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Europainstitut Wirtschaftsuniversität Wien Schriftenreihe Band 29
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Europainstitut Wirtschaftsuniversität Wien Schriftenreihe Band 29
Europainstitut Wirtschaftsuniversität Wien Publication Series Volume 29
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Gerhard Thallinger Grundrechte und extraterritoriale Hoheitsakte Auslandseinsätze des Bundesheeres und Europäische Menschenrechtskonvention
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Mag. Dr. Gerhard Thallinger LL.M. (NYU) Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst, Wien, Österreich Das Werk gibt ausschließlich die persönliche Auffassung des Autors wieder. Gedruckt mit Förderung des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung in Wien Aus Förderung der Dr. Alois Mock Europa-Stiftung Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdruckes, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Buch berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen.
© 2008 Springer-Verlag /Wien Printed in Austria SpringerWienNewYork ist ein Unternehmen von Springer Science + Business Media springer.at Satz: Reproduktionsfertige Vorlage des Autors Druck: Ferdinand Berger & Söhne Gesellschaft m.b.H., 3580 Horn Gedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem Papier SPIN 11982791 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 1641-113X
ISBN 978-3-211-70870-5 SpringerWienNewYork
Vorwort Die vorliegende Abhandlung ist als Dissertation – unter exzellenten und anregenden Rahmenbedingungen – zwischen 2004 und 2006 am Institut für Österreichisches und Europäisches Öffentliches Recht (IOER) der Wirtschaftsuniversität Wien entstanden. Im Frühjahr 2008 wurde sie punktuell überarbeitet und ergänzt. Ich möchte mich ganz herzlich bei Herrn Univ.-Prof. Dr. Stefan Griller für die Erstbetreuung und Diskussionsbereitschaft sowie seine zahlreichen wertvollen Hinweise bedanken. Mein Dank gilt auch Herrn em. o. Univ.-Prof. Dr. Theo Öhlinger für die Bereitschaft zur Erstellung des Zweitgutachtens. Mein besonderer Dank gilt meinem ehemaligen Vorgesetzten, Herrn Vizerektor Univ.-Prof. Dr. Michael Holoubek, für seine permanente und extrem engagierte Unterstützung in vielen Bereichen. Seine etlichen Verbesserungsvorschläge haben in der Arbeit wesentlichen Niederschlag gefunden und diese ein gutes Stück weitergebracht. Ganz wichtig ist es mir ebenso, mich bei Herrn Sektionsleiter Univ.-Prof. Dr. Georg Lienbacher für sowohl äußerst wichtige Anmerkungen als auch seine konstante Hilfe und Aufmunterung zu bedanken. Vielfältig unterstützt haben mich auch meine Kolleginnen und Kollegen am IOER, insb Herr Dr. Christoph Bezemek und Frau Dr. Claudia Fuchs LL.M., vielen lieben Dank! Maßgeblich zum Voranschreiten der Arbeit beigetragen hat ein Aufenthalt am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg im März 2005; für diesbezügliche Unterstützung bin ich dem Direktor des MPI, Herrn Prof. Dr. Armin von Bogdandy dankbar. Für wertvolle Hilfe und Hinweise danke ich zudem Frau Dr. Sigrid Zeichen (BKA-VD), Herrn Dr. Thomas Desch (BMLV) und Herrn Dr. Marten Breuer (Universität Potsdam). Ständigen, umfassenden ‘support’ erhielt ich überdies von Herrn Dr. Konrad Lachmayer und Herrn Dr. Harald Eberhard (beide Universität Wien), denen ich großen Dank ausspreche. Dem Theodor Körner Fonds und der Dr. Alois Mock Europa-Stiftung danke ich für das in die Arbeit gezeigte Vertrauen und den damit verbundenen monetären Zuschuss.
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Vorwort
Schließlich danke ich meiner Familie sehr, allen voran meinen Eltern und ganz besonders Julia für viel Geduld, Verständnis sowie permanente Unterstützung und Motivation. Nur zu oft hat die vorliegende Arbeit auch in deren Grundrecht auf Achtung des Privatund Familienlebens eingegriffen, egal ob in Wien oder „extraterritorial“ in Oberösterreich.
Wien, im Sommer 2008
Gerhard Thallinger
Inhaltsverzeichnis Vorwort ............................................................................................................... V Inhaltsverzeichnis ............................................................................................... VII Abkürzungsverzeichnis .......................................................................................XVII Einleitung .......................................................................................................... I. Einführung und Problemaufriss .................................................................... II. Gang und Methodik der Untersuchung .........................................................
1 1 4
Erstes Kapitel: Völkerrechtliche Zulässigkeit und Verantwortlichkeit .................................. I. Zulässigkeit .................................................................................................. A. Territoriale Souveränität und Gebietshoheit ............................................... B. Jurisdiktion ................................................................................................. 1. Allgemein ................................................................................................ 2. Extraterritoriale Jurisdiktion .................................................................... a) Extraterritoriale exekutive Jurisdiktion ................................................. b) Extraterritoriale legislative Jurisdiktion ................................................ C. Resümee ..................................................................................................... II. Staatenverantwortlichkeit ............................................................................. A. Einleitung ................................................................................................... B. Die Grundregeln der völkerrechtlichen Staatenverantwortlichkeit ............ C. Das Verhältnis der EMRK zur allgemeinen Staatenverantwortlichkeit ...... 1. Die Konventionsregeln als leges speciales .............................................. 2. Ist die EMRK ein self-contained regime? ................................................ III. Die Verantwortlichkeit Internationaler Organisationen ................................ A. Allgemein .................................................................................................. B. Die Grundregeln der Verantwortlichkeit Internationaler Organisationen ...... C. Die Grundrechtsbindung Internationaler Organisationen ........................... 1. Allgemein ................................................................................................ 2. Die Menschenrechtsbindung der Vereinten Nationen ..............................
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Zweites Kapitel: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit .................................................................. I. Einleitung ..................................................................................................... II. Verfassungsrechtliche Grundlagen des räumlichen Geltungsbereichs von Rechtsnormen ................................... A. Art 49 Abs 1 B-VG und der Gebotsbereich ................................................ B. Art 3 Abs 1 B-VG und der Sanktionsbereich ............................................. C. Zusammenfassung ...................................................................................... III. Extraterritoriale Hoheitsakte ohne Grundlage im Unionsrecht .....................
35 35 36 36 38 41 41
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Inhaltsverzeichnis
A. Art 9 Abs 2 B-VG ...................................................................................... 1. Entwicklung ............................................................................................ 2. Inhalt und Reichweite .............................................................................. B. Auslandseinsätze des Bundesheeres und sonstiger Einheiten bzw Personen .............................................................. 1. Hintergrund und Entsende-BVG ............................................................. 2. KSE-BVG ................................................................................................ a) Neuregelung der Entsendung ................................................................ b) Verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht, nur auf Grund freiwilliger Meldung in das Ausland entsendet zu werden .................... c) Rücksichtnahme auf die Neutralität ...................................................... d) Sonstige Regelungen und Rechtsfragen ................................................
41 41 43 45 45 47 47 49 50 51
IV. Extraterritoriale Hoheitsakte auf Grundlage des Unionsrechts ..................... 53 A. Grundlagen der EU-Mitgliedschaft Österreichs ......................................... 53 B. Art 23f B-VG ............................................................................................. 54 Drittes Kapitel: Der räumliche Anwendungsbereich der Grundrechte der Bundesverfassung ......................................................... I. Allgemein ..................................................................................................... A. Begrenzte Universalität von Menschenrechten und nationalen Grundrechten ........................................ 1. Einleitung ................................................................................................ 2. Die Grundrechte der österreichischen Bundesverfassung ........................ 3. Begriff der Grund- und Menschenrechte und Internationales Verfassungsrecht ...................................................... B. Zur Bindungswirkung von Grundrechtsnormen ......................................... 1. Allgemeines ............................................................................................. 2. Die Geltungsbereiche der Grundrechte .................................................... II. Die Geltung des originär innerstaatlichen Grundrechtskatalogs bei extraterritorialen Hoheitsakten .............................. A. Art 1 Abs 3 GG und Sachverhalte mit Auslandsbezug ............................... 1. Das allgemeine Grundrechtskollisionsrecht Heintzens ............................ 2. Elbings Erweiterung und Einschränkung der Grundrechte ...................... 3. Der bereichsbezogene Ansatz Hofmanns ................................................. 4. Resümee .................................................................................................. B. Die Rechtslage nach österreichischem Bundesverfassungsrecht ................ 1. Umfassende Grundrechtsbindung aller drei Staatsgewalten .................... a) Inhärente Verankerung in der Bundesverfassung .................................. b) Die Grundrechtsbindung als Bestandteil der Grundprinzipien der Bundesverfassung .......................................... c) Suspendierung der Grundrechtsbindung gemäß Art 15 EMRK? ........... 2. Die Grundrechtsbindung bei Hoheitsakten im Ausland gemäß dem genuin österreichischen Grundrechtskatalog ........................ a) VfGH und EKMR: Bindung der Vertretungsbehörden an die Grund- und Menschenrechte ......................................................
57 57 57 57 58 59 61 61 62 63 63 66 68 70 70 71 71 71 72 75 76 76
Inhaltsverzeichnis b) Der räumliche Anwendungsbereich des StGG 1867 ............................. c) Verfassungsgesetzliche Ausnahme extraterritorialer Hoheitsgewalt von der umfassenden Grundrechtsbindung aller Staatsorgane? ............ aa) Verfassungsrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten und ihre Grenzen ..... bb) Keine Einschränkung durch Art 3 Abs 1 iVm Art 49 Abs 1 B-VG ...... cc) Rechtsnatur der Grundrechte als Jedermannsrechte oder Unionsbürgerrechte ............................... d) Zwischenergebnis .................................................................................. 3. Art 1 EMRK als Determinante der extraterritorialen Anwendbarkeit der Konvention und seine Bedeutung als Bestandteil des österreichischen Grundrechtskatalogs ....................... a) Die Doppelnatur der Konvention .......................................................... b) Anknüpfung an Jurisdiktion (Hoheitsgewalt) in Art 1 EMRK .............. c) Das Verhältnis von Art 1 EMRK zu den restlichen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten und die Günstigkeitsklausel gemäß Art 53 EMRK ...............................
IX 79 81 81 82 83 84
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III. Die Anwendbarkeit der Europäischen Menschenrechtskonvention auf extraterritoriale Hoheitsakte gemäß Art 1 EMRK .................................. 89 A. Grundlagen der Konventionsanwendung ................................................... 90 1. Die Auslegung der EMRK ....................................................................... 90 a) Völkervertragsrechtliche Auslegungsregeln .......................................... 90 b) Exkurs: Differenzierung zwischen gegenseitigen und rechtsetzenden Verträgen ................................................................ 93 c) Konventionsspezifische Auslegungspraxis ........................................... 95 aa) Wortlautinterpretation ...................................................................... 95 bb) Systematische Interpretation ............................................................ 96 cc) Teleologische Interpretation ............................................................. 97 dd) Historische Interpretation ................................................................. 100 ee) Exkurs: Rechtsvergleichung als eigene Auslegungsmethode? ......... 100 2. Die Durchsetzung der Konventionsrechte ............................................... 102 a) Innerstaatliche Durchsetzung ................................................................ 102 b) Im Verfahren vor dem EGMR ............................................................... 103 3. Die Zulässigkeitsprüfung von Konventionsbeschwerden ........................ 104 a) Unvereinbarkeit ratione temporis .......................................................... 105 b) Unvereinbarkeit ratione materiae .......................................................... 105 c) Unvereinbarkeit ratione loci .................................................................. 106 aa) Keine Beschränkung des territorialen Geltungsbereichs .................. 106 bb) Systematische Bedeutung des Art 56 EMRK ................................... 107 i) Regelungsinhalt .............................................................................. 107 ii) Gebiete im Sinne von Art 56 Abs 1 EMRK .................................... 108 iii) Verhältnis von Art 56 EMRK zu Art 1 EMRK ................................ 109 d) Unvereinbarkeit ratione personae .......................................................... 110 B. Art 1 EMRK als Determinante des Anwendungsbereichs der Konvention ..... 111 C. Die Rechtsprechung der Konventionsorgane ............................................. 113 1. Hoheitliche Tätigkeit diplomatischer und konsularischer Behörden ....... 113 a) X gegen Bundesrepublik Deutschland .................................................. 113 b) X gegen Vereinigtes Königreich ............................................................ 114 c) M gegen Dänemark ............................................................................... 114
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Inhaltsverzeichnis 2. Wirksame Gesamtkontrolle eines fremden Hoheitsgebiets infolge militärischer Besetzung bzw durch politische, wirtschaftliche und militärische Unterstützung ....................................... 115 a) Hess gegen Vereinigtes Königreich ....................................................... 115 b) Vearncombe et al gegen Vereinigtes Königreich und Bundesrepublik Deutschland .......................................................... 116 c) Die Staatenbeschwerdeverfahren Zypern gegen Türkei ........................ 117 d) Die Individualbeschwerdeverfahren im Zypern-Konflikt ..................... 119 aa) Chrysostomos, Papachrysostomou und Loizidou gegen Türkei ....... 119 bb) Ahmed Cavit An ua gegen Zypern ................................................... 120 cc) Loizidou gegen Türkei ..................................................................... 121 e) Ilaúcu et al gegen Moldawien und Russland ......................................... 123 f) Saddam Hussein gegen Albanien und 20 weitere Vertragsstaaten der Konvention ........................................... 124 3. Polizeiliche, militärische und sonstige Einzeloperationen auf fremdem Staatsgebiet ........................................... 125 a) Bankoviü et al gegen Belgien und 16 andere NATO-Staaten ................ 125 b) Extraterritoriale Festnahmen ................................................................. 128 aa) Freda gegen Italien ........................................................................... 128 bb) Reinette gegen Frankreich ................................................................ 129 cc) Stocké gegen Bundesrepublik Deutschland ..................................... 129 dd) Sánchez Ramirez gegen Frankreich ................................................. 130 ee) Öcalan gegen Türkei ........................................................................ 130 c) Issa et al gegen Türkei ........................................................................... 131 4. Sonstige Fälle .......................................................................................... 132 a) X und Y gegen Schweiz ........................................................................ 132 b) Drozd und Janousek gegen Frankreich und Spanien ............................. 133 c) Die Fälle Behrami und Saramati ........................................................... 134 5. Zusammenfassung ................................................................................... 134 D. Die wesentlichen Auffassungen im juristischen Schrifttum ....................... 134 1. Grundsätzliche territoriale Indifferenz, Meron- und Loizidou-Formel ...... 134 2. Post-Bankoviü Literatur ........................................................................... 137 a) Pro Bankoviü Auffassungen .................................................................. 137 b) Die Bankoviü-Entscheidung ablehnenden Meinungen .......................... 139 aa) Art 1 EMRK als Verweis auf die völkerrechtliche Staatenverantwortlichkeit ...................................... 140 bb) Art 1 EMRK als Einschränkung der allgemeinen Staatenverantwortlichkeit ...................................... 142 i) Lawsons ‘direct and immediate link’ Test ....................................... 142 ii) Weitere Positionen .......................................................................... 143 cc) Sonstige Lösungsvorschläge ............................................................ 144 E. Beurteilung des Regelungsinhalts von Art 1 EMRK .................................. 144 1. Position von Art 1 EMRK im Recht der völkerrechtlichen Staatenverantwortlichkeit ........................................................................ 144 a) Der Umfang der Verpflichtung zur Sicherung der Konventionsrechte ..... 144 b) Trennung zwischen Verpflichtung und Zurechenbarkeit ....................... 147 c) Zwischenresümee .................................................................................. 147 2. Art 1 EMRK im Lichte der Interpretationsmethoden .............................. 148
Inhaltsverzeichnis
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a) Wortlaut ................................................................................................ 148 aa) Jurisdiktion im umfassenden Sinne von jeglicher Hoheitsgewalt .... 149 bb) Abgrenzung von Jurisdiktion und Zurechenbarkeit ......................... 150 cc) Jurisdiktion im Sinne völkerrechtlicher Zuständigkeit? ................... 153 b) Systematik ............................................................................................. 154 aa) Keine restriktive Interpretation von Art 1 auf Grund von Art 56 EMRK .................................................. 154 bb) Art 15 EMRK: Grundsätzliche Weitergeltung der Konvention auch in Kriegszeiten ............................................... 155 i) Der Regelungsinhalt von Art 15 EMRK ......................................... 155 Į) Der Begriff des Krieges ................................................................ 155 ȕ) Öffentlicher Notstand ................................................................... 156 Ȗ) Verfahren und Verhältnismäßigkeit .............................................. 157 ii) Die Geltung auch in Kriegszeiten als Argument für eine extraterritoriale Anwendbarkeit ......................................... 158 iii) Art 15 EMRK und das Verhältnis von Menschenrechten zum humanitärem Völkerrecht ........................... 159 Į) Parallele Anwendung und das humanitäre Völkerrecht als lex specialis ......................................................... 159 ȕ) Art 15 EMRK als partieller Verweis auf das humanitäre Völkerrecht bei einer zulässigen Derogation im Kriegsfall .......... 160 Ȗ) Zurückhaltende Anwendung des humanitären Völkerrechts durch den EGMR ............................... 161 į) Parallele Geltung der Konvention im Krieg nur bei Vorliegen von Jurisdiktion ................................................ 163 iv) Resümee .......................................................................................... 163 cc) Einschränkende Auslegung von Art 1 EMRK als Verstoß gegen Art 17 EMRK? .................................................... 164 c) Ziel und Zweck ..................................................................................... 166 aa) Objektive Natur der Konventionsrechte und europäischer ordre public .......................................................... 166 i) Keine Anwendung des Grundsatzes in dubio mitius ....................... 166 ii) Beschränkung des Anwendungsbereichs auf den Europäischen Rechtsraum .................................................. 169 iii) Territorial unbeschränkte Geltungskraft infolge der Ausgestaltung der Konventionsrechte als Jedermannsrechte ............ 171 bb) Die Relevanz der völkerrechtlichen Zulässigkeit extraterritorialer Hoheitsakte ....................................... 171 d) Travaux préparatoires ............................................................................ 172 e) Rechtsvergleichung ............................................................................... 174 f) Zwischenresümee .................................................................................. 178 3. Die Kriterien der Jurisdiktionsausübung im Sinne von Art 1 EMRK ...... 179 a) Jurisdiktionsausübung durch wirksame territoriale Kontrolle ............... 180 aa) Faktoren wirksamer Kontrolle ......................................................... 181 bb) Pflichten der „verdrängten“ Vertragspartei ....................................... 184 b) Jurisdiktionsausübung durch wirksame personale Kontrolle ................ 185 aa) Faktoren wirksamer Kontrolle ......................................................... 185 i) Befehls- und Zwangsgewalt als Hoheitsgewalt iSd Art 1 EMRK ... 185 ii) Finalität der Hoheitsgewalt als Kriterium? ..................................... 189
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Inhaltsverzeichnis
iii) Erforderlichkeit eines räumlichen Naheverhältnisses? ................... 191 iv) Zusammenfassung .......................................................................... 192 bb) Anwendbarkeit von Lawsons ‘direct and immediate link’-Kriterium? ............................................ 193 cc) Staatsbürgerschaft als wirksame personale Kontrolle? ..................... 194 c) Verhältnis zwischen wirksamer territorialer und wirksamer personaler Kontrolle ..................................................... 195 d) Beweisführung als Hindernis einer Grundrechtsbindung extraterritorialer Hoheitsakte? ............................. 196 e) Bewertung: Zur Anwendbarkeit der EMRK auf kriegerische Konflikte .... 197 aa) Anwendbarkeit auf kriegerische Konflikte auf Grund von Art 15 EMRK ........................................... 197 i) Jurisdiktionsausübung durch Kriegsführung? ................................. 197 ii) Zur Bedeutung der Rechtmäßigkeit des Krieges iSv Art 15 EMRK ........................................................ 200 iii) Zusammenfassung .......................................................................... 201 bb) Der Fall Bankoviü als Ausübung extraterritorialer Jurisdiktion iSd Art 1 EMRK? ......................................................... 202 4. Der Umfang der Bindungswirkung bei extraterritorialer Jurisdiktionsausübung ............................................. 203 5. Resümee .................................................................................................. 205 IV. Vergleich des räumlichen Geltungsbereichs der leges fundamentales .......... 207 Viertes Kapitel: Der räumliche Anwendungsbereich der Grundrechte der Europäischen Union ..................................................... 209 I. Zur Notwendigkeit der Einbeziehung der EU-Grundrechte ......................... 209 II. Entwicklung und Grundlagen der Unionsgrundrechte .................................. 209 A. Begründung und Entwicklung .................................................................... 209 B. Begriff und rechtliche Grundlagen der Unionsgrundrechte ....................... 211 III. Der Anwendungsbereich der Unionsgrundrechte ......................................... 213 A. Grundrechtsträger ...................................................................................... 213 B. Grundrechtsverpflichtete ............................................................................ 213 1. Europäische Union und Europäische Gemeinschaften ............................ 213 a) Im Bereich des Gemeinschaftsrechts .................................................... 213 b) Im Bereich des Unionsrechts ................................................................ 214 aa) PJZS ................................................................................................. 214 bb) GASP ............................................................................................... 215 2. Mitgliedstaaten ........................................................................................ 217 a) Im Bereich des Gemeinschaftsrechts .................................................... 217 b) Im Bereich des Unionsrechts ................................................................ 218 aa) PJZS ................................................................................................. 218 bb) GASP ............................................................................................... 221 C. Der räumliche Anwendungsbereich im Speziellen ..................................... 222 1. Anknüpfung an unionaler Hoheitsgewalt ................................................ 222 2. Exkurs: Ausnahme der „auswärtigen Gewalt“ von der Grundrechtsbindung? .................................................................. 224
Inhaltsverzeichnis
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IV. Die Implementierung der Unionsgrundrechte .............................................. 225 A. Gerichtlicher Rechtsschutz ......................................................................... 225 B. Sonstige Kontrollmechanismen ................................................................. 225 V. Grundrechtsschutz gegen den Vollzug von Unionsrecht durch den EGMR .... 226 A. Im Bereich des Gemeinschaftsrechts ......................................................... 227 1. Grundrechtsschutz gegen Vollzugsakte der Gemeinschaftsorgane .......... 227 2. Grundrechtsschutz gegen Vollzugsakte der Mitgliedstaaten .................... 229 3. Bewertung ............................................................................................... 232 B. Im Bereich des Unionsrechts ..................................................................... 232 1. Grundrechtsschutz gegen Vollzugsakte der Unionsorgane ...................... 232 2. Grundrechtsschutz gegen Vollzugsakte der Mitgliedstaaten .................... 233 a) PJZS ...................................................................................................... 233 b) GASP .................................................................................................... 234 3. Bewertung ............................................................................................... 235 Fünftes Kapitel: Auslandseinsätze des österreichischen Bundesheeres und Grundrechte ...... 237 I. Einleitung ..................................................................................................... 237 II. Grundlagen und Entwicklung der Auslandseinsätze ..................................... 239 A. Grundlagen der Teilnahme an Friedensoperationen ................................... 239 B. Wandel der internationalen Durchführung von Friedensoperationen in organisatorischer und funktioneller Hinsicht ......................................... 240 C. Rechtliche Rahmenbedingungen ................................................................ 246 1. Völkerrechtliche Regelungen .................................................................. 246 2. Innerstaatliche Rechtsvorschriften ........................................................... 248 a) Auf Ebene des Verfassungsrechts .......................................................... 248 b) Einfachgesetzlich .................................................................................. 248 D. Die Entwicklung der Teilnahme österreichischer Bundesheersoldaten an Friedensmissionen ................................................ 249 III. Die Teilnahme von Bundesheersoldaten an der KFOR ................................ 251 A. Grundlagen und rechtlicher Rahmen der KFOR ........................................ 251 B. Exkurs: Rules of Engagement (ROE) ........................................................ 254 1. Regelungsinhalt ....................................................................................... 254 2. Rechtsnatur und Rechtsschutz ................................................................. 257 C. Der Einsatz österreichischer Soldaten – AUCON/KFOR .......................... 261 IV. Grundrechtsschutz gegen Hoheitsakte österreichischer Soldaten im Auslandseinsatz .............................................. 263 A. Zurechenbarkeit des Verhaltens der Bundesheersoldaten zu Österreich ..... 263 1. Problemstellung ....................................................................................... 263 2. Die völkerrechtliche Organleihe .............................................................. 265 3. Elemente der Zurechenbarkeitsprüfung ................................................... 268 a) Das Kriterium wirksamer Kontrolle ...................................................... 268 b) Sonstige einschlägige Kriterien ............................................................. 270 c) Internationale Praxis ............................................................................. 271 4. Zurechnung im Rahmen der KFOR ......................................................... 274
XIV
Inhaltsverzeichnis
5. Die Entscheidung Behrami und Saramati des EGMR: Pauschalzurechnung zu den VN? ......................................... 277 6. Resümee .................................................................................................. 278 a) Auslandseinsätze als Ausübung extraterritorialer Hoheitsgewalt .......... 278 b) Das KSE-BVG und die völkerrechtliche Praxis .................................... 281 7. Exkurs: Subsidiäre Verantwortlichkeit der Mitgliedstaaten einer Internationalen Organisation für deren Friedensoperationen .......... 283 a) Verantwortlichkeit Internationaler Organisationen für Friedenstruppen .... 283 b) Subsidiäre Verantwortlichkeit und Haftung der Mitgliedstaaten für Friedensoperationen einer Internationalen Organisation ................. 285 aa) Allgemeiner haftungsrechtlicher Durchgriff auf die Mitgliedstaaten ..... 285 bb) Subsidiäre Verantwortlichkeit der Mitgliedstaaten einer Internationalen Organisation für Verletzungen der EMRK im Rahmen der Durchführung von Friedensoperationen ................. 286 B. Anwendbarkeit der Grundrechte im Auslandseinsatz ................................. 286 1. Allgemein ................................................................................................ 286 2. Die Begründung von Jurisdiktion im Auslandseinsatz ............................ 286 a) Die Ausübung wirksamer Kontrolle durch Bundesheersoldaten ........... 286 aa) Wirksame territoriale Kontrolle ....................................................... 286 bb) Wirksame personale Kontrolle ......................................................... 289 b) Grundrechtseingriffe durch KFOR-Soldaten und ihre potentielle Rechtfertigung ....................................................... 290 aa) Art 2 EMRK und der Einsatz lebensgefährdender Waffengewalt ...... 291 i) Allgemein ....................................................................................... 291 ii) Notwehr und Nothilfe ..................................................................... 292 iii) Kontrolle von Menschenmengen .................................................... 296 iv) Objektschutz ................................................................................... 298 bb) Festnahmen und Inhaftierungen ....................................................... 299 cc) Art 3 EMRK ..................................................................................... 300 c) Umfang der Grundrechtsverbürgungen: Positive Schutzpflichten im Auslandseinsatz? ...................................... 300 d) Parallele Problematik bei EUFOR-Einsätzen ........................................ 301 3. Zwischenbewertung ................................................................................. 302 4. Einwendungen gegen eine Grundrechtsbindung der entsendeten Soldaten ... 302 a) Entbindung von den Grundrechtsverpflichtungen gemäß Art 15 EMRK ... 302 aa) Der Regelungsinhalt von Art 15 EMRK .......................................... 302 bb) Anwendung von Art 15 EMRK auf Auslandseinsätze? .................... 303 b) Anwendung des humanitären Völkerrechts als lex specialis zum Menschenrechtsschutz? ....................................... 305 aa) Zur Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts auf Friedensoperationen .............................................. 305 bb) Das Verhältnis des humanitären Völkerrechts zu den Grundrechten bei Auslandseinsätzen .................................... 306 c) Vorrang der Verpflichtungen aus der SVN gegenüber den Grund- und Menschenrechten? ..................................... 309 aa) Unbeachtlichkeit des nationalen Rechts gemäß Art 27 WVK .......... 309 bb) Vorrang der Verpflichtungen aus der SVN gemäß Art 103 SVN ...... 310 cc) Die Rechtswirkungen von Resolutionen des Sicherheitsrats ............ 310
Inhaltsverzeichnis
XV
i) Umsetzung durch nationales Recht ................................................. 311 ii) Umsetzung durch Unionsrecht ........................................................ 313 dd) Grundrechtsschutz gegen EG-Verordnungen zur Umsetzung von Sanktionen des VN-Sicherheitsrats .................. 314 i) Der Fall Bosphorus vor dem EuGH ................................................ 316 ii) Die Fälle Ali Yusuf und Abdullah Kadi vor dem EuG .................... 319 iii) Entscheidungserheblichkeit des Ermessensspielraums der EG: Der Fall Organisation des Modjahedines du peuple d’Iran ............. 322 ee) Grundrechtskontrolle im Mehrebenensystem ................................... 328 i) Kontrolle nationaler Umsetzungsmaßnahmen durch staatliche Gerichte ................................................................. 329 ii) Kontrolle supranationaler Umsetzungsmaßnahmen durch EuG und EuGH ..................................................................... 331 Į) Vorrang der SR-Beschlüsse gegenüber EU-Grundrechten gemäß Art 103 SVN ........................................ 331 ȕ) Keine Verdrängung von Normen des ius cogens sowie des Völkergewohnheitsrechts ........................... 333 iii) Anwendbarkeit der Solange-Formel im Verhältnis zu den VN? ..... 334 iv) Anders als das EuG bejaht der EuGH im Urteil vom 3. 9. 2008 die Rechtmäßigkeitskontrolle am Maßstab der Grundrechte .......... 338 Į) Spruch und Urteilsbegründung ..................................................... 339 ȕ) Einschätzung und Ausblick .......................................................... 342 ff) Bewertung im Hinblick auf VN-Mandate zur Durchführung von Friedensoperationen ..................................... 344 5. Ergebnis ................................................................................................... 346 a) Forderung nach verstärkter accountability von Friedenstruppen ........... 346 b) Grundrechtsschutz als effektive Form einer Verantwortlichkeitskontrolle .... 347 C. Durchsetzbarkeit potentieller Grundrechtsverletzungen ............................ 347 1. Verantwortlichkeit der Republik Österreich ............................................ 349 a) Zuständigkeit der UVS und Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ....... 349 b) Exkurs: Der (Grund)Rechtsschutz für extraterritoriale Polizeihandlungen nach dem PolKG ........................... 353 c) Amtshaftungsklage gegen die Republik Österreich .............................. 355 d) Zuständigkeit des EGMR ...................................................................... 357 e) Unzuständigkeit des EuG und des EuGH .............................................. 358 f) Zuständigkeit des UN-Menschenrechtsausschusses .............................. 359 2. Individuelle Verantwortlichkeit österreichischer Soldaten ....................... 359 a) Immunität vor Verfolgung im Gaststaat ................................................ 359 b) Ausübung der Disziplinar- und Strafgewalt .......................................... 360 aa) Disziplinarrechtliche Sanktionen ..................................................... 360 bb) Strafgerichtliche Verfolgung ............................................................ 362 c) Regresspflicht nach dem AHG .............................................................. 363 3. Bewertung ............................................................................................... 364 V. EU-Friedensoperationen und Grundrechte ................................................... 365 A. Geschichte und Rechtsgrundlagen von EU-Friedensmissionen ................. 365 1. Entwicklung ............................................................................................ 365 2. Die einzelnen Petersberg-Aufgaben ........................................................ 367 a) Humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze ......................................... 367
XVI
Inhaltsverzeichnis
b) Friedenserhaltende Aufgaben ................................................................ 368 c) Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung einschließlich friedensschaffender Aufgaben ........................................ 368 3. Modalitäten der Durchführung von Friedensoperationen ........................ 369 B. Überblick über bisherige EU-Friedensoperationen .................................... 370 1. Allgemein ................................................................................................ 370 2. Die Beteiligung des Bundesheers an der EUFOR Althea in Bosnien-Herzegowina ................................................ 370 a) Die Übernahme der SFOR-Mission in Bosnien-Herzegowina durch die EU ..................................................... 370 aa) Der Jugoslawien-Konflikt und der Einsatz der IFOR/SFOR ............ 371 bb) Die EUFOR Mission Althea ............................................................. 373 b) Die Teilnahme des österreichischen Bundesheers – AUCON/Althea ...... 374 3. Die Beteilung des Bundesheeres an der EUFOR Tchad/RCA ................. 376 C. Anwendbarkeit der Grundrechte ................................................................ 377 D. Durchsetzung ............................................................................................. 377 1. Gerichtliche Grundrechtskontrolle .......................................................... 377 2. Sonstige Maßnahmen zur Stärkung der accountability bei EU-Friedensoperationen ............................................. 379 Zusammenfassende Schlussthesen ...................................................................... 381 Literaturverzeichnis ............................................................................................ 389
Abkürzungsverzeichnis aA aaO AB Abs ADV aE AHG AJDA AJIL AMRK AP ARIEL AS AsylG AU AuslEG AußHG AuvBZ AVG AVR BDG BG BKA-VD BM BMaA BMAS BMeiA BMI BMJ BMLV BVerfG BVG B-VG
B-VGN BVergG BWG BYIL CIA
anderer Ansicht am angegebenen Ort Ausschussbericht (des Nationalrats) Absatz Allgemeine Dienstvorschriften für das Bundesheer am Ende Amtshaftungsgesetz L’actualité juridique droit administratif American Journal of International Law Amerikanische Menschenrechtskonvention Änderungsprotokoll Austrian Review of International and European Law Amtliche Sammlung des Bundesrechts (Schweiz) Asylgesetz Afrikanische Union Auslandseinsatzgesetz 2001 Außenhandelsgesetz Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz Archiv des Völkerrechts Beamtendienstrechtsgesetz Bundesgesetz Bundeskanzleramt Verfassungsdienst Bundesministerium Bundesminister für auswärtige Angelgenheiten Bundesminister für Arbeit und Soziales Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten Bundesminister für Inneres Bundesminister für Justiz Bundesminister für Landesverteidigung Bundesverfassungsgericht Bundesverfassungsgesetz Bundes-Verfassungsgesetz vom 1. Oktober 1920, womit die Republik Österreich als Bundesstaat eingerichtet wird (Bundes-Verfassungsgesetz) B-VGNovelle Bundesvergabegesetz Bankwesengesetz British Yearbook of International Law Central Intelligence Agency
XVIII CIVCOM CJTL CMLR CPA dBGBl ders DDR DÖV DPKO DVBl EBLR ECLR EG EGMR EHRLR EIOP EJIL EK EKMR EMRK EPIL ERRF ESVP EU EuG EuGH EuGRZ EuR EuZW FAZ FP FPG FRY FS FTD FYIL GA GASP GESVP GG GLJ GLWP GPR GRBG GRC
Abkürzungsverzeichnis Committee for Civilian Aspects of Crisis Management Columbia Journal of Transnational Law Common Market Law Review Coalition Provisional Authority (Irak) Bundesgesetzblatt (Deutschland) derselbe Deutsche Demokratische Republik Die öffentliche Verwaltung (VN) Department of Peacekeeping Operations Deutsches Verwaltungsblatt European Business Law Review European Constitutional Law Review Europäische Gemeinschaft(en) Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte European Human Rights Law Review European Integration Online Papers European Journal of International Law Kommission der Europäischen Union Europäische Kommission für Menschenrechte Europäische Menschenrechtskonvention Encyclopedia of Public International Law EU Rapid Reaction Force Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik Europäische Union Gericht Erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Europäische Grundrechtezeitschrift Europarecht (Zeitschrift) Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Frankfurter Allgemeine Zeitung Fakultativprotokoll Fremdenpolizeigesetz Federal Republic of Yugoslavia Festschrift Financial Times Deutschland Finnish Yearbook of International Law Generalanwalt (EuGH) Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik Gemeinsame Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik Bonner Grundgesetz German Law Journal Global Law Working Paper (NYU School of Law) Zeitschrift für Gemeinschaftsprivatrecht Grundrechtsbeschwerdegesetz Charta der Grundrechte der Europäischen Union
Abkürzungsverzeichnis GS/HV GV GYIL hA HDG HHRJ hL HumVR IAKMR ICTR ICTY idS idZ IFOR IGH IILJ ILA ILC ILC-Entwurf ILC-Entwurf IO ILM ILR INGO insb IO IPBPR IPR IPWKSR iSd IÜBRassD IYHR IYIL JAP JBl JCS JCSL JICJ JIR IJHR JRP JuS
XIX
Generalsekretär des Rats der EU/Hoher Vertreter der GASP Generalversammlung der Vereinten Nationen German Yearbook of International Law herrschende Ansicht Heeresdisziplinargesetz Harvard Human Rights Journal herrschende Lehre Humanitäres Völkerrecht (Zeitschrift) Interamerikanische Kommission für Menschenrechte International Criminal Tribunal for Rwanda International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia in diesem Sinne in diesem Zusammenhang Implementation Force Internationaler Gerichtshof Institute for International Law and Justice, New York University International Law Association International Law Commission Artikeln der ILC zur Staatenverantwortlichkeit Arbeit der ILC zur Verantwortlichkeit Internationaler Organisationen International Legal Materials Israel Law Review International Non-Governmental Organization insbesondere Internationale Organisation Internationaler Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte Internationales Privatrecht Internationaler Pakt über Wirtschaftliche, Kulturelle und Soziale Rechte im Sinne des Internationales Übereinkommen über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung Israeli Yearbook on Human Rights The Italian Yearbook of International Law Juristische Ausbildung und Praxisvorbereitung Juristische Blätter The Journal of Conflict Studies Journal of Conflict and Security Law Journal of International Criminal Justice Jahrbuch für Internationales Recht (heute: German Yearbook of International Law) International Journal of Human Rights Journal für Rechtspolitik Juristische Schulung
XX JWT Kap KFOR KMG LJIL LNTS maW mE MJIL MNB MONUC MRA MRM MRT MRT MTA
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Abkürzungsverzeichnis Journal of World Trade Kapitel Kosovo Force Kriegsmaterialgesetz Leiden Journal of International Law League of Nations Treaty Service mit anderen Worten meines Erachtens Michigan Journal of International Law Multinationale Brigade UN Organization Mission in the Democratic Republic of the Congo UN-Menschenrechtsausschuss Menschenrechtsmagazin Moldawische Republik Transdniestrien Militair Rechtelijk Tijdschrift Military Technical Agreement between the International Security Force („KFOR“) and the Governments of the Federal Republic of Yugoslavia and the Republic of Serbia mit weiteren Nachweisen Nordatlantikvertrags-Organisation Partnerschaft für den Frieden (im Rahmen der NATO) Non-governmental organisation Nordic Journal of International Law Neue Juristische Wochenschrift Nationalratswahlordnung Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Netherlands Yearbook of International Law Neue Zeitschrift für Wehrrecht Neue Züricher Zeitung Organization of American States Österreichisches Institut für Menschenrechte Österreichische Juristenzeitung Oberlandesgericht Operationsplan Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Österreichisches Verwaltungsarchiv Österreichische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Bundesverfassungsgesetz vom 29. 11. 1988 über den Schutz der persönlichen Freiheit Partnerschaft für den Frieden Partnership for Peace Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen Partiya Karkerên Kurdistan (Arbeiterpartei Kurdistans) Polizeikooperationsgesetz Politisches und Sicherheitspolitisches Komitee
Abkürzungsverzeichnis PYIL RAA RBDI RdC RDMDG RGBl RGDIP RJD RL RLV ROE Rspr RTDE RTDH Rz RZ SAA SACEUR SDÜ SFOR SHAPE Slg
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XXI
Polish Yearbook of International Law Rat Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen Revue Belge de Droit International Recueil des Cours (Collected Courses of the Hague Academy of International Law) Revue de droit militaire et de droit de la guerre Reichs-Gesetz-Blatt für das Kaiserthum Österreich Revue Générale de Droit International Public Reports of Judgments and Decisions (des EGMR) Richtlinie Richtlinien-Verordnung (Richtlinien des BMI für das Einschreiten der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes) Rules of Engagement Rechtsprechung Revue trimestrielle de droit européen Revue trimestrielle des droits de l’homme Randziffer Richterzeitung Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen Supreme Allied Commander Europe Schengener Durchführungsübereinkommen Stabilization Force Supreme Headquarters Allied Powers Europe Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichts erster Instanz (Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften) Status-of-Forces Agreement Sicherheitspolizeigesetz Sicherheitsrat der Vereinten Nationen Special Representative of the (UN-)Secretary General Strafgesetzbuch Staatsgesetzblatt Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger Ständiger Internationaler Gerichtshof Strafprozessordnung Satzung der Vereinten Nationen Schweizerische Zeitschrift für internationales und europäisches Recht Transnational corporation Turkish Republic of Northern Cyprus unter anderem Unterabsatz Ushtria Çlirimtare e Kosovës (Armee zur Befreiung des Kosovos) United Nations Disengagement Observer Force
XXII UNFICYP UNFK UNHCR UNKRK UNMIK UNOSOM II UNPROFOR UNTAET UNTEA UNTS UPR UVS VerwArchiv VN VN-GS VO VRS WEU WVK YBECHR YHRDLJ ZaöRV ZBJI ZE ZEuS ZfV ZG ZÖR ZP ZRP ZSR zT ZVR
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Einleitung I. Einführung und Problemaufriss Im Zeitalter der Globalisierung bilden vermehrt auch Fragen der „Entterritorialisierung“ des Rechts Gegenstand des rechtswissenschaftlichen Erkenntnisinteresses. Dabei handelt es sich um eine Entwicklung, deren Auswirkungen in verschiedenen Rechtsgebieten zu beobachten sind; allen voran im Völkerrecht, dessen ursprünglich zwischenstaatlicher Charakter infolge seiner voranschreitenden Konstitutionalisierung wie aber auch Fragmentierung in spezifische Subsysteme immer stärker in den Hintergrund tritt.1 Vielmehr folgt aus der Übertragung genuin staatlicher Hoheitsgewalt auf supra- und internationale Organisationen eine zunehmende Einbindung des Individuums als Rechtssubjekt regelungsspezifischer ‘governance’-Netzwerke.2 Fragen des in solchen Mehrebenensystemen zu gewährleistenden Grundrechtsschutzes bilden mehr denn je zuvor ein sehr wesentliches und in dieser Untersuchung zu erörterndes Rechtsproblem des öffentlichen Rechts. Im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit steht dabei das mit dem Wandel des souveränen Nationalstaats verbundene Phänomen der Zunahme von Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt auf fremdem Territorium, das dahingehend beleuchtet werden soll, ob dadurch die Gefahr der Schaffung neuer grundrechtsfreier Räume einhergeht. Zentrales Thema ist hier somit die Frage der Bindung an die Grundrechte einschließlich deren Implementierung bei der Setzung extraterritorialer Hoheitsakte. Zur Klarstellung bedarf es vorweg der Präzisierung: Als extraterritorialer Hoheitsakt wird die hoheitliche Tätigkeit der vollziehenden Gewalt im Ausland, also außerhalb des eigenen Staatsgebiets, verstanden (extraterritoriale jurisdiction to enforce). Nicht erfasst sind einerseits staatliche Legislativakte iSv Siehe Frowein, Konstitutionalisierung des Völkerrechts, 427ff und 3. Kap I.A.3. mit den dortigen Nachweisen. 2 Vgl dazu zB Harlow, Accountability, 168ff; Rumler-Korinek, JRP 2004, 227ff sowie die Beiträge in Griller, International Economic Governance; zur rechtlichen Struktur der Welt als ein Mehrebenensystem und zum Einzelnen in einer Welt jenseits des Staats siehe Wahl, Verfassungsstaat, 53ff. 1
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Einleitung
Rechtsakten, welche an Auslandssachverhalten anknüpfen oder Anordnungen für Personen bzw deren Gegenstände im Ausland treffen (jurisdiction to prescribe).3 Unberücksicht bleiben hier andererseits auch innerstaatliche Exekutivakte, die in unterschiedlicher Weise extraterritoriale Wirkungen aufweisen,4 wie dies etwa bei den sog transnationalen Verwaltungsakten der Fall ist.5 Unabhängig davon, ob de lege lata beim Einsatz österreichischer Bundesheersoldaten im Ausland,6 bei der Tätigkeit der Vertretungsbehörden, der grenzüberschreitenden Nacheile bzw Observation im Wege der Polizeikooperation oder de lege ferenda im Rahmen des Strafvollzugs außerhalb Österreichs ebenso wie zB bei der Errichtung von Asylauffanglagern in EU-Drittstaaten, den vielfältigen Erscheinungsformen extraterritorialer Hoheitsakte ist im Regelfall ein beachtliches grundrechtsgefährdendes Potential inhärent. Es ist aus diesem Grund der Frage nachzugehen, ob und in welchem Umfang österreichische Hoheitsgewalt auch im Ausland an die Grundrechte gebunden ist. Die vorliegende Fragestellung beruht auf der Prämisse, dass der Ruf nach der Universalität der Menschenrechte, welche der eingangs erwähnte Prozess der Entterritorialisierung des Rechts zweifellos bedingen würde, auch 60 Jahre nach der Annahme der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die VN-Generalversammlung nicht zu deren (zumindest nicht vollständiger) völkerrechtlicher Verbindlichkeit geführt hat.7 Daraus resultiert aber erst die Notwendigkeit der Klärung des räumlichen Anwendungsbereichs der Grundund Menschenrechte, die im Folgenden aus der Perspektive der österreichischen Bundesverfassung vorgenommen werden soll. Das heißt in concreto, dass dabei vorrangig der territoriale GeltungsbeZur Abgrenzung extraterritorialer exekutiver Jurisdiktion (jurisdiction to enforce) von extraterritorialer legislativer Jurisdiktion (jurisdiction to prescribe) sowie deren völkerrechtlicher Zulässigkeit siehe unten im 1. Kap I.B.2. 4 Vgl dazu etwa Schöpfer, Extraterritoriale Wirkung. 5 Bei diesen ist die extraterritoriale Wirkung in der Regel auf die EU-Mitgliedstaaten beschränkt, vgl Neßler, NVwZ 1995, 863ff; B. Raschauer, FS Öhlinger, 661ff. 6 Dieser bildet im 5. Kap der Arbeit das Referenzgebiet für die praktische Darstellung der Anwendbarkeit der Grundrechte im Ausland und den damit zusammenhängenden Rechtsproblemen. 7 Zur völkergewohnheitsrechtlichen Natur mancher Bestimmungen der Erklärung siehe 1. Kap III.C.2. 3
I. Einführung und Problemaufriss
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reich der Grundrechte der österreichischen Bundesverfassung, also der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte, näher zu bestimmen ist. Infolge der spezifischen österreichischen Verfassungsrechtslage schließt dies jedoch eine Untersuchung des Anwendungsbereichs der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) mit ein, womit gleichzeitig ein Beitrag zur Feststellung des räumlichen Geltungsbereichs des „europäischen Verfassungsinstruments der Menschenrechte“ geleistet werden kann.8 Vor diesem Hintergrund soll die Arbeit auch eine Antwort auf die Frage geben, inwieweit der Mythos des umfassenden kontinentaleuropäischen Respekts für die Menschenrechte im Vergleich zum „angekratzten“ Image der USA – Stichwörter Guantánamo und Abu Ghraib – tatsächlich zu Recht besteht,9 kritisierten doch die EUMitgliedstaaten wiederholt die mangelnde extraterritoriale Anwendung der Grundrechte der US-Verfassung in Guantánamo10 und forderten die Schließung des amerikanischen Gefangenenlagers auf Kuba.11 Will die Europäische Union in der Tat ‘Venus’ und nicht ‘Mars’ im Bereich des Menschenrechtsschutzes sein,12 dürfen die Grundrechte jedoch nicht an der EU-Außengrenze Halt machen.13 Der EGMR, Urteil v 23. 3. 1995, Loizidou gegen Türkei (preliminary objections), Serie A-310, Z 75 beschreibt die Konvention als „constitutional instrument of European public order (ordre public) “; vgl Grabenwarter, VVDStRL 60, 294, 316f jeweils mwN und unten 1. Kap II.A. 9 Das würde voraussetzen, dass die Grundrechte nicht nur in den EU-Mitgliedstaaten, sondern unabhängig vom locus der unionalen oder mitgliedstaatlichen Hoheitsgewalt weltweit anwendbar sind. 10 Die Erörterung des territorialen Geltungsbereichs der Grundrechte der US-Verfassung ist aber nicht Gegenstand dieser Arbeit. Auch dieser bedarf, selbst im Hinblick auf die Häftlinge in Guantánamo differenzierter Betrachtung, vgl etwa die Supreme Court Entscheidungen in Rasul et al v. Bush, Hamdi v. Bush sowie Sosa v. Alvarez-Machain und dazu näher Tams, AVR 2004, 445ff; Hillgenberg, FS Ress, 133ff. Exemplarisch für die Kritik in den europäischen Medien siehe Conchiglia, Rechtlos in Guantánamo Bay, Le Monde Diplomatique v 16. 1. 2004 sowie Cole, „Goodbye, Menschenrechte. Der Fall Guantánamo sollte allen eine Warnung sein – und die Weltöffentlichkeit aufrütteln, Die ZEIT v 15. 4. 2004. 11 Siehe bereits NZZ v 7. 7. 2004, Blair fordert Schliessung von Gefängnis auf Guantánamo sowie jüngst Die Presse v 19. 5. 2006, UNO fordert Schließung Guantanamos und Die Presse v 2. 6. 2006, Menschenrechte: Plassnik fordert Schließung von Guantánamo. 12 Vgl R. Kagan, Power and Weakness, Policy Review 2002, No. 113. 13 Ähnlich Giegerich, EuGRZ 2004, 759ff. 8
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Einleitung
II. Gang und Methodik der Untersuchung Die vorliegende Untersuchung gliedert sich in zwei Abschnitte, einen Allgemeinen (1. – 4. Kapitel) und einen Besonderen Teil (5. Kapitel). Zielsetzung des Allgemeinen Teils ist es in erster Linie, die positive Rechtsordnung auf Bestimmungen über die extraterritoriale Anwendbarkeit der Grundrechte hin zu analysieren und diesbezügliche Determinanten unter Einbeziehung der Judikatur und des rechtswissenschaftlichen Schrifttums schematisch darzustellen. Zum besseren Verständnis der Problematik sind dazu vorweg wesentliche rechtliche Rahmenbedingungen für die Setzung extraterritorialer Hoheitsakte zu beschreiben. Zu diesem Zweck sollen im Ersten Kapitel nach einer Bestimmung der völkerrechtlichen Zulässigkeit extraterritorialer Hoheitsakte kurz die wesentlichen Grundlagen der Staatenverantwortlichkeit sowie der Verantwortlichkeit Internationaler Organisationen dargestellt werden. Daran anschließend ist im Zweiten Kapitel der Arbeit die österreichische Bundesverfassung auf mögliche Schranken bzw Erfordernisse des Vollzugs österreichischer Hoheitsgewalt außerhalb des Staatsgebiets im Sinne von Art 3 B-VG hin zu untersuchen. In diesem Zusammenhang sind insb die Tatbestände in Art 9 Abs 2 B-VG sowie im KSE-BVG zu erörtern und ist überdies auf die relevanten Implikationen der EU-Mitgliedschaft Österreichs einzugehen. Danach wird im Dritten Kapitel, das den Kern dieser Abhandlung ausmacht, versucht, den räumlichen Anwendungsbereich der Grundrechte der Bundesverfassung näher zu bestimmen. Dabei wird zweistufig vorgegangen: Zuerst soll der genuin österreichische Grundrechtskatalog der Verfassung auf etwaige Determinanten einer extraterritorialen Grundrechtsbindung analysiert werden. Anschließend erfolgt dieselbe Vorgangsweise im Hinblick auf die EMRK, wobei insb der Bedeutungsgehalt von Art 1 EMRK im Lichte der Rechtsprechung der Konventionsorgane ermittelt werden soll. Zum Schluss sind die daraus resultierenden Ergebnisse zu vergleichen und wenn möglich zu einem einheitlichen Geltungsbereich ratione loci der Grundrechte der Bundesverfassung zu verbinden. Angesichts der Tatsache, dass extraterritoriale Hoheitsakte vielfach ihre Rechtsgrundlage im EU-Recht haben, ist im Anschluss daran auch der territoriale Geltungsbereich der Grundrechte der EU
II. Gang und Methodik der Untersuchung
5
genauer zu untersuchen (Viertes Kapitel). Dabei muss auch geklärt werden, inwieweit und unter welchen Bedingungen die Vertragsstaaten der EMRK für den Vollzug von Unionsrecht konventionsrechtlich verantwortlich werden können. Im Besonderen Teil der Untersuchung sollen die im Ersten Abschnitt ermittelten allgemeingültigen Aussagen zum räumlichen Geltungsbereich der Grundrechte an Hand konkreter Anwendungsbeispiele verdeutlicht werden. Wenn gleich sowohl Anzahl als auch Vielfalt der Erscheinungsformen extraterritorialer Hoheitsakte mittlerweile beachtlich ist, erfolgt dies im gegenständlichen Rahmen ausschließlich am Beispiel der Auslandseinsätze des österreichischen Bundesheeres (Fünftes Kapitel). Selbst dieses Referenzgebiet weist allerdings bereits eine beträchtliche Palette an unterschiedlichen extraterritorialen Hoheitsakten auf und exemplifiziert die zahlreichen der dabei bestehenden Rechtsprobleme. Am Beispiel der österreichischen Beteiligung an der KFOR wird etwa zu zeigen sein, wie schwierig sich bei der Mitwirkung nationaler Einheiten an Missionen Internationaler Organisationen zT die Zurechnung von Organverhalten zur Republik Österreich darstellen kann. Darüber hinaus sind die Voraussetzungen der Anwendbarkeit der Grundrechte ebenso wie die Konsequenzen aus bestehenden völkerrechtlichen Verpflichtungen, insb solchen aus der SVN, zu untersuchen. Im Anschluss daran ist zu beleuchten, in welchem Ausmaß gegen eine mögliche Grundrechtsverletzung im Ausland Rechtsschutz vor österreichischen Behörden und Gerichten besteht. Abschließend sind auf Grund ihrer zunehmenden Relevanz die (grund)rechtlichen Rahmenbedingungen der in der GASP entwickelten Kapazitäten zur Durchführung eigenständiger EU-Friedensoperationen zu erörtern. Die vorliegende Arbeit versteht sich als rechtsdogmatische Untersuchung,14 die unter Heranziehung der klassischen Auslegungsmethoden15 ermitteln will, was bei extraterritorialen Hoheitsakten „(grund)rechtens“ ist. Neben dem Verfassungsrecht ist dabei der einschlägige Rechtsbestand auf europa- und völkerrechtlicher Ebene umfassend miteinzubeziehen. Auf Grund des hohen Ausmaßes sicher14 Zur Rechtsdogmatik und deren Erkenntnisinteressen siehe allgemein Bydlinski, Methodenlehre, 8ff. 15 Siehe dazu und zur Bedeutung der Rechtsvergleichung, auf die in der gegenständlichen Abhandlung nur vereinzelt zurückgegriffen werden kann, näher 3. Kap III.A.1.c)ee).
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Einleitung
heits- und außenpolitischer Brisanz, die zahlreichen Formen extraterritorialer Hoheitsakte inhärent ist, kann daneben auf eine rechtspolitische Betrachtungsweise jedoch nicht vollständig verzichtet werden. Zum besseren Verständnis ist daher im gegebenen Zusammenhang punktuell auf rechtspolitische Erwägungen aufmerksam zu machen, diese sollen aber – zur Sicherung der Abgrenzungsklarheit zwischen Rechtsdogmatik und Rechtspolitik – stets als solche deklariert werden.
Erstes Kapitel: Völkerrechtliche Zulässigkeit und Verantwortlichkeit I. Zulässigkeit A. Territoriale Souveränität und Gebietshoheit Der Zulässigkeit der Setzung von Hoheitsakten im Ausland steht im Normalfall die territoriale Souveränität (territorial sovereignty)16 des ausländischen Staats über sein Staatsgebiet entgegen. Ausgehend von der Drei-Elemente-Lehre Jellineks 17 und dem Territorium als konstitutivem Element eines jeden Staatswesens, ist es anerkannt, dass Staaten als souveräne Gebietskörperschaften das Recht haben, auf ihrem Staatsgebiet grundsätzlich die alleinige, alle andere Staaten ausschließende Herrschaftsgewalt auszuüben.18 In der Regel machen sie von diesem Recht auch Gebrauch und üben die Gebietshoheit (territorial supremacy), das ist die tatsächliche Herrschaft eines Staates in einem Gebiet, selbst aus.19 Dies ist allerdings 16 Kaum ein Begriff des Völkerrechts ist so schillernd und seit den Tagen Bodins und Grotius’ bis heute so viel diskutiert wie jener der Souveränität (siehe zB die Beschreibung von Steinberger, Sovereignty, in: EPIL IV, 500ff: „Sovereignty is the most glittering and controversial notion in the history, doctrine and practice of public international law“ und jüngst Besson, EIOP 2004, nach welcher die Souveränität ein „essentially contestable concept“ darstellt; zur schwierigen Definition von Souveränität zB von Simson, Souveränität, 24ff; vgl auch Griller, Übertragung, 15ff mwN). Nach Fleiner/Fleiner, Staatslehre, 315f ist die Souveränität gewissermaßen der Urknall, aus dem der Staat, das Recht und diesseitige Gerechtigkeit entstanden sind. Art 2 Abs 1 SVN statuiert das Prinzip der „sovereign equality“ aller VN-Mitglieder (vgl dazu Fassbender/Bleckmann, Art 2 Abs 1 UN Charter). 17 Jellinek, Staatslehre, 396. 18 Verdross/Simma, Völkerrecht, § 1038. Abgesehen davon verleiht die territoriale Souveränität einem Staat auch die endgültige Verfügungsgewalt über sein Staatsgebiet, zB das Recht, Teile des Staatsgebiets abzutreten. 19 Die Unterscheidung zwischen den Begriffen der territorialen Souveränität und der Gebietshoheit geht auf Verdross, Ius gentium 1949, 248 zurück; vgl zB auch Verosta, ÖJZ 1954, 242; Verdross/Simma/Geiger, ZÖR 1980, 223ff; Verdross/Simma, Völkerrecht, § 1038ff; Suy, FS Verdross, 493ff; Habscheid/Seidl-Hohenveldern, Gebietshoheit, 131; Ridder, Gebietshoheit, in: WBVR, 624ff. Auch der IGH hat in
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Völkerrechtliche Zulässigkeit und Verantwortlichkeit
nicht zwingend, da es im Wesen der territorialen Souveränität liegt, über das Recht auf Ausübung der Gebietshoheit im Wege des völkerrechtlichen Vertragsrechts20 oder des Völkergewohnheitsrechts21 verfügen zu können.22 Hat daher der territoriale Souverän auf die Art und Weise dieses Recht im Hinblick auf das gesamte oder einen Teil seines Staatsgebiets einem fremden Staat übertragen, kann dieser rechtmäßig auf besagtem Gebiet hoheitlich tätig werden;23 andernfalls ist die Gebietshoheit eines fremden Staates und somit auch jeder von diesem dabei ausgeübte Hoheitsakt aber stets völkerrechtswidrig.24 Die Frage, inwieweit die territoriale Souveränität am Beginn des 21. Jahrhunderts im Zeitalter der Globalisierung und Fragmentierung des Völkerrechts, der zunehmenden Kooperation und Verflechtung der Staaten in Internationalen Organisationen wie insb der EU und des gleichzeitig einhergehenden Bedeutungsverlusts der Nationalstaaten noch als unumstößlicher Grundsatz gültig ist bzw ihre Gültigkeit behalten soll, hat in den vergangenen Jahren eine intensive Diskussion im Schrifttum ausgelöst.25 Bemerkenswert erscheint in diesem Zusammenhang, dass bereits vor knapp 90 Jahren Kelsen seinem Gutachten vom 21. 6. 1971 über die Rechtlichen Konsequenzen der fortgesetzten völkerrechtswidrigen Anwesenheit Südafrikas in Namibia, ICJ Reports 1971, 54 zwischen der effektiven Herrschaft eines Staates in einem bestimmten Gebiet (Gebietshoheit) und der territorialen Souveränität unterschieden: „Physical control of a territory [l’autorité effective sur un territoire] and not sovereignty or legitimacy of title, is the basis of State liability for acts affecting other States.“ 20 Vgl zB Art 1 Abs 2 lit c) des Abkommens zwischen Österreich und der Schweiz über die Errichtung nebeneinanderliegender Grenzabfertigungsstellen und die Grenzabfertigung in Verkehrsmitteln während der Fahrt, BGBl 1965/10. 21 Siehe zB das Recht der diplomatischen und konsularischen Tätigkeit auf fremdem Staatsgebiet. 22 Treffend wird das Begriffspaar Territoriale Souveränität – Gebietshoheit mit jenem von Eigentum – Besitz verglichen, vgl etwa Seidl-Hohenveldern/Hummer, Die Staaten, in: Handbuch, Rz 733; Schlag, Verwaltungsbefugnisse, 83f. 23 Verdross/Simma/Geiger, ZÖR 1980, 224f; Siegrist, Hoheitsakte, 9ff. 24 Siehe die Beispiele bei Matscher, ZÖR 1977, 132ff und Okresek, ZÖR 1984/85, 331f. 25 Siehe aus der umfangreichen Literatur zB Zürn, Die Zukunft des Nationalstaats, FAZ v 19. 7. 2005, 8; van Staden/Vollaard, in: State, Sovereignty and International Governance, 165; Biehler, Der Staat 1996, 99ff; Fassbender/Bleckmann, Art 2 Abs 1 UN Charter, Rz 66ff; Hobe, Der offene Verfassungsstaat, 380ff; Saladin, Staaten, 28ff; Kingsbury, EJIL 1998, 610ff.
I. Zulässigkeit
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von einem Übergangszustand gesprochen hat, wonach die „…Völkerrechtstheorie…auf der einen Seite zur Höhe einer über den Einzelstaaten aufgerichteten Weltrechtsgemeinschaft strebt, auf der anderen Seite aber in der Machtsphäre des souveränen Einzelstaates gefangen bleibt…[aber] mit der Überwindung des Dogmas von der Souveränität des Einzelstaats die Existenz einer objektiven, von aller ,Anerkennung‘ unabhängigen, über den Einzelstaaten stehenden Völker-, richtiger Weltrechtsordnung, einer civitas maxima sich durchsetzen [wird].“26 Zwar scheint der formale Souveränitätsbegriff Jellineks und Kelsens überwunden,27 und der Staat genießt nach heute hA Handlungsfreiheit lediglich im Rahmen des Völkerrechts im Sinne einer relativen Souveränität,28 zu einer Entwicklung einer tatsächlichen Weltrechtsgemeinschaft im Sinne einer gänzlichen Abkehr vom souveränen Staat ist es aber selbst nach den Gräueltaten des 2. Weltkriegs und der darauf folgenden Besinnung auf die internationale Gemeinschaft trotz einer beachtlichen Expansion der Völkerrechtsordnung nicht gekommen. Vielmehr wurde in Art 2 Abs 1 SVN der Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten ausdrücklich verankert.29 Erst im vergangenen Jahrzehnt hat eine verstärkte Debatte über „global governance“ und eine Konstitutionalisierung des Völkerrechts eingesetzt,30 ein „Weltstaat“ bleibt jedoch auch für die kommenden Jahrzehnte eine Utopie. Als Schwungräder dieser Diskussion fungieren zweifelsfrei die Globalisierung und mit ihr die zunehmende Verrechtlichung des Welthandels im Rahmen der WTO (Stichwort International Economic Governance);31 darüber hinaus und damit untrennbar verbunden haben ihr auch die universelle Expansion
Kelsen, Problem der Souveränität, 320. Siehe dazu und die Kritik daran etwa Griller, Übertragung, 15ff und Paulson, FS Öhlinger, 24ff. 28 Seidl-Hohenveldern, Souveränität, 378. 29 Vgl Fassbender/Bleckmann, Art 2 Abs 1 UN Charter. 30 Frowein, Konstitutionalisierung des Völkerrechts, 427ff; Tomuschat, International Law as the Constitution of Mankind, 37ff; von Bogdandy, Harvard Int’l LJ 2006, 223ff; Wahl, Verfassungsstaat, 90ff; Bryde, Der Staat 2003, 61ff; zum Internationalen Verfassungsrecht Eberhard/Lachmayer/Thallinger, Inhalt und Methode, 179ff; Uerpmann, JZ 2001, 565ff. 31 Vgl zB die Beiträge in Griller, International Economic Governance. 26 27
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Völkerrechtliche Zulässigkeit und Verantwortlichkeit
der Menschenrechte32 sowie die zügig voranschreitende europäische Integration starke Antriebskraft verliehen. Wie aber sowohl der ins Stocken geratene Verfassungsgebungsprozess der EU als auch die Vorbehalte gegen eine umfassende Reform der Vereinten Nationen deutlich machen, erweisen sich auf europäischer wie auf globaler Ebene die Partikulärinteressen souveräner Nationalstaaten noch immer als Bremsklotz einer solchen Entwicklung. Man braucht kein Prophet zu sein, um vorauszusagen, dass, wenn überhaupt, dann am ehesten die EU sich vom Staatenbund zum Bundesstaat wandeln wird,33 in welchem die Bedeutung der nationalstaatlichen Souveränität gegenüber einer unionalen Souveränität weiter einbußen wird. Territoriale Souveränität als solche wird aber, insb mangels überzeugender weil funktionsfähigerer Alternativen34 zur völkerrechtlichen Komepetenzabgrenzung, auch in Zukunft ihre Bedeutung beibehalten,35 was aber nicht ausschließt, dass sie gewisser Modifikationen, wie etwa einem Wechsel vom Bezugspunkt Nationalstaat hin zur Staatenverbindung, bedarf.
B. Jurisdiktion 1. Allgemein Ausfluss der Souveränität eines Staates ist dessen umfassende Erlaubnis zur Ausübung von Jurisdiktion.36 Ähnlich wie die Souveränität ist allerdings auch die Jurisdiktion kein in sich geschlossener, eindeutig abgrenzbarer Begriff, sondern folgt einem breiten und Petersmann, EJIL 2002, 621ff und ders, in: International Economic Governance, 211ff. 33 Siehe dazu zB Kristoferitsch, Staatenbund. 34 Als eine Form nichtterritorialer governance wird zB die Errichtung sog global public policy Netzwerke zwischen Regierungen, Unternehmen, Internationalen Organisationen und NGOs vorgeschlagen, vgl dazu Reinicke, Foreign Affairs 1997, 127ff; van Staden/Vollaard, in: State, Sovereignty and International Governance, 173ff; zur Errichtung sog verfasster Zweckkörperschaften vgl Kempin, Föderalismus als Modell, 194ff. 35 ZB Kingsbury, EJIL 1998, 622ff; Jennings, in: State, Sovereignty and International Governance, 30f, 41f. 36 „[A State’s] title to exercise jurisdiction rests in its sovereignty.“, konstatierte der StIGH im Lotus-Fall, Series A, No 10, 19; vgl Bowett, BYIL 1982, 1; Jennings/ Watts, Oppenheim’s International Law, 457. 32
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facettenreichen Konzept. Seine Ursprünge liegen in der römischrechtlichen „iurisdictio“, welche die Kompetenz des Prätors sowohl zur Rechtsprechung als auch zur Rechtsetzung umfasste. Im Gegensatz dazu beschränkte sich im deutschen Sprachgebrauch der Begriff der „Jurisdiktion“ traditionellerweise häufig auf die Gerichtsbarkeit und insb die richterliche Zuständigkeit.37 Vor allem unter dem Einfluss des umfassenderen englischen Terminus „jurisdiction“ hat man sich aber auch im Deutschen mehr und mehr von einer solch engen Begriffsauslegung verabschiedet; in der vorliegenden Arbeit soll Jurisdiktion daher deckungsgleich mit seinem englischen Pendant und somit umfassend verstanden werden.38 Unter Jurisdiktion versteht man in diesem Sinne die allgemeine staatliche Kompetenz, das Verhalten der Rechtsunterworfenen zu regeln und zu diesem Zweck rechtliche Regelungen zu setzen sowie durchzusetzen;39 mit anderen Worten beschreibt Jurisdiktion also die Ausübung von Hoheitsgewalt40 und kann somit, der Gewaltenteilungslehre folgend, in die Bereiche Legislative oder Regelungshoheit (jurisdiction to prescribe), Gerichtsbarkeit (jurisdiction to adjudicate) und Durchsetzung (jurisdiction to enforce) unterteilt werden.41 Eine Unterteilung nach Vgl Hasford, Jurisdiktion, 25. Den divergierenden Sprachgebrauch exemplifizieren auch unterschiedliche Übersetzungen von „jurisdiction“ bzw „juridiction“ in Art 1 EMRK: Während die offizielle Übersetzung Österreichs diese Begriffe mit „Jurisdiktion“ übersetzt, verwendet die deutsche und schweizerische Übersetzung den Begriff „Herrschaftsgewalt“. Wie Frowein, FS Schlochauer, 289 anmerkt, entspricht der Ausdruck der „Jurisdiktion“ den authentischen englischen und französischen Fassungen besser als die Formulierung „Herrschaftsgewalt“; siehe auch unten 3. Kap III.E.2.a); zur Entwicklung der Jurisdiktion internationaler Tribunale vgl Amerasinghe, Jurisdiction, 49ff. 38 Die Begriffsinhalte der „jurisdiction“ umfassen nach Garner, Black’s Law Dictionary, 855: „1. A government’s general power to exercise authority over all persons and things within its territory…2. A court’s power to decide a case or issue a decree…3. A geographic area within which political or judicial authority may be exercised…4. A political or judicial subdivision within such an area…”. 39 Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, 456; Oxman, Jurisdiction of States, in: EPIL II, 55; Bowett, BYIL 1982, 1. 40 Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, 1. Berühmt sind die Worte von US Justice Holmes in McDonald v Mabee, 243 US 90, 91, 37 S.Ct. 343, 343, 61 L.Ed. 608, 607 (1917): „The foundation of jurisdiction is physical power.“ 41 Brownlie, Principles, 297; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, 456; Ziegenhain, Rechtsanwendung, 12ff; vgl insb The American Law Institute: Restatement of the Law, 3rd edition (1986), The Foreign Relations Law of the United States: 37
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den drei klassischen Staatsgewalten ist, wie gleich noch zu zeigen sein wird, aber im Bereich der Jurisdiktion mehr von heuristischem Interesse als von dogmatischem Nutzen, da sowohl Aufgabe der Legislative als auch der Judikative im Ergebnis die (generell-abstrakte bzw individuell-konkrete) Rechtsetzung ist; zu unterscheiden ist von dieser lediglich die Durchsetzung der gesetzten Rechte durch die Exekutive. Deshalb soll im Folgenden mit der hL nur zwischen jurisdiction to prescribe (legislative jurisdiction = Regelungshoheit = legislative/rechtsetzende Jurisdiktion) und jurisdiction to enforce (enforcement jurisdiction = Durchsetzungshoheit = exekutive/durchsetzende Jurisdiktion) differenziert werden.42 Erstere umfasst somit sowohl die Rechtsetzung generell-abstrakter Normen (jurisdiction to prescribe ieS) als auch deren Anwendung und somit die Konkretisierung der Rechtsnormen für den Einzelfall durch gerichtliche Entscheidungen und Verwaltungsakte (jurisdiction to adjudicate). Dagegen handelt es sich bei der Durchsetzungshoheit (jurisdiction to enforce) um die physische Anwendung staatlicher Gewalt zur Durchsetzung einer Regelung. Der Jurisdiktionsbegriff ist darüber hinaus insofern janusköpfig, als er eine interne wie eine externe Komponente enthält: Während erstere die innerstaatlich regulierte Ausübung tatsächlicher Jurisdiktion beschreibt, bestimmt der externe Aspekt deren völkerrechtliche Zulässigkeit; nur letztere ist in diesem Kapitel von Interesse und das gerade dort, wo zwei oder mehrere Staaten sich zur Ausübung von Jurisdiktion berufen fühlen.43 § 401 Categories of Jurisdiction Under international law, a state is subject to limitations on a) jurisdiction to prescribe, i.e., to make its laws applicable to the activities, relations, or the status of persons, or the interest of persons in things, whether by legislation, by executive act or order, by administrative rule or regulation, or by determination of a court; b) jurisdiction to adjudicate, i.e., to subject persons or things to the process of its courts or administrative tribunals, whether in civil or in criminal proceedings, whether or not the state is a party to the proceedings; c) jurisdiction to enforce, i.e., to induce or compel compliance or to punish noncompliance with its laws or regulations, whether through the courts or by use of the executive, administrative, police or other nonjudicial action.” 42 Mann, RdC 1964, 23ff, 127ff; ders, RdC 1984, 19ff; 34ff; Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, 5ff; von Lutterotti, US Extraterritorial Economic Sanctions, 66. 43 Mann, RdC 1964, 9ff; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, 456f.
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2. Extraterritoriale Jurisdiktion a) Extraterritoriale exekutive Jurisdiktion Der Grundsatz der völkerrechtlichen Jurisdiktionsabgrenzung folgt aus der territorialen Souveränität der Staaten und ist somit in erster Linie territorial.44 Hier bedarf es sogleich einer an der Unterscheidung zwischen legislativer und exekutiver Jurisdiktion anknüpfenden Verfeinerung: Für letztere gilt der Grundsatz der Territorialität der Jurisdiktionsausübung (Territorialitätsprinzip) nicht bloß grundsätzlich sondern ausnahmslos. Dementsprechend klar war in diesem Punkt der StIGH im Lotus-Fall: „Now the first and foremost restriction imposed by international law upon a State is that – failing the existence of a permissive rule to the contrary – it may not exercise its power in any form in the territory of another State. In this sense jurisdiction is certainly territorial; it cannot be exercised by a State outside its territory except by virtue of a permissive rule derived from international custom or from a convention.“45
Das völkerrechtliche Territorialitätsprinzip verbietet somit die Setzung staatlicher Hoheitsakte46 auf fremdem Staatsgebiet, sofern nicht eine Regel besteht, die dies erlaubt.47 Eine ausnahmsweise Erlaubnis kann kraft ausdrücklicher völkervertragsrechtlicher Zustimmung48 oder völkergewohnheitsrechtlicher Duldung49 erfolgen.50 Nur 44 Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, 458; Brownlie, Principles, 297; zum Wandel des Territorialitätsprinzips zB Michaels, Territorial jurisdiction, in: Globalisation, 105ff. 45 StIGH, Series A, No 10, 18f. 46 Keinen besonderen völkerrechtlichen Beschränkungen unterliegt hingegen der im Ausland iure gestinonis agierende Staat; er hat sich allerdings im Rahmen der ausländischen Rechtsordnung zu bewegen, vgl Rudolf, Territoriale Grenzen, 35f. 47 Rudolf, Territoriale Grenzen, 33; Mann, RdC 1964, 127; Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, 59. 48 Vgl zB Art 40 und 41 Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) über die grenzüberschreitende Observation und Nacheile und dazu Würz, SDÜ, 68ff bzw 84ff; es gilt der Grundsatz volenti non fit iniuria, vgl dazu Verosta, FS Verdross, 689ff; Baldus, Interventionen, in: Frieden und Recht, 261. 49 ZB die Tätigkeit der Diplomaten und Konsuln im Ausland. Ebenso gestattet das Völkerrecht Hoheitsakte des Flaggenstaats an Bord von Schiffen und Flugzeugen in bzw über fremdem Gebiet. 50 Rudolf, Territoriale Grenzen, 33; Siegrist, Hoheitsakte, 25ff; Geck, Hoheitsakte, in: WBVR, 795f; Seidl-Hohenveldern/Hummer, Die Staaten, in: Handbuch, Rz 877.
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unter dieser Bedingung können also extraterritoriale Hoheitsakte wie sie iSd Arbeit verstanden werden51 als Ausübung extraterritorialer exekutiver Jurisdiktion (extraterritorial enforcement jurisdiction) völkerrechtskonform sein.52 In Zweifelsfällen sind die Ausnahmetatbestände jedenfalls restriktiv auszulegen. b) Extraterritoriale legislative Jurisdiktion Als extraterritoriale Jurisdiktion wird also einerseits, wie eben für die exekutive Jurisdiktion dargestellt, die (Durch)Setzung von Hoheitsakten im Ausland verstanden; darüber hinaus umschreibt der Begriff andererseits für den Bereich der legislativen Jurisdiktion auch Hoheitsakte, die zwar im Inland getroffen werden,53 aber einen mehr oder weniger starken Auslandsbezug aufweisen.54 Dieser Auslandsbezug kann nach Anknüpfung und Anordnung differenziert werden: Anknüpfung ist dabei der personelle oder sachliche Bezug der Regelung, zB die Staatsbürgerschaft, der Wohnsitz einer Person Zulässige Ausnahmen bilden überdies vom Sicherheitsrat unter Kapitel VII SVN autorisierte Maßnahmen sowie die notwendige und verhältnismäßige Ausübung des Selbstverteidigungsrechts gemäß Art 51 SVN. 51 Extraterritoriale Hoheitsakte im hier verstandenen Sinn sind Hoheitsakte auf fremdem Staatsgebiet und nicht bloß (im Inland gesetzte) Hoheitsakte mit extraterritorialer Wirkung wie zB transnationale Verwaltungsakte und Gerichtsentscheidungen; siehe zur rechtlichen Qualifizierung der einzelnen Handlungsformen Harings, Zusammenarbeit, 149ff. 52 Anderenfalls verstoßen sie gegen das Interventionsverbot und verletzten die territoriale Souveränität des betroffenen Staats; zum strittigen Inhalt des Interventionsverbots siehe Schröder, Non-intervention, in: EPIL III, 619ff und Neuhold, Grundregeln, in: Handbuch, Rz 1935ff. Ganz allgemein sieht es die Literatur für die Ausübung der Durchsetzungshoheit als notwendig an, dass der handelnde Staat im Einzelfall auch über entsprechende Regelungshoheit für den durchzusetzenden Hoheitsakt verfügt, vgl Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, 9 und Mann, RdC 1964, 128. 53 So beschließen die Abgeordneten zum Nationalrat die Gesetze im Inland ebenso wie Richter ihre Urteile auf österreichischem Boden fällen (anderenfalls würden sie gegen das Interventionsverbot verstoßen). 54 Schlochauer, Extraterritoriale Wirkung, 10f definiert extraterritoriale Hoheitsakte in diesem Sinne weit durch ihre unmittelbare oder mittelbare Auswirkungen auf fremdes Territorium und grenzt den Begriff vom Hoheitsakt auf fremdem Staatsgebiet ab. Während der Hoheitsakt auf fremdem Staatsgebiet demnach im fremden Staatsgebiet selbst bewirkt wird, befindet sich beim extraterritorialen Hoheitsakt das den Hoheitsakt erlassende Organ auf dem Territorium des eigenen Staatsgebiets. Die Auswirkungen auf das fremde Gebiet müssen allerdings jedenfalls rechtlicher und nicht bloß faktischer Natur sein.
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oder der Aufenthalt von Vermögen bzw Gegenständen im Ausland.55 Demgegenüber zielt die Anordnung als das den Auslandsbezug herstellende Element auf den Regelungsinhalt eines Hoheitsaktes ab: Ein Gesetz oder ein Urteil kann etwa Handlungs- und Unterlassungspflichten, eine Ermächtigung oder eine Berechtigung mit Bezug auf Personen oder Sachen im Ausland enthalten.56 Im Bereich der legislativen Jurisdiktion ist die Rechtslage hinsichtlich der völkerrechtlichen Zulässigkeit der Extraterritorialität jedoch zT unklar und wird in der Literatur heftig diskutiert:57 Das Territorialitätsprinzip gilt hier in der Tat nur dem Grunde nach und tritt in zahlreichen Konstellationen zugunsten der Zulässigkeit extraterritorialer legislativer Jurisdiktion zurück. Dieser Zulässigkeit müssen jedoch – um positive Jurisdiktionskonflikte zu vermeiden – auch vernünftige Grenzen gesetzt werden; für diesen Teilbereich muss das Lotus-Urteil, wonach Staaten „a wide measure of discretion which is only limited in certain cases by prohibitive rules“58 hätten, zweifellos als überholt gelten. Auch wenn das Territorialitätsprinzip in Zeiten der weltweiten, grenzenlosen Wirtschaftstätigkeit und dem gleichzeitigen Bedeutungsverlust der Nationalstaaten zunehmend unter Beschuss gerät,59 bedarf jegliche Abweichung davon in Form extraterritorialer Jurisdiktionsausübung stets der besonderen Rechtfertigung.60 Voraussetzung einer solchen ist im Allgemeinen eine ausreichend enge Nahebeziehung (sufficient close relationship bzw Erfordernis eines „genuine link“) zum auslandsbezogenen Sachverhalt.61 Eine solche Nahebeziehung wird jedenfalls durch die StaatsMeng, Extraterritoriale Jurisdiktion, 74f; vgl auch Dipla, Responsabilité, 45. Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, 75. 57 Siehe zB Mann, RdC 1964, 9ff; ders, RdC 1984, 19ff; Meessen, Internationales Kartellrecht; ders, Extraterritorial Jurisdiction; Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion; ders, Extraterritorial Effects, in: EPIL II, 338ff; von Lutterotti, US Extraterritorial Economic Sanctions, 64ff; Jennings, BYIL 1957, 146ff; Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 2, Rz 54; Bartels, JWT 2002, 358ff sowie zahlreiche Beiträge in Slot/Bulterman, Globalisation and Jurisdiction. 58 StIGH, Series A, No 10, 19f. 59 Vgl zB bereits Vogel, Anwendungsbereich, 125ff; Michaels, Territorial jurisdiction, in: Globalisation, 105ff. 60 Reinisch, Legal Framework, in: Non-State Actors, 56. 61 Siehe insb Mann, RdC 1964, 9ff; ders, RdC 1984, 19ff und seine „point of contact theory“; Verdross/Simma, Völkerrecht, § 1183ff; Ziegenhain, Rechtsanwendung, 46ff; Schwarze, Jurisdiktionsabgrenzung, 28ff; Schlag, Verwaltungsbefugnisse, 94f. 55 56
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bürgerschaft vermittelt und es ist deshalb anerkannt, dass Staaten über eigene Staatsbürger auch im Ausland Jurisdiktion haben (Personalitätsprinzip);62 ferner können sie unter gewissen Bedingungen extraterritoriale Jurisdiktion unter Berufung auf das Schutzprinzip, das Auswirkungsprinzip (effects doctrine) und das Universalitätsprinzip ausüben.63 Gerade in diesen Fällen kommt es aber häufig zu Jurisdiktionskonflikten, deren Auflösung, wenn, wie das insb im internationalen Wirtschaftsrecht häufig der Fall ist,64 zwei oder mehrere Staaten eine solche enge Nahebeziehung aufweisen, stets ein schwieriges Unterfangen bleibt. Zur Trennung solch gordischer Jurisdiktionsknoten wurde die Heranziehung der Grundsätze von Treu und Glauben, der Verhältnismäßigkeit oder des Missbrauchsverbots vorgeschlagen.65 Gerade auf Grund der unterschiedlichen Sachverhaltslagen bei Jurisdiktionskonflikten erscheint die Gewinnung allgemeiner gültiger Sätze ein schwieriges Unterfangen; es führt schließlich kein Weg daran vorbei, dass jeder Einzelfall mit seinen Besonderheiten in bi- oder multilateralen Verhandlungen oder durch ein internationales Organ gelöst wird.66 In diesem Zusammenhang scheint am ehesten das Verhältnismäßigkeitsprinzip das Potential zu haben, als Instrumentarium zur Lösung von Jurisdiktionskonflikten beizutragen. Demnach ließe sich argumentieren, dass extraterritoriale legislative Jurisdiktion stets nur zur Verfolgung eines legitimen Zwecks (Interesses) eingesetzt werden darf sowie dass sie geeignet und erforderlich sein muss, diesen Zweck zu erreichen; verfolgen bei einem bilateralen Jurisdiktionskonflikt beide Staaten in erforderlicher Weise ein solch geeignetes Ziel (Interesse), muss es zu einer Abwä62 Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, 462ff; Doehring, Völkerrecht, Rz 811ff. 63 Siehe näher zu den einzelnen Prinzipien zB Doehring, Völkerrecht, Rz 808ff; Brownlie, Principles, 299ff; von Lutterotti, US Extraterritorial Economic Sanctions, 78ff; Maier, Jurisdictional Rules, in: Extraterritorial Jurisdiction, 67ff. 64 Vgl aus der umfangreichen Literatur zB von Lutterotti, US Extraterritorial Economic Sanctions; Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion; Meessen, Internationales Kartellrecht; Miller/Baker, Jurisdictional Boundaries, in: Globalisation, 131ff; Lowenfeld, International Economic Law, 710ff; Oberlechner, RdW 1995, 176ff. Siehe jüngst auch Vranes, JRP 2008, 38ff. 65 Siehe die Übersicht über die Lehrmeinungen bei von Lutterotti, US Extraterritorial Economic Sanctions, 84ff. 66 Maier, Jurisdictional Rules, in: Extraterritorial Jurisdiction, 67; von Lutterotti, US Extraterritorial Economic Sanctions, 97.
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gung der von den Staaten verfolgten Interessen kommen, bei der einem Staat letztlich der Vorrang einzuräumen ist.
C. Resümee Für die Zulässigkeit der Setzung von Hoheitsakten auf fremdem Staatsgebiet und der Frage der Grundrechtsbindung bei Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt im Ausland ergibt sich daher folgendes: Was die völkerrechtliche Zulässigkeit des hoheitlichen Tätigwerdens im Ausland betrifft, gelten die soeben dargestellten Grundsätze der extraterritorialen exekutiven Jurisdiktion, wonach ein solches Handeln ohne explizite vertragliche Zustimmung bzw ohne völkergewohnheitsrechtliche Duldung völkerrechtswidrig ist. Bei der Erstreckung der grundsätzlich nationalen Grundrechte auf den im Ausland gelegenen Sachverhalt handelt es sich dagegen um ein Problem der extraterritorialen legislativen Jurisdiktion (Anordnung von Rechtsnormen als Auslandsbezug): Hierfür ist somit eine ausreichend enge Nahebeziehung zum Auslandssachverhalt nötig. Eine solche ist durch das Handeln der staatlichen Behörden zweifelsfrei gegeben, die nationalen Grundrechte „begleiten“ diese als Emanation jeglichen staatlichen Handelns. Ein Jurisdiktionskonflikt scheint hier sehr unwahrscheinlich, da die Geltung der Grundrechte im Regelfall ja auch vom fremden Staat begrüßt werden wird.67
II. Staatenverantwortlichkeit A. Einleitung Für die folgende Darstellung der Grundregeln der Staatenverantwortlichkeit bedarf es einleitend folgender Klarstellung: Es geht hier nicht um die Beschreibung der völkerrechtlichen Rechtsfolgen eines völkerrechtswidrig auf fremdem Staatsgebiet gesetzten Hoheitsakts; schließlich steht nicht die (Un)Zulässigkeit solcher extraterritorialer Hoheitsakte samt deren Konsequenzen, sondern die Frage des bei 67 Anders könnte dies nur sein, wenn dieser die Geltung der eigenen Grundrechtsordnung auch für das Handeln fremder Organe beansprucht, einerseits etwa weil der Schutz durch die eigenen Grundrechte höherwertig als jener durch die Grundrechte der fremden Hoheitsgewalt ist.
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deren rechtmäßiger wie rechtswidriger Vornahme relevanten Grundrechtsstandards im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit. Die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mit der völkerrechtlichen Staatenverantwortlichkeit folgt vielmehr aus der Tatsache, dass sich die Mehrzahl der Mitglieder der Staatengemeinschaft in internationalen wie regionalen Menschenrechtsverträgen zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten untereinander und gegenüber bestimmten Individuen verpflichtet haben. Aus europäischer Sicht stellt in diesem Zusammenhang die EMRK das Maß der Dinge dar: Auch wenn sie in Österreich sogar im Rang eines Verfassungsgesetzes68 steht und es unabhängig davon auch für alle übrigen Vertragsstaaten unbestritten ist, dass sich die Konvention im Lauf der Zeit aus dem rein völkerrechtlichen Kontext „emanzipiert“69 und zu einem europäischen Verfassungsinstrument entwickelt hat,70 bleibt ihre ursprüngliche Natur als völkerrechtlicher Vertrag in verschiedenster Hinsicht von Bedeutung: So ergeben sich daraus, wie später noch zu zeigen sein wird, insb bei der Auslegung ihrer Bestimmungen Konsequenzen.71 Was an dieser Stelle erörtert werden soll, betrifft die Durchsetzung der durch die Konvention gewährten Rechte: Aus österreichischer Sicht führt die Doppelnatur der EMRK zu einer Dichotomie zwischen innerstaatlicher Durchsetzung als „verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte“ vor Behörden und Gerichten (insb vor dem VfGH) und internationaler Durchsetzung vor dem EGMR.72 Nur wenn letzterer im Wege des Individual- oder Staatenbeschwerdeverfahrens eine Konventionsverletzung Österreichs feststellt, handelt es sich um einen Fall der völkerrechtlichen Staa68 Gemäß Art II Z 7 B-VGN 1964, BGBl 1964/59. Im Verfassungsrang steht die EMRK explizit nur in Österreich, in den Niederlanden besitzt sie darüber hinausgehend sogar Vorrang vor allen Gesetzen inklusiven den Verfassungsgesetzen; in vielen anderen Ländern steht sie im Mezzanin zwischen Gesetz und Verfassung, ansonsten im Gesetzesrang, vgl im Detail Grabenwarter, VVDStRL 60, 299ff. 69 Grabenwarter, EMRK, § 2 Rz 3. 70 Der EGMR, Urteil v 23. 3. 1995, Loizidou gegen Türkei (preliminary objections), Serie A-310, Z 75 beschreibt die Konvention als „constitutional instrument of European public order (ordre public) “. Vgl dazu Thürer, VVDStRL 50, 106; Häberle, EuGRZ 1991, 264f; Walter, ZaöRV 1999, 962ff; Alkema, GS Ryssdal, 41ff; Grabenwarter, VVDStRL 60, 293ff; Peters, Einführung, 12f. 71 Siehe 3. Kap III.A.1.c) und Grabenwarter, Verfahrensgarantien, 6ff. 72 Siehe 3. Kap III.A.
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tenverantwortlichkeit.73 Für die Feststellung der Konventionsverletzung als unabdingbares Element der Staatenverantwortlichkeit74 bedarf es zunächst der Klärung des Umfangs der Verpflichtungen, welche die Vertragsstaaten mit Ratifizierung der EMRK eingegangen sind. Wesentliche Determinante ist dabei Art 1 EMRK, der auch für die Bindung der Vertragsstaaten bei Hoheitsakten im Ausland von entscheidender Bedeutung ist. Die im Laufe dieser Arbeit noch vorzunehmende nähere Untersuchung von Art 1 EMRK kann somit nicht ohne Berücksichtigung der Regeln der Staatenverantwortlichkeit vorgenommen werden; gleichzeitig anerkennt auch die Literatur bei der Auslegung von Art 1 EMRK – in allerdings häufig sehr pauschaler und unpräziser Weise – einen entsprechenden Zusammenhang. Im Vergleich zur allgemeinen völkerrechtlichen Verantwortlichkeit weist – auf Grund der konventionsspezifischen Durchsetzung und Rechtsfolgen – die Verantwortlichkeit eines Vertragsstaats nach der EMRK überdies zahlreiche Unterschiede auf.75 Um die Position der Konventionsverantwortlichkeit im Gefüge des Rechts der Staatenverantwortlichkeit zu bestimmen, sollen daher zunächst nach einem groben Überblick über die allgemeinen Regeln die aus der Konvention folgenden Besonderheiten und Abweichungen kurz dargestellt werden.
73 AA Marschik, Subsysteme, 189f, der die Auffassung vertritt, dass solange eine Subsystem-Verletzung (etwa der EMRK) durch deren eigenen Sanktionsmechanismus beseitigt wird, der Eintritt einer Völkerrechtsverletzung verhindert wird und bloß dann, wenn keine Rechtmäßigkeit wiederhergestellt werden kann, eine Völkerrechtsverletzung vorliegt und es zu einem „Rückfall auf die Staatenverantwortlichkeit“ kommt. ME widerspricht sich Marschik insofern, als die Bedingung „Rechtmäßigkeit wiederherstellen“, ja impliziert, dass eine Rechtswidrigkeit vorliegt; worin anders, als in einer Völkerrechtsverletzung soll diese aber bestehen? 74 Siehe dazu sogleich unten II.B. 75 Diese Besonderheiten ändern nichts daran, dass es sich dabei um völkerrechtliche Verantwortlichkeit handelt (kritisch zB Clapham, Private Sphere, 188 FN 29); wie Simma, FS Schlochauer, 641f klarstellt sind nämlich „[a]uch Verträge zum Schutz der Menschenrechte…vollwertige völkerrechtliche Verträge, grundsätzlich eingebettet…in das Streitschlichtungs- und Verantwortlichkeitsregime des allgemeinen Völkerrechts. Der Umstand, dass menschenrechtliche Verträge im wesentlichen keine gegenseitigen Beziehungen ihrer Parteien, keine zwischenstaatliche Interaktion, sondern eine bestimmte Haltung der Staatsgewalt gegenüber den Menschen in ihrem Herrschaftsbereich normieren, vermag daran nichts zu ändern…“.
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B. Die Grundregeln der völkerrechtlichen Staatenverantwortlichkeit Die Grundsätze der völkerrechtlichen Staatenverantwortlichkeit sind überwiegend völkergewohnheitsrechtlicher Natur.76 Bereits 1953 begann die Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen (International Law Commission – ILC) mit deren Kodifizierung, eine Aufgabe, die sie 2001 mit den von der Generalversammlung der Vereinten Nationen in einer Resolution zustimmend zur Kenntnis genommenen Articles on Responsibility of States for internationally wrongful acts [in der Folge: ILC-Entwurf] abgeschlossen hat.77 Der ILC-Entwurf ist abgesehen von den allgemeinen Bestimmungen am Ende (Art 55 – 59) im Wesentlichen dreigeteilt: Zuerst enthält er die Regeln über den Eintritt der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit (Teil 1, Art 1 – 27), danach in einem zweiten Teil über die Folgen der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit (Art 28 – 41) und sodann in Teil 3 (Art 42 – 54) über die Geltendmachung der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit (inklusive erlaubter Selbsthilfe). Voraussetzung für den Eintritt der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit eines Staates ist immer das Vorliegen einer völkerrechtswidrigen Handlung dieses Staates.78 Die Bestimmung, wann eine völkerrechtswidrige Handlung vorliegt, bereitet in der Praxis große SchwieAls Verantwortlichkeit (responsibility) werden im Völkerrecht die sich aus einer Völkerrechtsverletzung ergebenden rechtlichen Folgen verstanden. Davon zu unterscheiden ist die völkerrechtliche Haftung für völkerrechtskonforme, aber gefährliche oder riskante Tätigkeiten (zB Betrieb eines Atomkraftwerks). 77 Annex, GA-Res. 56/83, Responsibility of States for internationally wrongful acts, 12. 12. 2001 sowie Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts, Commentaries, ILC Report, 53rd Session, 56 UN-GAOR, Supp.No. 10, 59, UN-Doc. A/56/10 (2001). Der ILC-Entwurf soll in den kommenden Jahren in eine multilaterale Konvention münden und somit zu verbindlichem völkerrechtlichem Vertragsrecht werden. Bereits heute kommt den Artikeln des Entwurfs – insb weil sie zu einem großen Teil Völkergewohnheitsrecht darstellen – bereits beträchtliche Autorität zu und sie beeinflussen wesentlich das Verhalten der Staaten. Vgl insb Crawford, Articles on State Responsibility und Wittich, LJIL 2002, 891ff. 78 Vgl Art 1 ILC-Entwurf: „Every internationally wrongful act of a State entails the international responsibility of that State.” Zu unterscheiden ist davon die völkerrechtliche Haftung für völkerrechtskonforme, aber gefährliche oder riskante Tätigkeiten, vgl dazu Zemanek/Hafner/Wittich, Verantwortlichkeit, in: Handbuch, Rz 2682, 2685ff und Rauschning/Randelzhofer, Staatenverantwortlichkeit, 35ff. 76
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rigkeiten und erfolgt an Hand der in Art 2 ILC-Entwurf wie folgt dargelegten Komponenten: Artikel 2 Elemente der völkerrechtswidrigen Handlung eines Staates Eine völkerrechtswidrige Handlung eines Staates liegt vor, wenn ein Verhalten in Form eines Tuns oder eines Unterlassens a) dem Staat nach dem Völkerrecht zurechenbar ist und b) eine Verletzung einer völkerrechtlichen Verpflichtung des Staates darstellt.
Das Hauptproblem bildet dabei die völkerrechtliche Zurechenbarkeit von Handlungen und Unterlassungen, deren Regeln aus diesem Grund im ILC-Entwurf in den Art 4 – 11 ausführlich Niederschlag gefunden haben.79 Demgegenüber bestimmt sich das Vorliegen des zweiten Elements, die Verletzung einer völkerrechtlichen Verpflichtung, nicht nach dem ILC-Entwurf, sondern aus dem Verhalten des Staates im Verhältnis zu seinen sich aus allen anerkannten Völkerrechtsquellen ergebenden Verpflichtungen.80, 81 Erst das Vorliegen einer völkerrechtswidrigen Handlung führt zum Eintritt der Staatenverantwortlichkeit, deren Regeln über die Folgen und Durchsetzung auch als Sekundärnormen82 bezeichnet 79 Gemäß Art 3 ILC-Entwurf richtet sich die Bestimmung der völkerrechtlichen Handlung und somit insb jene der Zurechenbarkeit nicht nach der innerstaatlichen Rechtsordnung, sondern nach dem Völkerrecht. Neben dem Verhalten von Staatsorganen kann einem Staat zB auch das von ihm geleitete oder kontrollierte Verhalten sonstiger Personen (Art 8 ILC-Entwurf) oder auch das Verhalten sonstiger Privater zugerechnet werden, das ein Staat als sein eigenes anerkennt und annimmt (Art 11 ILC-Entwurf). Siehe ausführlich zB Crawford, Articles on State Responsibility, 91ff; Wittich, LJIL 2002, 893ff; Ipsen, Völkerrecht, 636ff; Brownlie, Principles, 431ff; siehe grundlegend schon Cheng, General Principles, 180ff. 80 Es kommen sämtliche Verletzungen von sich aus den Völkerrechtsquellen gemäß Art 38 Abs 1 IGH-Statut inklusive den verbindlichen Beschlüssen Internationaler Organisationen und einseitigen Rechtsgeschäften ergebenden Verpflichtungen in Betracht. 81 Im Hinblick auf die EMRK unterstreicht Dipla, Responsabilité, 46 als eine der ganz wenigen Autorinnen diese essentielle Trennung zwischen „l’attribution et la violation“. 82 Im Gegensatz zu der die völkerrechtswidrige Handlung konstituierenden verletzten völkerrechtlichen Verpflichtung des Staates, die auch als Primärnorm bezeichnet wird. Zur Verknüpfung zwischen Primär- und Sekundärnormen siehe etwa Rauschning/Randelzhofer, Staatenverantwortlichkeit, 13ff; Kälin/Gabriel, Human Rights in Times of Occupation, 31.
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werden. Aus seiner völkerrechtswidrigen Handlung erwächst dem Staat gegenüber dem verletzten Staat die völkerrechtliche Pflicht, das Unrecht wiedergutzumachen und alle aus dieser Handlung entstandenen Folgen zu beseitigen.83 Die Wiedergutmachung kann durch Restitution, Schadenersatz und Genugtuung, entweder einzeln oder in Verbindung miteinander, erfolgen.84
C. Das Verhältnis der EMRK zur allgemeinen Staatenverantwortlichkeit 1. Die Konventionsregeln als leges speciales Gemäß Art 55 ILC-Entwurf finden die allgemeinen Regeln der Staatenverantwortlichkeit keine Anwendung, wenn und soweit die Voraussetzungen für das Vorliegen einer völkerrechtswidrigen Handlung oder der Inhalt oder die Durchsetzung der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit eines Staates speziellen Regeln des Völkerrechts unterliegen.85 Art 55 ILC-Entwurf bringt also die Subsidiarität der allgemeinen völkerrechtlichen Staatenverantwortlichkeit zum Ausdruck, deren Regeln dann zurücktreten, wenn die Parteien eines Vertrags leges speciales86 für den Fall von dessen Verletzung festgelegt haben.87 Vgl die Worte des StIGH, Urteil v 13. 9. 1928, Chorzów-Fall (Deutschland gegen Polen), Serie A-17, 47: „…reparation must, as far as possible, wipe out all the consequences of the illegal act and re-establish the situation which would, in all probability, have existed if that act had not been committed…“. Eine Verletzung dieser neuen Verpflichtung führt wiederum zu einer völkerrechtswidrigen Handlung, die erneut Staatenverantwortlichkeit auslöst. Insoweit ist die Qualifizierung als Sekundärnorm relativ, da sie bei ihrer Verletzung selbst zur Primärnorm wird, vgl Zemanek/Hafner/Wittich, Verantwortlichkeit, in: Handbuch, Rz 2683, 2740. 84 Art 34 ILC-Entwurf. 85 Vgl dazu Crawford, Articles on State Responsibility, 306ff. 86 Zur lex specialis-Regel siehe Vranes, ZaöRV 2005, 391ff; grundlegend Bydlinski, Methodenlehre, 465, demzufolge die lex specialis bei einem Normenkonflikt immer die engere Regel ist, die zwar dieselben Tatbestandsmerkmale wie die andere und mindestens noch ein weiteres Merkmal enthält; diese speziellere Norm soll dann für den engeren von ihr erfassten Bereich von Fällen ausschließlich, das heißt unter Verdrängung der allgemeineren Vorschriften gelten. Problematisch ist im Völkerrecht nicht so sehr die Anwendung der lex specialis-Regel innerhalb eines Subsystems (zur Unterscheidung offener Subsysteme zu sog self-contained regimes und deren Existenz siehe II.C.2.), sondern im Verhältnis 83
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Die EMRK sieht solche speziellen Regeln jedenfalls in puncto Inhalt und Durchsetzung der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit vor: So legt sie mit dem Staaten- und Individualbeschwerdeverfahren gemäß Art 33 und 34 ihr eigenes Verfahren zur Durchsetzung der Konventionsverpflichtungen fest. Auch im Hinblick auf die Folgen einer Verantwortlichkeit enthält sie in Art 41 und 46 spezielle Regelungen:88 So kann der EGMR in Anknüpfung an die allgemeine Wiedergutmachungs- oder Entschädigungspflicht (Chorzów-Fall) den verurteilten Staat zwar gemäß Art 41 EMRK zur Zahlung einer gerechten Entschädigung (just satisfaction; satisfaction équitable) verpflichten, diese wird allerdings, anders als nach den allgemeinen Regeln nicht dem(n) verletzten Staat(en), sondern direkt der „verletzten Partei“, also in der Regel dem Beschwerdeführer in einem Individualbeschwerdeverfahren, zugesprochen.89 Aus Art 46 EMRK folgt darüber hinaus die Verpflichtung des verantwortlichen Staats das Urteil des Gerichtshofs zu befolgen, „sich also nach dessen Entscheidung zu richten“90; aus dieser Bestimmung resultiert auch die Verpflichtung des betroffenen Staats, dass er die Konventionsverletzung völlig beseitigt, das heißt restitutio in integrum gewährt.91 Überdies ist auch anerkannt, dass, wenn eine Konventionsverletzung ihre Wurzel unmittelbar in einem innerstaatlichen Gesetz oder in einer sonstigen generell-abstrakten Norm hat, der betroffene Staat auf Grund von Art 46 Abs 1 EMRK verpflichtet ist, seine Rechtsordnung mit der Konvention in Einklang zu bringen.92 Im Übrigen sind zahlreiche Fragen betreffend der Verpflichtungen der Staaten zur mehrerer Subsysteme zueinander – paradigmatisch ist dafür die Frage, wie sich Menschenrechtsnormen zu WTO-Vorschriften verhalten; vgl zB Lindroos, NJIL 2005, 27ff, welche den lex specialis-Grundsatz nur für beschränkt anwendbar hält; grundlegend dazu insb Pauwelyn, Conflict of norms. 87 Verdross/Simma, Völkerrecht, § 1309. 88 Siehe umfassend Polakiewicz, Verpflichtungen, 51ff. Für die Kategorisierung von Art 41 EMRK als lex specialis explizit Crawford, Articles on State Responsibility, 307 und ILC-Commentaries, 357. 89 Karl, Art 41 EMRK, 5; Okresek, Art 41 EMRK, Rz 8. 90 So der Wortlaut von ex-Art 53 EMRK, vgl Ress, EuGRZ 1996, 350. 91 EGMR, Urteil v 31. 10. 1995, Papamichalopoulos et al gegen Griechenland (Artikel 50), Serie A-330-B, Rz 34; Ress, EuGRZ 1996, 351; Okresek, Art 46 EMRK, Rz 4ff. 92 Polakiewicz, Verpflichtungen, 156ff; Frowein/Peukert, EMRK, 729, Rz 7; Okresek, Art 46 EMRK, Rz 15.
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Setzung allgemeiner Maßnahmen bzw zur Bindung der innerstaatlichen Gerichte an die Urteile des EGMR strittig.93 2. Ist die EMRK ein self-contained regime? Für die Feststellung, ob eine konventionswidrige Handlung als Auslöser der völkerrechtlichen Verantwortung vorliegt, scheint aber in Abwesenheit einer speziellen Regelung der allgemeine Grundsatz zu gelten, dass es dazu einer dem Staat zurechenbaren Handlung oder Unterlassung bedarf, die eine Verletzung einer aus der Konvention resultierenden Verpflichtung dieses Staats darstellt. Kann die Verletzung einer völkerrechtlichen Verpflichtung ohnehin immer nur an einer (in diesem Sinne stets speziellen) Primärrechtsnorm (in unserem Fall eben an Hand der EMRK) und nicht an den Grundsätzen der Staatenverantwortlichkeit festgestellt werden, richtet sich die Zurechenbarkeit staatlicher Handlungen und Unterlassungen mangels spezieller Konventionsbestimmungen nach den allgemeinen Regeln. Anders könnte dies sein, wenn man die Auffassung vertritt, bei der EMRK handle es sich um ein geschlossenes völkerrechtliches Subsystem (self-contained regime): Ein solches self-contained regime soll sich nämlich dadurch auszeichnen, dass unter gänzlichem Ausschluss der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit einzig und allein der vom System etablierte Feststellungs-, Streiterledigungs- und Sanktionsmechanismus zur Anwendung kommt.94 Auch wenn der IGH im Teheraner Geisel-Fall das Diplomatenrecht als solch geschlosse93 Siehe etwa zur Frage, ob ein Urteil aus Straßburg generell als Wiederaufnahmegrund anzuerkennen ist, Breuer, EuGRZ 2005, 473 zum Fall Öcalan. Zur Frage der Bindungswirkung der EGMR-Urteile vgl den Görgülü-Beschluss des BVerG vom 14. 10. 2004, BVerfG 2 BvR 1481/04 und EGMR, Urteil vom 26. 2. 2004, Görgülü/Deutschland, Nr. 74969/01 (berichtigt am 24. 5. 2005) und dazu zB Cremer, EuGRZ 2004, 683ff; Meyer-Ladewig/Petzold, NJW 2005, 15ff sowie Lenz, FS Zuleeg, 234ff. 94 Im Einzelnen variieren die Definitionsmerkmale solcher self-contained regimes in der Literatur und reichen von absoluter völkerrechtlichen Abgeschlossenheit, über Verdrängung sämtlicher Bestimmungen der allgemeinen Staatenverantwortlichkeitsregeln bis zur bloßen Verdrängung der Sekundär-, also Sanktionsnormen (nur in diesem Fall wäre der Ausschluss der Zurechenbarkeitsregeln nicht erfasst); eine allzu weitgehende Abgeschlossenheit wird aber zumeist abgelehnt. Vgl dazu Simma, NYIL 1985, 111ff; Provost, BYIL 1994, 440f; Marschik, Subsysteme, insb 100ff und 170ff; Schröder, Verantwortlichkeit, in: Graf Vitzthum, Rz 30; Zemanek/ Hafner/Wittich, Verantwortlichkeit, in: Handbuch, Rz 2836.
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nes System anerkannt hat,95 ist dessen Existenz und Umfang äußerst strittig. Stellt man tatsächlich auf die Ausschließlichkeit der eigenen Verantwortlichkeitsregeln als Wesensmerkmal eines self-contained regime ab, muss deren Vorhandensein in der Völkerrechtsordnung wohl berechtigterweise in Frage gestellt werden.96 Korrekt erscheint es hingegen spezielle völkerrechtliche Gebiete wie das Diplomatenrecht, verschiedene Menschenrechtssysteme oder das WTO-Recht als offene völkerrechtliche Subsysteme zu bezeichnen, denen zwar eigene Sanktionsmechanismen (Sekundärnormen) inhärent sind, welche die allgemeinen Staatenverantwortlichkeitsregeln zwar verdrängen, aber nicht gänzlich ausschließen.97 Insofern verfügen diese Subsysteme über leges speciales im Sinne von Art 55 ILC-Entwurf, erlauben jedoch eine Ergänzung bzw einen Rückgriff auf die Grundsätze der Staatenverantwortlichkeit, insb in den nicht abschließend geregelten Teilbereichen.98 Wenn gleich man von einem Vorrang der vertraglich vereinbarten speziellen Regeln ausgehen kann, ist das Verhältnis der Anwendung zwischen vertraglich vereinbarten speziellen Durchsetzungsmaßnahmen und allgemeinen Staatenverantwortlichkeitsregeln umstritten:99 Ausgehend von der Ablehnung einer grundsätzlichen Einstufung von Menschenrechtsinstrumenten als self-contained regime erscheint jedenfalls ein gänzlicher Ausschluss der allVgl IGH, Teheraner Geisel-Fall, ICJ Reports 1980, § 86. Siehe die Kritik von Marschik, Subsysteme, 173f relativiert richtigerweise das Verständnis von „Geschlossenheit“ und beschreibt self-contained regimes zwar letztlich als Subsysteme des Völkerrechts, die aber weder autonom noch autark sein können. 97 Gegen die Einstufung von Menschenrechtskonventionen als self-contained regimes auch Simma, NYIL 1985, 135 und Provost, BYIL 1994, 441; dagegen spricht auch Art 12 ILC-Entwurf, wonach eine völkerrechtliche Verpflichtung von einem Staat immer dann verletzt ist, „when an act of that State is not in conformity with what is required of it by that obligation, regardless of its origin or character“ [Hervorhebung von mir]; vgl auch Vierdag, NYIL 1994, 136. 98 Vor allem die ehemalige Sowjetunion lehnte dies ab und vertrat hingegen die Meinung, dass Menschenrechtsverträge ausnahmslos als self-contained regimes einzustufen und ausschließlich die vertraglich vorgesehenen Sanktionsmechanismen anzuwenden sind; dem widerspricht Simma, FS Schlochauer, 641ff, 647f, der Menschenrechtsverträge als „vollwertige völkerrechtliche Verträge“ sieht, weshalb zur Sicherung der Erfüllung ihrer Verpflichtungen auch alle anderen Selbsthilfemittel zur Verfügung stellen sollen, die nach allgemeinem Völkerrecht zur Durchsetzung von Rechtsansprüchen zulässig sind; aA Frowein, FS Mosler, 255f. 99 Vgl Meron, Human Rights, 136ff; 229ff; Ermacora, FS Verdross, 368ff. 95 96
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gemeinen völkerrechtlichen Verantwortlichkeit nur mittels expliziter Bestimmung im jeweiligen Vertrag denkbar, da eine solche „Abkopplung“ von den allgemeinen Regeln – auf Grund des Umstands, dass dem Völkerrecht eine Regel, wonach Verträge mit eigenem Sanktionsmechanismus nur auf die vertragsspezifische Weise durchgesetzt werden können, fehlt100 – bewiesen werden muss, um die Vermutung der „Offenheit“ des Subsystems zu widerlegen.101 Bei der EMRK handelt es sich somit um ein offenes Subsystem, das nur in den Teilbereichen „Folgen“ und „Durchsetzung“ über spezielle Verantwortlichkeitsbestimmungen verfügt, während sie ein wesentliches Element der Ermittlung, wann Staatenverantwortlichkeit überhaupt eintritt, konkret die Erörterung der Zurechenbarkeit von Handlungen und Unterlassungen, ungeregelt lässt. Für die Konvention mit ihren spezifischen Sekundärnormen kommt es somit zur Anwendung der lex specialis-Regel des Art 55 ILC-Entwurfs, womit die allgemeinen Regeln der Staatenverantwortlichkeit lediglich subsidiär heranzuziehen sind.102 Dabei ist allerdings Art 55 EMRK zu beachten, wonach die Vertragsparteien „überein[kommen], dass sie, es sei denn auf Grund besonderer Vereinbarung, keinen Gebrauch von zwischen ihnen geltenden Verträgen, Übereinkommen oder Erklärungen machen werden, um von sich aus einen Streit um die Auslegung oder Anwendung dieser Konvention einem anderen Verfahren zu unterwerfen als in der Konvention vorgesehen ist“. Handelt es sich nun aber bei dieser Regelung um eine Klausel im oben genannten Sinne, die expressis verbis eine gänzliche Abkopplung der EMRK vom allgemeinen Staatenverantwortlichkeitsrecht anordnet und diese somit doch ein self-contained regime darstellt? Eine solche Möglichkeit ist aus zwei Gründen zu verneinen: Erstens hält der zur Auslegung der Konvention berufene EGMR selbst Rückgriff auf die im Völkerrecht entwickelten Grundsätze der Staatenverantwortlichkeit und sieht diese als eine „precious source of inspiration“ und somit gerade nicht als verdrängt an.103 In diesem Sinne berief er sich ausdrücklich auf das Urteil des StIGH im ChorFür das Fehlen einer solchen Regel spricht auch Art 33 SVN. Künzli, Verpflichtungsgrad, 96f; vgl auch Meron, Human Rights, 230f. 102 In diesem Sinne wohl auch Crawford, Articles on State Responsibility, 306ff und ILC-Commentaries, 357ff. 103 EGMR, Urteil v 31. 10. 1995, Papamichalopoulos et al gegen Griechenland (Artikel 50), Serie A-330-B, Rz 36. 100 101
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zów-Fall und den darin niedergelegten Grundsatz, dass die Wiedergutmachung so weit wie möglich alle Folgen des unrechtmäßigen Akts beseitigen und jene Situation herstellen muss, die aller Wahrscheinlichkeit nach gegeben wäre, wenn der in Rede stehende Akt nicht gesetzt worden wäre.104 Darüber hinaus soll Art 55 EMRK aber bloß den Vorrang der in der EMRK vorgesehenen Rechtsschutzverfahren vor anderen Verfahren der Streitbeilegung anordnen und schließt nach seinem Wortlaut auch bloß die Anrufung anderer, vertraglich vereinbarter Schlichtungsorgane, aber nicht die Anwendung der allgemeinen Regeln der Staatenverantwortlichkeit aus.105, 106 Festzuhalten ist überdies, dass es der Konvention an eigenen Zurechnungsregeln mangelt, sodass in diesem Bereich die allgemeinen Grundsätze der Staatenverantwortlichkeit vollumfänglich anzuwenden sind.107
III. Die Verantwortlichkeit Internationaler Organisationen A. Allgemein Hand in Hand mit deren mittlerweile unbestrittener Eigenschaft als VRS und den in den vergangenen Jahrzehnten expandierenden Ibid, Rz 36; vgl auch Polakiewicz, Verpflichtungen, 51ff. Somit sieht der Gerichtshof aber selbst die Sekundärnormen der Staatenverantwortlichkeit nicht als vollständig verdrängt an, was selbst für den Fall, dass man, bloß auf dieses Kriterium abstellend, self-contained regimes eng definiert (siehe FN 94) zur Folge hat, dass die Konvention kein solches Regime darstellt. Grundsätzlich ist die Existenz solcher Systeme daher weder nachvollziehbar noch nachweisbar; in der Völkerrechtsordnung finden sich vielmehr bloß offene Subsysteme wie zB die EMRK. 105 Frowein/Peukert, EMRK, Artikel 62, 740f; Künzli, Verpflichtungsgrad, 97f. Dafür spricht auch die ausdrückliche Möglichkeit der Nichtanwendung von Art 55 EMRK auf Grund besonderer Vereinbarungen sowie insb die historische Auslegung der Bestimmung, wonach diese die Kompetenzen zwischen EGMR und IGH abgrenzen sollte, vgl Vierdag, NYIL 1994, 138. 106 Da ein anderes Schlichtungsorgan wie etwa der Menschenrechtsausschuss sich kaum mit der Auslegung der EMRK beschäftigen wird, darf Art 55 EMRK nicht streng nach dem Wortlaut interpretiert werden, ansonsten würde das darin vorgesehene Kumulationsverbot nicht zur Anwendung kommen, vgl zur im Vergleich mit Art 55 EMRK weitaus „großzügigeren“ Regelung des Art 44 IPBPR Nowak, CCPRCommentary, Article 44, Rz 6f mwN und die Resolution (70) 17 v 15. 5. 1970 des Ministerkomitees des Europarats. 107 Insb ist Art 1 EMRK, wie noch zu zeigen ist, keine spezielle Zurechnungsregel, vgl unten 3. Kap III.E.1. 104
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Völkerrechtliche Zulässigkeit und Verantwortlichkeit
Aufgaben stellt sich zunehmend die Frage nach der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit Internationaler Organisationen. Schließlich korreliert der mit der Völkerrechtssubjektivität einhergehenden Rechtsfähigkeit auch eine Deliktsfähigkeit Internationaler Organisationen, die aber Verantwortlichkeit impliziert.108 Mangels Vorliegens eigenständiger völkerrechtlicher Regeln über die Verantwortlichkeit Internationaler Organisationen109 wird vorgeschlagen, die völkergewohnheitsrechtlichen Regeln über die Entstehung der Staatenverantwortlichkeit mutatis mutandis auf Internationale Organisationen anzuwenden.110 Aufbauend auf den Grundregeln des ILC-Entwurfs zur Staatenverantwortlichkeit111 erfolgt daher auch die Arbeit der ILC zur Kodifikation der Regeln über die Verantwortlichkeit Internationaler Organisationen, die anlässlich der 55. Session der ILC im Jahr 2000 aufgenommen wurde und diesen Themenkomplex im Rahmen einer Arbeitsgruppe unter Leitung von Special Rapporteur Giorgio Gaja aufarbeiten soll.112 Als Leitlinie der ILC gilt dabei wie folgt: The Commission’s work on State responsibility could not fail to affect the study of the new topic and it would be only reasonable to follow the same approach on issues that were parallel to those concerning States. Such an approach did not assume that similar issues between the two topics would necessarily lead to analogous solutions. The intention only was to suggest that, should the study concerning particular issues relating to international organizations pro108 Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit ist gleichsam die Kehrseite der Völkerrechtssubjektivität, vgl Amerasinghe, Principles, 225; Brownlie, Principles, 655, 665; Schröder, Verantwortlichkeit, in: Graf Vitzthum, Rz 32; Ipsen, Völkerrecht, § 41, Z 1ff; Pitschas, Verantwortlichkeit, 40ff; vgl auch Eagleton, RdC 1950-I, 326ff; die subsidiäre Rolle der Verantwortlichkeit als „last resort“ betont Reinisch, International Organizations, 266. 109 Wegen der geringen Anzahl an Fällen in der Praxis fehlt es auch an völkergewohnheitsrechtlichen Regeln. 110 Hirsch, Responsibility, 10ff; Amerasinghe, Principles, 401; Pitschas, Verantwortlichkeit, 43ff; Frank, Verantwortlichkeit, 171; Stein, in: Kosovo and the International Community, 182; vgl auch allgemein Ginther, Verantwortlichkeit Internationaler Organisationen. 111 Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts, ILC Report, 53rd Session, 56 UN-GAOR, Supp. No.10, 43, UN-Doc.A/56/10(2001). 112 Vgl den Bericht der ILC über ihre 55. Session, 29ff, 58 UN-GAOR, Suppl No 10, UN-Doc A/58/10 (2003), abrufbar unter http://www.un.org/law/ilc/reports/2003/2003 report.htm.
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duce results that did not differ from those reached by the Commission in its analysis of State responsibility, the model of the draft articles on State responsibility should be followed both in the general outline and in the wording.113
B. Die Grundregeln der Verantwortlichkeit Internationaler Organisationen Das Grundprinzip der Verantwortlichkeit Internationaler Organisationen ist mit dem des ILC-Entwurfs zur Staatenverantwortlichkeit ident: Voraussetzung für den Eintritt der Verantwortlichkeit einer Internationalen Organisation ist demnach das Vorliegen einer völkerrechtswidrigen Handlung dieser Organisation.114 Insgesamt hat die Kommission bis 2008 die Art 1 – 60 einer zukünftigen Kodifikation ausgearbeitet; diese behandeln neben dem Anwendungsbereich und den Grundprinzipien ua die Elemente einer völkerrechtswidrigen Handlung. Auch dabei wird im Wesentlichen dem Schema des ILC-Entwurfs gefolgt: So liegt eine völkerrechtswidrige Handlung vor, wenn ein Verhalten in Form eines Tuns oder Unterlassens a) einer Internationalen Organisation nach dem Völkerrecht zurechenbar ist und b) eine Verletzung einer völkerrechtlichen Verpflichtung der Internationalen Organisation darstellt.115 Zurechenbarkeit liegt in erster Linie dann – und zwar unproblematisch – vor, wenn die Internationale Organisation durch eigene Organe handelt.116 Die zentrale Problematik im Bereich der Zurechenbarkeit korrespondiert aber vielmehr mit dem Umstand, dass IOs sehr häufig nicht durch eigene sondern über Organe eines Mitgliedstaats handeln: Daran knüpft Art 5 ILC-Entwurf IO an und regelt diese Form der Organleihe wie folgt: Article 5 Conduct of organs or agents placed at the disposal of an international organization by a State or another international organization Ibid, 30. Vgl Art 3 Abs 1 ILC-Entwurf IO, vgl dazu den Bericht der ILC über ihre 55. Session, 33, 58 UN-GAOR, Suppl No 10, UN-Doc A/58/10 (2003), abrufbar unter http://www.un.org/law/ilc/reports/2003/2003report.htm; vgl dazu Hirsch, Responsibility, 17ff. 115 Art 3 Abs 2 ILC-Entwurf IO. 116 Art 4 ILC-Entwurf IO. Die Zurechenbarkeit erfolgt auch, wenn das Handeln des Organs ultra vires erfolgt (Art 6 ILC-Entwurf IO); vgl Frank, Verantwortlichkeit, 171ff; Hirsch, Responsibility, 62ff. 113 114
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Völkerrechtliche Zulässigkeit und Verantwortlichkeit The conduct of an organ of a State or an organ or agent of an international organization that is placed at the disposal of another international organization shall be considered under international law an act of the latter organization if the organization exercises effective control over that conduct.
Anders als Art 6 ILC-Entwurf soll eine Organleihe an eine Internationale Organisation also nicht von exklusiver Kontrolle sondern (lediglich) von wirksamer Kontrolle der Organisation über das betreffende Organ des Mitgliedstaats abhängen.117 Die ILC geht gleichzeitig davon aus, dass auch gemeinsame Kontrolle und somit Zurechenbarkeit sowohl zur Organisation als auch zum jeweiligen Mitgliedstaat möglich ist.118 Die Verletzung einer völkerrechtlichen Verpflichtung folgt parallel zur Staatenverantwortlichkeit den Pflichten der Organisation aus sämtlichen Völkerrechtsquellen.119
C. Die Grundrechtsbindung Internationaler Organisationen 1. Allgemein Zu den internationalen Verpflichtungen Internationaler Organisationen, deren Verletzung eine Verantwortlichkeit begründen kann, zählen zweifelsohne auch Respekt und Achtung der Grund- und Menschenrechte. Als eine solche Menschenrechtsverpflichtungen begründende Völkerrechtsquelle gemäß Art 38 Abs 1 IGH-Statut kommt dabei für Internationale Organisationen mangels Beitritts zu einem regionalen oder internationalen Menschenrechtsabkommen in erster Linie das Völkergewohnheitsrecht in Betracht.120 Insbesondere müssen Internationale Organisationen jedenfalls auch die zwingenden Normen des Völkerrechts (ius cogens) beach117 Siehe dazu die Commentaries zu Art 5 im Bericht der ILC über ihre 56. Session, 110ff, 59 UN-GAOR, Suppl No 10, UN-Doc A/59/10 (2004), abrufbar unter http://www.un.org/law/ilc/reports/2003/2003report.htm; vgl zu den Kriterien wirksamer Kontrolle bei den Auslandseinsätzen des Bundesheeres unten 5. Kap IV.A.3.; für eine Übertragung des Kriteriums der exklusiven Kontrolle auch auf die Organleihe an Internationale Organisationen vgl Pitschas, Verantwortlichkeit, 52. 118 Ibid, 101; wie bei solchen Kodifikationen üblich, sind jedoch im weiteren Verlauf der Arbeit der ILC noch weitere Veränderungen zu erwarten. 119 Vgl Art 8 – 16 ILC-Entwurf IO. 120 Amerasinghe, Principles, 400f; Hirsch, Responsibility, 31ff; Clapham, NonState Actors, 109ff mwN; vgl auch ILA, Berlin Conference (2004), Accountability of International Organisations, 22.
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ten.121, 122 Von den Menschenrechten gelten heute unzweifelhaft das Verbot der Folter, das Verbot rassischer Diskriminierung sowie das Verbot der Sklaverei und des Sklavenhandels als Bestandteil des ius cogens.123 Obwohl eine Bindung Internationaler Organisationen an die fundamentalen Menschenrechtsnormen somit als solches unbestritten ist, mangelt es vor allem an effektiven Durchsetzungsmöglichkeiten gegenüber diesen Organisationen. 2. Die Menschenrechtsbindung der Vereinten Nationen Auch für die Vereinten Nationen muss von einer entsprechenden Bindung an die Grund- und Menschenrechte ausgegangen werden. Eine solche lässt sich bereits aus den in der SVN (insb Art 1 Abs 3 sowie Art 55 lit c)) festgelegten Zielen der Achtung und der Verwirklichung der Menschenrechte ableiten und begründen.124 Von einer verbindlichen Geltung dieser Ziele für die Mitgliedstaaten der VN und für die Vereinten Nationen selbst ging bereits vor mehr als fünf Jahrzehnten Hersch Lauterpacht aus: Analog zur Problematik im Grundrechtsbereich („Solange-Rechtsprechung“) gilt nämlich gerade bei den zwingenden Normen des Völkerrechts, dass sich Staaten nicht Internationaler Organisationen zur Umgehung von ius cogens-Verpflichtungen bedienen dürfen, vgl ILC Yearbook 1982 (II Part Two) 56. 122 Hirsch, Responsibility, 30f; Schermers/Blokker, Institutional Law, Rz 1786; Clapham, Non-State Actors, 90; insb im Hinblick auf die EG auch Schermers, CMLR 1990, 250. 123 Siehe zB EGMR, Urteil v 21. 11. 2001 (GK), Al-Adsani gegen Vereinigtes Königreich, RJD 2001-XI, 79, Rz 57, 60; House of Lords, R. V. Bow Street Metropolitan Magistrate, ex parte Pinochet Ugarte (No 3), [1999] 2 W.L.R. 827, 841, 881; vgl Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, 72ff; Crawford, Articles on State Responsibility, 246f mwN; Hirsch, Responsibility, 30; Ipsen, Völkerrecht, 193; siehe auch Restatement of the Law (Third) The Foreign Relations Law of the United States, § 702 Comment n and Reporters’ Note 11 (1987), das auch unterstreicht, dass das Verbot des Völkermords jedenfalls ganz unbestritten im Rang von ius cogens steht: „Not all human rights norms are peremptory norms (ius cogens), but those in clauses (a) to (f) [i.e. genocide, slavery or slave trade, the murder or causing the disappearance of individuals, torture or other cruel, inhuman, or degrading treatment or punishment, prolonged arbitrary detention, systematic racial discrimination] of this section are […]“; zu den Implikationen einer ius cogens-Verletzung auf das nationale Recht de Wet, EJIL 2004, 97ff. 124 ZB Verdross/Simma, Völkerrecht, § 1233; Irmscher, GYIL 2001, 368f; de Wet/ Nollkaemper, GYIL 2002, 171ff; jüngst Thallinger, ZaöRV 2007, 1022ff; vgl allgemein zur Verantwortlichkeit der Vereinten Nationen bereits Eagleton, RdC 1950-I, 385ff. 121
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Die Schwierigkeiten, die sich im Hinblick auf die Bestimmung des Verpflichtungsumfangs aus dem Fehlen eines expliziten Grundrechtskatalogs in der SVN ergaben,126 können mitterweile als ausgeräumt bezeichnet werden, wenn man insb die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, aber auch die später auf deren Basis geschlossenen Menschenrechtsabkommen, wie vor allem den Internationalen Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte (IPBPR), als Ausführung der in der SVN verankerten Grundpflicht zur Förderung und Achtung der Menschenrechte versteht.127 Vor allem die Universal Declaration of Human Rights128 sowie der IPBPR129 enthalten aber wesentliche Grundrechte und Freiheiten, die heute zT den Rang von Völkergewohnheitsrecht einnehmen und somit auch die Vereinten Nationen als Völkerrechtssubjekt binden.130 Schwierig bleibt dabei allerdings nach wie vor die Bestimmung, welche Menschenrechte völkergewohnheitsrechtlich zu gewährleisten sind – neben den oben bereits genannten ius-cogens-Normen (Verbot der Folter, rassischer Diskriminierung und der Sklaverei) zählen dazu insb das Recht auf Leben, das Recht auf Freiheit sowie die fundamentalen Verfahrensgrundrechte.131 Der Umstand, dass die genannten MenschenrechtsH. Lauterpacht, International Law and Human Rights, 159 [Hervorh. von mir]. Darauf weist auch H. Lauterpacht (Ibid, 148ff) hin. 127 So Verdross/Simma, Völkerrecht, § 1234; de Wet, Chapter VII Powers, 199f. 128 GA-Res. 217(III), Universal Declaration of Human Rights, Dec. 19 1948, UNDoc A/810 (1948). 129 International Covenant on Civil and Political Rights, Dec., 16, 1966, 999 UNTS 171. 130 Verdross/Simma, Völkerrecht, § 1234ff mit Verweis auf die diese Annahme bestätigende Rechtsprechung des IGH; de Wet/Nollkaemper, GYIL 2002, 171ff; de Wet, Chapter VII Powers, 199f; Clapham, Non-State Actors, 124f. 131 Dies lässt sich mit der extensiven Staatenpraxis einerseits und der im hohen Ratifikationsstand einschlägiger Menchenrechtsverträge zum Ausdruck kommen125 126
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instrumente unter Federführung von VN-Organen ausgearbeitet bzw sogar angenommen wurden sowie im Allgemeinen deren vielfältige Tätigkeit zur Förderung der Menschenrechte macht eine Missachtung der fundamtentalen Grundrechte und Freiheiten durch die Vereinten Nationen selbst zu einem venire contra factum proprium.132 Die umfassende Grundrechtsbindung nicht nur der Mitglieder sondern auch der VN selbst ist auch Prämisse für die These von der Konstitutionalisierung des Völkerrechts, deren Befürworter die SVN als Verfassungsdokument der Weltrechtsgemeinschaft ansehen.133 Ungeachtet dessen lässt die Umsetzung und Kontrolle der rechtlichen Verpflichtungen der VN aber in vielen Gebieten noch immer zu wünschen übrig: Während der Sicherheitsrat etwa mit dem ICTY und ICTR zwar auf dem Gebiet des Internationalen Strafrechts Einrichtungen geschaffen hat, welche die fundamentalen Verfahrensgrundrechte in weitem Ausmaß garantieren, bestehen in anderen Bereichen – etwa bei den Übergangsverwaltungen der VN in Timor Leste (UNTAET) sowie im Kosovo (UNMIK) – weit gehende (Grund)Rechtsschutzlücken.134 Gleichzeitig ist freilich zu konstatieren, dass, gerade wenn der Sicherheitsrat gemäß Kapitel VII der SVN Maßnahmen zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit ergreift, es auch zulässig sein muss, zur Verfolgung dieser (wohl stärksten aller im öffentlichen Interesse gelegenen) Ziele, den Schutz der Grund- und Menschenrechte in bestimmtem Ausmaß den opinio iuris andererseits begründen; vgl IGH, Urteil v 20. 2. 1969, NordseeFestlandsockel-Fälle (Dän./Niederl. gegen BRD), ICJ Reports 1969, 42, para.73; vgl auch Villiger, Customary International Law, 149ff, der in einer quasi-universellen Mitgliedschaft einer Konvention ein starkes Indiz für die opinio iuris und für eine dieser zu Grunde liegenden gewohnheitsrechtlichen Regel sieht (156, Rz 237). 132 Irmscher, GYIL 2001, 368f; ähnlich de Wet/Nollkaemper, GYIL 2002, 173ff, die den Grundsatz des estoppel auf die VN angewendet wissen wollen. 133 Siehe zB Frowein, Konstitutionalisierung des Völkerrechts, 427ff; Tomuschat, International Law as the Constitution of Mankind, 37ff; Peters, FS Delbrück, 535ff; Pfersmann, ICON 2005, 383ff. 134 Siehe zur UNMIK etwa den Second Annual Report 2001-2002 des Kosovo Ombudsmanns v 10. 7. 2002, 5, der davon spricht, dass die VN eine Bevölkerung unter ihre Kontrolle gebracht hat „thereby removing them from the protection of the international human rights regime that formed the justification for UN engagement in Kosovo in the first place“; vgl dazu Knoll, LJIL 2006, 13ff; Chesterman, You, The People, 126ff, 145ff; Nolte, FS Tomuschat, 245ff; jüngst Werzer, NJIL 2008, 105ff; zum Rechtsschutzdefizit gegen individuelle Wirtschaftssanktionen des Sicherheitsrats siehe 5. Kap IV.B.4.c)dd).
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einzuschränken.135 Rechtmäßig soll eine entsprechende Einschränkung schon deshalb sein, weil „situations in which the Security Council resorts to Article 41 of the Charter…amount to an emergency“ und würden deshalb mit Ausnahme der notstandsfesten Rechte eine Derogation von den Grund- und Menschenrechten gemäß Art 4 IPBPR rechtfertigen.136 Die Rechtmäßigkeit und Reichweite einer solchen Einschränkung ist jedoch umstritten, was am Beispiel der vom VN-Sicherheitsrat mandatierten Friedensoperationen im 5. Kapitel der vorliegenden Arbeit näher veranschaulicht werden soll.137
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de Wet, Chapter VII Powers, 202. Ibid, aaO. Siehe 5. Kap IV.B.4.a).
Zweites Kapitel: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit I. Einleitung Das B-VG beruhte in der Stammfassung auf der Annahme, dass staatliche Organe Hoheitsakte bloß innerhalb des Bundesgebiets vornehmen würden und enthielt keine eigene Vorschrift zum Handeln österreichischer Organe auf fremdem Staatsgebiet. Die Erlaubnis zur Vornahme extraterritorialer Hoheitsakte wurde jedoch im Laufe der Jahrzehnte – auf völkerrechtlich zulässige Weise – in zahlreichen Staatsverträgen vereinbart, ohne dass dies verfassungsrechtlich als problematisch bewertet wurde. Eine Abkehr von dieser Auffassung infolge einer Neuinterpretation von Art 3 B-VG führte zur Schaffung eines speziellen BVGs zur Entsendung österreichischer Einheiten zur Hilfeleistung in das Ausland138 sowie von Art 9 Abs 2 B-VG139. Für die Setzung extraterritorialer Hoheitsakte im Rahmen der EU gibt es mit dem EU-BeitrittsBVG140 und Art 23f B-VG141 eigene Rechtsgrundlagen. Im Folgenden sollen zuerst die verfassungsrechtlichen Grundlagen des räumlichen Geltungsbereichs von Rechtsnormen dargestellt werden; danach soll, basierend auf einer Unterscheidung zwischen extraterritorialen Hoheitsakten mit Rechtsgrundlage inner- oder außerhalb des EU-Rechts, die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Ausübung von Hoheitsgewalt auf fremdem Staatsgebiet an Hand der einschlägigen Bestimmungen untersucht werden.
138 BVG vom 30. Juni 1965 über die Entsendung österreichischer Einheiten zur Hilfeleistung in das Ausland auf Ersuchen internationaler Organisationen, BGBl 1965/173; heute: BVG über Kooperation und Solidarität bei der Entsendung von Einheiten und Einzelpersonen in das Ausland (KSE-BVG), BGBl I 1997/38; siehe unten III.B.2. 139 BGBl 1981/350. 140 Bundesverfassungsgesetz über den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union, BGBl 1994/744. 141 BGBl 1994/1013 idF BGBl I 1998/83.
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Verfassungsrechtliche Zulässigkeit
II. Verfassungsrechtliche Grundlagen des räumlichen Geltungsbereichs von Rechtsnormen Der räumliche Geltungsbereich von Rechtsnormen kann, ausgehend vom Regelfall der Zwangsnormen, welche ein menschliches Verhalten gebieten und mit Zwang sanktionieren, in einen Gebotsbereich und einen Sanktionsbereich unterteilt werden.142 In diesem Zusammenhang ist darauf zu verweisen, dass im Folgenden die Begriffe Geltungsbereich und Anwendungsbereich austauschbar verwendet werden und nicht wie von manchen Autoren in der Weise, dass der Anwendungsbereich mit dem Gebotsbereich (iSd jurisdiction to prescribe) und der Geltungsbereich mit dem Sanktionsbereich (iSd jurisdiction to enforce) gleichzusetzen ist.143 Der räumliche Gebotsbereich (Tatbestandsbereich) umfasst demnach den räumlichen Bereich, in welchem der von der Zwangsnorm festgelegte Tatbestand vermieden werden muss, soll nicht die Sanktion ausgelöst werden. Der räumliche Sanktionsbereich beschreibt jenes Gebiet, in welchem das Staatsorgan infolge der Erfüllung des Tatbestands die vorgesehene Sanktion setzen soll.
A. Art 49 Abs 1 B-VG und der Gebotsbereich Art 49 Abs 1 B-VG sieht unter anderem vor, dass sich die „verbindende Kraft“ von Bundesgesetzen auf das gesamte Bundesgebiet erstreckt. Damit soll angeordnet werden, dass der räumliche Geltungsbereich von Bundesgesetzen grundsätzlich das gesamte Bundesgebiet umfasst.144 Art 49 Abs 1 B-VG positiviert somit bloß den Regelfall, dass sich – von Ausnahmen in persönlicher und sachlicher Hinsicht abgesehen – die Gebote eines Bundesgesetzes jedenfalls an alle Personen, die sich im Staatsgebiet befinden, richten dürfen.145 Dieser Bestimmung, welche das völkerrechtliche Territorialitätsprinzip widerspiegelt, kann aber kein Inhalt unterstellt werden, dass sich Vgl Walter, FS Merkl, 456ff; Walter/Mayer, Bundesverfassungsrecht, Rz 172; Rein, JBl 1988, 157. Für den Bereich der Vollziehung vgl Berchtold, ZfV 1994, 402; Walter, ZfV 1995, 1. 143 Vgl etwa Breuer, Wahlrecht, 137 mwN. 144 Öhlinger, Verfassungsrecht, Rz 448. 145 Walter/Mayer, Bundesverfassungsrecht, Rz 176. 142
II. Verfassungsrechtliche Grundlagen des räumlichen Geltungsbereichs
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Bundesgesetze nicht über das Bundesgebiet hinaus erstrecken dürfen.146 Ein solches Verbot einer Ausdehnung des räumlichen Gebotsbereiches kann auch nicht Art 3 B-VG entnommen werden;147 dies selbst dann nicht, wenn man Walter folgend das Bundesgebiet iSd Art 3 B-VG als exklusiven räumlichen Sanktionsbereich ansieht.148 Die Zulässigkeit der Erstreckung des Gebotsbereichs von Rechtsnormen auf Sachverhalte außerhalb des eigenen Staatsgebiets ist vielmehr eine völkerrechtliche Frage und wird im Bereich des Zivilrechts durch das IPR geklärt.149 Darüber hinaus ist die Abgrenzung der staatlichen Jurisdiktionsbereiche (im Rahmen der jurisdiction to prescribe) kontroversieller Gegenstand umfangreicher völkerrechtlichen Literatur.150 Vielmehr will Art 49 Abs 1 B-VG festhalten, dass sich Bundesgesetze in der Regel nicht bloß auf Sachverhalte in einzelnen Bundesländern beziehen, sondern, wenn nicht im Gesetz anders bestimmt ist, jedenfalls Geltung innerhalb des gesamten Bundesgebiets beanspruchen können. Bei Vorliegen einer sachlichen Rechtfertigung iSd Gleichheitssatzes kann der Geltungsbereich aber eingeschränkt werden. 147 So aber Thienel, Art 48, 49 B-VG, Rz 73. 148 Dazu gleich unten. Selbst Walter, FS Merkl, 458, räumt ein, dass eine Begrenzung des Gebotsbereichs von Rechtsnormen durch das Staatsgebiet umstritten ist. Der Auffassung Thienels (Art 48, 49, Rz 73), dass der Begriff des Bundesgebietes in Art 3 B-VG die völkerrechtlichen Regeln über das Staatgebiet rezipiert und sich nach diesen Regeln die Gebote österreichischer Normen im Sinne des Territorialitätsprinzips nur an Personen richten dürfen, die sich in Österreich aufhalten, kann hier aus zwei Gründen nicht gefolgt werden: Zunächst ist festzuhalten, dass Art 9 Abs 1 und nicht Art 3 B-VG „die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts“ zu Bestandteilen des Bundesrechts erklärt. Darüber hinaus sind die Völkergewohnheitsrechtsregeln über die Regelungs- und Durchsetzungshoheit staatlicher Jurisdiktionen, wie oben im 1. Kap I.B.2. aufgezeigt wurde, umstritten. Während klar ist, dass staatliche Organe Hoheitsakte auf fremdem Staatsgebiet grundsätzlich nur mit (vertraglicher) Zustimmung des betroffenen Staates vollziehen dürfen, bestehen im Hinblick auf die Regelungshoheit der Staaten allerdings keine Zweifel (mehr) daran, dass das Territorialitätsprinzip – bei Vorliegen eines entsprechenden Anknüpfungspunkts – durchbrochen werden und sich der Gebotsbereich von Rechtsnormen auch auf Sachverhalte außerhalb des eigenen Staatsgebiets erstrecken kann. 149 Weit weniger Bedeutung erlangt hat der nicht immer einheitlich verwendete Begriff des Internationalen Verwaltungsrechts. Als Gegenstück zum Internationalen Privatrecht wurde dieser in besonderem Maße von Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, V und 193ff (Die Bestimmung des anwendbaren Rechts) geprägt. Vgl auch Vogel, Anwendungsbereich, 176ff. 150 Siehe oben 1. Kap I.B.2.b). 146
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Verfassungsrechtliche Zulässigkeit
B. Art 3 Abs 1 B-VG und der Sanktionsbereich Nach Art 3 Abs 1 B-VG151 umfasst das Bundesgebiet die Gebiete der Bundesländer. Seine Grenzen sind im Staatsvertrag von St. Germain152 und gegenüber Ungarn auch im Venediger Protokoll von 1921153 geregelt. Gemäß Art 5 des Staatsvertrags von Wien154 sind die Grenzen Österreichs jene vom 1. Jänner 1938; zwischenzeitlich wurden durch diverse Grenzverträge mit Österreichs Nachbarstaaten zwar etliche, jedoch bloß marginale Änderungen vereinbart.155 Abgesehen von der Grenzziehung des Staatsgebiets erkannte die Lehre in Art 3 Abs 1 B-VG lange Zeit nur eine Festlegung des Bundesgebiets als Summe der Gebiete aller Bundesländer und den Ausschluss eines bundesunmittelbaren Gebietes.156 Das änderte sich jedoch in den 1960er-Jahren: Im Zuge der damals rasant zunehmenden zwischenstaatlichen Verflechtungen schloss Österreich ua Abkommen mit der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Zusammenarbeit bei der Grenzabfertigung in Verkehrsmitteln, die Organe dieser Staaten zur Setzung von Hoheitsakten auf österreichischem Staatsgebiet bzw österreichische Organe zu hoheitlicher Tätigkeit auf dem Staatsgebiet von Deutschland bzw der Schweiz ermächtigten.157 Im Hinblick auf die dadurch bewirkte Ausdehnung der Gesetzgebungs- und Vollziehungshoheit des jeweiligen Nachbarstaats war erstmals vom verfassungsändernden Charakter solcher Bestimmungen die Rede, da mit der Regelung des Art 3 Abs 1 B-VG sowohl der Hoheitsgewalt der Republik Österreich im Ausland als auch der Hoheitsgewalt fremVgl dazu Weber, Art 3 B-VG sowie jüngst Twaroch, ZfV 2006, 9ff. StGBl 1920/303. 153 BGBl 1921/138. 154 BGBl 1955/152. 155 Vgl den Überblick bei Weber, Art 3 B-VG, Rz 16; Twaroch, ZfV 2006, 14ff. 156 Statt vieler Kelsen/Froehlich/Merkl, Bundesverfassung, 69; Rill, FS Hellbling, 343 (FN 2) mwN. 157 ZB Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Erleichterungen der Grenzabfertigung im Eisenbahn-, Straßenund Schiffsverkehr, BGBl 1957/240; Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Errichtung nebeneinanderliegender Grenzabfertigungsstellen und die Grenzabfertigung in Verkehrsmitteln während der Fahrt, BGBl 1965/10. Das Völkerrecht bezeichnet solche vertraglichen Ermächtigungen von Organen fremder Staaten, auf eigenem Staatsgebiet Hoheitsakte zu setzen, als Staatsservituten, vgl dazu Verdross/Simma, Völkerrecht, Rz 1024ff. 151 152
II. Verfassungsrechtliche Grundlagen des räumlichen Geltungsbereichs
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der Staaten in Österreich Schranken auferlegt worden wären.158 Dieser Argumentation folgte kurz darauf das BVG vom 30. Juni 1965 über die Entsendung österreichischer Einheiten zur Hilfeleistung in das Ausland auf Ersuchen internationaler Organisation.159 Demnach sei die Drei-Elemente-Lehre Jellineks der Bundesverfassung insoweit immanent, als sie besagt, dass österreichische Staatsgewalt nicht im Ausland ausgeübt werden darf, weshalb nur ein Bundesverfassungsgesetz die Grundlage für die Ausübung österreichischer Hoheitsgewalt im Ausland schaffen könne.160 Daraufhin sanierte der Gesetzgeber einzelne bis dahin bloß gesetzesändernde Vorschriften in Staatsverträgen, die österreichische Organe zur Setzung von Hoheitsakten im Ausland bzw ausländische Organe zur hoheitlichen Tätigkeit in Österreich ermächtigten, als verfassungsändernd iSd Art 50 Abs 3 B-VG.161 Walter und Laurer sprachen dieser Vorgangsweise mit einer Interpretation des in Art 3 B-VG festgelegten Staatsgebiets als exklusiven räumlichen Sanktionsbereich das Wort.162 Ihre Auffassung basiert darauf, dass nach den Regeln des Völkerrechts dem Staatsgebiet die Bedeutung zukommt, den räumlichen Sanktionsbereich der Rechtsordnung abzugrenzen. Diese Regeln sehen sie über das „Bundesgebiet“ in Art 3 Abs 1 B-VG als in das B-VG transformiert an. Dagegen hat Rill zu Recht eingewendet, dass auch nach dem Völkerrecht die Herrschaftsausübung auf eigenem Staatsgebiet abdingbar ist163 und dass, akzep158 ErläutRV 394 BlgNR 10. GP, 10f. Bereits zuvor hatte Pfeifer, ZÖR 1962/63, 20, die Ansicht vertreten, dass die ausschließliche Zuständigkeit und Herrschaft der österreichischen Organe von der Verfassung stillschweigend angenommen wird. In den ErläutRV 713 BlgNR 7. GP, 6 (zum Abkommen mit der BRD) war hingegen noch von der bloß gesetzändernden Natur des Staatsvertrags die Rede. 159 BGBl 1965/173. 160 ErläutRV 633 BlgNR 10.GP, 4. Vgl Okresek, ZÖR 1985, 326ff. 161 BGBl 1968/275, 1968/276; Vgl AB 953 BlgNR 11. GP, 1 und AB 954 BlgNR 11. GP, 1. 162 Walter, FS Merkl, 460; Laurer, ZÖR 1970, 357. So später zB VwGH, 27.10. 1997, Zl 96/17/0348 und Walter/Mayer, Bundesverfassungsrecht, Rz 175, welche unter Berufung auf Matscher, ZÖR 1977, 131 einschränken, dass die via Art 9 Abs 1 B-VG ins Verfassungsrecht transformierten Regeln des Völkerrechts in Sonderfällen zur Setzung von Sanktionen auf fremdem Staatsgebiet ermächtigen. Erlaubt das Völkergewohnheitsrecht die Tätigkeit auf fremdem Staatsgebiet, sei diese auch verfassungsrechtlich unproblematisch. 163 Zu den völkerrechtlichen Voraussetzungen, unter welchen sich der räumliche Sanktionsbereich vom Staatsgebiet lösen kann, siehe oben 1. Kap I.A.
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Verfassungsrechtliche Zulässigkeit
tiert man schon eine Rezeption der zentralen Völkerrechtsregeln über das Staatsgebiet durch Art 3 Abs 1 B-VG, auch deren dispositiver Charakter mit übernommen werden müsste.164 Dann wäre eine durch Völkergewohnheitsrecht nicht gedeckte Erstreckung von Rechtsetzungsbefugnissen über das Bundesgebiet hinaus verfassungsrechtlich bei Zustimmung des betroffenen Staates zulässig.165 Wie dargelegt hat der Verfassungsgesetzgeber daraufhin, wenn auch nicht sämtliche166, so doch etliche Bestimmungen in Staatsverträgen, welche zu grenzüberschreitender hoheitlicher Tätigkeit ermächtigt haben, als „verfassungsändernd“ iSv Art 50 Abs 3 B-VG aF genehmigt. Unabhängig von der verfassungsrechtlichen Notwendigkeit dieser Klarstellung sind diese Bestimmungen somit Bestandteile des Verfassungsrechts geworden und haben dazu geführt, dass die Bestimmung des Art 3 Abs 1 B-VG kurzfristig iSv Walter und Laurer zu verstehen war.167 Dies trifft aber nur bis zur Erlassung von Art 9 Abs 2 B-VG als verfassungsrechtlicher Ermächtigungsnorm für grenzüberschreitende Hoheitsakte zu. Folgt man daraus, dass Art 3 Abs 1 B-VG bis zur Erlassung von Art 9 Abs 2 B-VG solchen Hoheitsakten entgegenstand, so muss man konsequenterweise zum Schluss kommen, dass Art 3 Abs 1 B-VG durch Art 9 Abs 2 Rill, FS Hellbling, 346ff; Griller, Übertragung, 88ff. Rill, FS Hellbling, 346ff unterscheidet den dargelegten Fall der Erstreckung von Rechtsetzungsbefugnissen österreichischer Organe über das Bundesgebiet hinaus vom (spiegelbildlichen) Fall der Ermächtigung nichtösterreichischer Organe, Hoheitsakte auf österreichischem Staatsgebiet zu setzen. Letzteren sieht er nur in Zusammenhang mit den übrigen Bestimmungen der Bundesverfassung für zulässig an und verweist aE seiner Ausführungen auf die Lehre von der Geschlossenheit des bundesverfassungsrechtlichen Rechtsquellensystems. 166 So wurde das Erste Staatsverträge-Sanierungsgesetz (ErläutRV 122 BlgNR 9. GP), durch das unzählige ältere Staatsvertragsbestimmungen rückwirkend als „verfassungsändernd“ bezeichnet werden sollten, nie Gesetz. 167 Öhlinger, Vertrag, 208f gesteht zwar ein, dass die Theorie Walters und Laurers, wonach die hier interessierenden Bestimmungen in Staatsverträgen verfassungsändernden Charakter hätten, widerlegbar sein könnte, führt aber weiter aus: „Diese Theorie hat jedoch Eingang in das positive Recht gefunden und ist damit aus dem bloß theoretischen Bereich in jenen des Normativen transformiert worden. Hier aber ist sie nicht mehr ‘wahr’ oder allenfalls auch ‘falsch’, sondern ‘gültig’.“; vgl Öhlinger, JBl 1971, 290; aA Rill, FS Hellbling, 350ff. Ungeachtet dessen sieht aber grundsätzlich auch Öhlinger, Verfassungsrecht, Rz 225 die Theorie vom Staatsgebiet gemäß Art 3 Abs 1 B-VG als „exklusiven räumlichen Sanktionsbereich“ dezidiert für verfehlt an. 164 165
III. Extraterritoriale Hoheitsakte ohne Grundlage im Unionsrecht
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B-VG materiell derogiert wurde168, was andernfalls zu verneinen ist169.
C. Zusammenfassung Für den Geltungsbereich von Rechtsnormen gilt somit: Der Gebotsbereich unterliegt de constitutione lata keinerlei Schranken: Er erstreckt sich im Regelfall auf das Staatsgebiet, kann aber erstreckt bzw eingeschränkt werden. Eine Ausdehnung ist nur im Rahmen des Völkerrechts zulässig. Die Durchsetzungshoheit ausländischer Organe in Österreich bzw österreichischer Organe im Ausland unterliegt neben völkerrechtlichen auch verfassungsrechtlichen Voraussetzungen, die im Folgenden näher dargestellt werden sollen.
III. Extraterritoriale Hoheitsakte ohne Grundlage im Unionsrecht A. Art 9 Abs 2 B-VG 1. Entwicklung Art 9 Abs 2 B-VG
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bestimmt:
„Durch Gesetz oder durch einen gemäß Art. 50 Abs. 1 genehmigten Staatsvertrag können einzelne Hoheitsrechte auf andere Staaten oder zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen werden. In gleicher Weise können die Tätigkeit von Organen anderer Staaten oder zwischenstaatlicher Einrichtungen im Inland und die Tätigkeit österreichischer Organe im Ausland geregelt sowie die Übertragung einzelner Hoheitsrechte anderer Staaten oder zwischenstaatlicher Einrichtungen auf österreichische Organe vorgesehen werden. Dabei kann auch vorgesehen werden, dass österreichische Organe der WeiVgl Walter, Einfluß, 135; Weber, Art 3 B-VG, Rz 6. Griller, Übertragung, 93. 170 Eingefügt durch das BVG vom 1. 7. 1981, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 geändert wird, BGBl 1981/350, geändert durch BGBl I 2008/2; vgl ErläutRV 427 BlgNR 15.GP, 9f, die als Vorbild der Bestimmung vergleichbare Normen anderer europäischer Verfassungen nennen, nämlich § 20 Abs 1 der Dänischen Verfassung, Art 24 Abs 1 GG und Art 49 bis der Luxemburgischen Verfassung; vgl Council of Europe, Constitutions of Europe, Band I, 571 (Dänemark), 771 (Deutschland) bzw Band II, 1101 (Luxemburg). 168 169
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Verfassungsrechtliche Zulässigkeit sungsbefugnis der Organe anderer Staaten oder zwischenstaatlicher Einrichtungen oder diese der Weisungsbefugnis österreichischer Organe unterstellt werden.“
Anlass für Art 9 Abs 2 B-VG war insb die soeben dargestellte Kontroverse um die Auslegung des Staatsgebiets gemäß Art 3 Abs 1 B-VG als exklusiver räumlicher Sanktionsbereich österreichischer Organe.171 Außerdem wurde die Ansicht vertreten, die Bundesverfassung schließe die Übertragung von Akten zur generellen oder individuellen Rechtsetzung an zwischenstaatliche Organe aus (erstmals, in Anlehnung an die Lehre von der bundesverfassungsrechtlichen Geschlossenheit des Rechtsquellensystems, in den ErläutRV zum EFTA-Abkommen172). Nach der Theorie von der Geschlossenheit des Rechtsquellensystems kann „die Regelung des Aufgabenkreises, die das B-VG für die höchsten Organe des Bundes getroffen hat, nur als eine erschöpfende Regelung gewertet werden kann“.173 Die Theorie bestimmt also, inwieweit der einfache Gesetzgeber bei der Schaffung „neuer“ Rechtsquellen durch die Verfassung gebunden und eingeschränkt ist.174 Strittig ist dabei, ob eine Rechtsquelle von der Verfassung explizit angesprochen werden muss oder ob es ausreicht, dass sie vom B-VG 1920 bloß „vorgefunden“ und stillschweigend „übernommen“ wurde. Aus letzterer Auffassung schließt Griller unter Hinweis auf bereits in der Monarchie bestehende Beschlussrechte internationaler Organe175, dass es unter Heranziehung des Grundsatzes der intrasystematischen Fortentwicklung „dem Grundsatz nach möglich gewesen [wäre], entgegen der Auffassung des Verfassungsgesetzgebers die Rechtsquelle ‘Beschluß einer ZE‘ unter Bedachtnahme auf die relative Geschlossenheit des Rechtsquellensystems verfassungsrechtlich zu rechtfertigen“.176 Daraus folge, dass die Schaffung von Art 9 Abs 2 B-VG nicht erforderlich gewesen wäre, sondern bloß Siehe Griller, Übertragung, 83ff und Öhlinger, Art 9 Abs 2 B-VG, Rz 1f. Zur Ausgangslage vor der Schaffung des Art 9 Abs 2 B-VG siehe insb Öhlinger, Integrationspolitik, 142ff. 172 156 BlgNR 9.GP, 318. 173 VfSlg 1.454/1932. 174 B. Raschauer, Verwaltungsrecht, Rz 468. 175 ZB Weltpostverein, Internationale Meter-Convention, ILO, vgl Griller, Übertragung, 137ff. 176 Griller, Übertragung, 132. 171
III. Extraterritoriale Hoheitsakte ohne Grundlage im Unionsrecht
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eine implizite verfassungsgesetzliche Ermächtigung explizit gemacht habe.177 2. Inhalt und Reichweite Art 9 Abs 2 B-VG enthält nach seiner Novellierung Anfang 2008 die folgenden vier Tatbestände: Tatbestand 1 ermächtigt zur Übertragung einzelner Hoheitsrechte auf andere Staaten und zwischenstaatliche Einrichtungen durch Gesetz oder durch einen gemäß Art 50 Abs 1 B-VG zu genehmigenden Staatsvertrag; Tatbestand 2 ermächtigt zur Regelung der Tätigkeit von Organen anderer Staaten oder zwischenstaatlicher Einrichtungen im Inland durch Gesetz oder durch einen gemäß Art 50 Abs 1 B-VG zu genehmigenden Staatsvertrag; Tatbestand 3 ermächtigt zur Regelung der Tätigkeit österreichischer Organe im Ausland durch Gesetz oder durch einen gemäß Art 50 Abs 1 B-VG zu genehmigenden Staatsvertrag; der neue Tatbestand 4 ermöglicht zudem nunmehr die Übertragung einzelner Hoheitsrechte anderer Staaten oder zwischenstaatlicher Einrichtungen auch auf österreichische Organe.178 Die juristische Diskussion um Art 9 Abs 2 B-VG konzentrierte sich vor allem auf Tatbestand 1.179 Weniger Aufmerksamkeit wurde bislang den übrigen Tatbeständen geschenkt. Dieser Umstand könnte, abgesehen vom Hintergrund der Schaffung des Art 9 Abs 2 B-VG, darin begründet liegen, dass solche extraterritorialen Tätigkeiten von Verfassungs wegen unproblematischer als Hoheitsakte Internationaler Organisationen sind. Tatsache ist, dass für bestimmte Tätigkeiten österreichischer Organe im Ausland mit dem KSE-BVG eine lex specialis zu Art 9 Abs 2 B-VG besteht und dass ein Großteil extraterritorialer Tätigkeiten im Rahmen der EU stattfindet und sich daher 177 Folglich verneint Griller, Übertragung, 133f auch, dass die vor der B-VGN 1981 bloß gesetz- und nicht verfassungsändernd in Geltung gesetzten Beschlussbefugnisse, die ihrem Inhalt nach unter Art 9 Abs 2 B-VG fallen, mit Inkrafttreten des Art 9 Abs 2 B-VG konvalidiert sind; aA Öhlinger, Art 9 Abs 2 B-VG, Rz 12; zweifelnd Schreuer, ZaöRV 1982, 95f. 178 Die Einfügung des neuen Tatbestands 4 soll insb ermöglichen, dass Österreich andere Mitgliedstaaten der EU bei der Erteilung von Visa zur Durchreise und zum kurzfristigen Aufenthalt vertreten kann (Erläut 314 BlgNR 23. GP, 6); vgl zur Reform von Art 9 Abs 2 B-VG Eberhard/Lachmayer, ICL Journal 2008, 119. 179 Siehe Griller, Übertragung, 344ff; Öhlinger, Art 9 Abs 2 B-VG, Rz 13ff.
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Verfassungsrechtliche Zulässigkeit
nicht auf Art 9 Abs 2 B-VG sondern auf das EU-BeitrittsBVG bzw Art 23f B-VG stützt. Nach Tatbestand 1 von Art 9 Abs 2 B-VG können durch Gesetz oder durch einen nach Art 50 Abs 1 B-VG genehmigten Staatsvertrag einzelne Hoheitsrechte auf andere Staaten und zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen werden.180 Mit Hoheitsrechten intendierte der Verfassungsgesetzgeber auch Rechtsetzungsbefugnisse;181 der allgemein gefasste Begriff der Hoheitsrechte vermeidet eine Einschränkung auf bestimmte Staatsfunktionen und ist weit zu verstehen.182 Er umfasst jede Ermächtigung einer ZE zur Setzung eines generell-abstrakten oder individuell-konkreten Rechtsaktes.183 Eingeschränkt wird die Ermächtigung durch die Begrenzung auf einzelne Hoheitsrechte: Damit ist die Übertragung umfassender Hoheitsbefugnisse – wie zB auf die EG – durch Art 9 Abs 2 B-VG ausgeschlossen.184 Die Beschränkung auf Hoheitsrechte des Bundes ist durch die Novelle Anfang 2008 weggefallen. Neu ist – auf Grund von Problemen in der Praxis – auch der letzte Satz in Art 9 Abs 2 B-VG, wonach österreichische Organe nunmehr explizit der Weisungsbefugnis von Organen anderer Staaten oder zwischenstaatlicher Einrichtungen oder diese der Weisungsbefugnis österreichischer Organe unterstellt werden können. Unter ZE verstehen die ErläutRV ein als „internationale Organisationen“ bezeichnetes Gebilde des Völkerrechts, aber auch Einrichtungen, an denen die Staaten beteiligt sind, deren Organisationsdichte nicht so stark ist wie bei Internationalen Organisationen.185 180 Nicht möglich ist somit eine Übertragung durch Verordnung oder verordnungskoordinierten Staatsvertrag. 181 ErläutRV 427 BlgNR 15. GP, 9. 182 Schreuer, ZaöRV 1982, 95 und ihm folgend Antoniolli/Koja, Verwaltungsrecht, 179 sehen auch Überwachungsbefugnisse oder Akte der internationalen Gerichtsbarkeit und Schiedsgerichtsbarkeit erfasst und damit die Flexibilität gegenüber neuartigen Formen der Tätigkeit internationaler Organisationen gewährleistet. 183 Öhlinger, Art 9 Abs 2 B-VG, Rz 6; Griller, Übertragung, 149ff. 184 Öhlinger, Integrationspolitik, 150; Schreuer, ZaöRV 1982, 94f. Österreichs Beitritt zur EU 1995 konnte schon deshalb, und nicht nur weil er als Gesamtänderung der Bundesverfassung gemäß Art 44 Abs 3 B-VG zu qualifizieren war, nicht auf Art 9 Abs 2 B-VG gestützt werden. Die Übertragung zahlreicher (Rechtsetzungs)Befugnisse auf die EU erfolgte vielmehr auf Basis des EU-BeitrittsBVG. 185 427 BlgNR 15.GP, 9. In der Regel übt eine ZE die ihr übertragenen Hoheitsrechte auf rechtsetzende Art durch Erlassung von Beschlüssen aus; sie kann aber auch vollziehend tätig werden.
III. Extraterritoriale Hoheitsakte ohne Grundlage im Unionsrecht
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Nicht erfasst sollen nicht-staatliche Einrichtungen der internationalen Zusammenarbeit wie INGOs sein.186 Die Untersuchung des verfassungsrechtlichen Rahmens extraterritorialer Hoheitsakte kann nicht auf Art 9 Abs 2 B-VG beschränkt bleiben. Mit dem KSE-BVG, Art 23f B-VG und dem EU-BeitrittsBVG gibt es weitere Ermächtigungsnormen, deren Inhalt und Abgrenzung zu Art 9 Abs 2 B-VG in der Folge erörtert werden sollen.
B. Auslandseinsätze des Bundesheeres und sonstiger Einheiten bzw Personen 1. Hintergrund und Entsende-BVG Als der VN-GS 1960 Österreich um die Entsendung eines Santitätskontingents in den Kongo ersuchte, stand die damalige Bundesregierung in folgender verfassungsrechtlich-politischer Zwickmühle: Einerseits fehlte eine verfassungsrechtliche Grundlage für den Einsatz entsprechender Sanitäter des österreichischen Bundesheeres im Ausland, andererseits war eine Ablehnung des Ersuchens des VNGS aus politischen Gründen nicht opportun (Ziel der Verfestigung einer fungiblen Neutralität während des ‘Kalten Krieges’). Um eine Entsendung sicherzustellen, behalf man sich daher mit einer Umgehungskonstruktion, nach welcher die entsendete Einheit aus dem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zur Republik Österreich entlassen und statt dessen mittels zivilrechtlicher Sonderverträge angestellt wurde; während der Dauer ihres Auslandseinsatzes wurden ihre Mitglieder karenziert, wodurch die Anwendung der gewöhnlichen dienstrechtlichen und disziplinarrechtlichen Vorschriften suspendiert wurde und sie als Organe der VN und nicht als solche Österreichs auftraten.187 Da die gewählte Lösung aber keine solide dauerhafte Basis für zukünftige Entsendungen bilden konnte, einigte man sich schließlich 1965 auf den Beschluss eines BVG über die Entsendung österrei-
186 Dafür spricht auch bereits der Wortlaut der Bestimmung, der von zwischenstaatlichen Einrichtungen spricht, vgl Griller, Übertragung, 289f; aA Öhlinger, Art 9 Abs 2 B-VG, Rz 5. 187 Siehe näher ErläutRV 633 BlgNR 10. GP, 3 und Bernhardt, HumVR 1992, 174f; Pernthaler/Esterbauer, JIR 1973, 84.
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Verfassungsrechtliche Zulässigkeit
chischer Einheiten zur Hilfeleistung in das Ausland auf Ersuchen internationaler Organisationen (Entsende-BVG).188 Dadurch sollte eine – aus der Drei-Elemente-Lehre Jellineks abgeleitete und für notwendig empfundene189 – verfassungsrechtliche Grundlage für die Ausübung österreichischer Hoheitsgewalt im Ausland geschaffen werden.190 Im Hinblick auf die Aufgaben des Bundesheeres herrschte darüber hinaus de constitutione Handlungsbedarf, weil die Aufgaben des Bundesheeres bis zu jenem Zeitpunkt in den Art 79 – 81 B-VG taxativ aufgezählt und Auslandseinsätze nicht unter den Begriff der militärischen Landesverteidigung iSv Art 9a Abs 2 iVm Art 79 Abs 1 B-VG zu subsumieren waren.191, 192 Gemäß § 1 Entsende-BVG war die Bundesregierung im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrats unter Bedachtnahme auf die immerwährende Neutralität Österreichs ermächtigt, dem Ersuchen einer internationalen Organisation um Hilfeleistung durch Entsendung einer Einheit in das Ausland zu entsprechen, die im Regelfall aus Angehörigen des Bundesheeres, Angehörigen der Wachkörper des Bundes und Personen, die sich zur Dienstleistung für den betreffenden Einsatz vertraglich verpflichtet haben, auf Grund freiwilliger Meldungen gebildet werden konnte. Für entsendete Einheiten war vom zuständigen Bundesminister ein Vorgesetzter zu bestellen;193 im Hinblick auf dessen Weisungsbefugnis führte § 2 iVm 3 Entsende-BVG eine später vom KSE-BVG praktisch gänzlich übernommene Zweiteilung ein: Die Weisungsbefugnis hinsichtlich der Aufrechterhaltung der Ordnung und Disziplin innerhalb der Einheit 188 BVG v 25. 2. 1965 über die Entsendung österreichischer Einheiten zur Hilfeleistung in das Ausland auf Ersuchen internationaler Organisationen, BGBl 1965/ 173; vgl dazu Pernthaler/Esterbauer, JIR 1973, 81ff. 189 Vgl dazu bereits oben II.B. 190 ErläutRV 633 BlgNR 10. GP, 3f; Pernthaler/Esterbauer, JIR 1973, 86; Winkler, in: Sicherheit und Terrorismus, 329ff. 191 Die Beschränkung auf die in Art 79–81 B-VG festgelegten Aufgaben des Bundeheeres folgt Art 120 des Staatsvertrages von St. Germain, StGBl 1920/303, wonach das österreichische Heer nur zur Erhaltung der Ordnung innerhalb des österreichischen Gebiets und zum Grenzschutz eingesetzt werden darf. 192 Erst durch BGBl 1975/368 wurde dann in Art 79 Abs 3 B-VG auch explizit eingefügt, dass solche weitere Aufgaben des Bundesheeres durch Bundesverfassungsgesetz geregelt werden können. 193 § 2 Entsende-BVG.
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oblag ausschließlich österreichischen Organen, jene betreffend der taktischen und operativen Verwendung lag sowohl in der Zuständigkeit heimischer Vorgesetzter als auch in jener der in Betracht kommenden Internationalen Organisation, wobei die nähere Ausgestaltung der Kommandogewalt regelmäßig in einem Abkommen zwischen dieser und der Republik Österreich getroffen werden sollte.194 Im Falle von konfligierenden Weisungen zwischen internationalem und österreichischem Organ im Bereich der Verwendung sollten gemäß § 3 Ensende-BVG letztere zu befolgen sein, jedoch war gleichzeitig der österreichische Vorgesetzte von der abweichenden Weisung der Internationalen Organisation in Kenntnis zu setzen.195 Durch Verordnung der Bundesregierung waren schließlich die österreichischen Rechtsvorschriften, welche die Mitglieder der Einheit im Ausland anzuwenden hatten, zu bestimmen.196 Die nähere Ausgestaltung der Entsendung zu Auslandseinsätzen erfolgte im Wege eines einfachen Bundesgesetzes.197 Wie im Folgenden sichtbar wird, wurde der gerade dargestellte Kern des Entsende-BVG – also im Wesentlichen die Bestimmungen über die Beschlussfassung über eine Entsendung und die Ausgestaltung der Weisungsbefugnis – ungeachtet der zwischenzeitlich erfolgten Einfügung von Art 9 Abs 2 B-VG198 vom KSE-BVG fast vollständig übernommen. 2. KSE-BVG a) Neuregelung der Entsendung Mit dem Inkrafttreten des BVG über Kooperation und Solidarität bei der Entsendung von Einheiten und Einzelpersonen in das Ausland (KSE-BVG)199 trat das Entsende-BVG außer Kraft.200 Hintergrund und Motiv für eine Neuregelung der Materie war der infolge der internationalen Entwicklungen zu enge Anwendungsbereich des ErläutRV 633 BlgNR 10. GP, 5f; Bernhardt, HumVR 1992, 178ff. Gleichlautend nunmehr § 4 Abs 7 KSE-BVG. 196 § 5 Entsende-BVG. 197 BG v 30. 6. 1965 über die Entsendung von Angehörigen des Bundesheeres zur Hilfeleistung in das Ausland, BGBl 1965/233. 198 Eingefügt durch BGBl 1981/350. 199 BGBl I 1997/38. 200 § 9 Abs 1 KSE-BVG. 194 195
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Entsende-BVG.201 Vor allem sollte nach der Neuregelung für eine Entsendung kein ‘Ersuchen’ mehr notwendig sein;202 weiters sollte eine Teilnahme an Maßnahmen der Friedenssicherung der OSZE und der NATO-Partnerschaft für den Frieden (NATO-PfF) sowie die Durchführung von GASP-Beschlüssen gewährleistet werden. Zudem wurden mit dem KSE-BVG auch die Hilfeleistung in Katastrophenfällen oder bei Such- und Rettungsdiensten sowie die Durchführung von Ausbildungsvorhaben im Zuge der militärischen Landesverteidigung erfasst.203 Mit dem KSE-BVG besteht nunmehr für bestimmte extraterritoriale Tätigkeiten ein Sonderregime, welches zu Art 9 Abs 2 B-VG eine lex specialis darstellt. Das KSE-BVG enthält verfassungsrechtliche Bestimmungen über die Entscheidung, Zuständigkeit und Durchführung der Entsendung von Einheiten und Einzelpersonen zur Teilnahme an Maßnahmen der Friedenssicherung auf Ersuchen einer Internationalen Organisation oder der OSZE sowie in Durchführung von GASP-Beschlüssen,204 an Maßnahmen der humanitären Hilfe und der Katastrophenhilfe, an Maßnahmen der Such- und Rettungsdienste, an Übungen und Ausbildungsmaßnahmen zu diesen genannten Einsätzen sowie zur Abhaltung bzw Teilnahme an Übungen und Ausbildungsmaßnahmen im Bereich der militärischen Landesverteidigung (Art 79 Abs 1 B-VG). Gemäß § 1 KSE-BVG ist bei der Entsendung von Einheiten zu diesen Zwecken ua auf die völkerrechtlichen Verpflichtungen Österreichs und auf die Grundsätze der GASP Bedacht zu nehmen. § 2 leg cit regelt die verschiedenen Zuständigkeiten zur Entsendung: Über eine Entsendung zur solidarischen Teilnahme an Maßnahmen ErläutRV 503 BlgNR 20. GP, 5; vgl Winkler, in: Sicherheit und Terrorismus, 331f. Primosch/Siess-Scherz, KSE-BVG, 11f. Daneben können nun auch Einzelpersonen entsandt werden, vgl auch Weingartmann, Soldaten im Auslandseinsatz, 9f. 203 Öhlinger, Art 23f B-VG, Rz 17 bedauert die Verwendung solch technischer Terminologie im Verfassungsrecht. 204 Auf Grund der Mitwirkung an der GASP können Auslandseinsätze des Bundesheeres auch innerhalb des EU-Rechts erfolgen (siehe etwa unten 5. Kap V.B. zB zur EUFOR Althea in Bosnien-Herzegowina), weshalb die Zuordnung des KSEBVG zu den verfassungsrechtlichen Ermächtigungsgrundlagen außerhalb des EURechts mittlerweile relativ gesehen werden muss. 201 202
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der Friedenssicherung und an Maßnahmen der humanitären Hilfe und der Katastrophenhilfe hat demnach die Bundesregierung im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrates zu entscheiden (§ 2 Abs 1).205 Über die Teilnahme an sonstigen Maßnahmen bzw an Übungen zum Zwecke der Ausbildung im Bereich der militärischen Landesverteidigung ist jeweils der zuständige Bundesminister entscheidungsbefugt. Im Falle einer unverzüglichen Entsendung zur Teilnahme an Maßnahmen der humanitären Hilfe und der Katastrophenhilfe infolge besonderer Dringlichkeit kommen die entsprechenden Befugnisse dem Bundeskanzler, dem Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten sowie jedem in seinem Zuständigkeitsbereich berührten Bundesminister im Einvernehmen zu (§ 2 Abs 5 – sog Dringlichkeitsklausel). Darüber ist der Bundesregierung und dem Hauptausschuss des Nationalrates unverzüglich zu berichten. Der Hauptausschuss des Nationalrats kann innerhalb von zwei Wochen nach der Berichterstattung gegen die Entsendung Einspruch erheben; in diesem Fall ist die Entsendung zu beenden. b) Verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht, nur auf Grund freiwilliger Meldung in das Ausland entsendet zu werden Entsendet werden können nach § 4 Abs 1 und 2 KSE-BVG, immer nur auf Grund freiwilliger Meldung, Angehörige des Bundesheeres, Angehörige der Wachkörper des Bundes206 und andere Personen, wenn sie sich zur Teilnahme verpflichtet haben. Daraus folgt, dass sonstige Tätigkeiten österreichischer Organe im Ausland – die in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit einer Entsendung gemäß KSE-BVG stehen (zB im Zuge der polizeilichen Zusammenarbeit) – nicht in den Anwendungsbereich des KSE-BVG fallen.207 Der Verfassungsgerichtshof sieht im Grundsatz der Freiwilligkeit der Entsendung gemäß § 4 Abs 2 KSE-BVG das verfassungsgesetzlich geGemäß § 3 KSE-BVG kann die Bundesregierung in den Fällen ihrer Zuständigkeit zur Entsendung unter Bedachtnahme auf den gesetzmäßigen Wirkungsbereich der Bundesministerien sowie den Zweck der Entsendung bestimmen, welchem Bundesminister oder welchen Bundesministern die Durchführung obliegt. 206 Wachkörper sind gemäß Art 78d Abs 1 B-VG „bewaffnete oder uniformierte oder sonst nach militärischem Muster eingerichtete Formationen, denen Aufgaben polizeilichen Charakters übertragen sind.“ Nicht erfasst sind zB die Feuerwehren, welche aber auf Grund freiwilliger Meldung entsendet werden können. 207 ErläutRV 503 20. GP, 7; Primosch/Siess-Scherz, KSE-BVG, 13. 205
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währleistete Recht verankert, dass betroffene Personen nur dann entsendet werden dürfen, wenn sie sich nach Maßgabe ihrer freiwilligen Meldung dazu verpflichtet haben.208 In zwei Fällen hinsichtlich einer per Bescheid ergangenen Weisung gemäß § 44 Abs 3 BDG an zwei technische Referenten im BM für Landesverteidigung zur Vornahme einer technischen Endabnahme im österreichischen KFORCamp ‘Casablanca’ im Kosovo hat der Gerichtshof festgestellt, dass auch Dienstverrichtungen nicht militärischer Art, sondern technischer und logistischer Natur als Entsendung iSd § 1 Z 1 lit a) KSE-BVG zu qualifizieren sind, wenn diese mit der Entsendung einer militärischen Einheit zur Teilnahme an Maßnahmen der Friedenssicherung in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen;209 letzterer lag nach Ansicht des VfGH vor, da eine entsprechende Beteiligung an einer Friedensmission logistischer, insb auch technischer, Vorbereitung und Unterstützung vor Ort und Stelle bedarf. Die entsendeten Personen unterliegen auch nach dem KSE-BVG grundsätzlich den Weisungen des zuständigen Bundesministers, die Bundesregierung kann aber bestimmen, ob und inwieweit die entsendeten Personen hinsichtlich ihrer operativen Verwendung im Ausland die Weisungen der Organe einer Internationalen Organisation oder ausländischer Organe zu befolgen haben (§ 4 Abs 3). Widersprechen einander die Weisungen eines solchen und jene des österreichischen Organs, so hat die entsendete Person die letzteren zu befolgen, muss jedoch unverzüglich das österreichische Organ davon in Kenntnis setzen (§ 4 Abs 7).210 c) Rücksichtnahme auf die Neutralität Im Gegensatz zu § 1 Entsende-BVG verzichtet das KSE-BVG auf eine explizite Festlegung der Bedachtnahme auf die immerwährende Neutralität Österreichs. Dieser Umstand hat, zusammen mit den erweiterten Teilnahmemöglichkeiten insb an Maßnahmen im Rahmen der GASP, zu einer Diskussion über die Vereinbarkeit des VfGH v 16. 3. 2005, B 1450/03, B 1451/03. Rechtspolitisch ist fraglich, ob bei einer verstärkten Teilnahme Österreichs an EUFOR-Einsätzen mit dem Prinzip der Freiwilligkeit in Zukunft personell noch das Auslangen gefunden werden kann, vgl Rehrl, ZÖR 2005, 50f. 209 Ibid. 210 Siehe zu den Implikationen des Weisungsrechts auf die Frage der Zurechenbarkeit der entsendeten Personen zur Republik Österreich näher unten 5. Kap IV.A.3.-5. 208
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KSE-BVG mit der im BVG Neutralität211 verfassungsrechtlich festgelegten immerwährenden Neutralität geführt.212 Eine Derogation der immerwährenden Neutralität durch das KSE-BVG liegt aber nicht vor: Einerseits legt auch § 1 KSE-BVG eine Bedachtnahme auf die völkerrechtlichen Verpflichtungen Österreichs, zu denen auch die Neutralität zählt, fest; andererseits stellen die Materialien klar, dass bei der Ermessensausübung über eine Entsendung „auf die den Inhalt der immerwährenden Neutralität bestimmenden völkerrechtlichen Normen“ Rücksicht zu nehmen ist.213 Da aber nach dem BVG Neutralität Österreich seine Neutralität nicht selbst definieren kann, sondern diese am vom Völkerrecht vorgegebenen Handlungs- und Interpretationsspielraum anknüpft,214 ist dieser Verweis als Berücksichtigung der Neutralitätskonformität bei jeder Entsendung iSd KSEBVG zu werten.215 Im Hinblick auf die Beteiligung an der GASP ist dem BVG Neutralität allerdings durch die Erlassung des Art 23f Abs 1 B-VG216 partiell materiell derogiert worden.217 d) Sonstige Regelungen und Rechtsfragen Anders als nach § 5 Entsende-BVG besteht nach dem KSE-BVG auch keine Verordnungsermächtigung mehr, mit welcher die Bundesregierung festlegt, welche österreichischen Rechtsvorschriften die Mitglieder einer Einheit im Ausland anzuwenden haben. Im Hinblick auf Einheiten des Bundesheeres im Ausland (§ 4 Abs 1 Z 1 KSEBVG) findet jedenfalls das Militärbefugnisgesetz218 keine AnwenBVG v 26. 10. 1955 über die Neutralität Österreichs, BGBl 1955/211; vgl Öhlinger, BVG Neutralität, Rz 1ff. 212 Im Vgl StenProtNR 20. GP 71. Sess 37 (Moser), 43 (Kammerlander). 213 ErläutRV 503 BlgNR 20.GP, 8; Primosch/Siess-Scherz, KSE-BVG, 15. 214 Öhlinger, BVG Neutralität, Rz 2; Griller, FS 75 Jahre B-VG, 730. 215 Insofern setzt das BVG Neutralität also der Art der Durchführung von Auslandseinsätzen Grenzen und bildet darüber hinaus eine generell bei der Prüfung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit extraterritorialer Hoheitsakte stets heranzuziehende Rechtsmaterie. 216 BGBl 1994/1013. 217 Öhlinger, BVG Neutralität, Rz 13; Griller, FS 75 Jahre B-VG, 748ff. Die Derogation erfolgte aber nach der hM nur im Hinblick auf die Möglichkeit der Beteiligung Österreichs an EU-Wirtschaftssanktionen. Dazu und zu Art 23f B-VG siehe unten IV.B. 218 Bundesgesetz über Aufgaben und Befugnisse im Rahmen der militärischen Landesverteidigung (Militärbefugnisgesetz – MBG), BGBl I 2000/86 idF BGBl I 2004/ 133; vgl N. Raschauer, Militärische Wachen. 211
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dung. Bei einem Auslandseinsatz handelt es sich nämlich – ebenso wie bei einem Assistenzeinsatz an der Grenze – um keinen Einsatz iSd MBG, der nach der Legaldefinition des § 1 Abs 9 MBG bloß die Tätigkeiten des Bundesheeres zur militärischen Landesverteidigung nach § 2 Abs 1 lit a des Wehrgesetzes219 erfasst. Auslandseinsätze stellen aber keine Maßnahme zur militärischen Landesverteidigung gemäß Art 79 Abs 1 B-VG dar, sondern sind, wie oben dargelegt wurde, eine weitere (Staats)Aufgabe des Bundesheeres iSd Art 79 Abs 3 B-VG.220 Die Befugnisse staatlicher Einheiten im Ausland sind vorwiegend auf der zwischenstaatlichen Ebene zu regeln;221 so ermächtigt § 5 KSE-BVG die Bundesregierung, die Durchführung der Entsendung mit der jeweiligen Internationalen Organisation oder dem Empfangsstaat im Rahmen des Völkerrechts näher zu regeln.222 In solchen Abkommen bleiben jedoch oft wichtige Fragen des Rechtsschutzes ausgenommen. Um entsprechende Lücken zu schließen,223 hat der Gesetzgeber etwa im Bereich der – nicht dem KSE-BVG unterliegenden – polizeilichen Zusammenarbeit mit dem Polizeikooperationsgesetz224 ein Sonderregime geschaffen, dass, ungeachtet der Möglichkeiten zum Abschluss zwischenstaatlicher Vereinbarungen (§ 18 leg cit), Rechtsschutz (§ 17 leg cit) gewährleistet. Wie noch zu zeigen sein wird, mangelt es im Bereich der Auslandseinsätze an solchen ausdrücklichen Rechtsschutzbestimmungen.225 Für die BGBl I 2001/146 idF I 2004/151. ErläutRV 76 BlgNR 21.GP, 39; N. Raschauer/Wessely, Militärbefugnisgesetz, 20, 31. Eine Nichtanwendung des MBG auf Auslandseinsätze ergibt sich auch aus rechtssystematischen Gründen aus der Kompetenzgrundlage des MBG gemäß Art 10 Abs 1 Z 15 B-VG – „militärische Angelegenheiten“, welche dem VfGH zufolge weder Assistenz- noch Auslandseinsätze umfassen (VfSlg 13.708/1994). Aus Art 3 Abs 1 B-VG kann dies aber nicht gefolgt werden (so jedoch die ErläutRV); denn, wie oben bei II.B. erläutert, kann Art 3 Abs 1 B-VG kein Inhalt unterstellt werden, der die Geltung von Rechtsnormen auf das österreichische Staatsgebiet beschränkt. 221 Zur Regelung insb disziplinarrechtlicher Angelegenheiten betreffend Soldaten, welche gemäß § 1 Z 1 lit a) bis c) KSE-BVG ins Ausland entsendet werden, vgl das BG über die Entsendung von Soldaten zur Hilfeleistung in das Ausland (Auslandseinsatzgesetz 2001 – AuslEG 2001), BGBl I 2001/55 idF BGBl I 2003/137. 222 ZB durch sog „Statusabkommen“ wie dem sog „NATO-PfP-SOFA“, BGBl 1998/ 136; zur rezenten Praxis bei EU-Missionen Sari, EJIL 2008, 67ff. 223 ErläutRV 746 BlgNR 20. GP, 10. 224 BG über die internationale polizeiliche Kooperation (Polizeikooperationsgesetz – PolKG), BGBl I 1997/104, vgl unten 5. Kap IV.C.1.b). 225 Siehe unten 5. Kap IV.C. 219 220
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GASP bestehen zudem in Art23f B-VG spezifische Verfassungsbestimmungen.226
IV. Extraterritoriale Hoheitsakte auf Grundlage des Unionsrechts A. Grundlagen der EU-Mitgliedschaft Österreichs Eine Vielzahl extraterritorialer Hoheitsakte erfolgt heute auf Basis von EU-Recht. Die verfassungsrechtliche Grundlage beruht somit auf der EU-Mitgliedschaft, also insb auf dem EU-BeitrittsBVG, dem BVG Amsterdam227, dem BVG Nizza228 sowie – für die neutralitätsrechtlich sensible Mitwirkung an der GASP – auf Art 23f B-VG.229. Während primäres Unionsrecht jedenfalls Bestandteil des österreichischen Rechts geworden ist,230 gilt für sekundäres Unionsrecht, dass es nicht wie EG-Verordnungen in den Mitgliedstaaten verbindlich ist, sondern nur für die Mitgliedstaaten Bindungswirkung erzeugt und somit, wie andere völkerrechtlich verbindliche Beschlüsse einer ZE231, der Inkorporation in das nationale Recht bedarf. Damit kommt das nationale Verfassungsrecht über die Übernahme und Inkorporation solcher Beschlüsse zur Anwendung.232 Demnach geschieht die Inkorporation von sekundärem Unionsrecht, wie bei Beschlüssen sonstiger Internationalen Organisationen, via Art 9 Abs 2 B-VG.233 Umstritten ist die Form dieser Inkorporation: Während nach der VfGH-Judikatur die bloße Publikation im BGBl ausZum Verhältnis zwischen Art 23f B-VG und dem KSE-BVG siehe unten IV.B. BVG über den Abschluß des Vertrags von Amsterdam, BGBl I 1998/76. 228 BVG über den Abschluss des Vertrages von Nizza, BGBl I 2001/120. 229 Um keine Ermächtigungsnormen sondern verfassungsrechtliche Spielregeln betreffend die Mitwirkung österreichischer Organe und Gebietskörperschaften an der EU-Rechtsetzung handelt es sich bei Art 23a bis 23e B-VG; vgl Öhlinger/Potacs, Gemeinschaftsrecht, 26ff; Grabenwarter, ZaöRV 1995, 166ff. Dies trifft zT auch auf Art 23f BVG zu (siehe unten IV.B.). 230 Griller, EuR Beiheft 1/1999, 64 geht von einfachem Verfassungsrang aus. Nach Öhlinger/Potacs, Gemeinschaftsrecht, 14 ist das primäre Unionsrecht ein völkerrechtlicher Vertrag, iSd B-VG ein Staatsvertrag. 231 ISd VfGH: „Rechtsetzungsakte eines zwischenstaatlichen Gemeinschaftsorganes“, siehe VfSlg 12.281/1990. 232 Vgl nur Öhlinger/Potacs, Gemeinschaftsrecht, 15. 233 Vgl Öhlinger, Übernahme, 192ff; Öhlinger/Potacs, 14f. 226 227
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reicht,234 wäre aus Rechtsschutzgründen der speziellen Transformation durch Umsetzung in eine innerstaatliche Rechtsquelle der Vorzug zu geben.235 In der Praxis tritt die Problematik aber insofern nicht auf, als solche Beschlüsse stets speziell transformiert werden.
B. Art 23f B-VG Gemäß Art 23f Abs 1 B-VG236 wirkt Österreich an der GASP auf Grund des Titels V des Vertrags über die Europäische Union in der Fassung des Vertrags von Nizza mit. Dies schließt ua die Beteiligung an den Petersberg-Aufgaben mit ein. Gemäß Art 17 Abs 2 EUV sind dies „humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze, friedenserhaltende Aufgaben sowie Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung einschließlich friedensschaffender Maßnahmen“.237 Während Art 23f Abs 2 B-VG nur klarstellt, dass das parlamentarische Mitwirkungsverfahren nach Art 23e Abs 2 bis 5 B-VG auch auf Beschlüsse im Rahmen der GASP und der PJZS Anwendung findet,238 regeln Art 23f Abs 1, 2 und 4 B-VG die konkrete Beteiligung Österreichs an der GASP. Neben diesen „Spielregeln“ bildet Art 23f B-VG vor allem eine spezielle verfassungsrechtliche Ermächtigungsgrundlage für die Mitwirkung Österreichs an der GASP, insb an Einsätzen im Rahmen der „Petersberg-Aufgaben“. Erforderlich wurde die Erlassung dieser Vorschrift infolge des Spannungsverhältnisses der GASP-Teilnahme mit der im BVG Neutralität239 festgeschriebenen immerwäh234 VfSlg 12.281/1990; zur unmittelbaren Anwendung bedarf es aber auch der hinreichenden Bestimmtheit. 235 Vgl Griller, Übertragung, 356ff und Öhlinger, Übernahme, 195ff. Um Rechtsschutzlücken zu vermeiden und die Anfechtbarkeit von Beschlüssen zu sichern, hat Öhlinger, Integrationspolitik, 129f Beschlüsse einer ZE als „Staatsverträge“ iSd Art 140a B-VG eingestuft; aA unter Verweis auf den Wortlaut Griller, Übertragung, 477ff. 236 BGBl 1994/1013 idF BGBl I 2003/100. 237 Siehe zu den Petersberg-Aufgaben Primosch/Siess-Scherz, KSE-BVG, 26f; Pagani, EJIL 1998, 737ff und unten 5. Kap V.A.2. 238 Siehe dazu Öhlinger, Art 23e B-VG, Rz 1ff; Grabenwarter, ZaöRV 1995, 177ff. 239 Die Zusage „immerwährend eine Neutralität zu üben, wie sie von der Schweiz gehandhabt wird“ war der Preis, den Österreich für die Zustimmung der Sowjetunion zum Abschluss des Staatsvertrags 1955 (BGBl 1955/152) zur Wiedererlangung seiner Souveränität zu bezahlen hatte. Auf Basis dieser Zusage, welche am 15. April 1955 eine österreichische Regierungsdelegation, angeführt von Bundes-
IV. Extraterritoriale Hoheitsakte auf Grundlage des Unionsrechts
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renden Neutralität Österreichs.240 Art 23f Abs 1 B-VG hält fest, dass das Ratsmitglied bei der Beschlussfassung im Rahmen der GASP durch das BVG Neutralität nicht gebunden ist.241 Somit geht Art 23f B-VG aber dem BVG Neutralität als lex specialis vor und schränkt den Status der dauernden Neutralität ein.242 Gemäß Art 23f Abs 4 B-VG243 ist das österreichische Mitglied im Rat zu einem Vorbehalt verpflichtet, sofern aus einem Beschluss „eine Verpflichtung Österreichs zur Entsendung von Einheiten oder einzelnen Personen“ resultiert; damit sind die Fälle des § 1 KSEBVG gemeint – liegt ein solcher im Rahmen eines Ratsbeschlusses vor, bedarf es zuerst des nach § 2 Abs 1 KSE-BVG vorgesehenen Verfahrens, also des Beschlusses der Bundesregierung im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrats.
kanzler Raab, Vizekanzler Schärf und Außenminister Figl gegenüber einer sowjetischen Delegation im Moskauer Memorandum abgegeben hatte, wurde das BVG vom 26. Oktober 1955 über die Neutralität Österreichs, BGBl 1955/211, erlassen; vgl Öhlinger, BVG Neutralität, Rz 1ff mwN; Griller, FS 75 Jahre B-VG, 727ff; daneben existiert die völkerrechtliche Pflicht zur Neutralität aus der Notifikation der Neutralitätserklärung an die Staatengemeinschaft, vgl Neuhold, FS Öhlinger, 70 und Stadlmeier, Dynamische Interpretation, 19ff. 240 AB 1600 BlgNR 18.GP, 13; Grabenwarter, ZaöRV 1995, 181f. 241 Öhlinger, Art 23f B-VG, Rz 4; aA Primosch, JRP 1995, 74. 242 Grabenwarter, ZaöRV 1995, 182; Öhlinger, Art 23f B-VG, Rz 4; ders, BVG Neutralität, Rz 13 hält fest, dass dem BVG Neutralität durch Art 23f Abs 1 B-VG partiell derogiert wurde. Wenngleich der Umfang der verfassungsrechtlichen Verpflichtung zur Übung der Neutraliät strittig ist, bleibt aus völkerrechtlicher Sicht die Verpflichtung zur immerwährenden Neutralität weiterhin aufrecht. Eine Abkehr von der (völkerrechtlichen) Neutralität bedürfte, wie Griller, ZfRV 1995, 113ff gezeigt hat, entweder eines contrarius actus, also einer Notifikation der Beendigung des Status der immerwährenden Neutralität an jene Staaten, welche 1955 die Neutralitätserklärung ausdrücklich oder stillschweigend zur Kenntnis genommen haben (ausgenommen den EU-Mitgliedstaaten, die ihre Zustimmung bereits im Beitrittsvertrag mit Österreich implizit ausgedrückt haben), verbunden mit einer neuerlichen Anerkennung oder Abänderung, oder der analogen Inanspruchnahme der clausula rebus sic stantibus gemäß Art 62 WVRK (BGBl 1980/40), welche ein Notifikationsverfahren samt Widerspruchsmöglichkeit vorsieht. 243 Eingefügt durch BGBl I 1998/83 (BlgNR 20.GP IA 791/A, AB 1255).
Drittes Kapitel: Der räumliche Anwendungsbereich der Grundrechte der Bundesverfassung I. Allgemein Im Folgenden soll nun die österreichische Bundesverfassung auf Determinanten einer potentiellen extraterritorialen Grundrechtsbindung hin untersucht werden. Dabei soll stufenweise vorgegangen werden: Nach einer knappen Darstellung allgemeiner Fragen zur Thematik (I.) soll zunächst der genuin österreichische Grundrechtskatalog auf Aussagen hin geprüft werden, ob österreichische Organe auch im Ausland die Grundrechtsverbürgungen zu gewährleisten haben. In diesem Zusammenhang ist die Rolle von Art 1 EMRK, der als Verfassungsnorm inkorporiert wurde, und vor allem seine Einflussnahme auf und Wechselwirkung mit den genuin österreichischen Grundrechten zu beleuchten (II.). Im Anschluss daran wird Art 1 EMRK selbst an Hand der Judikatur der Konventionsorgane und den Stellungnahmen des juristischen Schrifttums einer ausführlichen Analyse im Hinblick auf seine Aussagen zum räumlichen Geltungsbereich der EMRK unterzogen werden (III.). Last but not least sollen die daraus resultierenden Erkenntnisse bewertet und insb daraufhin verglichen werden, inwieweit sie miteinander in Einklang stehen oder Divergenzen zwischen den orginär innerstaatlichen Grundrechten und jenen der Konvention bestehen (IV.).
A. Begrenzte Universalität von Menschenrechten und nationalen Grundrechten 1. Einleitung So beeindruckend das Konzept der Universalität der Menschenrechte in der Theorie ist, so ernüchternd stellt sich die Achtung und Sicherung dieser Fundamentalrechte in der Realität dar, denn deren universelle Geltung und Durchsetzung bleibt selbst 60 Jahre nach der Annahme der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch
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Anwendungsbereich der Grundrechte der Bundesverfassung
die Generalversammlung der Vereinten Nationen Utopie.244 Auch wenn der Ruf nach ihrer Universalität von der Wissenschaft wiederholt ertönt,245 ist die Feststellung des räumlichen Geltungsbereichs der Menschenrechte somit de lege lata eine unverzichtbare Aufgabe des (Grund)Rechtsanwenders. Jene Rechtsquellen, welche die tatsächliche Durchsetzbarkeit der Menschenrechte an erster Stelle garantieren, bilden (weiterhin) die nationalen Verfassungen. Ergänzt werden sie durch regionale wie internationale Menschenrechtsinstrumente, die jedoch in sehr unterschiedlichem Ausmaß tatsächlich effektiven Grundrechtsschutz gewähren.246 2. Die Grundrechte der österreichischen Bundesverfassung Der Grundrechtskatalog der österreichischen Bundesverfassung besteht im Wesentlichen aus dem Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger (StGG)247, Art 7 B-VG, Art 62 bis 69 SV von St. Germain248, Art 7 und 8 Staatsvertrag von Wien249, dem BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit250 (zusammenfassend dem genuin österreichischen Grundrechtskatalog) und der Europäischen Menschenrechtskonvention251 samt den von Österreich in Verfassungsrang ratifizierten (14) Zusatzprotokollen252.253 Die Ausdehnung des nationalen durch den regionalen bzw internationalen Menschenrechtsschutz wurde durch die Ratifizierung der EMRK in Verfassungsrang unmittelbar durchgeführt, womit auch die dadurch hinzugekommenen Grundrechte auf verfassungsrechtlichem 244 GA-Res. 217(III), Universal Declaration of Human Rights, Dec. 19 1948, UNDoc A/810 (1948). 245 Vgl zB Petersmann, EJIL 2002, 621ff; ders, in: International Economic Governance, 216ff; Stern, Staatsrecht III/1, § 62, 217ff; ders, Handbuch der Grundrechte I, § 1, Rz 58, 79ff sowie Beiträge Riedels in Koenig/Lorz (Hrsg), Die Universalität der Menschenrechte (2003). 246 Vgl zu den Mechanismen Nowak, Einführung, 118ff; ders, Durchsetzung, 703ff. 247 RGBl 1867/142; rezipiert durch Art 149 B-VG und zuletzt geändert durch BGBl 1988/684. 248 StGBl 1920/303; rezipiert durch Art 149 B-VG. 249 BGBl 1955/152. 250 BGBl 1988/684. 251 BGBl 1958/210 bzw BGBl 1964/59. 252 Siehe dazu im Detail Lanner (Bearb), Kodex Verfassungsrecht27 (2008) 190ff. 253 Für eine detaillierte Auflistung des österreichischen Grundrechtskatalogs siehe Berka, Grundrechte, Rz 74.
I. Allgemein
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Wege durchgesetzt werden können. Anders ist dies bei den Rechten aus jenen Menschenrechtsquellen, an welche Österreich zwar völkerrechtlich aber nicht de constitutione lata gebunden ist, wie etwa dem UN-Pakt über bürgerliche und politische Rechte254, dem UNPakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte255, der Europäischen Sozialcharta256 oder dem Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe257. Die darin zugesicherten Menschenrechte können nicht im verfassungsrechtlich verankerten Wege, sondern bloß über die völkerrechtlichen Durchsetzungsmechanismen eingefordert werden.258 3. Begriff der Grund- und Menschenrechte und Internationales Verfassungsrecht Problemstellung dieser Arbeit ist, Existenz und Ausmaß der Anwendbarkeit der in Österreich verfassungsrechtlich verankerten Menschenrechte bei der Vollziehung staatlicher Hoheitsakte außerhalb des Staatsgebiets zu untersuchen; für diese de constitutione lata gewährleisteten Rechte wird zumeist der Begriff Grundrechte verwendet,259 während Menschenrechte Jedermannsrechte mit Geltungsgrund entweder im Naturrecht oder positiviert im Völkerrecht sein sollen.260 Zu Recht weist Nowak darauf hin, dass eine solche strenBGBl 1978/591. BGBl 1978/590. 256 BGBl 1969/460. 257 BGBl 1987/492. 258 Ungeachtet dessen entfalten die in den Übereinkommen verankerten Rechte aber zweifellos eine zum Teil erhebliche „Ausstrahlungswirkung“ auf das innerstaatliche Recht im Sinne der völkerrechtskonformen Auslegung; es kommt ihnen also, wenn sie auch nicht unmittelbar anwendbar sind, jedenfalls eine gewisse „auslegungssteuernde Kraft“ zu, vgl Floretta/Öhlinger, Menschenrechtspakte, 58f. 259 Adamovich/Funk/Holzinger, Staatsrecht III, Rz 41.057, stellen nicht auf den Geltungsgrund, sondern auf den persönlichen Geltungsbereich der Grundrechte ab und unterscheiden zwischen Bürgerrechten, die von einer Mitgliedschaft im Staatsverband abhängig sind und Menschenrechten, die als Jedermannsrechte konzipiert sind. 260 Berka, Grundrechte, Rz 28. Eine Stufe abstrakter sollen Grundrechte im positiven Recht begründet sein, während Menschenrechte einen überpositiven Ursprung aufweisen, vgl Stern, in: Handbuch der Grundrechte I, § 1, Rz 46ff, der allerdings im internationalen Recht eine zunehmende Positivierung der Menschenrechte konstatiert und diese als internationale oder völkerrechtliche Menschenrechte bezeichnet (Rz 49f). 254 255
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ge Unterscheidung infolge der zunehmenden Überschneidung von völker- und verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechten nicht mehr zielführend ist.261 Gerade in Österreich kommt es durch den Verfassungsrang der EMRK zu einer Überlagerung, aber auch in anderen Rechtsordnungen sind nationale Grundrechte häufig mit Menschenrechten ident. Es erscheint daher wenig sinnvoll, im Begriff der Menschenrechte die nationalen Grundrechte auszuklammern; auch dem Recht der EU ist eine solche Differenzierung insofern fremd, als die Begriffe Grund- und Menschenrechte austauschbar verwendet werden.262 Deshalb soll im Folgenden der Begriff Menschenrechte umfassend verwendet werden und zwar als die Summe jener subjektiven Rechte, die in nationalen Verfassungen und/oder internationalen Menschenrechtsdokumenten niedergelegt sind.263 Als dessen Kern können die Grundrechte sodann als die von den nationalen Verfassungen gewährleisteten Menschenrechte charakterisiert werden;264 im weiteren Verlauf der Arbeit werden darauf aufbauend die Begriffe synonym verwendet, dies auch deshalb, weil bei der Prüfung der Grundrechtsbindung extraterritorialer Hoheitsakte sämtliche Grund- und Menschenrechte in Betracht kommen. Insgesamt bedarf es jedenfalls der Klärung des Geltungsbereichs des Grundrechtskatalogs. Da etliche extraterritoriale Hoheitsakte österreichischer Organe in Durchführung von Unionsrecht erfolgen, ist neben dem nationalen auch der Anwendungsbereich der EU-Grundrechte einzubeziehen. Rechtsvergleichend soll zudem auch kursorisch auf die Anwendungsbereiche internationaler Menschenrechtspakte Bezug genommen werden. Der Überlagerung der Grund- mit den Menschenrechten korrespondiert im Zeitalter des postnationalen Verfassungsstaats265 auch die Konstitutionalisierung Internationaler Organisationen bzw des Völkerrechts266 und der Bedeutungsgewinn des Internationalen VerNowak, Einführung, 16. Vgl Art 6 Abs 1 und 2 EUV. 263 Nowak, Einführung, 16. 264 So auch zB Stern, in: Handbuch der Grundrechte I, § 1, Rz 51. 265 Zum postnationalen Verfassungsbegriff Pernice, VVDStRL 60, 155ff; Haltern, AöR 2003, 511ff; Zürn, Die Zukunft des Nationalstaats, FAZ v 19.7.2005, 8. 266 Frowein, Konstitutionalisierung des Völkerrechts, 427ff; Tomuschat, International Law as the Constitution of Mankind, 37ff; von Bogdandy, JZ 2005, 529ff; Pfersmann, ICON 2005, 383ff; Peters, FS Delbrück, 535ff. 261 262
I. Allgemein
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fassungsrechts.267 Diese Entwicklungen verdeutlichen sich an der zunehmenden Öffnung des Staates hin zu bi- und vor allem multilateralen Kooperationen, insb im Rahmen Internationaler Organisationen. Der Staat bleibt zwar als zentraler Bezugspunkt des öffentlichen Rechts bestehen,268 ist aber gleichzeitig infolge seiner Auflösung nach oben (Supranationalisierung) und unten (Privatisierung) in einem Mehrebenensystem eingebettet, das sich durch eine Komplementarität von Völker- und Staatsrecht auszeichnet.269 In diesem Kontext ist jedenfalls ein umfassender Grund- und Menschenrechtsbegriff erforderlich, dessen Erweiterung Hand in Hand mit einem postnationalen Verfassungsverständnis gehen muss, das zunehmend auch auf Internationale Organisationen anzuwenden ist.270 Um die Entstehung grundrechtsfreier Räume bei der Übertragung von Hoheitsgewalt von der nationalen auf die internationale Ebene zu vermeiden, müssen Internationale Organisationen infolge ihrer immer extensiveren und verstärkt grundrechtseingriffsintensiven Kompetenzen ebenso an die Grundrechte gebunden sein.271
B. Zur Bindungswirkung von Grundrechtsnormen 1. Allgemeines Unter Grundrechten versteht man fundamentale Rechtspositionen des Menschen, die mit einer gewissen Unverbrüchlichkeit ausgestattet und durchsetzbar sind;272 die Bundesverfassung versteht darunter die verfassungsgesetzlich gewährleisteten subjektiven Rechte des Einzelnen, die – im Wege der Verfassungsgerichtsbarkeit und der 267 Vgl etwa Eberhard/Lachmayer/Thallinger, Inhalt und Methode, 179ff; Haltern, AöR 2003, 511ff; Uerpmann, JZ 2001, 565ff; Kokott, VVDStRL 63, 35ff. 268 Wahl, Verfassungsstaat, 67: „Der nationale Staat ist weder abgeschafft noch marginalisiert worden.“ 269 Ibid, 91; vgl auch Thürer, FS Pernthaler, 385ff. Gleichzeitig übernehmen Internationale Organisationen immer mehr klassische Staatsfunktionen und müssen dabei auch an den Grundrechten gemessen werden. 270 Vgl zB Peters, FS Delbrück, 537: „However, the term ‘Constitution’ was never exclusively reserved for State constitutions.“ 271 Siehe zur Grundrechtsgebundenheit der VN bzw der EU oben 1. Kap III.C.2 bzw unten 4. Kap III. 272 Siehe nur Berka, Grundrechte, Rz 20; Stern, HStR V, § 108, Rz 50f.
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Anwendungsbereich der Grundrechte der Bundesverfassung
ordentlichen Gerichtsbarkeit – durchsetzbar sind.273 Die Grundrechte binden alle Formen der Ausübung von Staatsgewalt,274 also Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung.275 2. Die Geltungsbereiche der Grundrechte Die Geltung von Rechtsvorschriften wird vom persönlichen, sachlichen, zeitlichen und räumlichen Geltungsbereich bestimmt.276 Während sich der zeitliche Anwendungsbereich aus dem Inkrafttreten der Grundrechtsnorm bestimmt, richtet sich der sachliche Geltungsbereich nach dem Schutzbereich des geltend gemachten Grundrechts; es bedarf der Prüfung, ob das vom Beschwerdeführer geltend gemachte Recht konkret vom Grundrechtskatalog verbürgt wird.277 Zu klären ist dabei unter anderem auch die Frage, ob Grundrechte nur in Friedens-, nicht aber in Kriegszeiten gelten, dies erfordert die Untersuchung des Verhältnisses von Menschenrechten und humanitärem Völkerrecht.278 Der persönliche Anwendungsbereich wirft einerseits die Frage auf, wem die Fähigkeit zukommt, Grundrechtsträger zu sein. Daran knüpft die Unterscheidung zwischen Jedermannsrechten, Staatsbürger- und Unionsbürgerrechten an. Die Grundrechte können in der Verfassung sowohl als Jedermanns- als auch als Staatsbürgerrechte ausgestaltet sein.279 Neben der Grundrechtsberechtigung muss bei Holoubek, ZÖR 1999, 54; Öhlinger, Verfassungsrecht, Rz 677f; Stelzer, ZÖR 1999, 9ff. 274 Träger der Staatsgewalt ist im demokratischen Staat das Volk, deren Ausübung ist den verfassungsgemäß vorgesehenen Repräsentativorganen übertragen, vgl Welan, Gewaltenteilung, 495; Korinek, JRP 1995, 152. 275 Stern, Staatsrecht III/1, § 72, 1202, spricht treffend von einer „Trias der Grundrechtsverpflichteten“; vgl zB auch Starck, Art 1 Abs 3 GG, Rz 189ff; Öhlinger, Verfassungsrecht, Rz 709ff; Grof, Schutzrichtung, in: Grund- und Menschenrechte in Österreich I, 105ff; Holoubek, ZÖR 1999, 54ff; Heintzen, Auswärtige Beziehungen, 97f; darüber hinaus entfalten die Grundrechte – zumindest mittelbar – auch eine Bindungswirkung unter Privatpersonen; zu dieser sog Dritt- oder Horizontalwirkung der Grundrechte siehe zB Griller, JBl 1992, 205, 289 und Clapham, Private Sphere. 276 Stolzlechner, Einführung, Rz 38ff. 277 Grabenwarter, EMRK, § 13 Rz 49. 278 Vgl 3. Kap III.E.2.b)bb)iii). 279 Letztere können in gewissem Umfang infolge des Diskriminierungsverbots des Gemeinschaftsrechts zu Unionsbürgerrechten werden, vgl Holoubek, FS Krejci, 273
II. Die Geltung des originär innerstaatlichen Grundrechtskatalogs
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der Zuständigkeit ratione personae auch geprüft werden, ob der beklagte Staat Grundrechtsverpflichteter ist. Dabei ist zu erörtern, ob ein grundrechtswidriges Verhalten dem belangten Staat zugerechnet werden kann. Diese Zurechnung bereitet gerade bei Handlungen außerhalb des eigenen Hoheitsgebiets Probleme, insb wenn solche Akte im Rahmen Internationaler Organisationen durchgeführt werden. Letztlich ist fraglich, ob Grundrechte ratione loci anwendbar sind: Wie oben erläutert, umfasst der räumliche Anwendungsbereich von Bundesgesetzen grundsätzlich das gesamte Bundesgebiet; Art 49 Abs 1 B-VG legt aber nicht fest, dass Bundesgesetze nicht über die Bundesgrenzen hinweg Geltung erlangen können.280 Bei extraterritorialen Hoheitsakten ist somit der räumliche Geltungsbereich der Grundrechte zu prüfen und zu klären, ob der handelnde Staat auch im Ausland Grundrechtsverpflichteter sein kann. Im Hinblick auf die Grundrechtsbindung bei extraterritorialen Hoheitsakten ist im Ergebnis daher vor allem der persönliche sowie der örtliche Anwendungsbereich näher zu untersuchen.
II. Die Geltung des originär innerstaatlichen Grundrechtskatalogs bei extraterritorialen Hoheitsakten Bevor es gilt, den räumlichen Anwendungsbereich der genuin österreichischen Grundrechte zu untersuchen, soll in einem ersten Schritt infolge der anders als in Österreich äußerst umfangreichen literarischen Auseinandersetzung mit der Thematik eine knappe rechtsvergleichende Darstellung zur extraterritorialen Anwendbarkeit der Grundrechte des Bonner Grundgesetzes vorgenommen werden.
A. Art 1 Abs 3 GG und Sachverhalte mit Auslandsbezug In Deutschland lehnen Rechtsprechung und (ein Großteil der) Lehre eine Beschränkung der Geltung der Grundrechte auf das Ter913ff; selbst bloße Staatsbürgerrechte können bei Hoheitsakten im Ausland anwendbar sein und zwar dann, wenn es sich bei den Grundrechtsadressaten in der konkreten Situation um Staatsbürger handelt wie zB beim Auslandswahlrecht, vgl Breuer, Wahlrecht. 280 Siehe oben 2. Kap II.A.
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ritorium der Bundesrepublik ab: vielmehr würden die Grundrechte grundsätzlich auch im Ausland gelten und deutsche Organe seien auch dann an die Grundrechte gebunden, wenn sie deutsche Staatsgewalt iSv Art 1 Abs 3 GG im Ausland ausüben.281, 282 Das BVerfG verwendet dafür die Spruchformel, dass die Grundrechte in ihrem sachlichen Geltungsumfang die deutsche öffentliche Gewalt auch dann binden, soweit Wirkungen ihrer Betätigung außerhalb des Hoheitsgebiets der Bundesrepublik einträten.283 Daraus leiten Befürworter einer territorialen Differenzierung der Grundrechtsgeltung ab, dass die Betonung der Wirkung hoheitlichen Handelns durch das BVerfG nur vor dem Hintergrund einer territorialen Divergenz von Ursache und Wirkung einen Sinn ergibt.284 Das setze voraus, dass die Ursachen für den im Ausland wirkenden und grundrechtsrelevanten Staatsakt im Inland gesetzt werden,285 wodurch die These von einer bloß territorialen Geltung der Grundrechte aber nicht widerlegt, sondern bestätigt werde.286 Dagegen wird 281 Stern, Staatsrecht III/1, § 72, 1230 nennt die Grundrechtsbindung sogar „absolut und allumfassend“; vgl auch Bleckmann, Grundrechtslehren, 47f; Schröder, FS Schlochauer, 138ff; Elbing, Anwendbarkeit der Grundrechte, 220; Baldus, Transnationales Polizeirecht, 149ff; Bernhardt, DÖV 1977, 462; Hofmann, Grenzüberschreitende Sachverhalte, 23; Breuer, Wahlrecht, 138f; Hobe, Territorial and personal scope, 19; Starck, Art 1 Abs 3 GG, Rz 191; Tomuschat, VVDStRL 36, 45; Bothe, UPR 1983, 4; Graf Vitzthum, HStR I, § 16, Rz 12; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rz 188f; Bleckmann/Busse, DVBl 1977, 795f; Kunig, DVBl 1983, 39; aA Badura, FS Leisner, 409f; Isensee, VVDStRL 32, 63; Quaritsch, HStR V, § 120, Rz 75; Rüfner, HStR V, § 117, Rz 35. 282 Für eine Beschränkung wurde auch der durch den Einigungsvertrag aufgehobene und neu erlassene Art 23 GG angeführt, der den Geltungsbereich des GG auf die alten Bundesländer beschränkte, vgl von Olshausen, DVBl 1974, 654ff; krit Elbing, Anwendbarkeit der Grundrechte, 76ff; Heintzen, Auswärtige Beziehungen, 100f. 283 ZB BVerfGE 6, 290 (295); 31, 58 (74); 57, 9 (23). Für einen Überblick der Judikatur des BVerfG siehe Elbing, Anwendbarkeit der Grundrechte, 226ff und Hofmann, Grenzüberschreitende Sachverhalte, 31ff. 284 Heintzen, Auswärtige Beziehungen, 131. 285 Womit es sich aber ohnehin um einen klassisch „territorialen Hoheitsakt“ handeln würde, der bloß, wie viele andere Hoheitsakte, gewisse extraterritoriale Wirkungen aufweisen würde. 286 Heintzen, Auswärtige Beziehungen, 131: „‘Staatliche Gewalt’ im Sinne des Art 1 GG birgt einen territorialen und personalen Bezug; Staatsgewalt ist ohne Staatsgebiet und Staatsvolk nicht denkbar.“ Heintzen geht von der Territorialität der Grundrechtsbindung aus, von der ihm zufolge aber sehr wohl abgewichen werden kann.
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eingewandt, dass Art 1 Abs 3 GG eine umfassende Bindung der deutschen Gewalt beabsichtigt und es nur darauf ankommt, dass funktional – durch wen und wo auch immer – deutsche Hoheitsgewalt ausgeübt wird.287 Dass es dabei sinnwidrig wäre bei Handlungsort ‘Inland’ und Wirkung ‘Ausland’ Grundrechtsschutz zu gewähren, diesen aber zu verneinen, wenn sowohl Handlungsort und Wirkung im Ausland liegen, illustriert Elbing am folgenden Beispiel:288 Ein deutscher Panzer schießt vorsätzlich von Deutschland aus über die Grenze und zerstört ein Haus im Ausland – Grundrechtsschutz würde, da die ursächliche Handlung im Inland stattgefunden hat, auch bei restriktiver Auslegung der BVerfG-Spruchformel vorliegen; was wäre nun aber, wenn der deutsche Panzer völkerrechtskonform im Rahmen einer Übung im Ausland geschossen und das Haus zerstört hätte? Es ist Elbing zuzustimmen, dass auch hier eine Grundrechtsbindung iSd BVerfG-Formel bestehen muss und dass daher hoheitliches Staatshandeln immer an die Grundrechte gebunden ist, unabhängig davon, wo es erfolgt.289 Bis auf die erwähnte Spruchformel und Einzelfallentscheidungen hat es das BVerfG bisher unterlassen, zur Auslandsgeltung der Grundrechte detaillierter Stellung zu nehmen.290 So konstatierte auch die Literatur, dass die Erstellung eines geschlossenen Systems der Grundrechtsanwendung bei auslandsbezogenen Sachverhalten noch zu bewältigen ist.291 Dies haben mittlerweile verschiedene Autoren versucht: Wenn gleich deren Bezugspunkt der grenzüberschreitenden Sachverhalte292 umfassender ist als jener der Hoheitsakte im AusVgl nur Elbing, Anwendbarkeit der Grundrechte, 222. Ibid, 225f. 289 Ibid, 226. 290 Vielmehr hat es festgehalten, dass Art 1 Abs 3 GG ausschließlich zum ‘Ob’ der Bindung Bezug nimmt, aber keinen selbständigen Prüfungsmaßstab enthält, BVerfGE 61, 126 (137). 291 Stern, Staatsrecht III/1, § 72, 1227; Isensee, VVDStRL 32, 60 verlangt unter Hinweis auf BVerGE 31, 58 (77) die Entwicklung eines Verfassungskollisionsrechts, das die Grenznormen der Grundrechte aufzuweisen hat. 292 Auch bezeichnet als Auslandskontakt oder Sachverhalt mit Auslandsbezug. Letzteren Anknüpfungspunkt wählt Elbing, Anwendbarkeit der Grundrechte, 45, der diesen negativ von einem „klassisch“ inländischen Fall ohne jeden Auslandsbezug abgrenzt: Ein „klassisch“ inländischer Fall soll immer dann vorliegen, wenn nur die deutsche Staatsgewalt handelt, kein Ausländer beteiligt ist, keine Wirkungen im Ausland auftreten, keine Sache im Ausland belegen ist usw. Alles was darüber hinausgeht, habe bereits Auslandsbezug. Elbing, der selbst einräumt, dass die287 288
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land, sollen die dabei entwickelten Theorien im Folgenden kurz vorgestellt werden.293 1. Das allgemeine Grundrechtskollisionsrecht Heintzens In seiner Arbeit „Auswärtige Beziehungen privater Verbände“, beschäftigt sich Heintzen intensiv mit dem Anwendungsbereich der Grundrechte und entwickelt ein „Allgemeines Grundrechtskollisionsrecht“294, das von zwei Determinanten geprägt ist: Zuerst inkorporiert Heintzen – inspiriert von der Statuslehre Georg Jellineks 295 – in die Staatsgewalt iSd Art 1 Abs 3 GG ein „Grundrechtsverhältnis“ zwischen Individuum und Staat als Anwendungsbedingung der Grundrechte;296 ein solches Statusverhältnis entfalte sich, anknüpfend an Jellineks Drei-Elemente-Lehre,297 insb bei Gebiets- und Personalhoheit.298 Daraus folgt nach Heintzen, dass das entscheidende Kriterium der Staatsgewalt in Art 1 Abs 3 GG auf die völkerrechtliche Zuständigkeitsordnung rekurriert, da diese in erster Linie auf Gebiets- und Personalhoheit abstellen würde.299 Die Grundrechte se Festlegung sehr weit gefasst ist, inkludiert darin auch Handlungen einer fremden Staatsgewalt im Inland. Er führt insgesamt 22 Fallgruppen an (51ff), von denen nur vier, nämlich die Gruppen 13 – 16, extraterritoriale Hoheitsakte im hier verstandenen Sinne bilden. Auch Hofmann, Grenzüberschreitende Sacherverhalte, 3, 115ff will „grenzüberschreitenden Sachverhalte“ weit verstanden wissen. 293 Denn obgleich die Definitionen häufig variieren, können extraterritoriale Hoheitsakte immerhin als eine spezielle Form eines grenzüberschreitenden Sachverhalts angesehen werden. 294 Gemeint sein soll, in Anlehnung an das Internationale Privatrecht als das klassische Kollisionsrecht, die Bestimmung welche der Grundrechte von zwei oder mehreren Rechtsordnungen auf einen bestimmten Sachverhalt angewendet werden können; der Begriff ist damit zu trennen von der in der Grundrechtsdogmatik verwendeten Grundrechtskollision, worunter man den Fall versteht, dass verschiedene Grundrechtsträger gleiche oder verschiedene Grundrechte mit der Folge gegenseitiger Freiheitsbeeinträchtigungen für sich in Anspruch nehmen, vgl Bethge, Zur Problematik von Grundrechtskollisionen (1977). 295 Jellinek, System, 86ff; siehe dazu insb Alexy, Theorie der Grundrechte, 229ff. 296 Heintzen, Auswärtige Beziehungen, 102ff, 112. 297 Jellinek, Staatslehre, 183; siehe auch Kelsen, Staatslehre, 96; Fleiner/Fleiner, Staatslehre, 291f. 298 Heintzen, Auswärtige Beziehungen, 129. 299 Prämisse bzw „Eckpfeiler“ ist dabei für Heintzen die Übereinstimmung des staatsrechtlichen (Drei-Elemente-Lehre) mit dem völkerrechtlichen Staatsbegriff (Vier-Elemente-Lehre) (Auswärtige Beziehungen,106, 112, 129).
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seien somit akzessorisch zum Völkerrecht,300 es sei zulässig, dem Begriff „staatliche Gewalt“ in Art 1 GG eine dynamische Verweisung auf die völkerrechtliche Zuständigkeitsordnung zu unterstellen301. Grundsätzlich ist, so Heintzen, von einer territorialen Geltung der Grundrechte auszugehen, denn der Gebietsbezug sei das wichtigste Kriterium der völkerrechtlichen Kompetenzordnung;302 die Grundrechte würden der Staatsgewalt aber nicht nachfolgen, wenn diese die Grenzen der völkerrechtlichen Zuständigkeit überschreite; mit anderen Worten: völkerrechtswidrige Hoheitsakte könne man nicht an den Grundrechten messen.303 Das System Heintzens, insb sein Verweis auf die völkerrechtliche Zuständigkeitsordnung, erweist sich als unschlüssig und führt zu teils skurrilen Ergebnissen.304 Seine Annahme hätte zur Folge, dass ein Staat bei völkerrechtswidriger Ausübung von Hoheitsgewalt im Ausland von einer ansonsten bestehenden Grundrechtsbindung befreit wird;305 dies widerspricht jedoch schon dem Grundsatz „ex iniuria ius non oritur“. Zudem kennt das Völkerrecht keine Regel, welche die Geltung der Grundrechte bei grenzüberschreitenden Sachverhalten untersagen würde.306 Beachtenswert erscheint allerdings Heintzens These, dass Hoheitsgewalt ein Rechtsverhältnis zwischen Grundrechtsträger (Individuum) und Grundrechtsverpflichtetem (Staat) impliziert und ein solches daher eine Prämisse für die Anwendbarkeit der Grundrechte darstellt.307 Heintzen, Auswärtige Beziehungen, 130. Heintzen, Auswärtige Beziehungen, 112. Das Grundrechtskollisionsrecht soll somit nicht bei den nationalstaatlichen Verfassungen, sondern am Völkerrecht anknüpfen. 302 Ibid, 130ff. 303 Ibid, 118, 143. 304 Siehe die Kritik von Elbing, Anwendbarkeit der Grundrechte, 201ff, der die Bestimmung des Anwendungsbereichs der Grundrechte durch das Völkerrecht für verfehlt hält und von einem „rechtstechnischem Automatismus“ spricht. Ablehnend auch Hofmann, Grenzüberschreitende Sachverhalte, 21ff sowie 345f. 305 Elbing, Anwendbarkeit der Grundrechte, 205 306 Baldus, Transnationales Polizeirecht, 153. 307 Kritisch Baldus, Transnationales Polizeirecht, 151, der meint, dass nicht der Status grundrechtsbegründend ist, sondern die Grundrechte statusbegründend sind. Innerhalb des eigenen Staatsgebiets ist diese Ansicht Baldus’ zutreffend, bei Hoheitsakten im Ausland kann dies aber spiegelbildlich sein, da hier nicht sämtliche Grundrechte bereits a priori bestehen, sondern erst abhängig von einer gewissen 300 301
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2. Elbings Erweiterung und Einschränkung der Grundrechte Unter Grundrechtskollisionsrecht versteht Elbing alle Überlegungen zur Frage, ob und inwieweit die Grundrechte des GG auf Sachverhalte mit Auslandsbezug308 anwendbar sind.309 Ein solches sei, anders als das IPR, auf strukturelle Gesichtspunkte iS Alexys 310 beschränkt und habe von der „Einseitigkeit“ des Internationalen Verwaltungsrechts auszugehen.311 Elbing beschreibt solche Strukturmerkmale312 und sieht die Anwendbarkeit der Grundrechte als Teil der Frage der extraterritorialen Anwendbarkeit nationalen Rechts.313 Seine Strukturanalyse beruht auf einer miteinander verschränkten Dichotomie von „Erweiterung“ und „Einschränkung“ der Grundrechte bei Sacherverhalten mit Auslandsbezug. Die Erweiterung zielt auf die Erstreckung der Grundrechtsbindung auf Sacherverhalte mit Auslandsbezug ab,314 während die Einschränkung diese Erweiterung insofern modifiziert bzw „bremst“, als sie dem Auslandsbezug Rechnung tragend, nicht den vollen, sondern eben nur einen „eingeschränkten“ Grundrechtsschutzumfang gewährleisten soll.315 Ausgehend von der Feststellung, dass das BVerfG die Einschränkung stets nach den konkreten Umständen des Einzelfalls vornimmt,316 erläuIntensität des Statusverhältnisses zwischen Individuum und Staat realisiert werden müssen. Es bedarf, ähnlich zur jurisdiction to prescribe, eines Anknüpfungspunktes, der sich im Rechtsverhältnis zwischen Grundrechtsträger- und Verpflichteten äußert. 308 Elbing sieht eine territoriale Begrenzung als überholt an. 309 Diese Antwort folge nur aus dem Verfassungsrecht, vgl Elbing, Anwendbarkeit der Grundrechte, 314. 310 Siehe Alexy, Theorie der Grundrechte, 32ff. 311 Einseitigkeit meint, dass sich die Normen des Internationalen Verwaltungsrechts anders als die zweiseitigen Kollisionsnormen des IPR nur auf den Anwendungsbereich des eigenen, nicht aber des ausländischen Rechts beziehen; vgl Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, 115f; Vogel, Anwendungsbereich, 194ff. 312 Elbing, Anwendbarkeit der Grundrechte, 55 nennt zB: Staatsgewalt (deutsche/ nicht-deutsche), Ort des Handelns, Ort der Wirkung des Hoheitsakts, Adressaten des hoheitlichen Handelns, Grad der Unabhängigkeit. 313 Ibid, 57. 314 Ibid, 82ff. Es geht dabei, so Elbing, nur um die Erweiterung des Grundrechtsschutzes, nicht um eine Erweiterung des Kompetenzbereichs des Staats. 315 Ibid, 168ff. 316 BVerfGE 31, 58 (77); Ibid, aaO.
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tert Elbing verschiedene Kriterien der Einschränkung317 und versucht sie in einem strukturellen System zu aggregieren. Dieses System stelle aber kein Grundrechtskollisionsrecht in festen Normierungen dar, sondern sei ein Vorgang der Abwägung, wobei die genannten Kriterien der Einschränkung in die Konkretisierung des Einzelfalls einzubeziehen sind.318 Absolute Grenze jeder Grundrechtseinschränkung bei Fällen mit Auslandsbezug sei die Wesensgehaltsgarantie des Art 19 Abs 2 GG.319 Die einzelnen Kriterien würdigt Elbing unterschiedlich, stellt aber klar, dass weder das Territorialitätsnoch das Personalitätskriterium alleine für die Beschreibung der Geltung der Grundrechte bei Sachverhalten mit Auslandsbezug geeignet sind.320 Der breite Ansatz Elbings überzeugt mehr als Heintzens „Verweisungsformel“ auf die völkerrechtliche Zuständigkeitsordnung; Elbing erkennt die Vielschichtigkeit der Probleme und verwendet Alexys Strukturtheorie, um die diversen Faktoren in eine Gesamtabwägung einzubeziehen. Zu Recht lehnt er das Territorialitäts- und Personalitätsprinzip als a priori Entscheidungskriterien ab. Ausgehend von der Annahme, dass die Grundrechte auch im Ausland bzw bei Auslandsbezug gelten, erscheint der Begriff der „Erweiterung“ redundant.321 317 Ibid, 219ff. ZB Territorialitätskriterium, Personalitätskriterium, Kriterium der „faktischen“ Betroffenheit. 318 Ibid, 312f. 319 Ibid, 310; siehe zum Wesensgehalt nur Häberle, Wesensgehaltsgarantie; Stelzer, Wesensgehaltsargument; Huber, Art 19 Abs 2 GG, Rz 104ff und 552mwN sowie jüngst Drews, Wesensgehaltsgarantie. 320 Elbing, Anwendbarkeit der Grundrechte, 316f: Für das Territorialitätsprinzip gelte dies, weil die Grundrechte, nicht auf das Staatsgebiet beschränkt, sondern wie jede Norm weltumspannend sein können. Für das Personalitätskriterium folge dies bereits aus der Rechtsnatur der meisten Grundrechte als „Jedermann-Grundrechte“, woraus zu entnehmen sei, dass die Grundrechte unabhängig von der Staatsangehörigkeit gelten können. Anders sei dies bei den Deutschen-Grundrechten: Solche knüpfen bewusst an der Staatsangehörigkeit an und können somit Ausländern (im Ausland wie im Inland) nicht zukommen. 321 Wenn überhaupt, dann kann von einer Erweiterung des Grundrechtsschutzes nur bei der Anwendung der Grundrechte gegenüber fremder Hoheitsgewalt gesprochen werden; dies erkennt Elbing auch, wenn er nämlich am Ende eingesteht, dass eigentlich diese Fallgruppe die einzige einer echten Erweiterung ist. Zu kurz kommt ferner das Grundrechtsverhältnis zwischen Grundrechtsberechtigten- und Verpflichteten (201ff).
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3. Der bereichsbezogene Ansatz Hofmanns Einen anderen Weg schlägt Rainer Hofmann ein: Ausgehend von einer ständigen Grundrechtsbindung aller Träger deutscher Hoheitsgewalt iSv Art 1 Abs 3 GG322 bezweifelt er die Möglichkeit, ein Grundrechtskollisionsrecht für alle grenzüberschreitenden Sacherverhalte zu schaffen.323 Stattdessen folgt er einem bereichsbezogenen Ansatz und arbeitet im besonderen Teil Probleme, Eigenheiten und Nuancierungen aus. Strukturell hält Hofmann fest, dass „…die Einbettung Deutschlands in die internationale Staatengemeinschaft und die Notwendigkeit seiner Fähigkeit zu angemessener Teilnahme am internationalen Rechtsverkehr die rechtliche Möglichkeit einer Zurücknahme des Grundrechtsschutzes in solchen Konstellationen auf den Kernbereich der deutschen Grundrechtsordnung eröffnet.“324 4. Resümee Aus den angeführten Arbeiten lassen sich folgende Kernaussagen festhalten, die auch auf extraterritoriale Hoheitsakte als Untergruppe der Sacherverhalte mit Auslandsbezug zutreffen: 1. Auch, wenn Hoheitsgewalt im Ausland ausgeübt wird, finden die Grundrechte grundsätzlich als Emanation jeglichen staatlichen Handels Anwendung. Insofern ist ein bloß territorial begrenzter Geltungsbereich der Grundrechte abzulehnen. 2. Angesichts der Rechtsnatur der Grundrechte als Jedermannsrechte, kann es von vornherein keine generelle Beschränkung der Grundrechte auf Staatsbürger geben. Eine Prüfung nach dem Personalitätskriterium hat erst bei der Prüfung der konkreten Grundrechtsnorm stattzufinden, beschränkt aber keinesfalls strukturell den Grundrechtsschutz im Ausland. 3. Die Grundrechtsbindung im Ausland kann, abhängig von der Natur der hoheitlichen Tätigkeit, unterschiedlich ausgestaltet sein, bedarf aber stets einer Nahebeziehung im Sinne eines Grundrechtsverhältnisses zwischen Staat und Individuum. Eine Einzelfallprüfung ist dabei unausweichlich;325 es soll im Folgenden aber 322 323 324 325
Hofmann, Grenzüberschreitende Sachverhalte, 23. Ibid, 29f, 345f. Ibid, 345. Vgl BVerfGE 100, 313 (362f); Breuer, Wahlrecht, 142.
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versucht werden, festzustellen, welche Determinanten überhaupt und in welchem Ausmaß sie die Existenz eines Grundrechtsverhältnisses und damit den Grad der Grundrechtsbindung beeinflussen.
B. Die Rechtslage nach österreichischem Bundesverfassungsrecht 1. Umfassende Grundrechtsbindung aller drei Staatsgewalten a) Inhärente Verankerung in der Bundesverfassung Anders als dem Bonner Grundgesetz fehlt es dem österreichischen Bundesverfassungsrecht an einer Norm, welche die Bindung der Staatsgewalt an die Grundrechte explizit anordnet. Dennoch ist es unstrittig, dass auch in Österreich von einer umfassenden Schutzrichtung auszugehen ist und die Grundrechte die Staatsgewalt des Bundes, der Länder, der Gemeinden sowie anderer öffentlich-rechtlicher Einrichtungen in allen ihren Erscheinungsformen, also Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht binden.326 Im Bereich der Staatsgewalt gibt es somit keine „grundrechtsfreien“ Räume.327 Diese umfassende Schutzrichtung der Grundrechte ergibt sich aus ihrer historischen Entwicklung und aus ihrer immanenten Zweckbestimmung, auch wenn die Grundrechtsbindung der ganzen staatlichen Gewalt im Verlauf der Grundrechtsgeschichte nicht immer ganz klar und deutlich zu Tage getreten ist.328 Nachdem die Grundrechtsbindung im Verlauf des 19. Jahrhunderts noch auf die Abwehr gesetzloser Verwaltungsakte beschränkt war, hat das der österreichischen Verfassung immanente „Stufenbaumodell“ die Einsicht gefördert, dass die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte der ranghöchsten Rechtsschicht angehören, die als Rechtserzeugungsregel für das gesamte unterverfassungsgesetzliche Recht gilt und damit für alle Erscheinungsformen der Staatsgewalt Wirksamkeit 326 Berka, Grundrechte, Rz 186; Holoubek, ZÖR 1999, 57ff; Öhlinger, Verfassungsrecht, Rz 706; ders, EuGRZ 1982, 226ff; Grof, Schutzrichtung, in: Grund- und Menschenrechte in Österreich I, 101ff. 327 Berka, Grundrechte, Rz 187; ders, Vorbemerkungen StGG, Rz 64; Stern, Staatsrecht III/1, § 72, 1201. 328 Berka, Vorbemerkungen StGG, Rz 63.
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entfaltet.329 Konkret hat die Rezeption des StGG 1867 in die demokratisch-rechtsstaatliche Verfassung 1920 die Schutzwirkung der darin niedergelegten Grundrechte auf die Gesetzgebung erweitert.330 Folgt die Grundrechtsbindung des Gesetzgebers somit schon aus dem Stufenbau der Bundesverfassung, ist jene der Vollziehung (Verwaltung und Rechtsprechung) freilich in aller Regel im Wege des Legalitätsprinzips gemäß Art 18 Abs 1 B-VG durch das Gesetz mediatisiert.331 b) Die Grundrechtsbindung als Bestandteil der Grundprinzipien der Bundesverfassung Aus den angeführten Überlegungen kann jedenfalls der Schluss gezogen werden, dass auch der österreichischen Bundesverfassung eine dem Art 1 Abs 3 GG vergleichbare Anordnung implizit innewohnt, womit auch an den Überlegungen der Literatur zu dieser Vorschrift im Wesentlichen angeknüpft werden kann. Eine Abkehr vom Grundsatz der Grundrechtsbindung ist deshalb nur auf Grund einer konkreten verfassungsrechtlichen Ausnahmebestimmung möglich.332 In dieser Hinsicht muss allerdings beachtet werden, dass die umfassende Grundrechtsbindung aller drei Staatsgewalten zweifelsohne als dem liberalen Grundprinzip und ebenso als dem rechtsstaat329 Ibid, aaO; diese Wirkkraft der Grundrechte als Rechtserzeugungsregel hat auch die Einsicht gefördert, dass die Grundrechtsbindung sich nicht bloß in ihrer abwehrrechtlichen Funktion manifestiert kann sondern auch grundrechtliche (legislative wie administrative) Schutzpflichten umfasst, siehe dazu näher Holoubek, Gewährleistungspflichten, 19ff. 330 Seit VfSlg 1451/1932 ständige Rechtsprechung; vgl Korinek/Holoubek, Privatwirtschaftsverwaltung, 127ff. 331 Unmittelbar aus den Grundrechten abgeleitete und den Verwaltungsbehörden auferlegte Abwägungspflichten können insoweit nur die Ausnahme sein. Entsprechend dem „differenzierten Legalitätsprinzip“ ist das Ausmaß der Gesetzesbindung der Verwaltung allerdings unterschiedlich; die unmittelbare, nicht durch das Gesetz mediatisierte Wirkung der Grundrechte wird umso größer sein, je ungebundener die Verwaltung handeln kann; vgl Berka, Vorbemerkungen StGG, Rz 69, der als Beispiel die bloß final determinierten Raumordnungspläne und die diesbezüglich sehr stark am Gleichheitssatz orientierte Judikatur anführt; zum Zusammenspiel zwischen Legalitätsprinzip und grundrechtlichen Gewährleistungen vgl auch Weichselbaum, FS Öhlinger, 657ff. 332 So Holoubek, ZÖR 1999, 58 unter Hinweis auf § 103 Abs 2 letzter Satz KFG (idF BGBl 1986/106) und VfSlg 11.829/1988; vgl dazu auch bereits Lienbacher, ZfV 1986, 544f.
II. Die Geltung des originär innerstaatlichen Grundrechtskatalogs
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lichen Baugesetz innewohnend zu bezeichnen ist.333 Eine Suspendierung der Grundrechtsbindung findet daher dort ihre Grenze, wo ein Eingriff in ein Baugesetz und somit eine Gesamtänderung der Bundesverfassung gemäß Art 44 Abs 3 B-VG vorliegt („verfassungswidriges Verfassungsrecht“).334 Laut der Judikatur des VfGH liegt ein derartiger baugesetzwidriger Eingriff bei einer verfassungsrechtlich angeordneten Durchbrechung der Grundrechtsordnung jedenfalls nicht nur bei einer umfassenden Suspendierung der Grundrechtsbindung, sondern auch bei bloß partiell wirkenden aber gehäuft vorkommenden Maßnahmen, welche die Aufhebung der Maßstabsfunktion der Verfassung für einen Teilbereich der Verfassung bewirken, vor.335 Im Erkenntnis VfSlg 16.327/2001 hob der Gerichtshof den im Verfassungsrang stehenden § 126a BVergG336 gerade auch mit der Begründung auf, dass „Grundrechtsverletzungen, die ihre Ursache in entsprechenden gesetzlichen Regelungen haben, als saniert zu gelten hätten und nicht aufgegriffen werden könnten“.337 Zur möglichen Suspendierbarkeit von Grundrechten vertritt Pernthaler die Auffassung, dass die Aufhebung der in der Verfassung elementar begründeten Menschenrechte überhaupt gänzlich unzulässig und auch dem Verfahren einer Volksabstimmung gemäß Art 44 Abs 3 B-VG entzogen sei;338 er unterscheidet somit zwischen verfassungsmäßiger Gesamtänderung und verfassungswidriger „Verfassungsdurchbrechung“, mit der Folge, dass ein zu spezifizierender „Verfassungskern“ selbst einer Gesamtänderung nach dem in Art 44 333 Die Durchbrechung der Grundrechtsordnung führt der VfGH jedenfalls explizit als Eingriff in die Grundprinzipien der Bundesverfassung an, vgl VfSlg 11.829/ 1988; im Hinblick auf den Gleichheitssatz ebenso VfSlg 15.373/1998. 334 VfSlg 16.327/2001; 11.756/1988; 11.829/1988; VfSlg 15.373/1998; vgl Öhlinger, Verfassungsrecht, Rz 87f. 335 VfSlg 11.756/1988; 11.829/1988, 16.327/2001; siehe zudem VfSlg 15.373/1998, wo der Gerichtshof festhält, dass der Gleichheitssatz zwar nicht zur beliebigen Disposition des Verfassungsgesetzgebers steht, weil er als ein wesentlicher Bestandteil der Grundrechtsordnung und des demokratischen Prinzips nicht einen ohne Volksabstimmung nach Art 44 Abs 3 B-VG abänderbaren festen Kern hat, dem Verfassungsgesetzgeber aber dennoch ein gewisser Spielraum zu seiner (verfassungsgesetzlichen) Konkretisierung oder auch zu einer punktuellen Durchbrechung in besonderen Sachlagen bleibt; vgl dazu Hiesel, ÖJZ 2000, 288ff. 336 IdF BGBl I 2000/125. 337 Vgl die Entscheidungsbesprechung von Pernthaler, JBl 2002, 103ff. 338 Pernthaler, ÖJT 1997, 29; ders, Verfassungskern, VI.
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Abs 3 B-VG festgelegten Verfahren entzogen sei.339 Im rechtswissenschaftlichen Schrifttum hat dies zum Wiederaufflammen der Debatte geführt, ob das österreichische Bundesverfassungsrecht unabänderliches Verfassungsrecht kennt und wenn ja, welche Materien als solches zu qualifizieren wären (vor allem wo die Abgrenzungslinien zur Gesamtänderung iSv Art 44 Abs 3 B-VG liegen sollten).340 Wenngleich insb in Ermangelung einer Ewigkeitsgarantie analog zu Art 79 Abs 3 GG und der ohnehin obligatorischen Volksabstimmung bei einer Baugesetzänderung gewichtige Vorbehalte gegen einen unabänderbaren Verfassungskern bestehen, ist hier nicht der gegebene Ort diesen Diskurs fortzuführen – als gemeinsamer Nenner kann aber festgehalten werden, dass eine vollständige und umfassende Suspendierung der Grundrechtsbindung jedenfalls stets als eine Gesamtänderung der Bundesverfassung zu qualifizieren sein wird; wesentlich schwieriger bleibt nun allerdings die – in der Verfassungswirklichkeit, wie die oben angeführten Entscheidungen des VfGH belegen, wohl wesentlich relevantere – Feststellung, wann eine verfassungsmäßige Aufhebung der Grundrechtsbindung die Schwelle der Baugesetzerheblichkeit übersteigt. Wenngleich diese Schwelle nach dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs zu § 126a BVergG nicht mehr so hoch angesetzt werden darf wie von manchen ursprünglich angenommen, kann eine Antwort darauf nur im Wege einer umfassenden Prüfung jedes Einzelfalls gegeben werden.341 339 Auf die mögliche Unterscheidung ist, ohne sich festzulegen, der Verfassungsgerichtshof in einem obiter dictum in VfSlg 16.327/2001 eingegangen: „Der VfGH braucht idZ nicht zu untersuchen, ob eine Verfassungssuspendierung in einem Verfahren nach Art 44 Abs 3 B-VG überhaupt erfolgen könnte…“. Öhlinger, FS Pernthaler, 284ff plädiert – aufbauend auf einem wandelnden normativen Verfassungsverständnis („Verfasssung als evolutiver Begriff“) – für eine solche Zweiteilung zwischen verfassungsrechtlicher Grundordnung (iSd einer Änderung per Volksabstimmung zu unterziehenden Baugesetze) und einem selbst diesem Änderungsverfahren entzogenen Verfassungskern, der die wesentlichen Elemente der Verfassungsstaatlichkeit enthält. 340 Dafür insb Pernthaler, Verfassungskern; Janko, Gesamtänderung; Morscher, FS Pernthaler, 239ff; Öhlinger, FS Pernthaler, 273ff; ablehnend Rill/Schäffer, Art 44 B-VG; Jabloner, JRP 2001, 35f, 43ff; Hiesel, ÖJZ 2002, 121ff; Mayer, FS Schäffer, 473ff. 341 Wie Grabenwarter, Verfahrensgarantien, 8 FN 7 meint, könnte ein Kriterium bei der Bewertung der Baugesetzerheblichkeit auch im Umstand und der Schwere der Konventionswidrigkeit zu finden sein.
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c) Suspendierung der Grundrechtsbindung gemäß Art 15 EMRK? Eine Stütze dafür, dass eine umfassende oder beträchtliche Suspendierung der Grundrechtsbindung den Grundprinzipien der Bundesverfassung zuwiderläuft, kann auch darin gesehen werden, dass die österreichische Bundesverfassung nach hA keine entsprechende Derogationsklausel kennt, da Art 15 EMRK auf Grund des Günstigkeitsprinzips gemäß Art 53 EMRK nicht anzuwenden sein soll.342 Dies trifft jedenfalls auf die originär österreichischen Grundrechtsverbürgungen zu, da Art 20 StGG bei der Rezeption des StGG im Jahre 1920 auf Anregung Kelsens nicht in die Verfassungsrechtsordnung der Republik übergeleitet wurde (Art 149 Abs 2 B-VG).343 Unter Berufung auf Art 53 EMRK daraus zu schließen, dass die gesamte Bundesverfassung keine Suspensionsklausel kennt, erscheint insofern zu voreilig, als es einer differenzierteren Lösung bedarf: Regelungszweck der Günstigkeitsklausel ist, dass ein bestehendes innerstaatliches Grundrechtsschutzniveau – egal ob es vor Inkrafttreten der EMRK existiert oder erst später in das nationale Recht eingeführt wird – durch die EMRK keinesfalls gesenkt werden darf – der höhere Menschenrechtsstandard hat vielmehr erhalten zu bleiben.344 Daraus folgt ganz unumstritten, dass Art 15 EMRK auf die genuin österreichischen Grundrechte (also alle anderen als die in der EMRK bzw ihren (Zusatz)Protokollen enthaltenen Grundrechte) jedenfalls unanwendbar ist. Eine darüber hinausgehende Unanwendbarkeit auch auf die EMRK-Rechte ist allerdings weder von der Günstigkeitsklausel erfasst (welche wäre die günstigere Regelung ohne Ratifizierung der Konvention?) noch mit als Art 15 EMRK als Bestandteil der österreichischen Bundesverfassung vereinbar, der de constitutione lata eine Außerkraftssetzung (ausschließlich) der EMRK-Verpflichtungen ermöglicht.345 Insofern gebietet hier die Günstigkeitsklausel ausdrücklich – entgegen der vom VfGH vertretenen Auffassung, dass die EMRK systematisch im Kontext der gesamten Bundesverfassung auszulegen ist346 – eine ansonsten mögRill/Schäffer, Art 44 B-VG, Rz 43; Walter/Mayer, Bundesverfassungsrecht, Rz 1338; aA Koja, Staatsnotstand, 52ff. 343 Berka, Grundrechte, Rz 239. 344 Siess-Scherz, Art 53 EMRK, Rz 3. 345 Siehe dazu und zu den Voraussetzungen der Derogation gemäß Art 15 EMRK unten 3. Kap III.E.2.b)bb). 346 Vgl VfSlg 11.937/1988. 342
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lichst zu vermeidende Differenzierung zwischen der Konvention und dem originär innerstaatlichen Grundrechtskatalog. Die somit für einen Teilbereich der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte anwendbare Derogationsklausel gemäß Art 15 EMRK ist im Hinblick auf die Baugesetze insofern unbedenklich, als diese eine teilweise Grundrechtssuspendierung nur unter strengen Voraussetzungen für ganz spezifische Ausnahmesituationen („Krieg oder anderer öffentlicher Notstand, der das Leben der Nation bedroht“) ermöglicht. Aus diesem Grunde wäre auch die Einführung einer mit Art 15 EMRK vergleichbaren Suspendierungsregel für die genuin österreichischen Grundrechte keine Gesamtänderung der Bundesverfassung.347 2. Die Grundrechtsbindung bei Hoheitsakten im Ausland gemäß dem genuin österreichischen Grundrechtskatalog Ausgehend von der Feststellung, dass der Ausübung von Hoheitsgewalt auf der Grundlage der Bundesverfassung eine umfassende Bindung an deren Grundrechte zugrunde liegt, soll im Folgenden untersucht werden, ob und wenn ja inwieweit davon bei der Setzung von Hoheitsakten im Ausland Abweichungen bestehen. Dazu bedarf es der Auslegung der einschlägigen verfassungsrechtlichen Bestimmungen, allen voran solcher des genuin österreichischen Grundrechtskatalogs und im Anschluss daran jener der EMRK sowie der Klärung des Zusammenwirkens der beiden Grundrechtsregime zueinander als gemeinsame Bestandteile der österreichischen Bundesverfassung. Vorweg soll zunächst aber ein kurzer Überblick über den Meinungsstand zur extraterritorialen Anwendbarkeit der Grundrechte in Judikatur und Literatur geboten werden. a) VfGH und EKMR: Bindung der Vertretungsbehörden an die Grund- und Menschenrechte Die Frage der extraterritorialen Anwendbarkeit der Grundrechte hat in der österreichischen Judikatur und Literatur bisher ein Schattendasein geführt. Während sich die Lehre im Hinblick auf die vielfältigen Facetten der Grundrechtsbindung intensiv mit den Fragen der Fiskalgeltung und Drittwirkung der Grundrechte beschäftigt 347
Zutreffend Rill/Schäffer, Art 44 B-VG, Rz 43.
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hat,348 mangelt es an einer Auseinandersetzung mit Existenz und Umfang der Grundrechtsbindung bei Hoheitsakten im Ausland.349 So weit ersichtlich ist, haben bisher nur Feik und Schöpfer die Frage des räumlichen Geltungsbereichs der Grundrechte näher behandelt und sind im Wesentlichen zum Ergebnis gekommen, dass die Organe der österreichischen Vertretungsbehörden im Ausland an die Grundrechte gebunden sind.350 Dabei haben sie im Wesentlichen an der Judikatur von VfGH und EKMR angeknüpft: So hat der Verfassungsgerichtshof etwa eine Verletzung des rechtsstaatlichen Prinzips und von Art 8 EMRK erkannt, wenn eine Vertretungsbehörde im Sichtvermerkerteilungsverfahren wesentliche Verfahrensrechte, wie etwa das Parteiengehör, verletzt.351 In einem ähnlichen Fall hat der VfGH das Fehlen jegliGriller, ZfV 1983, 109ff; ders, JBl 1992, 205ff; Bydlinski, Drittwirkung, 173ff; Mayer, JBl 1990, 768ff; ders, JBl 1992, 768ff; Novak, EuGRZ 1984, 133; Korinek/Holoubek, Privatwirtschafsverwaltung, 129ff; aus der internationalen Literatur vgl zB Alkema, FS Wiarda, 33ff; Clapham, ‘Drittwirkung’ of the Convention, 163ff. 349 Eines der seltenen Beispiele der Literatur stammt von Wiederin, Art 10a StGG, Rz 9, der bei der Prüfung des räumlichen Schutzbereiches des Fernmeldegeheimnisses meint, dass Art 10a StGG in territorialer Hinsicht keinen Beschränkungen unterliegt; die Norm greift ihm zufolge auch im grenzüberschreitenden Fernmeldeverkehr ohne Inlandsbezug; also auch wenn drahtlose Datenübermittlungen vom Ausland ins Ausland von österreichischen Organen überwacht werden, liegt ein Eingriff vor, der einer Rechtfertigung nach Art 10a Abs 2 StGG bedarf. Dem ist zuzustimmen, allerdings handelt es sich, da die Überwachung durch die österreichischen Organe in der Regel vom Inland aus erfolgt, um keinen extraterritorialen Hoheitsakt, sondern um einen Hoheitsakt mit extraterritorialen Wirkungen; idS auch Badura, FS Leisner, 411f zur strategischen Fernmeldeaufklärung durch den Bundesnachrichtendienst. 350 Feik, ZÖR 1999, 19f; ähnlich Schöpfer, Extraterritoriale Wirkungen, 4ff zum Geltungsbereich der EMRK. Nach Ermacora, Handbuch, 25 ist dagegen – ohne nähere Begründung – der Geltungsbereich der Grundrechte auf das Hoheitsgebiet der Republik Österreich beschränkt (diese Aussage stammt allerdings noch aus einer Zeit bevor die EMRK per Art II Z 7 der B-VGN 1964 mit dem Tag ihres InKraft-Tretens für Österreich (3. 9. 1958) in den Verfassungsrang gehoben wurde). Im Gefolge der Soering-Rspr des EGMR stand ansonsten die Klärung der extraterritorialen Wirkung bestimmter Konventionsrechte bei inländischen Hoheitsakten, die auf das Ausland ausstrahlen oder daran anknüpfen, bisher im Vordergrund; vgl Matscher, FS Trechsel, 25ff; Zellenberg, Art 3 EMRK, in: Grund- und Menschenrechte in Österreich III, 478ff; Thallinger, ZfV 2004, 172ff. 351 VfSlg 13.723/1994. 348
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cher Begründung in einer als Bescheid zu qualifizierenden Erledigung als Verletzung des Rechts auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander eingestuft.352 Hoheitsakte diplomatischer und konsularischer Behörden im Ausland unterliegen somit zweifellos der vollen Bindung an die Grundrechte der Bundesverfassung.353 Dies bestätigen auch diverse Entscheidungen der EKMR, die eine Geltung der EMRK auf Grund der Ausübung von Jurisdiktionsgewalt der jeweiligen Vertretungsbehörden bejaht.354 Gegen eine Beschränkung der Grundrechtsbindung staatlicher Hoheitsgewalt auf das Gebiet der Republik Österreich kann zudem ins Treffen geführt werden, dass selbst Private und ausgegliederte Verwaltungseinheiten, die hoheitliche Aufgaben erfüllen (Beliehene), die Grundrechte beachten müssen355 und dass der Staat auch dann an die Grundrechte gebunden ist, wenn er in Privatrechtsform handelt.356 Umstritten ist, ob die Rechtsverhältnisse von Privaten untereinander der Grundrechtsbindung unterliegen: Griller bejaht dies grundsätzlich – und zwar unter der Annahme, dass private Rechtsetzung stets im Rahmen gesetzlicher Ermächtigungen stattfindet (privates Verhalten ist insoferne rechtlich determiniert, als es nicht verboten und daher „erlaubt“ ist), weshalb sie auf Grund der Bindung sämtlicher Gesetzgebung an die Grundrechte auch selbst grund352 VfSlg 17.033/2003. Die Vertretungsbehörden im Ausland müssen somit vor allem im Fremden- und Asylrecht die verwaltungsverfahrensrechtlichen Grundsätze mit den dahinter stehenden Verfahrensgrundrechten sowie das Rechtsstaatlichkeitsprinzip beachten, vgl das Vorbringen der Wiener Landesregierung in VfSlg 17.340/ 2004 (AsylG-Novelle 2003), wonach die Vertretungsbehörden an die EMRK gebunden sind. 353 Es handelt sich somit um einen Fall grundrechtsgebundener extraterritorialer Hoheitsakte – die auf Grotius zurückgehende, die privilegierte Stellung der Diplomaten im Empfangsstaat (Vorrechte und Immunitäten) erklärende Exterritorialiätstheorie, die auf der Fiktion beruht, dass die Mission und ihre Räumlichkeiten zum Gebiet des Sendestaats und nicht zum Empfangsstaat gehören würden, ist heute als obsolet anzusehen und von der Nezessitätstheorie – die Sonderstellung der Staatenvertreter dient demnach deren ungefährdeter und gedeihlicher Arbeit – abgelöst worden, vgl Ipsen, Völkerrecht, 570; Köck, Organe, in: Handbuch, Rz 1758. 354 Siehe zu den entsprechenden Fällen ausführlich unten 3. Kap III.C.1. 355 Vgl nur Merten, Grundrechtsbindung, in: Aktuelle Fragen zu Verfassung und Verwaltung, 8f. 356 Dazu und vor allem zum strittigen Umfang der Fiskalgeltung der Grundrechte vgl näher Korinek/Holoubek, Privatwirtschaftsverwaltung, 146ff; Holoubek, ÖZW 2000, 39ff; Öhlinger, Verfassungsrecht, 737ff.
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rechtsgebunden sein muss.357 Wenn aber die Bindung der Gesetzgebung an die Grundrechte auch die Grundrechtsbindung von Privaten vermitteln kann, dann muss dies auch für sämtliche staatliche Vollzugsgewalt gelten, die ja immer dem Legalitätsprinzip verpflichtet ist. Eine Ausnahme vom Legalitätsprinzip wird von manchen, zumindest partiell, für die auswärtige Verwaltung vertreten;358 mit Öhlinger sind aber die „allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts“ sowie die völkerrechtlichen Verträge als „gesetzliche Grundlage“ iSd Art 18 Abs 1 B-VG zu qualifizieren,359 womit das Legalitätsprinzip auch für die auswärtige Verwaltung gilt. Bei den hier näher zu untersuchenden extraterritorialen Hoheitsakten im Zuge militärischer Auslandseinsätze wirkt das Legalitätsprinzip zudem über die expliziten gesetzlichen Grundlagen KSE-BVG360 und etwa das AuslEG361, die damit eine Grundrechtsbindung vermitteln können. b) Der räumliche Anwendungsbereich des StGG 1867 Das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger (StGG 1867)362 bildet – infolge bisher erfolgloser Versuche einer Grundrechtsreform in den vergangenen Jahren363 – weiterhin den Kernbestandteil des rein österreichischen Grundrechtskatalogs364. Griller, JBl 1992, 206ff. Strittig ist dabei in erster Linie seine These, dass private Rechtsetzung immer nur auf der Basis gesetzlicher Ermächtigungen stattfinden kann. 358 So Rill, Art 18 B-VG, Rz 49; vgl allgemein zur „Auswärtigen Verwaltung“ Grabenwarter, ZÖR 1995, 95ff; Hailbronner, VVDStRL 56, 7ff; Wolfrum, VVDStRL 56, 38ff; Borer, Legalitätsprinzip; Giegerich, ZaöRV 1997, 409ff; Baldus, Interventionen, in: Krieg und Frieden, 287ff sowie Biehler, Auswärtige Gewalt. 359 Öhlinger, Verfassungsrecht, Rz 114 und ders, VVDStRL 56, 95. 360 BVG über Kooperation und Solidarität bei der Entsendung von Einheiten und Einzelpersonen in das Ausland (KSE-BVG), BGBl I 1997/38. 361 BG über die Entsendung von Soldaten zur Hilfeleistung in das Ausland (Auslandseinsatzgesetz 2001 – AuslEG 2001), BGBl I 2001/55 idF BGBl I 2003/137. 362 Staatsgrundgesetz vom 21. December 1867, über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder, RGBl 1867/142. 363 So wurde, wie Öhlinger, JRP 2003, 2 anmerkt, die 1964 eingesetzte Grundrechtsreformkommission, ohne formell je aufgelöst worden zu sein, seit Juni 1993 einfach nicht mehr einberufen. 364 Dieser bildet zusammen mit der EMRK und deren (Zusatz)Protokolle den gegenwärtig geltenden österreischischen Katalog der Grund- und Menschenrechte: Für 357
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Das StGG wurde im Verfassungsausschuss des Reichsrats, dem eigentlichen Schöpfer der Dezemberverfassung 1867, in Anlehnung an die früheren Vorbilder (vor allem an den Kremsierer Verfassungsentwurf und die Märzverfassung 1849) ausgearbeitet und enthält die traditionellen, nämlich der demokratischen und liberalen Ideologie entstammenden Grund- und Freiheitsrechte, die durch das StGG über die Einsetzung eines Reichsgerichts365 erstmals als subjektive öffentliche Rechte gegenüber der vollziehenden Gewalt sichergestellt wurden.366 Infolge des Ausgleichs mit Ungarn galt die Dezemberverfassung 1867 und somit auch das StGG 1867 nur für die Staatsbürger der im Reichsrat vertetenen Königreiche und Länder, also für das Gebiet der „cisleithanischen Länder“ und somit nicht für Ungarn und das okkupierte und schließlich 1908 annektierte Bosnien und Herzegowina.367 Demgemäß legt das StGG 1867 in seiner Promulgationsklausel explizit fest: „Wirksam für Böhmen, Dalmatien, Galizien und Lodomerien mit Krakau, Oesterreich unter und ob der Enns, Salzburg, Steiermark, Kärnthen, Krain, Bukowina, Mähren, Schlesien, Tirol, Vorarlberg, Istrien, Görz, und Gradiska, dann die Stadt Triest mit ihrem Gebiete.“368 Das StGG 1867 enthält also eine klare Regelung des territorialen Anwendungsbereichs der Grundrechtsverbürgungen, woraus folgt, dass es bis zum Zerfall der Monarchie weit über die Grenzen der heutigen Republik Österreich Anwendung gefunden hat. Wenn gleich die Promulgationsklausel im Zuge der Rezeption gemäß Art 149 Abs 1 B-VG um den territorialen Bezug verkürzt369 und die österreichische Staatsbürgerschaft nicht iSv Art 1 StGG rezipiert wurde, sondern nunmehr an Art 6 B-VG einen Gesamtüberblick über das bestehende „Konglomerat“ der geltenden Grundrechtsquellen siehe Berka, Vorbemerkungen zum StGG, Rz 7 FN 7. 365 RGBl 1867/143. 366 Vgl Ulbrich, Staatsrecht, 193ff; Stourzh, Grundrechtsdemokratie, 239ff; 251ff; Brauneder, Entwicklung der modernen Grundrechte, 19ff; Berka, Medienfreiheit, 39ff; ders, Vorbemerkungen zum StGG, Rz 1f. 367 Siehe Brauneder, Gesetzgebungsgeschichte, in: Grund- und Menschenrechte in Österreich I, 285ff, 297ff. 368 Abgedruckt in Fischer/Silvestri, Verfasssungsgeschichte, 91ff; Reiter, Verfassungsentwicklung, 118. 369 Die restliche Version der Klausel lautet somit: „Mit Zustimmung beider Häuser des Reichsrathes finde Ich das nachstehende Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger zu erlassen, und anzuordnen, wie folgt:“ (vgl Lanner (Bearb), Kodex Verfassungsrecht27 (2008) 2a/1., 162).
II. Die Geltung des originär innerstaatlichen Grundrechtskatalogs
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anknüpft, kann dieser ehemals ausgedehnte Anwendungsbereich auch heute gegen eine Beschränkung der Grundrechtsbindung der österreichischen Hoheitsgewalt auf das Bundesgebiet der Republik Österreich iSv Art 3 B-VG ins Treffen geführt werden. c) Verfassungsgesetzliche Ausnahme extraterritorialer Hoheitsgewalt von der umfassenden Grundrechtsbindung aller Staatsorgane? aa) Verfassungsrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten und ihre Grenzen Wie oben dargelegt, kann von der der Bundesverfassung immanenten Grundrechtsbindung sämtlicher Hoheitsgewalt nur auf Grund einer expliziten, spezifischen und an der Gesamtänderungsschranke zu messenden Verfassungsbestimmung abgewichen werden.370 Eine solche Einschränkung der Grundrechtsbindung könnte einerseits in einer Regelung zu finden sein, die den räumlichen Geltungsbereich der Grundrechte auf das Staatsgebiet oder einen darüber hinaus gehenden begrenzten Raum reduziert. Für den originär österreichischen Grundrechtskatalog scheidet mangels einer den Anwendungsbereich festlegenden Norm eine solche Beschränkung jedenfalls aus; die umfassende Grundrechtsbindung gilt damit auch für die extraterritoriale Hoheitsgewalt, da auch durch Art 1 EMRK, selbst wenn man dieser Norm eine entsprechende Einschränkung unterstellt – was im Folgenden noch ausführlich zu untersuchen sein wird371 –, infolge der Geltung des Günstigkeitsprinzips gemäß Art 53 EMRK keine Einschränkung des Anwendungsbereichs der genuin österreichischen Grundrechte bewirkt werden kann. Andererseits könnte eine Suspendierung der Grundrechtsbindung auch in den verfassungsgesetzlichen Zulässigkeitsbestimmungen extraterritorialer Hoheitsakte vorgenommen werden.372 Untersucht man die jeweiligen Verfassungsbestimmungen wie etwa Art 9 Abs 2 Tatbestand 3 B-VG oder das KSE-BVG, muss jedoch konstatiert werden, dass dies de constitutione lata nicht der Fall ist. Für extraterritoriale Hoheitsakte im Anwendungsbereich des Unionsrechts wie et370 371 372
Siehe soeben II.B. Dazu sogleich III. Siehe zu diesen ausführlich oben 2. Kap.
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Anwendungsbereich der Grundrechte der Bundesverfassung
wa im Bereich der PJZS373 könnte eine solche Anordnung aber unter keinen Umständen eine Derogation von den stets anwendbaren Grundrechten der EU bewirken. Ungeachtet dessen muss wiederum jede Derogationsbestimmung an der Vereinbarkeit mit den Grundprinzipien der Bundesverfassung geprüft werden. In diesem Zusammenhang ist fraglich, ob etwa durch eine Bestimmung im KSE-BVG eine Suspendierung der Grundrechtsbindung entsendeter österreichischer Organe beim Auslandseinsatz zulässig wäre. Abgesehen von den gegen eine solche Regelung sprechenden rechtspolitischen Implikationen dürfte eine solche Derogation infolge des weitgehenden Regelungsbereichs aber wohl bereits die Schwelle der Baugesetzerheblichkeit erreicht haben und daher auch auf Verfassungsebene unzulässig sein. bb) Keine Einschränkung durch Art 3 Abs 1 iVm Art 49 Abs 1 B-VG Keine Beschränkung der Grundrechtsbindung bei Hoheitsakten im Ausland kann aus Art 3 Abs 1 iVm Art 49 Abs 1 B-VG gewonnen werden.374 Zwar ordnet Art 49 Abs 1 B-VG an, dass sich die Bundesgesetze, wenn nicht explizit anders bestimmt, auf das gesamte Bundesgebiet erstrecken.375 Es ist aber unzulässig, daraus iVm Art 3 B-VG eine Beschränkung des Gebots- und Sanktionsbereichs von Bundesgesetzen auf das Bundesgebiet abzuleiten.376 Eine solche Einschränkung resultiert weder aus Art 49 Abs 1 B-VG noch aus Art 3 Abs 1 B-VG, der bloß das Bundesgebiet als die Gebiete der 373 Vgl dazu näher 5. Kap IV.C.1.b) zu den Vorschriften des PolKG über den Rechtsschutz, die insb der Sicherung der Grundrechte betroffener Individuen im Ausland dienen. 374 Siehe dazu ausführlich oben 2. Kap II. 375 Art 49 Abs 1 B-VG will damit nur den Grundsatz festhalten, dass Bundesgesetze nicht nur in Teilgebieten bzw einzelnen Bundesländern gelten, sondern grundsätzlich im gesamten Staatsgebiet. 376 So aber Walter, FS Merkl, 460f; Walter/Mayer, Bundesverfassungsrecht, Rz 176; Thienel, Art 48, 49 B-VG, Rz 73; Weber, Art 3 B-VG, Rz 7; jüngst Scherhaufer, Aspekte von Auslandseinsätzen, 19; aA nur Rill, FS Hellbling, 343ff und Griller, Übertragung, 88ff; siehe auch die verfehlte Auffassung in den EBRV zum MBG, 76 BlgNR 21. GP, 39, wonach aus dem im Art 3 B-VG festgelegten „Territorialitätsprinzip“ die Geltung von Rechtsnormen nur auf dem eigenen Staatsgebiet folge, weshalb das MBG auf Auslandseinsätze des Bundesheeres nicht anzuwenden sei; dem folgend aber N. Raschauer/Wessely, Militärbefugnisgesetz, 20.
II. Die Geltung des originär innerstaatlichen Grundrechtskatalogs
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Bundesländer festlegt.377 Die Erstreckung des Gebotsbereichs bzw des Sanktionsbereichs von Rechtsnormen auf das Ausland ist somit nicht durch die österreichische Verfassung für unzulässig erklärt, sondern muss im Rahmen der sog jurisdiction to prescribe bzw jurisdiction to enforce auf ihre völkerrechtliche Zulässigkeit hin geprüft werden.378 cc) Rechtsnatur der Grundrechte als Jedermannsrechte oder Unionsbürgerrechte Gegen eine Anwendbarkeit der Grundrechte im Ausland könnte außerdem die Rechtsnatur vieler – insb der Mehrzahl der originär österreichischen – Grundrechte als Staatsbürgerrechte eingewendet und darauf hingewiesen werden, dass sich das Staatsbürgerschaftsband gerade durch die Beziehung von Menschen zum Staatsgebiet auszeichnet und gleichsam die Staatsbürger als eine territorial durch die Grenzen der Gebietskörperschaft Bund bestimmte Gruppe von Menschen versteht.379 Nicht nur, dass ein solches Staatsbürgerschaftsbild die Realität der globalisierten Gesellschaft des 21. Jahrhunderts stark verzerrt widerspiegelt, auch die Rechtsnatur der Grundrechte als überwiegend Staatsbürgerrechte ist heute nicht mehr zutreffend. Einerseits enthält bereits das StGG 1867 eine bedeutende Anzahl an Jedermannsrechten380 und selbst die Staatsbürgerrechte können Österreichern im Ausland gegenüber österreichischer Hoheitsgewalt Schutz gewähren.381 Andererseits ist aber vor allem aufzuzeigen, dass im Zuge der Gleichbehandlung von Unionsbürgern die Staatsbürgerrechte heute als Unionsbürgerrechte zu verstehen sind.382 Denn der EuGH anerkennt in seiner Judikatur ein aus der Unionsbürgerschaft in Verbindung mit dem Diskriminierungsverbot erfließendes Nur zur Illustration der Folgen einer Beschränkung des Gebotsbereichs auf das Staatsgebiet: Unterstellt man Art 3 iVm Art 49 B-VG tatsächlich einen solchen Inhalt wären zB die §§ 64 und 65 StGB verfassungswidrig. 378 Siehe dazu oben 1. Kap I.B. 379 Zum Wesen der Staatsbürgerschaft siehe Thienel, Staatsbürgerschaft I, 24ff. 380 ZB Art 11, 13 und 14 StGG, vgl Melichar, ZÖR 1966, 273ff. 381 Dies kann etwa, wie oben gezeigt wurde, in den österreichischen Vertretungsbehörden, aber etwa auch beim Auslandswahlrecht gemäß §§ 39 und 60 NRWO (vgl auch Breuer, Wahlrecht, 137ff) der Fall sein. 382 Vgl Eberhard, Staatsbürgerrechte und EU; Holoubek, FS Krejci, 913ff; Öhlinger, Verfassungsrecht, Rz 702. 377
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Anwendungsbereich der Grundrechte der Bundesverfassung
Gemeinschaftsrecht auf gleiche Inanspruchnahme aller (nationalen und unionalen) Grundrechte, auf die sich sämtliche Unionsbürger berufen können, sofern dies nur die Ausübung der Aufenthalts- und Bewegungsfreiheit erleichtern kann (was so gut wie immer zu bejahen ist).383 Darüber hinaus ist mit der Zusicherung der EMRKRechte im Verfassungsrang die Mehrzahl der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte heute ohnehin als Jedermannsrechte ausgestaltet. d) Zwischenergebnis Zusammenfassend kann daher festgehalten werden, dass die Bundesverfassung zumindest für die genuin österreichischen Grundrechte keine explizite territoriale Beschränkung des Geltungsbereichs kennt;384 darüber hinaus findet sich auch keine Verfassungsbestimmung, welche die extraterritoriale Hoheitsgewalt von der Grundrechtsbindung befreien würde. Daher ist als Zwischenergebnis zu konstatieren, dass sowohl die Gesetzgebung, wenn sie an ausländischen Sachverhalten anknüpft oder sich darauf erstreckt, als auch die vollziehende Gewalt bei der Setzung von Hoheitsakten im Ausland an die Grundrechte gebunden ist. 3. Art 1 EMRK als Determinante der extraterritorialen Anwendbarkeit der Konvention und seine Bedeutung als Bestandteil des österreichischen Grundrechtskatalogs Infolge der Zusammensetzung des österreichischen Grundrechtskatalogs aus den genuin österreichischen sowie jenen im Wege der Inkorporation der EMRK in Verfassungsrang übernommenen originär konventionsrechtlichen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten ist für eine Klärung des räumlichen Geltungsbereichs der Grundrechte die Einbeziehung von Art 1 EMRK von ganz entscheidender Bedeutung.
EuGH, Rs C-274/96, Bickel und Franz, Slg 1998, I-7637, Rz 16; Griller, Anwendungsbereich, in: Grundrechte für Europa, 140ff; ders, FS Schäffer, 216. 384 Art 1 EMRK als Determinante des Anwendungsbereichs der Konvention wird sogleich näher geprüft werden. 383
II. Die Geltung des originär innerstaatlichen Grundrechtskatalogs
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a) Die Doppelnatur der Konvention Gemäß Art II Z 7 B-VGN 1964385 hat die EMRK386 mit dem Tag ihres In-Kraft-Tretens für Österreich, dem 3. 9. 1958, – und nicht erst seit der Kundmachung der B-VGN 1964 am 6. 4. 1964 – Verfassungsrang.387 Aus der Doppelnatur der Konvention als völkerrechtlicher Vertrag und Staatsvertrag im Verfassungsrang ergeben sich aber, im Vergleich zu „klassischem“ Verfassungsrecht, zahlreiche Besonderheiten für deren Auslegung.388 Diese folgen aus dem Umstand, dass „der EMRK grundsätzlich als Verfassungsnorm jene[r] Inhalt zu unterstellen [ist], der ihr auch als internationalem Instrument zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten zukommt.“389 Folglich hat der VfGH bei der Auslegung der EMRK insb die Rechtsprechung des EGMR als dem zu ihrer Auslegung berufenen Organ und damit aber auch dessen Besonderheiten der Konventionsauslegung zu beachten.390 Gleichzeitig muss er die EMRK auch im Kontext der gesamten Verfassungsrechtsordnung bewerten,391 was sich in zwei Richtungen auswirken kann: Einerseits kann die Konvention dabei auf geregelte wie nicht geregelte Sachverhalte der „restlichen“ Bundesverfassung einwirken,392 andererseits kann BGBl 1964/59. Die authentische Klarstellung wurde notwendig, weil der VfGH zunächst den Verfassungsrang der EMRK bestritten hatte, vgl etwa VfSlg 4.049/ 1961 und zur Rechtslage bis 1964 und danach Ermacora/Nowak/Tretter, EMRK in der Rechtssprechung, 47ff. 386 BGBl 1958/210. 387 ZB VfSlg 4.706/1964; 5.100/1965. Siehe zur Stellung der EMRK im Recht der Mitgliedstaaten ausführlich Grabenwarter, EMRK, § 3, Rz 1ff; vgl auch van Dijk, FS Ermacora, 638f. 388 Zu solchen Besonderheiten der Auslegung völkerrechtlicher Verträge vgl Ress/ Schreuer, Wechselwirkungen. 389 VfSlg 11.500/1987; Partsch, Anwendung des Völkerrechts, 110; Scheuner, FS Schlochauer, 904. Dies folgt auch aus der hL in Österreich, wonach der völkerrechtliche Vertrag durch die Inkorporation nach den Art 49 und 50 B-VG inhaltlich unverändert in die Rechtsordnung übernommen wird; vgl Öhlinger, Vertrag, 127f. 390 VfSlg 11.500/1987. 391 VfSlg 11.937/1988. 392 Dies versuchte der VfGH anfangs mittels restriktiver Interpretation zurückzuhalten, hat diese Position aber längst aufgegeben; die Auswirkungen der Konvention auf die österreichische Rechtsordnung waren und sind enorm. So hat die Straßburger Judikatur etwa die heimische Grundrechtsinterpretation revolutioniert und einen Paradigmenwechsel weg von einem formellen zu einem materiellen Verständnis des Gesetzesvorbehalts ausgelöst: Eine gesetzliche Grundlage alleine kann dem385
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Anwendungsbereich der Grundrechte der Bundesverfassung
aber auch bestimmten Auslegungsergebnissen der Konvention Staatsorganisationsrecht im Verfassungsrang entgegen stehen393.394 Festzuhalten ist jedenfalls, dass die Interpretationsmethoden der Konventionsorgane die Systematik der heimischen Grundrechtsinterpretation wesentlich geprägt und verändert haben.395 b) Anknüpfung an Jurisdiktion (Hoheitsgewalt) in Art 1 EMRK Art 1 EMRK ordnet die Bindung an die in der EMRK festgeschriebenen Rechte unabhängig vom Ort der Setzung des Hoheitsaktes an und knüpft an die Ausübung staatlicher Jurisdiktion an.396 Wie im Folgenden noch zu zeigen sein wird,397 enthält deshalb auch Art 1 EMRK keine territoriale Beschränkung auf das Staatsgebiet der Vertragsstaaten (weder auf das Territorium der einzelnen Vertragsstaaten noch auf das Gebiet der Gesamtheit aller Vertragsstaaten), sondern junktimiert die Grundrechtsbindung ebenso wie die restliche Bundesverfassung mit der Ausübung von Hoheitsgewalt (Jurisdiktion) gegenüber Personen. Entscheidend für die extraterritoriale Anwendbarkeit der Konvention ist somit die Ausübung von Jurisdiktion über Personen und/ oder Vermögensgegenstände – gerade außerhalb des eigenen Staatsgebiets ist die Bestimmung derselben jedoch, nicht zuletzt auf Grund des grundsätzlichen Verbots der enforcement jurisdiction, mitunter schwierig. Es ist daher zu untersuchen, inwieweit aus der EMRK und nach einen Grundrechtseingriff nicht mehr rechtfertigen, dieser muss im öffentlichen Interesse liegen, in einer „demokratischen Gesellschaft“ notwendig und verhältnismäßig sein; vgl zB Adamovich, FS Ryssdal, 31ff; Schambeck, Theorie und Interpretation, in: Grund- und Menschenrechte in Österreich, 89ff; Korinek, Grundrechtsstandard, 72ff; Okresek, ÖIMR-Newsletter 1997, 144ff; Heller, ZÖR 1988, 111ff; Baumgartner, ZÖR 1999, 120ff; Thürer, FS Öhlinger, 289ff. 393 VfSlg 11.500/1987. 394 Es kommt zu Wechselwirkungen zwischen „normalem“ Verfassungsrecht und der EMRK als „ausgelagertem Staatsrecht“ iSv Einwirkungen und Rückwirkungen normativer Anforderungen aus verschiedenen Rechtsordnungen, nämlich der völkerrechtlichen und der staatlichen, vgl Ress/Schreuer, Wechselwirkungen, 16f. 395 Zu den Interpretationsmethoden siehe ausführlich III.A.1. 396 Die Bestimmung lautet gemäß der Übersetzung ins Deutsche im BGBl 1958/ 210: „Die Hohen Vertragschließenden Teile sichern allen ihrer Jurisdiktion unterstehenden Personen die in Abschnitt I dieser Konvention niedergelegten Rechte und Freiheiten zu.“ 397 Siehe dazu ausführlich III.
II. Die Geltung des originär innerstaatlichen Grundrechtskatalogs
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der Judikatur der Konventionsorgane Anhaltspunkte zur Konkretisierung des Jurisdiktionsbegriffs gewonnen werden können. c) Das Verhältnis von Art 1 EMRK zu den restlichen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten und die Günstigkeitsklausel gemäß Art 53 EMRK Das Abstellen sowohl der Bundesverfassung als auch der EMRK auf die Ausübung von Hoheitsgewalt lässt zwar prima facie eine Gleichförmigkeit beider Regelungsregime bei der Grundrechtsbindung außerhalb des Staatsgebiets vermuten, zwingend ist ein solches Verständnis aber insb deshalb nicht, weil der EGMR die Begriffe der Konvention autonom, das heißt losgelöst vom Verständnis der Vertragsstaaten auslegt.398 Gerade deswegen gilt es, die Bedeutung von Art 1 EMRK im Verhältnis zu den genuin österreichischen Grundrechten zu untersuchen, was nur im Kontext des Zusammenwirkens zwischen den aus der Konvention inkorporierten Grundrechten und den restlichen Verfassungsbestimmungen erfolgen kann. Ungeachtet dessen, dass es dem österreichischen Verfassungsrecht einer geschlossenen Grundrechtstheorie mangelt und es rechtstechnisch denkbar wäre, den originär innerstaatlichen Grundrechtsbestand anders zu interpretieren als die Konventionsrechte, erscheint eine Fortführung der Zersplitterung der österreichischen Grundrechte von formeller auch auf materieller Ebene im Wege einer unterschiedlichen Grundrechtsinterpretation wenig zielführend und sollte nach Möglichkeit vermieden werden.399 Auch wenn die völkerrechtliche Herkunft der Konvention entsprechende Berücksichtigung bei der Interpretation als Verfassungsrechtsquelle zu finden hat,400 dürfen die Normen der EMRK nicht isoliert, sondern müssen wie die übrigen Verfassungsbestimmungen systematisch im Kontext der gesamten Bundesverfassung ausgelegt werden.401 Gerade für eine so zentZur autonomen Auslegung des EGMR siehe sogleich III.A.1.c). Adamovich, FS Ryssdal, 33ff. 400 Vgl zur Doppelnatur der EMRK und den spezifischen konventionsrechtlichen Auslegungsregeln des EGMR sogleich III.A. 401 Der VfGH geht also von einer die EMRK inkludierenden einheitlichen Verfassungsrechtsordnung aus, die als solche auch als Ganzes einheitlich auszulegen ist: Vgl VfSlg 11.937/1988: „Für den VfGH ist die [E]MRK als innerstaatliches Verfassungsrecht Maßstab für die Beurteilung der einfachgesetzlichen Rechtslage. Dabei hat er die Bestimmungen der [E]MRK in gleicher Weise wie andere Verfassungs398 399
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Anwendungsbereich der Grundrechte der Bundesverfassung
rale Frage wie dem räumlichen Anwendungsbereich der Grundrechte erscheint eine solche systematisch-einheitliche Auslegung sowohl konventionsrechtlicher als auch originär österreichischer Grundrechte sinnvoll und wünschenswert. Nichtsdestotrotz findet der dargestellte Grundsatz jedoch gemäß Art 53 EMRK dort eine definitive Grenze, wo eine Auslegung einer Konventionsbestimmung eine Beschränkung oder Minderung genuin nationaler Grundrechte bewirken würde.402 Wenn der innerstaatliche Grundrechtskatalog gegenüber der Konvention weiter reichende Gewährleistungen enthält, kommen Verfassungsinterpretation und Konventionsauslegung bei günstigerer nationaler Regelung notwendigerweise zu unterschiedlichen Ergebnissen, die sodann keinesfalls durch eine systematische Interpretation mit der Konsequenz einer Senkung des nationalen Schutzniveaus vermengt werden dürfen. In einem solchen Fall gebietet deswegen die Günstigkeitsklausel eine Aufsplitterung der verfassungsrechtlichen Gewährleistungen.403 Für das Verhältnis des Anwendungsbereichs der Konvention zur restlichen Bundesverfassung bedeutet das: Ergibt die Auslegung von Art 1 EMRK, dass dieser die extraterritoriale Anwendbarkeit der Grundrechte restriktiver regelt als der originär österreichische Grundrechtskatalog, so darf diese Norm gemäß Art 53 EMRK nicht zur Festlegung des Geltungsbereichs der Grundrechte herangezogen werden. Analog der vergleichbaren Problematik bei der Anwendbarkeit von Art 15 EMRK gilt die Günstigkeitsklausel wiederum nur im Hinblick auf die unter Außerachtlassung der Konvention bestehende innerstaatliche Rechtslage,404 nicht für die Konvention selbst. Deren Grundrechte können nämlich nicht einmal denkmöglich Bestandteil einer günstigeren innerstaatlichen Rechtslage und somit nicht von der Suspendierung der restriktiveren Regelung erfasst sein. Im Ergebnis würde dies bedeuten, dass die extraterritoriale Anwendbarkeit der genuin innerstaatlichen Grundrechte dem dargestellten Verfassungsverständnis der inhärenten umfassenden Grundrechtsbindung normen im Kontext mit der gesamten übrigen Verfassungsrechtsordnung zu betrachten und systemgerecht auszulegen…“; zur systematischen Interpretation im österreichischen Verfassungsrecht siehe allgemein Lachmayer, FS Funk, 287ff. 402 Vgl Grabenwarter, Verfahrensgarantien, 7. 403 Zur Anwendungspraxis der Günstigkeitsklausel vgl Siess-Scherz, Art 53 EMRK. 404 Siehe oben II.B.1.c); aA Rill/Schäffer, Art 44 B-VG, Rz 43; Walter/Mayer, Bundesverfassungsrecht, Rz 1338.
III. Die Anwendbarkeit der Europäischen Menschenrechtskonvention
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sämtlicher Hoheitsgewalt folgt, während die Geltung der Konventionsrechte außerhalb des Staatsgebiets vom Regelungsinhalt von Art 1 EMRK bestimmt wird. Ob die dargestellte Hypothese des restriktiveren Anwendungsbereichs der Konvention zutrifft, bedarf aber erst einer eingehenden Untersuchung von Art 1 EMRK, welche die oben aufgestellte Vermutung der Gleichförmigkeit des Geltungsbereichs der Konventionsrechte mit den übrigen nationalen Grundrechten widerlegt. Auch wenn eine solche Widerlegung gelingt, sind im Hinblick auf die hier interessierende Anwendbarkeit der Grundrechte bei der Setzung extraterritorialer Hoheitsakte Art 1 EMRK und der Geltungsbereich der Konvention insofern von entscheidender Bedeutung und bedürfen einer eingehenden Untersuchung, als die EMRK einerseits die wesentlich umfangreicheren Grundrechtsverbürgungen enthält und andererseits im Ausland aufgrund der von ihr gewährleisteten Jedermannsrechte405 auch auf der Ebene des persönlichen Geltungsbereichs bedeutend mehr Grundrechtsberechtigten offen steht als die vorwiegend Staatsbürgerrechte zusichernden originär innerstaatlichen Grundrechte.406
III. Die Anwendbarkeit der Europäischen Menschenrechtskonvention auf extraterritoriale Hoheitsakte gemäß Art 1 EMRK Die herausragende Bedeutung der EMRK für den österreichischen Grundrechtsschutz ist insb durch deren Position im Verfassungsrang heute unbestritten. Aus diesem Grund ist daher der räum405 Vgl aber auch Art 3 1. ZPEMRK, Art 3 und Art 4 des 4. ZPEMRK sowie Art 1 und Art 5 des 7. ZPEMRK. 406 Allerdings enthält das StGG auch etliche Jedermannsrechte, wie etwa Art 9, 10, 10a, 11, 14 und 18 StGG. Auch diese können bei Auslandssachverhalten einschlägig und anwendbar sein: So können österreichische Polizisten im Zuge von Verfolgungshandlungen im Ausland das Hausrecht gemäß Art 9 StGG verletzen. Von größerer praktischer Relevanz dürfte aber eine potentielle Grundrechtsverletzung von Art 10a StGG sein, wenn österreichische Behörden drahtlose Datenübermittlungen vom Ausland ins Ausland überwachen. Wie Wiederin, Art 10a StGG, Rz 9 gezeigt hat, ist ein solcher Fall auch ohne Inlandsbezug vom Schutzbereich des Art 10a StGG erfasst und es liegt ein Eingriff vor, der einer Rechtfertigung nach Art 10a Abs 2 StGG bedarf.
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Anwendungsbereich der Grundrechte der Bundesverfassung
liche Anwendungsbereich der Konvention, der im Wesentlichen durch Art 1 EMRK determiniert wird, genauer zu untersuchen. Im Anschluss wird daher der Regelungsinhalt von Art 1 EMRK aufbauend auf der Darstellung der einschlägigen Rechtsprechung der Konventionsorgane sowie zentraler Stellungnahmen des juristischen Schrifttums einer ausführlichen Analyse im Hinblick auf seine Aussagen zum extraterritorialen Geltungsbereich der EMRK unterzogen werden. Zur Auslegung von Art 1 EMRK müssen insb die konventionsspezifischen Auslegungsmethoden, welche EKMR und EGMR über fünf Jahrzehnte hinweg angewandt und geprägt haben, herangezogen werden, weshalb sie zuerst im Rahmen des folgenden Überblicks über wesentliche Grundlagen der Anwendung der Konvention zu skizzieren sind.
A. Grundlagen der Konventionsanwendung 1. Die Auslegung der EMRK Im Ergebnis dürfen die Konventionsrechte somit nicht nach den klassischen Methoden der österreichischen Verfassungsinterpretation,407 sondern müssen nach den Besonderheiten der Konventionsinterpretation des EGMR ausgelegt werden. Im Folgenden sollen die wichtigsten dieser Besonderheiten dargestellt werden. a) Völkervertragsrechtliche Auslegungsregeln Ausgehend von ihrer völkerrechtlichen Natur sind auf die Konvention die in den Art 31 – 33 WVK408 kodifizierten Grundsätze der Auslegung völkerrechtlicher Verträge anzuwenden;409 dies hält der 407 Vgl insb Schäffer, Verfassungsinterpretation; Öhlinger, JBl 1971, 284ff; Korinek, FS Walter, 363ff; Potacs, Auslegung; Holoubek, in: Grund- und Menschenrechte in Österreich I, 43ff; Hiesel, ZfRV 2000, 53ff. 408 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. 5. 1969 (Wiener Vertragsrechtskonvention), 1155 UNTS 331. 409 Vgl etwa Sinclair, Vienna Convention, 119ff; McNair, Law of Treaties, 364ff; Yasseen, RdC 1976 III, 9ff; Bernhardt, Auslegung; ders, Interpretation, in: EPIL II, 1419ff; ders, GYIL 1999, 13ff; Hilf, Auslegung, 85ff; Aust, Modern Treaty Law, 187ff; Kearney/Dalton, AJIL 1970, 518ff; Schreuer, BYIL 1971, 255ff; Köck, Vertragsinterpretation, 77ff; ders, ZÖR 1998, 217ff; Brownlie, Principles, 602ff; Verdross/Simma, Völkerrecht, § 774ff; Zemanek, Völkervertragsrecht, in: Handbuch,
III. Die Anwendbarkeit der Europäischen Menschenrechtskonvention
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EGMR in ständiger Rechtsprechung fest.410 Demnach sind gemäß Art 31 Abs 1 WVK Vertragsbestimmungen nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte ihres Zieles und Zweckes auszulegen. Nur subsidiär sind nach Art 32 WVK die travaux préparatoires 411 heranzuziehen und zwar dort, wo eine Auslegung gemäß Art 31 WVK entweder die Bedeutung mehrdeutig oder dunkel lässt oder zu einem offensichtlich sinnwidrigen oder unvernünftigen Ergebnis führt bzw auch um eine nach Art 31 WVK erfolgte Auslegung zu bestätigen.412 Im Ergebnis huldigt Art 31 WVK einer objektiven Auslegungsmethode, die den Vertragstext in seinem Zusammenhang (Kontext)413 interpretiert und dem Ziel und Zweck des Vertrags besondere Bedeutung beimisst.414 Dabei ist auch die Präambel zu einem Vertrag von besonderer Bedeutung: Sie ist – ebenso wie Annexe zum Vertrag – Bestandteil des Vertragstexts und insb zur oftmals diffizilen Feststellung von Ziel und Zweck (object and purpose) des Vertrags heranzuziehen.415 Rz 326ff; Doehring, Völkerrecht, Rz 387ff; speziell zu Menschenrechtsverträgen Orakhelashvili, EJIL 2003, 535ff. 410 Noch vor dem Inkrafttreten der WVK hat der EGMR, Urteil v 21. 2. 1975, Golder gegen Vereinigtes Königreich, Serie A-18, § 29 die Art 31 – 33 WVK bereits als „generally accepted principles of international law“ zur Auslegung von Art 6 Abs 1 EMRK herangezogen, vgl Ohms, Art 32 EMRK, Rz 6. 411 Dazu gehören alle amtlichen Erklärungen und Verhandlungen, die dem endgültigen Vertragsabschluss vorausgehen und den späteren Abschluss und Inhalt des konkreten Vertrages erkennbar zum Gegenstand haben, vgl Bernhardt, Auslegung, 110 und Yasseen, RdC 1976 III, 83f. 412 Vgl nur Verdross/Simma, Völkerrecht, § 779; Ipsen, Völkerrecht, 145. Zweck der Regelung ist es, vor allem jene Staaten zu schützen, die einem multilateralen Vertrag erst (lange) nach seinem Abschluss beitreten; es soll ihnen erspart bleiben, sich über die Entstehungsgeschichte des Vertrags abschließend informieren zu müssen. 413 Vgl Art 31 Abs 2 sowie zur authentischen Interpretation Art 31 Abs 4 WVK. Neben dem Zusammenhang sind gemäß Art 31 Abs 3 WVK in gleicher Weise auch jede spätere Übereinkunft der Vertragsparteien über die Auslegung des Vertrags oder die Anwendung seiner Bestimmungen, jede spätere Übung bei der Anwendung des Vertrags, aus der die Übereinstimmung der Vertragsparteien über seine Auslegung hervorgeht sowie jeder in den Beziehungen zwischen den Parteien anwendbare einschlägige Völkerrechtssatz zu berücksichtigen. 414 Verdross/Simma, Völkerrecht, § 776f. 415 IGH, Rechtsgutachten vom 28. 5. 1951, Vorbehalte zur Konvention über die Verhinderung und Bestrafung des Verbrechens des Völkermords, ICJ Reports 1951,
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Anwendungsbereich der Grundrechte der Bundesverfassung
Im Ergebnis ist festzuhalten, dass ausgehend vom gewöhnlichen Wortlaut einer Bestimmung, der den Startpunkt jeder Auslegung darstellt, die systematische und teleologische Interpretation gegenüber der historischen Interpretation Vorrang haben.416 Von Bedeutung ist auch, dass bei der Kodifikation der Interpretationsmethoden bestimmte bis dahin in der Praxis der Gerichte angewandte Auslegungsregeln keine Berücksichtigung gefunden haben: Dazu zählen die „in dubio mitius“-Regel, welcher zufolge Einschränkungen der staatlichen Souveränität im Zweifel restriktiv zu interpretieren sind, der Grundsatz des „effet utile“ (ut res magis valeat quam pereat) 417, der besagt, dass eine Auslegung einen Vertrag nicht seiner vollen Wirksamkeit berauben darf sowie außerdem die „implied powers“-Regel, nach der Internationale Organisationen auch nicht expressis verbis eingeräumte, aber zur Erreichung des Organisationszwecks notwendige und nicht ausgeschlossene Mittel einsetzen dürfen.418 Außerdem enthält Art 33 WVK eine Auslegungsregel für Verträge mit zwei oder mehr authentischen Sprachen, die gleichermaßen verbindlich sind. Probleme ergeben sich bei Unterschieden zwischen den Sprachfassungen: Kann kein gemeinsamer Sinn ermittelt werden, ist der Bestimmung diejenige Bedeutung zu Grunde zu legen, die im Hinblick auf Ziel und Zweck des Vertrags die Wortlaute am besten miteinander in Einklang bringt.419 23; Yasseen, RdC 1976 III, 55ff; Klabbers, FYIL 1997, 155f; Buffard/Zemanek, ARIEL 1998, 332. Schwierigkeiten kann oftmals die von Art 31 und 32 WVK vorgenommene strikte Unterscheidung zwischen Ziel und Zweck eines Vertrags und dem in den travaux préparatoires ersichtlichen Parteiwillen sein, da insofern ein Konnex bestehen kann, als der Parteiwille sich im Ziel und Zweck des Vertrags manifestiert, vgl Köck, ZÖR 1998, 224f. 416 Dies entspricht auch dem Völkergewohnheitsrecht, vgl Bernhardt, Interpretation, in: EPIL II, 1421. 417 Vgl dazu Yasseen, RdC 1976 III, 71ff, demzufolge Art 31 WVK aber das „effet utile“-Prinzip impliziert. 418 Verdross/Simma, Völkerrecht, § 780; Daillier/Pellet, Droit International Public, § 390. 419 Art 33 Abs 4 WVK; Hilf, Auslegung, 101f. Ein Beispiel für eine Divergenz betrifft die Präambel zur GRC: Zur Lösung des Konflikts über die Verankerung des geistig-religiösen Erbes enthalten nun die deutsche und die polnische Version anders als die übrigen Sprachfassungen die Bezugnahme auf das religiöse Erbe Europas.
III. Die Anwendbarkeit der Europäischen Menschenrechtskonvention
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b) Exkurs: Differenzierung zwischen gegenseitigen und rechtsetzenden Verträgen Strittig ist, ob die Auslegungsregeln einheitlich für alle völkerrechtlichen Verträge gelten sollen oder ob nach Rechtsnatur des Vertrags zwischen sog law-making treaties (traités-lois; rechtsetzende Verträge) und anderen Verträgen mit bloß reziproken Verpflichtungen (traités-contrats; gegenseitige Verträge) differenziert werden soll. Während der gegenseitige Vertrag regelmäßig einen Leistungsaustausch zum Gegenstand hat (do ut des), soll der rechtsetzende Vertrag ein gemeinsames Verhalten der Vertragsparteien sichern.420 Die Frage wird zu Recht häufig dahingehend gelöst, dass die Relevanz von Ziel und Zweck eines Vertrags ausreichend Flexibilität gewährleistet, um zu unterschiedlichen Auslegungen zu gelangen, diese aber mit dem grundsätzlich gleichen „Set“ an Auslegungsmethoden erreicht werden können.421 Dem ist beizupflichten, auch deshalb, weil viele Verträge keine klare Zuordnung zu den Kategorien ermöglichen und sowohl Elemente von rechtsetzenden als auch gegenseitigen Verträgen aufweisen.422, 423 420 Vgl die Differenzierung des IGH im Rechtsgutachten vom 28. 5. 1951, Vorbehalte zur Konvention über die Verhinderung und Bestrafung des Verbrechens des Völkermords, ICJ Reports 1951, 23, wonach in der Genocide Convention „… the contracting states do not have any interests of their own; they merely have, one and all, a common interest, namely, the accomplishment of those high purposes which are the raison d’être of the convention. Consequently, in a convention of this type one cannot speak of individual advantages or disadvantages of states, or of the maintenance of a perfect contractual balance between rights and duties.” Vgl auch Doehring, Völkerrecht, Rz 329. Dazu und zur Natur von Menschenrechtsverträgen McNair, BYIL 1930, 112ff; Provost, BYIL 1994, 383ff; Vierdag, NYIL 1994, 119ff; vgl auch Köck, ZÖR 1998, 222f, 226f, der die Unterscheidung mit jener der innerstaatlichen zwischen Gesetzen und Rechtsgeschäften vergleicht. 421 Bernhardt, Interpretation, in: EPIL II, 1421; McNair, Law of Treaties, 366; aA Wolfrum/Matz, Conflicts in International Environmental Law, 131f. Köck, ZÖR 1998, 226f gibt zu Bedenken, ob nicht die entscheidende Unterscheidung jene zwischen bi- und multilateralen Verträgen sein soll, da bei ersteren eine Ermittlung des Parteiwillens möglich, bei letzteren, insb bei vielen Vertragsstaaten, faktisch nur schwer durchzuführen ist. 422 So Verdross/Simma, Völkerrecht, § 537, welche meinen, dass die meisten völkerrechtlichen Verträge beide Elemente enthalten. Dies ist zB beim GATT der Fall, das einerseits auf Gegenseitigkeit beruht, andererseits aber darüber hinaus auch das gemeinsame Ziel der Liberalisierung des Welthandels als rechtsetzendes Element aufweist.
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Anwendungsbereich der Grundrechte der Bundesverfassung
Bei der EMRK ist grundsätzlich von einer Doppelnatur auszugehen, da die Einhaltung der Menschenrechte jedem Vertragsstaat geschuldet wird und via Staatenbeschwerde durchgesetzt werden kann. Gleichzeitig ist die Konvention im besonderen Maße ein rechtsetzender Vertrag, da sie objektive Verpflichtungen schaffend, den europäischen „ordre public“ zum Ausdruck bringt.424 Die EMRK erzeugt oberhalb des Systems gegenseitiger bilateraler Verpflichtungen auch objektive Pflichten,425 die mittels Individualbeschwerde vor einem Gerichtshof durchsetzbar sind.426 Daraus folgt ein Überwiegen des rechtsetzenden Elements der EMRK, die damit in erster Linie als „law making treaty“ zu verstehen ist.427 Im Ergebnis gelten die Auslegungsregeln mutatis mutandis für alle völkerrechtlichen Verträge, egal ob bi- oder multilaterale Abkommen mit oder ohne reziproken Verpflichtungen. Dies hat zur Folge, dass die Interpretationsregeln nicht starr, sondern den konkreten Eigenheiten eines Vertrags gebührend Rechnung tragend, differenziert anzuwenden sind. Nun weisen, wie gerade an Hand der EMRK gezeigt, besonders die Verträge zum Schutz der Menschenrechte Besonderheiten auf, da in ihnen die Gegenseitigkeit teilweise bzw fast gänzlich zurücktritt.428 Die sich daraus ergebenden Konsequenzen haben auch die Auslegungsmethoden des EGMR beeinflusst, die sich zwar an Art 31 – 33 WVK orientieren, jedoch spezifische Charakteristika aufweisen, die im Folgenden darzustellen sind. 423 Dagegen lässt sich aber wiederum einwenden, man könne durch ein Abstellen auf das „Überwiegen“ eines der beiden Elemente Abhilfe schaffen. Dagegen spricht aber, dass eine exakte Einteilung in eine der beiden Kategorien und damit verbunden die Wahl bestimmter Auslegungsmethoden (unter Vernachlässigung anderer) der Doppelnatur nicht ausreichend Rechnung trägt und gewisse Eigentümlichkeiten eines Vertrags unberücksichtigt lassen könnte. Eine flexible Anwendung der WVKRegeln soll dies hingegen gewährleisten. 424 EKMR, Entscheidung v 11. 1. 1961, Österreich gegen Italien, Yb 4, 140; Orakhelashvili, EJIL 2003, 531f. 425 EGMR, Urteil v 18. 1. 1978, Irland gegen Vereinigtes Königreich, Serie A-25, Rz 239 (= EuGRZ 1979, 159). 426 Seit dem 11. ZPEMRK, das am 1. 11. 1998 in Kraft getreten ist; BGBl III 1998/30. 427 So auch Grabenwarter, EMRK, § 2, Rz 1. 428 Verdross/Simma, Völkerrecht, § 754, 782. Dies gilt auch für Verträge im Bereich des Umweltvölkerrechts, vgl Wolfrum/Matz, Conflicts in International Environmental Law, 131f.
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c) Konventionsspezifische Auslegungspraxis Vorweg ist klarzustellen, dass bei der Konventionsauslegung nicht immer einheitlich vorgegangen wird: Zum Teil variiert die Systembildung der EGMR-Methoden beachtlich; zum Kernbestand werden in der Regel die evolutive (bzw dynamische) Interpretation, die autonome Interpretation, die rechtsvergleichende Interpretation und die Interpretation im Lichte des „effet utile“ genannt.429 Auf der Basis der WVK wird im Folgenden zwischen Wortlautinterpretation, systematischer, teleologischer sowie historischer Interpretation differenziert; mit Grabenwarter sind die Besonderheiten der Auslegung (wie zB „effet utile“) als Nuancierung einer der primären Auslegungsmethoden anzusehen;430 dazu kommt mit Bezug auf völkerrechtliche Verträge und sonstiges Völkerrecht die Rechtsvergleichung als eigene Kategorie, die hilfsweise (subsidiär) herangezogen werden kann. aa) Wortlautinterpretation Auf die übliche Bedeutung des Wortlauts (plain, ordinary meaning) hat sich der EGMR wiederholt berufen.431 Zu Schwierigkeiten kommt es immer wieder auf Grund der Sprachfassungen der Konvention: Die Schlussklausel der EMRK stellt klar, dass die Konvention in englischer und französischer Sprache in gleicher Weise authentisch ist. Auch aus dem Grundsatz, dass völkerrechtliche Verträge als solche in das innerstaatliche Recht inkorporiert werden und somit in ihrer völkerrechtlichen Natur zu interpretieren sind, folgt, dass die EMRK in englischer und französischer Sprache, nicht aber in der deutschen Übersetzung im BGBl 1958/210 (samt den späte429 Siehe zB Matscher, Methods of Interpretation, 68ff; van Dijk/van Hoof, Theory and Practice, 74ff; Harris/O’Boyle/Warbrick, Law of the ECHR, 5ff; Scheuner, FS Schlochauer, 917ff. Daneben werden das Verhältnismäßigkeitsprinzip, der „margin of appreciation“ bzw die Drittwirkung genannt; dabei handelt es sich um keine Auslegungsmethoden im strengen Sinn, sondern um Grundsätze bei der Anwendung der Konvention. 430 Grabenwarter, Verfahrensgarantien, 11ff; ähnlich Jacobs/White, European Convention, 27ff. 431 ZB hat der EGMR, Urteil vom 18. 12. 1986, Johnston gegen Irland, Serie A112, Rz 51f unter Bezugnahme auf Art 31 Abs 1 WVK den Schluss gezogen, dass aus den Wörtern „right to marry“ in Art 12 EMRK kein „right to divorce“ abzuleiten ist; vgl dazu Lawson/Schermers, Leading Cases of the ECHR, 217.
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ren Änderungen bzw Protokollen)432, Bestandteil des österreichischen Rechts geworden ist und dass daher auch innerstaatlich nur die englische und französische Fassung Grundlage der Auslegung sein dürfen.433 Weicht der Wortlaut in den beiden authentischen Fassungen von einander ab und ergeben sich daraus unterschiedliche Auslegungsergebnisse, kommt Art 33 Abs 4 WVK zur Anwendung.434 bb) Systematische Interpretation Neben der internen Systematik, welche die Position der Konventionsrechte im Kontext mit der Präambel oder den Zusatzprotokollen betrifft,435 bezieht sich die systematische Interpretation auch auf das engere Regelungsumfeld der Konvention, das von den nationalen Rechtsordnungen als Referenzgebiet(e) geprägt ist.436 Dieser Zusammenhang zwischen der Konvention und den nationalen Rechtsordnungen zeigt sich etwa bei den materiellen Gesetzesvorbehalten. Das Verhältnis zwischen EMRK und den nationalen Rechtsordnungen ist in der Judikatur durch eine Dichotomie von der „autonomen Für eine Gesamtübersicht siehe Lanner (Bearb), Kodex Verfassungsrecht27 (2008) 2b/1. 179. 433 Dies folgt, wie Schäffer, JBl 1965, 504, FN 14 zutreffend bemerkt, aber schon daraus, dass ja die deutsche Übersetzung der EMRK auch die Schlussklausel mit dem Verweis auf die authentischen Fassungen enthält. Vgl VfSlg 1405/1931; 5.100/ 1965; anders VfSlg 60/1920; Neisser/Welan, ÖJZ 1968, 93; Öhlinger, Vertrag, 327. 434 Siehe Hilf, Auslegung, 101ff; Ohms, Art 32 EMRK, Rz 7. 435 Die systematische Interpretation unterstrich der EGMR in Golder/Vereinigtes Königreich, Urteil vom 21. 2. 1975, Serie A-18, Rz 30: „In the way in which it is presented in the „general rule“ in Article 31 of the Vienna Convention, the process of interpretation of a treaty is a unity, a single combined operation; this rule, closely integrated, places on the same footing the various elements enumerated in the four paragraphs of the Article.” 436 Dagegen bezieht sich das weite Regelungsumfeld auf die Stellung der Konvention in der gesamten Völkerrechtsordnung, insb im Bereich der internationalen Menschenrechtsinstrumente bzw des Völkergewohnheitsrechts. Dieses weite Umfeld kann nicht mehr Referenzgebiet einer systematischen Interpretation sein, da sowohl sachlich (zB Gegenstand einer Konvention) bzw personell (zB Vertragsstaaten einer Konvention) oftmals ein zu geringer oder gar kein Zusammenhang bzw Anknüpfungspunkt besteht. Die durch Rechtsvergleichung in diesem Regelungsumfeld gewonnenen Erkenntnisse sind daher nicht solche einer systematischen Interpretation, sondern solche der Rechtsvergleichung als eigener Auslegungsmethode (dazu unten bei ee)); aA Grabenwarter, Verfahrensgarantien, 22ff; ders, EMRK, § 5, Rz 8ff. 432
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Interpretation“ und Rechtsvergleichung innerhalb der Vertragsstaaten determiniert.437, 438 Zur Auslegung von Konventionsbegriffen ist der EGMR zwar im Wege der sog „wertenden Rechtsvergleichung“ gehalten, die Rechtssysteme der Vertragsstaaten zu berücksichtigen (Ermittlung des „gemeinsamen Nenners“), dabei betont er aber ständig, dass die Konventionsbegriffe unabhängig von den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten autonom zu verstehen sind.439 cc) Teleologische Interpretation Der besondere Stellenwert der teleologischen Interpretation folgt aus der Rechtsnatur der EMRK als law-making treaty. Während bei gegenseitigen Verträgen dem Willen der Vertragsstaaten im Zeitpunkt des Abschlusses größere Bedeutung zukommt,440 geht es bei rechtsetzenden Verträgen nicht um einen gegenseitigen Austausch von Leistungspflichten, sondern um die Erzielung eines hohen Schutzniveaus, das den Menschen sämtlicher (Vertrags)Staaten zu Gute kommt.441 Es ist daher bei solchen Verträgen nicht nötig, die Pflich437 Siehe etwa Matscher, Methods of Interpretation, 70ff; Wildhaber, FS Ress, 1101ff; van Dijk/van Hoof, Theory and Practice, 77; Grabenwarter, Verfahrensgarantien, 19ff; Ganshof van der Meersch, FS Wiarda, 201ff. 438 Zur EMRK als Grundlage eines europäischen Grundrechtsstandards und den Wechselbezüglichkeiten zwischen diesem und den nationalen Grundrechtsordnungen vgl Korinek, Grundrechtsstandard, 72ff, 79ff. 439 Scheuner, FS Schlochauer, 923: „Die Begriffe der Konvention werden nicht aus einer Vergleichung der beteiligten Rechtsordnungen heraus interpretiert, sondern autonom entwickelt und können daher in einem weiteren Sinne ausgelegt werden.“ Paradigmatisch für eine Anwendung der autonomen Interpretation ist die Auslegung des Begriffes der „civil rights“ in Art 6 Abs 1 EMRK, vgl zB EGMR, Urteil v 16. 7. 1971, Ringeisen gegen Österreich, Serie A-13, Rz 94ff sowie EGMR, Urteil v 22. 10. 1984, Sramek gegen Österreich, Serie A-84, Rz 37ff; vgl dazu statt aller Grabenwarter, Verfahrensgarantien, 36ff. 440 Schließlich legen die Vertragsparteien dabei gegenseitige Leistungspflichten fest, die in der Regel präziser formuliert werden können und wo die Absicht der Parteien zumeist einfacher zu erkennen sein wird. Auch im Zivilrecht steht der wahre Parteiwille bei der Vertragsauslegung im Vordergrund. Selbst das Staatenbeschwerdeverfahren nach Art 33 EMRK beruht überwiegend auf objektiven anstatt gegenseitigen Verpflichtungen der Vertragsparteien, vgl Frowein, FS Schlochauer, 300. 441 Bernhardt, FS Wiarda, 66 zur Natur von human rights treaties: „They are not concerned with the mutual relations and the exchange of benefits between sovereign States. Instead, they proclaim solemn principles for the humane treatment of the inhabitants of the participating States.”
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ten auf das im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses eingegangene Ausmaß einschränkend zu interpretieren, da es sich um alle Staaten im gleichen Umfang treffende Pflichten handelt, die im gegenseitigen Interesse liegen, weil sie dem Schutz sämtlicher den Vertragsstaaten unterstehender Personen dienen und deshalb auch den Bedürfnissen der Zeit angepasst, weiterentwickelt und extensiver verstanden werden müssen.442 Diese Interdependenz zwischen der Rechtsnatur des völkerrechtlichen Vertrags und der Gewichtung der Auslegungsmethoden anerkennend, gibt der EGMR unter Bezugnahme auf Ziel und Zweck der Konvention der objektiven Auslegung den Vorzug.443 Diese objektiv-teleologische Interpretation hat zeitgemäß zu erfolgen, der Gerichtshof verlangt, dass die Konvention als „living instrument“ im Lichte von „present-day conditions“ ausgelegt wird.444 So darf die Verhältnismäßigkeitsprüfung bei materiellen Gesetzesvorbehalten nicht an in der Vergangenheit gelegenen Bedingungen anknüpfen; was „notwendig in einer demokratischen Gesellschaft“ ist, hat vielmehr an den gegenwärtigen Wertauffassungen anzuknüpfen.445 Von der Literatur wird diese Auslegungspraxis als „evolutive Interpreta442 Aus diesem Grund verwenden rechtsetzende Verträge in der Regel auch allgemeine, den sich wandelnden Umständen anpassbare Bestimmungen, während in gegenseitigen Verträgen die Rechte und Pflichten konkreter gefasst sind. Ähnlich die EKMR im Bericht zu Golder/Vereinigtes Königreich, Serie B-16, 40: „The overriding function of this Convention is to protect the rights of the individual and not to lay down as between States mutual obligations which are to be restrictively interpreted having regard to the sovereignty of these States...”. 443 Deutlich zB Urteil v 11. 1. 1961, Österreich gegen Italien, Appl. 788/60, Yb 1962, 140, wo der Gerichtshof festhält, dass „the obligations undertaken by the High Contracting Parties in the Convention are essentially of an objective character, being designed rather to protect the fundamental rights of individual human beings from infringement by any of the High Contracting Parties themselves.“ Vgl Urteil v 21. 2. 1975, Golder/Vereinigtes Königreich, Serie A-18, Rz 26ff, 36; Bernhardt, FS Wiarda, 68ff; Jacobs/White, European Convention, 29f; Ohms, Art 32 EMRK, Rz 7. 444 Dazu EGMR, Urteil v 25. 4. 1978, Tyrer gegen Vereinigtes Königreich, Serie A-26, Rz 31. Vgl Bernhardt, FS Wiarda, 69f; ders, Spiegel der Zeit, in: Internationale Gerichtshöfe, 31f; Ohms, Art 32 EMRK, Rz 7; Matscher, Methods of Interpretation, 68ff; Merrills, Development of international law, 78ff; Harris/O’Boyle/ Warbrick, Law of the ECHR, 7ff. 445 Vgl Grabenwarter, Verfahrensgarantien, 27.
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tion“446 bezeichnet, dies allerdings nicht ganz korrekt, denn wie Grabenwarter zu Recht betont, handelt es sich in solchen Konstellationen um keine Weiterentwicklung von Begriffen der EMRK, sondern um eine Einbeziehung außerrechtliche Elemente, auf die in den Gesetzesvorbehalten häufig verwiesen wird.447 Die Anknüpfung an sich wandelnde gesellschaftliche oder sonstige Umstände wird manchmal auch zu Unrecht mit der Legitimation einer derart evolutiven Interpretation durch Art 31 Abs 3 lit b) WVK vermengt, wonach jede spätere Übung bei der Anwendung des Vertrags heranzuziehen ist, sofern daraus eine Übereinstimmung der Vertragsstaaten über die Auslegung des Vertrags hervorgeht.448 Diese Bestimmung der WVK ist aber auf die EMRK mit einem eigenen zur Überwachung der Konventionsbestimmungen eingesetzten Gerichtshof nur restriktiv anzuwenden, da ansonsten die Vertragsstaaten durch eine solche spätere Übung die Auslegung der Konvention durch den EGMR torpedieren könnten;449 eine Änderung der Konventionsrechte steht ihnen vielmehr nicht durch eine gemeinsame Praxis, sondern ausschließlich im Wege eines Vertragsänderungsverfahrens offen.450 Der teleologischen Auslegung entspringt ferner der Grundsatz des „effet utile“:451 Sinn und Zweck der Konvention sei nämlich bloß die Sicherung effektiver und nicht illusorischer und theoretischer Rechte;452 Im Zweifel ist demnach eine Bestimmung der Konvention 446 Siehe zB Bernhardt, GYIL 1999, 17ff mit zahlreichen Hinweisen auf die Judikatur des EGMR. Eine solche Interpretationsmethode soll insbesondere im 3. Erwägungsgrund der Präambel niedergelegt sein, der auf die „Entwicklung der Menschenrechte und Grundfreiheiten“ [Hervorhebung von mir] verweist. 447 Grabenwarter, Verfahrensgarantien, 26f; Rill, FS Winkler, 13 bezeichnet dies als Auslegung „im Lichte der sich wandelnden sozialen Gegebenheiten und politischen Einstellungen“; vgl auch Korinek, FS Walter, 375. 448 Siehe dazu Sinclair, Vienna Convention, 135ff; Merrills, Development of international law, 81ff. 449 Vgl Orakhelashvili, EJIL 2003, 535. 450 Zutreffend Grabenwarter, Verfahrensgarantien, 33. 451 Wie oben bei III.A.1.a) gezeigt, fand dieser auch als Prinzip ut res magis valeat quam pereat bezeichnete Grundsatz allerdings in der WVK keinen (expliziten) Niederschlag; vgl Guiéterrez Posse, ZÖR 1972, 229ff; für eine implizite Verankerung in Art 31 WVK aber Yasseen, RdC 1976 III, 71ff. 452 Siehe EGMR, Urteil v 23. 7. 1968, Belgischer Sprachenfall, Serie A-6, Rz 3f; Urteil v 13. 6. 1979, Marckx gegen Belgien, Serie A-31, Rz 31; vgl zB van Dijk/ van Hoof, Theory and Practice, 74ff; Ohms, Art 32 EMRK, Rz 9.
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so auszulegen, dass ihr ein Anwendungsbereich zukommt und dass sie nicht sinnlos ist. dd) Historische Interpretation Wie erwähnt kommt die historische Interpretation gemäß Art 32 WVK nur subsidiär zur Anwendung.453 Grund dafür ist insb die zT erschwerte Zugänglichkeit der travaux préparatoires für – wie es gerade bei multilateralen Verträgen oftmals der Fall ist – später beitretende Staaten. Mangelt es einer solchen Zugänglichkeit, dann ist der in den travaux préparatoires zum Ausdruck kommende Wille der Gründungsmitglieder eines völkerrechtlichen Vertrags für später beitretende Staaten nicht verbindlich; im umgekehrten Fall können die Vorarbeiten zur Auslegung herangezogen werden, allerdings ist selbst dann deren Bedeutung in der Regel gering.454 Diese Auffassung vertritt auch der EGMR und gibt der objektiv-teleologischen Interpretation gegenüber der subjektiven Auslegung den Vorzug.455 ee) Exkurs: Rechtsvergleichung als eigene Auslegungsmethode? Die Rechtsvergleichung ist nicht nur innerhalb des Konventionsraums mit Bezug auf die nationalen Rechtsordnungen von Bedeutung,456 sondern auch darüber hinaus durch Einbeziehung anderer völkerrechtlicher Verträge.457 In der Judikatur der Konventionsorgane wird diese nicht-mitgliedstaatliche Rechtsvergleichung sehr häufig als Auslegungsmethode herangezogen;458 Im (staatsrechtlichen) Schrifttum ist die Rechtsvergleichung als Auslegungsmethode umstritten:459 Trotz der Erkenntnisse, die der Verfassungsvergleichung Siehe oben III.A.1.a). Bernhardt, Auslegung, 117f; Grabenwarter, Verfahrensgarantien, 13f. 455 Vgl zB EGMR, Urteil v 30. 6. 1993, Sigurjonsson gegen Island, Serie A-264, Rz 35; siehe oben cc). 456 Siehe oben im Rahmen der systematischen Interpretation bei bb). 457 Matscher, FS Mosler, 553. 458 Siehe jeweils mit Judikaturnachweisen Matscher, FS Mosler, 553ff; ders, Methods of Interpretation, 74f. 459 Obwohl es bereits im 19. Jahrhundert öffentlich-rechtliche Rechtsvergleichung gegeben hat, war diese im Staatsrecht lange Zeit im Dornröschenschlaf; seit einiger Zeit fordert insb Häberle, dass Verfassungsvergleichung als „fünfte Auslegungsmethode“ zum Auslegungskanon von Friedrich Carl von Savigny auch im öffentlichen Recht hinzutritt; vgl Wieser/Kante, ZÖR 2002, 251ff; Bernhardt, ZaöRV 1964, 431; 453 454
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immanent sind, müssen auch die Chancen und Gefahren der Rechtsvergleichung bedacht werden. So wenden manche Autoren ein, dass es zB fremden Verfassungsrechtsordnungen an der demokratischen Legitimation fehlt und dass häufig dem sozio-historischen sowie politischen Hintergrund der fremden Rechtsordnung zu wenig Rechnung getragen wird.460 Dagegen kommt der Rechtsvergleichung im Völkerrecht bei der Etablierung einer Norm als Völkergewohnheitsrecht und bei der Feststellung der „von den zivilisierten Staaten anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze“461 gemäß Art 38 Abs 1 lit c) IGH-Statut eine bedeutende Rolle zu. Die EMRK ist nach den Grundsätzen der Art 31 – 33 WVK auszulegen, welche die Rechtsvergleichung nicht explizit als Auslegungsregel anführen; indirekt kann diese aber gemäß Art 31 Abs 3 lit c) WVK Wirkung entfalten; demnach ist bei der Auslegung außer dem Zusammenhang in gleicher Weise jeder zwischen den Vertragsparteien anwendbare einschlägige Völkerrechtssatz zu berücksichtigen.462 Art 31 Abs 3 lit c) WVK limitiert die Berücksichtigung aber auf Verträge, welche die Konventionsstaaten ratifiziert haben und scheint auf bilaterale Beziehungen zugeschnitten. Nichtsdestotrotz ist seine Bedeutung im Namibia-Fall unterstrichen worden, wo der IGH konstatierte: „Moreover, an international instrument has to be interpreted and applied within the framework of the entire legal system prevailing at the time of interpretation.“463 Dabei unterstrich der IGH also die Bedeutung der Rechtsvergleichung im Rahmen einer systematischen Gesamtbetrachtung der gesamten Völkerrechtsordnung.464 Ähnlich hielt der EGMR im Fall Loizidou fest, dass die Grundsätze der Konvention nicht in einem Vakuum interpretiert und angewendet werden können, sondern bei Starck, JZ 1997, 1022; Sommermann, DÖV 1999, 1018; Häberle, JZ 1989, 917; ders, Europäische Verfassungslehre, 250ff. 460 Vgl etwa Posner, Legal Affairs 2004. 461 Siehe dazu zB Rotter, Rechtsgrundsätze, in: Handbuch, Rz 430ff. 462 Vgl Sinclair, Vienna Convention, 139f; Orakhelashvili, EJIL 2003, 536f. 463 IGH, Gutachten vom 21. 6. 1971 über die Rechtlichen Konsequenzen der fortgesetzten völkerrechtswidrigen Anwesenheit Südafrikas in Namibia, ICJ Reports 1971, 21. 464 Insofern sprechen auch gute Gründe für eine Einordnung der Rechtsvergleichung als Unterform der systematischen Interpretation, wie sie etwa Grabenwarter, Verfahrensgarantien, 16ff vornimmt.
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der Lösung von Streitigkeiten über ihre Jurisdiktion auch jeder einschlägige Völkerrechtssatz zu berücksichtigen sei.465 Sowohl Art 31 Abs 3 lit c) WVK als auch die einschlägigen Entscheidungen stellen somit klar, dass die Rechtsvergleichung in gewissem Umfang heranzuziehen ist. Strittig bleibt eben dieser Umfang und was unter einem „einschlägigen Völkerrechtssatz“ zu verstehen ist. Erkenntnisse aus der Rechtsvergleichung sind sowohl in systematischer als auch objektiv-teleologischer Hinsicht bei der Interpretation heranzuziehen; zu beachten ist aber, dass die Völkerrechtsordnung kein in sich geschlossenes System bildet,466 weshalb die Rechtsvergleichung eigenständig und nicht im Rahmen der systematischen Interpretation zu behandeln ist. Zudem fehlt es der Völkerrechtsordnung an einer hierarchischen Struktur, womit es im Allgemeinen zu keinem Vorrang einschlägiger Normen kommen kann.467 Grundsätzlich eignet sich daher die Rechtsvergleichung als Hilfsmittel, um Inhalt und Reichweite einer Vorschrift zu bestimmen, ohne die zur Vergleichung herangezogene Norm selbst anzuwenden.468 Insofern kann die Rechtsvergleichung Möglichkeiten aufzeigen, die gesamthaft im Lichte der auf die auszulegende Norm anzuwendenden Interpretationsmethoden, zu würdigen sind.469 Dort, wo Wortlaut, teleologische, systematische und historische Interpretation zu eindeutigen Ergebnissen führen, hat die rechtsvergleichende Auslegung aber zurückzutreten; sie hat daher insgesamt bloß subsidiär zur Anwendung zu gelangen. 2. Die Durchsetzung der Konventionsrechte a) Innerstaatliche Durchsetzung Auf Grund ihres Verfassungsrangs können die Konventionsrechte vor dem VfGH via Bescheidbeschwerde bzw Individualantrag geltend gemacht werden; zudem können sie im abstrakten NormenkonEGMR, Urteil v 18. 12. 1996, Loizidou gegen Türkei (merits), RJD 1996-VI, 2231, Rz 43. 466 Matscher, FS Mosler, 562. 467 Ausnahmen sind Art 103 SVN und zwingende Völkerrechtsnormen (ius cogens, Art 53 und 64 WVK). 468 Orakhelashvili, EJIL 2003, 537; Matscher, FS Mosler, 565f. 469 Matscher, Methods of Interpretation, 74f. 465
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trollverfahren vorgebracht werden.470 Eine Kontrolle von Gerichtsurteilen ist nicht möglich, die Gerichte haben die Konventionsrechte aber zu berücksichtigen.471 Die Durchsetzung der Grundrechte erfolgt dabei zudem, wie auch im Wege sonstiger „normaler“ verwaltungsrechtlicher Verfahren, mittelbar, sofern die Grundrechte im Gesetzgebungsverfahren entsprechend beachtet wurden.472 b) Im Verfahren vor dem EGMR Seit Inkrafttreten des 11. ZP ist die Einräumung des Individualbeschwerderechts nicht mehr fakultativ, sondern mit der Ratifikation der Konvention zwangsläufig verbunden.473 Gemäß Art 34 EMRK kann jede natürliche Person, nichtstaatliche Organisation oder Personengruppe, die behauptet, durch einen der Vertragsstaaten in einem anerkannten Konventionsrecht verletzt worden zu sein, eine Beschwerde einlegen; die Vertragsstaaten dürfen die wirksame Ausübung des Beschwerderechts nicht verhindern.474 Gering ist hingegen die Bedeutung der Staatenbeschwerde nach Art 33 EMRK, wonach alle Vertragsstaaten den Gerichtshof wegen jeder behaupteten Konventionsverletzung eines anderen Vertragsstaats anrufen können.475 Die Staatenbeschwerde ist klassisches Mittel zur kollektiven Durchsetzung der EMRK, die den europäischen ordre public sicherstellen soll476 und somit eine Wächterfunktion zur Einhaltung des Grundrechtsschutzes innehat.477 Siehe dazu nur Öhlinger, Verfassungsrecht, Rz 1000ff. Wer sich durch Entscheidungen der ordentlichen Gerichte bzw des VwGHs in den Konventionsrechten verletzt fühlt, kann daher nur in Straßburg Beschwerde erheben; Grabenwarter, in: Neuere Entwicklungen, 81 nennt den EGMR deshalb einen „Ersatzverfassungsgerichtshof“. 472 Holoubek, Gewährleistungspflichten, 105. 473 Vgl nur Siess-Scherz, Rechtsschutzsystem, in: Kontinuität und Wandel der EMRK, 4. 474 Detailliert Rogge, Art 34 EMRK, in: Internationaler Kommentar, Rz 8ff und Tomuschat, EuGRZ 2003, 95ff. 475 Vgl Grabenwarter, EMRK, § 10 Rz 2; Ohms, Art 33 EMRK, Rz 4ff. 476 Villiger, EMRK, Rz 182; zur Abgrenzung von Art 34 EMRK und zur Zulässigkeitsprüfung bei der Staatenbeschwerde vgl Rogge, Art 34 EMRK, in: Internationaler Kommentar, Rz 6f. Via Staatenbeschwerde werden keine gegenseitigen Verpflichtungen der Parteien durchgesetzt, vgl Frowein, FS Schlochauer, 300. 477 Villiger, EMRK, Rz 182; van Dijk/van Hoof, Theory and Practice, 40 vergleichen sie mit einer actio popularis; Tomuschat, EuGRZ 2003, 96 und Korinek/Duj470 471
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3. Die Zulässigkeitsprüfung von Konventionsbeschwerden Erfolgreich kann eine (Individual-)Beschwerde wegen Verletzung eines Konventionsrechts grundsätzlich nur sein, wenn sie bei Vorliegen der Prozessvoraussetzungen478 weder offensichtlich unbegründet ist479 noch einen Missbrauch des Beschwerderechts darstellt;480, 481 zudem hat sie mit der Konvention vereinbar zu sein (Art 35 Abs 3 EMRK),482 das heißt sie muss ratione personae, ratione loci, ratione temporis und ratione materiae zulässig sein.483 movits, Handbuch der Grundrechte I, Rz 30 bezeichnen die Staatenbeschwerde als ein „Sicherheitsnetz für äußerste Notlagen“. 478 Das sind Partei- und Prozessfähigkeit des Beschwerdeführers, dessen Opfereigenschaft, die Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs sowie die Wahrung der Beschwerdefrist; vgl Grabenwarter, EMRK, § 13 Rz 2ff. 479 Siehe im Detail Grabenwarter, EMRK, § 13 Rz 51ff, demzufolge eine Beschwerde unbegründet ist, wenn sie nicht ausreichend substantiiert ist oder der Tatsachenvortrag des Beschwerdeführers offensichtlich nicht zutrifft. 480 Zum Missbrauchsverbot vgl auch Art 17 EMRK und dazu Siess-Scherz, Art 17 EMRK, Rz 3f. 481 Die Beschwerde darf überdies weder anonym sein noch im Wesentlichen bei Fehlen neuer Tatsachen mit einer schon vorher vom Gerichtshof geprüften Beschwerde übereinstimmen (res iudicata) oder schon einer anderen internationalen Untersuchungs- oder Vergleichsinstanz (zB der UN-Menschenrechtsausschuss als Kontrollorgan des IPBPR) unterbreitet worden sein (Litispendenz) (Art 35 Abs 2 EMRK). 482 Das wegen der Überlastung des EGMR ausgehandelte 14. Protokoll zur EMRK, liegt seit 13. 5. 2004 zur Unterzeichnung und Ratifikation auf (ein Inkrafttreten scheitert bisher an der Nichtratifikation der Russischen Föderation). Neben organisatorischen Neuerungen sieht es in Art 20 iVm Art 35 Abs 3 lit b) nF EMRK eine weitere Zulässigkeitshürde vor, nämlich die sog Erheblichkeit der behaupteten Grundrechtsverletzung. Mit Inkrafttreten des Protokolls – das heißt drei Monate nach Ratifizierung durch alle Vertragsstaaten der EMRK (Art 19) – können Individualbeschwerden vom EGMR auch dann zurückgewiesen werden, wenn der Beschwerdeführer keinen erheblichen Nachteil erlitten hat, es sei denn, die Achtung der Menschenrechte erfordert es, die Begründetheit der Beschwerde zu prüfen, und vorausgesetzt, die Rechtssache ist von einem innerstaatlichen Gericht ordnungsgemäß untersucht worden; vgl dazu Siess-Scherz, Reformprozess des EGMR, in: Internationale Gerichtshöfe, 103ff und Ohms, JBl 2005, 23ff. 483 Die Zulässigkeitsvoraussetzungen des Art 35 Abs 2 und 3 EMRK gelten nur für Individualbeschwerden. Sie können in abgewandelter Form aber auch für Staatenbeschwerden zum Tragen kommen. Nach Matscher, FS Trechsel, 26 ist dies „unbestritten“; vgl ders, Staatenbeschwerde, 424 und Labayle, Article 24, in: CEDH, 571ff; aA unter Verweis auf den (klaren) Wortlaut Frowein/Peukert, EMRK, Art 24, Rz 10; Peters, Einführung, 251f.
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a) Unvereinbarkeit ratione temporis Nach den völkerrechtlichen Grundsätzen ist die zeitliche Geltung der EMRK auf den Zeitraum vom In-Kraft-Treten der EMRK bzw der ZP für die Vertragspartei bis zur Kündigung der EMRK durch den Staat oder bis zu seinem Ausscheiden aus dem Europarat begrenzt.484 Mit anderen Worten fehlt es der EMRK gemäß Art 28 WVK485 an rückwirkender Kraft, das heißt der EGMR kann nicht in Bezug auf Hoheitsakte angerufen werden, die sich vor dem In-KraftTreten der EMRK ereignet haben. Eine Beschwerde ist dann unvereinbar ratione temporis, wenn die gerügte Handlung oder Unterlassung vor dem Inkrafttreten der EMRK bzw des jeweiligen Zusatzprotokolls für den beklagten Staat stattgefunden hat.486 b) Unvereinbarkeit ratione materiae Eine Beschwerde ist ratione materiae unvereinbar, wenn das vom Beschwerdeführer geltend gemachte Recht nicht von der EMRK gewährleistet wird:487 Dies ist der Fall, wenn das Recht nicht von der Konvention verbürgt ist, zB das Recht auf Asyl oder das Recht auf Erhaltung und Schutz der Umwelt;488 dies liegt auch vor, wenn das Grabenwarter, EMRK, § 13 Rz 45; Frowein/Peukert, EMRK, Art 27, Rz 22; van Dijk/van Hoof, Theory and Practice, 11; Harris/O’Boyle/Warbrick, Law of the ECHR, 640; Cohen-Jonathan, Convention, 97; Sudre, Droits de l’homme, Rz 316; Schilling, Menschenrechtsschutz, Rz 473; Peters, Einführung, 232f. 485 Art 28 WVK stellt Völkergewohnheitsrecht dar, vgl Villiger, Customary International Law, 149ff. 486 Grabenwarter, EMRK, § 13 Rz 45ff; Abgrenzungsschwierigkeiten bestehen, wenn der an sich konventionswidrige Akt zwar vor dem In-Kraft-Treten der EMRK ergangen ist, aber noch fortdauert oder fortdauernde Auswirkungen zeigt. Dauert die als EMRK-widrig erachtete Handlung oder Unterlassung nach dem In-Kraft-Treten fort, ist die Zulässigkeit ratione temporis anders als bei bloßen Auswirkungen zu bejahen; vgl die rezente (Unzulässigkeits)Entscheidung des EGMR v 2. 3. 2005, von Maltzan ua gegen Deutschland, Nr. 71916/01, 71917/01 und 10260/02 (= EuGRZ 2005, 305ff). 487 Grabenwarter, EMRK, § 13 Rz 49f; Harris/O’Boyle/Warbrick, Law of the ECHR, 638. 488 Allerdings ist, auch wenn ein nicht ausdrücklich gewährleistetes Recht geltend gemacht wird, stets zu prüfen, ob der vom Beschwerdeführer angestrebte Schutz nicht im „Kleide“ eines Konventionsrechts enthalten ist, sprich durch Auslegung einer Konventionsbestimmung abzuleiten ist; vgl Frowein/Peukert, EMRK, Art 27, Rz 22. So verbürgt etwa Art 8 EMRK eine Pflicht der Vertragsstaaten zur Ergreifung 484
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geltend gemachte Recht zwar gewährleistet wird, der Sachverhalt aber in offensichtlicher Weise nicht vom Schutzbereich der einschlägigen Norm erfasst ist;489 zur Unvereinbarkeit ratione materiae kommt es zudem, wenn der behaupteten Konventionsverletzung ein gültiger Vorbehalt nach Art 57 EMRK – in offensichtlicher Weise – entgegen steht.490 Die Prüfung der sachlichen Vereinbarkeit kann somit, ebenso wie die der offensichtlichen Unbegründetheit iSv Art 35 Abs 3 EMRK, auch als Teil einer summarischen Sachprüfung verstanden werden.491 Eine Beschränkung des sachlichen Anwendungsbereichs kann sich auch aus Art 15 EMRK ergeben und liegt zudem bei einer Verdrängung der Konvention durch das humanitäre Völkerrecht vor.492 c) Unvereinbarkeit ratione loci aa) Keine Beschränkung des territorialen Geltungsbereichs Gemäß Art 1 EMRK sichern die Vertragsstaaten „allen ihrer Jurisdiktion unterstehenden Personen“ die Rechte und Freiheiten der EKMR zu: Der territoriale Geltungsbereich der Konvention ist daher nicht per se auf das Staatsgebiet der Vertragsparteien beschränkt, sondern von der tatsächlichen Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt determiniert. Wenn auch der Staat zumeist für das Verhalten auf eigenem Territorium verantwortlich zeichnet, so ist der vorbehaltslose Schluss von Verletzung im Staatsgebiet A zu Verletzer Staat A unzulässig und kann in zweifacher Richtung durchbrochen werden: Einerseits kann Staat A – völkerrechtskonform oder völkerrechtswidrig – Hoheitsgewalt im Ausland ausüben, und, sofern im fremden Staatsgebiet B Personen seiner Jurisdiktion unterstehen, diese in ihren Konventionsrechten verletzen und für einen Hoheitsakt im Ausland verantwortlich sein; sein Verantwortlichkeitsbereich vergrößert angemessener Immissionsschutzmaßnahmen, vgl Ennöckl/Painz, Juridikum 2004, 163ff. 489 Grabenwarter, EMRK, § 13 Rz 49f. 490 Ibid, aaO. 491 Vgl Rogge, Art 27 EMRK, in: Internationaler Kommentar, Rz 89, der „Zulässigkeitsprüfung ieS“ und „summarische Sachprüfung“ unterscheidet. Generell ist anzumerken, dass die Unvereinbarkeit ratione materiae nicht einfach vom Unzulässigkeitsgrund der offensichtlichen Unbegründetheit abzugrenzen ist. 492 Vgl näher unten III.E.2.b)bb)iii).
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sich also linear mit seinem Jurisdiktionsbereich; andererseits verhält es sich mit dem Verantwortlichkeitsbereich von Staat B spiegelbildlich: Würde man bloß am Territorium anknüpfen, wäre dieser für die Handlung des Staats A verantwortlich: Den Staat B in dieser Konstellation haften zu lassen, würde den eigentlichen Verletzer Staat A von dessen Verantwortlichkeit befreien.493 Zudem ist dem Völkerrecht eine Garantenstellung des Staats für alle Vorgänge auf seinem Gebiet unbekannt.494 bb) Systematische Bedeutung des Art 56 EMRK i) Regelungsinhalt Der These, die Vertragsstaaten seien außerhalb des eigenen Staatsgebiets an die EMRK gebunden, wurden systematische Bedenken im Hinblick auf Art 56 EMRK (ex-Art 63) entgegen gehalten: Gemäß Art 56 Abs 1 EMRK kann jeder Staat im Zeitpunkt der Ratifizierung oder danach durch eine Mitteilung an den Generalsekretär des Europarats erklären, dass die Konvention auf alle oder einzelne Gebiete Anwendung findet, für deren internationale Beziehungen er verantwortlich ist.495 Daraus wurde zT geschlossen, dass, wenn eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs für bestimmte Gebiete durch explizite Erklärung vorgesehen ist, die EMRK ohne eine solche nach Art 56 EMRK nur im Hoheitsgebiet der Vertragsstaaten gelten soll.496 Dies ist aber unzutreffend, wie subjektiv-historische und objektiv-teleologische Erwägungen sowie die Judikatur der Konventionsorgane zeigen. Entstehungsgeschichtlich ist zu beachten, dass die Vertragsstaaten bei Ausarbeitung der EMRK befürchteten, für MenschenrechtsverErberich, Auslandseinsätze, 26. Wolf, ZaöRV 1985, 234; eine solche Haftung würde die eigene Rechtspersönlichkeit des Staats missachten. 495 Siehe auch Art 56 Abs 2, 3 und 4 EMRK und insb dass die Bestimmungen der Konvention gemäß Abs 3 in den jeweiligen Gebieten unter Berücksichtigung der örtlichen Notwendigkeiten angewendet werden. Vgl dazu Frowein/Peukert, EMRK, Art 63, Rz 1ff, die von einer typischen Kolonialklauseln sprechen. 496 Weiß, Konvention, 28f; Partsch, Rechte und Freiheiten, 291f; Lush, ICLQ 1993, 904f. Zweideutig Matscher, FS Trechsel, 28, demzufolge die Normen der EMRK [nur] für das (gegebenenfalls gemäß Art 56 ausgedehnte) Hoheitsgebiet der Vertragsstaaten gelten, der aber im gleichen Satz und in einer FN präzisiert, dass die Staaten auch für die Tätigkeit ihrer Organe im Ausland haften. 493 494
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letzungen in Gebieten, für deren internationale Beziehungen sie verantwortlich waren (also vorwiegend in den ehemaligen Kolonien) haftbar gemacht zu werden;497 (auch) wegen mangelnder tatsächlicher Einflussnahmemöglichkeit befürchteten sie, die Konventionsverpflichtungen nicht einhalten zu können. Deshalb sollte die Territorialklausel eine generelle Verantwortlichkeit für diese Gebiete ausschließen, eine freiwillige Erstreckung der EMRK-Garantien sollte aber möglich sein. ii) Gebiete im Sinne von Art 56 Abs 1 EMRK Von Anfang an strittig war, welche Gebiete potentiell von Art 56 EMRK erfasst sein konnten: Dazu gehörten nicht nur die damaligen Kolonien, sondern auch alle in loserer Verbindung zum Schutzstaat stehenden Gebiete, wie Protektorate, Schutzgebiete oder Mandate.498 Allerdings waren und sind nicht per se alle überseeischen Gebiete erfasst, entscheidend ist vielmehr der Status des Gebiets nach nationalem Recht des Vertragsstaats der EMRK.499, 500 Keine Verantwortung des Vereinigten Königreichs stellte die EKMR im Fall Bui Van Thanh mangels Erstreckungserklärung nach Art 56 EMRK hinsichtlich Handlungen der Behörden Hongkongs Schellenberg, Verfahren, 31f. Partsch, Rechte und Freiheiten, 292; ausführlich Erberich, Auslandseinsätze, 22ff. 499 Harris/O’Boyle/Warbrick, Law of the ECHR, 645 weisen etwa darauf hin, dass Art 56 nicht für die französischen départements d’outre mer (DOMs, das sind Guadeloupe, Guyana, Martinique und Réunion) gilt, da diese den gleichen Status wie die départements des französischen Hexagons haben und die Konvention daher dort anders als bei den térritoires d’outre mer (TOMs) ohnehin Anwendung findet. 500 Umstritten war vor allem der Status der europäischen abhängigen Gebiete Großbritanniens, insb die Situation der Kanalinseln (Jersey, Guernsey) und der Isle of Man. Für diese wurde eine Erklärung gemäß Art 63 Abs 1 EMRK abgeben und zwar samt einer Unterwerfungserklärung zum Individualbeschwerderecht (ex-Art 25 iVm ex-Art 63 Abs 4 EMRK). Im Fall Tyrer (EGMR, Urteil vom 25. 4. 1978, Tyrer gegen Großbritannien, Serie A-26) stand Großbritannien sodann wegen der auf der Isle of Man vorgesehenen gerichtlichen Prügelstrafe („birching“) am Pranger und versuchte diese als „örtliche Notwendigkeit“ gemäß ex-Art 63 Abs 3 EMRK (heute Art 56 Abs 3) zu rechtfertigen. Der EGMR folgte dieser Auffassung nicht, sondern stellte vielmehr fest, dass es sich bei der Isle of Man um ein europäisches Gebiet handelt, das keine Besonderheiten aufweist und erkannte folglich in der Vollstreckung der gerichtlichen Prügelstrafe eine Verletzung von Art 3 EMRK. 497 498
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fest.501 Im Gegensatz zum Fall Tyrer fehlte es an der Übernahme der Verantwortung für das Vorgehen der damals noch von Großbritannien abhängigen Regierung Hongkongs. Die Kommission stellte in diesem Fall fest, dass es sich bei den in Frage stehenden Handlungen essentiell um Maßnahmen der Behörden Hongkongs und nicht um die Ausübung eigener Hoheitsgewalt durch britische Organe in Hongkong handelte.502 iii) Verhältnis von Art 56 EMRK zu Art 1 EMRK Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck von Art 56 EMRK und die Entscheidungen von EGMR und EKMR belegen somit, dass der örtliche Geltungsbereich der Konvention nicht auf das Territorium der Vertragsstaaten beschränkt, sondern allumfassend und von der Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt abhängig ist. Art 56 EMRK erfasst nämlich nur Handlungen der Selbstverwaltungen in den abhängigen Gebieten und ordnet dazu an, dass für diese der Vertragsstaat, der grundsätzlich für die internationalen Beziehungen dieses Gebiets verantwortlich zeichnet, nicht haftbar gemacht werden kann, sofern er keine Erstreckungserklärung gemäß Art 56 Abs 1 EMRK abgeben hat. Art 56 EMRK ist aber nicht auf originäre Hoheitsakte von Organen des Vertragsstaats anwendbar: Diese Akte sind, auch wenn keine Erstreckungserklärung abgegeben wurde, nicht von den Konventionsbindungen befreit. Schließlich handelt es sich dabei um Ausübung eigener Hoheitsgewalt gemäß Art 1 EMRK: Es wäre sinnwidrig, solche extraterritorialen Hoheitsakte bei Vorliegen von Jurisdiktion an der EMRK zu messen, aber für den Fall, dass sie in einem abhängigen Gebiet ohne Erstreckungserklärung gesetzt werden, von einer Bindung an die EMRK zu lösen.503 Entscheidender Faktor bei der Zuständigkeitsprüfung ist somit, wem ein in Frage stehendes Verhalten zuzurechnen ist. Handelt ein Vertragsstaat in abhängigen Gebieten durch eigene Organe, ist dieser Staat unabhängig von einer Erstreckungserklärung gemäß Art 56 EKMR, Entscheidung v 12. 3. 1990, Bui van Thanh et al gegen Vereinigtes Königreich, YB 1990, 59. 502 Ibid, 60f; siehe auch Erberich, Auslandseinsätze, 24ff. 503 Ausschlaggebend ist dabei aber stets, dass originäre Hoheitsgewalt des jeweiligen Vertragsstaats vorliegt und zwar unabhängig davon, wo im Ausland gehandelt wird. 501
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Abs 1 EMRK stets an die Konvention gebunden.504 Für den Fall, dass in einem abhängigen Gebiet eigenständige Behörden handeln, kann der Vertragsstaat bloß dann zur Verantwortung gezogen werden, wenn er eine Erstreckungserklärung nach Art 56 Abs 1 EMRK für das Gebiet abgegeben hat. Das bedeutet aber, dass es sich dabei insgesamt um ein Problem der Zuständigkeit ratione personae und nicht der Zuständigkeit ratione loci handelt, da weder Art 1 noch Art 56 EMRK den örtlichen Geltungsbereich der Konvention einschränken.505, 506 Im Ergebnis kennt die Konvention somit mangels Beschränkung des territorialen Geltungsbereichs keinen Fall einer Unvereinbarkeit ratione loci.507 d) Unvereinbarkeit ratione personae Gemäß Art 1 sind vom persönlichen Schutzbereich der EMRK alle der Jurisdiktion der Vertragsstaaten unterstehenden Personen erfasst: Unvereinbarkeit ratione personae liegt dann vor, wenn entweder der Beschwerdeführer nicht aktiv legitimiert oder der Beschwerdegegner nicht passiv legitimiert ist.508 Aktivlegitimation haben im Individualbeschwerdeverfahren unabhängig von deren Staatsangehörigkeit alle natürlichen wie juristischen Personen sowie Personenzusammenschlüsse, wenn sie partei- und prozessfähig sind und Opfereigenschaft besitzen, also durch den angegriffenen Hoheitsakt betroffen und beschwert sind509.510 Erberich, Auslandseinsätze, 25. So aber Grabenwarter, EMRK, § 13, Rz 43f, der diesen Fall als einzigen einer Unvereinbarkeit ratione loci ansieht. Erberich, Auslandseinsätze, 26 deutet Art 56 weder als Regelung des örtlichen noch des persönlichen Anwendungsbereichs, sondern als Bestimmung über die sachliche Verantwortlichkeit eines Vertragsstaats. 506 Art 56 EMRK trifft somit eine Klarstellung, indem die Bestimmung anordnet, dass ein Staat im Regelfall nicht für Akte der Selbstverwaltungen in seinen abhängigen Gebieten zur Verantwortung gezogen werden kann; gleichzeitig lässt Art 56 EMRK mittels Erstreckungserklärung eine Erweiterung des Anwendungsbereichs der Konvention auch auf diese ansonsten nicht erfassten Handlungen und Unterlassungen zu. 507 So auch Schellenberg, Verfahren, 30f; wie erwähnt, verwenden aber sowohl die Konventionsorgane als auch die Literatur die Zuständigkeit ratione loci austauschbar mit jener ratione personae. 508 van Dijk/van Hoof, Theory and Practice, 118ff. 509 Genauer zur Opfereigenschaft siehe Grabenwarter, EMRK, § 13 Rz 13. 504 505
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Passivlegitimation liegt vor, wenn die gerügte Handlung oder Unterlassung dem beklagten Vertragsstaat zurechenbar ist:511 Die Zurechenbarkeit hat sich als das entscheide Kriterium in der Prüfung der (Un)Vereinbarkeit einer Beschwerde ratione personae herauskristallisiert. An ihr und damit an der Passivlegitimation mangelt es prima facie, wenn eine Beschwerde gegen eine Handlung oder Unterlassung einer Privatperson gerichtet ist.512 Komplexe Fragen der Zurechnung stellen sich auch bei der Haftung von Vertragsstaaten für Handlungen Internationaler Organisationen wie der EU.513 Gerade bei der Setzung extraterritorialer Hoheitsakte stehen Zurechnungsfragen und die Zuständigkeit ratione personae jedenfalls an zentraler Stelle und sind für die Anwendbarkeit der EMRK von entscheidender Bedeutung.
B. Art 1 EMRK als Determinante des Anwendungsbereichs der Konvention Die zentrale Determinante einer extraterritorialen Anwendbarkeit der Konvention ist Art 1 EMRK, der selbst keine materiellen Rechte gewährt, sondern iVm Art 2 – 13, 14 und 56 (früher 63) den Geltungsbereich der EMRK ratione personae, materiae und loci festlegt.514 Ein Verstoß gegen die Konvention liegt – deren Anwendbarkeit auf Grund von Art 1 EMRK vorausgesetzt – nur bei einer Verletzung der materiellen Bestimmungen vor, welche von Abschnitt I der EMRK sowie von deren Zusatzprotokollen gewährleistet werden.515
510 Bei Staatenbeschwerdeverfahren bedarf es der Beschwerde durch eine nationale Behörde, die völkerrechtlich befugt ist, im Namen des klagenden Staats zu handeln; vgl van Dijk/van Hoof, Theory and Practice, 119. 511 Siehe nur Grabenwarter, EMRK, § 13 Rz 42. 512 Zu beachten sind dabei insb Zurechnungsfragen ausgegliederter Unternehmen oder die Reichweite positiver Schutzpflichten; vgl zB die Definition von „public authority“ in Sect. 6 § 3 (b) Human Rights Act 1998. 513 Vgl dazu insb Frank, Verantwortlichkeit; Schäfer, Verletzungen. 514 EGMR, Urteil v 18.1. 1978, Irland gegen Vereinigtes Königreich, Serie A-25, Rz 238 (=EuGRZ 1979, 159). 515 Statt aller Frowein/Peukert, EMRK, Art 1, Z 1.
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Art 1 EMRK lautet authentisch in englischer und französischer Sprache:516 The High Contracting Parties shall secure to everyone within their jurisdiction the rights and freedoms defined in Section I of this Convention. Les Hautes Parties Contractantes reconnaissent à toute personne relevant de leur juridiction les droits et libertés définis au Titre I de la présente Convention.
Im BGBl517 wurde Art 1 EMRK folgendermaßen ins Deutsche übersetzt: Die Hohen Vertragschließenden Teile sichern allen ihrer Jurisdiktion unterstehenden Personen die in Abschnitt I dieser Konvention niedergelegten Rechte und Freiheiten zu.518
Wie noch zu zeigen sein wird, schränkt Art 1 EMRK die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Vertragsstaaten generell und zusätzlich zur Beschränkung durch die ohnehin stets begrenzten Schutzbereiche der einzelnen Konventionsnormen ein, weshalb zur Feststellung des territorialen Geltungsbereichs der EMRK nicht bloß auf die Zurechenbarkeitsregeln der Staatenverantwortlichkeit rekurriert werden darf, sondern es gerade eben der Sinnermittlung des Regelungsinhalts von Art 1 EMRK bedarf.519 Zweifel darüber, ob die Vertragsstaaten grundsätzlich an die EMRK gebunden sein können, wenn sie außerhalb des eigenen Staatsgebiets tätig werden, haben sowohl Kommission als auch Gerichtshof schon in ihrer frühen Rechtsprechung ausgeräumt. Das entscheidende Kriterium der Bindung an die Konventionsrechte, die Ausübung von Jurisdiktion iSv Art 1 EMRK, sei nämlich nicht zwingend auf das Staatsgebiet der Vertragsstaaten beschränkt.520 Allerdings sei die Jurisdiktion nach völkerrechtlichen Grundsätzen zu bewerten und 516 Nach ihrer Schlussbestimmung ist die EMRK nur in englischer und französischer Sprache authentisch. 517 BGBl 1958/210. 518 In der deutschen und schweizerischen Übersetzung wird „jurisdiction/juridiction“ mit Hoheitsgewalt anstelle von Jurisdiktion übersetzt. 519 Verdross/Simma, Völkerrecht, § 533; anders Künzli, Verpflichtungsgrad, 116f, der in Art 1 EMRK bloß einen Verweis auf die Zurechenbarkeitsregeln des Rechts der Staatenverantwortlichkeit erblickt; siehe unten III.E.1. 520 Vgl EKMR, Entscheidung v 25. 9. 1965, X gegen Bundesrepublik Deutschland, Nr 1611/62, YB 1965, 158.
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liege somit nur in Ausnahmefällen bei Handlungen im Ausland vor.521 Ausschlaggebend für die extraterritoriale Anwendbarkeit der EMRK ist somit die Ausübung extraterritorialer Jurisdiktion. Wiederholt waren damit sowohl EKMR als auch EGMR befasst und haben verschiedene Kriterien entwickelt. Im Folgenden soll ein kurzer Überblick die einschlägigen Entscheidungen der Konventionsorgane darstellen; zur besseren Übersichtlichkeit habe ich dabei – trotz der zT sehr unterschiedlichen Sachverhaltslagen – versucht, diese in vier Kategorien zu klassifizieren. Im Anschluss daran will ich die Eckpunkte der Rechtsprechung aufarbeiten und einer eingehenden Prüfung auf ihre Begründetheit und ihre Konsequenzen unterziehen.
C. Die Rechtsprechung der Konventionsorgane 1. Hoheitliche Tätigkeit diplomatischer und konsularischer Behörden a) X gegen Bundesrepublik Deutschland Erstmals beschäftigte sich die EKMR mit der Frage der Geltung der Konvention bei extraterritorialen Hoheitsakten im Fall eines in Marokko sesshaften Deutschen, der Konventionsverletzungen Deutschlands rügte.522 Grund für die Verstöße sei, so der Beschwerdeführer, das Verhalten deutscher Diplomaten und Konsularbeamter, die wider deren Pflichten für seine Ausweisung interveniert hätten, welche ihn finanziell ruiniert habe. Die EKMR erklärte die Beschwerde mangels Beweisen für unzulässig. Sie hielt aber fest, dass Staatsangehörige eines Vertragsstaats, auch wenn sie sich vorübergehend oder dauernd im Ausland aufhalten, unter dessen Jurisdiktion fallen können. Insbesondere könnten unter Umständen diplomatische und konsularische Beamte bei Erfüllung ihrer Dienstpflichten den Heimatstaat ihnen gegenüber im Hinblick auf die EMRK haftbar machen.523 ZB EGMR, Entscheidung v 12. 12. 2001 (Große Kammer), Bankoviü et al gegen Belgien und 16 andere NATO-Staaten, RJD 2001-XII, 352ff, Rz 61, 67, 71; EGMR, Urteil v 16. 11. 2004, Issa et al gegen Türkei, Nr. 31821/96 (noch nicht in RJD veröffentlicht), § 68. 522 EKMR, Entscheidung v 25. 9. 1965, X gegen Bundesrepublik Deutschland, Nr 1611/62, YB 1965, 158. 523 EKMR, Entscheidung v 25. 9. 1965, X gegen Bundesrepublik Deutschland, Nr 1611/62, YB 1965, 168. 521
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b) X gegen Vereinigtes Königreich Die Beschwerdeführerin machte mangels ausreichender Unterstützung des britischen Konsuls in Jordanien im Sorgerechtsstreit um ihre Tochter eine Verletzung von Art 8 EMRK durch das Vereinigte Königreich geltend.524 Zur Frage der Jurisdiktion des Vereinigten Königreichs über die Tätigkeit des britischen Konsuls merkte die Kommission an: „It is clear,…that authorised agents of a State, including diplomatic or consular agents bring other persons or property within the jurisdiction of that State to the extent that they exercise authority over such persons or property. Insofar as they affect such persons or property by their acts or omissions, the responsibility of the State is engaged…even though the alleged failure of the consular authorities to do all in their power to help the applicant occurred outside the territory of the United Kingdom it was still ,within the jurisdiction‘ within the meaning of Article 1...“525
Im Vergleich zum Fall X gegen Bundesrepublik Deutschland stellte die EKMR also fest, dass die Jurisdiktionsausübung auf fremdem Staatsgebiet somit nicht bloß aus der Ausübung von Gewalt (authority) über eigene, sondern auch über fremde Staatsbürger folgen könne. c) M gegen Dänemark In diesem Fall zu Festnahmen auf dem Gelände der dänischen Botschaft in der ehemaligen DDR bestätigt die Kommission die soeben dargestellte Auffassung:526 Folglich würden im Ausland bevollmächtigte Organe eines Staates, insb diplomatische oder konsularische Beamte, Jurisdiktion über andere Personen oder Vermögensgegenstände haben, und zwar in jenem Umfang, in dem sie Gewalt (authority) über die Personen oder Vermögensgegenstände ausüben.527 Soweit sie durch deren Handlungen oder Unterlassungen Personen oder Vermögensgegenstände beeinträchtigen, werde die Verantwortung des betreffenden Vertragsstaats begründet. Daher un524 EKMR, Entscheidung v 15. 12. 1977, X gegen Vereinigtes Königreich, Nr. 7547/ 76, DR 12, 73. 525 Ibid, 74 [Hervorhebung von mir]. 526 EKMR, Entscheidung v 14. 10. 1992, M gegen Dänemark, Nr 17392/90, DR 73, 193. 527 Ibid, 196.
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terstand im konkreten Fall der deutsche Beschwerdeführer auf dem Gelände der dänischen Botschaft zwar der Hoheitsgewalt des dänischen Botschafters in der ehemaligen DDR; da der vom Beschwerdeführer gerügte Freiheitsentzug nach Ansicht der EKMR aber nicht von den dänischen Behörden sondern von jenen der DDR vorgenommen wurde, könne Dänemark dafür nicht verantwortlich sein.528 2. Wirksame Gesamtkontrolle eines fremden Hoheitsgebiets infolge militärischer Besetzung bzw durch politische, wirtschaftliche und militärische Unterstützung a) Hess gegen Vereinigtes Königreich Beschwerdeführerin in diesem Fall war Ilse Hess, die Ehefrau des im Alliierten Militärgefängnis in Berlin-Spandau inhaftierten früheren Stellvertreters von Adolf Hitler, Rudolf Hess, der vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg 1946 zu lebenslanger Haft verurteilt worden war.529 Frau Hess brachte in der Beschwerde gegen das Vereinigte Königreich eine Verletzung ihres Rechts auf Familienleben gemäß Art 8 EMRK durch langen und unmenschlichen Strafvollzug an ihrem Ehemann vor und forderte seine Freilassung aus Spandau, wo er seit 1966 einziger Gefangener war; die Verwaltung Spandaus und der Strafvollzug oblagen den vier Besatzungsmächten gemeinsam, von denen damals nur das Vereinigte Königreich an die Konvention gebunden war. In ihrer Entscheidung hält die EKMR erneut fest, dass ein Vertragsstaat auch bei Handlungen seiner Behörden außerhalb des eigenen Staatsgebiets an die Konvention gebunden sein kann. Grundsätzlich, so die Kommission, gebe es rechtlich keinen Grund, warum für Handlungen britischer Organe in Berlin nicht die Verpflichtungen des Vereinigten Königreichs nach der Konvention gelten sollten. Zu bestimmen sei daher, ob die EKMR auch nach den Umständen des Einzelfalls zur Behandlung der Beschwerde zuständig sei. Dazu analysiert sie die konkrete Durchführung der Gefängnisverwaltung und kommt zum Ergebnis, dass Beschlüsse über die Verwaltung und Überwachung des Militärgefängnisses auf Grundlage Ibid, 196f. EKMR, Entscheidung v 28. 5. 1975, Hess gegen Vereinigtes Königreich, Nr 6231/73, DR 1, 72 (= EuGRZ 1975, 482ff). 528 529
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eines Abkommens nur durch die vier Besatzungsmächte gemeinsam getroffen werden können.530 Diese gemeinsame Hoheitsgewalt kann nach Ansicht der EKMR nicht in vier getrennte Herrschaftsgewalten geteilt werden, weshalb die Beteiligung des Vereinigten Königreichs an der Gewalt über das Gefängnis nicht dessen Jurisdiktion unterstehen würde. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin, der Abschluss von Abkommen wie jenem über Spandau dürfe nicht zu einer Umgehung der Verpflichtungen aus der EMRK führen, weist die EKMR zurück: Auch der Abschluss des Abkommens könne das Vereinigte Königreich nicht verantwortlich machen, da er noch vor der Ratifikation der EMRK erfolgte.531 Überdies sei ein einseitiger Rücktritt von einem solchen Abkommen nach dem Völkerrecht unwirksam.532 b) Vearncombe et al gegen Vereinigtes Königreich und Bundesrepublik Deutschland Auch in diesem Fall geht es um Handlungen der britischen Besatzungsmacht, die in ihrem Sektor in Berlin einen Schießplatz errichtete, wogegen sich Anrainer zur Wehr setzten und eine Verletzung von sowohl Art 1 1. ZPEMRK als auch Art 8 EMRK geltend machten.533 Die EKMR bekräftigte, dass die Ausübung von Jurisdiktion nicht auf das Staatsgebiet der Vertragsstaaten begrenzt ist und dass diese auch im Ausland andere Personen oder Vermögensgegenstände unter ihre Jurisdiktion bringen können, und zwar in jenem Umfang, in dem sie Gewalt (authority) über die Personen oder Vermögensgegenstände ausüben.534 Daher gebe es keine Gründe, die gegen eine Verantwortlichkeit des Vereinigten Königreichs für Handlungen seiner Organe in Berlin sprechen würden; anders als Ibid, 73. Ibid, 74. 532 Blumenwitz, EuGRZ 1975, 498 hat dagegen eingewendet, dass das Vereinigte Königreich zumindest unter der Pflicht gestanden wäre, völkerrechtskonform auf die Anpassung des älteren Vertrags hinzuwirken. 533 EKMR, Entscheidung v 18. 1. 1989, Vearncombe gegen Vereinigtes Königreich und Bundesrepublik Deutschland, YB 32 (1989), 74ff. Die Beschwerde gegen Deutschland wies die Kommission als unzulässig ratione personae ab, da Handlungen der Besatzungsmächte, wenn, dann nur den Besatzern, aber nicht dem besetzten Staat zugerechnet werden können. 534 Ibid, 79. 530 531
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im Fall Hess handle es sich hier nämlich nicht um eine gemeinsame Entscheidung der vier Besatzungsmächte, da der Bau des Schießplatzes allein auf Anordnung der britischen Behörden erfolgt wäre. c) Die Staatenbeschwerdeverfahren Zypern gegen Türkei Im ersten Staatenbeschwerdeverfahren Zyperns gegen die Türkei brachte Zypern vor, die Türkei habe im Zuge ihres Eindringens in Zypern 1974 zahlreiche Konventionsbestimmungen verletzt.535 Durch die Besetzung von fast 40% der Insel seien rund 200.000 griechische Zyprioten vertrieben, Tausende willkürlich festgehalten, Zivilpersonen getötet, Frauen vergewaltigt, Gefangene misshandelt, zur Arbeit gezwungen oder verschleppt worden. Überdies sei Eigentum beschlagnahmt, geplündert oder zerstört worden.536 Dagegen wandte die türkische Regierung ein, dass die EKMR ratione loci nicht zur Prüfung der Beschwerden zuständig sei, da sich deren Zuständigkeit auf die Prüfung von Handlungen innerhalb des Staatsgebiets der Vertragsstaaten beschränken würde.537 Dies wies die Kommission zurück: Ihrer Ansicht nach ist der Anknüpfungspunkt der Jurisdiktionsausübung nicht gleichbedeutend mit dem Staatsgebiet der betroffenen Vertragspartei, vielmehr gelte wie folgt: „It is clear from the language, in particular of the French text, and the object of this Article, and from the purpose of the Convention as a whole, that the High Contracting Parties are bound to secure the said rights and freedoms to all persons under their actual authority and responsibility, whether that authority is exercised within their own territory or abroad.“538
Ferner hielt die Kommission fest, dass Angehörige eines Staates, einschließlich eingetragener Schiffe und Flugzeuge, teilweise dessen Jurisdiktion unterstehen, wo immer sie sein mögen, und dass bevollmächtigte Vertreter eines Staates, eingeschlossen diplomatische und konsularische Vertreter und bewaffnete Streitkräfte, im Ausland nicht nur unter dessen Jurisdiktion bleiben, sondern auch Vgl allgemein zur staats- und völkerrechtlichen Lage Zyperns Rumpf, EuGRZ 1997, 533ff. 536 EKMR, Entscheidung v 26. 5. 1975, Zypern gegen Türkei, Nr. 6780/74 und 6950/75, DR 2, 125ff. 537 Ibid, 129f. 538 Ibid, 136; EuGRZ 1976, 37 [Hervorhebung von mir]. 535
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andere Personen oder Vermögensgegenstände „unter die Jurisdiktion“ dieses Staates bringen, und zwar in jenem Umfang, in dem sie Gewalt (authority) über die Personen oder Vermögensgegenstände ausüben.539 Das Vorliegen von Jurisdiktion somit bejahend, sah die EKMR, soweit die bewaffneten Streitkräfte der Türkei durch ihr Verhalten die Konventionsrechte und Freiheiten der zypriotischen Bevölkerung berührten, die Verantwortlichkeit der Türkei als gegeben an.540, 541 Dies bekräftigte die EKMR im zweiten Staatenbeschwerdeverfahren Zypern gegen Türkei und erklärte die Beschwerde erneut für zulässig.542 Auch durch den Bericht der Kommission vom 4. 10. 1983 wird diese Ansicht untermauert.543 Schließlich verurteilte 2001 auch der EGMR in einer 1994 eingebrachten und von der EKMR 1996 für zulässig erklärten Staatenbeschwerde544 die Türkei wegen andauernder Verletzung der Art 2, 3 und 8 EMRK sowie von Art 1 des 1. ZPEMRK.545 Dabei rekurrierte der Gerichtshof explizit auf das zwischenzeitlich in seinem Urteil zur Begründung in der Rechtssache Loizidou 546 bejahte Vorliegen einer wirksamen Gesamtkontrolle (effective overall control) der Türkei, aus welcher folge, dass die türkische Verantwortung nicht bloß auf Handlungen der eigenen Soldaten oder Beamten in Nordzypern beschränkt sei, sondern sich auch auf die Handlungen der lokalen Verwaltung erstrecke, die bloß kraft militärischer und sonstiger Hilfe der Türkei existieren könIbid, 136. Ibid, 136f. Dem Vorbringen der Türkei, dass Art 63 (Art 56) EMRK, der die Ausdehnung der Konvention auf Gebiete vorsieht, die nicht zum Mutterland der Vertragsparteien gehören, als Begrenzung der Jurisdiktion iSv Art 1 auf das Mutterland ausgelegt werden kann, folgte die EKMR unter Hinweis auf die von Art 63 bezweckte Möglichkeit der Anpassung der Konvention je nach Maß der Selbstverwaltung in solchen Gebieten nicht. 541 Diese beschränkte sich aber (noch) auf die Handlungen der eigenen, türkischen Streitkräfte in Nordzypern. 542 EKMR, Entscheidung v 10. 7. 1978, Zypern gegen Türkei, Nr. 8007/77, DR 13, 148ff. 543 Für eine kritische Würdigung des Berichts siehe Rumpf, EuGRZ 1992, 457ff. 544 EKMR, Entscheidung v 28. 6. 1996, Zypern gegen Türkei, Nr. 25781/94; siehe auch den Bericht der EKMR v 4. 6. 1999, RJD 2001-IV, 133ff. 545 EGMR, Urteil v 10. 5. 2001 (Große Kammer), Zypern gegen Türkei, Nr. 25781/ 94, RJD 2001-IV; vgl dazu auch Loucaides, LJIL 2002, 225ff; Hoffmeister, AJIL 2002, 445ff und Tavernier, RTDH 2002, 807ff. 546 Siehe dazu sogleich unten d)cc). 539 540
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ne.547 Demnach umfasse die türkische Jurisdiktion die Sicherstellung sämtlicher Konventionsrechte, womit jegliche Verletzung dieser Rechte der Türkei zuzurechnen sei.548 d) Die Individualbeschwerdeverfahren im Zypern-Konflikt aa) Chrysostomos, Papachrysostomou und Loizidou gegen Türkei Mit der Anerkennung des Individualbeschwerderechts gemäß Art 25 (Art 34) EMRK durch die Türkei549 kamen in den 1990erJahren auch zahlreiche Individualbeschwerden vor die Konventionsorgane. In der verbundenen Rechtssache Chrysostomos, Papachrysostomou und Loizidou gegen Türkei klagten griechisch-zypriotische Beschwerdeführer die Türkei wegen Misshandlungen und willkürlicher Verhaftungen durch türkische Streitkräfte bzw Sicherheitskräfte der Türkischen Republik Nordzypern (TRNC).550 Dagegen wandte die türkische Regierung eine in Ziffer (i) ihrer Erklärung vom 28. 1. 1987 betreffend die Anerkennung des Individualbeschwerdeverfahrens enthaltene territoriale Beschränkung ein: Demnach sei die Zuständigkeit der Kontrollorgane auf die Überprüfung von Handlungen und Unterlassungen der türkischen Behörden beschränkt, die „innerhalb der Grenzen des nationalen Territoriums der Republik Türkei“ gesetzt wurden. Die EKMR prüfte in der Fol547 EGMR, Urteil v 10. 5. 2001 (Große Kammer), Zypern gegen Türkei, Nr. 25781/ 94, RJD 2001-IV, 25, Rz 77. 548 Ibid, 25, Rz 77. 549 Erklärung vom 28. 1. 1987; vgl dazu Kälin, EuGRZ 1987, 421ff und Rumpf, ZaöRV 1987, 778ff. 550 EKMR, Entscheidung v 4. 3. 1991, Chrysostomos, Papachrysostomou und Loizidou gegen Türkei, Nr. 15299/89, 15300/89 und 15318/89, YB 1991, 35ff (= EuGRZ 1991, 254ff). Die gerügten Vorfälle ereigneten sich bei einer Gedenkfeier am Vorabend zum 15. Jahrestag der Invasion türkischer Truppen auf Zypern in einer Kirche, die sich in der von der UNFICYP kontrollierten Pufferzone befand. Während des Gottesdienstes drangen türkische Soldaten und Polizeibeamte der TRNC ein, misshandelten die Teilnehmer und die beschwerdeführenden Priester mit Schlagstöcken, Gewehrkolben und Fußtritten und nahmen die beiden Priester fest, die danach zehn Tage lang inhaftiert wurden. Die dritte Beschwerdeführerin, Titina Loizidou, machte die Verletzung ihrer in Nordzypern gelegenen Eigentumsrechte wegen der durch türkische Streitkräfte vereitelten Nutzbarkeit geltend. Zu ihrer Beschwerde, die später vom Fall getrennt wurde, siehe unten cc).
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ge, ob ihre Zuständigkeit durch die Erklärung tatsächlich begrenzt worden sei.551 Sie unterstrich dabei erneut, dass die Anwendbarkeit der Konvention nicht durch die Staatsgrenzen der Vertragsparteien eingeschränkt ist und auch Handlungen im Ausland erfassen kann.552 Somit stützt Art 1 EMRK, so die EKMR, die Ansicht, dass die territoriale Beschränkung in der Erklärung der Türkei nach Art 25 (Art 34) nicht zulässig ist. Dem könne auch Art 63 (Art 56) EMRK nicht entgegenstehen, da der nördliche Teil Zyperns kein Territorium sei, für dessen internationale Beziehungen die Türkei verantwortlich sei. Die Kommission kam daher zum Schluss, dass der Territorialvorbehalt der Türkei unzulässig war und prüfte, ob die Unzulässigkeit des Vorbehalts Einfluss auf die Wirksamkeit der gesamten Erklärung der Türkei zur Anerkennung des Individualbeschwerderechts hatte.553 bb) Ahmed Cavit An ua gegen Zypern In diesem Fall behaupteten fünf türkisch-zypriotische Beschwerdeführer eine Beschränkung ihrer Reisefreiheit wegen wiederholter Zurückweisung ihrer in Nordzypern gestellten Anträge auf Übertritt in die Pufferzone.554 Die Kommission erklärte die Beschwerde für unzulässig, da die Regierung der Republik Zypern seit 1974 daran gehindert sei, ihre Hoheitsgewalt im Norden der Insel wegen der Anwesenheit türkischer Streitkräfte auszuüben. Dadurch sei die Hoheitsgewalt der Republik Zypern auf den Südteil der Insel beschränkt, womit sie nicht für das gerügte Verhalten verantwortlich gemacht werden könne. EKMR, Entscheidung v 4. 3. 1991, Chrysostomos, Papachrysostomou und Loizidou gegen Türkei, Nr. 15299/89, 15300/89 und 15318/89, YB 1991, 49ff. 552 Ibid, 54f. 553 Dies verneinte sie durch Trennung des Erklärungswillens in eine Haupt- und eine Nebenabsicht; unter Verweis auf den Grundsatz „ut res magis valeat quam pereat“ kam sie zum Ergebnis, dass das Scheitern der Nebenabsicht den Fortbestand der Erklärung nicht berührt und diese deshalb ohne territoriale Einschränkung Gültigkeit hat; folglich erklärte die EKMR die Beschwerden für zulässig; kritisch Rumpf, EuGRZ 1991, 202f. 554 EKMR, Entscheidung v 8. 10. 1991, Ahmed Cavit An ua gegen Republik Zypern, Nr. 18270/91 (=EuGRZ 1992, 470f); vgl auch Rumpf, EuGRZ 1992, 461f. 551
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cc) Loizidou gegen Türkei Die Beschwerde von Frau Loizidou wurde zunächst mit den Verfahren Chrysostomos bzw Papachrysostomou gegen Türkei verbunden, sodann davon wieder getrennt.555 In ihrem Bericht stellte die EKMR fest, dass die türkischen Truppen auf Zypern im Grenzgebiet eine umfassende Kontrolle (overall control) ausübten.556 Ungeachtet dessen wandte die türkische Regierung im darauf folgenden Verfahren vor dem EGMR die mangelnde Zuständigkeit des Gerichtshofs ratione loci ein.557 Demnach fielen die gerügten Handlungen nämlich nicht in die Jurisdiktion der Türkei, sondern in jene der Türkischen Republik Nordzypern (TRNC). Nach Ansicht des Gerichtshofs folge aus Ziel und Zweck der EMRK die Verantwortlichkeit der Vertragsstaaten auch dann, wenn diese im Zuge einer militärischen Operation – rechtmäßig oder rechtswidrig – wirksame Kontrolle (effective control) über ein außerhalb des eigenen Territoriums gelegenes Gebiet ausüben.558 Die Verpflichtung, in einem solchen Gebiet die Konventionsrechte sicherzustellen, resultiert, so der Gerichtshof, aus dem Vorliegen einer derartigen Kontrolle, egal ob diese direkt durch eigene Streitkräfte oder durch eine nachgeordnete lokale Verwaltung ausgeübt wird. Dazu merken die Straßburger Richter an, dass der von der Beschwerdeführerin beklagte Verlust der Kontrolle über ihr Eigentum eine Folge der türkischen Besetzung Nordzyperns und der Errichtung der TRNC ist;559 diesbezüglich stehe außer Streit, dass die Beschwerdeführerin durch türkische Truppen an ihrem Zugang zu ihrem Eigentum gehindert war. Daraus sei zu schließen, dass die vereitelte Nutzbarkeit der Eigentumsrechte in die Jurisdiktion der Türkei iSv Art 1 EMRK fällt. 555 Die Beschwerdeführerin machte eine Verletzung ihrer in Nordzypern gelegenen Eigentumsrechte wegen der infolge der Besetzung durch türkische Streitkräfte vereitelten Zugänglichkeit und Nutzbarkeit geltend. 556 EKMR, Bericht der EKMR v 8. 7. 1993, Loizidou gegen Türkei, Serie A-310, 53, Rz 94. 557 EGMR, Urteil v 23. 3. 1995, Loizidou gegen Türkei (preliminary objections), Serie A-310, 21ff, Rz 55ff; vgl ÖIMR-Newsletter 1995, 83; ÖJZ 1995, 629; siehe auch Lawson/Schermers, Leading Cases of the ECHR, 589ff. 558 EGMR, Urteil v 23. 3. 1995, Loizidou gegen Türkei (preliminary objections), Serie A-310, 23, Rz 62. 559 Ibid, 24, Rz 63.
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Der EGMR bestätigte dies im Urteil zur Begründetheit und bejahte die Zurechenbarkeit der gerügten Handlungen zur Türkei sowie deren Verantwortlichkeit.560 Von Bedeutung ist der Umstand, dass er das von der EKMR in ihrem Bericht in der Rechtssache vom 8. 7. 1993 angeführte Kriterium der umfassenden Kontrolle (overall control) mit dem in seinem Urteil zu den Vorabeinreden verwendeten der wirksamen Kontrolle (effective control) vermengt: „It is obvious from the large number of troops engaged in active duties in northern Cyprus…that her army exercises effective overall control over that part of the island. Such control, according to the relevant test and in the circumstances of the case, entails her responsibility for the policies and actions of the ,TRNC‘…Those affected by such policies or actions therefore come within the ,jurisdiction‘ of Turkey for the purposes of Article 1 of the Convention…“561
Der Gerichtshof stellt somit also auf eine wirksame Gesamtkontrolle (effective overall control)562 ab, mit welcher die Verantwortlichkeit der Türkei, nicht nur für die Handlungen ihrer eigenen Soldaten, sondern allgemein für die Politik und die Handlungen der TRNC einhergeht,563 da sich all jene, die von dieser Politik und diesen Handlungen betroffen sind, infolge deren wirksamer Gesamtkontrolle innerhalb der Jurisdiktion der Türkei befinden.564
EGMR, Urteil v 18. 12. 1996, Loizidou gegen Türkei (merits), RJD 1996-VI, 2234, Rz 52ff (= EuGRZ 1997, 555ff = ÖJZ 1997, 793); siehe zum gesamten Fall insb auch Cohen-Jonathan, RGDIP1998, 123ff. Das Urteil erging allerdings bloß mit einer 11:6 Mehrheit, vgl auch die dissenting opinions der Richter Bernhardt (dessen opinion sich Lopes Rocha angeschlossen hat), Baka, Jambrek, Pettiti und Gölcüklü. 561 EGMR, Urteil v 18. 12. 1996, Loizidou gegen Türkei (merits), RJD 1996-VI, 2234, Rz 56. 562 Eine solche wirksame Gesamtkontrolle sei nach Ansicht des EGMR schon infolge der großen Anzahl an türkischen Streitkräften, die aktiv auf Nordzypern tätig sind, offensichtlich. 563 Dies folgt insb aus EGMR, Urteil v 18. 12. 1996, Loizidou gegen Türkei (merits), RJD 1996-VI, 2234, Rz 52 iVm EGMR, Urteil v 23. 3. 1995, Loizidou gegen Türkei (preliminary objections), Serie A-310, 23, Rz 62. 564 EGMR, Urteil v 18. 12. 1996, Loizidou gegen Türkei (merits), RJD 1996-VI, 2234, Rz 56. 560
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e) Ilaúcu et al gegen Moldawien und Russland Auch dieser Fall betrifft ein Konfliktgebiet, nämlich die moldawische Region Transdniestrien, ein am linken Ufer des Dniester gelegener Landstreifen, der am 25. 8. 1991 als „Moldawische Republik Transdniestrien“ (MRT) seine Unabhängigkeit erklärte, von der Staatengemeinschaft aber bis heute nicht anerkannt wurde. Nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991 blieben in dieser Region Mitglieder der ehemals 14. Armee stationiert, die sodann als russische Einheiten die transdniestrischen Separatisten im Moldawienkonflikt 1991 – 1992 unterstützten. Auch nach dem Waffenstillstand vom 21. 7. 1992 blieb es bei ihrer Präsenz und militärischer, wirtschaftlicher und politischer Unterstützung der MRT durch Russland. In ihrer Beschwerde behaupten vier moldawische Staatsangehörige zahlreiche Konventionsverletzungen sowohl durch Moldawien als auch durch Russland in der Folge ihrer Verhaftung im Juni 1992, anschließender Inhaftierung und Verurteilung durch den Obersten Gerichtshof von Transdniestrien wegen Mordes bzw anti-sowjetischer Aktivitäten und illegalen Kampfes gegen den rechtmäßigen Staat Transdniestrien.565 Während die Verantwortung Moldawiens aus der – auch bei Fehlen von wirksamer Kontrolle über das eigene Staatsgebiet – positiven Verpflichtung gemäß Art 1 EMRK folgt, jegliche mit dem Völkerrecht vereinbare diplomatische, wirtschaftliche, juristische oder sonstige Maßnahmen zur Garantie der Konventionsrechte zu treffen,566 liegt bezüglich Russland eine mutmaßliche extraterritoriale Jurisdiktionsausübung russischer Organe vor.567 In Anlehnung an den Fall Loizidou bestätigt der EGMR die Ansicht, dass die Verantwortung eines Konventionsstaats aus einer militärischen Operation resultieren kann, bei der er – rechtmäßig oder rechtswidrig – wirksame Kontrolle (effective control) über ein außerhalb des eigenen Staatsgebiets gelegenes Territorium ausübt.568 Dafür sei keine ins Einzelne gehende Kontrolle über die Politik und 565 EGMR, Urteil v 8. 7. 2004 (Große Kammer), Ilaúcu et al gegen Moldawien und Russland, Nr 48787/99, RJD 2004-VII, 179 (= NJW 2005, 1849ff). 566 Ibid, 266, Rz 331. Damit relativiert der EGMR den Grundsatz vom Fall Ahmed Cavit An (siehe oben d)bb)), wonach ein Vertragsstaat mangels faktischer Hoheitsgewalt nicht zur Verantwortung gezogen werden kann. 567 Ibid, 278, Rz 377ff. 568 EGMR, Urteil v 8. 7. 2004 (GK), Ilaúcu et al gegen Moldawien und Russland, Nr 48787/99, RJD 2004-VII, 263, Rz 314.
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Handlungen der Behörden in diesem Gebiet erforderlich, vielmehr genüge eine umfassende Kontrolle (overall control) über die Region. Liegt eine solche vor, so der EGMR, ist der betreffende Staat nicht bloß für die Handlungen der eigenen Soldaten oder Organe verantwortlich, sondern auch für diejenigen der lokalen Verwaltung, welche bloß kraft militärischer und sonstiger Unterstützung durch ihn existieren könne. Zudem kann innerhalb seiner Jurisdiktion auch das Einverständnis oder die Duldung privater Handlungen durch einen Vertragsstaat, welche die Konventionsrechte anderer verletzen, dessen Verantwortung begründen; dies trifft auf die Anerkennung von Akten selbsternannter, von der Staatengemeinschaft nicht anerkannter Behörden durch den Vertragsstaat zu.569 Im Urteil kommt der EGMR zum Ergebnis, dass die MRT unter effective authority570 bzw zumindest unter entscheidendem Einfluss der Russischen Föderation steht und nur kraft deren militärischer, wirtschaftlicher, finanzieller und politischer Unterstützung existenzfähig ist.571 Darin sieht er eine andauernde und ununterbrochene Verbindung Russlands mit den von den Beschwerdeführern gerügten Handlungen, weshalb sich diese innerhalb der Jurisdiktion der Russischen Föderation gemäß Art 1 EMRK befinden würden.572 f) Saddam Hussein gegen Albanien und 20 weitere Vertragsstaaten der Konvention In seiner Beschwerde behauptet Saddam Hussein, bis 2003 Präsident des Irak mit praktisch diktatorischer Machtfülle, eine Verletzung unter anderem wegen Art 2, 3, 5 und 6 EMRK wegen seiner Festnahme im Dezember 2003 und anschließendem Verfahren durch die Coalition Provisional Authority (CPA), an der auch die 21 beklagten Vertragsstaaten der Konvention mitwirkten und daher konIbid, 264, Rz 318. Gemeint sollte wohl eher effective control, also wirksame Kontrolle und nicht authority iSv Gewalt sein. 571 EGMR, Urteil v 8. 7. 2004 (GK), Ilaúcu et al gegen Moldawien und Russland, Nr 48787/99, RJD 2004-VII, 282, Rz 392 572 Siehe überdies in diesem Zusammenhang auch EGMR, Urteil v 8. 4. 2004, Assanidze gegen Georgien, RJD 2004-II, 221ff (= EuGRZ 2004, 268ff), wo der Gerichtshof festhielt, dass Georgien ungeachtet eines fehlenden funktionsfähigen Staatsapparats in Adscharien Jurisdiktion über die autonome Provinz ausüben würde (Rz 150). 569 570
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ventionsrechtlich verantwortlich sein würden.573 Der Gerichtshof erklärte die Beschwerde für unzulässig, da der Beschwerdeführer nicht darlegen konnte, dass er sich innerhalb der Jurisdiktion der beklagten Staaten befand; weder übten diese eine Kontrolle über das Gebiet aus, in welchem die gerügten Handlungen stattgefunden haben sollen, noch waren sie in die Festnahme und anschließende Inhaftierung Husseins involviert; vielmehr waren die Konventionsstaaten bloß an einer Koalition mit den USA beteiligt, die aber die alleinige „overall command“ innerhalb dieser Koalition innehatten. 3. Polizeiliche, militärische und sonstige Einzeloperationen auf fremdem Staatsgebiet a) Bankoviü et al gegen Belgien und 16 andere NATO-Staaten Mit dem Fall Bankoviü, der in der Literatur zT kontroversiell diskutiert wurde,574 hat die Frage nach dem territorialen Geltungsbereich der EMRK an Bedeutung gewonnen und ist heute – mehr als 50 Jahre nach dem Inkrafttreten der Konvention – erstmals Gegenstand einer intensiven Diskussion. Die Entscheidung des EGMR bedeutet insofern eine Zäsur, als dieser einer weiten Anwendung der Konvention über das Gebiet der Vertragsstaaten hinaus einen Riegel vorschiebt, indem er auf eine restriktive Auslegung von Art 1 EMRK abstellt. Ging der Gerichtshof bis zu Bankoviü davon aus, dass die Jurisdiktion nicht auf das Hoheitsgebiet der Vertragsstaaten beschränkt ist und auch Hoheitsakte im Ausland die Verantwortlichkeit der Vertragsstaaten begründen können, dreht er nunmehr das 573 EGMR, Entscheidung v 14. 3. 2006, Saddam Hussein gegen Albanien und 20 weitere Vertragsstaaten, Nr. 23276/04, abrufbar unter http://www.echr.coe.int (= EuGRZ 2006, 247ff). 574 EGMR, Entscheidung v 12. 12. 2001 (Große Kammer), Bankoviü et al gegen Belgien und 16 andere NATO-Staaten, RJD 2001-XII, 333ff (= EuGRZ 2002, 133ff = ÖIMR-Newsletter 2002, 48ff = AJDA 2002, 500f = NJW 2003, 413ff = MRT2003, 144ff); vgl auch Cohen-Jonathan, RTDH 2002, 1069ff; Schäfer, MRM 2002, 149ff; Kamminga, NJCM-Bulletin 2002, 631ff; Williams/Shah, EHRLR 2002, 775ff; Ress, IYIL 2002, 51ff; ders, ZEuS 2003, 73ff; Lawson, in: Globalisation and Jurisdiction, 207ff; ders, in: Extraterritorial application, 107ff; O’Boyle, in: Extraterritorial application, 125ff; Ruth/Trilsch, AJIL 2003, 168ff; Orakhelashvili, EJIL 2003, 538ff; Altiparmak, C&S Law 2004, 213ff; Pedersen, NJIL 2004, 296ff; Schilling, GLWP 08/04, 8ff; Erberich, Auslandseinsätze, 14f; Mantouvalou, IJHR 2005, 147ff. Siehe auch ausführlich unten III.E.3.e)bb).
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Regel-Ausnahme-Verhältnis um: Der Regelfall sei eine territoriale Jurisdiktion, nur ausnahmsweise können Handlungen von Vertragsstaaten, die außerhalb ihres Hoheitsgebiets vorgenommen werden oder Auswirkungen zeigen, als Ausübung von Jurisdiktion iSd Art 1 EMRK gewertet werden.575 Gegenstand der Beschwerde sechs jugoslawischer Staatsbürger gegen all jene NATO-Staaten, die auch Vertragsstaaten der EMRK sind, waren die NATO-Luftangriffe auf die Belgrader Radio- und Fernsehstation RTS am 23. 4. 1999, bei denen nahe Angehörige der Beschwerdeführer getötet worden waren bzw eine Beschwerdeführerin selbst verletzt worden war. Die Beschwerdeführer behaupten, durch die Bombardierung des RTS-Gebäudes in Art 2, 10 und 13 EMRK verletzt worden zu sein.576 Sie machen geltend, dass die Beschwerde ratione loci mit der Konvention vereinbar sei, weil die RTS-Bombardierung sie der Herrschaftsgewalt der beklagten Staaten unterstellt habe. Sie betonen, dass die Bestimmung der Jurisdiktion dieser Staaten durch die Anwendung der Kriterien der „wirksamen Kontrolle“ erfolgen könne, die vom Gerichtshof in den Loizidou-Urteilen entwickelt worden seien, so dass der Umfang der positiven Verpflichtung aus Art 1 EMRK, nämlich die darin anerkannten Rechte zuzusichern, proportional zum Grad der tatsächlich ausgeübten Kontrolle stehe.577 Anders als bei Loizidou, wo der EGMR entschieden hatte, dass die Türkei in Folge ihrer wirksamen Kontrolle in Nordzypern verpflichtet gewesen sei, die Gesamtheit der in der Konvention anerkannten Rechte in diesem Gebiet zuzusichern, seien die beklagten Staaten somit nicht verpflichtet, etwas Unmögliches zu tun (Sicherung aller Konventionsrechte), sondern bloß für die Verletzung derjenigen Rechte verantwortlich, bei denen es ihnen möglich gewesen wäre, die Achtung sicherzustellen.578 Weiters bringen die Beschwerdeführer vor, dass die von der NATO praktizierte Kontrolle des Luftraums nahezu so umfassend gewesen sei wie diejenige der Türkei in Nordzypern; die Begriffe „wirksame Kontrolle“ und „Jurisdiktion“ seien hinlänglich flexibel, um die Ver575 EGMR, Entscheidung v 12. 12. 2001 (Große Kammer), Bankoviü et al gegen Belgien und 16 andere NATO-Staaten, RJD 2001-XII, 352ff, Rz 61, 67, 71. 576 Ibid, 345, Rz 28. 577 EGMR, Entscheidung v 12. 12. 2001 (Große Kammer), Bankoviü et al gegen Belgien und 16 andere NATO-Staaten, RJD 2001-XII, 348f, Rz 46. 578 Ibid, 349, Rz 47.
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fügbarkeit und den Einsatz moderner Präzisionswaffen zu berücksichtigen, die extraterritoriale Aktionen mit großer Präzision und Wirkung gestatten würden, ohne dass Bodentruppen notwendig wären.579 Der EGMR prüft in seiner Entscheidung die Formulierung „ihrer Jurisdiktion unterstehend“ in Art 1 EMRK gemäß Art 31 und 32 WVK.580 Anknüpfend am völkerrechtlichen Jurisdiktionsbegriff meint er „Art 1 of the Convention must be considered to reflect this ordinary and essentially territorial notion of jurisdiction, other bases of jurisdiction being exceptional and requiring special justification in the particular circumstances of each case…“.581 Daher sei die Ausübung extraterritorialer Jurisdiktion exzeptionell und liege nur dann vor, wenn – infolge einer militärischen Besetzung oder bei Zustimmung, Einladung oder Duldung der Regierung des betroffenen Staats – der beklagte Staat mittels wirksamer Kontrolle über das relevante Gebiet und dessen Bewohner im Ausland alle oder einen Teil der öffentlichen Gewalt ausübt, die üblicherweise von der dortigen Regierung ausgeübt werde.582 Außerdem zieht der Gerichtshof für seine Auslegung die spätere Praxis iSv Art 31 Abs 3 lit b) WVK heran, welche beweisen soll, dass die Vertragsstaaten bei ähnlichen extraterritorialen Sachverhalten nicht mit einer Verantwortung gerechnet haben.583 Ansonsten hätten sie sich nämlich – bei ihrer Teilnahme an Militäraktionen wie zB im Persischen Golf oder in Bosnien-Herzegowina – auf Krieg oder Notstand berufen, um gemäß Art 15 EMRK eine vorübergehende Suspendierung der Konventionsrechte zu erwirken.584 Zusätzlich zieht der EGMR auch die travaux préparatoires gemäß Art 32 WVK heran: Demnach sollte Art 1 EMRK bloß Personen mit Wohnsitz im Staatsgebiet schützen; erst durch das Kriterium der „Jurisdiktion“ Ibid, 350, Rz 52. Ibid, 350, Rz 55ff. 581 Ibid, 352, Rz 61 [Hervorhebung von mir]. 582 Ibid, 355, Rz 71. Andere völkerrechtlich zulässige Fälle extraterritorialer Jurisdiktion umfassen, so der EGMR, die Tätigkeit von diplomatischen und konsularischen Organen im Ausland sowie das Verhalten in Flugzeugen und auf Schiffen, die unter der Flagge des jeweiligen Staats verkehren (Rz 73). 583 Ibid, 352, Rz 62. 584 Diese Möglichkeit wurde bisher nur bei rein internen Konflikten eingesetzt, so der EGMR, der meint, dass Art 15 nicht alle Fälle von „Krieg“ und „Notstand“ innerhalb und außerhalb des Konventionsraums abdeckt. 579 580
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beabsichtigte man, den Schutz auf Personen auszudehnen, die sich, ohne einen Wohnsitz zu begründen, im Staatsgebiet aufhielten.585 Dem Vorbringen der Beschwerdeführer, die Konventionsrechte seien proportional zum Grad der Kontrolle zu sichern, entgegnet der Gerichtshof, dass der Wortlaut von Art 1 EMRK, „die in Abschnitt I der Konvention niedergelegten Rechte und Freiheiten“ zuzusichern, nicht aufgeteilt und den Umständen der in Rede stehenden Handlung angepasst werden kann;586 außerdem merkt er in diesem Zusammenhang an: „The Court considers that the applicants’ submission is tantamount to arguing that anyone adversely affected by an act imputable to a Contracting State, wherever in the world that act may have been committed or its consequences felt, is thereby brought within the jurisdiction of that State for the purpose of Article 1 of the Convention.“
Auch entstehe, so der EGMR, durch die Nichtanwendung der Konvention keine „bedauerliche Lücke im Menschenrechtsschutzsystem“; anders als Nordzypern sei Jugoslawien als Nicht-Vertragsstaat nämlich nicht vom regionalen europäischen Rechtsraum (espace juridique) erfasst.587 Daraus schließt er auf das Fehlen eines „jurisdictional link“ („lien juridictionnel“) zwischen den Opfern der Bombardierung und den NATO-Staaten.588 Die Luftangriffe hätten daher mangels Jurisdiktion keine Verantwortung der beklagten Staaten zur Folge, weshalb die Beschwerde unvereinbar und nach Art 35 Abs 3 und 4 EMRK unzulässig sei.589 b) Extraterritoriale Festnahmen aa) Freda gegen Italien Im ersten Fall einer extraterritorialen Festnahme behauptete der Beschwerdeführer eine Verletzung Italiens von Art 5 EMRK auf Grund seiner Festnahme durch die Behörden Costa Ricas und anschließender Übergabe an italienische Polizeibeamte, die ihn nach 585 EGMR, Entscheidung v 12. 12. 2001 (Große Kammer), Bankoviü et al gegen Belgien und 16 andere NATO-Staaten, RJD 2001-XII, 354, Rz 63ff. 586 Ibid, 356, Rz 75. 587 Ibid, 358, Rz 80. Seit 3. 3. 2004 ist Serbien nunmehr an die EMRK gebunden. 588 Ibid, 359, Rz 82. 589 Ibid, 360, Rz 84f.
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Italien ausflogen.590 Die EKMR stellte fest, dass der Beschwerdeführer nach der Übergabe an die italienischen Beamten tatsächlich der Gewalt (authority) Italiens unterstand und sich folglich innerhalb italienischer Jurisdiktion befand, auch wenn diese im Ausland ausgeübt wurde.591 bb) Reinette gegen Frankreich Durch die Zusammenarbeit der Behörden von St. Vincent und Frankreich konnte der Beschwerdeführer auch in diesem Fall noch auf dem Flughafen des Karibikstaats durch ungefähr 20 französische Sicherheitsbeamte festgenommen und auf französisches Territorium gebracht werden.592 In Anlehnung zum Fall Freda stellte die Kommission fest „…that from the moment when he was handed over the applicant was effectively subject to French authority and consequently to French jurisdiction, even though in this case that authority was exercised abroad…“.593
cc) Stocké gegen Bundesrepublik Deutschland Auch hier ging es um eine mutmaßliche Kollusion zweier Staaten: Um dem deutschen Haftbefehl zu entgehen, war der deutsche Geschäftsmann Stocké nach Frankreich gereist, wo er in Straßburg von einem mit Deutschland kollaborierenden Geschäftsmann in ein Flugzeug gelockt wurde, um nach Luxemburg zu fliegen.594 Der Flieger landete aber in Saarbrücken zwischen, wo Stocké von deutschen Beamten festgenommen wurde. In seiner Beschwerde machte er Verletzungen von Art 5 und 6 EMRK infolge der völkerrechtswidrigen Entführung im Ausland geltend. Der EGMR sah es aber nicht als bewiesen an, dass zwischen deutschen Behörden und dem an Stocké herangetretenen Geschäftsmann tatsächlich unrechtmäßig kooperiert worden war und verneinte daher eine Verletzung von Art 5 590
EKMR, Entscheidung v 7. 10. 1980, Freda gegen Italien, Nr. 8916/80, DR 21,
250. Ibid, 256. EKMR, Entscheidung v 2. 10. 1989, Reinette gegen Frankreich, Nr. 14009/88, DR 63, 189. 593 Ibid, 193. 594 EGMR, Urteil v 19. 3. 1991, Stocké gegen Bundesrepublik Deutschland, Serie A-199. 591 592
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oder 6 EMRK.595 Es ist anzunehmen, dass der Gerichtshof – bei eindeutiger Beweislage – die Handlungen des kollaborierenden Geschäftsmanns im Ausland der deutschen Hoheitsgewalt zugerechnet hätte und Deutschland damit für die gerügten Akte verantwortlich gewesen wäre. dd) Sánchez Ramirez gegen Frankreich In einem weiteren Kollusionsfall, nämlich zwischen Frankreich und dem Sudan, wurde der Terrorist „Carlos“ in Khartum festgenommen.596 Dieser rügte in seiner Beschwerde gegen Frankreich eine Verletzung von Art 3 und 5 der EMRK infolge der Handlungen französischer Polizisten, die ihn in Khartum zwangen, in ein französisches Militärflugzeug zu steigen, mit dem er nach Frankreich gebracht wurde. Die Kommission unterstrich auch hier, dass, vorausgesetzt der Beschwerdeführer sei tatsächlich von französischen Beamten festgehalten und seiner Freiheit beraubt worden, er der wirksamen Gewalt (effective authority) und somit der Jurisdiktion Frankreichs unterstand, auch wenn diese im Ausland ausgeübt wurde.597 ee) Öcalan gegen Türkei Auch bei der Festnahme des PKK-Führers Öcalan durch türkische Sicherheitsbeamte in Kenia wurde Art 5 EMRK geprüft.598 Auf seiner Suche nach politischem Asyl gelangte Öcalan im Februar 1999 nach Kenia. Bereits im Flugzeug in die Niederlande sitzend, wurde er noch am Flughafen von Nairobi von türkischen Beamten festgenommen.599 Bei der Prüfung der Anwendbarkeit der EMRK auf die extraterritorialen Hoheitsakte der Türkei geht der Gerichtshof von seinen Feststellungen im Fall Bankoviü aus, wonach die Herrschaftsgewalt eines Staates grundsätzlich territorialer Natur ist und nur in exzeptionellen Fällen eine Ausübung von Hoheitsgewalt im Ausland eine Jurisdiktion iSv Art 1 EMRK begründen kann. Sodann unterscheiIbid, Rz 53f. EKMR, Entscheidung v 24. 6. 1996, Sánchez Ramirez gegen Frankreich, Nr. 28780/95, DR 86-B, 155ff. 597 Ibid, 161. 598 EGMR, Urteil v 12. 3. 2003, Öcalan gegen Türkei, Nr. 46221/99 und Urteil v 12. 5. 2005 (Große Kammer), Öcalan gegen Türkei, Nr. 46221/99. 599 EGMR, Urteil v 12. 3. 2003, Öcalan gegen Türkei, Nr. 46221/99, Rz 12f. 595 596
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det er den Fall von der Bankoviü-Entscheidung und bejaht unter Hinweis auf die Fälle Freda und Illich Sánchez Ramirez ein exzeptionelles Vorliegen extraterritorialer Jurisdiktion, da Öcalan mit physischem Zwang von den türkischen Beamten zur Rückkehr in die Türkei gezwungen wurde und folglich der Gewalt und Kontrolle (authority and control) der Türkei unterstand.600 Dabei betont der Gerichtshof, anders als noch bei Bankoviü, nicht so sehr die völkerrechtliche Zulässigkeit der extraterritorialen Jurisdiktion, sondern stellt stärker auf die Zurechenbarkeit des Verhaltens ratione personae als auf das Territorialitätsprinzip ab. Der EGMR bejaht damit – an die EKMR anknüpfend – erstmals eine Jurisdiktionsausübung bei bloß punktuellen extraterritorialen Hoheitsakten. c) Issa et al gegen Türkei Eine Präzisierung dieser Judikatur zu Art 1 EMRK nahm der EGMR in einem rezenten Fall zu türkischen Militäroperationen im Nordirak im April 1995 vor: Sechs irakische Frauen, deren Söhne bzw Ehemänner bei den Operationen ums Leben gekommen sein sollen, behaupteten Konventionsverletzungen auf Grund unrechtmäßiger Festnahme, Misshandlung und Tötung ihrer Verwandten durch die türkischen Armee.601 Auch wenn der Gerichtshof dabei die Jurisdiktion der Türkei letztlich mangels ausreichender Beweise verneinte, enthält sein Urteil wichtige Aussagen zu Art 1 EMRK. Nachdem er zuerst auf den Grundsatz der wirksamen Gesamtkontrolle (effective overall control) im Zuge militärischer Operationen auf fremdem Gebiet rekurriert (und eine solche Kontrolle im konkreten Fall verneint), bejaht er – unter Berufung auf die EKMR602 – wie im Öcalan-Fall die mögliche Verantwortlichkeit der Türkei für ihre punktuell auf fremdem Staatsgebiet tätigen Beamten:603 Ibid, Rz 93. EGMR, Urteil v 16. 11. 2004, Issa et al gegen Türkei, Nr. 31821/96. 602 EKMR, Entscheidung v 14. 10. 1992, M. gegen Dänemark, Nr. 17392/90, DR 73, 193ff; Entscheidung v 24. 6. 1996, Illich Sanchez Ramirez gegen Frankreich, Nr. 28780/95, DR 86, 155ff; aber auch Inter-American Commission of Human Rights, Decision of 29. 9. 1999, Coard et al gegen Vereinigte Staaten, Report No. 109/99, case No. 10951, §§ 37, 39, 41 und 43; Human Rights Committee, 29. 7. 1981, Lopez Burgos gegen Uruguay bzw Celiberti de Casariego gegen Uruguay, Nos. 52/1979 und 56/1979, §§ 12.3. bzw 10.3. 603 EGMR, Urteil v 16. 11. 2004, Issa et al gegen Türkei, Nr. 31821/96, § 69ff. 600 601
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Anwendungsbereich der Grundrechte der Bundesverfassung „Moreover, a State may also be held accountable for violation of the Convention rights and freedoms of persons who are in the territory of another State but who are found to be under the former State’s authority and control through its agents operating – whether lawfully or unlawfully – in the latter State…“.604
Die Konventionsverantwortlichkeit eines Staats könne somit auch trotz Fehlens wirksamer Gesamtkontrolle über ein fremdes Gebiet von – rechtmäßig oder rechtswidrig – in diesem Territorium operierenden Organen, die unter dessen Gewalt und Kontrolle stehen, begründet werden. Art 1 EMRK könne nämlich nicht dahingehend ausgelegt werden, dass er einem Vertragsstaat die Begehung von Konventionsverletzungen auf dem Territorium eines anderen Staates erlaube, deren Begehung ihm auf seinem eigenen Staatsgebiet untersagt ist.605, 606 4. Sonstige Fälle a) X und Y gegen Schweiz Gegen den deutschen Staatsbürger X wurde von der Schweizer Fremdenpolizei ein zweijähriges Einreiseverbot in die Schweiz und Liechtenstein verhängt.607 Das Verbot erging auf Basis einer Vereinbarung zwischen der Schweiz und Liechtenstein aus 1963 über die fremdenpolizeiliche Zusammenarbeit; demgemäß waren die Schweizer Behörden mit der Durchführung der Einreise-, Aufenthalts- und Niederlassungsagenden in Liechtenstein betraut und galten Ausweisungen und Einreisebeschränkungen der Schweizer Fremdenpolizei automatisch in Liechtenstein. Gegen das Einreiseverbot Ibid, § 71 [Hervorhebung von mir]. Ibid, § 71: „Accountability in such situations stems from the fact that Article 1 of the Convention cannot be interpreted so as to allow a State party to perpetrate violations of the Convention on the territory of another State, which it could not perpetrate on its own territory…“. 606 Gerade diese Anmerkung ist neben der erstmals explizit erwähnten Unbeachtlichkeit der Rechtmäßigkeit der Handlungen auf fremdem Staatsgebiet eine beachtliche Erweiterung zum Öcalan-Fall, wo der Gerichtshof zum ersten Mal das Vorliegen einer Jurisdiktionsausübung durch punktuelle extraterritoriale Hoheitsakte bejaht hat. 607 EKMR, Entscheidung v 14. 7. 1977, X und Y gegen Schweiz, Nr. 7289/75 und Nr. 7349/76, DR 9, 57ff. 604 605
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nach Liechtenstein erhoben X und seine Lebensgefährtin Y (mit Wohnsitz in Liechtenstein) Beschwerde gegen die Schweiz. In ihrer Zulässigkeitsprüfung bejahte die EKMR das Vorliegen Schweizer Jurisdiktion gemäß der Vereinbarung zwischen der Schweiz und Liechtenstein aus 1963, da auf deren Basis die Schweizer Behörden nach ihrem nationalen Recht vorgingen und die von diesen ausgeübte Schweizer Hoheitsgewalt bloß auf Liechtenstein ausgeweitet wurde.608 b) Drozd und Janousek gegen Frankreich und Spanien Fraglich war hier, ob die Zusammensetzung eines Gerichts in Andorra609 aus zwei ehemaligen französischen und einem spanischen Richter die Verantwortlichkeit Frankreichs und Spaniens begründen kann.610 Die Beschwerdeführer, die von jenem Gericht wegen eines Raubüberfalles zu jeweils 14-jährigen Haftstrafen verurteilt worden waren, machten eine Verletzung von Art 6 EMRK im Strafverfahren durch Frankreich und Spanien geltend. Nach Ansicht des EGMR ist die Konvention grundsätzlich in Andorra ratione loci nicht anwendbar; gemäß seiner ständigen Rechtsprechung, wonach die Verantwortlichkeit der Vertragsstaaten auch durch Hoheitsakte außerhalb des eigenen Territoriums begründet werden kann,611 sei aber zu prüfen, ob Frankreich und Spanien das beklagte Verhalten zugerechnet werden kann und Jurisdiktion ratione personae vorliegt. Dies verneint der EGMR, da die Richter aus Frankreich und Spanien als Mitglieder des andorranischen Gerichts nicht der Kontrolle Frankreichs und Spaniens unterlagen, sondern autonom tätig wurden.612
608 Wie Frowein, FS Schlochauer, 291 festhält, handelt es sich daher insb um keinen Fall der Organleihe, bei dem Schweizer Organe nach dem Recht Liechtensteins deutlich von ihrer Schweizer Zuständigkeit abgrenzbare Hoheitsakte gesetzt hätten, die alleine Liechtenstein zugerechnet werden hätten können. 609 Andorra ist erst seit 22. 1. 1996 an die Konvention gebunden. 610 EGMR, Urteil v 26. 6. 1992, Drozd und Janousek gegen Frankreich und Spanien, Serie A-240. 611 Ibid, § 91. 612 Ibid, § 93ff; vgl auch Cohen-Jonathan/Flauss, RTDH 1994 98ff.
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c) Die Fälle Behrami und Saramati Zur jüngsten Zulässigkeitsentscheidung des EGMR im Fall Behrami und Saramati vom 2. Mai 2007613 – in welcher sich der Gerichtshof mit der Frage des räumlichen Anwendungsbereichs der Konvention jedoch nicht direkt beschäftigt hat – siehe näher unten im fünften Kapitel Punkt IV.A.5. 5. Zusammenfassung Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass die Konventionsorgane jedenfalls bei wirksamer Gesamtkontrolle (effective overall control) eines Vertragsstaats über ein ausländisches Gebiet dessen Jurisdiktion und damit die Verpflichtung, die Konventionsrechte in diesem Gebiet zu garantieren, anerkennen. Ferner soll ein Vertragsstaat auch Jurisdiktion iSv Art 1 EMRK über Personen oder Vermögensgegenstände auf fremdem Staatsgebiet ausüben, wenn seine Organe Gewalt und Kontrolle (authority and control) über diese Personen und Gegenstände ausüben. Die einzelnen Kriterien dieser Judikatur bleiben aber insgesamt fraglich. In der folgenden Darstellung der einschlägigen Literaturmeinungen und der anschließenden eigenständigen Bewertung sollen die Argumente von EGMR (EKMR) systematisiert, Widersprüchlichkeiten aufgezeigt und verallgemeinerungsfähige Lösungsansätze entwickelt werden.
D. Die wesentlichen Auffassungen im juristischen Schrifttum 1. Grundsätzliche territoriale Indifferenz, Meron- und Loizidou-Formel Jahrzehntelang war es in der rechtswissenschaftlichen Literatur relativ „ruhig“ um Art 1 EMRK. Wurde kurz nach Inkrafttreten der Konvention noch vereinzelt die Auffassung vertreten, dass Art 1 613 EGMR, Entscheidung v 2. 5. 2007 (Große Kammer), Behrami gegen Frankreich und Saramati gegen Frankreich, Deutschland und Norwegen. Vgl dem folgend auch EGMR, Entscheidung v 5. 7. 2007, Kasumaj gegen Griechenland; Entscheidung v 28. 8. 2007, Gajic gegen Deutschland sowie Entscheidung vom 16. 10. 2007, Beric und andere gegen Bosnien und Herzegowina.
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EMRK und der Begriff der Jurisdiktion/Hoheitsgewalt die Geltung der Konvention auf das Territorium des Vertragsstaats beschränken würden,614 so hat sich schon bald die Ansicht durchgesetzt, dass eine Bindung an die Konvention auch bei der Ausübung von Staatsgewalt außerhalb des Staatsgebiets vorliegen würde.615 Dieser Grundsatz galt anfangs in erster Linie für Handlungen von diplomatischen und konsularischen Organen im Ausland sowie der britischen Besatzungsmacht in Deutschland,616 eine nähere Auseinandersetzung mit dem Umfang der Bindung fand allerdings nicht statt. In Bewegung kam die Erörterung des Jurisdiktionsbegriffs in Art 1 EMRK allerdings erst im Gefolge der Zypern-Fälle;617 sie war – ganz anders als die gegenwärtige Post-Bankoviü-Debatte – jedoch von Übereinstimmung mit der Rechtsprechung von EKMR und EGMR gekennzeichnet und beschränkte sich in erster Linie auf die Wiedergabe der den Entscheidungen zu Grunde liegenden Kriterien. Somit verlief die Diskussion im Schrifttum parallel zur Judikaturentwicklung und lässt sich grob in zwei Etappen einteilen: 1. Zunächst wurde im Zusammenhang mit den Staatenbeschwerdeverfahren Zypern gegen Türkei die Jurisdiktion iSv Art 1 EMRK (und damit die grundsätzliche Bindung an die Konvention) bei staatlichen Handlungen im Ausland dahingehend konkretisiert, dass diese gegenüber jenen Personen und Vermögensgegenständen vorliegen Ausdrücklich Weiß, Konvention, 28f; konkludent auch Partsch, Rechte und Freiheiten, 290ff; widersprüchlich Fawcett, Application, 21ff; zweideutig auch Guradze, ERMK, 44f, der auf die Ausübung von (fremder) Herrschaftsgewalt abstellend, lediglich den umgekehrten Fall, nämlich die Einschränkung der Verantwortlichkeit auf eigenem Territorium, erläutert. 615 Echterhölter, JZ 1956, 143; Frowein, FS Schlochauer, 289ff; Schellenberg, Verfahren, 30; Cohen-Jonathan, CEDH, 94f; Velu/Ergec, Convention, § 76f; Lush, ICLQ 1993, 906; Harris/O’Boyle/Warbrick, Law of the ECHR, 642ff; Meron, AJIL 1995, 79f; Frowein/Peukert, EMRK, Artikel 1, Rz 4ff; van der Velde, Grenzen, 202ff; Schöpfer, Extraterritoriale Wirkung, 8ff; Husheer, ZEuS 1998, 396ff; van Dijk/van Hoof, Theory and Practice, 9f; Carrillo-Salcedo, Article 1, in: CEDH, 136ff; Villiger, EMRK, Rz 107; Merrills/Robertson, Human Rights in Europe, 27f; Künzli, Verpflichtungsgrad, 115f; Jacobs/White, European Convention, 22f; Cerone, EJIL 2001, 475ff; Klein, AVR 2001, 131; Matscher, FS Trechsel, 28 FN 2; MeyerLadewig, Konvention, 39. 616 Siehe dazu oben III.C.1. und 2. 617 Vgl oben III.C.2.c) und d). 614
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würde, über die der Staat Gewalt ausüben könne.618 Daraus folge auch, dass die Frage der Rechtsgrundlage der Anwesenheit der Türkei auf Zypern oder die völkerrechtliche Rechtmäßigkeit von deren Akten ohne Bedeutung sei.619 Im Gefolge der US Invasion auf Haiti 1994 schließt Meron bei extraterritorialen Menschenrechtsverträgen auf eine widerlegbare Anwendbarkeitsvermutung: „In view of the purposes and objects of human rights treaties, there is no a priori reason to limit a state’s obligation to respect human rights to its national territory. Where agents of the state, whether military or civilian, exercise power and authority (jurisdiction, or de facto jurisdiction) over persons outside national territory, the presumption should be that the state’s obligation to respect the pertinent human rights continues. That presumption could be rebutted only when the nature and the content of a particular right or treaty language suggest otherwise.“620
Die Widerlegung der Vermutung soll also wesentlich auf die Natur des jeweiligen Rechts abzielen, wozu Meron zwischen Menschenrechten, die stets extraterritorial anwendbar seien wie das Recht auf Leben oder das Folterverbot, solchen, die bloß unter Anpassung an die Umstände des Einzelfalls angewendet werden können (zB Verfahrensrechte bei Inhaftierung) und solchen, deren extraterritoriale Anwendung ausgeschlossen sei, unterscheidet.621 Zu den frühen Zypern-Fällen der EKMR und insb der Zurechnungsproblematik zur Türkei äußerte sich einzig Rumpf kritisch und differenzierte zwischen positivem Handeln und Unterlassungen, wobei letztere nur zugerechnet werden könnten, wenn die Türkei im Rahmen der völkerrechtlichen Sorgfalt (due diligence) Verhinderungspflichten verletzen würde.622 2. Die darin zum Ausdruck kommende Aufforderung nach einer weitergehenden Präzisierung der Rechtsprechung der EKMR wurde vom EGMR sodann erstmals in den Loizidou-Fällen vorgenommen 618 Vgl Frowein, FS Schlochauer, 289f; Harris/O’Boyle/Warbrick, Law of the ECHR, 642. 619 Frowein, FS Schlochauer, 290. 620 Meron, AJIL 1995, 80f [Hervorhebungen von mir]; aA O’Boyle, in: Extraterritorial Jurisdiction, 136, der (allerdings aus der späteren Bankoviü-Entscheidung) eine Vermutung gegen Jurisdiktion bei extraterritorialen Hoheitsakten ableitet. 621 Ibid, 80. 622 Rumpf, EuGRZ 1992, 463ff.
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und zwar von einer einzelfallbezogenen hin zu einer umfassenden Verantwortlichkeit der Türkei.623 Der Gerichtshof entwickelte das Kriterium der wirksamen Gesamtkontrolle, derzufolge die Türkei nicht bloß für die Handlungen ihrer eigenen Organe, sondern auch für die Politik der TRNC auf Nordzypern verantwortlich zeichne; auch diese sog Loizidou-Formel, die der EGMR in einem neuerlichen Staatenbeschwerdeverfahren Zypern – Türkei624 2001 bestätigte, wurde von der Literatur überwiegend zustimmend zur Kenntnis genommen.625 2. Post-Bankoviü Literatur Die bis dahin von breitem Wohlwollen gekennzeichnete Auseinandersetzung der Literatur mit der Rechtsprechung der Straßburger Konventionsorgane hat sich mit dem Fall Bankoviü 626 beträchtlich intensiviert: Sowohl quantitativ als auch qualitativ sind die Beiträge zur Thematik (an)gewachsen, die wesentlichsten Meinungen sollen in der Folge, kategorisiert nach zustimmenden und ablehnenden Meinungen zum Urteil und seiner Begründung, aber auch unter Berücksichtigung der mittlerweile ergangenen einschlägigen Entscheidungen in den Fällen Öcalan, Ilaúcu und Issa,627 skizziert werden. a) Pro Bankoviü Auffassungen Der ehemalige EGMR-Richter Ress verteidigt die einstimmige Entscheidung der Großen Kammer (der er selbst angehörte): Ausgehend vom territorialen völkerrechtlichen Jurisdiktionsbegriff folgt er der Begründung des Gerichtshofs und sieht bei Bankoviü weder einen Fall der effektiven Kontrolle noch eine sonstige Konstellation, die eine extraterritoriale Anwendung der Konvention als Ausnahme 623 Siehe oben III.C.2.d)cc). Die Entscheidung in der Sache erging allerdings nicht einstimmig, sondern mit sechs dissenting opinions (Richter Bernhardt, Lopes Rocha, Baka, Jambrek, Pettiti und Gölcüklü). 624 Siehe oben III.C.2.c). 625 Vgl Husheer, ZEuS 1998, 389ff; Cohen-Jonathan, RGDIP 1998, 123ff; Tavernier, RTDH 2002, 807ff; Loucaides, LJIL 2002, 225ff sowie auch Hoffmeister, AJIL 2002, 445ff. 626 Siehe zum Fall oben III.C.3.a). 627 Siehe zu diesen Entscheidungen III.C.2.e) und 3.b).
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vom Regelfall der territorialen Jurisdiktion rechtfertigen könnte.628 In diese Richtung argumentieren auch andere Autoren, die explizit darauf hinweisen, dass das Kriterium der Jurisdiktionsausübung in Art 1 EMRK gerade nicht ein bloßer Verweis auf das Konzept der Staatenverantwortlichkeit sei, sondern die Anwendung der Konvention auf Fälle der allgemeinen „effective control“ über ein Gebiet (sei es das eigene oder ein fremdes) bzw der spezifischen „authority and control“ über Personen oder Gegenstände beschränken würde.629 Ein Militäreinsatz im Ausland begründe daher – außer im Falle einer militärischen Besetzung mit effektiver Kontrolle über das fremde Gebiet – noch keine Hoheitsgewalt über dort lebende Menschen, die den Anwendungsbereich der Konvention eröffnen würde.630 Zustimmend äußert sich auch Tomuschat, der den vom Fall Loizidou zu unterscheidenden Sachverhalt betont und meint, dass „purely factual contacts do not establish jurisdiction“.631 Kriegerische Handlungen in fremden Ländern unterliegen auch ihm zufolge nicht den Regeln der Konvention; allerdings, und das ist bemerkenswert, präzisiert er diese Aussage wie folgt: „…the legal position changes as soon as the armed forces of a state party to the ECHR have made someone a prisoner. Persons in custody are under the jurisdiction of the custodial power. In such circumstances the applicability of the ECHR cannot be denied … Custody entails both jurisdiction and responsibility…“632
Zurückhaltend bis ablehnend zeigt sich selbst die überwiegende Anzahl der Befürworter im Hinblick auf die Begründung des Gerichtshofs, dass anders als Nordzypern die Bundesrepublik Jugoslawien als Nicht-Vertragsstaat ohnehin nicht vom konventionsrechtlichen europäischen Rechtsraum (espace juridique) erfasst sei:633 Ress, IYIL 2002, 51ff; ders, ZEuS 2003, 73ff. O’Boyle, in: Extraterritorial Application, 128ff; McGoldrick, in: Extraterritorial Application, 42f; 68ff; ähnlich auch Uerpmann-Wittzack, in: Grundrechte und Grundfreiheiten, § 3 Rz 51. 630 Uerpmann-Wittzack, in: Grundrechte und Grundfreiheiten, § 3 Rz 51. 631 Tomuschat, Human Rights, 108: Die Rechtmäßigkeit der Bombardements sei einzig und allein nach humanitärem Völkerrecht zu beurteilen; die Unterschiede zu Loizidou betonend, Bothe, ZaöRV 2005, 617. 632 Tomuschat, Human Rights, 108f. 633 Für jene, welche die Entscheidung des Gerichtshofs ablehnen, bildet dieser Punkt eine der primären Angriffsflächen, vgl zB Schäfer, MRM 2002, 158f; Altiparmak, JCSL 2004, 213ff, 4.2.; Schilling, GLWP 08/04, 13f; Wilde, EHRLR 2005, 115ff und 628 629
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Diese Argumentation sei ebenso fragwürdig wie aufklärungsbedürftig und stehe auch im Widerspruch zur eigenen Argumentation im späteren Fall Issa 634.635 Vereinzelt wird aus diesem obiter dictum aber auch schlicht konstatiert, dass der starke Territorialbezug einen europäischen Rechtsraum schaffe, in dem Menschenrechtsstandards verwirklicht würden, die als vorbildlich gelten, während Übergriffe europäischer Staatsgewalt außerhalb dieses Raumes von jeder Kontrolle freigestellt werden würden.636 b) Die Bankoviü-Entscheidung ablehnenden Meinungen Die Mehrzahl der Beiträge lehnt die Entscheidung vollumfänglich oder überwiegend ab.637 Von den zahlreichen Meinungen sollen die Ansicht von Orakhelashvili, EJIL 2003, 549: Durch die Behauptung, dass Personen nur dann Schutz verdienen würden, wenn ihr National- oder Aufenthaltsstaat Vertragspartei der EMRK ist, verkennt der Gerichtshof die objektive Natur der Konventionsrechte und führt vielmehr die Reziprozität über die Hintertür wieder ein. 634 Konkret zu § 74 des Urteils, vgl EGMR, Urteil v 16. 11. 2004, Issa et al gegen Türkei, Nr. 31821/96; vgl oben III.C.3.c); dazu meint de Schutter, CRIDHO Working Paper 2005/04, 2)c), es sprächen zwar „powerful arguments“ für eine Unterscheidung nach dem „espace juridique“, allerdings sei diese Judikatur von späteren Entscheidungen (insb Issa) „overruled“ worden; ähnlich Wilde, EHRLR 2005, 121ff. 635 McGoldrick, in: Extraterritorial Application, 70f fragt in dieser Hinsicht, in welchem Verhältnis das „legal space“-Kriterium zur Ausübung wirksamer Gesamtkontrolle über ein fremdes Gebiet stehen soll und ob der Grundsatz der „effective control“, also die Loizidou-Formel, somit nur mehr innerhalb des Konventionsraums Geltung besitzt? Vgl auch Cerna, in: Extraterritorial Application, 171f; Bothe, ZaöRV 2005, 618f; O’Boyle, in: Extraterritorial Application, 137; aA jedoch Lorenz, Anwendungsbereich, 119f, der dem Bankoviü-Urteil (zumindest in diesem Punkt) zustimmt und das „legal space“-Argument nämlich nicht als räumliche Begrenzung der Loizidou-Formel ansieht, da Art 1 EMRK keinerlei regionale Beschränkung, sondern lediglich das Erfordernis der Jurisdiktion vorsehen würde; bloß bei faktischen Maßnahmen auf fremdem Staatsgebiet (die auf Grund eines Staatenverantwortlichkeitsansatzes grundsätzlich vom Anwendungsbereich der Konvention erfasst wären) anerkenne der EGMR, so Lorenz (124ff), eine (somit bloß partielle) regionale Begrenzung. 636 Siehe Uerpmann-Wittzack, in: Grundrechte und Grundfreiheiten, § 3 Rz 51, der dazu anmerkt, dass man dem EGMR vorwerfen könnte, das Verhalten der Konventionsstaaten mit zweierlei Maß zu messen. Dass der Autor selbst diesen Vorwurf aber nicht machen will, folgt aus dem Umstand, dass er im Anschluss daran sogleich anmerkt, dass der EGMR schnell überfordert wäre, sollte er Militäroperationen außerhalb des Konventionsraumes durchleuchten. 637 Teilweise ist die Kritik ungewöhnlich scharf: zB Lawson, in: Extraterritorial application, 85: „The Court got it all wrong.“; Flauss, AJDA 2002, 501 bezeichnet
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im Folgenden allerdings nur jene – nach gemeinsamen Anknüpfungspunkten kategorisiert – präsentiert werden, die abgesehen von einer kritischen Auseinandersetzung mit der Urteilsbegründung, auch selbst alternative Lösungsmöglichkeiten bzw Ansätze dazu angestellt haben. aa) Art 1 EMRK als Verweis auf die völkerrechtliche Staatenverantwortlichkeit Vor dem Fall Bankoviü vertrat in erster Linie Künzli die Auffassung, dass die Zuständigkeitsklauseln in den Menschenrechtsinstrumenten wie insb Art 1 EMRK auf die Zurechenbarkeitsregeln der Staatenverantwortlichkeit Bezug nehmen und somit einzig und allein entscheidend ist, ob ein bestimmtes Verhalten unter der Kontrolle eines bestimmten Staats erfolgte.638 Die Kritik mancher Autoren an der Entscheidung knüpft auch an dieser Auffassung an: „…the extraterritorial actions of a contracting party would be subject to the Conventions’ standards when they are attributable to the state under international law.“639 das Urteil etwa „un déni de justice manifeste“; van Boven, MRT 2003, 158: „Het Hof heeft kennelijk niet gewild zijn vingers te branden aan deze politiek beladen kwestie…De slachtoffers bleven in de kou staan.“; vgl auch Cohen-Jonathan, RTDH 2002, 1069ff; Schäfer, MRM 2002, 155ff; Lawson, in: State, Sovereignty and International Governance, 281ff; ders, in: Globalisation and Jurisdiction, 207ff; Kamminga, NJCM-Bulletin 2002, 631ff; Schorkopf, GLJ 2002/2, 15f; Scheinin, in: Extraterritorial application, 73ff; Ruth/Trilsch, AJIL 2003, 168ff; Orakhelashvili, EJIL 2003, 538ff; Breuer, ZEuS 2002, 270f; ders, EuGRZ 2003, 449ff; ders, EuGRZ 2005, 472; Giegerich, EuGRZ 2004, 764f; Altiparmak, C&S Law 2004, 213ff; Schilling, GLWP 08/04, 8ff, 13ff; ders, Menschenrechtsschutz, Rz 471; Erberich, Auslandseinsätze, 30f; im Ergebnis auch Lorenz, Anwendungsbereich, 115ff; Mantouvalou, IJHR 2005, 147ff; zurückhaltend Pedersen, NJIL 2004, 300ff. 638 Künzli, Verpflichtungsgrad, 114, 116f stützt sich dabei ausdrücklich auf Nowak, CCPR-Commentary, Article 2, Rz 28, demzufolge auch bei der Interpretation von Art 2 Abs 1 IPBPR auf die völkerrechtliche Verantwortlichkeit abzustellen ist. Auch Villiger, EMRK, Rz 107 sieht die Zuständigkeit ratione loci als gegeben an, solange ein Staat für einen Hoheitsakt völkerrechtlich verantwortlich gemacht werden kann. 639 Ruth/Trilsch, AJIL 2003, 171 [Hervorhebung von mir]. Orakhelashvili, EJIL 2003, 540 bzw 542: „Thus, ‘jurisdiction’ under Article 1 is a tool for identifying whether alleged violations of the Convention may be imputable to one or another contracting state…“.
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Sie stützen sich dabei zT auch auf die Urteile des Gerichtshofs in den Fällen Loizidou sowie Zypern gegen Türkei, in welchen dieser die Begriffe der Jurisdiktion und der Staatenverantwortlichkeit austauschbar verwendet hätte.640 Eine ähnliche Position vertritt auch Lorenz, nach dem die Zuständigkeitsklauseln menschenrechtlicher Verträge im Sinne von Staatenverantwortlichkeit auszulegen sind und damit auch faktische Maßnahmen, wie die Vornahme von Kampfhandlungen in bewaffneten Konflikten umfassen würden.641 Trotz seines vom Gerichtshof gänzlich verschiedenen Ansatzes stimmt er insofern mit dem Ergebnis der Unzulässigkeit der Beschwerde im Fall Bankoviü überein,642 als er im Hinblick auf die in Frage stehenden faktischen Maßnahmen aus dem telos der EMRK ein regionales Element ableitet, das eine partielle643 regionale Beschränkung bedingen soll.644 Eine solche regionale Beschränkung zwar strikt ablehnend, lassen auch andere Autoren zumindest andeutungsweise die Tür für das Konzept der Staatenverantwortlichkeit als entscheidendes Kriterium zur Bestimmung der Anwendbarkeit der Konvention offen, legen sich diesbezüglich aber nicht explizit fest.645
Ruth/Trilsch, AJIL 2003, 172. Ausdrücklich Lorenz, Anwendungsbereich, 117 und erneut in den zusammenfassenden Thesen auf 295. Bemerkenswert ist, dass er zuvor noch feststellt (116), dass der Begriff der Jurisdiktion nicht im Sinne von Staatenverantwortlichkeit ausgelegt werden kann, sondern enger gefasst ist. Die entscheidende Frage sei, so Lorenz, nämlich nicht, ob [überhaupt] Hoheitsgewalt, sondern ob Hoheitsgewalt über das betroffene Individuum ausgeübt wird. 642 Dennoch rechtfertigt seine mit dem Gerichtshof völlig diametrale Argumentation eine Einordnung unter den Gegenpositionen, auch wenn der Autor selbst seine Position nicht immer ganz eindeutig zum Ausdruck bringt. 643 Partiell deshalb, weil die regionale Begrenzung nämlich nur für faktische Handlungen, jedoch nicht für die Ausübung von Hoheitsgewalt gelten würde, für welche ja Art 1 EMRK und somit die Regeln über die Staatenverantwortlichkeit den Geltungsbereich determinieren sollen. 644 Lorenz, Anwendungsbereich, 123ff. 645 Schäfer, MRM 2002, 160, der aber zugleich die Notwendigkeit der tatsächlichen Ausübung der Hoheitsgewalt durch einen Vertragsstaat im Verhältnis zum einzelnen (‘jurisdictional link’) unterstreicht; vgl auch Scheinin, in: Extraterritorial Application, 75f. 640 641
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bb) Art 1 EMRK als Einschränkung der allgemeinen Staatenverantwortlichkeit Die Bankoviü-Entscheidung als zu eng ablehnend, konzedieren Teile der Literatur, dass Art 1 EMRK die völkerrechtliche Verantwortlichkeit der Vertragsstaaten einschränken will und nicht als simpler Verweis auf deren Zurechnungsregeln anzusehen ist. Nach welchen Kriterien allerdings diese Einschränkung vorzunehmen ist, wird kontroversiell an Hand folgender Lösungsmodelle diskutiert: i) Lawsons ‘direct and immediate link’ Test Einer der profiliertesten Kritiker der Entscheidung der Großen Kammer des EGMR ist Lawson, der, dies sei an dieser Stelle angemerkt, am Verfahren als Rechtsberater der Beschwerdeführer beteiligt war. Er legt – anknüpfend am Zitat Justice Holmes’ „the foundation for jurisdiction is physical power“646 – seinen Überlegungen den konzeptuellen Ansatz zu Grunde, dass Kontrolle Verantwortlichkeit nach sich ziehe bzw „Kontrolle verpflichtet“.647 Einerseits sei ein Staat daher zur Einhaltung sämtlicher Konventionsrechte inklusive positiver Gewährleistungspflichten verpflichtet, wenn er „effective control“ über ein Gebiet ausübe.648 Ist das allerdings nicht der Fall, sei eine Begrenzung der Konventionsverpflichtungen nötig.649 Denn: „[I]t would go too far to assume that anybody who is ,affected‘ by the conduct of a contracting state is ,within the jurisdiction‘ of that state“.650 Eine solche Beschränkung wäre jedoch zu restriktiv, so Lawson, wenn sie auf ein formelles Rechtsverhältnis oder eine sonstige strukturelle Beziehung abstellen würde; stattMc Donald v Mabee, [1917] 23 U.S. 90, 91. Wörtlich „control entails responsibility“, was Lawson in einer Fußnote dahingehend präzisiert, dass nach dem Recht der Staatenverantwortlichkeit erstens in gewissen Fällen ein Staat auch ohne Kontrolle verantwortlich werden kann und zweitens zudem die Verletzung einer internationaler Verpflichtung Voraussetzung des Eintritts der Verantwortlichkeit sei; somit wäre es besser von „contrôle oblige“ zu sprechen, vgl Lawson, in: Extraterritorial Application, 86 (= ders, in: State, Sovereignty and International Governance, 297). 648 Lawson, in: Extraterritorial Application, 120. 649 Ibid, 120. 650 Ansonsten würde etwa ein Beschluss, die Entwicklungshilfe oder Importquoten zu kürzen, ausreichen, um eine unbestimmte Anzahl an Menschen ‘unter die Jurisdiktion’ zu bringen, vgl Lawson, in: Extraterritorial Application, 103f. 646 647
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dessen soll ein direct and immediate link zwischen dem extraterritorialen Akt des Staates und den verletzten Individualrechten erforderlich sein.651 Entscheidend sei in diesen Fällen nämlich nicht, dass der Staat Kontrolle über ein Gebiet sondern über Personen hat.652 Die Reichweite der Konventionsverpflichtungen soll bei solchen Situationen der de facto control über Personen und Vermögensgegenstände aber modifiziert werden: Sie sei nicht vollumfänglich sondern lediglich proportional zum vom Staat ausgeübten Ausmaß der Kontrolle, dem Staat dürfe kein „impossible or disproportionate burden“ auferlegt werden.653 Zum „European legal space“ meint Lawson, der EGMR hätte besser eine ‘political question doctrine’ entwickeln sollen anstatt sich auf wenig überzeugende Argumente zu stützen.654 ii) Weitere Positionen Scheinin leitet aus Art 23 ILC-Entwurf (force majeure) ab, dass für das seiner Meinung nach entscheidende Kriterium der wirksamen Kontrolle der Grundsatz „facticity determines normativity“ gilt:655 Staatenverantwortlichkeit im Rahmen von Menschenrechtsverträgen für extraterritoriale Akte setze aus diesem Grund faktische, also sachbezogene Kontrolle (factual control) in Bezug auf die angeblich eine Menschenrechtsverletzung verursachenden Tatsachen und Ereignisse voraus.656 In ähnlicher Weise vertreten Ben-Naftali/Shany einen umstandsabhängigen, verhaltensorientierten Ansatz.657 Lawson, in: Extraterritorial Application, 104. Ibid, 104. Den ‘direct and immediate link’ Test sieht Lawson einerseits von der Klagebefugnis natürlicher und juristischer Personen vor dem EuGH gemäß Art 230 Abs 4 EGV sowie vom Urteil des EGMR v 24. 2. 1998 im Fall Botta gegen Italien, RJD 1998-I, 423f, § 34f inspiriert. 653 Lawson, in: Extraterritorial Application, 105f. So könne man, wie im Fall Issa, von türkischen Soldaten bei Spezialeinsätzen im Nordirak nicht die Beachtung sämtlicher Konventionsrechte inklusiver positiver Gewährleistungspflichten gegenüber den irakischen Schafhirten, die von ihnen kontrolliert wurden, verlangen; wenn Behörden hingegen bei einem Auslandseinsatz eine Person verhaften, erlangen sie jedoch die volle Kontrolle über diese Person und seien aus diesem Grund auch vollumfänglich verantwortlich. 654 Lawson, in: Extraterritorial Application, 113ff. 655 Scheinin, in: Extraterritorial Application, 76. 656 Ibid, 76. Im Ergebnis bedeutet das einen uneingeschränkten Verweis auf die Staatenverantwortlichkeit. 657 Ben-Naftali/Shany, ILR 2004, 30. 651 652
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cc) Sonstige Lösungsvorschläge Andere Kommentatoren sprechen sich auch nach dem BankoviüFall im Wesentlichen für die ältere Rechtsprechung (insb Loizidou) aus und verweisen auf die Kriterien der umfassenden Kontrolle bzw der Gewalt über Personen und Gegenstände bei punktuellem Handeln.658 Auch in den Fällen extraterritorialer Hoheitsgewalt soll dabei eine vollumfängliche Bindung an die EMRK bestehen, konkret haftbar gemacht werden könne ein Vertragsstaat „jedoch nur für die Verletzung der Rechte, die in der aktuellen Situation eingriffen“.659 Anders beurteilt den Umfang der Konventionsverpflichtungen Künnemann, der zwischen der obligation to respect und den obligations to ensure, protect and fulfill unterscheidet: Erstere, negative Pflicht gelte in Art 1 EMRK als vorausgesetzt und sei stets zu beachten, während die positiven Verpflichtungen (ensure, protect and fulfill) wegen der Zuständigkeitsklauseln nur gegenüber Personen anzuwenden seien, die der Jurisdiktion des betreffenden Staats unterliegen würden.660
E. Beurteilung des Regelungsinhalts von Art 1 EMRK 1. Position von Art 1 EMRK im Recht der völkerrechtlichen Staatenverantwortlichkeit a) Der Umfang der Verpflichtung zur Sicherung der Konventionsrechte Art 1 EMRK legt in Verbindung mit den materiellen Vorschriften in den Art 2 – 14 EMRK und den Zusatzprotokollen den Umfang der Konventionsverpflichtungen fest. Die Bestimmung dieses Verpflichtungsumfangs ist Voraussetzung für die Feststellung, ob ein Staat im konkreten Fall eine völkerrechtliche Verpflichtung verletzt hat; nur dann, wenn dies der Fall ist und solch eine Verletzung dem Vgl Erberich, Auslandseinsätze, 29f; de Schutter, CRIDHO Working Paper 2005/04, 2)b) sowie Schilling, GLWP 08/04, 9f und Breuer, EuGRZ 2005, 472, beide unter Hinweis auf den nach Bankoviü in den Entscheidungen Issa bzw Öcalan (GK) eingesetzten, territorial nicht konnotierten Begriff der authority/autorité. 659 Missverständlich Erberich, Auslandseinsätze, 30, die wohl jene Rechte meint, in welche in einer aktuellen Situation eingegriffen werden könne. 660 Künnemann, in: Extraterritorial Application, 227ff; ebenso Coomans, in: Extraterritorial Application, 199. 658
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Staat auch zugerechnet werden kann, kommt es gemäß Art 2 ILCEntwurf zum Eintritt der völkerrechtlichen Staatenverantwortlichkeit. Wenn also einem Staat eine Handlung oder Unterlassung zugerechnet werden kann, ist er dafür nur völkerrechtlich verantwortlich, wenn er gleichzeitig eine seiner unzähligen völkerrechtlichen Verpflichtungen verletzt hat: Zahlreiche solche Verpflichtungen ergeben sich für die Vertragsstaaten aus der EMRK, in der sich diese an die Achtung einer Vielzahl an Rechte gebunden haben. Bei der Betrachtung dieser Rechte zeigt sich, dass diese Rechte bis auf wenige Ausnahmen grundsätzlich jedermann zustehen;661 potentiell könnte sich also jeder Mensch weltweit gegenüber den Vertragsstaaten auf diese Grundrechte berufen. Solch ein ausufernder Verpflichtungsgrad entspricht jedoch – abgesehen von seiner praktischen Undurchführbarkeit – weder Sinn und Zweck der Konvention noch war er von den ursprünglichen wie später beitretenden Vertragsstaaten beabsichtigt.662 Aus dieser weiten Formulierung der einzelnen Konventionsrechte ergab sich die Notwendigkeit einer allgemeinen Einschränkung des Verpflichtungsumfangs, die in Art 1 EMRK getroffen wurde: „Die Hohen Vertragschließenden Teile sichern allen ihrer Jurisdiktion unterstehenden Personen die in Abschnitt I dieser Konvention niedergelegten Rechte und Freiheiten zu.“
Abschnitt I der Konvention umfasst die Art 2 bis 18 EMRK; darüber hinaus folgt aus einer teleologischen wie systematischen Interpretation, dass diese Einschränkung auch auf die erst später in den Zusatzprotokollen hinzukommenden Rechte Anwendung finden soll.663 Die Vertragsstaaten haben also mittels Art 1 EMRK den Adressatenkreis der Verpflichtung zur Einhaltung der Konventionsrechte von „jedermann weltweit“ auf „jedermann, der ihrer Jurisdiktion unZB Art 3 des 1. ZPEMRK (Recht auf freie Wahlen). Insofern sind die Worte von EGMR-Präsident Wildhaber in seiner Rede vom 31. 1. 2002 zur Eröffnung des Straßburger Gerichtsjahres einschlägig, wenn er sagt: „We do have to realise that the Convention was never intended to cure all the planet’s ills and indeed cannot effectively do so;…”. 663 Die Bestimmungen über den räumlichen Geltungsbereich in den Zusatzprotokollen (Art 4 des 1. ZP, Art 5 des 4. ZP, Art 5 des 6. ZP, Art 6 des 7. ZP und Art 4 des 13 .ZP) sind insofern keine leges speciales, sondern korrespondieren bloß mit Art 56 EMRK (zur Auslegung dieser Bestimmung siehe schon näher oben III.A.3. c)bb)). 661 662
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tersteht“ beschränkt und somit den Umfang ihrer Verpflichtungen gleichsam „reduziert“.664 Der Geltungsbereich der Konvention wurde somit im Vertragstext ausdrücklich festgelegt, womit aber unter keinen Umständen, wie vereinzelt argumentiert wird,665 die bloß subsidiäre Regelung des Art 29 WVK, nach welcher mangels abweichender Absicht bzw Festlegung im Vertrag jede Vertragspartei hinsichtlich ihres gesamten Hoheitsgebiets gebunden ist, zur Anwendung gelangen kann.666 Um eine Konventionsverletzung feststellen zu können, ist zu aller erst zu bestimmen, ob die EMRK in einem konkreten Fall anwendbar ist und dem betroffenen Staat daraus überhaupt Verpflichtungen erwachsen. Die Verpflichtung, die in der Konvention verbürgten Rechte und Freiheiten zu sichern, hat ein Vertragsstaat lediglich gegenüber jenen Personen, die seiner Jurisdiktion unterstehen. Somit ist bei der Prüfung der von einer Person behaupteten Konventionsverletzung zunächst festzustellen, ob diese Person im Zeitpunkt der behaupteten Verletzung der EMRK der Jurisdiktion des mutmaßlichen Verletzterstaats unterlag. Ausschließlich in Situationen, in welchen das Vorliegen von Jurisdiktion bejaht wird, muss in einem zweiten Schritt untersucht werden, ob in das jeweils geltend gemachte materielle Recht durch eine Handlung oder Unterlassung des – wie im Schritt zuvor festgestellt – jurisdiktionsausübenden Staats auch überhaupt eingegriffen worden ist. Nur wenn dies tatsächlich der Fall ist, kann es, sofern der Eingriff nicht gerechtfertigt werden kann,667 zum Eintritt der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit des Verletzterstaats kommen.668 Richtig O’Boyle, in: Extraterritorial Application, 136. Benvenisti, ILR 1992, 33 FN 36. 666 Unabhängig davon ist darauf hinzuweisen, dass Art 29 WVK nach hM aber gar keine Aussage über die extraterritoriale Reichweite eines Vertrags trifft, sondern im Zweifelsfall bloß eine Erweiterung der Vertragsanwendung von bloß Teilen eines Staatsgebiets hin zum gesamten Staatsgebiet sicherstellen soll; vgl Aust, Modern treaty law, 162f; Lorenz, Anwendungsbereich, 77 mwN; Meron, AJIL 1978, 543 FN 7; Condorelli, RdC 1984-VI, 200 FN 151. 667 Diese Zurechnung wird, wenn Jurisdiktion vorliegt, immer der Fall sein; denn, wie noch zu zeigen sein wird, bilden Jurisdiktion und Zurechenbarkeit gleichsam konzentrische Kreise, innerhalb derer Jurisdiktion als kleinerer Kreis ein dem Staat zurechenbares Organverhalten stets voraussetzt. 668 Zutreffend Richter Kovler in seiner dissenting opinion zum Urteil des EGMR v Urteil v 8. 7. 2004 (Große Kammer), Ilaúcu et al gegen Moldawien und Russ664 665
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b) Trennung zwischen Verpflichtung und Zurechenbarkeit Im Sinne der völkerrechtlichen Staatenverantwortlichkeit muss daher nach Art 2 ILC-Entwurf auch bei der Verantwortlichkeit für Menschenrechtsverletzungen zwischen den Elementen einer völkerrechtswidrigen Handlung, die nach Art 1 ILC-Entwurf zum Eintritt der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit führt, dh zwischen der Zurechenbarkeit einer Handlung bzw Unterlassung zu einem bestimmten Staat und der Verletzung der völkerrechtlichen Verpflichtung durch diesen Staat unterschieden werden.669 Während sich die Zurechenbarkeit aus den allgemeinen völkerrechtlichen Regeln ergibt, richtet sich die Verletzung einer völkerrechtlichen Verpflichtung nach den sog Primärnormen, das sind alle Normen, die Verpflichtungen eines Staates enthalten. Art 1 EMRK und das Kriterium der Jurisdiktion bilden, wie eben gezeigt, eine wesentliche Determinante zur Bestimmung dieser Verpflichtungen und sind somit zusammen mit dem jeweils geltend gemachtem Konventionsrecht Bestandteil einer solchen Primärnorm.670 Im Folgenden soll zur Bestimmung der Reichweite der EMRK-Verpflichtungen bei der Setzung von Hoheitsakten im Ausland der Versuch unternommen werden, dieser Determinante mittels der dargestellten konventionsspezifischen Auslegungsmethoden sowie unter Einbeziehung der soeben dargestellten Rechtsprechung und Literatur schärfere Konturen zu verleihen. c) Zwischenresümee Zusammenfassend muss also zur Bestimmung der Verantwortlichkeit nach der EMRK der Umfang der Konventionspflichten eruiert werden. Dieser wird von zwei Faktoren bestimmt: Einerseits der mutmaßlich verletzten Konventionsbestimmung, deren Schutzbereich wiederum von ihrem persönlichen und sachlichen Geltungsbereich festgelegt wird. In Folge des in der Regel unbegrenzten persönlichen Geltungsbereichs („jedermann“) unterliegt der Umfang der Verpflichtungen mit Art 1 EMRK einer zusätzlichen Einschränkung. land, Nr 48787/99, RJD 2004-VII, 332ff (= NJW 2005, 1849ff): „It is jurisdiction (territorial or extraterritorial) which is a primary concept, responsibility being derived from jurisdiction rather than the contrary.“ 669 Siehe nur Dipla, Responsabilité, 46; siehe zu Art 2 ILC-Entwurf oben 1. Kap II.B. 670 Vgl auch Pedersen, NJIL 2004, 303.
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Anders als der nach Konventionsrecht jeweils unterschiedliche, also variable sachliche Anwendungsbereich einer Grundrechtsnorm schränkt Art 1 EMRK mit dem Kriterium der Jurisdiktionsausübung den persönlichen Geltungsbereich stets gleichförmig ein, er bildet somit eine Konstante. Ziel des nachstehenden Abschnitts ist es, den Inhalt dieser Konstante zur Ermittlung der Konventionsverpflichtungen zu bestimmen. Als fixer Faktor bei der Bestimmung der Primärnorm in einem Verfahren der Feststellung der völkerrechtlichen Staatenverantwortlichkeit kann Art 1 EMRK aber deshalb keinesfalls als bloßer Verweis auf die sekundärrechtlichen Staatenverantwortlichkeitsregeln gedeutet werden. Vielmehr richtet sich die Frage der Zurechenbarkeit mangels spezieller Regel und weil die EMRK kein self-contained regime bildet671 ohnehin nach den allgemeinen Grundsätzen der Staatenverantwortlichkeit. Art 1 EMRK setzt – wie noch zu zeigen sein wird – die Zurechenbarkeit einer Handlung oder Unterlassung voraus, ist aber nicht mit dieser ident, sondern hat einen eigenständigen Regelungsinhalt. Somit muss aber bereits an dieser Stelle konstatiert werden, dass jene Auffassungen im rechtswissenschaftlichen Schrifttum, die Art 1 EMRK als bloße Zurechenbarkeitsregel im Sinne der Staatenverantwortlichkeit beschreiben,672 zurückzuweisen sind. 2. Art 1 EMRK im Lichte der Interpretationsmethoden Die Verpflichtung der Vertragsstaaten, die Konventionsrechte zu sichern, besteht gemäß Art 1 EMRK nur gegenüber jenen Personen, welche deren Jurisdiktion unterstehen. Entscheidendes Kriterium und somit Schlüssel zur Inhaltsbestimmung von Art 1 EMRK ist somit das Kriterium der Jurisdiktionsausübung. Diese ist der Anknüpfungspunkt für die Anwendung der Konvention und soll daher in der Folge – unter Anwendung sämtlicher (insb konventionsspezifischer) Interpretationsmethoden – ausgelegt werden. a) Wortlaut Bereits beim Wortlaut verdeutlicht sich die Problematik der zu bewältigenden Aufgabe. Die Uneinheitlichkeit und Vielschichtigkeit, 671 672
Vgl oben 1. Kap II.C.2. Siehe oben III.D.2.b)aa).
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wie der Jurisdiktionsbegriff im internationalen wie nationalen Recht verwendet wird, spiegelt sich bereits in den unterschiedlichen, allesamt nicht-authentischen Übersetzungen des englischen und französischen Vertragstextes wider:673 So variiert die österreichische Übersetzung von „jurisdiction/juridiction“ als „Jurisdiktion“ 674 im Vergleich zur deutschen und schweizerischen von „Hoheitsgewalt“ 675. Unabhängig davon, ob tatsächlich ein Unterschied zwischen Jurisdiktion und Hoheitsgewalt besteht oder nicht,676 ist die unterschiedliche Übersetzung infolge der Schlussklausel der Konvention, wonach der Vertragstext nur im englischen und französischen Text authentisch ist, aber bedeutungslos. Um eine durch die Übersetzung bewirkte Begriffsverzerrung hintan zu halten, muss deshalb in der Folge die Auslegung nach dem Wortlaut somit vom englischen bzw französischen Begriff „jurisdiction“ bzw „juridiction“ vorgenommen werden.677 aa) Jurisdiktion im umfassenden Sinne von jeglicher Hoheitsgewalt Das Problem, dem eine reine Wortlautauslegung von „jurisdiction“ allerdings begegnet, ist die diesbezüglich herrschende „babylonische Sprachverwirrung“678. Diese kann auch durch einen Rückgriff auf den ursprünglich römischrechtlichen Begriff der „iurisdictio“, der sowohl die Gerichtsbarkeit als auch das Recht des Prätors Vgl deren Wortlaut oben III.B. BGBl 1958/210. 675 AS 1974 2151 bzw dBGBl 2002 II 1054 (Neufassung). 676 Dies ist mit guten Gründen zu verneinen, vgl III.E.3. und sogleich aa). 677 Dies gilt nicht nur für die EMRK als völkerrechtlicher Vertrag, sondern auch als BVG, da selbst die österreichische Übersetzung in BGBl 1958/210 – und nur diese wurde durch Art II Z 7 BVG vom 4. 3. 1964, mit dem Bestimmungen des Bundes-Verfassungsgesetzes in der Fassung von 1929 über Staatsverträge abgeändert und ergänzt werden (BGBl 1964/59) nachträglich in Verfassungsrang gehoben – in der Schlussklausel expressis verbis anordnet, dass die Konvention nur im englischen und französischem Text authentisch ist. 678 Hasford, Jurisdiktion, 25; vgl zudem die vier unterschiedlichen Bedeutungen des Begriffs in Garner, Black’s Law Dictionary, 855: „1. A government’s general power to exercise authority over all persons and things within its territory…2. A court’s power to decide a case or issue a decree…3. A geographic area within which political or judicial authority may be exercised…4.A political or judicial subdivision within such an area…”. 673 674
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zum Erlass von Edikten – also eine frühe Form von (zeitlich begrenzter) Gesetzgebung – umfasste, nicht aufgelöst werden.679 Wörtlich übersetzt mit „sagen, was Recht ist“, erfasst der Begriff sowohl Rechtsetzung wie Rechtsanwendung.680 Insofern kann eine bloße Wortauslegung nur eine umfassende Definition von Jurisdiktion bereit stellen als die allgemeine staatliche Kompetenz, das Verhalten der Rechtsunterworfenen zu regeln und zu diesem Zweck rechtliche Regelungen zu setzen sowie durchzusetzen;681 dies geschieht mittels Ausübung von Hoheitsgewalt, und zwar – mangels gegenteiliger Anhaltspunkte – jedweder Hoheitsgewalt, also Exekutive, Legislative und Judikative.682 Nicht nachvollziehbar erscheint somit aber eine zumindest früher übliche Einschränkung des deutschen Terminus der Jurisdiktion auf die Gerichtsbarkeit bzw die richterliche Zuständigkeit,683 die wohl auch Motiv für die vermeintlich umfassendere Übersetzung von „jurisdiction/juridiction“ mit „Hoheitsgewalt“ anstelle von „Jurisdiktion“ in der deutschen und schweizerischen Fassung von Art 1 EMRK gewesen sein dürfte. Aus diesem Grund sollen hier, der österreichischen Übersetzung von Art 1 EMRK folgend, die Begriffe der Jurisdiktion und der (jedweder) Hoheitsgewalt als Synonyme verwendet werden. bb) Abgrenzung von Jurisdiktion und Zurechenbarkeit Die Jurisdiktionsausübung darf aber nicht isoliert sondern muss im Kontext des gesamten Wortlauts von Art 1 EMRK betrachtet werden: Dieser stellt auf die die Verpflichtung der Vertragsstaaten zur Zusicherung der Konventionsrechte „allen ihrer Jurisdiktion unterstehenden Personen“ ab („…shall secure to everyone within their jurisdiction…“). Das entscheidende Kriterium dieser Vorschrift ist somit nicht bloß das Faktum der Jurisdiktionsausübung, sondern deren Verhältnis zu denjenigen, welche sich auf die Konventionsrech679 Vgl Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, 1 mwN und die Ausführungen oben 1. Kap I.B.1. 680 Ibid, 1. 681 Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, 456; vgl auch Oxman, Jurisdiction of States, in: EPIL II, 55: „The term ‘jurisdiction’ is most often used to describe the lawful power of a State to define and enforce rights and duties, and control the conduct, of natural and juridical persons.“ 682 Siehe auch oben I.B. 683 Vgl Hasford, Jurisdiktion, 25.
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te berufen wollen. Dieses Verhältnis ist in Art 1 EMRK dahingehend präzisiert, dass nur jene Personen die Konventionsrechte geltend machen können, denen gegenüber auch tatsächlich Jurisdiktion ausgeübt wird.684 Ausschlaggebend ist daher aber nicht wie sondern wem gegenüber ein Staat Hoheitsgewalt ausübt; mit anderen Worten spielt in Art 1 EMRK nicht die interne Seite der Jurisdiktionsausübung, das heißt durch welche Organe und für welche Behörde diese erfolgt, eine Rolle; tatsächlich interessiert die externe Seite der Jurisdiktion, also der Adressatenkreis der gesetzten Hoheitsakte, der jene Personen umfasst, die durch die Hoheitsgewalt in ihren Grundrechten berührt werden können. Die interne Seite ist vielmehr eine Voraussetzung dafür, dass überhaupt Jurisdiktion vom Staat ausgeübt werden kann und eine solche nach außen hin in Erscheinung tritt. Aus der Unbeachtlichkeit des internen Elements folgt aber, dass sich, wie bereits oben festgehalten, der Inhalt von Art 1 EMRK nicht bloß in einem Verweis auf die Zurechenbarkeit der allgemeinen Staatenverantwortlichkeit erschöpfen kann; eine solche Zurechenbarkeit ist vielmehr unabdingbare Voraussetzung dafür, dass überhaupt Jurisdiktion über Personen ausgeübt werden kann, da ein Staat stets nur durch das Verhalten („conduct“) seiner Organe oder ihm sonst zurechenbarer Privater in Erscheinung treten kann. Vergleicht man die beiden Begriffe, so ist folgendes zu beobachten: Jegliches Verhalten seiner Organe (und unter bestimmten Umständen auch Privater) kann einem Staat zugerechnet werden,685 aber nicht jedes zurechenbare Verhalten bewirkt, dass ein Staat Jurisdiktion über Personen ausübt. Zwei Beispiele sollen dies verdeutlichen: Beschließt der BMeiA die Entwicklungshilfe zu kürzen, so handelt es sich zweifelsfrei um ein Verhalten, das der Republik Österreich zugerechnet werden kann. Es kann sich aber selbst bei weitest möglicher Auslegung des Jurisdiktionsbegriffs um kein Verhalten handeln, das Millionen von Staatsbürgern der von der Kürzung betroffenen Länder unter die österreichische Jurisdiktion bringt und diese deshalb eine durch die Kürzung verursachte Konventionsverletzung behaupten könnten. Um den Unterschied noch deutlicher zu machen: Nimmt eine Vertragspartei der Schließlich tritt die Ausübung von Hoheitsgewalt immer nach „außen“ gegenüber zumindest einem oder einer Vielzahl an Rechtsunterworfenen in Erscheinung. 685 Vgl Art 4ff ILC-Entwurf. 684
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Konvention in einem nicht bewohnten Gebiet irgendwo inmitten der Südsee oder der Antarktis unterirdische Atombombentests vor, kann die Durchführung der Tests ebenso dem jeweiligen Staat als dessen Verhalten zugerechnet werden; erneut begründen die Tests aber keine ‘Jurisdiktionsausübung über Personen’ im Sinne von Art 1 EMRK. Im Ergebnis bedeutet dies für das Verhältnis Zurechenbarkeit – Jurisdiktion, dass Zurechenbarkeit der viel weitere Begriff ist und Jurisdiktion somit eine besonders qualifizierte Form von zurechenbarem Verhalten darstellt, das stets ein weiteres Element, und zwar im Verhältnis zu den Adressaten dieses Verhaltens, benötigt. Zurechenbarkeit und Jurisdiktion bilden somit konzentrische Kreise. Jeder Fall einer Jurisdiktionsausübung iSv Art 1 EMRK enthält somit ein dem Staat zurechenbares Verhalten, aber nicht jedes dem Staat zurechenbare Verhalten stellt auch schon einen Fall einer Jurisdiktionsausübung dar. Woher resultiert dann aber die in der Literatur zu Art 1 EMRK häufig abwesende Klarheit der Trennung von Zurechenbarkeit und Jurisdiktion?686 Die Antwort darauf dürfte zu einem guten Teil im zur Bestimmung beider Begriffe herangezogenen Maßstab der „effektiven Kontrolle“ liegen. Schließlich wird das Verhalten eines Staates häufig nicht nur durch das relativ einfach zu erkennende Handeln oder Unterlassen seiner Organe begründet; das Recht der Staatenverantwortlichkeit kennt darüber hinaus unterschiedliche Möglichkeiten wie einem Staat Verhalten nichtstaatlicher Organe zugerechnet werden kann.687 Insbesondere wird nach Art 8 ILCEntwurf einem Staat auch das Verhalten von Privaten oder Gruppen von Privaten zugerechnet, die unter seinen Anweisungen, seiner Leitung oder seiner Kontrolle tätig werden. Gleichzeitig stellen, wie dargestellt, die Konventionsorgane bei ihrer Feststellung, ob Jurisdiktion iSv Art 1 EMRK vorliegt oder nicht, ebenfalls auf das Kriterium der wirksamen Kontrolle (effective control) ab.688 Ausschlaggebende Differenz, die allerdings von manchen Autoren übersehen oder für unbedeutend gehalten wird, ist nun allerdings die Frage, über wen oder was diese wirksame Kontrolle ausgeübt wird.689 Die 686 687 688 689
Siehe die Nachweise oben bei III.D.2.b)aa). Vgl Art 8 – 11 ILC-Entwurf. Vgl oben III.C. Zutreffend Scheinin, in: Extraterritorial Application, 76.
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Antwort darauf liefert der Wortlaut von Art 1 EMRK in deutlicher Weise: Die Formulierung „allen ihrer Jurisdiktion unterstehenden Personen“ stellt zweifelsfrei auf effektive Kontrolle über Personen iSv Begünstigte aus den Konventionsverpflichtungen und nicht auf effektive Kontrolle über Private iSv Art 8 ILC-Entwurf ab, deren Verhalten dem Staat zugerechnet werden soll.690 Vielmehr ist, wie bereits erläutert, die effektive Kontrolle über Private nicht von Art 1 EMRK angeordnet, sondern folgt, genauso wie der Umstand, dass das Verhalten seiner Organe einem Staat zuzurechnen ist, aus den allgemeinen Regeln der völkerrechtlichen Staatenverantwortlichkeit; ein auf welche Weise auch immer zurechenbares Verhalten ist aber stets Voraussetzung für eine Jurisdiktionsausübung iSv Art 1 EMRK und wird daher von dieser Vorschrift implizit vorausgesetzt. cc) Jurisdiktion im Sinne völkerrechtlicher Zuständigkeit? Wie oben gezeigt, hat der EGMR im Fall Bankoviü bei der Interpretation von Art 1 EMRK auf den völkerrechtlichen Jurisdiktionsbegriff im Sinne der Kompetenz zur rechtmäßigen Setzung extraterritorialer Hoheitsakte abgestellt und eine solche als Ausnahme von der „essentially territorial notion of jurisdiction“ gewertet.691 Ob Art 1 EMRK auf das Vorliegen von Jurisdiktionskompetenz und nicht bloß auf die tatsächliche Jurisdiktionsausübung verweist, ist aber durch eine bloße Auslegung nach dem Wortlaut nicht endgültig feststellbar. Dies bedarf daher vielmehr der Anwendung der anderen Interpretationsmethoden. Allerdings spricht prima facie der Wortlaut der Vorschrift nur von „Jurisdiktion“ und nicht davon, dass diese rechtmäßig ausgeübt werden muss; daraus folgt zumindest eine Ver690 Eindeutig ist der Wortlaut im Hinblick auf die Organe, die nicht erfasst sind; aber auch mit „Personen“ können nicht jene im Sinne von Art 8 ILC-Entwurf gemeint sein, die praktisch als „verlängerter Arm“ des Staates tätig werden, sondern nur solche, die von einer staatlicher Tätigkeit betroffen sein können. 691 EGMR, Entscheidung v 12. 12. 2001 (Große Kammer), Bankoviü et al gegen Belgien und 16 andere NATO-Staaten, RJD 2001-XII, 351, Rz 59ff; vgl oben III.C. 3.a). Zur diesbezüglichen Unterscheidung zwischen jurisdiction to prescribe und jurisdiction to enforce siehe 1. Kap I.B.2. Im Ergebnis gleicht die Vorgehensweise des Gerichtshofs dem Grundrechtskollisionsrecht Heintzens, der die Anwendbarkeit der Grundrechte von der völkerrechtlichen Zuständigkeitsordnung abhängig macht, siehe oben II.A.1.
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mutung für das Kriterium der bloßen Jurisdiktionsausübung. Für den Nachweis einer Auslegung von „Jurisdiktion“ als völkerrechtliche Jurisdiktionskompetenz müsste diese Vermutung somit erst einmal widerlegt werden. b) Systematik Insbesondere systematische Erwägungen stützen die oben angestellten Überlegungen, wonach es Aufgabe von Art 1 EMRK sein soll die auf Grund der Natur der Konventionsrechte als Jedermannsrechte grundsätzlich gegenüber jeder Person weltweit bestehenden Verpflichtungen der Vertragsstaaten auf die „ihrer Jurisdiktion unterstehenden Personen“ einzuschränken.692 aa) Keine restriktive Interpretation von Art 1 auf Grund von Art 56 EMRK Eine räumliche Einschränkung der Konventionsverpflichtungen der Vertragsstaaten auf das eigene Staatsgebiet wurde von manchen Autoren unter Hinweis auf Art 56 EMRK vertreten.693 Wie bereits oben gezeigt,694 ist eine solche aber zurückzuweisen, weil Art 56 EMRK bloß eine Haftung der Vertragsstaaten für Konventionsverletzungen in denjenigen Gebieten ausschließen will, für dessen internationale Beziehungen diese verantwortlich waren. Dieser Ausschluss, der durch eine Erstreckungserklärung der Anwendung der EMRK auf diese Gebiete durchbrochen werden kann, betrifft aber bloß die Verantwortlichkeit der Vertragsstaaten für das Verhalten der dortigen Selbstverwaltungen und nicht für extraterritoriale Akte eigener Organe.695 Ein genereller Umkehrschluss aus Art 56 EMRK, dass die Konvention ohne Erstreckungserklärung somit nicht außerhalb des eigenen Staatsgebiets anwendbar wäre, ist aus diesem Grund unzulässig und wird mittlerweile auch von der Judikatur der Konventionsorgane ausgeschlossen.
Siehe III.E.1.a) Weiß, Konvention, 28f; Partsch, Rechte und Freiheiten, 291f; Lush, ICLQ 1993, 904f. 694 Siehe ausführlich oben III.A.3.c)bb). 695 ZB Erberich, Auslandseinsätze, 25ff. 692 693
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bb) Art 15 EMRK: Grundsätzliche Weitergeltung der Konvention auch in Kriegszeiten Der sog Derogationsklausel in Art 15 EMRK kommt im systematischen Zusammenhang eine wesentliche Rolle zur Auslegung von Art 1 EMRK zu, die an dieser Stelle näher zu erläutern ist. So bestimmt die Vorschrift etwa, ob die Konvention auch auf hoheitliches Verhalten in kriegerischen Konflikten angewendet werden kann und lässt damit Rückschlüsse auf deren Verhältnis zum humanitären Völkerrecht zu. Zur Klärung dieser Fragen bedarf es aber zunächst eines kurzen Überblicks über den Regelungsinhalt der Bestimmung. i) Der Regelungsinhalt von Art 15 EMRK Unter bestimmten Bedingungen steht es einem Mitgliedstaat des Europarats offen, für eine begrenzte Zeit das Ausmaß seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen nach der EMRK zu reduzieren. Gemäß Art 15 EMRK kann nämlich jeder Vertragsstaat im Falle eines Krieges oder eines anderen öffentlichen Notstandes, der das Leben der Nation bedroht, Maßnahmen treffen, welche die in der Konvention vorgesehenen Verpflichtungen außer Kraft setzen, jedoch nur, soweit es die jeweilige Lage unbedingt erfordert und unter der weiteren Voraussetzung, dass diese Maßnahmen nicht in Widerspruch zu sonstigen völkerrechtlichen Verpflichtungen der Vertragspartei stehen. Art 15 Abs 2 EMRK verbietet eine Außerkraftsetzung von Art 3, Art 4 Abs 1, Art 7 und (mit Ausnahme von Todesfällen in Folge rechtmäßiger Kriegshandlungen) Art 2 EMRK. Über die Außerkraftsetzung und deren Gründe hat ein Vertragsstaat eingehend den Generalsekretär des Europarats zu unterrichten (Art 15 Abs 3 EMRK). Im Folgenden sollen nun diese, von Art 15 EMRK vorgesehenen Voraussetzungen einer Suspendierung der Konventionspflichten näher untersucht werden.696 Į) Der Begriff des Krieges Art 15 EMRK ermöglicht die Außerkraftsetzung der meisten Konventionsrechte nicht nur bei Vorliegen eines öffentlichen Notstands, sondern ausdrücklich auch im Falle eines Krieges;697 in bei696 Zu den Bedingungen einer Derogation gemäß Art 15 EMRK bei Auslandseinsätzen vgl 5. Kap IV.B.4.a)bb). 697 Der ursprünglich enthaltene Hinweis auf den Kriegsfall in Art 4 IPBPR wurde 1952 gestrichen, um nicht den Eindruck entstehen zu lassen, dass die VN Kriege
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den Situationen muss „das Leben der Nation bedroht“ sein. Unter einem Krieg ist nach der klassischen völkerrechtlichen Definition eine Auseinandersetzung zwischen zwei oder mehreren Staaten zu verstehen, die nach Auffassung der beteiligten Parteien den Kriegszustand auslöst.698 Wie die überwiegende Mehrzahl an kriegerischen Auseinandersetzungen am Beginn des 21. Jahrhunderts vor Augen führt, ist ein alleiniges Festhalten an Staaten als Kriegsparteien allerdings nicht mehr zeitgemäß; tatsächlich kämpfen in den allermeisten Kriegssituationen (zumindest auch) andere als staatliche Konfliktparteien.699 Insofern sollte im Sinne einer objektiv-teleologischen Interpretation der Konvention als „living instrument“ der Begriff des Krieges in Art 15 EMRK heute am Vorliegen eines internationalen oder nicht-internationalen bewaffneten Konflikts iSd Terminologie der vier Genfer Abkommen von 1949 sowie deren beiden Zusatzprotokollen aus 1977 anknüpfen.700 Mangels eines einzigen Anwendungsfalls findet sich von den Konventionsorganen zum Kriegsbegriff bisher keine Aussage; in der Literatur wird die Auffassung vertreten, dass es sich bei einem „Krieg“ iSd Art 15 EMRK um eine bewaffnete Auseinandersetzung größeren Umfangs und von gewisser Länge gegnerischer organisierter Streitmächte unter dem jeweiligen Oberbefehl der beteiligten Regierungen handeln muss.701 ȕ) Öffentlicher Notstand Ein anderer öffentlicher Notstand als der des Krieges liegt vor, wenn eine außergewöhnliche Krisen- oder Notstandssituation vorakzeptierten; daraus darf nicht der Schluss gezogen werden, dass im Kriegsfall keine Derogation erlaubt sei, da ein kriegerischer Konflikt geradezu den Prototyp eines öffentlichen Notstands, der das Leben der Nation bedroht, darstellt (Nowak, CCPR-Commentary, Article 4, Rz 12ff). 698 Vgl Meng, War, in: EPIL IV, 1334ff, wonach ein Krieg mit der Kriegserklärung, einem bedingten Ultimatum oder der Eröffnung der Feindseligkeiten mit der Absicht, den Kriegszustand herbeizuführen, beginnt. 699 Siehe Ipsen, Völkerrecht, 1204ff, der darauf hinweist, dass 1997 in keinem der 25 bewaffneten Konflikte auf beiden Seiten Staaten als Konfliktparteien beteiligt waren. 700 Vgl insb Art 1 (Sachlicher Anwendungsbereich) des II. Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vom 12. 8. 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler Konflikte vom 10. 12. 1977, BGBl 1982/527 sowie Greenwood, Anwendungsbereich, in: Handbuch, 34ff. 701 Siess-Scherz, Art 15 EMRK, Rz 10 mwN; überdies soll eine formelle Kriegserklärung entbehrlich sein.
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liegt, welche die ganze Bevölkerung betrifft und eine Bedrohung des organisierten Lebens der Gemeinschaft, aus der sich der Staat zusammensetzt, bildet.702 In solch einer Situation ist das „Leben der Nation bedroht“, wobei allerdings nicht das gesamte Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats tatsächlich bedroht sein muss, sondern vielmehr bereits ein lokal begrenzter Konflikt oder Notstand genügt, der in seinen Auswirkungen die Gesamtheit der Bevölkerung berührt.703 Ȗ) Verfahren und Verhältnismäßigkeit Gemäß Art 15 Abs 3 EMRK hat jeder Staat, der das Recht auf Außerkraftsetzung ausübt, den Generalsekretär des Europarats eingehend über die getroffenen Maßnahmen und deren Gründe zu unterrichten. Er muss den Generalsekretär auch über den Zeitpunkt in Kenntnis setzen, in dem diese Maßnahmen außer Kraft getreten sind und die Vorschriften der Konvention wieder volle Anwendung finden. Im Hinblick auf die Formerfordernisse einer solchen Unterrichtung wird den Vertragsstaaten von den Konventionsorganen ein gewisser Ermessensspielraum zuerkannt.704 Unterbleibt eine Derogationserklärung aber gänzlich, kann sich ein Vertragsstaat später keinesfalls auf Art 15 EMRK berufen.705 Die Notifizierungspflicht hat einerseits Warnfunktion für den sich auf einen Notstand berufenden Staat und macht den Europarat samt seinen Mitgliedstaaten auf die Situation aufmerksam. Andererseits soll Art 15 Abs 3 EMRK dem EGMR die Möglichkeit geben, seiner Überwachungsfunktion nachzukommen, um sowohl die Rechtmäßigkeit der Suspendierung beurteilen als auch dadurch herbeigeführte Einschränkungen der Vertragspflichten in laufenden Beschwerdeverfahren berücksichtigen zu können.706 In der Beurteilung einer Notstandssituation überlässt der Gerichtshof den Vertragsstaaten zwar 702 EGMR, Urteil v 1. 7. 1961, Lawless gegen Großbritannien, Serie A-3, Z 28; Harris/O’Boyle/Warbrick, Law of the ECHR, 492f; Grabenwarter, EMRK, § 2 Rz 10; Frowein/Peukert, EMRK, Art 15, Rz 7. 703 Siess-Scherz, Art 15 EMRK, Rz 15 weist am Beispiel der Derogationsmaßnahmen Großbritanniens in Nordirland darauf hin, dass die Derogationsmaßnahmen sodann aber auch nur in jenem Gebiet, wo der lokale Konflikt tatsächlich herrscht, wirksam sein dürfen, was der EGMR auch entsprechend prüfen würde. 704 Vgl näher Siess-Scherz, Art 15 EMRK, Rz 23f. 705 Ibid, Rz 24; zur Frage der deklarativen oder konstitutiven Natur der Notifizierungspflicht siehe Schmahl, Derogation, in: Terrorismusbekämpfung, 142f. 706 Schmahl, Derogation, in: Terrorismusbekämpfung, 143.
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einen Ermessensspielraum, den er aber seiner Kontrolle unterzieht.707 Dabei prüft der Gerichtshof, dass nur notwendige Derogationsmaßnahmen getroffen werden, untersucht deren Umfang also am Maßstab des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dahingehend, ob diese in der jeweiligen, das Leben der Nation bedrohenden Lage auch tatsächlich erforderlich sind.708 ii) Die Geltung auch in Kriegszeiten als Argument für eine extraterritoriale Anwendbarkeit Schon aus dem Wortlaut von Art 15 Abs 1 und Abs 2 EMRK folgt e contrario, dass die EMRK grundsätzlich nicht nur in Friedens-, sondern auch in Kriegszeiten gelten kann.709 Eine Fortgeltung des Menschenrechtsschutzes auch in Zeiten des bewaffneten Konflikts ist heute unbestritten und wurde auch vom IGH insb im Hinblick auf die Anwendbarkeit des IPBPR in dessen Gutachten sowohl zum Einsatz von Atomwaffen710 als auch zum Mauerbau in den besetzten palästinensischen Gebieten711 bestätigt.712 Die mögliche Weitergeltung der Konvention bei Kriegshandlungen kann als Argument für eine extraterritoriale Geltung der EMRK gewertet werden, da, wie Frowein ausgeführt hat, „rechtmäßige Kriegshandlungen“ nur im Außenverhältnis des Staates, also gegenüber fremden Kombattanten oder der Bevölkerung eines besetzten Gebiets, (in EGMR, Urteil v 26. 5. 1993, Brannigan und McBride gegen Vereinigtes Königreich, Serie A-258-B, Z 43 (= ÖJZ 1996, 64); siehe dazu Crysler, RBDI 1994, 603ff. 708 Ibid, Rz 54; Lawson/Schermers, Leading Cases of the ECHR, 525; Grabenwarter, EMRK, Rz 11; Farinha, FS Wiarda, 525. 709 Vgl nur Schindler, FS Kägi, 332; Frowein, IYHR 1999, 2f; Krieger, ZaöRV 2002, 692; siehe auch schon die Präambel zur SR-Resolution 237 (1967): „Considering that essential and inalienable human rights should be respected even during the vicissitudes of war…” 710 IGH, Rechtmäßigkeit der Drohung mit und des Einsatzes von Atomwaffen, Rechtsgutachen v 8. 7. 1996, § 25; vgl dazu zB Stephens, YHRDLJ 2001, 3ff. 711 IGH, Rechtliche Folgen des Baus einer Mauer im besetzten palästinensischen Territorium, Rechtsgutachten v 9. 7. 2004, § 106; vgl zB Becker, AVR 2005, 231ff sowie die Beiträge im Agora von AJIL 2005, 1ff. 712 Vgl zB Doswald-Beck, in: ASIL Proceedings 2004, 353ff; Heintze, HumVR 2005, 177f; siehe insb auch Wilde, MJIL 2005, 787ff, der ebenso auf die Anwendung des Umkehrschlusses aus den Derogationsklauseln zahlreicher Menschenrechtspakte sowie auf den Fall Coard et al versus United States, Case No. 10.951 vor der IAKMR (Report No. 109/99 v 29. 9. 1999) verweist. 707
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der Regel) nicht jedoch innerstaatlich gegenüber der eigenen Bevölkerung Bedeutung finden können.713 Wie noch zu zeigen sein wird, darf aus Art 15 EMRK aber nicht voreilig auf eine automatische Anwendbarkeit der EMRK bei jeglicher Kriegshandlung geschlossen werden, da auch im Kriegsfall die originären Anwendungsbedingungen der Konvention gemäß Art 1 EMRK vorliegen müssen. iii) Art 15 EMRK und das Verhältnis von Menschenrechten zum humanitärem Völkerrecht Į) Parallele Anwendung und das humanitäre Völkerrecht als lex specialis Wenn die EMRK aber auch in Kriegszeiten fort gelten kann, stellt sich die Frage, wie sich das Recht der Konvention im Falle eines kriegerischen Konflikts zum humanitären Völkerrecht verhält.714 Zum Verhältnis der beiden Rechtsgebiete finden sich in Literatur verschiedene Theorien: Während die separatistische Theorie von zwei verschiedenen Rechtsbereichen ausgeht, die streng voneinander abgrenzbare Anwendungsbereiche haben und sich daher nicht überschneiden, basiert die komplementaristische Theorie zwar auch auf einer Trennung der beiden Gebiete, diese sollen sich aber gegenseitig ergänzen und zueinander in einem symbiotischen Verhältnis stehen.715 Dagegen vertritt die integrationistische Theorie eine vollständige Verschmelzung von Menschenrechten und humanitärem Völkerrecht.716 Mit der Rechtsentwicklung und der hM erscheint grundsätzlich die komplementaristische Theorie vorzugswürdig, bringt aber ebenso wenig wie die beiden anderen Theorien eine nähere Aufklärung des Verhältnisses der beiden Regelungsregime. Auch der IGH geht 713 Frowein, FS Schlochauer, 295; selbst, wenn der Kriegsbegriff heute auch auf nicht-internationale Konflikte iSd Genfer Abkommen von 1949 angewendet werden sollte, erscheint Froweins Argumentation auf Grund der im Kriegsbegriff iSd Art 15 EMRK jedenfalls (stets) enthaltenen internationalen Konflikte weiterhin zuzutreffen. 714 Diese Frage basiert auf dem traditionellen Verständnis, dass der Eintritt des Kriegszustands unabdingbare Voraussetzung für die Anwendbarkeit des gesamten Kriegsvölkerrechts ist (vgl Schmahl, in: Humanitäres Völkerrecht, 57). 715 Meron, AJIL 2000, 247. 716 Siehe näher zu diesen Theorien zB Kälin, SZIER 1993, 235ff; Lorenz, Anwendungsbereich, 200ff.
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unter Verweis auf die Derogationsklauseln von einer parallelen Anwendbarkeit von Menschenrechtskonventionen und humanitärem Völkerrecht aus, wobei die Regeln des Kriegsvölkerrechts jedoch leges speciales darstellen würden:717 „[T]he Court considers that the protection offered by human rights conventions does not cease in case of armed conflict, save through the effect of provisions for derogation of the kind to be found in Article 4 of the International Covenant on Civil and Political Rights. As regards the relationship between international humanitarian law and human rights law, there are thus three possible situations: some rights may be exclusively matters of international humanitarian law; others may be exclusively matters of human rights law; yet others may be matters of both these branches of international law…the Court will have to take into consideration both these branches of international law, namely human rights law and, as lex specialis, international humanitarian law.“718
ȕ) Art 15 EMRK als partieller Verweis auf das humanitäre Völkerrecht bei einer zulässigen Derogation im Kriegsfall Der vom IGH vertretene Grundsatz, dass die Regeln des humanitären Völkerrechts zum internationalen Menschenrechtsschutz leges speciales sind,719 findet insb in der Derogationsklausel der EMRK eine wesentliche Stütze; denn schließlich erlaubt Art 15 Abs 2 EMRK (nur) für den Fall eines Krieges eine Suspension von Art 2 EMRK und zwar ausschließlich bei Todesfällen, die auf rechtmäßige Kriegshandlungen zurückzuführen sind.720 In dieser Bestimmung ist ein direkter Verweis auf das humanitäre Völkerrecht zu erkennen – was nämlich rechtmäßig sein soll, das beurteilt sich in einer Kriegssituation, in welcher von den Konventionspflichten de717 IGH, Rechtmäßigkeit der Drohung mit und des Einsatzes von Atomwaffen, Rechtsgutachen v 8. 7. 1996, § 25; IGH, Rechtliche Folgen des Baus einer Mauer im besetzten palästinensischen Territorium, Rechtsgutachten v 9. 7. 2004, § 105; vgl zum Gutachten Becker, AVR 2005, 218ff. 718 IGH, Rechtliche Folgen des Baus einer Mauer im besetzten palästinensischen Territorium, Rechtsgutachten v 9. 7. 2004, § 106 [Hervorhebung vom Gerichtshof]; vgl auch Bothe, ZaöRV 2005, 620. 719 Vgl zB Heintze, HumVR 2003, 174f; Bothe, ZaöRV 2005, 620. 720 Eine Derogation von Art 2 EMRK kann infolge des Abstellens auf rechtmäßige Kriegshandlungen in Art 15 Abs 2 EMRK somit ausschließlich im Falle eines Krieges nicht aber eines öffentlichen Notstands gemäß Art 15 Abs 1 EMRK vorgenommen werden.
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rogiert worden ist, nicht mehr nach der EMRK selbst, sondern nach den tatsächlich spezielleren (weil auf den spezifischen Gegebenheiten eines Krieges zugeschnittenen) Regeln des ius in bello.721 Das bedeutet nun aber, dass bei Vorliegen einer Derogation auf Grund eines Kriegs gemäß Art 15 EMRK von den Konventionsverpflichtungen abgewichen und – dies sei nochmals betont auch ausschließlich bei einer solchen Derogation im Kriegsfall – das humanitäre Völkerrecht als speziellere Regel im Verhältnis zu Art 2 EMRK Anwendung findet. Darüber hinaus sind die übrigen Konventionspflichten mit Ausnahme von Art 3, 4 Abs 1 und 7 EMRK ohnehin aufgehoben und es gelangen somit exklusiv die spezielleren Vorschriften des ius in bello zur Anwendung. Nur im Hinblick auf den notstandsfesten Kern der Konvention (also Art 3, 4 Abs 1 und 7 EMRK) besteht die parallele Anwendbarkeit beider Regelungsregime fort, was insoferne unproblematisch und begrüßenswert erscheint, als diese Fundamentalnormen ohnehin im Wesentlichen auch in Form des Gemeinsamen Artikels 3 aller Genfer Abkommen zum Kernbestandteil des humanitären Völkerrechts zu zählen sind.722 Ȗ) Zurückhaltende Anwendung des humanitären Völkerrechts durch den EGMR Die Praxis des EGMR, die Regeln des humanitären Völkerrechts zur Auslegung der EMRK heranzuziehen bzw sogar im Wege der Konvention durchzusetzen, zeichnet sich bisher durch vorsichtige Zurückhaltung der Straßburger Richter aus. Gelegenheit zur Anwendung des humanitären Völkerrechts bietet dem Gerichtshof dabei insb die Situation in der Südostanatolien, wo die türkische Regierung für zahlreiche Provinzen auf Grund ihres Kampfes gegen die Autonomie- bzw Unabhängigkeitsbestrebungen der dortigen kurdischen Bevölkerung im August 1990 eine Derogationserklärung gemäß Art 15 EMRK abgegeben hat.723 Ungeachtet dieser Erklärung 721 Zur indirekten Bezugnahme des EGMR auf das humanitäre Völkerrecht siehe sogleich unten Ȗ). 722 Insofern kommt es also zu einer teilweisen Überlappung zwischen dem humanitären Völkerrecht und dem Menschenrechtsschutz, die gleichzeitig dazu führt, dass die, was die Durchsetzung betrifft, wesentlich effektiveren Menschenrechtsinstrumente zur Implementierung bestimmter (oft kaum durchsetzbarer) Standards des Kriegsvölkerrechts herangezogen werden können, vgl Heintze, ZRP 2000, 506ff. 723 Siehe EGMR, Urteil v 18. 12. 1996, Aksoy gegen Türkei, RJD 1996-VI, in welchem der Gerichtshof zwar eine „emergency situation“ gemäß Art 15 EMRK aner-
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fand der Gerichtshof im Fall Ergi eine Verletzung der Türkei von Art 2 EMRK. In seiner Entscheidung – es ging um die Tötung einer unbeteiligten Frau, als das türkische Militär einen Hinterhalt kurdischer Separatisten bekämpfen wollte – griff der Gerichtshof zwar nicht explizit jedoch indirekt auf das humanitäre Völkerrecht zurück, indem er sich dazu äußerte, was ein rechtmäßiges Angriffsziel in einem internen bewaffneten Konflikt ist, ob ein rechtmäßiger Angriff verhältnismäßig ist und ob das vorhersehbare Risiko bezüglich ziviler Opfer unverhältnismäßig gegenüber dem militärischen Vorteil ist.724 Im Fall Güleç wurde der Sohn des Beschwerdeführers durch aus einem Schützenpanzerwagen zum Zwecke der Unterdrückung gewaltsam protestierender Demonstranten abgegebene Schüsse getötet. Der Gerichtshof sah die Mittel der Gewaltanwendung wegen mangelnder Abwägung mit alternativen Möglichkeiten wie Wasserwerfer, Gummigeschosse oder Tränengas als unverhältnismäßig an und bejahte – trotz der Ausrufung des Notstands durch die Regierung auch in diesem Gebiet – wiederum eine Verletzung von Art 2 EMRK.725 Obwohl auch diese Entscheidung von Teilen der Literatur als Beleg für die indirekte Heranziehung des humanitären Völkerrechts gesehen wird,726 ist darauf hinzuweisen, dass dabei der EGMR die Rechtfertigung am Maßstab von Art 2 Abs lit c) EMRK und damit insb an Hand der Verhältnismäßigkeit der gewählten Mittel prüfte. Auch wenn sich die türkische Regierung dagegen wehrt, den Konflikt mit den aufständischen Kurden in Südostanatolien als nichtinternationalen Konflikt einzustufen,727 zeigt die Praxis des EGMR, wie in solchen Konfliktgebieten zumindest implizit die Grundsätze des humanitären Völkerrechts auf die Auslegung von Art 2 EMRK herangezogen werden könn(t)en. Diese bestimmen sodann sehr wesentlich, ob eine gerügte Tötungshandlung „rechtmäßig“ iSd Art 15 kannte, im konkreten Einzelfall aber die Türkei wegen Verletzung von Art 3, 5 Abs 3 sowie 13 EMRK verurteilte. 724 EGMR, Urteil v 28. 7. 1998, Ergi gegen Türkei, RJD 1998-IV, Rz 79ff; vgl Heintze, ZRP 2000, 509f. 725 EGMR, Urteil v 27. 7. 1998, Güleç gegen Türkei, RJD 1998-IV, Rz 69ff. 726 Heintze, HumVR 2003, 180 sieht zumindest Parallelen zum humanitären Völkerrecht. 727 Dies ist aber Voraussetzung dafür, dass eine Derogation auf Grund eines Krieges vorliegt und somit von Art 2 EMRK bei Todesfällen, die auf rechtmäßige Kriegshandlungen zurückzuführen sind, abgewichen werden kann.
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Abs 2 EMRK ist. Herausragender Bedeutung kommt auch hierbei wie so oft dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu, der im Einzelfall eine adäquate, situationsspezifische Beurteilung ermöglicht. Gerade die Wahl verhältnismäßiger Einsatzmittel ist aber eines der primären Regelungsanliegen des humanitären Völkerrechts, sodass bei der konventionsrechtlichen Abwägung dessen Grundsätze im Stande sind, eine entsprechende Entscheidungshilfe zu bieten. Bei Fällen, wo die Anwendungsbedingungen des humanitären Völkerrechts vorliegen, sollte der Gerichtshof daher seine Scheu ablegen und die Regeln des ius in bello verstärkt in Anspruch nehmen. Das gebietet nicht zuletzt auch dessen Auslegungsmaxime, wonach die Grundsätze der Konvention nicht in einem Vakuum interpretiert und angewendet werden können, sondern bei der Lösung von Streitigkeiten auch jeder einschlägige Völkerrechtssatz zu berücksichtigen ist.728 į) Parallele Geltung der Konvention im Krieg nur bei Vorliegen von Jurisdiktion Liegt jedoch in einem kriegerischen Konflikt keine Suspension gemäß Art 15 EMRK vor, dann können sowohl sämtliche Regeln des humanitären Völkerrechts als auch all jene der Konvention parallel gelten. Im Hinblick auf die EMRK muss aber bevor eine Verletzung einer Konventionsverpflichtung gerügt werden kann, wie auch in allen sonstigen (nichtkriegerischen) Sachverhaltskonstellationen, deren Anwendbarkeit, das heißt das Vorliegen von Jurisdiktion des beklagten Staates, nachgewiesen werden. Dass dieser Nachweis besonders bei Kriegshandlungen äußerst schwer zu führen ist, hat die Entscheidung des EGMR im Fall Bankoviü gezeigt und wird weiter unten noch näher zu untersuchen sein.729 iv) Resümee Die vorangegangen Ausführungen haben die bedeutende systematische Rolle von Art 15 EMRK aufgezeigt, die sich in der potentiellen Weitergeltung der Konvention auch in Kriegszeiten manifestiert. Aus der überwiegenden aber jedenfalls auch extraterritorialen Natur kriegerischer Auseinandersetzungen kann mit guten Gründen EGMR, Urteil v 18. 12. 1996, Loizidou gegen Türkei (merits), RJD 1996.VI, 2231, Rz 43; vgl III.C.2.d)cc). 729 Siehe dazu unten III.E.3.e)bb). 728
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auf eine grundsätzliche allgemeine Geltung der Konventionspflichten bei der Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt außerhalb des eigenen Staatsgebiets geschlossen werden. cc) Einschränkende Auslegung von Art 1 EMRK als Verstoß gegen Art 17 EMRK? Der Menschenrechtsausschuss (MRA) hat bei der Auslegung von Art 2 Abs 1 IPBPR730 wiederholt das Missbrauchsverbot in Art 5 Abs 1 IPBPR herangezogen, wonach keine Bestimmung dieses Pakts dahingehend ausgelegt werden darf, dass sie für einen Staat, eine Gruppe oder eine Person das Recht begründet, eine Tätigkeit auszuüben oder eine Handlung zu begehen, die auf die Abschaffung der in diesem Pakt anerkannten Rechte und Freiheiten oder auf weitergehende Beschränkungen dieser Rechte und Freiheiten als im Pakt vorgesehen, hinzielt. In Übereinstimmung damit, so der MRA, wäre es unzumutbar, die Verantwortlichkeit nach Art 2 IPBPR aber auf eine solche Weise zu interpretieren, als würde sie den Vertragsstaaten die Begehung von Verletzungen des Pakts auf dem Gebiet eines anderen Staates erlauben, welche auf eigenem Staatsgebiet verboten wären.731 Im Fall Issa hat der Gerichtshof die Zurechenbarkeit von Konventionsverletzungen von Personen auf fremdem Staatsgebiet bei Vorliegen von – rechtmäßiger oder rechtswidriger – Gewalt und Kontrolle seiner Organe über diese Personen bejaht und darüber hinaus im unmittelbaren Kontext unter explizitem Verweis auf die eben zitierten Auffassungen des MRA festgehalten: „…Accountability in such situations stems from the fact Article 1 of the Convention cannot be interpreted so as to allow a State party Art 2 Abs 1 IPBPR lautet: „Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, die in diesem Pakt anerkannten Rechte zu achten und sie allen in seinem Gebiet befindlichen und seiner Jurisdiktion unterstehenden Personen ohne Unterschied…zu gewährleisten.“ [Hervorhebung von mir]. 731 López Burgos v. Uruguay, Communication No. 52/1979, View v 29. 7. 1981, UN Doc. A/36/40, 176, § 12.3; wortgleich Celiberti de Casariego v. Uruguay, Communication No. 56/1979, View v 29. 7. 1981, UN Doc. A/36/40, 185, § 10.3; vgl McGoldrick, in: Extraterritorial Application, 59ff; kritisch dazu das Sondervotum von MRA-Mitglied Tomuschat (vgl EuGRZ 1981, 521f), der zwar mit der Auffassung der Mehrheit übereinstimmt, die Ausdehnung des Anwendungsbereichs des Pakts unter Hinweis auf Art 5 IPBPR allerdings ablehnt. 730
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to perpetrate violations of the Convention on the territory of another State, which it could not perpetrate on its own territory…“732
Somit folgt der EGMR der Ansicht des MRA, obwohl er anders als dieser auf die mit Art 5 Abs 1 IPBPR wörtlich und inhaltlich völlig idente Bestimmung in Art 17 EMRK nicht explizit Bezug nimmt.733 Für die stillschweigende Annahme, dass Art 17 EMRK als Hürde einer engen Auslegung von Art 1 EMRK entgegensteht, kann aber der Verweis auf jenen Absatz, in dem der MRA auf Art 5 Abs 1 IPBPR Bezug nimmt, ins Treffen geführt werden. Einer solchen Auslegung von Art 1 iVm Art 17 EMRK widerspricht auch nicht die Ansicht Tomuschats, dass das Missbrauchsverbot lediglich Fallkonstellationen abdecken soll, bei denen formal Bestimmungen des Paktes Handlungen zu rechtfertigen scheinen, die in der Sache seinen Zielen und seinem allgemeinem Geist zuwiderlaufen. Vielmehr entspräche eine restriktive Interpretation von Art 1 ERMK einer solchen Fallkonstellation und genauso wie sich die Vertragsstaaten nicht der Schrankenklauseln auf eine Weise bedienen dürfen, die den Wesensgehalt der Konventionsrechte zunichte machen würde, soll Art 1 EMRK von ihnen eben nicht dazu verwendet werden dürfen, ein wesentliches Ziel der Konvention selbst – nämlich die Wahrung und die Entwicklung der Menschenrechte und Grundfreiheiten734 – zumindest partiell zu gefährden bzw zu unterlaufen. Rechtstechnisch könnte gegen eine Anwendung von Art 17 EMRK bei der Auslegung von Art 1 EMRK argumentiert werden, dass – solange nach Art 1 EMRK in einem konkreten Fall keine Jurisdiktionsausübung über Personen vorliegt – die EMRK und somit auch das Missbrauchsverbot in Art 17 EMRK gar nicht angewendet werden können. Diese Argumentation muss aber insofern zurückgewiesen werden, als sie einer petitio principii gleichkommt und überdies den Charakter von Art 17 EMRK als prozessualer Vorschrift, die im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung anzuwenden ist, verkennt. Auch der MRA hat korrekterweise nicht auf solchen Formalismus abgestellt und Art 2 Abs 1 iVm Art 5 Abs 1 IPBPR ausgelegt. EGMR, Urteil v 16. 11. 2004, Issa et al gegen Türkei, Nr. 31821/96, § 71; siehe auch oben III.C.3.c). 733 Keine Übereinstimmung zwischen den beiden Vorschriften erkennt Ress, ZEuS 2003, 83. 734 Dritter Erwägungsgrund der EMRK-Präambel. 732
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c) Ziel und Zweck aa) Objektive Natur der Konventionsrechte und europäischer ordre public i) Keine Anwendung des Grundsatzes in dubio mitius Aus ihrer Rechtsnatur als überwiegend rechtsetzender Vertrag735 folgt nach Ansicht von EGMR und EKMR, dass die Konvention objektive Verpflichtungen der Vertragsstaaten schafft, welche den europäischen „ordre public“ zum Ausdruck bringen.736 Diese Rechtsnatur spiegelt sich auch deutlich in der Auslegungspraxis der Konventionsorgane wider, welche der objektiv-teleologischen im Vergleich zur subjektiv-historischen Interpretation den uneingeschränkten Vorzug geben.737 Von dieser klaren Präferenz zu Gunsten einer Auslegung nach Ziel und Zweck kann auch Art 1 EMRK nicht ausgenommen werden, wie es jedoch manche Autoren unter Heranziehung des Grundsatzes in dubio mitius argumentieren.738 Diese wollen Art 1 EMRK als die staatliche Souveränität einschränkende Norm eher restriktiv-territorial interpretieren und lehnen daher für die Zuständigkeitsklausel die für den Rest des Vertrages primär gültige Berufung auf die teleologische Auslegung ab. Einer solchen Auffassung kann allerdings nicht beigepflichtet werden: Einerseits ist anzumerken, dass die in dubio mitius-Regel weder in die Art 31 – 33 WVK Aufnahme gefunden hat noch vom EGMR in seiner Rechtsprechungspraxis angewendet wird. Andererseits läuft dieser Auslegungsgrundsatz Ziel und Zweck der Konvention zuwider und ist geeignet, eine effektive „Wahrung und Entwicklung der Menschenrechte und Grundfreiheiten“739 zu vereiteln.740 Tatsächlich verlangt der Gerichtshof auch „to seek the interpretation that is most 735 Zur Differenzierung zwischen gegenseitigen und rechtsetzenden völkerrechtlichen Verträgen vgl III.A.1.b). 736 EKMR, Entscheidung v 11. 1. 1961, Österreich gegen Italien, Yb 4, 140; EGMR, Urteil v 18. 1. 1978, Irland gegen Vereinigtes Königreich, Serie A-25, Rz 239 (= EuGRZ 1979, 159); Orakhelashvili, EJIL 2003, 531f. 737 Siehe dazu III.A.c)cc). 738 Vgl Lorenz, Anwendungsbereich, 88 FN 443; Dipla, Responsabilité, 46f. 739 Dritter Erwägungsgrund der EMRK-Präambel. 740 Dies würde selbst bei einer teleologisch-objektiven Auslegung der sonstigen Rechte geschehen, da häufig infolge einer engen Auslegung von Art 1 EMRK eine Anwendung der Konvention gänzlich unterbunden wäre.
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appropriate in order to realize the aim and achieve the object of the treaty, not that which would restrict to the greatest possible degree the obligations undertaken by the Parties.“741 Somit muss aber gerade bei der grundlegenden Frage ihres Anwendungsbereichs auf Ziel und Zweck der Konvention besonderer Wert gelegt werden. Wenn die EMRK, wie es der Gerichtshof wiederholt gesagt hat, keine staatlich-gegenseitigen, sondern objektive, an der Menschenwürde anknüpfende und jedermann innewohnende Rechte gegenüber den mit ihm in einer gewissen Beziehung stehenden Individuen sicherstellen will, dann darf diese Garantie nicht mit einer angeblich souveränitätsfreundlichen Auslegung zunichte gemacht werden.742 Wenn es iS einer solchen objektiven Natur dem telos der Menschenrechte entspricht, Schutz des Einzelnen gegenüber jeglicher Emanation staatlicher Hoheitsgewalt zu gewährleisten, darf die Ausübung von Hoheitsgewalt nicht extensiv oder restriktiv bewertet werden, sondern gerade so, wie sich in allen, vielfältigen Facetten des postmodernen Nationalstaats präsentiert. Aus diesem Grund wäre es aber verfehlt und es würde der Rechtsprechungslinie des Gerichtshofs zuwiderlaufen, ausgerechnet das Kriterium der Jurisdiktionsausübung in Art 1 EMRK nicht im Lichte der present-day-conditions zu bewerten und in diesem Punkt auf einer historisch-statischen anstelle einer Interpretation iS der Konvention als „living instrument“ anzuknüpfen. Schließlich ist unbestritten, dass sich die Formen und Funktionsweisen der Ausübung von Hoheitsgewalt in den vergangenen fünf Jahrzehnten beträchtlich verändert haben. Veränderungen, welche der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung auch berücksichtigt, wie etwa die zunehmende Verlagerung hoheitlicher Aufgaben auf Private im Zuge der Privatisierung bzw Ausgliederung ehemals staatlicher Teilbereiche: Auch in diesen Bereichen haben die Vertragsstaaten weiterhin die Einhaltung der EMRK-Rechte zu verbürgen und können sich nicht durch eine „Flucht ins Privatrecht“ ihren Verpflichtungen entziehen.743 Neben dieser sog Auflösung des Staates nach „unten“ EGMR, Urteil v 27. 6. 1968, Wemhoff gegen Deutschland, Serie A-7, Rz 8. Wobei in diesem Zusammenhang zu fragen ist, worin bei einer Auslegung der Konventionsrechte als objektive und nicht reziproke Pflichten eigentlich der souveränitätsbeschränkende Aspekt einer weiten Interpretation liegen soll. 743 EGMR, Urteil v 23. 11. 1983, van der Mussele gegen Belgien, Serie A-70, 14f, Rz 28ff. 741 742
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führt aber auch jene nach „oben“ iS der Übertragung immer zahlreicherer Kompetenzen an supra- oder internationale Organisationen nicht zu einer Entbindung der Vertragsstaaten von den Konventionspflichten.744 In ähnlicher Weise muss die EMRK als „living instrument“ mit dem Umstand umgehen, dass sich im Zuge der immer enger werdenden Verflechtungen der Staaten untereinander und des Bedeutungsverlustes der Staatsgrenzen auch der territoriale Bezug des Rechts relativiert (hat); es ist heute eine deutliche Zunahme an Ausübung extraterritorialer Hoheitsgewalt zu konstatieren, ein Trend der sich in den kommenden Jahrzehnten aller Voraussicht nach weiter verstärken dürfte. Genauso wie die Ausübung von Hoheitsgewalt unter dem Deckmantel privatrechtsförmigen Handelns bzw im Gefüge Internationaler Organisationen des Schutzes der Grundrechte bedarf, ist dies bei hoheitlicher Tätigkeit jenseits der Grenzen der Fall. Es ist falsch, dieses Schutzbedürfnis mit dem Argument, dass die Konvention „never intended [was] to cure all the planet’s ills“ zu erdrücken;745 dies verlangt auch die EMRK insofern nicht, als sich die Vertragsstaaten bloß gebunden haben „allen ihrer Jurisdiktion unterstehenden Personen“ die Konventionsrechte sicherzustellen. Anknüpfend an der Jurisdiktion als Ausübung von Hoheitsgewalt haben sich die Vertragsparteien aber verpflichtet, jegliche hoheitliche Tätigkeit, unabhängig davon, ob sie diese innerhalb oder außerhalb des eigenen Staatsgebiets ausüben, am Maßstab der Grundrechte auszurichten und dem EGMR der Kontrolle zu unterwerfen.746 Dabei unterliegt nicht jeder Auslandskontakt eines Staates der Bindung an die Konvention, sondern bloß ein solcher, bei dem der betreffende Staat auch selbst Jurisdiktion über Personen ausübt;747 eine solVgl EGMR, Urteil v 18. 2. 1999, Matthews gegen Vereinigtes Königreich, RJD 1991-I, 266, Rz 32: „The Convention does not exclude the transfer of competences to international organisations provided that Convention rights continue to be „secured“. Member States’ responsibility therefore continues even after such a transfer”; vgl dazu zB Schäfer, Verletzungen, 25ff; 86ff und 4. Kap V. 745 Der damalige EGMR-Präsident Wildhaber in seiner Rede vom 31. 1. 2002 zur Eröffnung des Straßburger Gerichtsjahres. 746 Vgl auch Schäfer, MRM 2002, 159. 747 Zutreffend Cohen-Jonathan, RTDH 2002, 1076, demzufolge « …le champ d’application de la Convention dépasse le cadre territorial de l’Etat et suit l’exercice des compétences étatiques. Tout individu soumis à l’autorité de l’Etat dans l’exercice 744
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che extraterritoriale Jurisdiktionsausübung kann, wie die Judikatur der Konventionsorgane veranschaulicht, in unterschiedlicher Art und Weise auftreten.748 ii) Beschränkung des Anwendungsbereichs auf den Europäischen Rechtsraum Der EGMR hat, wenn auch insb seit dem Fall Bankoviü nur mehr zurückhaltend, grundsätzlich eine mögliche Ausübung extraterritorialer Jurisdiktion und die damit einhergehende Bindung an die Konvention bejaht. Im Hinblick auf die Reichweite dieser Bindung hat der Gerichtshof allerdings angemerkt: „In short, the Convention is a multilateral treaty operating…in an essentially regional context and notably in the legal space (espace juridique) of the Contracting States…The Convention was not designed to be applied throughout the world, even in respect of the conduct of Contracting States. Accordingly, the desirability of avoiding a gap or vacuum in human rights protection has so far been relied on by the Court in favour of establishing jurisdiction only when the territory in question was one that, but for the specific circumstances, would normally be covered by the Convention.“749
Dieses obiter dictum des EGMR, das den Anwendungsbereich der Konvention offensichtlich auf die Staatsgebiete der Vertragsstaaten als einen abgeschlossenen „europäischen Rechtsraum“ beschränken will, ist im Schrifttum, selbst von den grundsätzlichen Befürwortern der Bankoviü-Entscheidung, zT heftig kritisiert worden.750 Dieser Kritik ist aus den folgenden Gründen zuzustimmen: Es bleibt unersichtlich, woher der Gerichtshof das Kriterium des europäischen espace juridique nimmt und was genau er darunter versteht.751 Augenscheinlich will er aber den Anwendungsbereich der EMRK auf die Staatsgebiete der Vertragsstaaten beschränkt wisd’une de ses compétences est protégé par la Convention... » [Hervorhebungen von mir]. 748 Siehe unten dazu oben III.C. 749 EGMR, Entscheidung v 12. 12. 2001 (Große Kammer), Bankoviü et al gegen Belgien und 16 andere NATO-Staaten, RJD 2001-XII, 358f, Rz 80 [Hervorhebung vom Gerichtshof]. 750 Vgl oben III.D. 751 Anders als bei einer Beschränkung auf die Staatsgebiete der Vertragsstaaten wäre bei einer Interpretation iSd europäischen Kontinents das Gebiet der FRY miteingeschlossen gewesen, vgl Bothe, ZaöRV 2005, 618f.
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sen;752 eine solche Auslegung von Art 1 EMRK widerspricht jedoch der oben dargelegten objektiven und eben gerade nicht reziproken Natur der Konventionsrechte sowie der damit verbundenen territorial indifferenten Bindung sämtlicher Hoheitsgewalt.753 Im Ergebnis führt eine solche Differenzierung zwischen extraterritorialer Jurisdiktion intern und extraterritorialer Jurisdiktion extern einen Doppelstandard ein, der nur schwer mit der angeblichen Vorreiterrolle des europäischen Menschenrechtsschutzes in Einklang zu bringen ist.754 Darüber hinaus steht ein solches räumliches Kriterium in deutlichem Widerspruch zur mittlerweile ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs in den Fällen Öcalan und Issa.755 So bejaht der EGMR in seinem Öcalan-Urteil die Ausübung von Jurisdiktion iSv Art 1 EMRK durch die Türkei im Staatsgebiet Kenias, also außerhalb des „European legal space“.756 Ebenso widersprüchlich ist seine Aussage im Fall Issa, wenn er zwar ein Gebiet im Nordirak als außerhalb des europäischen Rechtsraums liegend bezeichnet, nichtsdestotrotz eine dortige Jurisdiktionsausübung der Türkei durch eine wirksame Gesamtkontrolle über die Gegend (und somit auch eine Anwendung der Konvention) für möglich hält und deshalb einer Prüfung unterzieht.757 Insgesamt kann dem vom EGMR im Fall Bankoviü betonten Kriterium des „Europäischen Rechtsraums“ deshalb keine Ent752 Ob dies generell oder bloß bei Vorliegen von wirksamer Gesamtkontrolle über ein extraterritoriales Gebiet gelten soll, bleibt unerfindlich; vgl O’Boyle, in: Extraterritorial Application, 137, welcher die Frage aufwirft, ob es sich dabei um eine „spatial qualification of the Loizidou principle“ handeln soll; idS Cerna, in: Extraterritorial Application, 170f und wohl auch Ress, IYIL 2002, 63. 753 Siehe statt vieler Orakhelashvili, EJIL 2003, 547ff. 754 Decaux, FS Eissen, 69, 74; ähnlich Lawson, in: Extraterritorial Application, 112ff, 122; wäre demnach etwa bei einem Bombardement einer Fernsehstation eines Vertragsstaats die Anwendbarkeit der Konvention zu bejahen gewesen?, vgl zB Flauss, AJDA 2002, 501. 755 So auch Wilde, EHRLR 2005, 121ff; Breuer, EuGRZ 2005, 472; Schilling, GLWP 08/04, 13f; siehe zu diesen Fällen auch oben III.C.3.b)ee) und c). 756 EGMR, Urteil v 12. 3. 2003, Öcalan gegen Türkei, Nr. 46221/99, Rz 93. 757 EGMR, Urteil v 16. 11. 2004, Issa et al gegen Türkei, Nr. 31821/96, Rz 74. Die Prüfung, ob die Türkei Jurisdiktion außerhalb des ‘espace juridique’ ausgeübt hat, basiert auf der Prämisse, wonach „Article 1 of the Convention cannot be interpreted so as to allow a State party to perpetrate violations of the Convention on the territory of another State, which it could not perpetrate on its own territory…“ (Rz 71).
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scheidungsrelevanz zukommen; dies dürfte der Gerichtshof mittlerweile, wie die eben gezeigten rezenten Urteile unterstreichen, wenn auch nur implizit so doch konzediert haben.758 iii) Territorial unbeschränkte Geltungskraft infolge der Ausgestaltung der Konventionsrechte als Jedermannsrechte Teleologische Überlegungen, die für eine extraterritoriale Grundrechtsbindung sprechen, folgen auch aus der objektiven Rechtsnatur der Konventionsrechte als Jedermannsrechte. Wenn die in der EMRK verbürgten Rechte und Grundfreiheiten (bis auf wenige Ausnahmen)759 allen Individuen zukommen sollen, dann fragt sich, warum ihre Geltungskraft im Ausland im Vergleich zum Inland gänzlich bzw teilweise abgeschwächt sein soll. Vielmehr spricht die Tatsache, dass das Staatsbürgerschaftsband als Voraussetzung für die Geltendmachung von Grundrechten mittlerweile historisch überkommen ist auch dafür, dass dies auch für das Bezugselement des Staatsgebiets zu gelten hat; stattdessen bedingt die Anwendbarkeit der Grundrechte ein von der Ausübung von Hoheitsgewalt abhängiges territorial indifferentes Grundrechtsverhältnis zwischen Staat und Individuum.760 bb) Die Relevanz der völkerrechtlichen Zulässigkeit extraterritorialer Hoheitsakte Wie oben gezeigt, spricht der Wortlaut von Art 1 EMRK gegen das Kriterium der völkerrechtlichen Zulässigkeit der extraterritorialen Jurisdiktion als Voraussetzung für eine Bindungswirkung an die EMRK.761 Eine teleologische Auslegung der Norm bestätigt dies: 758 Ausdrücklich hat dies nur Richter Loucaides in seiner concurring bzw partly dissenting opinion in den Fällen Assanidze (EGMR v 8. 4. 2004, Assanidze gegen Georgien, Nr 71503/01, RJD 2004-II, 279ff) bzw Ilaúcu (EGMR, Urteil v 8. 7. 2004 (Große Kammer), Ilaúcu et al gegen Moldawien und Russland, Nr 48787/99, RJD 2004-VII, 332ff erklärt: „...Therefore, a High Contracting Party is accountable under the Convention to everyone directly affected by any exercise of authority by such Party in any part of the world…” [Hervorhebung von mir]. 759 Wie zB das Wahlrecht, vgl Art 3 1. ZPEMRK; siehe zu den Staatsbürgerrechten oben II.B.2.c)cc). 760 Das Staatsgebiet bewahrt aber seine (Indiz)Wirkung als Anknüpfungspunkt effektiver territorialer Kontrolle bei der Bestimmung der Jurisdiktionsausübung. 761 Siehe oben III.E.2.a) sowie zur völkerrechtlichen Zulässigkeit 1. Kap I.B.2.
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Der Gedanke, dass die Grundrechte dem Einzelnen Schutz gewähren soll, wenn er sich staatlicher Hoheitsgewalt gegenüber steht, hat unabhängig davon Bestand, ob diese Hoheitsgewalt kompetenzrechtlich zulässig oder unzulässig ist. Dementsprechend haben die Konventionsorgane auch in diversen Fällen, anders als in der BankoviüEntscheidung, nicht auf die Rechtmäßigkeit extraterritorialer Hoheitsgewalt, sondern auf die de facto Kontrolle über diejenigen abgestellt, die sich auf die Rechte aus der EMRK berufen wollten.762 Eine Unbeachtlichkeit der (Un)Rechtmäßigkeit der extraterritorialen Jurisdiktion folgt bereits aus dem völkerrechtlichen Grundsatz ex iniuria ius non oritur:763 Gemäß diesem darf ein rechtswidriges Verhalten einem Staat auch nicht noch zum Vorteil gereichen; ebendies wäre jedoch, junktimiert man die Konventionsbindung tatsächlich mit der völkerrechtlichen Zulässigkeit der Ausübung von Jurisdiktion auf fremdem Staatsgebiet, der Fall. In einer solchen Situation wäre ein ohnehin schon rechtswidrig handelnder Staat auch noch von seinen Verpflichtungen nach der EMRK befreit.764 Tatsächlich muss aber gerade in diesen Fällen der Konventionsschutz wirksam sein, denn die Geltendmachung der Völkerrechtswidrigkeit durch den verletzten Staat bietet den potentiell Betroffenen keine Gewähr effizienten Rechtschutzes, sondern liegt im Ermessen des verletzten Staats; selbst bei ihrer erfolgreichen Durchsetzung löst sie allerdings bloß Wiedergutmachungspflichten des Verletzer-Staats zu Gunsten des verletzten Staates, nicht aber der betroffenen Individuen aus. d) Travaux préparatoires Die Entstehungsgeschichte scheint noch am deutlichsten für eine restriktive Auslegung von Art 1 EMRK zu sprechen. Ein früher Entwurf von Art 1 EMRK stellte noch auf die Zusicherung der Konventionsrechte an „all persons residing within their territories“ bzw
762 Siehe zB die Fälle Freda, Öcalan und Issa, vgl III.C.3.b) und c); zustimmend zB Scheinin, in: Extraterritorial Application, 79f; Breuer, EuGRZ 2003, 449ff; Schäfer, MRM 2002, 155f. 763 Vgl Cheng, General Principles, 187; Brownlie, Principles, 487f; siehe schon II.A.1. zu Heintzens Grundrechtskollisionsrecht. 764 Auf diese Folge hinweisend auch de Schutter, CRIDHO Working Paper 2005/ 04, 2)a).
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„à toute personne résidant sur leur territoire“ ab.765 Dieser Vorschlag der Beratenden Versammlung wurde vom Expertenkomitee auf den nunmehrigen Wortlaut „everyone within their jurisdiction“ abgeändert und zwar mit der Begründung, dass damit auch all jene sich im Staatsgebiet der Vertragsparteien befindlichen Personen erfasst sein sollten, die keinen Aufenthaltsstatus im rechtlichen Sinne („residing“) innehätten.766 Für den Gerichtshof ist dieser Umstand Bestätigung seines Verständnisses eines im Wesentlichen territorialen Jurisdiktionsbegriffs.767 Auch wenn eine historische Auslegung somit für eine territoriale Konzeption der Jurisdiktionsausübung in Art 1 EMRK spricht, ist diese aus den folgenden Gründen bloß von untergeordneter Bedeutung: Erstens ist zu berücksichtigen, dass zum Zeitpunkt der Ausarbeitung der Konvention Fragen extraterritorialer Hoheitsakte noch von weit geringerer Bedeutung als heute waren und, wie auch die historischen Entwurfstexte dokumentieren, bei der Erstellung von Art 1 EMRK deshalb so gut wie nicht mitbedacht worden sind.768 Zweitens ist die historische Interpretation gemäß Art 32 WVK bloß ergänzend heranzuziehen, um „die sich unter Anwendung des Artikels 31 ergebende Bedeutung zu bestätigen oder die Bedeutung zu bestimmen, wenn die Auslegung nach Artikel 31 a) die Bedeutung mehrdeutig oder dunkel lässt oder b) zu einem offensichtlich sinnwidrigen oder unvernünftigem Ergebnis führt.“769 Im konkreten Fall 765 Vgl Council of Europe, Collected Edition of the „Travaux Préparatoroires“ of the European Convention on Human Rights II (1975) 277. 766 Vgl Council of Europe, Collected Edition of the „Travaux Préparatoroires“ of the European Convention on Human Rights III(1976) 260; zudem verwies das Expertenkomitee darauf, dass auch Art 2 (des damals noch im Entwurfsstadium befindlichen) IPBPR auf den Wortlaut „within their jurisdiction“ abstellte. Zur Entstehungsgeschichte von Art 2 Abs 1 IPBPR siehe Nowak, CCPR-Commentary, Article 2, Rz 5ff. Dem widerspricht allerdings die Ansicht des drafting sub-committee, demzufolge „the aim of this amendment is to widen as far as possible the categories of persons who are to benefit by the guarantees contained in the convention.“; vgl Council of Europe, Collected Edition of the „Travaux Préparatoroires“ of the European Convention on Human Rights III (1976) 200 und Benvenisti, ILR 1992, 34. 767 EGMR, Entscheidung v 12. 12. 2001 (Große Kammer), Bankoviü et al gegen Belgien und 16 andere NATO-Staaten, RJD 2001-XII, 353, Rz 63. 768 Vgl Lawson, in: Extraterritorial Application, 89f; O’Boyle, in: Extraterritorial Application, 132f. 769 Siehe dazu allgemein oben bei den Auslegunsmethoden des EGMR III.1.a).
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scheidet somit aber eine Heranziehung der travaux préparatoires überhaupt aus, da diese das an Hand der Methoden des Art 31 WVK gewonnene Ergebnis einer territorial indifferenten Auslegung von Art 1 EMRK eben gerade nicht bestätigen und außerdem die Bedeutung der Vorschrift im Lichte der bisherigen Interpretation nach Art 31 WVK auch weder mehrdeutig oder dunkel noch sinnwidrig oder unvernünftig erscheint. Für eine sehr behutsame Anwendung der historischen Interpretation auf die Konvention spricht darüber hinaus die Tatsache, dass nur ein Bruchteil der heutigen Vertragsparteien an der Ausarbeitung dieser Vorschrift beteiligt war sowie in konventionsspezifischer Hinsicht die Auslegungsmaxime des Gerichtshofs der Konvention als „living instrument“ im Lichte der „present-day conditions“, die einer besonderen Betonung des historischen Willens (einiger weniger Vertragsstaaten) aber diametral zuwiderläuft.770 e) Rechtsvergleichung Zahlreiche andere Menschenrechtsschutzinstrumente weisen mit Art 1 EMRK vergleichbare Zuständigkeitsklauseln auf.771 Von besonderer Bedeutung ist dabei Art 2 Abs 1 IPBPR, der den Anwendungsbereich des Paktes wie folgt bestimmt: „Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, die in diesem Pakt anerkannten Rechte zu achten und sie allen in seinem Gebiet befindlichen und seiner Jurisdiktion unterstehenden Personen ohne Unterschied, wie insbesondere der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, der Geburt oder des sonstigen Status zu gewährleisten.“772
Die Pflicht eines Vertragsstaats zur Zusicherung der Rechte aus dem Pakt an „alle in seinem Gebiet befindlichen und seiner Jurisdiktion unterstehenden Personen“ stellt einen Kompromiss zwiVgl dazu gerade oben III.A.2.c). ZB Art 2 Abs 1 IPBPR und Art 1 des 1. FP, Art 2 Abs 1 IPWKSR, Art 1 Abs 1 AMRK; Art 3, 6, 14 IÜBRassD; Gemeinsamer Art 1 GK und Protokoll I (1977); Art 2, 5 UNFK; Art 2 UNKRK; vgl den Wortlaut dieser Bestimmungen gesammelt abgedruckt in Coomans/Kamminga (Hrsg), Extraterritorial Application of Human Rights Treaties (2004) 271ff und die Beiträge von McGoldrick, Scheinin, Coomans, Künnemann, Cerna, Gillard und Cassel in diesem Sammelband. 772 BGBl 1978/591 [Hervorhebung von mir]. 770 771
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schen den Positionen der US-Delegation (die für eine Formulierung „within its territory“ eintrat) und Frankreichs (pro „subject to its jurisdiction“) bei der Ausarbeitung des Paktes dar.773 Daraus resultiert bis heute der Streit, ob die beiden Anknüpfungspunkte „territory“ und „jurisdiction“ kumulativ oder alternativ vorliegen müssen; für eine kumulative Auslegung und damit aber für eine Beschränkung des Anwendungsbereichs des Paktes auf das Staatsgebiet der Vertragsparteien treten vor allem die USA unter Hinweis auf den Wortlaut in Art 2 Abs 1 IPBPR („and“) ein.774 Diese Auffassung steht aber im Widerspruch zur hM, die nicht von einer streng territorialen Geltung des Paktes, sondern von einem alternativen Verständnis von Art 2 Abs 1 IPBPR ausgeht.775 Eine allzu wörtliche Interpretation würde nämlich zu teils sinnwidrigen Ergebnissen führen und etwa Staatsangehörige eines Vertragsstaats, die an der Einreise in ihr Heimatland gehindert werden, von einer Berufung auf das in Art 12 Abs 4 IPBPR garantierte Einreiserecht ausschließen.776 Darüber hinaus können Staaten nicht immer für alle Verletzungen des Paktes auf ihrem Territorium (zB durch Besatzungstruppen) verantwortlich zeichnen;777 Auch der Menschenrechtsausschuss (MRA) geht – in Übereinstimmung mit dem EGMR – davon aus, dass die Vertragsstaaten auch außerhalb des eigenen Staatsgebiets gegenüber Personen über die sie Jurisdiktion ausüben an die Gewährleistungen des Paktes gebunden sind.778 Diese Position hat 773 Siehe zur Entstehungsgeschichte des IPBPR insb Nowak, CCPR-Commentary, Article 2, Rz 5ff, 26ff; Lorenz, Anwendungsbereich, 83ff. Mit der gewählten Formulierung sollte jedenfalls den objektiv bestehenden Schwierigkeiten Rechnung getragen werden, die Paktrechte auch im Ausland zu gewährleisten, wo der handelnde Staat nicht über die territoriale Hoheitsgewalt verfügt, vgl Tomuschat, EuGRZ 2001, 545. 774 Vgl Lorenz, Anwendungsbereich, 73; zustimmend McGoldrick, in: Extraterritorial Application, 48. 775 Die Vorschrift verpflichte daher die Vertragsstaaten die Paktrechte „to all individuals within its territory“ and „to all individuals subject to its jurisdiction“ zu garantieren; so Buergenthal, in: International Bill of Rights, 73f; Pappa, Individualbeschwerdeverfahren, 155ff; Tomuschat, Human Rights, 109ff; Schilling, GLWP 08/04, 10f. 776 Nowak, Article 2, CCPR-Commentary, Rz 27. 777 Buergenthal, in: International Bill of Rights, 74. 778 Lichtensztejn v. Uruguay, Communication No. 77/1980, View v 31. 3. 1983, UN Doc. A/38/40, 166, § 6.1; López Burgos v. Uruguay, Communication No. 52/ 1979, View v 29. 7. 1981, UN Doc. A/36/40, 176, § 12.3; wortgleich Celiberti de
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der MRA mittlerweile in seinem General Comment No. 31 untermauert: „States Parties are required by article 2, paragraph 1, to respect and to ensure the Covenant rights to all persons who may be within their territory and to all persons subject to their jurisdiction. This means that a State party must respect and ensure the rights laid down in the Covenant to anyone within the power or effective control of that State Party, even if not situated within the territory of the State Party…the enjoyment of Covenant rights is not limited to citizens of States Parties but must also be available to all individuals,…who may find themselves in the territory or subject to the jurisdiction of the State Party. This principle also applies to those within the power or effective control of the forces of a State Party acting outside its territory,…such as forces constituting a national contingent of a State Party assigned to an international peace-keeping or peace-enforcement operation.“779
Wenn gleich die views, general comments und concluding observations des MRA rechtlich nicht bindend sind, kommt ihnen als authentische Interpretation des IPBPR Bedeutung zu;780 den Stellenwert der Auffassungen des MRA (views) hat der IGH jüngst im seinem Gutachten zum Mauerbau im besetzten palästinensischen Gebiet unterstrichen. In Anlehnung an die Entscheidungspraxis des MRA hat der Gerichtshof dabei festgehalten, „that, while the jurisdiction of States is primarily territorial, it may sometimes be exercised outside the national territory“ und dass im Lichte von Sinn und Zweck des IPBPR „even when such is the case, State parties to the Casariego v. Uruguay, Communication No. 56/1979, View v 29. 7. 1981, UN Doc. A/36/40, 185, § 10.3; vgl ausführlich zur Entscheidungspraxis des MRA Lorenz, Anwendungsbereich, 35ff sowie McGoldrick, in: Extraterritorial Application, 49ff. 779 General Comment No. 31 on Article 2 of the Covenant: The Nature of the General Legal Obligation Imposed on States Parties to the Covenant: 21. 4. 2004. CCPR/ C/74/CRP.4/Rev.6 (General Comments) [Hervorhebung von mir]. In seinen Concluding Observations zu Israel v 21. 8. 2003, CCPR/CO/78/ISR, § 11 hat der MRA im Hinblick auf die Anwendung des IPBPR in den von Israel besetzten Gebieten außerdem festgestellt, dass „in the current circumstances, the provisions of the Covenant apply to the benefit of the population of the Occupied Territories, for all conduct by the State Party’s authorities or agents in those territories that affect the enjoyment of rights enshrined in the Covenant and fall within the ambit of State responsibility of Israel under the principles of public international law.“ 780 Vgl Pappa, Individualbeschwerdeverfahren, 24ff; Nowak, Einführung, 92ff.
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Covenant should be bound to comply with its provisions“.781 Sodann fährt der IGH in seinem Gutachten fort: „The travaux préparatoires…show that, in adopting the wording chosen, the drafters of the Covenant did not intend to allow States to escape from their obligations when they exercise jurisdiction outside their national territory…“.782
Diese historische Interpretation bestätigt den Gerichtshof in seiner Meinung, dass Art 2 Abs 1 IPBPR nicht dahingehend ausgelegt werden darf „as covering only individuals who are both present within a State’s territory and subject to that State’s jurisdiction“; vielmehr sei die Bestimmung so auszulegen „as covering both individuals present within a State’s territory and those outside that territory but subject to that State’s jurisdiction“.783 Für die Auslegung von Art 2 Abs 1 IPBPR ist somit mit der hM zu konstatieren, dass der Pakt im Hinblick auf Handlungen und Unterlassungen eines Vertragsstaats im Zuge einer Jurisdiktionsausübung außerhalb des eigenen Staatsgebiets anwendbar ist.784 Die Ansichten des MRA und des IGH sind insofern beachtlich, als sie der ursprünglichen Rechtsprechungslinie von EGMR und EKMR angelehnt sind und mit ihr im Wesentlichen übereinstimmen; einzig die Bankoviü-Entscheidung des EGMR passt nicht zu dieser Abkehr vom Grundsatz einer bloß territorialen Jurisdiktionsausübung. Aber selbst der Straßburger Gerichtshof kann – schon um seiner eigenen Rechtsprechungspraxis nicht untreu zu werden785 – in seinen zukünftigen Entscheidungen die weite Auslegung von Art 2 Abs 1 IPBPR durch MRA und insb IGH nicht einfach unbeachtet lassen. Ohne Territorialbezug stellt ähnlich wie Art 1 EMRK auch Art 1 Abs 1 AMRK auf die von den Vertragsstaaten ausgeübte Jurisdikti781 IGH, Rechtliche Folgen des Baus einer Mauer im besetzten palästinensischen Territorium, Rechtsgutachten v 9. 7. 2004, § 109; vgl zum Gutachten Becker, AVR 2005, 218ff und die Beiträge im Agora von AJIL 2005, 1ff. 782 Ibid, § 109 [Hervorhebung vom Gerichtshof]. 783 Ibid, § 108. 784 Ibid, § 111. Zur in der Folge unerlässlichen Frage, wann eine solche extraterritoriale Jurisdiktionsausübung vorliegt, hat sich der IGH bedauerlicherweise aber nicht geäußert, vgl Schilling, GLWP 08/04, 6. 785 Schließlich fühlt sich der Gerichtshof als internationales Gericht bei der Auslegung völkerrechtlicher Fragestellungen stets – und so hat er es auch beim Bankoviü-Fall gehandhabt – dazu berufen, die Auslegungspraxis anderer Gerichte bzw Entscheidungsorgane zu berücksichtigen; vgl Matscher, FS Mosler, 553ff.
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on über ihnen unterstehende Personen ab.786 Keine ausdrückliche Beschränkung ihrer Jurisdiktion kennt die Amerikanische Erklärung der Rechte und Pflichten des Menschen der OAS.787 Im Fall Coard et al gegen Vereinigte Staaten 788 – er betraf die Festnahme von 17 Personen durch die US-Streitkräfte im Zuge der US-Invasion in Grenada 1983 – bejahte die IAKMR ausdrücklich eine (allgemeingültige) extraterritoriale Anwendbarkeit der Amerikanischen Erklärung und fand – nachdem sie festgestellt hatte, dass die Beschwerdeführer unter der extraterritorialen Gewalt und Kontrolle der US Behörden gewesen waren – eine Verletzung von Art I, XVII und XXV der Erklärung durch die USA.789 f) Zwischenresümee Die Anwendung der Interpretationsmethoden zeigt, dass Art 1 EMRK die Vertragsstaaten zur Zusicherung der Konventionsrechte denjenigen gegenüber verpflichtet, über welche sie Hoheitsgewalt ausüben und dass die Rechtmäßigkeit der extraterritorialen Jurisdiktionsausübung dabei keine Rolle spielt. Art 1 EMRK grenzt auf 786 Art 1 Abs 1 AMRK: „The State Parties to this Convention undertake to respect the rights and freedoms recognized herein and to ensure to all persons subject to their jurisdiction the free and full exercise of those rights and freedoms, without any discrimination for reasons of race, colour, sex, language, religion, political or other opinion, national or social origin, economic status, birth or any other social condition.“ 787 EGMR, Entscheidung v 12. 12. 2001 (Große Kammer), Bankoviü et al gegen Belgien und 16 andere NATO-Staaten, RJD 2001-XII, 357f, Rz 78; zum Menschenrechtssystem der OAS siehe Nowak, Einführung, 207ff. 788 IAKMR, Report No. 109/99 v 29. 9. 1999, Coard et al versus United States, Case No. 10.951. 789 Die IAKMR hielt unter anderem fest (§§ 37ff): „…the Commission finds it pertinent to note that, under certain circumstances, the exercise of its jurisdiction over acts with an extraterritorial locus will not only be consistent with, but required by, the norms which pertain…Given that individual rights inhere simply by virtue of a person’s humanity, each American State is obliged to uphold the protected rights of any person subject to its jurisdiction. While this most commonly refers to persons within a State’s territory, it may, under given circumstances, refer to conduct with an extraterritorial locus where the person concerned is present in the territory of one State, but subject to the control of another state – usually through the acts of the latter’s agents abroad…“. Vgl zu diesem Fall und zum Anwendungsbereich der amerikanischen Menschenrechtsinstrumente auch Cerna, in: Extraterritorial Application, 153ff.
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diese Art und Weise den Umfang der Konventionsverpflichtungen der Mitgliedstaaten ein, enthält aber keine Zurechenbarkeitsregeln im Sinne der Staatenverantwortlichkeit, sondern setzt diese für die Ausübung von Jurisdiktion vielmehr als gegeben und anwendbar voraus. Art 1 EMRK enthält kein territoriales Element, sondern knüpft einzig und allein, wie auch eine systematische und teleologische Interpretation der Vorschrift belegen, an der Ausübung tatsächlicher Jurisdiktion an. Anfang des 21. Jahrhunderts kann staatliche Jurisdiktionsausübung ganz unterschiedliche Formen annehmen und tritt zunehmend auch außerhalb des eigenen Staatsgebiets auf. Auch derart extraterritoriale Hoheitsgewalt bindet die Vertragsparteien an die Einhaltung der Konventionsrechte. Unter welchen Bedingungen eine solche extraterritoriale Bindung vorliegt, bedarf im Folgenden der genaueren Beschreibung der Kriterien der Jurisdiktionsausübung, wie sie im Sinne von Art 1 EMRK und der Rechtsprechung der Konventionsorgane zu verstehen sind. 3. Die Kriterien der Jurisdiktionsausübung im Sinne von Art 1 EMRK Ein Staat kann nur dort Jurisdiktion über Personen ausüben, wo er Kontrolle in dem Sinne hat, dass er seine rechtlichen Anordnungen auch tatsächlich durchsetzen kann. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang die Feststellung, worüber der Staat Kontrolle benötigt:790 Wie oben gezeigt, interessiert hier nicht die Frage der Kontrolle über staatliche Organe oder über dem Staat zurechenbare Private,791 sondern jene über diejenigen Personen, denen gegenüber Hoheitsgewalt (durch)gesetzt werden soll bzw die von dieser betroffen sein könnten. Eine solche Kontrolle kann unmittelbar (direkt) oder mittelbar (indirekt) vorliegen. Während bei ersterer der Staat mittels Befehls- und Zwangsgewalt einzelne Personen in einer konkreten Situation kontrolliert, vermittelt bei letzterer die wirksame Kontrolle über ein Gebiet die Kontrolle über die in diesem Gebiet anwesenden Personen. Die für jegliche Jurisdiktionsausübung notwendige Durchsetzungsmöglichkeit liegt, wenn man die unterschiedScheinin, in: Extraterritorial Application, 76. Deren Zurechenbarkeit ist vielmehr Voraussetzung für die Ausübung von Jurisdiktion, vgl III.E.1. 790 791
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liche Rechtsprechung der Konventionsorgane zu kategorisieren versucht, somit stets dann vor, wenn der Staat entweder die wirksame Gesamtkontrolle über ein Gebiet ausübt oder einzelfallbezogen, punktuelle alleinige wirksame Kontrolle über eine oder mehrere Personen besitzt.792 a) Jurisdiktionsausübung durch wirksame territoriale Kontrolle Die Feststellung der Jurisdiktionsausübung folgt also einerseits dem Grundsatz, dass Hoheitsgewalt immer dort ausgeübt wird, wo ein Staat die wirksame Kontrolle über ein bestimmtes Gebiet in umfassender Weise innehat. Ausgehend von der dem allgemeinen Völkerrecht immanenten grundsätzlich territorialen Natur der Jurisdiktion, gilt die Vermutung, dass sich diese gewöhnlich auf das gesamte Staatsgebiet einer Vertragspartei erstreckt.793 Im Hinblick auf die hier interessierenden Fälle der Setzung extraterritorialer Hoheitsakte kann Jurisdiktion aber auch innerhalb ausländischer Gebiete ausgeübt werden und zwar dort, wo ein Vertragsstaat, unabhängig davon ob rechtmäßig oder rechtswidrig, die wirksame Kontrolle über dieses Gebiet ausübt.794 Die Verpflichtung, in einem solchen Gebiet die in der Konvention anerkannten Rechte und Freiheiten sicherzustellen, resultiert aus der Kontrolle über jenes Territorium.795 Denn durch die Kontrolle über das Gebiet, sei es das eigene Staatsgebiet oder ein fremdes Territorium, tritt der Vertragsstaat zu allen in diesem Gebiet anwesenden Personen in eine gewisse Nahebeziehung, welche für das Vorliegen eines Grundrechtsverhältnisses zwischen Staat und Individuum infolge der Rechtsnatur der Menschenrechte unabdingbar ist.796 792 Der EGMR hat diese Judikaturlinie implizit in seinem Urteil v 16. 11. 2004, Issa et al gegen Türkei, Nr. 31821/96, Rz 69ff, bestätigt; vgl III.C.3.c). 793 EGMR, Entscheidung v 12. 12. 2001 (Große Kammer), Bankoviü et al gegen Belgien und 16 andere NATO-Staaten, RJD 2001-XII, 351f, Rz 59ff und Urteil v 16. 11. 2004, Issa et al gegen Türkei, Nr. 31821/96, Rz 67. 794 Ibid, 355, Rz 70 (Bankoviü) bzw Rz 69 (Issa). 795 Ibid, aaO. 796 Dieses Grundrechtsverhältnis kennt Grundrechtsverpflichtete und Grundrechtsberechtigte; es bildet den für die Anwendung der Konvention gemäß Art 1 EMRK erforderlichen ‘jurisdictional link’ zwischen Staat und Individuen.
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aa) Faktoren wirksamer Kontrolle Entscheidende Frage für die Anwendbarkeit von Art 1 EMRK ist nun, unter welchen Umständen ein Staat wirksame Kontrolle über ein Gebiet außerhalb des eigenen Staatsgebiets ausübt.797 Es bedarf in diesem Punkt also einer Beschreibung der Mittel und der Reichweite der Kontrolle über das betreffende Gebiet, damit diese auch den Grad der Wirksamkeit im Sinne der Rechtsprechung des EGMR erreicht.798 Hierbei ist allerdings ein strenger Maßstab anzusetzen. Dies resultiert aus der Konsequenz einer wirksamen Gebietskontrolle für den die Kontrolle innehabenden Staat: Dieser hat nämlich sämtlichen Personen innerhalb dieses Gebiets die Konventionsrechte zuzusichern; es bedarf dabei keiner einzelfallbezogenen Kontrolle über die sich auf die Konventionsrechte berufenden Personen,799 sondern es reicht alleine deren Aufenthalt innerhalb des Territoriums aus, um diese unter die Jurisdiktion des „kontrollierenden“ Staats zu bringen. Dieser kann aber nicht dazu verhalten werden, den Verpflichtungen der Konvention nachzukommen, wenn er nicht in Form der effektiven Gebietskontrolle auch das ‘pouvoir’ hat, seine Pflichten tatsächlich erfüllen zu können. Diesen Überlegungen folgt auch die Rechtsprechung des Gerichtshofs: Demnach kann die Verantwortung eines Vertragsstaates dann gegeben sein, wenn er infolge einer – rechtmäßigen oder rechtswidrigen – militärischen Operation die wirksame Kontrolle (effective control) über ein außerhalb seines Staatsgebiets gelegenes Territorium ausübt.800 Ob diese Kontrolle durch die eigenen Streitkräfte oder 797 Für das eigene Staatsgebiet gilt, wie erwähnt, stets die Vermutung der Jurisdiktionsausübung; diese Vermutung kann aber widerlegt werden, wenn die eigene von einer fremden Hoheitsgewalt verdrängt wird. 798 Noch einmal zur Erinnerung: Es geht hier also um Kontrolle des durch seine Organe handelnden Staates über ein Gebiet und nicht über seine Organe. Letztere betrifft nicht die Frage der Jurisdiktionsausübung, sondern jene der Zurechenbarkeit, diese ist aber – da der Staat in der Regel nur durch seine Organe handeln kann – eine Voraussetzung für die Ausübung von Jurisdiktion, vgl dazu III.E.1. 799 Eine solche kann aber bei Fehlen wirksamer territorialer Kontrolle eine Jurisdiktionsausübung gemäß Art 1 EMRK begründen. 800 EGMR, Urteil v 23. 3. 1995, Loizidou gegen Türkei (preliminary objections), Serie A-310, 24, Rz 62; Entscheidung v 12. 12. 2001 (Große Kammer), Bankoviü et al gegen Belgien und 16 andere NATO-Staaten, RJD 2001-XII, 355, Rz 70; Urteil v 16. 11. 2004, Issa et al gegen Türkei, Nr. 31821/96, Rz 69f.
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durch eine ihnen untergeordnete lokale Verwaltung ausgeübt wird, spielt dabei keine Rolle.801 Ebenso ist es nach Ansicht des Gerichtshofs unerheblich, ob der Vertragsstaat tatsächlich eine detaillierte Kontrolle über die Politik und die Handlungen der Behörden in dem von ihm kontrollierten, im Ausland gelegenen Gebiet ausübt, da bereits die Gesamtkontrolle über dieses Gebiet seine Verantwortlichkeit begründen könne.802 Im Fall Bankoviü fasste der EGMR diese Voraussetzungen dahingehend zusammen, dass ein Vertragsstaat demnach dann extraterritoriale Jurisdiktion ausübe, wenn „through the effective control of the relevant territory and its inhabitants abroad as a consequence of military occupation or through the consent, invitation or acquiescence of the government of that territory, [it] exercises all or some of the public powers normally to be exercised by that government.”803 Der Gerichtshof sieht also im Ergebnis Situationen militärischer Besetzungen wie jene Nordzyperns als Paradigma der Ausübung wirksamer Kontrolle über ein im Ausland gelegenes Gebiet an, in welcher der Besetzer-Staat an die Einhaltung der Konventionsrechte jedenfalls gebunden ist.804 Gleiches gilt seiner Ansicht nach auch bei der wirksamen Gebietskontrolle durch die Stationierung von TrupIbid, aaO; kritisch zu dieser weiten Zurechnung Rumpf, EuGRZ 1992, 463ff. EGMR, Urteil v 18. 12. 1996, Loizidou gegen Türkei (merits), RJD 1996-VI, 2235f, Rz 56; Urteil v 10. 5. 2001 (Große Kammer), Zypern gg Türkei, Nr. 25781/94, RJD 2001-IV, 25, Rz 77; Urteil v 16. 11. 2004, Issa et al gegen Türkei, Nr. 31821/96, Rz 70; zum Umfang der Bindung vgl Loucaides, LJIL 2002, 235f und unten III.E.4. Das Abstellen auf effektive Gesamtkontrolle bzw effektive Kontrolle in umfassender Weise hängt also nicht mit dem Umfang des kontrollierten Gebiets, sondern mit den Modalitäten der Kontrolle zusammen und besagt bloß, dass keine bis ins Letzte detaillierte Kontrolle (etwa sämtlicher lokalen Verwaltungseinheiten) erforderlich ist; demgegenüber ist ein Abstellen auf das gesamte in Frage stehende Gebiet und nicht bloß auf ein Teilgebiet nicht erforderlich und wäre insofern pleonastisch, als sich die effektive Kontrolle über ein Gebiet ja ohnehin auf das vollumfängliche Gebiet beziehen muss, ansonsten die Kontrolle darüber nicht als effektiv bezeichnet werden kann. 803 EGMR, Entscheidung v 12. 12. 2001 (Große Kammer), Bankoviü et al gegen Belgien und 16 andere NATO-Staaten, RJD 2001-XII, 355, Rz 71; das Kriterium der Ausübung von „all or some of the public powers normally exercised by that government“ ergänzt die bisherige „Loizidou-Formel“ über die effektive territoriale Kontrolle, vgl dazu Lawson, in: Extraterritorial Application, 111. 804 Zum strittigen Kriterium, ob das besetzte Gebiet innerhalb oder außerhalb des ‘espace juridique’ der Vertragsstaaten liegt, siehe III.E.2.c)aa)ii). 801 802
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pen eines Vertragsstaats mit Einverständnis des Aufenthaltsstaats; ob das auch auf friedenserhaltende Missionen im Rahmen der VN, NATO oder EU zutrifft bedarf einer näheren Untersuchung, bei welcher vor allem die jeweilige Ausgestaltung einer solchen Mission Berücksichtigung finden muss.805 Um ein Gebiet wirksam kontrollieren zu können, bedarf es in beiden Fällen neben einer gewissen Truppenstärke auch entsprechend weit reichender Anordnungsbefugnisse. Diffiziler zu beurteilen, sind jedoch Fallkonstellationen, in welchen eine Vertragspartei nicht durch eigene Truppen- bzw Polizeieinheiten die wirksame Kontrolle über ein fremdes Gebiet ausübt, sondern ein Gebiet bloß zu einem solchen Grad militärisch, wirtschaftlich und politisch unterstützt, dass dieses Gebiet ohne diese Hilfe nicht überlebensfähig ist und somit durch diese Unterstützung de facto kontrolliert wird. Ob in einer solchen Situation bereits von Ausübung extraterritorialer Jurisdiktion gesprochen werden kann, ist generell zu bezweifeln, muss aber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls beurteilt werden.806 Als unzureichend für die Ausübung wirksamer Kontrolle über ein Gebiet muss auch die bloße Kontrolle über den Luftraum eines Territoriums gewertet werden, wie sie die Beschwerdeführer im Fall 805 Sehr häufig werden von den Truppen dabei in der Regel hoheitliche Befugnisse, wie zB Polizeiaufgaben, wahrgenommen. Von der grundsätzlichen Anwendbarkeit der Konvention bei solchen Missionen gehen Erberich, Auslandseinsätze, 30f sowie Lawson, in: Extraterritorial Application, 110 aus; zur Frage, ob bei Auslandseinsätzen die entsendeten Streitkräfte tatsächlich an die Konventionspflichten gebunden sind siehe näher unten im 5. Kap IV. 806 In seinem Urteil v 8. 7. 2004 (Große Kammer), Ilaúcu et al gegen Moldawien und Russland, Nr 48787/99, RJD 2004-VII, 179 (vgl oben III.C.2.e)) hat der EGMR die Verantwortlichkeit Russlands für Vorfälle in der moldawischen Region Transdniestrien auf Grund deren militärischer, wirtschaftlicher und politischer Unterstützung der Region bejaht: dies geschah allerdings gerade auch deswegen, weil sich in Transdniestrien immer noch Soldaten der 14. Armee der ehemaligen Sowjetunion stationiert befanden; eine bloße, wenn gleich auch vielfältige Unterstützung Transdniestriens wäre wohl unzureichend für das Vorliegen russischer Jurisdiktion iSv Art 1 EMRK gewesen. Siehe zum Urteil die dissenting opinion von Richter Kovler, der die Entscheidung deshalb kritisiert, weil die russische Truppenpräsenz seiner Meinung nach nicht mit jener der Türkei auf Nordzypern vergleichbar gewesen wäre; Kovler verweist dabei auf 2500 russische Offiziere in einem Gebiet mit 750000 Einwohnern im Vergleich zu 30000 türkischen Soldaten auf Nordzypern mit 120000 – 150000 Bewohnern.
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Bankoviü vorgebracht haben.807 Trotz der Tatsache, dass moderne Luftwaffen auf Grund ihrer Präzision und Effizienz Bodentruppen zT unnötig machen können, erscheint die bloße Beherrschung des Luftraums nicht gleichbedeutend mit der wirksamen Kontrolle auf dem Boden.808 Im Ergebnis bedarf es somit zur Ausübung wirksamer Kontrolle über ein fremdes Gebiet der Anwesenheit staatlicher Organe, in der Regel Streitkräfte oder Polizeieinheiten, die im betroffenen Territorium tatsächlich ein entsprechendes Maß an hoheitlichen Befugnissen anstelle der bisherigen Hoheitsgewalt ausüben; nicht erforderlich ist dabei allerdings, dass sämtliche Hoheitsgewalt durch eigene Organe der Vertragspartei gesetzt wird. Vielmehr kann auch das Verhalten der lokalen Verwaltung der extraterritorialen Jurisdiktionsausübung zugerechnet werden, wenn diese auf Anordnung bzw unter Kontrolle des verantwortlichen Vertragsstaats tätig wird. bb) Pflichten der „verdrängten“ Vertragspartei In Fällen, in welchen eine extraterritoriale Jurisdiktionsausübung infolge wirksamer Kontrolle über ein Gebiet im Ausland vorliegt, kommt es zu einer Verdrängung der dortigen (inländischen) Hoheitsgewalt; sofern sich das fremde Gebiet innerhalb des Konventionsraums (espace juridique) befindet, folgt daraus eine Widerlegung der Vermutung, dass eine Vertragspartei stets wirksame Kontrolle und somit Jurisdiktion iSv Art 1 EMRK über ihr Staatsgebiet besitzt. Folglich geht auch die Verpflichtung zur Zusicherung der Konventionsrechte von dieser Vertragspartei auf die extraterritorial agierende Vertragspartei über.809 Allerdings bleibt in Fällen konsensloser Verdrängung der Hoheitsgewalt der „verdrängte“ Vertragsstaat verpflichtet, diplomatische, wirtschaftliche oder politische Bemühungen zur Wiederherstellung seiner Jurisdiktionsgewalt zu unternehmen, 807 EGMR, Entscheidung v 12. 12. 2001 (Große Kammer), Bankoviü et al gegen Belgien und 16 andere NATO-Staaten, RJD 2001-XII, 355, Rz 46ff. 808 So im Ergebnis in diesem Punkt zutreffend EGMR, Entscheidung v 12. 12. 2001 (Große Kammer), Bankoviü et al gegen Belgien und 16 andere NATO-Staaten, RJD 2001-XII, 355, Rz 74ff; zustimmend etwa Bothe, ZaöRV 2005, 617; Ress, ZEuS 2003, 86; aA zB Schäfer, MRM 2002, 156; Schorkopf, GLJ 2002, Rz 16. 809 EKMR, Entscheidung vom 8. 10. 1991, Ahmed Cavit An ua gegen Republik Zypern, Nr. 18270/91 (= EuGRZ 1992, 470f).
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anderenfalls er gemeinsam mit dem „verdrängenden“ Vertragsstaat für Konventionsverletzungen verantwortlich werden kann.810 b) Jurisdiktionsausübung durch wirksame personale Kontrolle Extraterritoriale Jurisdiktion durch einen Vertragsstaat kann aber auch ausgeübt werden, ohne dass dieser die wirksame Kontrolle über das Gebiet, wo er Hoheitsgewalt ausübt, innehat. In solchen Konstellationen bedarf es statt der Gebietsbeherrschung als generellen eines situationsspezifischen ‘jurisdictional link’ zwischen Staat und Einzelperson. Anstelle der generellen mittelbaren Kontrolle der in einem Gebiet anwesenden Personen mittels der wirksamen Kontrolle über dieses Gebiet kann deren Kontrolle nämlich auch unmittelbar in individuell-konkreten Situationen durch staatliche Organe ausgeübt werden;811 in solchen Einzelfallkonstellationen kreiert die direkte Kontrolle ein Jurisdiktionsband, das gleichzeitig das Grundrechtsverhältnis zwischen Vertragsstaat und Individuum konstituiert und ersterem wiederum die Gewähr bietet, Hoheitsgewalt verbindlich durchsetzen zu können, während es den betroffenen Individuen gegen die daraus resultierenden Exekutivakte den Anwendungsbereich der EMRK eröffnet. aa) Faktoren wirksamer Kontrolle i) Befehls- und Zwangsgewalt als Hoheitsgewalt iSd Art 1 EMRK Zu bestimmen ist in diesem Zusammenhang die Beschaffenheit des die wirksame personale Kontrolle im Einzelfall gewährleistenden ‘jurisdictional link’; dies ist gerade bei extraterritorialen Sacherverhalten aus den folgenden zwei Gründen von wesentlicher Bedeutung: Erstens mangelt es dem extraterritorial agierenden Staat im Regelfall an wirksamer territorialer Kontrolle über den außerhalb seines Staatsgebiets gelegenen Ort des Geschehens, sodass nur eine wirksame personale Kontrolle eine Jurisdiktionsausübung iSd Art 1 EMRK herstellen kann. Mangels Gebietskontrolle stehen einer per810 EGMR, Urteil v 8. 7. 2004 (Große Kammer), Ilaúcu et al gegen Moldawien und Russland, Nr 48787/99, RJD 2004-VII, 179 (= NJW 2005, 1849ff); siehe auch oben III.C.2.e). 811 Wohlgemerkt kann eine unmittelbare Kontrolle nicht sämtliche in einem Territorium anwesende Personen, sondern bloß einzelne oder eine Gruppe von Personen erfassen.
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sonalen Kontrolle im Ausland, zumindest wenn sie ohne Zustimmung des betroffenen Staats erreicht werden soll, aber auch faktische Schwierigkeiten gegenüber und sie wird in der Regel nur in spezifischen Konstellationen vorliegen. Darüber hinaus müssen Fälle extraterritorialer wirksamer personaler Kontrolle von sonstigen vielfältigen Auslandssachverhalten unterschieden werden. Nach der ständigen Rechtsprechung der Konventionsorgane übt ein Staat auch Jurisdiktion (Hoheitsgewalt) über Personen aus, die sich auf dem Territorium eines anderen Staats befinden, aber durch seine – rechtmäßig oder rechtswidrig – in diesem Staat operierenden Organe unter seiner Gewalt und Kontrolle (authority and control) stehen;812 mit anderen Worten hat ein Staat somit Jurisdiktion über Personen und Vermögensgegenstände im Ausland in jenem Ausmaß, in welchem er Gewalt und Kontrolle über diese Personen und Gegenstände ausübt.813 Diese Auffassung der Judikatur bestätigt zwar den Grundsatz der Jurisdiktionsausübung durch personale Kontrolle, legt aber nicht abschließend fest, wie diese Gewalt und Kontrolle über Personen und Gegenstände beschaffen sein muss. Aus der Rechtsprechung folgt aber jedenfalls, dass auch die personale Kontrolle, analog zur territorialen Kontrolle, wirksam (effective) sein muss; dies ist sie nur dann, wenn mit ihr tatsächliche und wirksame Gewalt (authority) über eine Person (bzw einen Gegenstand) einhergeht.814 Die Beschreibung von Hoheitsgewalt (jurisdiction) mit Gewalt (authority), wie sie der EGMR vornimmt, ist also keineswegs – wie man viel812 EGMR, Urteil v 16. 11. 2004, Issa et al gegen Türkei, Nr. 31821/96, Rz 71: „…a State may also be held accountable for violation of the Convention rights and freedoms of persons who are in the territory of another State but who are found to be under the former State’s authority and control through its agents operating – whether lawfully or unlawfully – in the latter State…”; vgl auch EGMR, Urteil v 12. 3. 2003, Öcalan gegen Türkei, Nr. 46221/99, Rz 93; siehe zu diesen Fällen III.C.3. 813 EKMR, Entscheidung v 14. 10. 1992, M gegen Dänemark, Nr 17392/90, DR 73, 196; Entscheidung v 18. 1. 1989, Vearncombe gegen Vereinigtes Königreich und Bundesrepublik Deutschland, YB 32 (1989), 79; Entscheidung v 26. 5. 1975, Zypern gegen Türkei, Nr. 6780/74 und 6950/75, DR 2, 136; vgl oben III.C. 814 Die Konventionsorgane sprechen von actual bzw effective authority; vgl EKMR, Entscheidung v 24. 6. 1996, Sánchez Ramirez gegen Frankreich, Nr. 28780/95, DR 86-B, 161 bzw Entscheidung v 26. 5. 1975, Zypern gegen Türkei, Nr. 6780/74 und 6950/75, DR 2, 136; dazu näher oben III.C.2. und 3.
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leicht prima vista annehmen könnte – die Verwendung eines Synonyms, sondern die sachgerechte Beschreibung eines Begriffs mit einem anderen;815 allerdings, und in diesem Punkt muss dem EGMR ein Vorwurf gemacht werden, unterlässt er abgesehen vom Hinweis auf das Erfordernis der Wirksamkeit (Effektivität) die – gerade auf Grund der Reichweite und Vieldeutigkeit des Begriffs – gebotene Konkretisierung von Gewalt und sagt nicht, wodurch sich inhaltlich beide Begriffe (Hoheitsgewalt und Gewalt) auszeichnen. Als entscheidend kristallisiert sich in diesem Punkt also heraus, was konkret unter Gewalt zu verstehen ist und wie diese beschaffen sein muss. Gewalt iSv Hoheitsgewalt (Jurisdiktion) kann dabei nicht jegliche und bloße physische Gewalt, sondern bloß Befehls- und Zwangsgewalt zur Durchsetzung staatlicher Rechtsetzung sein. Die ratio für diese Einschränkung des Gewaltbegriffs auf staatliche Befehlsund Zwangsgewalt liegt in der Schutzrichtung der Grund- und Menschenrechte begründet. Das telos der Grundrechte liegt in der Begrenzung hoheitlicher Macht, welche aber gerade eben aus dem staatlichen Gewaltmonopol resultiert.816 Vereinfacht ausgedrückt, muss gleichsam als Gegenleistung für die Innehabung des Gewaltmonopols und der damit bestehenden omnipräsenten Gefahr eines Machtmissbrauchs der Staat die Grundrechte beachten.817 Das Gewaltmonopol äußert sich nun aber dergestalt, dass staatliche Rechtsetzung dadurch gekennzeichnet ist, dass eben ausschließlich der Staat Gewalt anwenden darf, um Recht durchzusetzen – diese spezifische Gewalt ist eben die Befehls- und Zwangsgewalt.818 In ihr 815 Ähnlich im Englischen für die Erklärung von „authority“ mit „jurisdiction“ Garner, Black’s Law Dictionary, 128, der authority als „governmental power or jurisdiction“ definiert. 816 Zum Wesen des staatlichen Gewaltmonopols vgl Kneihs, Der Staat 2005, 265ff und die dort zitierte Literatur; zur Idee und Entwicklung der Grundrechte vgl nur Stern, in: Handbuch der Grundrechte I, § 1, Rz 4ff. 817 Vgl Berka, Grundrechte, Rz 39; ebenso Kneihs, Der Staat 2005, 272ff mwN der aufzeigt, dass nicht alleine die Grundrechte diese „Zähmung“ und Kontrolle des Gewaltmonopols gewährleisten, sondern diese nur gemeinsam mit der Gewaltenteilung und den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit, insb durch ein effektives Rechtsschutzsystem, sicherstellen können. 818 Zum Begriff der Befehls- und Zwangsgewalt nach österreichischer Terminologie vgl Aichlreiter, Art 129a B-VG; Köhler, Art 129a B-VG; Kneihs, ZfV 2004, 150ff jeweils mwN; auf die dort geführte Diskussion zu den einzelnen Begriffsin-
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kommt das Über-Unterordnungsverhältnis zwischen Staat und Individuum zum Ausdruck. Zur Erinnerung: Hoheitsgewalt (Jurisdiktion) bezeichnet die allgemeine staatliche Eigenschaft, das Verhalten von Individuen zu regeln und zu diesem Zweck rechtliche Regelungen zu setzen sowie durchzusetzen;819 es handelt sich dabei um einen generell-abstrakten Begriff, während die Ausübung von Gewalt (authority) als Kriterium zur Konkretisierung personaler Kontrolle, wie soeben dargelegt, einen konkreten Einzelfall vor Augen habend, nur auf die tatsächliche Anwendung von Befehls- und Zwangsgewalt abzielen kann.820 Im Ergebnis bedeutet dies, dass dort, wo ein Staat, sei es rechtmäßig oder rechtswidrig, Gewalt iSv Befehls- und Zwangsgewalt über Personen einsetzt, er jedenfalls, egal ob auf dem von ihm kontrollierten (in der Regel seinem Staatsgebiet) oder nicht von ihm kontrollierten Gebiet (in der Regel auf ausländischem Territorium), halten dieses Rechtsbegriffs kann hier nicht eingegangen werden, was auch im Sinne einer autonomen Interpretation der Konventionsbegriffe weder erforderlich noch geboten erscheint. Es ist vielmehr darauf hinzuweisen, dass die Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt iSd Judikatur der Konventionsorgane keinesfalls mit dem Rechtsbegriff des B-VG übereinstimmen muss, wenn gleich beide Begriffe sich zweifelsohne zu weiten Teilen decken; so weist auch Aichlreiter, Art 129a B-VG, Rz 39 darauf hin, dass der Begriff iSd Konvention autonom von jenem des B-VG zu verstehen ist und erläutert dies anschließend am Beispiel von Art 3 EMRK, der „schlechthin Rechtschutz vor Amtshandlungen gewährt…, denen ‘eine die Menschenwürde beeinträchtigende, gröbliche Missachtung des Betroffenen als Person’ innewohnt…“. Im Regelfall werde sich solches konventionswidriges Verhalten aber als (Teil einer) Amtshandlung manifestieren, die mit den Kategorien der Befehlsund Zwangsgewalt erfasst werden könne. Zur für die Bestimmung der Jurisdiktionsausübung iSv wirksamer personaler Kontrolle zentralen Frage, ob Finalität und ein räumliches Naheverhältnis vorliegen müssen. 819 Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, 456; Oxman, Jurisdiction of States, in: EPIL II, 55. 820 Dass die Konventionsorgane Gewalt (authority) in diesem Sinne verstanden wissen wollen, folgt auch aus den Fällen, in welchen sie das Vorliegen dieser konkret bejaht oder zumindest für denkbar gehalten haben: Diese Fälle betrafen so gut wie ausschließlich die Setzung von Zwangsgewalt wie etwa Festnahmen (zB Fälle Freda oder Öcalan), Beschlagnahmungen und Vertreibungen (Fall Zypern gegen Türkei) sowie (mutmaßliche) Tötungen (Fall Issa); eine Ausnahme stellt nur der Fall Vearncombe gegen Vereinigtes Königreich und Bundesrepublik Deutschland dar, den die EKMR korrekterweise als solchen einer wirksamen territorialen und nicht der wirksamen personalen Kontrolle einstufen hätte müssen.
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Jurisdiktion iSv Art 1 EMRK ausübt und die Konventionspflichten somit zur Anwendung gelangen.821 ii) Finalität der Hoheitsgewalt als Kriterium? Im Ergebnis folgt aus einer Analyse der bisherigen Rechtsprechung der Konventionsorgane also eine Beschränkung der Fälle bloßer wirksamer personaler Kontrolle auf Situationen, wo der Staat ohne die Innehabung von Gebietskontrolle tatsächlich Befehls- und Zwangsgewalt über Personen ausübt. Das bedeutet: Wirksame personale Kontrolle und damit Jurisdiktion iSv Art 1 EMRK übt ein Staat in Gebieten, welche sich nicht unter seiner wirksamen Kontrolle befinden (das heißt im Wesentlichen auf fremdem Staatsgebiet) jedenfalls dann aus, wenn er mittels polizeilicher, militärischer oder sonstiger Organe über eine Person oder eine Gruppe von Personen rechtlich verbindliche Anordnungen setzen kann, die er im Falle der Nichtbefolgung zwangsweise durchzusetzen vermag. Daraus folgt aber, dass jedenfalls, anders als nach Meinung mancher Autoren,822 bloße faktische extraterritoriale Auswirkungen von Verhaltensweisen staatlicher Organe auf Personen oder Gegenstände auf fremdem Gebiet keinen ‘jurisdictional link’ iSv Art 1 EMRK herstellen können.823 Fraglich ist in diesem Zusammenhang, ob der staatlichen Befehlsund Zwangsgewalt ein finales Element innewohnen muss, das heißt, ob ein Staat nur dann Jurisdiktion ausübt, wenn das Verhalten seiner Organe bewusst auf eine (oder mehrere) bestimmte Person(en) zielgerichtet ist. Ein solches Begriffsverständnis der Befehls- und Zwangsgewalt, das eine Finalität des Verwaltungsakts im Sinne einer intentional auf eine bestimmte Person(engruppe) gerichteten Handlung Wie Breuer, EuGRZ 2005, 472 richtigerweise festhält, ist der Begriff der „authority“/„autorité“ – im Gegensatz zum Begriff der „jurisdiction“/„juridiction“ – gerade nicht territorial konnotiert. 822 ZB Scheinin, in: Extraterritorial Application, 80 („facticity creates normativity”) oder Lorenz, Anwendungsbereich, 117, 295. 823 Vgl Tomuschat, Human Rights, 108: „Purely factual contacts do not establish jurisdiction“. Ebenso wenig wie bei der wirksamen territorialen Kontrolle können somit auch bei der wirksamen personalen Kontrolle die reinen Staatenverantwortlichkeitsansätze für die Auslegung von Art 1 EMRK herangezogen werden; dies folgt aber auch bereits aus dem Verhältnis von Art 1 EMRK zum Recht der Staatenverantwortlichkeit, vgl auch III.E.1. 821
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voraussetzt, ist aber abzulehnen. Ein engeres, einem Befehls- und Zwangsgewalt inhärentes finales Element iS eines Vorsatzes, eine bestimmte Amtshandlung zu setzen, liegt nämlich schon der Normativität der Befehls- und Zwangsgewalt zu Grunde.824 Dass der einzelne, letztlich in ein (Grund)Recht eingreifende Verwaltungsakt eines Organs intentional, also gewollt war, kann nicht Voraussetzung sein; entscheidend ist vielmehr, ob im Zusammenhang mit einem Hoheitsakt in subjektive Rechte des Betroffenen durch ein organschaftliches Verhalten tatsächlich eingegriffen werden kann.825 Befehlsund Zwangsgewalt und damit Jurisdiktion iSv wirksamer personaler Kontrolle übt ein Organ daher schon stets bei der Setzung einer Amtshandlung aus und umfasst alle im Rahmen dieses Verwaltungsaktes (auch bloß zufällig und unbeabsichtigt) gesetzten Handlungen und Unterlassungen.826 Ein Beispiel soll dies verdeutlichen: Wird im Rahmen einer Fahrzeugkontrolle, die in ihrer Gesamtheit eine Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt iSd Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG darstellt, ein (tödlicher) Schuss abgegeben, so kommt es nicht darauf an, „ob die Abgabe des Schusses von Beamten gewollt war oder nicht.“827 824 Siehe dazu Aichlreiter, Art 129a B-VG, Rz 39, der die Rechtsbegriffe der Befehls- und Zwangsgewalt wie folgt differenziert: „Für die Einordnung eines Aktes unter die Zwangsgewalt ist es im Lichte der maßgeblichen positivrechtlichen Beurteilungsmaßstäbe – der MRK, des StGG oder spezieller bundesverfassungsgesetzlicher Garantien – überflüssig, die Subsumtion eines Geschehens unter die nach Art 129a Abs 1 Z 2 bekämpfbaren Akte mit Bemühungen um dessen Deutung als Normerlassung zu belasten. Hingegen liegt bereits in der Bezeichnung als Befehlsgewalt der Aspekt der Normativität begründet, stellen doch beide Wortteile auf staatliches imperium, also auf eine rechtliche Verbindlichkeit ab. Etwas, was keine Anordnung enthält (zB ein – wenn auch unfreundlicher – Gruß), scheidet von vornherein als Erscheinungsform dieser Akttype aus. Für die Deutung als Befehl genügt es, dass der Adressat für den Fall der Nichtbefolgung einer Anordnung mit ihrer zwangsweisen Durchsetzung zu rechnen hat, was sich in der Androhung unmittelbar folgenden physischen Zwangs niederschlagen kann, aber nicht muss.“ [Weglassen der Hervorhebungen und Fußnoten von mir]; vgl auch Köhler, Art 129a B-VG, Rz 45. 825 Aichlreiter, Art 129a B-VG, Rz 38. 826 So im Ergebnis auch Kneihs, ZfV 2004, 256; Köhler, Art 129a B-VG, Rz 45; aA offenbar für spezifische Konstellationen Isensee, HStR V, Rz 90; Schmidt-Radefeldt, Menschenrechtsverpflichtungen, in: Terrorismusbekämpfung, 111, die für die grenzüberschreitende Geltung von Grundrechten jeweils ein finales Staatshandeln voraussetzen. 827 Aichlreiter, Art 129a B-VG, Rz 39 FN 128 unter Hinweis auf VfSlg 17.046/ 2003 und 16.109/2001.
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Nochmals zur Klarstellung: Es geht hier bloß um die Frage, ob staatliche Organe Jurisdiktion (Hoheitsgewalt) ausüben und (noch) nicht darum, ob tatsächlich ein Eingriff in ein Grundrecht vorliegt. Doch selbst in der Grundrechtsdogmatik gilt es heute für die meisten Grundrechte als anerkannt, dass eine Intentionalität des Verhaltens keine Voraussetzung für die Bejahung eines Grundrechtseingriffes darstellt.828 Die Differenzierung zwischen Jurisdiktion und Grundrechtseingriff lässt sich wiederum gut an einem Beispiel verdeutlichen: Untersuchen Polizisten eine geräumte und menschenleere Bahnhofswartehalle, üben sie zwar – infolge der Setzung eines Aktes unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt – Jurisdiktion iSd Art 1 EMRK aus, greifen aber nicht notwendigerweise in Grundrechte (zB Art 8 EMRK) ein. iii) Erforderlichkeit eines räumlichen Naheverhältnisses? Der Mehrzahl der Fälle, wo Befehls- und Zwangsgewalt und somit auch Jurisdiktion ausgeübt wird, wohnt – wie etwa bei Festnahmen, Inhaftierungen oder Anhaltungen – ein räumliches Naheverhältnis zwischen Staaten und potentiell Grundrechtsberechtigten inne. Es stellt sich insb infolge neuartiger technischer Möglichkeiten die Frage, ob Eingriffe in Rechtspositionen – etwa im Bereich der Datenüberwachung, über das Internet oder durch ferngesteuerte militärische Hochpräzisionswaffen – auch ohne entsprechende räumliche Nähe zwischen staatlichen Organen und Individuen gesetzt werden können.829 Angesichts der Tatsache, dass der Schutz bestimmter fundamentaler Rechtspositionen unter allen Umständen das Regelungsziel der Konvention bildet, wäre es zu restriktiv, Jurisdiktion iSv Art 1 EMRK nur dort zu bejahen, wo ein Staat Gewalt an Ort und Stelle iSv physischer Befehls- und Zwangsgewalt über Personen ausübt.830 Um iSd effet utile tatsächlich und wirksam Schutz zu 828 Pöschl/Kahl, ÖJZ 2001, 41ff; Öhlinger, Verfasssungsrecht, Rz 707; allgemein zum Grundrechtseingriff Holoubek, DVBl 1997, 1031ff. 829 Zu denken ist dabei etwa auch an ferngesteuerte Überwachungskameras, Abhörmaßnahmen, Speicherung bzw Verwendung sensibler Daten oder Verwendung elektronischer Fußfesseln; vgl Lachmayer, Juridikum 2006, 30ff. 830 Auch, dass diese Position in Österreich die klassische Auffassung der Höchstgerichte zu Art 129a B-VG darstellt, ist unerheblich, da wie erwähnt, die Konvention vom EGMR autonom ausgelegt wird und es nicht auf nationalstaatliche Begrifflichkeiten ankommen kann.
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bieten, muss die Ausübung von Gewalt als potentieller direkter Eingriff in Rechtspositionen verstanden werden.831 Ob man diese Gewalt dann noch als Befehls- und Zwangsgewalt nach der Terminologie des B-VG bezeichnen will, ist iS einer autonomen Konventionsauslegung zwar bloß von heuristischem Interesse, jedoch, wie Kneihs gezeigt hat, durchaus möglich.832, 833 Im Ergebnis bedeutet dies, dass ein räumliches Naheverhältnis Gewalt als Mittel effektiver personaler Kontrolle und damit die Konstituierung eines ‘jurisdictional link’ zwischen Staat und Individuum zwar indiziert aber keine unverzichtbare Voraussetzung dafür darstellt; vielmehr kann ein für die Ausübung von Jurisdiktion erforderliches Grundrechtsverhältnis auch dort bestehen, wo zwar kein (dreidimensionales) räumliches Naheverhältnis, aber stattdessen ein entsprechendes rechtliches Naheverhältnis besteht, das dem staatlichen Organ auch ohne direkten persönlichen Kontakt eine entsprechende Eingriffsmöglichkeit in Rechtspositionen eines Individuums in die Hand gibt. iv) Zusammenfassung Es ist somit an dieser Stelle festzuhalten, dass für die Ausübung wirksamer personaler Kontrolle die Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt über Personen bzw deren Vermögensgegenstände erforderlich ist. Dass ein entsprechendes Handeln oder Unterlassen in einer räumlichen Nahebeziehung zwischen Organ und Individuum 831 Das heißt noch nicht, dass jeder Eingriff in eine Rechtsposition auch einen Eingriff in ein Konventionsrecht bedeutet; dies bedarf vielmehr einer Einzelfallprüfung an Hand des Schutzbereichs des jeweiligen Grundrechts. 832 Siehe Kneihs, ZfV 2004, 156f, der verwaltungsbehördliche Befehlsakte als selbständige, von Verwaltungsorganen im Rahmen der Hoheitsverwaltung in relativer Verfahrensfreiheit vorgenommene individuelle Eingriffe in eine Rechtsposition durch Anordnung eines bestimmten Verhaltens, verwaltungsbehördliche Zwangsakte als andere selbständige, von Verwaltungsorganen im Rahmen der Hoheitsverwaltung relativ verfahrensfrei vorgenommene Eingriffe in eine individuelle Rechtsposition definiert. Ähnlich Köhler, Art 129a B-VG, Rz 45ff, der auf Hoheitsakte von Verwaltungsbehörden abstellt, mit denen in Rechte von individuellen natürlichen oder juristischen Personen eingegriffen wird. 833 Jedenfalls ist aber festzuhalten, dass, wenn man ein solches Verständnis konventionsrechtlicher ‘Gewalt’ bejaht, für die Sicherstellung der Konventionskonformität nationaler Hoheitsgewalt ein entsprechender Inhalt der Ausübung verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt iSv Art 129a B-VG korrespondieren sollte.
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erfolgt, ist angesichts der technischen Entwicklungen keine unabdingbare Voraussetzung, solange das hoheitliche Verhalten geeignet ist, unmittelbar in Rechtspositionen von Personen einzugreifen. bb) Anwendbarkeit von Lawsons ‘direct and immediate link’-Kriterium? Ob zur Beschreibung eines entsprechenden Grundrechtsverhältnisses Lawsons Kriterium des ‘direct and immediate link’834 etwas beitragen kann, erscheint fraglich. Das Problem ist dabei, dass Lawson nicht genau definiert, wie dieser ‘direct and immediate link’ beschaffen sein muss; er verweist dazu auf Art 230 Abs 4 EGV bzw das Urteil des EGMR im Fall Botta gegen Italien835. Diese Entscheidung scheidet als Präzedenzfall allerdings insofern aus, als es sich bei ihr im Gegensatz zu den vorliegenden Fällen um eine Situation wirksamer Gebietskontrolle (in concreto über das eigene Staatsgebiet) und in diesem Zusammenhang um den Umfang positiver Gewährleistungspflichten Italiens handelte. Der vom EGMR angedachte ‘direct and immediate link’ bezog sich überdies auf eine vom Staat unterlassene aber nach Argumentation des Beschwerdeführers gebotene positive Schutzpflicht im Verhältnis zum – das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers angeblich beeinträchtigenden – Verhalten eines Dritten.836 Gemäß Art 230 Abs 4 EGV können natürliche oder juristische Personen Nichtigkeitsklagen gegen Entscheidungen bzw Scheinverordnungen der Gemeinschaftsorgane nur dann erheben, wenn sie entweder Adressaten der gegenständlichen Entscheidung sind oder, falls dies nicht der Fall ist, sie von der angegriffenen Maßnahme unmittelbar und individuell betroffen sind.837 Lawson meint nun, dass Personen immer dann unter die Jurisdiktion iSv Art 1 EMRK fielen, wenn sie von einer extraterritorialen Maßnahme eines Ver834 Lawson, in: Extraterritorial Application, 104; vgl dazu bereits III.D.2.b) bb)I). 835 EGMR, Urteil v 24. 2. 1998, Botta gegen Italien, RJD 1998-I, 423f, § 34f. 836 Somit ging es also nicht um den ‘direct and immediate link’ zwischen Staat und (dem die Konventionsrechte geltend machenden) Individuum, sondern um die Wechselwirkung zwischen dem Verhalten eines Dritten und der staatlichen Handlungspflicht. 837 Vgl dazu und zu den einzelnen Kriterien zB Cremer, Art 230 EGV, Rz 44ff und Obwexer, ecolex 2002, 854f.
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tragsstaats unmittelbar838 und individuell839 betroffen seien; diese qualifizierte Betroffenheit bilde mehr oder weniger den ‘direct and immediate link’ zwischen Vertragsstaat (der die Maßnahme setzt) und dem (davon betroffenen) Individuum.840 Unter der Bedingung der unmittelbaren und individuellen Betroffenheit soll damit auch Personen die Klagebefugnis verliehen werden können, die nicht Adressaten der in Frage stehenden Maßnahmen und somit ursprünglich nicht von den Handlungen der Gemeinschaftsorgane erfasst sind. Insofern stellt auch Lawsons Kriterium nicht auf eine Finalität des staatlichen Rechtsetzungsakts ab und scheint daher als Beschreibung für das Vorliegen von wirksamer personaler Kontrolle nicht a priori ungeeignet zu sein. Die restriktive Auslegung des Begriffs der individuellen Betroffenheit iSd Plaumann-Formel erscheint aber im Vergleich zu den Folgewirkungen eines Befehls- und Zwangsakts als zu eng. Gleichzeitig ist zu hinterfragen, welchen Mehrwert eine erst recht wiederum auslegungsbedürftige Formel wie jene der unmittelbaren und individuellen Betroffenheit bringen soll. cc) Staatsbürgerschaft als wirksame personale Kontrolle? Manche Autoren sind der Auffassung, dass sich im Ausland befindliche Staatsbürger bereits aus dem Titel einer „compétence personnelle“ stets unter der (personalen) Jurisdiktion ihres Heimatstaats Das Unmittelbarkeitskriterium hat dabei die Aufgabe, von einer Maßnahme lediglich potentiell Betroffene aus dem Kreis der Klagebefugten auszuschließen, vgl Cremer, Art 230 EGV, Rz 46. 839 Individuelle Betroffenheit bedeutet nach der sog Plaumann-Formel dass, „wer nicht Adressat einer Entscheidung ist, nur dann geltend machen [kann], von ihr individuell betroffen zu sein, wenn die Entscheidung ihn wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, ihn aus dem Kreis der übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und ihn daher in ähnlicher Weise individualisiert wie den Adressaten“. Vgl EuGH, Rs 25/62, Plaumann/Kommission, Slg 1963, 211 (238); seitdem ständige Judikatur; eine weniger restriktive Auslegung dieses Kriterium, wie sie Schrifttum und zB Generalanwalt Jacobs in EuGH, Rs C-50/00 P, Unión de Pequenos Agricultores/Rat, Slg 2002-I 6677 (6698ff) gefordert haben, wurde vom EuGH bisher abgelehnt, vlg auch Obwexer, ecolex 2002, 854ff. 840 Lawson, in: Extraterritorial Application, 104 stützt seine Argumentation auf das Urteil des EGMR v 24. 2. 1998, Posti und Rahko gegen Finnland, RJD 2002VII, 317, Rz 53f, in welchem der Gerichtshof bei der Auslegung von Art 6 EMRK die Kriterien der unmittelbaren und individuellen Betroffenheit gemäß Art 230 Abs 4 EGV heranzog. 838
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befinden würden;841 mit anderen Worten soll also die wirksame personale Kontrolle durch das Staatbürgerschaftsband vermittelt werden; die Staatsbürger könnten sich demnach gegen alle faktischen Maßnahmen ihres Heimatstaats, die sie in welcher Weise auch immer betreffen, unter Berufung auf ihre Staatsbürgerschaft zur Wehr setzen.842 Eine solche Position ist, ausgehend von den oben dargestellten Kriterien wirksamer personaler Kontrolle, nicht haltbar. Der alleinige Anknüpfungspunkt der Staatsbürgerschaft gewährleistet keinesfalls eine extraterritoriale Jurisdiktionsausübung, die den Vertragsparteien die Möglichkeit zur Einhaltung ihrer Konventionsverpflichtungen gegenüber ihren Bürgern verschafft. Außerdem widerspricht ein solcher Ansatz auch der Intention der EMRK, ‘jedermann’ innerhalb der Jurisdiktion der Vertragsparteien Schutz zu gewähren; die Konvention knüpft damit gerade nicht an der Staatsbürgerschaft an, was sich auch am Diskriminierungsverbot nach der nationalen Herkunft gemäß Art 14 EMRK verdeutlicht.843 c) Verhältnis zwischen wirksamer territorialer und wirksamer personaler Kontrolle In der Praxis kommt es häufig vor, dass ein Staat bei Ausübung wirksamer territorialer Kontrolle gleichzeitig in Einzelsachverhalten auch wirksame personale Kontrolle ausübt – dies ist insofern unproblematisch, als jedenfalls eine Jurisdiktionsausübung vorliegt.844 Mit Bezug auf extraterritoriale Hoheitsakte wird allerdings eine wirksame territoriale Kontrolle die Ausnahme bilden: In solchen Fällen müssen sodann die Kriterien der personalen Kontrolle erfüllt 841 Carrillo-Salcedo, Article 1, in: CEDH, 136; ihm zustimmend Lorenz, Anwendungsbereich, 116. Offensichtlich lehnen sich diese Autoren am aktiven bzw passiven Personalitätsprinzip der völkerrechtlichen Jurisdiktionsabgrenzung an, übersehen dabei aber, dass dieser Jurisdiktionsbegriff ein von dem des Art 1 EMRK verschiedener ist und seine Prinzipien daher nicht eins zu eins für die Auslegung von Art 1 EMRK übernommen werden können. 842 So Lorenz, Anwendungsbereich, 116, der daraus schließt, dass, wenn das Bombardement in Bankoviü einen deutschen Staatsbürger in der RTS-Station betroffen hätte, der Anwendungsbereich der EMRK gegenüber Deutschland jedenfalls eröffnet gewesen wäre. 843 Die oben vertretene Position von Lorenz würde somit ein Art 14 EMRK widersprechendes Ergebnis mit sich bringen, da sie die Gewährung der Konventionsrechte in diskriminierender Weise zur Folge hat. 844 Zum Umfang der Bindungswirkung siehe sogleich III.E.4.
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sein, anderenfalls mangels Rückgriffmöglichkeit auf die territoriale Kontrolle die EMRK keine Anwendung finden kann. In diesem Zusammenhang ist noch einmal ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass somit das Vorliegen von Befehls- und Zwangsgewalt als die Jurisdiktionsausübung konstituierendes Kriterium nur zur Herstellung dieser extraterritorialen effektiven personalen Kontrolle eine notwendige Voraussetzung darstellt. Bei Vorliegen von wirksamer Gebietskontrolle, das heißt jedenfalls bei allen Fällen innerhalb des eigenen Staatsgebiets, besteht somit keine Beschränkung auf Befehls- und Zwangsgewalt und es können auch Akte der Privatwirtschaftsverwaltung als jurisdiktionsbegründende staatliche Tätigkeit den Anwendungsbereich der EMRK eröffnen.845 d) Beweisführung als Hindernis einer Grundrechtsbindung extraterritorialer Hoheitsakte? Wiederholt wurde gegen eine Anwendung der EMRK auf extraterritoriale Hoheitsakte vorgebracht, dass in solchen Fällen einer Entscheidung der Konventionsorgane deren fehlende Möglichkeit zur Beweisaufnahme entgegenstehen würde.846 Diese Argumentation erscheint aber wenig überzeugend: Wie die bisherigen Fälle vor Augen führen, kann der Gerichtshof auch außerhalb des Konventionsraums Sachverhaltsfeststellungen durchführen; unproblematisch ist dies ohnehin im Falle wirksamer (extra)territorialer Kontrolle durch einen Vertragsstaat; aber selbst bei Fällen punktueller personaler Kontrolle im Ausland ist der betroffene Vertragsstaat verpflichtet, mit dem EGMR zusammenzuarbeiten bzw ist es diesem im Wege der internationalen Kooperation mit dem jeweiligen ausländischen Staat zumutbar, die nötigen Sacherverhaltsermittlungen durchzuführen.847 845 Weder die EMRK noch die Konventionsorgane halten schließlich die innerstaatliche Unterscheidung zwischen Hoheits- und Privatwirtschaftsverwaltung iSd B-VG grundsätzlich für maßgeblich, siehe EGMR, Urteil v 19. 12. 1994, Vereinigung Demokratischer Soldaten Österreichs und Gubi gegen Österreich, Serie A- 302, Z 30ff (= ÖJZ 1995, 314ff), vgl Berka, Grundrechte, Rz 216; Öhlinger, Verfassungsrecht, Rz 739. 846 Vgl Bothe, ZaöRV 2005, 616f mit Verweis auf das Sondervotum Richter Bernhardts im Loizidou-Fall (merits) (siehe oben III.C.2.d)cc)) bzw die Erklärung Richter Buergenthals im palästinensischen Mauergutachten-Fall, die beide das für eine gerichtliche Entscheidung nötige Ausmaß ausreichender Sachverhaltsinformationen betonen; ähnlich Ress, ZEuS 2003, 88f. 847 Dass dies möglich ist, beweist etwa das Urteil des EGMR v 16. 11. 2004 im Fall Issa et al gegen Türkei, Nr. 31821/96 betreffend Vorfälle im Nordirak.
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e) Bewertung: Zur Anwendbarkeit der EMRK auf kriegerische Konflikte aa) Anwendbarkeit auf kriegerische Konflikte auf Grund von Art 15 EMRK i) Jurisdiktionsausübung durch Kriegsführung? Die potentielle Anwendbarkeit der EMRK folgt aus der Derogationsmöglichkeit im Kriegsfall gemäß Art 15 EMRK:848 Wenn nämlich eine Suspendierung bestimmter Konventionspflichten im Krieg unter gewissen Bedingungen möglich ist, dann muss ohne einer solchen die Konvention zumindest anwendbar sein können, ansonsten die Regelung in Art 15 EMRK sinnlos wäre, was aber weder den Vertragsstaaten unterstellt werden kann noch mit einer objektiv-teleologischen Auslegung der Norm vereinbar wäre. Aus Art 15 EMRK darf jedoch nicht voreilig der Schluss gezogen werden, die Konvention sei gleichsam automatisch auf jeden kriegerischen Konflikt anzuwenden. Anders als beim humanitären Völkerrecht trifft diese Annahme nämlich nicht zu, da auch im Krieg die originären Anwendungsvoraussetzungen gemäß Art 1 EMRK vorliegen müssen. Es bedarf somit auch bei der Kriegsführung der Vertragsparteien der, wie oben dargestellt, vor allem bei extraterritorialen Hoheitsakten oftmals diffizilen Prüfung, ob ein Staat überhaupt Jurisdiktion iSd Art 1 EMRK ausübt. Während dies bei kriegerischen Konflikten auf eigenem Staatsgebiet infolge der dabei häufig (noch) vorliegenden wirksamen Gebietskontrolle der Fall sein wird, muss eine Jurisdiktionsausübung bei der heute prototypischen (westlichen) Kriegsführung, die so gut wie ausschließlich außerhalb der eigenen Staatsgrenzen stattfindet, im Einzelfall erst nachgewiesen werden.849 Eine (zumindest partielle) wirksame territoriale Gebietskontrolle kann sich Vgl Schindler, FS Kägi, 332; Frowein, IYHR 1999, 2f; Krieger, ZaöRV 2002, 692; für den IPBPR und die AMRK auch jüngst Wilde, MJIL 2005, 787f mit Verweis auf den Fall Coard et al versus United States, Case No. 10.951 vor der IAKMR (Report No. 109/99 v 29. 9. 1999); vgl dazu und zum Standpunkt des IGH III.E.2. b)bb). 849 Siehe dazu den somit zumindest aus einer abendländischen Perspektive gültigen Schluss von Frowein, FS Schlochauer, 295, wonach die potentielle Fortgeltung der Konvention auch deren mögliche extraterritoriale Anwendbarkeit indiziere; dazu auch bereits oben III.E.2.b)bb)ii). 848
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aber jedenfalls im Laufe eines Krieges einstellen,850 wie die von den USA und Großbritannien angeführte Invasion des Irak 2003 vor Augen führt.851 Verneint man das Vorliegen wirksamer extraterritorialer Gebietskontrolle im Krieg und stellt sich eine solche auch nicht beim Übergang der Kriegssituation zu einer militärischen Besetzung ein, kann die Konvention im Kriegsfall aber immer noch im Falle wirksamer personaler Kontrolle grundsätzlich anzuwenden sein und es wäre dann zu fragen, ob durch verschiedene Kriegshandlungen in Konventionsrechte eingegriffen wurde. Das Vorliegen extraterritorialer Jurisdiktion iSv effektiver personaler Kontrolle knüpft, wie oben versucht wurde herauszuarbeiten, an der Ausübung von Befehls- und 850 Insb dann, wenn sich ein kriegerischer Konflikt zu einer militärischen Besetzung eines Landes wandelt. Bei einer solchen Okkupation kann mit guten Gründen vom Vorliegen effektiver Gebietskontrolle ausgegangen werden – vgl etwa zur Besetzung Deutschlands durch die Alliierten nach dem zweiten Weltkrieg die Fälle EKMR, Entscheidung v 28. 5. 1975, Hess gegen Vereinigtes Königreich, Nr 6231/73, DR 1, 72 (= EuGRZ 1975, 482ff) sowie EKMR, Entscheidung v 18. 1. 1989, Vearncombe gegen Vereinigtes Königreich und Bundesrepublik Deutschland, YB 32 (1989), 74ff und III.C.2.a) und b). 851 Im spezifischen Fall des Iraks ist von einer solchen militärischen Besetzung für die Zeit der Errichtung der Coalition Provisional Authority (CPA) (vgl dazu http://www.cpa-iraq.org/) und somit von einer wirksamen territorialen Kontrolle im Wesentlichen auszugehen – auch wenn für besonders von Gewalt heimgesuchte Gebiete umstritten ist, ob die Kontrolle, die von den USA bzw Großbritannien ausgeübt wurde, tatsächlich immer effektiv war, vgl zur Frage der Anwendbarkeit des IPBPR auf die USA im Irak als „occupied territory“ Schilling, GLWP 08/04, 1ff und unter Bezugnahme auf die EMRK und die Position Großbritanniens im Irak Altiparmak, JCSL 2004, 4.4.ff sowie Wilde, MJIL 2005, 797ff, der auf eine Stellungnahme des damaligen britischen Außenministers Jack Straw im britischen Parlament hinweist, wonach mangels effektiver territorialer Kontrolle das Vereinigte Königreich – anders als die Türkei in Nordzypern – im Irak (und zwar in der südlichen, „britischen“ Zone um die Stadt Basra) nicht an die Konventionsverpflichtungen gebunden sei (778, FN 138 und insb 801). Diesbezüglich hat der britische High Court of Justice eine Klage fünf irakischer Staatsbürger, deren nahe Angehörige im Irak- Krieg gestorben waren, zurückgewiesen (vgl The Queen, on the application of Mazin Jumaa Gatteh Al Skeini and Others v. The Secretary of State For Defence, [2004] EWHC 2911 [Admin]), was vom House of Lords bestätigt wurde (13. Juni 2007, [2007] UKHL 26). Vgl auch House of Lords, R (on the application of Al-Jedda) (FC) (Appellant) v Secretary of State for Defence (Respondent), 12. Dezember 2007, [2007] UKHL 58 mit einer ausführlichen Darstellung der einschlägigen EGMR-Rechtsprechung zu Art 1 EMRK.
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Zwangsgewalt staatlicher Organe im Ausland an.852 Folglich muss festgestellt werden, ob kriegerische Akte als Befehls- und Zwangsgewalt in dem Sinne zu verstehen sind, dass sie das staatliche Gewaltmonopol zur Durchsetzung des Rechts gegenüber Individuen als Rechtsunterworfene zum Ausdruck bringen. Das ist aber unter Berücksichtigung der Natur der jeweiligen kriegerischen Handlungen und der Kriegsparteien differenziert zu beurteilen: In der ‘klassischen’ zwischenstaatlichen Kriegssituation ist dies zumindest am Beginn eines Krieges bei der Führung heftiger Gefechte mit schwerem Kriegsgerät zu verneinen. Es gelangt hier nämlich nicht das staatliche Gewaltmonopol gegenüber Individuen zur Anwendung; vielmehr liegt eine Auseinandersetzung zwischen zwei Staaten auf völkerrechtlicher Ebene vor, wo keine der Kriegsparteien ein Gewaltmonopol zur Rechtsetzung gegenüber der anderen innehat.853 Im Laufe der Zeit kann sich eine Kriegssituation jedoch derart wandeln, dass es wiederum in diversen Fällen zur hoheitlichen Rechtsdurchsetzung gegenüber Individuen kommt – zB wenn ein Staat Kriegsgefangene genommen hat, übt er wiederum effektive wirksame territoriale Kontrolle aus und darf diese insb nicht foltern.854 Differenzierter muss die Rechtslage in anderen als zwischenstaatlichen Kriegsfällen beurteilt werden, wenn zB staatliche Einsatzkräfte gezielt Rebellengruppen oder Aufständische angreifen, um diese festzunehmen. Hier liegt nicht Kriegsführung auf Ebene der Gleichrangigkeit zweier Völkerrechtssubjekte, sondern staatliche RechtsSiehe III.E.3.b)aa)i). Selbst wenn ‘Gewalt’ in kriegerischen Auseinandersetzungen (zumindest vorgeblich) der Durchsetzung völkerrechtlicher Regelungen dient, ist dies kein Anwendungsfall des Gewaltmonopols; egal ob die Gewaltanwendung rechtmäßig (nach herrschender, aber nicht unumstrittener Auffassung – Stichwort humanitäre Intervention – nur bei Berufung auf Art 51 SVN oder per SR-Resolution gemäß Art 42 SVN) oder unrechtmäßig erfolgt, soll nämlich damit in einem grundsätzlich gleichrangigen Verhältnis ein anderer Staat zur Einhaltung seiner Verpflichtungen gezwungen werden; die Gewaltanwendung ist also beim klassischen, zwischenstaatlichen Krieg stets an einen anderen Staat, nicht aber an dessen Individuen gerichtet. 854 In diesem Sinne differenziert auch Tomuschat, Human Rights, 108: „While it is certainly true that armed conflict in far-away countries is not subject to the rules of the ECHR, the legal position changes as soon as the armed forces of a state party to the ECHR have someone made a prisoner. Persons in custody are under the jurisdiction of the custodial power. In such circumstances, the applicability of the ECHR can not be denied.“ 852 853
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durchsetzung gegenüber spezifischen Personen(gruppen) vor, womit eine extraterritoriale Anwendbarkeit der EMRK auf Grund effektiver personaler Kontrolle zu bejahen ist. Im Einzelnen ist jedoch zu konzedieren, dass die Grenzen zwischen der Natur kriegerischer Auseinandersetzungen und somit auch zwischen Kriegshandlungen mit und ohne wirksamer personaler Kontrolle fließend sind; nichtsdestotrotz kann, wie eingangs festgestellt wurde, aus Art 15 EMRK nicht eine automatische Anwendbarkeit der Konvention im Krieg abgeleitet werden, da auch staatliches Verhalten im Krieg auf das Vorliegen von Jurisdiktionsausübung gemäß Art 1 EMRK hin zu prüfen ist. ii) Zur Bedeutung der Rechtmäßigkeit des Krieges iSv Art 15 EMRK Allerdings sind die Konsequenzen daraus, dass die EMRK folglich nicht in jeglicher Kriegssituation gilt, auf Grund der immerwährenden Geltung des humanitären Völkerrechts im Kriegsfall begrenzt. Denn im Ergebnis deckt sich in jenen Fällen, wo die EMRK nicht angewendet werden kann, das Schutzniveau mit jenem bei einer grundsätzlichen Geltung der Konvention, da in diesem Fall die Konventionsrechte ohnehin regelmäßig gemäß Art 15 EMRK suspendiert werden und somit bloß die notstandsfesten Rechte anwendbar bleiben würden – welche aber im Wesentlichen mit dem Gewährleistungsumfang des Gemeinsamen Artikels 3 der Genfer Abkommen ident sind. Diese Annahme beruht auf der Prämisse, dass die Vertragsstaaten gleichzeitig mit dem Eintreten in einen kriegerischen Konflikt eine Suspendierung der Konventionsrechte im nach Art 15 EMRK zulässigen Umfang erklären würden, was mit der gegenwärtigen Staatenpraxis allerdings nicht im Einklang steht.855 Eine solche Anwendung würde allerdings der dargestellten ratio von Art 15 EMRK am besten entsprechen856 und eine realistische Handhabung der Konvention auch im Kriegsfall garantieren. Das neben Vgl EGMR, Entscheidung v 12. 12. 2001 (Große Kammer), Bankoviü et al gegen Belgien und 16 andere NATO-Staaten, RJD 2001-XII, 354, Rz 62, wo der EGMR aber daraus auf Grund einer späteren Praxis gemäß Art 31 Abs 3 lit b) WVK den Schluss zieht, dass die Vertrasstaaten auf eine Derogation verzichtet hätten, weil sie nicht von einer Anwendbarkeit der Konvention im Kriegsfall ausgehen würden. 856 Vgl dazu oben III.E.2.b)bb). 855
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dem Kriegsfall gemäß Art 15 EMRK unerlässliche Kriterium, dass „das Leben der Nation“ bedroht sein muss, könnte dabei – anknüpfend an den beiden völkerrechtskonformen Situationen, Krieg zu führen (ius ad bellum) – wie folgt interpretiert werden: Keiner weiteren Erörterung bedarf, dass die Voraussetzung im Selbstverteidigungsfall nach Art 51 SVN zweifelsohne stets erfüllt sein wird. Das „Leben der Nation“ könnte aber unter Umständen auch im anderen Fall rechtmäßiger Gewaltanwendung bedroht sein. Grundbedingung einer SR-Resolution gemäß Art 42 SVN ist nämlich das Vorliegen einer Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit. Daraus scheint aber jedenfalls im Wege einer völkerrechtsfreundlichen Auslegung der Konvention der Größenschluss zulässig zu sein, dass in einer solchen Krisensituation auch stets das „Leben der Nation“ iSd Art 15 EMRK bedroht sein muss, da schließlich die SVN keine gravierendere Bedrohung als den „threat to international peace and security“ kennt.857 Eine solche Auslegung von Art 15 EMRK hätte nun aber wiederum zur Folge, dass eine Suspendierung der Konventionsverpflichtungen nur im Falle rechtmäßiger Kriegsführung zulässig wäre.858 Dies erscheint insofern ein plausibles und vernünftiges Ergebnis zu sein, als es in Übereinstimmung mit dem völkerrechtlichen Grundsatz „ex iniuria ius non oritur“ steht, der, wie oben erläutert, verbietet, dass die Vertragsstaaten der EMRK im Falle eines völkerrechtswidrigen Verhaltens mit der Entbindung von sämtlichen Konventionsverpflichtungen „belohnt“ werden.859 iii) Zusammenfassung Im Ergebnis ist daher zu konstatieren, dass die EMRK in kriegerischen Konflikten nur bei Vorliegen von Jurisdiktion gemäß Art 1 EMRK anwendbar ist, was abhängig von der Natur und dem Stadium des Krieges sowie der jeweiligen Kriegshandlungen differenziert beurteilt werden muss. Auch wenn die EMRK somit nicht auf sämtliche Kriegshandlungen Anwendung finden kann, gebietet es sich für Im Ergebnis auch de Wet, Chapter VII Powers, 202; Fraas, Sicherheitsrat und Internationaler Gerichtshof, 83. 858 Ausgeschlossen wäre daher jedenfalls eine Entbindung von den Konventionsverpflichtungen gemäß Art 15 EMRK im Falle eines Angriffskrieges (act of aggression), der ausnahmslos verboten ist. 859 Der Grundsatz kann für die Auslegung von Art 15 EMRK ebenso wie Art 1 EMRK herangezogen werden. 857
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die Vertragsstaaten, im Falle eines Kriegseintritts stets eine Derogation zu notifizieren, die allerdings nur bei Völkerrechtskonformität des Kriegsantritts (ius ad bellum) die Voraussetzungen von Art 15 EMRK erfüllen wird. Die dargestellten Überlegungen allgemeiner Natur sollen nun abschließend an Hand der Frage der Anwendbarkeit der EMRK auf die NATO-Luftangriffe auf die Belgrader Radio- und Fernsehstation RTS am 23. 4. 1999, die vom EGMR im Fall Bankoviü zu beurteilen war,860 näher veranschaulicht werden. bb) Der Fall Bankoviü als Ausübung extraterritorialer Jurisdiktion iSd Art 1 EMRK? Prüft man nun, ob die NATO-Bombardements im Fall Bankoviü einer Ausübung von Jurisdiktion gleichkommen, ist zunächst festzustellen, dass die Beherrschung des Luftraums über der FRY nicht mit einer wirksamen territorialen Kontrolle des Staatsgebiets gleichzusetzen ist. Zwar geht mit einer Luftraumkontrolle über einen fremden Staat ein beträchtliches Maß an Eingriffsmöglichkeiten (auch auf die betroffene Regierung) einher, es fehlt allerdings an der Ausübung von "all or some of the public powers normally to be exercised by that government“861, weshalb der – zwar bestehenden – territorialen Kontrolle nicht jenes für die Jurisdiktionsausübung erforderliche Ausmaß an Effektivität innewohnt. Somit bleibt nur mehr der Rückgriff auf die Ausübung wirksamer personaler Kontrolle. Hierbei ist insb die Natur der kriegerischen Handlungen daraufhin zu prüfen, ob diese als Befehls- und Zwangsgewalt gegenüber Individuen auf dem fremden Staatsgebiet qualifiziert werden können.862 Auch das muss im Fall Bankoviü jedoch verneint werden, da die Bombardements der NATO-Staaten nicht als rechtsetzender Akt gegenüber der serbischen Zivilbevölkerung, sondern als zwischenstaatliches Mittel gegen die Regierung 860 EGMR, Entscheidung v 12. 12. 2001 (Große Kammer), Bankoviü et al gegen Belgien und 16 andere NATO-Staaten, RJD 2001-XII, 333ff und dazu oben III.C. 3.a). 861 EGMR, Entscheidung v 12. 12. 2001 (Große Kammer), Bankoviü et al gegen Belgien und 16 andere NATO-Staaten, RJD 2001-XII, 355, Rz 71; das Erfordernis der Ausübung zumindest teilweiser staatlicher Hoheitsgewalt ergänzt die „LoizidouFormel“ über die effektive territoriale Kontrolle, vgl dazu Lawson, in: Extraterritorial Application, 111. 862 Siehe dazu näher soeben aa)i).
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der FRY zu bewerten sind, mit welcher diese zur Zustimmung zum Friedensvertrag von Rambouillet bewegt werden sollte.863 Obwohl es, wie oben dargelegt, auch der Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt keines intentional gegen Einzelpersonen gerichteten Verhaltens im Sinne eines finalen Elements bedarf, kann ein Luftangriff nicht jene wirksame personale Kontrolle über Personen oder Vermögensgegenstände vermitteln, welche iSd der Rechtsprechung des EGMR zu Art 1 EMRK bei mangelnder wirksamer Gebietskontrolle für die extraterritoriale Anwendbarkeit der Konvention unerlässlich ist. Unabhängig vom somit zutreffenden Ergebnis im Fall Bankoviü erscheint die Begründung der Entscheidung in zahlreichen Punkten nicht nachvollziehbar: Aus den oben angeführten Gründen ist ein – wie immer auch ausgestaltetes – Kriterium eines europäischen espace juridique zurückzuweisen;864 darüber hinaus ist der Verweis des EGMR auf die völkerrechtliche Jurisdiktionsabgrenzung und der daraus gewonnene territorial konnotierte Jurisdiktionsbegriff abzulehnen, weil er den objektiven Gehalt der Konventionsrechte als Emanation jeglichen personengerichteten Staatshandelns nicht entsprechend würdigt. Insgesamt konnte der räumliche Anwendungsbereich der Konvention somit weder teleologisch noch systematisch überzeugend dargelegt werden; es besteht deshalb in zukünftigen Verfahren für den EGMR die Gelegenheit, entsprechende Klarstellungen und Konkretisierungen vorzunehmen. 4. Der Umfang der Bindungswirkung bei extraterritorialer Jurisdiktionsausübung In den dargestellten Fällen möglicher extraterritorialer Jurisdiktionsausübung und der damit einhergehenden Bindungswirkung an 863 Die Rechtmäßigkeit der zwischenstaatlichen Kriegshandlungen sind im Rahmen der völkerrechtlichen Staatenverantwortlichkeit zu beurteilen, siehe dazu IGH, Rechtmäßigkeit der Gewaltanwendung (Serbien und Montenegro gegen Begien/Kanada/Frankreich/Deutschland/Italien/Niederlande/Portugal/Spanien/Vereinigtes Königreich/USA), Urteile v 15. 12. 2004; die Konsequenzen einer solchen Kriegshandlung und der in diesem Zusammenhang entstandenen Schäden können jedenfalls eine rechtliche Wiedergutmachungspflichten auslösen: eine solche könnte auch nach den einschlägigen Regeln des humanitären Völkerrechts erfolgen, vgl Tomuschat, Human Rights, 108. 864 Siehe bereits III.E.2.c)aa)ii).
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die EMRK ist abschließend noch die Frage zu klären, ob – angesichts der Besonderheit der Extraterritorialität – die Vertragsstaaten vollumfänglich oder bloß partiell an die Konventionsrechte gebunden sein sollen.865 Die Meinungen im Schrifttum zu dieser Fragestellung sind vielfältig: So wird etwa differenziert nach obligation to respect und den obligations to ensure, protect and fulfill.866 Andere sehen die Bindung an die Konvention bei der Ausübung von Hoheitsgewalt außerhalb des eigenen Staatsgebiets unter Ausschluss positiver Schutzpflichten auf negative Abwehrrechte beschränkt. Daneben existiert die Meinung, dass sich der Umfang der Konventionspflichten proportional zur Reichweite der Hoheitsgewalt verhält.867 Die diversen Abstufungen der Konventionspflichten können nicht überzeugen. Ausgehend vom Wortlaut in Art 1 EMRK kennt die Konvention entweder eine Bindung an sämtliche Konventionsrechte oder einen gänzlichen Entfall der eingegangenen Verpflichtungen. Eine a priori Beschränkung zB bloß auf die klassischen Abwehrrechte findet in Art 1 EMRK keine Grundlage. Ebenso wenig geeignet erscheint eine proportionale Bindung an die Konventionsrechte. Dass das Ausmaß der mutmaßlich verletzten Konventionspflichten im Einzelfall in Abhängigkeit von der ausgeübten Hoheitsgewalt variiert, trifft hingegen zu: So wird eine Festnahme durch ein Polizeiorgan in der Regel nicht die Pflicht des Staates zur Beachtung von Art 12 EMRK berühren; umgekehrt scheidet im Falle der staatlichen Verweigerung der Eheschließung eine Verletzung der Pflichten gemäß Art 5 EMRK aus. Insofern liegt eine Proportionalität vor – allerdings stets eine solche zwischen tatsächlich ausgeübter Hoheitsgewalt und dadurch bewirktem Grundrechtseingriff.868 Dies gilt für das Verhalten der Organe auf eigenem wie auf fremdem Staatsgebiet.869 Der Umfang der Bindungswirkung der EMRK lässt sich aber 865 Die Frage betrifft insb auch eine möglicherweise differenzierte Reichweite positiver Schutzpflichten bei staatlichem Organverhalten außerhalb des eigenen Staatsgebiets. 866 Künnemann, in: Extraterritorial Application, 227ff. 867 Lawson, in: Extraterritorial Application, 105f. 868 Ähnlich argumentiert Erberich, Auslandseinsätze, 30. 869 Vgl Heintzen, DVBl 1988, 627: „Der grundrechtliche Eingriffsbegriff paßt auf Sachverhalte mit Auslandsberührung genauso wie auf reine Inlandssachverhalte, anhand derer er entwickelt worden ist.“
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nicht von vornherein „portionieren“ – die Konvention ist daher entweder vollumfänglich anwendbar oder eben unanwendbar. Eine solche Lösung führt auch nicht zu einer „impossible or disproportionate burden“870 der extraterritorial an die Konvention gebundenen staatlichen Behörden. Denn auch wenn jeder Vertragsstaat bei Ausübung extraterritorialer Jurisdiktion vollumfänglich gebunden bleibt, kann er ohnehin nur für die Verletzung jener Rechte verantwortlich gemacht werden, in welche er in der konkreten Situation im Zuge der ausgeübten Hoheitsgewalt tatsächlich eingegriffen hat. Damit gelangt man aber auch zu einer angemessenen Differenzierung zwischen den Fällen wirksamer territorialer Kontrolle und jenen wirksamer personaler Kontrolle: Bei ersteren wird eine Konventionsverantwortlichkeit infolge der umfassenden Kontrolle über ein Gebiet und der damit verbundenen Jurisdiktion des „kontrollierenden“ Vertragsstaats wesentlich häufiger auftreten als in den situationsspezifischen Fällen wirksamer personaler Kontrolle, wo bloß entsprechende Befehls- und Zwangsgewalt über Personen Jurisdiktion iSd Art 1 EMRK begründet. Nichtsdestotrotz kann auch in letzteren Konstellationen nicht ausgeschlossen werden, dass den Staat unter Umständen positive Schutzpflichten treffen:871 Man denke nur an eine auf fremdem Staatsgebiet gefangen gehaltene Person, deren Leben etwa dadurch bedroht sein kann, dass sie von Dritten ermordet werden soll oder sie sich etwa durch einen Hungerstreik selbst gefährdet. In solchen Situationen kann der Staat auch bei wirksamer personaler Kontrolle ohne positives Tun das Recht auf Leben gemäß Art 2 EMRK verletzen, und zwar dann, wenn er es unterlässt, den Inhaftierten entsprechend vor den potentiellen Mördern zu schützen bzw ausreichende Maßnahmen gegen die gesundheitlichen Folgen des Hungerstreiks zu treffen. 5. Resümee Der Regelungsinhalt von Art 1 EMRK erschöpft sich nicht in einem bloßen Verweis auf die Zurechnungsregeln im System der völkerrechtlichen Staatenverantwortlichkeit, sondern bildet in Verbin870 Vgl Lawson, in: Extraterritorial Application, 106 unter Verweis auf das Urteil des EGMR v 28. 10. 1998, Osman gegen Vereinigtes Königreich, RJD 1998-VIII, 3159, Rz 116. 871 AA offenbar de Schutter, CRIDHO Working Paper 2005/04, 5. nach FN 130.
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dung mit den übrigen materiellen Konventionsrechten eine den Umfang der völkerrechtlichen Verpflichtungen der Vertragsstaaten festlegende Primärnorm. Diese Verpflichtungen binden die Vertragsparteien immer nur unter der Voraussetzung, dass sie gemäß Art 1 EMRK Jurisdiktion, also Hoheitsgewalt, über Personen ausüben. Eine solche Jurisdiktionsausübung liegt im Inland in der Regel infolge wirksamer territorialer Kontrolle über das Staatsgebiet in der Regel vor. Darüber hinaus können die Vertragsstaaten auch extraterritorial Hoheitsgewalt ausüben, wenn sie entweder wirksame territoriale Kontrolle über ein Gebiet im Ausland besitzen (dabei verdrängen sie die ansonsten vorherrschende „inländische“ Hoheitsgewalt) oder, in Situationen mangelnder Gebietskontrolle, in Einzelfällen wirksame personale Kontrolle innehaben. In beiden Fällen muss eine entsprechende Kontrolle über die Rechtspositionen der betroffenen Personen gewährleistet sein; während diese in ihrer Ausprägung als personale Kontrolle direkt aus dem Verhalten des staatlichen Organs resultiert, wird sie als effektive territoriale Kontrolle indirekt über den Gebietsbezug zu den in einem bestimmten Territorium anwesenden Personen vermittelt. Die Verpflichtung zur Einhaltung der Konventionsrechte gegenüber den ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Personen folgt in beiden Fällen aus der Tatsache der effektiven Kontrolle, welche die staatlichen Organe über diese ausüben. Auch bei extraterritorialer Jurisdiktionsausübung bestehen die Konventionsverpflichtungen vollumfänglich; eine Abstufung der Pflichten proportional zum Ausmaß der Ausübung von Hoheitsgewalt ist Art 1 EMRK unbekannt und führt auch zu keiner Überforderung der Vertragsstaaten, weil diese ohnehin nur dann wegen einer Konventionsverletzung verantwortlich gemacht werden können, wenn deren ausgeübte Hoheitsgewalt im konkreten Einzelfall auch einen Eingriff in ein Konventionsrecht ausgelöst hat. Insgesamt ist somit festzuhalten, dass Art 1 EMRK keine Beschränkung der Geltung der Konventionsrechte bloß auf das Staatsgebiet der Vertragsstaaten zu Grunde liegt, sondern die Konvention bei Ausübung von Hoheitsgewalt der Vertragsparteien auch extraterritorial in vollem Umfang Anwendung finden muss. Hingewiesen sei hier nochmals darauf, dass die Frage des Anwendungsbereichs bloß die abstrakte Anwendbarkeit der Grundrechte determiniert und eine solche im Einzelfall zwar eine conditio sine qua non für die anschließende Prüfung, ob ein Eingriff in Konventionsrechte samt
IV. Vergleich des räumlichen Geltungsbereichs der leges fundamentales
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eventueller Rechtfertigung vorliegt, bildet, aber keinesfalls automatisch einem Eingriff oder gar einer Verletzung eines Grundrechts gleichgestellt werden darf. In diesem Sinne kann eine Rechtfertigung staatlicher Hoheitsakte aus etlichen Gründen auf Basis der im Rahmen der Grundrechtsdogmatik entwickelten weiteren Prüfungsschritte erfolgen, eine a priori Schaffung grundrechtsfreier Räume ist aber nicht nur mit Sinn und Zweck der Konvention unvereinbar, sondern bildet, wie es Theodor Meron treffend formuliert hat, „[an] anathema to the basic idea of human rights“.872
IV. Vergleich des räumlichen Geltungsbereichs der leges fundamentales An dieser Stelle ist nun die Frage zu beantworten, ob die oben aufgestellte Vermutung der Gleichförmigkeit des räumlichen Anwendungsbereichs der genuin innerstaatlichen Grundrechte mit jenem der Europäischen Menschenrechtskonvention durch die dargestellten Auslegungsergebnisse zu Art 1 EMRK widerlegt werden konnte.873 Konsequenz eines unterschiedlichen Geltungsbereichs wäre, dass gemäß Art 53 EMRK ein restriktiverer Anwendungsbereich der Konvention nicht auf die originär österreichischen Grundrechte angewendet werden dürfte. Die oben getroffene Feststellung, dass der österreichischen Bundesverfassung eine territorial indifferente Grundrechtsbindung jeglicher Hoheitsgewalt inhärent zu Grunde liegt, deckt sich jedoch mit Art 1 EMRK, der auch eine Bindung an die Konventionsrechte bei der Ausübung von Hoheitsgewalt (Jurisdiktion), unabhängig vom locus dieser Hoheitsgewalt anordnet. Anders als für den Bereich der genuin innerstaatlichen Grundrechte hat die Rechtsprechung der Konventionsorgane mittlerweile für den Anwendungsbereich der Konvention präzisiert, unter welchen Bedingungen eine solche Hoheitsgewalt im extraterritorialen Kontext vorliegen kann. Die dabei entwickelten Kriterien wirksamer territorialer und wirksamer personaler Kontrolle zur Beschreibung von Jurisdiktion dürfen aber nicht dahingehend verstanden werden, dass sie den Anwendungsbereich 872 873
Meron, AJIL 1995, 82. Vgl oben II.B.3.c).
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Anwendungsbereich der Grundrechte der Bundesverfassung
der Konvention im Vergleich zu den innerstaatlichen Grundrechten einschränken wollen. Sie nehmen vielmehr bloß eine unentbehrliche Konkretisierung vor, die mit der österreichischen Rechtslage im Einklang steht. Denn auch die an die originär österreichischen Grundrechte gebundene Hoheitsgewalt kann nur dort gesetzt werden, wo eine entsprechende wirksame Kontrolle über ein Gebiet vorliegt, was im Regelfall im eigenen Staatsgebiet zu bejahen sein wird, aber im Ausland stets eingehend zu untersuchen ist. Bei einem Mangel einer extraterritorialen effektiven Gebietskontrolle kann auch im Hinblick auf die innerstaatlichen Grundrechte die Hoheitsgewalt im Ausland nur dann gebunden sein, wenn sie punktuell wirksame personale Kontrolle über Personen oder Vermögensgegenstände innehat – was freilich nur bei Ausübung hoheitlicher Befehls- und Zwangsgewalt zutreffen kann; ansonsten wäre der räumliche Anwendungsbereich des genuin österreichischen Grundrechtskatalogs auf sämtliche Fälle jedweder Auslandsberührung erweitert, was weder objektiv-teleologisch noch subjektiv-historisch aus der Bundesverfassung abgeleitet werden kann. Im Ergebnis ist daher eine systematisch-gleichförmige Auslegung des territorialen Geltungsbereichs des gesamten österreichischen Grundrechtskatalogs nicht nur möglich sondern auch geboten, da die Auslegungsergebnisse von Art 1 EMRK im dargestellten Sinne keinerlei Einschränkung des Anwendungsbereichs der innerstaatlichen Grundrechte zur Folge haben.874 Vielmehr stellen sie dem Rechtsanwender jene, angesichts der steigenden Anzahl an Sachverhalten, wo österreichische Organe im Ausland tätig werden, unentbehrlich gewordenen Auslegungshilfen zur Klärung des extraterritorialen Anwendungsbereichs der Grund- und Menschenrechte zur Verfügung.
874 Zu den Gründen, die für eine systematische und einheitliche Auslegung beider Grundrechtsregime sprechen, siehe oben II.B.3.c).
Viertes Kapitel: Der räumliche Anwendungsbereich der Grundrechte der Europäischen Union I. Zur Notwendigkeit der Einbeziehung der EU-Grundrechte Eine Untersuchung der Grundrechtsgeltung bei Hoheitsakten außerhalb des eigenen Staatsgebiets bedarf aus der Perspektive der EUMitgliedstaaten auch der Einbeziehung der Grundrechte der Europäischen Union. Gerade als Folge der fortschreitenden Integration in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sowie der Polizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen kommt es im Rahmen der Durchführung von Unionsrecht verstärkt zur Setzung grenzüberschreitender bzw extraterritorialer Hoheitsakte. Dabei ist zu klären, inwieweit in solchen Konstellation eine Bindungswirkung an die Unionsgrundrechte besteht und in welchem Ausmaß Schutz gegen potentielle Verletzungen besteht. Im Folgenden sollen daher nach einem kurzen entwicklungsgeschichtlichen Überblick der insb extraterritoriale Anwendungsbereich der Grundrechte der EU geklärt und bestehende Grundrechtsschutzlücken im Bereich der GASP und der PJZS aufgezeigt werden. Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass die folgenden Ausführungen ausschließlich de lege lata erfolgen und somit weiterhin auf der gegenwärtigen Säulenarchitektur der Union beruhen. Nach dem Scheitern des Vertrags über eine Verfassung für Europa ist nach dem „Nein“ der irischen Bevölkerung beim Referendum am 12. Juni 2008 auch das (baldige) Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon875 in weite Ferne gerückt.
II. Entwicklung und Grundlagen der Unionsgrundrechte A. Begründung und Entwicklung Die Notwendigkeit einer Ankerkennung der Grundrechte als Bestandteil des Gemeinschaftsrechts hängt wesentlich mit der dynami875
ABl 2007, C 306, 1.
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Anwendungsbereich der Grundrechte der Europäischen Union
schen Rechtsprechung des EuGH Anfang der 1960er-Jahre zusammen – Stichwort autonome Geltung und Vorrang des Gemeinschaftsrechts – und zwang diesen unter Druck der nationalen (Verfassungs-) Gerichte sowie des Europäischen Parlaments zum Einschlagen einer gleichsam evolutiven Grundrechtsjudikaturlinie.876 Ihren Ausgangspunkt nahm diese Entwicklung 1969:877 Der EuGH hält seitdem in ständiger Rechtsprechung fest, dass die „Beachtung der Grundrechte zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen [gehört], deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern hat. Die Gewährleistung dieser Rechte muß zwar von den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten getragen sein, sie muß sich aber auch in die Struktur und die Ziele der Gemeinschaft einfügen.“878 Darüber hinaus sind auch „die internationalen Verträge über den Schutz der Menschenrechte, an deren Abschluß die Mitgliedstaaten beteiligt waren oder denen sie beigetreten sind,…im Rahmen des Gemeinschaftsrechts zu berücksichtigen…“.879 Im Hinblick auf die EMRK hält der EuGH fest, dass „die leitenden Grundsätze dieser Konvention im Rahmen des Gemeinschaftsrechts zu berücksichtigen [sind]“.880 In seiner Judikatur räumt der EuGH den Grundrechten als allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts also primärrechtlichen Rang ein. Eine explizite vertragliche Verankerung des Grundrechtsschutzes erfolgte, wenn man von der Präambel zur Einheitlichen Europäischen Akte absieht, aber erst durch Art F Abs 2 des Maastrichter Unionsvertrags. Am 7. 12. 2000 proklamierten das Europäische Parlament, der Rat und die Europäische Kommission die Charta der Grundrechte der Europäischen Union881, die, vom Europäischen Konvent punktuell überarbeitet, ursprünglich als Teil II des am 29. 10. 2004 in Rom unterzeichneten Vertrags über eine Verfassung für Europa882 und nunmehr durch den Vertrag von Lissabon883 verbindliche Geltung erlangen soll. Vgl nur Kühling, Grundrechte, in: Europäisches Verfassungsrecht, 586f. EuGH, Rs 29/69, Urteil v 12. 11. 1969, Stauder, Slg 1969, 421, 425. 878 EuGH, Rs 11/70, Urteil v 17. 12. 1970, Internationale Handelsgesellschaft, Slg 1970, 1125, Rz 4. 879 EuGH, Rs 4/73, Urteil v 14. 5. 1974, Nold, Slg 1974, 491, Rz 13. 880 EuGH, Rs 222/84, Urteil v 15. 5. 1986, Johnston, Slg 1986, 1651, Rz 18. 881 ABl 2000, C 364, 1. 882 ABl 2004, C 310, 1. 883 ABl 2007, C 306, 1. 876 877
II. Entwicklung und Grundlagen der Unionsgrundrechte
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B. Begriff und rechtliche Grundlagen der Unionsgrundrechte Bis zu einem möglichen Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon bleibt der EUV die maßgebliche Primärrechtsquelle der Unionsgrundrechte. Nach Art 6 Abs 2 EUV achtet die Union die Grundrechte, wie sie in der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben.884 Mit dieser Bestimmung sind allerdings zahlreiche Unklarheiten verbunden: So wirft der Wortlaut der Norm die Frage auf, ob neben der Union auch die Europäischen Gemeinschaften Adressaten der Grundrechte sind. Dies ist insofern zu bejahen, als nach Art 1 – 5 EUV die Europäischen Gemeinschaften die Grundlage der Union bilden und diese mit Hilfe der von den Gemeinschaften geliehenen Organe Parlament, Rat, Kommission und Gerichtshof agiert.885 Darüber hinaus spricht Art 6 Abs 2 EUV auch von den Grundrechten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts und ordnet Art 46 lit d) EUV die Zuständigkeit des EuGH für die Kontrolle der Grundrechte gemäß Art 6 Abs 2 EUV nach Maßgabe der Bestimmungen des EGV und EUV an.886 Umstritten ist außerdem der exakte Status der EMRK im Unionsrecht: Weder sind ihr bisher Union oder Gemeinschaft beigetreten noch ist ihre Verbindlichkeit explizit angeordnet, wie dies etwa Art 63 Z 1 EGV im Hinblick auf die Genfer Flüchtlingskonvention Siehe auch Art 6 Abs 1 EUV: „Die Union beruht auf den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit; diese Grundsätze sind allen Mitgliedstaaten gemeinsam.“ 885 Griller/Droutsas/Falkner/Forgó/Nentwich, Treaty of Amsterdam, 134f; Kühling, Grundrechte, in: Europäisches Verfassungsrecht, 588. Geht man wie von Bogdandy/Nettesheim, EuR 1996, 17ff ohnehin bereits nach der geltenden Rechtslage von einer einheitlichen Unionsrechtsordnung aus, erübrigt sich die Fragestellung. 886 Auf Grund der Formulierung der Achtung der Grundrechte „als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts“ und der restriktiven Kontrollkompetenzen des EuGH im nicht vergemeinschafteten Bereich gemäß Art 46 EUV wird auch die Frage aufgeworfen, ob in der GASP und der PJZS überhaupt eine Grundrechtsbindung besteht; dafür spricht aber schon der eindeutige Wortlaut des Art 6 Abs 2 EUV, wenn er die Achtung der Grundrechte durch die Union festlegt; vgl dazu Winkler, Grundrechte der EU, 113f. 884
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Anwendungsbereich der Grundrechte der Europäischen Union
tut.887 Nach wohl richtiger Auffassung stellt die Konvention gemeinsam mit den Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten keine Rechtsquelle des Unionsrechts dar, sondern fungiert als Rechtserkenntnisquelle, aus welcher der EuGH auf der Grundlage einer wertenden Rechtsvergleichung die Unionsgrundrechte gewinnt; mit anderen Worten: Die Konventionsrechte sind nicht unmittelbarer Bestandteil des Unionsrechts, sondern finden „nur“ in Gestalt der allgemeinen Rechtsgrundsätze in dieses Eingang.888 In Folge der umfassenden Grundrechtsbindung der gesamten Union durch Art 6 Abs 2 EUV und der immer engeren Annäherung der GASP und der PJZS an das Recht der Gemeinschaft sprechen auch vor dem Hintergrund des Vertrags von Lissabon gute Gründe dafür, in terminologischer Hinsicht für die EU-Grundrechte vorwiegend den umfassenden Begriff der Unionsgrundrechte zu verwenden, der die Grundrechtsbindung- und Kontrolle der Handlungen der Organe und Mitgliedstaaten sowohl der unionalen 2. und 3. Säule als auch der gemeinschaftlichen 1. Säule umfassen soll.889 Dafür kann auch 887 Art 63 Z 1 EGV ordnet explizit an, dass bestimmte sekundärrechtliche Asylmaßnahmen nur in Übereinstimmung mit der Genfer Flüchtlingskonvention, dem New Yorker Protokoll von 1967 (Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. 7. 1951, BGBl 1955/55, sowie das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. 1. 1967, BGBl 1974/78; beide zusammen in der Folge GFK) sowie einschlägigen anderen Verträgen zu beschließen sind. Die Stellung der GFK im Gemeinschaftsrecht ist bisweilen nicht restlos geklärt: Für die GFK wie für die EMRK gilt jedenfalls, dass sämtliche Mitgliedstaaten gemäß Art 307 EGV an sie gebunden bleiben. Daher gilt auch für die GFK selbiges wie im Dreiecksverhältnis Union – Mitgliedstaaten – EMRK: Die Mitgliedstaaten dürfen ihre durch die Ratifikation der GFK eingegangenen Verpflichtungen nicht dadurch umgehen bzw sich ihrer entledigen, indem sie Hoheitsbefugnisse auf völkerrechtliche Entitäten, wie die Europäische Union, übertragen. Darüber hinaus wird die GFK aber auch selbst zum Bestandteil des Primärrechts der Europäischen Union, da sie ausdrücklich zum Kontrollmaßstab sekundärrechtlicher Gemeinschaftsrechtsakte erklärt wird. Jeder Sekundärrechtsakt, der nicht mit den Anforderungen der GFK übereinstimmt, ist somit nicht nur (aus Sicht der Mitgliedstaaten) völkerrechtswidrig, sondern insb (aus Sicht der Union) auch primärrechtswidrig (Muzak, Art 63 EGV, Rz 6; aA Brechmann, Art 63 EGV, Rz 4). 888 Siehe nur Grabenwarter, VVDStRL 60, 325f mwN; Ehlers, in: Grundrechte und Grundfreiheiten, § 14, Rz 9. 889 So auch Kühling, Grundrechte, in: Europäisches Verfassungsrecht, 585f. Nur bei rein gemeinschaftlichen Sachverhalten soll somit der Begriff der Gemeinschaftsgrundrechte verwendet werden.
III. Der Anwendungsbereich der Unionsgrundrechte
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die Firmierung der GRC als ‘Charta der Grundrechte der Europäischen Union’ ins Treffen geführt werden.
III. Der Anwendungsbereich der Unionsgrundrechte A. Grundrechtsträger Bei den Unionsgrundrechten handelt es sich um Individualrechte, die natürlichen wie juristischen Personen zukommen. Die in den Mitgliedstaaten übliche Unterscheidung zwischen Staatsbürgerrechten und Jedermannsrechten korrespondiert auf EU-Ebene mit jener zwischen Unionsbürgerrechten und Jedermannsrechten. Bis auf wenige Ausnahmen wie etwa das Wahlrecht nach Art 19 EGV oder das Recht auf konsularischen und diplomatischen Schutz nach Art 20 EGV können sich nicht nur Unionsbürger sondern alle Menschen auf die Unionsgrundrechte berufen.890
B. Grundrechtsverpflichtete 1. Europäische Union und Europäische Gemeinschaften a) Im Bereich des Gemeinschaftsrechts Die Verpflichtung zur Einhaltung der Unionsgrundrechte trifft in erster Linie die – ansonsten im grundrechtsfreien Raum – agierenden Organe der Europäischen Union und der Europäischen Gemeinschaften samt ihren Einrichtungen, Ämtern und Agenturen.891 Dies folgt nicht nur aus der Rechtsprechung des EuGH, sondern ausdrücklich auch aus Art 6 Abs 2 EUV, der – wie oben dargelegt – auch das Handeln der Gemeinschaften als wesentlicher Bestandteil der Europäischen Union umfasst. Die Gemeinschaftsorgane müssen daher die Grundrechte sowohl im Bereich der generell-abstrakten Rechtsetzung als auch im Bereich der direkten Vollziehung beachten. Während der EuGH bereits wiederholt individuell-konkrete Vollzugsakte der EGKommission wegen Verstoßes gegen die Unionsgrundrechte für ungültig erklärt hat, fällt die diesbezügliche Zurückhaltung im Bereich Siehe näher Winkler, Grundrechte der EU, 101ff. Vgl zB Bulterman, in: Monitoring fundamental rights, 254; Ukrow, in: Grundrechtsschutz in Europa, 141. 890 891
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Anwendungsbereich der Grundrechte der Europäischen Union
der Gesetzgebung im engeren Sinn (also in erster Linie Verordnungen und Richtlinien) auf.892 b) Im Bereich des Unionsrechts Die Bindung der Unionsorgane an die Grundrechte umfasst auch das Unionsrecht der 2. und 3. Säule, wenn gleich in diesen Bereichen vorweg konstatiert werden muss, dass Bindungswirkung und Grundrechtsschutz auf Grund der beschränkten Zuständigkeit des EuGH gemäß Art 46 EUV zumindest nach geltendem Recht (noch) auseinander fallen. aa) PJZS Im Bereich der Dritten Säule kann der Rat gemäß Art 34 EUV – auf Initiative eines Mitgliedstaats oder der Kommission – einstimmig gemeinsame Standpunkte, Rahmenbeschlüsse, Beschlüsse und Übereinkommen sowie mit qualifizierter Mehrheit Maßnahmen zur Durchführung von Beschlüssen und mit einer Mehrheit von zwei Dritteln Maßnahmen zur Durchführung der Übereinkommen beschließen und ist dabei an die Einhaltung der Grundrechte gebunden. Gemäß Art 35 Abs 6 iVm Art 46 lit d) EUV kann eine mögliche Grundrechtswidrigkeit von Rahmenbeschlüssen und Beschlüssen durch eine Klage eines Mitgliedstaats oder der Kommission beim 892 Kritisch Ehlers, in: Grundrechte und Grundfreiheiten, § 14, Rz 5. So verneinte der EuGH in der Rs C-280/93, Deutschland/Rat, Slg 1994, I-4973 einen Verstoß der Verordnung 404/93/EWG des Rates über die gemeinsame Marktorganisation für Bananen gegen das Eigentumsrecht – kritisch dazu zB Everling, CMLR 1996, 413ff. Bei der Prüfung der sog Tabakwerberichtlinie 98/43/EG erkannte zwar Generalanwalt Fennelly in seinen Schlussanträgen einen Verstoß der Richtlinie gegen die Eigentumsgarantie und die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit (SA, Rs C-376/98, Deutschland/Parlament und Rat, Slg 2000, I-8423, Rz 151), der EuGH erklärte die Richtlinie aber wegen Heranziehung der falschen Rechtsgrundlage für nichtig, ohne auf die Frage der Grundrechtskonformität einzugehen (EuGH, Rs C-376/98, Deutschland/Parlament und Rat, Slg 2000, I-8498). Auch in anderen Fällen verneinte der Gerichtshof eine Grundrechtswidrigkeit von Sekundärrecht: Siehe zB EuGH, Rs C-377/98, Niederlande/Parlament und Rat, Slg 2001, I-7079 (Prüfung der Biopatentrichtlinie am Maßstab der Menschenwürde) bzw EuGH, Rs C-184/02, C-223/ 02, Spanien und Finnland/Parlament und Rat (Prüfung der Richtlinie 2002/15/EG am Maßstab der Berufsausübungsfreiheit und des Gleichbehandlungsgrundsatzes). Vgl auch EuGH, Urteil vom 27. 6. 2006, Rs C-540/03, Parlament/Rat, Slg 2006, I-5769 betreffend die Richtlinie 2003/86/EG des Rats vom 22. September 2003 zum Recht auf Familienzusammenführung; dazu Bulterman, CMLR 2008, 245ff.
III. Der Anwendungsbereich der Unionsgrundrechte
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EuGH geltend gemacht werden. Darüber hinaus können nationale Gerichte, sofern deren Mitgliedstaat die Zuständigkeit des EuGH für Vorabentscheidungen gemäß Art 35 Abs 1 und 2 EUV anerkannt hat, im Wege eines Ersuchens um Vorabentscheidung die Überprüfung der Grundrechtskonformität von Rahmenbeschlüssen und Beschlüssen in die Wege leiten.893 Insofern besteht in gewissem Ausmaß eine Überprüfungsmöglichkeit der Gesetzgebung im Bereich der PJZS; darüber hinaus gilt aber weiterhin, was das BVerfG im „Maastricht-Urteil“ konstatiert hat, nämlich, dass die Akte der Union in diesem Bereich keine Durchgriffswirkung entfalten und deshalb transformationsbedürftig sind.894 Weil der EuGH aber nunmehr seit dem Vertrag von Amsterdam die Kompetenz besitzt, zumindest Rahmenbeschlüsse und Beschlüsse auf ihre Gültigkeit zu prüfen, kann hier nicht mehr gelten, dass derartige Rechtsakte bei Unterschreiten des Grundrechtsschutzniveaus des Art 6 Abs 2 EUV von den Mitgliedstaaten als absolut nichtig zu qualifizieren sind;895 von den Mitgliedstaaten in nationales Recht transformierte Rechtsakte können jedenfalls an den innerstaatlichen Grundrechten gemessen werden, soweit ihnen ein Umsetzungsspielraum zugekommen ist, sprich eine potentielle Grundrechtswidrigkeit nicht durch den Unionsrechtsakt vollständig determiniert war.896 Beim Vollzug ist festzuhalten, dass dieser nicht durch Unionsorgane, sondern durch die Mitgliedstaaten erfolgt. Diesbezüglich schließt Art 35 Abs 5 EUV eine Überprüfung der Gültigkeit oder Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen der Polizei oder anderer Strafverfolgungsbehörden oder der Wahrnehmung der Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit durch den Gerichtshof ausdrücklich aus. bb) GASP Im Rahmen der GASP beschließen – jeweils unter Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten gemäß Art 11 Abs 1 fünfter Siehe EuGH, Rs C-105/03, Urteil v 16. 6. 2005, Maria Pupino, Slg I-2005, 5285 (= EuZW 2005, 433ff); vgl Egger, EuZW 2005, 652ff; siehe auch Pechstein, EuR 1999, 21ff; Dörr/Mager, AöR 2000, 406ff. 894 BVerfGE 89, 155 (175ff). 895 So zur Rechtslage vor dem Vertrag von Amsterdam noch Griller, Übertragung, 457ff, 470 und ihm folgend Obwexer, in: Österreich und das Recht der EU, 76f. 896 Vgl Griller, ÖJT 1994, 22. 893
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Anwendungsbereich der Grundrechte der Europäischen Union
Spiegelstrich EUV – der Europäische Rat Grundsätze, allgemeine Leitlinien und gemeinsame Strategien sowie der Rat gemeinsame Aktionen und gemeinsame Standpunkte. Wenn gleich Art 46 EUV dem EuGH keine Kontrollkompetenz von Maßnahmen nach Titel V des EUV zuweist, sind somit die Unionsorgane auch bei der Tätigkeit im Rahmen der GASP an die Grundrechte gebunden.897 Soweit die Maßnahmen im Bereich der GASP keine Durchgriffswirkung innewohnen, sondern transformationsbedürftig sind, kann wiederum – wie im Falle der PJZS vor dem Vertrag von Amsterdam argumentiert werden – dass die Mitgliedstaaten bei deren Umsetzung die Grundrechtskonformität beachten und solche Akte unter Umständen als grundrechtswidrig und somit absolut nichtig qualifizieren müssen. Anders ist dies aber etwa in der Situation, wo Gemeinsame Aktionen nach Art 14 EUV die Grundlage für Beschlüsse über militärische Einsatzregeln zur Durchführung der Petersberg-Aufgaben bilden, welche sodann etwa den Einsatz von Waffengewalt oder Festnahmen vorsehen.898 Ungeachtet fehlender Prüfungsmöglichkeit der Rechtmäßigkeit dieser generell-abstrakten Rechtsetzungsakte stellt sich die Frage nach der Kontrolle des Vollzugs solcher Beschlüsse bzw Gemeinsamer Aktionen. Zur Durchführung von EU-Militäroperation wie jener von EUFOR Althea in Bosnien und Herzegowina899 greift die Union auf Soldaten der Mitgliedstaaten zurück; in diesem Zusammenhang ist zunächst zu fragen, ob Handlungen im Rahmen solcher Aktionen der Union oder den partizipierenden Mitgliedstaaten zuzurechnen sind. Unabhängig vom Zurechnungsobjekt bilden solche gemeinsamen Aktionen – da sie in der Regel außerhalb des Gebiets der Union stattfinden – einen der wichtigsten Anwendungsfälle extraterritorialer Hoheitsakte.900
897 Ukrow, in: Grundrechtsschutz in Europa, 141ff; Winkler, Grundrechte der EU, 114f. 898 Vgl Winkler, Grundrechte der EU, 327, der sich auf Art 3 der Gemeinsamen Aktion 2003/92/GASP beruft, der den Rat zur Planung und Einleitung der Operation ermächtigt. 899 Gemeinsame Aktion 2004/570/GASP v 12. 7. 2004, ABl v 28. 7. 2004, L 252, 10ff; Beschluss des Rats 2004/803/GASP v 25. 11. 2004, ABl v 27. 11. 2004, L 353, 21ff. 900 Siehe 5. Kap V.
III. Der Anwendungsbereich der Unionsgrundrechte
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2. Mitgliedstaaten a) Im Bereich des Gemeinschaftsrechts Wenn gleich die bis dahin fehlende Grundrechtsbindung der Gemeinschaftsorgane der unmittelbare Anlass für die Grundrechtsjudikatur des EuGH war,901 liegt der Schwerpunkt der Rechtsprechung des Gerichtshofs heute beim Umfang der Bindung der Mitgliedstaaten an die Grundrechte der EU im Rahmen des Vollzugs des Gemeinschaftsrechts. Voraussetzung einer solchen Bindung ist nach nunmehr ständiger Judikatur des EUGH, dass eine mitgliedstaatliche Maßnahme in den „Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts“ fällt.902 Dieser umfasst im Wesentlichen die Durchführung von Gemeinschaftsrecht durch die Mitgliedstaaten, also den indirekten Vollzug und zwar sowohl den indirekten unmittelbaren Vollzug von (unmittelbar anwendbaren bzw wirksamen) Gemeinschaftsrechtsakten als auch den indirekten mittelbaren Vollzug, sprich die Umsetzung von Gemeinschaftsrecht und die Anwendung der in seiner Ausführung ergangenen staatlichen Umsetzungsnormen;903 außerdem gehören dazu nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs auch mitgliedstaatliche Regelungen, die eine Einschränkung der Grundfreiheiten bewirken.904 Eine solch umfassende Definition des Anwendungsbereichs der Unionsgrundrechte geht im Ergebnis in eine Richtung, die Generalanwalt Jacobs bereits 1992 in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Konstantinidis905 vorgezeichnet hat, nämlich dahin, dass ein Gemeinschaftsangehöriger, wohin er sich in der Europäischen Gemeinschaft zu Erwerbszwecken auch begibt, unter Berufung auf EuGH, Rs 29/69, Urteil v 12. 11. 1969, Stauder, Slg 1969, 419; vgl Korinek, FS Badura 2004, 1107. 902 Erstmals EuGH, Rs 260/89, Urteil v 18. 6. 1991, ERT, Slg 1991, I-2925, Rz 41ff; EuGH, Rs C-159/90, Urteil v 4. 10. 1991, Society for the protection of unborn children/Grogan ua, Slg 1991, I-4685, Rz 31; vgl zB Griller, ÖJT 1994, 26ff; Ruffert, EuGRZ 1995, 518; Holoubek, in: Grundfragen der EU-Mitgliedschaft, 82ff; Hengstschläger, JBl 2000, 497; Kanitz/ Steinberg, EuR 2003, 1013; Ranacher, ZÖR 2003, 23ff. 903 Statt vieler Ranacher, ZÖR 2003, 24ff; kritisch zu einer zu großen Ausweitung des Anwendungsbereichs der Unionsgrundrechte Korinek, FS Badura, 1103ff. 904 EuGH, Rs 260/89, Urteil v 18. 6. 1991, ERT, Slg 1991, I-2925, Rz 41ff; zB Ranacher, ZÖR 2003, 43ff. 905 Schlussanträge in der Rs C-168/91, Konstantinidis, Slg 1993, I-1198. 901
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Anwendungsbereich der Grundrechte der Europäischen Union
seinen Status als Unionsbürger davon ausgehen darf, dass er stets im Einklang mit einer gemeinsamen Ordnung von Grundwerten behandelt wird.906 Der Gerichtshof ist dieser Ansicht im Fall Konstantinidis zwar explizit nicht gefolgt, hat aber wenige Jahre später in der Rechtssache Bickel und Franz907 einen dahingehenden Weg eingeschlagen, indem er über die Unionsbürgerschaft in Verbindung mit dem Diskriminierungsverbot allen Unionsbürgern ein Recht auf gleiche Inanspruchnahme aller (nationalen und unionalen) Grundrechte einräumt, sofern sich diese bloß auf ihr Recht auf Aufenthalt und Freizügigkeit gemäß Art 18 EGV berufen.908 Positiviert wurde die dargelegte Judikatur des Gerichtshofs mittlerweile in Art 51 Abs 1 GRC, demzufolge die Charta für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union gilt; Art 51 GRC umfasst daher nach richtiger Ansicht neben dem indirekten Vollzug von Unionsrecht auch weiterhin Fälle der mitgliedstaatlichen Einschränkung der Grundfreiheiten.909 b) Im Bereich des Unionsrechts aa) PJZS Gerade Art 51 Abs 1 GRC unterstreicht, dass sämtliche unionale Hoheitsgewalt, egal ob im Bereich der Gemeinschaften oder der 2. und 3. Säule an die Charta gebunden sein soll und dass die Europäische Union somit in allen ihren Tätigkeitsfeldern und in allen ihren Verästelungen einer möglichst umfassenden Grundrechtsbindung unterliegen muss.910 Somit müssen aber auch – ungeachtet der Tatsache, dass die Rechtsprechung des EuGH diesbezüglich bisher auf das Gemeinschaftsrecht beschränkt ist – Maßnahmen der MitgliedIbid, Rz 46. Vgl dazu jüngst von Bogdandy/Bitter, FS Zuleeg 2005, 309ff. EuGH, Rs C-274/96, Bickel und Franz, Slg 1998, I-7637, Rz 16. 908 Griller, Anwendungsbereich, in: Grundrechte für Europa, 142; kritisch zu dieser Judikatur und insb zur darauffolgenden Ausweitung des Diskriminierungsverbots auf soziale und andere staatliche Leistungen von Bogdandy/Bitter, FS Zuleeg, 320ff; Griller, FS Schäffer, 216ff; siehe außerdem zur extraterritorialen Anwendbarkeit des Diskriminierungsverbots Holoubek, Artikel 12 EGV, Rz 13. 909 Zutreffend Griller, Anwendungsbereich, in: Grundrechte für Europa, 139f unter Verweis auf die Erläuterungen zur GRC, die auf das ERT-Urteil des EuGH explizit Bezug nehmen. 910 Borowsky, Artikel 51, in: Kommentar zur GRC, Rz 16; Curtin/van Ooik, MJ 2001, 104ff. 906 907
III. Der Anwendungsbereich der Unionsgrundrechte
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staaten zur Durchführung von Unionsrechtsakten im Bereich der PJZS sowie der GASP am Maßstab der Unionsgrundrechte gemessen werden. Für den Bereich der PJZS betrifft dies auf Grund der mangelnden unmittelbaren Anwendung des Unionsrechts der dritten Säule staatliche Umsetzungsmaßnahmen und deren Anwendung im indirekten mittelbaren Vollzug, also etwa die Implementierung von Rahmenbeschlüssen gemäß Art 34 Abs 2 lit b) EUV, die in Anlehnung an Richtlinien nach Art 249 Abs 3 EGV hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich sind, jedoch ansonsten den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel überlassen.911 Besonders im Hinblick auf Rahmenbeschlüsse zur Mindestharmonisierung des materiellen Strafrechts ist in diesem Zusammenhang die Frage aufgeworfen worden, ob neben der Umsetzung in innerstaatliches Strafrecht auch der Vollzug desselben im Zuge des nationalen Strafprozessrechts an die Unionsgrundrechte gebunden sein soll; unter Verweis auf die unterschiedlichen Regelungsintentionen von solchen Rahmenbeschlüssen im Vergleich zu EG-Richtlinien wird dies von manchen Autoren verneint.912 Danach sei nämlich ein Rahmenbeschluss in der Regel nur auf eine Angleichung des Strafrechts per se, nicht aber auf den Vollzug des umgesetzten Rechts im Einzelfall gerichtet. Nur in Ausnahmenfällen wie etwa beim europäischen Haftbefehl913 oder bei der Beurteilung von Verurteilungen in anderen Mitgliedstaaten914 soll auch das Unionsrecht der zweiten Säule auf eine Anwendung im Einzelfall abzielen und es soll sich daher auch bei der Anwendung umgesetzter nationaler Rechtsnormen um indirekte Vollziehung von Unionsrecht durch die Mitgliedstaaten handeln.915 Diese Unterscheidung mag jedoch nicht zu überzeugen, da jegliche Harmonisierung nicht schon durch 911 Allerdings ist wegen des Prinzips nullum crimen sine lege eine unmittelbare Wirkung von Rahmenbeschlüssen gemäß Art 34 Abs 2 Satz 2 EUV ausdrücklich ausgeschlossen; vgl Wasmeier, Artikel 34 EU, Rz 8f. 912 ZB Winkler, Grundrechte der EU, 159f. 913 Rahmenbeschluss des Rates 2002/584/JI vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten – Stellungnahmen bestimmter Mitgliedstaaten zur Annahme des Rahmenbeschlusses, ABl L 190 v 18. 7. 2002, 1. 914 Vgl EuGH, verb Rs C-187/01 und C-385/01, Gözütok und Brügge, Slg 2003, I-1345, Rz 25ff zur Auslegung des Doppelbestrafungsverbot in Art 54 SDÜ. 915 Ibid, 156.
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Anwendungsbereich der Grundrechte der Europäischen Union
die bloße Umsetzung in staatliches Recht, sondern erst durch den Vollzug der umgesetzten Rechtsvorschriften verwirklicht wird. Ungeachtet dessen fallen in die Kategorie des mitgliedstaatlichen Vollzugs jedenfalls operative Tätigkeiten im Bereich der polizeilichen Zusammenarbeit – und dabei insb grenzüberschreitende Aktivitäten gemäß Artikel 32 EUV. Dazu zählen vor allem Polizeiakte auf der Grundlage der durch das Protokoll zur Einbeziehung des Schengen-Besitzstandes in den Rahmen der Europäischen Union916 in das Unionsrecht der dritten Säule übernommenen Ermächtigungen zur grenzüberschreitenden Observation und Nacheile gemäß Art 40 und 41 SDÜ917, 918. Gerade in diesem grundrechtssensiblen Bereich ist eine Bindung der nationalen Vollzugsorgane an die Unionsgrundrechte zusätzlich zur Verpflichtung, die nationalen Grundrechte zu beachten, erforderlich.919 Eine solche ist gerade in Situationen extraterritorialer Hoheitsakte dann besonders bedeutsam, wenn in einem bestimmten Staat die Anwendung der eigenen (Grund)Rechtsordnung außerhalb des eigenen Staatsgebiets verneint wird. Wenn gleich der EuGH gemäß Art 35 Abs 5 EUV für die Überprüfung der Gültigkeit oder Verhältnismäßigkeit von mitgliedstaat-
916 ABl v 22. 9. 2000, L 239, 1 iVm dem Beschluß des Rates (1999/435/EG) vom 20. Mai 1999 zur Bestimmung des Schengen-Besitzstands zwecks Festlegung der Rechtsgrundlagen für jede Bestimmung und jeden Beschluß, die diesen Besitzstand bilden, nach Maßgabe der einschlägigen Bestimmungen des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und des Vertrags über die Europäische Union, ABl v 10. 7. 1999, L 176, 1. Zu den Sonderregeln über die Einbeziehung des SchengenBesitzstandes durch das Vereinigte Königreich und Irland bzw von Dänemark (im Hinblick auf jene Teile, deren Rechtsgrundlage Art 61 – 69 EGV ist) vgl JourSchröder/Wasmeier, Vorbemerkungen Art 29 – 42 EU, Rz 37f. 917 Gemäß dem Beschluß des Rates (1999/436/EG) vom 20. Mai 1999 zur Festlegung der Rechtsgrundlagen für die einzelnen Bestimmungen und Beschlüsse, die den Schengen-Besitzstand bilden, nach Maßgabe der einschlägigen Bestimmungen des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und des Vertrags über die Europäische Union, ABl v 10. 7. 1999, L 176, 17 entsprechen Art 40 und 41 SDÜ den Rechtsgrundlagen der Art 32 und 34 EUV (konkret handelt es sich dabei um ein Übereinkommen gemäß Art 34 Abs 2 lit d) EUV). 918 Vgl zu Art 40 und 41 SDÜ Würz, SDÜ, 68ff, 84ff. 919 Zur „doppelten Grundrechtsloyalität“ und zu den Grundrechten der EU als Mindestgarantie vgl zB Ranacher, ZÖR 2003, 76ff; kritisch zu solchen „Doppelgleisigkeiten“ Korinek, FS Badura, 1107ff.
III. Der Anwendungsbereich der Unionsgrundrechte
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lichen Vollzugsmaßnahmen nicht zuständig ist,920 kann dieser im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art 35 Abs 1 und 2 EUV zur Auslegung des SDÜs angerufen werden.921 bb) GASP Auch hier erfasst infolge der – grundsätzlich922 – mangelnden unmittelbaren Anwendbarkeit der GASP-Sekundärrechtsakte der mitgliedstaatliche indirekte Vollzug sowohl die Umsetzung in nationales Rechts als auch dessen Vollziehung. Bereits aus der Natur der GASP folgt, dass solche Rechtsakte stets eine starke extraterritoriale Wirkung entfalten. Zur Setzung extraterritorialer Hoheitsakte als Hoheitsakte auf fremdem Staatsgebiet (außerhalb der EU-27) kommt es insb im Rahmen der Durchführung Gemeinsamer Aktionen. Die Konkretisierung solcher Gemeinsamer Aktionen erfolgt durch Ratsbeschlüsse, welche mit qualifizierter Mehrheit gemäß Art 23 Abs 2 zweiter Spiegelstrich EUV zur Durchführung einer Gemeinsamer Aktion oder eines Gemeinsamen Standpunkts gefasst werden. Diese Beschlüsse bilden bei Petersberg-Einsätzen außerhalb des Unionsraums sogleich die unmittelbare Rechtsgrundlage für die Mitgliedstaaten bei der Durchführung Gemeinsamer Aktionen, es handelt sich dabei ausnahmsweise um einen Fall unmittelbarer Vollziehung durch die Mitgliedstaaten im Bereich der zweiten Säule. Neben organisatorischen Festlegungen wie jener des Operation Headquarter, des Operation Commander und des Force Commander der EU923 werden dabei auch die Einsatzregeln (Rules of Engagement) bestimmt, die den rechtlichen Maßstab für das Verhalten der EUFOR-Soldaten bilden. Gerade diese Rules of Engagement, die unter anderem den Einsatz tödlicher Gewalt oder die Kompe920 Dieser Ausschluss der Prüfungsmöglichkeit spricht e contrario für eine grundsätzliche Bindung des mitgliedstaatlichen Vollzugs. 921 Die dafür nötige ausdrückliche Erklärung gemäß Art 35 Abs 2 EUV haben mittlerweile mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs sowie von Irland und Dänemark alle Mitgliedstaaten abgegeben. Vgl zudem die Nichtigkeitsklagemöglichkeit gemäß Art 35 Abs 6 EUV der privilegierten Kläger Kommission und Mitgliedstaaten. 922 Vgl aber die Ausnahmen im Rahmen der Beschlussfassung Gemeinsamer Aktionen über out of area-Einsätze. 923 Vgl zB Art 3 der Gemeinsamen Aktion 2003/92/GASP des Rates über die militärische Operation der Europäischen Union in der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien, ABl v 11. 2. 2003, L 34, 27.
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Anwendungsbereich der Grundrechte der Europäischen Union
tenz zur Durchführung von Festnahmen regeln,924 sind grundrechtlich infolge ihrer Eingriffsintensität besonders relevant, unterliegen jedoch genauso wie das Vollzugshandeln der EUFOR-Truppen keiner Rechtskontrolle durch den EuGH.925
C. Der räumliche Anwendungsbereich im Speziellen 1. Anknüpfung an unionaler Hoheitsgewalt Die Rechtsprechung des EuGH sowie Art 6 EUV schweigen zu einer möglichen Beschränkung des territorialen Geltungsbereichs der Unionsgrundrechte; vielmehr ordnet Art 6 Abs 2 EUV die allumfassende Bindung der Union an die Grundrechte an und differenziert nicht zwischen internem und externem Unionshandeln. In Anknüpfung an Art 1 EMRK als allgemeinem Rechtsgrundsatz unterliegt daher nach richtiger Ansicht und unabhängig davon, ob die jeweilige Handlung innerhalb des Gebiets der EU-Mitgliedstaaten oder in Drittstaaten erfolgt, jegliche Ausübung unionaler Hoheitsgewalt der Bindung an die Unionsgrundrechte.926 Diese Position stärkt auch Art 51 GRC, der klarstellt, dass der Anwendungsbereich der Charta der Grundrechte der EU sowohl für die Organe und Einrichtungen der Union als auch für die Mitgliedstaaten die gesamte Durchführung des Rechts der Union umfasst und demzufolge es somit keinen grundrechtsfreien Raum mehr geben soll.927 Schwierig ist in diesem Zusammenhang die Frage der Abgrenzung, wann (noch) eine Durchführung von Unionsrecht vorliegt und wann es sich bloß um die Vollziehung von mitgliedstaatlichem Recht handelt. Im Ergebnis folgt daraus, dass aber gerade auch extraterritoriale Unionsakte – egal ob sie von Unionsorganen oder den Mitgliedstaaten durchgeführt werden – der Bindung an die Unionsgrundrechte Vgl Winkler, Grundrechte der EU, 159f; siehe unten 5. Kap III.B. Vgl Art 46 EUV. 926 Ukrow, in: Grundrechtsschutz in Europa, 141f; Wouters, MJ 2001, 4ff; vgl auch Bulterman, in: Monitoring fundamental rights, 254 und Ehlers, in: Grundrechte und Grundfreiheiten, Rz 39. 927 Borowsky, Artikel 51, in: Kommentar zur GRC, insb Rz 21; vgl Thematic Comment No. 2: Fundamental rights in the external activities of the European Union in the fields of justice and asylum and immigration in 2003, 4 February 2004, of the EU Network of Independent Experts on Fundamental Rights, 9f, http://www.europa. eu.int/comm/justice_home/cfr_cdf/doc/thematic_comments_2003_en.pdf. 924 925
III. Der Anwendungsbereich der Unionsgrundrechte
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unterliegen. Dabei ist im Hinblick auf die Extraterritorialität zu differenzieren zwischen „echten“ extraterritorialen Hoheitsakten, die außerhalb des Unionsraumes in Drittstaaten gesetzt werden und solchen – etwa im Bereich der polizeilichen Zusammenarbeit in Strafsachen – die von den Mitgliedstaaten zwar außerhalb ihres Staatsgebiets aber doch im Unionsraum, nämlich in einem anderen Mitgliedstaat, gesetzt werden („unionsinterne“ extraterritoriale Hoheitsakte). Ausgehend von einer Betrachtung der EU als ein einheitlicher Rechtsraum und der Annahme, dass – ausgenommen einer Verdrängung der eigenen durch eine fremde (dritte) Hoheitsgewalt – innerhalb des Raums der Mitgliedstaaten ohnehin im Anwendungsbereich des Unionsrechts stets eine Bindung an die Unionsgrundrechte besteht, stellen somit bloß erstere extraterritoriale Hoheitsakte im hier verstandenen Sinne dar. Naturgemäß werden solche Akte überwiegend im Rahmen der GASP gesetzt, für die bereits Art 11 Abs 1 fünfter Spiegelstrich die Achtung der Menschenrechte als Ziel festlegt928. Eine grundsätzliche Bindung an die Unionsgrundrechte auch im Bereich der GASP bejahend,929 bedarf es aber auch hier der näheren Konkretisierung der Voraussetzungen und des Umfangs, unter denen ein Tätigwerden im Bereich der zweiten Säule am Maßstab der Grundrechte gemessen werden muss. Hierfür ist mangels abweichender Bestimmung in den Gründungsverträgen wie in der GRC am allgemeinen Rechtsgrundsatz des Art 1 EMRK im Lichte der Judikatur des EGMR anzuknüpfen. Somit liegt eine Bindung der Union bzw der Mitgliedstaaten in Drittstaaten – insb im Hinblick auf out of area-Einsätze der EU im Rahmen der Petersberg-Aufgaben gemäß Art 17 Abs 2 EUV – dann vor, wenn die Organe der Union bzw der Mitgliedstaaten über effektive territoriale Kontrolle und/oder effektive personale Kontrolle verfügen.930 Vgl Thematic Comment No. 2, EU Network of Independent Experts on Fundamental Rights, 10; Ukrow, in: Grundrechtsschutz in Europa, 142ff sowie Wouters, MJ 2001, 6f; vgl Art 177 Abs 2 EGV, der für die Entwicklungszusammenarbeit das Ziel der Wahrung der Menschenrechte und Grundfreiheiten statuiert. 929 So auch Winkler, Grundrechte der EU, 118. 930 Siehe zum Ausmaß der Kontrolle ausführlich oben im 3. Kap III.E.3.; zu solchen Auslandseinsätzen im Rahmen der GASP und dabei auch zur Frage der Zurechnung des Verhaltens der jeweiligen Organe zur Union bzw zu den Mitgliedstaaten sowie zur Frage des Rechtsschutzes gegen entsprechendes Verhalten siehe unten 5. Kap V. 928
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Anwendungsbereich der Grundrechte der Europäischen Union
2. Exkurs: Ausnahme der „auswärtigen Gewalt“ von der Grundrechtsbindung? Gegen eine Gesetzesbindung der „auswärtigen Gewalt“ bzw nach österreichischer Terminologie der „auswärtigen Verwaltung“931 wird von manchen ins Treffen geführt, dass auf Grund ihrer besonderen Natur das Handeln der Bundesregierung im Bereich der Außenpolitik vom Legalitätsprinzip ausgenommen ist.932 Überträgt man diesen Gedanken auf die europäische Ebene, so müsste dies folglich auch für zahlreiche Tätigkeiten der Unionsorgane bzw der Mitgliedstaaten im Bereich der GASP gelten. Begründet wird diese These unter anderem mit den Schwierigkeiten einer gesetzlichen Determinierung der Wahrnehmung der außenpolitischen Agenden.933 Darüber hinaus wird aus der Grundrechtsperspektive das Argument vorgebracht, dass die Funktion der Grundrechtsnormen der Schutz individueller Rechtspositionen gegen Eingriffe staatlicher Gewalt war und ist.934 Das Handeln der auswärtigen Gewalt (Verwaltung) sei demgegenüber in der Regel nicht auf das rechtliche Betroffensein von Individuen, sondern auf den Rechtsverkehr mit anderen (klassischen) Völkerrechtssubjekten gerichtet und unterliege daher dem in erster Linie die Beziehungen zwischen Staaten regelnden Völkerrecht.935 Eine solche Auffassung ist aber heute nicht mehr zeitgemäß: Das Völkerrecht ist kein bloß zwischenstaatliches Koordinations- und Kooperationsrecht mehr, sondern hat sich hin zu einer auch die Rechtsverhältnisse von Individuen betreffenden horizontalen wie vertikalen Rechtsordnung entwickelt. Im Zeitalter der Globalisierung und politischer wie rechtlicher internationaler Verflechtung nehmen Staaten auch außerhalb des eigenen Staatsgebiets mehr und mehr Aufgaben war und greifen dabei auch in die Grundrechtspositionen der dortigen Individuen ein. Insofern gelten auch natürliche Personen heute als (zumindest partielle) Völkerrechtssubjekte.936 Werden Staaten etwa im Rahmen von Auslandseinsätzen extraterritorial täÖhlinger, VVDStRL 56, 82. Rill, Art 18 B-VG, Rz 49. 933 Ibid, aaO. 934 Ukrow, in: Grundrechtsschutz in Europa, 150. 935 Ibid, aaO. 936 Vgl die Vorbemerkungen der Herausgeber in Neuhold/Hummer/Schreuer, Handbuch des Völkerrechts I, 133f. 931 932
IV. Die Implementierung der Unionsgrundrechte
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tig, sind sie sowohl an die Grundrechte des Völkerrechts als auch an die nationalen Grundrechte gebunden,937 für eine Ausnahme der auswärtigen Verwaltung von der Gesetzesbindung besteht keine sachliche Rechtfertigung mehr. Somit ist auch im Bereich der Außenpolitik und daher der GASP von einer grundsätzlichen Grundrechtsbindung auszugehen;938 eine Bestandsaufnahme über den tatsächlich bestehenden Grundrechtsschutz in diesem Bereich hinkt dieser Schlussfolgerung aber sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene deutlich hinten nach.939 Insofern wäre also eine Ausweitung bzw Schaffung einer Grundrechtsbeschwerdemöglichkeit gegen das Handeln der auswärtigen Verwaltung bei nationalen Verfassungsgerichten bzw dem EuGH notwendig.
IV. Die Implementierung der Unionsgrundrechte A. Gerichtlicher Rechtsschutz Grundrechtschutz durch den EuGH besteht im Bereich des Gemeinschaftsrechts nach Maßgabe der Art 220ff EGV.940 Im Bereich der zweiten und dritten Säule existiert – wie gezeigt – ein umfassendes bzw teilweises Rechtsschutzdefizit.
B. Sonstige Kontrollmechanismen In ihrer grundlegenden Studie über die zukünftige Menschenrechtspolitik der Union forderten Alston/Weiler Ende der 1990erJahre eine Ausdehnung der ihrer Meinung nach exzessiv auf den Individualrechtsschutz abstellenden EU-Menschenrechtspolitik auf 937 Völkerrecht und Staatsrecht schließen sich nicht mehr gegenseitig aus, sondern stehen im Verhältnis der Komplementarität zueinander, vgl Wahl, Verfassungsstaat, 91. 938 So auch für die auswärtige Gewalt, Biehler, Auswärtige Gewalt, 106f. 939 Wenn erst einmal ein effektiver Grundrechtsschutz im Bereich der auswärtigen Verwaltung existieren würde, spräche nichts dagegen auf Grund ihrer Eigenart und Sensibilität für ganz spezifische Materien in eingeschränktem Ausmaß gerichtliche topoi wie den judicial self-restraint, die political question doctrine oder den favor conventionis anzuwenden. 940 Vgl statt vieler jüngst Böcker, Wirksame Rechtsbehelfe, 23ff.
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Anwendungsbereich der Grundrechte der Europäischen Union
sämtliche Politikbereiche der Union.941 Eine solche ist im Sinne eines ‘human rights mainstreaming’ mittlerweile schrittweise erfolgt, etwa durch die Errichtung einer EU-Grundrechteagentur (Fundamental Rights Agency) in Wien. Zur Implementierung der – als Teil II des Vertrags für eine Verfassung für Europa vorgesehenen aber bisweilen unverbindlichen – im Rahmen des Europäischen Rates in Nizza am 7. Dezember 2000 vom Europäischen Parlament, vom Rat und von der Kommission feierlich proklamierten Charta der Grundrechte der Europäischen Union gibt es überdies ein Memorandum942 bzw eine Mitteilung der Kommission943, wonach die GRC bei sämtlichen Rechtsetzungsvorschlägen der Kommission Berücksichtigung finden muss. Diese Berücksichtigungspflicht umfasst neben einer Grundrechtskontrolle sämtlicher Kommissionsvorschläge durch den Juristischen Dienst der Kommission insb auch eine Folgenabschätzung (impact assessment) jedes Gesetzgebungsentwurfs für die Grundrechte.
V. Grundrechtsschutz gegen den Vollzug von Unionsrecht durch den EGMR Eine in der juristischen Literatur sehr intensiv geführte Diskussion – die insbesondere im Hinblick auf die im Bereich der zweiten und dritten Säule der EU bestehenden Grundrechtsschutzlücken von hoher Relevanz ist – betrifft die offene Frage der konventionsrechtlichen Verantwortlichkeit der Mitgliedstaaten der EU für eigene Handlungen sowie für Handlungen der Unionsorgane zur Durchführung von EU-Recht. Bis zur Verwirklichung des anvisierten Beitritts der EU zur EMRK944 ist die Union jedenfalls selbst nicht VertragsAlston/Weiler, EJIL 1998, 658 (= in: Alston, The EU and Human Rights, 12f); teils kritisch dazu von Bogdandy, JZ 2001, 161ff (= in: Duschanek/Griller, Grundrechte für Europa, 83ff). 942 ABl v 18. 12. 2000, C 364, 1; vgl Alber, EuGRZ 2001, 351. 943 KOM(2005) 172 endgültig v 27. 4. 2005. 944 Nach bestehender unionaler Rechtslage ist ein Beitritt der EU nicht möglich, siehe EuGH, Gutachten 2/94, Slg 1996, I-1759 und dazu Weiler/Fries, HJMWP 4/99, 15ff sowie Potacs, in: Österreich und das Recht der EU, 81ff. Vgl zudem aus der umfangreichen Literatur zB Winkler, Beitritt und Krüger/Polakiewicz, EuGRZ 2001, 92ff. Im Bereich der EMRK wurde in Art 17 des 14. Protokolls die Grundlage für einen Beitritt der Union geschaffen (noch nicht in Kraft getreten). 941
V. Grundrechtsschutz gegen den Vollzug von Unionsrecht
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partei und somit nicht unmittelbar an die Konvention gebunden. Sowohl in der Rechtsprechung der Konventionsorgane als auch in der Literatur finden sich allerdings Anhaltspunkte für eine mittelbare Verantwortlichkeit der Mitgliedstaaten, über deren Begründung und deren Umfang im Einzelnen aber noch viele Fragen offen sind.
A. Im Bereich des Gemeinschaftsrechts 1. Grundrechtsschutz gegen Vollzugsakte der Gemeinschaftsorgane Anders als im Falle der mitgliedstaatlichen Vollziehung von Gemeinschaftsrecht handelt es sich beim direkten Vollzug durch Gemeinschaftsorgane um keine an die Konventionsrechte iSv Art 1 EMRK gebundene, sondern eine fremde, nämlich unionale Hoheitsgewalt. Geht man nun vom völkerrechtlichen und auch vom EGMR anerkannten Grundsatz aus, dass sich die Mitgliedstaaten nicht durch eine Übertragung von Hoheitsgewalt an internationale Organisationen von ihren Konventionsverpflichtungen befreien dürfen,945 stellt sich die Frage, ob „Hoheitsgewalt“ iSv Art 1 EMRK auch Hoheitsakte Internationaler Organisationen erfasst, für welche eine Übertragung von Hoheitsrechten durch die Mitgliedstaaten eine conditio sine qua non darstellt und ob die Mitgliedstaaten für die Konsequenzen einer solchen Hoheitsgewalt einstehen müssen. Der EGMR hat eine entsprechende Verantwortlichkeit der Mitgliedstaaten der EU im Fall Matthews – bei dem es allerdings um den indirekten Vollzug des Direktwahlaktes vom 20. 9. 1976 durch die britischen Behörden auf Gibraltar und nicht um einen direkten Vollzugsakt eines Gemeinschaftsorgans ging – grundsätzlich für möglich gehalten und festgestellt, „[t]he United Kingdom, together with all the other parties to the Maastricht Treaty is responsible ratione materiae under Article 1 of the Convention…for the consequences of that Treaty“.946 Auch wenn der Gerichtshof bisher nicht Siehe statt vieler Grabenwarter, VVDStRL 60, 330 mwN; EKMR, Entscheidung v 9. 2. 1990, M. & Co. gegen Deutschland, DR 64, 144; EGMR, Urteil v 18. 2. 1999, Waite und Kennedy gegen Deutschland, RJD 1999-I, 410, Z 67 (=EuGRZ 1999, 207ff = AJIL 1999, 933ff); Urteil v 7. 3. 2000, T.I. gegen Vereinigtes Königreich, RJD 2000-III, 457. 946 EGMR, Urteil v 18. 2. 1999, Matthews gegen Vereinigtes Königreich (Große Kammer), RJD 1999-I, 265f, Z 32f (Hervorhebung vom Gerichtshof) (= EuGRZ 945
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Anwendungsbereich der Grundrechte der Europäischen Union
explizit über die Verantwortlichkeit der Mitgliedstaaten für direkte Vollzugsakte der Gemeinschaftsorgane entschieden hat,947 kann somit davon ausgegangen werden, dass eine entsprechende Verantwortlichkeit existiert und die Mitgliedstaaten mittelbar für konventionswidrige Rechtsakte der EU-Organe haftbar gemacht werden können.948 In Anlehnung an die Rechtsprechung der Konventionsorgane muss eine solche mitgliedstaatliche Verantwortlichkeit allerdings unter einer „Vorbehaltsklausel“ stehen, die eine Übertragung von Hoheitsrechten an Internationale Organisationen als unproblematisch und mit der Konvention vereinbar ansieht „provided that within 1999, 201f); vgl zum Urteil zB Bröhmer, ZEuS 1999, 197ff; Ress, ZEuS 1999, 477ff; Cohen-Jonathan/Flauss, RTDE 1999, 637ff; Schermers, CMLR 1999, 673ff; Schäfer, Verletzungen, 25ff mwN. 947 Vgl EGMR, Entscheidung v 10. 3. 2004, Senator Lines GmbH gegen sämtliche 15 Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Große Kammer), Nr. 56672/00, in welcher der Gerichtshof die Beschwerde einer deutschen Schifffahrtgesellschaft für unzulässig erklärte. Die DSR-Senator Lines GmbH hatte gegen ein Bußgeld der Europäischen Kommission in der Höhe von 13,75 Millionen Euro wegen wettbewerbswidriger Abreden beim EuG geklagt und brachte in ihrer Beschwerde eine Verletzung von Art 6 EMRK durch eine Entscheidung des EuG sowie eine damit verbundene Anfechtungsentscheidung des EuGH vor, weil ihrem gegen die Verhängung der Geldstrafe eingebrachtem Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung zuerkannt worden war, obwohl die Vollstreckung der Geldbuße den Konkurs der Reederei zur Folge haben hätte können, noch bevor die Hauptsache durch ein Gericht entschieden worden wäre; infolge der durch die Aufhebung der Geldbuße durch EuG, Urteil v 30. 9. 2003, verb Rs T-191/98, T-212/98 bis T-214/98, Atlantic Container Line, Cho Yang Shipping Co Ltd, Senator Lines GmbH ua, weggefallenen Opfereigenschaft kam es zur Unzulässigkeitsentscheidung des EGMR, vgl dazu Schäfer, Verletzungen, 66ff. Auch in anderen Fällen ließ der Gerichtshof die Frage der Verantwortlichkeit der Mitgliedstaaten für Unionsakte offen und erklärte die Beschwerden aus anderen Gründen für unzulässig, vgl zB EGMR, Entscheidung v 4. 7. 2000, Société Guérin Automobiles gegen sämtliche 15 Mitgliedstaaten der Europäischen Union, Nr. 51717/99; Entscheidung v 13. 1. 2005, Emesa Sugar N.V. gegen Niederlande, Nr. 62023/00. 948 Zur dogmatischen Begründung solcher Ansätze finden sich unterschiedliche Ansätze: Walter, AöR 2004, 62f, 68ff stellt auf eine Unterlassenskonstruktion ab und geht bei der Übertragung von Hoheitsrechten auf eine neue Rechtsordnung von einer in Art 1 EMRK enthaltenen Schutzpflicht aus, allen der Hoheitsgewalt des Mitgliedstaats unterstellten Personen die Konventionsrechte (weiterhin) zu garantieren; aA Schäfer, Verletzungen, 199ff, der statt dessen auf eine mittelbare Verantwortlichkeit für Gemeinschaftsrechtsakte infolge der Öffnung des Souveränitätsbereichs als verantwortlichkeitsbegründenden Rechtsakt abstellt; ähnlich auch Winkler, Beitritt, 169ff.
V. Grundrechtsschutz gegen den Vollzug von Unionsrecht
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that organisation fundamental rights receive an equivalent protection“949. Was für den Vollzug durch Gemeinschaftsorgane gilt, kann im Grunde auch auf die Tätigkeit in der Gesetzgebung der Gemeinschaften angewandt werden, wobei es jedoch einer Unterscheidung zwischen Primär- und Sekundärrecht bedarf: Während nämlich für das gemeinschaftsrechtliche Sekundärrecht ein gleichwertiger Schutz durch das Kontrollmonopol des EuGH besteht,950 fehlt es einerseits im Bereich des Primärrechts an einer entsprechenden Kontrollmöglichkeit, womit die vom Gerichtshof aufgestellte Vermutungsregel ins Leere geht. Andererseits zeichnen für Primärrechtsakte auf Grund deren Rechtsnatur als völkerrechtliche Verträge ohnehin die Mitgliedstaaten selbst verantwortlich, die insofern als „Herren der Verträge“ für die Konventionskonformität des EU-Primärrechts unmittelbar verantwortlich zeichnen.951 2. Grundrechtsschutz gegen Vollzugsakte der Mitgliedstaaten Während sich also die Verantwortlichkeit der Mitgliedstaaten für Rechtsakte der Gemeinschaftsorgane lediglich mittelbar aus der fortbestehenden Bindung an die Konventionsrechte bei Übertragung von Hoheitsrechten an diese Organe ergibt, unterliegt der mitgliedstaatliche Vollzug von Gemeinschaftsrecht als Ausübung eigener Hoheitsgewalt der Vertragsparteien ohnehin der Konventionskontrolle durch den EGMR. Auf jeden Fall wirkt in diesem Zusammenhang die Konventionsbindung in jenen Fällen, in denen das Gemeinschaftsrecht dem Mitgliedstaat einen eigenen Beurteilungs- und Ermessensspielraum bei der Vollziehung einräumt und dieser innerhalb dieses Spielraums agiert.952 Problematisch und fraglich ist aber die Verantwortlichkeit der Mitgliedstaaten, wenn ein behaupteter Konventi949 EKMR, Entscheidung v 9. 2. 1990, M. & Co. gegen Deutschland, DR 64, 145; siehe dazu Schäfer, Verletzungen, 19ff; EGMR, Urteil v 30. 6. 2005, Bosphorus Hava Yollari Turizm gegen Irland (Große Kammer), No. 45036/98, Rz 155, RJD 2005-VI (= ÖIMR-Newsletter 2005/4, 172ff); siehe dazu gleich unten bei 2. 950 Vgl auch oben bei III.B.1.a). 951 Köngeter, Beitritt der EU zur EMRK, 245f. 952 Baumgartner, Grundrechtsschutz, 324; Winkler, Beitritt, 156ff; Frank, Verantwortlichkeit, 275ff. Der Fall ist dies etwa in der Regel bei der Umsetzung von EG-Richtlinien.
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Anwendungsbereich der Grundrechte der Europäischen Union
onsverstoß ausschließlich auf gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben beruht.953 Dies ist die Konstellation der Melchers-Entscheidung954 der EKMR bzw des Bosphorus-Urteils955 des EGMR. Es handelt sich dabei zwar um die Ausübung eigenständiger mitgliedstaatlicher Hoheitsgewalt, für deren Konventionskonformität der EGMR infolge der gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen aber folgende Grundsätze aufgestellt hat: „…State action taken in compliance with such legal obligations is justified as long as the relevant organisation is considered to protect fundamental rights, as regards both the substantive guarantees offered and the mechanisms controlling their observance, in a manner which can be considered at least equivalent to that for which the Convention provides…By ,equivalent‘ the Court means ,comparable‘: any requirement that the organisation’s protection be ,identical‘ could run counter to the interest of international co-operation pursued…If such equivalent protection is considered to be provided by the organisation, the presumption will be that a State has not departed from the requirements of the Convention when it does no more than implement legal obligations flowing from its membership of the organisation…However, any such presumption can be rebutted if, in the circumstances of a particular case, it is considered that the protection of Convention rights was manifestly deficient…“956
Winkler, Beitritt, 161ff; Schäfer, Verletzungen, 18ff. EKMR, Entscheidung v 9. 2. 1990, M. & Co. gegen Deutschland, DR 64, 138ff. Die Beschwerde betraf die Erteilung einer deutschen Vollstreckungsklausel für einen von der EG-Kommission erlassenen kartellrechtlichen Bußgeldbescheid. Eine solche Klausel ist gemäß Art 256 EGV zwingend zu erteilen, ohne dass die klauselerteilende nationale Behörde die Rechtmäßigkeit des zu Grunde liegenden Bußgeldbescheids überprüfen darf. 955 EGMR, Urteil v 30. 6. 2005, Bosphorus Hava Yollari Turizm gegen Irland (Große Kammer), No. 45036/98, RJD 2005-VI. Dabei ging es um die Beschlagnahme einer Boeing 737-300, welche die in der Türkei registrierte Fluggesellschaft Bosphorus Airways von der staatlichen jugoslawischen Fluggesellschaft geleast hatte, durch die irischen Behörden auf Grundlage der EG-Verordnung 990/93, die in Umsetzung der Sicherheitsrats-Resolution 820 der Vereinten Nationen im Zuge der Sanktionen gegen Jugoslawien unter Kapitel VII der UN-Charter die Beschlagnahme unter anderem aller Flugzeuge anordnete, die sich im Mehrheitseigentum von jugoslawischen oder in Jugoslawien tätigen Personen oder Unternehmen befanden. 956 EGMR, Urteil v 30. 6. 2005, Bosphorus Hava Yollari Turizm gegen Irland (Große Kammer), No. 45036/98, Rz 155f, RJD 2005-VI (Hervorhebung von mir); siehe dazu Skouris, ZSR 2005, 34ff; Schorkopf, GLJ 2005, 1255ff; Szczekalla, 953 954
V. Grundrechtsschutz gegen den Vollzug von Unionsrecht
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Für den Fall, dass eine im Vergleich zur EMRK „equivalent protection“ der Grundrechte durch die Internationale Organisation selbst gewährleistet werde, existiert also eine Vermutung für die Konventionskonformität der mitgliedstaatlichen Vollziehung eines Rechtsaktes der Internationalen Organisation, die jedoch widerlegt werden kann, wenn der Schutz der Konventionsrechte unter den Umständen des Einzelfalls als grob unzulänglich einzustufen ist.957, 958 Auch wenn der Zugang von Individuen zum EuGH gemäß den Bestimmungen des EGV nur beschränkt möglich ist, sieht der EGMR somit für den Bereich der Europäischen Gemeinschaften eine Gleichwertigkeit des Rechtsschutzes als grundsätzlich gegeben an.959 Der Gerichtshof zeigt sich bei der Anwendung der Vermutungsregel eines gleichwertigen Schutzes insofern großzügig, als er etwa im Hinblick auf das aus Art 6 Abs 1 EMRK resultierende Recht auf Zugang zu einem Gericht nicht auf die aus seiner Rechtsprechung resultierenden strengen Anforderungen abstellt,960 sondern eine Widerlegung der Regel nur für den Fall vorsieht, dass der Grundrechtsschutz sich im Einzelfall als „manifestly deficient“ erweist. Die Vermutungsregel erscheit auch im Lichte der Anforderungen eines wirksamen Rechtsbehelfs nach Art 13 ERMK961 als unsachgemäß: Prüft man nämlich den Individualrechtschutz nach den Art 220ff EGV an den dort aufgestellten Kriterien, so zeichnet sich ein unvollständiges Bild an Klagemöglichkeiten, das nur zum Teil von den Kompetenzen der nationalen Gerichte bzw Behörden ergänzt werden kann. Aus diesen Gründen liegt jedoch keine „equivalent protection“ der Grundrechte im Gemeinschaftsrecht vor, weshalb die generelle Vermutung des EGMR für eine Konventionskonformität des GemeinGPR 2005, 176ff; Heer-Reißmann, NJW 2006, 192ff; Lavranos, EuR 2006, 81ff; Winkler, EuGRZ 2007, 641ff. 957 EGMR, Urteil v 30. 6. 2005, Bosphorus Hava Yollari Turizm gegen Irland (Große Kammer), No. 45036/98, Rz 156, RJD 2005-VI. 958 Die Rechtsprechung des EGMR zur Prüfungskompetenz von Gemeinschaftsrecht bzw gemeinschaftsrechtlich determiniertem Vollzugshandeln lehnt sich somit an der Solange II-Entscheidung des BVerG (BVerGE 73, 339) und dem Verhältnis zwischen BVerG und EuGH an, vgl Griller, ÖJT 1994, 74. 959 EGMR, Urteil v 30. 6. 2005, Bosphorus Hava Yollari Turizm gegen Irland (Große Kammer), No. 45036/98, Rz 159ff, RJD 2005-VI. 960 Siehe etwa Grabenwarter, EMRK, § 24, Rz 48ff. 961 Vgl dazu zB Holoubek, JBl 1992, 137ff sowie Bernegger, Art 13 EMRK, in: Grund- und Menschenrechte in Österreich II, 733ff.
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Anwendungsbereich der Grundrechte der Europäischen Union
schaftsrechts als unangemessen zu qualifizieren ist und durch eine Einzelfallprüfung ersetzt werden sollte.962 3. Bewertung Im Ergebnis bedeutet die Rechtsprechung des EGMR, dass dort, wo Gemeinschaftsorgane unmittelbar bzw die Mitgliedstaaten im indirekten Vollzug ohne eigenen Ermessensspielraum Gemeinschaftsrecht durchführen, von einer Vermutung der Konventionskonformität ihrer Handlungen auszugehen ist, da das Gemeinschaftsrecht grundsätzlich einen im Vergleich zur EMRK gleichwertigen Rechtsschutz aufweist. Diese Vermutung ist immer dann widerlegbar, wenn nach den Umständen des Einzelfalls der Grundrechtsschutz durch die Gemeinschaften grob unzulänglich ausgestaltet ist. Dagegen kann das nicht vollständig vom Gemeinschaftsrecht determinierte Handeln der Mitgliedstaaten, soweit es innerhalb von deren Ermessensspielraum erfolgt, stets vom EGMR am Maßstab der EMRK überprüft werden.
B. Im Bereich des Unionsrechts 1. Grundrechtsschutz gegen Vollzugsakte der Unionsorgane Die Frage, ob im Bereich der zweiten und dritten Säule die Europäische Union selbst im unmittelbaren Vollzug tätig wird, hängt auch wesentlich mit der umstrittenen Problematik der Rechtspersönlichkeit der Union zusammen.963 Nur wenn der EU zumindest in Teilbereichen eine solche zukommt, kann ihr das eigene Organverhalten bzw unter bestimmten Umständen eventuell auch das Verhalten der Mitgliedstaaten tatsächlich zugerechnet werden.964 Selbst nach einem möglichen Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon, der die Union explizit mit Rechtspersönlichkeit ausstatten soll, bleibt aber die Vollziehung im Bereich der zweiten und dritten Säule in aller Regel Angelegenheit der Mitgliedstaaten. Ausnahmen betreffen So im Ergebnis auch Richter Ress in seiner concurring opinion im Fall Bosphorus, der die Vermutungsregel nicht als Ausschluss einer notwendigen Einzelfallprüfung verstanden wissen will. 963 Siehe dazu oben im 2. Kap IV.A.2. 964 Im Falle eines ungenügenden Grundrechtsschutzes haben die Mitgliedstaaten aber wiederum mittelbar für diese Unionsakte einzustehen. 962
V. Grundrechtsschutz gegen den Vollzug von Unionsrecht
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Handlungen von Einrichtungen wie der Polizeibehörde Europol, die bereits explizit mit Rechtspersönlichkeit ausgestattet wurde.965 2. Grundrechtsschutz gegen Vollzugsakte der Mitgliedstaaten Wendet man die oben dargestellten Grundsätze der Rechtsprechung von EKMR und EGMR auf die mitgliedstaatliche Vollziehung im Bereich des Unionsrechts der zweiten und dritten Säule an, so ergibt sich folgendes Bild: Auch hier können die Konventionsorgane die Vereinbarkeit jenes Handelns der Mitgliedstaaten mit der EMRK überprüfen, wo diese innerhalb ihres eigenen Ermessensspielraum Unionsrecht vollziehen. Für den Bereich der vom Unionsrecht abschließend determinierten indirekten Vollziehung muss auch hier die Bosphorus-Formel angewendet werden: Es ist also zu prüfen, ob im Bereich der zweiten und dritten Unionssäule ein mit der EMRK gleichwertiger Grundrechtsschutz besteht. Das führt zu folgendem Ergebnis, bei welchem zwischen GASP und PJZS zu differenzieren ist. a) PJZS Im Anwendungsbereich der PJZS besteht seit dem Vertrag von Amsterdam auf Grund von Art 35 Abs 1 EUV ein mit dem Gemeinschaftsrecht vergleichbarer Rechtsschutz, welcher allerdings von einer Unterwerfungserklärung der Mitgliedstaaten gemäß Art 35 Abs 2 EUV abhängig ist. Darüber hinaus existiert auf Grund von Art 35 Abs 6 EUV auch die Möglichkeit der Erhebung einer Nichtigkeitsklage gegen Rahmenbeschlüsse und Beschlüsse des Rats; aktivlegitimiert zur Erhebung einer solchen Klage sind jedoch anders als nach Art 230 EGV nur die Mitgliedstaaten und die Kommission. Im Großen und Ganzen ist unter der Bedingung, dass ein im Einzelfall betroffener Mitgliedstaat eine Erklärung gemäß Art 35 Abs 2 EUV abgeben hat, von einem mit dem Gemeinschaftsrecht vergleichbaren Grundrechtsschutz auszugehen. Somit spricht, geht man mit dem EGMR von der grundsätzlichen Gleichwertigkeit des Grundrechtsschutzes der Gemeinschaften mit jenem der EMRK aus, auch im Bereich der PJZS eine Vermutung für die Konventionskonformität Vgl Art 26 Abs 1 des Übereinkommens aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union über die Errichtung eines Europäischen Polizeiamts (Europol-Übereinkommen), ABl v 27. 11.1995, C 316, 2. 965
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Anwendungsbereich der Grundrechte der Europäischen Union
des Vollzugsakts und der EGMR müsste eine Klage gegen einen Mitgliedstaat als unzulässig zurückweisen.966 b) GASP Anders ist die Situation bei mitgliedstaatlichen Maßnahmen zur Durchführung der GASP: Hier mangelt es dem EuGH gemäß den Gründungsverträgen der Union an jeglicher Überprüfungsmöglichkeit, womit kein mit der EMRK vergleichbarer Rechtsschutz vorliegt. Aus diesem Grund muss im Rahmen der GASP bei jeglichem Vollzugshandeln der Mitgliedstaaten eine subsidiäre Grundrechtskontrolle durch den EGMR bestehen. Eine Besonderheit im Bereich der GASP folgt aus Art 301 EGV, der gewissermaßen ein „Scharnier“ zwischen EGV und EUV bildet.967 Die Verhängung von Wirtschaftssanktionen beschließt der Rat demnach auf Vorschlag der Kommission mit qualifizierter Mehrheit. Voraussetzung für eine Beschlussfassung ist neben dem Kommissionsvorschlag aber stets, dass im Rahmen der GASP ein gemeinsamer Standpunkt oder eine gemeinsame Aktion im Hinblick auf die Aussetzung, die Einschränkung oder vollständige Einstellung der Wirtschaftsbeziehungen zu einem oder mehreren Drittstaaten angenommen worden ist.968 Fraglich könnte nun sein, ob es sich bei der Umsetzung des GASP- bzw des EG-Rechtsakts um gemeinschaftliche bzw unionsrechtliche Handlungen im Bereich der zweiten Säule handelt. Sowohl wenn der Rat als Unionsorgan gemäß Art 301 EGV eine Verordnung beschließt als auch wenn die Mitgliedstaaten einen entsprechende Verordnung vollziehen, handelt es sich um ein Handeln im Bereich des Gemeinschaftsrechts. In beiden Fällen kommt daher die Bosphorus-Formel zur Anwendung, wonach auf Grund des vergleichbaren Rechtsschutzes durch den EuGH im Ge966 Das Fehlen einer mit Art 230 Abs 4 EGV vergleichbaren Klagemöglichkeit natürlicher und juristischer Personen im Bereich der PJZS scheint dem insofern nicht entgegen zu stehen, als die Zulässigkeitsvoraussetzungen einer solchen Klage ohnehin äußerst restriktiv sind, siehe dazu etwa Obwexer, ecolex 2002, 854ff. 967 Cremer, Art 301 EGV, Rz 2. 968 Nach der bisherigen Praxis beschloss der Rat bisher nur Verordnungen und zwar stets auf Grundlage eines Gemeinsamen Standpunktes im Rahmen der GASP, vgl dazu und zu bisherigen Anwendungsfällen Cremer, Art 301 EGV, Rz 3ff; zur Problematik, dass durch Beschlüsse nach Titel V EUV das Gemeinschaftshandeln vorweggenommen bzw präjudiziert wird siehe Burghardt/Tebbe/Marquardt, Artikel 15 EU, Rz 5.
V. Grundrechtsschutz gegen den Vollzug von Unionsrecht
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meinschaftsrecht keine Zuständigkeit des EGMR zur Prüfung der Vollzugsakte besteht, sondern deren Konventionskonformität vermutet wird.969, 970 3. Bewertung Gegen Vollzugsakte der Mitgliedstaaten zur Durchführung von Unionsrecht besteht also ein zweigeteiltes Rechtsschutzregime durch den EGMR: Während sich dieser auf Grund der Vermutung der Konventionskonformität im Bereich der PJZS in der Regel für unzuständig zu erklären hat, kann er im Rahmen der GASP Durchführungsakte der Mitgliedstaaten am Maßstab der Konventionsrechte prüfen.
969 Fraglich ist dies aber dann, wenn der EuGH bzw das EuG eine Grundrechtsprüfung ablehnen, weil die EU-Verordnung ohne jeglichen Ermessensspielraum bloß zur Umsetzung entsprechender Sicherheitsratsresolutionen gemäß Kapitel VII SVN ergeht, siehe dazu im 5. Kap IV.B.4.c)dd). 970 Dagegen handelt es sich beim Beschluss des Rats über einen gemeinsamen Standpunkt gemäß Art 15 EUV (bzw über eine gemeinsame Aktion) um einen Unionsakt, der keiner Kontrolle durch den EuGH unterliegt. Auf Grund der Konstruktion der mittelbaren Verantwortung der Mitgliedstaaten und des fehlenden Rechtschutzes im Bereich der GASP könnte nun der EGMR einen solchen Rechtsakt prüfen bzw könnten die Mitgliedstaaten diesen unter Umständen als absolut nichtig qualifizieren: Fraglich ist, welche Auswirkungen eine Nichtigkeit auf den Bestand des nach Art 301 EGV beschlossenen Rechtsakts mit sich bringen würde.
Fünftes Kapitel: Auslandseinsätze des österreichischen Bundesheeres und Grundrechte Quis custodiet ipsos custodes? (Juvenal, Satura VI)
I. Einleitung In diesem Kapitel soll nun die bisher allgemein erörterte Frage der extraterritorialen Anwendbarkeit der Grundrechte am Beispiel der Auslandseinsätze des österreichischen Bundesheeres im Rahmen internationaler Friedensoperationen dargestellt werden, die sowohl qualitativ als auch quantitativ den bedeutendsten gegenwärtigen Anwendungsfall österreichischer Hoheitsgewalt im Ausland bilden. Gerade bei solchen Einsätzen ist die Frage einer Bindung an die Grundund Menschenrechte aber noch wenig geklärt und sieht sich vor allem in Militärkreisen mit Widerstand konfrontiert, der sowohl auf rechtliche als auch auf rechtspolitische Argumente gestützt wird.971 Zu Beginn dieses Abschnitts ist zu betonen, dass sich die Erscheinungsformen extraterritorialer Hoheitsakte – und folglich die Problematik der extraterritorialen Grundrechtsbindung – keineswegs auf Auslandseinsätze gemäß dem KSE-BVG beschränken, ganz im Gegenteil: Indirekt proportional zum Bedeutungsverlust nationaler Souveränität und der Staatsgrenzen nimmt die Anzahl und Vielfalt an Hoheitsakten im Ausland ständig zu. Neben der klassischen Tätigkeit konsularischer und diplomatischer Behörden972 und Formen zwischenstaatlicher Kooperationen bei der Zustellung von Postsendungen, Ladungen oder Haftbefehlen sowie bei der Zoll- und Grenzab971 Abgesehen von Angehörigen des Bundesheeres können außerdem auch Angehörige der Wachkörper des Bundes sowie andere Personen, die sich zur Teilnahme verpflichtet haben, zu Maßnahmen der Friedenssicherung, der humanitären Hilfe oder der Katastrophenhilfe sowie der Such- und Rettungsdienste ins Ausland entsendet werden (vgl § 1 iVm § 4 Abs 1 KSE-BVG). 972 Bei diesen wird die Bindung an die Grundrechte, obwohl sie im Ausland tätig werden, bejaht, vgl dazu Feik, ZÖR 1999, 19f unter Berufung auf VfSlg 13.723/ 1994 sowie Schöpfer, Extraterritoriale Wirkungen, 4ff.
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Auslandseinsätze des österreichischen Bundesheeres
fertigung (soweit diese noch nicht selbst Opfer des Grenzabbaus geworden ist) nehmen staatliche Organe auch immer öfter polizeiliche Aufgaben grenzüberschreitend wahr.973 In diesem wie in etlichen anderen Bereichen, etwa bei der vorgeschlagenen Betrauung nationaler Bankenaufsichtsbehörden mit enforcement jurisdiction im Ausland oder der Errichtung extraterritorialer (EU-)Asylauffanglager in sog sicheren Dritt- bzw Herkunftsstaaten, ist zweifelsohne die Europäische Union Motor hinter den transnationalen Auslandskompetenzen staatlicher Behörden.974 Ungeachtet dessen gibt es über den unionalen Rahmen hinaus zahlreiche sonstige bi- und multilaterale Projekte und Überlegungen, wie etwa die Entsendung von Fremdenpolizeibeamten oder Sicherheitsbeamten auf ausländische Flughäfen oder sogar den Betrieb von Strafvollzugsanstalten im Ausland. Außerdem kommt es, nicht zuletzt im „Kampf gegen den Terrorismus“, in diversen mehr oder weniger geplanten Konstellationen zur Setzung extraterritorialer Hoheitsakte wie etwa der Fall Al-Masri betreffend der Vernehmung eines von der CIA entführten Deutsch-Libanesen, der in Afghanistan angeblich von einem Beamten des deutschen Bundesnachrichtendienstes vernommen wurde, vor Augen führt.975 Die erwähnten Beispiele sind allesamt Erscheinungsformen extraterritorialer Hoheitsakte, die zahlreiche rechtliche und politische Implikationen aufweisen, wozu insb auch die Frage der Anwendbarkeit der Grund- und Menschenrechte im Ausland zu zählen ist. Im Rahmen der vorliegenden Abhandlung kann dazu jedoch nicht auf sämtliche Fälle gesondert eingegangen werden, stattdessen ist auf die allgemein gültigen Grundsätze zu verweisen. Für die jeweilige grundrechtliche Beurteilung sind diese in ähnlicher Weise heranzuziehen, wie dies hier exemplarisch an Hand der Auslandseinsätze des Bundesheeres getan wird. Im Folgenden soll daher nach einer kurzen Darstellung der Entwicklung der Auslandseinsätze des Bundesheeres die Frage der extSiehe dazu und insb zum PolKG näher unten IV.C.1.b). Siehe dazu auch B. Raschauer, FS Öhlinger, 661ff, der, auf den Begriff des transnationalen Verwaltungsakts abstellend, allerdings nicht an extraterritorialen Hoheitsakten als im Ausland gesetzten Hoheitsakten, sodern an inländischen Hoheitsakten mit extraterritorialer – in der Regel gemeinschaftsweiter – Wirkung anknüpft. 975 Vgl zB Grey, Das stille System der Auftragsfolter – Entführt, verhört, versteckt, Le Monde Diplomatique v 11. 5. 2005, 6f. 973 974
II. Grundlagen und Entwicklung der Auslandseinsätze
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raterritorialen Geltung der Grundrechte am Beispiel der Teilnahme österreichischer Soldaten an der Friedensoperation der KFOR – der bisher größten Beteiligung von Bundesheerangehörigen mit den umfangreichsten Befugnissen – dargestellt und problematisiert werden. Aus dem Umstand, dass Friedensoperationen so gut wie ausschließlich im Rahmen Internationaler Organisationen durchgeführt werden (im Falle der KFOR unter der Ägide der NATO), folgt dabei in einem ersten Punkt die Notwendigkeit der Klärung der Frage, ob die beteiligten Bundesheersoldaten überhaupt noch österreichische Hoheitsgewalt ausüben oder deren Tätigkeit bereits der jeweiligen den Einsatz leitenden Internationalen Organisation zuzurechnen ist. Danach ist die grundsätzliche Anwendbarkeit der Grundrechte bei Maßnahmen zur Friedenssicherung im Ausland zu prüfen; in diesem Zusammenhang bedarf es unter anderem der Untersuchung des Verhältnisses der Grund- und Menschenrechte zum humanitären Völkerrecht sowie der Rechtswirkungen von Resolutionen des VN-Sicherheitsrats. Schließlich soll auch dargestellt werden, auf welchem Wege sich Betroffene gegen eine mögliche Grundrechtsverletzung durch österreichische Soldaten im Ausland tatsächlich zur Wehr setzen können. Abschließend sind auf Grund ihrer ständig steigenden praktischen Bedeutung sodann die (grund)rechtlichen Rahmenbedingungen der im Bereich der ESVP entwickelten Kapazitäten zur Durchführung eigenständiger EU-Friedensoperationen zu untersuchen.
II. Grundlagen und Entwicklung der Auslandseinsätze A. Grundlagen der Teilnahme an Friedensoperationen Nachdem Österreich am 14. 12. 1955 als Mitglied der Vereinten Nationen aufgenommen worden war, beteiligte es sich 1960 mit der Entsendung eines Sanitätskontingents in den Kongo976 unter dem damaligen Außenminister Bruno Kreisky erstmals an einer Friedensoperation, die, wie anfangs sämtliche Missionen, im organisatorischen Rahmen der Vereinten Nationen durchgeführt wurde. Diesen Vorboten der aktiven Neutralitätspolitik Österreichs folgte in den anschließenden Jahrzehnten die Teilnahme an dutzenden Friedens976
Siehe dazu Schmidl, Going International, 38ff.
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Auslandseinsätze des österreichischen Bundesheeres
operationen; insgesamt haben bis heute rund 50.000 österreichische Soldaten an Auslandseinsätzen des Bundesheeres partizipiert.977 Die rechtliche Zulässigkeit solcher Einsätze basierte innerstaatlich eingangs auf dem BVG über die Entsendung österreichischer Einheiten zur Hilfeleistung in das Ausland auf Ersuchen internationaler Organisationen978, das 1997 durch das KSE-BVG979 ersetzt wurde. Auf völkerrechtlicher Ebene war lange Zeit problematisch, dass das sog peacekeeping bzw in umfassenderer Terminologie die Durchführung von Friedensoperationen in der SVN nicht ausdrücklich vorgesehen war. Mittlerweile ist die völkerrechtliche Zulässigkeit solcher Operationen aber nach hL und auch nach Ansicht des IGH980 unbestritten und wird aus den implied powers bzw den Funktionen der VN abgeleitet.981
B. Wandel der internationalen Durchführung von Friedensoperationen in organisatorischer und funktioneller Hinsicht Vor allem seit dem Ende des Kalten Krieges hat sich das bis dahin traditionelle peacekeeping sowohl organisatorisch als auch funktionell dynamisiert und flexibilisiert, was zu einem erheblichen Teil auf die Annäherung der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats der VN zurückzuführen ist. Einerseits lässt sich infolge der veränderten geopolitischen Lage eine Entwicklung dahin gehend feststellen, dass zunehmend Systeme kooperativer Sicherheit wie insb OSZE oder solche kollektiver Verteidigung wie NATO982 und regionale Organi977 Vgl für einen umfassenden Überblick über die österreichischen Auslandseinsätze Schmidl, Going International; ders, Friedensoperationen; Hornung, Österreichs Beteiligung; Woutsas, Int’l Peacekeeping 1994, 22f. 978 BGBl 1965/173. 979 BVG über Kooperation und Solidarität bei der Entsendung von Einheiten und Einzelpersonen in das Ausland, BGBl I 1997/38; siehe dazu oben 2. Kap III.B.2. sowie Primosch/Siess-Scherz, KSE-BVG, 11ff. 980 Vgl IGH, Bestimmte Ausgaben der Vereinten Nationen, Rechtsgutachten v 20. 7. 1962, ICJ Reports 1962. 981 Siehe Bothe, Peace-keeping, in: UN-Charter Commentary, Rz 83ff mwN; Suy, UN Peacekeeping System, in: EPIL IV, 1143f; Verdross/Simma, Völkerrecht, § 257. 982 Dies hängt insb mit der neue Rolle der NATO nach dem Fall des Eisernen Vorhangs zusammen; vgl The Alliance’s Strategic Concept agreed by the Heads of State and Government participating in the meeting of the North Atlantic Council v
II. Grundlagen und Entwicklung der Auslandseinsätze
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sationen wie EU983 oder AU die Aufgabe der Durchführung von Friedensoperationen der VN übernehmen, deren Tätigkeit sich sodann auf die Autorisierung solcher Einsätze durch Resolutionen des Sicherheitsrats beschränken kann. Die rechtliche Grundlage dieser Praxis bildet Art 53 Abs 1 SVN, wonach „regionale Abmachungen oder Einrichtungen zur Durchführung von Zwangsmaßnahmen“ vom Sicherheitsrat ermächtigt werden können,984 was als Kompromiss zwischen dem universalistischen Anspruch des VN-Friedenssicherungssystems und der regionalistischen Konzeption einzelner Staaten bzw Staatengruppen zu verstehen ist.985 Zu den Regionalorganisationen gemäß Art 53 SVN zählen dabei heute nicht mehr bloß klassische regionale Zusammenschlüsse wie EU, AU, OAS oder die Liga der Arabischen Staaten, sondern auch „regional organizations for mutual security and defence“986 wie WEU und NATO.987 Art 53 SVN bietet dem Sicherheitsrat insgesamt eine weitere Modalität zur Durchsetzung von Zwangsmaßnahmen, zB im Wege einer Friedensoperation, die aber auch von Regionalorganisationen bzw Staatengruppen nach Art 52 SVN stets nur bei Vorliegen einer entsprechenden Autorisierung durch den Sicherheitsrat vollzogen werden darf.988 Rezente Anwendungsfälle der zunehmenden Anzahl an von Regionalorganisationen durchgeführten Friedensoperationen bilden zB die NATO-Einsätze der IFOR/SFOR in Bosnien-Herzegowina zur Implementierung des Dayton-Abkommens und der KFOR im Kosovo sowie neuerdings die EU-Missionen im Kongo (EUFOR Artemis bzw Unterstützung von MONUC) und in Mazedonien (EUFOR 8. 11. 1991 in Rom und dabei insb Z 31 ff (Management of crisis and conflict prevention); vgl zur Friedenssicherung im Rahmen der NATO Blanck, ESVP, 56ff. 983 Der entscheidende Impuls zur Konkretisierung einer europäischen Sicherheitsund Verteidigungspolitik erfolgte am britisch-französischen Gipfel von St. Malo am 4. 12. 1998 und wurde am Europäischen Ratsgipfel von Köln vom 3./4. 6. 1999 in den Kontext der EU gestellt und auf den folgenden Ratsgipfeln konkretisiert, vgl zur Entwicklung Blanck, ESVP, 110ff. 984 Bothe, Peace-keeping, in: UN-Charter Commentary, Rz 127ff. 985 Vgl Hummer/Schweitzer, Article 52, in: UN-Charter Commentary, Rz 3f. 986 So VN-GS Boutros-Ghali, An Agenda for Peace, VN-Dok. A/47/277-S/24111, 17. 6. 1992, Kapitel VII, 63, dem zufolge auch die Völkerrechtssubjektivität als Voraussetzung für die Anerkennung als Regionalorganisation keine Notwendigkeit mehr darstellen würde. 987 Ress/Bröhmer, Article 53, in: UN-Charter Commentary, Rz 8f. 988 Vgl Blanck, ESVP, 32ff.
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Auslandseinsätze des österreichischen Bundesheeres
Concordia), die Übernahme der SFOR-Agenden von der NATO durch die EU in Bosnien (EUFOR Althea989) sowie EUFOR Tchad/ RCA.990 Neben diesem organisatorischen Wandel kam es in den vergangenen Jahren insb als Konsequenz aus dem untätigen Zusehen der VN-Blauhelme bei den Massakern in Ruanda 1994, Srbrenica 1995 und Sierra Leone 2000 auch zu einem funktionellen Wandel der Durchführung von Friedensoperationen. Dies hat dazu geführt, dass der Sicherheitsrat der VN – anders als noch nach dem „klassischen“ Peacekeeping991 – nunmehr die Mandate zur Durchführung wesentlich „robuster“ ausstattet, indem er den beteiligten Streitkräften zusehends auch die Gewaltanwendung zur Konfliktlösung bzw Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit überträgt und diese somit nicht mehr auf die bloße Selbstverteidigung beschränkt (robust peace operations);992 verstärkt werden den Streitkräften der Entsen989 Zur Übernahme von NATO-Aufgaben durch die EU auf dem Balkan im Rahmen der ESVP vgl Schwegmann, EU-Friedensmission auf dem Balkan, 5ff und unten V.B.2.a). 990 Zu den Einsätzen der KFOR siehe näher unten III. 991 Darunter wird nach überwiegender Ansicht die als Mittel der friedlichen Streitbeilegung im Sinne von Kapitel VI der SVN angewandte Trennung der Truppen der Konfliktparteien sowie Überwachung eines Waffenstillstandsabkommens verstanden. Diese neutrale und sanfte Form der Friedenssicherung stellte gerade in der Ära des Kalten Krieges den kleinsten gemeinsamen Nenner der Staatengemeinschaft dar, die Tendenz zum stärkeren Einsatz von Waffengewalt der Friedenstruppen korrespondiert somit ganz essentiell auch mit den geopolitischen Veränderungen zu Beginn der 1990er-Jahre. 992 Beginnend mit der durch SR-Resolution 814 (1993) v 26. 3. 1993 eingerichteten Mission UNOSOM II, vgl dazu Erberich, Auslandseinsätze, 96ff. Siehe insb auch Z 7 iVm Z 4 Annex 2 von SR-Resolution 1244 (1999), welcher die KFOR zur Erfüllung ihrer in Z 9 angeführten Verantwortlichkeiten zur Anwendung von ‘all necessary means’ ermächtigt, was in der VN-Terminologie die Anwendung militärischer Gewalt mit einschließt; ähnlich bereits Z 17 SR-Resolution 1031 (1995) zur Errichtung von IFOR: „Authorizes Member States to take all necessary measures…to assist the force in carrying out its mission…“; sehr klar auch die Wortwahl des Mandats der multinationalen Eingreiftruppe für Haiti in Z 6 der SR-Resolution 1529 (2004): „Authorizes the Member States participating in the Mulinational Interim Force in Haiti to take all necessary measures to fulfil its mandate;“. Angesichts solcher Mandate zur uneingeschränkten Gewaltanwendung ergeht die Autorisierung solcher Friedensoperationen daher im Regelfall nur mehr unter Kapitel VII der SVN; vgl auch Schrimpf, Truppendienst 4/2005, der von einem Übergang vom traditio-
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destaaten im Rahmen der VN oder einer Regionalorganisation wie der NATO daher nunmehr auch polizeiähnliche Aufgaben übertragen.993 Den Anstoß für diese Modifizierung der Durchführung der Friedensoperationen bildeten einerseits die ‘Agenda für den Frieden’994, die von VN-GS Boutros-Ghali 1992 auf Aufforderung des Sicherheitsrats hin vorgelegt und vor dem Hintergrund der Ereignisse im ehemaligen Jugoslawien 1995 durch ein supplement 995 ergänzt worden war, sowie andererseits die Änderungsvorschläge des Brahimi-Reports996 des von VN-GS Annan im März 2000 eingesetzten Expertenkomitees zur Evaluierung der VN-Aktivitäten im Rahmen der Friedenssicherung.997 VN-GS Boutros-Ghali entwickelte in seiner Agenda für den Frieden und dem dazugehörigen supplement vier Kategorien der Friedenssicherung:998 Präventive Diplomatie (preventive diplomacy) und als sämtliche (vertrauensbildende) Maßnahmen friedlicher Streitbeilegung gemäß Kapitel VI SVN, die dem Ausbruch eines bewaffneten Konflikts bzw der Eskalation von Gewalt entgegenwirken Friedensschaffung (peacemaking) bzw Friedensdurchsetzung (peace-enforcement), die den Einsatz militärischer Gewalt etwa nellen zum multidimensionalen Peacekeeping spricht und Johnstone, in: Global Peace Operations 2006, 2ff. 993 ZB Personen- und Hausdurchsuchungen und Festnahmen, vgl Dreist, NZWehrr 2002, 49ff; Krieger, ZaöRV 2002, 696; vgl auch Schmidl, Police in Peace Operations. 994 An Agenda for Peace, VN-Dok. A/47/277-S/24111, 17. 6. 1992; vgl zur Änderung der Aufgaben in PKO in den 1990er-Jahren auch Childers, Temp. Int’l & Comp. L.J. 1994, 117ff. 995 Supplement to an Agenda for Peace, Positionspapier des VN-GS v 3. 1. 1995, VN-Dok. A/50/60-S/1995/1. 996 Report of the Panel on United Nations Peace Operations, VN-Dok. A/55/305 – S/2000/89, 17. 8. 2000, benannt nach dessen Vorsitzendem, dem ehemaligen algerischen Außenminister Lakhdar Brahimi; vgl Griep, Vereinte Nationen 2002, 61ff; Schmidl, Brahimi-Report; Zittel, Journal of Int’l Affairs, 501ff. 997 Zur Rechtsnatur dieser Dokumente siehe Blanck, ESVP, 39ff, derzufolge es sich sowohl bei der Agenda für den Frieden als auch beim Brahimi-Report trotz der formellen Annahme durch die Generalversammlung bzw durch den Sicherheitsrat und die Generalversammlung bloß um unverbindliche Empfehlungen handeln soll. 998 Siehe zu den Kategorien näher Hirschmugl, Auslandseinsatz, 120ff; Schmidl, Going International, 23ff.
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Auslandseinsätze des österreichischen Bundesheeres
zur zwangsweisen Entwaffnung der Konfliktparteien gemäß Kapitel VII SVN einschließt Friedenserhaltung (peacekeeping) als Stationierung von Beobachtungsgruppen, militärischen Friedensstreitkräften und Polizeikräften zur Überwachung eines Konflikts bzw Waffenstillstands (Kapitel VI) Friedenskonsolidierung (post-conflict peace-building) als Begriff für sämtliche Maßnahmen zur Schaffung längerfristiger Stabilität, um einem Wiederaufflammen der Gewalt entgegenzuwirken (Kapitel VI)999 Die dargelegte Entwicklung wird vom Brahimi-Report gestützt, der zum Schluss kommt, dass eine professionelle und erfolgreiche Auftragserfüllung durch die Friedensstreitkräfte nur durch im Vorhinein klar vorgezeichnete Voraussetzungen der Gewaltanwendung, insb auch zum Schutz von Zivilpersonen, möglich sein kann.1000 Diesen Anforderungen ist der Sicherheitsrat in zahlreichen der jüngeren Mandate zur Durchführung der Friedensoperationen, wie bereits exemplifiziert, nachgekommen. Aus diesem Grund scheint es auch unzutreffend die dargestellten Einsatzformen von Streitkräften, wie weithin aber noch verbreitet, unter dem Gesamtbegriff Peacekeeping bzw Peacekeepingoperationen (PKO) zu bezeichnen;1001 vielmehr sollen solche Einsätze in dieser Arbeit generell als Friedensoperationen deklariert werden, unter welchen das Peacekeeping 999 Im Schrifttum werden diese Formen des Peacekeeping auch als verschiedene Generationen von Peacekeepingoperationen (PKO) bezeichnet, wobei die Einteilungen zuweilen variieren: Häufig wird zwischen den „traditionellen“ PKO der ersten Generation, den PKO der zweiten Generation (neben militärischen auch politische, vor allem administrative Funktionen) und solchen der dritten Generation (friendenserzwingende PKO mit Gewaltanwendung) unterschieden, vgl Neuhold, Grundregeln, in: Handbuch, Rz 1852ff. 1000 Report of the Panel on United Nations Peace Operations, VN-Dok A/55/305 – S/2000/89, 17. 8. 2000 (Brahimi-Report). 1001 Die Schwierigkeit einer messerscharfen Abgrenzung der Begriffe bestätigt auch BVerfGE 90, 286, 387f (Somalia-Einsatz): „Eine unterschiedliche Behandlung der verschiedenen Einsatzformen von Friedenstruppen verbietet sich, weil die Grenzen zwischen den traditionellen Blauhelmeinsätzen und solchen mit der Befugnis zu bewaffneten Sicherungsmaßnahmen in der Realität fließend geworden sind. Auch wird der Begriff der Selbstverteidigung, die schlichten Friedenstruppen erlaubt ist, bereits in einem aktiven Sinne dahin definiert, daß sie auch den Widerstand gegen gewaltsame Versuche einschließt, die Truppen an der Ausführung ihres Auftrages zu hindern...“.
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neben insb den friedenserzwingenden- und konsolidierenden Operationen unter Einsatz von Gewaltmitteln weiterhin eine ganz wesentliche Kategorie darstellt.1002 In diesem Sinne umfassen Friedensoperationen sämtliche „Maßnahmen zur Friedenssicherung“ iSv § 1 Z 1 KSE-BVG.1003 Vor allem die erläuterte Erweiterung der Friedensoperationen hin zu „robusteren“ Mandaten erfolgte Hand in Hand mit den oben dargestellten Veränderungen der organisatorischen Rahmenbedingungen, wobei sich folgender Trend feststellen lässt: Während die VN weiterhin den institutionellen Rahmen zur Durchführung klassischer PKO zur Verfügung stellen, wird die heiklere Aufgabe der friedenserzwingenden Einsätze in der Regel auf ad hoc-Staatenkoalitionen1004 bzw Regionalorganisationen quasi ausgelagert.1005 Deren im Vergleich zu VN-Truppen wesentlich stärkere Einsatzbereitschaft basiert in erster Linie auf der militärischen Vormachtstellung der USA, die unter den Regionalorganisationen der NATO eine Vorreiterrolle zukommen lässt. Demgegenüber finden sich die Friedensoperationen der ESVP noch in einer Aufbau- und Entwicklungsphase.1006 Insgesamt zeichnet sich also immer deutlicher eine Aufgabenteilung der folgenden Art ab: Die VN übernehmen die Rolle bei der präventiven Diplomatie und Konfliktverhütung, Staatenallianzen bzw Regionalorganisationen wie NATO und EU schicken Einsatztruppen zur Friedenserzwingung unter Anwendung von Waffengewalt; in der Phase des post-conflict peace-building fällt wiederum den VN die Hauptrolle zu (unter Beteiligung insb der EU und der OSZE). Nach1002 Mit Krieger, ZaöRV 2002, 673ff soll im Folgenden bei der Unterteilung solcher Friedensoperationen somit zwischen friedenserzwingenden, friedenskonsolidierenden und friedenserhaltenden Maßnahmen unterschieden werden. 1003 Die ErläutRV 503 BlgNR 20.GP, 7 sprechen von der Entsendung von Personen in das Ausland zum Zwecke der solidarischen Teilnahme an internationalen Maßnahmen der Friedenssicherung, an Maßnahmen der humanitären Hilfe und der Katastrophenhilfe, an Maßnahmen der Such- und Rettungsdienste sowie an entsprechenden Übungen und Ausbildungsmaßnahmen. 1004 Wie etwa im Gefolge der Anschläge vom 11. September 2001 in den USA bei der Afghanistan-Operation ‘Enduring Freedom’, die durch eine von den USA angeführte Staatengruppe durchgeführt und durch Art 51 SVN iVm SR-Resolution 1368 (2001) und SR-Resolution 1373 (2001) von den VN autorisiert wurde. 1005 Vgl Schmidl, Friedensoperationen, 2. 1006 So erfolgen die gegenwärtigen EUFOR-Missionen zu einem großen Teil gemäß der ‘Berlin Plus’-Vereinbarung zwischen der NATO und der EU unter Rückgriff auf NATO-Kapazitäten und Fähigkeiten, vgl dazu Reichard, NJIL 2004, 37ff.
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dem sich die robusteren Mandate zur Friedenserzwingung in den vergangenen Jahren bewährt haben, liegt im Bereich der Friedenskonsolidierung und Schaffung dauerhafter rechtsstaatlicher Strukturen gegenwärtig auch das Hauptaugenmerk der Verbesserungsbemühungen.1007 Dementsprechend haben sich die VN-Mitgliedstaaten im Rahmen des VN-Reformgipfels 2005 auf die Schaffung einer Peacebuilding Commission (PBC) geeinigt,1008 die mittlerweile durch Resolutionen der Generalversammlung und des Sicherheitsrats errichtet wurde.1009 Aufgaben der PBC, welche die VN-Kapazitäten in den Bereichen Konfliktverhütung, Mediation, Peacekeeping, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, humanitäre Hilfe, Wiederaufbau und langfristiger Entwicklung bündeln soll, sind unter anderem die Ausarbeitung von Strategien für post-conflict peacebuilding und Konsolidierung, die Aufstellung entsprechender Finanzpläne für den Wiederaufbau, die Entwicklung von best practices im Bereich der politischen, militärischen, humanitären und wirtschaftlichen Zusammenarbeit sowie die Gewährleistung der Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft auch nach Beendigung eines bewaffneten Konfliktes.1010
C. Rechtliche Rahmenbedingungen 1. Völkerrechtliche Regelungen Lange Zeit galt die Zustimmung aller Konfliktparteien nahezu axiomatisch als unabdingbare Voraussetzung zur Durchführung einer Friedensoperation.1011 Mit deren skizzierter Dynamisierung in organisatorischer und funktioneller Hinsicht wurde dieser Standpunkt allerdings aufgeweicht und gilt heute uneingeschränkt nur mehr bei klassischen friedenserhaltenden Missionen,1012 während bei robusteren, von Staatengruppen oder Regionalorganisationen durchgeführten Zum State-Building als vierter Generation der Peacekeeping Operationen siehe zB Payandeh, HumVR 2005, 255ff. 1008 GV Resolution 60/1 (2005). 1009 GV Resolution 60/180 (2005); SR-Resolution 1645 (2005) und SR-Resolution 1646 (2005). 1010 Vgl SR-Res 1645 (2005) sowie http://www.un.org/peace/peacebuilding/ sowie Huber, Peacebuilding Commission, 157ff. 1011 Vgl nur Verdross/Simma, Völkerrecht, § 256. 1012 Bothe, Peace-keeping, in: UN-Charter Commentary, Rz 113. 1007
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Einsätzen das Plazet der betroffenen Partei(en) auf Grund der Autorisierung durch den VN-Sicherheitsrat unter Kapitel VII SVN zur Anwendung aller erforderlichen Mittel auch unterbleiben kann.1013 In der Praxis wie zB bei den Einsätzen von IFOR/SFOR oder der KFOR liegt eine entsprechende Einwilligung (wenn auch häufig auf internationalen Druck hin) in der Regel immer noch vor und die jeweilige Organisation bzw multinationale Einheit schließt mit dem betroffenen Staat (host State) ein Abkommen;1014 in einem solchen werden einerseits die Aufgaben und Funktionen der an der Friedensoperation teilnehmenden Soldaten geregelt sowie andererseits der Status der Streitkräfte samt deren Privilegien und Immunitäten festgelegt.1015 Wie dargestellt, begnügen sich die VN in jüngerer Zeit immer häufiger mit der Autorisierung einer Friedensoperation durch den Sicherheitsrat, überlassen deren Durchführung sodann aber entweder einer Regionalorganisation oder einer ad hoc Staatengruppe. Deren modi operandi können unterschiedlich ausgestaltet sein.1016 Der Praxis der VN nach obliegt es heute der alleinigen Zuständigkeit des Sicherheitsrats Friedensoperationen einzusetzen.1017 Anders als bloße VN-Beobachter bestehen die Streitkräfte einer Friedensmission aus nationalen Einheiten, die eine kennzeichnende nationale Identität innerhalb der VN-Mission beibehalten. Vom Sicherheitsrat errichtet, unterstehen die peacekeepers sodann der Leitung des VN-Generalsekretärs und insb dem Department for Peacekeeping Operations Ibid, Rz 147. Siehe etwa das militärisch-technische Abkommen zwischen der FRY, der Serbischen Republik und der International Security Force („KFOR“) vom 9. 6. 1999, UN-Doc S/1999/682 v 15. 6. 1999, 3ff; abrufbar unter http://www.nato.int/kosovo/ docu/a990609a.htm. 1015 Darüber hinaus schließen die Entsendestaaten mit der jeweiligen Organisation sog Status-of-Forces-Agreements (SOFA), in welchen sich die Entsendestaaten die Jurisdiktion über ihre Streitkräfte vorbehalten, vgl das UN Model Status of Forces Agreement, UN Doc A/45/594, das auf die Konvention über Privilegien und Immunitäten der Vereinten Nationen v 13. 2. 1946, 1 UNTS 15 sowie BGBl 1957/126, verweist; beide Dokumente sind abgedruckt in Primosch/Siess-Scherz, KSE-BVG, 180ff; 207ff. 1016 Zum Einsatz der KFOR siehe unten III. 1017 Zu den Ausnahmen UNEF I und UNTEA, die durch die Generalversammlung eingesetzt wurden, vgl Bothe, Peace-keeping, in: UN-Charter Commentary, Rz 88ff; zum Verhältnis von Generalversammlung und Sicherheitsrat in Friedenssicherungsangelegenheiten siehe jüngst Schreuer/Binder, FS Delbrück, 639ff. 1013 1014
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(DPKO), weshalb die einzelnen PKO von den VN selbst nicht als Suborgan des Sicherheitsrats sondern allgemein als ‘subsidiary organ of the United Nations’ qualifiziert werden.1018 Zur näheren Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen VN und Entsendestaaten schließen diese vor dem Beginn einer PKO entsprechende Vereinbarungen ab.1019 Darin behalten sich die Truppen stellenden Staaten in unterschiedlichem Ausmaß bestimmte Rechte, insb die Ausübung der Disziplinar- und Strafgewalt über ihre Soldaten, vor,1020 anerkennen aber grundsätzlich das Kommando des VN-Generalsekretärs bzw des von diesem ernannten ‘Head of Mission’ über ihre nationalen Streitkräfte, welche jedoch auch während der Teilnahme an der PKO „in their national service“ verbleiben.1021 2. Innerstaatliche Rechtsvorschriften a) Auf Ebene des Verfassungsrechts Auf verfassungsrechtlicher Ebene besteht mit dem KSE-BVG, welches das sog Entsende-BVG 1965 abgelöst hat und Art 23f B-VG ein Sonderregime, das bereits oben im Rahmen der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit extraterritorialer Hoheitsakte dargestellt wurde.1022 b) Einfachgesetzlich Daneben finden zahlreiche einfachgesetzliche Regelungen auf Auslandseinsätze Anwendung. Bestimmte vor dem In-Kraft-Treten des KSE-BVG § 5 Entsende-BVG noch, dass durch Verordnung der Bundesregierung geregelt werden konnte, welche österreichischen Rechtsvorschriften die Mitglieder einer Einheit im Ausland anzuwenden haben, so verzichtete man – auf Grund des Umstands, dass von § 5 Entsende-BVG nie Gebrauch gemacht wurde – im KSEBVG auf eine Übernahme dieser VO-Ermächtigung. Somit scheint Bothe, Peace-keeping, in: UN-Charter Commentary, Rz 93. Diese orientieren sich am vom VN-GS 1991 ausgearbeiteten Draft Model Agreement, UN Doc A/46/185. 1020 Vgl Art VIII Draft Model Agreement, UN Doc A/46/185. 1021 Vgl Art V Draft Model Agreement, UN Doc A/46/185; vgl Siekmann, National Contingents, 126f. 1022 Siehe oben 2. Kap III.B.2.; zu den Regelungen des KSE-BVG am Beispiel des KFOR-Einsatzes vgl IV.5.b). 1018 1019
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aber auch dem KSE-BVG der Grundsatz immanent zu sein, dass es Rechtsvorschriften gibt „die schon nach der bestehenden Rechtslage auch im Ausland oder auf im Ausland gesetzte Tatbestände anzuwenden sind.“1023 Zu diesen Rechtsvorschriften zählen jedenfalls bestimmte Regelungen des StGB, des bürgerlichen Rechts sowie des öffentlichen Dienstrechts. Zudem bestehen mit dem Auslandseinsatzgesetz1024 und dem Auslandszulagen- und Hilfeleistungsgesetz1025 weitere spezielle einfachgesetzliche Rechtsgrundlagen.
D. Die Entwicklung der Teilnahme österreichischer Bundesheersoldaten an Friedensmissionen Die Beteiligung österreichischer Bundesheersoldaten an Friedensoperationen spiegelt im Kleinen den oben dargestellten Wandel der Durchführung internationaler Friedensoperationen wider: Erfolgte der Einsatz österreichischer Soldaten bis in die 1990er-Jahre ausschließlich im Rahmen der VN, so hat sich dies, beginnend mit den Einsätzen im ehemaligen Jugoslawien,1026 geändert und wird heute insb um die Teilnahme im Rahmen der NATO-Partnerschaft für den Frieden (NATO-PfF) sowie neuerdings auch an EUFOR-Missionen bedeutend erweitert. Seit 1995, dem Beitrittsjahr Österreichs zur NATO-PfF, haben mittlerweile mehr als 10.000 Bundesheersoldaten im Rahmen der Partnerschaft für den Frieden bei von der NATO geführten Operationen (vorwiegend IFOR/SFOR bzw KFOR1027) teilgenommen.1028 Darüber hinaus beteiligen sich österreichische Soldaten seit 2003 an den im Rahmen der ESVP lancierten EUFORSo die ErläutRV 633 BlgNR 10. GP, 6f. BG über die Entsendung von Soldaten zur Hilfeleistung in das Ausland (AuslEG 2001), BGBl I 2001/55. 1025 BG über Auslandszulagen und besondere Hilfeleistungen bei Entsendungen auf Grund des Bundesverfassungsgesetzes über Kooperation und Solidarität bei der Entsendung von Einheiten und Einzelpersonen in das Ausland (AZHG), BGBl I 1999/66. 1026 Konkret mit der Entsendung von Zollbeamten nach Rumänien 1992 zur Überwachung der Sanktionen der EU gegen Jugoslawien im Zuge der Operation SAM und der Entsendung von Diplomaten und Militärs als Beobachter ins ehemalige Jugoslawien 1995 (Operation ECMM). 1027 Zum KFOR-Einsatz siehe näher gleich unten III. 1028 Vgl dazu ‘Die Partnerschaft für den Frieden und das österreichische Bundesheer’, Truppendienst, 2005 (Ausgaben 1 – 4), abrufbar unter http://www.bmlv.gv. at/truppendienst/ausgaben/archiv.php?jahr=2005. 1023 1024
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Missionen wie etwa EUFOR Concordia in Mazedonien (beendet im Dezember 2003) oder EUFOR Althea in Bosnien und Herzegowina.1029 Im Zuge der Beteiligung am Aufbau rasch einsatzbarer Gefechtsverbände für ad hoc-Missionen in Krisenregionen und des weiteren Ausbaus der ESVP-Kapazitäten ist auch zukünftig eine zunehmende Verlagerung des Schwergewichts auf EU-Friedensoperationen zu erwarten. Dementsprechend beteiligt sich Österreich seit Anfang 2008 auch mit 179 Soldaten an der EUFOR Tchad/RCA. Mit diesen Veränderungen der organisationsrechtlichen Rahmenbedingungen haben sich aber auch die inhaltlichen Aufgaben der Bundesheersoldaten im Auslandseinsatz erweitert. Übernahm Österreich bei den VN-Einsätzen in der Vergangenheit ebenso wie heute beinahe ausschließlich Beobachtungs- und Überwachungsfunktionen sowie die Koordinierung von Hilfslieferungen,1030 bei denen der Einsatz von Waffengewalt einzig und allein zur Selbstverteidigung rechtmäßig war, gestatten die robusteren Mandate der KFOR bzw EUFOR auch Bundesheersoldaten eine weitergehende Gewaltanwendung zur Erfüllung der Ziele der Mission. Gerade diese Erweiterung der legitimen Einsatzmittel hin zur Übernahme quasi-polizeilicher Aufgaben sowie die im Rahmen der Petersberg-Aufgaben anvisierten und von den zukünftigen battle groups, an denen sich Österreich beteiligen wird,1031 durchzuführenden Kampfeinsätze machen allerdings, anders als bei den traditionellen Beobachter- und Überwachungsmissionen, die Frage der Anwendbarkeit der Grund- und Menschenrechte im Zuge solcher Friedensoperationen besonders virulent. Ihr soll daher an dieser Stelle an Hand der Darstellung des qualitativ wie quantitativ umfangreichsten der gegenwärtig insgesamt 15 Auslandseinsätze1032 des Bundesheers, nämlich jenem im Rahmen der KFOR nachgegangen werden. Dazu sollen im Folgenden zunächst die (rechtlichen) Grundlagen dieser Mission kurz erläutert werden. Siehe näher unten V.B.2. Vgl zB die seit 1974 laufende Teilnahme an den Operationen UNFICYP (Überwachung des Zypern-Konflikts) und UNDOF (Überwachung der Golanhöhen), an denen bisher mehr als 35.000 Bundesheersoldaten teilgenommen haben und die somit die beiden größten österreichischen Auslandsmissionen darstellen. 1031 Laut dem Regierungsprogramm der Österreichischen Bundesregierung für die XXII. Gesetzgebungsperiode, Kapitel 3, 5, soll sich Österreich insgesamt mit ca 1.500 Soldaten am militärischen Planungsziel der EU beteiligen. 1032 Stand: August 2008, siehe http://www.bmlv.gv.at/ausle/index.shtml. 1029 1030
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III. Die Teilnahme von Bundesheersoldaten an der KFOR A. Grundlagen und rechtlicher Rahmen der KFOR Nachdem das bei den Friedensverhandlungen in Rambouillet vom 6. – 23. 2. bzw. 15. – 18. 3. 1999 ausgehandelte Abkommen zur Beilegung des Kosovo-Konflikts zwar von den Kosovo-Albanern, nicht aber vom serbischen Präsidenten Miloševiü unterzeichnet worden war, führte die NATO – auf Grund der ablehnenden Haltung Chinas und Russlands ohne Autorisierung des VN-Sicherheitsrats – vom 23. 3. – 9. 6. 1999 Luftangriffe gegen serbische Stellungen und Einrichtungen durch.1033 Nach Unterzeichnung eines militärisch-technischen Übereinkommens zwischen der ehemaligen Bundesrepublik Jugoslawien (FRY) und der NATO am 9.6.19991034 setzte der Sicherheitsrat am Tag darauf die multinationale Kosovo Force (KFOR) unter Führung der NATO-Allianz ein, der „with all necessary means“ die Erfüllung der in Z 9 SR-Resolution 1244 (1999) festgelegten Aufgaben und Verantwortlichkeiten obliegen.1035 Letztere umfassen in erster Linie die Aufrechterhaltung und gegebenenfalls Erzwingung des Waffenstillstands, die Sicherstellung des Rückzugs aller serbischen militärischen und paramilitärischen Kräfte, die Entwaffnung der UCK, die Schaffung eines sicheren Umfelds für die Rückkehr der Flüchtlinge und für die Tätigkeit der internationalen Zivilverwaltung sowie die Überwachung der Minenräumung bis diese Aufgabe von internationalen zivilen Kräften übernommen werden kann.1036 Gleichzeitig errichtete der Sicherheitsrat mit der United Nations Interim Administration Mission in Kosovo (UNMIK)1037 Die völkerrechtliche Zulässigkeit der NATO-Luftschläge ist bis heute umstritten, vgl aus der zahlreichen Literatur zB Thürer, AVR 2000, 1ff; Uerpmann, in: Kosovo and the International Community, 65ff; Flauss, in: Kosovo and the International Community, 87ff. 1034 UN-Doc S/1999/682 v 15, 6, 1999, 3ff. 1035 Z 7 iVm Z 4 Annex 2 der SR-Resolution 1244 (1999) v 10. 6. 1999. 1036 Z 9 SR-Resolution 1244 (1999) v 10. 6. 1999; vgl auch Gowan, in: Global Peace Operations 2006; Schmidl, Going International, 135ff. 1037 Die Hauptaufgabe der UNMIK als legislativer, administrativer und judikativer Behörde für den Kosovo liegt im Wiederaufbau der Infrastruktur und dem Aufbau einer funktionierenden Selbstverwaltung. Sie ist in vier Bereiche bzw „Säulen“ untergliedert: Zivile Verwaltung (VN), humanitäre Hilfe (UNHCR), Demokratisierung und Wiederaufbau (OSZE) sowie Wiederaufbau (EU); vgl zur VN-Übergangs1033
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auch eine zivile Präsenz, von der im damals noch zur ehemaligen Bundesrepublik Jugoslawien gehörenden, bis 1989 autonomen Provinz Jugoslawiens bis zur endgültigen Entscheidung über deren zukünftigen Status sämtliche Hoheitsgewalt ausgehen sollte.1038 Trotz der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo am 17. Februar 2008 besteht UNMIK vorerst weiter; die Kompetenzen sollen aber schrittweise auf die EU-Rechtsstaatlichkeitsmission EULEX Kosovo übertragen werden. Bislang haben 46 Staaten den Kosovo anerkannt.1039 Zudem galt im Kosovo auch unter der UNMIK jugoslawisches Recht weiter, soweit es nicht gegen Menschenrechtsstandards oder andere völkerrechtliche Grundsätze verstößt;1040 darüber hinaus war das durch UNMIK Regulations festgelegte Recht anzuwenden: So wurde durch Regulation 1999/24 eine Reihe internationaler und regionaler Menschenrechtsübereinkommen für anwendbar erklärt, unter denen auch die EMRK enthalten ist.1041 Art. 22 des Entwurfs der Verfassung des Kosovo übernimmt explizit die Anordnung der unmittelbaren Anwendbarkeit dieser Menschenrechtsinstrumente.1042 Ob auch die Einheiten der KFOR an diese Menschenrechtsinstrumente gebunden sind, ist aber nicht ausdrücklich geregelt und muss daher im Wege der Auslegung ermittelt werden.1043 Den rechtlichen Rahmen für den KFOR-Einsatz bildet neben der weiterhin in Kraft befindlichen SR-Resolution 1244 (1999) vor allem das erwähnte militärisch-technische Abkommen zwischen der FRY, der Serbischen Republik und der International Security Force verwaltung im Kosovo Muharremi, Treuhandverwaltung; Ruffert, ICLQ 2001, 613ff; Wagner, Vereinte Nationen 4/2000, 132ff; Chesterman, You, The People, 132ff, 147f; 165ff; Werzer, NJIL 2008, 105ff. 1038 Z 10 SR-Resolution 1244 (1999) v 10. 6. 1999; UNMIK/REG/1999/1 v 25. 7. 1999 (sämtliche regulations und administrative directions von UNMIK werden in der Official Gazette der Übergangsverwaltung unter http://www.unmikonline.org/ regulations/unmikgazette/index.htm veröffentlicht); zum Verhältnis zwischen UNMIK und KFOR siehe Dreist, NZWehrr 2001, 5f. 1039 Stand: August 2008, siehe http://kosovothanksyou.com/. 1040 Sect. 3 UNMIK/REG/1999/1 v 25. 7. 1999 iVm Sect. 1 UNMIK/REG/1999/ 24 v 12. 12. 1999; 1041 Sect. 1.3. UNMIK/REG/1999/24 v 12. 12. 1999. 1042 Siehe http://www.kushtetutakosoves.info/?cid=2,1. 1043 Siehe dazu im Detail gleich unten IV. und, eine Bindung der KFOR bejahend, Cerone, EJIL 2001, 473f.
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(„KFOR“) vom 9. 6. 1999 (MTA),1044 das die Befugnisse und Aufgaben KFORs näher ausformt. Nach Art I Z 2 MTA verfügt KFOR über „the authority to take all necessary action to establish and maintain a secure environment for all citizens of Kosovo and otherwise carry out its mission“. Präzisierend ordnet Appendix B Z 2 MTA an, der KFOR-Kommandeur „shall have the authority, without interference or permission, to do all that he judges necessary and proper, including the use of military force, to protect the international security force (,KFOR‘), the international civil implementation presence, and to carry out the responsibilities inherent in this Military Technical Agreement and the Peace Settlement which it supports“. Gemäß Appendix B Z 4 MTA hat KFOR unter anderem auch das Recht mittels militärischer Gewalt den Abzug der FRY-Truppen durchzusetzen, andere internationale Einheiten auf der Basis von SR-Resolution 1244 (1999) zu unterstützen und sämtliche von ihrem Kommandeur als relevant eingestufte Einrichtungen und Aktivitäten, insb solche mit militärischen und polizeilichen Kapazitäten, zu beobachten, zu kontrollieren und zu durchsuchen. Zum Abschluss eines Status-of-Forces Agreement (SOFA) für KFOR, wie es Appendix B Z 3 MTA1045 in Aussicht stellt, kam es allerdings nicht; statt dessen vereinbarten VN und NATO eine joint declaration, die den Status von KFOR und UNMIK einschließlich des eigenen Personals festlegt und mit UNMIK Regulation 2000/47 rückwirkend zum 10. 6. 1999 in Kraft gesetzt wurde;1046 demnach genießen KFOR und ihr Personal volle Immunität und üben die Entsendestaaten jegliche Jurisdiktion über ihre Soldaten aus.1047, 1048 UN-Doc S/1999/682 v 15. 6. 1999, 3ff; auch unter http://www.nato.int/kosovo/ docu/a990609a.htm abrufbar. 1045 Diese Bestimmung schließt aber bereits jegliche Haftung KFORs und ihres Personals für etwaige Schäden an öffentlichem oder privatem Eigentum aus. 1046 Vgl dazu und zum Verhältnis KFOR – UNMIK Dreist, NZWehrr 2001, 4ff sowie Guillaume, in: Kosovo and the International Community, 248ff. 1047 Sect. 2 UNMIK/REG/2000/47 v 17. 8. 2000 lautet wie folgt (Auszug): 2.1 KFOR, its property, funds and assets shall be immune from any legal process. … 2.4 KFOR personnel other than those covered under section 2.3 above shall be: (a) Immune from jurisdiction before courts in Kosovo in respect of any administrative, civil or criminal act committed by them in the territory of Kosovo. Such personnel shall be subject to the exclusive jurisdiction of their respective sending States; and 1044
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Die KFOR-Mission teilt den Kosovo in vier Sektoren als areas of responsibility multinationaler Brigaden auf (MNB North East, MNB Central, MNB East und MNB Southwest).1049 Zur Durchführung des Einsatzes hat die NATO den Operationsplan 10413, Operation Joint Guardian, ausgearbeitet, wonach alle Soldaten unter der operativen Führung des SACEUR und der vier Kommandeure der multinationalen Brigaden stehen.1050 OPLAN 10413 nimmt auf die SR-Resolution 1244 Bezug und beschränkt in den in ihm niedergelegten Rules of Engagement (ROE) den Einsatz militärischer Zwangsmittel auf das Territorium des Kosovo.1051
B. Exkurs: Rules of Engagement (ROE) 1. Regelungsinhalt Neben dem internationalen Mandat einer Friedensoperation sind zur Feststellung, ob und wenn ja, für welche Zwecke im Rahmen eines Auslandseinsatzes Gewalt angewendet werden darf, die Rules of Engagement (ROE) von zentraler Bedeutung. Während durch das Mandat des Sicherheitsrats der VN in der Regel nur die grundsätzliche Zulässigkeit des Gebrauchs von Waffengewalt geklärt wird, erläutern die ROE in konkreter Form, unter welchen spezifischen Gegebenheiten und Bedingungen ein bestimmtes Ausmaß an unmittelbarem Zwang (einschließlich tödlicher Gewalt) von den Soldaten eingesetzt werden darf. ROE sind somit Verhaltensregeln für militärische Kräfte, die regeln, unter welchen Umständen und Bedingungen, in welchem Grad und auf welche Art und Weise Ge(b) Immune from any form of arrest or detention other than by persons acting on behalf of their respective sending States. If erroneously detained, they shall be immediately turned over to KFOR authorities. 1048 Vgl Murphy, UN Peacekeeping, 282ff. 1049 Koller, Truppendienst International 2006/1; vgl auch unter http://www.nato. int/kfor/kfor/about.htm. 1050 Mittels „Transfer of Authority“ (TOA) werden die nationalen Kontingente dem jeweiligen multinationalen Befehlshaber für den Einsatz unterstellt, vgl Vad, HumVR 1997, 78f. Zum Verhältnis von dessen Weisungsgewalt zu jener der nationalen Befehlshaber siehe unten IV.A. 1051 Vgl dazu und zum diesbezüglich weiter gehenden (nämlich in das Territorium der FRY hineinreichenden) MTA Dreist, NZWehrr 2001, 7ff und Erberich, Auslandseinsätze, 141f.
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walt angewendet werden darf.1052 Die ROE bilden somit den rechtlichen Maßstab für die Form der Durchsetzung des Auftrages sowie zur Selbstverteidigung und Nothilfe; im Einzelnen enthalten sie Regeln für Selbstschutz, Notwehr, Nothilfe, die Einrichtung von geschützten Bereichen, die Anwendung militärischer Gewalt ohne Schusswaffengebrauch, die Anwendung des Schusswaffengebrauchs und des Kampfmitteleinsatzes mit oder ohne Anrufverfahren, die Auftragsdurchsetzung und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.1053 Auf NATO-Ebene – und somit auch im KFOR-Einsatz anwendbar – gelten die vom NATO Militärausschuss 1999 festgelegten Muster-ROE:1054 Diese sehen unter bestimmten Umständen auch zum Schutz von Sachen die Anwendung von „deadly force“ vor. Für den Einsatz lebensgefährdender Gewalt zur Notwehr (self defense) bzw Nothilfe (extended self defense) verweisen die ROE zwar ausdrücklich auf das nationale Recht – für Soldaten des Bundesheeres findet deshalb § 3 StGB Anwendung –, stellen darüber hinaus aber auch auf die Kriterien ‘hostile act’ und ‘hostile intent’ ab.1055 Diese beiHeinz, Auslandseinsätze der Bundeswehr, in: Terrorismusbekämpfung, 80f; Hirschmugl, Auslandseinsatz, 32f; Das NATO-Dokument MC 362, das Muster-ROE für NATO-Einsätze festlegt, definiert ROE wie folgt: „ROE sind Verhaltensregeln für militärische Kräfte (einschließlich Einzelpersonen), die die Umstände, Bedingungen, den Grad und die Art und Weise festlegen, unter denen Gewalt angewendet werden darf.“ Vgl auch die Arbeitsdefinition von Weber, HumVR 2001, 77: „ROE sind Weisungen an Streitkräfte zur Limitierung und Regelung der Anwendung militärischer Gewalt/Zwangsmaßnahmen durch die Bestimmung von Eingriffsvoraussetzungen und durch die Festlegung von Einsatzoptionen, zum Einsatz und zur Führung unterstellter Truppen entsprechend den operativen, politischen und rechtlichen Vorgaben.“ 1053 Weber, HumVR 2001, 78; Heinz, Auslandseinsätze der Bundeswehr, in: Terrorismusbekämpfung, 82; vgl Murphy, UN Peacekeeping, 158ff. 1054 North Atlantic Military Committee, MC 362 (Military Decision), NATO Rules of Engagement v 9. 11. 1999; laut Guillaume, in: Kosovo and the International Community, 263 enthalten diese 31 – je nach Intensität des militärischen Einsatzes anpassbare – ROE, von denen die meisten die Anwendungsbedingungen von Gewalt im Lichte der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit festlegen (zB Drohung mit dem Einsatz von tödlicher Schusswaffengewalt bzw Abfeuern von Schüssen in die Luft); zahlreiche ROE behandeln die Voraussetzungen von Festnahmen und Inhaftierungen; weitere regeln die Durchführung von Personendurchsuchungen, die Entwaffnung von Personen, die Aufrechterhaltung von Ordnung und Ruhe sowie den Einsatz von Tränengas; ähnlich auch Weber, HumVR 2001, 78. 1055 Scherhaufer, Aspekte von Auslandseinsätzen, 3. 1052
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den Kriterien sollen die unterschiedlichen nationalen Bestimmungen über die Notwehr bzw Nothilfe soweit ergänzen, dass in einer multinationalen Streitmacht diesbezüglich einheitliche Befugnisse bestehen. Unter ‘hostile intent’ sollen dabei Vorgänge fallen, die bloß potentiell ein hohes Gefährdungspotential aufweisen, hinsichtlich derer aber der Verwirklichungszeitpunkt sowie das Angriffsziel noch nicht klar erkennbar sind (zB Diebstahl von Waffen bzw von Kampfmitteln).1056 Mit dem Begriff der Notwehr bzw Nothilfe nach § 3 StGB ist ein solch weiter Umfang der Rechtfertigung des Waffengebrauchs mangels Vorhandensein einer Notwehrsituation jedoch nur schwerlich zu vereinbaren.1057 Die ROE werden bei Auslandseinsätzen grundsätzlich als Annex zum jeweiligen Operationsplan vorgesehen. Ein solcher Operationsplan (OPLAN) und seine Annexe werden im Rahmen der NATO in der Regel durch das Supreme Headquarters Allied Powers Europe (SHAPE) entworfen, sodann in den politischen Gremien der NATO verhandelt und schließlich durch den Nordatlantikrat als höchstem politischem Entscheidungsgremium der NATO gebilligt.1058 Im Rahmen der Verhandlungen in den Gremien erfolgt die Beteiligung der Nationen; grundsätzlich werden die ROE vor jeder Auslandsmission von den teilnehmenden Staaten auf ihre Übereinstimmung mit deren innerstaatlicher Rechtsordnung überprüft;1059 abweichende nationale Positionen werden daraufhin im NATO OPLAN oder in Annexen dazu festgeschrieben.1060 Dieses Prozedere stellt sicher, dass die ROE an die jeweiligen rechtlichen und politischen Vorgaben der an einer Mission teilnehmenden Staaten angepasst werden können, nimmt damit aber in Kauf, dass es in jedem Einsatz eine Vielzahl von nationalen Versionen mit jeweils leichten Abweichungen geben kann.1061 Aus militärpolitischer Sicht werden allzu weit reichende Ibid, 18. Vgl Lewisch, § 3 StGB, in: Wiener Kommentar; vgl dazu näher unten bei IV.B. 2.b)aa)ii). 1058 Weber, HumVR 2001, 77. 1059 Krieger, ZaöRV 2002, 681f; Weber, HumVR 2001, 77. 1060 Heinz, Auslandseinsätze der Bundeswehr, in: Terrorismusbekämpfung, 82. Im Hinblick auf den KFOR-Einsatz hat Österreich allerdings keine entsprechenden Vorbehalte gegenüber der NATO erklärt, vgl Scherhaufer, Aspekte von Auslandseinsätzen, 13f. 1061 Weber, HumVR 2001, 77. 1056 1057
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Vorbehalte allerdings abgelehnt, da sie die Akzeptanz und Wirkkraft des betroffenen nationalen Kontingents schmälern und insgesamt die Kompetenzen einer multinationalen Brigade zersplittern.1062 In der Praxis erhalten die Soldaten die ROE in gekürzter und vereinfachter Form in Form sog nationaler Taschenkarten ausgehändigt.1063 Eine fundierte Diskussion über den konkreten Inhalt und die Reichweite von ROE ist allerdings insofern nur erschwert möglich, als diese sowohl zum Zeitpunkt der Durchführung einer Mission als auch im Anschluss daran einem erhöhten Geheimhaltungsgrad unterliegen.1064 2. Rechtsnatur und Rechtsschutz Unklar und bisher wenig untersucht ist die Rechtsnatur von ROE: Sie sollen jedenfalls ein „Steuerungsmittel, mit dem die rechtlichen und politischen Forderungen in konkretes militärisches Handeln umgesetzt werden“1065, sein. Nach österreichischer Rechtsformenlehre kommt einerseits eine Rechtsnatur als generelle (nämlich an alle Bundesheersoldaten im Auslandseinsatz einer bestimmten Mission adressierte) Weisung oder andererseits als (Verwaltungs)Verordnung Scherhaufer, Aspekte von Auslandseinsätzen, 1f; dies kann nach Ansicht von Militärexperten, so wie im Zuge der Revolte im Kosovo im März 2004, dazu führen, dass in Gebieten, die von Einheiten mit geringeren Eingriffsbefugnissen kontrolliert werden, Aufständische oder militante Gruppen bewusst die „Schwäche“ des jeweiligen Kontingents ausnutzen, um dort für Aufruhr zu sorgen. 1063 Hirschmugl, Auslandseinsatz, 33; Weber, HumVR 2001, 78. 1064 ZT öffentlich und zugänglich werden ROE im Wege von Gerichtsverfahren (Militär- oder Ziviljustiz), vgl zB High Court, Queen’s Bench Division, Bici and Another v Ministry of Defence, Urteil v 7. 4. 2004, [EWHC] 786(QB), Rz 6: „Each of the British soldiers stationed in Kosovo was issued with a document setting out individual guidance on the use of force. It permits the minimum force necessary to be used in self-defence. It provides that if the situation permits a challenge should be issued, such as ‘NATO! STOP OR I WILL FIRE’, and that if there is a failure to stop a warning shot may be fired. Paragraph 11 provides, so far as is material: ‘You may use necessary minimum force, including opening fire, against any individual whom you believe is about to commit or is committing an act which endangers life, and there is no other way to prevent such an act. For example, you may open fire against an individual who: a. Fires or aims a weapon at you or any person in your presence…“ 1065 Weber, HumVR 2001, 78. 1062
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in Betracht. Eine Einordnung als Weisung hätte die Konsequenz, dass Soldaten strafgesetzwidrige ROE gemäß Art 20 Abs 1 B-VG ablehnen können.1066 Verwaltungsverordnungen (in der Praxis zumeist bezeichnet als „Erlass“, „Richtlinie“ oder „Dienstanweisung“) wirken – im Gegensatz zu Rechtsverordnungen – nach hL nicht „nach außen“ (extern), sondern bloß „nach innen“ und sind daher ausschließlich an unterstellte Verwaltungsorgane adressiert und somit anders als Rechtsverordnungen nicht entsprechend kundzumachen.1067 Anders als bei Weisungen besteht keine Möglichkeit des Organwalters, sie wegen Gesetzwidrigkeit abzulehnen, dafür werden sie gemäß Art 139 B-VG vom VfGH in ständiger Rechtsprechung überprüft.1068 Letztere Möglichkeit bestünde nicht,1069 wenn man mit Walter Verwaltungsverordnungen mit generellen Weisungen gleichstellt.1070 Bei Verwaltungsverordnungen besteht – unabhängig davon, ob man sie als generelle Weisung einstuft oder nicht – das Problem, dass sie materiell betrachtet sehr wohl „nach außen“ wirken können; wird dadurch aber die Rechtslage der Betroffenen gestaltet, so wendet sich die generelle Weisung bzw Verwaltungsverordnung, unbeschadet ihres formellen Adressatenkreises, ihrem Inhalt nach an Schließlich stehen Bundesheersoldaten auch im Auslandseinsatz gemäß § 4 Abs 1 KSE-BVG unter der Leitungs- und Weisungsbefugnis des BMLV. 1067 Siehe zur historischen Entwicklung der schwierigen Abgrenzung zwischen Rechts- und Verwaltungsverordnung sowie zur entsprechenden Judikaturdivergenz zwischen VfGH und VwGH ausführlich Aichlreiter, Verordnungsrecht I, 200ff sowie B. Raschauer, Verwaltungsrecht, Rz 771. 1068 Für viele VfSlg 313/1924; 7717/1975; vgl Aichlreiter, Verordnungsrecht I, 205f, 249. 1069 Ausnahmsweise kann aber gegen Weisungen an eine Schulbehörde gemäß Art 81a Abs 4 B-VG von dieser Beschwerde beim VwGH erhoben werden (Art 130 Abs 1 zweiter Satz B-VG). 1070 Walter, ÖJZ 1965, 33ff; in diesem Fall würde sich auch die bis heute nicht geklärte Abgrenzungsfrage zwischen Verwaltungsverordnung und genereller Weisung erübrigen; ablehnend Aichlreiter, Verordnungsrecht I, 250ff, der allerdings den Begriff ‘Verwaltungsverordnungen’ aufgeben und vielmehr zwischen VO im materiellen wie im formellen Sinn und generellen Dienstanweisungen unterscheiden will. Letztere sollen einseitig gesetzte generelle Anordnungen von Verwaltungsorganen erfassen, die ohne gesetzliche Grundlage und ohne gehörige Kundmachung vorgenommen werden; im Ergebnis scheinen die Positionen von Walter und Aichlreiter nicht so weit auseinander zu liegen, nur besteht letzterer auf einer klaren terminologischen Trennung der Rechtsakte Verordnung und Weisung. 1066
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die Allgemeinheit und stellt nach Ansicht des VfGH eine Rechtsverordnung dar.1071 Anhaltspunkte einer solchen materiellen Außenwirkung sieht der VfGH in der imperativen Formulierung der Enunziation, im Umstand, dass die Anordnung nicht bloß den Gesetzestext wiederholt, sondern ersichtlich eine bindende Gesetzesauslegung (in einer bestimmten Richtung) anstrebt und damit Geltung gegenüber einer in allgemeiner Weise bestimmten Vielzahl von Personen beansprucht.1072 Dementsprechend hat der VfGH wesentliche Bestimmungen eines Erlasses des BMI über das Anlegen von Handfesseln als Rechtsverordnung eingestuft und mangels gehöriger Kundmachung im BGBl aufgehoben.1073 Die Vorgehensweise des Gerichtshofs wirft allerdings die Frage nach dem Spielraum der Exekutive zur Herausgabe von Erlässen bzw der Pflicht zur Publikation derselben als Rechtsverordnungen auf. Die Tatsache, dass nämlich so gut wie jedes verwaltungsinterne Handeln zumindest mittelbar auf die eine oder andere Weise materielle Außenwirkungen zeigt, schließt eine exakte Abgrenzung zwischen Rechts- und Verwaltungsverordnungen (bzw generellen Weisungen) aus. Insgesamt muss daher ein Ausgleich zwischen dem Interesse eines funktionsfähigen und effizienten Handelns der Verwaltungsbehörden und jenem der Vorhersehbarkeit des Verwaltungshandelns geschaffen werden. Von besonderer Bedeutung muss in einem Rechtsstaat dabei die Ausgestaltung des Rechtsschutzes sein: Für diesen kann es unter bestimmten Umständen weit reichende Konsequenzen haben, ob ein spezifisches Verwaltungshandeln als Rechtsverordnung oder Verwaltungsverordnung bzw generelle (Dienstan)Weisung zu qualifizieren ist. In letzterem Fall läuft der Rechtsschutz nämlich leer, wenn ein Akt der Verwaltung in keiner nach dem geschlossenen Rechtsquellensystem der Bundesverfassung anfechtba-
Vfslg 4571/1963; VfSlg 6.946/1972; VfSlg 8.647/1979; VfSlg 15.189/1997. In letzterem Erkenntnis hat der VfGH aus diesen Gründen etwa den ‘Leitfaden für die Anwendung des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei v 19. 9. 1980’ nicht wie der BMAS als Erlass, sondern als Rechtsverordnung qualifiziert. 1072 Aichlreiter, Verordnungsrecht I, 206; B. Raschauer, Verwaltungsrecht, Rz 771. 1073 VfSlg 15.061/1997. Dagegen wurde die sog Richtlinien für das Einschreiten der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gemäß § 31 SPG als Rechtsverordnung (Richtlinien-Verordnung, BGBl 1993/266) erlassen. 1071
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ren Form ergeht. Anders ist dies bei Vorliegen eines ohnehin anfechtbaren Bescheids oder AuvBZ.1074 Dem Rechtsschutzgedanken folgend, wurde im Sicherheitspolizeirecht auf Grundlage von § 31 SPG die Richtlinien-Verordnung (RLV) als Rechtsverordnung samt Beschwerdemöglichkeit gemäß § 89 SPG erlassen, obwohl gegen das Verhalten der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ohnehin bereits die Möglichkeit einer UVS-Beschwerde (Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG iVm § 88 Abs 1 SPG) besteht.1075 Derselbe Rechtsschutz besteht auch, wenn österreichische Polizisten auf Grundlage des PolKG1076 und des SDÜ1077 auf fremdem Hoheitsgebiet tätig werden. Wesentlich schwächer bzw rudimentär ausgestaltet ist der Rechtsschutz gegen das Verhalten von Bundesheersoldaten im Auslandseinsatz.1078 Obwohl die Rules of Engagement ähnlich der RLV Verhaltenspflichten ihrer Adressaten festlegen, sind sie, wie dargestellt, als Erlass bzw generelle Weisung einzustufen. Somit scheidet neben einer individuellen Beschwerdemöglichkeit auch eine abstrakte Überprüfungsmöglichkeit der ROE am Maßstab der Grundrechte (die sie ja präzisieren sollen) aus. Einer Einstufung bzw Publikation als Rechtsverordnung stehen allerdings politische Vorgaben, insb die internationale Praxis, wonach ROE strenger Geheimhaltung unterliegen, entgegen; ihre Veröffentlichung würde Österreich von einer zukünftigen Teilnahme an entsprechenden multinationalen FriedensUnter Verweis darauf sieht es der VwGH nicht als nötig an, einen Erlass eventuell als Rechtsverordnung einzustufen, vgl VwGH v 22. 11. 2000, 99/12/0116 und B. Raschauer, Verwaltungsrecht, Rz 772. 1075 Durch die Einleitung einer Aufsichtsbeschwerde nach § 89 SPG wird eine Pflichtverletzung des Organs des öffentlichen Sicherheitsdienstes untersucht, die für diesen – anders als die bloße UVS-Beschwerde – auch (de facto wesentlich schwerwiegendere) dienstrechtliche Konsequenzen haben kann. 1076 BG über die internationale polizeiliche Kooperation (Polizeikooperationsgesetz – PolKG), BGBl I 1997/104. 1077 Art 40 und 41 Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) und Übereinkommen über den Beitritt der Republik Österreich zu den am 19. Juni 1990 in Schengen unterzeichneten Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen v 14. Juni 1985, BGBl III 1997/90. 1078 Nur im Inland kommt das Militärbefugnisgesetz (MBG) zur Anwendung, das zwar den §§ 87 und 88 SPG sehr ähnliche Beschwerdemöglichkeiten – nämlich die §§ 53 und 54 MBG – aber keine vergleichbare Regelung zu § 89 SPG iVm der RLV kennt. 1074
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operationen ausschließen. Eine bedeutende Rolle kommt den ROE jedenfalls bei der Feststellung einer Pflichtverletzung in einem allfälligen Disziplinarverfahren gemäß § 6 AuslEG1079 iVm dem HDG1080 zu.1081 Eine abschließende Würdigung der ROE führt daher zum Ergebnis, dass diese – auf Grund der Nichtanwendung des MBG und der ADV – für die Soldaten im Auslandseinsatz praktisch den einzigen Handlungsmaßstab und insb die Abgrenzung zwischen ‘erlaubt’ und ‘verboten’ bei der Anwendung militärischer Gewalt bilden. Vergleicht man den Status der ROE mit vergleichbaren Dienstvorschriften im Polizeiwesen, so ist die Kontrolle des einsatzkonformen Verhaltens im Bereich der Auslandseinsätze des Bundesheers aus vorwiegend politischen Gründen bloß rudimentär ausgeprägt. Gerade auf Grund des Umstands, dass Soldaten im Auslandseinsatz aber immer mehr quasipolizeiliche Aufgaben zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit zu erfüllen haben und dass in Zeiten internationaler Koordination und Kooperation der Verbrechensverhütung die Begriffe der äußeren und inneren Sicherheit mehr und mehr miteinander verschmelzen, sollte eine solche Divergenz der Regelungsregime de lege ferenda zumindest zu überdenken sein. Nach der gegenwärtigen Rechtslage sind ROE somit innerstaatlich jedoch als generelle Weisungen zu qualifizieren und somit für Dritte unanfechtbar.1082 Die daraus resultierende Rechtschutzlücke kann insofern geschlossen werden, als das Verhalten der Soldaten im Auslandseinsatz in der Regel als AuvBZ einzustufen sein wird und somit eine Anfechtungsmöglichkeit besteht.1083 Zudem können Organwalter die Befolgung gesetzwidriger ROE gemäß Art 20 Abs 1 B-VG ablehnen.
C. Der Einsatz österreichischer Soldaten – AUCON/KFOR Am 25. 6. 1999 beschloss die Bundesregierung eine KFOR-Teilnahme des Bundesheeres durch ein Infanteriekontingent mit MannBG über die Entsendung von Soldaten zur Hilfeleistung in das Ausland (Auslandseinsatzgesetz 2001 – AuslEG 2001), BGBl I 2001/55. 1080 Heeresdisziplinargesetz 2002 (HDG 2002), BGBl 2002/167 (WV). 1081 Vgl dazu auch unten IV.C.2.b)aa). 1082 Vgl zur Rechtsqualität auch Weber, HumVR, 77. 1083 Zur Durchsetzung des Rechtsschutzes siehe näher unten IV.C. 1079
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schaftstransportpanzern vom Typ Pandur mit bis zu 500 Personen im Rahmen der von Deutschland geführten MNB Southwest.1084 Die österreichische Einheit (AUCON/KFOR) steht unter der Leitung und Weisungsgewalt des National Contingent Commander (NCC), der gleichzeitig Assistant Chief of Staff Operations der MNB Southwest ist und als höchster Militär der AUCON/KFOR für Verwaltung, Logistik, Wohlergehen und Kommunikation mit dem Kommando für Internationale Einsätze in Graz verantwortlich zeichnet. Neben zahlreichen Einsatzkräften im Bereich der Verwaltung, logistischen und medizinischen Versorgung sowie nachrichtendienstlicher Ermittlungen sind ungefähr 90 % der Soldaten Mitglieder der Task Force (TF) Dulje, die im Bereich der Kommunen Suva Reka (wo sich auch das AUCON/KFOR Hauptquartier befindet), Malisevo und Orahovac für die Überwachung, den Schutz und die Verteidigung der dortigen serbischen Enklaven mit einer Bevölkerungszahl von ca 1.250 Personen zuständig ist; darüber hinaus gehören zu den Aufgaben der Bundesheersoldaten unter anderem die sog Crowd and Riot Control, die Durchführung von Verkehrs- und Straßenkontrollen (insb durch Errichtung von check points) sowie der Personenschutz hochrangiger Personen.1085 Im Ergebnis kommen den Soldaten also mehr polizeiähnliche als klassisch militärische Aufgaben zu.1086 Gemäß den ROE des OPLAN 10413 iVm SR-Resolution 1244 (1999) sind die österreichischen Soldaten zur Erfüllung ihrer Aufgaben zum Einsatz militärischer Waffengewalt ermächtigt und unterliegen der ausschließlichen Jurisdiktion Österreichs.1087 Wenngleich sie gemäß dem OPLAN 10413 zwar der operativen Führung des NATO-Kommandeurs der KFOR unterstehen, sind sie gemäß § 4 Abs 3 KSE-BVG weiterhin an die Weisungen des BMLV gebunden. Im Falle eines Widerspruchs erteilter Weisungen des KFOR-Kommandeurs und des NCC haben die entsendeten Soldaten gemäß § 4 Abs 7 KSE-BVG die Weisungen des zuständigen österreichischen Organs zu befolgen, Die nach § 2 Abs 1 KSE-BVG nötige Zustimmung des Hauptausschusses des NR erfolgte am 1.7.1999. 1085 Vgl näher Koller, Truppendienst International 2006/1. 1086 Vgl Dreist, NZWehrr 2002, 45ff; Krieger, ZaöRV 2002, 696. Die Wahrnehmung polizeilicher Aufgaben durch die KFOR und deren Military Police Task Force erfolgt neben der Tätigkeit und in Zusammenarbeit mit der UNMIK-Police, vgl auch Pförtner, HumVR 2005, 184. 1087 Sect. 2 UNMIK/REG/2000/47 v 17. 8. 2000. 1084
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müssen diesen jedoch unverzüglich von den einander widersprechenden Weisungen in Kenntnis setzen.1088, 1089
IV. Grundrechtsschutz gegen Hoheitsakte österreichischer Soldaten im Auslandseinsatz A. Zurechenbarkeit des Verhaltens der Bundesheersoldaten zu Österreich 1. Problemstellung Die Erörterung eines möglichen Grundrechtsschutzes gegen beim Einsatz in einer Friedensoperation gesetztem Verhalten österreichischer Soldaten geht von der Prämisse aus, dass entsprechende Handlungen und Unterlassungen der Bundesheerangehörigen weiterhin als Ausübung österreichischer Hoheitsgewalt einzustufen sind;1090 denn nur in diesem Fall ist zu klären, ob Österreich durch seine Organe Jurisdiktion iSd Art 1 EMRK über Personen und Vermögensgegenstände ausübt und somit für Grundrechtsverletzungen verantwortlich zeichnen kann. Auf Grund der bei Auslandseinsätzen stets erfolgenden ‘Einbettung’ österreichischen Einheiten in die eine Friedensoperation leitenden Internationalen Organisationen wie VN, NATO oder EU ist deshalb in einem ersten Schritt die Stichhaltigkeit der notwendigen Zurechnung des Organverhaltens zur Republik Österreich darzustellen. In erster Linie können Staaten wie Internationale Organisationen nur für das Verhalten ihrer eigenen Organe verantwortlich zeichnen, da sie durch ihre Organe ‘handeln’ und sich daher deren Verhalten Das zuständige österreichische Organ hat sodann unverzüglich an das Organ, das die widersprechende Weisung erteilt hat (das kann etwa auch der Sektorkommandeur der MNB Southwest sein), zum Zwecke der Beseitigung des Widerspruchs heranzutreten. 1089 Ähnlich Erberich, Auslandseinsätze, 141, derzufolge nicht jede Weisung aus der NATO-Kommandokette ausgeführt wird, sondern nur eine solche, mit der die jeweiligen Entsendestaaten einverstanden sind. Auch hieraus wird somit die fortbestehende Kontrolle der beteiligten Staaten deutlich. 1090 AA EGMR, Entscheidung v 2. 5. 2007 (Große Kammer), Behrami gegen Frankreich und Saramati gegen Frankreich, Deutschland und Norwegen, siehe dazu unten Punkt 5. 1088
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grundsätzlich immer zurechnen lassen müssen.1091 In diesem Zusammenhang ist die Zurechenbarkeit von Handlungen von Soldaten – diese sind, sofern sie reguläre, also nach ihren nationalen Wehrverfassungen organisierte Streitkräfte bilden, als Staatsorgane zu qualifizieren1092 – bei einer Militäroperation zumeist dann unproblematisch, wenn an einer solchen bloß ein einziger oder eine Gruppe von Staaten beteiligt sind und dabei unter der jeweiligen nationalen Kommandogewalt stehen.1093 Diffiziler ist die Situation jedoch, wenn sich – und dies ist der Regelfall bei internationalen Friedensoperationen – die nationalen Streitkräfte im Verbund mit jenen anderer Länder im Rahmen einer Internationalen Organisation, wie etwa VN, NATO, EU oder AU an einer Mission beteiligen. Das liegt darin begründet, dass zahlreiche solche Organisationen zwar Friedensmissionen übernehmen, zu deren Durchführung aber auf die Streitkräfte ihrer Mitgliedstaaten zurückgreifen müssen, da sie selbst (zumindest nach dem gegenwärtigen Stand) über keine originären, also ausschließlich in ihren Diensten stehenden Streitkräfte verfügen.1094 Siehe oben 1. Kap II.B. zur Staatenverantwortlichkeit und den Grundregeln der ‘rules of attribution’ mit den Ausnahmen bezüglich der Zurechenbarkeit privaten Verhaltens. Für Internationale Organisationen können die Regeln über die Staatenverantwortlichkeit zu einem gewissen Teil analog angewendet werden, vgl dazu oben 1. Kap III. und zu den Bemühungen einer Kodifikation der Regeln über die Verantwortlichkeit Internationaler Organisationen die Arbeit der ILC und der von ihr eingesetzten Working Group on the Responsibility of International Organizations unter Special Rapporteur Mr. Giorgio Gaja, vgl dazu den Bericht der ILC über ihre 57. Session, 73ff, 60 UN-GAOR, Suppl No 10, UN-Doc A/60/10 (2005), abrufbar unter http://www.un.org/law/ilc/reports/2005/2005report.htm. 1092 Brownlie, State Responsibility, 140; Lüder, NZWehrr 2001, 109. Problematisch ist die organschaftliche Zuordnung aber in der Regel bei Privaten, die unter Anweisungen, Leitung oder Kontrolle eines Staats agieren (Art 8 ILC-Entwurf) – eine solche Verantwortlichkeit kommt beim Einsatz von Friedenstruppen allerdings nicht in Betracht. Auch innerstaatlich sind Soldaten als militärische Organe iSd § 1 Abs 1 Z 1 MBG Verwaltungsorgane (vgl B. Raschauer, Verwaltungsrecht, Rz 125). 1093 Anders kann dies sein, wenn mehrere Staaten unter gemeinsamer (einstimmiger oder mit Mehrheitsbeschluss agierender) Entscheidungsgewalt tätig werden oder wenn sich Einheiten eines Staates der Befehlsgewalt eines anderen an der Mission beteiligten Staats unterwerfen; vgl in dieser Hinsicht die gemeinsame Ausübung der Hoheitsgewalt der vier Besatzungsmächte in Österreich im Alliierten Rat nach dem Ende des 2. Weltkrieges und die Entscheidung des EKMR im Fall Hess gegen Vereinigtes Königreich, vgl dazu 3. Kap III.C.2.a). 1094 Zur Bedeutung der nationalen Wehrrechtsordnungen für die Bildung europäischer Streitkräftestrukturen vgl Nolte, NZWehrr 2005, 89ff. 1091
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Hier stellt sich sodann die Frage, ob der Einsatz der an einer Mission teilnehmenden Soldaten der federführenden Internationalen Organisation1095, dem jeweiligen Entsendestaat der Truppen oder beiden Völkerrechtssubjekten zugerechnet werden kann;1096 mit anderen Worten ist also konkret zu untersuchen, ob die Streitkräfte im Wege der Organleihe als Organe der Internationalen Organisation fungieren, Doppelorganstellung einnehmen (also gleichzeitig Organ ihres Entsendestaats bleiben und zum Organ der Internationalen Organisation werden) oder ausschließlich als Organe ihrer Entsendestaaten tätig werden.1097 2. Die völkerrechtliche Organleihe Heimische Bundesheersoldaten würden bei ihrer Tätigkeit in Auslandseinsätzen also nur dann nicht mehr Träger österreichischer Hoheitsgewalt sein – und wären somit von einer direkten Bindung an den Grundrechtskatalog der österreichischen Bundesverfassung von vornherein befreit1098 –, wenn sie bei solchen Missionen im Wege der völkerrechtlichen Organleihe für eine die jeweilige Friedensoperation durchführende Internationale Organisation handeln. Um das Vorliegen einer solchen Organleihe feststellen zu können, müssen im Folgenden kurz deren Voraussetzungen skizziert werden. Das Rechtsinstitut der Organleihe stammt in erster Linie aus den nationalen Rechtsordnungen und umfasst – allerdings unter diversen Nuancierungen – jene Fälle, in denen ein bestimmtes Verwaltungsorgan neben den Aufgaben seiner eigenen auch Aufgaben einer anderen Eine solche mögliche Zurechenbarkeit setzt Völkerrechtspersönlichkeit, also die Fähigkeit Träger völkerrechtlicher Rechte und Pflichten zu sein, voraus, welche bei Internationalen Organisationen begriffsnotwendig vorliegen muss; strittig ist allerdings, ob die Völkerrechtspersönlichkeit ein konstitutives oder bloß deklaratorisches Begriffselement bildet, vgl Frank, Verantwortlichkeit, 31f mwN; Hartwig, Haftung, 37f; zur Frage der Rechtspersönlichkeit der Europäischen Union siehe oben 2. Kap IV.A.2. 1096 Bei letzterem Fall ist sodann das Verhältnis der Zurechenbarkeit und Haftung zwischen den beiden Völkerrechtssubjekten zu erörtern. 1097 Vgl Schmalenbach, Haftung Internationaler Organisationen, 103ff. 1098 Beachte diesbezüglich aber die Möglichkeit einer subsidiären Haftung der Mitglied- bzw Entsendestaaten für Handlungen Internationaler Organisationen, siehe unten IV.A.6.b). 1095
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Behörde wahrnimmt und insofern jedenfalls funktionell als Organ letzterer Einrichtung tätig wird.1099 Auf völkerrechtlicher Ebene fand das Institut der Organleihe Eingang in den ILC-Entwurf,1100 deren Art 6 die Organleihe vom Entsendestaat an den Empfangsstaat regelt; demnach hängt eine Organleihe an den Empfangsstaat – und somit ein diesem zurechenbares Verhalten – davon ab, dass das betreffende Organ insofern Hoheitsgewalt (‘governmental authority’) des Empfangsstaats ausübt, als es unter der ausschließlichen Leitung und Kontrolle (‘direction and control’) von diesem und keinesfalls unter der Weisungsgewalt des Entsendestaats steht.1101 Dieser Ansatz muss mutatis mutandis auch für die Organleihe zwischen Staaten und Internationalen Organisationen gelten,1102 allerdings ua mit dem Unterschied, dass eine empfangende Internationale Organisation keine ‘governmental authority’ ausüben kann, weshalb der Wortlaut von Art 5 ILC-Entwurf IO1103 in von Art 6 ILC-Entwurf abweichender Weise auf die Ausübung wirksamer Kontrolle (‘effective control’) abstellt.1104 Für eine alleiVgl B. Raschauer, Verwaltungsrecht, Rz 272; BVerfGE 63, 31f. Articles on State Responsibility, vgl GV Resolution 56/83 v 12. 12. 2001. 1101 Crawford, Articles on State Responsibility, 103f; gemäß Art 57 ILC-Entwurf finden die Artikeln über die Staatenverantwortlichkeit jedoch keine Anwendung auf Internationale Organisationen. 1102 Vgl Stein, in: Kosovo and the International Community, 182; Frank, Verantwortlichkeit, 191; Lüder, NZWehrr 2001, 110f; für eine analoge Anwendung der Grundsätze der Staatenverantwortlichkeit auf Internationale Organisationen auch Amerasinghe, Principles, 401. 1103 Vgl zur Arbeit der ILC über die Verantwortlichkeit Internationaler Organisationen oben 1. Kap III.; Art 5 ILC-Entwurf IO lautet: Conduct of organs or agents placed at the disposal of an international organization by a State or another international organization The conduct of an organ of a State or an organ or agent of an international organization that is placed at the disposal of another international organization shall be considered under international law an act of the latter organization if the organization exercises effective control over that conduct. 1104 Nochmals zur Klarstellung: Es geht dabei nicht – wie es allerdings im Bereich der Staatenverantwortlichkeit in der Regel das Hauptproblem darstellt – darum, ob ein bestimmtes Verhalten einem Staat oder einer Internationalen Organisation überhaupt zugerechnet werden kann, sondern wem von beiden – der Internationalen Organisation und/oder dem (Entsende)Staat ein bestimmtes, jedenfalls vorliegendes Organverhalten zuzurechnen ist, so auch ILC-Bericht zur 56. Session, 111, 59 UN-GAOR, Suppl No 10, UN-Doc A/59/10 (2004), siehe http://www.un. org/law/ilc/reports/2004/2004report.htm. 1099 1100
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nige Zurechnung eines Organverhaltens zur Internationalen Organisation muss dies aber – analog zu Art 6 ILC-Entwurf – bedeuten, dass die Ausübung effektiver Kontrolle zugleich auch exklusiv, also unter Ausschluss von Kontroll- bzw Weisungsmöglichkeiten des Entsendestaates erfolgt.1105 Von einer solchen exklusiven Kontrolle über die betroffenen Organe der Entsendestaaten gehen – zumindest implizit – die VN im Hinblick auf die nationalen Kontingente bei Friedensoperationen aus, wenn sie solche als ‘subsidiary organs’ der VN qualifizieren.1106 Überprüft man diese Annahme an Hand der Praxis zahlreicher Missionen, so erscheint jedoch fraglich, ob eine ausschließliche Kontrolle durch die VN automatisch mit jeder Entsendung nationaler Streitkräfte einhergeht und nicht in einem gewissen Ausmaß auch nationale Leitungs- und Weisungsgewalt fortbesteht.1107 Für das Vorliegen einer Organleihe eines Staats an eine Internationale Organisation, die, wie erläutert, zur Folge hätte, dass das organschaftliche Verhalten nicht mehr dem Staat zurechenbar wäre, ist an dieser Stelle jedenfalls festzuhalten, dass es diesbezüglich der exklusiven Kontrolle der Internationalen Organisation über das beSo auch Butkiewicz, PYIL 1981/82, 134f, die drei Bedingungen für die Zurechnung eines staatlichen Organs zur Organisation aufstellt: „Such an organ must perform tasks and functions not of its national authority, but of the subject at whose disposal it remains; it must act in the latter’s name and in conformity with the latter’s instructions; it must remain under the latter’s exclusive and effective control.“; vgl auch Pitschas, Verantwortlichkeit, 52; Frank, Verantwortlichkeit, 192; Erberich, Auslandseinsätze, 105; Ipsen, Völkerrecht, § 40, Rz 23. In dieser Hinsicht scheint somit der Wortlaut von Art 5 ILC-Entwurf IO in der gegenwärtigen Fassung als zu weit formuliert und somit konkretisierungsbedürftig; für das Genügen effektiver Kontrolle siehe aber auch Hirsch, Responsibility, 76f. 1106 Vgl den Auszug des ‘Unpublished letter of 3 February 2004 by the United Nations Legal Counsel to the Director of the Codification Division’: „As a subsidiary organ of the United Nations, an act of a peacekeeping force is, in principle, imputable to the Organization, and if committed in violation of an international obligation entails the international responsibility of the Organization and its liability in compensation.“ 1107 So auch ILC-Bericht zur 56. Session, 113f, 59 UN-GAOR, Suppl No 10, UNDoc A/59/10 (2004), abrufbar unter http://www.un.org/law/ilc/reports/2004/2004 report.htm; im Hinblick auf die Teilnahme an Friedensoperationen unter der Leitung der VN wird ungeachtet dessen von einigen Autoren eine Zurechnung an die VN befürwortet, vgl etwa Bothe, Streitkräfte, 43; Butkiewicz, PYIL 1981/82, 134; Frowein, VN-Friedenstruppen, 6 ordnet – etwas widersprüchlich – die Truppen zwar als Organe der VN ein, sieht sie aber gleichzeitig in ihrem Auftreten nach außen als Angehörige nationaler Streitkräfte im Dienste der VN an. 1105
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treffende Organ unter Ausschluss jeglicher Kontroll-, Leitungs- oder Weisungsbefugnisse des Entsendestaats bedarf. Von einer solchen Situation, die hier als echte Organleihe bezeichnet werden soll, sind jene Fallkonstellationen zu unterscheiden, bei denen nationalstaatliche Organe zwar teilweise einer Internationalen Organisation unterstellt bzw in deren organisatorischem Rahmen tätig werden, dabei aber weiterhin auch der Kontrolle und Weisungsgewalt ihres Entsendestaats (bzw Entsende-VRS) unterstehen (unechte Organleihe). Dabei üben der Entsendestaat und die empfangende Internationale Organisation (bzw das EmpfängerVRS) in der Regel gemeinsame (wirksame) Kontrolle über die betreffenden Organe aus, womit deren Handlungen auch beiden VRS zugerechnet werden können.1108 Im Hinblick auf die Zurechenbarkeit eines Organverhaltens muss daher untersucht werden, ob in der konkreten Situation gemeinsame (wirksame) Kontrolle oder wirksame Kontrolle bloß eines der beiden VRS vorliegt.1109 Im Ergebnis ist ein Organverhalten dem Staat immer dann zuzurechnen und somit als Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt zu qualifizieren, solange dieser – auch wenn er mit einer Internationalen Organisation kooperiert – ein gewisses Ausmaß an Leitungs- und Weisungsrechten und somit wirksame Kontrolle über seine nationalen Organe behält.1110 3. Elemente der Zurechenbarkeitsprüfung a) Das Kriterium wirksamer Kontrolle Aus dem bisher Gesagten kristallisiert sich deutlich das Kriterium wirksamer Kontrolle über ein Organ als wesentliches Merkmal der Zurechenbarkeitsprüfung heraus.1111 Übt ein Staat oder eine InHirsch, Responsibility of International Organizations, 64ff; Amerasinghe, Principles, 404; Ipsen, Völkerrecht, § 41 Rz 4; ILC-Entwurf IO Commentaries, 101; aA Bothe, Streitkräfte, 55ff. Verfügt die Internationale Organisation jedoch über keinerlei Kontrolle über die Organe, so üben diese – trotz der organisatorischen Verflechtung – unverändert ausschließlich nationale Hoheitsgewalt aus und sind einzig und allein dem Entsendestaat zurechenbar. 1109 Vgl Ipsen, Völkerrecht, § 40 Rz 23. 1110 ILC-Entwurf IO Commentaries, 113. 1111 Frank, Verantwortlichkeit, 184ff; Amerasinghe, Principles, 401; Pitschas, Verantwortlichkeit, 52; Klein, Responsabilité, 194; Krieger, ZaöRV 2002, 677ff; ILCEntwurf IO Commentaries, 113 mwN; zum Prinzip ‘Control entails responsibility’ vgl Lawson, in: Extraterritorial Application, 86; dazu auch bereits Eagleton, RdC 1108
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ternationale Organisation eine solch qualifizierte Kontrolle aus, ist ihm das Verhalten des betreffenden Organs zuzurechnen.1112 Das dafür im Einzelfall erforderliche Ausmaß an Kontrolle lässt sich nur unter Heranziehung der jeweiligen Völkerrechtspraxis feststellen. Für den Bereich friedenssichernder bzw -schaffender Militäreinsätze ist dabei die Ausübung der Befehls- und Kommandogewalt über die teilnehmenden Streitkräfte von entscheidender Bedeutung. Der Grad an militärischer Befehlsgewalt kann unterschiedlich ausgestaltet sein. Im Wesentlichen kann zwischen full command, operational command and operational control unterschieden werden: Full command ist die umfassendste Befehlsgewalt, die sämtliche Aspekte militärischer Befehlsgewalt inklusive der Disziplinar- und Strafgewalt enthält; sie existiert zur Zeit ausschließlich auf der Ebene der nationalen Armeen.1113 Demgegenüber sind operational command sowie operational control auf die operativen Kompetenzen eines Streitkräftekommandeurs beschränkt. Der Begriff der operational command umfasst dabei die Bewegung von Truppenteilen sowie die Festlegung der konkreten Mission samt allfälliger Änderungen;1114 operational control ist – als graduelles Minus zum operational command – auf die Leitung von zeitlich, örtlich und operativ begrenzten Einsätzen innerhalb der vom operational command festgelegten Grenzen beschränkt.1115 Generell ist jedoch anzumerken, dass es sich dabei um Begriffsbildungen handelt, die unter Staaten ebenso wie unter Internationalen Organisationen (zB zwischen VN und NATO) durchaus variieren; als kleinster gemeinsamer Nenner kann vorerst festgehalten werden, dass im Rahmen von Friedensoperationen dem zuständigen Kommandeur einer VN-, NATO- oder EU-Friedenstruppe stets zumindest operational control übertragen wird.1116 Ob die1950-I, 385f: „Responsibility derives from control…“; vgl auch ILA, Berlin Conference (2004), Accountability of International Organisations, 28ff. 1112 Alleinige Zurechenbarkeit liegt dabei aber nur dann vor, wenn das jeweilige Völkerrechtssubjekt die Kontrolle exklusiv ausübt. 1113 Schmalenbach, Haftung Internationaler Organisationen, 110; Erberich, Auslandseinsätze, 100; vgl dazu auch Fleck, Befehls- und Kommandogewalt, 170. 1114 Schmalenbach, Haftung Internationaler Organisationen, 108ff; vgl zudem die Definition der – aus dem Sprachgebrauch der NATO stammenden – Begriffe in der Zentralen Dienstvorschrift 1/50 der deutschen Bundeswehr, auf die auch BVerfGE 90, 286, 308 Bezug nimmt. 1115 Ibid, 109. 1116 Vgl Krieger, ZaöRV 2002, 680.
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sem darüber hinaus auch operational command über die teilnehmenden Streitkräfte zukommt, muss im Einzelfall geprüft werden und kann auch nach dem Status der Soldaten unterschiedlicher Entsendestaaten variieren. Mangels Übertragung von full command von den Entsendestaaten an die Befehlshaber militärischer Friedensoperationen verbleiben die an solchen Missionen teilnehmenden Soldaten zumindest partiell unter der Kontrolle ihrer Entsendestaaten und sind aus diesem Grund nicht im Wege der echten Organleihe (nur mehr) als Organe der die Operationen durchführenden Internationalen Organisationen zu qualifizieren; das Verhalten solcher Organe muss daher folglich entweder beiden oder einem der beiden VRS zurechenbar sein. Die Bestimmung des bzw der Rechtsträger(s), an den (die) zugerechnet werden kann, erfolgt dabei abhängig von der Ausübung wirksamer Kontrolle über das Organ. Diese hängt bei Militäreinsätzen in erster Linie von den Strukturen der spezifischen Befehls- und Kommandogewalt innerhalb eines Streitkräfteverbandes ab.1117 b) Sonstige einschlägige Kriterien Die Bestimmung der Zurechenbarkeit von Organverhalten reduziert sich jedoch nicht auf die Analyse der Befehls- und Weisungsgewalt. Daneben sind auch andere Faktoren von Bedeutung: So spielt etwa die Außenwirkung einer Friedensmission eine Rolle, da es einen Unterschied macht, ob sich eine Operation offiziell als eigenständige Staatenallianz oder als verlängerter Arm einer Internationalen Organisation deklariert.1118 Weiters können auch monetäre Aspekte Aufschluss über die Strukturen einer Friedensmission geben: wird die finanzielle Last einer Mission nicht zumindest teilweise auch von der Internationalen Organisation, sondern ausschließlich von den Entsendestaaten getragen, ist dies ein Indiz gegen eine Vgl zur Haftungspraxis bei friedenserhaltenden- und erzwingenden VN-Einsätzen sowie bei Militäreinsätzen regionaler Organisationen ausführlich Schmalenbach, Haftung internationaler Organisationen, 166ff bzw 513ff. 1118 In Frage kommt vorwiegend das Auftreten unter NATO- bzw EU-Flagge. Das Kriterium betrifft insb das Erscheinungsbild der Soldaten, die zwar so gut wie immer in ihren nationalen Uniformen auftreten, sich aber im Rahmen eines VNEinsatzes stets deutlich als ‘Blauhelme’ zu erkennen geben, während jedoch ein vergleichbares äußeres Erkennungsmerkmal bei Einsätzen von NATO oder EU fehlt. 1117
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Zurechnung zur Organisation.1119 Für die umgekehrte Vermutung spricht hingegen eine Haftungsbefreiung der Entsendestaaten für von eigenen Streitkräften im Rahmen des Einsatzes verursachte Schäden durch das Einstehen der Internationalen Organisation, wie dies grundsätzlich von den VN praktiziert wird.1120 Allerdings ist in diesem Zusammenhang darauf zu verweisen, dass der Begriff der Haftung (liability) von jenem der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit iSd ILC-Entwurf (responsibility) zu unterscheiden ist.1121 c) Internationale Praxis Die Frage der Zurechnung des Verhaltens multinationaler Truppenverbände bei Friedensoperationen im Rahmen Internationaler Organisationen zeichnet sich durch eine uneinheitliche Staatenpraxis aus. Eine Erörterung der Zurechnungsproblematik und damit einer potentiellen völkerrechtlichen Verantwortlichkeit erübrigt sich zudem häufig auf Grund der pragmatischen Haftungspraxis der VN bzw von Regionalorganisationen wie der NATO für im Zuge einer Friedensmission entstandene Schäden.1122 Auffällig ist, dass sich die VN das Verhalten von an PKO teilnehmenden Soldaten regelmäßig selbst zurechnen,1123 während andere Regionalorganisationen diesbezüglich zurückhaltender auftre1119 Zur Finanzierung vgl Bothe, Peace-keeping, in: UN-Charter Commentary, Rz 103ff. Als Grundregel gilt, dass die Entsendestaaten die Bezahlung ihrer Soldaten und die Bereitstellung der Ausrüstung übernehmen, alle übrigen Kosten tragen die VN. Im Detail variiert die Praxis, zT können auch Drittstaaten Kosten übernehmen. 1120 Siehe Lorenz, Anwendungsbereich, 288f; vgl Art 51 des VN-Modell-Statusabkommens, das die Einrichtung einer (bisher nicht aktivierten) Standing Claims Commission vorsieht und dazu auch Schmalenbach, Haftung internationaler Organisationen, 457ff. 1121 Unter Haftung ist, unabhängig von einer konkreten völkerrechtlichen Verantwortlichkeit, das finanzielle Einstehenmüssen für einen Schaden zu verstehen (zB Gefährdungshaftung), vgl Zemanek/Hafner/Wittich, Verantwortlichkeit, in: Handbuch, Rz 2685ff. 1122 Siehe dazu umfassend die rezente Abhandlung von Schmalenbach, Haftung internationaler Organisationen, 166ff (VN) bzw 535ff (NATO). 1123 Vgl Unpublished letter of 3 February 2004 by the United Nations Legal Counsel to the Director of the Codification Division: „As a subsidiary organ of the United Nations, an act of a peacekeeping force is, in principle, imputable to the Organization, and if committed in violation of an international obligation entails the international responsibility of the Organization and its liability in compensation.“
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ten und eine Zurechnung zu den Mitgliedstaaten präferieren.1124 Der VN-GS geht jedenfalls von ‘exclusive command and control’ der VN bei bestimmten VN-Operationen aus, während bei ‘joint operations’ die völkerrechtliche Verantwortlichkeit von der Ausgestaltung entsprechender Übereinkommen zwischen truppenstellenden Staaten und den VN und in dieser Hinsicht von der Ausübung wirksamer Kontrolle im Zuge einer Friedensoperation abhängen soll.1125 Auch die – wenngleich divergierende – Literatur bejaht, in der Regel unter Verweis auf die unterschiedlichen Kommandostrukturen und die Einstufung von Friedenstruppen als Suborgane der VN iSv Art 29 SVN, tendenziell eine Zurechnung an die VN, während bei Regionalorganisationen wie der NATO zumeist eine Zurechnung zu den Entsendestaaten vertreten wird.1126 Wenig Klarheit verschafft auch der Blick auf die einschlägige Rechtsprechung. Auf internationaler Ebene haben sowohl der IGH als auch der EGMR in Verfahren bezüglich der im Rahmen der NATO-Operation ‘Allied Force’ durchgeführten Luftangriffe auf die FRY im Frühjahr 1999 ihre Zuständigkeit verneint und somit keine Aussage über die Zurechenbarkeit der Militäraktion an die NATO bzw deren Mitgliedstaaten treffen müssen.1127 Siehe Donner, HumVR 1997, 68, der darauf verweist, dass nicht die NATO, sondern deren Mitgliedstaaten für Schäden haften, die Angehörige ihrer Kontingente in Ausübung des Mandats an Rechtsgütern im Gaststaat herbeiführen. 1125 A/51/389, 6, Rz 17f. 1126 So Bothe, Peace-keeping, in: UN-Charter Commentary, Rz 93, 145 und Donner, HumVR 1997, 68, die beide Streitkräfte im Rahmen von PKO der VN als Organe der VN, solche, die an von den VN bloß autorisierten Einsätzen durch Regionalorganisationen teilnehmen, aber weiterhin als Organe der Entsendestaaten qualifizieren; für eine alleinige Zurechnung zu den VN etwa Ginther, Responsibility, in: EPIL II, 1336ff; Bothe, Streitkräfte, 37ff, 55ff; Hirsch, Responsibility of International Organizations, 66f; Krieger, ZaöRV 2002, 677ff; 686f; Erberich, Auslandseinsätze, 94ff; 104ff unterscheidet zwischen klassischen (ausschließliche Zurechnung zu den VN) und neueren Formen der PKO (Zurechnung zu den VN und den Entsendestaaten). Dagegen wird für von der NATO geführte PKO oftmals eine gemeinsame Zurechnung sowohl an die Entsendestaaten als auch die NATO vertreten, vgl Erberich, Auslandseinsätze, 113ff. 1127 IGH, Rechtmäßigkeit der Gewaltanwendung (Serbien und Montenegro gegen Belgien/Kanada/Frankreich/Deutschland/Italien/Niederlande/Portugal/Spanien/Vereinigtes Königreich/USA), Urteile v 15. 12. 2004; EGMR, Entscheidung v 12. 12. 2001 (Große Kammer), Bankoviü et al gegen Belgien und 16 andere NATO-Staaten, RJD 2001-XII, 333ff, siehe dazu oben III.C.3.a). 1124
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Aussagen zum Zurechnungsobjekt finden sich in diversen nationalen Gerichtsentscheidungen, die allerdings divergieren: So hat das Verwaltungsgericht Köln einen Antrag von in der FRY lebenden exjugoslawischen Staatsbürgern auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, Deutschland die (weitere) Teilnahme an den NATO-Luftangriffen im Frühjahr 1999 auf Serbien zu untersagen, ua mit der Begründung abgelehnt, dass besagte Luftangriffe von der NATO, einem eigenständigen Völkerrechtssubjekt und nicht von Deutschland durchgeführt wurden.1128 Eine Zurechenbarkeit zu Österreich verneinte auch das OLG Wien im Hinblick auf das österreichische Kontingent auf den Golanhöhen (UNDOF) und hat einer Berufung eines dort stationierten Bundesheersoldaten nicht Folge gegeben.1129 Dieser hatte eine Schadenersatzklage gegen die Republik angestrengt weil durch einen Brand in der Unterkunft Gegenstände von ihm im Werte von 15.000 Schilling zerstört worden waren. Die Abweisung der Amtshaftungsklage begründete das Gericht damit, dass der den Schaden verursachende Soldat zum Zeitpunkt der Vornahme der schädigenden Handlung als Organ der Vereinten Nationen und nicht Österreichs gehandelt habe. Anders entschied hingegen der OGH einige Jahre später einen ebenfalls im Rahmen des österreichischen Bataillons (AUSBATT) auf den Golanhöhen sich ereignenden Fall: Ein österreichischer Offizier verursachte dabei einen Verkehrsunfall, bei welchem die Klägerin schwer verletzt wurde.1130 Daraufhin machte sie Schadenersatzansprüche geltend. Der OGH wies die Klage zurück, da auf Grund von § 9 Abs 5 AHG die Geschädigte den Ersatz des Schadens, den ihr ein österreichisches Organ in Vollziehung der Gesetze zugefügt hat, nicht gegen den Organwalter1131 im ordentlichen Rechtsweg geltend machen kann. VG Köln, Entscheidung v 7.5. 1999, Az 19 L 1104/99, Rz 11, http://www. justiz.nrw.de/RB/nrwe/index.html. Vgl auch LG Bonn, Milenkoviü u. a. gegen Bundesrepublik Deutschland (Vavarin-Brücke), 1 O 361/02, Urteil v 10.12.2003, http:// www.justiz.nrw.de/RB/nrwe/index.html; das Urteil setzte sich nicht mit dem Zurechnungsobjekt NATO auseinander, sondern wies die Ansprüche der Kläger mangels Anspruchsgrundlage ab. 1129 OLG Wien 14 R 31/79, Entscheidung v 26. 2. 1979, vgl Fischer/Hafner, ZÖR 1980, 310ff; Hirsch, Responsibility, 73f. 1130 OGH, Urteil v 27. 2. 1996, 1 Ob 1/96 (= SZ 69/49 = ÖJZ 1997, 35 [EvBl]). 1131 § 9 Abs 5 AHG spricht zwar dem den Schaden zufügenden Organ die Passivlegitimation ab, korrekterweise muss in gegebenem Zusammenhang aber die Person des Organwalters gemeint sein. 1128
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Dabei stellte der Gerichtshof fest, dass Angehörige des Bundesheeres im Auslandseinsatz selbst bei einer Weisungsbefugnis der Vereinten Nationen österreichische Staatsorgane bleiben und somit als Träger österreichischer Hoheitsgewalt auftreten.1132 Aus diesem Grund sei österreichisches Amtshaftungsrecht anzuwenden, wenn ein Bundesheersoldat als Mitglied einer auf Ersuchen einer internationalen Organisation ins Ausland entsandten Einheit jemandem einen Schaden zufügt, sofern der Schaden bei einer Verrichtung einer Tätigkeit eintritt, die in einem hinreichend engen Zusammenhang mit den Aufgaben, mit welchen die Einheit betraut ist, steht.1133 In Übereinstimmung mit dem OGH steht die Praxis der Gerichte Großbritanniens: Sowohl das House of Lords – in einem Fall betreffend britischer Blauhelme auf Zypern (UNFICYP)1134 – als auch der High Court im Rahmen einer Klage gegen britische KFOR-Soldaten, die zwei Männer in der Nähe von Priština erschossen hatten, gingen von einer Zurechenbarkeit der Handlungen zum Vereinigten Königreich aus.1135 4. Zurechnung im Rahmen der KFOR Zur Feststellung, dass die entsandten Bundesheersoldaten im Rahmen der KFOR keine österreichische Hoheitsgewalt mehr ausüben, bedarf es des Nachweises, dass diese im Wege der (echten) Organleihe für die NATO tätig werden und Österreich über sie somit keinerlei Leitungs- und Weisungsbefugnisse mehr besitzt. Dazu muss die rechtliche und faktische Durchführung des KFOR-Einsatzes näher untersucht werden. Zum selben Ergebnis der Zurechnung zu Österreich kommt der OGH auch in seinem Urteil v 24. 4. 2001, 1 Ob 54/01z; vgl auch Schragel, Amtshaftungsgesetz, Rz 300. 1133 OGH, Urteil v 27. 2. 1996, 1 Ob 1/96. 1134 House of Lords, Nissan v. Attorney General, [1969] 1 All England Law Reports, 629 (646); der High Court und der Court of Appeal befürworteten noch eine Zurechnung zu den VN, vgl Amerasinghe, Principles, 404; Hirsch, Responsibility, 74ff; Reinisch, International Organizations, 97f. 1135 Vgl High Court, Queen’s Bench Division, Bici and Another v Ministry of Defence, Urteil v 7. 4. 2004, [EWHC] 786(QB), Rz 113: „The Queen’s uniform is not a licence to commit wrongdoing, and it has never been suggested that it should be. The Army should be held accountable for such shortcomings, even where the victims are from the very community which has benefited so much from the Army’s assistance. A proper system of justice requires no less.“ 1132
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Stellt man auf den äußeren Anschein ab, so fällt auf, dass sich – anders als etwa bei den Blauhelmen, die in der Regel als ‘subsidiary organ’ der VN firmieren – bei den Einsätzen der KFOR (ebenso wie jenen von IFOR/SFOR) in den einschlägigen Dokumenten nur selten eine Referenz zur NATO findet.1136 Einzig und allein SR-Resolution 1244 (1999) spricht in Z 4 Annex 2 von einer „international security presence with substantial North Atlantic Treaty Participation [which] must be deployed under unified command and control…“, während jedoch Vertragspartei des MTA nicht die NATO, sondern die KFOR ist. Auch gewährt UNMIK Regulation 2000/471137 in Sect. 2 dem Personal der KFOR (nicht der NATO) volle Immunität und überlässt den Mitgliedstaaten jegliche Jurisdiktionsgewalt.1138 In von den Entsendestaaten gegen KFOR-Soldaten durchgeführten Disziplinarverfahren werden darüber hinaus die ROE unter den nationalen Abweichungen und Anpassungen angewendet.1139 Anders als bei VN-Einsätzen fehlt es an einer mit den Blauhelmen vergleichbaren ‘corporate identity’, die Soldaten treten in ihren nationalen Uniformen ohne jegliche NATO-Insignien auf.1140 Entscheidendes Zurechnungskriterium bildet allerdings die Ausübung der ‘operational command and control’: Nach OPLAN 10413, Operation Joint Guardian, stehen sämtliche KFOR-Soldaten unter der operativen Führung des NATO-SACEUR, dem die Sektorenkommandanten und die nationalen Befehlshaber unterstehen. Der SACEUR und die MNB-Kommandeure üben aber keine full control aus, da insb die Ausübung jeglicher Disziplinar- und Strafgewalt in die nationale Zuständigkeit fällt. Im Hinblick auf die Verwendung der Soldaten ist trotz der Übertragung der Weisungsbefugnis (TOA) an die NATO bzw den Kommandanten der multinationalen Brigade im Ministerratsbeschluss gemäß § 4 Abs 3 Satz 2 KSE-BVG deren operational command insofern eingeschränkt, als der nationale Befehlshaber die Vereinbarkeit der NATO-Weisungen mit der nationa-
Ress/Bröhmer, Article 53, in: UN-Charter Commentary, Rz 9; Erberich, Auslandseinsätze, 133. 1137 UNMIK/REG/2000/47 v 17. 8. 2000. 1138 Krieger, ZaöRV 2002, 681; Lorenz, Anwendungsbereich, 276. 1139 Vgl zur Praxis abweichender ROE oben III.B. sowie zu unten IV.C.2.b)aa). 1140 Vgl Lorenz, Anwendungsbereich, 276. 1136
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len Rechtsordnung überprüfen kann;1141 im Falle einer widersprechenden Weisung des nationalen Befehlshabers haben die österreichischen Soldaten gemäß § 4 Abs 7 KSE-BVG diese und nicht die ausländische Weisung zu befolgen und bleiben somit für die gesamte Einsatzdauer auch im operativen Bereich unter der (zumindest potentiellen) Leitungsbefugnis gemäß Art 20 B-VG. Aus diesem Grund liegt somit kein Ausschluss der österreichischen Kontrolle über die Bundesheersoldaten und daher auch kein Fall einer (echten) Organleihe an die NATO vor. Vielmehr üben die NATO und Österreich gemeinsam die Kontrolle über die im Friedenseinsatz befindlichen Soldaten aus; welches VRS von beiden konkret die effektive Kontrolle ausübt, kann nur im Wege einer Einzelfallprüfung festgestellt werden. Im Ergebnis ist somit festzuhalten, dass die österreichischen KFOR-Soldaten sowohl organisatorisch als auch funktionell – ungeachtet einer eventuellen zusätzlichen Zurechenbarkeit zur NATO –auch im Auslandseinsatz als Staatsorgane tätig werden und daher jedenfalls österreichische Hoheitsgewalt ausüben, welche somit jedoch gegenüber Personen, die dadurch gemäß Art 1 EMRK der Jurisdiktion Österreichs unterliegen, grundrechtskonform sein muss.1142 Die Konfliktregel des § 4 Abs 7 KSE-BVG kann sich nur auf operative Weisungen beziehen, da Weisungen im Bereich der Disziplinar- und Strafgewalt von vornherein immer nur österreichischen Organen vorbehalten bleiben (§ 4 Abs 3 Satz 2 KSE-BVG e contrario und ErläutRV 633 BlgNR 10. GP, 5); vgl zur ähnlichen Einordnung deutscher Bundeswehrsoldaten im Rahmen ihres SFOR-Einsatzes Lüder, NZWehrr 2001, 113, der eine Übergabe der Befehlsgewalt an den NATOSACEUR verneint, da der nationale (deutsche) Befehlshaber stets den vom SACEUR erteilten Befehl im Hinblick auf die deutsche Rechtsordnung zu prüfen hat und ihm gegebenenfalls widersprechen kann; vgl auch Fleck, Befehls- und Kommandogewalt, 168ff. 1142 Zum selben Ergebnis aus Sicht der deutschen Rechtslage kommen Krieger, ZaöRV 2002, 680ff; Lüder, NZWehrr 2001, 116; Erberich, Auslandseinsätze, 140ff; Lorenz, Anwendungsbereich, 275f; ebenso im Hinblick auf den Einsatz der IFOR/ SFOR Donner, HumVR 1997, 68 und generell auf die NATO Stein, in: Kosovo and the International Community, 186ff und Pellet, in: Kosovo and the International Community, 193ff. Für das Vorliegen gemeinsamer Kontrolle und die Möglichkeit einer parallelen Verantwortlichkeit von Entsendestaat und Internationaler Organisation auch Amerasinghe, Principles, 404. Vgl auch die Schlussfolgerungen der ILA, Berlin Conference (2004), Accountability of International Organisations, 24: „Troopcontributing countries remain responsible for violations of the applicable international humanitarian law, but IO-s bear a coordinate responsibility with troop-con1141
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5. Die Entscheidung Behrami und Saramati des EGMR: Pauschalzurechnung zu den VN? In den Fällen Behrami und Saramati hätte der EGMR die Gelegenheit vorgefunden, zur extraterritorialen Geltung der EMRK im Allgemeinen sowie erstmals zur Frage der Anwendbarkeit der Konvention auf Friedensoperationen im Speziellen Stellung zu nehmen.1143 Der Gerichtshof hat dies bedauerlicherliche nicht getan, indem er seine Zuständigkeit ratione personae insofern abgelehnt hat, als er die in den Fällen gerügten Handlungen nicht den Entsendestaaten, sondern – auf Grund der Autorisierung des KFOR-Einsatzes durch den Sicherheitsrat – den Vereinten Nationen zugerechnet hat.1144 Die Fälle leisten somit keinen (direkten) Beitrag zur Klärung des räumlichen Anwendungsbereichs der EMRK.1145 Beide Entscheidungen sind allerdings dogmatisch nur sehr unzureichend begründet und werden in der Literatur daher mit gutem Grund äußerst kritisch aufgenommen: „The Grand Chamber’s decision, it must be said, embraced a mistaken view as it regarded the loose supervision exercised by the SC over the international security presence in Kosovo as amounting to ,ultimate control‘ for which the SC lacks both the legal authority and the practical means. It further confused the question of attributability with the larger issue of the authorisation of, and mandate for, the deployment of an international military presence. Yet this is only part of the havoc that the decision created. The Grand Chamber mischaracterised the relationship between the international legal order and a regional human rights regime by insinuating that a UN member state’s ,obligations‘ under Chapter VII-authorised SC Resolutions displaced, by virtue of Art. 103 of the Charter, its ECHR obligations, hence making redundant the principle of equal protection.“1146 tributing States for ensuring compliance with the applicable principles of international humanitarian law in peacekeeping or other operations conducted under the control or authority of the IO.“ 1143 EGMR, Entscheidung v 2. 5. 2007 (Große Kammer), Behrami gegen Frankreich und Saramati gegen Frankreich, Deutschland und Norwegen (für eine deutsche Übersetzung siehe EuGRZ 2007, 522ff). 1144 EGMR, Entscheidung v 2. 5. 2007 (Große Kammer), Behrami gegen Frankreich und Saramati gegen Frankreich, Deutschland und Norwegen, Rz 128-143. 1145 Vgl. EGMR, Entscheidung v 2. 5. 2007 (Große Kammer), Behrami gegen Frankreich und Saramati gegen Frankreich, Deutschland und Norwegen, Rz 71. 1146 Knoll, ZaöRV 2008, nach FN 82 (Conclusion); vgl auch die eher nüchterne Analyse von Larsen, EJIL 2008, 509ff sowie AJIL 2008, 323ff.
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Besagte Entscheidung verkennt die oben dargestellten Kriterien der Zurechenbarkeitsprüfung wie die Ausüberung wirksamer effektiver Kontrolle aus dem Recht der Staatenverantwortlichkeit. Zudem konzepiert sie Art 103 SVN unzulässigerweise in einem Sinn, der VN-mandatiere Operationen grundsätzlich von sämtlichen (Grund)Rechtspflichten befreien würde.1147 Die Entscheidung kann, unbestritten ihrer Autorität, der vorliegenden Arbeit daher nicht zu Grunde gelegt werden, und ändern nichts an der hier vertretenen These, dass die Entsendestaaten bei Vorliegen von Jurisdiktion im Sinne von Art 1 EMRK bei Auslandseinsätzen an die Konventionsrechte gebunden sein können. Die bloße Autorisierung durch den VN-Sicherheitsrat reicht bei Nichtvorliegen wirksamer Kontrolle jedenfalls nicht für eine ausschließliche Zurechnung an die VN aus. 6. Resümee a) Auslandseinsätze als Ausübung extraterritorialer Hoheitsgewalt Zusammenfassend ist festzuhalten, dass – entgegen der Auffassung des EGMR in Behrami und Saramati – eine (echte) Organleihe österreichischer Bundesheersoldaten an Internationale bzw regionale Organisationen stets an der im Wege von § 4 Abs 3 bis Abs 7 KSE-BVG fortbestehenden Kontroll- und Leitungsbefugnis Österreichs scheitert und eine ausschließliche Zurechnung an die jeweilige Organisation verhindert. So bildet die in den entsprechenden Vereinbarungen mit der die Friedensoperation durchführenden Organisation zugesicherte – und einfachgesetzlich im StGB sowie im HDG verankerte – alleinige Kompetenz Österreichs zur Ausübung der Straf- und Disziplinargewalt ein wesentliches Mittel zur Leitung und Steuerung des Verhaltens der Bundesheersoldaten im Ausland.1148,1149 Darüber hinaus besteht selbst im Bereich der operativen Verwendung – wo die Weisungsbefugnis im Regelfall gemäß § 4 Abs 3 Satz 2 KSE-BVG an den Oberbefehlshaber der jeweiligen Internationalen 1147
Zur Bedeutung von Art 103 SVN vgl Thallinger, ZaöRV 2007, 1028f mwN. Gemäß den Schlussfolgerungen der ILA, Berlin Conference (2004), Accountability of International Organisations, 25 bildet die Disziplinargewalt der Entsendestaaten eine zusätzliche Basis für das Vorliegen der Staatenverantwortlichkeit. 1149 Die Anwendung weiterer Bundesgesetze auf Soldaten im Ausland wie etwa das AuslEG ist ebenso Indiz für eine Zurechnung zum Bund. 1148
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Organisation übertragen wird – die Kontrolle mittels der Anordnung in § 4 Abs 7 KSE-BVG, dass im Falle widersprechender Weisungen zwischen dem in Betracht kommenden internationalen und dem zuständigen österreichischen Organ die entsendeten Personen letztere zu befolgen haben, fort und sichert Österreich ohne Ausnahme in jeder Situation die Möglichkeit zur Ausübung effektiver Kontrolle über die im Auslandseinsatz befindlichen Einheiten und Personen. Daraus folgt unzweifelhaft, dass die innerstaatliche Rechtsordnung von einem Fortbestehen der staatlichen Organschaft der entsendeten Personen ausgeht und deren Verhalten somit Österreich zuzurechnen ist.1150 Von der fortbestehenden Ausübung österreichischer Hoheitsgewalt gehen auch die Gesetzesmaterialien zum KSE-BVG bzw Entsende-BVG aus.1151, 1152 Demnach ist durch die verfassungsgesetzlichen Regelungen „die Grundlage dafür zu schaffen, daß in einem Organverhältnis zu einer Gebietskörperschaft der Republik Österreich stehende Personen im Namen der Republik Österreich im Ausland Hoheitsakte setzen dürfen.“1153 Im Hinblick auf die Weisungsbefugnis sei laut den ErläutRV zwischen der (taktischen und operativen) Verwendung der Einheiten einerseits und der Weisungsbefugnis hinsichtlich der Aufrechterhaltung der Ordnung und Disziplin innerhalb der Einheit anderseits zu unterscheiden: In beiden Fällen hat ein von der Bundesregierung bzw dem zuständigen Bundesminister zu bestellender Vorgesetzter im Ausland den MitglieSo auch noch Walter/Mayer, Bundesverfassungsrecht8 (1996), Rz 755. 1151 ErläutRV 633 BlgNR 10. GP (zum Entsende-BVG). In den ErläutRV 503 BlgNR 20. GP, 6 wird im Hinblick auf Regelungen des KSE-BVG, die mit jenen des Ensende-BVG übereinstimmen, auf die ErläutRV 633 BlgNR 10. GP verwiesen. Darüber hinaus verweisen die Materialien auch auf Einsätze der VN im Kongo bzw Zypern vor Inkrafttreten des Entsende-BVG, als mangels verfassungsgesetzlicher Ermächtigung die entsendeten Personen nicht als Träger österreichischer Hoheitsgewalt auftraten, da die Republik Österreich mittels privatrechtlicher Anstellungsverhältnisse bloß zivilrechtlicher Dienstgeber war und die entsendeten Sanitätseinheiten somit aber als Organe der Vereinten Nationen fungierten, vgl ErläutRV 633 BlgNR 10. GP, 3 und Bernhardt, HumVR 1992, 175f. 1152 Von der Ausübung deutscher Hoheitsgewalt bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr geht auch die hM in Deutschland aus, vgl Classen, Art 24 GG, Rz 90; Baldus, Art 87a GG, Rz 34; nach Art der Entsendung differenziert Erberich, Auslandseinsätze, 61ff. 1153 ErläutRV 633 BlgNR 10. GP, 4 (Hervorhebung von mir); Bernhardt, HumVR 1992, 176f. 1150
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dern der Einheiten die nötigen Weisungen zu erteilen.1154 Nach § 4 Abs 3 zweiter Satz KSE-BVG kann die Bundesregierung aber bestimmen, ob und wie weit die entsendeten Personen hinsichtlich der Verwendung im Ausland die Weisungen der Organe einer internationalen Organisation oder ausländischer Organe zu befolgen haben („transfer of authority“); eine Weisungsbefugnis zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Disziplin innerhalb der Einheit selbst kann einer Internationalen Organisation seitens der Bundesregierung hingegen nicht eingeräumt werden.1155 An dieser innerstaatlich angeordneten Organstellung österreichischer Personen im Auslandseinsatz vermag auch eine möglicherweise davon abweichende völkerrechtliche Vereinbarung mit der jeweiligen Internationalen Organisation nichts ändern, da das entscheidende Kriterium der Zurechenbarkeit nach dem Recht der Staatenverantwortlichkeit ausschließlich in der konkreten Ausgestaltung der jeweiligen nationalen Rechtslage liegt.1156 Kommt man somit zum Ergebnis, dass die Bundesheersoldaten auch im Ausland österreichische Hoheitsgewalt ausüben, folgt daraus – eine korrelierende Grundrechtsbindung vorausgesetzt1157 – für die Ausübung des Weisungsrechts Folgendes: Hat der zuständige österreichische Vorgesetzte von etwaigen Grundrechtsverletzungen durch die ihm unterstellten Personen Kenntnis, steht er jedenfalls unter der Verpflichtung, mittels entsprechender Weisungen weitere Verstöße zu unterbinden. Unabhängig davon ergibt sich aus der fortbestehenden Organstellung österreichischer Soldaten im Ausland, dass Österreich auch ultra vires Handlungen seiner Streitkräfte zugerechnet werden können.1158 Ibid, 5. ErläutRV 503 BlgNR 20. GP, 10. 1156 Vgl Art 4 Abs 2 ILC-Entwurf; Crawford, Articles on State Responsibility, 98f; Pitschas, Verantwortlichkeit, 49; aA zur Rechtslage bei VN-Einsätzen Pernthaler/ Esterbauer, JIR 1973, 83, 87f nach denen sich die hoheitliche Tätigkeit der Republik Österreich nur auf die innere Organisation, Ordnung und Disziplin der entsendeten Einheit bezieht und die Verantwortung für das Auftreten nach außen insofern nicht auf Österreich übertragen wird, als diese als Organ der VN auftreten. 1157 Die Bedingungen einer entsprechenden Grundrechtsbindung sind gemäß den oben dargestellten Kriterien zur Auslegung von Art 1 EMRK im Folgenden an Hand der Auslandseinsätze näher zu untersuchen. 1158 Art 7 ILC-Entwurf; vgl Crawford, Articles on State Responsibility, 106ff. 1154 1155
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b) Das KSE-BVG und die völkerrechtliche Praxis In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die völkerrechtliche Ausgestaltung eines Auslandseinsatzes in concreto tatsächlich in allen Fällen mit der verfassungsgesetzlichen Rechtslage im KSE-BVG im Einklang steht. Diese Frage drängt sich insofern auf, als das KSE-BVG bei der solidarischen Teilnahme an Maßnahmen der Friedenssicherung nach § 1 Z 1 lit a) leg cit nicht näher zwischen den einzelnen Friedensoperationen unterscheidet, sondern undifferenziert auf solche im Rahmen der VN, NATO-PfF, OSZE und neuerdings auch der EU Anwendung findet. Gemeinsam ist allen Missionen, dass im Hinblick auf ihre Verwendung die entsendeten Einheiten stets der Kommandogewalt eines obersten Kommandanten (‘Head of Mission’) unterstellt werden; inwieweit die gemäß § 4 Abs 3 iVm Abs 7 KSE-BVG fortbestehende Weisungsbefugnis österreichischer Organe tatsächlich von Relevanz ist, bedürfte einer näheren Analyse der Praxis,1159 etwaige Vorbehalte, dass sie de facto nur eine nationale ‘Notbremse’ für Extremsituationen bilden soll, erscheinen hier aber wohl nicht unangebracht zu sein. Der Standpunkt des KSE-BVG, wonach österreichische Soldaten im Auslandseinsatz ihre Organstellung behalten, ist mit der Mehrzahl der Friedensoperationen zu vereinbaren. Eine Ausnahme bildet die oben dargestellte Auffassung der VN, derzufolge PKO als ‘subsidiary organs of the UN’ einzustufen sind. Hier dürfte ein Widerspruch mit der österreichischen Rechtslage vorliegen. Eine explizitere Regelung des Status Quo der österreichischen Soldaten im Ausland erscheint aber vor allem im Hinblick auf die durch die skizzierte organisatorische und funktionelle Dynamisierung der Friedensoperationen wünschenswert und erforderlich. Gerade die vermehrte Übernahme von robusteren, friedensdurchsetzenden sowie quasi-polizeilichen Aufgaben bringt im Gegensatz zur ehemals klassischen Funktion als Beobachter und ‘Puffer’ zwischen Konfliktparteien die Gefahr von Eingriffen in die Rechtsphären der lokalen Bevölkerung und damit Fragen der Verantwortlichkeit für entsprechendes Verhalten mit sich. Diesbezügliche Fragen können gegenwärtig vor allem im Rahmen der zunehmend aktiven Rolle der Eine solche würde einerseits den Rahmen der Arbeit sprengen und ist andererseits auch aus militärpolitischen Geheimhaltungsinteressen nur sehr schwierig durchführbar.
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EU und bestehender bzw geplanter EUFOR-Missionen, insb der österreichischen Beteiligung an einer ab 2007 einsatzbereiten ‘battle group’,1160 auftreten. Außerdem ist zu prüfen, ob der generelle Regelungsmodus des KSE-BVG in seiner Allgemeinheit den heutigen Herausforderungen von Friedenseinsätzen noch gewachsen ist. Eine spezifischere Festlegung der Rechtsstellung österreichischer Einheiten im Ausland könnte zT im Rahmen des bisherigen § 4 Abs 3 Satz 2 KSE-BVG vorgenommen werden. De constitutione ferenda erscheint aber eine Änderung der Bundesverfassung zu Auslandseinsätzen wünschenswert, die auch dazu genützt werden sollte, diese von der stark technisierten Sprache des KSE-BVG zu befreien und in der verfassungsrechtlichen Ermächtigungsgrundlage für Entsendungen die Regelung der näheren Details zu delegieren.1161 Letztere könnten sodann etwa – auf jeden einzelnen Einsatz spezifisch zugeschnitten – in Form von einfachen Bundesgesetzen1162 oder Verordnungen1163 an Stelle der bisherigen Ministerratsbeschlüsse ergehen.1164 Vgl dazu unten V. Wenn eine solche Teilnahme an EU-Gefechtsverbänden innerhalb weniger Tage möglich sein soll, dann bedarf es zudem auch einer Erweiterung der Dringlichkeitsklausel des § 2 Abs 5 KSE-BVG, wonach bisher bloß Maßnahmen der humanitären Hilfe und der Katastrophenhilfe gemäß § 1 Z 1 lit b) leg cit unverzüglich – nämlich durch einvernehmlichen Beschluss des Bundeskanzlers, des BMaA und des jeweils zuständigen Bundesministers mit bloß anschließendem, zwei Wochen lang gültigem Einspruchsrecht des Hauptausschusses des Nationalrats – erfolgen können, auf solche Einsätze im Rahmen der EU Rapid Reaction Force (ERRF); gleichzeitig ist auch fraglich, ob bei verstärkter Teilnahme an EU-Einsätzen mit dem Prinzip der Freiwilligkeit gemäß § 4 Abs 2 KSE-BVG in Zukunft noch das Auslangen gefunden werden kann, vgl zu diesen Punkten auch Rehrl, ZÖR 2005, 50f. 1161 Vgl auch den Ergänzenden Bericht v 16. 11. 2004 des Ausschusses VI des Österreich-Konvents, 27, der eine Inkorporation der Entsendebestimmungen des KSEBVG in Art 79 B-VG vorschlägt. 1162 Siehe zur Rechtslage in Deutschland BVerfGE 90, 286, 387f (Somalia-Einsatz – dazu Riedel, DÖV 1993, 994ff): Das BVerfG leitet darin aus dem GG die Verpflichtung der Bundesregierung ab, für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte die – grundsätzlich vorherige – konstitutive Zustimmung des deutschen Bundestags einzuholen. Diese sei auch bei Einsätzen im Rahmen von Resolutionen des VN-Sicherheitsrats erforderlich und zwar unabhängig davon, ob den Streitkräften Zwangsbefugnisse nach Kapitel VII SVN eingeräumt sind und wie die Kommandostrukturen ausgestaltet sind. Eine unterschiedliche Behandlung von verschiedenen Einsatzformen von Friedensgruppen soll sich deshalb verbieten, weil die Grenzen zwischen den traditionellen Blauhelmeinsätzen und solchen mit der Befugnis zu bewaffneten 1160
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7. Exkurs: Subsidiäre Verantwortlichkeit der Mitgliedstaaten einer Internationalen Organisation für deren Friedensoperationen a) Verantwortlichkeit Internationaler Organisationen für Friedenstruppen Vorausgesetzt, dass bei einer Friedensoperation das Verhalten nationaler Streitkräftekontingente einer Internationalen Organisation allein oder parallel zum jeweiligen Entsendestaat zugerechnet werden kann,1165 ist eine Feststellung einer etwaigen völkerrechtlichen Verantwortlichkeit der Organisation zu prüfen.1166 Wie oben dargeSicherungsmaßnahmen in der Realität fließend geworden sind. So sei der Begriff der Selbstverteidigung, die schlichten Friedenstruppen erlaubt wäre, bereits in einem aktiven Sinne dahin definiert, dass sie auch den Widerstand gegen gewaltsame Versuche einschließe, die Truppen an der Ausführung ihres Auftrags zu hindern; nur bei Gefahr im Verzug sei die Bundesregierung befugt, vorläufig den Einsatz zu beschließen, müsse jedoch umgehend das Parlament mit dem beschlossenen Einsatz befassen und die Streitkräfte zurückrufen, wenn das Parlament es verlange – siehe dazu § 5 Gesetz über die parlamentarische Beteiligung bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland (Parlamentsbeteiligungsgesetz), dBGBl 2005 I Nr 17, 775 und dazu Gilch, Parlamentsbeteiligungsgesetz, 178ff, 218ff sowie Weiß, NZWehrr 2005, 103ff; vgl allgemein zB auch Baldus, Art 87a GG, Rz 29ff, 42ff mwN und jüngst Schmidt-Radefeldt, Parlamentarische Kontrolle. Um eine Verzögerung, die auf Grund des Verfahrens zur Erlassung eines Bundesgesetzes unausweichlich ist, zu vermeiden, könnte bei Gefahr im Verzug auch in Österreich eine nachträgliche Beschlussfassung ermöglicht werden bzw eine solche sodann im Verordnungsweg erfolgen. 1163 Diese sollten sodann im Einvernehmen der betroffenen Bundesminister ergehen, für Entsendungen von Bundesheersoldaten etwa jenem vom BMLV und dem BMeiA. 1164 Eine damit einhergehende Publikation im BGBl würde gleichzeitig Transparenz und accountability fördern. 1165 Eine alleinige Zurechnung an eine IO liegt, jedenfalls im Hinblick auf den Auslandseinsatz österreichischer Soldaten, wie gerade gezeigt, gegenwärtig nicht vor, erscheint aber angesichts von Plänen der NATO bzw der EU zur Aufstellung eigener, von den Mitgliedstaaten unabhängiger, Streitkräfte in der Zukunft möglich. Im Falle einer parallelen Zurechnung kann auch eine parallele Verantwortlichkeit gegeben sein, etwa wenn die IO mit dem betreffenden Staat kooperiert hat und dabei eine beide treffende Verpflichtung verletzt hat, vgl den Bericht der ILC über ihre 55. Session, 47, 58 UN-GAOR, Suppl No 10, UN-Doc A/58/10 (2003), abrufbar unter http://www.un.org/law/ilc/reports/2003/2003report.htm. 1166 Dies hat auch der VN-GS in einem PKO-Bericht (Document A/51/389, 4, para 6) bekräftigt: „…the principle of State responsibility – widely accepted to be
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stellt,1167 sind auch Internationale Organisationen an die fundamentalen Menschenrechte und Freiheiten, die Völkergewohnheitsrecht darstellen, gebunden, wozu jedenfalls das Verbot der Folter, das Verbot rassischer Diskriminierung sowie das Verbot der Sklaverei und des Sklavenhandels als Bestandteil der ius cogens-Normen gehören.1168 Dies trifft gerade auch im Rahmen von Friedensoperationen zu und insb dann, wenn die VN, wie bei der Ausübung der internationalen Verwaltung über ein Gebiet, Individuen direkt ihrer Hoheitsgewalt unterwerfen.1169 Ansonsten gelangt man zur paradoxen Konsequenz, dass, wie der Kosovo Ombudsmann mit Bezug auf die vormals autonome Provinz im ehemaligen Jugoslawien festgestellt hat, die VN Personen ihrer Kontrolle unterwerfen „thereby removing them from the protection of the international human rights regime that formed the justification for UN engagement in Kosovo in the first place“.1170 Erkennt man in der SVN die Legitimation zur Einsetzung von Friedensoperationen, so erfordert deren telos aber unzweifelhaft auch die Bindung an die Menschenrechte in denselben. Wie noch zu zeigen sein wird, muss diese unabhängig von der Autorisierung von Friedensmissionen unter Kapitel VII der SVN sowie einer möglichen (parallelen) Geltung des humanitären Völkerrechts Bestand haben.1171 Nicht zuletzt ist auch die Akzeptanz der Friedenssoldaten von einem menschenwürdigen und respektvollen Auftreten abhängig. So haben zwar die Vorfälle um Blauhelme in Srebrenica und Somalia sowie die Enthüllungen über sexuelle Ausbeutung und Missbrauch der lokalen Bevölkerung in applicable to international organizations – that damage caused in breach of an international obligation and which is attributable to the State (or to the Organization) entails the international responsibility of the State (or of the Organization)…“; vgl auch Art 8 – 16 ILC-Entwurf IO. 1167 Siehe dazu 1. Kap III.C. 1168 Vgl zB EGMR, Urteil v 21. 11. 2001 (GK), Al-Adsani gegen Vereinigtes Königreich, RJD 2001-XI, 79, Rz 57, 60; House of Lords, R. V. Bow Street Metropolitan Magistrate, ex parte Pinochet Ugarte (No 3), [1999] 2 W.L.R. 827, 841, 881; vgl nur Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, 72ff; Crawford, Articles on State Responsibility, 246f; vgl zu den Implikationen einer ius cogens-Verletzung auf das nationale Recht de Wet, EJIL 2004, 97ff. 1169 Vgl dazu zB Bothe/Marauhn, in: Kosovo and the International Community, 222ff. 1170 Second Annual Report 2001-2002 (Pristhtina, 2002) 5. 1171 Siehe dazu IV.B.4.
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der DR Kongo 20041172 zu zahlreichen Maßnahmen und strikteren ‘rules of conduct and discipline’ geführt,1173 eine explizite Bindung der VN-Blauhelme an die Menschenrechte wird bis dato aber vom VN-GS bzw dem DPKO immer noch abgelehnt.1174 Das humanitäre Völkerrecht sollen die VN-Friedenstruppen bei ihren Einsätzen dagegen zu beachten haben,1175 es mangelt dabei aber in der Regel an der Durchsetzbarkeit der jeweiligen Gewährleistungen. b) Subsidiäre Verantwortlichkeit und Haftung der Mitgliedstaaten für Friedensoperationen einer Internationalen Organisation aa) Allgemeiner haftungsrechtlicher Durchgriff auf die Mitgliedstaaten Unabhängig von der konkreten Zurechenbarkeit eines Verhaltens zu einer Internationalen Organisation oder zum Entsendestaat hat sich insb bei der Durchführung von Friedensoperationen eine ebenso umfassende wie kasuistische Haftungspraxis Internationaler Organisationen gebildet.1176 In diesem Zusammenhang sind zahlreiche Fragen wie insb die Zulässigkeit eines haftungsrechtlichen Durchgriffs auf die Mitgliedstaaten der schädigenden Internationalen Organisation (‘piercing the intergovernmental veil’) umstritten, die jedoch in der vorliegenden Arbeit nicht näher untersucht werden können.1177 Vgl zB NZZ v 15. 2. 2005, 5, Skandal um UNO-Mission in Kongo-Kinshasa. Vgl Letter dated 24 March 2005 from the Secretary-General to the President of the General Assembly including the Report of the Secretary-General’s Special Advisor, Prince Zeid Ra’ad Zeid al-Hussein, „A comprehensive strategy to eliminate future sexual exploitation and abuse in United Nations peacekeeping operations“, Doc. A/59/710. 1174 Vgl Maogoto, Human Rights, in: The Rule of Law in Peace Operations, 245ff; vgl aber Rule Number 5 der ‘Ten Rules – Code of Personal Conduct for Blue Helmets’, herausgegeben vom VN DPKO, wonach die Blauhelme verpflichtet sind „to respect and regard the human rights of all“, vgl Clapham, Non-State Actors, 113. 1175 Sect. 1 of the Secretary-General’s Bulletin v 6. 8. 1999, Observance by United Nations forces of international humanitarian law, ST/SGB/1999/13; gemäß Sect. 2 berührt die Bindung an das humanitäre Völkerrecht aber nicht die Anwendbarkeit der nationalen Gesetze der jeweiligen Einheiten der Entsendestaaten; vgl auch ILA, Berlin Conference (2004), Accountability of International Organisations, 24f. 1176 Siehe Schmalenbach, Haftung Internationaler Organisationen, 112ff. 1177 Vgl dazu umfassend insb Hartwig, Haftung. 1172 1173
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bb) Subsidiäre Verantwortlichkeit der Mitgliedstaaten einer Internationalen Organisation für Verletzungen der EMRK im Rahmen der Durchführung von Friedensoperationen Mangels Durchsetzbarkeit der bestehenden Menschenrechtsverpflichtungen Internationaler Organisationen stellt sich darüber hinaus die Frage, inwieweit die Entsendestaaten, wenn sie nicht ohnehin eigenständig bzw in eventu parallel verantwortlich zeichnen, für allein der Internationalen Organisation zurechenbare Menschenrechtsverletzungen einstehen müssen. Dieser bis heute wenig geklärte Themenkomplex wird besonders dann virulent, wenn man, wie der EGMR in seiner Entscheidung in Behrami und Saramati, Handlungen mitgliedstaatlicher Organe auf Grund der Autorisierung des VN-Sicherheitsrats ausschließlich den Vereinten Nationen zurechnet.
B. Anwendbarkeit der Grundrechte im Auslandseinsatz 1. Allgemein Auf der Grundlage des Zwischenergebnisses, dass Bundesheersoldaten im Auslandseinsatz (zumindest auch) österreichische Hoheitsgewalt ausüben, ist nun zu untersuchen, ob sie dabei gegenüber der lokalen Bevölkerung an die Grundrechte der Bundesverfassung gebunden sind. Dies ist, wie im 3. Kapitel erörtert wurde, dann der Fall, wenn sie als österreichische Organe Jurisdiktion über Personen und Gegenstände ausüben, diese also ihrer effektiven Kontrolle unterliegen. An Hand der entsprechenden Kriterien und potentieller grundrechtssensibler Anwendungsfälle soll im Folgenden geprüft werden, ob Soldaten im Auslandseinsatz ein solches Ausmaß an Kontrolle innehaben. Im Anschluss daran sind einer möglichen Grundrechtsbindung entgegenstehende Vorbehalte auf ihre Stichhaltigkeit hin zu prüfen. 2. Die Begründung von Jurisdiktion im Auslandseinsatz a) Die Ausübung wirksamer Kontrolle durch Bundesheersoldaten aa) Wirksame territoriale Kontrolle Ein Staat übt Jurisdiktion dort aus, wo er ein Gebiet wirksam und in umfassender Weise kontrolliert; das ist in der Regel auf sei-
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nem Staatsgebiet der Fall. Unter bestimmten Umständen kann allerdings eine entsprechende Kontrolle auch außerhalb des eigenen Territoriums vorliegen. Fraglich und umstritten ist jedoch der Umfang der dafür notwendigen Kontrolle und der damit einhergehenden Ingerenzmöglichkeit des Staats, aus welcher erst eine potentielle Verantwortlichkeit resultieren kann. In dieser Hinsicht geht – wie oben dargestellt wurde – die Rechtsprechung der Konventionsorgane vom Grundsatz aus, dass wirksame Gesamtkontrolle, die zB alleine durch eine große Anzahl an Streitkräften indiziert werden kann, Jurisdiktion und somit die Verantwortlichkeit nach der Konvention begründen kann.1178 In welcher konkreten Gestalt sich demnach die Kontrolle eines Staats über ein Gebiet im Ausland äußern muss, ist – solange sie wirksam ist – nach Ansicht des EGMR unbeachtlich und soll durch Streitkräfte ebenso wie durch eine untergeordnete lokale Verwaltung aber auch durch die bloße militärische, wirtschaftliche und politische Unterstützung einer Regierung erfolgen können.1179 Im Fall Bankoviü sah der EGMR eine extraterritoriale Jurisidiktionsausübung dann als gegeben an, wenn „through the effective control of the relevant territory and its inhabitants abroad as a consequence of military occupation or through the consent, invitation or acquiescence of the government of that territory, [it] exercises all or some of the public powers normally to be exercised by that governmentt.“1180 Entscheidend ist somit nicht, dass ein Staat sämtliche Hoheitsgewalt über das in Frage stehende Gebiet und die dortige Bevölkerung ausübt, wenngleich die Wirksamkeit der Kontrolle ein bestimmtes Ausmaß an Herrschaftsgewalt jedenfalls voraussetzen muss. Üben nun österreichische Soldaten im Auslandseinsatz unter diesen Bedingungen wirksame Kontrolle über das Gebiet, in welchem sie stationiert werden, aus? Vorweg ist nochmals darauf hinzuweisen, dass die Natur der Auslandseinsätze beträchtlich variiert – von bloßen Beobachtermissionen wie jenen auf den Golanhöhen bis zum robusten Peacekeeping der KFOR. Solche österreichischen EinheiEGMR, Urteil v 18. 12. 1996, Loizidou gegen Türkei (merits), RJD 1996-VI, 2234, Rz 56. 1179 Vgl näher oben im 3. Kap III.E.3.a). 1180 EGMR, Entscheidung v 12. 12. 2001 (Große Kammer), Bankoviü et al gegen Belgien und 16 andere NATO-Staaten, RJD 2001-XII, 355, Rz 71. 1178
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ten, die bloß als Beobachter oder zu verschiedensten Formen der Hilfeleistung eingesetzt werden, üben keine Befehls- und Zwangsgewalt und deshalb auch keine Kontrolle über das Einsatzgebiet aus. Anders könnte dies aber bei jenen Entsendungen von Soldaten sein, denen verschiedenste quasi-polizeilichen Aufgaben mit weit reichenden Eingriffsbefugnissen übertragen werden, wie dies etwa im Rahmen der KFOR der Fall ist.1181 Hier ist zu untersuchen, ob die übertragenen hoheitlichen Befugnisse bereits die Innehabung wirksamer Kontrolle über das jeweilige Einsatzgebiet vermitteln können. Der Einsatz österreichischer Soldaten im Kosovo ist jene Mission mit den bisher umfangreichsten Befugnissen zur Ausübung extraterritorialer österreichischer Hoheitsgewalt bei einer Friedensoperation. Österreichische KFOR-Soldaten sind dabei vorwiegend zur Durchführung von Personen- und Fahrzeugkontrollen, Personen- und Objektschutz, Festnahme verdächtiger Personen sowie generell zur Verhinderung von Aufständen und zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ermächtigt. Das Kontingent des Bundesheeres, das im Rahmen der TF Dulje im Bereich der Kommunen Suva Reka, Malisevo und Orahovac tätig wird, übt zwar beträchtliche aber gleichzeitig streng begrenzte und keinesfalls umfassende Hoheitsbefugnisse aus, die somit jedoch noch keine wirksame Kontrolle iS einer Gesamtkontrolle über das Gebiet der besagten Gemeinden darstellt. Entsprechendes gilt für die Tätigkeit der gesamten KFOR im Kosovo. Gemäß Z 9 der SR-Resolution 1244 (1999) iVm Art I Z 2 und Appendix B MTA ist diese in erster Linie umfassend und vorrangig für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit im Kosovo zuständig. Der Großteil der Hoheitsgewalt im Kosovo wird inzwischen aber von der kosovarischen Verwaltung sowie zT noch von UNMIK bzw nunmehr auch von EULEX Kosovo ausgeübt. Aus diesen Gründen kann folglich gemäß der Rechtsprechung des EGMR weder im Hinblick auf den Einsatz des Bundesheers im Rahmen der KFOR noch bei sonstigen gegenwärtigen Entsendungen nach dem KSEBVG davon ausgegangen werden, dass österreichische Soldaten wirksame Kontrolle über ihr Einsatzgebiet ausüben. Sie üben deshalb keine Jurisdiktion iSv Art 1 EMRK über Personen und Gegenstände qua wirksamer territorialer Kontrolle aus. 1181
Siehe zu deren Kompetenzen oben III.A.
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bb) Wirksame personale Kontrolle Eine Jurisdiktionsausübung von Soldaten im Auslandseinsatz kann, wenn auch nicht umfassend für ein bestimmtes Gebiet, so doch unter Umständen im Einzelfall über eine bestimmte Person oder Personengruppe (respektive über bestimmte Vermögensgegenstände) erfolgen. In diesem Zusammenhang ist zu prüfen, ob entsendete Soldaten im Rahmen einer Friedensoperation in der Lage sind, wirksame personale Kontrolle iSd Judikatur des EGMR zu Art 1 EMRK auszuüben. Dies ist der Fall, wenn sie durch ein bewusst auf Einzelpersonen gerichtetes Verhalten Befehls- und Zwangsgewalt gegenüber diesen setzen und in deren Rechtspositionen eingreifen können. Bei den rezenten robusteren Mandaten zur Friedenssicherung dürfen Bundesheersoldaten – wie der prototypische KFOR-Einsatz zeigt – auch im Auslandseinsatz Personen- und Fahrzeugkontrollen durchführen, verdächtige Personen anhalten, festnehmen und inhaftieren sowie (Waffen)Gewalt zum Schutz von Personen, Gebäuden und Gegenständen einsetzen. Von diesen Aktionen betroffene Personen sind in solchen Konstellationen allerdings im Hinblick auf den Entsendestaat der Soldaten im Gaststaat stets „under the former State’s authority and control through its agents operating – whether lawfully or unlawfully – in the latter State“.1182 Denn in allen diesen Fällen üben sie Befehls- und Zwangsgewalt gegenüber der lokalen Bevölkerung aus, die sich – abgesehen von den völkerrechtlichen Rahmenbedingungen (in der Regel Mandat der VN unter Kapitel VII der SVN zur Sicherung von Frieden und Sicherheit)1183 – nicht von der innerstaatlichen Gewaltanwendung gegenüber Staatsbürgern unterscheiden lässt. Nach der Judikatur des EGMR kann aber Art 1 EMRK nicht dahingehend ausgelegt werden, dass er einem Vertragsstaat die Begehung von Konventionsverletzungen auf dem Territorium eines anderen Staates erlaubt, deren Begehung ihm auf seinem eigenen Territorium untersagt ist.1184 Zur Abgrenzung von Kriegshandlungen muss in diesem Zusammenhang betont werden, dass die entsprechenden Befugnisse der Soldaten – anders als deren Verhalten im Zuge einer kriegerischen Auseinandersetzung – nicht als GeEGMR, Urteil v 16. 11. 2004, Issa et al gegen Türkei, Nr. 31821/96, § 71. Zu den damit zusammenhängenden Fragen und Auswirkungen siehe unten IV.B.4.c). 1184 EGMR, Urteil v 16. 11. 2004, Issa et al gegen Türkei, Nr. 31821/96, § 71. 1182 1183
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waltanwendung gegen den Gaststaat zu qualifizieren sind;1185 das Gegenteil trifft zu, da der betroffene Staat in aller Regel dem Einsatz der stationierten Einheiten ja im vorhinein zustimmt und damit teilweise auf die Ausübung der eigenen Hoheitsgewalt verzichtet.1186 Auf Grund der vom VN-Mandat bzw dem jeweiligen Übereinkommen mit dem Gaststaat konsentierten Befugnisse der entsendeten Soldaten setzen diese tatsächlich auf die örtliche Bevölkerung zielgerichtete Hoheitsakte mittels derer sie im konkreten Einzelfall wirksame personale Kontrolle und somit Jurisdiktion gemäß Art 1 EMRK ausüben können. b) Grundrechtseingriffe durch KFOR-Soldaten und ihre potentielle Rechtfertigung Im Folgenden sollen am Beispiel des KFOR-Einsatzes Grundrechtseingriffe österreichischer Bundesheersoldaten erläutert und untersucht werden, unter welchen Umständen diese Eingriffe gerechtfertigt sein können. Die Grundrechtsbindung der Soldaten erfolgt dabei, wie soeben dargelegt, über die Ausübung extraterritorialer wirksamer personaler Kontrolle und somit via der Innehabung von Jurisdiktion iSv Art 1 EMRK der Entsendestaaten durch ihre im Rahmen der KFOR eingesetzten nationalen Kontingente über die lokale Bevölkerung.1187 Diese vom EGMR auch für Streitkräfte anerkannte Ausübung extraterritorialer Jurisdiktion bildet die primäre Basis für die Grundrechtsverpflichtungen der Auslandstruppen.1188 Andere von manchen Autoren ins Treffen geführte Rechtsgrundlagen einer Grundrechtsbindung wie jene der Nachfolge der FRY in die MenschenZum Kriterium der Finalität gegenüber Individuen siehe oben im 3. Kap III.E. 3.b)ii) und Isensee, HStR V, Rz 90 sowie Schmidt-Radefeldt, Menschenrechtsverpflichtungen, in: Terrorismusbekämpfung, 111. 1186 Der aus diversen Gründen nicht oder nur beschränkt zur Ausübung eigener Hoheitsgewalt in der Lage befindliche Gaststaat schränkt dabei seine eigene Souveränität in dem Ausmaß ein, in dem er den Entsendestaaten die Setzung von Hoheitsgewalt überträgt. 1187 Vgl Cerone, EJIL 2001, 479f; Wolfrum, in: Max Planck UNYB 2005, 690; Maogoto, Human Rights, in: The Rule of Law in Peace Operations, 247. 1188 Vgl EGMR, Urteil v 23. 3. 1995, Loizidou gegen Türkei (preliminary objections), Serie A-310, 23, Rz 62, wonach die Verpflichtung zur Sicherstellung der Konventionsrechte aus dem Vorliegen extraterritorialer Kontrolle folgt, egal ob diese durch die Streitkräfte oder eine nachgeordnete lokale Verwaltung ausgeübt wird. 1185
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rechtsverpflichtungen der SFRY1189 oder die direkte Bindung der KFOR an die in der UNMIK Regulation 1999/24 für anwendbar erklärte EMRK (neben unter anderem dem IPBPR)1190 unterstützen diese Grundlage der Anwendbarkeit der Konventionsverpflichtungen, bilden aber keine Voraussetzung dafür. aa) Art 2 EMRK und der Einsatz lebensgefährdender Waffengewalt i) Allgemein Auf Grundlage der SR-Resolution 1244 und des MTA sind die österreichischen KFOR-Soldaten unter bestimmten Umständen auch zum Einsatz lebensgefährdender Waffengewalt ermächtigt. Näher konkretisiert werden die Bedingungen zur Anwendung von „deadly force“ durch die im NATO-OPLAN 10413 aufgestellten, unveröffentlichten ROE, die im Wesentlichen mit dem NATO-Befehl MC 362/1 korrelieren und zu denen Österreich grundsätzlich keinen Vorbehalt erklärt hat;1191 allerdings hat Österreich bei der Entsendung von Soldaten in den Kosovo festgehalten, dass sich Angehörige des Bundesheeres an keinen Maßnahmen beteiligen werden, welchen Vgl Cerone, EJIL 2001, 474f. Ob die in der UNMIK/REG/1999/24 v 12. 12. 1999 angeführten Menschenrechtsinstrumente auch die KFOR binden, ist umstritten (vgl Wolfrum, in: Max Planck UNYB 2005, 688). Dafür spricht der Wortlaut von Sect. 1.3 der Regulation, wonach „[I]n exercising their functions, all persons undertaking public duties or holding public office in Kosovo shall observe internationally recognized human rights standards“, wie sie in den danach aufgezählten Menschenrechtsverträgen verankert sind. Dagegen wird häufig die Unterscheidung von SR-Resolution 1244 (1999) in eine „international civil presence“ (UNMIK) und eine „international military presence“ eingewendet, wonach das durch die UNMIK gesetzte Recht nicht für die KFOR gilt (allerdings beruft sich die KFOR sehr wohl erfolgreich auf ihre in UNMIK/REG/2000/47 v 17. 8. 2000 festgelegte Immunität). Problematisch in Hinsicht auf eine EMRK-Bindung der KFOR bzw der subsidiären Verantwortlichkeit der beteiligten Staaten ist allerdings, dass sich im Rahmen der KFOR auch Entsendestaaten beteiligen, die nicht Vertragsstaaten der Konvention sind (diese wären aber zumindest an die Verpflichtungen aus dem IPBPR gebunden). Die überzeugendere Rechtsgrundlage erscheint nicht zuletzt aus diesem Grund die hier vertretene, von einer KFOR-Verpflichtung auf Grund der UNMIK-Gesetzgebung unabhängige eigenständige Bindung der nationalen Kontingente an deren jeweilige Menschenrechtsgewährleistungen im Rahmen der Ausübung extraterritorialer Jurisdiktion. 1191 Scherhaufer, Aspekte von Auslandseinsätzen, 13f. 1189 1190
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nationale Rechtsvorschriften entgegenstehen.1192 Die Ausübung tödlicher oder lebensgefährlicher Waffengewalt stellt in ihrer Erscheinungsform als auf Individuen zielende Befehls- und Zwangsgewalt immer einen Fall wirksamer personaler Kontrolle über die betroffenen Personen dar und bringt diese somit in den Jurisdiktionsbereich der handelnden Bundesheersoldaten, deren Verhalten deshalb an den Grundrechten der Bundesverfassung und insb Art 2 EMRK zu messen ist.1193 Lebensgefährlicher Waffengebrauch stellt immer einen Eingriff in das Recht auf Leben gemäß Art 2 EMRK dar,1194 der nach Art 2 Abs 2 leg cit gerechtfertigt sein kann, um a) die Verteidigung eines Menschen gegenüber rechtswidriger Gewaltanwendung sicherzustellen, um b) eine ordnungsgemäße Festnahme durchzuführen oder das Entkommen einer ordnungsgemäß festgehaltenen Person zu verhindern oder um c) im Rahmen der Gesetze einen Aufruhr oder einen Aufstand zu unterdrücken. ii) Notwehr und Nothilfe Infolge der Unanwendbarkeit von MBG und ADV im Auslandseinsatz umschreiben einzig und allein die ROE die rechtlich gewollte Vorgangsweise österreichischer KFOR-Soldaten beim Einsatz von Waffengewalt.1195 Für ein grundrechtskonformes Verhalten der entsandten Einheiten müssen die in den ROE vorgesehenen Verhaltensregeln selbst mit den Grundrechten in Übereinstimmung stehen bzw müssen diese – sofern nach dem Wortlaut möglich – grundrechtskonform ausgelegt werden. Problematisch sind in diesem Zusammenhang die Regelungen betreffend Notwehr (self defense) und Nothilfe (extended self defense), die grundsätzlich auf die jeweiligen Dies erfolgte im entsprechenden Ministerratsbeschluss gemäß § 2 Abs 1 KSEBVG. 1193 Offensichtlich aA ohne nähere Begründung Kopetzki, Art 2 EMRK, Rz 63 FN 258. 1194 Die ganz hL zu Art 2 EMRK vertritt seit jeher die Auffassung, dass bereits gewichtige potentielle Lebensbedrohungen einen Eingriff in das Grundrecht auf Leben darstellen, selbst wenn diese Gefährdung nicht zum Tod führt (Kopetzki, Art 2 EMRK, Rz 26); vgl auch VfSlg 15.046/1997, wonach selbst bei fehlender Todesfolge ein Eingriff in das Recht auf Leben vorliege, wenn er von einer solchen „Gravität und Intensität“ ist, dass er das Leben „ernsthaft zu gefährden geeignet ist“. 1195 Siehe näher dazu oben III.B. 1192
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nationalen Rechtsordnungen verweisen.1196 Zum Ausgleich unterschiedlicher Bedeutungsinhalte entsprechender nationaler Vorschriften bedienen sich die ROE dabei der Begriffe ‘hostile act’ und ‘hostile intent’, bei deren Vorliegen der Einsatz von Waffengewalt zulässig sein soll. Während sich der Gewalteinsatz als Reaktion auf Handlungen, die einen ‘hostile act’ iSd ROE darstellen im Rahmen der Notwehr gemäß § 3 StGB bewegt, ist dies im Hinblick auf jene mit bloßem ‘hostile intent’ fraglich. Vorgänge, welche gemäß MC 362/1 als ‘hostile intent’ bezeichnet werden, besitzen nämlich bloß potentiell ein hohes Gefährdungspotential, hinsichtlich welchem jedoch weder der Verwirklichungszeitpunkt noch das Angriffsziel bereits klar erkennbar sind.1197 Darunter sollen etwa der Diebstahl von Waffen, Kampfmitteln, Kampffahrzeugen oder die Bereitstellung bzw das Instellungbringen von Steilfeuerwaffen und entsprechender Munition fallen. Für einen Bundesheersoldaten, der im Auslandseinsatz als Reaktion auf fremdes Verhalten mit ‘hostile intent’ lebensgefährdende Waffengewalt einsetzt und dabei eine Person tötet, kann dies, obwohl er in Übereinstimmung mit den ROE gehandelt hat, bei Ausübung der Disziplinar- und Strafgewalt gravierende Konsequenzen haben. Während er sich zwar disziplinarrechtlich erfolgreich auf die ROE berufen können wird, kann er nach der gegenwärtigen Rechtslage in einem allfälligen Strafverfahren wegen (versuchter) Tötung in folgenden Argumentationsnotstand geraten: Zur Rechtfertigung des tödlichen Waffeneinsatzes wird er sich zwar prima vista auf die Anwendung von Notwehr gemäß § 3 StGB berufen. § 3 StGB setzt jedoch nach hL das Vorliegen einer Notwehrsituation, dh einen gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden Angriff voraus und verbietet einen bloß in der Zukunft drohenden – aber noch nicht unmittelbar bevorstehenden – Angriff (Unzulässigkeit der Präventivnotwehr).1198 Situationen mit ‘hostile intent’ erlauben nun allerdings den Einsatz tödlicher Gewalt, ohne dass Gegenwärtigkeit und Unmittelbarkeit des Angriffs vorliegen und sind deshalb mit dem Notwehrbegriff des StGB nicht vereinbar. An dieser Unvereinbarkeit mit dem geltenden Strafrecht vermag auch die von den ROE stets angeordnete 1196 1197 1198
Scherhaufer, Aspekte von Auslandseinsätzen, 3. Ibid, 18. Siehe dazu im Detail Lewisch, § 3 StGB, in: Wiener Kommentar, Rz 61ff.
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Verhältnismäßigkeit der Gewaltanwendung nichts mehr zu ändern. Für ins Ausland entsendete Soldaten hat dies zur Folge, dass sie selbst, wenn sie in Übereinstimmung mit den in Form von Taschenkarten ausgehändigten Einsatzregeln handeln, in Konflikt mit dem österreichischen Strafrecht geraten können. Da die ROE somit aber zT strafgesetzwidrig sind, wäre ihre Befolgung von den ins Ausland entsendeten Bundesheersoldaten – infolge ihrer Qualifizierung als genereller Weisung1199 – gemäß Art 20 Abs 1 B-VG abzulehnen.1200 Einen Ausweg aus dieser unbefriedigenden und der Bereitschaft zur Teilnahme an Auslandseinsätzen zweifelsohne abträglichen Rechtslage könnte de lege ferenda die Schaffung eines speziellen strafrechtlichen Rechtfertigungsgrunds für Soldaten im Auslandseinsatz bilden (‘lex ROE’ im StGB). Demnach könnte etwa der Einsatz von Gewaltausübung von Bundesheersoldaten dann gerechtfertigt sein, wenn er in Übereinstimmung mit den entsprechenden Rules of Engagement erfolgt. Eine dementsprechende rechtspolitische Lösung muss allerdings auch mit Art 2 EMRK vereinbar sein. Diesbezüglich überlässt jedoch Art 2 EMRK den Vertragsstaaten bei der Ausgestaltung ihrer nationalen Strafrechtssysteme einen weiten Beurteilungsspielraum;1201 gleichzeitig folgt aus der Schutzpflicht der Staaten zur Gewährleistung effektiven Lebensschutzes, dass der Staat eine überschießende Eröffnung von Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründen zu Gunsten des Verteidigers hintan zu halten hat.1202 Art 2 EMRK wäre daher dann verletzt, wenn eine staatliche Rechtsordnung Angriffe auf das Recht auf Leben des Menschen unter Berufung auf ein „Notwehrrecht“ ohne jegliche Sachgrundlage zulassen oder die Grenzen der lebensbeeinträchtigenden Verteidigung in den Bagatellbereich verschieben würde.1203 Davon kann aber bei einem Rechtfertigungsgrund, der auf die ROE abstellt, nicht die Rede sein, da letztere die Zulässigkeit eines Eingriffes in das Recht auf Leben detailliert und kasuistisch umschreiben und eine solche ReVgl dazu oben III.B.2. Zu beachten ist außerdem der Entsendungsvorbehalt, dass sich österreichische Soldaten im Kosovo an keinen Maßnahmen beteiligen werden, die gegen österreichische Rechtsvorschriften verstoßen. 1201 Grabenwarter, EMRK, § 20, Rz 16; Lewisch, FS Platzgummer, 387. 1202 Vgl Kopetzki, Art 2 EMRK, Rz 67. 1203 Lewisch, FS Platzgummer, 394; ders, § 3 StGB, in: Wiener Kommentar, Rz 7. 1199 1200
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gelung folglich im Rahmen des weiten Beurteilungsspielraums der Vertragsstaaten zulässig sein wird. Neben der Vereinbarkeit mit den aus Art 2 EMRK erfließenden Schutzpflichten der Vertragsstaaten bei der Ausgestaltung des Notwehrrechts ist – da die Bundesheersoldaten ja staatliche Hoheitsgewalt ausüben – auch zu prüfen, ob deren durch die ROE erlaubtes Verhalten auch von einem der Ausnahmetatbestände des Art 2 Abs 2 EMRK erfasst wird. Soll ein erweitertes Notwehrrecht im StGB für Soldaten im Auslandseinsatz an der Vereinbarkeit mit den ROE anknüpfen,1204 werden diese gleichsam materiell Bestandteil des Bundesrechts und müssen somit aber auch Art 2 EMRK-konform ausgestaltet sein. In Betracht kommt dabei in erster Linie eine Rechtfertigung des Eingriffs in das Recht auf Leben gemäß Art 2 Abs 2 lit a) EMRK, wonach eine Tötung nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet wird, wenn sie sich aus einer unbedingt erforderlichen Gewaltanwendung zur Verteidigung eines Menschen gegenüber rechtswidriger Gewaltanwendung ergibt. Dieser Schrankenvorbehalt erfasst nicht bloß die Abwendung einer Gefahr für Leib und Leben, sondern – qua des Wortlauts „Verteidigung eines Menschen gegenüber [jeglicher] rechtswidriger Gewaltanwendung“ – grundsätzlich auch Angriffe auf Vermögensgüter eines Menschen.1205 Entscheidendes Korrektiv für die Rechtmäßigkeit des Waffengebrauchs bildet nämlich gemäß Art 2 Abs 2 lit a) EMRK die Verhältnismäßigkeitsprüfung („unbedingt erforderliche Gewaltanwendung“) – der Einsatz tödlicher Gewalt muss jedenfalls „ultima ratio“ sein; daraus folgt erst eine Beschränkung auf schwere Angriffe auf das Vermögen eines Menschen, ein gänzlicher Ausschluss solcher Angriffe aus dem Tatbestandsmerkmal der rechtswidrigen Gewaltanwendung in Art 2 Abs 2 lit a) EMRK findet aber weder im Wortlaut noch in einer teleologischen Interpretation dieser Bestimmung Rückhalt. Damit kann aber auch die von den ROE als zulässig erachtete Verwendung lebensgefährdender Waffengewalt in Reaktion auf ein Verhalten mit „hostile intent“ grundsätzlich iSd Art 2 Abs 2 lit a) EMRK gerechtfertigt sein, solange sie verhältnismäßig erfolgt – worauf die ROE Problematisch wäre in gegebenem Zusammenhang allerdings die fehlende Publizität der ROE, die wohl zur Verfassungswidrigkeit der Verweisung führen würde, vgl allgemein dazu Thienel, Verweisungen. 1205 Zutreffend Kneihs, JBl 1999, 86; zustimmend Kopetzki, Art 2 EMRK, Rz 51; aA Lewisch, § 3 StGB, in: Wiener Kommentar, Rz 6. 1204
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wie jene der KFOR auch immer abstellen. Insbesondere in sensiblen post conflict-Situationen wie im Kosovo gewährleistet die Verhältnismäßigkeitsprüfung daher auch jenen Entscheidungsspielraum, den die entsandten Soldaten bei ihren unterschiedlichen und ständig wechselnden Operationen im Ausland benötigen und der ihnen auch rechtlich die entsprechenden Mittel zur Selbstverteidigung ebenso wie zur Durchführung ihrer von der internationalen Gemeinschaft intendierten Aufgaben ermöglicht.1206 Insgesamt erscheinen die ROE betreffend Notwehr und Nothilfe und das darauf basierende Verhalten entsandter Soldaten somit durchaus mit Art 2 Abs 2 lit a) EMRK vereinbar; in besonders schwierigen Konfliktsituationen wie etwa während den sog März-Unruhen im Kosovo 2004 können sich die Entsendestaaten darüber hinaus auch auf Art 2 Abs 2 lit c) EMRK (Aufruhr oder Aufstand) berufen (siehe sogleich) oder – für den Fall des Wiederaufflammens eines bewaffneten Konflikts – sogar nach Art 15 EMRK von den Konventionsverpflichtungen derogieren.1207 Regelungsbedarf des Gesetzgebers besteht somit in erster Linie, wie dargestellt, bei der Regelung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Soldaten, da bestimmtes, von den Einsatzregeln des OPLAN 10413 für zulässig erklärtes Verhalten nicht vom Notwehrbegriff in § 3 StGB erfasst ist. iii) Kontrolle von Menschenmengen Es ist jedoch evident, dass die dargestellten Regelungen über die Notwehr und Nothilfe als alleinige Rechtsgrundlage zur Führung einer robusten Friedensoperation wie jener im Kosovo nicht ausreichen. Eine Gefährdung der öffentlichen Ruhe und Ordnung kann sich dabei häufig bei der Ansammlung von Menschenmengen ergeben, die rasch von einer anfänglich friedlichen Versammlung zu einem gewalttätigen Aufstand mit Sachbeschädigungen oder gar zu BeDer Einsatz tödlicher Schusswaffengewalt ist schließlich – egal ob innerstaatlich oder im Auslandseinsatz – stets ein Eingriff in das Recht auf Leben gemäß Art 2 EMRK; ein solcher Eingriff darf aber keinesfalls mit einer Verletzung gleichgesetzt werden – daher verbietet sich auch eine Vorverurteilung, nur weil in einem konkreten Fall ein Verfahren beim EGMR anhängig ist. 1207 Eine Außerkraftsetzung von Art 2 EMRK ist nämlich nur bei Todesfällen, die auf rechtmäßige Kriegshandlungen zurückgehen, möglich, vgl dazu und insb zu den rigiden Voraussetzungen einer Derogation gemäß Art 15 EMRK näher oben im 3. Kap III.E.2.b)bb)i). 1206
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drohungen für Leib und Leben der Zivilbevölkerung und der eingesetzten Soldaten „umschlagen“ kann. Neben Regelungen über die self-defense bedarf es dabei auch des Einsatzes von Gewalt als Mittel zur Beherrschung bzw Eindämmung solcher zT tumultartigen Aufstände. Rechtfertigungsbasis einer solchen Gewaltanwendung bildet dabei neben Art 2 Abs 2 lit a) EMRK vor allem lit c) leg cit. Demnach wird eine Tötung nicht als Verletzung von Art 2 EMRK betrachtet, wenn sie sich aus einer unbedingt erforderlichen Gewaltanwendung ergibt, um im Rahmen der Gesetze einen Aufruhr oder einen Aufstand zu unterdrücken. Als Aufruhr (‘riot’) ist in diesem Kontext eine Situation anzusehen, in der eine Menschenmenge Gewalttaten in größerem Umfang begeht oder zu begehen droht.1208 Wesentliche Elemente eines Aufruhrs sind eine beträchtliche Menschenmenge und der Einsatz (bzw die Drohung) von Gewalt in einem Ausmaß, dass von einer ganz außerordentlichen Gefährdung der inneren Sicherheit gesprochen werden kann.1209 Unter Aufstand ist dagegen die einem revolutionären Geschehen gleichkommende Erhebung eines Teils der Bevölkerung gegen die Staatsgewalt zu verstehen.1210 Eine solche muss bereits ein staatsbedrohendes Ausmaß iSd öffentlichen Notstandes gemäß Art 15 EMRK annehmen.1211 Art 2 Abs 2 lit c) EMRK erfasst also Situationen, mit welchen gerade im Rahmen von Friedensoperationen häufig zu rechnen sein wird. Anders als im innerstaatlichen Normalfall kann sich „im Rahmen der Gesetze“ nicht auf die Einhaltung des nationalen Rechts, sondern nur auf das Mandat der internationalen Einheit und entsprechende OPLANs bzw Rules of Engagement beziehen. Voraussetzung einer rechtmäßigen Gewaltanwendung ist dabei wiederum stets die Verhältnismäßigkeit der gesetzten Maßnahmen: So verletzt etwa die Abgabe tödlicher Schüsse zur Auflösung einer gewalttätigen Demonstration auch im Auslandseinsatz angesichts möglicher gelinderer Mittel (Tränengas oder Wasserwerfer) Art 2 EMRK.1212 Frowein/Peukert, EMRK, Art 2, Rz 15; Kopetzki, Art 2 EMRK, Rz 59. Kopetzki, Art 2 EMRK, Rz 59. 1210 Kopetzki, Art 2 EMRK, Rz 59; Grabenwarter, § 20, Rz 15. 1211 Kopetzki, Art 2 EMRK, Rz 59; zu Art 15 EMRK vgl oben 3. Kap III.E.2b) bb)i). 1212 Vgl EGMR, Urteil v 27. 7. 1998, Güleç gegen Türkei, RJD 1998-IV, 1698, Rz 71; siehe auch Rowe, DCAF WP 56, 5. 1208 1209
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iv) Objektschutz Eine der zentralen Aufgaben internationaler Friedensoperationen ist der Objektschutz, da in (Krisen-)Regionen mit intensiven, bürgerkriegsähnlichen Konflikten insb historischen Denkmälern und Bauten oft eine sehr hohe politische Bedeutung zukommen kann. Eine solche ergibt sich häufig, wie etwa im Kosovo, im Lichte des emotionalen, religiösen oder ethnischen Hintergrunds entsprechender Objekte.1213 Die Beschädigung oder gar Zerstörung solcher bedeutender und symbolträchtiger Bauten stellt nicht bloß einen Angriff auf einen Vermögensgegenstand dar, sondern ist darüber hinaus geeignet, gewalttätige Unruhen auszulösen oder einen ohnehin schon labilen Friedensprozess zu gefährden bzw zu vereiteln.1214 Aus diesem Grund zählt es zu einer der vorrangigen Aufgaben der KFOR, serbische Klöster im Kosovo vor Rachefeldzügen kosovarischer Albaner zu beschützen. Da eben nicht nur der Sachwert dieser Klöster, sondern die allgemeine Ordnung und Sicherheit auf dem Spiel stehen, müssen KFOR-Soldaten über entsprechend weite Eingriffsbefugnisse verfügen, um einen wirksamen Schutz solcher historisch bedeutsamen Gebäude gewährleisten zu können. Dies ist ihnen auch unter Achtung der Grundrechte insofern möglich, als die im Rahmen von Art 2 Abs 2 lit a) und lit c) EMRK gerechtfertigten Eingriffe (Gewaltanwendung zur Ausübung von Nothilfe bzw zur Unterdrückung eines Aufruhrs oder Aufstands) stets einer Verhältnismäßigkeitsprüfung stand halten müssen und eine solche im Hinblick auf das in Rede stehende ungleich höhere Schutzgut (Ordnung und Sicherheit) auch weiter gehende Befugnisse zulässt (im Vergleich zum bloßen Sachgüterschutz). Wiederum bedarf es im Einzelfall der Beachtung der Erforderlichkeit der eingesetzten Mittel: Demnach wird die Anwendung tödlicher Schusswaffengewalt wohl bloß in äußersten Ausnahmesituationen als gerechtfertigt angesehen werden können, da der angestrebte Schutz häufig schon durch die Errichtung von Schutzzonen um die betreffenden Objekte und/oder Personenund Fahrzeugkontrollen erreicht werden kann.1215 Vgl Scherhaufer, Aspekte von Auslandseinsätzen, 15. Vgl zB zu den Folgen des Terroranschlags auf den Askariya-Schrein von Samarra im Irak – einer der wichtigsten Stätten der schiitischen Moslems – Die Presse v 24. 2. 2006, An der Schwelle zum Bürgerkrieg. 1215 Zweifellos hängt dies auch von der jeweiligen geographischen Lage des Schutzobjektes und den zur Verfügung stehenden Personalressourcen der Einsatztruppe ab. 1213 1214
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Neben dem Schutz von Kulturgütern können aber auch Wohnhäuser und Siedlungen bzw politische Einrichtungen Gegenstand des Objektschutzes, etwa vor Brandanschlägen, sein – dies trifft vor allem bei Situationen, wo zwar keine kriegerische Auseinandersetzung mehr stattfindet, aber auch noch keine vollständige Wiederherstellung des Friedens gelungen ist, zu. Für eine grundrechtskonforme Gewaltanwendung müssen sich die Entsendestaaten dabei wohl zumeist auf Art 2 Abs 2 lit c) EMRK berufen. bb) Festnahmen und Inhaftierungen Auf der Grundlage der SR-Resolution 1244 ist die KFOR auch zur Setzung freiheitsentziehender Maßnahmen („extrajudicial detentions“) ermächtigt. Demnach können Personen in Übereinstimmung mit den ROE auch durch die Entscheidung des österreichischen Kommandanten vor Ort festgenommen werden. Tatsächlich werden auch immer wieder Personen auf dieser Basis durch KFOR inhaftiert. Betroffen sind in der Regel Menschen, die einer Straftat verdächtig sind, insbesondere des unrechtmäßigen Waffenbesitzes, der Beteiligung an terroristischen Organisationen oder der Begehung bzw Beteiligung an Straftaten im Zuge der Kampfhandlungen 1999 ebenso wie solche, die eine durch KFOR verhängte Ausgangssperre verletzen.1216 Eine eventuell bei der Durchführung der Festnahme notwendige Gewaltanwendung hat mit Art 2 Abs 2 lit b) EMRK in Einklang zu stehen, die Festnahmen und Inhaftierungen müssen mit Art 5 EMRK bzw dem PersFrG vereinbar sein.1217 In der Realität ist weder die Durchführung von Festnahmen noch jene von Inhaftierungen im Kosovo klar geregelt und es fehlt an entsprechenden Überprüfungsmechanismen.1218 Auch aus diesem Grund schlug die Venedig Kommission 2004 kurzfristig die Einrichtung von quasi-judicial advisory panels zur Überprüfung von Handlungen von UNMIK und KFOR sowie langfristig die Errichtung eines Hu-
Scherhaufer, Aspekte von Auslandseinsätzen, 19. Vgl zu den diesbezüglichen Kriterien nur Kopetzki, PersFrG. 1218 Vgl den Brief von SRSG Hækkerup an den Head of Mission der OSZE, Botschafter Everts (Prishtina, 31. 8. 2001), 2: „As such, KFOR detentions are entirely distinct from cases that must be processed throughout the Kosovo judicial system.“; vgl auch Knoll, LJIL 2006, 13ff. 1216 1217
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man Rights Court für den Kosovo vor.1219 Im Hinblick auf UNMIK wurde diesem Vorschlag inzwischen teilweise nachgekommen und im April 2006 ein Human Rights Advisory Panel errichtet.1220 cc) Art 3 EMRK Von besonderer Bedeutung für Auslandseinsätze des Bundesheeres ist, gerade auch vor dem Hintergrund der Ereignisse in den extraterritorialen US-Gefängnissen Abu Ghraib und Guantánamo, die uneingeschränkte Anwendung des Folterverbots gemäß Art 3 EMRK, das die entsendeten Soldaten unter allen Umständen und ohne Ausnahme zu beachten haben.1221 Dass es zwar nicht systematisch, aber doch in Einzelfällen immer wieder zumindest zu Verdachtsfällen von Folter auch im Auslandseinsatz kommen kann, bestätigt jener Fall eines österreichischen UNMIK-Polizisten, der 2002 einen Gefangenen gefoltert haben soll und deswegen sofort nach Aufhebung seiner Immunität durch den VN-GS im Auftrag des Innenministeriums nach Österreich zurückgeholt wurde und daher im Kosovo nur mehr in absentia verurteilt werden konnte.1222 c) Umfang der Grundrechtsverbürgungen: Positive Schutzpflichten im Auslandseinsatz? Abgesehen vom konkreten Einzelfall stellt sich generell die Frage, inwieweit die Entsendestaaten im Auslandseinsatz auch positive Schutzpflichten zu beachten haben oder ob die Grundrechte bloß mit der Einschränkung gelten, dass lediglich eine Inanspruchnahme ihrer abwehrrechtlichen Funktion in Betracht kommt.1223 Wie oben bereits allgemein für die Grundrechtsbindung bei extraterritorialen European Commission for democracy through law (Venice Commission), Opinion on Human Rights in Kosovo: Possible establishment of review mechanisms, adopted at its 60th Plenary Session, Venedig, 8. – 9. 10. 2004; 1220 UNMIK Reg 2006/12 on the Establishment of the Human Rights Advisory Panel, siehe dazu Nolte, FS Tomuschat, 257f. 1221 Gemäß Art 15 Abs 2 EMRK ist Art 3 EMRK notstandsfest, also keiner Derogation zugänglich. 1222 Siehe Die Presse v 7. 3. 2002, Foltervorwürfe gegen österreichischen Polizisten im Kosovo. 1223 Dafür plädiert Sohm, NZWehrr 1996, 99f. 1219
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Hoheitsakten erörtert,1224 kann eine solche Beschränkung unter Ausschluss jeglicher Schutzpflichten auch im Hinblick auf die Tätigkeit entsendeter Soldaten nicht vertreten werden. Mangels Ausübung wirksamer territorialer Kontrolle kann zwar eine umfassende Begründung von Gewährleistungspflichten nicht vorliegen; dennoch lässt sich die Existenz positiver Schutzpflichten nicht vollständig ausschließen und kann im Auslandseinsatz des Bundesheeres etwa in Situationen vorliegen, in denen diese wirksame personale Kontrolle über Personen ausüben – so müssen die Soldaten etwa den Schutz inhaftierter Personen vor feindlichen Racheakten oder vor Übergriffen anderer Gefangener gewährleisten. Weiter gehende, von einer personalen Kontrolle losgelöste Schutzpflichten können die entsendeten Einheiten mangels wirksamer Gebietskontrolle über das Einsatzgebiet aber nicht treffen.1225 d) Parallele Problematik bei EUFOR-Einsätzen Die aus dem Blickwinkel des KFOR-Einsatzes angestrengten Überlegungen sind quasi spiegelbildlich auf die steigende Anzahl an EUFOR-Missionen zu übertragen. Eine Verpflichtung zur Beachtung der Menschenrechte im Rahmen solcher EU-geführten Einsätze folgt nicht nur aus dem Umstand, dass sämtliche EU-Mitgliedstaaten auch Vertragsstaaten der EMRK sind, sondern auch aus einer direkten extraterritorialen Anwendbarkeit der EU-Grundrechte, deren Verpflichtungen, wie oben erläutert, auch im Rahmen der GASP beachtet werden müssen.1226 Auf die Achtung der Grundrechte wird jedenfalls, wenn auch bloß in pauschaler Weise, in den jeweiligen OPLANs und ROE verwiesen, die im Wesentlichen jenen der NATO nachgebildet sind. Eine umfassendere Strategie für die Durchführung von Auslandsmissionen soll darüber hinaus durch das ‘EU use of force’-Konzept des EU-Militärstabs geschaffen werden. Darin wird ebenfalls die Beachtung und Einhaltung der anwendbaren Menschenrechte festgeschrieben, gleichzeitig werden EUFOR-Soldaten aber auch zur Festnahme und Inhaftierung von Individuen unter den gesetzlichen BeVgl oben 3. Kap III.E.4. Rechtspolitisch betrachtet, wäre anderenfalls eine effektive Einsatzführung ebenso wie die Bereitschaft der Staaten zur Teilnahme an Auslandseinsätzen erheblich gefährdet. 1226 Siehe dazu oben im 4. Kap III. 1224 1225
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dingungen ermächtigt. Dabei ist allerdings eine menschliche Behandlung der Inhaftierten – also deren mit Art 3 EMRK zu vereinbarende Behandlung – sicherzustellen. Einen der wesentlichen strittigen Punkte bei den Verhandlungen über das ‘use of force’-Konzept bildet derzeit die Schaffung eines detention review mechanism zur Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Inhaftierungen. 3. Zwischenbewertung Aus der Ausübung wirksamer personaler Kontrolle der entsendeten Bundesheersoldaten folgt somit eine grundsätzliche Anwendbarkeit der Grundrechte im Auslandseinsatz. Dies gilt sowohl für die Teilnahme bei Einsätzen im Rahmen der NATO-PfP als auch der EUFOR; bei letzteren sind die Entsendestaaten auch an die EUGrundrechte gebunden. Zur Erfüllung ihres internationalen Mandats brauchen die Soldaten allerdings auch einen entsprechenden Handlungsspielraum, der durch Grundrechtsverpflichtungen nur prima facie unzweckmäßig eingeschränkt wird. Tatsächlich bildet die EMRK und insb der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit jenes Ausmaß an Flexibilität, das eine erfolgreiche Durchführung der Auslandsmission unter gleichzeitiger Beachtung der Menschenrechte gewährleisten kann. Schließlich bedeutet nicht jeder – im Auslandseinsatz zwangsläufig unvermeidliche – Eingriff in die Grundrechte per se auch eine Verletzung der entsprechenden Norm. Somit erscheint aber weder die Gefahr der Überforderung der an einer Auslandsmission teilnehmenden Soldaten noch eine drohende Trivialisierung der Menschenrechte ein stichhaltiges Argument gegen die Anwendbarkeit der Grundrechte im Auslandseinsatz zu sein. Ungeachtet dessen werden gegen eine hier behauptete Grundrechtsbindung der Bundesheersoldaten immer wieder unterschiedliche Einwände vorgebracht, auf die im Folgenden näher einzugehen ist. 4. Einwendungen gegen eine Grundrechtsbindung der entsendeten Soldaten a) Entbindung von den Grundrechtsverpflichtungen gemäß Art 15 EMRK aa) Der Regelungsinhalt von Art 15 EMRK Wie oben dargestellt, erlaubt Art 15 EMRK unter gewissen materiellen und formellen Voraussetzungen die Derogation von den
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Konventionsverpflichtungen mit Ausnahme von Art 2 EMRK (außer bei Todesfällen, die auf rechtmäßige Kriegshandlungen zurückzuführen sind) sowie Art 3, 4 Abs 1 und 7 EMRK.1227 Im Folgenden soll geprüft werden, ob bei Auslandseinsätzen eine Suspendierung der grundsätzlich weitergeltenden Grundrechtsbindungen im dargestellten Ausmaß entsprechend den Bedingungen von Art 15 EMRK rechtmäßig wäre. bb) Anwendung von Art 15 EMRK auf Auslandseinsätze? Der EGMR bewertete im Fall Bankoviü die mangelnde Praxis der Vertragsstaaten, bei Militäreinsätzen im Ausland gemäß Art 15 EMRK von den Konventionsverpflichtungen zu derogieren, als Indiz gegen eine Anwendbarkeit der Konvention außerhalb ihres Staatsgebiets;1228 unter Berufung auf die bisherigen Derogationsfälle deutet der Gerichtshof an, dass die Voraussetzungen ‘Krieg’ und ‘öffentlicher Notstand’ bloß auf innerstaatliche Sachverhalte anzuwenden seien. Diese Überlegungen können allerdings wenig überzeugen und laufen vielmehr auf eine petitio principii hinaus: Einerseits spricht, wie bereits oben erläutert, die Derogationsmöglichkeit von Art 2 EMRK bei Todesfällen, die auf rechtmäßige Kriegshandlungen zurückzuführen sind (Art 15 Abs 2 EMRK), für eine extraterritoriale Anwendung, da ‘rechtmäßige Kriegshandlungen’ in der Regel im Ausland und nicht gegenüber der eigenen Bevölkerung gesetzt werden.1229 Andererseits unterlässt der Gerichtshof beim Verweis auf die Staatenpraxis die Prüfung, ob bei militärischen Auslandseinsätzen überhaupt eine Derogation unter den Voraussetzungen von Art 15 EMRK möglich ist, sondern geht stillschweigend von einer solchen Möglichkeit aus, um die mangelnde Praxis der Anwendung von Art 15 EMRK anschließend zur restriktiven Auslegung der Tatbestandsvoraussetzungen ‘Krieg’ und ‘öffentlicher Notstand’ auf innerstaatliche Sachverhalte heranzuziehen. Selbst wenn man richtigerweise die Zulässigkeit einer Derogation gemäß Art 15 EMRK nicht auf Situationen innerhalb des eigenen Hoheitsgebiets der Vertragsparteien begrenzt, ist eine Außerkraftsetzung der Konventionsrechte bei extraterritorialen MilitäreinsätSiehe zu den Bedingungen oben im 3. Kap III.E.2.b)bb)i). EGMR, Entscheidung v 12. 12. 2001 (Große Kammer), Bankoviü et al gegen Belgien und 16 andere NATO-Staaten, RJD 2001-XII, 358f, Rz 62. 1229 Frowein, FS Schlochauer, 295 und oben 3. Kap III.E.2.b)bb)ii). 1227 1228
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zen, insb bei der Durchführung von Friedensoperationen, angesichts der restriktiven Bedingungen des Art 15 EMRK nicht unproblematisch.1230 Denn sowohl im Falle eines Krieges als auch eines öffentlichen Notstandes muss „das Leben jener Nation“ bedroht sein, die eine Derogation begehrt.1231 Im Lichte der Rechtsprechung der Konventionsorgane zu diesem Tatbestandsmerkmal erscheint fraglich, ob Friedensoperationen, egal ob klassische Beobachtermissionen oder robustere Einsätze aus der jüngeren Vergangenheit, tatsächlich das Leben der Nation im Entsendestaat iSd Art 15 EMRK bedrohen. Ausgehend vom Umstand, dass Friedenseinsätze in der Regel auf einer SR-Resolution nach Kapitel VII, also bei Vorliegen einer Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit, basieren, ließe sich aber, wie oben erläutert, im Wege einer völkerrechtsfreundlichen Auslegung der Konvention der Größenschluss ziehen, dass in einer solchen Krisensituation auch stets das „Leben der Nation“ iSd Art 15 EMRK bedroht sein muss, da schließlich die SVN keine gravierendere Bedrohung als den „threat to international peace and security“ kennt. Dem stehen allerdings die von den Konventionsorganen sehr restriktiv ausgelegten Voraussetzungen einer Derogation gemäß Art 15 EMRK gegenüber, die stets auf den konkreten Einzelfall abstellen. Grundsätzlich stellen Auslandseinsätze in der Regel auch weder einen Fall eines ‘Krieges’ noch eines ‘öffentlichen Notstands’ dar;1232 anders ist dies allerdings im Rahmen von friedenserzwingenden Einsätzen, bei denen ein kriegerischer Konflikt noch nicht beendet ist bzw wieder aufflammt. Zudem liegt es in der Natur von Friedensmissionen, dass sich die Bedingungen im Einsatzgebiet rasch ändern und eine stabile Situation insofern eskalieren kann, als eine Kriegssituation wieder aufflammt bzw infolge von Tumulten oder eines Aufstands ein öffentlicher Notstand eintritt. In den beiden letztgenannten Konstellationen könnte es sodann notwendig sein, dass die entsendeten Soldaten vor Ort über weiter gehende Eingriffsbefugnisse verfügen, um die neue Konfliktsituation in den Griff zu bekommen. Dazu könnte eine zeitweilige Außerkraftsetzung der Konventionsrechte auf Grund eines öffentlichen Notstands nötig und zulässig sein. Vgl näher zu den Voraussetzungen oben 3. Kap III.E.2.b)bb)i). Vgl Krieger, ZaöRV 2002, 690; Siess-Scherz, Art 15 EMRK, Rz 10; Grabenwarter, EMRK, § 2, Rz 9f. 1232 Krieger, ZaöRV 2002, 690. 1230 1231
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Im Ergebnis ist daher zu bezweifeln, dass Friedensoperationen wie etwa jene im Kosovo oder in Bosnien-Herzegowina einer Außerkraftsetzung der Konventionsrechte gemäß Art 15 EMRK zugänglich sind.1233 Nur in extremen Notsituationen erscheint eine Derogation rechtmäßig sein zu können; auch diese lässt aber die notstandsfesten Rechte gemäß Art 15 Abs 2 EMRK unberührt und unterliegt der Zulässigkeitskontrolle des Gerichtshofs.1234 Fraglich ist allerdings, ob eine freiwillige Meldung zu einer Entsendung gemäß § 4 Abs 2 KSE-BVG auch auf einen Einsatz in einer Notstandssituation unter den Voraussetzungen von Art 15 EMRK erstreckt werden kann; eine solche Ausweitung der Freiwilligkeit muss insofern bezweifelt werden, als ein Einsatz iSd KSE-BVG typischerweise ein solcher in Friedenszeiten ist. Darüber hinaus ist zu beachten, dass eine bei Auslandseinsätzen vorgenommene Derogation auf Grund der Günstigkeitsklausel des Art 53 EMRK ohnehin nur für die Konventionsrechte, nicht aber für die originären Grundrechtsverbürgungen der Bundesverfassung anzuwenden wäre,1235 was infolge deren überwiegender Rechtsnatur als Staatsbürgerrechte im Hinblick auf extraterritoriale Hoheitsakte jedoch nur von geringer Bedeutung ist. b) Anwendung des humanitären Völkerrechts als lex specialis zum Menschenrechtsschutz? aa) Zur Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts auf Friedensoperationen Obgleich Friedensoperationen im Regelfall nicht in Kriegs-, sondern in Friedenszeiten stattfinden,1236 wird seit Mitte der 1990er-Jahre überwiegend von einer Anwendbarkeit der Regeln des humanitären Völkerrechts auf Friedensmissionen ausgegangen.1237 Dies wird So auch Erberich, Auslandseinsätze, 60. Dieser prüft, ob die Vertragsstaaten den ihnen zukommenden Ermessensspielraum bei der Berufung auf Art 15 EMRK eingehalten haben, vgl Siess-Scherz, Art 15 EMRK, Rz 6ff. 1235 Siehe ausführlich dazu oben 3. Kap II.B.3.c) und zu Art 53 EMRK insb SiessScherz, Art 53 EMRK, Rz 2ff. 1236 Ausgenommen davon sind lediglich friedenserzwingende Einsätze, bei denen die entsendeten Truppen zur Wiederherstellung des Friedens auch direkt in die Kampfhandlungen eingreifen sollen. 1237 Vgl ausführlich jüngst Zwanenburg, Peace Support Operations, 131ff; Hermsdörfer, NZWehrr 1998, 100ff. Zuvor wurde eine Anwendung des humanitären Völ1233 1234
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nicht nur als praktische Notwendigkeit angesehen, sondern lässt sich auch aus der Verpflichtung der Staaten ableiten, die Genfer Abkommen und das ZP I „unter allen Umständen einzuhalten und ihre Einhaltung durchzusetzen“.1238 Darüber hinaus setzen die VN, unabhängig vom Vorliegen eines bewaffneten Konflikts, selbst die Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts auf sämtliche Formen der Friedensoperationen voraus: So bestimmt Art 1.1 des entsprechenden Bulletin des VN-GS ausdrücklich wie folgt:1239 „The fundamental principles and rules of international humanitarian law set out in the present bulletin are applicable to United Nations forces when in situations of armed conflict they are actively engaged therein as combatants, to the extent and for the duration of their engagement. They are accordingly applicable in enforcement actions, or in peacekeeping operations when the use of force is permitted in self-defence.“
Aus der gleichzeitigen Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte resultiert aber die Notwendigkeit, das Verhältnis der beiden Regelungsregime untereinander und dessen Implikationen auf die Verpflichtungen der Soldaten im Auslandseinsatz zu klären. bb) Das Verhältnis des humanitären Völkerrechts zu den Grundrechten bei Auslandseinsätzen Ausgehend von der vom IGH und der hL vertretenen Auffassung einer grundsätzlich parallelen Anwendbarkeit von humanitärem Völkerrecht und Menschenrechtsschutz,1240 die auf Basis der Suspensionsklauseln internationaler und regionaler Menschenrechtspakte das humanitäre Völkerrecht allerdings als speziellere Materie betrachkerrechts zumeist abgelehnt, vgl zur Entwicklung Shraga, AJIL 2000, 406 mwN; Murphy, JCS 2003, 18ff. 1238 Vgl den gemeinsamen Artikel 1 der Genfer Abkommen sowie Greenwood, Anwendungsbereich, in: Handbuch, 39f, Z 208. Eine Bindung erfolgt somit über die an Friedensoperationen teilnehmenden Entsendestaaten; mangels Ratifikation der einschlägigen völkerrechtlichen Verträge kommt eine Bindung der VN, NATO bzw EU nur qua Völkergewohnheitsrecht in Frage. 1239 Secretary-General’s Bulletin, Observance by United Nations forces of international humanitarian law, ST/SGB/1999/13; vgl dazu Zwanenburg, RDMDG 2000, 15ff; Shraga, AJIL 2000, 407ff. 1240 Vgl zum Verhältnis zwischen humanitärem Völkerrecht und Menschenrechtsschutz oben im 3. Kap III.E.2.b).bb)iii).
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tet,1241 stellt sich die Frage des konkreten Verhältnisses der beiden Rechtsregime im Bereich der militärischen Auslandseinsätze. Die Antwort darauf kann aber aus den folgenden Erwägungen nicht von einer ausnahmslosen Anwendung des humanitären Völkerrechts als lex specialis und somit einer Verdrängung der Menschenrechtsinstrumente ausgehen: Ob nämlich eine konkrete Norm des humanitären Völkerrechts als lex specialis im Einzelfall den menschenrechtlichen Gewährleistungen vorgeht, ist durch Interpretation des Regelungszwecks und des Sachzusammenhangs zu ermitteln.1242 Bei grundsätzlicher Anwendung beider Regelungsinstrumente kommt es auf die konkreten Umstände an, welche Norm tatsächlich als die „speziellere“ anzuwenden ist. So beruht der vom IGH stipulierte grundsätzliche Vorrang des humanitären Völkerrechts als lex specialis auf dem spezifischen Zuschnitt von dessen Regeln für den internationalen bewaffneten Konflikt, wo es als Kompromiss zwischen militärischen und humanitären Erfordernissen Menschen vor den besonderen Gefahren des bewaffneten Konflikts schützen soll und als Ausnahmerecht, das der Gewaltanwendung zur Niederwerfung des Gegners gewisse Grenzen setzt, fungiert.1243 Mit Ausnahme der friedenserzwingenden Maßnahmen finden die Auslandseinsätze von Friedenstruppen aber in der Regel nicht im Rahmen eines bewaffneten Konflikts zur Niederwerfung des Gegners statt und stellen auch keine kriegerische Besetzung dar; vielmehr erfolgt der Einsatz der entsendeten Streitkräfte zur Ausübung de facto streitkräftefremder, polizeiähnlicher Aufgaben mit Zustimmung der betroffenen Regierungen.1244 Wie Krieger 1245 überzeugend dargestellt hat, wird das humanitäre Völkerrecht bei solchen Einsätzen tatsächlich bloß analog angewendet, es stellt aber gerade nicht das angemessenere Regelungssystem dar, das auf Grund der lex specialis-Regel den einschlägigen Menschenrechtsbestimmungen vorgehen sollte.1246 Denn, Vgl die Wendung in Art 15 Abs 2 EMRK: „Die vorstehende Bestimmung gestattet kein Außerkraftsetzen des Artikels 2 außer bei Todesfällen, die auf rechtmäßige Kriegshandlungen zurückzuführen sind…“. 1242 Krieger, ZaöRV 2002, 695. 1243 Greenwood, Entwicklung, in: Handbuch, 9f, Z 103. 1244 Vgl etwa oben zu den Aufgaben der KFOR III.A. 1245 Krieger, ZaöRV 2002, 695f. 1246 Eine Anwendung des humanitären Völkerrechts auf Friedenstruppen wurde ja vor dem Hintergrund einer ansonsten (unter Verneinung der Geltung der Menschen1241
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auch wenn in den Einsatzgebieten zumeist (noch) keine einem funktionierenden Staatswesen vergleichbaren Verhältnisse vorherrschen, der Streitkräfteeinsatz entspricht in Wirklichkeit mehr der klassischen Ausübung innerstaatlicher Hoheitsgewalt als einem (internationalen bzw internen) bewaffneten Konflikt.1247 Insbesondere in Folge des Wandels der Friedensoperationen hin zur vermehrten Übernahme quasi-polizeilicher Aufgaben haben die (robusteren) Auslandseinsätze des Bundesheeres heute wesentlich mehr mit der abwehrrechtlichen Funktion der Menschenrechte als mit den militärischen und humanitären Aspekten des Kriegsvölkerrechts gemeinsam.1248 Die vom IGH anerkannte lex specialis-Regel kann somit Auslandseinsätze insofern nur soweit von einer Grundrechtsbindung befreien, als diese unter den originären Gegebenheiten des humanitären Völkerrechts – also bewaffneter Konflikt oder kriegerische Besetzung – stattfinden. In einer solchen Situation kommt es trotz grundsätzlicher Weitergeltung der Menschenrechtsnormen zu einem Rückgriff auf das speziellere humanitäre Völkerrecht: Dies lässt sich an Art 15 Abs 2 EMRK zeigen, der eine Derogation von Art 2 EMRK im Hinblick auf Tötungen gemäß Art 15 Abs 1 EMRK insoweit für zulässig erachtet, als diese auf rechtmäßige Kriegshandlungen zurückzuführen sind. Was als „rechtmäßig“ zu gelten hat, regeln unter diesen Umständen die spezielleren Regeln des humanitären Völkerrechts.1249 Bei sonstigen, also friedenskonsolidierenden Ausländseinsätzen bleiben hingegen die Menschenrechte voll anwendbar und entbehren der Notwendigkeit einer ansonsten vertretbaren analogen Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts.1250 Für dieses Ergebnis sprechen auch die wesentlich effizienteren Durchsetzungsmechanismen der Menschenrechtsinstrumente, insb rechte) bestehenden Rechtsschutzlücke bejaht; wenn man aber, wie in dieser Arbeit, eine Grundrechtsbindung der entsendeten Soldaten aufzuzeigen versucht, kann eine solche sachgerechterweise nicht durch den Verweis auf das bisher bloß hilfsweise (nämlich zur Herstellung eines Mindestmaßes an accountability) herangezogene humanitäre Völkerrecht als einem unter anders gelagerten Umständen eventuell speziellerem corpus iuris verneint werden. 1247 Krieger, ZaöRV 2002, 696. 1248 Ibid, 696. 1249 Vgl Frowein, FS Schlochauer, 295. 1250 Im Ergebnis auch Erberich, Auslandseinsätze, 34.
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der EMRK, im Vergleich zum humanitären Völkerrecht.1251 Vor einer allzu extensiven extraterritorialen Anwendung der Menschenrechte wird ungeachtet dessen wiederholt unter Verweis auf eine Trivialisierung der Menschenrechte und Überforderung deren Durchsetzungsmechanismen gewarnt. Natürlich betreten die Menschenrechtsgremien – vergleichbar mit der Entwicklung des internationalen Strafrechts nach dem Ende des 2. Weltkriegs – zum Teil Neuland und müssen mit den unterschiedlichen Konstellationen erst „umgehen lernen“. In Zeiten einer vernetzten, globalisierten Welt verlangt aber eine dynamische, objektiv-teleologische Interpretation der Grundrechte als „living instrument“ sich diesen Herausforderungen zu stellen, anstatt sich in den judicial self-restraint zu flüchten.1252 In diesem Zusammenhang stehen auch die Glaubwürdigkeit und der Erfolg von Friedensoperationen der internationalen Gemeinschaft auf dem Spiel, denn es mutet beinahe widersinnig an, von den Konfliktparteien die Einhaltung internationaler Menschenrechtsstandards zu verlangen, während die internationale Sicherheitspräsenz bei ihren Einsätzen davon befreit sein soll.1253, 1254 c) Vorrang der Verpflichtungen aus der SVN gegenüber den Grund- und Menschenrechten? aa) Unbeachtlichkeit des nationalen Rechts gemäß Art 27 WVK Gemäß Art 27 WVK kann sich eine Vertragspartei eines völkerrechtlichen Abkommens wie der SVN nicht auf ihr innerstaatliches Vgl dazu Erberich, Auslandseinsätze, 55ff; Bothe, ZaöRV 2005, 621f; für eine prozessuale Subsidiarität der Menschenrechtsgremien bei paralleler Anwendbarkeit Lorenz, Anwendungsbereich, 246f. 1252 Vgl Bothe, ZaöRV 2005, 623. 1253 Krieger, ZaöRV 2002, 698 und SR-Resolution 1386 (2001) v 20.12. 2001: „Stressing that all Afghan forces must adhere strictly to their obligations under human rights law, including respect for the rights of women, and under international humanitarian law,…“. 1254 Siehe zur vergleichbaren Problematik eines „Doppelstandards“ bei VN-Übergangsverwaltungen wie der UNMIK den Second Annual Report 2001-2002 des Kosovo Ombudsmanns v 10. 7. 2002, 5, der davon spricht, dass die VN eine Bevölkerung unter ihre Kontrolle gebracht hat „thereby removing them from the protection of the international human rights regime that formed the justification for UN engagement in Kosovo in the first place“; vgl dazu zB Knoll, LJIL 2006, 13ff; Chesterman, You, The People, 126ff, 145ff. 1251
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Recht berufen, um die Nichterfüllung eines Vertrags zu rechtfertigen. Demnach könnte es den VN-Mitgliedstaaten auch verwehrt sein, sich auf Grundrechtsnormen des innerstaatlichen Verfassungsrechts zu berufen, um eine Nichterfüllung der Verpflichtungen aus der SVN legitimieren zu können. bb) Vorrang der Verpflichtungen aus der SVN gemäß Art 103 SVN Art 103 SVN bestimmt, dass im Falle eines Widerspruchs zwischen den sich aus der Satzung ergebenden Verpflichtungen von Mitgliedern der Vereinten Nationen und Verpflichtungen auf Grund irgendeines anderen internationalen Abkommens die Verpflichtungen auf Grund der Satzung Vorrang genießen. Mit anderen Worten verdrängen also die aus der SVN resultierenden Verpflichtungen entgegenstehende Verpflichtungen aus sonstigen völkerrechtlichen Verträgen.1255 Mit Verpflichtungen gemäß Art 103 SVN sind nur jene rechtlicher Natur gemeint, sie müssen stets de iure bindend sein, wie dies etwa gemäß Art 25 SVN vor allem die Resolutionen des VNSicherheitsrats sind.1256 Hauptanwendungsfall von Art 103 SVN bilden deshalb – insb infolge der Zunahme an Resolutionen des VNSicherheitsrats unter Kapitel VII der SVN seit dem Ende des Kalten Krieges Anfang der 1990er-Jahre – heute mehr denn je mögliche Widersprüche zwischen Verpflichtungen aus SR-Resolutionen zur Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit und sonstigen bestehenden völkervertragsrechtlichen Verpflichtungen. cc) Die Rechtswirkungen von Resolutionen des Sicherheitsrats Gemäß Art 25 SVN haben nach hA sämtliche – und somit nicht lediglich jene unter Kapitel VII der SVN – in Resolutionen (Entschließungen) getroffenen Beschlüsse des Sicherheitsrats bindende Vgl Bernhardt, Art 103, in: UN-Charter Commentary, Rz 9ff; vgl zB auch SR-Resolution 670 (1990): „…Recalling the provisions of Article 103 of the Charter, Acting under Chapter VII of the Charter,… 3. Decides that all States, notwithstanding the existence of any rights or obligations conferred or imposed by any international agreement or any contract entered into or any licence or permit granted before the date of the present resolution,…“. 1256 Bernhardt, Article 103, in: UN-Charter Commentary, Rz 10; Paulus, Die internationale Gemeinschaft, 309. 1255
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Wirkung für alle VN-Mitgliedstaaten.1257 Mangels unmittelbarer Anwendbarkeit der Beschlüsse des Sicherheitsrats in den Mitgliedstaaten sind letztere somit verpflichtet, dessen Entscheidungen durch einen nationalen Rechtsakt Wirksamkeit zu verschaffen.1258 i) Umsetzung durch nationales Recht Die österreichische Bundesverfassung enthält keine Regelung über den Einbau (Inkorporation) von Beschlüssen Internationaler Organisationen in das staatliche Rechtssystem.1259 Beschlüsse des VN-Sicherheitsrats können als Rechtsakte einer Internationalen Organisation unter keine der traditionellen Rechtsquellen des B-VG eingeordnet werden und sind daher Rechtsquellen sui generis im Rahmen der österreichischen Rechtsordnung.1260 Umstritten, wenngleich vom VfGH mittlerweile bejaht,1261 war lange Zeit die Frage, ob Beschlüsse einer Internationalen Organisation ohne spezielle Transformation mit ihrer Kundmachung im BGBl zu Bestandteilen des staatlichen Rechts werden und im Fall hinreichender Bestimmtheit unmittelbar anzuwenden sind. Die Inkorporation von Rechtsakten zwischenstaatlicher Einrichtungen durch bloße Publikation im BGBl lässt allerdings eine Reihe von Fragen offen, so vor allem jene nach dem Rang solcher Rechtsakte innerhalb der österreichischen Rechtsordnung (und ihr Verhältnis zu staatlichem Recht) sowie nach dem Rechtsschutz gegen entsprechende Rechtsakte Internationaler Organisationen.1262 Im Hinblick auf die Umsetzung der Beschlüsse des VN-Sicherheitsrats begnügte sich – nicht zuletzt wegen deren in der Regel auf Grund ihres fehlenden self-executing Charakters mangelnden unmittelbaren Anwendbarkeit1263 – Österreich jedoch nicht mit der (zuKeine bindende Wirkung kommt hingegen ebenso häufig in Resolutionen anzutreffenden Empfehlungen zu; vgl zB Klein, Organisationen, in: Völkerrecht, Rz 150; Delbrück, Article 25, in: UN-Charter Commentary, Rz 9ff; Annacker, JBl 1995, 492 jeweils mwN. 1258 Klein, Organisationen, in: Völkerrecht, Rz 151; Annacker, JBl 1995, 499ff; Regner/Reinisch, ÖJZ 1995, 546. 1259 Siehe nur Öhlinger, Verfassungsrecht, Rz 127; ders, Art 9 Abs 2 B-VG, Rz 13f. 1260 Griller, Übertragung, 27ff; 80ff; Annacker, JBl 1995, 494f; Öhlinger, Art 9 Abs 2 B-VG, Rz 13. 1261 VfSlg 12.281/1990 (Accordino). 1262 Vgl Öhlinger, Art 9 Abs 2 B-VG, Rz 18; Griller, Übertragung, 373ff. 1263 Dies gilt zumindest für die klassischen SR-Beschlüsse wie Embargomaßnahmen gegen Staaten; im Hinblick auf Sanktionen gegenüber Individualpersonen kann 1257
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meist zwar erfolgenden) Publikation der Sicherheitsratsresolutionen, sondern wählte eine Umsetzung durch spezielle Transformation.1264 Um der damaligen Praxis der „hastigen Anlassgesetzgebung“1265 zur Umsetzung solcher Resolutionen ein Ende zu bereiten, wurde 1993 das Bundesgesetz über die Durchführung internationaler Sanktionsmaßnahmen (IntSanktG) erlassen.1266 Als allgemeine gesetzliche Grundlage zur innerstaatlichen Durchführung völkerrechtlich notwendiger Maßnahmen sollte das IntSanktG der Bundesregierung ermöglichen, künftig eine sofortige Umsetzung solcher Resolutionen zu erreichen, „ohne erst mühsam um gesetzliche Anpassung“ ringen zu müssen.1267 Dazu sieht es eine umfassende Verordnungsermächtigung für die Bundesregierung vor, die gemäß § 1 Z 1 bis 6 IntSanktG im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrats die Beschlagnahme und den Verfall von Verkehrsmitteln sowie das Verbot der Erbringung von Dienstleistungen bzw die Befreiung von der Erfüllung zivilrechtlicher Forderungen anordnen kann.1268 Entsprechende Verordnungsermächtigungen finden sich auch in anderen Bundesgesetzen wie zB dem AußHG1269 und dem BWG1270. Durch die spezielle Transformation ist sowohl die Frage des Ranges als auch des Rechtsschutzes gegen Umsetzungsmaßnahmen hinreichend geklärt; mittlerweile erfolgt die Implementierung von in Sicherheitsratsresolutionen angeordneten Sanktionsmaßnahmen allerdings primär durch Rechtsakte der EU,1271 womit auf Bundesebene nur mehr in Teilbereichen ein Handlungsbedarf besteht.1272 allerdings mit guten Gründen von einer unmittelbaren Anwendbarkeit ausgegangen werden, da solche Beschlüsse hinreichend genau und bestimmt formuliert sind. 1264 Regner/Reinisch, ÖJZ 1995, 546; Muzak, ZfRV 1998, 10ff. 1265 Vgl den Bericht des Außenpolitischen Ausschusses v 18. 5. 1993, 1075 BlgNR 18.GP, 1f und zB das BG über die zivilrechtliche Durchführung des Embargos gegen den Irak, BGBl 1992/149. 1266 BGBl 1993/406. 1267 1075 BlgNR 18. GP, 2. 1268 Siehe näher Muzak, ZfRV 1998, 11ff. 1269 §§ 4 Abs 2, 6 Abs 2 und 8 Abs 1 Außenhandelsgesetz 2005 (AußHG 2005), BGBl 2005/50. 1270 § 78 Abs 7 Bankwesengesetz (BWG), BGBl 1993/532. 1271 Siehe dazu gleich unten. Verfassungsrechtlich wurde die Durchführung von Wirtschaftssanktionen im Rahmen der GASP in Art 23f B-VG verankert (siehe oben im 2.Kap III.B.2.); sie gilt auch dann, wenn eine Embargomaßnahme nicht in Durchführung eines Beschlusses des VN-Sicherheitsrats ergriffen wird. Die Mitgliedstaa-
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ii) Umsetzung durch Unionsrecht Für die Verhängung von wirtschaftlichen Embargomaßnahmen ist, egal ob sie auf Grund einer VN-Sicherheitsratsresolution oder autonom erfolgt, gemäß Art 301 EGV (iVm Art 60 EGV) grundsätzlich ausschließlich die EG zuständig. Nach Art 301 EGV kann der Rat auf Vorschlag der EK mit qualifizierter Mehrheit die Wirtschaftsbeziehungen gegenüber Drittstaaten sowie Regimen bzw Einzelpersonen1273 aussetzen, einschränken oder vollständig einstellen, sofern ein Tätigwerden der Gemeinschaft in gemeinsamen Standpunkten oder gemeinsamen Aktionen im Rahmen der GASP vorgesehen ist.1274 Art 301 EGV fungiert somit gleichsam als „Scharnier“ zwischen EG und GASP, da diese Bestimmung tatbestandsmäßig eine Initiative zur Ergreifung von Wirtschaftssanktionen voraussetzt, ten sind dabei jedenfalls verpflichtet, alle notwendigen Maßnahmen zur Implementierung der Gemeinschaftssanktionen zu treffen, vgl EuGH, Rs C-177/95, Urteil v 27. 2. 1997, Ebony Maritime and Loten Navigation v. Prefetto della Provincia di Brindisi and Others, Slg 1997-I, 1131, 1142, Rz 35. 1272 Dazu näher Brandl, ZÖR 1999, 214ff, die etwa auf die Vorschriften des KriegsmaterialG im Bereich von Waffenembargos hinweist; auf die oft komplexe Aufgabenteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten und der Schwierigkeit deren exakter Abgrenzung verweist Eeckhout, External Relations, 448f. 1273 Die Frage des Adressatenkreises von Embargomaßnahmen ist auf Grund des Wortlauts von Art 301 EGV „…um die Wirtschaftsbeziehungen zu einem oder mehreren dritten Ländern auszusetzen,…“ zumindest erörterungsbedürftig: Parallel zur Debatte zur rechtlichen Zulässigkeit zur Verhängung von VN-Embargos gegenüber andere (partielle) Völkerrechtssubjekte als Staaten stellte sich auch bei der Auslegung von Art 301 EGV die Frage, ob entsprechende Embargomaßnahmen auch gegenüber Einzelpersonen oder Internationale Organisationen verhängt werden dürfen. Zu Recht wird die Rechtmäßigkeit der Verhängung von Individualsanktionen iSv „smart sanctions“ aber überwiegend bejaht, da diese ohnehin darauf abzielen würden, mittelbar die Wirtschaftsbeziehungen zu einem Drittstaat empfindlich zu treffen, was ganz im Sinne des Verhältnismäßigkeitsprinzips die ungewollten Kollateralschäden eines breit angelegten Wirtschaftsembargos vermeiden soll, vgl Kotzur, EuGRZ 2006, 21; kritisch im Hinblick auf Einzelpersonen als Adressaten Gilsdorf/Brandtner, Art 301 EG, Rz 4; in der Praxis werden Verordnungen zur Verhängung von individuellen Sanktionen nunmehr auch auf Art 308 EGV gestützt, eine Vorgehensweise, die das EuG in den Fällen Ali Yusuf und Abdullah Kadi (siehe dazu gleich unten ii)) für rechtmäßig erklärt hat, da „die Staaten heutzutage nicht mehr als die einzige Quelle von Bedrohungen des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit angesehen werden können“ (Rz 169 in Ali Yusuf, vgl EuGRZ 2005, 605). 1274 Grundlegend Osteneck, Umsetzung von UN-Wirtschaftssanktionen, 180ff; Bartelt/Zeitler, EuZW 2003, 713f.
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die stets aus der Zweiten Säule erfolgen muss.1275 Hier nicht näher zu erörternde Problemkreise betreffen in diesem Zusammenhang unter anderem das Verhältnis zwischen dem Gemeinsamen Standpunkt und der Verordnung sowie die Frage inwieweit infolge der Determinierung der Verordnung durch den Gemeinsamen Standpunkt der EuGH bei der Verordnungsprüfung auch implizit den Gemeinsamen Standpunkt prüfen bzw zur Auslegung der Verordnung heranziehen darf.1276 Fraglich ist zudem, ob ein Mitgliedstaat, der sich – um die Einstimmigkeit nicht zu vereiteln – bei der Beschlussfassung über einen Gemeinsamen Standpunkt gemäß Art 23 Abs 1 UAbs 2 EUV qualifiziert enthält, dennoch an die mit qualifizierter Mehrheit beschlossene Verordnung gemäß Art 301 EGV gebunden ist.1277 dd) Grundrechtsschutz gegen EG-Verordnungen zur Umsetzung von Sanktionen des VN-Sicherheitsrats Zu den Verpflichtungen der VN-Mitgliedstaaten nach Art 103 SVN zählt also unter anderem die Pflicht zur Umsetzung einer durch Sicherheitsratsresolution beschlossenen Verhängung von Wirtschaftssanktionen gemäß Art 41 SVN.1278 Im Rahmen der Terrorismusbekämpfung ist der Sicherheitsrat bereits vor den Ereignissen des 11. Septembers 2001 dazu übergegangen, entsprechende Sanktionen nicht mehr nur gegen Staaten (und nicht anerkannte Regime), sondern vor allem auch gegen Einzelpersonen zu verhängen (sog smart oder targeted sanctions).1279 Sie verpflichten die Mitgliedstaaten, die 1275 Siehe nur Cremer, Art 301 EGV, Rz 2; Huber, Art 301 EGV, Rz 39ff; Eeckhout, External Relations, 447f. 1276 Vgl näher Osteneck, Umsetzung von UN-Wirtschaftssanktionen, 195ff; Gilsdorf/Brandtner, Art 301 EG, Rz 15; Huber, Art 301 EGV, Rz 39ff. 1277 Gegen eine Bindung an die Verordnung spricht, dass der Mitgliedstaat andernfalls gezwungen sein könnte, durch ein mögliches Veto den Gemeinsamen Standpunkt und somit auch die Verordnung zu verhindern; für eine Bindung ist ua der Wortlaut von Art 249 Abs 2 EGV „in jedem Mitgliedstaat“ vorzubringen, vgl näher Streinz, Europarecht, Rz 729. 1278 Bernhardt, Article 103, in: UN-Charter Commentary, Rz 10; Paulus, Die internationale Gemeinschaft, 309. 1279 Vgl Biehler, AVR 2003, 170; Cameron, NJIL 2003, 159ff; Bartelt/Zeitler, EuZW 2003, 712ff; Birkhäuser, Sanctions of the Security Council, 1ff. Dies hängt einerseits damit zusammen, dass Terroristen in einer globalisierten Welt immer stär-
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Konten der in den SR-Resolutionen sowie in der vom Sanktionsausschuss (sog 1267-Ausschuss) als Suborgan des Sicherheitsrats ständig aktualisierten Liste (blacklist) genannten Personen zu beschlagnahmen, deren Bewegungsfreiheit einzuschränken und dem SR darüber zu berichten.1280 Die entsprechenden Resolutionen – zusätzlich zum hier gegenständlichen 1267-Ausschuss wurde zahlreiche weitere Sanktionsausschüsse eingerichtet1281 – sehen somit regelmäßig weit gehende Eingriffe in die Grundrechte vor1282 und bilden daher einen paradigmatischen Anwendungsfall der Kollision zwischen individuellen Grundrechtsgewährleistungen auf nationaler wie internationaler Ebene und allgemeinen aus der SVN erfließenden Verpflichtungen der Staatengemeinschaft. Da in der Europäischen Union die Umsetzung entsprechender Sanktionen der VN weitgehend nicht mehr auf nationaler Ebene, sondern durch die Gemeinschaft (nach Beschlussfassung im Rahmen der GASP) zu erfolgen hat,1283 kommt es aus der Sicht der EU-Mitgliedstaaten dabei ker ohne jegliche Bindung an Staaten agieren und diesen deshalb oft nur schwer zurechenbar sind. Andererseits hat man erkannt, dass individuelle Sanktionen effektiver sind als solche, die bloß allgemein an einen Staat adressiert sind und zudem die nachteiligen Folgen solcher Sanktionen auf die unschuldige Bevölkerung ebenso wie andere negative Folgen wie etwa die dadurch bewirkte Förderung von Schwarzmärkten oder der herrschenden Eliten eher begrenzen können; vgl dazu den sog Interlaken-Prozess und in diesem Zusammenhang NZZ v 21. 7. 2003, 8, Gezieltere Zwangsmaßnahmen. 1280 Zur Errichtung des Sanktionsausschuss (‘Security Council Committee established pursuant to Resolution 1267 [1999] concerning Al-Qaida and the Taliban and associated individuals and entities’) vgl Z 6 SR-Resolution 1267 (1999); zu dessen Kompetenz zur Erstellung einer ‘blacklist’ von betroffenen Personen vgl Z 12 SR-Resolution 1333 (2000) und Z 2 SR-Resolution 1390 (2002), die regelmäßig aktualisierte Liste ist unter http://www.un.org/Docs/sc/committees/1267/pdflist.pdf abrufbar; vgl de Wet/Nollkaemper, GYIL 2002, 166f. 1281 Siehe für einen Überblick die entsprechende Website des VN-Sicherheitsrats http://www.un.org/sc/committees/. 1282 Zum Beispiel in das Eigentumsrecht, die Bewegungsfreiheit, das Privat- und Familienleben sowie etliche Verfahrensgrundrechte. Im Allgemeinen können individuelle Sanktionen in Grundrechte eingreifen, da sie – anders als pauschal gegen einen Staat gerichtete Sanktionen (wie Handels- und Waffenembargos) – unmittelbare Zwangsgewalt über bestimmte Individuen ausüben; vgl zu möglichen betroffenen Grundrechten auch de Wet/Nollkaemper, GYIL 2002, 166ff; insb 176ff sowie Reinisch, ARIEL 2002, 127ff. 1283 Zum Zusammenspiel zwischen der Verhängung von Sanktionen durch den VNSicherheitsrat und dem Gemeinschaftsrecht vgl allgemein Bohr, EJIL 1993, 256ff
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vor allem zum Konflikt der Verpflichtungen aus dem EU-Primärrecht und der SVN. Zum Verhältnis der beiden konfligierenden Regelungsregime bei der Umsetzung und beim Vollzug der Sanktionen im Gemeinschaftsrecht haben der EuGH bzw das EuG in den Fällen Bosphorus bzw Ali Yusuf und Abdullah Kadi insb im Hinblick auf die Anwendbarkeit der EU-Grundrechte Stellung bezogen.1284 i) Der Fall Bosphorus vor dem EuGH In diesem Fall geht es um die Auswirkungen von Sanktionen gegen die Bundesrepublik Jugoslawien1285 während des Krieges in Bosnien und um die Auslegung von Art 8 Verordnung 990/93/EWG des Rates1286 zur Durchführung einer Reihe von Resolutionen des VN-SR1287.1288 Gegenstand des Ausgangsverfahrens ist eine auf Basowie Gilsdorf/Brandtner, Art 301 EG, Rz 11ff; siehe außerdem auch Reinisch, ARIEL 2002, 119ff; zum verbleibenden Handlungsbedarf Österreichs (zB bei Waffenembargos, vgl insb § 3 Abs 1 Z 4 und Abs 1a KMG) vgl Brandl, ZÖR 1999, 210ff. 1284 Zu ähnlichen beim EuG gegenwärtig anhängigen Klagen vgl Lavranos, EuR 2006, 88 FN 56 mwN. 1285 Grundsätzlich handelt es sich in diesem Fall also nicht um individuelle Sanktionen, sondern um solche, die gegen einen Staat bzw ein Regime zielen; wie der Fall zeigt, können aber auch von solchen Sanktionen Einzelpersonen bzw juristische Personen unmittelbar betroffen sein, was die Schwierigkeit einer exakten Grenzziehung zwischen allgemeinen, gegen einen Staat gerichteten und individuellen, gegen Einzelpersonen gerichteten Sanktionen verdeutlicht. 1286 Verordnung 990/93/EWG des Rates v 26. 4. 1993 über den Handel zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro), ABl L 102 v 28. 4. 1993, 14ff. Artikel 8 der Verordnung bestimmt: „Alle Wasserfahrzeuge, Lastkraftwagen, Eisenbahnwagen und Luftfahrzeuge, die sich mehrheitlich im Eigentum einer Person oder eines Unternehmens mit Sitz oder Tätigkeitsort in der Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) befinden oder von solchen Personen oder Unternehmen kontrolliert werden, werden von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten beschlagnahmt. Unkosten im Zusammenhang mit beschlagnahmten Schiffen, Lastkraftwagen, Eisenbahnwagen und Luftfahrzeugen gehen zu Lasten von deren Eigentümern.“ 1287 Vgl insb Z 24 SR-Resolution 820 (1993): „Decides that all States shall impound all vessels, freight vehicles, rolling stock and aircraft in their territories in which a majority or controlling interest is held by a person or undertaking in or operating from the Federal Republic of Yugoslavia (Serbia and Montenegro) and that these vessels, freight vehicles, rolling stock and aircraft may be forfeit to the seizing State upon a determination that they have been in violation of resolutions 713 (1991), 757 (1992), 787 (1992) or the present resolution.“
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sis von Art 8 der besagten Verordnung ergangene Entscheidung des irischen Verkehrsministers, ein der jugoslawischen Fluggesellschaft (JAT) gehörendes, aber von der türkischen Charterfluggesellschaft Bosphorus Airways geleastes und betriebenes Flugzeug während Instandhaltungsarbeiten auf dem Flughafen von Dublin zu beschlagnahmen. Bosphorus Airways beantragte daraufhin beim High Court in Dublin die gerichtliche Überprüfung der Weisung des Verkehrsministers, das von der JAT geleaste Flugzeug zu beschlagnahmen. Mit Urteil und Beschluss vom 21. 6. 1994 erklärte der High Court die Weisung des Ministers für nichtig, da das fragliche Flugzeug kein Luftfahrzeug sei, auf das Art 8 der VO 990/93/EWG Anwendung finden könne. Dagegen initiierte der Verkehrsminister beim irischen Supreme Court ein Rechtsmittelverfahren, im Zuge dessen die Höchstrichter entschieden, die Frage der Auslegung des einschlägigen Art 8 Verordnung 990/93/EWG gemäß Art 234 EGV dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen. Der Gerichtshof hielt fest, dass eine Beschlagnahme iSd Verordnung auch dann zulässig ist, wenn – wie im gegenständlichen Fall – ein Flugzeug, das im Eigentum eines Unternehmens mit Sitz oder Tätigkeitsort in der Bundesrepublik Jugoslawien steht, von einem von diesem Staat unabhängigen Unternehmen bloß geleast wird.1289 Für die vorliegende Arbeit von besonderem Interesse ist, dass der EuGH in diesem Zusammenhang auch auf die Frage der Grundrechte und der Verhältnismäßigkeit der Beschlagnahme Bezug nahm. Bereits in den Schlussanträgen prüft Generalanwalt Jacobs 1290 die Verordnung und ihre Vollziehung im Hinblick auf eine mögliche Verletzung des Eigentumsgrundrechts, weil „wohl kein Zweifel daran [besteht], dass unter den Umständen des vorliegenden Falles die Grundrechte von Bosphorus Airways betroffen sind“1291. Ausgehend von den vom EuGH getroffenen Feststellungen zur Beschränkbarkeit der Grundrechte im Hinblick auf dem Gemeinwohl dienenden EuGH, Rs 84/95, Urteil v 30. 7. 1996, Bosphorus Hava Yollari Turizm, Slg 1996-I, 3953, 3978; siehe dazu insb im Lichte des Verhältnisses zwischen Völker- und Europarecht Canor, CMLR 1998, 140ff. 1289 Ibid, 3987, Rz 27. 1290 Schlussanträge in der Rs 84/95, Bosphorus Hava Yollari Turizm, Slg 1996-I, 3953, 3956, Rz 48ff. 1291 Ibid, Rz 63. 1288
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Zielen,1292 liegt es nach Ansicht von Jacobs auf der Hand, „daß ein besonders starkes öffentliches Interesse an der Durchsetzung der vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen beschlossenen Embargomaßnahmen besteht“.1293 Im Grunde sei kaum ein stärkeres öffentliches Interesse denkbar als das an der Beendigung eines so verheerenden Bürgerkriegs, wie er über das ehemalige Jugoslawien und insbesondere über Bosnien-Herzegowina hereingebrochen ist.1294 Das bedeutet aber nach Meinung Jacobs’ nicht, „dass unter solchen Umständen jeder Eingriff in das Eigentumsrecht hingenommen werden sollte“.1295 Insgesamt kommt der Generalanwalt jedoch zum Ergebnis, dass im konkreten Fall zwischen den Anforderungen des Allgemeininteresses und den Erfordernissen des Schutzes der Grundrechte des einzelnen kein ungerechter Ausgleich vorgenommen wurde und die Sanktionsmaßnahmen daher die angefochtene Entscheidung rechtfertigen.1296 In Anlehnung an die Schlussanträge bejaht auch der EuGH eine Rechtfertigung des Eingriffs in das Eigentumsrecht von Bosphorus Airways durch die Beschlagnahme des Flugzeugs auf Grund des für die internationale Völkergemeinschaft derart grundlegenden, dem Gemeinwohl dienenden Ziels, den Kriegszustand in der Region und die massiven Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts in Bosnien-Herzegowina zu beenden.1297 Auf diese im Urteil des EuGH durchgeführte Grundrechtsprüfung stellte im späteren EMRK-Verfahren auch der Europäische Gerichtshof für Vgl EuGH, Rs C-280/93, Urteil v 5. 10. 1994, Deutschland/Rat, Slg 1994-I, 4973, Rz 78: „Sowohl das Eigentumsrecht als auch die freie Berufsausübung [gehören] zu den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts…Diese Grundsätze können jedoch keine uneingeschränkte Geltung beanspruchen, sondern müssen im Hinblick auf ihre gesellschaftliche Funktion gesehen werden. Folglich können die Ausübung des Eigentumsrechts…Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese Beschränkungen tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der die so gewährleisteten Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet…“. 1293 Schlussanträge in der Rs 84/95, Bosphorus Hava Yollari Turizm, Slg 1996-I, 3953, 3956, Rz 64. 1294 Ibid, aaO. 1295 Ibid, Rz 65. 1296 Ibid, Rz 65ff. 1297 EuGH, Rs 84/95, Urteil v 30. 7. 1996, Bosphorus Hava Yollari Turizm, Slg 1996-I, 3953, 3987, Rz 26. 1292
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Menschenrechte ab, in dem er die von Bosphorus Airways eingebrachte Individualbeschwerde wegen des „vergleichbaren Grundrechtsschutzes“ innerhalb der EU für unzulässig erklärte.1298 ii) Die Fälle Ali Yusuf und Abdullah Kadi vor dem EuG Auslöser dieses Falles waren die durch die bereits oben angeführten Resolutionen des Sicherheitsrats verhängten individuellen Sanktionen (‘targeted sanctions’) gegen die Taliban, Osama bin Laden und Al-Qaida sowie deren mutmaßliche Handlanger und Förderer.1299 Alle VN-Mitgliedstaaten wurden dabei aufgerufen, die von diesen Personen oder Einrichtungen kontrollierten Gelder und Finanzmittel einzufrieren.1300 Zur Bestimmung der Zielpersonen wurde ein Sanktionsausschuss eingerichtet, der mit der Identifizierung der betroffenen Rechtssubjekte bzw der einzufrierenden Finanzmittel sowie der Führung einer aktuellen Liste der mit Osama bin Laden in Verbindung gebrachten Personen und Einrichtungen betraut wurde;1301 in dieser Liste fanden die Beschwerdeführer im Herbst 2001 erstmals Erwähnung. Zur Umsetzung der die Sanktionen anordnenden Resolutionen erließ der Rat unter anderem gemäß Art 60, 301 und 308 EGV auf der Grundlage des Gemeinsamen Standpunkts 2002/402/GASP1302 die Verordnung 881/2002/EG1303, welche gemäß EGMR, Urteil v 30. 6. 2005, Bosphorus Hava Yollari Turizm gegen Irland (Große Kammer), No. 45036/98, Rz 155, RJD 2005-VI, vgl dazu Skouris, ZSR 2005, 34ff; Schorkopf, GLJ 2005, 1255ff; Szczekalla, GPR 2005, 176ff; Heer-Reißmann, NJW 2006, 192ff; Lavranos, EuR 2006, 81ff; Winkler, EuGRZ 2007, 641ff sowie oben im 4. Kap V.A.2. 1299 EuG, Rs T-306/01 und T-315/01, Urteile v 21. 9. 2005, Ahmed Ali Yusuf & Al Barakaat International Foundation gegen Rat der EU und Kommission der EG und Yassin Abdullah Kadi gegen Rat der EU und Kommission der EG, abrufbar unter http://curia.eu.int (= EuGRZ 2005, 592ff = ÖIMR-Newsletter 2005/5, 255ff); vgl zu den Fällen Kotzur, EuGRZ 2006, 21ff; Payandeh, ZaöRV 2006, 52ff; Cannizzaro, GLWP 11/05, 16ff; Reinisch, ILM 2006, 77ff; Ahmed/Butler, EJIL 2006, 771ff; Bulterman, LJIL 2006, 753ff. 1300 Vgl die SR-Resolutionen 1267 (1999), 1333 (2000) und 1390 (2002). 1301 SR Res 1267; siehe http://www.un.org/Docs/sc/committees/1267Template.htm. 1302 Gemeinsamer Standpunkt des Rats v 27. 5. 2002 betreffend restriktive Maßnahmen gegen Osama bin Laden, Mitglieder der Al-Qaida-Organisation und die Taliban sowie andere mit ihnen verbündete Personen, Gruppen, Unternehmen und Einrichtungen und zur Aufhebung der Gemeinsamen Standpunkte 96/746/GASP, 1999/ 727/GASP, 2001/154/GASP und 2001/771/GASP (2002/402/GASP), ABl v 29. 5. 2002, L 139, 4. 1298
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Art 2 Abs 1 leg cit vorsieht, alle Gelder und wirtschaftliche Ressourcen, die den vom Sanktionsausschuss in die Liste aufgenommenen Personen, Gruppen oder Organisationen gehören oder in deren Eigentum stehen (welche in den Anhang I der Verordnung unverändert übernommen und von der Europäischen Kommission nach Maßgabe der Änderungen des Sanktionsausschusses laufend aktualisiert wurden), einzufrieren. Gegen diese Verordnung und ihre Vorgängerin, die Verordnung 467/2001/EG des Rats1304, richten sich die Beschwerdeführer mit einer Klage gemäß Art 230 Abs 4 EGV an das EuG und begehren die Nichtigerklärung der betreffenden Verordnungen auf Grund einer behaupteten Unzuständigkeit des Rates, einer Verletzung von Art 249 EGV sowie einer Verletzung ihrer Grundrechte.1305 Im Hinblick auf die Grundrechte bringen die Beschwerdeführer vor, die angefochtenen Verordnungen würden ihr Recht auf Achtung des Eigentums, ihren Anspruch auf rechtliches Gehör, ihre durch Art 6 EMRK gewährleisteten Verteidigungsrechte und ihr Recht auf einen wirksamen Rechtsschutz verletzen. Bevor das EuG auf die geltend gemachten Grundrechte selbst eingeht, beschäftigt es sich mit dem Vorrang der Verpflichtungen aus der SVN gemäß Art 103 SVN und dem Umfang der vom Gericht auszuübenden Rechtmäßigkeitskontrolle.1306 Auch wenn die EG weder Mitglied der VN noch Verordnung 881/2002/EG des Rats v 27. 5. 2002 über die Anwendung bestimmter spezifischer restriktiver Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen, die mit Osama bin Laden, dem Al-Qaida-Netzwerk und den Taliban in Verbindung stehen, und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 467/2001 des Rates über das Verbot der Ausfuhr bestimmter Waren und Dienstleistungen nach Afghanistan, über die Ausweitung des Flugverbots und des Einfrierens von Geldern und anderen Finanzmitteln betreffend die Taliban von Afghanistan, ABl L 139 v 29. 5. 2002, 9ff; vgl zum rechtlichen Rahmen der Sanktionen sowohl auf VN- als auch auf EU-Ebene ausführlich Andersson/Cameron/Nordback, EBLR 2003, 112ff. 1304 Verordnung 467/2001/EG des Rats v 6. 3. 2001 über das Verbot der Ausfuhr bestimmter Waren und Dienstleistungen nach Afghanistan, über die Ausweitung des Flugverbots und des Einfrierens von Geldern und anderen Finanzmitteln betreffend die Taliban von Afghanistan und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 337/2000, ABl L 67 v 9. 3. 2001, 1ff. 1305 Im Folgenden soll hier nur auf die Grundrechte eingegangen werden, zu den anderen Klagepunkten, die das EuG zT ausführlich behandelte siehe EuGRZ 2005, 597 (Rz 71ff). 1306 EuG, Rs T-306/01, Urteil v 21. 9. 2005, Ahmed Ali Yusuf & Al Barakaat International Foundation gegen Rat der EU und Kommission der EG, abrufbar unter http://curia.eu.int, Rz 226. Ebenfalls mit Urteil vom 21. 9. 2005 wurde das Paral1303
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Adressat der Resolutionen des Sicherheitsrats ist, soll sie schon auf Basis des EGV in der gleichen Weise wie ihre Mitgliedstaaten an die Verpflichtungen aus der SVN gebunden sein.1307 Soweit demnach nämlich die Gemeinschaft Befugnisse übernommen hat, die zuvor von den Mitgliedstaaten im Anwendungsbereich der SVN ausgeübt wurden, ist sie, so das EuG, an die Bestimmungen der Satzung gebunden.1308 Im konkreten Fall hätten die Gemeinschaftsorgane daher auf Grund einer gebundenen Befugnis – nämlich der Verpflichtung, die Resolutionen des Sicherheitsrats umzusetzen – ohne eigenen Ermessensspielraum gehandelt, weshalb eine Kontrolle der materiellen Rechtmäßigkeit der Verordnungen eine inzidente Kontrolle der Rechtmäßigkeit der SR-Resolutionen mit sich bringen würde;1309 würde das EuG in seiner Rechtmäßigkeitskontrolle nämlich zum Ergebnis einer Verletzung der Grundrechte der Kläger kommen, impliziere dies, dass die fraglichen Resolutionen des Sicherheitsrats selbst diese Grundrechte verletzen.1310 Da jedoch infolge Art 103 SVN die Berufung auf eine Verletzung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung geschützten Grundrechte die Gültigkeit einer SR-Resolution oder deren Wirkung im Gebiet der EG nicht berühren kann, muss nach Auffassung des EuG davon ausgegangen werden, dass die betreffenden SR-Resolutionen nicht der Kontrolle des Gerichts unterliegen können und dieses deshalb nicht berechtigt sein kann, ihre Rechtmäßigkeit auch nur inzident in Frage zu stellen. Vielmehr sei das EuG verpflichtet, das Gemeinschaftsrecht so weit wie möglich in einer Weise auszulegen und anzuwenden, die mit den Verpflichtungen der SVN vereinbar ist.1311 Anders ist dies, so das EuG, im Hinblick auf die inzidente Prüfung der Rechtmäßigkeit der gegenständlichen SR-Resolutionen am Maßstab des ius cogens, verstanden als internationaler ordre public, der für alle Völkerrechtssubjekte einschließlich der Organe der VN lelverfahren entschieden, vgl EuG, Rs T-315/01, Yassin Abdullah Kadi gegen Rat der EU und Kommission der EG, abrufbar unter http://curia.eu.int; das Ergebnis ist identisch, die Begründung stimmt im Wesentlichen mit dem Fall Ali Yusuf überein. 1307 EuG, Rs T-306/01, Urteil v 21. 9. 2005, Ahmed Ali Yusuf & Al Barakaat International Foundation gegen Rat der EU und Kommission der EG, abrufbar unter http://curia.eu.int, Rz 243. 1308 Ibid, Rz 253. 1309 Ibid, Rz 265f. 1310 Ibid, Rz 267. 1311 Ibid, Rz 275f.
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gilt und von dem nicht abgewichen werden darf.1312 Das Völkerrecht erlaube nämlich die Annahme, dass es eine Grenze der Bindungswirkung der Resolutionen des Sicherheitsrats gibt: Sie müssten die zwingenden fundamentalen Bestimmungen des ius cogens beachten.1313 Aus diesem Grund kann sich nach Meinung des EuG die inzidente Kontrolle, die das Gericht im Rahmen einer Klage auf Nichtigerklärung eines Gemeinschaftsrechtsakts ausübt, der ohne jede Ermessensausübung zur Umsetzung einer SR-Resolution ergangen ist, gegebenenfalls auf die Prüfung erstrecken, ob die zum ius cogens gehörenden übergeordneten Regeln des Völkerrechts und insb auch die zwingenden Normen zum universellen Schutz der Menschenrechte, von denen weder die Mitgliedstaaten noch die Organe der VN abweichen dürfen, eingehalten wurden.1314 Im Lichte dieser Ausführungen prüft das EuG in der Folge die Verordnungen nur anhand des Standards des universellen Schutzes der zum ius cogens gehörenden Menschenrechte und weist, da die geltend gemachten Eingriffe in das Eigentumsrecht, in die grundlegenden Verteidigungsrechte wie der Anspruch auf rechtliches Gehör sowie in das Recht auf einen wirksamen Rechtschutz nicht in die Sphäre der zwingenden Menschenrechtsnormen fallen würden, die Klagen der Beschwerdeführer zurück.1315 iii) Entscheidungserheblichkeit des Ermessensspielraums der EG: Der Fall Organisation des Modjahedines du peuple d’Iran In den beiden dargestellten Fällen haben es EuGH und EuG mit Fragen der inzidenten Auslegung und Rechtmäßigkeitskontrolle von Resolutionen des VN-Sicherheitsrats zu tun. Während das EuG per Nichtigkeitsklage gemäß Art 230 Abs 4 EGV explizit zu einer Grundrechtsprüfung der betreffenden Verordnungen und somit indirekt auch der dahinter stehenden SR-Resolutionen aufgefordert wird, unIbid, Rz 277. Ibid, Rz 281. 1314 Ibid, Rz 282. Das EuG verweist dabei auch die Definition von ius cogens als „unveräußerliche Grundsätze des Völkergewohnheitsrechts“ durch das Gutachten des IGH v 8. 7. 1996, Zulässigkeit der Drohung mit oder des Gebrauchs von Nuklearwaffen, ICJ Reports 1996, 226, Rz 79. 1315 Ibid, Rz 284ff; aA offenbar de Wet/Nollkaemper, GYIL 2002, 184, die das Recht auf Gehör in strafrechtlichen Angelegenheiten zu den ius cogens-Normen zählen. 1312 1313
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ternimmt der EuGH diese Prüfung von sich aus im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art 234 EGV. Bemerkenswert ist dabei, dass der EuGH im Fall Bosphorus tatsächlich die von der Resolution 820 (1993) des VN-Sicherheitsrats in Z 24 angeordnete und durch Art 8 VO 990/93/EWG des Rats umgesetzte Beschlagnahme jugoslawischer Luft- und Wasserfahrzeuge auf ihre Grundrechtskonformität prüft und den dadurch angeordneten Eingriff in das Eigentumsrecht Betroffener im Lichte des Ziels der Wiederherstellung des internationalen Friedens und der internationalen Sicherheit als gerechtfertigt ansieht.1316 Insofern verneint der EuGH allerdings ebenso wie Generalanwalt Jacobs eine auf Art 103 SVN gestützte automatische Dispensierung der Rechtmäßigkeitskontrolle von Verordnungen am Maßstab der EU-Grundrechte und erkennt sich zu einer Prüfung zuständig, selbst wenn er dadurch implizit über die Grundrechtskonformität der Resolution des VN-Sicherheitsrats abspricht. Anders bewertet das EuG einen vergleichbaren Sachverhalt und verneint gerade deshalb eine Prüfungskompetenz der relevanten Verordnungsbestimmungen, weil die Gemeinschaftsorgane bei der Umsetzung der in Frage stehenden SR-Resolutionen ohne jeglichen Ermessensspielraum gehandelt hätten, weshalb eine Kontrolle der materiellen Rechtmäßigkeit der Verordnungen eine inzidente Kontrolle der Rechtmäßigkeit der SR-Resolutionen zur Folge haben würde. Es stellt sich somit die Frage, ob die durchgeführte Grundrechtskontrolle des EuGH im Fall Bosphorus auf Grund eines von den EuG-Verfahren unterschiedlichen Sachverhalts gerechtfertigt gewesen wäre, in concreto, ob den Gemeinschaftsorganen bei der Umsetzung von Z 24 der SR-Resolution 820 (1993) durch Art 8 VO 990/93/EWG – im Gegensatz zum Sachverhalt vor dem EuG in den Fällen Ali Yusuf und Abdullah Kadi – ein Umsetzungsspielraum zugekommen ist. Vergleicht man den Wortlaut von Z 24 der besagten Resolution, so erfließt daraus eine Pflicht zur Beschlagnahme von den dort angeführten Fahrzeugen durch die Mitgliedstaaten, ähnlich zur Verpflichtung, Gelder der vom Sanktionsausschuss als Suborgan des Sicherheitsrats aufgelisteten Personen und Vereinigungen einzufrieren. Weder in dem einen noch in dem anderen Fall kam den Gemeinschaftsorganen dabei jedoch bei der Erlassung der Verordnungen ein Umsetzungsspielraum zu. 1316
Zustimmend Huber, Art 301 EGV, Rz 47.
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Anders ist dies hingegen beim Vollzug der besagten Resolutionen: In den Fällen Ali Yusuf und Abdullah Kadi bleibt den nationalen Behörden auf Grund expliziter Erwähnung der beiden Betroffenen in der Liste des Sanktionsausschuss kein Handlungsspielraum. Selbst der beschränkte Rechtsschutz einer Person gegen deren Aufnahme in die Liste des Sanktionsausschusses ist vom Sicherheitsrat klar vorgegeben: Z 8 der Leitlinien für die Arbeit des Ausschusses sieht nämlich vor, dass eine Person oder Gruppe, die sich auf der blacklist befindet, lediglich bei der Regierung des Landes, in dem diese wohnt und/oder dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, die Überprüfung seines Falles beantragen kann, wobei der Antragsteller seinen Antrag auf Streichung von der Liste begründen, die relevanten Informationen liefern und um Unterstützung des Antrags bitten kann.1317 Dagegen verbleibt den nationalen Behörden bei der Anwendung der Verordnung 990/93/EWG ein, wenn auch enger, so doch bestehender Spielraum, da sie – wie es im Fall Bosphorus dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt wurde – selbständig bewerten müssen, ob ein fragliches Fahrzeug im Eigentum oder unter der Kontrolle der Bundesrepublik Jugoslawien steht. Aus diesem Grund scheint eine unterschiedliche Behandlung der beiden Sachverhalte durch den EuGH und das EuG, soweit sie den indirekten Vollzug durch die Mitgliedstaaten betrifft, geboten; was die Prüfung der Verordnung selbst am Maßstab der EU-Grundrechte angeht, kann eine Unterscheidung allerdings prima facie sachlich nicht gerechtfertigt sein, da die SR-Resolution in beiden Fällen den EG-Rechtsakt vollständig determiniert. Nach Ansicht des EuG gilt in solchen Situationen, dass der gemeinschaftsrechtliche Rechtsakt, der eine aus einer Resolution des VN-Sicherheitsrats erfließende Verpflichtung mangels Ermessensspielraums bloß wortgleich umsetzt, weder im Vorabentscheidungsverfahren noch im Wege der Vgl Z 8 der Leitlinien (‘De-listing’), http://www.un.org/Docs/sc/committees/ 1267/1267_guidelines.pdf sowie EuGRZ 2005, 615. Insofern haben allerdings die EU und ihre Mitgliedstaaten ein möglichst effizientes System sicherzustellen, dass sich betroffene Personen im Wege des diplomatischen Schutzes an ihre Mitgliedstaaten bzw die EU wenden können und sich diese sodann nach Prüfung des jeweiligen Sachverhalts beim Sanktionsausschuss unter Umständen für eine Streichung der betroffenen Personen von der blacklist einsetzen; die endgültige Entscheidung über den Verbleib der Personen auf der Liste liegt aber letztlich stets beim Sanktionsausschuss des Sicherheitsrats, vgl auch Andersson/Cameron/Nordback, EBLR 2003, 131. 1317
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Nichtigkeitsklage in materieller Hinsicht (in erster Linie auf seine Grundrechtskonformität hin) geprüft werden darf, weil ansonsten die Europäischen Gerichte Resolutionen des VN-Sicherheitsrats am Maßstab der Unionsgrundrechte messen würden, was ihnen aber schon auf Grund von Art 25 und 103 SVN verwehrt sein soll. Das Kriterium des Mangels von jeglichem Ermessensspielraum, wie es das EuG im Fall Ali Yusuf aus der (vollständig) gebundenen Befugnis zum Tätigwerden ohne Änderungs- bzw Gestaltungsmöglichkeit der SR-Resolutionen ableitet, soll demnach auf Grund des Anwendungsvorrangs der Verpflichtungen aus der SVN gemäß Art 103 SVN gegenüber der Verpflichtung der Primärrechts- und somit Grundrechtskonformität des Unionssekundärrecht den Ausschluss einer Grundrechtskontrolle rechtfertigen können. Anders hat dies allerdings der EuGH im Fall Bosphorus entschieden und die Verordnung 990/93/EWG des Rates sehr wohl am Primärrecht und insb den Grundrechten geprüft. Die Entscheidungserheblichkeit des verbleibenden Ermessensspielraums der EG auf Grund des jeweiligen Wortlauts der Resolution des VN-SR hat das EuG in seinem Urteil vom 12. Dezember 2006 in der Rechtssache T-228/021318 bestätigt und ausdrücklich dargelegt und jenen Beschluss, mit dem die Klägerin auf die Liste der Personen gemäß Art. 2 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 2580/ 2001 des Rates vom 27. Dezember 2001 über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus gesetzt wurde, für nichtig erklärt, soweit er die Klägerin betrifft. Das Gericht kommt dabei zum Schluss, „dass der angefochtene Beschluss nicht begründet ist und im Rahmen eines Verfahrens erlassen wurde, in dessen Verlauf die Verteidigungsrechte der Klägerin nicht gewahrt wurden.“1319 Die Divergenz dieser Entscheidung des EuG zu den Fällen Ali Yusuf und Abdullah Kadi ergibt sich daraus, ob der Rat bei der Festlegung von Personen, Vereinigungen und Einrichtungen, auf welche restriktive Maßnahmen wie das Einfrieren von Geldern angewendet werden sollen, aus eigenem Ermessen oder in Ausübung einer ge1318 EuG, Rs T-228/02, Urteil v 12. 12. 2006, Organisation des Modjahedines du peuple d’Iran gegen Rat der Europäischen Union, abrufbar unter http://curia.eu.int. 1319 EuG, Rs T-228/02, Urteil v 12. 12. 2006, Organisation des Modjahedines du peuple d’Iran gegen Rat der Europäischen Union, Rz 173, abrufbar unter http:// curia.eu.int.
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bundenen Befugnis tätig wird. Entscheidungserheblich ist demnach für das EuG, inwieweit Gemeinschaftsmaßnahmen, die in Umsetzung einer Resolution des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen erlassen werden, mit oder ohne eigenen Ermessensspielraum getroffen werden. Da im Falle der Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 die Anordnung restriktiver Maßnahmen gegenüber bestimmten Personen in Ausübung einer eigenen Befugnis aufgrund einer Ermessensentscheidung der Gemeinschaft erfolgt ist, sind die Verteidigungsrechte im Kontext des Erlasses eines Beschlusses über das Einfrieren von Geldern nach der Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 grundsätzlich in vollem Umfang zu gewährleisten.1320 Eine solche eigene Befugnis folgt aus der Resolution 1373 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen. Zur Umsetzung dieser Resolution erließ die Union zuerst den Gemeinsamen Standpunkt 2001/931/GASP und die Gemeinschaft anschließend die Verordnung (EG) Nr. 2580/2001. In der Resolution 1373 (2001) hat der Sicherheitsrat beschlossen, dass alle Staaten Gelder und sonstige finanzielle Vermögenswerte oder wirtschaftliche Ressourcen von Personen einfrieren sollen, die terroristische Handlungen begehen, zu begehen versuchen oder sich an deren Begehung beteiligen oder diese erleichtern. Zudem sollen unter anderem auch Maßnahmen getroffen werden, die verhindern, dass Gelder und sonstige finanzielle Vermögenswerte oder wirtschaftliche Ressourcen zum Nutzen solcher Personen zur Verfügung gestellt werden. Resolution 1373 (2001) nennt jedoch nicht die von solchen Maßnahmen betroffenen Personen, sondern überlässt deren Festlegung den VN-Mitgliedstaaten (für die EU-Mitgliedstaaten dem Rat). Die Argumentationslinie des EuG und das Abstellen auf die Ausübung eines Ermessensspielraums bzw einer gebunden Befugnis erscheint vergleichbar mit der Vorgangsweise bei der Überprüfung der mitgliedstaatlichen Umsetzung von Richtlinien, die dem nationalen Gesetzgeber keinerlei Umsetzungsspielraum überlassen. Dabei gilt, dass staatliche Rechtsakte, soweit sie durch Gemeinschaftsrecht vollständig determiniert sind, der Prüfung am Maßstab des ös1320
EuG, Rs T-228/02, Urteil v 12. 12. 2006, Organisation des Modjahedines du peuple d’Iran gegen Rat der Europäischen Union, Rz 170f, abrufbar unter http:// curia.eu.int.
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terreichischen Verfassungsrechts entzogen sind; soweit das Gemeinschaftsrecht hingegen dem staatlichen Organ bei der Umsetzung einen Spielraum überlässt, unterliegt dieses einer doppelten Bindung: der Bindung an das Gemeinschaftsrecht und innerhalb des verbleibenden Spielraums auch der Bindung an höherrangiges staatliches Recht.1321 Spiegelbildlich erscheint die Rechtslage bei der Umsetzung von Verpflichtungen aus der SVN durch das Gemeinschaftsrecht zu sein: Dort, wo etwa der Sicherheitsrat in seinen Beschlüssen einen Gestaltungsspielraum überlässt, unterliegt der Sekundärrechtsgesetzgeber weiterhin den Vorgaben des Primärrechts; dieser hat demnach also in Übereinstimmung mit den Grundrechten und den allgemeinen Rechtsgrundsätzen zu handeln. Von dieser Verpflichtung wäre der Sekundärrechtsgesetzgeber folglich aber befreit, wenn sein Handeln vollständig vom SR determiniert ist. Gegen diese Analogie zur nationalen Richtlinienumsetzung spricht allerdings der bedeutende Umstand, dass die Beschlüsse des Sicherheitsrats im Gegensatz zum EU-Sekundärrecht zwar einer Grundrechtsbindung aber keiner eigenständigen Grundrechtskontrolle unterliegen. Diese Tatsache und das daraus resultierende potentielle Grundrechtsvakuum bedürfen sogleich einer weitergehenden Erörterung.1322 Ungeachtet dessen kann jedenfalls der Vorgangsweise, die das EuG im Hinblick auf das ius cogens als Prüfungsmaßstab gewählt hat, beigepflichtet werden. Denn der Vorrang der SVN gemäß Art 103 gilt unter keinen Umständen gegenüber den zwingenden Normen des Völkerrechts; diese binden selbst den Sicherheitsrat der VN. Verstößt dieser – so unwahrscheinlich dies auch sein mag – gegen die fundamentalen Grundsätze des ius cogens, so entfalten, wie das EuG festgestellt hat, seine Resolutionen nicht mehr die übliche Bindungswirkung.1323 Umsetzungsakte von SR-Resolutionen wie EG-Verordnungen gemäß Art 301 EGV können aus diesem Grund zu Recht stets (zumindest) am Maßstab der zwingenden Normen des Völkerrechts geprüft werden. Wenn gleich im Einzelnen Öhlinger, FS Rill, 370; ders, EU-BeitrittsBVG, Rz 77; Griller, ÖJT 1994, 56. Siehe sogleich unter ee). 1323 Vgl die Separate Opinion von Judge Lauterpacht, IGH, Beschluss v 13. 9. 1993, Anwendung der Konvention über die Verhinderung und Bestrafung des Verbrechens des Völkermords (Bosnien und Herzegowina gegen Jugoslawien (Serbien und Montenegro), ICJ Reports 1993, 440, para. 103; siehe auch Birkhäuser, Sanctions of the Security Council, 13f; Reinisch, AJIL 2001, 854ff. 1321 1322
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strittig ist, welche Bestimmungen zum ius cogens zählen, so gilt dies in der internationalen Gemeinschaft gegenwärtig auf jeden Fall im Hinblick auf das Folterverbot als konsentiert.1324 ee) Grundrechtskontrolle im Mehrebenensystem Das Zusammenspiel der Grundrechtskontrolle im Mehrebenensystem nationales Verfassungsgericht – EuGH – EGMR beschäftigt Judikatur und Literatur bis heute intensiv: Paradigmatisch dafür ist die Auseinandersetzung zwischen dem BVerfG und dem EuGH,1325 ebenso spannungsgeladen ist und bleibt das Verhältnis zwischen nationalen Verfassungsgerichten und dem EGMR.1326 Nun partizipiert infolge seiner stetig aktiveren Rolle seit dem Ende des Kalten Krieges auch der VN-Sicherheitsrat immer häufiger als bedeutender Mitspieler in diesem polyzentrischen Netzwerk, da er seine in der SVN final festgehaltenen Zuständigkeiten, insb seine Hauptverantwortung gemäß Art 24 Abs 1 SVN zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit, insofern extensiv auslegt, als er verstärkt gleichsam als world legislator1327 zunehmend nicht nur in staatliche, sondern auch in individuelle Bereiche und damit auch in die Grundrechte einzelner Personen eingreift. Problematisch ist dies vor allem deswegen, weil, wie die dargestellten Fälle Ali Yusuf und Abdullah Kadi exemplifizieren,1328 in Ermangelung der Wahrnehmung des judicial review durch den Internationalen Gerichtshof der Sicherheitsrat im Ergebnis legibus solutus agiert und betroffene Individuen die Rechtmäßigkeit von Sicherheitsratsresolutionen nicht überprüfen lassen können.1329, 1330 Vgl etwa EGMR, Urteil v 21. 11. 2001, Al-Adsani gegen Vereinigtes Königreich, RJD 2001-XI, 79, Rz 61: „[T]he Court accepts…that the prohibition of torture has achieved the status of a peremptory norm in international law…“; vgl auch Maierhöfer, EuGRZ 2002, 395ff und oben im 1. Kap III.C.1. 1325 BVerfGE 37, 271 (Solange I), BVerfGE 73, 339 (Solange II) und BVerfGE 89, 155(Maastricht-Urteil). 1326 Vgl den Görgülü-Beschluss vom 14. 10. 2004, BVerfG 2 BvR 1481/04 und EGMR, Urteil vom 26. 2. 2004, Görgülü/Deutschland, Nr. 74969/01 (berichtigt am 24. 5. 2005); siehe dazu Cremer, EuGRZ 2004, 683ff; Meyer-Ladewig/Petzold, NJW 2005, 15ff; Lenz, FS Zuleeg, 234ff. 1327 Vgl Marschik, IILJ Working Paper 2005/18, 8ff, 21ff; Olivier, NJIL 2004, 407ff. 1328 Siehe zu den Fällen oben dd)ii). 1329 Die Möglichkeit aller VN-Organe, ein Rechtsgutachten des IGH über die Rechtmäßigkeit eines Rechtsaktes einzuholen, ändert daran nichts, da ein entspre1324
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Die fehlende Rechtmäßigkeitskontrolle des Sicherheitsrats erscheint dabei auch deshalb zusehends anachronistisch, weil, wie oben gezeigt wurde, mit guten Gründen dessen Grundrechtsbindung als Hauptorgan der VN bejaht werden muss;1331 dies folgt nicht zuletzt schon aus der Bindung des Sicherheitsrats an die Ziele und Grundsätze der SVN.1332 Von besonderer Bedeutung ist deshalb die Klärung der Frage, inwieweit nationale und supranationale Gerichte Sicherheitsratsresolutionen mittelbar am Maßstab der Grundrechte überprüfen dürfen. i) Kontrolle nationaler Umsetzungsmaßnahmen durch staatliche Gerichte Wie dargestellt sind Beschlüsse des Sicherheitsrats nicht unmittelbar anwendbar, sondern binden die VN-Mitgliedstaaten, die zu deren Umsetzung gemäß Art 25 SVN verpflichtet sind. Eine solche Umsetzung kann einerseits durch den Mitgliedstaat, andererseits infolge von Kompetenzübertragung auch durch eine regionale Orgachendes Gutachten nicht rechtsverbindlich ist und keine Auswirkungen auf die Gültigkeit des Rechtsaktes hat, vgl Annacker, JBl 1995, 503. 1330 Der IGH könnte sich durchaus auf das in der SVN implizit verankerte Recht des judicial review berufen und die Handlungen des Sicherheitsrats dahingehend überprüfen, ob sie abgesehen von den dessen Zuständigkeiten auch – gemäß Art 24 Abs 2 SVN – mit den Zielen und Grundsätzen der VN vereinbar sind; vgl allgemein zum Recht des IGH zur Rechtmäßigkeitskontrolle von SR-Resolutionen zB Alvarez, AJIL 1996, 1ff; Fraas, Sicherheitsrat und Internationaler Gerichtshof; Lorinser, Überprüfung durch den IGH; Martenczuk, EJIL 1999, 525; Reinisch, AJIL 2001, 854ff; de Wet/Nollkaemper, GYIL 2002, 184ff sowie jüngst Cannizzaro, GLWP 11/05, 9ff. Problematisch bleibt im Hinblick auf Individualsanktionen allerdings, dass auch bei einer impliziten Bejahung des Rechts auf judicial review durch den IGH Einzelpersonen der Zugang zur Rechtskontrolle versperrt bleiben würde. 1331 Siehe dazu oben im 1.Kap III.C.2. mit zahlreichen Nachweisen. 1332 Siehe Art 24 Abs 2 SVN sowie Art 1 Abs 1, Abs 3, Art 13 Abs 1, Art 55 lit c), Art 56, Art 62 Abs 2 und Art 76 lit c) SVN, vgl dazu näher de Wet, LJIL 2001, 284ff; Reinisch, AJIL 2001, 853ff; Olivier, NJIL 2004, 403ff; Birkhäuser, Sanctions of the Security Council, 10ff; Thallinger, ZaöRV 2007, 1023ff; aA Kelsen, Law of the UN, 294. Deutlich ist idZ auch die Appeals Chamber des ICTY, Prosecutor v. Tadic, Appeal on Jurisdiction, Case IT-94-1, 2.10.1995, http://www.un.org/icty/ tadic/appeal/decision-e/51002.htm, Rz 28: „In any case, neither the text nor the spirit of the Charter conceives of the Security Council as legibus solutus (unbound by law).“ Die Appeals Chamber prüfte in der Folge die Rechtmäßigkeit der Errichtung des ICTY durch den Sicherheitsrat als Vorfrage ihrer Jurisdiktion und bejahte diese (als Suborgan des Sicherheitsrats gilt ihr gegenüber nicht Art 103 SVN).
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nisation wie allen voran die EU oder durch beide gemeinsam erfolgen. Auch bei staatlichen Umsetzungsmaßnahmen ist umstritten, inwieweit nationalen Verfassungsgerichten eine Kontrollbefugnis am Maßstab der Grundrechte zukommt. Überlässt eine Sicherheitsratsresolution den Mitgliedstaaten diesbezüglich einen Spielraum, so muss dieser zweifelsohne grundrechtskonform ausgestaltet werden. Bei vollständiger Determinierung ist das Recht zur Prüfung des nationalen Umsetzungsaktes hingegen ebenso fraglich wie bei der Umsetzung durch EG-Verordnung weil auch hier eine implizite Überprüfung der SR-Resolution am Maßstab der Grundrechte die Folge sein würde.1333 Ein entsprechender innerstaatlicher Rechtsschutz ist allerdings in Österreich grundsätzlich zu bejahen, da der Durchführungsakt – Gesetz oder Verordnung – im Rahmen der im B-VG vorgesehenen Rechtsschutzeinrichtungen ohne Ausnahmen bekämpft werden kann;1334 der völkerrechtliche Hintergrund der innerstaatlichen Vorschrift ist jedenfalls vom VfGH im Wege der völkerrechtskonformen Interpretation bei der Beurteilung des Rechtsakts heranzuziehen – eine Resolution unter Kapitel VII zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit ist dabei in der Regel als gewichtiges öffentliches Interesse zur Rechtfertigung eines Grundrechtseingriffs heranzuziehen sein. Anders als im Verhältnis zu EGVerordnungen steht einer solchen Lösung auch nicht Art 103 SVN entgegen. Stattdessen lässt sich gegen eine inzidente Kontrolle von SR-Resolutionen durch nationale Verfassungsgerichte prima vista Art 27 WVK einwenden, der anordnet, dass sich eine Vertragspartei nicht auf ihr innerstaatliches Recht berufen kann, um die Nichterfüllung eines Vertrages zu rechtfertigen. Diese Vorschrift darf allerdings nicht als Vorrangregel völkerrechtlicher Verträge gegenüber innerstaatlichem (Verfassungs)Recht (miss)verstanden werden, sondern soll die Vertragsparteien lediglich dazu anhalten, die Erfüllung ihrer vertraglichen Pflichten nicht durch eine diametrale Ausgestaltung des nationalen Rechts zu vereiteln; steht staatliches Recht der Erfüllung der Pflichten aus einem völkerrechtlichen Vertrag entgeVgl Payandeh, ZaöRV 2006, 51f. Zutreffend Griller, Übertragung, 490f; Annacker, JBl 1995, 505; dafür spricht auch, dass durch die spezielle Transformation im Gegensatz zur Adoption durch bloße Publikation im BGBl ja gerade Rang und Rechtsschutz eines Beschlusses einer Internationalen Organisation festgelegt werden sollen, vgl Öhlinger, Art 9 Abs 2 B-VG, Rz 13ff. 1333 1334
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gen, tritt daher „bloß“ Staatenverantwortlichkeit ein.1335 Unter keinen Umständen kann allerdings nationalen Verfassungsgerichten die Kompetenz zugestanden werden, die Beschlüsse des Sicherheitsrats direkt am Maßstab staatlicher Grundrechte zu messen; dies würde die Vorrangstellung der VN und seiner Organe und damit auch die Balance der internationalen Sicherheitsarchitektur nachhaltig in Frage stellen und gefährden.1336 Im Ergebnis ist somit festzuhalten, dass nationale Umsetzungsmaßnahmen von SR-Resolutionen (Gesetze, Verordnungen) in Österreich der vollständigen Grundrechtskontrolle durch den VfGH unterliegen, dieser aber die Beschlüsse des Sicherheitsrats bei der Rechtfertigung eines Grundrechtseingriffes in völkerrechtsfreundlicher Weise zu berücksichtigen hat. ii) Kontrolle supranationaler Umsetzungsmaßnahmen durch EuG und EuGH Į) Vorrang der SR-Beschlüsse gegenüber EU-Grundrechten gemäß Art 103 SVN Als Nichtmitglied der VN ist die EG bzw EU zwar nicht direkt an die Resolutionen des Sicherheitsrats gebunden, in Bereichen, wo die Mitgliedstaaten ihre Zuständigkeit auf die Union übertragen haben, wie dies bei der Verhängung wirtschaftlicher Embargomaßnahmen der Fall ist, besteht allerdings eine mittelbare Bindung der EU.1337 Beschlüsse des Sicherheitsrats stellen somit auch für die Union Verpflichtungen gemäß Art 103 SVN dar, die entgegensteZemanek, Völkervertragsrecht, in: Handbuch, Rz 311. Vgl Birkhäuser, Sanctions of the Security Council, 15f; aA Olivier, NJIL 2004, 413ff. 1337 Der EuGH hatte diese Frage bisweilen allerdings nicht ausdrücklich beantwortet, siehe Garbagnati Ketvel, ICLQ 2006, 109f, insb FN 134; vgl nun aber EuG, Rs T-306/01, Urteil v 21. 9. 2005, Ahmed Ali Yusuf & Al Barakaat International Foundation gegen Rat der EU und Kommission der EG, abrufbar unter http:// curia.eu.int, Rz 226: „…ist davon auszugehen, dass die Gemeinschaft schon nach dem Vertrag zu ihrer Gründung in der gleichen Weise wie ihre Mitgliedstaaten an die Verpflichtungen aufgrund der Charta der Vereinten Nationen gebunden ist…“. Die Bindung der Gemeinschaft erfolgt also aus dem Primärrecht selbst, denn Integrationsziel der Mitgliedstaaten war nicht, sich durch Hoheitsrechtsübertragung ihrer Bindungen an die SVN zu entkleiden – die Formulierung „in der gleichen Weisen gebunden wie die Mitgliedstaaten“ des EuG erscheint allerdings nicht ausreichend zu differenzieren; vgl auch Osteneck, Umsetzung von UN-Wirtschaftssanktionen, 292ff; 350ff; Kotzur, EuGRZ 2006, 24; Eeckhout, External Relations, 436ff. 1335 1336
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henden völkerrechtlichen Verpflichtungen und somit dem Unionsprimärrecht vorgehen.1338 Auf den ersten Blick hat die Anwendbarkeit von Art 103 SVN also zur Folge, dass anders als nationale Umsetzungsrechtsakte Unionsrechtsakte zur Durchführung von Beschlüssen des Sicherheitsrats keiner Prüfung am Maßstab der Grundrechte zugänglich sind. Unabhängig von der Bindung der EG/EU an die SVN folgt ein solches Ergebnis zudem bereits aus Art 307 EGV, wonach durch den EGV die Rechte und Pflichten aus Übereinkünften, die vor dem 1. Januar 1958 oder, im Falle später beigetretener Staaten, vor dem Zeitpunkt ihres Beitritts zwischen einem oder mehreren Mitgliedstaaten einerseits oder mehreren dritten Ländern andererseits geschlossen wurden, durch den EGV nicht berührt werden.1339 Gegen eine solche reflexartige Dispensierung der sekundärrechtlichen Umsetzungsakte der Beschlüsse des Sicherheitsrats von den Vorschriften des Primärrechts spricht allerdings die Rechtsnatur von Art 103 SVN, welcher der SVN nicht allgemein einen „höheren Rang“ unter den Normen des Völkerrechts einräumt, sondern sich nur auf den Fall eines Konflikts zwischen Verpflichtungen aus der Charta und solchen aus anderen völkerrechtlichen Verträgen bezieht;1340 der Sache nach handelt es sich also um eine Regelung vertraglicher Normkonflikte, die zwei einander widersprechende Anordnungen voraussetzt.1341 Im Falle der Verhängung von Individualsanktionen, wie sie in den Fällen Ali Yusuf und Abdullah Kadi vorliegen, ordnet der Sicherheitsrat den Vollzug eines Grundrechtseingriffes an, ohne eine entsprechende Rechtmäßigkeitskontrolle vorzusehen. Aus einer teleologischen Interpretation dieser Anordnung folgt, dass es der Sicherheitsrat aber nicht den Mitgliedstaaten überlassen will, ob sie eine solche durchführen wollen oder nicht, vielmehr sind sie jedenfalls zur Verhängung der Sanktionen verpflichtet.1342 Im Fall eines Normkonflikts bleiben daher entgegenstehende Verpflichtungen und somit unter Umständen auch Vorschriften des EU-Primär- und Sekundärrechts zwar in Geltung, sind jedoch im konkreten Einzelfall nicht anwendbar; die Rechtsnatur der Vorrangwirkung ist, wenn gleich es den Verpflichtungen aus der SVN stets an unmittelbarer Anwendbarkeit mangelt, dem Anwendungsvorrang von Gemeinschaftsrecht gegenüber Rechtsnormen der Mitgliedstaaten nicht unähnlich, vgl Reinisch, ILM 2006, 77. 1339 Eeckhout, External Relations, 436ff. 1340 Paulus, Die internationale Gemeinschaft, 309. 1341 Ibid, aaO. 1342 So auch Payandeh, ZaöRV 2006, 61. 1338
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Mangels eines entsprechenden Umsetzungsspielraums dürften somit vertragliche Vorschriften, die eine Rechtmäßigkeitskontrolle anordnen würden, gemäß Art 103 SVN nicht auf den Umsetzungsrechtsakt angewendet werden. In allen Fällen, in denen bei der Umsetzung einer Resolution des Sicherheitsrats ein Ermessensspielraum verbleibt, ist dieser hingegen grundrechtskonform auszugestalten und kann insoweit auch vom EuGH überprüft werden.1343 ȕ) Keine Verdrängung von Normen des ius cogens sowie des Völkergewohnheitsrechts Völlig korrekt hat das EuG in den Fällen Yusuf und Kadi darauf verwiesen, dass jedoch die Vorschriften des ius cogens die Bindungswirkung von Sicherheitsratsresolutionen begrenzen und prüfte deshalb die fragliche Verordnung und somit auch indirekt die ihr zu Grunde liegenden Beschlüsse des Sicherheitsrats am Maßstab der zwingenden Vorschriften des Völkerrechts.1344 Wie oben dargestellt, sind die VN und somit auch ihre Organe darüber hinaus aber auch an sämtliche Regeln des Völkergewohnheitsrechts einschließlich jener menschenrechtlicher Natur gebunden, die daher ebenso die Bindungswirkung von SR-Resolutionen beschränken können.1345 Genauso wenig wie ius cogens-Normen von aus der SVN resultierenden Verpflichtungen verdrängt werden können, trifft dies auch auf völkergewohnheitsrechtliche Vorschriften zu, die schon dem Wortlaut nach nicht von Art 103 SVN erfasst werden. Zudem bildet die Menschenrechtsbindung der VN (und insb des Sicherheitsrats als deren Hauptorgan) selbst eine Verpflichtung aus der SVN, wie sie etwa in Art 1 Abs 3 sowie Art 55 lit c) iVm Art 24 Abs 2 leg cit sowie in der Resolution der Generalversammlung über die AllgemeiEin gegen die Grundrechte verstoßender Rechtsakt wäre somit vom EuGH aufzuheben; vgl zur ähnlichen Konstellation im Hinblick auf die staatliche Umsetzung eines europäischen Rechtsakts BVferG, 2 BvR 2236/04, Urteil v 18.7.2005 (Europäischer Haftbefehl). 1344 EuG, Rs T-306/01, Urteil v 21. 9. 2005, Ahmed Ali Yusuf & Al Barakaat International Foundation gegen Rat der EU und Kommission der EG, abrufbar unter http://curia.eu.int, Rz 281ff; Rs T-315/01, Urteil v 21. 9. 2005, Yassin Abdullah Kadi gegen Rat der EU und Kommission der EG, abrufbar unter http://curia.eu.int, Rz 226ff; vgl de Wet/Nollkaemper, GYIL 2002, 181ff. 1345 Vgl näher 1. Kap III.C.2. 1343
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ne Erklärung der Menschenrechte vom 10. 12. 19481346 zum Ausdruck kommt.1347 Gerade die Einstellung der Mitgliedstaaten zu bestimmten Resolutionen der GV ist aber für den IGH ein wesentliches Indiz für das Vorliegen von opinio iuris.1348 Auch wenn im Einzelnen strittig ist, welche Grund- und Menschenrechte heute zum völkergewohnheitsrechtlichen corpus zählen, kann davon ausgegangen werden, dass dies heute zumindest auf einen Kreis fundamentaler Bestimmungen der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zutrifft, der über die zwingenden Vorschriften des Völkerrechts hinausgeht.1349 In dieser Hinsicht hat es das EuG somit aber zu Unrecht unterlassen, die in Frage stehenden Verordnungen (SR-Beschlüsse) am Maßstab der völkergewohnheitsrechtlich verankerten Menschenrechte zu prüfen und festzustellen, ob die von den Beschwerdeführern Yusuf und Kadi für verletzt erachteten Grundrechte völkergewohnheitsrechtlicher Natur sind. iii) Anwendbarkeit der Solange-Formel im Verhältnis zu den VN? Ungeachtet dessen führt die strikte Anwendung von Art 103 SVN iVm Art 307 EGV dazu, dass, wie es das EuG in den Fällen Ali Yusuf und Abdullah Kadi korrekterweise festgestellt hat, die Europäischen Gerichte Sekundärrechtsakte, die wortwörtlich Beschlüsse des Sicherheitsrats implementieren, grundsätzlich nicht am Maßstab der EU-Grundrechte kontrollieren dürfen. Fraglich ist, ob nicht der EuGH dennoch und zwar auf Grund der Anerkennung der Union als autonome Rechtsordnung von seiner Kompetenz zur Grundrechtskontrolle Gebrauch machen und auf diese Weise den Sicherheitsrat zur Achtung der Menschenrechte anleiten will.1350 Dies wird von Teilen der rezenten Literatur aus einer Abwägung zwischen effektiver Friedenssicherung und fundamentalen Menschenrechtsgarantien GA-Res. 217(III), Universal Declaration of Human Rights, Dec. 19 1948, UNDoc A/810 (1948). 1347 Vgl näher de Wet/Nollkaemper, GYIL 2002, 171ff. 1348 IGH, Nicaragua-Fall (Nicaragua gegen USA), Urteil v 27. 6. 1986, ICJ Reports 1986, para. 186; vgl auch Villiger, Customary International Law, 154ff; Verdross/Simma, Völkerrecht, § 637. 1349 Siehe dazu oben im 1. Kap III.C.2. 1350 Im Wege eines „europäischen soft-balancing“ gegen die US-Vormachtstellung im Rahmen der VN, vgl Thallinger, ZaöRV 2007, 1034ff. 1346
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sowie aus dem Loyalitätsverhältnis zwischen den Vereinten Nationen und ihren Mitgliedstaaten heraus gefordert, wonach die Gerichtsbarkeit der EG so lange eine Reservekompetenz ausüben solle, bis der Rechtsschutz innerhalb der VN oder sonst auf internationaler Ebene eine überzeugendere Ausprägung erfahren habe.1351 Für diesen Ansatz spricht, dass der Sicherheitsrat infolge seiner Bindung an die Menschenrechte grundsätzlich dazu verpflichtet wäre, dass er, wenn er im Zuge der Schaffung eines Suborgans wie des Sanktionsausschusses in Persönlichkeits- und Freiheitsrechte von Einzelpersonen eingreift, eine grundrechtskonforme Ausgestaltung mit individueller Überprüfungsmöglichkeit samt Gewährung grundlegender Verfahrensrechte sicherstellt.1352 Dass es möglich ist, solche Suborgane etwa als Tribunale iSv Art 6 EMRK auszugestalten und dabei den wesentlichen Grundrechtsstandards zu entsprechen, untermauern die in dieser Hinsicht mustergültigen Gerichtshöfe ICTY und ICTR, die der Sicherheitsrat 1993 bzw 1994 errichtet hat.1353 1351 Payandeh, ZaöRV 2006, 58ff; Biehler, AVR 2003, 180f; Kotzur, EuGRZ 2006, 26; Cannizzaro, GLWP 11/05, 28ff; in eine ähnliche Richtung gehend de Wet/Nollkaemper, GYIL 2002, 188ff. Zweifelsohne ist jedoch bei einer solchen Analogie auf die beachtlichen Unterschiede zwischen dem Verhältnis Mitgliedstaaten – EG zu jenem der EG – VN Bedacht zu nehmen, da sich die VN grundlegend von der supranationalen Organisation EG unterscheiden. 1352 Die Schaffung von Rechtsmitteln für Sanktionsbetroffene regen auch die Empfehlungen im Working Paper der VN-Unterkommission zur Förderung und zum Schutz der Menschenrechte, The Adverse Consequences of Economic Sanctions on the Enjoyment of Human Rights, UN Doc. E/CN.4/Sub.2/2000/33, 25, § 106f, an. Vgl überdies für zahlreiche Vorschläge Strengthening Targeted Sanctions Through Fair and Clear Procedures – White Paper Prepared by the Watson Institute Targeted Sanctions Project, Brown University, 30 March 2006, abrufbar unter http:// watsoninstitute.org/pub/Strengthening_Targeted_Sanctions.pdf und den Endbericht samt Empfehlungen der österreichischen Initiative The UN Security Council and the Rule of Law (2008), abrufbar unter www.bmeia.gv.at. 1353 SR-Resolution 808 (1993), 827 (1993) bzw 955 (1994); siehe dazu auch insb den viel diskutierten Beschluss der Berufskammer des ICTY im Fall Tadic, wonach der Sicherheitsrat bei der Einrichtung eines Justizorgans auf der Grundlage von Kapitel VII SVN dafür Sorge zu tragen habe, dass das Gericht „provide[s] all the guarantees of fairness, justice and even-handedness, in full conformity with internationally recognized human rights instruments“ (ICTY, Prosecutor v. Tacic, Appeals Chamber Decision on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction, October 2, 1995, Rz 45, abrufbar unter http://www.un.org/icty/tadic/appeal/ decision-e/51002.htm). Aus der Annahme einer Verpflichtung des Sicherheitsrats zum Respekt der Menschenrechte muss aber jedenfalls auch folgen, dass es ihm
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Gegen eine hier vorgeschlagene inzidente Überprüfungsmöglichkeit des Sicherheitsrats, sei es auf nationaler oder supranationaler Ebene, ist allerdings ins Treffen zu führen, dass sie die Effektivität und Legitimität des Sicherheitsrats auf Dauer untergraben könnte, und zwar dann, wenn dessen Entscheidungen mehr oder weniger reflexartig und auch missbräuchlich als unrechtmäßig qualifiziert und in der Folge nicht mehr beachtet werden.1354 Eine mittelbare Kontrolle muss deshalb auf jeden Fall die Ausnahme der Regel und auf Fälle fundamentaler Grundrechtseingriffe beschränkt bleiben.1355 Dass sodann de facto die Wirksamkeit der Anordnungen des SR nicht wesentlich beeinträchtigt sein dürfte, liegt, wie im Fall Bosphorus1356 vor dem EuGH ersichtlich wurde, auch insb darin begründet, dass ein von den VN angeordneter Grundrechtseingriff regelmäßig auf Grund des weit reichenden öffentliches Interesses der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit ohnehin gerechtfertigt sein wird. Doch selbst zur Verfolgung dieses bedeutendsten aller möglichen legitimen Zwecke ist der Sicherheitsrat – auch bei der Einrichtung des Sanktionsausschusses – dazu anzuhalten, die zur Zielerreichung iSd Verhältnismäßigkeitsprinzip erforderliche, also die von mehreren geeigneten Mitteln am wenigsten belastende Maßnahme zu wählen.1357 Grundrechtsdogmatisch lässt sich eine mögliche analoge Anwendbarkeit der Solange-Formel auf das Verhältnis VN – EG wie folgt begründen: Schon kraft staatlicher Verfassung – und daher unabhängig von einer zum Zeitpunkt der Ratifikation der SVN noch nicht bestehenden Bindung an die EMRK – ist die Übertragung von Hoheitsrechten auf eine Internationale Organisation nur unter der Voraussetzung zulässig, dass die Wahrung des österreichischen Grundrechtsstandards (nicht aber die detaillierte Einhaltung der österreiuntersagt ist, durch seine Beschlüsse die Vertragsparteien zu einem menschenrechtsverletzenden Verhalten zu verpflichten, vgl Bartelt/Zeitler, EuZW 2003, 716. 1354 Darauf weisen Eeckhout, External Relations, 447 und de Wet/Nollkaemper, GYIL 2002, 197f zu Recht hin, wobei letztere anmerken: „[I]t would be preferable to provide for review and remedies at international rather than at national level. Indeed, it could be said that once a proper international mechanism would exist, the legal basis for review by national courts would cease to exist.“ 1355 Ibid, aaO. 1356 Siehe oben dd)i). 1357 Zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vgl nur Holoubek, FS Rill, 97ff und Lienbacher, Artikel 5 EGV, Rz 39.
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chischen Grundrechte) gewährleistet bleibt.1358 Dies folgt aus der schon in der Bundesverfassung verankerten (und durch Art 1 EMRK bestätigten) Verpflichtung nicht nur zum Schutz vor eigener (österreichischer) Hoheitsgewalt, sondern auch vor Eingriffen durch Organe Internationaler Organisationen.1359 Daher war aus verfassungsrechtlicher Sicht bei der Übertragung von Hoheitsrechten an die VN sicherzustellen, dass diese die Grundrechte der Bundesverfassung im Wesentlichen gewährleisten – was zum damaligen Zeitpunkt (1955) nicht bezweifelt wurde. Angesichts der evolutiven Interpretation der Kompetenzen des VN-Sicherheitsrats muss dies jedoch heute, wie das Beispiel des Sanktionsausschusses – der mit den Gewährleistungen des Rechtsstaatsprinzips auf Grund der fehlenden Verfahrensrechte der Parteien unvereinbar erscheint – verdeutlicht, insofern relativiert werden, als in Teilbereichen dieser Grundrechtsstandard heute nicht erreicht wird.1360 Die These, die VN bringen ein „Mehr“ an Grund- und Menschenrechten, wurde im Bereich der Sanktionen quasi auf den Kopf gestellt: Kumm spricht in diesem Zusammenhang treffend von der Aufgabe, „the migration of unconstiutional ideas from the international to the regional and national level“ zu verhindern.1361 Das Unterlassen der Absicherung der fundamentalen Grundrechte bei der Ratifikation der SVN wird innerstaatlich dadurch kompensiert, dass der VfGH vom Sicherheitsrat gesetzte Hoheitsgewalt mittelbar – nämlich durch Prüfung des Transformationsrechtsakts – am Maßstab der Bundesverfassung überprüfen kann.1362 Dort, wo aber die österreichische Bundesverfassung selbst die Kompetenz zur Umsetzung eines SR-Beschlusses an die EU übertragen hat (Art 23f B-VG), muss dieses mittelbare Prüfungsrecht durch die EuropäiGriller, Übertragung, 511. Vgl Grabenwarter, VVDStRL 60, 311; Walter, AöR 2004, 63. 1360 Anders als dies das EuG im Hinblick auf die Normen des ius cogens annimmt (Rs T-315/01, Urteil v 21. 9. 2005, Yassin Abdullah Kadi gegen Rat der EU und Kommission der EG, abrufbar unter http://curia.eu.int, Rz 290), stellt der beschränkte Rechtsschutz gegen die Aufnahme auf die ‘black list’ des Sanktionsausschusses im Wege des Antrags an die Regierung der jeweiligen Staatszugehörigkeit jedenfalls keinen am Maßstab der innerstaatlichen bzw der unionalen Grundrechte ausreichenden Rechtsschutz dar. 1361 Kumm, Constitutionalism encounters international law, 290. 1362 Zu dieser Unterlassenskonstruktion im Verhältnis zwischen EMRK und EG siehe Walter, AöR 2004, 62f. 1358 1359
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schen Gerichte bei der Gültigkeitskontrolle des sekundärrechtlichen Umsetzungsakts vorgenommen werden, da der VfGH keine Kompetenz zur Prüfung von Unionsrecht besitzt. Die Vorschrift in Art 103 SVN kann dieser impliziten Kontrolle somit aber deswegen nicht entgegen gehalten werden, weil sie selbst ja nur durch Übertragung von Hoheitsgewalt an die VN und somit unter dem Vorbehalt der Gewährleistung eines vergleichbaren Grundrechtsniveaus zur Anwendung gelangt ist. So lange ein äquivalenter Grundrechtsschutz gegen hinreichend individualisierte Maßnahmen des Sicherheitsrats nicht besteht, sind deshalb die nationalen Verfassungsgerichte und im Falle unionaler Zuständigkeit die Europäischen Gerichte dazu angehalten, einen entsprechenden Schutz vor ursächlich durch die VN bewirkte Hoheitsgewalt sicherzustellen. Dabei sind die Gerichte allerdings verpflichtet, in völkerrechtsfreundlicher Auslegung die Effektivität und die Akzeptanz des Sicherheitsrats nicht zu unterlaufen und haben lediglich auf die Beachtung der fundamentalen Grundund Menschenrechte abzustellen.1363 iv) Anders als das EuG bejaht der EuGH im Urteil vom 3. 9. 2008 die Rechtmäßigkeitskontrolle am Maßstab der Grundrechte Gegen die oben dargestellten Urteile in den Verfahren Ali Yusuf und Abdullah Kadi 1364 haben sowohl Herr Kadi als auch die Al Barakkat International Foudation Rechtsmittel an den Gerichtshof eingelegt (Rechtsmittelverfahren Al Barakaat International Foundation (Ali Yusuf) (Rs C-415/05 P) und Abdullah Kadi (Rs C-402/05 P). Dabei machen die Kläger – neben anderen Punkten wie insb das Fehlen einer Rechtsgrundlage – die Verletzung ihrer Grundrechte geltend. In seinen Schlussanträgen vom 16. Jänner 2008 sowie vom 23. Jänner 2008 schlägt Generalanwalt Maduro dem Gerichtshof vor, die Urteile des EuG aufzuheben, da der vom Rechtsmittelführer vorgebrachte Rechtsmittelgrund, dass die angefochtene Verordnung den Anspruch auf rechtliches Gehör, den Anspruch auf effektive gerichtliche Kontrolle und das Eigentumsrecht verletze, begründet sei. Der Gerichtshof soll außerdem, so Maduro, die angefochtene VerAls ungenügend muss dabei allerdings der Verweis auf den zu engen und nicht endgültig geklärten corpus der ius cogens-Rechte bewertet werden. 1364 Siehe oben Punkt dd)ii). 1363
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ordnung (EG) Nr. 881/2002 daher für nichtig erklären, soweit sie die Rechtsmittelführer betrifft. Mit Spannung war das Urteil des EuGH erwartet worden. Mit ihm war nicht zuletzt die Hoffnung verbunden, der Gerichtshof könnte als judizielle Instanz den notwendigen Druck für eine weitergehende Reform zu Gunsten des Rechtssschutzes innerhalb der VN-Sanktionsausschüsse ausüben und zur Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit auf Ebene der Vereinten Nationen beitragen.1365 Į) Spruch und Urteilsbegründung Die Hoffnungen wurden nicht enttäuscht, denn der EuGH hob mit Urteil vom 3. September 2008 die Urteile des Gerichts erster Instanz vom 21. September 2005, Kadi gegen Rat und Kommission (T-315/01) sowie Yusuf und Al Barakaat International Foundation gegen Rat und Kommission (T-306/01) auf.1366 Zudem erklärt der Gerichtshof die Verordnung (EG) Nr. 881/2002 des Rates vom 27. Mai 2002 für nichtig, soweit sie Herrn Kadi und die Al Barakaat International Foundation betrifft. Der EuGH legt diesbezüglich fest, dass die Wirkungen der Verordnung, soweit sie Herrn Kadi und die Al Barakaat International Foundation betrifft, für einen Zeitraum von höchstens drei Monaten ab dem Tag der Verkündung des vorliegenden Urteils aufrechterhalten werden. Im Folgenden sollen die Urteilsbegründung im Bereich der Grundrechtskontrolle – als Rechtsgrundlagen der Verordnung Nr. 881/2002 bestätigt der EuGH, wenn auch mit anderer Begründung als das EuG, die Art 60, 301 iVm 308 EG – knapp zusammengefasst und einer ersten kurzen Bewertung unterzogen werden:1367 1365 Zur bisherigen vorsichtigen Reform des VN-Sanktionsregimes siehe Thallinger, ZaöRV 2007, 1037ff. 1366 Verb Rs C-402/05 P und C-415/05 P, Yassin Abdullah Kadi und Al Barakaat International Foundation gegen Rat und Kommission, abrufbar unter http://curia. europa.eu/de/content/juris/index.htm; vgl Financial Times vom 3. September 2008, EU court rules on suspected terror funds, www.ft.com. 1367 Eine ausführlichere Analyse des umfangreichen Judikats kann hier nicht erfolgen, nicht zuletzt weil das Urteil erst zu einem Zeitpunkt verkündet wurde, als die Manuskriptfassung des vorliegenden Buches bereits in einer druckfertigen Fassung erstellt war. Es kann jedoch die Prognose gewagt werden, dass das Urteil in der Literatur und auch auf Ebene des Rats (sowie des Sicherheitsrats der VN) noch intensive Auseinandersetzung erfahren wird.
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Der Gerichtshof hat die Frage, ob die Verordnung Nr. 881/2002 unabhängig von ihrem Ursprung in vollem Umfang der Kontrolle durch den Gerichtshof unterworfen ist, bejaht. Die Gemeinschaftsgerichte haben nämlich eine umfassende Kontrolle der Rechtmäßigkeit sämtlicher Handlungen der Gemeinschaft im Hinblick auf die Grundrechte als Bestandteil der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten, und zwar auch in Bezug auf diejenigen Handlungen der Gemeinschaft, die wie die streitige Verordnung der Umsetzung von Resolutionen des Sicherheitsrats nach Kapitel VII der SVN dienen sollen.1368 Die dem Gemeinschaftsrichter obliegende Rechtmäßigkeitskontrolle bezieht sich nämlich lediglich auf den Gemeinschaftsrechtsakt, dh die Verordnung Nr. 881/2002, mit dem die betreffende internationale Übereinkunft (die Resolution des Sicherheitsrates) umgesetzt werden soll, und nicht auf diese Übereinkunft als solche.1369 Der Gemeinschaftsrichter ist nicht befugt, im Rahmen der in Art 220 EG vorgesehenen ausschließlichen Zuständigkeit die Rechtmäßigkeit einer Resolution des Sicherheitsrats zu prüfen, und sei diese Prüfung auf die Frage beschränkt, ob die betreffende Resolution mit dem ius cogens vereinbar ist.1370 Die SVN lässt aber grundsätzlich den Mitgliedstaaten die freie Wahl zwischen verschiedenen Modellen für die Übernahme von Resolutionen in ihre nationalen Rechtsordnungen. Ein Urteil, mit dem festgestellt wird, dass ein Gemeinschaftsrechtsakt zur Umsetzung solcher Resolutionen gegen eine höherrangige Norm der Gemeinschaftsrechtsordnung verstößt, stellt somit nicht den völkerrechtlichen Vorrang der betreffenden Resolutionen in Frage.1371 Die Kontrolle der Gültigkeit einer jeden Handlung der Gemeinschaft im Hinblick auf die Grundrechte durch den Gerichtshof ist vielmehr als Ausdruck einer Verfassungsgarantie in einer Rechtsgemeinschaft zu betrachten, einer Garantie, die sich aus dem EG-Vertrag als autonomem Rechtssystem ergibt und durch ein völkerrecht1368
EuGH, Urteil vom 3. September 2008, verb Rs C-402/05 P und C-415/05 P, Yassin Abdullah Kadi und Al Barakaat International Foundation gegen Rat und Kommission, Rz 326, http://curia.europa.eu/de/content/juris/index.htm. 1369 Ibid, Rz 286. 1370 Ibid, Rz 287. 1371 Ibid, Rz 288.
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liches Abkommen nicht beeinträchtigt werden kann.1372 Das EuG habe somit einen Rechtsfehler begangen, als es entschieden hat, dass die Gemeinschaftsgerichte für die Prüfung der materiellen Rechtmäßigkeit der Verordnung Nr. 881/2002 grundsätzlich nicht zuständig seien. Aus diesem Grund hebt der Gerichtshof die Urteile des EuG auf. Der EuGH stellt anschließend fest, dass in den Verfahren die Verteidigungsrechte der Kläger, insb der Anspruch auf rechtliches Gehör sowie das Recht auf effektive gerichtliche Kontrolle offenkundig nicht gewahrt worden sind. Er räumt dabei zwar ein, dass eine im Voraus erfolgende Mitteilung der Gründe die Wirksamkeit der Maßnahmen des Einfrierens von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen beeinträchtigen könnte, die naturgemäß einen Überraschungseffekt benötigen und unverzüglich zur Anwendung kommen müssen.1373 Eine Anhörung der Kläger vor deren Aufnahme in die Liste kann aus diesem Grund nicht verpflichtend sein.1374 Die Gemeinschaft hat allerdings der betroffenen Person oder Organisation die Gründe, auf denen die betreffende Maßnahme beruht, soweit wie möglich zu dem Zeitpunkt, zu dem diese Maßnahme beschlossen wird, oder wenigstens so bald wie möglich danach mitzuteilen, um den betreffenen Adressaten die fristgemäße Wahrnehmung ihres Rechts auf gerichtlichen Rechtsschutz zu ermöglichen.1375 Der Gerichtshof stellt zudem fest, dass das Einfrieren von Geldern eine ungerechtfertigte Beschränkung des Eigentumsrechts von Herrn Kadi darstellt, da die Verordnung Nr. 881/2002 erlassen worden ist, ohne Herrn Kadi irgendeine Garantie zu geben, dass er sein Anliegen den zuständigen Stellen vortragen kann.1376 Der EuGH hält in diesem Zusammenhang aber gleichzeitig fest, dass es sich bei den mit der Verordnung Nr. 881/2002 verhängten Restriktionen um Beschränkungen des Eigentumsrechts handelt, die grundsätzlich sehr wohl gerechtfertigt werden könnten.1377
1372 1373 1374 1375 1376 1377
Ibid, Rz 316. Ibid, Rz 340. Ibid, Rz 341. Ibid, Rz 336. Ibid, Rz 369. Ibid, Rz 366.
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ȕ) Einschätzung und Ausblick Das Urteil des Gerichthofs ist ohne Zweifel beachtenswert. Der EuGH hat klargestellt, dass unabhängig davon, ob der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in bindenden Resolutionen den Mitgliedstaaten einen Umsetzungsspielraum belässt, Verordnungen, die solche Resolutionen umsetzen, jedenfalls und ausnahmslos an den Grundrechten als allgemeinen Rechtsgrundsätzen der Gemeinschaft im Range des Primärrechts gemessen werden müssen. Jegliche Handlung der Gemeinschaft sei nämlich im Hinblick auf die Grundrechte als Ausdruck einer Verfassungsgarantie einer autonomen Rechtsgemeinschaft kontrollierbar, was auch durch ein völkerrechtliches Abkommen wie der SVN nicht beeinträchtigt werden könne. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass inzwischen vor dem Sanktionsausschuss der VN ein Verfahren zur Überprüfung der gesetzten Maßnahmen besteht, da das betreffende Verfahren offenkundig nicht die Garantien eines effektiven Rechtsschutzes bietet. Innerhalb der dreimonatigen Frist, in der die Wirkungen der Verordnung Nr. 881/2002 aufrecht bleiben, obliegt es somit dem Rat, einen entsprechenden Rechtsschutz für die Kläger sicherzustellen. Sollte ein derartiges Rechtsschutzverfahren zum Ergebnis gelangen, dass einer der Kläger zu Unrecht auf der vom Sanktionsausschuss des Sicherheitsrats übernommenen Liste steht, wäre dieser von der Liste des Rats zu streichen, womit eine Divergenz zur Liste des Sanktionsausschusses entstehen könnte. Eine solche könnte allenfalls dadurch vermieden werden, dass der Sanktionsausschuss selbst ein Kontrollverfahren zur Verfügung stellt, das die Garantien des effektiven Rechtsschutzes und die Beachtung der Grundrechte der Betroffenen auf gemeinschaftsrechtlichem Niveau sicherstellt. Durch das Urteil nicht endgültig geklärt erscheint, ob für den Fall, dass der Sanktionsausschuss des Sicherheitsrats tatsächlich solche Garantien des effektiven Rechtsschutzes selbst gewährleistet, der Gerichtshof auf eine Prüfung von Umsetzungsverordnungen verzichten würde. Gegen diese Schlussfolgerung spricht, dass der EuGH betont, dass jeglicher Sekundärrechtsakt unabhängig seines Ursprungs und Hintergrunds immer am Maßstab des Primärrechts einschließlich der Grundrechte geprüft werden kann; für die Andeutung einer solchen möglichen Konsequenz einer zukünftigen Reform des Rechtsschutzes auf der Ebene des Sanktionsauschusses des Sicherheitsrats
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können mE die Rz 321f des Urteils ins Treffen geführt werden, wo der Gerichtshof wie folgt ausführt: „Jedenfalls kann der Umstand, dass es im Rahmen des betreffenden Systems der Vereinten Nationen das Verfahren der Überprüfung vor dem Sanktionsausschuss gibt auch unter Berücksichtigung der kürzlich an ihm vorgenommenen Änderungen nicht zu einer generellen Nichtjustiziabilität im Rahmen der internen Rechtsordnung der Gemeinschaft führen. Eine solche Nichtjustiziabilität, die eine erhebliche Abweichung von dem im EG-Vertrag vorgesehenen System des gerichtlichen Rechtsschutzes der Grundrechte darstellen würde, erscheint nämlich in Anbetracht dessen, dass das betreffende Verfahren der Überprüfung offenkundig nicht die Garantien eines gerichtlichen Rechtsschutzes bietet, nicht gerechtfertigt.“1378
Es bleibt jedoch fraglich, auf welche Weise der Rechtsschutz auf Ebene des VN-Sicherheitsrats ausgeprägt sein müsste, damit es im Rahmen der Gemeinschaft zu einem eventuellen Entfall der Rechtmäßigkeitskontrolle kommen könnte. Hierbei könnte der Standard des äquivalenten bzw vergleichbaren Rechtsschutzes gemäß dem Bosphorus-Urteil des EGMR zur Anwendung gelangen. Ein solcher würde wohl voraussetzen, dass der Sanktionsausschuss ein Verfahren mit Tribunalcharakter, das die grundlegenden Verteidigungsrechte garantiert, zur Verfügung stellt. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob – ungeachtet des rechtspolitischen Drucks der durch das Urteil des Gerichtshofs auf den Sicherheitsrat ausgeübt wird – es auf Ebene der Vereinten Nationen rasch zu einem rechtsschutzfreundlicheren Verfahren kommen wird. Solange dies unterbleibt, haben die Europäischen Gerichte jedenfalls die Rechtmäßigkeitskontrolle durchzuführen und Rechtsschutz zu gewährleisten. Bei neuen Nichtigkeitsklagen wird diese Rolle nunmehr dem EuG im Lichte des EuGH-Urteils vom 3. September 2008 zukommen. In anhängigen Rechtsmittelverfahren – wie etwa gegen die Urteile des EuG in den Fällen Hassan 1379 und Ayadi 1380 – wird der EuGH erneut die Verordnung Nr. 881/2002 für nichtig erklären, so1378
Ibid, Rz 321 und 322. EuG, T-49/04, Urteil v 12. Juli 2006, Faraj Hassan gegen Rat, abrufbar unter http://curia.europa.eu/de/content/juris/index.htm. 1380 EuG, T-253/02, Urteil v 12. Juli 2006, Chafiq Ayadi gegen Rat und Kommission, abrufbar unter http://curia.europa.eu/de/content/juris/index.htm. 1379
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weit sie die Kläger betrifft. In diesen Fällen ist wie im vorliegenden Fall des Herrn Kadi und der Al Barakaat Foundation vom Rat innerhalb der vom EuGH gewährten Dreimonatsfrist ein Rechtsschutzverfahren durchzuführen. Es ist dabei nicht auszuschließen, dass ein Kläger von der Liste des Rats – anders als von der Liste des Sanktionsausschusses – gestrichen wird. Eine solche Diskrepanz könnte mittel- bis langfristig die Umsetzung entsprechender VN-Sanktionsresolutionen durch die Mitgliedstaaten der EU unterlaufen. Darüber hinaus kann mit gutem Grunde davon ausgegangen werden, dass das Urteil des EuGH Schule machen wird und auch andere nationale (Verfassungs)Gerichte der VNMitgliedstaaten den Rechtsschutz gewahrt wissen wollen (bereits zahlreiche anhängige Verfahren in anderen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen)1381. Im Ergebnis könnte dies die einheitliche Umsetzung von Sankionsresolutionen der VN gefährden, sodass der Sicherheitsrat früher oder später gezwungen sein wird, Personen auf der Liste des Sanktionsauschusses ein effektives Rechtsschutzverfahren zu garantieren. Eine solche, von der Entscheidung des EuGH vom 3. September 2008 ausgehende Dynamik wäre vor dem Hintergrund der zwingend notwendigen Stärkung der Herrschaft des Rechts in den internationalen Beziehungen (enhancement of the International Rule of Law) jedenfalls sehr zu begrüßen. ff) Bewertung im Hinblick auf VN-Mandate zur Durchführung von Friedensoperationen Für die Beurteilung der Vorrangregel in Art 103 SVN ist, wie erwähnt, festzuhalten, dass diese das Vorliegen zweier konfligierender völkervertragsrechtlicher Normen voraussetzt. Bei der Klärung, ob ein solcher Konflikt vorliegt, sind allerdings die einander potentiell entgegenstehenden Regelungen so auszulegen, dass sich ihre Verpflichtungen – sofern nach dem Wortlaut möglich – im Zweifel miteinander vereinbaren lassen.1382 VN-Mandate zur Autorisierung von Friedenstruppen wie der KFOR gemäß SR-Resolution 1244 (1999) entbinden die daran beteiligten Staaten nicht jeglicher Men1381 1382
Vgl Thallinger, ZaöRV 2007, 1032. Siehe etwa Cerone, EJIL 2001, 478, FN 50.
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schenrechtsverpflichtungen,1383 sondern legitimieren regelmäßig zum Einsatz aller erforderlichen Mittel (‘all necessary means’) zur Sicherung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit. Die Resolutionen überlassen also den die Friedensoperation durchführenden Staaten bzw Internationalen Organisationen regelmäßig einen sehr weiten Ermessensspielraum bei der Implementierung des jeweiligen Mandats und enthalten nur sehr wenige bindende Vorgaben. Bei der Umsetzung müssen die Mitgliedstaaten aus diesem Grund ihre nationalen verfassungsrechtlichen Vorgaben ebenso beachten wie die EU die aus ihren Gründungsverträgen resultierenden Anforderungen. Für die Durchführung von Friedensoperationen durch die Europäische Union bedeutet das, dass bei der konkreten Beschlussfassung über Planung und Durchführung einer Operation die quasiverfassungsrechtlichen Grundsätze des Primärrechts einschließlich der Grundrechte beachtet werden müssen. In concreto muss nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden, welches das erforderliche Mittel zur Sicherung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit ist; mit anderen Worten unterliegen daher die Unionsorgane bei ihren Entscheidungen einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung. Da die SR-Resolutionen in der Regel also einen weiten Umsetzungsspielraum für die Durchführung von Friedensmissionen gewähren, liegt somit aber weder ein Widerspruch iSd Art 103 SVN vor, wonach eine konkrete Resolution den in den Menschenrechtsoder EU-Gründungsverträgen eingegangenen Verpflichtungen vorgehen und daher dispensieren würde noch steht das innerstaatliche (Verfassungs)Recht gemäß Art 27 WVK einer Erfüllung der Verpflichtungen aus der Resolution entgegen.1384 Für die Durchführung von Friedensoperationen bedeutet dies, dass sie soweit wie möglich mit den bestehenden Normen zum Schutz der Menschenrechte in Einklang zu bringen sind und dass diese daher grundsätzlich anwendbar bleiben. Selbst, wenn (zukünftig) ein SR-Mandat unter Missachtung wesentlicher Grundrechtsstandards nur geringen oder gar keinen Umsetzungsspielraum mehr gewähren würde, folgt aus den oben dargelegten Gründen und insb im Lichte des Urteils des EuGH vom 1383 1384
Schilling, ZaöRV 2004, 356f. Ibid, aaO.
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3. September 2008 in Kadi und Al Barakaat Foundation ein Kontrollrecht durch die nationalen Verfassungsgerichte bzw den EuGH. Lässt das SR-Mandat einen Ermessensspielraum, haben die an Friedensoperationen beteiligten Staaten bzw Internationalen Organisationen den ihnen durch die Autorisierung entsprechender Einsätze eingeräumten Handlungsspielraum ohnehin grundrechtskonform auszugestalten. 5. Ergebnis a) Forderung nach verstärkter accountability von Friedenstruppen Die neuen Einsatzformen sowie die vielfältigen Aufgaben und Eingriffsbefugnisse, mit denen Soldaten im Auslandseinsatz bei der Durchführung von Friedensoperationen konfrontiert werden, haben den Ruf nach zusätzlichen und transparenteren Regeln über die accountability von Friedenstruppen verstärkt. Accountability kann dabei definiert werden als „interactive process of external scrutiny, involving one part (person or institution) which investigates, seeks answers and rectification and another part, which has to give reasonable explanations for his/its behaviour and may eventually accept sanctions“1385. Neben Formen der demokratischen und judiziellen Kontrolle erfasst accountability in einem weiten Sinn auch alternative Methoden zur Sicherung von Verantwortlichkeit, wie etwa die Einrichtung spezieller Ombudsmänner1386 oder administrative accountability (durch Rechnungshöfe) bzw public accountability (durch Zugang zu Informationen über elektronische Kommunikationsmittel oder der Kontrolle der Medien als ‘public watchdog’).1387 Besonders die Transparenz und Öffentlichkeitsbeteiligung ist bisher bei Friedensoperationen unzulänglich und sollte bei zukünftigen Missionen verbessert werden;1388 nur in Ausnahmefällen scheitert Blanck, Questions of coherence, accountability and international responsibility, 22f; vgl auch Arnull, Introduction, in: Accountability and Legitimacy, 1ff; Harlow, Accountability, 6ff sowie Rumler-Korinek, JRP 2004, 233ff. 1386 Siehe Zwanenburg, Peace Support Operations, 294ff. 1387 Ibid, 23; zur Rolle der Medien bei Friedensoperation siehe Moeller, Journal of Int’l Affairs, 369ff. 1388 Zur Bedeutung von Transparenz vgl etwa Dyrberg, Transparency, in: Accountability and Legitimacy, 81ff. 1385
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sie nämlich, wie häufig entgegnet wird, an tatsächlichen Geheimhaltungsinteressen der beteiligten Staaten.1389 b) Grundrechtsschutz als effektive Form einer Verantwortlichkeitskontrolle Die judizielle Kontrolle bildet immer noch das effizienteste, wenn auch nicht das einzige Mittel zur Sicherstellung eines hohen Grades an accountability. Wenn, wie hier versucht wurde darzustellen, die Grundrechte die Entsendestaaten auch im Auslandseinsatz binden und die dagegen vorgebrachten Einwände im Regelfall nicht stichhaltig sind, muss abschließend untersucht werden, auf welche prozessuale Weise die Grundrechte gegen die jeweiligen Entsendestaaten geltend gemacht werden können, um auch de facto deren Verantwortlichkeit durchsetzen zu können. Der Frage der Grundrechtsdurchsetzung steht prima vista die Annahme entgegen, dass diese bei Auslandseinsätzen insofern auf Probleme stößt, als wegen der Immunität der Organe der Entsendestaaten mögliche Beschwerdeführer nicht in ihrem Heimatstaat, sondern bei den Gerichten der Entsendestaaten klagen müssen und ein solcher Klageweg im Ausland sowohl auf faktische als auch auf rechtliche Schwierigkeiten trifft.1390 Aus diesem Grund soll im folgenden das Ausmaß der möglichen Durchsetzbarkeit potentieller Grundrechtsverletzungen durch Bundesheersoldaten im Auslandseinsatz in Österreich untersucht und dabei geprüft werden, ob einer effektiven prozessualen Grundrechtskontrolle tatsächlich rechtliche Hindernisse im Wege stehen.
C. Durchsetzbarkeit potentieller Grundrechtsverletzungen Abschließend soll dargestellt werden, inwieweit ausländische Betroffene eine mögliche Grundrechtsverletzung durch einen österreichischen Bundesheersoldaten tatsächlich feststellen lassen können. Es geht hierbei um die persönliche Verantwortlichkeit des Organs Diese Geheimhaltungsinteressen, die zweifelsohne militärischen Ursprungs sind, erscheinen bei quasi-polizeilichen Einsätzen nämlich nur bedingt gerechtfertigt. 1390 Es kommt hier ohnehin nur der Grundrechtsschutz durch die nationalen Gerichte der Entsendestaaten inklusive dem EGMR in Frage; eine Kontrolle von EUFORMissionen durch den EuGH scheitert an dessen mangelnder Prüfungskompetenz im Bereich der GASP gemäß Art 46 EUV, vgl Blanck, Questions of coherence, accountability and international responsibility, 27ff und dazu gleich unten IV.D.1. 1389
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einerseits und die Staatenverantwortlichkeit der Republik Österreich andererseits. Ob und in welchem Ausmaß geschädigte Rechtssubjekte auch Schadenersatz von der eine Friedensoperationen durchführenden Internationalen Organisation erfolgreich einfordern können, bleibt in diesem Zusammenhang außer Betracht.1391 Es geht hier bloß um die Seite der Verantwortlichkeit von Handlungen und Unterlassungen im Auslandseinsatz als einem österreichischen Organen und somit dem Staat zurechenbaren Verhalten. Da der EGMR infolge des Verfassungsrangs der EMRK quasi „oberster Grundrechtsgerichtshof“ der österreichischen Bundesverfassung ist, bedarf die Frage der Zulässigkeit einer Individualbeschwerde an das Straßburger Gericht besonderen Augenmerks. Einzubeziehen ist im Hinblick auf die zunehmende Beteiligung Österreichs an Friedensmissionen der EU auch die Rolle des EuG und des EuGH. Nur kursorisch behandelt werden kann hier, inwieweit vor quasi-gerichtlichen internationalen Instanzen wie dem Menschenrechtsausschuss Klage bzw Beschwerde gegen Österreich erhoben werden kann. Im Hinblick auf die individuelle Verantwortlichkeit muss geprüft werden, ob disziplinar- und strafrechtliche Sanktionsmöglichkeiten gegen ein Fehlverhalten eines Organs im Auslandseinsatz auf einfachgesetzlicher Ebene zur Verfügung stehen. Wie Holoubek zu Recht hervorgehoben hat, darf nämlich die Frage der Grundrechtsdurchsetzung nicht isoliert mit dem Blick auf den VfGH – und ich würde den EGMR und andere internationale Überwachungsgremien hinzufügen – gesehen werden;1392 die Durchsetzung der individuellen grundrechtlichen Interessenspositionen erfolgt vielmehr, sofern der Gesetzgeber die Grundrechte entsprechend beachtet hat, regelmäßig auch im Wege „normaler“ zivil-, straf- oder verwaltungsrechtlicher Verfahren (mittelbare Wirkung der Grundrechte).1393 Im Be1391 Dazu ausführlich Schmalenbach, Haftung Internationaler Organisationen, insb 166ff. 1392 Holoubek, Gewährleistungspflichten, 105; vgl auch Berka, Verfassungsrecht, Rz 1321ff. 1393 Schließlich binden die Grundrechte ja den einfachen Gesetzgeber und zielen darauf ab, dass ihren Schutzwirkungen bereits im einfachgesetzlichen formellen wie materiellen Recht entsprechend Rechnung getragen wird (Holoubek, Gewährleistungspflichten, 105; vgl auch Griller, ZfV 1983, 4ff; ders, JBl 1992, 207). Tatsächlich wird somit bereits durch die Beachtung der einfachen Gesetze – deren grundrechtskonforme Ausgestaltung vorausgesetzt – die Gewährleistung und Entfaltung der grundrechtlichen Interessen sichergestellt. Kommt es dennoch – entweder in-
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reich der Auslandseinsätze haben daher insb das HDG und das StGB auch grundrechtssichernde Funktion. 1. Verantwortlichkeit der Republik Österreich a) Zuständigkeit der UVS und Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts Da seit der Einführung der UVS nicht mehr die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts, sondern die UVS für Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zuständig sind,1394 ist im Folgenden zu prüfen, ob bei einem UVS gegen das Verhalten eines Bundesheersoldaten eine Maßnahmenbeschwerde gemäß Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG erhoben werden kann. Voraussetzung dafür ist jedenfalls, dass ein Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (AuvBZ) vorliegt, der einem österreichischen Organ zugerechnet werden kann.1395 Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG stellt dabei allerdings nicht darauf ab, dass der angefochtene AuvBZ auf österreichischem Staatsgebiet gesetzt worden ist,1396 vielmehr muss es sich lediglich um einen der Staatsfunktion Verwaltung iSd B-VG zurechenbaren Akt handeln.1397 folge mangelhafter Umsetzung durch den Gesetzgeber oder auf Grund eines grundrechtswidrigen Vollzugs durch die entsprechende Behörde – zu einem grundrechtlichen „Störfall“, so liegt es am VfGH, EGMR und sonstigen internationalen Menschenrechtsgremien einzuschreiten. 1394 Vgl Art 130 Abs 1 lit b) und Art 144 Abs 1 B-VG aF sowie BGBl 1988/685. 1395 Zu den einzelnen Voraussetzungen vgl nur Köhler, Art 129a B-VG, Rz 45ff; Aichlreiter, Art 129a B-VG, Rz 38ff; wie oben dargestellt (siehe oben IV.B.2.) kann davon ausgegangen werden, dass das Verhalten österreichischer Soldaten im Auslandseinsatz bei Festnahmen, Durchsuchungen, Anhaltungen, etc typischerweise als AuvBZ iSd B-VG zu qualifizieren sein wird. 1396 Wie oben im 2. Kap II.B. gezeigt, sprechen gute Gründe gegen die restriktive Auffassung, dass die Bundesverfassung gemäß Art 3 B-VG ohnehin nur im Inland gelten soll. Würde man dieser Ansicht folgen, wäre zudem § 17 PolKG (dazu gleich unten bei b)) zweifelsfrei wegen Verstoßes gegen Art 3 B-VG verfassungswidrig, da er den (Grund)Rechtsschutz der österreichischen Bundesverfassung einfachgesetzlich auch auf österreichische Hoheitsakte im Ausland erstreckt. Auch die Rechtsprechungspraxis des VfGH im Hinblick auf Beschwerden gegen Verwaltungsakte österreichischer Vertretungsbehörden im Ausland verneint indirekt eine solche restriktive Auslegung von Art 3 B-VG, die, wie dargestellt, auch im Wortlaut keinerlei Stütze findet. 1397 Köhler, Art 129a B-VG, Rz 51; vgl auch Hengstschläger, Verwaltungsverfahrensrecht, Rz 530, 534, wonach die sachliche Zuständigkeit der UVS auf Grund von Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG bei einem AuvBZ stets vorliegt.
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Der etwaigen Einlegung einer UVS-Beschwerde aus dem Ausland steht allerdings im Allgemeinen (und somit nicht nur im Hinblick auf Verwaltungsakte im Rahmen der Auslandseinsätze des Bundesheeres) das Problem entgegen, dass gemäß § 67c Abs 1 AVG jener UVS örtlich zuständig ist, in dessen Sprengel der anzufechtende Verwaltungsakt gesetzt wurde.1398 Da als Sprengel des UVS jeweils eines der neun Bundesländer festgelegt ist,1399 bleiben österreichische Hoheitsakte im Ausland gänzlich unerfasst. Nach der Systematik des AVG ist zu klären, ob § 3 AVG eine subsidiäre Zuständigkeit enthält.1400 Aber selbst nach den Bedingungen des § 3 AVG gibt es keinen örtlich zuständigen UVS für Auslandseinsätze.1401 Andererseits sieht jedoch Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG vor, dass gegen jeglichen AuvBZ eines österreichischen Organs die Möglichkeit der Erhebung einer Maßnahmenbeschwerde beim UVS offen stehen muss. Es ist deshalb fraglich, ob § 67 c Abs 1 AVG iVm § 3 AVG diese Vorschrift verfassungsgemäß implementiert und nicht wegen eines zu restriktiven Anwendungsbereichs verfassungswidrig ist.1402 Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG gilt schließlich als unmittelbare Grundlage für die Erhebung einer UVS-Beschwerde, deren einfachgesetzliche Implementierung aus Gesichtspunkten der Rechtssicherheit und -klarheit zwar wünschenswert, jedoch, wie der VfGH erklärt hat, de constitutione lata nicht erforderlich ist und somit bloß deklarative Bedeutung zukommt.1403 Ein ausdrücklicher einfachgesetzlicher Ausschluss eines Rechtsmittels gegen einen verfahrensfreien Verwaltungsakt wä1398 Vgl dazu Hauer/Leukauf, Verwaltungsverfahren, 955ff; Aichlreiter, Art 129a B-VG, Rz 13. 1399 Ibid, 957. 1400 Vgl Thienel, Verwaltungssenate, 52f. 1401 Dies nicht zuletzt deshalb, weil die UVS auf Grund ihrer Weisungsfreistellung über keine sachlich in Betracht kommende Oberbehörde verfügen können (zutreffend Aichlreiter, Art 129a B-VG, Rz 21; Hengstschläger, Verwaltungsverfahrensrecht, Rz 61). 1402 Die unklare Regelung des Rechtsschutzes wirft überdies Bedenken im Hinblick auf das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß Art 83 Abs 2 B-VG sowie Art 13 EMRK auf. 1403 ZB VfSlg 13.454/1993 und 14.957/1997; vgl auch VwGH v 31. 1. 1995, 93/ 05/0066 und Köhler, Art 129a B-VG, Rz 39. Eine Maßnahmenbeschwerde gemäß § 54 MBG ist jedenfalls auf Grund des Ausschlusses der Auslandseinsätze vom Anwendungsbereich des MBG gemäß § 1 Abs 9 MBG nicht möglich, vgl dazu näher N. Raschauer/Wessely, Militärbefugnisgesetz, 20.
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re deshalb jedenfalls verfassungswidrig.1404 De facto bewirkt allerdings § 67c Abs 1 iVm § 3 AVG mangels örtlicher Zuständigkeit eines UVS einen solchen Ausschluss einer Beschwerde gegen einen im AuvBZ im Ausland, sofern der Materiengesetzgeber keine spezielle Zuständigkeit anordnet. Anders als etwa im PolKG1405 und FPG1406 hat der Gesetzgeber bei Auslandseinsätzen des Bundesheeres keine entsprechenden Anordnungen getroffen, sodass – da eine planwidrige Regelungslücke vorliegt1407 – eine analoge Anwendung dieser Bestimmungen auf von Soldaten gesetzte Hoheitsakte im Ausland zumindest erwägenswert erscheint. Diesbezüglich wäre analog zu § 9 Abs 4 bzw Abs 5 FPG entweder eine örtliche Zuständigkeit des UVS Wien bzw des BMLV in Betracht zu ziehen.1408, 1409 GrundKöhler, Art 129a B-VG, Rz 39. Gemäß § 17 Abs 1 PolKG (BGBl I 1997/104) finden auf Beschwerden von Menschen, die behaupten, durch das Einschreiten der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Ausland in ihren Rechten verletzt worden zu sein, die §§ 88, 90 und 91 SPG mit der Maßgabe Anwendung, dass örtlich zuständig der unabhängige Verwaltungssenat jenes Landes ist, von dem aus die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Grenze überschritten haben, siehe dazu gleich näher unten bei b). 1406 Nach § 9 Abs 5 FPG (BGBl I 2005/157) entscheidet über Berufungen gegen bestimmte Entscheidungen der Vertretungsbehörden im Ausland der BMI. § 9 Abs 4 FPG sieht für Fälle, in denen ein Wohnsitz eines Fremden im Inland nicht feststeht, die Zuständigkeit des UVS Wien als Berufungsbehörde vor. 1407 Vgl Bydlinski, Methodenlehre, 472ff; für das Vorliegen einer solchen planwidrigen Gesetzeslücke zum Zeitpunkt der Erlassung von § 67 Abs 1 lit c) AVG, also zeitgleich mit Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG (1988), spricht insb der Umstand, dass die angeführten Regelungen im PolKG und FPG erst zu einem späteren Zeitpunkt erlassen worden sind (1997 bzw 2005). Zur parallelen Problematik einer unbeabsichtigten Gesetzeslücke im § 9 Abs 1 AHG bei Amtshaftungsklagen eines Ausländers gegen die Ausübung von Hoheitsgewalt außerhalb Österreichs, wonach zur Entscheidung einer Amtshaftungsklage in erster Instanz ausschließlich dasjenige Landesgericht zuständig ist, in dessen Sprengel die Rechtsverletzung begangen wurde, vgl unten c) und Schragel, Amtshaftungsgesetz, Rz 256. 1408 Ein Abstellen auf den Standort des Kommandos Internationale Einsätze im BMLV (und daran anknüpfend an den UVS-Sprengel) erscheint wegen dessen Aufsplitterung auf die Grazer Belgier-Kaserne, die Wallenstein-Kaserne in Götzendorf und die Van-Swieten-Kaserne in Wien-Stammersdorf wenig sinnvoll. Abzulehnen ist auch eine Anknüpfung an den Sprengel, von dem aus die entsendeten Soldaten Österreich verlassen haben. 1409 Es der Wahl des Betroffenen zu überlassen, an welchen der neun UVS er vom Ausland aus seine Beschwerde richten möchte, erscheint ebenso wenig zielführend zu sein und würde darüber hinaus in einem Spannungsverhältnis mit dem Recht auf einen gesetzlichen Richter gemäß Art 83 Abs 2 B-VG stehen. 1404 1405
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sätzlich liegt es aber am Gesetzgeber, diese Regelungslücke zu schließen bzw – sollte dies rechtspolitisch gewollt sein – eine Zuständigkeit der Prüfung verfahrensfreier Verwaltungsakte der Bundesheersoldaten im Ausland auf verfassungsgesetzlicher Ebene (etwa im KSE-BVG) auszuschließen, um den Konflikt mit Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG zu bereinigen.1410 Im Wesentlichen handelt es sich dabei um eine eminent politische Entscheidung, bei der das Interesse an einem lückenlosen (Grund)Rechtsschutz in allen Bereichen (auch bei österreichischen Hoheitsakten im Ausland) auf die realpolitische, insb außenpolitische Bedeutung der Teilnahme Österreichs an internationalen Friedenseinsätzen stößt. Während die einen weiter gehenden Rechtsschutz gegen das Bundesheer im Ausland ablehnende Position auf internationale Gepflogenheiten und die dadurch eventuell gefährdete Bereitschaft zur Teilnahme an Auslandseinsätzen hinweist, sprechen die zahlreichen nicht-militärischen sondern quasipolizeilichen Aufgaben der Soldaten im Rahmen einer solchen Operation durchaus für ein Rechtsschutzbedürfnis, dem nachgekommen werden sollte.1411 In diesem Zusammenhang erscheint es daher durchaus angebracht, in der Folge zum Vergleich kurz das RechtsschutzEin solcher Ausschluss dürfte jedoch kaum mit dem Rechtsstaatlichkeitsprinzip der Bundesverfassung vereinbar sein. Im Falle der Verneinung der Zuständigkeit müsste der UVS einen Zurückweisungsbescheid erlassen, gegen den sodann Beschwerde an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts offen stehen würde. 1411 Gegen eine mögliche Zuständigkeit des UVS kann außerdem die Schwierigkeit der Durchführung eines Ermittlungsverfahrens über im Ausland gelegene Sachverhalte vorgebracht werden; diesbezüglich ist aber darauf zu verweisen, dass dies den UVS auch nach dem PolKG und dem FPG nicht an einer Tätigkeit hindert und dass eine Ermittlung des entscheidungsrelevanten Sachverhalts auch insofern möglich sein sollte, als es ja stets um das Verhalten österreichischer Organe im Ausland geht, die unter der Weisungsgewalt des BMLV stehen und somit auch – ebenso wie allenfalls Vorgesetzte oder andere Mitglieder der österreichischen Einheit – als Beteiligte in einem Verfahren zur Verfügung stehen werden können. Darüber hinaus werden die Behörden des Gaststaats an einer Rechtsverfolgung eines bestimmten Vorfalls in der Regel auch ein Interesse haben und deshalb zur Kooperation durchaus bereits sein. Außerdem müssen mit dem Umstand, dass es einen Sachverhalt außerhalb Österreichs zu ermitteln gibt, auch die Disziplinar- und Strafbehörden im Falle ihrer Tätigkeit zu Recht kommen (vgl unten 2.b)); warum sollte dies also für diese Behörden, nicht jedoch für einen UVS zumutbar sein? Um den betroffenen Ausländern eine effektive Rechtsdurchsetzung zu ermöglichen, bedarf es ähnlich wie im Fremden- und Asylrecht auch gesetzlich garantierter Rechtsberatung sowie entsprechender Dolmetschdienste. 1410
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regime gegen Hoheitsakte der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Ausland nach dem PolKG darzustellen. b) Exkurs: Der (Grund)Rechtsschutz für extraterritoriale Polizeihandlungen nach dem PolKG Äußerst präzise regelt das PolKG1412 den Rechtsschutz gegen das Verhalten von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes bei Einschreiten auf fremdem Hoheitsgebiet. Gemäß § 17 Abs 1 PolKG finden nämlich auf Beschwerden von Menschen, die behaupten, durch das Einschreiten der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Ausland in ihren Rechten verletzt worden zu sein, die §§ 88, 90 und 91 SPG mit der Maßgabe Anwendung, dass örtlich zuständig der UVS jenes Bundeslandes ist, von dem aus die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Grenze überschritten haben. Die Zulässigkeit des Einschreitens österreichischer Polizeiorgane auf fremdem Staatsgebiet richtet sich gemäß § 14 erster Satz PolKG nach dem Völkerrecht. Auf Grund § 14 zweiter Satz PolKG sind Entsendungen nach dem KSE-BVG vom Anwendungsbereich des PolKG expressis verbis ausgenommen. Auslöser für den durch das PolKG gedeckten Regelungsbedarf bei extraterritorialen Einsätzen der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ist in erster Linie das SDÜ1413, dem Österreich ohne Erfüllungsvorbehalt beigetreten ist und dass somit als Bestandteil des innerstaatlichen Rechts auch unmittelbar als gesetzliche Grundlage für das Verwaltungshandeln iSd Art 18 Abs 1 B-VG herangezogen werden kann.1414 Völkerrechtlich zulässige extraterritoriale Einsätze können demnach unter den detaillierten Voraussetzungen der Art 40 SDÜ (Grenzüberschreitende Observation) und Art 41 SDÜ (Grenz1412 BG über die internationale polizeiliche Kooperation (Polizeikooperationsgesetz – PolKG), BGBl 1997/104; vgl dazu Drobesch, Rechtsfragen polizeilicher Zusammenarbeit, 206ff. 1413 Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ), BGBl III 1997/90. 1414 ErläutRV 746 BlgNR 20. GP, 10. Zu sonstigen Formen internationaler Polizeikooperation, insb zum Vertrag zwischen der Republik Österreich, der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Fürstentum Liechtenstein über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Sicherheits- und Zollbehörden, BGBl 2001/120, der nicht nur eine dem SDÜ nachgestaltete grenzüberschreitende Observation (Art 10) und Nacheile (Art 11), sondern sogar die Errichtung gemischter Streifendienste mit hoheitlichen Befugnissen (Art 16) vorsieht, vgl Giese, Sicherheitspolizeirecht, in: Besonderes Verwaltungsrecht, 11.
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überschreitende Nacheile) vorgenommen werden.1415 Das SDÜ lässt allerdings ebenso wie etwa das Europol-Übereinkommen1416 zahlreiche Rechtsschutzlücken offen, welche durch das PolKG zu schließen waren.1417 Dazu schafft § 17 PolKG die notwendige Anknüpfung an innerstaatliche Rechtsschutzeinrichtungen und sichert für jene Fälle eine Beschwerdemöglichkeit beim UVS, in denen jemand behauptet, von österreichischen Organen in Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt im Ausland in seinen Rechten verletzt worden zu sein.1418 Maßstab für die Rechtmäßigkeit des Handelns einschreitender Organe ist dabei immer österreichisches Recht,1419 belangte Behörde ist, äquivalent zur Regelung von im Inland gesetzten Handlungen, gemäß § 15 PolKG jene Sicherheitsbehörde, der das Organ beigegeben, zugeteilt oder unterstellt ist.1420 Gemäß Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG iVm § 88 Abs 1 SPG erkennt der zuständige UVS über auf Grundlage des § 17 PolKG gestellte Beschwerden von Menschen aus dem Ausland, die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt worden zu sein. Geltend gemacht werden können jede einfache Gesetzwidrigkeit sowie die Verletzung in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht. Gegen einen negativen Bescheid des UVS besteht sodann die Möglichkeit der Einlegung außerordentlicher Rechtsmittel an den VwGH bwz VfGH. Zusammenfassend ordnet das PolKG einen umfassenden Rechtsschutz gegenüber österreichischen Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Ausland an, während diesbezüglich im Hinblick auf Einsätze des Bundesheeres nach dem KSE-BVG RegelungsbeSiehe zu den Voraussetzungen näher Würz, SDÜ, Rz 82ff; Martínez Soria, Verwaltungsarchiv 1998, 410f; Giese, Sicherheitspolizeirecht, in: Besonderes Verwaltungsrecht, 10. 1416 Übereinkommen über die Errichtung eines Europäischen Polizeiamts (Europol), BGBl III 1998/123 und 1998/193 idF BGBl III 1999/81. 1417 ErläutRV 746 BlgNR 20. GP, 10f, 16; vgl zur deutschen Rechtslage etwa Harings, Zusammenarbeit, 251ff; Gleß/Lüke, Jura 2000, 402ff und allgemein Baldus, Transnationales Polizeirecht, 234ff. 1418 ErläutRV 746 BlgNR 20. GP, 16. 1419 Ibid, aaO; vgl zum Grundsatz der Einseitigkeit des Internationalen Verwaltungsrechts Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, 115ff sowie Vogel, Anwendungsbereich, 179. 1420 ErläutRV 746 BlgNR 20. GP, 15. 1415
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darf besteht. Dass das MBG im Auslandseinsatz nicht anwendbar ist, hat zwar infolge seiner Anknüpfung an der militärischen Landesverteidigung vor allem rechtssystematische Gründe,1421 der darüber hinausgehende Verweis der ErläutRV, dass sich die Normierung hoheitlicher Zwangsbefugnisse staatlicher Organe gegen Dritte in einem fremden Staat insb im Hinblick auf das aus Art 3 B-VG abgeleitete Territorialitätsprinzip weitgehend der innerstaatlichen Regelungskompetenz der jeweiligen Entsendestaaten entzieht, kann aber, wie bereits oben gezeigt wurde,1422 in dieser Allgemeinheit nicht aufrecht erhalten werden und steht auch im klaren Gegensatz zu den Regelungen des PolKG. c) Amtshaftungsklage gegen die Republik Österreich Außerdem kann unter bestimmten Voraussetzungen gegen ein schädigendes Verhalten eines österreichischen Soldaten im Auslandseinsatz eine Amtshaftungsklage gegen die Republik Österreich erhoben werden.1423 Gemäß Art 23 Abs 1 B-VG und § 1 Abs 1 AHG1424 haften die Körperschaften und Anstalten öffentlichen Rechts für den Schaden, den die als ihre Organe handelnden Personen in Vollziehung der Gesetze durch ein rechtswidriges Verhalten wem immer schuldhaft zugefügt haben.1425 Der örtliche Geltungsbereich des AHG ist dabei nicht auf das Gebiet der Republik Österreich beschränkt, vielmehr haftet der Rechtsträger Bund nach den Bedingungen des AHG auch für hoheitliches Organhandeln im Ausland.1426 Dazu zählt Vgl ErläutRV 76 BlgNR 21.GP, 39; N. Raschauer/Wessely, Militärbefugnisgesetz, 20, 31. 1422 Siehe oben 2. Kap II.B. 1423 Gemäß § 9 Abs 5 AHG kann nämlich ein Geschädigter den Ersatz des Schadens, den ihm ein Organ eines Rechtsträgers der Republik Österreich in Vollziehung des Gesetzes zugefügt hat, nicht gegen das Organ, sondern nur gegen den Rechtsträger geltend machen; vgl die Fälle vor dem OLG Wien und dem OGH oben IV.A.3.c). 1424 BG v 18. 12. 1948, womit die Haftung des Bundes, der Länder, der Bezirke, der Gemeinden und der sonstigen Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts für den in Vollziehung der Gesetze zugefügten Schaden geregelt wird (Amtshaftungsgesetz), BGBl 1952/60 idF BGBl 1993/91. 1425 Nach § 3 Abs 1 AHG kann sich der Bund bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit der schadenskausalen Rechtsverletzung beim Organ regressieren, siehe auch 2.c). 1426 OGH, Urteil v 17. 2. 1982, 1 Ob 49/81 (= SZ 55/17 = ÖJZ 1982, 138 [EvBl]); OGH, 27. 2. 1996, 1 Ob 1/96 (=SZ 69/49 = ÖJZ 1997, 35 [EvBl]); siehe dazu Schurig, JBl 1983, 234; Schlemmer, ZVR 1986, 97; Schragel, Amtshaftungsgesetz, Rz 233. 1421
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auch die Tätigkeit entsendeter österreichischer Bundesheersoldaten1427 im Rahmen ihres Einsatzmandats und zwar selbst dann, wenn diese unter der Weisungsbefugnis einer Internationalen Organisation wie den VN stehen; auch in einer solchen Konstellation bleiben die eingesetzten Bundesheerangehörigen österreichische Staatsorgane und Träger österreichischer Hoheitsgewalt.1428 Voraussetzung für eine Amtshaftung der Republik ist dabei jedenfalls ein Schadenseintritt, der bei einer Tätigkeit eines Bundesheersoldaten erfolgt, die in einem hinreichend engen Zusammenhang mit dessen Aufgaben im Rahmen des Auslandseinsatzes steht.1429 Außerdem muss das entsprechende schadenskausale Verhalten des Soldaten rechtswidrig und schuldhaft gesetzt sein. Rechtswidrigkeit umfasst dabei die Verletzung sämtlicher öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Rechtsvorschriften, die eine Schädigung von Personen oder Sachen verhindern sollen.1430 Rechtswidrig kann somit in einer konkreten Situation etwa der Einsatz von Waffengewalt eines entsendeten Soldaten unter Berufung auf Selbstverteidigung sein, wenn er nicht gemäß § 3 StGB in Notwehr erfolgt ist. Der Begriff des Verschuldens im AHG knüpft iSd § 1295 Abs 1 ABGB an Vorsatz, grober und leichter Fahrlässigkeit und somit an der persönlichen Vorwerfbarkeit des rechtswidrigen Verhaltens an:1431 Schuldhaft handelt, wer ein Verhalten setzt, das er nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen hätte vermeiden sollen und auch hätte vermeiden können.1432 Keine Hürde bei der Geltendmachung des Amtshaftungsanspruchs im Zuge von Auslandseinsätzen bildet § 2 Abs 2 AHG, wonach kein Ersatzanspruch besteht, wenn der Geschädigte den Schaden durch Rechtsmittel oder durch Beschwerde an den VwGH hätte abwenden Die Erfüllung der dem Bundesheer übertragenen gesetzlichen Aufgaben geschieht schon grundsätzlich in Vollziehung der Gesetze, vgl VfSlg 10.409/1985. 1428 OGH, Urteil v 27. 2. 1996, 1 Ob 1/96 (= SZ 69/49 = ÖJZ 1997, 35 [EvBl]); Schragel, Amtshaftungsgesetz, Rz 233, 300; vgl zur Zurechnung zu Österreich bereits oben IV.A.3. 1429 OGH, Urteil v 27. 2. 1996, 1 Ob 1/96 (= SZ 69/49 = ÖJZ 1997, 35 [EvBl]); ein Schaden iSd AHG liegt allerdings nicht bei sämtlichen sondern nur bei bestimmten grundrechtswidrigen Handlungen und Unterlassungen vor, etwa zumeist bei solchen, die das Eigentumsgrundrecht betreffen, vgl zum Schadensbegriff Schragel, Amtshaftungsgesetz, Rz 167ff. 1430 Vgl im Detail Schragel, Amtshaftungsgesetz, Rz 142ff. 1431 Ibid, Rz 157. 1432 Vgl Koziol/Welser, Bürgerliches Recht II, 299. 1427
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können, da eine solche Möglichkeit auf Grund der Unmittelbarkeit des Organhandelns in der Regel auszuschließen sein wird.1433 Auf Schwierigkeiten bei der konkreten Durchsetzung eines möglichen Amtshaftungsanspruchs aus dem Ausland stößt man dagegen bei der Wahl des für die Einbringung der Klage zuständigen Gerichts. Die Anordnung in § 9 Abs 1 AHG, wonach in erster Instanz dasjenige Landesgericht zuständig sein soll, in dessen Sprengel die Rechtsverletzung begangen worden ist, geht nämlich bei Auslandseinsätzen ins Leere. Es liegt dabei eine vom Gesetzgeber unbeabsichtigte Regelungslücke vor, so dass auf den der Norm zugrunde liegenden Gedanken des Bedürfnisses nach Gewährung inländischen Rechtsschutzes zurückgegriffen werden muss.1434 Der OGH sollte deshalb in analoger Anwendung des § 28 Abs 1 Z 2 JN iVm § 9 Abs 1 AHG ein inländisches Landesgericht als örtlich zuständig bestimmen.1435 d) Zuständigkeit des EGMR Eine der wesentlichen Prozessvoraussetzungen einer Individualbeschwerde an den EGMR ist gemäß Art 34 iVm Art 35 EMRK die Ausschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs.1436 Nach Art 35 Abs 1 EMRK befasst sich der Gerichtshof mit einer Angelegenheit erst nach Erschöpfung aller innerstaatlichen Rechtsbehelfe und nur innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der endgültigen innerstaatlichen Entscheidung.1437 In dieser Hinsicht ist fraglich, ob es auf Grund der unklaren Regelung der Zuständigkeit für Maßnahmenbeschwerden gegen das Verhalten der Bundesheersoldaten im Ausland überhaupt einen „Rechtsweg zu erschöpfen gibt“; der EGMR verlangt im Allgemeinen, dass ein Beschwerdeführer lediglich von denjenigen Rechtsbehelfen Gebrauch zu machen hat, die zugänglich sowie geeignet und ausreichend sind, um im Hinblick auf die behaupHinzuweisen ist auf die Regelung des § 7 AHG, wonach bei fehlender Gegenseitigkeit die Bundesregierung ermächtigt ist, per Verordnung Angehörige des betreffenden Staats von der Geltendmachung eines Amtshaftungsanspruchs auszuschließen; von dieser Möglichkeit wurde bislang jedoch noch nicht Gebrauch gemacht. 1434 Schragel, Amtshaftungsgesetz, Rz 256 mwN; vgl auch oben a). 1435 Schwimann, JBl 1983, 588; Schragel, Amtshaftungsgesetz, Rz 256. 1436 Siehe zu den Voraussetzungen ausführlich Grabenwarter, EMRK, § 13 Z 2ff und oben im 3. Kap III.3. 1437 Vgl nur Grabenwarter, EMRK, § 13, Rz 19ff. 1433
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tete Rechtsverletzung Abhilfe zu verschaffen (Ausschöpfung bloß effektiver Rechtsbehelfe).1438 Im Hinblick auf das Kriterium der Zugänglichkeit bestehen unter Berücksichtigung der oben dargestellten Rechtslage allerdings zumindest gewisse Bedenken im Hinblick auf die Effektivität des Rechtsbehelfs. Bejaht man dennoch schon alleine auf Grundlage von Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG in der Beschwerde an den UVS das Vorliegen eines ausreichenden Rechtsmittels, so müsste vor einer allfälligen Beschwerde an den EGMR gegen einen negativen (Zuständigkeits)Bescheid des angerufenen UVS noch eine Beschwerde an den VwGH oder den VfGH erhoben werden und dabei eine Verletzung eines in der EMRK verankerten Rechts (zumindest in der Sache nach) vorgebracht werden.1439 Gegenstand des Zulässigkeitsverfahrens vor dem EGMR bildet darüber hinaus auch die strittige Frage der Ausübung von Jurisdiktion iSv Art 1 EMRK durch österreichische Organe außerhalb des eigenen Staatsgebiets. Wie ausführlich dargestellt, ist eine solche hier für Auslandseinsätze des österreichischen Bundesheeres zu bejahen,1440 womit der EGMR für eine Behandlung einer entsprechenden Beschwerde gegen Österreich zuständig wäre und darüber inhaltlich abzusprechen hätte.1441 e) Unzuständigkeit des EuG und des EuGH Im Rahmen der ESVP ist die Europäische Union gegenwärtig bemüht, ihre Kapazitäten für die Durchführung von Friedensoperationen zu bündeln und zu verstärken.1442 Gleichzeitig bleiben sämtliche Beschlüsse der GASP gemäß Art 46 EUV von einer Kontrolle durch den EuGH ausgeschlossen und es besteht bei der mitgliedstaatlichen Vollziehung der GASP keine Möglichkeit zur Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens. Ungeachtet eines eventuellen zukünftiZB EGMR, Urteil v 10. 11. 1969, Stögmüller gegen Österreich, Serie A-9, Z 11; Urteil v 9. 10. 1979, Airey gegen Irland, Serie A-32, Z 19. 1439 Vgl EGMR, Urteil v 16. 9. 1996, Akdivar ua gegen Türkei, RJD 1996-IV, Z 66; Grabenwarter, EMRK, § 13, Rz 31. 1440 Siehe näher oben IV. 1441 Die Frage der Jurisdiktion gemäß Art 1 EMRK wird, wie die Praxis der Konventionsorgane beweist, mitunter aber auch erst im Verfahren in der Sache mitbehandelt. 1442 Vgl dazu V. 1438
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gen Beitritts der EU zur EMRK muss daher gegenwärtig verneint werden, dass im Rahmen der 2. Säule durch den EuGH ein äquivalenter bzw mit dem EGMR vergleichbarer Rechtsschutz iSd Bosphorus-Urteils besteht;1443 aus diesem Grund müsste sich der EGMR konsequenterweise bei einer Beschwerde gegen Österreich, das sich dabei auf seine Verpflichtungen aus der GASP beruft, für zuständig erklären und anschließend meritorisch entscheiden. f) Zuständigkeit des UN-Menschenrechtsausschusses Darüber hinaus besteht die Möglichkeit gegen das Verhalten österreichischer Soldaten im Auslandseinsatz gemäß dem Fakulativprotokoll zum IPBPR eine „Mitteilung“ (communication) an den Menschenrechtssausschuss (MRA) zu machen. Nach dem Vorbild der Individualbeschwerde der EMRK handelt es sich dabei um ein quasi-judizielles Verfahren, das zu einer entscheidungsähnlichen „Auffassung“ (view) des MRA führt, die zwar rechtlich nicht bindend, jedoch wie Gerichtsurteile aufgebaut und begründet ist und mit konkreten Empfehlungen an den betroffenen Vertragsstaat versehen wird.1444 Parallel zur Debatte um die Auslegung von Art 1 EMRK ist auch in diesem Zusammenhang umstritten, inwieweit Art 2 Abs 1 IPBPR Hoheitsakte eines Vertragsstaats außerhalb seines eigenen Staatsgebiets umfasst und der MRA daher zuständig ist, entsprechende Hoheitsakte am Maßstab der aus dem IPBPR resultierenden Verpflichtungen zu überprüfen.1445 2. Individuelle Verantwortlichkeit österreichischer Soldaten a) Immunität vor Verfolgung im Gaststaat Mittels Statusabkommen (Status-of-forces agreements, SOFAs) zwischen dem Gaststaat (Aufnahmestaat) und der eine Friedensmission leitenden Internationalen Organisation bzw zwischen dieser und den Entsendestaaten genießen österreichische Soldaten im Auslandseinsatz stets absolute bzw zumindest weit reichende Immunität vor Siehe dazu näher oben im 4. Kap III.B. Für die Zulässigkeit einer Mitteilung muss auch hier der innerstaatliche Instanzenzug ausgeschöpft worden sein; vgl Nowak, Einführung, 114ff. 1445 Vgl Schilling, GLWP 08/04, 2ff; McGoldrick, in: Extraterritorial Application, 41ff. 1443 1444
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der nationalen Jurisdiktionsgewalt des Gaststaats.1446 Während etwa Artikel I NATO-PfP-SOFA iVm Art VII NATO-SOFA jedenfalls die Ausübung der Straf- und Disziplinargerichtsbarkeit exklusiv den Entsendestaaten überlässt,1447 sehen die Abkommen mit dem jeweiligen Gaststaat zumeist eine umfassende Immunität vor. In Kosovo ist demgegenüber durch Sect. 2 der UNMIK/REG/2000/47 v 17. 8. 20001448 die volle Immunität sämtlicher KFOR-Soldaten garantiert. Im Ergebnis bedeutet dies, dass die entsendeten Soldaten regelmäßig nur in ihrem Heimatstaat der Gerichtsbarkeit unterliegen. b) Ausübung der Disziplinar- und Strafgewalt aa) Disziplinarrechtliche Sanktionen 1449
sieht im 1. Hauptstück seines Schlussteils (§ 81ff Das HDG HDG) Sonderbestimmungen für das Disziplinarrecht bei Pflichtverletzungen im Einsatz vor. Unter einem Einsatz ist gemäß der Legaldefinition des § 81 Abs 2 HDG bloß die Heranziehung eines Soldaten zu einem Einsatz des Bundesheeres nach § 2 Abs 1 lit a) oder b) WG1450 oder zur unmittelbaren Vorbereitung eines solchen Einsatzes zu verstehen. Da damit bloß auf die Aufgaben des Bundesheeres zur militärischen Landesverteidigung und zum Schutz der verfassungsmäßigen Einrichtungen und ihrer Handlungsfähigkeit sowie der Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit im Inneren verwiesen wird, folgt eine Anwendbarkeit des HDG auf AuslandseinSiehe etwa das Übereinkommen zwischen den Vertragsstaaten des Nordatlantikvertrags und den anderen an der Partnerschaft für den Frieden teilnehmenden Staaten über die Rechtsstellung ihrer Truppen samt Erklärungen Österreichs, BGBl III 1998/136 (NATO-PfP-SOFA) sowie das Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrags über die Rechtsstellung ihrer Truppen, BGBl III 1998/135 (NATO-SOFA); vgl auch das UN Model Status of Forces Agreement, UN Doc A/45/594, das auf die Konvention über Privilegien und Immunitäten der Vereinten Nationen v 13. 2. 1946, 1 UNTS 15, BGBl 1957/126 verweist. Siehe außerdem das Draft Model Agreement on the status of the European Union-led forces between the European Union and a Host State, 18 May 2005, Council doc 8720/05 und dazu näher jüngst Sari, EJIL 2008, 83ff. 1447 Im Hinblick auf die Zivilgerichtsbarkeit sieht Art VII NATO-SOFA ein gespaltenes Regelungsregime vor, vgl auch Hirschmugl, Auslandseinsatz, 83, 200f. 1448 Vgl oben III.A. 1449 Heeresdisziplinargesetz (HDG 2002), BGBl 2002/167 (WV). 1450 Wehrgesetz (WG 2001), BGBl 2001/146 (WV). 1446
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sätze erst auf Grund der Anordnung in § 6 AuslEG1451, wonach Pflichtverletzungen, die von Soldaten in unmittelbarem Zusammenhang mit einer Dienstverwendung nach § 1 Z 1 lit a) bis lit c) KSEBVG begangen werden, nach dem 1. Hauptstück des Schlussteils des HDG zu ahnden sind.1452 Im Hinblick auf die weitgehende materielle Vergleichbarkeit der spezifischen Einsatzbedingungen im Ausland mit jenen bei Inlandseinsätzen des Bundesheeres sei die Anwendbarkeit des „Einsatzdisziplinarrechtes“ auch für Soldaten im Auslandseinsatz sachgerecht.1453 Demgemäß entscheidet gemäß § 84 Abs 1 HDG über Pflichtverletzungen aller Soldaten als Disziplinarbehörde in erster Instanz der Einheitskommandant und in zweiter Instanz der Disziplinarvorgesetzte oder, sofern in erster Instanz eine strengere Disziplinarstrafe als ein Ausgangsverbot verhängt wurde, das Einsatzstraforgan.1454 § 6 Z 2 AuslEG legt in diesem Zusammenhang fest, dass der Vorgesetzte einer entsendeten Einheit nach § 4 Abs 5 KSE-BVG nur dann Disziplinarbehörde sein kann, wenn er Soldat ist.1455 Einsatzstraforgane werden nach § 82 Abs 1 HDG vom BMLV aus dem Kreis der Soldaten und Wehrpflichtigen des Miliz- und Reservestandes, die über ausreichende Kenntnisse und Erfahrungen im militärischen Disziplinarwesen verfügen, für die Dauer von sechs Jahren bestellt. Die Verfassungsbestimmung in § 82 Abs 3 HDG sichert – um im Hinblick auf die Verhängung von Disziplinarhaft bzw Disziplinararrest Art 5 und Art 6 EMRK Genüge zu tun – ihre Weisungsfreistellung.1456 § 83 HDG regelt die Formen möglicher Disziplinarstrafen, § 6 AuslEG sieht diesbezüglich geringfügige Sonderbestimmungen vor. Die Bestimmungen des „Einsatzdisziplinarrechts“ im 1. Hauptstück des Schlussteils des HDG gelten allerdings gemäß § 85 Abs 3 BG über die Entsendung von Soldaten zur Hilfeleistung in das Ausland (Auslandseinsatzgesetz 2001 – AuslEG 2001), BGBl 2001/55. 1452 Vgl Hirschmugl, Auslandseinsatz, 255; nicht dem HDG unterliegen somit die von § 1 Z 1 lit d) KSE-BVG erfassten Übungen und Ausbildungsmaßnahmen. 1453 ErläutRV 535 BlgNR 21. GP, 14. 1454 Vgl auch N. Raschauer, Militärische Wachen, 186. 1455 Vgl dazu die Begründung in den ErläutRV 535 BlgNR 21. GP, 14, wonach es nicht praxisgerecht wäre, etwa einem Bediensteten des Auswärtigen Dienstes oder Angehörigen eines Wachkörpers eine derartige Funktion ex lege mit seiner Betrauung zum Vorgesetzten zu übertragen, obwohl er keinerlei Kenntnisse und Erfahrungen im militärischen Disziplinarwesen hat. 1456 Vgl ErläutRV 1191 BlgNR 20. GP, 16f; Hirschmugl, Auslandseinsatz, 287f. 1451
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HDG auch für Auslandseinsätze auf Grund des in dieser Hinsicht nicht anders lautenden Verweises in § 6 Z 1 AuslEG dann nicht mehr, wenn ein Disziplinarverfahren hinsichtlich einer im Auslandseinsatz begangenen Pflichtverletzung erst nach Beendigung dieses Einsatzes eingeleitet wird oder bis zur Beendigung des Einsatzes nicht eingestellt oder rechtskräftig abgeschlossen worden ist.1457 bb) Strafgerichtliche Verfolgung Gemäß § 64 Abs 1 Z 2 StGB gelten die österreichischen Strafgesetze im Ausland unabhängig von den Strafgesetzen des Tatorts für alle strafbaren Handlungen, die jemand als österreichischer Beamter begeht;1458 es handelt es sich dabei um einen Fall des sog aktiven Personalitätsprinzips.1459 Beamter ist auf Grund der Legaldefinition in § 74 Z 4 StGB jeder, der bestellt ist, im Namen des Bundes, eines Landes, eines Gemeindeverbandes, einer Gemeinde oder einer anderen Person des öffentlichen Rechts, ausgenommen einer Kirche oder Religionsgesellschaft, als deren Organ allein oder gemeinsam mit einem anderen Rechtshandlungen vorzunehmen oder sonst mit Aufgaben der Bundes-, Landes- oder Gemeindeverwaltung betraut ist.1460 Unter diese weite Legaldefinition fallen jedenfalls auch Bundesheersoldaten, da diese bei einem Auslandseinsatz nach dem KSE-BVG Aufgaben der Bundesverwaltung erfüllen; somit unterliegen entsendete Soldaten für ihr Verhalten im Rahmen ihres Einsatzmandats – in Übereinstimmung mit den Regelungen in entsprechenden Statusabkommen mit dem Gaststaat bzw einer Internationalen Organisation1461 – stets der österreichischen Strafgerichtsbarkeit.1462 Diese einfachgesetzliche Rechtslage wird auch durch einen Erlass des BMJ aus 1975 zur Frage der inländischen Gerichtsbarkeit über AngehöZur dann geltenden Zuständigkeit nach „Friedensdisziplinarrecht“ siehe Hirschmugl, Auslandseinsatz, 289f. 1458 Zum Verhältnis zwischen strafgerichtlichen und disziplinären Sanktionen siehe N. Raschauer, Militärische Wachen, 194f. 1459 Kathrein, § 64 StGB, in: Wiener Kommentar, Rz 5. 1460 Siehe dazu Zagler, ÖJZ 1994, 713ff; Jerabek, § 74 StGB, in: Wiener Kommentar, Rz 2ff. 1461 Vgl etwa Art VII NATO-SOFA. 1462 Leukauf/Steininger, Kommentar zum StGB, § 64 StGB, Rz 25f; strafbare Handlungen, die entsendete Soldaten in ihrer Freizeit verüben, sind davon aber nicht erfasst und können nur nach Maßgabe des § 65 StGB vor österreichischen Strafgerichten verfolgt werden. 1457
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rige eines österreichischen VN-Kontingents (Blauhelmeinsatz) klargestellt.1463 Die prozessualen Bestimmungen zur Durchführung entsprechender Verfahren über Auslandstaten österreichischer Soldaten finden sich mangels einsatzspezifischer Regelungen im XXV. Hauptstück der Strafprozessordnung (§§ 499ff StPO).1464 Wie bereits erläutert, besteht aus strafrechtlicher Sicht de lege lata insb das Problem, dass gewisse von den ROE erlaubte Verhaltensregeln zur Durchführung einer Friedensoperation nicht vom Notwehrbegriff in § 3 StGB erfasst sind.1465 c) Regresspflicht nach dem AHG Gemäß § 9 Abs 5 AHG kann ein Geschädigter den Ersatz des Schadens, den ihm ein Organ eines Rechtsträgers der Republik Österreich in Vollziehung des Gesetzes zugefügt hat, nicht gegen das Organ, sondern nur gegen den Rechtsträger selbst geltend machen.1466 Dieser hat aber auf Grund § 3 Abs 1 AHG gegenüber dem bei der schadenskausalen Rechtsverletzung mit Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit handelnden Organ einen Regressanspruch.1467 Somit kann unter Umständen auch der einen Schaden rechtswidrig und schuldhaft verursachende Bundesheersoldat im Auslandseinsatz in die Pflicht genommen werden. Im Regelfall wird dieser aber gegen einen Rückersatz vorbringen können, dass er gemäß § 4 AHG eine Handlung Erlass des BMJ v 25. 7. 1975, der auf einem Bericht der Generalprokuratur v 6. 5. 1975 über die inländische Gerichtsgewalt in Strafsachen über österreichische Soldaten, die in Zypern im Rahmen der UNO-Truppen Dienst versehen, basiert. In diesem Zusammenhang regte der BMJ an, diese Rechtslage ausdrücklich einfachgesetzlich im Auslandseinsatzgesetz (BGBl 1965/233) zu verankern – ein Vorschlag, über welchen zwischen BMJ und BKA-VD grundsätzlich Übereinstimmung herrschte, wenn gleich aus dem Justizministerium selbst der Einwand kam, dass es sich dabei um eine lex fugitiva handeln würde, weshalb man insgesamt besser § 64 Abs 1 Z 2 StGB auf „Beamten oder Soldaten“ erweitern sollte. Der Vorschlag wurde aber bis heute nicht umgesetzt (auch nicht im AuslEG 2001), womit die Rechtsgrundlage für die inländische Gerichtsbarkeit über österreichische Soldaten im Auslandseinsatz weiterhin im Beamtenbegriff von § 64 Abs 1 Z 2 StGB zu finden ist. 1464 Vgl Hirschmugl, Auslandseinsatz, 259ff. 1465 Siehe dazu näher IV.B.2.b)aa)ii). 1466 Siehe zur Haftung nach dem AHG oben 1.c). Korrekterweise müsste das Gesetz anstelle von Organ von der Person des Organwalters sprechen, nur gegen diese kommt eine Schadenersatzklage überhaupt in Betracht. 1467 § 3 Abs 2 AHG ordnet für den Fall grober Fahrlässigkeit die Möglichkeit des Gerichts an, den Rückersatz aus Gründen der Billigkeit zu mäßigen. 1463
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gesetzt hat, die auf Weisung (Auftrag, Befehl) eines Vorgesetzten erfolgt ist. Befolgt der entsendete Soldat also im konkreten Einsatz die an ihn als Weisung adressierten Rules of Engagement, so wird er einen allfälligen Regressanspruch erfolgreich abwehren können. Problematisch ist in dieser Hinsicht allerdings, wie bereits wiederholt aufgezeigt,1468 der Umstand, dass bestimmte ROE – allen voran jene betreffend den ‘hostile intent’ – in Widerspruch zu den Bestimmungen des StGB stehen und somit nach geltender Rechtslage als strafgesetzwidrige Weisung einzuordnen sind, womit sie jedoch nach § 4 AHG nicht mehr gegen den Rückersatz eingewendet werden können. 3. Bewertung Insgesamt kann festgehalten werden, dass grundsätzlich zahlreiche Möglichkeiten existieren würden, (Grund)Rechtsschutz gegen die Republik Österreich geltend zu machen. Zusammen mit der individuellen Verantwortlichkeit sollen sie präventiv auf ein grundrechtskonformes Verhalten der entsendeten Soldaten hinwirken. Vor allem die Disziplinar- und Strafgewalt „verspürt“ das betroffene Organ persönlich am schmerzlichsten; dementsprechend unzufriedenstellend ist aber der diesbezügliche Status Quo, dass ein Soldat, obwohl er sich in Übereinstimmung mit den ROE verhalten hat, in Österreich einer strafgerichtlichen Verfolgung ausgesetzt sein kann. Wie und ob der Rechtsschutz aus dem Ausland allerdings im Einzelfall tatsächlich effektiv ist, lässt sich auf Grund mangelnder Rechtsprechungspraxis nur schwer beurteilen; hier bedarf es auch einer entsprechenden Anzahl an Beschwerdeführern, die bereit sind, ein entsprechendes, kostspieliges und zweifelsohne risikobehaftetes Verfahren in Österreich in Angriff zu nehmen. Aus rechtspolitischer Sicht wäre einer, die jeweilige Friedensoperation vor Ort begleitenden, einheitlichen Rechtschutzgewähr – etwa durch Errichtung eines jeweiligen ad hoc Tribunals – gegenüber der divergierenden Rechtsschutzsuche vor den Gerichten der Entsendestaaten jedenfalls der Vorzug zu geben. Solange dies die internationale Gemeinschaft bei der Durchführung entsprechender Missionen jedoch ablehnt, sind die Betroffenen auf den beschwerlichen und undurchsichtigen Umweg über die nationalen Gerichte der Entsendestaaten sowie über in1468
ZB oben bei IV.B.2.b)aa)ii).
V. EU-Friedensoperationen und Grundrechte
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ternationale Menschenrechtsgremien angewiesen, um zu ihrem Recht zu gelangen. Im Sinne einer stärkeren Transparenz und accountability zumindest der österreichischen Auslandseinsätze sollte daher vorerst einmal der Bundesgesetzgeber die aufgezeigten Zuständigkeitslücken bzw Unklarheiten einer eindeutigen und rechtsschutzfreundlichen Regelung zuführen.
V. EU-Friedensoperationen und Grundrechte A. Geschichte und Rechtsgrundlagen von EU-Friedensmissionen 1. Entwicklung Im Juni 1992 einigten sich die Mitgliedstaaten der WEU auf dem Petersberg bei Bonn darauf, ihre militärischen Einheiten auch zur Durchführung von humanitären Aufgaben und Rettungseinsätzen, friedenserhaltenden Aufgaben sowie Kampfeinsätzen bei der Krisenbewältigung einschließlich friedensschaffender Maßnahmen einzusetzen.1469 Der Vertrag von Amsterdam inkorporierte diese sog Petersberg-Aufgaben sodann in Art 17 Abs 2 EUV als Kernstück der ESVP ins Unionsrecht.1470 Der entscheidende Impuls zur Konkretisierung einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik erfolgte allerdings erst am britisch-französischen Gipfel von St. Malo am 4. 12. 1998 und wurde am Europäischen Ratsgipfel von Köln vom 3./4. 6. 1999 in den Kontext der EU gestellt, wo beschlossen wurde, dass die EU die Verantwortung im Bereich der PetersbergAufgaben übernehmen soll und „die WEU als Organisation ihren Zweck erfüllt haben [würde].“1471 Entsprechend dem Beschluss des WEU-Rats vom 13. 11. 2000, ihre wichtigsten militärischen Funktionen auf die EU zu übertragen, wurde durch den Vertrag von Nizza die Passage in Art 17 EUV, wonach die WEU das verteidigungsVgl Teil II, Z 4, Petersberg-Erklärung v 19.5. 1992, http://www.glasnost.de/ militaer/weu/92weubonn.html. 1470 Pagani, EJIL 1998, 739ff; Griller/Droutsas/Falkner/Forgó/Nentwich, Treaty of Amsterdam, 419f; Kaufmann-Bühler, Art 17 EUV, in: Grabitz/Hilf, I, Rz 30; Kehrer, Art 17 EUV, Rz 3. 1471 Schlusserklärung des Europäischen Rats von Köln v 3./4. Juni 1999, Anhang 3: Bull.EU 6-1999, Z I.58.5; zur Entwicklung im Detail siehe Blanck, ESVP, 110ff; Hummer, in: Sicherheit und Terrorismus, 149ff. 1469
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politische Instrument der EU sei und für Dienste durch diese in Anspruch genommen werden kann, ersatzlos gestrichen.1472 Somit ist nunmehr auch vertraglich festgelegt, dass sich die EU künftig für die Erfüllung ihrer ESVP-Aufgaben eigener militärischer Kapazitäten bedient, die, wie am Gipfel von Helsinki vereinbart wurde, zu schaffen sind.1473 Gemäß dem Helsinki Headline Goal vom Europäischen Rat von Helsinki vom 10./11. 12. 1999 (Streitkräfte-Planziel 2003) sollte bis 2003 eine schnelle Eingreiftruppe der EU aufgestellt werden (EU Rapid Reaction Force), die innerhalb von 60 Tagen für bis zu einem Jahr mit bis zu 60.000 Einsatzkräften zur Erfüllung sämtlicher Petersberg-Aufgaben gemäß Art 17 Abs 2 EUV zur Verfügung stehen würde.1474 Da das Streitkräfte-Planziel 2003 als solches nie für vollständig operativ erklärt werden konnte (die vollständige Umsetzung hätte bedeutet, dass die EU über die Kapazitäten verfügen würde, eine Friedensmission wie jene der NATO-KFOR selbständig durchzuführen),1475 wurde am Europäischen Rat in Brüssel vom 14. 6. 2004 das neue Headline Goal 2010 (Streitkräfte-Planziel 2010) angenommen, wonach die EU in der Lage sein soll, jederzeit gleichzeitig zumindest zwei EU-Gefechtsverbände (battle groups) zu je 1.500 Soldaten innerhalb von 15 Tagen zum Kriseneinsatz bereitstellen zu können und außerdem die existierenden EU-Verteidigungsfähigkeiten zur vollständigen Umsetzung des gesamten Spektrums der Krisenmanagement-Aufgaben gebündelt werden sollen.1476 Weder das PlanSchroeder, in: Sicherheit und Terrorismus, 221. Ibid, aaO. 1474 Vgl Blanck, ESVP, 192ff; Reichard, EU-NATO relationship, 228ff. 1475 Reichard, EU-NATO relationship, 232. 1476 Wenn eine solche Teilnahme an EU-Gefechtsverbänden innerhalb weniger Tage möglich sein soll, dann bedarf es aus österreichischer Sicht zudem auch einer Erweiterung der Dringlichkeitsklausel des § 2 Abs 5 KSE-BVG, wonach bisher bloß Maßnahmen der humanitären Hilfe und der Katastrophenhilfe gemäß § 1 Z 1 lit b) leg cit unverzüglich – nämlich durch einvernehmlichen Beschluss des Bundeskanzlers, des BMaA (nunmehr BMeiA) und des jeweils zuständigen Bundesministers mit bloß anschließendem, zwei Wochen lang gültigen Einspruchsrecht des Hauptausschusses des Nationalrats – erfolgen können, auf solche Einsätze im Rahmen der EU Rapid Reaction Force (ERRF); gleichzeitig ist auch fraglich, ob bei verstärkter Teilnahme an EU-Einsätzen mit dem Prinzip der Freiwilligkeit gemäß § 4 Abs 2 KSE-BVG in Zukunft noch das Auslangen gefunden werden kann, vgl dazu Rehrl, ZÖR 2005, 50f; siehe außerdem zum Verhältnis der österreichischen Neu1472 1473
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ziel 2003 noch sein Pendant 2010 sehen allerdings die Schaffung einer europäischen Armee vor; vielmehr sollen die jeweiligen Eingreiftruppen aus bestehenden bi- und multinationalen Verbänden und nationalen Kontingenten zusammengesetzt werden.1477 2. Die einzelnen Petersberg-Aufgaben Eine Definition der einzelnen, unbestimmten und ausfüllungsbedürftigen Krisenmanagement-Aufgaben ist weder in der PetersbergErklärung noch in Art 17 Abs 2 EUV erfolgt. Klar ist, dass die Petersberg-Aufgaben jedenfalls keine geographische Beschränkung enthalten und somit grundsätzlich weltweit durchgeführt werden können.1478 Zu ihrer inhaltlichen Bestimmung ist in erster Linie auf die Erklärungen der WEU Außen- und Verteidigungsminister im Rahmen ihrer Tagungen sowie auf die unterschiedlichen Kategorien der VN- bzw NATO-Friedenssicherung zurückzugreifen.1479 a) Humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze Anders als die übrigen Petersberg-Aufgaben zielen humanitäre Einsätze nicht primär auf die Wiederherstellung des Friedens ab, sondern sind auf die Linderung akuter humanitärer Not gerichtet. Sie sind daher per se konfliktunabhängig und in der Regel kurzfristig angelegt (vor allem bei Naturkatastrophen, vgl die EU-Hilfe nach dem Tsunami in Südostasien im Dezember 2004).1480 Zu den Einsatzaufgaben gehören insb die Schaffung eines sicheren Umfelds zur Durchführung einer humanitären Operation, die Bereitstellung spezifischer Hilfe und logistischer Unterstützung für humanitäre Hilfsmaßnahmen, die Katastrophenhilfe sowie die Flüchtlingshilfe.1481 Zu tralität zur ESVP Griller, in: Rechtsfragen des Amsterdamer Vertrages, 268ff; Kehrer, Art 17 EUV, Rz 22ff. 1477 Blanck, ESVP, 201f. Laut dem Regierungsprogramm der Österreichischen Bundesregierung für die XXII. Gesetzgebungsperiode, Kapitel 3, 5, soll sich Österreich insgesamt mit ca 1.500 Soldaten am militärischen Planungsziel der EU beteiligen. 1478 Pagani, EJIL 1998, 741. 1479 Blanck, ESVP, 215. 1480 Ibid, aaO. 1481 Vgl die Erklärungen des Ministerrates der WEU am 14. 11. 1995 in Madrid bzw am 19. 11. 1996 in Ostende.
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den Rettungseinsätzen zählen vorwiegend Such- und Rettungsaufgaben, einschließlich Evakuierungsmaßnahmen. b) Friedenserhaltende Aufgaben Der Begriff der friedenserhaltenden Maßnahmen ist iSd sog Noordwijk-Erklärung der WEU anlässlich der Tagung des WEU-Ministerrates in Nordwijk am 14. 11. 1994 zu verstehen, wonach peacekeeping nicht abstrakt bestimmbar sei, sondern sich dessen Verständnis dynamisch fortentwickle. Im Wesentlichen kann zur Begriffsbestimmung die Agenda für den Frieden von VN-GS Boutros-Ghali herangezogen werden: Neben dem klassischen peacekeeping sollen demnach auch Maßnahmen der Konfliktprävention und Aufgaben der Friedenskonsolidierung (post-conflict peacebuilding) einzubeziehen sein.1482 c) Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung einschließlich friedensschaffender Aufgaben Anders als die friedenserhaltenden Aufgaben inkludieren Kampfeinsätze die aktive Intervention in einem Konflikt mit militärischen Mitteln zur Wiederherstellung des Friedens (und nicht wie im Kriegsfall zur Erreichung eines militärischen Sieges). Zu dieser Kategorie zählen somit sämtliche Maßnahmen der Friedensdurchsetzung (peaceenforcement) iSd VN-Terminologie, die den Einsatz militärischer Gewalt etwa zur zwangsweisen Entwaffnung der Konfliktparteien einschließt. Strittig ist dabei, ob ein solcher EUFOR-Einsatz auch ohne Mandat des VN-Sicherheitsrats rechtmäßig durchgeführt werden kann oder nicht.1483 Blanck, ESVP, 216f. Entscheidend dafür ist das Verständnis der „Wahrung des Friedens und der Stärkung der internationalen Sicherheit entsprechend den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen“, wie es Art 11 Abs 1 dritter Spiegelstrich EUV zum Ziel der GASP erklärt, und ob man daraus ableitet, dass die EU nur auf Grund eines Mandats des VN-SR tätig werden darf; so die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 30. 11. 2000, ABl 2001, C 228, 176 und Cremer, Art 17 EUV, Rz 7; aA Kaufmann-Bühler, Art 17 EUV, in: Grabitz/Hilf, I, Rz 8; tatsächlich kann auf ein VN-SR-Mandat nur im Fall des Rechts auf individuelle oder kollektive Selbstverteidigung gemäß Art 51 SVN verzichtet werden; ausschlaggebend ist somit, ob ein Kampfeinsatz iSv Art 17 Abs 2 EUV zur Selbstverteidigung erfolgt oder nicht, was insb bei ‘out-of-area’-Einsätzen fraglich sein dürfte, vgl auch Wittich, EU-Battle-
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3. Modalitäten der Durchführung von Friedensoperationen Zur Durchführung der ESVP hat der Rat das Politische und Sicherheitspolitische Komitee (PSK)1484, den Militärausschuss1485 und den Militärstab1486 in hierarchischer Zuständigkeit eingerichtet.1487 Im Zuge der Bewertung einer möglichen Krisensituation kann der Militärausschuss auf Ersuchen des PSK dem Generaldirektor des Militärstabs eine Grundsatzweisung erteilen, militärische Optionen vorzulegen.1488 Daraufhin entwickelt der Militärstab militärstrategische Optionen, die vom Militärausschuss beurteilt werden und mit Empfehlungen an das PSK weitergeleitet werden. Auf Grundlage entsprechender Empfehlungen des PSK trifft der Rat eine verbindliche Entscheidung in Form einer Gemeinsamen Aktion. Zur operativen Durchführung einer Friedensoperation erlässt der Rat in Zusammenwirken mit dem PSK weitere Beschlüsse, etwa über die Ernennung eines „Operation Commander“ oder eines „Military Strategic Operation HQ“.1489 Der „Operation Plan“ (OPLAN) für einen spezifischen Einsatz wird sodann vom jeweiligen Operation Commander auf Anweisung des Militärstabs erstellt und dem PSK zur Bewilligung vorgelegt. Während einer laufenden EUFOR-Operation werden der Rat, das PSK sowie der GS/HV vom Operation Commander bzw dem Leiter des Militärausschusses über die aktuelle Lage und den Gang der Mission unterrichtet.1490 Groups: Selbstverteidigung oder UN-Mandat, Die Presse, Rechtspanorama v 29. 11. 2004. 1484 Beschluss des Rats v 22. 1. 2001, 2001/78/GASP zur Einsetzung des Politischen und Sicherheitspolitischen Komitees, ABl L 27, 1. 1485 Beschluss des Rats v 22. 1. 2001, 2001/79/GASP zur Einsetzung des Militärausschusses der Europäischen Union, ABl L 27, 4. 1486 Beschluss des Rats v 22. 1. 2001, 2001/80/GASP zur Einsetzung des Militärstabs der Europäischen Union, ABl L 27, 7. 1487 Siehe zu diesen Organen näher Reichard, EU-NATO relationship, 80f sowie Kehrer, Art 17 EUV, Rz 16. 1488 Vgl dazu und im Folgenden Blanck, ESVP, 222ff. 1489 Gemäß Art 23 Abs 2 zweiter Spiegelstrich EUV fasst der Rat mit qualifizierter Mehrheit Beschlüsse zur Durchführung einer gemeinsamen Aktion oder eines gemeinsamen Standpunkts; siehe auch Art 25 Abs 3 EUV, der durch den Vertrag von Nizza eingefügt wurde, wonach das PSK vom Rat ermächtigt werden kann, Beschlüsse zur „politischen Kontrolle und strategischen Leitung der Operation“ zu fassen. 1490 Vgl Art 25 Abs 2 EUV, demzufolge das PSK unter Verantwortung des Rates die politische Kontrolle und strategische Leitung von Operationen zur Krisenbewältigung wahrnimmt.
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B. Überblick über bisherige EU-Friedensoperationen 1. Allgemein Die erste militärische EU-Friedensoperation erfolgte vom 1. 4. – 15. 12. 2003 als EU-Operation Concordia in der Ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien zur Überwachung des sog Ohrid Rahmenübereinkommens unter Rückgriff auf NATO-Einsatzmittel.1491 Kurz darauf startete mit EUFOR Artemis in der DR Kongo die erste sowohl autonome (nämlich ohne Verwendung von NATO-Kapazitäten) als auch außerhalb des europäischen Kontinents durchgeführte militärische Friedensoperation.1492 Mit der Übernahme des SFOREinsatzes in Bosnien-Herzegowina Ende 2004 begann die bisher umfangreichste EU-Friedensoperation, EUFOR Althea, die nicht zuletzt auf Grund der beachtlichen Beteiligung des österreichischen Bundesheeres im Folgenden näher erläutert werden soll.1493 2. Die Beteiligung des Bundesheers an der EUFOR Althea in Bosnien-Herzegowina a) Die Übernahme der SFOR-Mission in Bosnien-Herzegowina durch die EU Nach einem diesbezüglichen Angebot an die NATO am Kopenhagener Gipfel im Dezember 2002 hing eine Übernahme der SFOR Mission in Bosnien-Herzegowina durch die EU auf Grund der transatlantischen Spannungen im Gefolge des Irak-Kriegs 2003 lange Zeit an einem seidenen Faden.1494 Durch einen Gemeinsamen Standpunkt Gemeinsame Aktion des Rats v 27. 1. 2003, 2003/92/GASP on the European Union military operation in the Former Yugoslav Republic of Macedonia, ABl v 11. 2. 2003, L 34, 26. Zuvor und auch danach beschloss der Rat zahlreiche nichtmilitärische Friedensoperationen wie etwa die EU-Polizeimission in Bosnien-Herzegowina (2002/210/GASP, ABl v 13. 3. 2002, L 70, 1). 1492 Gemeinsame Aktion des Rats v 5. 6. 2003, 2003/423/GASP on the European Union military operation in the Democratic Republic of Congo, ABl v 11. 6. 2003, L 143, 50. 1493 Für einen aktuellen Überblick über sämtliche EU-Operationen siehe http:// www.consilium.europa.eu/cms3_applications/applications/solana/index.asp?lang=EN &cmsid=246. 1494 Vgl zur Entwicklung Reichard, EU-NATO relationship, 252ff sowie FTD v 5. 9. 2003, EU übernimmt Friedensmission in Bosnien doch, 12. Zu den Bedenken und zur Rolle der USA, die als vorrangiger Friedensarchitekt der Dayton-Lösung somit an Einfluss verlieren könnte und für die auf Grund der Doppelgleisigkeiten 1491
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des Rats vom 12. 7. 20041495 kam es schließlich am 2. 12. 2004 zur Errichtung und Aufnahme der EUFOR Mission Althea,1496 gleichzeitig wurde die SFOR Mission eingestellt.1497 aa) Der Jugoslawien-Konflikt und der Einsatz der IFOR/SFOR Vorweg und insb auf Grund der Tatsache, dass die EU Militäroperation in Bosnien-Herzegowina unter Rückgriff auf NATO-Kapazitäten gemäß der ‘Berlin Plus’-Vereinbarung1498 durchgeführt wird, erscheint eine knappe Darstellung der Entwicklung im ehemaligen Jugoslawien und der Errichtung von IFOR/SFOR angebracht. Nachdem sich der Jugoslawien-Konflikt im Juli 1991 von Slowenien nach Kroatien verlagert hatte, vermittelten die VN Anfang 1992 einen Waffenstillstand, zu dessen Überwachung die United Nations Protection Force (UNPROFOR) eingesetzt wurde.1499 Zur selben Zeit kulminierte die angespannte Lage in Bosnien-Herzegowina zu einem Bürgerkrieg zwischen Bosniaken, Serben und Kroaten. Um die durch diesen Konflikt ausgelösten Flüchtlingsströme vor serbischem Artilleriebeschuss zu beschützen, richtete die VN Schutzzonen ein und der Sicherheitsrat erweiterte das Mandat von UNPROFOR auf die Abwehr von Angriffen auf diese ‘safe areas’ sowie den Schutz humanitärer Hilfslieferungen.1500 Da die Schutzzonen von den zwischen SFOR und KFOR eine Abgabe der Kompetenzen an bloß einer der beiden Missionen wenig sinnvoll erscheinen konnte, siehe Schwegmann, EU-Friedensmission auf dem Balkan, 10. 1495 Gemeinsamer Standpunkt 2004/570/GASP v 12. 7. 2004, ABl v 28. 7. 2004, L 252, 10. 1496 Beschluss 2004/803/GASP v 25. 11. 2004 über den Start der EU Militäroperation in Bosnien und Herzegowina, ABl v 27. 11. 2004, L 353, 21; es handelt sich dabei um einen Ratsbeschluss (mit qualifizierter Mehrheit) gemäß Art 23 Abs 2 zweiter Spiegelstrich EUV zur Durchführung einer Gemeinsamer Aktion oder eines Gemeinsamen Standpunkts. 1497 Istanbul Summit Communiqué issued by the Heads of State and Government participating in the meeting of the North Atlantic Council, 28 June 2004, para 8, siehe http://www.nato.int/docu/pr/2004/p04-096e.htm. In SR-Resolution 1551 (2004) v 9. 7. 2004 begrüßte der Sicherheitsrat der VN die Übernahme der SFOR Mission durch die Europäische Union. 1498 Zu den rechtlichen Aspekten der Vereinbarung vgl Reichard, NJIL 2004, 37ff. 1499 SR-Resolution 743 (1992) v 21. 2. 1992 und SR-Resolution 749 (1992) v 7. 4. 1992. 1500 SR-Resolution 819 (1993) v 16. 4. 1993 und SR-Resolution 824 (1993) v 6. 5. 1993. Nachdem es zu einer Geiselnahme von 370 VN-Soldaten und Mitarbeitern
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bosnischen Serben aber ungeachtet dessen immer stärker unter Beschuss genommen wurden, unternahm die NATO unter Berufung auf SR-Resolution 8361501 eine Luftoffensive gegen serbische Stellungen. Die darauf folgenden Verhandlungen führten am 14. 12. 1995 in Paris zur Unterzeichnung des Friedensabkommens von Dayton1502 zwischen Repräsentanten der Republik Bosnien und Herzegowina, der Republik Kroatien und der Bundesrepublik Jugoslawien, das BosnienHerzegowina als förderalen Staat aus zwei Entitäten, nämlich der muslimisch-kroatischen Föderation und der Serbischen Republik (Republik Srpska) mit der gemeinsamen Hauptstadt Sarajewo bestehen lässt. Einen Tag nach der Unterzeichung autorisierte der Sicherheitsrat unter Kapitel VII, wie von den Vertragsparteien in Annex 1-A des Dayton-Abkommens erbeten, den Einsatz einer Implementation Force (IFOR) durch die Mitgliedstaaten im Rahmen der NATO zur Sicherung und Durchsetzung, notfalls mit militärischen Zwangsmaßnahmen, des Friedensvertrags.1503 Die IFOR übernahm somit die Befehlsgewalt von UNPROFOR und wurde nach Ablauf ihres zeitlich befristeten Mandats Ende 1996 von der – wiederum unter der Führung der NATO stehenden – multinationalen Stabilization Force (SFOR) abgelöst.1504 Zur Durchführung der Friedensoperation von IFOR/SFOR wurde Bosnien-Herzegowina in drei militärische Verantwortungsbereiche unter Leitung eines Sektorkommandanten unterteilt.1505 Den jeweiligen multinationalen Befehlshabern wurden für den Einsatz die nationalen Kontingente mit „Transfer of Authority“ (TOA) unterstellt; dabei wurde aber jeweils nur ‘operational control’ übertragen.1506 Die multinationalen Befehlshaber unterstanden ihrerseits einer übergegekommen war, ermächtigte die SR-Resolution 998 (1995) v 16. 6. 1995 zur Schaffung einer schnellen Eingreiftruppe zur Unterstützung von UNPROFOR. 1501 SR-Resolution 836 (1993) v 4. 6. 1993. 1502 Friedensvertrag von Dayton v 14. 12. 1995, UN Dok. A/50/790 – S/1995/999. 1503 Z 14 – Z 17 SR-Resolution 1031 v 15. 12. 1995; Annex 1-A Friedensvertrag von Dayton v 14. 12. 1995, UN Dok. A/50/790 – S/1995/999; die Aufgaben der multinationalen Streitkräfte sind in Annex 1-B des Dayton-Abkommens festgelegt; vgl Donner, HumVR 1997, 63ff. 1504 Vgl SR-Resolution 1088 (1996) v 12. 12. 1996. 1505 Grundlage für die Durchführung der Operation war der Operationsplan 10405, der vom NATO-Rat in Kraft gesetzt worden war und vor allem detaillierte Regelungen über die Befehls- und Kommandostruktur zur zivil-militärischen Zusammenarbeit sowie die Rules of Engagement enthielt. 1506 Vad, HumVR 1997, 78f; Donner, HumVR 1997, 67.
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ordneten Führungsinstanz.1507 Wie oben bei der später eingerichteten KFOR Mission schon dargestellt,1508 behielt aber dennoch die Weisung des nationalen Befehlshabers eines an der Mission teilnehmenden Staates Vorrang vor Anordnungen aus der NATO-Kommandostruktur und deren Weisungen konnten vom nationalen Befehlshaber auf Mandatskonformität und Übereinstimmung mit nationalem Recht überprüft werden.1509 bb) Die EUFOR Mission Althea Mit der EUFOR Mission Althea übernimmt die EU „the main stabilization role under the military aspects of the [Dayton] Peace Agreement“.1510 Nicht nur zur Selbstverteidigung und Überwachung des Luftraums über Bosnien-Herzegowina, sondern zur Erfüllung ihres Mandats, also insb der Durchsetzung des Dayton-Friedensabkommens kann sich auch EUFOR, wie IFOR/SFOR, „all necessary measures“ bedienen.1511 Die Operation ist Bestandteil des ‘coherent approach’ der EU zur Stabilisierung Bosnien-Herzegowinas und der europäischen Integration der Republik.1512 Die operative Durchführung der Mission erfolgt in Kooperation zwischen der EU und der in Bosnien-Herzegowina verbliebenen NATO unter Rückgriff auf die ‘Berlin Plus’-Vereinbarung;1513 anders als noch bei der EUFOR MisOberkommandeur der NATO ist der SACEUR, der Befehle an die Sektorenkommandanten der multinationalen Brigaden erteilt, selbst aber den Weisungen des NATO-Rates unterliegt; im NATO-Rat sind die NATO-Mitgliedstaaten auf Botschafterebene vertreten, der Militärausschuss kann als Beratungsgremium Empfehlungen in die politische Diskussion einbringen. Die im Rahmen der PfF teilnehmenden Staaten sind vor einschlägigen Entscheidungen des NATO-Rates zu Konsultationen heranzuziehen. 1508 Siehe oben III. 1509 Siehe Vad, HumVR 1997, 78f; Erberich, Auslandseinsätze, 131f; Donner, HumVR 1997, 67. 1510 So Z 11 SR-Resolution 1575 (2004) v 22. 11. 2004, welche das EUFOR Mandat bestätigt und umschreibt. 1511 Z 14 – 16 SR-Resolution 1575 (2004) v 22. 11. 2004; bestätigt von Z 14 – 16 SR-Resolution 1639 (2005) v 21. 11. 2005, mit welcher das Mandat von EUFOR in Bosnien-Herzegowina um ein weiteres Jahr verlängert wurde. 1512 EU Ratsekretariat Factsheet ATH/03 (update 3) v 29. 11. 2004 zur Operation EUFOR – Althea. 1513 Art 1.3. iVm Art 13 Gemeinsamer Standpunkt 2004/570/GASP v 12. 7. 2004, ABl v 28. 7. 2004, L 252, 10; vgl zur konkreten Ausgestaltung der Zusammenarbeit Reichard, EU-NATO relationship, 258f. 1507
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sion Concordia1514 – welche in vielen Bereichen als Vorbild für die Errichtung von Althea diente – wurde kein eigenes SOFA zwischen EU und Bosnien-Herzegowina abgeschlossen, sondern statt dessen das SOFA aus dem Dayton-Abkommen übernommen.1515 Gemäß dem Gemeinsamen Standpunkt1516 obliegt die Verantwortung für EUFOR Althea beim Rat, die politische Führung und strategische Leitung erfolgt durch das Politische und Sicherheitspolitische Komitee (PSK). Vor dem Beschluss des Rats über den Start der Operation erfolgte, wie in Art 5 des Standpunkts vorgesehen, die Annahme des OPLAN für den Streitkräfteeinsatz.1517 Wie die meisten Dokumente zu EUFOR-Missionen steht auch der OPLAN unter strengem Verschluss,1518 dem Vernehmen nach ist er und sind insb die darin festgelegten ROE im Wesentlichen von den NATO-Einsätzen eins zu eins übernommen worden. b) Die Teilnahme des österreichischen Bundesheers – AUCON/Althea Österreichs Teilnahme an EUFOR Althea geht auf die Mitwirkung an der IFOR/SFOR – der ersten Bewährungsprobe des Bundesheeres im Rahmen der NATO-PfF1519 – zurück und setzt das entsprechende Engagement am Wiederaufbau und der Entwicklung Bosnien-Herzegowinas unter der Ägide der internationalen Gemeinschaft fort. AUCON/Althea besteht derzeit aus 118 Soldaten.1520 Neben der Unterstützung beim Wiederaufbau des zivilen und politischen Lebens führen die Bundesheersoldaten zur Kontrolle und Stabilisierung der Sicherheit in der Region Personen- und Fahrzeugkontrollen sowie Hausdurchsuchen durch und überwachen die Grenze zu Serbien.1521 Vgl dazu Schmalenbach, Haftung Internationaler Organisationen, 571ff. Ibid, 257. 1516 Art 6 Gemeinsamer Standpunkt 2004/570/GASP v 12. 7. 2004, ABl v 28. 7. 2004, L 252, 10. 1517 RAA v 11. 11. 2004, Press Release 12767/04 (Presse 275), 18. 1518 Zu den entsprechend strengen Vorschriften im Bereich der ESVP vgl Reichard, EU-NATO relationship, 322ff. 1519 Vgl dazu Primosch/Siess-Scherz, KSE-BVG, 22ff. 1520 Stand: August 2008 (laut www.bmlv.gv.at). 1521 Insgesamt kommen den Soldaten der EUFOR Althea (ebenso wie zuvor der IFOR/SFOR) aber weniger polizeiähnliche Aufgaben als jenen der KFOR zu, da 1514 1515
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Im Hinblick auf den Einsatz österreichischer Soldaten im Rahmen der IFOR/SFOR lag im Wesentlichen die zu KFOR dargestellte Rechtslage und somit ebenfalls fortgesetzte Ausübung nationaler Hoheitsgewalt vor.1522 Im Folgenden muss nun geprüft werden, ob die Übernahme der Operation durch die EU daran etwas geändert hat. Dies ist aus den folgenden Gründen zu verneinen: Erstens erfolgt die EUFOR Mission Althea, wie erläutert, ohnehin unter teilweisem Rückgriff auf NATO-Kapazitäten; zudem ist anerkannt, dass die Union selbst über keine Streitkräfte verfügt und es sich somit bei der Durchführung von EUFOR Mission, wie auch in den meisten übrigen Bereichen der EU, um einen indirekten Vollzug von Unionsrecht handelt.1523 Entscheidend ist aber letztlich wiederum, dass die Entsendung der österreichischen Bundesheersoldaten gemäß § 4 Abs 3 iVm Abs 7 KSE-BVG unter der Leitung des BMLV erfolgt, woraus bereits dessen Verantwortlichkeit und somit jene der Republik Österreich resultiert.1524 Aus diesen Gründen ist daher festzuhalten, dass trotz der Einbindung österreichischer EUFOR-Soldaten in eine fremde Organisations- und Kommandostruktur diese auch im Auslandseinsatz de lege lata als Staatsorgane unter der Leitung eines obersten Organs der Bundesverwaltung tätig werden und deren Verhalten somit der Republik Österreich zugerechnet werden kann. Somit muss im Folgenden aber jedenfalls geprüft werden, ob sie als Organe der Republik Österreich bei der Ausübung extraterritorialer Hoheitsgewalt im Rahmen von EUFOR-Missionen an die Grundrechte gebunden sind (siehe sogleich Punkt C.).
diese von den regulären bosnischen Polizeikräften ausgeübt werden, deren Schutz und Unterstützung aber zum Auftrag der entsendeten Einheiten zählt, vgl dazu Pförtner, HumVR 2005, 184. 1522 Vgl oben III. 1523 Auch die auf Basis des Streitkräfte-Planziels 2010 der EU bis 2007 zu schaffenden rasch einsatzbereiten Gefechtsverbände (siehe oben bei A.1.) bilden keine EU-Armee, denn die Verfügungsgewalt über die Truppen bleibt weiterhin bei den Mitgliedstaaten. Es gibt jedoch innerhalb der EU Bestrebungen – vor allem von Deutschland, Frankreich, Belgien und Luxemburg – eigene EU-Streitkräftekommandostrukturen für EU-Krisenreaktionskräfte zu schaffen, vgl Hauser, Sicherheitsund Verteidigungssystem, 31. 1524 Vgl dazu die Ausführungen zum KFOR-Einsatz oben III.
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3. Die Beteilung des Bundesheeres an der EUFOR Tchad/RCA Innenpolitisch heftig umstritten, beschloss die Bundesregierung am 7. November 2007, bis zu 160 Angehörige des Bundesheeres im Rahmen von EUFOR Tchad/RCA bis 30. Juni 2008 zu entsenden. Der Hauptausschuss des Nationalrats hat hierzu am 9. November 2007 das Einvernehmen erklärt. Im Frühjahr 2008 wurde die Entsendung vorerst bis 31. Dezember 2008 verlängert. EUFOR Tchad/RCA soll als Überbrückungsoperation, die „United Nations Mission in the Central African Republic and Chad“ (MINURCAT) unterstützen. MINURCAT ist Hauptbestandteil der mit SR-Resolution 1778 vom 25. September 2007 eingerichteten multidimensionalen Präsenz im Osten des Tschad und im Nordosten der ZAR, deren Hauptaufgabe es ist, ausreichende Sicherheitsbedingungen für die Rückkehr von Flüchtlingen und Binnenvertriebenen im Gefolge des Konflikts in der westsudanesischen Region Darfur zu gewährleisten. Am 15. Oktober 2007 hat der Rat durch die Gemeinsame Aktion 2007/677/GASP die Durchführung der EU-Überbrückungsmission EUFOR Tchad/RCA beschlossen.1525 Der Rat hat mit Beschluss 2008/101/GASP den Beginn des Einsatzes genehmigt.1526 Das österreichische Kontingent im Tchad besteht aus Spezialeinsatzkräften, Ärzten und Sanitätern, einem Führungselement zur Sicherstellung der Verbindungen, Logistik- und Aufklärungs-Spezialisten sowie Offizieren in den Hauptquartieren in Paris und im Tschad. Die Zielsetzungen von EUFOR Tchad/RCA sind wie folgt definiert: x Schutz von Zivilpersonen, insbesondere von Flüchtlingen und Binnenvertriebenen, x Verbesserung der allgemeinen Sicherheitslage, um humanitäre Hilfsleistungen zu erleichtern, x Unterstützung von Maßnahmen, welche für die freiwillige Rückkehr der Flüchtlinge und Vertriebenen notwendig sind, x Unterstützung der Grundlagen für den langfristigen zivilen Wiederaufbau, x Schutz von Personal, Einrichtungen und Ausrüstung der UNO sowie Gewährleistung der Bewegungsfreiheit von UNO-Personal. 1525 1526
ABl Nr L 279/21 v 23. Oktober 2007. ABl Nr L 34 v 8. Februar 2008.
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Gegen Jahresende 2008 wird nach einer Bedarfseinschätzung des VN-Generalsekretärs über die Zukunft von EUFOR Tchad/RCA und über die allfällige weitere österreichische Beteiligung an der Mission zu entscheiden sein.
C. Anwendbarkeit der Grundrechte Bei der Durchführung von EUFOR Operationen handelt es sich um einen indirekten unmittelbaren Vollzug von Unionsrecht, bei dem grundsätzlich eine Bindung an die nationalen ebenso wie an die EU-Grundrechte vorliegt.1527 Im Hinblick auf den territorialen Anwendungsbereich der EU-Grundrechte mangelt es jedoch sowohl der Rechtsprechung des EuGH als auch Art 51 GRC an einer expliziten Aussage. Wie oben dargestellt,1528 ist mit guten Gründen auch im Bereich des Unionsrechts an den dargestellten Kriterien von Art 1 EMRK anzuknüpfen, weshalb bei Durchführung von EU-Hoheitsgewalt in Drittstaaten eine Bindung an EU-Grundrechte bei Vorliegen entweder wirksamer territorialer oder wirksamer personaler Kontrolle zu bejahen ist. Ebenso wie bei den Auslandseinsätzen des Bundesheeres im Rahmen der KFOR oder der VN üben die Soldaten im Zuge ihrer Teilnahme an EU-Friedensoperationen regelmäßig zumindest effektive personale Kontrolle aus und sind deshalb an nationale ebenso wie EU-Grundrechte gebunden.
D. Durchsetzung 1. Gerichtliche Grundrechtskontrolle Mangels Zuständigkeit des EuGH zur Überprüfung der GASP gemäß Art 46 EUV unterliegt die mitgliedstaatliche Implementierung einer EUFOR Operation im Wesentlichen denselben Durchsetzungsmechanismen wie bei sonstigen Auslandseinsätzen. Eine Besonderheit besteht allerdings im Hinblick auf die Zuständigkeit des EGMR, dessen Grundrechtsprüfung stets nur am Maßstab der EMRK erfolgen kann. Fraglich ist in diesem Zusammenhang, inwieweit ein Vgl zur Bindung an die EU-Grundrechte beim mitgliedstaatlichen Vollzug von Unionsrecht oben im 4. Kap III.B.2.b). 1528 Vgl dazu im 4. Kap III.C.1. 1527
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Verhalten mitgliedstaatlicher Organe der Zuständigkeit des EGMR unterliegt, wenn ein solches ausschließlich durch Unionsrecht determiniert ist.1529 Wie oben dargestellt, erachtet der EGMR mitgliedstaatliche Handlungen zur pflichtgemäßen Umsetzung von Unionsrecht dann als gerechtfertigt, wenn auf EU-Ebene ein äquivalenter (vergleichbarer) Schutz der Grundrechte besteht.1530 Im Hinblick auf die Durchführung von EU-Friedensoperationen ist allerdings fraglich, ob tatsächlich eine vollständige Determinierung des Handelns der Mitgliedstaaten durch das Unionsrecht besteht. So sind zwar sämtliche Mitgliedstaaten zur Umsetzung Gemeinsamer Aktionen bzw Durchführungsbeschlüsse des Rats nach Art 23 Abs 2 zweiter Spiegelstrich EUV verpflichtet, im konkreten Auslandseinsatz verbleiben allerdings entscheidende Weisungsrechte sowie die Ausübung der Disziplinar- und Strafgewalt bei den Mitgliedstaaten.1531 Aus diesem Grund verbleibt aber bei EUFOR-Einsätzen im Rahmen der Vollziehung des Unionsrechts stets ein gewisser Beurteilungs- und Ermessensspielraum bei den Mitgliedstaaten,1532 womit der EGMR seine Kompetenz zur Prüfung der Wahrung der Konventionsrechte eigenständig wahrnehmen kann. Selbst wenn man von einer vollständigen Determinierung des Einsatzes der an einer EUFOR-Operation teilnehmenden Soldaten ausgehen würde, käme man zu einer entsprechenden Zuständigkeit des EGMR: Denn der Gerichtshof verzichtet in einer solchen Konstellation nur dann auf eine Prüfung am Maßstab der Konventionsrechte, wenn er festgestellt hat, dass ohnedies auf EU-Ebene ein vergleichbarer Grundrechtsschutz besteht. Ein solcher scheidet allerdings, wie bereits erwähnt, auf Grund der fehlenden Zuständigkeit des EuGH zur Kontrolle der GASP aus. Vgl oben im 4. Kap III., IV. und V.B. Vgl EGMR, Urteil v 30. 6. 2005, Bosphorus Hava Yollari Turizm gegen Irland (Große Kammer), No. 45036/98, Rz 155f, RJD 2005-VI; siehe dazu Skouris, ZSR 2005, 34ff; Schorkopf, GLJ 2005, 1255ff; Szczekalla, GPR 2005, 176ff; HeerReißmann, NJW 2006, 192ff und oben 4. Kap V.A.2. 1531 Siehe dazu oben IV.A.3. zu den diesbezüglichen Regelungen des KSEBVG. 1532 Anders kann dies im Einzelfall hingegen, je nach Verpflichtungen, bei der Umsetzung von Embargoverordnungen gemäß Art 301 EGV sein, weil dabei zT überhaupt kein Ermessen der Mitgliedstaaten mehr vorliegt, vgl dazu oben IV.B. 4.c)dd). 1529 1530
V. EU-Friedensoperationen und Grundrechte
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2. Sonstige Maßnahmen zur Stärkung der accountability bei EU-Friedensoperationen Angesichts der umfassenden Bindung der Union an die Grundrechte im Bereich der GASP und somit auch bei der Durchführung von EU-Friedensoperationen im Rahmen der ESVP sind iSd ‘Human Rights Mainstreaming’ neben der gerichtlichen Grundrechtskontrolle auch alternative Maßnahmen zur Förderung von accountability 1533 und insb der Einhaltung der Grundrechte von EUFORSoldaten heranzuziehen. Von zentraler Bedeutung sind dabei die vom Rat 2005 verabschiedeten Generic Standards of Behaviour for ESDP Operations,1534 welche die vom CIVCOM 2003 entworfenen Leitlinien über den Schutz von Zivilpersonen in EU-geführten Krisenmanagementoperationen1535 ergänzen. Sie legen Verhaltensstandards für entsendetes Personal sämtlicher EU-Operationen fest und sind ergänzend zu den Rechtsvorschriften, wie sie sich aus dem Völkerrecht sowie den nationalen Rechtsordnungen der Entsendestaaten ergeben, heranzuziehen.1536 Zur Implementierung der Verhaltensstandards soll bei jeder ESVP-Operation ein Beschwerdeverfahren errichtet werden.1537 Gemäß Z 6 der Verhaltensstandards ist jede mutmaßliche Verletzung der Menschenrechte, des humanitären Völkerrechts sowie des internationalen Strafrechts zu melden.1538 Zu den illegalen und kriminellen Handlungen zählen Organisiertes Verbrechen, Korruption, Menschenhandel und Kindesmissbrauch.1539 Für das entsendete Personal behalten die Mitgliedstaaten aber die vollständige Disziplinargewalt.1540 Analog zu den VN-Einsätzen sollten Siehe zum Begriff bereits oben IV.B.5.a). Ratsdokument 8373/3/05 REV 3 v 18. 5. 2005; vgl auch RAA v 23./24. 5. 2005, Press Release 8817/05 (Presse 112), 11, Schlussfolgerung 17 zur Kenntnisnahme des Dokuments über Verhaltensnormen für das gesamte an Operationen im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) beteiligte Personal durch den Rat, die am 23. 5. 2005 erfolgte. 1535 Dokument 14805/03. 1536 Z 1 Ratsdokument 8373/3/05 REV 3 v 18. 5. 2005, 3. 1537 Z 2 Ratsdokument 8373/3/05 REV 3 v 18. 5. 2005, 4. 1538 Annex Z 6 Generic Standards, Ratsdokument 8373/3/05 REV 3 v 18. 5. 2005, 9. 1539 Annex Z 6 lit a) – lit d) Generic Standards, Ratsdokument 8373/3/05 REV 3 v 18. 5. 2005, 9f. 1540 Annex Z 9 Generic Standards, Ratsdokument 8373/3/05 REV 3 v 18. 5. 2005, 9f. 1533 1534
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Auslandseinsätze des österreichischen Bundesheeres
außerdem auch im Rahmen der EUFOR die Grundsätze des humanitären Völkerrechts Anwendung finden.1541 Bemerkenswert ist zudem die Ernennung von Michael Matthiessen zum ersten persönlichen Beauftragten für Menschenrechte im Bereich der GASP von GS/HV Javier Solana – auf Matthiessen folgte am 29. Jänner 2007 Riina Kionka nach. Darüber hinaus werden im Rahmen der ESVP zunehmend allgemeine Regelungen getroffen, die auch für die Tätigkeit der EUFOR-Einheiten bedeutsam sind, wie etwa Maßnahmen zur Umsetzung der SR-Resolution 1325 über Frauen und Frieden und Sicherheit1542 oder der SR-Resolution 1612 über Kinder und bewaffnete Konflikte sowie zB die Rolle und die Bedeutung von transitional justice in der Konfliktbewältigung.1543
1541 Vgl die Leitlinien der Europäischen Union zur Förderung der Einhaltung der Normen des humanitären Völkerrechts, ABl v 23. 12. 2005, C 327, 4. 1542 Vgl Dokument Nr 13566/05 des Rates zur Umsetzung der VN-SR-Resolution 1325 im Kontext der ESVP. 1543 Vgl dazu zB Thallinger, GLJ 2007, 695ff.
Zusammenfassende Schlussthesen 1. Ausgehend vom Grundsatz der territorialen Souveränität hat jeder Staat als souveräne Gebietskörperschaft das Recht, auf seinem Staatsgebiet die alleinige, alle andere Staaten ausschließende Herrschaftsgewalt auszuüben. Aus diesem Territorialitätsprinzip folgt, dass die Setzung staatlicher Hoheitsakte auf fremdem Staatsgebiet verboten ist, sofern nicht eine Regel besteht, die dies erlaubt. Eine solche ausnahmsweise Erlaubnis extraterritorialer jurisdiction to enforce bedarf somit stets der ausdrücklichen völkervertragsrechtlichen Zustimmung oder der völkergewohnheitsrechtlichen Duldung desjenigen Staates, in dessen Territorium der fremde Staat Hoheitsgewalt auszuüben beabsichtigt. Anders ist dies bei der extraterritorialen jurisdiction to prescribe, die zwar innerhalb der eigenen Staatsgrenzen gesetzt wird, jedoch intentional an ausländischen Sachverhalten anknüpft oder solche zu regeln beabsichtigt. Zur Rechtfertigung extraterritorialer legislativer Jurisdiktion und Lösung potentieller Jurisdiktionskonflikte erscheint das Verhältnismäßigkeitsprinzip das geeignete Instrumentarium zu bilden. 2. Das Verhältnis zwischen der Verantwortlichkeit nach der EMRK und der allgemeinen Staatenverantwortlichkeit ist im Lichte von Art 55 EMRK derart zu sehen, dass die Konvention kein self-contained regime darstellt, sondern vielmehr ein offenes Subsystem bildet, das zwar über leges speciales im Sinne eigener Bestimmungen zur Feststellung und Durchsetzung der Konventionsverantwortlichkeit verfügt, in den ungeregelten oder auslegungsbedürftigen Bereichen aber den Rückgriff auf die allgemeinen Grundsätze der Staatenverantwortlichkeit zulässt und auch gebietet. Insb im Hinblick auf einen möglichen Beitritt der EU zur EMRK ist davon auszugehen, dass die zur Anwendung der EMRK subsidiär heranzuziehenden allgemeinen Regeln über die Staatenverantwortlichkeit auch mutatis mutandis auf Internationale Organisationen anzuwenden sind. 3. Das Problem der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Setzung österreichischer Hoheitsakte auf fremdem Staatsgebiet basiert auf der unzutreffenden systematischen Auslegung des Staatsgebiets in Art 3 B-VG als „exklusiver räumlicher Sanktionsbereich“. De constitutione lata beruht die Rechtmäßigkeit extraterritorialer Ho-
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heitsakte auf einem zweigeteilten Regelungsregime: Handlungen auf Grundlage des Unionsrechts sind wegen des EUBeitrittsBVG sowie Art 23f B-VG (insb die Petersberg-Aufgaben nach Art 17 Abs 2 EUV) gerechtfertigt; alle extraterritorialen Hoheitsakte außerhalb des Unionsrechts müssen mit Art 9 Abs 2 B-VG vereinbar sein. Daneben besteht mit dem KSE-BVG für die Entsendung österreichischer Einheiten bzw Personen in das Ausland ein Sonderregime vor allem für die Auslandseinsätze des Bundesheeres, das sowohl auf friedenssichernde Maßnahmen auf Basis als auch außerhalb des EU-Rechts Anwendung findet. 4. Für die Frage der Grundrechtsbindung bei der Setzung extraterritorialer Hoheitsakte bedarf es vorweg der Klärung des räumlichen Anwendungsbereichs der Grundrechte der Bundesverfassung. Dabei ist doppelgleisig vorzugehen: Einerseits ist der genuin innerstaatliche Grundrechtskatalog auf Determinanten zu untersuchen, andererseits ist der Regelungsinhalt von Art 1 EMRK zu ermitteln. Die Bundesverfassung kennt ungeachtet des Fehlens einer diesbezüglichen expliziten Bestimmung den Grundsatz der umfassenden Grundrechtsbindung sämtlicher staatlicher Hoheitsgewalt, der gleichzeitig einen wesentlichen Bestandteil der verfassungsrechtlichen Grundprinzipien bildet. Daraus folgt, dass eine Suspendierung der Grundrechtsbindung mit Ausnahme von punktuellen Durchbrechungen in besonderen Sachlagen unzulässig ist und selbst, wenn sie in Verfassungsrang vorgenommen werden würde, wegen Baugesetzwidrigkeit vom Verfassungsgerichtshof aufzuheben wäre. Gute Gründe sprechen dafür, dass eine Entbindung der extraterritorialen Hoheitsgewalt von den Grundrechten per Verfassungsgesetz einen solchen Verstoß gegen die Grundprinzipien implizieren würde. 5. Bei der Ermittlung des Regelungsinhalts von Art 1 EMRK ist insb auf die Doppelnatur der Konvention als völkerrechtlicher Vertrag und als innerstaatliches Verfassungsrecht angemessen Rücksicht zu nehmen. Art 1 EMRK erschöpft sich dabei nicht in einem bloßen Verweis auf die Zurechnungsregeln im System der völkerrechtlichen Staatenverantwortlichkeit, sondern bildet in Verbindung mit den übrigen materiellen Konventionsrechten eine den Umfang der völkerrechtlichen Verpflichtungen der Vertragsstaaten festlegende Primärnorm. Diese Verpflichtungen binden die Vertragsparteien immer nur unter der Voraussetzung, dass sie gemäß Art 1 EMRK Jurisdiktion, also Hoheitsgewalt, über Personen bzw Vermögensgegenstände aus-
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üben. Dies bedingt stets das Vorliegen eines dem Staat zurechenbaren Organverhaltens. 6. Eine entsprechende Jurisdiktionsausübung liegt im Inland in der Regel infolge wirksamer territorialer Kontrolle über das Staatsgebiet vor. Darüber hinaus können die Vertragsstaaten auch extraterritorial Jurisdiktion ausüben, wenn sie entweder wirksame territoriale Kontrolle über ein Gebiet im Ausland besitzen (dabei verdrängen sie die „inländische“ Hoheitsgewalt) oder, in Situationen mangelnder Gebietskontrolle, in Einzelfällen wirksame personale Kontrolle über Personen oder Vermögensgegenstände innehaben. In beiden Fällen muss eine entsprechende Kontrolle über die Rechtspositionen der betroffenen Personen gewährleistet sein; während effektive territoriale Kontrolle, aus einer gebietsbezogenen Gesamtkontrolle resultierend, einen dauerhaften Status darstellt, handelt es sich bei der effektiven personalen Kontrolle um ein punktuelles Kriterium, das die Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt über Personen oder Vermögensgegenstände voraussetzt. Zur Abgrenzung solcher Gewalt von rein zwischenstaatlichen Akten wie Kriegshandlungen iSd Bankoviü-Entscheidung des EGMR, die keine Jurisdiktionsausübung gemäß Art 1 EMRK darstellen, bedarf es eines rechtsetzenden Verhaltens, welches das staatliche Gewaltmonopol im Verhältnis zu Individuen widerspiegelt. 7. Auch bei extraterritorialer Jurisdiktionsausübung bestehen die Konventionsverpflichtungen vollumfänglich; eine Abstufung der Pflichten proportional zum Ausmaß der Ausübung von Hoheitsgewalt ist Art 1 EMRK unbekannt und führt auch zu keiner Überforderung der Vertragsstaaten, weil diese ohnehin nur dann wegen einer Konventionsverletzung verantwortlich gemacht werden können, wenn deren ausgeübte Hoheitsgewalt im konkreten Einzelfall auch einen Eingriff in ein Konventionsrecht ausgelöst hat. Die Eingriffsintensität des jeweiligen Hoheitsakts determiniert somit das Spektrum der in eventu betroffenen Konventionsrechte, weshalb eine vorweg in Abhängigkeit von der Jurisdiktionsausübung bestimmte „Portionierung“ der aus der EMRK resultierenden Verpflichtungen abzulehnen ist. Bei der Ausübung von Jurisdiktion besteht vielmehr grundsätzlich eine Bindung an sämtliche Konventionsverpflichtungen. 8. Aus dem territorial indifferenten Anknüpfungspunkt der Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt (Jurisdiktion) in Art 1 EMRK folgt, dass die Konvention im Ergebnis ebenso wie der originär österrei-
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chische Grundrechtskatalog eine umfassende Grundrechtsbindung ohne grundrechtsfreie Räume vorsieht. Somit korrespondieren die Anordnungen beider Regelungsregime und können einheitlich-systematisch ausgelegt werden. Im Ergebnis führt das dazu, dass mangels innerstaatlicher Judikatur zur relevanten Problematik vor allem auf die Rechtsprechung von EGMR und EKMR und die dabei entwickelten Grundsätze effektiver territorialer und personaler Kontrolle zur Bestimmung, ob überhaupt eine Ausübung extraterritorialer Hoheitsgewalt vorliegt, zurückzugreifen ist. 9. Zur Bestimmung des räumlichen Anwendungsbereichs der Unionsgrundrechte ist insb der dargestellte Bedeutungsgehalt von Art 1 EMRK als allgemeiner Rechtsgrundsatz heranzuziehen. Die daraus resultierende extraterritoriale Anwendbarkeit der EU-Grundrechte (im Sinne von außerhalb des Raumes der Mitgliedstaaten) wird auch von der in Art 6 Abs 2 EUV ebenso wie in Art 51 Charta der Grundrechte angeordneten umfassenden Bindung der Union an die Grund- und Menschenrechte unterstrichen. Diese Bindung erfasst mit der GASP auch einen Bereich, der gerade im Rahmen der ESVP mit den erweiterten Kapazitäten zur Durchführung von Friedensoperationen in Drittstaaten die Frage der extraterritorialen Anwendbarkeit der Unionsgrundrechte besonders virulent erscheinen lässt, jedoch von der Kontrolle durch den EuGH gemäß Art 46 EUV gänzlich ausgenommen ist. Daraus kann mit guten Gründen eine (subsidiäre) Zuständigkeit nationaler Verfassungsgerichte und des EGMR zur Überprüfung mitgliedstaatlicher Vollzugsakte zur Umsetzung entsprechender Gemeinsamer Aktionen und deren Durchführungsbeschlüsse angenommen werden. 10. Die Relevanz der Frage der extraterritorialen Anwendbarkeit der Grundrechte bei Friedensoperationen verläuft parallel zur Entwicklung der Natur solcher Einsätze: Gingen die VN-Mandate zur Autorisierung entsprechender Operationen in der Ära des Kalten Krieges nicht über bloße Beobachteraufgaben hinaus, erhalten Friedenstruppen seit den 1990er-Jahren jene teils weitreichenden Befugnisse für die Anwendung von (Waffen)Gewalt zur Aufrechterhaltung von Ordnung und Sicherheit in Krisenregionen (robustes peacekeeping), mit denen sie überhaupt erst in Grundrechte der lokalen Bevölkerung eingreifen können. Die erweiterten Einsatzbefugnisse haben auch die Modalitäten der österreichischen Auslandseinsätze tief greifend verändert und konfrontieren das Bundesheer
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zusehends mit der Übernahme polizeiähnlicher Aufgaben im Ausland. Die dabei anzuwendenden Verhaltensregeln für die Soldaten bilden, wie zB im Rahmen der Beteiligung an der KFOR, die auf multinationaler Ebene akkordierten Rules of Engagement, die mittels genereller Weisung vom BMLV an die Soldaten im Auslandseinsatz zur Anwendung gelangen. 11. Die Rules of Engagement (ROE) erlauben den Einsatz von Waffengewalt in Notwehrsituationen in einem weiteren Umfang als es innerstaatlich nach dem Notwehrbegriff des StGB zulässig ist. Soldaten, die sich im Auslandseinsatz bei einem rechtswidrigen Angriff in Übereinstimmung mit den ROE verteidigen, können folglich in das Dilemma geraten, dass ihre dabei gesetzte Notwehrhandlung nicht nach § 3 StGB gerechtfertigt und deswegen strafgesetzwidrig ist. Infolge der Anwendbarkeit der österreichischen Strafgesetze auf entsendete Einheiten kann ihnen somit nach ihrer Rückkehr ins Inland ein Strafverfahren drohen. Ein Umstand, der entweder durch eine österreichspezifische Abweichung von den ROE oder durch einen speziellen strafrechtlichen Rechtfertigungsgrund, der an ROE-konformem Verhalten anknüpft, geändert werden sollte. 12. Eine potentielle nationale Grundrechtsverantwortlichkeit für entsendete Soldaten einer Friedensoperation geht davon aus, dass deren Verhalten im Einsatz als Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt und nicht als solche der jeweiligen Internationalen Organisation einzustufen ist. Untersucht man in dieser Hinsicht die Auslandseinsätze des Bundesheeres, kommt man zum Ergebnis, dass solche Einsätze weiterhin jedenfalls auch als Ausübung österreichischer Hoheitsgewalt zu qualifizieren sind. Dies folgt aus § 4 Abs 3, Abs 6 und Abs 7 KSE-BVG, wonach entsendete Personen unter der Leitung des zuständigen Bundesministers tätig werden und die Aufrechterhaltung der Ordnung und Disziplin stets der österreichischen Einheit obliegt. Entsendete Personen können zwar hinsichtlich ihrer Verwendung den Weisungen der jeweiligen Internationalen Organisation unterstellt werden, die zuständigen österreichischen Organe können diesen aber im Einzelfall widersprechen. Somit ist das Verhalten österreichischer Einheiten im Auslandseinsatz infolge der fortgesetzten wirksamen Steuerungsmöglichkeit stets der Republik Österreich zurechenbar. 13. Soldaten im Auslandseinsatz üben selbst bei robusten Mandaten wie jenem der KFOR stets nur einen Teilbereich der typischer-
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weise einer Regierung zukommenden hoheitlichen Aufgaben aus, sodass sie über keine wirksame territoriale Kontrolle ihres Einsatzgebietes verfügen. In Einzelsituationen können Einsatzkräfte aber auf Grund der Setzung von Befehls- und Zwangsgewalt punktuell wirksame personale Kontrolle über die lokale Bevölkerung innehaben, die somit unter die Jurisdiktion der Entsendestaaten gelangen kann. In solchen Fällen kann Österreich im Zuge von Friedensoperationen zur Einhaltung der Grundrechte gegenüber der betroffenen Bevölkerung verpflichtet sein. Zur Erfüllung ihres internationalen Mandats brauchen die Soldaten aber auch einen gewissen Handlungsspielraum, der durch Grundrechtsverpflichtungen nur prima facie unzweckmäßig eingeschränkt wird. Tatsächlich gewährleisten nämlich die Bestimmungen der EMRK und insb der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit jenes Ausmaß an Flexibilität, das eine erfolgreiche Durchführung der Auslandsmission unter gleichzeitiger Beachtung der Menschenrechte möglich macht. Schließlich hat nicht jeder – im Auslandseinsatz zwangsläufig unvermeidliche – Eingriff in die Grundrechte per se eine Verletzung der betreffenden Konventionsnorm zur Folge. Somit erscheint weder die Gefahr der Überforderung der Soldaten noch eine drohende Trivialisierung der Menschenrechte ein stichhaltiges Argument gegen die Anwendbarkeit der Grundrechte im Auslandseinsatz zu sein. 14. Die Anwendbarkeit der Grundrechte bei Friedensoperationen kann im Regelfall weder durch eine Derogation nach Art 15 EMRK noch durch den Vorrang der spezielleren Vorschriften des humanitären Völkerrechts vereitelt werden. Während nämlich die Berufung auf die Notstandsklausel – selbst unter Heranziehung des einen Einsatz legitimierenden Ziels der Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit – am regelmäßigen Nichtvorliegen deren stringenter Voraussetzungen scheitern wird, geht die Anwendung des humanitären Völkerrechts als lex specialis gegenüber den Menschenrechten insofern fehl, als – mit Ausnahme echter peace-enforcement Einsätze – die genuinen Anwendungsbedingungen des humanitären Völkerrechts bei Friedensoperationen nicht gegeben sind. 15. Ebenso wenig existiert eine automatische Suspendierung der Grundrechte auf Grund des Vorrangs der Verpflichtungen aus der Satzung der Vereinten Nationen gemäß Art 103 SVN. Zwar zählen die Beschlüsse des Sicherheitsrats zu diesen Verpflichtungen, die
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Vorrangregel gelangt allerdings nur bei einem Konflikt unterschiedlicher Obligationen zur Anwendung. Während ein solcher Konflikt in jüngster Vergangenheit wiederholt bei der Frage der Grundrechtskontrolle individueller Wirtschaftssanktionen unter Kapitel VII SVN aufgetreten ist, lässt er sich im Bereich der Friedensoperationen infolge der Rechtsnatur der entsprechenden Sicherheitsratsresolutionen zumeist vermeiden: Deren Beschlüsse ermächtigen die Friedenstruppen nämlich nur zur Anwendung aller erforderlichen Mittel zur Wiederherstellung des Friedens und der internationalen Sicherheit und verweisen damit implizit auf die Verhältnismäßigkeit der eingesetzten Mittel, für deren Implementierung somit stets ein Spielraum zur grundrechtskonformen Ausgestaltung verbleibt. Selbst ohne jeglichen Ermessensspielraum bleibt, wie der EuGH jüngst festgehalten hat, eine Rechtskontrolle am Maßstab der EU-Grundrechte stets gewährleistet. 16. Der Rechtsschutz gegen grundrechtswidriges Verhalten österreichischer Einheiten kann infolge der umfassenden Immunität entsendeter Personen bloß in Österreich gesucht werden, trifft hier jedoch sowohl auf faktische als auch rechtliche Hindernisse. Infolge der Qualifizierung von Hoheitsakten entsendeter Bundesheersoldaten als Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt muss gemäß Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG eine Beschwerdemöglichkeit beim UVS bestehen; ungeregelt ist dabei aber welcher UVS für Auslandsakte zuständig sein soll – in analoger Anwendung erscheint dabei eine Zuständigkeit des UVS Wien sinnvoll. Eine vergleichbare Zuständigkeitslücke besteht im Anwendungsbereich des AHG bei Amtshaftungsklagen gegen die Republik Österreich wegen eines schädigenden Verhaltens österreichischer Soldaten im Auslandseinsatz. Im Hinblick auf die fragliche Effektivität des innerstaatlichen Rechtsschutzes kommt insb der Beschwerdemöglichkeit beim EGMR eine herausragende Bedeutung zu. Darüber hinaus soll die individuelle Verantwortlichkeit entsendeter Personen nach dem StGB bzw dem HDG zu deren grundrechtskonformen Verhalten beitragen. 17. Im Rahmen der ESVP erweitert die EU beständig ihre Kapazitäten zur Durchführung eigenständiger Friedensoperationen, die pro futuro den Schwerpunkt der Auslandseinsätze des österreichischen Bundesheeres darstellen werden. Für die Ausübung mitgliedstaatlicher Hoheitsgewalt bei solchen Operationen besteht jedenfalls
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eine vollumfängliche Bindung an die Unionsgrundrechte, die mangels Kontrollkompetenz des EuGH bloß subsidiär am Maßstab der EMRK vom EGMR kontrolliert werden kann. Gleichzeitig setzt die Union gegenwärtig verschiedene Maßnahmen zur Förderung nichtjudizieller Formen von accountability bei solchen Einsätzen.
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