dass bestimmte Dinge nicht mit ins Stadion genommen werden dürfen. Die ausländischen Besucher werden das Shopping auf spielfreie Tage verlegt haben, während die Inländer auch häufig auf das Shopping verzichteten (siehe Kapitel
4.3
Varianz der Reise- und Konsummuster
169
4.2.2.4). Die Beobachtung bestätigt außerdem, dass viele Stadionbesucher, zumal sie häufig sehr frühzeitig am Stadion waren, viel Zeit damit verbrachten, sich mit Freunden zu treffen oder andere Besucher zu beobachten. Sie genossen die besondere WM-Atmosphäre und konsumierten dabei zumeist Bier und Fast Food. Tab. 4.71: Konsummuster in Abhängigkeit von der Uhrzeit des Anpfiffs
Übernachtung Fanartikel Tägliche Reisekosten Gastronomie Shopping Eintrittskarten
Public Viewing Tau b sig. n -0,07 ** 0,00 1.245 0,00 0,92 2.483 0,06 ** 0,00 3.121 0,03 0,06 2.910 -0,06 ** 0,00 2.606 0,06 2.772 -0,03
Tau b -0,01 0,04 ** 0,04 ** 0,02 -0,03 * 0,03
Stadion sig. 0,49 0,01 0,00 0,09 0,02 0,04
n 1.939 3.426 4.045 3.745 3.707 3.066
* signifikante Korrelation auf dem Niveau p<0,05 ** hochsignifikante Korrelation auf dem Niveau p<0,01
Eine weitere Hypothese kann bezüglich des Konsums zu einem bestimmten Zeitpunkt im Turnierverlauf aufgestellt werden: Je später das Spiel im Turnierverlauf stattfindet, desto höher die Konsumausgaben. Dies ist im Grunde eine Variation der zuvor aufgestellten Hypothese zur Messung der Attraktivität des Spiels, denn es ist anzunehmen, dass die Spiele im Laufe des Turniers immer attraktiver werden. Zur Überprüfung der Hypothese werden die Spiele der Fußball-WM in eine ordinal skalierte Variable codiert, die sich auf die jeweilige Turnierphase bezieht. Die ersten Vorrundenspiele bilden dann den kleinsten Wert, gefolgt von den entscheidenden Spielen am Ende der Gruppenphase, um dann zu den beiden Endspielen hin immer mehr an Wert zuzunehmen. Tab. 4.72: Konsummuster in Abhängigkeit von der Spielphase
Übernachtung Fanartikel Tägliche Reisekosten Gastronomie Shopping Eintrittskarten
Public Viewing Tau b sig. n -0,08 ** 0,00 1.245 0,03 0,03 2.483 0,08 0,00 3.121 0,00 0,89 2.910 -0,05 ** 0,00 2.606 0,02 0,13 2.772
* signifikante Korrelation auf dem Niveau p<0,05 ** hochsignifikante Korrelation auf dem Niveau p<0,01
Tau b 0,01 0,05 ** 0,01 -0,01 -0,01 0,09 **
Stadion sig. 0,46 0,00 0,28 0,45 0,43 0,00
n 1.939 3.426 4.045 3.745 3.707 3.066
170
Ergebnisse der empirischen Erhebung
Die Werte der Tabelle zeigen, dass auch diese Hypothese nicht bestätigt werden kann. Der Turnierverlauf hat keine Auswirkungen auf das Konsummuster. Wahrscheinlich sind alle Spiele der Fußball-WM für den jeweiligen Besucher bereits ein Highlight, allein schon wegen der Knappheit an Eintrittskarten.
4.3.7
Erkenntnisse durch ein komplexes Erklärungsmodell
Nachdem viele Bestimmungsfaktoren einzeln untersucht wurden, soll in diesem Abschnitt versucht werden, einzelne Elemente der Konsummuster durch multiple lineare Regressionsmodelle zu erklären. Es wurde bereits erläutert, dass die abhängigen Variablen (Elemente der Konsummuster) nicht als Normalverteilungen vorliegen. Dies ist für die Durchführung von Regressionen aber auch nicht erforderlich. Voraussetzung ist lediglich, dass sowohl die unabhängigen als auch die abhängige Variable intervallskaliert sind (Bühl & Zöfel, 1998, S. 320) und die Residuen nach der Regressionsanalyse normalverteilt sind (Berry, 1993). Außerdem können Dummy-Variablen in die Modelle eingebaut werden. Zunächst werden die möglichen unabhängigen Variablen vorgestellt, die kausallogisch einen Einfluss auf die abhängige Variable haben könnten. Dazu werden die folgenden intervallskalierten Variablen verwendet: 1.
BIPKopf: Diese Variable drückt das BIP/Kopf aus und damit den allgemeinen Wohlstand eines Landes. Es ist zu vermuten, dass Besucher aus Nationen mit hohem BIP/Kopf mehr konsumieren als Besucher aus Ländern mit niedrigem BIP/Kopf.
2.
INFL: Diese Variable drückt die Inflation im Herkunftsland aus. Es ist zu vermuten, dass die Besucher aus den Nationen, in denen eine hohe Inflation herrscht, mehr konsumieren werden als Besucher aus Nationen mit geringer Inflation, denn die Besucher werden eher dazu neigen, ihr verfügbares Geld auszugeben als zu sparen.
3.
MODERN: Diese Variable drückt die Modernität des Herkunftslandes aus. Sie wird anhand des Anteils des Dienstleistungssektors operationalisiert. Es wird angenommen, dass Besucher aus Nationen mit hohem Dienstleistungsanteil mehr konsumieren.
4.
ATTRAK: Diese Variable drückt die individuell wahrgenommene Attraktivität der Spielpaarung aus. Es wird angenommen, dass je attraktiver eine Spielpaarung empfunden wird, desto mehr konsumiert wird.
5.
DAUER: Diese Variable drückt die Verweildauer der WM-Besucher während der Fußball-WM in Deutschland aus. Es wird angenommen, dass diejenigen, die sich länger in Deutschland aufhalten, im Durchschnitt weniger pro Tag ausgeben als diejenigen, die kürzer in Deutschland sind.
6.
ALTER: Diese Variable steht für das Alter der WM-Besucher. Es wird angenommen, dass die Konsumfreudigkeit mit steigendem Alter zunimmt.
4.3
7.
Varianz der Reise- und Konsummuster
171
INTERESSE: Diese Variable zeigt das Interesse der Besucher an der Fußball-WM. Sie wurde an der Aussage operationalisiert: „Während der WM sehe ich so viele Spiele wie möglich“. Je mehr Spiele ein Besucher sehen möchte, je höher also das Interesse an der Fußball-WM ist, desto mehr wird konsumiert.
Außer diesen unabhängigen Variablen werden auch Dummy-Variablen ins Modell einbezogen. Diese unterteilen die Stichprobe jeweils in zwei Gruppen, die eine mit dem gegebenen Merkmal, die andere ohne das Merkmal. Dann wird überprüft, ob sich der Zusammenhang zwischen der abhängigen Variablen (Konsumelement) und den unabhängigen Variablen in den zwei Gruppen – mit und ohne Dummy-Variable – ändert oder nicht. Folgende Dummy-Variablen sind ebenfalls getestet worden: 1.
STAD-PV (Stadion (0) / Public Viewing (1)): Die Dummy-Variable überprüft Unterschiede in der Erklärungskraft der unabhängigen Variablen für die Besucher von Stadien und Public Viewings.
2.
TT-ÜB (Tagestourist (0) / Übernachter (1)): Die Dummy-Variable überprüft Unterschiede in der Erklärungskraft der unabhängigen Variablen für Tagestouristen und Touristen mit Übernachtung.
3.
LOW-HIGH (niedriges Einkommen (0) / hohes Einkommen (1)): Hohes Einkommen ist als ein persönliches Nettoeinkommen > 3000 Euro definiert. Die DummyVariable überprüft Unterschiede in der Erklärungskraft der unabhängigen Variablen für die Besucher mit niedrigem und hohem Einkommen.
4.
NOAK-AK (Nichtakademiker (0) / Akademiker (1)): Die Dummy-Variable überprüft Unterschiede in der Erklärungskraft der unabhängigen Variablen für die nichtakademischen und die akademischen Besucher.
5.
GENDER (Frau (0) / Mann (1)): Die Dummy-Variable überprüft Unterschiede in der Erklärungskraft der unabhängigen Variablen für weibliche und männliche Besucher.
6.
WM-T (kein „WM-Tourist“ (0) / „WM-Tourist“ (1)): Die Dummy-Variable überprüft Unterschiede in der Erklärungskraft der unabhängigen Variablen für die Besucher, die ausschließlich wegen der Fußball-WM, und denen, die auch aus anderen Gründen nach Deutschland gekommen sind.
7.
ENTF (nicht aus Übersee (0) / Übersee (1)): Die Dummy-Variable überprüft Unterschiede in der Erklärungskraft der unabhängigen Variablen für die Besucher nicht aus Übersee und aus Übersee.
8.
HOTEL (nicht im Hotel (0) / Hotel (1)): Die Dummy-Variable überprüft Unterschiede in der Erklärungskraft der unabhängigen Variablen zwischen den Besuchern, die in Hotels übernachten, und denen, die nicht in Hotels übernachten.
Die Regressionsgleichung lautet:
Ergebnisse der empirischen Erhebung
172
K (e) E 0 E1 BIPKopf E 2 INFL E 3 MODERN E 4 ATTRAK E 5 DAUER E 6 ALTER E 7 INTERESSE E8 STAD PV E 9TT ÜB E10 LOW HIGH E11 NOAK AK E12GENDER E13WM T E14 ENTF E15 HOTEL H
für jede Konsumkategorie K ( e ), e
Unterkunft, Fanartikel, Anreise, Gastronomie, Shopping , Ticket
Tabelle 4.73 zeigt in den Spalten jeweils das beste Modell zur Beschreibung eines Elements aus dem Konsummuster. Die Werte in der Tabelle sind die Beta-Koeffizienten, deren Variablen signifikant und daher im Modell verblieben sind. Alle mit n. a. gekennzeichneten Variablen/Dummy-Variablen haben sich im Modell als nicht signifikant herausgestellt. Tab. 4.73: Beta-Koeffizienten der besten Regressionsmodelle einzelner Elemente des Konsummusters Abhängige Variable Unterkunf Fanartikel t (2) (1)
BIPKopf INFL MODERN ATTRAK DAUER ALTER INTERESSE STAD-PV TT-ÜB LOW-HIGH NOAK-AK GENDER WM-T ENTF HOTEL Höchster VIF-Wert Durbin-Watson Korrigiertes r²
-0,08 n. a. 0,06 -0,04 0,11 0,04 0,04 n. a. n. a. n. a. -0,04 n. a. n. a. 0,14 0,11 1,56 2,01 0,07
n. a. 0,05 n. a. n. a. -0,15 n. a. 0,11 n. a. -0,19 n. a. n. a. 0,09 n. a. 0,05 0,04 1,68 1,90 0,08
Anreise
Gastronomie
Shopping
Eintritt
(3)
(3)
(2)
(2)
n. a. -0,03 n. a. n. a. -0,07 -0,05 n. a. n. a. 0,23 n. a. n. a. n. a. n. a. n. a. 0,12 1,78 1,90 0,08
-0,09 n. a. 0,19 n. a. n. a. -0,05 n. a. n. a. 0,16 n. a. -0,04 0,11 n. a. n. a. 0,08 1,56 1,91 0,13
-0,06 n. a. 0,09 n. a. -0,13 -0,03 0,05 n. a. -0,04 n. a. n. a. n. a. n. a. 0,11 n. a. 1,71 1,89 0,02
n. a. n. a. n. a. n. a. -0,15 -0,09 0,07 n. a. -0,06 n. a. 0,04 0,11 n. a. n. a. 0,08 1,74 1,76 0,06
(1) pro Nacht und Person/ (2) pro Person und Tag/ (3) für diesen Tag n. a. = nicht aufgenommen in das jeweilige Modell, da nicht signifikant
Da in diesem Modell sehr viele Variablen getestet wurden und einige – wenn auch nur sehr indirekt – miteinander korrelieren könnten, wurde besonderer Wert auf die Entdeckung von Multikollinearität gelegt. Der Wert VIF (Variance Inflation Factor), als Kehrwert der Toleranz, deutet auf Kollinearität hin, wenn er den Wert 10 überschreitet. In der Tabelle wurden nicht in jedem Modell alle VIF-Werte angegeben, sondern nur der
4.3
Varianz der Reise- und Konsummuster
173
jeweils höchste. Da diese sämtlich weit unter 10 liegen, liegt keine Multikollinearität der unabhängigen Variablen vor. Der Durbin-Watson-Koeffizient mit Werten zwischen 1,56 und 1,78 zeigt außerdem, dass keine Autokorrelation gegeben ist (Brosius, 1998, S. 560566). Letztlich ist dies aber irrelevant, denn das Bestimmungsmaß (korrigiertes r²) vermag im besten Modell (in diesem Fall die Erklärung des gastronomischen Verzehrs) lediglich 13 % der gesamten Streuung zu erklären. Die fünf anderen Modelle weisen ein r² unter 10 % auf. Dies ist ein ernüchterndes Ergebnis und zeigt deutlich, dass es wesentliche andere Variablen geben muss, die die einzelnen Konsumkategorien besser zu erklären vermögen. Interessant ist auch, dass einzelne Variablen in der multiplen linearen Regression keine signifikanten Auswirkungen zeigen, so z. B. die Unterscheidung von Stadion-Besuchern und Public-Viewing-Besuchern (STAD-PV) und die Unterscheidung WM-Tourist und anderer Besuchertyp (WM-T). Beide Dummy-Variablen haben für keine der Konsumkategorien Einfluss auf die Höhe der Konsumausgaben gehabt. Obwohl viele plausible Faktoren eingebracht wurden, kommt es nicht zu einer überzeugenden Modellbildung. Modelle mit einer so schwachen Erklärungskraft sind praktisch irrelevant. Hier soll mit den Ergebnissen gezeigt werden, dass a) die Konsumausgaben sehr schwer vorherzusagen sind und es b) sehr einflussreiche Strukturen geben muss, die im Modell nicht berücksichtigt sind. Offensichtlich werden die Konsummuster von vielen hier nicht abgefragten Kontingenzen bestimmt. Dies belegt noch einmal, dass die Komplexität zur Vorhersage des Ausgabeverhaltens sehr groß ist (siehe Kapitel 6.2 zur Diskussion). In diesem Bereich besteht noch sehr hoher Forschungsbedarf.
5
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung des konsumtiven Impulses der Fußball-WM 2006
5.1
Formalisierte Modellierung des ökonomischen Impakts
5.1.1
Berechnung des Primärimpulses
Besondere Sorgfalt bei der Bestimmung der gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen der Fußball-WM muss der Berechnung des Primärimpulses durch den Konsum der Besucher gewidmet werden. Denn wenn der Primärimpuls nicht richtig bestimmt ist, kann auch ein realitätsnahes Modell (hier INFORGE) zur Berechnung der gesamten Impakts keine aussagekräftigen Ergebnisse liefern. 5.1.1.1 Berücksichtigung verschiedener Besuchergruppen Zur Berechnung des Primärimpulses müssen zunächst die Besuchergruppen diffierenziert werden. Dazu sind Zuschauer und Besucher definitorisch voneinander zu unterscheiden: Zuschauer:
Dies ist eine Person, die in einem Stadion oder im Public Viewing ein Spiel sieht. Bei einer Stadionkapazität von 50.000 Plätzen ergibt sich in zwei ausverkauften Spielen eine Zuschauerzahl von 100.000.
Besucher:
Dies ist eine Person, die als Zuschauer eines oder mehrere Spiele im Stadion oder beim Public Viewing gesehen hat. Bei zwei ausverkauften Spieltagen in Stadien mit je 50.000 Plätzen Kapazität gibt es zwischen 50.000 (minimal, wenn jeder zwei Eintrittskarten hat) und 100.000 (maximal, wenn jeder nur eine Eintrittskarte hat) Besucher.
Die Besucher der Fußball-WM sind ferner für die anstehenden Berechnungen weiter zu unterteilen. Zu berücksichtigen sind vier Arten von WM-Besuchergruppen, die für die Berechnung des Primärimpulses wichtig sind:
Stadionbesucher:
Dies sind Personen, die eines oder mehrere Spiele im Stadion besucht haben.
Public-Viewing-Besucher: Dies sind Personen, die während der Fußball-WM kein Spiel im Stadion gesehen haben, wohl aber ein oder mehrere Public Viewings besucht haben. Anschlussreisende:
Dies sind Personen, die Stadionbesucher oder Public-ViewingBesucher waren und vor/nach der Fußball-WM eine Anschlussreise durchführten.
176
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung des konsumtiven Impulses der Fußball-WM 2006
Begleitpersonen:
Dies sind Personen, die die Stadion-/Public-Viewing-Besucher auf ihrer WM-Reise begleitet haben, aber mit dem Befragten „nicht […] Fußball sehen, sondern einkaufen, besichtigen usw.“.
Doppelzählungen von Besuchern werden vermieden, indem in dieser Studie die Berechnungseinheit „Personentage“ als Grundlage genommen wird. Ein Stadionbesucher kann dann z. B. nicht doppelt gezählt werden, wenn er eine Anschlussreise durchführt. Dieser Besucher wird dann für x Personentage als WM-Besucher (mit dem speziellen WM-Konsummuster) berücksichtigt und außerdem mit y Personentagen (mit einem allgemeinen touristischen Konsummuster) für eine durchgeführte Anschlussreise. Die relevanten Besuchergruppen werden danach unterteilt, ob ihre konsumtiven Ausgaben ökonomisch bedeutend sind (siehe Kapitel 2.3.2). Dazu muss der Betrachtungsraum – in dieser Studie Deutschland – festgelegt werden. Für alle Besucher, deren Konsum zusätzliche wirtschaftliche Aktivität induziert, wird dann das Mengengerüst bestimmt und in der Einheit „Personentage“ ausgedrückt. Abschließend werden die Personentage mit einem entsprechenden Konsummuster (Wertgerüst) multipliziert. Tab. 5.1: Übersicht zur Vorgehensweise der Berechnung des Primärimpulses durch WMBesucher
Stadionbesucher Public-Viewing-Besucher Anschlussreisende Begleitpersonen
Filter für ökonomisch relevante Konsumausgaben (in Prozent)
Mengengerüst (in Personentagen)
Wertgerüst (in Euro pro Konsumkategorie)
z. B. 33 (%)
z. B. 1.000.000
z. B. 250 (€)
Durch Multiplikation der ökonomisch relevanten Konsumausgaben (33 %) mit der Anzahl der Personentage (1.000.000 Tage) und schließlich den jeweiligen Ausgaben (250 €) ergibt sich der Primäreffekt für jede Besuchergruppe. Anschließend werden die Ergebnisse der Besuchergruppen (Stadionbesucher, Public-Viewing-Besucher, Anschlussreisende und Begleitpersonen) addiert und es ergibt sich der gesamte Primärimpuls durch die Besucher der Fußball-WM. Dieser bildet dann – gegliedert nach 43 Verwendungszwecken – die Ausgangsgröße für die Berechnung des gesamtwirtschaftlichen Effektes mit Hilfe des INFORGE-Modells. Bevor die einzelnen Modellalgorithmen explizit vorgestellt werden, müssen noch die sechs Ländergruppen definiert werden. Unterschieden werden Besucher aus verschiedenen Nationen (n), wobei die Stichprobe ausreichend Daten für individuelle Analysen der
5.1
Formalisierte Modellierung des ökonomischen Impakts
177
Nationen Argentinien, Australien, Brasilien, Deutschland, England, Frankreich, Niederlande, Schweiz und USA ergab. Jedoch können nicht alle Nationalitäten individuell ausgewertet werden. Daher wurden sechs Ländergruppen gebildet: Inländer:
Dies sind alle Besucher, die ihren Wohnsitz in Deutschland haben. Die Anreise ist einfach und es muss oft noch nicht einmal übernachtet werden, um ein Spiel zu besuchen. Aus dieser Gruppe sind zur Berechnung des Impakts lediglich die „Home Stayers“ zu berücksichtigen, denen im Modell später besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird.
Osteuropa:
Dies sind Polen sowie die Slowakische und Tschechische Republik. Alle drei Nationen liegen geographisch relativ nah bzw. grenzen an Deutschland, sodass Besucher auch mit dem Auto anreisen konnten.
Europa Nachbarn:
Dies sind Dänemark, Niederlande, Belgien, Luxemburg, Frankreich und Österreich. Alles sind benachbarte Nationen von Deutschland und gehören nicht in die anderen Gruppen.
Europa teuer:
Dies sind Nationen mit hohem BIP/Kopf. Zu dieser Gruppe zählen Schweden, Finnland, Norwegen, England und die Schweiz.
Europa fern:
Dies sind alle übrigen europäischen Nationen, die keine Nachbarnationen Deutschlands sind und auch nicht in die Gruppe „Europa teuer“ gehören. Die Besucher müssen überwiegend per Flugzeug nach Deutschland reisen.
Fernreisende:
Dies sind alle Besucher aus nicht-europäischen Ländern.
Die Bildung der Gruppen erfolgte auf der Grundlage kausallogischer Überlegungen zu finanziellen und zeitlichen Barrieren, die die WM-Besucher überwinden müssen, wenn sie zur Fußball-WM nach Deutschland reisen. Während Besucher aus „Osteuropa“ und „Europa Nachbarn“ mit geringem finanziellen Aufwand und ggf. sogar nur für eine Tagesreise nach Deutschland kommen können, ist dies für die Besucher aus „Europa fern“ schwieriger. Fernreisende müssen sogar eine Flugreise und üblicherweise einen mehrtägigen Aufenthalt einplanen. Die Gruppe „Europa teuer“ wurde gebildet, da sich das Konsumverhalten aufgrund eines durchschnittlich höheren Einkommens von Bürgern dieser Nationen von dem der Besucher aus anderen europäischen Nationen unterscheidet. Die Qualität der Daten dieser Studie erlaubt eine maximale Differenzierung nach Nationen (n), aus denen die Besucher kommen. n
ARG, AUS , BRA, GBR, GER, FRA, NED, SUI , USA, Osteuropa, Europa Nachbarn, Europa teuer , Europa fern, Fernreisende
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung des konsumtiven Impulses der Fußball-WM 2006
178
Auch für das formalisierte Modell sollten Gruppen gebildet werden, denn trotz der in dieser Studie fast 10.000 befragten Personen war die Fallzahl für eine differenzierte Betrachtung zu klein. Daher müssen auf die soeben vorgestellten ausdifferenzierten Gruppen verzichtet und für die Berechnung des Primärimpulses größere Einheiten gebildet werden. Dazu werden die unter n aufgezählten Nationen den folgenden drei Gruppen zugeordnet: -
„Europa“
-
„Europa teuer“
-
„Fernreisende“
Des Weiteren sind fünf wesentliche Besuchertypen zu unterscheiden, deren Ausgaben nur teilweise expansive gesamtwirtschaftliche Wirkungen aufweisen und deren Konsummuster sich unterscheiden. Dies sind die in Kapitel 2.3.2 dargestellten Besuchertypen, von denen die Folgenden für die Berechnung des Primärimpulses von besonderem Interesse sind: -
WM-Tourist (A) und Verlängerer (B): Diese beiden Gruppen können zusammengefasst werden, denn beide sind ausschließlich bei der Fußball-WM in Deutschland, um die Fußball-WM zu besuchen. Ihr gesamter Konsum wird daher in die Berechnung des Primärimpulses einbezogen.
-
Time Switcher (F): Dieser Besuchertyp hat seinen Urlaub in Deutschland auf die Zeit der Fußball-WM verschoben. Daher ist er wahrscheinlich ähnlich begeistert von der Fußball-WM wie die WM-Touristen. Da der Time Switcher aber auch ohne die Fußball-WM nach Deutschland gereist wäre, wird er jedoch auch andere touristische Aktionen aufsuchen bzw. seinen Aufenthalt nutzen, um durch Deutschland zu reisen. Der WM-bezogene Konsum muss dabei von dem „normalen“ Konsummuster getrennt werden, denn dieser wäre auch ohne die WM in Deutschland getätigt worden. Für die Berechnung des Primärimpulses wird daher nur der WM-bezogene Konsum berücksichtigt (siehe Tab. 5.2).
-
Casual (E): Dieser Typ von Besuchern steht für Personen, die ohnehin gerade in Deutschland sind und die Fußball-WM als eine zusätzliche Attraktion besuchen. Der WM-bezogene Konsum wird auch bei dieser Gruppe von dem „normalen“ Konsummuster getrennt betrachtet, denn diese Besucher sind nicht wegen der FußballWM nach Deutschland gekommen.
-
Home Stayer (C): Dieser Typ von Besuchern sind Inländer, die auf einen Urlaub im Ausland verzichten und ihr gesamtes Urlaubsbudget nun alternativ in Deutschland ausgeben.
Im Modell werden also folgende Besuchertypen unterschieden: i
A, B, C , E , F
5.1
Formalisierte Modellierung des ökonomischen Impakts
179
5.1.1.2 Elemente des Konsummusters Die Konsumausgaben müssen im Fragebogen exakt erhoben werden. In Bezug auf Sportgroßveranstaltungen bieten sich folgende Konsumkategorien an, die von den Besuchern gut zu differenzieren sind: -
Fanartikel Shopping Eintritt Gastronomie Tägliche Anreise Sonstiges Unterkunft
Dabei wurde explizit abgefragt, wie sicher oder genau die Angaben zur einzelnen Konsumkategorie sind und auf wie viele Personen sich die Angaben beziehen. Letzteres ist wichtig, da nur 5,6 % der Besucher allein zu einem Spiel gekommen sind und die absolute Mehrzahl mit Freunden oder Familie. So kann eine Person durchaus für andere mitbezahlt haben (z. B. Familienvater für Kinder). Für die Berechnungen des Primärimpulses dürfen in Abhängigkeit der Besuchertypen (i) nur die Konsumkategorien berücksichtigt werden, die der Fußball-WM zuzurechnen sind. Tabelle 5.2 zeigt die Berücksichtigung der Konsumkategorien, aufgeschlüsselt nach Besuchertypen (i) und nach Anschlussreisenden und Begleitpersonen für Stadionbesucher. „WM-Touristen“ werden daher mit ihrem gesamten Konsum in den Primäreffekt einberechnet. Die nicht zum Fußballspiel gegangenen Begleitpersonen dieses Besuchertyps konnten nicht befragt werden. Da sie die WM-Reise mit dem befragten „WM-Touristen“ gemeinsam durchführen, wird angenommen, dass sie sehr ähnlich konsumiert haben. Sie werden z. B. in demselben Hotel wohnen, zusammen Essen gehen, gemeinsam kulturelle Einrichtungen besuchen etc. Das Konsummuster der „WM-Touristen“ wird daher auch für die Begleitpersonen angenommen, allerdings reduziert um die Ausgaben für Eintrittskarten und Merchandiseartikel. Letztlich kommt es allerdings zu einer Unterschätzung des tatsächlichen Konsums, denn die Begleitpersonen werden während der Zeit der Fußballspiele mit einem Konsum von 0 € berücksichtigt, obwohl sie sehr wahrscheinlich alternative Aktivitäten (Besuch kultureller Einrichtungen, Shopping etc.) durchgeführt haben.
180
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung des konsumtiven Impulses der Fußball-WM 2006
Tab. 5.2: Berücksichtigung von Konsumkategorien nach Besuchertyp im Stadion (Abk. in Formeln) WM-Tourist
WM-Tourist (Begleitperson & Anschlussreise) Casuals & Time Switchers
Casuals & Time Switchers (Begleitperson & Anschlussreise)
KMSÜ KMST
Konsumbestandteile Fanartikel
Shopping Eintritte
Gastronomie
tägliche BeherSonstig. Anreise bergung
¥ ¥
¥ ¥
¥ ¥
¥ ¥
¥ ¥
¥ ¥
¥ X
KMÜ
X
¥
X
¥
¥
¥
¥
KMT KMSÜ – KMÜ KMST – KMT KMÜ
X
¥
X
¥
¥
¥
X
¥
X
¥
X
X
X
X
¥
X
¥
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
KMT
X
X
X
X
X
KM = Konsummuster | S = Stadion | Ü = mit Übernachtung | T = Tagestourist | ¥ = ist Element des WM-relevanten Konsummusters | X = ist kein Element des WM-relevanten Konsummusters
Die „Casuals“ und „Time Switchers“ sind Besucher, die in den kommenden zwei Jahren auch ohne die Fußball-WM nach Deutschland gereist wären. Daher werden von diesen Besuchern lediglich die Ausgaben für Eintrittskarten und Merchandiseartikel als WMbedingt berücksichtigt. Da ohne die Fußball-WM dieselben Personen mit demselben Bildungsniveau, verfügbaren Einkommen etc. nach Deutschland gekommen wären, muss angenommen werden, dass sie alle Konsumausgaben ohne die Fußball-WM ebenso getätigt hätten. Dies ist erneut eine sehr konservative Annahme, denn es ist stark anzunehmen, dass die „Casuals“ und „Time Switchers“ während der Fußball-WM höhere Preise zu zahlen hatten (z. B. in der Gastronomie und für die Beherbergung) als bei ihrer alternativen Reise ohne WM. Außerdem mag die emotionale WM-Stimmung zu zusätzlichem Konsum verleitet haben. Da hier lediglich die Konsumkategorien „Eintritte“ und „Fanartikel“ berücksichtigt werden, führt dies zu einer Unterschätzung des tatsächlichen Primärimpulses. Die Konsumausgaben der Begleitpersonen von „Casuals“ und „Time Switchers“ werden gar nicht berücksichtigt. Da diese keine fußballspezifischen Ausgaben tätigen, wird unterstellt, dass sie bei einer alternativen Reise nach Deutschland dieselben Ausgaben getätigt hätten. Auch dies ist eine konservative Annahme, denn die Begleitpersonen wohnen mitunter in den WM-Städten mit erhöhten Preisen und werden über ihre Partner von der WMStimmung „angesteckt“. Derselben Argumentationslogik folgend, werden Anschlussreisen von „Casuals“, „Time Switchers“ und deren Begleitpersonen ebenfalls nicht berücksichtigt.
5.1
Formalisierte Modellierung des ökonomischen Impakts
181
Die folgende Tabelle zeigt die Berücksichtigung der Konsumkategorien von Besuchern der offiziellen Public Viewings der WM-Städte. Tab. 5.3: Berücksichtigung von Konsumkategorien nach Besuchertyp im Public Viewing (Abk. in Formeln) WM-Tourist
WM-Tourist (Begleitperson & Anschlussreise) Casuals & Time Switchers
Casuals & Time Switchers (Begleitperson & Anschlussreise)
Konsumbestandteile Fanartikel
Shopping Eintritte
Gastronomie
tägliche BeherSonstig. Anreise bergung
KMSÜ KMST KMÜ
¥ ¥ X
¥ ¥ ¥
¥ ¥ ¥
¥ ¥ ¥
¥ ¥ ¥
¥ ¥ ¥
¥ X ¥
KMT
X
¥
¥
¥
¥
¥
X
¥
X
X
X
X
X
X
¥
X
X
X
X
X
X
KMÜ
X
X
X
X
X
X
X
KMT
X
X
X
X
X
X
X
KMSÜ – KMÜ KMST – KMT
KM = Konsummuster | PV = Public Viewing | Ü = mit Übernachtung | T = Tagestourist | ¥ = ist Element des WM-relevanten Konsummusters | X = ist kein Element des WM-relevanten Konsummusters
5.1.1.3 Allgemeine Annahmen zur Berechnung des Primärimpulses Trotz der 9.546 Befragungen ist die Stichprobe für eine differenzierte Betrachtung der Besucher der Fußball-WM klein. Die WM brachte Besucher aus 210 Nationen nach Deutschland, die sich je nach Spielort der von ihnen favorisierten Mannschaften verteilten. Letztlich galt es nicht nur, Aussagen über die 64 unterschiedlichen Spiele an 12 Spielorten zu machen, sondern obendrein über weitere 300 Veranstaltungen auf Public Viewings (12 Spielorte an 25 WM-Spieltagen). Da sich das Konsumverhalten der Besucher verschiedener Nationen unterscheidet und sich die Nationalitäten der spielenden Mannschaften jeweils überrepräsentativ stark an einem Spielort einfanden, war zu erwarten, dass das Konsumverhalten bei fast allen Spielen unterschiedlich sein würde. Hinzu kommt, dass das Reisemotiv (Casual, Time Switcher, WM-Tourist etc.) vieler Besucher unterschiedlich war und daher auch innerhalb einer homogenen Gruppe von Zuschauern derselben Nationalität der Konsum unterschiedlich zu berücksichtigen war. In Kapitel 3 wurde gezeigt, dass das Konsumverhalten innerhalb der Zuschauer einer Nationalität sich nicht ändert, d. h. der Gegner und der Spielort sich nicht auf den Konsum aus-
182
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung des konsumtiven Impulses der Fußball-WM 2006
wirken, wohl aber das Reisemotiv. So sind die „WM-Touristen“ vor allem an der FußballWM interessiert, während die „Time Switchers“ in den kommenden zwei Jahren sowieso nach Deutschland reisen wollten und lediglich den Reisezeitpunkt auf die Zeit der Fußball-WM gelegt haben – nicht zuletzt aus Interesse am Fußball. Schließlich gibt es die „Casuals“, also Personen, die Deutschland aus anderen Gründen als der Fußball-WM besuchen, aber die Gelegenheit nutzen, etwas von der Fußball-WM zu sehen. Des Weiteren unterscheiden sich die Konsummuster von Tagestouristen von denen der Besucher, die mehrere Übernachtungen buchten. Tagestouristen werden z. B. kaum Zeit zum Shopping und keine Übernachtungskosten haben. Für das Modell bedeutet dies, dass die oben differenzierten Gruppen noch einmal in Tagestouristen und Touristen mit Übernachtung unterteilt werden müssen. Für die weiteren Berechnungen des Primäreffektes werden die Gruppen daher, wie oben beschrieben, soweit aggregiert, dass die Fallzahlen der Befragten nicht zu klein werden und Ausreißer damit nicht ins Gewicht fallen. Die Tatsache, dass alle Variablen des Konsummusters sehr hohe Standardabweichungen aufzeigen, wirkt sich in diesem Fall erschwerend aus. Bei Reduktion der Fallzahl durch Gruppenbildungen wird der verwendete arithmetische Mittelwert eines Konsummusters sehr anfällig für extreme Werte. Nach Plausibilitätsüberlegungen dürfen diese Extremwerte der Erhebung jedoch nicht einfach eliminiert werden. So kann es durchaus sein, dass jemand 1.000 € für Merchandiseartikel, 2.000 € beim Shopping ausgegeben oder für 3.000 € pro Nacht in einer Suite übernachtet hat. Für die aggregierten Berechnungen kleinerer Gruppen auf Grundlage von Mittelwerten werden diese Extremwerte jedoch ausgeschlossen, in späteren Einzelanalysen allerdings wieder berücksichtigt. Die konsequente Kappung hoher Ausgabewerte zum Zwecke der Reduktion von Mittelwerten bedeutet auch hier wieder eine konservative Vorgehensweise, denn der tatsächliche Konsum wird wahrscheinlich höher gelegen haben. Damit die Fallzahlen nicht zu gering werden, aber ein Modell zur Berechnung des Primärimpulses erstellt werden kann, werden für die weiteren Berechnungen Annahmen für ein „Differenziertes Modell“ und ein „Einfaches Modell“ getroffen. Das „Differenzierte Modell“ wird in dieser Studie nicht weiter verfolgt, könnte allerdings zu Detailanalysen genutzt werden. Das „Einfache Modell“ bildet die Grundlage für die Ermittlung des Primärimpulses (Kapitel 5.2).
5.1
Formalisierte Modellierung des ökonomischen Impakts
183
Tab. 5.4: Allgemeine Modellannahmen Differenziertes Modell Nationen
Argentinien, Australien, Brasilien, Deutschland, England, Frankreich, Niederlande, Schweiz und USA
Deutschland
Alle anderen Nationen werden den fünf Ländergruppen (Osteuropa, Europa Nachbarn, Europa teuer, Europa fern, Fernreisende) zugeordnet.
Alle Nationen werden in die drei Ländergruppen (Europa, Europa teuer, Fernreisende) gegliedert.
Bis max. 10 Personen. Bei darüber liegenden Angaben wird angenommen, dass es sich um eine Reisegruppe handelt.
Begleiter Reisedauer der „WM-Touristen“ Besuchertypen
Einfaches Modell
Bis max. 40 Tage. Bei darüber liegenden Angaben wird angenommen, dass es sich um keinen WM-Besucher mehr handelt, sondern um eine Person, die auch andere Zwecke mit der Reise verbindet (z. B. Studium). „WM-Tourist + Verlängerer“ „WM-Tourist“ „Time Switcher“ „Verlängerer“ „Casual“ „Time Switcher“ „Home Stayer“ „Casual“ „Home Stayer“
5.1.1.4 Algorithmen zur Berechnung des Primärimpulses durch Stadionbesucher Unter den 9.456 Befragten befanden sich 5.098 Stadionbesucher. Stadionbesucher sind alle WM-Besucher, die eine oder mehrere Eintrittskarten besitzen. Auch wenn ein Eintrittskartenbesitzer außerdem Public Viewings besucht hat und ggf. sogar dort befragt wurde, wird er als Stadionbesucher gewertet. Dies ist zulässig, da der Konsum von Stadionbesuchern für den gesamten WM-bezogenen Aufenthalt abgefragt wurde und somit ein ggf. geringerer Konsum an Tagen ohne Stadionbesuch entsprechend berücksichtigt ist. Die Bestimmung des Primäreffektes durch die Stadionbesucher erfolgt nach den folgenden Schritten. Dazu werden hier in der Beschreibung des formalisierten Modells die Annahmen des „Differenzierten Modells“ (Tab. 5.4) verwendet. 1. Ermittlung der verkauften Eintrittskarten (T) pro Nation (n). T ( n ), n
ARG , AUS , ... m
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung des konsumtiven Impulses der Fußball-WM 2006
184
Zu den verkauften Eintrittskarten liegen detaillierte Informationen vom WM-Organisationskomitee vor, denn die Käufer der Eintrittskarten mussten sich mit ihrem Pass autorisieren. 2. Bestimmung der durchschnittlichen Anzahl von Eintrittskarten pro Person (PT) nach Nation für die Besuchertypen (i). PT (i, n ), i
A, B, E , F und n
ARG , AUS , ...m
Dazu liegen empirisch abgesicherte Informationen der Nationen Argentinien, Australien, Brasilien, England, Frankreich, Niederlande, Schweiz und USA vor. Alle anderen Nationen werden den fünf Ländergruppen (Osteuropa, Europa Nachbarn, Europa teuer, Europa fern, Fernreisende) zugeordnet. 3. Bestimmung der durchschnittlichen Anzahl von Eintrittskarten pro Person je Nation, die auf dem Schwarzmarkt (SM) gekauft wurden. SM (i, n ), i
A, B, E , F und n
ARG, AUS , ...m
4. Schätzung des Anteils von Migranten (M) der jeweiligen Nation. Dies ist von Bedeutung, da die Primärdaten des WM-Organisationskomitees die Zuordnung der Eintrittskarten lediglich nach Staatsangehörigkeit (Reisepass/Personalausweis) und nicht nach dem dauerhaften Wohnort (Inländer/Ausländerkonzept) vornahm. Damit könnten Eintrittskarten, die an nicht deutsche Staatsbürger verkauft wurden, trotzdem an Personen verkauft worden sein, die in Deutschland wohnen (z. B. Migranten, Asylanten). M ( n ), n
ARG, AUS , ...m
5. Ermittlung der Anzahl von Personen (P) aus Deutschland des Zuschauertyps „Home Stayer“. Dies sind Personen, die in Deutschland leben und wegen der Fußball-WM auf einen Urlaub im Ausland verzichtet haben. P (i, n ), n GER und i
C
6. Ermittlung der Anzahl von Personen (P) aus dem Ausland nach Nation (n), differenziert für die Besuchertypen (i) = A, B, E und F. Pin
Anteilin (Tn SM n ) (1 M n ) ,i PTin
A, B, E , F und n
ARG, AUS , ...m
7. Ermittlung des durchschnittlichen Konsummusters von Stadionbesuchern mit Übernachtung (KMSÜ) nach Nation (n) differenziert nach Besuchertypen (i) = A, B, E und F. KMSÜ (i, n), i
A, B, E , F und n
ARG, AUS , ...m
Dazu sind die Gruppen A und B mit ihrem gesamten Konsummuster zu berücksichtigen, während die Gruppen E und F lediglich mit der Differenz zwischen ihrem „normalen“ Konsummuster (KM) und dem empirisch ermittelten Konsum-
5.1
Formalisierte Modellierung des ökonomischen Impakts
185
muster für Stadionbesucher mit Übernachtung (KMSÜ) berücksichtigt werden dürfen. Für diese Studie wird dabei von grundsätzlich demselben Konsum ausgegangen, außer dass KMSÜ die Ausgaben für Eintrittskarten und Merchandiseartikel beinhaltet (siehe Tab. 5.2). 8. Bestimmung der durchschnittlichen Besuchstage (t) nach Nation (n), differenziert nach Besuchertypen (i) = A, B, E und F. t (i, n ), i
A, B, E , F und n
ARG, AUS , ...m
9. Ermittlung des Primärimpulses (Y) von Besuchern mit Übernachtung nach Nation (n) für die Typen (i) = A, B B
Y
USA
¦¦
( Pin tin KMSÜin ), i
A, B und n
ARG , AUS , ...m
i A n ARG
und für die Besuchertypen E und F F
Y
USA
¦¦
( Pin tin ( KMSÜin KMÜin )), i
E , F und n
ARG , AUS , ...m
i E n ARG
10. Ermittlung des Primärimpulses (Y) von Tagestouristen unter Nutzung des Konsummusters von Tagestouristen im Stadion (KMST) nach Nationen (n) für die Besuchertypen A und B B
Y
USA
¦¦
( Pin KMSTin ), i
A, B und n
ARG, AUS , ...m
i A n ARG
und für die Gruppen E und F unter Berücksichtigung des Konsummusters „normaler“ Tagestouristen (KMT). Auch hier unterscheiden sich die KMST von KMT lediglich in der Berücksichtigung der Eintrittskarten und Merchandiseausgaben (siehe Tab. 5.2). F
Y
USA
¦¦
( Pin ( KMSTin KMTin )), i
E , F und n
ARG, AUS , ...m
i E n ARG
11. Ermittlung des Primärimpulses (Y) von Deutschen (n = GER), die auf einen Urlaub im Ausland verzichten (Besuchertyp i = C). Ökonomisch bedeutet ein verzichteter Urlaub eine Importsubstitution in Höhe des gesamten Urlaubsbudgets. Daher wird hier das gesamte gesparte Urlaubsbudget (KMU) berücksichtigt. Y
AnteilC T( GER ) PT( GER )
KMU
Der Anteil des durch die „Home Stayers“ ausgelösten Primärimpulses besteht aus drei Teilen, die den Konsumkategorien nur teilweise zugeordnet werden können: a) dem „normalen Konsum“ eines Inländers zu Hause, b) dem zusätzlichen Konsum als WM-Besucher und c) der Restsumme zunächst ersparter Mittel, die dann für
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung des konsumtiven Impulses der Fußball-WM 2006
186
andere Zwecke verausgabt werden. Für dieses Modell wird angenommen, dass die Restmittel mittelfristig ebenfalls in Deutschland konsumiert werden. 5.1.1.5 Algorithmen zur Berechnung des Primärimpulses durch Besucher von Public Viewings Unter den 9.456 Befragten befanden sich 4.078 Besucher von Public Viewings. PublicViewing-Besucher werden als solche definiert, wenn sie kein Spiel im Stadion besucht haben, wohl aber ein oder mehrere Public Viewing(s) besucht haben. Die Bestimmung des Primäreffektes durch die Public-Viewing-Besucher erfolgt nach folgenden Schritten: 1. Ermittlung der Anzahl der Zuschauer auf den Public Viewings (PVZ) der WMStädte (S) für jeden Spieltag (g) der Fußball-WM. Dies ist ein konservatives Vorgehen, da es angeblich 2.000 Public Viewings in Deutschland gegeben haben soll. MUC
PVZ
25
¦ ¦S
jg
, j
HH , FRA, ...MUC und g 1, 2, ...25
j HH g 1
2. Schätzung der ausländischen Zuschauer mit gleicher Nationalität wie die beiden spielenden Mannschaften (M1, M2) sowie einer „neutralen“ Gruppe aller anderen ausländischen Zuschauer (R). M 1( n ); M 2( n ), n
AGR, AUS , ...m
3. Die Bestimmung der Anzahl von Besuchern im Public Viewing (PVB) erfolgt für die einzelnen Nationen (n) differenziert nach Besuchertypen (i) = A, B, E und F. PVB (i, n ), i
A, B, E , F und n
ARG , AUS , ...m
Dazu werden für jedes Public Viewing pro Nation (n) und Besuchertyp (i) die durchschnittliche Anzahl der Besuche und so die Anzahl der Besucher (P) ermittelt. Anteilin ( Pin
MUC 25
¦ ¦ M1
j HH g 1
jgn
MUC 25
¦ ¦M2
j HH g 1
jgn
MUC 25
¦ ¦R
j HH g 1
PVBin
jgn
) ,i n
A, B, E , F und ARG, AUS , ...m
Die gesamte neutrale Restgruppe (R) muss, sofern keine Detailinformationen vorliegen, für alle Public Viewings (ohne Live-Spiele in derselben Stadt) als gleich verteilt angenommen werden. Die prozentuale Verteilung muss allerdings bei einigen Public Viewings empirisch ermittelt werden. 4. Ermittlung des durchschnittlichen Konsummusters von Public-Viewing-Besuchern mit Übernachtung (KMPVÜ) nach Nation (n) für die Besuchertypen (i) = A, B, E und F. KMPVÜ (i, n ), i
A, B, E , F und n
ARG , AUS , ...m
5.1
Formalisierte Modellierung des ökonomischen Impakts
187
Dabei sind die Gruppen A und B mit ihrem gesamten Konsummuster zu berücksichtigen, während die Gruppen E und F im Grunde lediglich in der Differenz zwischen ihrem „normalen“ Konsummuster für Besucher mit Übernachtung (KMÜ) und dem empirisch ermittelten Konsummuster (KMPVÜ) berücksichtigt werden müssen. Hier erfolgte die Zurechnung nach Tabelle 5.3. 5. Bestimmung der durchschnittlichen Besuchstage nach Nation (n), differenziert nach Besuchertypen (i) = A, B, E und F t (i, n ), i
A, B, E , F und n
ARG, AUS , ...m
6. Ermittlung des Primärimpulses (Y) von Public Viewing-Besuchern mit Übernachtung nach Nation (n) differenziert nach Besuchertypen (i) = A, B Y
B
USA
¦¦
( Pi ,n tin KMPVÜ in ), i
A, B und n
ARG, AUS , ...m
i A n ARG
und für die Gruppen E und F F
Y
USA
¦¦
( Pin tin ( KMPVÜin KMÜin )), i
E , F und n
ARG , AUS , ...m
i E n ARG
7. Ermittlung des Primärimpulses (Y) von Public Viewing-Besuchern als Tagestouristen unter Nutzung des Konsummusters von Tagestouristen auf Public Viewings (KMPVT) nach Nationen (n) differenziert nach Besuchertypen i = A, B Y
B
USA
¦¦
( Pin KMPVTin ), i
A, B und n
ARG, AUS , ...m
i A n ARG
und für die Besuchertypen i = E und F unter Berücksichtigung des Konsummusters „normaler“ Tagestouristen (KMT). F
Y
USA
¦¦
( Pin ( KMPVTin KMTin )), i
E , F und n
ARG , AUS , ...m
i E n ARG
8. Ermittlung des Primärimpulses (Y) von Deutschen (hier Public Viewing) (n = GER), die auf einen Urlaub im Ausland verzichten (Besuchertyp “Home Stayer“ i = C). Da es sich bei den verzichteten Urlaubsreisen ökonomisch um eine Importsubstitution handelt, wird hier das gesamte gesparte Urlaubsbudget (KMU) berücksichtigt. AnteilC Y
MUC 30
¦ ¦P
GER
j HH g 1
PVBC ,GER
* KMU
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung des konsumtiven Impulses der Fußball-WM 2006
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5.1.1.6 Bestimmung des Primärimpulses durch Begleitpersonen von Stadionbesuchern und Besuchern der Public Viewings Viele Besucher der Fußball-WM kamen mit einer oder mehreren Begleitperson(en) nach Deutschland. Diese sind nicht mit ins Stadion oder Public Viewing gekommen, müssen jedoch zur Berechnung des gesamtwirtschaftlichen Impulses durch die Fußball-WM berücksichtigt werden. Da es sich allerdings um Personen handelt, die die Fußballbesucher begleiten und nicht zum Fußball gehen, wird für sie lediglich das „normale“ touristische Konsummuster für Besucher mit Übernachtung (KMÜ) angesetzt (im konkreten Fall auch hier wieder in Tabelle 5.2 und 5.3 abzulesen). Sie werden demselben Besuchertyp (i) = A, B, E, F zugeordnet wie der Befragte und bleiben auch für denselben Zeitraum in Deutschland bzw. führen dieselben Anschlussreisen durch. Schwer ist hier die Vermeidung von Doppelzählungen. Es wurde zwar danach gefragt, wie viele Begleitpersonen nicht mit zum Fußball gekommen sind, einkaufen oder etwas besichtigen, jedoch kann es sein, dass dieselben Begleitpersonen von mehreren befragten WM-Besuchern genannt wurden, was zu einer Überschätzung der Begleitpersonen führt. Dies ist jedoch nur in Ausnahmefällen zu erwarten und wird keinen großen Einfluss auf den Primärimpuls haben. Zukünftige Fragebögen sollten diesen Aspekt ggf. differenzierter abfragen. 5.1.1.7 Bestimmung des Primärimpulses durch Anschlussreisen Für die angegebenen Tage der Anschlussreise (t) werden die „normalen“ Konsummuster der WM-Besucher genommen, jedoch um die Ausgaben für Merchandising und Eintrittskarten verringert (KMÜ). Die Anzahl der Personen mit Anschlussreise (PA) ist nach Nationen gegliedert (n) zu ermitteln. „Time Switchers“ und „Casuals“ (Gruppen E, F) sowie deren Begleitpersonen müssen nicht berücksichtigt werden. Es wird angenommen, dass sie diese Reise auch ohne die Fußball-WM mit denselben Konsumausgaben unternommen hätten. Ermittlung des Primärimpulses (Y) von Touristen mit Anschlussreise pro Nation und Gruppe A, B: Y
B
USA
i A
n ARG
¦ ¦
( PA( i ,n ) t( i ,n ) KMÜ ( i ,n ) ) für i
A, B und n
ARG, BRA, ...m
5.1.1.8 Umgang mit Risiko und Unsicherheit im Modell An verschiedenen Stellen bedarf es zur Berechnung des Primärimpulses einer Schätzung, wenngleich diese auf kausallogischen Überlegungen oder Transferannahmen beruht. Da jede Schätzung mit dem Risiko behaftet ist, dass die getroffenen Annahmen falsch sind und die berechneten Ergebnisse so nicht eingetreten sind, wurde das hier vorgestellte Modell mit besonderer Sorgfalt erstellt.
5.1
Formalisierte Modellierung des ökonomischen Impakts
189
Tab. 5.5: Konservative Annahmen im Modell Beschreibung
Anzahl der berücksichtigten Besucher im Public Viewing
Anzahl der berücksichtigten Public Viewings
Extreme Werte
Anzahl der Besucher in Stadien
Inländer
Migranten
Home Stayer
Die Gesamtanzahl der Besucher von Public Viewings wurde um 6,6 % nach unten korrigiert. Die Angaben der Ausrichterstädte waren oft positiv geschätzt. So wurden beim Fan-Fest in Kaiserslautern z. B. alle Bürger eingerechnet, die in der Fußgängerzone Geschäfte aufsuchten. Dennoch mag die Anzahl der Public-Viewing-Besucher sehr viel höher gelegen haben, als von den Städten angegeben. Der Beobachtung nach waren viele Public Viewings überfüllt, sodass sich viele Interessierte im Umfeld des Public Viewings aufhielten und von der Ferne auf die Leinwände sahen oder in Bars und Restaurants mit Bildschirmen und Leinwänden auswichen. Es wurden ausschließlich Public Viewings der Ausrichterstädte und nur deren offizielle Veranstaltungen in die Berechnungen einbezogen. Die Besucher der ca. 2.000 Public Viewings anderer (großer) Städte, in denen keine WM-Spiele ausgetragen wurden, sind ebenso nicht berücksichtigt wie die vielen Interessierten, die wegen Überfüllung der Public Viewings an andere Orte auswichen. Die kleine Gruppe der Besucher, die sehr stark konsumierte, wurde aus statistischen Gründen aus der Berechnung des Primärimpulses herausgenommen. Letztlich existierte diese Gruppe aber. Die VIP-Besucher wurden nicht berücksichtigt (immerhin knapp 30 % der Eintrittskarten) und auch die Gruppe der Karteninhaber der Kategorie A ist in der Befragung unterrepräsentiert. Der Konsum von Inländern wurde nicht berücksichtigt, obwohl es zu Umverteilungen im Konsumverhalten gekommen ist. Wesentlich ist aber, dass die Inländer (Besucher) zum Teil entsparten, also auf Erspartes zurückgriffen, um die WM zu erleben (Eventisierungseffekt). Im Ausland lebende Deutsche, die nur wegen der Fußball-WM nach Deutschland gereist sind, wurden nicht berücksichtigt. Im Modell wird der angenommene Anteil der Migranten von der Anzahl der ausländischen Besucher gleichverteilt über alle Gruppen abgezogen. Dadurch sind z. B. Fernreisende überproportional stärker dezimiert, obwohl diese sehr viel höhere Konsumausgaben tätigen als die Ländergruppen, aus denen die Migranten überwiegend stammen. Im Modell wurde nur das im Ausland nicht ausgegebene Urlaubsbudget der Befragten berücksichtigt, nicht aber das der ggf. existenten Begleitpersonen (Freunde, Familie), die wegen der WM ebenfalls nicht in den Auslandsurlaub gefahren sind. Es wurden nur die Home Stayers berücksichtigt, die Public Viewings oder WM-Spiele besucht haben, nicht aber die, die auf einen Urlaub verzichtet haben und zu Hause, in kleinen Städten und Gaststätten TV gesehen haben.
190
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung des konsumtiven Impulses der Fußball-WM 2006
Einer Vielzahl von Faktoren wurden Erfahrungswerte auf Grundlage empirischer Untersuchungen oder ähnlicher Fälle in anderen WM-Städten zugewiesen. War dies nicht möglich, so wurden die Erkenntnisse aus Experteninterviews, unabhängigen statistischen Daten oder existierender Fachliteratur anderer großer internationaler Fußballveranstaltungen gewonnen. Außerdem wurden viele Werte durch Vergleiche mit anderen, ähnlichen WM-Städten abgesichert. Nur sehr selten basieren Werte auf kausallogischen Schlussfolgerungen. War dies der Fall, wurde eine konservative Schätzung vorgenommen. Die Tabelle zeigt nur die wesentlichen konservativen Annahmen. Viele weitere sind in den Abschnitten der Modellbeschreibung genannt. Schließlich werden die wichtigsten Annahmen im Modell, aber auch die empirisch ermittelten Werte, noch einer Sensitivitätsanalyse unterworfen. 5.1.1.9 Sensitivitätsanalyse der Daten des Primäreffektes Der Meteorologe Lorenz präsentierte 1972 in einem Vortrag, dass in seinem globalen Wettermodell die minimale Änderung einer Größe zu einem gewaltigen Sprung bei einer weitentfernten anderen Größe führte. Er brachte es auf die Formel, dass der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Tornado in Texas auslösen könnte (Lorenz, 1993). Ursache dafür waren nichtlineare Elemente in seinem Modell. Dieses Beispiel veranschaulicht, dass in mathematischen Modellen Variablen einen sehr unterschiedlichen Einfluss auf das Modellergebnis haben können. Daher lohnt es sich, die zentralen Variablen danach zu untersuchen, wie ihr Einfluss auf das Modellergebnis ist. Diese Form der Analyse heißt Sensitivitätsanalyse. Allgemein werden zwei Arten von Sensitivitätsanalysen unterschieden, die univariate und die multivariate Sensitivitätsanalyse: Univariate (singuläre) Sensitivitätsanalyse: Hier werden jeweils der Wert einer Variable unter Konstanthaltung aller übrigen Werte in sinnvollem Maße variiert und die Auswirkungen auf das Gesamtsystem analysiert. Anschließend wird eine andere Variable auf ihre Wirkung überprüft, während die vorherige auf ihrem ursprünglichen Wert konstant gehalten wird. Dieses Verfahren wird hier zum Einsatz kommen. Multivariate (multiple) Sensitivitätsanalyse: Hier wird nicht nur der Wert einer Variable pro Analysegang verändert, sondern mehrere gleichzeitig, die dann ein Szenario bilden. Typisch ist dabei die Wahl der Ausprägungen einzelner Variablen, die den günstigsten und den ungünstigsten Fall annehmen. Die Ergebnisse einer Sensitivitätsanalyse dienen zwei Zwecken: Erstens reduzieren sie die Unsicherheit im Umgang mit dem aufgestellten Modell, denn es ist bekannt, bei welchen Variablen mit besonderer Umsicht gearbeitet werden muss. Zweitens können sie zur Steuerung von praktischen Maßnahmen dienen. D. h. eine Variable, die besonders sensibel auf den Modelloutput wirkt, sollte daher bei zukünftigen Sportgroßveranstaltungen möglichst gut geplant werden, um den ökonomischen Impakt des Events zu maximieren. Finden sich zur Umsetzung verschiedene alternative Variablen bzw. Variablenkombinationen, so kann
5.1
Formalisierte Modellierung des ökonomischen Impakts
191
die Steuerung durch die Auswahl des effizientesten Weges ökonomisiert werden (vgl. Schütte, 2003, S. 205-214; Boardman et al., 2001, S. 166ff., und in konkreter Anwendung Rahmann et al., 1998, S. 167ff.). Eine Sensitivitätsanalyse kann prinzipiell bei jedem mathematischen Modell durchgeführt werden, ungeachtet des Anwendungsbereiches, für den das Modell entworfen wurde. Anwendungsbereiche liegen in der Kosten-Nutzen-Analyse (z. B. Boardman et al., 2001, S. 167), in der Kosten-Leistungs-Rechnung (z. B. Dellmann, 1998, S. 655ff.), im Controlling (z. B. Haiber, 1997, S. 222ff) oder auch in nicht-wirtschaftswissenschaftlichen Simulationen, z. B. der Berechnung von Kapazitätsauslastungen von Verkehrssystemen (Kobelev, 1999). Idealtypisch gliedert sich eine Sensitivitätsanalyse in sechs Schritte: 1. Schritt: Am Anfang ist eine Überprüfung des vorliegenden Wissens über das Modell wichtig. Es gibt Fälle, bei denen unbekannte Modelle ausgetestet werden müssen, und Fälle, bei denen jede Rechenoperation bekannt und die Komplexität noch überschaubar ist (wie in diesem Modell). In letzteren Fällen können die ersten Schlüsse ohne jeden Zahlentest auf sicherer Basis gezogen werden. Sind die einzelnen Rechenschritte im Modell linear, ist auch das gesamte Modell linear. Im Modell zur Berechnung des Primäreffektes in dieser Studie kommen ausschließlich lineare Operationen zum Einsatz. Lediglich bei den Berechnungen der gesamtwirtschaftlichen Wirkungen mit Hilfe des INFORGEModells wurden nichtlineare Operationen verwendet. Im 2. Schritt werden alle Variablen des Modells mit dem Ziel einer Auswahl der Variablen voranalysiert. Da sich hier die Sensitivitätsanalyse auf den quantitativen Teil der Berechnung des Primärimpulses konzentriert, entfällt bereits eine große Anzahl, die für andere Fragestellungen (z. B. Reisebewegungen) notwendig waren. Zudem wurde ein Teil der Größen unabhängig vom Szenario als konstant gesetzt und muss hier daher nicht mehr überprüft werden. Eine Ausnahme bilden dabei Konstanten, die mit Schätzfehlern versehen sein können. Dies ist beispielsweise die Anzahl der Migranten. Die Sensitivität einer Konstante kann allerdings nur im Hinblick auf die Frage, welche Größen einen starken Einfluss auf das Modell haben, interpretiert werden, und nicht hinsichtlich einer möglichen strategischen Steuerung der Modellergebnisse. Eine Reihe von verschiedenen Variablen gehen auf Grundlage derselben mathematischen Formel in das Modell ein. Daher ist es ausreichend und forschungsökonomisch sinnvoll, eine Variable stellvertretend für ihre Gruppe zu untersuchen. Dies ist z. B. bei den Annahmen über den Konsum der ausländischen Besucher der Fall. Häufig wird dann nur die Variable getestet, die den größten Beitrag zum Primärimpuls hat (hier das Konsummuster der fernreisenden „WM-Touristen“). Der Einfluss der anderen Gruppen muss dann logischerweise geringer sein. Bei singulären Sensitivitätsanalysen muss im 3. Schritt ein Grundszenario festgelegt werden, damit jede Variable einzeln getestet werden kann, wobei die anderen Variablen jeweils den Wert des Grundszenarios beibehalten. In dieser Studie basieren die Werte des Grundszenarios auf eher konservativen Werten.
192
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung des konsumtiven Impulses der Fußball-WM 2006
Im 4. Schritt wird ein geeignetes Testverfahren ausgewählt. Nach Boardman et al. (2001, S. 167ff.) sind drei Testverfahren gebräuchlich: 1.
Der „brute force approach“. Zwischen einer Minimalzahl und einer Maximalzahl wird der Wert der zu untersuchenden Variable jeweils vom Minimalwert an um eine gleiche Größe angehoben und getestet, bis der Maximalwert erreicht ist (sogenanntes Iterationsverfahren). Je kleiner die schrittweise Erhöhung ist, umso höher ist die Qualität dieses Verfahrens. Der Vorteil liegt in der Validität der Ergebnisse durch die sehr hohe Anzahl an Messpunkten. Allerdings ist das Verfahren sehr aufwändig und bei entsprechendem Vorwissen über das Modell, vor allem bei linearen Modellzusammenhängen, nicht effizient.
2.
Das „Monte Carlo-Verfahren“: Hier unterliegt die Auswahl der Messpunkte dem Zufallsprinzip. Das Verfahren ist vor allem dann geeignet, wenn über das Modell wenig bekannt ist.
3.
Beschränkung auf wenige, gezielt ausgewählte Messpunkte: Die Vorteile liegen in der Forschungsökonomie des Verfahrens und darin, dass keine aufwändige Programmierung des Modells in einer Programmiersprache nötig ist.
Für diese Studie wird auf die dritte Methode zurückgegriffen, da das Modell in EXCEL vorliegt und hinreichend bekannt ist, um geeignete Messpunkte auszuwählen. I. d. R. wird getestet, wie sich der Primärimpuls ändert, wenn die untersuchte Variable um einen Prozentpunkt angehoben wird. Da es sich um ein lineares Modell handelt, können aus den Ergebnissen auch andere prozentuale Veränderungen extrapoliert werden. Die Bestimmung der konkreten zu variierenden Werte stellt den 5. Schritt dar. Im Gegensatz zu einer kompletten Kurvendiskussion findet hier eine Beschränkung auf real sinnvolle Abschnitte des Modells statt. So kann man z. B. bei den Ausgaben auf die Überprüfung von negativen Werten verzichten, da Ausgaben immer positiv sind. Zudem ist es nicht notwendig, die positiven Werte über ein realistisches Maß hinaus zu überschreiten. Im 6. Schritt werden die zu untersuchenden Zielvariablen bestimmt. Die nötigen Rechenoperationen und die Auswertung bilden den 7. Schritt. Sind die Werte berechnet, erfolgt die Bewertung der einzelnen Variablen bzw. Variablengruppen. Dazu müssen die verschiedenen Variablen und ihr Einfluss auf den Primäreffekt miteinander verglichen werden.
5.1
Formalisierte Modellierung des ökonomischen Impakts
193
Tab. 5.6: Übersicht zentraler Variablen des Mengengerüstes und ihrer Sensitivität Gruppe
Anzahl der Variablen
Änderung bei 1 % Erhöhung
Nominale Änderung des Primärimpulses*
Migrationsrate
1
-0,723
-20.584.128
Schwarzmarkt
1
+0,466
13.267225
Anzahl Eintrittskarten „Fernreisende“ exemplarisch
6
+0,400
11.388.176
Anzahl der Stadionbesucher auf Public Viewings
1
-0,104
-2.960.926
1
-0,204
-5.807.970
6
-0,502
-14.292.161
1
+1,429
40.684.259
3
+0,911
25.936.571
15
+0,543
15.459.449
15
+0,125
3.558.805
15
+0,369
10.505.592
15
+0,096
2.733.162
1
+0,107
3.046.447
Anzahl derer, die im Public Viewing mehr als ein Spiel sehen Anzahl der Stadionkarteninhaber im Public Viewing (Fernreisende) - exemplarisch Anzahl der „neutralen Ausländer“ auf den Public Viewings (bei gegebener Verteilung) Anzahl der „Fernreisenden“ unter den Besuchern der Public Viewings - exemplarisch Anteil „WM-Touristen“ „Fernreisende“ (Stadionbesucher), die eine Begleitperson dabei haben exemplarisch Anteil der Begleitpersonen von „WM-Touristen“ „Fernreisende“ (Stadionbesucher) - exemplarisch Anteil „WM-Touristen“ „Fernreisende“ (Public Viewing), die eine Begleitperson dabei haben exemplarisch Anteil der Begleitpersonen von „WM-Touristen“ „Fernreisende“ (Public Viewing) - exemplarisch Anzahl der „Home Stayers“ in Stadien und bei Public Viewings * Primärimpuls: 2.847.044.034 €
Tabelle 5.6 zeigt die Ergebnisse der Sensitivitätsanalyse bezüglich des Mengengerüstes, d. h. die Auswirkungen auf den Primärimpuls, wenn die Anzahl von Besuchern variieren würde bzw. nicht richtig berechnet wurde.
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung des konsumtiven Impulses der Fußball-WM 2006
194
Tab. 5.7: Übersicht zentraler Variablen des Wertgerüstes und ihrer Sensitivität Gruppe
Übernachtung Europa* Tagestourist Europa teuer Stadion
Übernachtung Tagestourist
Fernreisende
Übernachtung
Übernachtung Tagestourist Public Europa fern Übernachtung Viewing Tagestourist Fernreisende Übernachtung Home Stayer * Osteuropa, Europa Nachbarn, Europa fern Europa*
WM-Tourist Casual Time Switcher WM-Tourist WM-Tourist Casual Time Switcher WM-Tourist WM-Tourist Casual Time Switcher WM-Tourist WM-Tourist WM-Tourist WM-Tourist WM-Tourist
Sensitivität bei 1 % Erhöhung +0,032 +0,002 +0,002 +0,001 +0,062 +0,003 +0,004 +0,001 +0,309 +0,022 +0,019 +0,045 +0,001 +0,098 +0,001 +0,163 +0,107
911.054 56.941 56.941 28.470 1.765.167 85.411 113.882 28.470 8.797.366 626.350 540.938 1.281.170 28.470 2.790.103 28.470 4.640.682 3.046.447
Tabelle 5.7 zeigt die Änderungen des Primärimpulses bei Veränderungen im Wertgerüst. Hier wurde getestet, welche Auswirkungen eine einprozentige Erhöhung der gesamten Konsumausgaben eines Besuchers hat. Dazu wurden jedoch nicht alle 40 relevanten Konsummuster berücksichtigt, sondern nur diejenigen, deren Ausgabeänderung bei Erhöhung um 1 % den Primärimpuls über 0,001 % verändern würde. Zusammenfassend sind die wichtigsten Ergebnisse der singulären Sensitivitätsanalyse: -
Das Modell setzt sich aus sehr vielen Variablen zusammen, die zwar multiplikativ miteinander verknüpft sind, aber letztlich nur einen schwachen oder mäßigen Einfluss auf den Primärimpuls haben. Damit würden sich vereinzelte Fehlannahmen kaum auf den Primärimpuls auswirken.
-
Die Höhe der Konsumausgaben und die Anzahl der fernreisenden „WM-Touristen“ wirken sich im Modell am stärksten aus.
-
Einige Konsummuster sind sehr unbedeutend, da sie nicht viel Gewicht haben (Anzahl Konsumtage) oder keine hohen Konsumausgaben mit ihnen verbunden sind (z. B. weil die Anzahl der zu berücksichtigenden Konsumelemente (siehe Tab. 5.2) gering ist).
-
Kritische Werte sind nicht zu identifizieren. Beachtung sollte ggf. die Migrationsrate finden sowie die Anzahl der „neutralen ausländischen“ Besucher der Public View-
5.1
Formalisierte Modellierung des ökonomischen Impakts
195
ings. Beide Größen sollten mit großer empirischer Sorgfalt erhoben werden, denn diese wirken sich unter allen getesteten Variablen am stärksten auf den Primärimpuls aus.
5.1.2
Abschätzung der gesamtwirtschaftlichen Wirkungen des Primäreffektes
5.1.2.1 Anforderungen an das einzusetzende Modell Aufgrund der heterogenen Güterstruktur des ermittelten Primärimpulses sollte das eingesetzte ökonomische Modell zur Berechnung der gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen explizit zwischen verschiedenen Gütergruppen und den zugeordneten Produktionsbereichen unterscheiden. Dieses ist insbesondere deswegen wichtig, weil zur Produktion der nachgefragten Güter auf der sektoralen Ebene sehr unterschiedliche Technologien eingesetzt werden. Außerdem divergieren die nachgefragten Güter zum Teil erheblich in ihren Preiselastizitäten. Beide Effekte führen letztlich dazu, dass sich auf der sektoralen Ebene sehr spezifische Kosten- und Erlössituationen ergeben. Dieses gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund der zunehmenden Globalisierung der Produktmärkte und der daraus resultierenden internationalen Arbeitsteilung und Produktvielfalt. So unterscheiden sich beispielsweise die Einkommens- und Beschäftigungswirkungen der Nachfrage von Leistungen des Gast- oder Verkehrsgewerbes in erheblichem Umfang von Nahrungsmitteln oder elektronischen Erzeugnissen. Ebenfalls sollen im eingesetzten ökonomischen Modell die zu ermittelnden gesamtwirtschaftlichen Effekte das Resultat der verschiedenen Anpassungsreaktionen innerhalb der Faktor- und Gütermärkte auf der sektoralen Branchenebene sein. Es soll hinsichtlich der drei Zielgrößen Produktion, Einkommen und Beschäftigung die folgenden drei Teileffekte abbilden: (1)
Direkte Produktionseffekte: Diese berücksichtigen nur solche Effekte, die in Zusammenhang mit der direkten Konsumgüternachfrage des Primäreffektes stehen. Sie entstehen ausschließlich in jenen Sektoren, die direkt von den Ausgaben der Touristen profitieren.
(2)
Indirekte Produktionseffekte: Diese treten über Vorleistungsbezüge bei jenen Unternehmen auf, die den Unternehmen, die das direkt nachgefragte Konsumgut produzieren, Waren und Dienstleistungen liefern, d. h. in den entsprechenden Vorleistungsund Zulieferunternehmen.
(3)
(Einkommens-)Induzierte Produktionseffekte: Diese werden entsprechend dem Multiplikator-Modell nach Keynes definiert: Die teilweise Wiederverausgabung der im Laufe des Produktionsprozesses direkt und indirekt entstandenen Einkommen löst einen Multiplikatorprozess aus, welcher weitere Produktion und Beschäftigung induziert.
Darüber hinaus soll das einzusetzende Modell auch das deutsche Steuer- und Abgabensystem berücksichtigen. Dazu sind sowohl die produktionsseitige Belastung der sektoralen
196
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung des konsumtiven Impulses der Fußball-WM 2006
Kostenstrukturen der Unternehmen und die Belastung der privaten Haushalte als auch die verwendungsseitige Darstellung von Steuern und Abgaben im Rahmen der Ausgabentätigkeit des Staates im gesamtwirtschaftlichen Modellzusammenhang darzustellen. 5.1.2.2 Das makroökonomische Simulationsmodell INFORGE Zur Abschätzung aller direkt und indirekt induzierten Einkommens- und Beschäftigungswirkungen des im Rahmen dieser Studie ermittelten Primäreffektes wird auf das seit mehr als einem Jahrzehnt etablierte sektoral disaggregierte makroökonomische Modell INFORGE (INterindustry FORecasting GErmany) der GWS mbH zurückgegriffen (vgl. z. B. Meyer et al., 2007; Distelkamp et al., 2003; Ahlert, 2001; Meyer & Ahlert, 2000; Elixmann, Keuter & Meyer, 1997; Lichtblau, Meyer & Ewerhart, 1996). Der dem makroökonometrischen Modell zugrunde liegende Zeitreihendatensatz beruht in erster Linie auf den Ergebnissen der disaggregierten Inlandsproduktberechnung, dem Kontensystem der VGR und den Input-Output-Tabellen (vgl. Statistisches Bundesamt, 2007a, 2004). Das Modell INFORGE ermöglicht die konsistente Ermittlung der durch den Primärimpuls indirekt induzierten Produktions-, Einkommens- und Beschäftigungseffekte im gesamtwirtschaftlichen und branchenspezifischen Zusammenhang. Das eingesetzte ökonometrisch geschätzte Modell ist ganzheitlich konzipiert, d. h. im Gegensatz zu partialanalytisch motivierten Modellstrukturen erfolgt die konsistente Berücksichtigung vielfältiger Wirkungen und Rückwirkungen über direkte und indirekte Effekte innerhalb der interindustriellen Modellzusammenhänge. Die folgende überblicksartige Darstellung des Modells veranschaulicht, welche Komplexität die Berechnung der später erläuterten Ergebnisse berücksichtigt. Die besondere Leistungsfähigkeit des Modells INFORGE beruht auf den Konstruktionsprinzipien „Bottom-up“ und „Vollständige Integration“ des INFORUM-Verbundes (vgl. Almon, 1991). Das Konstruktionsprinzip „Bottom-up“ besagt, dass jeder der 59 Sektoren der Volkswirtschaft sehr detailliert modelliert ist und die gesamtwirtschaftlichen Variablen durch explizite Aggregation im Modellzusammenhang gebildet werden. Das Konstruktionsprinzip „Vollständige Integration“ beinhaltet eine komplexe und simultane Modellierung, die die interindustrielle Verflechtung ebenso beschreibt wie die Entstehung und die Verteilung der Einkommen, die Umverteilungstätigkeit des Staates sowie die Einkommensverwendung der privaten Haushalte für die verschiedenen Waren und Dienstleistungen. Das Gesamtmodellsystem besteht im Wesentlichen aus einer Input-Output-Modellierung, einer Darstellung des Kontensystems der VGR und einer disaggregierten Arbeitsmarktmodellierung. Über das Welthandelsmodell GINFORS erfolgt eine Integration der nationalwirtschaftlichen Zusammenhänge in den globalwirtschaftlichen Kontext. Einen detaillierten Einblick in die Struktur des Modells gibt die folgende Abbildung.
5.1
Formalisierte Modellierung des ökonomischen Impakts
Geldpolitik
Preise
197
Stückkosten Löhne
Zinsen Input-OutputVorleistungsnachfrage
- Inländische Produkte - Importierte Produkte 59 x 8
- Inländische Vorleistungen - Importierte Vorleistungen 59 x 59
Wertschöpfung & Beschäftigung
- Weltimportnachfrage - Weltmarktpreise
Komponenten der Endnachfrage
Produktion
GINFORS Welthandelsmodell
Nichtfinanzielle & Finanzielle Kapitalgesellschaften Staat / Private Haushalte / Übrige Welt - Steuern - Sozialbeiträge - Verfügbare Einkommen - Finanzierungssalden
Abb. 5.1: Struktur des Modells INFORGE Das globalökonomische Handelsmodell GINFORS liefert an das deutsche INFORGEModell den Vektor der Weltimportnachfrage und den Vektor der Weltmarktpreise nach Gütergruppen (vgl. Meyer et al., 2007; Meyer, Lutz & Wolter, 2005). Die Endnachfrage umfasst – in der Gliederung nach 59 Gütergruppen – den Konsum der privaten Haushalte, der privaten Organisationen ohne Erwerbszweck und des Staates, die Ausrüstungsinvestitionen, die Bauinvestitionen, die Vorratsveränderungen und die Exporte. Die wichtigsten Determinanten der Endnachfrage sind die Auslandsvariablen des GINFORS-Systems (zur Erklärung der Exporte), das Verfügbare Einkommen der privaten und der öffentlichen Haushalte (zur Erklärung des Konsums der privaten Haushalte und des Staates), die Zinsen und Gewinne (zur Erklärung der Investitionen) sowie die relativen Preise für alle Komponenten der Endnachfrage. Auch die Vorleistungsnachfrage ist im Modell detailliert abgebildet. Für alle Gütergruppen werden die Lieferungen aus inländischer Produktion und die Einfuhren unterschieden. Die Inputkoeffizienten sind dabei grundsätzlich variabel und hängen von relativen Preisen und Zeittrends ab. Die Endnachfrage insgesamt bestimmt mit der Vorleistungsnachfrage abzüglich der Importe die inländische Produktion. Die Importe hängen sowohl von der Entwicklung der Importnachfrage des GINFORS-Systems als auch von der Entwicklung der Importpreise und der Inlandspreise ab. Die Gewinne und die Stückkosten ergeben sich definitorisch. Bei der Bestimmung der Stückkosten werden explizit die Kostenanteile für inländische und importierte Vorleistun-
198
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung des konsumtiven Impulses der Fußball-WM 2006
gen, Löhne, Abschreibungen und steuerliche Größen berücksichtigt. Die Stückkosten sind dann die entscheidende Determinante der Preise. Die Herstellungspreise sind das Ergebnis einer Aufschlagskalkulation der Unternehmen. Dabei wird berücksichtigt, dass die jeweiligen Produktionspreise nicht bei jeder Veränderung der Kosten unmittelbar angepasst werden können. Vielmehr werden auch periodenübergreifende Einflüsse in die Bestimmung der Preise einbezogen. Diese Preise werden als Angebotspreise stets der Nachfrage gegenübergestellt. Die Ergebnisse der Input-Output-Modellierung gehen dann in die Berechnungen zum Arbeitsmarkt und in das Kontensystem ein, welche wiederum für die Bestimmung der Kostenstruktur und der Endnachfrage bedeutsam sind. Der Arbeitsmarkt besteht aus einem aggregierten und einem disaggregierten Teil. Im aggregierten Teil wird das gesamtwirtschaftliche Arbeitsangebot mittels der demographischen Entwicklung bestimmt. Zusammen mit der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage ergibt sich die Anzahl der Arbeitslosen. Zur Ermittlung der gesamtwirtschaftlichen Arbeitsnachfrage wird in einem ersten Schritt die gesamtwirtschaftliche Lohnfunktion bestimmt: Die durchschnittliche Jahreslohnsumme eines Beschäftigten ist abhängig von der gesamtwirtschaftlichen Arbeitsproduktivität, der Konsumpreisentwicklung und der Situation auf dem Arbeitsmarkt. Die sich ergebende Größe dient als Indikator für die Entwicklung des – nach 59 Wirtschaftsbereichen – disaggregierten Arbeitsmarktes. Das jeweilige Arbeitnehmerentgelt pro Kopf jedes Wirtschaftsbereiches wird in Beziehung zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung gestellt. Die Nachfrage nach Beschäftigten ist eine Funktion der Produktionsentwicklung und der Veränderung des Reallohnes des jeweiligen Wirtschaftsbereiches. Die Arbeitsproduktivität eines Sektors ergibt sich definitorisch. Durch die sektorale Zusammenführung von Beschäftigtenzahl und Arbeitnehmerentgelt ergibt sich der Vektor der Arbeitsentgelte, der dann als Aggregat in das Kontensystem eingeht. Es schließt sich der sektoral fundierte Kreislauf: Die Ergebnisse der Endnachfrage, die gleichermaßen Aspekte des Angebotes wie der Nachfrage umfassen, bestimmen zusammen mit den branchenspezifischen Produktionstechnologien das Niveau der Produktion, die wiederum die primäre Verteilung der Einkommen beeinflusst. Innerhalb des vollständig endogenisierten Kontensystems erfolgt die Erfassung der Entstehung, Verteilung, Umverteilung und Verwendung der Einkommen innerhalb der funktionellen Transaktoren Produktion, Primäre Einkommensverteilung, Sekundäre Einkommensverteilung, Einkommensverwendung, Vermögensänderung und Sachvermögensbildung und die daraus resultierenden Vermögensänderungen für die fünf institutionellen Transaktoren Nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften, Finanzielle Kapitalgesellschaften, Staat, Private Haushalte und Private Organisationen ohne Erwerbszweck sowie Übrige Welt. Dieses System enthält die gesamte Einkommensumverteilung einschließlich Sozialversicherung und Besteuerung zwischen Staat, Privaten Haushalten und Unternehmen und ermöglicht so die Berechnung der Verfügbaren Einkommen, die wiederum wichtige Determinanten der Endnachfrage sind. Außerdem werden die Finanzierungssalden der in-
5.1
Formalisierte Modellierung des ökonomischen Impakts
199
stitutionellen Transaktoren bestimmt. Damit ist insbesondere auch die staatliche Budgetrestriktion im Modell enthalten. Die Verhaltenshypothesen des Modells betreffen die Ausgaben der institutionellen Transaktoren. Die Summen der Einnahmen einer Transaktionsart sowie die Salden der Konten sind stets definitorisch gegeben. Innerhalb des Kontensystems sind die Arbeitsmarktentwicklung, die demographische Entwicklung, das Steueraufkommen (Sonstige Gütersteuern, Mehrwertsteuer etc.), die sektorale Wertschöpfung, die Konsumausgaben der privaten Haushalte und des Staates und die Investitionen wichtige Einflussfaktoren. Endogen eingebunden in dieses System ist somit die gesamte Fiskalpolitik des Staates. Die Struktur des Modells INFORGE ist hochgradig interdependent. Neben den üblichen Kreislaufinterdependenzen sind die Mengen-Preisinterdependenzen und die Lohn-Preisinterdependenzen abgebildet. Dabei ist zu beachten, dass Preise und Mengen konsistent miteinander verknüpft sind. Auch weist das Modell einen sehr hohen Endogenisierungsgrad auf. Exogen vorgegeben sind im Wesentlichen Steuersätze, das Arbeitsangebot und die Weltmarktvariablen des internationalen GINFORS-Systems. Hervorzuheben ist, dass das gesamte System simultan gelöst wird. Dabei sind allein die Variablen des GINFORS-Welthandelsmodells aus dem Simultanblock herausgenommen. Das Modell zeichnet sich außerdem durch weitgehende Nichtlinearitäten aus, die durch multiplikative Verknüpfungen von Variablen in Definitionsgleichungen und Schätzgleichungen sowie durch doppeltlogarithmische Schätzansätze entstehen. Die Dynamik des Modells wird durch die Kapitalstockfortschreibung, die verzögerte Lohnanpassung an Produktivitäts- und Preisentwicklung, die verzögerte Anpassung des Staatsverbrauchs an die Entwicklung des verfügbaren Einkommens des Staates und weitere Lags in Nachfragefunktionen hervorgerufen. Dem innerhalb des Modells INFORGE realisierten Input-Output-Ansatz wird gemeinhin eine nachfrageorientierte Modellierung zugesprochen. Dies trifft auf INFORGE allerdings nicht zu. Es ist zwar richtig, dass auch in INFORGE die Nachfrage die Produktion bestimmt, aber alle Güter- und Faktornachfragevariablen hängen unter anderem von relativen Preisen ab, wobei die Preise wiederum durch die Stückkosten der Unternehmen in Form einer Preissetzungshypothese bestimmt sind. Die Nachfrager reagieren darauf mit ihrer Entscheidung, die dann die Höhe der Produktion bestimmt. Angebots- und Nachfrageelemente sind also im gleichen Maße vorhanden. Innerhalb des letzten Jahrzehnts wurde das Modell INFORGE im jährlichen Turnus aktualisiert und weiterentwickelt. Es wurde in z. T. sehr unterschiedlichen Themenfeldern zur Analyse ökonomischer Fragestellungen eingesetzt. So wird das Modell INFORGE unter anderem vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesanstalt für Arbeit zur Beantwortung beschäftigungspolitischer Fragestellungen eingesetzt (vgl. u. a. Meyer et al., 2007; Distelkamp et al., 2003). In Forschungsaufträgen für das Bundesministerium für Finanzen, das Statistische Bundesamt, das Umweltbundesamt etc. wurden Daten aus den umweltökonomischen Gesamtrechnungen (UGR) des Statistischen Bundesamtes innerhalb der umweltökonomischen Modellver-
200
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung des konsumtiven Impulses der Fußball-WM 2006
sion PANTA RHEI des Modells INFORGE endogenisiert, um dann im Rahmen von Politiksimulationen ein besseres Verständnis der zu erwartenden ökonomischen Auswirkungen zu erhalten (u. a. Staiß et al., 2006; Distelkamp et al., 2004; Meyer, 2002; Bach et al., 2001). Außerdem wurde das Modell INFORGE in Studien für verschiedene Bundesministerien eingesetzt, um die innerhalb eines Satellitensystems zu den VGR ermittelte direkte gesamtwirtschaftliche Bedeutung einer Aktivität (u. a. Verkehr, Tourismus, Sport) um die indirekten makroökonomischen Wirkungen zu ergänzen (u. a. Ahlert, Großmann & Lutz, 2006; Ahlert, 2003; Meyer & Ahlert, 2000). In diesem Kontext wurden auch eine Vielzahl von themenfeldspezifischen Politiksimulationen und Wirkungsanalysen durchgeführt (u. a. Ahlert, 2005, 2004, 2001). 5.1.2.3 Einbindung des Primärimpulses in das INFORGE-Modell Innerhalb dieser Studie wurde der im Zuge der WM-Besucherbefragung ermittelte Primärimpuls in das vorgestellte makroökonomische Simulationsmodell INFORGE implementiert. Dazu wurde der während der Fußball-WM identifizierte Primärimpuls den innerhalb des Modells abgebildeten 43 Konsumverwendungszwecken konsistent zugeordnet. Die erhobenen Konsumausgaben beziehen sich alle auf den Zeitraum der Fußball-WM sowie maximal 39 Tage vor und nach der Fußball-WM (Anschlussreisen). Daher wird der Sekundärimpuls aller indirekt induzierten Vorleistungsverflechtungs-, Einkommens- und Preiseffekte aus dem singulären starken Primärimpuls im gesamtwirtschaftlichen Modellzusammenhang ermittelt. Innerhalb des Modells INFORGE sind die Konsumausgaben nach 43 Verwendungszwecken wiederum mit dem Konsum der privaten Haushalte nach 59 Gütergruppen verbunden, die über die gesamtwirtschaftlichen Verflechtungsbeziehungen – dargestellt innerhalb des Input-Output-Modellteils – mit der Angebotsseite nach 59 Produktionsbereichen verknüpft sind (vgl. Distelkamp et al., 2003). Tabelle 5.8 zeigt, welche der 43 Verwendungszwecke für diese Studie verwendet wurden.
5.2
Modell zur Bestimmung des Primärimpulses durch die Besucher der Fußball-WM 2006
201
Tab. 5.8: Primärimpuls nach Konsumverwendungszwecken Verwendungszweck / Ausgaben
Nahrungsmittel Alkoholfreie Getränke Alkoholische Getränke Tabakwaren Bekleidung Schuhe Haushaltsgeräte Gebrauchsgüter für die Haushaltsführung (Glaswaren, Tafelgeschirr etc.) Waren und Dienstleistungen zur Haushaltsführung Medizinische Erzeugnisse Waren und Dienstleistungen für den Betrieb von Privatfahrzeugen Kraftstoffe Verkehrsdienstleistungen Nachrichtenübermittlung Audiovisuelle, fotografische und Informationsverarbeitungsgeräte Andere größere langlebige Gebrauchsgüter für Freizeit und Kultur Freizeit und Kulturdienstleistungen Zeitungen, Bücher und Schreibwaren Beherbergungsdienstleistungen Körperpflege Persönliche Gebrauchsgegenstände Sonstige Dienstleistungen
5.2
Modell zur Bestimmung des Primärimpulses durch die Besucher der Fußball-WM 2006
Dieser Abschnitt basiert auf der Beschreibung des formalisierten Modells (Abschnitt 5.1). Allerdings musste aufgrund des Mangels an Daten – trotz 9.543 Datensätzen – auf das „Einfache Modell“ (Tab. 5.4) zurückgegriffen werden. Im Folgenden werden die wesentlichen Algorithmen noch einmal auf Grundlage der verwendeten Daten und notwendigen Annahmen gezeigt. In den folgenden Ausführungen wird grundsätzlich zwischen den Berechnungen der Effekte von Besuchern des Public Viewing und denen der Stadien unterschieden. Zunächst werden das Mengengerüst und dann das Wertgerüst dargestellt. In stark vereinfachter Ausdrucksweise wird der konsumtive Primärimpuls wie folgt berechnet:
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung des konsumtiven Impulses der Fußball-WM 2006
202
Tab. 5.9:
Mengen- und Wertgerüst zur Berechnung des Primärimpulses Mengengerüst (5.2.1)
Anzahl der Besucher
x
Anzahl der Tage
Wertgerüst (5.2.2)
x
differenziert nach Besuchertypen, da inklusive der Zwischennicht alle Besucher zur Berechnung und Anschlussreisen des Primärimpulses relevant sind
Konsummuster differenziert nach Ländergruppen, Tagesbesuchern, Public Viewing und Stadion etc.
Der Grundgedanke der Berechnung basiert darauf, dass die Anzahl der Besucher erfasst wird, denn nur diese Grundlage ermöglicht es, die gesamte Aufenthaltsdauer eines Besuchers einzubeziehen, ohne Doppelzählungen zu begehen. Schließlich sind die „Home Stayers“, also jene Inländer zu berücksichtigen, die wegen der Fußball-WM auf einen Auslandsurlaub verzichtet haben. Der Primärimpuls wird jedoch nicht durch den Konsum dieser Gruppe während der Fußball-WM berechnet, sondern es wird unterstellt, dass die gesamten für den Auslandsurlaub gesparten Mittel mittelfristig in Deutschland ausgegeben werden (Kapitel 5.2.3).
5.2.1
Berechnung des Mengengerüstes der Besucher und Besuchstage
Zuerst erfolgt die Bestimmung des Mengengerüstes. Dabei wird zur Berechnung der Anzahl von Besuchern im Stadion anders vorgegangen als bei Besuchern der Public Viewings. Das Ziel ist es, das Mengengerüst (Anzahl der Konsumtage) derjenigen WM-Besucher zu ermitteln, die autonome Mittel nach Deutschland gebracht haben. Abbildung 5.2 zeigt schematisch die Berechnung des Mengengerüstes der Stadionbesucher. Dazu werden zunächst die Stadionbesucher identifiziert und von den Besuchern der Public Viewings getrennt. Gab ein Befragter an, dass er eine Eintrittskarte hatte, so wurde er als Stadionbesucher kategorisiert, hatte er keine Karte, dann galt er als Public-ViewingBesucher. Eine kleine Restgruppe besteht aus Personen, die vor einem Stadion befragt wurden, aber weder ein Public Viewing besuchten/besuchen wollten noch eine Eintrittskarte hatten. Diese Gruppe wurde nicht weiter berücksichtigt. Das OK der Fußball-WM stellte eine exakte Liste der Verkaufszahlen der Eintrittskarten pro Spiel, gegliedert nach Nationalitäten, zur Verfügung. Demnach haben Personen aus 210 Nationen eine Eintrittskarte gekauft. Die Identifikation der Nationalität erfolgte durch die erforderliche Angabe eines offiziellen Dokuments (zumeist Reisepass) beim Kauf der Eintrittskarte. Zunächst wurden die Zuschauer nach ihrer Nationalität in sechs Gruppen gegliedert, da die empirischen Daten es nicht zulassen, für alle 210 Nationalitäten Aussagen zu treffen. Diese wurden, wie oben begründet, in sechs Ländergruppen unterteilt: Inländer, Osteuropa, Europa Nachbarn, Europa fern, Europa teuer und Fernreisende.
5.2
Modell zur Bestimmung des Primärimpulses durch die Besucher der Fußball-WM 2006
203
Befragung von Personen am Stadion und Public Viewing ja
besitzt Karte
nein
Stichprobe Public-Viewing-Zuschauer
Stichprobe Stadionzuschauer
Fernreisende
Europa teuer
Europa fern
Europa Nachbarn
Osteuropa
Inländer
verkaufte Anzahl von Karten nach Nationalität
Migrationsrate
Schwarzmarktquote Zuschauer im Stadion nach Herkunftsland Ø Anzahl der Karten Anzahl der Stadionbesucher
Abb. 5.2: Diagramm des Modells zur Berechnung der Anzahl von Stadionbesuchern Für die Berechnung des Primärimpulses sind auf Grundlage des Datenmaterials vom OK allerdings ausländische Bürger, die in Deutschland wohnen, als Ausländer erfasst worden, während Personen mit deutscher Staatsbürgerschaft, die im Ausland wohnen, als Deutsche erfasst wurden. Für die auf dem Export-Basis-Konzept basierenden Berechnungen der Mittelzuflüsse und Mittelabflüsse ist es jedoch wichtig, die Kartenverkäufe nach dem Herkunftsland (Wohnsitz) zu differenzieren. Daher mussten die Angaben des OK um die Migrationsrate korrigiert werden, die aufgrund fehlender Informationen in diesem Modell mit 1 % über alle Nationen angesetzt wurde. Mit anderen Worten wurden 1 % aller an Ausländer verkauften Eintrittskarten der Gruppe der Inländer zugeschlagen. Das eine Prozent wurde also über alle Länder gleich verteilt, was eine konservative Annahme ist, denn die meisten Migranten stammen aus nicht wohlhabenden Nationen, insbesondere aus osteuropäischen Ländern oder der Türkei. Da das Modell die Migranten gleichmäßig von allen Ländergruppen abzieht, sind z. B. Fernreisende überproportional stärker dezimiert als die Gruppen, aus denen die Migranten überwiegend stammen (z. B. Osteuropa). Da die Konsumausgaben der Fernreisenden aber höher sind als die der Osteuropäer, führt diese Modellannahme zu einer Unterschätzung des Primarimpulses.
204
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung des konsumtiven Impulses der Fußball-WM 2006
Außerdem wurden die im Ausland wohnenden Deutschen, die zur Fußball-WM nach Deutschland gereist sind, nicht aus der Gruppe der Inländer herausgelöst. Auch dies führt zu einer Unterschätzung des Primärimpulses, denn im Grunde führen sie der deutschen Wirtschaft zusätzliche Mittel zu. Auf Grundlage der empirischen Daten wurde eine Korrektur der Zuschauerzahlen nach Nationengruppen vorgenommen, indem eine durchschnittliche Schwarzmarktquote von 8 % angesetzt wurde. Die empirische Erhebung zeigt, dass im Durchschnitt 7,2 % der Eintrittskarten auf dem Schwarzmarkt gekauft wurden. Die qualitativen Beobachtungen sowie die Strichlistenauszählung vor den Spielen zeigten jedoch, dass der Anteil von 7,2 % eher niedrig ist. Die Tatsache, dass große Teile des Stadions von Fans der spielenden Nationen besucht wurden, deutet auf eine höhere Quote hin. Für dieses Modell wird des Weiteren angenommen, dass die 8 % auf dem Schwarzmarkt verkauften Eintrittskarten von Inländern verkauft wurden. Der Verkauf über den Schwarzmarkt wird in der Dunkelziffer jedoch höher gelegen haben, denn der Kauf von Eintrittskarten auf dem Schwarzmarkt war illegal, wurde im Fragebogen aber mehr oder minder direkt abgefragt. Es kann angenommen werden, dass viele Befragte den Kauf der Eintrittskarte auf dem Schwarzmarkt daher nicht zugegeben haben. Diese Annahme wird auch durch die indirekte Abfrage der Kosten für Eintrittskarten gestützt, denn von denen, die nur eine Karte kauften, bezahlten mehr als 8 % einen höheren Preis als die teuerste auf legalem Weg zu erstehende Karte kostete. In all diesen Fällen muss es sich um Schwarzmarktkarten gehandelt haben. Die Tatsache, dass einige teilnehmende Nationen das ihnen zustehende Länderkontingent (7-15 % der Eintrittskarten der Spiele, an denen die eigene Mannschaft teilnimmt) bestellten und diese Karten dann überwiegend auf dem Schwarzmarkt verkauften, hatte allerdings gegenteilige Wirkung, weil viele dieser Karten wahrscheinlich auch von Inländern gekauft wurden. Hier wird angenommen, dass sich der Effekt der Unterschätzung durch die Dunkelziffer mit dem der Überschätzung durch organisierte ausländische Schwarzmarkthändler zumindest gegenseitig aufhebt. Die Höhe des Verkaufs der Eintrittskarten auf dem Schwarzmarkt erweist sich im Gesamtmodell zudem als keine stark sensible Variable. Im nächsten Schritt wird die empirisch ermittelte durchschnittliche Anzahl von Eintrittskarten nach Ländergruppen durch die errechnete Anzahl von Zuschauern dividiert. Dadurch ergibt sich die Anzahl von Stadionbesuchern nach den sechs Ländergruppen.
5.2
Modell zur Bestimmung des Primärimpulses durch die Besucher der Fußball-WM 2006
205
Tab. 5.10: Daten zur Berechnung der Anzahl der Besucher in Stadien nach Ländergruppen
Eintrittskarten laut OK Inländer Osteuropa Europa Nachbarn Europa fern Europa teuer Fernreisende Summe
1.263.154 45.969 88.888 128.367 208.771 419.906 2.155.055
Eintrittskarten nach Korrektur um SM und M 1.205.444 48.943 94.639 136.673 222.279 447.076 2.155.055
Stadion Ø Anzahl von Eintrittskarten Anzahl pro Besucher Besucher 2,18 552.190 1,66 29.396 2,00 47.223 2,18 62.643 2,30 96.540 2,42 184.797 2,22 972.789
Besucher in % 56,76 3,02 4,85 6,44 9,92 19,00 100,00
SM = Schwarzmarkt / M = Migrationsrate
Die Tabelle zeigt die Berechnung der Anzahl von Besuchern, die die Grundlage für weitere Berechnungen ist. Dabei hat einzig die Variable der Fernreisenden eine gewisse Sensibilität für das Modell, denn diese Besucher haben die höchsten Konsumausgaben. Bei einer einprozentigen Erhöhung der verkauften Eintrittskarten an Fernreisende hätte sich der Primärimpuls um 0,4 % erhöht. Der Tabelle ist außerdem zu entnehmen, wie groß der Anteil der Besucher war, die aus den verschiedenen Ländergruppen kamen. Letztlich waren lediglich 420.633 Stadionbesucher (43,2 %) aus dem Ausland zur Fußball-WM nach Deutschland gereist. Die Berechnung des Mengengerüstes basiert auf dem arithmetischen Mittel bestimmter Variablen (z. B. Anzahl der Eintrittskarten pro Person). Hier soll noch einmal wiederholt werden, dass dies trotz der häufig fehlenden Normalverteilung der Daten möglich ist, denn als weiter zu verrechnende Modellvariable gibt der Mittelwert lediglich den durchschnittlichen Wert einer Variable an, wobei eine Aussage über die Verteilung der Werte nicht notwendig ist. Dies soll am Beispiel der Anzahl von Eintrittskarten verdeutlicht werden: Wenn zehn Personen eine Karte besitzen und fünf Personen vier Karten besitzen, dann haben 15 Personen 30 Karten, wobei im arithmetischen Mittel jeder zwei Karten hat. Zur Beschreibung der Kartenverteilung ist das arithmetische Mittel nicht aussagekräftig, da die Verteilung zwei Gipfel hat. Aber wenn es bekannt ist, dass 30 Karten verkauft wurden, und durch Befragungen ermittelt wird, dass jeder im Durchschnitt zwei Karten hatte, kann durch Division der Gesamtanzahl (30 Karten) durch zwei exakt ermittelt werden, dass genau 15 Personen vor Ort waren. Die Anzahl der Besucher kann also berechnet werden. Abbildung 5.3 zeigt die Berechnung des Mengengerüstes der Public-Viewing-Besucher.
206
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung des konsumtiven Impulses der Fußball-WM 2006
Befragung von Personen, die eine Eintrittskarten haben und/oder ein Public Viewing besuchen ja
besitzt Karte
nein
Stichprobe Public-Viewing-Zuschauer
Stichprobe Stadionzuschauer
Angaben über Füllung der PV der Städte (Referenzen) Spiel Bleiber Spiel nicht in der Stadt in der Stadt
neutrale Ausl.
Inländer
neutrale Ausl.
Team 2
Team 1
Inländer
Ø Anzahl & Erhebung
Fernreisende
Europa teuer
Europa fern
Europa Nachbarn
Osteuropa
Inländer
Zuschauer im PV nach Herkunftsland
Ø Anzahl Besuche von PV
Anzahl der PV Besucher
Abb. 5.3: Diagramm des Modells zur Berechnung der Anzahl von Public-ViewingBesuchern Die Abbildung zeigt zunächst die Identifikation der Public-Viewing-Besucher. Diese waren ausschließlich Besucher, die keine Eintrittskarte für die WM besaßen. Die zwölf WM-Städte hatten mehr oder weniger exakt die Besuchszahlen auf den offiziellen Public Viewings registriert. Dabei konnten Hamburg, Frankfurt, München und Berlin tagesgenaue Zahlen liefern, während Leipzig, Nürnberg und Dortmund nur die Gesamtzahl der Besucher auf den Public Viewings angeben konnten. Für Gelsenkirchen, Kaiserslautern, Köln, Hannover und Stuttgart lagen schließlich lediglich die Gesamtkapazitäten des Public Viewing und Schätzungen der Organisatoren für einzelne Spieltage vor. Aufgrund dieser Datenlage wurde die Gesamtzahl der Besucher folgendermaßen auf die einzelnen Spieltage verteilt: -
Die Zuschaueranzahl der vier Städte, die über alle 25 Spieltage solide Daten ermittelten, wurde als Grundlage genommen, um die Anzahl der Besucher in den anderen
5.2
Modell zur Bestimmung des Primärimpulses durch die Besucher der Fußball-WM 2006
207
WM-Städten zu bestimmen. Letztlich diente das arithmetische Mittel des Besuchs der vier Referenzstädte dazu, den durchschnittlichen Anteil der Public-ViewingBesucher – relativ zur jeweiligen Gesamtzuschauerzahl der entsprechenden Stadt – in Städten zu berechnen, die keine Livespieltage hatten. Also wurden alle Städte/Spieltage, an denen gleichzeitig Livespiele im Stadion stattgefunden haben, aus den Berechnungen herausgenommen. Diese Spieltage haben besonders viele ausländische Besucher angezogen und werden gesondert untersucht. -
Für die Public Viewings in den Städten, in denen Livespiele ausgetragen wurden und in denen insbesondere Nationen spielten, die viele ausländische Fans anzogen, wurden höhere Zahlen angenommen, die entweder an der Kapazitätsgrenze des Public Viewing ausgerichtet waren oder sich an Meldungen aus den Medien orientierten. Diese Korrekturen der besonderen Spiele bezogen sich allerdings lediglich auf den Anteil der ausländischen Besucher, sie erhöhten jedoch die Gesamtanzahl der Zuschauer pro Stadt nicht.
Die Gesamtanzahl der Zuschauer auf den Public Viewings soll nach öffentlichen Angaben 18 Millionen betragen haben (BMI, 2006, S. 43). Nach Angaben der Städte und kleinen Korrekturen, z. B. des Public Viewing in Kaiserslautern, bei dem die Fußgängerzone in die Zählungen der Stadt einbezogen wurde, wird in diesem Modell lediglich von 16,8 Millionen Zuschauern ausgegangen. Eine Unterschätzung von 6,6 % entspricht wieder einer konservativen Vorgehensweise. Jedoch gibt es drei Möglichkeiten, durch die Doppelzählungen erfolgen könnten. Zum einen kann dieselbe Person häufiger auf Public Viewings gegangen sein, zweitens kann dieselbe Person im Public Viewing verbleiben und sich ein 2. Spiel ansehen. Drittens könnten Personen, die eine Stadionkarte (an einem anderen Tag) haben, sowohl als Stadionbesucher als auch als Public-Viewing-Besucher erfasst werden. In dieser Studie wurde auf zahlreichen Public Viewings befragt, sodass grundlegende Erkenntnisse gewonnen werden konnten, die dann auf die anderen Städte übertragen wurden. Insgesamt gab es 25 Spieltage, also 300 Public-Viewing-Events, an denen ein bis drei Spiele übertragen wurden. Die Annahmen zur Bestimmung der Anzahl von Besuchern auf Public Viewings sind folgende: -
Von einem zum nächsten Spiel sind 20 % der Besucher im Public Viewing geblieben und haben sich damit mehr als ein Spiel angesehen (in der Abbildung „Bleiber“). Diese Zahl ist auf Grundlage kausallogischer Überlegungen und anhand qualitativer Beobachtungen geschätzt. Sie sollte in einer neuen Untersuchung durch eine gesonderte Frage überprüft werden.
-
Alle diejenigen, die eine Stadionkarte besitzen, wurden konsequent als Stadionbesucher kategorisiert und nicht weiter im Public Viewing berücksichtigt. Dadurch musste die Anzahl der Besucher in den Public Viewings reduziert werden. Aufgrund der empirischen Erhebungen kann davon ausgegangen werden, dass ca. 10 % der Inländer, 20 % der Europäer und 30 % der Fernreisenden eine Stadionkarte hatten. Die Anzahl der Zuschauer in den Public Viewings wurde daher um diese Anzahl ver-
208
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung des konsumtiven Impulses der Fußball-WM 2006
ringert. Auch diese Annahmen sind konservativ gesetzt, so zeigen einzelne empirische Werte z. B. den folgenden Anteil von Kartenbesitzern auf Public Viewings: Stuttgart (Spiel 13) 2,6 % / Frankfurt (Spiel 14) 5,0 % / Nürnberg (Spiel 19) 4,5 % / Köln (Spiel 26) 5,9 % / München (Spiel 62) 24,6 % / Hamburg (über 25 Spiele) 24,1 %. -
Es wurde erhoben, wie häufig die Zuschauer aus den sechs Ländergruppen die Public Viewings besuchten.
Insgesamt haben letztlich 4,1 Millionen Personen die Public Viewings besucht (siehe Tab. 5.12). Im nächsten Schritt muss die Anzahl der Besucher nach Ländergruppen bestimmt werden. Dazu gab es von Seite der WM-Städte keine Erhebungen. Für die Public Viewings, auf denen befragt wurde, konnten relativ exakte Daten erhoben werden. Für Spiele, die nicht gleichzeitig in der WM-Stadt ausgetragen wurden, erfolgte dies bei 21 Spielen in Hamburg und sieben weiteren in anderen Städten. Außerdem wurde während 17 Spielen in WM-Städten befragt, in denen das übertragene Spiel gerade ausgetragen wurde. Die Spiele in Hamburg (ohne dass gleichzeitig ein Spiel in Hamburg ausgetragen wurde) hatten im Durchschnitt lediglich 17,9 % ausländische Besucher. Allerdings wurde 20 % als Modellgröße gewählt, da die Anzahl der ausländischen Besucher in Hamburg wahrscheinlich unterrepräsentativ war. Das Public Viewing in Hamburg (auf dem Heiligengeistfeld) wies eine besondere Lage auf: Weder lag es neben dem Stadion noch in dem Teil der Innenstadt, wo typischerweise die Touristen zu finden sind. Dies dürfte den Ausländeranteil im Durchschnitt geringer ausfallen lassen haben, als dies bei anderen Standorten der Fall war. So waren in Hamburg weniger „Casuals“ (normale Touristen) anzutreffen. In Nürnberg soll es nach offiziellen Angaben bei Veranstaltungen, wenn in Nürnberg keine Livespiele stattfanden, 30 % ausländische Besucher gegeben haben. Alle Zuschauer, die nicht dieselbe Nationalität wie die spielenden Teams hatten, wurden als „neutrale“ Zuschauer bezeichnet und über einen festen Verteilungsschlüssel auf die sechs Ländergruppen verteilt. Dabei wurde angenommen, dass jeweils ein Drittel der Besucher aus „Europa Nachbarn“ und „Europa teuer“ kamen sowie jeweils 20 % aus „Europa fern“ und „Fernreisende“, während Besucher aus Osteuropa nur 1 % ausmachten. Diese Modellannahmen basieren ebenfalls auf den Erkenntnissen der Befragungen in Hamburg und wurden konservativ verändert, z. B. indem insgesamt weniger Besucher als „Europa teuer“ eingestuft wurden, als in Hamburg gemessen. Diese Anpassung kann auch damit begründet werden, dass sich in Hamburg aufgrund seiner geographischen Lage wahrscheinlich überdurchschnittlich mehr Skandinavier im Public Viewing aufhielten. Besondere Berücksichtigung fanden die ausländischen Besucher der spielenden Teams in den Städten, in denen das jeweilige Livespiel ausgetragen wurde. Über die empirische Erhebung konnte für viele Spiele ermittelt werden, wie viele ausländische Anhänger einer Nation im Public Viewing waren. Auf der Grundlage dieser Erkenntnis konnten dann die anderen Public Viewings in den Städten mit Livespielen geschätzt werden.
5.2
Modell zur Bestimmung des Primärimpulses durch die Besucher der Fußball-WM 2006
Tab. 5.11:
209
Exemplarische Auswahl von Verteilungen auf Public Viewings
Spiel Nr. Begegnung WM-Stadt 13 FRA – SUI (n=231) Stuttgart 53 ITA – AUS (n=133) Kaiserslautern 62 POR – FRA (n=794) München
Team 1 21,3 3,1 2,0
Team 2 21,8 5,4 15,0
Neutrale 8,1 6,2 30,2
Inländer 48,8 85,3 52,8
Für die Untersuchung der 64 Begegnungen, die in Public Viewings direkt in der WMStadt, in der das Livespiel stattfand, übertragen wurden, wurde die Anzahl der Besucher (Team 1 und Team 2) direkt den entsprechenden Ländern (sechs Ländergruppen) zugeordnet. Auch bei diesen Spielen gibt es eine Gruppe „neutraler“ Ausländer, die nicht in den am Spiel beteiligten Ländern wohnen. Sie werden gemäß dem o. a. Schlüssel auf die Ländergruppen verteilt. Tabelle 5.12 zeigt, dass nach den Berechnungen auf Grundlage der empirischen Erhebungen letztlich nur 4,1 Millionen Personen Public Viewings besucht haben. Nur diese flossen in die Modellberechungen ein. Im Durchschnitt haben die Befragten viermal Public Viewings besucht. Insgesamt kamen 923.686 Ausländer zu Public Viewings, die keine Eintrittskarte hatten. Tab. 5.12: Berechnung der Anzahl der Besucher der Public Viewings nach Ländergruppen
Zuschauer Inländer Osteuropa Europa Nachbarn Europa fern Europa teuer Fernreisende Summe
13.347.304 32.800 933.745 1.043.896 713.398 721.354 16.792.498
Public Viewing Ø Anzahl der Besuche pro Besucher Besucher 4,2 3.176.610
Besucher in % 77,5
4,2
478.418
11,7
3,3 3,2 4,1
218.377 226.891 4.100.296
5,3 5,5 100,0
Im nächsten Schritt muss die Anzahl der relevanten Konsumtage berechnet werden. Dazu wird von der Basis der Anzahl an Zuschauern aus den sechs Ländergruppen ausgegangen. Die folgende Abbildung zeigt die Berechnung der Konsumtage der Stadionbesucher, kann aber analog auf die Berechnung der Konsumtage bei Public-Viewing-Besuchern übertragen werden.
210
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung des konsumtiven Impulses der Fußball-WM 2006
Anzahl Zuschauer im Stadion nein
ja
relevant?
Fernreisende
Europa teuer
Übernachter
Time Switcher
Dauer?
Casual
Time Switcher
Casual
WM-Tourist
Tagestourist
WM-Tourist
Inländer
Europa fern / Osteuropa / Europa Nachbar
Zuschauer nach Herkunft
Ø Anzahl der Karten Anzahl der Stadionbesucher Ø Anzahl der Begleitpersonen Ø Anzahl Tage (WM-Zeit) Ø Anzahl Tage (Anschlussreise) Anzahl Konsumtage Stadionbesucher
Abb. 5.4: Diagramm des Modells zur Berechnung der Anzahl von relevanten Konsumtagen der ausländischen Stadionbesucher Für die Berechnung des Primärimpulses sind die Inländer zunächst nicht relevant, denn sie werden durch den Konsum während der Fußball-WM ihre Ausgaben überwiegend umverteilen. Der konservativen Vorgehensweise folgend, wird diese Gruppe daher nicht wei-
5.2
Modell zur Bestimmung des Primärimpulses durch die Besucher der Fußball-WM 2006
211
ter berücksichtigt. Eine Ausnahme bilden die „Home Stayers“, die in einem gesonderten Abschnitt behandelt werden. Die verbleibenden fünf Ländergruppen werden in den folgenden Unterteilungen zusammengefasst, denn ansonsten reicht die jeweilige Fallzahl nicht aus, um repräsentative Aussagen treffen zu können. Dem „Einfachen Modell“ folgend, werden die Ländergruppen „Osteuropa“, „Europa Nachbarn“ und „Europa fern“ gruppiert und dann nur noch von „Europa teuer“ und „Fernreisende“ differenziert. Innerhalb jeder dieser drei Ländergruppen werden dann zunächst die Tagestouristen von den Touristen mit Übernachtung unterschieden. Dies ist notwendig, da die Konsummuster der Tagestouristen anders sind als die der Touristen mit Übernachtung (siehe Kapitel 5.2.2). Dann erfolgt eine weitere Dreiteilung der Gruppe nach den Besuchertypen „WMTourist“, „Casual“ und „Time Switcher“. Dies ist notwendig, da von diesen Besuchertypen unterschiedliche Teile des Konsummusters verwendet werden (siehe Kapitel 4.1.2). Tab. 5.13: Anteil der Tagestouristen und Touristen mit Übernachtung an Public-ViewingBesuchern nach Ländergruppe und Besuchertyp in Prozent Public Viewing Tagestourist
WMTourist Osteuropa/ Europa Nachbarn/ Europa fern Europa teuer Fernreisende
Public Viewing Tourist mit Übernachtung WMTime Casual Tourist Switcher
Casual
Time Switcher
13,9
6,1
6,8
35,8
22,0
15,5
8,1
5,6
2,5
–
–
–
40,8 40,2
23,2 45,8
19,8 14,0
Tab. 5.14: Anteil der Tagestouristen und Touristen mit Übernachtung an Stadionbesuchern nach Ländergruppe und Besuchertyp in Prozent Stadion Tagestourist
Osteuropa/ Europa Nachbarn/ Europa fern Europa teuer Fernreisende
Stadion Tourist mit Übernachtung WMTime Casual Tourist Switcher
WMTourist
Casual
Time Switcher
11,7
4,2
11,7
32,6
14,2
25,5
9,2
1,6
5,1
–
–
–
51,8 59,3
13,7 22,0
18,7 18,6
Jede der Teilgruppen (Zuschaueranzahl) wird jetzt durch Division mit der durchschnittlichen Anzahl von Eintrittskarten pro Person in die Anzahl von Besuchern umgerechnet. Dies ist wichtig, denn im nächsten Schritt wird die Anzahl an Begleitpersonen, die fuß-
212
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung des konsumtiven Impulses der Fußball-WM 2006
ballabstinent sind, berücksichtigt. Diese Begleitpersonen können weder beim Public Viewing noch im Stadion befragt werden, sind aber als WM-bedingte Personen zu berücksichtigen, da sie aus demselben Grund in Deutschland sind wie die befragte Person. Tab. 5.15: Anteil der Begleitpersonen der Public-Viewing-Besucher nach Ländergruppe und Besuchertyp in Prozent (Angabe der Anzahl von Besuchern)
Osteuropa/ Europa Nachbarn/ Europa fern Europa teuer Fernreisende
Public Viewing Tagestourist WMTime Casual Tourist Switcher 6,5 % 31,8 % 22,2 % (2,7) (2,0) (2,0)
11,4 %* (1,7)
–
22,2 % (4,7)
–
0 %**
–
Public Viewing Tourist mit Übernachtung WMTime Casual Tourist Switcher 13,2 % 22,7 % 23,0 % (2,5) (1,4) (4,0)
10,6 % (3,0) 26,7 (3,5)
15,6 % (2,7) 17,6 % (2,8)
18,1 % (3,4) 20,5 % (3,5)
* Lesart: 11,4 % der Public-Viewing-Besucher der Gruppe „WM-Tourist, Tagesbesucher“ aus „Europa teuer“ haben im Durchschnitt 1,7 Begleitpersonen dabei, die kein Fußball ansehen. ** In dieser Gruppe ist in der empirischen Erhebung keine Person mit Begleitperson gewesen, was durchaus an der kleinen Fallzahl dieser Gruppe liegen kann. **
Tab. 5.16: Anteil der Begleitpersonen der Stadionbesucher nach Ländergruppe und Besuchertyp in Prozent (Angabe der Anzahl von Besuchern) Stadion Tagestourist
Osteuropa/ Europa Nachbarn/ Europa fern
WMTourist 11,0 % (2,7)
0 %**
Time Switcher 0 %**
Casual
Europa teuer
8,3 %* (3,3)
18,8 % (2,3)
15,0 % (2,8)
Fernreisende
–
–
–
Stadion Tourist mit Übernachtung WMTime Casual Tourist Switcher 4,8 % 25,0 % 12,5 % (3,0) (4,5) (3,0)
13,3 % (2,5) 23,0 % (2,7)
14,9 % (2,5) 33,8 % (2,5)
17,1 % (2,3) 24,8 % (2,2)
* Lesart: 8,3 % der Stadionbesucher der Gruppe „WM-Tourist, Tagesbesucher“ aus „Europa teuer“ haben im Durchschnitt 3,3 Begleitpersonen dabei, die sich kein Fußballspiel ansehen. ** In dieser Gruppe ist in der empirischen Erhebung keine Person mit Begleitperson gewesen, was durchaus an der kleinen Fallzahl dieser Gruppe liegen kann.
Die Tabellen zeigen, dass viele WM-Besucher von weiteren Personen begleitet wurden, die nicht zum Fußball gegangen sind. Allerdings werden allein die Begleitpersonen der „WM-Touristen“ in den Primärimpuls einbezogen.
5.2
Modell zur Bestimmung des Primärimpulses durch die Besucher der Fußball-WM 2006
213
Zur Berechnung der Konsumtage zählen zum einen die WM-bedingten Aufenthaltstage in Deutschland, aber auch die Anschlussreisen. In das Modell sind alle Tagesbesucher mit einem Konsumtag eingegangen, während die anderen jeweils mit der in den folgenden Tabellen angegebenen Aufenthaltsdauer berücksichtigt wurden. Tab. 5.17: Aufenthaltstage der WM-Reise nach Ländergruppe und Besuchertyp in Prozent Public Viewing
Osteuropa/ Europa Nachbarn/ Europa fern Europa teuer Fernreisende
WMTourist
Stadion
Casual
Time Switcher
WMTourist
Casual
Time Switcher
6,0
6,5
4,9
6,2
7,0
7,1
7,5 11,4
9,2 12,8
6,9 10,3
8,2 15,8
10,6 14,0
7,2 13,2
Tab. 5.18: Dauer der Anschlussreise nach Ländergruppe und Besuchertyp in Prozent (Angabe der Anzahl von Tagen) Public Viewing
WMTourist 28 % (3,1)
Casual
Europa teuer Fernreisende
Osteuropa/ Europa Nachbarn/ Europa fern
Stadion
WMTourist 42 % (3,2)
Casual
31 % (5,7)
Time Switcher 38 % (4,8)
21 % (5,2)
Time Switcher 32 % (5,8)
21 % (4,4)
19 % (5,1)
26 % (4,9)
22 %* (4,9)
16 % (5,5)
30 % (4,7)
51 % (6,0)
38 % (9,5)
50 % (6,0)
34 % (7,2)
32 % (7,6)
50 % (5,9)
* Lesart: 22 % der Stadionbesucher der Gruppe „WM-Tourist“ aus „Europa teuer“ haben im Durchschnitt 4,9 Tage Anschlussreisen durchgeführt.
Für die Begleitpersonen wird dieselbe Aufenthaltsdauer wie für die Befragten angenommen. Damit kann schließlich die Anzahl der Konsumtage nach Ländergruppe und Besuchertyp bestimmt werden. Berücksichtigt werden dabei nur die Konsumtage, die zu einem Mittelzufluss führen.
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung des konsumtiven Impulses der Fußball-WM 2006
214
Tab. 5.19: Anzahl der Konsumtage von Public-Viewing-Besuchern nach Ländergruppe und Besuchertyp Public Viewing Tagestourist
Osteuropa/ Europa Nachbarn/ Europa fern Europa teuer Fernreisende
Public Viewing Tourist mit Übernachtung WMTime Casual Tourist Switcher
WMTourist
Casual
Time Switcher
32.690
35.132
89.698
1.273.623 1.724.646
469.818
13.824
21.649
3.270
–
–
–
1.456.608 459.628 3.697.058 1.943.822
548.988 511.961
Tab. 5.20: Anzahl der Konsumtage von Stadionbesuchern nach Ländergruppe und Besuchertyp Stadion Tagestourist
Osteuropa/ Europa Nachbarn/ Europa fern Europa teuer Fernreisende
5.2.2
WMTourist
Casual
Time Switcher
31.939
11.726
8.756
12.488
1.438
10.187
–
–
–
Stadion Tourist mit Übernachtung WMTime Casual Tourist Switcher
425.133
247.105
290.962
712.450 200.486 3.947.142 1.159.884
190.340 780.221
Berechnung des Wertgerüstes der Besucher
Die Erstellung des Wertgerüstes ist der zweite Schritt zur Berechnung des Primärimpulses. In diesem Teil unterscheidet sich die Vorgehensweise der Berechnung des Primärimpulses durch Public-Viewing-Besucher nicht mehr von dem durch Stadionbesucher. Im Fragebogen dieser Studie wurden dazu folgende Konsumkategorien unterschieden. Da die Konsumtage die Berechnungsbasis darstellen, mussten auch die Ausgaben je Konsumkategorie auf Tagesbasis umgerechnet werden: Fanartikel: Diese Ausgaben wurden im Fragebogen in einer Summe für den gesamten WM-Aufenthalt abgefragt, denn der Besucher wird wahrscheinlich nur ein- bis zweimal Merchandiseartikel gekauft haben und sich daher an die Gesamtausgaben erinnern können. Außerdem muss der Kauf von Merchandiseartikeln nicht unbedingt am Tag des Besuchs eines Fußballspiels oder Public Viewing erfolgt sein.
5.2
Modell zur Bestimmung des Primärimpulses durch die Besucher der Fußball-WM 2006
215
Shopping: Diese Ausgaben wurden ebenfalls in einem Gesamtbetrag abgefragt. Auch hier wurde unterstellt, dass die Befragten wahrscheinlich an wenigen Tagen einkaufen gegangen sind und dies wahrscheinlich nicht der Tag des Fußballkonsums im Stadion oder des Public Viewing war, denn an diesem Tag wird man sich nicht mit den Einkäufen ins Stadion und Public Viewing bewegt haben. Eintritt: Die Ausgaben für Eintrittskarten wurden doppelt abgefragt: einmal als Ausgaben am Tag der Befragung und ein zweites Mal als Gesamtausgaben für Eintrittskarten. Diese Frage galt außerdem der Überprüfung der individuallogischen Konsistenz in den Antworten bei allen, die insgesamt nur eine Karte gekauft hatten. Gastronomie: Diese Ausgaben wurden als tägliche Ausgaben für „Essen und Trinken“ abgefragt. Es wurde angenommen, dass man diese Ausgaben besser auf Tagesbasis überschlagen kann als in einem Betrag für den gesamten WM-Aufenthalt. In dieser Konsumkategorie besteht die größte Gefahr für einen Bias, also die Differenz zwischen dem Erwartungswert und dem wahren Wert. Allerdings zeigte die Internetbefragung, dass die Schätzungen für den Konsum vor dem Spiel höher erfolgten, als sie es letztlich waren. Dem mag allerdings zurecht entgegengehalten werden, dass die WM-Besucher – durch einen emotional stimulierenden Besuchstag der Fußball-WM bei hervorragendem Wetter –, ohne sich erinnern zu können, mehr konsumiert haben als angegeben, was letztlich zu einer Unterschätzung des Primärimpulses führt. Außerdem ist anzunehmen, dass am Event-Tag, sei es im Stadion oder im Public Viewing, bedeutend mehr „Fast Food“ verzehrt wurde als an einem „normalen“ touristischen Tag. Wird dieser Tag dann zur Hochrechnung für andere Tage genommen, dürfte es wiederum zu einer Unterschätzung gekommen sein. Allerdings scheint sich das Konsumverhalten während der WM generell leicht verschoben zu haben. In Anlehnung an die Informationen der inländischen Besucher meinten 38,5 % (n=4.440), dass sie während der Fußball-WM mehr „Fast Food“ konsumiert haben, während lediglich 8,2 % angaben, dass sie weniger konsumiert hätten. Bezüglich des Bierkonsums meinten 57,3 % (n=4.552), dass sie während der Fußball-WM mehr konsumiert haben, aber nur 6 % meinten, dass es weniger war. Unterkunft: Die Ausgaben für die Unterkunft wurden zur Überprüfung der individuallogischen Konsistenz doppelt erhoben. Abgefragt wurden die Ausgaben pro Tag und Person und später noch einmal die Unterkunftsart. Da die individuellen Angaben sehr hoch erscheinen, wurde für die Berechnung des Primärimpulses auf die Angaben zur Unterkunftsart zurückgegriffen – was erneut ein konservativer Ansatz ist. Dazu wurden die Durchschnittspreise für Hotels in Deutschland genutzt und auf die vorliegenden gesamtdeutschen Hotelpreise folgende Aufschläge vorgenommen: -
15 % Aufschlag für Großstädte;
-
10 % Aufschlag für Hauptsaison und
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung des konsumtiven Impulses der Fußball-WM 2006
216
-
10 % WM-Aufschlag, da allgemein höhere Preise zur Fußball-WM galten.
Nach Angaben des Hotelverbands Deutschland (IHA) lagen die Durchschnittspreise bei 3- bis 5-Sterne-Hotels im Jahr 2006 in den WM-Ausrichterstädten bei ca. 94 €. Für dieses Modell wurden die Übernachtungspreise anhand der Durchschnittszahlen des IHA berechnet. Dabei wurde auf die durchschnittlichen deutschen Preise zurückgegriffen. Die Preise in den WM-Städten, die ungefähr den Messepreisen in Frankfurt/M. oder Köln entsprochen haben, wurden nicht gewählt, da sie nicht der Tatsache gerecht werden, dass viele WM-Besucher, wie auch die Teams, in kleineren Städten gewohnt haben. Tab. 5.21: Basisdaten zur Berechnung der Übernachtungskosten in € IHA-Daten (1-10/2006) Durchschnitt Deutschland
5-Sterne-Hotel 4-Sterne-Hotel 1- bis 3-Sterne-Hotel Privat gemietete Zimmer/Wohnung Pension Campingplatz Wildes Campen Freunde/Familie
134 77
Preise um 35 % erhöht
verwendete Modelldaten
142,00
–
180,90 103,95 76,95
–
–
50,00
– – – –
– – – –
40,00 20,00 0,00 0,00
77,00
Tägliche Anreise: Diese Ausgaben beziehen sich auf die Anreise von der deutschen Urlaubsunterkunft zur WM-Veranstaltung. Da die Mannschaften auch in der Vorrunde die Stadien wechselten und viele Eintrittskarten per Lossystem vergeben wurden, kam es zu erheblichen Reisebewegungen (siehe Spellerberg et al., 2007; Kapitel 4.2.1). Es wird angenommen, dass die WM-Besucher sich während ihrer Anschlussreise ebenfalls durch Deutschland bewegt haben und daher zusätzlich erhebliche Reisekosten entstanden sind, die hier nicht explizit erfasst wurden. Die Konsumkategorie „tägliche Anreise“ unterschätzt außerdem den wirklichen WM-Primärimpuls, da die Anreise vom Heimatland zur WM-Unterkunft nicht berücksichtigt wurde. Es ist aber anzunehmen, dass viele Besucher z. B. deutsche Airlines benutzt haben, vom Flughafen zur Unterkunft gefahren sind oder während der Anreise per Auto in Deutschland getankt haben. Damit wird ein Teil der Reisekosten deutschen Unternehmen zugute gekommen sein. Sonstige Ausgaben: Diese Kategorie gab den Befragten die Möglichkeit, weitere Ausgaben wie z. B. für Unterhaltung oder Produkte des täglichen Bedarfs anzugeben. Abbildung 5.5 zeigt, welche der einzelnen Konsumkategorien in den verschiedenen Konsummustern berücksichtigt werden müssen (siehe auch Tab. 5.2 und 5.3).
5.2
Modell zur Bestimmung des Primärimpulses durch die Besucher der Fußball-WM 2006
217
Die Anzahl der Konsumtage nach Ländergruppen und Besuchertypen bildet als Mengengerüst die Grundlage zur Berechnung des Primärimpulses. Nun müssen die Konsumtage der einzelnen Gruppen nur noch mit dem jeweiligen Konsummuster (Wertgerüst) multipliziert werden. Abbildung 5.5. zeigt lediglich eine Auswahl von insgesamt 40 zu unterscheidenden Konsummustern, um die Übersichtlichkeit zu bewahren. Dabei wird deutlich, dass für jeden Besuchertyp unterschiedliche Konsumkategorien berücksichtigt werden müssen. Die jeweils zu berücksichtigenden Konsumkategorien sind grau hinterlegt.
Tagestourist
Fernreisende
Europa teuer
Europa fern / Osteuropa / Europa Nachbar
Anzahl der Konsumtage
Übernachter
Time Switcher
WM-Tourist Begleitung Casual
WM-Tourist
Time Switcher
WM-Tourist
WM-Tourist Begleitung Casual
Dauer?
Ø Ausgabe Fanartikel/Tag Ø Ausgabe Shopping/Tag Ø Ausgabe Gastronomie/Tag Ø Ausgabe Eintritt/Tag Ø Ausgabe Unterkunft/Tag Ø Ausgabe Anreise/Tag Ø Ausgabe Anderes/Tag Primärimpuls
Abb. 5.5: Diagramm des Modells zur Berechnung des Primärimpulses (Wertgerüst) Die 40 notwendigen Konsummuster bestimmen sich durch vier Differenzierungsvariable:
218
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung des konsumtiven Impulses der Fußball-WM 2006
Tab. 5.22: Differenzierungsvariablen der Konsummuster und ihre Ausprägungen Differenzierung mögliche Ausprägung Veranstaltungsart Public Viewing / Stadion
Herkunftsregion
Osteuropa / Europa Nachbarn / Europa fern / Europa teuer / Fernreisende
Übernachtung
Tagestouristen / Touristen mit Übernachtung
Besuchertyp
WM-Tourist / Begleitpersonen der WM-Touristen / Casual / Time Switcher
Andere Differenzierungen wie z. B. Ort der Befragung (WM-Stadt), Urzeit des Spiels etc. konnten im Kapitel 3 als nicht signifikant abgelehnt werden. Zunächst werden die Stadionbesucher von den Public-Viewing-Besuchern unterschieden. Im zweiten Schritt werden in dieser Studie (Einfaches Modell) drei Ländergruppen gebildet. Die Inländer werden für den Primärimpuls als nicht relevant eingestuft. Damit ergeben sich sechs Gruppen. Jede dieser Gruppen wird dann nach Personen mit und ohne Übernachtung unterschieden, denn der Konsum an nur einem WM-Tag ist viel höher, als der an mehreren Tagen, pro Tag gerechnet. Auch in dieser Abbildung 5.6 kann aus Gründen der Übersichtlichkeit ab der dritten Ebene lediglich ein Teil der Konsummuster abgebildet werden. Da auszuschließen ist, dass Fernreisende Tagestouristen sind, splitten sich die sechs relevanten Gruppen der zweiten Ebene nach Berücksichtigung der Übernachtung lediglich in zehn Konsummuster auf. Diese werden im nächsten Schritt nach den Besuchertypen unterschieden, denn es sind unterschiedliche Konsumkategorien zu berücksichtigen. Einige Besuchertypen werden allerdings – wie oben begründet – nicht berücksichtigt, so z. B. die Begleitpersonen der „Casuals“ und „Time Switchers“ in den Public Viewings. Insgesamt ergeben sich dadurch 40 zu berücksichtigende Konsummuster. Die „Home Stayers“ sind in dieser Abbildung nicht berücksichtigt, da ihr Konsum in Höhe des gesparten Urlaubsbudgets berechnet wird, wobei die „Home Stayer“-Begleitpersonen nicht berücksichtigt wurden. Schließlich wird über die Konsummuster für jede der 40 relevanten Konsumgruppen ein durchschnittlicher Tageskonsum bestimmt (Wertgerüst), der dann bei Multiplikation mit den Konsumtagen der korrespondierenden 40 Gruppen (Mengengerüst) in der Summe den Primärimpuls bildet.
5.2
Modell zur Bestimmung des Primärimpulses durch die Besucher der Fußball-WM 2006
219
Befragte Ort?
Fernreisende
6
Nacht?
Time Switcher
WM-Tourist Begleitung Casual
Tagestouristen
WM-Tourist
Time Switcher
WM-Tourist Begleitung Casual
Übernachter
WM-Tourist
Casual
Time Switcher
WM-Tourist Begleitung
Tagestouristen
WM-Tourist
Time Switcher
WM-Tourist Begleitung Casual
WM-Tourist
Europa teuer
Osteuropa
Nacht?
Europa fern
Zuschauer im PV nach Herkunftsland
Fernreisende
Europa teuer
Europa Nachbarn
Europa fern
Osteuropa
Zuschauer im Stadion nach Herkunftsland
Übernachter
2
Public Viewing
Europa Nachbarn
Stadion
10
40
Abb. 5.6: Darstellung der Anzahl zu verwendender Konsummuster in dieser Studie
5.2.3
Berücksichtigung der Importsubstitution durch „Home Stayers“
Besondere Berücksichtigung finden in diesem Modell die „Home Stayers“, also diejenigen Inländer, die wegen der Fußball-WM auf einen Auslandsurlaub verzichtet haben. Da faktisch auf einen Mittelabfluss (Import) verzichtet wurde, sind die nicht ins Ausland geflossenen Mittel als Mittelzufluss zu interpretieren. Da die WM-Besucher zum Zeitpunkt der Befragung bereits auf ihren Urlaub verzichtet haben, handelt es sich hierbei nicht nur um eine Absichtserklärung, sondern um einen tatsächlichen Verzicht auf einen Auslandsurlaub. Auch hier bedarf es wieder der Berücksichtigung eines Mengen- und Wertgerüstes. Die gesamte Stichprobe unterteilt sich folgendermaßen nach Reiseintentionen (Besuchertypen):
220
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung des konsumtiven Impulses der Fußball-WM 2006
Tab. 5.23: Differenzierung der Stadion- und Public-Viewing-Besucher nach Besuchertyp Besuchertyp
Häufigkeit
Anteil in %
Inländer
Inländer „Home Stayer“ „Umbucher“
3.407 525 676
41,5 % 6,4 % 8,2 %
Ausländer
„WM-Tourist“ „Casual“ „Time Switcher“
1.963 832 812
23,9 % 10,1 % 9,9 %
Gesamt Ohne Angabe Gesamt
Gesamt Ohne Angabe Gesamt
8.215 1.241 9.456
100,0 %
Berücksichtigung finden soll zunächst die Gruppe der „Umbucher“. Diese verschieben zwar ihren Auslandsurlaub wegen der Fußball-WM, werden ihn aber zu einem anderen Zeitpunkt im Jahr nachholen und sind daher notwendigerweise von den „Home Stayers“ zu unterscheiden. Unter den befragten Inländern haben damit 26,1 % der Befragten auf einen Auslandsurlaub verzichtet, davon dürfen jedoch nur 11,4 % als „Home Stayers“ gerechnet werden. Hochgerechnet auf die Anzahl der Stadionbesucher haben damit 56.038 Besucher (6,7 %) auf einen Auslandsurlaub verzichtet, wobei jeder im Durchschnitt 2,5 Eintrittskarten hatte. Weitaus größer ist die Anzahl der „Home Stayers“ auf den Public Viewings. Hier haben 371.891 Besucher auf einen Auslandsurlaub verzichtet und waren durchschnittlich 3,2mal auf einem Public Viewing. Diese Angaben beziehen lediglich die „Home Stayers“ ein, die eines der zwölf offiziellen Public Viewings oder ein WM-Spiel besuchten, nicht aber diejenigen, die die Fußball-WM zu Hause, in anderen Städten oder in Gaststätten ansahen. Damit dürfte auch die Anzahl der „Home Stayers“ weit unterschätzt sein, nicht zuletzt auch, da nicht abgefragt wurde, wie viele weitere Personen auf einen Auslandsurlaub verzichteten. Es ist davon auszugehen, dass häufig die ganze Familie verzichtet hat und daher die Anzahl der „Home Stayers“ und damit die Importsubstitution sehr viel höher gelegen haben werden. Das Wertgerüst setzt sich bei den „Home Stayers“ nicht aus den einzeln angegebenen Konsumkomponenten zusammen, denn durch den Verzicht auf den Auslandsurlaub ist das gesamte Urlaubsbudget gespart worden. In dieser Modellrechnung wird davon ausgegangen, dass das gesparte Urlaubsbudget mittelfristig ausgegeben wird, wobei dies nicht nur für die Fußball-WM an sich, sondern auch für andere Ge- und Verbrauchsgüter eingesetzt wurde. Für die Höhe der anzusetzenden Importsubstitution wurde auf Angaben der DZT (Deutsche Zentrale für Tourismus e.V.) zurückgegriffen. Danach liegen die Ausgaben für einen durchschnittlichen Auslandsurlaub bei durchschnittlich 867 € pro Person (Deutscher Reisemonitor, 2006). Es wird unterstellt, dass 21 % der Reisen Individualreisen sind, 64 % Pauschalreisen und 15 % „Bausteinreisen“ (d. h. einzelne Teile der Reise werden im
5.3
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Besucher der Fußball-WM 2006
221
Reisebüro gebucht). 30 % der Pauschalreise- und 15 % der „Bausteinreise“Aufwendungen verbleiben in Form von Provisionen u. ä. bei deutschen Reiseanbietern und damit in Deutschland. Daher wird ein Auslandsurlaub eines „Home Stayer“ um diese Summe reduziert und lediglich mit 715 € angesetzt. Diese Annahme im Wertgerüst ist ebenfalls konservativ, da die Besucher im Durchschnitt eher besser verdienend und höher gebildet sind als der bundesdeutsche Durchschnitt (siehe Kapitel 4.1). Es ist anzunehmen, dass diese Klientel im Durchschnitt mehr für einen Urlaub ausgeben würde, als die Deutschen im Bundesdurchschnitt.
5.3
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Besucher der Fußball-WM 2006
5.3.1
Gültigkeitsbereich der Ergebnisse
Bevor die gesamtwirtschaftlichen Ergebnisse der Studie vorgestellt werden, ist noch einmal klar hervorzuheben, welche ökonomischen Auswirkungen der Fußball-WM in die Impaktberechnung einfließen. Stadionbesucher: Untersucht wurden ausschließlich Besucher, die eine oder mehrere der frei verkäuflichen Eintrittskarten erworben haben, also lediglich 68,8 % der 3.130.318 Eintrittskarten. Mit anderen Worten wurden nur gut zwei Drittel der Stadionzuschauer in die Untersuchung eingeschlossen, womit die gesamten VIP-Besucher nicht berücksichtigt sind. U. a. betrifft dies 300.000 Tickets, die als VIP-Karten zum Verkauf standen, sowie diejenigen, welche über Sponsoren und die „FIFA Familie“ vergeben/verschenkt wurden. Da viele dieser Eintrittskarten auch an ausländische Besucher gegangen sind, kann unterstellt werden, dass sich unter den VIP-Gästen eine erhebliche Anzahl an Ausländern befand und damit ein gewisser Anteil der Mittel, die durch ausländische WM-Besucher nach Deutschland geflossen sind (autonome Mittel), in den Ergebnissen dieser Studie nicht enthalten ist. Public Viewing: Es wurden nur die Besucher der Public Viewings der zwölf WM-Städte analysiert. Damit entfallen also die WM-Besucher der bundesweit ca. 2.000 anderen Public Viewings. Auch hier wird es mitunter zahlreiche ausländische Besucher gegeben haben. Da überdies die im Rahmen dieser Studie befragten Public-Viewing-Besucher nicht explizit nach ihrem Besuch der „offiziellen Public Viewings der WM-Städte“ befragt wurden, können in den Antworten durchaus auch andere Public Viewings gemeint worden sein. Daher wurde die Anzahl der Public-Viewing-Besuche ggf. zu hoch angegeben, was im Modell durch die Division der Zuschauer durch die Anzahl der Besuche letztlich zu einer geringeren Anzahl von Besuchern geführt haben kann. Damit sollten die lediglich 4,1 Millionen Besucher der offiziellen Public Viewings eher einen unteren Schätzwert darstellen. Zeitliche Eingrenzung: Diese Studie betrachtet nur die Besucher der Fußball-WM, die während des Turniers im Stadion oder Public Viewing anwesend waren und eine An-
222
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung des konsumtiven Impulses der Fußball-WM 2006
schlussreise von bis zu 39 Tagen durchgeführt haben. D. h. der hier berechnete gesamtwirtschaftliche Impakt bezieht sich ausschließlich auf den erweiterten Zeitraum um die Fußball-WM und berücksichtigt keinen post-WM-Tourismus infolge der Image- und Werbewirkung des Mega-Events. Eine Ausnahme bilden allerdings die Ausgaben der „Home Stayers“, die ihr gespartes Urlaubsbudget auch zu einer anderen Zeit ausgegeben haben können. Allerdings wurde das gesamte Urlaubsbudget dem Zeitraum der FußballWM zugerechnet. Die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen der Fußball-WM beziehen sich auf den unmittelbaren Effekt im Jahr 2006, aber auch auf die multiplikativen Rückwirkungen des Primärimpulses in den Folgejahren 2007 und 2008. Die untersuchten Wirtschaftseffekte gehen allerdings ausschließlich auf den Primärimpuls im Jahr 2006 zurück und beinhalten somit keine sonstigen WM-induzierten Wirkungen (z. B. im Tourismus oder durch andere Exporte). In der Gesamtschau war die Fußball-WM 2006 also tendenziell ein wirtschaftlich bedeutenderes Ereignis, als es diese Studie – aus methodischen Gründen – darstellen kann. Verdrängungen: Wie erörtert, ist es in der vorliegenden Untersuchung ebenfalls nicht möglich, den gesamten durch die Besucher ausgelösten Primärimpuls vollumfänglich zu erfassen. Neben den schwerlich zu quantifizierenden Mittelzuflüssen durch den post-WMTourismus und die VIP-Besucher müssen zwangsläufig an vielen Stellen der Berechnung konservative Annahmen zu geschätzten Teilgrößen getroffen werden. Diesen in der Grundtendenz unterschätzten positiven Wirkungen stehen indessen potenziell auch WMbedingte Mittelabflüsse gegenüber. Diese Verdrängungen (sog. Crowding out) z. B. aufgrund von Änderungen der inländischen Konsumneigung oder ausbleibenden auswärtigen Gästen werfen substanzielle methodische Probleme auf. Daher können sie in dieser Studie nicht direkt eingehen, werden aber nachfolgend ausgiebig diskutiert.
5.3.2
Gesamtwirtschaftlicher Netto-Impakt der ausländischen WM-Besucher und „Home Stayers“
Zur Berechnung der gesamtwirtschaftlichen Wirkungen wurde der ermittelte Primärimpuls auf Grundlage der empirisch erhobenen Konsummuster über die entsprechenden Konsumverwendungszwecke konsistent in das makroökonomische Simulationsmodell INFORGE überführt. Dies ist von besonderer Bedeutung, da die Vorleistungsverflechtungen und die Wertschöpfungstiefe sowie die Arbeitsintensität von Sektor zu Sektor mitunter stark variieren. Diese Daten in Tabelle 5.24 bilden den Vektor für die weitere Berechnung des gesamtwirtschaftlichen Impakts ab. Das Modell INFORGE berechnete die Wirkung des Primärimpulses für den Zeitraum 2006 bis 2008. Ein über diesen Dreijahreszeitraum hinausgehender Ergebnisnachweis durch die indirekt induzierten gesamtwirtschaftlichen Kreislaufeffekte war nicht mehr signifikant. Mit anderen Worten ist der gesamte WM-induzierte, monetäre wirtschaftliche Impuls nach 2008 nicht mehr nachweisbar. Gleichwohl
5.3
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Besucher der Fußball-WM 2006
223
können die intangiblen Effekte der Fußball-WM (Imageänderung, verbessertes Know How etc.) sowie die veränderte Infrastruktur (modernisierte, neue Stadien etc.) auch langfristig zu einer Steigerung des Wohlstands führen, u. a. durch neue Arbeitsplätze und damit verbunden höheres Einkommen sowie nicht zuletzt auch durch ein verbessertes Freizeitangebot. Tab. 5.24:
WM-Primärimpuls nach Konsumverwendungszwecken Verwendungszweck / Ausgaben
Nahrungsmittel Alkoholfreie Getränke Alkoholische Getränke Tabakwaren Bekleidung Schuhe Haushaltsgeräte Gebrauchsgüter für die Haushaltsführung (Glaswaren, Tafelgeschirr etc.) Waren und Dienstleistungen zur Haushaltsführung Medizinische Erzeugnisse Waren und Dienstleistungen für den Betrieb von Privatfahrzeugen Kraftstoffe Verkehrsdienstleistungen Nachrichtenübermittlung Audiovisuelle, fotografische und Informationsverarbeitungsgeräte Andere größere langlebige Gebrauchsgüter für Freizeit und Kultur Freizeit und Kulturdienstleistungen Zeitungen, Bücher und Schreibwaren Beherbergungsdienstleistungen Körperpflege Persönliche Gebrauchsgegenstände Sonstige Dienstleistungen Summe
Summe (Mio. €) 199,0 122,6 215,1 14,7 273,1 48,4 45,3 198,4 15,3 1,4 14,8 163,1 133,0 5,7 200,5 60,6 295,6 100,9 614,9 48,7 67,7 8,5 2.847,0
Der innerhalb der Modellrechnung berücksichtigte Primärimpuls führt zunächst in den direkt betroffenen Branchen zu einer zusätzlichen Nachfrage nach tourismus- und eventspezifischen Waren und Dienstleistungen (u. a. in Beherbergung und Gastronomie, Einzelhandel, Nahrungsmittel) in Höhe von mehr als 2,8 Mrd. Euro. Aber auch in den diesen Branchen vorgelagerten Produktionsbereichen, d. h. bei den Zulieferern, kommt es aufgrund von Vorleistungsverflechtungen zu einem Anstieg der Güternachfrage. So müssen beispielsweise die Gaststätten zur Befriedigung der zusätzlichen Nachfrage zusätzliche Güter (u. a. Nahrungsmittel, Getränke) einkaufen sowie ihren Arbeitseinsatz erhöhen. Infolge der vielfältigen Produktionsverflechtungen strahlt der Primärimpuls, wenn auch abgeschwächt, in viele Branchen aus. Auch die Einfuhr an entsprechenden Gütern nimmt zu, weil ein Teil der zusätzlich nachgefragten Güter als Halbfertigprodukte bzw. Fertigprodukte aus dem Ausland importiert wird. Innerhalb der Volkswirtschaft werden durch den
224
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung des konsumtiven Impulses der Fußball-WM 2006
Primärimpuls indirekt zusätzliche Lohn- und Gewinneinkommen induziert. Als Folge der gestiegenen Einkommen der privaten Haushalte und Unternehmen wird außerdem weitere Konsum- und Investitionsnachfrage stimuliert. Ferner werden aus den gestiegenen Einkommen zusätzliche Steuereinnahmen und Sozialbeiträge an den Staat abgeführt, was sich positiv auf die Konsumnachfrage des Staates und ggf. auch auf seine Verschuldung auswirkt. Da jene Nachfrageerhöhung angebotsseitig befriedigt werden muss, erfolgt – wiederum leicht abgeschwächt – eine erneute positive Anpassungsreaktion der im Produktionsprozess eingesetzten Vorleistungen, Bruttowertschöpfung und Beschäftigung. Simultan zu den positiv wirkenden sektoralen Nachfrageeffekten stellen sich aber auch sektorale Preiseffekte ein, die sich kontraktiv im Wirtschaftskreislauf niederschlagen. Innerhalb des eingesetzten Modells INFORGE werden die erläuterten ökonomischen Transmissionsmechanismen auf der Ebene von 59 Branchen unter Berücksichtigung der sich einstellenden Preisreaktionen bestimmt. Die Tabelle 5.25 zeigt die entsprechenden Schätzergebnisse der gesamtwirtschaftlichen Wirkungen des identifizierten Primärimpulses. Der einmalige, autonome event-spezifische Konsumimpuls während der Fußball-WM 2006 wird aufgrund von multiplikativen Effekten innerhalb des Wirtschaftskreislaufes in abnehmenden Wellen in den beiden Folgejahren weitergegeben, auch in die Branchen außerhalb der Tourismuswirtschaft. Tab. 5.25: Die gesamtwirtschaftlichen Wirkungen des Primärimpulses in Mio. € Bruttoinlandsprodukt davon Konsum Investitionen Exporte Importe Produktion Steueraufkommen
2006
2007
2008
Summe
3.231 3.827 324 312 1.232 5.916 1.002
574 621 128 91 265 987 228
75 155 -93 21 9 123 35
3.880 4.603 359 424 1.506 7.026 1.265
Durch den Primärimpuls der WM-Besucher von rund 2,8 Mrd. € ist es in Deutschland im Jahr 2006 infolge gesamtwirtschaftlicher Kreislaufeffekte zu einem Anstieg des Bruttoinlandsproduktes von über 3,2 Mrd. € gekommen. Dabei ist zu beachten, dass dieser Wert – wie auch die nachfolgend genannten Größenordnungen – zu dem event-unabhängigen Wirtschaftswachstum im WM-Jahr addiert werden muss, mithin zusätzlich entstanden ist. Die BIP-Angabe setzt sich aus dem erhöhten Konsum plus Investitionen und Exporten minus Importen zusammen. Jener Anstieg von im Inland produzierten Waren und Dienstleistungen erforderte in 2006 ein Produktionsvolumen von mehr als 5,9 Mrd. €, welches nur durch eine Anhebung des Arbeitsvolumens in Höhe von 34.762 Beschäftigungsjahren hergestellt werden konnte. Der Staat wird im Jahr 2006 außerdem rund 1 Mrd. € an Steuermehreinnahmen durch die Austragung der Fußball-WM realisiert haben.
5.3
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Besucher der Fußball-WM 2006
225
Allerdings dürfen die genannten Beschäftigungsjahre nicht dahingehend interpretiert werden, dass fast 35.000 tatsächliche Arbeitsplätze im Sinne von sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen entstanden sind. Die zu erbringende Arbeit wird in der Realität zu einigen neuen Arbeitsplätzen geführt haben, wobei es sich jedoch überwiegend um kurzfristige Anstellungen handelt. Überdies kann das zusätzliche Arbeitsvolumen durch Überstunden oder intensiveren Arbeitseinsatz vorhandener Mitarbeiter, Reorganisation von Arbeitsabläufen, stundenweise Aushilfskräfte oder Mehrarbeit von Selbstständigen geleistet worden sein. Es sei zudem daran erinnert, dass das errechnete Arbeitsvolumen allein durch den Konsum der ökonomisch relevanten WM-Besucher induziert wurde und nicht die Arbeitsleistungen für Infrastrukturinvestitionen, Marketing der Sponsoren, Organisation der Fußball-WM etc. beinhaltet. Im Übrigen kann es durch Budgetumverteilungen der inländischen Bevölkerung in einzelnen Branchen zu einer (temporär) starken Nachfrage gekommen sein. Typischerweise erfährt z. B. der Verkauf von TV-Geräten zu Sportgroßereignissen eine Sonderkonjunktur, die indes spätere Einbußen in den Umsätzen nach sich ziehen kann, da lediglich der Kaufzeitpunkt verschoben bzw. vorgezogen wird. Über den dreijährigen Analysezeitraum 2006 bis 2008 hat der aus dem Primärimpuls resultierende Gesamtanstieg des BIP fast 3,9 Mrd. € betragen. Offensichtlich wird über den direkten Primärimpuls hinaus auch infolge indirekter Vorleistungsverflechtungen und positiver Einkommenseffekte die Nachfrage nach im Inland produzierten Waren und Dienstleistungen angeregt. Die dazu erforderliche gesamtwirtschaftliche Produktion umfasst ein Volumen von nahezu 7 Mrd. € und induziert während des dreijährigen Analysezeitraumes einen Zuwachs des Arbeitsvolumens um 38.254 „Mannjahre“. Verteilt auf die einzelnen Branchen wurde folgendes Beschäftigungsvolumen geschaffen: Tab. 5.26: Die gesamtwirtschaftlichen Wirkungen auf den Arbeitsmarkt Branche Dienstleister Handel und Reparatur Unternehmensdienstleister, Vermietung, usw. Gastgewerbe Verarbeitendes Gewerbe Baugewerbe Verkehr und Nachrichtenübermittlung
Beschäftigungsjahre 9.100 8.300 7.900 3.700 1.100 700 300
Einerseits zeigen diese Berechnungen, dass die Austragung der Fußball-WM in Deutschland auf das Gesamtjahr 2006 bezogen mit einem zusätzlichen Anteil von ca. 0,13 % am gesamtdeutschen BIP bzw. 0,09 % am bundesweiten Beschäftigungsvolumen nur eine verschwindend geringe gesamtwirtschaftliche Relevanz hatte. Andererseits übertreffen jene Größenordnungen auf Basis des primärempirisch erhobenen, außerordentlich hohen Primärimpulses alle im Vorfeld der Fußball-WM durchgeführten Prognosen (u. a. Kurscheidt, 2006, 2002; Ahlert, 2005; Rahmann et al., 1998). Auch wenn die hier ex post
226
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung des konsumtiven Impulses der Fußball-WM 2006
identifizierten, gesamtwirtschaftlichen Impulse im Verhältnis zum BIP schwach ausfallen, darf nicht übersehen werden, dass die deutsche Volkswirtschaft durch ein einziges Projekt fast 3,9 Mrd. € an Wirtschaftsleistung hinzugewonnen hat. Gerade aus makroökonomischer Perspektive ist dies eine zweifellos beachtliche Summe. Letztlich hängt der geringe Anteil am BIP mehr mit der generellen Wirtschaftskraft Deutschlands als weltweit drittgrößte Volkswirtschaft zusammen als mit einer vermeintlichen Schwäche der konsumökonomischen Anstoßwirkung durch die Fußball-WM.
5.3.3
Verdrängungen und Umverteilungen durch die Besucher der Fußball-WM
Im vorherigen Kapitel wurde der Nettoeffekt durch die Konsumausgaben eines Großteils der WM-Besucher ermittelt. Dabei blieben indessen sowohl die VIPs, welche ein Drittel der Besucher ausmachten, als auch jene ausländischen Gäste und „Home Stayers“, die nicht zu den offiziellen Public Viewings oder in die Stadien gingen, unberücksichtigt. Allerdings wurden ebenso die potenziell negativen Rückwirkungen von durch die FußballWM verdrängten, „normalen“ Touristen außen vor gelassen. Als Verdrängungen werden alle WM-bedingten Ausgaben eines Besuchers bezeichnet, die andere event-unabhängige, regionale oder autonome Ausgaben lediglich ersetzen (Substitution, kein realer Effekt) oder über Preissteigerungen infolge des Nachfrageschubs sowie Ausweichhandlungen Mittelzuflüsse gar nicht entstehen lassen (Crowding out, negativer realer Effekt möglich). Dabei sind (reale) Verdrängungen von reinen Umverteilungen zu unterscheiden. Letztere bezeichnen die Ausgabe regionaler Mittel in einem anderen Sektor, als dies ohne die Fußball-WM der Fall gewesen wäre (Reallokation). Insgesamt wird jedoch nicht weniger in der Region ausgegeben. Umverteilungen basieren zunächst auf einer individuellen Entscheidung, können indirekt aber durchaus makroökonomische Auswirkungen haben. Wenn z. B. regionale Mittel in einem Wirtschaftssektor ausgegeben werden, welcher der Bevölkerung mehr Nutzen (z. B. durch höhere Wertschöpfungstiefe oder Lohnquoten) stiftet als eine alternative, gleich hohe Ausgabe in einem anderen Wirtschaftssektor der Region, dann wird ein Nutzengewinn erzielt. Dieser Zusammenhang kann natürlich auch umgekehrt ablaufen, sodass Nutzeneinbußen auftreten. Insgesamt werden sich viele der WM-induzierten Umverteilungseffekte gegenseitig aufheben. Für Verdrängungen wie auch Umverteilungen gilt allerdings gleichermaßen, dass sie schwer empirisch zu erfassen sind. 5.3.3.1 Änderungen des Konsumverhaltens der inländischen WM-Besucher Die Ausgaben der inländischen WM-Besucher können positive oder negative gesamtwirtschaftliche Wirkungen erzeugen. Entscheidend hierfür ist, ob sie 1.
während der Fußball-WM mehr oder weniger als ohne die WM konsumiert haben („Couch potato“-Effekt versus Stimulation durch Eventisierung, d. h. Sparen infolge reduzierter Ausgaben vor dem heimischen TV-Gerät gegenüber Entsparen durch
5.3
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Besucher der Fußball-WM 2006
227
außerhäusigen Erlebniskonsum). Mit anderen Worten stellt sich die Frage, ob sich die marginale Konsumquote kurz- oder sogar langfristig ändert; 2.
durch die WM ihr Geld in anderen Wirtschaftssektoren ausgegeben haben, die eine höhere/niedrigere Wertschöpfungstiefe haben.
Wegen der Ungewissheit über das tatsächliche alternative Konsumverhalten der inländischen WM-Besucher wurde in dieser Studie dem konservativen Ansatz gefolgt, die Änderung des inländischen Konsumverhaltens als neutral zu unterstellen (siehe auch Szymanski, 2002, S. 172; Ahlert, 2006, S. 13). Selbst wenn es kurzfristig zu einer Steigerung der marginalen Konsumquote gekommen ist (durch die Feierstimmung, Investitionen in Fernsehgeräte o. ä.), heißt dies nicht, dass sie auch langfristig erhöht bleibt und damit wirtschaftlich nennenswerte Rückwirkungen auslöst. Vielmehr wird angenommen, dass sich die Konsumquote – die wahrscheinlich kurzfristig erhöht war – mittelfristig wieder dem alten Niveau angleicht. Von möglichen, zwischenzeitlichen Impulsen durch den deutschen Binnenkonsum wird hier also abgesehen. Ausgenommen sind dabei die „Home Stayers“, welche in dieser Studie als einzige inländische Gruppe explizit mit ihren Konsumausgaben in die Berechnung einfließen. Theoretisch müssten aber auch diejenigen Inländer berücksichtigt werden, die aufgrund der Einmaligkeit der Fußball-WM im eigenen Lande ihre zur WM getätigten zusätzlichen Ausgaben durch Entsparen decken, ohne das Geld später wieder anzusparen. Auch diese Gruppe wird hier nicht berücksichtigt. Zweifelsohne kam es zu Umverteilungen in den einzelnen Branchen. So berichtete der Sportartikelhersteller adidas vom Absatz von 1,5 Mio. Deutschland-Trikots und 15 Mio. „Teamgeist“-Bällen (Reuters, 2006). Umsatzsteigerungen wurden ferner in der Brauwirtschaft und Elektroindustrie (Verkauf von Fernsehgeräten) verzeichnet. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (2007b) haben sich die privaten Konsumausgaben im Jahr 2006 um 1,1 % zum Vorjahr erhöht, nachdem es seit 2002 keine Erhöhungen mehr gegeben hat. Überdies hat sich die Konsumquote der Inländer im Jahr der Fußball-WM nicht verringert, sondern ist sogar leicht angestiegen. Dabei handelt es sich allerdings um eine makroökonomische Kennzahl, die alle Inländer einschließt und nicht nur die WM-Besucher. Außerdem dürfte die für 2007 geplante Mehrwertsteuererhöhung einen positiven Einfluss auf die Konsumquote gehabt haben. Möglicherweise war aber auch die generell konsumfreundlichere Stimmung nach Jahren schwacher Binnenkonjunktur hierfür ausschlaggebend. Diese wurde sicherlich durch den erfolgreichen Verlauf der FußballWM unterstützt. Auf Grundlage jener Makrodaten können die Wirkungen der Fußball-WM allerdings nicht treffend isoliert werden, denn es liegen weder zeitlich detaillierte Angaben für den WMZeitraum noch sektoral disaggregierte Größen vor. Insbesondere ist aber unbekannt, welche Entwicklung in Deutschland ohne die Fußball-WM eingetreten wäre. Die in Tabelle 5.27 zusammengefassten Gründe könnten für oder gegen eine zumindest zeitweilig erhöhte Konsumquote aufgrund der Fußball-WM angeführt werden.
228
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung des konsumtiven Impulses der Fußball-WM 2006
Tab. 5.27: Pro- und Contra-Argumentation zur Änderung des Konsumverhaltens wegen der Fußball-WM bei Inländern Gründe dafür, dass die Fußball-WM das Konsumverhalten beeinflusst hat
Gründe dagegen, dass die Fußball-WM das Konsumverhalten beeinflusst hat
Die Fußball-WM löste eine allgemeine positive Grundstimmung aus, die sich in erhöhtem Konsum niedergeschlagen hat. Die zuvor durch Unsicherheit geprägte Sparneigung ist durch die Fußball-WM durchbrochen worden.
Private Haushalte zogen wegen der angekündigten Mehrwertsteuererhöhung den Kauf von Gebrauchsgütern vor – und nicht wegen der Fußball-WM.
Die Fußball-WM löste besonderen Bedarf an neuen Medien (insbesondere TV) aus und ersetzte z. T. bestehende Medien frühzeitig.
Die gesamtwirtschaftliche Situation hat sich verbessert, und die Fußball-WM fiel nur zufällig mit dem Aufschwung zusammen. Dies haben Frühindikatoren bereits angekündigt.
Die Fußball-WM löste starken Konsum in der Gastronomie aus (Event-Stimmung).
Wahrnehmungen und Erwartungen bezüglich der wirtschaftlichen Entwicklung sind wichtige Determinanten des individuellen Konsumverhaltens mit letztlich makroökonomischen Auswirkungen (Matsusaka & Sbordone, 1995; Acemoglu & Scott, 1994). Nach Szymanski (2002) sprechen bisherige Befunde für andere Nationen gegen eine Beeinflussung wirtschaftlicher Erwartungen durch eine Fußball-WM. In einer Studie zur Fußball-WM 2006 in Deutschland konnten Dohmen et al. (2006) jedoch zeigen, dass die “Psychologie” einen starken Einfluss auf das Konsumverhalten der Inländer hatte. Dohmen et al. (2006) erbrachten einen wissenschaftlich abgesicherten Nachweis, dass sich die Einstellung der Inländer zur allgemeinen und persönlichen, zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung durch die Fußball-WM verbessert hat. „The positive impact on economic perceptions and expectations is particularly strong after the German team’s victory in the quarter-final match, which Germany won against Argentina, and after the consolation match, won against Portugal. […] Germany’s good performance in the World Cup led individuals to have more positive perceptions and expectations regarding economic conditions, both personally and for the economy in general.” (Dohmen et al., 2006, S. 7) Im weiteren Verlauf der Studie ermitteln Dohmen et al. (2006), wie groß der WM-Effekt bezüglich der Einschätzung der persönlichen wirtschaftlichen Zukunft ist. Erstaunlicherweise zeigte sich nach gewonnenen Spielen der Deutschen Nationalmannschaft ein sehr starker Effekt. “Combining this information reveals that the tournament’s impact on the perceived strength of an individual’s current economic position is roughly comparable to an increase in income of (0.092/0.245) * 1,250 Euros =
5.3
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Besucher der Fußball-WM 2006
229
469 Euros. This is a 23.5 percent increase in net monthly household income for someone at the midpoint of the median income category. The magnitude of the World Cup effect is similar for individuals at different points of the income distribution.“ (Dohmen et al., 2006, S. 8) Während der Fußball-WM hatten somit viele Inländer eine positive Stimmung und das Gefühl, dass sich ihre wirtschaftliche Situation in Zukunft verbessert. Dies kann als indirekter Beleg gesehen werden, dass es WM-bedingt zusätzlichen Konsum gegeben hat. Unbekannt bleibt allerdings, wie lange diese Wirkung anhielt. Unbestritten sollte jedoch sein, dass während der WM-Zeit zahlreiche Kaufentscheidungen, Planungen und Verhandlungen gelaufen sind, die durch die positive Stimmung beeinflusst wurden und deren Auswirkungen sich durchaus über einen längeren Zeitraum erstrecken können. Die Wirkung der Stimmung auf den Konsum sind laut einer Studie der Deutsche Postbank AG (2006), gemessen an Veränderungen des Verbrauchervertrauens und der realen Konsumneigung, bei keinem der bisherigen europäischen WM-Gastgeberländer oder EURO-Ausrichter von der Hand zu weisen. Letztlich kann jedoch nicht berechnet werden, in welcher Dimension die Fußball-WM das Konsumverhalten der Inländer wirklich beeinflusst hat, da der Konsum im Sommer 2006 ohne die Ausrichtung der Fußball-WM nicht bekannt ist. Jedoch wurden durch diese Studie einige Erkenntnisse über das Konsumverhalten der inländischen WM-Besucher gewonnen, und einzelne offizielle Statistiken weisen ebenfalls auf verstärkten Konsum hin. Beispielsweise konnte der Einzelhandel seinen Umsatz während der Fußball-WM steigern (Statistisches Bundesamt, 2007c). Nicht auszuschließen ist auch, dass es im Mai, einem Monat in dem der Einzelhandelsumsatz saisonbereinigt im Vergleich zum Vorjahr zugelegt hat, bereits zu Käufen fußballnaher Waren wie Sportkleidung, Bier etc. kam. Abbildung 5.7 zeigt, dass der Umsatz im Einzelhandel im Jahr 2006 über dem von 2005 und 2004 und sogar über dem von 2007 liegt. Wie zuvor begründet, kann dies nicht auf die Fußball-WM zurückgeführt werden. Sollte die Fußball-WM zu diesen positiven Zahlen beigetragen haben, so sind die starken Monate Mai und August damit zu erklären, dass während der Fußball-WM weniger eingekauft wurde (Substitution durch Fußball sehen, feiern und gutes Wetter) während im Mai (Vorbereitung auf die Fußball-WM) und August (Anschlussreisen) mehr gekauft wurde. Insgesamt werden aber im zweiten Halbjahr 2006 vor allem die vorweggenommenen Käufe für Gebrauchsgüter bemerkbar gewesen sein, da sich 2007 die Mehrwertsteuer erhöht hat.
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung des konsumtiven Impulses der Fußball-WM 2006
Index 2003=100
230
140
2004
2005
2006
2007
130
120
110
100
90
80 1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
Monate
Abb. 5.7: Reale Umsatzmesszahlen im Einzelhandel (Quelle: Statistisches Bundesamt (2007c, Tabelle 4.1)) Anders ist dies beim Konsum von Lebensmitteln, einer Branche, die durch die FußballWM stärker betroffen und von der Mehrwertsteuererhöhung nicht berührt wurde. Abbildung 5.8 zeigt eine starke Steigerung des Absatzes von Lebensmitteln während der Fußball-WM. Im Jahr 2007 lag der Umsatz mit Lebensmitteln niedriger und in etwa auf dem Niveau der beiden Jahre vor der Fußball-WM. Allerdings kann auch anhand dieser Statistiken nicht eindeutig geschlossen werden, ob es die Fußball-WM war oder andere Faktoren, z. B. das gute Wetter, die zu einem erhöhten Umsatz durch den Verkauf von Lebensmitteln (etwa Grillgut) geführt haben.
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Besucher der Fußball-WM 2006
Index 2003=10
5.3
125
2004 2006
120
231
2005 2007
115
110
105
100
95
90
85
80 1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
Monate
Abb. 5.8: Reale Umsatzmesszahlen von Lebensmitteln usw. (in Verkaufsräumen) im Einzelhandel (Quelle: Statistisches Bundesamt (2007c, Tabelle 4.1)) In Zusammenhang mit der Fußball-WM lohnt die Betrachtung des Bierabsatzes in Deutschland. Betrachtet man jedoch den gesamtdeutschen Bierkonsum, so sind die auf den Fan-Festen abgesetzten Mengen von Bier eher marginal. Der Bierverbrauch im Jahr 2006 betrug 95,4 Mio. Hektoliter (erstmals ein leichter Anstieg seit 1999), jedoch lag der Bierkonsum auf dem größten Deutschen Fan-Fest in Berlin bei lediglich 8.090 Hektolitern (OK Berlin, 2006). Das sind nur 0,008 % des deutschen Bierkonsums im Jahr 2006. Dennoch ist der „Bierabsatz in Deutschland im Mai 2006 – trotz unfreundlicher Witterung – gegenüber dem absatzstarken Mai 2005 um 8,0 % gestiegen. Insgesamt setzten die Brauereien im Vorfeld der Fußball-WM 10,8 Millionen Hektoliter Bier ab. Auch im Vergleich zum durchschnittlichen Bierabsatz im Monat Mai der letzten fünf Jahre ergab sich ein Plus von 7,9 %. Somit dürften die üblichen witterungsbedingten Einflüsse auf den Bierkonsum
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung des konsumtiven Impulses der Fußball-WM 2006
232
für den aktuellen Anstieg des Bierabsatzes nicht im Vordergrund stehen.“ (Statistisches Bundesamt, 2007d). Der verstärkte Konsum von Bier, aber auch die ambivalente Verhaltensweise beim Besuch von gastronomischen Einrichtungen kann durch die Angaben der inländischen WM-Besucher über ihr verändertes Konsumverhalten belegt werden. Im Rahmen dieser Studie wurde außerdem erhoben, ob die WM-Besucher „im Vergleich zum Alltag während der WM mehr/weniger“ in den Konsumkategorien „Fast Food“, „Bier“, „Essen in Restaurants“ und „Shopping“ ausgegeben haben. Die Art der Fragegestaltung lässt zwar keine Aussagen über die Höhe des Konsums zu, da das Mengengerüst nicht abgefragt wurde, sie zeigt jedoch die kurzzeitig zur WM herrschenden starke Umverteilungen im Konsum der Inländer an. Tab. 5.28: Subjektiv wahrgenommene Konsumänderung der inländischen Public-ViewingBesucher Einwohner
Bierkonsum Fast Food Restaurant Shopping
weniger 5,9 8,1 18,7 19,6
gleich 33,5 53,3 62,1 66,0
Inländer Tagestourist
mehr weniger gleich 60,6 4,1 38,5 38,6 7,1 54,4 19,2 19,1 63,9 14,4 22,1 61,9
Inländer Tourist mit Übernachtung mehr weniger gleich mehr 57,4 5,8 27,2 67,2 38,6 9,4 42,8 47,8 17,0 23,0 46,4 30,7 17,0 28,9 51,5 19,5
Tab. 5.29: Subjektiv wahrgenommene Konsumänderung der inländischen Stadionbesucher Einwohner
Bierkonsum Fast Food Restaurant Shopping
weniger 5,2 7,0 17,9 20,3
gleich 44,9 61,5 69,8 70,5
Inländer Tagestourist
mehr weniger gleich 49,9 4,7 41,0 31,6 6,6 59,4 12,3 17,2 66,0 9,3 19,8 69,2
Inländer Tourist mit Übernachtung mehr weniger gleich Mehr 54,3 3,8 30,7 65,6 34,0 6,7 45,7 47,7 16,9 17,0 52,6 30,4 11,0 26,4 56,9 16,6
Bei allen hier untersuchten Besuchergruppen wurde hoch signifikant häufiger Fast Food und Bier konsumiert. Indifferent ist dagegen das Verhalten bezüglich des Besuchs von Restaurants. Es fällt auf, dass gerade die inländischen Touristen mit Übernachtung sehr viel häufiger Restaurants aufsuchten als üblich. Hingegen ist bei den Einwohnern und Tagesbesuchern kein signifikanter Unterschied zwischen weniger und mehr Restaurantbesuchen festzustellen. Bezüglich der Einkaufsaktivitäten (Shopping) zeigt sich unter den Inländern ganz klar ein Rückgang.
5.3
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Besucher der Fußball-WM 2006
233
Die Daten zeigen zunächst einmal, dass die Fußball-WM das Konsumverhalten der inländischen WM-Besucher beeinflusst hat. Während die Nachfrage nach Bier und Fast Food bei vielen WM-Besuchern angestiegen ist, wurde dafür weniger eingekauft. Allerdings kann daraus nicht geschlossen werden, dass die Einkäufe nicht zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt werden. Der von Maennig (2007) immer wieder betonte „CouchPotato“-Effekt, der besagt, dass die Konsumenten während der Fußball-WM zu Hause blieben und TV sahen, anstatt wie üblich zu konsumieren, muss in seinen ökonomischen Auswirkungen differenzierter betrachtet werden: 1.
Einige Branchen haben von der Fußball-WM profitiert, während andere Branchen Einbußen erlebt haben. Diese Umverteilungen müssten anhand ihrer Vorleistungsverflechtungen und der Wertschöpfungstiefe der einzelnen Branchen untersucht werden, um die wirtschaftlichen Auswirkungen zu beurteilen.
2.
Insbesondere die geringeren Ausgaben für Shopping waren sehr wahrscheinlich lediglich zeitlich verschoben und haben damit nicht die Sparquote erhöht (siehe auch Maennig, 2007, S. 380).
3.
Die Befragung der WM-Besucher erfolgte fast ausschließlich an Spieltagen und hat damit Personen in einer Event-Situation erfasst, in der Shopping praktisch ausgeschlossen ist. Die Besucher werden das besondere Erlebnis der Fußball-WM im Stadion oder beim Public Viewing kaum mit Einkaufstaschen verbringen wollen.
Die Umsatzstatistik im Einzelhandel des Statistischen Bundesamtes zeigt eindeutig, dass der Umsatz im Jahr 2007 gegenüber den Vorjahren gestiegen ist. Allerdings kann diese makroökonomische Kennzahl nicht differenziert belegen, ob z. B. ausländische Besucher den ggf. zurückgegangenen Konsum der Inländer überkompensiert haben oder der „Couch-Potato“-Effekt sehr wohl eingetreten ist, aber lediglich einen alternativ noch höheren Umsatz unterbunden hat. Letztlich ist nicht klar, ob und zu welchen Anteilen die Fußball-WM, das gute Wetter oder die angekündigte Umsatzsteuererhöhung das Kaufverhalten der Inländer beeinflusst hat. In dieser Studie wurden zudem nur die inländischen WM-Besucher befragt, also eine kleine Gruppe der Bevölkerung mit großem Fußballinteresse. Die Wirkungen der hier untersuchten kleinen Gruppe der deutschen Bevölkerung sind umso schwerer aus makroökonomischen Kennzahlen zu isolieren. Einen weiteren Hinweis darauf, ob sich die Konsumausgaben der Inländer durch die Fußball-WM erhöht haben könnten oder nicht, zeigen die Antworten der WM-Besucher auf die Frage, wie sie das „Erlebnis Fußball-WM“ finanziert haben.
234
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung des konsumtiven Impulses der Fußball-WM 2006
Tab. 5.30: Finanzierung der WM-Ausgaben inländischer Public-Viewing-Besucher in Prozent Public Viewing (Inländer)
Einwohner Umverteilung Nutze Erspartes Spare später Von Dritten n=
91,4 5,8 3,3 5,3 1.098
Tagestourist 88,3 7,8 4,4 5,6 461
Tourist mit Übernachtung 79,2 12,2 7,5 9,5 296
Mehrfachantworten möglich
Tab. 5.31: Finanzierung der WM-Ausgaben inländischer Stadionbesucher in Prozent Stadion (Inländer)
Einwohner
Tagestourist
85,7 9,0 2,5 9,4 863
87,4 9,7 4,0 6,8 770
Umverteilung Nutze Erspartes Spare später Von Dritten n=
Tourist mit Übernachtung 75,5 16,6 8,2 11,9 644
Mehrfachantworten möglich
Die Tabellen 5.30 und 5.31 zeigen, dass ca. 10 % der Inländer auf Erspartes zurückgreifen und weitere 4-5 % die während der Fußball-WM ausgegebenen Mittel nach der WM wieder einsparen wollen. Beides deutet auf einen erhöhten Konsum der inländischen WMBesucher während der Fußball-WM hin. Die Konsumveränderungen der TV-Zuschauer sind hier nicht untersucht worden. Es ist jedoch plausibel, dass Maennig (2007) mit seiner Hypothese Recht hat, dass während der Fußball-WM aufgrund der Übertragungen und des guten Wetters kurzfristig weniger konsumiert wurde. Dies führt aber nicht zu einer mitteloder langfristig erhöhten Sparquote. Wahrscheinlich ist, dass diese Konsumenten in den darauf folgenden Monaten das gesparte Geld ausgegeben haben. Durch die für 2007 beschlossene Mehrwertsteuererhöhung ist jedoch im zweiten Halbjahr des Jahre 2006 ein stark intervenierendes Ereignis eingetreten, weshalb der WM-Effekt nicht mehr herauszufiltern ist. Außerdem zeigen die beiden Tabellen, dass das WM-Erlebnis für unterschiedliche Besuchergruppen verschieden teuer war (Stadionbesucher versus Public-Viewing-Besucher oder Tagestourist versus Tourist mit Übernachtung). Je teurer die Reise war, desto mehr
5.3
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Besucher der Fußball-WM 2006
235
wurde der Konsum durch Rückgriffe auf Erspartes finanziert und damit zusätzlich konsumiert. Insgesamt müssen diese Ergebnisse bezüglich ihrer gesamtwirtschaftlichen Wirkungskraft relativiert werden. Nur knapp fünf Millionen Menschen waren Besucher der Fußball-WM in Stadien und Public Viewings, darunter ca. 3,5 Millionen Inländer. Wenn nur 10 % der Inländer (350.000) ihr auf wenige Tage im Jahr 2006 beschränktes WM-Erlebnis durch „Erspartes“ finanziert haben, dann wird unmittelbar klar, dass dies weder bei der makroökonomischen Kennzahl „Sparquote“ (im 2. Quartal) noch in anderen gesamtwirtschaftlichen Kennzahlen sichtbare Änderungen erzeugt. Dieser durch die Inländer induzierte regionalwirtschaftlich mitunter bedeutende, aber gesamtwirtschaftlich höchst unbedeutende konsumtive Impuls durch verändertes Konsumverhalten ist in der Berechnung des gesamtwirtschaftlichen Impulses der Fußball-WM durch diese Studie daher nicht berücksichtigt worden. Exkurs: Regionale Auswirkungen der Fußball-WM auf die Gastronomie Der Konsum der WM-Besucher kann auch von der Angebotsseite her ermittelt werden. Dazu wurde ein Jahr nach der Fußball-WM eine qualitative Untersuchung in der WMStadt Frankfurt/M. durchgeführt. Die zentrale Fragestellung war, wie sich die FußballWM auf den Umsatz der Gaststätten in Frankfurt/M. und Umgebung ausgewirkt hat. Dazu führten die Studierenden S. Kesting und J. Nestle im Juni 2007 qualitative Interviews mit Eigentümern von Gaststätten durch. Die Befragerinnen legten großen Wert darauf, mögliche intervenierende Variable auf den Umsatz auszuschließen. Die 18 ausgewählten Lokalitäten haben sich in ihrem gastronomischen Angebot nur gering unterschieden. Das wesentliche und für die Untersuchung wichtige Unterscheidungsmerkmal war die Distanz zum Zentrum des Fan-Festes mit Public Viewing (Mainarena). In der Stichprobe befanden sich drei Gaststätten im Umkreis von ca. 20 km, acht im Umkreis von bis zu drei Kilometern und sieben in der direkten Umgebung (100 m) des Public Viewings. Während der Befragung wurde auf einheitliche Untersuchungsbedingungen geachtet, u. a. darauf, dass der Interviewte ausreichend Zeit zum Gespräch hatte. Eine genaue Beobachtung der Reaktionen der Befragten ermöglichte das gezielte Nachfragen und eine Einschätzung der Qualität der ermittelten Daten. Diese kleine Studie liefert lediglich erste Anhaltspunkte über die regionalen Auswirkungen des Konsums der WM-Besucher, da es sich um eine qualitative Forschung handelt. Das zentrale Ergebnis ist aber, dass es eine imaginäre Grenze von ca. 100 m um das Public Viewing gab, innerhalb derer der Umsatz überdurchschnittlich hoch war. Dieser wurde als umso höher angegeben, je besser sich der Gastwirt auf das Fußball-WM-Klientel einstellen konnte (ausreichende Lagerkapazität, Außenbereiche etc.). Hinter dieser imaginären Grenze blieb der Umsatz auf „gewohntem“ Niveau und wurde vereinzelt sogar als unterdurchschnittlich bezeichnet. Eine weitere Erkenntnis ist, dass besondere WM-bezogene
236
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung des konsumtiven Impulses der Fußball-WM 2006
Aktionen eine positive Auswirkung auf den Umsatz gehabt haben. So verzeichneten die Gaststätten, die nahe einer Großleinwand lagen oder selber Übertragungen der WM-Spiele zeigten, einen Umsatzanstieg. Die allgemeine Ablenkung durch die Fußball-WM und das Fan-Fest sowie die große Anzahl ausländischer Besucher hatten allerdings auch negative Auswirkungen auf nur unter Frankfurtern bekannte Bars. Die befragten Gaststättenbetreiber außerhalb Frankfurts (lediglich zwei) berichteten schließlich von durchschnittlichen bzw. leicht zurückgegangenen Umsätzen. Diese qualitative Untersuchung nährt die Vermutung, dass die Wirkung der Fußball-WM für die Gastronomie regional begrenzt ist. Besonders aufgefallen ist allerdings die dritte untersuchte Gaststätte außerhalb Frankfurts. Sie liegt in Bad Nauheim, wo die Saudi-Arabische Nationalmannschaft gastierte. Da die Gaststätte spezielle Fußballaktionen angeboten hatte (Schmücken, Bierpreise halbiert bei deutschen Toren, Großbildleinwand), fanden sich hier sehr viele ausländische Gäste ein. Zeitlich betrachtet waren in der Zone um das Public Viewing die Umsatzsteigerungen während der gesamten Fußball-WM zu spüren, flachten allerdings schnell danach wieder ab. Das deutet darauf hin, dass dieser Effekt nicht der sich generell verbessernden wirtschaftlichen Situation Deutschlands zuzuschreiben war, sondern einzig der Fußball-WM. Das „WM-Gefühl“ empfanden die sieben Gastwirte nur bis ca. eine Woche nach der Fußball-WM, sieben andere zwei Wochen lang und vier Gastwirte länger als zwei Wochen. 5.3.3.2 Verdrängungseffekte durch die Besucher der Fußball-WM Verdrängungen (crowding out) durch die Besucher der Fußball-WM sind nur sehr schwer zu erfassen, denn die verdrängten Mittelzuflüsse sind nicht real messbar. Daher sind die meisten Stellungnahmen zu möglichen Verdrängungen durch die Fußball-WM bisher lediglich Annahmen und Vermutungen, die mehr oder weniger auf kausallogischen Schlussfolgerungen basieren. Die Abbildung 5.9 zeigt abstrahiert die Reaktion des Marktes auf veränderte Nachfrage. Dabei wird das Crowding out in drei Situationen des Angebots jeweils durch eine Erhöhung der Nachfrage von N nach N’ dargestellt. Auf die erhöhte Nachfrage der WMBesucher in bestimmten Branchen reagiert der Markt zunächst, soweit möglich, mit einer Steigerung der Produktion bzw. Nutzung vorhandener Kapazitäten. Dies wäre z. B. die Steigerung der Bierproduktion, aber auch die Füllung freier Kapazitäten in Hotels. Bei weiter erhöhter Nachfrage kommt es dann zu Preisänderungen und schließlich bei absehbar langfristig erhöhter Nachfrage zu Investitionen. Während durch Produktionssteigerung die erhöhte Nachfrage befriedigt werden kann und keine Preiserhöhung erfolgen muss, kommt es bei Kapazitätsengpässen zu Preiserhöhungen und damit zu Verdrängungen. Dabei wird die preiselastische Nachfrage von der unelastischen Nachfrage verdrängt (price crowding out). Dies ist z. B. bezüglich der hohen Nachfrage nach Unterkünften in den WM-Städten oder auch nach Eintrittskarten (auf dem Schwarzmarkt) festzustellen. Betont werden muss aber, dass die Fußball-WM nur in einzelnen Sektoren hohe Nachfragesteigerungen erfahren hat, z. B. im Dienstleistungssektor und Gastgewerbe.
5.3
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Besucher der Fußball-WM 2006
237
Angebot
Preis
N3
N 3´ A3
dp3
N2
N 2´ A2
N1
N 1´
dp2 A1
dY
dY
dY
Y
Crowding out Preiserhöhung
Abb. 5.9: Darstellung möglicher Stufen von Verdrängungen Generell können zwei Ursachen für Verdrängungen unterschieden werden: Kapazitative Gründe, die auch Verdrängungen (wegen Preiserhöhungen) implizieren, sowie die subjektiv bewertete Erwartung der Auswirkungen der Fußball-WM (z. B. Furcht der Besucher vor Überfüllung und hohen Preisen und Spekulationen der Anbieter). Die Folge kann z. B. sein, dass Konsumenten aufgrund der Fußball-WM ihr Konsumverhalten ändern und ihren Konsum nicht mehr, wie ursprünglich geplant, innerhalb Deutschlands, sondern außerhalb tätigen. Verdrängungen sind von Umverteilungen zu unterscheiden. Viele Mittelabflüsse sind in Realität nur kurzfristig durch die WM induzierte Verdrängungen, die sich allerdings wenig später durch Mittelzuflüsse aufheben. Betrachtet man also einen etwas längeren Zeitraum als die vier Wochen der WM, sind viele Verdrängungen lediglich als Umverteilungen zu sehen. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn 1.
ausländische Besucher, die wegen der Fußball-WM nicht nach Deutschland kommen, ihren Besuch lediglich in eine andere Periode verschieben (z. B. Verschiebung von Familienbesuchen, Geschäftsreisen).
2.
Inländer, die einen Urlaub im Ausland machen, um den erwarteten negativen Wirkungen der Fußball-WM zu entgehen, einen späteren Sommerurlaub im Ausland ausfallen lassen, mit anderen Worten, den Sommerurlaub in die Zeit der Fußball-WM vorziehen.
238
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung des konsumtiven Impulses der Fußball-WM 2006
Als empirischer Beleg für lediglich zeitliche Umverteilungen können die Besuchszahlen von Griechen und Türken im Jahr 2006 herangezogen werden. Während der Fußball-WM sind 26,5 % weniger Griechen und 18,6 % weniger Türken nach Deutschland gereist. Beide Nationen hatten sich nicht für die Fußball-WM qualifiziert, weisen aber viele Migranten in Deutschland auf. Trotz des Rückgangs im WM-Monat nahmen die Übernachtungen von Türken in Deutschland im Jahr 2006 im Vergleich zum Vorjahr aber um 1,1 %, die von Griechen sogar um 8,8 % zu (DZT, 2007, S. 13). Diese Umverteilungen sind von wirklichen Verdrängungen zu unterscheiden. Auch diese wird es ohne Zweifel während der Fußball-WM gegeben haben, es stellt sich allerdings die Frage, wie umfassend sie waren. In vielen Studien zur Berechnung wirtschaftlicher Wirkungen von Sportgroßveranstaltungen werden aggregierte und makroökonomische Kennzahlen, wie z. B. die Konsumquote oder Übernachtungszahlen, dazu herangezogen, um Verdrängungen zu belegen, obwohl sich solche globalen Kennziffern, wie bereits erläutert, dafür nicht eignen. Sie beziehen sich beispielsweise häufig nicht direkt auf den Zeitraum des Sportgroßevents, sondern auf ein ganzes Quartal oder sogar Jahr. Außerdem sind sie nicht detailliert genug und vermischen andere intervenierende Umwelteinflüsse, was den wirklichen Effekt der Sportgroßveranstaltung verwischt. Sollten allerdings Detailzahlen für den WM-Zeitraum vorliegen, dann wird häufig „andersherum“ der Fehler begangen, dass die WM-bezogenen Mittelzuflüsse der Vor-/Folgeperioden nicht angemessen berücksichtigt werden, um Umverteilungen trennscharf von Verdrängungen abzugrenzen (z. B. „Time Switchers“ unter den Touristen). Verdrängungen können durch globale Kennziffern lediglich nachgewiesen werden, wenn sowohl Detailinformationen über alle Zeitabschnitte vor, während und nach der Fußball-WM bekannt sind und auch alle anderen Umwelteinflüsse kontrolliert werden (z. B. allgemeine Konjunktur, Mehrwertsteuererhöhungen, Imageänderungen, Wetter, Differenzierung in In- und Ausländer etc.) – beides ist nur schwer möglich. Verdrängungen sind zu berücksichtigen, wenn 1. 2. 3.
ausländische Besucher wegen der Fußball-WM nicht nach Deutschland gekommen sind und ihre Reise auch nicht in einem gewissen Zeitraum nachholen werden; Inländer, um den negativen Wirkungen der Fußball-WM zu entgehen, einen zusätzlichen Urlaub im Ausland verbringen; Inländer, die einen Urlaub in Deutschland geplant hatten, diesen wegen der FußballWM ins Ausland verlegen.
Ausländische Touristen, die wegen der Fußball-WM Deutschland gemieden haben, sind schwer empirisch zu erfassen, denn dazu müssten Ex-post-Befragungen im Ausland durchgeführt werden, die einen Hinweis darauf geben, ob die Anzahl der verdrängten Touristen bedeutend war. In dem Zusammenhang kann im Rahmen dieser Studie nur auf weniger aussagekräftige globale Kennzahlen zurückgegriffen werden. Da die Entwicklung des Incoming-Tourismus im Sommer 2006 ohne die Fußball-WM nicht bekannt ist, kann aus keiner der im Folgenden aufgeführten Zahlen eindeutig auf die Wirkung der Fußball-
5.3
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Besucher der Fußball-WM 2006
239
WM geschlossen werden. Die tatsächlich angereisten WM-Besucher (gemessen durch Befragungen und hochgerechnet (bottom up)) könnten z. B. lediglich eine WM-basierte Abnahme von Besuchern überkompensiert haben. Natürlich könnte die nachfolgend aufgezeigte Zunahme des Incoming-Tourismus auch ohne die Fußball-WM stattgefunden haben (was allerdings unwahrscheinlich ist). Da es im Sommer 2006 neben der FußballWM kein anderes Ereignis gegeben hat, das sich stark auf den Tourismus ausgewirkt haben könnte, wird davon ausgegangen, dass der Tourismus sich ohne die WM ähnlich wie in den Vorjahren entwickelt hätte. Bezüglich der wissenschaftlich abgesicherten Identifikation von Verdrängungen stellt sich aber nicht die Frage nach dem einen oder anderen Extrem. Bisher konnte lediglich empirisch nachgewiesen werden, dass mindestens 1,5 Millionen ausländische Besucher zur Fußball-WM nach Deutschland gekommen sind und ein Teil von ihnen sogar ausschließlich wegen der Fußball-WM. Es stellt sich die Frage, wie viele ausländische Touristen ausschließlich wegen der Fußball-WM nicht gekommen sind. In der Hinsicht ist zunächst anzunehmen, dass Verdrängungen ausschließlich zur Zeit der Fußball-WM, also zwischen dem 9. Juni und 9. Juli stattgefunden haben dürften, denn in allen anderen Monaten des Jahres war die Fußball-WM physisch nicht präsent und hat damit weder die Hotelkapazitäten noch die Verkehrsinfrastruktur kapazitativ belastet. Für diese Zeit ist zu ermitteln, ob es sich bei den ferngebliebenen Touristen um zeitliche Umverteilungen oder Verdrängungen handelt. Umverteilungen würden sich an verstärktem Incoming-Tourismus in den Monaten vor und nach der Fußball-WM zeigen oder – etwas allgemeiner gesehen – an einem überdurchschnittlichen Anstieg der Übernachtungen von ausländischen Besuchern im Jahr 2006. Das Statistische Bundesamt (2007e) veröffentlichte, dass im Jahr 2006 die Anzahl der Übernachtungen von Gästen aus dem Ausland in Beherbergungsstätten (neun oder mehr Betten) und auf Campingplätzen um 10 % auf 52,9 Millionen gegenüber dem Vorjahr angestiegen ist. Damit wurde der bisher in Deutschland erreichte Höchststand vom Jahr 2005 nochmals übertroffen. „Zu diesem kräftigen Anstieg der Übernachtungen ausländischer Gäste in Deutschland hat auch die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 beigetragen, deren Motto ‚Zu Gast bei Freunden’ Besucher aus aller Welt gefolgt sind. So stieg im Juni 2006 die Zahl der Übernachtungen ausländischer Gäste um 34 % oder fast 1,5 Millionen im Vergleich zum Juni 2005.“ (Statistisches Bundesamt, 2007e)
240
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung des konsumtiven Impulses der Fußball-WM 2006
Tab. 5.32: Veränderungen im Incoming-Tourismus der wichtigsten Quellmärkte Deutschlands (Quelle: Statistisches Bundesamt (2007e)) Nation
Polen Vereinigtes Königreich Dänemark Frankreich Belgien Schweden Spanien Schweiz Österreich Italien Japan Vereinigte Staaten Niederlande
Anzahl Übernachtungen in Mio.
1,2 4,5 2,0 2,2 2,3 1,5 1,6 3,5 2,2 2,9 1,4 4,7 8,8
Veränderungen zum Jahr 2005 in %
+ 18,6 + 14,1 + 10,3 + 8,7 + 8,4 + 8,4 + 7,5 + 7,1 + 6,8 + 6,5 + 5,3 + 5,2 + 4,2
Tab. 5.33: Imageänderungen Deutschlands und der Deutschen im Zuge der Fußball-WM (Quelle: TNS Infratest (2006)) Statement
Die Menschen in Deutschland sind freundlich Die Menschen in Deutschland sind hilfsbereit Die Menschen in Deutschland sind zuvorkommend Die Menschen in Deutschland sind aufgeschlossen Man lernt viele nette Leute kennen Man fühlt sich in Deutschland willkommen Deutschland ist ein weltoffenes Land Die WM in Deutschland ist ein tolles Erlebnis Hier gibt es eine tolle Stimmung
Top-2-Boxes in Prozent
Durchschnittliche Nennung
90 86 81 80 85 91 81 92 92
1,6 1,7 1,8 1,8 1,7 1,5 1,8 1,3 1,4
Basis: Alle Befragten/Anteile Top-2-Boxes in % (Skala von 1-5, 1 = sehr gut), prozentuiert auf gültige Nennungen
Ein empirischer Beleg für eine Imageverbesserung Deutschlands durch die Fußball-WM konnte über den Nations Brand Index erbracht werden. Der Index bewertet im Abstand
5.3
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Besucher der Fußball-WM 2006
241
von drei Monaten das Image von derzeit 38 Nationen durch eine Befragung von 25.900 Verbrauchern. Danach hat sich das Bild Deutschlands in den Kategorien Tourismus und Kultur jeweils um 0,5 Punkte auf den Wert 5,1 (von maximal sieben zu erreichenden Punkten) verbessert (Tödter & Bangerth, 2009). Betrachtet man die monatlichen Übernachtungszahlen, so fällt auf, dass im Juni 2006 eine Steigerung von über 30 % zum Vorjahr erzielt wurde, die in diesem Monat im Jahr 2007 nicht wieder erreicht werden konnte. Dies lässt einen Fußball-WM-Effekt vermuten. in Prozent
40 2005 2006 2007
30
20
10
0 1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
-10
-20 Monat
Abb. 5.10: Entwicklung der Übernachtungen von Gästen in Beherbergungsstätten (Quelle: Statistisches Bundesamt (2007f)) Betrachtet man die Gesamtjahreszahlen, so hat sich die Anzahl der Übernachtungen in den vergangenen zwölf Jahren folgendermaßen entwickelt:
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung des konsumtiven Impulses der Fußball-WM 2006
in Prozent
242
60 zum Vorjahr zum Basisjahr 1993
50
40
30
20
10
0 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 -10
-20
Abb. 5.11: Entwicklung der Übernachtungen von Gästen in Beherbergungsstätten (Jahreszahlen) im Vergleich zu Vorjahren in Prozent (Quelle: Statistisches Bundesamt (2007f)) Der durchschnittliche jährliche Zuwachs von ausländischen Touristen über zwölf Jahre (1993-2005) beträgt lediglich 1,9 %. Betrachtet man lediglich die letzten fünf Jahre, so waren es 2,5 %. Deutlich ist der Einbruch in den Besucherzahlen nach dem 11. September 2001 zu erkennen. Der Terroranschlag hat das Wachstum in den Jahren 2001-2003 gebremst. Der starke Zuwachs im Jahr 2004 ist wahrscheinlich ebenfalls auf den 11. September zurückzuführen, denn in dem Jahr erholte sich der Markt und schloss an das Wachstum der vergangenen Jahre an. Somit ist es schwer, die letzten Jahre als Trend für das Wachstum des Tourismusmarktes ohne die Fußball-WM heranzuziehen. Betrachtet man die Übernachtungszahlen von Ausländern im Gastgewerbe Griechenlands und Portugals im Jahr 2004, als die Olympischen Spiele und die EURO ausgetragen wurden, dann ist festzustellen, dass sich die Gesamtzahl der Übernachtungen im Vergleich
5.3
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Besucher der Fußball-WM 2006
243
zum Vorjahr verringert hat, obwohl der Incoming-Tourismus 2004 in 15 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union erstmals nach dem 11. September 2001 durchschnittlich wieder gestiegen ist (Bangerth, 2007, S. 41; Brenke & Wagner, 2006, S. 305). Der in Griechenland und Portugal erst 2005 einsetzende Anstieg der Übernachtungen kann vielfältige Gründe haben. So könnten die Sportgroßveranstaltungen Olympische Spiele und EURO evtl. eine noch stärkere Abnahme des Incoming-Tourismus verhindert haben oder die Ausrichtung dieser Sportgroßevents hatte in den ansonsten traditionellen Urlaubsgebieten einen Abschreckungseffekt, zumal die Olympischen Spiele 2004 zur Zeit der Schulferien vieler Nationen ausgerichtet wurden. Es wäre durchaus plausibel anzunehmen, dass das eine Sportereignis nicht in der Lage war, die allgemein zurückgehenden Übernachtungszahlen im ganzen Jahr in zwei bis vier Wochen zu kompensieren. Wenn aber im Gegensatz zu anderen EU-Ländern ein negativer Trend im Incoming-Tourismus bis in das Event-Jahr zu verzeichnen war, dieser aber im Folgejahr umgekehrt wurde, dann kann dies durchaus auf die Imageverbesserung des Ausrichterlandes durch das Sportereignis zurückzuführen sein. Tab. 5.34: Veränderung der Übernachtungen in den WM-Städten im Juni 2006 gegenüber Juni 2005 in Prozent (Quelle: Bangerth (2007, S. 83), basierend auf Daten der Statistischen Landesämter) Frankfurt Nürnberg München Leipzig Gelsenkirchen Kaiserslautern Köln Hamburg Dortmund Berlin Hannover Stuttgart
Gesamt
Ausländer
Inländer
27,4 18,4 -4,4 17,9 10,7 30,2 21,6 12,9 45,3 -2,6 7,0 11,9
43,8 108,2 17,4 118,1 262,7 80,6 107,0 57,1 285,6 31,2 56,6 90,9
11,3 -16,5 -23,5 -3,8 -19,6 6,8 -14,3 0,6 -3,3 -18,8 -14,1 -19,2
Anstatt die gesamtdeutschen – und damit sehr globalen – Übernachtungszahlen anzusehen, könnte auch die Anzahl der Übernachtungen in den zwölf WM-Städten analysiert werden, um Hinweise auf mögliche Verdrängungen zu erhalten. Die Mehrheit der WMStädte profitierte nicht nur von einer WM-induzierten Bekanntheits- und Imagesteigerung (Tödter & Bangerth, 2009) und den dadurch erzielten langfristigen Effekten, sondern auch durch einen Anstieg des Besucheraufkommens während der Fußball-WM. Neben einer hohen Anzahl an Tagesbesuchern konnten bei den Übernachtungsgästen vor allem die
244
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung des konsumtiven Impulses der Fußball-WM 2006
Übernachtungen von ausländischen Gästen gegenüber dem entsprechenden Vorjahresmonat gesteigert werden. Die Daten verdeutlichen noch einmal, warum die Verwendung makroökonomischer Kennzahlen („Top-Down“-Ansatz) irreführend und es vielmehr notwendig ist, die Zusammensetzung der „globalen“ Zahlen zu beachten. Berlin und München zeigen im Juni 2006 im Vergleich zum Vorjahresmonat absolut einen prozentualen Rückgang der Übernachtungszahlen. Für den gesamtwirtschaftlichen Impuls, der hier berechnet werden soll, sind jedoch nur die Ausländer von Bedeutung und hier stellt sich die Frage, ob diese durch die Fußball-WM verdrängt wurden. Differenziert man die Kennzahl nach in- und ausländischen Touristen, so ergibt sich ein klares Bild. Beispielsweise konnte die WM-Stadt Dortmund eine Steigerung der Ausländerübernachtungen um 285,6 % erzielen, wenngleich 3,3 % weniger Inländer kamen. Mit Blick auf absolute Zahlen schnitt Berlin mit einem Zuwachs von 130.090 Übernachtungen bei den ausländischen Gästen am besten unter allen WM-Städten ab. Auffallend ist, dass die Inländerübernachtungen im WM-Monat Juni in den meisten WMStädten rückläufig waren. Dies lässt sich damit erklären, dass viele potenzielle inländische Städtetouristen (vor allem im Geschäftstourismus) es vorgezogen haben, den WMbedingten Rahmenbedingungen (z. B. Kapazitätsengpässe und Preisanstiege) vor Ort zu entgehen und die entsprechende WM-Stadt zu einem anderen Zeitpunkt aufzusuchen bzw. in eine Nicht-WM-Stadt auszuweichen. Darüber hinaus ist es sicherlich zu Verschiebungen im MICE-Segment (Meetings, Incentives, Congresses, Events) gekommen. Für den Berliner Tagungs- und Kongressmarkt lässt sich so feststellen, dass anstatt des ansonsten veranstaltungsstarken Junis im WM-Jahr 2006 in erster Linie die Monate vor und nach dem Turnier zulegten. Auch in Hamburg sieht man den Boom bei den Geschäftsreisen im Mai 2006 in WM-bedingten Verlagerungen begründet. Dennoch gelingt es einigen WMStädten – allen voran Frankfurt/Main mit 11,3 % – die Inländerübernachtungen im Juni weiter zu erhöhen (Tödter & Bangerth, 2009; siehe für detailliertere Analysen Bangerth, 2007, S. 85-91). Wichtig für die Branche ist allerdings, dass im gesamten Jahr 2006 die Reiseintensität der inländischen Gäste im Vergleich zum Jahr 2005 um 1,1 % gestiegen ist (DZT, 2007, S. 13). D. h. dass die vordergründig erscheinenden (und auf den WM-Monat Juni zutreffenden) Verdrängungen von inländischen Reisenden in den WM-Städten in der Realität als Umverteilung in andere Städte oder zeitliche Umverteilung zu interpretieren sind. Überdies spielen die inländischen WM-Besucher für die Berechung des Primärimpulses für Deutschland keine Rolle. Neben den aufgezeigten Verschiebungen bei den Inländerübernachtungen soll nun der Entwicklung der Ausländerübernachtungen Aufmerksamkeit geschenkt werden.
5.3
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Besucher der Fußball-WM 2006
245
Abb. 5.12: Entwicklung der Übernachtungen in ausgewählten WM-Städten im Juni 2006 (B = Berlin, HH = Hamburg, F = Frankfurt/M., K = Köln, M = München, S = Stuttgart; Quelle: Tödter & Bangerth (2009)) Abbildung 5.12 zeigt, dass die absoluten Zuwächse der Übernachtungen ausländischer Gäste in München im Juni 2006 nicht nur zu gering sind, um die Inländerverluste zu kompensieren, sondern im Vergleich zu anderen WM-Städten relativ niedrig. Tödter und Bangerth (2009) erklären dies damit, dass München und Berlin in absoluten Zahlen üblicherweise die meisten ausländischen Gäste beherbergen, wodurch das Potenzial einer FußballWM, diese sehr hohe Zahl weiter zu steigern, in Frage gestellt werden muss. Schließlich konzentriert sich die Mehrzahl der anreisenden Fans auf die Spiele und somit auf die Spielorte „ihrer“ jeweiligen Nationalmannschaft. Aus diesem Grund ist hier kaum eine event-bedingt ähnlich starke Steigerung der ohnehin schon hohen Anzahl an Ausländerübernachtungen zu erwarten gewesen. Bezüglich möglicher Verdrängungen von ausländischen Touristen durch WM-Touristen kann festgestellt werden, dass es z. B. in München nicht nur bei den Inländern (temporäre Umverteilungen), sondern auch bei ausländischen Besuchern, deren Nationalteams nicht an der Fußball-WM teilnahmen bzw. kein Spiel in München absolvierten, zu Rückgängen gekommen ist, während andere Austragungsorte wie z. B. Köln oder Hamburg im Gegensatz dazu auch bei Nicht-WM-Nationen Steigerungen oder zumindest gleich bleibende Werte verzeichnen konnten (Tödter & Bangerth, 2009). Auch bei den Ausländern muss allerdings zwischen wirklichen Verdrängungen und zeitliche Umverteilungen unterschieden werden. Es gibt einige Hinweise dafür, dass viele der während der WM verdrängten ausländischen Touristen ihren Besuch in Deutschland
246
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung des konsumtiven Impulses der Fußball-WM 2006
nachholen werden. In Tabelle 5.35 werden Gründe aufgezählt, die dafür bzw. dagegen sprechen, dass es Verdrängungen gegeben hat. Tab. 5.35: Pro- und Contra-Argumentation für die Existenz von nennenswert hohen Crowding-Out-Effekten Contra
Pro
88 % der Besucher der Fußball-WM wollen Deutschland als Reiseland an Freunde und Bekannte weiterempfehlen (TNS Infratest, 2006).
Fernreisende Touristen, die nur einmalig im Leben eine Europareise machen, könnten auf einen Besuch Deutschlands verzichtet haben und holen diesen auch nicht nach.
Das Image Deutschlands hat sich durch die Fußball-WM verbessert (TNS Infratest, 2006) und sollte Deutschland damit für diejenigen, die Deutschland sowieso besuchen wollten, noch attraktiver gemacht haben.
Ausländische Touristen, die Urlaub in Deutschland zu machen pflegen, könnten durch die Fußball-WM ihren Urlaub in ein anderes Land verlegt haben. Hier besteht die Gefahr, dass einige auch in den folgenden Jahren in die neu kennengelernte Urlaubsregion reisen.
Familienangehörige und Geschäftsreisende werden ihre WM-unabhängigen Besuchsgründe auch nach der Fußball-WM beibehalten.
Besuche von Familienangehörigen und Geschäftsreisen sind komplett gestrichen worden und die Anliegen werden bei dem nächsten regelmäßig geplanten Besuch abgewickelt.
Messen und Kongresse werden in die Vor-/ Folgemonate verlegt. Ausgefallene Veranstaltungen dürften durch das verbesserte Image und die höhere Attraktivität des Standortes in der WM-Stadt bleiben und den Verlust überkompensieren.
Eine Verdrängung von Tagungen und Kongressen ist nur während einer Sportgroßveranstaltung zu erwarten, sofern alle Veranstaltungskapazitäten ausgelastet sind. Beispielsweise erwartete die Messe Frankfurt im Zuge der Olympiabewerbung für 2012, dass durch die Olympischen Spiele im Jahr 2012 keine ihrer Messen verdrängt worden wäre (Preuss & Weiss, 2003, S. 165) und das, obwohl das gesamte Messegelände für über zwei Monate zum Olympiagelände geworden wäre. Die Fußball-WM beanspruchte jedoch lediglich das Stadion und fand zudem in der Sommerpause der Messeveranstaltungen statt. Die meisten Tagungen/Kongresse sind – wie auch bei den Olympiaplanungen – dann wahrscheinlich in die Zeit vor oder nach der Fußball-WM gelegt worden.
5.3
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Besucher der Fußball-WM 2006
247
in Prozent
Untersuchungen vergangener Olympischer Spiele bestätigen diese Annahme und weisen langfristig sogar auf eine Überkompensation der im Olympiajahr verdrängten Kongressteilnehmer hin.
80 60
Barcelona Atlanta Sydney
40
20 0 t-1
t
t+1
t+2
-20 -40
Abb. 5.13: Entwicklung der Teilnehmerzahlen an Kongressen zum Vorjahr in Prozent (Quelle: McKay/Plumb (2001, S. 10)) Abbildung 5.13 zeigt, dass es im Olympiajahr (t) bei allen drei Ausrichterstädten Olympischer Spiele zu Verdrängungen bei Kongressen gekommen war. Es genügt aber nicht nur, das Olympiajahr zu betrachten, denn wie die Abbildung belegt, wird die im Olympiajahr verminderte Teilnehmerzahl im folgenden Jahr überkompensiert. Die Ausführungen haben gezeigt, dass es beim (ökonomisch relevanten) Incoming-Tourismus nur zu mäßigen Verdrängungswirkungen gekommen sein kann, die allerdings stark überkompensiert wurden. Die Ermittlung von möglicherweise verdrängten Inländern ist ebenfalls von Bedeutung, denn die so genannten „WM-Flüchtlinge“ könnten zusätzliche Auslandsurlaube durchgeführt haben, um der Fußball-WM zu entfliehen. Die verdrängten Inländer können allerdings nur nach der WM befragt werden (Preuss, 2005). Deshalb wurde im Rahmen dieser Studie im Sommer 2007 eine „Einkaufstraßenbefragung“ durchgeführt, in die 665 willkürlich ausgesuchte Passanten im Rhein-MainGebiet (Mainz, Wiesbaden, Frankfurt und Darmstadt) eingingen. Gefragt wurde, inwiefern sie ihre Urlaubsplanungen wegen der Fußball-WM verändert hatten.
248
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung des konsumtiven Impulses der Fußball-WM 2006
Tab. 5.36: Urlaubsverhalten der Inländer zur Zeit der Fußball-WM Statement
Wegen der Fußball-WM habe ich meinen Auslandsurlaub verschoben. Wegen der Fußball-WM habe ich auf meinen Auslandsurlaub verzichtet und nicht verschoben. Um die Fußball-WM zu vermeiden, habe ich meinen Auslandsurlaub auf die WM-Zeit gelegt. Um die Fußball-WM zu vermeiden, habe ich abweichend von meinen Urlaubsplänen einen zusätzlichen Urlaub im Ausland gemacht. x
Zustimmung Anzahl in %
n=
15*
3,3*
458*
18
4,0
455
3
0,7
454
1
0,2
454
Lesart: 15 der 458 Personen (3,3 %), die zu diesem Sachverhalt insgesamt Stellung bezogen, gaben an, wegen der Fußball-WM ihren Auslandsurlaub verschoben zu haben.
Die Tabelle 5.36 zeigt, dass die meisten Inländer nur einen ohnehin geplanten Urlaub auf den Zeitraum der Fußball-WM gelegt haben (0,7 %) und damit aus gesamtwirtschaftlicher Sicht nicht als verdrängte Inländer anzusehen sind. Lediglich ein Befragter gab an, dass er einen zusätzlichen Urlaub ins Ausland gemacht hat, um die Fußball-WM in Deutschland zu vermeiden. Bei einer einzigen Nennung kann die Anzahl der Verdrängten nicht auf die deutsche Bevölkerung hochgerechnet werden. Das Ergebnis kann durchaus zufällig sein. Allerdings kann ausgeschlossen werden, dass es viele verdrängte Inländer gegeben hat, denn dann müsste es unter den Befragten mehrere Personen gegeben haben, die einen zusätzlichen Auslandsurlaub durchgeführt haben. Ahlert (2006, S. 17) verweist zudem darauf, dass die Fußball-WM (mit Ausnahme von NRW) vor den schulischen Sommerferien lag, was mögliche inländische Verdrängungseffekte geschmälert haben dürfte, denn vielen war es dadurch nicht möglich, einen zusätzlichen Auslandsurlaub einzulegen. Einen weiteren Hinweis auf die Geringfügigkeit von Verdrängungseffekten bei den Inländern liefert die Kennzahl der Reiseverkehrsausgaben der Deutschen Bundesbank (siehe Tab. 6.1). Im Gegensatz zu den Reiseverkehrseinnahmen, die zum Teil geschätzt werden müssen, werden die Ausgaben der Inländer im Ausland nicht nur über die Zahlungen mit Kreditkarten, Debitkarten und Schecks berücksichtigt, sondern auch die Bargeldflüsse, die – insbesondere bei Ländern der europäischen Währungsunion – durch Direktbefragungen von Reisenden auf Basis einer Haushaltsstichprobe ermittelt werden (Deutsche Bundesbank, 2003, S. 62). Die Tab. 6.1 zeigt, dass es während der Monate Mai bis Juli keine auffällige Erhöhung der Ausgaben von Inländern im Ausland gegeben hat. Sogar ganz im Gegenteil wurde nach Trendbereinigung im Mai weitaus weniger von Deutschen im Ausland ausgegeben als in den Vorjahren. Dies kann auf eine Verlegung von Urlaubsreisen vom Mai auf die WMZeit hinweisen, allerdings zeigten die Reiseverkehrsausgaben auch zurzeit der WM keine
5.3
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Besucher der Fußball-WM 2006
249
auffallend hohen Veränderungen. Die Kennzahl dürfte damit belegen, dass es kaum ausgabenwirksame Verdrängungen von Inländern durch die WM gegeben haben wird. Die verfügbaren Indizien und Daten können keinen maßgeblichen Umfang von inländischen „WM-Flüchtlingen“ oder ausländischen „WM-Vermeidern“ belegen. Kausallogische Schlussfolgerungen für starke Verdrängungen sind ebenfalls nicht zu finden. Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Fußball-WM bedeutende positive Effekte für den Deutschlandtourismus erzielt hat. So reiste während der Fußball-WM eine große Anzahl ausländischer Fans eigens nach Deutschland, um die jeweilige Nationalmannschaft zu unterstützen und die Stimmung vor Ort mitzuerleben. Eine DZT-Untersuchung stellte hierzu fest, dass 43 % der eigens zur Fußball-WM angereisten Besucher zuvor nie in Deutschland waren. Aus Sicht der Tourismusbranche ist dies sicherlich ein doppelter Erfolg: Schließlich konnten dadurch nicht nur Neukunden gewonnen werden, die möglicherweise zu einem anderen Zeitpunkt wieder nach Deutschland reisen – außerdem fungieren sie zusätzlich als wertvolle Multiplikatoren, denn Berichte und Empfehlungen von Freunden und Verwandten dienen bei Reiseentscheidungen als wichtige Informationsquelle. Umso bedeutender ist es vor diesem Hintergrund, dass sich die WM-Besucher von ihrem Aufenthalt im Gastgeberland begeistert zeigten (Tödter & Bangerth, 2009).
6
Diskussion und Fazit
Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass es keine generellen Aussagen über den Output einer Sportgroßveranstaltung durch seine Besucher geben kann. Was ein Event – hier die Fußball-WM in Deutschland – ökonomisch bewirkt, hängt von verschiedenen (Input-) Faktoren ab, und diese können in unterschiedlichen Zusammensetzungen aufeinandertreffen und daher abweichende Ergebnisse erzeugen: 1.
Als strukturell-ökonomische Inputfaktoren haben die Anzahl und die Eigenschaften der Standorte (z. B. ihr Entwicklungsgrad vor der Entscheidung über die Ausrichtung des Events), die zur Ausrichtung des Events ausgewählt wurden, einen großen Einfluss. Die WM-Städte konnten unterschiedlich stark vom WM-Tourismus profitieren. Aber auch die Reisebewegungen sind durch die Wahl der Standorte beeinflusst.
2.
Als sportlicher Inputfaktor bestimmte die Tatsache, welche Nationen sich qualifizierten, den ökonomischen Output, und zwar vor allem durch die fixen Aufwendungen für die Anreise zum Ausrichtungsort und das nationale Einkommensniveau. Aber auch die spezifischen Fußballpräferenzen sowie -verhaltensweisen („Schlachtenbummlertum“) in den Herkunftsländern beinflussen das Ausmaß des Outputs, da beide zentrale Erklärungsfaktoren für die Anzahl und Verweildauer der jeweiligen Besuchergruppen sind. Das Konsummuster der WM-Besucher hängt weniger davon ab, an welchem Standort eine Mannschaft spielt, vielmehr aber davon, welche Mannschaften sich qualifizieren. Aus einigen Nationen kamen so beispielsweise sehr viele Besucher (Niederlande, England, Schweiz), wodurch sich der wirtschaftlich positive Effekt hier letztlich bereits über die Anzahl einstellte. Allerdings sind die Ausgaben pro Besucher bei den Fernreisenden am höchsten, was diese Nationen aus ökonomischer Sicht besonders interessant macht.
3.
Als dispositiver Faktor bestimmt z. B. der planerische und strategisch-operative Einsatz der vorhandenen Management-Ressourcen zur Ausrichtung des Events den Grad der Effizienz, mit dem die beiden Inputfaktoren unter 1. und 2. kombiniert werden können (Managementeffizienz). Die Entscheidung zum Angebot von Public Viewings hat nicht nur die Inländer, die keine Eintrittskarte erhalten haben, befriedigt. Das Public Viewing hat darüber hinaus auch als Magnet für viele ausländische Besucher gewirkt und damit beträchtlich zum gesamtwirtschaftlichen Impakt der Fußball-WM beigetragen.
4.
Als individueller Faktor wirkt schließlich das jeweilige Ausgabeverhalten (z. B. die Neigung zur Sparsamkeit oder zu großzügigen Impulskäufen) der Besucher auf das Ausmaß des gesamtwirtschaftlichen Effektes.
Diskussion und Fazit
252
Die Ergebnisse zeigen, dass die Fußball-WM bzw. die Eventisierung das Konsumverhalten vieler Besucher aufgrund äußerer Faktoren aber auch „umkehren“ kann, d. h. die Höhe der Ausgaben steht dann im umgekehrten Verhältnis zur Höhe des Einkommens (z. B. der VIP-Gast mit hohem Einkommen, der zu allem eingeladen wird und faktisch keine Ausgaben tätigt – im Gegensatz zum Fußball-Fan, der ein niedriges Einkommen hat, aber die „Once in a lifetime“-Gelegenheit einer FußballWM im eigenen Lande nutzt und auf Kosten des Ersparten überproportional zu seinem sonstigen Ausgabenverhalten konsumiert). Die Unterschiedlichkeit der strukturell-ökonomischen und sportlichen Inputfaktoren bei verschiedenen Sportgroßveranstaltungen, insbesondere aber der stark variierende individuelle Faktor schränken das Potenzial, zuverlässige Primärimpulse anderer Sportgroßveranstaltungen aufgrund der über die Fußball-WM ermittelten Ergebnisse vorherzusagen, mitunter erheblich ein. In diesem abschließenden Kapitel sollen die wesentlichen Erkenntnisse aus dieser Studie noch einmal dargestellt und darüber hinaus in Hinblick auf ihre zukünftige Verwendbarkeit diskutiert werden. Dazu gliedert sich dieses Kapitel in drei Abschnitte: 6.1 behandelt die Notwendigkeit zur exakten Bestimmung des Primärimpulses, damit die gesamtwirtschaftliche Wirkung der Fußball-WM 2006 berechnet werden kann. Besonderer Diskussion bedarf es hier der Stärken und Schwächen des angewendeten „Bottom Up“-Ansatzes. 6.2 beleuchtet die zukünftige Sport-Event-Forschung. Zur Erhebung des Primärimpulses der Fußball-WM-Besucher ist ein komplexes Modell zum Einsatz gekommen. Es bedarf der Diskussion, inwiefern das Forschungsdesign vereinfacht werden kann und darf, um zukünftige Erhebungen forschungsökonomisch zu gestalten, ohne damit die Messgenauigkeit signifikant zu verschlechtern. 6.3 diskutiert die ökonomische Bedeutung einer Analyse der Besucher von Sportgroßveranstaltungen am Beispiel der Fußball-Weltmeisterschaft. Zum einen sollen hier die Erkenntnisse zu den Konsum- und Reisemustern – zum Teil formalisiert – dargestellt werden, wobei insbesondere Varianz und Höhe der identifizierten Konsummuster noch einmal theoretischen Erklärungen unterzogen werden müssen; zum anderen sollen aber auch die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen der WMBesucher abschließend reflektiert werden.
6.1
Stärken und Schwächen des „Bottom up“-Ansatzes
Die veranstaltungsspezifischen Kaufkraftzuflüsse durch die auswärtigen WM-Besucher und inländischen „Urlaubsverzichter“ (sog. Importsubstitution) sind in Relation zum BIP so klein und verteilen sich zudem derart differenziert auf eine Vielfalt von Branchen, dass sie in amtlichen Makrostatistiken – auch mit geeigneten ökonometrischen Verfahren – kaum erkennbar werden. Hinzu kommt, dass zahlreiche simultan stattfindende (durchaus einmalige) andere Umweltereignisse den relativ kleinen WM-bedingten wirtschaftlichen
6.1
Stärken und Schwächen des „Bottom up“-Ansatzes
253
Impakt überlagern und somit die WM-bedingten Konsumwirkungen nicht trennscharf zu isolieren sind (siehe auch Brenke & Wagner, 2007a, S. 2f.; Brenke & Wagner, 2007b). Damit wird ein „Top down“-Ansatz zur Ex-post-Ermittlung der Event-Wirkungen anhand makroökonomischer Daten stets auf statistische Probleme stoßen. Am Beispiel der Fußball-WM 2006 merkt Maennig (2007, S. 380) z. B. zu den typischerweise geringen Anteilen der event-induzierten wirtschaftlichen Auswirkungen von Sportgroßereignissen am BIP des Ausrichtungsjahres an: „Dies ist allerdings noch kein Argument gegen die Wirksamkeit der Fußball-WM, sondern verdeutlicht lediglich, dass in einer großen Volkswirtschaft jegliche Impulse schnell zur statistischen Insignifikanz verurteilt sind.“ Folgerichtig wendet er sich in genauerer, d. h. regressionsanalytischer Betrachtung sektoralen Kennziffern zu, die eng mit der Veranstaltungsaustragung verbunden, indessen immer noch auf nationaler Makroebene aggregiert sind. Im Vordergrund stehen hier die amtlichen Übernachtungszahlen für Deutschland und die bundesweiten Einzelhandelsumsätze: „Regressionsanalysen zur Erklärung der Einzelhandelsumsätze […] für den Zeitraum 1/1997 bis 11/2006 kamen zu keinerlei signifikanten WMEffekten in den Monaten Juni und Juli 2006.“ (Maennig, 2007, S. 379) „Regressionsanalysen, welche als erklärende Variablen der Übernachtungszahlen neben einer Konstanten und einer Trendvariable einen Dummy für den WM-Zeitraum verwenden, kamen zu keinerlei signifikanten Effekten in den Monaten Juni und Juli 2006. Dies gilt für lineare als auch log-lineare Regressionen, sowie für insgesamt fünf verschiedene Modellierungen der WM-Dummies.“ (ebd., S. 378) Die fehlende Signifikanz einer WM-Interventionsvariable in der Regressionsanalyse der Einzelhandelsumsätze für das ganze Bundesgebiet verwundert angesichts des generell geringen gesamtwirtschaftlichen Gewichts des Fußballereignisses sowie speziell des niedrigen Ausgabenanteils für allgemeine Käufe der WM-Besucher wenig. Selbst für stark disaggregierte Einzelhandelsdaten nur an den WM-Standorten ist kaum ein substanzieller Effekt zu erwarten, wie die Konsumerhebungen dieser Studie nahe legen. Daher erscheint es auch fragwürdig, den Befund der Insignifikanz an dieser Stelle als „Couch Potato Effect“ (Maennig, 2007, S. 380) zu interpretieren. Erstens wäre für eine so weit reichende Auslegung einer vermuteten WM-bedingten Konsumzurückhaltung der Inländer methodisch erforderlich, dass die WM-Dummy einen signifikant negativen Einfluss anzeigt. Zweitens war der Juni 2006 durch ein ungewöhnlich schönes Sommerwetter gekennzeichnet, was sicherlich auf ganz Deutschland bezogen und typischerweise im Einzelhandelsgeschäft mehr oder minder große Umsatzdellen infolge der wetterorientierten Freizeitverwendung nach sich zieht. Dieser Effekt ist eine plausib-
254
Diskussion und Fazit
lere gesamtwirtschaftliche Erklärung als ein event-induzierter verstärkter Konsumverzicht bzw. eine Konsumverlagerung zugunsten von Bier, Chips und „Fastfood“ (wie durch diese Studie ebenfalls empirisch nachgewiesen) vor dem heimischen Fernsehbildschirm, wie Maennig (2007, S. 380) suggeriert; zumal das gute Wetter den ganzen Tag nutzbar war, während die WM-Spiele nur am Nachmittag und Abend – der überdies Ladenschlusszeiten unterliegt – stattfanden. Drittens zählen die Inländer aus kreislauftheoretischer Sicht in dieser Kalkulation nicht oder nur in (sehr) geringem Umfang, falls es sich um „Home Stayers“ handelt oder die Konsumquote zumindest temporär substanziell erhöht wurde (Erlebniskonsum). Ansonsten muss eher unterstellt werden, dass sich der Effekt auf den Einzelhandel über das Jahr gesehen ausgleicht (intertemporale sowie Gütersubstitution) und gegen Ende des Jahres 2006 ohnehin durch die bevorstehende Mehrwertsteuererhöhung deutlich überlagert wurde. Daher wäre viertens im Hinblick auf den Einzelhandelseffekt der WM eigentlich ein Fokus auf die Ausgaben der auswärtigen Besucher zu legen, die wiederum gänzlich marginal zum bundesweiten Gesamtumsatz im Einzelhandel sind. Schließlich scheint die prozentuale Veränderung der Einzelhandelsumsätze im Vergleich zum Vorjahr in der Abbildung bei Maennig (2007, S. 380) vielmehr auch in 2006 ein übliches „Sommerloch“ aufzuweisen und somit dem saisonalen Trend zu folgen, was zudem die obige Erklärung durch das Wetter sowie Urlaubsabwesenheiten bestärkt. Im Gegenteil nährt der Verlauf der Kenngröße mit einem geringeren Abschwung im Verhältnis zum Vorjahr und einem besonders starken negativen Ausschlag im Mai 2006 sogar die Vermutung, dass die WM eventuell zu einer Abfederung ungünstiger Umsatzschwankungen über das Gesamtjahr beigetragen hat. Vergleichsweise mehr Aufschluss versprechen in der Tat detaillierte Analysen zu den Übernachtungszahlen, die Maennig ebenfalls unternimmt, auch wenn damit noch keine abschließende Aussage über Konsumwirkungen getroffen werden kann. Dazu bedarf es Informationen über das Ausgabenverhalten der Übernachtungsgäste, wie es das Ziel der vorliegenden Studie war. Allerdings leidet auch dieses berechtigte Untersuchungsinteresse wie bei den Einzelhandelsumsätzen unter erheblichen statistischen und methodischen Schwierigkeiten, die zur Vorsicht bei der Interpretation von Befunden anhalten. Denn Maennig nutzt wiederum globale amtliche Daten für das gesamte Bundesgebiet und unterscheidet nicht zwischen Inländern und Ausländern. Zudem unterliegen alle touristischen Kennziffern extremen saisonalen Ausschlägen in beide Richtungen. Daher ist man für aussagefähige Längsschnittanalysen zur Verwendung von saisonbereinigten Zeitreihen gezwungen. Zugleich mindert eine solche Glättung jedoch die Erklärungskraft der Varianzen im Verlauf der beobachteten Variablen. Umso genauer sind in der Regressionsmethodik die verbliebenen Abweichungen von einer mittleren Entwicklung der untersuchten Größe zu modellieren, um den tatsächlichen Einfluss eines einzelnen, hinreichend abgegrenzten Ereignisses im Verhältnis zu anderen hiervon unabhängigen Ereignissen zu erfassen. Genau bei diesem methodischen Unterfan-
6.1
Stärken und Schwächen des „Bottom up“-Ansatzes
255
gen kommen – über den erwähnten hohen Aggregationsgrad der Datenbasis hinaus – Zweifel an den Befunden und Einschätzungen von Maennig (2007, S. 378f.) auf. Zunächst bezieht sich dies auf die Langfristbetrachtung über zehn Jahre von 1997 bis 2007, wobei das jahresdurchschnittliche Wachstum der Übernachtungszahlen im Zeitraum bis einschließlich 2006 mit 1,4 % angegeben wird. Die Abbildung des Verlaufs der saisonbereinigten Variable legt indes eine andere Periodeneinteilung nahe, da sich nach einem stärkeren Aufschwung bis 2001 die Tourismusentwicklung erst seit etwa 2003 wieder merklich von dem Schock der Terrorgefahren nach den Attentaten vom 11. September 2001 erholt hat. Sie ist aber substanziell volatiler geworden, und zwar über den gesamten langen Zeitraum betrachtet. Weitere Fragen wirft dann die Untersuchung der Datenreihe in der kürzeren Frist von 2004 bis 2006 auf. Während die geglätteten Übernachtungszahlen in 2004 einen relativ flachen Verlauf annehmen, weisen in 2005 die Monate Januar, März und April ungewöhnliche Ausschläge auf. Auch das Jahr 2006 bietet ein auffälliges U-förmiges Muster ohne deutliche Abweichungen nach unten wie im April und Juni 2005, jedoch mit kräftigen Zuwächsen nach oben zum Jahresanfang und -ende sowie im April, Juni und September. Verlaufen die Januar- und Februarzahlen für 2005 wie 2006 noch nahezu parallel, überrascht das Jahresende von 2006 und gleichermaßen das Folgejahr mit einem erstaunlichen Anstieg sowohl im Vergleich zu den Vormonaten als auch -jahren. Vor dem Hintergrund eines solchen Verlaufs der saisonbereinigten Übernachtungszahlen war der oben zitierte Befund von regressionsanalytischen Insignifikanzen einer WMDummy – auch in unterschiedlichen Modellspezifikationen – wiederum zu erwarten. Denn rein methodisch „verwischen“ die vielfältigen monatlichen Ausschläge, vor allem in den Jahren 2005 und 2006 sowie in Relation zu einer insgesamt weniger volatilen Entwicklung in den Vorjahren, die Messkraft einer solchen WM-Interventionsvariable. Unabhängig davon erkennt Maennig (2007, S. 379) in der relativen Schwäche der Monate Mai und August 2006 ein „Time-Switching“ in jenen Monaten geplanter Besuche zugunsten der WM-Monate (v. a. Juni), was er als Verdrängungseffekt interpretiert. Allerdings kann aus dem reinen Datenmaterial kaum unmittelbar auf eine Verdrängung geschlossen werden, sehr wohl ist aber in gewissem Ausmaß eine Reallokation der Besucherströme plausibel. Dabei ist indessen der gesamte Zeitraum von April bis September 2006 für das „TimeSwitching“ von Relevanz, weil jene beiden Monate wie auch der Juni ungewöhnliche Zuwächse verzeichneten. Wären dies ebenfalls WM-bedingte Effekte, dann würden sie durch eine Dummy-Variable, die nur die Monate Juni und Juli erfasst, nicht gemessen. Ferner bleibt die beachtliche Übernachtungskonjunktur in den kalten Wintermonaten ungeklärt, die zudem den potenziellen WM-Anstieg im Juni 2006 deutlich übersteigt. Ebenso wäre nochmals zu prüfen, wodurch die auch im langfristigen Vergleich stark schwankenden Trendabweichungen im Januar, März und April 2005 zustande kamen. Schließlich könnte man gar den erheblichen Anstieg der Übernachtungen bereits Ende 2006 und noch stärker in 2007 als
256
Diskussion und Fazit
z. T. post-WM-Tourismus infolge der positiven Werbe- und Imagewirkung des Großevents werten. Soweit soll hier mangels konkreter Nachweise nicht gegangen werden. Dessen ungeachtet zeigt diese problematisierende Diskussion, dass es methodisch äußerst schwierig ist, selbst aus sektoralen Makrostatistiken die Event-Effekte treffend zu isolieren. Wie bereits erläutert, lassen solche Daten mitunter entgegengesetzte Interpretationen zu. Oftmals wird das Fehlen ökonometrisch signifikanter Ergebnisse zu einer makroökonomischen Kennzahl dahingehend ausgelegt, dass das Event (hier die FußballWM) keinen gesamtwirtschaftlichen Effekt hatte (z. B. Baade & Matheson, 2004, 2002; Szymanski, 2002). Aus makroökonomischer Perspektive ist diese Schlussfolgerung sicherlich richtig, doch bedarf es dazu keiner Regressionsanalyse. Allein bei der Betrachtung der Relationen eines möglichen – selbst optimistisch geschätzten – Event-Impakts wird deutlich, dass eine Fußball-WM oder Olympische Spiele für eine Volkswirtschaft wie Deutschland höchst unbedeutend sind. Überspitzt formuliert, muss jedem Laien einleuchten, dass ein Monat „(Fußball-)Event-Party“ mit Gästen aus dem Ausland an zwölf regionalen Standorten die gesamte nationale Wirtschaftsleistung eines ganzen Jahres der weltweit (noch) drittgrößten Ökonomie, die überdies substanziell auf Exporten beruht, nicht entscheidend beeinflussen kann. Dies illustrieren nochmals die folgenden Eckdaten. Laut Statistischem Bundesamt lag das deutsche BIP im Jahr 2006 bei 2.322 Mrd. € und der private Konsum bei 1.358 Mrd. €. Daher erweist sich ein einmaliges Ereignis wie eine Sportgroßveranstaltung, die einen konsumtiven Primärimpuls von 2,8 Mrd. € im Jahr 2006 auslöste, zwangsläufig als verschwindender Wirtschaftsfaktor. Selbst wenn es 10 oder 20 Mrd. € gewesen wären, würde sich dies auf die deutsche Volkswirtschaft nicht merklich ausgewirkt haben. Daher sind Forschungsbeiträge, deren Problemstellung es ist, in makroökonomisch hochgradig verdichteten Kennzahlen derart kleine Impulse statistisch signifikant nachweisen zu wollen, insofern überflüssig, als das Ergebnis leicht vorhersehbar ist. Ein solcher „Top Down“-Ansatz muss aus zwei zentralen Gründen scheitern: 1.
Der in dieser Studie ermittelte Primärimpuls von knapp 3 Mrd. € durch die Besucher der Fußball-WM beträgt lediglich 0,07 % des BIP. Diese Dimension liegt in den normalen Schwankungen des BIP (Maennig, 2007, S. 380ff.). Durch ökonometrische Modelle ist dieser Effekt theoretisch nur herauszufiltern, wenn alle nichtmodellendogenen Umwelteinflüsse (z. B. großvolumige Verlagerungen von Produktionsstätten, Insolvenzen, Kreditausfälle, Streiks), die eine Änderung des BIP um 0,07 % ausmachen könnten, durch Dummy-Variablen kontrolliert würden – ein methodisch unmögliches Unterfangen.
2.
Die alternative Entwicklung der deutschen Wirtschaft (ohne die Fußball-WM) kann auch durch Trendfortschreibung nicht quantifiziert werden. Bei einer Volkswirtschaft mit geringen realen Wachstumsraten wäre z. B. denkbar, dass ohne die Fußball-WM die abhängige Variable (hier das BIP) evtl. sogar niedriger gelegen haben
6.1
Stärken und Schwächen des „Bottom up“-Ansatzes
257
könnte und nur durch den marginalen Beitrag der Fußball-WM knapp das Vorjahresniveau erreicht wurde. Dies kann einer Längsschnittregression verborgen bleiben. Einige – vornehmlich US-amerikanische – Studien haben bereits auf solche fehlenden Signifikanzen bei sportlichen Mega-Events hingewiesen (u. a. Sterken 2007; Baade & Matheson, 2002, 2001; Porter, 1999). Die Schlussfolgerung daraus, dass es grundsätzlich keinen nennenswerten ökonomischen Impakt bei der Ausrichtung von Sportgroßveranstaltungen gibt, geht nach den Erkenntnissen der vorliegenden empirischen Studie indes zu weit. Offensichtlich ist die Wirkungsmessung nur treffend mit Hilfe eines „Bottom Up“-Ansatzes zu leisten, also über die primärempirische Erhebung von mikroökonomischen Daten durch Stichproben aus der Gesamtheit der WM-Besucher. Die Einsicht aus dieser Studie ist, dass ein solcher Zugang, unter Vermeidung bekannter methodischer Fehler früherer Analysen (siehe hierzu etwa Késenne, 1999; Crompton, 1995), machbar ist und zu aussagefähigen Resultaten führt. Die negative Erkenntnis besteht allerdings darin, dass der Aufwand solcher Untersuchungen wesentlich größer als der bei „Top Down“-Ansätzen ist und die Gelegenheit zur Befragung während des Events (hier der Fußball-WM) nicht verpasst werden darf, da eine genaue Evaluierung im Nachhinein nicht mehr möglich ist. Der „Bottom Up“-Ansatz verlangt, wichtige Primärdaten während der Fußball-WM zu erheben, um zunächst den gesamtwirtschaftlichen Bruttoeffekt und damit den unmittelbaren wirtschaftlichen Impuls der Fußball-WM zu ermitteln. Allerdings gilt es auch indirekte, teilweise gegenläufige ökonomische Auswirkungen zu erfassen, die bei der Ermittlung des gesamtwirtschaftlichen Impakts zu berücksichtigen sind. Diese Effekte konnten in der vorliegenden Studie nicht im Detail untersucht werden. Allerdings wurden einige wichtige Differenzierungen vorgenommen, wobei Kapitel 5.3.3.2 die Wirkung dieser Verdrängungs- und Umverteilungseffekte bereits diskutierte. Die empirischen Evidenzen weisen insgesamt darauf hin, dass es keine gravierenden Verdrängungen gegeben haben dürfte. Die von einigen Wissenschaftlern vorgebrachten Argumente und teilweise ökonometrisch fragwürdigen Nachweise, dass die Verdrängungen die positiven wirtschaftlichen Wirkungen aufgezehrt haben, wären daraufhin zu prüfen, ob die Verdrängungen zu mittelfristig kontraktiv wirkenden WM-bedingten Mittelabflüssen geführt haben oder ob es sich lediglich um zeitliche Verschiebungen des Mittelzuflusses gehandelt hat. Daher sollten in Bezug auf die vermeintlich durch die Fußball-WM verdrängten Gruppen folgende Fragen gestellt und möglichst – ggf. auch nur annähernd – beantwortet werden: 1.
Verdrängung von „normalen“ Touristen: Welche Touristen wurden dauerhaft verdrängt, und welche haben lediglich den Zeitpunkt ihrer Reise nach Deutschland verlegt? Nachdem die Fußball-WM das Image der Deutschen und Deutschlands nachweislich verbessert hat, muss man außerdem fragen, welche Gründe vorliegen, dass die durch die Fußball-WM tatsächlich verdrängten, aber schon vor der Fußball-
258
Diskussion und Fazit
WM an Deutschland interessierten Touristen nicht doch noch ihre Reise nach Deutschland unternehmen sollten? Nur wenn ausländische Touristen ganz auf einen Urlaub in Deutschland verzichtet haben und diesen auch nicht nachholen, müssen die Verdrängungen berücksichtigt werden. Die Anzahl der wirklich verdrängten Touristen, die ihre Reise nicht nachholen, dürfte sich daher im Wesentlichen auf „Dauerbesucher“ beschränken, die ihre Besuche für ein Jahr ausgesetzt haben. Die aus Makrostatistiken (z. B. allgemeine Übernachtungszahlen) abgeleiteten Verdrängungen dürften zu einem großen Teil auf zeitlichen Umverteilungen basieren und sind daher nur sehr kurzfristige Verdrängungen, die in der Folgeperiode durchaus kompensiert werden können. Außerdem sind die verdrängten inländischen Touristen (die gesamtwirtschaftlich hier nicht relevant sind) oft ebenfalls in den Statistiken enthalten und verwässern die ökonomisch relevante makroökonomische Kennzahl. 2.
Inländer, deren Entscheidung für eine zusätzliche Auslandsreise ausschließlich auf die Fußball-WM in Deutschland zurückzuführen ist: Welcher Anteil der Deutschen hat einen zusätzlichen Auslandsurlaub wirklich in den WM-Zeitraum (vier Wochen) gelegt, um der Fußball-WM zu entgehen? War dabei die „Flucht vor der WM“ tatsächlich das Hauptmotiv der Reise? Konnte die Reise während der Schulzeit überhaupt durchgeführt werden? Hat der jährliche Sommerurlaub im Anschluss an die WM vielleicht trotzdem stattgefunden? Erste empirische Ergebnisse belegen, dass es die sogenannten „WM-Flüchtlinge“ kaum gegeben hat. Daher wird diese Gruppe keine gesamtwirtschaftlichen Wirkungen gehabt haben.
3.
Geschäftsreisende, deren Besuch wegen der Fußball-WM komplett abgesagt wurde: Welche WM-unabhängigen Geschäfts-/Kongress-/Messe-Besuche werden wegen der Fußball-WM wirklich nicht durchgeführt und auch nicht nachgeholt oder vorverlegt? Welche Geschäftsreisen entfallen wegen einer WM? Hat die FußballWM dazu beigetragen, dass Deutschland als schlechterer Geschäftspartner gilt? Oder wurden – ganz im Gegenteil – nicht sogar zusätzliche Geschäftsreisen durch die Fußball-WM initiiert (z. B. Incentive-Reisen, Tagungen im Vorfeld)? Solange durch die Fußball-WM der deutschen Wirtschaft mittelfristig keine Geschäfte verloren gegangen oder die deutschen Partner zu Geschäftsbesuchen ins Ausland gereist sind (was angesichts des interessanten Anlasses, auswärtige Gäste zur Fußball-WM einzuladen, eher unwahrscheinlich ist) wird es – mittelfristig betrachtet – zu vielen zeitlichen Verschiebungen gekommen sein, aber keine bedeutenden gesamtwirtschaftlichen Wirkungen gehabt haben.
4.
Konsummindernde Wirkungen bei den Inländern („Couch Potato“-Effekt) durch temporäre Verminderung der Konsumquote, ohne das gesparte Geld im Anschluss an die Fußball-WM wieder auszugeben: Wie viel TV-Konsum mit Bezug zur Fußball-WM hat lediglich den durchschnittlich üblichen Fernsehkonsum
6.1
Stärken und Schwächen des „Bottom up“-Ansatzes
259
substituiert? Selbst wenn die Konsumquote für einen Monat gesunken ist, wurde das gesparte Geld dann langfristig konsumtiven Zwecken entzogen und nicht etwa im Hinblick auf die kommende Mehrwertsteuererhöhung in 2007 doch ausgegeben? Solange sich die Konsumquote nicht nachhaltig durch die Fußball-WM geändert hat, wird der „Couch Potato“-Effekt – mittelfristig betrachtet – keine wirtschaftlichen Wirkungen gehabt haben. Allein diese knappen Ausführungen zeigen, dass ein „Top Down“-Ansatz trotz der Verwendung von – Verdrängungen enthaltenden – makroökonomischen Kennzahlen nicht in der Lage ist, die notwendige differenzierte Betrachtung vorzunehmen. Ohne primärempirische Erhebungen können die wirklichen Effekte der Fußball-WM nicht treffend erfasst werden. Die einzige makroökonomisch ermittelte, verwendbare Größe zur Bestimmung der Konsumwirkungen der WM-Besucher sind die von der Deutschen Bundesbank für die Zahlungsbilanzstatistik zusammengestellten Reiseverkehrseinnahmen (RVE). Wenngleich auch diese Kennzahl dem bereits angesprochenen Problem unterliegt, dass der „OhneWM“-Fall nicht bekannt ist, hat sie den Vorteil, nicht durch die Ausgaben von inländischen Besuchern beeinflusst zu sein. Mit anderen Worten benennt diese Kennzahl einzig die Ausgaben der ausländischen Besucher, allerdings mit einigen Einschränkungen. Zwar werden alle Zahlungen mit Schecks, Kredit- und Debitkarten erfasst, die Bargeldflüsse können aber nur auf Grundlage von Daten des Jahres 2001 berücksichtigt werden. Infolge der Einführung des Euro als gemeinsames Zahlungsmittel fehlen amtliche Informationen über genaue grenzüberschreitende Bargeldflüsse im einheitlichen Währungsraum. Zur Überprüfung der geschätzten Zahlen stützt sich die Bundesbank auf Ergebnisse der Beherbergungsstatistik (Deutsche Bundesbank, 2003, S. 63). Damit dürfte das Verhalten eines typischen WM-Besuchers jedoch nicht vollends treffend abgebildet werden. Dieser übernachtet zum einen häufig nicht in Unterkünften, welche in die Beherbergungsstatistik eingehen, und hält sich zum anderen nur für kurze Zeit (unter drei Tagen) in Deutschland auf. Außerdem sind in den RVE der Bundesbank keine Auslandsüberweisungen unter der Meldegrenze von 12.500 € enthalten, d. h. dass alle Überweisungen, die insbesondere für Unterkünfte zu erwarten sind, nicht erfasst werden. Im Weiteren soll die Statistik der RVE der Deutschen Bundesbank diskutiert und mit den Ergebnissen dieser Studie verglichen werden.
260
Diskussion und Fazit
Abb. 6.1: Reiseverkehrseinnahmen (RVE) in Deutschland (Quelle: Deutsche Bundesbank (2006, S. 43), eigene graphische Ergänzung) Die Deutsche Bundesbank stellt fest, dass die Reiseverkehrseinnahmen im Sommerhalbjahr 2006 von der in Deutschland ausgetragenen Fußball-WM positiv beeinflusst wurden: „Dabei schlugen insbesondere die Übernachtungsausgaben und der Konsum der aus dem Ausland angereisten WM-Besucher in Deutschland, einschließlich der Käufe von Eintrittskarten und der Ausgaben für Fahrten innerhalb Deutschlands, zu Buche.“ (Deutsche Bundesbank, 2006, S. 43) Nach Angaben der Bundesbank betrug der Gesamteffekt der Fußball-WM auf die RVE Deutschlands, welcher sich auf den Zeitabschnitt von Mai bis August verteilt, den markierten Anteil in Abbildung 6.1.
6.1
Stärken und Schwächen des „Bottom up“-Ansatzes
261
Tab. 6.1: Reiseverkehrseinnahmen und -ausgaben in Deutschland in Mrd. € (Quellen: Deutsche Bundesbank (2008), eigene (Trend-)Berechnungen)
2003 2004 2005 2006 Änderung im Mittel 03-05 Änderung 05-06 (trendbereinigt) 2003 2004 2005 2006 Änderung im Mittel 03-05 Änderung 05-06 (trendbereinigt)
Mai Juni Juli Reiseverkehrseinnahmen 1,71 1,82 2,12 1,90 1,96 2,25 2,03 2,13 2,31 2,36 2,95 2,65 0,16 0,155 0,095 0,17 0,665 0,245 Reiseverkehrsausgaben 4,57 5,18 6,10 4,95 5,69 5,75 5,17 5,36 6,50 5,11 5,57 6,75 0,3 0,09 0,2 -0,36 0,12 0,05
Zunächst ist – jeweils für den Zeitraum von Mai bis Juli – gemäß der Tab. 6.1 ein Anstieg der RVE von 2003 auf 2005 zu beobachten, der im monatlichen Durchschnitt knapp 0,137 Mrd. € betrug. Betrachtet man nun die deutlich überproportionale Steigerung der RVE im Mai, Juni und Juli 2006 im Verhältnis zu den entsprechenden Vorjahresmonaten, so ergibt sich allein in den drei Monaten eine Erhöhung um 1,49 Mrd. €. Trendbereinigt um das mittlere Wachstum zwischen 2003 und 2005 verbleiben somit immerhin noch 1,08 Mrd. € zusätzliche Einnahmen von ausländischen Besuchern zur Zeit der Fußball-WM inkl. fünf Wochen vor und drei Wochen nach dem Sportereignis in 2006. Da die Trendbereinigung allerdings lediglich auf drei Vorjahren basiert und dann linear fortgeschrieben wird, muss sie als eine recht grobe Schätzung gelten. Denn unter anderem ist der Wechselkurs des Euros seit Jahren gestiegen und hat Deutschland folglich zunehmend zu einem teuren Reiseland für Gäste von außerhalb des Euro-Raums gemacht, was auch eine unterproportionale Steigerung nach 2005 plausibel erscheinen lässt. Die Statistik der Deutschen Bundesbank (2006, S. 43) ist in ihrer Dimension mit dem in dieser Studie berechneten Primärimpuls durchaus vergleichbar. Dazu sind jedoch die Datengrundlagen der beiden Erhebungen einander anzugleichen: 1. Reduziert man zunächst den in dieser Studie ermittelten Primärimpuls von 2,8 Mrd. € um den Anteil der „Home Stayers“, welcher in der Kennziffer der Bundesbank nicht enthalten ist, so ergeben sich 2,5 Mrd. € RVE von ausländischen WMBesuchern inkl. der Anschlussreisen von bis zu 39 Tagen vor und nach der FußballWM. 2. Betrachtet man denselben Zeitraum Mai bis Juli, dann sind von den 0,3 Mrd. €, welche die ausländischen WM-Besucher für Anschlussreisen ausgegeben haben,
Diskussion und Fazit
262
noch einmal 25 % abzuziehen, damit der gemessene Zeitraum übereinstimmt. Es ergeben sich 2,425 Mrd. €. 3. Nicht nur die Höhe der Ausgaben, sondern auch das Reiseverhalten der WMTouristen unterscheidet sich von üblichen Deutschlandtouristen. So gab es zur WM sehr viele Tagesbesucher (Ausgaben in Höhe von 36 Mio. €) sowie Besucher, die nur bis zu drei Tage in Deutschland verweilten (438 Mio. €). Es ist anzunehmen, dass diese Kurzbesucher überwiegend ausreichend Bargeld aus dem Ausland mitgeführt haben, um während ihres kurzen Aufenthalts zur WM nicht gebührenpflichtig an Automaten Geld abheben zu müssen. Von den RVE der Kurzbesucher in Höhe von 0,474 Mrd. € kann angenommen werden, dass diese deutlich überproportional mehr Bargeld mitgenommen haben, als die Bundesbank auf Basis normaler Touristen einberechnet hat. Um sich diesem Sondereffekt anzunähern, sei unterstellt, dass – konservativ gerechnet – zumindest gut zwei Drittel der Ausgaben der Kurzbesucher als zusätzliches Bargeld mitgeführt wurden. Daher werden hier 0,325 Mrd. € von den RVE abgezogen. 4. Damit kommt diese Studie auf 2,1 Mrd. € Primärimpuls. Berücksichtigt man weiterhin, dass Überweisungen (unter 12.500 €) nicht in den offiziellen RVE enthalten sind, viele individuell reisende Besucher jedoch kleine Überweisungen getätigt haben werden (z. B. für Unterkünfte), so kommt der in dieser Studie ermittelte Primärimpuls von knapp über 2 Mrd. € dem trendbereinigten Ergebnis der Deutschen Bundesbank von 1,08 Mrd. € bereits näher. Die verbleibende Differenz von gut 900 Mio. € kann mit Hilfe der Abb. 6.2 illustriert und erklärt werden. Legende
RVE
b a b
H A
F
B
Nominale Höhe der RVE 2006 trendbereinigte Darstellung der RVE 2006
G
a
C D E
M ai
Juni
Juli
August
Monat
Abb. 6.2: Schematische Darstellung der Reiseverkehrseinnahmen (RVE) in Deutschland 2006 Die Abbildung zeigt zunächst schematisch die trendbereinigte Höhe der RVE im Jahr 2006 (Kurve a). Die einfache, lineare Trendberechnung erfolgte hier zwangsläufig auf
6.1
Stärken und Schwächen des „Bottom up“-Ansatzes
263
Basis weniger vergangener Jahre (ab 2003, also nach Einführung des Euro und der damit verbundenen Umstellung der Berechnung der RVE). Überdies gibt es kein zu Deutschland vergleichbare(s) Land oder Länder, um anhand einer Art Kontrollgruppe in irgendeiner Weise auszuschließen, dass die RVE ohne die WM nicht auch sehr viel niedriger/höher gelegen haben könnten. Die Kurve b zeigt die nominal gemessenen RVE im Jahre 2006. Sie liegt, wie in Tab. 6.1 abzulesen, über den trendbereinigten RVE. Damit kann die Gesamtfläche H (ca. 1,08 Mrd. € für Mai bis Juli) der WM zugerechnet werden. Jedoch kommt es auch zu erhöhten RVE in der Periode vor und nach der WM. Diese Einnahmen speisen sich aus zwei Quellen, einerseits durch zusätzliche Besuche (ex-ante und ex-post WM-Tourismus durch MICE Touristen (Meetings, Incentives, Congresses, Events)) und andererseits durch diejenigen Gäste, welche ihre Besuche zur WM-Zeit vermeiden und stattdessen vor oder nach der WM verlegen (Time Switchers, hier die Flächen A, B, F, G). Diese Time Switchers erzeugen keine zusätzlichen RVE, denn sie ziehen im gleichen Umfang weniger Besuche und damit verbundene Einnahmen während der WM nach sich (Flächen C, D) (Gleichung 1). C+D=A+B+F+G
(1)
Der gemessene Anstieg der RVE im WM-Monat Juni 2006 (665 Mio. €, Tab. 6.1) zeigt allerdings nur die Differenz zwischen den trendbereinigten und tatsächlichen RVE. Dies bedeutet aber zugleich, dass diejenigen Touristen, die ihren Besuch in eine andere Periode gelegt haben, kompensiert wurden. Die Kompensation der Time Switchers durch WMTouristen wird also indirekt gemessen. Die Statistik der Deutschen Bundesbank bezieht sich indessen auf die Periode Mai bis Juli (1,08 Mrd. €), d. h. C=B+F
(2)
Damit sind D=A+G
(3)
in den Berechnungen der Deutschen Bundesbank nicht enthalten – also die RVE durch Touristen, die ihren Urlaub in eine andere Periode als Mai und Juni verlegt haben –, obgleich diese durch WM-Touristen im Juni kompensiert wurden (Gruppe D). Ein statistischer Hinweis auf die Gruppen A und G sind registrierte Besuche von Familienangehörigen und Freunden, beispielsweise bei in Deutschland lebenden Griechen und Türken bzw. Deutschen mit entsprechendem Migrationshintergrund. Wie bereits erwähnt, gab es zur Zeit der Fußball-WM 26,5 % (Griechen) bzw. 18,6 % (Türken) weniger Besuche in Deutschland (Gruppen C + D), obwohl die Anzahl der Übernachtungen von Türken in Deutschland im Gesamtjahr 2006 um 1,1 % und die der Griechen sogar um 8,8 % gestiegen ist (DZT, 2007, S. 13). Diese Beobachtung liefert eine weitere Erklärung dafür, warum die Statistik der Deutschen Bundesbank (1,08 Mrd. €) unter der Berechnung dieser Studie liegt (rund 2 Mrd. €).
264
Diskussion und Fazit
Außerhalb der Kalkulation – der Deutschen Bundesbank wie auch der vorliegenden Untersuchung – verbleibt also lediglich die Touristengruppe (Fläche E), welche tatsächlich verdrängt wurde (Avoiders). Zur unmittelbaren Messung wirklicher Verdrängungen von ausländischen Besuchern (Fläche E) fehlt beim derzeitigen Kenntnisstand der Wissenschaft jedoch sowohl eine einheitliche Methodik als auch überzeugende Evidenz. Dessen ungeachtet werden Verdrängungen gern als Argument zur Erklärung der schwachen Befunde in den erwähnten „Top Down“-basierten Studien herangezogen.
6.2
Optimierung zukünftiger primärempirischer Erhebungen
Ein weiteres Ziel der Studie war es, durch Auswertungen des erhobenen Datensatzes statistische Anhaltspunkte zur möglichen Minimierung des Befragungsaufwands für zukünftige Studien bei Sportgroßveranstaltungen zu identifizieren. Deshalb wurde getestet, ob hinreichend valide Daten auch bei deutlich geringeren Stichprobenumfängen zu ermitteln sind. In dem Sinne konnten im Zuge detaillierter Datenanalysen einige Hypothesen bezüglich der differenzierten Erhebung von Konsum- und Reisemustern verworfen werden. Daraus lässt sich eine Reihe fruchtbarer Hinweise für eine Reduktion der Komplexität kommender Besucherbefragungen bei Sportgroßevents gewinnen. Hierbei haben es die hohen Stichprobenumfänge ermöglicht, dass relevante Teilgruppen hinreichend repräsentiert waren und daher miteinender verglichen werden konnten, um potenziell intervenierende Einflussvariablen auszuschließen. Überprüfung der Konsistenz der Konsummuster bei Besuchern einer Nation Es war zu erwarten, dass es die größten Unterschiede im Konsumverhalten unter den Inländern geben würde, da sich diese durch die unterschiedliche räumliche Nähe zu den Spielorten auszeichnen. Daher wurde ein Standort gewählt (Frankfurt/Main), an dem die Stichproben von zwei Spielen (ohne Beteiligung der deutschen Nationalmannschaft) miteinander verglichen wurden. Weitere intervenierende Variablen, wie etwa die Übernachtung oder die Bedeutung eines Spiels im Turnierverlauf, wurden ebenfalls konstant gehalten (Tagestouristen bei zwei Vorrundenspielen). Der Vergleich der Gruppen zeigt, dass es keine signifikanten Unterschiede im Konsum gibt. Dasselbe kann für die Gruppe der inländischen Stadionbesucher mit Übernachtung festgestellt werden. Ein weiterer Test wurde unter den australischen Besuchern durchgeführt, die zu zwei Spielen ihrer Mannschaft nach Kaiserslautern gekommen waren. Auch hier sind keine signifikanten Unterschiede im Konsum (mit Ausnahme der Ausgaben für Merchandiseartikel) festzustellen.
6.2
1.
Optimierung zukünftiger primärempirischer Erhebungen
265
Konsummuster innerhalb einer Nationalität sind dieselben.
Überprüfung der Konsistenz der Konsummuster bei Besuchern einer Nation in Abhängigkeit von der Lage des Spiels im Turnierverlauf In einem nächsten Schritt wurden zwei WM-Spiele im späteren Verlauf des Turniers mit den zuvor untersuchten Stichproben (inländische Tagesbesucher) verglichen. Auch dabei ergaben sich keine signifikanten Unterschiede in den Konsummustern. 2.
Konsummuster ändern sich nicht im Laufe des Turniers.
Überprüfung der Konsistenz der Konsummuster in verschiedenen WM-Städten Davon ausgehend, dass Besucher derselben Nationalität ähnlich konsumieren, stellte sich die Frage, ob der Konsum an unterschiedlichen WM-Spielorten von einander abweicht. Untersucht wurden jeweils zwei Standorte, wobei wiederum möglichst viele potenziell intervenierende Variablen konstant gehalten wurden. Im Ergebnis zeigte sich, dass es – mit kleinen, gut zu begründenden Ausnahmen – keine signifikanten Unterschiede im Konsum gibt bei: a)
kleinere Stadt (< 250.000 Einwohner) versus Großstadt (>= 250.000). Dies wurde anhand von inländischen Tagestouristen beim Spiel in Kaiserslautern (Spiel 12) gegenüber Berlin (Spiel 48) überprüft.
b)
Einzelstandort versus Metropolregion. Dies wurde anhand von inländischen Tagestouristen beim Spiel in Köln (Spiel 26) gegenüber Dortmund (Spiel 17) überprüft.
c)
Westdeutschland versus Ostdeutschland. Dies wurde anhand von inländischen Public-Viewing-Besuchern in Stuttgart (Spiel 13) gegenüber Leipzig (Spiel 50) überprüft.
Damit wird letztlich gezeigt, dass die Wahl der WM-Stadt keine beeinflussende Variable für individuelle Konsummuster ist. 3.
Konsummuster sind unabhängig vom WM-Spielort.
Überprüfung der Konsistenz der Konsummuster zum Zeitpunkt der Befragung Es konnte nachgewiesen werden, dass sich die Angaben zum Konsummuster nicht im Laufe des Aufenthalts eines Besuchers in Deutschland ändern. Dazu wurde die gesamte Stichprobe mit ausländischen Gästen danach differenziert, wie lange jemand zum Befragungszeitpunkt bereits in Deutschland war und noch blieb. Die Angaben der Befragten änderten sich in Abhängigkeit vom Zeitpunkt der Teilerhebung nicht signifikant. Des Weiteren wurde überprüft, ob sich die Angaben zum Konsummuster unterscheiden, wenn direkt vor oder nach dem Spiel befragt wurde. Hier ergaben sich – mit Ausnahme der Angaben zum gastronomischen Konsum am Spieltag – ebenfalls keine signifikanten
266
Diskussion und Fazit
Unterschiede. Der erhöhte gastronomische Konsum hat aber gesamtwirtschaftlich kaum auswirkungen. 4.
Konsummuster sind unabhängig vom Zeitpunkt der Befragung bezüglich des Aufenthalts in Deutschland.
5.
Konsummuster sind unabhängig vom Zeitpunkt der Befragung bezüglich der Angaben vor und nach dem WM-Spiel.
Überprüfung der Konsistenz der Konsummuster bei verschiedenen Spielpaarungen Schließlich war zu prüfen, inwiefern sich das Konsummuster in Abhängigkeit von den spielenden Mannschaften unterscheidet. Hier galt es nach zwei Merkmalen zu differenzieren, a) der „Spannung der Begegnung“ und b) den teilnehmenden Nationen und damit nach den sich im Stadion / Public Viewing überwiegend befindenden Nationalitäten. Bezüglich der „Spannung eines Spieles“, die im Grunde im Turnierverlauf zunehmen sollte oder durch bestimmte aufeinander treffende Nationen gegeben ist, konnten keine signifikanten Unterschiede im Konsum festgestellt werden. So zeigten sich z. B. bei den inländischen Tagestouristen (Stadion) keine signifikanten Unterschiede zwischen dem Vorrundenspiel 14 (Südkorea – Togo) und dem Viertelfinalspiel 60 (Brasilien – Frankreich). Anders ist dies allerdings bezüglich der Nationen, die aufeinander trafen. Es konnte festgestellt werden, dass in den Stadien und Public Viewings (am Spielort) immer die Besucher der Nationalität hoch signifikant stärker vertreten waren, deren Nationalmannschaften spielten. Die Konsummuster verschiedener Nationalitäten unterscheiden sich stark voneinander. 6.
Konsummuster sind unabhängig von der Attraktivität der sich begegnenden Nationalmannschaften.
7.
Konsummuster sind stark unterschiedlich bezüglich der verschiedenen Nationalitäten.
Die Analyse der Reise- und Konsummuster hat einige zentrale Zusammenhänge aufgezeigt. Bisher konnten einige Variablen als nicht beeinflussend ausgeschlossen werden, die zukünftige Forschungsdesigns vereinfachen können. Zur möglichen weiteren Vereinfachung und vor allem zur Verringerung des notwendigen Umfangs der Stichprobe ist zu überlegen, ob a)
durch Zusammenfügung einzelner Gruppen übergeordnete Konsummittelwerte verwendet werden könnten, deren Multiplikation mit der Anzahl der Besucher bei zukünftigen Mega-Events bereits zu akzeptablen Ergebnissen führt (6.2.1);
b)
durch Ermittlung von Relationen zwischen den Konsummustern lediglich wenige Konsummuster ausreichen (Ankerpunkte), um damit andere abzuleiten (6.2.2);
6.2
c)
6.2.1
Optimierung zukünftiger primärempirischer Erhebungen
267
auch eine kleinere Stichprobe zu repräsentativen Ergebnissen bei wesentlichen Konsummustern führen kann bzw. es ausreicht, gezielte Befragungen bei lediglich bestimmten Gruppen durchzuführen (6.2.3).
Reduktion der Anzahl von Konsummustern infolge unbedeutender Kategorien
Wenngleich einige mögliche intervenierende Variablen oben bereits als unbedeutend ausgeschlossen werden konnten, verbleiben doch vier Differenzierungsvariablen, die für die Modellbildung zur Ermittlung des Fußball-WM-bedingten Primärimpulses wichtig sind. Diese sollen hier noch einmal kausallogisch und teilweise auch anhand statistischer Daten begründet werden: 1.
Veranstaltungsart (Stadionbesucher und Public-Viewing-Besucher): Die WMBesucher wurden an zwei unterschiedlichen Orten, den Stadien und den Public Viewings, befragt. Die Orte waren in der Regel räumlich voneinander getrennt und zogen ein unterschiedliches Klientel an. Diese Unterschiede wurden im Kapitel zu soziodemographischen Daten (4.1.1) nachgewiesen. Die unterschiedliche Organisation der beiden Veranstaltungsarten (mit verschiedenen Angeboten) führte zu unterschiedlich hohem Konsum der Besucher. So mussten die Stadionzuschauer im Gegensatz zu den Public-Viewing-Besuchern nicht nur für den Eintritt zahlen, sondern auch häufiger aus größeren Entfernungen anreisen, da sie nur Karten für bestimmte Spiele hatten. Bei weiter Anreise mussten sie zudem am Spielort übernachten. Da die Eintrittskarten in die Stadien relativ schwer zu erwerben und auch teuer waren, zeigte sich, dass eher die gebildeten Konsumenten mit höheren Einkommen in den Stadien anzutreffen waren, was schließlich auch zu einem anderen Konsumverhalten führte. Nicht jede Sportgroßveranstaltung bietet dieselben Veranstaltungsarten an. Die Anzahl der involvierten Stadien und deren Verteilung über das Ausrichterland variiert ebenso wie Anzahl und Größe der Public Viewings und deren Organisationsform. Selbst für die gleiche Sportgroßveranstaltung, also beispielsweise die FußballWM in Südafrika 2010 oder in Brasilien 2014, bleibt abzuwarten, ob z. B. die Public Viewings aus Sicherheitserwägungen in derselben Form und Größe angeboten und letztlich von In- und Ausländern so begeistert angenommen werden, wie dies 2006 der Fall war.
2.
Herkunftsregion (sechs Ländergruppen): Diese Differenzierung folgt der Überlegung, dass zum einen mit zunehmender Entfernung vom Wohnort nach Deutschland die Anreisekosten steigen und zum anderen die Höhe des BIP pro Kopf ausdrückt, wie viel Geld jemand durchschnittlich für eine Reise zur Fußball-WM zur Verfügung hat. Die statistischen Tests im vorhergehenden Kapitel haben gezeigt, dass das „Kostenfiltertheorem“ signifikante Unterschiede im Konsummuster belegt, also nicht allein die Entfernung oder das BIP/Kopf, sondern auch die Kombination aus beiden. Auf dieser Grundlage muss daher eine Bildung grundlegender Gruppen (hier sechs Ländergruppen) zur Berechnung des Primärimpulses erfolgen.
268
Diskussion und Fazit
Die Differenzierung nach Ländergruppen ist allerdings flexibel zu betrachten, sollte eine Sportgroßveranstaltung in anderen Ländern ausgetragen werden. So wird es in Südafrika 2010 während der Fußball-WM fast nur Fernreisende und Inländer geben, was die Anzahl der Ländergruppen, nach der zu differenzieren ist, reduziert. Außerdem haben Lage und Größe des Ausrichterlandes einen erheblichen Einfluss auf die Anzahl ausländischer Besucher (Mengengerüst). So könnte der Engpass an Flugkapazität die Anzahl ausländischer Besucher verringern bzw. die der verdrängten Touristen bei der Fußball-WM in Südafrika und Brasilien erhöhen. 3.
Übernachtung (Tagestouristen und Touristen mit Übernachtung): In den üblichen Tourismusstatistiken wird grundsätzlich zwischen Tagestouristen und Touristen mit Übernachtung unterschieden, da die Tagestouristen weniger ausgeben (Deutsche Bundesbank, 2006, S. 43). Sie haben ex definitione keine Übernachtungskosten und auch durchschnittlich kürzere Anreisen und damit geringere Reisekosten. An dem einen „Fußballtag“ wird dann vor allem das Fußballballspiel „konsumiert“ und sonstige Einkäufe werden kaum realisiert. Bei Touristen mit Übernachtung ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass die freie Zeit zum Shoppen genutzt wird, da sie sich länger am WM-Ort aufhalten. Die amtlichen Statistiken der Stadt Frankfurt/M. zeigen den unterschiedlichen Konsum zwischen Tagestouristen (2005: 31,10 €) und Touristen mit Übernachtung (2005: 174,00 €) sehr deutlich (Frankfurter Tourismuszentrale, 2005). Die Differenzierung nach Tagestouristen und Touristen mit Übernachtung wird ebenfalls durch die Organisationsform der Sportgroßveranstaltung beeinflusst. Bei der Fußball-WM in Deutschland gab es zwölf Standorte, die über ganz Deutschland verteilt lagen, wobei die Mannschaften in der Vorrunde nicht an einem Spielort gebunden waren. Dies führte für alle WM-Besucher, die an einer bestimmten Mannschaft interessiert waren, zu erheblichen Reisebewegungen. Hinzu kommen landesspezifische Besonderheiten, die das Konsummuster in jedem Ausrichterland unterschiedlich beeinflussen (z. B. die Kosten für das Reisen im jeweiligen Land oder die Möglichkeit, vermehrt bei „Freunden und Familie“ oder „im Auto“ zu übernachten). Die Fußball-WM in Südafrika 2010 bietet sicherlich andere strukturell-ökononische Rahmenbedingungen als die in Deutschland. So werden wenige Ausländer mit dem eigenen PKW anreisen, und zwischen den WM-Städten muss aufgrund der großen Distanzen – gleiches gilt für Brasilien 2014 – überwiegend geflogen werden. Außerdem werden nicht viele Ausländer „Freunde und Familie“ in Südafrika und Brasilien haben, und nur wenige werden allein schon aus Sicherheitsgründen in öffentlichen Parks oder gemieteten Autos übernachten. Andere Mega-Events, z. B. Olympische Spiele, werden dagegen in nur einer Stadt ausgetragen, was zumindest für ausländische Besucher zu geringeren Reisebewegungen während des Events führt.
4.
Besuchertypen: Die Besuchertypen sind für die Berechnung des Primärimpulses von besonderer Bedeutung, denn sie sind maßgeblich dafür, welche Konsumkategorien und welche Besucher überhaupt berücksichtigt werden müssen. Da sich das Konsumverhalten, vor allem aber die Aufenthaltsdauer und die durchschnittliche
6.2
Optimierung zukünftiger primärempirischer Erhebungen
269
Anzahl von Eintrittskarten bei den verschiedenen Besuchertypen unterscheiden, ist es wichtig, die Besuchertypen differenziert zu betrachten. Die Verteilung von Besuchertypen unterliegt schließlich auch in jedem Land und bei jedem Sportgroßevent Abweichungen. In einem touristisch attraktiven und viel besuchten Land wird es sehr viel mehr „Time Switchers“ und „Casuals“ geben. Das führt zu geringeren zusätzlichen Konsumausgaben als bei Events in Nationen, die touristisch weniger frequentiert werden und daher vornehmlich „Event-Touristen“ anziehen. Auch die Sportart spielt hier eine bedeutende Rolle, wobei Olympische Spiele und Fußball-WMs sicherlich mehr „Event-Touristen“ anziehen, während bei weniger populären Sportarten wahrscheinlich mehr lokale Besucher zu verzeichnen sein werden. Aus methodischer Sicht sei daran erinnert, dass die Konsummuster der Begleitpersonen der WM-Touristen (die einzigen, die im Primärimpuls zu berücksichtigen sind) aus den Angaben der WM-Besucher generiert werden können. Jede Sportgroßveranstaltung und jeder Ausrichtungsort wird unterschiedlich viele Personen in den Gruppen haben, die sich durch die vier Differenzierungsvariablen (Veranstaltungsart, Herkunftsregion, Übernachtung, Besuchertyp) ergeben. Die folgende Tabelle setzt die Fußball-WM 2006 als „Base Case“. Durch kausallogische Ableitungen wird für andere Sportgroßereignisse darauf geschlossen, welche relative Bedeutung die vier zuvor genannten Differenzierungsvariablen haben. Tab. 6.2: Bedeutung der Differenzierungsvariablen bei unterschiedlichen Sportgroßveranstaltungen Veranstaltungs HerkunftsÜbernachtung Besuchertyp art region Fußball-WM Deutschland 2006 (base case) Fußball-WM Südafrika 2010 – –– – – Fußball-WM Brasilien 2014 – –– – – EURO 2008 Österreich/Schweiz = = = = Olympische Spiele Peking 2008 –– –– – – Olympische Winterspiele – – – – – – Vancouver 2010
(=) ähnliche Konsumgruppen wie bei der Fußball-WM 2006 / (–) weniger differenzierte Gruppen / (– –) sehr viel weniger differenzierte Gruppen
Die Tabelle zeigt, dass ein Fußball-Mega-Event in der Mitte Europas die wohl komplexeste Untersuchung erfordert. Im Gegensatz dazu sind z. B. die Olympischen Winterspiele in Vancouver zu sehen. Zu ihnen werden wohl kaum ausländische Besucher kommen, die ausschließlich wegen der Public Viewings (die es auch in Salt Lake 2002 und Turin 2006 gab) nach Vancouver reisen und sich keine Eintrittskarte für die Olympischen Spiele kaufen. Aber auch bei der Fußball-WM 2014 in Brasilien wird es nur wenige ausländische Besucher geben, die aus benachbarten Ländern per PKW anreisen und nur für einen Tag (Tagestourist) bleiben. Dies sind Beispiele, die zeigen, dass hier
Diskussion und Fazit
270
einige der notwendigerweise zu differenzierenden Gruppen bei anderen Mega-Events so schwach vertreten sein werden, sodass eine geringere Anzahl von Konsummustern zu berücksichtigen wäre. Die Fußball-WM 2006 in Deutschland war eine überdurchschnittlich komplexe Veranstaltung, und zukünftige Untersuchungen bei Sportgroßereignissen kommen daher auch mit kleineren Stichprobenumfängen aus, da einige Konsumgruppen ausgelassen werden können, ohne gravierende Fehlberechnungen des Primärimpulses zu erzeugen.
6.2.2
Reduktion der Anzahl von Konsummustern durch Hochrechnungen
Diese Studie hat gezeigt, dass vier Differenzierungen zur Messung des Primärimpulses durch eine Sportgroßveranstaltung berücksichtigt werden sollten. Damit ergeben sich jedoch 40 (!) verschiedene Konsummuster als Berechnungsgrundlage. Daher soll nun untersucht werden, ob die Berechnung nicht auf wenige bekannte Konsummuster reduziert werden kann. Dies ist zunächst für die Begleitpersonen der WM-Besucher möglich und auch notwendig, denn diese wurden nicht befragt. Damit reduziert sich die Zahl der zu erhebenden Konsummuster bereits auf 30. Im Weiteren erfolgt eine relative Betrachtung der Unterschiede der Konsummuster. Die dargestellten Niveauunterschiede ermöglichen es, bei stark vereinfachten Forschungsdesigns mit Ankerpunkten zu arbeiten, mit deren Hilfe zumindest fundierte Schätzungen durchführbar erscheinen. Außerdem könnten die hier ermittelten Relationen verwendet werden, um bei ggf. zu kleinen Stichproben in einzelnen Untergruppen die fehlenden Daten zu berechnen. Tab. 6.3: Ankerpunkttabelle Stadionbesucher, Touristen mit Übernachtung
WM-Tourist Europa (Osteuropa, Europa Nachbarn, Europa fern) Europa teuer Fernreisende
Stadion WM-Tourist Casual Begleitperson
Time Switcher
100
80 (80)
14 (14)
9 (9)
123 121
97 (79) 109 (90)
17 (14) 32 (26)
27 (22) 35 (29)
Index: 100 = „Europa (Osteuropa, Europa Nachbarn, Europa fern)“ Stadionbesucher, Tourist mit Übernachtung. In Klammern sind die prozentualen Relationen zum jeweiligen WM-Tourist in derselben Zeile angegeben.
Die Tabelle zeigt die Konsumausgaben der ausländischen Stadionbesucher mit Übernachtung. Dabei wird nach den wichtigen Besuchertypen differenziert. Der Ankerpunkt liegt hier bei der Gruppe „Europa (Osteuropa, Europa Nachbarn, Europa fern)“ mit einem Indexwert von 100. Die drei folgenden Tabellen beziehen sich auf diesen Index. Sie
6.2
Optimierung zukünftiger primärempirischer Erhebungen
271
zeigen deutlich die differierenden Konsumausgaben/Tag. Damit wird auch noch einmal die wirtschaftlich ungleiche Bedeutung der Besuchertypen sowie der Besucher aus unterschiedlichen Ländergruppen visualisiert. Tab. 6.4: Ankerpunkttabelle Stadionbesucher, Tagestouristen
WM-Tourist Europa (Osteuropa, Europa Nachbarn, Europa fern) Europa teuer Fernreisende
Stadion WM-Tourist Casual Begleitperson
Time Switcher
55
37 (67)
13 (23)
28 (51)
78 enfällt
45 (58) enfällt
26 (33) enfällt
15 (19) enfällt
Index: 100 = „Europa (Osteuropa, Europa Nachbarn, Europa fern)“ Stadionbesucher, Tourist mit Übernachtung. In Klammern sind die prozentualen Relationen zum jeweiligen WM-Tourist in derselben Zeile angegeben.
Tab. 6.5: Ankerpunkttabelle Public-Viewing-Besucher, Touristen mit Übernachtung
WM-Tourist Europa (Osteuropa, Europa Nachbarn, Europa fern) Europa teuer Fernreisende
Public Viewing WM-Tourist Casual Begleitperson
Time Switcher
47
47
0
0
88 75
88 75
0 0
0 0
Index: 100 = „Europa (Osteuropa, Europa Nachbarn, Europa fern)“ Stadionbesucher, Tourist mit Übernachtung
Tab. 6.6: Ankerpunkttabelle Public-Viewing-Besucher, Tagestouristen
WM-Tourist Europa (Osteuropa, Europa Nachbarn, Europa fern) Europa teuer Fernreisende
Public Viewing WM-Tourist Casual Begleitperson
Time Switcher
25
25
0
0
44 enfällt
44 enfällt
0 enfällt
0 enfällt
Index: 100 = „Europa (Osteuropa, Europa Nachbarn, Europa fern)“ Stadionbesucher, Tourist mit Übernachtung
Die obigen Tabellen zeigen leider nur geringe Ähnlichkeiten in den Konsummustern nach Ländergruppen. Damit ist die hier vorgestellte Ankerpunktmethode nur bedingt ziel-
Diskussion und Fazit
272
führend, um die Größe der Stichprobe zu verkleinern. Letztlich können jedoch folgende Relationen abgelesen werden: -
Begleitpersonen sind mit 80-90 % des Konsummusters der „WM-Touristen“ zu berechnen.
-
„Casuals“ und „Time Switchers“ sind mit 15-30 % des Konsummusters der „WMTouristen“ zu berechnen.
Für die Tagestouristen gibt es andere Ergebnisse: -
Begleitpersonen sind mit 60-70 % des Konsummusters der „WM-Touristen“ zu berechnen.
-
„Casuals“ und „Time Switchers“ sind mit 20-50 % des Konsummusters der „WMTouristen“ zu berechnen.
6.2.3
Reduktion der Anzahl von Konsummustern durch gezielte Befragungen
Sollte es lediglich das Ziel einer Studie sein, den Primärimpuls einer Sportgroßveranstaltung für eine bestimmte Region/ganze Nation zu ermitteln, dann kann unter gegebenen Umständen auch eine kleinere Stichprobe gezogen werden. Wesentlich dafür ist, dass die Mittelzuflüsse der außerregionalen Besucher (z. B. Ausländer) sowie der Anteil der in der Region verbleibenden „Home Stayers“ genau erfasst werden. Die Rahmenbedingungen für die Möglichkeit einer geringeren Sichprobe sind dann aber: -
Die betrachtete Region ist lediglich das Ausland (außerhalb der definierten Region), wobei keine Gruppe von „Ausländern“ zu stark vertreten ist (damit die kleinere Stichprobe nicht überwiegend denselben Typ von Besuchern erfasst).
-
Ein gewisser repräsentativer Anteil von Inländern ist zu erfassen, damit der Anteil der „Home Stayers“, also derer, die auf einen Auslandsurlaub verzichten, erfasst werden kann.
-
Das Organisationskomitee kann das exakte Verhältnis von Ausländern (nach Nationen) in den Stadien angeben.
-
Bei Berücksichtigung von Public Viewings kann der Betreiber der Public Viewings den Anteil von Ausländern angeben (ggf. muss dieser durch eine kurze Strichlistenbefragung ermittelt werden).
Insgesamt muss darauf geachtet werden, dass die entscheidenden Fragen (Herkunft, Besuchertypen, Konsumausgaben etc.) verlässlich ausgefüllt werden, damit die zu ermittelnden durchschnittlichen Konsummuster hochgerechnet werden können. Im Folgenden wird gezeigt, wie sich die Stichprobe dieser Studie in Bezug auf die Ermittlung repräsentativer Konsummuster der relevanten Gruppen hätte verringern lassen:
6.2
Optimierung zukünftiger primärempirischer Erhebungen
273
Die Stichprobe dieser Studie betrug n=9.456 Besucher. Davon gaben 40,8 % an, dass sie Ausländer sind (n=3.857), d. h. die anderen waren Inländer (50,4 %, n=4.764) und Personen, die ihren Wohnort nicht angegeben haben (8,8 %, n=835). Von den Inländern, die sich in Besuchertypen gliedern ließen (n=3.858), waren 10,3 % „Home Stayers“ (n=397). Untergliedert man nun die Ausländer in die 30 notwendigen Konsummuster, so verringert sich die Anzahl wiederum, denn nicht alle haben die Frage bezüglich der Konsummuster beantwortet bzw. es konnte nicht ermittelt werden, welcher Besuchergruppe die Befragten zuzuordnen sind. Aus den 3.857 Ausländern wurden somit 2.642 Personen (68,5 %), die sich auf die 30 notwendigen Konsummuster verteilen ließen. Die folgende Tabelle zeigt die 20 wichtigsten Konsummuster sowie ihren prozentualen Anteil unter den 2.642 gültigen Datensätzen. Die letzte Spalte zeigt an, wie sich der Primärimpuls verändert, wenn diese Gruppe überhaupt nicht berücksichtigt würde: Tab. 6.7: Größe der Gruppen zur Bestimmung der Konsummuster Anteil in Veranstal- HerkunftsÄnderung Übernachtung Besuchertyp Stichprobe Bedeutung* tungsort region in %** in % WM-Tourist 3,3 mittel -3,759 Übernachtung Casual 1,3 gering -0,198 Time Switcher 0,9 gering -0,232 WM-Tourist 1,2 gering -0,168 Europa*** 0,4 gering -0,016 Tagestourist Casual Time Switcher 1,1 gering -0,026 WM-Tourist 20,6 mittel -6,876 Stadion Übernachtung Casual 4,5 gering -0,281 Time Switcher 6,1 gering -0,419 WM-Tourist 3,3 gering -0,093 Europa teuer 0,7 gering -0,003 Tagestourist Casual Time Switcher 1,7 gering -0,014 WM-Tourist 17,6 hoch -35,263 Fernreisende Übernachtung Casual 6,1 mittel -2,168 Time Switcher 5,6 mittel -1,922 Europa*** Übernachtung WM-Tourist 5,7 mittel -5,144 Tagestourist WM-Tourist 2,4 gering -0,089 Public Europa fern Übernachtung WM-Tourist 10,2 hoch -11,005 Viewing Tagestourist WM-Tourist 1,7 gering -0,063 Fernreisende Übernachtung WM-Tourist 5,8 hoch -20,687
* Bedeutung dieses Konsummusters als Beitrag zum gesamten Primärimpuls ** Änderung des Primärimpulses, wobei 100 % = 2.847.044.034 € *** Osteuropa, Europa Nachbarn, Europa fern
Diskussion und Fazit
274
Die Tabelle zeigt, dass die Stichprobenanteile einiger Gruppen sehr klein sind. Eine weitere Verkleinerung des gesamten Stichprobenumfangs würde daher unmittelbar dazu führen, dass einige Konsummuster nicht mehr berechnet werden könnten. Eine reduzierte Stichprobe wäre allerdings bei gezielter Befragung der relevanten Konsumgruppen denkbar. Es zeigte sich, dass zur Berechnung des Primärimpulses nur 28 % des ursprünglichen Stichprobenumfanges genutzt wurden. Eine entsprechende Verringerung bei gleichem Vorgehen wie in dieser Studie würde letztlich zu einer proportionalen Verkleinerung des notwendigen Anteils führen und damit für einige Konsummuster keine repräsentativen Ergebnisse mehr ergeben. Allerdings könnte auf die Erhebung einiger Konsumgruppen verzichtet werden, denn sie hatten nur eine geringe Bedeutung für den Primärimpuls. Es ist jedoch zu beachten, dass jede Sportgroßveranstaltung – vor allem in Abhängigkeit von der geographischen Lage – unterschiedlich viele Personen in den zu berücksichtigenden Gruppen aufweist und von daher ein Ausschluss der für die Fußball-WM 2006 unwichtigen Gruppen bei anderen Events zu Fehlberechnungen führen kann. Fehlende Konsumgruppen könnten ggf. auch mit Hilfe der im vorherigen Abschnitt vorgestellten Relationen hochgerechnet werden. Eine gezielte Befragung setzt die Erfüllung der oben erwähnten Rahmenbedingungen voraus. Ein Fragebogen – mit dem Ziel, eine kleinere Stichprobe zu ziehen – müsste dann folgendermaßen aufgebaut sein:
Ansprechen des Besuchers
Inländer
nein
Ende
„Hier Bleiber“
Wohnort
ja
Ausländer
Fragebogen wie bei WM 2006
Höhe der Urlaubsausgaben & Anzahl der Personen
Spezielle Kontrolle Besuchertyp und Konsummuster
Ende
Ende
Abb. 6.3: Verkürztes Fragedesign zur Erhebung des Primärimpulsus eines Mega-Events
6.3
Die ökonomische Bedeutung der WM-Besucher für Deutschland
275
Die Abbildung zeigt, dass die Inländer nicht weiter befragt werden, sofern Sie keine „Home Stayers“ sind. Die Ausländer hingegen werden detailliert nach ihrem Konsummuster befragt. Dabei erfolgt eine Kontrolle, die es erlaubt, direkt zu erfassen, welchem Konsummuster die Befragten zuzuordnen sind. Im Laufe der Befragung kann dann immer gezielter auf Personen zugegangen werden, die in das entsprechend zu erhebende Konsummuster einzuordnen sind.
6.3
Die ökonomische Bedeutung der WM-Besucher für Deutschland
6.3.1 Erkenntnisse zu einem formalisierten Reise- und Konsummuster 6.3.1.1 Erklärungen der Höhe des Konsums von WM-Besuchern Die Tatsache, dass der Konsum der Fußball-WM-Besucher signifikant über dem der üblichen Touristen liegt, hat mehrere Gründe, wobei die folgende Aufzählung nicht erschöpfend ist: 1.
Zunächst besteht eine (Fixkosten-)Schwelle (Partizipationsbedingung), die überwunden werden muss, um zu einer Fußball-WM zu reisen. Diese kann finanzieller Art sein (z. B. Anreiseausgaben), kann aber auch in Opportunitätskosten (z. B. Verwendung von Urlaubstagen) begründet liegen. Je weiter der Wohnort vom WM-Land entfernt liegt, desto höher ist diese Schwelle. Das wiederum bedeutet, dass diejenigen, die diese Schwelle überwinden, eher wohlhabend sind und/oder der FußballWM besondere Bedeutung beimessen (also WM-Tourist sind).
2.
Zur Fußball-WM kamen vor allem besser gebildete und wohlhabendere Besucher als es dem Durchschnitt der Deutschen entspricht; d. h. die Fußball-WM-Besucher verfügten über eine hohe Kaufkraft.
3.
Während der Fußball-WM sind im Vergleich zu einer durchschnittlichen Urlaubsreise zusätzliche z. T. komplementäre Produkte zu kaufen, z. B. Eintrittskarten und Merchandiseartikel. Dabei sind der Spieltag und der damit verbundene Konsum (Eintrittskarten, Getränke etc.) gewissermaßen als Substitutionsgut zu der üblichen Urlaubsunterhaltung anzusehen, denn an einem Fußballtag wird der WM-Besucher kaum „üblich“ konsumieren (Erlebniskonsum).
4.
Die Event-Stimmung der Fußball-WM, in Abhängigkeit von Faktoren wie z. B. dem Erfolg der eigenen Mannschaft oder dem Wetter, kann eine Konsumlaune auslösen, die u. a. dazu führt, dass mehr und spontan gekauft wird (Effekt der Eventisierung, Impulskäufe).
5.
Die allgemein durch die Fußball-WM (leicht) erhöhten Preise werden als eventbedingt akzeptiert. Außerdem dürften viele Ausländer auch keine Vorstellung von den „normalen“ Preisen in Deutschland haben (preisun-/niedrig elastische Nachfrage). So führt der übliche touristische Konsum bereits zu erhöhten Ausgaben im Verhältnis zum landesüblichen Konsum und induziert ökonomisch positive Effekte.
Diskussion und Fazit
276
6.
Die Struktur des Turniers erweist sich als „konsumfördernd“. Die Vormittage sind veranstaltungsfrei. Nicht jeden Tag spielt eine (präferierte) Mannschaft, zu der individuelle WM-Besucher eine ggf. „besondere“ Beziehung haben. Im späteren Verlauf des Turniers gibt es vermehrt spielfreie Tage. Dadurch entstehen faktisch „Konsumtage“, sodass alle diejenigen, die keine Tagestouristen sind, die Möglichkeit haben einzukaufen, Sehenswürdigkeiten zu besichtigen oder anderen touristischen Aktivitäten nachzugehen.
7.
Der Einzelhandel hat zusätzlich auf die neuen Käuferpotenziale durch WM-Touristen reagiert und zusätzliche Ladenöffnungszeiten (abends bis 22 Uhr und Sonntagsöffnung) geschaffen. Nach den Beobachtungen in dieser Studie dürfte dies allerdings wenig positive Resonanz hervorgerufen haben. So waren z. B. in einem Elektronikdiscounter in Köln an einem Donnerstagabend während der Fußball-WM weniger Kunden als Verkäufer anzutreffen. Laut Auskunft einer Kassiererin sei dies typisch für die zusätzlichen Abendöffnungszeiten gewesen. Offenbar wurden die Bedürfnisse der WM-Touristen und der Inländer teilweise falsch eingeschätzt. Die zusätzlichen Öffnungszeiten wurden mitunter auch dann angeboten, wenn attraktive Abendspiele übertragen wurden.
8.
Für eine ganze Reihe der (eher wohlhabenden) ausländischen Besucher sind die Produktpreise in Deutschland im Vergleich zu ihrem Heimatland attraktiv. Dies gilt nicht nur für die Nachbarstaaten mit hohen Pro-Kopf-Einkommen, sondern auch für viele Fernreisende. Für sie erscheinen insbesondere hochwertige Fabrikate der Unterhaltungselektronik und der Fotografie preiswert.
Die Tatsache, dass die Fußball-WM-Besucher mehr ausgeben als übliche Städtetouristen, bedeutet gesamtwirtschaftlich auch, dass die mögliche Verdrängung eines Städtetouristen im Sinne einer Substitution durch einen WM-Besucher letztlich zu einem Nettomittelzufluss führt. 6.3.1.2 Erklärungen der Varianz im Konsum von WM-Besuchern Die außerordentlich hohe Varianz in den einzelnen Konsummustern – selbst bei Differenzierung in 30 Gruppen – ist zunächst überraschend. Bei näherer Betrachtung gibt es jedoch einige Erklärungen, wieso es zu diesen großen Abweichungen kommt: 1.
Der Wohlstand einer Person mag zwar ein Grund sein, dass jemand zur Fußball-WM nach Deutschland reisen konnte und wollte. Er hat aber letztlich wenig signifikante Aussagekraft über das Konsumverhalten dieser Person. So sind z. B. sehr wohlhabende Besucher oft von Dritten eingeladen gewesen (z. B. Sponsorengäste) und mussten daher weder Anreise noch Unterkunft bezahlen.
2.
Andere weniger wohlhabende Besucher mögen ihren WM-Besuch als ein einmaliges herausragendes Erlebnis ansehen und konsumieren daher stark, zum Teil viel stärker, als es ihr Budget erlaubt, sodass sie auf Erspartes zurückgreifen müssen. Dies ist ein häufig zu beobachtender Effekt bei Sportgroßveranstaltungen.
6.3
Die ökonomische Bedeutung der WM-Besucher für Deutschland
277
3.
Die täglichen Anreisekosten werden von allen Besuchern mit Monats- oder Jahreskarten im ÖPNV im Fragebogen mit „Null“ angegeben, während andere für die Anreise bezahlen müssen. Insgesamt ist die Anreise zudem für alle Befragten unterschiedlich und erzeugt je nach Verkehrsmittel und Distanz unterschiedlich hohe Kosten.
4.
Die Persönlichkeitsmerkmale der Besucher wie Sparsamkeit oder Verschwendungssucht bestimmen das Konsumverhalten und lassen es unabhängig von der getesteten beeinflussenden Variable (z. B. Wohlstand) unterschiedlich ausfallen.
5.
Mögliche berufliche oder private Verpflichtungen am Folgetag des Fußballspiels haben einen Einfluss auf die Höhe der Ausgaben im gastronomischen Bereich. So wird u. U. weniger (alkoholisch) getrunken und auf ein Abendessen im Restaurant verzichtet, insbesondere wenn das Fußballspiel am Abend ausgetragen wurde.
6.
Die Gruppe, mit der ein WM-Besucher ein Fußballspiel besucht, hat ebenfalls einen entscheidenden Einfluss auf das Konsumverhalten. Selbst in derselben im Fragebogen erhobenen Gruppe, beispielsweise „Freunde und Familie“ wird unterschiedlich viel getrunken oder eingekauft. Dies hängt beispielsweise davon ab, ob jemand mit seinem Bruder oder seiner Familie (Frau und Kindern) zum Fußballspiel geht.
Diese sicherlich unvollständige Auflistung von Gründen, die unterschiedliche WM-Besucher mit ähnlichen soziodemographischen und psychographischen Eigenschaften sehr unterschiedlich konsumieren lassen, erklärt außerdem, warum in dieser Studie Clusteranalysen und multiple Regression zu keinen zufriedenstellend signifikanten Ergebnissen geführt haben. Die Befragung hätte dazu sicherlich weitaus differenzierter vorgenommen werden müssen. 6.3.1.3 Erklärungen der Unterschiedlichkeit zu anderen Events Die Fußball-WM ist eine besondere Sportveranstaltung, wie es auch die anderen Sportgroßevents sind. Hier soll abschließend aufgezeigt werden, dass unterschiedliche Sportgroßereignisse bezüglich der zuvor identifizierten Differenzierungsvariablen keine systematischen Gemeinsamkeiten aufweisen. Für den Vergleich werden die Differenzierungsvariablen der Fußball-WM mit drei anderen in Deutschland durchgeführten Sportgroßveranstaltungen verglichen, dem Confed-Cup 2005, der Hockey-WM 2006 und der Handball-WM 2007. 1.
Veranstaltungsart (Stadionbesucher und Public-Viewing-Besucher): Alle drei anderen Veranstaltungen hatten keine nennenswerten Public Viewings. Daher wird diese Variable nicht weiter berücksichtigt.
2.
Herkunftsregion (sechs Ländergruppen): Die Stichproben der vier Sportgroßveranstaltungen zeigen eine sehr unterschiedliche Verteilung der Herkunft und damit ein unterschiedliches Gewicht der Ländergruppen.
Diskussion und Fazit
278
Tab. 6.8: Herkunft der Stadionbesucher in Prozent
Inländer Osteuropa Europa Nachbarn Europa teuer Europa fern Fernreisende Ausländer ohne Angabe der Herkunft n=
Fußball-WM 2006 53,6 0,8 3,9 19,9 1,3 17,6
Confed-Cup Handball-WM 2005 2007 93,0 95,0 0,0 0,6 1,1 2,2 0,7 0,5 2,0 1,7 2,1 0,0
Hockey-WM 2006 74,8 0,0 6,8 10,9 0,4 7,2
3,0
1,1
0,0
0,0
4.540
2.171
775
808
Die in dieser Tabelle enthaltenen Werte der Stichprobe müssen nicht unbedingt mit der Grundgesamtheit der Zuschauer übereinstimmen. Es kann durchaus sein, dass die eine oder andere Gruppe leicht verzerrt dargestellt ist. Dies ist jedoch nicht entscheidend, denn die Tabelle soll lediglich verdeutlichen, dass die Unterschiede erheblich sein können. Auffallend ist, dass der Confed-Cup und die Handball-WM mit zahlreichen inländischen Besuchern nur wenige Fernreisende nach Deutschland gebracht haben. Das deutet darauf hin, dass der Primärimpuls bei diesen Veranstaltungen nicht sehr hoch sein wird. 3.
Übernachtung (Tagestouristen und Touristen mit Übernachtung): Auch hier ergeben sich bei den Veranstaltungen große Unterschiede.
Tab. 6.9: Anteile der Tagestouristen und Touristen mit Übernachtung in Prozent (nur Stadionbesucher)
Tagestourist Tourist mit Übernachtung n=
Fußball-WM 2006 43,2 56,8 4.642
Confed-Cup Handball-WM 2005 2007 87,6 86,2 12,4 13,8 2.408 780
Hockey-WM 2006 73,2 26,8 781
Wie herausragend das Mega-Event Fußball-WM im Vergleich zu den anderen Weltmeisterschaften war, wird hier offensichtlich: Es hat erheblich mehr Besucher angezogen, die übernachtet haben. Da die Touristen mit Übernachtung bei weitem mehr ausgeben als die Tagesbesucher, dürfte die Fußball-WM eine stärkere ökonomische Bedeutung gehabt haben als die anderen Ereignisse. 4.
Besuchertypen: Schließlich dokumentiert die Betrachtung der Besuchertypen, welche Personenkreise zur Berechnung des Primärimpulses von Bedeutung sind.
6.3
Die ökonomische Bedeutung der WM-Besucher für Deutschland
279
Tab. 6.10: Anteile der Besuchertypen bei verschiedenen Sportgroßveranstaltungen in Prozent
Inländer “Home Stayers” Inländer, die ihren Urlaub verlegt haben (“Umbucher”) Event-Touristen Casuals Time Switchers n=
Fußball-WM 2006 (Stadion) 38,3 6,7
Confed-Cup 2005 85,0 10,3
Handball-WM 2007 87,4 4,6
Hockey-WM 2006 62,5 4,6
9,3
n. e.
2,8
6,0
26,6 8,3 10,7 4.355
3,7 1,0 n. e. 2.119
2,2 0,9 2,1 763
15,5 2,9 8,5 798
n. e. = nicht erhoben
Während der Confed-Cup und die Handball-WM kaum „Event-Touristen” anziehen konnten, war dieser Besuchertyp bei der Fußball- und Hockey-WM stark vertreten. Letztere weist überdies einen vergleichsweise hohen Anteil an „Time Switchers“ und „Casuals“ auf, die z. B. bei der Berechnung des Primärimpulses nicht übersehen werden sollten, während sie bei der Handball-WM und beim Confed-Cup kaum eine Rolle spielen.
6.3.2 Erkenntnisse zur gesamtwirtschaftlichen Auswirkung Die zentralen Ergebnisse dieser Studie lassen sich in vier Bereiche gliedern: 1.
Mehr Touristen: Die Fußball-WM hat zusätzliche ausländische Touristen nach Deutschland gebracht, die einen erheblichen Konsumimpuls ausgelöst haben.
Durch die WM-Besucher möglicher Weise ausgelöste Verdrängungen können zum großen Teil auf zeitliche Umverteilungen zurückgeführt werden. Mithin stellen diese Effekte mittelfristig keinen substanziellen Kaufkraftabfluss für die deutsche Volkswirtschaft dar. 2.
Mehr Konsum: „Event-Touristen“ geben deutlich mehr aus als übliche (Städte-) Touristen.
Der Konsum von Event-Besuchern unterscheidet sich von dem üblicher Städtetouristen. Die Tabelle 6.11 zeigt die deutlich höheren Konsumausgaben von Fußball-WM-Besuchern im Verhältnis zu den „normalen“ Städtetouristen. Sie geben im Mittel als Übernachtungsgast rund 1,5mal und als Tagesbesucher sogar bis zu viermal mehr aus als übliche Städtetouristen. Diese Befunde stehen im Einklang mit anderen Befragungen, in denen die entsprechenden Faktoren des höheren Event-Konsums mit 1,8 bis 2 ermittelt wurden (Lee & Taylor, 2005; Gelan, 2003). Die Evidenz dieser Studie deutet jedenfalls auf eine weit überdurchschnittliche Konsumneigung von Event-Besuchern gegenüber den auswärtigen Tagesgästen im normalen Tourismus hin, liegt damit aber immer noch unter den durchschnittlichen Ausgaben von Geschäftsreisenden (Solberg, Andersson & Shibli, 2002).
Diskussion und Fazit
280
Tab. 6.11: Tagesausgaben üblicher Stadttouristen und Besucher der Fußball-WM in € (Quellen: eigene Berechnungen, DTV (2006), Frankfurter Tourismuszentrale (2005), dwif (2006), Hamburg Tourismus GmbH (2007)) Tourist mit Übernachtung Frankfurt 2005 174,00 München 2005 – Hamburg 2005 166,66 Köln 2005 140,00 Düsseldorf 2005 – Berlin 2005 – Allg. Städtetourist 2006 128,90 WM-Besucher Stadion 2006* 290,50 WM-Besucher Public Viewing 2006* 168,90
Tagestourist 31,10 43,00 40,40 37,20 35,90 33,80 32,40 157,40 89,00
* Die berechneten Werte bilden einen gewichteten Durchschnitt über alle Ländergruppen und alle WM-Städte.
Aufgrund der deutlich höheren Konsumausgaben der WM-Besucher drängt sich die Frage auf, welche Faktoren zu diesen Unterschieden führen. Zum einen zeigte sich, dass die Besucher der Fußball-WM eher jung, gebildet und wohlhabend und damit sehr „konsumfähig“ waren. Wenn dann durch z. B. ein Fußball-Event ein Stimulus gesetzt wird, der für viele ein „Once in a lifetime“-Erlebnis darstellt, und die WM-Stimmung – mitunter durch hervorragendes Wetter ausgelöst – übergreift, wird stärker konsumiert. 3.
Komplexe Ermittlung: Die Berechnung des Primärimpulses einer Sportgroßveranstaltung ist äußerst komplex, und das Forschungsdesign lässt sich nicht einfach verkleinern.
Hervorzuheben ist, dass nicht allein die Ermittlung der Anzahl der Besucher, ihrer Besuchstage und ihres durchschnittlichen Konsums ausreicht, um die wirklichen Mittelzuflüsse durch eine Sportgroßveranstaltung zu messen. Zu beachten ist insbesondere die Intention einer Reise zur Fußball-WM. Damit ist der individuelle Beweggrund zum Besuch eines WM-Spiels das ausschlaggebende Moment dafür, ob eine Konsumausgabe der Fußball-WM zugerechnet werden darf. Erst dadurch kann entschieden werden, inwiefern es sich um autonome Ausgaben oder lediglich Umverteilungen handelt. So wurden in dieser Studie „Home Stayers“ als eine mittelzuführende Gruppe berücksichtigt, da es sich durch ihren Verzicht auf einen Auslandsurlaub um Importsubstitutionen handelt. Somit wurden auch inländische WM-Besucher als ökonomisch bedeutsam berücksichtigt, während die Konsumausgaben vieler eindeutig zu identifizierender ausländischer Fußball-Fans nicht als autonome Mittelzuflüsse aufgenommen wurden, sofern ihr Reisemotiv ein vorrangig anderes war, als die Fußball-WM in Deutschland zu besuchen.
6.3
Die ökonomische Bedeutung der WM-Besucher für Deutschland
281
Wesentliche Ziele dieser Studie waren, die wichtigsten Variablen zu identifizieren, welche zur Unterscheidung der Konsummuster zu berücksichtigen sind, und gleichzeitig zu prüfen, ob und wie das Forschungsdesign vereinfacht werden kann. 4.
Gesamtwirtschaftlich kleiner, aber beachtlicher wirtschaftlicher Impakt: Die gesamtwirtschaftlichen Wirkungen unter kritischer Würdigung möglicher Verdrängungen lassen den Schluss zu, dass ausländische Besucher und „Home Stayers“ so viele Steuermehreinnahmen erzeugt haben, dass davon quasi der öffentliche Anteil an den Stadioninfrastrukturmaßnahmen für die Fußball-WM gedeckt werden konnte.
Die Studie bestätigt eindeutig, dass selbst unter höchst vorteilhaften Rahmenbedingungen (wie hervorragendes Wetter, geringe Sicherheits- oder Imagebeeinträchtigungen durch Gewaltakte, funktionierende Abläufe, wirtschaftlicher Erfolg des Fan-Fest-Konzepts, gute Infrastruktur, Vermeidung gravierender spezifischer Fehlinvestitionen, fast euphorische Event-Atmosphäre unter den Veranstaltungsbesuchern, Interaktion mit der Bevölkerung etc.) Großereignisse wie die Fußball-WM kein Instrument einer aktiven Konjunktur- oder Wachstumspolitik sind. Dennoch beläuft sich der durch diese Studie errechnete Beitrag der Fußball-WM zum deutschen BIP im Jahr 2006 mit etwa 3,2 Mrd. € auf immerhin 0,13 % und das induzierte Arbeitsvolumen mit etwa 34.800 Mannjahren auf 0,09 % der gesamten Beschäftigung im WM-Jahr. Die Konjunktur- und Wachstumswirkung der Sportereignisse ist schließlich nicht das Ziel der Ausrichtung der Fußball-WM gewesen und daher als „angenehmer Nebeneffekt“ zu werten. Bedeutend für die politische Entscheidung zur zukünftigen Ausrichtung von Sportgroßveranstaltungen ist indes, den ökonomischen Impakt in der Veranstaltungsplanung im Hinblick auf eine gesamtwirtschaftliche Refinanzierung event-bedingter Kosten zu optimieren und damit den Anteil der aus Steuermitteln zu finanzierenden Investitionen in event-spezifische Infrastruktur zu verringern. Die insgesamt ca. 1,265 Mrd. € Steuermehreinnahmen, die durch die ausländischen WM-Besucher und zu Hause gebliebenen Inländer („Home Stayers“) entstanden sind, liegen höher als die Ausgaben der öffentlichen Hände für die Finanzierung der Stadionneu- und -umbauten.
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Anhang – F r a g e b o g e n ( S t a d i o n - d e u t s c h ) Liebe Fußballfans, Sie unterstützen durch diese Befragung ein Forschungsprojekt von hohem Interesse für Deutschland. Wir sollen im Auftrag des Bundesinstituts für Sportwissenschaft wichtige Daten der touristischen und wirtschaftlichen Wirkungen der FIFA Fußball-Weltmeisterschaft 2006™ in Deutschland erheben. Dazu ist uns Ihre PERSÖNLICHE Meinung sehr wichtig! Alle Antworten werden selbstverständlich vertraulich, wissenschaftlich und anonym ausgewertet. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse können Sie ab Dezember 2006 im Internet auf der Seite der Universität Mainz finden. Herzlichen Dank für Ihre Mitwirkung! Prof. Dr. H. Preuß (Forschungsleitung)
1. Haben Sie Eintrittskarten für WM-Spiele?
nein
ja und zwar für Spiele in den Städten ____________________________ Insgesamt habe ich für mich ___ Eintrittskarte(n) Wie haben Sie Ihre Karte(n) bezogen? (mehrere Antworten möglich)
Normalbestellung (Internet, usw.)
Karte umsonst bekommen und zwar _____________ (Gewinnspiel, VIP, Geschenk usw.)
Karte war im Reise-Pauschalangebot inbegriffen
Sonstiges und zwar _______________________________ Zu welcher Kategorie gehört Ihre Karte (bzw. Karten)? (mehrere Antworten möglich)
„Follow Your Team“ Karten für ____________________ (Land)
VIP, Business oder andere Hospitality Karte
Einzelkarten und zwar meine erste Karte | zweite Karte | dritte Karte Kategorie 1
Kategorie 2
Kategorie 3
Kategorie 4
2. Welche Fußball-WM Veranstaltungen werden Sie voraussichtlich bis zum Ende der WM besucht haben und wie oft? (mehrere Antworten möglich)
WM-Sehen auf einer öffentlichen Großbildleinwand und zwar in
WM-Kulturprogramm und zwar in O sonstige WM-Veranstaltung und zwar in
___________________(Städte) ___ (Anzahl) ___________________(Städte) ___ (Anzahl) ___________________(Städte) ___ (Anzahl)
3. Mit wem sind Sie zu diesem Spiel gekommen? (mehrere Antworten möglich)
allein
mit Freunden, Freund/in
mit Familie, Partner/in
mit Arbeitskollegen/innen
mit Geschäftspartner(n)
mit einer organisierten Gruppe Sind Sie mit Personen zu diesem Spielort der Fußball-WM gekommen, die nicht mit ihnen Fußball sehen, sondern shoppen, besichtigen usw.?
Nein
Ja, und zwar mit _____ Person(en)
Anhang
296
4. Sind Sie Fan eines der Teams, deren Spiel Sie heute besuchen?
Ja und zwar von ________________
Wie stufen Sie diese Spielpaarung ein?
sehr unattraktiv
Nein eher teils / eher sehr unattraktiv teils attraktiv attraktiv
5. Treffen die folgenden Aussagen auf Sie zu?
Ich war/bin aktiver Fußballer. Ich war/bin in anderen Sportarten als Fußball aktiv. Ich verfolge die Fußballspiele der HÖCHSTEN Liga in meinem Land. Ich verfolge die Fußballspiele der UNTEREN Ligen in meinem Land. Ich verfolge internationale Fußballwettbewerbe. Während der WM sehe ich so viele Spiele wie möglich.
trifft trifft trifft mittel nicht zu wenig zu zu
trifft trifft eher voll zu zu
6. Wie viel werden Sie für die G E S A M T E WM ungefähr ausgegeben? (Bitte geben Sie auch eine „0“ für keine Ausgabe an oder „x“ wenn Sie es nicht schätzen können). Diese Schätzung ist… …eher genau …eher grob Eintritt (aller WM-Karten, Public Viewings, ...) €______
Fanartikel €______
Shopping €______
Für wie viele Personen gelten diese Ausgaben?
nur für mich
für ___ Personen Wie viel werden Sie H E U T E ungefähr ausgegeben? Diese Schätzung ist… …eher genau …eher grob Essen/Trinken €______
Eintritt (WM-Karte, Public Viewing, ...) €______
Anreise (Stadion, Public Viewing, ...) €______
Anderes (Unterhaltung usw.) €______
Für wie viele Personen gelten diese Ausgaben?
nur für mich
für ___ Personen 7. Welches D E U T S C H E Bier bringen Sie mit der WM 2006 in Verbindung? ______________________________
keins
Wo ist Ihnen diese Verbindung aufgefallen? (mehrere Antworten möglich)
TV (Spiel, Werbung)
Radiowerbung
Anzeigenwerbung
beim Stadionbesuch
beim Fan Fest
im Laden
in der Kneipe
sonstige Gelegenheit _______________________ 8. Mein höchster Ausbildungsabschluss ist:
ohne Abschluss
(Fach-) Abitur
Hauptschulabschluss
Berufsbildende Schule
Mittlere Reife
Uni/FH Abschluss
Anhang
297
9. Ich bin im Jahr 19____ geboren und bin
weiblich
männlich. 10. Mein persönliches monatliches Nettoeinkommen beträgt:
weniger als 500 €
500 bis 1000 €
2001 bis 3000 €
3001 bis 5000 €
1001 bis 2000 €
mehr als 5000 €
11. Wo ist ihr derzeitiger H a u p t w o h n s i t z ? Bitte diese Spalte ausfüllen, wenn Sie hauptsächlich in Deutschland wohnen ________ (Postleitzahl) A) Verzichten Sie auf eine Urlaubsreise, um die Fußball-WM zu sehen?
Nein
Ja ________________(Land) Wenn nein, haben Sie den Zeitpunkt Ihres Sommerurlaubs wegen der WM verschoben?
Nein
Ja B) Sind Sie NUR wegen der Fußball-WM in diese Stadt gekommen?
Nein
Ja Wenn nein, werden Sie aufgrund Ihres heutigen Aufenthaltes auf einen anderen Besuch dieser Stadt verzichten?
Nein
Ja
weiß nicht C) Wie finanzieren Sie ihre WM Ausgaben? (mehrere Antworten möglich)
vom normalen Haushaltsgeld.
Ich kaufe weniger andere Sachen. O Ich greife auf Erspartes zurück.
Ich werde nach der WM sparen.
durch Geld von anderen (Geschenk, Gewinnspiel, Geschäftsreise usw.). D) Geben Sie im Vergleich zum Alltag während der WM mehr/weniger für die folgenden Produkte aus? mehr gleich Fast Food (Hamburger, Bratwurst,…)
Bier
Essen im Restaurant
Shopping
Bitte diese Spalte ausfüllen, wenn Sie hauptsächlich im Ausland wohnen ___________________ (Land) A) Wollten Sie ohnehin dieses oder nächstes Jahr nach Deutschland reisen?
Nein
Ja
B) Welche Wirkung haben die WMErlebnisse bei Ihnen hinterlassen?
ich würde gern einmal in Deutschland Urlaub machen.
ich weiß noch nicht, ob ich in Deutschland in Zukunft mal Urlaub mache.
ich komme bestimmt nicht nach Deutschland, um Urlaub zu machen. C) Sind Sie NUR wegen der Fußball-WM nach Deutschland gekommen?
Nein
Ja D) Wie lange sind Sie schon in Deutschland? _____ Tag(e) E) Wie lange werden Sie noch in Deutschland bleiben? _____ Tag(e)
Anhang
298
12. Wo übernachten Sie während der Fußball-WM? (mehrere Antworten möglich)
zu Hause
Freunde / Familie
Auto / wildes Campen usw.
Pension
Hotel bis
privat gemietete Wohnung/Zimmer
offizieller Campingplatz
Hotel bis / Motel
anderes: _______________
Danke – die folgenden Fragen sind nur für Personen mit ÜBERNACHTUNG! 13. Wie viel werden Sie für Ihre G E S A M T E WM-Reise ungefähr ausgegeben? (Bitte auch angeben: 0 = keine Ausgabe) Diese Schätzung ist… …eher genau …eher grob …weiß nicht Unterkunft (pro Nacht) €______
Für wie viele Personen gelten diese Ausgaben?
nur für mich
für ___ Personen Diese Schätzung ist… …eher genau …eher grob …weiß nicht Gesamtkosten der WM-Reise €______
(Eintritt, Fanartikel, Unterkunft, Anreise, Flug usw.) Für wie viele Personen gelten diese Ausgaben?
nur für mich
für ___ Personen 14. Wie viele Nächte verbringen Sie insgesamt während der Fußball-WM N I C H T zu Hause? _____ (Nächte) In welcher Stadt werden Sie diese Nächte hauptsächlich verbringen? __________________________________________ 15. Wie reisen Sie von zu Hause zur WM-Unterkunft an/ab? (mehrere Antworten möglich)
Pkw, Motorrad
Reisebus
Bahn & Bus (Öffentliche Verkehrsmittel)
Linienflug
Charterflug
Billigflieger Wenn mit dem Flugzeug: Ankunftsflughafen? _________________________________ 16. Wie haben Sie Ihre Reise organisiert? (mehrere Antworten möglich)
Selber
Reiseveranstalter
Sonstige und zwar ____________________
17. Welche der folgenden Aussagen trifft auf Sie zu? (Bitte in jeder Zeile ein Kreuz) Ich sehe dieses Spiel, weil ich sowieso gerade in der Region bin. Ich mache etwas länger als geplant Urlaub, um ein Spiel zu sehen. Ich habe vor, nach dem Besuch der Fußball-WM einen Urlaub / längeren Aufenthalt von _____Tag(en) in der Region anzuschließen.
ja
nein
18. Gibt es auf Ihrer WM-Reise auch Tage, an denen Sie nicht im Stadion oder auf öffentlichen Großleinwänden Fußball sehen?
Nein
Ja, und zwar _____ Tag(e) Vielen Dank für Ihre Mitwirkung!
© Johannes Gutenberg-Universität Mainz und Ruhr-Universität Bochum, Germany Fragen an den Interviewer (Code siehe Beiblatt): Befragerkürzel: Verst.-Index:
| WM-Spielnr.: | Fanindex:
| Befragungsort: | Gr.-Index:
| Befragungszeitpunkt: | Interview:
Anhang
Anhang
299
– Fragebogen (Public Viewing-deutsch)
Der Fragebogen für Besucher des Public Viewings unterschied sich lediglich in Frage 1 von dem der Stadionbesucher.
1. Haben Sie Eintrittskarten für WM-Spiele?
nein
ja und zwar für Spiele in den Städten: ____________________________ Insgesamt habe ich für mich ___ Eintrittskarte(n) Wie haben Sie Ihre Karte(n) bezogen? (mehrere Antworten möglich)
Normalbestellung (Internet, usw.)
Karte umsonst bekommen und zwar _______________ (Gewinnspiel, VIP, Geschenk usw.)
Karte war im Reise-Pauschalangebot inbegriffen
Sonstiges und zwar ____________________________