Der Geburtenrückgang in Indonesien: Eine empirische Analyse anhand des ''Value of Children''-Ansatzes

Carolin Rudolf Der Geburtenrückgang in Indonesien VS RESEARCH Carolin Rudolf Der Geburtenrückgang in Indonesien Ei...

5 downloads 1135 Views 120MB Size Report

This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!

Report copyright / DMCA form

DOWNLOAD PDF

Carolin Rudolf Der Geburtenrückgang in Indonesien

VS RESEARCH

Carolin Rudolf

Der Geburtenrückgang in Indonesien Eine empirische Analyse anhand des .value of Ch ildrenJl-Ansatzes

VS RESEARCH

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Oie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Dissertation Technische Universitätcnernnnz. 2009

1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten @VSVerlag für Sozialwissenschaften I Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: verena Metzger/ Anette villnow VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer scence-eusmess Media.

wwwvs.verteg.oe

DasWerk einschließlich aller seinerTeile ist urheberrechtlich geschützt. Jede verwertung außerhalb der engen Grenzen des urheberrechtsgeserzes ist ohne Zustimmung desvertags unzulässig und strafbar.Dasgilt insbesondere für vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverlilmungen und die tnsoercherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Oie Wiedergabe von cebreuchsnamen. Handelsnarnen, Warenbezeichnungen usw. in diesem werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der warenzecnen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: künkeüopka Medienentwicklung. Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtemPapier Printed in Germany ISB N 978-3· S31·17679·6

Für Konstantin, Ferdinand und Sven.

Vorwort

Diese Studie entstand am Lehrstuhl für Allgemeine Soziologie I der Philosophischen Fakultät der Technischen Universität Chemnitz und wurde am 14. Oktober 2009 durch den Promotionsausschuss als Dissertation angenommen. Sie ist Teil der .Value of Children" - Replikstudie und ergänzt die Anzahl der detailliert untersuchten Länder um lndonesien. Besonders danken möchte ich einigen Personen für das Gelingen dieses Forschungsvorhabens, obwohl ich weiß, dass auch Andere zum Ergebnis beigetragen haben. An erster Stelle danke ich meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Bernhard Nauck für die sowohl fachliche als auch menschliche Unterstützung in allen Arbeitsphasen und den gewährten nötigen Freiraum, um die Arbeit zügig abschließen zu können. Danken möchte ich ferner meinem Zweitgutachter Herrn Prof. Dr. Johannes Kopp wegen seiner Flexibilität und der vielen hilfreichen Hinweise. Daneben gilt Frau Dr. Daniela Klaus und Frau Dr. Jana Sukow mein besonderer Dank. Beide waren jederzeit überaus hilfsbereit und hatten stets ein offenes Ohr für fachliche Diskussionen. Mein herzlichster Dank gilt Herrn Dr. Sukamdi für seine Einladung an das Center for Population Studies, Gadjah Mada University, Yogyakarta in lndonesien. Mit seiner Hilfe konnte ich nicht nur bisher unbekannte, aber schließlich unverzichtbare Literaturquellen ausfindig machen, sondern hatte auch die Chance die Gastfreundlichkeit, Lebensfreunde und Harmonie der lndonesier kennen zu lernen. Dafür danke ich auch allen Mitarbeitern des Center for Population Studies der Gadjah Mada University und allen anderen lndonesiern. Danken möchte ich ferner meinen Eltern und Freunden, die mich in vielfältiger Weise unterstützt haben. Das größte Dankeschön gilt allerdings meinem Freund Sven. Er ist derjenige , der mich seit Beginn meines wissenschaftlichen Arbeitens am meisten unterstützt und dessen Großzügigkeit, den Spagat zwischen Familie und Wissenschaft überhaupt ermöglicht.

Chemnitz, im April 2010

Inhaltsverzeichnis

Vorwort Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis Abbildungsverzeichnis Tabellenverzeichnis Einleitung Geburtenrückgang in Indonesien 1 2 Indonesischer Geburtenrückgang aus der Perspektive der Modernisierungstheorie 2.1 Der demografische Übergang Indonesiens 2.1.1 Theorie des demografischen Übergangs 2.1.2 Anwendung der Theorie des demografischen Übergangs auf Indonesien 2.2 Bevölkerungspolitik im Wandel 2.3 Sozioökonomische Entwicklung 2.3.1 Ökonomische Entwicklung und Beschäftigungsstrukturen 2.3.2 Kinderarbeit 2.3.3 Materielle Lebensbedingungen und soziale Versicherungss ysteme 2.3.4 Bildungsbeteiligung 2.4 Familiäre Beziehungen im WandeL 2.4.1 Verwandtschafts- und Generationenbeziehungen 2.4.2 Eheschließungen und Scheidungen 2.4.3 Geschlechtspräferenzen und Status der Frau 2.5 Erklärungsdefizit 3 Theoretisches Grundmodell für Fertilitätsentscheidungen in Indonesien 3.1 .Value of Children"-Ansatz von HoffmaniHoffman 3.1.1 Grundannahmen 3.1.2 Beurteilung 3.2 Theoretisch e Neukonzeptualisierung des VOC-Erklärungsmodells 3.2.1 Mehrebenenmodell zur Erklärung der Geburtenrate 3.2.2 Theorie der sozialen Produktions faktoren (TSP)

7 9 13 15 17 19 25 31 32 33

35 39 41 .41 44 45 50 52 53 56 65 70 73 73 74 76 77 78 79

10

Inhaltsverzeichnis

3.2.3 Kinder als kontextabhängige Produktionsfaktoren 3.2.4 Kinder als kontextabhä ngige Produktionsfaktoren in Indonesien 3.3 Integrat ion vermeintlich irrationaler Handlungen 3.3. I Framing-M odell: Zwei idealtypische Modi der Entscheidungsfindung 3.3.2 Anwendung des Framing-Modells auf Fertilitätsentsch eidungen 3.3.3 Moduswahl und historische Entwicklung in Indonesien 3.4 Zusammenfassung 4 Hypothesen zur allgemeinen ModeIlierung der Fertilitätsentscheidungen 4.1 Dimensionen des Wertes von Kindern 4.2 Opportunitätenstruktur und der Wert von Kindern 4.3 Determinanten des generativen Verhaltens 4.4 Pfadabhängigkeit des VOC-Erklärungsprogramms 4.5 Das Alternativmodell : Handeln gemäß einer internalisierten Fertilitätsnorm 4.6 Moderni sierungsvariablen und das generative Verhalten 5 Empirischer Teil I: Gesellschaftliche Modernisierung und generatives Verhalten 5.1 WFS- und IDHS- Datensatz sowie methodische Vorbemerkungen 5.2 Operationalisierung 5.2.1 Unabhäng ige Variablen: Wohnkontext, Erwerbstätigkeit, Berufsstatus und Bildung 5.2.2 Abhängige Variable : Kinderzahl 5.3 Method ik der Ereignisdatenanalyse 5.4 Ergebnisse 5.4.1 Verlauf der Familienbildung 5.4.2 Zusammenhang von Wohnkonte xt, Bildung, Erwerbstätigkeit und Berufsstatus 5.4.3 Modern isierungsvariablen und generatives Verhalten 5.5 Zusammenfassung 6 Empirischer TeillI: Der VOC als intermediäre Variable 6.1 VOC-Dat ensatz sowie methodisch e Vorbemerkungen 6.2 Operationalisierung 6.2.1 Unabhängige Variablen 6.2.2 Wert des Kindes (VOC) als intermediäre Variab1e 6.2.3 Abhängige Variable: Generatives Verhalten 6.3 Ergebnisse

82 88 96 99 100 105 110

113 114 114 125 131 132 135

139 140 145 146 149 150 154 155 160 162 171 175 175 178 179 182 186 187

Inhaltsverzeichnis

6.3.1 VOC-Konstrukt 6.3.2 Determinanten der Werte von Kindern 6.3.2.1 Determinanten des kurzfristigen Komforts 6.3.2.2 Determinanten des langfristigen Komforts 6.3.2.3 Determinanten von Verhaltensbestätigung und Status 6.3.2.4 Determinanten von Affekt und Stimulation 6.3.2.5 Zwischenbilanz 6.3.3 Generatives Verhalten und der Wert von Kindern 6.3.4 Wert des Kindes (VOC) als interme diäre Variable 6.3.5 Alternativmodell 6.3.6 Exkurs: Frame des Wertes von Kindern Schlussbetrachtung und kritisc he Wür digung Literaturverzeichnis

11

187 195 196 198 201 204 207 208 220 226 230 235 245

Ab kürzungsverzeichnis

ANOVA as BIP BKKBN BPS CBR CDR CFI CFR df.. Exp H HC lOHS IFLS ILO lUD LKBN MCA N NICPS rc RMSEA Rp SES SEU Sig SPF SRMR TDA TFR TU TSP

analysis of varianc e, Varianzanalyse automat isch-spontan Bruttoinlandsprodukt National Family Planning Coordinating Board Badan Pusat Statistik Crude Birth Rate Crude Death Rate Comparative FIT Index Completed Fertility Rate Freiheitsgrad Exponential Hypothese Poverty Headcount Ratio Indonesia Demographie and Health Survey Indonesia Family Life Survey International Labor Organisation Intrauterine Device (Intrauterinpessar, Spirale) National Family Planning Institute multiple Klassifikationsanalyse Fallzahl National Indonesia Contraceptive Prevalen ce Survey rational-kalkulierend Root-mean -square residual of approximation Rupien sozioökonomischer Status Subjective-Expected-Utility Signifikanzen Social Product ion Function Standardized Root Mean Square Residual Transition Data Analysis (Statistik-Software) Total Fertility Rate Tucker-Lewis Index Theorie sozialer Produktionsfaktoren

14

UNESCO UNICEF VOC vs WFS

Abkürzungsverzeichnis United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization United Nations Children's Emergency Fund Value ofChildren versus World Fertility Survcy

Ab bildungsverzeichnis

Abbildung 1.1: Abbildung 1.2: Abbildung 1.3: Abbildung 2.1: Abbildung 2.2: Abbildung 2.3: Abbildung 2.4: Abbildung 2.5: Abbildung 2.6: Abbildung 3.1: Abbildung 3.2: Abbildung 4.1: Abbildung 4.2: Abbildung 4.3: Abbildung 5.1: Abbildung 5.2: Abbildung 5.3: Abbildung 6.1:

Indonesischer Geburtenrückgang Zusammengefasste Geburtenziffern (TFR) auf Java Verhütungsverhalten gegenwärtig verheirateter Frauen Demografischer Übergang Indonesiens Entwicklung der Kindersterblichkeit und der Lebenserwartung Wertschöpfung (BIP) nach Wirtschafts sektoren (1965-2004) Bildungsbeteiligung nach Geschlecht und Schulart Alter des 50-proz entigen Verheiratungsanteils nach Wohnkontext und Region Ganzheitliches Verständnis des Geburtenrückgangs nach T. Hull (1987) Konzeptuelles Modell der VOC-Studien VOC-Erklärungsmod ell Pfadabhängigkeit des VOC- Erklärungsmodells Alternativmodell zur Erklärung generativen Verhaltens Generatives Verhalten und Modernisierungsvariablen Verteilung der unabhängigen Variablen Berufsstatus und Bildung Verteilung der abhängigen Variable "Kinderzahl" und Alter der Mutter Überlebenskurven der Erst- bis Viertgeburt nach Geburtskohorten Generat ionenspezifische Verteilung der Nutzen von Kindern

25 28 29 35 37 43 51 60 72 77 83 131 132 136 147 150 156 193

16 Abbildung 6.2: Abbildung 6.3: Abbildung 6.4: Abbildung 6.5: Abbildung 6.6:

Abbildungsverzeichnis Generationenspezifische Verteilung der Kosten von Kindern Generationenspezifische Verteilung der Werte von Kindern Überlebenskurven der Zweit- bis Viertgeburt nach Wertebeurteilung VOC als intermediäre Variable (Erstgebäralter) VOC als intermedi äre Variable (Drittgeburt)

194 195 211 222 225

Tabellenverzeichnis

Tabelle 5.1: Tabelle 5.2: Tabelle 5.3: Tabelle 5.4: Tabelle 5.5: Tabelle 5.6: Tabelle 5. 7: Tabelle 5.8: Tabelle 5.9: Tabelle 5.10: Tabelle 6.1: Tabelle 6.2: Tabelle 6.3: Tabelle 6.4: Tabelle 6.5: Tabelle 6.6: Tabelle 6. 7: Tabelle 6.8: Tabelle 6.9: Tabelle 6.10: Tabelle 6.11:

Ausschluss problematischer Altersgruppen Ausschlussverfahren und Datenmengen Geburtenverläufe nach Geburtskohorte Zusammenhang zwischen Wohnkontext, Bildung und Erwerbstätigk eit Soziodemografische Merkmale und Übergang zur Mutte rschaft Bildungsniveaus und Übergang zur Mutterschaft.. Berufsstatus und Übergang zur Mutte rschaft Soziodemografische Merkmale und Übergang zur Drittgeburt Bildungsn iveau und Übergang zur Drittgeburt Berufsstatus und Übergang zur Drittgeburt Verteilung der unabhängigen Variablen Deskription der VOC-ltems Verteilung der abhängigen Variablen Kinderzahl und das Alter der Mütter Validierung des Nutzens von Kindern Va1idierung der Kosten von Kindern Determinanten des kurzfristigen Komforts Determinanten des langfrist igen Komforts Determinanten von Verhaltensbestätigung und Status Determinanten von Affekt und Stimulation Alter bei Erstgeburt in Abhängigkeit vom VOC Zweit-, Dritt- und Viertgeburt in Abhängigkeit vom VOC

143 145 159 160 163 164 165 167 168 170 181 184 186 189 191 197 200 202 206 210 213

18

Tabelle 6.12: Tabelle 6.13: Tabelle 6.14: Tabelle 6.15:

Tabellenverzeichnis Zweit -, Dritt- und Viertgeburt in Abhängigkeit von VOC -Typen Relation zwischen geplanter und idealer Kinderzahl Rational-kalkulierender vs. automatisch-spontaner Entscheidungsmodus Framing der Wertebeurteilung

216 218 227 232

Einleitung

"Two are not enough" lautet der Titel eines im Jahr 1981 erschienenen Buches zu den Werten von Kindern in Indonesien (vgl. Darroch et al. 1981). Mit nur vier Wörtern wird damit die für die 1970er Jahre typische Diskrepanz zwischen den individuellen Vorstellungen von einer angemessenen Kinderzah l und der von staatlicher Seite forcierten Zwei-Kind-Norm beschrieben. Die Total Fertility Rate' (TFR), die vor ca. 40 Jahren bei etwa 5,3 lag, beweist, dass die von staatlicher Seite idealisierte "Zwei-Kind-Familie" deutlich unter dem gewünschten bzw. dem realisierten Geburtenniveau lag. Zum heutigen Zeitpunkt hat sich das Fertilitätsniveau mehr als halbiert und das einstige Ideal entspricht immer mehr dem tatsächlichen Geburtenverhalten. Zur vermeintlichen Erklärung dieses enormen Geburtenrückganges wurde bisher eine Vielzahl von wissenschaftlichen Beiträgen veröffentlicht. In diesen wurden entweder die staatlichen Bemühungen einer aktiven Familienpolitik als ursächlich angesehen (vgl. nur Sinquefiel d et al. 1979; Freedman et al. 1981, Warwiek 1986; Heaton, Cammack, Young 2001) oder der wirtschaftlic he Aufschwung, den Indonesien im 20. Jahrhundert durchlebte, für die Reduktion der Geburtenzahlen verantwortlich gemacht. Vereinzelt gab es auch Versuche, diese beiden Perspektiven miteinander zu verbinden (vgl. McNicoll, Singariumbun 1983; T. Hull1987; Gertler, Molyneaux 1994). Gemeinsamkeit all dieser Beiträge ist allerdings, dass sie sich darauf beschränken, mögliche Einflussfaktoren des generativen Verhaltens zu benennen . Sie können aber auf diese Weise keine Erklärung des indonesischen Geburtenrückganges leisten. Hierfür wäre ein Erklärungsprogramm notwendig, das den Wandel in den sozialstrukturellen Rahmenbeding ungen Indonesiens genauso berücksichtigt wie die Einstellungen und Motive der handelnden Individuen . Denn schließlich sind sie es, die sich ftir oder gegen die Geburt von Kindern entscheiden. Ein Ansatz zur Erklärung generativen Verhaltens, der diese Grundvoraussetzungen erfüllt, ist die Neukonzeptualisierung (vgl. Nauck 2001) des aus den Total Fertility Rate (TFR) ist definiert als Summe der altersspezifischen Geburte nziffern und gibt Auskunft über die Anzahl der Kinder , die eine Frau im Laufe ihres Lebens gebären wird, unter der Annahme, dass die altersspezifischen Geburtenziffern künftig konstant sind.

20

Einleitung

1970er Jahren stammenden .Value of Children"-Ansatzes (vgl. Hoffman, Hoffman 1973). Mit dieser theoretisch fundierten Version des VOC-Ansatzes wurde ein Erklärungsinstrument entwickelt, das nicht auf einen spezifischen gesellschaftlichen Kontext mit konstanten institutionellen Randbedingungen beschränkt, sondern auch in interkulturell und historisch vergleichenden Familienforschungen anwendbar ist. Grundüberlegung dieses in der Tradition rationaler Entscheidungsmodelle stehenden Erklärungsprogramms ist, dass der Wert von Kindern für ihre (potenziellen) Eltern für das gewählte generative Verhalten ausschlaggebend ist. Dieser Wert ist das Ergebnis von Instrumentalit ätserwartungen, die (potenzielle) Eltern an ihre Kinder haben. Abgeleitet werden diese Erwartungen einerseits von allgemeinen Bedürfnisstrukturen, die unabhängig von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen existieren. Andererseits entscheiden der gesellschaftliche Kontext, die institutionellen Rahmenbedingungen und die individuellen Ressourcen darüber, welches Verhalten zur Befriedigung dieser spezifischen Grundbedürfnisse beiträgt. Unabhängig von der Handlungssituation wirken die gleichen erklärenden Mechanismen, lediglich die daraus resultierenden Konsequenzen weichen aufgrund unterschiedlicher Ressourcenlagen und institutioneller Voraussetzungen voneinander ab. Ziel des VOCForschungsprojektes ist es, die empirische Evidenz dieses Ansatzes international zu überprüfen und weiterzuentwickeln. Zu diesem Zweck wurden bisher zwei empirische Studien zu den Werten von Kindern realisiert. Die erste Erhebung erfolgte in den 1970er Jahren und umfasste Taiwan, Japan, die Republik Korea, Philippinen, Thailand, Indonesien, Singapur, Türkei, USA und die Bundesrepublik Deutschland. Ein zweiter internationaler Datenpool entstand in den Jahren 2001 /2002 vor dem Hintergrund dieser oben erwähnten neukonzeptualisierten Version des VOC -Ansatzes (vgl. Trommsdorff, Nauck 2005). Die Erhebungen fanden ebenfalls in den unter schiedlichsten gesellschaftlichen Kontexten statt wie z. B. in Korea, der Volksrepublik China, Indien, Israel, Südafrika, Palästina, Türkei, der Bundesrepublik Deutschland und Indonesien. Mit Hilfe dieser Daten können nun neben interkulturellen Untersuchungen auch historische Entwicklungen einzelner Länder untersucht und Zusammenhänge zwischen sozialem Wandel und verändertem fertilen Verhalten empirisch überprüft werden . Teilweise ist zwar die Überprüfung des Erklärungsbeitrages des VOC-Ansatzes bereits erfolgt. So existieren Arbeiten, die sich mit dem Vergleich des generativen Verhaltens zwischen der Türkei, Deutschland und Japan beschäftigen (vgl. Kohlmann 2000), die historische Geburtenentwicklung in der Türkei fokussieren (vgl. Klaus 2008) oder Fertilitätsdifferenzen zwischen Israel bzw. Palästina analysieren (vgl. Suckow 2008). Durch die vorliegende Arbeit soll dieser Kanon um Indonesien bereichert werden.

Einleitung

21

Ziel der Arbeit ist, den Geburtenrückgang in Indonesien auf der Basis des .Value of Childrenv-Ansatzes zu erklären. Entsprechend sind die Ausführungen zu Indonesien als Teilprojekt innerhalb des gesamten Forschungsvorhabens zu verstehen. Aus diesem Grund orientieren sich die theoretischen Ausführungen und empirischen Analysen zunächst an den bisher aus diesem Projekt hervorgegangen Arbeiten (vgl. Kohlmann 2000; Klaus 2008 ; Suckow 2008), sollen aber letztendlich die Besonderheit des indonesischen Kontextes aufklären. Aus diesem Vorgehen ergeben sich für die indonesische Fertilitätsforschung eine Vielzahl neuer Erkenntnisse und Anknüpfungspunkte für weitere Forschungen . Erstens steht mit der theoretischen Basis ein Erklärungsinstrument zur Verfügung, mit dem es fortan möglich ist, den indonesischen Geburtenrückgang unter Rückbezug auf die individuellen Einstellungen und Motive zu erklären. Dieses Erklärungsmodell kann zweitens mittels der indonesischen Unterstichprobe des VOC-Datensatzes (2002) auch empirisch überprüft werden. Drittens wird am Ende der theoretischen Ausführungen deutlich, wie sich die oftmals antagonistisch gegenüberstehenden Erklärungen zur Rolle des wirtschaftlichen Aufschwungs und der aktiven Familienpolitik miteinander verbinden lassen. Viertens wird mit der .Value of Childrenv-Forschung ein traditionsreicher Forschungsschwerpunkt der indonesischen Bevölkerungswissenschaft wieder belebt und Erkenntnisse aus damaligen Forschungsprojekten (vgl. nur T. Hull 1975 ; White 1976; Darroch et al. 1981) zu einem ganzheitlichen Verständnis des Geburtenrückganges integriert. Dam it leistet die Arbeit nicht nur einen Beitrag zur Fertilitätsforschung in Indonesien, indem mittels des VOC-Ansatzes als einer allgemeinen Theorie generativen Verhaltens der indonesische Geburtenrückgang erklärt wird , sondern trägt auch zur Weiterentwicklung des VOC-Ansatzes bei. Den Schwerpunkt der Arbeit bildet Java, die Hauptinsel Indonesiens. Indo nesien ist nach China und Indien das drittgrößte Schwellenland der Erde . Als südostasiatischer Inselstaat erstreckt es sich über 5000 km entlang des Äquators. Die Bevölkerung ist durch ethnische (rund 360 Ethnien) und kulturelle Vielfalt gekennzeichnet. So existieren z. B. neben der offiziellen Landessprache .Basa Indonesia" mehr als 250 Regionalsprachen und mehrere hundert Dialekte (vgl. von Magnis-Suseno 1989 : 31) . Die starke ethnische und kulturelle Differenzierung des Landes macht eine Einschränkung des Untersuchungsobjektes auf Java notwendig. Geografisch, ethnisch und politisch kann Java in drei Regionen untergliedert werden: West-Java mit der Hauptstadt Jakarta, Zentral-Java mit der Umgebung von Yogyakarta und Ost-Java einschließlich der Insel Madura. Die streng muslimischen Maduresen bevölkern neben ihrer Heimatinsel auch Teile Ost-Javas, besonders entlang der nördlichen Küste . Zentral Java und die südlichen Teile Ost-Javas sind die Heimatregion der Javaner. Sie sind mit etwa 40 % der Landesbevölkerung die zahlenmäßig stärkste und kulturell bedeutendste

22

Einleitung

Volksgruppe Indonesiens. Außer die Einwohner der Hauptstadt Jakarta, die aus allen Teilen des Landes kommen, sind Sundanesen die Majorität der Bevölkerung West-Javas. Die Sundanesen sind zudem die zweitstärkste Volksgruppe Indonesiens. Wie die beiden empirischen Erhebungen des generativen Verhaltens in Indonesien im Rahmen der VOC-Projekte (1975; 2001/2002) konzentriert sich auch die vorliegende Arbeit auf diese beiden kulturell und zahlenmäßig bedeutendsten Ethnien Javas (Sundanesen, Javaner). Java bildet nicht nur geografisch und verwaltungsmäßig das Zentrum Indonesiens, sie ist auch die bevölkerungsreichste Insel. Mit einem Anteil von nur 7 % an der totalen Landfläche leben hier 59 % der Gesamtbevölkerung (vgl. BPS, ORC Macro 2003: 3). Jene damit einhergehende enorme Bevölkerungsdichte und das gleichzeitig bestehende hohe Bevölkerungswachstum (von etwa 2 % jährlich bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts) brachte zu Beginn des letzten Jahrhunderts immer größer werdende Versorgungsprobleme mit sich. Aufgrund dessen wurde Java bereits am Ende des 19. Jahrhunderts zu einem Brennpunkt bevölkerungswissenschaftlicher Forschung (vgl. Raffles 1965). Obschon dieses Bevölkerungswachstum vermutlich global und lediglich eine Phase im gesellschaftlichen Modernisierungsprozess darstellt (vgl. Chesnais 1992), ist die Dauer und Stärke dieser Entwicklung auf Java aus internationaler Sicht einmalig (White 1976a) . Ausgelöst durch groß angelegte Impfprogramme der Niederländer noch in der Kolonialzeit, führte die bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts sinkende Mortalitätsrate bei einem weit gehend konstanten Geburtenniveau, zu einem Wachstum der Bevölkerung. Ein Jahrhundert später wurde, nach etlichen gescheiterten Versuchen diese demografische "Zeitbombe" zu entschärfen, eines der international ehrgeizigsten Famili enplanungsprojekte ins Leben gerufen. Mit der Verbesserung der Gesundheit von Mutter und Kind , der Verbreitung und Akzeptanz von Empfängnisverhütung sowie der Etablierung eines neuen Familienideals sollte die Geburtenrate massiv gesenkt und so das Bevölkerungswachstum eingeschränkt werden. Bis heute ist der diesem Programm entstammende Slogan .Dua anak kukup" (Zwei Kinder sind genug) den Javanern präsent (vgl. Hild 1999). Die seitdem beobachtbaren demografischen Entwicklungen, scheinen den Erfolg dieser Maßnahmen zu bestätigen. Allerdings ist das Erklärungsproblem weiterhin ungelöst. Obwohl die zunehmende Empfängnisverhütung und das dadurch sinkende Fertilitätsniveau unbestreitbar ist, bleibt die Frage unbeantwortet, warum es infolge der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung Indonesiens seit der Mitte des 20. Jahrhunderts zu einem erhöhten Bedarf an Geburtenkontrolle bzw. einer reduzierten Nachfrage nach Kindern kam. Mit Hilfe des Erklärungsprogramms, welches durch den VOC-Ansatz zur Verfügung gestellt wird, ist dieses Problem letztendlich als ein Wandel der Instrumentalität von Kindern für ihre (potenziellen) El-

Einleitung

23

tern darstellbar. Diese Vorstellung soll nun für die Erklärung des Geburtenrückgangs in Indonesien nutzbar gemacht werden. Der Gang der Arbeit ist dazu wie folgt: Das erste Kapitel gibt einen Überblick über die langfristige Entwicklung des Geburtenniveaus auf der Basis von Periodendaten (z. B. TFR). Da für lndonesien keine weitergehenden zuverlässigen Aussagen über das Geburtenverhalten möglich sind, wird sich die Beschreibung auf den Zeitraum zwischen 1950 bis 2005 beschränken. Regionalspezifische Geburtenzahlen liegen seit 1970 vor. Ein Vergleich der Regionen, die innerhalb des VOC-Projektes untersucht wurden, soll Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Geburtenentwicklung aufzeigen. Neben dem langfristigen Geburtenrückgang wird die zunehmende Verwendung von Verhütungsmitteln (als Indikator für eine veränderte Nachfrage nach Kindern) den Wandel im generativen Verhalten abbilden, um so das zu erklärende Phänomen darzustellen . Das zweite Kapitel ist auf die Frage fokussiert, ob der indonesische Geburtenrückgang, wie von der Theorie des demografischen Übergangs behauptet, als zwangsläufige Folge gesellschaftlicher Modernisierung erklärt werden kann (vgl. u.a. Notestein 1945). Genutzt wird diese prominente "Ausgangsgeschichte" für Auseinandersetzungen zur Erklärung des fertilen Verhaltens im Allgemeinen (vgl. van de Kaa 1997) und in lndonesien im Speziellen (vgl. Hirschman 2001; T. Hu1l2002; T. Hu1l2003) , weil so ein systematischer und umfassender Überblick über die gesellschaftlichen Veränderungen Indonesiens im 20. Jahrhundert gegeben wird und mögliche Fehlerquellen bei der Erarbeitung eines theoretischen Modells zur Erklärung generativen Verhal tens herausgearbe itet werden können. Beides ist notwendig, um die Vorzüge und die Argumentation des schließl ich im dritten Kapitel hergeleiteten theoretischen Grundmodells für Fertilitätsentscheidungen in Indonesien zu verstehen. Ausgehend vom klassischen .Value of Children"-Ansatz (vgl. Hoffmann , Hoffmann 1973) werden dessen theoretischen Schwachstellen diskutiert und seine Neukonzeptualisierung unter Bezugnahme der Theorie der sozialen Produktionsfaktoren geleistet. Ziel des dritten Kapitels ist es aber nicht nur, wie bereits durch andere Arbeiten geschehen (vgl. nur Kohlmann 2000 , Nauck 2001, Klaus 2008, Suckow 2008), eine allgemeine Herleitung zu erarbeiten, sondern darüber hinaus die Besonderheit des indonesischen Kontextes zu erklären . Es steht vielmehr die Frage nach der spezifisch javanischen lnstrumentalität von Kindern im Zentrum der Untersuchung. Dabei wird sich zeigen, dass Kinder zwar in allen historischen Epochen einen relativ hohen Stellenwert besitzen , aber auch, dass der rationale und damit kostenintensive Abwägungsprozess der dem VOC-Ansatz zugrunde liegt, nicht immer möglich bzw. lohnenswert sein dürfte. Diese Überlegungen münden schließlich in die Einführung eines Alternativmodells zur Erklärung generativen Verhaltens, das in seinen Grundzügen als das Festhalten an einer

24

Einleitung

einmal "internalisierten Fertilitätsnorrn" beschreibbar ist. Im vierten Kapitel werden diese theoretischen Überlegungen in konkrete Forschungshypothesen übersetzt, die die Grundlage für die anschließenden empirischen Analysen bilden . Imfünften Kapitel erfolgt die Analyse des langfristigen Geburtenrückgangs in der Kohortenperspektive. Basis ist ein kumulierter Datensatz der mittels des World Fertility Surveys (WFS) 1976 und der Indonesia Demographie and Health Surveys (lOHS) aus den Jahren 1987, 1991, 1994, 1997 und 200212003 erstellt wurde . Um auf dieser Datenbasis die Merkmale des langfristigen Geburtenrückgangs anhand der Geburtskohorten von 1926 bis 1970 aufzuzeigen, werden relativ neue ereignisanalytische Auswertungsverfahren genutzt (vgl. BrüderI, Dickmann 1994, 1995). Diese Analysen stellen aus zwei Gründen einen Erkenntnisgewinn dar. Erstens ist es möglich, die zeitliche Verortung bestimmter Paritäten von Kindern und deren Geburtsrisiko im Lebenslauf der Frau zu betrachten. Zweitens wird erstmals der Einfluss zentraler Modernisierungsvariablen spezifizierbar. Zwar ist bekannt, dass der indonesische Geburtenrückgang von Urbanisierung, Bildungsexpansion und Berufsdifferenzierung begleitet wurde, aber inwieweit ein städtischer Wohnkontext, ein hohes Bildungsniveau bzw . der Berufsstatus die Geburt bestimmter Paritäten beeinflusst, wurde bisher nicht analysiert . Neben einem allgemeinen Überblick können so zentrale theoretische Argumente anhand eines repräsentativen Datensatzes für Java überprüft werden. Die abschließende Überprüfung der im vierten Kapitel vorhergesagten Zusammenhänge erfolgt im sechsten Kapitel. Als empirische Basis wird hierfür die indonesische Unterstichprobe der .V alue of Children"-Replikstudie genutzt (vgl. Trommsdorff, Nauck 2005). Dieser Datensatz bietet bisher die beispiellose Mög lichkeit, den historischen Geburtenrückgang auch unter Rückbezug auf die individuellen Kosten- und Nutzenerwartungen (potenzieller) Eltern an ihre Kinder zu untersuchen. Deswegen lassen die aus diesen Analysen hervorgehenden Ergeb nisse eine empirische Antwort auf die Frage nach der Erklärungskraft des VOCKonstruktes zu. Im Schluss teil werden schließlich die Erkenntnisse aus der vorliegenden Arbeit zusammengefasst und einer kritischen Würdigung unterzogen. Gleichzeitig wird die Frage nach dem Beitrag des VOC-Ansatzes zur Erklärung des indonesischen Geburtenrückgangs abschließend beantwortet.

1 Geburtenr ückga ng in Indon esien

Gesicherte Angaben über das generative Verhalten in Indoncsicn speziell der Insel Java, existieren erst seit dem Population Ccnsus (1971 ). Zw ar gibt es einige Artikel, d ie sic h mit der Fruchtbarkeit lndoncsicns vor der großen politischen, wirtschaftlic hen sowie demografischen Transformation in der Mitte des 20. Jahrhunderts beschäftigen (vgl. nur Rcid 1993; T. Hull 1999; Boomgard 2003 ), gena ue Informationen zur Höhe des Geburtenniveaus kö nnen aber auch diesen Beiträgen nicht entno mmen werden. Die Beschreibung des Geburtenverhaltens in Indoncsicn sollte jedoch auf sichere Informationen gestü tzt werden. Desha lb ist es notwendig, die Betrachtung erst ab den 1950cr l ahren zu beginnen. Doch schon d ieser kleine A usschnitt der indonesischen Geburtenentwicklung zeigt eindrucksvoll, dass sich der Ge burtenrückgang ungewö hnlich rasant vollz og (s. u. Abb. 1.1). Abbildung 1.1:

Indonesischer Gcburtcnrückgang

6,-- - - - - - - - ,

~" r :'Q c"c= - --

- - - - - - - - -, ,-

4

1961.1963-

2001 1

t- - - - - -, - - - ---i

o L-

---.J

195V 1955 1960 1%5]9;0 1975 1980 1'185 19'11l 1995 lOOJ ~oo;

Quelle: eigene Abbildung, Datenbasis TFR World Ressource Institute (2009a); altersspeztfische Gebnnenziffern U.S. Bureau of Ccnsus (2007)

26

1 Geburtenrückgang in lndonesien

Noch bis Mitte der 1960er Jahre war die Fruchtbarkeitsrate mit 5,6 Geburten pro Frau relativ konstant und auf einem vergleichsweise hohen Niveau. Der weltweite Durchschnitt lag zu dieser Zeit bei einer TFR von 5,02 (vgl. World Resource Institute 2009a). Ab den 1970er Jahren begann allerdings ein starker, fast linearer Geburtenrückgang. Gegenwärtig werden nur noch etwa 2,3 Kinder pro Frau geboren. Dementsprechend hat sich in den letzten 40 Jahren die Fruchtbarkeitsrate auf mehr als die Hälfte ihres Ausgangsniveaus verringert. Das Tempo des indonesischen Geburtenrückgangs variiert dabei relativ stark. Am schnellsten vollzog sich der Wandel im fertilen Verhalten in den Jahren zwischen 1970 und 1980 und setzte sich deutlich "gedämpft" in den I 990er Jahren fort. Infolge dieser Entwicklung sank die TFR von 5,6 im Jahr 1971 bis zum Jahr 1980 auf 4, I und reduzierte sich im Jahr 1985 nochmals auf 3,4 Kinder pro Frau . In nur 15 Jahren wandelte sich also das Muster fertilen Verhaltens in Indonesien grundlegend. Neben der TFR belegen auch die alterspezifischen Fertilitätsraten einen drastischen Geburtenrückgang (s. o. Abb. 1.1). Offensichtlich erfolgte nicht nur eine starke Abflachung des "Geburtenberges", sondern auch eine Verschiebung von Geburten in eine spätere Lebensphase. Befand sich das geburtenintensivste Alter von 1961 bis 1963 zwischen 20 und 24 Jahren, lag es im Jahr 2007 zwischen 25 und 29 Jahren. Innerhalb Indonesiens nimmt die Insel Java eine Sonderstellung ein. Keine Region des gesamten Inselstaates wurde hinsichtlich ihres Geburtenverhaltens besser erforscht. Das Interesse an der demografischen Entwicklung Javas hat vielfaltige Gründe. Zum einen war und ist Java das politische, wirtschaftliche und kulturelle Zentrum Indonesiens und verfügt nicht zuletzt wegen seiner zahlreichen Universitäten über eine relativ gute wissenschaftliche "Infrastruktur" . Zum anderen war Java schon am Ende des 19. Jahrhunderts aufgrund seiner enormen Bevölkerungsdichte ein demografischer Brennpunkt, der beobachtet und erforscht werden musste. Deswegen sind auch die ersten indonesischen Bevölkerungsuntersuchungen auf Java beschränkt. Der wohl bekannteste ist der Census von Stamford Raffles aus dem Jahre 1815 (vgl. Raffles 1965). An der Schwerpunktsetzung bevölkerungswissenschaftlicher Forschung auf Java hat sich seitdem nichts geändert. Selbst in den 1970er Jahren war diese mehr oder weniger auf Java fokussiert. Nicht nur die indonesische Stichprobe aus dem ersten World Fertility Survey (WFS) im Jahr 1976 beschränkte sich ausschließlich auf das Gebiet Java-Bali, sondern es entstanden vor allem in Zentral-Java im Umkreis der Gadjah Mada Universität eine Reihe von Mikrostudien zum Geburtenverhalten (vgl. nur T. Hull 1975; Singarimbun, Manning 1976; White 1976). Ein großes nationales und internationales Interesse an der Bevölkerungsentwicklung auf Java ermöglichte diese Studien. Die indonesische Regierung sorgte sich vor Überbevölkerung und Ernährungsengpässen. Internationale Finanzgeber

1 Geburtenrückgang in Indonesien

27

waren nicht zuletzt wegen der allgemeinen Diskussionen über eine Explosion der Weltbevölkerung motiviert, sie wurden auch von einer "aufkeimenden" Verhütungsmittelindustrie unterstützt (vgl. United Nations 1994). Erste zuverlässige Angaben zum Geburtenverhalten durch den Population Census (1971) belegen, dass Java bereits am Ende der 1960er Jahre zu der Region mit der niedrigsten zusammengefassten Geburtenziffer (TFR) des gesamten Inselsta ates gehörte . Im Durchschnitt wurde auf Java pro Frau ein Kind weniger geboren (vgl. Hu1l, Hatmadji 1990: 4). Bemerkenswert ist zudem, dass der Geburtenrückgang zwischen 1969 und 1976 auf Java und Sumatra mit etwa 20 % wesentlich schne1ler verlief als in den restlichen Regionen Indonesiens (vgl. McNicoll, Singarimbun 1983: 45). Hierbei besitzt insbesondere Ost-Java eine herausragende Stellung (s. u. Abb. 1.2). Der Trend geringer Geburtenraten in Ost-Java setzte sich auch im 21. Jahrhundert fort. Ost-Java sowie DI Yogyakarta gehören deshalb gegenwärtig zu den Regionen mit der niedrigsten TFR. Die regionalen Fertilitätsdifferenzen auf Java entsprechen den Siedlungsgebieten der Javaner und Sundanesen. Im Osten und im Zentrum der Inseln leben überwiegend Javaner. West-J ava wird hingegen in erster Linie von den muslimischen Sundanesen bevölkert. Hier übersteigt die TFR von 2,8 im Jahr 2003 sogar den indonesischen Durchschnitt, wohingegen in den Provinzen Ost-Java und DI Yogyakarta mit einer TFR von 2,2 und 1,9 nicht einmal das Bestandserhaltungsniveau erreicht ist. Trotz leichter Niveauunterschi ede zeigen die Fruchtbarkeitsraten auf Java im Vergleich zu Gesamtindonesien eine fast parallele Entwicklung. In den 1960er Jahren war das Geburtenniveau auf Java sowie Bali relativ konstant , j edoch etwas geringer als der Durchschnitt des gesamten Inselstaates. Am Ende der 1960er Jahre begannen allerdings die Geburtenzahlen langsam zu sinken (vgl. McNicoll, Singarimbun 1983: 45). Die Geschwindigkeit des Geburtenrückganges nahm Anfang der 1970er Jahre deutlich zu und überstieg den gesamtindonesischen Durchschnitt. Als Folge dieser Entwicklung betrug die TFR im Jahr 1980 nur noch 3,89 und im Jahr 1985 schon 2,92 (vgl. T. Hu1l 1988: 119). Auch gegenwärtig bestehen die traditionellen Differenzen fort. In Ost-Java und Zentral -Java werden immer noch etwa 0,8 Kinder pro Frau weniger geboren als in West -Java .

28

I Geburt enrückgang in lndonesic n

Zusam mengefasste Geburtenz iffern (T FR) auf Java

Abbildung 1.2: TFR

7 r-- - - - - - - - - - - - - - - - - , 6

5 4 "6-

3

...:.-

_

___.. . .

="-b- -

..

~_

2

o L-- - - - - - - - - - - - - - - - - ---' 1971

1980

1985

1990

1991

1994

__ DKI Jakarte --- West Java 1 --0-

DI Yogyakarte-s-- Ost Java

'=====!~~

1998

1999

--.!t-

Zentral Java

-

Indoncsicn

2003

Quelle: eigene Abbi ldung , Datenbasis TFR von / 97/ his /999 Badan Pusar Stati stik Indonesia (BPS) (2009); TFR von 1003 BPS. ORe Macro 200 3: 212

Mit de m Geburtenr ückgang stieg seit 1973 auch die Verwendung von Kontrazeption . Laut den Angaben des U.S. Ccnsus Bureau (2005b) betrieb im Jahr 1973 mit 9 1,4 % so gut wie keine Frau Empfängnisverhüt ung und nur eine Minderheit von 8,6 % der 15- bis 49-Jährigcn nutzten irgendeine Form der Geburtenkontrolle (s. u. Abb. 1.3). Bereits im Jahr 1999 ist dieser Ante il auf 44,6 % der Frauen beachtlich gestiegen. Vergleich t man die Angaben zur Verwen dung spezifisch er Verhüt ungsmethoden , so zeigt sich, dass sowohl im Jahr 1973 als auch im Jahr 1999 die Bedeutung traditioneller Methoden (z. 8. Abstinenz oder ••vormodeme" Methoden der Abtreibung) eher gering war. Von untergeordneter Bedeutung ist auch die Ste rilisation . Led iglich unter Frauen besitzt sie mit eine m Anteil von 3 % eine gewisse Relevanz. Bis in d ie 1980er Jahre waren die Verhütungspille und die Intrauterine-Verhütung (l UD) die - so genannte Spirale - d ie beliebtesten Verhütungsmetho den . Seit dem Ende der 1980er Jahre haben je doch d ie Pille und das lU D an Bedeutung verloren . Mittlerwe ile ist die Injektion die beliebteste Verhütungsmet hode .

I Geburtenrückgang in Indoncsien Ahhildu ng 1.3:

29

Verhütungs verhalten gegenwärtig verheirateter Frauen

%

100

90

so 70 60

50 40

)0 20 10

o 1973

1976

t979

191W

191;5

r-: eaa -Pilk:: ------_

ru D-

L_~ a~~~ M od .

TnuJi 'o.lIlelk:

_

-

-

191;7

1994

199 1

-c::::J Kondo =m =--

-

__ keileVC1Mtung

1997

- c:::;:::::;] Sl~riL

1999

F~

--D- Vcrhüll6lg ~

Quelle: eigene Abbildung; Datenbasis lj.S. Bureau of the Ccnsus (2005b) Die Differenzen hinsic htlich des Gebrauchs von Empfäng nisverhütung zwischen ländlichen und urbanen Wohnkontexten sind gegenwärtig äußerst gering (6 1 vs. 60 %). Größer als die Stadt-land- Differenzen sind die Variationen hinsichtlich des Bildungsniveaus. Nur 47 % der verheirateten Frauen oh ne Bildung betrieben Empfängn isverhütung, im Vergleich dazu 64 % de r Frauen mit mindestens Sekundarschulabschluss (vgl. BPS, ORC Meere 2003: 68 ). Unterschiede bestehen auch aufgrund der Anzahl der bereits im Haushalt lebenden Kinder . Nur 7 % der verheirateten Frauen ohne Kinder im Haushalt benutzen Verhütungsmi ttel, dagegen 68 % der Frauen mit drei bis vier Kindern und 49 % de r Frauen mit fünfund mehr Kindern (vgl. BPS, ORC Maero 2003: 68). Geburtenkontrolle scheint somit vor alle m dazu zu dienen , Kinderreichtum einzusch ränken . Bereits dieser kurze Überblick belegt den Wandel des gene rativen Verha ltens in lndonesien. Die Mehrheit der Bevölkerung bevorzugt gegenwä rtig eine deutlich geringere Anza hl von Kindern als noch in den 1970er Jahren. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit sollen die Ursachen für die sen Wandel gefunden werden.

2 Indonesischer Geburtenrückgang aus der Perspektive der Modernisierungstheorie

Demografische Ereignisse wie der soeben im ersten Kapitel beschriebene Geburtenrückgang existieren nicht losgelöst von den Lebensbedingungen der Bevölkerung. Sie sind vielmehr Teil eines umfassenden gesellschaftlichen Transformationsprozesses, der unter dem Begriff "Modernisierung" zusammengefasst und wie folgt definiert wird. .Jvlodernization may be defined as a transformation in economic , social, and political organization and in human personality observed in a growing number of nations since the mid-eighteenth century . On the economic side, this transformation involves a sustained rise in real output per capita. It encompa sses wide-ranging changes in techniques of producing, transporting, and distributing goods; in the scale and organization of productive activities ; and in types of outputs and inputs. It embraces major shifts in the industrial, occupational, and spatial distribution ofproductive resources and in the degree of exchange and monetization of the economy . On the social and demographie sidc, modernization involves significant alterations in fertility, mortality, and migration ; in place of residence ; in family size and structure; in the educational system; and in public health services. Its influence extends into the areas of income distribution , class structure, govemment organization , and political structure" (Easterlin 1983: 563).

Mit dieser Definition beschreibt Easterlin (1983) zutreffend die gesellschaftlichen Veränderungen, die auch lndonesien im Zuge seiner historischen Entwicklung erfuhr. Überlegungen von Modernisierungstheoretikern gehen jedoch über die reine Darstellung gesellschaftlicher Transformationsprozesse hinaus. Mit der Theorie des ersten demografischen Übergangs haben sie zudem ein Modell zur vermeintlichen Erklärung des Geburtenrückgangs infolge dieses Wandels entwickelt. Es stellt sich daher die Frage, ob dieses Modell auch zur Erklärung des indonesischen Geburtenrückgangs geeignet ist. Um das zu überprüfen, soll das klassische Übergangsmodell vorgestellt und dann auf den indonesischen Kontext angewendet werden.

32

2 Indonesischer Geburtenrückgang aus der Perspektiveder Modemisierungstheorie

2.1 Der demografische Übergang Indonesiens Die Anzahl theoretischer Arbeiten, die den Zusammenhang zwischen gesellschaftlicher Modernisierung und Geburtenrückgang untersuchen, ist groß (vgl. nur in Herter-Eschweiler 1998). Zweifellos zählt aber die Theorie des demografischen Übergangs zu einem der meist diskutierten sowie kritisierten Modelle (vgl. van de Kaa 1997) . Neben seiner Bedeutung als Anknüpfungspunkt für weitere theoretische Überlegungen, besaß die Theorie des demografischen Übergangs vor allen Dingen als Instrumentarium für gesellschaftspolitische Überlegungen vor und nach dem zweiten Weltkrieg eine herausragende Stellung. Viel fach wird in Veröffentlichungen zur Weltbevölkerungsproblematik auf diesen Ansatz Bezug genommen (vgl. United Nations 1994; Büttner 2000). Der Versuch dieses Modell für die Beschreibung der Bevölkerungsentwicklung eines Landes nutzbar zu machen, ist also nicht neu, lohnt sich aber für Indonesien besonders aus folgenden Gründen. Das Modell ist erstens, hervorragend geeignet, die demografischen, ökonomischen und sozialen Entwicklungen Indonesiens systematisch zu beschreiben. Jene Beschreibung des indonesischen Modernisierungsprozess ist später für das Verständnis des unten im dritten Kapitel vorgestellten Erkl ärungsmodells/ nötig . Zweitens, wird in zahlreichen Veröffentlichungen über den Geburtenrückgang in Indonesien die Theorie des demografischen Übergangs als Beschreibungs- und auch Erklärungsinstrument genutzt (vgl. nur Ananta, Pungut 1992; Hirschman 2001; T. Hull 2002 ; T. Hull 2003). Drittens, wird anhand der Theorie des demografischen Übergangs und seiner Anwendung auf den indonesischen Kontext am besten die bis dato bestehende Forschungslücke bei der Erklärung des indonesischen Geburtenrückganges deut lich.

Das theoretische Erklärungsprogramm basiert auf dem methodologischen Individualismus (vgl. Popper 1962, 1973). Dieser vertritt die These, dass alles Wissen über kollektive Phänomenenur aus der Kenntnis über die individuellen Verhaltensweisen, Haltungen und Interessen der handelnden Akteure begründet, abgeleitet oder bestätigt werden kann (vgl. Lenk 1977). Die Veränderung von Makrovariablen, mit der die Rahmenbedingungen aller handelnden Individuen beeinflusst werden, verursacht das interessierende typische Verhalten. Damit muss eben deren Wandel untersucht werden.

2.1 Der demografische Übergang Indonesiens

33

2.1.1 Theorie des demografischen Übergangs

Der Geburtenrückgang in Indonesien ist Teilprozess eines umfassenden demografischen Umbruchs , der in dieser Form kein Einzelphänomen darstellt, sondern weltweit bereits vielfach beobachtet und mit dem Konzept des demografi schen Wandels thematisiert wurde. Erste Modelle des demografischen Übergangs stammen von Laundry (1909) und Thomson (1929) . Später erfuhren diese diverse Modifikationen und Erweiterungen (u. a. Davis 1945; Notestein 1945; Mackenroth 1953, 1955; Coale, Watkins 1986; Chesnais 1992). Das Modell des demografischen Übergangs unterstellt eine gewisse Zwangsläufigkeit der Entwicklung von Geburten- und Sterbeziffern. Merkmal des demografischen Übergangs ist, dass alle Länder infolge ihrer gesellschaftlichen Modernisierung früher oder später einen Wechsel von hohen zu geringen Sterbe- und Geburtenziffern vollziehen . Start- und Endpunkt dieses Transformationsprozesses sind zwei relativ stabile Bevölkerungszustände. In vormodernen Gesellschaften ist ein hoher Bevölkerungsumsatz (hohe Geburten- und Sterberaten) vorherrschend, wohingegen für moderne Gesellschaften ein geringer Bevölkerungsumsatz (geringe Geburten- und Sterberaten) charakteristisch ist. Dementsprechend ist die Bevölkerungsexplosion der heutigen Industrienationen in der Vergangenheit und die momentane der Entwicklungsländer ein Übergangsproblem, das nicht auf die Erhöhung der Fertilität , sondern vielmehr auf den Rückgang der Mortalität zurück zu führen ist. Der demografische Übergang wird je nach zugrunde liegendem Modell in drei oder fünf Phasen eingeteilt. Die erste Phase, die prätransformative Phase , ist durch hohe Geburten- und Sterbeziffern gekennzeichnet. Trotz vieler Geburten bleibt die Bevölkerung aufgrund einer geringen Lebenserwartung im Idealfall stabil. Die Verhältnisse des europäischen Mittelalters entsprechen dieser Phase. Die Transformationsphase gliedert sich in drei Schritte . In der zweiten Phase, der frühen Transforma tionsphase, bleibt die Geburtenrate auf einem hohen Niveau konstant und die Sterberate beginnt langsam zu sinken . Das Wachstum der Bevölkerung steigt also an. In der dritten Phase, der mittleren Transformationsphase, beginnen auch die Geburtenziffern zu sinken , während die Sterbeziffern weiterhin stark abfallen. Das Bevölkerungswachstum beschleunigt sich weiter und stabilisiert sich infolge dieser Entwicklung auf einem hohen Niveau. In der vierten Phase, der späten Transformationsphase, konsolidiert die Sterberate bei einer weiter sinkenden Geburtenrate auf einem niedrigen Niveau. Es wird ein relativ geringes Bevölkerungswachstum erreicht. Die fünfte Phase, die posttransformative Phase, ist durch geringe Geburten- und Sterberaten gekennzeichnet. Bei einem geringen Nettobevölkerungsumsatz wird wieder ein relativ geringes Bevölkerungswachstum erreicht (vgl. Huinink 2000 : 352).

34

2 Indonesischer Geburtenrückgang aus der Perspektive der Modemisierungstheorie

Die Entwicklungen in den heutigen Industrienationen machte jedoch eine Erweiterung dieses klassischen Übergangsmodells um das Modell des zweiten demografischen Übergangs notwendig, weil die Geburtenrate unter das Bestanderhaltungsniveau fiel und damit der Annahme eines stabilen Bevölkerungszustandes widersprach (van de Kaa 1987). Dieses Modell soll dem Rückgang der natürli chen Bevölkerung in zahlreichen Industrienationen Rechnung tragen . Bezüglich des Geburtenrückgangs infolge gesellschaftlicher Modemisierung sind auf der Basis der Theorie des ersten demografischen Übergangs folgende Aussagen möglich (vgl. Notestein 1945). Erstens : Sterblichkeits- und Geburtenentwicklung stehen in einem kausalen Zusammenhang. Der Rückgang der Sterblichkeit, vor allen Dingen der Kindersterblichkeit als Folge eines allmählichen medizinischen und hygienischen Fortschrittes, der Steigerung landwirtschaftlicher Erträge, der Verbesserung der industriellen Produktivität und des Wohlstandes, bedingen den Rückgang der Geburten. Weil für die Reproduktion der Gesellschaft fortan weniger Kinder erforderlich sind, gehen die Geburten als Reaktion auf das gesunkene Mortalitätsrisiko zeitversetzt zurück. Das Bevölkerungsgleichgewicht stellt sich erneut her. Zweitens : Der Geburtenrückgang steht in einem engen Zusammenhang zur wirtschaftlichen Entwicklung bzw. dem gesellschaftlichen Modernisierungsprozess. Industrialisierung, Individualisierung, Urbanisierung und zunehmende weltwirtschaftliche Verflechtungen führen zu einem sozioökonomischen Wandel mit weit reichenden Konsequenzen für die Sozial- und Wertestruktur einer Gesellschaft. Es vollzieht sich ein Wandel von der institutionellen Kontrolle der Fertilität durch Glaubensinhalte, moralische Normen, Gesetze, Heiratsbräuche und Familienorganisation, die alle darauf abzielen, eine hohe Fertilität zu erhalten , hin zu einer rationalen Wahl der Akteure. Die Akteure treffen schließlich selbstständig generative Entscheidungen, wodurch ein neues Muster generativen Verhaltens entsteht. Die Fertilität sinkt, indem sich neue Ideale der Familiengröße entwickeln. Drittens : Die vermehrte Verwendung von effizienten Verhütungsmitteln ist für den Geburten rückgang kausal. Zwar hatte die soziale und ökonomische Entwicklung den entscheidenden Einfluss auf die gewünschte Familiengröße, aber erst durch die Empfängnisverh ütung wurde deren Realisierung möglich. Sichere, effiziente, billigere und akzeptablere Verhütungsmittel für verheiratete Frauen können die gesellschaftliche Modernisierung zwar nicht ersetzen, mit ihrer Hilfe ist aber eine deutlich schnellere Reaktion des generativen Verhaltens auf die gesellschaftliche Modernisierung zu erwarten (vgl. Notestein 1983). Damit hat der Ansatz des demografischen Übergangs den Charakter eines evolutionären Gesetzes. Das Modell erklärt den Wandel in der Bevölkerungsstruktur als zwangsläufige Folge gesellschaftlicher Modernisierung. Im Folgenden soll deshalb über-

J5

2.1 Der demografische Übergang lndonesiens

prüft werden, ob d ie von den Vertretern des demografischen Übergangs vorhergesagte Bevölkerungsentwicklung auch in Indonesien zu beobachten ist.

2.1.2 Anwendung der Theorie des demografischen Übergangs auflndonesicn Die folgende Abbildung zeigt d ie rohen Geburten- und Sterberaten Indonesiens ab 1950 und gibt Prognosen bis in das Jahr 2050.

"'0

"'",J.to

TI3I>'I"",,",

T.-.lOtm..

...

""',

liDn'fh>'l'

ti""""bo..

,icorl'ph_

tioll""'. ..

AMi/dung 2. J.'

Demografischer Übergang Indonesiens

T"",,_

50 45

.....

40

"---,

35 30

<,

<, <,

25

20 15

<,

10

5 0

,.~ l'

,.

,0

<,

l'

-c

je ]000 Frauen

..

.

r-;

.

l' I-

.# , CBR -

"," ,J"""..

-,0

'" ,

CDRI

,0 , ,0'

.

"', , ,0

~o

,

.

Quelle. eigene Abbildung; Datenbasis CBR und CDR (World Resümee Institute 2009a). Anmerkungen: CBR = Crude Birth Rate (rohe Geburtenrale); CDR = Crude Dcath Rate '

(rohe Stcrberate]

Auf der Basis dieser Zahlen lassen sich folgende Aussagen treffen: Über die pr ätransformative Phase in Indoncsicn sind anhand der Abbil dung kaum Angaben möglich. Anscheinend fand sie vor bzw. bis 1950 statt . Die frühe Transtormationsphase dürfte in lndoncsicn von 1950 bis Mitte de r 1970er Jahre zu vcro rtcn sein . Die Geb urten verharren in diese m Zeit raum auf relati v hohe m und stabilc m Niveau. Die Sterberaten fallen aber bereits leicht. Ab 1970 sanke n sowohl

36

2 Indonesischer Geburtenrückgang aus der Perspektive der Modernisierungstheorie

die Geburten- als auch die Sterbeziffern fast parallel. Dies entspricht der mittleren Transformationsphase. Seit Mitte der 1990er Jahre blieb die Sterberate auf einem vergleichsweise geringen Niveau relativ konstant. Die Geburtenrate sank jedoch weiter. Hier könnte also die späte Transformationsphase verortet werden . Das World Resource Institute gibt mit Berufung auf die Vereinten Nationen für Indonesien bis zum Jahr 2050 die Prognose, dass sich die Geburten- und Sterbe ziffern auf einem relativ geringen Niveau immer weiter annähern werden und so bei geringem "Umsatz" die Bevölkerung stabil bleiben müsste. Das Eintreffen dieser Vorhersage würde dann den Beginn der so genannten posttransformativen Phase bedeuten und dadurch den Verlauf des demografischen Übergangs bestä tigen . Wie in anderen Ländern begann auch in Indonesien die demografische Wende mit dem Rückgang des Sterblichkeitsrisikos. Dies geschah auf Java bereits zum Ende des 18. Jahrhunderts. Die Niederländer als damalige Kolonialherren führten zu dieser Zeit neue Pflanzarten (z. B. Kaffee) und andere Erntetechniken ein. Darüber hinaus wurde zunehmend selbstständige Land- und Heimarbeit verdrängt. Folge dieser Entwicklung war eine verstärkte .Proletarisierung" der Landbevölkerung und deren Eingliederung in abhängige Beschäftigungsverhältnisse auf Zuckerrohr- und Kaffeeplantagen (vgl. Weitheim 1956: 79 f). Einige Ethnographen argumentieren, dass derartige Produktionsbedingungen relativ starke Familiengrößerr' bedingten und das im Zusammenhang mit den ersten Impfprogrammen der Niederländer die Mortalitätsrate deutlich sank und ein jährliches Bevölkerungswachstum von 0,7 bis 1,4 % zwischen 1815 und 1850 einsetzte (vgl. Hatmadji, Suradji: 1979: 3 f; McNicoll, Singariumbun 1983: 16). Beschleunigt wurde der Rückgang der Mortalität in den 1960er Jahren (s. u. Abb. 2.2). Erneute Fortschritte in der Gesundheitsvorsorge, der Hygiene und die allgemeine Wohlfahrtssteigerung führten dazu, dass im Jahr 2004 nur noch etwa 30 Kinder von 1000 Kindern, statt 128 Kinder in den 1960er Jahren, im Laufe ihres ersten Lebensjahres starben. Vor allem infolge dieser Entwicklung hat sich innerhalb von 50 Jahren die Lebenserwartung auf gegenwärtig 68,7 Jahre beinah verdoppelt. Es ist davon auszugehen, dass dieser Trend auch in Zukunft anhalten wird. So wird für die im Jahr 2035 geborene Generation mittlerweile angenommen, dass indonesische Frauen im Durchschnitt etwa 77, I Jahre und Männer etwa 73,3 Jahre alt werden (vgl. World Resource Institute 2009a). Informationen zur Entwicklung der femen Lebenserwartung gibt es bisher leider nicht.

Die hohen Geburtenzahlen dieser Zeit sollten insbesondere dadurch motiviert worden sein, die verlorene Arbeitskraft der Eltern durch Kinder zu ersetzen . Während also die Eltern auf den Plantagen der Niederländer arbeiteten , konnten die Kinder kleine Hausar beiten übernehmen und sich z. B. um das Vieh kümmern .

37

2.1 Der demografische Übergang lndonesiens

AMi/dung 2.2:

Entwicklung der Kinderste rblichkeit und der Lebenserwartung Let>e" "" ...." rl ""g

2 50

-

r-t-

r-

-

2 ( 1)

'" '"

r-r-

-

15 0

100

-

"'r-------. '<>-

~

--

--

-

-

I':: I""- --....... '-- <,

--

-

-

-

r-- ~

--

"'-

19 (, 0

1970

19HO

19 9 0

I'--

---

199 5

l=:l l.c b cns c rw an u llg -e-o-e-Infa n t M o rtaluä t _

'" '"

'" ~

2 0 (lO

2 0 05

M ortalitä t < 5

Quelle: eigene Abbildung; Datenbasis Lcbenserwarmng, Sterblichkeitsrate 11l11er 5 Jahren sowie Infam Mol"/a lilül World Rcsourcc Institute (2009a) Folge der gesunkenen Kindersterblichkeit war nicht nur der Anstieg der Lebenserwartung. sondern ist auch die gegenwärtige sehr junge Bevölkerungsstruktur (vgl. Central lntclligcncc Agency 2009). Mit einem Altersmedian von 26,4 Jahren für Männer und 27,4 Jahren für Frauen ist lndoncsicn derzeit ein vergleichsweise ,j unges" Land. Der Anteil der über 65-Jährigen ist im Jahr 2000 mit etwa 5 % gering, die jüngeren Alterskoho rten (unter 15 Jahre: 28 % und 15 bis 64 Jahre: 66 % ) sind die weitaus bedeutenderen Bevölkerungsgruppen. In Zukunft wird sich allerdings die Altersstruktur wandeln und Indonesien eine klare demografische Alter ung erfahren (vgl. Nam ct al. 199 1). Fer ner resultierte aus dem Rückgang der Sterblichkeit ein enormes Bevölkerungswachstum, das im Vergleich zu anderen Entwicklungsländern sehr früh began n und mit 160 Jahren relativ lang anda uerte (vgl. White 1982b: 367). Infolge dieser Entwicklung galt Java bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts als überbev ölkert. Seit dem Jahr 1949 wurde diese demogra fische Situation Javas noch durc h Migrationsströ me von anderen Inseln versc härft, was insgesamt zu einer enorm unausgeglichen

38

2 Indonesischer Geburtenrückgang aus der Perspektive der Modemisierungstheorie

Bevölkerungsverteilung in Indonesien ftihrte . Lebten in Indonesien im Jahr 1950 noch etwa 79 Millionen Menschen, so waren es im Jahr 1970 bereits 119 Millionen. Davon siedelten allein 73 Millionen auf Java . Die daraus resultierende Bevölkerungsdichte von etwa 979 Einwohnern pro Quadratkilometer im Jahr 2005 macht Java zu einer der am dichtesten bevölkerten Region der Welt 4 (vgl. BPS 2005). Mit dem Anstieg der Bevölkerung wurden aber die Lebensbedingungen vor allem auf dem Land immer schlechter. Für den Großteil der Landbevölkerung wurden Armut und Versorgungsengpässe nicht nur durch eine Verkleinerung der Bearbeitungsflächen verursacht, sondern waren auch dessen ungleicher Vertei lung geschuldet. Die ökonomische Struktur aller javanischen Dörfer wurde demnach durch zwei Faktoren geschwächt, die "pressure ofpeople on ressources " und die "pressure ojpeople on people " (White 1976a: 271). Folge dieses Bevölkerungsdruckes war, dass immer mehr Menschen zur Migration in die Städte gezwungen waren und Java deshalb die am stärksten urbanisierte Insel Indonesiens wurde. Die Urbanisierung Javas begann allerdings schon zur Zeit der Kolonialisierung und führte dazu, dass im Jahr 1970 schon 30 % und im Jahr 1990 über 50 % der Bevölkerung in Städten lebten (vgl. Sukamdi 1996 : 55). Ein typisches Beispiel daftir ist die Hauptstadt Indonesiens Jakarta. So wuchs die Region um die Metropole Jakarta in den Jahren zwischen 1971 und 1980 jährlich um etwa 4 % (BPS 2009a). Die Binnenmigration hat sich zwar in den letzten Jahren verlangsamt, dennoch ist die Land -Stadt-Migration noch nicht vollständig abgeschlossen. Indiz daftir ist, dass über die gesamte Zeitspanne auf dem Land mehr Kinder geboren wurden als in den urbanen Ballungszentren und trotzdem das Bevölkerungswachstum stetig sank und seit 1995 die Bevölkerungszahlen der ländlichen Regionen sogar schrumpften. Lebten im Jahr 1975 noch 19,3 % der indonesischen Bevölkerung in Städten, so hat sich dieser Anteil im Jahr 2005 auf mittlerweile 48 % drastisch erhöht (World Ressource Institute 2009a). Damit lässt sich ein demografischer Wandel mit dem Rückgang der Kindersterblichkeit, dem Anstieg der Lebenserwartung, dem Geburtenrückgang und der zunehmenden Urbanisierung auch in Indonesien beobachten. Darüber hinaus entspricht die zeitlich verzögerte Reaktion der Geburtenrate auf das gesunkene Sterberisiko den Annahmen der Theorie des demografischen Übergangs recht gut, obwohl die Phase des Bevölkerungswachstums ungewöhnlich lang andauerte. Interessant ist deshalb, ob auch die vom Modell des demografischen ÜberIm Vergleich dazu ist die Bundesrepublik Deutschland mit einer gegenwärtigen Bevölkerungsdichte von etwa 230 Personen pro Quadratkilometer relativ dünn besiedelt (vgl. World Resource Institute 2009a).

2.2 Bevölkerungspolitik im Wandel

39

gangs beschriebenen Mechanismen des Geburtenrückganges (s. o. Kap. 2.1.1) in Indonesien zu beobachten sind . Hierzu werden der Wandel in der Bevölkerungspolitik (s. u. Kap. 2.2), die sozioökonomische Entwicklung (s. u. Kap. 2.3) sowie der Wandel familiärer Beziehungen (s. u. Kap . 2.4) näher betrachtet.

2.2 Bevölkerungspolitik im Wandel Die indonesische Bevölkerungspolitik entwickelte sich von einer bestenfalls pass iven, wenn nicht sogar vernachlässigten Familienpolitik, hin zu einer Politik der aktiven Unterstützung von Empfängnisverhütung. Die ersten bevölkerungspolitischen Maßnahmen Indonesiens haben ihre Wurzeln im so genannten Programm der .Ethnical Policy" aus dem Jahr 1905. Ziel war es, das Armutsproblem auf Java zu lösen und das scheinbar unbegrenzte Bevölkerungswachstum einzudämmen (s. o. Kap. 2.2.2). Um dies zu realisieren, wurde ein Maßnahmenkatalog entwickelt, der zur Verbesserung der Bildung, der Bewässerung und der Entwicklung der Landwirtschaft beitragen sollte. Außerdem sollten Javaner zur Umsi edlung in andere Regionen Indonesiens motiviert werden (vgl. Weitheim 1956 : 82 f). Von 1905 bis 1950 siedelten im Rahmen dies es Programms zirka zwei Millionen Familien von Java auf andere Inseln Indonesiens um (vgl. United Nations 1994 : 213) . Die Situation auf Java konnte dadurch nicht verbessert werden , weil Migrationsströme von anderen Inseln die Bevölkerungszahlen wieder ausglichen. Dennoch wurde diese wirkungslose Politik noch von Suharto im Jahr 1964 als eine Art Entwicklungshilfe für die entlegenen Gebiete Indonesiens gerechtfertigt: "My solution is exploit more land-because if you exploit alt the land in Indonesia you can feed 250 million , and I have only 103... in my country, the more (children) the better " (vgl. Zitat in Hull, Hull , Singarimbun 1977 : 5). Für Suharto waren also Geburtenkontrolle und die Verbreitung von Verhütungsmitteln nicht nur unnötig, sondern auch unmoralisch. Seine Einstellung zur Empfängnisverhütung ist damit ein Spiegelbild jener Zeit. Familienplanung wurde als überflüssig abgetan. Zum einen wegen der Überzeugung, dass die Geburten im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs zwangsläufig fallen müss ten , und zum anderen, weil Geburtenkontrolle konfliktfördernd sei und zu religiösen Widerstand führen könnte (vgl. Hull, Hull, Singarimbun 1977: 5). Ein wichtiger Wendepunkt in der Familienpolitik stellte der Amtsantritt Sukarnos im Jahr 1967 dar. Als Schlüsselstrategie der zukünftigen indonesischen Bevölkerungspolitik standen fortan die Modernisierung der Familie und die Werbung für eine "prosperous family" im Vordergrund (vgl. Heaton, Cammack, Young 200 I: 565). Dazu wurden zun ächst Maßnahmen für die bevölkerungsreichsten Regionen Java und Bali ergriffen. Im Oktober des Jahres 1968 wurde

40

2 Indonesischer Geburtenrückgang aus der Perspektiveder Modemisierungstheorie

das "National Family Planning Institute" (LKBN) gegründet. Dessen Maßnahmen konzentrierten sich jedoch eher auf die Verbesserung der Gesundheit von Mutter und Kind als auf die Kontrolle der Geburtenzahlen. Mit der Umformung des LKBN in das "National Family Planning Coordinating Board" (BKKBN) mit direkter Berichterstattungspflicht zum Präsidenten und der vollen Verantwortlichkeit für alle staatlichen Familienplanungsmaßnahmen wurde Familienpolitik das Thema mit der höchsten Priorität. Bereits in den Jahren 1970/1971 stellte die Regierung umgerechnet etwa 1,3 Millionen US-Dollar zur Verfügung, die zusätzlich durch mehr als 3 Millionen US-Dollar anderer ausländischer Finanzgeber ergänzt wurden (Hauptsponsor: U.S. Agency for International Development) (vgl. Hull, Hull, Singarimbun 1977). Der erste Fünf-Jahres-Plan der Familienplanungsprogramme (1971-1975) umfasste ein ganzes Maßnahmenbündel mit dem Ziel , die Anzahl der Frauen, die Empfängnisverhütung betreiben, von drei auf sechs Millionen zu verdoppeln. Dazu wurden im ganzen Land .clinics " in lokalen Gesundheitszentren oder im Haus des Dorfvorstehers errichtet, in denen Ärzte und qualifizierte Krankenschwestern während der wöchentlichen Sprechstunden ausschließlich zu Fragen rund um das Thema Familienplanung konsultiert werden konnten. Ebenso wurden Verhütungsmittel kostengünstig bereitgestellt. Die Wirkung dieser Maßnahmen war jedoch gering. Weil es nur wenig geschultes Personal gab und sich dieses überwiegend auf die Städte konzentrierte, blieben für die Mehrheit der Bevölkerung die "c1inics" schlecht erreichbar. Dennoch ist die Anzahl der Kliniken auf Java und Bali von 116 im Jahr 1967 auf über 2700 im Jahr 1976 angestiegen (vgl. Hull, Hull , Singarimbun 1977: 8). Anfang der 1970er Jahre wurde die Belegschaft der "c1inics" um zusätzliches Personal erweitert. So konnten so genannte .fieldworker" in den länd lichen Dorfgemeinschaften von Haus zu Haus gehen, um für die Familienplanung zu werben und die Bevölkerung zur Reduktion ihrer Familiengrößen zu ermutigen. Auch hier war ein enormer Anstieg von etwa ISO im Jahr 1970 auf etwa 7000 .fieldworker" im Jahr 1977 zu verzeichnen (vgl. Hull , Hull , Singarimbun 1977 : 8 f). Später wurden auch deren Befugnisse deutlich erweitert. So durften sie fortan z. B. Verhütungsmittel direkt verteilen. Eine weitere Maßnahme der indonesischen Regierung war die Einführung von Erfolgsprämien , die "dinics" und .fieldworker" für jeden neuen Nutzer erhielten. Den Maßnahmen des BKKBN war gleichzeitig ein Zielsystem immanent, das wegen seiner konkreten Richtwerte Wegweiser der administrativen Planung war. Zunächst war es auf neue Abnehmer (unabhängig von der gewählten Methode) ausgerichtet, später wurden die Zielvereinbarungen direkt an den Geburtenrückgang geknüpft (vgl. Sinquefield, Sungkono 1979: 44). Darüber hinaus wurde ein gut funktionierendes Berichtssystem erstellt. Diese staatliche Zielstrebigkeit hatte aber auch eine Kehrseite. Zunehmend waren Frauen, die sich weigerten Verhütungsmittel

2.3 Sozioökonomische Entwicklung

41

zu verwenden, Repressalien ausgesetzt (vgl. Warwiek 1986: 470). Trotz dieser negativen Auswüchse gab das Programm Frauen die Möglichkeit, ihre Geburten effektiver zu kontrollieren. Der Erfolg dieser Maßnahmen, nämlich die zunehmende Verwendung von Verhütungsmitteln, wurde bereits in Abbildung 1.3 (s.o.) dargestellt. Finanzierungsprobleme infolge der asiatischen Wirtschaftskrise in den Jahren 1997 und 1998 führten dazu, dass die Mehrheit der Bevölkerung die Kosten für Empfängnisverhütung nun selbst tragen mussten (vgl. Schoemaker 2005).

2.3 Sozioökonomische Entwicklung Das Engagement in der Familienpolitik der Regierung der "New Order" war jedoch nur eines von mehreren Zielen im Maßnahmenkatalog zur Verbesserung der Lebensverhältnisse in Indonesien. Neben der Überbevölkerung sollte auch die desolate wirtschaftliche Situation des Landes überwunden werden, um das Armutsproblem zu entschärfen. Der Aufbau und die Entwicklung des Landes waren also ebenso wichtige Ziele . Seit die Regierung im Jahr 1969 den ersten Repelita (Fünf-Jahres-Plan zur wirtschaftlichen Entwicklung) beschloss, standen Bildungsinvestitionen, die Stabilisierung der Preise , die Ankurbelung des Exports und die Produktivitätssteigerung der Landwirtschaft, im Vordergrund des politischen Handeins (vgl. Bendesa 1992). Der Erfolg dieser Maßnahmen bzw. der sozioökonomische Modernisierungsprozess Indonesiens wird nun im Folgenden dargestellt.

2.3.1 Ökonomische Entwicklung und Beschäftigungsstrukturen 1m Wesentlichen gibt es zwei aussagekräftige Indikatoren, um Aussagen über die wirtschaftliche Modernisierung eines Landes bzw. die Entwicklung einer Agrargesellschaft zur Industriegesellschaft treffen zu können . Das sind zum einen die Erhöhung des Bruttoinlandsproduktes mit dem Wandel des Beitrages einzelner Produktionssektoren an der nationalen Wertschöpfung, und zum ande ren die anteilsmäßige Umverteilung der Beschäftigten auf die Produktionssektoren Landwirtschaft, Industrie und Dienstleistung. Der Wandel der Beschdftigungsstrukturen zeigt eindeutig eine Verlagerung der Beschäftigungsverhältnisse zu Gunsten des Industrie- und Dienstleistungsbereiches und zulasten der Landwirtschaft (vgl. Hill 1996) . 1m Jahr 1961 waren etwa 70 % der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft beschäftigt. In den 1990er Jahren war dieser Anteil auf 50 % geschrumpft. Der Industriesektor gehört zwar

42

2 Indonesischer Geburtenrückgang aus der Perspektive der Modemisierungstheorie

weiterhin zu dem Wirtschaftsbereich mit den wenigsten Erwerbspersonen (Jahr 1990 ca. 17 %), dessen Bedeutung nahm aber seit den I960er Jahren (etwa 8 %) stetig zu. Der Dienstleistungssektor war in der Vergangenheit und ist auch in der Gegenwart von großem Gewicht. Hier arbeiteten schon im Jahr 1961 ungefähr 20 % der Beschäftigten und bis zum Jahr 1990 erhöhte sich dieser Anteil sogar auf 34 %. Kausal für den Wandel der Beschäftigungsstrukturen ist die Produktivitätssteigerung innerhalb der Landwirtschaft gewesen (vgl. Bendesa 1992: 490). Noch in den 1970er Jahren war die ökonomische Situation der Landbevölkerung, bedingt durch Überbevölkerung und geringer Arbeitsproduktivität, äußerst unzureichend. Sie sicherte in schlechten Erntejahren nicht einmal die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln (van de Eng 200 I: 190). Besonders Landlose und Kleinbauern litten enorm" which for a landless or near-landless household means a lot ofwork to do, with very low returns" (White 1976a : 277). Für Indonesien wurden diese wirtschaftlichen Verhältnisse als .Agricultural Involution" tituliert, was nichts anderes als den Zusammenhang von großem Arbeitskräfteeinsatz und geringer Arbeitsproduktivität beschreibt (vgl. Geertz 1963) . Die Produktivität der Landwirtschaft konnte allerdings infolge der "Green Revolution" wegen veränderter Pflanz- und Erntetechniken sowie des Einsatzes synthetischer Düngemittel deutlich gesteigert werden. Dadurch wurde ein Großteil der bis dahin im Landwirtschaftssektor beschäftigten Erwerbstätigen freigesetzt (Manning 1988; 1988a) . Diese Erwerbspersonen wurden vor allem vom industriellen Sektor und hier insbesondere von der Öl- und Gas- produzierenden Industrie angezogen (vgl. Hill 2000). Für den Anstieg des Bruttoinlandsproduktes (BI?) ist primär die Förderung und Produktion von Gas und Öl verantwortlich (s. u. Abb. 2.3). Mit der asiatischen Wirtschaftskrise (1997/1998) wurde der Anstieg des BIP zwar unterbrochen, jedoch konnte sich die indonesische Wirtschaft langsam erholen und schließlich das im Jahr 1998 bestehende BIP im Jahr 2004 wieder erreichen. Nicht nur die Entwicklung der Wertschöpfung, sondern auch die Verschiebung der Anteile der jeweiligen Wirtschaftssektoren (Landwirtschaft, Dienstleitung und Industrie) an dieser Wertschöpfung, belegt eindeutig die Modernisierung der Wirtschaftsstrukturen. So ist trotz der weiterhin hohen Beschäftigungszahlen die Bedeutung der Landwirtschaft für das BIP stark gesunken. Anfang der 1960er Jahre trug die Landwirtschaft mit noch etwa 55 % am stärksten zum BIP bei. Im Zuge des allgemeinen Wirtschaftswachstums verlor der Landwirtschaftssektor an Bedeutung und wurde Anfang der 1970er Jahre sowohl vom Dienstleistungswie auch vom Industriesektor überholt. Zu Beginn der 1980er Jahre erwirtschaftete die Landwirtschaft nur noch 23 % des BIP, im Jahr 2004 betrug ihr Anteil lediglich 15 %. Gleichzeitig nahm die Bedeutung der Industrie für das BIP ab den Jahren 1960 bis 1970 stark zu und übertraf im Jahr 1978 erstmals alle ande-

2.3 Sozioö konornischc Entwicklung

43

ren Sektoren. Im Jahr 2004 leistete der Industriesektor mit 44 % den größten Beitrag zum BIP, beschäftigte aber gleichzeitig die wenigsten Erwerbspersonen . Damit ist die Industrie (vor allem auch wegen der Erdöl- und Erdgasproduktion) zum produktivsten Wirtschaftssektor Indonesiens aufgestiegen.

AM i/dung 2.3:

Wertschöpfung (BIP) nach Wirtschallssektoren (1965-2004) BlP pro Kopf

Al1CilamBIP ~ %

L:SS kcrstan

00 T'- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - , 1 1(0)

900

50

800 700 600

500

30

400

300 200 100

o ~0~~~~0~~~~~~~~~w~~~*~~

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~o/~ r CJ

BlP pro Kopf - - lrrlu;trC -o- Lanlwitsdmft __ rn..Tht~imrJg

Quelle: eigene Abbildung; Datenbasis B1P pro Kopf, Anteil der Landwirtscha ft, Anteil des Diensrlcirungsse ktors. Anteil der Industrie (World Rcso urcc Institute 2009b )

Diese ökonomischen Eckdaten zeigen, dass lndoncsicn arn Anfang des 2 1. Jahrhundert den Übergang von der Agrargesellschaft hin zur Industriegesellschaft zwar noch nicht ganz vollzogen hat, aber auf eine m guten Weg zu eine m modernen Industriestaat ist. Gegenwärtig ist lndoncsicn deshalb noch als Schwellenland zu klassifizieren (vgl. Nuscheler 2004). Ein weiteres Indiz für die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes sind dic Arbeitstosenzahien, Ihr Anstieg steht in Indonesien in einem engen Zusammenhang mit der Zunahme der (potenziellen) Erwerbsp ersonen (vgl. Dhanani, Islam 2004). Die Zahlen zeigen einen Anstieg von 2,5 % im Jahr 1976 auf 6 % in den 1990er Jahren. Gleichzeitig ist sie aufgrund der größe ren Erwerbsorientierung in den Städten mit etwa 9,7 % größer als auf dem Land (3,7 %). Problematisch ist die Arbeitslosigkeit in Indonesien, weil es keine staatlichen Sozialversi-

44

2 Indonesischer Geburtenrückgang aus der Perspektiveder Modemisierungstheorie

cherungssysteme (s. u. Kap. 2.3 .3) wie z. B. in der Bundesrepublik Deutschland gibt.

2.3.2 Kinderarbeit Seit dem Jahr 1949 ist Kinderarbeit in Indonesien zwar strikt verboten, trotzdem besteht das Problem fort. Kinderarbeit ist definiert als regelmäßige Erwerbsarbeit von Kindern im schulpflichtigen Alter zur Sicherung der eigenen materiellen Existenz oder als Beitrag zum Haushaltseinkommen der Familie (vgl. Bessell 1999: 353). Haushaltsaufgaben wie z. B. das Reinigen der Wohnung, das Waschen der Kleidung oder die Betreuung jüngerer Geschwister erzielen kein Einkommen und fallen deswegen nicht unter Kinderarbeit. Der langfristige Rückgang der Kinderarbeit in Indonesien wurde durch die asiatische Wirtschaftskrise (1997/1998) unterbrochen. Dabei variieren die Angaben zur Kinderarbeit stark nach der jeweils zugrunde liegenden Untersuchung. Die "Sakernas"Untersuchung gibt für das Jahr 1998 eine Kinderarbeitsquote für die 10- bis 14Jährigen von insgesamt 8,24 % an . Etwas höher ist sie im ,,100 Village Survey'". Beide Untersuchungen zeigen allerdings, dass Kinderarbeit auf dem Land (etwa 12 %) um das Dreifache wahrscheinlicher ist als in der Stadt (etwa 4 %) (vgl. Priyambada et al. 2002: 7). Kinder arbeiten in der Landwirtschaft auf Palmenöl-, Kakao-, Tabak-, Tee- und Zuckerplantagen. Andere arbeiten im informellen Sektor z. B. als Zeitschriftenverkäufer, Schuhputzer oder neben ihren Eltern in kleinen Familienunternahmen. Kinderarbeit wird primär durch zwei Faktoren bestimmt. Zum einen ist der Bedarf an zusätzlichem Einkommen, zum anderen sind die Gelegenheitsstrukturen ausschlaggebend (vgl. Priyambada et al. 2002 : 8 ff). Z. B. steigt mit zunehmendem Alter das Risiko der Kinderarbeit. Im Alter zwischen fünf und neun Jahren ist der Anteil arbeitender Kinder noch relativ gering (6 bis 8 %), steigt aber ab einem Alter von elf Jahren stark an und betrifft "Sakemas" ist der offizielle .Labour Force Survey" Indonesiens und wird durch den Badan Pusat Statistics (BPS) erhoben. Problematisch ist jedoch, dass dieser lediglich Informationen von Haushaltsmitgliedern im Alter von mehr als zehn Jahren enthält. Damit sind mit ihm keine Aussagen zum Thema Kinderarbeit im Alter unter zehn Jahren möglich (vgl. Priyambadaet al. 2002: 6 t). 6 Mit finanzieller Unterstützung von UNICEF wurde während der Wirtschaftkrise zwischen 1997/1998 der" I00 Village Survey" vom BPS ins Leben gerufen. Er umfasst mehr Informationen zur Kinderarbeit, weil bereits Kinder ab fünf Jahren berücksichtigt werden. Hier ist jedoch problematisch, dass er trotz seiner großen Stichprobenanzahl (12000 Haushalte) nicht als repräsentative Befragung konzipiert worden war. Sein Focus lag auf den armen, ländlichenGebieten Indonesiens(vgl. Priyambadact al. 2002: 6 t).

2.3 Sozioökonomische Entwicklung

45

im Alter von 14 Jahren bereits 35 % aller Kinder. Neben dem Alter ist das Geschlecht ein aussagekräftiger Indikator. Die Mehrheit der im Jahr 1998 arbeitenden Kinder waren männlich (66 %) . Mädchen helfen im Haushalt, was aber laut Definition nicht zur Kinderarbeit zählt. Zudem ist Kinderarbeit eng mit Armut verbunden. So waren vor allem Haushalte ohne männliches Familienoberhaupt und Familien, in denen das Familienoberhaupt keinen oder nur einen geringen Bildungsabschluss besaß (als Indikatoren für ein geringes Haushaltseinkornmen) , betroffen. Neben dem sozioökonomischen Status der Familie variiert Kin derarbeit nach Wohnort und Beschäftigungssektor. Kinderarbeit ist mit 91 % besonders oft in ländlich geprägten Regionen anzutreffen. Es ist daher nicht überraschend, dass Kinderarbeit hauptsächlich im Landwirtschaftssektor vorkommt (Landwirtschaft: 75 %; Industrie: 10 %; Handel : 8 %; Dienstleistung: 4 % und Andere: 3 %).

2.3.3 Materielle Lebensbedingungen und soziale Versicherungssysteme Mit der wirtschaftlichen Entwicklung Indonesiens verbesserten sich die Lebensbedingungen. Bis in die 1970er Jahre bestanden auf Java noch große Emährungsengpässe. Die Nahrungsmittelversorgung pendelte damals mit etwa 1900 Kalorien pro Kopf und Tag um das existenzielle Minimum (vgl. van der Eng 200 I: 191). Den Tiefpunkt erreichten die Lebensbedingungen während der japanischen Besatzung. Sie verursachte durch eine Reduktion der Nahrungsmittelproduktion Hunger und Armut, wodurch in den Jahren 1944 bis 1955 ungefähr 2,4 Millionen Javaner starben. Seit den 1970er Jahren verbesserte sich die allgemeine Ernährungssituation und das Armutsproblem entschärfte sich etwas. Probleme für die Armutsforschung in Indonesien ergeben sich jedoch mangels einheitlicher Definition von Armut. Nach der Armutsdefinition des BPS 7 hatte der Anteil der Armen zwischen den Jahren 1976 und 1996 stark abgenommen und stieg dann als Folge der Wirtschaftskrise in Indonesien in den Jahren 1997/1998 wieder an (1976: 40 ,1 %; 1987 : 17,4 %; 1993 : 13,7 % und 2004: 16,6 %) (vgl. Tambunan 2004: 8). Das Problem der Armut existiert sowohl auf dem Land als auch in der Stadt. Der Prozentsatz der unter der Armutsgrenze lebenden Menschen ist auf dem Land zu allen Zeitpunkten" größer (vgl. Tambu-

Armut wird ausgedrückt durch den Poverty Headcount Ratio (HC). Er beschreibt den Anteil der Menschen, die in Haushalten leben, deren Pro-Kopf-Einkommen unter der nationalen Armutsgrenze liegt (vgl. Tambunan 2004 : 5). 8 Der Anteil der unter der Armutsgrenze lebenden Bevölkerung nach den Angaben des BPS : 1976 (Land : 40,4 %; Stadt: 38,8 %) und 2002 (Land : 21,1 %; Stadt: 14,5 %). Zu

46

2 Indonesischer Geburtenrückgang aus der Perspektive der Modemisierungstheorie

nan 2004: 6). Zurückzuführen ist dies auf die ungleiche Verteilung von Ackerland . Den Großteil der indonesischen Landarbeiter stellen die "Marginal Farmers" (57 %). Sie haben weniger als 0,5 ha Ackerland zur Verfügung (vgl. Tambunan 2004: 17). Das Bevölkerungswachstum und die stetig wachsende Zahl potenzieller Arbeitskräfte verstärken zudem das Ackerlandproblem, mit der Konsequenz, dass die Anzahl der Betriebe größer wird und die Flächen je Betrieb kleiner werden. Einen Ausweg aus dieser prekären Situation bietet meist nur die Land-Stadt-Migration. Dies bedeutet wiederum, dass die Mehrheit der armen Menschen in der Stadt aus den ärmsten Haushalten des landwirtschaftlichen Sektors stammt. Außerdem sind diese Migranten häufiger mit Kriminalität, Gewalt, Alkoholismus, Aids und schlechten Umwelt- und Trinkwasserbedingungen konfrontiert. Die Einkommensverteilung ist in Indonesien im internationalen Vergleich relativ homogen. Trotzdem ist die Schere zwischen Arm und Reich sehr hoch. Die "reichsten" 20 % der Bevölkerung erhalten etwa 43 % aller in Indonesien gezahlten Einkommen. Die "ärmsten" 20 % der Bevölkerung verfügen dagegen nur über 8 % des nationalen Gesamteinkommens (vgl. World Resource Institute 2009b). Der Gini-Koeffizient" als Indikator für die Einkommensverteilung betrug in Indonesien zwischen den Jahren 1990 und 2002 etwa 0,34 (im Vergleich die USA : 0,41) (World Resource Institute 2009b). Auch die langfristige Entwicklung zeigt, dass seit 1960 bis in die Mitte der 1990er Jahre das Wohlstandsgefalle mit einem Gini -Koeffizienten von 0,30-0,35 relativ gering war (van der Eng 200 I: 195). Die Stundenlöhne stiegen sowohl im ländlichen wie im urbanen Raum von 1986 bis 1997 stetig an (vgl. Smith et al. 2002). In diesen 10 Jahren erfolgte eine Lohnsteigerung von etwa 40 %. Die Wirtschaftskrise von 1997/1998 vernichtete diese aber fast vollständig, infolgedessen der Anteil der Armen stieg . Neben der langfristigen Entwicklung bestehen deutliche Niveauunterschiede innerhalb des nationalen Kontextes. Die Erwerbspersonen auf dem Land verdienen über den gesamten Zeitraum stets weniger als in der Stadt. Obwohl auch hier bis zur Wirtschaftskrise ein kontinuierlicher Lohnanstieg festzustellen war, reduzierten sich die Lohndifferenzen zwischen Stadt und Land nicht. Neben diesen regionalen Lohndifferenzen existieren auch deutliche Niveauunterschiede zwischen den Geschlechtern. Sowohl im ländlichen wie im städtischen Kontext verdienen Frauen weniger als M änner , Im Gegensatz zu den regionalen Unterschieden konnten hier aber die Lohnsteigerungen der vergangenen Jahre die Lohndifferenzen zwischen den Geschlechtern etwas ausgleichen. Bebeachten ist allerdings, dass die Bevölkerung in den Städten wesentlich stärker vom Geldeinkommen abhängig ist. 9 Ein Gini-Koeffizient von 0 bedeutet perfekte Gleichverteilung und von I perfekte Ungleichverteilung (vgl. Hradil 200I: 219).

2.3 Sozioökonomische Entwicklung

47

trachtet man die Entwicklung seit 1960, so hat sich das Haushaltseinkommen von 50 US-Dollar auf 800 US-Dollar Mitte der 1990er Jahre enorm gesteigert (vgl. IFLS 2005) . Die Arbeitszeiten in Indonesien haben sich seit dem Jahr 1986 kaum verringert und sind weiterhin sehr hoch . In den Städten arbeiteten im Jahr 1986 Männer etwa 46,6 Stunden pro Woche und Frauen 43,3 Stunden (vgl. Smith et al. 2002). Bis zum Jahr 1997 erhöhte sich die Anzahl der von Männern geleisteten Arbeitsstunden sogar, die der Frauen sank hingegen etwas (Männer: 46,8 Stunden; Frauen: 42,9 Stunden). Die Arbeitszeiten auf dem Land liegen über dem gesamten Zeitraum stets unter denen der Stadt. Am geringsten sind die Arbeitszeiten der auf dem Land arbeitenden Frauen (1997: 32 Stunden). Dabei ist jedoch anzumerken, dass die Arbeitszeiten in der Landwirtschaft schwieriger zu evaluieren sind als in der Stadt, weil sich die Arbeit auf dem Land nicht an feste Zeiten hält und das Familienleben stärker mit dem Erwerbsleben verwoben ist. Für die Entwicklung der materiellen Lebensbedienungen sind nicht nur Angaben zur Armut, Einkommensverteilung und Entwicklung der Stundenlöhne interessant, sondern auch die Existenz sozialer Sicherungssysteme zur Absieherung prekärer Lebenssituationen wie Alter, Krankheit und Armut. Alter: Trotz des immer größer werdenden Anteils älterer Menschen gibt es in Indonesien kein Rentenversicherungssystem, das die Mehrheit der Bevölkerung erreicht. Lediglich 10 % der Bevölkerung haben Rentenansprüche erworben (vgl. Arifianto 2004: 2). Das staatlich initiierte Rentenversicherungsprogramm für den privaten und formalen Sektor des Arbeitsmarktes .T he Jamsostek Provident Fund Scheme" wurde 1978 eingerichtet und berücksichtigt nur Beschäftigte in Unternehmen mit mehr als zehn Beschäftigten (vgl. Arifianto 2004: 2). Selbstständige sowie Beschäftigte in kleineren Unternehmen werden davon nicht erfasst. Damit bleibt die Mehrheit der abhängig Beschäftigten unberücksichtigt. Sie sind entweder auf private Altersvorsorge angewiesen oder müssen auf familiäre Unterstützung oder nachbarschaftliehe Hilfe hoffen. Abgesehen von der geringen Erreichbarkeit ist der aus dem .Jamsostek Provident Fund Scheme" gezogene Nutzen gemessen an den Beiträgen viel zu gering. Nur 7 % des letzten monatlichen Grundgehaltes werden nach 35 Arbeitsjahren als monatliche Rente ausgezahlt (vgl. Arifianto 2004 : 3). Selbst die kleine Gruppe der "Privilegierten" wird also im Alter kaum den Lebensunterhalt bestreiten können. Bereits im Jahr 1963 wurde das "Taspen Program for Civil Servants" als Alterssicherungs- und Pensionsprogramm für alle Beamten ab dem Erreichen des 56. Lebensjahres eingerichtet (vgl. Arifianto 2004: 4). Dieses kann wesentlich besser zur Sicherung der materiellen Lebensbedingungen im Ruhestand beitragen. Die monatliche Grundrente beträgt hier etwa 2,5 % des letzten Gehalts multipliziert mit der Anzahl der Beschäftigungsjahre (Arifianto 2004: 4). Das

48

2 Indonesischer Geburtenrückgang aus der Perspektiveder Modemisierungstheorie

bedeutet, dass bereits nach 35 Dienstjahren ein Beamter Anspruch auf etwa 90 % seines letzten Einkommens hat (vgl. Arifianto 2004: 5). Diese Beispiele zeigen, dass die staatliche Altersvorsorge in Indonesien nicht einmal ansatzweise der in der Bundesrepublik Deutschland entspricht. Die Mehrheit der Bevölkerung ist auf private Lösungsstrategien angewiesen. Die Selbstverständlichkeit mit der Altersfürsorge in privater Verantwortung liegt, ist bereits in der Pancasila'" (der indonesischen Staatsphilosophie) verwurzelt und wurde nochmals durch das Basic Designfor Social Welfare (aus dem Jahr 1984) bekräftigt: ,,2. Family and community are best places for older persons. Institutional hornes are the ultimate alternative to take care of the very old, homeless and destitute older persons having no family that can take care of them. 3. The value to respect older persons and place them in an honoured position with high esteem should be passed on from older to young generations. The value can be means to overcome the ageing problems in the modem Indonesiansociety" (Keasberry 2002: 45). Aufgrund fehlender sozialstaatlicher Sozialversicherungssysteme leben Eltern häufig mit einem ihrer erwachsenen Kinder in einem Hauhalt zusammen (62 %), sind noch im Rentenalter erwerbstätig und werden von ihren Kindern finanziell unterstützt (vgl. Cameron, Cobb-Clark 2001). Für das Verständnis der Hypothesen zum Versicherungsnutzen von Kindern (s. u. Kap. 4.2 sowie Kap. 4.3) sind die folgenden Fakten interessant. Die Erwerbstätigkeit von Männern ist größer, genauso wie die jüngerer Alterskohorten. Darüber hinaus ist der Familienstand bedeutend. Unverheiratete Männer, die nicht mit ihren erwachsenen Kindern zusammenleben, arbeiten im Durchschnitt 34,1 Stunden pro Woche, verheiratete Männer nur 23,6 Stunden. Die finanziellen Leistungen der Kinder an ihre Eltern stehen jedoch nicht im Zusammenhang mit deren Bedürftigkeit, sondern primär sind diese von der finanziellen Leistungsfähigkeit der Kinder abhängig. So erhalten Kranke oder Alte nicht mehr finanzielle Unterstützung als Jüngere oder Gesündere. Schon eher besteht ein positiver Zusammenhang zwischen den Leistungen von Kindern an Eltern, wenn deren Eltern ein hohes Bildungsniveau haben und mit den Kindern in einem Haushalt zusammenleben. Krankheit: Der allgemeine Gesundheitszustand der indonesischen Bevölkerung verbesserte sich in den letzten beiden Jahrzehnten nur sehr langsam. Neben der relativ geringen Bildung und der schwierigen geografischen Lage kann das 10 Die indonesische Staatsphilosophie besagt zur Versorgung älterer Menschen folgendes. Die Philosophie der indonesischen Bevölkerung wird .xleem it sinful if children and relatives neglect their elders, and those children and relatives will on the other hand feel themselves lucky and honoured, ifthey are in a position to make their elders happy" (Auszug aus Indonesian Country Paper 1982 in Keasberry2002: 45).

2.3 Sozioökonomische Entwicklung

49

Problem der unzureichenden Gesundheitsftihrsorge einer schlechten Finanzierung zugeschrieben werden. Indonesien gab im Jahr 1997 im Vergleich zu seinen Nachbarländern mit nur 1,7 % des BIP (Philippinen 3,4 %, Thailand 5,7 %) sehr wenig für die Gesundheitsversorgung aus (vgl. Thabrany et al. 2003 : 114). Die Pro-Kopf-Ausgaben der indonesischen Regierung betrugen in den Jahren 1979 und 1980 nur 368 Rp. und im Jahr 2001 etwa 13.513 Rp. Aber unter Berücksichtigung der Inflation ist das Niveau mit US-Dollar 1,4 konstant. Die Finanzierung der Gesundheitsftirsorge erfolgt zu 60 bis 70 % privat (vgl. Thabrany et al. 2003 : 115). Die Folge ist eine sehr unterschiedliche Gesundheitsversorgung . Der Großteil der Bevölkerung kann sich nicht einmal die grundlegendsten Vorsorgeuntersuchungen et cetera leisten . Laut den Angaben der International Labor Organisation (ILO)-Studien sind im Jahr 2003 nur 15 % der Bevölkerung in irgendeiner Form privat oder staatlich krankenversichert (vgl. Arifianto 2004 : 5). Die Mehrheit der Bevölkerung muss die anfallenden Krankenkosten also selbst tragen. Zudem sind die Möglichkeiten der Krankenversorgung in den öffentlichen Hospitalen aufgrund von Finanzierungsproblemen sehr stark eingeschränkt. In den ländlichen Regionen stehen außerdem nicht genüg end Ärzte zur Verftigung. So befinden sich 50 % der Fachärzte in den ftinf größten Städten auf Java , obwohl nur 15 % der Bevölkerung dort leben. In Indonesien besteht damit kein sicherstellendes und flächendeckendes Netz einer Krankenversorgung. Arbeitslos igkeit und Armut: Sozialhilfe oder Arbeitslosenunterstützung vergleichbar mit der Bundesrepublik Deutschland gibt es in Indonesien nicht. Der Staat versucht lediglich, die Folgen der Armut zu lindern und ihre Ursachen zu bekämpfen. Aufgrund der Wirtschaftskrise (1997 /1998) wurden neben Ernäh rungsprogrammen auch Maßnahmen zur Förderung von Bildung, Gesundheit und Beschäftigung getätigt. Mit Hilfe des Ernährungsprogramms sollte die Grundversorgung der Bevölkerung mit Reis sichergestellt werden. Die Regie rung verkauft an von Armut betroffene Haushalte das Grundnahrungsmittel deutlich unter Marktpreis (vgl. Tambunan 2004 : 21 f). Diese Hilfsmaßnahme erreichte etwa 50 Millionen Menschen und damit den größten Teil der als arm gemeldeten Menschen. Bildungsförderungsmaßnahmen wie z. B. die Gewährung von Stipendien sollten arme Eltern davon abhalten, ihre Kinder frühzeitig aus der Schule zu nehmen. Darüber hinaus wurden Gesundheitsmarken verteilt, um die medizinische Grundversorgung sich erzustellen. Ebenso wurden vereinzelte Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ins Leben gerufen, um ftir schlecht ausgebildete Arbeiter und Arbeitslose, die wegen der Insolvenz vieler Unternehmen arbeitslos wurden, neue Perspektiven zu eröffnen. Insgesamt kann man feststellen, dass es seit dem Jahr 1970 zwar staatliche Bemühungen zur Verbesserung sozialer Sicherungssysteme gibt, jedoch wird die Mehrheit der indonesischen Bevölkerung davon nicht erreicht. Der finanzielle

50

2 Indonesischer Geburtenrückgang aus der Perspektive der Modemisierungstheorie

Aufwand der Regierung für bildungspolitische Maßnahmen sowie Gesundheitsvorsorgemaßnahmen ist außerdem relativ gering. Nur Arbeiter und Angestellte von Großunternehmen sowie Staatsangestellte genießen einen gewissen Versicherungsschutz. Die Renten- und Krankenversicherungssysteme erfassen nur eine Minderheit. Die Mehrheit der Bevölkerung, nämlich Beschäftigte in Unter nehmen mit weniger als zehn Beschäftigten, Landarbeiter sowie Selbstständige ist ausgeschlossen. Ebenfalls keinen Versicherungsschutz genießen Frauen, die in einem Familienbetrieb als mithelfende Familienangehörige beschäftigt sind. Fazit: In Notsituationen bleibt die Familie die zentrale Institution sozialer Absi cherung.

2.3.4 Bildungsbeteiligung In Indonesien besteht seit dem Jahr 1984 eine sechsjährige allgemeine Schulpflicht. Diese wurde im Jahr 1994 auf neun Jahre erweitert und schließt gegenwärtig die untere Sekundarstufe ein. Im Einzelnen umfasst das Bildungssystem derzeit die folgenden Stufen: (a) zwei Jahre Kindergarten (im Alter von 5 bis 6 Jahren) ; (b) sechs Jahre primäre Stufe (im Alter von 7 bis 12 Jahren); (c) drei Jahre untere Sekundarstufe (im Alter von I3 bis 15 Jahren); (d) drei Jahre obere Sekundarstufe (im Alter von 16 bis 18 Jahre); (e) vier Jahre für den ersten Universitätsabschluss (im Alter von 19 bis 22 Jahre); (t) zwei Jahre für den zweiten Universitätsabschluss; (g) zwei Jahre für den dritten Universitätsabschluss (vgl. Unesco 2005). Von der Bildungsexpansion profitierte vor allem die weibliche Bevölkerung und führte zu einer generellen Verbesserung der Grundschulausbildung. Konn ten im Jahr 1980 noch 40,6 % der Frauen im Alter von über 15 Jahren (im Ver gleich 20,9 % der Männer) weder lesen noch schreiben, waren es im Jahr 2000 nur noch 18,1 % (World Bank Group 2007a). Trotz dieser Halbierung ist Analphabetismus in lndonesien vergleichsweise weit verbreitet. Nennenswerte Differenzen ergeben sich nach Geschlecht, Alter und Region . Frauen sind trotz der abnehmenden Geschlechtsdifferenzen in den jüngeren Kohorten noch immer benachteiligt. Sie sind gegenwärtig z. B. doppelt so häufig von Analphabetismus betroffen. Allerdings wurde dieses Problem unter den 15- bis 24-Jährigen deutlich entschärft, weil nur noch etwa 1,7 % der Männer und 2,9 % der Frauen Analphabeten sind. Neben diesen Ungleichheiten besteht ein Stadt-LandGefälle. Nach den Angaben des Indonesia Demographie and Health Survey (IDHS) 2002-2003 können in den Städten 92 % der Frauen und 97 % der M änner lesen und schreiben, in den ländlichen Regionen lediglich 82 % der Frauen und 90 % der Männer (vgl. BPS, ORe Macro 2003 : 13). Die Verbesserung der

2.3 Sozio ökonornischc Entwicklung

51

Grundschulbildung und die Abnah me de r Gesch lechtsd ifTerenzen wer den in der folgen den Abbildung noc h einmal gesonden da rgestellt.

Abbildung 2.4:

,r'--

Bildungsbeteiligu ng nach Geschlecht und Sch ulan

Brutloschu!besuchSl1lICll

::f=.. . . .-..y I.

- - - - - - -,

:~ === . . . . .. ..

. -----------=== .• .• .• .• ·• ·•• ·• .• .• ·• ·•• . . ~<-

""

""

""o<>""

~

_=

ooo ..,.

~=N

o

0

0

0

~

0

I fta>en ll _

~

0

~

0

0

0

,'

Quelle: eigene Abbildung; Datenbasis Gross Schoot Snrottmem , f l'mall', Gross Schoot Enrollmeni, male, Anteile an Frauen und Männcr in der Secondary School [World Resourcc Institute 2005) Deutlich wird, dass die indonesisc he Bildu ngsexpansion auf den Gru ndschulbereich beschränkt blieb. Bereits in der Sek undarstufe nimmt die Bildun gsbeteiligung sta rk ab . Dieser T ren d setzt sich noch verstärkt im te rtiären Bildu ngsbereich fort . Im Jahr 1960 besuc hten led iglich 6 % und da mi t eine Minderheit der entsprechenden Altersgruppen die Sekundarst ufe . Heute sind es mit etwa 50 %, die Hälfte der Bevöl kerung. Obwoh l gegenwä rtig nur ei n sehr kle iner Ante il der

,.Gross School Enrollment" beschreibt den Bruttoanteil der Schüler in der jewei"ligen Die Bildungsstufe unabhängig von deren Alter. Damit gibt sie Informationen über den

Prozentsatz der Bildungsbeteiligung (unter Berücksichtigung der in der Gesamtgesellschaft bestehenden Anzahl der Schüler) der entsprechenden Allersgruppen in den jeweiligen Bildungsstufen. Aufgrund ihrer Altersunabhängigkeit ist auch ein Anteil von über 100% möglich. Ursache dafür ist die Erfassung von Personen die bereits das für die Bildungsstufe typische Alter überschritten Lo vcr-agcd"] oder noch gar nicht erreicht (,.undcr-agcd") haben.

52

2 Indonesischer Geburtenrückgang aus der Perspektive der Modemisierungstheorie

Indonesier einen Universitätsabschluss anstrebt, ist ein positiver Trend zu verzeichnen . Vor allem die geschlechtsspezifischen Differenzen wurden in der Vergangenheit mit zunehmendem Bildungsniveau stärker. Konnte die wesentlich geringere Beteiligung der Frauen an einer Grundschulbildung in den 1950er und 1960er Jahren relativ schnell "wettgemacht" werden, ist die Bildungsbeteiligung der Mädchen in der Sekundarstufe seit über 40 Jahren wesentlich geringer als die der Jungen . Hier waren Mädchen von 1960 bis 1996 deutlich weniger als ihre männlichen Altersgenossen vertreten. Dieser Unterschied scheint erst Ende der 1990er Jahre zu verschwinden. Im Jahr 2000 bestand fast keine Differenz mehr. Weiterführende Schulbildung ist in Indonesien teuer. Eltern müssen die Kosten des oberen Sekundarschulbereichs und einer Hochschulausbildung selbst tragen. Für viele Eltern mit geringen finanziellen Ressourcen ist es aber sehr schwierig , diesen Betrag aufzubringen. So ist es auch nicht verwunderlich, dass Personen der untersten Einkommensklassen die niedrigste Bildungsbeteiligung und die geringsten Abschlüsse haben und damit zu der Gruppe mit den meisten Analphabeten gehören. Vor allem dann, wenn die beiden Risikofaktoren weiblich und geringes Einkommen der Eltern zusammentreffen, sind die Bildungschancen besonders schlecht. 2.4 Familiäre Beziehungen im Wandel Der Wandel in den Familienstrukturen und familiären Beziehungen ist neben der demografischen und sozioökonomischen Entwicklung der dritte Eckpfeiler der indonesischen Modernisierung. Institutionalisierte Eheschließungs- und Scheidungsmuster, Verwandtschafts- und Generationenbeziehungen sowie Geschlechterverhältnisse sind entscheidende Determinanten für Fertilitätsentscheidungen und somit für das Verständnis des Geburtenrückganges in Indonesien unerläss lich. Wichtig sind diese eher kulturellen Besonderheiten zur Erklärung des Geburtenrückganges (s. u. Kap. 3), weil der Wandel des generativen Verhaltens nicht als ein eindimensionaler Modernisierungsprozess betrachtet werden kann. Vielmehr können Fertilitätsentscheidungen, abgesehen von sozioökonomischen Differenzen, auch aufgrund des sozial-kulturellen Kontextes variieren . Denn Kultur als Zusammenhang von Deutungs- und Handlungsmustern, Wissen und Sprache beeinflusst als Selektionsmechanismus individuelle Präferenzen, indem sie langfristige Bewertungen von Handlungskonsequenzen und Wahrscheinlichkeitserwartungen steuert (Nauck, Schönflug 1997). Aufgrund der kulturellen und ethnischen Differenzierung werden im Folgenden nur grundlegende Besonder-

2.4 Familiäre Beziehungen im Wandel

53

heiten fokussiert, die zum Verständnis des fertilen Verhaltens auf Java unerlässlich sind. 2.4.1 Verwandtschafts- und Generationenbeziehungen

Die Analyse javanischer Verwandtschafts- und Generationenbeziehungen ist unerlässlich, weil sie bedeutsam für die normativen Erwartungen an die familiäre Kooperation ist. In der Kulturanthropologie werden grundsätzlich zwei Vorstellungen bzw. gedankliche Prinzipien unterschieden: einerseits die Affinalverwandtschaft, bei der sich die verwandtschaftlichen Beziehungen durch die Heirat ergeben, und andererseits die Deszendenz, bei der sich Verwandtschaftsbeziehungen aus der Vorstellung einer gemeinsamen Abstammung ergeben (vgl. Harris 1990; Hili, Kopp 1995). Mit der Zugehörigkeit entweder zu dem Affinaloder dem Deszendenzsystem werden Individuen mit verschiedenen Rechten, Pflichten und Privilegien ausgestattet. Ist ein affinal geprägtes Verwandtschaftssystem zumeist durch Liebe legitimiert und die primäre Solidarität gilt zunächst der Gattenfamilie, so basiert ein Deszendenzsystem auf dem intergenerationalen Zusammenhalt der Abstammungsgemeinschaft. Die Verwandtschaftsbeziehungen auf Java sind der bilinearen Deszendenz zuzuordnen. Männliche sowie weibliche Vorfahren sind für die Fortführung der Familienlinie von gleicher Bedeutung (vgl. Geertz 1961: 15). 1m Gegensatz zu unilinear organisierten Verwandtschaftsbeziehungen sind sowohl Javaner als auch Sundanesen wegen ihrer Bilinearität nicht auf ein bestimmtes Geschlecht zur Fortführung ihrer Familienlinie angewiesen (vgl. Zeitlin et al. 1995: 7). Entscheidend im Verwandtschaftssystem ist primär die große Bedeutung der Kernfamilie. Nur von den Mitgliedern der Kernfamilie werden bestimmte Privilegien generiert und auch nur von ihnen kann Aufmerksamkeit und Pflege erwartet werden. Strukturiert sind die Hierarchie sowie die zu erwartenden Hilfeleistungen weniger durch das Geschlecht, sondern vielmehr durch den Respekt vor dem Alter und anderen hierarchisch höher gestellten Personen (vgl. Koentjaraningrat 1971: 107). Außerhalb der Kernfamilie sind Verwandtschaftsbeziehungen eher lose und Rechte sowie Pflichten weniger streng definiert und sanktioniert. Ein javanischer Bauer weiß z. B. in der Regel wenig über die Verwandtschaft seiner Großelterngeneration und selbst wenig über die seines Vaters (vgl. Koentjaraningrat 1967: 262). Jedoch gibt es die moralische Verpflichtung, für jeden nahen und hilfebedürftigen Verwandten zu sorgen (Geertz 1961: 26). Dies gilt für die eigenen Eltern und Geschwister, aber auch für hilfsbedürftige Verwandte zweiten Grades (wie z. B. Onkel oder Tante). Das zweite wichtige Organisationsmerkmal von Verwandtschaft ist das Prinzip der Zugehörigkeit zu bestimmten Generationen. Beide

54

2 Indonesischer Geburtenrückgang aus der Perspektive der Modemisierungstheorie

Grundsätze finden Ausdruck in einem fein gegliederten terminologischen System, bei dem alle Mitglieder einer Generation verbal gruppiert und mit entsprechenden Anreden versehen werden und traditionell sogar in unterschiedlichen Sprachstilen miteinander kommunizieren (vgl. Geertz 1961: 15). Es gibt z. B. Titel für die Generation von Ego mit allen seinen Geschwistern und Cousinen , die Elterngeneration mit allen Tanten und Onkeln und die Großelterngeneration mit deren Geschwistern. Obwohl faktisch stark zwischen fernen und nahen Verwandten unterschieden wird, verschwinden diese Unterschiede in der Anrede. Im Alltag werden Cousins und Cousinen etwa wie die eigenen Geschwister oder Onkel und Tanten wie die eigenen Eltern angesprochen. Die starke Bedeutung der Hierarchie innerhalb der Sozialbeziehung kommt nicht nur durch verschiedene Anreden zum Ausdruck, sondern auch durch ein hoch kompliziertes Sprachsystem . Die vom Sprecher angewandten Sprachstile werden durch Alter, Status und Geschlecht des Gegenübers festgelegt (vgl. Koentjaraningrat 1971: 107). Es gibt auf Java sieben Stile, die abhängig vom sozialen Status und den sozialen Beziehungen verwendet werden. Die beiden Hauptstile sind .Kama", die Hochsprache, mit denen Älteren , Fremden oder höhergestellten Personen (z. B. dem Vater) Respekt entgegengebracht wird und "Ngoko", die gegenüber engeren Freunden und untergeordneten Personen verwendet wird (vgl. Koentjaraningrat 1971: 111). Innerhalb beider Hauptstile gibt es Verfeinerungen, die dem konkreten Status gerecht werden. Das .R espektsprinzip " und das "Prinzip der Konfliktvermeidung " sind die zwei grundlegenden Gebote indonesischen Zusammenlebens. Die sollen ein harmonisches Miteinander in zwischenmenschlichen Beziehungen sicherstellen (vgl. von Magnis-Suseno 1989: 68). Diese Gebote kennzeichnen die Generationenbeziehungen sowohl der Javaner als auch der Sundanesen. Respekt gegenüber höher gestellten Personen meint jedoch nicht Unterwürfigkeit, sondern ist vielmehr eine Form der Etikette und entspricht damit eher einem angemessenen Verhalten in einer konkreten Situation (Geertz 1961: 98). Der Respekt wird nicht nur durch Anrede und verwendeten Sprachstil ausgedrückt, auch Körperhaltung , Gestik und Tonfall spielen eine Rolle. Offene Konflikte sind in der javanischen Gesellschaft verhasst. Deshalb wird Kindern, ab einem Alter von sieben Jahren, schon relativ früh beigebracht, ihre Emotionen zu kontrollieren . Die Bereitschaft, den beiden Grundprinzipien eines harmoniegerechten Verhaltens zu folgen, wird dem Javaner im Laufe seiner Kindheit internalisiert. Ziel der Erziehung ist es, Statusunterschiede, Selbstkontrolle und Kontrolle über Emotionen sowie Respekt gegenüber hierarchisch höher gestellten Personen zu erlernen , um mit Hilfe dieser Verhaltensprinzipien, die soziale Harmonie zu erhalten (vgl. Koentjaraningrat 1971: 97). Um das zu erreichen, gibt es eine Reihe von Pflegeund Sozialisationspraktiken, wodurch das Kind zunächst eng in die soziale

2.4 Familiäre Beziehungen im Wandel

55

Gruppe eingebunden wird . Vor dem Erreichen des fünften oder sechsten Lebensjahres werden Kinder von ihren Eltern, besonders von ihren Müttern, mit größter emotionaler Fürsorge bedacht. Sollte Tadel nötig sein, geschieht dies nicht durch Strafe oder Schelte, sondern durch den Hinweis auf die furchtbaren Gefahren , die auf die Familie von außen (z. B. durch böse Geister) einwirken könnten. Ziel dieser Erziehungspraktiken ist, dem Kind die Familie als Ort der " ... seelischen und geistigen Geborgenheit ... " zu internalisieren (von Magnis-Suseno 1989: 69). Sehr früh wird dem Kind beigebracht, dass sein persönliches Wohlergehen und seine Existenz von der Gruppe abhängen . Ab dem fünften Lebensjahr wird das zweite Grundelement der Erziehung , das "Sich-Schämen-Können", vermittelt. Dies ist bei Verhaltensweisen notwendig, die in der Umgebung Missfallen hervorrufen könnten (vgl. von Magnis-Suseno 1989: 70). Vor allem Javaner legen großen Wert auf die Wertschätzung anderer Personen in ihrer sozialen Umgebung . Die Fähigkeit des "Sich-Schämen-Könnens" ist in der javanischen Kultur der Beginn zur Entwicklung einer eigenen Persönlichkeit. Der Javaner lernt so, sich in der Gegenwart von Anderen respektvoll zu verhalten, den Ausbruch von Konflikten zu vermeiden, um auf diesem Weg den für sie allein befriedigenden Zustand der Harmonie zu erreichen. Ab dem fünften Lebensjahr tritt deshalb die bestätigende emotionale Unterstützung in den Hintergrund , fortan erwarten Eltern mehr Gehorsam, Respekt und Höflichkeit von ihren Kindern. Die Bedeutung der grundlegenden Verhaltensprinzipien verlangt Müttern und Vätern unterschiedliche Erziehungsaufgaben ab. Vor allem Mütter besitzen eine starke emotionale Bindung zu ihren Kindern, deshalb spielen Väter in den ersten Lebensjahren eher eine unwesentliche Rolle. In der zweiten elterlichen Erziehungsphase nehmen dann Väter eher die traditionelle Rolle als Autoritäts person ein. Konflikte zwischen Eltern und Kindern werden "verabscheut". Zum einen, weil nach der javanischen Vorstellung eines harmonischen Lebens durch Streit und Missgunst das Glück der Eltern verloren geht und damit deren Leben verkürzt werden würde. Zum anderen würde dieses Unglück der Eltern wiederum das Leben der Kinder negativ beeinflussen (vgl. Zeitlin et al. 1995b: 1). Die hierarchische Eltern-Kind-Beziehung bleibt bis zum Ableben der Eltern bestehen. Eltern sind ihren Kindern auch im Alter übergeordnet und verstehen sich als Geber und ihre Kinder als Untergeordnete und Empfänger. Sowohl Eltern als auch Kinder leisten ihre Aufgaben freiwillig als Beitrag zur Gemeinschaft. Die Elternrolle ist erfüllt, wenn Kinder geheiratet und selbst eine Familie gegründet haben. Für Kinder besteht aber keine Pflicht, irgendetwas an die Eltern zurückzuzahlen, weil es keine Verschuldung gegenüber übergeordneten Personen gibt. Kinder sorgen im Krankheitsfall und Alter freiwillig für ihre Eltern als Zeichen der Hochachtung und dem innigen Wunsch, ihr Wohlwollen zu gewinnen (vgl. Koentjaraningrat 1971: 111). Sichergestellt ist das intergene-

56

2 Indonesischer Geburtenrückgang aus der Perspektive der Modemisierungstheorie

rationale Solidaritätsprinzip durch Erziehungspraktiken, die das Kind innerhalb der Familie einerseits mit Liebe und Fürsorge überschütten und andererseits dadurch, dass diese Liebe daran geknüpft ist, die Autorität der Eltern zu respektieren und anzuerkennen. Dabei spielen Geschlechtsdifferenzen im Vergleich zum Altersprinzip eine eher untergeordnete Rolle. Das hierarchische Generationenprinzip ist angesichts fehlender sozialer Sicherungssysteme (s. o. Kap. 2.3.3) eine wichtige Legitimations- und Realisierungsgrundlage zur Vorsorgung alter und hilfebedürftiger Menschen. Es wird jedoch zunehmend durch die wirtschaftlichen und demografischen Entwicklungen Indonesiens in Frage gestellt. Familiengrößen sinken, der Anteil älterer Menschen nimmt als Folge der gestiegenen Lebenserwartung gleichzeitig zu. Trotz des gestiegenen Bedarfs nach Versorgungsleistungen ist die Unterstützung der Elterngeneration durch ihre Kinder unsicher. Immer mehr Familienmitglieder arbeiten im Erwerbssektor, die Familie als Ort der Produktion und Konsumption verliert dadurch ihre traditionelle Rolle. Bessere Bildung bringt Kinder nicht nur mit Vorstellungen der westlichen Welt in Kontakt und stellt damit die traditionellen Lebensweisen in Frage, sondern erhöht gleichzeitig deren Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Mit einer Arbeit im lohnabhängigen Sektor sind Kinder von ihren Familien als ehemals alleinige .Karrieremöglichkeit" unabhängig, weswegen sich das Machtpotential der Elterngeneration reduziert (vgl. T. Hull 1987) . Zudem führt der Prozess der Urbanisierung dazu, dass viele Familienmitglieder - insbesondere die jüngeren Generationen - ihre Heimatorte verlassen und in den urbanen Ballungszentren einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Die weniger mobile Elterngeneration bleibt allein zurück. Dadurch sind zwar monetäre Leistungen nicht ausgeschlossen, die direkte Pflege der Eltern ist jedoch unmöglich geworden. Ferner sinkt die soziale Kontrolle durch Familie und Nachbarschaft. Damit werden die einst stark institutionalisierten Beziehungen zwischen den Generationen immer stärker in Frage gestellt und somit die Basis für die spätere Unterstützung der Eltern durch Kinder unsicherer.

2.4.2 Eheschließungen und Scheidungen Die Analyse der historischen Entwicklung des Heirats- und Scheidungsverhaltens ist wegen der unzureichenden quantitativen Daten problematisch. Erste , zumindest für Java und Bali repräsentative und frei zugängliche Untersuchungen, wie z. B. der World Fertility Survey (WFS) aus dem Jahr 1976 erforschen lediglich "ever rnarried women" im Alter von 15 bis 49 Jahren und bergen somit für die Untersuchung des Erstheiratsalters und der Verheiratungsraten einige Schwierigkeiten. Es ist zu erwarten, dass das Erstheiratsalter deutlich unter-

2.4 Familiäre Beziehungen im Wandel

57

schätzt wird . Aus Mangel an Alternativen beruht dennoch die Mehrheit der Ergebnisse zum Wandel der Ehe- und Scheidungsmuster auf dieser problematischen Stichprobe ,j emals verheirateter Frauen" (vgl. nur Singarimbun, Manning 1974; Chapon 1976; Singarimbun, Manning 1976; Palmore, Singarimbun 1992; Heaton 1996; Malhotra 1997; Savitridina 1997; Heaton, Cammack, Young 2001). Problematisch sind auch die Angaben zu Datum und Alter bei Eheschließung . Nicht nur unbewusste Falschaussagen, vor allem wegen Gedächtnislücken oder Unkenntnis der eigenen Geburtsdaten, sondern auch durchaus übliche bewusste Falschaussagen können die Aussagekraft der Surveydaten negativ beein flussen (vgl. Jones 1994: 75; Savitridina 1997: 29). So gehört es z. B. zu einer gängigen Praxis vor allem jüngerer Jahrgänge, die Altersangaben bei der ersten Eheschließung nach oben zu korrigieren. Deswegen können die Ergebnisse zur Entwicklung des Erstheiratsalters nur eingeschränkt generalisiert werden (vgl. Jones 1994). Trotz dieses Datenproblems macht der ftir Indonesien typische Zusammenhang zwischen Nuptualität und Fertilität eine Analyse der Eheschließungs- und Scheidungsprozesse und deren Wandel notwendig. Für Indonesien ist nicht nur der wenig überraschende negative Zusammenhang zwischen Erstheiratsalter und der endgültig realisierten Kinderzahl empirisch nachgewiesen, sondern auch ein deutlich positiver Effekt von Ehestabilität auf die Anzahl jemals geborener Kinder (vgl. Palmore, Singarimbun 1992: 12). 1m Gegensatz zu westlichen Industrienationen ist die Institution Ehe trotz der Zunahme dauerhaft lediger Männer und Frauen weiterhin universell. So hat sich der Anteil von niemals verheirateten Frauen im Alter von 45-49 Jahren von etwa I % im Jahr 1970 auf etwa 2 % im Jahr 2000 zwar verdoppelt, ist aber immer noch sehr gering (vgl. Jones 2005: 95). Darüber hinaus konnte auf Java eine erstaunliche Reduk tion des Ehescheidungsrisikos beobachtet werden (vgl. Guest 1992; Jones 1994). Deren Ursachen werden später ausführlicher diskutiert. Zensusdaten sind die wichtigsten Informationsquellen zur Analyse des Erstheiratsalters. Sie definieren in der Regel den Beginn einer Ehe mit dem offiziellen Datum der Eheschließung. In Indonesien, speziell auf Java , gilt die Besonderheit, dass zu diesem Zeitpunkt nicht zwangsläufig die Gründung eines eigenen Haushalts erfolgt oder die Ehe auch tatsächlich vollzogen wird . Entsprechend der javanischen Tradition ist die Ehe zwar der erste wichtige Schritt ins Erwachsenenalter, die Gründung eines eigenständigen Haushaltes und der Beginn sexueller Kontakte sind aber aufgrund des geringen Eintrittsalters oft noch nicht realisierbar. Bemerkenswert ist zudem, dass im Gegensatz zu anderen muslimischen Gesellschaften auf Java durch die Eheschließung nicht zwei Familiengruppen zusammengeftihrt werden, sondern eine eigenständige Kemfamilie gegründet wird (vgl. Geertz 1961 : 54; Jay 1969: 133 f). Für die jungen Eheleute gibt es deshalb auch keine festen Regeln, die den zukünftigen Wohnort vor-

58

2 Indonesischer Geburtenrückgang aus der Perspektiveder Modemisierungstheorie

schreiben würden. Vielmehr richtet sich diese Entscheidung nach ihren persönlichen Bedürfnissen (vgl. Koentjaraningrat 1971: 102). Das verfolgte Ideal einer eigenen Haushaltsgründung konnte allerdings angesichts des niedrigen Heiratsalters in den 1970er Jahren (Frauen: 15-16 Jahre; Männer: 17-20 Jahre) und der damit oftmals verbundenen Unselbstständigkeit der Eheleute in den wenigsten Fällen sofort realisiert werden (vgl. Koentjaraningrat 1971 : 102) . Das junge Paar verbrachte in der Regel zunächst drei bis fünf Jahre bei den Eltern der Braut, bevor es einen eigenen Haushalt gründete. Neben dieser Form zeitlich begrenzter uxorilokaler Wohnfolge ' 2 gibt es auch Beispiele, in denen Uxorilokalität dauerhaft gewählt wird. Vor allem unter Javanern ist es Tradition, dass die jüngste Tochter auch nach der Heirat bei ihren Eltern lebt, um diese im Alter zu versorgen. Es gibt aber auch Beispiele, in denen nach einer uxorilokalen Periode virilokale Residenz' :' folgt. Jene Form postmaritaler Residenz ist vor allem dann üblich, wenn die Eltern des Bräutigams viel Land zu vererben haben. In den urbanen Regionen Javas gehört in der Regel Neolokalität'" zur geläufigsten Praxis. Aber auch hier sind Formen von Ambilokalität" weit verbreitet, vor allem weil die schwierige Wohnsituation in Städten das junge Ehepaar dazu zwingt. Dennoch ist es in der Mehrheit der Fälle das Ziel, früher oder später einen wirtschaftlich selbstständigen Haushalt zu gründen. Die angestrebte räumliche sowie finanzielle Selbstständigkeit der Eheleute ist im Gegensatz zu anderen Kulturen auf Java kein Indiz für eine selbstständige Partnerwahl. Hier hatten Eltern vor allem in der Vergangenheit ein großes Interesse daran, ihre Kinder möglichst jung zu verheiraten und sich bei der Auswahl des jeweiligen Ehepartners aktiv zu beteiligen. Grund dafür war weniger die Motivation zur Verwandtschaftsorganisation als ihre sozialen Verpflichtungen zur Statusrepräsentation und Erweiterung des sozialen Ranges innerhalb der Gesellschaft. "Parental marriage arrangement in Java must be seen not in terms ofkinship organization as such, but as an aspect of the economic and prestige systems of the larger society, and as a function of internal authority structure of the elementary family. For the choice of spouse, especially at the first marriage, serves the interests of the parents primarily, by expanding the range oftheir social ties, or consolidating those 12 Der Mann verlässt die Herkunftsfamilie und siedelt zum Wohnsitz der Ehefrau (vgl. Harris 1989: 186). 13 Die Frau verlässt die Herkunftsfamilie und siedelt zur Familie des Ehemannes (vgl. Harris 1989: 186). 14 Das Paar errichtet unabhängig von den Herkunftsfamilien seinen Wohnsitz an einer neuen Stelle (vgl. Harris 1989: 186). 15 Das Paar entscheidet selbstständig, ob es lieber bei den Verwandten des Mannes oder der Frau leben möchte (vgl. Harris 1989: 186).

2.4 Familiäre Beziehungen im Wandel

59

already existing, and by validating their social rank in their community" (Geertz 1961: 55).

Zur Realisierung jener statusdienlichen Ziele mussten Mädchen möglichst jung, unberührt und an einen Mann mit einem entsprechenden sozialen Rang , einer vergleichbaren sozialen Klasse und derselben Religionszugehörigkeit verheiratet werden. Die Homogenität hinsichtlich sozioökonomischer Merkmale und religi öser Orientierung sollte gewährleisten, dass mögliche Konfliktherde zwischen beiden Parteien bzw. Familien von vornherein ausgeschlossen waren (vgl. Geertz 1961: 57; Jay 1969: 129 f). Für den Verheiratungsprozess entstand aus diesen Partnerpräferenzen eine Reihe von Normen, die Eltern letztendlich zu einer zeitigen Eheschließung drängten. So galten unverheiratete Frauen bereits im Alter von 17 Jahren als "old rnaid" und brachten "Schmach" über ihre Familien. Auch mögliche sexuelle Kontakte der Tochter vor der Eheschließung zerstörten die Chancen einer status gerechten Ehe (vgl. Geertz 1961: 56). Extrem frühzeitige Eheschließungen waren die logische Konsequenz dieses Norrnensystems. Noch in den 1950er Jahren war es die Regel, dass insbesondere Muslime ihre Töchter kurz nach der ersten Menstruation verheirateten (vgl. Savitridina 1997: 26). Fälle, in denen Mädchen vor ihrem neunten Lebensjahr eine Ehe eingingen, kamen häufig vor. Die Tradition arrangierter Ehen war bis in die 1970er Jahre eine Selbstverständlichkeit. In Mololama wurden beispielsweise 80 % (vgl. Singarimbun, Manning 1974 : 3), in Sriharjo 67 % (vgl. Chapon 1976: 15) und in Maguwoharjo 61 % der Ehen durch die Eltern arrangiert (vgl. T. Hull 1975: 193). Ein Mitspracherecht bei der Partnerwahl gab es nicht wirklich. Von Mädchen wurde erwartet, dass sie die Wahl der Eltern akzeptierten. Männer dagegen hatten bei der Partnerwahl immerhin ein Vorschlags- und Vetorecht (Geertz 1961: 56). In Indonesien ist eine Eheschließung nicht nur universell, sondern fand wegen des hohen Ante ils arrangierter Ehen im traditionellen Java auch ausgesprochen früh statt. Auch gegenwärtig ist lediglich ein verschwindend kleiner Anteil von etwa 2 % aller Frauen im Alter von über 39 Jahren in ihrem Leben niemals verheiratet gewesen (vgl. BPS, ORC Macro 2003: 100). Das durchschnittliche Erstheiratsalter hat sich zwar auf ein gegenwärtiges Medianalter von etwa 19,2 Jahren deutlich erhöht, aber Indonesien gehört damit im weltweiten Vergleich noch zu den Ländern mit dem niedrigsten Einstiegsalter in den Familiengründungsprozess (vgl. BPS , ORC Macro 2003 : 101). Die folgende Abbildung gibt einen Überblick über die kohortenspezifische Entwicklung des Erstheiratsalters nach Wohnkontext und ausgewählten Regionen Indonesiens und belegt nicht nur das niedrige Alter bei der Eheschließung, sondern auch einen deutlichen Anstieg des Erstheiratsalters mit den Geburtskohorten seit Mitte des 20. Jahrhunderts.

60

2 Indonesischer Geblll1enrtiekgang allS der Perspektive der Modcmisienmgstheoric

Dieser Anstieg ist teilweise auf den ökonomischen Wandel Indonesiens zurückzufuhren (vgl. Nobles, Buttenheim 2008). AM i/dung 2.5:

" ,::::'---A~ .r

Alter des 50-prozentigen Verheiratungsanteils nach Wohnkontext und Region Stadt' Land

- - - - - - - - - - - ,

" ',,"0"- - - - - - - - - - - ---,1

21

'"

"

'" " '"n

191b-1921 - 19".6- 1931- 1936- 1'»1- 1'»6- 1951 - 1956- \961 1920 1925 19.10 1935 1<).111 1'»5 1950 1955 1960 1%.~ • ( h al1l 0 Stadt . Land

'" " '"" '--191b- 1921-

---" 1

1931- 1936- 1941- 1<W.- 19:11- 1'l5b1920 1925 1930 1935 1940 1945 1950 1955 1%0

__

~ ' ~ Jo,. ,

19~

--6- 7,,,,..,,,,

_ _ '<>1/;>1....... _ _

w",

- ~- (>O l"

•

!Un"" -<>- Sl>J :Dn" "

Quelle: eigene Abbildung; Datenbasis: Wohnkonte xt (Joncs 1994: 67); Regionen {Iones 1994: 73)

Bis zu den Geburtskohorten 1940 ist die Mehrheit der indonesischen Frauen unter 18 Jahren verheiratet. Später steigt dieses Alter deutlich an, so dass bei den Geburtsjahrg ängen 196 1 bis 1965 der Sü-prozcntigc Verheiratungsanteil bei 19 Jahren liegt. Betrachtet man die älteren Geburtskohorten von 192 1 bis 1935, so ist ihr Heiratsalter auch während der turbulenten Kriegsjahre zwischen 1944 und 1955 und der Revolution, die letztlich zur Gründung der Republik Indonesien führte, konstant niedrig geblieben. Die j üngeren Geburtsj ahrgänge (ab Geburtskohorten 194 1 bis 1945) zeigen vor allem in urbanen Wohnkontexten eine Verzögerung ihrer ersten Eheschließ ung. Bemerkenswert sind die deutlichen StadtLand-Differenzen. In den Städten begann der Anstieg des Heiratsalters nicht nur etwa fünf Jahre früher (ab Geburtskohorten 1946 bis 1950), auch die Niveauveränderungen sind wesentlich größer. Ein Vergleich der Gebu rtskohorten 194 1 bis

2.4 Familiäre Beziehungen im Wandel

61

1945 mit 1961 bis 1965 zeigt einen Anstieg von etwa 2,3 Jahren in der Stadt, aber nur von 0,9 Jahren auf dem Land. Dabei ist Java die Region mit dem niedrigsten Erstheiratsalter, nur noch Süd-Kalimantan erreicht ähnliche Werte. Charakteristisch für Java sind auch die über einen langen Zeitraum stabilen Werte. Der Anstieg des Erstheiratsalters beginnt auf Java erst mit den Geburtskohorten 1951 bis 1955. Für Indonesien muss zur Vollständigkeit noch erwähnt werden, dass für Männer grundsätzlich die Möglichkeit zur Polygamie besteht. Polygamie ist auch gegenwärtig noch erlaubt, jedoch durch die Reform des Eherechts im Jahr 1974 deutlich reglementiert. So benötigt der Ehemann mittlerweile eine richterliche Erlaubnis. Diese wird aber nur gegeben, wenn bestimmte Bedingungen, wie z. B. das Einverständnis der gegenwärtigen Ehefrau, erfüllt sind (vgl. Katz, Katz 1978: 312). Polygame Ehen sind deswegen nicht mehr allgemein üblich, sondern eher ein Phänomen der Oberschicht (vgl. Jones 1994: 270). In Maguwoharjo gaben beispielsweise nur etwa fünf Prozent der gegenwärtig verheiraten Frauen an, in einer polygamen Ehe zu leben (vgl. V. Hull 1975: 196 ft). Die Tradition arrangierter Ehen (s.o.) hatte nicht nur das geringe Durchschnittsalter bei der ersten Eheschließung zur Folge, sondern auch die fehlende emotionale Bindung beider Ehepartner. Folge sind äußerst instabile Ehen, die durch eine Vielzahl weiterer Faktoren verstärkt werden. Die fehlende Stigmatisierung von Scheidung verstärkte das Problem noch. Im Gegensatz zum Engagement der Eltern bei der Partnerwahl , oblag es den Eheleuten nun selbst, die Ehe aufrechtzuerhalten oder die Beziehung durch eine Scheidung zu beenden . Von Eltern wurde die Möglichkeit zur Scheidung selbstverständlich (als legitimer Ausweg aus einer unbefriedigenden Situation) in Betracht gezogen: ,Jfyou don 't like him you can always get divorced " (Singariumbun, Manning 1974: 4). Tatsächlich war auch der häufigste Scheidungsgrund das "simple" Missgefallen des Ehepartners. Auch wenn die erste Eheschließung unter enormen Aufwand gefeiert wurde, rechnete niemand mit deren ewigen Fortbestand. Die Stabilität der Ehe ist von wesentlich geringerer Wichtigkeit als das Prozedere der Eheschließung selbst. Hatten die Eltern die Gelegenheit ihren sozialen Rang innerhalb der Gemeinschaft zu demonstrieren und wurde ihre Tochter erfolgreich in das Erwachsenenalter eingeführt, so war für die Eltern damit die Funktion der Eheschließung erfüllt: .Jf the marriage worked, so much the better; but even ifit did not, at least the initiation ofthe girl had been accomplished" (Geertz 1961: 70). Fortan können Kinder ihre Entscheidungen selbstständiger treffen. Es überrascht deshalb kaum, dass vor allem arrangierte Ehen einem deutlich höherem Scheidungsrisiko unterliegen (vgl. Chapon 1976: 15) und ein Großteil der Ehen gar nicht erst vollzogen wird, bevor sie durch Scheidung wieder getrennt wer-

62

2 Indonesischer Geburtenrückgang aus der Perspektive der Modemisierungstheorie

den . Hull ermittelte für Maguwoharjo, dass etwa 24 % der Scheidungen solchen unvollzogenen Ehen zuzuordnen sind (vgl. V. Hull 1975 : 192). Darüber hinaus wurden die finanziellen Risiken einer Scheidung durch die Verwandtschaft geschmälert. Nachdem das gemeinsame Vermögen des ehelichen Haushaltes zwischen den Eheleuten aufgeteilt wurde, konnten insbesondere die Frau und ihre Kinder darauf vertrauen, wieder von ihrer Familie aufgenommen zu werden (vgl. Heaton, Cammack, Young 2001 : 481) . Zudem standen dem Scheidungswillen insbesondere vor 1974 keine bürokratischen oder rechtlichen Hürden im Weg. Speziell für M änner sah das damalige Scheidungsrecht keine Hindernisse vor. Für sie genügte es, ihren Scheidungswillen dreimal durch talak ("Ich werde dich scheiden") zum Ausdruck zu bringen und diese Absicht offiziell bekannt zu geben (vgl. Geertz 1961: 72; Katz, Katz 1978 : 310) . Zwar war es für Frauen wesentlich komplizierter, eine Scheidung rechtlich durchzusetzen, aber auch sie hatten die Möglichkeit, sich gegen den Willen ihres Ehegatten scheiden zu lassen (vgl. V. Hull 1975: 200). Nicht nur rechtlich war eine Scheidung für Frauen möglich, sondern auch finanziell. Ihre wirtschaftliche Selbstständigkeit (bereits währ end der Ehe) ermöglichte es den Frauen, im Falle der Scheidung für sich und ihre Kinder zu sorgen (vgl. V. Hull 1975: 418) . Die geringe Ehestabilität bzw . das hohe Scheidungsrisiko auf Java wird zwar vielfach beschrieben, gesicherte Angaben auf der Basis repräsentativer Datensätze liegen aber kaum vor. Jones ermittelt eine Scheidungsrate auf der Basis statistischer Jahrbücher von etwa 20 % in den 1950er Jahren und einen enormen Rückgang auf 1,4 % in den 1990er Jahren (vgl. Jones 1994: 181). Die bisherigen Erkenntnisse zur Ehescheidung werden durch Ergebnisse einiger regionaler Untersuchungen bestätigt. So ist die Ehestabilität in Mololama sehr gering. 50 % aller Ehen wurden hier getrennt, 37 % davon durch Scheidung (vgl. Singarimbun, Manning 1974: 10). In Maguwoharjo gaben z. B. über ein Drittel der Frauen im Alter von 40 und mehr Jahren an, dass ihre erste Ehe geschieden wurde (vgl. V. Hull1975 : 198). Das Scheidungsrisiko ist unter Frauen mit einem niedrigen Erstheiratsalter und geringer Bildung am größten (vgl. Singarimbun, Manning 1974: 10). Bestätigt wird das Ergebnis auch von Chapon für Frauen in Sriharjo. Frauen die vor dem Alter von 20 Jahren heiraten, haben ein höheres Scheidungsrisiko als diejenigen, die später heiraten (vgl. Chapon 1976: 29) . Im Gegensatz zur Bildung ist der Einfluss des sozioökonomischen Status uneinheitlich. In Mololama werden Ehen in Familien mit einem höheren sozioökonomischen Status zwar eher geschlossen, aber mit etwa der gleichen Häufigkeit wieder geschieden (vgl. Singarimbun, Manning 1974: 19). Im Gegensatz dazu werden in Maguwoharjo, Ehen in niedrigeren Einkommensgruppen später geschlossen und zweimal so häufig geschieden (vgl. T. Hull 1975 : 195 ff). Andere empirische Studien bestätigen

2.4 Familiäre Beziehungen im Wandel

63

den positiven Einfluss des Erstheiratsalters, des sozioökonomischen Status , des Bildungsniveaus, des städtischen Wohn kontextes und der Erwerbstätigkeit der Frau vor der ersten Eheschließung auf die spätere Stabilität der Ehe (vgl. Guest 1992: 104 ff, Jones et al. 1994: 404). Werden jedoch die Korrelationen zwischen den einzelnen Variablen kontrolliert, lassen sich vor allem zwei wichtige Zusammenhänge identifizieren. Die Ehestabilität steigt mit zunehmender Bildung und eigenständiger Partnerwahl (vgl. Heaton, Cammack, Young 2001 : 486). Diese beiden Faktoren sind Teil eines umfassenden Wandels in den ökonomischen und sozialen Strukturen der Familien, der als Hauptgrund für den Anstieg des Erstheiratsalters und der Zunahme der ehelichen Stabilität betrachtet werden kann. Jones spricht in diesem Zusammenhang sogar von einer "Revolution", die ihren Ausdruck in statistischen Veränderungen findet , die durch einen fundamentalen Wandel in den Fam ilienstrukturen, der Eltern-Kind-Beziehung, der Erziehungspraktiken und den Erwartungen an Töchter ausgelöst wurden (vgl. Jones 1994: 61). Aus den hohen Scheidungsraten in Indonesien folgt zwangsläufig ein hoher Prozentsatz an Wiederverheiratungen. In der Regel heiraten Frauen nach einer Scheidung erneut und verlieren bis zur nächsten Eheschließung wenig Zeit. Zum Beispiel heiraten 78 % der Frauen in Sriharjo innerhalb von fünf Jahren wieder (vgl. Chapon 1976: 41) . Am schnellsten heiraten Frauen unter 20 Jahren (die Hälfte sogar innerhalb von zwei Jahren) erneut, und die meisten Scheidungen und Wiederverheiratungen finden im Alter vor 30 Jahren statt (vgl. Chapon 1976: 41). Haben die jungen Eheleute ihre erste Eheschließung erst einmal hinter sich gebracht, sind sie in ihrem Verhalten ab diesen Zeitpunkt auch freier. So haben Frauen erstmals die Möglichkeit, Männer informell auf der Straße oder auf dem Markt zu treffen (vgl. Geertz 1961: 71). Zwar haben die Eheleute bei einer erneuten Heirat ein stärkeres Mitspracherecht, aber auch hier kommt wieder ein großer Anteil der Ehen durch elterliches Engagement zustande. Die Stabilität zwischen erster, zweiter oder einer höheren Ordnungsnummer der Ehe unterscheidet sich kaum , es ist nur eine geringe Tendenz in Richtung einer höheren Stabilität erkennbar (vgl. Chapon 1976: 46) . Insbesondere für das traditionelle Indonesien ist es nicht selten, dass Frauen eine Reihe von Ehen durchlaufen, bevor sie endgültig in einer Ehe verbleiben. Die Wiederverheiratung nach Scheidung ist für beide Geschlechter unproblematisch. Lediglich nach einer Verwitwung bestehen sowohl bei Anteil als auch Geschwindigkeit der Wiederheirat starke geschlechtsspezifische Unterschiede. Während es Frauen leichter fällt , allein ihren Haushalt zu führen und sie deswegen seltener erneut heiraten, gehen Männer in der Regel wesentlich zeitiger und häufiger eine neue Beziehung ein (vgl. T. Hull 1975: 202) und wählen dann auch meist eine deutlich jüngere Frau . Besonders problematisch ist deswegen die Situation für Frauen, die im mittleren

64

2 Indonesischer Geburtenrückgang aus der Perspektive der Modemisierungstheorie

Alter ihren Ehepartner verlieren. Für sie sind die Chancen einer erneuten Heirat besonders schlecht. Die soeben beschriebenen Eheschließungs- und Scheidungsmuster sind vor allem für das traditionelle Java charakteristisch und waren wegen der Modernisierung Indonesiens in den letzten Jahrzehnten einem rasanten Wandel unterworfen. Insbesondere der Wandel in den Partnerwahlprozessen und die damit einhergehende stärkere emotionale Bindung der Ehepartner könnte kausal für das steigende Erstheiratsalter und das sinkende Scheidungsrisiko sein (vgl. Heaton, Cammack, Young 2001: 489) . So belegen empirische Untersuchungen zur elterlichen Einflussnahme auf die Wahl des Ehepartners einen deutlichen Trend hin zur selbstständigen Partnerwahl (vgl. Malhotra 1991: 554 ff). Die Entscheidungsmacht der Frauen ist zwar auch noch gegenwärtig geringer als die der Männer, aber inzwischen haben beide Geschlechter deutlich an Mitspracherecht hinzugewonnen. Während das Mitbestimmungsrecht der Frau stark von deren Bildungsniveau und ihrem familiäreren Hintergrund abhängig ist, treffen Männer Partnerwahlentscheidungen selbstständig, wenn sie vor der Ehe in einem eigenen Haushalt unabhängig von der Familie gelebt haben. Aufgrund der zunehmenden Akzeptanz des Konzeptes von "Liebe" als den Legimitationsgrund einer Ehe werden die emotionalen Bindungen zwischen den Ehepartnern stärker und Scheidung vermutlich negativer bewertet (vgl. Heaton, Cammack, Young 2001: 489) . Seit der Reform des Ehescheidungsrechtes im Jahr 1974 sind die Anforderungen an eine Ehescheidung deutlich gestiegen . Ehemänner wie Ehefrauen müssen sich z. B. nun an ein islamisches Gericht wenden und berechtigte Gründe für die Ehescheidung angeben (vgl. Katz, Katz 1978: 310; Nakamura 1983: 32). Das gestiegene Bildungsniveau und die zunehmend selbstständige Partnerwahl können jedoch nur einen geringen Teil der Variationen in der Scheidungs wahrscheinlichkeit erklären. Es ist davon auszugehen , dass die gesunkene Scheidungshäufigkeit auch Ergebnis eines umfassenden Wandels der familiären und ökonomischen Strukturen ist (vgl. Heaton, Cammack, Young 2001 : 489). Ob die Wahl des Ehepartners selbstständig oder durch die familiäre Gruppe getroffen wird, ist nicht nur Ausdruck der traditionellen Bindungen , sondern spiegelt auch die existenzielle, materielle und soziale Abhängigkeit der Generationen wider. Die veränderten Regeln bezüglich normgerechter Partnerwahl können deshalb auch unter dem Aspekt veränderter Generationsbeziehungen als Folge des gesamtgesellschaftlichen Wandels diskutiert werden. Die stärker kontrollierte Partnerwahl in ländlichen Kontexten vor allem unter Farmern und wohlhabenden Familien reflektiert nicht nur die große Bedeutung der Sicherung und Weitergabe von Land oder Vermögen, sondern auch die Bedeutung der inter- und intrafamiliären Kooperation. Insbesondere im städtischen Kontext verliert die funktionale Beziehung der Generationen an Einfluss. Aufgrund zunehmender Urbani-

2.4 Familiäre Beziehungen im Wandel

65

sierung und der stärkern Beschäftigung von Personen im erwerbsfähigen Alter im lohnabhängigen Sektor verliert die Familie als Ort der Produktion und Konsumption an Bedeutung . Durch die stärkere Bildungsbeteiligung beider Geschlechter werden westliche Familienideale immer bedeutender. Den Eltern wird so die Basis und die Motivation zur Kontrolle der Partnerwahl der jüngeren Generation entzogen (vgl. Malhotra 1991: 550). Kinder werden zunehmend von ihren Eltern finanziell unabhängig und haben damit die Möglichkeit die Wahl ihres Ehepartners bzw. ihrer Ehepartnerin selbstständig zu treffen. Auf der anderen Seite führen die veränderten ökonomischen Bedingungen dazu, dass eine Scheidung für die Eheleute kostenintensiver wird. So werden Eltern, die bei der Wahl des Ehepartners nicht beteiligt waren, auch weniger bereit sein, die Kinder wieder in ihrem Haushalt aufzunehmen (vgl. Heaton, Cammack , Young 2001: 483). Auch gibt es einige empirische Hinweise darauf, dass Frauen vor allem aus der Mittel- und Oberschicht gegenwärtig stärker finanziell von ihrem Ehemann abhängig sind (vgl. V. Hull 1976: 13). Das Privileg, nicht arbeiten zu müssen und der Prestigegewinn, der sich daraus für den Ehemann ergibt, haben zur Konsequenz, dass für diese Gruppe von Frauen eine Scheidung deutlich risikoreicher wird.

2.4.3 Geschlechtspr äferenzen und Status der Frau Indonesien ist für die egalitäre Behandlung von Frauen in der Familie bekannt. Als Hauptursache für ihre relativ gleichberechtigte Stellung werden meist deren ökonomische und soziale Unabhängigkeit in ländlichen Gegenden betont (vgl. Geertz 1961; Jay 1969; V. Hull 1975; V. Hull1976; Schiller 1978; Stoler 1997). Vor allem Frauen der Unterschicht, also die Mehrheit der weiblichen Bevölkerung, leisten seit jeher einen aktiven wirtschaftlichen Beitrag zum Haushalt. Sie nehmen z. B. innerhalb des Reis-Anbau -Kreislaufes wichtige Positionen ein. Spezielle Aufgaben werden traditionell nur von ihnen ausgeführt und auch nach der Ernte spielen Männer eher eine untergeordnete Rolle. So sind es Frauen, die den Reis nach Hause tragen, für dessen Einlagerung oder den Verkauf sorgen und sogar die wichtigsten finanziellen Transaktionen bestimmen (vgl. Geertz 1961: 122). Ihre führende Rolle in Finanzangelegenheiten geht mit einer dominanten Rolle bei der Organisation von Angelegenheiten innerhalb der Familie einher. "In child care and practical discipline, in everything connected with the kitchen and the food supply, in sales of the harvest and purchases of ciothing and household equipment, and in cash expenditures for wages, labor exchanges, and social celebrations women come to make most of the daily decisions. Accordingly there is an as-

66

2 Indonesischer Geburtenrückgang aus der Perspektive der Modemisierungstheorie

tonishing degree of female dominance to be observed in every village life. Married men in rural Modjokuto, taken as a whole, are probably among the most henpecked lot of husbands anywhere in the world" (Jay 1969: 92). Innerhalb der Paarbeziehung gibt es bei den Javanern also traditionell keine patriarchalische Struktur. Von den Ehepartnern wird erwartet, dass sie als Team kooperieren. Williams untersuchte in einer aktuelleren Studie die Möglichkeiten der weiblichen Einflussnahme auf wichtige familiäre Entscheidungen (vgl. Williams 1989). Ihre Ergebnisse belegen die Gleichberechtigung von Mann und Frau innerhalb der Familie. Dem Großteil der indonesischen Frauen ist es möglich, gleichrangig neben dem Mann an den wichtigen Entscheidungen der Familie teilzuhaben. In der Regel ist es sogar so, dass Frauen, obwohl sie nicht mehr Entscheidungsmacht haben, im Alltag besser ihre Wünsche und Entscheidungen durchsetzen können. So haben Frauen üblicherweise den größeren Einfluss auf Entscheidungen im Zusammenhang mit der Familienplanung, wie z. B. den Verzicht auf weitere Kinder oder die Verwendung von Verhütungsmitteln. 37,6 % der Frauen gaben außerdem an, allein über die Verwendung ihres Einkommens entscheiden zu können (vgl. Williams 1989: 899) . Die starke Stellung der indonesischen Frau innerhalb der Familie beeinflusst auch ihre Rolle als Mutter. Mütter sind auf Java die direkte Autoritätsperson für Kinder und übernehmen die Leitung des Haushaltes. Sie tragen nicht nur die Entscheidungen der Familienplanung, sondern auch oftmals die finanzielle Verantwortung. Gleichwohl haben Frauen in erster Linie familieninterne Aufgaben wie Kindererziehung oder Hausarbeit zu erfüllen, Männer hingegen haben mit ihrer Hauptaufgabe des Gelderwerbs zunächst externe Funktionen. Internalisiert werden die Geschlechterrollen bereits im Kindesalter. Vor allem von Töchtern wird erwartet, dass sie ihrer Mutter bei den Haushaltsaufgaben helfen, damit diese entweder in der Landwirtschaft arbeiten oder einer Erwerbstätigkeit nachgehen kann. Von Söhnen werden hingegen eher finanzielle Beiträge durch Erwerbsarbeit erwartet (vgl. Darroch et al. 1981: 28). Das Bild der finanziell und ökonomisch gleichberechtigten Frau auf Java sollte jedoch nicht romantisiert und für die gesamte javanische Gesellschaft generalisiert werden. Mit der hierarchischen Gliederung der javanischen Gesellschaft sind eng große Klassenunterschiede auch in Bezug auf die weibliche Erwerbstätigkeit verbunden. So ist die starke Erwerbsorientierung der ärmeren sozialen Schichten weniger Ausdruck weiblicher Emanzipation, sondern vielmehr Folge wirtschaftlicher Notwendigkeit. Frauen arbeiten nicht, weil sie es wollen, sondern diese Frauen arbeiten, weil sie es müssen (vgl. V. Hull 1975: 188). Frauen der indonesischen Mittelschicht der I970er Jahre, die mindestens eine Grundschulbildung haben, gehen indessen mit einer geringeren Wahr-

2.4 Familiäre Beziehungen im Wandel

67

scheinlichkeit arbeiten und orientieren sich stärker an dem so genannten "Versorgermodell". Sie vertreten in der Mehrheit die Meinung , dass ausschließlich der Mann für die Ernährung verantwortlich sei und die Frau zu Hause bleiben sollte (vgl. V. Hull 1976: 7). Möglich ist diese Haltung , da für diese Frauen keine wirtschaftliche Notwendigkeit zur Erwerbstätigkeit besteht. Außerdem wird es dadurch unterstützt, dass das "Hausfrauendasein" dem sozialen Status des Ehemanns dienlich ist und auch kaum Beschäftigungsmöglichkeiten für besser gebildete Frauen in ländlichen Gebieten bestehen (vgl. V. Hull 1976: 8; Zeitlin et al. 1995: 7). Hinsichtlich der Erwerbsorientierung gibt es deshalb deutliche Unterschiede je nach Status der Frau. " ... a woman has higher status if she does not have to work, except in certain high prestige occupations . This is a choice denied those in the poor group, who work out of economic necessity. The tendency for the "rich " not to work is especially strong during the early years of marriage when childbearing competes strongly with work .. ." (T . Hull 1975: 126).

Für Frauen der Mittelschicht ist das Hausfrauendasein insofern ein Fortschritt, weil sie von der ökonomischen Notwendigkeit befreit sind, arbeiten gehen zu müssen . Frauen der Mittelschicht können vielmehr selbstständig darüber entscheiden , ob sie arbeiten wollen oder nicht. Die starke Familienorientierung hat für diese Frauen aber auch Nachteile . Zum einen sind sie zunehmend von ihrem Ehemann finanziell abhängig und zum anderen reduzieren sich ihre sozialen Kontakte innerhalb der Dorfgemeinschaft deutlich (vgl. T. Hull 1975: 159). Die Stellung der Frau innerhalb der Familie ist aber nicht nur durch ihre Rolle innerhalb der Haushaltsökonomie definiert , sondern gleichzeitig aufgrund ihrer Bedeutung für die Haushaltskomposition vorgegeben. Frauen pflegen Beziehungen zu anderen Verwandten. Durch Frauen werden auch zwei Kernfamilien wesentlich häufiger miteinander verbunden als durch Männer. Wenn Kinder adoptiert werden, stammen jene Kinder in der Regel aus dem Verwandtenkreis der Frau und auch nach einer Scheidung gilt, dass Kinder bei der Frau bleiben sollten (vgl. Geertz 1961: 45; Jay 1969: 68). Frauen ist es erlaubt, Land zu besitzen und zu erwerben . Natürlich gab es im Indonesien der 1960er Jahre auch Aufgaben , die Frauen typischerweise nicht erledigten. Zum Beispiel extrem körperlich schwere Arbeiten wie Straßenbau, Zimmern oder Mauem war Männersache. Frauen fuhren auch keine Autos oder Ochsen wagen. Selten übernahmen sie Bürojobs . Ein möglicher Grund dafür dürfte das geringere Bildungsniveau der Frauen in den 1960er und 1970er Jahren gewesen sein (vgl. Jay 1969: 122). Die gegenwärtig zu beobachtende steigende Beteiligung der Frau auf dem Arbeitsmarkt ist das Ergebnis der veränderten Beschäftigungsstrukturen. Zunehmend legen Frauen haushaltsnahe Tätigkeiten nieder und wenden sich stärker bezahl-

68

2 Indonesischer Geburtenrückgang aus der Perspektive der Modemisierungstheorie

ten Beschäftigungsverhältnissen zu (vgl. van de Eng 2006). Dennoch ist die Rolle der Frau in der Gesellschaft weniger klar definiert als in der Familie. Trotz des insgesamt gestiegenen Bildungsniveaus indonesischer Frauen sind besonders Frauen der unteren Schichten schlecht ausgebildet und führen ein sehr arbeitintensives und entbehrungsreiches Leben . Zudem werden Berufspositionen in den oberen Hierarchieebenen beinah ausschließlich von Männern besetzt. So sind lediglich 8 % der parlamentarischen Mitglieder und sogar nur 2 % der Minister oder ministerialischen Angestellten weiblich (Population Reference Bureau 2004). Die empirischen Belege zu den Geschlechtspräferenzen in Indonesien fassen Kevane und Levine (2003a) wie folgt zusammen. Erstens , ist keine intrinsische Bevorzugung des männlichen vor dem weiblichen Geschlecht festzustellen. Weder gibt es in Indonesien das Problem der .missing girls" 16, noch verringert sich der Abstand der Geburten nach der Geburt eines Mädchens. Ebenso steigt mit der Geburt männlicher Nachkommenschaft nicht die Wahrscheinlichkeit, dass Mütter ihre fertile Phase beenden. So ist das letztgeborene Kind von Frauen mit abgeschlossener Familienbildung mit keiner größeren Wahrscheinlichkeit ein Sohn. Zudem versuchen Eltern in "mädchenreichen" Haushalten nicht, die vermeintlich gewünschte Anzahl männlicher Nachkommenschaft durch weitere Geburten zu erreichen. Deshalb haben Familien mit einem hohen Anteil weiblichen Nachwuchses auch nicht mehr Kinder. Eher überwiegen Jungen in den kinderreicheren Familien. Auch die Ernährungssituation der Mädchen ist nicht schlechter als die der Jungen. Die Körpergröße der Kinder in Indonesien bleibt zwar insgesamt hinter dem internationalen Durchschnitt zurück, jedoch lassen die altersspezifischen Körpergrößen der Mädchen keine Präferenz von Jungen erkennen. Söhne entsprechen sogar noch weniger als Töchter den globalen Standards. Zweitens, waren die Geschlechtsdifferenzen im traditionellen Indonesien größer. Geschlechtsdifferenzen bestanden primär bei Bildung und Vererbung. So war die Bildungsbeteiligung der Mädchen in der Vergangenheit geringer. Besonders in den weiterführenden Schulen waren sie nur unterdurchschnittlich vertreten. Niveauunterschiede hinsichtlich des Bildungsstatus bestehen gegenwärtig zwar weiterhin, aber die Bildungsbeteiligung beider Geschlechter nähert 16 Das Problem der .missing girls" beschreibt den folgenden Umstand: Der Anteil der Frauen wird durch eine hohe Kindersterblichkeit durch gezieltem Kindsmord, Vernachlässigung der weiblichen Nachkommenschaft bei Pflege und Ernährung oder durch geschlechtsspezifische Abtreibungen, die aufgrund von Ultraschall- und Fruchtwasseruntersuchungen möglich sind, reduziert. Angesichts der regional typischen Lebenserwartung und Gesundheitsniveaus fehlen in Süd- und Ostasien etwa 80 Millionen Frauen (vgl. Kevane, Lcvine 2003a: 7).

2.4 Familiäre Beziehungen im Wandel

69

sich zunehmend an. Das traditionelle islamische Erbrecht bevorzugt zwar Söhne, trotzdem wird in Teilen Indonesiens die Gleichberechtigung der Geschlechter deutlich. Unabhängig vom Geschlecht erbt derjenige am meisten, der später bei den Eltern bleibt und diese im Alter versorgt. Vor allem unter den Javanern ist es Tradition , dass eine ihrer Töchter nicht nur das Haus, sondern meist auch noch die ertragreichsten Reisfelder erbt. Die kulturellen und ethnischen Differenzie rungen lassen jedoch keine Generalisierung zu. Drittens nehmen die ohnehin nur geringen Geschlechtspräferenzen weiter ab. In der Grundschule bestehen keine Bildungsungleichheiten mehr. In der Sekundarstufe nehmen die Ungleichheiten seit dem Jahr 1960 kontinuierlich ab. Zum Ende des 20. Jahrhunderts haben Jungen wie Mädchen annähernd dieselbe Bildungsbeteiligung (s. o. Kap. 2.3.4). Anthropologen, Demographen und Ökonomen suchen die Ursachen von bestehenden Geschlechtspräferenzen häufig in Lokalitätsregeln. Viri- bzw. Uxorilokalität wird häufig als Motiv ftir die Bevorzugung männlicher bzw. weiblicher Nachkommenschaft interpretiert. Obwohl Ethnographen die neolokale Wohnfolge der Javaner betonen , sind diese nur schwer zu kategorisieren. Wie bereits oben erörtert , existieren in Indonesien gemischte Formen postmaritaler Wohnfolge. So bestehen neben Viri- und Uxorilokalität auch Formen der Ambilokalität sowie der Neolokalität (vgl. Kevane, Levine 2003: 4). In Indonesien lässt sich aber kein enger Zusammenhang von Virilokalität und der Präferenz männlicher Nachkommenschaft nachweisen. Es gibt in virilokalen Regionen weder das Problem von "missing girls" noch Anzeichen daftir, dass nach der Geburt einer Tochter sich der Abstand zur nächsten Geburt verkürzt. Klassische Männerarbeiten wie das Fischen oder die körperlich sehr belastende Bodenbewirtschaftung verlieren zunehmend an Gewicht. Gleichzeitig leistet die Lohnarbeit der Töchter einen immer wichtigeren Beitrag zum wirtschaftlichen Überleben der Familien. Die traditionelle Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau ist zwar durch die wirtschaftliche Entwicklung Indonesiens nicht in Frage gestellt wurden, trotzdem verursacht die zunehmende Trennung von Familie als Ort der Produktion, Konsumption und Allokation, dass sowohl der Familienbesitz wie auch die Arbeit der Männer an ökonomischer Bedeutung verlieren, während die Lohnarbeit der Frauen an Einfluss gewinnt. Die hohe Flexibilität in den Kemfamilien und ihre bilinearen Abstammungsprinzipien machten anscheinend Geschlechtspräferenzen bei der Geburt und der Aufzucht von Kindern unnötig (so auch Zeitlin et a1.1995: 8).

70

2 Indonesischer Geburtenrückgang aus der Perspektive der Modemisierungstheorie

2.5 Erklärungsdefizit Der Geburtenrückgang in Indonesien war also Teil eines umfangreichen gesellschaftlichen Modernisierungsprozesses. Nicht nur die demografische Entwicklung mit zunehmender Urbanisierung, sinkender Kindersterblichkeit und steigender Lebenserwartung (s. o. Kap. 2.1.2), sondern auch die geänderten wirtschaftlichen Strukturen deuten auf eine moderne indonesische Sozialstruktur zu Beginn des 21. Jahrhunderts hin (s. o. Kap. 2.3.1). Ferner haben sich im Laufe der Zeit die materiellen Lebensbedingungen der indonesischen Bevölkerung deutlich verbessert. Die Ernährung ist für die Mehrheit der Bevölkerung gesichert und Armut ist rückläufig (s. o. Kap. 2.3.3). Gleichzeitig fand eine deutliche Bildungsexpansion statt, die dazu führte, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung nunmehr zumindest über eine Grundschulbildung verfügt (s. o. Kap. 2.3.4). Der wirtschaftliche Transformationsprozess und die zunehmende Bildungsbeteiligung der Bevölkerung verbesserten nicht nur die materiellen Lebensbedingungen, sondern hatten gleichzeitig einen großen Einfluss auf die Familienstrukturen (s. o. Kap. 2.4). Indonesische Eltern haben gegenwärtig einen geringeren Einfluss auf die Wahl des Ehepartners ihrer Kinder. Die jüngeren Generationen haben vielmehr die Möglichkeit, selbstständig über Familiengründung zu entscheiden sowie Fertilitätsentscheidungen zu treffen. Der traditionelle ökonomische Zusammenhalt der Familie tritt zunehmend in den Hintergrund; es werden die emotionalen und sozialen Beziehungen der Familienmitglieder stärker betont (vgl. T. Hull 1986: 199). War bisher Kindern und Eltern persönliche Freiheit und Gleichheit eher fremd, haben zukünftig die jungen Erwachsenen das Recht und die Pflicht, ihr eigenes Leben stärker selbst zu kontrollieren. Der Vergleich des sozialstrukturellen Wandels Indonesiens mit der Theorie des ersten demografischen Übergangs zeigt, dass mit dessen Hilfe die natürliche Bevölkerungsbewegung nicht nur gut beschrieben werden kann, sondern auch, dass mit Industrialisierung, Urbanisierung, Mortalitätsrückgang, Bildungsexpansion, effektiver Empfängnisverh ütung und Individualisierung die modelltypischen Grundvoraussetzungen für eine demografische Wende vorzufinden sind (s. o. Kap. 2.I.I). So konnte gezeigt werden, dass der Wandel in den Bevölkerungsstrukturen, wie von den Vertreter des erstes demografischen Übergangs behauptet, erstens stark durch eine aktive Bevölkerungspolitik von staatlicher Seite forciert werden konnte (s. o. Kap. 2.2), zweitens von einer fortgeschrittenen Industrialisierung, Wohlstandssteigerung und Ausbreitung der formalen Schulbildung begleitet wurde (s. o. Kap. 2.3) und drittens einschneidende Umbrüche in der familiären Organisation zur Folge hatte (s. o. Kap. 2.4). Insbesondere scheint die vermehrte Verwendung von modernen Verhütungsmitteln für das Tempo des Geburtenrückgangs verantwortlich zu sein (vgl. nur Sinquefield,

2.5 Erklärungsdefizit

71

Sungkono 1979; Freedman et al. 1981; Warwiek 1986; Heaton , Cammack, Young 2001) . Es stellt sich somit die Frage, ob auch der indonesische Geburtenrückgang , wie von Vertretern des demografischen Übergangs behauptet, als zwangsläufige Folge gesellschaftlicher Modernisierung erklärt werden kann. Dagegen spricht , dass bisher nur schlicht Makrophänomene miteinander verknüpft wurden, was zur Erklärung allerdings wenig beiträgt (vgl. Loy 1981; Huinink 2000) . Wie der Ansatz des demografischen Übergangs steckt auch die Fertilitätsforschung in Indonesien in dieser Sackgasse. Es gehört zwar zur gesicherten Erkenntnis, dass Modernisierungsvariablen wie Bildungsexpansion und zunehmende Verwendung von effizienten Verhütungsmitteln das generative Verhalten negativ beeinflussten (vgl. Gertier, Molyneaux 1994). Aber die dahinter stehenden vermittelnden bzw. erklärenden Prozesse liegen noch völlig im Dunkeln . Lediglich Hull (1987) versuchte ein ganzheitliches Verständnis der Veränderung von ökonomischen und sozialen Institutionen zu entwickeln, die letztendlich zum Geburtenrückgang ftihrten (s. u. Abb. 2.6). Doch auch seine Konzeption vermag allenfalls die verschiedenen Einflussfaktoren zu systematisieren. Mit der neuen nationalistische Ideologie, der politischen Unabhängigkeit von den Niederländern, der Etablierung staatlicher Organisationen und der Ausbreitung des Bildungssystems, der besseren Erreichbarkeit von modernen Verhütungsmitteln et cetera nennt er zwar wichtige Faktoren des Wandels im generativen Verhaltens, allerdings bleibt auch mit seiner grafischen Zusammenfassung unklar , warum es infolge des sozialen Wandels z. B. zur vermehrten Verwendung von Verhütungsmitteln kam. Denn ungeachtet der Tatsache, dass durch die zunehmende Geburtenkontrolle die Geburtenrate sank, stellt sich doch die Frage, was potenzielle Eltern dazu motivierte, überhaupt Empfängnisverhütung zu betreiben . Letztendlich ist die Nachfrage nach Kontrazeption stets von der Kindernachfrage abhängig. Um jedoch den Wunsch nach effizienten Verhütungsmitteln und der Reduktion der gewünschten Kinderzahl erklären zu können, muss auf die individuellen Kalküle der handelnden Akteure Bezug genommen werden . Denn schließlich sind nur sie es, die generative Entscheidungen treffen und sich ftir oder gegen die Geburt eines Kindes entscheiden. Nur mit Hilfe einer Theorie, die einen Rückbezug auf die Akteursebene ermöglicht, die die unterschiedlichsten Einflussfaktoren auf Fertilit ätsentscheidungen systematisiert und mit deren Hilfe Hypothesen zur empirischen Überprüfung überhaupt ableitbar sind, kann die Entwicklung der Fertilität erklärt werden. Die Theorie zur Erklärung fertilen Verhaltens muss folglich Aussagen treffen, warum infolge des sozialen Wandels ein Interesse zur Reduktion der gewünschten Kinderzahl bestand. Im folgenden Kapitel soll dies ftir Indonesien durch die

72

2 Indonesischer Geblll1enrtiekgang allSder Perspektive der Modcmisien mgstheoric

Anwendung der modifizierten Version des klassischen VOC-Ansatzes geleistet werden. Ganzheitliches Verständnis des Geburt enrückgangs naeh T. Hull (1987)

Abbildung 2.6:

..

"' ,,, l do,>,"' ~

Lihtralio!11o•.Ii"""Ji,m Re'\'oIulioll ~jKl< y~ ...nIay

N<-..... tlnIn'

f'ao,;a>.iLt priJo;ipks

/

\

( ;" Of ffilO1K'f

o.-.'dornr n~ orirnl001)' fc,n,ip . id

Ii..,.

»<: :

1

h m a~

""

.>:

1'I.nnlnt

1 "' ml~

t:n.n"111~

Glftn R....'olulioo

SlCrili,l31iol1

~

lUD

o.po-Prowra

No
l.<>Ji..i<. "Y'*''''''

1ndJlil31ioo

f.J.l""'iolI
1

\

Pr"\bl . 'k I . rtabit'. 1",,",, >IId I""llI3Iital "'~ Rt_ d poIId u>l' or bil1 b.001101 1",,",. >IId U>l' or ahonion I"'pr"....'" "f""od",' i"e Iraltbor

_..

! I .·trlU Il~ t1wl1 t1l' I , ,. T. Hull [987. Quelle.

S"r bllli. th.n f.J. p.:m";onof "",..e
n

.-.

/

C....pit.m...gro lIU/fi.1.~ Rtl"3llioo of dlilJrn: Scb(.)h. J'(",'<ß>I of obliJ.ci",",

3 Theoretisches Grundmodell für Fertilitätsentscheidungen in Indonesien

Modernisierungstheorien, wie der Ansatz des demografischen Übergangs, versagen grundsätzlich bei der Begründung von Fertilitätsentwicklungen, weil in ihrem Erklärungsprogramm kein Zusammenhang zwischen makrosoziologischen Entwicklungen, wie sozialem Wandel und Geburtenrückgang , und dem Handeln von Individuen hergestellt werden kann (s. o. Kap. 2.1). Um aber gerade die Motive und die Ursachen eines veränderten generativen Verhaltens analysieren zu können, bedarf es einer Theorie, die erstens die vorgegebenen Rahmenbedingungen und die individuellen Ressourcen der potenziellen Eltern berücksichtigt, die zweitens Aussagen trifft, nach welchen Gesetzen der Akteur die bestehenden Alternativen unter den gegebenen Bedingungen auswählt und drittens wie sich aus den individuellen Effekten des Handeins Folgen auf der Kollektivebene ableiten lassen. Eine viel versprechende theoretis che Basis, die diese Bedingungen erfüllt, bietet die aus der Ökonomi e entlehn te Vorstellung der Instrumen talität von Kindern. Hoffman und Hoffman (1973) konzeptualisierten jene Instrumentalität in Form der so genannten "Theory ofthe Value of Children" als Wert von Kindern (VOC) . Mit Hilfe des Wertes von Kindern als handlungstheoretischer Kern geht es nun um die Frage, ob Kinder für die Bedürfnisb efriedigung ihrer Eltern etwas leisten und welche Vor- und Nachteile konkret durch Kinder zu erwarten sind. Der Wert von Kindern ist folglich der ausschlaggebende Indikator für ein bestimmtes Muster generativen Verhaltens , der wiederum von den Merkmalen des Handlungsumfeldes sowie den Eigenschaften des Akteurs bestimmt wird. Auf diese Weise können kulturell und historisch variierende Geburtenniveaus auf der Basis ein und desselben analytischen Kerns erklärt werden. Der Geburtenrückgang wäre somit als Effekt des Bedeutungs - bzw. Werteverlustes von Kindern zu erklären . 3.1 "Value of Children"-Ansatz von Hoffman/Hoffman Das von Hoffman und Hoffman (1973) erstmals vorgestellte Konzept zur Modellierung des Wertes von Kindern wird im Folgend en kurz vorgestellt. Im An-

74

3 Theoretisches Grundmodell für Fertilitätsentscheidungen in lndonesien

schluss an dessen kritische Würdigung schließt sich eine theoretische Neukonzeptualisierung auf der Basis der Theorie der sozialen Produktionsfaktoren (TSP) an, die die theoretischen Schwachstellen des VOC-Ansatzes beheben soll.

3.1.1 Grundannahmen Der VOC -Ansatz von Hoffman und Hoffman (1973) geht, wie alle Fertilitätstheorien, die in der Tradition des ökonomischen Verhaltensmodells stehen, davon aus, dass sich die kulturell und historisch differenzierten Muster fertilen Verhaltens aufgrund unterschiedlicher Kosten- und Nutzenperspektiven von Kindern ergeben: .V alues of children refers to the functions they serve or the needs they fulfil for parents . Our special interest is in the capacity of these values to affect the motivation to have children" (Hoffman , Hoffman 1973: 20) .

Der Value of Children (VOC) Synonym für deren Instrumentalität spiegelt sich in der Motivation , Kinder zu gebären, wieder und ist in diesem Kausalmodell zur Erklärung von Fertilitätsentscheidungen als zentrale Moderatorvariable auf der Individualebene konzeptualisiert. Im Gegensatz zur "Neuen Haushalts ökonomie" werden Kinder beim VOC nicht von vornherein als Konsumgüter betrachtet (vgl. Becker 1976), sondern tragen als Investitionsgüter zur Realisierung instrumenteller Ziele ihrer Eltern bei. Hoffman und Hoffman ermittelten dazu auf der Basis zahlreicher empirischer Studien zum Geburtenverhalten neun Dimensionen des Wertes von Kindern, deren Relevanz erstmals im USamerikanischen Raum (vgl. Hoffman 1975) einer empirischen Untersuchung unterzogen wurde: ,, 1. Adult status and social identity 2. Expansion of the self, tie to a larger entity, " immortality" 3. Morality: religion ; altruism; good of the group; norms regarding sexuality, impulsivity, virtue 4. Primary group ties, affiliation 5. Stimulation, novelty, fun 6. Creativity, accomplishment, competence 7. Power, influence, effectiveness 8. Social comparison, competition 9. Economic utility" (Hoffrnan, Hoffman 1973: 46 t).

Neben diesen Dimensionen des Wertes werden in dem von Hoffman und Hoffman im Jahr 1973 vorgeschlagenem Erklärungsmodell noch zusätzliche Einflussfaktoren des generativen Verhaltens benannt. Es werden neben den alternativen Quellen des Wertes von Kindern auch Kosten, die durch die Geburt eines

3.1 .Value ofChildren"-Ansatz von Hoffman/Hoffman

75

Kindes entstehen, Barrieren sowie Anreize , die eine Geburt erschweren bzw. erleichtern, betrachtet (vgl. Hoffman, Hoffman 1973: 62 t). Alternative Quellen des Wertes von Kindern sind z. B. soziale Institutionen , wie Kranken- oder Rentenversicherung. Diese sozialen Systeme stellen für den ökonomischen Wert von Kindern alternative Quellen dar, weil sie für (potenziel le) Eltern die gleichen Vorteile bringen können. So ist die materielle Existenz der Eltern aufgrund solcher sozialstaatlicher Sicherungsmaßnahmen auch in zukünftigen Notsituationen, wie z. B. Krankheit oder Alter abgesichert. Kosten sind alle Aufwendungen in Zusammenhang mit Kindern. Erfasst werden sowohl direkte Aufwendungen (z. B. für Kleidung, Nahrungsmittel, Schulausbildung, Wohnraum usw.), als auch indirekte Kosten (sog. Opportunitätskosten), die wegen des Verzichts auf andere Güter (z. B. Freizeit, Erwerbstätigkeit usw.) aufgrund der Kinder entstehen . Barrieren sind definiert als Faktoren, die es erschweren, den angestrebten Wert von Kindern zu verwirklichen. Darunter zählen alle negativen Einflüsse wie Krankheit der Mutter, schlechte finanzielle Situation der Familie, Arbeitslosigkeit oder negative Grundeinstellungen gegenüber Kindern. Im Gegensatz dazu erleichtern Anreize, den angestrebten Wert von Kindern zu erreichen. Dazu gehören z. B. Faktoren wie eine gute Wohn- sowie Finanzsituation der Familie oder positive GrundeinsteIlung gegenüber Kindern. Ob Kinder zur Realisierung der potenziellen Nutzen- bzw. Wertkomponenten beitragen, ist somit vom gesamtgesellschaftlichen Wandel einerseits und von individuellen Merkmalen andererseits abhängig. Diese situationsspezifische Instrumentalität von Kindern ist damit letztendlich der entscheidende Indikator zur Vorhersage von Fertilitätsentscheidungen und zur Erklärung des Wandels des generativen Verhaltens . .With social change and development, the needs are satisfied by children; thus, functions of children change. This is reflected in modifications in the values attributed to children, and consequently in the numbers of children desired, eventually affeeting fertility" (Kagiteibasi 1982: 176).

Der im Modell des demografischen Übergangs offensichtlich fehlende Zusammenhang zwischen gesamtgesellschaftlichen Veränderungen und generativen Verhalten (s. o. Kap. 2.1) kann nun über die Instrumentalitätserwartungen der Eltern hergestellt werden. So gilt, dass Individuen innerhalb bestimmter kontextueller Rahmenbedingungen rational handeln. Ein bestimmtes Muster generativen Verhaltens entspricht also einer Nutzenmaximierungsstrategie, die in Abhängigkeit der jeweils individuellen Ausprägung des Wertes von Kindern gewählt wird. Der Wert eines Kindes ist damit das Resultat der subjektiven Nutzen- und Kostenerwartungen von (potenziellen) Eltern. Eine positive Fertilität-

76

3 Theoretisches Grundmodell für Fertilitätsentscheidungen in Indonesien

sentscheidung ist dann am wahrscheinlichsten, wenn die lnstrumentalität von Kindern hoch und die Kosten dazu als relativ gering bewertet werden .

3.1.2 Beurteilung Ein wesentlicher Vorzug des VOC-Ansatzes ist, dass er relativ unproblematisch Ansatzpunkte zur Verknüpfung mit anderen handlungstheoretischen Modellierungen des generativen Verhaltens bietet. Neben seinem integrati ven Potenzial ermöglicht der VOC-Ans atz die Verknüpfung der Individual -Ebene mit einer strukturbezogenen Untersuchung des generativen Verhaltens. Indem sozialstrukturelle Veränderungen und individuelles Verhalten in einen Zusammenhang gebracht werden , ist nämlich eine komplette soziologische Tiefenerklärung von Fertilitätsentscheidungen möglich (vgl. Nauck 2001 : 411). Bereits in den 1970er Jahren wurde der VOC-Ansatz einer ersten empirischen Überprüfung unterzogen. Die international angelegte Studie umfasste Länder wie die Republik Korea, Taiwan , Japan, Singapur, Thailand, die Philippinen , die Türke i, die BRD , die USA sowie Indonesien. Der Fokus der Analys en lag auf den Zusammenhängen von Kultur, sozial-ökonomischem Kontext , individuellen Werten von Kindern und dem generativen Verhalten. Variiert wurden die Ausgangsvariablen des VOC-Modells nicht nur durch die Opportunitätsstrukturen des jeweiligen Kulturkreises, sondern auch durch den Einbezug von städtischen und ländlichen Kontexten sowie ungleichen familiären Ressourcen . Einheitlich wurde in allen teilnehmenden Ländern von Modell in Abbildung 3.1 (s. u.) ausgegangen. Eine ausftihrliche kausale Analyse des gewonnenen Datenmaterials ist ansatzwe ise zunächst für die Türke i erfolgt (Kagitcibasi, Esmer 1980; Kagitcibasi 1982a, 1982b; Nauck 1989a, 1989b, 1992) und erst später für Deutschland und Japan (Kohlmann 2000, 2002) . Dabei zeigte sich, dass der Wert von Kindern in drei grundlegende Dimensionen zerfallt: die ökonomisch-utilitaristische Bedeutung von Kindern (d. h. Beiträge zum Familienhaushalt durch Arbeit und zusätzliches Einkommen und Alterssicherung), die psychologisch-affektive Bedeutung von Kindern (d. h. Stärkung der affektiven Gruppenbildung und expressive Stimulation durch den Umgang mit Kindern) und die sozial-normative Bedeutung von Kindern (d. h. Statuserhöhung, Kompet enz in der Elternrolle und Fortführung des Famili ennam ens). Darüber hinaus konnt en auch grundl egende theoretische Annahmen bestätigt werden , wie z. B. die systematische Variation des Wertes hinsichtlich situati ver sowie individueller Merkmale und die Prognos estärke in Bezug auf das fertilit ätsrelevante Verhalten.

3.2 Theoretische Neukonzeptualis icrung des VOC-Erklärungsmodells

Konzcptucllcs Modell der VOC-Studien

Abbildung 3.1:

-

_w _

SOZJO.Dl'"MOGRIl .... IICH ~ F AKTO.... N

,--",_81_ E..._ -~ _ _ _

.--, -

"AI.U~

F' . .

_

~ '_ .....

__""

F.... ......

E. - -_

.. _

,. ...... u

---

lIOZI ...... Ofl1E N l1 ER U HQ

-

"- -_" Oooonam_ ...._ _ ...

1<.,._

oct

,

Doud< _

.t
_ ~ ' E _""'"

PSVCHt1000SCHE UND

_

. .w__ . 1\ _,"...-....0<.,._

Oooonam_ ......... .

ot

~-

_

Of' CMlUlAE N

, """"""'............ 51_ ... .... ....-....

~.

....... bol _ ~-

77

F- " -l

_ _ Doud< (0.....

..,., I
1/

~_

-_.-

F..._ " W_ ........' F. ....." ~_

.....

o.oct>-... .. ...........

~ d"""-' W.... _ ..... F_ " ~

_

w _

FE ATlU F AM __IEU ....'

&

-.--_. _.

~

0....._ . . , . .

F _......06...

"-90" _

....

, ,. Amold et a1. 19 75. R Quelle:

Die Hauptkritik am VOC-Ansatz richtet sich gegen die induktive Vorgchcnswcisc von Hoffman und Hoffman. Da die von ihnen erarbeitete Liste der Werte von Kindern nicht etwa das Ergebnis deduktiver Theoriebildung ist, sondern aus empirischen Studien abgeleitet wurde, mangelt es dem Ansatz an theoretischer Fundierung (vgl. Loy 1981; Cromm 1988; Horter-Esc hweiler 1998; Nauck, Kohlmann 1999; Huinink 2000; Nauck 200 I). Damit ist fraglich, ob alle potenziellen Werte von Kindern erfasst wurden oder dere n Aufzählung beliebig ergänzt werden kann. Eine andere theoretische Schwachste lle resultiert aus dem unklaren Zusammenhang von Sozialstruktur und dem indivi duellen Wertgefüge. Weil hierfür notwendige Brückenhypothesen fehlen, bleibt die Verbindung zwischen Handlungskontexten und Akteursebene ungeklärt. Eine Ncukunzcptualisicrung des VOC-Ansatzes im Anschluss (s. u. Kap. 3.2) soll dieses Erklärungsdefizit beheben und damit zur Modellverbesserung beitragen . 3.2 T heoretisch e Neukonzeptuauslerung des

VO C~":rk lärungs mod e lls

Eine nutzbringende handlungstheoretische Ncukonzc ptualisicrung des VOCAnsatzes verspricht seine Integration in die Theorie der sozialen Produktionsfaktoren (TSP). Diese ermöglicht eine theoretische Fundierung des mehrdimensionalen Erklärungsmodells. indem zum einen die bisher diffuse Verbindung von sozialstrukturcllen Rahmenbedingungen und Wertebeurtei lungen spezifiziert

78

3 Theoretisches Grundmodell für Fertilitätsentscheidungen in Indonesien

und zum anderen die Wirkungsweise der Wertegewichtung auf das generative Verhalten begründet wird. Folglich kann das Geburtenniveau über die individuellen Verhaltensweisen, Haltungen und Interessen der handelnden Akteure abgeleitet und begründet werden und somit eine vollständige Tiefenerklärung entsprechend des methodologischen Individualismus geleistet werden. Darüber hinaus können fortan die Werte von Kindern aus einem Gesamtmodell abgeleitet und damit der Vorwurf einer möglicherweise willkürlich zusammengestellten Liste entkräftet werden.

3.2.1 Mehrebenenmodell zur Erklärung der Geburtenrate Gemäß den Prämissen des methodologischen Individualismus können kollektive Sachverhalte nur unter Rückgriff auf das durch die Situation strukturierte Handeln von individuellen Akteuren begründet werden (Popper 1962, Popper 1973). Für eine vollständige soziologische Tiefenerklärung müssen deshalb die drei folgenden direkt miteinander verknüpften Schritte durchlaufen werden: (1) Die Logik der Situation schafft zunächst eine Verbindung zwischen den sozialstrukturellen Rahmenbedingungen (Makro-Ebene) und dem handelnden Akteur (Mikro-Ebene). Dieser Schritt legt fest, welche Bedingungen durch die Situation vorgegeben sind und welche Alternativen dem Akteur dadurch konkret zur Verftigung stehen. Mittels Brückenhypothesen wird darüber hinaus eine Verbindung zwischen der objektiven Situation und der subjektiven Motivation der Individuen geschaffen, deren Charakter direkt von dem zu Grunde liegenden allgemeinen Handlungsprinzip beeinflusst wird. (2) Die Logik der Selektion gibt dann Aufschluss darüber, unter welchen Gesetzen der Akteur die bestehenden Alternativen unter den gegebenen Bedingungen auswählt. Als analytischer Kern des Gesamtmodells bedarf es deshalb einer Handlungstheorie, die einen Ursa chenteil, einen Folgeteil sowie eine präzise funktionale bzw. kausale Verbindung zwischen Ursachen- und Folgeteil aufweist. Diese universelle Theorie menschlichen Handeins ist Voraussetzung dafür, dass variierende Verhaltensausprägungen als Konsequenz unterschiedlicher Rahmenbedingungen bzw. spezifischer Situationswahrnehmungen konzeptualisiert werden können. Der letzte Schritt betrifft (3) die Logik der Aggregation. Da typischerweise das soziologische Erklärungsinteresse auf der Kollektiv-Ebene angesiedelt ist, müssen die Folgen individuellen Handeins zu dem zu erklärenden kollektiven Resultat zurückverfolgt werden (Mikro-Makro-Übergang). Dazu bedarf es bestimmter Transformationsregeln, die angeben, unter welchen Bedingungen individuelles Handeln kollektive Sachverhalte hervorbringt. Bei Fertilitätsentscheidungen lässt sich das relativ unproblematisch mit einer Vielzahl von demografischen Maßzahlen (z. B.

3.2 Theoretische Neukonzeptualisierung des VOC -Erklärungsmodells

79

Total Fertility Rate, allgemeine Geburtenrate, altersspezifische Fertilitätsrate) realisieren . Insofern sollen die historisch variablen Geburtenniveaus als aggregierte Folge individuellen Verhaltens betrachtet und erklärt werden . Dazu wird das aus der Ökonomie stammende Rational-Choice-Modell als handlungstheoretischer Kern verwendet. Auf dessen Grundlage lässt sich mühelos eine Verbindung zwischen Situation und Handlungswahl herstellen. Denn in diesem Modell ist Handeln als Entscheidungshandeln konzeptualisiert, das stets zielgerichtet und rational erfolgt. Individuen wählen immer die Handlungsalternative, die ihnen den größten Netto-Nutzen verspricht. Zur theoretischen Fundierung der folglich notwendigen Selektionskriterien wird die Theorie der sozialen Produktionsfaktoren (TSP) genutzt. Im Vergleich zu herkömmlichen Varianten wie der Subjective-Expected-Utility (SEU)-Theorie (Savage 1954; Diekmann, Voss 2004) besitzt die TSP zwei wesentliche Vorzüge : Zum einen hat sie mit der Befriedigung universeller Grundbedürfnisse (physisches Wohlbefinden, soziale Anerkennung) eine klare Zielhierarchie und spezifiziert damit den Nutzen , der sich aus einer Handlungsalternative ergibt (s. u. Kap. 3.2.2). Zum anderen verweist die TSP auf situationsabhängige Realisierungsmöglichkeiten und benennt damit Faktoren , aus denen sich die individuelle Wert-Erwartungswahrscheinlichkeit ableiten ließe. Die so hergestellte Verbindung zwischen Handlungssituation und Akteur kann sowohl wechselnde Präferenzen wie auch unbeständige Wertungen theoretisch begründen. Um das durch die Rational -Choice -Ansätze zunächst sehr abstrakt formulierte Handlungskonzept besser auf die individuelle Entscheidungssituation anwenden zu können, propagierte Lindenberg die Methode der "abnehmenden Abstraktion" und plädierte so nicht nur ftir die Einfachheit einer zugrunde liegenden Theorie, sondern auch ftir eine theoriereiche Ableitung der notwend igen Brückenhypothesen (vgl. Lindenberg 1991). Ausdruck findet jenes Vorgehen in der TSP, deren theoretischer Ausgangspunkt, die Befriedigung universeller Grundbedürfnisse, schrittweise durch die Integration zusätzlicher Annahmen erweitert wird.

3.2.2 Theorie der sozialen Produktionsfaktoren (TSP) Universelle Grundbed ürfnisse: Die Grundidee der so genannten sozialen Produktionsfunktion ist, dass mensch liches Handeln nicht in erster Linie Konsum bedeutet, sondern zunächst der optimalen Nutzenproduktion bzw. der Realisierung von individuellem Wohlbefinden dient (vgl. Lindenberg 1990: 272). Menschliches Handeln hat letztendlich nichts anderes zum Ziel, als bestimmte Ressourcen , Leistungen und Güter bereitzustellen, die ftir die Bewältigung von

80

3 Theoretisches Grundmodell für Fertilitätsentscheidungen in Indonesien

Problemen des Alltags bzw. der Befriedigung von grundlegenden Bedürfnissen des Menschen benötigt werden . Um die Bedingungen der Nutzenproduktion genauer zu definieren , greift Lindenberg die bereits von Stigler und Becker (1977) getroffene Unterscheidung in universelle und instrumentelle Ziele auf und fasst deren Argumente wie folgt zusammen: "Universal goals are identical for all human beings and instrumental goals pertain to the means that lead to ultimate goals. Instrumental goals are in fact constraints; they differ for different categories of people and they can change . Thus they can be traced in an approach that emphasizes the impact of the action environment on the action (rather than the influence of preference)" (Lindenberg 2002: 647).

Während es also universelle und kontextunabhängige Ziele menschlichen Handels gibt, die mit einer einzigen Nutzenfunktion beschrieben werden können, tragen je nach gesellschaftlichen Rahmenbedingungen variierende soziale Produktionsfunktionen zu deren Realisierung bei. Auf diese Weise wird eine klare Zielhierarchie des Handeins definiert und der Nutzen, der sich aus einer Handlung ergibt, spezifiziert, gleichzeitig aber auch auf situationsabhängige Realisierungsmöglichkeiten verwiesen. Die von der TSP unterschiedenen universellen Grundbedürfnisse sind die Gewinnung sozialer Wertschätzung und die Sicherung physischen Wohlbefindens (vgl. Lindenberg 1990: 271). Soziale Wertschätzung bezieht sich darauf, inwieweit der Akteur durch seine Handlung mit positiven Folgen innerhalb seiner sozialen Umgebung rechnen kann. Im Gegensatz dazu, wird durch die Befriedigung physischen Wohlbefindens das leibliche Überleben des Organismus gesichert. Weil so neben ökonomischen auch soziale Güter integriert werden , können fortan die üblicherweise von der Ökonomie und den Sozialwissenschaften getrennt von einander untersuchten Aspekte menschlichen Handels nur mit einem einzigen Erklärungsmodell untersucht werden. Primäre Zwischenziele : Die allgemeinen Bedürfnisse können normalerweise nicht direkt angestrebt werden. Für ihre Produktion bedarf es Zwischengüter, die als instrumentelle und universelle Ziele in die Nutzenproduktion eingehen . Lindenberg konkretisiert fünf primäre Zwischenziele (vgl. Lindenberg 2002 : 649): Für die Befriedigung physischen Wohlbefindens ist ein Mindestmaß an Komfort und Stimulation unentbehrlich. Zur Realisierung sozialer Anerkennung hingegen muss der Akteur ein Minimum an Status, Verhaltensbestätigung und positiven Affekt erfahren. Diese Ziele können zwar grundsätzlich bis zu einem gewissen Ausmaß substituiert werden, dürfen aber einzeln niemals den Wert Null annehmen: "Human beings must have both physical and social well-being , and within physical well-being they must have a certain amount ofboth comfort und stimulation. Within

3.2 Theoretische Neukonzeptualisierung des VOC-Erklärungsmodells

81

social well-being, human beings must have sorne level of status, behavioral conformation, and affection. For these reasons, substitution is only possible beyond these minimumlevels (whateverthey are)" (Lindenberg 2002: 649 t). Allerdings sind auch die für die Nutzenproduktion notwendigen Zwischengüter in den wenigsten Fällen direkt verfügbar. So müssen Komfort, Status, Verhaltensbestätigung und Stimulation erst einmal mittels kontextabhängiger Produktionsfaktoren produziert bzw. "hergestellt" werden. Kontextabhängige Produktionsfaktoren: Mit der Analyse der kontextabhängigen Produktionsfaktoren wird die nächst niedrigere theoretische Hierarchieebene erreicht. Damit werden zunehmend auch die individuellen Zwänge und Ressourcen der Akteure relevant. Das zunächst stark vereinfachte und abstrakte Erklärungsmodell bezieht sich durch die Integration zusätzlicher Annahmen nun auf die konkrete Entscheidungssituation des Akteurs. "...the lower one goes in the SPF (Social Production Function) hierarchy, the more the context-specific the productionfunctions became"(Ormel et al. 1999: 70).

Im Gegensatz zu den Grundbedürfuissen und primären Zwischenzielen ist die Liste der eingesetzten Produktionsfaktoren zwar variabel, aber keinesfalls beliebig . Ausschlaggebend für ihren Einsatz ist deren kontextspezifische Effizienz. Diese ergibt sich aus dem Saldo des Nutzens und der Kosten der für die Handlung jeweils eingesetzten Mittel. Neben der Integration von Kosten kann auch der Einfluss gesellschaftlicher Rahmenbedingungen erfasst werden. So steuern situative Umstände Handeln indirekt, indem sie über die materielle Infrastruktur, die relative Knappheit der eingesetzten Mittel und deren technisch bedingten Preise über die Herstellung primärer Zwischengüter entscheiden (vgl. Esser 1999: 106). Je besser also Produktionsfaktoren auf die jeweiligen Rahmenbedingungen abgestimmt sind, desto eher können sie zur Produktion von instrumentellen Zwischenzielen beitragen. Die Wahl eines Produktionsfaktors ist also von seiner situationsspezifischen Effizienz zur Realisierung instrumentaler Zwischenziele abhängig. Während die Veränderung der technischen und materiellen Produktionsverhältnisse über die Kosten der eingesetzten Mittel auch zu einer Veränderung von Präferenzen und Interessen führt, bleiben die primären Grundbedürfnisse hingegen konstant. Bestimmte Produktionsfaktoren eignen sich folglich unterschiedlich zur Realisierung instrumenteller Zwischeng üter. Deren Vorzüge und Schwächen müssen gegeneinander abgewogen werden. Unter der Annahme, dass Kinder potenzielle Produktionsfaktoren zur Realisierung instrumenteller Zwischenziele sind, kann die TSP nun Ferti lit ätsentscheidungen als rationale Reaktion auf spezifische Kontextvariablen erklären. Unterschiede in

82

3 Theoretisches Grundmodell für Fertilitätsentscheidungen in Indonesien

der Geburtenrate ergeben sich also infolge der variablen Effektivität von Kindern bei der Herstellung von instrumentellen Zielen für Eltern .

3.2.3 Kinder als kontextabhängige Produktionsfaktoren Das Hauptziel ist es nun zu klären, ob und wie Kinder als kontextabhängige Produktionsfaktoren in die soziale Produktionsfunktion ihrer Eltern eingehen und dann über die Realisierung instrumenteller Zwischenziele zur Optimierung von sozialer Anerkennung und physischem Wohlbefinden beitragen. In diesem Zusammenhang dürfen aber alternative Produktionsfaktoren nicht ausgeblendet werden. Denn diese können insbesondere dann die Bedeutsamkeit von Kindern schmälern, wenn sie sich im jeweiligen Kontext als effizienter erweisen . Hierzu zählen beispielsweise individuelle Ressourcen der (potenziellen) Eltern wie Bildung, ökonomisches Kapital, Berufsstatus, soziale Netzwerke oder kleinräumliche Opportunitätenstrukturen oder institutionelle Rahmenbedingungen der Gesellschaft wie soziale Sicherungssysteme, Freizeit- und Konsummöglichkeiten. Z. B. können institutionelle Absieherungen gegen die Risiken des Lebens dazu führen, dass es für Eltern keinen Grund gibt, solche Aspekte bei der Fertilitätsentscheidung zu berücksichtigen. Kinder können, müssen jedoch keine effizienten Produktionsfaktoren sein. Ausdruck findet jene situationsspezifische Effizienz im Wert von Kindern (VOC) . Dieser ergibt sich aus dem Saldo von positiven und negativen Beiträgen von Kindern , der für jede einzelne der von Lindenberg vorgeschlagenen Dimensionen ermittelt wird . So werden neben finanziellen auch emotionale und soziale Kosten in die Analyse integriert. Ein solches Vorgehen ist nicht nur analytisch konsequent, sondern spiegelt auch die Parallelen der TSP und des VOC-Ansatzes wieder. Denn auch Hoffman und Hoffman betonen neben materiellen Verlusten auch Stress, emotionale Belastungen und soziale Spannungen durch Kinder (vgl. Hoffman, Hoffman 1973: 62 t). Dieses Kostenkonzept umfasst direkte Kosten (negativer Einfluss von Kindern auf das Zwischenziel) und Opportunitätskosten (entgangene Möglichkeit der Nutzenproduktion durch nicht gewählte alternative Produktionsfaktoren). Zur Beurteilung des Wertes des Kindes gehen nun für alle fünf Bewertungsdimensionen die Kosten und Nutzen von Kindern mit einem gleichen Gewicht ein. Auf der Basis dieser Neukonzeptualisierung des VOC-Ansatzes können fortan die Werte von Kindern direkt aus dem Gesamtmodell abgeleitet werden (s. u. Abb. 3.2). Ausgangspunkt der theoretischen ModelIierung bzw. das Endziel der individuellen Nutzenproduktion bilden die beiden universellen Grundbedürfnisse (physisches Wohlbefinden und soziale Anerkennung). Alle nachge-

3.2 Theoretische Neukonzcprualisicrung des VOC-Erklärungsmodells

8J

ordnete n inst rumentellen Zwisc henz iele (Komfort, Status, Ver haltensbestätigung, Affekt und Stimulation) und kontextabhängige Produktionsfaktoren (wie z. B. Kinder) dienen letztendlic h nur deren Befriedigung. Der Wert von Kindern ist in der von der TSP vorgeschlagenen Zielhierarchie als ein solc hes Produktionsgut zur Erlangung der instru mentel len Zwischenziele ei nzuordnen.

Abbildung 3.2:

-.....

VOC- Erklä rungs modcll

LtwetMl'"

Z""" aAdot

-~

I

~.

Z-aoonz""" Kin . ., " .

I

Ökonoml_ . w.rt

kon"~"

ebtlAnglge y~,

pIof_ W _ I""""

I-~

I. ............'"

Al l.Ii'Vnaig

.

I _ .. W~,,'1dOn I I I I I I Stm~-' I I I I ,~ I I '-'~ Soz_ A-"""nJng

"lIekl

1E ...... 1_

. W. rt

_tlIlgung

I

SoIle lo. We rt

B) Konlnol9

_.--

VOC · S . ~ k' ~ '

1

Oppon un/ttl.n..... klu. : ...k r _... ,

nl~~"""", dot

Mo _

...:

K1_lnlIlcIloo~_ ... k1...

Soz _ on__ FlitlMl

voe

I Generatives I Verhalte n

I

.".., E~ ... ;

...kr ... two ....: _ .~reon

Quelle. eigene Abbildun g

Die folgen den Ausführungen geben nun einen Überblick über die Möglichkei ten zur Produktion der primären Zwisehenzicle Komfort, Verhaltenshestätigtmg und Status so wie AJf ekt und Stimulation mittels Kinder. Ko mfort: Ko mfort zeigt sich in der Abwe senheit von körperlichen bzw. seelischen Not- und Angstzuständen wie Hunger, Sch me rz oder Unsicherheit (vgl. O rmel et al. 1999 : 68) . Dam it erfa sst die Komfo rtdimension vor allem ma terielle Güter und ist Indikator ftir das physi sche Überleben eines O rganismus. Grundsätzlich ist für das finanzielle Wohlbefinden einer Familie in erster Linie das Erwe rbse inkommen der Eltern verantwortlich, doc h auch Kinder kön-

84

3 Theoretisches Grundmodell für Fertilitätsentscheidungen in Indonesien

nen einen Beitrag leisten, z. B. im frühen Kindesalter durch Mitarbeit im Haushalt, die Beisteuerung marktmäßig erworbenen Einkommens oder später durch den Versicherungsaspekt bei Krankheit, Arbeitslosigkeit sowie Alter. Die Komfortdimension von Kindern lässt sich folglich in eine kurz- und eine langfristige Dimension gliedern. Besonders in Entwicklungsgesellschaften mit einer vom Agrarsektor dominierten Wirtschaftsstruktur gibt es nicht nur besonders viele Möglichkeiten, einen Einkommensnutzen durch Kinder zu erzielen, sondern angesichts der bescheidenen materiellen Lebensbedingungen ist es auch eine außerordentliche Notwendigkeit, Kinder als zusätzliche Einkommensquelle zu nutzen . Besonders der Versicherungsnutzen von Kindern sollte in Situationen von beträchtlicher Bedeutung sein, in denen Kinder die einzige "verlässliche" Möglichkeit sind , Vorsorge für Notsituationen zu treffen. Darüber hinaus sind neben den finanziellen Transfers auch pflegerische Qualitäten von Bedeutung. Vor allem ist die Pflegequalität von eigenen Kindern höher , da sie als zuverlässiger gelten und eine persönliche Beziehung zu dem Pflegebedürftigen haben (vgl. Jobelius 1996: 87). Bestehen jedoch effizientere Möglichkeiten zur Altersabsicherung, sollten Kinder deutlich an Relevanz verlieren, der Versicherungsnutzen von Kindern also sinken. Gelegenheiten zur teilweisen Substitution von Kindern hinsichtlich ihres Versicherungsaspektes sind im Falle fehlender sozialstaatlieher Versorgungsleistungen auch in gut funktionierenden Kapitalmärken gegeben. Kapitalmärkte bieten Eltern Tausch- und Produktionsmöglichkeiten außerhalb der Familie. Der Zugang zu freien Kapitalmärkten ist jedoch wegen der schlechten Infrastruktur und dem bestehenden wirtschaftlichen Gefälle zwischen Stadt und Land größtenteils den Stadtbewohnem vorbehalten. Daneben unterliegen Investments bzw. alternative Vermögenswerte speziellen Risiken . Für Edelmetalle z. B. besteht ein hohes Diebstahlrisiko, Rohstoffe sind nicht unbeschränkt lagerfähig, Vieh hat nur eine begrenzte Lebenserwartung und Spareinlagen unterliegen dem Inflationsrisiko. Deshalb sind sie für langfristige Investition teilweise ungeeignet. Lediglich Landbesitz oder Immobilien stellen möglicherweise sichere alternative Vermögenswerte zu Kindern dar. Doch auch deren Effizienz ist wiederum durch Ernterisiken (wie Umweltkatastrophen oder schlechte Witterungsbedingungen) und ungeklärte Eigentumsverhältnisse eingeschränkt. Aber auch die Investition in Kinder hat eine Vielzahl von Nachteilen, die als direkte materielle Kosten (z. B. für Kleidung, Nahrung und Ausbildung) und Opportunitätskosten (z. B. verpasste Erwerbstätigkeit) die Komfortdimension negativ belasten. Außerdem ist die Aufzucht von Kindern zeitaufw ändig, arbeitsintensiv und mit zusätzlichen physischen Anstrengungen verbunden. Darüber hinaus dürfen die körperlichen Belastungen und Risiken, die mit einer Schwangerschaft und der Geburt einhergehen, gerade in Entwicklungsgesellschaften nicht unterschätzt werden. Denn die in der Regel schlechte medizini-

3.2 Theoretische Neukonzeptualisierung des VOC -Erklärungsmodells

85

sche Betreuung kann meist nur wenig zur Verbesserung des Gesundheitszustandes von Mutter und Kind beitragen . Gleichzeitig beeinträchtigt das erhöhte Risiko der Kindersterblichkeit und damit die Gefahr von Fehlinvestitionen die Komfortdimension nicht unerheblich . Verhaltensbestätigung und Status: Verhaltensbestätigung " .. . is the feeling of doing or having done 'the right thing' in the eyes of relevant others (inc1uding yourself)" (Lindenberg 2002: 648). Damit ist die Verhaltensbestätigung an soziale Beziehungen geknüpft, in denen Individuen wissen, was genau von ihnen erwartet wird, wobei diese Erwartungen konsistent sind. Kommt der Akteur diesen Erwartungen nach, wird sein Verhalten von anderen positiv bewertet , wohingegen ein Verstoß negative Sanktionen auslöst. Dementsprechend finden Fertilitätsentscheidungen dann soziale Anerkennung im persönlichen Netzwerk der Akteure, wenn gesellschaftliche Normen berücksichtigt wurden, wie z. B. eine bestimmte Kinderzahl , Familienform oder ein gewisses Verhütungs- und Erziehungsverhalten. Da diese Art der Belohnung von anderen Personen abhängig ist, können Kinder bereits durch die Etablierung bzw. Intensivierung hierfür notwendiger sozialer Beziehungen positiv zur Verhaltensbestätigung beitragen. So ermöglichen Kinder nicht nur Kontakte zu anderen Eltern, sondern sie intensivieren und aktivieren auch Verbindungen zu den eigenen Eltern und anderen Verwandten . Ob Kinder generell oder eine bestimmte Anzahl von Kindern positiv oder negativ bewertet werden, hängt von der Zugehörigkeit zu pro- oder antinatalistischen Netzwerken ab. Darüber hinaus ist anzunehmen, dass die Stärke mit der regelkonformes Verhalten gefördert wird bzw. negative Sanktionen drohen, von der Größe und der Struktur der sozialen Gruppe abhängig ist (vgl. Kohlmann 2000: 79). Je kleiner die sozialen Netzwerke und umso mehr sie miteinander verwoben sind, desto stärker ist die soziale Kontrolle, mit der regelkon formes Verhalten gefordert werden kann, und umso größer ist die Gefahr, dass auf regelwidriges Verhalten negative Sanktionen folgen. Nicht nur für Verhaltensbestätigung, sondern auch für den Status der Eltern ist die soziale Umgebung ausschlaggebend. Denn sozialer Status drückt sich im Verhältnis zu signifikanten Anderen aus, bezieht sich auf den Rang der in einer Gesellschaft erlangten Position und wird in der Regel durch die Kontrolle knapper Ressourcen realisiert: "Status refers to a relative ranking (mainly based on control over scare resources)" (Lindenberg 2002: 68). Nicht nur theoretisch, sondern auch empirisch, weisen Verhaltensbestätigung und Status einen engen Zusammenhang auf. Dieser wurde bereits für die Türkei nachgewiesen (vgl. Kagitcibasi, Emser 1980; Kagitcibasi 1982; Kohlmann 2000; Klaus 2008) und ist auch für Indonesien zu erwarten (s. u. Kap. 3.2.4). Aus diesem Grunde sollen Status und Verhaltensbestätigung zu einer Dimension zusammengefasst werden. Statusförderliche bzw. knappe Ressourcen können z. B. Berufspositionen, soziales Prestige aber auch

86

3 Theoretisches Grundmodell für Fertilitätsentscheidungen in Indonesien

Möglichkeiten zur politischen Einflussnahme sein. Die Geburt möglichst vieler Kinder einerseits oder Investitionen in deren Humankapital andererseits können eine effiziente Strategie zur Statuserhöhung darstellen. Jobelius (1996) weist darauf hin, dass in bestimmten traditionellen Gesellschaften mit landwirtschaftlich geprägten Strukturen Kinder aufgrund ihrer Produktivkraft einen Faktor sozialer Mobilität darstellen. Dementsprechend vergrößern sich die Chancen zur politischen Einflussnahme in diesen Kontexten mit der Anzahl von Nachkommen. Neben der Quantität von Kindern kann vor allem deren Qualität (z. B. prestigeträchtige Bildungszertifikate oder Berufspositionen) zur Produktion von sozialem Status beitragen. Voraussetzung dafür ist aber, dass der Akteur weder Investitionen in den eigenen Status noch in den des Partners als eine effiziente Strategie betrachtet , um die individuellen Chancen auf Status versprechende Hilfsmittel zu steigern (vgl. Kohlmann 2000: 78). Die Strategie, den eigenen Status durch Investitionen in das Humankapital der Nachkommenschaft zu steigern, kann jedoch kostenintensive Konsequenzen für den Akteur haben, die zum Zeitpunkt der Fertilitätsentscheidung noch gar nicht absehbar gewesen sind. So kann etwa die Inflation von Bildungszertifikaten oder das nicht normkonforme Verhalten der Nachkommenschaft die Produktion von sozialem Status gefährden. Affekt und Stimulation: Ähnlich der Verhaltensbestätigung ist Affekt von wechselseitigen Beziehungen zwischen Akteuren abhängig, setzt jedoch intime Sozialbeziehungen voraus: "Affeetion is the feeling of love and caring between people in a close relationship and the feeling of being accepted with regard to what one is (as opposed to what he or she does) " (Lindenberg 2002: 648). Dabei wird wieder in direkte und indirekte positive Affekte unterschieden. Die Interaktion zwischen Eltern und Kind einerseits und die Interaktion zwischen den Geschwistern andererseits kann direkte positive Affekte produzieren. Indirekte positive Affekte können hingegen durch die Intensivierung der emotionalen Beziehung zwischen Partnern oder nahen Verwandten eintreten. Darüber hinaus kann eine intensive Eltern-Kind-Interaktion fehlende Zuwendung des Partners ausgleichen . Die Qualität der Affektproduktion durch Kinder wird in der Literatur als hochgradig originär beschrieben und ist nur zu einem geringen Ausmaß substituierbar (vgl. Leibenstein 1957; Caldwell 1982; Huinink 2001) . Ursächlich dafür ist, dass ihre Intensität, die Regelmäßigkeit der Interaktion sowie die Affinität und die lebensphasenspezifische Abhängigkeit beider Kooperationspartner mit keiner anderen Sozialbeziehung vergleichbar sind. Diese Einmaligkeit bietet kaum Möglichkeiten, Kinder durch andere Produktionsfaktoren zu ersetzen. Damit sollte die Bedeutung der affektiven Komponente von Kindern weder auffällig hinsichtlich individueller Ressourcen noch bezüglich kontextueller Rahmenbedingungen variieren und somit auch von sozialem Wandel relativ

3.2 Theoretische Neukonzeptualisierung des VOC -Erklärungsmodells

87

unangetastet bleiben. Wie intimen Sozialbeziehungen immanent, bietet auch die Eltern-Kind-Interaktion Konfliktpotential. So können Kinder ftir die Produktion von Affekt hinderlich sein, weil Aufzucht und Erziehung erhebliche emotionale Belastungen mit sich bringen und angesichts des Zeitaufwandes andere "affektförderliche" Beziehungen (wie z. B. zu Freunden oder Verwandten) einschrän ken. Im Gegensatz zu Lindenbergs Konzeption soll im weiteren Verlauf der Arbeit Affekt und Stimulation zu einer Dimension zusammengefasst werden und zwar aus folgenden Gründen: Beide Aspekte sprechen psychische Zustände an, die sich direkt nach der Geburt realisieren lassen, ein Leben lang bestehen bleiben und in ihrer spezifischen Qualität relativ stark an den Produktionsfaktor "Kind" gebunden sind. Stimulation wird als "Activities that produce arousal including mental and sensory stimulation, physical effort, (competitive) spots" definiert (Ormel et al. 1999:67). Es ist leicht nachvollziehbar, dass die ElternKind-Interaktion durch ihre körperliche Nähe und der Impulse, die sie ftir die individuelle Weiterentwicklung bietet, als förderlich erlebt wird (vgl. Hoffman , Hoffman 1973: 53). Mit Erreichen des Grenznutzens wirkt jedoch ein Übermaß an Stimulation eher abträglich (vgl. Lindenberg 2002: 647). Neben diesen direkten Kosten sollten besonders die Opportunitätskosten Bedeutung erlangen . Denn Kinder sind für die Produktion von Stimulation besonders dann hinderlich , wenn sie individuelle Freiheiten einschränken und so anderen "Stimulationsquellen" wie beruflicher Weiterentwicklung, den Beziehungen zu Freunden oder Freizeitaktivitäten im Wege stehen. ZwischenbiIanz: Die Ausführungen belegen , dass Kinder als kontextab hängige Produktionsfaktoren gut in die TSP integriert werden können. Prinzipiell ist es möglich, dass Kinder zur Produktion der ftinf primären Zwischenziele förderlich , aber auch hinderlich sind. Allerdings ist eine Aufteilung in nur vier Dimensionen empfehlenswert. Die Komfortdimension sollte in eine kurz- und eine langfristige Kategorie zerfallen, wohingegen Verhaltensbestätigung und Status (sozial-normativer Wert) sowie AfJekt und Stimulation (emotionaler Wert) zu jeweils einer Dimension zusammengefasst werden können. Die variable Stellung von Kindern auf allen diesen Dimensionen ist abhängig von ihrer situationsspezifischen Effizienz , die letztendlich auch für die Bewertung des Wertes von Kindern (VOC) verantwortlich ist. Infolgedessen können die bisher lediglich induktiv gewonnenen Werte von Kindern fortan aus diesem Gesamtrnodell , indem der Endzweck menschlichen Handeins durch die beiden Grundbedürfnisse (physisches Wohlbefinden, soziale Anerkennung) definiert ist, abgeleitet werden. Gesellschaftliche Veränderungen - wie der oben in Kapitel 2.2 beschriebene soziale Wandel - werden die Stellung von Kindern in der sozialen Produktionsfunktion indirekt beeinflussen, und zwar, weil alternative Produkti-

88

3 Theoretisches Grundmodell für Fertilitätsentscheidungen in Indonesien

onsfaktoren zur Realisierung instrumenteller Zwischenziele effizienter werden und/oder direkt, weil der Preis von Kindern steigt bzw. deren Einsatzmöglichkeiten sinken. Ausschlaggebend hierfür sind, entsprechend des Mehrebenenbezugs des gesamten Modells , sozialstrukturelle Merkmale, institutionelle Regelungen, kleinräumliche Opportunitäten und soziale Netzwerke, aber auch individuelle Ressourcen der (potenziellen) Eltern haben Einfluss. Ein verändertes generatives Verhalten wird demnach durch den Wandel der Opportunitätenstruktur vermittelt über einen gewandelten Wert von Kindern handlungsrelevant. Für den Geburtenrückgang ist insbesondere die kurzfristige Komfortdimension verantwortlich, die im Zuge des gesellschaftlichen Fortschritts deutlich an Relevanz verlor (vgl. nur Leibenstein 1974, Caldwell 1978). Für Indonesien sollten primär die zunehmend beschränkten Einsatzmöglichkeiten von Kindern als Arbeitskraft infolge der Urbanisierung, Intensivierung der Landwirtschaft, der gestiegenen Qualifikationsanorderungen als Ergebnis der zunehmenden berufsspezifischen Differenzierung des indonesischen Arbeitsmarktes ausschlaggebend sein (s. o. Kap. 2.2 und Kap. 2.3). Im Gegensatz zur Komfortdimension sind der soziale und der emotionale Wert von Kindern deutlich geringer von diesem gesellschaftlichen Transformationsprozess beeinflusst. Vor allem für den emotionalen Wert scheint es aufgrund seines spezifischen Charakters kein Substitut zu geben. 3.2.4 Kinder als kontextabhängige Produktionsfaktoren in Indonesien Diese allgemeinen Überlegungen zu den Möglichkeiten der Produktion von kurz- und langfristigem Komfort, Verhaltensbestätigung und Status sowie Affekt und Stimulation mittels Kindern müssen nun auf den indonesischen Kontext übertragen werden. Im Hinblick auf das Erklärungsinteresse dieser Arbeit wird im Folgenden die Stellung von Kindern in der sozialen Produktionsfunktion in lndonesien fokussiert. Zur Bewertung ihrer situationsspezifischen Effizienz werden Ergebnisse aus empirischen Studien zu Nutzen und Kosten von Kindern genutzt, die unter anderem im Rahmen der indonesischen .V alue of Children"Forschung in den 1970er Jahren entstanden (vgl. T. Hull 1975; White 1976; Saefullah 1979; Darroch et al. 1981). Komfort: Speziell für den indonesischen Kontext lassen sich sowohl kurzals auch langfristige Komforterwartungen durch Kinder nachweisen (vgl. T. Hull 1975; White 1976; Saefullah 1979; Darroch et al. 1981). Hinsichtlich der kurzfristigen Komfortdimension ist die Hilfe der Kinder bei der Erfüllung von Hausarbeiten der wichtigste Vorteil. Allerdings bestehen Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Mädchen beginnen früher ihre Eltern zu unterstützen und arbei-

3.2 Theoretische Neukonzeptualisierung des VOC-Erklärungsmodells

89

ten mehrere Stunden am Tag. Jungen dagegen arbeiten erst, wenn sie älter sind. Außerdem haben sie ein geringeres Arbeitspensum zu bewältigen (vgl. T. Hull 1975: 242). Eine Ursache für die höhere Arbeitsbelastung der Mädchen soll in der stärkeren Bildungsbeteiligung der Jungen bestehen (vgl. Nag et al. 1978: 296). Zwar gibt es auf Java keine strikte Aufgabenverteilung zwischen den Geschlechtern, dennoch übernehmen Mädchen in der Regel Hausarbeiten wie Handarbeit, Kochen oder Pflege und Aufsicht jüngerer Geschwister. Jungen versorgen hauptsächlich das Vieh oder sammeln Feuerholz (vgl. White 1976: 278). Die zentrale Rolle, die Kinder bei der Pflege des familiären Haushaltes oder der Aufsicht jüngerer Geschwister spielen, darf schon deshalb in lndone sien in der Mitte des 20. Jahrhunderts nicht unterschätzt werden, weil die in einem vormodemen Haushalt anstehenden Arbeiten zeitintensiver und aufwändiger sind. Zugleich können Aufgaben wie das Säubern der schmutzigen Fußböden, das Beschaffen von Feuerholz, das Heranschaffen von Wasser oder die Versorgung jüngerer Geschwister oder des Viehs nicht vernachlässigt werden, ohne die Lebensqualität der Familie stark einzuschränken. Diese Arbeiten erfordern freilich viel Zeit. Sie sind aber bereits körperlich von Kindern ab einem Alter von sieben Jahren zu bewältigen. Der wichtigste Faktor für die Arbeit von Kindern in lndonesien ist deshalb, die Eltern und besonders Mütter von diesen Pflichten zu befreien, damit diese "produktivere" Arbeiten, wie z. B. die Pflege des Reisfeldes oder Lohnarbeit auf Plantagen verrichten können. White hat hierfür den Begriff" adultfreeing " geprägt (vgl. White 1975: 75; White 1976: 285). Außerdem belegen seine Studien, dass es hinsichtlich der Produktivität von Kinderarbeit keine wesentlichen Unterschiede zu der Arbeit von Erwachsenen gibt. Der Grund dafür liegt vor allem darin, dass Kinder tatsächlich nur die Arbeiten übernehmen , die Erwachsene keineswegs besser oder schneller verrichten würden . "These tasks, as we have noted, are frequently performed by young children; they involve long periods of time but little physical effort; and they are all necessary in the sense that they must be done if the household wishes to keep livestock, to save its rice from chickens, or to free an adult for more directly remunerative work. There is nothing in any observation to suggest that an adult could perform these tasks any better or faster than a small child; but they remain largely children's tasks where children are available, simply because an adult can be more productively occupied if he/she is freed from them"(White 1976: 308f, Hervorhebungen im Orginal).

Aufgrund der großen Bedeutung der Kemfamilie kann kein anderes bzw. entfernteres Familienmitglied zur Erledigung derartiger familiärer Pflichten herangezogen werden. Deswegen stellen Kinder bezüglich der kurzfristigen Komfort-

90

3 Theoretisches Grundmodell für Fertilitätsentscheidungen in Indonesien

dimension ein weitgehend einmaliges Gut dar. Diese Besonderheiten von Arbeit von Kindern treffen insbesondere für die ärmeren sozialen Schichten und damit für die Mehrheit der Bevölkerung Javas zu. Hingegen sind Kinder der Oberschicht zu einem wesentlich geringeren Teil wirtschaftlich aktiv. Die Gründe dafür sind nicht nur in einem geringeren Bedarf an zusätzlichen wirtschaftlichen und instrumentellen Beiträgen durch Kindern zu suchen, sondern vielmehr darin, dass diese Kinder häufiger weiterführende Schulen besuchen und deshalb ihren Eltern deutlich weniger zur Verfügung stehen (vgl. T. Hull 1975: 247). Dies kann der VOC-Survey bestätigen. Bei der Bewertung des ökonomischen Nutzens von Kindern lassen sich deutliche sozialstrukturelle Differenzen feststellen. Befragte mit ländlichem Wohn kontext und geringerer Bildung maßen diesem Nutzenaspekt eine wesentlich größere Bedeutung zu als Personen mit einem urbanen Hintergrund und einem vergleichsweise hohem Bildungsniveau (vgl. Darroch et al. 1981: 26). Obwohl ältere Menschen auf Java so lange wirtschaftlich selbstständig bleiben, wie es ihnen möglich ist und nur sehr ungern auf die Unterstützung Anderer angewiesen sind, wird die Hilfe durch Kinder im Alter als der wichtigste Vorteil für deren Geburt bewertet (vgl. Darroch et al. 1981: 27; T. Hull1975: 273) . Beurteilen Eltern die langfristige Komfortdimension von Kindern, haben sie jedoch nicht nur materielle Vorteile im Blick, sondern betonen gleichzeitig die spätere emotionale Seite der Versorgungsleistungen. Aus diesem Grund kann hier nicht, wie gemeinhin von der ökonomischen Theorie der Fertilität angenommen, streng zwischen materiellen und immateriellen Nutzen von Kindern unterschieden werden . Der Versicherungsaspekt von Kindern bildet hier nämlich eine Ausnahme. "Old age assistance, ranked as the most important reason for wanting anothcr ehild , probably included for some respondents the notion of comfort and care in old age rather than purely cconomic assistanee; but it is fairly difficult in the eontext of these two soeieties to separate the two . Support in old age for the most Indonesians of neeessity includes both direct eeonomic assistance for daily needs and compan ionship . Many respondents, in fact, cxpressed the idea in terms of having somcone to live with when they got old, or having a plaee ofrefuge in old age" (vgl. Darroeh et al. 1981: 30 t).

Wie der VOC-Survey stellt auch T. Hull (1976) fest, dass Probanden die materielle Seite der Versorgung durch Kinder nicht unabhängig von dessen emotionalem Aspekt bewerten . Eltern versprechen sich von der Versorgung durch ihre Kinder eine ganz persönliche Sicherheit. Diese schließt die Hoffnung auf materielle Unterstützung genauso ein, wie das Gefühl von Sicherheit, Freude, Unterhaltung und Vollständigkeit im spirituellen Sinn (vgl. T. Hull 1976a: 22). Diese

3.2 Theoretische Neukonzeptua1isierung des VOC-Erklärungsmodells

91

Rolle , die den Kindern bei der Absicherung von Lebensrisiken zukommt, ist sogar unabhängig von der Schichtzugehörigkeit. Selbst Regierungsangestellte, denen im Rentenalter eine staatliche Pension zusteht, nennen Kinder als die wichtigste Stütze im Alter (vgl. T. Hull 1975: 274). Das hat zum einen soziale Ursachen, weil Kinder eben mehr leisten können als nur materielle Unterstützung: " When you are old, your children will care for you. Even when you are rich, the kind of care your children give you cannot be bought" (Geertz 1961: 83) . Zum anderen liegt es aber auch daran, dass die privilegierte Gruppe der potenziellen Rentenempfänger lieber auf Kinder als auf den Erhalt staatlicher Unterstützung vertraut. Die staatlichen Versorgungsleistungen genießen angesichts der sowohl wirtschaftlichen als auch politisch instabilen Situation in Indonesien kein Vertrauen in der Bevölkerung. Die ständig drohende Inflation gefährdet nicht nur das Rentenversicherungssystem, sondern auch monetäre Sparrücklagen. Deswegen fehlen ftir den Versicherungsaspekt von Kindern in Indonesien gänzlich Alternativen (vgl. T. Hull 1975 : 274). Können Personen der Obersicht wenigstens auf den Erhalt einer Pension hoffen, sind Personen der ärmeren Schichten in jeder Beziehung auf die Hilfe ihrer Kinder angewiesen. Selbst das Geschlecht der Kinder spielt dabei keine Rolle (vgl. T. Hull 1975: 276; Nag 1978: 298) . Einem direkten Komfortnutzen von Kindern stehen jedoch auch Kosten gegenüber. Sie betreffen insbesondere die Geburt und die Aufwendungen ftir Hebamme oder Klinik, Zeremonien während der Schwangerschaft sowie nach der Geburt, Nahrungsergänzungsmittel ftir die Mutter, Kleidung des Neugeborenen etc., Ernährung, Kleidung, Schule wie z. B. Schulgelder, Bücher, Schreibmaterial, Transport, Gesundheit wie z. B. Sanitätsdienst, Krankenhausdienste oder Medizin, Zeremonien auf dem Weg zum Erwachsenenstatus wie z. B. Beschneidung , Hochzeit, Schulabschluss, Bürokratie und lobsuche (vgl. T. Hull 1976b : 5 ff). Den größten Anteil der Ausgaben machen allerdings die Kosten ftir Ernährung, Kleidung, Schulbildung und Gesundheit aus (vgl. Darroch et al. 1981: 33). Wie hoch diese Aufwendungen von den Eltern bewertet werden, ist jedoch stark vom Haushaltsbudget der Familien abhängig. Vor allem gering Gebildete und Befragte in ländlichen Regionen weisen auf die materiellen Belastungen durch Kinder hin (vgl. Darroch et al. 1981: 44 f). Tatsächlich werden Personen der unteren sozia len Schichten durch Kosten ftir Ernährung und Unterkunft auch stärker belastet , weil diese einen weitaus größeren Anteil am Haushaltsbudget ausmachen, als dies ftir Familien der Oberschicht der Fall ist (vgl. T. Hull 1975: 303) . Folglich stehen den finanzkräftigeren Familien mehr Mitte l zur Verfügung , die daftir eingesetzt werden können, Bedürfuisse zu befriedigen, die über die so genannten Grundbedürfnisse hinausgehen. Vor allem die Bildung ihrer Kinder profitiert von diesen finanziellen Ressourcen. Zwar zahlen Eltern der unteren

92

3 Theoretisches Grundmodell für Fertilitätsentscheidungen in Indonesien

sozialen Schichten in der Regel kein Schulgeld und müssen auch Lehrbücher nicht selbst bezahlen, für sie sind aber die entstehenden Mehrkosten durch den Schulbesuch ihrer Kinder trotzdem kaum zu tragen. Zudem wiegt für diese Familien schwer, dass Kinder weniger und deutlich unflexibler zur Unterstützung des Haushaltes herangezogen werden können (White 1976: 351). Die enormen direkten und indirekten Kosten, die infolge der Bildungsbeteiligung von Kindern entstehen, sind auch der Hauptgrund dafür, dass Kinder der Unterschicht spätestens nach der Grundschule das Bildungssystem wieder verlassen. Obwohl die Ausgaben der weiterführenden Schulen auch für Eltern der Oberschicht eine große finanzielle Belastung darstellen , verbleiben ihre Kinder auch nach der Grundschule häufiger im Bildungssystem, weil sie auf eine monetäre Unterstützung eines finanzstarken Verwandtenkreises hoffen können. "The child of a lower income family is not likely to have relatives who have surplus income which can be spent on hirn without some relatively immediate return expected. Thus, while the poor share their poverty , this has less relative impact on meeting the direct material costs of childbearing than the fact that the rich can share their wealth" (T . Hull 1975: 304).

Man kann also feststellen , dass Familien der Obersicht nicht nur über mehr materielle Ressourcen verfügen, sondern gleichzeitig auf ein soziales Netzwerk zurückgreifen können, das ihnen in Notsituationen finanzielle Unterstützung gewährt. Im Gegensatz zu den direkten Kosten kommt den Opportunitätskosten keine oder nur eine geringe Bedeutung zu. Der Zeitverlust, der insbesondere Müttern durch die Geburt eines Kindes entsteht, ist besonders in den unteren sozialen Schichten gering (vgl. White 1976: 359). So unterbricht bei den Javanern eine Frau ihre Erwerbstätigkeit in der Regel nicht (vgl. T. Hull 1975: 314; White 1976: 341; Darroch et al. 1981: 37). Meistens übernehmen ältere Geschwister den Großteil der Pflege und Aufsicht. Folglich sind die Opportunitätskosten bei der Geburt des ersten Kindes am größten (vgl. V. Hull 1975: 128). Das älteste Kind bindet mehr Ressourcen der Eltern, weil sie in der Regel etwas länger zu Hause bleiben müssen oder darauf angewiesen sind, ihr Kind zur Arbeit mitzunehmen. Wenn aber später weitere Kinder zur Welt kommen , profitieren Eltern insbesondere von diesen Erstgeborenen (vgl. T. Hull 1975: 315). Trotzdem dürfen die Opportunitätskosten der Erstgeburt nicht überschätzt werden. In der Regel kümmern sich nämlich die Großeltern, andere Verwandte oder Nachbarkinder um das Erstgeborene. Anders verhält es sich bei Frauen der Oberschicht. Hier steht die Erwerbstätigkeit mit der Kindererziehung in Konkurrenz, weil sich diese Frauen eher an der "westlichen Hausfrauenrolle" orientieren (vgl. T. Hull1975: 313).

3.2 Theoretische Neukonzeptualisierungdes VOC-Erklärungsmodells

93

Versprechen sich Eltern von ihren Kindern vor allem langfristige Sicherheit, ist die Realisierung dieses Nutzenaspektes von einer Vielzahl von Faktoren abhängig . Die "kindliche Gesundheit" ist hierfür eine entscheidende Determinante. Ist ein Kind nämlich krank, erhöht sich insbesondere bei einer unzureichenden medizinischen Versorgung sein Mortalitätsrisiko und gefährdet daher zukünftige Nutzenerwartungen. Darüber hinaus ist anzunehmen, dass diese Verlustängste neben Zukunftsängsten auch die Furcht vor emotionalen und materiellen Fehlinvestitionen implizieren. So war der Tod eines Kindes unter den Befragten des VOC -Surveys nicht nur eine ziemlich allgemeine schmerzliche Erfahrung, son dern beeinflusste auch die Wahrnehmung bestimmter Vor- und Nachteile von Kindern. Insbesondere Befragte, die bereits ein Kind verloren hatten, erwähnten ökonomische Kosten und die Sorge um die Gesundheit des Kindes häufiger (vgl. Darroch et al. 1981 : 30 f). Auch Hull geht davon aus, dass durch Kindersterblichkeit für Eltern eine Reihe von Kosten entsteht, die er als verlorene Investitionen charakterisiert (vgl. T. Hull 1975 : 307). Sie umfassen die bisherige Ernährung , die genutzte Kleidung, Ressourcen, die insgesamt an das verstorbene Kind gegangen sind und eben nicht in die Geschwister investiert werden konnten, sowie der Kraftaufwand für Geburt und Pflege. Für Eltern stellt sich darüber hinaus die Frage, mit welcher Wahrscheinlichkeit sich Investitionen als Fehlinvestitionen herausstellen werden. Da es letztendlich unmöglich ist, dieses Risiko zu kalkulieren, sind Eltern besorgt oder beängstigt und haben lediglich eine vage Vorstellung von den materiellen und emotionalen Kosten, die entstehen, bevor ein Kind stirbt. "Obviously people do not work out precisely the expect value of the cost of rearing x number of children subject to certain mortality constrains - rather they are anxious, afraid or resigned and have vague feeling about the amount of material cost which is likely to be entailed before a child dies. They have had the experience of seeing how their neighbours handled the death of a child, and they are aware of the material (as weil as emotional) investments which underlay the whole process" (T. Rull 1975: 306). Auf der Basis dieser Beobachtung ließen sich auch Rückschlüsse über die Aus gestaltung der Kosten- und Nutzenstruktur von Kindern auf Java ziehen. Einerseits verspricht sich die Mehrheit der Bevölkerung mittel- und langfristige instrumentelle Vorteile von der Geburt eines Kindes (vor allem die Hilfe im Haushalt und der Versicherungsaspekt) , anderseits besteht die Gefahr, dass angesichts der hohen Kindersterblichkeit sich diese Ziele niemals realisieren lassen . Das Risiko ein Kind zu verlieren, ist in Anbetracht der hohen Kindersterblichkeit der 1970er Jahre in Indonesien allgegenwärtig (s. o. Kap. 2.1.2). Eltern befinden sich somit in einem Dilemma bzw. müssen zwei Kosten- und Nutzenpole gegen-

94

3 Theoretisches Grundmodell für Fertilitätsentscheidungen in Indonesien

einander abwägen : Zum einen sind sie auf die Hilfe ihrer Kinder insbesondere im Alter angewiesen , dafür sind gerade materielle und emotionale Aufwendun gen notwend ig. Zum anderen sind Eltern so mit dem Risiko konfrontiert , entweder nicht genug investieren zu können oder das die bereits geleisteten Investitionen ins Leere laufen . Das ist immer dann der Fall, wenn Kinder sterben, bevor sie den gewünschten Ertrag realisieren oder Kinder sich in eine Richtung entwickeln, die spätere Hilfeleistungen unwahrscheinlich werden lassen. Denkbare Gefahren sind nicht nur der Verlust durch Tod, sondern auch .Fehlentwicklungen" von Kindern, wenn sie z. B. nicht bereit sind, Hilfe zu geben oder schlicht nicht in der Lage dazu sind. "That is, children offer the promise of security in a world of extreme uncertainty . This may seem contradictory. After all, when note is taken of high (though) falling infant mortality rates and ofthe difficulties ofraising children to be strong, obedient and practice of childrearing is uncertain" (T . Hull 1975: 346).

Die Pole, zwischen denen sich Eltern bewegen und die sie in ihre Kosten- und Nutzenanalyse einzubeziehen haben, lassen sich daher folgendermaßen charakte risieren. Einerseits die langfristigen emotionalen und materiellen Nutzenerwartungen, die Kinder versprechen , andererseits die Angst, dass diese Erwartungen niemals erfüllt werden , sei es aufgrund fehlender Investitionen oder Fehlinvestitionen in emotionaler als auch materieller Hinsicht. Für Indonesien muss deshalb davon ausgegangen werden, dass der Komfortaspekt in eine langfristige und eine kurzfristige Dimension zerfällt. Auf der kurzfristigen Dimension stehen sich direkte ökonomische Beiträge (unbezahlte Hausarbeit, zusätzliches Einkommen) und ökonomische Kosten (z. B. Ernährungskosten, Kosten für Bekleidung und Schulbildung) gegenüber. Hinsichtlich der langfristigen Dimension muss das Potential von Kindern für die Versicherung der Elterngeneration und das Risiko von emotionalen- und materiellen Fehlinvestitionen gegeneinander abgewogen werden. Verhaltensbestätigung und Status: In Indonesien existieren eine Reihe immaterieller Vorteile durch die Geburt von Kindern (vgl. T. Hull 1975: 319). Diese lassen sich wie für die Dimens ionen Verhaltensbestätigung und Status typisch nur bedingt dem einen oder anderen Ziel zuordnen. Beispielsweise erlangen junge Brautleute erst mit der Geburt des ersten Kindes ihren vollwertigen Status als Erwachsene und gelten fortan als gleichberechtigte Mitglieder der sozialen Gemeinsch aft. Dieser Statusübergang wird durch eine Vielzahl von Zeremonien während der Schwangerschaft und nach der Geburt begleitet und ist durch eine rege gesellschaftliche Anteilnahme charakterisiert.

3.2 Theoretische Neukonzeptualisierung des VOC-Erklärungsmodells

95

"This ritual recognition had served its purpose though, for not only was the young man flattered, he was also dramatically transformed in the eyes of his friends and neighbours into a new classification of social being who would require different attentions, and who would be expected to bear different responsibilities" (T. Hull 1975: 322).

Gleichzeitig haben Kinder in der javanischen Mythologie eine zentrale Rolle. So teilen die meisten Javaner die Ansicht, dass alle Menschen Teil einer übergeordneten Identität sind und Kinder als Kettenglied ihre "Unsterblichkeit" gewährleisten. Freude bei der Aufzucht der Kinder oder das Schöpferische der Erziehungsaufgabe sind weitere universelle Vorteile, die mit der Geburt von Kindern assoziiert werden . Wohl nur der oberen sozialen Schicht kann die Möglichkeit zugerechnet werden, durch Kinder nutzbringende soziale Netzwerke aufzubauen. Vor allem Personengruppen, die ein großes Interesse an der Vermehrung von Landbesitz oder an der Ausweitung ihrer bürokratischen Macht haben, können mit Hilfe von Kindern (insbesondere höherer Parität) Netzwerke etablieren, die dann Macht und Einfluss stiften. Ähnliche Ergebnisse zeigt auch die Untersuchung der sundanesischen Teeplantagenarbeiter(innen) in West-Java. Auch hier wurde mit der Geburt von Kindern die Chance zur Ausdehnung der Beziehungen innerhalb des Dorfes verknüpft (vgl. Saefullah 1979: 65 f). Affekt und Stimulation: 1m indonesischen Kontext ist die Affekt- bzw . Stimulationsdimension von außerordentlicher Bedeutung, weil der Affekt- bzw . Stimulationsnutzen durch Kinder von Eltern , neben der Komfortdimension, als der wichtigste Vorteil für die Geburt eines Kindes bewertet wird. Kinder gelten als die Basis einer zufriedenen Familie bzw. einer glücklichen Beziehung (vgl. Saefullah 1979: 64). Vor allem Liebe und Nähe , die die Eltern -Kind -Beziehung verspricht, werden als außerordentlich positiv bewertet. Wie die anthropologischen Studien von T. Hull (1975) und Saefullah (1979) belegt auch der VOC Survey die überaus bedeutenden stimulierenden und affektuelIen Vorteile durch Kinder (vgl. Darroch et al. 1981: 27). Sie umfassen Faktoren, wie z. B. das Wissen, einen Nachkommen oder einen Grund für beruflichen Erfolg zu haben , aber auch einfach nur das Glücksgefühl, das durch das Aufwachsen der Kinder oder die Freude am Spiel mit den Kindern entsteht. Zwar versprechen sich Eltern von der Geburt eines Kindes eine ganze Fülle von Vorteilen, jedoch werden auch die Kosten auf dieser Dimension hoch bewertet. Nach dem VOC-Survey übersteigen diese in Indonesien sogar die Bedeutung der Komfortkosten (vgl. Darroch et al. 1981: 36). Emotionale Kosten, die am häufigsten genannt wurden , waren zum einen die Erwartung, dass Kinder zusätzlichen Ärger und Schwierigkeiten bedeuten , zum anderen aber auch die Sorge um die Gesundheit des Kindes einschließlich der Furcht vor dessen Tod oder dessen Zukunft. Die Ergebn isse des VOC-Surveys lassen sich auch durch weitere Studien bestätigen.

96

3 Theoretisches Grundmodell für Fertilitätsentscheidungen in lndonesien

Z. B. betonen Probanden in der Studie von Saefullah (1979) die emotionalen Belastungen, die durch Lärm, Ärger und Müdigkeit auf Eltern zukommen, sowie die Sorge um eine adäquate Erziehung. Unterschiede zwischen den Geschlechtern ergeben sich bei der Wahrnehmung der Kosten . Werden die materiellen Kosten durch Kinder in erster Linie von Männern wahrgenommen, stehen die emotionalen Kosten im Fokus der Frauen (vgl. Saefullah 1979: 66; Darroch et al. 1981: 36). Auch in Bezug auf andere sozialstrukturelle Merkmale lassen sich Variationen feststellen. So steht die Bewertung der emotionalen Kosten in einem positi ven Zusammenhang mit dem Bildungsniveau der Eltern. Stadt-LandDifferenzen können hingegen vernachlässigt werden. Die genaue Analyse und die konkrete Darstellung des indonesischen Kontextes zeigten, dass sich die theoretischen Überlegungen (s. o. Kap. 3.2) relativ unproblematisch auch auflndonesien übertragen lassen. Der soziale Wandel seit der Mitte des 20. Jahrhunderts sollte jedoch einen mehr oder weniger starken Einfluss auf jede einzelne der Nutzen- und Kostendimension von Kindern seit den 1970er Jahren gehabt haben. Hierzu werden im vierten Kapitel mittels einiger Hypothesen konkrete Überlegungen angestellt (s. u. Kap 4.2.).

3.3 Integration vermeintlich irrationaler Handlungen Aus dem soeben hergeleiteten Grundmodell zur Erklärung menschlichen Handelns (s. o. Kap. 3.2) geht hervor , dass generatives Verhalten das Ergebnis eines rational kalkulierten Entscheidungsprozesses ist. Fertilitätsentscheidungen werden auf der Basis einer bewussten Nutzen- und Kostenanalyse getroffen, wobei sich Akteure letztendlich für das Verhalten entscheiden, das zur Realisierung der instrumentellen Zwischenziele (Komfort, Status, Verhaltensbestätigung, Affekt und Stimulation) am nützlichsten ist. Der maximale Erwartungsnutzen als hier für maßgebliches Entscheidungskriterium lässt sich jedoch nur durch ein für die konkrete Situation optimiertes Verhalten verwirklichen. Allerdings verursacht dieses Verhalten extrem hohe Entscheidungskosten. Vor allem Zeit- und Energieaufwand ftir Informationsbeschaffung und -verarbeitung machen prozessrationales Handeln im Sinne des .Rational-Choice" extrem kostspielig' ". Wirft man 17 Hier soll auf die Differenzierung des Rationalitätsbegriffs von Simon (1976) hingewiesen werden. Er unterscheidet zwei Bedeutungsgehalte von Rationalität: "substative" und "procedural rationality" und meint hiermit zum einen Zielrationalität ("Ergebnis einer Handlung kann rational bezüglich des angestrebten Ziels, ihr sich herausstellender Nutzen im Sinne von Effektivität und Effizienz groß sein ... ") und zum anderen Prozessrationalität. wo der "Vorgang der Handlungswahl" rational im Sinne von "gut informiert und kalkulierend" erfolgt (Schimank 2002 : 93).

3.3 Integration vermeintlich irrationaler Handlungen

97

deshalb die begrenzten zeitlichen und kognitiven Ressourcen der Individuen in die Waagschale, ist es fraglich , ob ein solches Abwägen immer möglich und zweckmäßig ist. Wie in einer Vielzahl empirischer Studien belegt , widersprechen insbesondere Verhaltensweisen in Alltagssituationen diesem Rationalitätsdogma (vgl. dazu nur Diekmann 1996; Mensch 2000 ; Esser 2002 ; Friedrichs, Opp 2002). Zudem ist in Bezug auf Fertilitätsentscheidungen umstritten, ob diese tatsächlich mit Hilfe von Rational-Choice-Ans ätzen zu erklären sind. So ist innerhalb nationaler Kontexte bzw . ähnlicher gesellschaftlicher Verhältnisse der Einfluss typischer Modernisierungsvariablen (wie z. B. Bildung, Erwerbspersonen außerhalb der Landwirtschaft, Urbanisierung oder Pro-Kopf-Einkommen) auf die Geburtenrate sehr gering, besitzt keine Varianz oder existiert nicht entsprechend der Vorannahmen (vgl. Janowitz 1971; Mauldin, Berelson 1978). Leibenstein (1981 , 1985) zieht aus solchen empirischen Befunden den Schluss, dass wegen der hohen Kosten einer bewussten Entscheidung generatives Verhalten überwiegend auf Routinen beruht. Zum Verständnis von Fertilitätsentscheidungen wäre folglich notwendig, diese Routinen zu kennen bzw. die Ursachen ihrer Entstehung zu verstehen. "Ou r general hypothesis is that a high proportion of the fertility rate is determined by "non-decision decisions ", that is, passive or inertial decision-making". ( ... ) "The implication is that to explain most behavior we have to understand routines and why routines are established" (Leibenstein 1981: 388 f).

Mit dieser Ansicht steht Leibenstein nicht allein. Ebenso bezweifelt T. Hull (1983) speziell für Indonesien, dass Fertilitätsentscheidungen in jeder Situation auf einen aufwändigen Abwägungsprozess beruhen und schlägt deswegen eine Analyse des Wandels sozialer Institutionen vor. "Moreover, although individuals are c1early the primary actors with regard to fertility, they are only partly calculating in any psychological sense . They often act out of habit, follow directions from other people, or respond to needs and desires quite unrelated to awareness ofpotential fertility outcomes . To address these concems effectively in a conceptual framework, one must examine not only the characteristics and attitudes of individuals, but also the evolution of institutions that create the setting in which those individuals make there reproductive decisions " (T. Hull 1987: 90).

Für das hergeleitete VOC-Erklärungsmodell (s. o. Kap. 3.2) ergibt sich daraus folgendes Problem: Für die Erklärung generativen Verhaltens ist entscheidend, ob die für Indonesien typischen Geburtenraten aus einer individuellen Kostenund Nutzenanalyse resultieren oder sich an erfolgreiche Problemlösungen der Vergangenheit orientieren und somit überliefertem Erfahrungswissen folgen.

98

3 Theoretisches Grundmodell für Fertilitätsentscheidungen in Indonesien

Letzteres würde dann aber die Erklärungskraft des VOC-Ansatzes in Frage stellen. Denn wenn eine rationale Entscheidungsfindung eine eher untergeordnete Rolle spielen würde , kann der VOC-Ansatz nur wenig zur Vorhersage von Fertilitätsunterschieden beitragen. Es wäre die Grundannahme aller Rational-ChoiseAnsätze nicht erfüllt, nach der eine Entscheidung das Ergebnis einer aktiven Auseinandersetzung mit allen möglichen Handlungskonsequenzen ist. Dieses Problem ließe sich auch nicht lösen, indem man die von Leibenstein (1981) beschriebenen Routinen als normkonformes Verhalten in das Rational -ChoiseErklärungsmodell integriert. Rational wären Fertilitätsentscheidungen in dieser Konzeptualisierung, weil der Akteur sozialen Normen gehorcht, um negative Sanktionen durch das soziale Umfeld zu vermeiden. In Bezug auf das generative Verhalten ist jedoch vielmehr davon auszugehen, dass soziale Normen dem Akteur nicht extern gegenüber stehen, sondern dem Akteur im Laufe seiner Sozialisation internalisiert wurden und er sich auch ohne Zwangsmaßnahmen an ihnen orientieren würde . Handlungsresultate wären aber somit nicht mehr rational erklärbar und der VOC-Ansatz als Handlungstheorie gescheitert. Um das daraus resultierende Erklärungsdefizit zu überwinden, müssen systematische Abweichungen vom kalkulierenden Verhalten ebenfalls in das Erklärungsprogramm integriert werden . Dann stünden zwei Handlungsmodelle zur Alternative und das rationale Kalkulieren wäre lediglich eine mögliche Logik der Selektion. Der rationalen Wahl würde dann das unhinterfragte Handeln gemäß einer internalisierten .Fertilit ätsnorm " gegenübergestellt. Diese Erweiterung des Erklärungsmodells steht der theoretischen Grundprämisse der vorliegenden Arbeit auch nicht entgegen. Das Handeln im Alternativmodell ist zwar nicht prozessrational (im Sinne von informiert und kalkulierend), aber rational auf ein angestrebtes Ziel 18 ausgerichtet (vgl. dazu Schimank 2002 : 93). So reduziert Handeln entsprechend einer sozialen Norm nicht nur Informations- und Entscheidungskosten, sondern bietet parallel dazu eine Empfehlung, auf dessen prinzipielle Angemessenheit der Akteur vertrauen kann, wodurch ihm ein Mindestmaß an Handlungssicherheit verschafft wird. Um begründen zu können , wann Akteure sich der einen oder der anderen Selektionsregel bedienen , soll auf die FrameSelektionstheorie von Esser (200 I) zurückgegriffen werden . Denn hier wird die Art des Entscheidungsprozesses bzw. der Informationsverarbeitung selbst als erklärende abhängige Variable definiert. Darüber hinaus werden in dem von Esser (2001) und Kroneberg (2005) vorgeschlagenen Framing-Modell Bedingungen bzw. Voraussetzungen für einen rationalen Entscheidungsprozess ange18 Das angestrebte Ziel sollte hier die Realisierung instrumenteller Zwischenziele zur letztendlichen Befriedigung der beiden universellen Grundbedürfnisse (physisches Wohlbefinden und sozialeAnerkennung) sein (s. o. Kap. 3.2.2).

3.3 Integration vermeintlich irrationaler Handlungen

99

geben. Diese werden im Folgenden zu eigen gemacht, um die Situationen zu identifizieren, in denen der VOC-Ansatz oder das Alternativmodell zur Erklärung des generativen Verhaltens anwendbar sind.

3.3.1 Framing-Modell: Zwei idealtypische Modi der Entscheidungsjindung Die Grundannahme des Framing-Modells ist, dass jede Entscheidung durch eine spezifische Definition der Situation bestimmt wird (vgl. Esser 2001, Kroneberg 2005) - dem Frame der Situation. Dieser beinhaltet ein gedankliches inhaltliches Modell der Situation und umfasst verschiedene Situationsobjekte, die die Angemessenheit eines Frames in der aktuellen Situation anzeigen (vgl. Esser 2001: 261; Kroneberg 2005 : 346). Verhaltensrelevant wird die Frame-Selektion erst über die Prozesse der Skript-Selektion und schließlich der Handlungs-Selektion. Skripte sind spezielle Programme des Handeins und beinhalten mentale Modelle über das korrekte bzw. angemessene Verhalten in einer bestimmten Situation. Weil sich Normen typischerweise auf das richtige Handeln innerhalb bestimmter Situationen beziehen, ist hier die subjektive Geltung einer .Fertilitätsnorm" verankert (vgl. Kroneberg 2005: 359). Das konkrete Handeln ist infolgedessen stark von seiner Regelung durch das Skript abhängig . Die Auswahl von Frame, Skript und konkretem Handeln kann anhand zweier idealtypischer Modi erfolgen: Zum einen durch den automatisch-spontanen Modus (as-Modus), der entweder individuell erprobtem (routiniertem bzw. habitualisiertem) oder kulturell bewährtem (normierten) Erfahrungswissen folgt und zum anderen durch den rational-kalkulierenden Modus (rc-Modus), bei dem Handlungen das Ergebnis eines aufwändigen Entscheidungsprozesses sind. Angesichts der komplexen Beschaffenheit sozialer Strukturen und den nur begrenzten Möglichkeiten zur Informationsbeschaffung und -verarbeitung wird dem Akteur unterstellt, dass er die Mehrheit seiner Entscheidungen nach dem asModus trifft. Ursache dafür ist, dass Handeln entsprechend des rc-Modus " zwar eine genauere Analyse ermöglicht, aber andererseits mit Reflexionskosten in Form von verbrauchter Energie verbunden ist " (Kroneberg 2005 : 357). Für typische Alltagsprobleme besitzt der Akteur deshalb in der Regel eine adäquate Routinelösung, die eine aufwändige Kosten-Nutzen-Analyse unnötig werden lässt. Um allerdings den "billigeren" Prozess des automatisch-spontanen Handelns nutzen zu können, müssen die folgenden Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein: Erstens müssen die wahrgenommenen Situationsmerkmale die Gültigkeit eines bestimmten Frames vergleichsweise eindeutig anzeigen, zweitens sollte der Akteur über ein Programm des Handelns (Skript) verfügen, das relativ eindeutig zur Definition der Situation passt und im Akteur stark verankert ist, und drittens muss dieses Skript die Handlungswahl relativ stark vorgeben (vgl.

100

3 Theoretisches Grundmodell für Fertilitätsentscheidungen in Indonesien

Kroneberg 2005: 356) . Sind diese Voraussetzungen erfüllt, gibt es für den Akteur keinen Grund, von gewohnten Verhaltensmustern oder sozialen Normen abzuweichen (vgl. Esser 200 I: 71). Mit Hilfe des Framing-Modells kann nun also, der individuellen Rationalität widersprechendes Verhalten theoretisch einbezogen und begründet werden. Es wird damit nicht nur als "Sonderfall" behandelt und als unerklärbar abgetan. Es stellt sich nun die Frage, wann konkret sich der Wechsel vom as-Modus zum kostspieligen, aber situationsangepassten rc-Modus lohnt? Nach Esser zahlt sich der Wechsel grundsätzlich erst dann aus, wenn der zusätzliche Ertrag der bewussten Entscheidung den Mehraufwand der Informationsbeschaffung und Verarbeitung übersteigt. Unter Bezugnahme auf Fazio (1990) spezifiziert Esser (2001) weiter: Dem Übergang vom unreflektierten Handeln zum elaborierten Entscheiden geht zunächst die Erfahrung des Akteurs voraus, dass der bisher gültige Frame nicht mehr "einwandfrei" auf die Situation passen will. Aufgrund dieses so genannten Miss-Matches zwischen Modell und Situation entwickelt der Akteur zunächst eine Vorahnung, dass beim Verlassen des as-Modus optimaler entschieden werden könnte . Der Akteur nimmt fortan Handlungsalternativen aufmerksamer wahr und die direkte Beziehung zwischen Situation und Handlung wird unterbrochen. Da die kalkulierte Handlungsalternative zwar grundsätzlich die "bessere" Alternative wäre, aber der Entscheidungsprozess wegen der hierfür benötigten Zeit und der aufgewendeten Energie durchaus kostspielig ist, ist es von weiteren Parametern abhängig, ob es tatsächlich zum rationalen Kalkulieren kommt (vgl. Esser 2001 : 266). Als weitere Einflussgrößen werden die Reflexions-Motivation, der Reflexions-Aufwand und die ReflexionsOpportunitäten eingeführt. Die Entscheidungsfindung mittels des rc-Modus setzt nun voraus, dass eine hohe Reflexions-Motivation, ein geringer ReflexionsAufwand und ausreichend Reflexions-Opportunitäten bestehen. Erst wenn diese Grundvoraussetzungen erfüllt sind, also die Opportunitätskosten der falschen Entscheidung hoch sind, die Kosten des bewussten Entscheidens gering sind und Gelegenheiten zum Nachdenken bestehen, gibt der Akteur sein automatischspontanes Verhalten (as-Modus) zu Gunsten einer rational kalkulierenden Entscheidung (rc-Modus) auf. Im Folgenden geht es nun um die Frage, wie sich diese theoretischen Überlegungen zur Moduswahl konkret auf Fertilitätsentscheidungen übertragen lassen (vgl. dazu auch Nauck 2007; Klaus 2008).

3.3.2 Anwendung des Framing-Modells aufFertiIitätsentscheidungen Es ist nur schwer vorstellbar, dass Fertilitätsentscheidungen vom Akteur nicht rational getroffen werden, sondern routiniertem oder normiertem Erfahrungswis-

3.3 Integration vermeintlich irrationaler Handlungen

101

sen folgen sollen. Auf jeden Fall sind es nicht solche typischen Alltagsentscheidungen, an die die Überlegungen zum as-Modus üblicherweise anknüpfen (vgl. dazu nur Diekmann 1996; Mensch 2000; Esser 2002; Friedrichs, Opp 2002). Im Gegensatz zum Alltagshandeln kann hier grundsätzlich nicht experimentiert und so eigenes Erfahrungswissen gesammelt und ständig reproduziert werden. An scheinend ist die Geburt eines Kindes eine viel zu langfristige, mit zu starken Konsequenzen verbundene Entscheidung. So hat generatives Verhalten nicht nur eine außergewöhnliche Tragweite, weil es lebenslange Beziehungen schafft, die nicht ohne weiteres aufgelöst werden können, sondern geht darüber hinaus mit extremer Unsicherheit über erwartbare Konsequenzen einher. Folglich müssten sich Akteure nun angesichts dieser Gegebenheiten bzw . Unzugänglichkeiten der Entscheidungssituation möglichst viele Informationen beschaffen und gen au gegeneinander abwägen. Es kann aber auch sein, dass gerade dieser enorme Informationsbeschaffungs- und Verarbeitungsaufwand ein Grund dafür ist, sich am Erfahrungswissen von Generationen zu orientieren, um so das Risiko einer Fehlentscheidung zu minimieren. Mit Hilfe des Framing-Modells kann man die eben aufgeworfene Frage wie folgt beantworten: Rationales Kalkulieren lohnt sich prinzipiell erst dann, wenn der damit erreichte Gewinn einschließlich aller dafür notwendigen Informations- und Entscheidungskosten den Nutzen der automatischen und kostengünstigeren Handlungsvariante übersteigt. Solange Akteure aber über einen Entscheidungsmodus verfügen der erstens mit geringeren Informationskosten verbunden ist (z. B. Handeln entsprechend einer Fertilitätsnorm) und zweitens einwandfrei auf zentrale Situationsmerkmale passt, ist das generative Verhalten das Ergebnis einer unreflektierten Übernahme bereits erprobter kultureller Modelle. Es stellt sich nun die Frage , ob solche kulturellen Modelle für Fertilitätsentscheidungen bestehen bzw. wie sich eine Fertilitätsnorm herausbilden kann . Frames und Skripte müssen nicht nur Bündel aus geronnenen individuellen Erfahrungen sein, sondern können auch kulturelles Wissen beinhalten, die dem Akteur als objektivierte und institutionalisierte Verhaltensregeln zur Verfügung stehen (vgl. Quandt, Ohr 2004 : 698) . Infolgedessen müssen allgemeine Wissensbestände nicht von jedem Akteur selbst gesammelt, sondern können ebenso über Sozialisationsprozesse "vererbt" werden. Die Verfügbarkeit von Frames und Skripten ist deshalb primär von den durchlaufenden Sozialisationsprozessen abhängig, die die Identität des Akteurs sowohl gesellschaftlich als auch kulturell prägen. Zur lllustration dieser Vorgänge in Bezug auf generatives Verhalten kann die Theorie der sozialen Produktionsfaktoren (TSP) beitragen. Wie bereits erörtert, sind die Bezugspunkte individuellen Handeins, die vom Akteur subjektiv wahrgenommenen Kontextbedingungen. Sie entscheiden nicht nur über die Art der sozialen Produktionsfaktoren, sondern auch über die Effiz ienz bestimm-

102

3 Theoretisches Grundmodell für Fertilitätsentscheidungen in lndonesien

ter Zwischengüter. Kinder können deswegen grundsätzlich ein effizientes Mittel zur Realisierung der universellen Zwischenziele sein (s. o. Kap. 3.2.3). Sind Kinder bzw. ist ein charakteristisches Muster generativen Verhaltens nicht nur kurzfristig, sondern in einer ganzen historischen Epoche und für die Mehrheit der Bevölkerung auf gleiche Weise zur Bedürfnisbefriedigung nützlich, ist es durchaus denkbar, dass sich auch in Bezug auf Fertilitätsentscheidungen eine kulturelle .Dauerl ösung" durchsetzt. So stellt bereits Nauck fest: "Je größer die Effizienz eines Produktionsfaktors für die Befriedigung der Grundbedürfnisse innerhalb des jeweiligen Kontextes, desto eher wird dieser Produktionsfaktor gewählt. Je dauerhafter die Effizienz eines Produktionsfaktors im jeweiligen Kontext, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit seiner intergenerativen Transmission und seiner Institutionalisierung als kulturelle .Routinelösung" (Nauck 2001a: 39). Bleiben also die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und die Effizienz eines bestimmten Musters generativen Verhaltens stabil, sollte dieses Wissen auch in der Kultur der sozialen Gruppe verankert sein. Für den Akteur ist es in Alltagstheorien und Erwartungen gespeichert und steht ihm als Verhaltensrichtlinie zur Verfügung, die im Folgenden als internalisierte .Fertilitätsnorm"!" bezeichnet wird. Sie entspricht vorangegangen rationalen Entscheidungen und erhält durch ihre Weitergabe vermittelt über Sozialisationsprozesse einen handlungsweisenden Charakter. Die Normdefinition von Fine (2001) entspricht der hier zugrunde liegenden Vorstellung einer Fertilitätsnorm noch am besten und verdeutlicht, warum normkonformes Verhalten eben nicht rational ist: "A norm, as I use the term, extends beyond a statistical regularity of behavior. Associated with any action is the expectation that a particular behavior is right and appropriate; thus, norms can be linked to cultural perspective. Norms have a rulelike quality, tied to widely held values, but go beyond cognition to incorporate behavior. Norms are ultimately performed by individuals within a social system, In practice, the likelihood of any normative behavior varies, although these behaviors are often predictable. Furthermore, because of their "ought" quality, normative behavior do not just accrue, they arc taught" (Fine 200 I: 140). Normen werden von Individuen unter bestimmten Bedingungen gezeigt, sie bieten Richtlinien für ein angemessenes Verhalten und werden in Sozialisations19 Mit dem Begriff der Fertilitätsnorm kann die Internalisierung und Weitergabe von gesellschaftlichem Erfahrungswissen weit besser beschrieben werden als mit der Vorstellung einer habitualisierten .R outinelösung". Unter dem Begriff der Routine ist nämlich eigenes zur Gewohnheit gemachtes Erfahrungswissen zu subsumieren.

3.3 Integration vermeintlich irrationaler Handlungen

103

prozessen verinnerlicht. In diesem Sinne gehorchen Individuen nicht , wie von der Rational-Choise-Theorie angenommen, Normen, sondern diese werden üblich und zwanghaft, indem sie als Verhaltensregelmäßigkeiten stets vorgeführt, in Diskussionen berichtet und durch Sozialisationsprozesse überliefert werden. Der verpflichtende bzw. handlungsweisende Charakter einer .Fertilitätsnorm" besteht hier nicht, wie in der Rational-Choise-Theorie angenommen, in erster Linie aufgrund kostenreicher Sanktionen durch den sozialen Kontext, sondern ist Konsequenz seiner Internalisierung. In diesem Sinne lösen internalisierte Normen ähnliche Verhaltensmuster aus, weil Menschen den Glauben teilen, dass ein bestimmtes Verhalten in der Situation passend ist und von ihnen gezeigt werden sollte (vgl. Opp, Hechter 2001 : 403). Einmal verinnerlichte soziale Normen sollten deshalb unter veränderten Opportunitäten und auch bei Fehlen von Sanktionen Bestand haben (vgl. Opp , Hechter 2001: 405). Generatives Verhalten entsprechend einer internalisierten Fertilitätsnorm kann demzufolge gerade nicht mit Hilfe der Rational-Choise-Theorie erklärt werden. Vielmehr unterscheidet sich normkonformes Verhalten grundlegend vom Agieren eines rational handelnden Akteurs (vgl. auch Elster 1989) . Folgt der Akteur unter konstanten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen dem durch die soziale Norm nahe gelegtem generativen Verhalten, gibt es für ihn gar keinen Grund, an der Angemessenheit seines Verhaltens zu zweifeln. Denn der Akteur kann darauf vertrauen, dass sich dieses Verhalten im Zuge der gesellschaftlichen Entwicklung als angemessen, geeignet bzw. effektiv erwiesen hat und er gleichzeitig von einer "preisgünstigen" Entscheidungsfindung profitiert. Infolgedessen muss er gegen über anderen Handlungsalternativen keine Überlegungen anstellen. Deswegen handelt der Akteur normkonform und eben nicht rational. Die Frage ist nun, wie eine über Jahrhunderte an die Nachwelt weitergegebene Norm generativen Verhaltens ins Wanken geraten kann. Die Gründe dafür können sehr vielfältig sein. Die Modernisierung im Allgemeinen und die mit ihr verbundenen sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen sollten dazu führen, dass einst etablierte Alltagstheorien und Erwartungen nicht mehr den gesellschaftlichen Verhältnissen entsprechen. Die fehlende Passung zwischen Modell und Situation (Miss-Match) löst jedoch noch kein rationales Handeln und ein Verlassen der .Fertilitätsnorm" aus . Zum Bruch mit der .Fertilitätsnorm" kommt es erst, wenn neben dem Miss-Match die weiteren Wechselparameter vorliegen (s. o. Kap . 3.3.1). Beim generativen Verhalten sollte in erster Linie die veränderte Kosten- und Nutzenstruktur von Kindern ausschlaggebend für die Zunahme der Reflexions-Motivation sein. Gleichzeitig dürfte der Reflexions-Aufwand mit Informationen über eine Welt außerhalb des traditionellen Kontextes und sicheren sowie leicht anwendbaren Verhütungsmitteln sinken. Mit der Möglichkeit in Ruhe und ohne Einflussnahme durch soziale Netzwerke über Fertilitätsentschei-

104

3 Theoretisches G rundmod ell flir Fertilitätsentsche idungen in Indonesicn

dungen nachden ken zu können, müssten also auch die notwendigen Ref lexionsOpportunitätcn bestehen. Rationales Kalkulieren ents prechend des VOCAnsatzes sollte sic h deshalb unter Akteu ren durchsetzen, die sowohl eine hohe Reflexions-Motivation haben, deren Reflexions-Aufwand gering ist und die über genügend Reflexions-Opp o rtunitäten zu m elaborierten Entscheiden verfugen. In diesem Z usammenhang kann aufCoale (1973 ) verwiesen we rden, der bereits in den 1970er Jahren vergleichba re Überlegungen zu den Bed ingungen eines Geburtenrückganges anstellte : ,.Threc genoral prcrcquisucs for a major fall in mater ial fcrtility can bc lisrcd: (I) Fertility must bc within thc calculus of conscious choic c. Potential parcnrs musr considcr it an ecccptablc modc of thought end form of bc haviou r to baluncc advantagcs and disadvantagcs bcforc dcciding to havc anothcr child ( .. .) (2) Rcduccd fcrtiliry must bc advantagcous. Pcrccivcd social and cconornic circumsranccs must makc rcduccd fcrtility sccm an advantage to individual couplcs. (3) Effcctive tcchniqucs of ferti lity rcduetion must bc availablc. Proccdurcs that will in fact prcvcnt

births must bc known, and thcrc must bc sufficicnt cornmunicarion bctwccn spuuscs

and sufficicnt sustaincd will, in borh, to cmploy thcm succcssfully" (Coalc 1973: 65).

Ein Akteur, der jedoch in eine m sozialen Umfeld sozialisiert wurde, indem ein über Jahrhunderte als erfolgreich erwiesenes Muster generativen Verhaltens tradie rt und po sitiv bewertet wird, hat sehr gute G ründe, d iesem bewä hrten Muster zu folgen, besonders wenn ihm daraus keine Nachteile entste hen, sondern erst bei m Verlassen der Norm zu erwa rten wären. Dann nämlich , wenn alle Situationsmerkmale die Gü ltigkeit de r Norm anzeigen ode r d er Akte ur keine Kenntnis über die .,Welt" außerhal b seine r kleinen sozialen G ruppe hat und zudem sein Wissen zu den beste henden Möglichkeiten einer Empfängnisverhütung minimal ist, sollte ein Nac hdenken über sit uationsangepasstes generatives Verhalten mehr als kostspielig sein. Denn Fertilitätsentsche idungen sind besonders aufwändige, langfristige und unsichere Entsc heidung en. Unter solchen Bed ingungen wäre es aus Sic ht des Akte urs viel zu riskant so wie zu aufwändig, von der Nor m abzuweic hen. Aus diesem G rund widerspricht j enes Verhalten keinesfalls dem Kriterium der Zielrat ionalität, viel mehr ist es gera de rational, unter diesen Bedingungen einfach eine r bewä hrten, relativ effi zienten und kostengünstigen Handlu ngsempfehlu ng. nämlich der .Fcrtilitätsnorm'' zu folgen.

3.3 Integration vermeintlich irrationaler Handlungen

105

3.3.3 Moduswahl und historische Entwicklung in lndonesien Diese Überlegungen werden nun konkret auf Fertilitätsentscheidungen in Indonesien übertragen. Mittels der zentralen entscheidungsrelevanten Merkmale (Motivation, Aufwand und Opportunitäten zur Reflexion) soll die Existenz der einen oder anderen Moduswahl in den verschiedenen historischen Epochen in Indonesien untersucht werden . Zunächst wird überprüft, ob eine Fertilitätsnorm in Indonesien existierte und wenn ja, wie sich diese herausbilden konnte . Die Lebensumstände auf Java änderten sich in ca. 1500 Jahren (von 300 vor Christus bis zur Kolonialisierung durch die Niederländer im Jahr 1750) kaum (vgl. von Magnis 1989: 79). Indonesien war eine Agrargesellschaft, die absolute Mehrheit der Bevölkerung lebte auf dem Land und die wichtigsten sozialen Einheiten bildeten Kemfamilien sowie autonome Dorfgemeinschaften (vgl. T. Hull 1986: 203). Wie in den meisten Gesellschaften beeinflussten die traditionellen Pflanzsorten sowie die Anbau- bzw. Erntetechniken die sozialen Beziehungen der Gemeinschaft stark. Zwar gab es auch im traditionellen javanischen Dorf große Unterschiede im sozioökonomischen Status seiner Gemeindemitglieder, der Ursprung des wirtschaftlichen Erfolges und die Basis der grundlegenden Versorgung war aber der Zusammenhalt aller Einwohner. Manifestiert war diese Solidarität z. B. in Ernteritualen, bei denen auch landlose Bauern als Erntehelfer prozentual von der Ernte vermögender Landbesitzer profitierten (vgl. Hugo 1975: 454 ; T. Hull 1975: 256). Geld spielte in dieser Subsistenzwirtschaft eine eher untergeordnete Rolle. Vorwiegend wurden Erzeugnisse und Arbeit nach klaren traditionellen Regeln ausgetauscht (vgl. Wertheim 1956: 35). Kinder erftillten in dieser Zeit zwei zentrale Funktionen. Zum einem garantierten sie als eine neue heranwachsende Generation den Fortbestand der Gemeinschaft und zum anderen bot ihre Arbeitskraft bereits im Alter von mindestens sieben Jahren eine zusätzliche Einkommensquelle (vgl. T. Hull 1975, 1981; White 1975; Jay 1980; Niehof 1995). Humankapitalinvestitionen in Kinder waren nur sehr beschränkt notwendig; wohingegen die direkten wie auch die indirekten Kosten konnten nahezu vernachlässigt werden (vgl. Raffles 1965: 70). Kinder waren also außerordentlich willkommen. Gleichzeitig bestand aufgrund des hohen Risikos von Kindersterblichkeit das Problem, die gewünschte Familiengröße jemals zu erreichen (vgl. T. Hull 1975: 344 f). Die traditionellen Verhütungsmethoden konzentrierten sich infolgedessen weniger auf die Reduktion der endgültigen Kinderzahl, sondern eher auf die Vergrößerung des Abstandes zwischen zwei Geburten, was sowohl der Gesundheit des Kindes als auch der Mutter zugute kommen sollte (vgl. T. Hull 1975: 350 f). Über 1500 Jahre waren Kinder also nicht nur ein "Mangelgut", sondern ftir die Realisierung instrumenteller Ziele bedeutend. Unter diesen Voraussetzungen muss man annehmen, dass sich

106

3 Theoretisches Grundmodell für Fertilitätsentscheidungen in Indonesien

in Bezug auf das generative Verhalten eine kulturelle .Dauerl ösung" durchsetzte, die dem Akteur als pronatalistische .Fertilitätsnorm" über Sozialisationsprozesse weitergegeben wurde. In Indonesien waren also die Bedingungen zur "Entstehung" einer Fertilitätsnorm erfüllt. Damit aber Fertilitätsentscheidungen nach dem as-Modus getroffen werden können, muss es zu einer automatischen Frame-, Skript- und Handlungsselektion kommen (s. o. Kap. 3.3.2). In der anthropologischen Literatur zum generativen Verhalten in Indonesien lassen sich eindeutige Hinweise für das unreflektierte Prozessieren finden . Wie in den meisten Gesellschaften ist in Indonesien die Institution Ehe und die Geburt von Kindern nicht nur untrennbar miteinander verbunden, sondern wird darüber hinaus auch tatsächlich als ihr Hauptzweck bewertet. "The value Javanese society places upon a family full of children can scarcely be exaggerated . In much of Javanese popular romantic literature the boy gets the girl, and the two are wed, but the tale does not end there. Only with the first birth or first pregnancy do they begin to live happily ever after, and there the story is brought to an end" (Jay 1969: 97).

Gründet ein junges Ehepaar einen eigenen Haushalt, dürften diese Situationsmerkmale völlig ausreichend sein, um den Frame ("Geburt von Kindern") spontan und automatisch auszulösen. Denn die Geburt eines Kindes gilt in Indonesien als Geschenk Gottes und ist die Pflicht eines jeden verheirateten Paares (vgl. Saefullah 1979: 22). Der Frame müsste unter diesen Bedingungen mental stark verankert und die Situationsobjekte "Eheschließung" und "Nachwuchs" untrennbar miteinander verbunden sein. Ob es nun zur unreflektierten Übernahme einer .Fertilitätsnorm" kommt, ist davon abhängig, ob der Frame eindeutig selektiert wurde und es eine eindeutige Verbindung zwischen Frame und Skript gibt (s. o. Kap. 3.3.2). Für Indonesien gibt es deutliche Hinweise, dass eine .Fertilit ätsnorm" als angemessene Form individuellen Handeins im Skript des Handelns manifestiert, stark internalisiert und damit generell verfügbar ist: "Ifyou are calm and happy in your heart, you will have children" (Geertz 1961: 83). "For most people in Indonesia the concept of the family in inexorably bound to the practice of childbearing . In Java, for instance, a couple is not regarded as a family until the birth of the first child, and even then the family is regarded as incomplete until the second or third child comes along" (Hull, Tukiran 1976: I) . "In rural Modjokuto [ regularly noted the childless state in both men and women to be the subject of scomful gossip (...) "Across the entire social spectrum in rural Modjokuto children are desired in abundance" (Jay 1969: 97).

3.3 Integration vermeintlich irrationaler Handlungen

107

Für das traditionelle Java ist somit davon auszugehen , dass sowohl eine stark internalisierte, aber auch extern manifestierte .Fertilitätsnorn" existierte . Wenn ein solches Skript zusätzlich die konkrete Handlungswahl regelt, ist zu erwarten , dass Fertilitätsentscheidungen dem as-Modus folgen, Akteure sich also bedingungslos an dieser Norm orientieren. T. Hull (1975) führt dazu aus: .W hen the interviewers or I had the chance to carry these questions into fairly extended discus sion it became obvious that the answers were deceptively simple- actually people had very unusual interpretations as to what these answers meant, and had a wide variety of alternative answers which they sometimes regarded as equal or superior to ones they sometimes regard as equal superior to the ones they offered at first. They were caught at what Robert Jay has called "hi gh levels of conceptualization" (1969 : 20-29) that is, they were giving answers which dealt only with the most gene rally accepted statements as to the problem, and did not reveal the types ofvalues that they might personally feeI to be important. During the interviews, the conversations which followed and the many informal meetings we had with individuals this problem was often overcome and we were told (at "low levels of conceptualization") some of the reasons people feit it was either good or bad to have a large number of children or a small number. Thu s while the literal interpretation of the responses to these questions often revolved around material factors, when the person explained his feelings in detail the impression was often left that the value invol ved was not the material goods as such, but the sense of security; not the material expense, but the feeling of inadequacy to pro vide for children at what was perceived as "proper" standard. Also , while the high level of con ceptualisation had a large degree of symmetry (ie. a person who said that the advantage of a few children was that there were few general expenses would say that the disadvantage of a lot was that they were very expensive) the informal expressions of values tended to be rambling, complex and often self-contradictory "(T. Hull 1975: 331 ff).

Dieser Erfahrungsbericht deutet auf eine hohe Standardisierung des gesellschaftlichen Wissens, eine unreflektierte Einstellungsfindung und damit auch auf normiertes Verhalten hin. Es gibt in 1ndonesien eine klare Vorstellung, was in Bezug auf Fertilitätsentscheidungen das angemess ene Verhalten ist. Den Befragten fallt es angesichts des hohen Standardisierungsgrades ihres Wissens sehr schwer, systematisch über die Gründe ihrer Überzeugung (die ideale Kinderzahl) zu berichten . Auch T. Hull (1975) zieht aus seinen Befragungen den Schluss : "Even accepting the difficulties of interpretation associated with a question on family size ideals, it is hard to escape the conclusion that the society doe s have some concept ofwhat constitutes a "good" sized family .. ." (T . Hull 1975: 344 f).

108

3 Theoretisches Grundmodell für Fertilitätsentscheidungen in Indonesien

Das von T. Hull angesprochene Konzept einer "richtigen" Familiengröße sollte auf dem Erfahrungswissen vieler Generationen und der Tatsache, dass Kinder über einen enorm langen Zeitraum unveränderlich zur Nutzenproduktion ihrer Eltern beitragen haben, beruhen . Dem Akteur wurde dieses Wissen über Sozialisationsprozesse weitergegeben und internalisiert. In Anbetracht des hohen Reflexions -Aufwandes und der geringen Reflexions -Opportunitäten der damaligen Zeit, die aus einem geringen Bildungsstandard, einer starken spirituellen Prägung des gesamten Lebens, einem innerhalb der Dorfgemeinschaften beinah isolierten Lebenslauf und den nur rudimentären Kenntnissen über Verhütung resultierte, sollte der Akteur nicht nur davon überzeugt sein, mit dem normgerechten Verhalten das Richtige zu tun, vielmehr dürfte es für ihn überhaupt keinen Grund geben, daran zu zweifeln. Das normative Verhalten basiert auf dem tief verwurzelten Glauben, das Richtige zu tun. Fertilitätsentscheidungen sollten unter solchen charakteristischen und beständigen Bedingungen nach dem asModus erfolgen. Die Voraussetzungen, Fertilitätsentscheidungen nach dem rc-Modus zu treffen , sind in Indonesien erst am Ende der 1960er Jahre erfüllt. Zwar brachte die Kolonialisierung durch die Niederländer schon weit reichende gesellschaftliche Veränderungen mit sich, aber die bis dahin gültige .Fertilitätsnorm" wurde noch nicht fraglich . Kinder leisteten auch zur Kolonialzeit einen erheblichen wirtschaftlichen Beitrag zur Familienökonomie (vgl. White 1976: 308) . Gleichzeitig blieben deren Kosten auf einem niedrigen Niveau. Aufgrund der konstan ten Kosten - und Nutzenstruktur von Kindern gab es für eine Abkehr von den gewohnten Verhaltensmustern keinen Grund. Die Reflexions-Motivation fehlte und der Akteur blieb bei der "kulturellen Dauerlösung". Für den Bruch mit der .Fertilitätsnorm" sollten daher erst die gesellschaftlichen Veränderungen in den I960er und 1970er Jahren ausschlaggebend sein. Infolge der "Greenrevolution" konnte die Produktivität im Landwirtschaftssektor gesteigert werden, außerdem eröffnete der "Ölboom" Beschäftigungsalternativen außerhalb der Landwirtschaft (vgl. Manning 1988: 50). Dies führte zu einer Verschiebung der bisherigen Beschäftigungsstrukturen zu Gunsten des Dienstleistungssektors, zu einer weiter zunehmenden beruflichen Differenzierung und einer gewaltigen LandStadt-Migration (vgl. oben Kap. 2.2). Die indonesische Modernisierung sollte bis spätestens 1970 die Mehrheit der Bevölkerung erreicht und so die traditionellen Strukturen endgültig in Frage gestellt haben. "But the fact is that not in all but the most isolated parts of Java, both the simple territorial basis of village social integration and the syncretic basis of its cultural homogeneity have been progressively undermined over the past fifty years. Population growth, urbanisation, monetization, occupational differentiation, and the like, have combined to wcakcn the traditional tics of peasant social structure; and the winds of

3.3 Integration vermeintlich irrationalerHandlungen

109

doctrine which have accompanied the appearance of these structural changes have disturbed the simple uniformity of religious belief and practice characteristic of an early period" (Geertz 1973:148). Angesichts dieser dramatischen Veränderungen sollten die bisher von allen geteilten Vorstellungen, Alltagstheorien und Handlungserwartungen genauso wie die bislang gültige .Fertilitätsnorm" angezweifelt werden. Die infolge der Modernisierung aufkeimende Heterogenität der Bevölkerung machte zudem eine für alle Bevölkerungsteile geltende "kulturelle Dauerl ösung" unzweckmäßig. Neben dem damit einhergehenden Miss-Match zwischen althergebrachten Vorstellungen und den anzutreffenden Handlungsbedingungen sprachen fortan auch weitere Entwicklungen für das rationale Kalkulieren (re-Modus). Die ReflexionsMoti vation stieg als Resultat der veränderten Kosten- und Nutzenstruktur von Kindern. Denn nicht nur die Beschäftigungsmöglichkeiten für Kinder sanken, sondern sie standen während ihrer schulischen Ausbildung dem Produktionsprozess ihrer Familien gar nicht mehr zur Verfügung, Als logische Konsequenz nahm die Bedeutung von Kindern als Arbeitskraft ab . Zugleich stiegen mit den zunehmenden Humankapitalinvestitionen deren Kosten. .P arents and potential parents are leaming that children can be expensive and are giving more thought to the trade-off between the numbers of children and the quality of each child can enjoy. They realize that in an increasingly commercialized economy with declining employment opportunities for the very young, they will face more substantial dependency burdens over a long part of their married life if they do not limit family size" (T. Hull 1986: 201).

Bildung hat jedoch nicht nur über eine neue Kosten- und Nutzenstruktur von Kindern die Motivation zum elaborierten Entscheiden gesteigert, sondern ebenso den Reflexions-Aufwand gesenkt und gleichzeitig den Akteuren ReflexionsOpportunitäten geboten. Bildung schafft nicht nur Bedingungen, in denen Kin der zunehmend kostenintensiv werden, sondern offenbart auch Wahlmöglichkeiten in Bezug auf Fertilitätsentscheidungen, indem z. B. erstens die heranwachsende Generation mit den westlichen Wertvorstellungen und Familienidealen konfrontiert wird; zweitens der Wissenshorizont über das Dorf, die Ethnie und die Religionsgemeinschaft hinaus erw eitert wird ; drittens Kinder in ein Wettbewerbssystem führt, in dem schulischer Erfolg auch Aufstieg in der Gesellschaft bedeutet; viertens die Wahrscheinlichkeit zur selbstständigen Partnerwahl steigt, was wiederum Diskussionen zwischen den Partnern über familienrelevante Entscheidungen erleichtert und fünftens der Zugang zu Informationsquellen über Verhütungsmethoden wesentlich erweitert wird . Ein anderer entscheidender Faktor zur Steigerung der Reflex ions-Opportunitäten und Senkung der Reflexi-

110

3 Theoretisches Grundmodell für Fertilitätsentscheidungen in Indonesien

ons-Kosten war die Gründung des National Family Planning Coordinating Board (BKKBN) im Jahr 1969 und die Etablierung von Familienplanungsprogrammen auf Java und Bali (s. o. Kap. 2.2). Für Konsumenten von effizienten Verhütungsmethoden war es wesentlich einfacher, bewusst über die Geburt von Kindern zu entscheiden. .T he trends in schooling, and the changing ideas and family relations are the key elements in accounting for the changes in family formation. They imply that women have an increasing awareness of reproductive options, a decreasing demand for high parity children improved accessibility to health and fertility control services" (T. HuH 1986: 202) .

Für die Anwendbarkeit des VOC-Ansatzes auf Fertilitätsentscheidungen in Indonesien gilt deswegen: Bis zum Ende der Kolonialzeit (1949) erfolgten Fertilitätsentscheidungen nach dem unreflektierten as-Modus, Es bestand ein enorm großer Reflexions-Aufwand, eine geringe Reflexions-Motivation und gleichzeitig waren die Reflexions-Opportunitäten gering . In dieser historischen Epoche sollten die Annahmen des VOC-Ansatzes nichts zur Vorhersage generativen Verhaltens beitragen können, weil die Entscheidungen nicht rational kalkuliert wurden und individuelle Merkmale bzw . Motive eine eher untergeordnete Rolle spielten. Ab 1950 ist zwar eine gestiegene Reflexions-Motivation festzustellen gewesen, rationales Kalkulieren entsprechend des VOC-Ansatzes setzt sich aber erst zum Ende der I960er Jahre durch. Gründe dafür sind das Herauslösen der Menschen aus ihren traditionellen Strukturen, das gestiegene Bildungsniveau und die Bereitstellung sicherer und effizienter Verhütungsmöglichkeiten. Der Nutzen rationaler Fertilitätsentscheidungen müsste in dieser Epoche deutlich den Aufwand des rationalen Kalkulierens übersteigen. Das hier vorgeschlagene AIternativmodell zur Erklärung generativen Verhaltens schließt damit keineswegs eine dynamische Betrachtungsweise des Geburtenrückganges aus. Vielmehr kann mit Hilfe des Frarning -Modells der bis dato bestehende wissenschaftliche Konflikt, ob entweder die wirtschaftlichen Veränderungen oder die Familienplanungsprogramme den Geburtenrückgang bedingten (s. o. Kap. 2.5), aufgelöst und der Zeitpunkt des Geburtenrückgangs und dessen rasanter Verlauf auch theoretisch begründet werden.

3.4 Zusammenfassung Das generative Verhalten resultiert gemäß dem hier erarbeiteten Erklärungsmodell aus dem menschlichen Grundbedürfnis, physisches Wohlbefinden und soziale Anerkennung zu maximieren. Kinder können dazu als kontextabhängige

3.4 Zusammenfassung

111

Produktionsfaktoren zur Realisierung der dafür notwendigen pnmaren Zwischenziele (Komfort, Status , Verhaltensbestätigung, Affekt und Stimulation) beitragen , müssen es aber nicht zwangsläufig. Ausdruck findet ihre situationsspezifische Effizienz im Wert von Kindern (VOC) . Dieser Wert ergibt sich aus der Abwägung der Vor- und Nachteile, die (potenzielle) Eltern vornehmen. Er stellt darüber hinaus mögliche Alternativen zur Bedürfnisbefriedigung bereit und entscheidet somit über die Geburt von Kindern. Die Struktur des Wertes von Kindern dürfte nach den bisherigen Untersuchungen in Indonesien in folgende Dimensionen zerfallen. Die erste Dimension umfasst Aspekte , die den kurzfristigenKomfortbetreffen. Die zweite Dimension bezieht sich auf den langfristigen Versicherungsaspekt, der neben materiellen auch emotionale Beiträge und Verluste beinhaltet. Die dritte Dimension, der emotionale Wert, schließt Affekt und Stimulation ein. Die vierte Dimension, der soziale Wert , umfasst den Statusaspekt sowie die Verhaltensbestätigung durch das soziale Umfeld . Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und individuellen Ressourcen entscheiden nun über den Stellenwert von Kindern auf der jeweiligen Dimension und somit über das Muster generativen Verhaltens. Fertilitätsentscheidungen geht auf diese Weise ein kosten- und zeitintensiver Abwägungsprozess voraus, der sich jedoch nicht immer als realisierbar oder sinnvoll erweist. Deswegen wurde dem prozessrationalen Handeln im Sinne der Rational-Choise-Theorie ein Alternativmodell gegenübergestellt, das Handeln gemäß einer internalisierten .Fertilitätsnorm" unterstellt. Generatives Verhalten ist in diesem Modell das Resultat der unreflektierten Übernahme der .Fertilitätsnorm", die sich im Zuge der historischen Entwicklung als effektiv erwies und über Sozialisationsprozesse an nachfolgende Generationen weitergereicht wurde. Verhalten gemäß dieser "kulturellen Dauerlösung" ist zwar nicht prozessrational, aber angesichts der enormen Vorteile, die sich aus den geringen Informationskosten und dem Mindestmaß an Handlungssicherheit ergeben, durchaus rational zur Verwirklichung spezifischer Ziele . Zielrationales Handeln in diesem Sinne hat allerdings zur Voraussetzung, dass der Akteur über ein Handlungsprogramm verfügt , das auf die angezeigten Situationsmerkmale passt und die Handlungswahl hinreichend regelt. Für das traditionelle Indonesien, also bis in die 1950er Jahre hinein, sollte ein solches Programm in Form einer internalisierten Norm generativen Verhaltens bestanden haben. Der Geburtenrückgang in Indonesien lässt sich nun mit Hilfe des VOCErklärungsmodells und dem Alternativmodell folgendermaßen begründen. Die technisch bedingten Preise der eingesetzten Produktionsfaktoren und die materielle Infrastruktur veränderten sich im Laufe der gesellschaftlichen Modemisierung in Indonesien stark und beeinflussten die Effizienz aller Produktionsfaktoren. Alternative Zwischengüter wie Bildung, beruflicher Erfolg oder finanzielle

112

3 Theoretisches Grundmodell für Fertilitätsentscheidungen in lndonesien

Unabhängigkeit erschienen dem Akteur zunehmend lohneswerter; Kinder verloren im modernisierten lndonesien verstärkt an Gewicht. Verursacht durch eine veränderte Kosten- und Nutzenstruktur sind Kinder fortan verhältnismäßig teuer und in vielerlei Hinsicht für die Nutzenbefriedigung ungeeignet. Vor diesem Hintergrund wurde auch die Legitimität einer ursprünglich über Jahrhunderte hinweg tradierten und als erfolgreich erwiesenen .Fertilitätsnorm" fraglich . Für die Mehrheit der Bevölkerung bestand infolgedessen nicht nur eine ReflexionsMotivation, sondern die gesellschaftlichen Veränderungen steigerten parallel dazu die Rcflexions -Opportunitäten und senkten auch den Reflexions -Aufwand. Rationales Kalkulieren entsprechend des VOC-Ansatzes wurde also lohnenswert und konkret durchführbar und konnte sich folglich durchsetzen. Kinderreichturn in lndonesien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist deshalb nicht die Folge einer individuellen rationalen Maximierungsstrategie, sondern resultiert aus einer automatisch-spontanen Reaktion der Akteure auf Situationsmerkmale, die gerade die Gültigkeit einer .Fertilitätsnorm" bestätigen. Erst ab der Mitte des 20. Jahrhunderts kann damit gerechnet werden, dass das generative Verhalten vom automatischen Reagieren (as-Modus) abweicht und künftig rational (rc-Modus) getroffen wird.

4 Hypothesen zur allgemeinen ModelIierung der Fertilitätsentscheidungen

Die Vorüberlegungen des dritten Kapitels müssen nun in konkrete Arbeitshypo thesen überführt werden. Primär wird aber neben den allgemeinen theoretischen Grundannahmen die spezielle Situation in lndonesien berücksichtigt. D. h., alle Brückenhypothesen sind spezifisch für den indonesischen Kontext formuliert . Zunächst wird die Dimensionierung des Wertes von Kindern untersucht. Zur späteren empirischen Überprüfung des VOC-Erklärungsmodells werden die Hypothesen zunächst in Einzelerklärungen gegliedert. Das Vorgehen orientiert sich dabei an dem Mehrebenenmodell zur Erklärung generativen Verhaltens (s. o. Kap. 3.2.1). Im ersten Schritt (Logik der Situation) werden kontextspezifische Brückenhypothesen formuliert. Diese definieren den Zusammenhang zwischen sozialstrukturellen Rahmenbedingungen Indonesiens und dem individuellen Handeln. Im zweiten Schritt (Logik der Selektion) werden handlungstheoretische Hypothesen zum generativen Verhalten formuliert, die Auskunft darüber geben, wie sich aus einer bestimmten Wertegewichtung das generative Verhalten ableiten lässt. Für das entwickelte Alternativmodell (s. o. Kap. 3.3) werden Annahmen zur historischen Verortung der as- bzw. rc-Moduswahl getroffen . Darüber hinaus soll geklärt werden, inwieweit die Wahl des unreflektierten Reagierens (as-Modus) bzw. des rationalen Kalkulierens (re-Modus) von spezifischen Rahmenbedingungen bzw. individuellen Ressourcen der handelnden Akteure beeinflusst ist. Am Ende werden Hypothesen zum grundlegenden Charakter des Geburtrückgangs und dem Einfluss typischer Modernisierungsvariablen auf das generative Verhalten formuliert . Diese Hypothesen sind als Grundlage für die Auswertung des World Fertility Surveys (vgl. unten Kap. 5) notwendig . Für alle nun folgenden Zusammenhangshypothesen gilt die Legitimität der Ceteris-patribus Klausel, d. h. alle Hypothesen haben nur Gültigkeit unter der Annahme , dass alle nicht genannten potenziellen Einfußfaktoren konstant sind.

114

4 Hypothesen zur allgemeinen ModelIierung der Fertilitätsentscheidungen

4.1 Dimensionen des Wertes von Kindern Der Wert von Kindern ergibt sich aus dem Saldo der Nutzen und der Kosten und sollte entsprechend der Theorie der sozialen Produktionsfaktoren (TSP) (s. o. Kap. 3.2.3) und aufgrund der spezifischen Rahmenbedingungen Indonesiens (s. o. Kap. 3.2.4) in vier Dimensionen zerfallen: H 1: Sowohl die (a) Nutzen- als auch (b) die Kostenerwartungen von Kindern untergliedern sich in vier Dimensionen: kurzfristigen Komfort, langfristigen Komfort, Affekt und Stimulation sowie Verhaltensbestätigung und Status. 4.2 Opportunitätenstruktur und der Wert von Kindern Kinder in Indonesien können grundsätzlich mittels Beiträgen zum kurz- und langfristigen Komfort, Verhaltensbestätigung und Status sowie Affekt und Stimulation zur Befriedigung universeller menschlicher Grundbedürfnisse beitragen (s. o. Kap. 3.2.3 und Kap. 3.2.4). Im Folgenden geht es darum, wie sich die Zuträglichkeit von Kindern auf den einzelnen Wertedimensionen im Zuge des gesellschaftlichen Transformationsprozesses des letzten Jahrhunderts gewandelt hat und wie bestimmte Bevölkerungsteile den nutzenstiftenden Charakter von Kindern bewerten. Die empirische Überprüfung wird auch dem Mehrebenenbezug des VOC-Ansatzes gerecht. Entwicklungsprozesse auf der Aggregatebene wie z. 8. Veränderungen der politischen, institutionellen, rechtlichen und wirtschaftlichen Struktur eines Landes betreffen unterschiedliche Geburtsjährgänge in einer unterschiedlichen biografischen Phase und beeinflussen so das generative Verhalten. Als Spiegelbild dieser langfristigen Entwicklungen findet deshalb eine kohortenspezifische Analyse Eingang in die empirische Analyse. Variationen auf der Mesoebene werden durch die Zugehörigkeit entweder zum urbanen oder zum ländlichen Wohnumfeld abgebildet. Diese kleinräumlichen Differenzen bilden die direkte Opportunitätenstruktur der Akteure ab. Auf der Mikroebene sollten auch individuelle Ressourcen (z.8. Bildung, Erwerbsorientierung) Einfluss auf die Bewertung der Nutzen- bzw. Kostendimension von Kindern haben. Kurzfristiger Komfort: Kinderarbeit kommt trotz des seit 1949 strikten Verbotes in Indonesien auch noch am Ende des 20. Jahrhunderts vergleichsweise häufig vor (s. o. Kap. 2.3.2). Die Ursache dafür ist sicherlich , dass durch ein Verbot zwar die Kosten stiegen, Kinder zu beschäftigen (z. 8. durch Strafen), aber der Nutzen der Produktivkraft Kind nicht geschmälert wird und zudem funktionierende staatliche Kontrollmechanismen erforderlich sind, die in Indone-

4.2 Opportunitätenstruktur und der Wert von Kindern

115

sien bisher kaum zur Verfügung standen. Deshalb ist die Möglichkeit, einen kurzfristigen Komfortnutzen aus der Arbeit von Kindern zu ziehen , eher von den bestehenden Gelegenheitsstrukturen und der individuellen Bedürftigkeit der Eltern abhängig und weniger durch das strikte Verbot bestimmt. Trotz allem dürfte die gesellschaftliche Modernisierung zu einem stetigen Rückgang des kurzfristigen Komfortnutzens durch Kinder beigetragen haben . Ursachen sollten der Wandel der Besch äftigungsstrukturen, die allgemeine Wohlstandssteigerung und die zunehmende Bildungsbeteiligung der indonesischen Bevölkerung sein (s. o. Kap. 2.3). Mit dem Amtsantritt von Präsident Suharto im Jahr 1967 und seiner Politik der "New Order" erlebte Indonesien einen deutlichen Industrialisierungsschub. Die wirtschaftlichen Interventionen führten zu einer stärkeren Mechanisierung bzw. Intensivierung der indonesischen Landwirtschaft und infolge des indonesischen Ölbooms auch zu einer Verschiebung der Beschäftigungsstrukturen zu Gunsten des Industrie- und Dienstleitungssektors (s. o. Kap. 2.3.1). Angesichts verstärkter beruflicher Spezialisierung und gestiegener Qualifikationsanforderungen reduzierten sich die Gelegenheiten, bei denen die unqualifizierte Arbeit von Kindern nützlich wäre, drastisch. Auch die Wohlstandssteigerung der Bevölkerung, bedingt durch den wirtschaftlichen Aufschwung und das folglich gestiegene allgemeine Lohnniveau machten Eltern von der materiellen Unterstützung durch Kinder unabhängiger. Moderne Haushalte die mit Elektrizität, fließend Wasser, sauberen bzw. gefliesten Fußböden ausgestattet waren, entwerteten seit den 1970er Jahren zunehmend die einst unverzichtbare Hilfe von Kindern im Haushalt. Gleichzeitig entzog die steigende Bildungsbeteiligung immer mehr Kinder dem Produktionsprozess der Familien, so dass sie bestenfalls als Saisonkräfte zur Verftigung standen. Unter diesen Rahmenbedingungen leidet nicht nur die Flexibilität, mit der Kinder ursprünglich zu bestimmten Aufgaben herangezogen werden konnten , sondern gleichzeitig stiegen die direkten Komfortkosten aufgrund notwendiger Humankapitalinvestitionen. Bildung macht Kinder für Eltern auch zunehmend teuer. Nicht nur wegen Gebühren für weiterftihrende Schulen , sondern auch Ausgaben für Lehrmittel , Schulkleidung und Transport zur Schule belasten zunehmend das Budget (vgl. T. Hull 1986: 201). Außerdem stehen Ausgaben für Kinder stärker in Konkurrenz zu den in Indonesien seit der Mitte des 20. Jahrhunderts deutlich gestiegenen Konsummöglichkeiten. Die zunehmende Erwerbsbeteiligung im lohnabhängigen Sektor lässt darüber hinaus die Opportunitätskosten von Kindern steigen . Kindererziehung kostet nämlich vor allem Zeit, insbesondere die der Frauen . Diese Zeit steht für andere Aktivitäten nicht mehr zur Verfügung, vor allem nicht für die eigene Erwerbstätigkeit, was besonders dann in der Entscheidungssituation berücksichtigt werden muss, wenn die Kindererziehung und die Aufzucht der Kinder nicht mehr parallel zur Erwerbstätigkeit möglich ist. Dieses Problem stellt sich näm-

116

4 Hypothesen zur allgemeinen ModelIierung der Fertilitätsentscheidungen

lieh dort, wo die Familie gleichzeitig Ort der Produktion und Konsumption ist (z. B. Landwirtschaft, Handwerk, einfache Dienstleistungstätigkeit) nicht. Mit der auch für Indonesien zu beobachtenden Trennung von Familienleben und Produktions stätte entstehen aber Kosten einer verpassten Erwerbstätigkeit. In Anbetracht der gestiegenen individuellen Ressourcen ist die Bedeutung der materiellen Kosten durch Kinder nach der gesellschaftlichen Umbruchphase in der Mitte des 20. Jahrhunderts insgesamt gesunken (siehe ausflihrlich unten). H 2.1: Die Bedeutung von Kindern für die Produktion von kurzfristigem Komfort ist in den jüngeren Geburtskohorten geringer als in den älteren. H 2.2: Die (in)direkten kurzfristigen Komfortkosten von Kindern sind in den jüngeren Geburtskohorten geringer als in den älteren.

Für die Komfortdimension sollten zudem regionale Kontexte ausschlaggebend sein. Vor allem in agrarisch geprägten Regionen Indonesiens ist es einfacher und dringender, aus der Arbeit von Kindern einen kurzfristigen ökonomischen Nutzen zu erzielen. Zum einen, weil hier besonders viele Möglichkeiten zur Einkommenserzielung durch unqualifizierte Arbeit existieren, zum anderen, wegen Armut die einen Bedarf an zusätzlichem Einkommen generiert. In den urbanen Ballungszentren Indonesiens sind diese Gelegenheiten zwar etwas geringer, bestehen aber beispielsweise im Betteln oder Straßenverkauf dennoch nur in anderer Form. Insgesamt ist die Opportunitätsstruktur der urbanen Kontexte durch eine höhere Bildungsbeteilung, eine fortgeschrittenere funktionale Differenzierung und beruflicher Spezialisierung des Arbeitsmarktes gekennzeichnet und schränkt demzufolge nicht nur Realisierungsmöglichkeiten des kurzfristigen Komfortnutzens ein, sondern steigert darüber hinaus auch die Komfortkosten von Kindern. H 2.3: In ländlichen Kontexten ist die Bedeutung von Kindern zur Produktion kurzfristigen Komforts größer als in urbanen Kontexten. H 2.4: Die kurzfristigen Komfortkosten sind in urbanen Kontexten höher als in ländlichen Kontexten.

Ähnlich den Kontexteffekten haben auch die individuellen Ressourcen der (potenziellen) Eltern einen Einfluss auf den kurzfristigen Komfortnutzen von Kindern. Es gezeigte sich, dass speziell in Indonesien Familien mit geringem Haushaltsbudget auf die materielle Unterstützung durch ihre Kinder angewiesen sind,

4.2 Opportunitätenstruktur und der Wert von Kindern

117

dagegen Familien mit hohem Haushaltsbudget dazu keine bzw. eine wesentlich geringere Motivation haben (s. o. Kap. 2.3.2). Darüber hinaus existieren gerade dort, wo Eltern schlecht qualifiziert sind und gering bezahlte Tätigkeiten verrichten, auch vielfältige Möglichkeiten aus der Arbeit von Kindern einen kurzfristigen Einkommensnutzen zu erzielen. Auf dem Land sind dies beispielsweise einfache Arbeiten in der Landwirtschaft und in der Stadt unqualifizierte Tätigkeiten im Dienstleistungssektor. Eine stärkere Belastung durch die indirekten und direkten Komfortkosten ist für den ärmeren Teil der indonesischen Bevölkerung typisch (s. o. Kap. 3.2.4). Notwendige Ausgaben für Kinder belasten hier das Haushaltbudget wesentlich stärker. Solche Kosten sind eher zu tragen, wenn sie nur einen geringeren Anteil des Haushaltseinkommens verschlingen. Entsprechend wurden die ökonomischen Kosten in den sozial schwächeren Schichten stärker betont (vgl. Darroch et al. 1981: 32 ff). Diese Überlegung lässt sich auch auf die Opportunitätskosten von Kindern übertragen. Besonders Mütter in wirtschaftlich prekären Situationen sollten eine Unterbrechung ihrer Erwerbstätigkeit wegen der Geburt eines Kindes als besonders "kostenintensiv" bewerten . Im Gegensatz zu den westlichen Industrienationen ist nämlich in einem Schwellenland, wie es Indonesien noch darstellt , Müttererwerbstätigkeit nicht in erster Linie das Resultat gestiegenen Humankapitals und besserer Verdienstchancen und damit Ausdruck weiblicher Emanzipation, sondern für den Großteil schlichtweg eine Notwendigkeit (V. Hull 1975: 188). Besonders Familien mit geringen materiellen Ressourcen sind auch auf das Erwerbseinkommen der Frau angewiesen . Für Frauen der Oberschicht mit einem hohen sozioökonomischen Status und einem hohen Bildungsniveau besteht hierfür kein Bedarf (vgl. V. Hull 1976a: 8). Sie haben zumeist einen finanziellen Hintergrund, der ihnen die Möglichkeit gibt, sich stärker am westlichen .Emährermodell" zu orientieren und/oder auch auf kostengünstige Haushaltshilfen zurückzugreifen. Die indirekten Komfortkosten sind in dieser Situation von untergeordneter Relevanz . H 2.5: Die Bedeutung von Kindern zur Produktion kurzfristigen Komforts sinkt mit zunehmender Ressourcenausstattung. H 2.6: Die (in)direkten kurzfristigen Komfortkosten sinken mit der Ressourcenausstattung der Eltern.

Die gesellschaftliche Modernisierung Indonesiens hat mittels Bildungsexpansion und Verbesserung der materiellen Lebensbedingungen seit Mitte des 20. Jahrhunderts die individuelle Ressourcenausstattung der Bevölkerung positiv beeinflusst (vgl. Kap. 2.3). Bildungsdifferenzen und Unterschiede in den materiellen Lebensbedingungen variieren nicht nur zwischen den Geburtskohorten, sondern

118

4 Hypothesen zur allgemeinen ModelIierung der Fertilitätsentscheidungen

auch bedingt durch das wirtschaftlichen Gefalle bezüglich Stadt und Land. Wie in den meisten Schwellenländern, lebt auch in Indonesien immer noch die Mehrheit der Armen und gering Gebildeten auf dem Land. Folglich sollte die Bewertung der kurzfristigen Komfortnutzen bzw. -kosten weniger ein Effekt von Urbanität oder historischer Einbettung sein, sondern vielmehr in der Ressourcenausstattung seine Gründe haben. H 2.7: Der Einfluss von Geburtskohorten und regionalem Hintergrund auf die Komfortdimension von Kindern reduziert sich unter Kontrolle der individuellen Ressourcen. H 2.8: Die Variable des kurzfristigen Komforts besitzt die größten historischen und individuellen Variationen . Langfristiger Komfort: Im Gegensatz zur kurzfristigen Komfortdimension ist der langfristige Komfortnutzen bzw. Versicherungsnutzen nicht der gleichen Entwicklung ausgesetzt. Angesichts weit gehend fehlender staatlich institutionalisierten Sozialversicherungen und des großen Vertrauens in familiäre Beziehun gen (s. o. Kap. 2.3.3) ist die Bedeutung des Sicherheitsaspekts eines Kindes nicht oder nur marginal geschrumpft. H 2.9: Die Bewertung des langfristigen Komforts sollte nur geringen historischen und individuellen Variationen unterworfen sein. Außerdem hat der wirtschaftliche Kollaps Indonesiens am Ende des 20. Jahrhunderts als Reaktion auf die asiatische Wirtschaftskrise (1997/1998) die Funktion von Kindern als einzig zuverlässige Quelle der Versorgung im Alter nochmals bestätigt. Humankapitalinvestitionen in die eigenen Kinder sind deshalb besonders in Phasen wirtschaftlicher Konsolidierung und hoher Inflation sicherer als Anlagen in den Kapitalmarkt. Zwar gibt es seit den 1960er Jahren punktuelle Bemühungen zum Aufbau eines staatlichen Pensionsprogramms, aber der überwiegende Teil der Bevölkerung ist nach wie vor auf private Formen der Alterssicherung und Krankenversicherung angewiesen (s. o. Kap. 2.3.3). Selbst Familien mit einem relativ hohen Haushaltseinkommen vertrauen wegen den Risiken des Kapitalmarktes lieber auf die eigenen Kinder. Darüber hinaus verbinden indonesische Eltern mit der Versorgung durch ihre Kinder eine besondere emotionale Qualität, die zweifelsohne sozialstaatliche Leistungen gar nicht bieten können (s. o. Kap. 3.2.4). Ein enormer Bedeutungsverlust des Versicherungsnutzens

4.2 Opportunitätenstruktur und der Wert von Kindern

119

infolge gesellschaftlicher Modernisierung ist daher kaum zu erwarten und eher abwegig . Lediglich höhere Einkommen und das gestiegene Bildungsniveau dürften zu einem leichten Bedeutungsverlust dieser Nutzendimension geführt haben. Voraussetzung für zukünftige Erträge sind stets Investitionen. Diese umfassen zur Realisierung der langfristigen Komfortdimension in Indonesien typischerweise materielle Ausgaben z. B. in die kindliche Gesundheit oder deren Ausbildung. Aber auch enorme emotionale Aufwendungen, die für den Aufbau einer engen und stabilen Eltern-Kind-Beziehung unerlässlich sind, zählen dazu (vgl. von Magnis-Suseno 1989: 68 ff). Solche Investitionen sind riskant und kostenintensiv, vor allem wenn sie das Haushaltsbudget langfristig belasten oder schlichtweg ins Leere laufen. "Verschwendet" sind Investitionen nämlich immer dann, wenn sich die gewünschten Erträge in der Zukunft nicht realisieren. So z. B. wenn frühzeitig Kinder sterben oder nicht willens sind, überhaupt zu helfen (s. o. Kap. 3.2.4). Als Negativ-Pol zum langfristigen Komfortnutzen sollten deshalb insbesondere in Indonesien langfristige Kosten im Sinne der "Investitionen bzw. Fehlinvestitionen" bestehen . Deren historische Entwicklung ist aber ausgesprochen schwierig , zu beurteilen. Für einen Anstieg der Investitionskosten spricht, dass angesichts der gestiegenen Qualifikationsanforderungen und der zunehmenden beruflichen Differenzierung in Indonesien auch die Bildungsinvestitionen kostenintensiver wurden. Darüber hinaus löste Bildung Kinder aus ihren traditionellen Strukturen und Normen heraus, brach die traditionelle ökonomische Einheit der Familie auf und erhöhte damit die Gefahr, dass die gut gebildeten und weit gehend unabhängigen Nachkommen nicht mehr bereit bzw. fähig waren, ihre Eltern materiell zu unterstützen oder persönlich zu pflegen (vgl. T. Hull 1986: 199). Dagegen sollten wiederum andere Prozesse zu einem Bedeutungsverlust von Investitionen bzw. Fehlinvestitionen geführt haben. Z. B. müssten die verbesserten materiellen Lebensbedingungen und die "Jobs" mit besserer Vergütung auch Ausgaben für Kinder leichter ermöglichen. Auch das stark gesunkene Kindersterblichkeitsrisiko dürfte im hohen Maß dazu beigetragen haben, dass die Investitionskosten sanken und zudem besser abschätzbar wurden (s. o. Kap. 2.1.2). Kinder in Indonesien sind also beinah unabhängig von historischen Epochen äußerst profitabel, bergen aber auch ein spezifisches Investitionsrisiko. Investitionen in Kinder sind jedoch zum einen wegen der besseren Ressourcenausstattung im Zuge des sozialen Wandels leichter zu tragen und zum anderen wegen der gesunkenen Kindersterblichkeit besser abzuschätzen. Die Bedeutung der langfristigen Komfortkosten ist im Zuge der historischen Entwicklung leicht gesunken.

120

4 Hypothesen zur allgemeinen ModelIierung der Fertilitätsentscheidungen

H 2.10: Die Bedeutung des langfristige Komfortnutzens sollte in den jüngeren geringer sein als in den älteren Geburtskohorten. H 2.11: Die Bedeutung der langfristigen Komfortkosten sollten in den jüngeren geringer sein als in den älteren Geburtskohorten. In Ermangelung sozialstaatlicher formaler Sicherungssysteme und der instabilen wirtschaftlichen Situation Indonesiens bestehen für die gesamte Bevölkerung unabhängig des Wohnkontextes und des sozioökonomischen Status beinah ausschließlich private Formen der Alterssicherung. Selbst für Regierungsangestellte, denen im Rentenalter eine staatliche Pension zusteht, sind Kinder die wichtigste Stütze im Alter (s. o. Kap. 3.2.4). Das liegt zum einen an der besonderen Qualität der Versorgungsleistung durch eigne Kinder , zum anderen aber auch am generel len Misstrauen gegenüber dem Staat und den eigenen Sparrücklagen. Dessen ungeachtet sollten regionale Kontexte und individuelle Ressourcen hinsichtlich des langfristigen Komfortnutzens auch in Indonesien eine gewisse Rolle spielen. So haben vermögende und gebildete Personen eher Gelegenheit überhaupt durch Sparrücklagen oder Privateigentum (z. B. Immobilien) ihre materiellen Bedürfnisse im Alter zu sichern. Darüber hinaus gehören sie eher zu dem sehr kleinen und privilegierten Teil der Bevölkerung, die als Angestellte des Staates oder als Beschäftigte in größeren Unternehmen einen gewissen Versicherungsschutz genießen. Diese Personen haben zumindest potenzielle Alternativen, die den Ärmeren gänzlich fehlen . Personen der Oberschicht können wenigsten auf den Erhalt einer Pension hoffen ; Personen der ärmeren Schichten sind immer auf die Hilfe ihrer Kinder angewiesen (vgl. T. Hull 1975: 273 f). In Anbetracht des Wohlstandsgefälles und den charakteristischen Beschäftigungsstrukturen von Stadt und Land sollte die langfristige Komfortdimension auch in Indonesien regionalen Variationen unterliegen. Darüber hinaus kann die Landbevölkerung wegen der schlechteren Infrastruktur kaum von Investitionen am Kapitalmarkt profitieren. Kostenintensive Investitionen zur Absicherung der späteren Versorgungsleistung durch Kinder sind vor allem von dem Teil der Bevölkerung leichter zu tragen , der über entsprechende materielle Ressourcen verfügt. Hinsichtlich der Bewertung der langfristigen Kosten von Kindern sind deshalb Budgetrestriktionen in Indonesien außerordentlich bedeutsam. Sie sollten sich in den StadtLand-Differenzen widerspiegeln. H 2.12: Die Bedeutung des (a) langfristigen Komfortnutzen und der (b) langfristigen Komfortkosten ist im ländlichen Kontexten höher als im urbanen Kontext.

4.2 Opportunitätenstruktur und der Wert von Kindern

121

H 2.13: Die Bedeutung des (a) langfristigen Komfortnutzens und der (b) langfristigen Komfortkosten nimmt mit der individuellen Ressourcenausstattung ab. H 2.14: Bei Kontrolle der individuellen Ressourcen verringern sich die Unterschiede zwischen Geburtskohorten und urbanen und ländlichen Kontexten. H 2.15 : Die Bewertung des langfristigen Komforts sollte nur geringen historischen und individuellen Variationen unterliegen. Verhaltensbestätigung und sozialer Status: In einem Land, in dem die intergenerationale Solidarität einen so hohen Stellenwert besitzt wie in Indonesien und Kinder nicht nur im Hinblick ihres Versicherungsnutzens ein wichtiges Zwischengut zur Produktion physischen Wohlbefindens sind, ist es auch nicht verwunderlich, dass der "Besitz" von Kindern unmittelbar zur Verhaltensbestätigung beiträgt und den sozialen Status positiv beeinflusst (s. o. Kap. 3.2.4). Die Effizienz des Produktionsgutes Kind ist hier in soziale Normen zementiert, die sich aufgrund der Jahrhunderte langen Bedeutung von Kindern für das Überleben der Gruppe und als zusätzliche Arbeitskraft herausbildeten (s. o. Kap. 3.3.3). Es ist also davon auszugehen, dass wo Kinder insgesamt zur Komfortdimension in Indonesien beitrugen, auch alIein schon der "Besitz" von Kindern zur Steigerung sozialer Anerkennung führte . Daraus lassen sich die folgenden zwei Implikationen für Indonesien ableiten. Erstens, dass die Geburt von Kindern positiv sanktioniert wird. Zweitens, dass der soziale Nutzen von Kindern im Zuge der historischen Entwicklung abnahm, weil die Bedeutung des Komfortnutzens etwas an Gewicht verloren hat. Die zunehmende Urbanisierung, Berufsdifferenzierung und Bildungsexpansion führten dazu , dass fortan alternative Zwischengüter wie Berufsstatus, Einkommen, Bildungsabschlüsse zur Steigerung des Komforts maßgeblich sind und deren Verteilung zunehmend über sozialen Aufstieg bzw. Prestige entschieden (vgl. von Magnis -Suseno 1989: 83 t). ParalIel zu den zugenommenen Opportunitäten zur Statusproduktion und Verhaltensbestätigung veränderten sich Struktur und Größe sozialer Netzwerke. Für die positive Bestätigung generativen Verhaltens fehlen zunehmend die sanktionsfähigen zumeist verwandtschaftlichen Beziehungen. Die Lockerung sozialer Netzwerke aufgrund der einsetzenden Land-Stadt-Migration schmälerten nicht nur die Möglichkeiten zu signifikanter Verhaltensbestätigung, sondern erschwerten auch die soziale KontrolIe zur Einhaltung fertilitätsbezogener Normen. Zwar solIte der soziale Nutzen von Kindern über alIe Subgruppen der GeselIschaft einen gewissen Wert haben , aber gleichwohl durch den regionalen Kontext und die individuellen Ressourcen der (potenziellen) Eltern determiniert sein. Insbesondere unter Personen mit vielfältigen Opportunitäten zur Statuspro-

122

4 Hypothesen zur allgemeinen ModelIierung der Fertilitätsentscheidungen

duktion sollte der Anreiz den sozialen Nutzen von Kindern hoch zu bewerten , am geringsten ausgeprägt sein. Dies ist in Indonesien vor allem für Personen in der Stadt mit hohem sozioökonomischem Status wahrscheinlich. Besonders Personen in urbanen Kontexten mit einem relativ hohen Erwerbseinkommen und Bildungsgrad sollten wegen alternativer Zwischengüter und geringerer sozialer Kontrolle über erweiterte Möglichkeiten zur Steigerung sozialer Anerkennung verfügen . Sie müssten auf das Zwischengut "Kind" deutlich weniger angewiesen sein. Allerdings sollte diese Reaktion nicht annähernd so stark sein, wie es für den Einkommens- und Versicherungsnutzen zu erwarten ist. Ausgegangen werden kann davon, dass wegen der zunehmenden Schattenpreise familienexterner Beziehungen und den mit ihnen einhergehenden höheren Suchkosten, intergenerative Sozialbeziehungen weiterhin attraktiv bleiben (Nauck 2001 : 424). Grundlegend davon unterscheidet sich die Situation in ländlichen Kontexten. Hier sollte durch die deutlich höhere Bedeutung der Komfortdimension von Kindern auch deren Gewicht bezüglich des sozialen Nutzens größer sein. Darüber hinaus ist die indonesische Landbevölkerung wesentlich stärker in traditionelle, religiöse und pronatalistische soziale Netzwerke eingebunden. Somit verfügt die Landbevölkerung nicht nur über die Möglichkeit durch Kinder soziale Verhaltensbestätigung zu erfahren und ihren Status zu vergrößern, sondern ist gleichzeitig einer stärkeren sozialen Kontrolle ausgesetzt. Wohingegen Personen in den urbanen Ballungszentren Indonesiens auch wegen einer höheren Bildungsbeteiligung stärker mit westlichen Vorstellungen des Rationalismus , Individualismus sowie religiösen und weltanschaulichen Pluralismus konfrontiert sind und die Relevanz traditioneller Werte und religiöser Glaubensprinzipien geringer ist. Die Bedeutung von Kindern zur Produktion von Verhaltensbestätigung und Status H 2.16: ist in den jüngeren geringer als in den älteren Geburtskohorten. H 2.17: ist in ländlichen Kontexten höher als in urbanen Kontexten. H 2.18: sinkt mit zunehmender Ressourcenausstattung. H 2.19: sollte nur geringe individuelle und historische Variationen zeigen. Soziale Kosten, die Kinder in Indonesien verursachen, sind insgesamt als marginal einzuschätzen. Die Geburt von Kindern wird in der Regel deswegen weder negativ sanktioniert noch ist sie für das soziale Prestige abträglich (s. o. Kap. 3.2.4). Leichte Variationen zwischen den Subgruppen der indonesischen Bevölkerung ergeben sich jedoch infolge von prestigeförderlichen Humankapitalinvestitionen. Spätestens ab der Mitte des 20. Jahrhunderts sind neben der Geburt eines Kindes vor allem Bildungsabschlüsse, Berufsposition und Einkommen für

4.2 Opportunitätenstruktur und der Wert von Kindern

123

Status und Verhaltensbestätigung ausschlaggebend. Die dadurch gestiegene Bedeutung der Qualität von Kindern , aber auch der Wert der eigenen Berufskarriere hat zur Konsequenz, dass sich Budgetrestriktionen besonders stark auswirken. Insbesondere Personen mit einem geringen Bildungsniveau und niedrigem sozioökonomischen Status befinden sich im indonesischen Kontext in einem Dilemma. Einerseits haben sie in Ermangelung eigener Aufstiegchancen ein großes Interesse, ihr soziales Prestige mittels Kinder zu steigern, andererseits verfügen sie angesichts fehlender materieller Ressourcen gleichzeitig über deutlich weniger Möglichkeiten zur Realisierung dieser Hoffnung (vgl. T. Hull1975 : 283 ff). Als Konsequenz sollten sie das soziale Umfeld als unfreundlich gegenüber Kindern beschreiben und die sozialen Kosten von Kindern stärker betonen. Darüber hinaus richteten sich die staatlichen Familienplanungsprogramme mit ihrer Werbung zu mehr Bildungsbeteiligung und geringeren Familiengrößen (s. o. Kap. 2.2.) gerade an sozial schwache Schichten. Dieser dem staatlichen Druck besonders ausgesetzte Personenkreis wurde folglich bewusst, mit Kosten von Kindern für Status und Verhaltensbestätigung konfrontiert. In den letzten Jahren ist jedoch das staatliche Interesse am Geburtenrückgang deutlich abgeflaut bzw. ein Großteil der Interventionsmaßnahmen wurde wegen fehlender finanzieller Mittel wieder gestrichen . Darüber hinaus verbesserten sich die materiellen Lebensbedingungen in lndonesien deutlich, mit der Folge, dass sich die sozialen Kosten von Kindern von einem ohnehin niedrigen Niveau nochmals reduziert haben. Die Bedeutung der Kosten von Kindern hinsichtlich Verhaltensbestätigung und Status H 2.20: ist in den jüngeren geringer als in den älteren Geburtskohorten. H 2.21: ist in ländlichen Kontexten höher als in urbanen Kontexten. H 2.22: sinkt mit zunehmender Ressourcenausstattung. Affekt und Stimulation: Für den Affekt- und Stimulationsnutzen von Kindern sind lediglich geringe historische Variationen zu erwarten. Die Art des Affektes und der Stimulation, die sich aus der Pflege, der Erziehung, der Kommunikation und der Interaktion mit den eigenen Kindern ergibt, wird überwiegend als nahezu einmalig und nicht substituierbar eingestuft (vgl. nur Leibenstein 1957, Huinink 1995). Die sozioökonomische Entwicklung Indonesiens kann demzufolge wenig zu einem Wandel dieser Nutzendimension beigetragen haben.

124

4 Hypothesen zur allgemeinen ModelIierung der Fertilitätsentscheidungen

H 2.23: Die Bedeutung von Kindern zur Produktion von Affekt und Stimulation sollte nur geringe historische und individuelle Variationen zeigen. Vielmehr wird der Affekt- und Stimulationsnutzen von Kindern für Eltern infolge des Bedeutungsverlustes der anderen Nutzendimensionen offensichtlicher und tritt demzufolge deutlicher hervor. Darüber hinaus erweist sich gerade die einmalige und auf Dauer angelegte Eltern-Kind-Beziehung innerhalb funktional differenzierter Gesellschaften mit situationsspezifischen, variablen und fluktuierenden sozialen Netzwerken für die Produktion von Affekt von langfristigem Wert. Vor allem für Frauen der "aufkeimenden" Mittelschicht in Indonesien, die sich stärker am westlichen Rausfrauenmodell orientieren, engt sich der Aktionsradius stärker auf den Partner und das Kind ein, gleichzeitig verlieren Beziehungen zu anderen Verwandten infolge der Binnenmigration zunehmend an Intensität (vgl. V. Hull 1975: 159). Kinder als Produzenten von Affekt und Stimulation werden aus diesem Grunde wichtiger. Trotz ihres einmaligen emotionalen Wertes steht Elternschaft in Indonesien zunehmend in Konkurrenz zu anderen Möglichkeiten der Affekt- und Stimulationsproduktion. Insbesondere die infolge der Modernisierung gestiegenen Möglichkeiten der Freizeitgestaltung und des Konsums lassen die Opportunitätskosten für Kinder steigen, denn Kinder binden nicht nur viel Zeit, sondern diese auch über einen enorm langen Zeitraum. Die Gelegenheiten zu einer alternativen Ressourcenverwendung und einer anderweitigen emotionalen Nutzenproduktion werden infolgedessen langfristig eingeschränkt. In diesem Zusammenhang ist auch davon auszugehen, dass Kinder verstärkt in Konkurrenz zur Paarbeziehung treten. Denn gerade wegen der ftir Indonesien nachgewiesenen Entwicklung hin zu einer selbstständigen Partnerwahl verstärkt sich die emotionale Bindung der Eheleute und damit auch die Möglichkeit der Affektproduktion durch die Ehe selbst. Der für die Pflege des Kindes benötigte körperliche Einsatz kann somit nicht nur dazu führen, dass der für die Stimulation zuträgliche Schwellenwert deutlich überschritten wird, sondern die erforderliche Zeit und Energie zusätzliche Spannungen zwischen den Partnern auslöst , die dann wiederum für die Produktion von Affekt abträglich sind. H 2.24: Die Bedeutung des Affekt und Stimulationsnutzen von Kindern sollte in den jüngeren Geburtskohorten zunehmen. H 2.25: Die Bedeutung des Affekt und Stimulationskosten von Kindern sollte in den jüngeren Geburtskohorten zunehmen.

4.3 Determinanten des generativen Verhaltens

125

Urbanisierung und Lebensbedingungen in urbanen Kontexten führen in Indonesien dazu, dass die intime Eltern-Kind-Beziehung als Affektproduzent an Bedeutung gewinnt. Die Migration der Landbevölkerung in die Städte schränkte die Häufigkeit der Kontakte zu zurückgebliebenen Verwandten ein. Die häufig vorzufindende Trennung von Wohn- und Arbeitsplatz reduziert nicht nur die Beziehungen zwischen den Ehepartnern, sondern führt auch zum Verlust der für die indonesischen Dorfgemeinschaften typischen homogenen und lebenslangen Netzwerke (vgl. V. Hull 1976: 8; T. Hull 1986: 215). Der Verlust dieser Affekt produzierenden Beziehungen sollte die Zuneigung zum eigenen Kind stärker in den Mittelpunkt rücken . Parallel dazu sind in den Städten Indonesiens anderwei tige Möglichkeiten der Affektproduktion (z. B. Kultur und Freizeitangebote) häufiger anzutreffen und stehen in stärkerer Konkurrenz zu Kindern. Aus diesem Grund sollten sowohl der Nutzen als auch die Kosten hinsichtlich der Affektund Stimulationsdimension steigen. Analog dazu können jene Überlegungen auch auf die Wirkung individueller Ressourcen übertragen werden . Bestehen in Indonesien aufgrund äußerer Restriktionen (z. B. Erwerbsbeteiligung oder fehlende familiäre Netzwerke) keine emotionalen Beziehungen zu anderen Kontaktpersonen , wird die Bedeutung von Kindern als Quelle emotionaler Zuwendung an Bedeutung gewinnen. Auf der anderen Seite steigen mit dem erweiterten Möglichkeitsspielraum auch die Kosten. Die Bedeutung des Affekt- und Stimulationsnutzes H 2.26: ist in urbanen Kontexten höher als in ländlichen Kontexten. H 2.27: steigt mit der individuellen Ressourcenausstattung. Die Bedeutung der Affekt- und Stimulationskosten H 2.28: ist in urbanen Kontexten höher als ländlichen Kontexten. H 2.29: steigt mit der individuellen Ressourcenausstattung.

4.3 Determinanten des generativen Verhaltens Die bisher aufgestellten Brückenhypothesen wurden für Indonesien und damit kontextspezifisch formuliert . Die nun folgende Ableitung des generativen Verhaltens hat einen stärker deduktiven Charakter. Der Grund liegt darin, dass der VOC-Ansatz als universelle Theorie generativen Verhaltens unabhängig vom kulturellen und historischen Kontext gültige Aussagen treffen soll. Wenn sich also eine bestimmte Wertebeurteilung infolge einer spezifischen Situationswahrnehmung von Kindern nachweisen ließe, sollten auch generelle Aussagen zu

126

4 Hypothesen zur allgemeinen ModelIierung der Fertilitätsentscheidungen

Fertilitätsentscheidungen möglich sein. Das generative Verhalten wird nun dementsprechend direkt aus den theoretischen Grundannahmen abgeleitet (vgl. Kap. 3.2). Der Wert von Kindern (VOC) als Ausdruck für die Motivation zur Geburt eines Kindes ist die zentrale Determinante zur Vorhersage des generativen Verhaltens. Dieser dürfte sich in der Realität aber nicht direkt auf das generative Verhalten auswirken, sondern sollte vielmehr in der Handlungsmotivation wegen der subjektiven Erwartungswahrscheinlichkeit des VOC verankert sein. Im zur Verfügung stehenden Datensatz liegen jedoch keine Informationen dazu vor. Deswegen kann jene indirekte Verbindung nicht abgebildet werden. Aus diesem Grund ist es notwendig, die Hypothesen zur Vorhersage des generativen Verhaltens so zu formulieren, als stünden diese in direkter Abhängigkeit zum VOc. Dazu wird im Folgenden davon ausgegangen, dass die Bewertung einzelner Nutzendimensionen Einfluss auf die Geburt einer bestimmten Ordnungsnummer von Kindern (Parität) hat, und deren zeitliche Verortung (Timing) lenkt und den Abstand zwischen zwei Geburten (Spacing) beeinflusst. Die Untersuchung des generativen Verhaltens erfolgt nun paritätenspezifisch. Zum einen, weil die zugrunde liegende Datenbasis eine ereignisanalytische Auswertung erfordert . Zum anderen, weil so Fertilitätsentscheidungen als sequentielle Entscheidungen betrachtet werden können , die dynamisch und flexibel getroffen werden und Erfahrungen aus vorangegangen Entscheidungen berücksichtigen. Es wird davon ausgegangen, dass beim Übergang zur Elternschaft, Zweitgeburt und/oder Drittgeburt die gegenwärtige Situation wahrgenommen, interpretiert und beurteilt wird und dabei jeweils die gleichen Entscheidungsprozesse ablaufen. Auf dieser Grundlage entstehen Präferenzen für zukünftige Handlungsresultate, die vom Akteur auch so gut wie möglich in die Tat umgesetzt werden. Kinderzahl: Der Zusammenhang zwischen der Bewertung einzelner Nutzendimensionen von Kindern und der (letztendlich) realisierten Familiengröße wurde bereits theoretisch wie empirisch untersucht (vgl. Nauck 1989, 1997, 2001; Nauck, Kohlmann 1999; Kohlmann 2000; Klaus 2008; Suckow 2008). Die Ergebnisse aus diesen Untersuchungen werden nun bei der folgenden Hypothesenbildung berücksichtigt. Für den Übergang zur Elternschaft konnte an dieser Stelle jedoch keine Hypothesen aufgestellt werden, weil alle im VOC-Datensatz erfassten Frauen bereits ihr erstes Kind geboren hatten und somit Kinderlose als Vergleichsgruppe fehlen. In Anbetracht der Fallgröße wird die Hypothesengenerierung und empirische Analyse außerdem auf die ersten vier Paritäten beschränkt bleiben. Die Betonung kurzfristiger Komforterwartungen legt die Geburt vieler Kinder nahe. Zum einen sind die Nutzenerwartungen mit jedem (weiteren) Kind akkumulierbar und zum anderen sinken durch Kinderreichturn die Komfortkosten pro Kind. Synergieeffekte, also ein positives Verhältnis von Kosten und

4.3 Determinanten des generativen Verhaltens

127

Nutzen , lassen sich hinsichtlich der kurzfristigen Komfortdimension insbesondere mit einer relativ großen Kinderzahl realisieren . Güter, die in Aufzucht und Ausstattung der Erstgeborenen flossen, können noch mal genutzt werden, wodurch sich die Aufwendungen pro Kind mit jeder weiteren Geburt reduzieren sollten. Gleiches gilt für die Entwicklung der Opportunitätskosten. Wenn Frauen wegen der Geburt eines Kindes ihre Erwerbstätigkeit aufgeben bzw. reduzieren müssen, sind sie zwangsläufig Einkommenseinbußen ausgesetzt. Der daraus resultierende finanzielle Verlust erreicht sein Maximum bereits mit der Erstgeburt. Die Aufzucht aller darauf folgenden Kinder profitiert nun von der Zeit, die ohnehin nicht mehr der Erwerbstätigkeit zur Verfügung stand. Denn diese Zeit kann unproblematisch für Pflege und Erziehung mehrerer Kinder genutzt werden. So lassen sich mit jedem weiteren Kind nicht nur die direkten, sondern auch die indirekten Komfortkosten minieren. Natürlich sind dieser Nutzenmaximierungsstrategie Grenzen gesetzt. Diese ergeben sich z. B. aus Budgetrestriktionen, weil ja trotz allem die totalen Kosten für den gesamten Nachwuchs steigen und die mit jeder weiteren Geburt zunehmenden gesundheitlichen Risiken auch. So ist die Grenze jedenfalls dann erreicht, wenn die entstandenen Kosten pro Kind in der Summe die zur Verfügung stehenden materiellen Ressourcen übersteigen . Dieser Grenznutzen sollte deutlich unter der biologisch möglichen Kinderzahl liegen. Je höher der kurzfristige Komfortwert von Kindern : H 3.1: desto wahrscheinlicher ist eine Zweitgeburt. H 3.2: desto wahrscheinlicher ist eine (a) Drittgeburt und (b)Viertgeburt. Im Gegensatz zur Bewertung der kurzfristigen Komfortdimension ist im Fall der langfristigen Komfortdim ension nicht zwangsläufig mit einer höheren Kinderzahl zu rechnen . Zwar eröffnet Kinderreichtum die Chance, die Lasten der späteren Altersvorsorge auf mehreren Schultern zu verteilen , aber in Anbetracht erforderlicher Humankapitalinvestitionen wird der Grenznutzen in Zukunft erheblich schneller erreicht. Deswegen sollte infolge steigender Qualifikationsanforderungen und einer verstärkten berufsspezifischen Differenzierung jener Grenzwert eine deutlich geringere Kinderzahl annehmen. In diesem Fall ist also mit einem Wechsel der Maximierungsstrategie von Quantität zu mehr Qualität von Kindern zu rechnen . Die Folge wäre dann ein Rückgang der Geburten pro Frau. Neben Budgetrestriktionen, sollte hierfür auch die sinkende Kindersterblichkeit verantwortlich sein. Während unter vormodernen Lebensbedingungen eine wichtige Strategie zur Realisierung des langfristigen Versicherungsnutzens noch darin bestand, viele Kinder zu gebären, um letztendlich "sicher" zu gehen, dass eine

128

4 Hypothesen zur allgemeinen ModelIierung der Fertilitätsentscheidungen

ausreichende Anzahl Kinder das Erwachsenenalter erreicht, sollten im Zuge gesellschaftlicher Modernisierung derartige Kalkulationen deutlich an Relevanz verloren haben. Der Grund dafür ist das enorm gesunkene Mortalitätsrisikos von Säuglingen und Kleinkindern und damit die deutlich reduzierte "Ausfallquote". Gleichzeitig ist die Bedeutung des Versicherungsnutzens relativ konstant. Der gestiegene Einfluss von Humankapitalinvestitionen auf den Versicherungsnutzen bedingt ebenfalls eine Konzentration. Im Extremfall stehen deshalb dem einen Kind alle familiären Ressourcen an Zeit, Liebe und Geld zur Verfügung, wodurch die ohnehin sehr risikoreiche Erwartung der späteren Altersvorsorge etwas abgesichert werden soll (vgl. Nauck 200 I: 431) . Je höher der langfristige Komfortwert von Kindern bei den älteren Geburtskohorten ist H 3.3: desto wahrscheinlicher ist die Zweitgeburt. H 3.4: desto wahrscheinlicher ist das Risiko einer (a) Drittgeburt und (b) Viertgeburt . Je höher der langfristige Komfortwert bei den jüngeren Geburtskohorten H 3.5: desto wahrscheinlicher ist die Zweitgeburt. H 3.6: desto geringer ist das Risiko einer (a) Drittgeburt und (b) Viertgeburt. Inwieweit ein bestimmtes Muster generativen Verhaltens zur Produktion von Verhaltensbestätigung und Status beiträgt, ist stark von der Zugehörigkeit zu pro- oder antinatalistischen Netzwerken abhängig. Für Indonesien gilt, dass insbesondere die Geburt des ersten und des zweiten Kindes Grundlage für soziale Wertschätzung ist, während die Drittgeburt wesentlich weniger soziale Beachtung erfährt (s. o. Kap. 3.2.3) Ähnliches gilt für den Statusnutzen von Kindern. Dieser kann entweder einen Schwellenwert darstellen (Geburt eines ersten Kindes oder eines Geschlechts) oder mit der Anzahl der Kinder steigen (vgl. Nauck 200 I: 415). Zwar war insbesondere im traditionellen Java Kinderreichtum für den Mann Ausdruck seiner finanziellen Leistungsfähigkeit und für Frauen ein statusförderliches Symbol ihrer Fruchtbarkeit (vgl. Zeitlin 1995), dennoch ist wie für die Verhaltensbestätigung insgesamt davon auszugehen, dass eine hohe Anzahl von Kindern weder von enormer Bedeutung war, noch gegenwärtig hat.

4.3 Determinanten des generativen Verhaltens

129

Bei Kontrolle aller anderen Wertedimensionen gilt: Je höher die elterliche Bewertung von Verhaltensbestätigung und Statusdimension durch Kinder H 3.7: ...desto höher ist die Wahrscheinlichkeit einer Zweitgeburt. H 3.8: Ein Einfluss auf die (a) Drittgeburt und (b) Viertgeburt sollte nicht bestehen. Für den Affekt und Stimulationsnutzen kann ohnehin nur eine geringere Akkumulierbarkeit angenommen werden. Das Bedürfnis nach emotionaler Nähe und die Freude an Kindern sollten bereits mit einer geringen Anzahl von Kindern realisiert werden können, wohingegen Kinderlosigkeit und hohe Kinderzahlen zu einem negativen Verhältnis fuhren . Kinderreichturn würde , wenn Affekt und Stimulation die relevanten Entscheidungsparameter darstellen , nicht nur keine weitere Nutzenproduktion erbringen , sondern sogar physische und psychische Kosten (z. B. körperliche Anstrengungen, Müdigkeit, emotionale Belastungen) verursachen und damit in eine negative Entwicklung umspringen . Als Schwellenwert muss deshalb eine relativ niedrige Parität angenommen werden. Dieser soll bei zwei Kindern veranschlagt werden. Auch hier wird bei Kontrolle aller anderen Wertedimensionen die folgende Wirkung auf das generati ve Verhalten erwartet. H 3.9: Je höher der Beitrag von Kindern für Affekt und Stimulation , desto geringer ist das Risiko einer (a) Drittgeburt und (b) Viertgeburt. Timing und Spacing: Versprechen sich Eltern von der Geburt von Kindern vor allem kurzfristige Komforterwa rtungen ist davon auszugehen , dass sie ihre Geburtentätigkeit möglichst schnell beginnen und sich der Familienerweiterungsprozess ebenfalls zügig vollzieht. Kausal dafür ist, dass eine frühe Elternschaft die Phase der Nutzung des kindlichen Komforts verlängert und sich darüber hinaus deren Kosten minimalisieren lassen (s.o.). Ähnliches gilt für soziale Wertschätzung. Wenn junge Paare in soziale Netzwerke eingebunden sind, in denen die Geburt des ersten bzw. zweiten Kindes als Symbol für das Erreichen des Erwachsenenstatus gelten und sie gleichzeitig nur unter dieser Bedingung als gleichberechtigte Mitglieder in die Gemeinschaft aufgenommen werden, ist für sie der frühe Übergang zur Elternschaft meistens auch die einzige Möglichkeit soziale Wertschätzung zu erfahren bzw. soziale Missachtung zu vermeiden. In

130

4 Hypothesen zur allgemeinen ModelIierung der Fertilitätsentscheidungen

Anbetracht der Tatsache, dass sich langfristige Komforterwartungen insbesondere durch eine enge emotionale Bindung zwischen Eltern und Nachkommenschaft verwirklichen lassen und die Maximierungsstrategie kostenintensive Humankapitalinvestitionen zur Voraussetzung hat, sollte eine frühe Erstgeburt nicht zwangsläufig günstig sein. So haben Paare zwar bei einem zügigen Übergang zur Elternschaft frühzeitig die Möglichkeit, von ihren Kindern zu profitieren, aber im Hinblick auf die erforderlichen Ressourcen sollte ferner die materielle Basis fertilitätsbestimmend sein. Vermögen und ein Haushaltseinkommen, das Aufwendungen für Kinder ermöglicht, existiert jedoch typischerweise erst in einem mittleren Alter. Darüber hinaus sollte bei einer stärkeren Bedeutung der Qualität von Kindern und infolge der Konzentration der familiären Ressourcen auf eine kleinere Nachkommenschaft keine dringende Notwendigkeit bestehen, möglichst früh das erste Kind zur Welt zu bringen. So kann der Übergang zur Elternschaft in eine spätere Lebensphase verschoben werden, ohne dabei ein Risiko für die Realisierung des langfristigen Komfortwertes einzugehen. Gleiches muss auch für die Affekt- und Stimulationsdimension gelten. Hier ist neben der besseren Planbarkeit niedriger Paritäten davon auszugehen, dass sich mit steigendem Alter auch die Kosten- und Nutzenstruktur deutlich verbessert . Parallel zum Bedeutungsverlust alternativer Affekt- und Stimulationsproduzenten (z. B. Hobby oder Freundeskreis) sollte der Wunsch nach emotionaler und körperlicher Nähe zu einem Kind im fortgeschrittenen Erwachsenalter steigen. Auch die Vorteile für die Geschwisterbeziehung sowie die Reduzierung der Opportunitätskosten begünstigen die Geburt des zweiten Kindes relativ zügig nach der Erstgeburt. Denn wenn nämlich erst einmal ein Kind geboren wurde , sind die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung ohnehin derart eingeschränkt, dass die zusätzlichen durch ein zweites Kind verursachten Kosten vernachlässigbar sind. Ungünstig wäre es allerdings , die Zweitgeburt herauszuzögern, weil damit die Periode der Einschränkungen nochmals verlängert werden würde. Je höher der Beitrag von Kindern für den kurzfristigen Komfort H 3.10: desto eher findet die Erstgeburt statt und H 3.11: desto eher erfolgt die Zweitgeburt. H 3.12: Der Beitrag von Kindern für den langfristigen Komfort hat auf die zeitliche Verortung der Erstgeburt keinen Einfluss. Je höher der Beitrag von Kindern für die Verhaltensbestätigung und Status H 3.13: desto früher findet die Erstgeburt statt. H 3.14: desto eher erfolgt die Zweitgeburt.

IJI

4.4 Pfadabhängigkeil des VOC-E rklänmgsprogramms

Je höher der Beitrag von Kindern für elte rlichen Affekt lind Stimulation 11 3.15: desto später erfolgt die Erstgeburt. H 3.16: desto schneller erfolgt die Zweitgeburt auf die Erstge burt.

4.4 Pfadabh ängigke lt des VOC-El"kläl"ungs program ms Sollten die Hypothesen für die soeben aufgestellt en Einze lerklärungen empirisch verifiziert werden, müssen im Anschluss daran die indirekten Effekte der zentralen Hand lungsbedingungen untersucht werden. Mit der Hilfe von Strukturgle ichu ngsmodellen soll deshalb die vermittelnde Rolle der Werte von Kindern übergeprüft werden. Dies ist notwen dig, weil nur so beurte ilt werden kann, ob die situative n Rah menbedingungen bzw. individuelle n Resso urcen über die Bewertung des VOC das generativ e Verhalten determinieren oder aber ihre direkte Erklärungskraft stä rker oder gleich stark ist, was im Ergebnis das VOCKonstrukt zur Erklärung von Fcrtilitärs untcrschicdcn unbrauchbar machen würdc. Pfadabhängigke it des VOC -Erklärungs mode lls

Abb ildung 4.1.'

1--'

I voe

..._too...:

KJeir"o"....-..

0w001_...."""""

I '-~I

Quelle . eigene AbbLldung

ralives I Verha lten H Gene

132

4 Hypot hesen zur allg emeinen Modcl1icrung der Fertilitätsemscheidunge n

H 4: Im vollständigen Modell übersteigen die indirekten Effekte der wichtigen Handlungsbedingungen auf das generative Verhalten deren direkten Effekte.

4.5 Das Alterna tivmodell: Ha ndeln ge mäß ein er internalisierten Fertilit äts no r m

Im dritten Kapitel hergeleiteten Alternat ivmodell zur Erklärung generat iven Verhaltens (5. o. Kap. 3.3) wird unterstellt, dass Fertilitätsentscheidungen nicht unbedingt Ergebnis einer aufwändigen individ uellen Kosten- und Nutzenanalyse sind. Falls Akteure auf eine ..Fcrtilitätsnorm'' zurückgreifen können, die ihnen in der jeweiligen Entscheidungssituati on als angemessen erscheint , sind Handlungsrcsultatc Ergebnis ihrer unreflektierten Übernahme. Alternativ modell zur Erklärung genera tiven Verhaltens

Abbildung 4.2:

1'-

I

""'k roebene: n.1IlI""". R~

~-

VOC

"'_IlO ne: Klein.........,..

KInfri Olige< KomIo
lNogIri$ . Komfort V _W 9Jng I StaIuo AMok' I Sknulali,,"

cn-turiW_lruklur

I

I '~I ReU llo..... Elle . .: Sozilil. Neu _ ke

_...-

"*"'~ :

~ReaouIeen

-",

E..-t>el.Oligll..t

.

. ..

Quelle . eigene Abbildung

r

Altemali vmodell :

I FertJhtAlsnorm I

-l

Generatives Verhalten

I

4.5 Das Alternativmodell: Handeln gemäß einer internalisierten Fertilitätsnorm

133

Nur wenn die angezeigten Situationsmerkmale nicht mehr so recht zur Fertili tätsnorm passen , das aufwändige Kalkulieren lohneswert und konkret durchführbar ist, sind tatsächlich rationale Fertilitätsentscheidungen zu erwarten. Aus diesen allgemeinen theoretischen Annahmen (s. o. Kap. 3.3.2) und den Informationen zur spezifischen Situation in Indonesien (s. o. Kap. 3.3.3) lassen sich Hypothesen zur Wahl des as-Modus oder rc-Modus machen. Die Voraussetzungen hierfür sollten nicht nur zwischen den Generationen, sondern auch hinsichtlich bestimmter Subgruppen der Bevölkerung variieren. In Anbetracht der enormen gesellschaftlichen Veränderungen Indonesiens in den 1970er Jahren ist zu erwarten, dass diese Epoche den Wendepunkt von mehrheitlich automatischspontanen Entscheidungen zu rational-kalkulierenden Entscheidungen markiert (s. o. Kap. 3.3.3). Die für das traditionelle Indonesien geeignete pronatalistische Fertilitätsnorm sollte bis zu dieser Transformationsphase Handlungsrelevanz genossen und erst infolge der weiteren gesellschaftlichen Entwicklung deutlich an Bedeutung verloren haben . Bezogen auf Generationenunterschiede hat sich der Wechsel vom as-Modus zum rc-Modus ab den Geburtsjahrgängen 1950 vollzogen. Da der Eintritt in den Familiengründungprozess in Indonesien typischerweise um bzw . etwas vor dem 20 . Lebensjahr stattfindet, mussten sich die in der Mitte des 20. Jahrhunderts Geborenen erstmals Anfang der 1970er Jahre mit der Entscheidung über die Geburt eines Kindes auseinandersetzen, also genau in der Zeit in der sich lndonesien von einer Agrargesellschaft zunehmend zu einer Industriegesellschaft entwickelte und Geburtenkontrolle eines der "prominentesten" Themen war.

H 5.1: Die Geburtskohorten bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts haben ihre Fertilitätsentscheidungen nach dem as-Modus getroffen haben. Danach ist der rcModus handlungsrelevant. Die Integration in einen städtischen bzw. ländlich en Wohnkontext hat ebenfalls Einfluss auf die Moduswahl. Denn in urbanen Kontexten ist mit einer höheren Reflexions-Motivation, einem geringeren Reflexions-Aufwand und gestiegenen Reflexions-Opportunitäten zu rechen. Die erhöhte Motivation zum aufwändigen Kalkulieren ergibt sich hier aus den eingeschränkten Beschäftigungsmöglichkeiten von Kindern, den steigenden (Opportunitäts-) Kosten (z. B. aufgrund einer höheren Bildungsbeteiligung und erweiterten Möglichkeiten einer Berufskarriere) und dem geringeren Reflexions-Aufwand (siehe ausführlicher unten) . Die in städtischen Kontexten lndonesiens erweiterten Chancen für soziale Mobilität ermöglichen nicht nur sozialen Aufstieg, sondern erhöhen gleichzeitig das Risiko des sozialen Abstieges. Suboptimale Entscheidungen sind deshalb auch in Bezug

134

4 Hypothesen zur allgemeinen ModelIierung der Fertilitätsentscheidungen

auf generative Verhaltensstrategien deutlich riskanter und kostenintensiver. Zwar ist infolge der gesellschaftlichen Modemisierung auch in ländlichen Gebieten mit einer Verschiebung der Kosten-Nutzen-Struktur zu Ungunsten von kinderreichen Familien zu rechnen , aber in Anbetracht der dort bestehenden geringeren direkten und indirekten Kosten sollte selbst eine zu hohe endgültige Kinderzahl das familiäre Budget weitaus weniger belasten. Neben diesen Bedingungen für eine stärkere Reflexions -Motivation erweitern sich in den urbanen Ballungszentren Indonesiens die Möglichkeiten zum rationalen Kalkulieren auf vielfältige Weise . Erstens : Die im traditionellen Indonesien typischerweise arrangierten Ehen sind in den Städten deutlich seltener; Partnerwahlprozesse basieren häufiger auf dem Wunsch der Brautleute. Ein Dialog der Eheleute über familienrelevante Entscheidungen ist folglich leichter. Zweitens: Die stärkere Bildungsbeteiligung erweitert den Wissenshorizont über bisher gelebte Traditionen für einen immer größeren Teil der Bevölkerung und offenbart somit Wahlmöglichkeiten in Bezug auf generative Entscheidungen. Drittens: Es bestehen durch die schnellere Erreichbarkeit von" clinics" mehr Informationsmöglichkeiten über Empfängnisverhütung und eine bessere Infrastruktur zur Beschaffung von effizienten Verhütungsmitteln. Viertens: Darüber hinaus sind die sozialen Netzwerke heterogener bzw. weniger geschlossen, mit der Konsequenz, dass potenzielle Eltern einer geringeren sozialen Kontrolle ausgesetzt sind und ohne äußere Einflussnahme selbstständig Entscheidungen treffen können . H 5.2: In urbanen Kontexten ist der rc-Modus der Entscheidungsfindung wahrscheinlicher als in ländlichen Kontexten.

Diese Überlegungen zu regionalen Besonderheiten beim Entscheidungsmodus lassen sich ferner problemlos auf die individuelle Ressourcenausstattung von Akteuren übertragen. So ist ohnehin davon auszugehen, dass die Stadt-LandDifferenzen Ergebnis einer unterschiedlichen Ressourcenausstattung der Bevölkerung sind. Vor allem Personen, die in Indonesien über ausreichend finanzielle Mittel oder ein hohes Bildungsniveau verfügen, sollten als Erste an einer bestehenden Fertilitätsnorm zweifeln, eine erhöhte Motivation zum rationalen Kalkulieren besitzen und mehr Gelegenheiten zum rationalen Kalkulieren haben. Dafür sprechen die folgenden Gründe . Ein hohes finanzielles Budget oder eine überdurchschnittliche Ausstattung mit Bildungszertifikaten erhöhen in der gesellschaftlichen Transformationsphase, in der sich Indonesien gerade befindet, die Aussichten auf sozialen Aufstieg. Deshalb lohnt es sich für gut ausgebildete sowie vermögende Personen besonders ihr Verhalten exakt auf die individuelle Situation abzustimmen. Im Gegensatz dazu, könnte ein an althergebrachten Tra-

4.6 Modernisierungsvariablen und das generative Verhalten

135

ditionen ausgerichtetes Verhalten , diese Aufstiegschancen gefährden, weil so neue soziale Aufstiegswege unberücksichtigt blieben . Unter diesen Bedingungen sollten Verhaltesweisen gemäß einer Fertilitätsnorm überaus kostenintensiv sein. Außer einer erhöhten Kalkulationsmotivation ist der eindeutig geringere Aufwand für Informationsbeschaffung und Entscheidungsfindung ein wichtiger Grund für eine frühere und konsequentere Abkehr von traditionellen Verhaltensmustern. Hierfür sind wiederum deren Bildungsniveau, ihre stärkere Konfrontation mit westlichen Werten und deren stärkere Integration in einen berufspezifischen Arbeitsmarkt verantwortlich. H 5.3: Personen mit einer hohen Ressourcenausstattung treffen ihre Entscheidung häufiger mittels des rc-Modus als Personen mit einer geringen Ressourcenausstattung

4.6 Modernisierungsvariablen und das generative Verhalten

Gemäß den bisher vorgestellten Hypothesen wurde die indonesische Geburten entwicklung vor allem durch Urbanisierung, Bildungsexpansion und einer stärkeren berufspezifische Differenzierungen des indonesischen Arbeitsmarkts bedingt. Im Folgenden werden deshalb Hypothesen formuliert, die zwar scheinbar einen direkten Zusammenhang zwischen Indikatoren gesellschaftlicher Modernisierung und generativen Verhalten implizieren, tatsächlich aber wegen der Pfadabhängigkeit des Erklärungsmodells (s. o. Kap. 4.4) über den VOC vermittelt sind. Die folgenden Hypothesen sind Grundlage für die sich im fünften Kapitel anschließende empirische Untersuchung. Dort soll auf der Basis eines kumulierten Datensatzes, bestehend aus allen bisher erschienen World Fertility Surveys (WFS) und Indonesian Demographie and Health Surveys (lOHS) , der langfristige Geburtenrückgang abgebildet sowie zentrale Determinanten des generativen Verhaltens untersucht werden. Typischerweise sind in einem solchen Massendatensatz keine Angaben zu den Werten von Kindern enthalten, was eine systematische Analyse der oben im dritten Kapitel vorgestellten Erklärungsmodelle ausschließt. Deswegen sollen zunächst lediglich erste Annahmen zur langfristigen Entwicklung und zentrale Einflussfaktoren des generativen Verhaltens in lndonesien überprüft werden. Hierfür werden historische, regionale bzw. ressourcenspezifische Variationen auf das Risiko der Geburt bestimmter Paritäten und deren zeitliche Verortung überprüft . Die Erstgeburt wird untersucht, um die im ersten Kapitel beschriebene Verschiebung des Statusübergangs zur Elternschaft mit Hilfe geeigneter Auswertungsverfahren empirisch nachzuweisen. Das Ereig-

4 Hypot hesen zur allgemeinen Modcl1icrung der Fertilitätsemscheidungen

136

nis Drittgeburt und dessen Bestimmungsfaktoren werden exemplarisch als Beispiel für die Geb urt von Kindern höherer Parität untersucht. Als zentrale Determinanten des indones ischen Geburtenrückganges (s. u. Abb. 4.3) stehen dabei die folgenden unabhängigen Variablen zur Verfügung. Geburtskottorten sind Ausdruc k variierender Handlungsbedingungen. Diese umfasse n Wandl ungsprozesse auf der gesellschaftlichen Makro-, Meso- und Mikroebene und typisc he Verhaltensbesonderheiten we rden in der Regel als Ergebnis sozia len Wandels interpret iert. Auf der Basis einer Kohortenanalyse soll deshalb der langfr istige Geburtenrückgang überprüft werden. Variationen hinsichtlich der kleinräumlichen Opponunitatenstrutaur und der individuellen Ressourcen werden anband der Eingebundenhe it in stä dtische oder ländlic he Kontexte sowie mittels Bildungsgrad. Erwerbstätigkeit oder Berufsstatus untersucht (s. u. Abb. 4.3).

_.

Abbildung 4.3: '-

;

..

--' _. I

_.-...

I

:

l _ ' '-''- R~

"""'"'......

~ OpponuniUi ..... nYlO'"

I

. _~

I _.,"""'.. Sozial_ _

_ ..

Generatives Verhalten und Modemisierungsvariab len

... ... .. ... ...

I

.. ... ...

.. .

...

t-

I-

voc

r--

KllI ' lr iol ilJer Komlon

Langtri .,;g.. KomI""

V_

..."okl l

__ EbO ...:

"'-"'9ono & SI....

--l

..

: Genera tives Ve rha lten

'l'I

SI_

" ."0llI>ene:

.

---

t _ _ R.......-een

I

-~

E....

_ ~

I

t-

Quelle . eigene Abbildung

Entsprec hend der Hype rbesen (s. o. Kap. 4.2 und Kap. 4.3 ) sollte in Indonesien Bildung, Urbanitä t und Berufsdifferenzierung für den Gebunenrüekgang verantwonlich sein, weil zum einen die Bedeutung des kurzfristigen Komfon nutzens sinkt und zum anderen veränderte Realisierungsmög lichkeiten des langfristigen Versicherungsnu tzens bestehen. Die Bewertung des sozialen und emotiona-

4.6 Modernisierungsvariablen und das generative Verhalten

137

len Wertes von Kindern sollte sich demgegenüber trotz sozialen Wandels nur geringfügig verringert haben. Die bereits oben vorgestellten potenziellen Strategien zur Maximierung der jeweiligen Wertedimension und deren Konsequenzen auf das generative Verhalten sollten in Indonesien zwar zu einem Rückgang von Geburten höherer Parität führen, aber keinen Anstieg der Kinderlosigkeit zur Folge haben. Die Merkmale der langfristigen Geburtenentwicklung in Indonesien sind, dass H 6.1: das Risiko einer Erstgeburt unverändert hoch ist, H 6.2: die Erstgeburt zu einem späteren Zeitpunkt stattfindet und H 6.3: unter den jüngeren Geburtskohorten das Risiko einer Drittgeburt sinkt. Der für Indonesien zu erwartende Wandel der Bedeutung der Werte von Kindern im Laufe seiner historischen Entwicklung ist das Ergebnis der veränderten sozialstrukturellen Zusammensetzung der Bevölkerung. Das daraus resultierende veränderte generative Verhalten lässt sich auf der Grundlage von Struktureffekten erklären und ist Folge des Wachstums der städtischen Wohnbeviilkerung und der allgemein steigenden Ressourcenausstattung. Für die Landbevölkerung und Personen mit einer geringen individuellen Ressourcenausstattung ist deshalb auf der Grundlage der oben getroffenen Annahmen (s. o. Kap. 4.2 und 4.3) auch ein anderes generatives Verhalten zu erwarten, als für Personen in der Stadt mit einer hohen individuellen Ressourcenausstattung. H 6.4: Zwischen ländlichen und urbanen Kontexten gibt es keine Unterschiede hinsichtlich des Risikos einer Erstgeburt . Aber in städtischen Kontexten H 6.5: erfolgt der Übergang zur Elternschaft später und H 6.6: das Risiko einer Drittgeburt sinkt. H 6.7: Individuelle Ressourcenunterschiede haben keinen Einfluss auf das Risiko einer Erstgeburt. Aber mit zunehmender Ressourcenausstattung H 6.8: erfolgt der Übergang zur Elternschaft später und H 6.9: das Risiko einer Drittgeburt sinkt.

5 Empirischer Teil I: Gesellschaftliche Modernisierung und generatives Verhalten

Erklärungen zum historischen Geburtenrückgang beziehen sich in der Regel auf Kohorteneffekte. Der Geburtenrückgang infolge sozialen Wandels wird dabei als Ergebnis veränderter Lebens- bzw. Handlungsbedingungen bestimmter Geburtsjahrgänge, aus denen unterschiedliche Verhaltensweisen resultieren, verstanden. Trotz dieses Fokus auf Längsschnittsbetrachtungen werden zu dessen Beschrei bung häufig Periodendaten herangezogen, die einen Querschnittsblick auf die Fertilitätsverhältnisse einer Bevölkerung eines Kalenderjahres zeigen, indem aus dem generativen Verhalten aller im Beobachtungszeitraum sich befindenden Individuen eine hypothetische Kohorte konstruiert wird. Die im ersten Kapitel gezeigte zusammengefasste Fruchtbarkeitsziffer (TFR) ist dabei die international meist verwendete Kennziffer. Es ergeben sich jedoch Probleme bei der Interpretation dieser Maßzahl, weil ihre Berechnung auf zwei unsicheren Annahmen beruht. Einerseits wird vorausgesetzt, dass alle Frauen das Ende ihrer reproduktiven Phase/" erleben und andererseits wird unterstellt , dass deren verbleibendes generatives Verhalten den im jeweiligen Kalenderjahr erfassten altersspezifischen Geburtenraten folgt. Deshalb reagiert diese Maßzahl auf kurzzeitige Veränderungen der altersspezifischen Fertilitätsraten relativ stark. So kann z. B. eine über die Zeit hinweg sinkende TFR sowohl durch einen echten Wandel der Verhaltensweisen wie auch durch typische Periodeneffekte verursacht sein. Oder wenn eine Verschiebung der Erstgeburten in eine spätere Phase des Lebens erfolgt, kann der Geburtenrückgangdeutlich überschätzt werden" : Um diese Feh20 Für demografische Berechnungen wird als "gebärfähiges Alter" in der Regel die Zeit zwischen dem 15. und 45. Lebensjahr einer Frau angenommen . Teilweise wird, insbesondere bei Berechnungen für Entwicklungsländer, in denen häufiger auch nach dem 45. Lebensjahr noch Kinder geboren werden, der Zeitraum bis zum 49 . Lebensjahr einbezogen. 21 Das wohl bekannteste Beispiel für einen dramatischen Einbruch der TFR ist die Geburtenentwicklung in Ostdeutschland nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Systems. Verursacht wurde dieser nicht allein durch das tatsächlich gefallene Geburtenniveau, sondern zum großen Teil durch die zeitliche Verschiebung von Geburten (vgl. Kopp 2000) .

140

5 Empirischer Teil I: GeselischaftlicheModernisierung und generatives Verhalten

lerquellen auszuschließen, wäre die abgeschlossene Fertilität (Completed Fertility Rate, CFR) der TFR vorzuziehen, weil eben nur die kumulierten Fertilitätsraten von Kohorten von Frauen, die bereits am Ende ihrer reproduktiven Phase angelangt sind, betrachtet werden. Allerdings sind dadurch keine aktuellen Trends dokumentierbar. Auf der Grundlage einer ereignisdatenanalytischen Betrachtung der langfristigen Geburtenentwicklung kann durch das Einbeziehen jüngerer Geburtsjahrgänge dieses Informationsdefizit teilweise behoben werden. Basierend auf Informationen bezüglich des gegenwärtigen Beobachtungszeitraums werden dann mit Hilfe dieses Verfahrens, Schätzungen für das zukünftige generative Verhalten dieser jüngeren Kohorten gemacht (s. u. Kap. 5.3) . Für die ereignisanalytische Betrachtung des generativen Verhaltens in Indonesien sind vor allem die zwei frei zugänglichen statistischen Quellen von Bedeutung : der World Fertility Survey (WFS) und die Indonesian Demographie and Health Surveys (IDHS). Beide besitzen eine hohe Fallzahl, bilden die gesamte Geburtenbiografie der Frau retrospektiv ab und stellen soziodemografisehe Hintergrundinformationen wie Wohnkontext, Bildungsniveau und Erwerbsbeteiligung für jede befragte Person zur Verfligung. Dadurch eignen sich diese Erhebungen hervorragend zur kohortenspezifischen Beschreibung des langfristigen Geburtenrückgangs in Indonesien. Dank dieses umfangreichen Datenmaterials können nicht nur historische Geburtenverläufe dargestellt und dessen Merkmale empirisch untersucht, sondern auch der Einfluss typischer Modernisierungsvariablen auf das fertile Verhalten der Frau kann beleuchtet werden. Für das Erklärungsinteresse der vorliegenden Arbeit bedeutet dies, dass die zentralen theoretischen Argumente zum Zusammenhang gesellschaftlicher Modemisierung und Geburtenrückgang (s. o. Kap. 4.6) einer ersten empirischen Überprüfung unterzogen werden können.

5.1 WFS- und IDHS- Datensatz sowie methodische Vorbemerkungen Der WFS wurde im Jahr 1976 vom Central Bureau of Statistics erhoben. Untersucht wurden jemals verheiratete Frauen im Alter zwischen 10 und 49 Jahren in den Regionen Java und Bali . Mit Java und Bali war diese Untersuchung für 67 % der Bevölkerung repräsentativ. Der IDHS wird in Indonesien seit 1987 ebenfalls vom Central Bureau of Statistics mit unterschiedlichen Kooperationspartnern organisiert und sind Teil eines weltweiten Demographie and Health Survey (DHS) Projektes. Die erste Erhebung im Rahmen des DHS Projektes war der National Indonesia Contraceptive Prevalence Survey (NICPS) im Jahr 1987. Im Anschluss daran folgten in den Jahren 1991, 1994, 1997 und 2002 /2003 weitere Untersuchungen. Wie beim

5.1 WFS- und IDHS- Datensatz sowie methodische Vorbemerkungen

141

WFS wurden detaillierte Informationen zu Fertilität, Mortalität , Verhütung und Gesundheit von jemals verheirateten Frauen 22 gesammelt. Hier wurden jedoch Frauen im Alter zwischen 15 bis 49 Jahren befragt. Neben den Regionen Java und Bali fließen weitere Landesteile in die Erhebung ein und die Befragung wurde als repräsentative Erhebung für (Gesamt -)Indonesien konzipiert. Durch die Zusammenfügung der sechs Datensätze entstand ein kumulierter Datensatz mit einer Fallzahl von 130.409 kompletten Intervicws". Für die Analyse historischer Geburtenverläufe und sozialstruktureIl bedingter nationaler Differenzen stellen sich auf der Grundlage dieser Datenbasis zwei Probleme, die zum Ausschluss einzelner Fälle führen. Das erste Problem (Ausschluss I) entsteht aufgrund der Interessenschwerpunkte der Surveys. Da die Stichprobenziehung abhängig vom Familienstand erfolgte und ledige Frauen ausschloss, stellen alle Datensätze nur Informationen zu bereits verheirateten Frauen bereit. In Indonesien ist die Geburt von Kindern aber an die Institution Ehe gebunden (s. o. Kap. 2.4.2). Damit unterliegen dem Risiko von Mutterschaft fast ausschließlich verheiratete Frauen. Empirische Untersuchungen, die die historische Entwicklung des Erstheiratsalters fokussieren, belegen allerdings eine deutliche Verschiebung der ersten Eheschließung in spätere Lebensjahre (s. o. Kap. 2.4.2). Im Widerspruch dazu stehen die Informationen aus dem kumulierten Datensatz WFS sowie IDHS . Hier ergibt die Kohortenanalyse, dass sich das Medianalter der ersten Eheschließung von 15 Jahren (Geburtskohorte 1926) auf 19 Jahre (Geburtskohorte 1970) zwar eindeutig erhöht, sich später aber wieder deutlich reduziert hat. So beträgt z. B. in der Geburtskohorte 1985 der Medianwert des Erstheiratsalters wieder nur 15 Jahre. Ursächlich für diesen unerwarteten Trend ist, dass die Stichprobe der Surveys nur die Extremgruppe der sehr jung Verheirateten mit einem erhöhten Geburtenrisiko erfasst. Der immer größer werdende Anteil unverheirateter zumeist (noch) kinderloser Frauen bleibt jedoch unberücksichtigt. Deshalb sind auf der Grundlage dieser Datenbasis Aussagen bezüglich des generativen Verhaltens für die Gesamtgesellschaft nur begrenzt möglich bzw. bergen die Gefahr, dass das Geburtenrisiko vor allem der jüngeren Kohorten deutlich überschätzt wird . Um dennoch mit diesem Datensatz arbeiten zu können, müssen die Surveys zunächst für die Analyse des Geburtenverhaltens aufbereitet werden. Um zu gewährleisten, dass die Ergebnisse eben nicht durch die Gruppe der sehr jung verheirateten Frauen verfälscht werden, bezieht die Untersuchung nur Der IDHS nutzt drei Instrumente : den Haushaltsfragebogen, den Frauenfragebogen und den Männerfragebogen . Für die Analysen in dieser Arbeit werden nur die Daten des Frauenfragebogens genutzt. 23 WFS 9.155 Fälle; IDHS 1987 11.884 Fälle; IDHS 1991 22.909 Fälle; IDHS 1994 28.168 Fälle; IDHS 199728.810 Fälle; IDHS 2002 /2003 29.483 Fälle.

22

142

5 Empirischer Teil I: GeselischaftlicheModernisierung und generatives Verhalten

die Altersgruppen ein, in denen der Großteil der Frauen normalerweise verheiratet ist. In die empirischen Analysen gehen damit nur noch die Altersgruppen ein, in denen ohnehin fast alle Frauen verheiratet sind und somit das Risiko der Erstgeburt für alle Frauen nahezu gleich verteilt ist. Die Grenze wird hier bei 95 % festgelegt. Zwar ist diese Grenzziehung willkürlich, aber der hohe Prozentsatz kann Überschätzungen der Geburtenneigung aufgrund des gestiegenen Erstheiratsalters beinahe ausschließen24 • Die für die Selektion benötigten Informationen werden dem jeweiligen IDHS und im Fall des WFS (1976) aus dem zeitnah durchgeführten Indonesien Census 1967-1970 entnommen. Obwohl die IDHS Surveys sich auf jemals verheiratete Frauen beziehen, wurden mit Hilfe eines Umrechnungsverfahrensf basierend auf dem Haushaltsfragebogen auch Aussagen bezüglich der Gesamtgesellschaft möglich. Für den WFS (1976) liegt daher die Grenzmarke bei den 25-Jährigen, alle jüngeren Frauen werden aus der Untersuchung ausgeschlossen (Indonesien Census 1967-1970). In den darauf folgenden Erhebungen verschiebt sich die Marke des 95 % Verheiratungsanteils aufgrund des gestiegenen Erstheiratsalters zunächst auf ein Alter von 30 Jahren (IDHS 1987 und IDHS 1991), später auf ein Alter von 35 Jahren (IDHS 1994, IDHS 1997 und IDHS 2002/2003) . Die Tabelle 5.1 gibt einen Überblick über das Ausschlussverfahren und die Anzahl der zugelassenen Fälle. Für die Analyse stehen fortan 65.499 Fälle zur Verfügung. Es können die Kohorten von 1926 bis 1970 untersucht und damit das generative Verhalten von 44 Geburtsjahrgängen abgebildet werden .

Dieses Verfahren hat sich bereits erfolgreich bei anderen Untersuchungen erwiesen (vgl. Klaus 2008). 25 Die Anzahl der jemals verheirateten Frauen wurde mit einem Inflationsfaktor, entsprechend des Verhältnisses von allen Frauen zu jemals verheirateten Frauen basierend auf Angaben des Haushaltsfragebogens, multipliziert. Die Inflationsfaktoren wurden für jedes Alter gemäß den Altersangaben für die Gesamtgesellschaft berechnet. 24

5.1 WFS- und IDHS- Datensatz sowie methodische Vorbemerkungen

Tahel/e 5./ : n, "", ,", I.. ... , ,, .,, , ~

N _ A .~ ,"

' '' .'' . I ~ .~

, N_I I12)

143

Au sschluss prob lematisc her Altersgrup pen

WH ' ''"''' A G .; 4 5.49

II>II S

1~ >17

Il>U S ' .... 1

1I11lS I.... ~

, DU S I'""

ll>H S ~ ' '' '

N _ "'~ ."

A o. :

~5

... ..

I ~r

.... : 4 0 ~ , N_ ,on,

. " ..... 1""'" 1

'N _~ ."O

' 9 ~' · 1 """

,N.'H ''')

. ....... 1<150 ,N.U:I>I
,. ...,.....

, N.IU".)

. .... . _1'. <'>5 , N_l.''''''''

I ~~ö

A~4~4"

I ~ii

~i~:

A G, . .1 5·.'" N_I ~""' A G. : .15· ....

A G. : .lO- . ... N. I.\ .4 A O.: .10 ......

._ ,"'"

. .. 7 '. 1"'. , N_I.4!'>'

"-,

A O,:-«I-.... 1"-8, .' A U: -«1- ....

I ~~~, ~~t AO.: 25.2.. ' N_ I.H " A U. : ~ s.2" ( N_:IO II :!\).~ ~

' N_ ' ~""

AU.: :!\ .. 2 ~ 'N_ I"," NV. 18 .•'" "'0..: ' 5 _' " N.""., "' 0..: ' 5 _' " ' N- :IO' NV_ 2 ~' 'll>

' N_2OII ."')

1112

"'U . : 4" ~

"'0.: 1...... 1""'" ,N_22O><[)

....." .

"'0..: . 0-. 4 <_.n,

B IO

~(L

4 5 . 4"

N.~ "6

ACI.:

~ .~ .4 9

C N_~ I)

~ O .. " .• 4 9 , 1"_4 A O, : 4 5·49

I ~~~

.

.~ "

Ao. : .\5. 3'.1 ' N .... ~ .' A U, .\5 •.'"

AO.: acc.... - ....

~-~ A G. : -'0..\.1

ti?!.!:~ ~~~ I ~i~

N_' ~ ~, A o., _'<>-_\.I l N-,ll(oO,t.. N V. 4. ' ''' A G. : 2.'.2" , 1". 14 7 4 ' A G . : 2.....2.. , N. '09 " NV_IO.4'l> AG. : 10.2 ~ ' 1"_ 1'.... '

,,0. : W-2 ~

' 1"_511.') N V• .\4..... A G . : ' 5_1" N ->7 (l,

" u. , , •. ,.. ,N_ 77 , NV. 81 . 0'l-

' '''''' 19 '''' ,N.7"''')

< N_~""

A G, : _'5.3'.1
"' 0. : \ ••.'"

A U. 'Cl~ W

AG. ' .'•• 3'.1

~~

,

"'0. ' 2.~ .29
N _II I.~

\ N~37J

"U.: W-Z4 , 1"-> 7 1, N V • .' •." '" "'0.: . 5 · . 9 N ...7 . ,,0.: ' 5·' 9 (N·2" , N V _ II'-U '"

. .. M ·I .....'

' N .... "

' N_ "".'"

A G .: _"-'-_\.I ,N. 12"", A G .: -'0. .... ,N_ 4 .' 4'" NV• •• I'll> A G. : 2..~ .29 ,N_ 14"" A U. : 2S .~" ,N_4 1 .6 1 N V. 14. O'1A G, : = 14

"'0. ' ."-'-.\.1 N · .......2 ... 0.' ........\.1

, N.2 J2~)

....... ,""',

A O. : .... , 1"...... " A U .: ..........

..

AU. : 2t>.14 ,N_1719' NV.Cl7 .s "', A G ,: 15 ·1 9 1". 506 A G, : 15 ·1 9 , 1"-.'171 , NV_ 1I2.'.>'"

,_.

AO. . 4S-4" ' 1"_ 1....." AU. : ~ •• ~ ..

0 .:

.. ....

, N_~~:n

,,0.

"0.. ••_. 9 < N_ ~ '~'

."~

A U.: 4._4"

Ao. . -'1I_.... , 1"_.10 1") A G. :-'...· .... \ 1"_1253,

A o .: 40- .... , N·2..," "' 0.: 40-44

I ~J!~ ~~ AG. : -'O.J.I ' N_.'~III1 '

" u. : ."," .\.1 'N _ 2<J76 )

N V ••_I'" A G . : 2.'_2" N_ ......7 "u. ; 2.' .2" ,N_ l l".' , N V . ' ~ ' '''

AO. : 20-24 N . 2 74 8 ) A o. : 20-14 , N_ '2'>.' ) NV_ .\7 .5 'll> ,,0. : " . ' 9 ' N ......" A '-'. ; ' S· . .. 41"·1.'6) N V_ lIl......

~it

'-~ 9 ' ~

,.-

AG.: ".,9 'N_~" ~II'

~.

A U.; .15•. '" ' N_2 ' I\.I' "' 0.: ."-'- .' 4 , N_""" " U.: ." ," .' 4 ' N·14 \ ·. .. N V. 5 ......, "' 0 .: 25 · 1 9 , N • .\211O "' 0.: l.~·29 'N·n.... ' N V_l.' . ... A O. : 20-14 , N_25'." A U .: 2<>-Z4 ( N . I.W . , NV-4 '.l'" "0. , IS . 19 1) NV."'. 4'"

~ 1 1\.1

" 0

0

0

. . . M z», -PI.' .'". • '. ....."'" Quelle. WFS 1976, IDHS 1987, IDHS 1991, IDHS 1994, IDHS 1997, IDHS 2002/2003, eigene Berechnungen Anmerkungen: AG = Altcrsgruppe. NV = Anteil niemals verheirateter Frauen, die grau unterlegten Felder zeigen die Altcrsgruppen. die in die weiteren Analysen aufgenommen wurden

..

~

•

144

5 Empirischer Teil I: GeselischaftlicheModernisierung und generatives Verhalten

Das zweite Problem (Ausschluss II) betrifft die erfassten Provinzen . Wie schon anfangs im ersten Kapitel erwähnt , weist Indonesien neben einer kulturellen Vielfalt auch deutliche Disparitäten hinsichtlich seiner wirtschaftlichen Entwicklung auf. Ein Problem besteht nun darin, dass beim WFS 1976 lediglich die Region Java und Bali erfasst wurde und die nachfolgenden Surveys weitere Landesteile." in ihre Untersuchung einbeziehen. Die für die Analyse zur Verfügung stehende Grundgesamtheit variiert demnach stark, so dass die einzelnen Surveys und die aus ihnen hervorgehenden Geburtskohorten nicht direkt miteinander vergleichbar sind. Lösen kann man dieses methodische Problem nur, indem alle anderen Regionen der nachfolgenden Erhebungen aus der Untersuchung ausgeschlossen werden. Die regionale Begrenzung auf die Landesteile Java und Bali mit ihren Provinzen (DKI Jakarta , West-Java, Zentral-Java, DI Yogyakarta, OstJava und Bali) bewahrt die Chance, möglichst lange Zeiträume betrachten zu können. Allerdings beziehen sich die Schlussfolgerungen zum Wandel des generativen Verhaltens ausschließlich auf Java, was insofern unproblematisch ist, weil sich die gesamte Arbeit ohnehin auf Java konzentriert. Außerdem wurden die Daten der VOC-Replikstudie (s. u. Kap. 6.1) auch nur auf Java erhoben . Der gemeinsame regionale Fokus beider Erhebungen lässt somit erste Analysen des generativen Verhaltens anhand eines repräsentativen Datensatzes zu und dessen Ergebnisse sind auch besser mit denen der VOC-Replikstudie vergleichbar (s. u. Kap. 6.3). Die Tabelle 5.2 zeigt die für die Analyse zur Verfügung stehende Datenmenge. Die Fallzahl hat sich nach beiden Ausschlussverfahren von 130.409 auf 29.211 deutlich reduziert. Auf der Basis der Information zum Geburtszeitpunkt der Frauen wurden gruppierte Geburtskohorten gebildet, wobei am Ende des Ausschlussverfahrens neun gruppierte Geburtsjahrgänge zur Verfügung stehen, (1926 bis 1930, 1931 bis die jeweils fünf Jahre umfassen

Die IDHS von 1987 bis 1994 differenzieren zwischen Java-Bali (DKI Jakarta; West-Java; Zentral-Java; DI Yogyakarta; Ost-Java; Bali) ; Outer Java Bali I (DI Acch , Nord-Sumatra; West-Sumatra; S üd-Sumatra; Lampung; West-Nusa-Tengara; West Kalimatan; Süd-Kalimatan; Nord-Sulawesi; S üd-Sulawesi) und Outer Java Bali lJ (Riau; Jambi; Bengkulu; Ost-Nusa-Tenggara, Ost- Timao; Zentral-Kalimantan; Südost-Sulawesi : Maluku; lrian Jaya) . Der lOHS 2003 untersucht die Regionen DI Aceh; Nord -Sumatra; West-Sumatra; Riau; Jambi; Süd-Sumatra; Bengkulu; Lampung; Bangka Belitung; DKI Jakarta; West-Java; Zentral-Java; DI Yogyakarta; Ost-Java; Banten; Bali ; West -NusaTenggara; Ost-Nusa-Tenggara; Ost-Timor; West-Kalimantan; Zentral-Kalimantan; SüdKalimantan; Ost-Kalimantan; Nord-Sulawesi; Zentral-Sulawesi; Süd-Sulawesi; SüdostSulawesi ; Gorontalo; Maluku und Irian Jaya. 26

5.2 Opcrationalisicrung

145

1945, 1946 bis 1950, 1951 bis 1955, 1956 bis 1960, 1961 bis 1965, 1966 bis 1970). Sie ermöglichen eine Kohortenanalyse von 1926 bis 1970 und decken damit nicht nur einen Zeitra um von 44 Jahren ab, sondern aueh die Periode, in der der Wandel im generativen Verhalten aueh am stärksten war. Die vorgenommenen Ausschlüsse verhindern erstens eine Verzerrung der Analyse aufgrund des gestiege nen Erstheiratsalters. ermöglichen zweitens die historische Betrachtung von Geburtenver läufen und erhöhen drittens die Vergleichbarkeit des kumulierten Datensatzes mit dem Datensatz der VOC-Replikstudie (s. u. Kap. 6.1). Tabelle 5.2:

Ausschlussverfah ren und Datenmengen

Ursorün 'lieh Ausschluss 1 Ausschluss 11 853 853 853 1.172 1.172 1.172 2.310 2.3 10 2.063 5.8 16 5.816 3.573 10.800 10.800 5.119 17.395 15.932 6.313 22.081 18.369 6.585 8.063 2.760 23.650 20.838 2.184 773 x x 15.429 x x 7.646 2.328 x x 91 x x 130.409 65.499 29.21 1 , 1976, IOIlS 1987, lOHS 199 1, lOHS 1994, lOHS 1997, IDHS 2002/2003, Quelle. \\FS eigene Berechungen Geburtskohorte 1926-1930 1931-1935 1936-1940 194 1-1945 1946-1950 1951- 1955 1956-1960 1961- 1965 1966- 1970 1971-1975 1976-1980 1981-1985 1986-1990

5.2 Op eratlcnattslerung Im vierten Kapitel wurde davon ausgegangen, dass der Zeitpunkt beim Übergang zur Mutterschaft und die Anzahl der zu erwartenden Paritäten stark zwischen ländlichem und städtischem Wohnkontext und der individ uellen Ressourcenausstattung differenziert (s. o. Kap. 4.6). Gesellschaftliche Modernisierung sollte also das generative Verhalten negativ beeinfl ussen. Um die Annahme zu bewei-

146

5 Empirischer Teil I: GeselischaftlicheModernisierung und generatives Verhalten

sen, dass insbesondere Frauen , die stark vom gesellschaftlichen Fortschritt profitieren, den Übergang zur Erstgeburt herauszögern und eine Geburt höherer Parität weitaus seltener realisieren, sollen neben den Geburtskohorten als unabhängige Variablen auch der Wohnkontext, die Erwerbstätigkeit, der Berufsstatus und die Bildung in die empirischen Analysen eingehen.

5.2.1 Unabhängige Variablen: Wohnkontext. Erwerbstätigkeit. Beruftstatus und Bildung Als Indikatoren für variierende Kontextfaktoren gehen die Geburtskohorte und der Wohnkontext in die empirischen Analysen ein. Kontextuelle Variationen werden mit Hilfe der Variable Wohnkontext der befragten Frauen untersucht. Hierbei wird vom gegenwärtigen Wohngebiet ausgegangen und eine DummyVariable verwendet, die zwischen Stadt und Land unterscheidet. Das Humankapital bzw. die individuelle Ressourcenausstattung der Ehefrau wird mittels Erwerbstätigkeit, Berufsposition und Bildungsniveau erfasst. Mit der Variable Erwerbstätigkeit der Ehefrau werden entsprechend den theoretischen Annahmen (s. o. Kap. 3.2.3) höhere Opportunitätskosten impliziert. Diesbezüglich liegen Informationen dazu vor, ob die befragten Personen in den letzten 12 Monaten erwerbstätig waren oder nicht (Dummy-Variable). Die sektoriale Einbindung und die Erfassung der Berufsstatus wurden mit einer fünfstufigen Ordinalskala erhoben. Sie differenziert zwischen Nichterwerbstätigen, Erwerbstätigen in der Landwirtschaft, Erwerbstätigen im Dienstleistungsbereich, Arbeitern und Professionellen". Zur Analyse der Wirkung von Berufspositionen werden auf der Grundlage dieser Angaben fünf Dummy-Variablen gebildet. Diese unterscheiden Personen , die im jeweiligen Berufszweig beschäftigt sind, von nicht im Arbeitsmarkt integrierten Personen. Zur Erwerbstätigkeit zählt auch die nicht monetär entlohnte Arbeit, wie es z. B. bei mithelfenden Familienangehörigen der Fall sein kann. Es kann allerdings nicht unterschieden werden , ob es sich um eine selbstständige Tätigkeit oder unselbstständige Tätigkeit handelt. Darüber hinaus sind keine Aussagen möglich , ob die Frauen ununterbrochen oder bereits bei der Erstgeburt erwerbstätig waren . Die Variable Bildung der Ehefrau informiert über ihren höchsten erreichten Bildungsabschluss. Die vier Kategorien umfassende Intervallskala unterscheidet Personen ohne Bildungsabschluss, Personen mit Grundschulabschluss, Personen In der Gruppe der Professionellen sind alle Personen mit einer qualifizierten Berufsausbildung, Angestellte in leitenden Positionen, Verwaltungsangestellte und Bürofachkräfte zusammengefasst.

27

5.2 Opcrationalisicrung

147

mit Sekundarsehulabsehluss und Personen mit einem höheren Bildungsgrad als dem Sekundarsehulabsehluss. Um Frauen der entsprechenden Bildungsniveaus mit Frauen ohne Bildung vergleichen zu können, mussten für die weitere Ana lyse vier Dummy-Variablen generiert werden. Ein Vergleich der in der folgenden Abbildung vorzufindenden Häufigkelten und Verteilungen der unabhängigen Variablen entspric ht de n im zweiten Kapitel gezeigten mak rostrukturellen Veränderungen recht gut. So hat der Anteil der auf dem Land wohnenden Personen deutlich abgenommen. In der jüngsten Geburtskohorte weisen sogar 60 % der Frauen einen urbanen Wohnkontext auf. Verteilung der unabhängigen Variablen Berufsstatus und Bildung

Abbi ldung 5.1:

,.

%

" '"

"

••

f.r"crb>llI i~cit

"sn ...-"-

JO

---... -

-

15

"rs

,

Bikblg

re

-

'" '" " " " "rc

V -

1926- 19JI- 19)6- 1941- 194b- 1951 - 1956· 1%1- 19M19JO 19)5 1940 1'l45 19.\0 1955 1'160 1%5 1910

/

D-n

o

c

<,

1926- 1931· 19J6- 1941- 1946- 1951 - 1956- 1%1 - 196619JO 19J5 1940 1945 1950 1955 1%0 1%5 1970

----- ------, c:::J ni;:hl el\\trb,tar~ __ Land~'J1S (haft ~. ......... Verkauf&Dcnst ~ rung -+- Ameitet CJ KemAbschuss -+- Profes, ionelle , -+- Sek~a r>tu fe

-e-(fIlnd ,chule __ Te~ iäre Bikl~ng ------,

Quelle: WFS 1976, lO HS 1987, lO HS 1991, lO HS 1994 , IDHS 1997, lOHS 2002/2003, eigene Berech nunge n

Die zugrunde liegende Datenbasis zeigt Parallelen, aber auch Differenzen zu den oben im zweiten Kapitel beschriebenen Entwicklungen. Ein Beispiel für deutliche Diskrepanzen ist die Variable .Erwerbstät igkeit ". Die generell höheren Erwerbsq uoten in der hier zugrunde liegenden Stichprobe sind Folge unter-

148

5 Empirischer Teil I: GeselischaftlicheModernisierung und generatives Verhalten

schiedlicher Begriffsbestimmungen. Während die World Bank Group Daten der International Labour Organisation (ILO) verwendet (s. o. Kap. 2.4.3), die sich an der internationalen Definition 28 von Erwerbstätigkeit orientieren, sind der WFS und der lOHS an der generellen Erwerbsorientierung der Frauen interessiert. Problematisch ist zudem der anscheinende Rückgang entsprechend der Surveydaten , wohingegen die World Bank Group von steigenden Erwerbsquoten ausgeht. So sind die ältesten Geburtskohorten (1926 bis 1931) mit einer Wahr scheinlichkeit von etwa 75 % erwerbstätig, wohingegen der Anteil in der jüngsten Gruppe nur 55 % beträgt. Vermutlich wird im Zuge der gesellschaftlichen Entwicklung Arbeit von den befragten Frauen stärker über den formellen Sektor und einer monetären Entlohnung definiert. D. h., Frauen, die im informellen Sektor tätig sind und nicht mit Geld vergütet werden, geben wahrscheinlich häufiger an, sie seien nicht erwerbstätig. Eine differenzierte Betrachtung der einzelnen Wirtschaftssektoren und deren Beschäftigtenanteil entsprechen den im zweiten Kapitel beschriebenen Veränderungen (s. o. Kap. 2.3.1). Die Landwirtschaft hat deutlich an Gewicht verloren, wohingegen der Dienstleistungssektor aufgrund leichter Zuwächse einen etwas größeren Prozentsatz an Frauen beschäftigt. Der Anteil der im produzierenden Gewerbe beschäftigten Frauen ist gestiegen. Die Gruppe der Professionellerr'" hat den größten Zuwachs zu verzeichnen. Ihr Anteil hat sich von der Geburtskohorte 1926-1931 bis zur Geburtskohorte 1966-1970 beinah verdreifacht. Der drastische Einbruch der Beschäftigungszahlen unter den jüngsten Geburtskohorten ist vermutlich auf die indonesische Wirtschaftskrise (1997/1998) zurückzuführen. In dessen Folge stieg die Arbeitslosigkeit sprunghaft an (s. o. Kap. 2.1) . Die Geburtsjahrgänge zwischen 1961 und 1970 stammen zum großen Teil aus dem lOHS 2002 /2003 , der lediglich zwei Jahre nach dem wirtschaftlichen Zusammenbruch erhoben wurde. Vor allem Arbeitsplätze im gering qualifizierten Segment waren von dieser Rezessionsphase stark betroffen (vgl. Wirakartakusuma 1999) . Dies würde den starken Rückgang der Beschäftigungsquoten insgesamt sowie besonders im Landwirtschafts-, Dienstleistungsund Industriebereich erklären. Auch die Bildungsexpansion in Indonesien findet sich in den Surveydaten wieder. Hatte noch eine Mehrheit von etwa 80 % unter den ältesten Kohorten keinen Schulabschluss, so ist dies heute mit etwa 8 % die absolute Minderheit. Die Investitionen der indonesischen Regierung ermöglichten für die Mehrheit der Bevölkerung zunächst eine Schulbildung im Elementarbereich. In denjüngs28 Hier sind unter Erwerbspersonen derzeit Beschäftigte und Arbeitssuchende erfasst. Unbezahlte und mithelfende Familienangehörige werden in der Regel ausgeschlossen . 29 Hierzu zählen Personen mit abgeschlossener Berufausbildung, Beamte, aber auch Kleriker.

5.20pcrationalisicrung

149

ten Geburtskohorten (ab 1961) nehmen zu Lasten des Grundschulbereichs bereits die höheren Bildungsabschlüsse zu. Trotzdem ist der Anteil der Frauen mit einem Bildungsniveau, das den Sekundarschulbereich übersteigt, sehr gering und erst gegenwärtig eine wahrnehmbare Größe.

5.2.2 Abhängige Variable: Kinderzahl Für die Analyse des generativen Verhaltens wird eine Variable herangezogen, die alle zum Erhebungszeitpunkt geborenen Kinder erfasst. In die Untersuchung fließen damit alle leiblichen Kinder ein, auch wenn diese unehelich geboren wurden, nicht mehr im Haushalt leben oder bereits verstorben sind. Stiefkinder und Adoptivkinder werden hingegen aus der Untersuchung ausgeschlossen, weil für deren Aufnahme in den familiären Haushalt andere Entscheidungsmodi zu erwarten sind als für leibliche Kinder. Die monatsgenauen Angaben zu den Geburtsdaten der Mütter und ihren Kindern ermöglicht die retrospektive Betrachtung der Fertilitätsbiografie. Die Abbildung 5.2 gibt einen Überblick über die Verteilung der Variable .Kinderzahl" sowie dem Maxirnum-, Minimum- und Durchschnittsalter der Mütter zum Erhebungszeitpunkt. Die Verteilung der Variable" Kinderzahl " zeigt deutlich eine Reduktion der Geburtenzahlen in den jüngeren Geburtsjahrgängen. Die durchschnittliche Anzahl der jemals geborenen Kinder sinkt von etwa 5,3 auf 2,8. Verursacht wurde dies durch die Reduktion von Geburten höherer Parität. Während nämlich der Anteil derer enorm rückläufig ist, die vier oder mehr Kinder geboren haben (von etwa 70 % auf 22 %), ist der Anteil der Frauen, die zum Befragungszeitpunkt kinderlos waren , sogar leicht gesunken. Jedoch sind diese Ergebnisse nur mit Vorsicht zu interpretieren, weil der Großteil der befragten Frauen zum Erhebungszeitpunkt ihr generatives Verhalten vermutlich noch nicht abgeschlossen hat. Aus diesem Grund ist nicht auszuschließen, dass viele der Frauen bis zum Ende ihres reproduktiven Alters noch weitere Kinder gebären werden . In den empirischen Analysen wird diesem Problem durch eine Ereignisdatenanalyse Rechnung getragen (s. u. Kap . 5.3) . Der Altersrange der in die Analyse eingehenden Mütter ist erhebungsbedingt sehr unterschiedlich (s. u. Abb . 5.2). Am größten ist er in den Kohorten mittleren Alters , weil diese Geburtsjahrgänge in mehreren Surveys befragt wurden. Am geringsten ist er hingegen in den ältesten und jüngsten Kohorten. So befinden sich in der ältesten Kohorte nur Frauen im Alter zwischen Mitte und Ende 40. Der Grund liegt einzig und allein darin , dass die Kohorten (1926 bis 1930) nur aus dem WFS 1976 "gespeist" werden. Diese Frauen waren zum Erhebungszeitpunkt mindestens 40 Jahre alt und der Survey umfasste eben nur Frauen bis 49 Jahre. Der geringe Altersrange der jüngsten

150

5 Empirischer Teil I: Gesellse haftlieheModemisierung und generatives Verhalten

Kohorte (1966 bis 1970) hat ähnliche Ursachen. Zum Unterschied wurden hier nur Frauen ab Mitte 30 für die empirische Analyse zugelassen (s. o. Kap. 5 . 1) und diese Frauen konnten beim letzten lOHS im Jahr 2002/2003 maximal 37 Jahre alt sein. Abb ildung 5.2:

Verteilung der abhängigen Variable "K indcrzahl'' und Alter der Mutter

,

Miu,lom

OO r-- - - - - - - ---,. m

"'- -

00

•" "

-

j

- 1

)

"

,. ---. . -- - .I- . ~--·

40 1--- : - 1

-

0 -

. -

. -+--:- -

" ~I---·_ ----h- : _ I -'

2

"

': lJJ::iI::±±::l±:r±J!I::8:i1:::klJ 0

o.

1'r.f>.1931-1936-1941· llW>-l95I·I956-I96I- \9M\930 19)5 1940 1945 19:{I 1955 1960 1965 1970

,

,

1926- 1931· 1936- 1941· IIJ.l6. 1951- 1956- 1961· 19f6. 1930 1935 1940 1945 19:{I 1955 196(l 1965 197(l " [)Jn:hlCbnit • \l illimum - \b.limum '

Quelle: WFS 1976, lOHS 1987, lOHS 1991, lOHS 1994, lOHS 1997, lO HS 2002 /2003, eige ne Berechnungen

5.3 Met hodik der Erejgntsdate na nalyse Um das generative Verhalten auf Basis des soeben vorgestellten Datensatzes zu ermitteln, muss folgendes Problem gelöst werden. Es kann zwar mit Hilfe des Befragungsdesign des WFS und lOHS das generative Verhalten retrospektiv betrachtet werden, es liegen aber keine Informationen über den zukünftigen Verlauf der Geburtentätigkeit vor. Wenn z. B. eine Frau zum Erhebungszeitpunkt noch kinderlos ist, muss dieser Zustand nicht an halten, j edenfalls dann nicht, wenn sie dass Ende ihres reproduktiven Alters noch nicht erreicht hat.

5.3 Methodik der Ereignisdatenanalyse

151

Dieses Problem besteht stets, wenn das Ende des Beobachtungszeitraums vor dem Abschluss der Geburtentätigkeit liegt. Für alle Frauen die jünger als 45 Jahre (IDHS) oder 49 Jahre (WFS) sind, kann daher nicht endgültig gesagt werden, ob und wie lange der Zustand der Kinderlosigkeit anhalten wird (so genanntes Problem rechtszensierter Daten). Das gleiche Methodenproblem stellt sich auch bei allen nachfolgenden Paritäten und verbietet den Einsatz statistischer Analysemethoden. Diese würden nämlich das generative Verhalten deutlich unterschätzen, weil alle rechtszensierten Fälle nicht berücksichtigt werden würden. Einen Ausweg aus diesen Analyseschwierigkeiten bieten ereignisanalytische Verfahren. Sie erlauben Schätzungen der Hazardrate" auf Basis des bisherigen Geburtenverlaufs und können so auch solche Fälle einbeziehen, die bis zum Ende des Beobachtungszeitpunkts das jeweils interessierende Ereignis noch nicht erfahren haben. In eine Ereignisdatenanalyse gehen somit all die Fälle ein, die dem Risiko des interessierenden Ereignisses tatsächlich ausgesetzt sind. Sie beinhalten also auch zensierte Fälle. Zur Schätzung der Hazardraten stehen nicht-parametrische, semi-parametrische und parametrische Verfahrerr" zur Verfügung (vgl. Diekmann, Mitter 1984). Zum besseren Verständnis der empirischen Untersuchungen im fünften und sechsten Kapitel sollen kurz, die verwendeten Verfahren in ihren Grundzügen vorgestellt werden . Grundmerkmal aller nicht-parametrischen Verfahren ist, dass keine statistischen Modellannahmen über den Verlauf der Hazardrate bzw. die Wirkungsweise der Kovariaten nötig sind. Ein Beispiel für ein solches Verfahren ist der Product-Limit -Schätzer, auch Kaplan-Meier-Schätzer genannt (vgl. Blossfeld et al. 1986: 115 ft). Auf dessen Basis wurden die Überlebenskurven zur Erst-, Zweit-, Dritt- und Viertgeburt erstellt (s. u. Kap. 5.4.1 und Kap. 6.3.3). Die Kurvenverläufe geben Auskunft darüber, über die Risikomenge im jeweiligen Zustand zu verbleiben und informieren über die Wahrscheinlichkeit, diesen Zustand zu verlassen. Sie werden immer für den Zeitpunkt berechnet, in dem ein Ergebnis eintritt. Für komplexere Analysen ist dieses Verfahren jedoch nicht geeignet, weil nur sehr wenige Kovariaten berücksichtigt werden können und Effektstärken nicht geschätzt werden können. Hier ist der Einsatz von semi-parametrischen und parametrischen Verfahren notwendig. Diese können nicht nur eine größere Anzahl von Kovariaten berück30 Die Hazardrate bezeichnet die Wahrscheinlichkeit, dass ein Ereignis im Intervall mit dem Zeitpunkt (t) als untere und dem Zeitpunkt (t + t~) als obere Grenze stattfindet, sofern dieses Ereignis nicht schon vor dem Zeitpunkt (t) stattgefunden hat (vgl. Blossfeld et al. 1986: 31). 31 Es gibt auch Verfahren der Ereignisdatenanalyse für Aggregatdaten, diese spielen hier jedoch keine Rolle, weil die vorliegenden Datensätze Individualdaten bereitstellen.

152

5 Empirischer Teil I: GeselischaftlicheModernisierung und generatives Verhalten

sichtigen, sondern lassen darüber hinaus auch Vergleiche der Effektstärken zu. Ein solches semi-parametrisches Verfahren ist die Cox-Regression. Deren Hazardrate ist das Produkt aus der so genannten Baselinehazardrate und dem Parametervektor der Kovariateneinflüsse. Dabei wird der Verlauf der Baselinehazardrate nicht vorhergesagt, sondern für alle Personen aus den empirischen Daten geschätzt (semi-parametrisch). Dem gesamten Verfahren liegt die Annahme der Proportionalität aller Hazardraten zugrunde. Um aber interpretierbare Ergebnisse zu erhalten, muss die ermittelte Baselinefunktion für alle Individuen gelten. Deshalb müssen die unterschiedlichen Ausfallrisiken von Individuen ausschließlich auf den Einfluss der Kovariaten zurückflihrbar sein (vgl. Diekmann, Mitter 1984: 96). Diese Proportionalitätsannahme ist allerdings durch die vorliegenden Daten nicht garantiert. So zeigen die kohortenspezifischen Überlebenskurven, dass deren Verlauf nicht nur nach dem Übergangsrisiko variiert, sondern auch in der zeitlichen Verortung (s. u. Abb . 5.3) . Deswegen sollte die Cox-Regression hier eigentlich nicht zum Einsatz kommen. Aufgrund anderer methodischer Probleme konnte allerdings bei einigen Analysen nicht auf die Cox-Regression verzichtet werden (s. u. Kap . 6.3.4 und Kap . 6.3.5). Einen Ausweg aus diesem methodischen Problem bieten parametrische Verfahren. Parametrische Verfahren wie z. B. das generalisierte log-logistische Modell ermöglichen es, Timing- und Risikoeffekte explizit voneinander zu trennen. Dies kommt der empirischen Überprüfung der aufgestellten Hypothesen (s. o. Kap . 4) zugute, weil ausdrücklich Unterschiede sowohl in der zeitlichen Verortung bestimmter Paritäten im Lebenslauf als auch Differenzen im Übergangsrisiko vor hergesagt wurden. Möglich ist die Trennung von Timing- und Risikoeffekten durch die Einflihrung einer Proportionalitätskonstante in das log-logistische Modell 32 • Der Verlauf der Hazardraten ist wie folgt definiert (Brüderl, Diekmann 1994:61):

h(t)

=

c*

b (att' 1+ (at)b

Die Variable (t) steht für die Verweildauer im jeweiligen Zustand. Beim Übergang zur Mutterschaft entspricht (t) dem Alter der Frau bei der Geburt des ersten Kindes bzw. dem Ende des Beobachtungszeitraumes (Rechtszensierung). Die weiteren Unbekannten (a, b, c) symbolisieren die Parameter des Modells und Familienbildungs- bzw. Erweiterungsprozesse zeichnen sich im Allgemeinen durch einen glockenförrnigen Verlauf aus. Ein Modell, das diesem Umstand Rechnung trägt, ist das log-logistische Modell (vgl. Diekmann , Mitter 1984).

32

5.3 Methodik der Ereignisdatenanalyse

153

determinieren den aus den Daten geschätzten Verlauf der Harzardrate . Der Parameter (b) informiert über die Form der Harzardrate und sollte den Wert 1 deutlich übersteigen , um den glockenförrnigen Verlauf der Übergangsrate bestätigen zu können . Für Informationen bezüglich des Timing- und des Risikoverlaufs sind die Parameter (a) und (c) entscheidend, wobei der Parameter (a) die Zeitachse skaliert, während der Parameter (c) die Intensität des Risikos steuert. Auf der Basis dieses Modells kann man nun unterscheiden, ob es z. B. infolge der historischen Entwicklung zu einem Rückgang der Erstgeburten kam oder lediglich ein Aufschub in ein späteres Alter stattfand (s. o. Kap. 5.4.1). Ermittelt werden diese Effekte für die Erst-, Zweit-, Dritt- und Viertgeburt mit Hilfe der Statistiksofware TDA (Rohwer , Pötter 2005) . Die Ereignisdarstellung weist die standardisierten (exponentizierten) Werte der geschätzten Koeffizienten und deren statistische Bedeutsamkeit sowohl für das Timing (a-Term) als auch für das Risiko (c-Term) aus (vgl. Brüderl, Diekmann 1994: 61). Die im fünften und sechsten Kapitel ermittelten Koeffizienten beziehen sich auf das Alter der Frau. Die Variable (t) repräsentiert also in allen Fällen das "Alter der Mutter" zum Zeitpunkt des Ereignisses oder zum Ende des Beobachtungszeitpunktes. Eine andere Möglichkeit wäre gewesen, die Abstände zwischen den Geburten als Grundlage für die Beobachtung der Verweildauer zu nutzen . Unter dieser Bedingung wäre es möglich gewesen, Rückschlüsse über den Abstand (Spacing) zwischen zwei Geburten zu ziehen. Derartige Aussagen sind auf Basis der hier zugrunde liegenden Statusvariablen aber nicht möglich, weil z. B. Personengruppen, die ihr erstes Kind vergleichsweise spät gebären, schon aus Gründen der Logik ihr zweites Kind nicht zeitiger bekommen können . D. h., ein a-Terrn, der auf eine relativ späte Geburt (z. B. des zweiten Kindes) verweist, könnte auch Folge des späten Übergangs zur Mutterschaft sein. Für die Überprüfung der im vierten Kapitel aufgestellten Hypothesen ist diese Einschränkung unproblematisch. Es wurden fast keine Annahmen formuliert, die sich auf dieses Spacing zwischen den Geburten beziehen. Bei der einen Ausnahme, wurde die Statusvariable Abstand zwischen Erst- und Zweitgeburt zu Gunde gelegt. Zudem ist die Lebenslaufperspektive aus der Sicht der Frau deutlich übersichtlicher und ermöglicht Schlussfolgerungen über die Verortung von Geburten im Lebenslauf der Frau33 • Problemtisch wäre diese Bezugsgröße für Es wird deutlich, wann die Ereignisse im Leben einer Frau stattfinden und dass im Falle einer immer späteren Geburt von Kindern höherer Parität diese irgendwann nicht mehr realisierbar sind. Darüber hinaus sind auch Schlussfolgerungen darüber möglich, ob sich die Phase der Familienbildung bzw. Erweitenmg im Lebenslauf der Frau verkürzt oder verlängert hat. Außerdem spricht der Aspekt der besseren Vergleichbarkeit mit anderen Studien für die Verwendung der Variable "Alter der Mutter ". So hat z. B. auch Klaus (2008) bei der Erklärung des Geburtenrückganges in der Türkei diese Variable verwendet. 33

154

5 Empirischer Teil I: GeselischaftlicheModernisierung und generatives Verhalten

die Analyse mittels des generalisierten log-logistischen Modells nur, wenn für Folgegeburten (Zweit-, Dritt- und Viertgeburt) der glockenförmige Verlauf der Hazardraten nicht mehr gewährleistet wäre . Dies ist allerdings hier nicht der Fall. Der Wert der Formkonstante (b) ist in allen der unten in Kapitel 5.4 und Kapitel 6.3.3 durchgeführten Analysen deutlich größer 1. Damit ist die Grundvoraussetzung zur Anwendung des generalisierten log-logistischen Modells auch unter Verwendung der Variable "Alter der Mutter" gewährleistet.

5.4 Ergebnisse Die Auswertung des kumulierten Datensatzes aus dem WFS und den IDHS's erfolgt in drei Schritten: Im ersten Schritt wird die historische Geburtenentwicklung abgebildet und werden die veränderten Familiengründungs- und Erweiterungsprozesse beschrieben. Hierzu werden kohortenspezifische Überlebenskurven ausgewiesen, die anzeigen , mit welcher Wahrscheinlichkeit die Geburt eines Kindes bzw . einer bestimmten Parität in welchem Lebensalter der Frau eintritt. Im Anschluss daran werden durch die a- und c-Terme die Koeffizi enten herausgearbeitet, die konkretisieren, ob und wie sich das fertile Verhalten geändert hat (s . u. Kap . 5.4.1). Im zweiten Schritt werden wichtige Bestimmungsfaktoren des generativen Verhaltens untersucht. Es werden der Einfluss des Wohnkontextes, der Erwerbsbeteiligung, des Berufsstatus und des Bildungsniveaus exemplarisch auf die Ereignisse Mutterschaft (Erstgeburt) und Drittgeburt überprüft (s. u. Kap. 5.4.3). Das Interesse am Übergang zur Mutterschaft und der Geburt des dritten Kindes hat im Wesentlichen zwei Gründe. Zum einen kann die Frage beantwortet werden, ob es auch in Indonesien ähnlich wie in der Bundesrepublik Deutschland zur Bildung eines Familien- bzw. Nichtfamiliensektors kommt (vgl. Strohmeier 1993; Huinink 2002 ; Dobritz 2003) und wenn ja, wovon diese Entwicklung abhängig ist. Zum anderen soll am Beispiel der Drittgeburt der Verzicht auf Kinder höherer Parität untersucht werden. Gemäß der Hypothesen (s. o. Kap . 4.6) müsste das Risiko einer Drittgeburt rückläufig sein . Vor allem sollte das Risiko bei den Frauen abnehmen, die durch Urbanisierung, Bildungsexpansion und Erwerbstätigkeit außerhalb der Landwirtschaft am stärksten vom gesellschaftlichen Fortschritt Indonesiens profitieren. Zudem ist interessant, ob Frauen in der Stadt

5.4 Ergebnisse

155

tatsächlich besser gebildet sind und Bildung, wie von der Platzierungshypothese behauptet (vgl. Sussman, Scheuch 1970) wirklich zu einer stärkeren Erwerbsbeteilung und zu einem gehobenen Berufsstatus führt (s. u. Kap. 5.4.2) . Im dritten Schritt wird mittels der langfristigen Betrachtung der Geburtenverläufe überprüft, ob der Einfluss dieser Modernisierungsvariablen (Wohnkontext, Bildung, Erwerbstätigkeit und Berufsstatus) unabhängig vom historischen Kontext existiert (s. u. Kap. 5.4.3). Wären die Annahmen des VOC-Ansatzes richtig, müsste angesichts der direkten Verbindung von Opportunitätsstruktur der Frau und dem Wert von Kindern einerse its und dem Zusammenhang zwischen dem Wert von Kindern sowie dem generativen Verhalten andererseits der Einfluss von Bildung, Erwerbstätigkeit, Berufsstatus und Wohnkontext unabhängig vom historischen Hintergrund bestehen. Das hieße, ein hohes Bildungsniveau, eine starke Erwerbsorientierung, hoch qualifizierte Berufspositionen sowie ein urbanes Wohnumfeld sollten in allen Geburtskohorten einen negativen Effekt auf das generative Verhalten haben. Nach den bisherigen Überlegungen bestehen aber für Indonesien daran Zweifel. Deswegen muss überprüft werden, ob die Einführung des vorgestellten Alternativmodells sinnvoll wäre und sich dessen zeitliche Verortung auch empirisch bestätigen ließe (s. o. Kap . 4.5).

5.4.1 Verlauf der Familienbildung Der Verlauf der Familienbildung in Indonesien wird in Abbildung 5.3 anhand der Kaplan -Meier-Schätzung abgetragen. Es sind die kohortenspezifischen Überlebenskurven der ersten vier Paritäten dargestellt und sowohl das Timing wie auch der absolute Anteil von Frauen mit einer Erstgeburt für fünf gruppierte Geburtsjahrgänge" ersichtlich. Die Datenbasis besteht jeweils aus den Populati onen, die dem Risiko einer (weiteren) Geburt tatsächlich ausgesetzt sind. Sie beinhalten also auch zensierte Fälle.

In der Abbildung wird aus Gründen der Übersichtlichkeit nur jede zweite der insgesamt 9 gruppierten Geburtskohorten dargestellt.

34

156

5 Empirischer Teil I: GesellsehaftlieheModemisierung und generatives Verhalten

Abbildung 5.3:

Überlebenskur ven der Erst- bis Viertg eburt nach Geburtskoho rten

"-

I

..

-

U

"••• u

•••

u

u

"...\.'. ",

I

,

..

,

-

'.1

\ \\ \"

"••• "u •:

ee

- 1~1 9ll1 Ci"*l'"4) - - 1~1 91lO ~

\'. , \'

u ;

, •, u

lr.6-19JOCO'il(j

"

.,

- l !~I '14O CO'I?91) -1 ~1 9ll1 ~

,,

.

u

OJ

..

- - 1~191lO CO'~ - • - 1!64-1»l ~

.,

. .·... ... _-- •" ,

•

.I

u

- • - 1966-11lO C;-1lO)

u

~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~

... """ .. ·

u

l~l !JOC;-m)

0.'

""">-. ;

-19~I!llO Ci'I94l)

"

\..

~ ~ ~ ~

"OJ

..

- - [~ I960 c+06~ •• ' 1!66- I»l CO'17l)

1.'

u

•:

I

19!6-19lO C+4llJ

- 1 ! ~I~ CO')lI» - 1 !l6- 19lll ~1I9)

u u

". .

\..

•

...

=l;~lm l ·'

,

"

-1~ 19lll . J6S - - 1956-1960 : :'01 • - · 1166-19,," . >16)

..

----,

OJ

,·..,,.·.,,. "

Quelle: WFS 1976, IDHS 1987, IDH S 1991, IDHS 1994, IDHS 1997, IDHS 2002/2003, eigene Berechnungen Der Ve rlauf der Übe rlebenskurven beim Übergang zur Mutte rschuft zeigt aufschlussreic he historische Variationen. Die älteste Ko horte (19 26 bis 1930) ist dem Risiko einer Erstgeburt am geringsten ausgesetzt. Frauen dieser Gebu rtsjahrgänge sind im Alter von 44 Jahren mit eine r Wahrscheinlichkeit von 8 % kinderlos, unter den jüngeren Koho rten ist dieser Anteil m it 4 % deutlich geringer. Kausal für de n relativ hohen Anteil kinderloser Frauen in der ältesten Kohorte sind sowohl die politisch wie auch wirtschaftlich instabile Zeit de r 1940er

5.4 Ergebnisse

157

und 1950er Jahre. So folgten der japanischen Besatzung und dem indonesischen Unabhängigkeitskampf vor allem Armut, ein insgesamt schlechter Gesundheitszustand der Bevölkerung, Mortalität und aufgrund einsetzender Landflucht auch die Trennung von Ehepaaren (vgl. Hull, Tukiran 1976). Deswegen kann man davon ausgehen, dass die stabileren sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse in allen nachfolgenden Geburtsjahrgängen (vgl. oben Kap. 2.3), das Risiko einer Erstgeburt deutlich erhöhten. In Anbetracht einer Kinderlosigkeit von nicht einmal 4 % unter den jüngsten Geburtskohorten ist davon auszugehen, dass alle indonesischen Frauen, denen es biologisch möglich ist, auch eine Mutterschaft realisieren. Dieser Befund ist keine Überraschung, sondern deckt sich mit einschlägigen Untersuchungen zum Thema Kinderlosigkeit in Indonesien (vgl. Geertz 1961; T. Hull 1975; Rutstein, Shah 2004). Bleiben Frauen kinderlos, wird dies von ihnen nicht als Idealzustand betrachtet, sondern eher als belastend empfunden. Um die Fruchtbarkeit anzuregen, wurden im vormodernen Indonesien traditionelle Heiler aufgesucht, heutzutage werden zumeist Ärzte konsultiert (vgl. Geertz 1961: 83; T. Hull 1975: 328). Schlagen solche Maßnahmen fehl, ist die Stabilität der Ehe bedroht. Scheidung und Wiederheirat trifft häufig kinderlose Paare und ist meist mit der Hoffnung verbunden, den Kinderwunsch mit einem anderen Partner realisieren zu können (vgl. Schröder-Butterfill, Kreager 2005 : 32) . Für Paare, die sich nicht trennen, bleibt immer noch die Möglichkeit einer Adoption. Vor allem im traditionellen Indonesien war es eine geläufige Praxis, Kinder unter Verwandten "auszuleihen". Aber auch aktuelle Surveydaten aus den Jahren 1994 bis 2000 belegen, dass insbesondere in Haushalten kinderloser Frauen adoptierte Kinder leben (vgl. Rutstein, Shah 2004 : 52). Deshalb ist es angesichts des besseren Ernährungs- und Gesundheitszustandes der heutigen indonesischen Bevölkerung auch nicht überraschend, dass die Kinderlosigkeit in Indonesien rückläufig ist. Dennoch deuten die Überlebenskurven darauf hin, dass die Geburt des ersten Kindes in ein etwas späteres Lebensalter verschoben wird. Gegenwärtig hat sich der Anteil, bei dem 50 % der Frauen den Übergang zur Mutterschaft bereits realisiert haben, eindeutig in ein höheres Alter verschoben (s. o. Abb. 5.3). Dafür dürfte primär die gestiegene Bildungsbeteilung der indonesischen Frauen verantwortlich sein (s. u. Kap . 5.4.3) . Die Geburt des dritten oder vierten Kindes scheint in der indonesischen Geburtenentwicklung ein wichtiger Wendepunkt zu sein. Während die Kurven der Überlebensfunktionen bis zum Geburtsjahrgang 1950 steiler verlaufen als in der ältesten Kohorte, flachen sie später deutlich ab. Folge dieser Entwicklung ist, dass die ab 1950 Geborenen deutlich seltener eine Geburt von Kindern höherer Parität realisieren. Besonders klar wird der rasante Wandel im generativen Verhalten durch den Vergleich der Überlebenskurven der Kohorte 1946 bis 1950 und der Kohorte 1956 bis 1960. Während etwa 90 % der Frauen, die von 1946

158

5 Empirischer Teil I: GeselischaftlicheModernisierung und generatives Verhalten

bis 1950 geboren wurden , im Alter von 44 Jahren eine Drittgeburt realisiert haben, besteht für die nur ein Jahrzehnt später Geborenen mit etwa 75 % ein deutlich geringeres Risiko der Drittgeburt. Dieser Trend setzt sich erwartungsgemäß bei der Viertgeburt verstärkt fort (s. o. Abb. 5.3). Um diesen visuellen Eindruck zu untermauern, werden in Tabelle 5.3 die Timingeffekte (a-Term) und Risikoeffekte (c-Term) mit Hilfe des generalisierten log-logistischen Modells voneinander separiert. Die Geburtskohorte 1946 bis 1950 wird als Referenzgruppe genutzt, weil ab diesen Geburtsjahrgängen von einem Wandel im generativen Verhalten auszugehen ist (s. u. Kap. 4.6). Der c-Term beweist, dass die Wahrscheinlichkeit jemals Mutter zu werden, in den ältesten Kohorten unter der der Referenzgruppe liegt. Kinderlosigkeit ist in Indonesien rückläufig. Das erneut leicht sinkende Risiko einer Erstgeburt in den beiden jüngsten Kohorten ist allerdings statistisch undeutend, weil zu gering und nicht signifikant. Hoch signifikant ist dagegen die Tendenz zu einer etwas späteren Erstgeburt. Kausal für den weniger steilen Verlauf der Überlebenskurven der jüngsten Kohorte ist deshalb vor allem die Verzögerung der Erstgeburt. Die Tabelle 5.3 kann belegen, dass der Übergang zur Erstgeburt im Zuge der gesellschaftlichen Entwicklung etwas später stattfindet und Kinderlosigkeit vor allem im Vergleich zu den ältesten Kohorten rückläufig ist. Im Gegensatz zu den Industrienationen kann also für Indonesien nicht von einem Anstieg kinderloser Frauen ausgegangen werden (=H 6.1), jedoch verlagert sich die Familiengründung (ähnlich dem westlichen Muster) in ein höheres Alter (=H 6.2). Der steilere Verlauf der Überlebenskurven bei der Zwei/geburt bis zu den in der Mitte des 20. Jahrhunderts Geborenen ist durch deren größeres Geburtsrisiko erklärbar. Bis zu den Geburtskohorten 1946 bis 1950 ist das Risiko einer Zweitgeburt angestiegen. Unterschiede in der zeitlichen Verortung können dagegen nicht beobachtet werden. Nach der Kohorte von 1946 bis 1950 wandelt sich das Bild. Hier tritt das Ereignis Zweitgeburt nicht nur etwas später, sondern auch zumindest in den beidenjüngsten Kohorten auch signifikant seltener ein. Das Ereignis Drittgeburt ist, wie bereits die Überlebenskurven zeigten , ein wichtiges Kriterium zur Erklärung des Geburtenrückgangs in Indonesien. Die zeitliche Verortung der Geburt unterscheidet sich zwischen den Kohorten nicht oder nur unwesentlich, lediglich die Geburtsjahrgänge von 1966 bis 1970 gebären ihr drittes Kind etwas später. Die Medianüberlebenszeit von 1936 (25 Jahre), ab 1956 (27 Jahre) , bis 1966 (32 Jahre) muss sich demnach primär bedingt durch ein reduziertes Geburtenrisiko drastisch erhöht haben (s. o. Abb. 5.3). Von besonderem Interesse ist deshalb der c-Term in Tabelle 5.3 als Indikator für das gewandelte Übergangsrisiko. Im Vergleich zur Referenzgruppe ist die Wahrscheinlichkeit, ein drittes Kind zu gebären, in den Kohorten zwischen 1931 bis 1945 um etwa 13 % höher, geht aber ab 1951 deutlich zurück. Die jüngsten Ge-

5.4 Ergebnisse

159

bu rtskohorten haben infolge dieser Entwick lung ein um 50 % redu ziertes Risiko, ein dr ittes Kind zur Welt zu bringen.

Tabelle 5.3:

Geburtenver läufe nach Geburtskohorte Standardisierte Koeffiz ienten

Kohorten a-Tenn 1926-1 930 193 1-1935 1936-1940 1941-1945 1951-1955 1956-1960 1961-1965 1966-1970 e-Tenn 1926-1930 193 1-1935 1936-1940 1941-1945 195 1-1955 1956-1960 1961-1965 1966-1970

Gehurt I

Gehurt 2

Referenz' 1946.:: 1950 0,94" 0,98 0,98 0,99 0,95** 0,98 0,98· 0,99 1,02· · 1,02" 1,02 1,03" 1,03· · 1,03" 1,07· · 1,06" Referenz' 1946-1950 0,64· · 0,80· · 0,86· · 0,88" 0,86*· 0,96 0,93 0,95 1,00 0,97 1,00 0,96 0,93 0.84· · 0.94 0,76··

Geburt 3

Gehurt 4

Geburt 5

Gehurt (,

1,01 1,03** 1,00 1,01 1,00 1,00 1,02 1,07· ·

1,06** 1,06** 1,04** 1,02** 1,00 1,00 1,0 1 1,07

1,07" 1,08** 1,06·· 1,03" 1,0 1 1,00 1,05 1,02

1, 19· · 1,21** 1, 15·· 1,06· · 1,01·· 0,98 0,97 0,92

0,91· · 1,13" 1,13·· 1,12" 0,81**

1,21· · 1,31· · 1,4 1· · 1,26· · 0,77" 0,67** 0,50" 0,47"

1,34" 1,53" 1,58· ·

1,51· · 1,78" 1,69" 1,33· · 0,87** 0,86** 0,79· ·

0,71" 0,54· · 0,50"

L03" 0,82" 0,72** 0,73" 0,56"

0.57**

23 22 22 22 25 27899 25349 14502 9765 292 11 20252 , 1976, IDHS 1987, IDHS 199 1, IDHS 1994, IDHS 1997, IDHS 2002/2003, Quelle. \\FS eigene Berechnungen Anmerkungen : generalisiertes log-logistisches Modell, **p
26

N

Bemerkenswert sind die Entwic klungen bei der Viert-, Fiinft- sowie Sechs/gehurt. Die se hr sta rke Abflach ung der Überlebenskurvcn bei dem Ereignis V icrtgeburt ist wie er wartet auf das reduzierte Geburtenrisiko zurückzuführen. Wä hrend der Risikoeffek t der Koho rten bis 1945 den der Referenzgru ppe de utlich übersteigt, ni mmt d ie Geburtenwah rscheinlichkeit ab dem Jahrgang 1951 sta rk ab. Das Risiko einer Geburt von vier oder meh r Kindern beträgt in den jüngsten Kohorten nur noc h 50 bis 60 % des Risikos der Refere nzgruppe. Dami t ste ht

160

5 Empirischer Teil I: GeselischaftlicheModernisierung und generatives Verhalten

fest, dass der Geburtenrückgang in Indonesien nur durch einen Rückgang von Geburten höherer Parität verursacht wurde (=H 6.3). Die Frauen ab den Geburtsjahrgängen 1951 tragen damit erheblich zu der deutlich sinkenden Fertilitätsrate seit Anfang der 1970er Jahre bei (s. o. Kap . 1). Auffällig ist zudem, dass das vierte, fünfte und sechste Kind im Vergleich zu den ältesten Kohorten, wenn überhaupt dann vergleichsweise fr üher geboren wird.

5.4.2 Zusammenhang von Wohnkontext, Bildung, Erwerbstätigkeit und Berufsstatus Entsprechend den bisherigen theoretischen Ausführungen sind Stadt-LandDifferenzen im Geburtenverhalten im Wesentlichen durch Bildungsunterschiede und Besonderheiten in der Erwerbsstruktur bedingt (s. o. Kap. 4.2). Die Auswirkung der Region auf das generative Verhalten wird demnach primär auf einen einfachen Unterschied in der Verteilung dieser erklärenden Randbedingungen zurückgeführt (vgl. Kopp 2002: 98). Aus diesem Grund stellt sich die Frage , ob ein Zusammenhang zwischen den Modemisierungsvariablen besteht. Wäre nämlich die strukturtheoretische Erklärung des Geburtenrückganges richtig, würde ein ländliches Wohnumfeld die Wahrscheinlichkeit einer Erwerbstätigkeit innerhalb der Landwirtschaft deutlich erhöhen, wohingegen höhere Bildungsabschlüsse und qualifizierte Berufspositionen in diesen Regionen weniger häufig vorzufinden wären. Des Weiteren ist zu prüfen , ob Bildung die Erwerbsbeteiligung positiv beeinflusst und ob Berufspositionen mit einem hohen Qualifikationsniveau eher außerhalb der Landwirtschaft vorkommen. Diese Zusammenhänge der unabhängigen Variablen Wohnkontext, Bildung und Erwerbstätigkeit wurden überprüft. Die Ergebnisse der binär -logistischen Regression bzw. linearen Regression zeigt die folgende Tabelle.

Tabelle 5.4: tigkeit

Zusammenhang zwischen Wohnkontext, Bildung und ErwerbstäBildung

I

I

I

I

ErwerbsArbeiter LandDienstProfestätigkeit wirtschaft leistung sionelle Exp(B) beta -0,39** 2,39** Land 0 19 ** 1 15 ,29** 1 0 ,43** 1 0 ,84** 1 0,75** 0,36** 0,99 0,94* 10,75** Bildung x Quelle : WFS 1976, IDHS 1987, IDHS 1991, IDHS 1994, IDHS 1997, IDHS 2002/2003 , eigene Berechnungen Anmerkungen: binär-logistische Regression, lediglich die Zusammenhangsanalyse zwischen ländlichen Wohnkontext und Bildung basiert auf einer linearen Regression , **p
5.4 Ergebnisse

161

Ein ländliches Wohnumfeld hat zwar einen negativen Einfluss auf die Bildung der Frau, im Gegensatz dazu sind aber diese Frauen erheblich häufiger erwerbstätig. Betrachtet man die einzelnen Berufspositionen, so entsprechen die Ergebnisse eindeutig den aufgestellten Hypothesen (s. o. Kap. 4.2). Der ländliche Wohnkontext begünstigt primär eine Tätigkeit in der Landwirtschaft (Exp(B) 15,29). Eine Beschäftigung im Dienstleistungsbereich (Exp(B) 0,43) oder als Arbeiter (Exp(B) 0,84) ist dagegen in urbanen Regionen wahrscheinli cher. Ebenso werden qualifizierte Berufe hauptsächlich in der Stadt ausgeübt (Exp(B) 0,16). Die wesentlich höhere Erwerbsbeteiligung der Frauen in ländlichen Gebieten ist also entsprechend der Untersuchungsergebnisse ausschließlich auf die starke Beteiligung der Frauen im Landwirtschaftssektor zurückzuführen. Entgegen der Annahmen erhöht Bildung nicht die Erwerbsbeteiligung (s. o. Kap. 4.2), sondern reduziert diese. Dementsprechend sinkt mit dem Bildungsniveau die Erwerbsbeteiligung der Frau hoch signifikant (Exp(B) 0,75). Innerhalb der Landwirtschaft ist der negative Einfluss von Bildung besonders hoch (Exp(B) 15,29). Dieses Ergebnis war insofern nicht überraschend, weil anzunehmen ist, dass gebildete Frauen keine körperlich belastende und schlecht bezahlte Tätigkeit als Landarbeiterin anstreben . Aber auch vergleichsweise einfache Tätigkeiten im Dienstleistungsbereich oder als Arbeiter werden von Frauen mit einem hohen Bildungsniveau vergleichsweise selten aufgenommen. Die geringere Erwerbsorientierung gebildeter Frauen in ländlichen Gebieten war aber schon aus qualitativen Studien bekannt und ist durch Statusüberlegungen bedingt. "I won 't get a job because there is nothing suitable for me to do in the village; to work an agricultural labour or other low level jobs would be embarrassing" (T. Hull 1975: 113). Ein hohes Bildungsniveau hat dagegen wie erwartet auf die höchsten Berufspositionen einen deutlich positiven Effekt (Exp(B) 10,75). Berücksichtigt man jedoch die Tatsache, dass Mütterarbeit nicht allein Ausdruck weiblicher Selbständigkeit sein muss, sondern in lndonesien vielmehr Resultat wirtschaftlicher Notwendigkeit ist, kann der negative Zusammenhang zwischen Erwerbstätigkeit und Bildung gut erklärt werden . Hochgebildete indonesische Frauen haben in der Regel eine niedrigere Erwerbsorientierung, weil sie weniger auf eine solche angewiesen sind. Sie haben gewöhnlich einen höheren sozioökonomischen Status und damit einen geringeren ökonomischen Druck, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen (vgl. Raharjo 1977: 9). Denn die materielle Versorgung dieser Frauen ist durch das Einkommen ihrer Ehemänner sichergestellt. Dementsprechend zeigen auch die Daten des hier zugrunde liegenden Surveys, dass die Ehepartner der hochgebildeten Frauen " mit einer Zur Kategorie hochgebildeter Frauen zählen hier alle Frauen mit einem Bildungsab schluss, der den Sekundarschulbereich übersteigt.

35

162

5 Empirischer Teil I: GeselischaftlicheModernisierung und generatives Verhalten

Wahrscheinlichkeit von 69,6 % professionalisierte Berufe ausüben und nur ein verschwindend kleiner Anteil von 1,6 % im Landwirtschaftssektor tätig ist. Im Gegensatz dazu sind die Ehepartner der Frauen ohne Schulabschluss überwiegend in der Landwirtschaft beschäftigt (58 ,9 %) und nur eine Minderheit von 3,6 % hat qualifizierte Berufspositionen inne . D. h., die höhere Erwerbsorientierung der gering qualifizierten und auf dem Land lebenden Frauen (s. o. Tab . 5.4) ist Resultat wirtschaftlicher Zwänge. Demzufolge ist der von der Familienökonomie erwartete positive Zusammenhang von Bildung und Erwerbstätigkeit (vgl. Becker 1976) teilweise in Frage gestellt und muss für Indonesien umformuliert werden: Wenn gebildete bzw. hochgebildete Frauen arbeiten, dann eher aufgrund von Berufsbindung und somit in gehobenen Positionen zu deutlich besseren Arbeitsbedingungen als sie im Landwirtschaftsbereich zu erwarten wären. Für Indonesien deutet alles darauf hin, dass Mütterarbeit zwischen den beiden Polen Berufsbindung und materieller Notwendigkeit existiert. Frauenerwerbstätigkeit innerhalb der ärmeren Schichten steht in engem Zusammenhang mit Armut und stellt keine freiwillige oder bereichernde Alternative zur Mutterrolle dar. Die Existenznöte ihrer Familien lassen diesen Frauen keine Wahl. Für den vermögenden und gebildeten Teil der Frauen ist im Gegensatz dazu Mütterarbeit Folge von Berufsbindung. Denn Tätigkeiten im qualifizierten Bereich sind nicht nur besser bezahlt und bieten bessere Arbeitsbedingungen, sondern sind auch für Frauen statusdienlich.

5.4.3 Modernisi erungsvariablen und generatives Verhalten Erstgeburt/Mutterschaft: Wie erörtert, ist der Anteil kinderloser Frauen in Indonesien mit etwa 3,7 % sehr klein und in erster Linie der "natürlichen" Kinderlosigkeit geschuldet (s. o. Kap. 5.4.1). Da also so gut wie alle Frauen, denen es biologisch möglich ist, auch Mütter werden, sind im Fall der Erstgeburt die Timingunterschiede interessant. Die Tabelle 5.5 informiert über den Einfluss der Variablen Wohnkontext, Bildung und Erwerbstätigkeit. Die Ergebnisse wurden getrennt für die einzelnen Kohorten ermittelt und auf der Basis eines multiplen Regressionsmodells die Wechselbeziehung zwischen Bildung, Wohnkontext und Erwerbstätigkeit berücksichtigt.

5.4 Ergebnisse Tahelle 5.5:

Referenz

163 Sozic dcmografischc Me rkmale und Übergan g zur Mutterschaft

Standardisierte Koeffizienten Wohnkontext Bildune Land rcrin retc Bildune a-

c-

a-

c-

Erwcrbstätie kcit

nicht erwerbstäti ' a-

,.

'."", 6

-e 0

Z

, nn Term Kohorten Term Term Term Term 1,06 1,05 1,01 0,88 0,21 853 1926-1930 1,01 1,17 \,04 1931-1935 1,00 1,08 1,09 1,07 0,87 0,25 1172 \,04 1,13** 1,15** 0,92** 0,79** 0,26 2063 1936-1940 1,00 0,84.... 1,02 1,11** 1,15** 1,02 0,28 3573 1941-1945 0,98 1,03.... 0,88** 1,17** 1,14.... 1,21.... 0,28 5119 1946-1950 1,02 0,28 6313 1,04** 0,97 \,04 1,13** 1,11** 1951-1 955 0,99 1,09* 1,14** 1,05* 1,05** 0,96 0,28 6885 1956-1960 1,00 1961-1 965 0,98 1,16 1,05 0,29 2760 \.04 1,02" 0,95 0,94 0,28 0,94" 0,91 1966-1 970 1.22** 1.13 1.05* 773 0,99 LOS** 1.1 4** 1,13** 1,04** 0,91** 0,27 29211 Gesamt , 1976, IDIIS 1987, IDHS 1991, IDHS 1994, IDHS 1997, IDHS 2002/2003, Quelle, \\FS eigene Berechnungen Anmerkungen: generalisiertes log-logistisches Modcll, **p
{Mc-Faddcns)

Die bivariatc Analyse" des Einflusses des Wohnkontextes. unabhängig von Bildu ng und Erwerbstätigkeit. zeigt , dass ein ländliches Woh num feld den Übergang zur Erstgeburt etwas (ca. 5 % ) besc hle unigte (= H 6,5) und die Risikofunktion positiv beeinfl usste (= H 6,6). Unter Kontrolle von Bildung und Erwer bstät igkeit b leibt der pos itive Niveaueffekt zwar er halten, reduziert sich aber ab 1950 beac htlich. Für die zeitliche Verort ung kann aller dings kein statistisch bedeutsam er Einfluss mehr festgestellt werd en. Lediglich in de r jü ngs ten Kohorte führt das Leben in eine m ländlic h gep rägten Raum zu einer leichten Beschleunigung (Ex p(e ) 0.94) der Erstge burt. Der Einfluss von Urbenisicrung wir d also erwa rtungsge mäß fast vo llständig durch die Variablen Bildung und Erwerbstätigkeit aufgeklärt. Im Gegensatz zur reg ionalen Einbin d ung hat d ie Variable Bildung eine we sentlich stärkere Wirkung a uf das Ereig nis der Ers tgeburt. So steigt mit höherem Bildungsniveau auch das Alter beim Übergang zur Mutterschaft (= U 6.8) . Diese aufschiebende Wirkung von Bildung wird mit der Kohorte 1936 statistisch hoch sign ifikant und nimmt vor alle m bei dem j üngsten Geburtsj ahrgang ( 1966 bis 1970) noc hma ls zu. 36 Alle Ergebnisse, die sich auf eine bivariatc Regression beziehen. wurden aus Platzgründen und Gründen der Übersichtlichkeit nicht abgebildet.

164

5 Empirischer Teil I: GesellsehaftlieheModemisierung und generatives Verhalten

Tahelle 5.6:

Bildungsniveaus und Übergang zur Mutterschaft

Standardisierte Koeffizienten Primärabschluss Scknndarabschluss > Sekund ärabschlu ss c Referenz: ohne Bildungsabschluss -c 0 cc· c· • Z e, J erm Term .KQ...honen Term Jertn I~n "m 1926-1930 ' .00 0,95 1,18 u x 0.21 853 1.35 4,"" 1931-1935 1,03 1,13 1,21 u 0,99 4,91 x 0,25 11 72 1,31u 1,51** 1,18 0,25 2063 1936-1940 1,03* 1,09 1,51u 1941-1945 1,07** 1,37** 1,21** 1,31u 1,52** 1,37* 0,26 3573 1,56** 1,50** 0,28 5119 1946-1950 1,05** 1,23** 1,25** 1,43** 1951-1955 1,04** 1,18** 1,23** 1,26** 1,49** 1,22* 0,28 6313 1,18** 1,20** 1,10* 1,49** 1956-1960 1,03u 1,09 0,21\ 681\5 1961 -1965 1,06** 1,10 1,28** 1,17** 1,50** 1,00 0.28 27"" 1,40** 1.23 0,29 773 1966-1970 1,09* 1,15 L73u 1.69 1,05** 1,2(,** 1,24** 1,32** 1,52** 1,29** 0.27 29211 Gesamt Quelle, \\•FS 1976, IDIIS 1987, lOHS 1991, lOHS 1994, lOHS 1997, IDHS 200212003, eigene Berechnungen Anmerkungen: generalisiertes log-logistisches Modell, **p
,.

,.

,.

",

Das Ergebnis der Untersuchung bestätigt da mit den .jnstitutioncncffckt" von Bildung . Entsp rechen d verzögert der längere Verbleib in Bildungsinstitutionen den Übergang zur Mutterschaft (vgl. Blossfeld , Huinink 1989). Folglich zögert eine Grund schulbildung das Ereignis Erstgeburt um etwa 5 %, der Sek undarsch ulabsc hluss bere its um 24 % und der höchste Bildungsabschluss sogar um etwa 50 % (s. o. Tab. 5.6) heraus. Aufschl ussre ich für die Wirkung von Bildung ist auch die Risikofunktion. Diese zeigt, dass Kinderlosigk eit in Indonesien nicht an ein hohes Bildungsniveau gekoppelt ist. Bere its in den beiden ältesten Kohorten hat die Bildung einen positiven Einfluss auf den Verla uf der Risikofunktion. Dieser wird jedoch erst ab den Ge burtsja hrgängen 1936 (Exp(e) 1,15) statistisch signifikant (s. o. Tab. 5.6). Selbst die Befragten mit dem höchsten Bildungsniveau bekommen häufiger ein erstes Kind als Fraue n ohne Bild ungsabschluss. Z ude m zeigt sich, dass das konkrete Bildungsniveau zur Vorhersage des Risikos der Erstgeburt nicht maßgeblich ist, ausschlagg ebend ist viel meh r, dass die Frau überhaupt Bildung ..genossen" hat (s. o. Tab. 5.6). Der pos itive Einfl uss von Bildung auf den Übergang zur Mutte rschaft könnte in Indonesien wiede rum über Armut bzw. Wohlstan d ve rmittelt sein . So belegen em pirische Untersuchungen , dass fehlende Bildung ei n Zeichen von Armut ist (vgl. Tambunam 2004 : 18; Unesec 2005: 15) und Armut wiederum in eine m engen Z usammenhang mit Kinderlosigkeit steht (vgl. Schrö dcr- Buttcrfill, Krea-

5.4 Ergebnisse

165

ger 2005: 37 0. Für d ie ge ringe Kinderlosigkeit unter ge bil deten Frauen sind im Wesentlichen d ie folge nden Faktoren ursächlich (T . Hull 1975; lI ull, Hull 1976 ). Erst ens sind ge bildete Frauen aufg rund ihres bes ser en G esundh eitszustands generell fruchtbarer und hab en zwe itens das Wissen und das Geld, um im Falle der Unfruc htbarkeit ärztliche Hilfe in A nspr uch nehme n zu können. Drittens ist unter gebi ldeten Fra uen bzw. Frauen mit einem hohen sozioö konomisc hcn Stat us das Ehesc heid ungsrisiko nied rige r und dam it die Gefah r einer unfreiwilligen Absti nenz ge ringer. Im Gegensatz zu r Bildung reduziert Erwerbstätigke it die Wahr scheinlichkeit einer Erstgeburt leicht und versc hiebt den Übergan g zur M utterscha ft in einen etwas späte ren Lebensabschnitt {s. o . Tab 5.5), Der Risikoe ffekt bezüglich der Erstgeburt ist allerdings gering, Erwerbstätigkeit red uziert die Wahrscheinlic hkeit lediglich um 9 %. Berücksichtigt man zusätzlic h den Berufszweig . so wir d j edoch de utlic h, dass Kinderlosigkeit be i erwerbstätigen Fra uen nur durch den Dienstleistungssektor verursacht wird (s. u. Tab, 5.7),

Tabelle 5. 7:

Berufsstatus und Übe rgang zur Mutterschaft Standard isierte Koeffizien ten Landwirt schall

Dienst leistun '

Arbeite r

Pro fession elle

Referen z:

nicht erwerbs täu '

al" crm

c-

c-

3-

c-

Koh ort en

Tcrm.-Tcrm

renn

Tenn

renn

1926-1930

0,99

0,98

1.00

0,88

19.11 -19 35

1,02

0,97

0.99

1936-1940

0,98

1,00

0,73" 0.5 1** O,M-

1941-1945

0,97

1,00

0.98

0,96

1946- 1950

0,99

1,02

1.00

0,95

1951- 1955

1,00

I.OX

0,98*

0,95

1956-1960

1,02

I,OX

1,0 1

1961-1965

0,98

1,09

1966-1970

0,92 "

1,07

3-

a-

z

Tenn

1,04

0,76

1,1 1

1.02

0,21

S53

1,09 ·

1,0 I

1,IR"

0,84

0,25

1172

1,03

1,42--

1,25 "

1,09

0,25 2063

1,03

1,08

1.25**

0,96

0.26 3573

1,02

0.88

1.29"

1.01

0.28 5 119

1,05"

1.09

1.34"

O,9S

0.28 6313

0,94

1,07"

1,06

1,34"

0,9X

0,28

68S5

1,01

0,99

1,04

0,99

1,30**

1,04

0,28

2760

1.00

0.83

0,94

0.9X

I,4S**

1,44

0.29

773

0,99 · 1,01 1,0 I 0 .93 " Gesamt 1.00 1.01 0,27 292 11 Quelle. WFS 19 76, IOIIS 1987, lOH S 1991, lO HS 1994. lOHS 1997, lOHS 200212003,

eigene Berechnungen

Anmerkungen: generalisiertes log-logistisches Modell, **p
166

5 Empirischer Teil I: GeselischaftlicheModernisierung und generatives Verhalten

sich nicht von den nicht erwerbstätigen Frauen . Lediglich in der jüngsten Kohorte tritt die Erstgeburt früher ein. Die Ergebnisse der im Dienstleistungssektor" beschäftigten Frauen unterscheiden sich davon relativ stark . Bemerkenswert ist in erster Linie, dass Kinderlosigkeit im Dienstleistungsbereich im Vergleich zu allen anderen Gruppen am häufigsten auftritt (eta/beta : 0,93). Eine Erwerbstätig keit im produzierenden Gewerbe führt dazu, dass sich die Erstgeburt in spätere Lebensjahre verschiebt. Der Übergang zur Erstgeburt findet aber mit gleicher Wahrscheinlichkeit statt. Der .J nstitutionencffekt" von Bildung wird besonders bei Personen mit den höchsten Berufspositionen deutlich. Die empirischen Ergebnisse zur Rolle der individuellen Ressourcenausstattung auf die Erstgeburt können die Hypothesen aus dem vierten Kapitel überwiegend bestätigen (s. o. Kap. 4.6). Ein ländlicher Wohnkontext beschleunigt den Übergang zur Mutterschaft (=H 6.5); macht ihn aber nicht wahrscheinlicher (=H 6.4). Unter Berücksichtigung der Variablen Bildung und Erwerbstätigkeit verliert der positive Zusammenhang zwischen Erstgeburt und ländlichem Wohnkontext aber an statistischer Bedeutung. Die Wirkung des regionalen Wohnumfeldes ist also durch die individuelle Ressourcenausstattung der Frauen erklärbar. Bildung hat eher eine aufschiebende Wirkung auf den Übergang zur Mutterschaft (=H 6.8). Allerdings beeinflusst Bildung die Risikofunktion entgegen der Erwartungen positiv (;tH 6.7). Erwerbstätigkeit zögert die Erstgeburt ähnlich wie Bildung hinaus (=H 6.8), beeinflusst die Risikofunktion aber leicht negativ (;tH 6.7). Angesichts der Belege, dass eine Erwerbstätigkeit der Frauen in Indonesien insbesondere in Haushalten mit geringem sozioökonomischem Status auftritt, kann dieses Ergebnis wohl auch als Beleg einer schlechteren gesundheitlichen Situation gewertet werden (s. o. Kap. 5.4.1). Der Timingeffekt der Variable Erwerbstätigkeit wird von den Frauen mit dem höchsten Berufsstatus verursacht, wohingegen das geringere Risiko dem Dienstleistungssektor geschuldet ist (vgl. oben Tab. 5.7). Die Zusammenhänge der Variablen Bildung und Erwerbstätigkeit sind in den bivariaten sowie multivariaten Analysen beinah identisch. Der Einfluss von Bildung und Erwerbstätigkeit auf den Übergang zur Mutterschaft scheint daher weit gehend unabhängig voneinander zu sein. Das steigende Pseudo-R? kann zwar nur als relatives Maß der Anpassung interpretiert werden (vgl. Urban 1993), sein Anstieg in den jüngeren Kohorten bedeutet aber darauf hin, dass insbesondere im modernen Indonesien zeitliche Variationen beim Ereignis Erstgeburt durch diese Variablen erklärt werden können. Drittgeburt/Geburt höherer Parität: Historisch bedeutsame Differenzen hinsichtlich der Risikofunktion bestehen erst ab der Drittgeburt (s. o. Kap. 5.4.1). In diese Kategorie fallen vor allem Frauen mit einfachen Service- und Verkaufstä tigkeiten .

37

5.4 Ergebn isse

167

Die jü ngeren Kohorten weisen erst ab dieser Parität ein deutlich vermindertes Geburtenrisiko auf, was dafür spricht, dass der indonesische Geburtenrückgang nur du rch den Verzic ht auf Kinderreichtum verursac ht wurde . Am Beispiel der Drittgeburt als ansc heinend markante r .Schwcllcnwcrr' in der historischen Geburtenentwicklung so ll deshalb d ie Rolle der Oppcrtunitä tcnstuktur der Frau untersucht werden, weil anzune hmen ist, dass mit dem Anstieg von Bildu ng und Erwerbstätigkeit sow ie einem urbanen Wohnkontext Drittgeburten seltene r vorkommen dürften (s. o. Kap. 4.6). Die Ro lle des Wohnumfeldes bei der Entsc heidung für oder gegen eine Drittgeburt ist gering (s. u. Ta b. 5.8). Der ländlic he Wohn kontext besaß in bivariatcn Analysen sowo hl auf die zeitlic he Verortung wie auch auf das Gcb urtsrisiko nur einen leicht positiven Effekt. Dieser Effekt war jedoch statist isc h nicht signi fikant (j:H 6.6). Im mult ivariatcn Modell unter Kontrolle von Erwerbstätigkeit und Bildung kehrt sich dieser Zusa mmenhang sogar um. Auf dem Land ist ab den Geb urtsja hrgängen 195 1 das Risiko eine r Drittgeb urt signifi kant geringe r als in urbanen Wohnkontexten (s. u. Tab. 5.8). D. h., Frauen mit den gleic hen sozialstrukturollen Merkmalen hinsichtlich Bildungsnive au und Erwerbstätigkeit bringen auf dem Land seltener ein drittes Kind zur Welt .

Tabelle 5.8:

Soziodemografische Merkmale und Übergang zur Drittgeburt Standardisierte Koeffizienten Wohnkontext

Bildung

Erwcrbst äti rkcit

c-

Kohorten

Land aTerm

Term

rcrin icrc Bildu ne acerm Ter m

1926-1930 193 1-1935 1936-1940 1941-1945 1946-1950 1951-1955 1956-1960 1961-1965

1,01 1,01 1,04* 1,01 1,02 1,00 1,01 0,98

1,03 \.00 1,10 1,08 0,98 0,86** 0,88** 0,82**

1,02 1,04* 1,11 ** 1,06** 1,06** 1,08** 1,07** 1,12

nic ht crwcrbstäti ' acTerm Term 1,01 0, 77* 1,05* 0,97 1,00 0,80** 1,00 0,76** 1,03** 0,83** 1,04** 0,82* 1,03** 0,81 ** 0,76** 0,92

Referenz:

1966-1970

1,07 0,98 1,17** 1,0 1 0,94* 0,85** 0,79** 0,77**

'•" 6

-e

iI.

~

0,22 0,25 0,26 0,26 0,25 0,22 0,22 0,20

Z

7 14 1016 1797 3099 4402 5603 5718 2351

649

Gesamt 1,00 0,93** 1,06** O,RO** 1,02** 0,R2** 0.23 25349 , Quelle. WFS 1976, lO HS 1987 , lOH S 1991, lO HS 1994 , IDHS 1997, lOH S 2002/2003 , eigene Be rechnungen Anmerkungen: generalisiertes log-l ogistisches Modell, **p<0.OI,*p<0.05, Pscudo-Rt (Me-Faddens)

168

5 Empirischer Teil I: GesellschaftlicheModemisie rung und generatives Verhalten

Zwar werden im multivariaten Modell regionale Fertilitätsmuster stark dureh Bildungsdifferenzen und Erwerbsbeteiligung bedingt, aber in Indonesien bezeichnenderweise erst ab den Gebun skohorten der 1950er Jahre. Die Annahmen zum Einl1uss von Regionen aufgrund untersc hiedlic her Verteilung der erklärenden Randbedingungen. hier repräsenti ert durch Bildung und Erwerbstätigkeit . gelten demnach erst ab der Geburtskohorte 1951-1955. Ursä chlich dafür ist, dass Bildungsdifferenzen oder Unterschiede im Berufsstatus, oh nehin erst für die in de r Mitte des 20. Jahrhunderts Geborenen, das generative Verhalten negative beeinflussen (s. u.). Das Bildungsniveau hat einen negativen Einl1uss auf die Geburt de s dritten Kindes. Kausal dafür sind sowo hl dessen Aufschub sow ie die Reduktion des Übergangsrisikos. Die Untersuchung ergab, dass mit der Zunahme des Bildungsniveaus das Alter bei der Geburt des dritten Kindes aufgeschoben wird (s. o. Ta b. 5.8 sowie unten Tab. 5.9). Tabelle 5. 9:

Referenz:

Kohorten 1926-1930 1931-1935 1936-1940 1941-1945 1946-1950 1951-1955 1956-1960 1961-1965 1966-1970

Bildungsniveau und Übergang zur Drittgeburt Standardisicnc Koeffizienten Primarahschlu ss Sekundara bschluss >Sekundarabschluss 0 ohne Bildun rsabschluss -e 0 aac· c· c·

",

,.

erm

0,97 1,00 1,04u 1,04u 1,03 u

Term

1,07 I,OS 1,14 I,lSu I,OS 1,03" 1,03 1,00 0,93 1,05 0,80" 1,08 0,98

Term

renn

1, 13 1,06 1, 16· · 1, 12· · 1, 12" 1, 13" 1, 10" 1, 19" 1,35 u

156 0,S2 1,22 1,12 1,03 0,9 1· 0,72" 0,57·· 1,00

'.

c,

Tenn x x

renn _ x x

x x

1,29·· 1,24 u

1,04 0,79 0,60·· 055·· 0,52·· 0,76 2,92

0,25 0,25 0,25 0,23 0,22 0,19 0,19

1,29·· 1,33" 1,31" 1,50" 1,78··

z 714

1016 1797 3099 4402 5603 5718 2351 649

Gesamt 1,0 1" 0,90" 1,\ I " 0,75" 0.54·· 0,22 25349 1.33" Quelle. \VFS 1976, lOHS 1987, lOHS 1991, lOHS 1994, lOHS 1997, lOHS 2002/2003 , eigene Berechnungen Anmerkungen: generalisiertes log-logistisches Modell, ·.p<0.0l,.p<0.05, Pscudo-Rs (Mc-Faddcns)

Der Timingeffekt unter Frauen mit Grundsc hulbildung ist mit etwa 1 % sehr gering, dagegen unter Frauen mit dem höchsten Bildungsabschluss mit etwa 30 % deutlich stärker (s. o. Tab. 5.9). Es ist alle rdings nur folgerichtig, dass d iese

5.4 Ergebnisse

169

Frauen auch den Übergang zur Drittgeburt später erleben, weil sie bereits deutlich später eine Erstgeburt realisieren (s. o. Tab. 5.6) . Anhand der dargestellten Koeffizienten und Signifikanzen wird ebenfalls deutlich, dass die Rolle der Opportunitätenstruktur erst im Zuge der historischen Entwicklung zur Vorhersage des generativen Verhaltens beitragen kann. Der Einfluss von Bildung ist bis zu der Geburtskohorte 1946 bis 1950 sehr uneinheitlich und weist eher auf einen positiven Bildungseffekt hin. Erst ab der Kohorte 1946 bis 1950 wird der negati ve Einfluss von Bildung signifikant und nimmt in den nachfolgenden Kohorten deutlich zu (s. u. Tab. 5.9). Die vorhergesagte Reduktion von Geburten höherer Parität unter gebildeten Frauen (s. o. Kap . 4.6) setzt sich bei Frauen mit dem höchsten Bildungsabschluss bereits ab den Geburtskohorten 1946 bis 1950 durch , bei Frauen mit Sekundarschulabschluss erst ab den Geburtskohorten 1951 bis 1955 und bei Frauen mit einem Grundschulabschluss erst ab den Kohorten 1961 bis 1965. Insgesamt ist also zu beobachten, dass ein negativer Effekt des Bildungsniveaus auf das generative Verhalten erst bei den in der Mitte des 20. Jahrhunderts Geborenen besteht. Rational-choice Annahmen, die dem VOCAnsatz zu Grunde liegen, können also erst ab den Geburtsjährgängen der 1950er Jahre zur Erklärung des generativen Verhaltens beitragen (=H 5.1) . Das kann als erstes Indiz für die Notwendigkeit gewertet werden, dass das vorgestellte Alternativmodell in die Erklärung des generativen Verhaltens einzubeziehen ist. Ursächlich hierfür ist, dass die reproduktive Phase dieser Geburtsjährgänge in den 1960er und 1970er Jahren beginnt und damit in eine Zeit fallt, in der enorme wirtschaftliche und soziokulturelle Veränderungen stattfanden (s. o. Kap. 2.3). Besonders diese Frauengenerationen orientierten ihr generatives Verhalten stark an ihren individuellen Möglichkeiten. Die größere Varianzaufklärung in diesen Kohorten ist damit auch erklärbar. Der gleiche Befund zeigt sich für den Berufs status. Vor dem Hintergrund dieser gesellschaftlichen Transformationsprozesse werden Fertilitätsentscheidungen in einer Situation mit neuen Möglichkeiten , aber auch Gefahren getroffen (s. o. Kap. 3.2.4). Speziell bei gebildeten Frauen ist diese neue Handlungssituation präsent. Aus diesem Grund sollte sich zunächst unter Frauen mit einem hohen Bildungsniveau das rationale Kalkulieren entsprechend der ökonomischen Fertilitätstheorien durchsetzen (=H 5.3). Der Effekt der Erwerbstätigkeit gleicht dem der Bildung. Erwerbstätigkeit bedingt eine Verschiebung des Ereignisses Drittgeburt in ein etwas höheres Alter und reduziert gleichzeitig das Ereignisrisiko um etwa 20 % (s. o. Tab. 5.8). Im Gegensatz zur Variable Bildung besteht der negative Einfluss der Variable Erwerbstätigkeit bereits in der ältesten Geburtskohorte. Untersucht man den Einfluss von Erwerbstätigkeit getrennt nach dem jeweiligen Berufsstatus ergibt sich ein leicht verändertes Bild (s. o. Tab. 5.10).

170

5 Empirischer Teil I: GesellsehaftlieheModemisierun g und generatives Verhalten

Tahelle 5. /0: Beruf.sstatus und Übergang zur Drittgeburt Slanua ruisil'Tte Koe 1llzienlcn Landwirtschaft

Dienstleistune

nicht crwcrbstätia

a Term

a c Term-J'enn

c

Kohorten

1926-1930 1931-1935

1.00

0,73"*

1.00

1,05·

0,97

1.03

0.81 0,96

LOI 0,99

~

.lcrm

c J crm

a Term

c Term

1,06

0.78

1,06

1.03

1.11"

1.24

1.03 1,02

1.02 1,05

1.12 1,07

1.17" 1,18 1,19" 1,51·

0.77" 0,90

0,85··

1.01 1,02 1,04·

a ,~

1951-1955

1,00

0,94 0.97 0,95·· 0.86· 0,91 0,91 1.00 0,79·· 1,00 0,90·

1956-1960 1961·1965

1.0 1 0,95·

0,79·· 0.97

1966_1970 Gesam t

1941-1945 1946-1950

1.00

, 6

Referenz:

1936-1940

Profes sionelle

Arbeiter

0,79··

" .{; 0

z

0,22 714 0.25 1016

0.25 1797 0,25 3099 1.13" 0,94 1.16·· 0,83 0.25 4402 0,54·· 1,22" 0,23 5603

0.88" 0,!!4· 0,97

0,67"

1,24" 0,54" 0.22 5718 1,35 0,75 0.19 2351

0,83" 0,56" 0,96

0,65·

0.!!3·

O,5!!·

1..3

0,99

0,85"

1.02· ·

0,80"

1.1 8" 0,59·· 0,22 25349

0.!!8"

1.00

0,99

0.66

0.19 649

Quelle. WFS 1976, lO HS 1987, lOHS 199 [, lOHS 1994, lOHS 1997, lO HS 2002/2003, eigene Berechnungen Anmer kunge n: generalisiertes log-log istisches Modell, · · p<0.0 1,· p<0.05, Pscudo-R! (Mc-Fadd ens)

Dann nämlich zeigt sic h, dass nur Frauen mit dem höc hsten Berufsstatus ihr dri ttes Kind später (Exp(a) 1,18 ) gebä ren . Das dürfte allem Ansc hein nach durc h den generellen Auf.sehub der Familiengründung verursac ht sein (s. o. Ta b. 5.7). Für die anderen Beruf.szwcigc können keine entscheidenden Variationen bei der zeitli chen Verortung der Dringeburt festgestellt werden. Von besondere m Interesse zur Begründung des Geburt enrückgangs ist allerd ings ohnehin die Frage, ob Drittgeburten in den jüngere n Kohorten seltener sind. In diesem Sinne zeigt der c-Tc rm, dass mit der Erwerbstätigkeit auch die Wahrschei nlichkeit einer Drittgeburt sinkt. Erwartungskonform ist dieser risikored uzierende Effekt unter den im Landwirt sch aftssektor Beschäftigten am geringsten (12 %) und unter den Professionellen am größten (4 1 %) . Werden außerdem d ie Befunde zu de n Bildungsvari ablen berücksichtigt, wird deutlich , das s vor allem hoch gebildete Frauen, die darüber hinaus die höchsten Berufspositione n innehaben, ein drittes Kind vergleichsweise selten zur Welt bringen. Damit kann die negat ive Rolle der indivi duellen Ressour cenausstattung bei der Realisierung der Drittgeburt eindeutig bestätigt werden (=11 6 ,9) . Trotz des allgemein negativen Einflusses von Erwerbstätigkeit können , wie beim Bildungsn iveau, deu tliche historische Variationen festgeste llt werden,

5.5 Zusammenfassung

171

Diese sind vor allem bei den im qualifizierten Bereich tätigen Frauen offenkundig (s. o. Tab. 5.10). Frauen in qualifizierten Berufspositionen haben bis zu den Geburtsjahrgängen 1940 ein tendenziell größeres Risiko, ein drittes Kind zur Welt zu bringen als nicht erwerbstätige Frauen . Ab den Geburtsjahrgängen um die 1950er Jahre kehrt sich dieser Zusammenhang um, so dass Frauen mit dem höchsten Berufsstatus zu denjenigen gehören, die dem geringsten Risiko einer Drittgeburt unterliegen. Dieser Befund ist wiederum ein Beleg dafür, dass der rcModus der Entscheidungsfindung erst im Zuge der indonesischen Modemisierung relevant wird. Dass die aufgeführten ressourcenspezifischen Variationen im generati ven Verhalten des vormodernen Indonesiens kein Ergebnis rationaler Entscheidungsfindung sind, können drei anthropologische Studien belegen (vgl. T. Hull 1975; V. Hull 1976; Hull, Hull 1976). Im Wesentlichen gelten hier die gleichen Mechanismen wie schon für die Erstgeburt. Einerseits werden die geringe Ehestabiltät in der Unterschicht und die damit einhergehende unfreiwillige Abstinenz vieler gebärfähiger Frauen als Ursache angeführt , andererseits sollte deren schlechterer Gesundheitszustand (vor allem bei älteren Frauen) die Gefahr für Unfruchtbarkeit erhöhen (vgl. V. Hull 1976: 82 f oder Geertz 1961: 139). 1m Zuge der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung sollte jedoch die Bedeutung dieser Barrieren infolge des gesunkenen Scheidungsrisikos und der allgemeinen Wohlstandssteigerung rückläufig sein (s. o. Kap. 2.3.3 und Kap. 2.4.2). Deswegen spricht viel dafür, dass im vormodernen lndonesien die realisierte Anzahl von Kindern häufig eine Frage des biologischen Könnens war, wohingegen im modernen Indonesien fertile Entscheidungen zu einer Frage des individuellen Wollens wurden. Die Pseudo-R? deuten daraufhin, dass die vorgestellten Variab len vor allem in der .Hochphase" der gesellschaftlichen Veränderungen eine herausragende Rolle bei der Vorhersage der Drittgeburt spielen. Denn insbeson dere die Geburtskohorten der 1940er und 1950er Jahre wurden erstmals mit neuen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen konfrontiert, die eine genaue Abwägung der eigenen Opportunitäten sinnvoll machte .

5.5 Zusammenfassung Nach Auswertung des kumulierten Datensatzes können folgende Rückschlüsse für die indonesische Geburtenentwicklung gezogen werden: Erstens : Die ereignisanalytische Betrachtung des kohortenspezifischen Familienbildungs- bzw. Erweiterungsprozesses ergab, dass ausschließlich der zunehmende Verzicht auf Kinder höherer Parität für den Geburtenrückgang in lndonesien kausal ist (s. o. Kap. 5.4.1). Kinderlosigkeit ist in Indonesien nach wie vor selten und primär biologisch bedingt. Ab der Geburtskohorte 1951 wer-

172

5 Empirischer Teil I: GeselischaftlicheModernisierung und generatives Verhalten

den weniger Kinder geboren, weil die Ereignisse Dritt-, Viert-, Fünft- und Sechstgeburt häufiger ausbleiben . Die Ergebnisse belegen damit die Hypothesen (s. o. Kap. 4.6), dass das generative Verhalten der in der Mitte des 20. Jahrhunderts geborenen Frauen, ein wichtiger Wendepunkt in der Geburtenentwicklung Indonesiens ist. Für Indonesien ist nicht mit einer Differenzierung in einen Familien- und einen Nichtfamiliensektor zu rechnen. Die Wahrscheinlichkeit von Mutterschaft steigt vor allem im Vergleich zu den beiden ältesten Geburtskohorten. Es kommt zur Verschiebung der Familiengründung in einen etwas späteren Lebensabschnitt. Gleichzeitig finden wenn überhaupt, die Geburten höherer Parität zu einem früheren Zeitpunkt statt. In Indonesien hat sich anscheinend die Familiengründungs- bzw. Erweiterungsphase verkürzt und das generative Verhalten der indonesischen Frauen ist auf einen kürzeren Lebensabschnitt konzentriert. Zweitens: Die Befunde zum Einfluss der sozioökonomischen Variablen auf das Ereignis der Mutterschaft (s. o. Kap. 5.4.3) bestätigen zentrale theoretische Vorannahmen. So wird auf dem Land das erste Kind signifikant eher geboren als in der Stadt. Unter Kontrolle des Bildungsniveaus und der Erwerbstätigkeit verliert die Variable Wohnumfeld an statistischer Bedeutung . Der Einfluss des regionalen Hintergrundes ist also überwiegend durch eine variierende Erwerbsstruktur und ein niedrigeres Bildungsniveau bedingt. Ebenso konnte die Annahme des Aufschubes von Mutterschaft durch Bildung bestätigt werden. Dieser Effekt ist für alle Kohorten signifikant, steigt mit dem Qualifikationsniveau und setzt sich in der Gruppe mit dem höchsten Berufsstatus fort. Ein hohes Bildungsniveau geht aber nicht mit Kinderlosigkeit einher. Bildung hat generell einen positiven Einfluss auf den Übergang zur Erstgeburt. Nur Erwerbstätigkeit reduziert das Risiko der Erstgeburt leicht. Dies dürfte jedoch weniger ein Effekt der höheren Oppertunitätskosten erwerbstätiger Frauen sein, sondern vielmehr die Konsequenz von Armut. Drittens: Wie erwartet, ist das Risiko der Geburt von Kindern höherer Parität mit dem Anstieg der individuellen Ressourcen (Bildung und Berufsstatus) stark rückläufig. D. h die ., sozioökonomische Entwicklung (s. o. Kap. 2.3) hat entscheidend zum Rückgang der Geburtenzahlen beigetragen . Allerdings ist hervorzuheben, dass der erwartete Effekt der individuellen Ressourcenausstattung auf das Ereignis Drittgeburt erst ab den Geburtskohorten um 1950 beobachtbar ist. Der VOC-Ansatz kann erst ab diesem historischen "Wendepunkt" zur Erklärung des generativen Verhaltens beitragen. Damit ist die Einführung des Alternativmodells (s. o. Kap. 4.5) notwendig. Viertens: Bildung scheint für den indonesischen Geburtenrückgang eine andere Rolle zu spielen, als ihr gegenwärtig für die westlichen Industrienationen eingeräumt wird. In Indonesien führt Bildung nicht zwangsläufig zu einer erhöh-

5.5 Zusammenfassung

173

ten Erwerbsorientierung und darüber vermittelt zu einer Einschränkung der Geburten. In Indonesien scheint Bildung und Erwerbstätigkeit die Geburt eines Kindes höherer Parität unabhängig voneinander negativ zu beeinflussen. Bildung wirkt negativ auf die Erwerbsbeteiligung, reduziert aber das Risiko der Drittgeburt. D. h., Niveaueffekte von Bildung werden in Indonesien nicht ausschließlich über Platzierungseffekte gesteuert, die Handlungsvielfalt und damit Entscheidungsspielräume ermöglichen, sondern vor allem sind sie Folge von Sozialisationsprozessen, die andere Wertvorstellungen und Kognitionen transportieren (vgl. dazu auch Blossfeld, Huinink 1989). Die fertilitätsreduzierende Wirkung von Bildung und Erwerbstätigkeit besteht für Indonesien also weit gehend unabhän gig voneinander. Die Hypothesen (s. o. Kap. 4.5 und 4.6) konnten durch die empirische Analyse des kumulierten Datensatzes aus WFS und IDHS's überwiegend verifiziert werden . Es konnte die Geburtenentwicklung in Indonesien aus der Kohortenperspektive nachgezeichnet und die Entwicklung der TFR aus Kapitel I bestätigt werden . Zentrale Zusammenhänge von gesellschaftlicher Modernisierung und generatives Verhalten in Indonesien ließen sich ebenfalls bestätigen. Zur empirischen Überprüfung des VOC- und des Alternativmodells (s. o. Kap. 3) wäre allerdings ein Datensatz notwendig, der neben den hier analysi erbaren fertilitätsrelevanten Informationen und Auskünften über den sozioökonomischen Hintergrund der Entscheidungsträger auch die individuellen Einstellungen und subjektiven Erwartungen, der befragten Frauen , erfasst. Dies soll nun anhand des VOC Datensatzes erfolgen.

6 Empirischer Teil 11: Der VOC als intermediäre Variable

Die im fünften Kapitel erfolgte Auswertung des World Fertility Surveys (WFS) konnte den erwarteten Zusammenhang zwischen Bildung , Berufsstatus und Wohnkontext auf das generative Verhalten bestätigen (s. o. Kap. 5.4.3). Die Untersuchung ergab, dass diese typischen Modernisierungsvariablen das Fertilitätsniveau negati v beeinflussten. Jedoch konnten die kausalen Zusammenhänge noch nicht identifiziert werden. So ist z. B. ungeklärt, warum gebildete Frauen die Geburt ihres ersten Kindes herauszöge rn oder bei ihnen das Risiko einer Drittgeburt deutlich geringer ist. Für dieses Erklärungsdefizit ist in Indonesien zum einen das Fehlen theoriegeleiteter Forschung verantwortlich (s. o. Kap. 2.5) und zum anderen einer unzureichenden Datenbasis geschuldet. Mit Hilfe der indonesischen Unterstichprobe der internationalen VOC-Replikationsstudie (vgl. Trommsdorff, Nauck 2005) soll diese Lücke teilweise geschlossen werden. Dieser VOC-Datensatz bietet für Indonesien die (bisher) einzigartige Möglichkeit entsprechend dem Mehrebenenmodell soziologischer Erklärung (s. o. Kap. 3.2.1) den historischen Geburtenrückgang unter Bezugnahme individueller Einstellungen und Motive zu analysieren . Das im vierten Kapitel vorgestellte VOCErklärungsmodell kann so einer empirischen Überprüfung unterzogen und die Frage nach der Erklärungskraft des Wertes von Kindern (VOC) als intermediäre Variable empirisch beantwortet werden.

6.1 VOC-Datensatz sowie methodische Vorbemerkungen Die Forschung nach den Werten von Kindern hat in Indonesien eine lange Tradition. Schon in den 1970er Jahren wurde eine quantitative Untersuchung zu den Werten von Kindern durchgeführt (vgl. Darroch et al. 1981). Diese erfuhr im Jahr 2002 durch Trommsdorff und Nauck (2005) eine Neuauflage. Damit stünden zwar prinzipiell zwei Datensätze zur Analyse der historischen Geburtenentwicklung zur Verfügung, aber aufgrund ihres variierenden Itempools sowie unterschied licher Fragedesigns sind sie für eine vergleichende Analyse ungeeignet. Im Gegensatz dazu besitzt die aktuelle Replikstudie für das Erklärungsinteresse

176

6 Empirischer Teil II: Der VOC als intermediäre Variable

der vorliegenden Arbeit zwei wesentliche Vorzüge . Erstens wurden längere Zeitreihen abgebildet und zweitens das VOC-Konstrukt sorgfaltiger erhoben. Aus diesen Gründen soll die Replikstudie (vgl. Trommsdorff, Nauck 2005) Datenbasis für die sich anschließenden Untersuchungen sein. Im Rahmen der aktuellen Replikstudie wurden in West-Java, speziell in der Stadt Bandung und in deren ländlichen Umland standardisierte Interviews zu Themen der Familienbildung, Werten und der Ausgestaltung intergenerationaler Beziehungen durchgeführt. Darüber hinaus wurde die ökonomische und soziodemografische Situation der Probanden erfasst. Der Fokus der Untersuchung lag auf Müttern in unterschiedlichen Phasen ihres Familienzyklus. Den Ausgangs punkt der Stichprobengenerierung bilden zwei Generationen von M üttem ": die erste Gruppe umfasste 300 Mütter mit Kindern im Alter zwischen 2 und 5 Jahren und die zweite Gruppe 300 Mütter mit Kindern im Alter zwischen 14 und 17 Jahren. Über die zweite Gruppe von Frauen erhielt man außerdem Zugang zu 300 Jugendlichen (geschlechtsunabhängig) und 100 Großmüttern, die ebenfalls mit Hilfe eines standardisierten Fragebogens interviewt wurden. In die empirische Analyse gehen nur die drei Müttergenerationen ein. Die Jugendlichen werden nicht berücksichtigt, weil zentrale Informationen zum fertilitätsrelevanten Verhalten fehlen. Somit ergibt sich ein Stichprobenumfang von 700 Personen . Für die folgende empirische Analyse resultieren aus diesem Stichprobenund Befragungsdesign einige Schwierigkeiten auf die an dieser Stelle hingewiesen werden muss: I.

Die untersuchungsrelevante Stichprobe beschränkt sich auf Mütter, sodass mangels Befragung der Väter, deren Motivation und die Aushandlungsprozesse zwischen den Geschlechtern nicht berücksichtigt werden können. Auf die empirische Überprüfung wird diese Beschränkung jedoch keine Auswirkungen haben, weil sämtliche Hypothesen auf Frauen zugeschnitten sind und die männliche Perspektive in dem theoretischen Modell ohnehin keine Rolle spielt. Problematisch ist diese Stichprobenbegrenzung auf Mütter auch für die Analyse der Erstgeburt. Da bereits alle Frauen den Übergang zur Erstgeburt vollzogen haben, können nur Timingeffekte untersucht werden. Die Analyse der Determinanten von Kinderlosigkeit ist auf der Grundlage dieses Datensatzes nicht möglich. In Anbetracht der Tatsache , dass in

Um die Formulierungen zu vereinfachen, werden die Mütter mit Kindern zwischen 2 und 5 Jahren fortan als junge Mütter bezeichnet, während die Mütter mit Kindern zwischen 14 und 17 Jahren als alte Mütter benannt werden . Obwohl die Mütter mit kleinen Kindern (Mittelwert: 25,1 Jahre) tatsächlich jüngerer sind als die Mütter mit Kindern im Teenageralter (Mittelwert: 39,8 Jahre), orientieren sich diese Titel nicht am tatsächlichen Alter der Mütter , sondern am Alter der Kinder. 38

6.1 VOC-Datensatz sowie methodische Vorbemerkungen

2.

3.

4.

177

Indonesien Kinderlosigkeit überaus selten und in der Regel biologisch verursacht, also keine bewusste Entscheidung ist (s. o. Kap. 5.3.3), kann dieses Problem jedoch vernachlässigt werden. Die empirischen Analysen müssen der Tatsache Rechnung tragen, dass der VOC-Survey ein Querschnittsdatensatz ist. Mütter werden gebeten, ihre Fertilitätsbiografie retrospektiv zu betrachten. Weil jedoch die Mehrheit der Frauen noch nicht das Ende ihrer reproduktiven Phase erreicht hat, sind weitere Geburten möglich und wahrscheinlich. Die endgültige Kinderzahl kann also die bisher realisierte Kinderzahl übersteigen. Diesem Problem der rechtszensierten Daten wird durch die Analyse mittels ereignisdatenanalytischer Verfahren begegnet, indem auf der Grundlage bisheriger Ereignisse Schätzungen über den zukünftigen Geburtenverlauf gemacht werden (s. o. Kap. 5.3). Entsprechend erfolgt die Analyse des generativen Verhaltens paritätenspezifisch, was auch der Hypothesenbildung in Kap. 4.3. entgegen kommt. Problematisch ist besonders die Beurteilung des Wertes von Kindern. Während im dritten Kapitel der VOC als paritätenspezifisch variables Konstrukt definiert wurde, der in spezifischen Phasen des Leben stark variieren kann, wurden die Werte von Kindern im VOC-Survey lediglich retrospektiv erfasst und liegen damit nur für die Gesamtheit aller Kinder vor. Wenn jedoch davon ausgegangen wird, dass der Wert als Einstellungsvariable erstens von den gemachten Erfahrungen (z. B. durch die Geburt weiterer Kinder), zweitens durch einen Wandel der individuellen Ressourcen (z. B. Einkommenssteigerungen oder -verluste) und drittens von veränderten Rahmenbedingungen (z. B. Einführung der Schulpflicht) abhängig ist (s. o. Kap. 3.2), so ist es durchaus denkbar , dass der Wert von Kindern für Eltern zum Entscheidungszeitpunkt keineswegs dem zum Erhebungszeitpunkt entspricht. Vor allem bei der Großmütterstichprobe ist dieses Problem besonders stark. Denn in einigen Fällen wurden die Nutzen und Kosten von Kindern erst 40 Jahre nach der Fertilitätsentscheidung erhoben . Aber gerade in Anbetracht der Tatsache , dass diese Gruppe den Wendepunkt im generativen Verhalten in Indonesien markiert (s. o. Kap. 5.3.1), darf auf die Großmütterstichprobe nicht verzichtet werden . Lösbar ist das Problem nicht. Es kann lediglich gemindert werden, wenn es um die Vorhersage des VOC durch die unabhängigen Variablen geht, indem hauptsächlich Indikatoren aufgenommen werden, von denen angenommen wird, dass diese über die Lebensspanne relativ konstant sind (s. u. Kap. 6.2). Kritisch ist auch die territoriale Begrenzung der Studie. In der Einleitung wurde bereits auf die große ethnische und kulturelle Vielfalt Indonesiens hingewiesen, die unter anderem eine Einschränkung auf die Insel Java not-

6 Empirischer Teil II: Der VOC als intermediäre Variable

178

wendig machte . Aber auch Java wird von zwei ethnischen Gruppen besie delt, die Javaner in der Mitte und dem Osten der Insel und die Sundanesen im Westen (vgl. Darroch et al. 1981: 6). Die aktuelle VOC-Studie wurde ausschließlich in West -Java durchgeftihrt und erfasst somit fast nur Sundanesen. Bezogen sich die Ausftihrungen zu der Problematik, inwieweit Kinder in Indonesien in die soziale Produktionsfunktion ihrer Eltern eingehen, überwiegend auf Javaner (s. o. Kap. 3.2.4), so bilden nun die Mehrheit der zugrunde liegenden Datenbasis Sundanesen. Obwohl seit der Erstuntersuchung aus den 1970er Jahren geringe Unterschiede in der Wahrnehmung der Werte von Kindern zwischen Sundanesen und Javanern bekannt sind (vgl. Darroch et al. 1981: 42), können diese fallzahlenbedingt in den folgenden Analysen nicht berücksichtigt werden. Schwierigkeiten ergeben sich daraus für die Hypothesenüberprüfung nicht. So sind die oben im vierten Kapitel aufgestellten Hypothesen, zum Zusammenhang der sozialstrukturellen Merkmale mit dem Wert von Kindern einerseits und dem daraus resultierenden generativen Verhalten andererseits, insgesamt für Java relevant. Die geringen kulturellen Differenzen zwischen Javanern und Sundanesen sollten demnach keinen Einfluss auf die Geltung der Hypothesen haben . Die Daten des aktuellen VOC-Surveys (2002) sind für die Überprüfung des Mehrebenenmodells zur Erklärung des langfristigen Geburtenrückganges (s. o. Kap . 4) deshalb nicht unproblematisch und noch mit vielen methodischen Einschr änkungerr" verbunden. Trotz dieser Schwächen kann von einem hohen Analysepotenzial des VOC -Surveys ausgegangen werden. Durch die gleichzeitige Erfassung objektiver Handlungsbedingungen und subjektiver Erwartungen an die Geburt von Kindern kann erstmals der langfristige Geburtenrückgang auf der Basis individueller Einstellungen und Entscheidungsprozesse untersucht werden.

6.2 Operationalisierung Das generative Verhalten ist das Ergebnis eines Abwägungsprozesses von spezi fischen Kosten und Nutzen von Kindern , deren Relation über den Wert von Kindern (VOC) entscheidet. Abhängig von der individuellen Ressourcenausstattung (potenzieller) Eltern und den gesellschaftlichen sowie den institutionellen Rahmenbedingungen wird dieser Wert von Kindern unterschiedlich beurteilt (s. o. Auf mögliche Fehlerquellen bzw. Interpretationsschwierigkeiten, die sich aus der Konzeption des VOC-Datensatzes (2002) ergeben, wird an den entsprechenden Stellen hingewiesen .

39

6.2 Operationalisierung

179

Kap. 3.2.3). Zur empirischen Überprüfung dieser Kausalbeziehung werden im Folgenden mehrere abhängige und unabhängige Variablen definiert. Zur Vorhersage des VOC gehen als unabhängige Variablen die Geburtskohorte, der Wohnkontext, das Bildungsniveau und der sozioökonomische Status der Frau in die empirischen Analysen ein (s. u. Kap. 6.2.1). Die intermediäre Variable "VOC" wurde mit einer Itembatterie erhoben, die ganz unterschiedliche Kosten und Nutzen von Kindern erfasst, die schließlich in Kapitel 6.2.2 vorgestellt werden. Die abhängige Variable "das generative Verhalten" wird in Kapitel 6.2.3 betrachtet. 6.2.1 Unabhängige Variablen Das Geburtsjahr der Mütter dient der Darstellung des historischen Geburtenverlaufs. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass sich der soziale Wandel im generativen Verhalten der Geburtsjahrgänge widerspiegelt, weil unterschiedliche Lebens- bzw. Handlungsbedingungen vorlagen . Für die empirischen Analysen wurden vier gruppierte Geburtskohorten gebildet. Die älteste Gruppe fasst die von 1911 bis 1954 (N 130, 19 %) Geborenen zusammen . Zwar ist die Einteilung mit Geburtsjahrgängen von mehr als 40 Jahren sehr grob, aber methodisch notwendig. So sind die älteren Geburtsjahrgänge aufgrund der kleineren Großmütterstichprobe (s. u. Tab. 6.1) nur sehr gering besetzt und einige Jahrgänge fehlen sogar gänzlich. Deswegen scheitert ein Splitting dieser Gruppe an der Anzahl verfügbarer Fälle. Weil diese Gruppe gleich zeitig als "vormodeme" Einheit definiert werden kann, ist deren Zusammenfassung auch inhaltlich begründbar. Die verschiedenen Geburtsjahrgänge wurden zwar durch sehr unterschiedliche historische Ereignisse geprägt (s. o. Kap. 2), sie haben aber alle ihr generatives Verhalten vor der großen politischen, demografi schen sowie wirtschaftlichen Wende Anfang der 1970er Jahre begonnen. Alle weiteren gruppierten Geburtskohorten umfassen jeweils 10 Geburtsjahrgänge: 1955 bis 1964 (N 171,24 %),1965 bis 1974 (N 194,28 %) und 1975 bis 1984 (N 204, 29 %). Der Wohnkontext ist ebenfalls Indikator für variierende Rahmenbedingungen individuellen Handeins (s. o. Kap. 4.2) . Die Unterscheidung zwischen Stadt und Land bezieht sich auf das gegenwärtige Wohngebiet der Frau und folgt den Vorgaben der Stichprobenziehung. Somit stammen 50 % der Personen aus der Stadt Bandung , die anderen 50 % aus deren ländlichen Umland . Das Bildungsniveau als Indiz für die individuelle Ressourcenausstattung der Frau wird durch eine Indexvariable abgebildet. Diese wurde auf der Basis

180

6 Empirischer Teil II: Der VOC als intermediäre Variable

zweier Variablen ermittelt , nämlich dem höchsten erreichten Bildungsabschluss und der Anzahl der absolvierten Schuljahre. Die erste Gruppe (a) umfasst Personen, die keinen Grundschulabschluss erworben haben und weniger als 5 Jahre zur Schule gegangen sind. Die zweite Gruppe (b) hat einen Grundschulabschluss erreicht und kann mindestens 5 Schuljahre vorweisen . Die dritte Gruppe (c) besitzt einen Sekundarschulabschluss und hat wenigstens 8 Jahre eine Schule besucht. Die vierte Gruppe (d) hat einen Universitäts- oder Postgraduiertenabschluss und mindestens 15 Jahre eine Bildungseinrichtung besucht. Die Gefahr, das Bildungsniveau zu unterschätzen, ist relativ gering und im Prinzip nur für die jüngsten Geburtskohorten denkbar. So ist die jüngste Probandin zum Erhebungszeitpunkt 17 Jahre alt und kann damit noch gar keinen Universitätsabschluss erreicht haben. Diese mögliche Fehlerquelle kann allerdings durch die Stichprobenbegrenzung auf jemals verheiratete Frauen korrigiert werden . Denn im "modernen" Indonesien werden Ehen typischerweise erst nach dem Ende der Bildungskarriere geschlossen (s. o. Kap. 2.4.2). Die Stichprobe sollte somit nur Frauen enthalten, die sich am Ende ihres Bildungsweges befinden . Darüber hinaus ist anzumerken, dass die hier gewählte Einteilung nicht dem gegenwärtigem indonesischem Schulsystem entspricht (s. o. Kap. 2.3.4) . Dies umfasst eine Grundschulbildung von derzeit 6 Jahren und der Sekundarschulabschluss wird seit 1994 im neunten Schuljahr abgelegt. Ziel der hier gewählten Einteilung war es, für alle historischen Geburtskohorten weit gehend äquivalente Vergleiche zu ermöglichen . Die theoretischen Vorüberlegungen postulieren, dass die Geburt eines Kindes für eine erwerbstätige Frau hohe Opportunitätskosten mit sich bringt (s. o. Kap. 4.2). Aus diesem Grund war es notwendig, in die empirische Analyse eine Variable aufzunehmen , die unterscheidet, ob die Frau zum Zeitpunkt der Eheschließung erwerbstätig war oder nicht. Die Einschränkung zum Zeitpunkt der Eheschließung soll sicherstellen, dass die Erwerbstätigkeit der Mutter bereits beim ersten Kind handlungsrelevant war. Denn typischerweise erfolgt in Indonesien die Geburt des ersten Kindes nach der Eheschließung (s. o. Kap. 2.4.2). Die Variable sozioökonomischer Status wurde auf der Basis zweier Informationen ermittelt. Einerseits aus einem Summenindex, der über den Umfang des Besitzes wertvoller Güter (Grundbesitz, Wohneigentum, Sommerhaus , Gold, Juwelen , Aktien, Auto und Geschirrspüler) informiert , anderseits mittels eines Items, das den ökonomischen Status mittels Selbsteinschätzung misst. Über eine hierarchische Clusteranalyse wurde eine Variable generiert, die den sozio ökonomischen Status (SES) der Befragten in drei Gruppen teilt: (a) Mütter mit geringem SES, (b) Mütter mit mittlerem SES und (c) Mütter mit hohem SES.

6.2 Operationalisierung

Tabelle 6.1:

181

Verteilung der unabhängigen Variablen

Merkmale

Geburtskohorten 1911-1954 1955-1964 1965-1974 1975-1984 Bildung Keine Schulbildung, kein Abschluss Gering: Grundschule Mittel : Sekundarstufe Hoch : Tertiäre Bildung Städtischer Anteil Erwerbstätigkeit zur Zeitpunkt der Heirat

Junge Mütter

Alte Mütter

Großmütter

0

31

99

3

168

0

93

101

0

204

0

0

2

23

54

150

185

39

122

7

26

72 20

0

150

150

50

122

86

13

ökonomischer Status Gering 239 219 Mittel 43 18 Hoch 18 63 N 300 300 Quelle: Indonesische VOC Stichprobe 2002 , eigene Berechnungen

31 9 60 100

Zur Kontrolle der Qualität der Operationalisierung der zugrunde liegenden Datenbasis wird geprüft, ob sich zentrale Merkmale des beschriebenen sozialen Wandels Indonesiens (s. o. Kap. 2 sowie Kap. 5.4) auch anhand des VOCSurveys'" nachweisen lassen . Der höhere Anteil von ungebildeten bzw . gering gebildeten Frauen und der geringere Anteil von Frauen mit einem vergleichsweise hohen Bildungsabschluss in der Generation der alten Mütter und der Groß mütter deutet bereits darauf hin, dass es im Zuge der historischen Entwicklung zu einem Anstieg des Bildungsniveaus kam (s. o. Tab. 6.1). Wird nun die Bildungsexpansion anhand von Geburtskohorten untersucht (s. o. Tab . 6.2) bestätigt sich diese Vermutung. Die jüngeren Geburtskohorten verfügen über ein höheres Bildungsniveau als ältere Geburtskohorten (etalbeta: 0,36) . Dieser Effekt ist auf dem 1 % Niveau signifikant. Die Wahrscheinlichkeit einer Erwerbstätigkeit zum Zeitpunkt der Heirat steigt ebenfalls hoch signifikant in den jüngeren Geburtsko-

Alle hierfür berechneten Zusammenhangsanalysen wurden auf der Basis der Klassifikationsanalysc (ANOVA) ermittelt,

40

182

6 Empirischer Teil II: Der VOC als intermediäre Variable

horten (eta/beta : 0,18). Während diese Ergebnisse den im zweiten Kapitel beschriebenen Entwicklungen entsprechen, kann der erläuterte Anstieg der materielIen Lebensbedingungen durch die VOC-Daten nicht repliziert werden (s. o. Kap. 2.3). Ältere Geburtskohorten besitzen einen signifikant höheren ökonomi schen Status als jüngere Kohorten (eta/beta: 0,34). Ursächlich könnte die Konzeption des VOC-Surveys als Querschnittsdatensatz sein. So befindet sich gerade die Generation der jungen Mütter zum Befragungszeitpunkt in einer Situation, in der die Haushaltsausgaben relativ hoch und die Chancen, Besitz und Eigentum anzuhäufen oder angehäuft zu haben, vergleichsweise gering sind. Dieser Umstand begründet den geringeren ökonomischen Status in den jüngeren Geburtskohorten. Die zentrale RolIe des Bildungsniveaus ftir die individuelIe Ressourcenausstattung bestätigen auch die VOC-Daten. Mit dem Bildungsniveau steigt die Wahrscheinlichkeit einer Beschäftigung hoch signifikant (eta/beta : 0,30) und gebildete Frauen gehören zu denjenigen, die den höchsten ökonomischen Status besitzen. Wie erwartet, variiert das Bildungsniveau zwischen ländlichen und städtischen Wohnkontext. Frauen auf dem Land haben ein signifikant niedrigeres Bildungsni veau als Frauen aus der Stadt (eta/b eta: 0,32). Der im zweiten Kapitel vorgestellte Modernisierungsprozess der indonesisch en Sozialstruktur sowie zentrale Zusammenhänge der Modernisierungsvariablen (s. o. Kap. 5.3) können somit auch anhand des VOC-Datensatzes nachvollzogen und Anhaltspunkte für die externe Validität der Ergebniss e durch den VOC-Survey geliefert werden. 6.2.2 Wert des Kindes (VOC) als intermediäre Variable Der VOC als intermediäre Variable vermittelt zwischen den geselIschaftlichen Rahmenbedingungen bzw. den individuelIen Ressourcen der handelnden Akteure einerseits und dem generativen Verhalten andererseits. Damit geht der VOC sowohl als abhängige als auch als unabhängige Variable in die empirische Analyse ein. Der theoretischen Argumentation folgend , wird dieser über die Verrechnung der subjektiven Nutzen - und Kostenerwartungen der Eltern ermittelt (s. o. Kap. 3.2.3). Im Fragebogen wurden diese Erwartungen auf Basis zweier Itembatterien erhoben . Die Frauen wurden gebeten , mit Hilfe einer ftinfstufigen Likert-Skala einzuschätzen, wie wichtig bzw . unwichtig für sie persönlich folgende Aspekte bei ihrer Entscheidung für ein (weiteres) Kind waren (s. u. Tab. 6.2). Aus der Fragebatterie des originalen Datensatzes mussten jedoch einige Items entfernt werden, um Interpretationsschwierigkeiten zu vermeiden. Hinsichtlich des Nutzens wurden die Items "Um ein Mädchen! ein anderes Mädchen zu haben" und "Um einen Jungen! einen anderen Jungen zu haben" ausgeschlossen. Diese Items boten keine Informationen über Vorteile von Kindern, sondern

6.2 Operationalisierung

183

lediglich über Geschlechtspräferenzen. Neben der Gefahr einer zirkulären Argumentation war davon auszugehen , dass ihre Beantwortung stark von dem Geschlecht bereits geborener Kinder abhängig ist. Dasselbe Problem stellte sich bezüglich der Iterns "Um sicher zu gehen, dass genug Kinder überleben werden" und "Gesellschaft für Kind/ Kinder". Beide wurden ebenfalls aus den weiteren Analysen ausgeschlossen, weil sie stark von der bisherigen Fertilitätsbiografie bzw. von der Anzahl bisher geborener Kinder beeinflusst sein sollten. Dies galt auch für die Fragebatterie, in der die Kosten von Kindern abgebildet werden, nämlich für das ltem "weil sie bereits alle Kinder haben, die sie wollen". Darüber hinaus blieben auch die Iterns unberücksichtigt, die keine Kosten von Kindern messen, sondern vielmehr Indikatoren für äußere Rahmenbedingungen darstellen ("Angst vor Schwangerschaft und Geburt" , "Falls sie oder ihr Ehemann zu alt sich" , "die Gesundheit es nicht gestattet", "die Wohnsituation nicht geeignet ist" und "Ehemann keine (weiteren) Kinder wünscht") . Die in die weitere Analyse eingehenden Items können der Tabelle 6.2 entnommen werden. Ein Vergleich des Mittelswertes als Lagemaß mit der ersten und zweiten Standardabweichung als Maß der Streuung zeigt, dass die Nutzen von Kindern allgemein als sehr hoch eingestuft werden . Insbesondere bei Items, die sich auf den emotionalen Wert und den langfristigen Komfortwert von Kindern beziehen , steigen die Kurven links langsam an und fallen rechts stark ab. D. h., dass die absolute Mehrheit der indonesischen Mütter diese Nutzenaspekte als wichtig bis überaus wichtig einstuft. Weil es aber durchaus plausibel ist, dass Kinder überaus bedeutsame Produktionsfaktoren für Affekt und Stimulation sowie langfristigen Komfort sind (s. o. Kap. 3.2.4), können Messprobleme (wie z. B. eine starke Zustimmungstendenz der indonesischen Mütter) als Ursache dieses Antwortverhaltens ausgeschlossen werden. Trotzdem können sich die geringe Varianz und die leicht linksschiefe Verteilung störend auf die späteren Zusammenhangshypothesen auswirken (s. u. Kap. 6.3.3) . Im Gegensatz dazu werden die Kosten von Kindern als weniger bedeutsam erlebt. Die Antworten der Befragten streuen stärker und entsprechen eher einer Normalverteilung.

184

6 Empirischer Teil 11: Der

Tahelle 6.2: ' 1) ON-mJlI

nirhl

Deskription der VOC-Items "· i ~ hli ~

<

> I

~ . 1.' ,' ,4

.

vac als intermediäre Variable

.i . g ,~

.1 .g

.~

( ~)

...hr

.1 I . ','

'lll/fn Wfil emKind im HJushalth.ilft

~

•••

.~

"

Weil ein Ilt'Ui.'S F3ffiil~nmil~lied die Fami lie bed>UlloiilJTil'IIlIIC~~~~~~] weilein Kind ibrenParteer und sienaher lU~ D bringt Weil ein Kind ln'1Ir Grund~ il>t. im Bera e öilll\?l~bo.>r LU sein Kind f fbOhl das WranlwonungS!l"fullV hilft. ~b LU fnl",;.,-tl' ln Weil Kind Kontaklt'l AustaUliCh mil Ve/V,a&JtS(Ji3:ft inli!nSl~ ll? rt I\'eil ~ F,..uJ.."..,..itn . ..i1l fkJby ~lI ltaMlI Weiles Sp.lll madlL Ueill.' Kil'Jdt>l imHaus zu 0 Wt'g'l'n &r Befriedigung ein Kindaufwx hSt'n zu St'~n Wegenspuielk?m G.>fuhl. & llietJo.> l"'isc~ n aemund Kill m 1IiIft. utl'r das Ld ",lV ~i~h zu lenli'n V es rnc 1& n '1 Wel Weil ~ie durch Kindd""oeFreu!Ü' flD;leo l ö • Weil sie dU I~h ein KindAnteilnahme erfahren

"' id" i~

" " ~ " "" "

,

Weil ihrFamiliennaok'o Leben durch Ihre Kil'Jdt> ~~'Eri"'~.;""' ~;'~.~·irdj;::;~ Um den roltl ufullren Ume irk' weiler (!inO IU fiabe tlllUllietl hilft k m"Ullkn zu h.lr....'IL d' n mllllm wflr do.'n man su~n UM weil ihrGlauh.>n wrlan ~ Kioda ZU halk'n Weil die Kinder helfen k!lO!\' n. wenn ' ie a" ~i nd h.m.lfon

EfI

, J 6l

"

" ~

"

"

"

A:ill d bnlrllltf .-id lt,b<'"111111<1 Sr /am,": 5("/"•..." l:,ill<1.., :lI diJtiplilll<'"'rn unQ~ ltw,oIli..,r1l

KilJder.;sdL1/t.>o s<:h" r rigkeilt'n rrutNachb.:un ulldOtJenllichkeil

wal Kind.., Prohl..mr und Sf"llllllll:"",""d.., f1Ir 1~'I/TSQC""1I w,..j/ <'uv QII j rlk S..Ia."'IIlK ! ur di.. ganz' Famili<, sitld Sch"'ii'rig. sicb umFnmilio.'J Hall>h:all g"ichu ihg zu Ifm'm .,._,..,,...SCbwii'liger. " -eiter.leinellllob Q:hlu~lk'n Wt ~ Fam~i eD in der GeSt'Osdlafl ni~-hl :llk'rlaonl silJ.! Wegen iIR SOfil!lI, aiI! Sie ~nna..*n. wenn S~ 1:( Shl Weil mannicht fll'i ist, daszu tun, wasman um m:lch'" M Zu bfsorgt wn die.zuhnd ibre~ K'l'iilks Ni<"hl ilf:nugendAllflTllrlsamktitl ~~ !!1Ldu_JC!r1I Nicht:lO '·iL'I ~il mil lhrem M,lIU)' Partner Weil sie den Kortakll ll Preurden w lli.'wn Mutlellu st in im Umfeld nicht sowchtJB'ItaM

GI

,rolle

8

ersteStandanlalM·eirhung (68%allel Fälk? ) ),!i\le""ell

. l weilC SlandardalM'eichung (95%alk?r F.'lIlel

Quelle: Indonesische VOC.S lichprobe 2002, eigene Berechnungen

6.2 Operationalisierung

185

Ein grundsätzliches Problem für die spätere Analyse der VOC-Dimensionen ergibt sich aus dem unterschiedlichen Frageprogramm für die drei Müttergenerationen. So wurden die kursiv unterlegten Items nicht in der Großmüttergeneration erhoben . Andere würden diese Items aus der weiteren empirischen Analyse ausschließen (so Klaus 2008, Suckow 2008) . Dies führt allerdings zu einem enormen Informationsverlust. Zum einen, weil eben die Angaben, die für die Generation der jungen und alten Mütter vorliegen, verloren gingen. Zum anderen, weil durch den Ausschluss dieser Items, der ohnehin schon knapp bemessene Itempool, zur Messung der verschiedenen Dimensionen des Wertes von Kindern, weiter eingeschränkt werden würde. Folglich könnten die für Indonesien erwarteten Dimensionen nicht mehr ausreichend abgebildet werden. Um dies zu vermeiden , wurden die Angaben zu den fehlenden Items für die Großmüttergeneration durch Imputation ersetzt. Ziel des Vorgehens war es, die fehlenden Werte möglichst durch einen plausiblen Wert zu ersetzen , indem tatsächlich beobachtete Informationen genutzt wurden. Für das Item "Weil es Freude bereitet, ein Baby zu haben ", wurden ftir die Imputation Informationen aus den Angaben zu den Items " Weil es Spaß macht, kleine Kinder im Haus zu haben " und " Wegen der Freude Kinder aufwachsen zu sehen " genutzt. Dieses Vorgehen ist zulässig, weil alle drei Items eindeutig dem emotionalen Nutzen zurechenbar sind. Die fehlenden Werte wurden dann mittels des durch SPSS bereitgestellten EM-Algorithmus-Verfahrens ersetzt. Dieses Imputationsverfahren gilt ohnehin als "state of the art"-Methode (vgl. Schafer, Graham 2002) . Es umfasst im Wesentlichen zwei Schritte . Beim ersten Schritt (Estimation-Schritt) werden die erwarteten Werte unter der Gültigkeit der beobachteten Parameter ftir die fehlenden Werte ermittelt. Im zweiten Schritt werden dann die Modellparameter durch die Maximierung der Likelihood-Funktion der vervollständigten Daten ermittelt. Dieses Verfahren war ftir die Kostenitems nicht möglich, weil hier die Zuordnung der Items zu einer bestimmten Kostendimension nicht eindeutig möglich ist. Deshalb wurden in diesem Fall die fehlenden Angaben durch den Mittelwert aller Angaben aus der Generation der jungen und alten Mütter ersetzt. Das führt zwar dazu, dass in der Großmüttergeneration hinsichtlich dieser Items keine Standardabweichung existiert , was durchaus problematisch ist. Die Tragweite dieses Problem ist aber beschränkt , weil vom gesamten Imputationsverfahren lediglich die Dimension der Affekt- und Stimulationsnutzen und -kosten betroffen sind (s. u. Kap. 6.3.1).

6 Emp irischer Teil I): Der VOC als intermediäre Variabl e

186

6.2.3 Abhängige Variable: Generatives Verhaften Das generative Verhalten der Mütter wurde retrospektiv erfasst. Neben de m Geburtsdatum des Kindes liegen Informationen zur biologischen Stellung des Kindes zur Mutter und das Geschlecht des Kindes vor. Mit Hilfe diese r Angaben und dem Geburtsdatum der Mutter können die Hypothesen hinsichtlich der Realisie rung einer bestimmten Anzahl von Kindern und deren zeitliche Verortung im Lebenslauf überprüft werden. Für die empirischen Anal ysen werden aber nur leibliche Kinder berücksic htigt. weil nicht leibliche Kinde r die Analysen verzerren könnten. Insbesondere Stiefkinder können z. B. im d ritten Kapitel besch riebenen Abwägungsprozess Familienmitglieder werden. Für lndoncsicn machen diese sogar einen nicht unbeträchtlichen Anteil aus, weil Scheidun g und Wiederheirat relativ häufig sind (vgl. Kap. 2.4.2) und in der Regel zu einer Neuformierung des familiären Haushaltes führe n. Tabelle 6.3:

Verteilung der abhängigen Variablen Kinde rzahl und das Alter der Mütter Jun rc MUtter

Alle MUtter

Großmütter

39,8 30 67

61 ,1 49 91

20,6

17,9

3,4 1 9

6, 1 1 14

Alter zum Erhcbun zszcimunkt Mittelwert

25 ,2

Minimum Maximum

17 41

Alter bei Geburt des ersten Kindes 22,S Mittel wert Kinderzahl Mittelwert Minimum Maximum

1,2 1 5

4 87 2 Kinder 3 Kinder 1 102 4+ Kinder 2 107 Quelle. Indonesische VQC -Stichprobe _002, eigene Bereeh ungen I Kind

246

"

,

18

15 30 37

Ein anderes Problem entsteht, weil die Familiengründung bzw. -erweiterung ein dynam ischer Prozess ist und für Frauen erst ab einem Alter von etwa 50 Jahren

6.3 Ergebnisse

187

endet. Für die Generation der Großmütter dürfte deshalb die erfasste Kinderzahl auch der endgültigen Kinderzahl entsprechen, weil die jüngste Probandin bereits 49 Jahre alt war. Für die Generation der jungen sowie alten Mütter sind dagegen noch weitere Geburten möglich. Diesem Problem wird durch ereignisdatenanalytische Verfahren Rechnung getragen und zur Trennung von Timing- und Niveaueffekten auf das generalisierte log-logistische Modell zurückgegriffen (s. o. Kap. 5.3). Für das Alter bei der Geburt der Kinder diverser Paritäten werden monatsgenaue Angaben genutzt. In den Fällen, in denen der Monat nicht bekannt ist (N 67), wird diese Information durch den Durchschnitt aller Angaben ersetzt, um Abweichungen aufgrund fehlender Informationen zu minimieren.

6.3 Ergebnisse Die im vierten Kapitel aufgestellten Hypothesen werden nun einer empirischen Überprüfung unterzogen. Zunächst wird das VOC-Konstrukt näher betrachtet und überprüft, ob sich die erwarteten vier Dimensionen des Wertes von Kindern als latente Variablen in der VOC-Fragebatterie verbergen (s. u. Kap. 6.3.1). Nach Abschluss dieser Dimensionsreduktion und der Generierung von Nutzen-, Kosten- und Wertevariablen wird deren generationenspezifische Verteilung beleuchtet, um so einen Einblick in historische Variationen und potenzielle Schwierigkeiten der Datengrundlage geben zu können . Es wird der Einfluss der Opportunitätenstruktur auf die Kosten-, Nutzen - und Wertedimensionen untersucht (s. u. Kap. 6.3.3), um die empirische Evidenz der aufgestellten Brückenhypothesen (s. o. Kap. 4.2) abschließend zu bewerten . Der Einfluss der Wertebeurteilung auf die zeitliche Verortung bestimmter Paritäten im Lebenslauf und deren Geburtsri siko wird danach analysiert (s. u. Kap. 4.3). Im Anschluss daran wird schließlich die Pfadabhängigkeit des Erklärungsmodells kontrolliert (s. u. Kap. 6.3.4) . Strukturgleichungsmodelle werden eine empirische Antwort auf die Frage geben, inwieweit das VOC-Konstrukt als intermediäre Variable zur Erklärung des Zusammenhangs zwischen gesellschaftlichen Modernisierungsvariablen und generativem Verhalten beiträgt. Zum Abschluss der Hypothesenüberprüfung soll die Geltung des vorgestellten Alternativmodells so gut wie möglich analysiert werden (s. u. Kap. 6.3.5).

6.3.1 VOC-Konstrukt

Struktur des Wertes von Kindern: Es wurde davon ausgegangen, dass der Wert von Kindern in Indonesien vier Dimensionen umfasst (s. o. Kap. 4.1). Aus den 22 Nutzen- und 19 Kostenitems sollten sich jeweils die Dimension Verhal-

188

6 Empirischer Teil II: Der VOC als intermediäre Variable

tensbestätigung und Status, kurzfristiger Komfort, Affekt und Stimulation sowie langfristiger Komfort extrahieren lassen. Darüber hinaus sollte diese Struktur des Wertes von Kindern für alle drei Müttergenerationen bestehen . Zur empirischen Überprüfung dieser Äquivalenzannahme werden nun, nachdem sich die VOCItems bereits als weit gehend unbedenklich herausgestellt haben (s. o. Kap. 6.2.2), die folgenden Analysen durchgeführt. Die generationenübergreifende Faktorenstruktur der Nutzen und Kosten wird auf der Basis von explorativen Faktorenanalysen ermittelt. Da Korrelationen zwischen den Faktoren möglich sind, wird als Rotationsverfahren die schiefwinklige Oblimin-Rotation gewählt (vgl. Revenstrof 1976). Grundlage der Analyse ist ein gewichteter Datensatz. Dieser bietet die Möglichkeit, dass trotz des unterschiedlichen Stichprobenumfangs von "jungen" bzw. "alten" Müttern und Großmüttern alle Generationen in gleicher Weise zur Gesamtlösung beitragen. Die so ermittelte generationenübergreifende Faktorenstruktur ist das Ergebnis des schrittweisen Ausschlusses von Items, die erstens keinem Faktor eindeutig zugeordnet" werden konnten, und zweitens eine Kommunalitär'" von 0,4 unterschritten. Zur Überprüfung der internen Konsistenz dieser so ermittelten Faktorenstruktur werden Reliabilitätsanalysen für das Gesamtmodell und für die drei Müttergenerationen durchgeführt. Mit Hilfe des Cronbach-Alpha kann abschließend beurteilt werden, ob die Items eines Faktors für die gesamte Stichprobe und in den Unterstichproben das Gleiche messen (vgl. Cortina 1993). Nutzen: Die so ermittelte endgültige generationenübergreifende Faktoren struktur besitzt eine Varianzaufklärung von 51 %. In Tabelle 6.4 werden die generationenübergreifende Faktorenstruktur des gewichteten Datensatzes und dessen interne Konsistenz für alle drei Generationen von Müttern dargestellt. Der erste Faktor umfasst Items, die sich auf den Nutzen von Kindern zur Produktion von Verhaltensbestätigung und Status beziehen . Letztendlich geht es hier um die Beurteilung, inwiefern Kinder zur Etablierung und Verfestigung sozialer Beziehungen beitragen, Eltern dank ihnen soziale Bestätigung erfahren und sich dies im Selbstwertgefühl der Eltern ausdrückt. Die Faktorladungen bezüglich aller Items sind eindeutig, die Varianzaufklärung durch den Faktor liegt zwischen 0,41 und 0,55 und ist damit ausreichend. Darüber hinaus bestätigt das CronbachAlpha die Homogenität des Faktors für alle Müttergenerationen. Der zweite Faktor repräsentiert den langfristigen Komfortnutzen. Er schleißt Items ein, die Dieses Problem ist unter dem Begriff des " cross-loadings " bekannt und entsteht immer dann, wenn der Zusammenhang zwischen Item und dem Faktor als latente Variable nicht eindeutig ist. 42 Eine Kommunalität von unter 0,4 ist deshalb unbefriedigend, weil die Anteile der dureh den Faktor aufgeklärten Varianz des Items so gering sind, dass anzunehmen ist, dass diese größtenteils etwas anderes als den Faktor messen. 41

6.3 Ergebnisse

189

sic h auf d ie inst rume ntellen und emotionalen H il fel ei st u nge n durc h Kind er im A lter beziehen so w ie den G ed ank e n d er eigenen ..Unsterblic hkei t" d urch K inde r a ufn im mt. Auch h ier zeigen d ie Fa ktor lad unge n un d d ie Kommuna litäten, d ass d ie !tems e inde ut ig einem Fa kto r zugewiesen werden kö nn e n.

Tabelle 6.4 :

Validie rung des Nu tzens von K inde rn Faktorladungen

Faktoranalyse: Gesamtlösung

.'~

, " • " .,;;;:; .-" , ' " " "'~ "'~ @ ] ", <'" '" ~

0

'§~ " ~ 0

~ ~

'" 0; .;:;

~>~

ec

.t;

0

t::

-

0

"

0

, E

.2

.~

ec

.~

t::

~E 0

0

..2 :':::

-a0

E E 0

Erkl ürte Gesamtvarianz 51 % 0, 12 Neue Freunde durch Kinder 0.75 0,04 -0,0 1 0,50 Kontak t! Kommunika tion mit Verwandt0,61 schaft 0,08 -0,18 0,03 0,51 -0, 18 Großziehen hilft , über das Leben zu lernen 0.64 -0,07 -0,0 1 0,47 0,58 -0,2 1 -0,04 -0,29 0,55 Anteilnah me erfahren 0,66 Grund, im Beru f erfolgreich zu scin 0,09 -0,04 0,02 0,46 Verbessert Stellun g in Verwandtschaft 0,59 0,30 -0,05 0,10 0,45 0,52_ -0,05 -0,09 0,4 1 Bringt Eltern näher zusammen -O'i~ 0,58 -0,7) Leben durch Kinder fortgesetzt 0, 10 -0,09 0,06 Kinder helfen im Alter -0, 12 0,19 0,00 -0.69 0,52 -0,03 -0,03 -0,09 -0,66 0,47 Weniger einsam im Alter Famili enname n fortfuhren 0, 12 0,1 5 -0,04 -0,52 0,40 Freude, ein Bahy z u haben -0,06 0,04 -0.95 0,01 0,84 Spaß, Kinder im Haus zu haben -0 ,03 0,05 -0,90 ,0,04 0,80 ,0, 16 Befriedi gung beim Aufwac hsen d. Kindes 0,27 - O~~Q" ,0,02 0,60 Hilft Familie finanzie ll -0,0 1 0,80 0,01 -0,10 0,68 Hilfe im Haushalt 0.11 0.76 -0 .03 -0,10 0.66 Reliabitität: Cronbach-Alpha 0,77 0,63 0,78 0.60 x Gesamt Junge Mütter 0,76 0,67 0,82 0,68 x 0,76 0,52 0,72 Alte Mütter 0.62 x 0,50 Großmütter 0.81 0.77 0.50 x Quelle. Indonesische VOC-Stlehprobe 200 2, eigene Berechnungen Anmerkungen : Gruppenspezifische Gewichtung, Ob limin-R otat ion, Hauptkomponentenmethode De r d ritt e Faktor kennzeic hnet de n Affekt. und Stimulationsnutzen von K ind e rn un d integriert ltcms, d ie sich auf d ie Freude im U m ga ng m it den Kind e rn bczic-

190

6 Empirischer Teil II: Der VOC als intermediäre Variable

hen. Wie bei allen anderen Nutzendimensionen wird auch hier die Extraktion den allgemeinen Gütekriterien gerecht. Ein Cronbach -Alpha von 0,77 ist insbesondere für die Großmüttergeneration äußerst zufrieden stellend , weil die Reliabilität sanalyse hier nur zwei Items 43 umfasst. Als latente Variable hinter dem vierten Faktor verbirgt sich der " kurzfristige Komfortnutzen " von Kindern. Dieser besteht erwartungskonform aus einem zusätzlichen Beitrag zum Haushaltseinkommen sowie der Hilfe bei Hausarbeiten. Zwar sind die Faktorladungen und Kommunalitäten der ltems unproblematisch, aber die geringen Reliabilitäten von 0,5 bis 0,6 können nur gerechtfertigt werden, weil sie ebenfalls als Korrelation ein Beleg für eine relativ hohe interne Konsistenz des Faktors sind. Die Ergebnisse in Tabelle 6.4 zeigen, dass der Nutzen von Kindern in Indonesien die vier Dimensionen Status und Verhaltensbestätigung, langfristiger Komfort, Affekt und Stimulation sowie kurzfristiger Komfort umfasst und bestätigen damit die Hypothese (=H la). Darüber hinaus konnten diese latenten Faktoren generationenübergreifend ermittelt werden. Gleichzeitig stellte sich deren generationsspezifische interne Konsistenz als befriedigend heraus. Kosten : Die Struktur der Kosten wurde genauso ermittelt. Im Gegensatz zur Faktorenstruktur des Nutzens lassen sich für die Kosten lediglich drei Dimensionen identifizieren. Der erste Faktor ist als Pendant zur oben nachgewiesenen Dimension des Nutzens von Kindern für die Produktion von Verhaltensbestätigung und Status zu interpretieren. Hier geht es um die Beurteilung, ob Kinder für die Etablierung bzw. Intensivierung von sozialen Beziehungen hinderlich sind und ob sie durch den sozialen Kontext negativ sanktioniert werden. Für die Existenz dieses Faktors spricht, dass die Items eindeutig auf dem Faktor laden und die Kommunalitäten sowie Reliabilitäten befriedigend sind (s. u. Tab. 6.5). Der zweite Faktor umfasst Items, die sich auf die emotionalen Belastungen der Elternrolle beziehen und repräsentiert damit Affekt- und Stimulationskosten. Der dritte Faktor ist das Gegenstück zum langfristigen Komfortnutzen . So entstehen langfristige Komfortkosten immer dann, wenn sich kostspielige Investitionen in Kinder nicht auszahlen . Zum Beispiel wenn sie (a) ernsthaft krank werden oder sterben , bevor sich aus ihnen langfristige Komfortnutzen realisieren lassen oder (b) sich deren Zukunft nicht so entwickelt, dass sie in der Lage sind, instrumen telle oder materielle Hilfe zu geben oder (c) Investitionen im Sande verlaufen , weil sie nicht ausreichen, um später die "Früchte zu ernten" (s. o. Kap. 4.1).

Weil das dritte Item .Joy to have a smal/ baby " in der Großmüttergeneration nicht erhoben wurde, entspricht der Reliabilitätskoeffizient der Korrelation zwischen den Iterns .Fun to have young children around " und .Pleasure watehing children grow ".

43

6.3 Ergebnisse Tahelle 6.5:

191 Validicrung der Ko ste n von Kind ern Faktorladungen

Fahoranalvse: Gesamtlös /lng

Erklärte Gesenntvarianz - 69 % 0,86 -0,01 0,75 Verliere Kontakt zu Freunden 0,03 -0,08 0.94 -0,03 0,80 Mutterschaft im Umfeld nicht recht anerkan nt 0,01 0.72 0,09 0,60 Große Familien in Gesellschaft nicht anerkannt Weniger Zeit mit Partner 0,63~.....;;: 0,g~_ 0,30 0,68 Killder hedenten Arbett und Befll.l"/lIl1g 0, 8'1 0,73 -0, 10 0,00 -0,08 0,86 0,73 Schwer ZII disziptinieren IIl1d kontrollieren 0.06 Probleme mit Nachbarn & Öffentlichkeit 0,58 0,ü3 0,55 0,25 Prob leme nnd Spcmmmgen in Ehe -0 ,04 0,10 0,12,""",~;;"" 0,57 0,07 0, I 0 0,69 Sorgen mit kranken Kindern f 0,75' 0,90 -0,07 -0,02 0,75 Sorgen um die Zukunft 0,85 Man tel an Aufmerksamkeit und Fürsorec 0.05 -0.02 0.75 Reliabilit ät. Alpha 0,85 0,82 0,80 Gesamt x Junge M ütter 0,79 0,77 x 0,85 0,8 1 Alte Mütter 0,83 0,77 x Großm ütter 0,89 0.89 x x Quelle. Indonesische VOC-Stiehprobe 2002 VO<': 2002. eigene Berechnungen Anmerkung en: Gruppenspezifische Gewichtung, Oblirnin-Rotation. Hauptkomponentenmethode

Die drei ermittelten D ime nsio ne n ze igen e ine einde utige und a uch über d ie dr ei Generationen hinwe g konsistente Faktorlösung. Entgegen de r im vierten Kapitel a ufgestellten Hypo these ka nn aber ke ine vie rte Dimen sion e rmittelt we rden (feH I b) . Lediglich dem A ffekt- und Stimulationsn utzen, dem Nutzen für d ie P rod uktio n vo n Vc rhaltensbestätigung und Status sowie de m langfristigen Komfonnutzen ko nnte ei n negatives Pe nda nt z ugewiese n werden. Fü r de n k urzfristigen Komfonnu tze n war d ies nic ht möglic h. Ve rmutlich wu rden k urzfristige Komfo rtkoste n d urch d ie im Da tensa tz ve rwendeten ltcms nic ht ausreic hend erhoben. So zielt lediglich das Itcm .Fincmzielle Belastung fiir die ganze Familie " auf d ie di rekte n Ko mfo rtkosten und das !te m "Schwieriger einen Job ZII haben " a uf d ie O pportunitäts kosten.

192

6 Empirischer Teil II: Der VOC als intermediäre Variable

Generationenspezifische Verteilung der Nutzen, Kosten und Werte von Kindern: Nachdem die spezifischen Nutzen - und Kostendimensionen von Kindern auf der Basis der VOC-Fragebatterie nachgewiesen werden konnten, werden über die Mittelwerte der jeweiligen Items nun Variablen generiert , die die spezifischen Nutzen- bzw. Kostendimensionen von Kindern abbilden sollen. Im Anschluss daran werden aus dem Saldo der jeweiligen Nutzen und Kosten, entsprechende Wertevariablen ermittelt. Für den kurzfristigen Komfortwert ist dieses Verfahren nicht möglich, weil keine komplementäre Kostendimension identifiziert wurde. Nutzen: Die Nutzen von Kindern werden in Indonesien unabhängig von der Zugehörigkeit zu bestimmten Generationen allgemein als hoch eingestuft. Der wichtigste Nutzenaspekt in allen drei Müttergenerationen ist der langfristige Komfortnutzen. Dieser wird zwar in der Generation der Großmütter mit einem Mittelwert von 4,7 am höchsten eingestuft, besitzt aber auch in den Generationen der "alten" sowie der .j ungen" Mütter mit einem Mittelwert von 4,5 ein hohes Gewicht. Dieser Umstand ist bereits als erster Beleg für die zentrale Bedeutung des Versicherungsaspektes von Kindern in Indonesien zu werten. Die zweitgrößte Bedeutung besitzt der Affekt- und Stimulationsnutzen (s. u. Abb. 6.1). Dieser ist in den drei Müttergenerationen fast konstant. Es kann aber wie erwartet - eine leichte Tendenz zur stärkeren Gewichtung dieses Nutzenaspektes in der Generation der .jungen" Mütter beobachtet werden . Die Variable mit den größten generationenspezifischen Unterschieden ist der kurzfristige Komfortnutzen. Ist der Einkommens - bzw. Arbeitsnutzen von Kindern in der Generat ion der Großmütter noch nahezu so bedeutsam wie der Affekt- und Stimulationsnutzen (Mittelwert: 4,2), so reduziert sich sein Gewicht bereits in der Generat ion der alten Mütter stark auf einen Mittelwert von nur noch 3,5. Auch dies entspricht den Erwartungen (s. o. Kap. 4.2). Denn insbesondere für den kurzfristigen Komfort bzw. Einkommens- und Arbeitsnut zen von Kindern sollten infolge der indonesischen Modernisierung ein geringerer Bedarf und weniger Realisierungsmöglichkeiten bestehen . Im Gegensatz dazu können für den Nutzen von Kindern für die Produktion von Verhaltensbestätigung und Status kaum Unterschiede festgestellt werden . Alle drei Müttergenerationen messen diesem Nutzenaspekt mit einem Mittelwert von etwa 4,1 eine überaus hohe Bedeutung zu. Die Ergebnisse belegen damit die Multifunktionalität von Kindern in Indonesien. Kinder sind also für die Befriedigung ganz unterschiedlicher instrumenteller Zwischenziele wichtig. Außer für die Dimension des kurzfristigen Komfortnutzens sind die Standard abweichungen in den anderen Dimensionen mit einem Wert um 0,5 überaus gering .

6.3 Ergebnisse

193

Generationenspezifische Verteilung de r Nutzen von Kindern

Abbildung 6./ :

, ,

, -'

,

3,5

- - - - -±[ - I I

0

.

0

,-'

0

0

0

0

.

.

z

,

15

••,1 ,1.1 I

~ ,;,

,

Vern,. e .. ,,\>esUIl;g. n '~ & S ' " lus

••,1 ,11 I

kur-Ans, ~..., r

l

,;,

,

K" m k,"

-

-

0

0

.

-

,

.

0

-

0

0

-

••,1 ,11 "!, ••,1 ,11 •l " ,

~

Alk: k l

~,n~lnolQ,:er

K" ", ji,,,

& Shl n ' ~ ,l j" "

Quelle: Indonesische VOC-Sllchprobe 2002, eigene Berechnungen

Anmerkungen : 0 Mittelwert, - erste Standardabweichung

Kosten: Im Gegensatz zum Nutzen werden die Kosten von Kindern vcrglcichsweise gering eingesc hätzt. Nur die langfristige n Komfortkosten bilden davon eine Ausnahme. Kinder werden in lndoncsicn nicht nur für die elterliche Absichcrung höchst förderlich erlebt, sondern auch mit den größten Kostenerwartungen verbunden. Im Bezug auf den Versicherungsnutzen sind Kinder folgl ich nicht nur ein höchst effizientes , sondern auch ein kostenintensives .Luxusgut''. Vor allem für die Generation der ..alten" Mütter (d ie bere its Kinder im Teenageralter haben) stelle n die langfristigen Komfortkosten eine vergleichsweise große Belastung dar. Dies ist jedo ch nicht überraschend, denn gerade Kinder in diesem Alter verursachen hohe Investitionskosten (z. B. Bildungsinvestitionen) und die Weichen für ihr weiteres Leben werden gestellt. Zukunftsängste sollten deshalb vor allem in der Gene ration der ..alten" Mütter von großer Bedeutung sein. Die Affekt- und Stimulationskosten zeigen eine leicht rückläufige Tendenz. Die Generation der ,jungen" Mütter bewertet die Affekt- und Stimulationskosten von Kindern etwas niedriger als die Generation der ..alten" Mütter oder der Großmütter. Dies ist überraschend, könnte allerdings Ergebnis der Stichprobenziehung bzw. des Erhebungsdesigns sein. Zwar sollte entsprechend der Vorannahmen die Wahrnehmung der emotionalen Belastungen durch Kinder im Zuge der historischen Entwicklung steigen, aber auch positiv mit der Anzahl der Kinder korrelieren (s. o. Kap. 4.2 und Kap. 4.3). Vermutlich bewerten die Gene rationen der "alten" Mütter und der Groß mütter einfach wegen ihrer größeren Anzahl von Kindern deren emotionalen Kosten höher. Die Kosten von Kindern für

194

6 Empirischer Teil II: Der VOC als intermediäre Variable

die Produktion von Verhaltensbestätigung und Status sinken ebenfalls (dazu unten Kap. 6.3.2 noch ausführlicher). Generationenspezifische Verteilung der Kosten von Kindern

Abbildung 6.2: 5 4,5

-

4 3,5 3 2 ,5 2 1,5 I

i

-

j

I

~

'1 -

~ ~

s~ ....,

ß

," 2: ,!l

'"i3

i

g

'§ '" 2

v

~i

g

~

.9 '"i3

1

t ai 2 .~

,

o

Ve rhaltensbestätigung Kurzfristiger Komfort & S tatus

7

0

I

....,

I

I

l

- j

,1;11!1! 0

-

il

~ 2

'"i3

I

-

J

t 2

.§..., ~

';'

I

-

~

o

Affekt

ß>n ~

I

I

I I

il

~s

'"i3

I I 0

I

1 -

il

~

~

langfristiger Komfort

& Stimulation

Quelle: Indonesische VOC-Stichprobe 2002 , eigene Berechnungen Anmerkungen : D Mittelwert, - erste Standardabweichung

Werte: Aus den Salden der Nutzen- und Kostendimensionen ergibt sich die folgende Verteilung der Werte von Kindern. Insgesamt werden die Nutzen von Kindern höher bewertet als deren Kosten, wodurch sich die positive Differenz für alle Wertkomponenten ergibt. Angesichts der Beschränkung der Untersuchungspopulation auf Mütter ist dieser Befund wenig überraschend. Denn wenn sich die Frauen zumindest für ein Kind entschieden haben, sollten sie den Nutzen von Kindern doch höher einschätzen als deren Kosten. Den größten Wert von Kindern für die abgebildeten Dimensionen zeigt die Generation der .jungen" Mütter. Für diese Generation ist der Wert von Kindern für die Produktion von Verhaltensbestätigung und Status sowie Affekt und Stimulation am größten. Besonders diese Generation profitiert von der originären emotionalen Qualität der Mutter-Kind-Beziehung sowie der positiven Anteilnahme durch das soziale Umfeld. Im Gegensatz dazu hat der langfristige Komfortwert einen U-förmigen Verlauf. Während die langfristigen Komfortnutzen in der Generation der Großmütter und der "jungen Mütter" annähre nd gleich ist, sinkt dieser Wert in der Generation der "alten" Mütter stark. Dies ist wiederum Folge der deutlich höheren Investitionskosten von Kindern im Teenageralter.

6.3 Ergebnisse

195

Abbildung 6.3: 4

3.5

-

I

3

,

2.5 2

-

1,5

Generatio nenspezifische Verteilung de r Werte von Kindern

I

I

I

c

,

e

t.

- I

-I

I

I

,

:- t

0

• ~

n

a,""

g

a" s

0;

g

"E

~

~

0

n

," -~ ~ ~

g

a," ~

" -~ a,""

§ E ~

0

.

I

~

Vcrhahcrnocsläligung KurLtii,;ligcr KomIOn

Atkkl

& Sta tus

,

I

1

j "a ,,3 ,ä"

g

0 ~

,"~ ~

I

-=t='--+. 0

I

0.5 0

-

E

"

n

0

~

-

,~

E

~

2

c

IangtThligcr Kom/on

& SlinulaliclIl

Quelle: Indonesische VOC-Sllchprobc2002, eigene Berechnungen Anmerkungen: 0 Mittelwert, - erste Standardabweichung

6.3.2 Determinanten der Werte I'on Kindern Nun wird untersucht. ob und wie stark sich die Mittelwert e der VOC·l ndikatoren durch die unab hängigen Variablen Kohort enzugeh örigkeit. Woh nkontext und ind ividuelle Resso urcenaus stattung (repräse ntiert durch Bildung, Erwerbstätig. kcit und öko nomischer Status) erklären lassen. Hierzu ge hen für alle Dirnensie ncn der Nutzen, die Kosten und der Wert von Kindern (Sa ldo der Nutzen- und Kostenerwart ungen) als abhängige Variablen in d ie verienzanatyscn" ein. Zunächst werden die jeweiligen Effekte bivariat überprüft und dann anhand multipler Klassifikationsanalysen (MCA's) Korrelationen zwisc hen den Variablen kontrolliert. Ziel dieses Vorgehens ist, die aufgestellten Hypothesen (s. o. Kap . 4.2) eine r empirischen Überprüfung zu unterziehen. Dabei geben die standa rdisierten cta- bzw. bcta-Koc ffizicntcn Auskunft über die Stärke der Zusammenhänge und das R2 inform iert über die Aufklärung der Gesa mtvarianz.

Da im Folgenden nur Faktoren und Haupteffekte geschätzt werden sollen, wird die Experimental-Methode zur Zerlcgung der Quadratsummen genutzt.

44

196

6 Empirischer Teil II: Der VOC als intermediäre Variable

6.3.2.1 Determinanten des kurzfristigen Komforts Für den Komfortnutzen konnte kein negatives Pendant identifiziert und deshalb auch keine Wertevariable generiert werden (s. o. Kap. 6.3.1). Um das daraus resultierende Informationsdefizit zu beheben, werden in der Analyse Einzelitems berücksichtigt (so auch Klaus 2008 für die Türkei). Für die Abbildung der direkten Komfortkosten wird das Item .Financial burden for the whole family" genutzt. Hier muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass dieses ltern nicht für die Generation der Großmütter erhoben wurde und diese Teilpopulation deshalb aus der Stichprobe ausgcschlossenl'' werden muss. Die indirekten Komfortkosten werden durch das Item .Because it is harder to hold ajob" repräsentiert. Die Ergebnisse der Analyse werden unten in der Tabelle 6.6 zusammengefasst. Nutzen: Die Befunde hinsichtlich des kurzfristigen ökonomischen Nutzens sind eindeutig und entsprechen den Hypothesen (s. o. Kap. 4.3). Die Relevanz der materiellen bzw. instrumentellen Unterstützung durch Kinder sinkt in den jüngeren Geburtskohorten (=H 2.1) und bei Personen mit einer hohen individuellen Ressourcenausstattung (=H 2.5) stetig. Der Nutzen von Kindern für die Maximierung des kurzfristigen Komforts sinkt annahmekonform mit der Höhe des Bildungsniveaus und dem ökonomischen Status der Frau. Die Stärke dieser Effekte ist erheblich und hoch signifikant (etalbeta: 0,40 und 0,18) . Obgleich die Effektstärke niedriger ist (eta/beta : 0,11), so sind doch die Ergebnisse für die Variable Erwerbstätigkeit der Frau zum Zeitpunkt der Heirat ebenfalls signifikant. Frauen, die nicht erwerbstätig waren , maßen dem kurzfristigen Komfort eine höhere Bedeutung zu als ihre Referenzgruppe. Auch die Rolle des Wohnkontextes ist eindeutig . Für Frauen auf dem Land ist der kurzfristige Komfort signifikant wichtiger als für Frauen in der Stadt (eta/beta: 0,22), wodurch die entsprechende Hypothese (=H 2.3) verifiziert wird. Im multivariaten Modell sinkt die Effektstärke der Geburtskohorte und des Wohnkontextes deutlich, wohingegen die Rolle des Bildungsniveaus weit gehend konstant bleibt. Deshalb ist davon auszugehen, dass die historischen und kontextuellen Variationen zu einem großen Teil durch Differenzen der individuellen Ressourcenausstattung verursacht wurden (=H 2.7). Insbesondere das Bildungsniveau scheint hierbei eine zentrale Rolle zu spielen und stärker über einen erweiterten Möglichkeitsspielraum vermittelt zu sein, als durch einen höheren ökonomischen Status verursacht. So steigen zwar mit dem Bildungsniveau auch die ökonomischen Ressourcen der Frau (s. o. Kap. 6.2.1), der ökonomische Status hat aber im multivariaten Während es für die Analyse von Kosten- und Nutzendimensionen vertretbar erschien, auch imputierte Fälle zu verwenden, soll im Fall der Analyse von Einzelitems auf dieses Verfahren verzichtet werden , weil sonst nicht nur ein Teil, sondern alle Angaben auf Schätzwerten basieren würden .

45

6.3 Ergebnisse

197

Modell keinen signifikanten Einfluss. Eine Varianz autkl ärung von 18 % spricht darüber hinaus für eine befriedigende Anpassung des multivariaten Modells und ist damit gut mit den theoretischen Vorannahmen in Einklang zu bringen (s. o. Kap. 4.2). So wurden vor allem für den kurzfr istigen Komfort starke historische und individuelle Variationen erwartet (=H 2.8) . Tabelle 6.6:

Determinanten

Determinanten des kurzfristigen Komforts Mittelwerte Bivariat Kosten Nutzen direkt 0,20 ** 0, 17** 4,05 2,58 3,45 2,51 3,50 2,43 3,66 2,01 0,22 ** 0,00 3,86 2,32 3,41 2,32 0,40* * 0,18 ** 4,28 3,04 3,83 2,46 3,25 2,05 2,63 2,04

Mu1tivariat Kosten Nutzen ind irekt direkt 0, 12* 0,11* 0,17** 2,35 3,85 2,58 2,29 3,54 2,51 2,32 3,56 2,44 2,00 3,66 2,00 0,03 0,10* 0,04 2,26 3,74 2,26 2,19 3,54 2,38 0,12* 0,33* * 0,19 ** 2,37 4,14 2,89 2,32 3,81 2,49 2,06 3,33 2,05 1,93 2,78 1,95 0,02 0,05 0,01 2,24 3,60 2,32 2,19 3,71 2,31

Geburtskohorte: eta/beta bis 1954 1955-1964 1965-1974 1975-1984 Wohnkontext: eta/beta Land Stadt Bildungsniveau: eta/beta Kein Abschluss Grunds chule Sekunda rstufe Tertiä re Stufe Erwerbstätigkeit: eta/beta 0,11 ** 0,04 Nein 3,72 2,35 3,48 2,25 Ja Ökonomischer Status: eta/beta 0,18* * 0,02 0,04 0,0 7 Gering 3,73 2,35 2,18 3,67 Mitt el 3,58 2,30 2,27 3,61 3,19 2,25 2,24 3,46 Hoch N 699 R2 0,18** Quelle : Indonesische VOC-StIchprobe 2002, eigene Berechnungen Anmerkungen: ANOVA, **p
0,05 2,39 2,25 2,32

indirekt 0,11+ 2,28 2,30 2,34 2,02 0,01 2,23 2,22 0,13 * 2,32 2,33 2,07 1,87 0,02 2,2 1 2,27 0,03 2,19 2,25 2,29

600 699 0,07** 0,03*

Kosten: Die Hypothesen ftir die direkten und indirekten Komfortkosten konnten ebenfalls überwiegend verifiziert werden . In den bivariaten Analysen sinken bei

198

6 Empirischer Teil II: Der VOC als intermediäre Variable

den jüngeren Geburtskohorten (=H 2.2) und bei Personen mit einem vergleichsweise hohen Bildungsabschluss die (in)direkten Komfortkosten (eta/beta: 0,17 bzw . 0,18) hoch sign ifikant. Dieser Effekt lässt sich tendenziell auch für den Erwerbsstatus und den ökonomischen Status nachweisen, ist aber statistisch nicht belegbar. Insgesamt bestätigen die Ergebnisse die Grundaussage, dass die Bedeutung der Komfortkosten mit der individuellen Ressourcenausstattung sinkt (=H 2.6) . Gegen die Vorannahmen spricht lediglich die Wirkung des Wohnkontextes. Frauen, die in der Stadt wohnen, bewerten die kurzfristigen Komfortkosten tendenziell geringer als Frauen auf dem Land (:;t:H 2.4). Die Effekte der bivariaten Analysen decken sich weit gehend mit dem rnultivariaten Modell. Auch hier erwe isen sich die Geburtskohorte und das Bildungsniveau als erklärungsrelevanteste Indikatoren, wobei allerdings das Bildungsniveau hypothesenkonform an Bedeutung gewinnt. Ein Teil der historischen Variationen kann also durch die Zunahme der individuellen Ressourcen erklärt werden (=H 2.7). Die Varianzaufklärung ist mit 7 % bei den direkten Kosten etwas höher als bei den indirekten Kosten (3 %) .

6.3.2.2

Determinanten des langfristigen Komforts

Nutzen : Bereits die Mitt elw erts vergleiche zeigten, dass der langfristige Komfortnutzen von Kindern in Indonesien nach wie vor die zentrale Nutzendimension von Kinderu ist (s. o. Abb . 6.1) . Unabhängig von historischen Variationen oder individuellen Differenzen wird dieser als wichtig bis sehr wichtig eingestuft. Dennoch zeigen sich Unterschiede . Für die Variable Geburtskohorte hat die Nutzenfunktion einen U-förmigen Verlauf. Alte und junge Probanden bewerten den langfr istigen Komfortnutzen am höchsten. Die Vermutung eine r linearen Abnahme kann damit nicht bestätigt werden (:;t:H 2.10) . Während für die bei den mittleren Geburtskohorten anscheinend ein Bedeutungsverlust stattgefunden hat , steigt die Bewertung des langfristigen Komfortnutzens in der jüngsten Kohorte entgegen der Erwartungen erneut an. Über die Ursachen kann an dieser Stelle nur spekul iert werden, die zur Verftigung stehenden Daten lassen keine Überprüfung zu. Vermutlich wurde die Einstellung der jungen Mütter, die alle noch am Beginn ihrer reproduktiven Phase steh en , stärker durch die asiatische Wirtschaftskrise (1997/1998) geprägt (s. o. Kap . 2.3.3). In deren Folge schmolzen Sparrücklagen und das Lohnniveau sank. Unter solchen Bedingungen ist es durchaus nachvollziehbar, dass der Versicherungsaspekt von Kindern an Relevanz gewinnt. Für die Generation der Großmütter (entspricht den ältesten Kohorten) sollte der en Bedürfnisstruktur wenigstens teilweise für die Beurteilung der Versicherungsnutzen von Kindern ausschlaggebend gewesen sein .

6.3 Ergebnisse

199

Für das Bildungsniveau kann sowohl in den bivariaten Analysen als auch im multivariaten Modell ein hoch signifikant negativer Einfluss auf den Versicherungsnutzen von Kindern nachgewiesen werden (eta/beta : 0,20 bzw. 0,19). Dieser Befund zeigt sich tendenziell auch für den ökonomischen Status, ist jedoch wiederum statistisch nicht belegbar. Entgegen der Erwartungen bewerten im multivariaten Modell erwerbstätige Frauen den langfristigen Komfortnutzen von Kindern höher. Die Rolle der individuellen Ressourcen ist deshalb widersprüchlich und die Gültigkeit der Vorannahme kann nicht abschließend bewertet werden (;tH 2.13a) . Die erwarteten Stadt-Land -Differenzen können dagegen bestätigt werden . Für Frauen auf dem Land ist der langfristige Komfortnutzen wichtiger als für Frauen in der Stadt (=H 2.12a). Der Einfluss der Geburtskohorte reduziert sich im multivariaten Modell nicht. D. h., die historischen Differenzen lassen sich eben nicht unter Kontrolle der individuellen Ressourcen reduzieren (;tH 2.14). Was allerdings dafür spricht, dass die Bedürfnisstruktur der Großmütter einerseits und die gesellschaftlichen Ereignisse um die lahrtausendwende andererseits entscheidend die Beurteilung dieses Nutzenaspektes beeinflussten. Kosten : Die Hypothesen für die langfristigen Komfortkosten können mehrheitlich bestätigt werden . In den jüngeren Geburtskohorten geht die Bedeutung der Kosten hoch signifikant zurück (=H 2.11) . Hierfür sind der Anstieg der individuellen Ressourcen, der Rückgang der Kindersterblichkeit und die Stabilisierung der politischen und sozialen Verhältnisse infolge der gesellschaftlichen Entwicklung Indonesiens verantwortlich. Investitionen in Kinder wurden erleichtert und gleichzeitig reduzierte sich die Gefahr von Fehlinvestitionen (s. o. Kap. 4.2) . Bestätigt werden kann diese Schlussfolgerung z. B. durch die Einzelanalyse des Items "Sorgen die ein krankes Kind macht". Vor allem in den beiden ältesten Geburtskohorten spielt die Sorge um die Gesundheit des Kindes eine signifikant größere Rolle. Entsprechend der Annahmen (s. o. Kap. 4.3) hat auch die individuelle Ressourcenausstattung einen negativen Einfluss auf die Wahrnehmung der langfristigen Komfortkosten (=H 2.13b) . In den bivariaten Analysen geht mit dem Anstieg des Bildungsniveaus, des ökonomischen Status und der Erwerbstätigkeit die Bedeutung der Kosten zurück . Die Stärke dieses Zusammenhangs ist allerdings sehr unterschiedlich. Für das Bildungsniveau (eta/beta : 0,11) ist er am größten , bei der Variable Erwerbstätigkeit (eta/beta : 0,07) verringert er sich zwar deutlich, ist aber noch signifikant. Die Mittelwerte der Variable ökonomischer Status weisen nur noch tendenziell in die erwartete Richtung, sind aber nicht mehr statistisch belegbar. 1m multivariaten Modell reduzieren sich die erklärungskräftigen Variablen auf die Geburtskohorte und das Bildungsniveau. Entgegen der Erwartungen ist der Einfluss der Geburtskohorte also unter Kontrolle der individuellen Ressourcen konstant. Historisch e Variationen wurden also nicht durch einen Anstieg des Bildungsn iveaus oder eine höhere Erwerbsbe-

200

6 Empirischer Teil II: Der VOC als intermediäre Variable

teiligung bedingt (:;tH 2.14) . Anscheinend waren andere gesellschaftliche Entwicklungen , wi e z. B. der verbesserte Gesundheitszustand der Bevölkerung oder die stabileren sozialen Verhältnisse, verantwortlich ftir den Rückgang der Investitionskosten. Stadt-land-Differenzen bestehen nic ht (:;tH 2.12 b) .

Tabelle 6.7:

Determinanten des langfristigen Komforts Mittelwerte Bivariat

Multivariat Nutzen Kosten Nutzen Kosten 0,/4** 0,/3 ** 0,/3 ** 0,13** Geburtskohorte: eta/beta bis 1954 4,63 2,81 4,62 2,71 1955-1964 4,42 2,91 4,42 2,92 1965-1974 4,47 2,92 4,48 2,95 1975-1984 4,52 2,57 4,51 2,60 0,0 7* Wohnkontext: eta/beta 0,0/ 0,22 0,06 4,54 2,79 Land 4,51 2,73 4,46 2,80 4,49 2,86 Stadt Bildungsniveau : eta/beta 0,20** 0, / / * 0,/9** 0, 13* Kein Abschluss 4,59 2,9 1 4,54 2,93 Grundschule 4,55 2,89 4,56 2,90 Sekundarstufe 4,44 2,63 4,44 2,63 4,18 2,56 4, 19 2,48 Tertiäre Stufe Erwerbst ätigkeit: eta/beta 0,07 + 0,08 * 0,06 0,00 Nein 4,50 2,85 4,47 2,84 4,50 2,68 4,56 2,70 Ja Ökonomischer Status: eta/beta 0,05 0,02 0,03 0,04 Gering 4,53 2,76 4,51 2,77 Mittel 4,48 2,84 4,48 2,83 4,48 2,69 4,56 2,72 Hoch N 699 699 R2 0,06** 0,04** Quelle: Indonesische VOC-Stlchprobe 2002, eigene Berechnungen Anmerkungen: ANOVA, **p
Bivariat Multivariat Werte 0,/3** 0,/5 ** 2,08 1,91 2,16 1,50 2,35 1,53 2,45 1,91 0,05 0,06 2,23 1,78 2,33 1,63 0,/6** 0,06 2,03 1,60 2, 18 1,66 2,50 1,82 2,61 1,71 0,08 * 0,08 2,22 1,63 2,42 1,86 0,05 0,04 1,77 1,74 1,64 1,66 1,79 1,85 699 0,03**

Werte: Der langfristige Komfortwert von Kind ern steigt in de n jüngeren Geburtskohorten an. Hierftir sind vor alle m die sinkende n Kosten verantwortlich. Dieses Ergebnis bestätigt sich auch für den Anstieg der individuellen Ressourcen. Im m ultivariaten Modell sind nur noc h die historischen Effekte signifikant, was inhaltlich bedingt sein kann, wohl aber Konsequenz der Stichprobe sein dürfte. Zwar könnte arg umentiert werden, dass der langfristige Komfortwert von Kindern allgemein wichtig ist, weil auch gegenwärtig kein soziales Sicherungs-

6.3 Ergebnisse

201

system in Indonesien existiert. Es kann aber auch nicht ausgeschlossen werden, dass die Ergebnisse durch die Stichprobe verzerrt wurden . Gerade in den jüngeren Geburtskohorten liegt nämlich das Problem der späteren Alterssicherung noch weit in der Feme und sollte schon deshalb ftir diese Gruppe weniger wichtig sein (vgl. erste und zweite Spalte der Tab. 6.7). Im Gegensatz dazu befindet sich die älteste Gruppe in einem Alter, in dem sie einerseits mehr Hilfe von ihren Kindern benötigen. Andererseits erfahren sie auch tatsächlich, welche Schwierigkeiten und unerftillte Hoffnungen das Vertrauen in Kinder mit sich bringt. Deswegen sollten gerade Großmütter die Nutzen und Kosten von Kindern hoch bewerten. Negativ könnte sich auch die Lebenssituation der "alten" Mütter auf die Zusammenhangsanalysen auswirken. Denn deren Kinder vollziehen zum Erhebungszeitpunkt gerade den Übergang zum Erwachsenenstatus, der wiederum wichtige Weichenstellungen abverlangt und deshalb Zukunftsängste der Eltern schürt. Dagegen sollten die anderen Generationen von Müttern weniger Sorgen um die Zukunft ihrer Kinder haben, weil diese Probleme entweder noch weit in der Ferne liegen (,junge" Mütter) oder bereits eingetreten sind (Großmütter) . Die Einzelanalyse des Items " Sorgen um die Zukunft der Kinder" konnte diese Vermutung bestätigen. So ist die Sorge um die Zukunft der Kinder in der Müttergeneration mit Teenager am größten (Mittelwert: 3,3) und bei den .j üngeren" Müttern und Großmüttern geringer (Mittelwert: 2,8 bzw . 2,9). Die Varianzaufklärung von 3 % beweist allerdings, dass die Geburtskohorte und die individuelle Ressourcenausstattung die Unterschiede nur zu einem geringen Teil erklärt und bestätigt die Vermutung, dass die Differenzen in der Wahrnehmung des langfristigen Komforts eher gering sind (=U 2.15).

6.3.2 .3

Determinanten von Verhaltensbestätigung und Status

Nutzen: Für die Bewertung des Nutzens von Kindern ftir Verhaltensbestätigung und Status können keine statistisch bedeutsamen Unterschiede festgestellt werden. Sowohl in den bivariaten Analysen als auch im multivariaten Modell sind die Geburtskohorte, der Wohnkontext, das Bildungsniveau, die Erwerbstätigkeit und der ökonomische Status ohne Einfluss auf die Wahrnehmung des sozialen Nutzens von Kindern. Zwar wurde angenommen, dass die Unterschiede in der Bewertung dieses Nutzenaspektes eher gering sein sollten (s. o. Kap. 4.2), dass aber überhaupt keine Differenzen identifiziert werden können, widerspricht den Hypothesen (:;tU 2.16), (:;tU 2.17) und (:;tU 2.18). Unabhängig von ihrer historischen Einbettung oder ihrer individuellen Ressourcenausstattung hatte ftir alle Befragten der Nutzen von Kindern ftir Verhaltensbestätigung und Status eine überaus hohe Bedeutung. Dieses Ergebnis "zementiert" deshalb vielmehr die

6 Empirischer Teil II: Der VOC als intermediäre Variable

202

Vermutung , dass Kin der in Indonesien allgem ein zu Verhaltensbestätigung beitrage n und den sozialen Status positiv beeinflussen können (s. o. Kap. 3.2.4 und Kap. 4.2) .

Tabelle 6.8:

Determinanten von Verha ltensbestätigung und Status Mittelwerte Bivariat

Determinanten Geburtskohorte: eta/beta bis 1954 1955-1964 1965-1974 1975-1984 Wohnkontext : eta/beta Land Stadt Bildungsniveau: eta/beta Kein Abschluss Grundschule Sekundarstufe Tertiäre Stufe Erwerbstätigkeit: eta/beta Nein Ja Ökonomischer Status: eta/beta Gering Mittel Hoch N

R2

Nutzen 0,06 4,17 4,12 4,15 4,21 0,02 4,17 4,16 0,01 4, 16 4,16 4,17 4,17 0,05 4, 15 4,20 0,03 4,15 4,17 4,22

Kosten 0,16 ** 2,00 1,91 1,81 1,64 0,09* 1,89 1,76 0,17** 2,08 1,88 1,66 1,63 0,09** 1,87 1,72 0,02 1,83 1,83 1,74

Multivariat Nutzen 0,08 4,16 4,1 1 4,15 4,22 0,02 4,18 4,15 0,02 4,18 4,17 4,16 4,15 0,06 4,14 4,22 0,06 4,13 4,18 4,26

Bivariat Multivariat Kosten Werte 0,16* * 0,16* * 0,17 ** 1,94 2,17 2,22 2,16 1,95 2,21 1,83 2,34 2,32 1,63 2,57 2,59 0,06 0,04 0,06 1,87 2,28 2,31 1,78 2,40 2,38 0,11 0,14** 0,08 1,96 2,07 2,22 1,87 2,28 2,30 1,72 2,51 2,43 1,68 2,55 2,47 0,10** 0,04 0,07 1,84 2,27 2,30 1,78 2,49 2,44 0,05 0,03 0,07 1,86 2,32 2,27 1,80 2,34 2,38 1,73 2,48 2,52 699 699

0,05**

0,05**

Quelle: Indonesische VOC-Stlchprobe 2002, eigene Berechnungen. Anmerkungen: ANOVA, **p
Koste n: Der Vergleich de r Mittelwerte be legt, dass die Kosten von Kindern für die Produ ktion von Verhaltensbestätigung und Status allgemein als überaus niedrig bewertet werden. D. h., die befragten Frauen sehen sic h aufgrund der Geburt

6.3 Ergebnisse

203

von Kindern weder negativen Sanktionen durch das soziale Umfeld ausgesetzt, noch in ihrem sozialen Prestige gefährdet. Trotz dieser allgemein geringen Bedeutung sozialer Kosten, gibt es bedeutsame gruppenspezifische Differenzen. Die bivariaten Analysen bestätigen die erwarteten historischen, kontextuellen und individuellen Differenzen. Im Zuge der gesellschaftlichen Entwicklung (=H 2.20) und mit dem Anstieg der individuellen Ressourcen (=H 2.22) sinkt die Bewertung der sozialen Kosten von Kindern. Darüber hinaus wirkt sich ein städtischer Wohnkontext negativ auf die Bewertung der Kosten aus (=H 2.21). Das multivariate Modell zeigt, dass für diese Entwicklung vor allem die sinkenden Kosten unter den jüngeren Geburtskohorten verantwortlich sind. Während der Effekt von Bildung und Erwerbstätigkeit auf die Wahrnehmung der Kosten verloren geht, bleibt der Einfluss der Geburtskohorte konstant. Die Wahrnehmung der sozialen Kosten variiert also zwischen den verschiedenen historischen Generationen . Die unterschiedliche Einflussnahme der indonesischen Familien- und Bevölkerungspolitik sollte dafür ursächlich sein (s. o. Kap. 4.2). So waren insbesondere zwischen 1970 und 1980 die staatlichen Bemühungen zur Begrenzung der Geburt enrate hoch . Deshalb ist zu vermuten, dass vor allem die Kohorte von 1950 bis 1965 stark von diesen Programmen in ihrem generativen Verhalten geprägt wurde und das soziale Umfeld als weniger kinderfreundlich erlebte. Werte: Bei der Ermittlung des Wertes von Kindern für die Produktion von Verhaltensbestätigung und Status aus der Differenz der Kosten und Nutzen wird deutlich , dass dieser im historischen Vergleich gestiegen ist. Dieses Ergebnis ist die Folge der Reduktion der sozialen Kosten . Gleiches gilt für Bildungsniveau und Erwerbsstatus. Bei gebildeten und erwerbstätigen Frauen ist der soziale Wert aufgrund der geringeren sozialen Kosten höher. Aber auch diese individuellen Differenzen lösen sich im multivariaten Modell zu Gunsten des Einflusses der Geburtskohorte auf. Damit ist für die Beurteilung des sozialen Wertes von Kindern, in erster Linie der historische Hintergrund ausschlaggebend. Die Varianz aufklärung von etwa 5 % ist jedoch allgemein sehr gering und spricht für eine geringe Anpassung des mathematischen Modells. Dadurch kann die Hypothese, dass die Variationen hinsichtlich der Bewertung des Wertes von Kindern für die Produktion von Status und Verhaltensbestätigung sehr gering ausfallen (=H 2.19) , verifiziert werden . Demnach ist der Wert von Kindern , weit gehend unabhängig vom historischen Hintergrund und Ressourcenausstattung, wichtig für die Etablierung und Intensivierung sozialer Beziehungen und Verhaltensbestätigung.

204 6.3.2.4

6 Empirischer Teil II: Der VOC als intermediäre Variable

Determinanten von Affekt und Stimulation

Nutzen : Wie erwartet, steigt der Affekt- und Stimulationsnutzen von Kindern in den jüngeren Geburtskohorten (=H 2.24). Dieser Effekt besitzt eine moderate Stärke (eta/beta: 0,11) und ist in der bivariaten Analyse auf dem 5 % Niveau signifikant. Land-Stadt-Differenzen und Unterschiede aufgrund einer variierenden Ressourcenausstattung lassen sich zwar ausmachen, sind aber sehr gering und nicht signifikant. Entsprechend der Vorüberlegungen ist der Affekt- und Stimulationsnutzen von Kindern in der Stadt tendenziell höher als auf dem Land . Gleiches gilt für den Anstieg der individuellen Ressourcen. Mütter mit einem vergleichsweise hohen Bildungsabschluss, erwerbstätige Mütter und Mütter mit einem hohen ökonomischen Status bewerten diesen Nutzenaspekt etwas stärker. Die Effekte sind aber sehr gering und können keinem Signifikanztest standhalten , weswegen die Gültigkeit der Hypothesen (:;i:H 2.26, :;i:H 2.27) nicht abschließend bewertet werden kann. Die Befunde der bivariaten Analysen werden durch den multivariaten Test bestätigt. Auch hier ist die Geburtskohorte die einzige Variable mit einer gewissen Effektstärke auf den emotionalen Nutzen, wobei sich dessen Signifikanzniveau auf das 10 % Niveau reduziert. Ein R2 von 2 % ist überaus gering und entspricht deshalb der Erwartung, dass der emotionale Nutzen von Kindern infolge seiner Originalität fast konstant und nur geringen individuellen und historische Unterschieden ausgesetzt ist (=H 2.23) . Kosten : Entgegen der aufgestellten Hypothesen steigen die Affekt- und Stimulationskosten in den jüngeren Geburtskohorten und bei Personen mit einer relativ hohen Ressourcenausstattung nicht an (s. o. Kap. 4.2). Vielmehr bewerten jüngere Personen die emotionale Belastung durch Kinder signifikant geringer als ältere Personen (:;i:H 2.25). Dieser Zusammenhang ist sowohl in den bivariaten Anal ysen (etalbeta: 0,13) als auch im multivariaten Modell (eta/beta: 0,14) hoch signifikant. Auch Mütter mit einem vergleichsweise hohen Bildungsniveau geben den emotionalen Kosten durch Kinder eine signifikant geringere Bedeutung. Gleiches gilt für erwerbstätige Frauen sowie Frauen mit einem hohen sozio ökonomischen Status. Die Effektstärke ist hier wesentlich geringer und nur noch in der bivariaten Analyse auf dem 10 % Niveau signifikant. Allerdings sprechen die Ergebnisse dafür, dass eine hohe Ressourcenausstattung die emotionalen Belastungen durch Kinder schmälern kann (:;i:H 2.29) . Stadt-Land-Differenzen können nicht beobachtet werden (:;i:H 2.28). Auch der ökonomische Status hat auf die Beurteilung der Affekt- und Stimulationskosten keinen Einfluss. Diese Ergebnisse widersprechen damit vollständig den Erwartungen. Allerdings wirkt sich wiederum das Erhebungsdesign des VOC-Surveys negativ auf die Zusammenhangsanalysen aus . Die unterschiedlichen Müttergenerationen wurden in sehr unterschiedlichen Phasen ihres Familienzyklus befragt.

6.3 Ergebnisse

205

Vor allem die älteren Generationen haben in der Regel ihren Familienbildungsprozess abgeschlossen und schon mehr Geburten realisiert (s. o. Tab. 6.3.), was aber für die Wahrnehmung der Affekt- und Stimulationskosten bedeutsam ist, weil mit dem Anstieg der Kinderzahl auch die emotionalen Belastungen durch Kinder steigen (s. o. Kap. 4.3) . In diesem Sinne bestätigen die VOC-Daten hoch signifikant, dass die Bewertung der emotionalen Kosten mit der Kinderzahl steigen (beta: 0,11). Damit ist für den Effekt der Geburtskohorte nicht klar zu unterscheiden, ob er inhaltlich bedingt oder Ergebnis des Erhebungsdesigns ist. Gleiches gilt für die Wirkung der individuellen Ressourcen . So konnte bereits im fünften Kapitel gezeigt werden, dass mit der Zunahme des Bildungsniveaus sowie dem Erwerbstatus das Risiko der Geburt eines Kindes höherer Parität abnimmt (s. o. Kap. 5.3.3). Dieses Ergebnis lässt sich für die VOC-Daten 46 replizieren. Es deutet also alles darauf hin, dass die geringere Bewertung der emotionalen Kosten durch Kinder bei den jüngeren sowie höher gebildeten Personen durch ihre geringere Kinderzahl verursacht wurde. Werte: Als Konsequenz der leicht steigenden Nutzen und der stark fallenden Kosten nimmt die Bewertung des Affekt- und Stimulationswertes von Kindern in den jüngeren Geburtskohorten wie auch bei Personen mit einer hohen Ressourcenausstattung zu. Vor allem für das Bildungsniveau ist dieser Effekt vergleichsweise stark und hoch signifikant (eta/beta : 0,16 bzw. 0,12) . Erwerbstätigkeit hat auf den emotionalen Wert von Kindern einen positiven Einfluss. Dieser ist jedoch nur in der bivariaten Analyse signifikant. Statistisch gesicherte Aussagen lassen sich dagegen für den ökonomischen Status nicht treffen. Der Vergleich der Mittelwerte zeigt lediglich einen leicht positiven Einfluss. Für Personen , die über individuelle Ressourcen verfügen, ist der emotionale Wert von Kindern wichtiger. Auch die Land-Stadt-Differenzen tendieren in die erwartete Richtung. So wird der emotionale Wert von Kindern auf dem Land niedriger bewertet (Mittelwert: 2,23) als in der Stadt (Mittelwert: 2,33).

46 Für die Drittgeburt konnte durch die Cox-Regression für die Erwerbstätigkeit ein Exp (b) von 0,63 und für das Bildungsniveau ein Exp (b) von 0,55 ermittelt werden. Beide Variablen haben einen negativen Effekt auf die Drittgeburt. Das Gleiche bestätigte sich für die Viertgeburt. Hier betrug das Exp (b) 0,55 für das Bildungsniveau und 0,62 für die Erwerbstätigkeit. Alle Zusammenhänge waren auf dem I Prozentniveau signifikant.

206

Tabelle 6.9:

6 Empirischer Tei l II: Der VOC als intermediäre Variable

Determinanten von Affekt und Stimulation Mittelwerte Bivaria t

Determinanten

Multivariat

Bivariat Multivariat

Geburtskohorte : eta/beta bis 1954 1955-1964 1965-1974 1975-1984

Nutzen 0,11* 4,24 4,29 4,43 4,34

Kosten 0,13** 2,16 2,13 2,08 1,89

Nutzen 0, 11+ 4,26 4,27 4,42 4,35

Kosten 0,14** 2,13 2,17 2,09 1,87

Werte 0,13** 2,08 2, 16 2,35 2,45

0,14** 2,13 2,10 2,33 2,48

Wohnkontext : eta/beta Land Stadt

0,05 4,30 4,36

0,03 2,07 2,03

0,04 4,31 4,36

0,03 2,03 2,07

0,05 2,23 2,33

0,00 2,28 2,29

Bildungsniveau: eta/beta Kein Abschluss Grundschule Sekundarstufe Tertiäre Stufe

0,09 4,20 4,33 4,38 4,35

0,17** 2,17 2,15 1,89 1,73

0,05 4,27 4,35 4,35 4,28

0,16** 2,09 2,16 1,91 1,73

0,16** 2,03 2,18 2,50 2,61

0,12* 2,18 2,19 2,44 2,55

Erwerbstätigkeit: eta/beta Nein Ja Ökonomis cher Status: eta/beta Gering Mitte l Hoch

0,06 4,31 4,38

0,07+ 2,09 1,96

0,03 4,32 4,36

0,03 2,07 2,01

0,08* 2,22 2,42

0,04 2,25 2,35

0,04 4,32 4,33 4,44

0,04 2,08 2,03 1,98

0,06 4,31 4,35 4,47

0,06 2,11 2,01 1,99

0,05 2,24 2,30 2,47

0,07 2,20 2,34 2,48

N 699 699 R2 0,02 0,05** Quelle : Indonesische VOC-S tlchprobe 2002, eigene Berechnungen Anmerkungen : ANOV A, **p
699 0,04**

Bemerkenswert ist, dass die Effekte der Geburts kohorte und des Bildungsniveaus in den bivariaten und multivariaten Analyse n weit gehend konstant sind. Es scheint also einen Einfluss der Geburtskohorte unabhängig von der Zunahme der individuellen Ressourc enausstattung zu geben. Das R2 von etwa 4 % bestätigt die weit gehende Konstanz des emotionalen Wertes von Kindern. Dieser Wert weist eine besondere Qualität auf, die nicht ersetzbar ist. Jedoch tritt der emotionale Wert besonders dort hervor, wo andere Wertedimensionen an Bedeutung verlieren (=H 2.22).

6.3 Ergebnisse

6.3.2.5

207

Zwischenbilanz

Die Ergebnisse lassen folgende Schlussfolgerungen zum Zusammenhang zwischen sozialstrukturellen Rahmenbedingungen sowie individuellen Ressourcen und der Wertebeurteilung zu: Erstens : In den theoretischen Vorüberlegungen wurde davon ausgegangen, dass der langfristige Geburtenrückgang vorrangig durch den Bedeutungsverlust des kurzfristigen Komfortwertes und einer veränderten Maximierungsstrategie des langfristigen Komfortwertes verursacht worden sei. Dementsprechend sollte insbesondere der Arbeits- und Einkommenswert von Kindern im Zuge der gesellschaftlichen Entwicklung und mit zunehmender individueller Ressourcenausstattung sinken (s. o. Kap. 4.2). Diese zentrale Annahme bestätigt sich (=H 2.8). Darüber hinaus ist anzunehmen, dass die Stärke dieses Effektes durch den Querschnittsdatensatz sogar noch unterschätzt wurde. So könnten die Einstellungen der Großmüttergeneration und der Generation der "alten" Mütter infolge des sozialen Wandels Indonesiens ebenfalls "modernisiert" worden sein. Dies hätte dann zur Folge, dass der kurzfristige Komfortwert zum Erhebungszeitpunkt geringer beurteilt wurde als er im Entscheidungszeitraum tatsächlich war, was dazu führt, dass historische Variationen unterschätzt werden . Im Gegensatz zum kurzfristigen Komfort sind die historischen und individuellen Differenzen bei der Wahrnehmung der Nutzen, Kosten und Werte von Kindern für Status und Verhaltensbestätigung, Affekt und Stimulation sowie dem langfristigen Komfortwert erwartungsgemäß gering (s. o. Kap. 4.2) . Denn Kinder waren und sind für die Mehrheit der indonesischen Bevölkerung die wichtigsten Affektproduzenten, ein zentraler Faktor für soziales Ansehen und deren Hilfe für Eltern vor allem im Alter unersetzbar. Zweitens: Schwierigkeiten bei der Bestätigung der Vorannahmen aus Kapitel 4.2 ergaben sich bezüglich der Wirkung von Stadt-Land-Differenzen, des ökonomischen Status" und der Erwerbstätigkeit, vor allem hinsichtlich solcher Nutzen-, Kosten- lind Wertedimensionen, bei denen ohnehin nur geringe Variationen erwartet werden konnten. Weniger überraschend sind die geringen StadtLand-Differenzen. So ist Java allgemein dicht besiedelt und besitzt einen hohen Urbanisierungsgrad. Folglich unterscheiden sich die handlungsrelevanten Parameter zwischen Stadt und Land nur wenig. Drittens: Die Variable Bildung hat die höchste Erklärungskraft. Aufschlussreiche Argumente, weswegen die Bildung und nicht die Erwerbstätigkeit oder die ökonomische Situation der Frauen für die Beurteilung der Nutzen und Kosten 47 Auf mögliche methodische Schwierigkeiten der Variable wurde bereits oben in Kapitel 6.2.1 hingewiesen.

208

6 Empirischer Teil II: Der VOC als intermediäre Variable

ausschlaggebend ist, liefert Caldwell (1980): Vor allem gebildete Eltern betrachten die hohen und kostspieligen (Bildungs-) Ansprüche ihrer Kinder als gerechtfertigt und sind gleichzeitig der Überzeugung, dass diese ihre ganze Energie in den schulischen Erfolg investieren sollten. Deshalb steht Kindern gebildeter Eltern nicht nur weniger Zeit für Arbeiten im Haus zur Verfügung , sondern deren Eltern sind auch der Überzeugung, dass derartige Arbeiten für Kinder unangemessen sind. Unter höher Gebildeten setzt sich die Vorstellung durch, dass Kinder nicht mehr für das familiäre Überleben (zumindest in der Gegenwart) verantwortlich sind. Damit sinken nicht nur für gebildete Eltern, die am stärksten vom Fortschritt der indonesischen Modernisierung profitierten (s. o. Kap. 6.2.1), die Kosten von Kindern und deren Einkommens- und Arbeitsnutzen, sondern es setzt auch ein kultureller Wandel ein. Denn über die Schulbildung werden westliche Werte des Mittelstandes in die traditionelle indonesische Familie transportiert, die sich am bürgerlichen Familienideal orientieren. Demnach ist Kindheit eine Lebensphase, geprägt durch Erwerbsfreiheit und der Möglichkeit zum Lernen, mit dem Recht auf Schutz, Erziehung durch Eltern und Entfaltung ihrer Persönlichkeit (vgl. Honig , Leu, Nissen 1996: 9). Während unter diesen Bedingungen der ökonomische Wert von Kindern sinkt, geht mit einer stärkeren Orientierung am bürgerlichen Familienideal die Betonung der emotionalen Beziehungen zwischen den Familienmitgliedern einher, wodurch die emotionale Seite der Eltern-Kind-Beziehung wichtiger wird (vgl. Gloger-Tippelt, Tippelt 1986: 155). Bildung führt also neben einer veränderten Kosten- und Nutzenstruktur auch, vermittelt über die Orientierung an westlichen Werten, zu einer neuen Qualität der Generationenbeziehungen, die eben nicht nur einen Bedeutungsverlust des kurzfristigen Komforts zur Folge hat, sondern auch mit einer Zunahme des emotionalen Nutzens von Kindern einhergeht. Damit kann nicht nur die besondere Rolle der Bildungsvariable, sondern auch die allgemein geringere Erklärungskraft der Variablen ökonomischer Status und Erwerbsorientierung erklärt werden. 6.3.3 Generatives Verhalten und der Wert von Kindern Die vermutete Verbindung zwischen den sozialstrukturellen Rahmenbedingungen und dem handelnden Akteur konnte weit gehend bestätigt werden (s. o. Kap. 6.3.2). Nun soll der Nachweis geführt werden, ob eine spezifische Beurteilung des Wertes von Kindern auch das erwartete Muster generativen Verhaltens zur Folge hat (s. o. Kap. 4.3). Es geht also um die Frage, ob es zur vorausgesagten zeitlichen Verortung spezifischer Paritäten von Kindern im Lebenslauf kommt und ob deren Geburtsrisiko den Hypothesen entspricht. Um diese potenziellen

6.3 Ergebnisse

209

Timing- und Risikoeffekte voneinander zu trennen , wird in der Mehrheit der empirischen Analysen wieder auf das generalisierte log-logistische Model zurückgegriffen (s. o. Kap. 5.3). In den Fällen 48 , in denen dies nicht möglich ist, wird der Einfluss der Wertebeurteilung auf das generative Verhalten auf der Basis von Cox-Regressionen berechnet. Eingang in die Analysen findet entspre chend der theoretischen Konzeption der Wert von Kindern, also der Saldo aus Nutzen- und Kostenbewertungen (s. o. Kap. 3.2.3). Für den kurzfristigen Komfort allerdings nur die Nutzendimension, weil keine Wertevariable generiert werden konnte (s. o. Kap. 6.3.1). Erstgeburt: Zur Analyse der zeitlichen Aspekte beim Übergang zur Erstgeburt ist eine statistische ModelIierung der Übergänge auf der Basis linearer Regressionen ausreichend. Die so gewonnenen Ergebnisse sind in Tabelle 6.10 zusammengefasst und geben Auskunft über den Zusammenhang zwischen dem Wert von Kindern und dem Alter bei der Erstgeburt. In den bivariaten Analysen ergeben sich für die Werte komponenten Status und Verhaltensbestätigung, kurzfristiger Komfort, Affekt und Stimulation signifikante Ergebnisse. Diese beschränken sich im multivariaten Modell auf den kurzfristigen Komfort und den Affekt- und Stimulationswert. Erwartungsgemäß sollte der Wert von Kindern für die Produktion von Verhaltensbestätigung und Status dazu führen , dass der Übergang zur Mutterschaft früher vollzogen wird. Dieser Annahme widersprechen jedoch die empirischen Befunde . Der Effekt von Verhaltensbestätigung und Status ist in der bivariaten Analyse positiv (beta : 0,09) und auf dem 5 % Niveau signifikant, verliert allerdings im multivariaten Modell gänzlich an Bedeutung (;tH 3.13). Die Ergebnisse für den langfristigen Komfort entsprechen den Vorannahmen, d. h. die Beurteilung des Versicherungsnutzens von Kindern hat auf die zeitliche Verortung der Erstgeburt keinen Einfluss (=H 3.12). Eindeutig ist die Bestätigung der Annahmen für den kurzfris tigen Komfortwert und den Affekt- und Stimulationswert. Während der Einkommens- bzw. Arbeitsnutzen von Kindern hoch signifikant (beta : -0,21) zu einer Beschleunigung des Übergangs zur Mutterschaft beiträgt (=H 3.10) , geht mit dem Affekt - und Stimulationswert eine Verzögerung der Familienbildung vonstatten (beta : -0,10) (=H 3.15). Wenn Mütter den Einkommens- und Arbeitsnutzen von Kindern hoch bewerten, ist es für sie auch effektiv, möglichst früh eine Erstgeburt zu realisieren, wohingegen für Frauen, denen der Affekt- und Stimulationswert wichtig ist, eine späte Mutterschaft am sinnvollsten ist. Beide Beim Nachweis des Altemativmodells (s. o. Kap. 4.5) muss fallbedingt auf die Verwendung des generalisierten log-logistischen Modells verzichtet werden (s. u. Kap. 6.3.5). Auch die empirische Überprüfung der Pfadabhängigkeit des VOCErklärungsmodells (s. u. Kap. 6.3.4) ist nur durch die Integration von Cox-Regressionen in die Strukturgleichungsmodelle möglich. 48

210

6 Empirischer Teil II: Der VOC als intermediäre Variable

Effekte können sowohl in den bivariaten Analysen als auch im multivariaten Modell identifiziert werden.

Tabelle 6.10: Alter bei Erstgeburt in Abhängigkeit vom VOC Wertedimension Bivariat Verhaltensbestätigung und Status 0,09* KurzfristigerKomfort -0,21 ** Affekt & Stimulation 0,12** Langfristiger Komfort 0,01 Quelle: Indonesische VOC-Stlehprobe 2002, eigene Berechnungen Anmerkungen: **p
Multivariat 0,06 -0,20** 0,10* -0,05

Überlebenskurven der Zweit-, Dritt- und Viertgeburt: Im Folgenden werden die Hypothesen zur mehrfachen Mutterschaft einer empirischen Analyse unterzogen . Bevor jedoch Timing- und Risikoeffekte auf die Geburt bestimmter Paritäten untersucht werden, sollen zunächst die Überlebenskurven einen Einblick über die Risikoverläufe geben . Einen ersten Eindruck über die zeitliche Verortung bestimmter Paritäten und deren Geburtsrisiko soll die Abbildung 6.4 geben, in der acht Überlebenskurven zusammengefasst sind . Es lassen sich Unterschiede im generativen Verhalten hauptsächlich in Abhängigkeit vom Affekt- und Stimulationswert sowie dem kurzfristigen Komfort konstatieren. Dieser erste Befund wird nun noch einmal gesondert betrachtet (vgl. grau unterlegte Grafiken der Abb . 6.4). Hierfür wurden zwei Gruppen gebildet: (a) Personen, die den kurzfristigen Komfortwert hoch und den Affektund Stimulationswert niedrig bewerten und (b) Personen, die den kurzfristigen Komfort niedrig und den Affekt- und Stimulationsnutzen hoch bewerten. Die Differenzierung zwischen hoher und niedriger Werteausprägung erfolgte wiederum anhand des Mittelwertes. Hintergrund dieser Typenbildung ist die Vermutung, dass der erste Personenkreis eher " traditionelle" Vorstellungen vom Wert hat, wohingegen der zweite Personenkreis eher " moderne" Wertmaßstäbe vertritt. Für beid e Gruppen ist es mit über 90 % überaus wahrscheinlich, im Alter von 40 Jahren ein zweites Kind zu gebären. Dennoch bestehen geringe Unterschiede . Die Gruppe der "Modemen" scheint eine Zwe itgeburt mit einer etwas größeren Wahrscheinlichkeit zu real isieren, wohingegen bei Personen mit traditionellen Wertemustern dieser Übergang deutlich früher stattfindet. Dementsprechend haben 50 % der "Traditionellen", aber nur 30 % der "Modemen" im Alter von 26 Jahren ein zweites Kind geboren.

6.3 Ergebnisse

211

Überlebenskurven d e r Zweit- bis vicrtgcburt nach Wertebe urteilung

Abbildung 6.4:

, 0.0 0 .' 0 .' 0. ' 0 .' 0. ' 0 .'

·,, ·,,,

~~

,

0. ' 0 .' 0

.

... o__-.. .......

·~

0

~-

0

" •• • ••

•••

0

,~

. o=.

. ~.

~o

•

0

o.a

0

0, ' 0

"

o. _... ... ..... ..........

-- •

·, 0

------ .~ '

" "

,- ,-

"I=--_

o.a 0 .' 0 ,' 0

'",

,-

~.

..••· ..- , ...... .... j!

~ v • hoe h .... s r boe h

•

.f>

_____ -" 0,,""""' ~~

~

~.

_

-.. ~-

.

~

•

t
•

0

,0

~.

- O - CO(1>0<10

I

-~

' ~ . _~ .

""

0 ••

.,)-

~~

~

• •

I 0 · ' ;"0 _ .... s , 0. ' ''0 _

~o

0

G eburt Kind 3

'" '"

.

. ,-

" - o -ert l< hoo hoch " - 0 - 1< 1<

0· ''"'0 ___ tK 0. ''0

~ .

~

~~••

,-

~.

KO(o
• ,

•

0 .' 0 .' 0 ,' 0 ,' 0 .' 0 .'

~.

~

- '.

,

•, ••

0

'"

~~

" l:--" . n p' 11" ' ..''0 _ _ ..v 8ls o __

"

0 ,' 0 ,' 0 ,' 0 ,' 0 ,' 0 ,' 0 ,'

•

I

G ebu, t Kind 2

.-

I

G eburt Kind 4

--

•

,

' 0

~o

t=--.. &ST:::::: ::::::: .. I ST ..:

_. -

~~

..

~.

~,~

_ _ LK II"' ''O

~.

~.

,0

-<>- lK 1>0< ..

Quelle : Indonesische VOC-Stlchprobc 2002, eigene Berechnungen

,~

I

212

6 Empirischer Teil II: Der VOC als intermediäre Variable

Neben Timingeffekten sind für die Geburt von Kindern höherer Parität auch Risikoeffekte feststellbar. "Traditionelle" realisieren im Vergleich zu "Modernen" häufiger eine Dritt- oder sogar Viertgeburt. Wie die Abbildung 6.4 zeigt , besteht nur ein geringer Einfluss der Wertebeurteilung auf das generative Verhalten, der jedoch die grundlegenden Annahmen zu bestätigen scheint. Die Bewertung des kurzfristigen Komfortwertes und des Affekt- und Stimulationswertes determinieren den Zeitpunkt für den Übergang zur Mutterschaft und ebenfalls das Risiko einer Dritt- und Viertgeburt. Um die sen visuellen Eindruck auch empirisch zu belegen, werden nun Timing- und Risikoeffekte auf der Basis des generalisierten log-logistischen Modells unter sucht. Zweit-, Dritt- und Viertgeburt in Abhängigkeit vom VOC: Die parametrische ModelIierung der Übergänge auf der Basis des generalisierten loglogistischen Modells ermöglicht es, Timing- und Risikoeffekte getrennt voneinander zu betrachten. Dadurch kann zum einen unterschieden werden, ob eine spezifische Ausprägung des Wertes von Kindern eine aufschiebende oder beschleunigende Wirkung auf die zeitliche Verortung bestimmter Paritäten im Lebenslauf hat (a-Term) und es kann zum anderen beurteilt werden, ob die Wahrscheinlichkeit des Übergangs steigt oder sinkt (c-Terrn), Die in Tabelle 6.11 zusammengefassten Befunde bestätigen die Ergebnisse, die sich bereits aus den Überlebenskurven herleiten ließen (s. o. Abb . 6.4) . Wie bereits festgestellt, sind die Unterschiede im generativen Verhalten in Abhängigkeit vom VOC allgemein gering. Statistisch bedeutsame Variationen sind nur für den Affekt- und Stimulationswert und den kurzfristigen Komfortwert belegbar. Für die einzelnen Paritäten von Kindern können die folgenden Befunde konstatiert werden. Zweitgeburt: Für die Zweitgeburt lassen sich in erster Linie Timingeffekte nachweisen. Entgegen der Erwartung (s. o. Kap. 4.3) führt jedoch eine höher Bewertung des Wertes von Kindern für Verhaltensbestätigung und Status nicht zu einer Beschleunigung des Übergangs zur Zweitgeburt, vielmehr weisen die Schätzungen eine Verzögerung des Übergangs nach (;t:H 3.14) . Bewerten Mütter den Wert von Kindern für Verhaltensbestätigung und Status hoch , bekommen sie ihr zweites Kind in der Regel signifikant später (Exp(a) 1.04) . Dagegen kann für den kurzfristigen Komfort eindeutig eine beschleunigende Wirkung festgestellt werden (=H 3.11) . Ein starkes Gewicht des Arbeits- und Einkommensnutzens von Kindern führt außerdem dazu, dass der Übergang zur Zweitgeburt im Vergleich zu den anderen Wertedimensionen am schnellsten erfolgt (Exp(a) 0,92). Ein verzögernder Effekt des Affekt- und Stimulationswertes (Exp(a) 1,04) ist nur durch die bivariaten Analysen nachweisbar und dort auch nur auf dem 10 % Niveau signifikant. Auch dieser geringe Effekt könnte durch eine spätere Erstgeburt, in deren folge auch eine Zweitgeburt nur vergleichsweise spät realisierbar

2lJ

6.3 Ergebnisse

ist, verursacht sein (s. o. Kap. 5.3). Analysen, die sich konkret auf den Abstand zwischen Erst- und Zweitge burt bezogen, konnten nicht belegen, dass sich infolge des Affekt- und Stimulationswertes der Abstand zwischen Erst- und Zweitgeburt verkürzte oder verlängerte. Das .Spacing'' zwischen Erst- und Zweitgeburt reduziert sich infolge des emotionalen Wertes von Kinde rn nicht (#:II 3,16). Für den langfristigen Komfort können, wie oben in Kapitel 4.3 vorhergesagt, keine Timingunterschiede festgestellt werden (=H 3.12). Die fehlenden Risikounterschiede beim Übergang zur Zweitgeburt falsifizieren zwar die Hypothesen (#:H 3.3. #:H 3.5 und #:H 3.7), sind aber trotzdem nicht überraschend. Es war zu erwarten. dass der Geburtenrückgang in Indonesien primär durch den Rückgang von Geburten höherer Parität verursacht wurde. Umso überraschen der und entgegen der Erwartungen ist deshalb der signifikant negati ve Effekt des kurzfristigen Komforts (#:H 3.1). Über die Ursachen dieses Ergebnisses kann nur spekuliert werden. worauf an dieser Stelle verzichtet wird. Auch eine inhaltliche Interpretation erscheint wenig aussichtsreich. Vermutlich ist die Zelle ..Geburt des zweiten Kindes" durch die Stichprobenzieh ung geringer besetzt. Tabelle 6.11: Zweit-, Dritt- und Viertgeburt in Abhängigkeit vom VOC

VOC - Präd iktorcn

Standardi sierte Koeffizienten (Si >.) 2.Gehurt 3.Geburt Bivariat Multi- Bivariat Multivariat variat

4.Gehu rt Bivariat Multivariat

'~i-Te rlll (Ti min g) Verhalte nsbest. & Status

[,04· [,025 1,03 1,04 1.03 xx 0,92** 0,92· · 1,05· 0,97 0,97 Kurzfristiger Komfort 1,02 [,04+ 0,98 1,02 1,00 1,06* xx Affekt & St imulation [,0 1 Lan rfristiucr Komfo rt 1,0 l 0.97 0.97 0.99 1.00 C- Ter m( Risiko) 0,99 1,08 0,99 0,99 xx 0,98 Verhalte nsbest. & Status 0,85+ 0,84· 1, 13+ 1, 16· 1, 18 · 1,10 Kurzfri stiger Komfort 0,97 0,94 0,92 0,89 0,74 ** xx Aff ekt & St imulation Langfristiger Kom fort 0,98 1,05 0,9 1+ 0,92 1,07 1, 18 " 143 Zensiert 256 113 N 687 432 293 Quelle. Indonesische VOC-Sllehprobe 2002, eigene Berechnun gen Anm erkungen : generalisie rtes log- logistisches Model , *·p
Drittgeburt. Für die Drittgeburt können Timingunterschiede nur in den bivariaten Analysen für den kurzfristigen Komfort nachgewiesen werden. Dieser Effe kt verliert allerdings im multivariaten Modell an statistischer Bedeutung. Das Er-

214

6 Empirischer Teil II: Der VOC als intermediäre Variable

gebnis ist unproblematisch, weil Timingeffekte bei der Drittgeburt für die Erklärung des Geburtenrückgangs keine Rolle spielen. Vielmehr sind die Risikoeffekte interessant, da angenommen wurde , dass der Geburtenrückgang in Indonesien in erster Linie durch eine Reduktion von Geburten höherer Parität verursacht worden ist (s. o. Kap. 4.3). Ein Vergleich der Befunde bestätigt die entsprechenden Vorannahmen weit gehend . Als wichtigste Determinante der Drittgeburt stellt sich der Arbeits - und Einkommensnutzen heraus . Bewerten Mütter den Arbeits - und Einkommensnutzen von Kindern hoch , steigt die Wahrscheinlichkeit einer Drittgeburt (Exp(c) 1,16) (=H 3.2a). Darüber hinaus bestätigen die Ergebnisse, dass die Entscheidung für die Geburt des dritten Kindes ausschließlich vom kurzfristigen Komfortwert getragen wird. Alle anderen Wertedimensionen wirken sich tendenziell negativ aus. Entgegen der Erwartungen konnte für den Affekt- und Stimulationswert von Kindern kein signifikant negativer Effekt auf das Ereignis .Drittgeburt" beobachtet werden (;tH 3.9a). Zwar tendieren die Ergebnisse in die erwartete Richtung, dieses lässt sich aber nicht statistisch beweisen . Der langfristige Komfort weist ebenfalls eine negative Tendenz auf. Diese ist in der bivariaten Analyse sogar auf dem 10 % Niveau signifikant. Beim langfristigen Komfort wurde jedoch von einem Wandel der Maximierungsstrategie ausgegangen (s. o. Kap . 4.3) . Deswegen erfolgt die Überprüfung der Hypothesen zum Versicherungswert von Kindern unten an späterer Stelle . Die Bewertung von Verhaltensbestätigung und Status hat , wie erwartet, keinen Einfluss auf die Übergangswahrscheinlichkeit (=H 3.7a). Viertgeburt : Für die Analyse der Viertgeburt standen deutlich weniger Fälle zur Verfligung. Deshalb konnten in den bivariaten Analysen für einige Dimensi onen keine Schätzungen mehr vorgenommen werden. Im multivariaten Modell war dies zwar möglich , aber auch hier galt, dass die Ergebnisse in Anbetracht der geringen Fallzahl nur mit Vorsicht zu interpretieren waren . Bestätigt wurde aber , dass der Wert von Kindern für Verhaltensbestätigung und Status keinen Einfluss auf die Viertgeburt hat (=H 3.8b) und, dass vor allem Personen, die den kurzfristigen Komfort hoch bewerten, ein stärkeres Interesse an der Geburt eines vierten Kindes haben (=H 3.2b). Für den Affekt- und Stimulationswert von Kindern besteht dieser Zusammenhang in umgekehrter Richtung. D. h., Frauen, die den Affekt - und Stimulationswert von Kindern hoch bewerten, realisieren die Geburt eines vierten Kindes seltener (=H 3.9b). Der positive Effekt des Versicherungsnutzens auf die Viertgeburt ist an dieser Stelle wiederum uninteressant, weil die Überprüfung der Hypothesen im Hinblick auf diesen Werte aspekt an späterer Stelle erfolgt. Insgesamt sind die Effekte der Wertedimensionen auf den Übergang der Zweit-, Dritt und Viertgeburt gering. Sie können keineswegs den im ersten Kapitel beschriebenen enormen Geburtenrückgang erklären. Eine mögliche Ursache

6.3 Ergebnisse

215

könnte die geringe Varianz und die starke Zustimmung der Frauen bei der Beurteilung der Nutzen von Kindern sein (s. o. Tab. 6.2). Weil die jeweiligen Werteaspekte durchweg." als hoch eingestuft wurden , ist es schwer, auf deren Basis Variationen im generativen Verhalten nachzuweisen. Um dieses Datenproblem zu reduzieren, ist es notwendig, die Unterschiede in der Wertebeurteilung zu erhöhen . Hierzu wird erneut auf die bereits beschriebenen VOC-Gruppen ("Traditionelle" und "Moderne") zurückgegriffen. Denn der Geburtenrückgang in Indonesien sollte gemäß den Vorüberlegungen zwei Ursachen haben. Zum einen sollte infolge der Reduktion des kurzfristigen Komfortwertes der Affekt- und Stimulationswert bei der Entscheidung für oder gegen die Geburt eines (weiteren) Kindes an Bedeutung gewonnen haben" (s. o. Kap. 4.2), wodurch ein negativer Effekt auf die Dritt- und Viertgeburt zu erwarten ist (s. o. Kap. 4.3). Zum anderen wurde von einem Wandel der Nutzenmaximierungsstrategie des langfristigen Komfortwertes ausgegangen (s. o. Kap. 4.3). Die älteren Kohorten sollten ein Interesse an der Geburt von relativ vielen Kindern zur Realisierung des Versicherungsnutzens haben, während die jüngeren Kohorten ihre Kinderzahlen reduzieren sollten , weil so Investitionen in die Qualität von Kindern möglich bleiben . Einfluss von VOC-Typen: Um die Unterschiede im generativen Verhalten durch die Wertebeurteilung zu verdeutlichen, wird nun der Einfluss auf die Zweit-, Dritt- und Viertgeburt anhand der VOC-Gruppen "Traditionelle" und "Moderne" geprüft. Diese Typen sollen stärker vermeintlich traditionelle von modernen Einstellungen trennen , als dies durch die einzelnen Wertedimensionen möglich war. Zur Typenbildung wurde wiederum das bereits für die Überlebens kurven verwendete Verfahren genutzt. In Tabelle 6.12 wird nun mit Hilfe von bivariaten Analysen das generative Verhalten dieser VOC-Typen. Die Befunde bestätigen, dass Personen, die den Wert von Kindern "traditionell" beurteilen , die Zweitgeburt deutlich früher realisieren und auch ein drittes (Exp(c) 1,44) und viertes Kind (Exp(c) 1,32) signifikant häufiger gebären als der Rest der Stichprobe . "Moderne" zögern nicht nur die Geburt des zweiten (Exp(a) 1,21) und dritten Kindes (Exp(a) 1,17) hinaus, sondern realisieren die Geburt von Kindern höherer Parität auch insgesamt seltener. Dies gilt besonders für die Viertgeburt (Exp(c) 0,47). Vergleicht man nun die "Traditionellen" und die "Modernen" direkt miteinander, verstärken sich die Effekte erwartungsgemäß. Aufgrund der Als Ausnahme kann hier nur der kurzfristige Komfortnutzen angeführt werden, weil die Bewertung dieses Nutzenaspektes stärker streute (s. o. Kap. 6.2.2 bzw. Kap. 6.3.1). 50 Das Problem der steigenden ,salience' des Affekt- und Stimulationswertes von Kindern infolge des Bedeutungsverlusts des kurzfristigen Komforts (vgl. dazu auch Nauck 2001: 417, Klaus 2008: 193) wird in einem Exkurs in Kapitel 6.3.6 gesondert betrachtet. 49

216

6 Empirischer Teil II: Der VOC als intermediäre Variable

deutlich reduzierten Fallzahl gehen jedoch Signifikanzen verloren. Modernere Einstellungen führen also dazu, dass die Wahrscheinlichkeit der Geburt von Kindern höherer Parität deutlich stärker sinkt. Das Problem der geringen Variationen in der Beurteilung der Nutzen von Kindern kann also durch die Typenbildung etwas reduziert werden. Tabelle 6.12: Zweit-, Dritt- und Viertgeburt in Abhängigkeit von VOC-Typen Standardisierter Koeffizient (Sig .)

VOC-Typen

2.Geburt

Traditionelle

a-Term

vs.

c-Term

Alle Anderen

Zensiert N

Modeme vs.

a-Term c-Term

Alle Anderen

Zensiert

Modeme vs.

3.Geburt

4.Geburt

0,83** 0,78

0,95 1,44*

1,00 1,32+

256

143 432

113 293

1,61 *

1,17* 0,97

0,94 0,47**

256

143

113

N

687

432

293

a-Term

xx

1,17*

c-Term

xx

0,76

0,96 0,47**

687 1,21**

Traditionelle

Zensiert 115 71 69 N 351 351 168 Quelle : Indonesische VOC-Stlchprobe 2002, eigene Berechnungen Anmerkungen : generalisiertes log-logi stisches Modell, **p
Besonderheit des Versicherungswertes von Kindern: Im vierten Kapitel wurde für die Realisierung des Versicherungs wertes von Kindern von einem Wandel in der Nutzenmaximierungsstrategie ausgegangen : Während für Frauen der Geburtskohorten bis 1954 angenommen wird, dass kein Interesse an der Reduktion von Geburten bestand, sollte für die Geburtsjahrg änge ab 1955 durchaus Interesse daran bestehen (s. o. Kap. 4.3). Diese Annahme wird nun in zwei Schritten überprüft. In einem ersten Schritt werden Cox-Regressionen" getrennt nach den Geburtskohorten für die zweite und dritte Parität berechnet. Die so gefundenen 51

Auf die Vorzüge des generalisierten log-logistischen Modells muss hier verzichtet werden , da durch dieses Verfahren eben keine Interaktionseffekte zwischen den Variablen untersucht werden können . Für die Cox-Analyse wurde eine dichotomisierte Variable generiert, die Frauen unterscheidet, die (a) bis 1954 (diese wurden mit 0 codiert) und (b) ab 1955 geboren wurden (diese wurden mit 1 codiert).

6.3 Ergebnisse

217

Ergebnisse bestätigen die Vermutung einer gewandelten Nutzenmaximierungsstrategie. Wie erwartet, ist der Einfluss des langfristigen Komfortwertes unter Kontrolle aller anderen Variablen auf die Geburt des zweiten Kindes (Exp(b) 1,09), des dritten Kindes (Exp(b) 1,09) und des vierten Kindes (Exp(b) 1,14) unter den älteren Kohorten positiv. Da jedoch diese Effekte gering sind und auch nicht abgesichert werden können, ist es unmöglich, die Hypothesen (:;tH 3.3, ;tH 3.4a und ;tH 3.4b) eindeutig zu verifizieren. Dennoch kann ein Wandel der Nutzenmaximierungsstrategie beobachtet werden. So besteht in den jüngeren Geburtskohorten zwar kein Einfluss des langfristigen Komfortwertes auf die Geburt des zweitens Kindes (;tH 3.5), aber erwartungskonform wirkt sich eine große Bedeutung des Versicherungsnutzens von Kindern signifikant negativ auf die Geburt des dritten Kindes (Exp(b) 0,85) aus (=H 3.6). Um die Annahme der gewandelten Nutzenmaximierungsstrategie abschließend bewerten zu können , werden in einem zweiten Schritt Cox-Regressionen mit Interaktionseffekten zwischen den Variablen Geburtskohorte und langfristiger Komfortwert berechnet. Wie erwartet, ist der Interaktionseffekt zwischen beiden Variablen negativ. Zwar ist dieser Effekt für die Zweitgeburt (Exp(b) 0,89) und Viertgeburt (Exp(b) 0,85) nicht signifikant, er kann aber für die Drittgeburt (Exp(b) 0,85) auf dem 10 % Niveau abgesichert werden. Dementsprechend reduziert sich die Geburt von Kindern höherer Parität in den jüngeren Geburtskohorten, wenn sie den langfristigen Komfort hoch bewerten. Eine Konzentration aller familiären Ressourcen in immer weniger Kinder scheint im gegenwärtigen Indonesien eine erfolgreiche Strategie zu sein, um den Versicherungsnutzen von Kindern zu erhöhen. Ursächlich für den Wandel in der Nutzenmaximierungsstrategie sollte das hohe Risiko der Kindersterblichkeit im "vormodernen" Indonesien sein. Während im .vormodemen'' Indonesien noch ein Teil der Kinder geboren wurde , um mögliche Todesfälle bedingt durch die hohe Kindersterblichkeit ausgleichen zu können, sind derartige Kalkulationen (angesichts des besseren Gesundheitszustandes der Bevölkerung) gegenwärtig nicht mehr notwendig. Der Vergleich der Variablen ,ideale' Kinderzahl und ,geplante' Kinderanzahl macht diese Überlegung deutlich. Wenn also die Annahme einer Art "Überproduktion" von Kindern in den älteren Geburtskohorten richtig sein sollte, müssten diese auch mehr Kinder geplant haben , als es ihrem Ideal entsprach. In den jüngeren Kohorten sollte sich diese positive Differenz hingegen deutlich reduzieren. Zur Überprüfung werden in Tabelle 6.13 zunächst einfache Mittelwertsvergleiche angestellt.

6 Empirischer Teil I): Der

218

vac als intermediäre Variabl e

Tahelle 6.13: Relation zwischen geplanter und ideale r Kinderzahl weniger als Geb urtsk ohorte . Bis 1954

ideal

wie idea l

mehr als ideal

N

%

N

%

N

%

ANOVA cta/bcta: R' : 0,46** 0,21

16

12,3

25

19,2

89

68,5

2,60

1955-1964

22

12,9

75

43,9

74

43 ,3

0,77

1965 -1974

31

16,0

103

53,1

60

30,9

0.2 5

1975-1984

51

25 ,0

114

19,1

-0,83

120

17,2

317

55,9 45 ,4

39

rcsamt

262

37,5

699

Quelle. Indonesische VOC -Stlchprohc 2002, eigene Berechnungen Anmerkungen: **p
68,5 % der ältesten Gebu rtskohorten planen meh r Kinde r als sie als ideal empfinden . Dieser Ante il geht in den jün gsten Ge burtskohorten deutl ich zurüc k. Hier ist in der Mehrh eit der Fälle die Anza hl der geplanten un d idealen Kinder decku ngsgleic h (53, I % bzw. 55.9 %). Für die beiden j ün gsten Geburtskohorten kann darü ber hina us beobachtet we rden, dass der Ante il d erer steigt , d ie weniger Ge burten planen , als es ihrem Ideal ents pricht (25 %). Dem Anschein nach bestätigt sich die Ver mutung eine r "Ü berprodu ktion" von Kindern bei den älteren Kohorten. Für die empi rische Absic herung sind allerding s Zusam men hangsanalysen notwendig . Dazu wurde aus den Var iablen .idcalc ' Kinder zahl und ,gepla nte' Kinderzahl eine Saldovari ab le generiert und mittels Varianzanalyse die Effekte der Geburtskohorten gesc hätzt. Die Ergebnisse (s. o . in Tab. 6.13 , das grau unterl egte Feld) zeigen mit eine m Mitte lwert von 2,6 einen pos itiven Saldo der ältesten Kohorte, wohingegen die j üngsten Geburtskohorten einen leicht negati ven Saldo haben (Saldo: -0,83). Die Ana lysen best äti gen die Vermutung mit ei ner Effektstärke von cta/b cta 0,46 und einem R2 von 21 % hoch signi fikant. Die Überlegung, dass vor allem die älte sten Geburtskohorten mehr Kinder planen als sie als ideal empfinden , ist somit empi risch nachweisbar. Zwisc hen bilanz: Für den Z usammenhang zwische n Wertebeurteilung und dem generativen Verhal ten sind drei zentrale Befu nde festzu halten . Erstens: Das generative Verhalten wird durch den kurzfristigen Kom fortwe rt nicht nur entscheidend. sondern auch in die erwartete Richtung geprägt. Bewerten potenzielle Elte rn den kurzfristigen Komfortwert von Kindern hoch. vollziehen sie den Übergang zur Erstgeburt nicht nur schneller, sonde rn sind gleic hzei tig auch stärker de m Risiko von Ge burten höherer Parität ausgesetzt. Im Vergleich dazu ist die Effektstärk e der anderen Werte dimensionen niedrig. Led iglich der Affe kt- und Stimulationswert kann nebe n dem kurzfristigen Kom fort

6.3 Ergebnisse

219

das generative Verhalten nachweislich beeinflussen. Wie erwartet, besitzt der emotionale Wert eine aufschiebende Wirkung auf den Übergang zur Erstgeburt sowie einen risikoreduzierenden Effekt auf die Geburten von Kindern höherer Paritäten. Diese Befunde ließen sich durch die Bildung der VOC- Typen "Traditionelle" und "Moderne" nochmals bestätigen. Gleichzeitig konnten durch diese Typenbildung die Effektstärken der Wertebeurteilung auf das generative Verhalten erhöht werden. Folglich hat der Wandel in den Werten von Kindern in seiner Gesamtheit entscheidend zum Geburtenrückgang beigetragen. Zweitens: Der Wandel der Nutzenmaximierungsstrategie für den Versicherungswert von Kindern konnte ebenfalls empirisch bewiesen werden. Dementsprechend reduzieren die Geburtskohorten ab 1955 die Geburt von Kindern höherer Parität wenn , sie den Versicherungswert von Kindern hoch bewerten. Die empirischen Ergebnisse geben außerdem Anlass zu der Vermutung, dass für die höheren Kinderzahlen der älteren Geburtskohorten tatsächlich die höhere Kindersterblichkeit verantwortlich war. So übersteigt nur in den älteren Kohorten die Anzahl der .geplanten' Kinder die .ideale' Kinderzahl. Diese "Überproduktion" war eine Strategie, um mögliche Todesfälle aufgrund einer erhöhten Kindersterblichkeit auszugleichen. Drittens: Die Beurteilung der Effektstärken der Wertevariablen auf das generative Verhalten ist schwierig. Zwar entspricht die Richtung der Effekte den im vierten Kapitel aufgestellten Hypothesen weit gehend , ihre Effektstärke erscheint aber in Anbetracht des im ersten Kapitel beschriebenen Geburtenrückgangs zu gering , um dem VOC -Konstrukt eine entscheidende Erklärungskraft zuzusprechen. Dieser Einwand kann durch folgende Argumente jedoch wieder entkräftet werden: (a) Entscheidende Variationen im generativen Verhalten sind in Indonesien erst ab der Dritt- und Viertgeburt zu erwarten. Bereits die Kohortenanalyse im fünften Kapitel zeigte, dass eine statistisch bedeutsame Reduktion der Geburtenzahlen , beginnend mit der Geburt des dritten bzw. vierten Kindes, stattfindet und hierfür die Kohorten ab 1956 verantwortlich sind (s. o. Kap. 5.4.1). Diese Tatsache stellt die empirische Überprüfung durch den VOC -Survey vor enorme Schwierigkeiten. Die Analyse der Dritt- und vor allem Viertgeburten ist hier aufgrund der geringen Fallzahlen problematisch. Dieses Fallzahlenproblem potenziert sich außerdem für die jüngeren Geburtsjahrgänge. Sie haben nicht nur aufgrund des kürzeren Beobachtungszeitraums geringere Chancen, eine Geburt höherer Parität zu realisieren, sie sollten auch entsprechend der theoretischen Vorannahmen seltener drei oder mehr Kinder gebären. Also in Fällen, in denen ein Einstellungswandel erwartet wird und dieser einen negativen Einfluss auf das generative Verhalten haben sollte, fehlen gerade Fallzahlen, um diesen Zusammenhang nachzuweisen bzw . statistisch abzusichern.

220

6 Empirischer Teil II: Der VOC als intermediäre Variable

(b) Für das Problem der geringen Effektstärken der Wertedimensionen kann auch die regionale Begrenzung des VOC-Surveys auf West-Java eine Rolle spielen. Denn West-Java ist die Region, die mit einer TFR von 2,8 um die Jahrtausendwende (s. o. Tab. 1.3) das höchste Geburtenniveau Javas aufweist. Es ist also zu erwarten, dass die Unterschiede bei der Drittgeburt in der zugrunde liegenden Stichprobe noch geringer sind als im restlichen Java. Darunter sollten die Zusammenhangsanalysen zwischen Wertegewichtung und generativen Verhalten ebenfalls leiden. In Anbetracht dieser methodischen Schwierigkeiten sind die Ergebnisse durchaus zufrieden stellend. 6.3.4 Wert des Kindes (VOC) als intermediäre Variable Im Folgenden soll mit der Hilfe von Strukturgleichungsmodellen'" die vermittelnde Rolle des VOC-Konstruktes überprüft werden. Die Grundidee ist, dass primär kein direkter Einfluss der unabhängigen Variablen (Wohn kontext, Bildungsniveau und sozioökonomischer Status) auf das generative Verhalten besteht, sondern vielmehr durch den Wert von Kindern vermittelt ist (s. o. Kap. 4.4) . Um diese Annahme empirisch zu überprüfen, werden zwei Strukturgleichungsmodelle miteinander verglichen: 1m ersten Modell (indirektes Modell) werden die Pfade von den unabhängigen Variablen zum generativen Verhalten nur über die Wertevariable zugelassen. Im zweiten Modell (direktes Modell) werden neben dem indirekten Pfad auch die direkten Verbindungen von ökonomischem Status, Wohnkontext und Bildung auf das generative Verhalten aufgenommen. Ein Vergleich " beider Modelle soll klären, ob der VOC als intermediäre Variable einen entscheidenden Beitrag zur Vorhersage des generativen Verhaltens leistet. Weil sich die unabhängigen Variablen gegenseitig bedingen (s. o. Ähnliche Strukturgleichungsmodelle hat bereits Klaus (2008) rur die Analyse der intermediären Rolle des Wertes von Kindern für die Türkei aufgestellt und untersucht. 53 Die Zusammenhänge innerhalb der Strukturgleichungsmodelle werden mit Hilfe der Statistik-Software Mplus ermittelt (vgl. Muthen, Muthen 2007) . Welche Schätzungen bzw. Gütekriterien für die Modellanpassung Mplus ausgibt, wird von den Eigenschaften der abhängigen Variable bestimmt. So informiert der Outputfile für das Erstgebäralter neben den Korrelations- bzw . Regressionskoeffizienten und klassischen fit-indizes auch über die Effektstärke und Signifikanzen der indirekten Pfade. Im Vergleich dazu ist der Informationsgehait der Modelle für die Drittgeburt geringer. Weil die Variablen Geburt des dritten bzw. vierten Kindes rechtszensiert sind, müssen Cox-Regressionen in das Modell integriert werden . Ihre Verwendung ermöglicht allerdings keine Ausgabe von fitindizes und keine Schätzung der indirekten Pfade . Hier sind lediglich Informationen zu Signifikanzen und Effektstärken der Korrelationen bzw. Regressionen möglich. 52

6.3 Ergebnisse

221

Kap. 6.2.1), werden auch Korrelationen zwischen ihnen berücksichtigt. In die empirischen Analysen fließen nur der kurzfristige Komfortwert und der Affektund Stimulationswert ein, weil für die anderen Wertedimensionen kein statistisch bedeutsamer Einfluss auf das generative Verhalten nachgewiesen werden konnte (s. o. Tab . 6.11) . Erstgeburt: Die Ergebnisse des direkten Modells zur Erstgeburt sind in der folgenden Abbildung zusammengefasst. Die Kovarianzen bzw. der Regressionskoeffizient (beta) informiert über die Art und die Stärke der Zusammenhänge. Kurzfristiger Komfortwert: Es bestätigt sich erneut der negative Zusammenhang zwischen ökonomischen Status , Bildungsniveau und städtischen Wohnkontext auf die Beurteilung des kurzfristigen Komfortwertes (s. o. Kap. 6.3.2). Zudem konnte im indirekten Modell der beschleunigende Effekt des kurzfristigen Komfortwertes auf den Übergang zur Mutterschaft (s. o. Kap. 6.3.3) repliziert werden (beta : -0,95) . Die Schätzung der indirekten Pfade beweist, dass es einen signifikant negativen Effekt des Bildungsniveaus (beta: 0,47), des städtischen Wohnkontextes (beta : 0,20) und des ökonomischen Status (beta: 0,06) über den VOC auf die Erstgeburt gibt. Die Variable Bildung ist hierbei am aussagekräftigsten. Es sind vor allem hoch gebildete Frauen, die infolge der geringen Bewertung des kurzfristigen Komfortwertes ihr erstes Kind später zur Welt bringen. Die Gütekriterierr'" weisen allerdings auf eine sehr schlechte Modellanpassung hin, weswegen dieses Modell verworfen und auch in Abbildung 6.5 (s. u.) nicht dargestellt wurde. Ein Vergleich des indirekten Modells mit dem direkten Modell spricht nun aus zwei Gründen gegen den VOC als intermediäre Variable. Zum einen ließen sich erst im direkten Modell die Gütekriterien der Modellanpassung optimieren. Die Erweiterung des Modells durch die Aufnahme der direkten Pfade war also notwendig, um überhaupt eine empirische Anpas sung zu realisieren. Zum anderen geht die Erklärungskraft des kurzfristigen Komfortwertes auf das Erstgebäralter fast vollständig verloren. Dementsprechend reduziert sich im direkten Modell die Bewertung des kurzfristigen Komfortwertes von beta -0,95 auf beta -0,04 auffällig. Ein eigenständiger Effekt des kurzfristigen Komfortwertes besteht also nicht.

54 Zur Beurteilung der Modellanpassung stehen die fit-indizes: Root-mean-square residual 0/ approximation (RMSEA, mindestes <0,08), Standardized Root Mean Square Residual (SRMR, guter Fit <= 0,05), Tucker-Lewis Index (TU, guter Fit >0,95) und der Comparative FIT Index (CFI, guter Fit > 0,95) und Freiheitsgrade (df) mit den entsprechenden Schwellenwerten zur Verfügung (vgl. Byrne 200 I).

6 Empirischer Teil I): Der VOC als intermediäre Variable

222

VOC als interme diäre Variable (Erstgc bäraltcr)

Abbildung 6.5:

Ökonomischer Status

"::::':~:~9"

...........

I

Region: Land/Stadt

I

I

0.00

?

,---'-----'------,

~.~ ~.~.~.~

Affekt & Stimulation

0 240*

•.. . . . . .. ...

0,1R

........... Erstgebaralter

2.73.' ···········.. t;

•..••••••••

~:.:.:.~.~

i

J

Ökonomischer

Status

I

Region: land/Stadt

I

Kurzfristiger Komfort

-ü,04

Erstgcbäraltcr

Bildung

Quelle: Indonesische VOC,Slichprobe 2002 , eigene Berechnungen

Anmerkungen: N=691;**[1<0.0 1, *p<0.05

Affekt- lind Stimulationswen. Im indirekten Modell kann der aufschieben de Einfluss des Affekt- und Stimulationswertes auf de m I % Nivea u nachgewiesen

6.3 Ergebnisse

223

werden (beta: 0,47). Beeinflusst wird dieser Werteaspekt insbesondere durch das Bildungsniveau (beta: 0,24). D. h., vor allem gebildete Frauen bewerten den Affekt- und Stimulationswert von Kindern hoch und zögern die Geburt ihres ersten Kindes heraus. Die Stärke dieses Zusammenhanges (beta: 0,11) ist zwar signifikant, aber deutlich geringer als für den kurzfristigen Komfortwert. 1m Gegensatz dazu spielen die indirekten Pfade des ökonomischen Status und des Wohnkontextes über den Affekt- und Stimulationswert überhaupt keine Rolle. Die Gütekriterien der Modellanpassung erweisen sich erneut als inakzeptabel. Folglich ist davon auszugehen, dass mit Hilfe des indirekten Modells die zeitliche Verortung der Erstgeburt nicht vorhergesagt werden kann, weshalb das Modell auch nicht dargestellt wurde. Im direkten Modell sind erneut die direkten Effekte des Bildungsniveaus, des ökonomischen Status und des Wohnkontextes auf das Alter der Mutter bei der Geburt des ersten Kindes am größten. Dagegen reduziert sich wiederum die Wirkung des Affekt- und Stimulationswertes. Drittgeburt: Die Ergebnisse des direkten Modells zur Drittgeburt sind in der Abbildung 6.6 (s. u.) zusammengefasst. Im ersten Teil der Strukturgleichungsmodelle werden Kovarianzen bzw. Regressionskoeffizienten (beta) ausgegeben . Im zweiten Teil der Abbildung werden (wie für die Ereignisdatenanalyse üblich) exponenzierte betas (Exp(b)) dargestellt. Kurzfristiger Komfortwert: Für die Drittgeburt bestätigt sich ebenfalls der negative Einfluss des Bildungsniveaus (beta: -0,59) und des städtischen Wohnkontextes (beta: -0,25) auf die Beurteilung des kurzfristigen Komfortwertes von Kindern. Wiederum sind es vor allem Frauen, die in der Stadt leben und über ein hohes Bildungsniveau verfügen , die den kurzfristigen Komfortwert niedrig bewerten. Im indirekten Modell ist der positive Einfluss des kurzfristigen Komfortwertes zwar relativ gering, aber hoch signifikant. D. h., bewerten Frauen den Einkommens- und Arbeitsnutzen von Kindern hoch, hat dies einen positiven Effekt 55 auf die Geburt des dritten Kindes (Exp(b) 1,19). Lässt man im direkten Modell die direkten Pfade vom ökonomischen Status, Wohnkontext und Bildung auf die Drittgeburt zu, verschwindet der Effekt des kurzfristigen Komfortwertes fast vollständig (Exp(b) 1,02). Fortan determinieren vor allem die direkten Effekte des Bildungsniveaus (Exp(b) 0,50), des ökonomischen Status (Exp(b) 1,31) und des Wohnkontextes (Exp(b) 1,38) die Geburt des dritten Kindes. Bemerkenswert und wider erwartend ist, dass unter Kontrolle aller anderen Variablen der ökonomische Status und ein urbaner Wohnkontext die Geburt eines dritten Kindes sogar positiv beeinflussen. Das Bildungsniveau erweist sich abermals als 55 Für die Ereignisdatenanalyse auf der Basis von Cox-Regressionen kann allerdings wie bereits im fünften Kapitel näher ausgeführt nicht unterschieden werden , ob es sich um einen Effekt der zeitlichen Verortung handelt oder ob es zu einer Beeinflussung der Eintrittswahrscheinlichkeit kommt.

224

6 Empirischer Teil II: Der VOC als intermediäre Variable

am erklärungskräftigsten und hat den stärksten negativen Effekt auf die Geburt von Kindern höherer Parität. AfJekt- und Stimulationswert: Für die Beurteilung des Affekt- und Stimulationswertes von Kindern hat der ökonomische Status und der Wohnkontext keine Bedeutung mehr. Nur noch das Bildungsniveau wirkt sich hoch signifikant positiv auf die Beurteilung dieses Werteaspektes aus (beta: 0,24) . Der Zusammenhang zwischen dem Affekt- und Stimulationswert und der Drittgeburt ist im indirekten Modell zwar signifikant negativ, erneut aber nur mit einer geringen Effektstärke (Exp(b) 0,88). Im direkten Modell verschwindet dieser Effekt beinahe vollständig. Dagegen dominieren wiederum die direkten Effekte der unabhängigen Variablen. Zwischenbilanz: Auf der Basis der hier vorgestellten Ergebnisse kann die Erklärungskraft des VOC nicht überzeugen. Gegen eine Pfadabhängigkeit des Erklärungsmodells spricht, dass erstens im Beispiel der Erstgeburt die statistische Bedeutung der indirekten Pfade im direkten Modell sinkt und zweitens die Modellanpassung des indirekten Modells sehr schlecht ist. Darüber hinaus geht für die Drittgeburt der Einfluss des VOC-Konstruktes verloren, wenn die direkten Pfade von Bildungsniveau, Wohnkontext und ökonomischen Status zugelassen werden. Es scheint, als spiele der Wert von Kindern als Mediator auf der Individualebene keine Rolle (:;fU 4). Für die aufgestellten Hypothesen spricht allerdings , dass sich zumindest im indirekten Modell die erwarteten Effekte ergeben. So sind es hauptsächlich gebildete und in der Stadt lebende Frauen, die den kurzfristigen Komfortwert gering und den Affekt- und Stimulationswert als überaus bedeutsam erleben. Gleichzeitig besitzt diese Wertebeurteilung eine aufschiebende Wirkung auf den Zeitpunkt der Erstgeburt und einen negativen Effekt auf die Drittgeburt. Obwohl diese Zusammenhänge im direkten Modell nicht mehr existieren und dies offensichtlich ein Beleg gegen das VOCKonstrukt ist, gilt das Grundargument der Arbeit weiter (s. o. Kap. 3.2.1): Unterschiede im Bildungsniveau und des regionalen Kontextes können nicht direkt auf das generative Verhalten wirken, sondern müssen mit den Motiven und den Einstellungen der handelnden Akteure verbunden sein. Was die vorgestellten Strukturgleichungsmodelle zwar nur bedingt zeigen, aber dennoch deutlich wird. Zwar zeigen die vorgestellten Strukturgleichungsmodelle, dass das VOC-Konstrukt in den direkten Modellen keine eigenständige Erklärungskraft auf das generative Verhalten besitzt. Aber wie erwartet wird der Wert von Kindern (VOC) von Bildung, städtischen Wohnkontext und sozioökonomischen Status beeinflusst. In diesem Sinne trägt das VOC-Konstrukt tatsächlich zur Klärung des "Warum" von Variationen im generativen Verhalten bei.

225

6.3 Ergeb nisse

Abb ildung 6.6:

V OC al s interm ediäre Va ria b le (D ritt gcb urt )

Ökonomischer Status 0.0 1

0.04** 0.0 1

I

Region: Land/Stadt

1.02

Kurzfristiger Komfon

-0.59~. °r·_':-'-;:-d',,-,-g ,--''---, 0 : ''.::

c.._.._.._..__.._J

, •••• ••••L. _•••_••_•••_••_••_•••

~

0.50 •.

.... . .......... :~~~~

Region: Land/Stadt

0,04"

I

-0.04

Affekt & Stimulation

t

I

..J

Ökonom ischer Status 0,0 1

",, ········'"

0,92

0,04**

Bildung

Quelle: Indonesische VOC-Stiehprobe 2002, eigene Berech nungen Anmerkungen: N=492; "p
226

6 Empirischer Teil II: Der VOC als intermediäre Variable

6.3.5 Alternativmodell Der vorhergesagte Wechsel der Moduswahl generativer Entscheidungen (s. o. Kap. 4.5) soll anhand der VOC-Daten überprüft werden. Zur empirischen Beantwortung der Frage, unter welchen Bedingungen Akteure rational Fertilitätsentscheidungen treffen oder eingespielten Handlungsroutinen folgen, werden die folgenden unabhängigen und abhängigen Variablen genutzt: Entsprechend der Hypothesen (s. o. Kap. 4.5) werden zunächst Gruppen gebildet, die Personen voneinander trennen, die bis bzw. nach 1954 geboren wurden, in der Stadt bzw. auf dem Land leben und über einen Bildungsabschluss bzw. keinen Bildungsabschluss" verfügen. Getreu der bereits von Hull geäußerten Vermutung, "that the society does have some concept ofwhat constitutes a "good" sizedfamily... "(T. Hull 1975: 344 f), würde Handeln gemäß einer internalisierten Fertilitätsnorm bedeuten, dass die spezifische Ausprägung des Wertes von Kindern (VOC) keinen bzw. nur einen geringen Einfluss auf das generative Verhalten hat. Der Affekt- und Stimulationswert sowie der kurzfristige Komfortwert gehen auch hier wegen ihrer größeren Erklärungskraft als unabhängige Variable (lineare Regression) bzw. Kovariate (Cox-Regression) in die Analysen ein . Je nach zu analysierender Parität werden statistische Regressionsmodelle oder log-logistische Modelle berechnet. Auf das Verfahren des generalisierten log-logistischen Modells muss fallbedingt verzichtet werden. Der damit einhergehende Informationsverlust muss zu Gunsten stabilerer Regressionsmodelle in Kauf genommen werden. Die Ergebnisse sind in der folgenden Tabelle zusammengefasst. Im linken Teil der Spalten wird das Handeln gemäß einer internalisierten Fertilitätsnorm erwartet. Hier sollten die Effektstärken der Wertegewichtung geringer sein und ein kleineres R 2 bzw. Pseudo-R? (Mc -Faddens)" auf eine schlechtere Anpassung des multivariaten Modells hinweisen.

56 Da sich die Bildungsvariable als ein Indikator für die individuelle Ressourcenausstattung als am erklärungskräftigsten erwiesen hat (s. o. Kap. 5.3 und Kap. 6.3.2), wird diese in die Analysen aufgenommen. 57 Das Pseudo-R? ist nicht als Maß der Varianzaufklärung interpretierbar, sondern lediglich ein Beleg für die relative Verbesserung des log-likelihood Wertes des Nullmodells durch die Schätzung unter Einbezug der Kovariaten (Blossfeld et al. 1986; Brüder!, Diekmann 1994, 1995).

6.3 Ergeb nisse

Tabelle 6.1 4:

227

Ratio na l-ka lk ulie rend er vs . a uto matisc h-s p ontaner Entsc hei d ungs m od us

Erstgebäralter Kohorte Wohnort Bildunssabschluss < 1954 1955 > Land Stadt n.vorhanden vorhanden lineare Re rrcssion: bcta- Kocffizicntc n Si -0,1 5· -0,10 · -0,18** -0,31 ** -0,13 -0,16 Kom fort 0,15· 0,10 ** 0, 13 · 0,08 -0,0 5 0,11 A. & St. 0,11 0,03 0,03 0,04 0,02 0,04 R' 621 N 130 570 350 350 7' Zweitgeburt W ohnort Kohorte Bitdun rsabschluss < 1954 1955 > Land Stadt n.vorhanden vorhanden 10 ' -10 zistischc Erei misdatcnanalvsc Si t . 1,0 1 1, 12 1,05 1,00 Komfort 1,15 1,04 0,85 ** 0,9 5 0,89· · 0,88 0 ,89 0,90+ A. & St. 0,02 Psclldo-R' 0,04 0,02 0,03 0,03 xx 122 565 343 344 72 615 N Zensiert 6 250 136 120 6 250 Drittgeburt Kohorte Wohnort Bitdun rsabschluss < 1954 1955 > Stadt n.vorh anden vorhanden Land 10 ' -10 ristischc Erei misda tcnanalysc (Si ' .) 1,00 Komfort 1,22 + 1,05 1,31 ** 1, 14 1, 15+ 0,79 ** 0,94 1,0 2 0,8 7·· 0,87 · A. & SI. 0,95 0,04 0,07 0,0 1 PsclIdo-R' 0,05 0,Q3 0,09 N 31 6 20B 224 67 365 Zensiert 9 134 64 76 7 136 Vicrtgeburt Kohorte Wohnort Bitdun rsabschluss < 1954 1955> Land Stad t n.vorh anden vorhanden 10 r-loaistischc Erei nisdatcnanalvsc (Si '.) 1,02 1,07 1,09 1,30** 1,05 1.16 Komfort 0,90 0 ,78** 0,87 ** 0,83· 0.84+ 1.04 A. & SI. 0,00 0,09 0,05 0, 11 0,05 Pscudo-R' 0.03 IOR 185 141 152 234 N 59 Zensiert 18 61 52 9 104 95 Quelle. Indonesische VOC-Stlehprobe 2002, eigene Berechnungen Anmerkungen: Cox -Rcgrcssion , **p
"'

Ers tge b u rt: D ie Unters uc h ung e rgi bt, d ass Frau en , d ie d en kurz fristig en Komfo rt hoch be we rte n , d ie G eburt ihres erste ns K inde s frühe r vollziehen a ls d er

228

6 Empirischer Teil II: Der VOC als intermediäre Variable

Rest der Stichprobe, und zwar relativ unabhängig von der jeweiligen Gruppenzugehörigkeit. Im Gegensatz dazu zögern Frauen die Erstgeburt hinaus, wenn sie dem Affekt- und Stimulationswert eine hohe Bedeutung zumessen. Die Überlegung der Routinelösung kann für das Bildungsniveau und den Wohnkontext bedingt verifiziert werden . Bei den gebildeten Frauen ist die Effektstärke der Wertegewichtung etwas höher, zeigt die erwartete Richtung des Zusammenhangs und das R2 ist minimal besser. Bei gebildeten Frauen spielt die Wertebeurteilung eine größere Rolle als bei ungebildete Frauen . Das spricht für eine Routinelösung unter Frauen ohne Bildung (=H 5.3). Für Frauen in der Stadt ist die Effektstärke des kurzfristigen Komforts ebenfalls etwas größer, allerdings sind die Differenzen so gering, dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass Frauen in der Stadt rationaler entscheiden (#H 5.2) . Bemerkenswert ist zudem, dass die Beurteilung der Werte von Kindern in den älteren Kohorten (bis 1954) einen stärken Einfluss auf die zeitliche Verortung hat als in den jüngeren Kohorten (ab 1955). Dieser Befund widerspricht der Annahme, wonach bis 1954 mit dem asModus bei der Entscheidungsfindung zu rechnen ist, wohingegen ab 1955 mit dem rc-Modus zu rechnen ist (#H 5.1) . Werden die Ergebnisse mit denen aus dem WFS verglichen (s. o. Kap. 5.3), so ist es möglich , den Widerspruch zwischen den empirischen Ergebnisse und den theoretischen Überlegungen (s. o. Kap . 4.5) zu begründen. Die verzögernde Wirkung der Modernisierungsvariablen, insbesondere Bildung , bei der Geburt des ersten Kindes setzt deutlich eher ein als dessen risikoreduzierender Effekt (z. B. für die Drittgeburt). Es ist also nicht ausgeschlossen, dass die unterschiedliche Teilhabe am gesellschaftlichen Fortschritt und damit auch zu erwartende Unterschiede in der Beurteilung der Werte von Kindern (VOC) zunächst einen Einfluss auf die zeitliche Verortung des Übergangs zur Erstgeburt haben. In die theoretischen Überlegungen zur .Fertilitätsnorm" ist dieser Gedanke integrierbar. Der Verzicht auf ein Kind käme einer endgültigen und damit folgenschweren Abkehr von der internalisierten Fertilitätsnorm gleich, als es dessen zeitlicher Aufschub für den Akteur wäre. Somit sind rational choice Annahmen zunächst für die zeitliche Verortung aussagekräftig. Kann mit dieser Argumentation noch die Effektstärke der Wertevariablen in den älteren Geburtskohorten begründet werden , besteht für die anderen theoretischen Annahmen aus Kapitel 4.5 weiterhin das Problem, dass der Einfluss der Wertebeurteilung in den Kohorten ab 1955 geringer ist. Wird davon ausgegangen, dass sich die spätere Geburt des ersten Kindes im modemen Indonesien als erfolgreich erwiesen hat und damit eine neue geänderte Fertilit ätsnorm sich gesellschaftlich verfestigte, ist es durchaus denkbar, dass sich wieder der as-Modus zur Entscheidungsfindung durchsetzt. Damit würde die neue "kulturelle Dauerl ösung", nämlich die spätere Erstgeburt, das Reflektieren der Akteure über den richtigen Zeitpunkt wieder unnötig

6.3 Ergebnisse

229

machen (so auch Nauck 2007: 618 oder Klaus 2008 : 129 ft). Für diese Annahme spricht das geringe R2 unter den jüngeren Kohorten . Mehrfache Mutterschaft: Die Überprüfung der Annahme einer internalisierten Fertilitätsnorm ist in Bezug auf die Zweit-, Dritt- und Viertgeburt kaum noch möglich . Zum einen sind die Personen für die eine Entscheidungsfindung nach dem as-Modus erwartet wurde, in der Stichprobe deutlich unterrepräsentiert, zum anderen fehlen gerade für diese Gruppen zensierte Fälle. Das Fallzahlenproblem ist insbesondere für die Gruppe der bis 1954 Geborenen und Personen ohne Bildung offensichtlich. Zwar ist es hypothesenkonform, dass jene Frauen in der Regel eine Geburt höherer Parität realisieren, aber ein Einfluss der Werteorientierung ist nicht nachzuweisen. Für Personen, für die ein Entscheidungsprozess nach dem rc-Modus erwartet wurde , bestehen diese Schwierigkeiten nicht. Hier steigt nicht nur die Anzahl der in die Analyse eingehenden Fälle, sondern auch der Anteil von zensierten Fällen wächst (s. o. Tab. 6.14). Schon allein deshalb ist ein Einfluss der Wertegewichtung leichter identifizierbar. Trotz dieser massiven methodischen Probleme sollen die Ergebnisse kurz zusammengefasst werden . Der kurzfristige Komfortwert hat bei Frauen der Geburtskohorten bis 1954 und unter ungebildeten Frauen einen etwas stärkeren positiven Einfluss auf die Zweit-, Dritt- und Viertgeburt. Der Effekt des Affekt- und Stimulationswertes hat vor allem unter gebildeten Frauen und den Geburtskohorten ab 1955 einen negativen Einfluss. Die Gruppen der Personen, die in der Stadt bzw. auf dem Land leben, sind gleichmäßiger verteilt, wodurch die Fallzahl der Personen , für die Entscheidungen nach dem as-Modus erwartet wurden , größer ist. Es lassen sich nun signifikante Effekte der Wertebeurteilung in beiden Subgruppen nachweisen. In der Stadt hat allerdings die Bewertung des kurzfristigen Komfortwertes einen deutlich stärkeren positiven Effekt auf die Geburt eines Kindes höherer Parität als dies auf dem Land der Fall ist. Dafür sind zwar die Effektstärken des Affekt- und Stimulationswertes auf dem Land etwas größer, aber die Differenz insgesamt geringer als sie für den kurzfristigen Komfort nachweisbar waren. Das Pseudo-R? zeigt auf einem niedrigen Niveau, dass die Varianzaufklärung in der Stadt etwas höher ist als auf dem Land. Dies ist als Indiz für das Framing-Modell interpretierbar (=H 5.2). Letztendlich können auf der Basis dieser Ergebnisse die Hypothesen (;tH 5.1, ;tH 5.2 und ;tH 5.3) zum Alternativmodell generativer Entscheidungen weder verifiziert noch falsifiziert werden. Die Datenbasis zur Beantwortung dieser Frage ist aus folgenden Gründen ungeeignet: Erstens, wie bereits Klaus (2008) für die Türkei vorschlägt , müssten auch für lndonesien soziodemografisehe und sozioökonomische Faktoren zu spezifischen Gruppen kombiniert werden, um den Nachweis des Framing-Modells zu ermöglichen. Während hier

230

6 Empirischer Teil II: Der VOC als intermediäre Variable

fallzahlenbedingt die Gruppenzuweisung lediglich anhand eines Merkmals erfolgte, wodurch Überschneidungen hinsichtlich anderer Merkmale möglich und wahrscheinlich sind, würde ein kombinierter Index die Trennschärfe der Gruppen erhöhen (vgl. Klaus 2008 : 207 t). Das Problem der Überschneidung mehrerer Merkmale zeigt sich z. B. bei der Gruppe der ungebildeten Frauen . Diese setzt sich fast ausschließlich aus Personen zusammen, die bis 1954 geboren wurden. Zweitens war es ebenfalls fallzahlenbedingt nicht möglich, Risiko- sowie Timingeffekte voneinander zu trennen . Aber wie bereits die Analysen im fünften Kapitel zeigten , setzen Timingeffekte deutlich früher ein als Risikoeffekte. Deshalb konnte vermutl ich, der Wechsel vom as-Modus zum rc-Modus nicht, wie erwartet, um die Mitte des 20. Jahrhunderts identifiziert werden . Drittens sind vermutlich die um die Mitte des 20. Jahrhunderts Geborenen bereits so stark mit den gesellschaftlichen Veränderungen konfrontiert, dass der Umschwung vom as-Modus zum rc-Modus bei deutlich älteren Kohorten zu verorten wäre (s. o. Kap. 5.4.3). Doch auch eine Analyse älterer Kohorten war mit Hilfe des VOCDatensatz fallzahlenbedingt nicht möglich. Die wissenschaftliche Aussagekraft der gewonnenen empirischen Ergebnisse ist folglich sehr gering . Die Ergebnisse können daher nicht vorschnell als Gegenbeweis zum vorgestellten Alternativmodell verwendet werden. Die Vorteile des Modells zur theoretischen Erklärung des Geburtenrückgangs sind zu groß (s. o. Kap. 4.3) und die Ergebnisse aus dem fünften Kapitel liefern eindeutige empirische Hinweise für die Relevanz des Alternativmodells. Es ist somit legitim, die Idee des Alternativmodells an anderer Stelle weiter zu verfolgen .

6.3.6 Exkurs: Frame des Wertes von Kindern Die Ergebnisse aus Kapitel 6.3.5 ergaben einen interessanten Befund, der nun unabhängig von der eigentlichen Hypothesenüberprüfung kurz untersucht werden muss. In der zweiten Spalte der Tabelle 6.14 (s.o.) wurde die Erklärungskraft der VOC-Indikatoren für zwei gruppierte Geburtskohorten vorgestellt. Die Ergebnisse dieses Gruppenvergleichs zeigten , dass in den älteren Geburtsjahrgängen hauptsächlich der kurzfristige Komfort für Variationen im generativen Verhalten verantwortlich ist, währenddessen in den jüngeren Geburtsjahrgängen primär der Affekt- und Stimulationswert maßgeblich zur Vorhersage des generativen Verhaltens ist. In Indonesien scheint also ein ,Frame' von Fertilit ätsentscheidungen zu bestehen, den z. B. Nauck (200Ia) folgendermaßen beschreibt: "Wenn erst einmal fest steht, dass Kinder wegen ihrer emotionalen Qualitäten gewollt werden, dann sind zugleich Arbeits- und Versicherungsnutzen bedeutungslos

6.3 Ergebnisse

231

geworden; wenn etwa umgekehrt der Arbeitsnutzen von Kindern im Zentrum des ,frames' steht, treten der soziale und emotionale Nutzen stark dahinter zurück und verlieren ihre ,salience' (Nauck 2001: 417).

D. h. im Beispiel von Indonesien zwar nicht, dass die jeweiligen ,anderen' Werteaspekte nicht wahrgenommen werden, sie haben aber auf die generative Entscheidung einen geringeren Einfluss. Aus der Tabelle 6.14 (s.o.) geht hervor, dass der kurzfristige Komfortwert für die Geburtskohorte bis 1954 die Wertedimension ist, an der sich der Entscheidungsprozess primär orientiert. Im Gegensatz dazu besitzt unter den jüngeren Frauen der Affekt- und Stimulationswert eine konsistent größere Effektstärke. Dieser Befund korrespondiert mit der Beobachtung , dass in den älteren Geburtskohorten die absolute Mehrheit ein drittes und sogar ein viertes Kind realisiert . In den jüngeren Geburtskohorten steigt dagegen der Anteil der zensierten Fälle für alle Paritäten deutlich an. D. h., dass Ereignis "die Geburt einer höheren Parität" ist seltener. Während also die Frage, welchen Nutzen Kinder ökonomisch mit sich bringen, anscheinend auch mit einer Entscheidung bezüglich einer größeren Kinderzahl zusammenhängt, steht beim Ziel der Maximierung des Affekt- und Stimulationswertes eine geringe Kinderzahl zur Disposition. Diese Überlegungen sollten sich auch auf den Schritt der ,Logik der Selektion ' übertragen lassen. Die Opportunitätenstruktur der Akteure sollte auch auf die Wahrnehmung des entsprechenden Werteaspektes einen größeren Einfluss haben, wenn tatsächlich immer ein spezifischer Werteaspekt im Vordergrund des Entscheidungsprozesses steht. Ist es nämlich in den älteren Geburtskohorten das primäre Ziel, den Arbeits- und Einkommenswert aus Kindern zu maximieren, sollten in diesem Falle die Rahmenbedingungen und individuellen Ressourcen der handelnden Akteure auch die Wahrnehmung des Werteaspektes stärker determinieren als in den jüngeren Geburtskohorten. Gleiches ist auch für den Affekt- und Stimulationswert von Kindern denkbar. Versuchen Eltern in erster Linie den Affekt- und Stimulationswert von Kindern zu optimieren, sollten sich hinsichtlich dieses Werteaspektes Gelegenheitsstrukturen stärker auswirken. Die folgende Tabelle zeigt die Determinanten des kurzfristigen Komforts und von Affekt und Stimulation in den jeweiligen Kohorten. Die Ergebnisse belegen, dass die Bewertung des kurzfristigen Komfortwertes bei Geburtskohorten bis 1954 deutlich stärker von sozialstrukturellen Merkmalen geprägt ist als in den Geburtskohorten ab 1955. D. h, insbesondere bei den bis 1954 Geborenen wird der Arbeits- und Einkommenswert auf dem Land stärker wahrgenommen als in der Stadt. Außerdem geht bei Frauen der Geburtskohorten bis 1954 mit dem Anstieg der individuellen Ressourcenausstattung das Gewicht des Arbeitsund Einkommensnutzens stärker zurück als bei den Geburtskohorten danach.

232

6 Empirischer Teil II: Der VOC als intermediäre Variable

Auch das R2 belegt, dass die Varianzaufklärung durch die Variablen in den älteren Geburtskohorten größer ist, als unter den jüngeren Kohorten. Tabelle 6.15: Framing der Wertebeurteilung Mittelwe rte Determinanten

Kurzfristiger Komfort

Affekt und Stimulation

ßi variat

Multi variat

ßivariat

< 1954

< 1954

1955>

Multivariat

< 1954

1955>

1955>

< 1954

Wohnkontext: eta/beta

1955>

0.34**

0.20 **

0.25**

0,08

0,06

0,04

0,04

0,02

Land

4,36

3,75

4,28

3,63

2,03

2,28

2,04

2,35

Stadt Bildungsniveau: eta/beta

3,73

3,34

3,82

3,46

2,13

2,38

2,12

2,30

0.41 **

0.36* *

0.35 **

0.33* *

0.03

0,16 **

0.05

0.15* *

Kein Abschluss

4,33

4,17

4,28

4,16

2,09

1,88

2,11

1,90

Grundschule

4,04

3,79

4,05

3,76

2,06

2,20

2,09

2,21

Sekundarstufe

3,23

3,26

3,35

3,29

2,09

2,52

1,95

2,52

Tert iäre Stufe Erwerbstätigkeit: eta/beta

2,88

2,61

3,03

2,70

2,19

2,65

2,04

2,62

0.05

0.08 +

0.13

0.03

0.14

0.06

0.15

0.03

Nein

4,06

3,61

3,99

3,52

2,03

2,27

2,03

2,30

Ja Ökonomischer Status: eta/beta

3,95

3,43

4,33

3,59

2,38

2,43

2,39

2,37

0,19 +

0,15**

0.07

0.05

0.03

0.08

0.03

0.04

Gering

4,32

3,64

4,14

3,57

2,12

2,25

2,12

2,28

Mittel

3,96

3,51

4,02

3,54

2,07

2,38

2,07

2,36

Hoch N

3,77

2,85

3,97 130 0,25

3,29 570 0,14

2,06

2,66

2,08 130 0,02

2,48 570 0,03

R2

Quelle: Indonesische VOC-StIchprobe 2002 , eigene Berechnungen Anmerkungen: ANOV A, **p
Unterschiede bestehen bei der Bewertung des AjJekt- und Stimulationswertes von Kindern in den älteren Geburtskohorten nicht. Bei den jüngeren Kohorten beschränken sich die Unterschiede auf das Bildungsniveau (s. o. Tab. 6.15). Dieses Ergebnis ist insofern nicht überraschend, weil ja für den Affekt- und Stimulationswert ohnehin angenommen wurde, dass er nur geringen Variationen unterworfen sei (s. o. Kap. 4.2) und bereits an anderer Stelle darauf hingewiesen wurde, weshalb Bildung für die Beurteilung des emotionalen Wertes von Kindern so wichtig ist (s. o. Kap. 6.3.3). Für die obige These eines ,Frames' von Fertilitäts-

6.3 Ergebnisse

233

entscheidungen spricht jedoch, dass das Bildungsniveau nur bei den jungen Frauen auf die Bewertung dieses Werteaspektes Einfluss ausübt. Es gibt also tatsächlich Anhaltspunkte, dass bei generativen Entscheidungen immer ein Werteaspekt im Vordergrund der Nutzenmaximierungsüberlegungen steht. Im transformativen Indonesien um 1950 sollte es der Einkommens - und Arbeitsnutzen von Kindern sein, weil die gesellschaftlichen Veränderungen vor allem Substitute und Barrieren für die Realisierung dieses Werteaspektes bereithalten (s. o. Kap. 4.2). Dies bedeutet aber nicht, dass die affektiven und stimulierenden Elemente von Kindern in der Wahrnehmung der Nutzen und Kosten keine Rolle spielen, so wie es z. B. die Konzeption von Klaus (2008) für die Türkei vorsieht. Vielmehr scheint, dass es im Zuge der gesellschaftlichen Entwicklung zu einem Wandel der Entscheidungsdeterminante kam. Während sich (potenzielle) Eltern in Situationen , in denen eine Gesellschaft den Übergang von einer Agrargesellschaft zur Industriegesellschaft vollzieht, die Frage stellen, was Kinder zur Produktion des kurzfristigen Komforts leisten, müssen sich jüngere Generationen mit dieser Frage nicht mehr auseinander setzen, denn der Einkommens- und Arbeitsnutzen von Kindern existiert seit Jahren bzw. Jahrzehnten infolge der gesellschaftlichen Modernisierung für die Mehrheit der Bevölkerung nicht mehr. Demnach kommt es zu einem Perspektivenwechsel, in dessen Folge für die Entscheidung zu einem (weiteren) Kind der emotionale Wert von Kindern wichtiger wird. Diese Überlegungen bereichern die Argumentation zum ersten und zweiten demografischen Übergang handlungstheoretisch. Der erste demografische Übergang sollte Folge der gewandelten wirtschaftlichen Produktionsbedingungen sein und zu einem Rückgang von Geburten höherer Parität führen. Der zweite demografische Übergang hingegen wird als eine Reaktion auf zunehmende Individualisierungsprozesse verstanden, die mit der Frage korrespondiert, ob eine kleine Anzahl von Kinder gewollt wird, oder ganz auf Kinder verzichtet werden sollte (vgl. van de Kaa 1987: 5). Der kurzfristige Komfortwert könnte also die entscheidende Dimension des ersten demografischen Übergangs sein, weshalb dessen Bewertung auch stärker von den Realisierungsmöglichkeiten der einzelnen Akteure geprägt ist (s. o. Tab. 6.15). Für den zweiten demografischen Übergang wird die Substitution des Affekt- und Stimulationswertes relevant. Eltern verzichten erst dann vollständig auf die Geburt von Kindern, wenn neben dem kurzfristigen oder langfristigen Komfortwert auch deren Affekt- und Stimulationswert wenigstens teilweise substituierbar ist. An diesem Punkt ist Indonesien allerdings noch nicht angelangt und wird es auch in der mittleren Zukunft nicht sein. Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass die Bedeutung von Kindern für die Produktion des kurzfristigen Komforts zwar deutlich gesunken ist, aber deren Versicherungswert eine beinah unverändert

234

6 Empirischer Teil II: Der VOC als intermediäre Variable

große Rolle spielt. Außerdem sind Kinder ein wichtiger Produzent für Affekt und Stimulation und deren Geburt ist auch gegenwärtig immer noch ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem vollwertigen Erwachsenen (s. o. Kap. 3.2.4). Kinderlosigkeit sollte aus diesen Gründen auch in Zukunft in Indonesien eher selten vorkommen . Allerdings dürfte die Konzentration aller familiären Ressourcen in immer weniger Kinder anhalten .

Schlussbetrachtung und kritische Würdigung

"Two are more often enough" müsste der englische Titel der Arbeit nunmehr lauten. Denn obwohl in der Gegenwart noch immer ein großer Anteil der indonesischen Frauen mehr als zwei Kinder zur Welt bringt, ist die "Zwei-KindFamilie" nicht mehr nur eine ehrgeizige familienpolitische Zielvorstellung, sondern Realität und zunehmend empirisch nachw eisbar (s. o. Kap. 5). Um das Phänomen erklären zu können , dass gegenwärtig die Geburt von zwei Kindern in vielen Familien ausreichend ist, wurde ein Erklärungsp rogramm entwickelt, das zwar auf dem klassischen .Value of Children"-Ansatz basiert (s. o. Kap.3.1), aber durch die Theor ie der sozialen Produktionsfaktoren erweitert bzw. theoretisch fundiert wurde (s. o. Kap. 3.2). Diese Modifikation des klassischen VOCAnsatzes ermöglicht nun eine Erklärung des indonesischen Geburtenrückgangs nach der Logik des Mehrebenenmodells (s. o. Kap. 3.2.1). Demnach gehen Kinder in die soziale Produktionsfunktion ihrer Eltern ein, indem sie direkt oder indirekt zur Realisierung der beiden universellen Grundbedürfuisse (soziale Anerkennung und psychisches Wohlbefinden) beitragen oder diese hemmen. Ihre Effizienz bzw. Ineffizienz ergibt sich aus den Rahmenbedingungen des individuellen Handeins und findet Ausdruck in dem Wert von Kindern (VOC). Der Wert von Kindern als Synonym jener kontextspezifischen Instrumentalität ist maßgeblich für die zeitliche Verortung von Geburten im Lebenslauf der Frau und verantwortlich für die Anzahl der letztendlich realisierten Geburten . Der Wert von Kindern beeinflusst folglich das Muster generativen Verhaltens. Für das traditionelle Indonesien (mindestens bis zum Jahr 1950) bestehen berechtigte Zweifel , dass der kosten- und zeitintensive Abwägungsprozess, der dem VOC-Erklärungsmodell zugrunde liegt, notwend ig war, um situationsgerechte generative Entscheidungen treffen zu können. Aus diesem Grund wurde ein Alternativmodell in das Erklärungsprogramm integriert , das Fertilitätsentscheidungen als die Fortsetzung einer internalisierten Fertilitätsnorm beschre ibt (s. o. Kap. 3.3). Gemäß der Frame-Selektionstheorie von Esser (2001) bzw. dessen Weiterentwicklung durch Kroneberg (2005), ist davon auszugehen , dass auch für Fertilitätsentscheidungen mit dem automatisch-spontanen Modus (asModus) und dem rational-kalkulierenden Modus (rc-Modus) grundsätzlich zwei idealtypische Entscheidungsmodi zur Verfügung stehen . Entsprechend dieser Theorie und seiner Anwendung auf den indonesischen Kontext sollte sich der rc-

236

Schluss betrachtung und kritische Würdigung

Modus generativer Entscheidungen in Indonesien erst um die Mitte des 20. Jahrhunderts durchsetzen. Hierftir sind die gestiegene Reflexions-Motivation infolge des Wandels der Kosten- und Nutzenstruktur von Kindern , die gesunkenen Reflexionskosten und die größeren Reflexions-Opportunitäten dank zunehmender Bildung sowie flächendeckender Aufklärung und Verbreitung effizienter Verhütungsmittel ursächlich. Mit Hilfe dieses Alternativmodells ist es möglich, die Rolle der sozioökonomischen Entwicklung Indonesiens und den Einfluss der familienpolitischen Maßnahmen in einem umfassenden Erklärungsprogramm zu integrieren. Im Zuge der Erweiterung des Erklärungsmodells ist es nicht nur begründbar, warum der Geburtenrückgang mit dem Ende der 1960er Jahre begann und so rasant verlief, sondern darüber hinaus können nunmehr auch die vermeintlich irrationalen Handlungen in das Erklärungsprogramm integriert werden . Die Mehrheit der erwarteten Zusammenhänge (s. o. Kap. 4) konnte empirisch bestätigt werden . So zeigte der für Java repräsentative Datensatz aus World Fertility Survey (WFS) und den Indonesia Demographie and Health Surveys (lOHS), dass auch gegenwärtig so gut wie alle Frauen ein zweites Kind gebären , aber häufiger die Entscheidung gegen ein drittes, viertes oder ftinftes Kind fällt (s. o. Kap. 5). Neben dieser deutlichen Reduktion von Geburten höherer Parität konnte auch der Aufschub der Mutterschaft statistisch verifiziert werden . Die typischen Modernisierungsvariablen Urbanität , Bildung und Erwerbstätigkeit ließen sich als wichtige Einflussfaktoren ftir den Wandel im generativen Verhal ten in Indonesien identifizieren. Ein hohes Bildungsniveau und ein relativ hoher Berufsstatus ftihren nicht nur zu einem Aufschub der Familiengründung, sondern gleichzeitig auch zu einer enormen Reduktion von Drittgeburten. Die im zweiten Kapitel beschriebenen Transformationsprozesse Indonesiens, wie z. B. die Verstädterung, die Bildungsexpansion und der Wandel der Beschäftigungsstrukturen, haben nachweislich zum Geburtenrückgang beigetragen. Neben diesen allgemeinen Merkmalen des indonesischen Geburtenrückgangs ließen sich im fünften Kapitel auch empirische Hinweise auf das vorgeschlagene Alternativmodell finden . So besteht der negative Einfluss von Urbanität, Bildung und Erwerbstätigkeit nicht unabhängig vom historischen Hintergrund, sondern kann erst bei den in der Mitte des 20. Jahrhunderts geborenen Frauen beobachtet werden. Vor diesem "Wendepunkt" haben jene Modernisierungsvariablen keinen oder sogar einen positiven Effekt auf den Übergang zur Mutterschaft als auch auf die Geburt von Kindern höherer Parität. Dieser Befund deckt sich mit den Annahmen zum Alternativmodell. Inwiefern diese Variationen im fertilen Verhalten durch das VOC-Konstrukt erklärbar sind, wurde im sechsten Kapitel überprüft. Der Nutzen von Kindern zerfällt erwartungsgemäß in vier Dimensionen. Für Indonesien sind Verhaltens-

Schlussbetrachtung und kritische Würdigung

237

bestätigung und Status, Affekt und Stimulation sowie kurz- und langfristiger Komfort unabhängig voneinander bedeutsam. Die zentralen Hypothesen zum Zusammenhang zwischen sozialstrukturellen Rahmenbedingungen und dem Wert von Kindern (VOC) konnten verifiziert werden. So sinkt in den jüngeren Kohorten, im städtischen Wohnkontext und steigender individueller Ressourcenausstattung (Bildung, ökonomischer Status, Erwerbstätigkeit) die Bedeutung des kurzfristigen Komfortnutzens, während die Relevanz des Affekt - und Stimulationsnutzens steigt. Weit gehend unbeeinflusst von diesen Determinanten der individuellen Handlungssituation sind die Nutzen von Kindern für Verhaltensbestätigung und Status und dem langfristigen Komfort (Versicherungsnutzen) von Kindern . Zwar sinkt letzterer unter den jüngeren und gebildeten Frauen geringfügig, gehört aber noch zur wichtigsten Wertedimension. Für die Bewertung der Kosten von Kindern ist primär die Ressourcenausstattung der Eltern ausschlaggebend. Das hat zur Konsequenz, dass die Wahrnehmung der Kosten von Kindern in den jüngeren Kohorten und unter Frauen mit einem vergleichsweise hohen Bildungsniveau und einem hohen ökonomischen Status sinken. Es konnten ebenfalls zentrale Annahmen zur Kausalität des VOC-Konstruktes auf das generative Verhalten bestätigt werden . Mit der Bedeutung des kurzfristigen Komforts sinkt das Alter der Frau beim Übergang zur Erstgeburt, während die Wahrscheinlichkeit einer Drittgeburt steigt. Im Gegensatz dazu besitzt der Affekt- und Stimulationswert von Kindern eine aufschiebende Wirkung auf den Übergang zur Mutterschaft und einen risikoreduzierenden Effekt auf die Geburt von Kindern höherer Parität. Vor allem, wenn beide Merkmale zusammentreffen, also der kurzfristige Komfort niedrig und der emotionale Wert hoch bewertet werden , sind Dritt- und Viertgeburten selten . Hervorzuheben ist der Beleg für den Wandel der Nutzenmaximierungsstrategie des Versicherungswertes von Kindern . Während in den ältesten Geburtskohorten (bis 1954) das generative Verhalten von der Bedeutung dieses Nutzenaspektes unbeeinflusst blieb, konnte in den jüngeren Kohorten (ab 1955) ein negativer Effekt auf die Drittgeburt nachgewiesen werden . Die zentrale Determinante des indonesischen Geburtenrückgangs ist die Bildungsexpansion (s. o. Kap. 2.3.4). Sowohl die Analysen im fünften Kapitel als auch die Ergebnisse aus den Strukturgleichungsmodellen (s. o. Kap. 6.3.4) bewiesen, dass die Variable Bildung den größten Einfluss auf das generative Verhalten ausübt. So sind es vor allem gebildete Frauen, die die Geburt ihres ersten Kindes hinauszögern und eine Drittgeburt deutlich seltener erleben. Der negative Effekt von Bildung auf das fertile Verhalten scheint durch verschiebende Mechanismen verursacht zu sein. Auffällig ist, dass dieser Effekt nicht allein über die größere Erwerbsorientierung gebildeter Frauen vermittelt sein kann. Die Ergebnisse aus WFS und IDHS belegen, dass gebildete Frauen zwar grundsätz-

238

Schluss betrachtung und kritische Würdigung

Iich weniger Kinder haben, aber nicht häufiger erwerbstätig sind (s. o. Kap. 5.4.2). Vielmehr beeinflusst Bildung die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit negativ . Dennoch befinden sich gebildete Frauen häufiger in gehobenen Berufspositionen und meiden niedrig qualifizierte Beschäftigungsverhältnisse z. B. in der Landwirtschaft oder als Arbeiter. Gerade wegen dieser Orientierung am berufsspezifischen Arbeitsmarkt, bei dem eine überdurchschnittliche Ausstattung an Bildungszertifikaten die Aussichten auf sozialen Aufstieg erhöht, erweisen sich Kinder als großer Risikofaktor. Die Analysen des VOC-Surveys bestätigen, dass der Wert von Kindern (VOC) wesentlich stärker von Bildung als von allen anderen unabhängigen Variablen determiniert wird. So ist es vor allem die Variable ,Bildung', die den kurz- sowie langfristigen Komfortnutzen negativ und den Affekt- und Stimulationswert positiv beeinflusst. Neben den erweiterten Möglichkeiten gebildeter Frauen auf dem Arbeitsmarkt sollte Schulbildung im Allgemeinen auch über Sozialisationsprozesse zum Geburtenrückgang beigetragen haben. So führt die Konfrontation mit westlichen Werten des Mittelstandes sowohl zu einem Verlust der ökonomischen Dimension der Eltern-Kind-Beziehung als auch zu einem Bedeutungsgewinn ihrer emotionalen Seite (s. o. Kap. 6.3.2). Zudem werden gebildete Frauen stärker mit einer Welt außerhalb ihrer gelebten Traditionen konfrontiert. Diesen Frauen werden Wahlmöglichkeiten in Bezug auf generative Entscheidungen eröffnet und Informationen über Empfängnisverhütung gegeben . All diese Faktoren führen im Ergebnis dazu, dass der Wunsch nach einer relativ großen Anzahl von Kindern sinkt und dieser gleichzeitig auch leichter realisierbar ist (s. o. Kap. 3.3.3). Aus diesen Ergebnissen lassen sich für die Erklärung des indonesischen Geburtenrückganges folgende Schlussfolgerungen ziehen. Selbst in Indonesien , wo kein flächendeckendes Netz zur Alterssicherung existiert und die Mehrheit der Bevölkerung auf private Lösungsstrategien angewiesen ist, kommt es zu einer Reduktion der Geburtenzahlen. Allerdings erfolgte die Reduktion nach einem anderen Muster als beispielsweise in der Bundesrepublik Deutschland. Der Wandel in Indonesien ist im Unterschied durch den Rückgang von Kinderlosigkeit, dem enorm gesunkenen Risiko von Geburten höherer Parität und dem deutlichen zeitlichen Aufschub der Familiengründung geschuldet. Diese Entwicklung ist in erster Linie durch den Bedeutungsverlust des kurzfristigen Komforts und den gewandelten Möglichkeiten zur Maximierung des Versicherungsnutzens verursacht. Infolge der wirtschaftlichen Entwicklung wurde es aufgrund der zunehmenden beruflichen Differenzierung und der Urbanisierung für einen immer größeren Teil der Bevölkerung immer schwieriger, einen kurzfristigen ökonomischen Nutzen aus Kindern zu realisieren. Gleichzeitig stieg die Effizienz alternativer Zwischengüter wie Bildung und Erwerbstätigkeit. Obwohl die Bedeutung des Versicherungsnutzens von Kindern beinah unverändert hoch ist,

Schlussbetrachtung und kritische Würdigung

239

erfordert der gestiegene Einfluss von Humankapitalinvestitionen eine Konzentration auf wenige Kinder. Die materielle Existenz im Alter lässt sich nicht mehr allein durch eine größere Kinderzahl realisieren, entscheidend ist neben der Geburt von Kindern auch deren spätere Bonität (s. o. Kap. 2.3.3). Die finanziellen Ressourcen des Kindes resultieren letztendlich aus deren Humankapital, das durch kostenintensive Bildungsinvestitionen der Eltern produziert wurde . Ohne Bildungsinvestitionen würden arme Kinder arm bleiben und könnten so nur wenig zur materiellen Sicherung ihrer Eltern beitragen. Das kann im Extremfall dazu führen, dass dem einen vorhandenen Kind alle familiären Ressourcen an Zeit, Liebe und Geld zur Verfügung stehen, mit der die ohnehin sehr risikoreiche Erwartung der späteren Altersvorsorge etwas abgesichert wird (vgl. Nauck 2001 : 431). Dank der flächendeckenden Verbreitung effizienter Verhütungsmittel seit dem Beginn der 1970er Jahre (s. o. Kap. 2.2), dem enorm rückläufigen Risiko der Kinder- und Säuglingssterblichkeit (s. o. Kap. 2.1.2) und der sozioökonomisehen Modernisierung Indonesiens (s. o. Kap . 2.3) ist diese Reduktion der Geburtenzahlen nicht nur notwendig, sondern auch problemlos realisierbar geworden. Geburtenkontrolle kann gegenwärtig relativ einfach betrieben werden und eine Art "Überproduktion" von Kindern aufgrund hoher Säuglings- und Kindersterblichkeit ist nicht mehr erforderlich (s. o. Kap . 6.3.3). Im Gegensatz zum kurzfristigen Komfort scheint der Einfluss des Affekt- und Stimulationswertes von Kindern wesentlich geringer durch den sozialen Wandel Indonesiens beeinflusst zu sein . Diesen Dimensionen kommt darüber hinaus ein weitaus geringeres Gewicht bei der Geburtenreduktion zu. Die Opportunitätsstrukturen Indonesiens bedingen, dass die Geburt von Kindern nicht nur ein höchst effizientes, sondern unter bestimmten Bedingungen auch ein sehr kostenintensives "Luxusgut" darstellt. Vor allem wenn Frauen aufgrund ihres niedrigeren Bildungsniveaus und den insgesamt schlechteren Chancen auf dem Arbeitsmarkt ihre eigenen Aufstiegschancen sehr gering einschätzen, sind Investitionen in Kinder nicht nur sehr nutzbringend, sondern auch sehr teuer. Deshalb sinkt die Wahrnehmung aller Kostendimensionen von Kindern mit der individuellen Ressourcenausstattung. Insgesamt lassen die Ergebnisse die Schlussfolgerung zu, dass in Indonesien im Gegensatz z. B. zur Bundesrepublik Deutschland nicht mit einer Differenzierung in einen Familien- und einen Nichtfamiliensektor zu rechnen ist, sondern das eine Konzentration aller familiären Ressourcen in immer weniger Kinder erfolgt. Das hat zur Konsequenz, dass zwar zwei Kinder weiterhin notwendig, aber auch immer häufiger ausreichend sind. Der VOC-Ansatz mit seiner theoretischen Erweiterung um die Theorie der sozialen Produktionsfaktoren konnte so nicht nur zum Verständnis des langfristigen Geburtenrückganges beitragen, sondern kann auch Aufschlüsse über die genauen Differenzierungen innerhalb des nationalen Kontextes geben . Im Gegensatz zur Theorie des demo-

240

Schlussbetrachtung und kritische Würdigung

grafischen Übergangs muss der Geburtenrückgang nicht als das Resultat eines eindimensionalen Modernisierungsprozesses beschrieben werden (s. o. Kap. 2.1.1), vielmehr ist es möglich, Fertilitätsentscheidungen als einen bewussten Entscheidungsprozess innerhalb gesellschaftlicher und institutionalisierter Rahmenbedingungen auf der Basis individueller Ressourcen zu betrachten. Obwohl sich mehrheitlich die Hypothesen aus dem VOCErklärungsprogramm bestätigten, muss auf einige kritische empirische Befunde hingewiesen werden, da sie Zweifel an der Erklärungskraft des VOCKonstruktes wecken. So zeigte sich, dass zwar die Koeffizienten in den Zusammenhangsanalysen'" mehrheitlich die erwartete Richtung der Effekte bestätigten, aber deren Variationen zu gering waren, um tatsächlich den enormen indonesischen Geburtenrückgang erklären zu können. Zudem konnte in den Strukturgleichungsmodellen das VOC-Konstrukt nicht überzeugen. Es wäre allerdings überzogen, wegen diesen empirischen Problemen am VOC-Konstrukt als theoretische Basis zu zweifeln. Es kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass ftir die wenig zwingenden Ergebnisse, vor allem methodische Mängel ausschlaggebend waren. Z. B. wurden die Werte von Kindern in lndonesien bzw. Java allgemein sehr hoch eingestuft und die Streuung der ltems zur Beurteilung der Nutzen und Kosten von Kindern war nur sehr gering (s. o. Kap. 6.2.2), was sich zwangsläufig negativ auf Zusammenhangsanalysen auswirkt. Darüber hinaus dürfte das Erhebungsdesign die Ergebnisse negati v beeinflusst haben. Eine einmalige und retrospektive Beurteilung der Kosten und Nutzen von Kindern durch die Mutter lässt immer deren aktuellen und ehemaligen Erfahrungen einfließen (s. o. Kap. 6.1). Es kann also nicht ausgeschlossen werden , dass die Beurteilung der Werte von Kindern in Abhängigkeit der momentanen Bedürfnisstruktur und Problemlage der Frau erfolgte und somit gerade nicht dem Entscheidungszeitpunkt entsprach . Dass der Familienzyklus, in denen sich die unterschiedlichen Generationen von Frauen befanden, die Bewertung beeinflusste, konnte für eine Vielzahl von ltems nachgewiesen werden (s. o. Kap. 6.3.2). Um das VOCErklärungsmodell aber auch das Alternativmodell adäquat überprüfen zu können, wäre also ein Längsschnittdatensatz notwendig , der ein Erhebungsdesign verlangt, bei dem Frauen jeweils vor der Geburt prospektiv zu den Nutzen und Kosten der zur Entscheidung stehenden Parität befragt werden würden . Es ist also nicht überraschend, dass unter diesen Bedingungen die kausale Verbindung zwischen VOC und generativen Verhalten nur sehr gering ausfällt. Denn aufgrund der Datenstruktur muss fälschlicherw eise ein stabiler Wert von Kindern als kauDies betraf sowohl die Zusammenhangsanalysen zwischen sozialstrukturellen Merkmalen und dem VOC -Konstrukt als auch den Einfluss des VOC -Konstruktes auf das generative Verhalten.

58

Schlussbetrachtung und kritische Würdigung

241

sal für die Geburt ganz unterschiedlicher Paritäten angesehen werden . Nachteilig wirkte sich auch aus, dass nicht alle VOC-Items in allen Mütter-Generationen erhoben wurden. Um den in die Analyse eingehenden Itempool nicht durch den Ausschluss dieser Items so weit reduzieren zu müssen, dass dieser nicht mehr die verschiedenen Dimensionen der Nutzen und Kosten von Kindern abbilden konnte, war es erforderlich, für einige Items die Imputation fehlender Werte vorzunehmen (s. o. Kap. 6.2.2) . Von diesem Problem war lediglich die Affekt- und Stimulationsdimension betroffen, weil nur Angaben für Items bezüglich dieser Wertedimension ersetzt werden mussten . Trotz des Versuchs, dies so weit wie möglich an die zu erwartenden realen Umstände anzupassen , handelt es sich hierbei gleichwohl um Schätzungen, die natürlich auch Fehlerquellen bergen und damit Zusammenhangsanalysen erschweren. Es wurden außerdem größere Variationen im generativen Verhalten in Indonesien , speziell in der Region WestJava, dem Fokus der indonesischen Unterstichprobe des VOC-Surveys, erst mit der Dritt- und Viertgeburt erwartet (s. o. Kap. I). Doch gerade in den jüngeren Kohorten waren die Fallzahlen für die Analyse dieser Paritäten zu gering, um Variationen im generativen Verhalten nachweisen zu können (s. o. Kap. 6.3.3). Obwohl diese Ausführungen beweisen , dass der VOC-Survey für die Erklärung des indonesischen Geburtenrückganges große methodische Probleme mit sich brachte, muss bei aller Kritik noch einmal darauf hingewiesen werden, dass der VOC-Survey 2002 als erster und bisher einziger Datensatz eine Analyse des indonesischen Geburtenrückgangs unter Rückbezug auf individuelle Einstellungen der handelnden Akteure ermöglichte . Kritikpunkte am VOC-Erklärungsmodell wurden bereits ausführlich bei Klaus (2008) und Suckow (2008) diskutiert. Deswegen sollen an dieser Stelle nur noch einige zentrale Punkte aufgegriffen werden. Der erste Kritikpunkt bezieht sich auf die Annahme von Lindenberg , dass menschliches Handeln letztendlich der Befriedigung zweier oberster Ziele (physisches Wohlbefinden und soziale Anerkennung) dient. Von Opp und Friedrich (I996) wird die Existenz dieser universellen Ziele in Frage gestellt. Obwohl darüber diskutiert werden kann, ob tatsächlich alle Individuen nach physischem Wohlbefinden und sozialer Anerkennung streben, hat dieses Postulat für das Erklärungsmodell den Vorzug , dass auf der Basis einer allgemeinen Handlungstheorie kontextspezifische Muster generativen Verhaltens erklärt werden können. Damit sind die Aussagen zur Bedeutung von Kindern in der Nutzenproduktion ihrer Eltern nicht beliebig, sondern eben logisch aus der Hierarchie der sozialen Produktionsfaktoren ableitbar. Der zweite Kritikpunkt betrifft die Erfassung der Werte von Kindern. Nach Friedman, Hechter, Kanazawa (1994) lassen sich sämtliche Werte von Kindern letztendlich auf eine Dimension reduzieren. Sie nennen diese Dimension "Reduktion von Unsicherheit". Ungeachtet der Tatsche, dass es durchaus fraglich ist,

242

Schlussbetrachtung und kritische Würdigung

ob Kinder zur Reduktion von Unsicherheit beitragen, indem sie die Lebensoptionen einschränken oder neue Unsicherheiten produzieren, ist es mit Hilfe ihrer theoretischen Konzeption nur schwer möglich, interkulturelle, historische und sozialstrukturelle Differenzen im generativen Verhalten zu erklären . Das aber gerade soll eine Theorie generativen Verhaltens ermöglichen. Die Komplexität des Entscheidungsprozesses als dritter Kritikpunkt kann aber letztendlich allen, den in der Tradition des ökonomischen Modells stehenden, Fertilitätstheorien entgegengehalten werden. Anlass zu Zweifel an der Rationalitätsannahme geben sowohl theoretische Überlegungen (vgl. Robinson 1997) wie empirische Befunde (vgl. Janowitz 1971; Mauldin, Berelson 1978; Leibenstein 1981). Zwar wurde der Gedanke, dass Fertilitätsentscheidungen nicht immer einem rationalen Abwägungsprozess folgen, aufgegriffen und ftir die Begründung solcher Fälle ein alternatives Erklärungsmodell in das im dritten Kapitel vorgestellte theoretische Modell integriert, dessen empirische Relevanz konnte allerdings nicht ausnahmslos überzeugen (s. o. Kap. 5.4.3 und Kap. 6.3.5). Empirische Hinweise, dass Akteure die Komplexität ihrer Entscheidungssituation reduzieren, ließen sich dennoch finden . So zeigte sich, dass bei generativen Entscheidungen vorwiegend ein Werteaspekt im Vordergrund der Nutzenmaximierungsstrategie steht (s. o. Kap. 6.3.5). Dementsprechend war in den Geburtskohorten bis 1954 die Bewertung des Einkommens- und Arbeitsnutzens von Kindern besonders von den sozialstrukturellen Merkmalen der befragten Frauen abhängig , gleichzeitig hatte diese Wertedimension den größten Einfluss auf das fertile Verhalten. Für die jüngeren Kohorten ergab sich ein anderes Bild. Hier war es der Affekt- und Stimulationswert, der am stärksten von den individuellen Merkmalen der Akteure beeinflusst wurde und den größten Effekt auf das generative Verhalten hatte. Nach Lindenberg (2002) ist dieser Befund der Tatsache geschuldet, dass der objektive Rahmen, der durch die Theorie der sozialen Produktionsfaktoren bereitgestellt wird, zu weit gefasst ist, um subjektiv optimale Handlungen wählen zu können. Deshalb ist es nur folgerichtig, dass die subjektive Definition der Situation, durch einen " ...situational goal that .frames" the situation ... " beherrscht wird (vgl. Lindenberg 2002: 653). Aus diesem Grund werden bei der Situationswahrnehmung durch den Akteur nicht immer alle potenziellen Produktionsfaktoren berücksichtigt. Der so genannte Frame als Rahmung der Situation rückt immer ein Ziel in den Vordergrund und vereinfacht somit die Situationswahrnehmung (vgl. Esser 1996). Andere .Frames" oder Ziele, wie sie Lindenberg (2002) bezeichnen würde, steuern eher im Hintergrund die "salience" des gewählten .Frames" oder beeinflussen dessen Wechsel. Wie ein solcher Wechsel, der Rahmung der subjektiven Definition der Situation vorstellbar ist, kann mittels der Frame-Selektionstheorie modelliert werden (vgl. Esser 2001; Kroneberg 2005). Allerdings bleibt fraglich, ob mit Hilfe dieses Modells, das eine

Schlussbetrachtung und kritische Würdigung

243

rationale Wahl des einen oder anderen .F rarnes" vorzieht, es tatsächlich zur Vereinfachung der Handlungssituation kommt. Kritisch ist auch die fehlende Berücksichtigung der Aushandlungsprozesse zwischen den Geschlechtern zu sehen. Zwar ist auch für Indonesien bekannt , dass Frauen diejenigen sind, die bei Angelegenheiten der Familienplanung die größte Entscheidungsmacht besitzen (s. o. Kap. 2.4.3), aber die männliche Perspektive bei der Erklärung gänzlich auszusparen, sollte nach Bagozzi und van Loo (1978) die Erklärungskraft jener theoretischen Modelle deutlich reduzieren. Ob tatsächlich, wie durch das VOC-Erklärungsmodell angenommen, beide (potenziellen) Elternteile eine gemeinsame Nutzenfunktion besitzen, ist fraglich. Es lassen sich jedenfalls empirische Befunde benennen, die belegen, dass bestimmte Kosten und Nutzen von Kindern den Übergang zur Mutter- bzw. Vaterschaft geschlechtsabhängig beeinflussen (vgl. Liefbroer 2005). Um dieses Problem zu überwinden und Aushandlungsprozesse zwischen den Geschlechtern modellieren zu können, schlägt z. B. Klaus (2008) die Integration von austauschtheoretischen Überlegungen bzw. neuer Bargaining-Modelle nach Ott (1989) vor. Jedenfalls konnten die Modelle von Ott (1989) selbst und später von Kohlmann und Kopp (1997) erfolgreich zur verhaltenstheoretischen ModelIierung von Fertilitätsentscheidungen angewendet werden . Allerdings müsste hier noch einmal kritisch hinterfragt werden, wie groß der Einfluss von Männern bei der Entscheidung für ein (weiteres) Kind tatsächlich ist, um eine Erweiterung des theoretischen Modells rechtfertigen zu können. Abschließend soll noch auf ein weiteres Problem hingewiesen werden, das sich aus der "Subjektive Expected Utility " (SEU) - Modellierung ergibt. Bisher wurde behauptet, dass alle Dimensionen (kurzfristiger Komfort, langfristiger Komfort, Affekt und Stimulation sowie Verhaltensbestätigung und Status) mit gleichem Gewicht in die individuelle Kalkulation eingehen. Gleiches gilt für die Verrechnung der jeweiligen Kosten und Nutzen. Dieser theoretischen Prämisse widersprechen die empirischen Befunde. Sie lassen eher auf eine Rahmung der Situation schließen . Es scheinen bestimmte Aspekte von Kindern im Mittelpunkt der Nutzenmaximierungsstrategie zu stehen . Zur Überwindung dieses Problems wäre eine Konzeption vorstellbar, die davon ausgeht , dass " ... stets die (Zwischen-) Ziele die Handlungswahl dominieren , die aktuell unzureichend erfiillt sind. Ihnen käme die größere Handlungsrelevanz zu" (Klaus 2008 : 233). D. h., die Kalkulation von Kosten und Nutzen von Kindern würde dann durch ein momentan dominierendes Mangelbedürfnis ausgelöst werden. Das konkrete Bedürfnis kann durchaus mit klassischen psychologischen Überlegungen zur Bedürfnisbefriedigung (vgl. Maslow 1943) bestimmt werden. Für indonesische Frauen, die bis mindestens in den 1950er Jahren geboren wurden , sollte aufgrund der Mangelwirtschaft der kurzfristige Komfort von Kindern für die materielle

244

Schluss betrachtung und kritische Würdigung

Statussicherung der Familie wichtig sein. Infolge der indonesischen Wohlstandssteigerung wurden jedoch körperliche Existenz- und Sicherheitsbedürfnisse befriedigt und fortan können Bedürfnisse nach Liebe, Intimität , Kommunikation oder Anerkennung im Vordergrund stehen . Aus diesem Grund wird auch die Dimension der emotionalen Seite der Eltern-Kind-Beziehung wichtiger. Diese theoretische Konzeption lässt sich nun auch problemlos mit den Überlegungen zum Frame der Situation in Verbindung bringen . Die Entscheidungssituation wird zunächst vom Bedürfnis nach materieller Sicherheit dominiert, erst wenn dieses Bedürfnis befriedigt ist, verliert dieser Frame an .saliencc' und der Wusch nach emotionaler Nähe und Erweiterung kann fortan die Entscheidungssituation beherrschen. Während also zunächst der kurzfristige Komfortwert von Kindern der entscheidende Werteaspekt ist, kann später aufgrund der Stabilisierung der wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse Indonesiens der Affekt- und Stimulationswert an Relevanz gewinnen.

Literaturverzeichnis

Ananta, Aris; Pungut, Udi H. (1992): Population change and economic development in Indonesia. In: Asean Economic Bulletin, 9, S. 55-65. Arifianto, Alex (2004) : Social security reform in Indonesia . An analysis of the National Social Security Bill (RUU Jamsosnas). Working paper, Jakarta: SMERU Research Institute. Internet: http://www.smeru.or.id/report/workpaper/jamsosnas/Jamsosna seng.pdf (Stand 05.08.2009). Arnold, Fred; Bulatao, Rodolfo A.; Burikpakd i, Chalio; Chung, Betty 1 ; Fawcett, James T.; Iritami, Toshio; Lee, Sung 1 ; Wu, Tsong-Shieu (1975): The value of children. A cross-national study, Band I: Introduction and comparative analysis. Honolulu : East-West-Center. Badan Pusat Statistik (BPS) (2005) : Population density per square kilometre by province 1971, 1980, 1990, 1995 and 2000. Internet: http://www.bps.idlsector/population /table3.shtml (Stand 17.8.2005). Badan Pusat Statistik (BPS) (2009) : Total fertility rate (TFR) by province 1971, 1980, 1985, 1990, 1991, 1994, 1998 and 1999. Internet: http://www.bps.go.id/eng/tab_sub/view.php?tabel=l&daftar=1&id_subyek=12&no t ab=7 (Stand 05.08.2009). Badan Pusat Statistik (BPS) (2009a): Population growth by province 1971-1980, 19801990, 2000. Internet: http://www.bps.go.id/eng/tab_sub/view.php?tabel= I&daftar= I &id_subye k=12¬ab=2 (Stand 05.08.2009). Badan Pusat Statistik Indonesia; ORC Macro (2003) : Indonesia Demographie and Health Survey 2002-2003 (IDHS). Calverton : BPS, ORC Macro. Bagozzi, Richard P.; Van Loo, Frances M. (1978): Toward a general theory offertility: A causal modelling approach . In: Demography , 15, S. 301-320. Becker, Gary S. (1976) : The economic approach to human behaviou r. Chicago : Chicago University Press. Bessell, Sharon (1999): The politics of child labour in Indonesia: Global trends and domestic policy. In: Pacific Affairs, 72, S. 353-37 1. Blossfeld, Hans-Peter; Hammerle , Alfred; Mayer, Karl U. (1986) : Ereignisanalyse. Statistische Theorie und Anwendung in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften . Frankfurt a. M.: Campus. Blossfeld, Hans-Peter; Huinink, Johannes (1989) : Die Verbesserung der Bildungs- und Berufschancen von Frauen und ihr Einfluss auf den Prozess der Familienbildung. In: Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft, 15, S. 383-404.

246

Literaturverzeichnis

Boomgaard, Peter (2003) : Bridewealth and birth contro!: Low fertility in the Indonesian archipelago, 1500-1900 . In: Population and Development Review , 29, S. 197-214. Brüderl , Josef; Diekm ann, Andreas (1994) : Bildung, Geburtskohorte und Heiratsalter. Eine vergleichende Untersuchung des Heiratverhaltens in Westdeutschland, Ostdeutschland und den Vereinigten Staaten. Zeitschrift für Soziologie , 23, S. 56-73. Br üderl , Josef; Diekmann, Andreas (1995) : The log-Iogistic rate model : Two generali zations with an application to demographic data. In: Sociological Methods & Research, 24, S. 158-186 . Büttner, Thomas (2000): Überblick über modeme Bevölkerungsgeschichte nach Weltregionen, S. 1172-1249 . In: Müller , Ulrich ; Nauck , Bernhard; Diekmann, Andreas (Hrsg.): Handbuch der Demographie, Band 2: Anwendungen . Berlin : Springer. Byrne, Barbara M. (200 I): Structural equation modeling with AMOS, basic concepts, applications, and programming. Hillsdale: Lawrence Erlbaum Associates. Caldwell, John C. (1978): A theory of fertility: From high plateau to destabili zation . In: Population and Development Review, 4, S. 553-577 . Caldwell, John C. (1980) : Mass education as a determinant of the timing of fertility decline . In: Population and Development Review, 6, S. 225-253 . Caldwell , John C. (1982) : Theory of fertility decline . New York: Academic Press . Cammark, Mark; Heaton, Tim B. (2001) : Regional variation in acceptance of Indonesia's family planning program. In: Population and Policy Research and Policy Review , 20, S. 565-585. Central Intelligence Agency (CIA) (2009): The world factbook. Internet: https ://www .cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/id.html (Stand 05.08.2009) . Chapon, Diana (1976) : Divorce and fertility . A study in rural Java. Report Series Number 10: Yogyakarta: Population Institute , Gadjah Mada University. Chesnais, Jean-Caude (1992) : The demographic transition: Stages, pattern, and economic implications. A study of sitxy-seven counties covering the period 1720-1984 . Oxford : Clarendon Press . Coale, Ansley 1. (1973) : The demographic transition, S. 53-72 . In: International Union for the Scienti fic Study of Population (IUSSP) (Hrsg.) : International Population Conference, Band I. Liege : IUSSP . Coale, Ansley 1.; Watkins, Susan C. (1986) (Hrsg .): Conference on the Princeton European fertility project 1979: The decline of fertility in Europe : The revised proceedings of a conference on the Princeton European fertilit y project. Princeton : Princeton University Press . Cortina, Jose M. (1993) : What is coefficient alpha ? An examination of theory and applications. In: Journal of Applied Psychology, 78, S. 98-104 . Cromm , Jürgen (1988) : Bevölkerung-Individuum-Gesellschaft: Theorien und soziale Dimens ionen der Fortpflan zung. Opladen: Westdeutscher Verlag . Darroch, Russell K.; Meyer , Paul A.; Singariumbun, Masri (1981) : Two are not enough: The value of children to Javanese and Sundanese parents. Honolulu : East-WestCenter. Davis , Kingsley (1945) : The world demographic transition . Annals of the American Academy ofpolitical and social Sciences , 237, S. I-lI.

Literaturverzeichnis

247

Dhanani, Shafiq ; Islam, Iyanatul (2004): Unemployment and underemployment in Indonesia . 1976-2000: Paradoxes and issues . Genf: International Labour Office . Internet: http://www.i 10.org/pub licl engli sh/protection/ sesldownload/docs/indonesia_wage.pdf (Stand 05.08.2009). Diekmann, Andreas (1996): Homo Ökonomicus: Anwendungen und Probleme der Theo rie rationalen Handeln im Umweltbereich, S. 89-118. In: Diekmann, Andreas; Jäger, Carlo C. (Hrsg .): Umweltsoziologie. Sonderheft der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Opladen : Westdeutscher Verlag. Diekmann, Andreas; Mitter, Peter (1984) : Methoden zur Analyse von Zeitverläufen. Stuttgart: Teubner. Diekmann, Andreas; Voss , Thomas (2004): Die Theorie des rationalen Handeins: Stand und Perspektiven, S. 13-32. In: Diekmann, Andreas; Voss, Thomas (Hrsg.) : Rational-Coice-Theorie in den Sozialwissenschaften. München : Oldenbourg. Dorbritz, Jürgen (2003): Polarisierung versu s Vielfalt. Lebensformen und Kinderlosigkeit in Deutschland. Eine Auswertung des Mikrozensus. Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft, 28, S. 403-421. Easterlin, Richard A. (1983) : Modernisation and fertility : A critical essay , S. 562-586. In: Bulatao, Rodolfo A.; Lee, Ronald D. (Hrsg.): The determinants of fertility in developing countries. Fertility regulation and institutional influences. New York: Academic Press van der Eng, Pierre (2001): Indonesia's economy and standard of living in the 20th Century, S. 181-199. In: Lloyd , Grayson ; Smith, Shannon (Hrsg.): Indonesia today . Challenges of history. Singapore: Institute of Southeast Asian Studies . van der Eng, Pierre (2006) : Accounting for Indonesia's economic growth : Recent past and near future . Paper präsentiert bei Seminar on World Economic Performance: Past, present and future , long term performance and prospects of Australian and major Asian economics, University of Queensland, Brisbane, 5-6 December 2006 . Internet: http://www.uq.edu.au/economics/cepa!docs/seminar/papers-nov2006/Van-derEng-Paper.pdf (Stand 05.08 .2009) Elster, John (1989): Social norms and economic theory. In: Journal of Economic Perspectives , 4, S. 99-11 7. Esser, Hartmut (1996) : Die Definition der Situation. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 48, 1-34. Esser, Hartmut (1999): Spezielle Grundlagen. Band I: Situationslogik und Handeln . Frankfurt a. M., New York: Campus. Esser, Hartmut (2001): Soziologie. Spezielle Grundlagen, Band 6: Sinn und Kultur. Frankfurt a. M., New York : Campus. Esser, Hartmut (2002): In guten wie in schlechten Tagen? Das Framing der Ehe und der Weg in die Scheidung. In : Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 54, S. 27-63. Fazio, Russel H. (1990) : Multiple processes by which attitudes guide behaviour: The MODE -Model as an integrative framework, S. 75-109. In: Zanna, Mark P. (Hrsg.): Advances in experimental social psychology. Band 23. San Diego: Academic Press.

248

Literaturverzeichnis

Fine, Gary A. (200 I): Enacting Norms : Mushrooming and the culture of expectations and explanations; S. 139-164. In: Hechter, Michael ; Opp, Karl-Dieter (Hrsg.): Social norms. New York: Russell Sage Foundation . Freedman, Ronald; Khoo, Siew-Ean; Supraptilah, Bondan (1981) : Use ofmodern contraceptives in Indonesia: Achallenge to the conventional wisdom. In: International Family Planning Perspectives, 7, S. 3-15. Friedman, Debra; Hechter, Michael; Kanazawa, Satoshi (1994) : A theory of the value of children . In: Demography, 3, S. 375-401. Friedrichs, Jürgen; Opp, Karl-Dieter (2002) : Rational behaviour in everyday situations . In: European Sociological Review, 18, S. 401-415 . Geertz, Clifford (1963) : Agricultural Involution: The processes of ecological change in Indonesia. Berkely: University of California . Geertz, Clifford (1973) : The Interpretation of cultures . New York: Basic Books, Publishers. Geertz, Hildred (1961) : The Javanese family. A study of kinship and socialisation . Glencoe: The Free Press ofGlencoe. Gertier, Paul J.; Molyneaux, John W. (1994) : How economic development and family planning programs combined to reduce Indonesian fertility. In: Demography, 31, S. 33-63. Gloger-Tippelt, Gabriele; Tippelt, Rudolf (1986). Kindheit und kindliche Entwicklung als soziale Konstruktion. In: Bildung und Erziehung, 39, S. 149-164. Guest, Philip (1992) : Marital dissolution and development in Indonesia. In: Journal of Comparative Family Studies, 23, S. 95-113 . Harris, Marvin (1989) : Kulturanthropologie. Ein Lehrbuch . Frankfurt a. M., New York: Campus. Hatmadji , Sri H.; Suradji, Budi (1979) : Fertility differentials in Java. Lembaga : Demografi Fakltuas Ekonomir Universitas Indonesia . Heaton, Tim B. (1996): Socioeconomic and familial status of women associated with first marriage in three Islamic societies. In: Journal of Comparative Family Studies, 24, S.41-58. Heaton, Tim B.; Cammack, Mark; Young, Larry (200 I): Why is the divorce rate declining in Indonesia? In: Journal ofMarriage and Family, 63, S. 480-490 . Herter-Eschweiler, Robert (1998): Die langfristige Geburtenentwicklung in Deutschland . Opladen : Leske + Budrich. Hild, Beate (1999) : "Dua anak cukup" = "Zwei Kinder sind genug" . In: Praxis Geographie, 29, S. 23-25. Hill, Hai (1990). Indonesia 's industrial transformation Part I. In: Bulletin of Indonesian Economic Studies, 26, S. 79-120. Hill, Hai (2000) : The Indonesian Economy. Cambridge : Cambridge University Press. Hill, Paul B.; Kopp, Johannes (1995): Familiensoziologie. Grundlagen und theoretische Perspektiven . Stuttgart: Teubner. Hirschman, Charles (2001): Fertility transition in Southeast Asia, S. 5597-5602 . In: Smelser, Neil; Baltes, Paul B. (Hrsg.): International encyclopaedia of the social and behavioral Sciences. Oxford: Elsevier.

Literaturverzeichnis

249

Hoffman , Lois W. (1975) : The value of children to parents and the decrease in family size. In: Proceedings of the American Philosophical Society, 119, S. 430-438 . Hoffman , Lois W.; Hoffman, Martin L. (1973): The Value of children to parents, S. 19-76. In: Fawcett, James T. (Hrsg.) : Psychological perspecti ves on population. New York: Basic Books. Honig, Michael-Sebastian; Leu, Hans Rudolf; Nissen, Ursula (1996) : Kindheit als Sozialisationsphase und kulturelles Muster , S. 9-29. In: Honig, Michael-Sebastian; Leu, Hans Rudolf; Nissen, Ursula (Hrsg.): Kinder und Kindheit. Sozialkulturelle Muster Sozialisationstheoretische Perspektiven. Weinheim : Juventa . Hradil, Stefan (2001) : Soziale Ungleichheit in Deutschland. Opladen : Leske + Budrich . Hugo, Graeme J. (1975) : Population Mobility in West Java, Indonesia . Canberra: Unveröffentlichte Dissertation Huinink, Johannes (1995): Warum noch Familie? Zur Attrakti vität von Partnerschaft und Elternschaft in unserer Gesellschaft. Frankfurt a. M.: Campus. Huinink, Johannes (2000) : Soziologische Ansätze der Bevölkerungsentwicklung, S. 339-386 . In: Müller, Ulrich; Nauck , Bernhard; Diekmann , Andreas (Hrsg.): Band I: Modelle und Methoden . Berlin , Heidelberg: Springer. Huinink , Johannes (2001) : Familienentwicklung im Lebenslauf. Entscheidungs- und Vereinbarkeitsprobleme moderner Lebensgestaltung, S. 145-165. In: Huinink, Johannes; Strohmeier, Klaus Peter; Wagner , Michael (Hrsg .): Solidarität und Partnerschaft und Familie . Würzburg: Ergon. Huinink, Johannes (2002) : Polarisierung der Familienentwicklung in europäischen Ländern im Vergleich . In: Zeitschrift für Familienforschung, Sonderheft 2, S. 49-74 . Hull, Terence H. (1975) : Each child brings its own fortune : An inquiry into the value of children in a Javanese Village . Canberra : Unveröffentlichte Dissertation. Hull, Terence H. (1976) : The influence of social class on the need and effective demand for children in a Javanese village . Working Paper Series NO.7. Yogyakarta: Population Institute, Gadjah Mada University . Hull, Terence H. (1983) : Cultural influences on fertility decision styles, S. 381-414 . In: Bulatao, Rodolfo A.; Lee, Ronald D. (Hrsg .): The determinants of fertility in developing countries. Volume 2. Fertility regulation and institutional influences . New York: Academic Press . Hull, Terence H. (1986) : Socio-demographic change in Indonesia, S. 197- 217. In: Mahadevan (1986) : Fertility and mortality. Theory, methodology and empirical issues . London : SAGE Publications. Hull, Terence H. (1987) : Fertility Decline in Indonesia. An institutionalist interpretation. In: International Family Planning Perspectives, 13, S. 90-95 . Hull, Terence H. (1988) : Fertility trends in Indonesia 1967-1985. In: Bulletin ofIndonesian Economic Studies, 24, S. 115-122. Hull, Terence H. (1999) : Indonesian fertility behaviour before the transition: Searching for hints in historical record . Working papers in Demography No. 83. Canberra: The Australian National University. Hull, Terence H. (2002) : Caught in transit: Questions about the future of Indonesian fertility, S. 409-424 . In: Completing the fertility transition . New York: United Nations .

250

Literaturverzeichnis

HuH, Terence H. (2003): Demographie perspectives on the future of the Indonesian family. In: Journal ofPopulation Research, 20, S. 51-65 . HuH, Terence H.; Hatmadji, Sri H. (1990): Regional fertility differentials in Indonesia: Causes and trends. Working Papers in Demography No. 22. Canberra: Australian National University. Hull, Terence H.; Hull, Valerie J. (1976) : Social and economic support for high fertility in Indonesia. A preliminary review making comparisons with African data . Working Paper Series NO.5. Yogyakarta: Population Institute, Gadjah Mada University. HuH, Terence H.; Hull, Valerie 1.; Singarimbun, Masri (1977) : Indonesia's family planning story : success and challenge, In: Population Bulletin, 32, S. 1-52. Hull, Terence H.; Tukiran (1976): Regional variations in the prevalence of childlessness in Indonesia. In: The Indonesian Journal of Geography, 32, S. 1-25. Hull, Valerie J. (1975): Fertility, socioeconomic status, and the position of women in a Javanese village. Canberra: Unveröffentlichte Dissertation. HuH, Valerie J. (1976) : The positive relation between economic class and family size in Java. A case study of the intermediate variables determining fertility. Monograph Series Number 2; Yogyakarta: Population Institute, Gadjah Mada University. HuH, Valerie 1. (I 976a) : Women in Java's rural middle class : Progress or regress? Yogyakarta: Population Institute, Gadjah Mada University. Janowitz, Barbara S. (1971): An empirical study of the effects of socioeconomic devel opment on fertility rates. Demography, 8, S. 319-330. Jay, Robert R. (1969): Javanese Villagers. Social relations in rural Modjokuto. Cambridge : The MIT Press . Jobelius, Hans Joachim (1996): Wirtschaft, Bevölkerung und soziale Sicherung in Entwicklungsländern. Bochum: Universitätsverlag Dr. N . Brockmeyer. Jones , Gavin W. (1994) : Marriage and divorce in Islamic South -East-Asia. Oxford: Oxford University Press . Jones, Gavin W. (1997) : Modernization and divorce: Contrasting trends in Islamic Southeast Asia and the West. In: Population and Development Review, 23, S. 95-114. Jones, Gavin W. (2005) : The "flight from marriage" in South-East and East Asia . In: Journal ofComparative Family Studies, 36, S. 93-119. Jones, Gavin W.; Asari , Yahya; Djuartika (1994) : Divorce in West-Java. In: Journal of Comparative Family Studies, 25, S. 395-416. van de Kaa, Dirk 1. (1987) : Europe's Second Demographie Transition . In: The Population Bulletin, 42, S. 3-57. van de Kaa , Dirk 1. (1997) : Verankerte Geschichten : Ein halbes Jahrhundert Forschung über die Determinanten der Fertilität - Die Geschichte und Ergebnisse. In: Zeit schrift für Bevölkerungswissenschaft, 22, S. 3-57 . Kagitcibasi, Cigdem (1982): Sex roles , value of children and fertility, S. 151-180 . In: Kagitcibasi, Cigdem (Hrsg.): Sex roles , family and community in Turkey. Bloomington : Indiana University Press . Kagitcibasi, Cigdem; Esmer, Yilmaz (1980): Development, value of children, and fertility: A multiple indicator approach. Istanbul : Bogazici University.

Literaturverzeichnis

251

Katz, June S.; Katz, Ronald S. (1978) : Legislating social change in a developing country: The new Indonesian marriage law revisited . In: The American Journal of Comparative Law, 26, S. 309-320. Keasberry, Iris N. (2002). EIder care, old-age security and social change in rural Yogyakarta, Indonesia. Wageningen: Wageningen University. Internet: http://library.wur.n l/wda/dissertations/dis3304.pdf (Stand 02.09.2009). Kevane, Michael; Levine, David I. (2003) : Are investments in daughters lower when daughters move away? Berkeley : Haas School of Business, University of California. Internet: http://repositories .cdlib.org/cgi/viewcontent.cgi ?article= I043&context =iber/cid er (Stand 05.08.2009) Kevane, Michael; Levine, David I. (2003a) : Changing status of daughters in Indonesia. Berkeley: Haas School of Business, University of California. Internet: http://repositories.cdlib .org/cgi/viewcontent.cgi?article= I042&context=iber/cider (Stand 05.08.2009). Klaus, Daniela (2008) : Sozialer Wandel und Geburtenrückgang in der Türkei: Der "Wert von Kindern" als Bindeglied auf der Akteursebene . Wiesbaden : VS Verlag. Koentjaraningrat (1971) : The Javanese of South Central Java, S. 88-115. In: Murdock, George P. (Hrsg.): Social structure in Southeast Asia. Chicago: Quadrangle Books. Kohlrnann, Annette (2000) : Value of Children Revisited: Ökonomische, soziale und psychologische Einflussfaktoren auf Fertilitätsentscheidungen in der Bundesrepublik Deutschland, Japan und der Türkei. Chemnitz: Unveröffentlichte Dissertation. Kohlmann, Annette (2002) : Fertility intentions in a cross-cultural view: The value of children reconsidered . Working Paper. 2002-002. Rostock : Max-Planck-Institute for Demographie Research . Kohlmann , Annette; Kopp, Johannes (1997): Verhaltenstheoretische ModelIierung des Übergangs zu verschiedenen Kinderzahlen . In: Zeitschrift für Soziologie, 26, S.258-274. Kopp, Johannes (2000) : Geburtenentwicklung in Ost- und Westdeutschland. Trends, regionale Unterschiede , Erklärungen, S. 83-135. In: Bertram, Hans; Nauck, Bernhard; Klein, Thomas (Hrsg.): Solidarität , Lebensformen und regionale Entwicklung. Opladen : Leske + Budrich . Kopp, Johannes (2002) : Geburtenentwicklung und Fertilitätsverhalten. Theoretische ModelIierung und empirische Erklärungsansätze. Konstanz: UVK-Verl.-Ges. Kroneberg, Clemens (2005) : Die Definition der Situation und die variable Rationalität der Akteure. Ein allgemeines Modell des Handeins . In: Zeitschrift für Soziologie, 34, S.344-363. Landry, Adolphe (1909): Les Trois Theories Principles de la Population . In : Scienta, 6, S.I -19. Leibenstein, Harvey (1957): Economic backwardness and economic growth: studies in the theory of economic development. New York: Wiley & Sons, Inc. Leibenstein, Harvey (1974) : An interpretation ofthe economic theory offertility: Promising path or blind alley? In: Journal ofEconomic Literature, 12, S. 457-479 . Leibenstein , Harvey (1985) : On relaxing the maximizing postulate . In: Journal of Behavioral Economics, 14, S. 5-20.

252

Literaturverzeichnis

Leibenstein, Harvey (1981) : Economic decision theory and human fertility behavior: A speculative essay. In: Population and Development Review, 7, S. 381-400. Lenk, Hans (1977) : Der methodologische Individualismus ist (nur?) ein heuristisches Postulat, S. 34-45. In: Eichner, Klaus; Habermehl, Werner (Hrsg.): Probleme der Erklärung sozialen Verhaltens. Meisenheim a. Glan : Anton Hain . Liefbroer, Aart C. (2005) : The impact of percei ved costs and rewards of childbearing on entry into parenthood: Evidence from a panel study. In: European Journal ofPopulation, 21, S. 367-391. Lindenberg, Siegwart (1990) : Rationalität und Kultur. Die verhaltenstheoretische Basis des Einflusses von Kultur und Transaktion, S. 249-287. In: Haferkamp, Hans (Hrsg.): Sozialstruktur und Kultur . Frankfurt a. M.: Suhrkamp . Lindenberg, Siegwart (1991) : Die Methode der abnehmenden Abstraktion: Theoriegesteuerte Analyse und empirischer Gehalt , S. 29-78. In: Esser, Hartrnut; Troitzsch, Klaus G. (Hrsg .): ModelIierung sozialer Prozesse. Bonn: Informationszentrum Sozialwissenschaften. Lindenberg, Siegwart (2002) : Social rationality versus rational egoism , S. 635-668 . In: Turner , Jonathan H. (Hg) : Handbook of social theory. New York : Kluwer Academic/Plenum Publisher. Loy, Gabriele (1981) : Theoretische Ansätze zur Erklärung des veränderten generativen Verhaltens in der Bundesrepublik Deutschland. Materialien zur Bev ölkerungswissenschaft, Heft 25. Wiesbaden: Bundesinstitut zur Bevölkerungsforschung. Mackenroth, Gerhard (1953). Bevölkerungslehre: Theorie, Soziologie und Statistik der Bevölkerung. Berlin: Springer. Mackenroth, Gerhard (1955) : Bevölkerungslehre, S. 44-90 . In: Gehlen Arnold; Schelsky Helmut (Hrsg .): Soziologie: Ein Lehrbuch zur modernen Gesellschaftskunde. Düsseldorf: Pubishing Company, Inc. von Magnis-Suseno, Franz (1989) : Neue Schwingen für Garuda . Indonesien zwischen Tradition und Modeme. München: Peter Kindt Verlag . Malhotra, Anju (1991) : Gender and Changing Generational Relations : Spouse Choice in Indonesia. In: Demography, 28, S. 549-570. Malhotra, Anju (1997): Gender and the timing of marriage: Rural-urban differences in Java. In: Journal ofMarriage and Family, 59, S. 434-450. Manning, Chris (1988) : Rural employment creation in Java : Lessons from the green revo lution and oil boom. In: Population and Development Review, 14, S. 47-79 . Manning, Chris (I 988a): The green revolution, emplo yment, and economic change in rural Java. A reassessment of trends under the Ncw Order. Singapore: Institute of Southeast Asian Studies . Maslow, Abraham H. (1943) : A theory of human motivation. In: Psychological Review, 50, S. 370-396. Mauldin , W. Parker ; Bereison, Bernhard (1978) : Conditions about fertilit y decline in developing countries, 1965-75. In: Studies in Family Planning, 9, S. 89-14 7. McNicoll , Geoffrey; Singarimbun, Masri (1983) : Fertility decline in Indonesia. Analysis and interpretation. Committee on Population and Demography, Report No. 20. Washington : National Academy Press .

Literaturverzeichnis

25J

Mensch, Kirsten (2000): Niedrigkostensituationen. Hochkosten situationen and andere Situar ionstypcn: ihre Ausw irkungen auf d ie Möglichkeit von Rationul-ChoiccErklärungen. In: Kölncr Zeitsc hrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 52, S. 246-263. Muthcn, Linda K.; Muthcn, Bengt O. (2007): Mplu s Uscr's Gui dc; 5. Ausgabe. Los Angeles : Murbe n & Mutheu. Nag, Moni; Wh ite, Benjamin N. F.; Cre ighton, Peer R. (1978): An anthropological approach to the study ofthe economic valuc o f children in Jav a und Nepa l. In: Currenr Anth ropo logy, 19, S. 293-306. Nakamura, Hisako ( 19R3): Divorcc in Java. A study of dissolurion of marriage among Javancsc Muslims. Yogyakana: Gadjah Mada Univcrsiry Pr ess. Nam, Charlcs 8. ; Dasvarma , Gouranga L.; Rahardjo, Sri. P. (19 9 1): The changing agc distri bution in Indonesia and some eonsequenees. In: Bulletin of Indonsiean Eonomic Studios, 27, S_ 12 1-136 . Nauck, Bem hard (19R9): Individualistische Erklärungsansätze in der Familienforschung: Die rational-ehoiee Basis von Farnilicnökonomic, Ressourcen und Austauschthcorien, S. 45-61. In: Navc- Hcrz , Rosemarie; Markefka, Manfred (Hrsg.): Handbuch der Familien- und Jugend forschung. Band I. Opladcn: Leske + Budrieh. Nauck, Bernhard ( 1997): Sozialer Wandel, Migration und Familie nb ildung bei türkischen Frauen. S. 162-199. In: Nauc k: Bernhard; Schönflug, Ure (Hrsg.): Familien in verschiedenen Kulturen . Stuttgart: Enkc. Nauek, Bernhard (200 1): Der Wen von Kindem für ihre Eltern . .,Value of Children" als spezielle Handlungstheorie des gene rative n Verhaltens. In: Kölner Zeitschrift für Soziol ogie und Sozialpsychologie, 53, S. 407-435. Nauck, Bem hard (200 Ia): Generationsbeziehungen und Heira tsregimes - theoretische Überlegu ngen zu Struktu r von Heiratsmärkten und Partnerwahlp rozessen am Beispie l der Tür kei und Deutschland, S. 35-55. In: Klein, Tho mas (Hrsg.): Partnerwahl und Heiratsmuster. Sozialstrukturelle Voraussetzungen der Liebe. Opladen: Leske + Budrich. Nauek, Bernhard (2007 ): Value of ehildren and the Fram ing o f Fcrtility: Rcsults from a Cross-cultu ral Cmnparanvc Survcy in 10 Socictics. In: Europcan Sociological Review, 23, S. 6 15-629. Nauek, Bcrnhard; Kohlmann, Annette (19 99): Values of ehildre n: Ein Forschungsprogramm zur Erklärung von generativem Verhalten und interge nerat iver Beziehungen. S. 53-73. In: Busch, Fricd rich W.; Nauek, Bcmhard: Navc- Hcrz, Rosemarie t Hrsg. ): Aktuelle Forschungsfelder der Familienwis senschaft . Band I: Familie und Gesellschaft . Würzburg. Ergon. Niehof Anke (1995) : Ageing and rhc cldcrly in lndoncsia. Identifying key issucs. In: Jo urnal ofthe Humanities and Social Seiences of Sourhcast Asia and Oeeania, 115, S. 422-437. Nobles, Jcnna: Buttenheim . Alison (200 8): Marriage and soc iccconomic cha nge in contcmporary Indonc sia. In: Journal of Marriage and Family. 70, S. 904-918. Notestein, Frank W. (1945 ): Population - The long vicw, S. 36-57. In: Sch ulz, Theodore W. (Hrsg.): Food for the world. Chieago : Univc rsiry of Chic ago Press.

254

Literaturverzeichnis

Notestein, Frank W. (1983): Frank Notestein on population growth and economic devel opment. In: Population and Development Review, 9, S. 345-360. Nuscheler, Franz (2004): Lern- und Arbeitsbuch Entwicklungspolitik, 5. Aufl. , Bonn : J.H .W. Dietz Verlag . Opp, Karl -Dieter; Friedrichs, Jürgen (1996): Brückenannahmen, Produktionsfunktionen und die Messung von Präferen zen . In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 48, S. 546-559. Opp , Karl -Dieter; Hechter, Michael (2001) : What have we learned about the emergcncc ofsocial norms? , S. 394-415. In : Hechter, Michael ; Opp , Karl-Dieter (Hr sg.): Social norms . NewYork: Russell Sage Foundation. Ormel , Johan ; Lindenberg, Siegwart; Steverink, Nardi ; Verbrugge, Lois M. (1999): Subjective well-being and social production functions. In: Social Indicator Research , 46, S.61-90. Ott, Notburga (1989) : Familienbildung und familiale Entscheidungsfindung aus verhandlungstheoretischer Sicht, S. 97-116 . In: Wagner, Gert; Ott, Notburga; HoffmannNowotny, Hans-Joachim (Hrsg .): Familienbildung und Erwerbstätigkeit im demografischen Wandel. Berlin: Springer. Palmore A. James ; Singarimbun, Masri ( 1992): The conflicting effects of delayed marriage and declining divorce rates on cumulative fertility in Indonesia. In: Asien and Population Forum , 6, S. 5-27. Popper, Karl R. (1962) : Die Logik der Sozialwissenschaften. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 14, S. 233-248 . Popper, Karl R. (1973): Objektive Erkenntnis. Ein evolution ärer Entwurf. Hamburg: Hoffman & Campe. Priyambada, Agus; Suryahadi, Asep ; Sumarto, Sudarno (2002): What happened to child labour in Indonesia during the economic crisis ? The trade-off between school and work. Jakarta: SMERU Research Institute. Internet: http ://unpanl.un.org/intradoc/gr oups /public/documents/APCITY/UNP ANOI 8660 .pdf (Stand 05.08.2009). Quandt, Markus; Ohr, Dieter (2004) : "Worum geht es, wenn es um nichts geht? Zum Stellenwert von Niedrigkostensituationen in der Rational Choice-Modellierung normkonformen Handelns". In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 56, S. 683-707 . Raffles, Thomas S. (1965): The history of Java . Kuala Lumpur, Oxford: University Press . Reid, Anthon y (1988): Southeast Asia in the Age of commerce, 1450-1680, Band 2. Expansion and crisis. New Haven: Yale University Press. Revenstorf, Dirk (1976) : Lehrbuch für Faktorenanalyse. Stuttgart: Kohlhammer. Robinson, Warren C. (1997) : The economic theory of fertility over three decades. In: Population Studies, 51, S. 3-74 . Rohwer, Goetz ; Pötter, Ulrich (2005) : TDA user 's manual. Unveröffentlichtes Manuskript, Ruhr-Bonn Universität, Fakultät für Sozialwissenschaften. Rutstein, Shea; Shah, Iqbal (2004): Infecundity, infertility, and childlessness in developing countries, DHS Comparative Reports No. 9. Calverton: ORC Macro and World Health Organi zation.

Literaturverzeichnis

255

Saefullah, Asep D. (1979) : The value of children among tea estate workers' families : A case study in a village of West Java, Indonesia. Canberra: The Australian National University. Savage, Leonard 1. (1954) : The foundation of statistics. New York: Dover Publications. Savitridina, Rini (1997) : Determinants and consequences of early marriage in Java, Indonesia . In: Asia-Pacific Population Journal , 12, S. 25-48 . Schafer , Joseph L.; Graham , John W. (2002) : Missing data : Our view of the state of the art. In: Psychological Methods , 7, S. 147-177 . Schiller, Barbara M. (1978) : Women, work and status in rural Java . Ohio : Unveröffentlichte Dissertation. Schimank, Uwe (2002) : Handeln und Struktu ren : Einführungen in die akteurtheoretische Soziologie. Weinheim: Juventa-Verlag. Schoemaker, Juan (2005) : Contraceptive use among the poor in Indonesia. In: International Family Planning Perspectives, 31, S. 106-123. Schröder-Butterfill, Elisabeth; Kreager , Philip (2005) : Actual and de facto childlessness in old age : Evidence and implications from East Java, Indonesia. In: Population and Development Review, 31, S. 19-55. Simon, Herbert A. (1997) : Models of bounded rationality. Band 3: Empirically grounded economic reason . Cambridge: MIT Press. Singarimbun, Masri ; Manning, Chris (1974) : Marriage and divorce in Mojolama. Yogyakarta: Population Institute, Gadjah Mada University. Singarimbun, Masri; Manning , Chris (1976) : Fertility and family planning in Mojolama. Yogyakarta: Population Institute, Gadjah Mada University. Sinquefield, Jeanne C.; Sungkono , Bambang (1979) : Fertility and family olanning trends in Java and Bali.In: International Family Planning Perspective, 5, S. 43-58 . Smith, James P.; Duncan, Thoma s; Frankenberg, Elizabeth; Beegle , Kathleen ; Teruel , Graciela (2000) : Wages , employment and economic shocks : Evidence from Indonesia. In: Journal ofPopulation Economic, 15, S. 161-193 . Stigler, G.; Becker, Gary (1977): De gustibus non est disputandum. In: American Economic Review, 67, S. 76-90. Stoler , Ann (1977) : Class structure and female autonomy in rural Java. In: Women and National Development, 3, S. 74-89 . Strohmeier, Klaus Peter (1993) : Pluralisierung und Polarisierung der Lebensformen in Deutschland. In: Aus Politik und Zeitgeschichte B 17/93, S. 11-22. Suckow, Jana (2008): Fertilität in Israel und Palästina. Ein Erklärungsbeitrag der Value of Children Forschung. Würzburg: Ergon . Sukamdi (1996) : Urbanization and the structure of urban employment in Indonesia. In: Sojourn, 11, S. 52-75. Sussman , Marvin B., Scheuch, Erwin K. (1970) : Gesellschaftliche Modernität und Modernität der Familie , S. 239-253. In: Lüschen, Günter; Lupri, Eugen (Hrsg.) : Soziologie der Familie , Sonderheft der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Opladen: Westdeutscher Verlag. Tambunan, Tulus (2004) : Urban poverty, informal sector and poverty alleviation policies in Indonesia. Helsinki : EGDI and UNU -WIDDER Conference. Internet:

256

Literaturverzeichnis

http://www.wider.unu .edu/conference/conference-2004-2/conference-2004-2papers/Tulus %20Tambunan .pdf(Stand 17.8.2005). Thabrany, Hasullah; Gani, Ascobat; Pujianto, Mayanda, Laura; Budi, Bagus Satria (2003): Social health insurance in Indonesia: Current status and the plan for national health insurance, S. 101 -161. In: World Health Organisation (WHO) (Hrsg.): Social insurance : report of a regional expert group meeting, New Delhi, India, 13-15 March 2003. New Delhi: World Heath Organisation (WHO). Internet: http://www.searo.wh o.int/LinkFiles /Social_Health_Insurance_an3.pdf (Stand 05.08.2009). Thompson, Warren S. (1929) : Population . In: American Journal of Sociology, 34, S.959-975. Trommsdorff, Gisela; Nauck, Bernhard (2005) (Hrsg.): The value of children in crosscultural perspective. Case studies from eight societies. Lengerich : Pabst Science. U.S. Bureau of the Census: International Data Base (2005): Prevalence of Contraceptive Use among Women 15 to 49 by Age. Internet: http:www.census.gov/ipc/www/idpri nt.html (Stand 17.8.2005). U.S. Bureau of the Census: International Data Base (2007) : Age-Specific Fertility Rates and Selected Derived Measures. Internet: http:www.census.gov/ipc/www/idprint.ht ml (Stand 03.02.2007). Unesco (2005) : Girls and women's education in Indonesia. Internet: http://www2.unescob kk.org/education /appeal/girls&women/indonesia.pdf (Stand 05.08.2009). United Nations (1994): Population, environment and development: Proceedings of the United Nations expert group meeting on population, environment and development, United Nations Headquarters . New York: United Nations . Urban, Dieter (1993) : Logit-Analyse . Die statistische Analyse von Modellen mit qualitativen Response-Variablen. Stuttgart: Gustav Fischer. Warwick, Donald P. (1986): The Indonesian family planning government influence and dient choice. In: Population and Development Review, 12, S. 453-490 . Wertheim, Willem F. (1956) : Indonesian society in transition . A study of social change. Bandung: Sumur Bandung . White, Benjamin N.F. (1975): The economic importance of children in a Javanese village, S. 127-146. In: Nag, Moni (Hrsg.): Population and socia1 organisation. Mouton: The Hauge. White, Benjamin N.F. (1976): Production and reproduction in a Javanese village. Columbia: Unveröffentlichte Dissertation . White, Benjamin N.F. (1976a): Population, involution and ernployment in rural Java. In: Dcvelopment and Change, 7, S. 267-290. White, Benjamin N.F. (1982) : Child labour and population growth in rural Asia. In: Development and Change, 13, S. 587-6lO. Williams, Linda B. (1989) : Postnuptial migration and the status of woman in Indonesia . In: Journal ofMarriage and Family, 51, S. 895-905. Wirakartakusuma, M. Djuhari (1998) : Keadaan Ketenagakerjaan Sebagai Akibat dari Krisis Moneter dan Ekonomi, Artikel präsentiert beim Discussion Panel in Center for Economic and Development Studies - Indonesian Institute of Seiences (PEPUPI), Jakarta, 20-21 January 1998.

Literaturverzeiehnis

257

World Resouree Institute (2005) : Gross sehool enrolment rate. Internet: http://www .earthtrends.wri.org/searehable_db/index .efm?theme=4 (Stand 9.8.2005). World Resouree Institute (2009a) : Intenet : http://earthtrends .wri.org/searehable_db/index . php?theme=4 (Stand 05.08.2009). World Resouree Institute (2009b) : Internet: http://earthtrends .wri.org/searehable_db/index .php?theme=5 (Stand 05.08.2009) Zeitlin , Marian ; Megawangi, Ratna ; Kramer , Ellen M.; Colleta, Naney D.; Babarunde, E. D.; Garman , David (1995) : Strengthening the family-implieations for international development. New York: United Nation s University Press . Internet: http ://www .unu.edu/unupress /unupbooks /uuI3se/uuI3se09 .htm#an%20overview%2 OofUIo20java (Stand 05.08.2009).

Imitation von Auslandsmarkteintritten: Eine empirische Analyse anhand der Markteintritte deutscher Unternehmen in Mittel- und Osteuropa

Ökonomische Wirkungen einer Veräußerungsgewinnbesteuerung: Eine empirische Analyse

Die Erfolgsfaktoren familieninterner Unternehmensnachfolgen: Eine empirische Untersuchung anhand deutscher Familienunternehmen

Der Geburtenrückgang in Indonesien: Eine empirische Analyse anhand des ''Value of Children''-Ansatzes

Imitation von Auslandsmarkteintritten: Eine empirische Analyse anhand der Markteintritte deutscher Unternehmen in Mittel- und Osteuropa

Ökonomische Wirkungen einer Veräußerungsgewinnbesteuerung: Eine empirische Analyse

Unternehmens-Podcasting. Eine empirische Analyse ausgewählter Erfolgsfaktoren

Originäre Ausgründungen aus etablierten Unternehmen: Eine empirische Analyse der Ausgründungsentscheidung

Die Auswirkungen der Nachhaltigkeitsberichterstattung auf den Kapitalmarkt: Eine empirische Analyse

Die Erfolgsfaktoren familieninterner Unternehmensnachfolgen: Eine empirische Untersuchung anhand deutscher Familienunternehmen

Ermessenspielräume bei der Fair Value Ermittlung immaterieller Vermögenswerte - Eine empirische Analyse

Wissenstransfer im Auslandsentsendungsprozess: Eine empirische Analyse der Rolle des Expatriates als Wissenstransfer-Agent

Internetbasierte Anwendungen in der FuE-Kooperation. Eine empirische Analyse basierend auf der Adaptive Structuration Theory

Risikoverhalten von Fondsmanagern: Eine spieltheoretische und empirische Analyse

Lernstrategien des Wirtschaftsprüfers für die Fortbildung in IFRS: Eine theoretische und empirische Analyse

Korrelationen in Extremsituationen: Eine empirische Analyse des deutschen Finanzmarktes mit Fokus auf irrationales Marktverhalten

Wissenstransfer deutscher Universitäten: Eine empirische Analyse von Universitätspatenten

Die Wirkung von Dienstleistungsgarantien auf das Konsumentenverhalten: Eine empirische Analyse

Lernstrategien des Wirtschaftsprüfers für die Fortbildung in IFRS: Eine theoretische und empirische Analyse

Going Public in Deutschland: Eine empirische Analyse von Börsengängen auf Grundlage der Behavioral Finance

Steuermoral: Eine wirtschaftspsychologische Analyse

Steuermoral: Eine wirtschaftspsychologische Analyse

Internationale Arbeitnehmerbesteuerung: Eine steuersystematische Analyse anhand der Lander Deutschland, Osterreich und Schweiz

Der Einfluss des Marktklimas auf das Beschwerdeverhalten von Konsumenten: Eine empirische Untersuchung in der Finanzdienstleistungsbranche

Service Reporting im Outsourcing-Controlling: Eine empirische Analyse zur Steuerung des Outsourcing-Dienstleisters

Koordinationsinstrumente in virtuellen Unternehmen. Eine empirische Untersuchung anhand lose gekoppelter Systeme

Hedgefonds-Investments im Private Banking: Eine empirische Analyse des deutschen Marktes

Ökonomie des Tourismus durch Sportgroßveranstaltungen: Eine empirische Analyse zur Fußball-Weltmeisterschaft 2006

Web 2.0 - Eine empirische Bestandsaufnahme

Quantenphysik: Eine Einfuehrung anhand elementarer Experimente

Bildungssoziologie: Eine Einführung anhand empirischer Studien

Vergütungsanreize und opportunistische Bilanzpolitik: Eine empirische Analyse der Rolle von Aufsichtsrat und Abschlussprüfer

Circles of Support: Eine empirische Netzwerkanalyse

Grundeinkommen und Werteorientierungen: Eine empirische Analyse, 2. Auflage (Perspektiven der Sozialpolitik)

Der Geburtenrückgang in Indonesien: Eine empirische Analyse anhand des ''Value of Children''-Ansatzes

Imitation von Auslandsmarkteintritten: Eine empirische Analyse anhand der Markteintritte deutscher Unternehmen in Mittel- und Osteuropa

Ökonomische Wirkungen einer Veräußerungsgewinnbesteuerung: Eine empirische Analyse

Unternehmens-Podcasting. Eine empirische Analyse ausgewählter Erfolgsfaktoren

Originäre Ausgründungen aus etablierten Unternehmen: Eine empirische Analyse der Ausgründungsentscheidung

Die Auswirkungen der Nachhaltigkeitsberichterstattung auf den Kapitalmarkt: Eine empirische Analyse

Die Erfolgsfaktoren familieninterner Unternehmensnachfolgen: Eine empirische Untersuchung anhand deutscher Familienunternehmen

Ermessenspielräume bei der Fair Value Ermittlung immaterieller Vermögenswerte - Eine empirische Analyse

Wissenstransfer im Auslandsentsendungsprozess: Eine empirische Analyse der Rolle des Expatriates als Wissenstransfer-Agent

Internetbasierte Anwendungen in der FuE-Kooperation. Eine empirische Analyse basierend auf der Adaptive Structuration Theory

Risikoverhalten von Fondsmanagern: Eine spieltheoretische und empirische Analyse

Lernstrategien des Wirtschaftsprüfers für die Fortbildung in IFRS: Eine theoretische und empirische Analyse

Korrelationen in Extremsituationen: Eine empirische Analyse des deutschen Finanzmarktes mit Fokus auf irrationales Marktverhalten

Wissenstransfer deutscher Universitäten: Eine empirische Analyse von Universitätspatenten

Die Wirkung von Dienstleistungsgarantien auf das Konsumentenverhalten: Eine empirische Analyse

Lernstrategien des Wirtschaftsprüfers für die Fortbildung in IFRS: Eine theoretische und empirische Analyse

Going Public in Deutschland: Eine empirische Analyse von Börsengängen auf Grundlage der Behavioral Finance

Steuermoral: Eine wirtschaftspsychologische Analyse

Steuermoral: Eine wirtschaftspsychologische Analyse

Internationale Arbeitnehmerbesteuerung: Eine steuersystematische Analyse anhand der Lander Deutschland, Osterreich und Schweiz

Der Einfluss des Marktklimas auf das Beschwerdeverhalten von Konsumenten: Eine empirische Untersuchung in der Finanzdienstleistungsbranche

Service Reporting im Outsourcing-Controlling: Eine empirische Analyse zur Steuerung des Outsourcing-Dienstleisters

Koordinationsinstrumente in virtuellen Unternehmen. Eine empirische Untersuchung anhand lose gekoppelter Systeme

Hedgefonds-Investments im Private Banking: Eine empirische Analyse des deutschen Marktes

Ökonomie des Tourismus durch Sportgroßveranstaltungen: Eine empirische Analyse zur Fußball-Weltmeisterschaft 2006

Web 2.0 - Eine empirische Bestandsaufnahme

Quantenphysik: Eine Einfuehrung anhand elementarer Experimente

Bildungssoziologie: Eine Einführung anhand empirischer Studien

Vergütungsanreize und opportunistische Bilanzpolitik: Eine empirische Analyse der Rolle von Aufsichtsrat und Abschlussprüfer

Circles of Support: Eine empirische Netzwerkanalyse

Grundeinkommen und Werteorientierungen: Eine empirische Analyse, 2. Auflage (Perspektiven der Sozialpolitik)

Recommend Documents