Band 10, Supplement 1, April 2003 Offizielles Organ der Schweizerischen Medizinischen Gesellschaft für Phytotherapie Offizielles Organ der European Society for Classical Natural Medicine
Hauptschriftleitung H. Walach, Freiburg i. Br.
Fachschriftleitung M. Bühring, Berlin W. Marktl, Wien D. Melchart, München K. M. Meyer-Abich, Essen K. L. Resch, Bad Elster R. Saller, Zürich M. Ullmann, München
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Impressum
Die Zeitschrift erscheint zweimonatlich; pro Jahr erscheint 1 Band zu je 6 Heften. Bezugspreis für Jahrgang 10, 2003: Print-Abonnement EUR 140,–, Online-Abonnement EUR 140,–, Kombi-Abonnement Print/Online EUR 168,–, einschließlich MWSt., zuzüglich Postgebühren. Der Abonnementpreis ist im voraus zahlbar. Das Abonnement der Zeitschrift läuft weiter, wenn es nicht spätestens 4 Wochen vor Abschluss eines Bandes abbestellt wird. Abonnementbestellungen können bei jeder Buchhandlung oder direkt beim Verlag aufgegeben werden: Deutschland: S. Karger GmbH Lörracher Str. 16a D-79115 Freiburg Tel. +49 761 45 20 70 Fax +49 761 4 52 07 14 E-mail
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Supplement 1 zu Band 10, April 2003
100 Jahre A. Vogel «Arzneipflanzen und Heilkräuter als Wirk- und Therapieprinzipien»
Symposium 30.11.2002, Zürich
Tagungsbeiträge Herausgeber:
R. Saller, Zürich, K. Hostettmann, Lausanne
14 Abbildungen, 8 farbig, und 7 Tabellen, 2003
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Inhalt · Contents Forsch Komplementärmed Klass Naturheilkd 2003;10(suppl1)
1
Einleitung: Arzneipflanzen und Heilkräuter als Wirk- und Therapieprinzipien Saller, R.; Melzer, J. (Zürich)
3
Von Schweizer Kräutern zum globalen Pflanzenreich und individueller Anwendung – eine biographische Annäherung an Alfred Vogel Melzer, J. (Zürich)
9
Geschichte einer Pflanze am Beispiel von Echinacea Hostettmann, K. (Lausanne)
13
Indikation und Konstitution in der phytotherapeutischen Qualitätenlehre Brühwiler, K. (Will)
17
Systematic Reviews of Herbal Medicines – an Annotated Bibliography Linde, K. (München/Berlin); ter Riet, G.(York/Maastricht); Hondras, M.(Davenport, IO); Vickers, A. (New York, NY); Saller, R. (Zürich); Melchart, D. (München); for the Cochrane Complementary Medicine Field
28
Johanniskraut (Hypericum perforatum L.) – Vielstoffgemische kontra phytogene Einzelstoffe Reichling, J. (Heidelberg); Hostanska, K.; Saller, R. (Zürich)
33
Johanniskraut (Hypericum perforatum): Ein plurivalenter Rohstoff für traditionelle und moderne Therapien Saller, R.; Melzer, J. (Zürich); Reichling, J. (Heidelberg)
41
Gemeine Pestwurz (Petasites hybridus) – Portrait einer Arzneipflanze Kälin, P. (Roggwil)
45
Arnika: Neue Erkenntnisse zum Wirkungsmechanismus einer traditionellen Heilpflanze Melfort, I. (Freiburg i.Br.)
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Artikel (Volltext) und Inhaltsverzeichnisse sowie das vorläufige Inhaltsverzeichnis des nächsten Heftes: www.karger.com/fkm_bk.htm
Tagungen und Kongresse · Meetings and Conferences Forsch Komplementärmed Klass Naturheilkd 2003;10(suppl1):1–2
Einleitung: Arzneipflanzen und Heilkräuter als Wirk- und Therapieprinzipien R. Saller
J. Melzer
Abteilung Naturheilkunde, Departement für Innere Medizin, Universitätsspital Zürich, Schweiz
Die Phytotherapie ist ein hochdifferenzierter und gleichzeitig mannigfaltiger Teil der modernen Medizin [1–5]. Will man in ihren fruchtbaren «Gärten» von Daten und Sichtweisen, Moden und Strukturen, Hierarchien und Kooperationen, Urteilen und Vorurteilen eine ordnende und gleichzeitig anregende Übersicht erlangen so ist es sinnvoll, augenscheinlich bedeutsame Teilaspekte zu untersuchen. In dieser Absicht wurden für dieses Symposium einerseits in Anbetracht der vielfältigen phytotherapeutischen Themenmöglichkeiten wilkürlich und andererseits trotzdem mit Bedacht acht Themenkomplexe ausgewählt (s. Tab. 1). Sie betreffen unseres Erachtens nicht nur zentrale Fragestellungen, sie sind zudem auch spannend. Beim ersten Thema geht es um Bedeutung von Persönlichkeiten in der Entwicklung der Phytotherapie, um die Denkstile und die Praxis von Nichtärzten sowie um regionale und globale Aspekte einer modernen Phytotherapie. Person und Lebenswerk von A. Vogel zeigen zudem die Einbindung der Anwendung von Heilpflanzen in ein Konzept von Naturheilkunde sowie Laienhilfe und Laienselbsthilfe. Der zweite Beitrag
Tab. 1. Exemplarische Themenbereiche des Symposiums 1. Von Schweizer Käutern zum globalen Pflanzenreich und individueller Anwendung bei Alfred Vogel 2. Geschichte einer Pflanze am Beispiel Echinacea 3. Phytotherapie: Indikation und Konstitution 4. Phytotherapie heute: Arznei- und Heilmittel aus Pflanzen: Evidenzbasierte Therapien 5. Johanniskraut (Hypericum perforatum L.) – Vielstoffgemische kontra Einzelstoffe 6. Johanniskraut: Ein plurivalenter Rohstoff für traditionelle und moderne Therapien 7. Alte Heilpflanze: Pestwurz bei Migräne und anderen Indikationen 8. Arnika: Neue Erkenntnisse zum Wirkungsmechanismus einer traditionellen Heilpflanze
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richtet am Beispiel von Echinacea das Augenmerk auf die historische Momente (Sozial- wie Medizingeschichte) als wesentliche Faktoren in der Entdeckung, Entwicklung, Anwendung und Beurteilung von Arznei- und Heilpflanzen. Personenbezogene Behandlungsanlässe, die phasenhaften Abläufe von Krankheiten, sowie Konstitution der Patienten und sensorische Qualitäten von Phytotherapeutika werden im dritten Beitrag als therapiegestaltende originäre Faktoren einer ebenso traditionellen wie modernen Phytotherapie herausgearbeitet. Im vierten Beitrag steht die evidenz-basierte, stark formalisierte Beurteilung ausgewählter Phytotherapeutika bei krankheitsspezifischen Indikationen im Zentrum. Eines der entscheidenden und authentischen Kriterien für Phytotherapeutika ist ihr Vielstoffcharakter. Die Herausarbeitung einer eigenständigen pharmakologischen und therapeutischen Qualität solcher Vielstoffgemische im Vergleich zu einem oder auch mehreren Einzelstoffen wird im fünften Beitrag als ein zentraler Forschungsschwerpunkt herausgearbeitet. Eine Art systemischer Ansatz stellt im sechsten Beitrag die Phytotherapie als vielschichtigen und trotzdem überschaubaren und realitätsgerecht beforschbaren Therapieansatz dar. Traditionen und Moderne schliessen sich dabei nicht aus. Die qualifizierte Ausnutzung des Rohstoffcharakters von Arznei- und Heilpflanzen zeigt, dass mit wenigen ausgewählten Pflanzen vielfältige Behandlungsanlässe aufgegriffen werden können. Zubereitungen aus der alten Heilpflanze Pestwurz bieten bei kenntnisreicher Rezeption von Therapietraditionen und der Ausnutzung der pharmazeutischen und wissenschaftlichen Entwicklungen sowohl aktuelle wie auch zukünftige Indikationen (siebter Beitrag). Obwohl Arnika eine bereits lang gebrauchte Arzneipflanze ist, können, wie der letzte Beitrag zeigt, moderne molekularbiologische Untersuchungen phänomenologisch bereits bekannte Effekte genauer charaktierisieren und eventuell neue Anwendungsmöglichkeiten aufzeigen. Auch Pflanzen als komplex zusammengesetzte Rohstoffe können biochemisch adäquat beforscht werden.
Prof. Dr. Reinhard Saller Abteilung Naturheilkunde, Departement für Innere Medizin Universitätsspital Rämistrasse 100, CH-8091 Zürich E-mail
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Tab. 2. Weitere zentrale Aspekte bzw. Fragestellungen der modernen Phytotherapie
Umwelt
Gesellschaftssystem Ausgewähh lte Teilsysteme, z.B.:
– Bedeutung eines biologischen Anbaus für Wirkungen und Wirksamkeit – Bedeutung des Anbaus innerhalb von Pflanzengesellschaften für Wirkungen und Wirksamkeit – Bedeutung der Biodiversität für Wirkungen und Wirksamkeit – Nachhaltigkeit der Herstellung von Phytotherapeutika (z.B. Rohstoff, Abfälle) – Einfluss einer schonenden Herstellung auf Wirkungen und ggf. Wirksamkeit (im Vergleich zu konventioneller Herstellung) – Bedeutung des Fairen Handels (fair trade) bei Arznei- und Heilpflanzen aus der Dritten Welt – Bedeutung der Biogenese des Rohstoffs «Arzneipflanze» für die Umwelt (z.B. Belastung der Gewässer durch Metabolite von chemisch-synthetischen Arzneimitteln bzw. Phytotherapeutika) – Einfluss der quasi juristisch bzw. politisch geforderten ökonomischen Voraussetzungen für die Entwicklung neuer Arzneimittel (z.B. Gefahr der Monopolisierung der Arzneimittelentwicklung und der damit zusammenhängenden medizinischen Denkstile und Theorien; dadurch erhebliche Erschwernis bis Verunmöglichung der Entwicklung neuer Phytotherapeutika)
Andere, vergleichbar interessante und zukunftsweisende Themengebiete konnten für diese Veranstaltung nicht aufgegriffen werden. Zu diesen Gebieten und Fragenkomplexen gehören (Auswahl, s. Tab. 2). Die Wahl des übergreifenden Kongressthemas: Wirk- und Therapieweisen weist darauf hin, dass die menschheitsbegleitende Pflanzenheilkunde auch auf einer langen Kultur tradierten Wissens basiert, in deren Mittelpunkt keineswegs nur die «rein» medizinische Wirkung der Pflanzenzubereitungen stand, sondern z.B. auch zeitgebundene, d.h. historische, kulturelle, religiöse oder weltanschauliche Aspekte einflossen. Es wäre eine eingeschränkte Betrachtung der Phytotherapie sie in allen Aspekten nur dann als wissenschaftlich oder gar wirksam anzusehen, wenn sie mit quasi naturwissenschaftlichen Vorgehensweisen untersucht wurde und dementsprechend beurteilt wird. Eine Reduktion auf isolierte Betrachtungen wird nicht der Komplexität und Wirkmächtigkeit der Einflüsse und Aspekte gerecht, die die heutige moderne Gesellschaft ausmachen. Bei der Frage, wie komplexere Betrachtungsweisen der Phytotherapie in gewisser Weise operationalisierbar und damit
Erziehung
z.B. leben
Familie
Medizin
z.B. tradition
ell, kulture ll
Phytotherapie (Arzneipflanzen Heilpflanzen)
sgeschic htlich
z.B. schulmedizinisc h, komplementärme dizinisch
ltpolitisch z.B. gesundheits-, sozial-, umwe
Politik
Wirtsschaft
Wissenschaft
uell , spirit
ch h aftli aftlic sch tsch sen swir is lk w o ts t-, v hich mark esc z.B. s-, g iste e g ur-, kult ur-, Outcome Nat z.B.
ligiös z.B. re
Religion
Pharmazie Pharmakologie (EBM)
Abb. 1. Systemische Betrachtung der multidimensionalen Bezüge von Phytotherapie und Arzneipflanzen in der modernen Gesellschaft und Medizin. Phytotherapie sowie Arznei- und Heilpflanzen können Bestandteile unterschiedlicher Systeme und Teilsysteme sein. Für eine differenzierte und realitätsgerechte Betrachtung genügt es nicht, lediglich ein Teil- oder Subsystem herauszugreifen und als pars pro toto zu setzen.
auch fruchtbar gemacht werden können, könnte eine für Naturheilkunde und Phytotherapie modifizierte soziologische Systemtheorie eine methodische Möglichkeit bieten (s. Abb. 1). Hierbei würde das «soziale System» interessieren. In diesem System können funktional differenzierte Teilsysteme unterschieden werden: z.B. Wissenschaft, Politik, Medizin, Wirtschaft. Für das Wissenschaftssystem z.B. wäre der konstituierende Code die Unterscheidung zwischen wahr und unwahr. Die gesellschaftliche Funktion des Wissenschaftssystems besteht nun in dem Aufbau und Gewinn von Wahrheit. Das Medizinsystem folgt als System der Krankenbehandlung dem binären Code krank / gesund, in der Therapie wohl eher dem Code brauchbar / unbrauchbar und nicht zwangsläufig einem Code wahr / unwahr. Sicher ist eine Art «systemorientierte Phytotherapie» noch nicht ausgearbeitet. Trotzdem scheint es sinnvoll und anregend, bei aller Detailliertheit der Betrachtung von Phytotherapie und Arzneipflanzen sich an systemische Gesichtspunkte immer wieder zu erinnern. Dieses Symposium will zu einer notwendigen pluralistischen Betrachtung von Phytotherapie beitragen.
Literatur 1 De Smet PA:Herbal remedies.N Engl J Med 2002; 347:2046–2056. 2 Saller R, Reichling J, Hellenbrecht D: Phytotherapie. Klinische, pharmakologische und pharmazeutische Grundlagen. Heidelberg, Haug, 1995.
2
3 Saller R, Reichling J: Phytotherapie; in Melchart D, Brenke R, Dobos G, Gaisbauer M, Saller, R (Hrsg): Naturheilverfahren – Leitfaden für die ärztliche Aus-, Fort- und Weiterbildung. Stuttgart, Schattauer, 2001, pp 180–230.
Forsch Komplementärmed Klass Naturheilkd 2003;10(suppl1):1–2
4 WHO Monographs on Selected Medicinal Plants. Geneva, World Health Organization, 1999, Vol 1. 5 WHO Monographs on Selected Medicinal Plants. Geneva, World Health Organization, 2002, Vol 2.
Saller/Melzer
Tagungen und Kongresse · Meetings and Conferences Forsch Komplementärmed Klass Naturheilkd 2003;10(suppl1):3–8
Von Schweizer Kräutern zum globalen Pflanzenreich und individueller Anwendung – eine biographische Annäherung an Alfred Vogel J. Melzer Abteilung Naturheilkunde, Universitätsspital Zürich, Schweiz
Schlüsselwörter Alfred Vogel ⋅ Lebensreform ⋅ Frischpflanzenpräparate ⋅ Phytotherapie ⋅ Natürliche Ernährung ⋅ Medizingeschichte
Key Words Alfred Vogel · Natural hygiene movement · Fresh plant preparations · Phytotherapy · Natural nutrition · Medical history
Zusammenfassung Hintergrund: 100 Jahre nach Alfred Vogels Geburt existieren kaum verlässliche Daten über seinen Berufsweg als nicht-ärztlicher Therapeut auf den Gebieten Natur- und Pflanzenheilkunde. Fragestellung: Welche Dokumente sind über A. Vogel vorhanden, welche Tatsachen belegen sie für seinen Werdegang und welche Interpretationen seines Verständnisses von Phytotherapie ermöglichen sie? Material und Methoden: Nach der üblichen medizinhistorischen Arbeitsweise (Heuristik, Kritik, Interpretation) wurden Bild-, Ton- und Schriftdokumente aus dem A. Vogel Museum und A. Vogel Verlag in Teufen, der A. Vogel-Sammlung im Heimatmuseum in Aesch und der Firma Bioforce in Roggwil untersucht. Ergebnisse: Alfred Vogel ist von 1923 bis 1932 als Kolonialwarenhaus- bzw. Kräuter- und Reformhausbesitzer in Basel, Bern, Zürich und Solothurn tätig. Der wirtschaftliche Erfolg seiner Reformhäuser und sein wachsendes Interesse an naturheilkundlichen Fragen ermöglichen ihm 1933 die Ausbildung zum «Naturarzt» und die entsprechende Anerkennung der «Naturärzte-Vereinigung der Schweiz». Ab 1935 ist er im eigenen «Diät-Kurhaus Vogel» in Trogen als «Ernährungstherapeut» tätig, stellt aber auch Pflanzenpräparate in seinem «Laboratorium Bioforce» her. Von 1937 bis 1957 arbeitet er als Therapeut und Hersteller von Frischpflanzenpräparaten in Teufen. Ab 1958 bereist er alle Kontinente der Erde, um Sitten und medizinische Gebräuche verschiedener «Naturvölker» zu beobachten. Seine Feststellungen schreibt er in Artikeln seiner Zeitschrift «Gesundheits-Nachrichten» und Büchern nieder. Erkenntnisse über Pflanzenanwendungen in anderen Kulturen setzt er bei der Produktion entsprechender Pflanzenzubereitungen in seiner Firma um. Um die steigende Nachfrage nach seinen Produkten zu garantieren, gründet er 1963 die «Bioforce AG» und beteiligt sich bis in die 1990er Jahre immer wieder an der Anpassung der Rezepturen an die jeweiligen medizinisch-pharmazeutischen Standards. Schlussfolgerungen: Durch seine Tätigkeit als «Naturarzt» wird A. Vogel einer der bekanntesten nicht-ärztlichen Therapeuten der Schweiz des 20. Jahrhunderts. Mit Publikationen über sein gesammeltes volks-, natur- und pflanzenheilkundliches Wissen in laienverständlicher Art trägt er zur Popularisierung und Tradierung auf dem Gebiet der Naturheilkunde bei, was zusammen mit der Entwicklung von Frischpflanzenpräparaten die Phytotherapie fördert.
Summary From Swiss Herbs to the Global Plant System and Individual Use – A Biographic Approach to Alfred Vogel Background: Even 100 years after the birth of Alfred Vogel there is a lack of reliable data about his life as a non-doctoral therapist in the fields of naturopathy and phytotherapy. Objective: Which documents about A. Vogel do exist, which facts do they prove about his career and which interpretations of his point of view of phytotherapy do they allow. Materials and Methods: With the methods in medical history (heuristic, critic, interpretation) video, audio and written documents from the A. Vogel Museum and A. Vogel publisher in Teufen, the A. Vogel collection in the Museum in Aesch and the Bioforce AG in Roggwil have been examined. Results: From 1923 to 1932 A. Vogel runs a grocer’s shop or a herb and healthfood store in Basel and later Bern, Zürich and Solothurn. The economic success of his health-food stores and his interest in the field of naturopathy enable him to take part in a training to become a ‘natural doctor’ and in 1933 he is registered by the ‘Natural Doctors Association of Switzerland’. From 1935 on he is working as a nutritionalist in his own spa pension in Trogen and produces plant extracts in his ‘Laboratory Bioforce’. From 1937 to 1957 he has a spa hotel in Teufen and is producer of extracts from fresh plants. He is able to travel all continents of the world from 1958 on, in order to observe customs and medical habits of different tribes. He writes about his findings in his own magazine and books. His knowledge about the usage of herbs in different cultures inspires his production of herbal extracts in his company. In 1963, to meet the increasing sales of his products, he founds the «Bioforce AG» where he, until the early 1990s, takes part in the adjustment of the recipes to the new pharmaceutic-medical standards. Conclusion: Because of his work as a ‘natural doctor’ A. Vogel becomes one of Switzerland’s best known non-doctoral therapists in the 20th century. The publication of his collected wisdom in a lay-like language is a contribution to the tradition and popularity in this field through which, as well as through the development of extracts from fresh plants, he becomes a promoter of phytotherapy.
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Dr. med. Jörg Melzer Abteilung Naturheilkunde Universitätsspital Zürich Rämistr. 100, CH-8091 Zürich Tel. +41 1 255–24 60, Fax -43 94 E-mail
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Alfred Max Vogel (1902–1996), einer der bekanntesten nichtärztlichen Therapeuten der Schweiz, wurde am 26.10.1902 in Aesch bei Basel (Schweiz) geboren (Tab. 1). Neben seiner Mutter, einer Hausfrau, und seinem Vater, einem Coiffeur und Bader, besteht die Familie aus einem älteren Bruder und zwei Schwestern, über die nichts Näheres bekannt ist. Durch die Kenntnisse seines Vaters und seiner Grossmutter, einer Kräuterkundigen, erfährt Alfred Vogel als Kind einiges über die Pflanzen- und Tierwelt im Baseler Land, wo er aufwächst. Auf ausgedehnten Spaziergängen mit seinem Vater lernt er verschiedene Pflanzen kennen, bevor er lesen und schreiben kann [1, S. 146; 2, S. 188]. Beim Kräutersammeln gibt ihm sein Vater Pflanzen zum Probieren, wodurch er erste Erfahrungen mit ihrer Wirkung macht. A. Vogel spricht davon, dass das «Kräuterlager» auf dem Speicher seines elterlichen Hauses für ihn eine «Heilkräuterapotheke» gewesen sei, die sein «ganzes unerschütterliches Vertrauen gefangen» nahm [1]. Seine Schulzeit verbringt er in Therwil und beginnt danach offenbar eine kaufmännische Ausbildung. Entsprechende Hinweise stammen aus dem Eintrag «commerçant» im Reisepass der Schweizerischen Eidgenossenschaft von 1927 und dem Eintrag «Kaufmann» in seinem «Fahrausweis Bewilligung zum Fahren mit Fahrrädern» des Kanton Bern aus dem Jahr 1931.1 Für die Aussage, dass er 18-jährig ein Reformhaus in Basel geleitet habe [3, S. 5], gibt es bislang keine Bestätigung. Jedoch finden sich Belege für sein erstes Geschäft ab Januar 1923: das «Kolonialhaus Helios’» in der Jurastrasse 1 in Basel.2 Bereits ein Jahr später bezeichnet Vogel sein Geschäft in einem Inserat kurz als «Spezialgeschäft für Naturheilkunde», dann aber als «Kräuter-Drogerie und Reformhaus». Zu seinem Warensortiment gehören ab 1923: Alpenkräuterseife, Arnikaseife, Farnkrautseife, Alpenkräuter-Haarwasser, Brennnessel-Haarwasser, Birken-, Melissen-, oder Wunderbalsam, Heilerde, Po-Ho-Bonbons, Biberwell-, Alpenwegerich-Bonbons, Oleum menthae jap., Wachholdergeist, Pfefferminzgeist, Kamillengeist, Nervenkraftwein, Wachholderbeersaft, Nussella, Speiseöl, Rohzucker, Ceylontee und Teedrogen wie Alpenwegerich, Hagenbuttenkerne, Isländisch Moos, Weiskleeblüten.3 Daneben vertreibt er unter seinem eigenen Markennamen, «Avoba» (A. Vogel, Basel) [4], Produkte wie z.B.: Avoba-Kaffee, Avoba-Haferflocken, Avoba-Feigensirup, Avoba-Rohreis, Avoba-Shampoo, Avoba-Bananen-Cacao.4 Diese Warenauswahl aus seinem «Kräuter-Reformhaus» lässt ein Warenpotpourri erkennen, das sich aus wirklichen Kolonialwaren, wie Kakao und Ceylontee, aber auch Kräuterprodukten zusammensetzt, die viel eher mit Alfred Vogel assoziiert werden. Jedoch gehört die Beschäftigung mit Schweizer Kräutern zu diesem Zeitpunkt noch nicht zum Schwerpunkt seiner Tätigkeit. Vogel bewirbt sein Geschäft nachweislich ab 1924 beständig in der schweizerischen Presse. Dabei verwendet er synonym mehrere Bezeichnungen: In den Jahren 1924–1926 ist in den Annoncen meist vom «Kräuter- und Reformhaus A. Vogel»
4
Forsch Komplementärmed Klass Naturheilkd 2003;10(suppl1):3–8
die Rede, ab Herbst 1926 taucht auch die Bezeichnung «Spezialgeschäft für Lebensreform A. Vogel» auf, die er ab 1928 regelmässig verwendet.5 Die unterschiedlichen Geschäftsnamen stören seinen wirtschaftlichen Erfolg keineswegs: Der Jahresumsatz des «Kräuter-Drogerie und Reformhauses» steigt von CHF 83 925,80 im Jahr 1926/27 auf CHF 155 124,58 im Jahr 1928/1929.6 Diese beinahe Verdoppelung des Umsatzes erlaubt ihm weiter zu expandieren und Ende 1929 erfolgt ein Um- und Neubau des Lagers für das Reformhaus.7 Reformhäuser sind im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts eine verbreitete Geschäftsidee. 1900 verwendet Carl August Heynen erstmals den Begriff «Reformhaus» für sein Kauf- und Versandhaus in Norddeutschland [5, S. 12; 6, S. 94), 7, S. 113]. Bereits 1909 bilden zirka ein Dutzend Reformhausbesitzer in Koblenz am Rhein die «Vereinigung Deutscher Reformhausbesitzer» [6] und um 1925 gibt es schätzungsweise 200 Reformhäuser in Deutschland [5]. Hinter den Reformhäusern als einer Kaufhausvariante im Zeitalter der Industrialisierung steht die so genannte «Lebensreform», eine informelle soziale Bewegung. Der Begriff «Lebensreform» findet sich bereits im Untertitel der 1890 erstmals in Dresden erscheinenden Zeitschrift «Die Volksgesundheit. Monatsschrift der Arbeitervereine für Gesundheitspflege, Lebensreform, Freikörperkultur, Heilkunde und Kleingartenwesen im Verband Volksgesundheit». Die Protagonisten der thematisch und inhaltlich variationsreichen «Lebensreformbewegung» verteilen sich z.B. auf die Gebiete: Antialkoholismus, Bodenreform, Gartenbau, Nacktkultur, Naturheilkunde, Siedlungswesen, ihre ideologische Orientierung ist dabei sehr unterschiedlich, z.B. eugenisch, moralisch, naturromantisch, religiös, volksgesundheitlich, völkisch. (Weitere Beispiele von Organisationen, die mit dem Ziel gegründet wurden, bestimmte Bereiche des Lebens zu reformieren, sind: 1869 Deutscher Verein für naturgemäße Lebensweise, 1883 Deutscher Verein gegen den Missbrauch geistiger Getränke, 1888 Deutscher Bund für Bodenbesitzreform, 1902 Deutsche Gartenstadt Gesellschaft, 1906 Deutscher Bund für Lebensreform, 1908 Internationale Vegetarier Union.) Die Reform des Lebens, die die verschiedenen Richtungen dieser Bewegung auf unterschiedliche Wege erreichen wollen, wendet sich ab von «zu grosser Zivilisation» und hin zu einer «naturgemäßen Lebensweise». Vogels Übereinstimmung mit Zielen dieser Protestbewegung, wie die Orientierung des Lebens an der Natur, wird in seiner ersten programmatischen Schrift mit dem Titel «Kleiner Wegweiser für Lebensreform» (1926) deutlich. Für diese Schrift
1
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Archiv: A. Vogel GmbH, Teufen (AAVGT), Dokumente: Reisepass, Fahrausweis. AAVGT, Journal-Buch 1923, S. 1, und Fakturen 1923, Quittung vom 08.12.1923. AAVGT, Fakturen 1923, S. 186-192. AAVGT, Inserate-Buch, Anzeige im «Baselstab» vom 26.05.1924. AAVGT, Inserate-Buch. AAVGT, Bilanz-Tabellen A. Vogel Basel, S. 1. AAVGT, Bauplan 1929.
Melzer
Tabelle 1. Kurzbiographie von Alfred Vogel 26.10.1902 1920er Jahre 1923–1932 ca. 1924 1926 1927 1929 1929–1931 1933 1935 1937 1941–1942 1943–1996 1942–1950 1943–1944 1948 1952 1953 1955 1958–1959 1960 1963 1969 1973 1974 1976 1979 1980 1982 1983 1984 1987 1990 1991 01.10.1996
geboren in Aesch bei Basel; Mutter: Hausfrau; Vater: Friseur, Bader; 3 Geschwister Schule in Therwil; kaufmännische Lehre leitet ein Kräuter- und Reformhaus in Basel Prägung des Markennamens «Avoba» (A. Vogel, Basel) Buchpublikation: «Kleiner Wegweiser für Lebensreform» im eigenen «Avoba-Verlag», Basel Hochzeit mit Sophie Sommer (1901–1982), Lehrerin 1928 Geburt der Tochter Ruth (†1994) Geburt der Tochter Maya Herausgabe der Monatszeitschrift «Das Neue Leben» im gleichnamigen Verlag in Basel Umzug nach Speicher; Geschäftsführer und Präsident der dortigen «Reformhaus-Gesellschaft»; Anerkennung als «Naturarzt» durch die «Naturärzte-Vereinigung der Schweiz» (NVS), Referent der NVS betreibt als «Ernährungstherapeut» in Trogen das «Diät-Kurhaus Vogel» und das «Laboratorium Bioforce»; Buchpublikation: «Die Nahrung als Heilfaktor» Kauf eines ehemaligen Kinderheims am Hätschen/Teufen; es dient als Wohn-, Kur- und Kinderheim unregelmässige Herausgabe der «Gesundheits-Nachrichten» (GN) Herausgeber der GN als Monatszeitschrift (ab 1996 herausgegeben von seiner Frau) Erweiterungsbauten am Hätschen einer der Redakteure von «Die Naturheilkunde. Schweiz Zeitschrift für naturgemässe Lebens- und Heilweise» Buchpublikation: «Harmonisches und unharmonisches Geschlechtsleben» Buchpublikation: «Der kleine Doktor» Gründung der Firma «A. Vogel Biologische Heilmittel GmbH» Gründung der Firma «Biosan GmbH» in Kraillingen bei München Gründung der «Bioforce GmbH», Teufen Reise durch Nord-, Zentral- und Südamerika Buchpublikation: «Die Leber als Regulator der Gesundheit» Gründung der Firma «Bioforce AG» in Roggwil/Thurgau Reise nach Afrika Buchpublikation: «Gesundheitsführer durch südliche Länder, Subtropen, Tropen und Wüstengebiete» Kündigung der Mitgliedschaft in der «Internationalen Gesellschaft für Nahrungs- und Vitalstoff-Forschung» Einweihung des Heimatmuseums in Aesch mit einer kleinen Sammlung über A. Vogel Reise nach Australien, Neuseeland, Tasmanien Mitglied der «International Academy of Biological Medicine», USA Ehrung mit der Priessnitz-Medaille der «Deutschen Heilpraktikerschaft» Buchpublikation: «Die Natur als biologischer Wegweiser»; Hochzeit mit Denise Rütimann, Sekretärin Ehrenmitglied der «Schweizerischen Ärztegesellschaft für Erfahrungsmedizin» (SAGEM); Gründung der «A. Vogel-Stiftung» Buchpublikation: «Krebs – Schicksal oder Zivilisationskrankheit» Rückzug vom aktiven Geschäftsleben Gründung des «Alfred-Vogel-Museums» in seiner ehemaligen Wohn- und Arbeitsstätte in Teufen gestorben in Feusisberg
verfasst die Lehrerin Sophie Sommer, die ein Jahr später seine Frau wird, das Vorwort und einige Gedichte. Ihrer Meinung nach «möchte diese kleine Broschüre ... den Weg beleuchten ... zu widerstandsfähiger, kräftiger Gesundheit.» Dies sei notwendig, wie sie zeitkritisch anmerkt, um «in der heutigen schweren Zeit den Kampf gegen die finsteren Mächte und den Aufstieg nach Empor um vieles zu erleichtern.» Die Möglichkeit dazu biete die Broschüre mit «Aufklärung», die «Irrtum, Täuschung und Betrug» aufdecken und zum «Handeln anregen» soll [8, S. 3]. Alfred Vogel, der sich in dieser Schrift als «Ernährungstherapeut» bezeichnet, spricht fast ausschliesslich über verschiedene Aspekte der Ernährung. Er warnt vor dem «Gespenst im 20. Jahrhundert», das «überall ... seine Opfer» fordere [8, S. 5 f.] und das «ein Kind der modernen Lebensmittelindustrie» sei [9]. Dieses Gespenst ist für ihn die «heutige Nahrungsmittelindustrie», durch deren «chemisch-mechanische Präpara-
tionsprozesse» die Nahrung ihrer «Vitamin- und Komplettstoffe» beraubt werde. Daher rät er dem Leser, in Anlehnung an die Worte Jean-Jacques Rousseaus «kehre zurück zur Natur», jedoch nach Vogels ureigener Interpretation, «vor allem zu den reinen unverfälschten Naturprodukten». Diese Rückkehr zum «Reinen, Naturgemässen» heisst bei ihm, ganz praxisbezogen, zurück «zum Vollkornbrot, den Vollkornteigwaren, dem Vollreis (Rohreis genannt) mit dem gelblichen Silberhäutchen, dem unraffinierten, kalk- und eisenhaltigen, braunen Rohrzucker» [9, S. 7 f.]. An der Argumentation von Vogel fällt auf, dass er weltanschauliche Aspekte wie «zurück zur Natur» mit neuesten naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, z.B. den erst seit 1912 so benannten Vitaminen und seinen eigenen wirtschaftlichen Interessen verbindet. Seine Überzeugung über die Notwendigkeit einer «natürlichen Nahrung» basiert darauf, «Naturprodukte in möglichst unveränderter Form» zu essen und in diesem Zusammenhang
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Abb. 1. Titelseite der Erstausgabe von Vogels Zeitschrift «Das Neue Leben» 1929;1. Heimatmuseum Aesch, Sammlung A. Vogel.
Abb. 2. A. Vogel beim biologischen Landbau, Teufen (ca. Ende 1930er Jahre). Bildarchiv, Bioforce AG, Roggwil.
spricht er auch von «Vollwertigkeit » [9, S. 15, 20] und in den 1940er Jahren von «vollwertiger Nahrung» [10]. Da das erklärte Ziel von Vogel die Aufklärung der Menschen ist, und er ihnen quasi eine Anleitung zur «Selbsthilfe» geben möchte, organisiert er die Herstellung und übernimmt den Vertrieb von Vollkornbrot und Vollkornteigwaren. Nach der Erweiterung seines Geschäfts in Basel sucht er in anderen Städten der Schweiz «Depots», um dort Stellen für den Handel mit «unverfälschten Naturprodukten und hygienischen Nährmitteln» zu eröffnen.8 Ab den 1930er Jahren unterhält er auch in Bern, Solothurn9 und Zürich10 ein «Reformhaus Vogel». Die Geschäfte in Basel und Bern besitzt er sogar bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts.11 Alfred Vogel greift 1929 die Idee des Züricher Arztes Maximilian Bircher-Benner auf, der 1923 die Zeitschrift «Der Wendepunkt» gründete, und begründet in Basel den Verlag und die gleichnamige Zeitschrift «Das Neue Leben», um lebensreformerische Gedanken zu popularisieren. Schon das Titelbild der Zeitschrift verkörpert das Thema der Lebensreformer: der wohlproportionierte Mensch, kaum von den Ketten der Zivilisation befreit, zum Aufbruch bereit, strebt dürftig bekleidet – damit Licht und Luft an seine Haut gelangen – dem neuen Leben entgegen (Abb. 1). Zu den Abonnenten der Zeitschrift zählen neben Privatpersonen und «Naturärzten», z.B. Besitzer von Reformhäusern, Pensionen und Hotels in der Schweiz, der «Verein für Volksgesundheit» in Bern oder die «Naturheilvereine» in Brünn, Zürich und Wien.12 Doch im Rahmen der Weltwirtschaftskrise wendet sich Vogel Anfang 1932 an seine Leser und resümiert: «Wie so vieles anderes, von grossen Idealen getragen, musste auch ‹Das Neue Leben› unter der Ungunst der Zeit leiden.» Er stellt das Erscheinen der Zeitschrift mit Bedauern
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ein und hofft, dass seine Leser in der Zeitschrift «Der Wendepunkt», mit der er fusionieren will, einen «Helfer und Freund» finden [11, S. 235]. Doch In der Folgezeit kommt es weder zur Fusion der Zeitschriften, noch ist Vogel Mitautor des «Wendepunktes».13 Wenn für Vogel anfangs die Beratung über und der Verkauf von Reformprodukten im Vordergrund stehen, so wird er von seinen Kunden zunehmend wegen seiner Kenntnisse über die Anwendung mitteleuropäischer Heilpflanzen geschätzt. Da sein Interesse an der therapeutischen Anwendung seines Wissens wächst, zieht er 1932/33 in das Appenzellerland nach Speicher, wo die gesetzlichen Massgaben für eine naturheilkundliche Tätigkeit liberaler sind. Dort wird er einerseits der Präsident der «Reformhaus-Gesellschaft»,14 bereitet sich aber auch auf die Anerkennung als «Naturarzt» vor, die er im Februar 1933 von der «Naturarzt-Vereinigung der Schweiz» (NVS) erhält.15 Bei der NVS tritt er selbst auch als Referent und Kursleiter auf, wobei sein Themenschwerpunkt nach wie vor bei der Ernährungstherapie liegt. In den Jahren 1933/34 besucht er naturheilkundliche Fortbildungen in der Schweiz und in Süddeutschland.16 Wegweisend für seine spätere Tätig-
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AAVGT, Inserate-Buch, Anzeige im Christlichen Volksfreund vom 18.10.1925. AAVGT, Ausgaben-Buch, Empfangsschein vom 30.01.1931. AAVGT, Journal-Buch 1930, Einzahlungsbeleg vom 04.06.1930. AAVGT, Reformhäuser, Buchhaltungen 1963/64. AAVGT, Postcheck-Kontrolle, Verlag: «Das Neue Leben» 1929, S. 2-10. Der Wendepunkt 1932;9 – 1942;19. Nachlass A. Ruf: Vogels Genossenschaftsanteil an der Reformhaus-Gesellschaft vom Januar 1933. AAVGT, Mitglieds-Urkunde vom NVS vom Februar 1933. AAVGT, Hörer-Bescheinigungen: vom «Privatgelehrten Curt Schroeter» vom 14.05.1933, vom NVS vom 23.10.1933, 07.05.19934 und 05.11.1934.
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keit scheint hierbei der Kurs bei der NVS vom November 1934 über die «praktische Herstellung der meistgebräuchlichen Naturheilmittel» zu sein. Mit den neuen Kenntnissen über schulmedizinische und naturheilkundliche Gebiete nimmt er, soweit belegbar, ab 1935 seine therapeutische Tätigkeit im Rahmen von Kur-Behandlungen im «Diät-Kurhaus und Kinderheim Vogel» in Trogen bei St. Gallen auf. Ferner beschäftigt er sich mit der Herstellung von «Naturheilmitteln» im eigens dafür eingerichteten «Laboratorium Bioforce» [12, S. 252/110]. Auch zu dieser Zeit setzt er sich noch besonders für eine naturbelassene Ernährung ein, wie das 1935 erschienene Buch «Die Nahrung als Heilfaktor» [12] und sein anhaltendes Selbstverständnis als «Ernährungstherapeut» nahe legen. Die Forderung nach «naturreinen, biologischen Nahrungsmitteln» hält er zeitlebens aufrecht [13, S. 183]. Im Jahr 1937 kauft er in Teufen das Grundstück «Hätschen» samt einem Gebäude,17 das ihm und seiner Familie als Wohnhaus dient und Raum für 15 Kurgäste bietet. Auf den anliegenden Bergwiesen ist er selbst landwirtschaftlich tätig (Abb. 2) und baut für seine Kurgäste Obst und Gemüse sowie Heilpflanzen an. Dabei beachtet er die Regeln des biologischen Gartenbaus und schreibt und referiert darüber [4]. Der wirtschaftliche Erfolg seiner Reformhäuser und des «Kurund Kinderheims Vogel» ermöglicht es ihm in Teufen zwischen 1942 und 1950 ein separates Wohnhaus und ein eigenes Produktionsgebäude zu errichten, um nun in grösserem Umfang aus Heilkräutern Frischpflanzenpresssäfte zu gewinnen. Die Herstellung von Frischpflanzensäften beruht auf zweierlei Grundlagen: Zum einen auf Vogels Erfahrung, dass Presssäfte aus frischen Pflanzen besser wirken sollen als Zubereitungen aus der Droge (getrocknete Heilpflanze) [14]. Zum anderen auf seiner Auffassung von der Natur: Sein Naturverständnis ist geprägt von einem tiefen religiösen Glauben an die Schöpfungsgeschichte und «Jehova», weshalb er davon überzeugt ist, dass alles aus der unversehrten Natur gut sei [15, S. 688]. Die Natur «mit ihren Reaktionen, mit ihrer eigen Heilkraft und auch die Naturmittel» haben für Vogel eine Beständigkeit, die vom Menschen genutzt werden sollte, um das natürliche Geschehen selbst zu unterstützen [16, S. 9]. In den Schriften von Alfred Vogel finden sich oft Hinweise auf seine Religiosität. Bereits in seiner ersten lebensreformerischen Schrift von 1926 hatte er einen Bibelspruch aus dem Buch Moses als Motto auf dem Titelblatt gewählt. Thematisch beinhaltet dieser Spruch, das Gott dem Menschen «samenbringendes Kraut ... und samenbringende Baumfrucht» gibt, die ihm Speise sein soll. Vogel selbst bestätigt fast 60 Jahre später, dass er sich bereits «als junger Mensch» an der Schöpfungsgeschichte orientierte [17, S. 683]. Dabei greift er immer wieder das Bild auf, dass die Pflanze dem Menschen sowohl Nahrung als auch Heilmittel sei. Er personifiziert die Heilpflanzen als «Freunde» des Menschen, die ihn «nie im Stich» lassen [16, S. 24]. Ferner ist sein Glaube, genauer gesagt der Gedanke, dass «Gehorsam den göttlichen und biologischen
Gesetzen gegenüber ... Leben Glück und Freude» bringe, die Motivation für seine unermüdlichen Tätigkeiten [17, S. 682]. Eine wichtige Aufgabe bleibt für Vogel zeitlebens die Verbreitung seines Wissens durch Vorträge, seine Bücher und die Zeitschrift «Gesundheits-Nachrichten», die ab 1944 monatlich im eigenen Verlag erscheint. Sein Sendungsbewusstsein wird geleitet von dem Grundsatz: «Wer da weiss Gutes zu tun und tut es nicht, dem ist es Sünde.» Sätze dieser Art sind für ihn «Kraft … und … Verpflichtung» zugleich [17, S. 678]. Seine Vortragstätigkeit über naturheilkundliche Themen weitet er immer mehr aus und spricht beispielsweise allein im Februar 1950 neun Mal in Österreich und der Schweiz über Themen wie: «So heilt die Natur», «Die Kunst des Essens», «Wie werde und bleibe ich gesund mit einfachen und natürlichen Hilfsmitteln». Von seiner Mentalität her liegt es ihm am Herzen, in Kontakt mit «dem kleinen Mann» zu bleiben. Dies gelingt ihm nicht nur durch seine leutselige Art, sondern auch mit seinem 1952 erschienenen Buch «Der kleine Doktor» [18]. Darin wendet er sich direkt an den Leser und führt ihn auf laienverständliche Art durch ausgewählte Aspekte der «schweizerischen Volksheilkunde», wie er sagt. Nachdem Alfred Vogel bis 1957 in Teufen als «Naturarzt» tätig ist, zieht es ihn ab 1958 beständig in die Ferne, nachdem er schon 1950 in New York gewesen ist [18, S. 331]. (Von 1957 bis 1982 übernimmt der «Naturarzt» Willi Reimelt die Naturheilpraxis und Produktion von Naturheilmitteln in Teufen.) Vogels Interesse an der Pflanzenwelt auf anderen Kontinenten, den Sitten und Traditionen von Naturvölkern und der Frage, ob die Menschen dort auch an so genannten «Zivilisationskrankheiten» erkranken, bringt ihn zuerst nach Süd-, Mittel- und Nordamerika. In Tarapoto (Peru) erwirbt er 1958 eine Farm und ist eine zeitlang im Landbau tätig [3, S. 10]. Nach dem Verkauf der Farm reist er durch Mittelamerika und spricht als Redner über Themen der naturheilkundlichen Lebensweise. Während dieser Zeit lernt er von den Sioux Indianern die ihm bis dahin unbekannte Pflanze Echinacea purpurea, den Sonnenhut, und dessen äussere Anwendung bei kleineren Verletzungen kennen. Alfred Vogel bekommt Pflanzensamen vom Häuptling Ben Black Elk geschenkt und baut den Sonnenhut schliesslich in Teufen an (Vogel selbst spricht meist vom Häuptling Black Eagle [19], aber eine private Recherche von Gerda Sörensen in den USA ergab, dass es sich um den Häuptling Black Elk handelt [20]). Gelegentlich gibt Vogel einen Überblick über sein gesammeltes Wissen über Heilpflanzen in anderen Kulturen. So berichtet er z.B. über den Gebrauch von Cactus grandiflorus bei amerikanischen Indianern («Herzstärkungsmittel»), Yucca bei brasilianischen Indianern (Arthritis, Gicht), Luffa purgans in Kolumbien (Sinusitis), Carica papaya (Darmparasiten) oder Lapacho-Rinde in
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AAVGT, Ordner: A. Vogel GmbH, Dauerakten, Grundbuch-, Handelsregisterauszug.
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Uruguay («Geschwulsterkrankungen») [21]. Ab den 1970er Jahren benutzt er häufiger den Begriff «Phytotherapie» [2, S. 190] und bezeichnet sich später auch als «Phytotherapeut» [14]. Trotz seiner langen Reisen, auf denen ihn seine Tochter Ruth als Photographin und seine Frau Sophie begleiten, gelingt es ihm, «Kontakt» zu Interessierten über seine Monatsschrift «Gesundheits-Nachrichten» aufrecht zu erhalten, die er, wie seine Bücher, seit 1944 im eigenen Verlag herausgibt. Die nach seinen Rezepten hergestellten Arznei- und Heilmittel finden steigenden Absatz, weshalb er 1955 in Teufen die «Bioforce GmbH» und schliesslich 1963 in Roggwil die «Bioforce AG» gründet, um dort in einem modernen Neubau die Produktion auszuweiten. Bis in die 1990er Jahre beteiligt er sich an der Anpassung der Rezepturen der FrischpflanzenPräparate an die aktuellen pharmazeutischen und medizinischen Standards. Mit der Gründung der «A. Vogel-Stiftung» 1984 schafft er eine Grundlage für die Förderung von Arbeiten über traditionelle Pflanzenheilkunde und wissenschaftliche Phytotherapie, wie dies seit 1997 durch die Verleihung des «Alfred Vogel-Preises» geschieht. Neben seinem Bekanntheitsgrad in Laienkreisen ist wenig über Vogels aktives Engagement in Fachgesellschaften oder Organisationen bekannt. Auf der Ebene von Standesorganisationen ist neben seiner Mitgliedschaft im «Naturärzte-Verein der Schweiz» die Anerkennung seiner naturheilkundlichen Tätigkeit von Seiten der «Deutschen Heilpraktikerschaft», durch die Ehrung mit der «Priessnitz-Medaille» im Jahr 1982
zu erwähnen. Darüber hinaus ist er bis 1974 Mitglied der «Internationalen Gesellschaft für Nahrungs- und VitalstoffForschung», einer eher rechtskonservativen Vereinigung [22], die auf den Gebieten Vollwerternährung, Lebens- und Umweltschutz aktiv ist.18 1980 wird er Mitglied der eklektisch-naturheilkundlich orientierten «International Academy of Biological Medicine», um den Arzt Paavo Airola in den USA und 1984 Ehrenmitglied der «Schweizerischen Ärztegesellschaft für Erfahrungsmedizin» (SAGEM). Durch seine Tätigkeit als Redner, Schriftsteller, «Naturarzt» und Unternehmer bewahrt Alfred Vogel tradiertes Wissen über Heilpflanzenkunde sowie Naturheilkunde [23]. So wird er einer der bekanntesten nicht-ärztlichen schweizerischen Therapeuten auf diesen Gebieten im 20. Jahrhundert und damit ein Förderer dessen, was wir heute Phytotherapie nennen.
Dank Mein Dank für den Zugriff auf die Bild-, Ton- und Schriftdokumente gilt Herrn Brägger, Frau Roller, Herrn Ruf, Herrn Umbricht, Herrn Vetter und Frau Zehnder.
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AAVGT, Ordner: Korrespondenz von und an Dr. A. Vogel ab 1.7.1973, Brief vom 13.03.1974 von A. Vogel an S. Klein. Vogel kündigt, weil er «so viel ’Gescher’ so wenig Wollen» nicht länger unterstützen kann.
Literatur 1 Vogel A: Der Schnee von 60 Wintern. Gesundheits-Nachrichten 1962;19:146–148. 2 Vogel A: Von Menschen und Pflanzen. Gesundheits-Nachrichten 1972;29:188–190. 3 Schindler I, Umbricht C, Zehnder I: Alfred Vogel 1902–1996. Teufen, A. Vogel, 1996. 4 Vogel A: Biologischer Gartenbau. Die Naturheilkunde 1943;40, Nr. 5:1–3. 5 Altpeter W: Zur Geschichte der Lebensreform. Berlin, neuform-Vereinigung Deutscher Reformhäuser eGmbh, 1964. 6 Karrasch B: Volksheilkundliche Laienverbände im Dritten Reich. Stuttgart, Hippokrates, 1998. 7 Krabbe W: Gesellschaftsveränderung durch Lebensreform. Strukturmerkmale einer sozialreformerischen Bewegung im Deutschland der Industrialisierungsperiode. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 1974. 8 Sommer S: Vorwort; in Vogel A: Kleiner Wegweiser für Lebensreform. Basel, Avoba, 1926.
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9 Vogel A: Kleiner Wegweiser für Lebensreform. Basel, Avoba, 1926. 10 Vogel A: Vorträge. Vollwertige Nahrung als Heilfaktor. Die Naturheilkunde 1944;41, Nr. 9:1. 11 Vogel A: An unsre werten Abonnenten! Das Neue Leben 1932;3:235. 12 Vogel A: Die Nahrung als Heilfaktor. Teufen, Vogel, Faksimileausgabe von 1935, 2000. 13 Vogel A: Ist es möglich, Krebs zu verhüten?; in Vereinigung Wissenschaft, Hygiene, Natur und Gesundheit: 2. Weltkongress der Naturheilkunde. Gossau, Didac, 1977, pp 181–183. 14 Vogel A: Kräutertee; in Weiss RF: Familien TeeLexikon. Brugg, BEA + Poly, 1982, pp 91–92. 15 Vogel A: Die Natur als biologischer Wegweiser. Teufen, Vogel, 1983. 16 Vogel A: Beständigkeit natürlicher Reaktionen, natürlicher Heilmittel und natürlicher Mittel. Gesundheits-Nachrichten 1950;7:9–10. 17 Vogel A: Der kleine Doktor. Hilfreiche Ratschläge für die Gesundheit. 70. überarbeitete Aufl., Teufen, A. Vogel, 1998.
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18 Vogel A: Der kleine Doktor. Eine bunte Zusammenfassung hilfreicher Ratschläge aus der schweizerischen Volksheilkunde, ed 6. Teufen, Bioforce, 1958. 19 Vogel A: Ein Leben im Dienste der Gesundheit. Audio-CD, 2002. 20 Sörensen G: Alfred Vogel in jalanjäljillä Etelä-Dakotassa. Terveydenhoito uutiset 2002;9:4–6. 21 Vogel A: Tees und Heilpflanzen bei fremden Völkern; in Weiss RF: Familien Tee-Lexikon. Brugg, BEA + Poly, 1982, pp 84–88. 22 Melzer J: Vollwerternährung zwischen Diätetik, Nationalsozialismus und sozialem Anspruch (Dissertation). Frankfurt am Main, 2002, p 443. 23 Melzer J, Saller R: Der «Naturarzt» Alfred Vogel (1902–1996), Teil 2: Sozialgeschichtliche Hintergründe seiner beruflichen Tätigkeit. Schweiz Zschr GanzheitsMedizin 2003;15:118–123.
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Tagungen und Kongresse · Meetings and Conferences Forsch Komplementärmed Klass Naturheilkd 2003;10(suppl1):9–12
Geschichte einer Pflanze am Beispiel von Echinacea K. Hostettmann Institut de Pharmacognosie et Phytochimie, Université de Lausanne, Schweiz
Schlüsselwörter Arzneipflanzen · Volksmedizin · Indianer Nordamerikas · Echinacea · Immunsystem, Stimulation
Key Words Medicinal plants · Traditional medicine · Indians of North America · Echinacea · Immune system stimulation
Zusammenfassung Im Vergleich mit anderen Arzneipflanzen hat Echinacea eine relativ kurze Geschichte. Die Pflanze stammt aus Nordamerika und wurde von den einheimischen Indianern verwendet. Erste archäologische Beweise stammen aus dem 18. Jahrhundert. Unter dem Namen Echinacea oder Sonnenhut kommen verschiedene Arten der Asteraceae Familie (Korbblüter) in Frage und zwar Echinacea purpurea (L.) Moench, Echinacea angustifolia D.C. und Echinacea pallida (Nutt.) Nutt. Die überlieferten Anwendungsgebiete durch Medizinmänner reichen von der äusserlichen Behandlung von Wunden, Verbrennungen und Insektenstichen über das Kauen der Wurzeln bei Zahn- und Halsschmerzen, bis zur innerlichen Anwendung bei Schmerzen, Husten, Magenkrämpfen und Schlangenbissen. Die weissen Siedler interessierten sich auch für die Indianerpflanze. Um 1880 gelangen die ersten Echinacea-Präparate auf den Markt als Meyers Blutreiniger mit der Indikation Rheumatismus, Neuralgien und Bisse von Klapperschlangen. Am Anfang des 20. Jahrhunderts war Echinacea die meist verwendete pflanzliche Droge in den USA. In 1939 wurde die Pflanze in Deutschland angebaut. Die Einführung und der Anbau von Echinacea in der Schweiz erfolgten durch A. Vogel gegen 1950. Die Chemiker und die Pharmakologen interessierten sich für Echinacea und viele Inhaltsstoffe sind heute bekannt, unter anderem Polysaccharide, Echinacosid, Cichoriensäure, Ketoalkene und Alkylamide. Die Extrakte zeigen immunstimulierende Eigenschaften und werden hauptsächlich eingesetzt zur Prophylaxe und Therapie von Erkältungskrankheiten und septischen Prozessen. Obwohl über 500 Publikationen über Echinacea erschienen und dutzende von Präparaten auf dem Markt sind, bleibt die Frage über die wesentlichen Wirkstoffe noch offen.
Summary History of a Plant: The Example of Echinacea In comparison with other medicinal plants, the history of use of Echinacea is relatively short. The plant originates from North America and was employed by the indigenous Indians. The first archaeological evidence dates from the 18th century. Included in the name Echinacea or purple coneflower are several species of the Asteraceae family: Echinacea purpurea (L.) Moench, Echinacea angustifolia DC. and Echinacea pallida (Nutt.) Nutt. Information about the use of the plant from traditional healers ranges from external application for wounds, burns and insect bites to the chewing of roots for toothache and throat infections, and internal application for pain, coughs, stomach cramps and snake bites. The interest of white settlers was also drawn to this medicinal plant. The first Echinacea preparation, known as Meyers Blood Purifier, arrived on the market around 1880, with rheumatism, neuralgia and rattlesnake bites as indications. At the beginning of the 20th century, Echinacea was the most frequently used plant preparation in the USA. Commercial cultivation was started in Germany around 1939. The introduction and cultivation of Echinacea in Switzerland by A. Vogel was around 1950. Chemists and pharmacologists became interested in Echinacea and many constituents are now known, such as polysaccharides, echinacoside, cichoric acid, ketoalkenes and alkylamides. The extracts exhibit immunostimulant properties and are mainly used in the prophylaxis and therapy of colds, flu and septic complaints. Although there are over 400 publications concerning the plant and dozens of preparations of Echinacea on the market, the true identity of the active principles still remains open.
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Prof. Dr. Kurt Hostettmann Institut de Pharmacognosie et Phytochimie Université de Lausanne, BEP CH–1015 Lausanne Tel. +41 21 692 45 6-1 Fax -5 E-mail
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Einleitung Am Anfang des dritten Jahrtausends nimmt das Interesse an Arzneipflanzen stark zu. In Europa sind zirka 35% aller Medikamente, die von Ärzten verordnet werden, natürlicher Herkunft und mehr als 50% der rezeptfreien Arzneimittel stammen aus Pflanzen. Die Geschichte der Arzneipflanzen und deren Anwendungen liegt weit zurück, manchmal bis zu 5000 Jahre, wie einige chinesische Arzneibücher bekunden [1]. Obwohl Echinacea (Sonnenhut) eine relativ kurze Geschichte hat im Vergleich mit anderen Pflanzen, gehört der Sonnenhut zu den 10 wichtigsten Drogen im deutschsprachigen Raum. Unter dem Namen Echinacea kommen verschiedene Arten der Korbblüter-Familie in Frage (Asteraceae, syn. Compositae): Echinacea purpurea (L.) Moench (syn. Rudbeckia purpurea L.) oder roter Sonnenhut (Abb. 1) Echinacea angustifolia DC. und Echinacea pallida (Nutt.) Nutt. [2]. Die Gattung enthält noch 6 weitere Arten. Alle Pflanzen stammen aus Nordamerika. Die Verbreitung reicht vom südlichen Teil Kanadas bis zum Golf von Mexiko. Echinacea gehörte und gehört auch heute noch bei vielen amerikanischen Indianerstämmen zum unverzichtbaren Bestandteil der Hausapotheke.
Verwendung von Echinacea bei den Indianern und den weissen Siedlern in Nordamerika Neben der mündlichen Überlieferung durch Medizinmänner liegen auch archäologische Beweise für die Anwendung von Echinacea durch die Indianer Nordamerikas vor. In Nebraska fanden Forscher im Jahre 1936 in einer von einem Stamm der Pawnees zwischen 1772 und 1810 bewohnten Siedlung E.-angustifolia-Wurzeln neben anderen Arzneipflanzenüberresten [2]. Die häufigsten Anwendungsgebiete waren folgende: äusserlich bei Verbrennungen, Wunden und Insektenstichen, kauen der Wurzeln bei Zahn- und Halsschmerzen, innerliche Anwendung bei Schmerzen, Magenkrämpfen, Husten, Erkältungen, Gonorrhoe und Schlangenbissen. Der Saft oder ein Brei von zerquetschten Frischpflanzen (hauptsächlich Wurzeln, aber auch Blätter) wurde verwendet. Wasser-Extrakte und Abkochungen waren selten, aber das Kauen der frischen Wurzeln oder Blätter war sehr verbreitet. Viele Stämme brauchten zur Behandlung verschiedener Krankheiten Echinacea (unter anderem Cheyenne, Dakota, Omaha, Pawnee, Sioux). Die Indikation war mehr oder weniger dieselbe. Die weissen Siedler fanden grosses Interesse an der Wunderdroge der Indianer, insbesondere um Syphilis zu behandeln, wie eine Publikation, die im Jahre 1852 erschien, bescheinigt [3]. Gegen 1880 kam das erste Echinacea-Präparat auf den Markt. Es wurde durch den deutschen Einwanderer H.C.F. Meyer hergestellt und hiess Meyer’s Blood Purifier mit der Indikation Neuralgien, Kopfschmerzen, Vergiftung durch Kräuter und Bisse von Klapperschlangen. Meyer war von der Wirkung seines Mittels sehr überzeugt. 1866 wollte er sich vor den
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Abb. 1. Roter Sonnenhut.
Augen eines Medizinergremiums an der Cincinnati University von einer Klapperschlange beissen lassen, um die Heilkraft von Echinacea zu demonstrieren [2]. Der Antrag wurde abgelehnt, aber einer der Mediziner testete die Pflanze und entwickelte später mit seinem Bruder, der Apotheker war, sein eigenes Präparat (Echinacea der Lloyd Brothers). Damit wurde die Indianerpflanze durch die offizielle Medizin anerkannt und eroberte Amerika.
Einführung von Echinacea in Europa und moderne Forschung Ein erster Bericht über die Verwendung von Echinacea wurde 1897 in Europa publiziert [4]. Die Aufnahme von Echinacea in Dr. Wilmar Schwabes Homöopathisches Arzneibuch erfolgte 1924. 1939 wurde die Pflanze in Deutschland durch G. Madaus angebaut. Er bestellte Samen von E. angustifolia aus den USA und erhielt versehentlich E. purpurea! Bald zeigte sich aber, dass eine Frischpflanzenbereitung daraus sehr wirksam war und so wurde E. purpurea in Europa in die Therapie eingeführt. Der Anbau der Pflanzen in der Schweiz verdanken wir A. Vogel, der sich für Echinacea begeisterte nachdem er in den USA einen Indianerhäuptling getroffen hatte. Nach einer Schnittwunde am Fuss hatte A. Vogel eine schwere Infektion und eine Blutvergiftung. Er schrieb: «… Das ganze Bein band ich mit zerquetschten Blättern ein. Ich kaute viel davon und schluckte den Saft. Ich ass sogar die ganze Pflanze. In kurzer Zeit war die Entzündung und Infektion verschwunden. Nun war ich überzeugt, dass das, was man mir von dieser Pflanze erklärt hatte, wirklich zutraf.» [5] Alle drei Echinacea-Arten wurden phytochemisch untersucht. Weit über hundert Inhaltstoffe wurden isoliert und identifiziert. Es sind Flavonoide, Alkylamide, Polyacetylene, ätherische Öle, Kaffeesäurederivate (z.B. Echinacosid), Polysaccharide und Glykoproteine [6] (Abb. 2). Die Pharmakologen
Hostettmann
OH OH HO
O
HO HO
O
OH O
OH HO
CH
CH
H 3C HO HO
COO O
OH
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CH2
CH2
OH
HOOC
O
OH O O OH
COOH
HO O
Echinacosid
Cichoriensäure
HO O
O N OH H
Abb. 2. Typische Echinacea-Inhaltstoffe.
Dodeca-2E, 4E, 8Z, 10E-tetraensäureisobutylamid Dodeca-2E,4E,8Z,10Etetraensäure-isobutylamid
Echinolon
interessierten sich auch für den Pflanzen-Extrakt und die isolierten Inhaltsstoffe. Zusammenfassend sind folgende Eigenschaften und Wirkungen in vitro und/oder in vivo beobachtet worden: – Induktion einer vermehrten Freisetzung von Granulozyten – Steigerung der Phagozytoserate (durch die Alkylamide) – Erhöhung des Properdin-Spiegels im Serum – Steigerung der Produktion von Immunoglobulin M – Induktion der Bildung von Zytokininen (unter anderem Interferon) (durch die Glykoprotein-Polysaccharidfraktion) – antivirale Wirkung gegen Herpes simplex – fungizide Wirkung (unter anderem gegen Candida-Arten) – Hemmung der Cylooxygenase und 5-Lipoxygenase (durch die Alkylamide) – Ödemhemmende Wirkung (durch die Polysaccharidfraktion) Weitere pharmakologische Eigenschaften, insbesondere von Echinacea purpurea-Frischpflanzenextrakte, werden in der Literatur erwähnt [7]. Die Anwendungsmöglichkeiten von Echinacea sind sehr breit. Gegenwärtig gibt es Dutzende von Spezialitäten zur Steigerung der körpereigene Abwehr, zur Prophylaxe und Therapie von Erkältungskrankheiten, grippalen Infekten und septischen Prozessen, zur unterstützenden Behandlung rezidivierender Infekte im Bereich der Atemwege und der ableitenden Harnwege. Äusserliche Anwendung zur Wundbehandlung bei schlecht heilenden Wunden und entzündlichen Hauterkrankungen. Echinacea sollte nicht angewendet werden bei progredienten Systemerkrankungen wie Tuberkulose, Leukosen, multipler Sklerose, AIDS-Erkrankungen und HIV-Infektion. Interaktionen mit anderen Medikamenten sind bis heute nicht bekannt [6]. Die Dauer der Anwendung sollte nicht länger als 8 Wochen sein. Es gibt klini-
sche Studien, die die Wirksamkeit von Echinacea belegen [7]. Viele Wissenschaftler sind aber der Ansicht, dass der Wirksamkeitsnachweis durch weitere klinische Studien mit verbesserter Methodik dringend erforderlich ist [6].
Geschichte einer Pflanze am Beispiel von Echinacea
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Diskussion Es gibt über 500 wissenschaftliche Publikationen, die sich mit Echinacea befassen und weit über 100 verschiedene Inhaltsstoffe sind identifiziert worden. Die Untersuchungen der Pflanze gehen weiter und es erscheinen immer wieder neue Arbeiten [8]. Trotzdem bleiben zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Frage nach der wesentlichen Wirkstoffkomponente und die Frage nach dem genauen Wirkmechanismus noch offen. Der Gesamtextrakt von Echinacea als anerkanntes Wirkprinzip entzieht sich einer kausal-analytischen Betrachtungsweise [9]. Die Wunderdroge der Indianer Nordamerikas hat noch nicht alle ihre Geheimnisse preisgegeben. Weitere Erforschung von Echinacea ist im Gange und vielleicht wird es eines Tages möglich sein den Wirkmechanismus genau zu kennen. Vielleicht aber auch nie! Vor über 20 Jahren schrieb A. Vogel folgendes: «... Ich bin überzeugt, dass man die Wirkstoffe nicht isolieren kann, denn es handelt sich nicht um einen speziellen Wirkstoff, sondern um die Gesamtheit der Vitalstoffe, die in dieser Pflanze enthalten sind. Denn es gilt ja bei allen Heilpflanzen, dass die Ganzheit aller Wirkstoffe und Begleitstoffe erst den besonderen Effekt ausmacht; bei einer Pflanze mit immunstimulierender Wirkung gilt dies aber im besonderen, weil diese Wirkung ja auch nicht auf ein einzelnes Organ begrenzt werden kann, sondern auf den ganzen Organismus einwirkt.»
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Literatur 1 Hostettmann K: Tout savoir sur le pouvoir des plantes, sources de médicaments. Lausanne, Editions Favre, 1997. 2 Bauer R, Wagner H: Echinacea – Handbuch für Ärzte, Apotheker und andere Naturwissenschaftler. Stuttgart, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, 1990. 3 King J, Newton RS: The Eclectic Dispensatory of the United States. Cincinnati, H.W. Derby & Co, 1852.
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4 Beckurts, H: Die Wurzel von Echinacea angustifolia DC. Apotheker Z 1897;12:816–818. 5 Vogel, A: Der kleine Doktor. Teufen, 70. Auflage, Verlag A. Vogel, 2001. 6 Wichtl, M: Teedrogen und Phytopharmaka – Ein Handbuch für die Praxis auf wissenschaftlicher Grundlage. Stuttgart, 4. Auflage, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, 2002. 7 Falch, B, Weber M: Echinacea-Frischpflanzenextrakte – eine pflanzliche Stärkung der Abwehrkräfte. Phytotherapie 2001;3:25–28.
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8 Binns SE, Hudson J, Merali S, Arnason JT: Antiviral activity of characterized extracts from Echinacea ssp. (Heliantheae: Asteraceae) against Herpes simplex virus (HSV-I). Planta Med 2002; 68:780– 783. 9 Bolli R: Echinacea – Igelkopf aus Amerika – Wie Echinacea aus Nordamerika in europäische Apotheken gelangte. Phytotherapie 2001; 3:18–20.
Hostettmann
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Indikation und Konstitution in der phytotherapeutischen Qualitätenlehre K. Brühwiler Wil, Schweiz
Schlüsselwörter Qualitätenlehre · Konstitution · Phytotherapie · Erkältung
Key Words Qualitative concept · Constitution · Phytotherapy · Cold
Zusammenfassung Die Phytotherapie in ihrer ursprünglichen Form basiert unter anderem auf der Qualitätenlehre. Ausgangspunkt des Konzeptes sind die Begriffspaare: Wärme/Kälte und Feuchtigkeit/Trockenheit. Junge Menschen haben eher eine warme Konstitution, alte Menschen eine kalte. Es gibt aber auch Typ-bedingte Unterschiede. Die Erkrankungen verlaufen in verschiedenen Phasen, eine simple Erkältung z.B. kann ebenfalls in eine kalte und eine warme Phase unterteilt werden. Diese Phasen sollten mit jeweils anderen Mitteln behandelt werden.
Summary Indication and Constitution in the Phytotherapeutic Qualitative Concept In its original form, phytotherapy is based, among other things, on qualitative concept. Starting-point of the concept are the paired terms: warmth/cold and moisture/dryness. Young people tend to have a warm constitution and older individuals a cold constitution. There are, however, type-related differences. Illnesses progress in various phases. A simple cold, for example, can also be split into a cold and warm phase. These phases should be treated separately with different remedies.
Wenn man den Artikeln in den verschiedenen medizinischen Fachzeitschriften Glauben schenkt, so befinden wir uns bei unzähligen Erkrankungen in der Schlussgeraden, d.h. der Durchbruch, die endgültige Therapie zu finden, ist bereits erfolgt oder steht kurz bevor. Dieser Eindruck hängt aber eher mit der psychischen Struktur des Menschen und gewissen Eigenheiten der Naturwissenschaft zusammen, einer Naturwissenschaft nota bene, die uns suggeriert, nur sie sei objektiv. Der Traum vom Glück und von einem paradiesischen Leben ohne Krankheit entspringt jedoch eher der Pharmawerbung als der Realität! Als Arzt sieht man weiterhin Leid und Schwierigkeiten um sich und bemüht sich um eine nüchternere Schau. In der alltäglichen Praxis merkt man nichts davon, dass wir uns auf der
Schlussgeraden befinden sollen. Da ist zum Beispiel die Gruppe der Erkältungs-Krankheiten vom «common cold», also der einfachen Erkältung bis hin zur eigentlichen Grippe, der Influenza. So banal und alltäglich diese Erkrankungen sind, auch da ringt die Medizin nach wie vor um die endgültige Therapie, und zwar sowohl die Schulmedizin als auch die Phytotherapie. Die konventionelle Richtung hat sich bis zu den abschwellenden Nasentropfen, der Substanz Paracetamol und der Grippeimpfung vorgearbeitet. Die Nasentropfen sind im ersten Moment ein Segen aber bei längerem Gebrauch problematisch für die Schleimhaut. Paracetamol kann lebertoxisch sein. Der kritische Punkt der Grippeimpfung sind die sich ständig ändernden antigenen Eigenschaften der Viren. Zudem bestä-
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Dr. med. Klemens Brühwiler Säntisstrasse 13 CH-9500 Wil
Tab. 1. Auswahl von Heilpflanzen mit nachgewiesenen positiven immunologischen Effekten Achillea millefolium Baptisia tinctorum Chamomilla recutita Chinchona succirubra Echinacea purpurea Eupatorium cannabinum Juglans regia Tropäolum majus
Abb. 1. Aus Bulletin 20/02. Bundesamt für Gesundheit. p 348.
tigen die bisher vorliegenden epidemiologischen Daten die Erwartungen nicht. Trotz gesteigerter Durchimpfrate hat die relative Anzahl der Influenza-Verdachtsfälle in der Schweiz in der Saison 2001/02 gegenüber der Vorsaison zugenommen, was auch den volkswirtschaftlichen Nutzen in Frage stellt (Grafik Abb. 1). Der Winter in dem sich die Menschen nicht mehr zuniesen und zuhusten, ist bis anhin blosse Utopie. Auch die Phytotherapie hat diese Utopie bis heute nicht wahr gemacht und jagt ihr hinterher. Auch sie ist auf der Suche und will über das Niveau der bewährten Hausempfehlungen hinaus kommen. Sie hat die modernen Konzepte der Immunologie übernommen und hat «adaptogene» Resistenzmittel entwickelt (Tab. 1). Die Möglichkeit, über eine Indikationsdifferenzierung der Heilpflanzen den Therapieerfolg zu steigern, hat sie aus den Augen verloren. Diese Möglichkeit will ich hier mit Ihnen skizzieren.
Verschiedene Patienten – verschiedene Krankheitsverläufe Man lasse sich von vielen Patienten den Verlauf ihrer Erkältungskrankheiten schildern. Es stellt sich heraus, dass die Erkältung nur in einer ersten Phase ihrem Namen gerecht wird: man fröstelt, die Haare sträuben sich, man muss wie bei einer Blasenverkühlung häufiger helles Wasser lösen. Man ist berührungs-empfindlich. Es tropft wässrig von der kalten Nasenspitze. Im Hals kratzt es. Die zweite Phase ist konträr: Man hat Fieber und schwitzt. Es pulsiert. Der Kopf hämmert. Alles ist von Blutüberfülle beschwert. Durstig und heiss verlangt man nach etwas zu trinken und nach Kühlung.
Mütter schildern, wie ihre Kinder gesund zum Mittagsschlaf ins Bett gelegt werden und nach einer Stunde rot glühend mit 39 °C Fieber erwachen. Der berüchtigte Fieberkrampf bestätigt diese Beobachtung. Umgekehrt frösteln sich Erwachsene tagelang bis zum nächsten Wochenende durch. Bei alten Leuten können sogar Lungenentzündungen ohne eine vorausgehende Fieberattacke auftreten.
Abhängigkeit von der Konstitution Es kommt auch vor, dass sich die individuelle Konstitution gegenüber der Lebensphase durchsetzt. Wir sehen blasse, reaktionsarme, etwas pastöse Kinder, welche den ganzen Winter hindurch kränkeln. Wir kennen aber auch hitzige ruhelose Erwachsene, die – wenn schon krank – mit einer Jahrhundertgrippe perakut flach liegen. Zur Illustration zeige ich Ihnen zwei Kinder; es sind Geschwister. Vor 3 Wochen kamen sie miteinander in die Praxis. «Unglaublich!», dachte ich und bat die Mutter um Fotografien von den beiden und darum, mir zu beschreiben, wie bei den zweien Erkältungskrankheiten ablaufen (Abb. 2 , 3). Im Brief stand zu Vera: «Sie macht schnell hohes Fieber, wird richtig durchgekocht, ist dann aber auch schnell wieder gesund.» Zu Jonas: «Er macht kein hohes Fieber, der Infekt schlägt schnell auf die Ohren, die Atemwege sind lange verstopft.» Wieso, frage ich mich angesichts dieser Unterschiede, wieso denken wir nicht, dass diese unterschiedlichen Konstitutionen mit stark unterschiedlichen biochemischen Konstellationen einhergehen, die im Krankheitsfalle auch verschiedene Therapien sinnvoll machen?
Die verschiedenen Qualitäten Abhängigkeit vom Alter Die Dauer der einen und der andern Phase ist nicht bei allen Erkrankten gleich. Sie hängt vom Alter und von der Konstitution ab, wie die genaue Beobachtung zeigt.
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Die Phytotherapie in ihrer ursprünglichen Form sieht das tatsächlich vor. Aus ihrer Sicht basiert das Verständnis der Krankheiten und der Natur überhaupt unter anderem auf der Qualitätenlehre. Ausgangspunkt des Konzeptes sind zwei Begriffspaare: Wärme/Kälte und Feuchtigkeit/Trockenheit. Die
Brühwiler
Abb. 2
Abb. 3
Tab. 2. Beispiele für wärmende Pflanzen, einzusetzen in der kalten Phase einer Erkrankung oder präventiv bei kalter Konstitution
ganze Materie und auch alle stattfindenden Prozesse sind Realisationen dieser Qualitäten, respektive von Mischungen derselben. Diese Vorstellungen bringen den heutigen Betrachter in Verlegenheit. Er fühlt sich auf einer ursprünglichen Erlebnisebene angesprochen. Geprägt von den Abstraktionsforderungen des westlichen Realitätsverständnisses muss er aber diese andersartige Konzeption antiquiert und lächerlich finden. Eine gewisse Hilfe ist von der traditionellen chinesischen Medizin gekommen. Deren Konzept deckt sich weitgehend mit dem der traditionellen Phytotherapie. Weil die beiden Kulturen unabhängig voneinander zu den gleichen Ansichten gekommen sind, muss ein Kern Richtigkeit dahinter stehen.
Lateinischer Name
Deutscher Name
Tilia sp. Thymus vulgaris Cinnamomi cortex Aurantii dulcis pericarpium
Lindenblüten Thymian Zimt süsse Orangenschale
Tab. 3. Beispiele für kältende Pflanzen, einzusetzen in der warmen Phase einer Erkrankung oder präventiv bei heisser Konstitution Lateinischer Name
Deutscher Name
Menta piperita. Melissa officinalis. Sambucus nigra Rosmarinus officinalis Taraxacum officinalis
Pfefferminze Zitronenmelisse Schwarzer Holunder Rosmarin Löwenzahn
Indikation und Konstitution in der phytotherapeutischen Qualitätenlehre
Warme Pflanzen – kalte Pflanzen Die Heilpflanzen haben Qualitäten. Es gibt warme Pflanzen. Es gibt kalte Pflanzen. Die warmen haben warme Wirkqualität. Sie bringen Wärme in ein System. Für die kalten Pflanzen ist es umgekehrt. Um praktisch arbeiten zu können, muss man die Qualität der Heilpflanzen kennen. Ich zeige Ihnen
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zwei Gruppen und Sie versuchen zu charakterisieren (Tab. 2, 3). Das geht gut. Diese Heilpflanzen können phasengerecht im Krankheitsfall aber auch konstitutionsgerecht präventiv eingesetzt werden. Beachtung dieser Regeln führt zu besseren Therapieresultaten. Man muss auch den Charakter der Krankheit kennen. Das ist mitunter etwas schwieriger. Bei den Erkältungskrankheiten ist es nachvollziehbar wie eben beschrieben. Nun stellt sich die Gretchenfrage, nach welcher Regel die Heilpflanze für die Krankheit ausgewählt werden soll. Es gilt «contraria contrariis». Bei Erkältungskrankheiten können wir also für die erste Phase zum Beispiel eine Teemischung aus Lindenblüten, Zimt-
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rinde, Thymian und Orangenschale verordnen. Für die zweite Phase ist es dann Pfefferminze, Holunderblüten, Rosmarin und Löwenzahnwurzel. Was raten wir der Mutter von Vera und Jonas, wenn sie fragt, ob sie bei beiden Kindern vorbeugend etwas tun kann über die Winterzeit? Da ist die Korrektur der einseitig ausgeprägten Konstitution Ziel der Therapie. Für Vera gibt es den Vorschlag, jeweils zum Frühstück ein mit Rosmarin garniertes Butterbrötchen zu essen. Das sollte das «heisse» Mädchen etwas abkühlen. Der «kalte» Jonas hingegen erhält 3 mal in der Woche eine Messerspitze Zimt aus der Gewürzdose, damit er etwas wärmer wird.
Brühwiler
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Systematic Reviews of Herbal Medicines – an Annotated Bibliography* K. Linde1,2 G. ter Riet3,4 M. Hondras5 A. Vickers6 for the Cochrane Complementary Medicine Field
R. Saller7
D. Melchart1,
1 Centre
for Complementary Medicine Research, Department of Internal Medicine II, Technische Universität, München for Social Medicine & Epidemiology, Charité Hospital, Humboldt University, Berlin, Germany 3 NHS Centre for Reviews & Dissemination, University of York, UK 4 Department of Epidemiology, Maastricht University, The Netherlands 5 Consortial Center for Chiropractic Research, Davenport, IO 6 Memorial Sloan-Kettering Cancer Center, New York, NY, USA 7 Division of Complementary Medicine, Department of Internal Medicine, Universitätsspital Zurich, Switzerland 2 Institute
Key Words Medicinal plants · Botanical medicines · Meta-analysis
Schlüsselwörter Phytotherapie · Metaanalysen
Summary Objective: To provide a comprehensive collection and a summary of systematic reviews of clinical trials on herbal medicines. Methods: Potentially relevant reviews were searched through the register of the Cochrane Complementary Medicine Field, the Cochrane Library, Medline, and bibliographies of articles and books. To be included articles had to review prospective clinical trials of herbal medicines; had to describe review methods explicitly; had to be published; and had to focus on treatment effects. Information on conditions, interventions, methods, results and conclusions was extracted using a pretested form and summarized descriptively. Results: From a total of 79 potentially relevant reviews preselected in the screening process 58 met the inclusion criteria. 30 of the reports reviewed ginkgo (for dementia, intermittent claudication, tinnitus, and macular degeneration), hypericum (for depression) or garlic preparations (for cardiovascular risk factors and lower limb atherosclerosis). The quality of primary studies was criticized in the majority of the reviews. Most reviews judged the available evidence as promising but definitive conclusions were rarely possible. Conclusions: Systematic reviews are available on a broad range of herbal preparations prescribed for defined conditions. There is very little evidence on the effectiveness of herbalism as practiced by specialist herbalists who combine herbs and use unconventional diagnosis.
Zusammenfassung Ziel: Umfassende Zusammenstellung der vorliegenden systematischen Übersichtsarbeiten klinischer Studien in der Phytotherapie. Methoden: Potentiell relevante Übersichtsarbeiten wurden mit Hilfe des Registers des Cochrane Complementary Medicine Field, der Cochrane Library, Medline, und Bibliographien von Artikeln und Büchern identifiziert. Einschlusskriterien waren: Die Übersichtsarbeiten berichteten über prospektive klinische Studien zu therapeutischen Effekten von Phytotherapeutika; beschrieben explizit die verwendete Methodik und waren in Zeitschriften, Büchern oder im Internet publiziert. Informationen zu Patienten, Interventionen, Methoden, Ergebnissen und Schlussfolgerungen wurden standardisiert extrahiert und deskriptiv zusammengefasst. Ergebnisse: 58 von 79 in einem Screening-Prozess vorausgewählten Übersichtsarbeiten entsprachen den Einschlusskriterien. Allein 30 berichteten über Studien zu Ginkgo (bei Demenz, Claudicatio intermittens, Tinnitus und Makuladegeneration), Hypericum (bei Depression) oder Knoblauch (in Bezug auf kardiovaskuläre Risikofaktoren und Atherosklerose der unteren Extremitäten). Die Qualität der Primärstudien wurde in der Mehrzahl der Reviews bemängelt. In vielen Fällen wurde die vorhandene Evidenz als vielversprechend bewertet, definitive Schlussfolgerungen wurden jedoch nur in wenigen Reviews gezogen. Schlussfolgerung: Systematische Reviews liegen zu einer Reihe von Phytotherapeutika vor. Sehr wenige Untersuchungen liegen dagegen zu traditionelleren Anwendungsformen der Phytotherapie wie z.B. Teeanwendungen vor.
*Originally published in BMC Complementary and Alternative Medicine 2001;1:5 (available at http://www.biomedcentral.com/1472–6882/1/5)as a part of a series of three papers on acupuncture, herbal medicine and homeopathy
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Introduction Systematic reviews are considered to be the best available method to summarize the existing evidence on a given topic. In recent years an increasing number of such reviews has been performed in a variety of complementary therapies including herbal medicine. The objective of this report is to provide a comprehensive collection and transparent summary of the available systematic reviews of herbal medicines. It was not our primary objective to assess efficacy as we do not consider a review of reviews of a large number of interventions an appropriate tool for this purpose. However, when summarizing the results of systematic reviews it is unavoidable to cite their conclusions on efficacy. Herbal medicines (defined as preparations derived from plants and fungi, for example by alcoholic extraction or decoction, used to prevent and treat diseases) are an essential part of traditional medicine in almost any culture [1]. In industrialized countries herbal drugs and supplements are an important market. Some countries like Germany have a long tradition in the use of herbal preparations marketed as drugs and figures for prescriptions and sales are stable or slightly declining [2]. In the US and the UK herbal medicinal products are marketed as ‘food supplements‘ or ’botanical medicines‘. In recent years sales of such products have been increasing strongly in these countries [3.4]. In the Third World herbs are mainly used by traditional healers [5].
Methods To be included in this overview reviews had to meet the following criteria: 1) Report reviews prospective (not necessarily controlled) clinical trials of substances extracted from plants in humans. Reviews dealing with single substances (e.g., artemisin derivatives) derived from plants were excluded on the grounds that such agents are comparable to conventional drugs. 2) Reports explicitly describe, at least, one of the following issues: a) methods for searching primary studies and eligibility criteria for primary studies; b) methods to assess quality aspects; c) methods to summarize the results of the primary studies. 3) Reports are published in journals, books, theses, or the internet. Reviews published before 1989 and as abstracts only were not included. 4) The primary focus of the report is on treatment effects (not diagnosis, side effects, risks, etc.). There were no language restrictions. Disease-oriented reviews including a variety of interventions were included only if they reviewed at least 4 herbal medicine trials. The primary source for identification of systematic reviews was the register of the Cochrane Complementary Medicine Field. For the compilation of this register a variety of databases including Medline, Embase, CISCOM, AMED and other sources have been searched. In addition, we searched 1) Medline 1989 to July 2000 using a standard strategy to identify systematic reviews [8] combined with 50 single plant names and the ‘exploded’ term ‘medicinal plants’; 2) the Cochrane Library (last check in issue 2000, 3) Bibliographies of articles obtained and relevant textbooks were screened for further potentially relevant articles. The literature list from the Complementary Medicine Field register was screened in a first step independently by two reviewers who excluded all references for which they were sure that the papers were not systematic reviews. Abstracts of the publications identified by other means were screened by one
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reviewer. Full copies were obtained for all potentially relevant papers. One (in 46% of papers), two (53%) or three (1%) reviewers checked eligibility and extracted information (bibliographic details, topic, intervention, inclusion criteria, methodological issues, studies and number of patients included, results, and conclusions) from included reviews using pretested forms. For this report the included reviews were summarized in a tabular format giving basic information on the conditions, interventions, comparisons, number of studies reviewed, methodological features, results, and conclusions drawn by the reviewers (if possible in the original wording). We assessed the following methodological features: Comprehensiveness of the literature search (scored if in addition to Medline other databases and non-electronic sources were searched), whether inclusion and exclusion criteria were explicitly listed, whether the quality of primary studies was assessed using formal methods (such as scores or checklists), whether a summary of results was provided for each included study, and whether a quantitative meta-analysis was performed. If several review publications by the same team of reviewers with the same focus and published within a time span of 3 years were available these were considered as updates unless inclusion criteria for the two versions were clearly different.
Results From a total of 79 potentially relevant reviews preselected in the literature screening process, 58 (published in 65 papers) met the inclusion criteria [7–71]. Eleven reports were not truly systematic reviews (not meeting inclusion criterion 2) [72–82], 5 dealt with isolated substances of plant origin [83–87] and 4 were excluded for other reasons (one disease-focused review with less than 4 herbal medicine trials [88], one review not on preventative or therapeutic use [89], 2 reviews not truly herbal medicine [90–91]). More than half of the reports reviewed gingko, hypericum or garlic preparations. No less than 13 systematic reviews dealt with ginkgo (Ginkgo biloba) extracts (see table 1). Seven of these reviewed trials (total number of trials covered in any of the reviews 15) in patients with intermittent claudication [7–13]. Most of these reviews concluded that ginkgo extracts were significantly more effective than placebo in increasing measures like walking distance but the clinical relevance of the effects was felt to be moderate by some reviewers. The 5 reviews dealing with dementia and cerebral insufficiency (total number of trials included about 50) all draw positive conclusions [13–17]. However, many of the older trials were in patients with minor cognitive impairment and more evidence is needed to decide whether ginkgo extracts have clinically relevant beneficial effects in more severe forms of dementia. Finally, 1 review found that ginkgo extracts might be effective in the treatment of tinnitus [18] and another found insufficient evidence for efficacy in patients with macular degeneration [19]. The effectiveness of St. John’s wort (Hypericum perforatum) extracts in depression was investigated in 9 reviews [20–30] (total number of trials covered 29; see table 2). Mainly due to slight differences in the inclusion criteria (for example, restriction to trials with a minimum of 6 weeks observation or with a
Linde/ter Riet/Hondras/Vickers/Saller/ Melchart
minimum quality score) the respective study collections differed to a considerable amount. However, the conclusions were very similar. Hypericum extracts have been shown to be superior to placebo in mild to moderate depressive disorders. There is growing evidence that hypericum is as effective as other antidepressants for mild to moderate depression and causes fewer side effects but further trials are still needed to establish long-term effectiveness and safety. Eight reviews have been performed on garlic (Allium sativum) for cardiovascular risk factors [31–38] (total number of trials covered about 50) and lower limb atherosclerosis [39] (see table 2). A modest short-term effect over placebo on lipid-lowering seems to be established but the clinical relevance of these effects is uncertain. Data from randomized trials on cardiovascular mortality are not available. Effects on blood pressure seem to be at best minor. The available results on fibrinolytic activity and platelet aggregation are promising but insufficient to draw clear conclusions. A specific problem in research on garlic is the great variety of garlic preparations used: the exact content of bioactive ingredients in these is often unclear. Three reviews (covering a total of about 30 trials) have been performed on preparations containing extracts of Echinacea (Echinacea purpurea, pallida or angustifolia), two of which by the same study group [40–43]. The results suggest that Echinacea preparations may have some beneficial effects mainly in the early treatment of common colds. Similar to garlic a major problem is the high variation of bioactive compounds between different Echinacea preparations. Cranberries (Vaccinium macrocarpon) for urinary tract infections [44, 45], mistletoe (Viscum album) for cancer [46–48], peppermint (Mentha piperita) oil for irritable bowel syndromes [49, 50] and saw palmetto (Serenoa repens) for benign prostate hyperplasia [51–53] have each been subject to 2 reviews. For saw palmetto there is good evidence for efficacy over placebo while for the other three the data are inconclusive (see table 3). Single systematic reviews have been published on aloe (Aloe vera) [54], artichoke (Cynara scolymus) leave extract [55], evening primrose (Oenothera biennis) oil [56], feverfew (Tanacetum parthenium) [57], ginger (Zingiber officinialis) [58], ginseng (Panax ginseng) [59], horse chestnut (Aesculus hippocastanum) seeds [60], kava (Piper methysticum) [61], milk thistle (Silybum marianum) [62], a fixed combination of three herbal extracts [63], rye-grass pollen (Secale cereale) extract [64, 65], tea tree (Melaleuca alternafolia) oil [66], and valerian (Valeriana officinalis) root [67] (see table 4).The only review which focused on a herbal intervention which is not marketed as a drug or food supplement was on cabbage leaves for breast engorgement and included a single small-scale trial [68]. Chinese herbal therapy for atopic eczema [69] and a variety of herbs for lowering blood glucose [70] and for analgesic and anti-inflammatory purposes [71] have also been reviewed. For some of these herbal preparations the evidence is promising but further studies are considered necessary to establish efficacy in almost every case.
Discussion
Systematic Reviews of Herbal Medicines – an Annotated Bibliography
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Our overview shows that a considerable number of systematic reviews on herbal medicines is available. In the majority of cases the reviewers considered the available evidence as promising but only very rarely as convincing and sufficient as a firm basis for clinical decisions. The methodological quality of the primary studies has been criticized by many reviewers. Our summary of the existing studies must be interpreted with caution. What we performed is a systematic review of systematic reviews which inherently bears a large risk of oversimplification. Readers who want to reliably assess the evidence for a given herb for a defined condition should read the respective reviews. Our collection – which to the best of our knowledge is complete up to summer 2000 – is aimed at facilitating the access and giving an idea of the amount of the available evidence. Based on the increase of herbal medicine reviews in recent years we expect that at least ten new publications will become available in the year 2001. Most of the currently available systematic reviews address herbal preparations which are marketed and widely used in industrialized countries. However, the widespread traditional use of herbs in the Third World is rarely ever investigated and has not been subjected to systematic reviews. The many herbs used in folk medicine or other traditional uses of herbs (for example, hypericum is used for a variety of ailments other than depression including enuresis, diarrhea, gastritis, bronchitis, asthma, sleeping disorders etc.) seem to be rarely investigated. Furthermore, practitioners of herbal medicine often combine different herbs and use unconventional diagnostic approaches to adapt prescriptions to single patients. It seems likely that these traditional forms of herbal medicine will remain underresearched relative to single herbal preparations due to the lack of financial incentive for sponsors and due to methodological problems. Herbal medicines products are not, in general, subject to patent protection. This reduces the motivation for drug companies to invest in trials. Many of the existing herbal medicine manufacturers are comparably small companies, often with limited research resources and expertise. Maybe partly for these reasons, the quality of many older herbal medicine trials is low. Furthermore, negative trials which could threaten the company’s survival might not become published. A fundamental problem in all clinical research of herbal medicines is whether different products, extracts, or even different lots of the same extract are comparable and equivalent. This is a major issue in the expert research community and a major obstacle to a reliable assessment for the non-expert. For example, Echinacea products can contain other plant extracts, use different plant species (Echinacea purpurea, pallida or angustifolia), different parts (herb, root, both), and might have been produced in quite different manners (hydro- or lipophilic extraction). Pooling studies that use different herbal products in a quantitative meta-analysis can be misleading. Health care
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Linde/ter Riet/Hondras/Vickers/Saller/ Melchart
ginkgo
macular degeneration
Evans, 2000 [19] placebo
placebo, other treatment (1 trial)
ginkgo vs. placebo hydergine vs. placebo
placebo
placebo
placebo
placebo
ginkgo vs. placebo, pentoxifyllin vs. placebo
ginkgo vs. placebo, pentoxifyllin vs. placebo
placebo, other treatment
placebo, other drugs
placebo
placebo
Comparisons
1 RCT
5 RCT
40 RCT/CCT (ginkgo), 4 RCT/CCT (hydergine)
10 RCT, 1 CCT
4 RCT
9 RCT
17 RCT/CCT (cerebral insuffiency), 8 RCT/CCT
15 RCT/CCT (ginkgo), 5 RCT/CCT pentoxifyllin
5 RCT ginkgo 9 RCT pentoxifyllin
7 RCT/CCT (vs. placebo), 2 RCT/CCT (other)
10 RCT/CCT
5 RCT
8 RCT
Studies
y/y/y/y/–
y/y/y/y/n
y/y/y/n/n
n/n/n/y/y
insufficient evidence to recommend ginkgo for age-related macular degeneration one small trial reporting improvement
clinical relevance of the observed effects has to be confirmed in further research significant effect over placebo for cognitive function (hedges g = 0.41, 95% CI 0.22–0.61)
y/y/n/y/y
results suggest that extracts of Ginkgo biloba are effective in treating tinnitus
encouraging findings warranting large scale trials results collectively suggest that ginkgo is more effective for dementia than placebo
3 trials favour ginkgo over placebo, 1 no difference, in one trial ginkgo better than another treatment
effectiveness for both conditions biometrically shown
10 of 12 interpretable trials on cerebral insufficieny and all 4 interpretable trials on intermittent claudication with significant positive results
?/p/p/n/n
ginkgo seems effective for cerebral insufficiency but further high quality studies are needed
ginkgo seems effective for intermittent claudication but further high quality studies are needed
many trials low quality; all trials with positive results; evidence similar as for pentoxifyllin
y/y/y/n/n
many trials low quality; virtually all trials reported positive results; evidence similar as for hydergine
ginkgo extract EGb761 more effective than placebo and similarly effective as pentoxifyllin
pooled increase of walking distance: 45% over placebo for gingko and 57% for pentoxifyllin
?/p/n/y/y
ginkgo extract superior to placebo
effectiveness over placebo clearly shown
mean effect size d = 0.75 (95% CI 0.44–1.07) over placebo
?/n/n/y/y
global response (based on symptom scores): OR 1.98 (95% CI 1.39–2.57) in favor of ginkgo
available evidence promising but further high quality research needed
most studies low quality; increase of walking distance compared to placebo 24 to 160 m; at least similar effectiveness compared to other drugs.
p/p/n/n/n
y/y/y/y/n
inconsistent results from the few available small studies do not allow firm conclusions
evidence for a modest benefit of uncertain clinical relevance
Authors’ conclusion
increase of pain-free walking distance over placebo after 24 weeks 32m (95% CI 14–50m)
increase of pain-free walking distance over placebo after 12 or 24 weeks 34m (95% CI 26–43m)
Results
y/y/y/n/y
y / y / y / y /y
1/2/3/4/5
Featuresa
RCT = Randomized controlled trials, CCT = non-randomized controlled trials, CS = cohort studies, UCS = uncontrolled studies; OR = odds ratio, RR = rate ratio. aFeatures: 1 = comprehensive search, 2 = explicit inclusion criteria, 3 = formal quality assessment, 4 = summary of results for each included study, 5 = meta-analysis; y = yes, p = partly, n = no, – = not applicable, ? = unclear. bReview on all pharmacologic treatments for the respective condition.
ginkgo
tinnitus
ginkgo
Alzheimer dementia
Oken et al., 1998 15]
Ernst and Stevinson, 1999 [18]
ginkgo
dementia
Ernst and Pittler, 1999 [14]
ginkgo
ginkgo extract EGb761
cerebral insuffiency, interrmittent claudication
Weiss and Kallischnigg, 1991 [13]
cerebral insufficiency
ginkgo
intermittent claudication
Kleijnen and Knipschild, 1991 [12]
Kleijnen and Knipschild, 1992 [17]
ginkgo extract EGb 761
intermittent claudication
Letzel and Schoop, 1992 [11]
ginkgo extract LI 1370
ginkgo
intermittent claudication
Schneider, 1992 [10]
cerebral insufficiency
ginkgo extract EGb761
intermittent claudication
Ernst, 1996 [9]
Hopfenmüller, 1994 [16]
ginkgob
ginkgo
Intervention
intermittent claudication
intermittent claudication
Indication
Moher et al., 2000 [8]
Pittler and Ernst, 2000 [7]
Ginkgo (Ginkgo biloba)
Reference
Table 1. Systematic reviews of clinical trials of Ginkgo biloba extracts
Systematic Reviews of Herbal Medicines – an Annotated Bibliography
Forsch Komplementärmed Klass Naturheilkd 2003;10(suppl1):17–27
21
Indication
depression
mild to moderate depression
anxiety in depressed patients
Volz and Laux, 2000 [29]
Friede and Wüstenberg, 1998 [30]
Linde et al., 1998, 1996 depression [25, 26]
Ernst, 1995 [28]
depression
Stevinson and Ernst, 1999 [24]
depression
hypericum
depression
Kim et al., 1999 [23]
Volz, 1997 [27]
hypericum
depression
Williams et al., 2000 [21]; Mulrow et al., 1998 [22]
hypericum
hypericum
hypericum
hypericum
hypericum
hypericum (and other drugs)
depression
hypericum
Intervention
Gaster, 2000 [20]
St. John’s wort (Hypericum perforatum)
Reference
placebo, amitriptyline
fluoxetine
placebo and antidepressants
placebo and antidepressants
placebo and antidepressants
placebo and antidepressants
placebo and antidepressants
placebo and antidepressants
placebo and antidepressants
Comparisons
8 RCT
17 + 9 CCT
11 RCT
15 RCT/CCT
27 RCT
6 RCT
6 RCT
14 RCT
8 RCT
Studies
Table 2. Systematic reviews of clinical trials of hypericum and garlic preparations Featuresa
?/y/y/y/n
n/y/n/y/n
y/y/y/y/n
p/p/n/n/n
y/y/y/y/y
y/y/y/y/n
p/y/y/y/y
y / y / n / y /y
p/y/p/y/n
1/2/3/4/5
hypericum is superior to placebo and seems equally effective as standard medication
a therapy with hypericum of mild and moderate depression can be attempted; further studies needed
hypericum more effective than placebo; inadequate evidence to assess equivalence with antidepressants
data confirm findings of earlier trials, but still insufficient evidence to assess equivalence with antidepressants
hypericum more effective than placebo and similarly effective as low dose antidepressants; quality problems
data suggest that hypericum is superior to placebo, insuffcient evidence re equivalence with antidepressants
data suggest that hypericum is superior to placebo, insufficient evidence re equivalence with antidepressants
Authors’ conclusion
trials collectively show reduction of anxiety symptoms over placebo; only 1 trial vs. amitriptyline
Table 2 continuation see next page
hypericum is effective for depressed patients with anxiety
no direct comparison of hypericum and fluoxe- response rates are similar; findings difficult to tine available; mean depression score (HAMD) interpret because of the indirect comparison reduction in hypericum trials 53%, in fluoxetine trials 55%
most of 8 placebo-controlled trials positive; 3 trials against standard medication with similar effects
most placebo-controlled trials positive; similarly effective as (not adequately dosed) antidepressants
treatment response: RR 2.47 (95% CI 1.69–3.61) vs. placebo and 1.01 (0.87–1.16) vs. antidepressants
only trials published after Linde 1996; trials show effects better than placebo / similar to antidepressants
treatment response: RR 1.48 (95% CI 1.03–1.92) vs. placebo and 0.98 (0.67–1.28) vs. antidepressants
treatment response: RR 1.9 (95% CI 1.2–2.8) vs. placebo and 1.2 (1.0–1.4) vs. antidepressants
4 placebo-controlled trials with positive results, in 4 trials standard antidepressants tended to be slightly better
Results
22
Forsch Komplementärmed Klass Naturheilkd 2003;10(suppl1):17–27
Linde/ter Riet/Hondras/Vickers/Saller/ Melchart
placebo
unclear
dried garlic (Kwai)
garlic supplements
garlic and onions
lowering blood press.
cardiovascular risk factors
cardiovascular risk factors
Silagy and Neil, 1994 [36]
Kleijnen, 1991 [37]
Kleijnen et al., 1989 [38]
placebo
1 RCT
10 RCT, 8 CCT
18 RCT/CCT
8 RCT
5 RCT
16 RCT
13 RCT
45 RCT
Studies
Featuresa
y/y/y/y/–
y/p/n/y/n
p/p/y/y/n
y/p/y/y/y
p/y/y/y/y
y/p/y/y/y
y/y/y/y/y
y/y/y/y/y
1/2/3/4/5
walking distance not significantly different between groups
all trials with severe shortcomings; fresh garlic with beneficial effects, onions and commercially available supplements yielded contradictory results
most studies with shortcomings; the majority of trials with positive results but inconsistent effect sizes
pooled reduction over placebo: SBP 7.7 (95% CI 4.3–11.0), DBP 5.0 (2.9–7.1) mm Hg
pooled cholesterol reduction over placebo 0.59 (95% CI 0.44–0.74) mmol/l
pooled cholesterol reduction over placebo 0.65 (95% CI 0.53–0.76) mmol/l
pooled total cholesterol reduction over placebo 0.41 (95% CI –0.66 to –0.15) mmol/l; when analysis restricted to high quality trials 0.11 (-0.30 to 0.08)
37 trials consistently show small short-term effects over placebo for cholesterol reduction; no consistent effects on blood pressure, promising effects re platelet aggregation and fibrinolytic activity
Results
insufficient evidence
inadequate evidence to justify supplementation, further research needed
no clear conclusion drawn
garlic maybe of some clinical use in subjects with mild hypertension; further research needed
available evidence supports the use of garlic as one modality to decrease cholesterol levels
meta-analysis suggests positive effects but reviewers are sceptic (low quality; own replication negative)
available data suggest that garlic is superior to placebo; the size of the effect is modest; the use of garlic for hypercholesterolemia is therefore of questionable value
insufficient data to draw conclusion regarding clinical cardiovascular outcomes; garlic preparations may have small, positive, short-term effects on lipids
Authors’ conclusion
RCT = Randomized controlled trials, CCT = non-randomized controlled trials, CS = cohort studies, UCS = uncontrolled studies; OR = odds ratio, RR = rate ratio. aFeatures: 1 = comprehensive search, 2 = explicit inclusion criteria, 3 = formal quality assessment, 4 = summary of results for each included study, 5 = meta-analysis; y = yes, p = partly, n = no, – = not applicable, ? = unclear.
garlic
placebo
garlic
Warshafsky et al., 1993 cholesterol [35] lowering
Jepson et al., 1997 [39] lower limb atherosclerosis
placebo
garlic
Silagy and Neil,1994 cholesterol [33]; Neil et al., 1996 lowering [34]
placebo, other treatment
placebo
hypercholestero- garlic lemia
mainly placebo; no and other treatment
Comparisons
Stevinson et al., 2000 [32]
hgarlic
Intervention
cardiovascular risk factors
Indication
Lawrence et al., 2000 [31]
Garlic (Allium sativum)
Reference
Table 2. Continued
Systematic Reviews of Herbal Medicines – an Annotated Bibliography
Forsch Komplementärmed Klass Naturheilkd 2003;10(suppl1):17–27
23
Indication
Intervention
cranberries
Jepson et al., 1998 [45] urinary tract infection (treatment)
irritable bowel syndrome
Pittler and Ernst, 1998 [50]
placebo, other treatment
saw palmetto
benign prostate hyperplasia
Wilt et al., 2000 [52], 1998 [53]
14 RCT (placebo), 5 RCT (other)
y/y/y/y/y
?/n/n/y/y
y/y/y/y/y
p/y/y/n/n
y/n/n/y/n
y/y/y/n/n
y/y/–/–/–
y / y / y / y/ n
y/y/y/y/n
y/y/y/y/p
y/p/y/y/n
1/2/3/4/5
Featuresa
saw palmetto superior to placebo for nocturia, self rating, peak urine flow; similar effects as finasteride
evidence suggests that saw palmetto improves urological symptoms and flow measures; further studies needed
despite some limitations strong evidence that the extract tested has beneficial effects
the role of peppermint oil for irritable bowel syndrome has not been established beyond reasonable doubt
global improvement rates significantly higher compared to placebo; quality of trials doubtful
peak urine flow 2.20 (95% CI 1.20–3.20) ml/s increase over placebo; significant decrease nocturia
in both cases efficacy not clearly established
available evidence supports positive effects of mistletoe
insufficient evidence to recommend mistletoe outside of clinical trials
no evidence available
insufficient evidence, further research needed
Echinacea extracts can be efficacious immunostimulators, but evidence insufficient for recommendations
Echinacea extract can be efficacious for the common cold, but evidence insufficient for recommendations
Echinacea may be beneficial for early treatment of acute upper respiratory infections; little evidence to support the prolonged use for prevention
Authors’ conclusion
Chinese herbal therapy trial rated as positive, one of three peppermint oil trials rated as positive
most studies low quality. 9 of 12 interpretable studies suggest positive effects on survival
most studies low quality; most studies show longer survival with mistletoe but not the best trial
no trials meeting the inclusion criteria
in 3 of 4 trials cranberries effective for at least one of the outcomes of interest
most studies low quality; most studies show immunostimulating effects
minor effects in prevention and treatment, promising effects in early treatment; heterogeneous preparations
overall quality modest; all 4 prevention studies show only minor trends, 8 of 9 treatment studies with generally positive results
Results
RCT = Randomized controlled trials, CCT = non-randomized controlled trials, CS = cohort studies, UCS = uncontrolled studies; OR = odds ratio, RR = rate ratio. aFeatures: 1 = comprehensive search, 2 = explicit inclusion criteria, 3 = formal quality assessment, 4 = summary of results for each included study, 5 = meta-analysis; y = yes, p = partly, n = no, – = not applicable, ? = unclear. bReview on all pharmacologic treatments for the respective condition.
placebo, other treatment
Permixon“ (saw palmetto)
benign prostate hyperplasia
11 RCT, 2 UCS
8 RCT
peppermint oil placebo, other treatment
1. 3 RCT 2. 1 RCT
Boyle et al., 2000 [51]
Saw palmetto (Serenoa repens)
irritable bowel syndrome
Peppermint (Mentha piperita)
Jailwala et al., 2000 [49]b
2 RCT, 33 CCT, 11 other studies
11 RCT/CCT
0 RCT
4 RCT
18 RCT, 8 CCT
16 RCT
13 RCT
Studies
1. peppermint oil placebo 2. Chinese herbal therapy
no treatment, none
mistletoe
Kiene, 1989 [47, 48]
cancer
placebo, no treatment
mistletoe
placebo
placebo, no treatment
Kleijnen and cancer Knipschild, 1994 [46]
Mistletoe (Viscum album)
cranberries
Jepson et al., 1998 [44] urinary tract infection (prevention)
Cranberries (Vaccinium macrocarpon)
immunostimula- Echinacea (including) tion
Melchart et al., 1994 [42, 43]
placebo, no treatment
Echinacea (including combinations)
common cold
placebo
Comparisons
Echinacea (including combinations)
Melchart et al., 1999 [41]
Barrett et al., 1999 [40] upper respiratory infections
Echinacea (Echinacea purpurea, angustifolia, and pallida)
Reference
Table 3. Systematic reviews of clinical trials of herbal medicines (at least 2 reviews per herb)
24
Forsch Komplementärmed Klass Naturheilkd 2003;10(suppl1):17–27
Linde/ter Riet/Hondras/Vickers/Saller/ Melchart
Indication
placebo
placebo, other and no treatment
kava
milk thistle
anxiety
liver diseases
musculoskeletal Phytodolor® placebo, other treatments pain populus, fraxinus, solidago
Pittler and Ernst, 2000 [61]
Lawrence et al., 2000 [62]
Ernst, 1999 [63]
tea trea oil
valerian root
cabbage leaves
Chinese herbal therapy
dermatologic conditions
insomnia
breast engorgement
atopic eczema
Ernst and Huntley, 2000 [66]
Stevinson and Ernst, 2000 [67]
Renfrew and Lang, 1984 [68]
Armstrong and Ernst, 1999 [69] placebo
usual care
placebo
placebo, other treatment
placebo, other therapy
placebo, other treatment
horse chestnut seeds
venous insufficieny
Pittler and Ernst, 1998 [60]
rye grass pollen extract
placebo, other treatment (1 trial)
ginseng root extract
various
Vogler et al., 1999 [59]
MacDonald et al., 2000 benign prostata [64]; Wilt et al., 2000 hyperplasia [65]
placebo, metoclopramide
ginger root
nausea and vomiting
Ernst and Pittler, 2000 [58]
2 RCT
1 RCT
9 RCT
4 RCT
4 RCT
10 RCT
33 RCT, 1 CCT
7 RCT
13 RCT
16 RCT
6 RCT
5 RCT
placebo
feverfew
migraine
Vogler et al., 1998 [57]
1 RCT
9 RCT/CCT
placebo
artichoke leave extract
6 RCT, 4 CCT
evening primrose placebo oil (Epogam)
placebo, other and no treatment
aloe
Studies
atopic eczema
cholesterol lowering
Comparisons
Intervention
Morse et al., 1989 [56]
Pittler and Ernst, 1998 [55]
Vogler and Ernst, 1999 various [54]
Reference
Table 4. Systematic reviews of clinical trials of herbal medicines
y/y/n/y/n
y/y/n/y/-
y/y/y/y/n
y/y/y/y/n
y/y/y/y/y
y/p/y/y/n
y/y/y/y/y
y/y/y/p/p
y/y/y/y/n
y/p/y/y/n
y/y/y/y/p
y/y/y/y/n
?/n/n/y/y
y/y/y/n/n
y/y/y/y/n
1/2/3/4/5
Featuresa
promising results, but overall evidence insufficient
Authors’ conclusion
available data suggest that kava is a treatment option for anxiety; further studies needed
horse chestnut seeds seem to be effective; further trials needed (confirmation, long-term results, combination)
the efficacy of ginseng root extract is not established beyond reasonable doubt for any of these indications
evidence promising but insufficient to draw firm conclusions
effectiveness has not been established beyond reasonable doubt
no conclusion drawn
available evidence suggests that Cernilton“ is well tolerated and modestly improves subjective symptoms. Further studies needed data promising but insufficient
available evidence is promising but not fully conclusive; further, rigorous trials needed further research desirable
evidence encouraging but insufficient given the potential of relevant side effects
significant improvement over placebo in subjective, but not objective symptoms; no differences compared to tadenan and paraprost 2 trials vs. placebo positive, 3 trials vs. other treatments similar effects highly heterogeneous studies with sometimes contradictory and inconsistent findings fewer women stopping breast feeding among those receiving cabbage leaves 2 positive studies by the same research team; lack of intent-to-treat analysis
Table 2 continuation see next page
the data suggest that the combination is effective in the symptomatic treatment of musculoskeletal pain
placebo-controlled trials show superiority over placebo and similar effects as NSAIDs
variety of conditions studied, studies often poor efficacy is not established; possible benefit shown quality; mixed and inconsistent findings most frequently for aminotransferases.
all trials suggest superiority over placebo; 3 trials with data for meta-analysis show sign. superiority
significant effects over placebo and similar effects compared to other treatments
contradictory results re. physical performance (7 trials), psychological function (5), immunomodulation (2), positive results in diabetes and herpes simplex (1 trial respectively)
2 of 3 trials on postoperative nausea positive (best negative), trials on seasickness, morning sickness and chemotherapy-induced nausea positive
majority of trials favor feverfew over placebo
epogam significantly better than placebo for most outcomes
more trials needed effects over placebo only in the subgroup of participants with serum cholesterol > 210 mg/dl
positive results for genital herpes, psoriasis, hyper-lipidemia, diabetes; contradictory for wound healing
Results
RCT = Randomized controlled trials, CCT = non-randomized controlled trials, CS = cohort studies, UCS = uncontrolled studies; OR = odds ratio, RR = rate ratio. aFeatures: 1 = comprehensive search, 2 = explicit inclusion criteria, 3 = formal quality assessment, 4 = summary of results for each included study, 5 = meta-analysis; y = yes, p = partly, n = no, – = not applicable, ? = unclear.
the results suggest that several herbal remedies have potential in alleviating the pain of rheumatic diseases; more research urgently needed trials on evening primrose oil, blackcurrant seed oil, borage oil, harpagophytum, willow bark, feverfew, and 3 combinations; almost all trials positive 18 RCT placebo various analgetic or inflammatory treatment Ernst and Chrubasik, 2000 [71]
y/y/y/y/n
use of hypoglycemic plant remedies not supported by rigorous research; further studies required most studies low quality; most papers report positive effects on a variety of plants 7 RCT, 4 CCT, 10 UCS no treatment, placebo, none all plants hypoglycemic activity Ernst, 1997 [70]
y/p/n/y/n
Authors’ conclusion Results 1/2/3/4/5
Featuresa Studies Comparisons Intervention Indication Reference
Table 4. (continued)
Systematic Reviews of Herbal Medicines – an Annotated Bibliography
professionals and patients considering to prescribe or take a particular herbal product should check carefully whether the respective product or extract has been tested in the trials included in a review. On the health food store shelf the high quality, standardized products used in the trials might not be available. Only a herbal medicine expert can judge with some certainty whether the results can be extrapolated to the product of interest. On the level of health care policies the available systematic reviews more often provide insight into the deficiencies of the evidence than guidance for decision making. Trials on hard endpoints are very rarely available and observation periods have generally been short. The clinical relevance of the observed effects is not always clear. Herbal medicines are generally considered as comparably safe. While this is probably correct case reports show that severe side effects and relevant interactions with other drugs can occur. For example, hypericum extracts cause considerably fewer side effects than tricyclic antidepressants [92] but can decrease the concentration of a variety of other drugs by enzyme induction [93]. Several reviews summarizing side effects and interactions have been published [94–98].
Conflict of interest KL, DM and GtR have been involved in some of the reviews analyzed. These were extracted and assessed by other members of the team.
Contributors GtR, MH, AV and KL planned the work, searched the literature, and extracted and assessed reviews. KL coordinated the study and wrote the first draft of the manuscript. DM contributed to the protocol and in numerous discussions during the project. RS provided important input as a herbal medicine expert. All authors commented on earlier drafts.
Acknowledgements KL’s work was partly funded by the NIAMS grant 5 U24-AR-43346–02 and by the Carl and Veronica Carstens Foundation, Essen, Germany. We would like to thank Brian Berman for his support, his help to get funding and his patience in awaiting the completion of our work.
Forsch Komplementärmed Klass Naturheilkd 2003;10(suppl1):17–27
25
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26
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Tagungen und Kongresse · Meetings and Conferences Forsch Komplementärmed Klass Naturheilkd 2003;10(suppl1):28–32
Johanniskraut (Hypericum perforatum L.) – Vielstoffgemische kontra phytogene Einzelstoffe J. Reichling1 1 Institut 2 Depart.
K. Hostanska2
R. Saller2
für Pharmazie und Molekulare Biotechnologie, Abt. Biologie, Universität Heidelberg Innere Medizin, Abt. Naturheilkunde,Universitätsspital Zürich
Schlüsselwörter Johanniskrautextrakt · Wachstumshemmende Aktivität · Antidepressive Wirkung
Key Words St. John’s wort · Growth inhibitory activity · Antidepressant effect
Zusammenfassung Wässrig-alkoholische Johanniskrautextrakte werden zur Behandlung von leichten bis mittelschweren Depressionen eingesetzt. Kürzlich konnte gezeigt werden, dass sie auch das Wachstum von Tumorzellen in vitro hemmen können. Es wird die Hypothese vertreten, dass die vielfältige biologische Wirkung des Johanniskrautextraktes auf dem synergistischen Zusammenwirken der Johanniskrautinhaltsstoffe beruht und nicht auf der pharmakologischen Wirkung einzelner Substanzen.
Summary St. John’ Wort (Hypericum perforatum L.) – Multicompound Preparations Versus Single Substances Aqueous alcoholic extracts of St. John´s wort are used for the treatment of mild to moderate depression. Recently, Hypericum extracts were also shown to inhibit the growth of various human malignant cells. We promote the hypothesis that the various biological activities of aqueous Hypericum extracts are based on synergistic interactions of all compounds present therein and not on the pharmacological activities of single compounds.
Einleitung
Johanniskraut gehört zu den ältesten Arzneipflanzen Europas und war schon den Ärzten der Antike und des Mittelalters als Heilpflanze bekannt. Mit ihren hellgelben Blüten, den punktierten Blättern und dem roten Saft ist die Pflanze auffällig gezeichnet. Die goldgelben Blüten und die zahlreichen Staubblätter sind ein Symbol für die Sonne, für das Gute. Zudem steht die Pflanze gerade zur Sommersonnenwende, einer Schwärmzeit der Geister und Dämonen, in voller Blüte, was sie besonders wirksam gegen die bösen Einflüsse von Geistern und Zauberer erscheinen liess. Dies führte dazu, dass die Pflanze in den Mittsommernachtsriten vieler indogermanischer Völker eine herausragende Rolle spielte und als Fuga daemonium (= Teufelsflucht) zur Abwehr von Dämonen und Teufeln diente [1].
Johanniskraut ist in ganz Mittel- und Südeuropa verbreitet. Die 20–80 cm hohe Pflanze wächst bevorzugt auf trockenen Böden. Sie ist an sonnigen Wegrändern, geschützten Waldrändern, an sonnigen Mauern und auf trockenen Weiden zu finden. Am 24. Juni, dem Geburtstag Johannes des Täufers, steht sie in voller Blüte. An Inhaltsstoffen findet man im blühenden Kraut der Pflanze unter anderem Naphthodianthrone (Hypercin, Pseudohypericin), Xanthone, Phenolcarbonsäuren (z.B. Chlorogensäure, Kaffeesäure, Ferulasäure, Gentisinsäure), Flavonoide (z.B. Rutin, Quercetin, Hyperosid, Biapigenin), Acylphloroglucinderivate (Hyperforin, Adhyperforin), Procyanidine, Gerbstoffe und ätherisches Öl.
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Neben der heute gebräuchlichen Anwendung von alkoholischen Johanniskrautextrakten bei leichten bis mittelschweren Depressionen werden wässrige Johanniskrautzubereitungen in der volkstümlichen Medizin äußerlich bei leichten antimikrobiellen Hautaffektionen und Wunden eingesetzt. Kürzlich konnte erstmals die antiproliferative und Apoptose-induzierende Wirkung von wässrig-alkoholischen Johanniskrautextrakten an verschiedenen Tumorzelllinien gezeigt werden [2]. Obwohl die vielfältige biologische Wirkung von wässrig-alkoholischen Johanniskrautextrakten ausser Frage steht, gestaltet sich die Suche nach dem wirksamen Prinzip als äusserst schwierig. So führt die Frage, ob die jeweils beobachtbare Wirkung bzw. Wirksamkeit des Gesamtextraktes überwiegend auf einzelne definierte Inhaltsstoffe zurückgeführt werden kann, oder ob doch der Gesamtextrakt als Wirkstoff angesehen werden muss, immer wieder zu kontroversen Diskussionen. Im nachfolgenden Beitrag soll dieser Problemkreis an zwei Beispielen, der antiproliferativen und antidepressiven Wirkung von Johanniskrautextrakten im Vergleich zu isolierten Einzelsubstanzen, näher beleuchtet werden.
Antiproliferative Wirkung von Johanniskrautextrakten Wir untersuchten in vitro zunächst zwei alkoholische Johanniskrautextrakte, die aus der frischen bzw. aus der getrockneten Pflanze (EA bzw. EB) hergestellt wurden, auf ihre antiproliferative Wirkung an den beiden Tumorzelllinien K562 (= chronische Myeloblastenleukämie) und U 937 (= histiozytäres Lymphom). Beide Extrakte zeigten eine dosisabhängige Wachstumshemmung mit GI50-Werten (GI = growth inhibition) für EA von 432 µg/ml und 799 µg/ml und für EB von 587 µg/ml und 1030 µg/ml. Aus den Daten geht hervor, dass der Frischpflanzenextrakt (EA) die Zellproliferation beider Zelllinien signifikant besser als der Trockenpflanzenextrakt (EB) hemmte. Der einzige erkennbare analytische Unterschied zwischen beiden Extrakten bestand in der Hyperforin-Menge [2]. Es lag daher die Vermutung nahe, dass an der wachstumshemmenden Wirkung von Johanniskrautextrakten hauptsächlich Hyperforin beteiligt ist. In einer weiteren In-vitro-Untersuchung prüften wir daher zwei verschiedene wässrig-alkoholische Johanniskrautextrakte (EI und EII) auf ihre antiproliferative Aktivität an beiden Leukämizelllinien (K562 und U937). Der Exktrakt EI enthielt 3,25% Hyperforine, 0,28% Hypericine, 0,57% Procyanidine mit 0,08% Procyanidin B2 und 5,29% Flavonoide mit 2,8% Quercetin, 0,59% Rutosid und 1,08% Hyperosid wohingegen der Extrakt EII lediglich 0,21% Hyperforine, 0,32% Hypericine, 0,72% Procyanidine mit 0,24% Procyanidin B2 aber 10,09% Flavonoide mit 0,72% Quercetin, 3,36% Rutosid und 4,23% Hyperosid aufwies (Tab. 1). Überraschenderweise zeigte der EII, obwohl er den geringsten Hyperforingehalt von beiden Extrakten hatte, die beste antiproliferative Aktivität (Tab. 2).
Johanniskrautextrakt als Wirkstoff
Tab. 1. Charakteristische sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe in wässrigalkoholischen Trockenextrakten von Hypericum perforatum L. Pflanzeninhaltsstoffe, mg/100 g Extrakt Extrakt I (EI) Extrakt II (EII) Flavonoide Rutosid Hyperosid/Isoquercitrin Flavonoid X Flavonoid Y Quercitrin Flavonoid U Quercetin Biapigenin Naphthodianthrone Pseudohypericin Hypericin Phloroglucinole Hyperforin Adhyperforin Procyanidine Procyanidin-B2
5294,0 585,0 1080,0 210,0 110,0 204,0 0,0 2794,0 310,0 277,4 235,7 41,8 3253,1 2772,0 481,1 565,9 77,0
10085,0 3357,0 4228,0 651,0 315,0 447,0 154,0 715,0 219,0 317,0 270,1 47,5 210,4 181,0 29,5 719,3 237,9
Tab. 2. Antiproliferative Wirkung von zwei Johanniskrautextrakten (EI und EII) mit unterschiedlichem Hyperforin- und Flavonoidgehalt Tumorzelllinie Extrakt
K562 EI EII
U937 EI EII
GI50, µg/ml 406,7 248,3 672,5 378,2 Konzentrationen bioaktiver Substanzen in EI und EII im Bereich GI50, µM Hypericin 2,2 1,6 3,7 2,4 Hyperforin 24,6 1,0 40,7 1,5 Rutosid 3,5 13,7 5,9 20,8 Quercetin 37,6 5,9 62,2 8,9 Procyanidin-B2 0,63 1,2 1,04 1,8 GI50 = 50%ige Hemmkonzentration. K562 und U937: Tumorzelllinien.
Aus der Literatur war bekannt, dass Quercetin und Hypericin die Zellproliferation von Turmozellen in vitro hemmen können [2]. In eigenen Untersuchungen konnten wir die antiproliferative Wirkung dieser Substanzen bestätigen, wobei die GI50-Werte von Hypericin und Quercetin für die Tumorzelllinien K562 und U937 37,5 µM bzw. 21,0 µM sowie 28,4 µM bzw. 36,3 µM betrugen. Rutosid, ein Quercetindiglycosid, das in Johanniskrautextrakten reichlich vorhanden ist, war hingegen im gleichen Testsystem wesentlich weniger wirksam (GI50: 126,4 µM bei K562 und 161,5 µM bei U937) als sein Aglykon Quercetin. Darüber hinaus konnten wir zeigen, dass sowohl Hyperforin als auch Procyanidin-B2 in beiden Leukämiezelllinien von allen Testsubstanzen die stärkste antiproliferative
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Tab. 3. Wachstumshemmung der Tumorzelllinien K 562 und U 937 durch Hypericin und Hyperforin. In fixer Kombination zeigen beide Substanzen eine additive bzw. überadditive Wirkung
Tab. 4. Halbmaximale Hemmkonzentration (IC50) von Imipramin, Hyperforin (HYP) und einem methanolischen Johanniskrautextrakt (JKE) mit 1,5% Hyperforin für die synaptosomale Aufnahme verschiedener Neurotransmitter
Substanz, µM
K 562 Wachstumshemmung, % Ohne Licht 7,5 J/cm2
U 937 Wachstumshemmung, % Ohne Licht 7,5 J/cm2
Hypericin, 2,0 Hyperforin, 10,0 Hypericin + Hyperforin, 2,0 + 10,0
6,0 22,3 43,6
2,1 0,6 20,2
40,2 30,9 72,7
50,4 4,8 46,2
Substanz
IC50 für die Aufnahme von Serotonin Dopamin Noradrenalin GABA L-Glutamat
Imipramin, nmol/l HYP, nmol/l
21,0 205
> 1000 102
21,0 80
> 1000 184
> 1000 830,0
2,4 [67]
0,85 [24]
4,47 [123]
1,11 [31]
21,25 [586]
JKE, µg/ml [HYP, nmol/l]
Verändert nach [5, 7] [] = Hyperforinkonzentrationen im JKE.
Aktivität besitzen. Mit GI50-Werten von 14,9 µM bzw. 19,9 µM war Hyperforin nur unwesentlich schwächer wirksam als Procyanidin-B2 mit GI50-Werten von 12,2 µM bzw. 12,4 µM. Es stellte sich nun die Frage, ob die zellwachstumshemmende Wirkung von EI und EII durch die oben beschriebene antiproliferative Wirkung der Einzelsubstanzen hinreichend erklärt werden kann. Berechnet man für die jeweilige halbmaximale Hemmkonzentration von EI und EII die entsprechenden mikromolaren Konzentrationen von Hypericin, Hyperforin, Procyanidin-B2, Rutin und Quercetin (Tab. 2), dann lässt sich zeigen, dass die zellwachstumshemmende Wirkung von EI überwiegend auf der biologischen Aktivität von Hyperforin und Quercetin beruhen dürfte, da beide Substanzen im Johanniskrautextrakt eine ausreichende mikromolare Konzentration erreichten. Dagegen stellt sich die Situation für den EII völlig anders dar. Obwohl dieser spezielle Johanniskrautextrakt im Vergleich zu EI das Zellwachstum beider Leukämiezellen in vitro deutlich stärker hemmte, erreichten weder die Hyperforine noch Quercetin oder eine andere der geprüften Substanzen im Gesamtextrakt mikromolare Konzentrationen, die für sich alleine die ausgezeichnete zellwachstumshemmende Wirkung von EII befriedigend erklären könnten (Tab. 2). Aus diesem äusserst interessanten Ergebnis kann vorläufig nur der Schluss gezogen werden, dass für die antiproliferative Wirkung von EII keine Einzelsubstanz verantwortlich ist, sondern dass Hyperforine, Hypericine, Procyanidine und Flavonoide – letztere waren im EII um den Faktor 2 erhöht – in noch unbekannter Weise synergistisch zusammenwirken müssen. Darüber hinaus kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht ausgeschlossen werden, dass noch weitere, bisher nicht beschriebene Inhaltsstoffe an der antiproliferativen Gesamtwirkung von Johanniskrautextrakten mitbeteiligt sind.
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Aufgrund obiger Hypothese haben wir damit begonnen, uns mit möglichen Wirksynergismen von Johanniskrautinhaltsstoffen zu beschäftigen. So konnten wir in vitro erstmals zeigen [3], dass Hyperforin und Hypericin bei Abwesenheit von Licht in einer fixen Kombination in überadditiver und bei Lichtexposition in additiver Weise bei der wachstumshemmenden Wirkung auf Leukämiezellen zusammenwirken (Tab. 3). Die Ergebnisse beider Studien unterstützen die Annnahme, dass die antiproliferative Wirkung von wässrig-alkoholischen Johanniskrautextrakten auf dem multivalenten Wirkungsspektrum und der kooperativen Wirkungsweise der Johanniskrautinhaltsstoffe beruht.
Antidepressive Wirkung von Johanniskrautextrakten Johanniskrautfertigarzneimittel, die Johanniskrautextrakte als Arzneistoff enthalten, werden bei leichten bis mittelschweren Depressionen mit grossem Erfolg eingesetzt. Ihre Wirksamkeit konnte durch Plazebo- und Referenzsubstanz-kontrollierte (z.B. Imipramin, Fluoxetin) klinische Studien nachgewiesen werden [4, 5]. Die Mehrzahl der heute bekannten Antidepressiva hemmt den aktiven, energieabhängigen Rücktransport von Monoaminen wie Noradrenalin, Serotonin, Dopamin aus dem synaptischen Spalt zurück in das Neuron. Die Hemmung der Monoaminaufnahme bildet die Grundlage der klassischen Hypothesen sowohl zum Ursprung der Depression als auch zum Wirkmechanismus der Antidepressiva. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass neuere Antidepressiva trotz unterschiedlicher Beeinflussung der Noradrenalin- und Serotonin-
Reichling/Hostanska/Saller
Wiederaufnahme sich in ihrer klinischen Wirksamkeit kaum unterscheiden. Andere Antidepressiva, wie z.B. Mianserin, unterdrücken die Aufnahme der Neurotransmitter in das präsysnaptische Neuron praktisch überhaupt nicht. Die antidepressive Wirkung kann daher nur teilweise über die Beeinflussung des Neurotransmitter-Reuptakes erklärt werden. Vielmehr geht man heute davon aus, dass die antidepressive Wirkung unter anderem dadurch zustande kommt, dass Antidepressiva regulatorisch in die zentrale noradrenerge und serotonerge Neurotransmission eingreifen. Dafür spricht auch, dass es bei längerer Anwendung von Antidepressiva zu adaptiven Veränderungen an bestimmten Rezeptorsystemen kommt (z.B. Down-Regulation von β-Rezeptoren und 5-HT2Rezeptoren und Up-Regulation von 5-HT1A-Rezeptoren). Obwohl eine endgültige Erklärung für die antidepressive Wirkung von Johanniskrautextrakten noch aussteht, können in verschiedenen In-vitro-Modellen pharmakologische Wirkungen zweifelsfrei nachgewiesen werden [5, 6]. Die Suche nach den wirksamkeitsbestimmenden bzw. wirksamkeitsmitbestimmenden Inhaltsstoffen von Johanniskrautextrakten und deren molekularen Wirkmechanismen ist schwierig und gibt immer wieder Anlass zu kontroversen Diskussionen. Von den Pflanzeninhaltsstoffen, die in wässrig-alkoholischen Johanniskrautextrakten enthalten sind, ist die pharmakologische Wirkung von Hyperforin am besten untersucht. In vitro konnten analoge Wirkmechanismen zu klassischen Antidepressiva beobachtet werden [5, 7]. Unklar ist bisher, ob Hyperforin das eigentliche wirksame Prinzip darstellt, oder ob weitere Substanzen an der antidepressiven Wirkung von Johanniskrautextrakten beteiligt sind. Ein auf 1,5% Hyperforin standardisierter Johanniskrautextrakt hemmte in vitro die synaptosomale Aufnahme von Serotonin, Dopamin, Noradrenalin, GABA und L-Glutamat [7]. Berechnet man für die einzelnen halbmaximalen Hemmkonzentrationen die zugehörigen nanomolaren Hyperforin-Konzentrationen, dann wird deutlich, dass die Hemmung der synaptosomalen Wiederaufnahme von Serotonin, Dopamin und GABA nicht allein durch Hyperforin erklärt werden kann (Tab. 4). Die nanomolaren HyperforinKonzentrationen im Extrakt liegen in diesen drei Fällen deutlich unter den IC50-Werten der isolierten Substanzen. Aus diesem Versuchsansatz lässt sich der Schluss ziehen, dass Hyperforin nicht die einzige Substanz sein kann, auf die sich die antidepressive Wirksamkeit eines Johanniskrautextraktes zurückführen lässt. Tatsache ist, dass neben Hyperforin auch einige Flavonoide wie Hyperosid, Isoquercitrin und das Biflavonoid Biapigenin z.B. im «forced swimming test» der Ratte nach Porsolt (FST) eine signifikante antidepressive Wirkung zeigten [8]. Hypericin alleine wirkte in diesem Testsystem nur in sehr hohen Dosen. Die antidepressive Wirkung dieser Substanz konnte
aber durch Zugabe von Procyanidin-B2, das im FST selbst keine Wirkung zeigte, deutlich verstärkt werden. Fest steht, dass Procyanidin-B2 dazu beiträgt, dass sowohl die Wasserlöslichkeit von Hypericin als auch dessen Bioverfügbarkeit in Ratten deutlich erhöht wird. In eine ähnliche Richtung weisen Beobachtungen mit Rutosid. Obwohl selbst ohne antidepressive Wirkung, ist die Substanz für die Gesamtwirkung des Extraktes unerlässlich. Ein methanolischer Johanniskrautextrakt, der nur wenig Rutosid enthielt, zeigte im FST keine antidepressive Aktivität, auch dann nicht, wenn alle bisher als wirksamkeitsmitbestimmend bekannten Inhaltsstoffe darin enthalten waren. Die durchschnittliche Konzentration von Rutosid in Johanniskrautextrakten beträgt ca. 3%. Wurden dem Extrakt die fehlenden Mengen an Rutosid zugemischt, war dieser wieder antidepressiv wirksam [9]. Damit steht fest, dass ein antidepressiv wirksamer Johanniskrautextrakt neben den wirksamkeitsmitbestimmenden Inhaltsstoffen, wie z.B. Hyperforin, Hypericin, bioaktive Flavonoide, auch Substanzen, wie Rutosid und Procyanidine enthalten muss.
Johanniskrautextrakt als Wirkstoff
Forsch Komplementärmed Klass Naturheilkd 2003;10(suppl1):28–32
Johanniskrautextrakt als Wirkstoff Der Arzneistoff eines Phytopharmakons ist laut AMG der pflanzliche Extrakt, meist ein standardisierter Trockenextrakt. Es handelt sich dabei um ein Vielstoffgemisch mit Komponenten, die durch sehr unterschiedliche physikalisch-chemische Eigenschaften ausgezeichnet sind. Das Wirkprinzip von Pflanzenextrakten lässt sich selten einzelnen, chemisch klar definierten Bestandteilen zuordnen. Vielmehr besitzen Pflanzeninhaltsstoffe ganz offensichtlich ein multivalentes Wirkungsspektrum, wodurch nicht nur verschiedene Zielstrukturen in der Zelle bzw. im Organismus beeinflusst, sondern auch vielfältige synergistische Wirkungen hervorgerufen werden können. Es scheint plausibel zu sein, dass multivalente Pflanzeninhaltsstoffe, die zudem kooperativ bzw. synergistisch zusammenwirken, in vielen Fällen besser als Einzelsubstanzen in der Lage sind, ein komplexes pathophysiologisches Geschehen therapeutisch zu beeinflussen [10]. Vor diesem Hintergrund drängt sich die Vorstellung auf, dass für die beobachtbare antiproliferative und antidepressive Wirkung von wässrig-alkoholischen Johanniskrautextrakten das multivalente Wirkungsspektrum sowie das kooperative Zusammenwirken der Johanniskrautinhaltsstoffe verantwortlich sind. Die vielfältigen pharmakologischen Aktivitäten einzelner Inhaltsstoffe begründen zwar auf molekularer Basis die Wirksamkeit des Gesamtextraktes, sie sind aber nur Abbild des wirksamen Prinzips, nämlich des Gesamtextraktes in seiner ganzen Komplexität und nicht das Wirkprinzip selbst.
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Literatur 1 Czygan FC: Kulturgeschichte und Mystik des Johanniskrautextraktes. Z Phytother 1993;14:276– 281. 2 Hostanska K, Reichling J, Bommer S, Weber M, Saller R: Aqueous ethanolic extract of St. John’s wort (Hypericum perforatum L.) induces growth inhibition and apoptosis in human malignant cells in vitro. Pharmazie 2002;57:323–331. 3 Hostanska K, Reichling J, Bommer S, Weber M, Saller R: Hyperforin a constituent of St. John’s wort (Hypericum perforatum L.) extract induces apoptosis by triggering activation of caspases and with hypericin synergistically excerts cytotoxicity torward human malignant cell lines. Eur J Pharm Biopharm 2003 (zur Publikation angenommen).
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4 Linde K, Ramirez G, Mulrow CD, Pauls M, Weidenhammer W, Melchart D: St. John’s Wort for depression – an overview and meta-analysis of randomized clinical trials. BMJ 1996;313:253–258. 5 Wurglics M, Westerhoff K, Holoubek G, SchubertZsilavecz M, Müller WE: Aktuelle Johanniskrautforschung. Dtsch Apot Z 2002;142:1153–1174. 6 Winterhoff H, Butterweck V, Nahrstedt A, Gumbinger HG, Schulz V, Erping S, Boßhammer F, Wieligmann A: Pharmakologische Untersuchungen zur antidepressiven Wirkung von Hypericum perforatum L; in Loew D, Rietbrock N (Hrsg): Phytopharmaka in Forschung und klinischer Anwendung. Darmstadt, Steinkopff, 1995, pp 39–56.
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7 Chatterjee SS, Bhattacharya M, Wonnemann M, Singer A, Müller WE: Hyperforin as a possible antidepressant component of Hypericum extracts. Life Sci 1998;63:499–510. 8 Butterweck V, Petereit F, Winterhoff H, Nahrstedt A: Solubilized hypericin and pseudohypericin from Hypericum perforatum exert antidepressant activity in the forced swimming test. Planta Med 1998; 64:291–294. 9 Nöldner M, Schötz K: Rutin is essential for the antidepressant activity of Hypericum perforatum extracts in the forced swimming test. Planta Med 2002;68:577–580. 10 Wagner H: Neue Entwicklungen und Ergebnisse der phytomedizinischen Forschung. Z Phytother 2002;164–168.
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Tagungen und Kongresse · Meetings and Conferences Forsch Komplementärmed Klass Naturheilkd 2003;10(suppl1):33–40
Johanniskraut (Hypericum perforatum): Ein plurivalenter Rohstoff für traditionelle und moderne Therapien R. Saller1 1 Abteilung 2 Abteilung
J. Melzer1
J. Reichling2
Naturheilkunde, Departement für Innere Medizin, Universitätsspital Zürich, Schweiz Biologie, Institut für Pharmazie und Molekulare Biotechnologie, Universität Heidelberg, Deutschland
Schlüsselwörter Johanniskraut · Hypericum perforatum · Vielstoffgemisch · Antidepressive Wirkungen
Key Words St. John’s wort · Hypericum perforatum · Multicompound · Antidepressant effects
Zusammenfassung Johanniskraut (Hypericum perforatum) gehört einerseits zu den ältesten und andererseits zu den experimentell und klinisch am meisten erforschten Arzneipflanzen. Zahlreiche Medizinkulturen und Medizinsysteme aus Europa, Westasien und Nordafrika, den Ursprungsgebieten von Hypericum perforatum, haben über Jahrhunderte Johanniskraut als Arznei- und Heilpflanze verarbeitet. Johanniskrautzubereitungen besitzen nicht nur ärztliche Traditionen sondern auch Denkstile, Ideen und Erfahrungen nichtärztlicher Therapeuten sowie der Patienten. Das komplexe Vielstoffgemisch mit seiner evolutionär und koevolutionär entwickelten Zusammensetzung und Struktur bietet sich als differenziert bearbeitbarer Rohstoff zur Herstellung von quantitativ und qualitativ unterscheidbaren Arznei- und Heilmitteln an, die selbst wieder Vielstoffgemische sind. Sie unterscheiden sich nicht nur analytisch sondern vielfach auch in den Wirkungen. Das gesicherte bzw. potentielle Spektrum innerlicher und äusserlicher Anwendungen umfasst vor allem Erkrankungen und Beschwerden im Bereich des Magen-DarmTraktes, Hauterkrankungen, Schleimhautläsionen, oberflächliche Verletzungen, depressive Verstimmungen und Depressionen, somatoforme Störungen, Unruhe, Nervosität, Rekonvaleszenz, Erschöpfungszustände, Schlafstörungen, Pflegeanlässe. Der plurivalente Vielstoffcharakter ermöglicht auch ein erweitertes Wirkungsspektrum. Dies könnte es erlauben, in einer Reihe von Behandlungssituationen Johanniskrautzubereitungen anderen Arzneimitteln vorzuziehen. Bei tumorkranken Menschen mit Depressionen könnten z.B. antioxidative Wirkungen und die experimentell dokumentierte Induktion der Apoptose einen zusätzlichen Vorteil bedeuten, bei depressiven Patienten mit koronarer Herzkrankheit die antiinflammatorischen und antioxidativen Effekte.
Summary St. John’s Wort (Hypericum perforatum): A Plurivalent Raw Material for Modern and Traditional Therapies St. John’s Wort is one of the oldest and one of the best experimentally and clinically examined herbal remedies. In various medical cultures and medical systems – that is to say the regions of origin of Hypericum perforatum, like Europe, West Asia and North Africa – St. John’s Wort has been used as a remedy for centuries. Preparations from St. John’s Wort not only represent medical traditions but also ways of thinking, ideas and experiences from naturopathic healers (non-physicians) as well as patients. The complex multicompound with its evolutionary and coevolutionary developed composition and structure acts as a varied raw material for the production of quantitative and qualitative dissimilar remedies, which are multicompounds themselves. They differ not only analytically but also quite often in their effects. The certain and potential spectrum of internal and external uses includes gastrointestinal complaint and illness, skin disease, mucosal lesion, superficial injury, depressive upset and depression, somatoform disorders, restlessness, nervosity, convalescence, exhaustion, sleep disturbance and nursing treatment. The plurivalent character of the multicompound even enables a broad spectrum of activity. This might justify to prefer St. John’s Wort to other drugs in a wide range of treatments: In tumor patients with depression the antioxidative effect and the experimentally documented induction of apoptosis could mean an additional advantage, and in depressive patients with coronary heart disease the same applies to the antiinflammatory and antioxidative effects.
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Prof. Dr. Reinhard Saller Abteilung Naturheilkunde, Departement für Innere Medizin Universitätsspital Rämistrasse 100, CH-8091 Zürich E-mail
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Vielfalt von Zubereitungen aus Johanniskraut bzw. seiner Droge mit vielfältigen Wirkungsspektren
Medizinaltees Infuse
Extrakte (Propylenglykol/ Glycerol/Wasser)
Tinkturen
Kaltmazerate
Urtinkturen
Dekokte
Drogenpulver
Extrakte (alkoholische)
Hypericum perf. Rohstoff: Frischpflanze, Droge
Extrakte (lipophile Fraktionen)
Frischpflanzenpresssäfte
Abb. 1. Differenzierte Herstellungsmöglichkeiten von Arznei- und Heilmitteln aus Johanniskraut bzw. seinen Drogen. Grüne Farbunterlegung: Pflanze bzw. Droge Blaue Farbunterlegung: wässrige Auszüge Violette Farbunterlegung: alkoholische Auszüge Gelbe Farbunterlegung: fettlösliche Auszüge Rote Farbunterlegung: ätherisches Öl.
Spezialextrakte Kräuterweine arzneiliche Öle Kräuteressige
ätherische Öle
Ölmazerate
Pflanzen: Genuine Vielstoffgemische als Rohstoffe : Herstellungvariabilität von Phytotherapeutika mit erhaltenem (genuinen) Vielstoffcharakter
Einleitung Johanniskraut (Hypericum perforatum) ist ursprünglich eine Pflanze des eurasischen Raums (ganz Europa, Westasien, Kanarische Inseln und Nordafrika) [45, 51]. In Länder der Neuen Welt (Amerika, Australien) gelangte es als Neophyt erst in der Neuzeit, zum Teil erst im 19. Jahrhundert [51, 58]. Die therapeutische Verwendung von Zubereitungen aus Johanniskraut ist seit mehr als 2000 Jahren dokumentiert [30, 58]. Die berichteten Anwendungsbereiche und Erfahrungen stammen aus den verschiedenen Medizinkulturen und Traditionen, in denen Johanniskraut bekannt war (z.B. jeweilige Volks- und Schulmedizinen, symbolische Medizin, magische Medizin, Signaturenvorstellungen, alchemistische Betrachtungen, Humoralmedizin, Qualitätenlehre, naturwissenschaftliche Medizin) [23, 30, 35, 45, 58]. Insgesamt hat die Vielzahl von Medizinkulturen und Medizinsystemen aus den primären Verbreitungsgebieten von Hypericum perforatum im Laufe der Jahrhunderte die Verwendungsmöglichkeiten und damit auch die Einschätzung von Johanniskraut als Arznei- und Heilpflanzen gestaltet.
me eingebettet, die alle, nicht nur eine ausgewählte konventionelle Art naturwissenschaftlicher, Sichtweise, zu Wirksamkeit und Akzeptanz beitragen können. Aufgrund der therapeutischen Traditionen einerseits und der modernen Forschung andererseits eignet sich Hypericum perforatum als ein vieldimensionaler Prototyp für eine Betrachtung der Möglichkeiten von Arznei- und Heilpflanzen und deren Zubereitungen. Während sich in den letzten Jahren das Spektrum der wissenschaftlichen Fragestellungen und Untersuchungen in der experimentellen Forschung zu Johanniskraut erheblich auszuweiten scheint [2, 51, 64], engt sich offensichtlich die derzeitig dominierende wissenschaftlich klinische Betrachtung von Johanniskraut auf eine allgemein krankheitsspezifische Indikation ein: Behandlung von Depressionen entsprechend ICD 10 bzw. DSM-IV [3, 9, 50, 51, 63]. Die systematische Verwendung als dezidiertes Depressionsmittel ist im Vergleich zur gesamten Verwendungsdauer und den sogenannten traditionellen Gebrauch relativ jung, insgesamt erst etwas mehr als 60 Jahre [58].
Vielfalt der pharmazeutischen Bearbeitung von Johanniskraut Johanniskraut als phytotherapeutischer Prototyp Mit Johanniskraut sind in der Gegenwart vielfältige teils traditionelle, teils moderne Anwendungsgebiete verbunden. Seit den beiden letzten Jahrzehnten gehört Johanniskraut zu den experimentell und klinisch am umfangreichsten beforschten Arzneipflanzen [2, 3, 8, 9, 29, 45, 50, 51, 63, 64]. Johanniskraut und seine Zubereitungen sind in vielfältige Beziehungssyste-
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Die gezielte therapeutische Verwendung durch Fachleute bedingt in der Regel eine «Pharmazeutisierung» der entsprechenden Pflanze. Als ganze Pflanze wird Johanniskraut in seiner unveränderten Form therapeutisch praktisch nicht verwendet. Vielmehr ist die Pflanze der Rohstoff für die weitere pharmazeutische Verarbeitung. Der «phytotherapeutische Rohstoff» unterscheidet sich von anderen Rohstoffen für die
Saller/Melzer/Reichling
Extrakte
Ekzeme
Rotöl Tee Tinkturen
Psoriasis
Extrakte
HautTee infektionen Tinkturen Extrakte Verletzungen Rotöl Verstauchungen
Rotöl Tees Tinkturen
Unruhe Extrakte Nervosität Tinkturen Tee Depressive Extrakte Verstimmungen Tinkturen Tee
Kombination
Herpes simplex
Pflegeanlässe
Schlafstörungen Tee Extrakt Tinkturen
Tee Tinkturen Rotöl
Konstitution
Schleimhautläsionen
Johanniskraut Behandlungsanlässe: konventionell, traditionell, modern, experimentell
Abb. 2. Gesicherte bzw. potentielle Anwendungen der verschiedenen Zubereitungen aus Johanniskraut.
Tinkturen Extrakte Tee
Arzneimittelentwicklung entscheidend dadurch, dass er als Vielstoffgemisch vorliegt. Bislang sind mehr als 150 teils polare teils unpolare Inhaltsstoffe bzw. Inhaltsstoffgruppen identifiziert [2, 45, 51], die im Johanniskraut in vielfältige strukturelle und funktionelle Wechselbeziehungen eingebettet sind [5, 53, 65, 66]. Zusammensetzung und Struktur bzw. Textur von Johanniskraut haben sich evolutionär und koevolutionär entwickelt, sie stehen seit der Verwendung in Beziehung zum menschlichen Organismus. Beide, Pflanze und Mensch, beeinflussen sich gegenseitig. Auch Heilpflanzen folgen kulturellen Entwicklungen. Insgesamt hat sich der menschliche Organismus auch biologisch in Wechselwirkungen mit Vielstoffgemischen entwickelt. Das komplexe Vielstoffgemisch Johanniskraut bietet sich als gezielt bearbeitbarer Rohstoff zur Herstellung von quantitativ und qualitativ nachvollziehbar differenzierten Arzneiund Heilmitteln an. Der erste Bearbeitungsschritt und damit der Beginn der pharmazeutischen Differenzierung geschieht mit der Gewinnung der Drogen: Hyperici flos recens (frische, im Juli oder August gesammelte und von den Blütenstandsachsen getrennte Blütenknospen und Blüten) und Hyperici herba (kurz vor oder während der Blütezeit gesammelte und getrocknete ganze oder zerkleinerte oberirdische Teile; nur die blühenden Zweigspitzen oder auch Stengel, Blüten, Knospen und ein Anteil unreifer Früchte) [51]. Auch die aus der Gesamtpflanze gewonnenen Drogen werden in unveränderter Form eher selten therapeutisch verwendet (z.B. pulverisiert in Presslingen). Die Drogen selbst stellen wieder komplexe Rohstoffe für die weitere Heilmittelherstellung dar. Ein drogen- bzw. pflanzennahes Mittel sind Frischpflanzensäfte, die Mineralien, Spurenelementen und sowohl die was-
Johanniskraut (Hypericum perforatum): Ein plurivalenter Rohstoff für traditionelle und moderne Therapien
Tinkturen Extrakte
Rekonvaleszenz
Tinkturen Extrakte
Erschöpfung
Tinkturen (Extrakte)
Herz-Kreislauf Störungen
Droge (getrocknet)
Frischpflanze
Grüne Farbe: innerlich Rosa Farbe: äusserlich Rote Schrift: Studien (EBP)
Tinkturen Extrakte
Dyspepsie Rotöl (Reizmagen, Tees Reizdarm) Extrakte Tinkturen Durchfall
Differente Zubereitungen
Johanniskraut Alltagsstrukturierung
Somatiforme Störungen
Rotöl Tee
Supportive Extrakte palliative Therapie Tinkturen (Onkologie) Experimentell: Photodyn. Ther.
Extrakte
Prävention bioaktive Inhaltsstoffe + therapeutische Effekte
serlöslichen wie die unterschiedlich lipidlöslichen Bestandteile enthalten. Je nach Herstellungsverfahren und Lösungsmittel (z.B. polar, apolar, organisch) lassen sich aus den Drogen diverse Arznei- und Heilmittel gewinnen [51]. In Abbildung 1 sind die verschiedenen Zubereitungswege der Hypericum-Drogen schematisch zusammengefasst. Auch die im weiteren hergestellten Arznei- und Heilmittel sind komplexe Vielstoffgemische. Sie lassen sich nicht nur analytisch unterscheiden sondern vielfach auch in den bislang experimentell ermittelten Wirkungen und Wirkungsspektren. Herstellungen aus unterschiedlichen Ausgangsdrogen (Hyperici flos recens, Hyperici herba; nur blütennahe Anteile der Drogen) können zu biochemisch und pharmakologisch unterscheidbaren Produkten führen [z.B. 15]. Hypericum-Zubereitungen scheinen anders als psychotrope Monosubstanzen alle derzeit bekannten Transmittersysteme mehr oder minder zu beeinflussen (z.B. partielle oder vollständige Stimulation bzw. Hemmung von Rezeptorsystemen) [5]. Bei schonender Herstellung sind auch komplexe Texturen aus Pflanze bzw. Droge enthalten [21, 56]. Johanniskraut und seine Drogen sind nicht nur Rohstoff für Phytotherapeutika, sie können auch zur Weiterverarbeitung in anderen komplementärmedizinischen Richtungen mit deren speziellen Anwendungsgesichtspunkten verwendet werden (z.B. Homöopathie, Anthroposophie, Spagyrik).
Vielfalt der Wirkungen Der plurivalente Vielstoffcharakter ermöglicht nicht nur die differenzierte Herstellung unterschiedlicher Arznei- und
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Heilmittel. Er begründet auch ein mannigfaltiges Wirkungsspektrum der Zubereitungen. Dabei scheint eine Vielzahl von additiven, synergistischen und teils auch antagonistischen Effekten der verschiedenen Inhaltsstoffe vorzuliegen [2, 5, 8, 51, 60], die gemeinsam Wirksamkeit und Verträglichkeit begründen. Zu antidepressiven Wirkungen bzw. tierexperimentellen Äquivalenten von alkoholischen Zubereitungen und lipophilen Extrakten liegt eine Reihe experimenteller Untersuchungen vor [s. 4, 38]. Tierexperimentell sind gewisse antiinflammatorische [1, 25, 41], analgetische [25], anxiolytische [10, 59], nootrope [24], adaptogene [26, 31], immunmodulierende [49] und phototoxische bzw. photodynamische Effekte [6, 48, 65] dokumentiert. Einzelne Experimente zeigen antiepileptische Effekte [19], wobei wässrige Zubereitungen am stärksten wirkten, butanolische Auszüge weniger ausgeprägt und Auszüge mit Äther sogar eher epileptogen. Johanniskraut besitzt eine relativ hohe antioxidative Kapazität [37, 67], hauptsächlich wegen seines Gehaltes an polyphenolischen Substanzen [2, 37, 45, 51]. In vitro liessen sich sowohl mit einfachen Zubereitungen als auch mit kommerziell erhältlichen Extrakten ausgeprägte und vielfältige antioxidative Wirkungen nachweisen (einschliesslich einer Chelatbildung von Eisenionen und einer Hemmung der Lipidperoxidation) [7, 17, 20, 57], die ihrerseits wieder für ein grosses Spektrum weiterer potentiell therapeutisch bzw. präventiv bedeutsamer Wirkungen verantwortlich sein können. Verschiedene Zubereitungen einschliesslich des Johanniskrauttees erwiesen sich in vitro als antibakteriell wirksam [42]. Alkoholische Zubereitungen aus Hyperici flos recens und aus Hyperici herba zeigten gegenüber verschiedenen Tumorzelllinien apoptotische Wirkungen, wobei die Versuchsanordnung in diesen Experimenten auf additive und synergistische Interaktionen der Inhaltsstoffe und Unterschiede zwischen der Verwendung von frischen oder getrockneten Drogen hinweisen [15, 43]. Neben der experimentellen Forschung mit Zubereitungen und Extrakten, wie sie vergleichbar therapeutisch verwendet werden, wurden und werden Einzelstoffe aus Hypericum perforatum experimentell umfangreich verwendet [1, 4, 6, 38, 46, 48]. Allerdings sind die phytogenen Monosubstanzen aus Johanniskraut nicht direkt für die Vielstoffgemische repräsentativ. In ihrer Beforschung fehlen die möglichen synergistischen, antagonistischen und modulierenden Effekte der anderen Inhaltsstoffe. Gerade aber der Vielstoffcharakter und die Vielfalt des Zusammenwirkens der verschiedenen Substanzen, die für sich allein genommen nicht einmal wirksam sein müssen, sind konstitutiv für Phytotherapeutika. Das gesamte Wirkungsspektrum einer Hypericum-Zubereitung, d.h. auch die Wirkungen neben der intendierten Hauptwirkung, könnte in einer Reihe von Behandlungssituationen eine im Vergleich zu anderen modernen Arzneimitteln bevorzugte Auswahl von Phytotherapeutika aus Johanniskraut begründen. Sie scheinen vom Kindesalter [16] an in allen Lebensabschnitten nützlich und verträglich zu sein [45, 62, 64].
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Vielfalt der Anwendungen Für eine Reihe von Zubereitungen zeigen klinische Untersuchungen und therapeutische Empirie quantitativ und/oder qualitativ unterschiedliche Anwendungsmöglichkeiten (Abb. 2). Das gesicherte bzw. potentielle Spektrum innerlicher und äusserlicher Anwendungen umfasst vor allem Erkrankungen und Beschwerden im Bereich des Magen-Darm-Traktes, Hauterkrankungen, Schleimhautläsionen, oberflächliche Verletzungen, depressive Verstimmungen und Depressionen, ausgewählte somatoforme Störungen, Unruhe, Nervosität, Rekonvaleszenz, Erschöpfungszustände, Schlafstörungen, Pflegeanlässe [3, 8, 21, 22, 23, 27, 35, 36, 45, 47, 51, 64]. Zum Teil sind solche Behandlungsanlässe präferentiell bestimmten Zubereitungen und damit definierten stofflichen Kompositionen zugeordnet (z.B. ein Grossteil externer Anwendungen dem Johannisöl [27]). Die moderne Indikation «Depression» wird zumeist mit mehr oder minder lipophilen Hypericum-Extrakten in Verbindung gebracht. Eine summarische Betrachtung der vorliegenden klinischen Studien zu antidepressiven Wirkungen [3, 28, 29, 50, 51, 63, 64] zeigt, dass offensichtlich die verschiedenen, zum Teil unterschiedlich zusammengesetzten Extrakte bei Patienten mit leichten bis mittelschweren Depressionen vergleichbar antidepressiv wirksam zu sein scheinen, wenn man die unterschiedliche Potenz der einzelnen Extrakte berücksichtigt [34] und die jeweiligen Dosierungen angemessen korrigiert. Die modernen Krankheitsbilder der Depression, insbesondere nach dem DSM-IV, sind nicht deckungsgleich mit den mannigfaltigen depressiven Verstimmungen, bei denen Johanniskrautzubereitungen erfolgreich empirisch angewendet werden. Diese könnten zum Teil eher somatoformen Störungen (ICD 10) entsprechen. Solche Störungen bzw. Symptomkonstellationen, die an somatoforme Störungen erinnern, ohne vollständig die diagnostischen Kriterien zu erfüllen, sind häufige Beschwerdekomplexe und Behandlungsanlässe. Kontrollierte und unkontrollierte Studien [s. 22, 36, 61] zeigen, dass Hypericum-Extrakte bei ausgewählten Somatisierungsstörungen, undifferenzierten Somatisierungsstörungen und somatoformen autonomen Funktionsstörungen signifikant und relevant wirksam sind und zwar unabhängig davon, ob eine depressive Stimmung vorliegt. Die Besserung scheint bereits in Dosierungen [22] aufzutreten, bei denen antidepressive Wirkungen (noch) nicht oder allenfalls wenig ausgeprägt vorhanden sind. Die Wirksamkeit einerseits bei depressiven Störungen und andererseits unabhängig davon bei der heterogenen Gruppe von Somatisierungsstörungen mit ihrer bunten und wechselnden Symptomatik weist darauf hin, dass für diese breite Wirksamkeit die vielfältigen und möglicherweise dosisabhängig unterschiedlichen Wirkmechanismen der Vielstoffgemische aus Johanniskraut verantwortlich sein dürften. Ebenso könnte auch die relativ gute Verträglichkeit [18, 51] auf dem organischen Vielstoffcharakter und dem Wechselspiel der fördernden und hemmenden Interaktionen beruhen.
Saller/Melzer/Reichling
Diese modernen Studien greifen eine Vorgehensweise auf, die in der Phytotherapie als eine Arzneimitteltherapie der Naturheilkunde bereits seit langer Zeit eine Rolle spielt. Krankheitsbilder (und auch Genesungswege) werden phänomenologisch und nicht bzw. nicht nur pathophysiologisch ermittelt und betrachtet. Entsprechend der individuell bedeutsamen Symptome und Symptomkomplexe wird die Therapie ausgewählt, gestaltet und abgeändert (Plastizität der phänomenologischen Betrachtungsweise). Eine Reihe der Johanniskrautzubereitungen besitzen unmittelbar wahrnehmbare sinnliche bzw. sensorische Qualitäten (z.B. Tee, Tinkturen, Urtinkturen) [51]. Sie können, auch wenn der bittere und adstringierende Geschmack geringer ausgeprägt ist als bei anderen Drogen, subjektiv oder konstitutionell therapierelevant sein. Johanniskraut wurde in den letzten Jahrzehnten auch in aussereuropäische Medizinkulturen übernommen und bietet mittlerweile auch transkulturelle Empirie. So spielt z.B. in der Sicht der TCM der bittere Geschmack eine therapeutische Rolle [40]. Als weitere Qualität kommt z.B. die thermische Wirkung «kalt» zum Tragen [40]. Auch in der japanischen Kampo-Medizin wird mittlerweile die Verwendung von Johanniskraut in Erwägung gezogen [39]. Die vielfältigen experimentell beschriebenen Wirkungen, eine reflektierte therapeutische Empirie sowie Behandlungsergebnisse aus Studien weisen darauf hin, dass Johanniskrautzubereitungen im Vergleich zu anderen Arzneimitteln spezifische Vorteile bieten könnten. Dies sei an zwei Beispielen erläutert. Depressive Verstimmungen oder somatoforme Beschwerden kommen bei tumorkranken Menschen häufig vor. HypericumZubereitungen könnten bei vergleichbarer Wirksamkeit den Vorteil bieten, dass sie neben einem breiteren Spektrum an klinischen Wirkungen ausserdem noch gewisse antiinflammatorische [1, 25], immunmodulierende [12, 49] und antioxidative [17, 57] sowie gegenüber ausgewählten Tumorzellinien apoptotische Eigenschaften [15, 43] besitzen. Gerade auch unter solchen Gesichtspunkten könnten Johanniskrautpräparate z.B. einen besonderen Platz in der Palliativ- und Supportivmedizin einnehmen. Bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit stellen depressive Verstimmungen einen offensichtlich eigenständigen Risikofaktor dar [14, 44]. Milde antiinflammatorische Effekte [25] sowie ausgeprägte antioxidative Wirkungen [17, 57] könnten im Vergleich zu anderen Antidepressiva für eine Wahl von Hypericum-Extrakten sprechen. Weiterhin könnte vorteilhaft sein, dass angemessen dosierte Hypericum-Extrakte keine kognitiven und psychomotorischen Beeinträchtigungen verursachen [55]. Zudem sind sie gewichtsneutral [32]. Ausserdem scheinen sie die Herzfrequenzvariabilität (als einen Ausdruck der sympathikovagalen Balance) im Gegensatz zu einer Reihe anderer Antidepressiva nicht negativ zu beeinflussen [52]. Möglicherweise könnte die bei depressiven Patienten verringerte bzw. aufgehobene Herzfrequenzvariabilität [11, 54] und damit auch die entsprechend beeinträchtigte autonome kardiale Regulation gebes-
Johanniskraut (Hypericum perforatum): Ein plurivalenter Rohstoff für traditionelle und moderne Therapien
sert werden. Dies könnte eine weitere Risikominderung bedeuten. Natürlich sind für eine regelhafte Anwendung in solchen Situationen entsprechende klinische Forschungen einschliesslich der Abklärung der Bedeutung eventueller Wechselwirkungen mit anderen Pharmaka notwendig [13, 18, 33].
Johanniskraut als Arznei- und Heilmittel unterschiedlicher Kulturen Der Begriff «Rohstoff» für Johanniskraut sollte nicht nur pharmazeutisch sondern auch im Hinblick auf kulturelle Vielfalt gesehen werden. Johanniskraut besitzt nicht nur wie andere Arzneimittel eine relativ kurze, wenngleich mittlerweile auch intensive Geschichte aus dem Labor (naturwissenschaftlicher Forschungsstand) sondern transportiert mannigfaltige Erfahrungen (Überlieferungsbestände), Ideen und vor allem therapeutische Anregungen aus Jahrhunderten der Anwendung [51, 58]. Vor allem Johanniskrauttinkturen wurden lange Zeit umfangreich als Nerven-, Rekonvaleszenz- und Konstitutionsmittel gebraucht [23, 30, 45, 51]. Der damit verbundene, teils vitalistische, teils funktionelle Konstitutionsbegriff (Konstitution als Mischung aus abwehrender Energie und rezeptiver Kraft) und die therapeutische Intention (Versuch der Mobilisierung körperlicher aber auch psychischer und seelischer Energien) könnten durchaus für moderne Behandlungen fruchtbar sein. Auch geographisch getrennte Kulturräume haben Einschätzung, Bedeutung und Anwendung von Johanniskrautzubereitungen geprägt. So wurden sie z.B. in osteuropäischen Ländern überwiegend nur äusserlich angewendet, zum Teil auch als eine Art topisches Antibiotikum [47, 51, 58]. Im Westen wurde die gezielte topische antimikrobielle Anwendung erst in den letzten Jahren wieder entdeckt und beforscht. Ein grosser Teil der vielfältigen Anwendungen von Johanniskrautzubereitungen besitzt eine Art regionalen Charakter. Die Indikation «Depressionen» hingegen hat sich in den beiden letzten Jahrzehnten global verbreitet. Dazu haben wahrscheinlich die verschiedenen, zumindest partiell geglückten Versuche, Anwendungsgebiet und Hypericum-Zubereitungen «labortauglich» zu machen, und die entsprechenden Forschungsergebnisse beigetragen, allerdings mindestens ebenso stark auch die postmodernen Nöte mit depressiven Störungen und Verstimmungen. Verfügbarkeit und Anwendung von Johanniskraut und vieler seiner Zubereitungen waren und sind auch weiterhin kein ausschliessliches Privileg einer Berufsgruppe und deren medizinischen Denkweise (z.B. Ärzte). Johanniskrautzubereitungen transportieren nicht nur ärztliche Traditionen sondern auch Denkstile, Ideen und Erfahrungen nichtärztlicher Therapeuten sowie die Vorstellungs- und Erfahrungswelten der Patienten. Dieses Spektrum von anwendungsrelevanten und auch wirkmächtigen Situationen muss in realitätsgerechte Evaluationen eingehen. Ein eindimensionales Vorgehen nach der derzeitigen Dominanz der nahezu ausschliesslichen Berück-
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➡ Prüfung
➡ von JK-Zubereitungen
➡ mittels
➡ Patienten
Pharmazie, Biopharmazie
Pharmakologie
Klinische Pharmakologie Europäische Traditionen (mediterran, mitteleuropäisch, osteuropäisch)
JK als „Rohstoff“ für Arznei- und Heilmittel
Abb. 3. Einflüsse auf Wirksamkeit und Anwendungen von Johanniskrautzubereitungen sowie Möglichkeiten und Erfordernisse für Evaluationen der Wirksamkeit. Zur Wirksamkeit von Johanniskrautzubereitungen tragen vielfältige pharmazeutische, pharmakologische, professionelle, kulturelle, soziale, individuelle und subjektive Einflüsse bei. Die derzeitigen konventionellen Wege der Evaluation entsprechend den formalen Gesichtspunkten der Evidenz-basierten Medizin (linker oberer Teil der Abbildung) berücksichtigen im wesentlichen nur die Einflüsse von Pharmazie/Biopharmazie bis klinischer Pharmakologie und den randomisierten klinischen Studien. Wichtige, mitunter entscheidende Wirkmomente werden dabei nicht angemessen erfasst. Dies würde einen erheblichen Bias in der Wahrnehmung und Verarbeitung von therapeutischer Empirie bedeuten. JK = Johanniskraut
Evidence-basedMedicine (EBM, EBP) (JK als „Antidepressivum“)
JK als „Rohstoff“ für „Hausmittel“
Johanniskrautzubereitungen: Wirksamkeit und Behandlungsanlässe
Erwartungen der Patienten (u.a. JK als „Mittel zum Erwerb heilsamer Kräfte“)
Individualempirie, Subjektive Empirie (Arzt, Therapeut, Patient)
Subjektive Therapiekonzepte und Denkstile
sichtigung von Studien mit hoher interner Validität (z.B. randomisierte klinische Studien mit hoher formal-standardisierter Qualität aber relativer Praxisferne) wird den subjektiven Erfahrungswelten im Zusammenhang mit Johanniskraut nicht gerecht. Wesentlich näher an den Behandlungsrealitäten einer individuellen, sorgsam reflektierten Alltagspraxis ist die Einbeziehung der verschiedenen Wege von «Outcome»-Forschung (Abb. 3). Eine solche Erhebung von Empirie würde auch einen weiteren Aspekt aufgreifen: Phytotherapeutika wie Johanniskrautzubereitungen werden von vielen Patienten auch als eine Art «eigener Arzneimittel» eingeschätzt, deren Anwendung sie in einem gewissen Gegensatz zu anderen modernen Arzneimitteln selbst gestalten oder wenigstens mitgestalten (z.B. Wahl und Änderungen von Dosierungen und Dosierungs- bzw. Anwendungsintervallen). Johanniskrautzubereitungen sind Arznei- und Heilmittel, die sowohl in den Kompetenzbereich von Fachleuten als auch in den der Patienten selbst fallen. Die berufsgruppenüberscheitende Verwendungsmöglichkeit trägt nicht nur zur Beliebtheit von Johanniskraut bei, sondern scheint häufig auch ein wesentlicher
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Ethnomedizinische Gesichtspunkte (z.B. TCM, Kampo)
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Nichtärztliche profesionelle Therapie- und Denktraditionen
Patientenwahl von Theorie und Therapie Patientenkompetenz und Mitgestaltung der Therapie (u.a. Patient als Subjekt)
Grund für die Präferenz für solche Zubereitungen zu sein. Die unterschiedlichen Denkstile im Zusammenhang mit Johanniskraut können die Vorstellungswelten von Patienten individuell und subjektiv entscheidend ansprechen und auch damit erheblich Wirksamkeit und Verträglichkeit verbessern. Neben dem Gebrauch als Hausmittel trägt dazu unter anderem auch eine gewisse Vielfalt von Präparaten und zum Teil auch die Verfügbarkeit als nicht rezeptpflichtige Arzneimittel bei.
Arzneimittelzulassung und Vielfalt der Anwendungsmöglichkeiten und Indikationen Die Entwicklung zulassungsreifer Arzneimittel gehorcht keineswegs nur einem therapeutischen Imperativ sondern mindestens genauso intensiv wirtschaftlichen Erwartungen und regulatorischen Vorgaben. Ein Hauptweg der derzeit modernen Beurteilung von Johanniskrautzubereitungen (etwa im Sinne einer Evidenz-basierten Phytotherapie) konzentriert sich auf krankheitsspezifische Indikationen: Johanniskrautex-
Saller/Melzer/Reichling
trakte bzw. -tinkturen als Antidepressivum bei leichten bis mittelschweren Depressionen [45, 51, 58]. Sicherlich sind Johanniskrautzubereitungen ein solches Antidepressivum. Aber eine solche Fokussierung der Betrachtungsweise hat erhebliche Konsequenzen für Schwerpunktbildungen in Forschung, therapeutischer Anwendung und Bezahlung durch Krankenversicherungen. Dadurch kann wissenschaftlich wie auch praktisch ein Teil der originären phytotherapeutischen Anwendungsbreite schwinden, beispielsweise ein im Vergleich zu Monosubstanzen bzw. einfachen Kombinationen potentiell breiteres Wirkungsspektrum als individuelles Auswahlkriterium oder die empirische Tradition personenbezogener Anwendungen (z.B. als individuell ausgewähltes Konstitutionsmittel, Rekonvaleszenzmittel, Tonikum). Ein Grossteil der traditionellen aber nach wie vor aktuellen Empirie wird ausserhalb reglementierter Erkenntniswege gewonnen. Eine nicht diese Eigenheiten einbeziehende Zulassungsregelung könnte einen bedeutsamen Verlust therapeutischer Erfahrungen und therapeutischer Phantasie bedeuten.
Schlussfolgerungen Die stoffliche, pharmazeutische, konzeptionelle und therapeutische Vielfalt, die mit Johanniskraut verknüpft ist, ist keine undifferenzierte Beliebigkeit oder nur assoziative Geschichten- und Ideensammlung. Die reflektierte Vielfalt ist die kenntnisreiche praktische Umsetzung der Möglichkeiten, die
der vieldimensionale Rohstoff Johanniskraut beinhaltet. Um das therapeutische Spektrum erschöpfend und kompetent nutzen zu können, sind neben dem konventionellen Arzneimittelwissen spezielle Kenntnisse der Eigenheiten von Vielstoffgemischen notwendig. Diese sollte und kann man erwerben. Dann allerdings ist es möglich, mit den Zubereitungen aus dem einen plurivalenten Rohstoff Johanniskraut eine Palette von teils indikationsbezogen teils personenbezogen unterschiedlich wirkenden Arznei- und Heilmitteln anzuwenden. Überträgt man diese Vorgehensweise auf andere Arzneipflanzen ist es mit relativ wenigen, individuell für die eigene Praxistätigkeit ausgewählten «Rohstoffen» möglich, ein relativ grosses Spektrum von Behandlungsanlässen zu erfassen. Als Arzt bzw. nichtärztlicher Therapeut lässt sich auf diese Weise mit jeweils nur relativ wenigen Arzneipflanzen eine auf die Praxisbedürfnisse ausgerichtete Art Apotheke zusammenstellen. Die angemessene Berücksichtigung des Vielstoffcharakters und des potentiellen Wirkungsspektrums von Johanniskrautzubereitungen ermöglicht es ausserdem als weiteres Kriterium für eine Mittelwahl die zusätzlichen Wirkungen solcher Zubereitungen mit heranzuziehen. Der Rohstoff Johanniskraut zeigt: Unter qualifizierter Ausnutzung der Zubereitungsmöglichkeiten und nachvollziehbarer Rezeption vielgestaltiger therapeutischer Erfahrungen und Behandlungsweisen stehen bereits mit einer einzelnen Arznei- und Heilpflanze vielfältige Arznei- und Heilmittel für erstaunlich vielfältige Behandlungsanlässe zur Verfügung.
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Saller/Melzer/Reichling
Tagungen und Kongresse · Meetings and Conferences Forsch Komplementärmed Klass Naturheilkd 2003;10(suppl1):41–44
Gemeine Pestwurz (Petasites hybridus) – Portrait einer Arzneipflanze P. Kälin Bioforce AG, Roggwil
Schlüsselwörter Petasites hybridus · Pestwurz · Migräne · Leukotriene · Petasine
Key Words Petasites hybridus · Butterbur · Migraine · Leucotrienes · Petasines
Zusammenfassung Seit Jahrhunderten findet die Gemeine Pestwurz (Petasites hybridus) in der Volksmedizin vielseitige Anwendung. Moderne Indikationen sind die Migräneprophylaxe, Spannungskopfschmerzen, Spasmen des Magen-DarmTraktes und der ableitenden Harnwege. In der Zukunft wird die allergische Rhinitis und möglicherweise auch Asthma dazukommen. Von den Hauptinhaltsstoffen, den Petasinen, sind eine Leukotriensynthesehemmung und die Senkung der intrazellulären Kalziumkonzentration gut belegt. Die antiinflammatorische und spasmolytische Wirkung von Pestwurzextrakten wird damit erklärt. Die toxischen und karzinogenen Pyrrolizidinalkaloide werden während der Extraktion mit überkritischem CO2 quantitativ entfernt. Milde gastrointestinale Nebenwirkungen sind selten. 4 Fälle einer reversiblen cholestatischen Hepatitis wurden bis heute in Deutschland in wahrscheinlichen Zusammenhang mit Pestwurzextrakten gebracht. Mit einer Inzidenz von 1:157 000 kann diese Nebenwirkung als sehr selten bezeichnet werden, wodurch sich Pestwurzextrakte nach wie vor durch ein sehr günstiges NutzenRisiko-Profil auszeichnen.
Summary The Common Butterbur (Petasites hybridus) – Portrait of a Medicinal Herb For hundreds of years butterbur (Petasites hybridus) has been used against many diseases. Modern indications are the prophylaxis of migraine, tension headache, spasms of the urogenital tract, gastro-intestinal tract and bile duct and hopefully hay fever and asthma in the near future. The petasines, the main components of butterbur, inhibit the synthesis of leucotrienes and decrease the intracellular concentration of calcium which explains the anti-inflammatory and spasmolytic properties of extracts of butterbur. Thanks to extraction with supercritical CO2 the concentrations of the potentially hepatotoxic and carcinogenic pyrrolizidine alkaloids lie below the detection limits. Until now four cases of a reversible cholestatic hepatitis have been probably associated with long-term administration of butterbur (incidence of 1:175.000). It is unknown which components of butterbur are responsible for the longterm hepatotoxicity. Further side effects involve the gastrointestinal tract and are usually mild.
Arzneipflanze und verwendete Drogen
Erst während der Blüte breiten sich die Blätter aus, die einen Durchmesser von bis zu 60 cm erreichen können. Diesen grossen Blättern verdankt die Pflanze auch ihren Namen: Der griechische Arzt Dioskurides (um 50 n.Ch.) verglich die Blätter mit einem breitkrempigen Regenhut (griechisch petasos) und gab ihr den Namen Petasites [1].
Die gemeine Pestwurz (Petasites hybridus, Asteraceae) ist in Europa, Asien und Nordamerika verbreitet. Anfangs März erscheinen ihre rötlichen Blütenstände an nassen, nährstoffreichen Standorten wie Bach- und Flussufern.
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Dr.med. Peter Kälin Bioforce AG Grünaustrasse, Postfach 76 CH-9325 Roggwil
Tab. 1. Indikationen von Pestwurz (Rhizome) Indikation
Traditionell
Modern
Migräne Spannungskopfschmerzen Krampfartige Schmerzen im Bereich der ableitenden Harnwege Krampfartige Schmerzen des Magen-Darm-Galle-Bereichs Dysmenorrhoe Emmenagogum Rückenschmerzen Husten Asthma Rhinits allergica Wundheilung, äusserlicht
– t
+ (+)
t
+
t t t t t t – [B]
(+) (+) – – – (+) + [B] –
t: traditionelle Anwendung. + durch Studien belegte Indikation. (+) durch Studien mangelhaft belegte Indikation. [B] Blattextrakt bzw. zerstossene Blätter bei äusserlicher Anwendung.
Anzahl Attacken pro Monat
5 4 3
Placebo
2
Verum
*
1
*
*
* p < 0,05
0 0
4
8
12
Wochen nach Therapiebeginn
Abb. 1. Häufigkeit der Migräneattacken pro Monat unter Therapie mit Pestwurzextrakt oder Placebo. Nach einer Vorlaufzeit von 4 Wochen zur Ermittlung der Ausgangswerte wurden 33 Patienten mit Pestwurzextrakt (2 × 50 mg täglich) und 27 Patienten mit Placebo behandelt. Ab der 4. Woche bis zum Ende der Studie hatte die Anzahl Migräneattacken pro Monat unter Pestwurzextrakt gegenüber Placebo signifikant abgenommen (∗ Werte unterscheiden sich signifikant, p < 0,05). Nach 8 Wochen wurde eine maximale Reduktion der Attackenzahl um 60% gegenüber den Ausgangswerten (Tab.2) verzeichnet.
Pharmakologie der Inhaltsstoffe Pestwurzextrakte enthalten unter anderem Sesquiterpenester, Pyrrolizidinalkaloide und ätherisches Öl [4]. Gut untersucht ist die antiinflammatorische und spasmolytische Wirkung der Petasine: Ihre antiinflammatorische Wirkung beruht auf einer Hemmung der 5-Lipoxygenase (LO), wodurch die Produktion der Leukotriene abnimmt [5, 6]. Zusätzlich wird die Freisetzung von ECP (eosinophiles kationisches Protein) vermindert. Leukotriensynthesehemmer wie Pestwurzrhizomextrakt reduzieren die Synthese aller Leukotriene, also auch von LT B4, dessen leukotaktische Effekte durch die synthetischen Leukotrienrezeptorantagonisten nicht blockiert werden [5]. Der Mechanismus der spasmolytischen Wirkung der Petasites-Extrakte ist bislang nicht abschliessend geklärt: Untersuchungen zeigen eine relaxierende Wirkung auf glatte Muskulatur [7, 8, 9]. Dieser Effekt wird wahrscheinlich durch eine Abnahme der intrazellulären Kalziumkonzentration ausgelöst, möglicherweise infolge einer direkten Hemmung der Kalziumkanäle. Pyrrolizidinalkaloide (PA) sind im Pflanzenreich weit verbreitet [10]. Im Rhizom der Pestwurz liegen die PA als hydrophile, nicht-toxische N-Oxide vor. Erst nach «reduktiver Giftung» durch Bakterien der Darmflora werden die nun lipophilen PA resorbiert und in der Leber durch Cytochrom P-450 oxidiert und anschliessend zu toxischen bzw. karzinogenen (alkylierenden) Pyrrolderivaten abgebaut. Eine PA-Vergiftung kann sich in einem Budd-Chiari-Syndrom manifestieren. Die Karzinogenität führt zu benignen und malignen epithelialen Lebertumoren [11]. Dank spezieller Extraktionsverfahren (siehe u.) liegen die Konzentrationen der PA in Fertigarzneimitteln unter der Nachweisgrenze von 0,1 ppm [10] und sind somit toxikologisch unbedenklich. Extraktionsverfahren Für die Zubereitung von Fertigarzneimitteln werden Wurzelstöcke und Blätter verwendet. Die Extraktion der Inhaltsstoffe erfolgt heute mit flüssigem CO2 unter erhöhtem Druck («superkritisches CO2»). Dieses Verfahren ergibt praktisch pyrrolizidinfreie Extrakte (Nachweisgrenze von 0,1 ppm).
Indikationen Als Droge werden die Rhizome (Petasitidis rhizoma) und die Blätter verwendet (Petasitidis folium). Historisches Dioskurides verwendete die feingestossenen Blätter als Umschlag bei Hautgeschwüren [2]. Tabernaemontanus empfahl in seinem Kräuterbuch von 1664 das Wurzelpulver der «Pestilentzwurz» auch zum innerlichen Gebrauch bei Bauchkoliken, bei Husten als Mukolytikum, als Emmenagogum und Diaphoretikum [3].
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In dieser Arbeit werden nur die durch Studien belegten Indikationen diskutiert. Tabelle 1 gibt einen Überblick über moderne und traditionelle Anwendungen. Pestwurzrhizomextrakt ist in der Migräneprophylaxe effizient: In einer placebo-kontrollierten Studie mit total 60 Patienten (2 × 50 mg Petasitesrhizomextrakt täglich) über 12 Wochen nahm die Attackenzahl pro Monat (Abb. 1) von 3.3 ± 1.5 zu Beginn auf 1.3 ± 0.9 nach 8 Wochen ab (Tab. 2), was einer maximalen Reduktion von 60% (Placebo 17.2%) gegenüber dem
Kälin
Tab. 2. Anzahl Migräneattacken pro Monat (Mittelwert ± SD) Wochen nach Therapiebeginn 0 4 8 12 Pestwurzextrakt Placebo
3.3±1.5 2.9±1.2
1.8±0.8 2.2±0.7
1.3±0.9 2.4±0.8
1.7±0.9 2.6±1.1
Ausgangswert entspricht [12]. Damit ist der verwendete Extrakt bezüglich der prozentualen Reduktion der Attackenzahl pro Monat vergleichbar mit den gängigen synthetischen Migräneprophylaktika Propranolol (– 38.2%), Timolol (– 43.9%) [13] und Flunarizin (– 39%) [14]. An dieser prophylaktischen Wirkung auf die Migräne könnte der Leukotrienantagonismus der Petasine mitbeteiligt sein (Hemmung der neurogenen Entzündung). Zudem verhindern Petasine den Anstieg der intrazellulären Kalziumkonzentration wie die schon lange in der Migräneprophylaxe eingesetzten Kalziumantagonisten (z.B. Flunarizin). Der Wirkungsmechanismus ist im Detail jedoch ungeklärt. Zwei Studien stützen die traditionelle Anwendung bei Spannungskopfschmerzen [15, 16]. In einer kontrollierten Studie mit je 20 Patienten in den 2 Behandlungsgruppen zeigte ein Pestwurzextrakt nach der Kupierung der akuten Symptomatik mit Papaverin i.v. eine mit N-Butylscopolamin (Buscopan®) vergleichbare Wirkung [17]. Eine weitere Arbeit weist auf eine schmerzlindernde Wirkung bei Zystitiden und Nieren-/ Uretersteinen hin [18]. Der Einsatz von Pestwurzextrakten bei leichten bis mittelstarken kolikartigen Schmerzen der ableitenden Harnwege erscheint somit gerechtfertigt. In der Volksmedizin wird die Pestwurz auch bei Dysmenorrhoe angewendet. Eine plazebokontrollierte, doppelblinde Pilotstudie an 14 Probandinnen mit primärer Dysmenorrhoe liefert Hinweise auf eine Wirksamkeit von Pestwurzextrakt [19]. Obwohl Pestwurz in der Volksmedizin bei Spasmen des Verdauungssystems und im Gallenbereich häufig verwendet wird, finden sich dazu keine den heutigen Standards entsprechenden Untersuchungen. Eine gute Wirkung kann aber aufgrund des oben diskutierten Wirkungsmechanismus und der Resultate der Untersuchungen an Tiermodellen erwartet werden [7]. Die traditionelle Anwendung der Pestwurz bei Asthma wurde in zwei neueren Studien untersucht [16, 20]. Beide Studien entsprechen nicht den heutigen Anforderungen. Die Wirksamkeit bei Asthma muss durch kontrollierte klinische Studien gesichert werden. Eine etwaige Wirkung könnte auf die oben beschriebene Leukotriensynthesehemmung, die Hemmung von eosinophilem kationischem Protein (ECP) und den relaxierenden Effekt auf die glatte Muskulatur der Atemwege zurückgeführt werden [8, 21].
Petasites hybridus
In einer randomisierten Doppelblindstudie erhielten 61 Patienten 4 × täglich 1 Tablette eines CO2-Extraktes aus Pestwurzblättern und 64 Patienten 1 Tablette Cetirizin abends während zwei Wochen. Es wurde gezeigt, dass der geprüfte Extrakt bei allergischer Rhinitis gleich wirksam ist wie Cetirizin, jedoch ohne dessen sedierende Nebenwirkung [22]. Die gute Wirkung wird durch die Leukotriensynthesehemmung der Petasine erklärt.
Perspektiven weiterer Anwendungsmöglichkeiten Synthetische Leukotriensynthesehemmer wurden bei entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa erfolgversprechend klinisch getestet [23, 24]. Zwei Studien deuten auf die Wirksamkeit von Leukotrienrezeptorantagonisten bzw. synthetischen Leukotriensynthesehemmern bei chronischer Urticaria hin [25, 26]. Auch bei Psoriasis wurden diverse Lipoxygenasehemmer topisch oder systemisch erfolgreich klinisch erprobt [27, 28]. Die Zukunft wird zeigen, ob Pestwurzextrakt auch bei diesen Indikationen wirksam ist.
Dosierung und Anwendungsdauer Bisher ist auf dem Markt nur ein CO2-Wurzelextrakt erhältlich: Zur Migräneprophylaxe werden 2 × täglich 50 mg Wurzelextrakt während mindestens 3 Monaten eingenommen. Bei spastischen Schmerzen wird eine Dosierung von 2–3 × täglich 25–50 mg empfohlen. Ein CO2-Blattextrakt in Tablettenform für die Indikation allergische Rhinitis ist im Zulassungsverfahren. Anwendungseinschränkungen Pestwurzextrakte sollten von Kindern unter 12 Jahren, Schwangeren und stillenden Müttern nicht eingenommen werden. Unerwünschte Wirkungen Selten treten leichte gastrointestinale Beschwerden wie Aufstossen und Druckgefühle in der Magengegend auf. Auch über reversible allergische Hautreaktionen wird vereinzelt berichtet. Bis heute wurden 4 Fälle einer cholestatischen Hepatitis in wahrscheinlichen Zusammenhang mit der Langzeiteinnahme von Pestwurzrhizomextrakt zur Migräneprophylaxe gebracht (Inzidenz 1: 157 000). In allen 4 Fällen normalisierten sich die deutlich erhöhten Leberparameter nach Absetzen des Präparates in kurzer Zeit. Dies spricht für eine medikamentös induzierte Hepatitis aufgrund einer allergisch-immunologischen Reaktion wie sie von unzähligen weit verbreiteten Medikamenten (z.B. auch Diazepam oder Paracetamol) als sehr seltene Nebenwirkung bekannt ist [29]. Da sich die Hepatitis in
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allen Fällen erst nach mehr als 4 Wochen täglicher Verabreichung von Pestwurzextrakt manifestierte, scheint es sinnvoll, vor Therapiebeginn und danach alle 4–6 Wochen die Leberwerte zu bestimmen, und im Falle einer Erhöhung dieser Werte die Medikation sofort abzusetzen. Risikofaktoren für die Entwicklung einer cholestatischen Hepatitis unter Langzeittherapie mit Pestwurzextrakt sind Alkoholabusus und zusätzliche Dauermedikation mit potentiell lebertoxischen Medikamenten. Es ist unbekannt, welche Inhaltsstoffe für die Lebertoxizität bei Langzeitanwendung verantwortlich sind.
Interaktionen Bisher sind keine Interaktionen bekannt geworden. Überdosierung Auch unter der bisher höchsten verabreichten Dosierung von 14 Kapseln à 25 mg täglich bei Harnleiterkoliken sind keine unerwünschten Nebenwirkungen beobachtet worden [17].
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Kälin
Tagungen und Kongresse · Meetings and Conferences Forsch Komplementärmed Klass Naturheilkd 2003;10(suppl1):45–48
Arnika: Neue Erkenntnisse zum Wirkungsmechanismus einer traditionellen Heilpflanze I. Merfort Institut für Pharmazeutische Biologie, Freiburg i.Br., Deutschland
Schlüsselwörter Arnica montana · Entzündungshemmende Wirkung · Transkriptionsfaktoren · NF-κB · Zytokine
Key Words Arnica montana · Anti-inflammatory effect · Transcription factors · NF-κB · Cytokines
Zusammenfassung Zubereitungen aus Arnikablüten werden seit langem zur Behandlung von entzündlichen Erkrankungen in der traditionellen Medizin verwendet. Als die wirksamkeitsbestimmenden Inhaltsstoffe werden Sesquiterpenlaktone vom Pseudoguaianolid-Typ angesehen. Kürzlich konnte gezeigt werden, dass diese Naturstoffe an zentraler Stelle in das Entzündungsgeschehen eingreifen, in dem sie die Transkriptionsfaktoren NF-κB und NF-AT in mikromolaren Konzentrationen hemmen. Beide Transkriptionsfaktoren regulieren die Transkription von Genen vieler Entzündungsmediatoren. Diese Untersuchungen zum molekularen Wirkmechanismus liefern damit einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der entzündungshemmenden Aktivität von Arnikazubereitungen. Arnikahaltige Phytopharmaka können, wie erste klinische Studien zeigen, zur unterstützenden Therapie bei rheumatischen Erkrankungen eingesetzt werden. Wichtig ist der bestimmungsgemässe Gebrauch bei äusserlicher Anwendung, um unerwünschte Nebenwirkungen zu vermeiden.
Summary Arnica: New Insights on the Molecular Mode of Action of a Traditional Medicinal Plant Preparations from Arnica flowers have been used in traditional medicine since a long time for the treatment of inflammatory diseases. Sesquiterpene lactones are considered as their main active compounds. Previously, it was shown that these natural products attack inflammatory processes at a very central point by inhibiting the transcription factors NF-κB and NF-AT at micromolar concentrations. Both transcription factors regulate the transcription of genes encoding for many inflammatory mediators. Thus, these new insights on their molecular mode of action are an important contribution for a better understanding of the antiinflammatory activity of preparations from Arnica. First clinical studies show that they can support the treatment of rheumatic diseases. The agreed use is important to avoid undesirable side effects.
Geschichtliches zur Arnika Arnica montana, häufig nur als Arnika bezeichnet, zählt zu unseren bekanntesten Heilpflanzen. Die ersten schriftlichen Überlieferungen über Arnika stammen aus dem 16. Jahrhundert. Im Mittelalter wurden ihre Blüten sowohl äusserlich als auch innerlich gegen eine Vielzahl von Erkrankungen und Be-
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schwerden eingesetzt. Im 17. Jahrhundert wurde ihr sogar der Name «Panacea lapsorum» verliehen, in Anlehnung an das von vielen Ärzten erträumte, hypothetische Allheilmittel «Panazee». Panazee war der Name einer Tochter des griechischen Heilgottes Asklepios Panakaia und heisst wörtlich übersetzt «die Allheilerin» [1, 2].
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Anwendung von Arnikazubereitungen bei entzündlichen Erkrankungen Gegenwärtig finden Zubereitungen aus Arnikablüten äusserliche Anwendung in Form von wässrigen Aufgüssen, alkoholischen Auszügen und Salben. Sie wirken entzündungshemmend, schmerzstillend und antiseptisch und werden bei Blutergüssen, Verstauchungen, Prellungen, Quetschungen, Ödemen infolge eines Knochenbruchs, bei rheumatischen Muskelund Gelenkbeschwerden, Furunkulose und Entzündungen als Folge von Insektenstichen und bei oberflächlichen Venenentzündungen verwendet [3]. An der antiphlogistischen Wirkung der Arnikablüten sind verschiedene Stoffgruppen in unterschiedlichem Ausmass beteiligt. Insgesamt gilt, dass der Extrakt der Wirkstoff ist. Unbestritten sind aber die Sesquiterpenlaktone vom Pseudoguaianolid-Typ als die wirksamkeitsbestimmenden Inhaltsstoffe anzusehen (Abb. 1) [2 und hier zit. Lit.]. Bei diesen Sesquiterpenlaktonen handelt es sich um Helenalin und 11α,13-Dihydrohelenalin, die mit kurzkettigen Fettsäuren verestert sind. Je nach Herkunft variiert die Sesquiterpenlakton-Zusammensetzung. Mitteuropäische Arnikablüten, z.B. aus den Alpen, Vogesen, der Eifel oder dem Balkan, enthalten hauptsächlich Helenalinderivate, während in den Arnikablüten aus Spanien Dihydrohelenalinderivate dominieren [4]. Als Nebenwirkstoffe können einmal phenolische Verbindungen, wie Flavonoide und Kaffeesäurederivate diskutiert werden. Ihnen kommt eine antioxidative Wirkung zu. Weiterhin trägt das ätherische Öl, dem eine hyperämisierende Wirkung zukommt, zur Wirkung bei. Für die im ätherischen Öl enthaltenen Thymolderivate wurde eine antibakterielle Wirkung nachgewiesen [5]. Für die in den Arnikablüten vorkommenden Sesquiterpenlaktone wurde eine Vielzahl an Wirkungen nachgewiesen. Neben ihrer antibakteriellen, antifungistatischen und schmerzstillenden Wirkung ist vor allem ihre entzündungshemmende Aktivität von grosser Bedeutung [2]. Es liegen viele In-vivo- und In-vitro-Untersuchungen vor, die zeigen, dass vor allem Helenalin in Stoffwechselwege eingreift, die bei Entzündungen eine Rolle spielen (Tab. 1). Trotzdem gaben sie keine befriedigende Erklärung für die antiphlogistische Aktivität dieser Naturstoffe ab. Sicher war bisher, dass sie das Entzündungsgeschehen anders beeinflussen als die herkömmlichen nichtsteroidalen Antiphlogistika, z.B. Acetylsalicylsäure.
Untersuchungen zum antiphlogistischen molekularen Wirkmechanismus Unsere Arbeitsgruppe in Freiburg konnte zeigen, dass Helenalin, Dihydrohelenalin und seine Esterderivate an zentraler Stelle in das Entzündungsgeschehen eingreifen, in dem sie in mikromolaren Konzentrationen die Aktivierung der Transkriptionsfaktoren NF-κB und NF-AT hemmen [7–11].
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Abb. 1. Sesquiterpenlaktone in Blüten von Arnica montana (Gehalt: 0,3–1%).
Tab. 1. Sesquiterpenlaktone beeinflussen Stoffwechselwege, die bei Entzündungen eine Rolle spielen (in vitro und ex vivo 10–4–10–6M) [2, 6] Hemmung der Leukozytenwanderung und Chemotaxis Hemmung der Freisetzung lysosomaler Enzyme und deren Aktivität Hemmung der Serotoninfreisetzung Hemmung der Histaminfreisetzung in Mastzellen Hemmung der Blutplättchenaggregation Hemmung der Phospholipase A2-Freisetzung Hemmung der 5-Lipoxygenase und der Leukotrien C4-Synthase Hemmung der Cyclooxygenase-I Hemmung der Transkriptionsfaktoren NF-κB und NF-AT
Tab. 2. Hemmender Effekt von Arnikatinkturen auf die IL-1β- und TNF-α-Freisetzung aus menschlichen mononukleären Zellen [11] IC50 (Mittelwert ± Standardabweichung) TNF-α IL-1β Arnikatinktur Aa Arnikatinktur Bb aAus bAus
1.78 ± 0.32 µl/ml 0.38 ± 0.05 µl/ml
0.24 ± 0.06 µl/ml 0.12 ± 0.03 µl/ml
spanischer Produktion. mitteleuropäischer Produktion.
NF-κB ist ein zentraler Mediator des menschlichen Immunsystems, der die Aktivierung immunmodulatorischer Gene reguliert. Dieses sind Gene für Zelladhäsionsmoleküle, Immunorezeptoren, Akute-Phase-Proteine, hämatopoetische Wachstumsfaktoren, inflammatorische Zytokine sowie Enzyme wie Cyclooxygenase-II und iNO-Synthase. Diesen Proteinen kommen im Entzündungsgeschehen und bei der Immunabwehr Schlüsselrollen zu. NF-κB setzt sich aus den Untereinheiten p50 und p65 zusammen und liegt in den meisten Zellen im Cytoplasma in einer inaktiven Form vor. Eine dritte Untereinheit, das IκB verhindert die Wanderung in den Zellkern. Durch bakterielle und virale Infektionen, durch Entzündungsmediatoren, wie den Zytokinen oder Stress, wird diese inhibitorische Untereinheit abgebaut und aktiviertes NF-κB wandert in den Zellkern, bindet an die DNA und leitet die
Merfort
IKK-γ
IκB p50
TNFR
IL-1R
Sesquiterpenlactone
p65
IKKα IKK-α
inactive heterodimer
IKK-ß
IκB-Kinase komplex
P
P
IκB p50 p65 Ub-conjugation
IκB degradation
cytoplasm
p50 p65
P
Proteasome
IκB p50 p65
active heterodimer p50 p65
P P
GGGGACTTTCC
nucleus
Abb. 2. Eingriff von Sesquiterpenlaktonen in die NF-κB-Kaskade.
P Ub Ub
Ub
Transcription of target genes e.g. cytokines (IL-1, IL-2, IL-6, TNF-α), cell adhesion molecules, cyclooxygenase-II iNO-synthase
Transkription verschiedener Gene von Entzündungsmediatoren ein (Abb. 2) [12]. Prominentestes Beispiel für die Beeinflussung des Transkriptionsfaktors NF-κB sind die Glucokortikoide, die ihre entzündungshemmenden Wirkungen teilweise über Wechselwirkungen mit diesem Protein entfalten [13]. Der Nuclear Factor of Activated T Cells (NF-AT) kommt im Komplex mit dem Aktivator-Protein-1 (AP-1) vor und zwar nicht nur in T-Zellen, sondern auch in B-Zellen und in Makrophagen und ist an der Transkription von Genen von Entzündungsmediatoren, wie IL-2, IL-3, GMCSF, IFN-γ und TNF-α beteiligt [14]. Die entstehenden Entzündungsmediatoren beeinflussen auf unterschiedlichste Weise das Entzündungsgeschehen. Letztendlich kommt es über verschiedene Ereignisse zu den Kardinalsymptomen der Entzündung, zur Rötung, Überwärmung, Schwellung, gestörten Funktion bis hin zum Funktionsverlust. Wir konnten im Electrophoretic Mobility Shift Assay (EMSA) zeigen, dass Helenalin und seine Esterderivate die DNA-Bindung von NF-κB in Jurkat-Zellen bereits bei einer Konzentration von 10–20 µM komplett hemmen, ohne dass zytotoxische Effekte auftreten. 11α,13-Dihydrohelenalin und seine Esterderivate sind schwächer wirksam. Hier werden in Abhängigkeit der Esterkomponente Konzentrationen von 100–200 µM für eine komplette Hemmung benötigt [7, 8]. Untersucht wurden auch Tinkturen, die aus Arnikablüten spanischer oder mitteleuropäischer Herkunft hergestellt wurden. Die spanische Tinktur hemmte die DNA-Bindung von NF-κB bei einer Konzentration von 20 µl/ml, die andere bereits bei 5 µl/ml. Der Unterschied in der Aktivität lässt sich durch den unterschiedlichen Gehalt und das unterschiedliche Vorkommen von Helenalin- und Dihydrohelenalinderivaten erklären [9, 11].
Weitergehende Untersuchungen mit Helenalin zeigten, dass ein dualer Eingriff in die NF-κB-Kaskade erfolgt. Nur zu einem sehr geringen Anteil wird hierbei die Degradierung von IκB gehemmt. Weitaus bedeutender ist der direkte Angriff auf die p65-Untereinheit von NF-κB über das in der DNAbindenden Domäne liegende Cystein-38 (Abb. 2). Dieser Angriff erfolgt höchstwahrscheinlich nach Art einer MichaelAddition über die Sulfhydrylgruppen von Cysteinen [10]. Entscheidend für die Höhe der Hemmkonzentrationen sind hierbei vor allem die Anzahl der α,β-ungesättigten Strukturelemente. Aber nicht nur der Transkriptionsfaktor NF-κB, sondern auch NF-AT wird durch Arnikazubereitungen gehemmt und das in noch geringeren Konzentrationen. Bereits eine Konzentration von 5 µl/ml spanische Arnikatinktur und 2 µl/ml mitteleuropäische Tinktur hemmen die DNA-Bindung des Transkritionsfaktors NF-AT [11]. Beide Transkriptionsfaktoren sind an der Regulierung von Zytokingenen beteiligt. Ihre Hemmung sollte daher eine Hemmung der Zytokinproduktion zur Folge haben. Untersucht wurde daher im ELISA, in welchem Masse die beiden Arnikatinkturen in mononukleären menschlichen Blutzellen die Freisetzung von IL-1β und TNF-α beeinflussen. Beides sind Zytokine, die vermehrt im entzündeten Gewebe freigesetzt werden. Beide Arnikatinkturen hemmten sowohl die IL-1β als auch die TNF-α-Freisetzung, wobei auch hier die Tinktur aus mitteleuropäischen Arnikablüten eine stärkere Wirkung aufwies (Tab. 2) [11]. Damit korrelieren diese Untersuchungen sehr gut mit den NF-κB und NF-AT-Untersuchungen. Insgesamt liefern unsere Untersuchungen einen völlig neuen Beitrag zum molekularen antiphlogistischen Wirkmechanismus der in Arnikablüten vorkommenden Sesquiterpenlaktone.
Molekularer Wirkmechanismus von Arnika
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Arnikazubereitungen sollten nur äusserlich angewendet werden Während früher Arnikazubereitungen innerlich und äusserlich angewendet wurden, wird heute aufgrund von bekannten Nebenwirkungen von einer Einnahme dringend abgeraten. Bei zu hoher Dosierung kann es zu gastroenteritischen Beschwerden und zu Schädigungen des Herzens kommen. Da den in den Arnikablüten enthaltenen Sesquiterpenlaktonen eine atemanaleptische Wirkung zukommt, kann es bei extrem hoher Dosierung unter Dyspnoe zum Herzstillstand kommen. Bei äusserlicher Anwendung sollte beachtet werden, dass es bei hoher Konzentration in der Darreichung zu primär toxisch bedingten Hautreaktionen mit Bläschenbildung bis zur Nekrotisierung kommen kann. Längere Anwendung an geschädigter Haut, z.B. bei Verletzungen oder Ulcus cruris, kann zu einer ödematösen Dermatitis mit Bläschenbildung führen. Ferner können bei längerer Anwendung allergene Kontaktdermatitiden auftreten. Dieses hängt aber von der Disposition der jeweiligen Person ab, d.h. von deren Sensibilisierungsbereitschaft, von der Dauer und Intensität, d.h. Konzentration der Einwirkung. Verantwortlich für die Kontaktallergie sind die Sesquiterpenlaktone. Vor dem Hintergrund der verbreiteten Anwendung der Arnikablüten ist die Zahl der auftretenden Kontaktallergien aber gering. Die bisher beschriebenen Arnikadermatitisfälle sind fast ausnahmslos durch die Tinktur verursacht worden, wobei nicht immer klar ist, ob diese in der
entsprechenden Verdünnung angewendet wurde. Um Nebenwirkungen zu vermeiden, ist daher ein bestimmungsgemässer Gebrauch sehr wichtig [2, 4, 5].
Klinische Studien und Arnikazubereitungen Ein wichtiger Punkt bei allen Arzneimitteln – dieses gilt auch für pflanzliche Arzneimittel – ist der Nachweis der Wirksamkeit durch klinische Studien. Hier liegen bisher mit arnikahaltigen Zubereitungen nur sehr wenige vor. Der Grund für das Fehlen von klinischen Studien dürfte darin liegen, dass die Arnikablüten eine positive Beurteilung hinsichtlich ihrer Wirksamkeit in ihren traditionellen Anwendungsgebieten von der Kommission E erhalten haben und die Hersteller von arnikahaltigen Fertigarzneimitteln bisher keinen Handlungsbedarf für klinische Studien sahen. Ein erster Schritt in diese Richtung ist eine klinische Studie, in der ein Arnikagel, das einen alkoholischen Frischpflanzenextrakt enthält, untersucht wurde, ob es bei Patienten mit Osteoarthritis an Knien wirksam ist. Osteoarthritis ist eine Erkrankung, von der jeder nach dem 75. Lebensjahr betroffen ist. Diese Pilotstudie zeigte, dass diese pflanzliche Arzneizubereitung bei leichter bis mittelschwerer Osteoarthritis wirksam ist und eine gute Verträglichkeit aufweist [15]. Diese und vor allem weitergehende Studien tragen mit dazu bei, aus traditionellen Phytopharmaka rationale Phytopharmaka zu machen.
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Merfort