Julia Klare Kommunikationsmanagement deutscher Unternehmen in China
Organisationskommunikation. Studien zu Public Rel...
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Julia Klare Kommunikationsmanagement deutscher Unternehmen in China
Organisationskommunikation. Studien zu Public Relations/ Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikationsmanagement Herausgegeben von Günter Bentele Die Reihe „Organisationskommunikation. Studien zu Public Relations/Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikationsmanagement“ zielt darauf, wesentliche Beiträge zur Forschung über Prozesse und Strukturen der Kommunikation von und in Organisationen in ihrem gesellschaftlichen Kontext zu leisten. Damit kommen vor allem Arbeiten zum Tätigkeits- und Berufsfeld Public Relations/Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikationsmanagement von Organisationen (Unternehmen, politische Organisationen, Verbände, Vereine, Non-Profit-Organisationen, etc.), aber auch zur Werbung oder Propaganda in Betracht. Nicht nur kommunikationswissenschaftliche Arbeiten, sondern auch Beiträge aus angrenzenden Sozialwissenschaften (Soziologie, Politikwissenschaft, Psychologie), den Wirtschaftswissenschaften oder anderen relevanten Disziplinen zu diesem Themenbereich sind erwünscht. Durch Praxisbezüge der Arbeiten sollen Anstöße für den Professionalisierungsprozess der Kommunikationsbranche gegeben werden.
Julia Klare
Kommunikationsmanagement deutscher Unternehmen in China Eine strukturationstheoretische Analyse Internationaler PR
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Zugl. Diss. LMU München
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2010 Lektorat: Katrin Emmerich / Sabine Schöller VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Rosch-Buch, Scheßlitz Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-16834-0
2.1 Kommunikation
5
Danksagung
Die vorliegende Arbeit wurde im Oktober 2008 als Dissertation an der Ludwig-MaximiliansUniversität München angenommen. Viele Menschen haben auf die unterschiedlichste Art und Weise zu ihrer Entstehung beigetragen. Ihnen allen gilt mein größter Dank. Namentlich erwähnen und besonders danken möchte ich: Meinem Doktorvater Prof. Hans-Bernd Brosius, der mir für alle Fragen stets zur Verfügung stand und mir ansonsten den Freiraum gelassen hat, den ich mir immer für meine Dissertation gewünscht habe. Prof. Günter Bentele, für seine wertvollen Ratschläge und die Aufnahme in den exklusiven Kreis seines Doktorandenkolloquiums. Clemens Coupette, Annette Wiedenbach und Christina Lueer, die mir vor vielen Jahren ermöglicht haben, bei der Bayer AG in China zu arbeiten und mein Interesse für die Thematik weckten. Allen Interviewpartnern. Jedes Interview war einzigartig und brachte mich mit sehr unterschiedlichen, faszinierenden Persönlichkeiten zusammen, die bei mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Insbesondere Rainer Berthan, Jochen Klein, Dr. Hans-Jörg Geduhn und Marianne Friese habe ich für ihre Unterstützung zu danken. Kirsten Engelsma, die sich unzählige Stunden geduldig meine Überlegungen angehört und mir hilfreiche Denkanstöße gegeben hat. Julia Schurr, Stefan Gurk, Janina Seiffert und Robert Dicty, für zahlreiche Ablenkungen während des Entstehungsprozesses der Arbeit. Der wichtigste Dank gebührt natürlich meiner Familie – Olaf, Oliver, Jessica, Finn und Liv sowie meinen großartigen Eltern Wolfram und Doris (die u.a. das Lektorat übernommen hat). Sie gaben mir nicht nur inhaltliche Anregungen, sondern halfen mir vor allem durch ihre Fröhlichkeit und Gelassenheit, den Dissertations-Marathon zu überstehen. Danke.
Julia Klare, Berlin, im Frühjahr 2009
7
Inhalt
Inhalt
Abbildungsverzeichnis (inkl. Tabellen)............................................................................13 1
Einleitung ..............................................................................................................15
2 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.3.4 2.3.5 2.3.6
Theoretische Vorüberlegungen ...........................................................................21 Kommunikation ......................................................................................................21 Begriffsbestimmung Kommunikation ....................................................................21 Funktion von Kommunikation................................................................................22 Unterscheidungen von Kommunikation .................................................................24 Vertrauen und Image ..............................................................................................27 Kultur......................................................................................................................27 Begriffsbestimmung Kultur ....................................................................................28 Funktion von Kultur ...............................................................................................29 Abgrenzung von Kulturen ......................................................................................30 Globalisierung ........................................................................................................32 Begriffsbestimmung Globalisierung.......................................................................32 Ursachen, Entwicklung und Dimensionen der Globalisierung ...............................32 Wirtschaftliche Globalisierung ...............................................................................33 Zivilgesellschaftliche Globalisierung .....................................................................34 Kommunikative Globalisierung..............................................................................35 Kulturelle Globalisierung .......................................................................................36
3 3.1 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.4 3.4.1 3.4.2
PR-Theoretische Grundlagen ..............................................................................41 Definition von PR...................................................................................................41 Öffentlichkeits-Theorie...........................................................................................43 Begriffsbestimmung Öffentlichkeit ........................................................................43 Normativ-Ideologische Öffentlichkeitstheorien .....................................................44 Analytische Öffentlichkeitstheorien .......................................................................45 Adressaten öffentlicher Kommunikation: Publikumsgruppen................................51 PR-Theorie .............................................................................................................52 Ansätze der PR-Theorie..........................................................................................54 Organisationsorientierte PR-Ansätze: Excellence-Forschung ................................55 Plädoyer für eine strukturationstheoretische Herangehensweise ............................60 Organisationsorientierter PR-Ansatz von Zerfaß....................................................61 PR-Handlungen in verschiedenen Arenen und Foren.............................................65 PR-Handlungen in episodischen Begegnungen (1-3) .............................................67 PR-Handlungen in Präsenzveranstaltungen (4-6) ...................................................67
8
Inhalt
3.4.3 3.4.4
PR-Handlungen in kontrollierten Medien (7-9)......................................................69 PR-Handlungen in Massenmedien (10) ..................................................................69
4 4.1 4.2 4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.4
Internationale PR-Theorie ...................................................................................73 Entwicklung der Internationalen PR-Forschung in Deutschland............................73 Definition und Systematisierung ............................................................................74 Globale versus Internationale PR ...........................................................................74 Zentrale Erkenntnisse der Standardisierungsdebatte im Marketing........................75 Theoretische Möglichkeiten und Grenzen der Standardisierung von PR ...............77 Internationale PR vom Heimatland aus und in Gastländern vor Ort.......................78 Erkenntnisse der international vergleichenden PR-Forschung...............................79
5 5.1 5.1.1 5.1.2 5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.2.4 5.2.5
Strukturationstheoretische Grundlagen.............................................................83 Grundlagen der Sozialtheorie .................................................................................83 Systemtheoretische Ansätze ...................................................................................85 Handlungstheoretische Ansätze..............................................................................88 Strukturationstheoretischer Ansatz von Anthony Giddens .....................................91 Basisannahmen der Strukturationstheorie...............................................................92 Handeln und Handelnde (Akteure) .........................................................................93 Die Dualität von Struktur: Regeln und Ressourcen ................................................96 Soziale Systeme, Strukturmomente und Institutionen ..........................................100 Kritik und Ausblick ..............................................................................................104
6 6.1 6.2 6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.2.4 6.3 6.3.1 6.3.2 6.3.3 6.4 6.5
Internationale PR aus strukturationstheoretischer Perspektive ....................107 Regeln und Ressourcen von PR-Handlungen .......................................................107 Organisationsinterne Regeln und Ressourcen ......................................................108 Formale Organisation der PR-Funktion................................................................108 Zugang zu allokativen Ressourcen .......................................................................110 Zugang zu autoritativen Ressourcen.....................................................................110 Ressourcen individueller PR-Akteure: Kommunikative Kompetenz ...................111 Organisationsexterne Regeln und Ressourcen......................................................111 Regeln und Ressourcen verschiedener PR-Handlungsräume ...............................112 Abhängigkeit organisationsexterner Regeln/Ressourcen von Institutionen..........113 Regeln und Ressourcen in unterschiedlichen PR-Foren .......................................114 Konsequenzen für die Internationale PR-Forschung ............................................120 Ausblick auf den empirischen Teil: PR-Handlungen deutscher Unternehmen in China ................................................................................................................120
7
Forschungsleitende Fragen ................................................................................125
8 8.1 8.2
Methodisches Vorgehen .....................................................................................131 Methodische Implikationen der Strukturationstheorie..........................................131 Literaturrecherche.................................................................................................132
Inhalt
9
8.3 8.3.1 8.3.2 8.3.3 8.4
Experteninterviews und qualitative Datenanalyse ................................................134 Quantitative versus qualitative Befragung............................................................134 Entscheidung für eine qualitative Herangehensweise...........................................135 Experteninterviews: Theoretische Grundlagen.....................................................136 Systematische Gegenüberstellung ........................................................................137
9 9.1 9.2
Durchführung Experteninterviews ...................................................................139 Auswahl der Interviewpartner/Profilbildung ........................................................139 Realisierte Interviews ...........................................................................................140
10 10.1 10.2 10.3 10.3.1 10.3.2 10.3.3 10.3.4 10.3.5 10.4 10.4.1 10.4.2 10.4.3 10.4.4 10.5 10.5.1 10.5.2 10.5.3 10.5.4 10.5.5 10.5.6
Strukturanalyse ..................................................................................................145 Basisdaten China und Deutschland.......................................................................145 Historischer Hintergrund ......................................................................................146 Autoritative Ressourcen........................................................................................148 Verteilung von Macht ...........................................................................................149 Formation von Öffentlichkeiten............................................................................152 Status von Akteuren..............................................................................................157 Vertrauen in mediale Informationsquellen und bestehende Images .....................160 Überblick Unterschiede autoritative Ressourcen..................................................162 Allokative Ressourcen ..........................................................................................163 Angebot an PR-Dienstleistern ..............................................................................164 Kommunikation in Kopräsenz: Räumlichkeiten und bestehende Foren ...............165 Massenmediale Foren: Infrastruktur des Mediensystems .....................................165 Überblick Unterschiede allokative Ressourcen ....................................................174 Handlungsregeln...................................................................................................175 Sozial-philosophischer Hintergrund: Konfuzianismus .........................................175 Lernkultur .............................................................................................................176 Nationalstolz/Patriotismus ....................................................................................177 Erwartungen an unternehmerisches Handeln (ausländischer Unternehmen)........177 Kommunikation in Kopräsenz: Umgangs- und Verhaltensregeln ........................178 Mediale Kommunikation: Journalistische Handlungs- und Verarbeitungsroutinen ..........................................................................................189 Überblick Unterschiede Handlungsregeln ............................................................203 Deutungsregeln.....................................................................................................206 Sprache .................................................................................................................206 Kommunikationsstil..............................................................................................208 Argumentationsstil/Rhetorische Mittel.................................................................210 Kommunikation in Kopräsenz ..............................................................................211 Gestaltungsregeln medialer/schriftlicher Kommunikation ...................................214 Deutungsregeln des Mediensystems (Medienagenda/Themen/Frames) ...............216 Überblick Unterschiede Deutungsregeln ..............................................................221
10.5.7 10.6 10.6.1 10.6.2 10.6.3 10.6.4 10.6.5 10.6.6 10.6.7
10
Inhalt
11 11.1 11.2 11.2.1 11.2.2 11.3
Organisation der Internationalen PR ...............................................................223 Unternehmenstätigkeit in China und Bedeutung der PR vor Ort..........................223 Internationale PR-Organisation ............................................................................224 Zusammenarbeit mit dem Mutterunternehmen in Deutschland............................224 Personelle Besetzung der PR-Funktion in China..................................................225 Zusammenarbeit mit PR-Dienstleistern................................................................228
12 12.1 12.2 12.3
Teilbereiche der PR ............................................................................................231 Anspruchsgruppenkommunikation.......................................................................231 Public Affairs (Governmental Relations/Lobbying).............................................233 Gesellschaftspolitische Kommunikation/Medienarbeit ........................................236
13 13.1 13.2 13.3 13.4 13.5 13.5.1 13.5.2 13.5.3 13.5.4 13.5.5 13.5.6 13.6 13.6.1 13.6.2 13.6.3 13.6.4 13.6.5 13.6.6 13.6.7 13.7 13.8 13.8.1 13.8.2 13.8.3 13.8.4 13.8.5 13.9 13.9.1 13.9.2 13.9.3
Medienarbeit .......................................................................................................239 Aufgaben und Ziele ..............................................................................................239 Adressaten (besondere Schwerpunkte) .................................................................239 Medieninteresse/Initiative (aktive/reaktive PR)....................................................240 Images und Vertrauen...........................................................................................241 Themen/Inhalte.....................................................................................................242 Meidung politisch sensibler Themen ....................................................................242 Abstimmung von Themen auf die Regierungsagenda/Parteilinie.........................243 Herausstellung des Unternehmensbeitrages für China .........................................244 Erfolgsgeschichten................................................................................................245 Erklärungsbedürftigkeit ........................................................................................246 Herausstellung des Führungspersonals/CEOs ......................................................246 Medienplanung und -selektion..............................................................................246 Ansprache von internationalen und chinesischen Medien ....................................248 Umgang mit Regionalisierung der Medien...........................................................248 Party Papers versus Commercial Papers...............................................................249 Xinhua ..................................................................................................................249 Printmedien...........................................................................................................250 TV/Radio ..............................................................................................................251 Internet..................................................................................................................252 Foren der Medienansprache..................................................................................252 Episodische Begegnungen, Beziehungen und Netzwerke ....................................253 Relevanz ...............................................................................................................254 Akzeptanz .............................................................................................................255 Beschaffenheit ......................................................................................................255 Aufbau und Pflege ................................................................................................256 Funktion/Nutzen ...................................................................................................261 Präsenzveranstaltungen.........................................................................................263 Zeremonien und besondere Anlässe .....................................................................265 Reden und Ansprachen .........................................................................................267 Pressekonferenzen ................................................................................................268
Inhalt
13.9.4 13.9.5 13.10 13.10.1 13.10.2 13.10.3 13.10.4 13.11 13.11.1 13.11.2 13.11.3 13.11.4 13.11.5 13.11.6 13.11.7 13.12 13.13 13.13.1 13.13.2
11
13.13.3 13.13.4 13.13.5 13.13.6 13.14
Interviews .............................................................................................................272 Medienarbeit auf Messen......................................................................................274 Kontrollierte Medien ............................................................................................275 Branding ...............................................................................................................275 Broschüren............................................................................................................278 Internetauftritt.......................................................................................................279 Pressemitteilungen................................................................................................280 Umgang mit journalistischen Handlungs- und Verarbeitungsroutinen.................286 Weniger hinterfragende und kritische Journalisten ..............................................286 Inhaltliche Begleitung chinesischer Journalisten..................................................288 Umgang mit Hongbao-Praxis ...............................................................................289 Umgang mit Paid News/Deals..............................................................................291 Erfahrungen mit Erpressungen .............................................................................293 Umgang mit Falschmeldungen und Skandalierungen ..........................................294 Umgang mit Online-Skandalierungen ..................................................................296 Erfolgskontrolle ....................................................................................................297 Differenzierte Betrachtungen................................................................................297 WFOEs und Joint Ventures ..................................................................................297 Verschiedene Industrien/Sonderfall Unternehmen im Endkonsumenten-Bereich.....................................................................................299 ‚Big Player’ und kleinere Großunternehmen ........................................................300 Deutsche und chinesische Befragte in China........................................................300 PR-Experten und PR-Laien ..................................................................................301 Shanghai und Peking ............................................................................................301 Tipps für die PR-Arbeit in China..........................................................................301
14 14.1 14.2 14.3 14.4 14.5
Zusammenfassung Struktur-Handlungs-Zusammenhänge ............................303 Organisation der Internationalen PR.....................................................................304 Teilbereiche der PR ..............................................................................................305 Medienarbeit.........................................................................................................307 Überblick Struktur-Handlungs-Zusammenhänge .................................................323 Festhalten an PR-Handlungen/Veränderung von Strukturen................................324
15
Rückblick, Fazit, Ausblick .................................................................................325
Anhang ..............................................................................................................................331 Kurze Kritik an Hofstede ...................................................................................................331 Ausländische Unternehmensformen in China ....................................................................333 Handlungsempfehlungen der interkulturellen Managementforschung – Kurzübersicht ....334 Vor- und Nachteile internationaler und lokaler PR-Agenturen in China ...........................337 Aufsatz von Li Xiguang (Auszug) .....................................................................................338 Kontextinformationen Interviews.......................................................................................339 Literaturverzeichnis.........................................................................................................341
Abbildungsverzeichnis
13
Abbildungsverzeichnis (inkl. Tabellen)
Abbildung 1: Stufen der sozialen Integration durch Kommunikation...............................23 Abbildung 2: (Tabelle): Unterschiedliche Kommunikationskanäle der interpersonalen und medialen Kommunikation ....................................................................25 Abbildung 3: (Tabelle): Kategorisierung unterschiedlicher Kommunikationsformen und -ausrichtungen. Eigene Darstellung......................................................25 Abbildung 4: Ebenen von Kultur.......................................................................................29 Abbildung 5: Kulturkreise der Erde ..................................................................................31 Abbildung 6: Teilbereiche der Unternehmenskommunikation..........................................42 Abbildung 7: Die Formation von Öffentlichkeiten/Kommunikationsarenen. ...................48 Abbildung 8: Typen von Kommunikationsforen...............................................................49 Abbildung 9: Sphären/Arenen und Foren der Unternehmensöffentlichkeit ......................51 Abbildung 10: (Tabelle): Systematisierung von Publikumsgruppen...................................52 Abbildung 11: Konzeption der Teilbereiche der Unternehmenskommunikation und von PR ..................................................................................................63 Abbildung 12: Teilbereiche der PR. Arenen und Foren im Überblick ................................64 Abbildung 13: (Tabelle): Potenzielle Handlungsräume für PR ...........................................65 Abbildung 14: (Tabelle): Systematisierung verschiedener PR-Handlungen in unterschiedlichen Arenen und Foren...........................................................71 Abbildung 15: Internationale PR-Strategien. ......................................................................75 Abbildung 16: Geschlossenes und offenes (strukturfunktionales) Systemverständnis........86 Abbildung 17: Die Verknüpfung von Struktur und Handlung in der Strukturationstheorie ...................................................................................93 Abbildung 18: Handlungsgrundlagen..................................................................................94 Abbildung 19: Dimensionen von Struktur und Handlung ...................................................96 Abbildung 20: Typen von Regeln und Ressourcen .............................................................99 Abbildung 21: Dimensionen der Dualität von Struktur.....................................................100 Abbildung 22: Gesellschaft und Kultur nach Giddens. .....................................................102 Abbildung 23: Institutionelle Ordnungen..........................................................................103 Abbildung 24: (Tabelle): Analytisch differenzierbare Strukturmodalitäten der verschiedenen PR-Handlungsräume..........................................................112 Abbildung 25: (Tabelle): Zusammenhang der institutionellen Gesellschaftsordnung mit Strukturmodalitäten der PR-Handlungsräume ....................................113 Abbildung 26: (Tabelle): Annahmen zu relevanten Regeln und Ressourcen unterschiedlicher Foren-Typen der PR......................................................119 Abbildung 27: Regeln und Ressourcen für Internationale PR-Handlungen (= fett)..........122 Abbildung 28: (Tabelle): Zusammenhang der institutionellen Gesellschaftsordnung mit Strukturmodalitäten der PR-Handlungsräume ....................................123 Abbildung 29: (Tabelle): Wichtigste Quellen für Strukturmodalitäten in China (im Vergleich zu Deutschland)..................................................................133
14
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 30: (Tabelle): Untersuchungsdesign für die Betrachtung organisationsinterner bzw. organisationsexterner Regeln und Ressourcen..........................................................................................139 Abbildung 31: (Tabelle): Auswahl der Interviewpartner/Profilbildung ............................140 Abbildung 32: (Tabelle/gesplittet): Realisierte Interviews................................................143 Abbildung 33: (Tabelle): Zusammenfassung realisierter Interviews.................................144 Abbildung 34: ‚Age of Deference’ und ‚Age of Reference’. ............................................158 Abbildung 35: (gesplittet): Überblick Unterschiede/Besonderheiten autoritative Ressourcen China-Deutschland.................................................................163 Abbildung 36: (Tabelle): Top 10 der internationalen Agenturnetzwerke in China. ..........164 Abbildung 37: (Tabelle): Top 10 der chinesischen PR-Agenturen....................................164 Abbildung 38: Die fünf größten Zeitungsmärkte der Welt................................................166 Abbildung 39: Wichtigste nationale, der Zentralregierung unterstellte Tageszeitungen in China .....................................................................................................167 Abbildung 40: Die wichtigsten Wirtschaftszeitungen in China.........................................168 Abbildung 41: Die wichtigsten Wirtschaftsmagazine in China.........................................169 Abbildung 42: (gesplittet): Überblick Unterschiede/Besonderheiten allokative Ressourcen China-Deutschland.................................................................175 Abbildung 43: Guanxi-Referenz-System in China............................................................184 Abbildung 44: Soziale Grenzziehung in Deutschland und China......................................185 Abbildung 45: Anzeige Automotive News China. ............................................................200 Abbildung 46: ‚Hongbaos’ ................................................................................................200 Abbildung 47: (gesplittet): Überblick Unterschiede/Besonderheiten Handlungsregeln China-Deutschland. ...................................................................................206 Abbildung 48: Der Satz ‚Sprechen Sie Chinesisch?’ in Langschrift und Kurzschrift .......207 Abbildung 49: Chinesisch-Englische Schilder. .................................................................208 Abbildung 50: US-amerikanischer, deutscher/europäischer und chinesischer Kommunikationsstil ..................................................................................209 Abbildung 51: Argumentationsstile in Deutschland und China ........................................211 Abbildung 52: Aufbau von Texten in Deutschland und China..........................................215 Abbildung 53: Beispiel einer chinesischen Internetseite (www.sohu.com). .....................216 Abbildung 54: ‚Smashing day for Benz.’ ..........................................................................220 Abbildung 55: (gesplittet): Überblick Unterschiede/Besonderheiten Deutungsregeln China-Deutschland. ...................................................................................222 Abbildung 56: Beitrag für China .......................................................................................244 Abbildung 57: Presseverteiler (wichtigste Medien) eines Unternehmens der Automobilindustrie in China (Shanghai)...................................................250 Abbildung 58: Drachentanz und Ausmalen des Auges im Rahmen einer Zeremonie.......266 Abbildung 59: Internetauftritte in China. Beispiele...........................................................279 Abbildung 60: Aufbau von Pressemitteilungen.................................................................282 Abbildung 61: Überblick vermutete Struktur-Handlungs-Zusammenhänge im untersuchten Beispiel.................................................................................323 Abbildung 62: Analyseraster für die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen organisationsexternen Strukturen und PR-Handlungen.............................328
1 Einleitung
15
1 Einleitung
Wir leben in spannenden Zeiten. In keiner Epoche zuvor erlebten die Menschen eine derart rasante Entwicklung und Veränderung geradezu aller Lebensbereiche wie in den vergangenen drei Jahrzehnten. Die Globalisierung hält Wirtschaft, Politik und Gesellschaft in Atem und führt zu einer nie da gewesenen weltweiten Verflechtung von Konzernen, Staaten und Menschen. Dies bringt eine Fülle von Chancen und Problemen für die Einwohner aller Kontinente mit sich, die zunehmend nur noch auf supranationalen Ebenen gelöst werden können. Der Verlust national-staatlicher Handlungsmacht auf politischer Ebene lässt sich an der steigenden Bedeutung internationaler Institutionen und Initiativen, wie etwa den Vereinten Nationen und internationaler Friedenstruppen, erkennen. So wie politisches Handeln zunehmend global wird, macht auch der Aktionsradius von Unternehmen schon lange nicht mehr an Ländergrenzen halt. Während der weltweite Handel 1948 noch rund 58 Mrd. US$ betrug, stieg er (über 3.449 Mrd. US$ im Jahr 1990 und 6.446 Mrd. US$ zur Jahrtausendwende) bis zum Jahr 2006 auf 12.083 Mrd. US$ an (vgl. WTO 2007). Die ausländischen Direktinvestitionen von Unternehmen stiegen seit 1970 mit rund 13. Mrd. US$ auf weit über 1.000 Mrd. US$ in den Jahren 1999 und 2000 und erreichten 2007 die Rekordhöhe von über 1.500 Mrd. US$ (vgl. UNCTAD 2008a)1. 2006 existierten weltweit ca. 78.000 multinationale Unternehmen (kurz und in Folge: MNU) mit rund 780.000 Dependancen/Tochtergesellschaften (vgl. UNCTAD 2007)2. Immer mehr Unternehmen wagen den Schritt in fremde Länder. Die zunehmende Präsenz von Unternehmen in für sie fremden Märkten stellt hohe Anforderungen an das Management. In den verschiedenen Gastländern müssen sich Unternehmen in die verschiedenen gesellschaftlichen Kontexte integrieren. Ein wichtiger Aspekt sozialer Integration ist Kommunikation (vgl. Kapitel 2.1.2). Diese Aufgabe wird in Unternehmen vor allem durch die Öffentlichkeitsarbeit (synonym: Public Relations, kurz und in Folge: PR) wahrgenommen. Während die Kommunikation mit der gesellschaftlichen Umgebung der Gastländer für viele Unternehmen seit Jahren routinierter Alltag ist, hat sich die Forschung mit diesem Phänomen bisher nur begrenzt auseinandergesetzt. So steckt die Internationale PR (kurz und in Folge: IPR3)-Forschung in Deutschland noch in den Kinderschuhen. Im Mittelpunkt der Überlegungen steht bisher – analog zur Standardisierungsdebatte im Marketing (vgl. Kapitel 4.3.1) – die Frage, wie Planungs- und Ent1 2 3
Foreign Direct Investment (FDI). Hierunter fallen alle Investitionen, bei denen Einfluss und Kontrolle auf Geschäftstätigkeiten im Ausland ausgeübt werden. Vgl. ausführlich UNCTAD (2008b). 85% dieser MNUs haben ihren Hauptsitz/das Mutterunternehmen in den USA, Japan oder in der EU. Die meisten Unternehmen gehören der Automobil-, Pharma-, Elektro- oder Telekommunikationsindustrie an. Vgl. zur Definition multi- bzw. transnationaler Unternehmen UNCTAD (2008c). Um Verwechslungen mit der internationalen PR-Forschung (also der Auseinandersetzung mit PR in der internationalen akademischen Welt) zu vermeiden, wird in Folge die hier betrachtete Internationale PRForschung (also die Auseinandersetzung mit der Internationalisierung von PR) groß geschrieben.
16
1 Einleitung
scheidungskompetenzen zwischen Mutter- und Tochterunternehmen aufgeteilt werden und inwieweit die PR-Funktion vom Mutterunternehmen aus für alle Tochterunternehmen in den verschiedenen Gastländern standardisiert werden kann (= ‚globale PR’; vgl. Kapitel 4.3). „Aus rational-ökonomischer Sicht spricht vieles für globale PR: Viele Länder lassen sich über ein einziges Programm steuern. Das spart Geld, Aufwand und Abstimmungsfehler. Allerdings kann ein solcher Ansatz auch seine Tücken haben, lässt er doch jegliche Unterschiede wie Kultur, Mediensystem, wirtschaftliche und soziale Rahmenbedingungen außer Acht. Besonders in der PR als ‚People’s Business’ kann dies fatale Folgen für die eigene Geschäftstätigkeit haben.“ (Lützler 2007, S. 134f)
Der Vorsitzende des Arbeitskreises ‚Internationale PR’ der Deutschen Public Relations Gesellschaft (DPRG), Thorsten Lützler, formuliert analog folgende zentrale Fragen für das IPR-Forschungsfeld (Lützler 2007, S. 134):
Wie muss Internationale PR gestaltet und organisiert werden, um erfolgreich zu sein? Ist es möglich, ein PR-System über alle Länder hinweg einzusetzen, oder ist es erforderlich, jedes Land für sich mit einem PR-Konzept zu versehen? Kann man gewisse Aufgaben und Prozesse international standardisieren, und lassen sich daraus Kostenvorteile realisieren? Wie unterscheidet sich die praktizierte PR in einem Land von der außerhalb des Heimatmarktes?
In der bisherigen deutschen IPR-Forschung wurde sich mit dem Einfluss der Globalisierung auf die Organisation der Internationalen PR deutscher Unternehmen vom Heimatland aus beschäftigt (Andres 2004) bzw. länderübergreifend und quantitativ der Einfluss kultureller Faktoren (nach Hofstede) auf die Ausgestaltung Internationaler PR untersucht (Huck 2004). Hierbei wurde auf die Konzepte der US-amerikanischen international vergleichenden PRForschung zurückgegriffen. Der letzten von Lützler aufgeworfenen Forschungsfrage wurde in der deutschen und (soweit bekannten) internationalen IPR-Forschung bisher noch wenig nachgegangen: „Wie unterscheidet sich die praktizierte PR in einem Land von der außerhalb des Heimatmarktes?“ An dieser Stelle soll daher angesetzt und im Rahmen dieser Arbeit untersucht werden, inwiefern sich konkrete PR-Handlungen deutscher Unternehmen in einem Gastland von jenen im Heimatland unterscheiden: 1.
Forschungsfrage: Inwiefern unterscheiden sich konkrete PR-Handlungen von Unternehmen in einem Gastland von jenen im Heimatland?
Dabei soll nicht nur der Frage nachgegangen werden, inwiefern sich konkrete PRHandlungen in einem fremden Land von den Handlungen im Heimatland unterscheiden, sondern es soll auch versucht werden, die Ursachen für die identifizierten Unterschiede zu bestimmen und theoretisch zu erklären. 2.
Forschungsfrage: Warum bestehen die identifizierten Unterschiede der konkreten PRHandlungen von Unternehmen in einem Gastland?
1 Einleitung
17
Aus der Kombination dieser beiden Fragen ergibt sich: Welcher Zusammenhang besteht zwischen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und konkreten PR-Handlungen? Wie lässt sich dieser theoretisch befriedigend und systematisch beschreiben und analysieren? So soll in dieser Arbeit der Versuch unternommen werden, den Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und PR-Handlungen theoretisch sinnvoll zu beschreiben und aus diesen Überlegungen ein systematisches Analyseraster für die empirische Forschung herzuleiten, auf deren Basis Unterschiede der PR-Handlungen von Unternehmen in für sie fremden Gesellschaften untersucht werden können. Hierbei stellen sich drei gravierende Probleme: 1) Zunächst handelt es sich bei PR um ein äußerst heterogenes, vielfältiges Handlungsfeld. Selbst innerhalb eines Landes unterscheiden sich PR-Handlungen unterschiedlicher Unternehmen und Akteure stark voneinander. Der Beruf ‚PR-Manager’ hat keine formalen Zugangsbeschränkungen, so dass er von Akteuren mit unterschiedlicher beruflicher und akademischer Qualifikation und unterschiedlichen PR-Verständnissen ausgeübt wird. PRHandlungen unterschiedlicher Organisationsformen (Unternehmen, Staat/Behörden, NonProfit-Organisationen) unterscheiden sich mitunter gravierend voneinander (vgl. Röttger 2000). Auch wenn sich in dieser Arbeit auf die PR-Handlungen von Unternehmen konzentriert wird, sind auch hierbei Unterschiede aufgrund verschiedener interner Voraussetzungen, Ziele und Strategien zu erwarten. Folglich können bei der Betrachtung von PRHandlungen in unterschiedlichen Gesellschaften nur tendenzielle Aussagen über typische, markante Unterschiede in den PR-Handlungen von Unternehmen im Heimat- und einem bestimmten Gastland getroffen werden. 2) Besteht – wie bereits angedeutet – in der derzeitigen Internationalen PR-Forschung keine anschlussfähige Theorie, die einen sinnvollen Zugang zur Thematik zulässt. Die USamerikanische international vergleichende PR-Forschung konzentriert sich auf die Frage, wie PR in verschiedenen Ländern von Einheimischen verstanden und praktiziert wird. Ihr lassen sich Erkenntnisse darüber entnehmen, wie sich PR in verschiedenen Kulturkreisen entwickelt hat, jedoch lässt sich von ihr nicht ableiten, inwiefern Unternehmen, die aus einem Kulturkreis stammen und in einem anderen PR betreiben, ihre Handlungen dem fremden Umfeld anpassen. Die international vergleichende PR-Forschung baut zudem auf den PR-Konzepten der US-amerikanischen Excellence-Forschung auf, deren grundlagentheoretisches Fundament äußerst brüchig ist (vgl. Kapitel 3.3.2). So wird in der international vergleichenden PR-Forschung ein verkürztes Kulturverständnis verfolgt und Einflussfaktoren auf PR-Handlungen genannt, die zwar plausibel aber nicht theoretisch hergeleitet und sozialtheoretisch widersprüchlich konzipiert sind (vgl. Kapitel 4.4). Dies wird zunehmend erkannt und nach einem Neuanfang der Forschungsanstrengungen verlangt. „Auf wissenschaftlicher Ebene gibt es in Europa und anderen Regionen außerhalb der USA seit Jahren eine Bewegung, die das ‚konzeptionelle Freischwimmen’ von amerikanischen PRModellen fordert.“ (Lützler 2007, S. 134)
So ist der Versuch eines alternativen theoretischen Zugangs zur Thematik zu unternehmen. 3) Bestehen in der sozialtheoretischen Forschung sehr unterschiedliche Vorstellungen vom Handlungs-Begriff. Grob stehen sich zwei verschiedene Positionen gegenüber, die auf
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1 Einleitung
den ersten Blick nicht miteinander vereinbar scheinen: system- oder strukturorientierte Ansätze auf der einen, handlungs- oder individuumorientierte Ansätze auf der anderen Seite. System- bzw. strukturorientierte Ansätze gehen von sozialen Systemen als strukturierte Ganzheiten aus, in dessen Rahmen sich individuelles Verhalten abspielt. Strukturen und Funktionsweisen des Systems determinieren das Verhalten der einzelnen Elemente. Menschliches Handeln wird durch die Vorgaben des Systems bestimmt, die Handlungsfreiheit des Menschen quasi negiert. Die Gegenposition geht hingegen vom einzelnen, selbstbestimmtem Menschen als individuellem Akteur aus, dessen Handlungen auf der Basis von Erfahrungen, der eigenen Sinnstiftung dienend, erfolgen. Das Ganze entsteht aus den selbstregulierten Handlungen der Einzelnen. „Die beiden grundlegenden Positionen unterscheiden sich in ihrem Menschenbild, ihrer Interpretation der Gesellschaft und den Beziehungen zwischen Sozialem und Individuellem: Während für die Systemtheorie eine objektiv erkenn- und damit beforschbare soziale Ordnung Voraussetzung für individuelles Wohlbefinden darstellt, ist für die Handlungstheorie soziale Ordnung das selbstgewählte und gemeinschaftlich erzeugte Produkt von Individuen, die ursprünglich einmal frei von externer Kontrolle waren […]. Im ersten Fall wird ein immaterielles Gebilde zum Leben erweckt, das wie ein Vampir seine Energie aus mehr oder weniger großen Gruppen von Menschen heraussaugt und jeden einzelnen damit willenlos und zum reinen Funktionserfüller macht. Im zweiten ist die Organisation ein Zufallsprodukt willkürlicher Narretei einer kaum abgrenzbaren Zahl von Menschen.“ (Gmür 1993, S. 11)
Schematisch lassen sich die Gegensätze der beiden Paradigmen wie folgt darstellen: Systemoder strukturorientierte Ansätze gehen davon aus, dass Strukturen das Handeln bestimmen Struktur
Handeln;
handlungs- oder individuumorientierte Ansätze gehen von einer umgekehrten Richtung aus Handeln
Struktur.
Nachdem u.a. Röttger (2000) herausgearbeitet hat, wie sich diese grundlegende sozialtheoretische Problematik auch im gegenwärtigen Stand der PR-Theorie widerspiegelt, soll sich ihrem Vorschlag angeschlossen und eine vermittelnde theoretische Perspektive gewählt werden, die ihren Fokus weder auf die handlungsleitende Struktur noch auf die strukturbildenden Handlungen, sondern auf das wechselseitige Zusammenspiel von Handlung und Struktur legt. Die von Sir Anthony Giddens entwickelten strukturationstheoretischen Annahmen scheinen besonders geeignet, wenn es darum geht, den Zusammenhang zwischen gesellschaftlicher Ordnung und PR-Handlungen theoretisch und empirisch zu beschreiben. So wird in der Arbeit wie folgt vorgegangen und argumentiert:
Um sich der Thematik zu nähern, werden zunächst grundlegende Konzepte – Kommunikation und Kultur – eingeführt sowie der Rahmen der Internationalen PR – die Globalisierung – betrachtet (vgl. hierzu bereits Andres 2004). Der Globalisierungsdebatte lassen sich erste Erkenntnisse hinsichtlich der Möglichkeit, (PR)-Handlungen global standardisiert zu verwirklichen, entnehmen.
1 Einleitung
19
Um den Facettenreichtum möglicher PR-Handlungen erschließen zu können, wird sich im folgenden Kapitel dem Öffentlichkeits- und PR-Verständnis von Zerfaß (20044) angeschlossen. Darauf aufbauend wird der Stand der Internationalen PR-Forschung aufgezeigt, welche, wie bereits erwähnt, der Praxis bisher nur wenige theoretische Ansatzpunkte und empirische Erkenntnisse bietet. Für einen theoretischen Neuanfang wird sich – im Sinne Zerfaß und Röttgers – der Strukturationstheorie von Anthony Giddens zugewendet und versucht, diese Überlegungen für die Internationale PR-Forschung fruchtbar zu machen.
Die theoretischen Überlegungen münden in forschungsleitenden Fragen, denen im empirischen Teil der Arbeit qualitativ am Beispiel deutscher Unternehmen in der Volksrepublik China (kurz und in Folge: VRC oder China5) nachgegangen wird. Das Beispiel China wurde gewählt, da 1. 2.
4 5
dieses Land erhebliche gesellschaftliche/kulturelle Unterschiede zu Deutschland aufweist und Unterschiede daher als besonders stark ausgeprägt vermutet werden, und China für die deutsche Wirtschaft von zunehmend strategischer Bedeutung ist: Seit 2002 ist China nach den USA der zweitwichtigste deutsche Exportmarkt außerhalb Europas. Bis Ende 2007 haben deutsche Unternehmen in China Direktinvestitionen in Höhe von rund 15 Mrd. US$ getätigt. Immer mehr deutsche Unternehmen strömen nach China (vgl. AA 2008, AHK 2008).
Die hier zitierte Neuauflage von Zerfaß (2004) entspricht in Satz und Druck der Erstveröffentlichung von 1996 plus eines zusätzlichen Kapitels. Neben der Volksrepublik China erhebt die Insel Taiwan, als Republik China, den Anspruch, China rechtmäßig zu vertreten. Die meisten Staaten haben seit 1971 die Volksrepublik China anstelle der Republik China diplomatisch anerkannt. Gemeinsam mit Hongkong, Singapur und großen Gemeinden von Auslandschinesen in angrenzenden Ländern bilden Taiwan und die Volksrepublik China Groß-China (Greater China).
2.1 Kommunikation
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2 Theoretische Vorüberlegungen
Begriffsbestimmungen und Definitionen sind ein notwendiger aber mühseliger Teil der Wissenschaft. Notwendig, da sie eine gemeinsame Verständnisgrundlage für die in der Arbeit zentralen Begriffe und Konzepte bereitstellen. Mühselig, da Phänomene (egal ob dinglich oder abstrakt) niemals allumfassend, sondern immer nur aus einer bestimmten Perspektive beschrieben werden können, unter Vernachlässigung anderer Aspekte und möglichen Erklärungsansätzen. Grundsätzlich lassen sich Phänomene in ihrer Entstehung, in ihrem Wesen und in ihrer Funktion beschreiben. In dem Bewusstsein, dass jede Definition eine Entscheidung für eine bestimmte Perspektive (unter Ausklammerung anderer Aspekte) beinhaltet, werden in Folge die Begriffe Kommunikation, Kultur und Globalisierung sowie im folgenden Kapitel Public Relations (PR) bestimmt. 2.1 Kommunikation In der PR geht es um das Management von Kommunikation (vgl. Kapitel 3.1). In einem ersten Schritt ist daher zu klären, was Kommunikation ist, welche Funktion Kommunikation erfüllt und welche Unterscheidungen typischerweise vorgenommen werden. 2.1.1 Begriffsbestimmung Kommunikation Es gibt unzählige Ansätze, Kommunikation zu definieren. Gerne wird in diesem Zusammenhang auf die Merten’sche Begriffssammlung verwiesen, die bereits vor dreißig Jahren 160 Definitionen des Kommunikationsbegriffes aufführte (Merten 1977, S. 168-182, vgl. auch Merten 1999, S. 76-79)6. Etymologisch stammt der Begriff aus dem Lateinischen (communicare) und bedeutet so viel wie ‚mitteilen’ im Sinne von ‚etwas gemeinsam werden lassen’. So handelt es sich bei Kommunikation um einen sozialen Prozess, der häufig mit dem Begriff ‚Interaktion’ gleichgesetzt7 und allgemein anhand einer triadischen Grundkonstellation aus
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7
Merten weist auch darauf hin, welche speziellen Charakteristika von Kommunikation den wissenschaftlichen Umgang mit diesem Phänomen zu einer äußerst komplizierten Angelegenheit machen. Als zentrale Merkmale von Kommunikation nennt Merten: Profanität, Universalität, Flüchtigkeit, Relationalität und Non-Kausalität (Merten 1977, S. 12f, vgl. Bongard 2002, S. 66-71, Schmidt/Zurstiege 2000, S.29). Die Gleichsetzung von Kommunikation mit Interaktion bzw. sozialem Handeln ist umstritten. Für Merten ist dies die aussichtsreichste Begriffsauffassung von Kommunikation. Vgl. weiterführend und z.T. kritisch Fischer/Wiswede 2002, Schenk 2000, Schmidt/Zurstiege 2000, S. 144-150 und Watzlawick et al. 1990, S. 50f (‚Jedes soziale Handeln kann als eine Form der Kommunikation angesehen werden’). Vereinfachend wird in Folge Kommunikation als integraler Bestandteil von Interaktionen/sozialem Handeln verstanden.
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2 Theoretische Vorüberlegungen
den Elementen Kommunikator, Information und Rezipient beschrieben wird, wobei die verwendete Terminologie variiert (Nöth 2000, S. 235; Merten 1999, S. 54)8. Vereinfacht lässt sich Kommunikation hiermit bereits darstellen: Der Kommunikator A teilt dem Rezipienten B eine Information C mit9. Beim näheren Hinblicken erweist sich Kommunikation jedoch als wesentlich komplexeres Phänomen. Vor dem Hintergrund individueller Interpretationsvorgänge stellt sich nämlich die Frage, inwiefern eine ‚Informationsübermittlung’ an den Rezipienten im Sinne des Kommunikators überhaupt möglich ist: Er kann sich ja nicht sicher sein, wie die Information vom Rezipienten interpretiert wird. Komplexere Kommunikationsmodelle beziehen daher die grundlegenden individuellen kognitionspsychologischen Mechanismen bei der Interpretation von Informationen mit in die Überlegungen ein (vgl. zu verschiedenen Modellen u.a. Theis-Berglmair 2003). Sie tragen dem Umstand Rechnung, dass jeder Mensch auf der Basis vorhandenen Wissens und vergangener Erfahrungen eigene Interpretationen vornimmt und somit keine Bedeutungen, sondern lediglich Bedeutungsträger (= Zeichen, z.B. ein Wort oder ein Blick) vermittelt werden können, deren Interpretation stets ungewiss ist10. Verständigung, im Sinne einer kongruenten Bedeutungszuschreibung zu den in der Kommunikation verwendeten Zeichen, wird keinesfalls als selbstverständlich konzipiert. In jeder Kommunikationssituation besteht vielmehr die latente Gefahr von Fehlinterpretationen und Missverständnissen. Diese nimmt zu, je unterschiedlicher das vorhandene Wissen und die Erfahrungen der Kommunikationsbeteiligten sind. In Kommunikationsprozessen muss jeder Beteiligte somit fortlaufend interpretieren, was sein Gegenüber mit einem verwendeten Zeichen ‚meint’. Darüber hinaus muss er fortlaufend reflektieren, wie sein Gegenüber wohl die von ihm verwendeten Zeichen interpretiert11. Verständigung12 wird zum kritischen Moment jeder Kommunikationshandlung und die notwendige Voraussetzung für erfolgreiches kommunikatives Handeln. 2.1.2 Funktion von Kommunikation In Kommunikationsprozessen versuchen Individuen, die Situationsdeutungen anderer Beteiligter in ihrem Sinne zu beeinflussen und so eigene Interessen zu verwirklichen13. 8 9 10 11
12 13
Synonym für Kommunikator werden etwa die Begriffe Sender, Redner, Sprecher, Adressant, Kommunikator, Codierer oder Alter verwendet; für Information Botschaft, Stimulus, Adresse, Mitteilung, Weg, Kommunikat, Text; für Rezipient Empfänger, Zuhörer, Adressat, Decodierer, Ego (Merten 1999, S. 54; Nöth 2000, S. 235). Derart vereinfachende Ansätze werden in der Kommunikationswissenschaft als instrumentelle Ansätze bezeichnet. Vgl. vertiefend Theis-Berglmair (2003, S. 28f), Schmidt/Zurstiege (2000, S. 53f), Merten (1999, S. 55), Warthun (1997, S. 11) und Shannon/Weaver (1949). Vor diesem Hintergrund handelt es sich bei Informationen präziser gesagt um Informationsangebote in Form von Zeichen. Vereinfachend wird in Folge jedoch auch der Begriff Information in diesem Sinne verwendet. In jeder sozialen Situation muss erneut sichergestellt werden, worüber genau zwei Subjekte reden und welche Bedeutungen sie damit verbinden. Das damit einhergehende Erfordernis, sich in die Rolle des jeweils anderen versetzen zu können, die gemeinsame ‚Aushandlung’ von Bedeutungen, sowie die damit verbundene Konstitution von Identität wird in der handlungstheoretischen Theorie des ‚Symbolischen Interaktionismus’ diskutiert. Auch Nicht-Verständigung durch mehrdeutige Formulierungen, die eine Bedeutungsvielfalt bzw. -ambiguität anstreben, kann vom Kommunikator angestrebt werden. Vgl. Theis-Berglmair (2003) und Nöth (2000, S. 420f). Einige Kommunikationen die zum Selbstzweck um des Kommunizierens willen erfolgen, sind hiervon ausgenommen. Vgl. vertiefend Zerfaß 2004, S. 209. Verständigung stellt nach Zerfaß das sekundäre Ziel kommunikativer Handlungen dar, welches die pragmatische Voraussetzung für das primäre Ziel ist: Die Durchsetzung eigener Interessen (vgl. Zerfaß 2004, S. 150 und S. 208).
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2.1 Kommunikation
Grundsätzlich findet Kommunikation immer sowohl auf einer Inhalts- als auch auf einer Beziehungsebene statt (vgl. Watzlawick et al. 1990, S. 5614). Indem ein Zeichen an eine andere Person gerichtet wird15, konstituiert sich für den Zeitraum des anhaltenden Kommunikationsprozesses eine Beziehung zwischen den Akteuren, die von allen Beteiligten fortlaufend evaluiert wird und die einerseits durch sozio-emotionale Aspekte (Affektivität) und andererseits durch Aspekte der Macht geprägt ist. Jede Mitteilungshandlung sagt etwas über den Kommunikator, dessen Intentionen und Beziehung zum Rezipienten aus. Die Beteiligten machen sich nicht nur ein Bild vom jeweils anderen, sondern versuchen auch zu antizipieren, was die anderen Kommunikationsteilnehmer ‚von einem denken’, welche Erwartungen und welche Vorstellungen von den eigenen Erwartungen (ErwartungsErwartungen) die anderen haben (vgl. Hasenstab 1999, S.150f). Kommunikation erweist sich somit als ein zutiefst reflexiver, interessengeleiteter sozialer Prozess. Während Kommunikation aus individueller Sicht der Beeinflussung von Situationsdeutungen anderer zur Realisierung eigener Interessen dient, erfüllt sie für Gruppen bzw. gesamtgesellschaftlich die Funktion der sozialen Integration (vgl. ausführlich Zerfaß 2004, S. 208-231). In einer arbeitsteiligen, differenzierten Gesellschaft ist die Realisierung eigener Interessen oftmals an die sozialen Handlungen anderer Akteure gebunden, die eigenständige Interessen verfolgen. Der Handlungsspielraum eigener Handlungen hängt somit stets vom Handeln, Wissen und den Interessen anderer Akteure ab. Bei der Verfolgung eigener Interessen konkurrieren Gruppen- bzw. Gesellschaftsmitglieder um knappe Ressourcen und müssen sich miteinander abstimmen. Dies wird mit dem Begriff ‚soziale Integration’ erfasst: „Unter Integration verstehen wir die Verknüpfung unterschiedlicher sozialer Handlungen oder Elemente zu einem gemeinsamen Handlungszusammenhang, in dem die Konfliktpotentiale von Arbeitsteiligkeit und Ressourcenverteilung bewältigt werden. Soziale Integration wird damit zu einem normativen Begriff; sie kann in unterschiedlichem Ausmaß gelingen oder misslingen.“ (Zerfaß 2004, S. 115)
Als integraler Bestandsteil jeder sozialen Handlung spielt Kommunikation eine wesentliche Rolle für die soziale Integration. Dabei kann das Ausmaß der sozialen Integration in drei Stufen unterteilt werden: Voraussetzung der sozialen Integration ist die gemeinsame Situationsdeutung, auf deren Basis Handlungen koordiniert und im Idealfall auch die Interessen der beteiligten Akteure miteinander abgestimmt werden. Gemeinsame Situationsdeutung
Handlungskoordination
Interessenabstimmung
Zunehmendes Ausmaß sozialer Integration durch Kommunikation
Abbildung 1:
14 15
Stufen der sozialen Integration durch Kommunikation. In Anlehnung an Zerfaß 2004, S. 368.
Schulz von Thun (2000, S. 30) differenziert Kommunikationsebenen weiter in eine Inhalts-, Beziehungs-, Selbstoffenbarungs- und Appell-Ebene. Aufgrund des Watzlawick’schen Axiom, dass man nicht nicht kommunizieren kann, ist es dabei egal, ob die Zeichenverwendung bewusst oder unbewusst erfolgt.
24
2 Theoretische Vorüberlegungen
In einem gruppen- bzw. gesamtgesellschaftlichen Kontext zielt Kommunikation somit auf die Handlungs- und Interessenskoordination verschiedener Individuen (oder Organisationen) ab. 2.1.3 Unterscheidungen von Kommunikation Innerhalb der Kommunikation lassen sich einige sinnvolle Unterscheidungen vornehmen. Neben der bereits vorgestellten Unterscheidung zwischen der Inhalts- und Beziehungsebene lassen sich 1) verschiedene Kommunikationskanäle16 unterscheiden. Zudem kann 2) zwischen interpersonaler und medialer Kommunikation und 3) zwischen monologischer und dialogischer Grundausrichtung unterschieden werden17. Die Chance auf Verständigung erhöht sich grundsätzlich dadurch, dass über verschiedene Kommunikationskanäle Zeichen vermittelt werden können. Neben verbalen Zeichen (Worte, Begriffe) kommen – weniger bewusst – non-verbale (Mimik, Gestik, Bilder, etc.) und para-verbale Zeichen (Lautstärke, Sprechrhythmus, Schreibweisen etc.) zum Einsatz. Diese helfen den Kommunikationsbeteiligten, die verbal geäußerten Inhalte besser zu verstehen (können aber auch zu Missverständnissen führen). Ein ironischer Kommentar lässt sich etwa daran erkennen, dass der Kommunikator beim Sprechen die Augenbraue hochzieht und die Stimmlage hebt (vgl. Merten 1999, S. 120). Weitere Informationen erhalten die Kommunikationsbeteiligten aus dem Kontext der konkreten Situation (extra-verbale Zeichen): Der Zeit und dem Ort des Zusammentreffens, Anlass und Vorgeschichte der Situation, Art der Kommunikationsbeziehung (symmetrisch/asymmetrisch, kooperativ/konfrontativ etc.), taktile und olfaktorische Aspekte etc. Allgemein nimmt mit der Anzahl zusammenwirkender Zeichen über verschiedene Kommunikationskanäle die Chance auf Verständigung zu. Daneben kann unterschieden werden, ob die in einer Kommunikation beteiligten Akteure raumzeitlich anwesend sind (interpersonale Kommunikation) oder die Kommunikation mit technischen Hilfsmitteln räumlich und/oder zeitlich überbrückt wird (mediale Kommunikation18). Kombiniert ergibt sich folgende Matrix, wobei jedes Zeichen von den Beteiligten auf einer Inhalts- und Beziehungsebene interpretiert werden kann.
16
17 18
Alternativ zu dem hier verwendeten Begriff Kommunikationskanal wird der Begriff Kommunikationsebene verwendet. Um Verwechslungen mit der Inhalts- und Beziehungsebene zu vermeiden, wird hier der Begriff Kommunikationskanal bevorzugt. Problematisch ist dieser Begriff im Hinblick auf die konzeptionelle Nähe zur Übertragungsmetapher einfacher Kommunikationsmodelle. Zudem können unterschiedliche Kommunikationsstile unterschieden werden. Vgl. Zerfaß 2004, S. 184-189. In der interpersonalen Kommunikation ist das wichtigste ‚Medium’ die Luft und das Licht: Die Luft transportiert artikulierte Begriffe vom Mund des Kommunikators zum Ohr des Rezipienten, das Licht ermöglicht die Wahrnehmung non-verbaler Informationen. In diesem Sinne benötigt jede Art von Kommunikation Medien und müsste somit als medial bezeichnet werden. Wenn im Rahmen dieser Arbeit jedoch von Medien die Rede ist, so sind damit technische Medien gemeint, mit deren Hilfe Raum und/oder Zeit überbrückt werden können.
25
2.1 Kommunikation
Interpersonale Kommunikation
Schriftliche/Mediale Kommunikation
Verbaler Kommunikationskanal
Worte; lexikalische, syntaktische, rhetorisch-stilistische Sprachmittel, Direktheit/Indirektheit etc.
Worte; lexikalische, syntaktische, rhetorisch-stilistische Vertextungsmittel, Direktheit/Indirektheit etc.
Non-verbaler Kommunikationskanal
Mimik, Gestik, Körperhaltung, Blickkontakt, Zuwendung, etc.
Bilder, Zeichnungen, Diagramme, Formen, Farben, Layout, etc.
Para-verbaler Kommunikationskanal
Lautstärke, Stimmlage, Sprechrhythmus, Lachen, Hüsteln, Pausen, Akzent etc.
Typographie, Interpunktion, Schreibweise, Satzspiegel etc.
Extra-verbaler Kommunikationskanal
Zeit, Ort, Kommunikationsbeziehung, Kontext, taktile /olfaktorische Aspekte etc.
Zeit (z.B. Erscheinungsweise), Raum (Ort und Modi der Textübermittlung, Medium) etc.
Abbildung 2:
(Tabelle): Unterschiedliche Kommunikationskanäle der interpersonalen und medialen Kommunikation. Nach Hasenstab 1999, S. 154 (Bezug nehmend auf Bolten 1995, S. 31).
Grundsätzlich stehen in interpersonalen Kommunikationssituationen vielfältigere Zeichen zur Verständigung zur Verfügung als in medialen. Innerhalb der interpersonalen/medialen Kommunikation kann zudem jeweils unterschieden werden, ob die Ansprache direkt oder indirekt – durch Beteiligung von Kommunikationsmittlern19, die ihre eigenen Interpretationen einfließen lassen – erfolgt. Zudem kann grundsätzlich in eine monologische und eine dialogische Grundausrichtung20 der Kommunikation untergliedert werden: Interpersonale Kommunikation
z.B. Vorträge mit Dolmetschern
Direkte/ gezielte Ansprache z.B. KundenNewsletter
Indirekte/ ungezielte Ansprache z.B. klassische Massenmedien
z.B. Diskussion mit Dolmetschern
z.B. Telefon, Email
z.B. Newsforen
Direkte Ansprache
Indirekte Ansprache
Monologische Grundausrichtung (evtl. Feedback möglich)
z.B. Vorträge
Dialogische Grundausrichtung
z.B. Gespräche, Diskussionen
Abbildung 3:
19 20
Mediale Kommunikation
(Tabelle): Kategorisierung unterschiedlicher Kommunikationsformen und -ausrichtungen. Eigene Darstellung.
Kommunikationsmittler sind Personen oder soziale Institutionen (Dolmetscher, Moderatoren, Journalisten etc.). Vgl. Zerfaß 2004, S. 158. Auch in einem Monolog besteht in der Regel die Möglichkeit auf Feedback, so dass eine klare Abgrenzung nicht möglich ist und der Begriff ‚Grundausrichtung’ verwendet wird.
26
2 Theoretische Vorüberlegungen
In interpersonalen, präsenzgebundenen Kommunikationssituationen sind die Akteure gleichzeitig anwesend, können sich gegenseitig unmittelbar wahrnehmen und den weiteren Kommunikationsverlauf auf Basis vorangehender Kommunikationen, Interpretationen und Reaktionen beeinflussen. Besonders in dialogischen Situationen, in denen die Akteure die Kommunikator- und Rezipientenrolle regelmäßig tauschen (z.B. in Gesprächen und Diskussionen) und sich auf die Reaktionen des Gegenübers einstellen, erweist sich Kommunikation als zutiefst reziproker Prozess. Dies ist in monologischen Situationen, wo ein Kommunikator einer durch räumliche Kapazitäten begrenzten Zahl von Rezipienten gegenübersteht (z.B. in einem öffentlichen Vortrag), weniger stark ausgeprägt, da die Möglichkeiten für Rückkoppelungen begrenzt sind – etwa auf die Möglichkeit, Fragen an den Vortragenden zu stellen oder lauthals zu Gähnen. In medialen Kommunikationssituationen besteht die Möglichkeit auf dialogische Kommunikation nur in beschränkter Form. Zwar besteht bei direkten Ansprachen (via Telefon, Email, Brief, Newsforen etc.) grundsätzlich die Möglichkeit auf einen Rollentausch bzw. Rückkoppelungen, jedoch erfolgt dies zeitlich bzw. räumlich versetzt, so dass man sich nur begrenzt gegenseitig wahrnehmen und aufeinander einstellen kann. Eine besonders ausgeprägte Form monologischer Kommunikation findet sich in massenmedial vermittelter Kommunikation. Mit Hilfe der Massenmedien (Print, Radio, Fernsehen, Internet etc.) kann sich ein Kommunikator an eine prinzipiell unbegrenzte Zahl an Rezipienten wenden. Ein Rollentausch entfällt dabei weitestgehend, Rückkoppelungen sind auf wenige Feedback-Möglichkeiten der Rezipienten (z.B. über Leserbriefe, Beschwerden) begrenzt. So muss sich der Kommunikator vor der Distribution von Informationen über die Interpretations- und Situationsdeutungen potenzieller Rezipienten Gedanken machen. Richtet er seine Informationen an ein unbekanntes Publikum, ist ihm im vornherein nicht bekannt, wer seine Informationen wo und wann rezipieren wird und wie der-/diejenige sie interpretieren, werten und verwenden wird21. Neben der in der Regel hohen Anonymität des Publikums kommt in massenmedialen Kommunikationssituationen erschwerend hinzu, dass Kommunikationsmittler (vor allem Journalisten) die Informationsvermittlung durch eigene Interpretationen, Situationsdeutungen und Interessen beeinflussen können. Zerfaß thematisiert die Problematik massenmedialer Kommunikation im Kontext sozialer Integration unter dem Stichwort ‚Kommunikation im Fernbereich’22. In abstrakten Interaktionssituationen, in denen die Beteiligten sich nicht gegenüber stehen und sich kein direktes Bild mehr vom Gegenüber und der Situation machen können, sind die Akteure bei der Einschätzung des Gegenübers und der Situation auf facettenhafte Images angewiesen, die keinesfalls empirisch mit dem Gegenstand oder der Person, von der sich ‚ein Bild gemacht’ wird, übereinstimmen müssen. Zudem müssen alle Akteure ein gewisses Maß an Vertrauen in die eigenen Interpretationen, Situationsdeutungen und die Handlungen der beteiligten Akteure aufbringen. Bei der sozialen Integration im Fernbereich gewinnen somit ‚abstrakte Integrationsmechanismen’23 – Images und Vertrauen – an Bedeutung, die hier aufgrund der hohen Komplexität der jeweiligen Konstrukte nur grob betrachtet werden können (vgl. ausführlich Zerfaß 2004, S. 124-131). 21 22 23
Vgl. auch Erkenntnisse der Medienwirkungsforschung, z.B. Merten (2005), Bongard (2002), Schenk (2002). Während sich ‚Kommunikation im Fernbereich’ auf massenmedial vermittelte Kommunikation bezieht, fällt interpersonale Kommunikation unter ‚Kommunikation im Nahbereich’. Vgl. Zerfaß 2004, S. 208-233. Vgl. zu abstrakten, generalisierten Integrationsmechanismen Zerfaß 2004, S. 131-135 und S. 214-231, Bezug nehmend auf Parsons (1980) sowie auf Habermas (1980 und 1987).
2.2 Kultur
27
2.1.4 Vertrauen und Image Bei massenmedialen ‚Kommunikationen im Fernbereich’ müssen sich die beteiligten Akteure auf Images stützen, da es ihnen an unmittelbaren Erfahrungen mit ihrem Gegenüber mangelt. „Wenn Politiker und Konsumgüterproduzenten um unsere Gunst werben, dann müssen wir unsere Entscheidungen häufig vor dem Hintergrund unvollständiger und teils widersprüchlicher Einschätzungen der interaktionsrelevanten Eigenschaften treffen.“ (Zerfaß 2004, S. 127)
Unter einem Image wird abkürzend ein „vereinfachtes, aber handlungsprägendes Vorstellungsbild bestimmter Akteure oder Systeme“ (ebd., S. 128) verstanden24. Es basiert auf den direkten und indirekten Erfahrungen und Beobachtungen, die ein Akteur im Laufe der Zeit mit einem bestimmten Gegenstand oder Akteur gesammelt hat (Erfahrung mit Kundenhotlines von Unternehmen, Berichterstattung in den Medien, Kommunikation mit anderen Akteuren über den betroffenen Gegenstand oder Akteur) und ist insofern wieder an unmittelbare Erfahrungen gebunden. Images müssen im Laufe der Zeit vertrauensvoll erworben werden, verändern sich mit zunehmenden Erfahrungen und können binnen kürzester Zeit (etwa durch einen Skandal) ‚ruiniert’ werden. Vertrauen stellt ebenso ein äußerst komplexes soziales Phänomen dar, das grundlegend immer dann notwendig ist, wenn Ungewissheit über das Verhalten von Dingen oder Akteuren besteht. Soziales Vertrauen25 wird von Zerfaß als „Glauben in die Zuverlässigkeit der beteiligten Akteure und der in Anspruch genommenen Strukturen“ (Zerfaß 2004, S. 126) definiert. Man vertraut darauf, dass bestimmte Akteure bestimmte Eigenschaften aufweisen (Akteursvertrauen) und in Anspruch genommene Handlungsweisen (z.B. Versprechungen) erfüllt werden (Strukturvertrauen). Bentele nennt als Faktoren, die den Prozess der öffentlichen Vertrauensbildung unterstützen, die Sachkompetenz, Problemlösungskompetenz, Kommunikationsadäquatheit, kommunikative Konsistenz, Transparenz, Offenheit und gesellschaftlich verantwortliches Handeln (vgl. Bentele 1994, S. 144f). 2.2 Kultur Das Konzept ‚Kultur’ ist eines der komplexestes, am schwersten fass- und definierbarsten Konstrukte der Sozialwissenschaften, zu dem zahlreiche Definitionsansätze existieren26. Ähnlich wie der Verweis auf Mertens Definitionssammlung bei dem Versuch, Kommuni-
24 25
26
Vgl. zum Imagebegriff im PR-Kontext inkl. weiterer Literaturverweise Bergler (2005). In Abgrenzung zum ‚Basisvertrauen’ als Vertrauen in die Welt, etwa dass einem der Himmel nicht auf den Kopf fällt oder die Dinge in etwa so verlaufen, wie man sich das vorstellt. Vgl. zu Vertrauen allgemein Luhmann (2000) sowie im Kontext der PR-Theorie Ronneberger/Rühl (1992), Bentele (1994), Bentele/Seidenglanz (2005) sowie Seidenglanz, Dissertation in Arbeit. Nach Gerhards (2000) gibt es „so viele Definitionen von Kultur wie Kulturwissenschaftler.“ Die Schwierigkeit, Kultur zu definieren, zeigt sich besonders drastisch in der Kapitulation des Dudens. Waren bis zur 15. Auflage (1961) unter dem Stichwort ‚Kultur’ noch Definitionsversuche aufgeführt, entschied man sich in den nachfolgenden Auflagen des Wörterbuchs, auf jedwede Definition zu verzichten. Hofbauer (2003) hält eine Definition von Kultur schlichtweg für unmöglich.
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2 Theoretische Vorüberlegungen
kation zu definieren, wird im Zusammenhang von Kultur gerne auf Kroeber/Kluckhohn verwiesen. Diese sammelten bereits 1952 über 160 Kulturdefinitionen27. 2.2.1 Begriffsbestimmung Kultur28 Eine häufig zitierte Definition von Kultur stammt aus dem 19. Jahrhundert: “Culture or civilization, taken in its wide ethnographic sense, is that complex whole which includes knowledge, belief, art, morals, law, custom, and any other capabilities and habits acquired 29 by man as a member of society.“ (Tyler 1871, S. 1)
Kultur bezeichnet also ganz allgemein Jenes, was Menschen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Gruppe erworben haben und folglich miteinander teilen. Dies wird an unterschiedlichen sichtbaren oder unsichtbaren Phänomenen festgemacht. Je nachdem, wo hier der Schwerpunkt der Betrachtung gesetzt wird, kann in materialistische und mentalistische Kulturansätze untergliedert werden. Materialistische Ansätze konzentrieren sich auf beobachtbare Handlungen (Sitten, Bräuche, Rituale etc.) und daraus resultierende Produkte (Kleidung, Bauwerke, Essen etc.) einer Menschengruppe. Diese wahrnehmbaren Bestandteile von Kulturen können als Perceptas bezeichnet werden (vgl. Bolten 1997, S. 473)30. Demgegenüber konzentrieren sich mentalistische Ansätze auf nicht direkt beobachtbare Gemeinsamkeiten bestimmter Menschengruppen. Kultur wird konsequent als immateriell aufgefasst: „Der physische ‚Ort’ der Kultur sind nur die Gedächtnisse der individuellen Menschen. Die darin gespeicherten gedanklichen Modelle sind erst dann Kultur, wenn sie von den individuellen Akteuren kollektiv geteilt werden.“ (Esser 2001, S. 5)
Unter Kultur fallen demnach geteilte Wissens- und Denkstrukturen, welche als Konceptas bezeichnet werden können31. Diese sind aufgrund ähnlicher und gemeinsamer Erfahrungen und Interaktionen in den Köpfen der Kulturmitglieder übereinstimmend vorhanden und werden fortlaufend aktualisiert bzw. modifiziert. Hierzu zählen prozedurales Wissen (Wissen zur Ausführung bestimmter Handlungen und Fertigkeiten), semantisches Wissen (als Grundlage von Bedeutungszuweisungen), Regelwissen hinsichtlich rechtlicher/moralischer 27
28 29 30 31
Nimmt man die weniger formalen Begriffsbestimmungen, die sie in ihrem Buch (vor allem in Teil 3) aufführen, hinzu, beläuft sich die Zahl der versammelten Definitionen schon damals auf über 300. Ein kurzer Überblick und weitere Definitionssammlungen finden sich bei Rothlauf (1999, S. 15-17; z.B. Keller 1982). Eine Aufstellung oft zitierter wissenschaftlicher Definitionsversuche findet sich zudem bei Hofbauer (2003). Der Begriff ‚Kultur’ ist abgeleitet vom lateinischen colere = bebauen, bestellen, pflegen (vgl. Maletzke 1996, S. 15) und wird demnach häufig als Gegenteil von Natur beschrieben. Dieser Antagonismus ist jedoch nur schwer aufrecht zu erhalten, da sich Natur und Kultur vielfach gegenseitig bedingen. Die Begriffe Kultur und Zivilisation wurden im deutschen Sprachgebrauch lange Zeit synonym verwendet. Erst im 20. Jh. kam es zu einer Differenzierung der Konzepte. Vgl. Winter 2000, S. 182-186. Eine derartige Auffassung von Kultur entspricht etwa dem Kulturteil eines Reiseführers, der unterschiedliche Bräuche, Bekleidungsstile, Essgewohnheiten und beliebte Bauweisen und Stilelemente einer bestimmten Kultur beschreibt. Arbeiten der interkulturellen Kommunikationsforschung gehen meist von einem anthropologischen Kulturbegriff aus (vgl. u.a. Samovar/Porter 1994, Gudykunst/Kim 1992, Knapp 1992). Hier dominierte zunächst ein mentalistischer Kulturansatz: “From the past century, anthropologists have grown more and more inclined to define culture as knowledge shared by a group” (Reyes-García et al. 2003, S. 2).
29
2.2 Kultur
Normen und Werte (als Grundlage von Werturteilen), typische Kategorisierungsschemata, Interpretations- und Gefühlsmuster sowie Basisannahmen über das Sein der Dinge. Das populäre Kulturebenen-Modell von Schein (1984; 1991) verbindet materialistische und mentalistische Ansätze und bildet die verschiedenen Ebenen von Kultur in Form eines Eisbergs (von dem nur ein Teil, die Perceptas, sichtbar ist) ab.
Abbildung 4:
Ebenen von Kultur. In Anlehnung an Schein (1991, S. 252, vgl. auch Rothlauf 1999, S. 17f).
2.2.2 Funktion von Kultur Überlegungen über die Funktion von Kultur und deren Auswirkung auf das Denken und Handeln von Kulturmitgliedern werden im Rahmen funktionalistischer Ansätze angestellt. Kultur wird hier als Orientierungssystem verstanden, welches zur Bewältigung der Umwelt notwendig ist und die Interaktion zwischen Kulturmitgliedern ermöglicht. „Kultur in funktionalistischer Perspektive stellt ein Regelwerk von Konventionen und Interaktionsmuster dar, das kollektiv geteilt wird und an dem die Mitglieder einer Gruppe ihr alltagsweltliches Handeln unbewusst und nicht hinterfragend ausrichten.“ (Bolten 1997, S. 473)
Kultur erhält somit eine Doppelstruktur: Zum einen entsteht sie durch ähnliche Erfahrungen und Interaktionen der Kulturmitglieder (neue Mitglieder lernen von den vorhandenen Kulturmitgliedern), zum anderen ermöglicht sie erst weitere Interaktionen. „Kultursysteme können einerseits als Ergebnis von Handeln, andererseits als konditionierende Elemente ferneren Handelns betrachtet werden.“ (Kroeber/Kluckhohn 1967, S. 181)32
Da Menschen fortlaufend interagieren, Erfahrungen sammeln und ihr Wissen modifizieren, sind Kulturen nicht als starre Konstrukte zu verstehen. Sie befinden sich vielmehr im Fluss und stellen einen fortwährenden Prozess dar, an dem die Kulturmitglieder aktiv beteiligt sind. 32
Hier klingt bereits das strukturationstheoretische Verständnis von Kultur, das an späterer Stelle dargestellt wird, an. Vgl. Kapitel 5.2.4.
30
2 Theoretische Vorüberlegungen
2.2.3 Abgrenzung von Kulturen Das Konzept Kultur kann grundsätzlich auf die unterschiedlichsten Arten von Gruppen bezogen werden: Berufsgruppen, Religionen, Schulklassen, Freundeskreise, Vereine, Familien, Partnerschaften, Organisationen/Unternehmen etc. Dabei ist niemals von einem vollständigen kulturellen Konsens aller Mitglieder auszugehen, sondern von unterschiedlichen Homogenitätsstufen. Je ähnlicher die gemachten Erfahrungen, desto ähnlicher auch die vorhandenen Wissens- und Denkstrukturen und die hierauf basierenden Handlungen. Es stellt sich die Frage, wo Kulturen anfangen und enden, wie also eine Grenzziehung zwischen verschiedenen Kulturen vollzogen werden kann. In der Literatur erfolgt die Grenzziehung von Kulturen häufig entsprechend nationaler Grenzen, was einer Gleichsetzung von Kultur und Nation gleichkommt. Die Rede ist von der deutschen, chinesischen oder englischen Kultur. Diese Gleichsetzung von Kulturen mit nationalen Grenzen ist jedoch problematisch. Viele nationale Grenzen wurden in der Geschichte willkürlich und historisch unbegründet gezogen und spiegeln eher eine politische Machtverteilung als eine gewachsene Gemeinschaft wider. So können etwa ein Bayer und ein Österreicher oder ein Friese und ein Däne mehr gemeinsame Kulturkriterien aufweisen als Bayern und Friesen, die zwar in einer Nation leben, aber durch künstlich geschaffene Grenzen und nicht durch Kulturhistorie zusammengehören (vgl. Rothlauf 1999, S. 14). Die kulturelle Verbundenheit zu bestimmten ethnischen, religiösen oder sonstigen Gruppen über nationale Grenzen hinweg kann unter Umständen stärker sein als die Verbundenheit zur eigenen Nation (gängige Beispiele sind die Kurden, der Islam, das Judentum, Scientology oder verschiedene Berufsgruppen; ein deutscher Arzt vermag mit einem indischen Arzt vielleicht mehr zu teilen als mit einem deutschen Metzger). Kultur nimmt somit grundsätzlich „keine Rücksicht auf Landesgrenzen oder ein gesamtes Volk“ (ebd.). So wie sie vor nationalen Grenzen nicht halt macht, ist zudem davon auszugehen, dass es innerhalb von nationalen Grenzen viele unterschiedliche Gruppierungen gibt, die in sich homogener sind als andere. Diese werden bei einer Gleichsetzung von Kultur und Nation meist als Subkulturen bezeichnet, während mehrere nationale Kulturen, die gewisse Dinge gemein haben, zu Kulturkreisen zusammengefasst werden (vgl. etwa Hansen 2000, S. 215). Trotz aller Bedenken halten die meisten theoretischen und empirischen Arbeiten an einer Gleichsetzung von kulturellen und nationalen Grenzen fest. Die Argumentation zielt dabei in der Regel auf ähnliche Erfahrungen, die Menschen aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Nation miteinander teilen, ab: eine gemeinsame Entstehungsgeschichte, ein gemeinsames Sprachsystem (welches Konventionen für sprachliche Symbole und grundlegende Kategorisierungen vermittelt), ein gemeinsames politisches und rechtliches System (welches Normen und Werte festhält und durchsetzt), ein gemeinsames Bildungssystem (welches den Mitgliedern einer Nation ähnliche Wissens-, Denk- und Wertmuster vermittelt), ein nationales Mediensystem (in welchem der gesellschaftliche Diskurs und die gemeinschaftliche Meinungsfindung sowie Unterhaltung stattfinden), ein gemeinsames Wirtschafts- und Steuersystem (in welchem ökonomische Wertschöpfung und Umverteilung stattfinden) sowie gemeinsame Symbole (Flaggen, Nationalhymne), gemeinsame Helden (von Willy Brandt bis Dieter Bohlen), gemeinsame Rituale (Volksfeiertage, Bräuche, Gepflogenheiten) oder eine gemeinsame Vertretung auf supranationalen Ebenen (diplomatische Vertretung, gemeinsame Verteidigung, Vertretung auf internationalen Sportveranstaltungen etc). Diese Gemeinsamkeiten führen dazu, dass Mitgliedern einer Nation im
31
2.2 Kultur
Rahmen von Sozialisationsprozessen ähnliche Zeichensysteme, Denk-, Wert- und Interpretationsmuster vermittelt werden. Bochner geht davon aus, dass nationale Grenzen verglichen mit Grenzen von Subkulturen oder Kulturkreisen als besonders stark anzusehen sind (Bochner 1982, zitiert nach Hasenstab 1999, S. 50). Bolten bezeichnet die Gleichsetzung von Kultur mit politischen Ländergrenzen als „die beste aller schlechten Lösungen“ (Bolten 1997, S. 475). Die vereinfachende Gleichsetzung von Kulturen mit nationalen Grenzen, die auch in dieser Arbeit erfolgt, darf jedoch nicht über die prinzipielle Schwierigkeit einer klaren Kulturabgrenzung hinwegtäuschen. Im Hinblick auf die zunehmende grenzüberschreitende Kommunikation (persönlich oder medial vermittelt) und die zunehmend gleichen verfügbaren kulturellen Angebote (Produkte wie etwa Kleidung, Essen, Bauarten, Medieninhalte) im Zuge der Globalisierung ist von einer zunehmenden Erfahrungsüberschneidung von Menschen unterschiedlicher Nationen auszugehen (vgl. Kapitel 2.3.6)33.
Abbildung 5:
33 34
Kulturkreise der Erde. ŰŰ Katholisch-protestantischer Kulturkreis Westeuropas, Nordamerikas und Australiens, ŰŰ Christlich-orthodoxer Kulturkreis, ŰŰ Lateinamerikanischer Kulturkreis, ŰŰ Islamischer Kulturkreis, ŰŰ Hinduistischer Kulturkreis, ŰŰ Sinischer Kulturkreis, ŰŰ Subsaharischer, afrikanischer Kulturkreis, ŰŰ Buddhistischer Kulturkreis, ŰŰ Japanischer Kulturkreis, ŰŰ „eigenständige“ Nationen. Quelle der Grafik: wikipedia.de; ähnlich: Huntington 200234.
„Im Zeitalter der Globalisierung gibt es kaum noch ‚geschlossene Kulturräume“ (Flechsig 2002). Flechsig geht davon aus, dass nur noch knapp 2% der Menschheit in geschlossenen Gebieten lebt. Eine populäre Unterscheidung stammt von Huntington (2002, S. 57-61), der die Welt in acht Kulturkreise einteilt. Die hier dargestellte Grafik gleicht im Wesentlichen der Vorstellung Huntingtons. Vgl. Kapitel 2.3.6.
32
2 Theoretische Vorüberlegungen
2.3 Globalisierung Globalisierung, Globalisierung, Globalisierung – über wohl keinen anderen Begriff wurde in den letzten Jahren mehr geredet, geschrieben und diskutiert. Wohl kein anderes Wort wurde häufiger verwendet, um die Welt im 21. Jahrhundert mit all ihren Chancen und Problemen zu beschreiben. Der Begriff der Globalisierung ist sowohl ein Schlüssel- als auch ein Containerbegriff unserer Zeit. Er wird in den verschiedensten wissenschaftlichen Disziplinen engagiert diskutiert und kann doch als Ganzes nicht gegriffen werden: Zu groß ist die Bandbreite der Phänomene, die unter dem Dach des Globalisierungsbegriffs diskutiert werden. Für diese Arbeit mag er reichen, das Phänomen kurz zu umreißen und die wichtigsten Aspekte für die Kommunikation von Unternehmen herauszustellen. 2.3.1 Begriffsbestimmung Globalisierung Der Begriff der Globalisierung entstand aus einer Substantivierung des Adjektivs global und wird seit Ende der 1980’er Jahre inflationär gebraucht (vgl. Teusch 2004, S. 21). In der Literatur findet sich eine schier unüberschaubare Flut von Definitionsversuchen mit unterschiedlichen Komplexitätsgraden und Schwerpunkten35. Beck vergleicht den Versuch, den Globalisierungsbegriff zu bestimmen, mit „dem Versuch, einen Pudding an die Wand zu nageln.“ (1997, S. 44) Grundsätzlich kann unter Globalisierung die zunehmende internationale Verflechtung aller gesellschaftlichen Bereiche (Wirtschaft, Politik, Recht, Kultur, Kommunikation etc.) verstanden werden, welche sich auf die konkrete Lebenswelt der Menschen aller Nationen auswirkt. Dabei wird oftmals auf die ökonomische Dimension des Prozesses fokussiert. 2.3.2 Ursachen, Entwicklung und Dimensionen der Globalisierung Auch wenn es in der Menschheitsgeschichte schon immer Kontakte zwischen den Menschen verschiedener Erdteile gab, haben politische und technologische Entwicklungen der letzten 30 Jahre zu einem revolutionären Boom dieses Phänomens geführt36. Hierzu zählen die Liberalisierung des Welthandels und der Weltmärkte durch fortschreitende Reduzierung von Handelshemmnissen sowie das Ende des kalten Krieges und der Quasi-Sieg des kapitalistischen Systems über den Kommunismus, durch den sich viele neue Märkte öffneten und neue Handelspartner entstanden (vgl. etwa von Plate 2003, S. 3). In diesem politischen Rahmen konnten sich rasante technologische Entwicklungen durchschlagend entfalten und eröffneten ungeahnte Möglichkeiten für den weltumspannenden Transport von Menschen (internationaler Flugverkehr), Daten (Halbleiter, Satelliten, Telekommunikation, Internet) und Waren (effizienter Gütertransport): Vor allem die Entwicklung neuer Informations- und Kommunikationsmedien – allen voran des Internets – hat den Alltag der Menschen verändert. Jedermann kann praktisch jederorts und jederzeit mit jedermann in Verbindung treten, in rasantem Tempo gelangen 35 36
Eine gute Übersicht über die Literatur zum Thema Globalisierung bietet die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP/www.weltpoltik.net) an. Vgl. auch Winter (2000). Vgl. zur Geschichte der Globalisierung u.a. Osterhammel/Petersson (2006).
2.3 Globalisierung
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Informationen, Meinungen und Ideen rund um den Globus, (fast) jeder, der Zugang zum Netz hat, kann sich an der globalen Kommunikation und Meinungsbildung beteiligen37. Mittlerweile liegt die Zahl der weltweiten Internet-Nutzer bei ca. 1,2 Mrd. Menschen (vgl. bitkom 2008). Neben den klassischen Medien haben die neuen Informations- und Kommunikationsmedien einen festen (eher koexistenziellen als verdrängenden) Platz eingenommen. Die Folgen der Globalisierung sind äußerst mannigfaltig. Um die Komplexität des Phänomens zu bewältigen, erfolgt die Auseinandersetzung mit der Globalisierungsthematik in der Literatur in verschiedene Globalisierungsdimensionen. Beck (1997, S. 42) unterscheidet, ohne Anspruch auf Vollständigkeit und Trennschärfe, in die folgenden Dimensionen: die kommunikationstechnische, die ökologische, die ökonomische, die arbeitsorganisatorische, die kulturelle und die zivilgesellschaftliche38. Obwohl all diese Dimensionen Konsequenzen für die internationale Öffentlichkeitsarbeit von Unternehmen haben, geht Andres (2004) davon aus, dass vier Dimensionen für PR als besonders relevant anzusehen sind: die wirtschaftliche, die zivilgesellschaftliche, die kommunikative und die kulturelle. 2.3.3 Wirtschaftliche Globalisierung Die wirtschaftliche Dimension ist die zentrale Globalisierungsdimension, die alle anderen gesellschaftlichen Bereiche und Globalisierungsdimensionen berührt. „Die wichtigste ökonomische Triebkraft der Globalisierung ist das Bestreben von Unternehmen, ihren Gewinn durch international ausgerichtete Aktivitäten zu steigern. Mittel dazu sind sowohl die Ausdehnung der Absatzmärkte als auch die Beschaffung möglichst kostengünstiger Vorleistungen und Arbeitskräfte im Ausland.“ (BpB 2006, S. 240)
Die wirtschaftliche Globalisierung führt zur Entgrenzung wirtschaftlichen Handelns, die sowohl makro- als auch mirkoökonomische Konsequenzen nach sich zieht. Am weitesten fortgeschritten ist die Globalisierung der Finanzmärkte39. So fließen Investitionsgelder global jeweils dorthin, wo die höchsten Renditen erwartet werden, was zu einem nie da gewesenen Konkurrenzkampf zwischen Nationen und Unternehmen um Investitionsgelder führt. Um im globalen Wettbewerb bestehen zu können, versuchen Unternehmen ihre Produktionskosten durch die Verlagerung von Arbeitsplätzen in Billiglohnländer zu reduzieren, was zu einer Steigerung der globalen Arbeitsteilung führt. Gleichzeitig versuchen sie verstärkt, Produkte auf den ausländischen Märkten anzubieten, um die Einnahmen zu erhöhen. Auf den internationalen Märkten müssen sie mit einheimischen und anderen ausländischen Anbietern konkurrieren, was den Druck wiederum erhöht. Nur wer einen langfristigen, auf den verschiedenen Märkten geltenden Kosten- oder Nutzenvorteil (vgl. Porter 1985) hat, kann im internationalen Wettbewerb langfristig bestehen. Während die westlichen Industrieländer Arbeitsplätze verlieren und der Lohndruck wächst, profitieren Arbeitnehmer in Ländern mit geringem Lohnniveau von der Entwicklung: Ihre Beschäftigung, das Lohnniveau und, in begrenztem Maße, auch ihre Sozialstandards verbessern sich. 37 38 39
Der mangelnde Zugang von Menschen in Schwellen- und Entwicklungsländern und das damit einhergehende Ungleichgewicht im Zugang zu Informationen und Wissen, wird unter dem Schlagwort ‚Digital Divide’ bzw. Digitale Kluft diskutiert. Vgl. u.a. Wittmann (2006), Onken (2004), Arnhold (2003). Vgl. zu Systematisierung anderer Autoren zusammenfassend Teusch 2004, S. 36. Der Preis von Wertpapieren ist an allen Börsen geradezu identisch, die weltweit verteilten Investoren haben – via Internet – einen ähnlichen Zugang zu Informationen und die Transaktionskosten sind marginal.
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2 Theoretische Vorüberlegungen
Auf mikroökonomischer Ebene stellen sich für Unternehmen Fragen zur Organisation der internationalen Geschäftstätigkeit. Diese beziehen sich zunächst auf die Eigentumsverhältnisse von Dependancen im Ausland (Beteiligungen, Joint Ventures, Tochterunternehmen) sowie auf die Verteilung von Kompetenz und Verantwortung zwischen dem Mutterunternehmen und den Dependancen in den verschiedenen Gastländern. Für die diesbezügliche internationale Managementstrategie gibt es vielfältige Ansätze40. Grob kann zwischen den idealtypischen Ausprägungen ‚Ethnozentrismus’ und ‚Polyzentrismus’ unterschieden werden. Bei einer ethnozentrischen Ausrichtung erfolgt die Leitung des Gesamtunternehmens stark heimatlandzentriert. Geradezu alle Aspekte der geschäftlichen Tätigkeit im Ausland basieren auf heimatlichen Erfahrungen und Wertekriterien (vgl. Dülfer 1997, S. 218). Wichtige Managementpositionen in den ausländischen Dependancen werden mit Angehörigen aus dem Stammland des Unternehmens besetzt, Entscheidungen überwiegend von der Muttergesellschaft getroffen und in Form von Anweisungen an die Tochterunternehmen kommuniziert, deren Autonomie stark begrenzt ist. Die Entscheidungs- und Handlungskompetenz der Unternehmenstätigkeit liegt somit fast ausschließlich im Mutterunternehmen. Eine ethnozentrische Ausrichtung findet man oftmals in der Anfangsphase einer Internationalisierung von Unternehmen. Im Gegensatz dazu ist das idealtypische polyzentrische Managementkonzept stark gastlandorientiert. Der Ansicht folgend, dass die verschiedenen Gastländer zu unterschiedlich sind, um von ‚Ausländern’ aus den Mutterunternehmen verstanden werden zu können, stellt man Manager aus den Gastländern ein, denen man eine weitgehende Entscheidungsfreiheit für die Dependance gewährt. Auch im polyzentrischen Führungskonzept liegt die Leitung der Unternehmensführung zwar meist in der Zentrale des Mutterunternehmens, jedoch sind die Tochterunternehmen wesentlich selbstständiger und verfügen über eine hohe Entscheidungs- und Handlungsfreiheit, um sich den lokalen Gegebenheiten anzupassen. Gegenüber diesem Vorteil birgt das Konzept die Gefahr, dass die Abstimmung und Kooperation mit der Zentrale aufgrund von Sprachbarrieren, Interessenkonflikten oder auch politischen und kulturellen Gegensätzen getrübt wird. Für die Zentrale wird es so unter Umständen schwer, Entscheidungen durchzusetzen und ein Verständnis für die Verhältnisse vor Ort zu entwickeln. In der Regel liegt die Realität irgendwo in der Mitte zwischen den beiden Extrempositionen. Die Strategieausrichtung kann zudem in verschiedenen Gastländern variieren. In weniger entwickelten Ländern werden wichtige Managementpositionen grundsätzlich eher mit Führungskräften aus dem Heimatland besetzt (vgl. zu Vor- und Nachteilen dieser Strategie Andres 2004, S. 95f.). 2.3.4 Zivilgesellschaftliche Globalisierung Die zivilgesellschaftliche Dimension ist Teil der politischen Globalisierung. Im Rahmen der Globalisierung werden gesellschaftliche Probleme evident, die die Menschen aller Staaten angehen und die nur gemeinschaftlich gelöst werden können. Um sich den gemeinsamen Herausforderungen zu stellen, sind zahlreiche internationale Organisationen entstanden, in denen die Nationalstaaten versuchen, ihre Interessen miteinander abzustimmen,
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In der Literatur gibt es viele Versuche, Typologien für unterschiedliche Unternehmensformen internationaler Unternehmenstätigkeiten zu entwickeln. Bereits 1969 umschrieb Perlmutter mit seinem populären EPRG-Modell vier Strategietypen. Vgl. u.a. Andres (2004), Bartlett/Goshal (1997), Dülfer (1997).
2.3 Globalisierung
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gemeinsame Lösungsansätze zu konzipieren und durchzusetzen41. Daneben gibt es zunehmende zivilgesellschaftliche Bestrebungen, sich international zu organisieren, auszutauschen und bestimmte Interessen durchzusetzen. Non-Governmental Organizations (kurz und in Folge: NGOs) widmen sich zunehmend wichtigen Fragen des globalen Zusammenlebens.41 „Zahllose kleine Gruppen und größere Organisationen aus allen Teilen der Welt – immer mehr auch aus den Ländern des Südens – kümmern sich um Demokratie und Menschenrechte, um Arbeitsbedingungen und Ökologie, um die Gleichstellung der Geschlechter, um Minderheitenschutz und kulturelle Vielfalt.“ (Teusch 2004, S. 8)
Die berühmtesten internationalen NGOs sind Greenpeace, Amnesty International, WWF und attac, darüber hinaus gibt es jedoch eine Vielzahl kleinerer, zum Teil hoch spezialisierter NGOs, deren Anzahl auf allen Ebenen – lokal, national und international – stetig zunimmt42. Die Arbeit von NGOs wird durch die neuen Informations- und Kommunikationsmedien entscheidend begünstigt, die es ihnen erlauben, schnell und global miteinander zu kommunizieren. Immer häufiger ist von einer ‚Weltöffentlichkeit’ oder einer ‚internationalen Zivilgesellschaft’ die Rede. Für Unternehmen spielt diese Entwicklung insofern eine Rolle, als das sie zunehmend in den Blickpunkt von NGOs geraten, die erkennen, dass die politische Macht privatwirtschaftlicher internationaler Unternehmen im Weltgeschehen stetig zunimmt, und die deren Geschäftstätigkeiten daher kritisch und aufmerksam verfolgen, Ansprüche an das Unternehmen richten und Fehlverhalten öffentlich – via Internet möglicherweise in kürzester Zeit rund um den Globus – anprangern. Die Unternehmen sind zunehmend dazu gezwungen, sozial und ökologisch vertretbar zu handeln und gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Dieses wird unter dem Stichwort ‚Corporate Social Responsibility’ (kurz und in Folge: CSR) in Wissenschaft und Praxis zunehmend diskutiert43. 2.3.5 Kommunikative Globalisierung Global Business, internationale Migrationsströme, boomender Flugverkehr und das Internet: Noch nie haben so viele Menschen die Möglichkeit gehabt, mit Menschen anderer Nationen in Kontakt zu treten und miteinander – interpersonal oder medial – zu kommunizieren. Um dabei die Sprachbarriere zu überwinden, wird vornehmlich auf Englisch zurückgegriffen44. 41 42
43 44
Wichtigste Institutionen sind die Vereinten Nationen, die Weltbank, der IWF und die OECD. Eine Übersicht über internationale NGOs in den verschiedensten thematischen Bereichen und Regionen findet man unter social-movements.org. Nach Angaben des Jahrbuchs des Center for Civil Society (LSE) 2003/04, ist die Mitarbeiterzahl der wichtigsten internationalen NGOs weltweit zwischen 1993 und 2003 um 50%, die Zahl ihrer regionalen Büros um 43% (auf 18.000) gestiegen Die stärkste Zunahme ist in Osteuropa, Zentral- und Südasien zu verzeichnen (Le Monde diplomatique 2006, S. 74f). Zur Bedeutung internationaler NGOs (bzw. ‚neuer sozialer Bewegungen’) für die Internationale PR vgl. Andres (2004). Vgl. vertiefend zu einer sehr guten Übersicht zu CSR Pommerening (2005). Interessante Studien zu CSR stammen von Viehöfer et al. (2006) und der Bertelsmann-Stiftung (2005). Neben der meistgesprochenen Sprache (Mandarin-Chinesisch) ist Englisch heute die am weitesten verbreitete Sprache der Welt. Etwa 375 Mio. Menschen sprechen Englisch als Muttersprache, ungefähr genau so viele als Zweitsprache. Schätzungen gehen davon aus, dass etwa 1 1/2 Mrd. Menschen weltweit über Grundkenntnisse der englischen Sprache verfügen (vgl. Stoll 2000, Kausen 2005). Auch im Internet dominiert Englisch (vgl. Le Monde diplomatique 2006, S. 107). Englisch hat sich zur „Weltverkehrssprache“ oder auch „lingua franca universalis“ von Wirtschaft, Politik, Tourismus und Kommunikationsindustrien“ (Stoll 2000) entwickelt.
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2 Theoretische Vorüberlegungen
Über das Internet hinaus erlauben die technologischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte auch verstärkt klassischen Medien eine weit über Ländergrenzen hinausgehende Reichweite. „Mehr als 500 Satelliten bestreichen gegenwärtig mit vielfach uniformen Bildern, Videoclips und Popmusik die Erde. Sportgroßveranstaltungen und Musiksendungen werden gleichzeitig weltweit ausgestrahlt, und auch diktatorische Regimes wie in China, Afghanistan oder dem Iran können die kulturellen Einflüsse über Datennetze und Satelliten aus anderen Ländern nicht mehr vollständig unter Kontrolle halten.“ (Wagner 2001, S. 11)
So gelangen Kommunikationsangebote zunehmend an ein internationales Publikum – prominente Beispiele sind etwa die Herald Tribune, BBC, CNN, MTV und Al Dschasira45. Verstärkt wird dies durch die zunehmenden ökonomischen Verflechtungen im Rahmen der wirtschaftlichen Globalisierung auch im Medienbereich. So wird in der GlobalisierungsDebatte häufig auf die Gefahren einer fortschreitenden Medienkonzentration und die damit einhergehende Einschränkung globaler Medienvielfalt und publizierter Meinungen hingewiesen (vgl. etwa Comor 2002, Johanssen/Steger 2001, S. 51f, Herman/McChesney 1997). Tatsächlich ist die globale Medienmacht auf wenige Konzerne der westlichen Welt verteilt: Weltweit dominieren die fünf Medienkonzerne Time Warner, Walt Disney, Viacom, News Corporation und Bertelsmann46. Dennoch kann nach Hafez (2005) von einem Medienimperialismus und der Verdrängung medialer Vielfalt nicht die Rede sein: Zu reichhaltig ist das weltweite Angebot und zu sehr orientieren sich Individuen an regionalen Angeboten. Westliche Medienkonzerne sind nach Hafez Studie zwar weltweit führend, wenn es um den Verkauf von Musik-, Film- und Softwarerechten geht – von einer Beherrschung des globalen Journalismus und der Gleichschaltung von Medieninhalten sind sie jedoch weit entfernt. Die Angebote der westlichen Medienkonzerne verdrängen lokale Anbieter nicht, sondern stellen für die Rezipienten unterschiedlicher Nationen lediglich ergänzende Angebote dar, welche im Kontext ihrer konkreten Lebenswelt rezipiert werden (ebd., vgl. auch Compaine 2002, Jarren/Meier 2000). Insbesondere im Zukunftsmarkt Asien sind zudem politische Maßnahmen zu beobachten, um den Einfluss westlicher Unternehmen und westlichen Kapitals auf dem Medienmarkt zu beschränken47. Zudem nutzt nur eine kleine Bildungselite in den verschiedenen Staaten der Welt fremdsprachliche Medien – die Mehrheit der Bevölkerung bevorzugt Medieninhalte in ihrer Muttersprache. So sind der internationalen Standardisierung massenmedialer Kommunikation klare Grenzen gesetzt. 2.3.6 Kulturelle Globalisierung Die Folgen der weltweit zunehmenden Interaktionen sowie der globalen Präsenz von gleichen Produkten, Symbolen und Medienangeboten werden unter dem Stichwort ‚kulturelle 45 46 47
CNN wird von potenziell einer Mrd. Menschen empfangen, der Murdoch gehörende Fernsehsender Star TV erreicht mit vier Kanälen in acht Zeitzonen vom Persischen Golf bis Korea rund um die Uhr potenziell zwei Mrd. Menschen (vgl. Wagner 2001, S. 31). Von den 50 größten Medienkonzernen stammen 21 aus Nordamerika, 22 aus Europa, eines aus Australien und 6 aus Japan (vgl. Hachmeister 2005, S. 31f). Als Beispiel hierfür kann das Unterfangen Murdochs angeführt werden, sich durch die Zensur von Nachrichteninhalten (BBC-Nachrichten) im Programm seines Satelliten-Senders Star TV einen Zugang zum chinesischen Kabelfernsehnetz zu verschaffen, was ihm jedoch durch die chinesische Regierung verwehrt wurde.
2.3 Globalisierung
37
Globalisierung’ diskutiert. Hierbei wird grob zwischen zwei gegensätzlichen Annahmen differenziert. Anhänger der Homogenisierungsthese (u.a. Barber 1996, Ritzer 1993) gehen davon aus, dass Menschen im Rahmen der Globalisierung zunehmend ähnliche Erfahrungen machen, sich die Kulturen der Welt dadurch einander annähern und es zu einem ‚kulturellen Einheitsbrei’ kommt. Da die weltweit verfügbaren kulturellen Angebote vorwiegend aus den westlichen Industrienationen stammen, sprechen einige Autoren auch von einem Kulturimperialismus der westlichen Welt, durch die es zu einer Verwestlichung, bzw., aufgrund der hohen Dominanz der USA, zu einer Amerikanisierung der Welt kommt48. Hierfür führen sie zahlreiche Beispiele international homogenisierter Produkte, Zeichen und Handlungsweisen an: Menschen in allen Teilen der Welt, die auf ihren iPods Musik hören, sich gegenseitig mit Nokia-Handys SMS schicken, BBC, Desperate Housewives oder die Olympiade in China ansehen, Coca Cola und Bacardi trinken, Marlboro rauchen oder bei McDonalds essen. Die Homogenisierungsthese gerät jedoch ins Schwanken, sobald man Fragen nach der Rezeption und dem Konsum stellt und über die Perceptas (vgl. Kapitel 2.2.1) hinaus einen Blick auf die Konceptas wirft. Die Homogenisierungsthese geht nämlich implizit davon aus, dass Menschen Fremdeinflüsse unkritisch übernehmen und mit dem Konsum westlicher Waren auch deren Bedeutungen und Werte angeeignet werden. Der Autor des populären Werks ‚Kampf der Kulturen’ – Samuel Huntington49 – bezweifelt dies jedoch: „Die jetzige These, daß die Verbreitung von Pop-Kultur und Konsumgütern über die ganze Welt den Triumph der westlichen Zivilisation darstelle, trivialisiert die westliche Kultur. Die Quintessenz der westlichen Zivilisation ist die Magna Carta, nicht der Big Mac. Die Tatsache, daß Nichtwestler in diesen beißen, sagt nichts darüber aus, ob sie jene akzeptieren. […] Es sagt auch nichts über ihre Einstellung zum Westen aus. Irgendwo im Nahen Osten kann es sehr wohl ein paar junge Männer in Jeans geben, die Coca Cola trinken und Rap hören, aber zwischen Verbeugungen in Richtung Mekka eine Bombe basteln, um ein amerikanisches Flugzeug in die Luft zu jagen.“ (Huntington 2002, S. 79)
Zudem weist Huntington darauf hin, dass nur ein kleiner Prozentsatz der Menschen außerhalb der westlichen Industriestaaten die Möglichkeit hat, an dieser ‚universalen Kultur’ teilzunehmen50. Die Überlegungen Huntingtons münden in der Formulierung einer Gegenthese, die anstelle von einer Homogenisierung von einer Heterogenisierung bzw. Fragmentierung der Kulturen ausgeht, die ultimativ in einem ‚Kampf der Kulturen’ mündet. Hierbei
48
49 50
Die größten Unternehmen der Welt sind US-Firmen oder andere westliche Firmen (vgl. jährliches Ranking des Fortune Magazins). Interessant ist in diesem Kontext die Überlegung von Wagner. Er geht davon aus, dass der Einfluss der USA nicht nur auf deren ökonomischer Macht basiert, sondern auch auf der Tatsache, „dass hier im letzten Jahrhundert eine ästhetische Sprache entwickelt wurde, die über die ethnischen, sprachlichen und kulturellen Differenzen hinweg die unterschiedlichen Einwanderungsgruppen ansprechen musste. […] Dadurch entstand in der amerikanischen Kultur früh jene Offenheit und Anschlussfähigkeit, die globale Kulturformen heute kennzeichnet.“ (Wagner 2001, S. 12) Samuel P. Huntington ist Professor für Politikwissenschaft in Harvard. Erstmalig formulierte er seine These vom Kampf der Kulturen 1993. 1996 veröffentlichte er sein provozierendes Werk, das sofort zum Weltbestseller wurde und eine äußerst lebhafte Diskussion auslöste. Vgl. u.a. Le Monde diplomatique 2006, S. 42. Huntington verwendet in diesem Kontext den Begriff der ‚Davos-Kultur’ und weist darauf hin, dass weniger als 1% der Weltbevölkerung daran teilhaben können.
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2 Theoretische Vorüberlegungen
wird auf den vielerorts zu beobachtende Rückbezug auf kulturelle Wurzeln, Bräuche und Traditionen sowie zunehmende Abgrenzungsbestrebungen in der Welt hingewiesen51. „Als Antwort auf die Homogenisierung scheint den Menschen nur noch die Abschottung gegen Fremdeinflüsse und die Zuflucht zu einem übersteigerten ethnischen Bewusstsein übrig zu bleiben.“ (Breidenbach/Zukrigl 2002, S. 19)
Der Heterogenisierungsthese liegt die Annahme zugrunde, dass (westliche) Fremdeinflüsse grundsätzlich auf Widerstand treffen und Menschen auf sie mit Abwehrstrategien reagieren. Wie in Homogenisierungsansätzen werden hierbei jedoch die Fähigkeiten der Rezipienten unterschätzt, Optionen im Umgang mit Fremdeinflüssen zu erkennen und diese aktiv und bewusst wahrzunehmen. Empirische Studien der Ethnologie weisen darauf hin, dass Menschen sehr unterschiedlich auf Fremdeinflüsse reagieren und neben Aneignung und Abwehr vor allem die Option einer Transformation wahrnehmen. Kulturelle Produkte sind mehrdeutig und können auf verschiedenste Weise interpretiert und verwendet werden – je nach dem Kontext der Rezeptionssituation und den Erfahrungen des Rezipienten, also dessen im Sozialisationsprozess erfahrene kulturelle Prägung. Sie entnehmen den kulturellen Angeboten das, was ihnen nützlich ist oder verändern sie entsprechend eigener Bedürfnisse und Vorstellungen. Zahlreiche Beispiele in der ethnologischen Forschung belegen die kreative Integration von Fremdeinflüssen in die eigene Kultur52. Zudem ist zu beobachten, dass Fremdeinflüsse Bestehendes nicht automatisch verdrängen, sondern neben ihnen koexistieren oder Verbindungen eingehen können. Durch die Verknüpfung von Bestehendem mit Neuem53 können gänzlich neue Kulturprodukte und Bedeutungen entstehen, die wiederum weltweite Verbreitung finden und weitere Verbindungen eingehen können, so dass von einem weltweiten ‚kulturellen Zuwachs’ gesprochen wird (vgl. ausführlich Wagner 2002, S. 17f). Vor dem Hintergrund der ethnologischen Forschung lassen sich die Beobachtungen der Homogenisierungs- und Heterogenisierungsthese neu einordnen. Vereinheitlichungsund Abgrenzungstendenzen sind demnach weniger als Gegensatz, sondern vielmehr als zwei untrennbare Seiten derselben Medaille zu verstehen, die sich gegenseitig bedingen. Dieser Umstand wird gemeinhin mit dem von Robertson (1995, S. 25-44) geprägten Begriff ‚Glokalisierung’ beschrieben54. „Dialektische Prozesse, wie sie sich im Fundamentalismus manifestieren, sind charakteristisch für den Globalisierungsprozeß, Homogenisierung und Fragmentierung, Integration und Ausdifferenzierung, Zentralisierung und Dezentralisierung, Konflikt und Kreolisierung, Globalisierung und Lokalisierung stellen keine einander ausschließenden Entwicklungen dar, sondern sind untrennbar miteinander verbunden, bedingen sich gegenseitig und treiben die weltumspannende 51 52 53 54
Beispiele sind die zunehmenden Spannungen und Beharrungstendenzen in der islamischen Welt, die in Asien kursierenden Ideologien und die Zunahme lokaler ethischer und religiöser Konflikte in vielen Teilen der Welt. Vgl. Breidenbach (2004) und Breidenbach/Zukrigl (1998) sowie auch die Überlegungen der Cultural Studies (z.B. Hepp 2004, Lindner 2000, Bromley et al. 1999, Winter 1996). In der Literatur werden in diesem Kontext die Begriffe Kreolisierung (Hannerz 1996) oder Hybridisierung (u.a. Wagner 2002) verwendet. Robertson führte 1992 den Begriff ‚Glokalisierung’ ein. Dabei bezog er sich auf einen bereits in den 1980’er Jahren im japanischen Wirtschaftsleben gebildeten Begriff, „der für ‚globale Lokalisierung’ benutzt worden war und das ‚Ineinanderblenden von global und lokal’ ausdrücken soll“ (Wagner 2001, S. 15). Zur Kritik vgl. Featherstone (1995), Friedman (1995).
2.3 Globalisierung
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Vernetzung voran. Bestimmte Konzepte und Strukturen des modernen sozialen Lebens werden mit der Globalisierung weltweit verbreitet (Nationalstaat, Konsumgesellschaft, Kapitalismus, Menschenrechte). Zugleich nehmen kulturelle Besonderheiten durch die Relativierung von lokalen Lebensweisen vor dem Hintergrund globaler Strukturen schärfere Konturen an oder werden überhaupt erst geschaffen (Nationalismus, ethnische Identitäten).“ (Breidenbach/Zukrigl 1998, S. 215f)
Kulturelle Globalisierung erweist sich somit als ein äußerst komplexes, widersprüchliches Phänomen, das weit über eine einfache Vereinheitlichung der Welt hinausgeht. Da Globalisierung immer auch mit Lokalisierung einhergeht und „es gerade in Anbetracht von Globalisierung und Globalität überall zu einer neuen Betonung des Lokalen kommt“ (Wagner 2001, S. 15), können kulturelle Unterschiede nicht einfach ignoriert werden. Kurz gesagt: Auch im Zeitalter der Globalisierung, in denen weltweit ähnliche Produkte, Symbole und Medieninhalte anzutreffen sind, bleiben kulturelle Unterschiede bestehen und verstärken sich zum Teil sogar. Culture matters. International agierende Unternehmen dürfen dies nicht ignorieren (vgl. Kapitel 4).
3.1 Definition von PR
41
3 PR-Theoretische Grundlagen
Die Öffentlichkeitsarbeit/PR von Unternehmen ist in vielerlei Hinsicht von der Globalisierungsentwicklung betroffen. Unternehmen agieren und kommunizieren zunehmend grenzüberschreitend, stehen unter zunehmender Beobachtung von lokalen und internationalen NGOs, müssen im Zeitalter internationaler Kommunikationsvernetzung auf eine globale ‚One-Voice-Policy’ achten und gleichzeitig kulturellen Besonderheiten verschiedener Gastländer gerecht werden. Bevor dies eingehender betrachtet wird, gilt es einleitend, PR zu definieren. 3.1 Definition von PR Um den Begriff PR kursieren viele unterschiedliche Vorstellungen, Vorbehalte und Missverständnisse sowie zahlreiche Definitionsversuche in unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen (vgl. Überblick von Fröhlich 2005)55. Eine besonders anschlussfähige Definition stammt aus der US-Wissenschaft und definiert PR grundlegend als das ‚management of communications between an organisation and its publics’ (Grunig/Hunt 1984, S. 6). Zu Deutsch definiert Zerfaß PR analog als das „Management der Kommunikation zwischen einer Organisation und ihren Publikumsgruppen“ (Zerfaß 2004, S. 63)56. PR wird demnach als eine Managementfunktion verstanden: Als ein aktiver, geplanter und bewusster Handlungsvollzug, der darauf abzielt, Kommunikationsprozesse von Organisationen systematisch zu gestalten. PR kann daher mit dem Begriff ‚Kommunikationsmanagement’ synonym verwendet werden. Da Kommunikation immer interessengeleitet ist (vgl. Kapitel 2.1.2), wird mit PR die Artikulation und Durchsetzung partikularer Organisationsinteressen verfolgt. Als elementare Bestandteile von Gesellschaften müssen Organisationen sich sozial integrieren, das heißt ihre Handlungen und Interessen mit dem gesellschaftlichen Umfeld abstimmen und koordinieren. In diesem Zusammenhang gilt es, durch strategische Kommunikation die Situationsdeutungen relevanter Publikumsgruppen im Sinne der Organisation zu beeinflussen. Heute besteht weitgehend Einigkeit, dass unter PR das bzw. ein Teil des Kommunikationsmanagements von Organisationen zu verstehen ist (vgl. Bentele 2003, S. 54). Da in 55 56
Bentele hält im Hinblick auf vorhandene PR-Definitionen fest: „Vergleicht man vorhandene Definitionen, so ist feststellbar, dass PR, vor allem als Tätigkeit, häufig als Teil bzw. Funktion von Organisationen, darüber hinaus als Funktionselement innerhalb der gesamten Gesellschaft angesehen wird.“ (Bentele 2003, S. 55). Die Übersetzung des Begriffs ‚publics’ ist umstritten. Andere Autoren verwenden den Terminus ‚Teilöffentlichkeit’ (vgl. u.a. Bentele 2003, S. 64, Signitzer 1992). Die Entscheidung für den einen oder anderen Begriff hängt davon ab, wie Öffentlichkeit konzipiert wird. Zerfaß konzipiert Öffentlichkeit als Raum, so dass der Begriff ‚Teilöffentlichkeit’ in diesem Kontext wenig Sinn ergeben würde (vgl. Kapitel 3.2.3, vgl. auch Armbrecht 1992). Der Begriff ‚Teilöffentlichkeit’ kann hingegen an dieser Stelle verwendet werden, wenn Öffentlichkeiten nicht als Räume, sondern als Akteure konzipiert werden.
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3 PR-Theoretische Grundlagen
und um Organisationen allerdings zahlreiche Kommunikationen stattfinden, wird die Definition von Grunig/Hunt oftmals als zu weit kritisiert und eine Eingrenzung gefordert. „Das Spektrum reicht von der Gestaltung der Mitarbeiterbeziehungen, über die Marketing- und Finanzkommunikation bis hin zur kommunikativen Auseinandersetzung mit Anwohnern, Gemeinden und Behörden; außen vor bleibt nur die ungeplante, ‚naturwüchsige’ Kommunikation.“ (Zerfaß 2004, S. 63f)
So finden sich verschiedene Ansätze, die weite Definition von Grunig/Hunt näher einzugrenzen und PR von anderen Teilbereichen der Organisationskommunikation abzugrenzen. Zerfaß (2004) konzentriert sich – wie auch diese Arbeit – auf Unternehmenskommunikation und unterscheidet hierbei zwischen drei Teilbereichen: die Kommunikation mit der Organisationsöffentlichkeit (interne Kommunikation/Organisationskommunikation), die Kommunikation mit der Marktöffentlichkeit (Marktkommunikation) und die Kommunikation mit einer Vielzahl unterschiedlicher nicht-ökonomischer Sphären (gesellschaftsorientierte Kommunikation), welche Zerfaß als PR definiert: Externe Kommunikation Marktkommunikation Gesellschaftsorientierte Kommunikation (PR) Interne Kommunikation = Organisationskommunikation
Abbildung 6:
Teilbereiche der Unternehmenskommunikation. Nach Zerfaß 2004, S. 289.
Marktkommunikation richtet sich an Akteure der ökonomischen Sphäre und „umfaßt alle kommunikativen Handlungen von Organisationsmitgliedern, mit denen Transaktions- und Wettbewerbsbeziehungen gestaltet werden. […] Von Public Relations kann man dagegen sprechen, wenn die kommunikativen Beziehungen im gesellschaftspolitischen Umfeld zur Debatte stehen. Der Öffentlichkeitsarbeit obliegt es, die Unternehmensstrategie in den Handlungsfeldern von Politik, Bildung, Wissenschaft usw. durchzusetzen bzw. entsprechende Widerspruchspotentiale und gesellschaftliche Anforderungen in das organisatorische Entscheidungssystem einzuspeisen.“ (Zerfaß 2004, S. 298)
Die Einteilung von Zerfaß in interne und externe Kommunikation ist überzeugend. Auch wenn PR-Akteure in der Praxis oftmals mit externen und internen Kommunikationsaufgaben betraut sind, scheint es sinnvoll, hier eine analytische Trennung vorzunehmen und sich im Kontext von PR auf externe Kommunikation zu konzentrieren. Anschlussfähig ist auch die Unterteilung der externen Unternehmenskommunikation in PR einerseits und Markt/Marketingkommunikation andererseits. Ein wenig schwierig ist jedoch das verwendete Abgrenzungskriterium, nach dem sich PR als ‚gesellschaftsorientierte Kommunikation’ auf die nicht-ökonomische und Marktkommunikation auf die ökonomische Sphäre bezieht. Dies vermag – und hat in der empirischen Befragung dieser Arbeit – Widerspruch anzuregen, da PR als unternehmerische Managementfunktion letztendlich immer einen ökonomischen Sinnbezug hat und auch auf (potenzielle) Marktpartner abzielt. Der Tatsache, dass PR-Handlungen oftmals auch auf die ökonomische Sphäre abzielen, wird Zerfaß konzepti-
3.2 Öffentlichkeits-Theorie
43
onell gerecht, indem er den indirekten Einfluss von PR auf die ökonomische Sphäre berücksichtigt (vgl. Kapitel 3.3.4). Für ein tiefer gehendes Verständnis ist es jedoch hilfreich, zudem auf eine funktionale Abgrenzung von PR gegenüber Marketingkommunikation hinzuweisen (vgl. etwa Fröhlich 2005, S. 101-105)57. Situationsdeutungen sollen im Sinne der Unternehmensstrategie durch PR beeinflusst werden, um das Handeln des Unternehmens gesellschaftlich zu legitimieren. Es geht um den Erhalt einer gesellschaftlichen ‚licence to operate’, die Schaffung eines stabilen Rahmens für Unternehmenstätigkeiten sowie die Erweiterung von Handlungsspielräumen. PR zielt auf langfristige Ziele wie Verständnis, Glaubwürdigkeit und Vertrauen sowie Sympathie und Image ab. Zudem kann es um die Beeinflussung der öffentlichen Meinung oder politisch-administrativer Regularien im Sinne des Unternehmens gehen. Demgegenüber geht es in der Marketingkommunikation um kurzfristigere ökonomische Ziele wie Bedarfsweckung und Werbung zur Erhöhung von Absatzchancen. Statt um den Gewinn von Legitimation, Vertrauen und Image geht es in der Marketingkommunikation in erster Linie um den Gewinn von Marktanteilen. Abgrenzungen zwischen PR und Marketingkommunikation bleiben letztendlich immer analytischer Natur. In der Praxis sind die Übergänge fließend. Zudem besteht in Theorie und Praxis darüber Einigkeit, dass die verschiedenen Kommunikationsaufgaben von Unternehmen eng miteinander abgestimmt werden müssen. Eine Notwendigkeit, die unter dem Stichwort ‚integrierte Kommunikation’ thematisiert wird. 3.2 Öffentlichkeits-Theorie Wie der Begriff schon sagt, hängt Öffentlichkeitsarbeit fest mit dem Konzept ‚Öffentlichkeit’ zusammen. Für ein tieferes Verständnis von PR ist es daher sinnvoll, einen Blick in die Öffentlichkeitstheorie zu werfen. 3.2.1 Begriffsbestimmung Öffentlichkeit Die Suche nach einem anschlussfähigen Verständnis des Begriffes Öffentlichkeit lässt eine große wissenschaftliche Unschärfe und wenig konzeptionelle Einigkeit erkennen58. Etymologisch basiert der Begriff auf dem Adjektiv öffentlich, welches sich von offen ableitet (vgl. u.a. Kleinsteuber 2000, S. 39)59. Dies entspricht unserem Alltagsverständnis von Öffent57
58 59
Eine Abgrenzung über den Inhalt bzw. das Thema der Kommunikation (etwa eine Unterscheidung zwischen Kommunikation über das Unternehmen als PR und Kommunikation über Produkte als Marketingkommunikation) erscheint wenig sinnvoll, da die Unternehmensstrategie und -handlungen immer in einem engen Zusammenhang zum Produkt bzw. der Dienstleistung stehen, die das Unternehmen anbietet. Wie wäre etwa die Pressemitteilung über die Produktion eines neuen, besonders umweltfreundlichen Autos einzuordnen? Daneben gibt es Versuche, PR über Methoden abzugrenzen, indem man der PR ein sanftes, nachhaltiges Vorgehen ohne direkte Bezahlungen und Marketingkommunikation offensichtlich werbende, bezahlte Methoden zuordnet. Vgl. zu verschiedenen Abgrenzungsansätzen Fröhlich (2005). Faulstich (2000, S. 51) weist darauf hin, dass der Diskurs zur Öffentlichkeit als konstituierendes Prinzip der PR gerade erst eröffnet wurde. Vgl. zum Öffentlichkeitsbegriff in der PR-Forschung Theis-Berglmair (2005). Zur etymologischen und konnotativen Begriffsgeschichte vgl. u.a. Hohendahl (2000), Faulstich (2000, S. 5155), Kleinsteuber (2000, S. 34-44). Dem deutschen Adjektiv öffentlich lässt sich der englische Begriff public, der aus dem Lateinischen kommt, nur begrenzt gegenüberstellen. Das deutsche Wort ‚Publikum’ basiert zwar
44
3 PR-Theoretische Grundlagen
lichkeit: Das Offene, allgemein Zugängliche im Gegensatz zum Verschlossenen, Privaten. Bei Öffentlichkeit denkt man an die Gemeinschaft – es drängt sich das Bild debattierender Bürger in öffentlichen Foren des alten Griechenlands oder Roms auf, die erste Schritte in Richtung Demokratie wagten. Tatsächlich wird Öffentlichkeit in der Wissenschaft vor allem normativ-ideologisch im Zusammenhang mit politischen Demokratietheorien diskutiert60. So wird die Entstehung des Begriffs in das 18. Jahrhundert datiert und in Zusammenhang zu Kant’s Vernunftkonzept als Produkt der Aufklärung gestellt. 3.2.2 Normativ-Ideologische Öffentlichkeitstheorien Normativ ausgerichtete Ansätze setzen sich mit der gesellschaftlichen Funktion und den strukturellen Bedingungen von Öffentlichkeit auseinander, die erfüllt sein müssen, um den Grundgedanken der Demokratie – die Herrschaft des Volkes bzw. die Beteiligung des Volkes als oberster Souverän an politischen Entscheidungsprozessen – erfüllen zu können. Sie konzentrieren sich auf die politische Öffentlichkeit und stehen in der Tradition von Habermas’ Diskursmodell (1962)61. Das bekannteste normative Öffentlichkeitsmodell stammt von Gerhards/Neidhardt (1991, vgl. auch Gerhards 1998, Neidhardt/Rucht 1998)62. Gerhards/Neidhardt (1991) beschäftigen sich mit strukturellen Rahmenbedingungen, die erfüllt sein müssen, um die Idealvorstellung von Öffentlichkeit – die Möglichkeit der politischen Partizipation aller Bürger – zu realisieren. Hierzu gehört grundlegend die
verfassungsrechtlich gesicherte Rede-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit.
Die weiteren idealen Strukturmerkmale werden anhand der drei Kategorien Zugang/Input, Verarbeitung/Throughput und Konsequenzen/Output gegliedert und haben jeweils folgende Idealausprägung:
60 61
62
Zugang: Offenheit und Chancengleichheit für alle gesellschaftlichen Akteure, Gruppen, Meinungen und Themen (Æ Erfüllung der Transparenzfunktion) Verarbeitung: Diskursivität. Durchsetzung des dringendsten Themas und besseren Arguments (Æ Erfüllung der Validierungsfunktion) Konsequenz: Entstehung einer öffentlichen Meinung, die in den politischen Entscheidungsprozess einfließt (Æ Erfüllung der Orientierungsfunktion) ebenfalls auf diesem lateinischen Terminus, entspricht aber eher dem englischen Begriff audience (vgl. Kleinsteuber 2000, S. 40). Da sich im Englischen zunächst kein passendes Substantiv fand, das sich dem Begriff Öffentlichkeit gegenüberstellen ließ, setzte sich in den letzten Jahrzehnten der englische public sphere als sprachliches Äquivalent durch, der als „ein ausgesprochener Kunstausdruck“ (Hohendahl 2000, S. 1) bis zum 20. Jh. in der englischen Sprache nicht geläufig war und deren zunehmende Verbreitung im angloamerikanischen Sprachraum eng mit der Rezeption von Habermas’ Theorie der Öffentlichkeit zusammenhängt. Vgl. zu verschiedenen Demokratie-Theorien z.B. Massing/Breit (2006). Normative Öffentlichkeitsmodelle gehen ausnahmslos auf das international prominente Werk Strukturwandel der Öffentlichkeit von Habermas (1962) zurück. Zu nennen sind etwa die Arbeiten von Gerhards/Neidhardt (1991), Dahrendorf (1974) und Negt/Kluge (1972). Vgl. zu übersichtsartigen Zusammenfassungen der einzelnen Arbeiten Faulstich (2000) sowie Imhof (2003), Theis-Berglmair (2005). Das Modell von Gerhards/Neidhardt (1991) ist zwar analytisch konzipiert, „durch die demokratietheoretische Grundlegung ist der normative Bezug aber implizit vorhanden.“ (Theis-Berglmair 2005, S. 336). Ansätze, die sowohl normative als auch analytische Bezüge aufweisen, nennen Jarren/Donges 2002 und TheisBerglmair 2005 intermediäre Modelle.
3.2 Öffentlichkeits-Theorie
45
Peters (1994) geht der Realitätsnähe dieser idealen Strukturausprägungen anhand pluralistisch-demokratischer Gesellschaften der Gegenwart nach und zeigt systematisch Grenzen und Defizite des Modells auf. Für analytische Betrachtungen von Öffentlichkeit erweisen sich normativ-ideologische Modelle als nur begrenzt anschlussfähig. Zudem konzentrieren sie sich lediglich auf die politische Öffentlichkeit und klammern andere Teilbereiche des öffentlichen Lebens aus. 3.2.3 Analytische Öffentlichkeitstheorien Neben normativ-ideologischen Ansätzen existieren Ansätze, die sich dem Phänomen Öffentlichkeit eher analytisch nähern63. Sie konzipieren Öffentlichkeit als „soziale Handlungssphäre“ (Peters 1994, S. 44), als einen öffentlichen Kommunikationsraum64. Die Vorstellung von Öffentlichkeit als Raum, Sphäre, Arena oder Forum knüpft an die Assoziation an Foren der Antike an und nutzt diese Metapher zur Beschreibung der Struktur und Funktion moderner Öffentlichkeit. Zerfaß definiert öffentlichen Raum wie folgt65: „Wir beziehen uns auf den sozialen Raum, der im Bewußtsein sozialer Akteure verankert ist, den Sinnbezug konkreter Kommunikationshandlungen prägt und als Ergänzung wie als Gegensatz zum physisch vorhandenen Raum zu sehen ist.“ (Zerfaß 2004, S. 196, Fßn. 726)
Im Gegensatz zu normativen Konzeptionen ist es hierbei nicht konstitutiv, dass alle Menschen Zugang zu diesen Kommunikationsräumen haben. „Im Prinzip kann man bereits die Beziehung zwischen zwei Akteuren als dyadische Öffentlichkeit bezeichnen.“ (Zerfaß 2004, S. 196)
Dies ist etwa der Fall, wenn ein Politiker mit einem Journalisten spricht. Neben der politischen Öffentlichkeit verweist Zerfaß auf weitere Sphären, die der gesellschafspolitischen Öffentlichkeit als übergeordnete Dimension strukturell untergeordnet sind, etwa die wissenschaftliche Öffentlichkeit, die Kunstöffentlichkeit, die Marktöffentlichkeit oder auch verschiedene Branchen- oder Organisationsöffentlichkeiten. Innerhalb dieser Sphären konzipiert Zerfaß verschiedene Öffentlichkeiten als Arenen, in denen sphärenspezifische Kommunikationshandlungen stattfinden. Unterschiede ergeben sich dabei im Hinblick auf 1) die beteiligten Akteure, 2) die durchsetzbaren Themen, 3) die vorherrschenden Kommunikationsstrukturen und 4) funktionale Leistungen – also hinsichtlich der spezifischen Ausprägungen jener Aspekte, die bereits in den normativen Modellen angesprochen wurden: wer und was darf teilnehmen (Akteure und Themen), wie wird verfahren (Verarbeitung) und welche Konsequenzen ergeben sich daraus. Die Akteure in den jeweiligen Kommunikationsarenen werden von Zerfaß als Rollen konzipiert.
63 64 65
Andere Kategorisierungen finden sich u.a. bei Faulstich (2000, S. 56-73), Hickethier (2000, S. 9), Peters (1994, S. 42-45). Jarren/Donges (2002) unterscheiden vorhandene Öffentlichkeitsmodelle in Diskursmodelle, Modelle, welche Öffentlichkeit als intermediäres System begreifen, und systemtheoretische Spiegelmodelle. Neben raumbezogenen gibt es auch medien- oder akteursbezogene Ansätze. Vgl. u.a. Hickethier (2000). Vgl. zu verschiedenen Konzeptionen von Öffentlichkeit als Raum Faulstich/Hickethier (2000, S. 15-117).
46
3 PR-Theoretische Grundlagen
Konkrete Personen – oder auch Organisationen als korporative Akteure – nehmen in verschiedenen Arenen „spezifische Rollen als Mitarbeiter, Wissenschaftler, Marktteilnehmer, Staatsbürger usw. [ein; J.K.]. Mit diesen Rollen gehen jeweils besondere Betroffenheiten und Interessen einher. Einzelne Akteure werden eine Kommunikationsarena immer dann aktiv nutzen, wenn sie einen Zustand oder eine beabsichtigte Handlung vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen Interessenlagen als Problem erkennen. Dies gilt sowohl für Kommunikatoren, die ein solches Problem als Thema (‚issue’) definieren und sich dazu äußern, aber auch für potentielle Rezipienten, die sich diesem Thema zuwenden.“ (Zerfaß 2004, S. 198)
Während die politische Öffentlichkeit in demokratischen Systemen idealerweise allen offen steht, gilt dies für die meisten anderen Öffentlichkeiten nicht: In vielen Arenen sind besondere Kenntnisse, Kompetenzen oder Befugnisse erforderlich, um sich an der Kommunikation zu beteiligen. Weitere Unterscheidungsmerkmale sind die Themen, die in einer Arena zulässig sind und die gewissen Rationalitätskriterien unterliegen, (in der Marktöffentlichkeit geht es bspw. vor allem um ökonomische Themen, in Religionsarenen um Sinnfragen etc.) sowie spezifische Kommunikationsstrukturen. Diese hängen von der raumzeitlichen Ausdehnung der der Arena zugrunde liegenden Handlungsfelder, der potenziellen Teilnehmerzahl und den zur Verfügung stehenden Medien ab. Mit zunehmender Teilnehmerzahl sinkt etwa die aktive Partizipationschance eines einzelnen Akteurs, eine weite raumzeitliche Ausdehnung verlangt die Verwendung von Medien und schränkt persönliche Kommunikationsmöglichkeiten ein, die Verfügbarkeit von interaktiven Medien (z.B. online-Foren) erhöht die Möglichkeiten für diskursive Auseinandersetzungen, etc. Bei der Beschreibung der Funktion von Öffentlichkeit bezieht sich Zerfaß auf die Forderungen normativer Modelle: „Im Grundsatz sollen vernetzte Kommunikationsprozesse dazu führen, daß relevante Themen definiert (Transparenzfunktion), Meinungen miteinander verglichen (Validierungsfunktion) und ggf. sogar übereinstimmende Einstellungen ausgebildet werden (Orientierungsfunktion).“ (Zerfaß 2004, S. 199, siehe oben)
Zerfaß weist darauf hin, dass die primäre Funktion von Öffentlichkeit in verschiedenen Arenen variieren kann. Innerhalb einer relativ übersichtlichen Arena, wie etwa in einem betrieblichen Arbeitsteam, kann die öffentliche Kommunikation einen direkten Beitrag zur Handlungskoordination leisten. Bei einer großen raumzeitlichen Ausdehnung der Arena besteht die Funktion jedoch eventuell nur noch in der Darstellung von Themen. Grundsätzlich soll Öffentlichkeit einen Beitrag zur sozialen Integration leisten. Zwischen den betrachteten Aspekten – Akteure, Themen, Kommunikationsstrukturen und Funktionen – besteht eine starke Interdependenz. Handelt es sich bei den Akteuren beispielsweise um einen Politiker und einen Journalisten, wird das Themenspektrum von der Expertise des Politikers bestimmt werden, ein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis (Publizität gegen Information) bestehen und somit die Chance für dialogische Kommunikation gegeben sein. Die zunehmende Ausdifferenzierung moderner Gesellschaften und die Globalisierung haben zu der Entstehung einer Vielzahl von Arenen geführt, die teilweise nicht mehr an Ländergrenzen halt machen (vgl. Kapitel 2.3.5). Zudem sind die verschiedenen Arenen nicht trennscharf voneinander abgrenzbar, sondern vielfältig miteinander verknüpft. Akteure können Mitglieder verschiedener Arenen sein, wodurch es zu einer Überlappung von Öffentlichkeiten kommt.
3.2 Öffentlichkeits-Theorie
47
„Dies liegt einerseits an der Rollenvielfalt und Interessenpluralität konkreter Akteure, die zugleich in verschiedenen Systemen und Sphären aktiv werden. Weitere Gründe sind die Nutzung gleicher Medien und Kommunikationsplattformen für verschiedene Öffentlichkeiten und die Eigendynamik bestimmter Themen, die – einmal aufgeworfen – in anderen Arenen aufgegriffen und behandelt werden. Wir wollen deshalb in Analogie zu unserem Sphärenbegriff von verschiedenen Öffentlichkeiten sprechen, die nur partiell durchlässig und auch nur zum Teil auf bestimmte gesellschaftliche Leistungen spezialisiert sind.“ (Zerfaß 2004, S. 200)
Einen Sonderfall stellt die im Rahmen normativer Ansätze thematisierte (gesellschafts) politische Öffentlichkeit dar: Diese wird durch territoriale Grenzziehungen und rechtlichpolitische Rahmenbedingungen definiert und steht (in demokratischen Gesellschaftssystemen) prinzipiell allen Mitgliedern eines Gemeinwesens offen. Sie ist grundsätzlich laiensprachlich verfasst, offen für verschiedene Themen und wesentlich auf die Leistungen des Mediensystems angewiesen. Als allen anderen Sphären einer Gesellschaft übergeordnete Öffentlichkeit bezieht sie Themen und Impulse aus den verschiedenen Arenen und verdichtet diese zu einer übergreifenden Agenda, die die aktuellen Probleme und Themen der Gesellschaft umschließt. Die Themen und Meinungen, die in der gesellschaftspolitischen Arena diskutiert werden, wirken sich zudem wieder auf die anderen, kleineren Arenen aus, so dass sie einen integrierenden Charakter erhält. „Auf diesem Weg wird ein Austausch von Themen und Meinungen zwischen ansonsten abgeschotteten Kommunikationsräumen (z.B. Kunst- und Marktöffentlichkeit) ermöglicht.“ (Zerfaß 2004, S. 202) In der gesellschaftspolitischen Arena werden die Rahmenbedingungen für die verschiedenen Öffentlichkeiten einer Gesellschaft gesetzt, „die das (kommunikative) Handeln in verschiedenen Sphären vorstrukturieren. Von daher erklärt sich die zentrale Rolle, die der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit in modernen Gesellschaften zukommt.“ (ebd., S. 203)
Mit der zunehmenden Masse an Informationen und Themen, die in komplexen Gesellschaften um die begrenzte Aufmerksamkeit der Mitglieder konkurrieren, kommt es zu der Herausbildung immer neuer Kommunikationsarenen, mit jeweils speziellen Themen und Fachterminologien, die jeweils nur einer begrenzten Anzahl von Akteuren zugänglich sind. Viele Sphären treten zudem im Plural auf, so gibt es etwa nicht nur eine wissenschaftliche Sphäre, sondern eine, um die enorme Anzahl verschiedener Disziplinen und Themen entstehende, Vielzahl wissenschaftlicher Sphären. Des Weiteren bilden ‚handlungsfähige Systeme’ (Familien, Unternehmen, Verbände, vgl. Kapitel 5) „eigene Kommunikationsräume aus, in denen sich ein spezifischer Querschnitt von Themen und Strukturen anderer Sphären widerspiegelt.“ (Zerfaß 2004, S. 201)
Um die Überlegungen grafisch zu veranschaulichen, verwendet Zerfaß folgende – die Komplexität und Sphärenvielfalt (z.B. plus Sport, Religion, Bildungswesen) nicht vollkommen fassende – Abbildung der Formation von Öffentlichkeiten/Kommunikationsarenen:
48
3 PR-Theoretische Grundlagen
Abbildung 7:
Die Formation von Öffentlichkeiten/Kommunikationsarenen. Nach Zerfaß 2004, S. 201.
Neben der terminologischen Gleichsetzung von Öffentlichkeit mit den Begriffen Raum, Sphäre und Arena, führt Zerfaß einen weiteren Begriff ein, indem er die konkreten raumzeitlich verfestigten Interaktionsmuster, die sich durch öffentliche Kommunikationsprozesse (in den verschiedenen Arenen) herausbilden, als Foren bezeichnet. Unterschiedliche Kommunikationsforen lassen sich innerhalb der gleichen Arenen voneinander abgrenzen und beschreiben unterschiedliche Formen bzw. Ebenen der öffentlichen Kommunikation in diesen Arenen. Als Beispiele für Kommunikationsforen66 nennt Zerfaß persönliche Gespräche, Vortragsveranstaltungen, Gottesdienste, Podiumsdiskussionen sowie verschiedene mediale und massenmediale Kommunikationsformen, wie etwa Bücher, Zeitschriften, Radio- oder Fernsehsendungen. Anhand der potenziellen Teilnehmerzahl, der Kommunikationsdichte, der Komplexität der Organisation und der Reichweite differenziert Zerfaß vier Typen von Kommunikationsforen:
66
Synonym verwendet Zerfaß den Begriff ‚Teilöffentlichkeiten’. Da dies verwirren kann, wird hierauf in Folge verzichtet. Vgl. Fßn. 56.
3.2 Öffentlichkeits-Theorie
Abbildung 8:
49
Typen von Kommunikationsforen. Nach Zerfaß 2004, S. 204-20867.
Hierbei finden sich die bereits kommunikationstheoretisch beschriebenen Unterscheidungen zwischen interpersonaler/medialer Kommunikation sowie dialogischer/monologischer Grundausrichtung und direkter/indirekter Ansprache wieder (vgl. Kapitel 2.1.3, Abbildung 3). Kommunikationsforen, die an Präsenz gebunden sind, werden in episodische Begegnungen/Encounters und Präsenzveranstaltungen unterschieden. Episodische Begegnungen oder Encounters entsprechen einfachen persönlichen Kommunikationsformen, „die ein flüchtiges, aber dennoch kulturell vorstrukturiertes Forum der Kommunikation zwischen Anwesenden bilden.“ (Zerfaß 2004, S. 205) Beispiele hierfür sind Gespräche auf der Straße, am Arbeitsplatz oder am Stammtisch. „Zeit und Ort sind eindeutig bestimmt; ein Auseinanderfallen von Mitteilungs- und Verstehenshandlungen ist nicht möglich.“ (ebd.)
Episodische Begegnungen können spontan entstehen und sich wieder auflösen. Die Zahl der jeweiligen Teilnehmer ist begrenzt, so dass die einzelnen Akteure die Möglichkeit zum Rollenwechsel haben (dialogische Kommunikation) und den Kommunikationsverlauf aktiv beeinflussen können. Spontaneität und Flüchtigkeit gelten nicht für Präsenzveranstaltungen. Diese entstehen geplant, zu bestimmten Themen, zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort. Beispiele sind betriebliche Sitzungen, Vortragsabende, Konferenzen und Kongresse. Der Zugang ist in der Regel bestimmten Akteuren vorbehalten, die spezifische Rollen einnehmen und deren Partizipationschancen unterschiedlich verteilt sind. Aus den realen Foren der Öffentlichkeit, in denen sich Menschen treffen, zu bestimmten Themen Informationen und Meinungen austauschen und diskutieren, haben sich mediale, von physisch wahrnehmbaren Orten abstrahierende Foren entwickelt. Diese lassen sich in kontrollierte Medien und abstrakte Medien (Massenmedien) weiter unterscheiden. Kontrollierte Medien obliegen der Kontrolle des Kommunikators. Sie 67
Der Begriff Encounters stammt ursprünglich von Goffman (1961) und wurde bereits von Gerhards/Neidhardt (1991) aufgegriffen. Synonym verwendet Zerfaß den Begriff episodische Teilöffentlichkeiten. Da der Begriff Teilöffentlichkeiten jedoch vermieden werden soll, werden in Folge die Begriffe Encounters bzw. episodische Begegnungen verwendet. Teilöffentlichkeiten bzw. raumzeitlich verfestigte Interaktionsmuster werden in Folge vor allem als verschiedene Kommunikationsformen in den verschiedenen Arenen konzipiert. So wird anstelle der von Zerfaß verwendeten Begriffe (die der Konzeption von Foren als Teilöffentlichkeiten gerecht werden) veranstaltete Präsenzöffentlichkeiten, kontrollierte Medienöffentlichkeiten und abstrakte Medienöffentlichkeiten die Begriffe Präsenzveranstaltungen, kontrollierte Medien und abstrakte Medien/Massenmedien verwendet.
50
3 PR-Theoretische Grundlagen
„ermöglichen die Kommunikation zwischen einem räumlich und/oder zeitlich getrennten, aber prinzipiell abgegrenzten bzw. abgrenzbaren Teilnehmerkreis.“ (Zerfaß 2004, S. 206)
Beispiele sind Telefonate, Briefe, Emails, Informationsschreiben oder Broschüren. Die Anzahl der Kommunikationsbeteiligten ist prinzipiell unbegrenzt, Rollen können unterschiedlich verteilt sein. Insbesondere die neuen Kommunikationstechnologien erlauben auch dialogische Kommunikationsprozesse, die strukturell Präsenzveranstaltungen ähneln. Abstrakte Medien obliegen hingegen nicht der Kontrolle des Kommunikators. Sie „werden durch technische Medien gebildet, die elektronische oder materielle Foren der Kommunikation zwischen Abwesenden bereitstellen und im Prinzip für alle Interessenten zugänglich sind.“ (Zerfaß 2004, S. 206)
Als wichtigste abstrakte Medien sind die Massenmedien und offene Datennetze zu nennen. „Mit der Ausdehnung der Reichweite geht die Öffnung für eine große Teilnehmerzahl einher, deren konkrete Beteiligung am Kommunikationsprozeß allerdings stark durch strukturelle Rahmenbedingungen vorgeprägt wird. Die Ausdifferenzierung verschiedener Rollen ist noch deutlicher als in Veranstaltungsforen und kontrollierten Medienöffentlichkeiten. Wenigen ökonomisch potenten Kommunikationsmittlern (Datennetzbetreibern, Verlegern) stehen einige Kommunikatoren (Politiker, Journalisten, Werbungstreibende und PR-Experten) und unzählige Rezipienten (Netzuser, Zuschauer, Leser, Hörer) gegenüber. Die begrenzten Feedbackmöglichkeiten führen zu einem Minimum an Reziprozität, wodurch ein Trend zur monologischen Kommunikation begründet wird. Die Chance, drohende Kommunikationsabbrüche zu erkennen und auf die Metaebene eines Diskurses zu wechseln, sinkt. Man bleibt auf einen minimalen Vorrat gemeinsamer Bedeutungsmuster und Kommunikationsregeln angewiesen, der sich auf die sphärenspezifische Alltags- oder Fachsprache reduziert, aber nur begrenzt erweitert werden kann. Zusammen mit der geringen thematischen Spezifität führt dies zu einer geringen Kommunikationsdichte, die der hohen Reichweite und Teilnehmerzahl diametral gegenübersteht.“ (Zerfaß 2004, S. 207)
Die verschiedenen Kommunikationsforen weisen deutliche Unterschiede auf und tragen unterschiedlich zur Entstehung einzelner Öffentlichkeiten bei. Ihre Trennung ist zudem ebenso nur analytischer Natur. In der Realität wird sie durch eine ‚dreifache Interdependenz’ aufgehoben: 1. 2. 3.
überlappen sich einzelne Foren: Konkrete Interaktionsmuster können nicht immer eindeutig als episodisch, veranstaltet, kontrolliert oder abstrakt medial identifiziert werden, wirken in Arenen stets unterschiedliche Foren zusammen (in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit bspw. Gespräche, Konferenzen und Fachzeitschriften) und können sich in einzelnen Foren verschiedene Öffentlichkeiten verfestigen (bspw. beim Gespräch an der Bushaltestelle über verschiedenen Themen oder in den unterschiedlichen Rubriken einer Tageszeitung).
In unterschiedlichen Sphären/Arenen kommt den unterschiedlichen Foren unterschiedliche Bedeutung zu, die jeweils spezifisch zu betrachten und zu beurteilen sind. Im Rahmen der PR von Unternehmen spielen die unterschiedlichsten Sphären und Arenen eine Rolle, in denen jeweils in unterschiedlichen Foren kommuniziert wird (vgl. Kapitel 3.3.4).
3.2 Öffentlichkeits-Theorie
51
Am Beispiel der Unternehmensöffentlichkeit können die vorangegangenen Überlegungen wie folgt grafisch umrissen werden:
Abbildung 9:
Sphären/Arenen und Foren der Unternehmensöffentlichkeit. Nach Zerfaß 2004, S. 201. E = Encounters, PV = Präsenzveranstaltungen, KM = Kontrollierte Medien, AM = Abstrakte Medien.
3.2.4 Adressaten öffentlicher Kommunikation: Publikumsgruppen In den verschiedenen Arenen/Foren lassen sich unterschiedliche (als Rollen konzipierte) Akteure identifizieren, an die sich öffentliche Kommunikation richtet. In der Übersetzung von Grunig/Hunts PR-Definition verwendete Zerfaß für diese Akteure den Begriff ‚Publikumsgruppen’ (vgl. Kapitel 3.1). Daneben existieren in der Literatur vielfältige andere Bezeichnungen. Diese können verwirren und sollen daher in Folge kurz und übersichtsartig systematisiert werden68.
68
Der Begriff ‚disperses Publikum’ (vgl. Maletzke 1963) bezieht sich auf ein weitgehend unbekanntes und heterogenes Publikum. Die Kommunikation mit diesen undefinierten Akteuren erfolgt vorwiegend in abstrakten Medien (Massenmedien). Bei Bezugsgruppen besteht eine gewisse Vorstellung von den Akteuren, an die sich eine Mitteilungshandlung richtet. Grundsätzlich existiert eine Beziehung, die darin be-
Grundlage der Systematisierung sind Überlegungen von Zerfaß (2004) und Beiträge im Glossar des Handbuch der Public Relations (Bentele et al. 2005, S. 575-610). In der Literatur existieren weitere, abweichende Begriffsbestimmungen, die hier nicht weiter verfolgt werden.
52
3 PR-Theoretische Grundlagen
gründet ist, dass sich die jeweiligen Handlungsweisen gegenseitig beeinflussen (vgl. Zerfaß 2004, S. 64)69. Stehen die Bezugsgruppen den jeweiligen Handlungsweisen nicht gleichgültig gegenüber, sondern erheben besondere Ansprüche (englisch/synonym: Stakes), werden aus den Bezugsgruppen Anspruchsgruppen (synonym: Stakeholder70). Diese können in Anlehnung an Grunigs situative theory of publics (1984, Grunig et al. 1996) weiter in latente, bewusste, aktive und strategische Anspruchsgruppen unterschieden werden (vgl. auch Dahrendorf 1974). Beschließt der Kommunikator gegenüber strategischen Anspruchsgruppen konkrete Maßnahmen (in Form von PR-Arbeit) zu ergreifen, werden diese zu Zielgruppen. Wird hierfür ein besonders intensiver Kontaktaufwand betrieben und auf dialogische Kommunikation gesetzt, können diese Akteure als Dialoggruppen bezeichnet werden. Die Kommunikation wird hierbei vor allem in präsenzgebundenen Foren angestrebt.
Zusammenfassend lassen sich die Überlegungen wie folgt darstellen: ‚Disperses Publikum’
Bezugsgruppe
unbekannte, nicht weiter konkretisierte und heterogene Rezipientengruppe
konkrete Personengruppen, die eine Beziehung zum Kommunikator haben
Anspruchsgruppe (Stakeholder, organisierte Interessengruppen) Bezugsgruppe + spezielle Ansprüche der Bezugsgruppen, die in verschiedenem Ausmaß bewusst sind, organisiert und gegenüber Kommunikator artikuliert werden; aktiven und strategischen Anspruchsgruppen wird eine besondere Relevanz beigemessen
Zielgruppe
Dialoggruppe
Relevante Anspruchsgruppe + Ergreifung von Maßnahmen durch Kommunikator
Zielgruppe + sehr hohe Relevanz aus Sicht des Kommunikators, intensiver Kontaktaufwand
Abbildung 10: (Tabelle): Systematisierung von Publikumsgruppen. Eigene Darstellung. 3.3 PR-Theorie Mit der Ausdifferenzierung und Entwicklung komplexer Öffentlichkeiten und der zunehmenden Konkurrenz um Zugang und Gehör in den verschiedenen Arenen und Foren ist die Tendenz zu einem wachsenden Kampf um Sprecherrollen zu beobachten, der sich zunehmend professionalisiert:
69 70
Verschiedene Bezugsgruppen können anhand konkreter beziehungskonstituierender Merkmale zum Kommunikator – z.B. Nachbarschaft, Kapitalgeber, Wettbewerber, etc. – differenziert werden. Vgl. Zerfaß 2004, S. 64. Der Begriff stammt aus dem wirtschaftlichen Kontext und wird auf die Überlegungen Freemans (1984, insbesondere S. 46 und S. 52) zum strategischen Management zurückgeführt.
3.3 PR-Theorie
53
„Das Berufsfeld von ‚Publizisten’, also von Journalisten, Public-Relations-Spezialisten, Veranstaltungsrednern etc. dehnt sich aus und verknappt Laienzugang zu öffentlich wirksamen Sprecherrollen.“ (Gerhards/Neidhardt 1991, S. 72)
In der ‚Öffentlichkeitsarbeit’ widmen sich Akteure systematisch den verschiedenen Öffentlichkeiten und versuchen, im professionellen Umgang mit den verschiedenen Sphären, Foren und Akteuren, Gehör zu erhalten, um Situationsdeutungen im Sinne partikularer Interessen von Organisationen (oder Personen) durchzusetzen. Auf wissenschaftlicher Seite wird dieses Phänomen im Rahmen der PR-Forschung betrachtet. Sowohl in den USA als auch in Deutschland war die PR-Forschung bis in die 1980’er Jahre eher eine aus Praxiserfahrungen einfache Handlungsempfehlungen ableitende PR-Kunde als eine wissenschaftliche Disziplin (vgl. u.a. Bentele 2003, Jarren/Röttger 2004)71. Eine systematische Theoriebildung entwickelte sich nur langsam und verstärkt erst seit den 1990’er Jahren. „Der eigentliche PR-Theoriediskurs begann im deutschsprachigen Raum Anfang der neunziger Jahre. Als ‚Theoriejahr’ kann dabei 1992 gelten, in welchem neben dem Entwurf Ronneberger/Rühls drei weitere Theorieskizzen erschienen.“ (Szyszka 2005, S. 165).
Gemeint sind damit die Arbeiten von Faulstich, Theis und Merten, wobei auch weitere wichtige Arbeiten in diesem ‚Kick-off-Jahr’ 1992 entstanden. „Einhelliger Fixpunkt der verschiedenen, allesamt im Jahr 1992 vorgelegten Entwürfe, ist dabei ein (system-)theoretischer Anfang der wissenschaftlichen Bemühungen. Die ‚Theorie der Public Relations’ von Franz Ronneberger und Manfred Rühl, aber auch die Ansätze von Klaus Merten, Ulrich Saxer und Klaus Jarchow beschreiben Öffentlichkeitsarbeit als eine ausdifferenzierte Spezialform öffentlicher Kommunikation.“ (Zerfaß/Scherer 1995, S. 494)
Neben den primär gesellschaftsorientierten, systemtheoretischen Arbeiten der ersten Jahre entstanden im Laufe der Zeit weitere Arbeiten, die zu einer Pluralisierung der Theorieansätze führten. Mittlerweile ist die PR-Forschung in der akademischen Disziplin Kommunikationswissenschaft in Deutschland weitgehend anerkannt72, was neben den wissenschaftlichen Fortschritten gewiss auch mit der steigenden Relevanz von PR als Berufsfeld zusammen hängt. Die vorhandenen Ansätze stehen jedoch bis heute weitgehend bezugslos nebeneinander. Von einer umfassenden, allgemein anerkannten PR-Theorie ist die gegenwärtige Forschung noch weit entfernt (vgl. u.a. Jarren/Röttger 2004, S. 20). Auf eine ausführliche Darstellung der vorhandenen Ansätze soll hier verzichtet werden, da dies in letzter Zeit an unterschiedlichsten Stellen ausgiebig vorgenommen wurde (vgl. u.a. Bentele et al. 2005, Bentele 2003). Es soll lediglich ein Überblick gegeben werden, damit der hier verfolgte Ansatz im Gesamtkontext der PR-Forschung verortet werden kann.
71 72
Vgl. zur Geschichte der PR-Forschung in Deutschland u.a. Szyszka (2005a) und Bentele (2003). Die PR-Forschung ist zwar primär in der Kommunikationswissenschaft angesiedelt, weist jedoch viele Berührungspunkte mit anderen sozialwissenschaftlichen Disziplinen (u.a. Politologie/Wirtschaftswissenschaften) auf.
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3 PR-Theoretische Grundlagen
3.3.1 Ansätze der PR-Theorie Die vorhandenen PR-Ansätze lassen sich wie folgt kategorisieren73: 1. Abstraktionsgrad der Theorie (Laien-PR, Experten-PR und Wissenschafts-PR), 2. Reichweite der Theorie (Allgemeine Theorien und Theorien mittlerer Reichweite), 3. disziplinäre theoretische Perspektive (Sicht der Kommunikationswissenschaft/BWL), 4. primäre soziale Bezugsebene. Die wichtigste Unterscheidung ist die der primären sozialen Bezugsebene. Dabei lässt sich grob unterscheiden, ob sich Theorien primär auf die Gesellschaft oder auf Organisationen beziehen. Gesellschaftsorientierte Ansätze dominierten – wie erwähnt – lange Zeit die deutsche PR-Forschung (einen aktuellen Überblick gibt Rühl 2005). Sie knüpfen an die Tradition normativer Öffentlichkeitstheorien an und gehen vorwiegend der Frage nach, welchen Beitrag PR für die Funktionsweise von Öffentlichkeit und somit für Demokratien und pluralistische Gesellschaften leistet. Richtungweisend war die Arbeit von Ronneberger/ Rühl (1992). Wie die meisten späteren Autoren beziehen sich Ronneberger/Rühl auf die systemtheoretischen Überlegungen Luhmanns (vgl. insbesondere Luhmann 1984 und 1981), die in den 1980’er Jahren den soziologischen Diskurs in Deutschland dominierten. PR wird hierbei als funktionales Teilsystem moderner Gesellschaften konzipiert, deren spezifische Funktion in der „Herstellung und Bereitstellung durchsetzungsfähiger Themen“ (Ronneberger/Rühl 1992, S. 297) bzw. in der „Durchsetzung von Themen durch Organisationen auf Märkten mit der Wirkungsabsicht, öffentliches Interesse (Gemeinwohl) und öffentliches Vertrauen zu stärken“ (ebd., S. 283) 74 liegt .
Vergegenwärtigt man sich die Überlegungen zu den normativen Öffentlichkeitsansätzen, ist es grundsätzlich fraglich, ob PR einen Beitrag zur Erfüllung der normativ geforderten Funktionsweise von Öffentlichkeit leisten kann. Statt des öffentlichen Interesses ist ihre „primäre Wirkungsabsicht […] vielmehr darin zu sehen, dass sie zur Sicherung der Existenz ihrer auftraggebenden Organisationen beiträgt und in diesem Sinne partikulare Interessen von Organisationen optimal in der öffentlichen Kommunikation vertreten und platzieren will.“ (Röttger 2000, S. 33)75
Dem eigenständigen Systemcharakter von PR steht ihr Charakter als Auftragskommunikation entgegen (vgl. u.a. Jarren/Röttger 2004, S. 25, Röttger 2000, S. 20). Zudem konnte bis 73
74
75
1987 entwarf Pavlik einen Überblick über die US-amerikanische PR-Forschung. Die von ihm entwickelte Systematik blieb im groben bis heute erhalten. So geht die Systematik im populären Überblicksbuch von Heath (2001) nur punktuell weiter. Auch Bentele (2003) bezieht sich in seiner Kategorisierung auf Pavliks Systematik sowie auf die Überlegungen Signitzers (1990). Vgl. auch Löffelholz/Schwarz (2006). Die Autoren erwähnen neben der gesellschaftlichen Makroebene auch die ‚Mesoebene’ (in der das PR-Teilsystem Leistungen für andere gesellschaftliche Funktionssysteme erbringt) und ‚Mikroebene’ (PR als Analyseund Handlungssystem innerhalb von Organisationen, deren Aufgabe darin besteht, „PR-Handlungsbedarf zu ermitteln und entsprechende Lösungsvorschläge anzubieten.“ (Jarren/Röttger 2004, S. 25)) Dies lässt jedoch nur wenige Schlüsse auf organisationaler Ebene zu. Dies heißt nicht, dass nicht auch an Partialinteressen orientierte PR gesellschaftliche Funktionen erfüllen können. „Dabei handelt es sich aber nicht um intendierte Primärwirkungen, sondern ggf. um sekundäre Folgewirkungen.“ (Jarren/Röttger 2004, S. 25)
3.3 PR-Theorie
55
heute kein systemtheoretischer Entwurf das ‚Teilsystem PR’ plausibel von anderen publizistischen Teilsystemen (Journalismus, Werbung etc.) abgrenzen. Auch leidet der Theorieansatz an mangelnden Möglichkeiten empirischer Prüfung. Für die in dieser Arbeit verfolgte Perspektive auf konkrete PR-Handlungen bieten gesellschaftsorientierte Ansätze wenig Ansatzpunkte. „Die Konzeptionierung der PR als Teilsystem der öffentlichen Kommunikation und die gesellschaftsfokussierte Sichtweise der PR vernachlässigt systematisch den Blick auf die organisationalen Funktionszusammenhänge der PR. […] So heißt es lapidar, dass PR-Aufgaben ‚nach den Maßgaben der Programmatik des eigenen Hauses’ erfüllt werden.“ (Röttger 2000, S. 32, Bezug nehmend auf Ronneberger/Rühl 1992, S. 267, Interpunktion angepasst).
Daher wird sich in Folge organisationsorientierten PR-Ansätzen zugewendet. Zuvor soll jedoch noch auf eine weitere Kategorisierung vorhandener PR-Ansätze hingewiesen werden, die hinsichtlich der Argumentation in dieser Arbeit interessant ist: So differenziert Röttger (2000) die vorhandenen PR-Ansätze in systemtheoretische Ansätze einerseits und handlungstheoretische Ansätze andererseits. Diese Kategorisierung wird verständlicher, wenn wir uns mit dem Stand der organisationsorientierten PR-Theorie befassen. 3.3.2 Organisationsorientierte PR-Ansätze: Excellence-Forschung Organisationsorientierte PR-Ansätze gehen der Frage nach, welche Funktion PR für Organisationen erfüllt und wie deren Realisierung durch zielgerichtetes Handeln optimiert werden kann. Im Gegensatz zu betriebswirtschaftlichen Ansätzen beziehen sie sich auf alle Formen gesellschaftlicher Organisationen: auf Regierungs- und Nicht-Regierungsorganisationen, auf profitorientierte und nicht-profitorientierte Organisationen, auf Regierungen, Parteien, Verwaltungen, Schulen, Vereine, Aktivistengruppen, Stiftungen ebenso wie auf Unternehmen als „jene Wirtschaftseinheiten, die Güter der Fremdbedarfseckung produzieren und verteilen, um Gewinne zu erzielen“ (Zerfaß 2004, S. 240), auf die sich in Folge konzentriert wird76. Im Gegensatz zur deutschen PR-Forschung, in der erst seit den 1990er Jahren und bisweilen noch recht zaghaft organisationsorientierte Überlegungen angestellt werden77, hat dies in der US-amerikanischen Forschung eine längere Forschungstradition. 1985 gab die ‚International Association of Business Communicators’ (IABC)78 eine grundlegende Studie in Auftrag, welche sich unter dem Schlagwort ‚Excellence Project’ zum Kristallisations-
76 77
78
Eingeschränkt lassen sie sich auch auf Personen anwenden. In einem aktuellen Beitrag zum Stand der organisationsbezogenen Ansätze führt Szyszka (2005) die wichtigsten Arbeiten in Deutschland auf, in denen sich Überlegungen zur PR von Organisationen finden lassen. Diese unterteilt er in Arbeiten, in denen sich 1) erste Bezüge erkennen lassen: Hundhausen (1969 und 1951) und Ronneberger (1977); 2) deutliche Organisationsbezüge finden lassen: Faulstich (1992) bzw. Knorr (1984), Theis (1992), Merten (1992) und Bentele (1994 und 1994a). 3) nennt er Arbeiten, die sich ausdrücklich mit dem Kommunikationsmanagement als Organisationsfunktion auseinandersetzen, nämlich jene von Zerfaß (1996/ 2004), Röttger (2000) und Szyszka (2004). Dies zeigt den defizitären Forschungsstand und die geringe Zahl an Ansätzen, die sich explizit auf das Kommunikationsmanagement beziehen. Vgl. zu aktuellen Studien und Forschungsprojekten der IABC www.iabc.com.
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3 PR-Theoretische Grundlagen
punkt der anglo-amerikanischen PR-Forschung entwickelte79 und sich auf der Basis interdisziplinärer Literaturstudien und mehrstufiger empirischer Erhebungen der grundlegenden Frage nach dem Beitrag von Kommunikation für den Organisationserfolg widmet. „Die Effektivitätsfrage lautet, wie, warum und in welchem Umfang Kommunikation dazu beiträgt, die Ziele einer Organisation zu erreichen. Die Exzellenzfrage will klären, wie die Kommunikationsfunktion organisatorisch ausgestaltet und die Öffentlichkeitsarbeit praktisch durchgeführt werden muß, damit eine bestmögliche Effektivität erreicht wird.“ (Zerfaß 2004, S. 62f, vgl. Grunig 1992, S. 3 und Grunig et al. 1996, S. 28f)
Die Studie des Forscherteams um James Grunig (u.a. David Dozier, Larissa Grunig, William Ehling, Fred Repper und Jon White) ist damit grundlegend normativ ausgerichtet (vgl. Grunig 1992, S. 21). Es wird angenommen, dass PR dann ‚excellent’ ist, wenn sie zur Effektivität von Organisationen, d.h. zur Erreichung der angestrebten Ziele, beiträgt. Diese Ziele stehen in Abhängigkeit zur Umwelt. Dabei nimmt man an, dass Organisationen nur effektiv sein können, wenn sie die Erwartungen und Ansprüche der relevanten Stakeholder berücksichtigen. Im Laufe der Zeit ist ein äußerst komplexes Gedankengebäude entstanden, von dem in Folge nur die relevantesten und prominentesten Aspekte umrissen werden. Erstes Ergebnis der Excellence-Forschung ist der ‚Excellence-Faktor’ – ein Set zwanzig zentraler Merkmale ‚excellenter PR’: „Die Merkmale betreffen zum einen die Kompetenzen der PR-Abteilung, die Übereinstimmung des Kommunikationsverständnisses seitens der internen Führungsschicht und der leitenden PRExperten und schließlich die Organisationskultur und -struktur.“ (Röttger 2000, S. 48, vgl. Dozier et al. 1995, S. 7)
Diese werden in einen theoretischen Bezugsrahmen gestellt, der PR als Organisationsfunktion konzipiert und sich bemüht, die Funktion von PR für Organisationen und innerhalb des Managementsystems zu verdeutlichen80. Hierzu greifen Grunig und seine Kollegen (vgl. Cutlip et al. 2005, Grunig 1992, Pavlik 1987, Grunig/Hunt 1984) – anders als später die Vertreter einer gesellschaftsorientierten Sichtweise in Deutschland – auf die systemtheoretischen Überlegungen von Parsons (1971) und die strukturfunktionalistische Organisationskonzeption von Katz/Kahn (1978, 1866) zurück. Sie folgen hiermit einem offenen Systemansatz, in dem die Organisationsumwelt als wichtigste Einflussgröße auf interne Prozesse verstanden wird (vgl. Cutlip et al. 2005, vgl. Kapitel 5.1.1). In diesem einfachen ‚Input-Throughput-Output-Modell’ (vgl. Theis-Berglmair 2003, S. 176f) nimmt PR als Teil des Management-Subsystems eine Vermittler- bzw. Grenzgängerfunktion (‚boundary role’) ein, deren wichtigste Funktion es ist „für Verständigung mit anderen organisationalen Subsystemen, sowie mit externen ‚publics’ zu sorgen.“ (Bentele 2003, S. 62, vgl. Szyszka 2005, S. 164f, Grunig/Hunt 1984, S. 9) 79
80
Zu einem aktuellen Überblick vgl. Toth (2006). Die überdurchschnittliche Rezeption der Ansätze Grunigs in den USA zeigen Morton/Lin (1995) und Pasadeos et al. (1999), die beide Grunig (bezogen auf die Zahl der Zitationen) als den führenden PR-Forscher ausweisen. Grunig führt das Ranking mit großem Abstand vor Dozier und Broom. Vgl. Wehmeier 2005, S. 281, Fßn. 1. Der PR wird als Subsystem des Management-Subsystems, das neben der Produktion, dem Vertrieb, dem Personalwesen und der Forschung und Entwicklung zentrale Subsystem einer wirtschaftlichen Organisation, konzipiert (vgl. Grunig/Hunt 1984, S. 8f, Wehmeier 2005, S. 282f).
3.3 PR-Theorie
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Als wichtigste Aufgabe der PR wird dabei der Umgang mit aktiven Anspruchsgruppen zur Vermeidung massenmedial ausgetragener Konflikte herausgestellt. In diesem Zusammenhang ist der Stellenwert zu verstehen, den die Excellence-Forschung symmetrischer, dialogischer Kommunikation einräumt. Die größte Resonanz fand die Excellence-Forschung weltweit im Hinblick auf den Entwurf von vier PR-Modellen (vgl. Grunig/Hunt 1984), nach denen PR prinzipiell praktiziert werden kann und faktisch praktiziert wird. Grundsätzlich unterscheiden sich die Modelle hinsichtlich der Kommunikationsrichtung (Einweg- versus Zweiwegkommunikation; vgl. Überlegungen zur Grundausrichtung von Kommunikation in Kapitel 2.1.3) sowie der angestrebten Wirkung (Überzeugung versus wechselseitiges Verständnis): 1.
2. 3.
4.
Im Publicity-Modell81 (einseitige, monologische Kommunikation) geht es einer Organisation nur darum, Aufmerksamkeit und Publizität zu erhalten, wobei kein hoher Wert auf die Wahrheit verbreiteter Inhalte gelegt wird, so dass das Modell mit Propaganda gleichgestellt werden kann. Wahrheit ist hingegen im Modell der Informationstätigkeit wesentlich, deren wichtigstes Ziel die (monologische) Informationsversorgung der Öffentlichkeit ist. Im Modell der asymmetrischen Kommunikation soll PR nicht nur informieren, sondern auch überzeugen. PR ist persuasiv angelegt und bezieht die Interessen relevanter Anspruchgruppen in die Konzeption von Kommunikationsmaßnahmen durch systematisch ausgewertete Feedbackschleifen mit ein. Das Modell der symmetrischen Kommunikation zielt darüber hinaus nicht nur auf Überzeugung, sondern auf Verständigung zwischen den beteiligten Akteuren ab. Die Kommunikation ist argumentativ ausgerichtet und erfolgt möglichst interpersonal und dialogisch. Dieses Modell stellt nach Grunig das ideale PR-Modell dar82.
Die vier Modelle wurden weitläufig rezipiert, diskutiert, empirisch zu validieren versucht und später um spieltheoretische Überlegungen erweitert83. Wehmeier (2005, S. 289f) weist darauf hin, dass einzig das Vier-Typen-Modell der Excellence-Forschung in Deutschland eine rege Diskussion erfährt. Ausgangspunkt für die breite Rezeption dürfte seiner Ansicht nach Signitzers Überblick (1988) über die US-Forschung sein, in dem er das Modell beschrieb. Dies wurde Anfang der 1990’er Jahre verstärkt diskutiert (vgl. u.a. Armbrecht/ Zabel 1994, Avenarius et al. 1993, Avenarius/Armbrecht 1992). Das Modell taucht in den gängigen Grundlagen- und Einführungswerken (u.a. Faulstich 2000, S. 29f, Merten 2000, S. 95f, Kückelhaus 1998, S. 107-115) sowie in zahlreichen Aufsätzen auf. Inhaltliche Anschlusskommunikation findet sich zudem bei Burkart, der in seinem verständigungsorientierten Ansatz (1992/2005) Anleihen bei Grunigs symmetrischer Kommunikation nimmt84, bei Merten (1997), der seine historisch-konstruktivistische Sichtweise der PR-Genesis auf 81 82 83 84
Die englischen Begriffe lauten: 1) press-agentry/publicity model, 2) public information model, 3) 2-way asymmetric model und 4) 2-way symmetric model. „I will propose that the two-way symmetrical model represents the most ethical and effective way to practice public relations – the best normative model.” (Grunig 1994, S. 70) Vgl. zum Einbezug spieltheoretischer Überlegungen u.a. Ehling/Dozier (1992), Grunig/Grunig (1992), Dozier et al. (1995), Grunig et al. (1996), Übersicht bei Zerfaß (2004) und Röttger (2000). Verständigung wird von Grunig dabei wesentlich schwächer konzipiert als von Burkart (1992; vgl. Bentele 1995 und zu einer aktuellen Auseinandersetzung Burkart 2005 sowie zu einer persönlichen Mitteilung von Grunig an Zerfaß unter Zerfaß 2004, S. 72, Fßn. 256).
58
3 PR-Theoretische Grundlagen
den Ausführungen von Grunig/Hunt aufbaut, sowie in der Arbeit zur dialogorientierten Unternehmenskommunikation von Bentele, Steinmann und Zerfaß (1996). Eine tiefer gehende kritische Auseinandersetzung mit den vier PR-Modellen sowie den Grundlagen der Excellence-Forschung lässt sich jedoch nur begrenzt finden (vgl. Zerfaß 2004, Avenarius 2000, Röttger 2000, Rolke 1999). Die kritische Betrachtung der US-amerikanischen Excellence-Forschung muss zunächst den Einsatz der US-Forscher für die PR-Thematik würdigen, deren Engagement im Hinblick auf die Auseinandersetzung mit PR in und für Organisationen weit über die bisherigen Forschungsanstrengungen in Deutschland hinausgehen. Auch ist die richtungweisende interdisziplinäre Ausrichtung positiv zu beurteilen. Kritisch ist jedoch anzumerken, dass es sich bei den ‚vier PR-Modellen’ im Grunde nicht um eine revolutionäre Entdeckung handelt, sondern die Modelle lediglich grundlegende kommunikationstheoretische Überlegungen widerspiegeln, ohne sich jedoch explizit mit kommunikationswissenschaftlichen Theorien auseinanderzusetzen85. Für die Erkenntnis, dass interpersonale, dialogische und auf Verständigung ausgerichtete Kommunikation ein besonders guter und nachhaltiger Weg zur Handlungs- und Interessenkoordination ist, hätte wohl auch ein Blick in die Sozialpsychologie oder einfach in den sozialen Alltag gereicht. Für die PR-Praxis haben die vier PRModelle eher eine normative Bedeutung, in dem sie Ehrlichkeit, Offenheit und Konsensorientierung in der ‚excellenten PR-Arbeit’ propagieren. Der Beurteilung von dialogorientierter PR als dem ‚Königsweg der Öffentlichkeitsarbeit’ muss dabei entgegengehalten werden, „dass PR-Arbeit immer dem Kosten-Nutzen-Prinzip unterliegt und entsprechend auch vom betrieblichen Aufwand her problemgerecht agieren muss, Dialogkommunikation also nur eine Handlungsoption der PR-Arbeit sein kann.“ (Szyszka 2005, S. 580)
Welche Auswirkungen zudem die konsequente Einbeziehung der Interessen von Anspruchsgruppen in die Unternehmensführung hätte, beschreibt Karmasin eindrucksvoll (2005). Zudem kann bemängelt werden, dass sich die Betrachtung der PR-Praxis nur sehr abstrakt auf den Kommunikationsstil bzw. die Ausrichtung der Kommunikation und weniger auf konkrete PR-Handlungen bezieht. Darüber hinaus zeigt die Realität der PR-Praxis, dass Anspruchsgruppenkommunikation zwar ein wichtiger, aber eben nur ein Teilbereich der PR ist (vgl. Kapitel 3.3.4). Des Weiteren wird das methodische Vorgehen der Excellence-Gruppe bemängelt. Hierzu gehören vor allem:
Die normative Herangehensweise, in der sich die angestrebte interdisziplinäre Ausrichtung eher als „additive Zusammenstellung jeweils passend erscheinender Wissenselemente unterschiedlicher Disziplinen“ (Röttger 2000, S. 51) erweist.
85
Zerfaß (2004, S. 70f) bemängelt dabei das, vor allem im Zusammenhang mit den vier PR-Modellen und der Konzeption von PR als Konfliktkommunikation evident werdende, zu kurz greifende Kommunikationsverständnis von Grunig et al. Daneben kritisiert er den Einbezug spieltheoretischer Überlegungen, da diese für die komplexen Konfliktsituationen der Kommunikation zu stark vereinfachen. Zu einer allgemeinen Kritik an der US-Forschung und deren negativen Einfluss auf die deutsche PR-Forschung vgl. den provokanten Aufsatz von Kocks (2004). Geradezu vernichtend ist dessen Auffassung von den Bemühungen der US-PR-Forscher: „Der Duktus aus Großmutters Kochbuch (‚Man nehme…’) mischt sich in diesen PR-Theorien mit einer Kompilation angelesenen Halbwissens und einem englischen Managementjargon.“ (Kocks 2004, S. 184, vgl. zu einer grundlegenden Kritik am amerikanischen Wissenschaftsverständnis auch Kunczik 1994, S. 234f).
3.3 PR-Theorie
59
Die mangelnde Offenlegung methodischen Vorgehens86. Mangelnde empirische Prüfung des normativ abgeleiteten Excellence-Faktors und der auf Basis historischer Überlegungen hergeleiteten vier PR-Modelle87.
Im Hinblick auf die Betrachtung Internationaler PR, also von PR in verschiedenen gesellschaftlichen Umfeldern, liegt die größte Problematik des Ansatzes jedoch in der mangelnden Klärung der Frage nach dem „Wechselspiel von struktureller Prägung und innovativer Gestaltung der Öffentlichkeitsarbeit. […] Diese Frage muß bislang offen bleiben, weil Grunig et al. das wissenschaftstheoretische Fundament ihrer Konzeption sehr widersprüchlich bestimmen. Sie setzen […] gleichzeitig auf handlungstheoretische und systemtheoretische Vorstellungen, ohne die damit aufschneidenden 88 Aporien zu bemerken.“ (Zerfaß 2004, S. 72 )
Auch Röttger weist auf diese grundlegende Problematik hin: „So beruht das Excellence-Konzept auf einer in sich widersprüchlichen theoretischen Basis. Erkennbar wird dies beispielsweise in der relativ unbekümmerten und nicht problematisierten Kombination systemtheoretischer und handlungstheoretischer Elemente.“ (Röttger 2000, S. 52)
Ein offenes Systemverständnis, wie es die Excellence-Gruppe verfolgt, weist der Umwelt einen determinierenden Einfluss auf Organisationen und deren Teilsysteme zu. Demnach können Organisationen, die mit „turbulenten, heterogenen und potenziell bedrohlichen Organisationsumwelten konfrontiert sind“ (Röttger 2000, S. 47) nicht entsprechend autonom reagieren. „Ebenso wie andere Strukturen, werden Kommunikationsnetzwerke ausschließlich als umweltdeterminiert betrachtet und nicht als durch menschliche Handlungen oder Zielsetzungen geprägt.“ (Theis-Berglmair 2003, S. 183)
Aus systemtheoretischer Perspektive wird somit von den konkreten Handlungen der Akteure abstrahiert89. Dies hat konzeptionell weit reichende Konsequenzen für Managementaktivitäten. „Wird der Zusammenhang zwischen menschlichen Handlungen und Systemstrukturen zugunsten von quasi automatisch bzw. anonym verlaufenden Anpassungsreaktionen des Systems ausgeklammert, lässt sich die Systemtheorie mit dem in westlichen Gesellschaften verbreiteten Bild 86
87
88 89
Röttger weist darauf hin, dass die Autoren der Excellence-Studie das Verfahren zur Ermittlung des Excellence-Faktors nicht oder nur kaum nachvollziehbar und überprüfbar offen legen (Röttger 2000, S. 52). Zudem bemängelt Röttger die Versuche, den Beitrag von PR in monetären Größen zu fassen sowie die implizite Konzentration auf ökonomische Organisationen (ebd., S. 52f). Da die theoretischen Überlegungen empirisch nur dahingehend geprüft werden, inwiefern die normativ vorgegebenen PR-Excellence-Kriterien in verschiedenen Organisationen erfüllt werden, bleibt deren grundsätzliche Validität ungeklärt, zumal die Vorstellung von einer für alle Organisationen optimale Gestaltung der PR-Binnenstruktur den zentralen Erkenntnissen der Organisationsforschung widerspricht, die darauf hinweisen, dass die optimale Organisationsstruktur nicht existiert. Vgl. auch Zerfaß 2004, S. 70, Fßn. 248. Der Begriff ‚Aporie’ bezeichnet die Unlösbarkeit eines philosophischen Problems. Dies gilt für strukturfunktionalistische wie für funktional-strukturelle Ansätze (vgl. Kapitel 5.1.1).
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3 PR-Theoretische Grundlagen
des ‚Machers’ und ‚Konstrukteurs’ von (Wirtschafts-)Organisationen, wonach bestimmte Systemergebnisse und -entwicklungen auf das effiziente Handeln der Unternehmensspitze und des Managements zurückzuführen sind“ (ebd.) nicht vereinbaren.
Zielgerichtete, geplante, systematische Management-Handlungen sind systemtheoretisch nicht vorgesehen, so dass eine systemtheoretische Fundierung grundsätzlich keine Betrachtung von konkreten, selbstbestimmten Handlungen erlaubt. Die mangelnde Berücksichtigung des in der Soziologie herrschenden Paradigmenstreits zwischen System- und Handlungsperspektive zeigt, dass die Excellence-Forschung – die bis heute in der theoretischen Konzeption die Überlegungen der offenen Systemtheorie mit der Handlungsebene verschränkt – enorme Defizite aufweist, „wenn es jenseits pragmatischer Handlungsempfehlungen um sozialtheoretisch und wissenschaftstheoretisch stimmige Konzeptionalisierungen geht.“ (Zerfaß 2004, S. 73)
Allerdings sieht Röttger hierin auch Gutes: „Trotz der grundlegenden Kritik am theoretischen Fundament des Excellence-Ansatzes, ist die ihm zugrunde liegende Idee, Public Relations organisationsbezogen unter Berücksichtigung des Spannungsfelds von Struktur und Handlung zu analysieren, zukunftweisend. Denn mit dieser Orientierung löst sich der Theorieentwurf von den jeweils einseitigen Beschränkungen sowohl systemtheoretischer als auch handlungstheoretischer Konzepte der Öffentlichkeitsarbeit. Allerdings verlangt dies nach einem theoretischen Konzept, das in der Lage ist, die Dimensionen von Struktur und Handlung schlüssig zu integrieren. Die im Kontext der Excellence-Studie vollzogene Praxis, punktuell auf handlungs- oder systemtheoretische Wissenselemente zurückzugreifen, kann diesem Anspruch keinesfalls genügen.“ (Röttger 2000, S. 54, Hervorhebungen von JK)
Der Vorwurf Röttgers system- und handlungstheoretische Überlegungen unkritisch miteinander zu verknüpfen lässt sich auch auf die vereinzelten Versuche deutscher PRTheoretiker, PR nicht als eigenes gesellschaftliches System, sondern als System-UmweltInteraktion zu begreifen (Knorr 1984, Faulstich 199290), beziehen (vgl. Szyszka 2005, S. 165f, Röttger 2000, S. 34f). 3.3.3 Plädoyer für eine strukturationstheoretische Herangehensweise Das Patt der vorhandenen PR-Ansätze (vgl. Röttger 2000) lässt nach einer theoretischen Neuorientierung suchen, die Theis erstmals 1992 andachte. Mit ihrer grundsätzlichen Forderung, Erkenntnisse der Organisationsforschung für die PR-Theorie fruchtbar zu machen (Theis 1992, vgl. zuletzt Theis-Berglmair 2005), regte sie die Suche nach sozialtheoretischen Konzepten an, die die Kluft zwischen system- und handlungstheoretischen Ansätzen zu überbrücken vermögen. Hierfür bieten sich vor allem die Überlegungen des englischen Soziologen Anthony Giddens an, der sich in seiner Theorie der Strukturierung explizit der Verschränkung von Handlung und Struktur widmet. 90
Knorrs Überlegungen (1984) wurden aufgrund des wenig nachvollziehbaren Versuchs einer mathematischen Darstellung des Beitrags von PR zur Steuerung von System-Umwelt-Beziehungen nur wenig rezipiert. Faulstich griff die Überlegungen später (1992) auf.
3.3 PR-Theorie
61
Strukturationstheoretische Überlegungen fanden in der deutschen PR-Forschung erstmals91 in der bereits zitierten Arbeit von Ansgar Zerfaß (1996/2004), später vor allem in den Arbeiten von Ulrike Röttger (2000, 2005) und Anke Zühlsdorf (2002) Eingang92. Aufgrund des Potenzials dieser Ansätze, den Zusammenhang zwischen Handlungen und Struktur systematisch aufzuzeigen, scheinen sie für eine Auseinandersetzung mit Internationaler PR – für die Betrachtung konkreter PR-Handlungen von Unternehmen in für sie fremden gesellschaftlichen Strukturen – besonders geeignet. So soll den Anregungen der genannten Autoren gefolgt und Internationale PR in dieser Arbeit auf strukturationstheoretischer Basis betrachtet werden. Hierzu werden zunächst die Überlegungen Zerfaß aufgegriffen, die an die öffentlichkeitstheoretischen Überlegungen des vorangegangenen Kapitels anschließen. 3.3.4 Organisationsorientierter PR-Ansatz von Zerfaß 1996 legte Ansgar Zerfaß mit seinem organisationsorientiertem PR-Ansatz Unternehmensführung und Öffentlichkeitsarbeit den, mit den Worten Szyszkas, „neben Ronneberger/Rühl einzigen umfangreichen Theorieentwurf“ (2005, S. 169) der deutschen PR-Forschung vor. In diesem versucht er, „eine managementbezogene Funktion integrierter Kommunikationspolitik als ‚unverzichtbaren Bestandteil der strategischen und operativen Unternehmensführung’ auszuweisen (1996: 290) und damit die z.B. von Grunig/Hunt aufgerissene Einordnung von Public Relations-Aktivitäten als Kommunikationsmanagement substanziell zu untermauern.“ (Szyszka 2005, S. 169)
Hierzu verknüpft Zerfaß sozialtheoretische Überlegungen (u.a. strukturationstheoretischer Ansatz von Giddens93) mit kommunikationstheoretischen und betriebswirtschaftlichen Überlegungen und zeichnet eine grundlegende Theorie der Unternehmenskommunikation auf. Er betont die bereits erwähnte Funktion der Unternehmenskommunikation, durch die Durchsetzung von Situationsdeutungen partikulare Unternehmensinteressen in öffentlichen Sphären zu vertreten, worin er einen strategischen Erfolgsfaktor für Unternehmen sieht94. Zu den für Unternehmen relevanten öffentlichen Sphären (bzw. darin befindlichen Akteuren) zählt er nicht nur die Marktöffentlichkeit (also Akteure, zu denen konkrete Transakti91 92 93 94
Theis erwähnte bereits die Überlegungen Giddens und formulierte erste Anregungen (Theis 1992, S. 28). Auch Herger (2004) stellt diesbezügliche Überlegungen an. Weitere Überlegungen zur Verbindung systemund handlungstheoretischer Perspektiven stammen von Rolke (2002), der sich hiermit der heftigen Kritik von Kocks stellen musste (2004). Auch Jarren/Röttger (2004) folgen systemtheoretischen Überlegungen. Neben Giddens nimmt er Bezug auf Peters 1993 und Überlegungen des methodischen Konstruktivismus nach Kamlah, Lorenzen und Kambartel. Vgl. Zerfaß 2004, S. 11, S. 19. Zerfaß geht davon aus, dass das betriebswirtschaftliche Formalziel der Gewinnmaximierung grundsätzlich mit der Entwicklung und Durchsetzung einer Unternehmensstrategie verwirklicht wird. Hierunter versteht man die „Entscheidungen darüber […], in welcher oder welchen Domänen (Branchen, Märkte) eine Unternehmung tätig sein soll, und welche Handlungsweisen und Ressourcenverwendungen zu wählen sind, um eine vorteilhafte Wettbewerbsposition zu erreichen.“ (Schreyögg 1984, S. 5, zitiert nach Zerfaß 2004, S. 241) Unternehmensstrategien definieren also, welche Waren oder Dienstleistungen wie und für wen produziert und angeboten werden sollen. Dabei ist wichtig, dass die Strategie sowohl im Markt als auch in anderen gesellschaftlichen Handlungsfeldern durchsetzbar ist, um langfristig erfolgreich zu sein. Die verschiedenen Sphären unterscheiden sich in der systematischen Verbindung zur Unternehmensstrategie, deren Durchsetzung die Kernaufgabe jeglicher unternehmerischer Tätigkeit ist.
62
3 PR-Theoretische Grundlagen
onsbeziehungen bestehen, z.B. Lieferanten und Kunden), sondern auch andere Sphären, in denen Akteure Ansprüche gegenüber dem Unternehmen haben (vgl. Zerfaß 2004, S. 279298). Wie bereits in Kapitel 3.1 erläutert, unterscheidet Zerfaß relevante Akteure grundsätzlich in: 1. 2. 3.
Mitglieder der Unternehmen (interne Stakeholder, z.B. Kapitaleigner, Arbeitnehmer), Transaktionspartner (z.B. Lieferanten, Kunden) und Weitere Akteure, die keine formale Beziehung zum Unternehmen haben und auf die sich PR seiner Konzeption nach bezieht (vgl. Kapitel 3.1).
Die ‚weiteren Akteure’ lassen sich wiederum primär in drei verschiedenen Sphären verorten: In der 1) politisch-administrativen Sphäre wendet sich PR an Akteure des politischen Entscheidungssystems (Regierungen, Parlamente, Ministerien, Behörden etc.) und versucht, systematisch auf den Autorisierungsprozess für Rechtsnormen einzuwirken oder – über den Umweg politischer Meinungsführer und Entscheider – die öffentliche Meinungsbildung im Sinne des Unternehmens zu beeinflussen. In der 2) soziokulturelle Sphäre wendet sich PR an Akteure der Wissenschaft, der Religion und der Kunst sowie besonders an Akteure, die zwar keine direkte Beziehung zum Unternehmen, jedoch einen Anspruch gegenüber dem Unternehmen haben (Anspruchsgruppen; vgl. Kapitel 3.2.4/3.3.2). Hierzu zählen etwa Anwohner, Aktivisten, Mitglieder von NGOs etc. „Solchen lebensweltlich eingebetteten Aktivitäten kommt unter unternehmensethischen Gesichtspunkten eine zentrale Rolle zu, weil sie eine unmittelbare Thematisierung von Interessenund Wertkonflikten ermöglichen.“ (Zerfaß 2004, S. 303)
Zudem richtet sich PR direkt an die übergeordnete 3) gesellschaftspolitische Sphäre/ Öffentlichkeit, in dem sie sich an Akteure in deren Rolle als Bürger (insbesondere Meinungsführer) vor allem aber an Akteure des Mediensystems – Journalisten und Redakteure – richtet. PR zielt hierbei auf die sphärenübergreifende Kommunikation ab, die in allen Öffentlichkeiten (auch in der ökonomischen) wahrnehmbar ist. Im Rahmen dieser Überlegungen sei noch einmal explizit in Erinnerung gerufen, dass die verschiedenen Sphären nur analytisch voneinander getrennt werden können und zwischen ihnen hohe Interdependenzen bestehen. Dieselbe Person kann etwa in einer soziokulturellen Öffentlichkeit die Rolle eines Anwohners und gleichzeitig in der ökonomischen Sphäre die Rolle eines potenziellen Kunden oder in der Organisationsöffentlichkeit die Rolle eines Mitarbeiters innehaben. Auch können Themen, etwa aus soziokulturellen Sphären, direkt in die übergeordnete gesellschaftspolitische Öffentlichkeit gelangen und sich so allgemein auf die ökonomische Sphäre auswirken, etwa wenn ein skandaliertes Unternehmensverhalten in der nicht-ökonomischen Sphäre zu Boykotten von Kunden in der ökonomischen Sphäre führt oder – im umgekehrten Fall – indem vorbildliches unternehmerisches Engagement durch eine hohe Loyalität von Lieferanten, Kunden und (auf organisationaler Ebene) Mitarbeitern belohnt wird. So ist zu verstehen, dass sich viele PR-Handlungen (vor allem die Medienarbeit im Rahmen gesellschaftspolitischer PR-Strategien) indirekt auf die ökonomische Sphäre beziehen95. Auch werden Akteure, die in der Branche des Unterneh95
Vgl. z.B. Studien zur CSR-Forschung, u.a. Viehöfer et al. (2006), Bertelsmann-Stiftung (2005).
3.3 PR-Theorie
63
mens aktiv sind, als Fachöffentlichkeit den öffentlichen Kommunikationen des Unternehmens größere Beachtung schenken als die breite Öffentlichkeit. Im Mediensystem kommt es in diesem Kontext sogar zu Spezialisierungen, indem sich etwa Wirtschafts-/Finanzzeitungen besonders auf ökonomischen Themen ausrichten oder sich Fachmedien auf eine Branche konzentrieren. In den verschiedenen Sphären kommunizieren Unternehmen jeweils mit dem Ziel, Situationsdeutungen zu beeinflussen und so ihre Unternehmensstrategie durchzusetzen bzw. diese mit den Interessen/Handlungen der jeweiligen Akteure abzustimmen96. PR lässt sich demnach in drei Teilbereiche untergliedern, in denen jeweils unterschiedliche Strategien zum Einsatz kommen. Diese bezeichnet Zerfaß als 1. Strategien der Anspruchsgruppenkommunikation (wie etwa in der Excellence-Forschung, der verständigungsorientierten Öffentlichkeitsarbeit (Burkart 1992/2005) oder der dialogorientierten Unternehmenskommunikation (Bentele et al. 1996) angedacht), 2. Public Affairs-Strategien (zur Kommunikation mit politisch-administrativen Öffentlichkeiten)97 und 3. Gesellschaftspolitische Strategien, wozu vor allem die Medienarbeit zählt. Grafisch lassen sich die Überlegungen folgendermaßen darstellen:
Abbildung 11: Konzeption der Teilbereiche der Unternehmenskommunikation und von PR. Nach Zerfaß 2004, S. 305. 96 97
Vgl. hierzu vertiefend die von Zerfaß (2004, S. 319-384) auf dieser Basis entworfene PR-Managementkonzeption, die dem klassischen PR-Managementzyklus (Analyse, Planung, Realisierung, Kontrolle/Analyse) folgt. Die Wahrnehmung von Public Affairs-Aufgaben ist in Unternehmen sehr unterschiedlich organisiert. Teilweise fällt sie, wie hier konzipiert, in den Bereich Unternehmenskommunikation/PR, teilweise ist sie jedoch auch in anderen Bereichen verortet. Die Durchführung von Public Affairs-Maßnahmen gewinnt in Deutschland zunehmend an Bedeutung. So haben bereits über 100 Unternehmen Firmenrepräsentanzen in unmittelbarer Nähe der Regierung in Berlin (vgl. Leif/Speth 2006, S. 22).
64
3 PR-Theoretische Grundlagen
Die Kommunikation kann dabei jeweils in den verschiedenen erläuterten Foren-Typen (episodische Begegnungen, Präsenzveranstaltungen, kontrollierte Medien, begrenzt: abstrakte Medien, vgl. Kapitel 3.2.3) erfolgen. Dies ergibt folgende Darstellung, wobei die Rechtecke die unterschiedlichen Kommunikationssphären/Arenen mit den darin befindlichen Akteursgruppen (weiße Rechtecke), die Ellipsen die unterschiedlichen Foren-Typen und die Pfeile die in Raum und Zeit lokalisierbaren Kommunikationsprozesse beschreiben (wobei Pfeile mit voller Spitze dem direkten Einflussbereich der PR unterliegen):
Abbildung 12: Teilbereiche der PR. Arenen und Foren im Überblick. Nach Zerfaß 2004, S. 353. Während episodische Begegnungen, Präsenzveranstaltungen und kontrollierte Medien in allen Arenen anzutreffen sind, nehmen die Massenmedien eine Sonderrolle ein, da sie grundsätzlich für alle zugänglich und übergreifend sind. Die Grafik lässt den prinzipiellen
65
3.4 PR-Handlungen in verschiedenen Arenen und Foren
Facettenreichtum und die vielfältigen Wechselwirkungen der PR-Arbeit erkennen. Vor allem in den Massenmedien der übergeordneten gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit findet ein reger Austausch zwischen den verschiedenen Akteuren statt, weshalb PR-Akteure der klassischen Medienarbeit in der Regel einen besonders hohen Stellenwert einräumen. „Die meisten Interaktionsprozesse verlaufen freilich über das intermediäre Feld der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit, bei dem die Massenkommunikation und damit die Vermittlungsfunktion der Medienkommunikatoren eine zentrale Rolle spielt.“ (Zerfaß 2004, S. 354)
Um verschiedene Akteure zu erreichen, bieten sich dementsprechend zwei grundsätzliche Stoßrichtungen an, die in der Regel kombiniert und einander ergänzend angewendet werden: Entweder durch die direkte Ansprache von Akteuren oder über den Umweg der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit bzw. des Mediensystems. Im ersten Fall werden Bürger/Meinungsführer, Akteure der soziokulturellen Öffentlichkeiten oder des politischen Entscheidungssystems direkt angesprochen bzw. wird das Unternehmen von diesen direkt kontaktiert. Im zweiten Fall richtet sich das Unternehmen über das Mediensystem an die verschiedenen gesellschaftlichen Akteure bzw. wird das Unternehmen durch das Mediensystem angesprochen (z.B. wenn es soziokulturellen Akteuren gelingt, ihre Ansprüche gegenüber dem Unternehmen in den Medien zu platzieren). In diesem Fall sind die PRAkteure auf die Handlungen von Medienakteuren (Journalisten, Redakteure) angewiesen, die darüber entscheiden, welche Kommunikationsinhalte in den Medien wie erscheinen. 3.4 PR-Handlungen in verschiedenen Arenen und Foren Aus der Kombination der verschiedenen Arenen- und Foren-Typen lassen sich zehn Typen potenzieller Handlungsräume für PR unterscheiden98. Foren-Typen
Foren der Kopräsenz
Mediale Foren
Episodische Begegnungen
Präsenzveranstaltungen
Kontrollierte Medien
Massenmedien
Gesellschaftspolitische Öffentlichkeit/ Mediensystem
1
4
7
10
Soziokulturelle Öffentlichkeiten
2
5
8
Politisch-administrative Öffentlichkeiten
3
Arenen-Typen/ Öffentlichkeiten
(-) 6
9
Abbildung 13: (Tabelle): Potenzielle Handlungsräume für PR. Eigene Darstellung. 98
Es ist noch einmal zu betonen, dass es sich um Arenen-Typen handelt. In der Praxis können PR-Handlungen in vielen unterschiedlichen gesellschaftspolitischen/medialen, soziokulturellen oder politisch-administrativen Arenen mit jeweils spezifischen Strukturen stattfinden. Giddens Überlegungen vorwegnehmend (vgl. Kapitel 5.2), lassen sich hierbei jedoch gewisse wiederkehrende, routinierte Strukturmomente identifizieren, die allgemeine Gültigkeit für alle empirischen Ausprägungen eines Typs haben.
66
3 PR-Theoretische Grundlagen
In den verschiedenen Handlungsräumen bestehen unterschiedliche Grundstrukturen, aufgrund derer sich typische PR-Handlungen in den verschiedenen Räumen voneinander unterscheiden (vgl. Kapitel 6). Hierzu lassen sich erste grundlegende Überlegungen festhalten (vgl. neben Zerfaß 2004 auch Röttger 200099). Das soziokulturelle Handlungsfeld (2, 5, 8) zeichnet sich nach Röttger durch eine vergleichsweise hohe Heterogenität der Akteure aus: Von mehr oder weniger informellen Gruppierungen bis zu hoch formalisierten Verbänden und Initiativen. Obwohl PR als Auftragskommunikation primär den Werten, Normen und der Logik der auftraggebenden Organisation verpflichtet ist, muss sie sich für den Aufbau langfristig stabiler Beziehungen zu relevanten Bezugsgruppen „zudem an den Werten, Normen und Logiken der Bezugs- und Anspruchsgruppen orientieren und Anpassungsleistungen sowohl von Seiten der Organisation als auch der Bezugsgruppen initiieren.“ (Röttger 2000, S. 341)
Kennzeichnend für das politisch-administrative Handlungsfeld (3, 6, 9) ist das Gewaltmonopol des Staates bzw. von staatlichen Vollzugsorganen, die mit erheblichen autoritativen Ressourcen ausgestattet sind. In der politisch-administrativen Sphäre kommen Public Affairs-Strategien zum Einsatz. Hierunter fallen neben dem kontinuierlichen Monitoring von Themen- und Diskursentwicklungen in der politisch-administrativen Sphäre vor allem Strategien und Techniken zur Beeinflussung der politisch-administrativen Agenda sowie von Entscheidungen über rechtliche Rahmenbedingungen (Aufbau persönlicher Kontakte, Bereitstellung von Informationen wie Grundsatzpapiere, Argumentationshilfen, Statistiken bis hin zu Gesetzesentwürfen, vgl. vertiefend Leif/Speth 2006). In Bezug auf die gesellschaftspolitische Arena (1, 4, 7, 10) hebt Röttger die Anforderungen an das Fachwissen und die Fähigkeiten von PR-Praktikern, die Kommunikationsbeziehungen zu Medienakteuren und anderen öffentlichen Akteuren herstellen und gestalten zu können, als besonders wichtige Herausforderung hervor (2000, S. 173-178). Dieses umfasst „unter anderem genaue Kenntnisse der Handlungslogik der Medien, die Fähigkeit, auf der Basis einer kontinuierlichen Beobachtung des Medien- und Meinungsmarktes The100 men zu bewerten, zu interpretieren und zu veröffentlichen , um letztlich Wahrnehmungsmuster, Meinungen und Einstellungen zu verändern.“ (Röttger 2000, S. 176, vgl. auch ebd., S. 341)
Potenzielle PR-Handlungen in den verschiedenen Foren-Typen lassen sich grundlegend wie folgt näher beschreiben.
99
Bezug nehmend auf Schneidewind (1998, S. 210) unterscheidet Röttger organisationsexterne Handlungsfelder von Organisationen in die vier Arenen Markt, Politik, soziokulturelles Handlungsfeld und Öffentlichkeit (vgl. Röttger 2000, S. 165-167). 100 Bzw. zu verheimlichen. In diesem Kontext weist Röttger darauf hin, dass die Veröffentlichung von Themen immer auch die Entscheidung der Nicht-Veröffentlichung/Geheimhaltung von Themen beinhaltet. „PR verfolgt in diesem Sinne sowohl Strategien der Thematisierungs- als auch Dethematisierung.“ (Röttger 2000, S. 176, Fßn. 108 unter Verweis auf Westerbarkey 1995 und Theis 1992).
3.4 PR-Handlungen in verschiedenen Arenen und Foren
67
3.4.1 PR-Handlungen in episodischen Begegnungen (1-3) Kopräsenz, dialogische Grundausrichtung, eine gewisse Spontaneität und ein geringer Organisationsgrad sowie eine begrenzte Teilnehmerzahl sind wesentliche Merkmale episodischer Begegnungen. Im Rahmen der PR-Arbeit suchen PR-Akteure den direkten Kontakt zu Personen der unterschiedlichen Öffentlichkeiten (vgl. nachfolgend Zerfaß 2004, S. 373f): zu Vertretern des Mediensystems (Journalisten, Reporter) und Meinungsführern, zu Akteuren des politischen Entscheidungssystems (Politiker, Beamte, Parteimitglieder) und zu Repräsentanten relevanter Anspruchsgruppen (Anwohner, Aktivisten, Wissenschaftler, Funktionäre etc.). Dies führt langfristig zum Aufbau eines persönlichen Beziehungsnetzwerks, das die jederzeitige Kontaktaufnahme mit relevanten Ansprechpartnern ermöglicht. Die Etablierung eines persönlichen Netzwerks, in der die Beteiligten durch konkrete gemeinsame Erfahrungen gegenseitiges Vertrauen aufbauen und ihre Situationsdeutungen und Handlungspläne miteinander abstimmen können, ist von zentraler Bedeutung für eine erfolgreiche PR. In einer Umfrage von Baerns/Klewes (2000) gaben 35% der Befragten an, dass der Aufbau extrem guter Beziehungen zu Bezugspersonen eine der wichtigsten Eigenschaften von PR-Führungspersonen ist101. Aufgrund der hohen Variabilität und Flüchtigkeit, können PR-Handlungen in episodischen Begegnungen nur schwer theoretisch beschrieben und empirisch untersucht werden. Grundsätzlich haben die Beteiligten die Möglichkeit, einander direkt wahrzunehmen, aufeinander einzugehen und den Kommunikationsprozess (wenn notwendig metakommunikativ) miteinander abzustimmen. Das Augenmerk der PR liegt zunächst auf der Initiierung persönlicher Gespräche und dann auf der Gesprächslenkung hinsichtlich des Ziels, bestimmte Situationsdeutungen zu beeinflussen. Der konkrete Verlauf von Kommunikationsprozessen kann nur begrenzt geplant und vorstrukturiert werden, so dass der persönlichen kommunikativen Kompetenz der beteiligten Akteure ein besonders hoher Stellenwert zukommt (vgl. Kapitel 6.2.4). 3.4.2 PR-Handlungen in Präsenzveranstaltungen (4-6) Im Vergleich zu episodischen Begegnungen zeichnen sich Präsenzveranstaltungen durch eine raumzeitliche und thematische Fixierung aus (vgl. nachfolgend Zerfaß 2004, S. 365-373). Unternehmen nehmen solche Foren für ihre Öffentlichkeitsarbeit in Anspruch, wenn sie 1. 2.
Veranstaltungen anderer Akteure für sich instrumentalisieren (etwa durch die Teilnahme an Messen, Bürgerfesten oder politischen Debatten) oder selber Veranstaltungen organisieren.
Dies kann in vielfältigen Formen erfolgen, etwa durch die Organisation themenspezifischer Events (z.B. Pressekonferenzen, Diskussionsrunden, Informationsveranstaltungen), einen Tag der offenen Tür oder langfristige Einrichtungen, in denen das Unternehmen fortlaufend 101 Dies liegt hinter dem Aufbau guter Beziehungen im Unternehmen (interne Organisationskommunikation) mit 56% und dem Effektiven Transport von Botschaften nach außen (53%) an dritter Stelle. Gefragt wurde nach den wichtigsten Eigenschaften von PR-Führungskräften, wobei jeweils drei Nennungen möglich waren (vgl. Baerns/Klewes 2000, zitiert nach Rolke 2005, S. 442f). Auch Zerfaß sieht im Aufbau und der Nutzung sozialer Netzwerke einen zentralen Erfolgsfaktor, da hiermit ein Gegenpol zur wenig gut beeinflussbaren Meinungsbildung in (massen-)medialen Foren entsteht (Zerfaß 2004, S. 374).
68
3 PR-Theoretische Grundlagen
mit interessierten Kommunikationsteilnehmern kommuniziert (etwa der Informationsschalter der Bahn oder die Autostadt Wolfsburg von VW). Präsenzveranstaltungen stehen in der Regel nur einer begrenzten Anzahl von Personen offen, die sich gegenseitig wahrnehmen können. Grundsätzlich kann in 1. 2.
Monologische Präsenzveranstaltungen und Dialogische Präsenzveranstaltungen
unterschieden werden, in denen in unterschiedlichem Grad die Möglichkeit zur gegenseitigen Abstimmung gegeben ist. Monologische Präsenzveranstaltungen (etwa Vorträge, Ausstellungen) sind geeignet, klar definierte Botschaften zu kommunizieren und gezielt auf bestimmte Situationsdeutungen hinzuwirken. Anders ist dies bei dialogischen Präsenzveranstaltungen (etwa Diskussionsrunden mit Stakeholden oder teilweise Pressekonferenzen), in denen die Möglichkeit für einen kommunikativen Austausch und damit die Voraussetzung für einen Diskurs besteht. Hier können gemeinsam Situationsdeutungen erarbeitet und ggf. Handlungs- und/oder Interessenkonflikte gelöst werden. Die Durchführung von Präsenzveranstaltungen erfordert seitens der PR-Akteure vielfältige Überlegungen und planerische Handlungen, so dass PR-Akteure gehalten sind, strategisch abzuwiegen, welche Akteursgruppen und welche Themen durch welche Form von Präsenzveranstaltungen in die PR-Arbeit einzubeziehen sind. Insbesondere die Einbindung von Anspruchsgruppen in dialogische Präsenzveranstaltungen erfordert ein hohes Maß an logistischer und inhaltlicher Vorbereitung. Zudem ist es wichtig, Präsenzveranstaltungen in einem gewissen Ausmaß für die Anspruchsgruppen interessant zu gestalten, um sie zur Teilnahme zu motivieren. PR-Akteure sind hier gefordert, Gestaltungsfreiräume kreativ zu nutzen. Hinsichtlich der PR-Ziele, die durch die Präsenzveranstaltung erreicht werden sollen, müssen PR-Akteure zudem entscheiden, welche Themen wie und durch wen plattformspezifisch vorgebracht werden sollen. Zerfaß weist auf vielfältige Forschungsergebnisse zum Einsatz medialer Techniken, Rhetorik, Gestik und Mimik hin, die in diesem Kontext zum Einsatz kommen können. Wie bereits Grunig/Hunt (sowie Burkart 1992/2005 etc.) weist Zerfaß auf die Bedeutung argumentativer Dialogprozesse zwischen Anwesenden hin, die es ermöglichen, Konflikte mit Anspruchsgruppen zu klären, bevor diese in die gesellschaftspolitische Arena gelangen und durch den Aufbau vertrauensvoller Beziehungen zukünftige Konflikte und Krisen zu vermeiden102. Präsenzveranstaltungen haben nicht nur für die direkt beteiligten Akteure Bedeutung. Durch die Einbindung von Meinungsführern und Multiplikatoren des Mediensystems oder auch durch die anschließende Publikation der Verläufe und Ergebnisse von Veranstaltungen können Präsenzveranstaltungen Auswirkungen auf massenmediale Foren haben und weitere Akteure relevanter Öffentlichkeiten erreichen. Allgemein ist noch einmal festzuhalten, dass PR-Handlungen im Nahbereich – in episodischen Begegnungen und Präsenzveranstaltungen – besonders geeignet sind, langfristig Vertrauen zu relevanten Akteuren aufzubauen. Die persönliche Interaktionsform erlaubt den beteiligten Akteuren, direkte Erfahrungen miteinander zu sammeln und gemeinsame 102 In diesem Kontext unterscheidet Zerfaß in zwei unterschiedliche Aufgabenstellungen der Dialogkommunikation: 1) Konfliktlösung/-prävention und 2) kooperative Problembewältigung. Während es im ersten Fall um eine Handlungs- und Interessenkoordination geht, geht es im zweiten Fall lediglich um eine Handlungskoordination. Vgl. vertiefend – unter Nennung von Fallbeispielen – Zerfaß (2004, S. 367-371) sowie zur dialogorientierten Unternehmenskommunikation Bentele et al. (1996).
3.4 PR-Handlungen in verschiedenen Arenen und Foren
69
Situationsdeutungen sowie in unterschiedlichem Ausmaß die Lösung von relevanten Mittel- und Zielkonflikten zu verwirklichen. PR-Akteure sind nicht daran gebunden, technische Standards sowie mediale Selektions- und Verarbeitungsmechanismen zu beachten. Diese sind von zentraler Bedeutung für PR-Maßnahmen im Fernbereich. 3.4.3 PR-Handlungen in kontrollierten Medien (7-9) Unter PR-Handlungen in kontrollierten Medien sind kommunikative Maßnahmen zu fassen, die sich mit Hilfe technischer Medien an einen prinzipiell begrenzten und bekannten Adressatenkreis wenden (vgl. nachfolgend Zerfaß 2004, S. 363-365). Hierbei kann unter Nutzung bestehender Kommunikationsforen (Telekommunikationsnetz, Postsystem, Verbreitung von Printmedien, Radio, TV, Internet etc.) und Schaffung eigener Kommunikationsforen (Broschüren, Internetseiten etc.) unterschieden werden. Da die Erstellung kontrollierter Medien nicht dem Einfluss von Medienakteuren unterliegt, haben die PR-Akteure eine hohe Kontrolle über die kommunizierten Themen und deren Inhalte. In vielen Fällen (Broschüren, Mailings etc.) ist die Kommunikation monologisch angelegt, wobei je nach Kommunikationsmedium auch Rückkopplungsschleifen möglich sind. Insbesondere das Telefon sowie Email und das Internet ermöglichen auch zunehmend dialogische Kommunikationsformen. Für die Umsetzung medialer PR-Konzepte weist Zerfaß grundsätzlich auf zwei Aspekte hin (Zerfaß 2004 S. 364). Der erste betrifft die Wahl der technischen Plattform, deren Eigenschaften mit der situationsspezifischen Zielsetzung konkreter Maßnahmen korrespondieren müssen. Dabei ist der viel zitierten Aussage Marshall McLuhans zufolge bereits das Medium die ‚message’ (McLuhan 1967): Der Charakter verwendeter technischer Medien beeinflusst bereits den Kommunikationsprozess (eine innovative, technisch raffinierte Plattform sagt beispielsweise bereits etwas über die Innovationskraft eines Unternehmens aus). Der zweite Aspekt betrifft die Frage, welche Themen in welcher Weise kommuniziert werden. Neben inhaltlichen Überlegungen sind zudem gestalterische Aspekte zu beachten. 3.4.4 PR-Handlungen in Massenmedien (10) Wie PR-Handlungen in kontrollierten Medien, sind PR-Handlungen in Massenmedien – also die klassische Medien- bzw. Pressearbeit – abhängig von der bestehenden medialen Infrastruktur. Anders als bei kontrollierten Medien ist die Kontrolle der Kommunikationen durch die PR-Akteure jedoch nur begrenzt möglich, da das Mediensystem (sofern es sich nicht um bezahlte Anzeigen/Spots handelt, die den kontrollierten Medien zuzurechnen sind), konkreter die Akteure im Mediensystem, eine aktive Rolle im Vermittlungsprozess einnehmen (vgl. nachfolgend Zerfaß 2004, S. 360-363). Zudem sind die Rezipienten der massenmedial vermittelten Kommunikation nicht oder nur begrenzt bekannt, da das Mediensystem grundsätzlich allen Mitgliedern einer Gesellschaft offen steht und somit allen Interessenten zugänglich ist. Allerdings können Informationen zum typischen Rezipientenkreis eines bestimmten Massenmediums (z.B. Leserschaften einer Zeitung) einen Hinweis darauf geben, welche Akteure potenziell mit einem Medium erreicht werden. Massenmediale PR-Handlungen richten sich vor allem an Akteure des Mediensystems und versuchen, deren Aufmerksamkeit zu erhalten und ihre Situationsdeutungen so zu beeinflussen, dass kommunikative Inhalte derart in den Massenmedien veröffentlicht werden,
70
3 PR-Theoretische Grundlagen
dass sie mit den verfolgten Interessen des Unternehmens harmonisieren. Damit dies gelingt, sind Kenntnisse und die Berücksichtigung medialer Selektions- und Verarbeitungsmechanismen von existentieller Bedeutung. Zunächst spielt die Thematisierungsfunktion der Massenmedien eine wichtige Rolle. Unternehmen haben ein Interesse daran, dass spezielle Themen in den Medien diskutiert werden bzw. andere Themen nicht auf die mediale Agenda kommen. Um am AgendaSetting durch die Medien aktiv teilzunehmen, müssen PR-Akteure ihre Maßnahmen darauf ausrichten, mit relevanten Themen Zugang zum Mediensystem zu erhalten. Der Zugang zum Mediensystem erfolgt zum einen über den Kauf von Anzeigeflächen (kontrollierte Medien), zum anderen über die Redaktionen der Massenmedien, die auf verschiedene Art und Weise kontaktiert werden. Journalisten, Redakteure oder Moderatoren können einerseits direkt (in Form episodischer Begegnungen) oder indirekt (durch Einladung zu Präsenzveranstaltungen, vor allem zu Pressekonferenzen) angesprochen werden, andererseits können Informationen (kontrollierte Medien, vor allem Pressemitteilungen) an die Redaktionen oder an Nachrichtenagenturen gerichtet oder Medienereignisse inszeniert werden, die die redaktionelle Berichterstattung anstoßen sollen. Im ersten Fall handelt es sich wieder um kommunikative Maßnahmen im Nahbereich, im zweiten Fall um die restriktivere Kommunikation im Fernbereich. Damit endet in der Regel der Kontrollbereich der PRAkteure – wie die Akteure des Mediensystems die bereitgestellten Informationen und Themen verarbeiten und die kommunikativen Maßnahmen somit Eingang in die Massenmedien erhalten, können sie nicht mehr direkt beeinflussen. Jedoch können sie durch Berücksichtigung gewisser Aspekte die Chancen verbessern, dass die Inhalte im eigenen Sinne veröffentlicht und dargestellt werden (vgl. Kapitel 6.3.3.1). Ob etwa eine Pressemitteilung Zugang zum Mediensystem findet bzw. ob über ein inszeniertes Medienereignis berichtet wird, hängt von deren (subjektiv empfundenen) Nachrichtenwert ab, den Bentele als den „von PR- oder journalistischen Kommunikatoren zugeschriebene Wert, den Ereignisse haben müssen, um für PR- oder journalistische Medien als berichtenswert zu gelten und damit die ‚Schwelle’ zum ‚berichteten Ereignis’, d.h. zur publizierten Nachricht zu überschreiten“ (Bentele 2005, S. 695; vgl. auch Gerhards/Neidhardt 1991, S. 74-79) definiert.
Neben den Selektionsmechanismen, die über den Zugang zum Mediensystem und die Beeinflussung der Themenagenda entscheiden, spielen die Verarbeitungsmechanismen in einem bestimmten Mediensystem eine entscheidende Rolle für den Erfolg massenmedialer PR-Maßnahmen. Entscheidend ist hierbei, in welchen Rahmen (Frame) ein Thema eingeordnet wird, welche Aspekte des Themas in den Medien vertieft und wie diese von den Medienakteuren bewertet (d.h. tendenziell positiv oder negativ dargestellt) werden. Empirische Studien zeigen einen relativ hohen Zusammenhang zwischen den Vorleistungen von PR-Akteuren (formulierte Pressemitteilungen) und den veröffentlichten Medieninhalten, sofern es sich nicht um Krisensituationen oder gut recherchierte Beiträge handelt (vgl. vertiefend Baerns 1985, Bentele/Liebert/Seelig 1997 und Bentele 2005)103. Massenmediale PR-Konzepte müssen stets darauf bedacht sein, stimmig und glaubwürdig zu sein. Aus Unternehmensperspektive besonders wichtig ist hierbei die Übereinstimmung der kommunikativen Inhalte mit der tatsächlichen Realität des Unternehmens104. Die Verlässlichkeit der geäußerten Aussagen über einen längeren Zeitraum fördert den 103 Die zitierten Arbeiten beziehen sich auf Betrachtungen im westlichen Kulturkreis. 104 Vgl. Erkenntnisse der CSR Forschung u.a. Pommerening (2005), Viehöfer et al. (2006).
71
3.4 PR-Handlungen in verschiedenen Arenen und Foren
Aufbau von Vertrauen, welches wiederum die Durchsetzung von Interpretationsvorschlägen im Sinne des Unternehmens für die Zukunft begünstigt und den Aufbau eines positiven Images fördert. Die angestellten Überlegungen zeigen die Vielschichtigkeit möglicher PR-Handlungen (auch konzipierbar als PR-Instrumente) in den verschiedenen Handlungsräumen, die sich wie folgt zusammenfassen lassen. Foren-Typen
Arenen-Typen/ Öffentlichkeiten Gesellschaftspolitische Öffentlichkeit, Mediensystem Æ Gesellschaftspolitische PR-Strategien/ Medienarbeit
Soziokulturelle Öffentlichkeiten Æ Strategien der Anspruchsgruppenkommunikation
Politischadministrative Öffentlichkeiten Æ Public AffairsStrategien
Foren der Kopräsenz Episodische Begegnungen Persönliche Zusammentreffen mit Bürgern oder Akteuren des Mediensystems Æ Spontane Begegnungen, Interviews, Hintergrundgespräche etc.
Persönliche Zusammentreffen mit soziokulturellen Akteuren Æ Gespräche, Diskussionen etc.
Persönliche Zusammentreffen mit politischadministrativen Akteuren Æ Besprechungen, Hintergrundgespräche etc.
Mediale Foren
Präsenzveranstaltungen
Kontrollierte Medien
Veranstaltungen für Bürger oder Akteure des Mediensystems
Kontrollierte mediale Kommunikation mit Bürgern oder Akteuren des Mediensystems
Æ Tag der offenen Tür, Ausstellungen/ Pressekonferenzen, Roundtables, Kamingespräche mit Journalisten, Messeauftritte etc.
Æ Emails, Briefe, Informationen auf Internetseite, Informationsbroschüren, Pressemitteilungen etc.
Veranstaltungen für soziokulturelle Akteure
Kontrollierte mediale Kommunikation mit soziokulturellen Akteuren
Æ Nachbarschaftsfeste, Diskussionsrunden, Konfliktgespräche, Vortragsreihen etc.
Veranstaltungen für politischadministrative Akteure Æ Workshops, Kamingespräche, Diskussionsrunden, Vorträge etc.
Massenmedien
Nicht direkt kontrollierbare Medienberichterstattung in Presse, TV/Radio und Internet
Æ Emails, Briefe, Informationsschreiben, CSR-Berichte, Nachbarschaftszeitungen etc. Kontrollierte mediale Kommunikation mit politischadministrativen Akteuren Æ Emails, Briefe, Informationen, Grundsatzpapiere, Hintergrundinformationen, Argumentationshilfen, Gesetzesentwürfe etc.
Abbildung 14: (Tabelle): Systematisierung verschiedener PR-Handlungen in unterschiedlichen Arenen und Foren. Eigene Darstellung.
(-)
4.1 Entwicklung der Internationalen PR-Forschung in Deutschland
73
4 Internationale PR-Theorie
Muss man zum Stand der PR-Theorie grundsätzlich und zur organisationsorientierten PRForschung im Besonderen feststellen, dass diese noch recht fragmentarisch und rudimentär sind, so gilt dies noch viel mehr für die Internationale PR-Forschung. Obwohl Internationale PR als Sonderfall der PR im Rahmen der Globalisierung rasant an Bedeutung gewinnt, lassen sich hierzu nur wenige Arbeiten finden105. Die Einschätzungen von Pavlik aus den 1980er Jahren sowie von Henneke aus den 1990er Jahren gelten weitestgehend noch heute: “International public relations is one of the most rapidly growing areas of the profession, and one of the least understood.“ (Pavlik 1987, S. 64). Henneke charakterisierte den Forschungsstand zur Internationalen PR als „defizitär und vorwissenschaftlich“ und betonte, dass „er keine systematische Auseinandersetzung mit PR über den nationalen Aktionsraum hinaus erkennen lässt.“ (Henneke 1998, S. 11).
4.1 Entwicklung der Internationalen PR-Forschung in Deutschland Als erste umfassendere Auseinandersetzung mit IPR in Deutschland ist die Arbeit von Dornis zu nennen (1971), der an verschiedenen Stellen auf spezielle Aspekte länder- und kulturübergreifender Tätigkeiten internationaler Unternehmen eingeht. Danach gibt es erst in den 1990’er Jahren wieder nennenswerte Versuche, sich dem Untersuchungsgegenstand zu nähern: 1990 widmete sich Eggert der PR multinationaler Konzerne, 1992 verfasste Kunczik einen Aufsatz zur Internationalen PR als Forschungsfeld, 1995 stellten Henning/Zeindl Überlegungen über das globale Image von Mercedes-Benz und Kleebinder über die öffentliche Meinungsbildung in Europa zum Thema Mobilität an. 1998 verfasste Henneke eine leider wenig beachtete Dissertation zur Internationalen PR aus systemtheoretischer Perspektive, 1999 machte sich Achelis anlässlich Oeckls 90. Geburtstags Gedanken über die Chancen und Möglichkeiten Internationaler PR, im selben Jahr setzte sich Tak mit der PR einer internationalen Organisation im Urteil von Auslandskorrespondenten auseinander. Im neuen Jahrtausend erschien 2001 die praxisorientierte Arbeit von Johanssen/Steger über Strategien und Konzepte von Kommunikationsprofis in internationalen Märkten. 2004 folgten die wohl bisher anspruchsvollsten Ansätze von Andres und Huck. Im selben Jahr reflektierte Andres 105 Die PR-Bibliographie von Brauer (Stand April 2008) weist unter dem Schlagwort ‚internationale Öffentlichkeitsarbeit’ etwa 90 Titel auf, bei denen es sich überwiegend um kurze Beiträge handelt und von denen etwa die Hälfte deutschsprachig ist. Nur etwa 20 Titel lassen sich hiervon auf die PR von Unternehmen beziehen (vor allem im Gegensatz zu Beiträgen, die sich mit der PR von Staaten auseinandersetzen). Von diesen sind nur einige nach 1995 entstanden, von denen wiederum nur einige wissenschaftlich vorgehen. Eine von Huck/ Schaffranietz zusammengestellte Literaturauswahl zur Internationalen PR (2006) umfasst im Wesentlichen die in Folge genannten Arbeiten plus einige internationale Titel. Zu einer Übersicht zur Literatur im anglo-amerikanischen Raum vgl. PRSA (2005).
74
4 Internationale PR-Theorie
(2004a) – und 2006 Huck – ihre Überlegungen in Beiträgen zur Internationalen PR/Unternehmenskommunikation. Weitere nennenswerte Arbeiten sind die Dissertation von Ingenhoff zum Thema Corporate Issues Management in multinationalen Unternehmen (2004) sowie ein kürzlich erschienener Sammelband zur internationalen Unternehmenskommunikation von der Bertelsmann Stiftung (Langen/Sievert/Bell 2007)106. 4.2 Definition und Systematisierung Im aktuellen Handbuch der Public Relations (2005) sucht man bislang vergeblich nach einem Kapitel, das sich dem Thema ‚Internationale PR’ explizit widmet. Allerdings lässt sich im Lexikon des Handbuchs ein Abschnitt zum Stichwort Internationale Public Relations finden (vgl. Andres/Bentele 2005, S. 585f), welcher das Forschungsfeld folgendermaßen umreißt: Internationale PR wird grundlegend als „das Management von Informations- und Kommunikationsprozessen zwischen international tätigen Organisationen einerseits und ihren internen und externen Umwelten andererseits“ (ebd., S. 585) definiert.
Deutlich knüpft diese Definition – wenn auch unter explizitem Einbezug interner Umwelten – an die verfolgte PR-Definition von Grunig/Hunt an und erweitert diese um den Aspekt internationaler Tätigkeit. Im Hinblick auf das hier verfolgte PR-Verständnis nach Zerfaß wird Internationale PR folgend als das Management von Kommunikationsprozessen zwischen international tätigen Unternehmen und ihren gesellschaftlichen Bezugsgruppen verstanden. Andres und Bentele unterscheiden zudem zwischen zwei zentralen Forschungsbereichen: 1. 2.
die Internationale PR-Arbeit von Staaten (welche hier vernachlässigt wird) und die international ausgerichtete PR-Arbeit von Unternehmen/Organisationen.
Explizit grenzen sie von diesen beiden Bereichen der Internationalen PR-Forschung die (vor allem im angloamerikanischen Raum populäre) international vergleichende PR-Forschung ab, die „gelegentlich unpräzise auch als ‚Internationale PR’ bezeichnet“ (ebd., S. 585) wird und in der nationale PR-Berufsbilder beschrieben und verglichen werden (vgl. Kapitel 4.4). 4.3 Globale versus Internationale PR Bentele/Andres (2005) weisen auf die zunehmende Bedeutung Internationaler PR im Rahmen des Globalisierungsprozesses hin und unterscheiden ihrer Definition folgend zwischen internen und externen Aspekten. Als zentrale Frage der externen Internationalen PR thema106 Daneben beschäftigen sich das PR Magazin sowie der PR Report und PR Guide regelmäßig mit internationalen Themen. Die Deutsche Public Relations Gesellschaft (DPRG) hat einen eigenständigen Arbeitskreis für Internationale PR. Zudem kooperiert die DPRG mit ausländischen Verbänden, etwa dem europäischen Dachverband CERP, der Global Alliance for PR and Communications Management und dem 2006 gegründeten Netzwerk European Association of Communication Directors.
4.3 Globale versus Internationale PR
75
tisieren sie die Frage nach der Internationalen PR-Strategie. Dies ähnelt der Frage nach der internationalen Unternehmensstrategie in der Managementforschung (Unterscheidung zwischen Ethnozentrismus und Polyzentrismus, vgl. Kapitel 2.3.3) sowie der Standardisierungsdebatte in der internationalen Marketingforschung, die die Standardisierbarkeit von Marketingaktivitäten in unterschiedlichen Gesellschaften diskutiert. Dabei wird analog zur ethno/polyzentrischen Unterscheidung auf einem Kontinuum zwischen vollständiger Standardisierung einerseits und vollständiger Lokalisierung/Differenzierung andererseits unterschieden. Botan wandte diese Überlegungen bereits 1992 auf PR-Strategien an und unterschied idealtypisch zwischen einer ethnozentrischen/globalen und einer polyzentrischen/ internationalen PR-Strategie (Botan 1992, vgl. auch Schmidt 1997)107. Huck (2004, S. 18) stellt diese Sichtweisen grafisch folgendermaßen dar:
Abbildung 15: Internationale PR-Strategien. Nach Botan 1992 und Huck 2004, S. 18. Im Zentrum des Forschungsinteresses steht also die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen international standardisierter PR bzw. nach notwendigen Anpassungen (Lokalisierungen) in einem Gastland (vgl. Forschungsfragen von Lützler in Kapitel 1). In der BWL wurde diese Frage in den letzten Jahren für die Marketingkommunikation sehr intensiv diskutiert. Bevor sich der Frage nach Möglichkeiten und Grenzen der Standardisierung von PR zugewendet wird, soll daher ein Blick auf den Stand der betriebswirtschaftlichen Standardisierungsdebatte geworfen werden. 4.3.1 Zentrale Erkenntnisse der Standardisierungsdebatte im Marketing Der Standardisierungsgedanke der Marketingtheorie steht in der Tradition der Vorstellungen Marshall McLuhans’ vom globalen Dorf (1962) bzw. der Konvergenz-These Levitts’ (1983), denen (analog zur Homogenisierungsthese in der kulturellen Globalisierungsdebatte, vgl. Kapitel 2.3.6) gemein ist, dass sie von einer weltweiten Angleichung von Konsum- und Rezeptionsmustern ausgehen, die eine global einheitliche (Marketing-)Kommunikation erlaubt. 107 Schon vor Botan unterschied Anderson 1989 in Globale und Internationale PR. Auch Sharpe folgt 1992 dieser Unterscheidung. Zu einer Auseinandersetzung mit den verschiedenen Positionen der Autoren vgl. Grunig et al. 1996, S. 165f.
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4 Internationale PR-Theorie
„In den 80’er Jahren wurde diese Tendenz von Harvards Marketing-Guru Theodore Levitt mit dem Schlagwort der ‚Globalisierung der Märkte’ bedacht, und Werbefirmen wie die Londoner Brüder Saatchi & Saatchi sagten die globale Verbreitung und einheitliche Vermarktung einer wachsenden Anzahl standardisierter Produkte voraus.“ (Breidenbach/Zukrigl 1998, S. 43)
Dieser Wunschtraum der Marketingwelt resultierte in den 1980’er Jahren in einem wahren Boom global standardisierter Werbung, die sich jedoch meist als Flop entpuppte. Zwei markante Beispiele mögen dies verdeutlichen: 1.
2.
Classen/Howes berichten von einem Seifenproduzent, der versuchte, sein Produkt im Mittleren Osten zu bewerben. So wie im Westen üblich, zeigte der Werbespot die Gegenüberstellung eines schmutzigen Kleidungsstücks auf der linken Seite und eines sauberen auf der rechten Seite ohne zu bedenken, dass Araber von rechts nach links lesen und annehmen mussten, das Wachpulver würde die saubere Wäsche verschmutzen (vgl. Classen/Howes 1996, S. 184, nach Breidenbach/Zukrigl 1998, S. 44). In Puerto Rico scheiterten die Anstrengungen des Automobilkonzerns General Motors, der versuchte, dort das Automobilmodell Chevrolet Nova unter selbigem Namen einzuführen ohne dabei zu bedenken, dass ‚No va’ (Spanisch) übersetzt ‚geht nicht’ bedeutet und der Wagen so als wenig kaufwürdig erschien.
So setzte sich in den 1990er Jahren weitgehend die Erkenntnis durch, dass der globalen Standardisierung der Marketingkommunikation – ebenso wie der Standardisierung von 108 – enge Grenzen gesetzt sind. Die meisten Anbieter (westlicher) Produkte Produkten versuchen dem Lokalen immer stärker gerecht zu werden und ihre Angebote und Kommunikationen unterschiedlichen kulturellen Umfeldern anzupassen. Eine Notwendigkeit, die mit zunehmendem Wettbewerb mit lokalen Anbietern noch verstärkt wird. Den aktuellen Stand beschreiben Modena und Wagner wie folgt: „Derzeit passen die meisten weltweit operierenden Konzerne ihre Produkte/Marken mittels geeigneter Lokalisierungsstrategien an lokale Umfelder an; dieser Trend spricht für einen wachsenden Stellenwert der Bedeutung der cultural diversity in der internationalen Markenpolitik. Die symbolischen Variationen der globalen Marken in unterschiedlichen lokalen Umfeldern aufgrund der je nach Kultur unterschiedlichen Bedürfnisse und Bedeutungswelt der aufnehmenden Kulturen […] sind Beweis für die Fragwürdigkeit der These über die ‚Mc.Donaldisierung der Welt’ […].“ (Modena 2005, S. 12, Bezug nehmend auf Watson 1997, Miller 1998 und Ritzer 1993) „Wie notwendig die Verbindung des Ortsspezifischen mit dem Globalen ist, erfahren viele internationale Konzerne da schmerzhaft, wo sie die kulturellen Kontexte eines neuen Absatzmarktes für ihre Produkte ignorieren. Das reicht von Produktnamen über die Werbestrategien bis zum Design und den Verkaufsnormen. Nahezu alle großen, weltweit agierenden Konzerne umschrei-
108 Die Grenzen der Produktstandardisierung brachte ein Sprecher von Unilever im Hinblick auf unterschiedliche Konsumgewohnheiten bereits 1997 auf den Punkt: „Wir haben es redlich versucht, zum Beispiel mit Margarine. Die verkauft sich ganz gut in Europa und den USA. Aber nicht in Asien. Dort wird kein Brot gegessen, also wofür Margarine? Wir haben versucht, den Asiaten beizubringen, daß Brot köstlich schmeckt, und dabei gelernt, besser etwas zu verkaufen, was die Menschen gerne essen, anstatt sie zu bewegen, etwas zu essen, was wir gerne verkaufen.“ (Wirtschafswoche 1997, zitiert nach Breidenbach/Zukrigl 1998, S. 46)
4.3 Globale versus Internationale PR
77
ben inzwischen ihre Werbe- und Absatzstrategien mit ‚globale Lokalisierung’, ‚lokale Globalisierung’ oder ähnlichen Begrifflichkeiten.“ (Wagner 2002, S. 16f)109
Das Bewusstsein für die (bereits im Kapitel 2.3.6 beschriebene) Relevanz von kulturellen Unterschieden auch und gerade in einer globalisierten Welt hat sich in der Marketingtheorie und -praxis also weitgehend durchgesetzt. Dieser Trend gilt auch für Medienangebote, wie das Beispiel MTV zeigt: „Der Musiksender MTV als weltweit größter Anbieter musikalischer Popularkultur hat […] recht bald von seinem einheitlichen Sendekonzept und den für alle gleichen Videoclips Abstand nehmen müssen und erreicht seine Zuschauer von Brasilien bis Japan, Großbritannien bis Indien inzwischen mit 28 regionalspezifischen MTV-Sendern, welche die lokalen Besonderheiten berücksichtigen und die einheimischen Stars und Hits in entsprechender Zahl in das Programm einbauen.“ (Wagner 2002, S. 17)
4.3.2 Theoretische Möglichkeiten und Grenzen der Standardisierung von PR Wendet man sich wieder PR zu, so ergeben sich bereits durch die einfache Reflexion der bisherigen Überlegungen deutliche Grenzen einer international einheitlichen Kommunikation. Politisch-administrative Öffentlichkeiten unterscheiden sich stark von Staat zu Staat und erfordern grundsätzlich persönliche Kommunikationsaktivitäten, die nicht standardisiert werden können, sondern sich, im Gegenteil, durch einen hohen Grad an Individualität und Spezifität auszeichnen. Dies gilt auch für die Kommunikation mit soziokulturellen Anspruchsgruppen, die ihre Ansprüche an ein Unternehmen richten. Diese bilden sich in Abhängigkeit von konkreten Unternehmens-Handlungen und durch eine Betroffenheit heraus, welche häufig mit einer räumlichen Nähe zum Unternehmen einhergeht (Gemeinden, Anwohner etc.). Nur wenige Aktivistengruppierungen agieren global, die Mehrheit vertritt ihre Interessen auf lokaler, regionaler oder nationaler Ebene. Grundsätzlich steht das Ideal dialogischer Kommunikation für PR der Vorstellung von einer international standardisierten PR diametral entgegen. Auch nationale gesellschaftspolitische Öffentlichkeiten unterscheiden sich mitunter gravierend. Dies gilt vor allem für das Mediensystem, dessen Infrastruktur in verschiedenen Ländern unterschiedlich ausgeprägt ist und in dem internationale Medien nur eine Nebenrolle spielen. Der Zugang zum Mediensystem über Redaktionen und Journalisten erfordert das Wissen über die Struktur und die Regeln des speziellen Systems sowie ebenfalls interpersonale Kommunikationsaktivitäten (vgl. Kapitel 3.4.4). Die Möglichkeiten international standardisierter PR sind somit grundlegend auf einfache Informationsaktivitäten (etwa über internationale Nachrichtenagenturen), auf international verbreitete Medien (CNN, MTV etc.) sowie auf die Kommunikation mit global agierenden Aktivistengruppen (Greenpeace etc.) beschränkt. Zudem spielt Sprache in der PR eine wesentlich zentralere Rolle als in der Werbung, die noch versuchen kann, sich mit visuellen Gestaltungsmöglichkeiten über die Language Barrier hinweg zu setzen (wobei dies auch zu vielen Missverständnissen führen kann, da Gestaltungselemente in verschiedenen Kulturen äußerst unterschiedlich interpretiert werden 109 McDonalds beschreibt sich etwa als multilokale Firma und nimmt zahlreiche Anpassungen nationaler Produktpaletten nach kulturellen Vorlieben und Ernährungsregeln vor.
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4 Internationale PR-Theorie
können, vgl. Kapitel Abbildung 52). Überlegungen zur Internationalen PR-Strategie lassen sich somit nur sehr begrenzt – wie in der Marketingtheorie – auf die Ebene einzelner Kommunikationsaktivitäten beziehen, sondern können sinnvollerweise nur danach fragen, inwiefern strategische PR-Vorgaben vom Mutterunternehmen an das Tochterunternehmen gegeben werden und wie PR in den Gastländern organisiert wird, insbesondere bezüglich der zur Verfügung gestellten Ressourcen und die Besetzung von PR-Positionen vor Ort mit Einheimischen oder PR-Experten aus dem Heimatland. Andres/Bentele (2005, S. 586) unterscheiden auf dem Kontinuum zwischen ethno- und polyzentrischer PR vier idealtypische Strategie-Typen Internationaler PR: 1. 2. 3. 4.
eine zentralistische Strategie, wobei die Zentrale eine Strategie für alle Dependancen vorgibt, eine international-kooperative Strategie, in der die Internationale PR-Strategie von der Zentrale in Kooperation mit den Tochterunternehmen erarbeitet wird, eine Dachstrategie, in der die Zentrale ein Kommunikationsdach vorgibt, unter dem die Tochterunternehmen in den Gastländern nationale Anpassungen vornehmen und eine dezentrale Strategie, in der die Tochterunternehmen in den verschiedenen Gastländern autonom agieren und ihre PR-Strategie auf der Basis nationaler Rahmenbedingungen entwickeln und implementieren.
In einer diesbezüglichen Studie befragte Andres in Deutschland ansässige Unternehmen nach der Ausrichtung ihrer Internationalen PR-Strategie (Andres 2004, S. 228; vgl. auch Lützler 2007)110. Von den 57 antwortenden Unternehmen folgten 14 (25%) der Strategie Nr. 1, 12 (21%) der Strategie Nr. 2, 25 (44%) der Strategie Nr. 3 und 6 (11%) der Strategie Nr. 4. Fasst man die beiden mittleren Strategien Kooperation und Kommunikationsdach zwischen den Polen Zentralen-Vorgabe und freie Hand zusammen, so zeigt sich, dass 65 % eine Mischform verfolgen. 4.3.3 Internationale PR vom Heimatland aus und in Gastländern vor Ort Grundlegend können Internationale PR-Aktivitäten von Unternehmen vor dem Hintergrund der angestellten Überlegungen in Kommunikationsaktivitäten getrennt werden, die sich 1. 2.
von der Zentrale im Heimatland aus an ein internationales Publikum wenden und Aktivitäten, die sich von den jeweiligen Dependancen des Unternehmens in unterschiedlichen Gastländern an das Umfeld vor Ort wenden.
Eine solche Gliederung lässt sich bereits in der wenig beachteten deutschen Pionier-Arbeit der Internationalen PR-Forschung von Peter Dornis (1971) finden: Als Aufgaben der PR eines internationalen Unternehmens unterscheidet er zwischen der gesamt-internationalen Ausrichtung einerseits und der Entwicklung nationaler Konzeptionen zur Erreichung von 110 Andres (2004) bestätigt, dass die Globalisierung PR verändert hat: Die mediale Vernetzung/globale Pressearbeit/IPR gewinnt an Bedeutung (80% der befragten Unternehmen gaben an, dass IPR eine große oder sehr große Bedeutung für sie habe), der globale Austausch erfolgt schneller und intensiver, die Unternehmen werden internationaler und die Kommunikation mit internationalen Medien nimmt zu.
4.4 Erkenntnisse der international vergleichenden PR-Forschung
79
spezifischen Zielen in den Gastländern andererseits (vgl. Dornis 1971, S. 47-59), wobei er in Letzterem das Hauptproblem Internationaler PR sieht (ebd., S. 49) und darüber grundlegende, noch heute anwendbare Überlegungen anstellt111. Da sich die überwiegende Anzahl der Arbeiten der deutschen Internationalen PR-Forschung auf die gesamt-internationale Ausrichtung der PR von Unternehmen vom Heimatland aus konzentrieren (vgl. u.a. Eggert 1990, Henning/Zeindl 1995, Kleebinder 1995, Henneke 1998, Andres 2004), blieben die Überlegungen Dornis weitestgehend unberücksichtigt. Es lassen sich nur wenige Überlegungen und Erkenntnisse dazu finden, wie PR-Akteure, die für ein Unternehmen in einem Gastland PR durchführen, ihre Aktivitäten an das fremde nationale Umfeld anpassen. Nach Huck fehlen „bis heute Erkenntnisse, die erste Hinweise darauf liefern können, wie sich unterschiedliche Rahmenbedingungen der einzelnen Länder auf die PR-Praxis vor Ort auswirken.“ (2004, S. 18)
Dies, die Praktizierung von PR internationaler Unternehmen vor Ort in einem Gastland, soll im weiteren Verlauf der Arbeit im Mittelpunkt stehen. Zuvor soll jedoch der Blick noch auf die von Andres/Bentele (2005) ausdrücklich nicht zur Internationalen PRForschung zu zählende, international vergleichende PR-Forschung geworfen werden. 4.4 Erkenntnisse der international vergleichenden PR-Forschung In den USA entstand das Interesse an Internationaler PR bereits einige Jahre vor den Entwicklungen in Deutschland. Die Pionierarbeiten stammen aus den 1960’er Jahren und nahmen Anfang der 1990’er Jahre zu (als wichtigste Arbeiten sind jene von Anderson 1989, Wouters 1991, Botan 1992, Grunig/White 1992, Sriramesh/White 1992, Sharpe 1992 und Wilcox et al. 1992 zu nennen). Als Grundlagenjahre der international vergleichenden PRForschung gelten 1995/1996 mit Arbeiten von Grunig und seinem Forscherteam. 1996 veröffentlichten Culbertson/Chen das erste ländervergleichende Sammelwerk. Kern der international vergleichenden PR-Forschung bildet die bereits vorgestellte Excellence-Forschung (vgl. Kapitel 3.3.2). An deren Überlegungen anknüpfend wird gefragt, inwiefern die Excellence-Faktoren international gültig sind, ob die vier PR-Modelle in verschiedenen Gesellschaften angetroffen werden können (bzw. ob es weitere Modelle gibt) und welche Vorstellungen von PR in verschiedenen Gesellschaften existieren (vgl. Grunig et al. 1995 und 1996, Wakefield 1997, Moss et al. 1997, Sriramesh/Verþiþ 2003, zusammenfassend Andres 2004, S. 143-171). Die zentrale Frage lautet „whether public relations will be different in each country or political/cultural system where it is practiced.” (Grunig et al. 1996, S. 31) Es interessiert hier also nicht, wie international tätige Unternehmen in einem Gastland PR betreiben, sondern wie PR von Einheimischen in verschiedenen Ländern verstanden und praktiziert wird. Dabei stehen (der Tradition der ExcellenceForschung folgend) weniger konkrete PR-Handlungen als vielmehr die abstrakten PRModelle sowie die organisationale Einbindung der PR-Funktion im Mittelpunkt. Aufbauend auf den Annahmen von Brinkerhoff/Ingle (1989), die im internationalen Management uni111 Die Ziele von PR konzipiert Dornis noch sehr vage als „Gestaltung und Verbreitung eines positiven Firmenbildes“ (Dornis 1971, S. 47). Auch Dülfer (1997, S. 217-524) und Henneke (1997, S. 12, Fßn. 21) sehen als Kernproblem der Internationalen PR die Berücksichtigung fremder Umfelder in Gastländern.
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4 Internationale PR-Theorie
versell generische und national spezifische Aspekte unterscheiden, machte sich das Forscherteam um Grunig 1995 auf die Suche nach allgemeinen, generischen Prinzipien ‚excellenter PR’, die in verschiedenen Ländern Gültigkeit haben112. Hierzu verdichtete das Team die in der bisherigen Excellence-Forschung identifizierten Prinzipien zu neun allgemeinen/universellen Prinzipien ‚excellenter PR’: 1) die Einbindung von PR im strategischen Management, 2) PR als Teil der Dominant Coalition oder mit direkter Benachrichtigungsbeziehung zum Senior Management, 3) eine integrierte PR Funktion, 4) PR als eigenständige Management-Funktion, 5) mindestens einen PR-Praktiker in des Funktion des Managers (in Abgrenzung zum Technician), 6) zweiseitige symmetrische PRKommunikation, 7) symmetrisches internes Kommunikationssystem, 8) Wissenspotenzial der PR-Praktiker für Manager-Rolle und symmetrische Kommunikation und 9) Diversity (Mannigfaltigkeit) in allen PR-Rollen. (vgl. Grunig et al. 1996, S. 36-40 und Andres 2004, S. 146-149)
Wie in der klassischen Excellence-Forschung liegt hierbei das Augenmerk vor allem auf organisationsinternen Aspekten. In der Erweiterung der Konzeption im Rahmen der ‚Excellence-in-Global-Public-Relations-Theorie’ (vgl. Andres 2004, S. 143-171) wurden diese internen, normativ generischen Prinzipien ‚excellenter PR’ in Bezug zu fünf spezifischen organisationsexternen Variablen gesetzt. Hierbei handelt es sich um eine Zusammenstellung von Rahmenbedingungen, von denen man annahm, dass sie PR-Praktiken beeinflussen: 1) das politisch-wirtschaftliche System, 2) die Kultur, 3) das Ausmaß von Aktivismus, 4) der Grad der Entwicklung und 5) das Mediensystem (Grunig et al. 1996, S. 40). In den folgenden Jahren wurden die Variablen weiter erörtert, ergänzt, konzeptionell erweitert (vgl. bspw. Wakefield 1997, 2001, 2003) und als Basis für zahlreiche Ländervergleiche verwendet. Sriramesh und Verþiþ verdichteten die fünf Variablen 2001 zu drei Faktoren: 1) Infrastruktur, 2) Mediensystem und 3) Kultur. Kultur wird dabei stark vereinfacht konzipiert und lässt eine differenzierte Auseinandersetzung mit diesem komplexen sozialen Konstrukt vermissen (vgl. Kapitel 2.2). Meist wird auf die verkürzten Überlegungen Hofstedes (1984, 2006) und dessen fünf Dimensionen von Kultur zurückgegriffen, die in der Kulturtheorie äußerst umstritten sind und hier ausdrücklich nicht weiter verfolgt werden sollen (eine vernichtende Kritik übt Baskerville (2003) in einem Aufsatz mit dem Titel ‚Hofstede never studied culture’; vgl. auch den scharfen Ton von HampdenTurner/Trompenaars in ihrem Artikel ‚Response to Geert Hofstede’ 1997)113. Die Überlegungen der US-Forschung lassen die enorme Komplexität Internationaler PR erahnen. Konzeptionell leisten sie einen grundlegenden Beitrag zum besseren Verständnis von PR-Handeln, welches nicht nur in Abhängigkeit von organisationsinternen, sondern auch in Abhängigkeit von organisationsexternen Faktoren zu betrachten ist. Obwohl sich die Überlegungen vor allem auf die PR von Einheimischen in ihren nationalen Kontexten und vorwiegend auf das abstrakte Niveau der vier PR-Modelle beziehen, ist davon auszugehen, dass die externen Rahmenbedingungen auch bei der Betrachtung der Handlungen 112 Hierzu analysierte das Team drei Studien über die Praktizierung der vier PR-Modelle in Indien, Griechenland und Taiwan. 113 Die ‚Kulturdimensionen’ Hofstedes basieren auf einer Erhebung zu ‚work related values’ (dies wird von ihm im Untertitel seiner Arbeit ‚Culture’s consequences’ (1984) sogar betont). Die Daten wurden Ende der 1960’er/Anfang der 1970’er Jahren durch die Befragung von 88.000 IBM-Mitarbeitern in 66 Ländern erhoben (vgl. ergänzende Kritik im Anhang). Auch Huck (2004) baut auf den Überlegungen Hofstedes (und einem offenen Systemverständnis) auf.
4.4 Erkenntnisse der international vergleichenden PR-Forschung
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von PR-Praktikern in für sie fremden national-kulturellen Umfeldern einzubeziehen sind. Allerdings wurden die Rahmenbedingungen nur sehr begrenzt durch theoretische Überlegungen und empirische Erkenntnissen hergeleitet, sondern basieren vielmehr auf plausiblen Überlegungen, wobei sie im Wesentlichen jenen Rahmenbedingungen, die auch im internationalen Management als Rahmenbedingungen internationaler Unternehmenstätigkeit diskutiert werden, gleichen (vgl. auch Huck 2004, S. 75). Zudem stehen die Überlegungen in der Tradition der Excellence-Forschung und folgen damit (meist implizit, da das theoretische Fundament selten reflektiert wird) einem offenen Systemansatz, welcher unkritisch mit handlungstheoretischen Überlegungen kombiniert wird. Schaut man genauer hin, so wird deutlich, dass der theoretisch unüberwindbare Widerspruch einer systemtheoretischen Fundierung mit anschließenden handlungsorientierten Überlegungen keine in sich schlüssige Konzipierung des Zusammenhangs zwischen externen Rahmenbedingungen und Handeln erlaubt. Um den Zusammenhang zwischen externen Strukturen und konkretem PRHandeln theoretisch sinnvoll zu beschreiben und tiefer gehend zu verstehen, sind die Ansätze der US-Forschung somit wenig hilfreich. Folgte man einem offenen systemtheoretischen Ansatz, müsste man davon ausgehen, dass die externen Rahmenbedingungen das Handeln von PR-Praktikern in einem bestimmten nationalen Kontext determinieren. Folglich wäre es egal, ob ein einheimisches Unternehmen oder ein Unternehmen mit Wurzeln in einem anderen Heimatland PR in einem bestimmten Land betreibt – grundsätzlich wäre kein intentionales oder gar strategisches Handeln möglich: Alle würden einfach reaktiv im Sinne der Systemstruktur gleich und von außen bestimmt handeln (vgl. Kapitel 5.1.1). So wird dem Ruf der Wissenschaft nach einem „konzeptionellen Freischwimmen“ von amerikanischen PR-Modellen (siehe Einleitung) gefolgt und in Folge eine alternative Herangehensweise gewagt, die – auf den Überlegungen der deutschen PR-Forschung hinsichtlich der Verschränkung von Struktur und (PR-)Handeln aufbauend – strukturationstheoretische Überlegungen für die Internationale PR-Forschung anzuwenden versucht. Hierzu werden zunächst sozialtheoretische Grundlagen sowie die vorhandenen relevanten strukturationstheoretischen PR-Überlegungen in der deutschen PR-Forschung aufgezeigt.
5.1 Grundlagen der Sozialtheorie
83
5 Strukturationstheoretische Grundlagen
Anthony Giddens entwickelte seine strukturationstheoretischen Überlegungen im Kontext der Sozialtheorie. Die Soziologie – ein Kunstwort aus dem lateinischen Begriff socius (= Gefährte) und dem griechischen Begriff lógos (= Wort, Lehre) – beschäftigt sich grundsätzlich mit allem Sozialen. Dies schränkt Giddens dahingehend ein, dass er den Begriff Soziologie lediglich auf „jenen Zweig der Sozialwissenschaften, der sich ganz spezifisch auf die ‚fortgeschrittene’ oder moderne Gesellschaft konzentriert“ (Giddens 1997, S. 30) beschränkt und für die allgemeine Auseinandersetzung mit menschlichem Handeln und sozialen Institutionen den Begriff Sozialtheorie verwendet114. 5.1 Grundlagen der Sozialtheorie Sozial ist, wenn Menschen miteinander in Bezug treten. Dabei lassen sich unterschiedliche Betrachtungsebenen unterscheiden: Auf der elementarsten Ebene betrachtet die Soziologie/ Sozialtheorie den einzelnen Menschen als soziales Wesen und beschäftigt sich mit Kontexten, in denen Menschen direkt oder medial vermittelt aufeinander treffen. Wenn sich mehrere Menschen zusammen tun, um arbeitsteilig gemeinsame Ziele zu erreichen, entstehen Gruppen oder Organisationen als mittlere Betrachtungsebene. Auf einer noch höheren Ebene kann man das Gesamtgebilde vieler Menschen, Gruppen und Organisationen, die gemeinsam eine Gesellschaft konstituieren, betrachten und analysieren, wie sich diese arbeitsteilig ausdifferenziert, um verschiedene Aufgaben zu erfüllen. Je nach Ebene unterscheidet sich dabei in der Regel die Perspektive auf das Verhältnis zwischen einem Individuum und der Gesellschaft: Geht man vom Individuum aus, so kommt man zu dem Schluss, dass die Gesellschaft durch das Handeln jedes einzelnen Mitglieds der Gesellschaft entsteht (Individuum Æ Gesellschaft), geht man andersherum von der Gesellschaft aus, so kommt man zu dem Schluss, dass das Handeln eines jeden Individuums von der gesellschaftlichen Struktur bestimmt wird (Gesellschaft Æ Individuum). Dieser Gegensatz hat sich zu einem „teilweise schon zum Glaubenskrieg“ (Zerfaß 2004, S. 85) ausgearteten Paradigmenstreit entwickelt, der eine geradezu unüberwindbare Kluft zwischen handlungstheoretischen Ansätzen einerseits und systemtheoretischen Ansätzen andererseits zu Tage bringt. Um diese besser zu verstehen, werden in Folge grundlegende Entwicklungen der Soziologie (bzw. Sozialtheorie im Sinne Giddens) aufgezeigt. Als Urväter der Soziologie gelten vor allem Thomas Hobbes (1651), Rousseau (1755 und 1762), Auguste Comte (dem man die Prägung des Begriffs Soziologie zuschreibt), Émile Durkheim (der in seinem 1895 veröffentlichten Werk Regeln der soziologischen Methode die Idee von ‚soziologischen Tatbeständen’ einführte) und Georg Mead (der die Grundlagen des Symbolischen Interaktionismus legte). Als Begründer der modernen Sozio114 Vgl. Giddens 1997, S. 30-34 und Giddens im Interview mit Kießling (1988), zitiert nach Zerfaß 2004, S. 85.
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5 Strukturationstheoretische Grundlagen
logie wird weitestgehend Max Weber anerkannt, der Soziologie als Wissenschaft, „welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will“115, versteht. Schon in der Gegenüberstellung der unterschiedlichen Herangehensweisen von Durkheim und Weber wird der grundlegende sozialtheoretische Konflikt evident: Unter ‚soziologischen Tatbeständen’ (fait social) versteht Durkheim „jede mehr oder minder festegelegte Art des Handelns, die die Fähigkeit besitzt, auf den einzelnen einen äußeren Zwang auszuüben; oder auch, die im Bereiche einer gegebenen Gesellschaft allgemein auftritt, wobei sie ein von ihren individuellen Äußerungen unabhängiges Eigenleben besitzt.“ (Durkheim 1992, zitiert nach Huinink 2001, S. 21).
Durkheim geht davon aus, dass Menschen bei ihren Handlungen in ihrer sozialen Umgebung außerhalb von ihnen etablierten Strukturen folgen, die ihr Handeln in relativ festgelegte Bahnen leiten. Diese können, wie materielle Dinge, als dem Einzelnen äußerliche, wahrnehmbare Phänomene betrachtet und analysiert werden. Mit der Annahme, dass es überindividuelle Tatbestände gibt, die fest in der Welt und unabhängig von Individuen existieren, geht einher, dass man diese soziologischen Tatbestände (ähnlich wie Naturphänomene) mit der Herangehensweise und Methodik der Naturwissenschaften erforschen kann. Eine andere Herangehensweise wählt Weber. Er geht vom handelnden Individuum und dem mit einer in sozialen Beziehungszusammenhängen subjektiv mit einer Handlung verbundenem Sinn aus und versucht dies deutend zu verstehen. Soziales Handeln versteht er grundsätzlich als solches Handeln, „welches seinem von dem oder den Handelnden gemeinten Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist.“116
Das Ziel soziologischer Forschung besteht für Weber darin, typische Muster und allgemeine Regelmäßigkeiten sozialen Handelns mit den ihm zugrunde liegenden Sinnstrukturen seitens der handelnden Akteure zu identifizieren. Im Gegensatz zu Durkheim postuliert er, dass soziale Phänomene nur auf der Grundlage einer verstehenden Deutung des subjektiven Sinns sozialen Handelns seitens der beteiligten Individuen erklärt werden können und die Forschung hierfür nicht auf naturwissenschaftliche, nach festen Gesetzen suchende Methoden zurückgreifen kann, sondern eigene, strikt individualistische Methoden entwickeln muss. Huinink fasst den Gegensatz folgendermaßen zusammen: „Während für Durkheim das handelnde Subjekt in der Soziologie nur eine untergeordnete Rolle spielt und für die Erklärung sozialer Tatbestände ohne Belang bleibt, stellt Weber den sozial Handelnden als den Verursacher gesellschaftlichen Geschehens in den Vordergrund soziologischer Analysen.“ (Huinink 2001, S. 25)
In der Folge haben sich unterschiedliche Forschungsstränge ausgebildet, die sich entweder primär gesellschaftlichen Strukturen oder primär dem sozial handelnden Akteur zuwenden. Ersterer verfolgt vornehmlich eine systemtheoretische, letzterer eine handlungstheoretische Perspektive und Argumentationsweise. 115 Auszug aus dem §1 der soziologischen Kategorienlehre Webers in seinem Werk ‚Wirtschaft und Gesellschaft’ 1922, zitiert nach Korte 2001, S. 70. 116 Auszug aus dem §1 der soziologischen Kategorienlehre 1922, s.o., zitiert nach Korte 2001, S. 70.
5.1 Grundlagen der Sozialtheorie
85
5.1.1 Systemtheoretische Ansätze Systemtheoretische Ansätze sind weitestgehend akteurlos konzipiert und verzichten grundsätzlich auf eine Betrachtung der Wechselbeziehungen zwischen dem Individuum und der Gesellschaft. Ihr Ursprung liegt nicht in den Sozialwissenschaften, sondern vielmehr in den naturwissenschaftlichen Disziplinen der Biologie und Mechanik/Physik. Talcott Parsons, der zunächst Biologie studierte und später die Überlegungen der Systemtheorie erstmalig auf die Soziologie transferierte, bezog sich grundlegend auf die Gedanken des Kulturanthropologen Bronsilaw Malinowski und dessen Vorstellung von Kultur als instrumenteller Apparat, mit dem Menschen ihre Probleme funktional lösen, sowie auf die Ideen Herbert Spencers, der Gesellschaft als einen Organismus verstand, der im Gleichgewicht bleiben muss, um seine Aufgaben optimal zu erfüllen. Beide Gedankengänge, wie auch die Überlegungen Durkheims und (!) Webers, flossen in sein strukturfunktionales systemtheoretisches Modell ein (vgl. Korte 2001, S. 81f). Strukturfunktionale Systemtheorie Im Mittelpunkt Parsons’ strukturfunktionaler systemtheoretischer Überlegungen steht die Struktur sozialer Systeme. Ein System besteht aus einem Ganzen und seinen Teilen; es weist also bestimmte Strukturen auf. Dabei folgt Parsons der Annahme, dass die Strukturen und Abläufe in sozialen Systemen der eigenen Bestandserhaltung dienen und alle Prozesse fortlaufend einem inneren Gleichgewicht zustreben (vgl. Huinink 2001, S. 102)117. Alle Systemelemente ordnen sich diesem Ziel unter. Die Strukturen und Elemente eines Systems sind dahingehend funktional: Tragen sie zur Systemerhaltung bei, sind sie funktional, stören sie das Gleichgewicht, sind sie dysfunktional. Dahrendorf charakterisiert dies wie folgt: „Bei dieser Theorie wird die Struktur des sozialen Systems vorausgesetzt, dann die Funktion besonderer Teile dieses Systems, ihr Beitrag zum Funktionieren des Systems, untersucht, um schließlich die Stabilität oder Instabilität von sozialen Systemen bestimmen zu können.“ (Abels 2004, S. 227, Bezug nehmend auf Dahrendorf 1955, S. 230) Bevor man sich die Frage stellte, wie bei einer strukturfunktionalen Konzeption sozialer Systeme nach Parsons Veränderungen in die Welt kommen können, war das Konzept außerordentlich erfolgreich118. Auch Grunig et al. griffen auf die strukturfunktionale Systemtheorie zurück und stellten die Frage, welche Funktion das Subsystem PR zur Strukturerhaltung des organisationalen Systems leistet. Dabei beziehen sie sich vornehmlich auf das offene Systemmodell der Organisationstheoretiker Katz/Kahn (1966/1978), welche sich wiederum explizit auf Parsons beziehen, und grenzen sich damit von geschlossenen Systemvorstellungen ab:
117 Dazu müssen nach Parsons in jedem System vier Aufgaben erfüllt sein, die er in seinem AGIL-Schema zum Ausdruck bringt: Anpassung (Adaption), Zielerreichung (Goal Attainment), Integration und Strukturerhaltung (Latent Structure Maintenance). 118 „Mitte der 1950’er Jahre wird in der US-amerikanischen Soziologie sogar die Ansicht vertreten, man brauche nicht mehr Soziologie zu sagen, es reiche, wenn man Systemtheorie sagt.“ (Korte 2001, S. 86)
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5 Strukturationstheoretische Grundlagen
“[…] the closed-system perspective assumed that organizations had autonomy from their environments and that internal management structures would determine the difference between effectiveness and ineffectiveness. Theorists such as Katz and Kahn (1978) soon turned to an opensystem perspective. That perspective recognized that organizations are interdependent with other organizations and groups in their environment. It also recognized that these other systems influence both what goals organizations choose and the extent to which they can meet those goals.” (Grunig et al. 1992, S. 67; in Original Absatz nach ineffectiveness)
Erst eine offene Systemkonzeption kann den Beitrag von PR für Organisationen verdeutlichen. Von daher geht die Möglichkeit einer Konzeption von PR aus organisationsorientierter Perspektive erst mit dem veränderten Paradigma der Organisationstheorie (als Teilbereich der Soziologie) einher119. Lange Zeit konzipierte diese Organisationen als geschlossene Systeme und betrachtete deren Innenleben im Hinblick auf die Funktion des Systemerhalts (etwa die Arbeitsteilung in verschiedenen Abteilungen in Organisationen). Die Außenwelt blieb von den Betrachtungen weitgehend ausgeblendet, der Fokus lag auf der internen Strukturorganisation und deren Abläufen. In den 1960’er Jahren verlagerte sich die Perspektive auf die Außenbeziehungen von Organisationen und konzipierte diese als offen (vgl. Scott 1986, S. 182). Man folgte der Annahme, dass sich die Strukturen eines sozialen Systems aus der SystemUmwelt-Differenz ergäbe und in einem ständigen Bezug zu den externen Umweltbedingungen stehe, an die sie sich fortlaufend anpassen müssen, um funktional und stabil zu bleiben. Die Organisation wird dabei in einem Input-Throughput-Output-Modell (vgl. Katz/Kahn 1966) in direkte Abhängigkeit zur Umwelt gestellt.
Abbildung 16: Geschlossenes und offenes (strukturfunktionales) Systemverständnis. Im geschlossenen System (1) stehen interne Aspekte im Mittelpunkt, im offenen System (2) die Umweltbestimmung. Eigene Darstellung. 119 Scott (1986, S. 182) unterscheidet zwischen vier Phasen in der Geschichte der (amerikanisch geprägten) Organisationstheorie, denen er jeweils spezifische Vorstellungen des Organisationsphänomens zuordnet: Von 1900-1960 dominierte die Vorstellung eines geschlossenen, rationalen Systems, von 1930-1960 von einem geschlossenen, natürlichen System, von 1960-1970 von einem offenen, rationalen System und anschließend von einem offenen, natürlichen System. Die zur Erfüllung der der PR zugeordneten Funktion (Verständnis und Verständigung mit anderen Systemen) zur Verfügung stehenden vier PR-Modelle bringen Grunig/Hunt ebenfalls mit der Unterscheidung in geschlossene und offene Systeme in Verbindung. „PRManager, die in Organisationen wirken, die dem geschlossenen System entsprechen, betreiben Öffentlichkeitsarbeit im Sinne von Publicity und Informationstätigkeit, PR-Manager in offenen Systemen betreiben asymmetrische und symmetrische Kommunikation.“ (Wehmeier 2005, S. 284, vgl. auch Röttger 2000, S. 46f, zu Kontingenzansätzen grundsätzlich Theis-Berglmair, S. 180-187). Wehmeier (2005, S. 290) kritisiert in diesem Zusammenhang die geringe Auseinandersetzung mit der grundlagentheoretischen Basis der Excellence-Forschung in Deutschland.
5.1 Grundlagen der Sozialtheorie
87
Der Input besteht aus finanziellen/materiellen Ressourcen oder Informationen und bestimmt die Art und Weise der Verarbeitung und des Outputs, der aus Umweltsicht wiederum einen Input darstellt. Dieser zyklische Prozess bestimmt die Funktionsweise des offenen Systems, deren zentrales Problem die Verarbeitung externer Ressourcen und Informationen ist und in dem PR eine Grenzgängerposition zugeordnet wird. Mit einem offenen Systemverständnis ergibt sich jedoch die konzeptionelle Problematik der Umweltdeterminiertheit. Die Strukturen und Operationen des Systems werden nur im Hinblick auf die Funktion des Systemerhalts hinsichtlich Umwelteinflüssen konzipiert120, denen somit ein alles bestimmender Einfluss eingeräumt wird. Strukturfunktionale Überlegungen geben keinen Erklärungsansatz, wie Strukturen grundsätzlich entstehen, wie individuelle Handlungen mit diesen Strukturen in Zusammenhang stehen und wie es zu Veränderungen von sozialen Systemen und Gesellschaften kommt. Funktional-strukturelle Systemtheorie Aus diesem Grund stellt Luhmann (u.a. 1984) der strukturfunktionalen Systemtheorie die funktional-strukturelle Systemtheorie gegenüber, bei der die Funktion und nicht mehr die Struktur im Mittelpunkt der Betrachtung steht. „Parsons’ Überlegungen, wie sich ein soziales System erhält, mündet immer in die Frage des Bestandsproblems. Luhmann dagegen sagt, es kommt vielmehr darauf an zu untersuchen, wie die sozialen Systeme entstehen und wie sie entsprechende Funktionen ausbilden.“ (Korte 2001, S. 88)
Seine hochabstrakten, hier nur in kürzester Form wiedergegeben, Überlegungen besagen, dass ein System erst in Abgrenzung zu seiner Umwelt durch die Wahrnehmung bestimmter Funktionen entsteht. Dabei ist nicht die Struktur entscheidend, sondern das Verhältnis zwischen einzelnen Systemen und wie sie funktionieren. Soziale Systeme werden dabei weder als offen noch als geschlossen konzipiert, sondern als gleichzeitig (umwelt-)offen und (operativ) geschlossen. Sie sind selbstreferenziell oder auch autopoietisch: „Die Biologie hatte herausgefunden, daß es Organismen gibt, die sich aus sich selbst heraus weiterentwickeln, die also keine Umweltbedingungen […] brauchen. Diese Überlegungen, daß lebende Zellen sich aus sich selbst reproduzieren, hat Luhmann in seine Systemtheorie übernommen. Er nennt sie autopoietische Systeme.“ (Korte 2001, S. 92f)
Die Überlegungen Luhmanns wurden, insbesondere in seinem Heimatland Deutschland, äußerst breit rezipiert und diskutiert. Wie bereits die Auseinandersetzung mit der deutschen PR-Forschung zeigte, wurden Luhmanns Überlegungen hier vor allem auf die Frage bezogen, welche Funktion PR als gesellschaftlicher Teilbereich für die Gesellschaft leistet, während organisationsorientierte Überlegungen weitgehend außen vor blieben. 120 Es darf nicht gänzlich ignoriert werden, dass Parsons auch Handlungen von Individuen in seine Überlegungen einbezog, wobei die Menschen in ihrem Handeln jedoch „auf die ihnen durch ihre soziale Positionen bestimmten Rollen und allgemeine gesellschaftliche Werte festgelegt sind, die sie im Laufe ihres Lebens internalisiert, d.h. verinnerlicht haben. Danach verhalten sie sich und tragen so zur gesellschaftlichen Stabilität bei.“ (Huinink 2001, S. 102). Giddens bewertet dies wie folgt: „Trotz Parsons’ Rede vom ‚handlungstheoretischen Bezugsrahmen’ kann kein Zweifel daran bestehen, daß in seinem theoretischen Schema das Objekt (die Gesellschaft) das Subjekt (den bewusst handelnden Menschen) beherrscht.“ (Giddens 1997, S. 34)
88
5 Strukturationstheoretische Grundlagen
„Das deutsche (sozialwissenschaftliche) Wissenschaftsverständnis ist historisch […] von der Frage nach den Ursachen und von einer grundlegenden gesellschaftlichen Einbettung geprägt. Insofern hat sich hinsichtlich der Systemtheorie ein ‚Sonderphänomen bundesrepublikanischer Soziologie’ [Müller 1996, S. 356] entwickelt, dass die systemtheoretische forschende Kommunikationswissenschaft paradigmatisch geprägt hat: die Luhmannsche Systemtheorie. Luhmanns Weiterentwicklung der Parsonschen Übertragung der Systemtheorie auf das Soziale sowie seine Kombination von Systemtheorie und biologisch ausgerichtetem Konstruktivismus zur Entwicklung eines Modells autopoietischer gesellschaftlicher Funktionssysteme lenkt die Aufmerksamkeit der deutschen Kommunikationswissenschaft häufig darauf, Kommunikationssysteme wie Medien, Journalismus oder PR als gesellschaftliche Teilsysteme zu definieren und anschließend das Zusammenspiel von Teilsystemen untereinander und der Gesellschaft zu erklären: Da erscheint eine Betrachtung, Beschreibung und Erklärung der Funktionsweise von Einheiten auf der organisationalen Mikro- und Mesoebene eher banal.“ (Wehmeier 2005, S. 292f)
Andersherum fanden die Luhmannschen Überlegungen in der US-amerikanischen Kommunikations- und PR-Forschung nur sehr wenig Beachtung. Gesellschaftsbezogene Fragestellungen werden hier eher den Soziologen überlassen und komplexere Entwicklungen der Systemtheorie wenig berücksichtigt (vgl. Wehmeier 2005, S. 293). Ein wesentlicher Kritikpunkt an der Konzeption Luhmanns ist dessen These, dass „der Mensch nicht im Zentrum einer soziologischen Theorie der Gesellschaft stehe, sondern zur Umwelt gehöre.“ (Korte 2001, S. 95)121
In Luhmanns abstrakter Konzeption sind nicht Menschen teil von sozialen Systemen, sondern nur deren systemspezifischen Kommunikationen. Der Mensch selbst ist als physischer Körper (organisches System) und Bewusstsein (psychisches System) Teil der Umwelt sozialer Systeme. So werden Menschen lediglich als Reproduzenten systemeigener Sinnstrukturen verstanden. „Alles, was sie sonst ausmacht, ist in der Regel irrelevant für das soziale System.“ (Huinink 2001, S. 103)
Ganz anders ist dies in handlungsorientierten sozialtheoretischen Konzeptionen. 5.1.2 Handlungstheoretische Ansätze Im Gegensatz zu systemtheoretischen Ansätzen, die weitgehend akteurlos konzipiert sind, ziehen handlungstheoretische Ansätze die Wechselbeziehungen zwischen Individuum und Gesellschaft in die Überlegungen mit ein, konzentrieren sich jedoch grundsätzlich auf die Ebene des einzelnen Akteurs bzw. auf soziale Handlungssituationen zwischen mehreren Individuen.
121 Intensive Kritik an Luhmanns Konzeption übten zudem die Vertreter der Frankfurter Schule, allen voran Habermas, der Luhmann das Fehlen eines übergeordneten Wertesystems vorwarf. So stellt Habermas Luhmanns Modell das System der Lebenswelt der Menschen entgegen. Zur Frankfurter Schule und zur Luhmann-Habermas-Kontroverse vgl. u.a. Habermas/Luhmann (1971), Wiggershaus (1997).
5.1 Grundlagen der Sozialtheorie
89
„In Systemtheorien steht der Bestand der Gesellschaft, ihre Organisationen und Strukturen im Mittelpunkt des soziologischen Interesses. […] Handlungstheorien gehen dagegen vom Handeln der einzelnen Individuen aus.“ (Korte 2001, S. 113)
Zentrale Annahme ist, dass 1) die Gesellschaft aus Individuen besteht und 2) das Individuum der systematische Kern jeder Gesellschaftstheorie ist (ebd., S. 114f). Der handlungstheoretische Forschungsstrang führte lange Zeit ein Schattendasein – auch wenn die Fundamente bereits durch Max Webers Forderung, soziales Handeln deutend zu verstehen, und die Überlegungen von Mead und Blumer zum symbolischen Interaktionismus in den 1920’er Jahren gelegt wurden. Einen wesentlichen Impuls, sich verstärkt mit sozialen Akteuren auseinanderzusetzen, gab die Veröffentlichung Die gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit von Berger/Luckmann (1966/deutsch 1969). Im Laufe der Zeit haben sich unterschiedliche handlungstheoretische Konzeptionen herausgebildet, von denen hier ebenfalls die wichtigsten genannt werden sollen122. Rational-choice Ansätze Rational-choice Ansätze stehen in der Tradition des klassischen Liberalismus, wie er etwa von Adam Smith verstanden wird. Menschen werden (insbesondere im Rahmen der Wirtschaftswissenschaften) als ökonomisch denkende Wesen konzipiert, die ihr Handeln streng auf die Maximierung ihres Nutzens ausrichten. Handlungstheorie wird hier zu einer Art Austauschtheorie, deren konsequente Weiterentwicklung in der Konzeption der Spieltheorie mündet123. Rational-choice Ansätze eignen sich zur systematischen Analyse von konfliktbeladenen Handlungssituationen, verkürzen aber den Menschen als ‚homo oeconomicus’ zu sehr zu einem streng kausal denkenden und handelnden Wesen unter Ausblendung von handlungsbeeinflussenden Emotionen, Gedankenwelten, Sinnstrukturen und gesellschaftlichen Normen und Werten124. Interpretative Ansätze Komplexer und theoretisch anspruchsvoller sind interpretative Handlungstheorien, die nicht davon ausgehen, dass Individuen streng kausal zur eigenen Nutzenmaximierung handeln, sondern davon, dass Menschen auf der Grundlage von Bedeutungen handeln. Die Grundannahmen lauten, dass 1) Menschen auf der Grundlage von Bedeutungen handeln, 2) diese aus sozialen Interaktionen entstehen und 3) Bedeutungen fortlaufend aktualisiert, verändert und situationsadäquat interpretiert werden (vgl. Blumer 1969). Die zentralen Fragen lauten: Wie kommt Interaktion zustande? Und wie ist das Handeln der an einer Interaktion Beteiligten aufeinander bezogen? (vgl. Korte 2001, S.118f) Bedeutungen existieren (wie bereits in Kapitel 2.1 dargestellt) niemals in der Welt an sich, sondern immer nur in den Köpfen der Menschen, die wahrgenommenen Dingen, Handlungen, Wörtern oder Symbolen fortlaufend eine Bedeutung zuweisen. Diese Bedeu122 Andere Ansätze stammen etwa von Goffman (1956) oder entstanden im Kontext der Cultural Studies. 123 Ein bekanntes spieltheoretisches Beispiel ist das ‚Gefangenendilemma’ (vgl. Rapoport 1965), die wohl populärste Konzeption ist das Nash-Gleichgewicht von Nash (1996). Eine gute Einführung in die Spieltheorie gibt Rieck 2006. Spieltheorie ist auch die Basis für Grunigs erweiterte Überlegungen zur Anspruchsgruppenkommunikation (vgl. Kapitel 3.3.2). 124 Vgl. zu unterschiedlichen Menschenbildern in der Soziologie Huinink (2001, S. 86-96). Neben dem homo oeconomicus nennt er den (von gesellschaftlichen Vorgaben geleiteten) homo sociologicus und den (seiner inneren Triebstruktur und Kognitionen folgenden) homo subjectivus.
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5 Strukturationstheoretische Grundlagen
tungszuweisungen hängen eng mit den bisherigen Erfahrungen und dem darauf basierenden Wissensbestand der Kommunikationsbeteiligten zusammen, der sich mit fortlaufenden Erfahrungen ständig weiter ausbildet und verändert. Da Menschen niemals die gleichen Erfahrungen machen, stellt sich die Frage, wie dennoch Verständigung möglich ist und wie Individuen in Interaktionssituationen eine Angleichung ihrer Bedeutungszuweisungen erreichen können. Dabei wird zum einen der Aufbau von gemeinsamem Wissen innerhalb von Gesellschaften und deren Vermittlung an die Gesellschaftsmitglieder im Rahmen von Sozialisationsprozessen (als Voraussetzung für Kommunikation), zum anderen Abstimmungsprozesse im Verlauf konkreter Interaktionssituationen thematisiert. Im Laufe der Zeit entstehen innerhalb von Gesellschaften vielfältige Übereinkünfte (= Konventionen) über die Bedeutung von Dingen, Handlungen und Symbolen, die einen gemeinsamen Bezugspunkt der Gesellschaftsmitglieder ermöglichen125. In eine Gesellschaft hineingeborene Individuen lernen diese Übereinkünfte im Rahmen ihrer Sozialisation. Nach Mead (1934) ist jedes Individuum an Interaktionsprozessen in dreifacher Hinsicht beteiligt, durch das I, das Self und das Me, wobei das I die eigene Individualität betrifft, welche in Kombination mit dem Me (die gesellschaftlichen Vorerfahrungen) das Self (die Persönlichkeit) begründet. Während das Me durch gesellschaftliche Konventionalisierung noch relativ einfach erklärt werden kann126, weiß die Menschheit (trotz jahrtausendelanger philosophischer und wissenschaftlicher Bemühungen) noch immer wenig über die Beschaffenheit des I – jenem mystischen Funken, der dem menschlichen Wesen inne liegt und es zu eigenständigen, unberechenbaren, kreativen, freien oder auch voluntativen Handlungen, außerhalb von vorgegeben Mustern und Regeln, befähigt. In Anbetracht der hohen Bedeutung, die Kommunikation für PR hat, mag es verwundern, dass handlungstheoretische Überlegungen in der PR-Theorie nur eine untergeordnete Rolle spielen. Zwar bezieht die Excellence-Forschung spieltheoretische Überlegungen der Rational-choice Forschung mit ein, vernachlässigt jedoch systematisch Fragen der Bedeutungskonstitution. In Deutschland weist das Modell der verständigungsorientierten Öffentlichkeitsarbeit von Burkart (1992/2005) handlungstheoretische Bezüge auf127; ebenso Theorien mittlerer Reichweite, etwa die Kommunikatorforschung, die Berufsfeldforschung oder auch praxisorientierte Ansätze, die sich auf konkretes PR-Handeln beziehen (vgl. Beiträge im Handbuch der Public Relations 2005 von Behrent, Röttger (2005a), Ruhrmann und Zerfaß 2005), dabei aber in der Regel strukturelle Überlegungen außen vor lassen. Röttger weist in diesem Zusammenhang auf das grundlegende Spannungsfeld zwischen systemthe-
125 Wie es genau zu gesellschaftlich geteiltem Wissen kommt, wird in unterschiedlichen Theorien unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen diskutiert. Obwohl die verschiedenen Ansätze von unterschiedlichen Prämissen ausgehen und sich in der verwendeten Terminologie unterscheiden, kommen sie doch alle zu einem ähnlichen Ergebnis: Geteiltes Wissen entsteht durch soziale Interaktionen (vgl. Übersicht und Diskussion der Ansätze bei Müller 2002). Wichtige Ansätze zur sozialen Konstruktion von Wissen in Folge von Interaktionen stammen von Gergen (1988) und Harré (1995) als Vertreter des sozialen Konstruktivismus sowie von Weick (1987) als Vertreter des konstruktivistischen Interaktionismus. 126 Das Me ermöglicht Menschen, die ähnlich sozialisiert wurden und somit eine gewisse Schnittmenge gemeinsamer Interpretationsmuster aufweisen, auf die sie in konkreten Kommunikationssituationen zurückgreifen können, miteinander zu kommunizieren. Dabei vergewissern sie sich ständig der eigenen Bedeutungszuweisung und aktualisieren fortlaufend ihr Wissen. 127 Eine auf dem Symbolischen Interaktionismus basierende PR-Konzeption stellte Raupp auf der Internationalen Communications Conference in Dresden 2006 vor. Daneben stützt Femers (2005) ihre PR-Überlegungen auf sozialpsychologische Grundlagen und bezieht sich somit ebenfalls auf handlungstheoretische Konzeptionen.
5.2 Strukturationstheoretischer Ansatz von Anthony Giddens
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oretischen und handlungstheoretischen Ansätzen über die Soziologie hinaus auch für die PR-Theorie hin. „Unbefriedigend bleiben alle vorliegenden Theorieansätze hinsichtlich der theoretischen Fassung des Verhältnisses von Struktur und Handlung, bzw. System und Akteur: Systemtheoretische Ansätze […] ignorieren, dass Prozesse der Strukturbildung auf Handlungen basieren. Demgegenüber blenden handlungstheoretische Ansätze […] Aspekte der Struktur weitgehend aus. Beide Perspektiven können damit nur einen begrenzten Beitrag zur theoretisch fundierten Beschreibung der Öffentlichkeitsarbeit als Organisationsfunktion […] leisten. Der Versuch, Aspekte der Struktur und der Handlung in die theoretische Analyse der Öffentlichkeitsarbeit einzubeziehen, liegt der organisationstheoretischen Perspektive von Grunig et al. zu Grunde. Allerdings bleibt die überwiegend unreflektierte Kombination systemtheoretischer und handlungstheoretischer Elemente wissenschaftstheoretisch unbefriedigend.“ (Röttger 2000, S. 60f)
Gerade für Internationale PR, in der Unternehmen strategisch geplant mit einem Umfeld kommunizieren, in denen Menschen gänzlich unterschiedliche Sozialisationen durchlaufen haben und daher von einer geringen Schnittmenge gemeinsamer Interpretationsmuster der verschiedenen Akteure auszugehen ist, können handlungstheoretische Überlegungen nicht außen vor gelassen werden. In Folge wird sich daher dem bereits erwähnten Versuch, Struktur und Handlung konzeptionell miteinander zu verbinden (Giddens) und dies für die PR-Forschung fruchtbar zu machen (Zerfaß, Röttger, Zühlsdorf) angeschlossen. 5.2 Strukturationstheoretischer Ansatz von Anthony Giddens Zur Überwindung des Dualismus zwischen System- und Handlungstheorie128 werden in Folge die Überlegungen von Anthony Giddens aufgegriffen, wobei es weniger um eine strenge Befolgung seiner (äußerst komplexen) Konzeption geht, als vielmehr darum, sich – um es mit den Worten Röttgers (2000, S. 186) zu sagen – von seinen grundlegenden Gedanken „inspirieren“ zu lassen, um einen alternativen Zugang zum Forschungsobjekt ‚Internationale PR’ zu erhalten. Die beschriebene Frontstellung zwischen System- und Handlungstheorie bildet den Ausgangspunkt für Giddens sozialtheoretische Überlegungen129. Er wendet sich einerseits gegen die objektivistische Perspektive (systemtheoretische Ansätze; Strukturalismus, Funktionalismus), in denen das Objekt (die Gesellschaft oder die Organisation) das Subjekt (den Menschen bzw. sozialen Akteur) beherrscht, andererseits aber auch gegen die subjektivistische Perspektive (handlungstheoretische Ansätze, Hermeneutik), in denen das Subjekt im Mittelpunkt steht und strukturelle Einflüsse vernachlässigt werden.
128 Vgl. auch andere Ansätze, System- und Handlungstheorien miteinander zu verbinden, von Norbert Elias (1987) und Pierre Bourdieu (1977). Ähnliche Vorstellungen finden sich u.a. auch bei Weick (1985), Bacharach/Aiken (1976) oder Ranson et al. (1980). 129 Die wichtigsten deutschsprachigen Auseinandersetzungen mit Giddens Ansatz stammen von Kießling (1988), Schönbauer (1994), Ortmann (1995), Kaspersen (2000), Lamla (2003) und Walgenbach (2006). Im Hinblick auf wirtschaftliche Organisationen sind vor allem die Arbeiten von Empter (1988), Schneidewind (1998) und Ortmann/Sydow (2001) zu nennen. Die bislang umfangreichste Bibliografie der Arbeiten von Giddens aus dem Zeitraum 1960 bis 2000 stammt von Bryant (2001). Dort findet sich auch eine gegliederte Bibliografie von Publikationen, die sich kritisch mit Giddens auseinandersetzen bzw. an sein Werk anschließen.
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5 Strukturationstheoretische Grundlagen
So fordert er eine „Neufassung der Vorstellungen vom menschlichen Sein und menschlichen Handeln, von der gesellschaftlichen Reproduktion und der gesellschaftlichen Veränderung. In dieser Hinsicht spielt der in der Sozialtheorie tief verankerte Dualismus von Subjektivismus und Objektivismus eine entscheidende Rolle. […] Mit der Formulierung der Theorie der Strukturierung möchte ich den Dualismus von Objektivismus und Subjektivismus überwinden.“ (Giddens 1997, S. 34 und S. 41)130
Dabei basiert die Theorie der Strukturierung – bzw., synonym, die Strukturationstheorie131 – auf der Prämisse, dass der Dualismus neu als eine Dualität gefasst werden muss: als die Dualität von Struktur (ebd., S. 34). Struktur und Handlung stehen sich hierbei nicht mehr konkurrierend gegenüber, sondern bedingen sich gegenseitig. 5.2.1 Basisannahmen der Strukturationstheorie Das zentrale Forschungsfeld der Sozialtheorie besteht nach Giddens „weder in der Erfahrung des individuellen Akteurs noch in der Existenz irgendeiner gesellschaftlichen Totalität, sondern in den über Zeit und Raum geregelten, gesellschaftlichen Praktiken.“ (Giddens 1997, S. 52)
Im Mittelpunkt der Überlegungen stehen also gesellschaftliche, soziale Praktiken, als in der alltäglichen Praxis des sozialen Lebens wiederholt vorfindbare Handlungsfolgen, die fortlaufend produziert und reproduziert werden. Gemeint sind soziale Handlungen, die über Zeit und Raum eine gewisse Stabilität, „ein regelmäßiges, wiederkehrendes Muster aufweisen“ (Lamla 2003, S. 47) und die sich aus dem fortlaufenden wechselseitigen Zusammenspiel von Handlung und Struktur ergeben. Handlung und Struktur – Subjekt und Objekt – stehen einander nicht konkurrierend gegenüber, sondern sind untrennbar miteinander verbunden. Strukturen existieren nicht außerhalb der Handelnden, sondern im strukturierten Handeln der Akteure selbst. Diese beziehen sich in ihren Handlungen auf Strukturen und reproduzieren diese in und durch ihre Handlungen fortlaufend. Strukturen sind folglich gleichzeitig Medium und Ergebnis sozialer Handlungen. Diese Dualität von Struktur bildet den Kern der Giddens’schen Theorie der Strukturierung. Sie erlaubt, die traditionelle soziologische Streitfrage nach dem Primat der Erklärung im Objekt oder Subjekt zu umgehen. Strukturen determinieren dabei nicht das Handeln, sondern ermöglichen und begrenzen es, indem sie gewisse Handlungsspielräume eröffnen. Sie entstehen zudem aus dem Handeln selbst und werden durch Handlungen fortlaufend reproduziert und ggf. modifiziert. Dies lässt sich folgendermaßen darstellen:
130 Während systemtheoretischen Überlegungen ein Imperialismus des Objekts vorgeworfen wird, wird dies in handlungstheoretischen Überlegungen dem Subjekt vorgeworfen (Giddens 1997, S. 52, vgl. Walgenbach 2006, S. 404-406). 131 Die englische Terminologie ‚theory of structuration’ wurde im Deutschen uneinheitlich als Strukturierungsoder Strukturationstheorie bezeichnet. Die Basis der Theorie legte Giddens bereits 1976. Als zentrale zusammenfassende Veröffentlichung gilt die 1985 erschienene Publikation The constitution of society. 1988 wurde dieses Werk ins Deutsche übersetzt. Die hier zitierte dritte Auflage ist identisch mit der ersten Auflage.
93
5.2 Strukturationstheoretischer Ansatz von Anthony Giddens
(Struktur als Medium)
Struktur
Struktur: ermöglicht und begrenzt
Ú
(Struktur als Ergebnis)
Handlung: produziert, reproduziert und verändert
Handlung
Abbildung 17: Die Verknüpfung von Struktur und Handlung in der Strukturationstheorie. Eigene Darstellung. Strukturen werden in den Handlungen von sozialen Akteuren existent, die sie begrenzen und ermöglichen; Handlungen sind strukturell geprägt und reproduzieren Strukturen. Das Augenmerk der Strukturationstheorie liegt somit einerseits auf der strukturellen Bedingtheit des Handelns, andererseits auf der Strukturentstehung und -veränderung durch Handlungen. Das Konstrukt der Dualität von Struktur basiert auf zwei zentralen Annahmen, nämlich der Reflexivität der Akteure und der Rekursivität der Handlungen. Menschen handeln, hier folgt Giddens einem handlungstheoretischen Imperativ, bewusst. Während sie handeln, reflektieren sie fortlaufend ihr eigenes Handeln und das Handeln aller Beteiligten sowie den Bezugsrahmen des Prozesses und richten ihre weiteren Handlungen an ihren bisherigen Interpretationen aus (vgl. bereits Kapitel 2.1). In ihren Handlungen beziehen sie sich zudem auf vorherige Handlungen und Erfahrungen. Individuen handeln also rückbezüglich (rekursiv) und wiederholen in der Vergangenheit erlernte und erfolgreiche Handlungen in Form von routinierten, strukturierten, sozialen Praktiken. „Die Handlungen führen so zu dem, was Giddens mit Rekursivität des sozialen Lebens bezeichnet. Dadurch, dass sich Akteure in ihren routini(si)erten Handlungen auf Struktur (als Medium) beziehen, produzieren und reproduzieren sie zugleich diese Struktur (als Ergebnis ihrer Handlungen).“ (Walgenbach 2006, S. 408)
Wiederkehrende Routinehandlungen spielen eine wichtige Rolle in Giddens’ Konzeption und stehen in engem Zusammenhang zu seinem Verständnis von Handlungen und sozialen Akteuren. 5.2.2 Handeln und Handelnde (Akteure132) Obwohl Giddens Handeln grundsätzlich an Individuen bindet, hält er es für sinnvoll, Kollektiven einen Akteursstatus zuzugestehen, sofern „ein bedeutsames Maß an reflexiver Steuerung der Bedingungen der sozialen Reproduktion gegeben ist, wie beispielsweise bei Organisationen.“ (ebd., S. 256, vgl. auch Zühlsdorf 2002, S. 212, Röttger 2000, S. 147f, Zerfaß 2004)
So können auch Unternehmen als Akteure begriffen werden. 132 Giddens verwendet die Begriffe Handelnder und Akteur ausdrücklich synonym. Vgl. Giddens 1997, S. 36.
94
5 Strukturationstheoretische Grundlagen
Grundsätzlich ist unter Handeln ein bewusstes, aktives und folgenreiches Eingreifen (oder das bewusste Unterlassen eines Eingriffs) in die Welt zu verstehen, mit der Folge, einen spezifischen Prozess oder Zustand zu beeinflussen, also etwas zu verändern. Dabei ist nach Giddens entscheidend, dass ein Akteur in einer gegebenen Situation auch anders hätte handeln können (Giddens 1997, S. 65)133. Auf dieser Basis ist Handeln von einfachem Verhalten zu unterscheiden, bei dem Menschen diese Entscheidungsfreiheit nicht haben (z.B. bei physischen Reflexen, etwa dem Erröten). Durch Handlungen greifen Akteure bewusst in den Lauf der Dinge ein. Dabei sind menschliche Handlungen nicht isoliert zu betrachten, sondern vollziehen sich vielmehr als ein kontinuierlicher Strom reflexiven Handelns in Form von Interaktionsprozessen134, wobei die Akteure – wie bereits erwähnt – ihr eigenes Handeln und das Handeln aller Beteiligten sowie den Bezugsrahmen des Prozesses fortlaufend reflektieren und ihre weiteren Handlungen an ihren bisherigen Interpretationen ausrichten. Die Fähigkeit, aus Erfahrungen Wissen zu generieren und für weitere Handlungen zu nutzen bezeichnet Giddens als knowledgeability (‚Einsichtsfähigkeit’135; vgl. Giddens 1997, S. 429). Die Fähigkeit, grundsätzlich auch anders handeln und allgemein in den Lauf der Dinge eingreifen zu können, bezeichnet Giddens hingegen als capability (‚Handlungsvermögen’). Einsichtsfähigkeit und Handlungsvermögen stellen die Grundlagen des Handelns dar: Einsichtsfähigkeit (knowledgeability)
Handlungsvermögen (capability) Handlung
Abbildung 18: Handlungsgrundlagen. Nach Neuberger 1995, S. 291, zitiert nach Röttger 2000, S. 139. Akteure werden von Giddens als sich ihrer selbst bewusste, reflexiv und kompetent Handelnde konzipiert (vgl. Röttger 2000, S. 138). Individuen sind mit einem reflexiven Bewusstsein ausgestattet, das ihnen eine fortlaufende Rationalisierung des Handlungsvollzugs ermöglicht. Die Rationalisierung des Handelns beschreibt Giddens wie folgt: „Das Vermögen kompetenter Akteure, mit den Beweggründen für das, was sie tun, während sie es tun, ‚auf Tuchfühlung zu bleiben’, und zwar so, daß sie, falls sie von anderen danach gefragt 136 werden, Gründe für ihr Handeln angeben können.“ (Giddens 1997, S. 431) 133 Handeln ist also kontingent und beruht auf den individuellen Erfahrungen, Sinndeutungen und Einstellungen des jeweils Handelnden. Die Frage, auf welcher Grundlage Individuen frei handeln, wird von Giddens unbefriedigend diskutiert (vgl. Giddens 1997, S. 91-160; Kritik bei Archer 1988, S. 86). 134 Giddens verwendet Handlung und Interaktion synonym. An anderer Stelle der Sozialwissenschaft wird analytisch zwischen poietischen Handlungen (als alle Eingriffe in die natürliche Welt der materiellen Gegenstände, Pflanzen und Tiere) und sozialen Handlungen, die dem Sinn nach auf andere bezogen sind und einen Eingriff in die soziale, zwischenmenschliche Welt darstellen, unterschieden (vgl. u.a. Zerfaß 2004, S. 92). Dies erfolgt bei Giddens nicht explizit. Mit der Gleichsetzung von Handlung und Interaktion betrachtet er jedoch implizit soziale Handlungen. 135 In der deutschen Übersetzung wird hierfür der Begriff Bewusstheit verwendet. Hier wird sich hingegen Röttger angeschlossen, die den Begriff Einsichtsfähigkeit bevorzugt (Röttger 2000, S. 138, vgl. auch Neuberger 1995, S. 290). 136 Die Rationalisierung des Handelns wird an verschiedenen Stellen bei Giddens widersprüchlich definiert und kann als ein Beispiel fungieren, auf das sich die häufige Kritik einer mangelnden Definitionsschärfe der
5.2 Strukturationstheoretischer Ansatz von Anthony Giddens
95
Kompetente Akteure können also stets über die Gründe und Intentionen ihres Handelns Auskunft geben, wofür sie auf ihr diskursives Bewusstsein zurückgreifen. Im Alltag handeln Individuen jedoch häufig routiniert. „Routinen (alles, was gewohnheitsmäßig getan wird) sind ein Grundelement des alltäglichen sozialen Handelns. […] Das Wort ‚alltäglich’ beinhaltet genau den routinisierten Charakter, den das gesellschaftliche Leben in dem Maße besitzt, wie es sich über Raum und Zeit erstreckt. Der Wiederholungscharakter von Handlungen, die in gleicher Weise Tag für Tag vollzogen werden, ist die materiale Grundlage für das, was ich das rekursive Wesen des gesellschaftlichen Lebens nenne.“ (Giddens 1997, S. 36f)
In routinierten Handlungssituationen reflektieren Akteure den Handlungsvollzug weniger auf der Basis ihres diskursiven Bewusstseins, sondern vielmehr auf der Basis ihres – nur analytisch abgrenzbaren – praktischen Bewusstseins. „Dieses praktische Bewußtsein (practical consciousness) umfaßt all das, was Handelnde stillschweigend darüber wissen, wie in den Kontexten des gesellschaftlichen Lebens zu verfahren ist, ohne daß sie in der Lage sein müßten, all dem einen direkten diskursiven Ausdruck zu verleihen.“ (Giddens 1997, S. 36)
Im fortlaufenden Fluss der alltäglichen, routinierten Handlungen macht sich niemand etwa die Konventionen einer Sprachgemeinschaft und Regeln der Grammatik bewusst, „die mit jeder sprachlichen Produktion von sinnvollen Sätzen gleichwohl vorausgesetzt und reproduziert werden.“ (Lamla 2003, 48) Routinehandlungen basieren auf bisherigen Erfahrungen und stellen wiederkehrende Handlungen, eben soziale Praktiken, dar. Diese Regelmäßigkeit heißt jedoch nicht, dass Akteure unbewusst und unreflektiert ‚aus blinder Gewohnheit’ handeln. Akteure haben, während sie bewusst und reflexiv Handeln, Vorstellungen von bestimmten Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen und Handeln insofern zweckgerichtet bzw. intentional (vgl. Theis-Berglmair 2003, S. 230, Walgenbach 2006, S. 406 und vertiefend Stratifikationsmodell von Giddens 1997, S. 56f). Obwohl soziale Akteure also grundsätzlich mit Reflexivität und Intentionalität ausgestattet sind und Handlungen grundsätzlich zweckgerichtet sind, sind Akteuren die Beweggründe des eigenen Handelns oftmals nicht vollständig (auf Ebene des diskursiven Bewusstseins) bekannt. Gleiches gilt für die Handlungsbedingungen und die Folgen des Handlungsvollzugs. Diese sind von Akteuren nur begrenzt überschaubar, können aber durch systematische Rückkopplungsprozesse wiederum zu (unerkannten) Bedingungen weiteren Handelns führen. Die grundlegende Eigenschaft des Handelns, Akteuren die Möglichkeit zu geben, in jeder sozialen Situation auch anders Handeln zu können, räumt dem Subjekt eine grundlegende Handlungsautonomie ein, die in der Tradition handlungsorientierter Ansätze steht. Diese wird jedoch dahingehend eingeschränkt, dass sich Akteure im sozialen Handeln in der Regel (routiniert) auf ihre Vorerfahrungen und erlernte Konventionen des Alltagslebens beziehen. Dies lenkt den Blick auf die zweite Seite der Medaille sozialen Handelns, nämlich auf Struktur.
Giddens’schen Terminologie bezieht. Auch die Terminologie Kompetente Akteure wird von Giddens wenig befriedigend definiert. Vgl. ausführlich Walgenbach 2006, S. 420.
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5 Strukturationstheoretische Grundlagen
5.2.3 Die Dualität von Struktur: Regeln und Ressourcen So wie Beweggründe und Folgen von Handlungen für Akteure in der Regel nicht vollständig überschaubar sind, kennen sie meist auch die Bedingungen ihres Handelns nur unvollständig. Diese Handlungsbedingungen nennt Giddens Strukturen, wobei er sich mit der inhaltlichen Füllung des Begriffs Struktur erheblich von klassischen Definitionen in der Sozialwissenschaft unterscheidet (vgl. Giddens 1997, S. 41 und S. 68): „Steht der Strukturbegriff in der Sozialtheorie sonst eher für Einschränkungen des Subjekts […], betont Giddens, dass Strukturen immer auch einen ermöglichenden Charakter besitzen. […; Sie stellen; J.K.] die Mittel bereit, um überhaupt effektiv handeln, also in die Geschehnisse eingreifen zu können. Strukturen haben für Giddens Werkzeugcharakter – egal ob es sich um die Grammatik der Sprache, um Rechtsnormen oder materielle Dinge handelt. Sofern sie nicht mechanisch bestimmte Handlungen programmieren, [in diesem Falle wäre die konstitutive Bedingung für Handeln nicht erfüllt und man müsste von Verhalten sprechen; J.K.] sondern verschiedene Möglichkeiten ihrer Verwendung zulassen, erzwingen sie gerade die Ausbildung der autonomen Subjektivität.“ (Lamla 2003, S. 51)
Strukturen stellen also die – ermöglichenden (enabling) und zugleich einschränkenden (constraining) – Bedingungen des Handelns dar. Gleichzeitig sind sie auch das Ergebnis von Handlungen und mit diesen wechselseitig verschränkt. Im fortlaufenden Handlungsprozess beziehen sich Akteure – mehr oder weniger bewusst – reflexiv auf die vorhandenen Strukturen und reproduzieren diese fortlaufend. Strukturen wirken so an der sozialen Reproduktion rekursiv mit. Strukturen bestehen nach Giddens aus 1) Regeln und 2) Ressourcen (vgl. Giddens 1997, u.a. S. 45, S. 77, S. 432). In Interaktionen bezieht sich ein Akteur auf sein (subjektives, teilweise implizites) Wissen über Regeln in sozialen Handlungskontexten, indem er das eigene Handeln, das Handeln anderer Akteure sowie die sozialen und physischen Aspekte des spezifischen Interaktionskontextes fortgehend auf der Basis dieses Wissens interpretiert und weitere Handlungen daran ausrichtet (Einsichtsfähigkeit). Das Vermögen, in die Welt einzugreifen, und damit Macht auszuüben (Handlungsvermögen), basiert hingegen grundlegend auf Ressourcen. Ë
Struktur
Ì
Regeln
Ressourcen
Einsichtsfähigkeit (knowledgeability)
Handlungsvermögen (capability)
É
Handlung
Ê
Abbildung 19: Dimensionen von Struktur und Handlung. Nach Neuberger 1995, S. 291/ Röttger 2000, S. 141.
5.2 Strukturationstheoretischer Ansatz von Anthony Giddens
97
1) Regeln: Unter Regeln versteht Giddens ‚verallgemeinerbare Verfahren’: „verallgemeinerbar, weil sie für eine Reihe von Kontexten und Anlässen Anwendung finden kann; ein Verfahren, weil sie die methodische Fortschreibung einer bestimmten Reihenfolge erlaubt.“ (Giddens 1997, S. 72)
Es geht also um die allgemeinen, regelmäßigen Handlungsformeln, die in der Ausführung sozialer Praktiken angewendet werden. Hierzu zählen weniger explizit formulierte, schriftlich fixierte Regelwerke (rechtliche Normen, formale Regeln), die Menschen entwickeln, um Übereinkünfte über adäquates soziales Handeln zu formalisieren137, sondern vor allem implizite, informelle Regeln, die sich durch soziales Miteinander stillschweigend herausbilden. Insbesondere geht es um gesellschaftliche Regeln, die vor allem im praktischen Bewusstsein verankert sind und die aus sozialen Akteuren, aufgrund der hohen Vielzahl im Laufe der Sozialisation erlernten Regeln, ‚hochgebildete’ gesellschaftliche Akteure machen. In ihren täglichen Handlungen wenden die Akteure typische Schemata an, die sie dazu befähigen, „auf eine unbestimmte Anzahl von sozialen Umständen einzugehen und sie zu beeinflussen.“ (Giddens 1997, S. 74) Die Nicht-Befolgung von Regeln kann sozial unterschiedlich stark sanktioniert werden138. Relevant wird an dieser Stelle die Unterscheidung zwischen einzelnen, situativen Handlungen und den bei Giddens und auch hier im Mittelpunkt stehenden sozialen Praktiken: Da die Regeln einen allgemeinen, situationsübergreifenden Charakter haben, können sie nicht alle Aspekte konkreter Interaktionssituationen vorstrukturieren. „Andernfalls würde das Allgemeine, das sie erst zu sozialen Regeln macht, mit dem einzigartigen Verlauf ihrer je besonderen Anwendung zusammenfallen. Der ‚paradigmatische’ Charakter von sozialen Regelstrukturen impliziert somit, dass eine Lücke zu den konkreten Handlungen in Raum und Zeit bestehen bleibt, die von den Handelnden in der Anwendung von Regeln geschlossen werden muss. Am Übergang von der paradigmatischen Strukturierung sozialer Praktiken durch eine virtuelle Ordnung sozialer Regeln zur aktiven Hervorbringung des Handlungsflusses in Raum und Zeit – der sogenannten syntagmatischen Strukturierung – muss das praktische Regelwissen der Handelnden die Fähigkeit zur autonomen Anwendung und Entscheidung beinhalten.“ (Lamla 2003, S. 53, Hervorhebungen verändert, vgl. Giddens 1997, S. 68)
Dies ist ein wichtiger Aspekt, der die Autonomie des Individuums hervorhebt: In Anwendung der allgemeinen Regeln muss er immer einen eigenen, kreativen Beitrag leisten, um die Regeln auf die spezifische, konkrete Interaktionssituation anzupassen, wodurch es im Zeitverlauf auch zu Veränderungen allgemeiner Regeln kommen kann139. Regeln im strukturationstheoretischen Sinne, als verallgemeinerbare Verfahren, determinieren also nicht 137 Nach Giddens stellt die diskursive Formulierung einer Regel bereits eine Interpretation eben dieser Regel dar. Von daher bezeichnet er formulierte Regeln eher als kodifizierte Interpretationsregeln denn als Regeln als solche (Giddens 1997, S. 73f). 138 Unterschiedliche soziale Situationen sind unterschiedlich stark reglementiert. Auf einer Geburtstagsparty können sich Individuen beispielsweise relativ frei entfalten, während ihre Handlungsspielräume am Arbeitsplatz eingeschränkter sind. Zudem lassen sich Regel dahingehend unterscheiden, ob sie intensiv oder oberflächlich sind (vgl. Giddens 1997, S. 74) und wie weit sie sich in Zeit und Raum erstrecken. 139 Es reicht nicht, dass er die allgemeinen Regeln kennt, er muss sie auch deutend beherrschen, wobei ihm in Alltagssituationen in der Regel eine Vielzahl von Optionen offen stehen. Lamla führt das Bild eines Schachspiels an: „Mit einer begrenzten Anzahl von zulässigen Zügen lassen sich unzählige konkrete Spielverläufe realisieren.“ (Lamla 2003, S. 53)
98
5 Strukturationstheoretische Grundlagen
das Handeln von Subjekten, die sich in ihren Handlungen auf sie beziehen, sondern geben ihnen gewisse strukturelle Momente vor, die es ihnen ermöglichen, in gegebenen Handlungsspielräumen für andere verständlich und akzeptiert zu handeln. Regeln lassen sich dahingehend weiter unterscheiden, ob sie sich vornehmlich 1) auf Verständigung (Deutungsregeln) oder 2) auf Akzeptanz (Handlungsregeln) beziehen. Erstere beziehen sich auf die Konstitution von Sinn (Signifikation), letztere auf Rechte und Verpflichtungen der beteiligten Akteure (Legitimation). Auf Verständigung abzielende Regeln der Sinn- bzw. Bedeutungskonstitution (konstitutive Regeln, Interpretationsschemata, Deutungsregeln) sind solche Regeln bzw. Konventionen, die „zur Interpretation der Welt als Grundlage sinnvollen Handelns herangezogen werden.“ (Zühlsdorf 2002, S. 226)
Hierunter fallen (überwiegend implizit vorliegende) kognitive Interpretations- und Kategorisierungsgrundlagen, die der Einordnung von Einzelereignissen dienen (etwa Schemata, Skripte, Stereotype oder Frames). Diese Deutungsregeln erlauben die Konstitution von Sinn (etwa die Interpretation von Worten oder nonverbalen Zeichen) und darauf aufbauende Handlungen. Normative Regeln (regulative Regeln, Normen, Handlungsregeln) geben hingegen vor, welche Handlungen sozial erwartet, erlaubt und erwünscht sind und welche Handlungen sozial sanktioniert werden. „Die konstitutiven Aspekte von Regeln ermöglichen die Kommunikation von Sinn und Bedeutung, wobei die Sinnhaftigkeit immer kontextabhängig hergestellt und gemeinsame Situationsdefinitionen in der sozialen Interaktion entsprechend aktiv ausgehandelt werden müssen. Die regulativen Aspekte schränken dabei die Handlungsmöglichkeiten selektiv ein, wobei die Sanktionierung von Normen und moralischen Regeln aktiv reproduziert werden müssen und stets auch Auslegungsspielräume eröffnen, die situationsabhängig ausgetestet werden können.“ (Lamla 2003, S. 56f)140
2) Ressourcen: Soziales Handeln hängt zudem von den zur Verfügung stehenden Ressourcen ab. Diese sind in der Realität höchst unterschiedlich verteilt und begründen die Entstehung von Macht und Abhängigkeit. Macht stellt dabei keine Ressource an sich dar, sondern resultiert erst aus der Anwendung von Ressourcen in Interaktionssituationen141. „Handelnde nutzen Ressourcen […], um in den Verlauf der Ereignisse einzugreifen, das heißt Macht auszuüben. Indem Handeln untrennbar mit der Ausübung von Macht gekoppelt ist, kann menschliches Handeln als strategisches Handeln interpretiert werden.“ (Röttger 2000, S. 139)
Auch Ressourcen unterscheidet Giddens in zwei Typen, nämlich in 1) allokative und 2) autoritative Ressourcen. Allokative Ressourcen beziehen sich auf 140 Die analytische Differenzierung von Deutungs- und Handlungsregeln heißt nicht, dass zwei getrennt zu denkende Typen von Regeln existieren. Es handelt sich vielmehr um zwei unterschiedliche Aspekte, die Bestandteil jeder Regel sind und lediglich in unterschiedlicher Gewichtung zu Tage treten (vgl. Röttger 2000, S. 143). 141 Bei Macht handelt es sich um ein äußerst komplexes soziales Phänomen, zu dem es zahlreiche theoretische Ansätze gibt (vgl. zu einer Übersicht Witte 2002).
99
5.2 Strukturationstheoretischer Ansatz von Anthony Giddens
„Fähigkeiten – oder genauer auf Formen des Vermögens zur Umgestaltung –, welche Herrschaft über Objekte, Güter oder materielle Phänomene ermöglichen.“ (Giddens 1997, S. 86142)
Sie leiten sich aus der Herrschaft des Menschen über die Natur ab. Hingegen beziehen sich autoritative Ressourcen auf soziale Phänomene und somit auf „Typen des Vermögens, zur Umgestaltung, die Herrschaft über Personen oder Akteure generieren.“ (Giddens 1997, S. 86)
Diese basieren auf asymmetrischen Beziehungen bzw. zwischenmenschlichen Abhängigkeiten. Überblicksartig ergeben sich folgende Typen von Regeln und Ressourcen:
Ë
Struktur
Regeln Deutungsregeln
Handlungsregeln
Interpretative ScheNormen und mata zur Konstitution von Sinn Handlungsmuster und Bedeutung Basis von Basis von Sanktionen Kommunikation Einsichtsfähigkeit (knowledgeability) É
Ì
Ressourcen allokative autoritative Ressourcen Ressourcen Vermögen zur Vermögen zu Umgestaltung von Handlungen, die Objekten und mateMacht über andere riellen Phänomenen Akteure erzeugen Basis von Basis von Macht Macht Handlungsvermögen (capability)
Handlung
Ê
Abbildung 20: Typen von Regeln und Ressourcen. Eigene Darstellung, in Anlehnung an Lamla 2003, S. 56. Regeln und Ressourcen stellen also das Bindeglied – die Strukturmodalitäten – zwischen Struktur und Handlung dar. Indem Individuen auf sie Bezug nehmen, rekonstruieren sie Strukturmomente und tragen gleichzeitig zu ihrer Reproduktion bei. Diesen fortlaufenden Vorgang nennt Giddens Strukturierung bzw. Strukturation. So handelt es sich bei Struktur nicht um einen stabilen Zustand, sondern um einen fortlaufenden Prozess der Produktion und Reproduktion. Die Strukturmodalitäten vermitteln zwischen den drei Strukturdimensionen Signifikation, Legitimation und (die beiden Ressourcentypen zusammenfassend) Herrschaft, denen die Handlungsdimensionen Kommunikation, Sanktion und Macht gegenüberstehen.
142 Auch wenn sich allokative Ressourcen vor allem auf materielle Aspekte und autoritative Ressourcen vor allem auf immaterielle Aspekte beziehen, entspricht die Differenzierung nicht der von materiell und immateriell. Vgl. Röttger 2000, S. 142.
100
5 Strukturationstheoretische Grundlagen
Abbildung 21: Dimensionen der Dualität von Struktur. Nach Giddens 1997, S. 81. Interaktionen (soziale Handlungen) beinhalten demnach die Kommunikation von Sinn und Bedeutung (auf Basis von Deutungsregeln), die Ausübung von Macht durch Anwendung von Ressourcen und Sanktion mittels regulativer Regeln (Handlungsregeln). So wie Regeln und Ressourcen sich nur analytisch voneinander trennen lassen, ist auch die Unterscheidung der Struktur- und Handlungsdimensionen nur analytischer Natur. Struktur und Handlungen sind untrennbar miteinander verknüpft. Erst im Handeln werden Strukturen produziert und reproduziert. Sie sind dem Individuum nicht – wie etwa von Durkheim konzipiert – äußerlich, sondern existieren (zunächst) nur virtuell im Handeln von Akteuren, in ihren Erinnerungen und Erwartungen (sonst könnten sie sich nicht auf sie beziehen). „Unabhängig von den sozialen Praktiken, die sie konstituieren, haben sie keine Existenz.“ (Theis-Berglmair 2003, S. 231, vgl. Walgenbach 2006, S. 411, Giddens 1997, S. 77)
Erst durch wiederholte Realisierung treten sie in Form empirisch beobachtbarer wiederkehrender Handlungszusammenhänge als ‚soziale Systeme’ in Erscheinung (vgl. Zerfaß 2004, S. 105). 5.2.4 Soziale Systeme, Strukturmomente und Institutionen In wesentlich weiterer Fassung als die Vertreter systemtheoretischer Ansätze, versteht Giddens soziale Systeme als „reproduzierte Beziehungen zwischen Akteuren oder Kollektiven, organisiert als regelmäßige soziale Praktiken“ (Giddens 1997, S. 77, Großschreibung verändert)143.
Regeln und Ressourcen kommen in konkreten Interaktionssituationen zum Einsatz. Wiederholen sich diese, reproduzieren sich Beziehungen und darin verfolgte soziale Praktiken als 143 Im Glossar verwendet er folgende Definition: „Die Ordnung sozialer Beziehungen über Raum und Zeit hinweg, sofern diese als reproduzierte Praktiken aufgefasst werden. Soziale Systeme weisen, was den Grad ihrer ‚Systemhaftigkeit’ anlangt, eine große Variationsbreite auf […].“ (Giddens 1997, S. 432)
5.2 Strukturationstheoretischer Ansatz von Anthony Giddens
101
raumzeitlich verfestigte Interaktionsmuster, die Giddens als soziale Systeme konzipiert. Dieser weite Systembegriff erlaubt es, unterschiedliche in Raum und Zeit verfestigte Interaktionsmuster (Handlungszusammenhänge) zu erfassen144. Er umschließt alle realen Sozialbeziehungen, die raumzeitlich überbrückend zwischen Akteuren bestehen, und entspricht somit Zerfaß Definition von Foren im Rahmen der Öffentlichkeitstheorie (vgl. Kapitel 3.2.3). „Der Verkehrsstau, die Stadt, eine Familie, ein Unternehmen, die Börsen, das globale Geflecht von Nationalstaaten, aber auch der kurze Flirt sind Beispiele für soziale Systeme.“ (Lamla 2003, S. 61)
Je nach raumzeitlicher Ausdehnung können soziale Systeme – analog zu den anfänglich kategorisierten Betrachtungsebenen der Soziologie – hierarchisch geordnet werden: Von der privaten Interaktion über Gruppen und Organisationen bis hin zur Totalität der Gesellschaft. Unter Gesellschaft ist folglich die Gesamtheit aller raumzeitlich verfestigten Interaktionsmuster zu verstehen, die – unter Rückbezug auf das Nationalstaatenprinzip – „mit einem bestimmten Territorium verbunden sind und sich durch die Existenz eines rechtlichpolitischen Normengefüges auszeichnen.“ (Zerfaß 2004, S. 105, vgl. Giddens 1997, S. 216-222145)
Die dem Interaktionsmuster zu Grunde liegende Struktur ist insofern eine Eigenschaft von sozialen Systemen, die sich, in Raum und Zeit eingebettet, in reproduzierten sozialen Praktiken vollzieht (vgl. Röttger 2000, S. 145, vgl. Giddens 1997, S. 223). In jedem sozialen System kommt es durch die wiederholte Anwendung bestimmter Regeln und Ressourcen zu der Herausbildung einzelner Strukturmomente146 mit dauerhaftem Charakter. Diese Strukturmomente lassen sich hierarchisch danach ordnen, wie weit sie sich in Raum und Zeit erstrecken und damit die institutionelle Ordnung der Gesellschaft konstituieren (Giddens 1997, S. 58). „Die am weitesten in Raum und Zeit ausgreifenden Strukturmomente, die in die Reproduktion gesellschaftlicher Totalitäten einbegriffen sind, nenne ich Strukturprinzipien. Jene Praktiken, die in diese Totalitäten die größte Ausdehnung in Raum und Zeit besitzen, kann man als Institutionen bezeichnen.“ (Giddens 1997, S. 69)
Institutionen sind demnach die dauerhafteren Merkmale des gesellschaftlichen Lebens, die sich im Zeitverlauf aus der Vielzahl institutionalisierter Praktiken in den verschiedenen sozialen Systemen übergreifend ausgebildet haben.
144 Die Grenzen sozialer Systeme sind dabei nicht eindeutig definiert; Systeme sind nicht als abgeschlossene Gebilde zu verstehen sondern können fließende Grenzen haben, etwa in Netzwerken oder Bürgerinitiativen (Giddens 1997, S. 218, Röttger 2000, S. 145). Soziale Systeme sind durch spezifische Strukturmomente und Integrationsmuster gekennzeichnet. 145 Auch Giddens (1997, S. 337) weist auf die bereits erwähnte grundsätzliche Problematik (vgl. Kapitel 2.2.3) hin, Gesellschaften nach dem Nationalstaatenprinzip mit administrativen Geltungsbereichen gleich zu setzen. 146 Strukturmoment definiert Giddens als „strukturierte Aspekte sozialer Systeme, insbesondere institutionalisierte Aspekte, die sich über Raum und Zeit hinweg erstrecken.“ (Giddens 1997, S. 432)
102
5 Strukturationstheoretische Grundlagen
„Während Struktur und Strukturen veränderlich sind und einen permanenten Wandel unterliegen, sind Institutionen im Sinne von tieferliegenden, historisch überdauernden Strukturen, von einzelnen Akteuren und Akteurskonstellationen nur bedingt gestaltbar.“ (Röttger 2000, S. 146)147
Der Annahme folgend, dass Akteure sich in ihrem Alltagshandeln immer und notwendig auf die strukturellen Momente übergreifender sozialer Systeme beziehen, welche sie so zugleich reproduzieren (vgl. Giddens 1997, S. 76), stellen Institutionen den zentralen Bezugspunkt aller in einer Gesellschaft bestehenden sozialen Systeme dar. Diese Konzeption von Institutionen erinnert an die (mentalistische und funktionale) Konzeption von Kultur als „that complex whole […] acquired by man as a member of society“ (vgl. Kapitel 2.2.1): Als dem Handeln zu Grunde liegende Spielregeln oder mit Zerfaß Worten „als Verbindungsglied einer gemeinsamen Praxis“, dem die Einzigartigkeit konkreter Handlungen gegenübersteht (Zerfaß 2004, S. 105). Tatsächlich kann Kultur als institutionelles Phänomen betrachtet werden (vgl. u.a. Theis-Berglmair 2003, S. 231, Zerfaß 2004, S. 104). Während sich die Konzeption sozialer Systeme (Interaktionen, Organisationen, Gesellschaft) auf beobachtbare raumzeitlich verfestigte Interaktionsmuster (soziale Praktiken, Handlungsebene) bezieht, bezieht sich die Konzeption von Institutionen (Kultur) auf nicht direkt beobachtbare Strukturmomente (Strukturebene), also auf Regeln und Ressourcen, auf denen die Handlungen basieren und die durch Handlungen entstehen und modifiziert werden. Gesellschaft und Kultur sind somit aufs engste miteinander verknüpft. Kultur
Handlungsebene Å
Gesamtheit beobachtbarer sozialer Praktiken/ verfestigter Interaktionsmuster im sozialen System eines bestimmten Territoriums =
Ú
= Gesamtheit nicht direkt beobachtbarer tiefer liegender, historisch überdauernder Strukturen, auf denen Gesellschaft basiert
Æ Strukturebene
Gesellschaft
Abbildung 22: Gesellschaft und Kultur nach Giddens. Eigene Darstellung. Einer solchen Konzeption folgend, macht es begrifflich wenig Sinn, gesellschaftliche und kulturelle Rahmenbedingungen voneinander zu trennen, geschweige denn, sich in Analysen Internationaler PR auf den Aspekt Kultur zu konzentrieren, da es sich hierbei um den gesamten Komplex institutionalisierter Strukturmomente handelt, die sozialen Handlungen in einer Gesellschaft zu Grunde liegen. Jedoch kann man auch Institutionen in verschiedene Typen unterteilen und somit eine Strukturierung der strukturellen, kulturellen Rahmenbedingungen des Handelns in einem bestimmten Territorium vornehmen. Diese Unterteilung nimmt Giddens entlang der ‚Dualität von Struktur’ vor. Je nachdem, welche Strukturdimensionen bzw. Typen von Regeln und Ressourcen vorherrschen, unterscheidet er in symbolische Diskursordnungen, normative, politische und ökonomische
147 Das Dauerhafte von Institutionen muss nicht in der Kontinuität der Alltagspraktiken liegen, sondern kann sich auch auf periodisch wiederkehrende Ereignisse beziehen, etwa Einschulungen/Taufen (vgl. Lamla 2003, S. 58).
103
5.2 Strukturationstheoretischer Ansatz von Anthony Giddens
Institutionen148. Institutionen bieten demnach Interpretationsmuster, geben Handlungsregeln vor und entscheiden durch Ressourcenverteilung über Machtverhältnisse. Überblicksartig lassen sich die vier Typen dauerhafter, institutioneller Ordnung folgendermaßen darstellen: Institutionelle Ordnung Politische Institutionen/ Herrschaftsordnung Ökonomische Institutionen/ Infrastruktur Symbolische Diskursordnungen Normative Institutionen/ Normative Ordnung
Vorherrschende Strukturdimension
Struktur als Moment der institutionellen Ordnung
H(aut) – S – L
Politische Herrschaftsordnung/ Institutionen
H(all) – S – L
Ökonomische Herrschaftsordnung/ Institutionen
S–H–L
Symbolische Ordnung, Sprache, Diskursformen
L–H–S
Legitime Ordnung, Moral, Gesetze, Handlungsmaximen
Abbildung 23: Institutionelle Ordnungen. Nach Giddens 1997, S. 87 und Lamla 2003, S. 56. S = Signifikation, L = Legitimation, H(aut) = autoritative Ressourcen, H(all) = allokative Ressourcen
Mit diesem Schema können Gesellschaftsanalysen durchgeführt werden, etwa durch die Analyse, welcher Ressourcentyp (z.B. staatliche Macht oder Gewaltenteilung) in einer Gesellschaft dominiert oder welche Rollen bestimmte philosophische Ideen und Traditionen für Handlungen spielen (vgl. vertiefend Lamla 2003, S. 59)149. Dies ist nicht Ziel dieser Arbeit. Die institutionellen Ordnungen spielen in dieser Arbeit jedoch insofern eine zentrale Rolle, als sie als übergeordnete soziale Systeme den Bezugspunkt für Handlungen in sozialen Systemen/Foren einer Gesellschaft darstellen, in denen PR-Handlungen von Unternehmen in diesen Gesellschaften realisiert werden. In Interaktionen greifen Akteure, die in dem Gastland sozialisiert wurden, (implizit) auf ihr Wissen über die institutionelle Ordnung, in der sie eingebunden sind, zurück (vgl. Theis-Berglmair 2003, S. 237). Um mit diesen Akteuren in Bezug treten zu können, müssen die PR-Akteure für Unternehmen in diesem Gastland also die institutionelle Ordnung des Landes zumindest in einem gewissen Ausmaß kennen und antizipieren, wie sich diese auf Interaktionen in konkreten PR-Handlungskontexten auswirken150. 148 Anstelle rechtlicher Institutionen wird hier der Begriff normativer Institutionen verwendet, um Verwechslungen mit dem Rechtssystem zu vermeiden (vgl. Überlegungen zu Regeln in Kapitel 5.2.3). 149 Giddens warnt dabei davor, Institutionen im Sinne substantivistischer Konzeptionen zu verstehen, die eine konkrete institutionelle Trennung dieser verschiedenen Ordnungen voraussetzen und bspw. annehmen, dass Politik nur in Gesellschaften existiert, die einen distinktiven Staatsapparat etc. haben. „Aber die Arbeit von Kulturanthropologen zeigt ganz deutlich, daß es ‚politische’ Phänomene – die mit der Ordnung von Autoritätsbeziehungen zu tun haben – in allen Gesellschaften gibt. Dasselbe gilt für die anderen institutionellen Ordnungen.“ (Giddens 1997, S. 87) Insbesondere in Bezug auf ökonomische Institutionen warnt er davor, diese nur im Sinne der Marktökonomie als Kampf um knappe Ressourcen zu konzipieren. 150 Dabei unterscheidet Giddens (1997, S. 80) ähnlich wie Zerfaß in Sozialintegration (= Kommunikation im Nahbereich/persönliche Kommunikation) und Systemintegration (= Kommunikation im Fernbereich/mediale Kommunikation).
104
5 Strukturationstheoretische Grundlagen
5.2.5 Kritik und Ausblick Die Überlegungen Giddens wurden breit rezipiert und diskutiert und schlugen sich in den unterschiedlichsten wissenschaftlichen Disziplinen nieder. Die Kritik kommt dabei interessanterweise sowohl von den Anhängern einer objektivistischen Herangehensweise, die der Theorie eine subjektivistische Übergewichtung vorwerfen, als auch von Anhängern einer subjektivistischen Herangehensweise, die der Theorie umgekehrt eine objektivistische Übergewichtung vorwerfen (vgl. Bibliographie zur Debatte/Kritik Kaspersen 2000, S. 202216). Kritiker der ersten Kategorie (z.B. Collins 1992, Callinicos 1987) werfen Giddens vor, eine grundsätzlich hermeneutische Herangehensweise zu verfolgen, die dem Subjekt einen überhöhten Stellenwert beimisst und den Ansprüchen strukturtheoretischer Konzeptionen nicht gerecht wird. Collins etwa konstatiert, dass Giddens einem romantischen Handlungsmodell anhängt, das die Unverfügbarkeit gesellschaftlicher (Makro-)Strukturen verkenne (vgl. Lamla 2003, S. 153). Kritiker der zweiten Kategorie (z.B. Kießling 1988, Thompson 1989) werfen Giddens dagegen vor, Strukturen am Ende doch einen zwingenden Charakter zuzuordnen, da er von einem begrenzten Bewusstsein für den (routinierten) Handlungsvollzug ausgeht, der letztendlich doch durch strukturelle Vorgaben bestimmt wird (vgl. ausführlich Walgenbach 2006, S. 421f). Beiden Kritikansätzen kann entgegengehalten werden, die Komplexität der Giddens’schen Konzeption zu verkennen. Diese lässt einen breiten Raum für unterschiedlichste Mechanismen der Reproduktion und Transformation sozialer Strukturen (vgl. Lamla 2003, S. 154). Giddens trifft keine absolute, allgemeingültige Aussage über die Strukturbedingtheit des Handelns. Je nach Situation oder individuellem Akteur können Strukturen Handlungen unterschiedlich stark strukturieren. Dies ist mal stärker, mal schwächer und kann als ein Kontinuum zwischen (niemals vollständig bestehendem) Zwang und vollständigen Voluntarismus gedacht werden151. Regeln bleiben dabei immer interpretationsfähig und Ressourcen variabel. Durch die Konzentration auf soziale Praktiken gelingt Giddens der Kunstgriff, seine Theorie tatsächlich zwischen Subjekt und Objekt anzusiedeln. „Strukturelle Merkmale müssen auf die Handlungsebene ‚übersetzt’ werden und verlieren dadurch ihren determinierenden Charakter. Gleichzeitig rückt auch das Subjekt aus dem alleinigen Fokus des Interesses, ohne dabei zur Bedeutungslosigkeit degradiert zu werden.“ (Zühlsdorf 2002, S. 203f).
So stehen nicht einzelne, individuelle Handlungen im Blickpunkt, sondern übereinstimmende Handlungsmuster vieler Individuen, ohne zu bestreiten, dass jede Handlung in jeder konkreten Situation an sich einzigartig ist. Ein Umstand, der gerade für die Betrachtung von PR-Handlungen, die grundsätzlich sehr heterogen und kreativ sein können, besonders hilfreich ist. Mehr Gewicht ist der von vielen Autoren geübten (und von Giddens als berechtigt eingeräumten) Kritik an der mangelhaften Begriffsschärfe und Konzeptionsklarheit beizumes-
151 Hieran wird Kritik geübt, indem man der Strukturationstheorie vorwirft, zwischen objektivistischen und subjektivistischen Positionen zu oszillieren (vgl. z.B. Archer 1982, Gane 1983). Hierin liegt jedoch gerade eine Stärke der Theorie.
5.2 Strukturationstheoretischer Ansatz von Anthony Giddens
105
sen152. Giddens sprunghafter Schreibstil, der sich immer wieder mit verschiedenartigen Formulierungen um das zentrale Thema der wechselseitigen Verschränkung von Handlung und Struktur dreht, macht einen klaren Nachvollzug seiner Überlegungen schwierig und lässt Raum für verschiedenartige Interpretationen, der Missverständnisse vorprogrammiert. Zentrale, teilweise neolinguistische Begrifflichkeiten werden von ihm entweder gar nicht explizit oder mehrfach und dabei widersprüchlich definiert, was zu Verwirrungen führen kann. In vielen Fällen bleibt der Versuch, in Giddens Schriften eindeutige Begriffsbestimmungen und Konzeptionselemente zu identifizieren, erfolglos. Walgenbach stellt die Überlegung an, ob dies evtl. sogar von Giddens gewollt ist, um sich 1) weniger angreifbar zu machen oder aber 2) dem Forscher den Freiraum zu geben, die Theorie auf seine Fragestellung hin anzupassen. „Von daher sollte die Strukturationstheorie auch ‚nur’ als ein konzeptueller Rahmen betrachtet werden, der darauf abzielt, die Defizite objektivistischer und subjektivistischer Theorieprogramme zu überwinden. Die Verknüpfungspunkte zwischen der Strukturationstheorie und empirischer Forschung liegen dann in der inhaltlichen Füllung der Kernbegriffe Handeln und Struktur.“ (Walgenbach 2006, S. 423)
Es ist demnach die Aufgabe der jeweiligen wissenschaftlichen Disziplinen, inhaltliche Konkretisierungen abstrakter Konzepte – vor allem von Regeln und Ressourcen – vorzunehmen. Für die Fragestellung dieser Arbeit scheint die Strukturationstheorie als konzeptioneller Interpretationsrahmen besonders gut geeignet. Sie bietet einen fundierten theoretischen und begrifflichen Bezugsrahmen, der es ermöglicht, PR-Handlungen von Unternehmen in einem Gastland im Spannungsfeld von unternehmensexternen Rahmenbedingungen (institutionelle Strukturen des Gastlandes bzw. der relevanten Foren) und unternehmensinternen Strukturen (sowie persönlicher Erfahrungen von konkreten Akteuren) zu konzeptualisieren und empirisch zu analysieren.
152 Weitere Kritik richtet sind nach Walgenbach (2006, S. 418-426) an den vermeintlichen Eklektizismus (z.B. Archer 1982, Hirst 1982) und die hohe Abstraktheit (z.B. Callinicos 1987) der Theorie, die empirisch nicht überprüfbar ist.
6.1 Regeln und Ressourcen von PR-Handlungen
107
6 Internationale PR aus strukturationstheoretischer Perspektive
Aufbauend auf den angestellten strukturationstheoretischen Überlegungen, werden PRHandlungen in Folge
im Hinblick auf soziale Praktiken – d.h. regelmäßig wiederkehrende, routinierte Handlungsmuster – analysiert, die einerseits bewusst, reflexiv, rekursiv, kreativ, kompetent und voluntativ auf Basis vorangegangener Erfahrungen erfolgen, andererseits strukturell geprägt sind, in dem Sinne, dass Handlungsspielräume durch Strukturen ermöglicht und begrenzt werden, wobei vorhandene Strukturen durch Handlungen fortlaufend reproduziert und ggf. modifiziert werden.
In verschiedenen Gesellschaften (= soziale Systeme, Gesamtheit aller raumzeitlich verfestigten Interaktionsmuster eines nationalen Territoriums) existieren unterschiedliche Strukturmomente/Institutionen (= Kultur), auf die sich die Mitglieder dieser Gesellschaft in ihren Interaktionen (in verschiedenen Foren) beziehen. Wenn Akteure/Organisationen ihr nationales Territorium verlassen, um in anderen nationalen Territorien (mit eigenen Strukturmomenten/Institutionen) zu interagieren, werden sie einerseits (routiniert und rekursiv) an erlernten und erfolgreichen Handlungsmustern festhalten, andererseits die unterschiedlichen Interaktionsmuster des Gastlandes (bewusst, reflexiv und kompetent) antizipieren und ihr Handeln diesbezüglich anpassen. Verknüpft mit der grundlegenden Frage der Internationalen PR-Forschung, ist folglich anzunehmen, dass sich PR-Handlungen von Unternehmen als Kollektive in einem fremden kulturellen Umfeld einerseits an erlernten Handlungen und Professionalitätsstandards im Heimatland orientieren (Handlungsperspektive = Festhalten an eigenen Standards = Standardisierung), sich aber andererseits auch an strukturelle Unterschiede des Gastlandes anpassen (Strukturperspektive = Adaption an lokale Besonderheiten = Lokalisierung), wodurch es auch zu Veränderungen von Strukturen des Gastlandes kommen kann. Als Bindeglied zwischen Handlungen und Strukturen stehen strukturationstheoretisch Regeln und Ressourcen. Um das wechselseitige Zusammenspiel von Strukturen und PRHandlungen besser zu verstehen, bietet es sich daher in Folge an, den Blick auf diese Strukturmodalitäten zu richten und diese – der offenen Konzeption Giddens folgend – inhaltlich zu konkretisieren. 6.1 Regeln und Ressourcen von PR-Handlungen Strukturen bestehen nach Giddens aus Regeln (regelmäßige Handlungsformeln, die in der Ausführung sozialer Praktiken angewendet werden) und Ressourcen (als Basis von Macht).
108
6 Internationale PR aus strukturationstheoretischer Perspektive
Dabei wird in Deutungs- und Handlungsregeln sowie in autoritative Ressourcen (Vermögen, materielle Dinge umzugestalten) und allokative Ressourcen (Vermögen, Handlungen anderer Akteure zu beeinflussen) weiter untergliedert. Regeln und Ressourcen verknüpfen die Strukturdimension mit regelmäßig wiederkehrenden Handlungen. Dabei werden PRHandlungen in und für Organisationen/Unternehmen von Strukturen auf zwei unterschiedlichen Ebenen geprägt: zum einen von organisationsinternen, zum anderen von organisationsexternen Regeln und Ressourcen. 6.2 Organisationsinterne Regeln und Ressourcen Die vorhandenen strukturationstheoretischen PR-Überlegungen beziehen sich – analog zur Konzentration auf organisationsinterne PR-Faktoren im Rahmen der Excellence-Forschung – vor allem auf organisationsinterne Regel und Ressourcen. Insbesondere Ulrike Röttger (2000) setzt sich mit diesen systematisch auseinander, wobei sie sich weitestgehend auf organisationsinterne Ressourcen konzentriert153. Röttger richtet ihren Blick auf die Ressourcen für routinierte PR-Handlungen von Akteuren in Organisationen (Behörden, NGOs und Unternehmen) innerhalb eines konstanten externen Umfelds (Hamburg154). Als wichtigste Ressource, die das Handlungsvermögen der PRArbeit maßgeblich strukturiert, identifiziert sie grundlegend den Stellenwert, der PR in einer Organisation beigemessen wird. Dieser äußert sich nach Röttger 1. 2. 3.
in der formalen Organisation der PR-Funktion (organisatorische und hierarchische Einbindung der PR, Einsatz von PR-Vollzeit-Beschäftigten) und damit verbunden im Zugang zu allokativen Ressourcen (personelle und finanzielle Ressourcen für PRAktivitäten) sowie im Zugang zu autoritativen Ressourcen (Informationszugang und Entscheidungsbefugnisse der PR im organisationalen Kontext).
Über diese organisationsinternen Faktoren hinaus betrachtet Röttger zudem kurz jene Ressourcen, die PR-Akteuren als Individuen aufgrund ihrer Ausbildung und beruflichen Erfahrungen in Form von persönlichen Kompetenzen und Fähigkeiten zur Verfügung stehen. 6.2.1
Formale Organisation der PR-Funktion
Hinsichtlich der formalen Organisation von PR analysiert Röttger,
153 In ihren Betrachtungen vernachlässigt Röttger weitgehend Deutungs- und Handlungsregeln innerhalb der Organisation bzw. allgemein den Einfluss der Organisationskultur (= organisationsspezifische Deutungs/Handlungsregeln und Ressourcenverteilung). 154 Röttger zielt darauf ab, eine Vollerhebung in Hamburg, die repräsentativ für Deutschland sein soll, durchzuführen (vgl. Röttger 2000, S. 188). Es beteiligten sich 108 Unternehmen an Röttgers Befragung, bei denen es sich, gemessen am erwirtschafteten Umsatz und Mitarbeiterzahlen, vor allem um kleinere Unternehmen handelte (vgl. Röttger 2000, S. 192 und S. 196-199). Darüber hinaus wurden 62 Behörden und 311 private Non-ProfitOrganisationen befragt. Insgesamt flossen die Angaben von 67 Unternehmen, 54 Behörden und 153 Non-Profit-Organisationen, die intern PR betreiben, in die Analyse ein (n = 274, vgl. Röttger 2000, S. 213 und S. 209).
6.2 Organisationsinterne Regeln und Ressourcen
1. 2. 3.
4.
109
ob die befragten Organisationen überhaupt PR betreiben und, wenn ja, ob diese innerhalb der Organisation verankert oder von externen Dienstleistern geleistet wird, die Art der Organisation der PR-Funktion (Unterscheidung zwischen einem eigenständigen, institutionalisierten PR-Arbeitsbereich in Form einer PR-Abteilung und der Ausführung von PR-Aufgaben von der Geschäftsführung bzw. einer anderen Fachabteilung), die hierarchische Einbindung (Unterscheidung zwischen a) PR als gleichrangige Abteilung neben anderen Abteilungen, b) PR als Stabsstelle auf Geschäftsführungsebene, c) PR als Aufgabe der Geschäftsführung oder dem Vorstand selbst, d) PR als direkt unter der Geschäftsführung (Vorstand) angesiedelte Funktion mit zentraler Weisungsbefugnis und e) PR als selbstständig von jeder Abteilung durchgeführten Funktion) und den Einsatz von PR-Experten oder von PR-Laien für die Erfüllung der PR-Funktion.
Die Untersuchung Röttgers zeigt grundsätzlich, dass die Wahrscheinlichkeit für die Gegebenheit günstiger struktureller Voraussetzungen für PR-Handlungen mit zunehmender Unternehmensgröße steigt. Ab einem Umsatz von 1 Mrd. DM (also etwa 511 Mio. €) bzw. ab einer Beschäftigtenzahl von 1.000 Mitarbeitern betrieb jedes der untersuchten Unternehmen in irgendeiner Form Öffentlichkeitsarbeit (ebd., S. 207). In knapp 60% der befragten Unternehmen existiert eine eigene PR-Abteilung, wobei wieder ein Zusammenhang zur Unternehmensgröße besteht (fast alle Unternehmen ab einem Umsatz von 1 Mrd. DM bzw. ab einer Beschäftigtenzahl von 1.000 Mitarbeitern verfügen über eigene PR-Abteilungen). In Unternehmen ohne eigene PR-Abteilung wird diese Aufgabe entweder von einer anderen Fachabteilung oder der Geschäftsführung übernommen. Hierarchisch wird die PR-Abteilung vor allem als gleichrangige (a) oder als Stabsstelle auf Geschäftsführungsebene (b) verortet. Für die personelle Besetzung der PR-Funktion unterscheidet Röttger zwischen dem Einsatz von PR-Experten und von PR-Laien (vgl. Röttger 2000, S. 218-228). Als PR-Experten definiert Röttger zum einen Befragte, „deren Funktionsbezeichnung Hinweise auf Öffentlichkeitsarbeit bzw. eine kommunikative Tätigkeit enthält und die mehr als 25 Prozent ihrer Arbeitszeit für Öffentlichkeitsarbeit aufwenden und zum anderen Befragte, die keine PRspezifische Funktionsbezeichnung angeben, aber mehr als 75 Prozent ihrer Arbeitszeit auf PR verwenden.“ (Röttger 2000, S. 219)
Die Definition eines PR-Experten bezieht sich also grundsätzlich nicht auf eine besondere PR-Kompetenz, sondern darauf, ob PR als Beruf ausgeübt wird155. Röttger schließt aus den erhobenen Daten, dass der Stellenwert der Öffentlichkeitsarbeit in Organisationen mit PRExperten deutlich höher ist als in Organisationen mit PR-Beauftragten (ebd., S. 228f)156.
155 Es zeigte sich jedoch, dass PR-Experten (also Personen, die explizit mit der Durchführung von PR-Aufgaben beauftragt wurden) sich gegenüber PR-Laien (die die PR-Funktion neben ihrer eigentlichen Tätigkeit praktisch nebenbei durchführen) durch ein höheres PR-Ausbildungsniveau auszeichnen (vgl. ebd., S. 221f). Als PR-Laien definiert Röttger analog zum einen Befragte, „deren Funktionsbezeichnung keine Hinweise auf Öffentlichkeitsarbeit enthält und die weniger als 75 Prozent ihrer Arbeitszeit für Öffentlichkeitsarbeit verwenden und zum anderen Befragte, die zwar eine PR-spezifische Funktionsbezeichnung angeben, aber weniger als 25 Prozent ihrer Arbeitszeit mit Öffentlichkeitsarbeit befasst sind.“ (ebd., S. 220) 156 Wieder zeigt sich ein klarer Zusammenhang zwischen Unternehmensgröße und struktureller Voraussetzung der PR-Arbeit: 93% der Unternehmen mit Umsätzen über 500 Mio. DM (256 Mio. €) haben PR-Experten eingestellt, die zu 100% in eigenständigen PR-Abteilungen arbeiten.
110
6 Internationale PR aus strukturationstheoretischer Perspektive
6.2.2 Zugang zu allokativen Ressourcen Im weiteren Verlauf der Analyse, widmet sich Röttger der Frage, welcher Zusammenhang zwischen der Organisationsart und der Ausstattung der PR-Funktion mit allokativen und autoritativen Ressourcen besteht. Hinsichtlich der materiellen Ausstattung der PR-Funktion unterscheidet Röttger grundlegend in 1. 2.
finanzielle Ressourcen (eigener Etat oder nicht, Höhe des Etats) und personelle Ressourcen.
Röttgers Befragung ergab, dass PR-Abteilungen von Unternehmen, in denen PR-Experten beschäftigt sind, mit Abstand am besten finanziell ausgestattet sind: Nur 13% der PRAbteilungen haben hier keinen eigenen Etat. Durchschnittlich existierten in den befragten Unternehmen 3,4 PR-Stellen. In diesem Zusammenhang verweist Röttger auf eine Studie von Zühlsdorf/Kötz (1998), die Großunternehmen mit hohen Mitarbeiter- und Umsatzzahlen untersuchten und eine durchschnittliche PR-Mitarbeiterzahl von 7,4 ermittelten (Zühlsdorf/ Kötz 1998, S. 29f). Grundsätzlich bleibt festzuhalten, dass die formalen Voraussetzungen (hierarchische Einbindung, materielle Ressourcenausstattung) der PR-Arbeit in Großunternehmen kaum mit denen kleiner/mittlerer Unternehmen oder Non-Profit-Organisationen im privaten/staatlichen Bereich zu vergleichen sind (vgl. Röttger 2000, S. 243). 6.2.3 Zugang zu autoritativen Ressourcen Schwieriger als die Beschreibung und Untersuchung formaler Voraussetzungen der PRArbeit (formalstrukturelle Einbindung, allokative Ressourcen) erweist sich die Erfassung von autoritativen Ressourcen: Die tatsächlichen Rechte, Aufgaben und zugeschriebenen Kompetenzen der PR in einer Organisation, die die Handlungsspielräume der alltäglichen PR-Praxis bedingen (vgl. nachfolgend Röttger 2000, S. 158-160 und S. 244-272). Hierbei knüpft Röttger an die Überlegungen von Crozier/Friedberg (1979) an und untersucht informelle Handlungsbedingungen exemplarisch anhand drei unterschiedlicher Aspekte: 1. 2. 3.
der Zugang der Öffentlichkeitsarbeit zu organisationsinternen Informationen, die externe Informationskompetenz (Zentralisierung externer Kontakte, Informationsmonopol) und der organisationsinterne Einfluss der Öffentlichkeitsarbeit.
Unter Aussparung der organisationsexternen Handlungsbedingungen, untersucht Röttger abschließend PR-Handlungen in der Praxis, wobei sie das Spektrum möglicher PRHandlungen auf einen 18-punktigen Maßnahmenkatalog verkürzt (vgl. Röttger 2000, S. 274 und 277). Zuvor stellt sie jedoch noch Überlegungen über Ressourcen an, über die individuelle PR-Akteure aufgrund ihrer Ausbildung und bisherigen Erfahrungen verfügen und die ihre ‚kommunikative Kompetenz’ begründen.
6.3 Organisationsexterne Regeln und Ressourcen
111
6.2.4 Ressourcen individueller PR-Akteure: Kommunikative Kompetenz Neben den organisationsinternen Ressourcen, die das Handlungsvermögen der PR beeinflussen, hängt die Ausführung von PR-Handlungen auch von den Fähigkeiten und Kompetenzen der jeweiligen PR-Funktionsträger ab. Deren Ausbildung, Erfahrungen und persönliche Eigenschaften entscheiden über die Realisierung von PR-Handlungen in den unterschiedlichen öffentlichen Foren und Arenen. Diesem Umstand gerecht werdend, untersucht Röttger in ihrer Studie auch individuelle Faktoren der PR-Funktionsträger (vgl. Röttger 2000, S. 308-325). Hierbei berücksichtigt sie das allgemeine und PR-spezifische Ausbildungsniveau, sowie Geschlecht, Alter, Gehalt und den Stellenwert der PR-Berufskultur für die befragten PRAkteure. Insgesamt zeigt die Befragung, dass es sich bei PR-Akteuren um eine ausgesprochen heterogene Berufsgruppe handelt. Auch Zerfaß (2004, S. 189-192) setzt sich mit individuellen Ressourcen für die Ausführung von Kommunikationshandlungen auseinander und bezeichnet diese als kommunikative Kompetenz. Hierunter versteht er die Fähigkeit von Individuen, in konkreten Kommunikationssituationen adäquate Regeln zu reproduzieren. Diese Fähigkeit basiert sowohl auf allokativen als auch auf autoritativen Ressourcen: Allokative Kommunikationsressourcen beziehen sich auf die materiellen Voraussetzungen von Mitteilungs- und Verstehenshandlungen, worunter vor allem physische Fähigkeiten, wie etwa die Artikulationsfähigkeit oder Atemtechnik fällt. Autoritative Kommunikationsressourcen umfassen soziale Fertigkeiten, durch die ein Akteur in die Lage gesetzt wird, adäquat zu kommunizieren. Dies beinhaltet die Kenntnis und Berücksichtigung relevanter Deutungs- und Handlungsregeln der gesellschaftlichen Ordnung. Wenn individuelle Kommunikationskompetenzen betrachtet werden, zielt dies meist auf diese Fertigkeiten ab. Diese gewinnen besonders in interkulturellen Kommunikationssituationen, in denen Akteure aus Gesellschaften mit unterschiedlichen Deutungs- und Handlungsregeln aufeinander treffen, an Bedeutung und stellen eine wichtige autoritative Ressource für die PR von Unternehmen dar. Zusammenfassend wird deutlich, dass die Ausführung von PR-Handlungen von vielen organisationsinternen und individuellen Faktoren abhängt. Nicht unerkannt, jedoch unberücksichtigt bleiben dabei die organisationsexternen Regeln und Ressourcen. Hierzu hält Röttger folgendes fest: „Da Organisationen nicht als isolierte Gebilde zu verstehen sind, sondern vielmehr in Interaktionsprozessen mit ihrer Umwelt stehen und insbesondere der Öffentlichkeitsarbeit das Management der kommunikativen Umweltbeziehungen obliegt, sind zudem weitere Kontextfaktoren von Bedeutung. Generell, hier aber nicht weiter berücksichtigt, sind rechtliche Normen (z.B. Veröffentlichungspflichten) aber auch organisationsspezifische Normen und Regeln der Öffentlichkeitsarbeit bindend und legen damit in einem gewissen Rahmen ihre Handlungsspielräume fest. Außerdem muss PR als Grenzfunktion von Organisationen die Normen und Regeln der relevanten Teilöffentlichkeiten berücksichtigen.“ (Röttger 2000, S. 184).
6.3 Organisationsexterne Regeln und Ressourcen Während sich Röttger vor allem mit organisationsinternen PR-handlungsstrukturierenden (Regeln und) Ressourcen auseinandersetzt, soll sich in dieser Arbeit – quasi ergänzend – auf organisationsexterne Regeln und Ressourcen, die die Ausführung von PR-Handlungen ermöglichen und begrenzen, konzentriert werden. Dies scheint vor allem im Hinblick auf
112
6 Internationale PR aus strukturationstheoretischer Perspektive
unterschiedliche Ausprägungen von Strukturen in verschiedenen Gesellschaften und deren Auswirkung auf PR-Handlungen im Kontext der Internationalen PR-Forschung sinnvoll. Im Hinblick auf organisationsexterne Regeln und Ressourcen sind die Überlegungen noch sehr fragmentarisch, so dass sie in Folge explorativ zu erkunden versucht werden. 6.3.1 Regeln und Ressourcen verschiedener PR-Handlungsräume Ausgehend von den angestellten PR-theoretischen Überlegungen, finden PR-Handlungen in gesellschaftlichen Arenen und Foren statt, aus deren Kombination sich zehn verschiedene Handlungsräume für PR ableiten lassen, die sich durch unterschiedliche grundlegende Strukturmerkmale voneinander unterscheiden (vgl. Kapitel 3.4). Diese „begegnen uns als träge Faktizitäten, die den Handlungsspielraum für konkrete Kommunikationsprozesse abstecken und deshalb im alltäglichen Handlungsvollzug zu berücksichtigen sind. Eine erfolgreiche Pressearbeit setzt beispielsweise voraus, daß die etablierten Arbeitsroutinen des Mediensystems einkalkuliert werden. Andererseits kann die Öffentlichkeitsarbeit immer wieder versuchen, neue Kommunikationsplattformen zu schaffen, um auf diesem Weg neue Spielregeln durchzusetzen.“ (Zerfaß 2004, S. 359)
Die unterschiedlichen Strukturmerkmale der verschiedenen Foren eröffnen sehr unterschiedliche Handlungsspielräume für das Handeln von PR-Akteuren. Die Dualität von Handlung und Struktur zeigt sich hierbei durch die strukturelle Prägung von PR-Handlungen einerseits und der Möglichkeit zur innovativen, kreativen Gestaltung von PR-Maßnahmen andererseits. Nach Giddens lassen sich die Strukturen der verschiedenen Handlungsräume jeweils hinsichtlich der Ausprägung ihrer spezifischen, typischen Strukturmodalitäten (Deutungsregeln, Handlungsregeln, autoritative/allokative Ressourcen) analysieren: Foren-Typen Arenen-Typen/ Öffentlichkeiten Gesellschaftspolitische Öffentlichkeit/ Mediensystem Soziokulturelle Öffentlichkeiten Politisch-administrative Öffentlichkeiten
Foren der Kopräsenz Episodische Begegnungen
Mediale Foren
Präsenzveranstaltungen
Kontrollierte Medien
Massenmedien
D
H
D
H
D
H
D
H
Rall
Raut
Rall
Raut
Rall
Raut
Rall
Raut
D
H
D
H
D
H
Rall
Raut
Rall
Raut
Rall
Raut
D
H
D
H
D
H
Rall
Raut
Rall
Raut
Rall
Raut
(-)
Abbildung 24: (Tabelle): Analytisch differenzierbare Strukturmodalitäten der verschiedenen PR-Handlungsräume. Eigene Darstellung. D = Deutungsregeln, H = Handlungsregeln, Rall = allokative Ressourcen, Raut = autoritative Ressourcen.
113
6.3 Organisationsexterne Regeln und Ressourcen
6.3.2 Abhängigkeit organisationsexterner Regeln/Ressourcen von Institutionen Die verschiedenen Handlungsräume stehen jedoch nicht zusammenhangslos nebeneinander, sondern befinden sich jeweils in einem untergeordneten Verhältnis zur institutionellen Ordnung des Gesellschaftssystems. Es ist grundsätzlich anzunehmen, dass sich gesellschaftliche Institutionen auf die unterschiedlichen Arenen und Foren auswirken und darin jeweils aktualisiert werden. Diese unterscheidet Giddens (vgl. Kapitel 5.2.4) in 1. 2. 3. 4.
Politische Herrschaftsordnung (Machtverteilung zwischen verschiedenen Akteuren, Organisationen und Institutionen), Infrastruktur (ökonomische Institutionen), Symbolische Diskursordnung (Sprache, Diskursformen, Symbolwelten) und Normative Ordnung (Legitime Ordnung, Moral, Gesetze, Handlungsmaximen),
Entsprechend der in den institutionellen Ordnungen jeweils vorherrschenden Strukturmodalitäten (Deutungsregeln, Handlungsregeln, autoritative Ressourcen, allokative Ressourcen) können Rückschlüsse auf die Ausprägungen von Regeln und Ressourcen in den strukturell untergeordneten PR-Handlungsräumen gezogen werden: Symbolische Diskursordnung È
Normative Ordnung È
Infrastruktur È
Politische Herrschaftsordnung È
Deutungsregeln (D)
Handlungsregeln (H)
allokative Ressourcen (Rall)
autoritative Ressourcen (Raut)
È
È
È
È
Foren-Typen Arenen-Typen/ Öffentlichkeiten Gesellschaftspolitische Öffentlichkeit/ Mediensystem Soziokulturelle Öffentlichkeiten Politisch-administrative Öffentlichkeiten
Foren der Kopräsenz Episodische Begegnungen
Mediale Foren
Präsenzveranstaltungen
Kontrollierte Medien
Massenmedien
D
H
D
H
D
H
D
H
Rall
Raut
Rall
Raut
Rall
Raut
Rall
Raut
D
H
D
H
D
H
Rall
Raut
Rall
Raut
Rall
Raut
D
H
D
H
D
H
Rall
Raut
Rall
Raut
Rall
Raut
(-)
Abbildung 25: (Tabelle): Zusammenhang der institutionellen Gesellschaftsordnung mit Strukturmodalitäten der PR-Handlungsräume. Eigene Darstellung. D = Deutungsregeln, H = Handlungsregeln, Rall = allokative Ressourcen, Raut = autoritative Ressourcen.
114
6 Internationale PR aus strukturationstheoretischer Perspektive
Es ist anzunehmen, dass die Kategorisierung der verschiedenen Handlungsräume universell anwendbar ist, deren jeweilige Ausprägungen und Relevanz für PR jedoch in unterschiedlichen Gesellschaften variieren kann. Auch ist anzunehmen, dass sich die jeweiligen potenziellen PR-Handlungen (im Sinne von möglichen PRInstrumenten) in den verschiedenen Handlungsräumen global ähneln (z.B. Veranstaltung von Pressekonferenzen im Bereich Präsenzveranstaltungen/ Mediensystem oder Verfassung von Informationsschreiben im Bereich kontrollierte Medien/soziokulturelle Öffentlichkeiten, vgl. Abbildung 14). Jedoch wird angenommen, dass die Realisierung von diesen PR-Handlungen in den verschiedenen Handlungsräumen kulturell variiert, da in den verschiedenen Handlungsräumen jeweils unterschiedliche institutionell geprägte Regeln zu beachten und unterschiedliche Ressourcen vorhanden sind. Folglich ist anzunehmen, dass die unterschiedliche Ausprägung der institutionellen Ordnung in verschiedenen Gesellschaften unterschiedliche Anforderungen an die PR von Unternehmen in den Arenen/Foren dieser Gesellschaften stellt. Dies betrifft zunächst die Frage, welche Öffentlichkeiten/Arenen in der PR-Arbeit zu berücksichtigen sind. Die Formation von Öffentlichkeiten, also die Frage, welche Akteure sich zu welchen Arenen gruppieren, hängt von der Machtverteilung in einem Gesellschaftssystem ab und ergibt sich vorwiegend aus der politischen Herrschaftsordnung. Die Betrachtung der politischen Herrschaftsordnung bietet sich daher als Ausgangspunkt einer Analyse der PR-Handlungsräume in einer Gesellschaft an. Sie entscheidet, inwiefern sich soziokulturelle Öffentlichkeiten formieren und sich frei artikulieren dürfen (Versammlungs/Demonstrationsfreiheit, Struktur der Zivilgesellschaft), welche Macht der Staat bzw. politisch-administrative Öffentlichkeiten (Parteien, Behörden etc.) haben und inwiefern die Medien – neben Legislative, Judikative und Exekutive – als vierte Macht im Staat frei agieren können (Presse-/Meinungsfreiheit, Zugang zu Berufen im Mediensystem, Zensur/Medienkontrolle). Die Ausgestaltung dieser Faktoren bestimmt darüber, welche Arenen sich in der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit formieren und somit von Unternehmen, die in diesem Gesellschaftssystem agieren, potenziell zu berücksichtigen sind. 6.3.3 Regeln und Ressourcen in unterschiedlichen PR-Foren Neben der Frage, welche Öffentlichkeiten für die PR Relevanz haben, entscheidet die institutionelle Ordnung über die Ausbildung von Strukturen – Regeln und Ressourcen – in den verschiedenen Handlungsräumen der PR. Aus den bereits angestellten Überlegungen und unter Einbezug der diesbezüglichen Überlegungen von Röttger (2000), Zerfaß (2004) und
6.3 Organisationsexterne Regeln und Ressourcen
115
Zühlsdorf (2002)157, lassen sich folgende erste Vermutungen über relevante Regeln und Ressourcen der verschiedenen Foren anstellen: 6.3.3.1
Deutungsregeln
Für das zentrale Ziel der PR, Situationsdeutungen zu beeinflussen, spielen gesellschaftliche Interpretations- und Deutungsregeln eine besondere Rolle. Die Deutungsregeln in den verschiedenen Handlungsräumen werden von der Symbolischen Diskursordnung der Gesellschaft grundlegend geprägt. Neben den allgemeinen Regeln der Sprache und non-, paraund extra-verbalen Kommunikation (auf interpersonaler und medialer Ebene, vgl. Abbildung 2) zählen hierzu typische Kategorisierungs- und Argumentationsmuster. In verschiedenen Gesellschaften lassen sich sehr unterschiedliche Deutungsregeln finden, die die Interaktionsmuster/den Kommunikationsstil von Akteuren prägen und von PR-Akteuren in allen Interaktionen (interpersonal wie medial) zu berücksichtigen sind. In interpersonalen Foren ist die kommunikative Kompetenz der konkreten PR-Akteure wichtig. Treffen Akteure verschiedener Gesellschaften aufeinander und steigt somit die Gefahr von Missverständnissen, ist zudem die interkulturelle Kommunikationskompetenz des PR-Akteurs von besonderer Bedeutung. Auch medial sind unterschiedliche Deutungsregeln zu beachten, etwa wenn es um die Formulierung eines Pressetextes oder das Layout einer Informationsbroschüre geht. Für die massenmediale Kommunikation sind zudem Deutungsregeln des Mediensystems relevant. In Anlehnung an das Drei-Ebenen-Modell der Medienwirkungsforschung (vgl. Mathes 1989) gehören hierzu nach Zühlsdorf (2002) die spezifischen journalistischen Beurteilungsmodelle zur Themenselektion (Agenda-Setting, Nachrichtenfaktoren), Themeneinordnung (Framing/Priming) sowie zur Themenevaluation. Nach Schulz (1976) sind die wichtigsten Nachrichtenfaktoren: Zeit (Dauer, Kontinuität), Nähe (räumlich, politisch, kulturell und Relevanz als Grad der Betroffenheit und existenzielle Bedeutung des Ereignisses), Status (regionale Zentralität, nationale Zentralität, persönlicher Einfluss und Prominenz), Dynamik (Überraschung, Struktur, Intensität), Valenz (Negativismus/Konflikt, Kriminalität, Schaden und Positivismus/Erfolg) und Identifikation (Personalisierung, Ethnozentrismus/inwieweit ist Bevölkerung des Landes betroffen, in dem Medium erscheint)158. Nachrichtenfaktoren sind nach Galtung/Ruge (1965) und Wilke (1984) überwiegend kulturunabhängig159, wobei jedoch berücksichtigt werden muss, dass Nachrichtenfaktoren nicht objektive Merkmale von Ereignissen, sondern subjektive Interpretationen von Journalisten sind, in die kulturelle Deutungsschemata mit einfließen (vgl. Kepplinger 1989) . Bei den Bemühungen, ein Thema/Ereignis in verschiedene Foren einzubringen, müssen die vorhandenen Themenspektren sowie bestehende Bezugsrahmen, die nur schwer veränderlich sind, berücksichtigt werden. Neben dem Einordnen in bestehende Bezugsrah157 Anke Zühlsdorf nähert sich in ihrer Arbeit Gesellschaftsorientierte Public Relations (2002) den PRAnstrengungen von Unternehmen analytisch auf einer strukturationstheoretischen Basis. Dabei konzentriert sie sich auf PR-Kampagnen im Massenmediensystem der gesellschaftspolitischen Arena. 158 Vgl. zur Entwicklung der Nachrichtenwerttheorie Staab (1990), Eilders (1997) und Kepplinger (1998) sowie zur Nachrichtenwerttheorie und PR Bentele (2005a, S. 595f). 159 Als kulturabhängige Nachrichtenfaktoren werden Negativität und der Bezug zu Elite-Personen identifiziert.
116
6 Internationale PR aus strukturationstheoretischer Perspektive
men (Framing), ist der so genannte Priming-Effekt zu berücksichtigen160. Dieser trägt dem Umstand Rechnung, dass Wissensstrukturen, die kürzlich vor einer Wahrnehmung aktiviert worden sind, die Selektions- und Interpretationsleistungen von Menschen beeinflussen und neue Informationen auf der Grundlage kürzlich zurückliegender Ereignisse einsortiert werden. Bezogen auf die PR von Unternehmen ist davon auszugehen, dass eine zunehmende Berichterstattung über bestimmte Themen und/oder (Handlungen von) Unternehmen eine höhere Sensibilisierung für die spezifische Thematik bei den Medienrezipienten nach sich zieht. PR-Akteure sind gehalten, die Entwicklung von Themen fortlaufend zu beobachten, da die Wahrscheinlichkeit, dass ein Thema des Unternehmens auf die Medienagenda kommt, steigt, wenn dort die Aufmerksamkeit für ein ähnliches Problem vorliegt. 6.3.3.2
Handlungsregeln
Im Hinblick auf Handlungsregeln sind zunächst die in einer Gesellschaft im Laufe der Zeit entstandenen Moral- und Rechtsordnungen, die das soziale Miteinander grundlegend koordinieren und in unterschiedlichem Ausmaß formal kodifiziert sind, zu nennen. Diese geben allgemeine Umgangsregeln für soziale Handlungen in einem Gesellschaftssystem vor (z.B. Begrüßungs-, Höflichkeitsrituale oder Ablaufschemata für persönliche Begegnungen und Veranstaltungen). Sie sind in der Regel über einen langen Zeitraum entstanden und von religiösen und/oder philosophischen Strömungen sowie von allgemeinen Vorstellungen über das Sein der Dinge geprägt. In Situationen von Kopräsenz fallen hierunter auch soziale Rollen, die Akzeptanz von Hierarchie sowie Spielregeln zur Entstehung und Bedeutung persönlicher Beziehungen und Netzwerke. Für die PR in und für Unternehmen spielen zudem die Regeln des Wirtschaftssystems (allgemeines Geschäftsverhalten, akzeptierte Managementhandlungen) eine Rolle, die sich einerseits auf Vorstellungen von korrektem professionellen Verhalten in beruflichen interpersonalen Kommunikationssituationen auswirken und aus denen sich zudem Erwartungen an Handlungsweisen von Unternehmen ergeben. „Es geht um die Frage der Vertretbarkeit (Rechtfertigungsfähigkeit) einzelwirtschaftlicher Maßnahmen im Hinblick auf ein gerechtes Zusammenleben der Menschen. In diesem Zusammenhang anzuführen sind etwa juristische Regelungen, Branchenabkommen und freiwillige Selbstverpflichtungen, die sich auf die gesellschaftspolitischen Auswirkungen ökonomischen Handelns (etwa im Hinblick auf Verbraucher- und Umweltschutz, Menschenrechtsfragen etc.) beziehen, und die damit festlegen, was gesamtgesellschaftlich ‚zulässige’ und ‚unzulässige’ Handlungsweisen sind.“ (Zühlsdorf 2002, S. 220)
Der öffentliche Druck auf Unternehmen zum gesellschaftlich verantwortlichen Handeln (CSR) hängt in einer Gesellschaft von der grundlegenden Verteilung von Macht und der Formation verschiedener Öffentlichkeiten ab (siehe oben; vgl. autoritative Ressourcen). Je höher der Druck, desto eher ist ein Unternehmen gehalten, gesellschaftliche Belange ernst zu nehmen und dies adäquat zu kommunizieren. 160 Vgl. vertiefend Zühlsdorf 2002, S. 233-245. Framing erfolgt durch prägnantes Labeln, Zuschreiben von Ursachen, Verantwortlichen und Lösungen, Ansprache bestimmter Schemata, Werte und Gefühle. Der Priming-Effekt stammt aus der kognitiven Psychologie und wird im Zusammenhang der selektiven Wahrnehmung diskutiert (vgl. z.B. Fischer/Wiswede 2002, S. 169).
6.3 Organisationsexterne Regeln und Ressourcen
117
Neben Regeln des Wirtschaftssystems sind für PR-Handlungen Handlungsregeln des Mediensystems relevant. Bei der Nutzung kontrollierter Medien (Broschüren, Pressemitteilungen etc.) sind bestehende Distributionsregeln zu beachten. In Zusammenhang mit medialen Selektions- und Verarbeitungsmechanismen sind neben Deutungsregeln des Mediensystems redaktionelle Handlungsroutinen zu beachten. Diese kategorisiert Zühlsdorf in: „Journalistische Routinen, die aus der abnehmenden Aktualität der Ware ‚Nachrichten’ und den begrenzten Darstellungsmöglichkeiten (Seitenzahl, Sendeminuten) beruhen. Hieraus erwächst ein tiefgreifender Druck zur Nachrichtenselektion; Zugangsroutinen, welche die Quellen der redaktionellen Nachrichtenauswahl umfassen. Hiermit angesprochen sind etwa Nachrichtenagenturen, eigene Rechercheteams und Vorprodukte der interessierten und bekannten Kreise (z.B. Pressemitteilungen und -konferenzen); Verarbeitungsroutinen, durch die Ereignisse den traditionellen redaktionellen Ressorts (Politik, Wirtschaft, Sport, Feuilleton usw.) zugeordnet werden. Themen, 161 die sich nicht direkt zuordnen lassen, bleiben schnell unberücksichtigt; Themenroutinen , die solche Fragestellungen umfassen, die sich ständig wiederholen (z.B. Wahlen, regelmäßige Sportereignisse, die Veröffentlichung der Arbeitslosenzahlen durch die Bundesanstalt für Arbeit etc.); Gestaltungsroutinen, die dazu führen, dass bestimmte Themen mit typischen Darstellungsformen transportiert werden.“ (Zühlsdorf 2002, S. 232, Hervorhebungen durch JK)
Da der Zugang zu massenmedialen Medien über Redaktionen bzw., konkreter, über Journalisten und Redakteure erfolgt, sind die journalistischen Handlungs- und Verarbeitungsroutinen (wie etwa die Rechercheintensität, der Umgang mit kritischen Meinungen etc.) für PR-Handlungen von besonderer Relevanz. Es kann angenommen werden, dass diese in unterschiedlichen Gesellschaften wiederum aufgrund unterschiedlicher institutioneller Bedingungen (Demokratisierungsgrad, Presse- und Meinungsfreiheit, Ausbildung und Zugang zum Journalismus, Konkurrenzsituation auf dem Medienmarkt etc.) variieren. Journalistische Handlungs- und Verarbeitungsroutinen sind zudem ein gutes Beispiel für zentrale Annahmen der Strukturationstheorie: Sie geben strukturelle Vorgaben für PRHandlungen, werden von diesen jedoch auch strukturiert. Die PR-Akteure müssen in ihren Bemühungen, Themen/Ereignisse mit Hilfe des Mediensystems zu verbreiten bzw. auf diese zu reagieren die Prinzipien, Regeln und Routinen journalistischer Handlungen kennen und berücksichtigen, welche jedoch gleichzeitig auf den Input durch die Öffentlichkeitsarbeit angewiesen sind. Die Erwartungen von Journalisten und anderen Anspruchsgruppen an PR-Akteure werden zudem von ihren bisherigen Erfahrungen mit PR-Handlungen anderer PR-Akteure geprägt. 6.3.3.3
Allokative Ressourcen
Während die Einsichtsfähigkeit für erfolgreiche PR-Handlungen auf Regelkenntnissen basiert, hängt das Handlungsvermögen von zur Verfügung stehenden Ressourcen ab. Der Zugang zu organisationsinternen allokativen Ressourcen (finanzielle und personelle Ressourcen) bestimmt, mit welcher Intensität PR organisationsextern betrieben werden kann. Das PR-Handlungsvermögen hängt jedoch auch von organisationsexternen materiellen Voraussetzungen ab. So begrenzt die vorhandene technische, mediale und kommunikative Infrastruktur maßgeblich den Handlungsspielraum für PR-Handlungen. Hierunter fallen 161 Diese werden hier unter Deutungsregeln des Mediensystems gefasst.
118
6 Internationale PR aus strukturationstheoretischer Perspektive
bestehende Kommunikationsforen durch die Verbreitung von Distributionsnetzen, (Telekommunikationssysteme, TV/Radio und Computern/Internet/Email etc.) sowie vorhandene Massenkommunikationsmedien (Zeitungen, Zeitschriften, TV/Radio-Stationen, Internetplattformen etc.) und Medienorganisationen (Nachrichtenagenturen). Für die Organisation von episodischen Begegnungen und Präsenzveranstaltungen interessiert zudem die Veranstaltungs-Infrastruktur (etwa das Angebot an Messen oder adäquate Räumlichkeiten für persönliche Zusammenkünfte und/oder Events). Außerdem hängt das Handlungsvermögen von PR-Akteuren unter Umständen von zur Verfügung stehenden PR-Dienstleistern (PRAgenturen, Medienforschung) ab. 6.3.3.4
Autoritative Ressourcen
Einen enormen Einfluss auf PR-Handlungen hat die Machtverteilung in einer Gesellschaft. Dies betrifft insbesondere die Ausstattung von Macht der politisch-administrativen, der wirtschaftlichen sowie der soziokulturellen (zivilgesellschaftlichen) und massenmedialen Sphäre und den daraus resultierenden gegenseitigen Abhängigkeiten. Hieraus ergeben sich die Ansprüche, die Akteure der verschiedenen Sphären an Unternehmen richten (und damit die verschiedene Relevanz unterschiedlicher Arenen für PR-Handlungen begründen). Die Machtverteilung in Gesellschaften ist ein komplexes Feld und hängt von historischen, ideologischen, rechtlichen und ökonomischen Faktoren ab. Fundamental ist entscheidend, welches politisches System und Wirtschaftssystem besteht und welche Grundrechte den Mitgliedern gewährt werden (Meinungs- und Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit etc.). Als handlungsermöglichende autoritative Ressourcen in massenmedialen Foren nennt Zühlsdorf zudem abstrakte Integrationsmechanismen im Sinne Zerfaß’ und meint damit das vorhandene Vertrauen, bestehende Images sowie das Vorhandensein einflussreicher Beziehungen (vgl. Zühlsdorf 2002, S. 260). Das Handeln von Journalisten im Mediensystem sowie die Situationsdeutung von Rezipienten stellen aus Unternehmensperspektive große Unsicherheitszonen dar. Diese Unsicherheit kann nur mit dem Aufbau von Vertrauen und Glaubwürdigkeit reduziert werden. Die konstitutive Ausrichtung unternehmerischen Handelns auf Gewinnmaximierung gefährdet dabei grundsätzlich die Glaubwürdigkeit einer Gemeinwohlorientierung, so dass der Aufbau von Vertrauen einen langfristigen, strategischen Prozess unter sensibler Berücksichtigung der Vertrauensfaktoren und authentischer Kommunikation erfordert. Dies liegt nur bedingt im Einflussbereich der PR-Akteure. Neben den organisationsinternen Voraussetzungen und individuellen Kompetenzen sind PR-Akteure auf das Zusammenspiel mit den Akteuren des Mediensystems angewiesen, welche einen entscheidenden Einfluss auf die Verbreitung kommunikativer Inhalte nehmen. Hierfür spielen – wie auch in den direkten Beziehungen zu allen anderen externen Akteuren – weitere autoritative Ressourcen (Informationen, Expertenwissen, Status etc.) eine wichtige Rolle. Zusammenfassend lassen sich die Überlegungen und Annahmen hinsichtlich handlungsstrukturierender Regeln und Ressourcen in den verschiedenen Forentypen wie folgt festhalten:
119
6.3 Organisationsexterne Regeln und Ressourcen Foren-Typen Foren der Kopräsenz Strukturmodalitäten
Episodische Begegnungen
Präsenzveranstaltungen
Mediale Foren Kontrollierte Medien
Massenmedien
Sprache, typische Denk- und Argumentationsmuster/Kommunikationsstil
Deutungsregeln (D)
Allgemeine Regeln der verbalen, non-, para- und extra-verbalen Kommunikation auf interpersonaler Ebene
Allgemeine Regeln der verbalen, non-, para- und extra-verbalen Kommunikation auf medialer Ebene
Dialogische Kommunikationsregeln
Regeln zur Gestaltung kontrollierter Medien
Monologische Kommunikationsregeln
Deutungsregeln des Mediensystems (Themenselektion, -einordnung und -evaluation)
Moral- und Rechtsnormen; allgemeine Umgangsregeln, basierend auf religiösen und/oder philosophischen Vorstellungen und Basisannahmen über das Sein der Dinge, Erwartungen an Unternehmen, akzeptierte Managementhandlungen Handlungsregeln (H)
Umgangsregeln für Foren der Kopräsenz, Entstehung und Bedeutung persönlicher Beziehungen/Netzwerke, Akzeptanz von Hierarchie, Vorstellungen von beruflichen professionellen Handlungen
Regeln für die Distribution kontrollierter Medien
Journalistische Handlungs- und Verarbeitungsroutinen, Bestehende Erfahrungen mit PR-Akteuren
(organisationsintern: Zugang zu finanziellen und personellen Ressourcen Î möglicher Kommunikationsdruck) Technische, mediale und kommunikative Infrastruktur, PR-Dienstleister (Agenturen/Medienforschung) Allokative Ressourcen (Rall)
Autoritative Ressourcen (Raut)
Zur Verfügung stehende Orte für persönliche Begegnungen
Zur Verfügung stehende Veranstaltungsplattformen (Messen etc.) und Räumlichkeiten für Events
Zur Verfügung stehende technische und mediale Infrastruktur (Telefon, Internet, TV, Zeitungen/ Zeitschriften etc. )
Zur Verfügung stehende technische und massenmediale Infrastruktur (Presse, TV, Internet, etc.) sowie vorhandene Medienorganisationen (Nachrichtenagenturen)
(organisationsintern: Kommunikative Kompetenz der PR-Akteure, vorhandene einflussreiche Beziehungen) Machtverteilung zwischen politisch-administrativen Öffentlichkeiten, soziokulturellen Öffentlichkeiten (Zivilgesellschaft), Massenmedien und Wirtschaft/Unternehmen Status von PR-Akteuren (ggf. Status von Ausländern)
Bestehendes Image, Vertrauen, Sympathie (ggf. Image von ausländischen Unternehmen)
Abbildung 26: (Tabelle): Annahmen zu relevanten Regeln und Ressourcen unterschiedlicher Foren-Typen der PR. Eigene Darstellung.
120
6 Internationale PR aus strukturationstheoretischer Perspektive
6.4 Konsequenzen für die Internationale PR-Forschung Die Handlungsräume der PR (Arenen und Foren) und deren jeweilige Strukturen (Regeln und Ressourcen) bilden das Bindeglied zwischen der (hierarchisch übergeordneten) institutionellen Ordnung eines Gesellschaftssystems und konkreten PR-Handlungen, die in den verschiedenen Handlungsräumen realisiert werden. Theoretisch kann so begriffen und konzipiert werden, wie die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen eines Landes die PR von Unternehmen in verschiedenen Ländern beeinflussen. Strukturationstheoretisch kann zudem verstanden werden, dass unterschiedliche Regeln und Ressourcen der verschiedenen Handlungsräume in verschiedenen Ländern einerseits einen gewissen Druck zur Adaption von PR-Handlungen von Unternehmen ausüben können (Strukturperspektive/Lokalisierung), andererseits jedoch auch jedes Unternehmen die Möglichkeit hat, an eigenen Handlungen festzuhalten (Handlungsperspektive/Standardisierung). Die Strukturbedingungen (Regeln und Ressourcen) geben für PR-Handlungen lediglich einen Handlungsspielraum vor, der das Spektrum sozial sinnvoller und akzeptierter Handlungen begrenzt und zugleich ermöglicht. Für Unternehmen ergibt sich so ein Spannungsfeld zwischen Festhalten an bisher erfolgreichen und renommierten Handlungen einerseits (was unter Umständen zur Veränderung von Strukturen im Gastland führen kann) und der Adaption (unter dem Motto When in Rome, do as the Romans) andererseits. Dieses Spannungsfeld soll in Folge im Mittelpunkt der Betrachtung stehen. Dabei interessiert vor allem, in welchen Bereichen Unternehmen aufgrund welcher jeweiligen Unterschiede der Regeln und Ressourcen ihre PR-Handlungen anpassen (Lokalisierung). In den verschiedenen Gesellschaftssystemen der Welt haben sich im Laufe der Geschichte sehr unterschiedliche institutionelle Ordnungen herausgebildet, die die Strukturbedingungen der jeweiligen organisationsexternen PR-Handlungsräume sehr unterschiedlich prägen. Auch ist die ‚Differenz’ zwischen verschiedenen Gesellschaftssystemen sehr unterschiedlich: Die institutionelle Ordnung von Japan wird etwa geringere Unterschiede zur institutionellen Ordnung Chinas aufzeigen, als die institutionelle Ordnung Chinas im Vergleich zu der von Deutschland. So kann der Frage nach Bereichen der Adaption nur schwer universell nachgegangen werden. In Folge wird sich daher auf ein empirisches Beispiel konzentriert: Auf die PR von deutschen Unternehmen in der Volksrepublik China. 6.5 Ausblick auf den empirischen Teil: PR-Handlungen deutscher Unternehmen in China Das Beispiel China wurde gewählt, da wohl kaum ein anderes Land dieser Welt sich derart von Deutschland unterscheidet, so dass angenommen werden kann, dass die theoretischen Überlegungen zum Zusammenspiel der institutionellen Ordnung/Strukturmodalitäten und PR-Handlungen besonders deutlich zum Vorschein kommen. Zudem spielt China in der Unternehmenspraxis eine zunehmend wichtige Rolle. Viel ist in den letzten Jahren über die ‚Rückkehr des Drachens’ oder das bevorstehende ‚chinesische Zeitalter’ geschrieben worden (vgl. u.a. Seitz 2002, Erling 2002, Sieren 2005, vgl. Kapitel 10.1) und kaum ein (Groß-) Unternehmen kann die zunehmende wirtschaftliche Bedeutung Chinas ignorieren.
6.5 Ausblick auf den empirischen Teil: PR-Handlungen deutscher Unternehmen in China
121
Bei der Analyse von PR-Handlungen deutscher Unternehmen in China in Abhängigkeit von organisationsexternen Strukturbedingungen können die weiteren handlungsermöglichenden und gleichzeitig -beschränkenden Strukturbedingungen (leider) nicht vollständig ausgeblendet werden. Die verschiedenen PR-Akteure handeln jeweils auf der Basis eigener Wissens- und Denkstrukturen (die sie sich in der Sozialisation in dem Gesellschaftssystem angeeignet haben, in dem sie aufwuchsen) und in Abhängigkeit von organisationsinternen Strukturen. So werden die PR-Handlungen von Unternehmen auch von der jeweiligen individuellen Prädisposition konkreter PR-Akteure (Herkunft, Vorerfahrungen, kommunikative Kompetenz) sowie von organisationsinternen Regeln und Ressourcen abhängen, die von Röttger beschrieben wurden. Im Hinblick auf die Internationale PR von Unternehmen können die organisationsinternen Regeln/Ressourcen nach Röttger unter Rückbezug auf die Überlegungen zur wirtschaftlichen Globalisierung und zur Internationalen PR-Forschung zudem um die Wahl der internationalen Unternehmens-/PR-Strategie erweitert werden. Die Organisation der Internationalen PR und die Arbeitsteilung zwischen Heimat- und Gastland haben eine Einfluss auf die den PR-Akteuren vor Ort organisationsintern zur Verfügung stehenden Regeln und Ressourcen. Besonders interessant ist dabei, ob die PR-Funktionen im Gastland durch Akteure des Heimatlandes oder durch lokale Akteure besetzt werden. Fasst man die handlungsstrukturierenden Voraussetzungen für PR zusammen, ergibt sich folgendes Schaubild, wobei (wie bereits in Abbildung 12) die Rechtecke die unterschiedlichen Kommunikationsarenen (Öffentlichkeiten, die weißen Rechtecke zeigen die jeweiligen Akteursgruppen auf) und die Ellipsen die unterschiedlichen Typen von Kommunikationsforen (mit jeweils spezifischen Regeln und Ressourcen) darstellen. Die Trapeze geben die unterschiedlichen Gesellschafts- bzw. Organisationssysteme wieder. Der in Form eines Kreises dargestellte PR-Akteur ist Teil des Unternehmens und kulturell von seinem Heimatland geprägt. Die von ihm in Raum und Zeit lokalisierbaren potenziellen PRHandlungen werden durch Pfeile mit voller Spitze dargestellt. In Kapitälchen finden sich die drei strategischen Ausrichtungen der PR auf unterschiedliche Öffentlichkeiten (Anspruchsgruppenkommunikation, Public Affairs, gesellschaftspolitische Kommunikation/Medienarbeit). Die Pfeile mit nicht ausgefüllter Spitze repräsentieren Kommunikationsprozesse, die Einfluss auf die Situationsdeutungen öffentlicher Akteure haben können, jedoch nicht im direkten Einflussbereich von PR-Akteuren liegen. Alle Regeln und Ressourcen der Internationalen PR sind in fett gedruckt.
122
6 Internationale PR aus strukturationstheoretischer Perspektive
Abbildung 27: Regeln und Ressourcen für Internationale PR-Handlungen (= fett). Eigene Darstellung.
123
6.5 Ausblick auf den empirischen Teil: PR-Handlungen deutscher Unternehmen in China
Die bisherigen Überlegungen sowie die grafische Darstellung lassen die Vielschichtigkeit des untersuchten Phänomens erkennen. Für die empirische Forschung bieten sich vielfältige Ansatzpunkte für eine tiefer gehende Analyse der unterschiedlichen Teilaspekte (z.B. durch die Konzentration auf einen bestimmten Arenen- oder Foren-Typ, einen bestimmten Handlungsraum oder auch eine bestimmte Strukturmodalität162). Es ist im Rahmen einer Arbeit jedoch nicht möglich, sich mit allen analytisch differenzierten Strukturmodalitäten aller identifizierten PR-Handlungsräume dezidiert auseinanderzusetzen. Stattdessen wird versucht, die Komplexität zu reduzieren und sich in diesem ersten explorativen Zugang auf die Arena konzentriert, die für PR allgemein als am relevantesten angesehen wird: die gesellschaftspolitische Öffentlichkeit bzw. das Mediensystem. Symbolische Diskursordnung
Normative Ordnung
Infrastruktur
Politische Herrschaftsordnung
È
È
È
È
Deutungsregeln (D)
Handlungsregeln (H)
allokative Ressourcen (Rall)
autoritative Ressourcen (Raut)
È
È
È
È
Foren-Typen Arenen-Typen/ Öffentlichkeiten Gesellschaftspolitische Öffentlichkeit/ Mediensystem Soziokulturelle Öffentlichkeiten Politisch-administrative Öffentlichkeiten
Foren der Kopräsenz Episodische Begegnungen
Mediale Foren
Präsenzveranstaltungen
Kontrollierte Medien
Massenmedien
D
H
D
H
D
H
D
H
Rall
Raut
Rall
Raut
Rall
Raut
Rall
Raut
D Rall D Rall
H Raut H Raut
D Rall D Rall
H Raut H Raut
D Rall D Rall
H Raut H Raut
(-)
Abbildung 28: (Tabelle): Zusammenhang der institutionellen Gesellschaftsordnung mit Strukturmodalitäten der PR-Handlungsräume. Eigene Darstellung. D = Deutungsregeln, H = Handlungsregeln, Rall = allokative Ressourcen, Raut = autoritative Ressourcen. Dabei soll jedoch nicht verpasst werden, Schlüsse zur Formation von Öffentlichkeiten zu ziehen, so dass die Relevanz der verschiedenen Arenen grundsätzlich betrachtet wird, bevor auf die Medienarbeit (in den Foren der Kopräsenz und in medialen Foren) fokussiert wird. 162 Die Überlegungen Grunigs würden sich z.B. vorwiegend auf den Bereich Soziokulturelle Öffentlichkeiten/ Foren der Kopräsenz beziehen lassen. Vgl. auch den diesbezüglichen Hinweis von Zühlsdorf: „Es gibt sicherlich zahlreiche Einzelaspekte der Interaktionsbeziehungen, für die eine strukturationstheoretische Betrachtung zu fruchtbaren Ergebnissen führen könnte.“ (Zühlsdorf 2002, S. 217).
124
6 Internationale PR aus strukturationstheoretischer Perspektive
Die angestellten Überlegungen und Systematiken fungieren dabei als gedankliche Leitlinie sowie als Kategoriensystem für die Einordnung empirischer Beobachtungen163. Im Sinne Giddens sind in der empirischen Analyse einerseits die organisationsexternen handlungsprägenden Strukturbedingungen, andererseits die konkreten, routinierten PR-Handlungen, die in den verschiedenen Handlungsräumen realisiert werden, wechselseitig zu untersuchen. Die im Hinblick auf diese duale Herangehensweise bereits im einleitenden Kapitel formulierten Forschungsfragen können hierfür unter Rückbezug auf die bisher angestellten theoretischen Überlegungen präzisiert werden.
163 Vgl. auch Röttger, die in diesem Zusammenhang von einer „strukturationstheoretisch inspirierten Analyse“ spricht (2000, S. S. 186).
6.5 Ausblick auf den empirischen Teil: PR-Handlungen deutscher Unternehmen in China
125
7 Forschungsleitende Fragen
Hinsichtlich der Frage, inwiefern sich die Ausprägungen PR-relevanter organisationsexterner Strukturmodalitäten in unterschiedlichen Gesellschaftssystemen voneinander unterscheiden und wie sich dies auf die jeweiligen konkreten PR-Handlungen von Unternehmen in diesen Kontexten auswirkt, lassen sich folgende allgemeine Fragen formulieren164:
Worin unterscheiden sich die institutionellen Ordnungen der verglichenen Gesellschaftssysteme? Welche politischen und wirtschaftlichen Strukturen bestehen? Welche Öffentlichkeiten formieren sich? Welche relevanten Deutungs- und Handlungsregeln lassen sich jeweils beschreiben? Welche Infrastruktur besteht? Wie wirkt sich dies allgemein auf die Strukturen der PR-Handlungsräume in diesem Gesellschaftssystem aus? Worin unterscheiden sich die verschiedenen PR-Handlungsräume in verschiedenen Gesellschaftssystemen strukturell voneinander? In welchen Arenen wird in verschiedenen Gesellschaftssystemen in welchen Foren kommuniziert? Wie wirken sich strukturelle Unterschiede der PR-Handlungsräume auf die jeweiligen konkreten PR-Handlungen in den verschiedenen Gesellschaftssystemen aus? Wo liegen Unterschiede? Welche Zusammenhänge lassen sich beschreiben? (Im Hinblick auf die nicht gänzlich auszuklammernden organisationsinternen und persönlichen Strukturbedingungen: Welchen Stellenwert hat die Internationale PR für die betrachteten Unternehmen? Wie wird die Internationale PR-Arbeit organisiert? Welche Aufgaben- und Kompetenzverteilungen bestehen zwischen Mutter- und Tochterunternehmen? Wie werden PR-Funktionen im Gastland besetzt? Welche Kompetenzen haben die PR-Akteure?)
Für die hier angestrebte empirische Analyse der PR-Arbeit deutscher Unternehmen in China lassen sich die Fragen wie folgt reduzieren: A. B. C.
Welche Besonderheiten/Unterschiede zu Deutschland bestehen in China auf der organisationsexternen Strukturebene (Regeln und Ressourcen von PR-Handlungsräumen)? Welche Besonderheiten/Unterschiede zu Deutschland bestehen in China auf der Handlungsebene (in den verschiedenen Handlungsräumen)? Welche Zusammenhänge zwischen identifizierten Besonderheiten/ Unterschieden auf der Struktur- und Handlungsebene lassen sich erkennen?
Da die Regeln und Ressourcen auf der Strukturebene von der institutionellen Ordnung des chinesischen Gesellschaftssystems abhängen, ist an dieser Stelle der Ausgangspunkt der 164 Diekmann (1998, S. 460) spricht in diesem Zusammenhang von ‚offenen Hypothesen’ – die Forschung folgt also nicht gerichteten Hypothesen sondern geht zielgerichtet im Hinblick auf die Beantwortung der formulierten offenen Fragestellungen vor.
126
7 Forschungsleitende Fragen
Analyse anzusetzen. Dabei kann keine dezidierte Gesellschaftsanalyse vorgenommen werden (welche auf der Grundlage Giddens durchaus möglich wäre). Ziel ist es vielmehr, die markanten Eigenschaften und Besonderheiten des chinesischen Gesellschaftssystems im Vergleich zum deutschen herauszustellen. Hierfür kann auf die Erkenntnisse der vergleichenden Kultur-, Kommunikations-, Medien-, Management- und Politikforschung zurückgegriffen werden, aus denen sich erste Schlüsse hinsichtlich einzuhaltender Regeln und vorhandener Ressourcen in den verschiedenen Handlungsräumen ableiten lassen. Da die Verteilung von Macht eine grundsätzliche Bedeutung für die Relevanz der verschiedenen Arenen/Öffentlichkeiten und Folgen für alle weiteren Handlungsräume hat, wird die bisherige Reihenfolge der Regeln und Ressourcen umgedreht und mit der Betrachtung autoritativer Ressourcen begonnen. Vor dem Hintergrund der angestellten Überlegungen lassen sich folgende Fragen weiter herunterbrechen (vgl. Abbildung 26): A.
Welche Besonderheiten/Unterschiede zu Deutschland bestehen in China auf der organisationsexternen Strukturebene (Regeln und Ressourcen von PR-Handlungsräumen)? Im Hinblick auf:
a.
Autoritative Ressourcen
1.
Allgemein/für alle Foren: Wie ist Macht verteilt? Welches politische und ökonomische System besteht? Welche Grundrechte werden gewährt? Wie weit ist Demokratie entwickelt? Wie wird Macht aufgeteilt (Gewaltenteilung/ Machtmonopol)? Wer ist an der gesellschaftlichen Meinungs- und Entscheidungsfindung beteiligt? Welche Rolle spielen politisch-administrative, soziokulturelle Öffentlichkeiten und die gesellschaftspolitische, medial integrierte Öffentlichkeit? Für Foren in Kopräsenz: Wie ist Macht zwischen den beteiligten Akteuren verteilt? Welchen Status haben PR-Akteure und Ausländer/Deutsche? Für mediale Foren: Welche Rechte/Freiheiten werden den Medien gewährt? Sind Opposition und pluralistische Meinungsäußerungen erlaubt? Welche Glaubwürdigkeit haben die Medien? Welche Vertrauensstrukturen bestehen? Welches Image haben ausländische/deutsche Unternehmen?
2. 3.
b.
Allokative Ressourcen
4.
Allgemein/für alle Foren: Welche technische, kommunikative und (massen)mediale Infrastruktur besteht? Wie ist das Angebot an PR-Dienstleistern (Agenturen, Medienforschung)? Für Foren in Kopräsenz: Welche Räumlichkeiten stehen für episodische Begegnungen und Präsenzveranstaltungen zur Verfügung? Welche bestehenden Kommunikationsforen können für persönliche Kontakte und Veranstaltungen in Anspruch genommen werden? Für mediale Foren: Welche (Massen)Medien stehen zur Verfügung? Welche Eigentumsverhältnisse bestehen in den Medien? Welche Medienorganisationen (Nachrichtenagenturen) bestehen?
5.
6.
6.5 Ausblick auf den empirischen Teil: PR-Handlungen deutscher Unternehmen in China
127
c.
Handlungsregeln
7.
Allgemein/für alle Foren: Welche normative Ordnung besteht? Welche allgemeinen Moral- und Rechtsnormen bestehen (historisch gewachsene, religiöse und philosophische Strömungen)? Welche allgemeinen Vorstellungen bestehen vom Sein der Dinge und von sozialen Beziehungen? Welche Umgangsregeln ergeben sich daraus? Welche Erwartungen bestehen für unternehmerisches Handeln (ausländischer Unternehmen)? Für Foren in Kopräsenz: Welche allgemeinen Umgangsregeln bestehen für Interaktionen in Kopräsenz? Welche Vorstellungen/Erwartungen bestehen im Hinblick auf professionelles Verhalten in beruflichen Situationen? Für mediale Foren: Wie werden Informationen distribuiert? Welche journalistischen Handlungs- und Verarbeitungsroutinen bestehen? Welche Erfahrungen bestehen mit (einheimischen) PR-Akteuren?
8. 9.
d.
Deutungsregeln
10. Allgemein/für alle Foren: Welche Sprache wird gesprochen? Welcher Kommunikationsstil (rhetorische Mittel und typische Argumentationsmuster) lassen sich beschreiben? 11. Für Foren in Kopräsenz: Welche allgemeinen Regeln der verbalen, non-, para- und extra-verbalen Kommunikation bestehen auf interpersonaler Ebene? Welcher Diskursstil lässt sich beschreiben? 12. Für mediale Foren: Welche allgemeinen Regeln der verbalen, non-, para- und extraverbalen Kommunikation bestehen auf medialer Ebene? Welche Deutungsregeln des Mediensystems (Themenselektion, -einordnung und -evaluation) lassen sich beschreiben? Nach Beantwortung dieser Fragen auf Basis vorhandener Forschungserkenntnisse, wird sich den konkreten PR-Handlungen von Unternehmen in China zugewandt. Wie bereits erwähnt, soll die Organisation der Internationalen PR nicht im Zentrum der Fragestellung stehen. Jedoch kann dieser Bereich – ebenso wie die individuellen Prädispositionen der PRAkteure – nicht gänzlich ausgeklammert werden. In Weiterführung der in dieser Hinsicht bereits angestellten Überlegungen lassen sich folgende, knapp zu beantwortende, Fragen formulieren: e.
Organisation der Internationalen PR
13. Internationale Unternehmenstätigkeit: Seit wann und wie intensiv sind Unternehmen im Ausland tätig? Wie eng ist die Zusammenarbeit zwischen Mutter- und Tochterunternehmen grundsätzlich? Welche Bedeutung hat PR im Gastland? 14. Internationale PR-Organisation: Welche Aufgaben/Verantwortungen liegen im Mutterunternehmen, welche in den Tochterunternehmen? Wie ist die PR-Funktion im Gastland personell organisiert (Expatriates165/lokale Akteure)? Werden externe Dienstleister (PRAgenturen) eingebunden? Sind dies eher internationale oder lokale Dienstleister? 165 Ein Expatriate (kurz und in Folge: Expat) ist eine Person, die vorübergehend oder dauerhaft, jedoch ohne Einbürgerung in einem anderen Land als dem seiner Abstammung lebt.
128
7 Forschungsleitende Fragen
15. Persönliche Kompetenzen der PR-Akteure im Gastland: Wie ist das allgemeine/PRAusbildungsniveau der PR-Akteure? Für Expats: Sind Kenntnisse der lokalen Sprache vorhanden? B.
Welche Besonderheiten/Unterschiede zu Deutschland bestehen in China auf der Handlungsebene (in den verschiedenen Handlungsräumen)?
Im Hinblick auf die Handlungsebene interessiert zunächst, ob die verschiedenen Arenen in China eine andere Rolle spielen als in Deutschland. f.
Formation von Öffentlichkeiten (relevante Arenen): Teilbereiche der PR
16. Welche Rolle spielen soziokulturelle Öffentlichkeiten für PR (Anspruchsgruppenkommunikation)? 17. Welche Rolle spielen politisch-administrative Öffentlichkeiten für PR (Public Affairs)? 18. Welche Rolle spielt die gesellschaftspolitische, medial integrierte Öffentlichkeit für PR (Medienarbeit)? In Folge wird sich dann auf die Medienarbeit von Unternehmen in China konzentriert, wobei Handlungen in allen verschiedenen Foren-Typen beachtet werden. g.
Medienarbeit
19. 20. 21. 22. 23. 24.
Welche Aufgaben und Ziele werden verfolgt? Wer sind die wichtigsten Adressaten? Wie hoch ist das gesellschaftspolitische/mediale Interesse? Wer ergreift die Initiative? Welchen Einfluss haben bestehende Images und Vertrauensstrukturen? Über welche Themen/Inhalte wird kommuniziert? Welche Massenmedien sind relevant? Wie erfolgt die Selektion der relevanten Massenmedien? Welche Rolle spielen Besonderheiten der medialen Infrastruktur? Welche Foren sind relevant? Welche Rolle spielen episodische Begegnungen, Präsenzveranstaltungen und kontrollierte Medien? Episodische Begegnungen: In welchem Kontext finden persönliche Begegnungen statt? Welche Besonderheiten bestehen? Präsenzveranstaltungen: An welchen extern angebotenen Veranstaltungen wird teilgenommen? Welche Veranstaltungen werden selber organisiert? Wer nimmt daran teil? Welche Regeln sind bei Veranstaltungen zu beachten? Welche Besonderheiten bestehen? Kontrollierte Medien: Welche bestehenden Kommunikationsforen werden genutzt, welche geschaffen? Welche sind zu beachten? Welche Besonderheiten bestehen? Massenmedien: Welche Handlungs- und Verarbeitungsroutinen werden beachtet? Welche Besonderheiten bestehen?
25. 26. 27.
28. 29.
Der umfassende Fragenkatalog lässt die Bandbreite der in der explorativen Analyse zu betrachtenden Aspekte erneut erkennen und macht ersichtlich, dass analytische ‚deep dives’ nur in sehr begrenztem Umfang möglich sind. Ziel der Analyse ist es, bei der Betrachtung
6.5 Ausblick auf den empirischen Teil: PR-Handlungen deutscher Unternehmen in China
129
der unterschiedlichen Aspekte jene Ausprägungen von Strukturmodalitäten zu identifizieren, die für die betrachtete empirische Konstellation (deutsche Unternehmen in China) offensichtlich typischerweise besonders relevant sind und das PR-Handeln in diesem Kontext prägnant beeinflussen, in dem Sinne, dass sich diese Handlungen stark von den typischen PR-Handlungen im Heimatland unterscheiden. Diese Zusammenhänge sollen abschließend herausgearbeitet werden. C.
Welche Zusammenhänge zwischen identifizierten Besonderheiten/Unterschieden auf der Struktur- und Handlungsebene lassen sich erkennen?
8.1 Methodische Implikationen der Strukturationstheorie
131
8 Methodisches Vorgehen
Die Auseinandersetzung mit den forschungsleitenden Fragen erfolgt – analog zu den drei übergeordneten Fragestellungen – in drei Schritten: A.
B. C.
Strukturebene Æ Institutionelle Analyse durch Literaturrecherche zu vorhandenen Erkenntnissen über die institutionelle Ordnung bzw. Regeln und Ressourcen der verschiedenen Handlungsräume in China im Vergleich zu Deutschland166 Handlungsebene Æ Befragung von PR-Akteuren, die für deutsche Unternehmen in China PR betreiben, im Hinblick auf ihre routinierten PR-Handlungen und Unterschiede zu Deutschland Systematische Gegenüberstellung und Suche nach Zusammenhängen zwischen zentralen Erkenntnissen aus A und B
Dieses Vorgehen entspricht Giddens Empfehlung einer dualen Herangehensweise für strukturationstheoretisch fundierte empirische Analysen. 8.1 Methodische Implikationen der Strukturationstheorie Zentrale Überlegung der Strukturationstheorie ist, dass Strukturen und Handlungen sich wechselseitig bedingen und nur analytisch voneinander trennbar sind. Zentraler Bezugspunkt sind soziale Praktiken als überindividuelle, raumzeitlich verfestigte Handlungsmuster. Damit richtet sich der Blick grundsätzlich nicht auf die isolierten, individuellen Erfahrungen eines einzelnen Akteurs (Gedanken, Gefühle, Sinnwelten), die es in hermeneutischer Tradition zu verstehen gilt. Andererseits richtet sich der Blick auch nicht auf die Existenz irgendeiner gesellschaftlichen Totalität. Die Ausrichtung auf soziale Praktiken erlaubt so nicht nur einen theoretischen Spagat, sondern auch einen methodischen (vgl. Walgenbach 2006, S. 406). Soziale Praktiken (wiederkehrende, überindividuelle PR-Handlungen) lassen sich empirisch beobachten. Schwieriger ist es hingegen, die zu Grunde liegenden Strukturen offen zu legen, da diese den Handelnden nur teilweise bewusst sind (vgl. Kapitel 5.2.2). So stellt sich die Frage, wie man auf die dem Handeln zu Grunde liegenden Strukturen schließen kann. In Tradition der hermeneutischen Forschung kann dies nur durch die verstehende Rekonstruktion der Wissensbestände der einzelnen Akteure erfolgen. Die Rationalisierung des Handelns wird quasi durch den Forscher vorgenommen. Da dies nur auf individueller Ebene möglich ist, lassen sich so nur schwer soziale Regelmäßigkeiten erschließen. Diese grundsätzliche Problematik der hermeneutischen Forschung versucht Giddens dadurch zu überkommen, dass er sie mit objektivistischen Methoden der Strukturanalyse kombiniert. 166 Die Erkenntnisse der Literaturrecherche werden später um Erfahrungen von PR-Akteuren vor Ort aus der Befragung ergänzt.
132
8 Methodisches Vorgehen
Giddens Überlegungen münden in der Verklammerung von zwei sich ergänzenden und in wechselseitigem Bezug stehenden methodischen Vorgehensweisen zur Analyse sozialen Handelns: der institutionellen Analyse und der Analyse strategischen Verhaltens. „In der institutionellen Analyse werden die Strukturmomente als fortwährend reproduzierte Aspekte sozialer Systeme behandelt. In der Analyse strategischen Verhaltens wird das Schwergewicht auf die Weisen gelegt, in denen sich Akteure bei der Konstitution sozialer Beziehungen auf Strukturmomente beziehen. Da es hier um Unterschiede in der Akzentsetzung geht, gibt es keine klare Trennung […].“ (Giddens 1997, S. 343)
Die institutionelle Analyse richtet sich auf die Strukturmomente. „Eine Analyse der Struktur muss dazu in das methodische Design einbezogen werden; und diese Strukturanalyse ist es, von der sich Giddens eine Generierung theoretisch gehaltvollen, dem Laienwissen überlegenen, sozialwissenschaftlichen Wissens erhofft.“ (Walgenbach 2006, S. 416f, vgl. auch Giddens 1997, S. 343)
Ziel ist es, die Undurchsichtigkeit der Struktur, auf die die handelnden Individuen weitgehend unbewusst zurückgreifen, zu erschließen. In der Analyse strategischen Verhaltens wird hingegen versucht, die Handlungen von sozialen Akteuren zu rekonstruieren. 8.2 Literaturrecherche Ausgangspunkt der institutionellen Analyse ist die Recherche von Informationen zu relevanten Unterschieden der institutionellen Ordnung in Deutschland und China sowie von bestehenden Erkenntnissen über die Unterschiede von Strukturmodalitäten interpersonaler und (massen-)medialer Foren in den beiden Ländern. Hierbei ist auf die Problematik notwendiger Pauschalisierungen und kultureller Verzerrungen hinzuweisen. Aufgrund der Notwendigkeit, Komplexität zu reduzieren, lässt es sich nicht vermeiden, Stereotype und kulturelle Klischees aufzugreifen, die bei dem Versuch, eine Gesellschaft (die immer sehr heterogen ist und in der es viele Subkulturen gibt) zu beschreiben, unumgänglich sind (vgl. zu dieser Problematik u.a. Bolten 2001). Der Blick erfolgt unweigerlich aus der Perspektive der westlichen Welt (in der ich als Autorin sozialisiert wurde)167. Bei der Suche nach Besonderheiten in China bzw. Unterschieden zu Deutschland wird sich zudem auf Erkenntnisse zum Gastland China konzentriert und die institutionelle Ordnung/Strukturmodalitäten in Deutschland nur an den Stellen explizit dargestellt, wo dies unbedingt notwendig erscheint. Es wird vorausgesetzt, dass beim deutschen Leser ein Grundverständnis für die vorhandenen Strukturen in Deutschland besteht. Würden diese ebenso ausführlich wie die chinesischen herausgearbeitet werden, würde dies den Umfang der Arbeit schlichtweg sprengen. Die Auseinandersetzung mit der chinesischen institutionellen Ordnung/Strukturmodalitäten erfolgt zunächst auf der Basis einer umfassenden Literaturrecherche. Hierbei wird auf verschiedene Quellen zurückgegriffen.
167 In der kulturvergleichenden Forschung unterscheidet man zwischen zwei verschiedenen Herangehensweisen: In einer etischen Herangehensweise nimmt der Forscher einen Standpunkt außerhalb der beobachteten Kultur ein und versucht diese von außen zu beschreiben, während in der emischen Herangehensweise der Forscher eine Kultur von innen heraus zu beschreiben versucht. Vgl. u.a. Berry 1980, S. 11, Gudykunst 1996.
8.2 Literaturrecherche
1. 2.
133
Allgemeine Nachschlagewerke (Länderlexika, statistische Quellen, Informationen der Weltbank168) und Länderberichte (Veröffentlichung der Bundeszentrale für politische Bildung, Fischer Weltalmanach 2005 etc.) Vergleichende Studien und Publikationen der vergleichenden Politikforschung, Kulturwissenschaft, interkulturellen Kommunikationsforschung, internationalen Medienforschung, interkulturellen Managementforschung sowie der international vergleichenden PR-Forschung
Zentral liefen folgende Publikationen ein: Allgemeine Quellen Veröffentlichungen der Weltbank sowie des Auswärtiges Amtes, der chinesischen Regierung und Botschaft, der Bundeszentrale für politische Bildung, Fischer Weltalmanach/China 2005 Autoritative Ressourcen Allokative Ressourcen Mediensystem der VR China: Universität Politisches System der VR China: Hongkong (2008), Danwei (2008), Heilmann (2004); Zivilgesellschaft in WAN (2007, 2008), Medienführer China: Kuhn (2006), Heberer (2006), China 2006, Brendebach (2005), Lehrack (2004), Sausmikat/Heberer (2004), Abels (2005), Abels/Hein (2005), Brie/Pietzcker (2004) Gui et al. (2004) Handlungsregeln Deutungsregeln Interkulturelles Management, Erkenntnisse zu China: Interkulturelle Kommunikation Wenjian (2005), Kuhn et al. (2001), Deutschland/China: Rothlauf (1999); Lin-Huber (2006), Shi (2003), Yin (1999), Erkenntnisse der international Sader (1999), Liang (1998), Nagels (1996), vergleichenden PR-Forschung für China: Jin (1994), Günther (1993) Chen/Culbertson (2003), Chen et al. (2001), 169 Huang (2000), Chen (1996)
Abbildung 29: (Tabelle): Wichtigste Quellen für Strukturmodalitäten in China (im Vergleich zu Deutschland). Die gesammelten Überlegungen und Erkenntnisse werden später zusammen mit den Erhebungen zur Handlungsebene inhaltsanalytisch ausgewertet.
168 Aufgrund der geringen Datensicherheit zu China wurde soweit möglich auf die Daten der Weltbank zurückgegriffen. Diese gelten als die zuverlässigsten, jedoch kann auch die Weltbank nur auf Daten zurückgreifen, die ihr von den nationalen Regierungen zur Verfügung gestellt werden. Viele Daten aus der VR China basieren mehr auf groben Schätzungen als auf soliden Erhebungen. Das Daten- und Informationsmonopol liegt in China bei der Kommunistischen Partei, die mit der Bereitstellung von Daten immer auch propagandistische Interessen verfolgt (vgl. hierzu Rawski 2001). Alle statistischen Daten sollten daher kritisch rezipiert und nur als Näherungswerte verstanden werden (vgl. auch Himmelmann/Hungerbach 2005, S. V). 169 In diesem Zusammenhang wurden viele Quellen gesichtet. Die wichtigsten Arbeiten stammen von Ni Chen. Weitere Publikationen (teilweise auch zu Taiwan) stammen etwa von Wu et al. (2001), Ritchey (2000), Gao/Ting-Toomey (1998). Zu PR in Asien allgemein (vor allem von Sriramesh) bzw. in anderen asiatischen Ländern vgl. Bibliographie von PRSA 2005.
134
8 Methodisches Vorgehen
8.3 Experteninterviews und qualitative Datenanalyse Die Suche nach Besonderheiten/Unterschieden in routinierten PR-Handlungen von deutschen Unternehmen in China im Vergleich zu Deutschland erfolgt in mehreren Schritten. 1.
Zunächst wird auch hier die vorhandene Literatur gesichtet. Dabei handelt es sich vor allem um kurze Zeitungsartikel, Praxisberichte und Präsentationen zum Thema ‚PR in China’. Als wichtigste sind zu nennen: Beiträge zu ‚PR in China’
Wittwer (2008, 2007), Chan (2007), Schlotter (2006), Hardebeck (2005), Häntschel (2006), Brauer (2005), Bussecker (2003), Wu (2002), Friese (2008, 2006, 2002) 2.
Darüber hinaus werden konkrete, alltägliche Erfahrungen von PR-Akteuren, die für deutsche Unternehmen vor Ort in China PR betreiben, durch deren Befragung zusammengetragen.
Befragungen sind ein wichtiges Instrument empirischer Sozialforschung. Für ihre Durchführung stellt sich die Frage nach einer qualitativen oder quantitativen Vorgehensweise. 8.3.1 Quantitative versus qualitative Befragung Qualitative und quantitative Methoden der empirischen Sozialforschung unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Ziele, ihrer Methoden, ihres Wissenschaftsverständnisses und der Herangehensweise an den Gegenstandsbereich. Terhart definiert die jeweiligen Forschungsstränge wie folgt: „‚Quantitativ-empirisch’ werden solche Forschungsprojekte genannt, die ihre Fragestellungen zu einem System von Hypothesen ausarbeiten, diesen Hypothesen dann Variablen (veränderliche Größen) zuordnen und schließlich Instrumente der Datenerhebung einsetzen, die die jeweilige Ausprägung eines Merkmals quantitativ (numerisch) abbilden. Das so gewonnene Zahlenmaterial kann dann statistisch ausgewertet werden (Verteilungen, Zusammenhänge, Faktoren etc.); diese Auswertung erfolgt zum Zweck der Überprüfung der vorab definierten Hypothesen, die schließlich widerlegt oder (vorläufig) bestätigt werden.“ – „Als ‚qualitativ-empirisch’ werden demgegenüber solche Forschungsprojekte gekennzeichnet, die zwar auch von Fragestellungen ausgehen, jedoch darauf ausgerichtet sind, durch einen möglichst (!) unvoreingenommenen, unmittelbaren Zugang zum jeweiligen sozialen Feld und unter Berücksichtigung der Weltsicht der dort Handelnden ausgehend von dieser unmittelbaren Erfahrung Beschreibungen, Rekonstruktionen, Strukturgeneralisierungen vorzunehmen.“ (Terhart 1997, S.28)
Quantitative Methoden gehen hypothesenprüfend von vorformulierten Zusammenhängen aus, während qualitative Methoden wesentlich offener von vorformulierten Fragestellungen ausgehen und hypothesengenerierend, das heißt nach Zusammenhängen suchend, angelegt sind. Qualitative Methoden entstanden zunächst aus der Kritik an quantifizierenden Forschungsverfahren. Aufgrund der Problematik nicht auszuklammernder Subjektivität in der qualitativen Forschung, musste sie lange Zeit gegen harten Widerstand kämpfen. Auch wenn die qualitative/rekonstruktive Forschung heute anerkannt ist, stehen sich die Verfechter der jeweiligen
8.3 Experteninterviews und qualitative Datenanalyse
135
Positionen nach wie vor kritisch gegenüber. Zunehmend wird jedoch erkannt, dass die beiden grundsätzlichen Herangehensweisen nicht als Konkurrenten, sondern als komplementäre Verfahren zu sehen sind (vgl. hierzu auch Giddens 1997, S. 384-390). 8.3.2 Entscheidung für eine qualitative Herangehensweise Aufgrund des explorativen Charakters dieser Arbeit bietet sich für die Befragung ein qualitatives Vorgehen an. Im ersten Zugang zur Thematik geht es darum, im beschriebenen Facettenreichtum von Handlungsräumen und Handlungsalternativen systematisch erste Annahmen/Hypothesen über Struktur-Handlungs-Verschränkungen auszumachen, die durchaus später im Rahmen einer quantitativen Studie weiter geprüft werden könnten170. Die Entscheidung für eine qualitative Herangehensweise steht zudem in Einklang mit den Erfahrungen Röttgers, die für die Analyse organisationsinterner (Regeln und) Ressourcen eine quantitative Herangehensweise wählte und sich im Nachhinein damit wenig zufrieden zeigte171. Besondere Schwierigkeiten machte es Röttger, PR-Handlungen quantitativ zu erfassen172. Führt man sich das weite Spektrum möglicher PR-Handlungen in den verschiedenen Handlungsräumen vor Augen, so scheint der Versuch Röttgers, PR-Handlungen anhand eines 18-Punkte PR-Maßnahmenkatalogs und einer 4er-Skala zu erfassen, wenig befriedigend. Röttger stellt fest: „Die offensichtlich geringe Differenzierung in der Beschreibung der praktischen Bedeutung einzelner PR-Maßnahmen deutet auf ein tendenziell sozial erwünschtes Antwortverhalten hin. […] Die Auswertung hat sehr deutlich gemacht, dass eine dezidierte Analyse der PR-Praxis kaum mittels einer schriftlichen Befragung durchgeführt werden kann, bzw. die vorgelegten Items und die gewählte vierstufige Bewertungsskala offensichtlich nicht hinreichend stark differenziert waren.“ (Röttger 2000, S. 273 und S. 295)
Dies bekräftigt die Entscheidung für einen qualitativen Ansatz. Des Weiteren können forschungspraktische Überlegungen angeführt werden: China ist ein hochaktuelles Thema und findet in vielen Wissenschaftsdisziplinen ein reges Interesse. Deutsche Unternehmen in China werden – so die Aussage der Befragten – mit Forschungsanfragen geradezu überschwemmt. Für das Ausfüllen eines standardisierten Fragebogens besteht noch weniger Bereitschaft als für ein persönliches Interview. Zudem werden Emails in China von der Regierung kontrolliert, so dass die Befragten in ihren Antworten auf schriftlichem Wege unter Umständen eingeschränkt wären. 170 Giddens (1997, S. 390) betont, dass quantitative Verfahren besonders geeignet sind „wenn eine große Zahl von ‚Fällen’ eines Phänomens auf eine beschränkte Anzahl bestimmter Merkmale hin untersucht werden soll.“ 171 Ihre theoretischen Überlegungen lässt Röttger nicht in Hypothesen, sondern, aufgrund des explorativen Charakters der Arbeit, in der Formulierung von forschungsleitenden Fragestellungen münden (vgl. Röttger 2000, S. 185f). Im empirischen Teil der Arbeit folgt sie dann jedoch nicht einer explorativen, qualitativen Untersuchungsmethode, sondern wählt einen quantitativen Ansatz, indem sie standardisierte Fragebögen an die unterschiedlichen PR-Funktionsträger der untersuchten Organisationen schickte. 172 Während sich die formale Organisation, die hierarchische Einbindung und die allokative Ressourcenverteilung noch relativ sinnvoll anhand verschiedener Kategorien standardisiert erheben ließen, erwies sich dies für autoritative Ressourcen als äußerst schwierig. Noch schwieriger wird dies für Handlungen zugrunde liegende Regeln sein, die Röttger in ihrer Analyse außen vor lässt, welche im Hinblick auf organisationsexterne Strukturen jedoch eine besonders wichtige Rolle spielen.
136
8 Methodisches Vorgehen
Bei der Entscheidung für ein qualitatives Vorgehen, besteht dabei ein Bewusstsein für die Erkenntnisgrenzen einer solchen Vorgehensweise. Quantitativ erfasste Daten sind generell schwerer anfechtbar und lassen Verallgemeinerungen für eine bestimmte Grundgesamtheit eher zu, als dies qualitativ erhobene Daten tun. Diese müssen sich auf einen begrenzten, nur tendenziellen Aussagewert beschränken, der sich grundsätzlich nicht über die befragten Experten hinaus generalisieren lässt. Dies gilt besonders für PR-Handlungen, die ihrem Wesen nach sehr heterogen sind. Jedoch wird angenommen, dass sich in den Beschreibungen von PR-Handlungen durch verschiedene befragte PR-Akteure wiederkehrende Muster erkennen lassen, die als soziale Praktiken interpretiert und hinsichtlich struktureller Verflechtungen untersucht werden können173. 8.3.3 Experteninterviews: Theoretische Grundlagen Als qualitative Befragungsmethode werden Experteninterviews gewählt (vgl. u.a. Mayring 2005 und 2002, Lamnek 2005, Bogner 2005, Gläser/Laudel 2004). Diese unterscheiden sich von quantitativen Befragungsmethoden durch einen verhältnismäßig geringen Strukturierungsgrad und eine offene Fragenformulierung. Zwar werden im Interview konkrete Fragestellungen verfolgt, diese werden jedoch nicht in festgelegter Reihenfolge und vorgegebenen Antwortkategorien ‚abgefragt’. Vielmehr wird dem Interviewpartner die Gelegenheit gegeben, frei über seine Erfahrungen zu berichten. Gegenüber dem narrativen Interview, in dem der Interviewte in seinem Erzählfluss möglichst nicht unterbrochen werden soll, kann in der hier gewählten Vorgehensweise des problemzentrierten Interviews der Interviewführer in den Verlauf der Befragung eingreifen174. „Anders als beim narrativen Interview spielt hierbei der Interviewer auch während der Erzählphase eine aktive Rolle. Der Interviewer stützt sich auf einen Leitfaden. Er darf und soll Fragen auch in der Erzählphase vorbringen, aber möglichst ohne die Erzähllogik zu beeinträchtigen. Welche Fragen des Leitfadens in welcher Formulierung der Interviewer wann stellt, soll der Situation angepaßt sein. […] Ergänzt werden soll das problemzentrierte Interview durch einen quantitativen Kurzfragebogen zur Erhebung sozialstatistischer Daten. Zweck der separaten Abfrage sozialstatistischer Daten ist u.a., das qualitative Hauptinterview nicht durch Nachfragen nach sozialstatistischen Ereignissen und Zeitangaben zu belasten.“ (Diekmann 1998, S. 451)
Zu Beginn des Interviews werden somit einleitend grundlegende sozialstatistische Daten erhoben. Hierzu gehören Angaben zur befragten Person, zum Unternehmen, für das sie arbeitet, sowie begrenzt Fragen zu organisationsinternen PR-Bedingungen. Der Leitfaden des Experteninterviews richtet sich sodann nach den formulierten forschungsleitenden 173 Bei der Durchführung, Analyse und Interpretation von Experteninterviews ist zudem die begrenzte Fähigkeit zur Selbstreflexion im Hinterkopf zu behalten. Die eigenen Handlungen erscheinen Akteuren häufig selbstverständlich, zudem tendieren Personen dazu, sich bei der Selbstbeobachtung und Darstellung ihrer Handlungen an sozialen Erwartungen und persönlichen Vorstellungen, wie sie grundsätzlich handeln sollen und wollen, zu orientieren. Dies kann zu erheblichen Verzerrungen und Abweichungen von der tatsächlichen Praxis führen. 174 Qualitative Befragungsmethoden können nach Diekmann (1998, S. 446-451) in fokussierte (Merton/Kendall 1979), narrative (Schütze 1977) und problemzentrierte (Witzel 1989) Interviews unterschieden werden. Darüber hinaus kann das Tiefeninterview und das Rezeptive Interview genannt werden (vgl. Lamnek 2005, Bogner 2005, Gläser/Laudel 2004).
8.4 Systematische Gegenüberstellung
137
Fragen (Kapitel 7). Der Schwerpunkt wird hierbei auf die Handlungsebene gesetzt (Fragen 16-29), jedoch wird den Befragten auch die Gelegenheit gegeben, Vermutungen über Einflüsse der Strukturebene anzustellen. Die Interviews werden mit einem Diktiergerät aufgezeichnet. Im Anschluss an das Interview wird zudem in Form eines ‚Post-Skripts’ festgehalten, in welchem Kontext das Gespräch stattfand und welche Besonderheiten auffielen. Anschließend sind die Interviews zu transkribieren, d.h. in schriftlicher Form festzuhalten. (vgl. u.a. Dittmar 2002, Flick 2000). Hierbei handelt es sich um einen äußerst aufwendigen Vorgang, der durch die Transkriptions-Software f4 erleichtert wird175. Nach der Transkription werden alle gesammelten Daten – aus der Literaturrecherche und den Interviews – mit Hilfe inhaltsanalytischer Methoden computergestützt untersucht (hierbei wurde sich für das QDA (Qualitative Datenanalyse)-Programm MaxQDA entschieden, vgl. Kuckartz 2007176). Dabei werden jene Textstellen, die auf vorhandene Strukturen bzw. wiederkehrende, routinierte Handlungen (= soziale Praktiken; Kodiereinheit: Absätze) hindeuten, entnommen und einem Kategorisierungs-/Kodiersystem zugeordnet177. Das Kodiersystem entspricht dem Aufbau der forschungsleitenden Fragen und gliedert sich in die Struktur- und Handlungsebene. Auf der Strukturebene werden neben den aus der Literaturrecherche gesammelten Erkenntnissen auch Absätze aus den Interviews zugeordnet, die auf Strukturen schließen lassen. So können die aus der Literaturrecherche gewonnenen Erkenntnisse über die deutsch-chinesischen Unterschiede auf Strukturebene empirisch ergänzt werden. Ebenso werden Aussagen über organisationsinterne Regeln und Ressourcen, die Organisation von PR und individuelle Prädispositionen entsprechend kodiert. 8.4 Systematische Gegenüberstellung Anschließend erfolgt eine Excel-basierte systematische Gegenüberstellung der gesammelten Erkenntnisse und eine möglichst prägnante Herausarbeitung der vermuteten Zusammenhänge zwischen deutsch-chinesischen Unterschieden auf der Strukturebene einerseits und der Handlungsebene andererseits. Vorsichtig können hier auch Hypothesen über allgemeine Struktur-Handlungs-Verschränkungen der PR-Arbeit aufgestellt werden.
175 Hierbei ist zu entscheiden, ob der gesamte Beobachtungs-/Gesprächsverlauf transkribiert und inwiefern nonund para-verbale Aspekte berücksichtigt werden. Um einen überflüssigen Forschungsaufwand zu vermeiden, gebietet es sich nach Flick (2000), nur jene Inhalte zu transkribieren, die später auch tatsächlich analysiert werden. Gleiches gilt für die Transkription von non-verbalen (Mimik, Gestik etc.) und para-verbalen (Pausen, Hüsteln etc.) Elementen: Diese sind nur dann zu erfassen, wenn sie Rückschlüsse auf die Forschungsfragen erwarten lassen. Die Transkription der im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten Interviews dauerte rund ein halbes Jahr. Die hierfür verwendete Software f4 kann unter www.audiotranskription.de heruntergeladen werden. 176 Alternative QDA-Programme sind atlas.ti und NVivo. 177 Auf eine Gewichtung der Aussagen (etwa nach Professionalitätsniveau der Befragten) wurde nach reiflicher Überlegung verzichtet, da der deutliche Mehraufwand nicht zu einer substantiellen Verbesserung der Aussagekraft führt. Es wurde sich damit begnügt, zu den verschiedenen Themen Zitate zu sammeln und systematisch nach wiederkehrenden Mustern zu suchen, die auf routinierte Handlungen und damit auf soziale Praktiken schließen lassen. Alllgemeingültige Aussagen sind aufgrund der geringen Fallzahl der Befragten im Rahmen der qualitativen Erhebung nicht möglich.
139
9.1 Auswahl der Interviewpartner/Profilbildung
9 Durchführung Experteninterviews
Für die Experteninterviews stellt sich zunächst die Frage, wer befragt werden soll. 9.1 Auswahl der Interviewpartner/Profilbildung Da sich in dieser Arbeit auf den Zusammenhang zwischen organisationsexternen Regeln und Ressourcen und PR-Handlungen konzentriert werden soll, sind die anderen handlungsstrukturierenden Strukturmomente möglichst stabil zu halten. Während Röttger bei der Betrachtung verschiedener Organisationen die von ihr vernachlässigten organisationsexternen Strukturen ausblenden konnte, indem sie diese konstant hielt (Untersuchung im Raum Hamburg), ist dies für organisationsinterne Strukturen sowie grundsätzlich für individuelle Prädispositionen nicht möglich.
Untersuchung organisationsinterner Strukturbedingungen (Röttger 2000) Untersuchung organisationsexterner Strukturbedingungen
Organisationsinterne Strukturen
Organisationsexterne Strukturen
VARIABEL, Schwerpunkt der Untersuchung
Konstant
Konstanz nicht möglich, Unterscheidung nach Organisationstyp (Unternehmen/ Behörde/NGO), Größe und Branche
Prädispositionen der PR-Funktionsträger Konstanz nicht möglich, Unterscheidung zwischen PR-Experten und PR-Laien; Kulturelle Prägung nicht beachtet, implizit konstant
Konstanz nicht möglich, VARIABEL, Schwerpunkt der Untersuchung
Unterscheidung zwischen PR-Experten und PR-Laien; Explizite Unterscheidung zwischen Expats/Einheimischen
Abbildung 30: (Tabelle): Untersuchungsdesign für die Betrachtung organisationsinterner bzw. organisationsexterner Regeln und Ressourcen. Eigene Darstellung. Jedes Unternehmen ist individuell, verfolgt eigene Ziele, wird mit unterschiedlichen Herausforderungen konfrontiert und schafft unterschiedliche formelle und informelle Voraussetzungen für PR. Bezug nehmend auf Röttgers Studie, die vehemente Unterschiede zwischen den organisationsinternen Voraussetzungen für PR in unterschiedlichen Organisationsformen und -größen feststellte, ist ein Mindestmaß an Übereinstimmung der organisationsinternen Voraussetzungen betrachteter PR-Handlungen anzustreben, um sich auf die Verschränkung
140
9 Durchführung Experteninterviews
des PR-Handelns mit externen Strukturen konzentrieren zu können. Gleiches gilt für die individuellen Prädispositionen der PR-Handelnden – deren Ausbildung und kulturelle Prägung im Rahmen ihrer Sozialisation. Ersteres erreicht man, indem man sich auf einen speziellen Organisationstyp (Unternehmen/NGO/Behörde) sowie, bei Konzentration auf Unternehmen, einen bestimmten Unternehmenstyp (Branche; Business-to-Business-Unternehmen versus Businessto-Consumer-Unternehmen, kurz und in Folge: B-to-B- bzw. B-to-C-Unternehmen; große/mittelgroße/kleine Unternehmen) konzentriert178. Letzteres, indem man sich auf bestimmte Akteurstypen konzentriert (PR-Experten/PR-Laien; Expats versus einheimische Akteure). Da China zudem ein sehr großes Land ist, scheint es sinnvoll, sich auf die Ballungsgebiete Shanghai und Peking zu konzentrieren. Vor diesem Hintergrund, wurde das Profil für zu suchende Interviewpartner wie folgt erstellt: Organisationstyp: Unternehmenstyp:
Branche: Größe: PR-Experte/PRLaie: Herkunft: Standort des Tochterunternehmens
Unternehmen Unternehmen im B-to-B-Bereich, da 1) die Unternehmenskommunikation von B-to-C-Unternehmen stark von der hier nicht im Zentrum stehenden Marketingkommunikation dominiert wird und 2) in China vor allem deutsche Unternehmen aus diesem Bereich aktiv sind. Chemie/Pharma, da diese Unternehmen naturgemäß unter hohem Kommunikationsdruck stehen. Großunternehmen, inkl. DAX30-Unternehmen179, da diese nach Röttgers Studie die besten organisationsinternen Voraussetzungen für professionelle PR-Handlungen haben. PR-Experten, da sich diese hauptberuflich mit PR auseinandersetzen. Deutsche, da nur Deutsche in China den direkten Vergleich herstellen und somit Aussagen über Unterschiede in den PR-Handlungen in China im Vergleich zu Deutschland treffen können. Shanghai und Peking, da dies die wichtigsten Wirtschaftszentren in China sind.
Abbildung 31: (Tabelle): Auswahl der Interviewpartner/Profilbildung. Eigene Darstellung. 9.2 Realisierte Interviews Die Suche nach entsprechenden Interviewkandidaten erwies sich leider als äußerst schwierig. Die Aussagen der kontaktierten Unternehmen waren verblüffend: Während zur Jahrtausendwende noch viele Unternehmen deutsche PR-Experten in China beschäftigten, wurden diese mittlerweile weitgehend von chinesischen Akteuren ersetzt. Nach dieser Erkenntnis musste das Profil und die Suche notgedrungen erweitert werden. Um potenziell in Frage kommende Interviewpartner zu finden, wurden alle bei der AHK registrierten in Shanghai tätigen (688) 178 Zudem kann hinsichtlich der Organisationsform vor Ort (Tochterunternehmen/JV) unterschieden werden. Da die meisten befragten Unternehmen in Mischform (mehrere Legal Entities/juristische Personen) vor Ort organisiert sind, wird eine Abgrenzung nicht vorgenommen. Besonderheiten der PR in und für JVs werden in Kapitel 13.13.1 betrachtet. 179 Die Abgrenzung zwischen Großunternehmen und mittelgroßen Unternehmen erfolgt gemäß Handelsgesetzbuch (§ 267). Bei einer Mitarbeiterzahl über 250 und/oder einem jährlichen Umsatz über 32,12 Mio. € bzw. einer Bilanzsumme von über 16,06 Mio. € handelt es sich um ein Großunternehmen (zwei von drei Kriterien müssen erfüllt sein). Dies beinhaltet auch DAX30-Unternehmen.
141
9.2 Realisierte Interviews
und alle in Peking in Frage kommenden deutsche Unternehmen (309; auf Grundlage der Adressdatenbank der deutschen Außenhandelskammer in China, die diese freundlicherweise zur Verfügung stellte) per Email kontaktiert und gefragt, ob in ihrem Unternehmen Deutsche mit PR-Aufgaben betraut sind. Die Emails wurden personalisiert (Nennung des Ansprechpartners und des Unternehmens) und zweisprachig (deutsch/englisch) versandt. Große Unternehmen, die auf die Anfrage in China nicht reagierten, wurden zudem noch einmal in Deutschland angeschrieben (ca. 20)180. Insgesamt wurden so rund 1.000 Emails versandt, wovon ca. 10% in Fehlermeldungen resultierten. Rund 300 Unternehmen antworteten181. Ca. 200 Unternehmen gaben an, in China keine PR zu betreiben und für die Befragung schlicht zu klein zu sein. Ca. 50 Unternehmen gaben an, dass die PR-Aufgabe vom deutschen General Manager vor Ort ausgeführt wird. Ca. 40 antworteten, dass die PR-Aufgabe von einem chinesischen Akteur ausgeführt wird. Trotz aufwendiger Suche (zusätzliche Internet-Recherche, Befragung von Akteuren vor Ort, Suche über das Internet-Netzwerk XING), konnten nur 14 deutsche PR-Experten für deutsche Industrieunternehmen – sieben davon in Konzernen, fünf davon in der Chemie-/Pharmaindustrie – in China (Shanghai/Peking) ausfindig gemacht werden, von denen sich neun für ein Experteninterview bereit erklärten182: Deutsche in China
PRExperte
x
x
Großunternehmen (Anzahl Akteure in DAX30Unternehmen) x (6)
Akteure in Industrieunternehmen (B-to-B) x 5 Chemie, 2 Elektronik, 1 Automobil183, 1 DL184/Technik
Anzahl der geführten Interviews
Kumulierte Anzahl geführter Interviews
9
9
So wurde beschlossen, auch deutsche PR-Laien (also deutsche Akteure vor Ort, die neben weiteren Aufgaben – Geschäftsführung/Marketing – auch mit PR-Aufgaben betraut sind) in die Untersuchung mit einzubeziehen. Zudem wurden die Erfahrungen von zwei deutschen PR-Experten, die in China in PR-Agenturen arbeiten, berücksichtigt.
180 Hierbei wurde der Chef der Unternehmenskommunikation bzw. der internationalen Kommunikation über die Kontaktinformationen auf der Unternehmenshomepage angeschrieben. 181 Eine genaue Zählung der Antworten ist leider nicht möglich, da zu diesem Zeitpunkt das Mailprogramm ausfiel und einige Mails verloren gingen. Rund 1.200 Emails aus Anschreiben und Korrespondenz sind noch erhalten. 182 Hier bestand eine große Unsicherheit. Die meisten potenziellen Interviewpartner stellten sich zwar grundsätzlich für ein Interview zur Verfügung, mieden jedoch eine Terminabsprache. Stattdessen baten sie mich, mich – wenn in China – bei ihnen zu melden. Vor Abflug nach China standen nur zwei Termine fest. Darüber hinaus hatte ich die Kontaktdaten von 65 Personen, die für ein Interview in Frage kamen und sich hierfür bereit erklärten. Vor Ort stellte sich heraus, dass die meisten Personen an ihrer Bereitschaft für ein Interview festhielten. Viele Termine wurden spontan vereinbart. Vgl. Kapitel 10.6.4. 183 Die Automobilindustrie ist endkonsumentenorientiert. Aufgrund ihres hohen Stellenwerts für die deutsche Industrie und deren Engagement in China wird sie hier ausnahmsweise mit berücksichtigt. Der hier berücksichtige PR-Experte/Kommunikationschef ist kein Deutscher, sondern US-Amerikaner. Da er jedoch bereits für das Unternehmen in Deutschland PR betrieben hat, wurde er in die Befragung mit einbezogen. 184 DL = Dienstleister.
142
9 Durchführung Experteninterviews
Deutsche in China
PR-Experte
Großunternehmen (Anzahl Akteure in DAX30Unternehmen)
x
PR-Laien
x (4)
x
x
PR-Agenturen
Akteure in Industrieunternehmen (B-to-B)
x 1 Chemie, 1 Elektronik, 5 Maschinenbau, 2 DL/Versicherung, 1 DL/Logistik, 1 DL/Messe PR-Beratung
Anzahl der geführten Interviews
Kumulierte Anzahl geführter Interviews
11
20
2
22
Die Erfahrungen dieser 22 deutschen PR-Akteure in China bilden den Kern der empirischen Analyse. Darüber hinaus wurde mit sieben weiteren Deutschen in China gesprochen, die aufgrund unterschiedlicher Erfahrungen einen Beitrag leisten konnten. x
PR-Laien
x
PR-Laie
x
PR-Laie
x
PR-Laie
x
PR-Laie
x
PR-Laie
Medien Kleines Unternehmen Kleines Unternehmen Deutscher Verband Unternehmensberatung x
Journalisten (Radio/Print)
2
24
Dienstleister
1
25
Werbeagentur
1
26
Import/Export
1
27
Beratung
1
28
Einzelhandel (CSR)
1
29
Da im Vorfeld der Befragung besonders von großen Unternehmen immer wieder darauf hingewiesen wurde, dass die PR vor Ort von chinesischen Mitarbeitern erfolgt, wurden letztendlich auch die Erfahrungen von chinesischen PR-Akteuren, die für deutsche Unternehmen in China PR betreiben, in die Befragung mit aufgenommen. Da diese nur begrenzt – einige der Befragten sprachen deutsch und lebten einige Jahre in Deutschland bzw. haben dort sogar ihre PR-Ausbildung absolviert – einen Vergleich zu Deutschland ziehen können, musste die Befragung zudem auf Deutschland ausgeweitet werden, um die Aussagen vergleichen und Unterschiede identifizieren zu können. Soweit möglich wurde versucht, bei Unternehmen, die in China chinesische Mitarbeiter beschäftigen, in Deutschland vergleichende Interviews mit ihren deutschen Kollegen oder Vorgesetzten durchzuführen.
143
9.2 Realisierte Interviews
Deutsche in China
Chinesische PR-Akteure in China Deutsche PR-Akteure in Deutschland Deutsche PR-Akteure in Deutschland
PRExperte
Großunternehmen (Anzahl Akteure in DAX30Unternehmen)
x
x (5)
x
x (4)
x
PR-Agenturen
Akteure in Industrieunternehmen (B-to-B)
x 6 Chemie, 1 Elektronik, 1 DL/Software, 2 Automobil 1 DL/Technik, 1 DL/Versicherung x 2 Chemie, 2 Automobil 1 DL/Technik PR-Beratung
Anzahl der geführten Interviews
Kumulierte Anzahl geführter Interviews
12
41
5
45
2
48
Während der Erhebung in China empfahlen die Befragten wiederholt, sich an westliche PRExperten in internationalen PR-Agenturen zu wenden, da diese in ihrem Wirken als Teil eines globalen Netzwerks tagtäglich auf Besonderheiten in China aufmerksam werden. Diesem Rat wurde gefolgt. Leider konnten keine deutschen, jedoch ein US-amerikanischer, ein australischer, ein englischer und drei in den USA ausgebildete chinesische/taiwanesische PRExperten ausfindig gemacht werden, die in leitender Position für eine der führenden internationalen PR-Agenturnetzwerke in China arbeiten und sich für ein Interview bereit erklärten bzw. – in zwei Fällen – die Fragen schriftlich beantworteten: Chinesen/ ‚Westliche’ Akteure in China (3/3)
x
PR-Agenturen
PR-Beratung
6
54
Zudem wurde mit zwei weiteren Chinesen gesprochen: Einem chinesischen Journalisten, der für eine renommierte Wirtschaftspublikation in China arbeitet, sowie die für ethische und technische Standards zuständige Chinesin eines deutschen Elektronikkonzerns in China. Chinese in China Chinese in China
PR-Laie
x
Elektronik
1
55
PR-Laie
Medien
Journalist (Print)
1
56
Abbildung 32: (Tabelle/gesplittet): Realisierte Interviews. Zum Überblick aller Interviews siehe Anhang. Insgesamt wurden demnach 56 Interviews geführt und die Thematik aus den verschiedensten Perspektiven betrachtet. Zusätzlich wurde mit dem Journalistik-Professor und Dekan der School of Journalism and Communication der renommierten Tsinghua Universität in Peking, Li Xiguang, schriftlich korrespondiert. So ergibt sich folgende Statistik.
144
9 Durchführung Experteninterviews
Unternehmenstyp:
B-to-B: 32
B-to-C: 5 (Auto)
Branche:
Chemie: 14 Elektronik: 5
Maschinenbau: 5 Automobil: 5
PR-Experte/ PR-Laie (m/w185): Herkunft (Befragte in Shanghai/ Peking):
PR-Experten: 36 (15/21) Deutsche in China: 29 (19/10)
PR-Laien: 20 (15/5) Chinesen in China: 16 (8/9)
PR-Agenturen: Sonstiges: 9 10 Dienstleister: 8 Medienbetrieb: 3 PR-Agenturen: Sonstige: 6 10 (Befragte Männer/Frauen gesamt: 30/26) Andere ‚WestDeutsche in ler’ in China: 3 Deutschland: 7 (1/2) (-)
Abbildung 33: (Tabelle): Zusammenfassung realisierter Interviews. Zum Überblick aller Interviews siehe Anhang Unter anderem wurden folgende Unternehmen (teilweise mehrere Akteure) befragt186: Allianz, BASF, Bayer (inkl. Bayer HealthCare, Bayer MaterialScience und Bayer Technology Services), Behr, BMW, Bosch, CRI (China Radio International), Daimler, Degussa (heute: Evonik), Dresdner Bank, Edelman, Golin Harris, Hill & Knowlton, Kühne & Nagel, Lanxess, Marianne Friese Consulting, Ogilvy PR worldwide, Otto, Porsche, SAP, SGL Carbon, Siemens, TRUMPF, TÜV Rheinland, TÜV Süd, Weber Shandwick, Weidmüller, Würth. Der chinesische Teil der Befragung wurde im August/September 2007 in Shanghai und Peking durchgeführt187. Dabei wurden (mit zwei Ausnahmen188) persönliche Experteninterviews durchgeführt, deren Dauer zwischen vierzig Minuten und vier Stunden variierte. Der ergänzende deutsche Teil der Befragung fand im November desselben Jahres statt. Vier der in Deutschland durchgeführten Experteninterviews erfolgten per Telefon189. Insgesamt wurden rund 72 Stunden in Gesprächen verbracht. Die Interviews wurden (mit fünf Ausnahmen190) transkribiert. Die Anzahl der transkribierten Seiten beträgt 1.033191. Zuzüglich der in der Literaturrecherche gesammelten Daten wurden rund 1.300 Seiten zur inhaltsanalytischen Auswertung in das Programm MaxQDA eingespeist, kodiert und ausgewertet. Die Heterogenität der befragten PR-Akteure und deren Kontexte sind – wie schon erwähnt und von Röttgers Studie unterstrichen – bezeichnend für das Forschungsfeld PR. Zudem erwies sich, dass die Befragten teilweise sehr unterschiedliche persönliche Hintergründe (Ausbildung, Berufserfahrungen) und unterschiedliche Aufgabenschwerpunkte haben – einige Befragte waren statt mit Medienarbeit stärker mit internen Kommunikationsaufgaben oder Public Affairs befasst. Eine quantitative Analyse zur Generierung allgemeiner Aussagen über die ‚PR deutscher Unternehmen’ in China wäre auf dieser Basis schwer möglich. In den gesammelten Daten lassen sich jedoch einige wiederkehrende Beobachtungen erkennen, die Vermutungen hinsichtlich typischer Struktur-/HandlungsVerschränkungen in der PR-Arbeit für deutsche Unternehmen in China zulassen. 185 186 187 188 189
Jeweils Anteil männlicher (m) und weiblicher (w) Befragter. Einige Befragte baten darum, den Namen ihres Unternehmens nicht zu nennen. Ein Interview wurde später in Deutschland nachgeholt. Zwei chinesische PR-Akteure internationaler PR-Agenturen antworteten aus Zeitgründen per Email. Weitere Interviews in Deutschland waren geplant. Da jedoch der Erkenntniszuwachs nach einigen Interviews als relativ gering empfunden wurde, wurde dies unterlassen. 190 Fünf Gespräche fanden in einem recht informellen Kontext im Restaurant statt und zogen sich über einen langen Zeitraum hin, in dem auch über andere Dinge gesprochen wurde. In diesen Fällen wurden wichtige Beiträge des Gesprächspartners handschriftlich notiert. 191 Interviews: Times New Roman, Schriftgröße 12, 1 ½-zeilig; Literaturrecherche: 1-zeilig.
10.1 Basisdaten China und Deutschland
145
10 Strukturanalyse
Bevor sich den PR-Handlungsstrukturen in China im Vergleich zu Deutschland zugewendet wird, werden einführend einige Basisinformationen dargelegt. 10.1 Basisdaten China und Deutschland Viel wurde in den letzten Jahren über China geschrieben. Das ‚Reich der Mitte’ ist in aller Munde und beeindruckt die Welt mit zahlreichen Superlativen: als bevölkerungsreichstes Land der Welt mit über 1,3 Mrd. Einwohnern192, als (nach Russland und Kanada) drittgrößter Flächenstaat der Welt und vor allem als Land, das die Menschheit mit einer rasanten Wirtschaftsentwicklung beeindruckt. „Nie zuvor in der Menschheitsgeschichte hat es eine vergleichbare Dynamik gegeben. Seit 1979 ist Chinas Wirtschaft Jahr für Jahr um durchschnittlich neun Prozent gestiegen.“ (Naß 2005, S. 11)
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Chinas lag 2006 bei 2.645 Mrd. US$ (Wachstum gegenüber dem Vorjahr: 10,7%). Damit handelt es sich bei China nach den USA (13.164 Mrd. US$/2006), Japan (4.368 Mrd. US$/2006) und Deutschland (2.897 Mrd. US$/2006) um die momentan viertgrößte Volkswirtschaft der Welt193. Die Dynamik des Landes ist atemberaubend; was heute gilt, kann morgen schon ganz anders sein. „Über China und seine Wirtschaft zu schreiben, gleicht dem Versuch, in die Fenster eines vorbeirasenden Zuges zu blicken.“ (Himmelmann/Hungerbach 2005, S. V) „Dinge ändern sich hier in China auch sehr schnell. Also so schnell, dass das, was ich Ihnen 194 heute erzähle, vielleicht in drei Jahren Schnee von gestern ist.“ (Interview Nr. 27 )
China ist ein Land mit vielen Gesichtern, das nach langen Jahren der Isolation seit etwa 30 Jahren wieder seinen Platz in der Weltgemeinschaft einfordert und rasant an Bedeutung gewinnt. Wie Deutschland ist China Mitglied der Vereinten Nationen, der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds sowie der WTO:
192 Quelle (auch in Folge, wenn nicht anders deklariert): Weltbank. Während die BRD eine Fläche von ca. 357.000 km² einnimmt und etwa 82,4 Millionen Einwohner hat, dehnt sich die VRC auf einem Terrain von rund 9.600.000 km² aus. Die Dimension Chinas wird deutlich, wenn man bedenkt, dass China in etwa so viele Einwohner wie die EU (491 Mio.) und Afrika (924 Mio.) zusammen hat. 193 Es wird angenommen, dass das Bruttoinlandsprodukt der VR China das von Deutschland schon sehr bald (vielleicht schon in den nächsten Monaten) überholen wird. 194 Alle Zitate werden im Wortlaut wiedergegeben. Ein Überblick aller Interviews befindet sich im Anhang.
146
10 Strukturanalyse
„Der wirtschaftliche Durchmarsch der letzten beiden Jahrzehnte und der Beitritt zur WTO haben China auch politisch zum Mitglied von König Artus’ weltweiter Tafelrunde gemacht.“ (Himmelmann/Hungerbach 2005 S. 5) „Spätestens bei der Eröffnung der Olympischen Spiele in Peking im Sommer 2008 wird sich zeigen, dass China inzwischen in die vorderste Reihe der großen Nationen aufgerückt ist: Die Wirtschaft wächst Jahr für Jahr um rund zehn Prozent. Über die Hälfte aller Kameras in der Welt stammt inzwischen aus China, 30 Prozent aller Klimaanlagen, 25 Prozent aller Waschmaschinen. Jedes Jahr schlagen die Häfen zwischen Tianjin und Shenzhen mehr Container um als je zuvor. China kauft sich einen Transrapid, schickt seine Astronauten in den Weltraum und dürfte schon bald Japan als exportstärkste Nation Asiens ablösen.“ (Lietsch/Lorenz 2007, Klappentext)
Deutschland gehört dem westlichen Kulturkreis des christlichen Abendlandes an. Dagegen grenzt sich China durch eine eigene, sinische Kultur von seiner Umwelt ab (vgl. Abbildung 5). 10.2 Historischer Hintergrund In der Auseinandersetzung mit China kommt man um einen historischen Exkurs nicht herum195. Während die deutsche Geschichte durch vielfältige Umbrüche, Kleinstaaterei und Richtungskämpfe gezeichnet ist (Heiliges Römische Reich Deutscher Nationen, Konflikt zwischen Kirche und Staat, Reformation, Gegenreformation, Aufklärung, Revolution), zeichnet sich die chinesische Geschichte über Jahrtausende hinweg durch ein hohes Maß an Konstanz aus. Von einigen Handelsflüssen abgesehen, führte China bis in das 19. Jahrhundert ein von der restlichen Welt isoliertes Dasein und pflegte seine viertausend Jahre alte Kultur, die sich durch eine beispiellose Kontinuität verschiedener Dynastien auszeichnet. Bereits in der Shang-Dynastie (16. bis 11. Jh. v. Chr.) lässt sich eine hierarchisch streng gegliederte Gesellschaft mit einer Aristokratie an der Spitze belegen. Es gab Beamte und erste Verwaltungssysteme. In der Zhou-Dynastie (1045 bis 221 v. Chr.) entstand die Theorie vom Mandat des Himmels, nach der die Herrschaft vom Himmel verliehen wird. Die am Ende der Zhou-Dynastie bestehenden sieben Königreiche wurden in der Qin-Dynastie (221 bis 207 v. Chr.) von dem legendären und brutalen ‚ersten Kaiser’ Qin Shihuangdi vereint. Ganz China erhielt ein effektives Verwaltungssystem, außerdem wurden Maße, Gewichte und die Schrift standardisiert. Die wirtschaftlich und militärisch starke Han-Dynastie (206 v. Chr. bis 220 n. Chr.) prägte die chinesische Kultur tiefgreifend, so dass man das chinesische Volk in Folge auch Han-Chinesen nannte196. Die Ausweitung des Territoriums ermöglichte über die Seidenstraße direkte Handelsbeziehungen mit dem Römischen Reich. Die bedeutendste Maßnahme war jedoch die Ernennung des Konfuzianismus zur Staatsphilosophie, der diese Funktion bis in das 20. Jahrhundert einnahm. Während die Aufklärung der westlichen Welt stark auf die Freiheit des einzelnen Individuums abstellt, zielt der Konfuzianismus auf die Rolle des Einzelnen im kollektiven Gesamtgefüge ab (vgl. Kapitel 10.5.1). Ab der Song-Dynastie (960-1276 n. Chr.) erlebte China eine Zeit unermesslichen Fortschritts und Wohlstands. Viele Erfindungen, die sich die Europäer zuschreiben, waren schon lange zuvor in China entstanden. Um die Jahrtausendwende produzierte China bereits soviel Stahl wie England im 18. Jahrhundert. Insbesondere durch die mongolische 195 Vgl. zur Geschichte Chinas u.a. Schmidt-Glintzer (1995), Klein (2007). 196 In China gibt es 56 ethnische Gruppen, wovon die Han mit über 93% die größte Gruppe darstellen.
10.2 Historischer Hintergrund
147
Bedrohung im Norden des Landes entstand ein starkes Nationalbewusstsein. Im 15. Jahrhundert (z. Zt. der Ming-Dynastie) war China die fortgeschrittenste Zivilisation der Erde und die militärisch führende Seemacht. Hätte diese den Versuch gemacht, die ‚neuen Kontinente’ zu erobern und zu bevölkern, hätte dies die Entwicklung der Weltgeschichte wohl entscheidend verändert. Im 19. Jahrhundert erlebte China die Erstarkung und zunehmende Dominanz der westlichen Welt durch deren industrielle Revolution als Bedrohung. Der Versuch, dem westlichen Freihandelsimperialismus mit Wirtschaftsprotektionismus zu begegnen, scheiterte. In den Opiumkriegen konnte Großbritannien das Recht durchsetzen, weiter mit Opium handeln zu dürfen und hiermit sein durch den Import von chinesischem Tee bestehendes Handelsdefizit auszugleichen (‚ungleiche Verträge’). China geriet zunehmend auf das Niveau einer Kolonie. Die gegen den europäischen, amerikanischen und japanischen Imperialismus um die Jahrhundertwende aufbegehrende Bewegung (‚Boxeraufstand’/1900) wurde jäh niedergeschlagen. Der mit der fortlaufenden Demütigung einhergehende Gesichtsverlust Chinas mündete im Ruf nach Reformen und führte Anfang des 20. Jahrhunderts zum Ende des Kaisertums. 1911 dankte der letzte Kaiser, Pu Yi, ab; es kam zum Bürgerkrieg zwischen der Nationalen Volkspartei (Kuomintang) und den Kommunisten, der im ersten Weltkrieg vorübergehend unterbrochen wurde und aus dem die Kommunistische Partei Chinas (kurz und in Folge: KPCh) unter Führung Mao Zedongs siegreich hervorging. Am 1. Oktober 1949 rief Mao Zedong am Platz des Himmlischen Friedens in Peking die Volksrepublik China aus. Maos kommunistische Auffassung wich stark von den Vorstellungen der Russen (oder gar von Marx und Lenin) ab. Mit großer Brutalität ging Mao gegen Großgrundbesitzer und die bisherige ‚Elite’ des Landes vor. Die Landwirtschaft wurde kollektiviert, die Industrie verstaatlicht. 1957 ermunterte Mao zeitweise die Intellektuellen des Landes, Vorschläge zur Veränderung des Gemeinwesens zu äußern. Als dies jedoch überhand nahm, wurden Kritiker brutal zurückgedrängt, umgesiedelt, ermordet oder inhaftiert. 1958 propagierte Mao das Wirtschaftsprogramm ‚Großer Sprung nach vorn’. Bei der Verfolgung ehrgeiziger Ziele wie die Verdoppelung der Getreide- und Stahlproduktion innerhalb eines Jahres blendete er realpolitische Verhältnisse aus. Die Folgen waren eine verheerende Hungersnot mit Millionen von Opfern und der Zusammenbruch der Industrie. Um von diesen Misserfolgen abzulenken und parteiinterne und -externe Zweifler neu zu mobilisieren, inszenierte Mao ab 1966 die ‚Große Proletarische Kulturrevolution’, welche ein weiteres Jahrzehnt von Misswirtschaft, politischer Hexenjagd und Unterdrückung auslöste. Außenpolitisch isolierte sich China – nach Bruch mit der Sowjetunion – fast vollständig. Obwohl Mao bis heute in China verehrt wird, stand das Land nach seinem Tod 1976 vor einem Scherbenhaufen. Neue Hoffnungen lagen auf dem 1978 ins Amt erhobenen Nachfolger Maos Deng Xiaoping. Dieser stellte den Pragmatismus über die Ideologie und leitete tiefgreifende Reformen ein. Er plädierte für einen ‚Sozialismus chinesischer Prägung’197 und die Entwicklung der Wirtschaft zu einer ‚Sozialistischen Marktwirtschaft’ (vgl. Kapitel 10.3). Erste Schritte waren Landwirtschaftsreformen sowie die Errichtung von Sonderwirtschaftszonen in der Küstenregion, die den Kapitalfluss aus anderen Ländern sowie den Transfer von Investitionsgütern und Know-how erlaubten. Dem folgte die lang197 Vgl. hierzu den folgenden Dialog zwischen dem China-Freund Franz Josef Strauß und einem Deutschen Führungsmitglied von VW in China, bereits 1985: „Sind die Chinesen eigentlich richtige Kommunisten?“ – Antwort: „Nein. Die Chinesen sind in erster Linie Chinesen.“ (Posth 2006, S. 194)
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10 Strukturanalyse
same Öffnung des gesamten Landes sowie die Reform und teilweise Privatisierung der Industrie. Nach dem Tod Deng Xiaopings führte die nächste Führungsgeneration unter Jiang Zemin und Zhu Rongji die Bemühungen fort, den Spagat zwischen kommunistischer Staatsform und Marktwirtschaft zu bewerkstelligen. In dieser Traditionen steht auch die derzeitige Führung unter Hu Jintao und Wen Jiabao. Obwohl die Öffnung des Landes auch mit einigen politischen Reformen einherging, hält die KPCh bis heute am Alleinvertretungsanspruch fest. Die in den 1980er Jahren aufkommende Demokratiebewegung wurde durch das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens am 4. Juni 1989 brutal niedergeschlagen. Bis heute sind alle gesellschaftlichen Bereiche von der Partei durchdrungen. Korruption, die Missachtung von Menschenrechten, Zensur und politische Verfolgung sowie die Todesstrafe stehen nach wie vor an der Tagesordnung. Dennoch haben sich in den letzten Jahren viele deutsche Unternehmen für eine Geschäftstätigkeit in China entschieden oder setzen sich aktiv mit diesem Unterfangen auseinander. Nach neuesten Angaben sind derzeitig rund 4.500 deutsche Unternehmen mir rund 200.000 Mitarbeitern in China tätig, jedes Jahr werden es gut 200 Unternehmen mehr (vgl. Lorenz 2008). Nach einer Umfrage der deutschen Handelskammer in Peking und Shanghai wollen 90% der bereits in China ansässigen deutschen Unternehmen (n = 273) ihr Engagement intensivieren oder erweitern. Im Schnitt erzielen die Deutschen einen jährlichen Umsatz von 15 bis 20 Millionen Euro. Am häufigsten vertreten sind Maschinenbauer und Ingenieurfirmen. Sie alle müssen sich den Problemen der Geschäftstätigkeit in China stellen: Korruption198, Diebstahl geistigen Eigentums, Bürokratie und Personalmangel/Fluktuation. „Fazit: Sie haben alle Angst vor geistigem Diebstahl, Bestechung, Fremdsprache und glauben an Gewinne erst in der Zukunft. Dennoch folgen sie dem Zug der Lemminge nach Asien wie in Trance.“ (Himmelmann/Hungerbach 2005, S. 139)
Vor diesem Hintergrund wird sich nun der Klärung der forschungsleitenden Fragen zur Strukturebene der PR (1-12) zugewendet. 10.3 Autoritative Ressourcen Um zu verstehen, welche Unterschiede zwischen Deutschland und China hinsichtlich der gesellschaftlichen Verteilung von Macht bestehen, wird der Blick zunächst auf die politische und ökonomische Herrschaftsordnung der beiden Staaten gerichtet. Während die BRD ein demokratischer und sozialer Bundesstaat ist, ist die Staatsform der VRC eine sozialistische Volksrepublik. In Deutschland werden die Grund- und Menschenrechte gewährt, es herrscht Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit, ein freies Wahlrecht, Meinungspluralismus und politische Opposition. Die Staatsform Chinas ist hingegen durch ein autoritäres Ein198 Wer in China ist, kommt früher oder später mit Bestechung und Korruption in Berührung. Korruption ist in der chinesischen Kultur tief verankert. Die Organisation Transparency International veröffentlicht regelmäßig Indizes zum Thema Korruption, in denen China stets einen besorgniserregenden Rang einnimmt. Einer empirischen Studie von Berg/Holtbrügge zufolge sind die meisten deutschen Unternehmen in China der Auffassung, „dass eine erfolgreiche Tätigkeit in China ohne die Gewährung materieller oder immaterieller Vorteile nicht möglich ist.“ (2002, S. 44) Auch über das Problem des Schutzes geistigen Eigentums in China wurde in den letzten Jahren viel debattiert (vgl. u.a. Dahlkamp et al. 2007). Die Bekämpfung von Korruption sowie der Schutz geistigen Eigentums stehen auf der politischen Agenda der Regierung (offiziell) ganz oben.
10.3 Autoritative Ressourcen
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Parteien-System geprägt, in dem keine Gewaltenteilung oder politische Opposition besteht199. Deutschland folgt einem sozialen Marktwirtschafsmodell, während China das Modell einer ‚Sozialistischen Marktwirtschaft chinesischer Prägung’ verfolgt (s.u.). Nach Angaben von Freedom House (2007), handelt es sich bei Deutschland um ein ‚freies’, bei China um ein ‚nicht freies’ Land. 10.3.1 Verteilung von Macht In China besteht traditionell ein zentralistischer Staat unter der Führung eines unangefochtenen Herrschers und einer gebildeten Elite. “In spite of the vast size of the country, and the periodic eruptions of social unrest within or invasion from outside, China’s rulers have always sought a single, strong, unified state administered by an educated elite.” (British Museum London, Raum 33)
Auch wenn der Kaiser mittlerweile durch Führungskräfte der KPCh ersetzt und einige politische Ordnungsmuster durch radikale Veränderungen abgelöst wurden, gilt in China nach wie vor das Prinzip der Alleinherrschaft. Die Macht liegt bei der KPCh, die mit über 73 Millionen Mitgliedern die mitgliederstärkste politische Partei der Welt ist und deren politischer Führungsanspruch in der Verfassung verankert ist. Trotz der Existenz einer Verfassung und einer komplexen formalen Staats- und Parteiorganisation zeichnet sich die politische und administrative Praxis durch einen geringen Grad der Institutionalisierung aus. Es besteht keine Rechtsbindung der staatlichen Gewalten. Insbesondere unterliegt auch die Justiz dem Einfluss der Partei. Die Partei hat faktisch in allen Teilen des Landes und allen Bereichen der Gesellschaft uneingeschränkte Entscheidungs- und Eingriffsbefugnisse. Rechtssystem: Die chinesische Tradition kennt keine Trennung von Politik und Recht – beides lag uneingeschränkt in den Händen des Kaisers. Bis heute ist es vielen Chinesen schwer verständlich, dass einmal formulierte Regeln für alle Menschen und Situationen gleich gelten sollen200. Mit der Öffnung des Landes ergaben sich auch Bestrebungen, das Rechtssystem zu reformieren. Um den Forderungen ausländischer Investoren nach Rechtssicherheit nachzukommen und die Aufnahme in die WTO zu erreichen, entwickelte sich vor allem das Wirtschaftsrecht rasant. Es ist heute der am weitesten entwickelte Bereich des chinesischen Rechtssystems. Dennoch wird die mangelnde Rechtssicherheit in der Volksrepublik noch immer von vielen westlichen Wirtschaftsakteuren beklagt201. Rechtsgelehrte weisen darauf hin, dass es sich in China nach wie vor eher um eine Herrschaft mittels Recht (‚Rule by law’) als um eine Herrschaft des Rechts (‚Rule of law’) handelt (vgl. von Senger 1994). Menschen- und Grundrechte: Eine der wesentlichen Konfliktpunkte zwischen der westlichen Welt und China ist die Anerkennung und Gewährung von Menschen- und Grundrechten. Zwar trat die Volksrepublik in den 1980er Jahren der Menschenrechtskommission der 199 In der politischen Geschichte Chinas ist der Gedanke von Gewaltenteilung und Machtbegrenzung, wie er in der westlichen Welt über Jahrhunderte gewachsen ist, nie entstanden. Zur Frage, ob in der VRC ein autoritäres oder ein totalitäres Regime besteht, vgl. Heilmann 2004, S. 64. 200 Vgl. hierzu die Unterscheidung zwischen universalistischen und partikularistischen Kulturen, u.a. von LinHuber 2006, S. 169. 201 Einer Studie des Economist zufolge, verfügt China mit Indonesien über das am wenigsten verlässlichste und transparente Rechtssystem in Ost- und Südostasien (vgl. The Economist, 05.04.2001, S. 152).
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10 Strukturanalyse
UN bei und hat spezielle Menschenrechtskonventionen ratifiziert, muss sich aber immer wieder Verstöße gegen die Menschenrechte vorwerfen lassen (vgl. u.a. Simon 1996). Amnesty International geht davon aus, dass die Zahl der Todesstrafen in China die höchste der Welt ist (2006 ist von 2.790 vollstreckten Urteilen die Rede, wobei die Dunkelziffer auf bis zu 8.000 geschätzt wird). Über 300.000 Menschen befinden sich nach Annahmen der Menschenrechtsorganisation ohne rechtsstaatliche Verfahren in Gefängnissen und Lagern für ‚Umerziehung durch Arbeit’ (vgl. Amnesty International 2007). Wesentliche demokratische Grundrechte wie die Presse-, Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sind zwar formal in der Verfassung verankert, werden praktisch jedoch nicht gewährleistet. Wie für alle Rechte der Verfassung gilt auch hier, dass über ihnen die Partei steht. Wirtschaftssystem: Auch wenn der Begriff einer ‚Sozialistischen Marktwirtschaft’ – „die marktwirtschaftliche Quadratur des planwirtschaftlichen Kreises“ (Posth 2006, S. 15) –semantisch widersprüchlich ist, zeichnet sich die Entwicklung eben dieses chinesischen Wirtschaftssystems durch einen historisch beispiellosen Erfolg aus. Seit Ende der 1970er Jahre wird die Staats-/Planwirtschaft sukzessive um die Privat-/Marktwirtschaft ergänzt und fortschreitend ersetzt. Heute besteht eine Koexistenz verschiedener Eigentumsformen. Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die chinesische Wirtschaft nach wie vor eng mit der Politik verflochten ist. „Im Fall Chinas wirkt die konventionelle analytische Trennung von politischer und ökonomischer Sphäre aufgrund der äußerst engen Verflechtungen zwischen politischen und wirtschaftlichen Akteuren geradezu realitätsfern.“ (Heilmann 2004, S. 27)
Ausländische Unternehmen spielen eine wichtige Rolle im chinesischen Wirtschaftswunder. Dabei war es ihnen zunächst lediglich gestattet, in Kooperation mit einem chinesischen Unternehmen (in der Regel der Staatswirtschaft) in Form von Joint Ventures (kurz und in Folge: JV) in China zu agieren. Dies erwies sich als genialer Schachzug – denn so gelangten die Chinesen nicht nur an Kapital, sondern auch an strategisches Know-how. Die Chinesen konnten zudem die Bedingungen vorgeben, unter denen Ausländer in China Geschäfte machten, sie waren an Entscheidungen beteiligt und konnten den Anteil des ‚local content’ (personelle und industrielle Beteiligung der Chinesen) erhöhen. Auch ermöglichten Joint Ventures der chinesischen Führung, Not leidende Staatsbetriebe durch Bindung an westliche Unternehmen zu sanieren (vgl. Himmelmann/Hungerbach 2005, S. 19). Bis heute sind viele ausländische Unternehmen in dieser Form in China aktiv. Für einige Branchen ist dies nach wie vor der einzige Weg für eine Geschäftstätigkeit in China (dies ist im ‚Catalogue for the Guidance of Foreign Investment Industries’ reglementiert). In den weniger reglementierten Industriezweigen besteht mittlerweile die Möglichkeit, Unternehmen mit 100% Auslandsbeteiligung – so genannte Wholly Foreign Owned Enterprises (kurz und in Folge: WFOE) – zu gründen. Für den Markteintritt besteht zudem die Möglichkeit, zunächst eine Repräsentanz zu gründen202. Sie alle müssen sich mit der lokalen Administration auf Verwaltungs- und Parteiebene intensiv auseinandersetzen: Der Umgang mit der chinesischen Bürokratie ist geradezu berüchtigt. 202 Vgl. zu verschiedenen ausländischen Organisationsformen in China Tabelle im Anhang. Wenn möglich, wird ausländischen Firmen in der Regel zur Gründung von WFOE geraten, um vor allem den Verlust von Know-how und intellektuellem Eigentum zu verhindern. Um die Kooperation mit chinesischen Unternehmen in Form von Joint Ventures kursieren abenteuerliche Anekdoten. Beliebt ist die Metapher vom Huhn und dem Schwein: Sagt das Huhn zum Schwein: „Lass uns ein Joint Venture gründen.“ Fragt das Schwein das Huhn: „Ja, was schlägst du vor?“ Sagt das Huhn: „Hühnerei mit Speck.“
10.3 Autoritative Ressourcen
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„Wir liefen uns von Behörde zu Behörde in Shanghai und Beijing die Schuhsolen ab […].“ (Posth 2006, S. 85)
Staatliche Kontrolle und Stabilität: Um den alleinigen Herrschaftsanspruch zu behaupten und die soziale Ordnung aufrecht zu erhalten, bedient sich Chinas Führung eines der 28 Organe des Staatsrats auf Ministerialebene, dem ‚Ministerium für Staatssicherheit’ – eine Institution, die vor allem in Deutschland negative Erinnerungen weckt und mit der Bekämpfung staatsfeindlicher Aktivitäten im Inland sowie mit Auslandsspionage und Spionageabwehr betraut ist. Innenpolitisch sorgt ein wachsendes Netz hauptamtlicher und informeller Mitarbeiter in ganz China mit einer Vielzahl von Tarnorganisationen (Unternehmen, Reisebüros, NGOs etc.) für die Kontrolle möglicher Abweichler und Dissidenten. Neben der chinesischen Bevölkerung stehen vor allem Ausländer unter Kontrolle. Ein Befragter beschreibt die Situation wie folgt: „Es wäre naiv zu glauben, dass hier irgendein Ausländer in China aktiv ist, auf den der chinesische Staat kein genaues Auge hat. […] – es wäre naiv zu glauben, dass die chinesische Regierung nicht meine Emails kontrolliert oder nicht mein Skype kontrolliert.“ (Interview Nr. 24)
Um die Stabilität der Herrschaftsordnung aufrecht zu erhalten, appelliert die Regierung zudem in aufwendigen Kampagnen an das Traditions- und Nationalbewusstsein der Chinesen. Nach Theo Sommer ist „der Nationalismus der einzige Kitt, der die Partei an der Macht hält. Da die kommunistische Partei nicht mehr kommunistisch ist, muss sie umso ausgeprägter chinesisch sein.“ (zitiert nach Himmelmann/Hungerbach 2005, S. 19)
Da die Bevölkerung in den letzten Jahren eine stete Verbesserung der Lebensqualität verspürte, stehen weite Teile der Bevölkerung hinter ihrer Regierung. Nach den politischen Umbrüchen des vergangenen Jahrhunderts mit teilweise fatalen Hungersnöten und Gewaltexzessen ist die chinesische Furcht vor Chaos und das Streben nach Stabilität verständlich. „Während der gesamten chinesischen Geschichte war das ‚Chaos’ (luan) der größte Alptraum aller Regierenden, und die Angst vor der Anarchie leitet auch heute noch viele politische Entscheidungen.“ (Kuhn et al. 2001, S. 75)
Hinzu kommen die Beobachtungen der verheerenden Entwicklungen in Russland nach dem Zusammenbruch des Sozialismus. „Aus Angst vor Chaos und Unruhen, die durch die Beobachtung der Konsequenzen des sowjetischen Zusammenbruchs verstärkt wurde, halten viele Chinesen eine autoritäre Regierung für notwendig, die in einer Phase großer wirtschaftlicher und sozialer Umbrüche Stabilität und Ordnung garantieren kann.“ (Heilmann 2004, S. 25)
Trotz zunehmender sozialer Spannungen in China ist mit einem Umbruch in den nächsten Jahren kaum zu rechnen.
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10 Strukturanalyse
10.3.2 Formation von Öffentlichkeiten Die Verteilung von Macht beeinflusst maßgeblich die Rollen der verschiedenen Öffentlichkeiten. Politisch-administrative Öffentlichkeiten Die politisch-administrative Öffentlichkeit spielt die dominante Rolle in China. Aufgrund des alleinigen Führungsanspruchs der Partei werden Mitspracherechte der Bevölkerung bis heute weitestgehend ignoriert und somit negiert. Dies gilt auch für das politische Lobbying durch Unternehmen/Wirtschaftsverbände. „Politisches Lobbying durch Interessengruppen und Verbände ist in der leninistischen Ordnung der VRC offiziell nicht vorgesehen und nicht geregelt.“ (Heilmann 2004, S. 61).
Jedoch veranstaltet die Regierung regelmäßig Konsultationen zu politischen Regelungsfragen, zu denen neben ausgewählten Repräsentanten betroffener Sozialorgane auch Akteure der Wirtschaft sowie staatlich lizenzierter Verbände eingeladen werden. Mit der politischen Aufwertung privater Unternehmer gegenüber staatswirtschaftlichen Akteuren und den Bestrebungen, internationale Standards zu erfüllen, nimmt die Aufgeschlossenheit der Regierung für die Interessen, Meinungen und Vorschläge der ausländischen Privatwirtschaft stetig zu203: „Ausländische Lobbyisten haben inzwischen zumindest in Teilbereichen der chinesischen Zentralregierung – insbesondere im Handelsministerium und in Ministerien, die den Zugang zu lukrativen innerchinesischen Märkten kontrollieren – Fuß gefasst und nehmen teilweise spürbaren Einfluss auf Wirtschaftsregulierungen, Lizenz- und Auftragsvergabe durch chinesische Regierungsstellen. Um den Zugang zum chinesischen Markt zu öffnen, haben transnationale Konzerne zum Beispiel in der Fahrzeug- und Versicherungsbranche in den neunziger Jahren mehrere hundert Millionen Dollar für Werbung und Lobbying (Sonderzuwendungen für chinesische Entscheidungsträger eingeschlossen) ausgegeben.“ (Heilmann 2004, S. 63)
So ist es für ein ausländisches Unternehmen in China sehr wohl aussichtsreich, sich für die Beteiligung an politisch-administrativen Regulierungs- und Entscheidungsprozessen zu engagieren. Neben der Durchdringung aller gesellschaftlichen Ebenen durch Parteikader zeichnet sich das politische System der VR China zudem durch ein hohes Maß an Informalität aus. So erfolgt politische Machtausübung in vielen Fällen nicht über legitimierte Macht, auf Basis von Positionen und Organisationen, sondern auf Basis persönlicher Verbindungen und einem komplexen Netz aus Gefallen und Gegenleistungen (‚Guanxi’, vgl. Kapitel 10.5.5.3). Politische Macht basiert demnach weniger auf Institutionen und Positionen, sondern viel mehr auf persönlichem Prestige und Beziehungsnetzwerken. Dies birgt die große Gefahr von Schatten- und Korruptionssystemen und prägt den Handlungsspielraum für Public Affairs Handlungen im Rahmen von PR grundlegend. Soziokulturelle Öffentlichkeiten Die Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit ist in China nicht gewährleistet. Jede zivilgesellschaftliche Aktivität erfordert die Zustimmung der Partei. Von einer aktiven Zivilgesell203 Vgl. zu einflussreichen Interessengruppen in der Geschichte der KPCh Heilmann 2004, S. 61-63.
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schaft, wie sie in Deutschland zu finden ist204, ist China weit entfernt. Ein Interviewpartner beschreibt die Situation wie folgt: „Jede Organisation in China ist die KP. Sie taucht halt in den verschiedensten Rollen und mit den verschiedensten Gesichtern auf. Aber es ist immer die Partei. […] Die Partei ist überall. Sie merken das kaum, aber die kriegen alles mit.“ (Interview Nr. 15)
Neben der politischen Situation lassen sich historisch-kulturelle Gründe für den Mangel einer aktiven Zivilgesellschaft in China anführen. So fehlt es den Chinesen der Einschätzung von Sausmikat/Heberer (2004) nach an bürgerschaftlichem Bewusstsein, welches sich in Europa im Laufe der Jahrhunderte und mit den Erfahrungen des Römischen Reichs, der Aufklärung und der Französische Revolution entwickelte205. Hinzu kommt die im konfuzianistischen Weltbild tief verankerte Akzeptanz von Hierarchie, die es gebietet, den Machthabenden nicht in Frage zu stellen. Dessen Macht ist allumfassend, dafür ist er für seine Untergebenden verantwortlich. Sozialkritisches, politisches Denken wird in der Ausbildung der meisten Chinesen nicht gefördert und ist nur begrenzt vorhanden (vgl. Kapitel 10.5.2). „Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung hat zudem nur ein sehr geringes Interesse an politischen, ökologischen oder sozialen Fragen, sondern ist fast ausschließlich an eigenen wirtschaftlichen Interessen orientiert.“ (Holtbrügge/Puck 2005, S. 164)
Zudem unterscheiden Chinesen deutlich zwischen ihnen vertrauten Menschen (Innenmenschen) und Fremden (Außenmenschen, vgl. Kapitel 10.5.5.3). Während sie den Innenmenschen ein großes Maß an Aufmerksamkeit, Respekt und Hilfsbereitschaft entgegenbringen, gilt dies nicht für Fremde. „Nach chinesischer Ansicht brauchen Hilfsbereitschaft und Menschlichkeit also nicht allen Menschen gewährt zu werden.“ (Kuhn et al. 2001, S. 254) „Man hilft sich nicht, wenn man sich nicht kennt.“ (Lin-Huber 2006, S. 139)
In den letzten Jahren wurden verstärkt – wiederum semantisch höchst widersprüchlich – ‚Government-Organized Non-Government Organisations’ (GONGOs) ins Leben gerufen206. Diese Vereinigungen sollen der Bevölkerung staatlich kontrollierten Raum zur Artikulation und Abstimmung ihrer Interessen geben und dienen der Partei zudem als bevölkerungsnaher Sensor für soziale Bewegungen. Der Begriff NGO kann dabei irreführend sein, handelt es sich hierbei doch vorwiegend um soziale Einrichtungen wie Kindergärten, Sportvereine, Rechtsbeihilfen sowie zahlreiche Berufs- und Fachverbände207. Vereinigungen, die auf dem Engagement individueller Akteure beruhen und sozusagen ‚von unten’ entstehen (weshalb man sie als ‚grassroots NGOs’ bezeichnet), bedürfen einer aufwendigen 204 Ganz im Sinne von ‚Wenn drei Deutsche zusammensitzen, gründen sie einen Verein’, ist die Zivilgesellschaft in Deutschland äußerst ausgeprägt. 205 Vgl. zur Entwicklung und zum Stand der Zivilgesellschaft in China Heberer (2006), Heberer/Sausmikat (2004), Lehrack (2004), Brie/Pietzcker (2004). 206 Bisherige Massenorganisationen wie etwa die Allchinesische Jugendliga (AJL), der Allchinesische Frauenverband (AFV) oder der Allchinesische Gewerkschaftsbund (ACGB) wurden als solche kategorisiert. 207 Die Verwendung des Begriffs in diesem Kontext erfolgt wahrscheinlich aufgrund der weltweiten ‚NGOisierung’ (vgl. Altvater/Brunnengräber 2002, S.8).
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Registrierung und müssen durch einen ‚Bürgen’ in der Regierung, Partei oder in einer Massenorganisation unterstützt werden (vgl. Lehrack 2004, S. 11-13). 2005 waren rund 200.000 GONGOs bzw. grassroots NGOs registriert. Unabhängig von ihrer rechtlichen Form ist die Aktivität jeder zivilgesellschaftlichen Vereinigung daran gehalten, eng mit der Regierung bzw. der Partei zusammen zu arbeiten und das strikt vertikale System Chinas zu akzeptieren. Ist dies der Fall, können ‚NGOs’ relativ frei wirken. Neben sportlichen, kulturellen, beruflichen und wissenschaftlichen Vereinigungen existieren zunehmend auch einige Organisationen, die sich mit allgemeinen gesellschaftlichen Themen wie etwa dem Umweltschutz, sozialen Randgruppen, dem Erhalt bedrohter Kulturgüter und Landschaften, dem Verbraucherschutz, der Partizipation in Nachbarschaftsvierteln oder mit bestehenden Arbeitsbedingungen auseinandersetzen. Dies wird durch die neuen Möglichkeiten, sich über das Internet zu informieren und (in engen Grenzen) zu organisieren, begünstigt und von der politischen Führung teilweise sogar begrüßt: „Der Staat ist durchaus an gesellschaftskritischen und partizipatorischen Verhalten, vor allem der Jugend, interessiert, weil dies nicht nur dazu beiträgt, Korruption, Skandale und soziale Ungerechtigkeiten aufzudecken, sondern zugleich auch die Legitimität der Herrschenden stärkt. Internetdiskussionen an sich stellen nicht unbedingt schon eine Herausforderung des Systems dar. Zu Recht weist Damm darauf hin, dass es sich bei den Internetnutzern primär um jüngere Personen mit hohem Bildungsstandard handelt, um Repräsentanten der neuen Mittelklasse, die an der Effizienzsteigerung des Systems im Sinne von Good Governance interessiert sind, nicht aber an einer systematischen Veränderung, die destabilisierend wirken könnte.“ (Heberer/ Sausmikat 2004, S. 37f, Bezug nehmend auf Damm 2003) Aber: „Im Vergleich zur zentralen, regionalen und lokalen Administration ist der Einfluss anderer sozio-politischer Interessengruppen nur gering.“ (Himmelmann/Hungerbach 2005, S. 164)
Neben nationalen NGOs sind derzeitig etwa 200 internationale NGOs in China registriert208. Da für sie noch keine rechtlichen Regelungen bestehen, sind diese genötigt, sich ebenfalls entweder um einen ‚Bürgen’ zu kümmern (diesen Weg wählte etwa Greenpeace durch eine Kooperation mit einer Pekinger Universität) oder sich als Unternehmen zu registrieren (so ist etwa der WWF als Unternehmen registriert; vgl. Lehrack 2004, S. 13). Gesellschaftspolitische Öffentlichkeit/Mediensystem So wie die fehlende Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit die Entstehung einer aktiven Zivilgesellschaft unterbindet, verhindert das Fehlen der Meinungs- und Pressefreiheit die Entstehung einer kontrollierenden medialen Öffentlichkeit, wie sie in Deutschland grundsätzlich anzutreffen ist. Während in einer pluralistisch-demokratischen Gesellschaft wie Deutschland den Medien eine wichtige Überwachungsfunktion als vierte Macht im Staat beigemessen wird, werden die Medien in China anders konzipiert. Dabei weist die chinesische Führung ein ausgeprägtes Bewusstsein für die Rolle der Massenmedien auf. „Der Mediensektor ist einer der Angstsektoren der chinesischen Regierung.“ (Interview Nr. 24).
208 Vgl. www.chinadevelopmentbrief.com.
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Obwohl es bis heute kein Pressegesetz gibt, wurde in der erstmalig juristischen Auseinandersetzung mit der Rundfunkverwaltung 1997 der Rundfunk (und später andere Massenmedien) explizit als Sprachrohr der Regierung und des Volkes bestimmt. „Hörfunk, Fernsehen, Print- und Online-Medien der VR China gehören in den Hoheitsbereich des Staates. Sie sind daher Organe der Öffentlichkeitsarbeit der Komitees der KPCh und der Volksregierungen auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene. […] In keinem der sechs Kapitel und 55 Artikel werden die Presse- bzw. Rundfunkfreiheit oder Rechte von Journalisten garantiert. Die Verwaltungsvorschrift erläutert: Hörfunk und Fernsehen sollen dem Volk und dem Sozialismus dienen und ferner die Lenkung der öffentlichen Meinung wahrnehmen. […] Zu den grundlegenden Pflichten der Sender gehören die Vorzensur, die Beachtung des Urheberrechts und die inhaltliche Einhaltung der Vorgaben der zentralen Behörden. Verboten sind Inhalte, die die Einheit des Staates, die Souveränität und territoriale Integrität verletzen, die Sicherheit oder den Ruf Chinas gefährden, die zu nationalem Separatismus aufwiegeln und die nationale Einheit zerstören, die Staatsgeheimnisse preisgeben, die andere Menschen diffamieren und beleidigen und die Pornografie, Aberglauben oder Gewaltdarstellungen verbreiten. […] Die ‚Verwaltungsbestimmungen für das Verlagswesen’ sowie die ‚Bestimmungen für die Verwaltung von OnlineMedien’ enthalten gleiche Auflagen bezüglich der Inhalte.“ (Abels 2005, S. 829 und S. 831)
Viele internationale NGOs wie Freedom House, Amnesty International, Human Rights Watch Asia, Reporter ohne Grenzen, die in New York und Hongkong ansässige Organisation ‚Committee to Protect Journalists’ (CPJ) sowie das ‚China Media Project’ der Universität Hongkong weisen immer wieder auf Repressionen gegenüber der Presse in China hin. Im Media Freedom Index, dem von Reporter ohne Grenzen jährlich erstellten Ranking zur weltweiten Medienfreiheit, liegt China zusammen mit Birma/Myanmar, Kuba, Iran, Turkmenistan, Nordkorea und Eritrea auf den letzten Plätzen (Platz 163 von 169). Deutschland befindet sich auf Platz 20 (vgl. ROG 2007). In der Jahresbilanz zur Pressefreiheit 2007 (vgl. ROG 2007a) weist Reporter ohne Grenzen darauf hin, dass in China weltweit die häufigsten Inhaftierungen von Journalisten stattfinden (derzeitig 33 Inhaftierte). Von weltweit derzeitig bekannten 65 inhaftierten Internetdissidenten sitzen 50 in China hinter Gittern. Allgemein herrscht in China eine weltweit einmalig starke Internet-Zensur (vgl. u.a. Abels 2005, Wacker 2000): „Einige Länder zensieren das Internet inzwischen ebenso wie die traditionellen Medien. China ist darin Weltmeister. Vor jedem politischen Ereignis steigerte die Internet-Polizei dort ihre Aktivitäten, besonders in den Monaten vor dem Kongress der Kommunistischen Partei als 2.500 Internetseiten und Blogs, viele von ihnen mit politischem Inhalt, gesperrt wurden.“ (ROG 2007b, S. 8/Original in kursiv)
Unter Mao waren die Medien vollkommen gleichgeschaltet, ihre alleinige Funktion war die eines Propagandainstrumentes zur Information und Erziehung des Volkes. Jedes Parteikomitee auf Provinzebene verfügte über ein voll subventioniertes eigenes Parteiorgan in Form einer lokalen Zeitung. Daneben gab es weitere Publikationen, die einer Lizenz bedurften und strengen Kontrollen unterlagen. Noch heute verfügt jede Redaktion über eine Parteizelle, genau wie jede administrative Einheit über eine ‚Pressestelle’ verfügt. “Every administrative unit has its own propaganda branch, and every media unit has a party secretary responsible for media content.” (Brendebach 2005, S. 29).
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Mit den aufkommenden Reformen machte sich die Regierung intensive Gedanken über die Zukunft der Medien. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage zur Refinanzierung der Medien bei gleichzeitiger Beibehaltung größtmöglicher Kontrolle. Um den Staat von den Kosten der Mediensubvention zu entlasten, wurde eine Kommerzialisierung des Mediensektors beschlossen. 1992 zog sich der Staat aus der Vollsubvention im Mediensektor zurück209. Um die Finanzierungslücke zu schließen, wurde Werbung zugelassen. Medienbetriebe wurden zu Restrukturierungen gezwungen und mussten sich zunehmend dem Wettbewerb stellen. Typischerweise bildeten sich um die jeweiligen Parteiblätter der Provinzen Verlagsgruppen210. Dies hat vor allem politische Gründe: “A dozen major media companies are simply more easily controlled than 2000 newspaper responsible to 2000 organizations, governmental bodies, and party branches.” (Brendebach 2005, S. 44)
Trotz der Reduktion der Subventionierung auf wenige Parteiorgane, handelt es sich nach wie vor um einen stark regulierten und kontrollierten Markt. Betriebe im Verlagswesen gelten trotz Gewinn- und Wettbewerbsorientierung nicht als Unternehmen, sondern als ‚öffentliche Dienstleistungseinheiten’ (Shiye Danwei). Nur zögerlich setzen sich privatwirtschaftliche Organisationen und parteiunabhängige Initiativen durch (vgl. Gui et al. 2004, S. 12)211. “No individual ‘owns’ media in China, only the government. The industry is controlled by licences, issued by government entities to government entities.” (Kitto 2006)
Das in jeder Verlagsgruppe vorhandene Parteikomitee bestimmt vor allem über personelle Entscheidungen maßgeblich die Geschicke der Verlagsgruppe mit (vgl. Gui et al. 2004, S. 11). Zudem stehen die Medienbetriebe des Landes unter ständiger Kontrolle der Propaganda-Abteilung der KPCh sowie des Staatlichen Amtes für Presse- und Verlagswesen (General Administration of Press and Publication; GAPP) bzw. der Staatlichen Hauptverwaltung für Rundfunk, Film und Fernsehen (State Administration of Radio, Film and Television; SARFT). Diese vergeben und entziehen auf den verschiedenen Verwaltungsebenen Lizenzen, kontrollieren die Berichterstattung und legen fest, was in den Medien präsentiert werden darf. Regelmäßig werden von der chinesischen Führung Medienkampagnen ins Leben gerufen oder wörtlich zu übernehmende Inhalte für die Berichterstattung verteilt. Vage gehaltene Vorschriften erlauben den Behörden einen großen Interpretationsspielraum und lassen journalistisches Arbeiten in China riskant werden (vgl. Kapitel 10.5.6). Bei Verstößen müssen Journalisten mit persönlichen Sanktionen rechnen – von Nicht-Veröffentlichungen über Ermahnungen, Versetzungen und Entlassungen bis hin zur Inhaftierung (vgl. Heilmann 2004,
209 Von 1.452 Zeitungen und Zeitschriften, denen die Regierung bis 2003 die Finanzierung strich, gingen 673 ein, mehr als 300 fusionierten. Von den rund 500.000 chinesischen Journalisten verloren etwa 40.000 ihre Arbeit (vgl. Brauer 2005, S. 4). 210 Die Parteiblätter dienten dabei als Mutterzeitung, gaben der Verlagsgruppen ihren Namen und fassten andere vorhandene Publikationen unter einem Dach zusammen. Das Pilotprojekt war 1996 die Guangzhou Daily-Verlagsgruppe. Nach Angaben der World Press Trends (WAN) 2006/2007 existieren in China derzeit 61 Verlagsgruppen, die sich ‚general news’ widmen. 211 Einige Verlagsgruppen wie die Beijing Youth Daily sind im Begriff, an die Börse zu gehen.
10.3 Autoritative Ressourcen
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S. 220f)212. Auch die ausländischen bzw. deutschen Journalisten in China müssen sich nach strengen staatlichen Auflagen richten: „‚Als Journalist wird man hier schnell behandelt wie in anderen Ländern Mörder’, sagt Harald Maass, der unter anderem für den Tagesspiegel aus China berichtet. Bei der Recherche zu einem illegalen Kohlebergwerk stürmte plötzlich mitten am Tag ein Polizeitrupp in sein Hotel. Beim anschließenden Verhör durfte er nicht einmal allein auf die Toilette. ‚Bei all den positiven Wirtschaftsmeldungen aus China’, sagt Maass, ‚wird schnell vergessen: Die Zensur ist noch immer sehr stark.’ So müssen sich Journalisten in China jedes Mal abmelden, wenn sie Peking verlassen. Zudem soll jede Recherche, jedes Interview den Behörden angekündigt werden.“ (Kittel 213 2007)
Zudem können ausländische Medien lediglich ihre Korrespondenten nach China schicken, um von da aus in das Heimatland zu berichten. Eigene Aktivitäten auf dem chinesischen Markt sind äußerst begrenzt. Der ‚Catalogue for the Guidance of Foreign Investment Industries’ verbietet explizit ausländische Investitionen im Verlags- und Nachrichtenwesen. Nur unter schwersten Anstrengungen gelang es einigen transnationalen Medienkonzernen (Murdochs News Corp., AOL Time Warner, Walt Disney, Bertelsmann, Google) einen begrenzten Marktzugang zu erhalten. Sie verfügen über exklusive und stark reglementierte Verkaufs- und Senderechte. Dabei verzichten sie praktisch auf chinabezogene politische Inhalte und erweisen sich als verlässliche Partner der chinesischen Regierung. So sind der Berichterstattung zu kontroversen Themen und Debatten enge Grenzen gesetzt und Kritik nur zu Themen erlaubt, in denen die Regierung Handlungsbedarf sieht (z.B. im Umweltschutz, Korruption, vgl. Brauer 2005). Daneben konzentrieren sich viele neu entstandene Medienbetriebe verstärkt auf unpolitische Bereiche. Unterhaltung und Wirtschaftsthemen gewinnen zunehmend an Raum und sind, so lange sie keine politischen Implikationen haben und mit den Reformen konform sind, relativ frei. „Also, alles, was eben unpolitisch ist, da kann die Presse eben frei agieren, wie in anderen Ländern, aber in anderen [Bereichen; JK] eben nicht.“ (Interview Nr. 17)
Heilmann spricht in diesem Zusammenhang von einer Entpolitisierung des chinesischen Mediensystems: „Aus heutiger Sicht ist es wahrscheinlich, dass sich aufgrund kommerzieller Interessen der Trend zur Entpolitisierung der populären Medien und zur Dominanz unterhaltungs- und konsumbezogener Medieninhalte zunächst noch verstärken wird.“ (Heilmann 2004, S. 221)
10.3.3 Status von Akteuren Die gesellschaftliche Verteilung von Macht prägt auch die Machtstrukturen von Kommunikationsforen im Nahbereich. Für die Medienarbeit deutscher Unternehmen in China interes212 Die Frage, ob es mit der Medienkommerzialisierung zu einer politisch kritischeren Berichterstattung in China kommt, ist umstritten. Martin Brendebach (2005) widmet sich dieser Frage in seiner Dissertation und kommt zu einer bejahenden Antwort. 213 Im Zeichen von Olympia wurden diese Auflagen (vorübergehend) gelockert.
158
10 Strukturanalyse
siert grundsätzlich der Status von PR-Akteuren als Unternehmenssprecher sowie (für deutsche PR-Akteure vor Ort) der Status von Ausländern/Deutschen in China. Status von Unternehmensmitgliedern/PR-Akteuren Empirische Erkenntnisse zum Vertrauen in unterschiedliche Informationsquellen und Akteure/Organisationen in China bieten Studien der internationalen PR-Agentur Edelman214. Diese lassen erkennen, dass Unternehmensmitglieder in Asien grundsätzlich eine höhere Glaubwürdigkeit genießen als in Europa – sogar eine höhere als Journalisten215. Der Managing Director von Edelman Shanghai stellt im Interview fest: “Well, the results tell us which are entrusted sources and channels. And it also tells us, who are the most effective spokespeople in terms of trust. For example, a complete contrast to the west is: The most trusted spokespeople to deliver information about a company are company chairman, company CEO, company CFO. […] The people within the company. If you would ask in the US, if the CEO or CFO is a trusted spokesperson, if you would turn to those people for trusted information about a company: No, of course not!”216
In diesem Zusammenhang lässt sich eine interessante Unterscheidung der internationalen PR-Agentur Ogilvy anführen, die zwischen einem Age of Deference (Zeitalter der Ehrerbietung) und einem Age of Reference (Zeitalter der Referenzen) unterscheidet (vgl. Ogilvy 2007, S. 1): Anführer Respektspersonen/Alte Experten Prominente Alternative Meinungen Freunde & Familie Der Mann auf der Straße
Æ Age of Deference
Der Mann auf der Straße Freunde & Familie Alternative Meinungen Prominente Experten Respektspersonen/Alte Anführer
Æ Age of Reference
Abbildung 34: ‚Age of Deference’ und ‚Age of Reference’. Nach Ogilvy 2007. Nach den erhobenen Daten ist China noch eher im ‚Zeitalter der Ehrerbietung’ (Age of Deference) anzusiedeln, so dass anzunehmen ist, dass PR-Akteure als Unternehmensmitglieder in China grundsätzlich weniger skeptisch betrachtet werden als in Deutschland217. 214 Zwei Studien sind relevant: Die speziell in China durchgeführte ‚Edelman China Stakeholder Study 2007’ und das globale ‚Edelman Trust-Barometer’ 2007 bzw. 2008. 215 In China wurden folgende Personen als vertrauens- und glaubwürdig eingeschätzt, wenn es um Informationen über ein Unternehmen geht: 60% Regierung, 52% CEO des Unternehmens, 34% jeweils Wissenschaftler und Journalisten, 30% Aktionär, 25% NGOs und 18% Blogger. Vgl. China Stakeholder Study 2007, S. 18. 216 Wenn Zitate Rückschlüsse auf die Identität des Interviewpartners zulassen, wird die Nummer des Interviews nicht genannt, um spätere Zitate dieser Person nicht auch zuordnen zu können. 217 Dies bestätigt das Global Trust Barometer 2007, nach dem in Asien 22% und in Deutschland 14% der Befragten PR-Managern vertrauen (Global Trust Barometer 2007, S. 26f). Für China liegen leider keine expliziten Ergebnisse vor.
10.3 Autoritative Ressourcen
159
Status von Ausländern/Deutschen in China Ausländer haben in China einen Sonderstatus. Man begegnet ihnen mit einer Mischung aus Respekt, Neugierde und Misstrauen. Grundsätzlich betonen Chinesen, wie auch in den Interviews mit chinesischen Kommunikationsverantwortlichen immer wieder ersichtlich wurde, die ‚Andersartigkeit’ der Chinesen. „Da war sie, die Zauberformel der Chinesen: ‚In China ist alles anders. Das verstehen Sie doch nicht.’“ (Posth 2006, S. 186, vgl. auch S. 71 und Himmelmann/Hungerbach 2005, S. 119)
In ihrer Geschichte pflegten die Chinesen stets ein sinozentrisches Weltbild mit einem ausgeprägten Stolz auf ihre Zivilisation und kulturelles Erbe. China verstand sich „als das im Weltmittelpunkt befindliche Land, als Mittelpunkt der menschlichen Kultur, umwohnt von Barbaren […].“ (Granet 1985, S. 7)
Es lohnte sich schlicht nicht, sich für die primitive restliche Welt zu interessieren. Dieses Selbstbild wurde durch den Einfall und die Kolonialisierungsbestrebungen der westlichen und japanischen Mächte ab etwa 1840 und die ausländischen Demütigungen im 20. Jahrhundert schwer gestört. So ist es nicht verwunderlich, dass die Chinesen die Wiedereröffnung des Landes und das Eindringen der Ausländer mit einem gewissen Misstrauen verfolgen. Himmelmann/Hungerbach verweisen auf die Prophezeiung Deng Xiaopings. Dieser sagte „dass durch geöffnete Fenster auch Fliegen eindringen, in einer Weise, deren Folgen nicht abzuschätzen sind. Nicht politische Abenteurer oder Hasardeure wie noch vor hundert Jahren bedrängen das xenophobe China. Durch die geöffneten Fenster drängen westliche Versuchungen und liberale Ideen herein.“ (Himmelmann/Hungerbach 2005, S. 4.) „Man muss sich vergegenwärtigen, dass China bis 1978 gegenüber allen westlichen Einflüssen verschlossen gewesen war. Erst seit der Öffnungspolitik Deng Xiaopings wurde das Land für die übrige Welt zugänglich, seit 100 Jahren wieder. Nach den Erfahrungen mit dem Westen im 19. und 20. Jahrhundert waren die Chinesen misstrauisch gegenüber allem, was von draußen kam.“ (Posth 2006, S. 129)
Ausländischen Einflüssen begegnen Chinesen daher mit Vorsicht aber auch mit großem Interesse und außerordentlichem Geschick, das Fremde mit dem Chinesischen zu verbinden218. Der Erfolg der letzten Jahre hat das Selbstbewusstsein der Chinesen wieder erstarken lassen, so dass sie sich zunehmend auf ihre chinesische Identität berufen und sich gegenüber Ausländern bewusst abgrenzen. „Tatsächlich ist eine unüberwindbare Fremdheit eine Erfahrung, die viele Ausländer in China machen. Es scheint undenkbar, in die chinesische Kultur und Gesellschaft voll integriert zu wer219 den.“ (Kuhn et al. 2001, S. 220f)
218 Der chinesische Kulturkritiker Bo Yang beschreibt in seinem Buch ‚Der hässliche Chinese’ die aus seiner Sicht für die chinesische Kultur kennzeichnende Praxis, alles Fremde so lange ‚in ein Sojasoßenfass’ einzulegen, bis es nicht mehr fremd, sondern eben nach chinesischer Sojasoße schmeckt. 219 Die meisten Deutschen in China bestätigten diese Einschätzung. Deutsche leben meist in eigenen Gebieten und verbringen ihre Freizeit mit anderen Deutschen/Westlern.
160
10 Strukturanalyse
„Wichtig ist, wie es der Chinese sich vorstellt. Und der stellt sich vor, für den ist völlig klar: Ein Engländer zählt was in England, ein Amerikaner in den USA, ein Deutscher in Deutschland.“ (Interview Nr. 14)
Unter den Ausländern nehmen die Deutschen heute eine vorteilhafte Position ein220. „Chinesen hassen Japaner, lieben die Amerikaner nicht und lassen unter den Europäern die Deutschen am meisten gelten. […] Europäischen und insbesondere deutschen Unternehmern öffnen sich in China immer noch die Türen etwas bereitwilliger.“ (Himmelmann/Hungerbach 2005, S. 136 und S. 151).
Auch nach Angaben der Asian Business Consultants (1999) sind deutsche Geschäftsleute bei den Chinesen die begehrtesten Europäer. Demnach schätzen die Chinesen an den Deutschen besonders, dass sie vertrauenswürdig, solide, realistisch, redlich und aufrichtig sind, während sie ihnen auf der anderen Seite Unflexibilität, das Beharren auf feste Vorgaben und teilweise Arroganz ankreiden. 10.3.4 Vertrauen in mediale Informationsquellen und bestehende Images Die eingeschränkten Rechte und Freiheiten der Medien in China wurden bereits thematisiert (vgl. Kapitel 10.3.2.3). Es stellt sich die Frage, inwiefern die Chinesen trotz dieser Einschränkungen Vertrauen in ihre Medien haben: Ein Thema, mit dem sich die bereits erwähnten Studien von Edelman intensiv auseinander setzten. Für PR-Handlungen sind zudem das vorhandene Vertrauen in bzw. das Image von ausländischen/deutschen Unternehmen/Marken in China relevant. Vertrauen in chinesische Medien Während Deutsche in China immer wieder auf die Repressalien gegenüber der chinesischen Presse und die chinesische Zensur hinweisen, stehen die Chinesen den Medien in ihrem Land weniger kritisch gegenüber. So gaben 63% der befragten Chinesen im Alter von 3564 an, den Medien ihres Landes zu vertrauen221. Der China Stakeholder Study (2007) lässt sich zudem entnehmen, welchen Kommunikationskanälen am ehesten vertraut wird, wenn es um Informationen über ein Unternehmen geht: 43% vertrauen Analysten-Berichten, 42% Verbandszeitschriften, 41% der Fachpresse, 34% persönlichen Informationen (‚word of mouth’), 31% lokalen Tageszeitungen, 29% Reden eines Sprechers, 29% dem nationalen Fernsehen, 28% nationalen Tageszeitungen, 27% dem Radio, 25% dem lokalen Fernsehen, 24% Informationen auf Unternehmensevents, 23% der Unternehmens-Webseite, 21% Internetinhalten, die nicht vom Unternehmen stammen, 16% Bloggern und 15% Direct Mails (vgl. China Stakeholder Study 2007, S. 17).
220 Zur Entwicklung wirtschaftlicher und diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und China vgl. Eberstein 2007, Heilmann 2004, S. 277f, Himmelmann/Hungerbach 2005, S. 3-5. 221 Vgl. Global Trust Barometer 2008, S. 19. Zu Deutschland lassen sich keine Daten direkt gegenüberstellen.
10.3 Autoritative Ressourcen
161
Nach dem Global Trust Barometer (2007, S. 24; aufgrund unterschiedlicher Analysemethoden sind die Prozentzahlen nicht direkt vergleichbar!222) haben in Deutschland Artikel in Wirtschaftsmagazinen die höchste Glaubwürdigkeit (71%). Dem folgen Fernsehberichterstattung (68%), Radioberichte (67%), Gespräche mit Freunden und Peers (56%), Aktien- oder Industrieberichte von Analysten (50%), Zeitungsartikel (46%), Kommunikationsanstrengungen von Unternehmen (38%), Webseite des Unternehmens (13%) und Blogs (7%).
In beiden Ländern genießen Printmedien, insbesondere die Wirtschafts- und Fachpresse, eine hohe Glaubwürdigkeit, wobei in China explizit die Verbandsmedien als besonders vertrauenswürdig gelten. Blogs haben in beiden Ländern eine vergleichsweise geringe Glaubwürdigkeit, wobei diese in China relativ gesehen höher ist. Grundsätzlich zeigen die Daten der Edelman-Studien im China-Deutschland bzw. Asien-Europa Vergleich zudem, dass Chinesen/Asiaten prinzipiell weniger kritisch mit Informationsquellen umgehen als Deutsche/Europäer. Image von ausländischen/deutschen Unternehmen/Marken Grundsätzlich werden ausländische Unternehmen vergleichsweise kritisch beobachtet (vgl. Kapitel 10.5.4). Man fürchtet, dass Unternehmen nur für den schnellen Gewinn nach China streben, ohne einen Beitrag für das Land leisten zu wollen. Diese Befürchtung wird von den Interviewten verstanden: “I mean, there were years passed when multinationals kind of came here and just made a lot of money and then got out.” (Interview Nr. 9) “Because Chinese people already feel that western companies are coming into China and really just, you know, using them. Maybe not applying the same standards…”– JK: “Just to make profit?” – “Yeah. Not thinking about the people. Just trying to get, you know, the cheapest price, come and exploit the market as quickly as they can, fire as many of the Chinese of the enterprises, if they can. So people are, you know, rightly feel a little bit kind of like: ‘What’s in for us?’ You know, you are just coming here and using us for cheap labour and so on. So I think there is a natural kind of patriotic sense in the people anyway.” (Interview Nr. 42)
Unter den ausländischen Unternehmen in China genießen deutsche Unternehmen einen sehr guten Ruf. Im Rahmen des Global Trust Barometers wurde festgestellt, dass in Asien allgemein deutsche Unternehmen das größte Vertrauen genießen223. Demnach halten 73% der Chinesen deutsche Unternehmen für vertrauenswürdig224. Neben der Frage, wie Unternehmen in China gesehen werden, stellt sich die Frage nach der chinesischen Rezeption ausländischer Produkte/Marken. Diese erfreuen sich in China äußerster Beliebtheit. ‚Made in Germany’ wird hier noch immer als Prädikat ver222 In der China Stakeholder Study wurden auf einer Skala von 1-9 (9 am höchsten) die Antworten mit den Werten 7-9; im Global Trust Barometer auf einer Skala von 1-4 (1 am höchsten) die Antworten mit den Werten 1-2 gezählt. 223 Vgl. Global Trust Barometer 2007, S. 12 und Global Trust Barometer 2008, S. 20. 224 Vgl. Global Trust Barometer 2007, S. 13 und China Stakeholder Study 2007, S. 13. Ein interessanter Unterschied besteht zudem im Vertrauen darin, ob globale Unternehmen einen positiven Beitrag zur Gesellschaft leisten. In Deutschland sind dieser Ansicht lediglich 31%, während 58% deren Beitrag als eher negativ bewerten. In Asien (für China ist dies leider nicht explizit aufgeschlüsselt) sind hingegen 78% der Befragten der Ansicht, dass globale Unternehmen eher einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft haben. Nur 11% gehen von einem negativen Einfluss aus. Vgl. Global Trust Barometer 2007, S. 18f.
162
10 Strukturanalyse
standen225. Auf die Frage, wie sehr ‚Made in Germany’ in der Kommunikation herausgestellt wird, antwortete eine deutsche Kommunikationsverantwortliche in China: „Das ist schon sehr, sehr gut. Das könnte man sicher noch intensiver nutzen. Chinesen vertrauen keinem Produkt, das in China gebaut wird. Eigentlich per se nicht. Die taugen nichts. Also, aus eigener Anschauung. Das Image ist ganz schlecht.“ (Interview Nr. 13)
Nach der Studie China’s most valuable Brands des chinesischen Fortune Magazines (Juni 2006) befinden sich fünf deutsche Marken unter den Top 25: BMW, Mercedes Benz, Airbus, Porsche und Siemens. Allerdings sind den meisten Chinesen nur die ganz großen deutschen Markennamen ein Begriff (vgl. Kapitel 13.4). Der Aufbau der Marke hat in China eine besonders hohe Bedeutung, da der Bekanntheitsgrad einer Marke Voraussetzung für dessen Schutz ist: „Das Streben nach einem höheren Bekanntheitsgrad lohnt sich übrigens in mehrerer Hinsicht: Nur wenn ein Produkt sprichwörtlich in aller Munde ist, es außerdem über einen längeren Zeitraum fortwährend benutzt und umfangreich beworben wurde, in anderen Ländern bereits Schutz erhalten hat und einen guten Ruf besitzt – erst dann spricht das chinesische Recht von einer Marke.“ (Hardebeck 2005, S. 29).
10.3.5 Überblick Unterschiede autoritative Ressourcen Die identifizierten Unterschiede/Besonderheiten autoritativer Ressourcen in China im Vergleich zu Deutschland (in Klammern) lassen sich wie folgt zusammenfassen: Æ allgemein Enorme Größe des Landes, höchste Bevölkerungszahl der Welt Rasante Veränderungen und wirtschaftliches Wachstum Jahrtausendealtes kulturelles Erbe und Traditionen, die bis Anfang des 20. Jh. relativ konstant waren, lange Isolation bis in die 1970er Jahre Hohe Bedeutung von China als strategischer Schlüsselmarkt für deutsche Unternehmen
Æ Verteilung von Macht zwischen politisch-administrativer, soziokultureller, (wirtschaftlicher) und gesellschaftspolitischer/medialer Sphäre: Formation von Öffentlichkeiten Autoritäres System, uneingeschränkter Führungsanspruch und Machtmonopol der KPCh in allen gesellschaftlichen Bereichen (Demokratie und Gewaltenteilung) ‚Sozialistische Marktwirtschaft’, enge Verflechtung der Politik mit der Wirtschaft, nach wie vor Unternehmen in Staatsbesitz; Joint Ventures als häufige Voraussetzung für ausländische Unternehmenspräsenz in China (Soziale Marktwirtschaft) Keine Garantie der Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit, stark kontrollierte, wenig entwickelte und passive Zivilgesellschaft (Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit gegeben, aktive Zivilgesellschaft)
225 Vgl. zu einer gegenteiligen Meinung Ziegler (2005).
10.4 Allokative Ressourcen
163
Keine Garantie der Pressefreiheit, enge Verflechtung der Politik mit den Medien; Medien als Sprachrohr der Partei/Regierung, Stabilitätsfunktion, politische Kontrolle und Zensur (allerdings weniger streng für wirtschaftliche Themen), zunehmende Kommerzialisierung (Pressefreiheit gegeben, demokratische Kontrollfunktion und Wettbewerb zwischen Medien, keine Zensur)
Æ Status von Akteuren (PR-Akteure/Ausländer) Höheres Vertrauen in Informationen von einem Unternehmensmitglied/PR-Akteur (Age of Deference) (Informationen von Unternehmensmitgliedern/PR-Akteuren werden als weniger glaubwürdig empfunden; Age of Reference) Sonderstatus von Ausländern, Respekt aber auch Misstrauen, klare Abgrenzung von Chinesen gegenüber Ausländern; Gutes Image von Deutschen in China (multikulturelle Gesellschaft, weniger klare Abgrenzung zwischen Deutschen und Nicht-Deutschen)
Æ Vertrauen in mediale Informationsquellen Allgemein weniger skeptischer Umgang mit Informationsquellen (als in Deutschland) Relativ hohes Vertrauen der Chinesen in einheimische Medien (ebenso Vertrauen in Deutschland)
Æ Vertrauen in/Image von (ausländischen) Unternehmen Misstrauen gegenüber ausländischen Unternehmen; Furcht, dass sie nur am eigenen Profit interessiert sind ohne einen Beitrag für China leisten zu wollen (tendenzielle Gleichbehandlung deutscher und ausländischer Unternehmen) Gutes Image von deutschen Unternehmen und deutschen Marken (‘Made in Germany’) Viele große deutsche Unternehmen/Marken sind in China noch unbekannt Bekanntheitsgrad/Markenaufbau besonders wichtig, um Marke schützen zu lassen
Abbildung 35: (gesplittet): Überblick Unterschiede/Besonderheiten autoritative Ressourcen China-Deutschland. 10.4 Allokative Ressourcen China zeichnet sich durch enorme regionale infrastrukturelle Unterschiede aus. So stehen High Tech Zentren wie Shanghai mittelalterlich anmutende Strukturen auf dem Land gegenüber. Während die Versorgung mit Strom, Energie und Wasser im Land stark differiert, ist die telekommunikative226 und mediale Infrastruktur landesweit gut ausgeprägt.
226 Ca. 976 Mio. Einwohner haben Zugriff auf ein Telefon (Festnetz/Mobil; vgl. China Economic Review 2008).
164
10 Strukturanalyse
10.4.1 Angebot an PR-Dienstleistern Ein Umsatzvolumen von etwa 250 Mio. Euro im Jahr 2002, von etwa 470 Mio. Euro 2005 und über 800 Mio. Euro 2006: Die PR-Industrie in China boomt227. „Der Markt ist halt unendlich groß. Es gibt halt viele Marken, viele Kunden, viele Projekte. Jeder will irgendwie mit dabei sein.“ (Interview Nr. 21) “It is fun. There is so much optimism here. You can feel it.” (Interview Nr. 46) Top 10 der internationalen Agenturnetzwerke in China Edelman China Apco Worldwide Ogilvy Worldwide Burson-Marsteller China Fleishman-Hillard Ketchum Newscan Text 100 China Ruder Finn Beijing Weber Shandwick Hill & Knowlton China
Abbildung 36: (Tabelle): Top 10 der internationalen Agenturnetzwerke in China228. Top 10 der chinesischen Agenturen (in alphabetischer Reihenfolge nach der PinyinUmschrift) D&S Consulting HighTeam Communications Genedigi Consulting Marketing Ressource BlueFocus Consulting229 Linksus Communications Pegasus Communications eVision Consulting Shunya Public Relations Zenith Integrated Communications
Abbildung 37: (Tabelle): Top 10 der chinesischen PR-Agenturen230.
227 Vgl. Bussecker (2003, S. 38), Wittwer (2007, 2008) und People’s Daily/Xinhua (2006). 228 Alle Agenturen verfügten 2005 mind. über einen Jahresumsatz von 18 Mio. RMB (rund 1,7 Mio. Euro), 60 Mitarbeiter und zwei Standorte in China. Vgl. Schlotter (2006), Wittwer (2007), Bezug nehmend auf CIPRA. 229 Blue Focus, eine der größten selbstständigen PR-Agenturen Chinas mit Sitz in Peking, ist mittlerweile Partner der Münchner PR-Agentur F & H Porter Novelli und unter dem Namen Porter Novelli China tätig. 230 Nach Schlotter (2006), Bezug nehmend auf CIPRA. Eine Spezialisierung auf Public Affairs/Governmental Relations bieten die internationalen Agenturen APCO und Powell Tate an. Führend im Bereich Online Kommunikation sind Ogilvy, Edelman, Powery und CIC Data.
10.4 Allokative Ressourcen
165
Dabei handelt es sich um eine noch relativ junge, aus dem Westen importierte Industrie, die anfänglich sehr unterschiedlich verstanden wurde (vgl. Kapitel 10.5.6.1) und die sich ab Ende der 1980er Jahre rasant entwickelte231. Nach Aufnahme Chinas in die WTO im Jahr 2001 erlebte die chinesische PR-Industrie mit jährlichen Wachstumsraten bis zu 50% (vgl. Warren 2002) nach den Worten des stellvertretenden Vorsitzenden und Generalsekretärs des chinesischen PR-Branchenverbands CIPRA232, Li Yue, „ein goldenes Zeitalter voller Chancen und Herausforderungen“ (zitiert nach Kemme 2004). Nach dem CIPRA Report 2006 (vgl. Friese 2008, S. 47) wächst die PR-Industrie Chinas nach wie vor jährlich um über 30%. Über 2.000 PR-Agenturen beschäftigen über 20.000 Mitarbeiter233. Fast alle internationale Netzwerk-Agenturen, die bis 2003 nur in Kooperation mit chinesischen Partnern Geschäfte betreiben durften, haben mittlerweile Büros in China (vgl. Chan 2007, Schlotter 2006). Sie bieten ein ähnliches Dienstleistungsspektrum wie Agenturen ‚im Westen’: Branding, Corporate Communications, Media Relations, Public Affairs, Online Kommunikation, CSR, Krisenkommunikation sowie Spezialisierungen auf verschiedene Industrien. Daneben etablieren sich zunehmend chinesische Agenturen. Wenige Deutsche bieten zudem PR-Beratung in China an. Hier ist vor allem Marianne Friese mit ihrer Agentur m-f-consulting zu nennen. Während es ein reichliches Angebot an PR-Dienstleistern gibt, steckt die Medienforschung in China noch in den Kinderschuhen (vgl. Kapitel 13.6). 10.4.2 Kommunikation in Kopräsenz: Räumlichkeiten und bestehende Foren Direkte Begegnungen sind für Chinesen äußerst wichtig (vgl. Kapitel 10.5.5). Für Veranstaltungen von Unternehmen stehen in den Ballungszentren zahlreiche Räumlichkeiten in Hotels und Kongresszentren zur Verfügung, die nach internationalem technischem Standard ausgestattet sind. Wichtige Kontaktpunkte für Unternehmen sind zudem Messen. Diese haben sich in China in den letzten Jahren rasant entwickelt, so dass derzeitig geradezu ein Überangebot an (überwiegend kleinen) Messen besteht234. 10.4.3 Massenmediale Foren: Infrastruktur des Mediensystems Als bevölkerungsreichstes Land der Welt verfügt China auch über das größte Mediensystem, das mit hohen Zahlen beeindruckt. Gerne wird auf die über 2.000 Zeitungen, 9.500 Zeitschriften mit Einzelauflagen von teilweise über 2,5 Millionen und jeweils über 300 Radio- und TVStationen sowie die boomende Internetnutzung hingewiesen. Im flächenmäßig 27-mal kleinerem Deutschland existieren rund 350 Tageszeitungen (vgl. BDZV 2006).
231 Vgl. zur Geschichte der PR in China McElreath et al. (2000, S. 666f), Chen (1996). 232 Der Branchenverband ‚China International Public Relations Association’ (CIPRA; www.cipra.org.cn) wurde 1991 gegründet. Neben dem chinesischen PR-Dachverband gibt es in jeder größeren Stadt und Provinz PRVerbände. In Shanghai ist dies die ‚Shanghai Public Relations Association’ (SPRA; www.chspra.com). 233 Die wichtigsten Ballungsgebiete der Industrie sind Peking, Shanghai, Guangzhou und Chengdu, wobei Shanghai die stärksten Wachstumsraten verzeichnet (vgl. Huang 2000). 234 Eine gute Übersicht der in China stattfindenden Messen findet man unter www.biztradeshows.com/china. Einige Messen werden von der Regierung organisiert und gehören damit zum Pflichtprogramm.
166
10 Strukturanalyse
Printmedien Traditionell ist China ein Zeitungsland: So stammt die älteste Zeitung der Welt aus China (Dun Huang Di Bao, 887) und ist die chinesische ‚Wandzeitung’ weltberühmt (vgl. Bielenberg 2005, Abels/Hein 2005). China ist heute der größte Zeitungsmarkt der Welt, wobei die Anzahl der verkauften Exemplare pro Einwohner deutlich hinter Japan, Deutschland und den USA liegt.
1. 2. 3. 4. 5.
China Indien Japan USA Deutschland
Millionen verkaufte Exemplaren täglich (2006) 98,7 88,9 69,1 52,3 21,1
Einwohner (nach Worldbank, 2006)
Verkaufte Exemplare pro Einwohner
1,3 Mrd. 1,1 Mrd. 127,6 Mio. 299 Mio. 82,4 Mio.
0,0759 0,0808 0,5415 0,1749 0,2561
Abbildung 38: Die fünf größten Zeitungsmärkte der Welt. Nach WAN 2007 (Wandzeitung im Beidai Park, Peking). Mit der Entscheidung zur Kommerzialisierung des Mediensystems und dem steigenden Wettbewerb um die Gunst der Leser (vgl. Kapitel 10.3.2.3) kam es zu vielfältigen Veränderungen und zunehmender Vielfalt. Bis heute ist der Markt von Spannungen zwischen fortlaufendem Wandel und Kräften der Beharrung geprägt (vgl. Gui et al., S. 9, Abels/Hein 2005, S. 37). “You may see, wherever in China, now they try to learn different media formats: Internet, financial newspaper, commercial magazines, directories and so on and so forth. […] It’s a fast changing landscape. […] If you want to do research about China media landscape […] you have to spend at least ten years time closely watching different regions, regarding fast growth. And after ten years I believe that it will be stable. Now it is really, entirely speaking, moving upwards. But there are a lot of changes. It is really a mess, we could say.“ (Interview Nr. 35)
Tatsächlich ist es nicht einfach, sich in der aktuell unübersichtlichen Medienlandschaft Chinas zu orientieren235. Ständig werden neue Zeitungen und Verlage gegründet, restrukturiert oder geschlossen, die Fluktuation in den Redaktionen ist hoch236. Da faktisch alle Medien der staatlichen Kontrolle unterliegen, wäre eine Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Medien irreführend. Brendebach (2005) schlägt stattdessen eine Unterscheidung in marktunabhängige Medien/Zeitungen (‚Party Papers’) und marktabhängige Medien/Zeitungen (‚Commercial Papers’) vor. Die Publikationen der ersten Kategorie dienen vornehmlich politischen Verlautbarungen der Partei. „Die standardisierten offiziellen Medienverlautbarungen werden von den Lesern allerdings häufig mit Desinteresse quittiert. Die parteiferneren Zeitungen, vor allem die lokalen Abendzeitungen und Wochenendausgaben, sind nach Leserumfragen wegen ihrer propagandaferneren Inhal235 Mediendaten sind in China wenig zuverlässig, offizielle Angaben der Regierung meistens veraltet. 236 Vgl. zu wesentlichen Veränderungen in der chinesischen Medienlandschaft Brendebach 2005, S. 42-44.
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10.4 Allokative Ressourcen
te beliebter und werden auch gern privat gelesen, während die Parteizeitungen eher am Arbeitsplatz gelesen werden.“ (Abels 2005, S. 836)237
Sechs der derzeitigen 61 Verlagsgruppen in China sind direkt der Zentralregierung unterstellt. Hierzu gehören vor allem die People’s Daily Group, die Guangming Daily Group, die Economic Daily Group sowie Xinhua. Als wichtigste regierungsnahe Parteiblätter, die landesweit vertrieben werden, sind zu nennen: Titel
Verlagsgruppe
People’s Daily (Renmin Ribao) Reference News (Cankao Xiaoxi/Referenzzeitung)
People’s Daily Group, Peking Xinhua News Agency, Peking Guangming Daily Group, Peking China Youth Daily Group, Peking
Guangming Daily China Youth Daily Jiefang Daily (‚Befreiung’)
Jiefang Daily Group, Shanghai
Auflage Ca. 3 Mio. Bis zu 9 Mio., im Durchschnitt ca. 3 Mio. n.n. Ca. 1 Mio. Ca. 700.000
Abbildung 39: Wichtigste nationale, der Zentralregierung unterstellte Tageszeitungen in China. Nach Danwei 2008, CIPRA 2006, Gui et al. 2004 und eigenen Angaben auf Internetseiten der Redaktionen. Zum Vergleich die Auflagenzahlen der wichtigsten Tageszeitungen in Deutschland (eigene Angaben Q3/2007, ohne Sonntagsausgabe): Bild 3.547.644, Süddeutsche Zeitung 431.421, Frankfurter Allgemeine Zeitung (F.A.Z.) 360.915, Die Welt 275.399 (inkl. Welt kompakt), Frankfurter Rundschau 152.166, die tageszeitung (taz) 55.414. Während die genannten ‚Party Papers’ marktunabhängig agieren können, müssen sich ‚Commercial Papers’ dem Markt stellen. Sie dienen weniger Verlautbarungen der Partei, sind weniger politisch orientiert und widmen sich breiten Themen des gesellschaftlichen Lebens mit starker Orientierung auf Unterhaltungs- und Wirtschaftsthemen. Da fast ausschließlich ‚Party Papers’ national verbreitet werden dürfen, haben ‚Commercial Papers’ in der Regel einen sehr lokalen Fokus. So gibt es in China nur wenige überregionale, nationale Tageszeitungen und zeichnet sich das chinesische Mediensystem durch eine starke Lokalisierung aus, die eine flächendeckende Versorgung ermöglicht238.
237 Trotz offizieller Abschaffung von Zwangsabonnements (2003) sind regierungsnahe Institutionen bis heute aufgefordert, staatliche Publikationen auszulegen. 238 Das nationale Medienzentrum befindet sich regierungsnah in Peking. Daneben sind Shanghai und Guangzhou wichtige Medienstandorte.
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10 Strukturanalyse
“China is very unique. […] Local newspapers are more important than the national one, which not actually everybody is reading. In Shanghai, they read Shanghai Morning Post. In Beijing Beijing News Daily, and in Guangzhou it’s called Guangzhou Daily.” (Interview Nr. 34)239
Wirtschaftszeitungen: Eine Entwicklung der letzten Jahre ist zudem die Zunahme und Professionalisierung der Wirtschaftsmedien. Zwar ist der Markt noch nicht vergleichbar mit dem deutschen, wo unabhängige Verlage die Schwerpunkte setzen, doch die Reformen im Medienmarkt tragen erste Früchte. Wirtschaftszeitungen erscheinen sowohl auf nationaler als auch auf lokaler Ebene, wobei die Lokalisierung hier eine geringere Rolle spielt als bei den Tageszeitungen. Titel 21st Century Business Herald China Business News China Economic Daily The Economic Observer China Business Newspaper China Business Times China Economic News Weekly Beijing Times China Economic Herald China Trade News
Erscheinungsfrequenz 2 mal die Woche täglich täglich wöchentlich wöchentlich täglich wöchentlich täglich 3 mal die Woche täglich
Auflage 700.000 600.000 600.000 400.000 380.000 150.000 130.000 120.000 35.000 30.000
Abbildung 40: Die wichtigsten Wirtschaftszeitungen in China. Nach Medienführer China (2006) und eigenen Recherchen. Zum Vergleich die Auflagenzahlen der wichtigsten Wirtschaftszeitungen in Deutschland (eigene Angaben Q3/2007): Börsen-Zeitung 65.000, Handelsblatt 143.415, Financial Times Deutschland (FTD) 103.489. Ein Kind der Liberalisierung ist die inhaltlich gut aufbereitete Wirtschaftszeitung 21. Century Business Herald. Sie wird seit 2001 von der South Daily Verlagsgruppe herausgegeben und ist für ihre relativ tiefgehenden Industrieanalysen bekannt. Die von der Shanghai Media Group herausgegebene China Business News (Diyi Caijing Ribao, s.o.) beansprucht “to be the most influential, authoritative and respected financial daily newspaper in China, matching the future of Chinese economic development, and equivalent to world-class papers like the Wall Street Journal and Financial Times.” (Danwei 2008).
Einen Führungsanspruch erhebt auch die China Economic Daily (Jingji Ribao). Sie wird nach einer Umfrage des Verlages von 80,4% der Betriebsleiter gelesen (vgl. Gui et al. 2004, S. 38)240. Die Wirtschaftszeitung The Economic Observer beschreibt sich selbst als „China’s leading weekly for economy, politics, and culture” und erscheint in enger Anlehnung an das Layout der Financial Times. 239 Vgl. ausführlich zum Medienstandort Shanghai und dessen historische Entwicklung Fischer 2006. 240 2003 erschien gemeinsam mit der Wirtschaftswoche ein Sonderheft ‚China’ auf Deutsch und Chinesisch.
169
10.4 Allokative Ressourcen
Zeitschriften/Wirtschaftsmagazine: Neben dem Angebot an Tages- und Wochenzeitungen entwickelte sich auch das Angebot an Zeitschriften und Magazinen jeder Art rasant. Derzeitig sind rund 9.500 Magazine auf dem Markt (vgl. Xinhua 2007). Hohe Einnahmen erzielen vor allem Mode- und Lifestyle-Magazine. Jedoch gehören auch Wirtschaftsmagazine zu den umsatzstärksten Zeitschriften in China (z.B. Fortune mit einem Umsatz von 8,42 Mio. €/2003; Bielenberg 2005). Die Nachfrage nach ihnen ist hoch. „Also, wenn es um Wirtschaftsberichterstattung geht, haben Sie im Magazin-Segment schon einige sehr wichtige überregionale Medien.“ (Interview Nr. 22)
Als renommiertestes Wirtschaftsmagazin gilt Caijing Magazine (‚Business and Finance’). Zuweilen als der Spiegel Chinas bezeichnet, gilt er als Vorreiter eines kritischen Wirtschaftsjournalismus in China241. Das Magazin berichtet vor allem über Unternehmen in China sowie Entwicklungen im Wirtschaftsund Finanzsystem und zeichnet sich durch relativ hohe Seriosität aus242. Nach einer vom Magazin selbst durchgeführten Studie handelt es sich bei 70% der Leser um Führungskräfte.
Titel 21st Century Business Review Caijing Magazine New Fortune Business Watch Magazine The Investors/Xincaijing China Entrepreneur Global Entrepreneur Magazine
Erscheinungsfrequenz monatlich alle 2 Wochen monatlich monatlich monatlich alle 2 Wochen n.n.
Auflage 600.000 220.000 190.000 186.000 180.000 150.000 150.000
Business Management Review China Economic Information Forbes China China Market Convention & Exhibition New Economy Weekly
monatlich alle 2 Wochen alle 2 Wochen monatlich alle 2 Wochen
128.000 120.000 100.000 80.000 68.000
Abbildung 41: Die wichtigsten Wirtschaftsmagazine in China. Nach Medienführer China (2006), Schlotter (2006) und eigenen Ergänzungen. Zum Vergleich die Auflagenzahlen der wichtigsten Wirtschaftsmagazine in Deutschland (eigene Angaben Q3/2007/Quellen in Klammen): Wirtschaftswoche (wöchentlich) 183.314, Impulse (monatlich) 136.616 (IVW, 1/2006), Capital (14-tgl) 207.724 (1/2006), manager magazin (monatlich) 129.214 (Q2/2007), brand eins (monatlich) 88.082 (1/2006), Harvard Businessmanager 21.335 (IVW Q3/2006). 241 Nachrichtenmagazine gibt es in China noch sehr begrenzt. Am nächsten kommt diesem Format neben den Wirtschaftsmagazinen die Lifeweek (Peking, Auflage ca. 200.000). 242 Caijing erscheint wird vom Stock Exchange Executive Council (SEEC) herausgegeben. Dieses ermöglicht der Zeitschrift eine hohe finanzielle und politische Unabhängigkeit, was als Basis des großen Erfolgs gilt.
170
10 Strukturanalyse
Fachpresse (Special Interest Publikumszeitschriften und Branchenmedien/Fachzeitschriften): Neben den Tageszeitungen, Wirtschaftszeitungen und -zeitschriften ist die Fachpresse zu nennen. Hier kann unter Special Interest Publikumszeitschriften und Branchenmedien (Fachzeitschriften im engeren Sinn, ‚Trade Media’) für professionelle Leser unterschieden werden. Die Special Interest Zeitschriften konzentrieren sich auf Freizeitthemen wie Hobbys, Sport und Fernsehen oder auf besondere Produkte (wie etwa Autos oder Computer). Allein für das Thema Auto gibt es nach Aussage des BMW Kommunikationschefs in China mehr als 100 Publikationen, die Sonderausgaben der großen Zeitungen noch nicht mitgerechnet. Für Unternehmen, die nicht im Endkonsumentenbereich tätig sind, spielen besonders Branchenmedien eine Rolle. Das Angebot an chinesischen Branchen-/Industriepublikationen ist überraschend groß. Während das quantitative Angebot mit jenem in Deutschland durchaus mithalten kann, wird die Qualität von den Befragten als schlechter eingeschätzt: „Wir haben etliche Fachzeitschriften. […] Jeder Industriezweig hat natürlich seine Fachpresse. […] Schon immer. Das ist etwas, das es in China schon immer gegeben hat. Also auch in den tiefsten Zeiten der Kulturrevolution, na ja, vielleicht nicht in den ganz tiefen Zeiten, aber eine Fachpresse für die einzelnen Industriezweige hat es immer gegeben. Also, ich möchte sagen, in den 80’er Jahren schon, was ich da gesehen habe, da hatte jeder Unterzweig seine Zeitschrift, teilweise sogar mehrere Zeitschriften, also ganz billig gebunden und so weiter. Mittlerweile sind sie alle Hochglanzjournale und ich bin überrascht, was für Unterzweige, Unterunterzweige von irgendwelchen Industriezweigen, Industriebranchen ihre eigene Fachzeitschrift haben.“ (Interview Nr. 17) „Es gibt nichts, was es in Europa nicht gibt, würde ich mal sagen, vom Spektrum der Publikationen her.“ – JK: „Und vom Reifegrad?“ – „Tja, ich würde sagen, die europäische ist schon so 20, 30% vielleicht besser. Fachlich besser.“ (Interview Nr. 12)
Nach Annahme von m-f-consulting (Friese 2008, S. 17) erreichen ‚Business-to-Business’ Medien 90% aller Entscheider. Auch nach Einschätzung der meisten Befragten werden die Fachmedien von wichtigen Adressaten gelesen. „Die sind für ganz China. Und die werden auch gelesen. Also, wenn ich bei einem Transportunternehmen bin, dann stehen da Zeitschriftenständer und da liegt das schon drin.“ (Interview Nr. 10)
Die meisten Fachzeitschriften werden von regierungsnahen Branchenverbänden herausgegeben. Sie stellen ein wichtiges Bindeglied in der jeweiligen Industrie dar und werden zunehmend moderner. „Das ist ein wichtiger Punkt, auch bei den Verbänden. Wie gesagt, die Fachzeitschriften, die sie selber herausgeben, […] das ist für viele der Industrieunternehmen eben die Bibel für ihr Netzwerk.“ (Interview Nr. 17) „Auch Fachzeitschriften, vornehmlich von Staatsministerien herausgegeben, befinden sich im Wandel. Wenn im Zuge der politischen Reformen Ministerien aufgelöst werden, entstehen unter der Obhut junger Verlagsgruppen neue ansprechende Fachpublikationen.“ (Hardebeck 2005, S. 28)
Neben den Fachzeitschriften der Verbände gibt es auch Publikationen lizenzierter, privatwirtschaftlicher Anbieter. Den Unterschied beschreibt ein Befragter wie folgt: „Also, ich würde mal so sagen: Da ist natürlich eine gewisse Konkurrenz da. Aber qualitativ ist der Unterschied schon relativ groß. Qualitativ. Die Fachpresse der Verbände ist noch sehr, sehr im alten Fahrwasser. Während die Hochglanzjournalie der neuen Unternehmen sehr stark inter-
10.4 Allokative Ressourcen
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national ausgerichtet sind. Die sind moderner und so. Das heißt also für den chinesischen Unternehmer in einer bestimmten Branche ist es immer das Beste wenn man beides hat. Wenn man sich mit beiden beschäftigt.“ (Interview Nr. 17)
So findet man heute eine breite Vielfalt branchenspezifischer Publikationen. Beispielsweise gibt es für die Maschinenbau-Industrie über 70 Veröffentlichungen (vgl. Häntschel 2006). Ähnliche Dimensionen bestehen in der Chemiebranche, deren wichtigste Publikationen im China Medienführer (2006) aufgelistet sind und die Breite der zur Verfügung stehenden Publika veranschaulichen. Zeitungen und Zeitschriften auf Englisch: Englischsprachige Medien in China werden vor allem von Ausländern und Expats vor Ort sowie der chinesischen Bildungselite gelesen, wobei auch Chinesen Publikationen in ihrer Landessprache bevorzugen. Als wichtigste englischsprachige Tageszeitungen sind die China Daily, die Shanghai Daily und die South China Daily Post zu nennen. Letztere berichtet aus Hongkong zu vielen chinesischen Themen, während in der China/Shanghai Daily vor allem Beiträge der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua zu finden sind. Einige erfolgreiche westliche Printmedien wie Fortune, Time, Newsweek oder Financial Times bringen mittlerweile eine englischsprachige Asien bzw. China-Ausgabe auf den Markt243. TV 95% der chinesischen Bevölkerung hat Zugang zu einem Fernseher, so dass es landesweit etwa 1,2 Mrd. Fernsehzuschauer gibt, die über 360 TV-Stationen und über 2.000 TVKanäle erreicht werden (vgl. Bielenberg 2005, S. 46). Der staatliche Fernsehsender China Central Television (CCTV; der Propagandaabteilung der KPCh und SARFT unterstellt) ist der größte Fernsehsender der Welt. Er bietet 15 landesweite Programme an und beschäftigt rund 10.000 Mitarbeiter. Die 7 Uhr Nachrichten von CCTV müssen von den lokalen Sendern übernommen werden und haben bis zu einer halben Milliarde Zuschauer (nach eigener Umfrage des Senders244). Die Tagesschau in Deutschland hat hingegen maximal zehn Millionen Zuschauer. Ein Interviewpartner erzählt: „Wir waren im Fernsehen und ich habe gefragt, wie viel hunderttausend Menschen das sehen. Da meinte mein chinesischer Kollege, wie viel Millionen. Das hat einfach andere Dimensionen hier.“ (Interview Nr. 28)
Neben den Programmen von CCTV werden drei Kanäle von China Educational Television (CET) und 32 Kanäle auf Provinzebene landesweit verbreitet. Daneben existieren viele lokale TV-Stationen, wovon in Shanghai besonders Shanghai TV (STV) zu nennen ist. Bis heute ist der chinesische Fernsehmarkt vorrangig inländisch. Zwar können einige Sender wie BBC World, Bloomberg TV, CNBC Asia, CNN, ESPN, HBO, Discovery, MTV und Star Movies über den Satelliten Sinosat empfangen werden, dies ist jedoch privat verboten und nur auf einige Hotels, Unternehmen und Institutionen beschränkt.
243 Eine Auflistung der wichtigsten englischsprachigen Medien in China findet man im China Medienführer (2006). Daneben gibt es auch einige Deutsche Publikationen, die sich mit chinaspezifischen Wirtschaftsthemen beschäftigen. Zu nennen sind vor allem China Contact (www.china-contact.cc) sowie Publikationen der Außenhandelskammer in China. 244 Bielenberg spricht von einer Rekordseherschaft von 570 Mio. Zuschauern (2005, S. 46).
172
10 Strukturanalyse
Radio Die flächendeckende Verbreitung gilt auch für das Radio in China, welches im Vergleich zu Deutschland jedoch ein weniger populäres Medium ist (vgl. Bielenberg 2005, S. 47). „Also, was im Verhältnis zur westlichen Medienlandschaften anders ist, ist: Die Bedeutung von Radio ist minimal. Eigentlich nur für Taxifahrer und da sind diese Talk-Radiositzungen ganz beliebt. […] Also, nobody is listening to radio.” (Interview Nr. 22)
Dennoch ist das Angebot an Programmen auf nationaler und lokaler Ebene enorm. Über 300 Sender mit knapp 2.000 Programmen erreichen potenziell 93% der chinesischen Bevölkerung. Der größte Anbieter ist der staatliche Sender China National Radio (CNR) mit acht landesweiten Kanälen. Internet Trotz boomender Zuwachsraten sind weite Teile der chinesischen Bevölkerung derzeitig noch vom neuen Medium abgeschnitten. Nach Angaben des ‚China Internet Network Information Center’ (CNNIC245), gab es Ende Juni 2008 in China etwa 253 Mio. Internetnutzer. Dies entspricht einer Penetrationsrate von etwa 19%246 in China gegenüber rund 72% in Deutschland247. Die Online-Nachrichtenangebote unterliegen dabei strengen Auflagen248. Nach der Verordnung der chinesischen Parteizentrale ist „Internetportalen die Beschaffung von Nachrichten nicht gestattet. Alle Internetportale, die Nachrichten oder Informationen mit Nachrichtencharakter anbieten, sind verpflichtet, nur gut recherchierte und als zuverlässig geltende Nachrichten von regulären Medien oder chinesischen Agenturmeldungen zu übernehmen. Nur auf Antrag und nach einer Zuverlässigkeitsprüfung durch die Aufsichtsbehörde dürfen sie selbst Nachrichten publizieren.“ (Gui et al. 2004, S. 73)249 Chinesische Internet-Anbieter „haben somit meist keine andere Wahl, als größtenteils Nachrichtenartikel staatlich autorisierter Quellen zu kopieren. Aus Angst, ihre Lizenz zu verlieren, stellten Portale wie Sina, Sohu oder Net Ease, die Partnerschaften mit westlichen Medienfirmen wie Dow Jones oder Reuters unterhalten, nach Warnungen der Zentralregierung die Verbreitung von Nachrichten aus Quellen, die nicht offiziell vom Staat abgesegnet waren, ein.“ (Abels 2005, S. 843)
Aufgrund der strengen Kontrollen versuchen chinesische Internetportale sich von der Politik eher fern zu halten und konzentrieren sich auf wirtschaftliche Themen, Unterhaltung und Sport. Als beliebteste Portale sind Baidu, Netease, Sina, Sohu und Tom zu nennen (vgl. Alexa.com 2007). Die Chinesen nutzen das Internet jedoch nicht nur zur Information, sondern begeistern sich für jegliche Form der Echtzeitanwendung des web 2.0.
245 CNNIC ist zuständig für die Vergabe chinesischer Domainnamen (.cn) und zur Erhebung von statistischen Daten. Es ist der Academy of Sciences (CAS) und dem Ministry of Information Industry (MII) unterstellt. 246 In Prozent der Bevölkerung über sechs Jahre, Nutzung mind. eine Stunde pro Woche. Vgl. CNNIC 2008. 247 Vgl. BMWI 2008, S. 64. Nutzer in den letzten drei Monaten im Alter zwischen 16 und 74 Jahren. 248 Daneben zeigt sich die Regierung proaktiv und bietet eigene Online-Foren an: Etwa das Internetforum ‚Strong Power Forum’ der parteinahen Volkszeitung oder dem Public Forum ‚Qianggua Luntan’ Dieses hat nach Kuhn et al. (2001) ca. 500.000 registrierte Nutzer. Die ‚Debatten’ finden in der Zeit zwischen 10 und 22 Uhr statt und werden von sechs Editoren beobachtet. 249 Verordnung der chinesischen Parteizentrale über die Verstärkung und Förderung der Internetnachrichtenangebote vom 16.10.1999.
10.4 Allokative Ressourcen
173
„Das ist der Wahnsinn, also da wird ja konstant auf allen Ebenen kommuniziert. […] Ich glaube, hier wird viel aus Fun rumgeklickt. Messaging Systems, also MSN und solche Sachen, die sind hier wahnsinnig wichtig. Die Menschen sind nur noch in ihren Chatrooms unterwegs und sonst nicht viel.“ (Interview Nr. 22)
Eine Besonderheit Chinas ist das so genannte Bulletin Board System (BBS): “The BBS problem is specifically challenging. […] It’s unique to China. Blogs and BBS are the fastest growing markets.” (Interview Nr. 46) “On the other side, we see a surge in BBS. Do you know what BBS is? [...] In English, it’s forums. Basically, you put a question, for example: ‘Is this Nokia phone good?’ And then people will post answers. That’s becoming a very powerful tool here.” (Interview Nr. 43)
Auf den BBS-Seiten werden Gedanken, Meinungen und Erfahrungen zu den verschiedensten Themen ausgetauscht. Daneben haben Chinesen auch eine Vorliebe für Blogs. Laut der China Stakeholder Studie (2007, S. 21) hat knapp die Hälfte aller befragten Chinesen schon einmal ‚gebloggt’ – mehr als in jedem anderen asiatischen Land. Nachrichtenagenturen Dem Staatsrat direkt unterstellt, ist Xinhua (‚Neues China’) die offizielle Nachrichtenagentur Chinas250. Sie verfügt über das Monopol zur Nachrichtenverbreitung und ist für brisante Themen der alleinige von der chinesischen Führung legitimierte Informationskanal (vgl. Abels 2005 S. 835). Mit Hauptsitz in Peking verfügt Xinhua über 10.000 Mitarbeiter (die Deutsche Presse-Agentur (dpa) beschäftigt ca. 800 Mitarbeiter) und zahlreiche Korrespondentenbüros im In- und Ausland251. Jeden Tag verbreitet Xinhua mehr als 1.000 Berichte – ca. 700 davon über das Ausland und 300 interne. Wichtige Meldungen der Agentur müssen von den chinesischen Medien im Wortlaut übernommen werden. Im Zuge der Verlagsgruppen-Bildung veröffentlicht Xinhua mittlerweile 40 verschiedene Zeitungen und Zeitschriften, u.a. die auflagenstärkste Tageszeitung Cankao Xiaoxi (s.o.), die Zeitschrift Ban Yue Tan (Halbmonatliches Forum; im Auftrag des Ministeriums für Öffentlichkeitsarbeit zur Bekanntgabe der wichtigsten politischen Leitlinien der Partei; Auflage 2,3 Mio.), die Jingji Cankao Bao (Tageszeitung, Wirtschaftsinformationen) und die Zhongguo Zhengquan Bao (Tageszeitung, China Börse). Die Mitarbeiter von Xinhua sind gleichzeitig Redakteure der Renmin Ribao. Trotz enger staatlicher Anbindung hat es Xinhua in den letzten Jahren geschafft, sich als professionelle Nachrichtenagentur nach internationalem Vorbild zu profilieren, die zunehmend auch im Ausland Beachtung findet. Sie liefert nicht nur aktuelle Nachrichten, sondern auch Hintergrundberichte und Analysen (vgl. kritisch ROG 2005). Neben Xinhua gibt es die 1959 gegründete China News Agency (www.chinanews.com), die vorwiegend Auslandschinesen und Chinesen in Hongkong, Macao und Taiwan mit Informationen aus China versorgt.
250 Xinhua wurde 1931 gegründet. Vgl. zur Geschichte Xinhuas Guo et al. S. 31. 251 Diese haben auch die Aufgabe, Informationen für die Regierung/das Ministerium für Staatssicherheit zu sammeln. Xinhua veröffentlicht rund um die Uhr und, je nach Information, auch in Englisch, Portugiesisch, Spanisch, Arabisch, Französisch und Russisch.
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10 Strukturanalyse
10.4.4 Überblick Unterschiede allokative Ressourcen Die identifizierten Unterschiede/Besonderheiten hinsichtlich organisationsexterner allokativer Ressourcen in China im Vergleich zu Deutschland (in Klammern) lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Æ Entwicklungsstand, Gefälle innerhalb des Landes Entwicklungsland, enorme infrastrukturelle Unterschiede innerhalb des riesigen Landes, starkes Gefälle zwischen Städten (Shanghai/Peking) und dem Land (kein Entwicklungsland, geringeres Gefälle)
Æ Angebot an PR-Dienstleistern und Medienforschung Großes Angebot an PR-Dienstleistern: Internationale PR-Agenturnetzwerke unterscheiden sich stark von lokalen Agenturen, PR-Industrie boomt (ebenfalls großes Angebot, geringere Unterschiede zwischen internationalen und lokalen Agenturen) Medienforschung noch in den Kinderschuhen, geringes Angebot zuverlässiger Mediendaten (gereifte Medienforschung)
Æ Angebot an Foren für Kommunikation in Kopräsenz Räumlichkeiten für persönliche Treffen und Veranstaltungen stehen ausreichend zur Verfügung (ebenso) Boom und Überangebot an (überwiegend kleinen) Messen (gereiftes Angebot)
Æ Angebot an Foren für (massen)mediale Kommunikation Größtes Mediensystem der Welt mit einem umfassenden Angebot an Print- und audiovisuellen Medien, Internet; schnelle Veränderungen und hohe Intransparenz (relative Stabilität und Transparenz des Medienangebots) Marktunabhängige, nationale Parteiblätter (Party Papers) neben marktabhängigen Zeitungen (Commercial Papers) (geringe Bedeutung von Partei-/Regierungspublikationen) Hohe Lokalisierung der Medien, vor allem von Tageszeitungen (nationale Tageszeitungen als Leitmedien) Wirtschaftszeitungen und -magazine boomendes Format mit zunehmender Beliebtheit und Professionalisierung (langjährige Tradition in Deutschland) Hohes Angebot an Fachzeitschriften mit starker Differenzierung und hoher Akzeptanz im Markt; die meisten Fachzeitschriften werden von regierungsnahen Verbänden herausgegeben, daneben existieren zunehmend privatwirtschaftliche Anbieter (unter staatlicher Lizenz) (ebenfalls hohes Angebot, überwiegend regierungsunabhängig) Neben chinesischen Medien auch englischsprachige Medien (chinesische und internationale Herausgeber), die vor allem von Ausländern/Expats und der chinesischen Bildungselite gelesen werden (internationales Medienangebot) Flächendeckende Verbreitung von TV mit großem Publikum und hoher Beliebtheit (staatlich reguliert) (ebenfalls flächendeckend, duales Rundfunksystem)
10.5 Handlungsregeln
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Flächendeckende Verbreitung von Radio mit großem Publikum, geringe Beliebtheit (staatlich reguliert) (ebenfalls flächendeckend, duales Rundfunksystem, Radio relativ beliebt) Boomende Internetnutzung, hohe Bedeutung von Blogs und BBS-Seiten (höhere Penetrationsrate des Internets, geringere Bedeutung von ‘BBS-Seiten’) Monopol der Nachrichtenverbreitung bei brisanten Themen durch die offizielle Nachrichtenagentur Xinhua, wichtige Meldungen von Xinhua werden chinaweit im Wortlaut übernommen (Wettbewerb zwischen internationalen Nachrichtenagenturen, keine Übernahmepflichten)
Abbildung 42: (gesplittet): Überblick Unterschiede/Besonderheiten allokative Ressourcen China-Deutschland. 10.5 Handlungsregeln China ist voller Widersprüche. Trotz der radikalen Umstürze und Veränderungen im 20. Jahrhundert haben viele traditionelle Ordnungsmuster bis heute Bestand (vgl. Heilmann 2004, S. 21). So findet man in China eine einzigartige Mischung aus aristokratischer, konfuzianistischer Tradition, Sozialismus und marktorientierten, pragmatischen Modernisierungsbestrebungen. Offiziell ist China ein atheistisches Land. Jedoch ist der Buddhismus, Daoismus und vor allem der Konfuzianismus – weniger eine Religion als eine Sozialethik, die im Laufe der Zeit mystische Elemente gewonnen hat – weit verbreitet. Zudem gibt es abergläubische Traditionen aus Geomanie, Architektur und Geisterbeschwörung, die mittlerweile auch im Westen bekannt sind (z.B. Feng Shui, vgl. Kapitel Abbildung 52). „Im Laufe der jahrtausendalten Geschichte Chinas haben sich Wissen, Brauchtümer und magisches Denken miteinander vermischt. Viele chinesische Gebräuche mögen uns ‚aufgeklärte’ westliche Menschen eigenartig und manchmal fast etwas kindlich naiv anmuten.“ (Lin-Huber 2006, S. 228)
10.5.1 Sozial-philosophischer Hintergrund: Konfuzianismus Der Konfuzianismus, der seit der Han-Dynastie (206 v. Chr. – 220 n. Chr.) die Staatsdoktrin war, bestimmt – trotz Maos gegenteiligen Bemühungen – das Denken der Chinesen nach wie vor zutiefst252. Die auf den Philosophen Kong Fu Zi (zu Deutsch ‚Meister Konfuzius’, um 500 v. Chr.) zurückgehende Weltanschauung dreht sich um die zentralen Elemente einer von allen zu achtenden Ordnung und des edlen Menschen, dessen Ziel es ist, durch das Streben nach Gleichgewicht Harmonie zu erlangen. Die Lehre des Konfuzianismus entstand in einer Zeit großer Unruhe und zielt auf die Entwicklung eines Gesellschaftssystems ab, in dem jedem Individuum ein fester Platz im Kollektiv eingeräumt wird.
252 Jeder der chinesischen Befragten ‚bekannte’ sich zum Konfuzianismus wie auch dem damit verbundenen Kollektivismus.
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10 Strukturanalyse
„Um das zu erreichen, wurde zunächst das Individuum ‚geopfert’. Der Verzicht auf individuelle Rechte und Interessen galt als tugendhaft, was zählte waren Pflichten des Einzelnen.“ (Fülling 2006, S. 34)
Jeder Mensch befindet sich demnach zu jedem anderen Menschen in einer ganz bestimmten hierarchischen Ordnung, die sich zunächst aus den ‚Fünf unumstößlichen Beziehungen’ (Herrscher-Untertan, Vater-Sohn, Mann-Frau, Älterer-Jüngerer, Freund-Freund) gemäß dem Buch der Riten (Liji) ergab. Beziehungen wurden in den Mittelpunkt aller menschlichen Handlungen gerückt und die Einhaltung der zentralen Tugenden Menschenliebe (rén), Ehrerbietung (Pietät/Loyalität, xiào) und Rechtschaffenheit (yì) gefordert. Jede Beziehung zeichnet sich dabei nicht nur durch Hierarchie, sondern auch durch Wechselseitigkeit aus. Für Ehrerbietung und Loyalität erwartete man Schutz, Fürsorge und Rechtschaffenheit. „Handelte der Kaiser nicht rechtschaffen, verwirkte er sein Herrschaftsmandat.“ (Lin-Huber 2006, S. 41)
Durch das Schaffen gegenseitiger Abhängigkeiten erhoffte man sich Stabilität. Vom Individuum erwartete man ein Handeln entsprechend der jeweiligen Beziehung zum Gegenüber und nicht die Gleichbehandlung aller Mitmenschen. Man suchte also nicht nach allgemein gültigen moralischen Regeln menschlichen Handelns, sondern nach partikularen Verhaltensregeln, die zur Vermeidung von Konflikten und Disharmonie beitrugen. Besonders in der Familie, der zentralen Einheit des konfuzianistischen Gesellschaftskonzepts, aber auch gegenüber Lehrern (und Vorgesetzten) erwartet man Ehrerbietung und Gehorsam. Aus den Ideen des Konfuzianismus ergeben sich zentrale Konzepte des chinesischen gesellschaftlichen Lebens: Kollektivismus, hohe Beziehungsorientierung und Streben nach Harmonie (vgl. Kapitel 10.5.5). Darüber hinaus ist die chinesische Lernkultur tief vom Konfuzianismus geprägt. 10.5.2 Lernkultur Die Ausbildung der Beamten als Eliten des Kaiserreichs bestand maßgeblich aus den philosophischen und staatstheoretischen Ideen des Konfuzius. Dessen Lehren mussten zu großen Teilen auswendig gelernt werden, wobei eine kritische Auseinandersetzung mit den Inhalten ausdrücklich unerwünscht war. Bis heute ist das Auswendiglernen ein Charakteristikum des chinesischen Bildungssystems. „Die Hauptlernmethode in chinesischen Schulen und an der Universität ist das Memorieren von schriftlichem Material. […] Das Auswendiglernen ist bis heute die wichtigste Lernmethode geblieben. […] Der Lehrer gilt als Vorbild der Schüler, und eine fragende und prüfende Einstellung gegenüber Autorität und Tradition ist unbeliebt. Diskussionen und öffentlicher Streit finden sehr selten in der Öffentlichkeit statt. Die Unterschiede zum deutschen Erziehungs- und Schulsystem, das Originalität, Kritikfähigkeit und persönliche Standpunkte schätzt, sind unverkenn253 bar.“ (Kuhn et al. 2001, S. 235f) 253 Die Chinesen nennen das mechanische Auswendiglernen „Entenstopfen“ (Tian Ya). Vgl. Lin-Huber 2006, S. 188. Das Talent der Chinesen für das Nachahmen wird unter anderem als Grund für den wirtschaftlichen Erfolg Chinas (der zu großen Teilen auf der Kopie westlicher Produkte und Ideen basiert) gesehen.
10.5 Handlungsregeln
177
Vor diesem Hintergrund ist die häufige Kritik Deutscher zu verstehen, die Chinesen einen Mangel an Eigeninitiative, kritischem/problemorientiertem Denken, Kreativität und Selbstständigkeit vorwerfen. Hingegen zeigen sich viele Westler beeindruckt von der Lernfähigkeit der Chinesen. Pohl (2006) spricht in diesem Zusammenhang von einer chinesischen Lernkultur im Gegensatz zu einer abendländischen Belehrungskultur (früher durch christliche, heute durch politische/wirtschaftliche Missionare). „Bald entdeckten wir unter den Chinesen manche Mitarbeiter mit einer erstaunlichen Auffassungsgabe. Sie lernten so schnell, entwickelten sich so rasant, dass sie sogar an den Deutschen vorbeizogen.“ (Posth 2006, S. 76) “China is a developing country. Now still is a developing country. Therefore we are more open than western people. That is the reason why we can develop so fast.” (Interview Nr. 31)
10.5.3 Nationalstolz/Patriotismus Die Chinesen sind stolz auf ihr kulturelles Erbe. Die Auseinandersetzung mit der chinesischen Geschichte und den beschriebenen Anstrengungen der Regierung, an das kulturelle Bewusstsein der Chinesen zu appellieren, machten bereits deutlich, dass die Chinesen ein sehr nationalbewusstes, stolzes Volk sind, das schmerzliche Demütigungen hinnehmen musste, die bis heute nicht verwunden sind. „Die chinesische Seele ist sehr selbstbewusst aber auch sehr empfindlich.“ (Interview Nr. 4)254 “There is the overall political environment, which is tending towards great nationalism, conservatism.” (Interview Nr. 45)
10.5.4 Erwartungen an unternehmerisches Handeln (ausländischer Unternehmen) Grundsätzlich stehen – vor allem staatliche – Unternehmen in China unter geringerer öffentlicher Kontrolle als in Deutschland. Die Offenlegung und Erklärung eigener Handlungen wird von chinesischen Unternehmen nur sehr begrenzt erwartet. Dies gilt jedoch nicht für ausländische Unternehmen, die wesentlich stärker in der öffentlichen Beobachtung stehen als einheimische. Von ihnen wird erwartet, dass sie sich für China engagieren und vor Ort keine geringeren Sozial- und Umweltstandards anwenden als im Heimatland, auch wenn diese oftmals weit über dem chinesischen Standard liegen. JK: „Aber ein chinesisches Unternehmen würden sie nicht so angehen?“ – „Ich vermute, dass da milder dran gegangen wird, da du letztlich darüber nachdenkst, na gut, die sind halt noch nicht so weit. Die Frage ist, wenn irgendwas ausläuft oder so – von einer westlichen Firma erwartet man Standards, von einer chinesischen ... na, die sind halt noch nicht so weit. […] Da hat man nicht so hohe Ansprüche, die sind halt noch nicht so weit. ‚Wir sind eine arme Nation.’ Das Interessante an den Chinesen ist, sie stehen auf sehr unterschiedlichen Positionen. Je nachdem, wo 254 Viele der Befragten wiesen darauf hin, dass Chinesen unter dem teilweisen ‚Kolonialgetue’ westlicher Manager leiden und es diesbezüglich gelegentlich zu Spannungen kommt.
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10 Strukturanalyse
sie stehen wollen. Sie können entweder das arme dritte Welt Land darstellen oder halt die unheimlich entwickelte Nation, die eigentlich die Aufnahme in der WTO sehen möchte und die eigentlich auch irgendwie ernst genommen werden möchte, als Spieler im internationalen Weltmarkt. Aber wenn es halt mal irgendwie nicht kommod ist, dann können sie durchaus die Karte spielen ‚Wir armer emerging market.’“ (Interview Nr. 1) „Ja, wir haben natürlich hier in China die Sondersituation, dass wir als Fremde in einem fremden Land Geschäft machen. Das ist in Deutschland nicht der Fall, deswegen ist manchmal gerade da ‘ne gewisse Sensibilität angebracht, ein gewisses Fingerspitzengefühl angebracht. Als Multinational hier zu sein, das ist sowohl, sagen wir mal, das wird begrüßt – klar – weil man ja viel mitbringt. Auf der anderen Seite wird es aber auch immer mit einer gewissen Skepsis betrachtet, weil wir, sozusagen, die starken Multinationals den schwachen chinesischen Unternehmen so mal ein bisschen die Luft zum atmen wegnehmen – also, sag ich jetzt mal.“ (Interview Nr. 4) “I think the expectations are higher. The standards that companies have to live up to are higher. It’s demonstrated in our research as well. And accordingly, you know, multinationals are getting punished if they do the wrong thing.” (Interview Nr. 45)
Von ausländischen Unternehmen in China erhofft und erwartet man vor allem den Transfer von Kapital und Wissen sowie die Steigerung der lokalen Produktion. Allgemein wird von ausländischen Unternehmen ein langfristiges Engagement für China erwartet. Zunehmende Relevanz gewinnt auch der CSR Aspekt in China (vgl. Kapitel 13.5.3). 10.5.5 Kommunikation in Kopräsenz: Umgangs- und Verhaltensregeln Aus den chinesischen sozial-philosophischen Vorstellungen ergeben sich vielfältige allgemeine Umgangs- und Verhaltensregeln für Interaktionen im Nahbereich. Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass in China eine deutliche Präferenz für persönliche statt medial vermittelte Kommunikation besteht. Zudem ergeben sich wichtige Handlungsregeln aus dem erwähnten Kollektivismus, der hohen Beziehungsorientierung sowie dem starken Harmoniestreben. Bevorzugung von Face-to-Face-Kommunikation Wie eine Studie von Shi (2003) bestätigt, bevorzugen Chinesen grundsätzlich persönliche Kommunikation, während die Deutschen im Vergleich lieber schriftlich (explizit und später nachvollziehbar) kommunizieren. Die Eindrücke der Befragten bestätigen dies. „Reden, kommunizieren und reden und reden und reden. Ich habe in meinem Leben noch nicht so viel kommuniziert wie hier. […] Ich sage Ihnen: reden und reden und reden und reden. Um das Netzwerk aufzubauen. […] Diese menschliche Kommunikation, von Face-to-Face, ist uns in Deutschland verloren gegangen.“ – JK: „Ist die menschliche Ebene denn hier wichtiger als bei uns?“ – „Die ist unheimlich wichtig. Und die menschliche Ebene ist eigentlich nur kommunizieren.“ (Interview Nr. 12)
Kollektivismus/Konformität Die wohl häufigste Unterscheidung zwischen westlichen und ostasiatischen Kulturen bezieht sich auf die Konzepte Individualismus im Westen versus Kollektivismus in Asien.
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Während in der abendländischen Philosophie das unabhängige, aufgeklärte Individuum und dessen Streben nach Glück im Vordergrund steht und in diesem Kontext die Beziehung zwischen Individuum und Staat thematisiert wird (etwa durch den ‚Gesellschaftsvertrag’ von Rousseau), wird in der ostasiatischen Philosophie die Gemeinschaft, vor allem die Familie, über das Individuum gestellt und die eigenen Wünsche dem Kollektiv untergeordnet. Dem Ich-Bewusstsein des Westens wird ein Wir-Bewusstsein des Ostens gegenübergestellt. Wird ein Mitglied der Gruppe in China gelobt oder gerügt, so gilt dies dem Konzept zufolge für die ganze Gruppe. Dem westlichen Streben nach Selbstverwirklichung (schon von Aristoteles als Grundstreben der menschlichen Natur bezeichnet) steht in Asien der Wunsch nach Akzeptanz in der Gruppe gegenüber, welche durch Erfüllung von Rollenerwartungen und Konformität entsteht. So erhält nicht der Besondere, sondern der Angepasste Respekt. Angesichts der starken Polarisierung und Stereotypisierung der Konzepte verwunderte die hohe Zustimmung der Befragten zu deren Richtigkeit. Sowohl die westlichen als auch die chinesischen Befragten bestätigten, dass es nach ihren Erfahrungen tatsächlich einen entsprechenden Unterschied gibt. “Basically: Be the same with the rest of the others. This is what we call collectivism. Because you cannot say, if almost all people agree on a certain project, you cannot say: ‘Hey, wait a minute, I see something bad to it...’ If a Chinese person wants to say that, he needs courage. Traditionally we are not encouraged to do that. We have to basically be the same with the rest of the others, with colleagues. So we don’t want to make too much of a difference, to have a loud voice. In a way, it is true. […] I think this is the way I interpret collectivism. This is something from our culture.” (Interview Nr. 33) „Asiaten sind sehr konformistisch. Das heißt, Individualismus ist jetzt auch keine besonders positive Eigenschaft. Auch sprachlich gesehen. Wenn Sie das übersetzen ins Chinesische, das hört sich gar nicht gut an. Das ist ‚ge-ren-juy’: Das ist der Individualismus (‚ge-ren-juy’: juy ist -ismus, ge-ren ist: ge ist eins, ren ist Mensch; also: ‚Ein-mensch-ismus’). Auf Chinesisch klingt das schon fast wie Egoismus. Individualismus und Egoismus ist für den Chinesen eigentlich dasselbe. Also, in Asien, nicht nur in China, geht es eher darum… also, es gibt in Asien das Sprichwort: ‚Der Nagel, der ’raussteht, wird ’reingerammt, wird ’reingeschlagen’ oder ‚Der Kopf, der sich ’rausreckt, wird abgeschlagen’ – so einfach ist das. Das heißt, es geht hier eigentlich eher darum, nicht aufzufallen, nicht zu sehr aus der Masse herauszustehen. Schon natürlich reich zu sein und besser als die anderen.“ (Interview Nr. 27)
Hohe Beziehungsorientierung – Guanxi Guanxi ist in China ein magisches Wort und steht im Mittelpunkt der chinesischen Sozialphilosophie. Jeder der Befragte hatte zu diesem Begriff etwas zu sagen. In der Regel ungestützt, wurde der Begriff genannt, wenn es um Besonderheiten Chinas ging. „Guanxi ist in meinen Augen das bestimmende Prinzip. […] Auch wieder ein abendfüllendes Thema, aus meiner Sicht.“ (Interview Nr. 14) „Es gibt einen Spruch: ‚Guanxi Di Yi – Qian Di Er’: Das wichtigste sind Beziehungen und dann kommt das Geld. Ohne Beziehungen läuft hier gar nichts. Und mit Beziehungen meine ich nicht: Ich kenne da einen. […] Nicht nur im Sinne von Vitamin B, die Sie ausnutzen können, sondern dass Sie wirklich einfach gute Beziehungen und Netzwerke aufbauen.“ (Interview Nr. 29)
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Üblicherweise wird der Begriff mit ‚Beziehungen’, manchmal auch mit ‚Netzwerk’ oder ‚Einfluss’ übersetzt und häufig mit den Begriffen ‚Haben’ (you) oder ‚Nicht haben’ (meiyou) verbunden: „Herr X hat Guanxi“ heißt soviel wie ‚Herr X hat Beziehungen’ oder ‚Herr X hat Einfluss’ – er ist eine bedeutende und wichtige Person. Ohne Guanxi kann man weder im Geschäfts- noch im Privatleben etwas erreichen, es ist das Grundprinzip aller sozialen Handlungen. Es wird angestrebt, so viele persönliche Verbindungen wie möglich zu haben und ein großes Netz von Beziehungen zu spinnen. Dieses System persönlicher Beziehungen wird dann zur Erlangung von Vorteilen aller Art genutzt. Seit den 1980er Jahren wurde in wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen Arbeiten viel zum GuanxiPhänomen in China geschrieben255. „Jeder, der in China gelebt und Erfahrungen im Umgang mit Chinesen gesammelt hat, kennt die beiden Begriffe guanxi und mianzi, unabhängig davon, ob er Chinesisch spricht oder nicht. […] Diese beiden Begriffe besitzen eine Schlüsselfunktion, wenn es darum geht, Einsicht in die Denk- und Verhaltensweisen von Chinesen zu gewinnen. […] Wie in der Vergangenheit, so spielen diese beiden Elemente zwischenmenschlicher Interaktion auch in der Gegenwart eine unübersehbare und wichtige Rolle.“ (Kuhn et al. 2001, S. 238) „Guanxi ist eine in der chinesischen Kultur einzigartig entwickelte Kunst interpersonaler Beziehungen, welche über die innerfamiliären Beziehungen hinaus die sozialen Interaktionen regelt. Es ist das Schlüsselkonzept, um das chinesische Sozialverhalten zu verstehen.“ (Lin-Huber 2006, S. 55f) “To the chinese, guanxi is a sort of tit-for-tat, ‘You scratch my back, I’ll scratch yours’ arrangement. […] It is a cultural phenomenon to Chinese all over the world.” (Seligmann 1999, S. 56)
Ausgehend von den fünf unumstößlichen Beziehungen des Konfuzianismus benutzen moderne chinesische Soziologen den Begriff Wuyuan (fünf vorbestimmte Verbindungen), um die wichtigsten zwischenmenschlichen Beziehungen in der heutigen Gesellschaft zu kategorisieren (vgl. Kuhn et al. 2001, S. 244). 1. 2. 3. 4. 5.
Verwandtschaftsbeziehungen (Blutverwandtschaft oder Eheschließung) Landmannschaftsbeziehungen, gemeinsame Herkunft (Ort, Kreis, Provinz) Geistige und religiöse Verbindungen (Kommunisten, Buddhisten) Berufliche Verbindungen (Kollegen, Kommilitonen, Gefährten) Materielle Verbindungen (Geschäftsbeziehung, Mitarbeiter)
Diese Beziehungskonstellationen stellen nicht mehr Hierarchie und Ungleichheit, sondern Gemeinsamkeiten in den Vordergrund und berücksichtigen neben der familiären Sphäre auch geistige, berufliche und materielle Verbindungen. Beziehungen spielen universal, in jedem Land und in jeder Kultur, eine wichtige Rolle. Ebenso geht man in der Sozialpsychologie davon aus, dass Beziehungen sich grundsätzlich durch Gegenseitigkeit und beiderseitigen Nutzen auszeichnen256. Es stellt sich daher 255 Seit den 1980er Jahren wird Guanxi von Soziologen und Anthropologen wissenschaftlich untersucht. Die im deutschsprachigen Raum wohl bisher ausführlichste Analyse stammt von Kuhn et al. 2001, S. 238-274. 256 Vgl. hierzu austauschtheoretische Ansätze der sozialpsychologischen Beziehungstheorie, etwa bei Fischer/Wiswede 2002 (u.a. Ansätze von Thibaut/Kelley 1991, Foa et al. 1993, Clarks/Mills 1993).
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die Frage, worin sich Beziehungen in China von jenen in Deutschland unterscheiden. Ein Befragter sieht dies kritisch: „Also, dieses Guanxi, dieses Beziehungsding in China, würde ich auch nie überbewerten. Da wird in Deutschland, sagen wir mal so, sehr viel Geld damit verdient, dass Chinaberater und Consultants erzählen, stundenlang über das Guanxi-System philosophieren und das Chinesen ja langfristige Beziehungen wollen und dass es ein Geben und Nehmen ist und so. Gut, mag funktionieren. Aber ich sage mal: Alles Grütze. Mit Ausländern suchen Chinesen vor allem kurzfristigen Profit. So einfach ist das.“ (Interview Nr. 27)
Allerdings lenkt auch er – nachgefragt, ob Beziehungen in China also genauso wären wie in Deutschland – ein: „Es wird alles nur riesig aufgeblasen unter diesem Guanxi-Begriff – im Grunde genommen ist es nicht so viel anders als bei uns. Der einzige Unterschied ist, das ist jetzt meine persönliche Einschätzung, dass in China persönliche Beziehungen viel wichtiger sind als in Deutschland. Wenn Sie in China irgendwie weiter kommen wollen… es ist alles immer persönliche Beziehungen. […] In China geht Vieles, auch wenn es formal nicht korrekt ist. Sie müssen nur nett zu den Leuten sein und Sie müssen den Leuten, also entweder Sie müssen nett zu den Leuten sein oder ihnen nutzen, dann geht das. Eigentlich, jedes Problem, das man hier lösen will, löst man nicht indem man ins Internet geht und nach den entsprechenden Gesetzen sucht, sondern indem man Leute anruft, von denen man weiß, die können einem helfen. Das ist Guanxi. Und das ist schon anders als in Deutschland.“ (Interview Nr. 27)
Im Wesentlichen lassen sich folgende Punkte anführen, mit denen man die Besonderheiten von Beziehungen in China – Guanxi – beschreiben kann: 1. 2. 3. 4. 5.
Relevanz, Akzeptanz und Aufwand von Beziehungen/Stellenwert Betonung menschlicher Gefühle (Renqing) Gegenseitiger Nutzen Netzwerk-/Referenz-System Innen- und Außengruppe (Grenzziehung)
1) Relevanz, Akzeptanz und Aufwand: Beziehungen in China unterscheiden sich wesentlich im Stellenwert, der ihnen beigemessen wird. Während Guanxi in China existenzwichtig ist, gilt dies für Deutschland nicht. „Die in jeder Gesellschaft gegebenen zwischenmenschlichen Beziehungen sind in China stärker entwickelt als anderswo.“ (Kuhn et al. 2001, S. 248) „In China hat persönliches Verdienst oder persönliche Leistung allein nie genügt, um ein Anliegen zu befördern. Der Stellenwert von Beziehungen muß in China im Vergleich zu anderen einflußreichen Beziehungen in Fernost oder West ungleich höher veranschlagt werden.“ (Asian Business Consultants 1999, S. 60) „Gute persönliche Beziehungen spielen auch im industrialisierten Westen eine Rolle. Die Bedeutung solcher Beziehungen dürfte aber in einem westlichen Umfeld tendenziell weniger gewichtet sein als in einem chinesischem. Die westliche Person verfügt über größere Freiräume, weil sie sozial weniger eingebunden ist.“ (Lin-Huber 2005, S. 58)
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„Das ist hier einfach wichtiger als bei uns.“ (Interview Nr. 21)
Die besondere Bedeutung von Beziehungen in China wird oftmals mit einem tief verankerten Misstrauen in der chinesischen Gesellschaft begründet. “Chinese don’t trust each other. We don’t trust anybody. Wir sind wie ein Haufen loser Sand. Wir halten nicht zusammen. Es gibt keine Loyalität zwischen den Chinesen, nur in der Familie, einigen engen Freunden und eine Vielzahl von Bekannten, mit denen man Beziehungen pflegt, so lange einem daraus konkrete Vorteile entwachsen. Das ist das Problem. Gerade weil wir 257 glauben, keinem trauen zu können, spielt Vertrauen bei uns so eine wichtige Rolle.“ „Irgendwann hat mal jemand zu mir gesagt: ‘China is a no-trust, trust-based society’. Und das trifft es für mich ganz genau auf den Kopf. Auf der einen Seite trauen Chinesen sich untereinander nicht. Jeder könnte einem ja was Böses wollen oder einen über den Tisch ziehen wollen und deshalb ist es so wichtig, eine Vertrauensbasis aufzubauen.“ (Interview Nr. 22)
Während in der Philosophie des Abendlandes die Leistungsfähigkeit und Unabhängigkeit des Individuums im Mittelpunkt steht, verlassen sich Chinesen viel unbekümmerter auf andere. Guanxi hilft in allen Lebensbereichen und es wird ein hoher Aufwand akzeptiert, um das Beziehungsnetzwerk aufzubauen und aufrecht zu erhalten. Eine empirische Untersuchung in einigen Dörfern Hubeis brachte zu Tage, dass die größten Ausgaben der Bauern auf dem Dorf im Bereich der Beziehungspflege (Investitionen in Geschenke und Einladungen) liegen (vgl. Mingrui 1997, S. 14f). Auch ist dieses Vorgehen in China vollauf akzeptiert, während man in Deutschland mehr Wert auf persönliche Integrität legt und ein ‚einschmeichelndes’ Verhalten tendenziell negativ bewertet wird. „Ich glaube auch die Beziehungen in Deutschland sind wichtig. Ich würde nur die Beziehungen werten wollen. In Deutschland ist das so genannte Vitamin B negativ belegt. In China ist es positiv belegt. Du hast Beziehungen bedeutet, du hast halt eben Zugang zu etwas. [...] Ich glaube, in China gehst du einfach offener damit um, da es in Deutschland halt so negativ belegt ist. Wenn du irgendwo in einer Firma arbeitest und du hörst, soundso ist in der Firma weil sein Vater in der Firma ist, dann denkst du automatisch an Vitamin B und denkst: Der Mensch ist eigentlich ein Idiot, aber weil sein Vater die Beziehung hat, ist er jetzt in der Firma. Aber eigentlich kann er nichts, ist doof und gehört da eigentlich überhaupt nicht hin. In China hat das einfach eine andere Gewichtung. Dann bist du halt drin, weil du eben jemanden kennst. Aber das heißt noch lange nicht, dass du deswegen unfähig und doof bist. Sondern du hast halt einfach den Zugang gehabt. Das ist wichtig. Damit stehst du aber auch in der Schuld der anderen Person und diese Schuld steht im Raum und ist offen und wird auch irgendwann abgeglichen, wenn sich die Gelegenheit ergibt. Das ist an sich nichts Negatives.“ (Interview Nr. 1) „Es ist in China moralisch nicht anfechtbar, ihnen Vorteile zu gewähren. In einer Gesellschaft mit einem weitgehend legitimierten Nepotismus258 und mit sanktionierten Vorrechten sind guanxi der Weg, der am sichersten zum Erfolg führt. Wer keine guanxi hat, stößt immer auf Ablehnung, und daran ist man nach chinesischem Verständnis selbst schuld. Ein Mensch, der viele guanxi hat und sie zu seinem Vorteil nutzt, wird nicht als Schmeichler abgetan, sondern bewun257 Das Zitat stammt von einer Chinesin, die in Taiwan aufwuchs (und gebrochen deutsch spricht) und fiel in einem privaten Gespräch. Sie bezieht sich hierbei auf ein Gleichnis, das Mitte der 1920er Jahre der Revolutionsführer Dr. Sun Yat-Sen aufstellte: “Chinese are a Heap of Loose Sand.“ (vgl. Hughes 1997, S. 7). 258 Nepotismus: Nach Duden (2004, S. 686): Vetternwirtschaft.
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dert und beneidet, da er viel mehr erreichen kann als andere. […] Guanxi spielen in der heutigen Gesellschaft Chinas eine nicht zu unterschätzende Rolle, und ihren Einsatz haftet nichts Ehrenrühriges an.“ (Kuhn et al. 2001, S. 242f)
2) Betonung menschlicher Gefühle (Renqing): Wie gelernt, besteht jede Kommunikation aus einer Beziehungs- und einer Sachebene. Die starke Betonung von Beziehungen in China lässt die Sachebene hier im Vergleich zur Beziehungsebene in den Hintergrund geraten, während man in Deutschland – vor allem in beruflichen Kontexten – sehr um Sachlichkeit bemüht ist. Renqing ist ein zentraler Aspekt chinesischer Beziehungen: Die Betonung von menschlichen Gefühlen, die nach dem chinesischen Ideal im Mittelpunkt jeder Interaktion – auch und gerade in beruflichen Situationen – stehen sollte. Renqing lässt sich übersetzen mit ‚menschlichem Empfinden’, ‚zwischenmenschlicher Wärme’, ‚Menschlichkeit’ oder ‚Güte’. Dies betrachten die Chinesen als wichtigstes Charakteristikum ihrer Lebenswelt, entsprechend etwa unserer ‚Heimat’ (vgl. Pohl 2006). Es handelt sich um eine soziale Norm, Menschen, mit denen man eine Beziehung hat, mitfühlend zu behandeln. Renqing fordert, sich mit Menschen verständnisvoll auseinanderzusetzen, sich für ihre persönlichen Belange zu interessieren, Gemeinsamkeiten zu betonen und so ein Gefühl emotionaler Zuneigung und Verbundenheit aufzubauen. Dass dies naturgemäß eine gewisse Zeit und Kontaktfrequenz benötigt, wird von den Chinesen akzeptiert. „Also, ich würde es mal so sagen, […] dass sich die chinesischen Beziehungen zum Teil noch stärker emotional auswirken. Und das Emotionale sich stärker auf das Geschäft auswirkt als in Deutschland oder den USA. In den USA, würde ich sagen, wirken sich Beziehungen nicht so aus. Also, ich würde sagen, wenn wir eine Reihenfolge machen, dann sehen wir erstmal ganz an der einen Seite die USA, dann kommt Westeuropa und dann kommen China, Japan und Korea. […] Also, was für die Chinesen wichtig ist, ist eben dass man mit jemandem einfach mal ein paar Stunden verbracht hat, in denen man nicht über das Geschäft gesprochen hat. Wo man einfach mit diesem Menschen über Gott und die Welt redet und so ein bisschen sich in seine Psyche hineinbewegen kann. Man lässt über sich auch was raus. Man spricht über die Familie, man spricht über Filme, man spricht über Kultur, man spricht vielleicht ein bisschen über Politik und dergleichen und irgendwie wird der andere Mensch zum Menschen. Er ist eben nicht einfach nur ein Funktionsträger, sondern er ist eben einfach auch ein Mensch. Und mit dieser Menschidentität kann ich jetzt eigentlich schon eine ganz andere Beziehung ziehen als diese beiden Funktionsträger. Das heißt, diesem Menschen gegenüber bringe ich ein gewisses Vertrauen entgegen und fühle mich ihm auch auf die eine oder andere Weise verpflichtet, ihm gegenüber auch ein gewisses Vertrauen zu halten. Oder einzuhalten. Also Versprechungen einzuhalten. Das heißt, […] ich traue mich bei ihm nicht, also, nicht ganz brutal, zu lügen oder ihn über das Ohr zu hauen. Ich werde mich also ihm gegenüber schon etwas loyaler verhalten. […] Das ist etwas, was die Chinesen als einen großen Vorteil ihrer Kultur ansehen, dass Sie menschlich reagieren. Und da sehen sie die Ausländer eben als kalt und unmenschlich an.“ (Interview Nr. 17)
3) Gegenseitiger Nutzen/systematischer Aufbau gegenseitiger Abhängigkeit: Es gehört zu Guanxi, den Schein des gegenseitigen Mitfühlens, Verständnisses und selbstlosen Gebens zu wahren. In Wirklichkeit werden die gegenseitigen Leistungen jedoch peinlich genau registriert, gewogen und bewertet. Nach dem Buch der Riten (Liji) ist jeder Gefallen mit einem Gegengefallen zu belohnen, so dass ein Netz von gegenseitigen Abhängigkeiten und Verpflichtungen gesponnen wird. Guanxi muss also reziprok, zum beiderseitigen Nutzen sein. Für einen Gefallen oder eine erwiesene Gunst wird in Zukunft eine ‚Erstattung’ erwar-
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tet, welche immer ein bisschen größer sein sollte als die empfangene Gunst. Hierin sehen viele einen Unterschied zu Deutschland. „Also, wenn Sie in Deutschland was für jemanden tun, dann wird derjenige Ihnen in vielen Fällen sagen: ‚Das ist aber nett. Vielen Dank!’ Wenn Sie hier etwas für jemanden tun, dann wird er das auch sagen. Das Problem ist, […] für den entsteht gleichzeitig eine Verpflichtung mindestens das Ihnen wieder zu vergelten. Und das fehlt in Deutschland.“ (Interview Nr. 14) „Man könnte das übersetzen mit dem, wenn man es ganz brutal ausdrückt, mit der ‚Kontoführung gegenseitiger Gefälligkeiten’. Ich tue dir einen Gefallen aber jetzt weißt du auch, dass du mir etwas schuldig bist. Und jetzt erwarte ich von dir auch die entsprechende Gegenleistung. So. Und irgendwann bin ich bei dir und stehe bei dir vor der Tür und fordere diese Gegenleistung ein. Und wenn ich sie bekommen habe, dann schulde ich dir meistens wieder etwas. Diese Art von Verhalten ist also in diesem Kulturkreis sehr, sehr ausgeprägt.“ (Interview Nr. 17)
Das wichtigste Kriterium für den Aufbau von Guanxi ist demnach trotz Bekundung aller Verbundenheit die Zweckmäßigkeit und der Nutzen, den man aus diesem Verhältnis gewinnen kann. Dabei wird in das Netzwerk investiert, indem man bewusst Schuldigkeiten herstellt. Dieses Vorgehen wird in der Guanxi Xue (Beziehungslehre) beschrieben: „Das Wort impliziert, daß es alles andere als leicht ist, guanxi aufzubauen. Man zerbricht sich darüber den Kopf. Anders als im Fall der Freundschaft verfolgt ja guanxi einen bestimmten Zweck.“ (Kuhn et al. 2001, S. 257)
4) Netzwerk-/Referenz-System: Ein weiterer Unterschied besteht in der Rolle von Dritten. Oftmals reichen direkte Beziehungen nicht aus, um bestimmte Interessen zu verwirklichen. In diesem Fall kann man sich Beziehungsketten bedienen, da man über eine Person, mit der man eine Beziehung hat, auch Dritten verpflichtet ist bzw. von diesen eine Gunst erwarten kann. Die chinesische Künstlerin Yang Liu (2007) bringt dies in ihrem gelungenen Deutschland-China Vergleich grafisch folgendermaßen zum Ausdruck: Ein Befragter berichtet: „Wenn du einen triffst und hast einen Freund, dann sind automatisch alle Freunde von dem auch dein Freund.“ (Interview Nr. 26; vgl. auch Lin-Huber 2005, S. 57)
Abbildung 43: Guanxi-Referenz-System in China (rechts). Quelle: Yang (2007). Die Vermittlung oder Empfehlung durch eine dritte Person ist in China der schnellste Weg, Zugang zu Personen und Ressourcen zu bekommen.
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„Probieren Sie mal, wie sich magisch die Türen öffnen, wenn Sie das Empfehlungsschreiben eines hohen chinesischen Beamten vorlegen.“ (Asian Business Consultants 1999, S. 60)
5. Innen- und Außengruppen: Um die Besonderheiten von Guanxi zu verstehen, ist es zudem hilfreich, nicht nur Beziehungen zwischen Bekannten zu betrachten, sondern vor allem auch Beziehungen zwischen Unbekannten. Hier besteht ein wesentlicher Unterschied zur westlichen Welt. Während in der westlichen Welt Gleichberechtigung und universalistische Umgangsformen angestrebt werden, werden in China Bekannte (= Menschen der Innengruppe = Innenmenschen) deutlich anders behandelt als Unbekannte (= Menschen der Außengruppe = Außenmenschen)259. „Die Innenmenschen sind die shou-ren, die Gargekochten. Das sind diejenigen, die man kennt, denen man vertrauen kann. Die Außenmenschen – auf Chinesisch sheng-ren, die Ungekochten, die noch Rohen – das sind die Anderen, die Fremden, vor denen man sich in Acht nehmen muss. […] Von Kindheit an wird den Chinesen eingeprägt, nur den Innenmenschen zu vertrauen, den Außenmenschen gegenüber jedoch vorsichtig zu sein und sich zu ihnen auf Distanz zu halten. […] Einander unbekannte Chinesen sind sich gleichgültig.“ (Lin-Huber 2006, S. 15 und S. 135)
Während im ‚individualistischen’ Westen das Ideal der Gleichheit besteht, erfolgt im kollektivistischen China eine Grenzziehung zwischen dem ‚Wir’ und ‚Ihr’, wobei Ungleichheit betont wird. Gegenüber den Innenmenschen ist man verpflichtet, höflich zu sein und zu helfen. Eine Verweigerung dieser Pflicht (auch gegenüber Dritten) wird stark sozial sanktioniert. Außenmenschen gegenüber verhält man sich hingegen gleichgültig, zuweilen sogar grob260. Es herrscht ein geringes Maß an Verantwortungsgefühl für diejenigen, die wir im Westen ‚Mitmenschen’ nennen (vgl. Kapitel 10.3.2).
Grenzüberschreitend: Ich = Jeder (Was für mich gilt, gilt auch für alle anderen)
Grenzziehend: Wir Ù Ihr (Was für unsere Gruppe gilt, gilt noch längst nicht für alle)
Abbildung 44: Soziale Grenzziehung in Deutschland und China. Eigene Darstellung. „Die ungleiche Behandlung von Menschen der Innen- und Außengruppe ist beabsichtig: die ‚eigenen Leute’ spüren auf diese Art um so mehr, welche Vorteile die Zugehörigkeit zur Gruppe bietet.“ (Kuhn et al. 2001, S. 247)
Auch lässt sich so erklären, warum ‚Dritte’ im Guanxi so wichtig sind:
259 Dieses Verhalten heißt im Chinesischen Neiwai Youbie (Unterteilung von Innen- und Außengruppe). 260 Besonders auffällig ist dies in der U-Bahn. Dort kommen Ellenbogen zum Einsatz, Älteren wird kein Platz angeboten, bei Unfällen wird oftmals weggeschaut etc.
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„Daß die Chinesen offen für ihre ‚eigenen Leute’ und verschlossen gegenüber Außenstehenden sind, hat zur Folge, daß man immer von Bekannten vermittelt oder empfohlen werden muß, wenn man Hilfe braucht oder die Zusammenarbeit mit anderen sucht.“ (ebd.)
Die chinesische Gewohnheit, Menschen nach ihrer Einstufung als Innen- oder Außenmenschen sowie nach Rang-, Alters- und Verwandtschaftsbeziehungen unterschiedlich zu behandeln trifft grundsätzlich auch auf Ausländer zu, wobei diese (wie bereits erörtert) eine Sonderrolle einnehmen. Die Frage, ob Ausländer jemals wirklich zu einer Innengruppe gehören können, wurde – unter Verweis auf die nicht überwindbare ‚Andersartigkeit’ der Chinesen, die ein Ausländer niemals verstehen könne – meist negativ beantwortet. „Sie gehören nicht dazu. Sie werden nie dazugehören.“ (Interview Nr. 20) JK: “Can a foreigner ever be part of an ingroup?” – “Very difficult. Because, anyway, you are friends from afar.“ (Interview Nr. 33)
Abgrenzung gegenüber Korruption: All diese Aspekte des Guanxi-Systems lassen bei Westlern ein ungutes Gefühl aufkommen. Es riecht nach Vetternwirtschaft und Korruption. „Also das Grundprinzip, sich nicht zu trauen ist praktisch kombiniert mit dem Prinzip, und wenn ich jemandem vertraue, dann vertraue ich dem. Und daraus ergibt sich dann eben diese GuanxiSociety, die natürlich auch übersetzt werden kann in massive Vetternwirtschaft und/oder korruptionsbasierten Wirtschaftskreislauf. Das kann man auch so sehen.“ (Interview Nr. 22) „Guanxi heißt im Prinzip, ich nenne es mal positiv, dass ich dazu beitrage, dass er in seinem Job erfolgreich ist. Also, wenn ich gute Qualität zu gutem Preis und immer on time liefere, so dass er seine Forderungen, die er von seinem Vorgesetzten kriegt, dass er die alle übererfüllt, da habe ich ihm dann einen Beitrag geleistet, einen added value, und daran wird er sich erinnern.“ – JK: „Und wenn Sie es negativ formulieren?“ – „Wenn ich es negativ beschreibe, dann hat jemand ihn bestochen.“ (Interview Nr. 12)
Diese Vorwürfe werden von den Chinesen heftig zurückgewiesen, wobei immer wieder betont wird, dass der Aufbau von Beziehungen nicht nur über materielle Zuneigungen, sondern vor allem über Renqing und Gefälligkeiten erfolgt. „Bei all diesen Aktivitäten spricht man von guanxi, nicht von Korruption. Man geht davon aus, dass dabei für den Staat oder die Gesellschaft kein Schaden entsteht und man deshalb auch nicht gegen das Gesetz verstößt. Es entspricht im Gegenteil einer ungeschriebenen moralischen Verpflichtung, Bekannten zu helfen.“ (Kuhn et al. 2001, S. 241) “The currency of guanxi is normally favors, not cash!“ (Seligmann 1999, S. 65)
Außerdem gehören, so die chinesische Argumentation, Geschenke und Einladungen seit langem zur gesellschaftlichen Tradition. Auch wenn man dies akzeptieren sollte, ist eine Abgrenzung zur Korruption nicht einfach. „Normalerweise entscheidet in China das legale bzw. illegale Ziel darüber, ob die Nutzung von Beziehungen als guanxi oder als Korruption eingestuft wird. Wenn man zum Beispiel die Beziehungen zur Steuerhinterziehung oder zum Erlangen geheimer Information benutzt, dann handelt es sich um Korruption und damit um eine Straftat.“ (Kuhn et al. 2001, S. 252)
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Unabhängig davon, ob man Guanxi als Korruption definiert oder nicht, beklagen viele Ausländer die negativen Auswirkungen des Guanxi-Systems, wobei auch Vorteile in der höheren Bedeutung zwischenmenschlicher Fürsorge gesehen werden. „Meiner Ansicht nach ist das eine Katastrophe für dieses Land. Weil, das sind immer Abhängigkeiten und Rückabhängigkeiten. Und jeder, der dadurch… Wenn man sich auf diese Abhängigkeiten einlässt, ist man immer dadurch angreifbar. […] Man ist ja dadurch immer, ja, wie gesagt, erpressbar.“ (Interview Nr. 4)261 „Hat es mir gefehlt in Deutschland?262 In gewisser Weise ja. […] Diese emotionale Ebene wirkt sich eben im täglichen Geschäft wie ein gewisser Schmierstoff aus. Dass man also dann auch bereit ist, hier mal etwas nachzugeben, andererseits dass man eben auch vom anderen erwartet, dass er auch mal nachgibt. Das eine Hand die andere wäscht, auch wenn das zwei Fäuste sind, die aufeinander losgehen.“ (Interview Nr. 17)
Streben nach Harmonie/Meidung von Konflikten Das Streben nach Gleichgewicht und Harmonie sowie die Vermeidung von Chaos, Konflikten und Disharmonie sind in der chinesischen Psyche tief verankerte Handlungsziele und prägen jede soziale Interaktion. Um dies zu erreichen gilt es, in Interaktionen bestehende Hierarchien zu achten, Höflichkeitsregeln (Li Mao) zu befolgen, Gesicht (Mianzi) zu geben und Konflikte/ Angriffe um jeden Preis zu verhindern. Achtung von Hierarchie: Aufgrund des Hierarchieverständnisses der Chinesen ist es in jeder Interaktion wichtig, zu Beginn die jeweiligen hierarchischen Positionen aller Beteiligten zu bestimmen und fortwährend zu berücksichtigen. Das Rederecht liegt beim hierarchisch höher gestellten, er leitet den Gesprächsverlauf, kann Themen setzen und das Gespräch beenden. Achtung von Höflichkeitsregeln/Li Mao: Im Kreis der Innenmenschen wird ein hoher Wert auf Höflichkeit (Li Mao263) gelegt. Es gibt viele Rituale, die zu beachten sind. „Während sich die westlichen Höflichkeitsstrategien mehr auf das Recht auf Respekt und Selbstbestimmung des Einzelnen ausrichten, bevorzugen Chinesen jene Höflichkeitsstrategien, welche das menschliche Bedürfnis bestärken, gehegt, umsorgt, angehört und verstanden zu werden.“ (Lin-Huber 2006, S. 77)
Nach Lin-Huber (2006, S. 61-81) besteht Li Mao aus vier Elementen: Respekt, Bescheidenheit, Gastlichkeit und Großzügigkeit. Respekt bezieht sich vor allem darauf, dem anderen Gesicht (Mianzi) zu geben und seine Wertschätzung und Bewunderung zum Ausdruck zu bringen. Es ist wichtig zu wissen, mit wem man es zu tun hat und die richtige Anredeform zu verwenden264. Die chinesische Bescheidenheit grenzt nach westlichem Maßstab oftmals an Selbsterniedrigung. Ziel ist es, den anderen höher zu stellen. Wichtige Beschei261 Vgl. zu negativen Auswirkungen von Guanxi auch Kuhn et al. 2001, S. 260. 262 Der Interviewte arbeitete nach vielen Jahren in China vorübergehend in Deutschland, bevor er wieder nach China zurückkehrte. 263 Li Mao = höfliches Verhalten. Li = Sittlichkeit/Etikette, Mao = betont, dass es sich hierbei vor allem um die äußere, sichtbare Form der Höflichkeit handelt. 264 Nachnamen stehen im Chinesischen vor dem Vornamen, wobei der Vorname traditionell nur in der Familie verwendet wird. Um sich den internationalen Gepflogenheiten anzupassen, haben sich viele Chinesen einen englischen Vornamen zugelegt.
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denheitsgesten sind abschätzige Bemerkungen über sich selbst und die Hervorhebung der Errungenschaften und Charakteristika des anderen. Lob wird – wenn auch gerne gehört – vehement zurückgewiesen, ebenso wird erwartet, dass abschätziger Selbstkritik vom Gegenüber widersprochen wird. Besucher sind in China stets willkommen. Auch ohne Anmeldung wird einem Gast Zeit eingeräumt. Die Chinesen sind stolz auf ihre Gastlichkeit. Bei privaten und geschäftlichen Zusammenkünften gibt es viele festgeschriebene Rituale. Dabei sind gemeinsame Essen die wichtigste Aktivität, um Guanxi aufzubauen. Diese arten oftmals geradezu in Gelage aus und wurden von vielen Befragten lebhaft beschrieben: „Das Geschäftsgebähren hier in China ist ein sehr barockes. Also, da wird gesoffen und gefressen, muss ich sagen, und das ist wirklich... […] Ich würde mal sagen, in China ist man durchaus lebensfroh und da gibt es auch noch eine andere Art, wie sich Lebensfreude ausdrückt, aber ich sag mal, Essen gehen und das anschließende gemeinsame Trinken, das dauert nicht übermäßig lang. Das sind diese ‚gan-beis’265, da müssen Sie halt mitmachen. […] Und insofern ist das hier – das sind Dinge, die kennt man aus Europa nicht mehr so. Und aus den USA, wo die Leute nicht mal mehr in einem Lokal rauchen dürfen, [...] das ist für Chinesen einfach unvorstellbar. So, und da müssen Sie auch mitmachen. Ich würde jetzt auch nicht sagen, dass ich mich da besonders quälen musste. Es ist nur einfach so, dass Sie das dann an drei, vier Abenden pro Woche machen können.“ (Interview Nr. 14)
Der Gastgeber umsorgt den Gast fürsorglich und aufmerksam, tut ihm zu Essen auf, schenkt ihm nach und bemuttert ihn in einer Weise, die von Deutschen zuweilen schon als Bevormundung empfunden wird. Eine Einladung auszusprechen und (nach mehrfacher freundlicher Ablehnung) anzunehmen gibt sowohl dem Gastgeber als auch dem Gast Gesicht, eine Ablehnung bedeutet einen schweren Gesichtsverlust266. Als Zeichen von Großzügigkeit wird die Bereitstellung von Ressourcen (Zeit, Geschenke etc.) gesehen. Gesicht/Mianzi: Einen wichtigen Beitrag zur Wahrung von Harmonie leistet das ‚Facework’ – die stete Beachtung des ‚Gesichts’ des anderen (Face/Mianzi; vgl. Shi 2003, S. 93-103). Gerade in Anbetracht der hohen Bevölkerungsdichte und der kollektivistischen Vorgabe, sich nicht hervorzutun, ist es in China schwierig, sich als Individuum zu profilieren, so dass man auf die Anerkennung anderer besonders angewiesen ist (vgl. Lin-Huber 2006, S. 57). „Gesicht wahren, geben und erhalten haben in China absoluten Vorrang vor anderen Erfordernissen wie Sachlichkeit und Ehrlichkeit.“ (Kuhn et al. 2001, S. 273) „Der Ausdruck jiang mianzi besagt, über die wörtliche Bedeutung weit hinausgehend, daß in China immer und bei jeder Angelegenheit das Gesicht berücksichtig wird.“ (Shi 2003, S. 93)
Westler verstehen Mianzi hinaus und beinhaltet eine dürfnisse des Gegenübers. heißt, Menschen erleben
oftmals als einfache Höflichkeit. Mianzi geht jedoch darüber tiefgehende Rücksichtsnahme auf die Gefühle und GeltungsbeDie chinesische Kultur gilt als besonders scham-orientiert, das die öffentliche Kritisierung als besonders schmerzlich (vgl.
265 Gan-bei = Prost. 266 In der interkulturellen Managementliteratur findet man viele Handlungsempfehlungen für die Geschäftstätigkeit in China (siehe Anhang). Diese sind im Hinterkopf zu behalten, ohne sich jedoch zu sehr zu versteifen. Auch die Chinesen haben viel gelernt und richten sich zunehmend auf ihre internationalen Gesprächspartner ein.
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Schirrmacher 2002). So ist vor allem in Gruppensituationen in China zu vermeiden, Gruppenmitglieder vor den Augen der anderen zu tadeln. „Das ist ganz anders. In China ist es sehr wichtig, dass man die Leute nicht irgendwie blamiert. Das heißt, man setzt sich nicht hin, mit einem anderen Geschäftsführer, und da sitzen noch drei Jungmanager bei und bläfft den an, was er für einen Scheiß macht, das tut man hier einfach nicht. Diese Face-Geschichte: Ganz wichtig! Man blamiert einfach niemanden in der Öffentlichkeit. Das tut man nicht. Man achtet eigentlich mehr auf das Gesicht des anderen als auf das eigene.“ (Interview Nr. 27) JK: „Gesichtswahrung, ist das anders hier?“ – „Ja. In unserem Kulturkreis haben wir das natürlich auch, wir bezeichnen es nur nicht so. Wir nennen das dann beleidigen. Und das ist hier nicht anders. Wobei natürlich, ich sag mal, die Sensibilität, beleidigt zu werden, ist größer, weil es verschiedene und viel, viel mehr Verletzlichkeitselemente gibt. Also, jemanden bloß zu stellen, in einer Diskussion zum Beispiel, das ist bei uns ja Gang und Gebe. Das man zu einem sagt: ‚Dummes Zeug, was ist denn das für ein Gerede’. Das ist hier ganz anders. Da ist die Sensibilität viel, viel größer. Was ganz wichtig ist, hier, natürlich in Bezug auf Gesichtsverlust, dass man die Konsequenz eines Gesichtsverlustes in so einer Kultur, so einem Umfeld, versteht. In einer Massengesellschaft, wo jeder eigentlich des anderen Feind sein muss, denn man hat zu wenig Platz, zu wenig Essen, zu wenig alles. Da wird jede Schwäche des anderen gerne genutzt, um eigene Stärke zu produzieren. Das machen wir zwar auch, aber wir haben mehr Spielräume.“ (Interview Nr. 18)
Meidung von Angriffen/Konflikten: Ein Unterschied zum Westen ist zudem die klare Präferenz eines ruhigen und zurückhaltenden Verhaltens und die Meidung von direkter Kritik und Konflikten. Während man sich im Westen durchaus durch offensives Verhalten, geschickte Selbstpräsentation, Durchsetzungskraft und direkte Ansprache von Konflikten Respekt verschaffen kann, geht dies in China mit einem Gesichtsverlust einher, der alle Beteiligte peinlich berührt. 10.5.6 Mediale Kommunikation: Journalistische Handlungs- und Verarbeitungsroutinen Die bereits dargestellten interpersonalen Handlungsregeln gelten selbstverständlich auch für Interaktionen mit Journalisten. Darüber hinaus sind journalistische Handlungs- und Verarbeitungsroutinen in die Betrachtung mit einzubeziehen. In den Interviews wurden diese wiederkehrend thematisiert und in Zusammenhang zur institutionellen Ordnung zu verstehen versucht. In Folge werden zunächst die journalistischen Rahmenbedingungen in China dargestellt, bevor die Beobachtungen der Befragten im Hinblick auf journalistische Handlungs- und Verarbeitungsroutinen zusammengefasst werden. 10.5.6.1
Journalistisches Handeln in Abhängigkeit von vorhandenen Strukturen
Die institutionelle Ordnung Chinas prägt journalistische Handlungs- und Verarbeitungsroutinen, auf die sich PR-Handlungen beziehen, auf vielfältige Weise. Rolle von Journalisten: Wie bereits dargestellt, gilt als Aufgabe der Medien im chinesischen Gesellschaftssystem nicht die gesellschaftliche Kontrolle und öffentliche Meinungsbildung, sondern vielmehr die Wahrung von Stabilität und die Vermeidung von Chaos. Analog wird die Rolle von Journalisten verstanden:
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„Der Ruf des Journalisten hat in China schon einen hohen Stellenwert. Es hat einen hohen Stellenwert. Einen höheren, witzigerweise, als in Deutschland. In Deutschland sind ja Journalisten meistens Schmierfinken […]. Sagen wir mal, in Deutschland ist der Beruf, wenn Sie das mal mit einem, sagen wir mal, Juristen oder einem Arzt vergleichen, der Beruf des Journalisten eher so wie ein Politiker, dem man irgendwie nicht wirklich über den Weg trauen kann. In China hat der Beruf des Journalisten einen höheren Stellenwert weil der Journalist im Namen des Volkes arbeitet. Der Journalist ist in den meisten Fällen Parteimitglied und arbeitet sozusagen an dem Großprojekt China mit.“ (Interview Nr. 4)
Journalistische Tradition/ethische Standards: Die Vorstellung von Medien als kontrollierende Macht im Staat geht im christlichen Abendland bis zu den Römern zurück267. Zentrale Ideale sind die Freiheit, Unabhängigkeit, Integrität und Objektivität des Journalisten sowie der etwa Mitte des 20. Jahrhunderts entstandene ‚investigative Journalismus’, der nicht nur informiert und analysiert, sondern genauer hinsieht und versucht, Verborgenes aufzudecken. „In sie [journalistische Ideale; JK] ist eine mehr als zweihundertjährige, heftig umkämpfte Tradition eingegangen: einerseits von Gewaltenteilung, andererseits von Rechtsstaatlichkeit – einschließlich der erforderlichen Kontrolle durch Öffentlichkeit und entsprechende Instrumentarien, vorrangig die Presse. Es wäre verwegen anzunehmen, dass eine heute möglicherweise im Ergebnis vergleichbare journalistische Arbeit in der Volksrepublik China ausschließlich oder vorrangig von Konzepten der europäischen/nordamerikanischen Traditionslinie getragen würde. […] Wahrscheinlich gibt es in diesem Sektor kein größeres Missverständnis als die im Westen übliche Annahme, es gäbe nur ein einziges Modell der öffentlichen Kommunikation, auf das sich historisch alles hin zu entwickeln hätte.“ (Gui et al. 2004, S. 8)
Die Tradition eines kritischen und investigativen Journalismus als grundlegendes Element einer demokratischen öffentlichen Meinungsbildung gibt es in China nicht. Journalistischer Freiheit, Unabhängigkeit, Integrität und Objektivität sind enge Grenzen gesetzt. Ethische Standards, wie sie im Westen bestehen, sind wenig ausgebildet. “It has not been the most ethical of industries.” (Interview Nr. 45) „Ethische Standards, wie wir sie im westlichen Journalismus kennen, bestehen in China nicht.“ (Interview Nr. 22) “Well, in Germany or in America, at least you have an ideal of journalism. I don’t talk about reality in Germany the last twenty years because German media is getting worse. But in general, the ideal is that they should find the truth, to be objective, to be critical. All that, you will not find in China. Not comparable.” (Interview Nr. 8)
System der Selbstzensur: Journalisten in China arbeiten ohne eine Garantie auf Presse- und Meinungsfreiheit mit der zugewiesenen Funktion, dem Staat zu dienen. Verlagsgruppen stehen unter der Kontrolle von Parteikadern im Aufsichtsrat; in den Redaktionen wird die Arbeit vom Parteikomitee beobachtet. Die meisten Chefredakteure sind Parteimitglieder268. Dennoch erfolgt die politische Kontrolle weniger durch explizite Zensur (diese wäre im 267 Vgl. zur Geschichte des Journalismus in Deutschland Pürer/Raabe 2007. 268 Vgl. zur typischen Organisation einer Verlagsgruppe Gui et al. 2004, S. 48-51.
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Hinblick auf die Fülle der Veröffentlichungen kaum noch möglich), sondern viel mehr durch ein ‚System der Selbstzensur’ (vgl. u.a. Link 2005). Da die Vorschriften für Journalisten recht vage gehalten sind, weiß ein Journalist nie genau, wie weit er gehen darf. Für alles, was er schreibt, muss er persönlich den Kopf hinhalten. ”Remarkably, pre-publication censorship does not exist: Censorship is exerted via a rather diffuse net of propaganda guidelines, news suppression, precedence-setting, post-publication criticism, punishment of journalists, or self censorship.” (Brendebach 2005, S. 30) “They have to control by themselves. Because they know the policy of the government, the government’s policies. So they know how far they can go.” (Interview Nr. 36) „Es ist eine Art vorauseilender Gehorsam. […] Die Chinesen machen sich da gar nicht so viel draus. Zensur ist eher ein Thema, das die Westler beschäftigt. Für die Chinesen ist das einfach normal. […] Die Frage ist weniger, ob das, was geschrieben wird, wahr ist, als vielmehr, was nicht geschrieben wird.“ (Interview Nr. 22)
Ausbildung: Derzeit arbeiten ca. eine halbe Million Chinesen im Journalismus (vgl. Abels 2005, S. 830, Gui et al. 2004, S. 76). Rund 700 Universitäten und Fachhochschulen bieten Journalistik-Ausbildungen an. Zum Curriculum gehören Kommunikations- und Medientheorien, wobei – der chinesischen Lernkultur folgend – das Memorieren als wichtigstes Lernziel gilt. Der als sehr fortschrittlich bekannte Journalistik-Professor und Dekan der School of Journalism and Communication der renommierten Tsinghua Universität in Peking, Li Xiguang, kritisiert dies und bemängelt zudem die praxisferne Ausbildung sowie die geringe Allgemeinbildung von Journalistik-Studenten in China im Vergleich zur JournalistenAusbildung in Europa (am Beispiel Österreich)269. Nach Aussage des stellvertretenden Universitätspräsidenten der Beijing Broadcasting University (BBU) wird den ca. 15.000 Studenten der BBU zur Rolle der Journalisten weiterhin erläutert, sie müssten die korrekte politische Linie vertreten, Sprachrohr der KPCh sein sowie die Mehrheitsinteressen des chinesischen Volkes vertreten – die von eben dieser KPCh definiert werden (vgl. Abels/ Hein 2005, S. 39). So lernen junge Journalisten in China vor allem ihren gesellschaftlichen Auftrag im Sinne der Partei und memorieren journalistische Theorien. Die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Themen, der Aufbau von Allgemeinwissen, die Ausbildung kritischen Denkens und das Erlernen investigativer journalistischer Methoden bleiben weitestgehend außen vor. Chinesische Journalisten sind demnach für den wissensintensiven Journalismus-Beruf wenig vorbereitet. Dabei stehen sie gleich vor einer doppelten Herausforderung: Sie müssen nicht nur die grundlegende Idee und die Werkzeuge des Journalismus verstehen, sondern sind zudem gefordert, vollkommen neue Wissensgebiete in den verschiedenen Industrien zu begreifen. “The background of all this is also the educational system in China. Especially of journalists. This is quite different. The standard is different. The way they work is just different. So, if you have the idea to come to China with a western way of thinking and working in PR, you couldn’t be successful.” (Interview Nr. 8)
269 Vgl. Aufsatz von Li Xiguang (2008) im Anhang.
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“There are some very smart journalists. I wouldn’t say they are not well educated. It’s just that professional journalism is relatively new. In the way that we know it. And the industries, of which much people are reporting of, are very new as well. […] So people are reporting on things that are new to them. And there is no guide.” (Interview Nr. 45) JK: „Die müssen wahnsinnig viel lernen.“ – „Ja, und was bei uns über lange Jahre, sag ich jetzt mal, gepredigt wurde, passiert hier auch im Zeitraffertempo. Genauso wie der Aufbau. Also, auch die Aufklärung erfolgt ganz schnell.“ (Interview Nr. 11) „Das heißt, Sie hatten mit Journalisten zu tun, die über Automobile schrieben, über Automobilfahrt, die aber überhaupt gar keinen Führerschein hatten. Also, die sind noch nie Auto gefahren.“ (Interview Nr. 17)
Viele internationale Organisationen, etwa die Bertelsmann Stiftung, haben sich zur Aufgabe gemacht, die Entwicklung des Journalismus in China zu fördern und ethische Standards nach westlichem Vorbild zu etablieren. Zugang: Der Zugang zum Journalistenberuf ist in China – auch wenn immer wieder von der Einführung eines nationalen Einstellungstests berichtet wird – frei und es ist relativ einfach, eine Anstellung zu bekommen. Besonders viele junge Menschen streben in den Journalismus. „In China ist das halt eher so ein Einsteigerberuf, interessanterweise. Also, nicht so ein Beruf, wo man sagt, da möchte ich hin. Es ist in Deutschland nicht so einfach, Journalist zu werden. Und in China ist das so, na ja, du fängst irgendwo für so ein Blatt an und dann machst du halt so einen Trainee Journalist und irgendwie nach einem Jahr fällt dir auf, dass du vielleicht doch lieber im Restaurant arbeiten möchtest. Und wechselst dann.“ (Interview Nr. 1) Ein chinesischer Journalist der China Business Herald berichtet: “Yes, it’s very easy. If you want to be a journalist or reporter, it’s very easy to get a job. But if you want to get a high level job, it’s very difficult, because there are some very smart or hard working people in these jobs.” (Interview Nr. 56)
Fluktuation: Wie andere Branchen ist auch der Journalismus in China von einer hohen Fluktuation geprägt. “It’s an industry that is typified by an extremely high turnover and very young journalists.” (Interview Nr. 45) „Auf der anderen Seite – und da kommen wir wieder auf die Unterschiede: Die Fluktuation in den chinesischen Medien ist wesentlich höher. Du hast, glaube ich, in Deutschland sehr viel früher eine spezifische Ausrichtung auf einen bestimmten Bereich. Es gibt Leute, die irgendwo anfangen, beispielsweise bei der F.A.Z. und die gehen dann sehr schnell in den politischen Bereich und da sind die dann aber auch die nächsten zehn Jahre. […] Du hast eine sehr viel stärkere Spezialisierung, die Leute bleiben dann auch viel eher dabei.“ (Interview Nr. 1)
Kommerzialisierung/Kostendruck: Aufgrund der neuen Wettbewerbssituation nimmt der wirtschaftliche Druck in vielen (marktabhängigen) Redaktionen zu, was oftmals eine Reduzierung von personellen und finanziellen Ressourcen zur Folge hat. Die Gehälter von Journalisten sind recht niedrig und es stehen nur begrenzt Mittel zur Verfügung, um Spesen zu bezahlen.
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„‚Ein junger Journalist verdient ungefähr 3 000 Yuan (rund 300 Euro), mit mehr Erfahrung können es dann zwischen 3 000 und 5 000 Yuan werden’, berichtet Karen Li, Account Managerin bei The Hoffmann Agency.“ (Wittwer 2007, S. 87)
Spezialisierung: Die hohe Fluktuation und geringen personellen Ressourcen stehen einer Spezialisierung von Journalisten – vor allem in allgemeinen Publikationen – entgegen. Anreizsysteme/Wettbewerb: In der Vergangenheit entschied weniger die journalistische Qualität als die politische Konformität über Karrierechancen im chinesischen Journalismus. Dies hat sich mit der Kommerzialisierung der Medien und damit neuen Wettbewerbssituation zwar ein wenig verändert, jedoch sind die alten Denkstrukturen sowie mangelnde Anreizsysteme für journalistische Leistungen nach wie vor weit verbreitet. Ein deutscher PR-Experte analysierte das wenig aggressive Verhalten chinesischer Journalisten wie folgt: „Das liegt daran, dass die chinesischen Journalisten kein Interesse daran haben. Die werden, wie gesagt, ein chinesischer Journalist, dessen Karriere läuft nicht dadurch, dass er irgendwie eine gute Geschichte schreibt oder einen besonders langen Artikel macht, sondern da gibt es andere, dahinter liegende Gründe, warum Journalisten in China Karriere machen. […] Schlecht ausgebildet sind die auch. Aber, das glaube ich, ist nicht der Grund dafür.“ – JK: „Sondern die Anreizsysteme dahinter?“ – „Ja. Ja, genau.“ (Interview Nr. 4) “The Chinese aren’t as competitive as the westerners. […] Like AP, Bloomberg, Reuters, dpa – all compete who is the fastest of all the wires. And, I mean, they are brutal. I mean, they smell a story and they are all over you. […] The first one out moves the market and they get very awarded for that.” (Interview Nr. 9) “I think that more and more media will find the environment that they operate in more competitive. They have to get a good story, the journalists, because otherwise people won’t buy the newspaper.” (Interview Nr. 42)
Bestehende Erwartungen/Erfahrungen mit PR: Um einen Eindruck zu gewinnen, welche Erfahrungen chinesische Journalisten mit einheimischen PR-Akteuren einheimischer Unternehmen haben, kann auf die Erkenntnisse der international vergleichenden PR-Forschung zurückgegriffen werden, in der es einige Auseinandersetzungen mit der gängigen, einheimischen PR-Praxis in China gibt. Diese weisen auf einen zentralen Unterschied des chinesischen PR-Verständnisses im Vergleich zum westlichen Konzept hin, nämlich die starke Betonung des Beziehungsaspektes: Guanxi (vgl. Sriramesh 2004, Chen/Culbertson 2003, 1996, Cheng et al. 2001, Huang 2000, Chen 1996). In ihrer Zusammenfassung schreibt Chen: “As to whether Chinese public relations differs from Western public relations, the data suggests a resounding yes. […] Interestingly, respondents placed high emphasis on guest relations among Chinese practitioners, especially lower level ones. Given that Chinese culture tends to mix personal and public relations, and personal relations are central to the culture, the saliency of relationship building – guanxi – seems inevitable.” (Chen 1996, S. 150)
Während in der westlichen PR zunächst die Kommunikation via Massenmedien (one-wayKommunikation) dominierte und sich erst später das Ideal interpersonaler (symmetrischer two-way) Kommunikation entwickelte, stand diese in der chinesischen PR zunächst im Vordergrund, bevor sich auch hier – mit einer Veränderung des Mediensystems – die klas-
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sische Medienarbeit entwickelte. In den letzten Jahren verbreitete sich das ‚westliche PRKonzept’ in China. Viele chinesische Universitäten und Verbände bilden PR-Aus- und Fortbildungen an, deren Studieninhalte vor allem aus den USA kommen. Dennoch stimmten die interviewten chinesischen und deutschen PR-Akteure in China darin überein, dass Chinesen nach wie vor ein anderes, stärker beziehungsorientiertes PR-Verständnis haben: JK: „Wie verstehen die Chinesen PR?“ – „Es wird als lukrative Branche wahrgenommen, gilt als attraktiver Arbeitsplatz mit vielen Aufstiegschancen. Ansonsten passt es, glaube ich, in das chinesische Verständnis von einer Hand wäscht die andere bzw. sich gegenseitig Nutzen bieten, und ist dementsprechend ein ganz normales Tool oder ein ganz normales Vehikel, um Informationen auszutauschen.“ – JK: „Es geht also immer um Guanxi?“ – „Ja.“ (Interview Nr. 22) JK: „Glauben Sie, dass Chinesen ein anderes Verständnis von PR haben als Deutsche?“ – „JA! Dadurch, dass die ja jahrelang überhaupt keinen Zugang zu Medien hatten, also nicht in dem Sinne. Es war ja bis vor ein paar Jahren noch Pflicht, das Parteimagazin zu abonnieren, zu lesen, und dort auch, für die Journalisten in diesem Magazin zu schreiben und ich glaube einfach, dass sich diese ganze Medienlandschaft, wie wir das kennen, wie sich das über Jahrzehnte entwickelt hat, Massenmedien, Massenkommunikation, das kommt jetzt ja erst alles hier. Und die lernen diese Medien zu nutzen, sich zu informieren. Aber das Verständnis ist aufgrund der Geschichte, der chinesischen, ganz anders als bei uns. […] Ich glaube, es kommt langsam, in der jungen Generation, dass die auch dieses Mittel zu nutzen wissen und so weiter. Aber bei den älteren Generationen, glaube ich, war das immer nur ein Kontrollorgan oder ein Propagandainstrument und die stehen den Medien, denke ich mal, eher distanziert gegenüber.“ (Interview Nr. 6)
Einen offiziellen Ethikkodex für PR, wie etwa den Code d’Athènes oder den Code de Lisboa (vgl. zu einer Übersicht Bentele 2005b, S. 567), gibt es in China nicht. Lediglich verpflichteten sich 1995 einige internationale PR-Agenturen in China zur Einhaltung gewisser ethischer Standards und Verhaltensregeln (vgl. Bussecker 2003, S. 39, Kapitel 13.11.4). 10.5.6.2
Journalistische Handlungs- und Verarbeitungsroutinen
Vor dem Hintergrund mangelnder Demokratie, unterdrückter Presse- und Meinungsfreiheit und einer kaum gewachsenen Pressekultur, die lange Zeit auf Wiedergabe von Inhalten statt auf eigene Recherchen ausgerichtet war und ethische Standards vermissen lässt, der allgemeinen Harmonieorientierung der chinesischen Kultur, in der die direkte und öffentliche Ansprache von kontroversen und kritischen Themen vermieden wird, eines Bildungssystems, das auf Auswendiglernen und weniger auf eigenständisches, kritisches Denken abstellt, vieler relativ junger Journalisten mit einer tendenziell geringen Allgemeinbildung und geringen Branchenerfahrungen und Fachkenntnissen, an die hohe Lernerfordernisse gestellt werden, steigenden Kostendrucks in den Redaktionen, verbunden mit Reduzierungen finanzieller und personeller Ressourcen, hoher Fluktuation in den Redaktionen, die einer Spezialisierung von Journalisten entgegen steht sowie
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geringer Anreizsysteme in den Redaktionen, die traditionell weniger gute Geschichten und tiefe Recherchen als politische Konformität belohnen und in denen überwiegend – noch immer – ein relativ geringer (jedoch zunehmender) Wettbewerb besteht, sowie eines anderen, stärker beziehungsorientierten PR-Verständnisses,
kann es nicht verwundern, dass sich Handlungs- und Verarbeitungsroutinen chinesischer Journalisten von westlichen Journalisten unterscheiden. Bandbreite journalistischer Professionalität: Die Bandbreite journalistischer Fähigkeiten und Fertigkeiten wird in China wesentlich breiter beschrieben als in Deutschland. “Good or not: There are some professional journalists. There are some not. We meet quite many different types.” (Interview Nr. 30)
Unterschiede bestehen sowohl regional als auch in verschiedenen Publikationstypen. Am professionellsten wurden Journalisten in Peking, Shanghai und Guangzhou beschrieben, während Journalisten auf dem Land als am wenigsten professionell beurteilt wurden270. Die Kenntnisse und Fähigkeiten von Journalisten der Wirtschaftspresse und Fachmedien werden – wie auch in Deutschland – im Vergleich zu ihren Kollegen in allgemeinen Publikationen für Wirtschaftsthemen als höher eingestuft. Die Befragung zeigte zudem, dass die Professionalität chinesischer Journalisten von PR-Akteuren in großen Konzernen/DAX30Unternehmen höher eingeschätzt wird, als von kleineren Großunternehmen. Journalisten, die über die für die chinesische Wirtschaftspolitik strategisch wichtigen Konzerne berichten, verfügen demnach über höhere Kompetenzen als Journalisten, die für weniger relevante Unternehmen berichten. Politische Konformität: Da chinesische Journalisten selbst für die ‚politische Korrektheit’ ihrer Berichte einstehen müssen, lässt sich die Vorsicht verstehen, mit der Chinesen bei ihren Veröffentlichungen vorgehen. Auf einem Workshop auf der ICA-Conference 2006 in Dresden beschrieb die chinesische Referentin die Selbstzensur ihrer Landsleute wie folgt271: “It’s in our heads! […] People have taken censorship as a matter of fact.“
Politische Konformität spielt in der chinesischen Medienwelt eine wichtige Rolle. Auch wenn Wirtschaftsjournalisten in ihrem Wirken wesentlich freier als Politikjournalisten sind, müssen sie stets darauf achten, nichts zu schreiben, was gegen die Regierungs-/Parteilinie oder politische Führungspersönlichkeiten ausgelegt werden kann. „Ich würde mal sagen, dass die Journalisten hier einmal sehr hörig sind, obrigkeitshörig. Ja. Also, daher, dass eben alle Medien – selbst Shanghai Daily, China Daily – die sind ja alle irgendwie im staatlichen Besitz. Und werden dementsprechend auch kontrolliert und das, was geschrieben wird, selbst wenn man ausländische Journalisten hat, wird kontrolliert. […] Also, ich habe mir noch aufgeschrieben: Censorship, Kontrolle, keine Pressefreiheit, Partei und Staat kontrollieren alles. […] Politics are everywhere.“ (Interview Nr. 6)
270 Auch in Deutschland ist ein Journalist der ‚Märkischen Allgemeine’ womöglich weniger professionell als ein Journalist der F.A.Z. – allerdings dürften die Unterschiede in China ungleich größer sein. 271 ICA (International Communication Association) Konferenz 2006, Dresden: Session ‘China’s media in transition’, Mittwoch, 21.06.07, 10.30-11.45.
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“Chinese are frustrated sometimes. You know, they have journalistic instincts. They want to cover a real story. But whether it’s a scandal or it involves remotely someone of government, they are forbidden to write. And so they sometimes feel constraint. So they get a lot of directions and so.” (Interview Nr. 9)
In Anbetracht der vielen ‚Handicaps’, denen ein chinesischer Journalist ausgesetzt ist, ist es fragwürdig, ob es in China überhaupt einen kritisch-investigativen, kreativen Journalismus, wie wir ihn in Deutschland idealisieren272, geben kann. Tatsächlich orientierten sich die meisten Befragten, wenn es darum ging, die Professionalität von Journalisten in China zu beurteilen, an dem Ideal des investigativen Journalismus der westlichen Welt. Nach den meisten Beobachtungen, ist ein kritisch-investigatives Vorgehen in China eher die Ausnahme. Ein langjähriger PR-Profi in China, der nebentätig auch an der School of Journalism der Tsingua Universität in Peking unterrichtet, erzählt von seinen Studenten: „Na, hier in China, da ist das halt so: Die kriegen eine Pressemeldung und die schreiben alle, was in der Pressemeldung steht. Ich sage denen: ‚Sie müssen ein wenig skeptischer sein. Wenn Sie ein guter Journalist sein wollen, müssen Sie mehr Fragen stellen und Sie müssen… Also, das gilt auf beiden Seiten: Wenn Sie etwas hören oder so, dann müssen Sie es x-mal bestätigen, bevor Sie bei jemandem was ankreiden. Sie müssen prüfen ob das stimmt oder nicht stimmt. Also, das wäre ein Fehler, wenn Sie einfach sagen, das hat mir jemand erzählt.’“ (Interview Nr. 2)
Die befragten Interviewpartner teilen diese Beobachtung. So lassen sich (bei aller Vorsicht, hinsichtlich der großen Bandbreite Verallgemeinerungen vorzunehmen) einige typische Äußerungen über das Verhalten chinesischer Journalisten im Vergleich zu Journalisten in Deutschland ausmachen. Demnach werden chinesische Journalisten tendenziell als 1. 2. 3.
weniger aggressiv und eher kooperativ, weniger kritisch und hinterfragend und weniger investigativ beschrieben.
1) Weniger aggressiv – eher kooperativ: Chinesische Journalisten wurden im Vergleich zu ihren deutschen Kollegen als durchaus neugierig aber weniger aggressiv und stärker kooperativ beschrieben. Die Befragten äußerten, dass sich chinesische Journalisten oftmals erstaunlich gut auf Pressekonferenzen und Interviews vorbereiten und darüber hinaus eine hohe Lernbereitschaft an den Tag legen273. Dabei begegnen sie Unternehmen vergleichsweise wohlwollend und vermeiden tendenziell kritische Äußerungen und Konfrontationen. Es besteht die Befürchtung, durch eine Konfrontation die Beziehung zum Unternehmen bzw. zu den PR-Akteuren zu gefährden – eine Sorge, die man in Deutschland weniger hat. „Die sind eigentlich immer gut vorbereitet, das finde ich immer beeindruckend. […] Das heißt, dass sie auf Webseiten recherchiert haben und sagen: ‚Wie ist das den eigentlich mit ihrem Werk in blablabla, das haben Sie doch vor drei Jahren eröffnet, was machen Sie denn da?’“ (Interview Nr. 22)
272 Vgl. kritisch zum Stand des investigativen Journalismus in Deutschland u.a. Weischenberg et al. 1994, Arbeiten der Netzwerkrecherche 2007, Hielscher 2007. 273 Zumindest im B-to-B-Bereich. Im B-to-C-Bereich ist dies den Befragten zufolge weniger der Fall.
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„Journalisten sind zahmer, sagen wir mal zurückhaltender, als der durchschnittliche westliche Journalist.“ (Interview Nr. 1) Eine deutsche Journalistin vor Ort berichtet: „Ich war auf einer Pressekonferenz und wollte eine Frage stellen und bat meine Dolmetscherin, die Frage zu übersetzen. Und da sagt sie: ‚Nein, das kannst du nicht fragen!’ Diese Frage würde nicht erwartet werden und würde daher nicht passend sein. Da würde ich es mir ja mit zukünftigen Einladungen verscherzen. […] Das Interesse an einem guten Verhältnis zum Unternehmen ist den Journalisten wichtiger als eine gute Geschichte. Die denken, dass die Unternehmen nur dann wieder mit ihnen kooperieren, wenn Sie im Sinne des Unternehmens schreiben. Die wissen ganz genau, dass sie für ein Unternehmen PR machen und nicht darüber berichten.“ (Interview Nr. 23)
2) Weniger kritisch/hinterfragend: Zu einem harmonischen Umgang gehört für chinesische Journalisten offenbar nicht nur die tendenzielle Vermeidung von Angriffen, sondern auch grundsätzlich von Hinterfragungen. So beobachteten die Befragten, dass chinesische Journalisten mit vom Unternehmen zur Verfügung gestellten Informationen tendenziell weniger kritisch umgehen und diese eher ungeprüft zu übernehmen geneigt sind als dies in Deutschland der Fall ist. Selbstständige, kreative Erweiterungen bleiben oftmals aus. „Also bei vielen, wo man einfach erschüttert ist. Da wird aufgesaugt, ganz schnell, und dann wird wiedergegeben, wiedergegeben, wiedergegeben.“ (Interview Nr. 6) JK: “And do they double-check facts? […] If you said, ‘We are the number one’, for example?” – „Nope.” (Interview Nr. 36) „Der muss ja jeden Tag seine Zeitung füllen, der arme Kerl [...]. Am besten ist es, Sie schreiben alles vor. Also hier ist es sowieso so. Daheim ist es ja ganz sicher, dass die Journalisten sagen, sie müssen alles selber überprüft haben und so weiter. Glaube ich das oder ist das nur Propaganda? Hier ist das so, dass die sagen ‚Wunderbar, Dankeschön’ und genauso finden Sie es dann in der Zeitung.“ (Interview Nr. 14)
So werden Pressemitteilungen nach Einschätzung der Befragten in China tendenziell häufiger inhaltlich und im Wortlaut übernommen als in Deutschland. Dies gilt besonders für den Online-Bereich, allgemeine Publikationen und weniger reife Wirtschaftsmedien. JK: „Und wie wahrscheinlich ist es, dass die Message tatsächlich so vermittelt wird, wie ich sie kommunizieren möchte?“ – „HOCH! Höher als bei uns würde ich sagen. Also, die Redaktionen sind jetzt auch nicht gerade überbesetzt. Da gibt es zwar viele Leute, aber die Wahrscheinlichkeit, dass sie übernommen wird, ist höher als bei uns.“ (Interview Nr. 22) JK: „Und man hält sich an das, was herausgegeben wurde, oder kommen da noch Nachfragen?“ – „Wenig, sehr wenig. Also, in Deutschland oder in den USA habe ich früher immer eine ganze Menge Rückfragen gehabt, weil die Journalisten da den Text mehr umschreiben. Hier wird 1:1 eher übernommen. […] Ich spekuliere jetzt mal. Ich glaube, das kommt auch aus der chinesischen Kultur, dass die Partei irgendwie Sachen ’rausgegeben hat und dann wird dann halt das Parteiwort gedruckt. Diese Mentalität ist eingebrannt. Daher wird dann, was eine Firma sagt, auch so wiedergegeben. Es wird auch nicht ergänzt mit irgendwas. In Deutschland wird das dann ergänzt um Hintergrundrecherchen oder einem Kommentar zum Markt oder so was. [...] Den Eindruck habe ich hier nicht. Sondern nur ein eins zu eins Abdruck.“ (Interview Nr. 10)
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JK: „Recherchieren die zusätzlich noch was dazu?“ – „Manchmal schon. Ich habe schon erlebt, dass die akribisch irgendwelche Zahlen abgeschrieben haben aus dem Internet. Aber ich denke, das ist alles VIEL rudimentärer als wir das aus Europa kennen. Das ist alles noch viel mit der Hand am Arm und mit der kalten Nadel gestrickt, also sehr, sehr rudimentär finde ich. […] Das ist noch ziemlich am entwickeln. Ich habe auch nicht das Gefühl, dass diese Editors oder diese Leute hier eine richtige Ausbildung haben oder dass sie ihr Handwerk gelernt hätten. Was man ja von deutschen Journalisten immerhin behaupten kann. Dass sie eine Ausbildung genossen haben. Aber ich glaube, dass das hier wirklich alles nicht der Fall ist. Die haben mal Englisch gelernt und dann können die ja per se alles. Aber das bringt nichts. Weil, das ist ja nichts in die Tiefe gehendes. Ich glaube, dass das fachlich nichts bringt.“ (Interview Nr. 13)
Einen weniger hinterfragenden, kritischen Umgang attestierten die Befragten chinesischen Journalisten vor allem auch in Umgang mit Quellen, so dass die Gefahr von Falschmeldungen auf Basis von Gerüchten höher als in Deutschland eingeschätzt wird (vgl. Kapitel 10.5.6.4). “There is still a lower standard in terms of sources. A lot of Chinese publications who have insiders. ‘Somebody close to the blablabla’ or ‘It is said’ or ‘We have heard’. Whereas in, you know, western PR, zum Beispiel, you know, they always want to quote somebody or, if they are not quoted, they explain why. There is a much higher standard in the western media in terms of sources. So here you get lot of fuzzy stuff, where I wonder, where does this come from. You get some journalists writing under fake by-lines. […] And it’s a slippery slope. I said, ‘You can’t talk to the guy on the street and ask him something – and quote him as an expert!’ So they might have pretty decent sources but it doesn’t reach the international standards. Whilst, like the New York Times, which I think is the international standard, they never quote anybody anonymously unless they can explain why.” (Interview Nr. 9) “Like they hear a good story, maybe some sort of a lie, maybe they just want it... And obviously, the trend of writing a dramaturgic story is becoming much higher.” (Interview Nr. 42)
3) Weniger investigativ: Chinesische Journalisten tendieren nach Einschätzung der Befragten also eher als ihre deutschen Kollegen dazu, Informationen von Unternehmen unkritisch und ohne weitere Recherchen zu übernehmen. Zudem sind sie tendenziell weniger auf der Suche nach der ‚exklusiven Enthüllungsstory’ und ‚bohren’ weniger nach, so dass der investigative Journalismus in China im Vergleich zu Deutschland als unterentwickelt beschrieben wird. „Aber, das ist jetzt nicht so kritischer Journalismus. Das ist mehr dieses Aufnehmen und vielleicht noch Verständnisfragen, aber das ist eher die Mentalität, die sind froh, dass sie einen Bericht haben. Das ist also nicht, dass kritisch hinterfragt wird.” – JK: „Also nicht, dass man wirklich etwas sucht?“ – „Nee, also da ist wirklich mehr das Bestreben zu erkennen, ein Blatt zu füllen. Die Journalisten sind froh, dass Sie ein Thema haben, über das sie berichten können und von daher ist das noch, also mit den Fragen, sehr unterentwickelt.“ (Interview Nr. 10) „Das Problem bei dem kritischen Journalismus hier in China ist, dass dieser kritische Journalismus manchmal, ähm, sagen wir mal, wie soll ich das sagen… – Im investigativen Journalismus in Deutschland, ja, je investigativer eine Geschichte ist, umso, sagen wir mal, hieb und stichfester muss sie sein.“ (Interview Nr. 4)
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„Das heißt, ich habe das Gefühl, oder, es hat sich bestätigt: Sie sind weniger investigativ als jetzt die Journalisten in Deutschland wären, beispielsweise. Die haben natürlich eine andere Denkweise.“ (Interview Nr. 6)
Dennoch gibt es – vor allem in stärker wettbewerbsorientierten Wirtschaftspublikationen – mittlerweile auch einige Journalisten, die sehr wohl ein wenig genauer hinschauen, kritische Fragen stellen und eigene Nachforschungen anstellen, so dass „sogar ein zaghafter investigativer Journalismus entstanden“ (Abels/Hein 2005, S. 38, vgl. auch Gui et al. 2004, S. 12) ist.
Deren Anteil hat in den letzten Jahren zugenommen und die Befragten gehen davon aus, dass dies auch weiterhin – wenn auch mittelfristig nicht in dem Ausmaß wie in Deutschland – der Trend sein wird. „Es ist besser geworden. Sie sind sicher mutiger geworden. Es gibt auch in den verschiedensten Medien… Die Medienlandschaft, die Zeitschriften haben sich auch verändert. Es gibt nicht nur, sagen wir mal, politische Blätter, die vornehmlich halt eben Dinge berichten, die irgendwo im Unternehmensbereich passieren, sondern es gibt auch durchaus Blätter, die halt ’rausgehen und Fragen stellen, die auch interessant zu lesen sind. Meine, eine meiner Lieblingspublikationen ist die 21st Century Business Herald [...]. Das war sozusagen mein erster Run mit einem investigativen Journalisten in China. Die haben mich Löcher in den Bauch gefragt, wo ich hinterher aus dem Interview ’rausgegangen bin und gedacht habe: ‚Uah, du bist aber auch eiskalt erhascht worden.’ Wo ich einfach nicht mit gerechnet hatte.” – JK: „Weil man es sonst immer eher harmlos gewöhnt ist?“ – „Ja, genau. […] Und das war auch das erste Mal, dass ich so Respekt hatte, vor so ‘nem Blatt. Die sind auch, die stehen im Rufe, mit die besten Berichte zu haben. […] Also, der investigative Journalismus ist noch in den Kinderschuhen. Es gibt ihn, es gibt immer mehr auch junge Journalisten.“ (Interview Nr. 1) “The level of questioning, the level of industry knowledge, the intuition of consequence. The sort of questions we are getting in media conferences now are very, very different sort of questions that we were getting former. And I think that’s driven by a couple things. We are starting to see a small number of journalists who are committed to the profession of journalism.” (Interview Nr. 45) “But then you have the really good guys who follow up and rise questions – and you see more of that.” – JK: “So this is improving?” – “Yeah. […] And having said this, there is a lot of young upcoming journalists, who are more and more aggressive. Who are chasing stories, business stories, different from political stories, where they can dig a little bit more, where they can be more critical.” (Interview Nr. 9)
Als Vorreiter eines kritisch-investigativen Wirtschaftsjournalismus gelten insbesondere Caijing und 21st Century Business Herald, als kritisch-liberale Wochenzeitungen gelten die Southern Weekend (Nanfang Zhoumo) sowie Beijing Youth Daily (Beijing Qing Nian Bao).
200
10 Strukturanalyse
Dass es bezüglich der Übernahme von PRMeldungen in China ein Umdenken gibt, macht auch folgende Anzeige deutlich, mit der eine chinesische Autozeitschrift im Internet wirbt:
Abbildung 45: Anzeige Automotive News China. 10.5.6.3
Paid News274
Ein aus westlicher Perspektive wenig erfreuliches Phänomen ist die in China nicht unübliche Praxis, für journalistische Leistungen und redaktionelle Inhalte zu bezahlen. „Nach Wegfall der ideologischen Kontrolle durch die Partei hat die Korruption in Form des bezahlten Journalismus auch in das Pressewesen Chinas Eingang gefunden.“ (Gui et al. 2004, S. 13, vgl. auch Lee 2002, S. 14)
Dabei kann zwischen der so genannten ‚Hongbao’-Praxis und ‚wirklicher Bezahlung’ von Journalisten bzw. die Abmachung von Deals mit Redaktionen unterschieden werden. “There are two different levels. It is accepted practice that you will reimburse journalists for transportation costs and provide a small sort of thing for, for…, you know, whatever. And there is a common practice, not undertaken by this firm, but there is a common practice in the industry that you pay for coverage.” (Interview Nr. 45)
Abbildung 46: ‚Hongbaos’. Quelle: Friese 2008, S. 19.
274 Der Begriff ‚Paid News’ stammt aus dem ‚China Media Project’ der Universität Hongkong (http://cmp. hku.hk), das sich intensiv mit der Bezahlung für journalistische Leistungen in China auseinandersetzt.
10.5 Handlungsregeln
201
Hongbaos/‚Fahrtkostenerstattungen’: ‚Hongbaos’ sind kleine rote Umschläge, die in China traditionell für Geldgeschenke – etwa zum chinesischen Neujahr – genutzt werden. Diese Umschläge werden jedoch auch verwendet, um chinesischen Journalisten finanzielle ‚Aufwandsentschädigungen’ oder ‚Fahrtkostenerstattungen’ zukommen zu lassen. Da chinesische Redaktionen in der Vergangenheit geringe finanzielle Mittel zur Verfügung stellten, um ihre Journalisten zu Pressekonferenzen (ein in China relativ neues, aus dem Westen importiertes Format) oder anderen Veranstaltungen zu schicken, übernahmen die einladenden Unternehmen die Fahrtkosten. Diese Praxis hat sich bis heute weitgehend gehalten und gilt auch für die Anreise zu Interviews275. “Also here, which is different: Chinese media get Hongbaos. Little red envelopes.” (Interview Nr. 9)
Die Umschläge werden den Journalisten in der Regel stillschweigend in den Pressemappen überreicht. Obwohl eine normale Taxifahrt in China selten mehr als 20 RMB (ca. 2 Euro) kostet, betragen die Hongbao-Zahlungen ein Vielfaches. In den Interviews wurden Summen zwischen 150 und 1.000 RMB (ca. 15 bis 100 Euro, wobei die am häufigsten genannten Summen zwischen 200 und 300 lagen) genannt276. Neben den Hongbaos erhalten chinesische Journalisten meist zusätzlich kleine, in der Regel firmenbezogene Geschenke. Dies ist auch in Deutschland üblich und hat in beiden Ländern nach Angaben der Befragten einen Wert von unter 30 Euro. Gekaufte Inhalte: Neben der weit verbreiteten Hongbao-Praxis berichteten einige Befragte zudem von der Möglichkeit, redaktionelle Inhalte tatsächlich kaufen zu können. „Dabei gelten einfache Regeln: Wer besser zahlt, hat die besseren Chancen.“ (Brauer 2005, S. 8)
In Deutschland besteht (ebenso wie in China) die Möglichkeit, redaktionelle Inhalte in Form von Advertorials zu kaufen. Diese sind in Deutschland in der Regel als solche (mehr oder weniger deutlich) gekennzeichnet, was in China nicht immer der Fall ist. Auch gibt es (in Deutschland wie in China) die Möglichkeit von Autorenartikel in der Fachpresse. Deals: Neben dem direkten Kauf von Inhalten können finanzielle Mittel auch indirekt fließen – nämlich über Deals, bei denen im Gegenzug für eine gute Berichterstattung Anzeigen geschaltet werden. Die deutsche Presse hat sich im Pressekodex (Ziffer 7) zur klaren Trennung von Werbung (Anzeigenschaltung) und Redaktion verpflichtet. Dies bedeutet zwar nicht, dass eine Verschränkung dieser Bereiche in Deutschland vollkommen ausgeschlossen ist, jedoch ist dies in Deutschland eher verpönt als in China, wo das Prinzip des Geben und Nehmens – unter dem Deckmantel von Guanxi – auch in diesem Kontext angewendet wird. Gerade der gestiegene Druck, finanziell eigenständig zu sein und überleben zu müssen, vermag einige Redaktionen dazu verleiten, Unternehmen ‚Deals’ vorzuschlagen.
275 Hiermit machte ich bereits vor der Abreise nach China erste Erfahrungen: Auf meine Interview-Anfrage an den chinesischen PR-Manager eines deutschen Unternehmens erhielt ich folgende Antwort: “Dear Ms. Klare, thanks for your email. I am glad of meeting you too. In order to avoid any misunderstanding, again I would like to be clear in advance: for such interview, no any pay or subsidy from my side.” 276 Dabei ist es nach Aussagen der Befragten egal, welchen Rank der Journalist hat oder welchem Medium er angehört.
202
10 Strukturanalyse
10.5.6.4
Falschmeldungen/Sensationsjournalismus
Die Gefahr von Falschmeldungen oder von öffentlichen Skandalierungen wird in China ebenfalls als unterschiedlich zu Deutschland wahrgenommen. Vorsätzliche Falschmeldungen/Erpressungen: Einige Befragte wiesen auf eine in China vorfindbare Praxis hin, Unternehmen mit Falschmeldungen zu erpressen, wenn Sie keine Zahlungen leisten und/oder Werbung schalten (vgl. hierzu Cody 2007). Dies wird in Deutschland als wesentlich unwahrscheinlicher eingeschätzt. „Nerven kosten unter anderem die ‚damaging articles’, also bewusst platzierte Negativ-Berichte über ausländische Unternehmen. ‚Immer wieder ruft ein Journalist einer Zeitung bei einem Unternehmen an und kündigt einen kritischen Artikel an. Damit soll dann zum Beispiel eine Anzeige erzwungen werden’, berichtet Burgess.“ (Wittwer 2007, S. 87)
Falschmeldungen aufgrund mangelnder Recherche/Quellenprüfung/fehlendem Wissen: Höher als das Risiko von vorsätzlichen Falschmeldungen wird allerdings die Gefahr eingeschätzt, dass es aufgrund mangelnder Quellenprüfung und/oder fehlender Erfahrungen und Kenntnisse der Journalisten zu Falschmeldungen kommt. Um sich im zunehmenden Wettbewerb mit einer spannenden Geschichte abzuheben, kommt es nach Aussage der Befragten nicht selten zur ungeprüften Publikation von Gerüchten und Verbreitung falscher Tatsachen (s.o.). JK: “Did it ever happen that they wrote something wrong about you?” – “Sometimes, yes. Because sometimes you get the feeling that people do not really understand the business.” (Interview Nr. 41)
Sensationsjournalismus: Falschmeldungen oder auch aufgebauschte Meldungen grassieren häufig im Rahmen des Sensationsjournalismus, der weniger nach Fakten als nach einer dramatischen, skandalträchtigen Geschichte sucht. Mit dem zunehmenden Wettbewerb in China und der wachsenden Freiheit, in Wirtschaftsthemen kritisch zu berichten, wächst auch der bisher wenig verbreitete Sensationsjournalismus in China. Besonders beliebt sind Geschichten um Privatpersonen, die sich von Unternehmen schlecht behandelt fühlen oder – im Endkonsumentenbereich – über Produktmängel klagen. Diese wenden sich gerne an die Presse, die hierfür zunehmend empfänglich ist. „Dazu kommt auch, dass dann in solchen Fällen dann sehr gerne von Leuten, die sich in irgendeiner Weise ungerecht behandelt fühlen, dass dann immer sehr schnell gesagt wird: ‚Wir rufen jetzt bei der Presse an’. Und die Presse funktioniert in der Richtung sehr gut. […] Man fürchtet die Presse schon, und zwar in Richtung Sensationspresse. Das ist also der Punkt wo man sagt: ‚Komm, wir müssen aufpassen, dass wir hier und da sauber dastehen.’ Weil, ruck zuck ruft eben eine Hausfrau bei der Presse an und beschwert sich über uns. Das kommt natürlich vor.“ (Interview Nr. 17) “Like we all know, in the west, the sensational news style. I think this is something that the Chinese media is now learning. The more sensational story, the more newspapers they will sell. And obviously, they can’t write sensational stories about government, so they will more likely try to write them about western companies.” (Interview Nr. 42)
10.5 Handlungsregeln
203
“You have changing revenue models for the publications, which means they are looking for more entertaining news.” […] – JK: “And are they going to be more critical?” – “Because that is entertaining.” (Interview Nr. 45)
Skandalierungen im Internet/Blogs und BBS-Seiten: Mit zunehmender Verbreitung des Internets nimmt zudem auch in China die Gefahr von ‚Angriffen aus dem Netz’ zu277. Chinesen nutzen Blogs und vor allem BBS-Seiten, um sich über Verbraucherthemen, Produkte und Marken auszutauschen und ihrem Unmut freien Lauf zu lassen. Dies betrifft vor allem Unternehmen mit Endkonsumentenprodukten, macht aber auch vor dem B-to-B-Bereich keinen halt. So stellt die Beobachtung relevanter Blogs und in China vor allem von BBSSeiten für Unternehmen eine zunehmende Herausforderung dar. “Internet is very strong. That means, some people might complain about some company in their personal, private blog. […] But who knows what will show up on personal, private blogs. Somebody will write something and it will get more and more clicks – and then it becomes a public issue. Then newspapers will pick it up and it will get bigger and bigger. That’s a crisis. You never expected that. As I said, today this is a web 2.0 time. That means, in this generation this is not about mass media. But some private. The blog will bring a lot of facts. Nobody knows about that. So you have to find a solution for those times.” (Interview Nr. 30)
Fehlendes Recht auf Gegendarstellung: Anders als in Deutschland können sich Unternehmen bei Falschmeldungen nicht auf ihr Recht auf Gegendarstellung berufen und sind somit rechtlich vor unzutreffenden öffentlichen Angriffen weitgehend ungeschützt. Wenn etwas publiziert wurde, ist es äußerst schwierig, auf offiziellem Wege dagegen anzugehen. “In China, you still do not have a media law. You have only civil law. If you want, you can sue them. [Er lacht.]“ (Interview Nr. 41) „Im Krisenfall stellen sich auch die chinesischen Behörden letztlich auf die Seite der nationalen Unternehmen: ‚Einen Konflikt, der über die Medien ausgetragen wird, können Sie einfach nicht gewinnen’, schärft Burgess ein. ‚Ein ausländisches Unternehmen und insbesondere die dort arbeitenden Expatriates verfügen niemals über das gewachsene Beziehungsnetz der Chinesen – ob sie nun in Unternehmen, Behörden oder Medien tätig sind.’“ (Wittwer 2007, S. 88)
10.5.7 Überblick Unterschiede Handlungsregeln Die identifizierten Unterschiede/Besonderheiten für Handlungsregeln in China im Vergleich zu Deutschland (in Klammern) lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Æ Religiöser/sozial-philosophischer Hintergrund Konfuzianismus als sozial-philosophischer Kontext (Philosophie des christlichen Abendlandes, Aufklärung)
277 Nach Heilmann (2004, S. 222) ist der überwiegende Anteil der Internetnutzer primär an BusinessInformationen und Unterhaltung interessiert.
204
10 Strukturanalyse
Lernkultur; Memorieren und Zitieren als oberste Lernziele, selbstständiges, kritisches Denken wenig gefördert (selbstständiges, kritisches, problemorientiertes Denken als oberste Lernziele, Belehrungskultur) Ausgeprägter Nationalstolz, Traditionsbewusstsein und Betonung des kulturellen Erbes (zurückhaltender Patriotismus)
Æ Erwartungen an Handlungen von Unternehmen Höhere Erwartungen an unternehmerisches Handeln ausländischer Unternehmen als an einheimische (grundsätzlich hohe Erwartungen an Unternehmen, unabhängig von Herkunftsland) Hohe Erwartung an ausländische Unternehmen, einen Beitrag für China zu leisten
Æ Handlungs-/Umgangsregeln in Kopräsenz Herausragende Bedeutung interpersonaler Kommunikation (Foren der Kopräsenz) (höhere Akzeptanz von schriftlicher/medialer Kommunikation) Kollektivismus/Konformität: Vermeidung öffentlich aufzufallen und Wir-Bewusstsein (Individualismus, Abhebung akzeptiert und erwünscht, Ich-Bewusstsein) Sehr hohe Beziehungsorientierung: Auch in beruflichen Kontexten ist Beziehungsebene wichtiger als Sachebene (Bemühung um Sachlichkeit, vor allem in beruflichen Kontexten) Herausstellung von Gemeinsamkeiten (Herkunft, Ausbildung etc.) für Beziehungsaufbau wichtiger (als in Deutschland) Betonung menschlicher Gefühle, Nähe und Verbundenheit auch im beruflichen Kontext akzeptiert und erwünscht (eher Bemühung um Distanz und Sachlichkeit in beruflichen Kontexten) Hohe Akzeptanz, Beziehungen einzusetzen, um Ziele zu erreichen (Ablehnung und negative Bewertung von Nepotismus; Ideal, Ziele durch eigene Leistung zu erreichen) Ausgeprägtes Streben, gegenseitigen Nutzen aus Beziehungen zu ziehen und systematisch Abhängigkeiten aufzubauen (Streben nach Unabhängigkeit) Referenzsystem (Mein Freund ist dein Freund) ausgeprägter/verpflichtender (als in Deutschland) Klare Abgrenzung zwischen Innen- und Außengruppe, Grenzziehung Wir-Ihr (Gleichbehandlungsgrundsatz, Grenzziehung Ich-Andere) Hohe Akzeptanz von Geschenken/Gefälligkeiten im beruflichen Kontext ohne diese als Korruption zu verstehen; hohe Korruption in China (vergleichsweise geringere Korruption und engere Akzeptanzgrenzen für Geschenke im beruflichen Kontext) Starke Harmonieorientierung, Vermeidung von offenen, direkten Angriffen und Konflikten, Achtung von Respekt und Wahrung von Gesicht aller Beteiligten (vor allem in Gruppensituationen) sehr wichtig; öffentliches Lob wichtiger (vergleichsweise offene und direkte Problemansprache/Kritikäußerung, Respekt für Durchsetzungskraft und Konfliktfähigkeit) Höhere Akzeptanz und Achtung von Hierarchie und Führungspersönlichkeiten (als in Deutschland) Bescheidenheitskonzept, Meidung von Eigenlob (Selbstpräsentation und Akzeptanz/Erwartung, eigene Leistungen herauszustellen) Erwartungen an Gastlichkeit/hohe Bedeutung gemeinsamer Erlebnisse (Essen) im beruflichen Kontext (vergleichsweise geringere Relevanz, Frequenz und Ausschweifung von Geschäftsessen)
10.5 Handlungsregeln
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(Æ Hintergrund für Journalismus in China) Geringeres Bewusstsein für journalistische Ideale und Ethik (journalistische Ideale über Jahrhunderte entwickelt: Freiheit, Unabhängigkeit, Integrität, Objektivität, kritisch-investigativer Journalismus) Geringere Allgemeinbildung und/oder Branchenkenntnisse von Journalisten (als in Deutschland) Steigender Kostendruck und hohe Fluktuation in Redaktionen (höhere personelle Stabilität in Redaktionen) Geringere fachliche Spezialisierung von Journalisten (vor allem in allgemeinen Publikationen) (als in Deutschland) (Noch) geringere Wettbewerbsorientierung der Journalisten und damit weniger Bemühungen, eine exklusive Geschichte zu bekommen (als in Deutschland)
Æ Journalistische Handlungs- und Verarbeitungsroutinen (in Abhängigkeit von der institutionellen Ordnung des Landes) Große Bandbreite journalistischer Professionalität (in der Stadt höher als auf dem Land; in Wirtschafts-/Fachmedien höher als in allgemeinen Publikationen) (konstanteres Professionalitätsniveau) Politische Konformität/Selbstzensur von Journalisten, Orientierung an politischer Leitlinie und Meidung von Kritik an Regierung, Parteilinie oder Führungspersönlichkeiten (freier Meinungsäußerung) Neugierige aber weniger aggressive, eher kooperative Journalisten (als in Deutschland) Höheres Interesse von Journalisten, mit PR-Akteuren eine gute Beziehung aufzubauen und zu pflegen (als in Deutschland) Hohe Bereitschaft, von PR-Akteuren zu lernen (Vorbehalte, Ratschläge von PR-Akteuren anzunehmen) Meidung von kritischen Fragen und Konfrontationen mit Unternehmen/PR-Akteuren, um Beziehung nicht zu verletzen (geringe Sorge von Journalisten, durch eine kritische Äußerung die Beziehung zum Unternehmen/PR-Akteur zu verletzen) Weniger kritischer Umgang mit/Hinterfragung von bereitgestellten Informationen durch Journalisten (als in Deutschland) Geringere Eigeninitiative, weniger Eigenrecherchen/kreative Ergänzungen (als in Deutschland) Weniger kritischer, prüfender Umgang mit Quellen und Gerüchten (als in Deutschland) Weniger investigatives Vorgehen (als in Deutschland) Hongbao-Praxis (Bezahlung von Journalisten für Teilnahme an Veranstaltungen) (starke Vorbehalte, Journalisten zu bezahlen; Kosten für die Teilnahme an Veranstaltungen werden nicht oder in der Regel nur für tatsächlich angefallene Kosten übernommen) Höhere Verbreitung/Akzeptanz redaktionelle Inhalte zu kaufen (starke Vorbehalte, für redaktionelle Inhalte zu bezahlen) Höhere Verbreitung von ‚Deals’ (Anzeigenschaltung für Inhalte) (als in Deutschland) Zunehmendes Angebot von Advertorials, die nicht immer als solche deklariert werden (Advertorials werden als solche deklariert) Höhere Gefahr von vorsätzlichen Falschmeldungen/Erpressungen (als in Deutschland)
206
10 Strukturanalyse
Höhere Gefahr von Falschmeldungen aufgrund mangelnder Recherche/Quellenprüfung/ fehlendem Wissen (als in Deutschland) Zunahme des Sensationsjournalismus (Sensationsjournalismus hat lange Tradition) Zunehmende Gefahr von Skandalierungen in Blogs und auf BBS-Seiten (ebenso in Deutschland) Kein Recht auf Gegendarstellung; Falschdarstellungen kann auf formalem Weg nicht/schwer entgegengewirkt werden (Recht auf Gegendarstellung)
Abbildung 47: (gesplittet): Überblick Unterschiede/Besonderheiten Handlungsregeln China-Deutschland. 10.6 Deutungsregeln Uns allen kommt manchmal etwas ganz und gar ‚Chinesisch’ vor. Sprich: Wir verstehen etwas nicht. Tatsächlich sind die chinesische Sprache und das chinesische Kommunikationsverhalten für Menschen aus dem westlichen, indo-germanischem Sprachraum sehr schwer verständlich und bereiten Ausländern in China große Schwierigkeiten. „Kommunikationsprobleme treten zwar überall auf, wo Menschen miteinander arbeiten, aber in China erlebten wir sie aufgrund der Kulturunterschiede und der sprachlichen Grenze in verschärfter Form.“ (Posth 2006, S. 128f)
10.6.1 Sprache Anstelle von Buchstaben gibt es im Chinesischen Schriftzeichen278: Bildzeichen und Symbole, die aus Radikalen und Appendices entstehen und meist mehrfache Interpretationen zulassen, so dass sich ihr Sinn nur aus dem Zusammenhang erschließt. Schriftzeichen enthalten keine phonetische Information, das heißt zwischen dem gesprochenen Laut und dem entsprechenden Schriftzeichen gibt es keinen Zusammenhang, so dass jedes Zeichen und jeder Ton einzeln gelernt werden muss. Insgesamt gibt es ca. 50.000 Schriftzeichen, wovon etwa 5.000 bis 10.000 häufig benutzt werden. Zusammengesetzt können sie vielfältige Bedeutungen haben. Die gesprochene Sprache ist monosyllabisch, das heißt sie besteht aus einsilbigen Grundbausteinen und ist auf nur etwas über 400 Silben beschränkt. Zur Unterscheidung der großen Anzahl gleich klingender Wörter bedient man sich unterschiedlichen Betonungen der Silben. Im heutigen Mandarin gibt es vier Tonhöhen279. Erschwerend kommt hinzu, dass in China viele regionale Akzente gesprochen werden, so dass Menschen, die aus unterschiedlichen Regionen stammen, oftmals nicht verbal miteinander kommunizieren können. Das einzig verbindende Element ist die Schriftsprache, so dass man in China häufig beobachten kann, wie Menschen im Gespräch Zeichen in die Luft, auf die Hand oder auf einen Zettel schreiben. Verständigung zu erzielen ist im Chinesischen alles andere als einfach. 278 Unter ‚Chinesisch’ wird die Sprache der Han-Chinesen verstanden, die häufig auch als Hochchinesisch oder Mandarin bezeichnet wird. Mandarin ist die offizielle Sprache der Volksrepublik. In Südchina wird Kantonesisch (das sogar neun Tonhöhen hat!) gesprochen. Daneben gibt es zahlreiche Dialekte. 279 Dies wird häufig am Beispiel der Silbe ma demonstriert, die, je nach Kontext und Betonung, bis zu 100 verschiedene Bedeutungen haben kann. Z.B.: mƗ = Mutter, má = Hanf, mă = Pferd, mà = schimpfen.
10.6 Deutungsregeln
207
„Bei uns versteht man sofort, was der andere will. Weil die Sprache einfach so einfach ist. Aber hier müssen Sie ja auch in der Sprache aufpassen, dem anderen das zu erklären, was Sie wollen. Wenn Sie mal Chinesen miteinander reden hören: Banalste Themen werden hier fünf Minuten lang diskutiert, auf die Hand geschrieben, mit historischen Ereignissen verglichen, wo das mal passiert ist, mit Bildern… Bis irgendwann mal ganz vage herausgefunden wird, um was es wirklich geht. Ich weiß nicht, haben Sie sich mal mit Chinesisch befasst? Das ist eine hoch unpräzise Sprache, wo jede Silbe allein schon fünfundzwanzig Bedeutungen haben kann. Und beide Wörter zusammen – deswegen das Problem beim Dolmetschen – die beiden Zeichen zusammen, die dann ein Wort bilden, im falschen Ton ausgesprochen, schon wieder eine andere Bedeutung annehmen. […] Und dann gibt es eben nicht diese logische Struktur der Kommunikation und in der Sprache, wo man eben sagt A plus B ist C. Man muss das A erst verstanden und das B erst verstanden haben, um überhaupt zu wissen, was da in dem C überhaupt enthalten sein könnte. Und dies zu vermitteln ist für eine chinesische Sprache sehr viel schwieriger als für uns. Weil es hier halt Bilder sind. Das ist ja kein Buchstaben-aneinander-reihen. Die haben zwar eine Struktur, aber das ist letztendlich ein Foto von dem Element, das sie gerade benutzen. Nur es ist ein vages Foto, weil es auch noch Töne hat und auch noch unterschiedliche Bedeutungen. Also, deswegen ist die Kommunikation ziemlich schwierig. Und dauert länger.“ (Interview Nr. 18) 280
Eine weitere Erschwernis sind die beiden existierenden Schriftformen Langschrift und die seit der Schriftreform 1955 gängige Kurzschrift:
Abbildung 48: Der Satz ‚Sprechen Sie Chinesisch?’ in Langschrift (oben) und Kurzschrift. Quelle: Friese 2008, S. 2. Chinesisch zu lernen stellt für indo-germanische Muttersprachler eine schwierige und langwierige Aufgabe dar, der sich nur wenige Expats stellen. In der Geschäftswelt werden die meisten Gespräche auf Englisch geführt, was wiederum für die Chinesen schwer zu lernen ist. „Das werden Sie sicherlich auch in den Gesprächen mitbekommen haben: Die Chinesen […] verfügen über ein teilweise hohes Niveau an schriftlichem Englisch. Also, dass sie sehr gut kommunizieren können per Email und Ihnen auch gut antworten schriftlich, aber wenn es dann zur Face-toFace-Kommunikation kommt, ist es teilweise, das Englisch, rudimentär.“ (Interview Nr. 6)
So ist es durchaus üblich, mit Dolmetschern zu arbeiten. Für Übersetzungen stellen Lakunen (fehlende Entsprechungen für Begriffe in verschiedenen Sprachen) ein Problem dar: 280 Ritter (1987) beschreibt ausführlich, wie viel Zeit Chinesen mit Interpretationen verbringen, um zu ergründen, was andere Chinesen vielleicht meinen könnten.
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10 Strukturanalyse
„Und bei vielen Begriffen, sowohl aus dem technischen wie aus dem kaufmännischen oder organisatorischen Bereich, gab es im chinesischen Sprachschatz gar keine Entsprechung – eine Folge der langen Isolation und Abgeschiedenheit des Landes.“ (Posth 2006, S. 120) „Die chinesische Sprache hat ja auch ihre Eigenheit – man diskutiert stundenlang über ein chinesisches Schriftzeichen, damit man weiß, was der andere meint. Und wenn es dann um Finanzbegriffe geht, muss man schon die richtigen Schriftzeichen nehmen, damit der Counterpart genau weiß, wo es hingeht.“ (Interview Nr. 20).
Abbildung 49: Chinesisch-Englische Schilder. ‚Westler’ können zudem häufig schwer nachvollziehen, wie ihre Aussagen übersetzt werden. „Wenn Sie hier herum fahren und die ganzen Schilder sehen, Sie sehen ja, dass die Chinesen das teilweise nicht so genau nehmen, was Rechtschreibung und überhaupt Übersetzung betrifft.“ (Interview Nr. 6)
10.6.2 Kommunikationsstil „Nachdem ich die vierte chinesische Rede gehört hatte, fiel mir die symbolträchtige Sprache und bildhafte Ausdrucksweise der Chinesen auf. Ich hörte etwas genauer hin und fragte mich, was mit den blumigen Worten und der bildhaften Ausdrucksweise wirklich gemeint sei. Im Verhältnis zu den Reden der Chinesen erschienen die Vorträge der Wolfsburger Mannschaft doch recht trocken und sachlich, wie wir Deutschen eben so sind. Mir dämmerte einmal mehr, dass in unserem Gemeinschaftsunternehmen zwei sehr verschiedene Welten aufeinander treffen. Im Laufe der Zeit lernte ich, dass die feierlichen Ansprachen, die die Chinesen bei solchen Gelegenheiten wie unserer Eröffnungsfeier halten, eine wichtige Rolle für die wechselseitige Verständigung spielen. Sie dienen keineswegs nur höflicher Begrüßung und erschöpfen sich nicht in bloßen Lippenbekenntnissen. Es empfiehlt sich, genau hinzuhören und zumindest zu versuchen, das Gesagte zu interpretieren, weil oft Grundsätzliches über den Stand der wechselseitigen Beziehungen zum Ausdruck gebracht wird.“ (Posth 2006, S. 29)
209
10.6 Deutungsregeln
„Allgemein ist die chinesische Sprache sehr bildhaft und überaus reich an lebendigen Metaphern.“ (Lin-Huber 2006, S. 107)
Der Kommunikationsstil der Chinesen unterscheidet sich deutlich von dem deutschen. Nach Hasenstab (1999, S. 166f) lassen sich Kommunikationsstile nach dem Grad der Direktheit (direkt – indirekt), dem Grad der Explizitheit (implizit – explizit) und dem Grad der verbalen Elaboriertheit (wortreich/blumig – wortkarg) unterscheiden. Chinesen bevorzugen einen indirekten, impliziten Kommunikationsstil unter Verwendung vieler Symbole, Metaphern, Allegorien und Gleichnissen. Demgegenüber bevorzugen Deutsche einen direkten, expliziten Stil. Chinesen sind es gewöhnt, Umstände geschickt zu umschreiben und zwischen den Zeilen zu lesen. Die taiwanesische Geschäftsführerin einer internationalen PR-Agentur in China berichtet, was sie vor einigen Jahren in einem interkulturellen Kommunikationsseminar in den USA unterrichtete: “This is the American way. Straight to the point.”
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“My experience with Germans is… Just like your questions. You are systematic, I know. This is the European way.”
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JK: “Everything has to be very systematic?” – “Yes. You start with research and then you go out there and in the end you reach to the final combination and this is the right point. […] Chinese usually: This is what we want.”
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Abbildung 50: US-amerikanischer, deutscher/europäischer und chinesischer Kommunikationsstil
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10 Strukturanalyse
“Never go to the point. […] So this is the three ways of communication I have seen. I think it is not applicable for everybody but it is a generalisation. Chinese or Japanese, they never go to the point. You have to guess between here and here, what exactly you are trying to say. That’s why there is a saying in Chinese: ‘There are words beneath words.’ You need to read between the lines, that’s what it’s all about in China.” (Interview Nr. 43; Abb. 50: US-amerikanischer, deutscher/europäischer und chinesischer Kommunikationsstil).
Viele andere Autoren weisen auf den Unterschied im Grad der Direktheit/Explizitheit hin: „Man kommt in China nicht ohne Umschweife zur Sache, genauso wenig ist es höflich, sich in Äußerungen hundertprozentig festzulegen, weil es als zu direkt gilt. […] Nichts ist fassbar in China. Alle reden in blumigen Andeutungen. Sich festzulegen, birgt die Gefahr, auf diesem Punkt auch festgenagelt zu werden.“ (Shi 2003, S. 73 und S. 133) „Die Deutschen mögen es klipp und klar. Die Chinesen mögen lieber Umwege. […] Es ist kaum vorstellbar, was dieser Haltungsunterschied für Folgen nach sich ziehen kann, […].“ (Posth 2006, S. 120) „In China werden Informationen eher implizit ausgedrückt, während in westlichen Kulturen eine explizite, direkte Ansprache der Dinge als Ideal gilt. Während man im Westen versucht, effizient ‚auf den Punkt’ zu kommen, tendieren Chinesen zu einer Umschreibung der Sachverhalte, ohne diese direkt zu benennen. Dies ist zum Teil auch der chinesischen Sprache geschuldet, der ein hohes Maß an Interpretationsspielraum immanent ist. In China muss vieles erst gar nicht ausgesprochen oder erklärt werden. […] Dem Zuhörer wird überlassen, das Unausgesprochene selbst zu interpretieren. Chinesen lernen von klein auf die Andeutungen und verschlüsselten Botschaften zu entschlüsseln. Sie entwickeln dafür ein sehr feines Sensorium. Was jemand sagt, ist nicht so wichtig; wichtig ist, was er damit meint.“ (Lin-Huber 2006, S. 54)
Die indirekte, implizite, ausschweifende chinesische Sprache wird von Deutschen oftmals als schwammig und unpräzise empfunden, während die direkte Kommunikation der Deutschen auf Chinesen sehr grob, unhöflich und beleidigend wirken kann. Auch wenn sich mittlerweile viele Chinesen an den direkten Kommunikationsstil der Westler gewöhnt haben und teilweise sogar im Arbeitsleben versuchen diesen zu übernehmen, empfinden sie ihn oftmals verletzend oder suchen in konkreten Aussagen nach versteckten Informationen bzw. wittern Andeutungen, wo keine sind. 10.6.3 Argumentationsstil/Rhetorische Mittel Traditionell zeichnet sich die Elite Chinas durch umfassende Kenntnisse der philosophischen und staatstheoretischen Schriften des chinesischen Altertums aus. Bis heute gehört es zum guten Stil und gilt als Zeichen guter Bildung, Idiome, Spruchweisen und Anspielungen aus den klassischen Werken zu zitieren. Ein wichtiges rhetorisches Mittel ist der Ausdruck der eigenen Meinung durch Rückbezug auf eine kollektiv anerkannte Weisheit281. Während in der abendländischen Philosophie besonders viel Wert auf Logik und eine geradlinig aufgebaute Argumentation gelegt wird (schon die alten Griechen erklärten dies zur Maxime des Denkens), ist dies in China weniger verankert. Bereits in den 1940er Jahren beschrieb 281 Wer kennt nicht Gung aus der Lindenstraße, der sich in kritischen Situationen stets auf Konfuzius beruft.
211
10.6 Deutungsregeln
die Ostasienkorrespondentin der F.A.Z. Lily Abegg in ihrem Buch ‚Ostasien denkt anders’ den Unterschied wie folgt (1949, S. 47f): Abendländisches Denken/Argumentation
Ziel oder Resultat
Æ Klare Entwicklung eines fortschreitenden, aufeinander aufbauenden Gedankengangs
Ostasiatisches Denken/Argumentation
Ziel oder Resultat
Æ Zunächst erscheint alles ungeordnet und richtungslos, erst nach einer bestimmten Zeit, ‚pirscht’ man sich an das Denkziel, Thema oder Resultat heran
Abbildung 51: Argumentationsstile in Deutschland und China. Eigene Darstellung. Auch hier spiegelt sich die Indirektheit des chinesischen Sprachstils wider. „Ein Europäer gerät in Verzweiflung, wenn er mit Chinesen kommuniziert. Denn er weiß dann nicht mehr genau, worum es sich handelt. Chinesen sind jedoch daran gewöhnt, sich beim Sprechen und bei der Argumentation nur allmählich dem zentralen Punkt zuzuwenden.“ (Kuhn et al. 2001, S. 234)
Zudem wird in der Literatur einer westlichen Detailorientierung eine eher pragmatische, ganzheitliche Perspektive der Ostasiaten/Chinesen gegenübergestellt282. 10.6.4 Kommunikation in Kopräsenz Aufgrund der Sprachbarriere und des unterschiedlichen Kommunikationsstils kommt es in deutsch-chinesischen Kommunikationssituationen häufig zu Missverständnissen. “Even if you think that you are talking about the same thing, you might find out that, in fact, you are not talking abut the same. That you are thinking in different ways, that you deal with problems differently. […] So that’s why I say: ‘Never think that you understood.’” (Interview Nr. 8)
Non-, para- und extra-verbale Kommunikation Weniger bewusst aber deswegen nicht weniger kritisch als die Sprachbarriere sind non-, para- und extra-verbalen Kommunikationsunterschiede zwischen Chinesen und Deutschen (vgl. Lin-Huber 2006, Kuhn et al. 2001, Knapp 1992). Deutschen fällt es in der Regel 282 In diesem Kontext wird westliches Denken als analytisch, asiatische Denken als synthetisch beschrieben (vgl. u.a. Granet 1985).
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10 Strukturanalyse
schwer, chinesische Gesichter zu deuten (gleiches gilt umgekehrt). Die Mimik und Körpersprache der Chinesen ist verhaltener (was dem chinesischen Ideal entspricht, sich seine Gefühle nicht anmerken zu lassen), so dass viele Deutsche die Gesichter der Chinesen als maskenhaft empfinden. Hinzu kommt das berühmte chinesische Lächeln, das China (nach einer Operette von Franz Lehár) auch den Beinamen ‚Land des Lächelns’ gab. Chinesen lachen nicht nur wenn sie fröhlich sind, sondern besonders auch wenn negative Emotionen wie Ärger, Verwirrung, Peinlichkeit oder Ratlosigkeit überspielt werden sollen. Ein Nicken bedeutet nicht (wie in Deutschland) Zustimmung, sondern lediglich, dass man verstanden wurde. Chinesen benutzen Hände wesentlich seltener, um Aussagen zu unterstreichen, so dass viele Chinesen vom Gestikulieren Deutscher irritiert sind. Direkte Blickkontakte werden, vor allem wenn einem etwas unangenehm ist, in China eher vermieden. Zudem gibt es non-verbale Lakunen. So ist etwa das Schulterzucken keine gebräuchliche Geste in China, die daher falsch interpretiert werden kann. Im Gegenzug wird das Schnalzen mit der Zunge (in China ein Zeichen der Anerkennung) von vielen Deutschen falsch eingeordnet. Auf para-verbaler Ebene ist zunächst die Stimmlage zu nennen. Diese sollte in China möglichst emotionsfrei sein. Pausen und Schweigen werden von Chinesen als weniger unangenehm empfunden als von Deutschen. Ein weiterer Unterschied besteht in der Verwendung von ‚Hörersignalen’ (vgl. Lin-Huber 2006, S. 127-129): Während westliche Zuhörer durch wiederholte ‚mmh-Laute’ signalisieren, dass sie dem Sprecher folgen, schweigen chinesische Zuhörer, was westliche Sprecher als irritierend empfinden können, da ihnen das gewohnte Feedback fehlt. Chinesen hingegen deuten das ‚mmh’ oftmals als Zweifel, Ungeduld, Desinteresse oder Arroganz. Wer das erste Mal in China ist, vermag sich über den Gegensatz zwischen der Zurückhaltung und betonten Höflichkeit der Chinesen einerseits und deren Toleranz für Lautstärke andererseits zu wundern. In chinesischen Restaurants herrscht ein enormer Lärmpegel, es wird ‚hemmungslos geschmatzt, gegrölt und gerotzt’. Auf extra-verbaler Ebene ist zu erwähnen, dass Chinesen und Deutsche über eine unterschiedliche Zeitauffassung verfügen. Hall unterscheidet zwischen monochronen und polychronen Kulturen. In monochronen Kulturen (Deutschland) wird sich Zeit als einzelner, horizontaler Zeitstrang vorgestellt, anhand dessen Termine im Voraus geplant und eingehalten werden. In Kulturen mit polychronem, zyklischem Zeitverständnis (China) wird hingegen flexibler mit Zeit umgegangen und die langfristige Planung von Terminen als weniger wichtig angesehen (vgl. Hall 1990, Levine 1999). „Die haben eine andere Lebensweise, eine sehr eigenartige Lebensweise, die auf der einen Seite heißt, komme ich heute nicht, komme ich morgen und auf der anderen Seite geht alles blitzartig.“ (Interview Nr. 25)
Diskursstil Der unterschiedliche Kommunikationsstil in China beeinflusst maßgeblich den chinesischen Diskursstil. Grundsätzlich werden Diskurse, Diskussionen und Debatten in China als weniger wichtig angesehen als in der westlichen Welt. Schon Lao Tse sagte: „Wer gut ist, disputiert nicht. Wer disputiert, ist nicht gut.“ (Lao Tse, Kapitel 81 in Übersetzung des Tao Te King von Debon 1961)
10.6 Deutungsregeln
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„Argumentative und konfrontierende Äußerungen sollen um jeden Preis vermieden werden. Während in der westlichen Rhetorik großer Wert auf argumentative Überzeugungstaktiken gelegt wird, ist diese Unerbittlichkeit beim Diskutieren den Chinesen fremd.“ (Lin-Huber 2006, S. 47)
Kommt es zu Diskussionen, sind Argumente weniger wichtig als Zitate und die eigene Überzeugung weniger wichtig als der gemeinschaftliche Konsens. Neben der Berufung auf Sprichwörter, ist es beliebt, Respektspersonen und Autoritäten zu zitieren283: „Es ist eine verbreitete Angewohnheit, mit Zitaten zu arbeiten, deren Botschaft einem selbst nicht abgenommen würde.“ (Himmelmann/Hungerbach 2005, S. 102) „Der Bedeutung der Wahrung des ‚positive face’ folgend, ist das Streben nach Übereinstimmung (Konsens) eines der auffälligsten Merkmale des chinesischen Diskursstils. ‚Gute’ Rhetorik im chinesischen Sinne ist nicht darauf ausgerichtet, den Gegner/Gesprächspartner aggressiv von der eigenen Meinung zu überzeugen, sie zielt vielmehr darauf ab, das Gesicht des anderen zu wahren und Konfrontationen zu vermeiden.“ (Nagels 1996, S. 72) „Nicht logische Begründungen stellen in der chinesischen Argumentation das wichtigste Prinzip dar, sondern Analogiebildung durch das Zitieren von anerkannten Autoritäten und allgemeingültigen Vorbildern.“ (Lin-Huber 2006, S. 109) „Wir hatten gelernt, die Äußerungen hoher Regierungsbeamter und führender Parteifunktionäre in unsere Argumente miteinzubeziehen […].“ (Posth 2006, S. 167)
Frontale Angriffe, direkte Konfrontationen sowie eine rhetorisch geschickte Argumentation sind nach chinesischer Auffassung kein Zeichen intellektueller Überlegenheit, sondern gelten als unhöflich und Zeichen schlechter Erziehung. Das Meiden von Konflikten und die Schaffung einer harmonischen Atmosphäre stellen das oberste Gebot dar. Kritik wird (wenn überhaupt) nur indirekt artikuliert oder über Dritte vermittelt, Überzeugungsarbeit eher unterschwellig geleistet. Auch weisen Studien auf eine höhere Bereitschaft der Chinesen hin, eigene Positionen im Sinne eines Kompromisses abzumildern (vgl. Nisbett 2000). Man vermeidet Verneinungen und negative Formulierungen, selbst wenn hierfür eine Lüge notwendig ist. Ein weiterer markanter Unterschied im Diskursstil der Chinesen ist die Anordnung von Themen im Gesprächsverlauf. Deutsche neigen dazu, ‚schnell zur Sache zu kommen’, d.h. nach eventuellen einleitenden Höflichkeitsfloskeln ihr Anliegen oder relevante Punkte gleich am Anfang anzusprechen, während Chinesen diese eher am Ende und beiläufig erwähnen. „Chinesische Sprecher präferieren, wichtige Informationen und die Hauptthese nicht gleich am Anfang sondern später oder erst am Ende der Ausführung zu präsentieren. […] Wenn einer ohne zuerst die Herzensfürsorge (guanxin) und Anteilnahme am Gegenüber auszudrücken, rasch zu seinem eigenen Anliegen kommt, wird dies als unkultiviert oder sogar egoistisch empfunden.“ (Shi 2003, S. 145)
283 Die Sprichwortkultur Chinas konnte bereits Günther (1993) in ihrer Gesprächsanalyse von Deutschen und Chinesen nachweisen. Chinesen verwendeten auffällig mehr sprichwörtliche Redensarten, vor allem dann, wenn sie ihre Aussage belegen wollten. Dies gilt teilweise sogar für wissenschaftliche Texte.
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„Man kann nicht mit der Tür ins Haus fallen. Immer so ein sanftes Tür aufstoßen.“ – JK: „Und wenn es wirklich sehr dringend ist?“ – „Dann muss man das auch machen. Sonst lassen die einen auflaufen.“ – JK: „Also man kann nicht sagen: ‚Du, ich würde mich jetzt gerne mit dir unterhalten, aber das ist wirklich dringend.’“ – „Nee. Würde ich hier in China niemals machen.“ (Interview Nr. 29)
In der chinesischen Gesprächsführung werden zunächst das gegenseitige Wohlwollen und die jeweiligen Interessen ausgelotet, bevor das eigentliche Thema angesprochen wird. Je wichtiger und ernster das Thema ist, desto mehr wird seine Einführung herausgezögert. Ist dies einem Deutschen nicht bewusst, besteht die Gefahr, dass er einen Chinesen mit der direkten Ansprache eines Themas überrumpelt oder der Chinese nicht erkennt, dass dies das zentrale Thema ist, da er ja davon ausgeht, dass das zentrale Thema erst im weiteren Verlauf der Unterhaltung, am Ende, angesprochen wird. Der Deutsche vermag sich hingegen die ganze Zeit zu wundern, was denn nun der Anlass des Treffens ist, und nicht zu realisieren, wenn am Ende des Gesprächs vom Gegenüber das zentrale Thema angesprochen wird. Unter Umständen entstehen bei den Gesprächspartnern so gänzlich andere Vorstellungen, was denn nun der Grund eines Gesprächs war. Zudem ist zu beachten, dass die unterbliebene Ansprache eines Themas nicht bedeutet, dass dieses Thema nicht relevant ist. Meist ist das Gegenteil der Fall: Genau hier gibt es Unstimmigkeiten. Abschließend ist auf den unterschiedlichen Humor der Deutschen und Chinesen hinzuweisen. Studien zeigen, dass Deutsche und Chinesen ein sehr unterschiedliches Humorverständnis haben. So lachten sie bei einem Charly Chaplin Film stets an unterschiedlichen Stellen (vgl. Schnorrenberger 2002, S. 181). Ironie und Sarkasmus sowie politische Pointierungen sind Chinesen fremd. Sie werden meist nicht verstanden und sind dringend zu vermeiden. Der chinesische Humor befasst sich hingegen oft mit Wortspielereien und Situationskomik (vgl. Lin-Huber 2006, S. 223-225). Inszenierung von Veranstaltungen Bescheidenheit gilt in China zwar für Individuen des Kollektivs, nicht jedoch für die Herrschenden. Um die eigene Stärke zu demonstrieren, inszenierten die Kaiser in China traditionell aufwendige Veranstaltungen. Dies wurde von der KPCh beibehalten (vgl. z.B. den Bericht zum Nationalen Volkskongress 2007, Aldenrath 2008) und prägt die Erwartungshaltung der Chinesen an öffentliche Veranstaltungen. 10.6.5 Gestaltungsregeln medialer/schriftlicher Kommunikation Kommunikative Unterschiede wirken sich auch auf die Gestaltung kontrollierter Medien aus. Zudem sind die Deutungsregeln des Mediensystems zu beachten. Aufbau von Texten Die schriftliche Kommunikation wird ebenfalls vom chinesischen Kommunikationsstil geprägt. So folgen chinesische Texte typischerweise einem anderen Aufbau als deutsche Texte. Während in Deutschland nach dem ‚Climax First’ Prinzip das Wichtigste tendenziell am Anfang steht, ist das in China umgekehrt: Nach einleitenden Ausschweifungen wird sich erst zum Ende des Textes an den relevanten Punkt herangepirscht.
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10.6 Deutungsregeln
“Well, we write it the western way. You know, the most important at the top, then somebody’s quote and things like that. It’s basically a triangle. The most important at the top.” (Interview Nr. 43) „Die Chinesen machen das umgekehrt. Die Deutschen, beim Lesen, die kommen ja nie unten an. Daher erfahren sie natürlich nie, um was es wirklich geht.“ (Interview Nr. 13)
Grafisch lässt sich dies wie folgt unterscheiden: Deutschland: ‚Climax First’ Prinzip: Das Wichtigste am Anfang
China: Das Wichtigste zum Schluss
Abbildung 52: Aufbau von Texten in Deutschland und China. Eigene Darstellung. Gestaltung medialer Kommunikation (Design/Layout) Neben inhaltlichen Unterschieden gibt es interkulturelle Unterschiede auf non- und paraverbaler Ebene der schriftlichen Kommunikation (vgl. Abb. 2). So bestehen für grafische Elemente, Layout, Formen und Farben, Typographie etc. in China unterschiedliche Vorlieben und ein anderes ästhetisches Empfinden. Chinesen mögen es gerne bunt, pompös, verspielt und aufwendig – was von Westlern häufig schon als kitschig empfunden wird. Bei der Verwendung von gestalterischen Elementen ist zudem der in China weit verbreitete Aberglaube zu beachten. Es gibt eine schier unüberschaubare Fülle an Symbolen, Glücksbringern und Glück bringenden Ritualen; viele Dinge werden doppeldeutig interpretiert. So sind etwa gerade Zahlen Glück verheißend und ungerade Zahlen unheilvoll284. Die Sonnenfarben rot, orange und gold signalisieren Glück und Freude, während weiß die Farbe der Trauer ist285. Fische stehen für Reichtum, ein Drache (der nach chinesischen Vorstellungen dem Universum das Leben einhauchte) ist ein Zeichen für Glück und Macht, der vor dem Bösen und Unglück bewahrt. Während der Tiger in der westlichen Kultur für Kraft und Ausdauer steht, steht er in China für Angst286. Die Ahnen werden verehrt und mit Opfern, wie etwa Höllengeld, bedacht. Zudem haben Namen eine besondere Bedeutung. Während Namen in Deutschland vor allem der Identifizierung von Personen und dem Anzeigen des Geschlechts dienen, ist ein Name in China immer mit konkreten Bedeutungen verbunden. So gibt es in China hunderte von Büchern, die sich mit dem ‚Schicksal’ von Namen beschäftigen. „Ein Name ist wie ein kleines Kunstwerk, und ‚Shu-fa’ (Kalligraphie) hat überall in Asien eine lange Tradition. Deshalb sollte ein Name ‚gut aussehen’ und ansprechend sein: Er hat eine ähnliche Funktion wie ein Logo oder ein Markenzeichen.“ (Schmitt/Pan 1995, S. 104) „Bei uns sind Namen halt nur Namen, hier haben sie alle eine Bedeutung, dass man darauf Rücksicht nehmen muss.“ (Interview Nr. 10)
284 Eine Ausnahme ist die Zahl 4, die ähnlich wie ‚Tod’ klingt. So muss man etwa für Telefonnummern, die eine 8 enthalten (8 steht für Glück), höhere Preise bezahlen als für Nummern mit einer 4. 285 Rot ist zwar eine Glücksfarbe, aber Namen dürfen niemals in rot geschrieben werden, da dies für zum Tode Verurteilte gilt. 286 Dies machte Esso, die traditionell mit einem Tiger werben, zu schaffen. Vgl. Halstenberg 1996, S. 235.
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10 Strukturanalyse
Das unterschiedliche ästhetische Empfinden zeigt sich beispielsweise bei der Betrachtung des Layouts chinesischer Internetseiten. Diese unterscheiden sich von typischen deutschen/westlichen Internetseiten deutlich im Hinblick auf die Textfülle und Verspieltheit. „Haben Sie sich mal ein paar Web-Seiten angeschaut? Da trifft dieses ‚Re Nao’287 irre zu. […] Da gibt es kein weiß, da gibt es nichts, was leer ist. Da gibt es keinen Weißraum, kein nichts. Und es gibt Bewegungen, also irgendein Teddybär wandert da von oben nach unten und alle dreißig Sekunden zückt der dann noch einen Blumenstrauß und weiß ich […]. Der Wahnsinn. Und alles muss quasi zum runterscrollen sofort da sein. Also, unvorstellbar finde ich. Aber das ist die Erwartungshaltung und die muss man dann im Zweifelsfall 288 auch bedienen.“ (Interview Nr. 22) „Vor allem schreiben Chinesen gerne Fließtext. Das ist sehr anstrengend. Chinesen lesen gerne Fließtexte. Schauen Sie sich mal chinesische Websites an. Text ohne Ende. Boah. […] Chinesen haben ein anderes Empfinden oder Erwartungen an Websites offensichtlich. Während bei uns ja schon fast nur noch Bilder sind, ein bisschen Text dazwischen, ist das in China eher… Die Bildchen sind so klein und da ist sehr viel Text.“ (Interview Nr. 27)
Dem unterschiedlichen ästhetischen Empfinden der Chinesen ist bei der Gestaltung schriftlicher Kommunikation – Broschüren, Internetseiten etc. – sowie bei der Dekoration von Veranstaltungen ebenso Rechnung zu tragen wie abergläubischen, symbolischen Besonderheiten. Abbildung 53: Beispiel einer chinesischen Internetseite (www.sohu.com). 10.6.6 Deutungsregeln des Mediensystems (Medienagenda/Themen/Frames) Deutungsregeln des Mediensystems betreffen vor allem die Frage der medialen Themenselektion, -einordnung und -evaluation. Nach Annahme der Nachrichtenwertforschung (vgl. Kapitel 6.3.3.1) haben Themen mit räumlicher, politischer und kultureller Nähe sowie mit zunehmender Betroffenheit der Leser zunehmende Chancen, Eingang im Mediensystem zu finden. Die Chance, für Kommunikationsinhalte Gehör zu erhalten, steigt zudem, wenn sie an Themen anknüpfen, die bereits auf der aktuellen gesellschaftlichen bzw. medialen Agenda stehen. Die Medienagenda wird in China – stärker als in Deutschland, wo die Me287 Re = heiß; Nao = laut. Vgl. Kapitel 13.9. 288 Die Befragte erzählt von einem Streit mit einem chinesischem Web-Designer: „Das hat mich graue Haare gekostet. Der wollte die Seite immer wieder vollknallen!“
10.6 Deutungsregeln
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dienagenda auch starken Einfluss auf die politische Agenda auszuüben vermag – weitgehend von der Politik/Partei bestimmt. “It is important to be aware that the news agenda may not be driven by readers, but by government policy and mandates.“ (Warren 2002, S. 31) „Die haben natürlich eine andere Denkweise. Das heißt, wenn abgefragt wird, in Interviews, läuft es immer mehr darauf hinaus, was passt jetzt zu den Themen, die auch dem Staat oder auch der Politik nützlich sind.“ (Interview Nr. 6) “The mainstream media follows directly the general policy of the government. That means, how can you predict their direction, is easy.” (Interview Nr. 35)
Themen auf der Regierungs-/Medienagenda (‚Großprojekt China’): Die rasanten Entwicklungen der letzten Jahrzehnte stellt die chinesische Regierung vor zahlreiche Aufgaben. Dabei zeichnet die Regierung das Bild von einem ‚neuen China’. Immer wieder wird die reiche, jahrtausendealte Kultur betont, das Ziel des Aufbaus einer ‚harmonischen Gesellschaft’ beschworen289 und der Anspruch unterstrichen, nach Jahren der Isolation wieder den China zustehenden Platz in der Welt als ‚Reich der Mitte’ einzunehmen. Viele Chinesen träumen den Traum vom neuen China mit. Der ehemalige Chef von VW China erinnert sich: „Mir imponierte das Jahrhundertwerk, das sich die Kommunistische Partei Chinas vorgenommen hatte […]. Wir Deutschen konnten uns nur schwer vorstellen, was der Marsch in die sozialistische Marktwirtschaft, zu dem China aufgebrochen war, für jeden einzelnen Chinesen bedeutete. Alles war plötzlich anders, vieles, an das die Chinesen gewöhnt waren, gehörte von einem Tag auf den anderen auf den Müllplatz der Geschichte. […] vielen Deutschen fehlte das Gespür für die Chinesen, für die Größe der Aufgabe, vor der sie standen und für den Einsatz, mit dem sie an sie herangingen.“ (Posth 2006, S. 15 und S. 56f)
Neben der Rückbesinnung auf Traditionen prägt das Streben nach innenpolitischer Stabilität die derzeitige Politik Chinas. Dies erfordert pragmatische, technokratische Problemlösungen für die Herausforderungen des rasanten Wandels. Hieraus ergeben sich die zentralen Themen der Regierungs- und damit Medienagenda (vgl. Himmelmann/Hungerbach 2005, S. 225-229):
Aufbau einer harmonischen Gesellschaft/soziale Gerechtigkeit: Verhinderung einer wirtschaftlichen Spaltung, Umgang mit der auseinanderklaffenden Entwicklung von Wirtschaft und Wohlstand in den städtischen Gebieten und auf dem Land, Bekämpfung der Armut auf dem Land und Aufbau von sozialen Sicherungssystemen Energie: Zunehmender Energiebedarf, schon heute ist China Netto-Importeur, so dass der Anstieg von Rohstoffpreisen China verwundbar macht; in vielen Regionen leidet die chinesische Industrie an Energie-Versorgungsengpässen Umwelt: Da der Energiebedarf überwiegend mit Kohle gedeckt wird und der Verkehr rasant zunimmt, kämpft China mit extremer Luftverschmutzung, mangelnde Umwelt-
289 Zuletzt explizit auf dem 17. Parteitag im Herbst 2007 sowie bei der Eröffnungsveranstaltung der Olympischen Spiele 2008, in der das chinesische Zeichen für ‚Harmonie’ immer wieder in Szene gesetzt wurde.
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10 Strukturanalyse
standards haben zu starken Verschmutzungen der Flüsse geführt, welche die Trinkwasserversorgung auf dem Land gefährden, Abholzungen führen zu Wüstenbildungen Gesundheit: Ausbau und qualitative Verbesserung des Gesundheitssystems Bildung: Verbesserung der Ausbildung Wachstum: Vermeidung der Überhitzung von Märkten Entwicklung der Binnenwirtschaft: Restrukturierung von Staatsunternehmen und Reform des Finanzsektors Bekämpfung der Korruption und Maßnahmen zur Sicherung geistigen Eigentums
Interesse an Wirtschafts-/Unternehmensthemen: Grundsätzlich besteht vor dem Hintergrund der boomenden Wirtschaft und aufgrund der Beschränkung der politischen Berichterstattung in den chinesischen Medien ein hohes Interesse an Wirtschafts- und Unternehmensthemen. „Also, das Interessante an der PR in China ist die Tatsache, dass Journalisten über bestimmte Themen nicht unbedingt berichten sollen, wollen, dürfen. Und dass es umso wahrscheinlicher ist, dass sie sich dann eben auch kommerziellen Themen widmen, weil sie sich da wesentlich freier bewegen können. Das ist das Positive daran.” (Interview Nr. 22)
Von ausländischen Unternehmen lernen: Eines der zentralen Ziele der Regierung ist es, eine Wirtschaft aufzubauen, die auf der Grundlage von ‚scientific management’ – ein Begriff, der sich auf die westliche Managementlehre bezieht – profitabel und international konkurrenzfähig agiert290. Chinesische Medien sind daher sehr an Fallstudien und Erfolgsgeschichten ausländischer Unternehmen interessiert, aus denen sie Strategien für einheimische Unternehmen ableiten. ”The reporters also monitor and report on situations to use as case studies for Chinese enterprises. […] Editors and reporters are particularly receptive to topics such as corporate culture and structure, management systems and how companies achieve success.” (Interview Nr. 44)
Beitrag für China: Einhergehend mit den Erwartungen der Chinesen an unternehmerisches Handeln ausländischer Unternehmen in China (vgl. Kapitel 10.5.4), beobachten chinesische Medien ausländische Unternehmen besonders bezüglich ihres Beitrages für China. Brendebach untersuchte in seiner Arbeit unter anderem die Frage, inwiefern die von ihm untersuchten chinesischen Medien Kritik an Unternehmen äußerten. Während dies 1992 noch kaum der Fall war, konnte er 2001 verschiedene Kritikäußerungen feststellen, die sich vor allem auf Korruptionsfälle, illegale wirtschaftliche Aktivitäten und Konsumthemen bezogen (vgl. Brendebach 2005, S. 76-80 und S. 96). Unternehmen stehen im Hinblick auf ihr Compliance291-gerechtes Verhalten demnach auch in China unter Beobachtung der Medien. Personalien: Grundsätzlich besteht aufgrund der hohen Beziehungs- und Hierarchieorientierung in China ein hohes Interesse an Unternehmenspersönlichkeiten.
290 Dieses Ziel wurde immer wieder von der Chinesischen Regierung (zuletzt in Hu Jintaos Bericht zum 17. Parteikongress im Oktober 2007, vgl. Xinhua 2007a) betont. 291 Der Begriff Compliance (engl.; dt: Komplianz) bezieht sich in der BWL auf die Einhaltung von Gesetzen, Richtlinien, freiwilligen Kodizes und ethisch-moralischen Regeln durch Unternehmen.
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Produktthemen: Neben Unternehmensthemen sind auch Produktthemen bzw. Themen des Verbraucherschutzes, welcher einer der am weitesten entwickelten demokratischen Institutionen Chinas ist (vgl. Interview Nr. 27292), äußerst populär. Sensationsjournalismus gegenüber ausländischen Unternehmen: Besonders ausländische Unternehmen sind beliebte ‚Opfer’ des zunehmenden chinesischen Sensationsjournalismus. Hier vermischt sich die Lust an Sensationen mit nationalistischen Tendenzen der Chinesen, Misstrauen gegenüber Ausländern und höheren Erwartungen an ausländische Unternehmen. Aufgrund der noch immer hohen Verflechtung der chinesischen Wirtschaft und Politik ist es für chinesische Journalisten zudem weniger gefährlich, ausländische Unternehmen anzugreifen als einheimische, über die tendenziell eher positiv berichtet wird. „Als besonders unterhaltend gilt es, ausländischen Unternehmen ‚am Zeug zu flicken’. Zugleich ist dies auch politisch geduldet, wenn nicht gar erwünscht. Kritisiert eine Zeitung ein Unternehmen, lenkt das vielleicht von Kritik an staatlichen Maßnahmen ab.“ (Brauer 2005, S. 7) „Grundsätzlich, denke ich, kann man sagen, dass, wenn ein chinesisches Medium investigativ über Unternehmen berichtet, bis auf wenige Ausnahmen, Caijing zum Beispiel, dann ist es sehr unwahrscheinlich, dass man sich mit einem Verriss auf ein chinesisches Unternehmen konzentriert. Sondern so ein Verriss kann relativ leicht auch mal über ein ausländisches Unternehmen erscheinen.“ (Interview Nr. 22) JK: „Haben es denn ausländische Unternehmen grundsätzlich leichter oder schwieriger in die Medien zu kommen als chinesische Unternehmen?“ – „In die Medien kommen generell nicht, aber positiv in die Medien zu kommen, haben es ausländische Unternehmen vielleicht schon schwieriger, weil es hier einfach einen ganz natürlichen Nationalismus gibt, der stark ausgeprägt ist. […] Chinesen sind extrem patriotisch.“ (Interview Nr. 4) “Honestly to say, Chinese companies, from the communication side, is more and more protected.” – JK: “Protected?” – “You need to understand the Chinese media landscape. […] China on the one hand is free news. But on the other hand, media are always controlled by government. […] For domestic companies, for larger domestic companies, if any negative news appears, which affects certain interests; there are ways to stop this. But for the foreign companies, you can make reports on what you like.” – JK: “So are they waiting for wrong steps of foreign companies?” – “Of course. Media is always chasing for highlights. New things.” – JK: “But since they cannot chase their own companies, they chase the foreigners?” – “Yes. Always. Of course.” (Interview Nr. 41)
292 Der Befragte schrieb zu diesem Thema seine Diplomarbeit.
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Abbildung 54: ‚Smashing day for Benz.’ Quelle: Spiegel online 2001. Das wohl bekannteste Beispiel einer Krisensituation durch den chinesischen Sensationsjournalismus gegenüber ausländischen Unternehmen ist Mercedes. Das spektakuläre Beispiel aus dem Jahr 2002 wurde in den Interviews immer wieder erwähnt: Nachdem die mehrfachen Beschwerden eines chinesischen Mercedes-Fahrers (Wang Cheng, Chef eines Wildtiergeheges in Wuhan) über Mängel an seinem Mercedes als ‚irrational’ zurückgewiesen wurden, initiierte der sich in seiner Würde verletzt fühlende Cheng ein Happening, das in ganz China verfolgt wurde. Zunächst ließ er, nach vorheriger Ankündigung im Internet, seinen 94.000 € teuren Wagen von einem Wasserbüffel durch die Stadt ziehen, pinselte auf die Scheiben der Edelkarosse „Tritt mich“ und ließ sie dann mit Vorschlaghämmern demolieren. Wenig später zeigte ein Freund seine Solidarität, indem er seinen 200.000 € teuren Mercedes (mit den Ausruf „Wir wollen mit Anstand und Würde behandelt werden“ und „Nie wieder kaufe ich einen Benz“) ebenfalls öffentlich zerstören ließ. Diesmal waren rund 60 Journalisten vor Ort, die in ganz China über das Spektakel berichteten (so berichtete etwa die englischsprachige China Daily vom ‚Smashing day for Benz’; vgl. Erling 2002). Der heutige Daimler China Kommunikations-Chef erinnert sich: “Well, it was kind of a strange topic. It was before my time here: A customer who was very unhappy. Who had very high expectations, who paid a lot of money for his Mercedes, expected it to be perfect. But the gas quality is so poor here. He used bad fuel and then it hurt the car. I
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mean, we can’t complain the poor fuel quality, we don’t blame Sinopec, the biggest state owned fuel provider, we don’t blame this shitty gas here. So we tried to reach out to this guy. In the meantime, he was also trying to popularize a little zoo he has; so he makes this big dish, smashes up his car, tons of media there, and it just... I mean, who can resist publishing this story.”– JK: “Well, it seems like everybody still knows it today.” – “Yes. And it’s... he was kind of a pioneer. Now a lot of people do that. And now it’s not big news anymore.”
Tabu-Themen: Mit der Liberalisierung der Medienindustrie gibt es heute weniger TabuThemen als in der Vergangenheit. Während in den 1980er Jahren max. 20% der Berichterstattung auf Probleme und negative Ereignisse innerhalb Chinas hinweisen durften, schreiben Zeitungen heute wesentlich häufiger über Probleme wie soziale Spannungen, Arbeitsbedingungen oder Umweltverschmutzungen (Gui et al. 2004, S. 12). Ein absolutes Tabu sind allerdings nach wie vor Themen, die den Führungsanspruch der KPCh und die nationale Integrität (Tibet, Taiwan, Hongkong, Xinjiang) betreffen, sowie Sex, Religion und Glücksspiel. Bei wichtigen Ereignissen gelten zudem nach wie vor die staatlichen Direktiven und Vorgaben von Xinhua. 10.6.7 Überblick Unterschiede Deutungsregeln Die identifizierten Unterschiede/Besonderheiten für Deutungsregeln in China im Vergleich zu Deutschland (in Klammern) lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Æ Sprache, Kommunikations- und Argumentationsstil Sehr hohe Sprachbarriere: Große Unterschiede zwischen der chinesischen und der deutschen/englischen Sprache Verständigung im Chinesischen schwerer zu erzielen (als im Deutschen) Chinesisch für Deutsche sehr schwer zu lernen, wenige Deutsche in China sprechen Chinesisch Viele Chinesen (Journalisten) sind in Englisch unsicher Durch lange Verschlossenheit Chinas und viele importierte westliche Konzepte fehlen im Chinesischen häufig entsprechende Wörter für deutsche/englische Begriffe (Lakunen) Arbeit mit Dolmetschern erhöht Gefahr von Missverständnissen Indirektheit (Direktheit) Implizite Kommunikation (explizite Kommunikation) Blumiger/ausschweifender Kommunikationsstil (klarer, wortkarger Kommunikationsstil) Ausdruck von Meinungen und Argumentation durch Rückbezug auf kollektiv anerkannte Weisheiten, Zitieren von Weisheiten als Zeichen guter Bildung (Ideal einer sachlichen, logischen Argumentation) Pragmatismus (ganzheitliche Betrachtungsweise) (hohe Detailorientierung)
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Æ Non-, para- und extra-verbale Kommunikation in Kopräsenz, Diskursstil Zahlreiche deutsch-chinesische Unterschiede auf non- und para-verbaler Kommunikationsebene Unterschiedliche Zeitauffassung: Kurzfristiger Planungshorizont und flexibler Umgang mit Zeit (langfristiger, wenig flexibler Planungshorizont) Anordnung von Themen im Gesprächsverlauf: Wichtiges am Ende (Wichtiges am Anfang) Humor: Wortspielereien und Situationskomik (Ironie, Sarkasmus und politische Pointierung) Aufwendigere Inszenierung von Veranstaltungen (als in Deutschland)
Æ Gestaltungsregeln medialer/schriftlicher Kommunikation Anordnung von Themen im Textverlauf: Wichtiges am Ende (Wichtiges am Anfang) Weit verbreiteter Aberglaube/große Bedeutung von Symbolik¸ Namen besonders wichtig und bedeutsam (weniger verbreiteter Aberglaube, Namen haben lediglich Identifizierungsfunktion) Unterschiedliches ästhetisches Empfinden (bunter, pompöser, voller) (als in Deutschland)
Æ Deutungsregeln des Mediensystems (Medienagenda/Themen/Frames) Bestimmung der Medienagenda durch die Regierung/Partei (Einfluss auf Medienagenda durch Redaktionen/Leser; auch Einfluss der Medienagenda auf die politische Agenda) Themen der Medienagenda: ‚Großprojekt China’ (Aufbau einer harmonischen Gesellschaft, Energie, Umwelt, Gesundheit, Bildung, Korruption) Hohes Interesse an lokalen Themen (China/Region) (höheres Interesse auch an internationalen Themen) Hohes Interesse an Wirtschafts- und Unternehmensthemen (zunehmend ähnlich wie in Deutschland) Hohes Interesse an Personalien (teilweise höher als in Deutschland) Chinesische Medien wollen von ausländischen Unternehmen lernen: Hohes Interesse an Fallstudien und Erfolgsgeschichten Beitrag ausländischer Unternehmen für China und CSR Themen zunehmend relevant Hohes Interesse an Produktthemen/Verbraucherschutz Hohe Empfänglichkeit der chinesischen Medien für Skandalgeschichten um ausländische Unternehmen Tabu-Themen in China: Politische Meinungen, die im Gegensatz zur Regierung stehen, Berichte über Probleme, die nicht auf der Agenda der Regierung stehen sowie Sex, Religion, Glücksspiel und die nationale Integrität (Taiwan/Tibet/Hongkong) (kaum Tabu-Themen)
Abbildung 55: (gesplittet): Überblick Unterschiede/Besonderheiten Deutungsregeln ChinaDeutschland.
11.1 Unternehmenstätigkeit in China und Bedeutung der PR vor Ort
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11 Organisation der Internationalen PR
Bevor sich der PR-Handlungsebene zugewendet wird, ist kurz ein Blick auf die Organisation der IPR deutscher Unternehmen in China zu werfen (vgl. Forschungsfragen 13-15). 11.1 Unternehmenstätigkeit in China und Bedeutung der PR vor Ort Die befragten Unternehmen waren bereits unterschiedlich lang in China tätig – einige seit vielen Jahrzehnten, der Hauptteil jedoch erst seit den 1980er/1990er Jahren. Alle Unternehmen beschrieben die Zusammenarbeit mit dem Mutterunternehmen in Deutschland als sehr intensiv, wiesen jedoch auch auf die hohen Lokalisierungsanforderungen des chinesischen Marktes hin. Für viele deutsche Unternehmen ist China ein strategischer Schlüsselmarkt, an den hohe Erwartungen gestellt werden. Dementsprechend räumen PR-Manager ihrer Arbeit in China einen hohen Stellenwert ein. “China is one of the growth markets and one of the strategy markets here, so you can see quite a lot Munich managers visit and all the reports should be send to Munich headquarters and they keep very close eyes on this China market.” (Interview Nr. 38)
Dabei interessiert nicht nur die Kommunikation vor Ort in China (die hier betrachtet wird), sondern auch die Informationen, die von China aus in die Welt gelangen. Denn das Interesse an China ist groß: “So much news coming out of China. International correspondents […] they are all here: dpa, F.A.Z., Handelsblatt, Wirtschaftswoche, Süddeutsche… Everybody is here. […] One of the factors for the journalists to come in is that this is the fastest growing market in the world. And everybody is watching. All eyes are on China.” (Interview Nr. 9) “So, my quote is: ‘Whatever happens in China that’s not staying in China anymore’. Like there is a quote in Vegas: ‘Whatever happens in Vegas, stays in Vegas’. That’s an advertising commercial for Vegas because you can do whatever creepy things in Vegas, nobody knows about it. But my quote is: ‘Whatever happens in China today that does not stay in China.’” (Interview Nr. 43)
Ein Grund, weshalb PR für Unternehmen in China als besonders wichtig eingeschätzt wird, ist das Misstrauen, das viele Chinesen Unbekannten grundsätzlich entgegenbringen. So empfiehlt die Geschäftsführerin einer internationalen PR-Agentur in Shanghai dringend, den Markteinstieg in China durch PR-Maßnahmen zu begleiten “This is in part related to the Chinese way of doing business. Traditionally, Chinese people hesitate to buy something from someone they do not know or have never heard of.” (Häntschel 2006, S. 19)
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11 Organisation der Internationalen PR
“Always start with PR. In China. I would definitely recommend. Get your story out. Get your name out, get some reputation build up. And then reinforce it with advertising. But of course, the advertising agencies will not agree with that. But more and more companies are taking this step. Which is good. Because you tell the story with PR. While you reinforce a brand with advertising. And then you get people to buy the promotions. And all that should be coming together. But I think that PR should be the number one. Because it takes a while to convince reporters to write about your story.” (Interview Nr. 43)
PR ist wichtig, um den hohen Informations- und Lernbedarf vieler Chinesen zu bedienen, der Entstehung von Gerüchten vorzubeugen und die Integration im Gastland zu fördern. „Information und Kommunikation, das sind die beiden wichtigsten Sachen, und wenn das nicht funktioniert, funktioniert gar nichts.“ (Interview Nr. 27) JK: “How important is Public Relations for your company?” – “Very much, very much. […] To do a good business, not only you have to produce your good products and solutions, but you have to have good relationships and you have to be on the same level with the community you are in. The country. You have to understand the country’s policies, the country’s agenda. And then, only after that, you can do your business better.” (Interview Nr. 33)
11.2 Internationale PR-Organisation Die Organisation von PR ist grundsätzlich so vielfältig wie die unternehmerischen Strategien und Zielsetzungen, die sie unterstützen soll. Zur Organisation der IPR in China lassen sich nur vorsichtig einige verallgemeinernde Aussagen über die Zusammenarbeit mit der Firmenzentrale in Deutschland, die personellen Ressourcen in China (inklusive der Aufgabenverteilung zwischen Deutschen/Expatriates und Chinesen) sowie die Zusammenarbeit mit internationalen und lokalen PR-Agenturen treffen. 11.2.1 Zusammenarbeit mit dem Mutterunternehmen in Deutschland Die Organisation der Internationalen PR im Allgemeinen und der PR in China im Speziellen erfolgt in den deutschen Mutterunternehmen sehr unterschiedlich. Während dies bei den befragten DAX30-Unternehmen und ähnlichen ‚Big Playern’ bereits sehr ausdifferenziert organisiert ist293, sind viele der etwas kleineren befragten Großunternehmen diesbezüglich noch in einer Aufbauphase (in Folge: kursive Zitate stammen von Befragten in Deutschland). „Wir beschäftigen uns viel zu sehr mit dem deutschen Markt und viel zu wenig mit dem internationalen Markt. Weil wir das bisher nicht gelernt haben. […] Wir sehen das sehr, sehr durch eine nationale Brille.“ (Interview Nr. 52)
293 Posth weist darauf hin, dass es Anfang der 1990er Jahre bei VW noch keine Abteilung oder Funktion für Internationale PR gab: „Als ich mich anlässlich meines nächsten Besuches in der Zentrale bei unserem KonzernPressechef Anton Konrad erkundigte, wie die Pressepolitik von Volkswagen für das Ausland aussähe, fragte er irritiert zurück: ‚Was? Pressepolitik für das Ausland? So etwas gibt es bei uns gar nicht.’“ (2006, S. 179).
11.2 Internationale PR-Organisation
225
Viele Unternehmen, die erst seit einiger Zeit in China sind, sind zudem zunächst mit den Herausforderungen der internen Kommunikation beschäftigt, so dass die externe Kommunikation oftmals noch in den Kinderschuhen steckt. In den befragten Unternehmen erfolgte die PR-Zusammenarbeit zwischen der Firmenzentrale und dem Tochterunternehmen mehrheitlich kooperativ durch inhaltliche und grafische Initiativen aus der Firmenzentrale, einem engen, institutionalisierten Austausch und relativ großen Handlungsfreiheiten der PRAkteure vor Ort. JK: “How closely do you work with headquarters in Germany?” – “Very close. Every day. We have global communications streamline. So we communicate on a daily basis. Sometimes they need China background information or any suggestions on the China market and we will give it to them. And if we have global events, we will cooperate with them for that.” – JK: “So it’s not that they are telling you what to do, it’s cooperation?” – “Yes, it’s cooperation.” (Interview Nr. 32)
Im Zentrum der inhaltlichen Abstimmung steht die globale ‚One-Voice-Policy’ während die grafische Abstimmung für ein einheitliches Corporate Design über Style Guides erfolgt. Die befragten Unternehmen befolgten also einen Mittelweg zwischen den beiden theoretischen Gegenpolen einer zentralisierten, standardisierten ‚globalen PR’ und einer dezentralisierten, vollkommen lokalisierten ‚Internationalen PR’. Unterschiede bestanden hinsichtlich der Einbindung eines regionalen Headquarters für Asien/Asien-Pazifik (meist in Singapur oder Hongkong). Einige Unternehmen schalteten dieses praktisch zwischen dem Mutterunternehmen in Deutschland und dem Tochterunternehmen in China zwischen, um kommunikative Aufgaben in Asien vor Ort zu bündeln und miteinander sowie mit dem Mutterunternehmen zu koordinieren. In vielen Unternehmen – aber nicht in allen – müssen Pressemitteilungen aus den Tochterunternehmen vor der Veröffentlichung vom Mutterunternehmen oder dem regionalen Headquarters freigegeben werden. 11.2.2 Personelle Besetzung der PR-Funktion in China Während die befragten DAX30-Unternehmen/‚Big Player’ in ihren Tochterunternehmen in China eigene PR-Abteilugen mit bis zu 20 Mitarbeitern aufwiesen, wurde die PR-Aufgabe von Unternehmen mit kleineren Tochterunternehmen in China, in denen keine spezielle Person für PR engagiert wurde, tendenziell durch den deutschen General Manager, oftmals in Zusammenarbeit mit einem chinesischen Kollegen, ausgeführt. Eine interessante Entwicklung ist die in den vergangenen Jahren zunehmende einheimische Besetzung von PRFunktionen in China. Während 2001 – als ich selber in der PR in China arbeitete – noch vorwiegend Deutsche in den PR-Abteilungen der großen deutschen Unternehmen vor Ort saßen, hat sich dies in den letzten Jahren geändert. Dies wurde bereits in der schwierigen Suche nach deutschen PR-Akteuren vor Ort in China deutlich (vgl. Kapitel 9.2). “German PR managers? It’s getting rare. Because the multinational companies are using more and more local professionals.” (Interview Nr. 33) JK: “What advice would you give me – as a German – if I was to start working as a PR-manager in China tomorrow?” – “My advice would be to find a capable Chinese guy, build a good network and don’t ever think that you understand anything.” (Interview Nr. 8)
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11 Organisation der Internationalen PR
Als Gründe hierfür lassen sich – neben den geringeren Lohnkosten für Einheimische im Vergleich zu Expatriates – gravierende Hindernisse für die Ausübung von PR-Arbeit durch Deutsche/Ausländer in China anführen. Dies betrifft zunächst die sprachliche Barriere. JK: “What do you think are the biggest obstacles for a foreigner, like you, to do PR in China?” – “I think language, obviously, is a huge barrier.” (Interview Nr. 42) JK: „Gibt es für Sie als Deutsche Barrieren? […]“ – „Also, es macht sicherlich interessant. […] Wenn dann jemand von der Agentur mit dabei ist, einfach weil von deren Seite [chinesische Journalisten; JK] häufig ein Sprachproblem besteht, also, wie gesagt, Englisch ist meistens nicht vorhanden. Selbst bei den Journalisten von der Shanghai Daily, wenn es jetzt nicht gerade die Engländer selber sind. Also, dann ist es einfach eine Sprachbarriere.“ (Interview Nr. 6) JK: „Und kannst du als Westler mit den [chinesischen Journalisten; JK] in Kontakt treten?“ – „Würde ich nicht machen. Ganz viele sprechen auch kein Englisch und wenn, dann fühlen sie sich unwohl. Ist schon besser, wenn die das unter sich ausmachen.“ (Interview Nr. 21)
Darüber hinaus waren sich die Befragten einig, dass nicht nur die Sprache, sondern auch das Verständnis des politischen und medialen Systems sowie besonders Guanxi eine für Ausländer in China kaum zu überkommende Hürde ist und diese daher niemals – selbst wenn sie fließend Chinesisch sprechen würden – wie ein Chinese arbeiten könnten, da sie immer den Sonderstatus eines Ausländers behalten würden (vgl. Kapitel 10.3.3 und 13.8.4). „Public Relations, also jetzt wirklich mit den Medienvertretern, das kannst du vergessen.“ (Interview Nr. 5) “If you do speak Chinese, I still think that you are always gonna be viewed as an outsider. Like, if you went to live in Germany and, you know, I’d move to Germany, from wherever in the world, I think you will very quickly seem to be German. If you speak the language, you lived there for ten years, so people won’t still think that person is still from.... the States. You know, they would just start to feel like you would be just another German person. Because it’s a multicultural society. You have people from all over the world who are German, you know, no matter what their colour is. Whilst in China, it is not like that. There are still... No matter if I lived here for fifty years...” – JK: “Even if you were born here?” – “Yeah. People would still be like ‘the foreigner’, you know […]. Even if you lived here your entire life and you were born here, I don’t think you would ever really feel just as accepted as a real Chinese person.” (Interview Nr. 42) “Because of the language barrier?” – “No, not only because of the language barrier. But it’s a cultural thing. The knowledge of the country is quite different. [...] Culture and knowledge of the country. To be a good PR manager, you have to know this. As an expatriate, that’s hard. The history, the culture, the way people deal with each other.” – JK: “Guanxi?” – “Yes, guanxi, the value. So I think this is the biggest obstacle for expatriates.” (Interview Nr. 33) JK: “What do you think is the biggest obstacle for a German PR manager?” – “Guanxi!” (Interview Nr. 36)
Immer mehr Chinesen sind qualifiziert, haben Auslandserfahrungen und sprechen Englisch oder sogar Deutsch. Sie kennen sich vor Ort gut aus und haben ein gutes Netzwerk. Auf der anderen Seite sind den chinesischen PR-Akteuren die deutsche Kultur und die Unternehmenskultur des Mutterunternehmens meist fremd, was die Kommunikation in dessen Na-
11.2 Internationale PR-Organisation
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men sowie die Koordination mit den Kollegen in der Zentrale erschweren kann. Aus diesem Grund halten es viele Befragte für wichtig, auch Expatriates mit PR-Aufgaben zu betrauen. Einige Deutsche vor Ort sprechen von einer Pendelbewegung. „Man versucht zu lokalisieren, um eine große Nähe zum Land herzustellen. Dann hat man das Gefühl, die Chinesen führen ein Satellitendasein, so dass man doch wieder einen Expat hinschickt, als Schnittstelle zum Headquarters.“ (Interview Nr. 22) „Ich bin nach wie vor der Überzeugung, dass diese Lokalisierung [der PR-Manager; JK] auch einen großen Nachteil bringt. Weil, man ist ja hier, man macht ja hier nicht nur PR für dieses Land, in dem man ist, man macht ja auch PR für ein Unternehmen und hat Kontakt zum Beispiel zu internationalen Medien. […] Man muss ein Unternehmen verstehen, ja, und da finde ich schon, da ist der, sagen wir mal, Expat, schon wichtig noch.“ – JK: „Also ich war sehr erstaunt, als ich gehört habe, dass fast nur noch lokale PR-Akteure beschäftigt sind.“ – „ Ja. Das Pendel schlägt auch, sozusagen, wieder zurück.“ (Interview Nr. 4)
Dies liegt auch darin begründet, dass es recht schwierig ist, in China gutes Personal zu bekommen und (im Hinblick auf die hohe Fluktuation vor Ort) auch zu behalten. In Unternehmen mit größeren PR-Abteilungen ist daher eine typische Arbeitsteilung zwischen Expats und Chinesen zu beobachten. Während die Deutschen/Westler vornehmlich strategische und konzeptionelle Arbeiten übernehmen und Kontakte zu internationalen Medien sowie zum Mutterunternehmen pflegen, kümmern sich die chinesischen Kollegen vor allem um die direkten Kommunikationen mit chinesischen Ansprechpartnern. „Mit der Presse, da hört es bei mir dann auf, weil es da mit dem Chinesischen eng wird. […] Das ist dann auch [Name der chinesischen Kollegin]’s Gebiet.“ (Interview Nr. 3) “If you are a PR manager, then you need to have very, very good Chinese staff, which is actually doing the work for you. The strategy is based in your company. […] For external communication, you need to have Chinese.” (Interview Nr. 34, Kommentar eines anwesenden deutschen Kollegen) JK: „Und im Team haben Sie auch Chinesen, die praktisch mit den Journalisten sprechen?“ – „Ja ja, im Team. Ich bin der einzige Expat im Team. Die anderen zwölf sind alles Chinesen.“ – JK: „Ich frage wegen dieser Guanxi-Sache.“ – „Ja, aber das heißt ja nicht, dass ich unbedingt die Kontakte aufbaue.“ – JK: „Sondern?“ – „Na ja, wir haben ja auch mit internationalen Journalisten zu tun und Korrespondenten, da bin dann ich derjenige, der die Kontakte pflegt.“ (Interview Nr. 4)
Allgemein waren die individuellen Prädispositionen der Befragten sehr heterogen. 48 der 49 in China Befragten haben ein Hochschulstudium absolviert294. Die deutschen PRExperten in China haben zum überwiegenden Teil bereits in Deutschland in der PR gearbeitet, einige auch im Marketing. Von ihnen sprach eine Person fließend Chinesisch, zwei weitere verfügten über erweiterte chinesische Sprachkenntnisse. Von den interviewten deutschen PR-Laien (also Akteure, die PR nicht als einzige Tätigkeit ausführen) sprachen sechs Chinesisch und zwei weitere verfügten über erweiterte Sprachkenntnisse. Von den 294 Von den 49 in China befragten Akteuren war einer ohne Hochschulstudium, 17 studierten BWL, 8 Natur/Ingenieurwissenschaften, jeweils 6 Sinologie und Kommunikations-/Medienwissenschaft, 4 Englisch, jeweils 3 Soziologie/Politologie oder Journalismus und eine Person Kunst. Die befragten Chinesen haben überwiegend ein Englisch- oder ein Wirtschafts-/Ingenieurstudium absolviert.
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11 Organisation der Internationalen PR
insgesamt 29 befragten Deutschen in China verfügten also elf über fortgeschrittene chinesische Sprachkenntnisse. Alle befragten Chinesen sprachen Englisch, zwei von ihnen zudem gutes Deutsch. Auffällig war, dass viele chinesische PR-Experten sich durch ein Englischstudium für ihre Tätigkeit qualifizierten. 11.3 Zusammenarbeit mit PR-Dienstleistern Wie auch im Heimatland, nehmen viele deutsche Unternehmen in China die Leistungen von PR-Agenturen in Anspruch. Das Angebot an Dienstleistern ist hoch (vgl. Kapitel 10.4.1). „Derzeit können drei Kategorien von PR-Agenturen unterschieden werden: Internationale mit professioneller Erfahrung, nationale auf dem richtigen Weg und eine Unmenge an nationalen Agenturen, die sich zwar PR-Agentur nennen, in Wahrheit aber keine sind.“ (Ciao, zitiert nach Bussecker 2003, S. 39)295
Die Vor- und Nachteile zwischen den internationalen Agenturen und den lokalen Agenturen wurden in den Interviews häufig diskutiert. Einige Unternehmen finden es sinnvoll, weltweit mit derselben Agentur zusammen zu arbeiten und greifen daher gerne auf Netzwerk-Agenturen zurück. Die stellvertretende Direktorin einer führenden internationalen Netzwerk-Agentur erklärte in einem Gespräch in Deutschland die internationale Koordination für einen internationalen Kunden: „Wir koordinieren das in Berlin. Also, wir sind ‚Client Lead’, wie man in Netzwerkagenturen sagt. Wir sind die eine Schnittstelle zum Kunden und sorgen für Kohärenz in den Botschaften. Wir denken uns auch im groben die Maßnahmen aus, aber letztendlich muss es vor Ort umgesetzt werden.“ (Interview Nr. 54)
Daneben sind die wichtigsten Vorteile internationaler Agenturen die Garantie eines internationalen Qualitätsstandards sowie englischsprachiger Ansprechpartner. In den internationalen Agenturen in China arbeiten in der Regel einige Expats, die jedoch selten mehr als 10% der Gesamtbelegschaft ausmachen. Darüber hinaus sprechen auch die meisten chinesischen Mitarbeiter in den großen Agenturen Englisch. “I think multinational agencies are obviously able to apply like global best practice. There are a lot of things that they bring, like learnings from other markets. And from the long heritage of history in other markets. They can bring this into China to help raise kind of the strategic levels.” (Interview Nr. 42) “We will rely on those international PR agencies which have more experiences in other markets. And they will transfer this knowledge to China.” (Interview Nr. 38)
Internationale Agenturen sind in der Regel sehr ausdifferenziert organisiert und bieten Practice Groups für spezielle Kommunikationsaufgaben oder Industrien. Auch können Sie auf einen großen Erfahrungsschatz und umfassende Datenbanken zurückgreifen. Ihre Na295 Einige lokale Agenturen profitieren von der hohen Fluktuation in der Branche und dem damit einhergehenden Wissenstransfer, der sie zunehmend wettbewerbsfähig werden lässt.
11.3 Zusammenarbeit mit PR-Dienstleistern
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men haben einen hohen Bekanntheitsgrad, der auf chinesische Journalisten positiv aber auch negativ wirken kann. “Some friends [Journalisten; JK] told me that. They don’t like some big agencies. […] You know, the international ones always contact the journalists in a so called impolite way. That means: ‘Hey, I give you a chance to talk to this company!’ – A very business one. Like: ‘I will invite you to our event and you should just write something for us.’ Always with such an attitude. And the journalists have been complaining about this. Actually, they are polite but it seems very, how to say, hard. The journalists don’t like that. They say: ‘It’s a little bit too business’ or ‘It’s a little bit too arrogant.’” (Interview Nr. 30)
Zudem sind internationale Agenturen in China äußerst teuer. “They are very, very expensive. Much more expensive than in Germany.” (Interview Nr. 8)
Lokale Agenturen verfügen oftmals über ausgezeichnete Beziehungen zu den lokalen Medien und sind weniger an ethische Standards gebunden, so dass sie Journalisten bezahlen und somit eine bestimmte Berichterstattung garantieren können. Bemängelt werden geringe Englischkenntnisse sowie Schwierigkeiten im Projektmanagement und mit strategischen, konzeptionellen, kreativen und evaluativen Tätigkeiten296. “And for local ones, I think they have more experiences for local culture and they have very good relations with local media, government. I think this is the advantage for local agencies. So they, you know, Guanxi in China… Guanxi is the key thing in the local agency.” (Interview Nr. 36) “They are picking up fast. [...] And they are, I would say, more flexible in their business model and their business than multinationals. And they usually will do, you know, things that usually were not allowed to do. They usually can do it.” (Interview Nr. 43) „Dann war ich in einer chinesischen PR-Agentur, das war sehr, sehr Chinesisch. Die hatten ausländische Kunden und ich war dann ein bisschen dafür zuständig, die Konzepte und die Inhalte zu liefern. Und meine chinesischen Kollegen haben vor allem den Kontakt zu Journalisten gepflegt und haben Journalisten zu den Events gebracht oder die Abdrucke organisiert. […] Ich glaube, wenn du ein Konzept haben willst, wenn du Inhalte haben willst, dann gehst du besser zu einer internationalen. Wenn du einfach nur möchtest, dass zehn, zwanzig, also eine bestimmte Anzahl von Journalisten zu deinem Event kommen oder etwas schreiben, dann kannst du eine lokale Agentur nehmen.“ (Interview Nr. 21) „Und wenn ich dann halt Lieferanten habe, auf die ich mich nicht verlassen kann, [...] die sind total unprofessionell. Bis ich die gebrieft habe, mache ich das selber.“ (Interview Nr. 5)
Tendenziell werden internationale Agenturen also für strategische, konzeptionelle, kreative und evaluative Aufgaben sowie für wichtige Events gewählt, während lokale Agenturen vor allem für handwerkliche Tätigkeiten, kleinere Events und Kontakte gebucht werden.
296 Eine tabellarische Gegenüberstellung der genannten Vor- und Nachteile internationaler bzw. lokaler PRAgenturen in China befindet sich im Anhang.
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11 Organisation der Internationalen PR
In Folge wird sich nun der Handlungsebene zugewendet und nach Unterschieden von typischen PR-Handlungen in China und Deutschland gesucht. Hierbei werden Rückbezüge zur beschriebenen Strukturebene hergestellt, so dass sich Zusammenhänge erkennen lassen. Einleitend wurde in den Interviews ganz allgemein gefragt, ob sich PR-Handlungen in China grundsätzlich von jenen in Deutschland unterscheiden. Dies wurde einstimmig bejaht. Ein langjähriger deutscher PR-Profi in China erklärt (auf Englisch): “At the first glance, there might be some differences […]. Second is that you think, ‘Oh there are not really that many differences. There are differences, but they are not so huge’. And after a while you find out that there is a much deeper gap than you could ever imagine. The differences are really huge and it’s hard for me to explain. [...] You know, what is the difference between men and women?” (Interview Nr. 8)
12.1 Anspruchsgruppenkommunikation
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12 Teilbereiche der PR
Aufgrund unterschiedlicher gesellschaftlicher Machtverteilungen in Deutschland und China spielen die verschiedenen Arenen/Öffentlichkeiten in den beiden Ländern unterschiedliche Rollen. Dementsprechend haben auch die verschiedenen Teilbereiche von PR (Anspruchsgruppenkommunikation, Public Affairs, gesellschaftspolitische Kommunikation/Medienarbeit) in Deutschland und China unterschiedliche Bedeutungen. 12.1 Anspruchsgruppenkommunikation Die direkte Kommunikation mit organisierten Anspruchsgruppen spielt in China eine geringere Rolle als in Deutschland. Während die deutschen PR-Akteure in Deutschland die Kommunikation mit Anspruchsgruppen als wichtigen Teil ihrer Arbeit beschrieben, wurde dies in China als weniger relevant eingestuft. JK: „Anwohner von Produktionsanlagen, sind die zu berücksichtigen?“ – „Nein, im Prinzip nicht.“ (Interview Nr. 12) JK: „In Deutschland gibt es ja viele Interessengruppen, die ein Unternehmen kritisch beäugen und die man von Unternehmensseite her beachten muss. Ist das hier auch so?“ – „Also, wir sind eher aktiv, wenig reaktiv. Also, mir würde jetzt kein Beispiel einfallen, für ein reaktives Projekt.“ (Interview Nr. 11) „Obwohl China gegenwärtig mit gravierenden sozialen und ökologischen Problemen konfrontiert ist, sind diese für ausländische Unternehmungen weitgehend irrelevant, da es keine Interessengruppen gibt, die diese Anliegen einflussreich vertreten.“ (Holtbrügge/Puck 2005, S. 164f)
Die befragten chinesischen PR-Akteure in China bestätigten diese Einschätzung. “I am afraid, but this topic is not so hot.” (Interview Nr. 31) “I am not involved in that area. At least not in China.” (Interview Nr. 30) “I think this is more something you have in Germany.” (Interview Nr. 34)
Grund ist die weniger entwickelte und aktive Zivilgesellschaft in der Volksrepublik (vgl. Kapitel 10.3.2.2)297. Wenn persönliche Interessen durch Handlungen von Unternehmen bedroht oder verletzt werden, sind Aktivitäten von Anspruchsgruppen zudem nur dann zu erwarten, wenn diese nicht den Zielen des Staates zuwiderlaufen. In solchen Fällen wenden sich Anspruchsgruppen jedoch in der Regel nicht an Unternehmen, sondern an den Staat. 297 Jedoch gibt es in Hongkong einige Aktivitäten und Organisationen (z.B. das China Resources Monitoring Center), die westliche Unternehmen in China beobachten und Forderungen artikulieren.
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12 Teilbereiche der PR
JK: „Wenn persönliche Interessen bedroht sind, wenden sich Menschen dann an ein Unternehmen?“ – „[…] Dann wendet er sich an seinen Staat und versucht das zu verhindern. Und wenn der Staat anweist, dass das zu geschehen hat, kann man nichts machen. Basta. Da kann er zwar demonstrieren, aber… Wir hatten schon mal die Schule abgesperrt, weil für die Schule meiner Kinder so ein Villending gebaut wurde und die ganzen Bauern ’rausgejagt wurden. Dann standen eben 2.000 Bauern auf der Straße. Und dann kommt halt die Polizei, redet mit denen und weg sind sie.“ (Interview Nr. 18) JK: „Als Sie damals die Formel 1-Strecke hier gebaut haben, gab es da viel Widerstand, etwa von Anwohnern oder Umweltorganisationen?“ – „Das interessiert hier keinen Menschen. Die Strecke kommt dahin und aus.“ – JK: „Da gab es keinen Widerstand?“ – „Nein, gar nicht. Sie müssen sich das anders vorstellen. Bei meinen Gesprächen mit Herrn [x], der hier alles gemacht hat, der Gesamtverantwortliche für alles, dem habe ich Verbesserungsvorschläge gemacht. Und der sagt mir klipp und deutlich: ‚Herr [y], ich bin beauftragt, von der Regierung, eine Formel 1Rennstrecke zu bauen. Alles andere interessiert mich nicht.’“ (Interview Nr. 25)
Bei Themen, die auf der Agenda des Staates stehen (vor allem Umweltpolitik) ist ein zunehmendes Engagement der Bevölkerung zu beobachten, welches von der Regierung unterstützt wird. Richten sich Anspruchsgruppen/NGOs an ein Unternehmen, geschieht dies häufig sogar im Auftrag des Staates. „Die Regierung hat jetzt jahrelang die Umwelt vernachlässigt, um ihre Wirtschaft boomen zu lassen. Was ja nachvollziehbar ist, haben wir im 19. Jahrhundert ja genauso gemacht. Jetzt erkennt sie langsam, dass Umwelt eben doch nicht ganz unwichtig ist. Das heißt, jedes Unternehmen, das jetzt hierher kommt, kann von vornherein davon ausgehen, dass es umweltmäßig perfekt sein muss.“ (Interview Nr. 18) “But sometimes the government really wants a certain type of NGO to survive and to leave the NGO there to have some different opinion, so they can serve to the good of the government’s agenda or policy. But it all depends on them. […] The Chinese government is now... how can I say that… The general public awareness is growing. So the Chinese government won’t only stop and hide everything. Sometimes they want to make use of the public awareness to achieve the target. And I think that is good.” (Interview Nr. 33) JK: “So there are NGOs reaching out to companies?” – “But these NGOs are part of associations and associations are part of government. So tell me, what is that? I don’t know. It’s not a real NGO. […] These are not really NGOs, not like WWF or Greenpeace. Remember: This is a one-party-country. They control everything.” – JK: “So the NGOs are just part of the government?” – “Yes! Usually they come from associations.” (Interview Nr. 43)
Die Kontrolle von Unternehmensaktivitäten wird somit anstelle von Anspruchsgruppen vorwiegend von der Regierung wahrgenommen, die damit eine Art Vermittlungsfunktion zwischen Bevölkerung und Unternehmen übernimmt. So bietet sie Bürgern verstärkt Informations- und Kommunikationsplattformen an, auf denen sie sich über die Aktivitäten von Unternehmen informieren und auch beschweren können298. 298 Ein Beispiel ist das Umweltministerium, das auf seiner Web-Seite ‚Environmental Impact Statements’ (EIS) von Unternehmen veröffentlicht. Wenn Untenehmen neue Projekte planen, müssen sie sich einem Assessment unterziehen, in dem die Auswirkungen des geplanten Projektes auf die Umwelt eingeschätzt werden. Die Statements werden nicht nur veröffentlicht, sondern können von der Bevölkerung auch kommentiert werden. Werden triftige Beschwerden/Vorbehalte geäußert, werden diese unter Umständen in die Entscheidung über das Projekt mit einbezogen.
12.2 Public Affairs (Governmental Relations/Lobbying)
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12.2 Public Affairs (Governmental Relations/Lobbying) Einen besonders hohen Stellenwert nehmen Public Affairs Aufgabe in China ein. Immer wieder wiesen die Interviewpartner darauf hin, dass deren Bedeutung für deutsche Unternehmen in China nicht überschätzt werden kann. Der Staat ist wichtigster Interessenvertreter, Meinungsmacher, Geschäftspartner, Kunde und Gesetzgeber auf einmal. Nach Angaben der Befragten hat die politische Regulierung in keinem anderen Wachstumsmarkt derartige Auswirkungen auf die Unternehmenstätigkeit und PR wie in China. “Everything is politics in China.“ (Interview Nr. 6) „Ohne politischen Beistand ging nichts!“ (Posth 2006, S. 213) “The level of government control is totally unique. […] Definitely. Definitely. I think the level of government control versus the amount of openness as well. So the level of government control versus the amount of capitalism and the amount of western companies, the amount of western businesses here, the amount of foreign brands here, general the growth of the sector. The two of those together is just such an interesting economy.” (Interview Nr. 42) “First, I would like to say, in China, governmental relationship is very important.” (Interview Nr. 37) JK: “Let’s start with governmental relations. How important is that here?” – “Incredibly. You can’t exist in China without having some sort of relationship with your governmental stakeholders.” (Interview Nr. 45) „Ja, Governmental Relations – unheimlich wichtig. Weil halt alles von da aus ausgeht, weil Staat und Wirtschaft in einem hohen Grad miteinander verflochten sind. Man muss also versuchen mit solchen Leuten Kontakt zu halten.“ (Interview Nr. 12)
Der Präsident von Ogilvy Public Relations Worldwide, China erklärt: “In fact, if you look at Ogilvy’s model […], by share and by total revenue of the group, the PR business is bigger here than in most markets. And the reason for that is because before a multinational sets up, they come to a PR firm. […] They don’t come in here and say, ‘We need to build the brand.’ […] They say, ‘I need to get my fricking license’. And: ‘I need to start building a little goodwill in the community.’ So they come to us for some of that type of work. And then, of course, we will get the advertising going, start the brand building and that kind of stuff.”
Nicht nur in der Markteintrittsphase kommt ein Unternehmen an zahlreichen Behördengängen und intensiven Gesprächen mit einflussreichen Beamten nicht vorbei. Beziehungen zur Provinz- und Staatsregierung müssen fortlaufend aufgebaut und gepflegt werden, um langfristig zu existieren. Die ‚licence to operate’ wird im Einparteienland vor allem durch die Regierung bzw. Partei erteilt. „Das heißt, um es auf einen Nenner zu bringen: In unseren Breiten ist es so, dass wir versuchen, eine besonders gute Presse zu bekommen, wie man so sagt, weil davon letztlich auch unsere eigene wirtschaftliche Entwicklung abhängig sein könnte. Und auch letztlich die Regierungsorgane, sofern die überhaupt mit uns etwas zu tun haben, auch positiv beeinflusst werden kön-
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nen. Hier in China ist es doch letztlich so […]: Die öffentliche Meinung über ein Unternehmen wird weniger durch die Presse geprägt als letztlich doch eben durch die Regierung. Das heißt also, wenn es also wirklich doch hart auf hart kommt, dann ist die Regierung eben die, die entscheidet, ob ein Unternehmen liebsam oder unliebsam ist. […] Wenn Sie sich bei der Regierung unbeliebt gemacht haben, aus welchen Gründen auch immer, und […] wenn der Regierung doch sehr daran liegt, dass man hier ein Unternehmen, oder auch einen Vertreter eines Unternehmens, sabotiert, also letztlich demontiert – dann werden auch entsprechende Artikel in der Presse erscheinen.“ (Interview Nr. 17) “Doing public relations in China involves developing an extensive strategic government relations program in order to ensure a company has a licence to operate from all necessary government departments and organizations. Determining and targeting the most appropriate government body is a challenging component to the government relations program.” (GlobalPR 2004)
Insbesondere für deutsche Unternehmen, die in Form von Joint Ventures in China aktiv und deren Partnerunternehmen staatlich kontrolliert sind, sind Guanxis zur politisch-administrativen Sphäre essentiell und können einen Vorteil gegenüber WFOEs darstellen. „Politische Protektion ist immer noch wichtig für den Unternehmenserfolg. Daß das sogar für ausländische Unternehmen gilt, zeigt das Beispiel eines deutsch-chinesischen Joint-Ventures in Nanjing. Als das Joint-Venture vor dem Konkurs stand, entsandte das Stammunternehmen in Deutschland einen neuen Geschäftsführer, der außer der richtigen Einstellung noch gute Beziehungen zu einem hohen chinesischen Politiker hatte. Das Joint-Venture expandiert noch heute.“ (Kuhn et al. 2001, S. 195299) „Die Qualität des JV-Partners richtet sich auch danach, wie gut der Partner mit den Behörden umgehen kann. Dass die da ihre Guanxis haben.“ (Interview Nr. 27) „Ich bin davon überzeugt, dass Aufbau und Wachstum eines Joint Ventures in China ohne Unterstützung der Regierung definitiv unmöglich sind.“ (Zitat von Zhang Changmou, Vorstandsvorsitzender von Shanghai VW, nach Posth 2006, S. 218) „Ausländische Unternehmer, die in Joint-Venture-Verträgen mit chinesischen Partnern verbunden sind, stoßen bei den Rechtsbehörden auf eine geringere Sanktionsbereitschaft als eigenständige (Wholly Foreign Owned Enterprises) Auslandsunternehmen in China.“ (Himmelmann/Hungerbach 2005, S. 19)
Unabhängig von der jeweiligen Rechtsform ist die Unterstützung durch die Behörden aufgrund der mangelnden Rechtssicherheit und hohen Informalität in China überaus wichtig und zwar sowohl um operativ tätig zu sein als auch um langfristige Strategien umsetzen zu können. “On the government side, you have basically two issues. One is operational issue. Because to get your business licence, you have to have a trading license, you have to deal with local customs and you have to deal with the quality inspections. So this is the operational level. And one is more important: The strategic level. You have to really to… Because, for your strategic development, you need the government support. And sometimes you need their approval. And this is more important, from what I can see, than the operational issue.” (Interview Nr. 41) 299 Basierend auf einem persönlichen Interview der Autoren mit dem deutschen Geschäftsführer des JVs.
12.2 Public Affairs (Governmental Relations/Lobbying)
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„[Name eines deutschen Unternehmens] hat gerade ein Riesenproblem mit einer Lizenz, weil die vergessen haben, irgendwas Administratives zu erledigen. Die haben ein Riesenproblem.“ – JK: „Kann so was nicht in Deutschland auch passieren?“ – „Nee, in Deutschland kann so etwas nicht passieren. Natürlich gibt es da viele Unterschiede. Die Willkür hier ist unbeschreiblich. Das werden Ihnen sicher auch alle anderen bestätigt haben.“ (Interview Nr. 19) „Ich sag mal, China hat ja das Interessante, das finde ich ja in China so interessant, dass Chinesen wahnsinnig flexibel sind. Es geht oder es geht nicht… Das ist eine persönliche Präferenz, ob was geht oder auch nicht. Und wenn ich mich doof anstelle, als Ausländer, dann geht das halt nicht. Da gibt es bestimmt irgendein Gesetz wo es heißt, das geht halt nicht.“ (Interview Nr. 24)
Public Affairs sind in China zudem auch deswegen so wichtig, da die Regierung/Partei nach wie vor eine hohe Kontrolle auf die mediale Meinungsbildung ausübt (vgl. Kapitel 10.3.2.3). „Ob überhaupt, wie, wann, wo und von wem ein bestimmtes Thema veröffentlicht wird, hängt nicht – wie in einem demokratischen Umfeld üblich – vorwiegend vom Nachrichtenwert ab, sondern auch von guten Guanxi zu politischen Entscheidungsträgern.“ (Schlotter 2006, S. 51) „Weil Redakteure sehr häufig bei den Blättern – die meisten Blätter sind ja immer noch staatlich – letztlich auch Government Officials sind. Und da hast du dann auch wieder eine Verzahnung. Der Chefredakteur zum Beispiel, des – ah, das muss ich nachgucken – National Health Journal oder irgendwas in der Richtung, ist gleichzeitig Mitglied der SAPA.“ (Interview Nr. 1)300
Ein weiteres Argument für die Relevanz von Public Affairs/Governmental Relations in China ist, dass die Regierung/Partei unter Umständen einen hohen Einfluss auf die Absatzchancen eines Unternehmens ausübt, indem die Regierung oder Staatsunternehmen selbst als Käufer agieren oder Kaufappelle an die Branche richten. „Das kann sein, dass das Ministerium an alle Unternehmen, die in der Einflusssphäre dieses Ministeriums stehen, einfach einen Brief schreibt. Und sagt: ‚Wir haben festgestellt, das ist ein Unternehmen mit dem wollen wir arbeiten und der kriegt jetzt von uns den Status eines ‚prefered suppliers’. Das ist, wie Harald Schmidt früher gesagt hat, ein Kaufbefehl. Also das heißt, der Ingenieur in den einzelnen Staatsunternehmen oder auch in den Joint Ventures, die es da schon gibt, der über technische Spezifikationen und über den Einkauf zu entscheiden hat und die Ingenieure in den Design-Instituten, die letztlich immer die engineeringseitigen Grundlagen für alle Projekte in dem Einflussbereich eines solchen Ministeriums festlegen, die verstehen das dann schon richtig. Und das heißt, für den Ingenieur heißt das dann, nehme ich das, was das Ministerium empfiehlt, habe ich kein Problem. Egal ob es nachher funktioniert oder nicht. Nehme ich etwas anderes und es funktioniert nicht, hacken die mich in Stücke. Weil: Der ganze Mist ist ja nur entstanden weil ich den Wünschen des Ministeriums gefolgt bin. Wenn es etwas gibt, das Chinesen verabscheuen, ist es das persönliche Risiko. Und infolgedessen werden die das nicht tun. Die folgen solchen Empfehlungen des Ministeriums. Das ist keine Anordnung, das Papier. Wenn man da so rüber liest, bedeutet das im Grunde für uns gar nicht viel. Da wird einfach darauf hingewiesen: ‚Wir haben uns dafür entschieden...’ und so weiter. Und dann sind Sie wirklich drin.“ (Interview Nr. 14)
300 SAPA = Sino-American Pharmaceutical Professionals Association.
236
12 Teilbereiche der PR
„Sie müssen da die Spezifik von China betrachten. Weil, im Prinzip, wenn Sie heute mit dem größten Kunden reden, [Name des Kunden], dann repräsentiert der im Prinzip den Staat, der ist 100% der Eigentümer und die Company wird nichts anderes tun als die Politik des Staates umzusetzen und wehe die machen etwas anderes, da kriegen die gleich übermorgen was auf die Finger. Gerade hier in China kann man das sehr schwer auseinander halten, was ist denn eigentlich eine Kundenkommunikation und was ist eigentlich eine Governmental Kommunikation. Wenn ich zum Beispiel mit dem größten Kunden, [Name des Kunden], diskutiere, warum ich nicht zugelassen werde im Billing-Verfahren, dann ist das im Prinzip eine politische, externe Kommunikation. Wenn Sie mal die Industriestruktur in China angucken, sind vielleicht immer noch 80% aller Unternehmen in staatlichem Eigentum. Damit haben Sie eigentlich immer mit staatlichen Vertretern zu tun.“ (Interview Nr. 12)
Für den Unternehmenserfolg bemühen sich deutsche Unternehmen nicht nur um gute Beziehungen zu Regierungsstellen, sondern betreiben auch zunehmend klassisches Lobbying. Die chinesische Regierung lässt sich zwar grundsätzlich ungern in ihre Vorhaben hereinreden, ist jedoch an Konzepten und Meinungen zu regulativen Fragen durchaus interessiert. Während das westliche Rechtssystem in den letzten Jahrhunderten gewachsen und schon relativ stabil ist, befindet sich das chinesische noch im Aufbau, was viele Ansatzmöglichkeiten für Lobbying eröffnet. “And also, we need to improve the legal system. Still, a lot of the legislation needs to be drafted. So it also comes from the different perspective to, you know, lobby them, to incorporate some comments, that’s also important. It’s also important to build up the business environment, legislative business environment. And also, when you operate, you may have some problems, you can also, through this channel, deliver your message and communicate difficulties to the government. If reasonable, they may change some policies. If it’s a common issue.” (Interview Nr. 37) “But this is also part of our effort. To influence them, to lobby them, before they work out a criteria for, for example, the car emission standard.” (Interview Nr. 33)
Wie auch in Deutschland, erfolgt die Organisation von Public Affairs (Governmental Relations, Lobbying) in den verschiedenen befragten Unternehmen höchst unterschiedlich. In beiden Ländern besteht jedoch die Tendenz, Public Affairs getrennt von Public Relations zu organisieren, wobei ein reger Austausch und eine enge Abstimmung der Inhalte zwischen den Unternehmensfunktionen stattfinden. In Folge wird sich auf die Medienarbeit konzentriert301. 12.3 Gesellschaftspolitische Kommunikation/Medienarbeit Trotz der Einschränkungen des Mediensystems, stellt die Medienarbeit auch in China das Kernstück der PR deutscher Unternehmen dar. “I think media is the most important part for PR. I think, besides internal communication, media is the first one to know what happens in the company.” (Interview Nr. 36)
301 In den Interviews wurden genügend Informationen gesammelt, um eine differenzierte Betrachtung von Public Affairs in China im Vergleich zu Deutschland vorzunehmen. Um die Arbeit nicht aufzublähen, wurde hierauf verzichtet. Eventuell werden die Ergebnisse zu einem späteren Zeitpunkt ausgewertet und veröffentlicht.
12.3 Gesellschaftspolitische Kommunikation/Medienarbeit
237
“We are still in a very early phase. Before my joining, there was no communication here in China, so we just began. And the first priority would be focussing on media relations.” (Interview Nr. 30) “I think it’s very important. I think even very, very important. Equally important. Because even though it is more controlled, obviously, it’s still your only way of reaching out to the people in China, people who live here. So it’s equally important as it is in the west. I would say. Definitely.“ (Interview Nr. 42) „Medien haben hier vielleicht nicht denselben Stellenwert wie in anderen Ländern, aber ich sehe es schon als wichtig an, dass wir in den Medien präsent sind. Und aus diesem Grunde machen wir auch Medienarbeit.“ (Interview Nr. 17)
In vielen Unternehmen konzentriert sich die PR-Funktion in China sogar (neben internen Aufgaben) lediglich auf die klassische Medienarbeit302.
302 Dies ist auch deswegen möglich, da Medien eine relativ hohe Glaubwürdigkeit für die chinesischen Rezipienten haben (vgl. Kapitel 10.3.4).
13.2 Adressaten (besondere Schwerpunkte)
239
13 Medienarbeit
In Folge wird sich dem Fragenkatalog zur Medienarbeit zugewendet (Fragen 19-29). Es ist anzunehmen, dass sich Unterschiede der Regeln und Ressourcen der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit/des Mediensystems auf die Medienarbeit deutscher Unternehmen in China auswirken. „Ich meine, Pressearbeit ist ja immer ein Abbild von der Situation der Medien. Logo. […] Das ist ein Kundenverhältnis. Da wir natürlich uns auf unsere Kunden einstellen, weil wir sonst wirkungslos sind, bildet sich die Struktur der Medien dann auch in der Pressearbeit ab.“ (Interview Nr. 4)
13.1 Aufgaben und Ziele Grundsätzlich verfolgt die Medienarbeit in beiden Ländern ähnliche Aufgaben und Ziele: Die Bereitstellung von Informationen über interne Vorgänge und Strategien des Unternehmens zur Erhöhung der Transparenz und Legitimierung unternehmerischen Handelns sowie die Steigerung des Bekanntheitsgrades und den Aufbau von Vertrauen/Glaubwürdigkeit und eines positiven Images. „Das ist kein großer Unterschied. Die Ziele sind dieselben wie auch in Deutschland oder den USA. […] Es geht um eine gewisse Transparenz, es geht um ein gutes Image, es geht um Branding der Marke [Name des Unternehmens]. Es geht darum, dass wir in der Öffentlichkeit, in der Medienöffentlichkeit, präsent sind, dass unser Name dort eine bestimmte Assoziation erweckt, wenn man das hört, es geht um eine klare Positionierung der Marke [Name des Unternehmens].“ (Interview Nr. 4)
13.2 Adressaten (besondere Schwerpunkte) Aufgrund der Macht der chinesischen Regierung/Partei und deren Verflechtung mit der Wirtschaft, richtet sich die Medienarbeit in China tendenziell stärker an politische Machthaber als in Deutschland. “Media coverage is necessary in order to keep government decision-makers and influencers aware of current issues.” (Interview Nr 44) “I have to say, our company is a B-to-B product provider. And for this media there are a lot of readers: from the government officials to the industry professionals, to some scholars and experts.” (Interview Nr. 36)
240
13 Medienarbeit
„Also, ich sag mal, man muss hier in der Öffentlichkeit eine positive Präsenz generieren. Im Hinblick auf die Wahrnehmung von dritten jeglicher Couleur. Das heißt auf der einen Seite, das können Parteigenossen sein. Alles was Ihnen hier begegnet, gehen Sie davon aus, ist eine Erscheinungsform der kommunistischen Partei.“ (Interview Nr. 14)
Zudem haben – aufgrund des hohen Fluktuations-Problems – potenzielle (und aktuelle) Mitarbeiter für die Medienarbeit in China eine besondere Relevanz303. “You need to have a good image to keep your employees. They profit from the good image of the company because it gives them social status, face. So you have to do a lot of things in this situation.” (Interview Nr. 8) „Also unsere Zielgruppe ist eigentlich B-to-B und Government. Und dann haben wir eine erweiterte Zielgruppe und dazu gehören auch Employees und Universitäten.“ (Interview Nr. 11) „Also, die Außendarstellung des Unternehmens ist extrem wichtig. Im Hinblick darauf, weil es den Mitarbeitern sozialen Status gibt.“ (Interview Nr. 14)
13.3 Medieninteresse/Initiative (aktive/reaktive PR) Ob Medienarbeit in erster Linie aktiv oder reaktiv verläuft, hängt von dem grundsätzlichen Medieninteresse am Unternehmen ab. Grundsätzlich sind die Medien in China, wie bereits dargestellt, an Wirtschafts- und Unternehmensthemen sehr interessiert. Im Vergleich zu den Medien in Deutschland werden die Medien in China jedoch tendenziell als weniger aktiv beschrieben, so dass Unternehmen in China eher eigeninitiativ auf die Medien zugehen müssen, um ihre Ziele zu erreichen. Dies wird mit den relativ geringen personellen Ressourcen vieler Redaktionen, der geringeren Eigeninitiative chinesischer Journalisten und dem enormen Informationsangebot im sich rasant entwickelnden Wirtschaftsleben begründet. JK: „Kommen denn Anfragen von den Medien?“ – „Ganz wenig. Weniger als in Deutschland.“ (Interview Nr. 5) “And the media is very reactive. Whereas, in the western world, often the media will be very proactive and will reach out to the agency. [...] I think a lot of it is coming down to the staffing problem again. They just don’t have the resources to send specialists for an area or to really have the time to go out and proactively source stories. So they will rely on the agencies a lot.” (Interview Nr. 42) “And the interactions between you and the journalists must be initiated by yourself. […] In China, for multinational companies, especially for medium sized, not very big ones, we have to take that active role, that’s very important.” (Interview Nr. 30)
Grundsätzlich lässt sich – sowohl für Deutschland als auch (tendenziell noch ein wenig stärker) für China – feststellen, dass das Interesse an den ‚Big Playern’ größer ist als an weniger bekannten Großunternehmen. 303 Diese werden über die interne Kommunikation direkt angesprochen, sind aber gleichzeitig auch Teil der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit.
13.4 Images und Vertrauen
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13.4 Images und Vertrauen Grundsätzlich haben deutsche Unternehmen in China ein gutes Image. Jedoch können deutsche Unternehmen (von den ganz großen ‚Playern’ abgesehen), die in Deutschland und in der westlichen Welt bekannt und anerkannt sind, nicht automatisch davon ausgehen, dass dies auch in China der Fall ist. Viele Unternehmen haben die Erfahrung gemacht, dass man beim Aufbau eines Images/einer Marke in China praktisch wieder bei Null anfangen muss. ”Don’t assume, just because you are a big company in Germany, they will know all about you: Sorry, you are not Microsoft, you are not Sony. Maybe you are big in Germany doesn’t mean that you are big here. So you have to have patience and you have to invest a lot of time for education, get your name out. So that’s why, for any brands that are coming here, and maybe you are not a famous one, we usually recommend a two year educational plan. To let the reporters know about you, what you stand for, what you do.” (Interview Nr. 43) „Es gibt große Unternehmen, die durchaus Global Players sind, die aber auf dem chinesischen Markt mit ihrem Namen überhaupt gar keinen Status haben. […] Gut, BMW und Audi, das kennen auch die Chinesen. Aber SAP musste hier erstmal eine PR-Strategie fahren, um den Namen überhaupt erstmal zu branden.“ (Interview Nr. 24) “Because Bayer is almost a peanut company in China. The reputation is very weak, the image is weak. Not bad, but weak. The branding is weak, less people know it. We had a survey last year that even among people that received a university education in China, only seven percent know Bayer. And even if they know Bayer, they do not know what Bayer is really doing in China.”
So braucht es Zeit und langfristiges Engagement, um sich in China als Marke zu positionieren. Wenn die Bekanntheit erst einmal aufgebaut ist, profitieren deutsche Unternehmen in der Regel von dem Image ihres Ursprungslandes. Die Befragung ergab zudem, dass das Image eines ausländischen Unternehmens in China auch von aktuellen bilateralen außenpolitischen Beziehungen beeinflusst werden kann (vgl. Warren 2002, S. 31). Ein chinesischer PR-Experte erklärt: “The relations between China and the home country of all foreign companies operating in China, especially American companies, can affect media relations. During times of strained relations, Chinese reporters often seek commentary about a country’s position or a company’s position on current issues. Reporters tend to play up a company’s opposition to the home country’s action or policy and expressions in support for China on the issue. Great care should be taken in responding to inquire. The Chinese trade media can be published in The New York Times or the Washington Post within days or even hours. Government relations and perceptions in both the home country and in China must be taken into consideration.” (Interview Nr. 44)
Als etwa die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel den Dalai Lama in Berlin empfing, beeinflusste dies die Einstellung gegenüber deutschen Unternehmen/Produkten in China (vgl. Beste et al. 2007, S. 22). Auf einer Powerpoint-Firmenpräsentation eines deutschen Unternehmens in China fand sich der Hinweis ‚politically independent’. Auf meine Frage, wieso dies aufgeführt sei und was dies zu bedeuten habe, erklärte die Befragte: „Das haben wir gemacht, weil, da hat gerade die deutsche Bundesregierung ein Positionspapier herausgegeben, über, wie China Handelshemmnisse aufrecht erhält, gerade für Deutsche, und
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13 Medienarbeit
sich natürlich auch nicht an WTO-Abmachungen hält, und und und. Und das ist natürlich ganz schlecht hier in China angekommen. Und da habe ich gesagt, wie kann denn... Da wunder ich mich ehrlich gesagt nicht, wenn die Chinesen sagen, okay, euch Deutschen nehme ich nur das Know-how, mehr nicht. So würde niemals in China irgendjemand miteinander kommunizieren. Niemals. Das war halt wirklich ein Positionspapier der deutschen Bundesregierung. Und das war der Grund, warum wir das ’reingenommen haben.“ (Interview Nr. 5)
13.5 Themen/Inhalte Jedes Unternehmen hat seine eigenen Geschichten und zu kommunizierenden Themen, so dass auch inhaltliche Verallgemeinerungen schwer vorgenommen werden können. Allerdings waren sich alle Befragten in China einig, dass eine Lokalisierung – die Anpassung der Inhalte an den chinesischen Kontext – grundsätzlich unabdingbar ist. Auch wenn es sich um Informationen handelt, die das Unternehmen als Ganzes betrifft bzw. um Mitteilungen, die aus dem deutschen Mutterhaus stammen, ist es demnach dringend notwendig, die Bedeutung der Information für China (oder eine bestimmte Provinz/Region) herauszustellen. “I think everything that you do: You have to make it China relevant.” (Interview Nr. 43) “I think local impact is the judgement. Even if this news release does not have a local impact, they will ask: ‘What is the local impact?’ For example, back in headquarters in Germany, we decided to extend the amount of a specific product. And then the journalists will ask: ‘What does this have an implication in terms of your China operation, your development? Are you going to add more R&D staff in this area as well?’ So, local impact is the number one factor.” (Interview Nr. 33)
Dies entspricht den Annahmen der Nachrichtenwertforschung über die Relevanz von Nähe und Betroffenheit (vgl. Kapitel 6.3.3.1). Im Hinblick auf die Abstimmung von Inhalten auf die Medienagenda lassen sich folgende Besonderheit der Medienarbeit in China nennen: 1. 2. 3. 4.
Meidung politisch sensibler Themen Abstimmung von Themen auf die Regierungsagenda/Parteilinie Herausstellung des Unternehmensbeitrages für China Herausstellung von ‚Erfolgsgeschichten’
Weitere Besonderheiten in China sind die 5. 6.
vergleichsweise hohe Erklärungsbedürftigkeit von Themen/Ereignissen/Produkten und die besondere Herausstellung des Führungspersonals/CEOs.
13.5.1 Meidung politisch sensibler Themen Eine der wesentlichen Besonderheiten der Medienarbeit in China ist die politische Dimension aller Handlungen. Bei der Erstellung von Kommunikationsinhalten sind alle Beiträge sensibel auf ihre ‚politische Korrektheit’ hin zu prüfen. Viele der Befragten gaben an, wenn möglich politisch brisante Themen und Kontroversen (sowie chinesische Tabuthemen) gänzlich zu umschiffen.
13.5 Themen/Inhalte
243
„Die Regierung hier ist schon strikter, also, man muss da schon mehr drauf Rücksicht nehmen als in Deutschland und da wären wir ja auch dumm.“ (Interview Nr. 3) “You have to be very aware about the government. Because they dictate the big direction. And if you want to go against them – forget it. No one is gonna report it.” (Interview Nr. 43) JK: “Something that’s very typical Chinese?” – “I don’t know if it’s the same in other markets. For example: You need to be very sensitive on any topic related to government. […] You never directly comment about the regulations or about the government. It’s also the saying I gave to the CEO, to any managers. Because sometimes reporters will ask you in a way… They want you to comment on the government’s regulations. But this is never the way you should do. In China.” – JK: “So just be very careful and don’t touch any of this?” – “Do speak sensitive on any topics on government. Be careful on your comments.” (Interview Nr. 38) „‘Einmal hätten wir um ein Haar eine sehr heikle Pressemeldung herausgegeben’, berichtet DesRosiers von The Hoffmann Agency. ‚In der Meldung wurden die Länder genannt, in denen das betreffende Unternehmen aktiv war – und wir hatten unter anderem Taiwan genannt.’“ (Wittwer 2007, S. 88)
13.5.2 Abstimmung von Themen auf die Regierungsagenda/Parteilinie Da die chinesische Medienagenda stark politisch geprägt ist, gaben viele Befragte an, sich bei ihrer Themenwahl an den offiziellen Verlautbarungen der Fünf-Jahrespläne304 sowie der verschiedenen Ministerien und Behörden zu orientieren. JK: „Laufen die Erwartungen der Regierung in die Kommunikation ein?“ – „Ja.“ – JK: „Anders als in Deutschland?“ – „Natürlich, ja. Also, wir lesen die Regierungspläne, es gibt ja immer FünfJahrespläne.“ – JK: „Sehr praktisch.“ – „Ja! Sehr praktisch! Und auch sehr strukturiert. Und die lesen wir auch und da sehen wir auch welche Ziele die Regierung gesetzt hat. Für die nächsten fünf Jahre, was zum Beispiel das Thema Reduktion von CO2 Emissionen angeht oder neue Ressourcen und erneuerbare Energien.“ – JK: „Und dann guckt man sich die Jahrespläne an und orientiert sich daran?“ – „Ja, das ist eigentlich eine ganz gute Guideline.“ (Interview Nr. 11) “To get the story out, it’s crucial to tie-in the wave on the national agenda to deliver newsvalued articles.” (Interview Nr. 44) “You just log in to the Chinese government’s website, see the highlights and the titles and then you will know mainly the key focus of mainstream media. This will not be complicated at all.” – JK: “Where do you log in? Xinhua?” – “Xinhua is one example. But government website is even more authentic. […] You can see the direction and you can adjust your message to this. […] Just what I mentioned: You read the hotlines from the government website regarding your industry and you carefully define the message, so that the Xinhua journalists may feel, ‘Okay, this is just similar to what I got from my team leader, so it’s not dangerous that I publish.’” (Interview Nr. 35)
304 In den Fünf-Jahresplänen (aktuell 2006-2010) gibt die chinesische Regierung zentrale Vorgaben und Ziele für die chinesische Wirtschaft vor. Vgl. China.org.cn 2006.
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13 Medienarbeit
Die derzeit brisantesten Themen, die sich in der Medienarbeit als besonders gute ‚News Angles’ erweisen, sind Umwelt, Energie, Gesundheit, in gewissen Grenzen soziale Gerechtigkeit und in zunehmendem Maße auch Nachhaltigkeits-/CSR-Themen. 13.5.3 Herausstellung des Unternehmensbeitrages für China Als besonders wichtig beschrieben die Befragten, den Beitrag des Unternehmens für die Entwicklung Chinas herauszustellen. Demnach sollte wann immer möglich das ernsthafte und langfristige Engagement und quasi der Beitrag des Unternehmens zur Erfüllung des chinesischen Traumes vom ‚Neuen China’ betont werden.
Abbildung 56: Beitrag für China. Quelle: Edelman China Trust Barometer 2007, S. 4. “The question for foreign companies is always: ‘Are you really committed to China. Are you giving back to China? What are you doing for China?’” (Interview Nr. 9) “Let me give you my observations: German companies tend to, in the very beginning, in the initial state, when they come to Chinese markets, they tend to show... All they emphasize on is the quality and the function of a certain product. ‘Hey – this is made in Germany! High quality, reliable, stable! You can use it for twenty years and you don’t have to change it!’ – This is the wrong approach in China. You have to show to the public what a good company you are. ‘Look, we have 140 years of history, we have a heritage, we have a corporate value of this and we view community as one of our very important factors in success. We really want to grow together with you. Look, this is what we are. Don’t look at our products first, look at us! In person.’ And then we can talk about the product.” – JK: “By the way, we have a product, too?” – “Yes. Right. ‘By the way, this is what we can offer to support your initiative or your effort for your sustainable development, for your harmonious society development. This is what we do offer. But before that, know us first.’ – But this is not the approach, initially, that the German companies thought.” (Interview Nr. 33)
13.5 Themen/Inhalte
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“Chinese reporters, especially the general and business media, are searching for issues with social or business importance to China.” (Interview Nr. 44)
Besondere Erwartungen bestehen im Hinblick auf den Wissens- und Technologietransfer sowie die Lokalisierung der Produktion bzw. von Zulieferern. Zudem sind die höheren Erwartungen an die Sozial- und Umweltstandards ausländischer Unternehmen zu berücksichtigen. In diesem Kontext fällt das westliche Konzept ‚Corporate Social Responsibility’ (CSR) in China auf fruchtbaren Boden und nimmt zunehmenden Raum in der Medienarbeit ein. JK: “So it is a key to emphasize that you are not only here to make profit but also to give something to China?” – “Yes. Not only economic success but also we show our social responsibility. We help with the sustainability.” (Interview Nr. 33) “We have seen the last months or years – with a surge of multinationals in China and about the Chinese government wanted to put more responsibility, asking foreign companies to be more responsible about China – we have seen a surge about doing CSR.” (Interview Nr. 43)
In den CSR-Programmen deutscher Unternehmen wird insbesondere auf das Thema Bildung gesetzt, während direkte Sozialprojekte weniger geläufig sind (vgl. Studie der Universität Bremen/AHK China 2007, Lübcke et al. 2007 sowie Wittwer 2008 und Schlotter 2006). 13.5.4 Erfolgsgeschichten Um dem hohen Interesse an Erfolgsgeschichten und an Fallstudien ausländischer Unternehmen gerecht zu werden, sollte es nach Aussagen der Befragten keiner verpassen, die ‚Success Story’ des Unternehmens in China zu erzählen: Warum, wie und wann es nach China kam und welche Erfolge erzielt werden konnten. “A ‘story’ may not always be obvious at first, but whether it is the arrival in China of the company’s founders, or the company’s contributions to the industrialisation of the country, every company has a unique story to tell.” (Häntschel 2006, S. 18) JK: “And if you do interviews with journalists, what are they interested in?” – “They will appreciate if we give them the company’s heritage, how the company develops, how [Name des Unternehmens], for example, became a big company. From a very small workshop. And how it grew to this stage. What’s the success story. And then they go back home and write, ‘So this is what a Chinese company can learn, what we need to do to make good companies out of our Chinese small and medium enterprises. And, if it is possible, let’s do it.’“ (Interview Nr. 33) “For us, as you know, [Name des Unternehmens] in China, we are developing very fast in the past four years. So this raises interest in the media.” (Interview Nr. 39)
Zum Umgang mit Korruptionsvorwürfen berichtete der Kommunikationsverantwortliche eines deutschen Unternehmens, das sich in Deutschland derzeit mit schweren Korruptionsvorwürfen auseinander zu setzen hat, von einem ebenfalls hohen Interesse der chinesischen Medien, die jedoch im Vergleich zu den deutschen Medien behutsamer vorgingen, um Angriffe auf involvierte chinesische Führungspersönlichkeiten zu vermeiden.
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13 Medienarbeit
13.5.5 Erklärungsbedürftigkeit Eine weitere inhaltliche Besonderheit ist die relativ hohe Erklärungsbedürftigkeit von Themen, Produkten/Technologien und Managementsystemen und -entscheidungen in China. Die rasanten Entwicklungen in ihrem Land fordern nicht nur von chinesischen Journalisten, sondern auch von vielen Lesern umfassende Lernprozesse. Während sich Technologien in Deutschland über Jahrzehnte entwickelten und ihren Anwendern über lange Jahre vertraut sind, kommt es in China zu einer Vielzahl von ‚First Time Experiences’ (Friese in Wittwer 2008, S. 8). Vielen Chinesen fällt es zudem schwer, westliche Unternehmensstrukturen, Managementverfahren und Entscheidungsprozesse zu verstehen. “Usually, it’s very hard to understand their business. Their reporting lines, their culture, their policies. Very difficult.” – JK: “Of whom?” – “Of international companies. Why can’t a General Manager in China decide about spending a million? I could not understand.“ (Interview Nr. 35) “So there is so much to learn for the Chinese. […] If the product is groundbreaking, if it’s new, if it has new features, if it’s different from the competitors…” (Interview Nr. 42)
13.5.6 Herausstellung des Führungspersonals/CEOs Ein guter Aufhänger für Geschichten ist im hierarchischen, personenzentrierten China das Führungspersonal bzw. Besuche von Vorstandsmitgliedern/dem CEO aus dem Mutterunternehmen und die Herausstellung ihrer Persönlichkeiten. „Der Boss ist sehr wichtig, den kann man gut verkaufen, der hat fast so einen Status wie ein Kaiser. Wenn der Chef kommt, ist das in China berichtenswert. Sie können das gut als Aufhänger für eine Story nehmen.“ (Interview Nr. 22 Erfurt) JK: „Würden Sie sagen, dass die Führungsperson als Gesicht nach außen hier wichtiger ist als in Deutschland?“ – „Ja, das ist so. Man macht wahnsinnig gerne auch Bilder von Führungskräften. Ich habe mich am Anfang immer gewundert, wenn die schon wieder ein Bild von mir haben wollten, vor einer Maschine. Dann wird man davor abgelichtet, das ist so üblich, ja. In Deutschland würde man das nicht tun, aber hier tut man es halt.“ (Interview Nr. 13) JK: „Würden Sie sagen, dass das Interesse an dem Unternehmens-Chef in China allgemein größer als in Deutschland ist?“ – „Ja, das glaube ich.“ (Interview Nr. 17)
Vor allem bei deutsch-chinesischen Joint Ventures besteht ein großes Interesse an strukturellen Machtverteilungen und Personalien (vgl. Kapitel 13.13.1). 13.6 Medienplanung und -selektion Aufgrund des hohen Interesses an wirtschaftlichen Themen und dem großem Medienangebot, ist es in China grundsätzlich relativ einfach, in die Medien zu kommen (vgl. Kapitel 13.11). Schwierig ist es jedoch, im intransparenten Überangebot der Medien die für einen passenden, relevanten Medien zu identifizieren.
13.6 Medienplanung und -selektion
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”Careful selection is the key point here, as only a few of the thousands of newspapers and magazines in China are relevant to [the target group; JK].” (Häntschel 2006, S. 18) “I think, in China, we have a lot of, we have too many media here to handle. Like in a foreign country, in Germany, maybe they don’t have such kind of large media pool. I mean, in China, we will spend a lot of time to build up the media relations or enhance the media relations. Maybe, in Germany, they only have ten or twenty key media, so they can have much more time to spend with this media.” (Interview Nr. 32) “The number of publications here has been increasing dramatically. There are so many opportunities here. In a way, for the PR people, for the PR work, this is difficult. You don’t know who is the key media and it is always changing. […] It’s really hard to judge who is the key media. Who will be the major player in the future.” (Interview Nr. 34)
Zudem entwickelt und verändert sich die Medienwelt Chinas in rasantem Tempo. Während Medienverteiler in Deutschland in der Regel über Jahrzehnte entstanden und gewachsen sind, sind diese in China in kurzer Zeit neu zu erstellen und aufgrund der hohen Fluktuation in den Redaktionen noch häufiger zu aktualisieren als in Deutschland. „Unabdingbar ist es jedoch, den Presseverteiler ständig aktuell zu halten – allein schon aufgrund der hohen Fluktuation unter den Journalisten. […] Da wird dann schnell mal die Stelle gewechselt, wenn sich eine neue Chance bietet – ein Phänomen, über das in anderen Branchen genauso berichtet wird. Up to date bleiben heißt also die Devise – die permanente Aktualisierung des Presseverteilers gehört dementsprechend zu den Selbstverständlichkeiten.“ (Wittwer 2007, S. 87) JK: „Gibt es da so was wie ein Medienverzeichnis?“ – „Nee. Wenn, dann wäre der auch nicht aktuell. Die Leute wechseln ja schnell.“ (Interview Nr. 21)
Viele PR-Agenturen bieten in ihrem Portfolio Medienanalysen an, daneben stehen weitere Informationsquellen zur Verfügung, die den Befragten jedoch wenig bekannt waren (vgl. Kapitel 8.2). Grundsätzlich fühlten sich die Befragten über das Medienangebot in China weniger gut informiert als in Deutschland. Den vorhandenen Medienanalysen und Marktdaten trauten sie wenig. JK: „Also hat man weniger ‚Hard Facts’ als bei uns?“ – „Ja, das gibt’s ja hier gar nicht. Also, irgendwie, diese ganzen Auflagenzahlen und so, das ist ja alles irgendwie den Finger in die Luft zu halten. […] Die stimmen hinten und vorne nicht. Genauso wie in Deutschland, die auch nicht stimmen, nur in Deutschland sind sie vielleicht ein bisschen verlässlicher.“ (Interview Nr. 4)
Zudem stellten die Befragten fest, dass Medien-/Themenplanungen in China weniger langfristig möglich sind, da die Medien – entsprechend dem unterschiedlichen Planungsverständnis in China – in der Regel weniger weit vorausplanen als in Deutschland. Auf die Frage, welche Medientypen für die Medienarbeit besonders wichtig sind, wurde sowohl in China als auch in Deutschland die Presse und das Internet genannt, während TV und Radio in beiden Ländern als weniger relevant für die tägliche Arbeit angesehen werden.
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13 Medienarbeit
13.6.1 Ansprache von internationalen und chinesischen Medien Mit den internationalen Medien wird sowohl vom Mutterunternehmen aus, als auch vom Tochterunternehmen in China (und anderen Ländern) aus kommuniziert. Wie erwähnt, fällt dies vor Ort in der Regel, wenn vorhanden, in den Aufgabenbereich eines Deutschen oder anderen Expats. Die Ansprache der lokalen Medien erfolgt hingegen in der Regel vom Auslandsstandort und von chinesischen Mitarbeitern aus. „Also, wenn es um chinesische Medien geht, machen das chinesische Kollegen. Und wenn es um westliche Medien geht, machen das in der Regel westliche Kollegen.“ (Interview Nr. 22)
13.6.2 Umgang mit Regionalisierung der Medien Die starke Regionalisierung der chinesischen Medienlandschaft erschwert die Medienplanung zusätzlich. Während in Deutschland oftmals auf überregionale, landesweite Medien fokussiert wird, ist dies in China (vor allem für Tageszeitungen) nur begrenzt möglich. Die befragten Unternehmen schlossen sowohl überregionale als auch lokale Medien in ihre Arbeit ein, wobei sie sich lokal vor allem auf Peking, Shanghai und Guangzhou sowie auf Regionen, in denen sich wichtige Marktpartner, Filialen oder Produktionseinheiten befinden, konzentrieren. Dabei berücksichtigen sie die Besonderheiten des jeweiligen lokalen Medienmarktes. Jede Erweiterung der Geschäftstätigkeit in einer neuen Region erfordert, sich mit den jeweiligen Medien vor Ort und deren Besonderheiten von neuem auseinander zu setzen. “We have to take care of the local newspapers, that’s for sure. Because once crisis comes up, it always shows on the local paper. The local ones are more important. Because the national one is always talking about the communist conferences, parties or whatever.” (Interview Nr. 34) „Also, es ist schon eine starke Vermischung. Auf der einen Seite eben die überregionalen Medien, dann auf der anderen Seite die Beijing News Daily und wie sie alle heißen, die natürlich eine große Rolle spielen und dann auch stärker lokal fokussiert sind. Aber das eine tun heißt das andere nicht lassen. Also man muss einfach beides bedienen. Man muss einen Mix finden.“ (Interview Nr. 22) JK: „Ist es ein Problem, dass die Medien hier sehr lokal sind, also, dass man nicht viele nationale Medien hat?“ – „Ein Problem ist das nicht. Wenn man sich darauf einstellt und weiß, dass es – sagen wir mal – nur an bestimmten Key-Orten die wichtigen Medien gibt. Das ist ja auch mit ein Grund, warum wir auch dezentral aufgestellt sind.“ – JK: „Das heißt, man bearbeitet dann Peking, Shanghai, Guangzhou. Und der Rest ist dann sozusagen der Rest?“ – „Ja, der Rest ist der Rest. Den ignoriert man aber nicht. Nur, man kann natürlich nicht an jedem Ort gleichzeitig sein, man muss sich konzentrieren und wir konzentrieren uns natürlich darauf, wo wir auch unser Geschäft machen.“ (Interview Nr. 4) „Der chinesische Markt ist nicht ein Markt, sondern jede Stadt hat ihren eigenen Markt.“ (Interview Nr. 10) “Because Chinese media are very different. They are different from market to market. When we talk about Shanghai you probably cannot expect the same behaviour in Chengdu or, let’s say, some other small second major market. So you should have a better knowledge of all those media and how they will act on this one topic. Maybe they see it totally different.” (Interview Nr. 38)
13.6 Medienplanung und -selektion
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13.6.3 Party Papers versus Commercial Papers Auch wenn alle Medien in China letztendlich unter staatlicher Kontrolle stehen, gibt es Unterschiede im Hinblick auf die Besitzstrukturen und Freiheitsgrade der Medien. Dies beeinflusst die Medienarbeit jedoch weniger als angenommen. Die meisten Befragten gaben an, zwischen ‚Party Papers’ und ‚Commercial Papers’ nicht explizit zu unterscheiden. Sie beobachteten lediglich, dass die Propagandapublikationen der Regierung/Partei an Unternehmensthemen naturgemäß weniger interessiert sind, als ‚Commercial Papers’. Dennoch werden sie als wichtig betrachtet, da über sie wichtige Regierungs-/Parteimitglieder erreicht werden können. “Well, obviously all the media is controlled completely. But obviously the level of control various. […] Like People’s Daily or CCTV is obviously gonna be higher controlled than it will be another newspaper which isn’t directly owned. But for us, it doesn’t really impact our job that much. Unless you are talking about issues with direct conflict to the government, which we wouldn’t do anyway.” (Interview Nr. 42) JK: “Does it make a difference that it is governmental owned?” – “Not that much of a difference.”– JK: “They work kind of the same way?” – “Yes.” (Interview Nr. 39) “Actually, some of the media listed here have government background. They are controlled by government. You know, in China, most of the media are controlled by government.” – JK: “So does it make a difference if you talk to governmental owned media compared to not governmental owned?” – “Not much, I think. They have their freedoms.” (Interview Nr. 32)
Grundsätzlich kann es in China wie in Deutschland hilfreich sein, die Besitzverhältnisse, Personalstruktur und Zielsetzung/Ausrichtung relevanter Medien zu kennen. Anders als in Deutschland, wo zwischen eher ‚linken’ und eher ‚rechten’ Publikationen unterschieden werden kann, ist dabei die grundsätzliche politische Ausrichtung konstant. “Some media is affiliated to this association, to that organization, to this media group, to that press office. You have to have a clear idea about that and then they always have their background forces or some matrix to help them to get influence. Usually, in China, media is not truly… it’s not flat. It’s more kind of a matrix. If you look at one media, you have to learn about their ‘blood lines’ and to the very end you will see who you really deal with. You have to look to the family lines […]. Is it really a paper or a consulting committee, who are the investors? […] The mainstream is really in line with each other, so it’s rather easy.” (Interview Nr. 35)
13.6.4 Xinhua Der Einbezug regierungsnaher Medien umfasst auch die Nachrichtenagentur Xinhua, die von den Befragten mindestens gleichrangig wie die internationalen Nachrichtenagenturen behandelt wird. Eine Nachricht ‚über den Ticker’ zu kriegen (oder zu vermeiden), ist in China ein ebenso angestrebtes Ziel wie in Deutschland, jedoch vorwiegend den ‚Big Playern’ oder Informationen mit besonders hohem Nachrichtenwert vorbehalten. JK: “Do you work with Xinhua?” – “Oh yeah, very closely. I mean, they are the most important guys around. Their stuff goes everywhere. […] I mean, they are a couple of the most important
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13 Medienarbeit
guys in the business here. […] You know, like dpa gets picked up everywhere. It’s a lot.” (Interview Nr. 9) JK: “Do you work with Xinhua?” – “Yes. Yes. We work with all the major agencies. […] There is Xinhua and there is China News Service, but yes, we work with them.” – JK: “So they will also get a press release?” – “Yes. Absolutely!” – JK: “And is it important to have good relations with them as well?” – “Yes, definitely. Huge influential. Because, obviously a lot of the local stations or local papers will pick up a lot of their stuff.” – JK: “And do you invite them to press conferences as well?” – “Oh, yeah. They are very targeted media. Always people will try to invite them to any event.” (Interview Nr. 42) “Every press conference we will have one or two journalists from Xinhua, that’s for sure. […]” – JK: “Do you also send out press releases to Xinhua?” – “Yes. No problem, you can send. You don’t have to. Because they have sufficient information sources.” (Interview Nr. 35) JK: “Do you work with press agencies?” – “Not yet.” – JK: “But you will?” – “Xinhua. But I don’t think so, there is no very direct relation. It’s too big for us.” (Interview Nr. 30)
13.6.5 Printmedien In Deutschland wie in China wird den Printmedien die wichtigste Rolle in der Medienarbeit beigemessen. No. Publications-E General Business 1 2 3 4 5 6 7
Oriental Morning Post Youth Daily Shanghai Daily Shanghai Star Jiefang Daily New Times China Daily
Publications-C ϰᮍᮽ 䴦ᑈ Ϟ⍋᮹ Ϟ⍋㣅᭛᯳ 㾷ᬒ᮹--≑䔺਼ߞ ᮄ䯏ज-≑䔺 (Englisch)
“Print is the top. I should say 90% of the questions are coming from print.” (Interview Nr. 38)
Business 1 2
Asia Business Shanghai Financial News
Ѯ⌆ଚϮ Ϟ⍋䞥㵡
Auto Free Auto Reporter AutoCar Automobile & Parts Auto Part Weekly China Automotive News Shanghai Jiao Tong An Quan Bao Shanghai Automobile News
Autoᖿ䔺䘧 䔺㒣䔺ᯊҷ਼ߞ 䕓䔺ᚙ ≑䔺Ϣ䜡ӊ ≑䜡਼ߞ Ё≑䔺 Ϟ⍋Ѹ䗮ᅝܼ≑䔺ᯊҷ Ϟ⍋≑䔺
Auto 1 2 3 4 5 6 7 8
Abbildung 57: Presseverteiler (wichtigste Medien) eines Unternehmens der Automobilindustrie in China (Shanghai).
13.6 Medienplanung und -selektion
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Auch mit zunehmender Relevanz des Internets behalten Printmedien ihren herausragenden Stellenwert, da viele Online-Beiträge auf Presseberichten beruhen. Der Schwerpunkt der Medienarbeit in China im B-to-B-Bereich liegt, ebenfalls ähnlich wie in Deutschland, auf Wirtschafts- und Branchenmedien. Während Unternehmensthemen (Management, Finanzen etc.) in den allgemeinen und Wirtschaftsmedien im Vordergrund stehen, dominieren in der Fachpresse Technologie- und Produktthemen. Ein deutsches Unternehmen der Automobilindustrie stellte den Verteiler seiner wichtigsten Medien in China (Shanghai) zur Verfügung: Tageszeitungen und Zeitschriften (Allgemeine Publikationen) Für allgemeine Unternehmensthemen mit Relevanz für die breite Bevölkerung und um sich gegenüber der Regierung/Partei positiv zu positionieren, spielen allgemeine Publikationen (Tages- und Wochenzeitungen, Magazine) eine zentrale Rolle. Dies betrifft zum Beispiel Pläne für neue Projekte in China, Beschäftigungsentwicklungen, Managemententscheidungen, Joint Venture-Kooperationen etc. Die allgemeinen Publikationen (nationale wie lokale, ‚Party Papers’ wie ‚Commercial Papers’), die in der Regel über einen Wirtschaftsteil verfügen, werden in der alltäglichen Pressearbeit meist standardmäßig mit einbezogen. Handelt es sich um ein politisch bedeutendes Thema, spielt (unter Beachtung aller politischen Sensibilitäten) die People’s Daily eine zentrale Rolle. Um Expats in China zu erreichen, werden (je nach Zielsetzung) ggf. auch englischsprachige Publikationen mit einbezogen. Wirtschafts- und Finanzpresse Die boomende Wirtschafts- und Finanzpresse gewinnt in China zunehmend an Bedeutung. In ihnen wird am ehesten ein kritischer Journalismus erwartet (vgl. Kapitel 13.11). In den Interviews wurden die in der Strukturanalyse identifizierten führenden Zeitungen (21st Century Business Herald, The Economic Observer, China Business News) und Zeitschriften (Caijing, Fortune, Forbes) wiederholt genannt. Fachpresse Die überregionale Fachpresse wird in China als ebenso wichtig eingestuft wie in Deutschland. Aufgrund der Vielfalt der zur Verfügung stehenden Publikationen mit zum Teil starker thematischer Spezialisierung, müssen Unternehmen sehr selektiv vorgehen. In Deutschland wie in China wird das Fachwissen in den Fachmedien im Vergleich zu allgemeinen Publikationen als höher eingestuft, so dass hier spezielle (vor allem technische, produktbezogene) Sachfragen im Vergleich tiefer gehend analysiert werden. Die Branchenmedien wenden sich an verschiedene Anspruchsgruppen, wobei in China wiederum eine starke Adressierung politischer Entscheider beschrieben wurde, was auch dadurch bedingt ist, dass die chinesische Fachpresse vor allem von regierungsnahen Verbänden herausgebracht wird. 13.6.6 TV/Radio Audiovisuelle Medien sind für die Medienarbeit weniger relevant – in China noch weniger als in Deutschland. Obwohl TV in China aufgrund des riesigen Publikums verlockend zu sein vermag, lässt die primäre Unterhaltungsfunktion und die starke staatliche Regulierung von TV und Radio wenig Ansatzpunkte für PR-Initiativen.
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13 Medienarbeit
„Also, TV ist grundsätzlich eigentlich nicht möglich, weil, das ist komplett staatlich durchgetaktet. Im Bereich TV würde ich sagen, gibt es nur wenige Fenster, wo man da ’reinkommt und das ist im Westen ja wesentlich durchlässiger, in den USA ja sehr durchlässig über das gesamte private TV-System.“ (Interview Nr. 22)
Noch geringer wird in China die Bedeutung des Radios eingeschätzt. Nur wenige der Befragten gaben an, jemals etwas mit dem Radio zu tun gehabt zu haben (eine Ausnahme ist die Automobilindustrie, die sich an die größte Radio-Hörerschaft in Shanghai und Peking – Taxifahrer – wendet). Eine PR-Verantwortliche aus der Versicherungsbranche berichtete von einer Radio-Sendung zu Versicherungsthemen, in denen sie manchmal Fragen beantwortet305. Während sich im Endkonsumentenbereich ‚Call-In-Sendungen’ für PR-Initiativen anbieten, ist dies im B-to-B-Bereich weniger möglich. 13.6.7 Internet Nach den Printmedien spielt das Internet weltweit eine stetig zunehmende Rolle. Das Internet ist für viele Deutsche und Chinesen eine Hauptinformationsquelle und ermöglicht interessierten Rezipienten, sich zu einem speziellen Thema umfassend und aus verschiedenen Perspektiven und Quellen zu informieren. Obwohl chinesische Internetportale nur sehr begrenzt eigen recherchierte Inhalte bieten, werden sie als wichtiger Multiplikator in die direkte Medienarbeit mit einbezogen306. JK: “The web is getting more important?” – “Oh yeah, incredibly. The internet portals can’t supplement journalists. But they reproduce, they can reproduce information. And people will first turn to the internet.” […] – JK: “Yes, it seems to be the most important in the future...” – “Oh completely. Everything we do has an online component. Everything.” (Interview Nr. 45)
Als wichtigste Internetportale wurden von den Befragten Sina und Sohu genannt. Daneben gibt es einige branchenspezielle Portale und Foren. Blogs und BBS Seiten werden von einigen Befragten in die Medienarbeit mit einbezogen (vgl. Kapitel 13.11.7). Außerdem nutzen einige Unternehmen (in China wie in Deutschland) spezielle Internetportale, um mit Journalisten in Kontakt zu treten (vgl. z.B. – öffentlich zugänglich/jedoch Chinesisch – http://sap.csdn.net). 13.7 Foren der Medienansprache Allgemein spielen persönliche Kontakte in der Medienarbeit eine wesentliche Rolle. Das PR-Ideal symmetrischer, dialogischer Face-to-Face-Kommunikation wird in persönlichen Treffen verwirklicht, ist jedoch auch in Veranstaltungen möglich. So nehmen diese Bereiche einen zentralen Stellenwert in der PR ein. Hierin sind sich Befragte in Deutschland und China grundsätzlich einig. 305 Als weiteres Beispiel lässt sich die inhaltliche Gestaltung einer chinesischen Radio-Sendereihe zum Thema ‚Haustiere’ anführen, die ein deutscher Chemie-Konzern initiierte, um ein grundlegendes Bewusstsein für Tierhygiene zu wecken. 306 Von den vielfältigen Kommunikationsforen im Internet sind für die Medienarbeit besonders die Internetportale relevant.
13.8 Episodische Begegnungen, Beziehungen und Netzwerke
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„Also, persönlich ist immer noch das Beste. Ganz klar. Trotz der multimedialen Welt, in der wir leben. Trotz Internet, Intranet und und und – sie ist immer noch das Wichtigste. Das Wichtigste sind, ganz klar, das Netzwerk, die persönlichen Beziehungen. Veranstaltungen – bezieht sich wieder auf persönliche Begegnungen, ganz klar.“ (Interview Nr. 48) “Let me put it this way: If a company can achieve a scenario where there is more percentage of face-to-face meetings in media relations or government relations or stakeholders, customers. If you can do that, this is a very successful company. I would say the personal, the face-to-face meetings with your audience and your targets are very important.” (Interview Nr. 33)
Im direkten Vergleich der beiden Länder sind die befragten PR-Manager jedoch der Ansicht, dass Face-to-Face-Kommunikationen und persönliche Begegnungen in China noch wichtiger sind als in Deutschland. Während in Deutschland auch Informationen Aufmerksamkeit erhalten, die Journalisten unpersönlich (via Fax/Email) erreichen, ist dies im beziehungsorientierten China weniger Erfolg versprechend (vgl. Kapitel 13.10.4). Gerade im Hinblick auf die starke Regionalisierung in China, sind Zusammenkünfte mit lokalen Akteuren besonders wichtig. „Weil in China alles über, ich sag mal, die Relationship geht. Also du musst die Leute kennen. Da wird dann natürlich mal angefragt: ‚Ich habe da einen Vortrag gehört von Ihnen auf der Messe’, oder so. Was ’rausschicken bringt hier glaube ich wesentlich weniger. Weil die Chinesen wirklich Face-to-Face wollen. Die wollen Touch and Feel haben.“ (Interview Nr. 28) „Generell reicht es nicht aus, Pressemitteilungen an Zielmedien und Kunden zu verschicken. Stattdessen bietet es sich an, ‚Gesicht zu zeigen.’“ (Hardebeck 2005, S. 28)
13.8 Episodische Begegnungen, Beziehungen und Netzwerke Persönliche Treffen mit Journalisten, Beziehungen und Netzwerke sind ein zentraler Aspekt von PR. PR-Akteure müssen sich dabei auf die Erwartungen, Fähigkeiten und Kenntnisse der Journalisten einstellen. Der Umgang mit internationalen/westlichen Journalisten westlicher Medien in China bzw. von China aus unterscheidet sich nicht wesentlich von dem Umgang mit Journalisten in Deutschland. Auch gibt es einige chinesische Journalisten, die für internationale Publikationen arbeiten, über eine gute Ausbildung/Auslandserfahrungen verfügen und sich dem ‚westlichen’ Arbeitsverhalten und Professionalitätsstandard weitgehend angepasst haben. Daneben gibt es jedoch einen Großteil junger, weniger gut ausgebildeter und weniger erfahrener chinesischer Journalisten, auf die deutsche Unternehmen in ihrer PR-Arbeit in China stoßen. Auf diese soll sich in Folge konzentriert werden307. Gemäß der international vergleichenden PR-Forschung zeichnet sich die PR-Arbeit von einheimischen Akteuren in China vor allem durch Guanxi aus (vgl. Kapitel 10.5.6.1). Es stellt sich die Frage, inwiefern dies auch die PR-Arbeit deutscher Unternehmen vor Ort betrifft. Alle Befragten in China stimmten darin überein, dass sich PR-Arbeit in China tatsächlich in diesem Punkt von Deutschland unterscheidet, dies jedoch nur schwer zu be307 Selbstverständlich können keine Aussagen über das Verhalten jedes Journalisten getroffen werden. Sie alle sind Individuen mit eigenen Erfahrungen, Idealen und Zielen. Es lassen sich lediglich die angestellten Beobachtungen aus Perspektive der befragten PR-Akteure aufführen und dadurch Tendenzen ableiten.
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13 Medienarbeit
schreiben sei. In Folge wird versucht, den Unterschied anhand der Dimensionen Relevanz, Akzeptanz, Beschaffenheit, Aufbau und Pflege sowie Funktion/Nutzen von Beziehungen zu umreißen. 13.8.1 Relevanz Sowohl in Deutschland als auch in China gaben die Befragten an, dass persönliche Beziehungen ein wichtiger Bestandteil einer erfolgreichen Medienarbeit sind. Während es in Deutschland jedoch eher hieß, persönliche Beziehungen seien wichtig und hilfreich, hielt man sie in China für absolut notwendig. Persönliche Beziehungen (die Beziehungsebene) sind demnach in China eine wesentlich wichtigere Voraussetzung dafür, überhaupt (auf der Sachebene) Gehör zu finden. Während man in Deutschland bei interessanten Informationen problemlos einen persönlich unbekannten Journalisten anrufen kann, ist ein solches Vorgehen in China eher ungewöhnlich. JK: „Würden Sie sagen, dass Beziehungen oder Kontakte in der Medienarbeit hier wichtiger sind als in Deutschland?“ – „Ja.“ (Interview Nr. 4) “According to my experience, I would say, that is the most important thing in China. I mean, it is the most important thing also in Germany. […]” – JK: “So what’s the difference then?” – “The difference is that here, I think you have no chance if you have no relationships, if you don’t know an editor.” (Interview Nr. 8) JK: “And what do you imagine are the most important differences between PR in China and in Germany?” – “We emphasize more on the human, personal, people side. And in western countries, sometimes they either focus too much on products and solutions or sometimes look at the market value and stock price as an ultimate.” (Interview Nr. 33) “Relations are the key. In China that is everything.” (Interview Nr. 43) „Wissensvorsprung dank guter Kontakte ist für die Pressearbeit in China unverzichtbar. Ob überhaupt, wie, wann, wo und von wem ein bestimmtes Thema veröffentlicht wird, hängt nicht – wie in einem demokratischen Umfeld üblich – vorwiegend vom Nachrichtenwert ab, sondern auch von guten Guanxi zu politischen Entscheidungsträgern.“ (Schlotter 2006, S. 51)
In der Regel werden in den verschiedenen Redaktionen Kontakte zu Journalisten mit unternehmensnahen Themen und zu Chefredakteuren bzw. wichtigen Entscheidern gesucht. „Der Aufbau von Beziehungen ist extrem wichtig. Und zwar zu den entscheidenden Personen in den Medien. Also, Chefredakteure, Ressortleiter und so.“ (Interview Nr. 4)
Hierbei ist zu beachten, dass die formalen Strukturen und Hierarchien in den Redaktionen nicht unbedingt den realen Entscheidungsfindungsstrukturen entsprechen, die es zunächst herauszufinden gilt. Hindernisse für den Aufbau von langfristigen Beziehungen sind zudem die weniger starke thematische Spezialisierung von chinesischen Journalisten und die hohe Fluktuation in den Redaktionen.
13.8 Episodische Begegnungen, Beziehungen und Netzwerke
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13.8.2 Akzeptanz Neben der Relevanz von persönlichen Beziehungen besteht ein Unterschied hinsichtlich der Akzeptanz dieser Beziehungen. Das Interesse von Journalisten an persönlichen Beziehungen mit PR-Akteuren wird in China ungleich höher eingestuft als in Deutschland. Aufgrund des Ideals journalistischer Integrität und Unabhängigkeit, meiden es Journalisten in Deutschland eher, PR-Akteuren zu nahe zu kommen, während Journalisten in China dem gegenüber offenbar weniger Vorbehalte haben308. „Wirtschaftsjournalisten sind ja sowieso immer ein bisschen, also die deutschen, die internationalen nicht so sehr, ein bisschen zickig, was die Zusammenarbeit mit PR-Leuten angeht. Die wittern immer gleich den großen Betrug. […] Da hat man es ein bisschen schwieriger, weil man einfach nicht als glaubwürdig eingestuft wird.“ (Interview Nr. 51) „Also, die Kontakte hier zu den Journalisten sind enger und, vielleicht weil die Journalisten so jung sind und so unerfahren und so ein bisschen hilflos auch, brauchen sie den engen Kontakt zu den PR-Managern.“ (Interview Nr. 21) JK: “How important are relationships?” – “Very, very important. So the media… unlike in the west, where media prefer you just send them the Email and the information. They don’t want to speak to you; they don’t want to meet you. It’s very fact based. Whilst here, it’s much more about spending time with the media. If you just send out press releases, you won’t really get any results. You have to have press conferences, you have to actually invite the media to attend, meet them, talk to them and have them understand your company that way. Really, that’s really different from the west. Media like the personal one-and-ones. Whilst in the west, they don’t actually want to speak to PR people. They just want the information and they leave.“ (Interview Nr. 42)
Anders als in Deutschland, akzeptieren viele chinesische Journalisten das Angebot von PRAkteuren, sie bei ihrer Arbeit zu begleiten und zu unterstützen (vgl. Kapitel 13.11.2). “Sometimes you talk to journalists not in a real interview, you just ask for some opinion. You have to spend lots of time asking: ‘What are you interested in? What is your focus? What is your interest currently? What do you want to write a report on?’” (Interview Nr. 41)
13.8.3 Beschaffenheit Bei der Beschreibung von Beziehungen zwischen Journalisten und PR-Akteuren lassen sich deutliche Unterschiede hinsichtlich der verwendeten Adjektive feststellen. PR-Akteure in Deutschland verwendeten im Vergleich eher sachliche, inhaltlich-orientierte Begriffe als ihre chinesischen Kollegen. Einige chinesische PR-Akteure wiesen sogar auf die geradezu freundschaftliche Komponente in ihren Beziehungen zu Journalisten hin. „Also, die Beziehung entsteht dadurch, dass man gute Arbeit leistet. Die besteht für mich nicht unabhängig von der Arbeit.“ – JK: „Die Sachebene steht vor der persönlichen Ebene?“ – „Das ist das, wie ich arbeite. Und das ist auch das, was Journalisten erwarten.“ (Interview Nr. 51) 308 Vgl. hierzu z.B. die Journalistenbefragung von Weischenberg (1997). In einer Befragung von 1.500 Journalisten (1993) stellte sich heraus, dass die Mehrheit der Journalisten PR-Leistungen eher ablehnt als akzeptiert.
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13 Medienarbeit
„Na gut, eine Freundschaft kann es eigentlich nicht sein. Klar kann es natürlich privat sein, aber so weit würde ich es nie kommen lassen. Es sind immer die unterschiedlichen Seiten des Schreibtisches. Also, ich denke mal, die typische Beziehung ist, jeder sollte auf professionelle Art und Weise seine Arbeit machen. Das heißt, der Journalist kann von uns erwarten, dass er von uns fristgerecht, zeitgerecht und mit der möglichen Offenheit die Information bekommt, die er bekommt. Da gibt es Grundsätze wie Lügen ist nicht, grundsätzlich nicht. […] Und vom Journalisten kann ich erwarten, dass er die Inhalte zumindest aufnimmt und nicht in einer, sage ich jetzt mal, sehr vorgegebenen Weise interpretiert. Was nicht heißt, dass er sich nicht auch noch Gegeninformationen einholen kann. Und eine gewachsene Beziehung ist sicher eine, die auf hoher Glaubwürdigkeit, Offenheit und Vertrauen basiert.“ (Interview Nr. 50) „Das ist auch ‘ne andere, ich sag mal, Loyalität, wenn man die Beziehung hat, die die Leute dann auch empfinden, als das in Deutschland… In Deutschland, ja, da ist das einfach alles viel, also nicht so… nicht so fest.“ (Interview Nr. 4) “I just raise an example: Among colleagues, for example, in China, if you really want to maintain the relation, even some colleague or journalist, you have to be good friends first. So, in Germany, I know, there is a very clear difference between the private life and business life. So, I can imagine, that for PR in Germany that is the same. Journalists are customers or journalists are partners – but they cannot be friends. So the relations do play an important rule in Chinese culture, that’s something that we really cannot change. […] We are not real friends, but we try to make an atmosphere like friends.” (Interview Nr. 30) “Of course, they are targets for us in the beginning. But with the more contact you are having with the media, you are becoming friends. Some of the media is very close to us.” (Interview Nr. 34)
Auch wenn andere Akteure in China nicht so weit gingen, ihre Beziehungen zu Journalisten als Freundschaften zu bezeichnen, beschrieben sie allgemein eine Intensität des Kontaktes, die weit über die sachliche, berufliche Ebene hinausgeht. Die PR-Akteure bewegen sich dabei in einem Spannungsfeld zwischen westlichen Professionalitätsstandards und den sozialen Konventionen Chinas. “We want to live by that standard. And, at the same time, Guanxi is still important. Relationships are very important. And that’s kind of the more Chinese way. I mean, we want to communicate in the right language and the right tone and these things.” (Interview Nr. 9) “As I said, you ought to have close relationships with the journalists. But not too much. You have to keep distance in a way. It’s very complicated.” (Interview Nr. 34)
13.8.4 Aufbau und Pflege Der Aufbau und die Pflege von zwischenmenschlichen Beziehungen ist ein sehr individueller Prozess, der von den Persönlichkeiten der beteiligten Personen abhängt. Jedoch lassen sich zwischen Vorgehen in Deutschland und China wiederum Unterschiede im Hinblick auf den vorrangigen Sach- bzw. Beziehungsbezug feststellen. „Das heißt ja nicht, dass wir in Deutschland nicht ‘ne ähnliche, sagen wir mal, Netzwerkpflege auch als wichtig erachten, nur, die funktioniert eben anders. Die Gesetze und die Spielregeln sind andere.“ (Interview Nr. 22)
13.8 Episodische Begegnungen, Beziehungen und Netzwerke
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Eine gute Beziehung zwischen PR-Akteuren und Journalisten entsteht in Deutschland vor allem auf einer sachorientierten Basis, durch eine professionelle, faire Zusammenarbeit, während in China mehr ‚gemenschelt’ wird. Hierzu gehören: Einladungen/Geschenke Einladungen und Geschenke sind wichtige Instrumente, um Beziehungen aufzubauen – besonders für den Aufbau von Guanxi in China. Dem stehen die Compliance-Richtlinien der Unternehmen entgegen. Gerade vor dem Hintergrund vieler Skandale in den letzten Jahren, wird in Deutschland zunehmend auf derartige Zuwendungen in der Medienarbeit verzichtet bzw. werden diese stark eingeschränkt. JK: „Fallen Ihnen Dinge ein, die Sie für typisch deutsch halten, in der Medienarbeit?“ – „Ja, insgesamt ist es sehr viel, also, sachorientierter glaube ich, wobei das auch noch nicht jeder weiß. […] Also, ich bin eher der Meinung, dass sich Journalisten sowieso nicht gerne bespaßen lassen. Und dass man da lieber den Ball flach halten und sich nicht aufdrängen sollte. Entweder man hat was zu sagen, dann kann man das auch sagen, und wenn man nichts zu sagen hat: Einfach mal die Klappe halten.“ (Interview Nr. 51) JK: „Ist das vornehmlich sachlich oder geht es da schon auch um Wining und Dining?“ – „Nee. Also auch gerade durch die Compliance-Thematik, die auch immer stärker wird, […] ist so etwas fehl am Platz. Also, wenn so was ist, das man sagt, okay, man hat jetzt einen Pressetermin oder eine Fahrveranstaltung: Klar gibt es da auch was zu Essen und klar gibt es da auch was zu Trinken, aber umgekehrt würde man jetzt nicht sagen, ‚Okay, Journalist A, fahr mit deiner Familie jetzt mal in den Schwarzwald’. Also so weit geht das nicht. […] Es gibt da ComplianceRichtlinien, die werden eingehalten. Die sind sehr, also sehr… Die lassen wenig Spielraum, sagen wir so.“ (Interview Nr. 49) „Die ethischen Standards sind angezogen, Geschenke, Abendessen will man nicht. Man sucht eine professionelle Ebene, die ist super seriös.“ (Interview Nr. 53)
In China ist die Spannbreite für akzeptierte Aufmerksamkeiten hingegen breiter (vgl. Kapitel 10.5.5.3). Auch hier zeigt sich wieder das Spannungsfeld zwischen westlichen Professionalitätsstandards und chinesischen Gepflogenheiten, zu denen gehört, dass man Aufmerksamkeiten weniger als Bestechungsversuche ansieht. Die (schlecht bezahlten) Journalisten sind für Einladungen und Geschenke empfänglich und erwarten diese überwiegend sogar. „Also, Sie brauchen eben regelmäßige Touch-Points, also face-to-face interaction. […] Es läuft sehr viel über Beziehungen – das ist eine Sache. Ob man diese Beziehungen, wie man diese Beziehungen herstellt und wie man sie pflegt, ist eine andere Sache. Beziehungen sind da nicht gleichzusetzen mit Bestechungen. […] Es ist einfach, man muss mit Leuten trinken und man muss mit Leuten Essen gehen, das gehört halt mit dazu.“ (Interview Nr. 22) „Dining and Wining, den Leuten auch mal was ’rüberwachsen lassen und so weiter und so fort. So was ist bei uns nicht der Fall.“ (Interview Nr. 6)
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13 Medienarbeit
So investieren chinesische PR-Akteure sehr viel Zeit – im Verhältnis noch mehr Zeit als ihre Kollegen in Deutschland – für persönliche Zusammentreffen und Beziehungspflege mit Journalisten309. „Unter den Chinesen ist das unglaublich wichtig, diese ganzen Sachen mit Essen gehen, das ist unglaublich wichtig.“ (Interview Nr. 21) “Our staff will do like relationship building with the media. So every month they will meet up with, you know, key media in that sector or take them for a coffee or just have a lunch with them and just build up this relationship.” (Interview Nr. 42)
Besondere Veranstaltungen zur Beziehungspflege Um dem Wunsch nach regelmäßigen persönlichen Kontakten nachzukommen, bieten PRAkteure in China neben den üblichen Veranstaltungen (Pressekonferenzen, Interviews etc.) oftmals zusätzliche Gelegenheiten, um mit den Journalisten in legerer Atmosphäre zusammen zu kommen und sich jenseits der Arbeit besser kennen zu lernen und die Beziehung zu pflegen. “It’s about taking your relationships to the next level and really meeting with them off. Sometimes we bring editors in for something totally not related to the [Branche des Unternehmens] issue. We make like a small gathering with the top ten editors and have something on Chinese antiques or just some kind of architectural design – just something interesting for, you know, relationship building. You know, you want to be friendly to these guys.” – JK: “Would you ever invite a journalist of the, let’s say, New York Times to an event like that?” – “No. I mean, these are busy guys!” (Interview Nr. 9) „Da gibt es unterschiedliche Instrumente. Wir haben beispielsweise etwas, was wir ‚Media Saloon’ nennen. Das ist einmal im Quartal ein Thema, wo wir dann in den drei Key Cities einen Speaker haben, der zu dem Thema spricht. Da muss aber nicht darüber berichtet werden, das ist einfach so ein, sagen wir mal, ‚Get Together’.“ – JK: „So eine Art Netzwerkpflege?“ – „Ja, genau. […] Es geht einfach darum, dass man eine angenehme Atmosphäre hat, was lernen kann, die Journalisten fragen können – wir ein paar Stunden zusammen sind und diese Zeit nutzen, um über Themen zu sprechen und so.“ (Interview Nr. 4) JK: “Can you describe these gatherings?” – “We will not talk about business, it’s just for fun. We have different programs, some kind of interesting fun program for them to participate. Like some magic show. Something like that. We go to different venues. We don’t want to meet in a hotel because this is not interesting. We will find a fun place, with some delicious food. Maybe for two or three hours. It’s very social, you know, we talk about our families and stuff like that. I think it’s very important because in that gathering even you don’t want to talk about business. But sometimes the media will find this a good opportunity to communicate with you on the corporate messages, on the developing, something like that. Very fun. […] That’s Chinese culture – I think, for the media gathering, that’s kind of like Chinese culture. I don’t know, in Germany, if they will have this kind of media gathering. But we do have in China.“ (Interview Nr. 32)
Auch Befragte in Deutschland berichteten von Antrittsbesuchen bei Journalisten und Terminen, an denen Journalisten die Chance bekommen, das Unternehmen und PR-Manager
309 Vgl. auch Erkenntnisse der interkulturellen Managementforschung im Anhang.
13.8 Episodische Begegnungen, Beziehungen und Netzwerke
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kennen zu lernen. Allgemein ist das Interesse an Terminen und Gesprächen, in denen es nicht um inhaltliche Dinge geht, aber sehr begrenzt. „Eigentlich kommt es nur zu Kontakten, wenn es wirklich was zu berichten gibt. Ansonsten haben Journalisten da keine Zeit für.“ (Interview Nr. 53) „Also, entweder Sie haben eine Nachricht, Sie haben eine Botschaft, auch wenn die am Anfang nicht erkannt wird und Sie sie mühsam oder intensiv vermitteln wollen. Aber ohne Botschaft, ohne Nachricht, sind keine Punkte zu gewinnen. […] Es geht immer um inhaltliche Themen. Also, ganz peripher haben wir auch so Sachen, wo es auch um Incentives geht. Also bei großen Veranstaltungen, wie einer Fußball-Weltmeisterschaft oder irgendein Konzert oder so was, da nutzen Sie dann Gelegenheiten, also auch Incentives zu machen.“ (Interview Nr. 52)
Persönlicher Umgang miteinander Jede zwischenmenschliche Beziehung basiert vor allem auf dem persönlichen Umgang der beteiligten Individuen miteinander. Hierbei kommt das gesamte kulturelle Regelsystem zum Einsatz – Regeln der verbalen und nonverbalen Kommunikation sowie soziale Umgangsregeln. Interkulturelle Unterschiede sind hier besonders deutlich. Diese sind für westliche PR-Akteure über die Sprachbarriere hinaus das wesentliche Hindernis, PR in China im Alltag umzusetzen (vgl. Kapitel 11.2.2). “You know, like interaction between Journalists and media – they are really quite different here.” (Interview Nr. 30)
Wichtiger als in Deutschland ist es nach Beobachtung der Befragten, in China Gemeinsamkeiten (etwa eine ähnliche Herkunft oder gemeinsame Studien- bzw. Berufserfahrungen) zu betonen. Hier haben deutsche/westliche PR-Akteure in China einen klaren Nachteil. „In Shanghai ist es zum Beispiel auch wichtig, dass man Shanghainesen das machen lässt, die können dann ‚Shanghaineese’ untereinander sprechen. So wird noch schneller die gute Beziehung hergestellt und es läuft noch besser. Ich glaube, dass die einfach nicht so ein Vertrauen zu jemanden hätten, der nicht aus der gleichen Stadt kommt, den gleichen Hintergrund hat.“ (Interview Nr. 21) “I have my own network because some of my friends or my class mates, alumni and so on… some of them are my alumni, so that’s very good. […] Alumni from Beida310. There were not many schools, many universities, in which we can find a communication or media or Chinese language department. Actually, most of the journalists, they graduate from this three or four universities. So we can really find some topics in common. So that’s also very good for us.” (Interview Nr. 30) ”It was very difficult for me to find a job because I don’t speak local dialects and don’t have local networks.” (Interview Nr. 35; Chinese, der nicht aus Shanghai stammt)
Darüber hinaus sind in Interaktionen die chinesischen Höflichkeitsregeln und der indirekte chinesische Kommunikationsstil zu berücksichtigen.
310 Peking-Universität.
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13 Medienarbeit
„Die Deutschen wissen nicht, wie man mit der Presse umgeht. Ihnen fehlt es an Respekt.“ (Interview Nr. 30; Chinesin, die ein wenig Deutsch spricht) “That’s why we want more local people. [...] Because the media will ask questions but, you know, sometimes you are not asking that question, you are asking something else. Right? So that’s why only local people know about it. So that’s why. It used to be more expats in the PR world, but now it’s less and less.” (Interview Nr. 43) “If you work in China, you must know what Chinese culture is. So that you have the same platform when you talk to journalists and to government, to people from associations or like this.” – JK: “Can you think of examples?” – “Maybe the way you talk to others. Maybe Chinese people, when they say, ‘Yes’, maybe they don’t agree with you. So you have to know the story behind. This is the cultural thing, I think. When you meet a journalist or talk to other people in government, when they say, ‘Yes’ or ‘Yes, we can discuss that.’ You must know that when they say this, they didn’t say they agree. When they say, they want to discuss, that means ‘No’! Something like that. I think this is a very simple example. So culture is the first thing.” (Interview Nr. 36) ”In this country, you should always try to show your respect. And you should give face. […] Give face to others. And so, after that, you can talk about work. It’s not like in Germany – always so professional and everything in a business style, that doesn’t make sense here. So for Germans, Germans are very direct. Here we come back to our cultural criteria: Germans are so direct! If they are really so direct while doing the PR work in China that will lead to problems. Many Chinese did still not have many international experiences. So they still behave in a Chinese way.” (Interview Nr. 30)
Der Aufbau eines Netzwerks kann durch das chinesische Referenz-System (‚Meine Freunde sind deine Freunde’) erleichtert werden. ”Sometimes, if you know one of them, you will be introduced to the other ones. So that’s quite good. The world is small actually.” (Interview Nr. 30) “Because it’s like we are stepping to one group of the journalists and they know, he knows he and he knows he, and they are good friends.” (Interview Nr. 34)
Einige Befragte wiesen zudem darauf hin, dass Beziehungen in Deutschland und China mit Hilfe unterschiedlicher Kommunikationsmittel gepflegt werden. Ein in China gängiges Instrument, um Kontakte zu Journalisten aufrecht zu erhalten ist – allerdings wurde dies nur in PR-Agenturen beobachtet – die Kommunikation via MSN. Zudem beobachteten einige Befragte, dass Chinesen für Kommunikationen eher das Telefon benutzen als Deutsche. „Die haben da auch ihre eigenen Kommunikationsformen, was wir überhaupt niemals machen würden in Deutschland. Mit MSN, ja, also, die chinesische Kollegin hat dann über Chat quasi dann die ganzen Deals gemacht mit den chinesischen Journalisten.“ – JK: „Über MSN?“ – „Ja, das ist hier total wichtig! […] Also, in Deutschland würdest du ja niemals einem Journalisten gleich irgendwelche Smileys übers Internet schicken. Oder so. Irgendwelche Smileys oder blinkende Männchen. […] Ich überlasse das immer ganz gerne meinen chinesischen Kollegen.“ (Interview Nr. 21)
13.8 Episodische Begegnungen, Beziehungen und Netzwerke
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“But even in work, everybody is using MSN to communicate, next to email.” – JK: “So they are actually sending press releases via MSN?” – “Yeah. Absolutely. Like everybody has all the media, all the guys in the office have their media contacts as MSN contacts. So they contact media via MSN. Pretty much everything is done via MSN. It is so important!” (Interview Nr. 42) „Das heißt, während bei uns der Schriftverkehr sehr wichtig ist – man arbeitet ständig an seinem Schriftverkehr, da werden ständig Emails ausgetauscht – sind Chinesen da eher faul. Ein Chinese, wenn der was will, von seinen Bekannten, Geschäftspartnern, schreibt der keine Email. Der ruft an.“ (Interview Nr. 27)
13.8.5 Funktion/Nutzen Grundsätzlich liegt es in der Natur der Sache, dass PR-Akteure und Journalisten voneinander profitieren: Journalisten erhalten Informationen und damit die Grundlage für ihre Geschichten, PR-Akteure erhalten die Möglichkeit, Informationen zu verbreiten und Situationsdeutungen in ihrem Sinne zu beeinflussen. Inwiefern hierbei jedoch persönliche Beziehungen Einfluss nehmen, ist in Deutschland und China unterschiedlich. In Deutschland wie in China wird es als Vorteil bestehender persönlicher Beziehungen angesehen, einfach unbekümmert aufeinander zugehen zu können – auf Veranstaltungen oder per Telefon/Email. Darüber hinaus können sich PR-Akteure in China weitere Vorteile von Beziehungen erhoffen, die man in Deutschland nicht von einer Beziehung zu einem Journalisten erwarten würde. Ein wichtiger Aspekt des chinesischen Beziehungskonzepts ist es, die Beziehung zueinander durch Leistung gegenseitiger Gefallen zu stärken. Chinesische PR-Akteure laden Journalisten ein, bringen Sie in Kontakt mit wichtigen Managern, lassen ihnen Aufmerksamkeiten zukommen und geben ihnen journalistische Hilfestellungen. Im Gegenzug steigen ihre Chancen, von Journalisten Gehör und eine Berichterstattung in ihrem Sinne zu erhalten. “I think, if you got a good story in the western PR, you got a good story. And that media, that has never been in touch with you before ever and may never speak to you again, it doesn’t really impact the coverage you get. And also the fact that you got a relationship with the media, sure it means that they will speak to you and they may, by chance, give you some time. But ultimately, you do not really, you know, achieve much of amount more because of this. Whilst in China, if you don’t have the relations with the media and you don’t build up this communication, then they really won’t be giving you any time.” (Interview Nr. 42)
Nach Beobachtungen der Befragten fühlen sich chinesische Journalisten eher aus Loyalitätsgründen und um eine Beziehung nicht zu gefährden dazu verpflichtet, positiv und unkritisch über ein Unternehmen zu schreiben, als Journalisten in Deutschland. JK: “In conclusion, what do you think are the key success factors for PR in China?” – “I think, first of all, our company has a very good reputation here in China. And also, we have very good media relations which we can use. Most of our media coverage is positive.“ (Interview Nr. 32) “I think, to the Chinese media, personal relations are very important. Because Chinese media are… In China, relation is good because they can trust you. And even to those very senior, very high profiled occasions, as business results, you can see your relations can help in such occasi-
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ons. Because they will join your meeting on time and they will be very, how to say, respectful to the material you give to them. They ask good questions and they are sharing their confidence or interest into your company. So, I cannot say that all of them are based on good relations but, yes, good relations can help.” (Interview Nr. 38)
Während es dem deutschen PR-Verständnis grundsätzlich zuwiderläuft, einen Journalisten um die Publikation einer bestimmten Information zu bitten, ist dies in China (natürlich auf indirektem Weg) eher möglich. “Relationships are a bigger part of it here. Whereas, if I am talking to Handelsblatt or the Wall Street Journal or the New York Times, I cannot say: ‘Look, you are my good buddy, I have taken you to a car show before and, you know, why don’t you really not publish this.’ It’s kind of weird, it will be bad for us. It will make us look bad. I would never ask a western publicist. […] I don’t fiddle with Journalists. But my Chinese colleagues, PR colleagues, feel very comfortable asking Chinese journalists who they know well, who are their buddies. This explains this relationship, you know, that they are so important here. And it works a lot of the times. You know: ‘It’s okay, well, you know, we are helping you, we are all friends and so. Okay, I’ll be a little bit nicer to you and…’ – So this kind of guanxi, these relationships. It’s changing. But it’s still very effective.” (Interview Nr. 9) „Ansonsten passt es glaube ich in das chinesische Verständnis von einer Hand wäscht die andere bzw. sich gegenseitig Nutzen bieten. Und ist dementsprechend ein ganz normales Tool oder ein ganz normales Vehikel, um Informationen auszutauschen.“ (Interview Nr. 22)
Besonders hilfreich können persönliche Beziehungen in China zudem in Krisen- oder Konfliktsituationen sein (vgl. Kapitel 13.11). ”Some senior journalists, if we are very good friends or if we have very good relations, they will also help.” (Interview Nr. 30)
Während die meisten chinesischen Befragten die Leistung gegenseitiger Gefälligkeiten mit einer gewissen Selbstverständlichkeit betrachteten, griff ein deutscher Befragter vor Ort zu drastischen Worten: „Das ist wirklich so, man kann es fast sagen, es ist mafiös!“ (Interview Nr. 4)
Andere drückten ihre Hoffnung aus, dass es mit zunehmendem Wettbewerb in den Medien zu einer Veränderung der Situation kommt: “It’s still important. Again, it’s a market that is dynamic and because the revenue models are changing... what determines what is news. And therefore, relevance for the journalists is changing. It is less and less the case that the relationship means that you can get something that is not usually being published.” (Interview Nr. 45) “Well, in the past, you had to have this personal relationship to the journalists. That would guarantee you coverage. But that is changing. It is becoming more like what kind of stories you have. […] In the past, it’s been more like: ‘I know you, you know me or you are my sister’s boyfriend or…’ – You know, something like that. Now it’s more professional. I would say it’s becoming more and more professional. […] I think content is becoming more and more… the news angle, the value of the news is becoming more and more important.” (Interview Nr. 43)
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13.9 Präsenzveranstaltungen Veranstaltungen geben einen guten Rahmen für persönliche Treffen/Face-to-FaceKommunikation zur Vermittlung von Informationen und Botschaften. Wichtige Veranstaltungen der Medienarbeit sind – in Deutschland wie in China – Pressekonferenzen, Interviews und Roundtables/Hintergrundgespräche. Zudem können besondere Anlässe wie Vertragsunterzeichnungen zwischen deutschen und chinesischen Partnern, Abkommen mit Politikern, Eröffnungen von Filialen oder Produktionsanlagen, Vorstellungen neuer Technologien oder Jubiläen für Veranstaltungen genutzt werden. Diese sind besonders geeignet, das langfristige Engagement in China herauszustellen. Außerdem können bereits vorhandene Kommunikationsforen – vor allem Messen – für Veranstaltungen genutzt werden. Grob nach Unterschieden von Veranstaltungen in China im Vergleich zu Deutschland gefragt, wurde eine gewisse Dramatisierung in China festgestellt. JK: „Unterscheiden sich die Veranstaltungen zu Deutschland?“ – „Grundsätzlich ist es so, dass die Chinesen die Inszenierung lieben. Das hat jetzt nichts mit Produktvermarktung als solches zu tun. Also, jede Hochzeit ist hier ein großer Bahnhof, die Frau muss sich dreimal umziehen, da gibt es ein paar Regeln und die werden auch bei den modernen Hochzeiten weiterhin verfolgt. Und jede Pressekonferenz bedient dann solche Inszenierungserwartungen auch. Also, wenn eine Botschaft wichtig ist, dann muss sie in irgendeiner Weise auch ein bisschen dramatisiert werden. Ich denke, das hat historische Gründe. Weil China immer sehr groß war und wenn man was Wichtiges zu sagen hatte, musste man eben auch entsprechend auf die Pauke hauen oder alle Leute, die wichtig waren, dazu einladen, an einem bestimmten Punkt. Ich denke mal, das ist eine Frage, wo man die Leute abholt. Also, ich bin der Meinung, man muss sie eben da abholen, wo sie sind. Und das bedeutet, dass sich ausländische Unternehmen, und dazu gehören eben auch die deutschen, danach richten müssen, dass die Erwartungshaltung für ein bisschen mehr Hüttenzauber hier grundsätzlich vorhanden ist. Das gilt dann eben für Promotions wie für Pressekonferenzen. Also, ich empfinde das als extrem anstrengend, als hier Lebende.“ – JK: „Laut?“ – „Ja. Und ‚Re Nao’ – ‚Re’ gleich heiß, und ‚Nao’ ist laut – also laut und heiß, also da, wo es heiß und laut ist, da fühlt sich der Chinese wohl. […] Wenn es einem gefallen hat, dann sagt man ‚Shi Re Nao’, also ‚Da war was los’. Und das ist toll. […] Also, das ist grundsätzlich eine kulturelle Andersartigkeit und die muss man einfach akzeptieren.“ […] – JK: „Könnten Sie zusammenfassend PR-Erfolgsfaktoren in China nennen?“ – „[…] Ich denke, Dramatisierung. Und das hat zur Folge, dass es sehr eventlastig ist und dass diese Eventlastigkeit gleichzeitig die Brücke zum Face-to-Face Kontakt ist, der wiederum Beziehungspflege ermöglicht. Das ist dann so eine Art Kreislauf.“ (Interview Nr. 22)
Dramaturgisch aufwendig gestaltete Veranstaltungen haben in China eine lange Tradition. Öffentliche Veranstaltungen und private Feiern sind pompös, bunt und laut. Dies spiegelt sich in der zu erfüllenden Erwartungshaltung von Journalisten wider. So sind im Vorfeld allgemein gründliche Überlegungen über die Frequenz, den Ort und die Zeit sowie die Gestaltung/den Ablauf von Veranstaltungen anzustellen. Frequenz: Allgemein sollten Veranstaltungen in einer gewissen Regelmäßigkeit stattfinden, jedoch selten genug, um noch einen exklusiven Charakter zu behalten und wirklich Neuigkeiten liefern zu können. Dies ist in China nicht anders als in Deutschland. Ort: Veranstaltungsorte sind (soweit nicht im Unternehmen selbst) in China eher exklusiv und konservativ. Ausgefallene Veranstaltungsorte, etwa alte Schlachthöfe oder unterirdische Bunker, die in Deutschland durchaus attraktiv sein können, stoßen in China tendenziell auf Unverständnis. Man erwartet von Unternehmen, dass sie ihren wirtschaftli-
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chen Erfolg zeigen und sich teure Veranstaltungsorte leisten können. So gelten 5-SterneHotels in China als geeignete Location. Zeitpunkt: Bei der Wahl des Zeitpunkts sind in China wie in Deutschland nationale Feiertage zu berücksichtigen. Daneben ist evtl. zudem der chinesische Kalender zu beachten311. Gestaltung: Während eine nüchterne Gestaltung in Deutschland tendenziell als seriös akzeptiert wird, interpretieren chinesische Journalisten dies unter Umständen als geizig, ungebührend und Face-nehmend. „Nicht kleckern, sondern klotzen. Nicht klein, klein, sondern groß, groß. Also, natürlich immer mächtig sein. […] In China ist knall, knall. Je stärker, je kräftiger, je bunter, je lauter, je besser. […] Klotzen statt kleckern.“ (Interview Nr. 13)
Die Anwesenheit wichtiger Persönlichkeiten wird in China sehr sensibel wahrgenommen. Zudem ist ein gewisser Unterhaltungswert in China eher notwendig als in Deutschland. „Nachrichten und deren ‚Verpackung’ zählen gleich viel. Inszenierungen von Pressekonferenzen haben daher oft hohes Niveau: Journalisten erwarten und PR-Leute planen nämlich ein, Themen grundsätzlich mit Unterhaltungswert zu verkaufen.“ (Brauer 2005, S. 8) „Events und Presseveranstaltungen erfreuen sich bei chinesischen Journalisten großer Beliebtheit. Die Präsenz bekannter und einflussreicher Persönlichkeiten aus Verwaltung, Politik und Wirtschaft kann das Bemühen um eine möglichst intensive Medienberichterstattung durchaus unterstützen.“ (Wittwer 2007, S. 88)
Unterschiede zwischen Deutschland und China zeigen sich zudem im Planungshorizont von Veranstaltungen. Während Deutsche (wie bereits erörtert) gerne langfristig vorausplanen, gehen die Chinesen kurzfristiger vor. “I was gonna give you an example about the German – Chinese mentality and sometimes where you see obstacles: […] I remember German colleagues on the phone when we were having this big dinner at the Great Hall of the People. And a month in advance they were like: ‘Okay, we need all the names, everybody who is coming to the event. We need everything, the names, profiles, who they are, who is coming. Everything.’” – JK: “Who wanted this?” – “The German side. Colleagues in [Standort der Unternehmenszentrale] planning, you know. Taking care of all the organisation. And they said: ‘We only have a month!’ You know, that was kind of what was coming from [Standort der Unternehmenszentrale]. And the Chinese said: ‘We got a month! What do you mean, you want it today? We are gonna give it to you the day before.’” (Interview Nr. 9) “I think China is changing so fast and sometimes we just do things, we just need to do things very fast. Very flexible and sometimes, we really get short notice things. My understanding is that communications in Germany might be very well planned, maybe three months or half a year in advance. But sometimes, we really don’t have the time to do that. So we will have to come up with an event in two weeks. So you need to be well prepared. I think this is the most challenging for us.” (Interview Nr. 39)
311 Der chinesische Kalender ist ein astronomischer ‚Lunisolarkalender’, das heißt ein Kalender, der sowohl mit dem Sonnenzyklus (Jahr) als auch mit dem Mondzyklus (Monat) korrespondiert und nicht durch arithmetische Regeln, sondern durch astronomische Ereignisse definiert wird. Bei der Planung von Veranstaltungen spielt er in China nach wie vor eine Rolle, während offiziell der gregorianische Kalender gilt.
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13.9.1 Zeremonien und besondere Anlässe Einen besonders hohen Stellenwert nehmen in China Veranstaltungen und Zeremonien zu besonderen Anlässen ein. Besonders in der Anfangsphase eines Unternehmens in China bieten sich viele Gelegenheiten, sich den Medien zu präsentieren. ”For us, it’s normally opening ceremonies, ground breaking ceremonies, that kind of things. We have a lot of new projects here in China. We are developing very fast in the last few years. We are not one of these companies who entered China very early. For us, it is a very fast growing period in China. So we will set up R&D centres, new production sites, new Joint Ventures. These kinds of things.” (Interview Nr. 39) „Es gibt noch ganz oft diese signature ceremonies. Also gerade dann, wenn man mit Governmental Authorities zusammenarbeitet.“ (Interview Nr. 5) “And events also include opening ceremonies of different Joint Ventures in China. This year three times already.” (Interview Nr. 30)
An Zeremonien anlässlich der Unterzeichnung von Verträgen und zur Eröffnung von Unternehmen oder Produktionsanlagen besteht in der Regel ein hohes Interesse der Medien. Dies liegt vor allem auch an der Beteiligung wichtiger politischer Persönlichkeiten, die ein eigenes Interesse an Berichterstattung haben. Noch wichtiger als bei anderen Veranstaltungen ist bei Zeremonien der Einbezug und die Herausstellung politischer Akteure – chinesischer Kooperationspartner und lokaler Politiker – sowie die sensible Beachtung von Hierarchie und dem chinesischen Protokoll für offizielle Anlässe. Dabei ist darauf zu achten, dass bei der Anwesenheit hoher politischer Funktionäre auch von der deutschen Seite aus Mitglieder der entsprechenden Führungsebene anwesend sind. Das Rederecht für die erste Ansprache liegt in der Regel beim chinesischen Partner/Politiker. Bei Unterzeichnungen von Joint Venture- oder anderen Kooperationsverträgen erfolgt die Organisation der Veranstaltung unter Umständen durch den chinesischen Partner (vgl. Kapitel 13.13.1). Die Medienselektion ist dann oftmals limitiert und Fragen der Presse während der Veranstaltung werden meist nicht erlaubt. Allerdings können in solchen Fällen nach dem offiziellen Teil vom deutschen Unternehmen Pressegespräche angesetzt werden. „Hier hat die Politik einfach mehr mitzureden. Wenn wir eine Eröffnungsfeier haben, dann kann die Regierung auch bestimmen, wer daran teilnimmt. Also, wir laden schon ein, aber die sagen dann, wir bringen noch zehn weitere Leute mit. Und dann geht es auch immer darum, bei einer Eröffnung, da ist es so ein bisschen eine Prestigesache, dann sitzen immer Leute auf der Bühne. Und dann geht es darum, wer auf der Bühne sitzt ist wichtig. Und wenn von uns sechs Leute auf der Bühne sitzen, dann müssen von denen auch sechs Leute auf der Bühne sitzen, also da redet die Politik auch schon mit.“ – JK: „Obwohl es kein Joint Venture ist?“ – „Weil wir in deren Gebiet unsere Anlagen stehen haben. [...] Die wissen auch, dass da Presse ’rumläuft. Und die wissen auch, dass es nicht schlecht ist, mit einem Bild in der Zeitung zu sein. Man erkennt dann schon, dass die schon viel zu sagen haben und sagen können. […]“ – JK: „Müsst ihr denn auf die Sitzordnung achten? Gibt es ein strenges Protokoll?“ – „Ja, machen wir schon. Aber das ist für mich ein bisschen schwer zu durchschauen. Zum einen weiß ich nicht, wie wichtig das ist, das entscheidet unser site manager, der sagt dann, der sitzt da, der sitzt da.“ (Interview Nr. 3)
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“If officials are involved it’s very ceremonious. It’s all about the VIPs, all about the VIP treatment. It’s very complicated. You get the flower, you sit here, seating charts, who is the most important face and everything. And no questions are allowed. When there are officials. Whereas, when we plan these things, we always want to have a very open press conference, where everybody can ask questions. […] We’ll do the ceremony and the speeches and then the governmental officials can leave and then some of our guys can do a little bit more informal press conference with our partner and then we open it up to Q & As.” (Interview Nr. 9)
Im Unterhaltungsteil wird in der Regel Gelegenheit für bunte Bilder gegeben, in denen neben dem eigenen Branding auch chinesische Kulturelemente – wie der Drachentanz und das Ausmalen eines Drachenauges – zum Einsatz kommen312. JK: „Und wie sieht das optisch aus? Ist das alles kitschig rot mit viel chinesischer Deko?“ – „Nein, also da nehmen wir schon unseren Standard auch, den wir aus Deutschland kennen. Sehen eigentlich sehr ähnlich aus, die Bilder. Was hier dann noch dazu gehört, ist der Löwen- und Drachentanz immer. Um die bösen Geister zu vertreiben. Dann wird auch noch das Auge des Drachens, wird dann von den wichtigsten Personen auch gemalt.“ – JK: „Wie, das wird gemalt?“ – „Der hat vorher weiße Augen und dann malt man dem die Pupille sozusagen.“ – JK: „Nie gehört.“ – „Ja ja, das gehört auch dazu. Das wird dann meistens von [Name des CEOs] gemacht oder von wichtigen Leuten.“ – JK: „Wie lange dauert das?“ – „Der Löwen- und Drachentanz dauert so vielleicht drei, vier, fünf Minuten. Da ist dann auch viel Trommeln dabei.“ – JK: „Und das sind so sechs Chinesen, die in so einem Kostüm stecken?“ – „Ja, genau. Ist schon wirklich so ganz spektakulär. Macht schon was her. Mit den Trommeln noch im Hintergrund, das ist schon ganz nett.“ – JK: „Und wenn die fertig getanzt haben wird die Pupille ausgemalt?“ – „Während des Tanzes. Dann kniet sich der Drache praktisch vor die Person, die das Auge malt.“ – JK: „Nur ein Auge?“ – „Nee, beide Augen. Eins wird von [Name des Unternehmens], das andere von einem Politiker gemalt. Und dann, ja, tanzt er danach weiter, mit Augen. Das ist so ne typische Sache.“ (Interview Nr. 3)
Abbildung 58: Drachentanz und Ausmalen des Auges im Rahmen einer Zeremonie313. Bei Zeremonien in verschiedenen Provinzen Chinas sind zudem ggf. lokale Gebräuche zu beachten. 312 Der Drache gilt in China als Glück bringend. Seit der Song-Zeit (960-1279 n. Chr.) ist der Drachentanz in China äußerst populär und wird zum chinesischen Neujahr wie auch zu anderen festlichen Anlässen aufgeführt. Der Drache entsteht aus einem mit reich verziertem Stoff bedeckten Holzskelett, das durch Stöcke bewegt wird. Der Unterkiefer des Drachen ist meist beweglich und kann auf- und abschwingen. Im Drachentanz werden die Anstrengungen des Drachens auf der Jagd nach der Perle der Weisheit, die ebenfalls auf Stöcken vor dem Drachen hergetragen wird, dargestellt. Die Choreographie wird durch Trommel- und Beckenrhytmen begleitet. 313 Quellen = Drachentanz: UK Studentlife 2008; Ausmalen des Auges: Bild von einem Befragten bereitgestellt.
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13.9.2 Reden und Ansprachen Reden und Ansprachen sind in China wie in Deutschland ein wichtiger Bestandteil offizieller Anlässe und Veranstaltungen. In China wird dies besonders als Gelegenheit genutzt, öffentlich Lob auszusprechen und damit relevanten Personen ‚Face’ zu geben. „Wenn Sie sich das einmal anhören, wenn eine Rede ist, von einem Behördenvertreter oder von einer Association – wenn wir jetzt eine Eröffnung haben, dann kommt ja jemand und hält eine Rede – oder auf einer Konferenz hält jemand eine Rede, ein Behördenvertreter. Das ist fast nur eine Aufreihung von Namen. Also, das ist wirklich fast Name-Dropping, dass die Teilnehmerliste vorgelesen wird. Dass der wichtige Parteisekretär soundso da ist und der und der. Also Namen sind schon sehr wichtig.“ (Interviews Nr. 10)
Von Rednern wird erwartet, dass sie bescheiden und respektvoll auftreten. Zudem wird auch hier ein wenig mehr ‚gemenschelt’ als in Deutschland. Der Vortragende wird unter Umständen weniger auf der inhaltlichen als auf der persönlichen Ebene wahrgenommen und beurteilt. „Das sind so zwei Extreme: Die Deutschen sind meistens so, dass sie in Präsentationen und Darstellungen und in ihrer Art der Kommunikation außerordentlich sachlich argumentieren und dann sehr schnell einem Gesprächspartner klar machen, dass Produkte technisch überlegen sind. Das geht deswegen in die Ableitung und die Erklärung physikalischer Grundzusammenhänge oder um was es eben gerade geht. Ich würde sagen, sehr an den technischen Spezifikationen orientiert. […] Ich könnte auch andersherum sagen: Die Persönlichkeit versteckt sich hinter den Spezifikationen des Produktes. Und wir haben die Einstellung, als Deutsche, dass das auch gut und richtig so ist, weil unser Produkt ja für sich selbst sprechen soll. Das ist nun etwas, was bei den Chinesen eigentlich gar nicht so gut ankommt.“ (Interview Nr. 14) “As mentioned, some of our executive members, they are very attractive. Their personalities. Their humours. And people will like them. It’s also a very good way to promote this company.” (Interview Nr. 30)
Neben der Herausstellung menschlicher Züge wird allgemein auch die Verwendung von chinesischen Begriffen, historischen Ereignissen, Gleichnissen, Geschichten und Zitaten gerne gesehen, während sensible politische Themen auch hier gemieden werden sollten. JK: “To me, it seems like a tricky thing. Sometimes you have to be very strong, they just expect this from you – [der Befragte stimmt zu] – but at the same time you need to be…” – “…you need to be humble.” – JK: “Humble, right. So how do you balance this?” – “It depends on the topic and the circumstances. Today, this morning at the press event – in front of the media, in front of partners, in front of a lot of people, the speech that I wrote for the boss is humble. You know, he kind of made a joke: ‘Because we have so many scholars here I thought a lot about what I was gonna say and wanted to make sure I sounded smart, so that it seems like I know what I am talking about...’ And he got a little bit of a laugh. And then he quoted Confucius twice. I wrote it for him and included two famous Confucius quotations about education.” – JK: “Do they like that or do they think it’s cheesy?” – “They loved it!! They loved it. You could see it. And especially the translation. Because everybody knows it when they hear it in Chinese. Because they all studied it. And there were many professors. So they said ‘aah’ and ‘ooh’. You saw them shaking their head. And then after he spoke, the university guy said ‘Wow, Mr. [Name des CEOs], we didn’t realize you had such a deep knowledge of ancient Chinese history.’” – JK:
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“Even though he just had two quotes?” – “Yes, but that were great poems. And he was really thankful to me for writing this. So, it was nice. Everybody was happy. […] They really liked it. Absolutely. And anybody that speaks a little bit Chinese, I mean even he doesn’t speak Chinese, but he started with ‘Ni Hao’, which is like ‘Hey everybody’. And just when an ‘Ausländer’ gets up on stage and says ‘Ni Hao’… I mean, you get like a standing ovation, just for saying that.” – […] – JK: “So what I understand: In public, when there are many people, you need to be humble?” – “Yes, it’s about giving face. You have to say ‘We like to be here, we want to learn from you, but what do we know… We like to help out, we do our part and we send Expats here. We appreciate your advice, your council, we learn from you.’ […] I am trying to learn more of the Chinese idioms. I always forget them but there are so many good ones that you could say in different situations.” (Interview Nr. 9)
Bei der Verwendung von humorvollen oder gar ironischen Einlagen sollte der unterschiedliche chinesische Humor dringend berücksichtigt werden. 13.9.3 Pressekonferenzen Die am stärksten institutionalisierte und offiziellste Veranstaltung der Medienarbeit stellt in Deutschland wie in China die Pressekonferenz dar – ein in China bis vor wenigen Jahrzehnten unbekanntes, importiertes Phänomen. Oftmals finden Pressekonferenzen im Anschluss an Vertragsunterzeichnungen oder im Kontext von Eröffnungsveranstaltungen statt, so dass dann der Einbezug politischer Akteure besonders beachtet werden muss (s.o.). Wie in Deutschland ist jede Pressekonferenz jedes Unternehmens individuell. Grundsätzlich folgen Pressekonferenzen in China jedoch einem ähnlichen Ablaufschema wie in Deutschland: Die Präsentation der wichtigen Information durch Vertreter des Unternehmens gefolgt von einer Frage-und-Antwort-Runde. Einige Besonderheiten lassen sich jedoch auch hier aufzeigen. Einladungen und Teilnahme Einladungen zu Pressekonferenzen werden in der Regel persönlich an die ausgewählten chinesischen Journalisten gerichtet, meist zunächst informell – per Anruf, Email, SMS oder MSN (!) – bevor die offizielle Einladung folgt. Da Chinesen eher kurzfristig planen, sind Einladungen kurzfristiger auszusprechen. Allgemein gelten chinesische Journalisten für Einladungen zu Pressekonferenzen im Vergleich zu Journalisten in Deutschland als stärker empfänglich und lehnen Einladungen seltener ab, selbst wenn sie inhaltlich nicht sehr interessiert sind. „Also, das ist schon wesentlich schwieriger in Deutschland, die Leute überhaupt zu kriegen und du musst da wirklich interessante Neuigkeiten bringen und Inhalte schaffen. Das ist hier nicht. Die kommen überall hin.“ (Interview Nr. 21) „Angefangen damit, mit der grundsätzlichen Tatsache, dass in Deutschland kein Fachjournalist eigentlich mehr Lust hat, auf eine Pressekonferenz zu gehen. Aber der Chinese erwartet das. Also, wenn ich nicht irgendwie eingeladen werde, wenn es nicht mindestens was zu Essen gibt, dann kann die Botschaft nicht wichtig sein.“ (Interview Nr. 22) “They will still come to press conferences. […] I don’t know about Germany but in the UK, just getting media to press conferences is an obstacle. Because they don’t want to go where every-
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body else is going. They don’t want to kind of cover the same angle that ten other journalists are covering. You know, they want an exclusive angle, they want an exclusive story. They don’t even really want to follow the natural pattern of a company’s announcements and releases. They will cover a company when they want to cover the company, not when the company wants them to cover them. So, whilst in China, you know, you still can hold a big press conference, you can still get, you know, media to come. They will show up, not like in the UK, where they say that they’ll come and then they don’t show up. Here they will actually come. They will cover your story.” (Interview Nr. 42)
Beziehungen spielen auch hier eine wichtige Rolle. Eher als in Deutschland fühlen sich chinesische Journalisten aufgrund bestehender persönlicher Beziehungen zu einer Teilnahme an Pressekonferenzen verpflichtet. ”I just heard something from German colleagues, that it is very different here than it is in Germany. But I have no experiences with it. The difference they say, for example: If we have a press conference in China, if we just call the media and say, ‘Now I want to invite you to our press conference’, our media will say, ‘Okay, I have time, I will go there’. But for German journalists, they say: ‘What’s the content? What’s the main information of that? Oh – I am not interested in the topic. Although I have time, but I can not go.’ But in China they say, they don’t care, in China they don’t care if the topic is interesting or not. If he has time he will say: ‘Okay, I have time to go, I will take this invitation.’” – JK: “Why would they come?” – “Normally they think: ‘Oh, we have very good relations with [Name des Unternehmens]. I am familiar with [Name der Befragten]. And she called me. So, okay, I will go.’” – JK: “To do you a favour?” – “Yes. Sometimes. And sometimes they want to, you know, if they like the company, like [Name des Unternehmens], they will like to take part in any activity with the company.” (Interview Nr. 36) “Normally we invite 40 to 50 people, journalists.” – JK: “And do they normally come?” – “Yeah! Of course!” […] – JK: “I think it is still more appreciated here.” – “Yes! That’s why we always keep the good relationships with them.” – JK: “So you think that they come because you have a good relationship?” – “First of all, of course, we have the good relationship. And also we will deliver the key messages which they are interested in.” (Interview Nr. 32)
Eine weitere Motivation zur Teilnahme an Pressekonferenzen ist für chinesische Journalisten wohl auch die Tatsache, dass ihnen ihre Präsenz vergütet wird (vgl. Kapitel 10.5.6.3/ 13.11.3). Gestaltung, Ablauf und Fragen Der ‚Re Nao’ Anspruch bezieht sich auch auf Pressekonferenzen in China, die dort tendenziell aufwendiger gestaltet werden als in Deutschland. Dies gilt besonders für Untenehmen mit Endkonsumentenbezug und für Produktthemen (vgl. Kapitel 13.13.2). Unternehmen im B-to-B-Bereich werden dem höheren Unterhaltungsbedürfnis chinesischer Journalisten vornehmlich mit einer ansprechende Location, einer aufwendigen Dekoration, gutem Essen, kleinen Aufmerksamkeiten und feierlichen Reden gerecht. Mehr als im sachlich-nüchternen Deutschland versucht man, eine gewisse Exklusivität des Anlasses herauszustellen. JK: „[Re Nao], gilt das auch für Pressekonferenzen im B-to-B Bereich?“ – „Ja!“ (Interview Nr. 22) „Und die Pressekonferenzen haben halt so, sagen wir mal, so einen offiziöseren Anstrich.“ (Interview Nr. 4)
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13 Medienarbeit
„Ich habe von Kollegen gehört, dass Pressekonferenzen in China immer ein wenig mehr entertaining sein müssen. Das sind sehr junge Journalisten, die auch ein bisschen unterhalten werden müssen. Wenn Sie in Deutschland zu einer DAX-PK gehen, da schlafen Sie ja ein. Da muss man sich schon sehr für die Sache interessieren.“ (Interview Nr. 49)
Bei der Präsentation von Inhalten sind die bereits unter ‚Reden und Ansprache’ beschriebenen Besonderheiten in China zu beachten. Mehr als in Deutschland konzentrieren sich die Sprecher meist auf Zwischenmenschliches und die Schaffung einer angenehmen Atmosphäre. „Was hier auffällt ist, dass die Pressevertreter, die hier auftauchen, zum Teil noch sehr jung sind. Und es wirkt sehr, es ist eine sehr lockere Sache eigentlich. Etwas, das vielleicht in Deutschland etwas ernster, etwas bierernster, etwas trockener durchgezogen wird. Während man hier mit den jungen Leuten dann zusammen ist und alles erklärt. Da kommen auch mal Fragen, es ist sehr... Es gibt auch kritische Fragen, es gibt auch kritische Journalisten, die vielleicht auch mal eine Frage stellen, die vielleicht ein wenig unbequem ist, aber im Großen und Ganzen muss ich sagen, ist das eigentlich eine sehr harmonische Angelegenheit.“ (Interview Nr. 17)
Daneben steht natürlich auch auf Pressekonferenzen in China die Information, die zentrale Botschaft, im Mittelpunkt. Die Inhalte werden jedoch tendenziell weniger kritisch hinterfragt, als dies in Deutschland der Fall ist (vgl. Kapitel 10.5.6.2). So bemerkten die Befragten erhebliche Unterschiede im Frage-und-Antwort-Teil von Pressekonferenzen. Dem chinesischen Konversationsstil entsprechend, werden Konfrontationen weitgehend gemieden. Die Journalisten sind weniger angriffslustig, stellen weniger kritische oder aggressive Fragen und sprechen kontroverse Themen nicht oder nur sehr vorsichtig an. Es kommt weniger zu spontanen Wortäußerungen oder gar Diskussionen. „Man nimmt das so hin, was da gesagt wird. Man wird da nicht spezifisch gelöchert. Also, habe ich noch nicht erlebt.“ (Interview Nr. 20) „Bei uns sagt man ja ‚Wer nicht fragt bleibt dumm’. Und hier ist: ‚Wer fragt, ist dumm.’ Auch wenn sie es nicht verstehen, fragen sie nicht.“ (Interview Nr. 26) “The other thing is: Chinese apparently don’t ask so many questions. […] And the media tends to be very friendly. Not so hard. Not asking so many difficult questions.” (Interviews Nr. 42) “Chinese are more harmonious. Collective. And they are not really hard in their questioning. […] They usually have one or two really settled questions, basically just helping to elaborate a little bit more. And usually they don’t have hard questions. Just because they don’t want to ruin this relationship. Because they know they might need you down the road. And secondly, they don’t do enough research. So they don’t know what to ask. So, most of the harsh questions come from regional or international media.” (Interview Nr. 43)
Um mit dem verhaltenen Frageverhalten der Chinesen umzugehen, hielten es einige Befragte sogar für sinnvoll, einige Fragen im Vorfeld mit Journalisten abzusprechen, um so die Fragerunde in Gang zu bringen. „Wenn der erste mal gefragt hat, dann flutscht das auch langsam. Aber solange der erste nichts gesagt hat, ist Zurückhaltung angesagt.“ (Interview Nr. 1)
13.9 Präsenzveranstaltungen
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„Die Fragen muss man teilweise in Pressekonferenzen, damit das so ein bisschen in Gang kommt, planen. Also, dass man zwei, drei Journalisten hat, denen man sagt, du fragst was.“ – JK: „Um das Eis zu brechen?“ – „Ja.“ (Interview Nr. 22)
Auch berichteten einige Befragte, dass ‚unbequeme’ Fragen manchmal in einem Gespräch nach der offiziellen Pressekonferenz geäußert werden, um so einen öffentlichen Gesichtsverlust zu vermeiden. Befragte, die schon länger in China sind, stellten zudem fest, dass sich das Frageverhalten der Chinesen, im Vergleich zu dem Stand vor einigen Jahren, bereits verändert hat und heute vergleichsweise offensivere Fragen gestellt werden. Umgang mit Sprachbarriere Ein Grund für die Zurückhaltung chinesischer Journalisten auf Pressekonferenzen bzw. Veranstaltungen ist – neben sozialen Konventionen und geringeren Erfahrungen – wohl auch die Sprachbarriere. Üblicherweise sprechen die ausländischen Unternehmensvertreter auf Englisch und die chinesischen Journalisten auf Chinesisch. Die Übersetzung wird von Simultan-Dolmetschern vorgenommen. Diesen kommt eine wichtige Funktion zu. Idealerweise stammen diese aus dem Unternehmen/der Branche und werden im Vorfeld inhaltlich vorbereitet. JK: „Und die Konferenz läuft auf Englisch?“ – „Englisch, ja. Mit Simultanübersetzung.“ – JK: „Das heißt, es gibt einen Englischen Sprecher und dann gibt es einen Übersetzer, der gibt das weiter an die Journalisten, die vor Ort sind?“ – „Ja. Zum Teil, sind das aber auch Journalisten, die Englisch verstehen. Die kriegen das sowieso Wort für Wort noch einmal auf Englisch und Chinesisch. […] Das ist immer das Schwierige mit externen Übersetzern. Wenn das jemand ist, der nicht aus der Branche kommt, geht das schief. Wenn Sie sich vorne hinstellen und haben jemanden als Übersetzer, der sie überhaupt nicht versteht. […] Das Thema, der Sachverhalt, die Rede muss vorher mit Mitarbeitern durchgearbeitet werden. Ein Vortrag stirbt am Übersetzer, wenn Sie es nicht direkt rüberbringen können.“ (Interview Nr. 20)
Neben chinesischen Journalisten nehmen auf Pressekonferenzen deutscher Unternehmen in China oftmals auch internationale Journalisten teil, die an das westliche Frageverhalten gewöhnt sind. Diese mit den chinesischen Journalisten und ihren Erwartungen in Einklang zu bringen, kann ein schwieriges Unterfangen werden. „Ich hab mal – das ist schon lange, lange her, sechs, sieben Jahre her – eine Pressekonferenz mitgemacht, miterlebt, da war Bloomberg drin. Und die Bloomberg-Dame riss immer wieder das Mikro an sich und fragte immer wieder und immer wieder und immer wieder. Und dann musste ich irgendwann darauf hinweisen, dass auch noch 69 andere Medien in dem Raum wären und dass man vielleicht den anderen Medien auch noch mal Raum lassen sollte, Fragen zu fragen. Es hat dann aber auch drei, vier Minuten gedauert, bis dann auch mal die erste Frage kam, aus dem chinesischen Publikum.“ (Interview Nr. 1)
So wurde von einigen Unternehmen und internationalen Medien in China berichtet, die für chinesische und ausländische Medien getrennte Pressekonferenzen durchführen. Dies traf jedoch für keines der befragten Unternehmen zu. Unterschiede im Hinblick auf internationale und chinesische Journalisten machten die Unternehmen lediglich bei der Verteilung von Hongbaos (vgl. Kapitel 10.5.6.3).
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13 Medienarbeit
13.9.4 Interviews Im Anschluss an Zeremonien und Pressekonferenzen, auf Messen oder in eigenständiger Organisation finden – in Deutschland wie in China – Interviews statt. Hierbei finden sich der Pressesprecher und/oder Unternehmensmitglieder mit Medienakteuren zusammen, um über spezielle Themen vertiefend zu sprechen. In Deutschland wie in China haben Medienakteure ein hohes Interesse, mit der höchsten Führungsperson im Unternehmen persönlich zu sprechen. Im Vergleich ist dies in China noch wichtiger, während in Deutschland auch die Meinungen von Experten im Unternehmen gefragt sind. „Wenn das jetzt nicht oberste Heeresleitung ist, interessiert sich der chinesische Journalist dafür eigentlich nicht. Also, Interviews werden immer nur dann interessant, wenn der Chef da ist. Das funktioniert weniger über Experte, sondern über Boss. Hierarchie!“ (Interview Nr. 22)
Sowohl in Deutschland als auch in China bevorzugen Medienakteure grundsätzlich exklusive Einzelgespräche. Daneben ist die Akzeptanz von Gruppeninterviews in China ungleich höher als in Deutschland. Dies gilt besonders für chinesische Medienakteure, die nicht von den führenden Publikationen kommen und geringere Ansprüche gegenüber dem Unternehmen bzw. eventuell noch ein wenig Hemmungen haben. JK: „Wollen die Einzelinterviews oder akzeptieren die auch Gruppeninterviews?“ – „Die sind wesentlich empfänglicher auch für Gruppeninterviews. Also, im Vergleich zu westlichen Journalisten ist das eher möglich.“ (Interview Nr. 22) JK: „Rufen die an und wollen Einzelinterviews haben?“ – „Gelegentlich wird dieser Wunsch schon auch geäußert. Ja, machen wir auch. Aber längst nicht so wie in Deutschland. Also, in Deutschland ist, sagen wir mal, ein CEO-Interview das, was jeder haben möchte. Weil man’s exklusiv bekommt, das ist hier aber nicht sooo der Fall, nicht so extrem.“ (Interview Nr. 4) JK: “Group interviews, is that a common thing?” – “Yes. It’s very rarely that the Chinese media want a one-and-one. Whilst in the west, they always want a one-and-one. They never want to cover group interviews. […]” – JK: “But they don’t really want one-and-ones here?” – “No. Not really. […] I think, a little bit in China, they don’t want to feel the pressure of it’s just me and you. They prefer to have a group of people. That makes them more comfortable. […]” – JK: “So you would explain this with collectivism? […]” – “Exactly. […] We always do group interviews. I have never done a one-and-one apart from the western media. […] Usually we try to pull people with similar interests. So we get business media together, because they have a particular focus, and pull general media together, because they have their focus, and trade media, they have a different focus, so it is grouped accordingly.” (Interview Nr. 42)
Gruppeninterviews sind also in China ein beliebtes Format, um mit der Presse zu kommunizieren. Die Präsenz verschiedener Akteure ermöglicht, mit einer Veranstaltung viele Journalisten auf einmal zu erreichen, gleichzeitig trägt die überschaubare Größe dazu bei, dass Journalisten sich trauen, Fragen zu stellen. Die Journalisten sind in der Regel auch hier gut vorbereitet. Häufig werden Fragen im Vorfeld eingereicht, so dass sich die Interviewten gut auf Gespräche vorbereiten können. So kommt es auch hier zu meist wenig kontroversen, harmonischen Abläufen. In der Regel beginnt das Interview durch eine kleine Einführung des Befragten, bevor er sich den Fragen des/der Journalisten stellt.
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JK: „Und bei den Interviews merken Sie da Unterschiede zu Deutschland?“ […] – „Also, was ich beispielsweise feststelle ist: Wir hatten jetzt, auf der Auto Shanghai, ein Interview mit einer englischen Journalistin für die Automotive News. Das ist ganz klassisch wie man das kennt, sehr forsch. […] Und mit den Chinesen, habe ich festgestellt, mit den lokalen Journalisten, die halten sich sehr streng an das Skript. Also, die schicken Ihnen häufig… Häufig sind die bereit, ein Questionnaire zu schicken. Das sind häufig sehr junge, unerfahrene teilweise, Mitarbeiter, die von diesen Fachmedien angeworben werden, Journalisten. […] Und viele von denen sind sehr devot. Das ist vielleicht das falsche Wort. Aber sehr zurückhaltend, ängstlich und halt… […] Da gibt es Zahlen, Daten, Fakten. Da wird relativ wenig nachgebohrt. Und wir hatten hier auch schon Interviews mit unserem CEO, der hier war, wo ich Einzelinterviews arrangiert hatte. Wo man in Deutschland oder in Europa vielleicht oft in die Situation kommt, und auch in Amerika, dass jemand in die Zange genommen wird und ausgefragt… wo man fast schon nicht mehr die Kontrolle hat. Wenn Sie bei klassischen Interviews schon mit dabei waren. Wobei hier das so ist, wie gesagt, da ist mehr Zurückhaltung, mehr Respekt und da war das auch für unseren CEO eine sehr angenehme Situation.“ – JK: „Also, eher ein Gespräch als ein Interview?“ – „Genau. Eher ein Gespräch. Und wo man ja immer so das Gefühl hat… Also ich habe immer das Gefühl, häufig, dass es in Deutschland, Europa oder auch Amerika so ist: Man versucht, was zu finden. Also, man macht irgendwie so ein Interview, aber man hat das Gefühl, die Journalisten – klar, die wollen natürlich auch eine Story bekommen – wollen einen auf dem falschen Fuß erwischen. Irgendwas, damit Sie einen Vorteil haben gegenüber ihren Wettbewerbern. Klar, das ist ja auch, die haben ja große Konkurrenz und wollen natürlich auch ihre Geschichte verkaufen. Und was brauchen sie dafür? Irgendetwas, was sich verkauft! Und dann hab ich immer das Gefühl, man muss wahnsinnig aufpassen, man muss unheimlich gut vorbereitet sein, alles abtrommeln, abklopfen und wirklich aufpassen, dass man nichts Falsches sagt. Und hier, also bei den chinesischen Journalisten, habe ich den Eindruck, dass die einem mit viel größerem Respekt begegnen. Mit viel größerem Respekt.“ (Interview Nr. 6) „Das ist auch ganz nett, muss ich sagen. Der scharfzüngige Journalist, der versucht, durch trickige Fragen also irgendwie noch da und da was ’rauszukriegen, das ist in China sehr selten. Also, in der Regel hat man es mit Leuten zu tun, mit denen man sich sehr, sehr freundlich unterhalten kann. Gut, sie haben ihre Fragen und dass die Fragen zum Teil auch... Da sind Sie ja dann vorbereitet, das ist ja das gute an der Vorabmeldung. […] Ja, insofern muss ich sagen. Das ist noch so. Das führen von Interviews ist hier immer etwas, was wenig Verdruss schafft.“ (Interview Nr. 17)
Bei Wortlautinterviews erhalten die Befragten die Interviews in der Regel noch einmal zur Freigabe – in diesem Punkt ähneln sich die Aussagen Befragter in Deutschland und China314. Wenn es allerdings nur um die inhaltliche Wiedergabe oder Verwendung einzelner Zitate geht, ist dies in Deutschland weniger der Fall (allerdings auch nicht ausgeschlossen), während dies in China im Vergleich eher möglich ist. „Unterschiedlich zu Deutschland ist auch, dass, wenn Sie gute Beziehungen zu den Medien in China haben, dass Sie die bitten können, zum Beispiel, dass Sie Ihnen den Artikel oder die Meldung noch mal zur Freigabe schicken oder zumindest telefonisch noch mal abstimmen.“ – JK: „Das ist schon möglich?“ – „Das ist möglich. Das war gerade im Rahmen unserer Werkseröffnung, als wir die hatten. Und als es dann noch mal darum ging, Zahlen zu verifizieren usw. haben die von sich aus auch gesagt, dass sie sich gerne da noch mal abstimmen würden. […] Und wir haben aber auch noch mal ganz gezielt nachgefragt.“ (Interview Nr. 6)
314 Strikter wird dies in den USA und in Großbritannien gehandhabt: Hier gilt das gesprochene Wort.
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13.9.5 Medienarbeit auf Messen Messen dienen der Präsentation des Unternehmens sowie dem Austausch innerhalb der Branche. Neben der Vorstellung von Produkten (was in der Regel in den Aufgabebereich des Marketings bzw. der einzelnen Business Units fällt) nutzen Unternehmen Messen, um sich als Unternehmen zu positionieren und Kontakte aufzubauen. So werden Messen grundsätzlich – vor allem im B-to-B-Bereich – als wichtige Kommunikationsplattform verstanden. Die Befragten in China betonten die Bedeutung von Messen in China, die sie – wieder im Hinblick auf den chinesischen Beziehungsaspekt – mindestens so wichtig wie in Deutschland einschätzten. Die wichtigsten Messezentren sind Shanghai, Peking und Guangzhou – darüber hinaus bieten aber auch viele Provinzen Messen an oder sind Unternehmen durch eigenständig initiierte Roadshows im Land unterwegs. Aufgrund des Überangebots an (überwiegend kleinen) Messen in China ist es hier besonders wichtig, selektiv vorzugehen. JK: „Würden Sie sagen, dass Messen hier grundsätzlich wichtiger sind als in Deutschland?“ – „Also, ich würde es mal so sagen: Wir haben hier viel mehr Messen als in Deutschland. Ganz am Anfang kann man das natürlich schon sagen: Wir sind hier eins der am meisten beschäftigten Messezentren der Welt.“ (Interview Nr. 17) „Messen sind sehr, sehr wichtig. Aber man muss gezielt vorgehen. Es gibt so viele Messen und es gibt auch so viele unstrukturierte und zu viel ‚Bauchladenmessen’, also ohne klare Ausrichtung. Es ist sehr schwer, die richtigen zu identifizieren. Aber dann sind sie gut. Und dann kann man auch eine gute Ausbeute aus den Messen generieren.“ (Interview Nr. 13) „Ja, Messen sind eben anders als man die in Deutschland kennt. Sie sind von der Größenordnung her immer wesentlich kleiner, sind aber ein wichtiger Treffpunkt und daher im B-to-B Bereich sicherlich ein wichtiger Anknüpfungspunkt. Da gibt es eine sehr enge Verknüpfung aber auch zur medialen Kommunikation. Wir machen relativ viel Pressekommunikation im Zusammenhang mit Messen, weil dann die Journalisten da auch sind.“ (Interview Nr. 22)
Die Gestaltung des Messeauftritts erfolgt in der Regel in enger Zusammenarbeit mit dem Marketing bzw. den verschiedenen Business Units und ähnelt dem Auftritt in Deutschland. In der Regel sind viele Fachjournalisten vor Ort, mit denen Gespräche geführt und Beziehungen aufgebaut werden können. Dies kann, insbesondere im Hinblick auf die Größe des Landes, in China sehr hilfreich sein. „Also, China ist eben riesig. […] Wenn Sie jetzt drei Mal im Jahr was sagen wollen, dann können Sie jetzt nicht drei Mal im Jahr das auch noch an drei Standorten machen. Sondern wenn Sie sich an bestimmte Messen dranhängen, […] haben Sie gute Chancen dort die Journalisten auch abzuholen.“ (Interview Nr. 22) JK: „Und Sie haben pro Medium einen Ansprechpartner?“ – „Ja. Den Editor, meistens den Chief-Editor.“ – JK: „Und wie kommt man an den ran?“ – „Die kommen auf uns zu wenn wir auf Messen sind. Die kommen an die Stände, die fragen nach, die nehmen Kontakt auf.“ (Interview Nr. 13) „Bewusst machen wir Medienkommunikation wenn wir Messen haben. Auto China, Auto Shanghai… Dass wir Journalisten am Stand haben, mit denen wir uns dann unterhalten. Was sich dann wirklich auf den chinesischen Markt bezieht.“ (Interview Nr. 6)
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Kontrollierte Medien
Neben aller Relevanz persönlicher Kontakte, Treffen und Veranstaltungen besteht das Rückgrat der PR aus schriftlich fixierten Botschaften in Form von Broschüren und Informationsmaterialien (für allgemeine, längerfristig gültige Informationen) und von Pressemitteilungen (für aktuelle Informationen). Sie liegen im Einflussbereich des Unternehmens/ der PR-Akteure (kontrollierbare Medien315) und bilden die Grundlage für Medieninhalte (nicht-kontrollierbare Medien). So wurde auch nach Besonderheiten bzw. Unterschieden im Hinblick auf kontrollierte Medien in China im Vergleich zu Deutschland gefragt. 13.10.1 Branding Das Fundament aller Kommunikationsanstrengungen eines Unternehmens bildet der einheitliche Auftritt des Unternehmens mit einem wieder erkennbaren Namen, Logo, Schriftzug, einem typischen Layout und eventuell einem eingängigen Slogan. Das dafür erforderliche Branding ist eine wichtige strategische Aufgabe, an der PR-Manager meist mit Marketingmanagern zusammen arbeiten. Viele der Befragten nannten das Branding in China als eine wichtige Aufgaben, mit der viele Herausforderungen einhergehen. „Was wir noch machen […] ist, wir machen uns viele Gedanken zu unserem Branding. Da fangen Sie ja praktisch noch mal bei Null an. Was chinaspezifisch ist, ist beispielsweise: Sie können keinen englischen Namen nehmen. […] Wir denken es ist wichtig. Dieses deutsche Branding können wir nicht eins zu eins in China übernehmen.“ (Interview Nr. 10)
Um in China registriert werden zu können, müssen Unternehmens- und Produktnamen ins Chinesische übersetzt werden. Eine Aufgabe, die mit viel Fingerspitzengefühl vorzunehmen ist. Die besondere Bedeutung von Namen in China (vgl. Kapitel Abbildung 52) bezieht sich auch auf Unternehmensnamen. Viele chinesische Firmen konsultieren sogar Wahrsager, um einen positiven, Glück und Gewinn versprechenden Namen für ihr Unternehmen zu finden. „Von Ausländern oft unterschätzt wird die Bedeutung der Namensgebung für das Unternehmen, das Produkt oder die Produktreihe. Eine ‚Übersetzung’ kommt nicht in Frage, schon gar nicht buchstabengetreu, wie es so mancher Exportmanager versucht. […] Beliebt sind darum chinesische Begriffe, die das Klangbild des deutschen oder ausländischen Firmennamens annähernd wiedergeben und zugleich eine positive Bedeutung transportieren.“ (Himmelmann/Hungerbach 2005, S. 166)
Nach Marianne Friese (Geschäftsführerin der deutschen PR-Agentur m-f-consulting in Peking), gibt es vier Wege, um einen deutschen/englischen Markennamen ins Chinesische zu übersetzen (vgl. auch Friese 2008, S. 32 sowie Hardebeck 2005 und Schmitt/Pan 1995):
315 In der Befragung wurde anstelle des Begriffs ‚kontrollierte Medien’ der Begriff ‚steuerbare Medien’ verwendet, um Verwechslungen mit staatlich kontrollierten Medien zu vermeiden.
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Phonetische Ähnlichkeit ohne besondere Bedeutung, z.B. Audi: ‚Ao Di’ Sinngemäße Übersetzung ohne phonetische Ähnlichkeit, z.B. Red Bull: ‚Hong Niu’ (rot, Bulle) Hervorhebung des ‚Brand values’ ohne phonetische Ähnlichkeiten, z.B. Heineken: ‚Xi Li’ = ‚Happy Strength’(fröhliche Kraft) Phonetische Ähnlichkeit und positive, der Positionierung entsprechende Bedeutung, z.B. Ikea: ‚Yi Jia’ = ‚Suitable Home’ (Schönes zu Hause)
Als Ideal gilt die letzte Variante: Eine ähnliche Phonetik in Kombination mit einer positiven, dem Markenkern entsprechenden Bedeutung und einer Glück verheißenden Komponente. „Wir hatten einen Kunden aus Kalifornien, da ging es um Mandeln […] Also, das Produkt Mandel gab’s oder gibt’s in China nicht originär. Und da geht es eben darum, ganz klar und eindeutig zu definieren, wie denn dieses Produkt denn hier überhaupt heißt, um Missverständnisse zu vermeiden. Und damals wurde dann ein Name kreiert, der eben auch Glück bringend war. […] Und das hat diesem Produkt dann sehr viele Vorteile beschert. Weil eben über den Namen das Produkt eine Glückskomponente beinhaltet.“ – JK: „Also ist das Spielen mit Aberglaube hier…“ – „...ganz wichtig. Wesentlich wichtiger als bei uns. Da würde man ja fast drüber lachen. Also, bei Nahrungsmitteln besonders, aber das lässt sich auf fast alle Produktgruppen übertragen.“ (Interview Nr. 22) „Man muss sich immer überlegen, wie man was übersetzt. Das muss eine positive Bedeutung haben. Also nicht nur lautschriftlich das gleiche, sondern das muss auch positiv sein. So haben wir das auch mit der Übersetzung unserer englisch- oder deutschsprachigen Produktnamen gemacht.“ (Interview Nr. 10)
Hierbei sind die Bedeutung und alternative Interpretationsmöglichkeiten eines jeden Schriftzeichens bzw. Zeichenelements sowie der Zeichenkombination zu beachten. Auch spielt die Ästhetik der Zeichen eine Rolle. „Aber nicht nur die Sprache als solches, weil die Schriftzeichen werden ja auch quasi als Symbol oder als kunstvolle Einheit wahrgenommen. Also, wie schön das Schriftzeichen ist und was für eine Art bedeutungsmonumentalen Aspekt das Schriftzeichen zusätzlich hat, also, das sieht der Chinese dann auch.“ (Interview Nr. 22)
Zudem ist bei der Verwendung von Glückselementen die Balance zwischen Yin und Yang zu beachten: „[…] vereinfacht gesagt zwischen den weiblichen und dem männlichen Prinzip. YangSchriftzeichen bestehen aus einer ungeraden Anzahl von Strichen, Yin-Zeichen aus einer geraden Zahl. Auch bei Namen, die sich aus mehreren Schriftzeichen zusammensetzen, spielt die Kombination von Yin und Yang eine Rolle: Yin Yin Yang ist dabei besser als Yin Yang Yin. Außerdem entspricht in Glücksnamen die Gesamtzahl der Striche einer Glückszahl, etwa der 8, 11, 13, 15, 16, 17, 18, 25, 29, 31, 32 und 39.“ (Schmitt/Pan 1995, S. 104)
Beispiele für eine gelungene Namensgebung sind316: 316 Weitere Beispiel sind Coca Cola (‚Ke Kou Ke Le’Æ schmeckt gut, macht Freude) und Danone (‚Da Neng’Æ Energie erreichen). Vgl. Schmitt/Pan 1995, S. 106, Himmelmann/Hungerbach 2005, S. 166.
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13.10 Kontrollierte Medien
Bosch = ඳ = ‚Bó Shì’ = erste Silbe ‚bó’ (= gewinnen, kenntnisreich, reich), zweite Silbe ‚shì’ (= Welt) = ‚weltweit gewinnen’; Schriftzeichenkombination aus 12 und 5 fünf Strichen, daher Yin-Yang-Wort, harmonisch Siemens BMW Mercedes Benz
= ‚Xi Men Zi’ = ‚Bao Ma’ = ‚Ben Chi’
Æ Tor zum Westen (Westen, Tor) Æ kostbares Pferd (Schatz, Pferd) Æ schnell fahren/vorwärtsstrebend
In der chinesischen Übersetzung von Degussa entspricht das ‚dé’ jenem aus ‚dé guó’ (= Deutschland), das heißt, es wird bereits im Namen signalisiert, dass das Produkt aus Deutschland kommt. Des Weiteren erklärt ein befragter PR-Manager: „So wie wir das mit dem Firmennamen machen, das machen wir dann auch in Einschränkungen für unsere Produkte. Und dann heißen die Produkte dann auch nicht unbedingt [deutscher Name des Produktes], sondern die chinesische Übersetzung ist dann in diesem blumigen übersetzt. So was wie ‚sehr starker Kleber’ […]. Eine sehr positive Botschaft.“ (Interview Nr. 10)
Über die Einhaltung des Style Guides vom Mutterunternehmen hinaus, sind eventuelle Anpassungen der Markenelemente (Logo, Slogan/Key Message) zu bedenken, etwa weil verwendete Symbole oder Farben in China eine andere Bedeutung haben (z.B. der Tiger von Esso). Grundsätzlich ist man bestrebt, das Logo so wenig wie möglich zu verändern, um die globale Widererkennung zu gewährleisten. Häufig findet man das internationale Logo in Kombination mit dem chinesischen Namens-Schriftzug. „Man kann sein Logo behalten, muss darunter dann aber auf Chinesisch schreiben, sozusagen einen chinesischen Namen geben.“ (Interview Nr. 27) „Wir haben auch ein chinesisches Logo, da ist unser Claim auch noch drin, auf Chinesisch.“ (Interview Nr. 5)
Auch beim Slogan oder der Key Message (der Kernaussage zum Unternehmen/zur Marke) erzählten die Befragten von einigen Anpassungen. Der Kommunikationschef von BMW berichtet etwa: “Our message here is quite different. […] Young is not necessarily good for China. Because people make different interpretations: Young is not mature, so you have to use other words. […] You have to take a look at the culture aspect. You can not directly say: ‘Young is BMW’. You have to say: ‘Young at heart’ or so. You have to make different interpretations.” “We try to translate the corporate line […]. If it does not sound good, we will just create our own. It has to be in line, of course, with the German branding. 80% of it is developed by our own.” (Interview Nr. 34)
Darüber hinaus sind die Namen deutscher Mitarbeiter mit Bedacht zu übersetzen. Üblicherweise werden westliche Namen auf der Rückseite von Visitenkarten auf Chinesisch abgedruckt. Eine Befragte berichtete, dass sie sich ihren deutschen Namen so ins Chinesische übersetzen ließ, dass er ein „Wohlgefühl“ bei Chinesen auslöst, da er eine schöne Blume enthält. Immer wieder wurde ihr von Chinesen bestätigt, was für einen schönen Namen sie hätte, was wiederum eine gute Grundatmosphäre schaffte.
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13 Medienarbeit
13.10.2 Broschüren Image-Broschüren geben grundlegende Informationen zum Unternehmen317. Sie befinden sich in Pressemappen von Journalisten, werden auf Veranstaltungen ausgelegt oder an Interessierte versendet. Sie ergänzen sich gewöhnlich mit der Unternehmens-Internetseite. Die deutsch- und/oder englischsprachigen Broschüren deutscher Unternehmen werden meist in der Zentrale gefertigt und müssen ins Chinesische übersetzt bzw. gestalterisch adaptiert werden. Überraschenderweise ist dies nicht selbstverständlich: Einige Unternehmen arbeiten auch in China lediglich mit der Broschüre aus dem Mutterunternehmen ohne sprachliche, inhaltliche oder gestalterische Anpassungen. “Surprisingly, many German machine tool companies operating in China have neither a proper brochure nor a detailed website in Chinese.” (Häntschel 2006, S. 18) „Also, zu allererst sehr wichtig: Was hier viele Unternehmen nicht machen, ist die Zweisprachigkeit. […] Also, es gibt Unternehmen, die rein englischsprachige Broschüren ’rausbringen. Das können Sie in meinen Augen vergessen.“ (Interview Nr. 6)
Auch wenn immer mehr Chinesen Englisch verstehen, ist es ein respektvolles Entgegenkommen, sie in ihrer eigenen Sprache anzusprechen. Oftmals verwenden Unternehmen auch bilinguale Broschüren – Chinesisch auf der einen Seite und Englisch auf der anderen Seite. Mit der Übersetzung ist es jedoch noch nicht getan – idealerweise werden auch inhaltliche und gestalterische Anpassungen vorgenommen. „Da kann man nicht einfach Broschüren aus Deutschland nehmen und 1:1 übersetzen.“ (Interview Nr. 5) JK: „Haben Sie das Gefühl, dass es in China noch wichtiger als in anderen Ländern ist, das Lokale aufzunehmen?“ – „Also, wenn ich es jetzt mal mit Indien vergleiche, da ist es auch sehr wichtig. Und in den USA ist es auch sehr wichtig. […] Jedes Land hat sicher so seinen Flavour. Aber in China ist es sicherlich wichtig. Sehr wichtig.“ (Interview Nr. 11)
Bei der Anpassung an China wird den chinesischen Verantwortlichen vom Mutterunternehmen meist im Rahmen der Style Guide Vorgaben freie Hand gelassen. Die inhaltliche und optische Gestaltung der Broschüren ist zwar so unterschiedlich wie die Unternehmen, die sie produzieren, dennoch gibt es einige Muster für die Adaption in China. So werden zum Beispiel die Tradition vom Unternehmen und dessen Aktivitäten in China oft besonders stark hervorgehoben. Bei der optischen Gestaltung von Broschüren gilt es einerseits die deutsche Herkunft und Identität des Unternehmens zu betonen, andererseits dem ästhetischen Empfinden der Chinesen gerecht zu werden. Grundsätzlich wird es für sinnvoll gehalten, nicht nur Westler, sondern auch Asiaten abzubilden. „Für deutsche Unternehmen sowieso, diese Herkunft aus Deutschland unterstreichen, so diese German Expertise und so dieses ganze ordentliche, strukturierte, das ist hier wahnsinnig viel Wert, so was müsste man eigentlich in jeder Broschüre, in jeder Publikation, irgendwie unterstreichen. […] Ich kann ja auch die Bildsprache gar nicht benutzen. Die ich in Deutschland nutze, die kann ich ja nicht hier benutzen. Ich muss ja hier asiatische Gesichter zeigen und sol317 Image-Broschüren werden oft von PR-Managern, Produktbroschüren von Marketingmanagern entworfen.
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che ganzen Sachen. Wir haben einige Bilder in Deutschland, die sind viel zu modern, das kann man nicht nutzen.“ (Interview Nr. 5) JK: “Can you describe differences in the layout?” – “In terms of colours and different layouts, there are differences. And you can tell if a design was done by a Chinese people or the design is done by a German or American people. The design is quite different.” – JK: “Can you describe this?” – “It’s very hard. I cannot give you precise examples; the design style is just different. I think they prefer to leave more space. But for Chinese, sometimes it’s more kind of full, more pictures, more characters, they are very crowded. That’s one example.” (Interview Nr. 39)
Den verschiedenen Angaben zu Folge mögen es die Chinesen auch hier bunter, pompöser und voller, während die Deutschen ein eher nüchternes, ‚aufgeräumtes’ Design bevorzugen. „Broschüren, will ich noch mal sagen: Dick, golden, glänzend, dick aufgetragen. Der Chef im Prunkbüro – ich hab schon alles gesehen, was man sozusagen vom Designaspekt alles umdrehen kann. Aber hier gefällt es. Man kann es auch anders machen, aber man muss diesen PompAspekt bedienen, bis zu einem gewissen Grad.“ (Interview Nr. 22)
Natürlich sind auch hierbei die chinesischen Bedeutungen von Farben, Zahlen und Symbolen zu beachten, während man mit der Abbildung nationaler Embleme oder von Staatspersonal äußerst zurückhaltend vorgehen sollte. „Ja, zum Beispiel der Lampion, der Licht reflektiert, der etwas chinesisches ist und der rot ist. Das ist sehr wichtig. Rot ist Glücksfarbe. […] Ja, Farben, natürlich. Zahlen, also, die ganze Symbolik, die es hier gibt.“ (Interview Nr. 13)
13.10.3 Internetauftritt
Abbildung 59: Internetauftritte in China. Beispiele.
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Neben Broschüren ist die Internet-Seite äußerst wichtig für die Unternehmenspräsentation. Auch der Internet-Auftritt sollte nach Einschätzung der Befragten bilingual erfolgen. Bezüglich der sehr unterschiedlichen Gestaltung typischer chinesischer Internetseiten (vgl. Kapitel Abbildung 52), stellt sich die Frage, inwiefern deutsche Unternehmen sich dem chinesischen Stil anpassen oder am eher nüchternen deutschen/westlichen Stil festhalten. Die befragten Unternehmen orientierten sich inhaltlich und strukturell stark an der internationalen bzw. deutschen Seite und nahmen daneben lediglich lokale Besonderheiten – chinesische Bilder, Gesichter und Fließtext – in ihrer chinesischen Seite auf. „Der deutsche und englische Auftritt wird von Deutschland aus gemacht. [...] Die chinesischen Seiten liegen in der Verantwortung der PR-Kollegen vor Ort, wobei es in der Regel so ist, dass inhaltlich, zumindest was die Struktur angeht, das sehr ähnlich sein dürfte wie die Corporate Seite […]. Sowohl was die Struktur als auch was die Inhalte angeht. Klar, das wird dann ergänzt um lokale Inhalte und so weiter. Im Prinzip sollte es schon ein sehr einheitlicher Auftritt sein.“ (Interview Nr. 50) „Und es gibt die chinesische Website – ganz wichtig. Da versuchen wir halt auch, mal aktuell neue News ’reinzustellen, damit dann auch Bewegung ist und das dann auch interessant für die Leute ist.“ (Interview Nr. 13)
13.10.4 Pressemitteilungen Beobachtungen über Besonderheiten von Pressemitteilungen in China lassen sich in die Dimensionen Relevanz/Akzeptanz, Erstellung/Übersetzung, Stilistische Adaptionen, Grafiken/ Fotos, und Distribution untergliedern. Relevanz/Akzeptanz Als eigenständige Kommunikationsform wird die Pressemitteilung in China weniger akzeptiert als in Deutschland. Ohne ‚persönliche Untermauerung’ findet sie tendenziell nur wenig Aufmerksamkeit (s.u., Distribution). “The main difference is that it’s not well accepted. So we use them less. Because of the fact that media want a face-to-face interaction. […] Because media want face-to-face interactions rather than press releases. Actually, I think media don’t really react to press releases if they are not yet involved. They are much better responding to people phoning them up, organizing a meeting with them, inviting them to a press conference – this is how they get most of any news. So practically, they are not as important here as they are in the west. Obviously, we still do them and usually will have them at events or when we do briefings. But we won’t often just send out a press release and that’s it. Unless it is obviously difficult to meet up. But it will always be with a phone call, with a follow up.” (Interview Nr. 42)
Sind chinesische Journalisten involviert und haben Interesse an einem Unternehmen bzw. einer Geschichte, würdigen sie umfassende Informationsmaterialien. Um grundlegende Dinge zu erklären, werden in China evtl. auch Basisinformationen berücksichtigt, die in Deutschland nicht extra erwähnt werden würden. Davon abgesehen entspricht der Aufbau von Press Kits jenen in Deutschland.
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JK: „Diese Press Kits. Unterscheiden die sich von Press Kits in Deutschland?“ – „Nee. Nee, da ist dieselbe Information drin: Pressemitteilung, Hintergrund, irgendwelche, sagen wir mal, themenverwandte Pressemitteilungen.“ (Interview Nr. 4)
Erstellung und Übersetzung Bei der Erstellung von Pressemitteilungen in China kann man zwischen Pressemitteilungen, die aus dem Heimatland stammen und auf den lokalen Markt zugeschnitten werden, und Pressemitteilungen, die speziell für den lokalen Markt erstellt werden, unterscheiden. Grundsätzlich sollte jede Pressemitteilung bzw. Information auch in Chinesisch bereitgestellt werden. „Viele denken zum Beispiel, sie könnten alles mit englischen Materialien bestreiten, aber ein Pressetext sollte immer auf Chinesisch vorliegen.“ (Interview Nr. 7)
Für die Erstellung von Pressemitteilungen, die speziell in und für China hergestellt werden, gibt es zwei Optionen: Entweder werden die Texte von Deutschen/Westlern vor Ort in Deutsch und/oder Englisch geschrieben und dann ins Chinesische übersetzt oder gleich von einem chinesischen Mitarbeiter oder externem Dienstleister auf Chinesisch verfasst. In der Regel erfolgt keine Rückübersetzung der chinesischen Texte ins Englische/Deutsche. Der Prozess der Übersetzungen kann viel Zeit in Anspruch nehmen, insbesondere wenn zusätzlich eine Abstimmung mit der Zentrale in Deutschland, der regionalen Zentrale in Asien und/oder einem JV-Partner in China erforderlich ist. One-Voice-Policy: Bei der Übersetzung von Pressemitteilungen aus Deutschland ist zu beachten, dass die Inhalte eine Relevanz für China haben (vgl. Kapitel 13.5). Häufig werden inhaltliche Anpassungen bzw. Ergänzungen vorgenommen. Hierbei wird darauf geachtet, dass die Kernaussage unverfälscht bleibt und so die globale One-Voice-Policy eingehalten wird318. “Speaking with one voice is very important here.” – JK: “More important than in the west?” – “Even more important here. As, you know, we have so many different kinds of media. International media and Chinese media with many different approaches sometimes. And you can’t tell the Chinese media one thing and the international another thing. Because they will always find out.” (Interview Nr. 9)
Dabei kann die Abstimmung der Aussagen in China mit den Aussagen in den internationalen Medien (und auf anderen lokalen Märkten) ein Drahtseilakt werden. „Jetzt fragte mich die Washington Post nach einem Interview. Washington Post, USA. Wir haben hier ein Joint Venture: Höchst problematische Geschichte! Wenn wir da jetzt etwas sagen und die Washington Post hat uns nicht versprochen, was aber auch normal ist, dass sie es uns noch mal schicken. Und wir haben gesagt: nein. Weil, wir wissen nicht, was die veröffentlichen und das kann so einen Schaden anrichten. Wir wissen nicht, ob die das in den USA veröffentlichen oder ob die das hier veröffentlichen und deswegen haben wir nein gesagt.“ (Interview Nr. 5)
318 Dies kann vor allem für Unternehmen, die in China verschiedene Präsenzen haben, sowie für deutschchinesische JVs eine große Herausforderung darstellen (vgl. Kapitel 13.13.1).
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“So you have to have the global perspective. Absolutely. And even if you are just talking to Chinese journalists. Because the news… You know, news travel fast. There is no such news as local news.” (Interview Nr. 9)
Stilistische Adaptionen Unabhängig von der Frage, ob Pressemitteilungen ins Chinesische übersetzt oder gleich in Chinesisch geschrieben werden, stellt sich die Frage nach stilistischen Unterschieden im Vergleich zu deutschen/englischen Pressemitteilungen. Hierbei wurden der Aufbau, die rhetorischen Mittel und die Sprache/Wortwahl mit den Befragten diskutiert.
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Abbildung 60: Aufbau von Pressemitteilungen. Aufbau: Der Aufbau einer klassischen, deutschen Pressemitteilung folgt dem ‚Climax First’ Prinzip: Im ersten Satz müssen die relevanten Informationen erhalten sein. Dies entspricht der ‚westlichen’ Argumentationsstruktur: Das wichtigste am Anfang, Details am Ende. „Also, wir bauen unsere Pressemitteilungen ganz klassisch auf, wie man das in der guten alten Schule lernt: Im Prinzip die wichtigsten Meldungen vorne, im ersten Absatz. So nach diesem Motto, dass der Journalist die Pressemitteilung von hinten auch kürzen kann.“ (Interview Nr. 50)
Entsprechend der chinesischen Argumentationsstruktur müsste man erwarten, dass Pressemitteilungen in China dem chinesischen Prinzip folgen und dementsprechend die wichtigen Informationen nach einem ‚Vorgeplänkel’ erst am Ende des Textes erscheinen. Chinesische Journalisten würden dieser Lesart entsprechend Texte tendenziell vom Anfang her kürzen. Einige Kommentare der Befragten deuten darauf hin, dass es diesen ‚chinesischen Aufbaustil’ der Pressemitteilung tatsächlich gibt, in der die wichtige Botschaft erst nach einer allgemeinen Einführung oder einem ‚Loblied’ erscheint. Dem wird der ‚westliche Aufbaustil’ gegenübergestellt. Die befragten Deutschen/Westler gaben jedoch an, am westlichen Aufbaustil der Pressemitteilung festzuhalten und diesen auch bei Übersetzungen der Pressemitteilungen ins Chinesische zu bewahren. Die meisten – westlichen und chinesischen Befragten – nahmen an, dass sich der westliche Stil mit einer zunehmenden Professionalisierung der Medien und der PR auch in China als Standard durchsetzt und dies sogar zu weiten Teilen bereits getan hat.
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JK: „Unterscheidet sich eine chinesische Pressemitteilung von einer westlichen/ englischsprachigen? Also, wie du was aufbaust etc.?“ – „Das ist irgendwie… Wir haben ja den klassischen Aufbau im Westen, dass im ersten Abschnitt drin steht what, when, where, who and how. Und im Chinesischen, das habe ich festgestellt, da hast du manchmal irgendwie unheimlich viel ‚rarara’, irgendwie, ‚Wir sind unheimlich stolz unter der Ägide des so und so Ministeriums und unter Präsenz seiner Excellenz so und so und weil wir alle irgendwie so gute Freunde sind und weil es auch für die Verbesserung sämtlicher gesellschaftlicher Schichten dient, rararara…’ Und dann hast du endlich irgendwo im zweiten Paragraphen, was passiert. […] Wobei sich das nicht notwendigerweise nur auf Press Releases bezieht. Der Aufbau eines chinesischen Textes – und das ist egal ob es Presse, ein Literaturwerk oder ein Artikel ist – wirkt auf uns umgekehrt. Die fangen von hinten an. […] Eine chinesische Pressemitteilung sieht anders aus als eine westliche Pressemitteilung. Wobei wir bei [Name des Unternehmens] eine Pressemitteilung meistens erst auf Englisch machen, damit unsere Chefs das auch noch lesen können. Und das wird dann ganz einfach übersetzt und damit hast du den klassischen westlichen Aufbau in unseren chinesischen Pressemitteilungen. Also, das ist dann nicht der chinesische Aufbau. Also, eine rein chinesisch geschriebene Pressemitteilung sieht anders aus, die fängt eben mit mehr rarara an und dann hast du irgendwo weiter unten die wahre Information.“ – JK: „Und die kommen dann irgendwie auch wirklich zum Punkt oder steht das eher zwischen den Zeilen?“ – „Irgendwo am Ende kommt dann auch der Punkt.“ (Interview Nr. 1) “In the past here, when they were writing the other way around...” – JK: “You mean, first some blablabla and then they came to the point?” – “Yes.” – JK: “But you do it the ‘western way’?” – “Right. Because we know reporters will probably copy only the first three paragraphs. You better get your message in there.” – JK: “That’s interesting. I heard that they still do it the other way around.” – “Chinese, local agencies, do that. Just because as their thought process.” (Interview Nr. 43) „Also, ich glaube schon, vom Aufbau her ist das schon etwas anders. Ich will nicht sagen, dass das grundsätzlich anders ist. Ich glaube, da hat China in den letzten Jahren sehr viel vom Ausland übernommen. Dadurch, dass viele ausländische Pressemitteilungen einfach ins Chinesische übersetzt werden und so weiter gegeben werden. Und das hat die Norm in China entsprechend verändert. Das heißt, es wird eben nicht erst ein großes Loblied abgelassen, über das Wetter oder andere Dinge, sondern es geht schon relativ schnell zur Sache.“ – JK: „Es fängt schon mit der Message an?“ – „Ja. Genau.“ (Interview Nr. 17)
Verwendung von Zitaten: Zitate sind ein wichtiges Element von Pressemitteilungen – in Deutschland wie in China. Während diese Zitate in Deutschland von verschiedenen Referenzen stammen können, wird in China besonders auf den Rang der zitierten Personen geachtet. Neben eigenen Führungspersönlichkeiten sind politische Führungskräfte und/oder ggf. Führungskräfte des chinesischen JV-Partners besonders gute Referenzen, um ein Argument zu untermauern. Gleichzeitig hat dies den Effekt, dass den zitierten Personen ‚Face’ gegeben und die Beziehung gestärkt wird. Im Vergleich zu Deutschland, kann mit ‚Lobpreisungen’ dieser Personen wesentlich großzügiger umgegangen werden. „Vielleicht sind Zitate nicht häufiger in der Verwendung. In Deutschland ist das auch notwendig. Aber hier hat das Zitat noch mehr Gewicht und es wird genauer hingeschaut, wer genau das gesagt hat.“ (Interview Nr. 10)
Während in Reden gerne chinesische Weisheiten oder Anekdoten verwendet werden, ist dies in Pressemitteilungen nicht üblich.
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Detailorientierung versus Pragmatismus: Inwiefern sich der Unterschied ‚deutsche Detailorientierung’ versus ‚chinesischer Pragmatismus’ auf chinesische Pressemitteilungen auswirkt, wurde unterschiedlich beurteilt. Grundsätzlich waren die Befragten der Meinung, dass technische Details eher ein Merkmal der deutschen Schreibe ist als der chinesischen. Diesem Unterschied wird jedoch – vor allem da viele Pressemitteilungen übersetzt werden und daher inhaltlich gleich bleiben – keine große Bedeutung beigemessen. Bescheidenheit versus Selbstdarstellung: Das grundsätzliche Bescheidenheitskonzept Chinas steht im Konflikt mit der Erfordernis, das Unternehmen und dessen Besonderheit herauszustellen, um im Stimmengewirr der vielen nach China strömenden ausländischen Unternehmen Gehör zu finden. Nach Aussagen der Befragten erwarten chinesische Journalisten von Unternehmenspersönlichkeiten ein bescheidenes Auftreten. Bei der Darstellung des Unternehmens kann hingegen offensiv vorgegangen werden, wobei den Chinesen ein Faible für Superlative und die Akzeptanz von Übertreibungen nachgesagt wird. Auch Häntschel (2006) weist darauf hin, dass das chinesische Bescheidenheitskonzept nicht für die Darstellung von Unternehmen gilt. Aus dem Umstand, dass reich sein in China salonfähig geworden ist319, folgert Häntschel für die Medienarbeit, dass man selbstbewusst zeigen sollte, wer man ist. “Thus, it is strongly recommended to become glorious or at least well known among potential clients in order to have greater economic success.” (Häntschel 2006, S. 19) „Chinesen lieben Superlativen, egal welcher Altersgruppe sie angehören. Superlativen, die sich für Westler oft lächerlich anhören.“ (Interview Nr. 23) JK: „Und das Thema Bescheidenheit statt Selbstdarstellung […]?“ – „Das kommt immer drauf an. Vielleicht die Einzelperson, dass die sich nicht in den Mittelpunkt stellt. Aber die Firma oder die Maschine, das Produkt, das sollte man schon immer sehr hoch ansetzen. Und jeder sagt, er ist der Beste. Das ist doch normal. Warum sollte ich denn sagen, ich bin einer der Besten? […] Ich finde unsere Pressemitteilungen immer so cheesy: ‚Einer der weltgrößten’ oder ‚Einer der besten’. In China würde ich immer schreiben: ‚Der Beste’. Superlative. Der Beste, der Schnellste, der Schönste, der Klügste. Das ist so. Und das schreibt jeder in Variation. Das ist einfach so üblich. Und wenn ich jetzt schreiben würde: ‚Einer der größten’ – dann nimmt mich gar keiner mehr ernst. Wenn ich nicht davon überzeugt bin und mich hinstelle: ‚Wir sind die Besten’ – das muss dann natürlich irgendwie untermauert werden, aber anyway – dann geht das. Und das muss man einfach ganz heftig behaupten bis es alle glauben. Und wer das am besten behauptet hat und am besten durchgesetzt hat, der hat gewonnen. […] Bescheidenheit ist da wirklich nicht angesagt.“ (Interview Nr. 13)
Blumige Sprache und Indirektheit: Das westliche Ideal, in einer Pressemitteilung die wichtigen Punkte klar und deutlich zu kommunizieren, vermag mit dem chinesischen Kommunikationsideal, Dinge behutsam und indirekt anzusprechen, zu kollidieren. Die Harmonieorientierung äußert sich durch eine gewisse Ausschweifung und Blumigkeit der chinesischen Sprache. Dies beobachteten einige Befragte auch in chinesischen Pressemitteilungen. „Wenn wir schreiben, zum Beispiel, ‚[Name des Unternehmens] ist seit hundertvierzig Jahren bekannt für dies und das und jenes und Qualitätssicherheit und Vertrauen durch unsere Prüfung’, dann wird das im Chinesischen nicht so direkt übersetzt, sondern nur lauter ‘Wir sorgen 319 Von keinem geringeren als Deng Xiaoping stammen die Worte: ‘To get rich is glorious’.
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dafür, dass Menschen sich wohl fühlen können, seit sehr langer Zeit’, so dieses absolute Umschreiben, absolut indirekt.“ (Interview Nr. 5)
Jedoch waren sich die westlichen und chinesischen Befragten weitgehend einig, dass trotz der kaum vermeidbaren Blumigkeit der chinesischen Sprache eine ‚professionelle’ Pressemitteilung auch im Chinesischen so klar und deutlich wie möglich sein und indirekte Umschweife sowie die Verwendung von zu vielen Adjektiven vermieden werden sollten. „Ich glaube, dass Chinesen eigentlich ganz gerne eine direkte Message haben. Auch wenn man jetzt im Geschäftlichen sagt, man vermittelt viel indirekt, ist schon richtig. Aber, durch diese Überflutung von Informationen muss man sich eigentlich momentan bemühen, möglichst schnell die Message rüberzukriegen.“ (Interview Nr. 11) “It should be very clear also. [...] You don’t have to add multiple adjectives, any emotional or sensational words. [...] You shouldn’t. Never.“ (Interview Nr. 33)
Wortwahl/Lakunen: Auch wenn auf die Verwendung ausschweifender Elemente und überflüssiger Adjektive verzichtet wird, ist die Wortwahl vorsichtig vorzunehmen. Wie bereits erläutert, zeichnet sich die chinesische Sprache durch besondere Feinheiten aus – neben der Bedeutung eines Zeichens kann auch dessen Ästhetik oder Klang eine positive oder negative Wirkung haben. Es ist darauf zu achten, ein modernes Chinesisch (unter Verwendung von Kurzschrift) zu verwenden und eventuell regionale Begriffsunterschiede oder Dialekte zu berücksichtigen. Schwierig erweist sich häufig die Übersetzung von Fachbegriffen und neuen technischen Begriffen, für die es in der chinesischen Sprache noch keine genaue Entsprechung gibt (Lakunen, vgl. Kapitel 10.6.1). ”The only main difference for releases is that in translations of English to Chinese, we would sometimes change the wording structure/language to make the Chinese text read more smoothly and customize locally-used terms.” (Interview Nr. 47) “The Chinese characters: Sometimes, when you change one character it changes the complete meaning of that. So it’s very difficult. You have to be very careful. […] We definitely try to use words that are popular, try not to write difficult Chinese because... There is also current German and old German, just like old British and modern British... So we try to use colloquial language right now. But the words are carefully chosen.” (Interview Nr. 43)
Grafiken und Fotos Wie in Deutschland, können Pressemitteilungen in China durch Grafiken und Fotos ergänzt werden. Insbesondere Grafiken werden von chinesischen Journalisten geschätzt. Die meisten Befragten gaben an, Fotos in China – wie auch in Deutschland – zu stellen, wobei die Akzeptanz dieser Bilder in China sehr hoch ist, da viele Redaktionen nicht die Ressourcen haben, eigene Fotografen zu schicken. Distribution In China wie in Deutschland werden Pressemitteilungen auf Veranstaltungen, per Fax oder Email distribuiert. Bei der Distribution via Fax/Email (oder auch MSN) hielten es – wie bereits erwähnt – die Befragten im Vergleich zu Deutschland in China für notwendiger, die Pressemitteilung durch persönliche Kontakte zusätzlich kommunikativ zu flankieren.
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13 Medienarbeit
„Also, der Unterschied liegt eher im Delivery Mechanism. Also, Sie können halt per Email keinen Umschlag übermitteln. Sie brauchen eben regelmäßige Touch-Points, also face-to-face interaction. […] Es ist viel üblicher hier… Also: Zuerst anrufen und noch mal die Email Adresse verifizieren. Dann verschicken. Dann noch mal anrufen: ‚Ist es auch wirklich angekommen?’ Dann noch mal anrufen: ‚Hat es dir gefallen, können wir dir noch was schicken?’ – Also, dieses schrittchenartige immer wieder nachfassen. Es gibt viele mass mailings, aber die werden sozusagen flankiert durch Telefonate, MSN Messages.“ (Interview Nr. 22) JK: “How do you distribute the information? […]” – “So mainly it would be through an event, through press conferences, through one-and-one meetings. Also, we will send out material as well. Accompanied by one-and-one communication. It’s very time consuming!” (Interview Nr. 42)
Eine Ausnahme besteht bei Online-Medien. Diese nehmen Presseinformationen in der Regel auch ohne zusätzliche kommunikative Maßnahmen an. 13.11
Umgang mit journalistischen Handlungs- und Verarbeitungsroutinen
Für die PR-Akteure deutscher Unternehmen stellt sich die Frage, inwiefern sie sich auf die Besonderheiten des chinesischen Journalismus einstellen. Grundsätzlich gelten auch im Umgang mit chinesischen Journalisten die Grundregeln einer guten Medienarbeit: Die Bereitstellung richtiger, substantieller Informationen sowie ein fairer, offener und respektvoller Umgang miteinander. “Some things are similar. You know, dealing with especially the Chinese media […]. But there are some things that are specific, of course, to China.” (Interview Nr. 9)
Eine Besonderheit in China ist der jederzeit sensible Umgang mit politischen oder brisanten Themen. Darüber hinaus waren sich die Befragten einig, dass man sich um die chinesischen Journalisten eher ‚kümmern’ muss als um Journalisten in Deutschland (vgl. Kapitel 13.11.2). 13.11.1 Weniger hinterfragende und kritische Journalisten Grundsätzlich stimmten die Befragten darin überein, dass es aufgrund der weniger hinterfragenden und kritischen Journalisten in China vergleichsweise einfach ist, mit einer bestimmten Botschaft ‚durchzukommen’. JK: „Und wie wahrscheinlich ist es grundsätzlich, wenn eine Information ’rausgeht, dass sie auch tatsächlich in die Medien eingeht?“ – „Sehr wahrscheinlich! Also, dass die… sagen wir mal – ganz anders als in deutschen Medien, wo Pressemitteilungen häufig aus dem Faxgerät direkt in den Papierkorb wandern – hier schon relativ starken, sagen wir mal, Abdruckerfolg erzielt.“ (Interview Nr. 4) JK: “And how are the chances, in general, if you distribute a press release that it’s gonna appear somewhere in the media?” – “Very, very good. Extremely well.“ (Interview Nr. 9)
Die Herausforderung besteht in China vielmehr darin, eine qualitativ hochwertige und substantielle Berichterstattung in den seriösen Medien des Landes zu bekommen.
13.11 Umgang mit journalistischen Handlungs- und Verarbeitungsroutinen
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„Also, ich würde keinem Unternehmen raten, sich die Presse zu kaufen, auf Teufel komm raus. Das bringt nichts, wenn die Botschaften dann irgendwo erscheinen wo die Zielgruppe das nicht wahrnimmt oder es einfach nicht liest, weil da keine Story ist. […] Also, man kann nicht behaupten, dass das hier ein schwieriges PR-Terrain ist. Auf der anderen Seite liegt die Schwierigkeit dann eben darin, wirklich auch substantielle Berichterstattung zu erzielen. Also, wenn es Ihnen nur darum geht halt, ab und zu mal zu erscheinen und irgendwo eine Kurzmitteilung usw. zu bekommen – das ist alles möglich. Aber dann auch inhaltlich qualitativ hochwertige, substantielle Berichterstattung zu erzielen, da muss man sich mindestens genauso drum bemühen, wie im Westen.“ (Interview Nr. 22) “Before, a lot of clients just wanted quite basic media outreach, really good event management, something like that. Like the old way, just trying to get a lot of media coverage. I think now clients are becoming a lot more choosy because there are so many media in China that actually getting media coverage is not really that hard. It’s about getting quality media coverage, getting good size of pieces in the right kind of media, that’s like the difficult thing. […] So they often will just copy and paste your press release, you know…” – JK: “Which makes it quite comfortable?” – “Yes, which makes media work quite easy, obviously, because you can control the message. But ultimately, it’s not the best way of communicating because readers don’t want to read a copy and paste press release. […] I think the challenges are different here. The challenges are less about communicating with media or getting them to a press conference or having them cover your story. The challenges are much more about getting in the right media, getting good quality coverage, not just, you know, copy and paste of a press release.” (Interview Nr. 42) JK: „Aber aus Unternehmenssicht ist das doch recht komfortabel.“ – „Na ja, das ist ein zweischneidiges Schwert. Entsprechend wird es natürlich auch gelesen. Ich gehe ja viel interessierter an einen Bericht, wenn ich den Eindruck habe, das ist jetzt eine objektive Sache. Als wenn ich den Eindruck habe, dass es sich dabei um eine Firmenwerbung handelt. Dann lese ich es ja nicht. […] Also, ich empfinde das eher nachteilig. Sicherlich ist es einfacher, seine Informationen unterzubringen, aber wenn dann der Effekt geringer ist, dann nutzt es mir ja auch nichts.“ (Interview Nr. 10) “Many of the journalists that I have contacted a few years ago, they become more and more deep to the industry. This point is very important for the companies. Because the companies, they need the in-depth articles, not only just press releases. So we need these much more mature journalists.” (Interview Nr. 32)
Weniger auf die Nutzung von ‚Copy und Paste’-Berichterstattung oder gar Bezahlung für Veröffentlichungen, setzen viele der Befragten daher darauf, eng mit ausgewählten Journalisten zusammen zu arbeiten. “But those, and I gave you that list, they will be worth the special treatment. Because they give good questions. Because all their reporters are very valuable and they can touch the key points. And they give you good reporters and they value your special treatment. The special treatment is based on you can give very prompt answers or response to their questions every time. Every time, those media, they give you questions and you need to treat them very seriously. […] Make them satisfied.” (Interview Nr. 38)
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13.11.2 Inhaltliche Begleitung chinesischer Journalisten Im Gegensatz zur deutschen Belehrungskultur lassen sich Chinesen gerne etwas erklären (‚chinesische Lernkultur’). Dies gibt den Beteiligten Gesicht und kann eine Beziehung stärken, insbesondere wenn beide Beteiligten vom Wissenstransfer profitieren. Stärker als dies in Deutschland möglich wäre (wo Journalisten dies wohl als eine Gefährdung ihrer Unabhängigkeit betrachten würden), ist es daher in China üblich, chinesische Journalisten inhaltlich und in ihrem journalistischen Wirken zu begleiten320. „Chinesische Journalisten wollen lernen. Sie haben zum Teil noch ein erhebliches Informationsdefizit, die einfachsten Dinge muss man ihnen erklären. […] Die Chinesen wollen vor allem vom Westen lernen.“ (Interview Nr. 7) “That is Guanxi. That is important. […] Shared value meaning: How can we help each other to do a good job. [...] It’s about win-win. That is Guanxi.” (Interview Nr. 33) JK: “So you meet with them and then you look for their interests, how you can help them, and they see how they can help you?” – “YES!” (Interview Nr. 32)
Viele befragte PR-Akteure in China berichteten dementsprechend, dass sie viel Zeit damit verbringen, Journalisten Dinge zu erklären und sie bei der Erstellung von Artikeln zu unterstützen. Aufgrund der häufig geringeren Fachkenntnisse bzw. der hohen Fluktuation muss hierbei mitunter weit ausgeholt und müssen unter Umständen grundlegende Dinge erklärt und mehrfach wiederholt werden. „Wenn du wirklich willst, dass ein Chinese einen interessanten Artikel schreibt, dann musst du unheimlich viel Arbeit ’reinstecken, die Information mundgerecht aufzubereiten.“ (Interview Nr. 1) “What we can do, as mentioned, is to guide. […] And you have to know that. Not all of the journalists are so professional; some of them are more practical. That means that, in China, we have to maybe pay much more effort to feed the journalists.” (Interview Nr. 30) “Journalists are used to be told what to write. Used to be giving guidance.” (Interview Nr. 9) JK: “So do you train journalists?” – “Yeah. We don’t necessarily train journalists but we do… we work very, very closely with them. So we are trying to pitch like a particular story on a particular company with one particular consumer. […] We usually work very, very closely.... It is somehow like a partnership with that journalist to get, you know, help them tell the story.” – JK: “Kind of you explain it to them?” – “Yes. Get all of the images for them, really work hand in hand with them to get them everything they need. Whilst in the west, it is like: ‘No, I don’t need you PR people, leave me alone! Maybe I will send you a copy, if I want.’ So here, there still is more cooperation with PR people. With journalists.” – JK: “You kind of take them by their hands?” – “Sometimes a little bit, yeah. But not all.” (Interview Nr. 42)
Das Interesse für die Bedürfnisse der Journalisten und die Schaffung eines inhaltlichen Mehrwertes wird, so die Meinung der Befragten, von den chinesischen Journalisten sehr 320 In einer Präsentation zur Medienarbeit in China heißt es bezüglich der Erwartungen der Medien an PRAkteure (Friese 2008, S. 49): – must work with me regularly, – must provide good information and good access, – must be able to get additional value, – must understand journalists’ needs.
13.11 Umgang mit journalistischen Handlungs- und Verarbeitungsroutinen
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geschätzt, bewirkt eine hohe Bindungskraft und verbessert die Situation der Berichterstattung substantiell. “When entering this market, educating media matters. We will invest our time helping journalists to understand what the hell this is. [….] We often do it in conjunction with our clients. And one of the first recommendations we will make: If there is something new, you know, you are not gonna get accurate reporting and you are not gonna get the best benefit out of this unless you invest time of your experts, you know, half a day to sit down with corporate media and teach them about it.” – JK: “And do they appreciate that?” – [starkes Nicken] – JK: “Definitely better than giving them money…” – “Hell, yeah. You actually help to advance the profession. It means that you have a dialogue based on real facts and our position and we get much better results for our clients out of it. Because the journalists now have something for their reporting. […] Of course, it gives them the tool to be more analytical. And let people know what you do.” (Interview Nr. 45) „‚Journalisten sind in China oft sehr jung und erfolgshungrig’, weiß Friese. ‚Ihre Bedürfnisse zu erkennen und gezielt zu bedienen sichert eine gute Berichterstattung.’“ (Wittwer 2008, S. 8) “Feed them with the information they want. Feed them with information, actual data, to support them to write good articles.“ (Interview Nr. 33)
Das kooperative Verhältnis zwischen PR-Akteuren und Journalisten in China steht in Einklang mit den Ergebnissen der ‚China Stakeholder Study’, nach dem Unternehmensmitglieder in China als besonders vertrauensvolle Quellen betrachtet werden (vgl. Kapitel 10.3.3). 13.11.3 Umgang mit Hongbao-Praxis Bezüglich der Hongbao-Praxis stimmten chinesische und westliche Befragte darin überein, dass es sich um eine chinesische Eigenart handelt, der man sich nur schwer entziehen kann. „Die wollen Geld. Kein Journalist in China, außer Sie sind vielleicht dick mit ihm befreundet, schreibt was, ohne dass Sie ihn dafür bezahlen. Punkt.“ (Interview Nr. 27) „Was bei den meisten im Vordergrund steht, […] ist wirklich, immer Kohle.“ (Interview Nr. 5)
Allerdings hielten die wenigsten Befragten Hongbaos für Bestechung, zumal diese auch bei anderen Anlässen in China, etwa für öffentliche Vorträge, ausgehändigt werden. “I will not interpret this as a super, super negative practice. Because, maybe in Germany, from a German angle, you might think this is a scandal. But you have to understand, in particular for the local media, these people really don’t earn money. Really not too much money. So if we are inviting some, for example to Shanghai Motor Show, and if we provide every day 20 or 30 Euros allowance for them to at least have some food, I think it’s normal. I would not make the interpretation this is really buying media or whatever. It’s a common practice in the branch. Every company is doing this. And from my side, I can also accept this.” (Interview Nr. 41) “But it’s not, by no means, to buy coverage.” (Interview Nr. 42) „Das gehört hier dazu. Das sind auch keine Riesensummen.“ (Interview Nr. 20)
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„Es ist ein bisschen wie in den USA bei den Kellnern, dass die irgendwie so ein Grundgehalt kriegen dass der Besitzer sich darauf verlässt, dass die schon genug Trinkgeld kriegen um zu leben.“ (Interview Nr. 1)
Auch waren die Befragten nicht der Meinung, dass sich Journalisten aufgrund der erhaltenen Hongbaos verpflichtet fühlen, unbedingt positiv über das Unternehmen zu schreiben (anders wird dies im Endkonsumentenbereich beurteilt, vgl. Kapitel 13.13.2), obschon dies die Wahrscheinlichkeit hierfür wohl schon erhöht. JK: „Der Betrag ist aber nicht dafür, dass die etwas positives schreiben?“ – „Nein.“ (Interview Nr. 17) JK: „Und fühlen die sich dann auch verpflichtet?“ – „Nö. Das garantiert dir nicht, dass du einen Artikel kriegst. Das ist tatsächlich eine Art Service Charge.“ (Interview Nr. 1) „Ich sage mal so, so wird es im Endeffekt auch sein. Also, auch die Chinesen werden nichts Negatives schreiben, wenn sie gerade Geld bekommen haben.“ (Interview Nr. 27)
Während einige Befragte darum baten, das Mikrofon auszustellen oder die Stimme geheimnisvoll senkten, wenn es um dieses Thema ging, gingen andere Interviewpartner sehr offen mit diesem Thema um. Sowohl internationale als auch einheimische PR-Agenturen bieten an, Hongbao-Zahlungen für Unternehmen zu übernehmen. Werden Veranstaltungen von Agenturen organisiert, wird der Betrag für die Zahlungen an Journalisten mit einkalkuliert. „Die internationalen Agenturen versuchen, das so niedrig wie möglich zu halten. Und da bin ich mit dabei. Aber unter 200 macht man sich lächerlich.“ (Interview Nr. 22) „Deswegen werden auch ganz gerne Agenturen genommen. Um eben diesen Part zu übernehmen. Weil manche Unternehmen das einfach nicht erlauben können oder wollen. […] Das wird mit einkalkuliert in das Budget. […] Also, ich habe Angebote gesehen, da stand dann irgendwie ein, zwei, drei, vier Journalisten macht mal 500 RMB so und so viel. Es gibt auch Angebote, da wird das dann unter ‚Entertainment Fee’ oder so was gebucht.“ (Interview Nr. 21)
Nur wenige Unternehmen gaben an, keine Hongbao-Zahlungen zu leisten321. Ein deutsches Unternehmen – Daimler – wurde immer wieder von verschiedenen Befragten als ein Unternehmen genannt, von dem sie wissen, dass es keine Hongbao-Zahlungen leistet. Der Kommunikationschef von Daimler in China berichtet hierzu folgendes322: “Chinese media get Hongbaos, little red envelopes.” – JK: „I heard that you are not paying that?” – “Exactly! And this is my policy! I started that policy. […] It’s illegal! […] You know, when I first got here, I learned this is what you have to do. And then the more I learned about it, the more it was... You know, at the auto show, [Name eines Wettbewerbers] paid 600-700 RMB, you know, a hundred Euros round about if they come to their show! […] I mean, you hear this 321 Eine deutsche Interviewpartnerin entgegnete auf meine Feststellung, dass einzelne Unternehmen angaben, keine Hongbao-Zahlungen zu leisten, nüchtern: „Das müssen sie sagen.“ (Interview Nr. 22) 322 Der Kommunikationschef von Daimler China wies im Interview ausdrücklich darauf hin, dass seine Angaben nicht anonymisiert werden müssen, so dass an dieser Stelle das befragte Unternehmen genannt wird. Dies erscheint angebracht, um die Größe des Unternehmens und dessen Marktmacht transparent zu machen, da dies sicher die Voraussetzung für das Vorgehen des Befragten ist.
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about competitors. And then you are just competing on how much cash you give to the journalists. And it’s a slippery story. It’s very dangerous. [….] So we give ‘Geschenke’ – backpacks, memory stick pens – things like that. […] It’s gonna be under, you know, 30 Euros. That’s kind of the standard. But just to give money, you are just paying people! And if it’s for a journalist, an objective journalist covering you – I just have a problem. This crosses a line for me. And I think we probably suffered a little bit because of it. […] It’s a big topic. It’s a big difference. But it’s not… Most of our managers do not know. It’s only PR people and the agencies and the journalists who know. It’s not a wide thing to talk about.”
Auch andere Befragte gaben an, über die Abschaffung von Hongbao-Zahlungen nachzudenken, wobei jedoch angenommen wird, dass dies nur langsam zurückgehen und zumindest noch mittelfristig zur gängigen Praxis gehören wird. So liegt es vor allem in der Hand der Medienunternehmen, durch eine bessere Bezahlung von Journalisten und Erstattung von Spesen die Abhängigkeit der Journalisten von Hongbao-Zahlungen zu fördern. Als gutes Beispiel gehen führende Wirtschaftsmedien wie Caijing und Fortune China, die die Hongbao-Praxis ausdrücklich ablehnen, voran. 13.11.4 Umgang mit Paid News/Deals Während sich die meisten befragten Unternehmen der Hongbao-Praxis nicht entzogen, gab nur der Chef des kleinen deutschen Unternehmens in China an, für Nachrichten direkt zu bezahlen. „Das ist hier so, das ist normal. Deswegen müssen wir auch umdenken: Dieses Betüddeln von Journalisten, Einladungen nach Hau-mich-tot… Nein: Den geben Sie Kohle und dann hat sich das. […] Ich erkläre denen was ich will. Und dann fragt er. Und dann erkläre ich es noch mal. Und wenn ich sehe, der kapiert überhaupt nichts, hole ich noch ein rotes Couvert raus und dann kapiert er es. Der kriegt dann noch eins on top.“ (Interview Nr. 25)
Auch wenn in chinesischen Medien nach Aussage der Befragten grundsätzlich eine höhere Möglichkeit besteht, Inhalte zu kaufen, wiesen die befragten größeren Unternehmen diese Praxis – meist unter Hinweis auf ihre Compliance-Richtlinien – strikt zurück. „Irgendeiner wollte von mir ganz viel Geld, damit er mich in der Shanghai Daily zitiert. Da habe ich drauf verzichtet. […]“ – JK: „Also ist es Ihnen tatsächlich passiert, dass Ihnen News für Geld angeboten wurden?“ – „Ja ja. Ja. Sie können alles haben. Sie können alles haben.“ (Interview Nr. 13) “An absolute no go for [Name des Unternehmens]: We never pay for news. […] I cannot comment on other companies but for [Name des Unternehmens], we are very clear on this: No pay for news! […] As I mentioned: Some reporters they want to attract advertisement because they are not only reporters, they are, they use them also as a sales person. [Name des Unternehmens] has this clear saying: No pay for news. […] We have a code of conduct. I think you may know. […] But we respect them and we understand that it needs to do advertisement. If the media is really good and good influence, they would cooperate with our marketing people because they are the persons who spend money on advertisement. So we introduce them, build their relations and if this media is important to us, locally, we will talk to our marketing people. If it makes sense to them. But: We never pay them.” (Interview Nr. 38)
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“We only give the media allowance. This is, of course, what all the companies will pay for. But we are not gonna pay for articles.” (Interview Nr. 32)
Inwiefern große Unternehmen tatsächlich auf jegliche Bezahlungen von Journalisten über Hongbaos hinaus verzichten oder ob dies – wie von einigen Befragten angedeutet – eventuell in einigen Fällen von Agenturen übernommen wird, kann nicht beantwortet werden. Alle Befragten internationaler PR-Agenturen gaben an, dass sie über Hongbaos hinweg keine Zahlungen an Journalisten leisten, dies jedoch unter Umständen bei lokalen Agenturen der Fall ist323. ”No. For the global agencies, I don’t think they will pay anything. […] I think maybe some of the local agencies will pay for the articles.” (Interview Nr. 32) “No, we don’t do that, we won’t do that.” – JK: “Are this more the local ones?” – “I am not going to point fingers. But it is not an uncommon practice. But, you know, it’s something we certainly do not do.“ (Interview Nr. 45)
Befragte, die schon länger in China sind, waren sich weitgehend einig, dass bezahlte Nachrichten – vor allem in Shanghai, Peking, Guangzhou und in seriösen Medien – in den letzten Jahren zurückgegangen sind und dieser Trend anhält. JK: „Könnten Sie sagen, was sich in den letzten Jahren in der Medienarbeit verändert hat?“ – „Pressearbeit bei BMW, also das war in der Mitte der 90’er Jahre… zunächst einmal eben noch in vieler Hinsichten sehr starke Verbindungen von dem Obolus, den man bezahlte, mit der Meldung. Das heißt, man wollte eben auch Geld sehen, das war aber nicht die Ausnahme, das heißt, das waren bestimmte... Ich muss sagen, ich habe mich dagegen damals auch gewährt, von wegen, ‚Schicken Sie uns mal einen Artikel und die Bezahlung erfolgt dann.’ […]“ – JK: „Also geht dieses ‚paid news’ an sich zurück?“ – […] „Ja. Also, ich meine, ich kann es nur so sagen. Ich bin jetzt seit 1 1/2 Jahren wieder in China und mir ist es so nicht wieder vorgekommen wie früher.“ (Interview Nr. 17)
Auch Deals (Nachrichten für Anzeigen) nehmen nach Beobachtung der Befragten in China ab und kommen heute vor allem noch in ländlichen Gebieten vor, während in Shanghai und Peking ein Wandel eintritt. Dennoch haben viele Befragte mit dem Phänomen Erfahrungen gemacht. Während einige der Befragten die Möglichkeit, gute Berichterstattung für Anzeigen zu tauschen, durchaus annahmen, versuchten sich die meisten PR-Experten (vor allem der ‚Big Players’) von dieser Praxis ausdrücklich zu distanzieren. ”In the past there was the situation, like the journalists is not only responsible for writing the report. On the other hand, he was responsible for looking for profit, for advertisements. In the past, some people will ask for something, for an advertisement, but it’s also: Not everybody is doing this. But today, I will say, most of the media have already changed the policy. They realize this is not a good way. So now I think, what I get an impression is, most of the media, they already separate the business. So they separate the journalists with the advertisement department.” (Interview Nr. 41) 323 1995 verpflichteten sich einige internationale PR-Agenturen in China zur Einhaltung gewisser ethischer Standards und Verhaltensregeln. Darin ist festgehalten, dass eine Fahrkostenrückerstattung für Journalisten erlaubt ist, nicht jedoch die Bezahlung für journalistische Beiträge (vgl. Bussecker 2003, S. 39).
13.11 Umgang mit journalistischen Handlungs- und Verarbeitungsroutinen
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“But the wall between editorial and advertising here is not as strong as it should be, as in the west, where they are completely separate. Where a publisher or an advertising director […] can’t talk to the editors saying: ‘Would you lay off your shitty story because they are paying us a lot of money.’ It’s unheard of in the West. And they check the editorial’s integrity. Otherwise, why would we advertise in a publication? If it has no integrity. Here it’s – there is not much of a wall. Some have some kind of a wall, but sometimes we get calls from journalists that cover us, selling ads. Which is a real slippery slot. So it totally changes everything. That makes me feel so uncomfortable.” – JK: “What do you mean?” – “That happens a lot. Every once in a while there will be a special edition. For example, China Daily celebrating their 25th anniversary, blablabla, and the main journalist, who covers us, calls and says: ‘Hey, why don’t you buy this add?’ – and so. […] Sometimes they get percentages of that. And their management wants them to do it. But it completely makes me feel weird. I say: ‘Yes, sure, we try’. I mean, we do advertising, no matter if it’s an advert or who is calling us, but it just feels weird, puts me in an uncomfortable position. It puts more pressure. I mean it is practically so that our main writer starts pitching me on that. It’s like: ‘I don’t want to talk to you about that!’” (Interview Nr. 9) „Die sind froh, wenn wir auf sie zugehen und sagen: ‚Wir hätten da was, wollt ihr darüber berichten?’ Jeden Tag muss der vier oder fünf oder sechs Seiten voll kriegen.“ – JK: „Also geht es praktisch um Content Providing?“ – „Genau.“ – JK: „Muss man denn das noch zusätzlich bezahlen?“ – „Mit einer Anzeige. Das machen wir hier oft so. Er tut was für mich und ich tu was für ihn. Wunderbar. Guanxi nennt man das dann.“ (Interview Nr. 14)
Allerdings erfreuen sich Advertorials, die in China nicht unbedingt als solche gekennzeichnet sind, hier einer vergleichsweise hohen Beliebtheit. JK: „Ist das auch im Medienbereich so? Also, außer dieser Umschlagsgeschichte, sondern Bezahlungen darüber hinaus, dass man einen Artikel kauft?“ – „Das geht, ja. In der Fachpresse ja, aber das können Sie auch in der deutschen Fachpresse machen. Das ist so. Das nennen die Chinesen dann, also ich weiß nicht, wie das auf Chinesisch heißt, aber der Begriff ‚Advertorial’ wird hier sehr breit eingesetzt. Oder es wird einfach nur so deklariert.“ (Interview Nr. 22) “It’s some kind of an advertising article. We will pay for this. That’s for sure. What I mean is an advertising article. It looks like an article but it’s written by [Name des Unternehmens]. And if we want to publish something in a publication, this will appear.” – JK: “And does it say: ‘Written by [Name des Unternehmens]?’” – “No. Sometimes yes. Sometimes: ‘Written by [Name des Unternehmens]’. But sometimes not.” (Interview Nr. 32) “Advertorials are also used extensively throughout China, and they are generally not differentiated in any way from the independently written editorial.” (Warren 2002, S. 31)
Besonders in Fachzeitschriften besteht zudem – in Deutschland wie in China – gelegentlich die Möglichkeit, Autorenartikel einzureichen. Je kleiner die Redaktionen sind, desto eher sind sie für die Bereitstellung von Inhalten empfänglich. Üblicherweise wird dies in beiden Ländern als Fremdbeitrag deklariert, wobei auch hier in China Ausnahmen eher möglich sind. 13.11.5 Erfahrungen mit Erpressungen Die Berichte der Befragten über Erpressungen in China bezogen sich vor allem aufs Hörensagen: Kaum einer konnte bestätigen, dass ihm dies tatsächlich persönlich passiert ist.
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13 Medienarbeit
“And you get some journalists who even blackmail people. So: ‘I am gonna write a bad story unless you give me money.’”– JK: “So this does happen?” – “Oh yeah. It hasn’t happened to us but there have been cases I bet.” (Interview Nr. 9) „Damit müssen Sie rechnen. Da bekommen Sie einen Brief. ‚Wir haben die und die Information über Sie. Die werden wir nächste Woche veröffentlichen. Wir können uns aber gerne noch mal über die Sache unterhalten…’ Und vielleicht hat das ja auch einen gewissen Wahrheitsgehalt, vielleicht wissen Sie das auch gar nicht oder können das so schnell nicht überprüfen. Was machen Sie dann?“ (Interview Nr. 22)
In Deutschland wird die Wahrscheinlichkeit für ein solches Vorgehen als sehr gering eingeschätzt. 13.11.6 Umgang mit Falschmeldungen und Skandalierungen Da Gegendarstellungen in China nicht möglich sind, sind Falschmeldungen im Vorfeld vorzubeugen. Falschmeldungen aufgrund mangelnder Recherche/fehlendem Wissen wirkt man am Besten durch eine gute ‚Betreuung’ der Journalisten entgegen (s.o.). Daneben gewinnen Guanxis und ein gutes Image des Unternehmens in diesem Kontext wieder an Bedeutung. „Gegendarstellungen können Sie hier vergessen […]. Das ist kein Mittel, wo man letztlich, irgendwie… Da reibt man sich nur auf damit und das bringt auch nichts, weil es da einfach auch keine Rechtssicherheit gibt. Das heißt, umso mehr muss man einfach so ein allgemeines Wohlwollen erzeugen, den Medien gegenüber.“ (Interview Nr. 4) “Until now, I wouldn’t say we had a crisis, but some issues happened in China. But I think it’s okay – we did have someone injured, we do had the pollution and we had some very harmful things happened, so that’s okay, only the operations know. It’s very tricky: If you have a very good reputation in China, the media or the journalist will not, how to say, challenge you so much. And if you have a very good, how to say, attitude to deal with this kinds of things, especially with dealing to something related to the consumers, they will say: ‘Oh, this company is very friendly and they have a very good attitude to Chinese people’, so they are very... Chinese people can understand you, what happens. They think it’s the normal thing not only for your company or for other companies. If you have a good attitude and you are dealing with this positively and do some good things for the residents or customers or Chinese people, they will accept you.” (Interview Nr. 36)
Bestehen gute Beziehungen zu Journalisten, Redaktionen oder relevanten Politikern, ist die Wahrscheinlichkeit in China recht hoch, dass ein Unternehmen vor der Veröffentlichung einer negativen Nachricht im Voraus in Kenntnis gesetzt wird und so die Möglichkeit hat, die Veröffentlichung falscher oder negativer Nachrichten aufzuhalten. Eher als in Deutschland ist es in China möglich, zum Telefon zu greifen und einen ‚befreundeten’ Journalisten, den Chefredakteur oder sonstige einflussreiche Personen zu bitten, eine Geschichte nicht oder in abgeschwächter Form zu publizieren (vgl. Kapitel 13.8.5). JK: “When a problem arises, is there a different way to deal with it compared to the western world?” – “Yeah, I think yes and no. I think if a conflict does arise, or an issue does arise, you
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hopefully manage this topic in a professional way. But I think your relationship is coming to play a lot in a conflict situation here. So, for example, if you have an issue where media is telling a non correct story about your brand: If you have good government relationships then you can put in a call to the publishing department at the government or you could even put in a call to someone you know very well in one of the state owned media, like Xinhua news agency or People’s Daily. And you can speak to them and convince them that, you know, the story is incorrect, give them all the facts they need to print a correct version of the story. And that’s very influential. So if you can go in a high level then you can really stop something quite effectively. You can turn it around. If you don’t have these relationships, it’s very, very difficult.” (Interview Nr. 42) „Deshalb bin ich der Meinung, dass man da Brücken bauen muss. Sprich: Man muss ‘rausfinden, wie dieser Journalist in der Redaktion eingebunden ist. Dann muss man ‘rausfinden, ob man vielleicht irgendjemand in der Redaktion kennt, inwieweit man da quasi den Druck über Einflussnahme im Umfeld der Person herausnehmen kann.“ (Interview Nr. 22) “The reporters who write the bad stories are not our key contacts. As we have the very good relationships with the chief-editors, we will see if we could deliver our correct message to the chief-editor or also the reporter to see if we can change it.” (Interview Nr. 32)
Ist es trotz aller Vorkehrungen zu einer Veröffentlichung falscher Tatsachen gekommen, ist hierauf mit Fingerspitzengefühl zu reagieren. Vor allem die chinesischen Befragten wiesen darauf hin, dass es in solchen Situationen wichtig ist, unter Beachtung des chinesischen Kommunikationsstils behutsam und für alle Beteiligte Gesicht wahrend zu reagieren, während man in Deutschland Fehler direkt ansprechen kann. JK: „Das Face-Konzept – wirkt sich das auf Medienarbeit aus?“ – „Ja, klar. Dass, wenn man jetzt beispielsweise eine Geschichte hat in der Zeitung, die nicht stimmt, wo falsche Fakten falsch dargestellt sind, da würde man in Deutschland bei dem Redakteur anrufen und sagen: ‘Hören Sie mal, in dieser Geschichte, die heute in der Zeitung steht, sind Fakten falsch. Wir werden jetzt eine Gegendarstellung formulieren und...’ Also, man würde da viel offensiver vorgehen. Und hier muss man das eher, sagen wir mal, ein bisschen durch die Blume sagen.“ (Interview Nr. 4) “But I need to consider his face. For example: We find out that a news report had a mistake. In one media. […] So we made a call and we cannot say: ‘How can you make that mistake? What happened?’ – be that very dangerously and we cut from the other way. So we talked about how they are feeling about our last press conference and if everything is good, any improvement he wants to suggest and: ‘We saw this article, it’s great, but we thought this one part is very strange, so and – we don’t think it’s your fault, maybe one of the editors…’ or something like that. Just be very polite. We safe his face.” – JK: “Instead of saying: ‘You did a mistake.’” – “Yes. Or: ‘It cannot happen any more’ or ‘Fix that problem!’ Anything like that: No, no, no. You have to consider the other’s feelings.” (Interview Nr. 38)
Ein westlicher PR-Manager berichtet von einer schlechten Erfahrung, die er mit einem direkten Hinweis auf fehlerhafte Informationen machte: “There was a series of a couple negative stories in a publication, a month and a half ago or so. And we realized it was kind of a negative story about our Joint Venture. […] And then we wrote a letter to the editor […]: ‘Let me point out several points where your story was wrong’. Just ve-
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ry factual, not personal.” – JK: “I heard you always have to be very indirect when pointing out that a journalist has done a mistake.” – “When there are so many inaccuracies in a story and so many people read it, we had to point it out. […] So the letter didn’t come from me. We put it from our chairman and the chairman of our JV. […] So we thought a joint letter from the two top guys would be strong to show... But then it just really pissed off this journalist. He sent it to his editor and some other people and, instead of writing some kind of correction or something, he wrote an even worse story. He didn’t even use any of the letter’s facts.” – JK: “He wrote wrong facts again?” – “Just the same kind of bullshit. So all of this incited him to run another one. And it was, you know, one of my colleagues, the guy who handles governmental affairs, he is the one saying: ‘You have to write a letter!’ He is not really a PR guy, doesn’t really know the media stuff that well. So we did it and in retrospect, even though it made us feel better at that time, it was probably not a good idea.” (Interview Nr. 9)
13.11.7 Umgang mit Online-Skandalierungen Mit der ‚Gefahr von Angriffen aus dem Netz’ durch Blogs bzw. BBS-Seiten gehen Unternehmen – in Deutschland wie in China – noch sehr unterschiedlich um. In beiden Ländern weisen PR-Berater in Agenturen auf die wachsende Gefahr hin und bemängeln ein noch unterentwickeltes Bewusstsein für diese Problematik bei vielen ihrer Kunden. Während die Befragten großer Unternehmen in Deutschland jedoch übereinstimmend angaben, im Rahmen des Issue Managements auch Blogs zu beobachten, war dies in China nur bei wenigen der Fall, was vor allem mit fehlenden Ressourcen und dem enormen Umfang an chinesischen Blogs und BBS-Seiten begründet wurde. JK: “So do you monitor that?” – „We monitor. But, you know, it’s too much.” (Interview Nr. 35) JK: „Und beobachten Sie, was in Blogs geschrieben wird?“ – „Ja, es gibt eben sehr viele Blogs in China. Mein Kollege ist auch hier dran. Aber es ist sehr schwer zu kontrollieren.“ (Interview Nr. 17) JK: “Do you monitor blogs?” – “No. Not yet. Maybe later, in the coming, let’s say, four to five years time. Then we might start to do that. But not yet […]. It could be one of the tools that communicate... and also some negative things could arise from these blogs. But at the moment, I don’t have time and energy to do that.” (Interview Nr. 33) JK: “Blogs, is that a big deal here?” – “Very big deal! Very big!” – JK: “And how do you handle this?” – “We have people that kind of look out for them. […] Agencies and internal, we monitor them from time to time. Especially if there is a big issue. We could be doing more for sure.” (Interview Nr. 9)
Unternehmen in China, die angaben, das Internet zu monitoren, beauftragen hiermit weitgehend Agenturen. Der Direktor einer im Online-Bereich sehr engagierten internationalen PR-Agentur in China plädiert darüber hinaus dafür, über Internetportale hinaus, relevante Blogger in die aktive Medienarbeit mit einzubeziehen: “You are now kind of talking about what is the appropriate online strategy for multinational companies in China. They got to have an online presence. Got to understand who are the people who are talking about them. We treat, for example, influential bloggers in a similar way that we
13.13 Differenzierte Betrachtungen
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treat media. You know, if we have an announcement about an issue, then we try to identify who are the online bloggers.” – JK: “But this takes a lot of manpower…” – “Well, yes and no. There are people who are shaping the discussions of, you know, all your customers. So why wouldn’t you invest it?” (Interview Nr. 45)
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Erfolgskontrolle
Sowohl in China als auch in Deutschland gaben die Befragten an, für ihre Medienarbeit Erfolgskontrollen – vor allem in Form von Clippings, in Deutschland auch in Form von Medienresonanzanalysen – durchzuführen bzw. von ihren Agenturen durchführen zu lassen. Große Unternehmen haben in beiden Ländern in der Regel täglich Abdrucke und Schwierigkeiten, diese vollständig zu erfassen. 13.13
Differenzierte Betrachtungen
Wurden bisher JVs und WFOEs, die verschiedenen Industrien, DAX30-Unternehmen/‚Big Player’ und andere Großunternehmen, deutsche und chinesische Befragte, PR-Experten und PR-Laien, Befragte in Shanghai und Peking zusammenfassend betrachtet, sollen abschliessend noch einige Besonderheiten der verschiedenen PR-Kontexte und Akteure aufgezeigt werden. Dies erfolgt (im Hinblick auf den Umfang der Arbeit) in aller Kürze. 13.13.1 WFOEs und Joint Ventures PR-Arbeit in einem deutsch-chinesischen Joint Venture bringt im Vergleich zur PR-Arbeit in einer reinen Tochtergesellschaft vor Ort – wie bereits teilweise angedeutet – einige zusätzliche Herausforderungen mit sich. Beachtung politischer Zielsetzungen und wichtiger Persönlichkeiten: Da die JV-Partner in der Regel staatliche Unternehmen oder Institutionen sind, sind die politischen Zielsetzungen für diese Unternehmen besonders mit in die Überlegungen der PR-Arbeit einzubeziehen. Führungspersonen des Partnerunternehmens und politische Persönlichkeiten, die mit dem JV befasst sind, sind mit größtem Respekt und zuvorkommend zu behandeln. “That’s another important part of it. That our shareholder is… The biggest person of our shareholders is the Major of Beijing. So he comes to our events sometimes. But he is, you know, he is the major and he wants this JV to be successful. And we want it to be successful and, you know, in a place where people are not elected – they are decided by the party and these committees and stuff – so they need good press, they need good face, they need a good reputation. So all of this stuff to be mindful of.” (Interview Nr. 9)
Wird ein JV mit einem chinesischen Partner in der Provinz eingegangen, müssen sowohl lokale Politiker als auch relevante Personen in Peking berücksichtigt werden. Abstimmung: Eine besondere Schwierigkeit besteht naturgemäß in der Anforderung, die PR-Aktivitäten mit dem JV-Partner – der unter Umständen eigene kommunikative Interessen und Strategien verfolgt – abzustimmen.
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13 Medienarbeit
„Also, ich mache Joint Venture Support, wie gesagt 50:50. Da kann ich nicht sagen: ‚Wir machen das so oder so.’ Sondern die haben… zu meinem Leitwesen gibt es hier ja noch diese Struktur dieses ‚Company Offices’. Also meistens sind das Leute, die haben keine Ahnung von Marketing, PR, gar nichts.“ – JK: „Company Office?“ – „Company Office. Das ist... also, bei uns in den 70er Jahren gab es so eine Art Bürovorsteher, die hier die Fahrer unter sich haben, ein paar Sekretärinnen und vielleicht hier vorne noch die Sicherheitskräfte. Die Dame, die das hier macht zum Beispiel, nennt sich ‚Director of Company Office’, hat, wie gesagt, keinerlei Ahnung im Bereich Marketing oder PR und möchte aber gerne in all diesen Bereichen involviert sein. Und mit der muss ich mich dann halt auch abstimmen. Und das ist, das ist... wirklich der sehr schwierige Part. Also, all die Sachen, die Sie hier [zeigt auf Informationsmaterial vor ihr] sehen, die sind von uns bezahlt und dadurch hab ich dann halt auch den Daumen drauf und kann auch bestimmen, ein Stück weit, in welche Richtung wir gehen. Aber sobald es dann eben zu Themen kommt, wie... Hier unten im Eingangsbereich haben Sie sicherlich gesehen, da stehen Aufsteller, mit denen habe ich nichts zu tun. Die werden dann teilweise von der Gewerkschaft gemacht. Da werden dann Sprüche ’raufgeschrieben wie: ‘Wir müssen die dunklen Wolken beiseite schieben, um die Sonne scheinen zu lassen.’ Also Chinesen haben ja eine sehr blumige Sprache. Oder auch bei unserem anderen Joint Ventures […], da kommt dann sehr stark der chinesische Einfluss zum tragen, wenn die selber was machen, und da ist es schwierig, wenn Sie dann als Experte ihre Argumente durchbringen wollen. Und das schaffen Sie nicht immer.“ (Interview Nr. 6)
One-Voice-Policy und Branding: Die notwendige Abstimmung mit dem JV-Partner erschwert zudem die Möglichkeit, Botschaften in China mit der globalen One-Voice-Policy in Einklang zu bringen (vgl. Kapitel 13.10.4.2). In diesem Zusammenhang sprachen einige Befragte auch ein fehlendes Bewusstsein der JV-Partner für Corporate Design Aspekte an324: „Also, was ich da vorgefunden habe: Eigene Kreationen von unserem Logo! Also, mal unabhängig von unserem Layout, habe ich Dinge in der Werbung gefunden: Um Gottes willen! Mit Bildern, die entsprechen noch nicht mal unserem Image.“ (Interview Nr. 5) “CI has to be just this way and we freak out when anything is wrong and even if it’s slightly different – the colour is wrong... we go crazy about this kind of stuff! Then we have this Chinese partner […] and they want to do their own thing!” (Interview Nr. 9)
Auftreten und Bescheidenheit: Entsprechend dem chinesischen Höflichkeitsverständnis gebietet es sich, im täglichen Umgang bescheiden mit eigenen Stärken und Leistungen umzugehen und die Leistungen des Partners wann immer möglich öffentlich zu loben. „Man muss sich zurücknehmen, ja. Also, gerade wenn man, wie wir, mit Joint Ventures tätig ist, muss man aufpassen, dass man nicht zu sehr immer nur [Name des Unternehmens] kommuniziert. […] Dann ist es ganz wichtig, auf die Zusammenarbeit mit dem Joint Venture Partner hinzuweisen und den Partner über den Tee zu loben. Und nicht sich selber in den Vordergrund zu spielen.“ (Interview Nr. 6)
Veranstaltungen: Bei offiziellen Veranstaltungen ist eine enge Abstimmung mit dem JVPartner notwendig, der häufig einen Anspruch auf Entscheidungen über Einladungen (inklusive der Auswahl von Journalisten) und den Ablauf der Veranstaltung erhebt. Auch hier sind Führungspersönlichkeiten des JV und beteiligte Politiker besonders in Szene zu setzen. 324 Die befragten JV-Unternehmen verwendeten in China das Logo des deutschen Partnerunternehmens.
13.13 Differenzierte Betrachtungen
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Hohes Medieninteresse an Personalien: Chinesische Medien interessieren sich besonders für ausländisch-chinesische Joint Ventures. Hierbei blicken sie nicht nur auf deren Engagement in China, sondern vor allem auch auf strukturelle Machtverteilungen und Personalien im JV. “You get a lot of more here on structural and who has the power stories. You get a lot of those, especially when it has to do with Joint Ventures. Who has the power, […] sophisticated questions about shares and how the shares-structure is and who has the right to do whatever. You know, you get a lot more of those kinds of questions here, when it has to do with our Joint Ventures, than I have gotten in other markets.” (Interview Nr. 9)
Skandalierungen: Reibungen zwischen Joint Venture Partnern sind beliebte Themen der chinesischen Sensationspresse, so dass hiermit besonders sensibel umgegangen werden muss. “We met the challenge of a shareholding problem. But the problem happened at our old partner. They released that news from one side. They talked to media directly: ‘We don’t want to cooperate with [Name des Unternehmens] anymore’. So it came up in the media. […] So we don’t have the patience to wait any longer so we want to sell our shares. This is an issue that happened in 2003. And in 2005 […], we said who is our new partner. So during those two years we always facing the questions from the media saying: ‘Is this shareholder issue ending?’ […] And during the three years we keep very low profile on the issue and we focused on our service and on our products. So we were waiting for the whole issue to come to the end. […] Now, after three years, in 2005, when the results were coming and we had a new partner and we had even a new name, then it is time to focus on our growth stories. Then we are not hesitated to release any news on how good we have growing.” (Interview Nr. 38)
13.13.2 Verschiedene Industrien/Sonderfall Unternehmen im Endkonsumenten-Bereich Zwischen den befragten Industrieunternehmen der verschiedenen Branchen im ausschließlichen B-to-B-Bereich konnten keine wesentlichen Unterschiede in den Beobachtungen und Aussagen festgestellt werden. Besonderheiten zeigten sich naturgemäß bei Unternehmen, die (auch) im Endkonsumentenbereich aktiv sind und dort auch Produkt-PR betreiben. Hierunter fielen in der Befragung Unternehmen der Automobilindustrie sowie einige Pharma- und Elektro-Unternehmen. Die wichtigsten Aspekte seien in Folge – inklusive einem Ausflug in die PR für Lifestyle-Produkte – erwähnt. Verbraucherschutz – Gefahr von Skandalierungen durch Privatpersonen: Sich über Produktmängel öffentlich zu echauffieren ist in China eine Art Volkssport geworden, der vor allem von Unternehmen im Konsumgüterbereich zu beachten ist. Dies wird durch die neuen Kommunikationsmöglichkeiten des Internets noch gefördert. Einführung neuer Produkte: Als eine der zentralen Aufgaben der befragten internationalen PR-Agenturen in China wurde die Produkt-PR genannt: Die Etablierung großer ausländischer (Konsumgüter-)Marken auf dem chinesischen Markt. Viele Produkte sind für chinesische Konsumenten der wachsenden Mittelschicht neu und müssen erst einmal grundlegend vorgestellt und erklärt werden. Dabei erfordern einige Produkte nicht nur die Erklärungen des Produktes selber, sondern deren Einführung geht mit der Erklärung eines ganzen neuen Lifestyles einher.
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13 Medienarbeit
“I have seen an increase of using invisible PR, you know, not trying to convey much of it, just try to educate the public. So on the consumer side, we have seen that we are talking more about lifestyle. Not just about the brand itself, but a living style: A healthy living, a green living, recycling living. […] You have to tell them lifestyles. You have to build a trend first, a concept, so that they are familiar with. Then you come in with the brand.” (Interview Nr. 43) „Oder dann hatten wir eine Messe für Yachten und wir haben PR für die Italiener gemacht, das war für die italienische Handelskammer, und da mussten wir erstmal erklären, was das für ein Lifestyle ist, was das für ein Gefühl ist, eine Yacht zu haben und auf See zu sein. Das kannten die einfach gar nicht.“ (Interview Nr. 21)
Inszenierung von Veranstaltungen: Die stärkere Inszenierung von Veranstaltungen in China gilt besonders für Pressekonferenzen und Events, in denen (Konsumgüter-)Produkte eingeführt oder präsentiert werden. Auf eine aufwendige Dekoration kann nicht verzichtet werden, die Einbindung von Celebrities ist üblich. In der Automobilindustrie ist es – wie auch in Deutschland – zudem üblich, Journalisten zu aufwendigen Testfahrten einzuladen. Paid News: Während Bezahlungen von Nachrichten im B-to-B-Bereich über Hongbaos hinaus weniger üblich sind (vgl. Kapitel 13.11), ist dies nach Aussagen der Befragten im Konsumgüter-Bereich wesentlich stärker verbreitet325. 13.13.3 ‚Big Player’ und kleinere Großunternehmen Die Unterschiede zwischen ‚Big Playern’ (vor allem DAX30-Unternehmen) und anderen Großunternehmen liegen auf der Hand: Die ‚Big Player’ verfügen über höhere personelle und finanzielle Ressourcen, um professionelle Medienarbeit in China zu leisten. Das Interesse der Medien ist an ihnen größer als an vergleichsweise kleineren Großunternehmen. Diese sind zudem unter Umständen weniger an Compliance-Richtlinien gebunden und müssen – da das Medieninteresse geringer ist – tendenziell eher für Nachrichten bezahlen. 13.13.4 Deutsche und chinesischen Befragte in China Im Vergleich der befragten Deutschen und Chinesen in China ließen sich ebenfalls einige, nicht besonders überraschende Beobachtungen anstellen. Die befragten Deutschen vor Ort kritisierten das Mediensystem, die unterdrückte Meinungsfreiheit, die Dominanz und Kontrolle durch die Regierung/Partei sowie den Reifegrad des chinesischen Journalismus um einiges deutlicher als die chinesischen Interviewpartner. Diese gaben sich vielmehr patriotisch und betonten besonders positive Entwicklungen und Fortschritte in China. Guanxi, die Hongbao-Praxis und Bezahlungen/Deals stießen bei den chinesischen Befragten auf weniger Ablehnung als bei den befragten Deutschen.
325 Auch in Deutschland wurden die Möglichkeiten, redaktionellen Raum (in Form von Advertorials) zu kaufen, im Konsumgüterbereich wesentlich größer eingeschätzt als im B-to-B-Bereich.
13.14 Tipps für die PR-Arbeit in China
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13.13.5 PR-Experten und PR-Laien Zwischen den befragten PR-Experten und PR-Laien bestand der größte Unterschied im Hinblick auf das Bewusstsein für professionelle und ethisch korrekte PR-Arbeit. PR-Laien hatten tendenziell weniger Probleme mit der Hongbao-Praxis und Bezahlungen/Deals. 13.13.6 Shanghai und Peking Die PR-Abteilungen befinden sich bei Unternehmen mit mehreren Standorten sowohl in Shanghai als auch in Peking, wobei sich tendenzielle Unterschiede in den jeweiligen Themenschwerpunkten finden lassen. Aufgrund der Nähe zur Regierung finden politisch orientierte Kommunikationen (und Public Affairs-Aktivitäten) eher in Peking als in Shanghai statt. 13.14
Tipps für die PR-Arbeit in China
Abschließend wurden die Interviewpartner gefragt, was ihrer Ansicht nach die Erfolgsfaktoren der PR in China sind und welche Tipps sie deutschen Unternehmen, die in China PR betreiben, mit auf den Weg geben würden. Drei Zitate sollen hier stellvertretend wiedergegeben werden. „Der erste Tipp ist: Beschäftigen Sie sich intensiv mit der Kultur bevor Sie hierher kommen. Ich hab genügend Leute kennen gelernt, die haben hier angefangen, egal in welchem Bereich, und haben nicht mal ein Seminar bekommen, also über die kleinsten Kleinigkeiten. Also, wie überreiche ich eine Visitenkarte... Sie müssen hier unheimlich viel Geduld mitbringen […]. Sie sollten sich vor allem, das werden Ihnen andere Leute sicher auch schon gesagt haben oder noch sagen, sich auf Beziehungen… also, Sie müssen unheimlich viel Zeit mitbringen, um Beziehungen aufzubauen. Also: Netzwerk ist alles. Und das gilt nicht nur im Bereich mit den Medien, sondern das gilt eben auch in dem Netzwerk, zum Beispiel mit der Agentur. Klar, wir bezahlen unsere Agentur, aber es geht trotzdem nichts über die persönliche Bindung. Und das kriegen Sie nicht, wenn Sie die zwei-, dreimal treffen und sehr freundlich sind, sondern das muss über Monate, Wochen hinweg gebildet werden. Der Tipp ist erstmal Zurückhaltung. Schauen Sie sich es an. So machen es die Chinesen nämlich auch. Beobachten, bevor man selber losstürmt. Und das ist ja das, was wir Europäer häufig machen. Wir wollen umsetzen, proaktiv. Und wenn ich hier was mitgenommen habe, dann ist es das Thema ‚Beobachten’. Geduld mitbringen und auf keinen Fall denken, dass Sie in den ersten zwei, drei, vier Meetings schon überhaupt was bewegen können. Und wie gesagt, sich sehr eingehend mit der Kultur und mit den Do’s und Dont’s befassen. […] Oder bringen Sie sich, wenn Sie die Sprache nicht beherrschen, einen Dolmetscher mit, ja. Einfach, um auch dem anderen zu zeigen, wie wichtig Sie ihn finden und angefangen von den Abendessen-Einladungen, die Sie nicht ausschlagen sollten, die hier einfach mit zum guten Ton gehören. Die dann auch erwidert werden müssen. Und angefangen von den Visitenkarten, wie Sie die übergeben, dass Sie die auch genau mustern und so weiter, eine bestimmte Zeit und immer offen liegen lassen, genau. Ja. Dass Sie eben dem anderen, wie Sie ja wissen, dieses Thema Gesicht waren... ja, dass Sie nicht den anderen in der großen Runde verletzen... Also, ich denke 326 diese Dinge sind unheimlich wichtig.“ (Interview Nr. 6)
326 Vgl. Anhang/Handlungsempfehlungen der interkulturellen Managementforschung.
302
13 Medienarbeit
“I’d probably summarize it to some things. To be sincere is very key. Sincere. Not just between people, but your company’s vision, mission, has to be sincere. Anybody can write a beautiful vision or mission statement, but it has to be sincere and relevant to China. That’s the key number one. Relevance to China has to be number one. […] Number two is to be aware of what the government is doing. Of the government’s policies. It just affects everything. It affects everybody, everything. You know, how the media will be talking about your company’s strategy is gonna be affected. So, government policy is definitely a key thing that you need to monitor all the time. […] And third, I think, know what the media is doing, what they are interested in. You know, don’t go to them just because you have a press release. Maintain the report on a long-time basis. Even though you don’t have news, give them a call, invite them for a cup of coffee, just talk about what’s going on. […] Maintain a relationship. And from there, you know what they are talking about and it might help you to think about a strategy.” (Interview Nr. 43) „Das Wichtigste ist, die Unterschiede der chinesischen Medien zu kennen. Die natürlich ganz anders arbeiten und ganz anders funktionieren als westliche Medien. Das ist natürlich den unterschiedlichen politischen Systemen geschuldet. […] Eingeschränkte Pressefreiheit, ganz anderes arbeiten, ganz andere Ziele. […] Ja, eine gewisse Professionalität in der Medienarbeit ist immer ein Erfolgsfaktor. Dann, ich finde, ein Erfolgsfaktor für Medienarbeit ist, dass man das als, sagen wir mal, Chance versteht. Dass man nach draußen offen kommuniziert, transparent kommuniziert, ein offenes Verhältnis mit den Medien hat. Das ist ein wichtiger Erfolgsfaktor für Medienarbeit. Vertrauen schafft, als Person, die Art und Weise, wie man eben agiert, dass man das macht, was man sagt.“ (Interview Nr. 4)
13.14 Tipps für die PR-Arbeit in China
303
14 Zusammenfassung Struktur-Handlungs-Zusammenhänge
Aus den Betrachtungen und Überlegungen ergeben sich vielfältige Hypothesen über Struktur-Handlungs-Zusammenhänge von PR-Handlungen deutscher Unternehmen in China. Diese werden in Folge zusammengefasst dargestellt und (wo möglich und zulässig) versucht, Hypothesen über allgemeine Struktur-Handlungs-Zusammenhänge der PR von Unternehmen in einem Gastland (bzw. grundsätzlich von externen Strukturen auf PRArbeit327) aufzustellen. Dabei ist zu betonen, dass hierbei kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben wird: Es wurden in dieser Arbeit nur jene Handlungsunterschiede dargestellt, die von den Befragten in den Interviews wiederholt genannt wurden. Dies heißt nicht, dass alle Befragten gleich auf Strukturunterschiede reagierten. Es handelt sich stets nur um Tendenzen und typische Beobachtungen von Handlungsunterschieden, die den Befragten auffielen bzw. ihrer Ansicht nach besonders relevant sind und dass die Zusammenhänge – wie bei komplexen sozialen Phänomenen üblich – selten monokausal sind. Vielmehr sind Regeln und Ressourcen untereinander miteinander verknüpft und – ganz im Sinne der Strukturationstheorie – wechselseitig und vielseitig mit der Handlungsebene verflochten. In Folge werden links die identifizierten Unterschiede der PR-Handlungen von deutschen Unternehmen in China zusammengestellt (Forschungsfrage 1, grau hinterlegte Texte signalisieren, dass hier kein Unterschied besteht), rechts die vermuteten Ursachen für die identifizierten Handlungsunterschiede auf Strukturebene zugeordnet (Forschungsfrage 2, autoritative/allokative Ressourcen, Handlungs328 und Deutungsregeln farblich und mit Kürzel markiert) und daraus allgemeine, mit aller Vorsicht zu betrachtende Annahmen über den Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen Strukturbedingungen und konkreten PR-Handlungen abgeleitet.
327 Anstelle von ‚Gastland’ kann man auch ganz allgemein ‚Land’ einsetzen. Der Schwerpunkt der Betrachtung liegt dann weniger auf Internationaler PR (Vergleich von Unterschieden der Strukturen und PR-Handlungen in einem Gastland zum Heimatland), sondern vielmehr auf der Frage, inwiefern organisationsexterne Regeln und Ressourcen PR-Handlungen strukturieren. Siehe auch Überlegungen im Fazit. 328 Zusätzlich werden Kürzel verwendet: Aut = Autoritative Ressource, All = Allokative Ressource, H = Handlungsregel, D = Deutungsregel.
304
14 Zusammenfassung Struktur-Handlungs-Zusammenhänge
14.1 Organisation der Internationalen PR Hohe Relevanz von PR in China für Mutterunternehmen, intensive Zusammenarbeit: Inhaltliche (One-Voice-Policy) und grafische (Corporate Design) Vorgaben aus dem Mutterunternehmen
Die Rolle von PR in einem Gastland und die Intensität der Zusammenarbeit mit dem Mutterunternehmen im Heimatland hängen vor allem von der strategischen Relevanz des Marktes des Gastlandes für das Gesamtunternehmen ab.
PR-Funktion in China zunehmend von Einheimischen besetzt, vor allem für Zusammenarbeit mit chinesischen Medien/Ansprechpartnern
Hohe Bedeutung von China als strategischer Schlüsselmarkt für deutsche Unternehmen
Sonderstatus von Ausländern, Respekt aber auch Misstrauen, klare Abgrenzung Aut von Chinesen gegenüber Ausländern Konfuzianistisch geprägte HandlungsH /Umgangsregeln in Kopräsenz Herausragende Bedeutung interpersonaler H Kommunikation (Foren der Kopräsenz) Herausstellung von Gemeinsamkeiten H auch im beruflichen Kontext akzeptiert und erwünscht Sehr hohe Sprachbarriere: Große Unterschiede zwischen der chinesischen und der D deutschen/englischen Sprache Chinesisch für Deutsche sehr schwer zu D lernen, wenige Deutsche in China sprechen Chinesisch Viele Chinesen (Journalisten) D sind in Englisch unsicher Arbeit mit Dolmetschern erhöht D Gefahr von Missverständnissen Unterschiede im Kommunikations-, D Argumentations- und Diskursstil Zahlreiche Unterschiede auf non- und D para-verbaler Kommunikationsebene
Die Möglichkeit für PR-Akteure aus dem Heimatland in einem Gastland PR zu betreiben wird durch vielfältige Barrieren des Gastlandes – vor allem hinsichtlich der Möglichkeit, mit einheimischen Journalisten in Kontakt zu treten – begrenzt. Hierzu zählen das bestehende Vertrauen in Ausländer, sozial-philosophisch/religiös geprägte Handlungs- und Umgangsregeln in Kopräsenz, die Sprachbarriere sowie Unterschiede im Kommunikations-, Argumentations- und Diskursstil sowie auf non-, para- und extraverbaler Kommunikationsebene.
305
14.2 Teilbereiche der PR
Deutsche PR-Akteure vor allem für die Führung der PR-Abteilung vor Ort, Abstimmung mit dem Mutterunternehmen, interne Kommunikation, strategische und konzeptionelle Aufgaben sowie Kommunikation mit englischsprachigen/internationalen Medien in China/von China aus verantwortlich
All
PR-Akteure aus dem Heimatland – die die Kultur des Heimatlandes und des Mutterunternehmens kennen – können die Arbeit von lokalen PR-Akteuren sinnvoll ergänzen. Zusammenarbeit mit Agenturen: Abwägung von Vor- und Nachteilen internationaler Agenturnetzwerke und einheimischer Anbieter notwendig329
Neben chinesischen Medien auch englischsprachige/internationale Medien vor Ort
Großes Angebot an PR-Dienstleistern: Internationale PR-Agenturnetzwerke unter- All scheiden sich stark von lokalen Agenturen
In Gastländern, in denen die PR-Branche noch jung ist, müssen bei der Beauftragung von PR-Dienstleistern die Vor- und Nachteile von internationalen PR-Agenturnetzwerken (Edelman, Ogilvy etc.) einerseits und lokalen Agenturen andererseits vorsichtig abgewogen werden.
14.2 Teilbereiche der PR
Sehr hohe Bedeutung von Public Affairs in China330
Geringe Bedeutung von Anspruchsgruppenkommunikation in China331
Autoritäres System, uneingeschränkter Führungsanspruch und Machtmonopol Aut der KPCh in allen gesellschaftlichen Bereichen ‚Sozialistische Marktwirtschaft’, enge Verflechtung der Politik mit der Aut Wirtschaft, Joint Ventures als häufige Voraussetzung für ausländische Unternehmenspräsenz in China Keine Garantie der Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit, stark kontrollierte, wenig entwickelte und passive Zivilgesell- Aut schaft, Zustimmung der Partei für jede zivilgesellschaftliche Aktivität notwendig,
329 Vgl. Tabelle im Anhang. 330 Aufgrund zunehmender Offenheit der chinesischen Regierung für Ratschläge der ausländischen Privatwirtschaft und dem noch im Aufbau befindlichen Rechtssystem bestehen zunehmende Möglichkeiten für deutsche Unternehmen, in China Lobbying zu betreiben. 331 Bewusstsein für Unternehmensverantwortung nimmt zu. Eventuelle Anspruchsgruppenkommunikation mit internationalen NGOs innerhalb und außerhalb Chinas.
306
14 Zusammenfassung Struktur-Handlungs-Zusammenhänge
wenig aktive Zivilgesellschaft zudem historisch/kulturell bedingt Politische Kontrolle der Medien/Zensur weniger streng für wirtschaftliche Themen, zunehmende Kommerzialisierung der Medien Viele große deutsche Unternehmen/Marken sind in China noch unbekannt Bekanntheitsgrad/Markenaufbau besonders wichtig, um Marke schützen zu lassen Relativ hohes Vertrauen der Chinesen in chinesische Medien Größtes Mediensystem der Welt mit einem Trotz politischer Kontrolle umfassenden Angebot an und begrenzter Freiheit des Mediensystems Print- und audiovisuellen Medien, Internet hohe Bedeutung Höhere Erwartungen an unternehmerisches von Medienarbeit Handeln (Sozial-/Umweltstandards) in China ausländischer Unternehmen als an für ausländische/ einheimische Unternehmen deutsche Wirtschaftsunternehmen, Kein Recht auf Gegendarstellung; Falschdarstellungen kann auf formalem auch in China wird Medienarbeit Weg nicht/schwer entgegengewirkt werden als Kernstück der PR beschrieben Hohes Interesse an Wirtschafts- und Unternehmensthemen Chinesische Medien wollen von ausländischen Unternehmen lernen: Hohes Interesse an Fallstudien und Erfolgsgeschichten Beitrag ausländischer Unternehmen für China und CSR Themen zunehmend relevant Hohes Interesse an Produktthemen/Verbraucherschutz Hohe Empfänglichkeit der chinesischen Medien für Skandalgeschichten um ausländische Unternehmen
Aut
Aut Aut Aut All
H
H D D
D D D
Die Relevanz der verschiedenen Teilbereiche von PR (Public Affairs, Anspruchsgruppenkommunikation, gesellschaftspolitische Kommunikation/Medienarbeit) in einem Gastland wird maßgeblich von der autoritativen Ressourcenverteilung (Machtverteilung zwischen Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Medien) bestimmt. Fundamentale Unterschiede im Gesellschafts- und Mediensystem schränken die Medienarbeit nicht unbedingt/gänzlich ein. Auch in undemokratischen Gesellschaften, mit einem vollkommen anderem Verständnis von der Rolle der Medien, kann die Medienarbeit – bei einem Mindestmaß an Offenheit für/Interesse an Wirtschafts- und Unternehmensthemen – das Kernstück der PR bilden.
307
14.3 Medienarbeit
14.3 Medienarbeit In Folge werden Struktur-Handlungs-Zusammenhänge der Medienarbeit betrachtet.
Æ Adressaten der PR (besondere Schwerpunkte)
Beachtung der Politik/Partei bei allen Handlungen der Medienarbeit besonders wichtig
Autoritäres System, uneingeschränkter Führungsanspruch und Machtmonopol der KPCh in allen gesellschaftlichen Bereichen ‚Sozialistische Marktwirtschaft’, enge Verflechtung der Politik mit der Wirtschaft, nach wie vor Unternehmen in Staatsbesitz Enge Verflechtung der Regierung/Partei mit den Medien, politische Kontrolle der Medien/Zensur
Aut Aut Aut
Die Machtverteilung (autoritative Ressourcenverteilung) im Gastland beeinflusst die Ausrichtung der Medienarbeit und die Relevanz unterschiedlicher Adressaten im Gastland.
Æ Medieninteresse/Initiative (aktive/reaktive PR) Grundsätzlich sind Medien an Wirtschafts- und Unternehmensthemen interessiert und können hierüber auch relativ frei berichten
Initiative der Medienarbeit muss tendenziell stärker vom Unternehmen ausgehen als in Deutschland
Häufig notwendig, das Image/die Marke von Null auf neu aufzubauen, wobei vom allgemein guten Image deutscher Unternehmen/Marken in China profitiert werden kann; evtl. haben auch aktuelle bilaterale, außenpolitische Beziehungen zwischen China und Deutschland einen Einfluss
Hohes Interesse an Wirtschafts- und Unternehmensthemen
D
Politische Kontrolle der Medien/Zensur weniger streng für wirtschaftliche Themen
Aut
Viele große deutsche Unternehmen/Marken sind in China noch unbekannt
Aut
Steigender Kostendruck auf (marktabhängige) Redaktionen (Noch) geringere Wettbewerbsorientierung der Journalisten und damit weniger Bemühungen, eine exklusive Geschichte zu bekommen Geringere Eigeninitiative, weniger Eigenrecherchen/kreative Ergänzungen
H
Viele große deutsche Unternehmen/Marken sind in China noch unbekannt
Aut
Gutes Image von deutschen Unternehmen und deutschen Marken (‘Made in Germany’)
Aut
H
H
Die Initiative, die die Medien in einem Gastland gegenüber Unternehmen zeigen, hängt von deren Freiheit und Interesse, über Wirtschafts- und Unternehmensthemen zu berichten, sowie finanziellen und personellen Ressourcen, dem bestehenden Bekanntheitsgrad/Image des jeweiligen Unternehmens, dem Wettbewerbsdruck in und zwischen den Medien und der Eigeninitiative von Journalisten ab.
308
14 Zusammenfassung Struktur-Handlungs-Zusammenhänge
Dabei kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein Unternehmen/eine Marke, das/die im Heimatland bekannt ist, bereits auch im Gastland bekannt ist. Gegebenenfalls kann vom allgemein positiven Image des Heimatlandes im Gastland profitiert werden. Unter Umständen beeinflussen zudem die (aktuellen) bilateralen, außenpolitischen Beziehungen zwischen Gast- und Heimatland das Image des Unternehmens im Gastland.
Æ Themen/Inhalte Abstimmung von Themen auf die Medienagenda, die maßgeblich von der Regierungsagenda geprägt wird, Themen zum ‘Großprojekt China’ haben besonders hohe Chancen auf Beachtung
Bestimmung der Medienagenda durch die Regierung/Partei Themen der Medienagenda: ‘Großprojekt China’ (Aufbau einer harmonischen Gesellschaft, Energie, Umwelt, Gesundheit, Bildung, Korruption) Hohes Interesse an lokalen Themen (China/Region) Dringende Notwendigkeit, Inhalte zu Hohes Interesse an Personalien lokalisieren, Herausstellung des Chinesische Medien wollen von ausländischen Unternehmensbeitrages für China sehr Unternehmen lernen: Hohes Interesse an wichtig, Herausstellung des Fallstudien und Erfolgsgeschichten Führungspersonals/CEOs wichtiger Beitrag ausländischer Unternehmen für (vor allem in JVs), Interesse an China und CSR Themen zunehmend relevant Erfolgsgeschichten und CSR-Themen Hohes Interesse an ist zu bedienen, besonders vorsichtiger Produktthemen/Verbraucherschutz Umgang mit Ereignissen/Themen, die Hohe Empfänglichkeit der chinesischen skandaliert werden können, notwendig Medien für Skandalgeschichten um ausländische Unternehmen Politische Konformität/Selbstzensur von Journalisten, Orientierung an politischer Leitlinie und Meidung von Kritik an Regierung, Parteilinie oder Führungspersönlichkeiten Vorsichtige Prüfung aller Kommunikationsinhalte auf ‚politische Konformität’ Bestimmung der Medienagenda hin, Meidung von politisch sensiblen durch die Regierung/Partei Themen und Tabu-Themen Tabu-Themen in China: Politische Meinungen, die im Gegensatz zur Regierung stehen, Berichte über Probleme, die nicht auf der Agenda der Regierung stehen, sowie Sex, Religion, Glücksspiel und die nationale Integrität Hohe Erklärungsbedürftigkeit, inhaltlich ist tendenziell weiter Geringere Allgemeinbildung und/oder Branchenkenntnisse von Journalisten auszuholen und sind ggf. grundlegende Dinge zu erklären
D
D D D D D D D
H
D
D
H
Die Themen/Inhalte der Medienarbeit hängen maßgeblich von Deutungsregeln des Mediensystems (Themenselektion, -einordnung und -evaluation) des Gastlandes ab.
309
14.3 Medienarbeit
Im Einklang mit der Nachrichtenwerttheorie, müssen Inhalte an den lokalen Kontext des Gastlandes adaptiert werden. Dies ist besonders in Gastländern erforderlich, die einen hohen Selbstfokus haben. Das Zusammenspiel zwischen Regierungs- und Medienagenda beeinflusst, inwiefern die Regierungsagenda eines Gastlandes in der Medienarbeit beachtet werden muss. Sind Politik und Medien eng miteinander verflochten und beeinflusst die Regierungsagenda maßgeblich die Medienagenda, sind Inhalte vorsichtig auf ihre politische Vereinbarkeit zu prüfen. Themen, die im Gastland tabuisiert werden, sind in der Medienarbeit zu meiden. Das bestehende Wissen von Journalisten im Gastland prägt die Erklärungsbedürftigkeit/Tiefe von Themen/Inhalten der Medienarbeit vor Ort.
Æ Medienplanung und -selektion Zur Verfügung stehende Ressourcen (ebenso wie in Deutschland): Allgemeine Publikationen (Tageszeitungen, Zeitschriften), Wirtschafts- und Finanzpresse, Fachpresse, TV und Radio, Internet (in China eingeschränkt) Printmedien und danach Internet sowohl in Deutschland als auch in China die wichtigsten Bereiche der Medienarbeit
Größtes Mediensystem der Welt mit einem umfassenden Angebot an Print- und audiovisuellen Medien, Internet
All
Besonders hohes Vertrauen in Printmedien (ebenso wie in Deutschland)
Aut
Schwierig, im intransparenten Größtes Mediensystem der Welt, schnelle Veränderungen und hohe Intransparenz Medienangebot die für einen relevanten Medien zu identifizieren, Mangel an Medienforschung noch in den zuverlässigen Mediendaten erschwert Kinderschuhen, geringes Angebot Medienplanung/-selektion zuverlässiger Mediendaten Weniger nationale Ausrichtung der MeEntwicklungsland, enorme infrastrukturelle dienarbeit, in der Regel Konzentration auf Unterschiede innerhalb des riesigen Landes, Shanghai, Peking, Guangzhou und Provin- starkes Gefälle zwischen Städten (Shangzen, in denen Unternehmen aktiv sind, hai/Peking/Guangzhou) und dem Land stärkere Konzentration auf lokale Tageszeitungen, Beachtung der Besonderheiten Hohe Lokalisierung der Medien, von lokalen Medien in den verschiedenen vor allem von Tageszeitungen Städten/Provinzen notwendig Nationale Tageszeitungen/Party Papers müssen vor allem bei politisch/sozial relevanten Themen berücksichtig werden, Marktunabhängige, nationale Parteiblätter (Party Papers) neben marktabhängigen ansonsten ebenso in Medienarbeit Zeitungen (Commercial Papers) einzubeziehen wie Commercial Papers, die vergleichsweise höher an Wirtschaftsthemen interessiert sind
All All
All
All
All
310
14 Zusammenfassung Struktur-Handlungs-Zusammenhänge
Einbezug von Nachrichtenagenturen ebenso wichtig wie in Deutschland, neben den internationalen Nachrichtenagenturen ist Xinhua besonders wichtig Zunehmende Berücksichtigung der Wirtschafts- und Finanzpresse auch in China Berücksichtigung des politischen Hintergrundes der Fachmedien notwendig (Ministerien/Behörden) TV erreicht ein riesiges Publikum (allerdings ist der redaktionelle Zugang schwieriger) Geringere Bedeutung von Radio
Monopol der Nachrichtenverbreitung bei brisanten Themen durch die offizielle Nachrichtenagentur Xinhua, wichtige Meldungen von Xinhua werden chinaweit im Wortlaut übernommen Wirtschafts-/Finanzzeitungen und -magazine in China boomendes Format, mit zunehmender Beliebtheit und Professionalisierung Hohes Angebot an Fachzeitschriften mit starker Differenzierung und hoher Akzeptanz im Markt, die meisten Fachzeitschriften werden von regierungsnahen Verbänden herausgegeben Flächendeckende Verbreitung von TV mit großem Publikum und hoher Beliebtheit, hohe staatliche Kontrolle und Reglementierung Flächendeckende Verbreitung von Radio mit großem Publikum, geringe Beliebtheit, hohe staatliche Kontrolle und Reglementierung
All
All
All
All
All
Zunehmende Bedeutung des Internets Boomende Internetnutzung, All auch in China (vor allem von BBS-Seiten) hohe Bedeutung von Blogs und BBS-Seiten zu berücksichtigen Häufige Aktualisierung des Hohe Fluktuation von Journalisten in H Medienverteilers notwendig Redaktionen Unterschiedliche Zeitauffassung: Themen-/Medienplanung D Kurzfristigerer Planungshorizont und kurzfristiger als in Deutschland flexiblerer Umgang mit Zeit
Die Medienplanung/-selektion hängt von allokativen Ressourcen – zur Verfügung stehende mediale Foren/Infrastruktur der Mediensystems – des Gastlandes ab. Die in Gastländern zur Verfügung stehende Medienforschung (Informationen über Auflagen/Rezipienten von Medien) entscheidet über die Möglichkeit, in einem fremden Mediensystem eine fundierte Medienplanung/-selektion vornehmen zu können. Bei der Medienselektion sind der Grad der Lokalisierung von Medien im Gastland (nationale/lokale Medien), die Politik-Abhängigkeit verschiedener Medien und deren Regulierung sowie zur Verfügung stehende Medienorganisationen/Nachrichtenagenturen zu berücksichtigen. Zudem sind eventuell bestehende technische/ kommunikative Besonderheiten des Gastlandes (spezielle Formate oder Kommunikationskanäle) zu beachten. Die Notwendigkeit für die Aktualisierungen des Medienverteilers hängt von der Stabilität der personellen Besetzung von Redaktionen im Gastland ab. Die Möglichkeit zur (längerfristigen) Themen-/Medienplanung wird von der Zeitauffassung/dem Planungsverhalten in einem Gastland beeinflusst.
311
14.3 Medienarbeit
Æ Foren der Medienansprache
Foren der Kopräsenz (episodische Begegnungen und Präsenzveranstaltungen) für Medienarbeit in China noch wichtiger als in Deutschland
Herausragende Bedeutung interpersonaler H Kommunikation (Foren der Kopräsenz) Größtes Mediensystem der Welt mit einem All umfassenden Angebot an Print- und audiovisuellen Medien, Internet Räumlichkeiten für persönliche Treffen und All Veranstaltungen stehen ausreichend zur Verfügung
Der Schwerpunkt der Kommunikation in verschiedenen Foren hängt von Handlungsregeln des Gastlandes (Bedeutung persönlicher Kommunikation und Beziehungen bzw. Akzeptanz unpersönlicher, schriftlicher, Kommunikation) sowie von zur Verfügung stehenden Foren ab.
Æ Episodische Begegnungen, Beziehungen und Netzwerke Beziehungen (Guanxi) für die Medienarbeit in China noch wichtiger als in Deutschland (nicht nur hilfreich, sondern notwendig), Beziehungsebene als Voraussetzung dafür, auf der Sachebene Gehör zu finden, schrittweise Kontaktanbahnung notwendig Beziehungen zwischen PR-Akteuren und Journalisten werden stärker akzeptiert/ weniger skeptisch beäugt
Hohe Beziehungsorientierung, auch in beruflichen Kontexten Beziehungsebene wichtiger als Sachebene
H
Höheres Interesse von Journalisten, mit PR-Akteuren eine gute Beziehung aufzubauen und zu pflegen
H
Beziehungen zu Journalisten ‘freundschaftlicher’, Betonung von Nähe und Verbundenheit wichtiger
Betonung menschlicher Gefühle, Nähe und Verbundenheit auch im beruflichen Kontext akzeptiert und erwünscht
H
Gemeinsame Erlebnisse wichtiger als in Deutschland, Veranstaltungen zur Beziehungspflege, die keinen inhaltlichen Fokus haben, in China üblich und akzeptiert
Höhere Erwartungen an Gastlichkeit, hohe Bedeutung gemeinsamer Erlebnisse/Essen
H
Hohe Beziehungsorientierung, H auch in beruflichen Kontexten Beziehungsebene wichtiger als Sachebene Hohe Akzeptanz, Beziehungen einzusetzen, H Eher möglich und akzeptiert, Beziehungen um Ziele zu erreichen zur Verwirklichung spezieller Interessen (Inhalte, Veröffentlichungen) einzusetzen, Ausgeprägtes Streben, gegenseitigen Nutzen H aus Beziehungen zu ziehen und besonders in Krisensituationen systematisch Abhängigkeiten aufzubauen Sonderstatus von Ausländern, Respekt aber auch Misstrauen, klare Aut Gemeinsamkeiten zwischen Abgrenzung von Chinesen gegenüber Journalisten und PR-Akteuren Ausländern wichtiger als in Deutschland Herausstellung von Gemeinsamkeiten H (Herkunft, Ausbildung etc.) für Beziehungsaufbau wichtiger
312
14 Zusammenfassung Struktur-Handlungs-Zusammenhänge
Beachtung interpersonaler Umgangs- und Kommunikationsregeln wichtig, Respekt und Gesicht geben (Mianzi)
Durch Referenzsystem relativ einfach, journalistische Netzwerke aufzubauen, hinderlich hierfür sind jedoch die geringe Spezialisierung von Journalisten und die hohe Fluktuation in den Redaktionen
Starke Harmonieorientierung, Vermeidung von offenen, direkten Angriffen und Konflikten, Wahrung von Gesicht aller Beteiligten Unterschiede im Kommunikations-, Argumentations- und Diskursstil Zahlreiche Unterschiede auf non- und para-verbaler Kommunikationsebene Referenzsystem (Mein Freund ist dein Freund) ausgeprägter/verpflichtender Geringere fachliche Spezialisierung von Journalisten (vor allem in allgemeinen Publikationen) Hohe Fluktuation von Journalisten in Redaktionen
H
D D H H H
Die Rolle von persönlichen Beziehungen und bestehende Umgangsregeln für episodische Begegnungen/Beziehungen in beruflichen Kontexten beeinflussen PR-Handlungen in Kopräsenz in einem Gastland maßgeblich. Unterschiede bestehen hinsichtlich der Dominanz der Beziehungs- oder Sachebene in beruflichen Kontexten. Dies beeinflusst die Akzeptanz, Beziehungen einzusetzen, um Ziele zu erreichen, die Notwendigkeit, beim Beziehungsaufbau Gemeinsamkeiten zu betonen, sowie die Relevanz von gemeinsamen Erlebnissen und der Betonung von Nähe und Verbundenheit für die Beziehungspflege. Bei persönlichen Begegnungen müssen bestehende Kommunikations-, Umgangs- und Höflichkeitsregeln beachtet werden. Die Möglichkeit für den Aufbau eines Netzwerks hängt von der Ausprägung von Referenzsystemen, der Spezialisierung von Journalisten und der Fluktuation in Redaktionen ab.
Æ Präsenzveranstaltungen, Allgemein Tendenziell höhere Dramatisierung/Inszenierung von Veranstaltungen notwendig, ein gewisser Unterhaltungswert eher notwendig, Ort für Veranstaltungen eher konservativ zu wählen (Hotels) Zeitpunkt von Veranstaltungen muss mit nationalen Feiertagen und evtl. dem chinesischen Kalender abgestimmt werden Planung von Veranstaltungen kurzfristiger als in Deutschland
Aufwendigere Inszenierung von Veranstaltungen
D
Unterschiedliches ästhetisches Empfinden D (bunter, pompöser, voller) Weit verbreiteter Aberglaube (Feiertage, Zahlen im Datum)
D
Unterschiedliche Zeitauffassung: Kurzfristigerer Planungshorizont und flexiblerer Umgang mit Zeit
D
313
14.3 Medienarbeit
Die Organisation von Veranstaltungen wird von bestehenden Deutungs- und Gestaltungsregeln des Gastlandes beeinflusst. Hierzu gehören die Vorliebe für aufwendige Inszenierungen, ästhetisches Empfinden, evtl. Aberglaube sowie die Zeitauffassung/ ein unterschiedliches Planungsverhalten in einem Gastland.
Æ Präsenzveranstaltungen: Zeremonien und besondere Anlässe Misstrauen gegenüber ausländischen Vertragsunterzeichnungen, Unternehmen, Furcht, dass sie nur am Aut Eröffnungen von Filialen/ eigenen Profit interessiert sind ohne einen Beitrag für China leisten zu wollen Produktionsanlagen, Vorstellung neuer Entwicklungen und Jubiläen besonders Themen der Medienagenda: ‚Großprojekt geeignet, um das langfristige Engagement in China’ (Aufbau einer harmonischen D China herauszustellen Gesellschaft, Energie, Umwelt, Gesundheit, Bildung, Korruption)
Je nach Engagement/Aktivitäten eines Unternehmens in einem Gastland ergeben sich unterschiedliche Anlässe für Präsenzveranstaltungen. Für Auslandsniederlassungen typische Veranstaltungen sind Zeremonien zu Vertragsunterzeichnungen, Eröffnungen von Filialen oder Produktionsanlagen, die Vorstellung neuer Entwicklungen sowie Jubiläen. Diese sind besonders geeignet, das Engagement im Gastland herauszustellen.
In der Regel stärkere Einbindung politischer Führungskräfte Einbindung hierarchisch hochrangiger Persönlichkeiten tendenziell wichtiger als in Deutschland, Beachtung, dass bei deutsch-chinesischen Begegnungen Personen einer Hierarchiestufe aufeinander treffen, Einhaltung des chinesischen Protokolls wichtig Öffentliches Lob von wichtigen Persönlichkeiten wichtiger (bei eigener Bescheidenheit) Im Unterhaltungsteil Einbezug chinesischer Kulturelemente (z.B. Drachentanz), bei Zeremonien/besonderen Anlässen in der Provinz sind lokale Gebräuche einzubeziehen
‚Sozialistische Marktwirtschaft’, enge Verflechtung der Politik mit der Wirtschaft, nach wie vor Unternehmen in Staatsbesitz, Joint Venture als häufige Voraussetzung für ausländische Unternehmenspräsenz in China
Aut
Höhere Akzeptanz und Achtung von Hierarchie und Führungspersönlichkeiten
H
Bedeutung öffentlichen Lobes wichtiger Chinesisches Bescheidenheitskonzept, Meidung von Eigenlob Ausgeprägter Nationalstolz, Traditionsbewusstsein und Betonung des kulturellen Erbes Aufwendigere Inszenierung von Veranstaltungen
H H H D
314
14 Zusammenfassung Struktur-Handlungs-Zusammenhänge
Je nachdem wie die Wirtschaft mit der Politik des Gastlandes verwoben ist, ist es bei Veranstaltungen notwendig, die Politik/Regierung des Gastlandes mit einzubeziehen. Der Ablauf und die Gestaltung von Veranstaltungen werden von Höflichkeits- und Gestaltungsregeln des Gastlandes beeinflusst.
Æ Reden und Ansprachen Bescheidenes Auftreten von Unternehmenspersönlichkeiten bei öffentlichen Anlässen/Veranstaltungen wichtig
Einbezug von chinesischen Weisheiten, historischen Ereignissen und Zitaten in Reden angebracht, Vorsicht bei der Verwendung von Humor und Ironie, Meidung sensibler Themen/Tabus
Vorsichtige Auswahl und gutes Briefing von Dolmetschern notwendig
Chinesisches Bescheidenheitskonzept, Meidung von Eigenlob Ausgeprägter Nationalstolz, Traditionsbewusstsein und Betonung des kulturellen Erbes Ausdruck von Meinungen und Argumentation durch Rückbezug auf kollektiv anerkannte Weisheiten, Zitieren von Weisheiten als Zeichen guter Bildung Humor: Wortspielereien und Situationskomik Tabu-Themen in China: Politische Meinungen, die im Gegensatz zur Regierung stehen, Berichte über Probleme, die nicht auf der Agenda der Regierung stehen sowie Sex, Religion, Glücksspiel und die nationale Integrität (Taiwan/Tibet/Hongkong) Sehr hohe Sprachbarriere: Große Unterschiede zwischen der chinesischen und der deutschen/englischen Sprache Arbeit mit Dolmetschern erhöht Gefahr von Missverständnissen Durch lange Verschlossenheit Chinas und viele importierte westliche Konzepte fehlen im Chinesischen häufig entsprechende Wörter für deutsche/englische Begriffe (Lakunen)
H
H
D D
D
D D
D
In Reden und Ansprachen von Unternehmenspersönlichkeiten/PR-Akteuren im Gastland sind die jeweiligen Höflichkeits- und Deutungsregeln (Rhetorische Mittel/Argumentationsstil, Verwendung von Humor, Vermeidung von Tabus) zu beachten. Bei hohen Sprachbarrieren im Gastland müssen Dolmetscher vorsichtig ausgewählt und inhaltlich/sprachlich gut vorbereitet werden.
315
14.3 Medienarbeit
Æ Pressekonferenzen Wichtiger, Einladungen persönlich auszusprechen/kommunikativ zu flankieren Einladungen kurzfristiger als in Deutschland üblich
Chinesische Journalisten für Einladungen zu Pressekonferenzen eher empfänglich, höhere Wahrscheinlichkeit, dass Einladungen angenommen werden, u. U. auch aufgrund bestehender persönlicher Beziehungen (und ‚Aufwandsentschädigungen’)
Herausragende Bedeutung interpersonaler Kommunikation (Foren der Kopräsenz) Unterschiedliche Zeitauffassung: Kurzfristigerer Planungshorizont und flexiblerer Umgang mit Zeit Hohe Beziehungsorientierung, auch in beruflichen Kontexten Beziehungsebene wichtiger als Sachebene Höhere Akzeptanz, Beziehungen einzusetzen, um Ziele zu erreichen Neugierige aber weniger aggressive, eher kooperative Journalisten Höheres Interesse von Journalisten, mit PR-Akteuren eine gute Beziehung aufzubauen und zu pflegen Hongbao-Praxis (Bezahlung von Journalisten für Teilnahme an Veranstaltungen)
H D H H H H H
Der Planungshorizont von Pressekonferenzen wird von der Zeitauffassung/dem Planungsverhalten des Gastlandes beeinflusst. Die Frage, ob Einladungen persönlich ausgesprochen werden müssen, hängt von der Vorliebe für persönliche/schriftliche Kommunikation im Gastland ab. Neben dem Thema/Aufhänger einer Pressekonferenz beeinflussen journalistische Handlungsroutinen des Gastlandes (u.a. das Interesse von Journalisten an persönlichen Beziehungen und die Vergütung der Teilnahme) die Wahrscheinlichkeit, dass Einladungen zu Pressekonferenzen angenommen werden und Journalisten auch tatsächlich erscheinen.
Kooperativer Ablauf, Höheres Vertrauen in Informationen von Aut weniger kritische/offensive Fragen, einem Unternehmensmitglied eher Vermeidung von Konflikten und (Age of Deference) Kontroversen und stärkere Bemühung um Lernkultur: Memorieren und Zitieren als eine harmonische Atmosphäre, oberste Lernziele, selbstständiges, kritisches H spontane Wortäußerungen und Denken wenig gefördert Diskussionen sind unwahrscheinlicher, Kollektivismus/Konformität: Vermeidung H evtl. vorherige Absprache von Fragen öffentlich aufzufallen und Wir-Bewusstsein Hohe Beziehungsorientierung, H auch in beruflichen Kontexten Beziehungsebene wichtiger als Sachebene Starke Harmonieorientierung, Vermeidung von offenen, direkten H Angriffen und Konflikten, Wahrung von Gesicht aller Beteiligten
316
14 Zusammenfassung Struktur-Handlungs-Zusammenhänge
Geringere Allgemeinbildung und/oder Branchenkenntnisse von Journalisten Geringere fachliche Spezialisierung von Journalisten (vor allem in allgemeinen Publikationen) (Noch) geringere Wettbewerbsorientierung der Journalisten und damit weniger Bemühungen, eine exklusive Geschichte zu bekommen Neugierige aber weniger aggressive, eher kooperative Journalisten Höheres Interesse von Journalisten, mit PR-Akteuren eine gute Beziehung aufzubauen und zu pflegen Meidung von kritischen Fragen und Konfrontationen mit Unternehmen/PRAkteuren, um Beziehung nicht zu verletzen Weniger investigatives Vorgehen Vorsichtige Auswahl und gutes Briefing von Dolmetschern notwendig
H H
H H H H H
Siehe oben (Reden und Ansprachen)
Das Vertrauen bzw. der grundsätzlich kritische Umgang mit Informationsquellen, die Lern- und Denkkultur, die Stellung des Individuums in der Gesellschaft (Kollektivismus/Individualismus), die Beziehungs- und Harmonieorientierung sowie die Befürchtung, durch kritische Kommentare Beziehungen zu gefährden, bestehende Kenntnisse und die Expertise sowie der Wettbewerb zwischen Journalisten und journalistische Handlungs- und Verarbeitungsroutinen des Gastlandes beeinflussen das Frageverhalten einheimischer Journalisten und damit den Frage-Antwort-Teil von Pressekonferenzen im Gastland. Bei hohen sprachlichen Barrieren ist die vorsichtige Auswahl und das Briefing von Dolmetschern wichtig (s.o., Reden und Ansprachen).
Æ Interviews
Hohes Interesse an Interviews mit hierarchisch hohen Führungspersönlichkeiten, Hierarchie wichtiger als Expertenwissen Bereitschaft für Gruppeninterviews in China tendenziell höher als in Deutschland
Höheres Vertrauen in Informationen Aut von einem Unternehmensmitglied (Age of Deference) Höhere Akzeptanz und Achtung H von Hierarchie und Führungspersönlichkeiten (Noch) geringere Wettbewerbsorientierung der Journalisten und damit weniger Druck/ H Bemühungen, eine exklusive Geschichte zu bekommen
317
14.3 Medienarbeit
Eher kooperativer Ablauf, harmonische Gesprächsatmosphäre und weniger kontroverse, herauslockende Fragen üblich, evtl. Einreichung von Fragen vor dem Gespräch Wie in Deutschland üblich, werden Wortlautinterviews meist zur Freigabe vorgelegt, darüber hinaus ist die inhaltliche Abstimmung von Artikeln vor der Veröffentlichung in China eher möglich als in Deutschland Vorsichtige Auswahl und gutes Briefing von Dolmetschern notwendig
Siehe oben (weniger kritische Fragen auf Pressekonferenzen) Höheres Interesse von Journalisten, mit PR-Akteuren eine gute Beziehung aufzubauen und zu pflegen
H
Neugierige aber weniger aggressive, eher kooperative Journalisten
H
Siehe oben (Reden und Ansprachen)
Die Rolle von Hierarchie und bestehende Vertrauensstrukturen (‚Age of Deference’/ ‚Age of Reference’) in einem Gastland beeinflussen die Präferenz von einheimischen Journalisten für Interviews mit unterschiedlichen Unternehmensmitgliedern (Hierarchie vs. Experte). Der vorhandene Wettbewerbsdruck zwischen Journalisten in einem Gastland beeinflusst deren Akzeptanz von Gruppeninterviews. Vertrauensstrukturen, die Stellung des Individuums, Beziehungs- und Harmonieorientierung, Kenntnisse von Journalisten, bestehender Wettbewerbsdruck und journalistische Handlungs- und Verarbeitungsroutinen beeinflussen den Ablauf von Interviews im Gastland (s.o., Frage-Antwort-Teil von Pressekonferenzen). Bei hohen sprachlichen Barrieren ist die vorsichtige Auswahl und das Briefing von Dolmetschern wichtig (s.o., Reden und Ansprachen).
Æ Medienarbeit auf Messen Hohe Bedeutung von Messen in China (ermöglicht lokale, interpersonale Kommunikation), auf Messen bestehen gute Möglichkeiten, mit (Fach-)Journalisten in Kontakt zu kommen, Messezentren: Shanghai, Peking, Guangzhou, besonders wichtig, selektiv vorzugehen
Boom und Überangebot an (überwiegend kleinen) Messen
All
Herausragende Bedeutung interpersonaler Kommunikation (Foren der Kopräsenz)
H
Die Nutzung von Messen als Kommunikationsforen und die Notwendigkeit, selektiv vorzugehen, hängt von dem Angebot an Messen sowie deren Akzeptanz/Relevanz für Journalisten in einem Gastland ab.
318
14 Zusammenfassung Struktur-Handlungs-Zusammenhänge
Æ Branding Vorsichtige Übersetzung des Unternehmensnamens ins Chinesische notwendig, Ideal: ähnliche Phonetik + inhaltlicher Bezug zum Unternehmen + Glück verheißende Komponente, dies gilt auch für die Übersetzung von Produktnamen/Namen von Ausländern in China, Vorsichtige Prüfung und evtl. chinaspezifische Adaption von Farben, Formen und Symbolik des Logos und des Slogans
Weit verbreiteter Aberglaube, große Bedeutung von Symbolik, Namen besonders wichtig und bedeutsam
D
Der Unternehmens-/Markenname, das Logo und evtl. der Slogan werden aufgrund unterschiedlicher Deutungsregeln im Gastland evtl. missverstanden. Bei der Übersetzung von Namen (und Slogans) bzw. der Umgestaltung von Logos ist Rücksicht auf Deutungsregeln und die Bedeutung von Symbolik im Gastland zu nehmen.
Æ Gestaltung von Informationsmaterial (Broschüren/Internetseite) Übersetzung ins Chinesische empfohlen Inhaltlich: Teilweise stärkere Betonung der Tradition des Unternehmens und der Herkunft aus Deutschland
Gestalterisch: Teilweise Einbezug chinesischer Gestaltungs- und Kulturelemente sowie asiatischer Gesichter
Viele Chinesen (Journalisten) in Englisch unsicher Gutes Image von deutschen Unternehmen und deutschen Marken (‘Made in Germany’) Ausgeprägter Nationalstolz, Traditionsbewusstsein und Betonung des kulturellen Erbes Weit verbreiteter Aberglaube, große Bedeutung von Symbolik¸ Namen besonders wichtig und bedeutsam Unterschiedliches ästhetisches Empfinden (bunt, pompös, voll)
D Aut H D D
Bei hohen Sprachbarrieren (unzureichende Verbreitung von Englisch als Geschäftssprache) ist die Übersetzung des Informationsmaterials in die Landessprache des Gastlandes empfehlenswert. Eventuell sind inhaltliche Adaptionen des Informationsmaterials im Hinblick auf das bestehende Image des Unternehmens oder Besonderheiten des Gastlandes vorzunehmen. Eventuell sind gestalterische Adaptionen des Informationsmaterials entsprechend unterschiedlicher Bedeutungen von Symbolik (s.o., Branding) und/oder unterschiedlichem ästhetischem Empfinden im Gastland vorzunehmen.
319
14.3 Medienarbeit
Æ Pressemitteilungen Als eigenständige Informationsquelle (ohne persönliche Begleitung) sind Pressemitteilungen in China weniger akzeptiert als in Deutschland, Distribution von Pressemitteilungen muss stärker kommunikativ flankiert werden
H
PR-Verständnis und Erwartungen von Journalisten stärker beziehungsorientiert
H
Die Relevanz/Akzeptanz von Pressemitteilungen als eigenständige Informationsquelle (ohne zusätzliche kommunikative Maßnahmen) hängt – abgesehen vom Inhalt! – auch davon ab, wie sehr unpersönliche, schriftliche Kommunikation in einem Gastland akzeptiert wird.
Übersetzung von Pressemitteilungen ins Chinesische notwendig Bei inhaltlicher Adaption (Lokalisierung) vorsichtige Abstimmung mit globaler One-Voice-Policy notwendig
Vorsichtige Beachtung der Wortwahl, Umgang mit Lakunen wichtig
Herausragende Bedeutung interpersonaler Kommunikation (Foren der Kopräsenz)
Sehr hohe Sprachbarriere: Große Unterschiede zwischen der chinesischen und der deutschen/englischen Sprache Viele Chinesen (Journalisten) in Englisch unsicher
D D
Siehe oben (Themen und Inhalte + Zusammenarbeit mit Mutterunternehmen) Verständigung im Chinesischen schwerer zu erzielen (Unklarheit der Sprache, viele D Akzente) Durch lange Verschlossenheit Chinas und viele importierte westliche Konzepte fehlen D im Chinesischen häufig entsprechende Wörter für deutsche/englische Begriffe (Lakunen)
Bei hohen Sprachbarrieren (unzureichende Verbreitung von Englisch als Geschäftssprache, bei Pressemitteilungen aber grundsätzlich empfohlen) ist die Übersetzung von Pressemitteilungen in die Landessprache des Gastlandes notwendig. Dabei muss besonders bei der Wortwahl vorsichtig vorgegangen und mit eventuell bestehenden Lakunen bewusst umgegangen werden. Festhalten am ‚westlichen Aufbaustil’ (‚Climax First’ Prinzip) auch in China Teilweise geringere Detailorientierung notwendig als in Deutschland Tendenziell blumigere Sprache in chinesischen Pressemitteilungen als in deutschen/englischen
Anordnung von Themen im Textverlauf: Wichtiges am Ende Pragmatismus (ganzheitliche Betrachtungsweise) Blumiger/ausschweifender Kommunikationsstil
D D D
320
14 Zusammenfassung Struktur-Handlungs-Zusammenhänge
Einbezug/Lobpreisungen wichtiger Persönlichkeiten (Politiker und evtl. chinesischer Partner) in Pressemitteilung üblich und wichtiger als in Deutschland, Zitate von Führungspersönlichkeiten geeignet, um eigene Argumente zu untermauern und um die Beziehung mit diesen Personen zu pflegen Bescheidenheitskonzept gilt nicht für die Selbstpräsentation des Unternehmens (Übertreibungen/Superlative in China sogar eher erwartet/akzeptiert)
H H
Ausdruck von Meinungen und Argumentation durch Rückbezug auf Zitate von anerkannten Führungspersönlichkeiten
D
Chinesisches Bescheidenheitskonzept, Meidung von Eigenlob
H
Eventuell sind Anpassungen des Aufbaus und/oder des Argumentationsstils von Pressemitteilungen an den Kommunikations- und Argumentationsstil des Gastlandes notwendig.
Grafiken sehr geschätzt und beliebt, Bereitstellung von Fotos durch das Unternehmen üblich und teilweise akzeptierter als in Deutschland
Höhere Akzeptanz und Achtung von Hierarchie und Führungspersönlichkeiten Bedeutung öffentlichen Lobes wichtiger
Steigender Kostendruck auf (marktabhängige) Redaktionen, geringe personelle und finanzielle Ressourcen
H
Die Akzeptanz/Nutzung von durch Unternehmen zur Verfügung gestellten Grafiken/ Fotos hängt vor allem von den Ressourcen der Medienbetriebe des Gastlandes, selber Grafiken/Fotos zu erstellen, ab.
Æ Umgang mit journalistischen Handlungs- und Verarbeitungsroutinen
Vergleichsweise einfach, eine bestimmte Botschaft in den Medien zu verbreiten, höhere Chance, dass Pressemitteilungen unverändert Eingang in die Medien finden (Copy und Paste)
Höheres Vertrauen in Informationen von Aut einem Unternehmensmitglied (Age of Deference) Lernkultur: Memorieren und Zitieren als H oberste Lernziele, selbstständiges, kritisches Denken wenig gefördert (Noch) geringere Wettbewerbsorientierung der Journalisten und damit weniger H Bemühungen, eine exklusive Geschichte zu bekommen Weniger kritischer Umgang/Hinterfragung H von bereitgestellten Informationen Geringere Eigeninitiative, weniger H Eigenrecherchen/kreative Ergänzungen Weniger investigatives Vorgehen H
321
14.3 Medienarbeit
Besondere Herausforderung in China: Qualitativ hochwertige, substantielle Berichterstattung in seriösen Medien zu erlangen
Inhaltliche Begleitung von chinesischen Journalisten/Hilfestellung bei der Erstellung von Artikeln durch PR-Akteure eher akzeptiert als in Deutschland
Größtes Mediensystem der Welt mit einem umfassenden Angebot an Print- und audiovisuellen Medien, Internet, schnelle All Veränderungen und hohe Intransparenz Wirtschaftszeitungen und -magazine boomendes Format, mit zunehmender All Beliebtheit und Professionalisierung Große Bandbreite journalistischer Professionalität (in der Stadt höher als auf dem Land, in H Wirtschafts-/Fachmedien höher als in allgemeinen Publikationen) Praxisfernere Journalisten-Ausbildung, geringere Vermittlung investigativer H journalistischer Werkzeuge Höheres Vertrauen in Informationen Aut von einem Unternehmensmitglied (Age of Deference) Lernkultur (Interesse und Offenheit H von anderen zu lernen) Ausgeprägtes Streben, gegenseitigen Nutzen aus Beziehungen zu ziehen und syste- H matisch Abhängigkeiten aufzubauen Neugierige aber weniger aggressive, eher H kooperative Journalisten Geringere Allgemeinbildung und/oder H Branchenkenntnisse von Journalisten Hohe Bereitschaft und Interesse, H von PR-Akteuren zu lernen Chinesische Medien wollen von ausländischen Unternehmen lernen: Hohes Interes- D se an Fallstudien und Erfolgsgeschichten
Die Herausforderungen der Medienarbeit variieren mit den journalistischen Standards, Handlungs- und Verarbeitungsroutinen des Gastlandes. Die bestehenden Vertrauensstrukturen, die Beziehungsorientierung und die Bereitschaft bzw. das Interesse, von PR-Akteuren zu lernen, sowie bestehende Kenntnisse und Erfahrungen von Journalisten beeinflussen die Möglichkeit für eine enge inhaltliche Begleitung von Journalisten durch PR-Akteure. Bezahlung chinesischer Journalisten für ihr Erscheinen zu Veranstaltungen (‚Hongbaos’) üblich und akzeptiert, evtl. Beauftragung einer PR-Agentur hierfür
Geringeres Bewusstsein für journalistische Ideale und Ethik Hohe Akzeptanz von Geschenken/Gefälligkeiten im beruflichen Kontext ohne diese als Korruption zu verstehen, hohe Korruption in China Hongbao-Praxis (Bezahlung von Journalisten für Teilnahme an Veranstaltungen)
H H H
322
14 Zusammenfassung Struktur-Handlungs-Zusammenhänge
Teilweise höhere Wahrnehmung von ‘Deals’, allerdings vor allem von weniger großen Unternehmen und/oder in ländlichen Gebieten Teilweise höhere Bedeutung von Advertorials Gefahr von vorsätzlichen Falschmeldungen/Erpressungen wird in China höher eingeschätzt als in Deutschland
H
Zunehmendes Angebot von Advertorials, die nicht immer als solche deklariert werden
H
Höhere Gefahr von vorsätzlichen Falschmeldungen/Erpressungen
H
Unterschiedliche ethische Standards und Auffassungen von Korruption können zu PRHandlungen im Gastland zwingen, die man im Heimatland ablehnen würde. Im Umgang mit Korruption sind allerdings auch in Gastländern unternehmensinterne Compliance-Richtlinien zu beachten. Der Gefahr von Falschmeldungen aufgrund fehlendem Wissen/unzureichender Prüfung von Fakten muss frühzeitig entgegengewirkt werden (z.B. durch monitoren von Gerüchten, Training von Journalisten, Nutzen von Beziehungen) Beachtung der Gefahr des zunehmenden Sensationsjournalismus in China (vor allem für ausländische Unternehmen)
Höhere Verbreitung von ‘Deals’ (Anzeigenschaltung für Inhalte)
Geringeres Bewusstsein für journalistische Ideale und Ethik Höhere Gefahr von Falschmeldungen aufgrund mangelnder Recherche/fehlendem Wissen Weniger kritischer, prüfender Umgang mit Quellen und Gerüchten
H
H
Zunahme des Sensationsjournalismus
H
Hohe Empfänglichkeit der chinesischen Medien für Skandalgeschichten um ausländische Unternehmen
D
Die Gefahr von Krisen durch Falschmeldungen und/oder Skandalierungen in den Medien in einem Gastland, hängt von der Entwicklung des Sensationsjournalismus, journalistischer Standards/Ethik sowie Kenntnissen von Journalisten und der Empfänglichkeit einheimischer Medien für Skandalgeschichten um ausländische Unternehmen ab. Wichtiger, Falschmeldungen im Vorfeld und u. U. auf informellem Wege (Nutzung von Beziehungen) entgegenzuwirken
Kein Recht auf Gegendarstellung, Falschdarstellungen kann auf formalem Weg nicht/schwer entgegengewirkt werden Hohe Akzeptanz, Beziehungen einzusetzen, um Ziele zu erreichen
Monitoren von Blogs (und BBS-Seiten) um Krisen vorzubeugen derzeit noch weniger ausgebildet als in Deutschland
Zunehmende Gefahr von Skandalierungen in H Blogs und auf BBS-Seiten
Bei Falschmeldungen schwieriger, Verantwortliche direkt darauf hinzuweisen
Starke Harmonieorientierung, Vermeidung von offenen, direkten Angriffen und Konflikten, Wahrung von Gesicht aller Beteiligten
H
H
14.4 Überblick Struktur-Handlungs-Zusammenhänge
323
Die Möglichkeiten für das Vorgehen gegen Falschmeldungen in einem Gastland hängen davon ab, ob es ein Recht auf Gegendarstellung gibt bzw. welche alternativen, informellen Wege hierfür zur Verfügung stehen. Bei Konfrontationen mit Verantwortlichen müssen Umgangs- und Höflichkeitsregeln des Gastlandes beachtet werden.
14.4 Überblick Struktur-Handlungs-Zusammenhänge Die grafische Zusammenfassung der identifizierten Struktur-Handlungs-Zusammenhänge lässt die komplexen, vielfältigen Verbindungen zwischen der PR/Medienarbeit auf Handlungsebene und organisationsexternen Regeln und Ressourcen auf Strukturebene erkennen. Die betrachteten Aspekte hängen in einem verstrickten Geflecht miteinander zusammen und bedingen sich gegenseitig.
Abbildung 61: Überblick vermutete Struktur-Handlungs-Zusammenhänge im untersuchten Beispiel.
324
14 Zusammenfassung Struktur-Handlungs-Zusammenhänge
14.5 Festhalten an PR-Handlungen/Veränderung von Strukturen In dieser Arbeit wurde sich auf Unterschiede von PR-Handlungen (Lokalisierung) konzentriert. Jedoch zeigten sich durchaus auch Bereiche, in denen Unternehmen an den Handlungsroutinen des Heimatlandes festhalten, etwa im Ablaufschema von Pressekonferenzen, der Zusammenstellung von Press Kits (von Hongbaos abgesehen) oder der Erstellung von Clippings für die Erfolgskontrolle. Besonders zeigt sich ein Beharren auf Handlungsroutinen des Heimatlandes, wenn es um ethische Fragen – Bestechung und Bezahlung für Inhalte – geht. Während die Befragten eine gewisse Anpassung der Handlungsroutinen überwiegend tolerierten (Zahlung von Hongbaos), lehnten sie darüber hinaus gehende Zahlungen weitestgehend ab. Ebenso sind Pressemitteilungen ein gutes Beispiel für das Festhalten an Handlungsroutinen des Heimatlandes: Obwohl in China ein indirekter Kommunikationsstil besteht und Themen typischerweise anders als in Deutschland angeordnet werden (Wichtiges am Ende statt Wichtiges am Anfang), werden auch chinesische Pressemitteilungen möglichst klar und deutlich formuliert, wobei das Wichtigste – dem westlichen Stil entsprechend – am Anfang steht. Nach Aussagen der Befragten haben sich chinesische Journalisten hieran ‚gewöhnt’ – das heißt es besteht nicht die Gefahr, dass chinesische Journalisten die Pressemitteilung ‚falsch’ lesen. So kann das Festhalten an Handlungsroutinen des Heimatlandes auch bestehende Strukturen verändern. Dies ist bereits durch die Einführung von PR/Medienarbeit – ein bis vor ein paar Jahrzehnten unbekanntes Phänomen in China – eingeläutet worden. Pressekonferenzen und Pressemitteilungen sind in China mittlerweile bekannte Kommunikationsinstrumente, deren sich auch die chinesische Regierung bedient332. Auch die Bemühungen internationaler Organisationen und ausländischer Unternehmen, die Standards des Journalismus in China nach westlichem Vorbild zu ‚verbessern’, zielen auf die Veränderung von Strukturen ab. Bereits heute gibt es einige ‚Erfolge’ zu verzeichnen, wie etwa das beobachtete zunehmend kritische Frageverhalten einiger Journalisten oder Redaktionen, die die Annahme von Hongbaos ausdrücklich unterbinden. Auch nehmen ‚unethische’ journalistische Handlungsroutinen, wie die Unterbreitung von Deals oder gekaufte Inhalte, nach Beobachtung der Befragten ab. Wie sich journalistische Handlungs- und Verarbeitungsroutinen in China zukünftig entwickeln werden, hängt u.a. von der weiteren Entwicklung des politischen Systems, Veränderungen im chinesischen Bildungssystem, der Bekämpfung der Korruption im Lande sowie der Veränderung von Anreizsystemen in den Redaktionen ab. Neben allen Unterschieden gibt es zudem wohl einige Regeln der PR und des menschlichen Miteinanders, die global gelten. Hierzu gehören eine offene, wahrheitsorientierte Kommunikation sowie ein fairer und respektvoller Umgang miteinander. Mit den Worten einer chinesischen PR-Akteurin: “Respect to the journalist, respect to the public: Never try to lie to public, that doesn’t make sense. We are just trying to make our products, our strategy, very transparent to them. […] They have there own freedom and right to decide what is value for the public or not. That’s what I do. So: Respect – I still think this is the most important.” (Interview Nr. 30)
332 Der Direktor einer internationalen PR-Agentur in Peking berichtete etwa, die chinesische Regierung in der internationalen Medienarbeit zu beraten.
15 Rückblick, Fazit, Ausblick
325
15 Rückblick, Fazit, Ausblick
Zum Schluss wird der Blick noch einmal zurück gerichtet. Am Anfang der Arbeit standen (neben der Einführung grundlegender Konzepte) Überlegungen zum globalen Kontext, in dem sich Internationale PR in der Gegenwart entfaltet. Als wichtigster Faktor wurde die Globalisierung genannt, welche die weltweiten Gesellschaftssysteme nachhaltig verändert und zu einer nie da gewesenen grenzüberschreitenden Unternehmenstätigkeit führt. Neue technische Entwicklungen erlauben den Menschen, weit über nationalstaatliche Grenzen hinweg miteinander in Kontakt zu treten. Die Globalisierung und deren Bedeutung für die Internationale PR wurden in verschiedenen Dimensionen betrachtet. Der hierfür gewählte weite Bezugsrahmen erschien notwendig, um sich im Vorfeld mit weit verbreiteten Annahmen über Globalisierungseffekte (etwa den Medienimperialismus der westlichen Welt oder der globalen Kulturschmelze) differenziert auseinanderzusetzen. Würden diese Annahmen nämlich uneingeschränkt zutreffen, könnte man davon ausgehen, dass weltweite Konvergenz-Tendenzen langfristig keine differenzierte Betrachtung von PR in verschiedenen Gesellschaftssystemen notwendig machen. Unternehmen könnten dann mit globalen Medien in allen Ländern gleich mit den verschiedenen Bezugsgruppen kommunizieren (‚globale PR’). Dass dies nicht der Fall ist, zeigen besonders die Erkenntnisse zur kommunikativen und kulturellen Globalisierung. Die Anzeichen für einen Medienimperialismus konnten vor dem Hintergrund globaler Medienvielfalt und der Präferenz von Menschen für regionale Anbieter relativiert werden. Auch zeigte sich, dass die Auswirkungen zunehmender grenzüberschreitender Kommunikationen und persönlicher Kontakte nicht zu einer Angleichung der Lebens-, Denk- und Handlungsweisen aller Menschen führen. Auch wenn es in einigen Bereichen (weltweit verfügbare Güter, Zeichen, Informationen und Lebensstilentwürfe) zu Angleichungen kommt, führen gerade zunehmende direkte Vergleichsmöglichkeiten mit anderen Menschen zu zunehmenden Identifikations- und Abgrenzungsprozessen sowie Rückbesinnungen auf die eigenen kulturellen Wurzeln. Kulturelle Besonderheiten können also nicht ignoriert werden, sondern müssen von international agierenden Unternehmen grundsätzlich in ihre Handlungen einbezogen werden. So ergibt sich bereits aus diesen ersten theoretischen Überlegungen die Notwendigkeit, PR-Handlungen von Unternehmen in unterschiedlichen Gesellschaftssystemen – auch im Zeitalter der Globalisierung – zu lokalisieren (‚Internationale PR’). Anschließend wurde sich bestehenden PR-Theorien und Ansätzen der Internationalen PR-Forschung zugewandt. Dies brachte nur wenige theoretische Anknüpfungsmöglichkeiten zu Tage. Als zentrale Frage der (organisationsorientierten, externen) Internationalen PR-Forschung wurde die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen international standardisierter PR von Organisationen/Unternehmen bzw. nach notwendigen Anpassungen (Lokalisierungen) in einem Gastland identifiziert. In der deutschen PR-Forschung wurde sich bisher vor allem auf die Organisation der Internationalen PR vom Heimatland aus konzentriert, während in dieser Arbeit die konkreten PR-Handlungen von Unternehmen in einem Gastland interessieren. Die Ansätze hierzu in Deutschland knüpfen vornehmlich an die
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15 Rückblick, Fazit, Ausblick
Überlegungen der international vergleichenden PR-Forschung an, welche vor allem auf den theoretischen Annahmen der US-amerikanischen Excellence-Forschung beruhen. Diese benennen zwar gesellschaftliche Rahmenbedingungen, von denen anzunehmen ist, dass sie PR-Handlungen tatsächlich grundlegend beeinflussen, lassen aber eine theoretisch befriedigende Beschreibung des Zusammenhangs vermissen. Dies kann auf eine unzureichende grundlagentheoretische Auseinandersetzung mit der Thematik zurückgeführt werden, in der systemtheoretische Annahmen unkritisch mit handlungstheoretischen Implikationen verbunden werden, ohne die damit ‚aufschneidenden Aporien’ (s.o.) zu reflektieren. So stehen die benannten Rahmenbedingungen und die beobachteten Handlungen (einheimischer PRAkteure) vor Ort einander ohne theoretisch nachvollziehbare Verknüpfung gegenüber. Zudem wurde die Handlungsebene lediglich durch abstrakte Konzepte – vor allem den vier PR-Modellen der Excellence-Forschung – und weniger durch konkrete PR-Handlungen konzipiert. Diesem theoretischen Defizit wurde mit dieser Arbeit entgegenzuwirken versucht. Hierfür wurde sich dem organisationsorientierten PR-Ansatz von Zerfaß (2004) sowie der in der deutschen PR-Forschung wiederholten Forderung nach einer strukturationstheoretischen Herangehensweise angeschlossen. PR wurde als Management der Kommunikation von Organisationen (hier: Unternehmen) mit nicht-ökonomischen Öffentlichkeiten (Arenen) definiert, die sich in 1) soziokulturelle Öffentlichkeiten (zivilgesellschaftliche Akteure, die Ansprüche an das Unternehmen richten), 2) politisch-administrative Öffentlichkeiten (Akteure des politischen Entscheidungssystems) und die allen anderen Öffentlichkeiten ‚übergeordnete’ 3) gesellschaftspolitische Öffentlichkeit (alle Bürger, integriert durch das Mediensystem) unterscheiden lassen. Innerhalb dieser Arenen/Öffentlichkeiten lassen sich jeweils unterschiedliche Kommunikationsforen unterscheiden: 1) episodische Begegnungen, 2) Präsenzveranstaltungen, 3) kontrollierte Medien sowie (vorwiegend für die übergeordnete gesellschaftspolitische Öffentlichkeit relevante) 4) (unkontrollierte) Massenmedien. Aus der Kombination dieser Arenen- und Foren-Typen entstehen zehn unterschiedliche Typen potenzieller ‚PR-Handlungsräume’, die sich jeweils in den Ausprägungen ihrer spezifischen, strukturellen Bedingungen voneinander unterscheiden333. Wie diese strukturellen Bedingungen und konkrete PR-Handlungen miteinander verschränkt sind, wurde in Folge strukturationstheoretisch zu erschließen versucht. Handlungen und Strukturen stehen einem strukturationstheoretischen Verständnis nach in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander und bedingen sich gegenseitig. (Durch menschliches Handeln entstandene) Strukturen eröffnen und begrenzen Handlungsspielräume für (weitere) soziale Handlungen. Sie sind dabei nicht deterministisch, sondern erlauben Individuen abweichendes Handeln, durch welches vorhandene Strukturen modifiziert werden können. Als Bindeglied zwischen den unmittelbar miteinander verschränkten Ebenen sozialen Handelns (Struktur und Handlung) stehen Strukturmodalitäten: Regeln und Ressourcen. Regeln (Deutungs- und Handlungsregeln) ermöglichen sozialen Akteuren die notwendige ‚Einsichtsfähigkeit’ für soziale Handlungen; (autoritative und allokative) Ressourcen bestimmen hingegen, wie und in welchem Maße ein Akteur in den ‚Lauf der Dinge’ eingreifen 333 Es ist noch einmal zu betonen, dass es sich um Arenen-Typen handelt. In der Praxis können PR-Handlungen in vielen unterschiedlichen, soziokulturellen, politisch-administrativen und massenmedialen Arenen mit jeweils spezifischen Regeln und Ressourcen stattfinden. Giddens Überlegungen folgend, lassen sich hierbei jedoch gewisse wiederkehrende, routinierte Strukturmomente identifizieren, die allgemeine Gültigkeit für alle empirischen Ausprägungen eines Typs haben.
15 Rückblick, Fazit, Ausblick
327
und somit Macht ausüben kann (‚Handlungsvermögen’). Um die Verschränkung von Handlung und Struktur zu untersuchen, muss sich folglich auf die Strukturmodalitäten – Regeln und Ressourcen – konzentriert werden, die den Handlungsspielraum für konkrete Handlungen eröffnen und begrenzen. Regeln und Ressourcen sozialer Handlungsräume werden durch die institutionelle Ordnung eines Gesellschaftssystems geprägt, so dass sie als Ansatzpunkt für die Untersuchung der Unterschiede von PR-Handlungsräumen in verschiedenen Gesellschaftssystemen fungieren können. Den Überlegungen Giddens folgend, kann angenommen werden, dass unterschiedliche Ausprägungen von Strukturmodalitäten in PRHandlungsräumen unterschiedlicher Gesellschaftssysteme unterschiedliche Spielräume für PR-Handlungen eröffnen, an denen sich PR-Akteure orientieren, wenn sie PR-Handlungen sozial verständlich und akzeptiert realisieren wollen. Da auch abweichendes Handeln möglich ist, kann es dabei im Zeitverlauf natürlich auch zu Modifizierungen von Strukturen kommen. Quasi in Ergänzung zu Röttgers Auseinandersetzung mit organisationsinternen (Regeln und) Ressourcen der PR-Arbeit (2000) wurde in Folge versucht, organisationsexterne Regeln und Ressourcen der PR-Arbeit zu bestimmen. Hierzu wurde auf den bestehenden Überlegungen von Zerfaß (2004), Röttger (2000) und Zühlsdorf (2002) aufgebaut, die erste Annahmen treffen. Eine tiefer gehende Auseinandersetzung mit dem Zusammenspiel von organisations-externen Strukturen und konkreten PR-Handlungen erfolgte daraufhin anhand eines empirischen Beispiels: Der PR deutscher Unternehmen in China. Hierfür wurde ein systematisches Analyseraster verwendet, das auch für zukünftige Auseinandersetzungen mit der Verschränkung organisationsexterner Strukturen (Regeln und Ressourcen) und PRHandlungen verwendet werden kann: Aus der Kombination und der Analyse von Erkenntnissen aus einer umfassenden Literaturrecherche und aus Experteninterviews, ließen sich erste Hypothesen über die Verschränkung der institutionellen Ordnung (Strukturmodalitäten/Regeln und Ressourcen) eines (Gast-)Landes und konkrete PR-Handlungen ableiten. Diese ersten Vermutungen gilt es – will man dem hier gewählten theoretischen Zugang folgen – in zukünftigen Forschungen zu prüfen und weiter zu analysieren. Da die Annahmen lediglich auf einer qualitativen Betrachtung von Unternehmen aus einem Heimatland (Deutschland) und in einem Gastland (China) basieren, kann eine Verallgemeinerung noch nicht vorgenommen werden. Zudem beziehen sich die Überlegungen dieser Arbeit lediglich auf einen Teilbereich der PR (Medienarbeit). Weitere Forschungen in weiteren Ländern sind notwendig, um die Annahmen zu ergänzen (qualitativ) und zu prüfen (quantitativ). Grundsätzlich erscheint ein strukturationstheoretischer Ansatz besonders geeignet, um die Verflechtungen von gesellschaftlichen Strukturen und konkreten PR-Handlungen analytisch zu beschreiben und zu analysieren und somit Erkenntnisse für die Internationale PRForschung zu generieren. Die ‚Einflussfaktoren’ auf PR-Handlungen werden hierbei nicht willkürlich gewählt, sondern leiten sich aus sozialtheoretischen Überlegungen systematisch ab. So wird eine grundlagentheoretisch fundierte Betrachtung des Zusammenspiels von Struktur(modalitäten) und PR-Handlungen möglich, die zudem deutlich macht, dass ‚Einflussfaktoren’ lediglich einen Handlungsspielraum eröffnen und begrenzen, ohne Handlungen vollständig zu determinieren. Konzeptionell kann somit der Umstand einbezogen werden, dass PR-Akteure für Unternehmen in einem Gastland sehr wohl auch an PRHandlungsroutinen des Heimatlandes festhalten können. Dies ebenfalls theoretisch fassen zu können, ist ein großer strukturationstheoretischer Vorteil gegenüber anderen sozialtheoretischen Ansätzen für die Internationale PR-Forschung.
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15 Rückblick, Fazit, Ausblick
Abbildung 62: Analyseraster für die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen organisationsexternen Strukturen und PR-Handlungen. Grundsätzlich lässt sich auf einem strukturationstheoretischen Fundament die in der Praxis allgemein zu beobachtende Heterogenität von PR-Handlungen besonders gut theoretisch verankern. Konkrete PR-Handlungen basieren demnach auf einem komplexen Zusammenspiel individueller Prädispositionen der PR-Akteure sowie organisationsinterner und organisationsexterner Regeln und Ressourcen. In diesem Kontext können die angestellten Überlegungen über die Internationale PR-Forschung hinaus für die allgemeine PR-Theoriebildung nutzbar gemacht werden, um PR-Handlungen von Akteuren in und für Organisationen in einem bestimmten gesellschaftlichen Umfeld grundsätzlich besser zu verstehen. Eine strukturationstheoretische Herangehensweise erlaubt zudem den Umgang mit dem schwierigen Konzept Kultur, das in der bisherigen PR-Forschung überwiegend – oftmals unter Rückgriff auf Hofstede – theoretisch sehr verkürzt in die Betrachtung eingeflossen ist. Kultur wird strukturationstheoretisch nicht als eine von mehreren Rahmenbedingungen für Handlungen, sondern als ‚Gesamtheit nicht direkt beobachtbarer tiefer liegender, historisch überdauernder Strukturen, auf denen Gesellschaft basiert’ konzipiert. Probleme einer strukturationstheoretischen Herangehensweise ergeben sich aus den Kritikpunkten, die allgemein gegenüber den Überlegungen Giddens geäußert werden, ins-
15 Rückblick, Fazit, Ausblick
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besondere im Hinblick auf begriffliche Unschärfen und auf Abgrenzungsschwierigkeiten. Dies spiegelte sich auch bei der Konzeption dieser Arbeit wider, bei der einige Aspekte schwer eindeutig zuzuordnen waren. Ein Beispiel hierfür ist die Rechtsordnung eines Landes. Diese regelt einerseits grundlegend, wie Macht zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Akteuren verteilt ist (Verfassung/Grundrechte Æ autoritative Macht), gibt jedoch auch Regeln für den sozialen Umgang vor (z.B. Recht auf Gegendarstellung Æ Handlungsregeln). Rituale geben einerseits Handlungsskripte vor (Æ Handlungsregeln), sind aber zugleich – aufgrund ihres symbolischen Charakters – eng mit Bedeutungen verbunden, so dass sie eher als (Æ) Deutungsregeln zu konzipieren sind. Die Regeln und Ressourcen sind vielfältig miteinander verflochten und letztendlich nur analytisch voneinander trennbar, so dass eine Diskussion über die analytische Zuordnung der verschiedenen Aspekte notwendig ist. Bis zum – von Lützler für die IPR-Forschung geforderten – ‚konzeptionellen Freischwimmer’ ist es noch ein weiter Weg. Vielleicht ist hiermit das Seepferdchen gemacht, dem weitere Forschungsanstrengungen folgen. Es verspricht, spannend zu bleiben.
Anhang
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Anhang
Kurze Kritik an Hofstede Hofstedes (1984) Ziel war es, Aspekte von Kultur operationalisieren und messen zu können, um so einen ‚objektiven’ Vergleichsmaßstab für Kulturen zu schaffen. Hierzu leitete er zunächst vier, später (auf Basis der Überlegungen der Chinese Culture Connection um Michael Bond) fünf, Dimensionen ab, die er in verschiedenen Ländern operationalisierte und jedem Land eine erreichte Punktzahl zuordnete: Machtdistanz (hoch/niedrig), Kollektivismus/Individualismus, Maskulinität/Femininität, Unsicherheitsvermeidung (schwach/stark) und langfristige/kurzfristige Orientierung. Die Daten wurden Ende der 1960’er/Anfang der 1970’er Jahren durch die Befragung von 88.000 Mitarbeitern aller Hierarchiestufen bei IBM in 66 Ländern erhoben. Die jeweils 100 Fragen (die in der Standardveröffentlichung Hofstedes nicht aufgezeigt werden) bezogen sich auf die individuelle Arbeitssituation der Befragten. Hierzu zählten Angestellte in 38 verschiedenen Berufen mit 20 verschiedenen Sprachen (die Übersetzungen wurden nicht rückübersetzt, so dass die Richtigkeit ihrer sprachlichen Übersetzung nicht gewährleistet ist). Die Daten wurden auf einem ordinalen Skalenniveau erhoben, später jedoch unkritisch mit arithmetischen Operationen analysiert. Mit Hilfe einer durch eine Faktorenanalyse von 32 mehr oder weniger willkürlich ausgewählten Fragen gebildeten Korrelationsmatrix gewann Hofstede drei Cluster, von denen er einen weiter aufspaltete und die Ergebnisse im Sinne seiner zuvor normativ hergeleiteten Dimensionen interpretierte. Die Kritik an Hofstede bezieht sich auf eine erschlagend hohe Anzahl unterschiedlicher sowohl theoretisch-konzeptioneller als auch empirischer Aspekte. Grundsätzlich wird Hofstede eine vorwissenschaftliche Vorgehensweise und eine drastische, geradezu naive Komplexitätsreduktion und ein mangelndes Problembewusstsein vorgeworfen. Das Konzept Kultur wird nur wenig reflektiert. Seiner Vorstellung, Kultur sei eine ‚Programmierung’ von Menschen, liegt ein triviales Menschenbild zu Grunde, nach dem Menschen einer algorithmischen Logik nach handeln. Auch die Annahme Hofstedes, dass mit den von ihm hergeleiteten Dimensionen die Kulturunterschiede aller Gesellschaften erfasst werden können und sich Kultur praktisch in diesen fünf Dimensionen erschöpft, ist wenig überzeugend. In seiner Studie ermittelt Hofstede ‚work related values’ (von der Frage, wie häufig ein Mitarbeiter sich traut, einem Vorgesetzten zu widersprechen schließt er bspw. auf Machtdistanz; von der Frage, wie oft jemand am Arbeitsplatz nervös ist oder wie lange jemand noch plant, bei IBM zu bleiben, auf Unsicherheitsvermeidung; von der Bevorzugung guter Arbeitsbeziehungen gegenüber einer Beförderung auf Femininität etc.), die er sodann unkritisch auf alle Lebensbereiche bezieht. Grundsätzlich sind die Operationalisierungen Hofstede äußerst fragwürdig, ebenso, ob die von ihm erhobenen Daten aus dem Berufsalltag Schlüsse auf kulturelle Unterschiede außerhalb der Unternehmen zulassen. Einige Operationalisierungen (etwa in Hinblick auf das Streben nach Unabhängigkeit) liefen zudem doppelt in unterschiedliche Dimensionen (Machtdistanz und Maskulinität) ein, so dass die Dimensionen nicht trennscharf sind. Auch ist die Zuordnung von konkreten, arithmetischen Mittelwerten zu verschiedenen Staatskulturen äußerst fragwürdig. Bei nähe-
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Anhang
rem Hinsehen wirkt die Studie äußerst löchrig und konstruiert. Die Daten sind zudem sehr alt und konnten späteren empirischen Prüfungen nicht standhalten. Besonders gravierend ist zudem der Ethnozentrismus der Studie, der die aus westlicher Perspektive getroffenen Annahmen unkritisch global anwendet und normative Empfehlungen ausspricht. Bei aller Kritik mag es verwundern, dass die Hofstede’schen Kulturdimensionen sich bis heute größter Beliebtheit erfreuen. Hofstede traf mit seiner Studie wohl einen Nerv, in dem er das offenbar starke Verlangen bediente, das komplexe Konstrukt Kultur stark zu vereinfachen und vorgab, Kultur mit einfachen, wohlgemerkt zunächst äußerst plausibel wirkenden Dimensionen, fassen zu können. Die (wenn auch mittlerweile über dreißig Jahre alte) Datenmenge der Studie ist beeindruckend und es liegen Daten für geradezu alle Länder der Welt vor, die als eine einfache Messlatte für den Kulturvergleich herangezogen werden können. Offenbar schauen nur wenige genauer auf die theoretische Basis, die Erhebungsmethode und die Ergebnisinterpretationen Hofstedes, so dass sich die Konzeption von Hofstedes bis heute einer großen Beharrlichkeit rühmen kann.
333
Anhang
Ausländische Unternehmensformen in China Folgende Tabelle gibt die wichtigsten Eigenschaften der verschiedenen möglichen ausländischen Unternehmensformen in China wider (vgl. u.a. Desalm 2007):
Repräsentanz (Representative Office)
Joint Venture (Equity und Cooperative JV)
100%-ige Tochtergesellschaft (Wholly Foreign Owned Enterprise, WFOE)
- einfachste Form ausländischen Investments
- häufigste Form ausländischer Investition in China
- schneller, relativ unbürokratischer Markteintritt (Genehmigungsentscheidung in der Regel innerhalb von 30 Tagen)
- Gemeinschaftsunternehmen mit chinesischem Partner
- eigene Tochtergesellschaft, ausschließlich ausländische Beteiligung
- zum Teil notwendig, um Markteintritt zu ermöglichen
- im Gegensatz zur Repräsentanz erlaubt, in China produzierte Produkte zu vertreiben, Land zu kaufen, eigenständig chinesisches Personal anzustellen, Gebäude zu bauen, etc.
- keine Einbringung von Kapital notwendig
- Stammkapital grundsätzlich mind. 100.000 USD
- kein selbstständiges Unternehmen sondern Teil des Mutterunternehmens
Unterscheidung:
- Schnittstelle zwischen Mutterunternehmen und lokalen Unternehmen - Funktion: vor allem nonprofit Aktivitäten wie Marktforschung, Promotion, Vertragsschließung mit potentiellen Partnern - Kein operatives Geschäft/direkte Businessaktivitäten/ After-Sales-Aktivitäten erlaubt (geringe Ausnahmen möglich) - Anstellung von Personal nur über staatliche Arbeitsvermittlungsstellen
Equity JV: (Gemeinschaftsunternehmen) benötigt Rechtsform einer chinesischen GmbH, Partner teilen sich Profite, Risiken und Verluste proportional zu den in der JV-Vereinbarung festgelegten Kapitalanteilen, meist 50:50 Cooperative JV: (vertragliche Kooperation, seltener) ausländischer Partner darf sein Kapital während Laufzeit des JVs herausziehen, Gewinne müssen nicht proportional zur Investition verteilt werden, mehr Flexibilität
- nur in Form einer Kapitalgesellschaft (‚Limited Liability Company’) möglich - starke Differenzierung nach Branchen und Tätigkeiten, je nachdem, ob der Staat hier Ausländer haben möchte oder nicht - Erteilung der Business License durch die AIC (Adminstration of Industry and Commerce) - Stammkapital grundsätzlich mind. 200.000 USD - Vorteile ggüb. JV: Unabhängigkeit, geringere Gefahr von Know-howAbfluss und Parallelproduktion
334
Anhang
Handlungsempfehlungen der interkulturellen Managementforschung – Kurzübersicht Begrüßung/Abschied: Vor allem durch eine leichte Verbeugung, Körperkontakt nicht üblich, Händedruck zunehmend verbreitet; man sollte das chinesische ‚Ni hao’ (zur Verabschiedung ‚Zai jian’) verwenden; herzliche Begrüßungen sollten auf Umarmungen verzichten, stattdessen kann man herzliche Gefühle ausdrücken, indem man die Hand des Gegenübers mit beiden Händen ergreift. Visitenkarten: Unheimlich wichtig. Vorderseite Englisch, Rückseite Chinesisch. Übergabe im Stehen mit beiden Händen und leichter Verbeugung, anschließend für einige Sekunden Visitenkarte betrachten, während des Gesprächs vor einem liegen lassen; alle Gesprächspartner erhalten eine Karte, beginnend mit dem Leiter der Gruppe; Chinesen schieben während Gruppengesprächen häufig Karten hin und her, um sie den Personen und deren Hierarchiestufen zuzuordnen. Pünktlichkeit/zeitliche Vorstellung: Termine werden kurzfristig vergeben, oft auch spontan. „In China führt man keinen Terminkalender für Besuche. […] Wenn man sich in China weigern würde, eine Person zu empfangen, hätte dies einen Gesichtsverlust des Besuchers zur Folge. Jedoch auch das moralische Gesicht des Besuchten wäre angekratzt.“ (Lin-Huber 2006, S. 76f) Verspätungen werden eher toleriert, bei privaten Einladungen gelten 10-15 min. Verspätung als höflich; Verhandlungen brauchen Zeit (meist mehrere Kontakte notwendig), zunächst müssen Beziehungen aufgebaut werden. Essenseinladungen: Unheimlich wichtig! „Essen bestimmt fast das ganze chinesische Leben.“ (Lin-Huber 2006, S. 145); gemeinsame Essen sind die wichtigste Aktivität, um Guanxi aufzubauen. Die Frage ‚Haben Sie gegessen?’ entspricht ungefähr unserem ‚Wie geht’s?’: Es ist nur eine Floskel, die am besten mit ‚ja’ zu beantworten ist; für westliche Beobachter wirken Bankette wie ein regelrechtes Gelage; Ablauf: runder Tisch, strenge Sitzordnung; der Gastgeber sitzt gegenüber der Tür, der Ranghöchste sitzt rechts vom Gastgeber, der zweithöchste links vom Gastgeber, der schlechteste Platz ist mit dem Rücken zur Tür; Überfluss an Speisen (die niemals alle gegessen werden) in der Mitte des Tisches, von der alle nehmen; ständig wird was Neues serviert (10 bis 12 Gänge) und man achtet darauf, dass jeder immer etwas auf seinem Teller und in seinem Glas hat; man wählt die Speisen also nicht selber, sondern wird meist von anderen bedient bzw. tut seinen Nachbarn etwas auf den Teller; das Essen wird wiederholt gelobt, Chopsticks dürfen nie im Reis stecken gelassen werden; schmatzen und kleckern ist erlaubt, es gilt als unhöflich, Gekleckertes sauber zu machen; regelmäßig wird mit Bier oder Schnaps angestoßen, indem ein Toast ausgesprochen und mit dem Ausdruck ‚gan-bei’ das Glas gemeinsam in einem Zug geleert wird; der letzte Gang vor dem Nachtisch (und evtl. einer Suppe) besteht aus Fisch, wobei dem Gastgeber bzw. dem Ranghöchsten die Ehre zukommt, den Kopf zu essen. Nach Ende des Essens wird sich zügig erhoben. Rückeinladungen werden erwartet; bei ausländischem Essen kein blutiges Steak oder Käse servieren. Geschenke: Gastgeschenke spielen eine wichtige Rolle und sind üblich, um Goodwill und eine wohlwollende Atmosphäre zu schaffen; die Auswahl sollte achtsam erfolgen und den Status, die hierarchische Konstellationen sowie auch die Schwelle zur Korruption beachten; westliche Marken werden geschätzt; das Geschenk sollte nie unter dem Wert des letzten
Anhang
335
Geschenks liegen; niemals eine Uhr schenken; Geschenke werden mit beiden Händen entgegengenommen und erst zu einem späteren Zeitpunkt, wenn der Gast verabschiedet wurde, geöffnet; überschäumendes Danken wird als unhöflich verstanden, da man so versucht, sich seinen Verpflichtungen zu entledigen; Geschenke sind ein schwieriges Thema, da für den Beschenkten mit einem Geschenk Verpflichtungen gegenüber dem Schenkenden entstehen; Geldgeschenke sind im Privaten (z.B. zu Chinese New Year) durchaus üblich. Garderobe: Chinesen legen allgemein großen Wert auf ein gepflegtes Äußeres und verbinden damit Status; der Dress Code im Geschäftsleben entspricht grundsätzlich der internationalen Praxis; Chinesen tragen meist konservative Anzüge in neutralen Farbtönen, Chinesinnen vorwiegend konservative Kostüme oder ein hochgeschlossenes Kleid. Leuchtende Farben gelten als unpassend. Themen: Brisante und kritische Themen sind zu meiden; man sollte gegenseitiges Interesse bekunden, nach Gemeinsamkeiten suchen und diese im weiteren Gesprächsverlauf betonen; Nachfragen nach der Familie sind erlaubt oder sogar gewünscht; die Bescheidenheitsmaxime sollte stets beachtet und andere gelobt werden, während Komplimente zurückzuweisen sind; beliebte Themen sind das Wetter, die chinesische Küche, Reisen, positive Erfahrungen in China, Kunst, evtl. aktuelle Angelegenheiten, Sport, die Börse, die Ausbildung oder der Beruf. Chinesen sind oft neugierig und fragen offen nach dem Alter, Einkommen oder Familienstand; negative Antworten gelten als unhöflich; anstatt ‘nein’ zu sagen, antwortet man lieber ‚vielleicht’ oder ‚mal sehen’; Eigenlob, negative Themen und politische Themen wie die Menschenrechte, Todesstrafe, Falun Gong, Taiwan oder Tibet sind tabu. Verhandlungen/Vertragstreue: Chinesische Verhandlungspartner gelten als zäh, hartnäckig, ausdauernd und unberechenbar, chinesische Verhandlungsrunden als zeitraubend und nervenaufreibend; zum chinesischen Allgemeinwissen gehören die 36 Strategeme des chinesischen Generals Tan Daoji († 436), die (neben Sun-zi) mittlerweile auch in der deutschen Managementliteratur Eingang finden.
Personen: Deutsche neigen dazu, sich vor allem Fachleuten zuzuwenden, dabei sollten Funktionäre und Hierarchien nicht übersehen werden; man sollte immer die selben Leute nach China schicken, wenn möglich von hohem Rang, zum Vertragsabschluss den CEO persönlich; Dolmetscher zeigen einen gewissen Status; man sollte immer mit mehreren Personen erscheinen: „Ich kann mich erinnern, meine ersten Tage hier in China, die sind da immer fünf Mann stark irgendwo hingegangen. Da sage ich ‘Hä? Warum müssen wir jetzt zu fünft zum Kunden gehen? Du bist für den Etat verantwortlich, du gehst dahin und das war’s.’ – ‘Ja, aber dann kommt dann doch von Kundenseite auch nicht nur der Ansprechpartner, sondern auch noch die Assistenten und schieß-mich-tot.’ Also, der Kollektivismus ist quasi der Schutzmantel für Verantwortung.“ (Interview Nr. 22) Ablauf: Die erste Phase dient dem gegenseitigen Kennen lernen und dauert in China außergewöhnlich lange; man sucht nach Gemeinsamkeiten und versucht, Vertrauen aufzubauen; Vertrauen bedeutet einander Respekt zu bezeugen, sich mit den jeweiligen Interessen zu beschäftigen und sich auf eine Beziehung einzulassen; nur langsam und tastend wird auf geschäftliche Themen eingegangen; der Ablauf ist prozess- statt ergebnisorientiert, es werden win-win-Situationen/Konsens angestrebt; dabei respek-
336
Anhang
tieren Chinesen Hartnäckigkeit und eine klare Linie, sofern behutsam und freundlich vorgegangen wird; Konflikte werden nur indirekt berührt und Absagen nur vage erteilt, die relevanten Punkte und Wünsche sollten immer wieder wiederholt und ‚Neins’ in Watte gepackt werden; meist kommt es zu mehreren Verhandlungsrunden, die sich über einen langen Zeitraum hinziehen; immer wieder werden bereits geklärt geglaubte Themen angesprochen oder bereits getroffene Abmachungen umgeworfen; wichtig ist dabei stets die Wahrung einer freundlichen Grundatmosphäre und die Vermeidung von Drängeleien; auch hier Achtung: Wenn ein Thema nicht angesprochen wird, gilt es wahrscheinlich als besonders kritisch; Chinesen verfügen über gute Abhörmethoden, so dass man sensible Informationen schützen sollte („Der Deutsche macht sich Gedanken über jede Klausel und der Chinese verfolgt ein ganz anderes Ziel. Der sammelt Informationen und hat nebenan schon den Konkurrenten sitzen, mit dem er dann den Vertrag aufsetzt.“ (Interview Nr. 20)). Am Abschluss erwarten Chinesen ein Bonbon, das einzukalkulieren ist. Vertragstreue: Der Vertragsabschluss ist in China erst der Anfang von allem. „Das ist, was viele Japaner, Koreaner, Taiwanesen immer wieder beklagen: Wenn Sie mit einem chinesischen Partner zusammensitzen und Sie eine Zusage bekommen, zu einer bestimmten Sache, dann kann es passieren, dass am nächsten Tag der Betroffene sagt, ‘Ah, das habe ich nie gesagt.’ […] Der Grund, der dahinter steckt, ist der Folgende: Dass auf der chinesischen Seite natürlich die Hierarchie entgegensteht. Anders gesagt: Man verhandelt in China mit jemandem, der eigentlich nicht der absolute Chef ist. Sondern auf der Arbeitsebene, der den Auftrag hat, ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen. Sie verhandeln mit dem Betreffenden bis abends um neun. Und der sagt ‚Wir machen das so’. Und sie sagen ‚toll!’. Was Sie nicht wissen ist Folgendes: Dass der Betreffende jetzt nicht nach Hause geht, sondern sich noch mal mit seinem Chef und ein paar anderen Leuten trifft. Und der sagt: ‚Was? Nein, das kommt überhaupt nicht in die Tüte. Das erlaube ich nicht – sag den Leuten, das machen wir so nicht.’ – Und am nächsten morgen – der ausländische Partner will eigentlich am Nachmittag abreisen, der wollte beim Mittagessen eigentlich nur noch mal alles Revue passieren lassen – da sagt auf einmal der chinesische Partner: ‚Und wir müssen natürlich über das Problem noch mal sprechen.’ – Und Sie sagen: ‚Was? Wieso? Das hatten wir doch gestern schon...’ – ‚Nein, nein, nein, das haben Sie falsch verstanden, das habe ich so nicht gesagt!’ – Und plötzlich ist alles wieder auf Null und die große Freude des Vorabends ist also gänzlich umsonst gewesen.“ (Interview Nr. 17); „Chinesische Verträge sind jedoch nur als Absichtserklärung zu verstehen im Sinne einer Diskussionsgrundlage und nicht als rechtlich verbindlich. Sie können immer wieder verändert werden. Deshalb beginnen die Probleme oft erst nach Vertragsschluss.“ (Lin-Huber 2006, S. 170); ändern sich die Rahmenbedingungen, halten Chinesen Verträge oftmals für nichtig; informellen Regelungen wird der Vorrang gegeben und stets versucht, Probleme außergerichtlich zu lösen.
337
Anhang
Vor- und Nachteile internationaler und lokaler PR-Agenturen in China Internationale Netzwerk-Agentur
Hoher Bekanntheitsgrad Globale Perspektive kombiniert mit lokalen Mitarbeitern
+
Lokale Agentur
Starke Guanxis, in der Regel enge Kontakte zu Journalisten Lokale Perspektive
Internationales Netzwerk, globale Betreuung möglich
Gute Kenntnisse lokaler Märkte, Netzwerke und Gepflogenheiten
Internationaler Qualitätsstandard, internationale Erfahrungen (best practices) und Austausch
Können ‚Medienberichterstattung garantieren’
Englischsprachige Ansprechpartner und Mitarbeiter
Hohe Flexibilität Gut für ‚hands on’ Aufgaben
Strategische, konzeptionelle und evaluative Kenntnisse und Beratung
Kennen lokale Probleme
Vielfältige Erfahrungen, ausgereifte Methoden und Instrumente, legen Wert auf kreative Lösungen
Wesentlich günstiger
In Provinzen gute Kenntnisse
Spezialisierung auf kommunikative Teilaufgaben und Industrien Hohe Verlässlichkeit Große Datenbanken
Sehr teuer Werden u.U. von chinesischen Journalisten als arrogant/einschüchternd wahrgenommen Weniger lokale Kenntnisse und Kontakte Meist nur in großen Städten, nicht in kleineren Städten und in der Provinz präsent -
U.U. weniger flexibel durch eingefahrene Arbeitsmethoden und hohe Ausdifferenzierung
Große Unterschiede zwischen Agenturen, Auswahl schwierig Oft schlechte Englischkenntnisse Oftmals aufwendige, detaillierte Briefings notwendig U.U. schlechte Qualität und häufiges Nachfassen notwendig Geringere ethische Standards Mangel an internationalem Netzwerk und globaler Perspektive (noch) geringe Erfahrungen im Projektmanagement, Analysen, Evaluation und Strategieberatung Hohe Fluktuation der Ansprechpartner
338
Anhang
Aufsatz von Li Xiguang (Auszug) Auszug aus einem Aufsatz von Li Xiguang, erhalten in einer persönlichen Email nach einer Anfrage zur Journalistenausbildung und dem Stand des Journalismus in China am 7. Januar 2008. Li Xiguang ist der Dekan der School of Journalism and Communication der Tsinghua Universität in Peking “With communication courses becoming compulsory and dominating in the curriculum of China’s 700 journalism schools, journalism students spend over 95 percent of their course hours sitting in crowded classrooms listening to such compulsory course subjects as communication theories, Chinese history of communication, foreign history of communication, media criticism theories, media management theory, TV planning theory, advertisement theory, cultural study theories, post-modernism studies, media study theories, cultural theories of film, cultural theories of visual art, cultural studies of digital media, readings of classical communication theories, research methodologies of communication theories, etc. Journalism schools in China are far from being incubators for journalism innovative ideas but function purely as factories for encouraging young students and faculty for mass production of tons of research papers on communication theories every year. […] In Salzburg Academy, students learned that journalism means access more than memory. But in Chinese journalism schools, the students are forced to memorize all jargons and quotes in the mountains of books and journals by the communications theorists. In Chinese journalism schools, top students are selected by their memorization instead of their independent, innovative and in-depth writing and reporting. As a result of the lowering of human intelligence required in journalism education, entry barriers are lower than ever for making a journalism school, a teacher or a student. […] The journalism education in China is not only becoming irrelevant to the real world but worst of all is betraying the core values of the journalism itself. While the public are still turning to journalists for news stories that are so vital to understanding the latest development of the political, economic, social, scientific, medical and educational issues, the journalism schools are far from being capable of preparing their students to report about a world that is beyond their understanding. In journalism schools, students are taught all the arts of how to get more attention and being the first to report it, but the art of being accurate, being truthful and being scientifically credible. […] They are not equipped with the common sense of looking at the world in a reasonable and informed way. When breaking events occur, they do not know where to seek informed and authoritative sources. They do not know whom to turn for scientific evidence and verification. They do not know the difference between assertion and verification, between inference and evidence, between bias and fairness, between pseudo-science and science. The journalism students must know that reporting in an informed way, they must learn which sources to turn and trust and which media and sources not to turn and trust. We should also teach the art of deconstructing news in order to help the public make a difference between the unprocessed raw information and the mediated news product.”
339
Anhang
Kontextinformationen Interviews Nr.
Unternehmensgröße
Nationalität des Befragten
PR-Experte/ PRLaie
1 China - Peking
Großunternehmen (DAX 30)
Deutsch
PR-Experte
2 China - Peking
Großunternehmen (DAX 30)
Deutsch
PR-Experte
3 China - Shanghai
Großunternehmen
Deutsch
PR-Experte
4 China - Peking
Großunternehmen (DAX 30)
Deutsch
PR-Experte
5 China - Shanghai
Großunternehmen
Deutsch
PR-Experte
6 China - Shanghai
Großunternehmen
Deutsch
PR-Experte
7 China - Shanghai
Großunternehmen (DAX 30)
Deutsch
PR-Experte
Ort des Interviews
8 China - Shanghai
Großunternehmen (DAX 30)
Deutsch
PR-Experte
9 China - Peking
Großunternehmen (DAX 30)
Deutsch/US-Amerikanisch
PR-Experte
10 China - Shanghai
Großunternehmen (DAX 30)
Deutsch
PR-Laie
11 China - Peking
Großunternehmen (DAX 30)
Deutsch
PR-Laie
12 China - Peking
Großunternehmen
Deutsch/Schweizerisch
PR-Laie
13 China - Shanghai
Großunternehmen
Deutsch
PR-Laie
14 China - Shanghai
Großunternehmen
Deutsch
PR-Laie
15 China - Shanghai
Großunternehmen
Deutsch
PR-Laie
16 China - Shanghai
Großunternehmen
Deutsch
PR-Laie
17 China - Shanghai
Großunternehmen
Deutsch
PR-Laie
18 China - Peking
Großunternehmen (DAX 30)
Deutsch
PR-Laie
19 China - Peking
Großunternehmen
Deutsch
PR-Laie
20 China - Shanghai
Großunternehmen (DAX 30)
Deutsch
PR-Laie
21 China - Shanghai
PR-Agentur
Deutsch
PR-Experte
22 China - Peking
PR-Agentur
Deutsch
PR-Experte
23 China - Peking
Medien
Deutsch
PR-Laie
24 China - Shanghai
Medien
Deutsch
PR-Laie
25 China - Shanghai
anderes
Deutsch
PR-Laie
26 China - Shanghai
anderes
Deutsch
PR-Laie
27 China - Shanghai
anderes
Deutsch
PR-Laie
28 China - Shanghai
anderes
Deutsch
PR-Laie
29 China - Shanghai
anderes
Deutsch
PR-Laie
30 China - Shanghai
Großunternehmen
Chinesisch
PR-Experte
31 China - Peking
Großunternehmen
Chinesisch
PR-Experte
32 China - Peking
Großunternehmen (DAX 30)
Chinesisch
PR-Experte
33 China - Shanghai
Großunternehmen (DAX 30)
Chinesisch
PR-Experte
34 China - Shanghai
Großunternehmen
Chinesisch
PR-Experte
35 China - Shanghai
Großunternehmen
Chinesisch
PR-Experte
36 China - Peking
Großunternehmen
Chinesisch
PR-Experte
37 China - Peking
Großunternehmen (DAX 30)
Chinesisch
PR-Experte
38 China - Shanghai
Großunternehmen (DAX 30)
Chinesisch
PR-Experte
39 China - Peking
Großunternehmen
Chinesisch
PR-Experte
40 China - Peking
Großunternehmen
Chinesisch
PR-Experte
41 China - Peking
Großunternehmen (DAX 30)
Chinesisch
PR-Experte
42 China - Peking
PR-Agentur
"Westler"
PR-Experte
340
Anhang
43 China - Shanghai
PR-Agentur
Chinesisch
44 China - Shanghai
PR-Agentur
Chinesisch
PR-Experte PR-Experte
45 China - Shanghai
PR-Agentur
"Westler"
PR-Experte
46 China - Peking
PR-Agentur
"Westler"
PR-Experte
47 China - Peking
PR-Agentur
Chinesisch
PR-Experte
48 Deutschland
Großunternehmen (DAX 30)
Deutsch
PR-Experte
49 Deutschland
Großunternehmen (DAX 30)
Deutsch
PR-Experte
50 Deutschland
Großunternehmen (DAX 30)
Deutsch
PR-Experte
51 Deutschland
PR-Agentur
Deutsch
PR-Experte
52 Deutschland
Großunternehmen
Deutsch
PR-Experte
53 Deutschland
Großunternehmen (DAX 30)
Deutsch
PR-Experte
54 Deutschland
PR-Agentur
Deutsch
PR-Experte
55 China - Shanghai
anderes
Chinesisch
PR-Laie
56 China - Peking
anderes
Chinesisch
PR-Laie
Literaturverzeichnis
341
Literaturverzeichnis
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334 Jeweils nur Nennung des erstgenannten Erscheinungsortes.
342
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