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Dirk Holtbrügge, Hartmut H. Holzmüller, Florian von Wangenheim (Hrsg.) Management internationaler Dienstleistungen mit 3K
GABLER EDITION WISSENSCHAFT
Dirk Holtbrügge, Hartmut H. Holzmüller, Florian von Wangenheim (Hrsg.)
Management internationaler Dienstleistungen mit 3K Konfiguration – Koordination – Kundenintegration
GABLER EDITION WISSENSCHAFT
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009 Lektorat: Claudia Jeske / Hildegard Tischer Gabler ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-1778-2
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Vorwort Die Internationalisierung von Dienstleistungen hat in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Betrug deren Anteil am Bestand ausländischer Direktinvestitionen weltweit im Jahre 1990 noch 48,9%, so ist dieser bis 2006 auf 62,2% angestiegen. Gleichzeitig nahm global die Zahl der Beschäftigten im Dienstleistungssektor zu. In Deutschland waren im Jahre 2006 fast 70% aller Erwerbstätigen in diesem Bereich beschäftigt. Auch in vielen Emerging Markets wie China und Indien wächst der Dienstleistungssektor überproportional schnell. Ausländische Unternehmungen haben daran einen maßgeblichen Anteil. Trotz dieser großen Bedeutung sind Dienstleistungen in der Forschung noch unterrepräsentiert. Viele Lehrbücher zum Internationalen Management und Marketing sind – zumindest implizit – an Industrieunternehmungen orientiert. Dienstleistungen wird bestenfalls ein Unterkapitel gewidmet. Der vorliegende Sammelband will einen Beitrag dazu leisten, der internationalen Dienstleistungsforschung mehr Gewicht zu verleihen. Im Vordergrund stehen dabei die drei Aspekte der Konfiguration, Koordination und Kundenintegration internationaler Dienstleistungen. Neben drei konzeptionellen Beiträgen beinhaltet der Band sechs Fallstudien, die von der Unternehmungsberatung und IT-Dienstleistungen über Fluggesellschaften bis zu einem international tätigen Fußballclub reichen. Das Buch basiert auf einer starken Interaktion zwischen Wissenschaftlern und Praktikern. Wir möchten uns herzlich bei allen geduldigen und auskunftsbereiten Interviewpartnern in Deutschland, China, Indien, Russland und den USA bedanken. Ein besonderer Dank gilt den Gastautoren aus der Wirtschaft, die mit ihren Beiträgen das Buch wesentlich mitgestaltet haben. Die Mitarbeiter an den drei beteiligten Lehrstühlen tragen maßgeblichen Anteil am Zustandekommen des vorliegenden Bandes. Ihnen gilt ein besonderes Dankeschön. Ebenso wäre diese Publikation nicht möglich gewesen ohne die Förderung des Projekts „3K“ – Globale Strategien von Dienstleistungsunternehmungen. Konfiguration – Koordination – Kundenintegration“ durch das BMBF (FKZ 01HQ0603; http://3k-projekt.de/). Dem BMBF sowie den Koordinatoren der DLR, insbesondere Herrn Klaus Zühlke-Robinet, und unseren Partnerunternehmungen im Projekt, der Aconsite AG,
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GfK AG, Materna GmbH und Star Alliance Services GmbH, gilt daher unser spezieller Dank.
Dortmund, München und Nürnberg im März 2009 Dirk Holtbrügge Hartmut H. Holzmüller Florian v. Wangenheim
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Inhaltsverzeichnis Vorwort .......................................................................................................................... V Inhaltsverzeichnis ........................................................................................................VII
I. Konzeptionelle Grundlagen
Konfiguration in internationalen Dienstleistungsunternehmungen. Ein Rahmenkonzept ........................................................................................................ 3 Dirk Holtbrügge Koordination im internationalen Dienstleistungsmanagement. Herausforderungen und Gestaltungsansätze................................................................. 29 Julia Ingwald, Alexandra Nott, Hartmut H. Holzmüller Kundenintegration bei internationalen Dienstleistungen. Theoretische Einordnung, Motive und Herausforderungen ......................................... 57 Anne Scherer, Marcus Zimmer, Florian v. Wangenheim
II. Anwendungsbeispiele
Die Internationalisierung der Geschäftstätigkeit der ACONSITE AG. Kundenintegration, Konfiguration und Koordination bei einer international tätigen Unternehmensberatung ................................................................ 81 Thomas Lucht, Bernhard Amshoff
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Die Internationalisierung des FC Bayern München. Konfiguration, Koordination und Kundenintegration bei einem international tätigen Fußballclub ................................................................................ 111 Jonas F. Puck, Thorsten Wirth Länderübergreifende Konfiguration der Wertaktivitäten in der Luftfahrtindustrie. Eine komparative Studie der Fluggesellschaften Lufthansa und Ryanair .................. 129 Dirk Holtbrügge, Katja Wiedemann Konfiguration und Koordination von Unternehmungen in der Softwarebranche. Das Beispiel SAP ........................................................................................................ 173 Tassilo Schuster, Dirk Holtbrügge, Stefan Heidenreich Herausforderungen und Ansätze der grenzüberschreitenden Koordination eines Dienstleistungsunternehmens. Das Fallbeispiel der Business Unit „Information“ der MATERNA GmbH............... 203 Julia Ingwald, Hartmut H. Holzmüller, Martin Köpke Kundenintegration und Konfiguration in der Marktforschungsbranche. Data – Information – Knowledge. Kundenintegration und Konfiguration in der Marktforschungsbranche............................................................................................. 233 Marcus Zimmer, Anne Scherer, Florian v. Wangenheim
Autorenverzeichnis ..................................................................................................... 255
I. Konzeptionelle Grundlagen
Konfiguration in internationalen Dienstleistungsunternehmungen. Ein Rahmenkonzept
Dirk Holtbrügge, Universität Erlangen-Nürnberg Gliederung 1
Internationale Dienstleistungsunternehmungen und länderübergreifende Wettbewerbsvorteile
2
Begriffsdefinition internationaler Dienstleistungen
3
Formen der Konfiguration internationaler Unternehmungen
4
Implikationen für die Konfiguration internationaler Dienstleistungsunternehmungen
5
Branchentypologie internationaler Dienstleistungsunternehmungen
6
Beispiele
6.1 6.2 6.3 6.4
Absent Adapters: Das Beispiel Tourismus Distant Defaults: Das Beispiel Filmindustrie Close Customizers: Das Beispiel Fluggesellschaften Standardized Subsidiaries: Das Beispiel Hotel- und Gaststättengewerbe
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Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
D. Holtbrügge et al. (Hrsg.), Management internationaler Dienstleistungen mit 3K, DOI 10.1007/978-3-8349-9476-9_1,© Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009
Konfiguration in internationalen Dienstleistungsunternehmungen
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Internationale Dienstleistungsunternehmungen und länderübergreifende Wettbewerbsvorteile
Obwohl Dienstleistungen in vielen Industrieländern mehr als 50% des Bruttosozialprodukts ausmachen und in den letzten Jahrzehnten auch internationale Dienstleistungsunternehmungen an Bedeutung gewonnen haben, ist dieser Bereich bislang noch kaum erforscht. Abgesehen von wenigen Ausnahmen liegt der Schwerpunkt des Interesses bei der Untersuchung internationaler Unternehmungstätigkeit nach wie vor bei Sachleistungsherstellern. Dies führt dazu, dass die Problemfelder internationaler Unternehmungstätigkeit hauptsächlich aus der Perspektive von Industrieunternehmungen betrachtet werden. Dieses Missverhältnis wurde in zahlreichen Beiträgen über Dienstleistungsunternehmungen kritisiert (vgl. Gummesson 1994, S. 78 f.; McLaughlin/Fitzsimmons 1996, S. 43; Venard 2002, S. 57). Rugman/Girod (2003, S. 24) fordern in einer Untersuchung international tätiger Handelsunternehmungen deshalb, „that much more analytical attention needs to be directed to retail and other service-related business rather than to just manufacturing multinational enterprises“. Wie sehr die Internationalisierung auch für Dienstleistungsunternehmungen an Bedeutung gewonnen hat, unterstreicht der Bestand der im Dienstleistungssektor getätigten ausländischen Direktinvestitionen. So ist der Bestand ausländischer Direktinvestitionen im tertiären Sektor zwischen 1990 und 2006 von 948,9 Mrd. US-$ auf 7.720 Mrd. US-$ angewachsen. Gleichzeitig stieg deren Anteil am Gesamtbestand der weltweit getätigten Direktinvestitionen von 48,9% auf 62,2% an (vgl. UNCTAD 2008, S. 207). Damit einher geht ein zunehmender Wettbewerb, dem sich international agierende Dienstleistungsunternehmungen und ihre ausländische Tochtergesellschaften ausgesetzt sehen. Entgegen dieser großen praktischen Bedeutung internationaler Dienstleistungsunternehmungen liegen bislang kaum Untersuchungen vor, die Anhaltspunkte über deren spezifische Quellen von Wettbewerbsvorteilen geben. Von einem Wettbewerbsvorteil kann man sprechen, wenn es einer Unternehmung möglich ist, ihren Kunden eine Leistung mit einem für sie höheren Wert zum gleichen Preis oder eine Leistung mit vergleichbarem Preis zu niedrigeren Kosten anzubieten. Die Realisierung von Wettbewerbsvorteilen gegenüber konkurrierenden Unternehmungen resultiert dabei aus dem Zusammenspiel einer Vielzahl von internen und externen Aktivitäten. „Overall, advan-
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tage or disadvantage results from all a company’s activities, not only a few” (Porter 1986, S. 62). Im internationalen Kontext stellt vor allem die länderübergreifende Konfiguration von Wertaktivitäten ein Instrument dar, nachhaltige Wettbewerbsvorteile zu generieren. Diese basieren auf der Ausschöpfung drei unterschiedlicher Vorteilsquellen, nämlich Kostendegressionsvorteilen (economies of scale), Verbundvorteilen (economies of scope) sowie länderspezifischen Unterschieden (vgl. Ghoshal 1987, S. 428). Durch die gleichzeitige Realisierung dieser drei Vorteilsquellen können international tätige Unternehmungen Wettbewerbsvorteile realisieren, die rein national tätigen Unternehmungen nicht offen stehen. Während sich eine Vielzahl konzeptioneller und empirischer Untersuchungen mit der Konfiguration länderübergreifender Aktivitäten in Industrieunternehmungen beschäftigt (vgl. z.B. Birkinshaw/Morrison 1995; Fisch 2003; Holtbrügge 2005), gibt es nur wenige Beiträge, die den Fokus auf die Konfiguration internationaler Dienstleistungsunternehmungen richten. Dieser Beitrag will einen Beitrag dazu leisten, diese Forschungslücke zu schließen. Im folgenden Kapitel werden zunächst die Besonderheiten internationaler Dienstleistungsunternehmungen herausgearbeitet. Anschließend werden die unterschiedlichen Konfigurationsformen dargestellt, die international tätigen Unternehmungen zur Verfügung stehen, bevor deren Eignung für internationale Dienstleistungsunternehmungen analysiert wird. Die Analyse mündet in die Entwicklung von vier Idealtypen internationaler Dienstleistungsunternehmungen, die jeweils unterschiedliche Konfigurationsformen aufweisen. In Kapitel 6 werden diese Idealtypen anhand ausgewählter Beispiele illustriert. Das letzte Kapitel beinhaltet eine Zusammenfassung und die Ableitung von Implikationen für die zukünftige Forschung.
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Begriffsdefinition internationaler Dienstleistungen
Um die unterschiedlichen Formen der Konfiguration internationaler Dienstleistungsunternehmungen zu untersuchen, wird im Folgenden zunächst der Wesensgehalt des in Literatur und Praxis sehr weit gefassten Begriffs „Dienstleistung“ präzisiert und eine Klassifikation internationaler Dienstleistungen herausgearbeitet. Als Ausgangspunkt dient dabei der Ansatz von Meyer (1991, S. 197), der enumerative Definitionen, Nega-
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tivdefinitionen und merkmalsbezogene Ansätze zur Abgrenzung von Dienstleistungen unterscheidet. Bei enumerativen Definitionsversuchen wird versucht, aus Aufzählungen von Beispielen die wesentlichen Charakteristika einer Dienstleistung abzuleiten (vgl. Meyer 1991, S. 197). Sehr häufig ist diese Vorgehensweise verbunden mit der Erstellung von Branchenaufzählungen oder Wirtschaftszweigklassifikationen wie der amtlichen Statistik der Bundesrepublik Deutschland, in der bestimmte Leistungen dem tertiären Sektor zugeordnet werden. Eine ähnliche Vorgehensweise weisen Definitionsansätze auf, die den Dienstleistungsbegriff über Negativdefinitionen von Sachgütern abgrenzen (vgl. Meyer 1991, S. 197). Nach dieser Methode sind Dienstleistungen alle Leistungen, die nicht in die Gruppe der landwirtschaftlichen Güter und Produktionsgüter fallen. Dienstleistungen richten sich demnach nicht auf die unmittelbare Gewinnung, Verarbeitung oder Bearbeitung von Sachgütern (vgl. Bufka 1996, S. 22). Eine mögliche Einteilung von Dienstleistungen im Sinne dieser beiden Abgrenzungsmethoden bietet Abb. 1. Klassifikationsmerkmale Konsumbezogene Dienstleistungen Distributive Dienstleistungen Produktionsnahe Dienstleistungen Soziale Dienstleistungen Staatliche Dienstleistungen
Beispiele Hotel und Gastronomie, Tourismus, Unterhaltung, Medien und Kunst, Körperpflege Handel, Verkehr- und Transportwesen, Nachrichten, Telekommunikation Kredit- und Versicherungsgewerbe, Unternehmensberatung, Werbung, Immobilienverwaltung, Wirtschaftskammern und -verbände Gesundheits- und Erziehungswesen, Betreuung und Pflege, Wissenschaft Öffentliche Verwaltung, öffentliche Sicherheit und Ordnung
Abbildung 1:
Klassifikation von Dienstleistungen
Quellen:
In Anlehnung an Reisser/Schmid/Jahn (1989, S. 42 f.) und Deutsches Patent- und Markenamt (2003, S. 1 ff.)
Merkmalsbezogene Ansätze erfassen Dienstleistungen anhand ausgewählter Eigenschaften, auf deren Basis allgemeingültige Begriffsabgrenzungen erreicht werden sollen. Bufka (1996, S. 29) nennt sieben Kriterien zur Abgrenzung einer Dienstleistung:
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• Keine Möglichkeit der Vorratsproduktion • Eingeschränkte Wahrnehmungs- und Bewertungsmöglichkeit durch den Dienstleistungsnachfrager • Eingeschränkte rechtliche Schutzmöglichkeiten der Dienstleistungen vor Imitatoren • Keine konstanten Leistungsergebnisse und -qualitäten • Leistungsstandardisierung nur bedingt möglich • Kapazitätsauslastungsprobleme • Standortgebundenheit der Leistungserstellung Noch heterogener als die Auffassungen zum Dienstleistungsbegriff allgemein sind die vorliegenden Definitionen internationaler Dienstleistungen. Boddewyn/Halbrich/Perry (1986, S. 41) wiesen bereits 1986 auf das Problem hin, internationale Dienstleistungsunternehmungen definitorisch abzugrenzen. Auch Ekeledo/Sivakumar (1998, S. 277 f.) sind der Auffassung, dass Klassifizierungsschemata für (nationale) Dienstleistungen nicht für eine Typologisierung internationaler Dienstleistungen im Kontext grenzüberschreitender Unternehmungstätigkeit geeignet sind. Aus einem Überblick über mögliche Klassifizierungsversuche leiten sie in Anlehnung an Zeithaml/Parasuraman/Berry (1985, S. 34 f.) vor allem die Immaterialität als wesentliches Abgrenzungskriterium ab: „The fundamental difference between a service [..] and a manufactured good is intangibility“ (Ekeledo/Sivakumar 1998, S. 278). Basierend auf diesem einen Merkmal erscheint es jedoch kaum möglich, Implikationen für die Konfiguration internationaler Dienstleistungsunternehmungen abzuleiten. Den folgenden Ausführungen wird deshalb ein phasenbezogener Dienstleistungsbegriff zugrunde gelegt. „Basierend auf einer phasenbezogenen Betrachtung des gesamten Wertschöpfungsprozesses wird eine Dienstleistung aus einer Kombination der drei Leistungsphasen – der Potenzial-, Prozess- und der Ergebnisphase – mit den darin jeweils für konstitutiv erachteten Merkmalen hergeleitet“ (Frehse 2002, S. 31). In Anlehnung an diesen phasenbezogenen Dienstleistungsbegriff zeichnen sich internationale Dienstleistungen durch die folgenden drei Merkmale aus: Standardisierung der eingesetzten Potenzialfaktoren, Synchronität von Leistungserbringung und -inanspruchnahme sowie Einbeziehung eines externen Faktors: • Das konstitutive Merkmal der Potenzialphase bildet die Fähigkeit und Bereitschaft des Dienstleistungsanbieters, eine bestimmte Kombination der zur Erbringung einer Dienstleistung notwendigen internen (Potenzial-)Faktoren bereitzuhalten (vgl.
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Frehse 2002, S. 33ff.). Eine Dienstleistung wird als Angebot leistungsfähiger und -bereiter Faktoren interpretiert das „auf Grundlage von anbieterinternen Potenzialfaktoren durch Übertragung, Überführung und Konkretisierung der menschlichen oder maschinellen Leistungsfähigkeiten an externen Faktoren“ (Meyer 1991, S. 198) die Erstellung einer bestimmten Leistung ermöglicht. Das Absatzobjekt eines Dienstleisters bildet die allgemeine Bereitschaft, eine Leistung zu erbringen, die aus den Elementen Menschen, Maschinen oder Mensch-Maschinen-Systemen besteht und nach außen signalisiert wird (vgl. Corsten 1990, S. 24). Ein wesentliches Merkmal internationaler Dienstleistungsunternehmungen bildet dabei der Standardisierungsgrad der bereitgehaltenen Potenzialfaktoren. Die Möglichkeiten reichen hierbei von den beiden Idealtypen der völligen Standardisierung und weltweiten Vereinheitlichung der eingesetzten Potenziale bis hin zur vollständigen Differenzierung und lokalen Anpassung an die jeweiligen Gegebenheiten in den einzelnen Gastländern. • Die Prozessphase wird durch die Einbeziehung eines externen Faktors ausgelöst. Diesen externen Faktor bedarf es, um das potentielle Angebot des Dienstleistungserstellers während der eigentlichen Leistungserstellungsphase in eine bewertbare Marktleistung transformieren zu können (vgl. Stoor 1989, S. 100). Die notwendige Faktorenkombination des Anbieters wird ausschließlich von dem externen Faktor bestimmt (vgl. Frehse 2002, S. 36). Dabei ist der Erstellungsprozess durch die Synchronität von Erbringung und Inanspruchnahme einer Dienstleistung gekennzeichnet (uno-actu-Prinzip). Dies bedeutet, dass zwischen Dienstleistungsanbieter und -nachfrager keine Austauschbeziehung besteht, die ein Transferobjekt in Form einer Sachleistung zur Grundlage hat. Vielmehr wird die Dienstleistung als Absatzobjekt von dem Leistungsersteller direkt am externen Faktor vorgenommen. Die Prozessphase ist durch ein gewisses Maß an Immaterialität bestimmt, da der Kunde vor der endgültigen Fertigstellung der Leistung diese nicht eindeutig wahrnehmen oder bewerten kann (vgl. Frehse 2002, S. 37; Meyer 1991, S. 199). • Die Ergebnisphase bildet die eigentlich erbrachte Veränderung an dem eingebrachten externen Faktor ab. Sie wird als zeitpunktbezogenes Resultat des Produktionsprozesses betrachtet, die einen Abgleich zwischen gewünschter und erbrachter Leistung ermöglicht (vgl. Frehse 2002, S. 38). Im Idealfall sollte der Leistungserstellungsprozess zu dem gewünschten Dienstleistungsergebnis führen. Nur in die-
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sem Fall wird von einem Dienstleistungsergebnis gesprochen, das abschließend ein Urteil über die erbrachte Dienstleistungsqualität zulässt (vgl. Meyer 1991, S. 197).
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Formen der Konfiguration internationaler Unternehmungen
Eine international tätige Unternehmung steht kontinuierlich vor der Entscheidung, wie sie ihre Aktivitäten grenzüberschreitend auf verschiedene Standorte verteilen soll. Die Möglichkeiten der Konfiguration reichen dabei von den beiden Idealtypen der Konzentration einer Aktivität bis hin zur vollständigen Streuung. Konzentration bedeutet, dass eine bestimmte Aktivität an einem Standort ausgeführt wird, während diese bei einer vollständigen Streuung an jedem Standort erfolgt: • Die geographische Konzentration der Wertaktivitäten an einem Standort beinhaltet den Vorteil, Kostendegressionspotenziale ausschöpfen zu können. Diese bestehen insbesondere in globalen Branchen, in denen die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmung in einem Land von der Wettbewerbsfähigkeit in anderen Ländern abhängt. Häufig ist damit auch ein positiver Imageeffekt verbunden. Vor allem bei qualitativ sehr hochwertigen Dienstleistungen und positiven Country-of-originEffekten erwarten viele Kunden, dass diese im Herkunftsland der Unternehmung erbracht und nicht in Länder mit geringeren Qualitätsstandards ausgelagert werden (vgl. hierzu den Beitrag von Schuster/Holtbrügge/Heidenreich in diesem Band). Darüber hinaus bietet die geographische Konzentration der Wertaktivitäten einen besseren Schutz vor ungewollter Know-how-Diffusion. Dieser Vorteil ist insbesondere bei wissensintensiven Dienstleistungen relevant. Nicht zuletzt stellt die geographische Konzentration geringere Anforderungen an die länderübergreifende Koordination (vgl. dazu den Beitrag von Ingwald/Nott/Holzmüller in diesem Band). • Die geographische Streuung der Wertaktivitäten ermöglicht dagegen vor allem die bessere Anpassung an nationale Gegebenheiten. Dieser Vorteil ist insbesondere in Branchen relevant, in denen sich die Kundenanforderungen sowie die rechtlichen Rahmenbedingungen von Land zu Land stark unterscheiden. Ein Beispiel dafür ist das Gesundheitswesen, das in vielen Fällen eine parallele Konfiguration von Aktivitäten erfordert (vgl. dazu den Beitrag von Lucht/Amshoff in diesem Band). Mit der geographischen Streuung durch integrierte Konfiguration ist vor allem die Möglichkeit der Realisierung von komparativen Kostenvorteilen (Arbitragevortei-
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len) verbunden. Diese ergeben sich immer dann, wenn große Kostenunterschiede zwischen den bearbeiteten Ländern bestehen und z.B. arbeitsintensive Wertaktivitäten in Ländern mit geringen Lohnkosten durchgeführt werden. Die geographische Streuung erhöht zudem die Flexibilität und senkt das Internationalisierungsrisiko, da ungünstige Entwicklungen in einem Land (z.B. Streiks oder Nachfragerückgänge) durch die Verlagerung von Aktivitäten in andere Länder kompensiert werden können. Nach Porter (1986, S. 16) hängt die Höhe dieser Vorteile insbesondere von der Stellung der jeweiligen Wertaktivität in der Wertkette ab. Er argumentiert, dass die nachgelagerten Aktivitäten wie Ausgangslogistik, Marketing und Vertrieb eher mit dem Konsumenten verbunden sind und damit überwiegend in geographischer Nähe zu den wichtigsten Kunden angesiedelt sein müssen: „If a firm is going to sell in Japan for example, it usually must provide service in Japan and it must have salespeople stationed in Japan.“ Folglich neigen Unternehmungen eher dazu, diese Aktivitäten zu streuen. Vorgelagerte Aktivitäten wie Beschaffung und Eingangslogistik sowie unterstützende Aktivitäten wie das Informationssystem können laut Porter dagegen leichter vom Konsumenten entkoppelt werden und sind deshalb zumeist stärker regional konzentriert. Dies gilt vor allem für Branchen, in denen die technologische Entwicklung und die operativen Prozesse von großer Bedeutung zur Erzielung von Wettbewerbsvorteilen sind. Folgt man dieser Argumentation, werden Wettbewerbsvorteile im Rahmen der nachgelagerten Aktivitäten überwiegend länderspezifisch generiert. Wettbewerbsvorteile, die aus vorgelagerten oder unterstützenden Aktivitäten herrühren, sind dagegen zumeist länderübergreifender Natur und resultieren eher aus dem gesamten Länderverbund und weniger isoliert aus einzelnen Ländern, in denen eine Unternehmung tätig ist. Das Engagement einer Unternehmung in bestimmten Gastländern hängt damit nicht nur von der isolierten Bewertung der dort vorherrschenden Bedingungen ab, sondern ist das Resultat einer an der Effizienz der Gesamtunternehmung orientierten Entscheidung (holistische Perspektive). Als Ergebnis ergibt sich idealtypisch eine weltweit operierende Unternehmung, die in den einzelnen Ländern über stark spezialisierte, häufig auf einzelne Wertaktivitäten reduzierte und durch zahlreiche leistungswirtschaftliche Verflechtungen gekennzeichnete Tochtergesellschaften verfügt. Diese wiederum stellen nicht mehr verkleinerte Abbilder der Muttergesellschaft dar, sondern
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werden zu Elementen eines transnationalen Wertschöpfungsnetzwerkes (vgl. Welge/ Holtbrügge 2006, S. 147 ff.). Konfiguration der Wertaktivitäten geographische Konzentration
Stufen des Wertschöpfungsprozesses
geographische Streuung parallele Konfiguration
integrierte Konfiguration
Land A
Land B
• Kostendegressionsvorteile
• Anpassung an nationale Bedingungen
• Imagevorteile
• komparative Kostenvorteile (Arbitragevorteile)
• Schutz vor Know-howDiffusion
• Flexibilität
• geringer Koordinationsaufwand
• Risikominimierung
Abbildung 2:
Idealtypische Gestaltungsalternativen der länderübergreifenden Konfiguration der Wertaktivitäten
Quelle:
Eigene Darstellung in Anlehnung an Welge/Holtbrügge 2006, S. 148
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Implikationen für die Konfiguration internationaler Dienstleistungsunternehmungen
Legt man die im dritten Abschnitt herausgearbeiteten Begriffsmerkmale zugrunde, so wird deutlich, dass sich der Prozess der Wertschöpfung internationaler Dienstleistungsunternehmungen wesentlich von dem produzierender Unternehmungen unterscheidet. Das von Porter ursprünglich für Industrieunternehmungen entwickelte Konzept der Wertkette muss deshalb modifiziert und an die spezifischen Merkmale internationaler Dienstleistungen angepasst werden. „A revised value chain paradigm, which has a strong operational focus provides the missing tool“ (Armistead/Clark 1993, S. 225).
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Einen Anhaltspunkt dafür bildet das unten skizzierte phasenorientierte Konzept internationaler Dienstleistungen (vgl. Abb. 3). Die Potenzialphase umfasst dabei die vorgelagerten Aktivitäten im Sinne von Porter, die weniger auf den Kunden bezogen und daher häufig nicht an den Kundenstandort gebunden sind. Insbesondere stark standardisierende Unternehmungen halten ihre Einsatzfaktoren bereit, ohne bereits in diesem Wertschöpfungsstadium eine Konkretisierung an dem externen Faktor vorzunehmen. Innerhalb dieser Stufe kann die Wertkette in drei aufeinander folgende Schritte unterteilt werden. Zunächst muss in der Potenzialeingangslogistik sichergestellt werden, dass alle Einsatzstoffe für die folgende Prozessphase bereitgestellt sind. Sollte die Leistungserstellung örtlich mit der Leistungsbereitstellung auseinander fallen, erfordert der Wertschöpfungsprozess darüber hinaus eine Potenzialausgangslogistik. Hier wird sichergestellt, dass die bereitgestellten Einsatzfaktoren räumlich und zeitlich weltweit zur Leistungserstellung eingesetzt werden können. Da in der Potenzialphase durch die Bereitstellung entsprechender Einsatzfaktoren die Leistungsbereitschaft einer internationalen Dienstleistungsunternehmung signalisiert wird, bedarf es bereits in dieser Wertschöpfungsphase geeigneter Marketing- und Vertriebsanstrengungen, um potentielle Kunden auf die eigene Leistungsbereitschaft aufmerksam zu machen. Hierbei geht es also nicht um die Vermarktung von Konsum- oder Gebrauchsgütern, vielmehr wird das eigentliche Dienstleistungspotenzial kommuniziert. Unternehmungsinfrastruktur Personalwirtschaft Technologieentwicklung Beschaffung
Ergebnisphase Nachkontaktphase
Operationsausgangslogistik
Prozessphase
Operationen
Marketing und Vertrieb
Potenzialausgangslogistik
Potenzialeingangslogistik
Potenzialphase
Abbildung 3:
Wertkette internationaler Dienstleistungsunternehmungen
Quelle:
Holtbrügge/Kittler/Rygl 2004, S. 169
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Diese Kombination der Leistungsbereitschaft mit der externen Signalwirkung bildet die Grundlage der Prozessphase. In dieser wird die eigentliche Dienstleistung an einem externen Faktor vorgenommen. Wie zuvor hervorgehoben, spielt der Kunde nach dem uno-actu-Prinzip hierbei eine bedeutende Rolle. Entsprechend den bisherigen Überlegungen kann aber neben der eigentlichen Leistungserstellung auch noch die Operationsausgangslogistik unter die Prozessphase gefasst werden. Diese ist vor allem dann notwendig, wenn die räumliche Leistungserstellung und der Ort des eigentlichen Konsums auseinander fallen. In der Praxis ist das der Fall, wenn die Identität von Leistungserstellung und -inanspruchnahme nicht gegeben ist und sich die Unternehmung verpflichtet, den verarbeiteten externen Faktor am Standort des Konsums bereitzuhalten. In der Ergebnisphase besteht mit der Nachkontaktphase für die Konsumenten die Möglichkeit, die erbrachte Dienstleistungsqualität an den eigenen Erwartungen zu spiegeln. Daran anschließen können sich eventuell Beschwerden oder Reklamationen, die von der Unternehmung bearbeitet werden müssen. Für diese besteht wiederum die Möglichkeit, Maßnahmen der Kundenbindung zu implementieren. Der Beitrag von Holtbrügge/Wiedemann (in diesem Band) analysiert beispielhaft, wie sich diese Überlegungen auf Unternehmungen in der Luftfahrtindustrie übertragen lassen. Dabei zeigt sich die grundsätzliche Eignung des Wertkettekonzepts für Dienstleistungsunternehmungen. Die hier diskutierten primären Aktivitäten müssen jedoch weiter spezifiziert und an die Besonderheiten der Branche angepasst werden. Auch die unterstützenden Aktivitäten können sich von Branche zu Branchen unterscheiden. Im Folgenden wird deshalb eine Branchentypologie internationaler Dienstleistungsunternehmungen entwickelt, die die unterschiedlichen Formen der Identität von Leistungserbringung und -inanspruchnahme sowie der länderübergreifenden Standardisierung von Wertaktivitäten berücksichtigt.
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Branchentypologie internationaler Dienstleistungsunternehmungen
Die Definition des Begriffs der internationalen Dienstleistung im zweiten Abschnitt hat deutlich gemacht, dass sich diese vor allem durch drei Merkmale auszeichnen, nämlich die Standardisierung der eingesetzten Potenzialfaktoren, die Identität von Leistungserbringung und -inanspruchnahme sowie die Einbeziehung eines externen
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Faktors. Vor dem Hintergrund dieser drei konstituierenden Merkmale ergeben sich für die Konfiguration internationaler Dienstleistungsunternehmungen zwei zentrale Dimensionen: • Die erste Dimension beinhaltet den Grad der räumlichen Identität von Leistungserbringung und -inanspruchnahme. Dabei können internationale Dienstleistungsunternehmungen mit einer hohen und einer geringen räumlichen Identität unterschieden werden. Während bei Unternehmungen mit einer hohen räumlichen Identität nahezu alle Wertaktivitäten in räumlicher Nähe zum externen Faktor stattfinden (geographische Streuung), ist bei Unternehmungen mit einer geringen räumlichen Identität eine geographische Konzentration bestimmter Wertaktivitäten möglich. • Die zweite Dimension umfasst den Grad der Standardisierung von Wertaktivitäten. Auch hier sind zwei Extrempositionen denkbar: Während bei der vollständigen Standardisierung alle Wertaktivitäten weltweit einheitlich durchgeführt werden, um hohe Kostendegressionsvorteile zu erzielen, wird bei der lokalen Anpassung von Wertaktivitäten vor allem die Berücksichtigung und Ausnutzung von länderspezifischen Unterschieden angestrebt. Fasst man diese beiden Dimensionen als unabhängig voneinander auf und dichotomisiert die möglichen Ausprägungen, so ergibt sich die in Abb. 4 dargestellte Matrix, die vier Idealtypen internationaler Dienstleistungsunternehmungen beinhaltet: • Absent Adapters sind durch einen geringen Standardisierungsgrad ihrer Wertaktivitäten und eine geringe räumliche Identität von Leistungserstellung und -inanspruchnahme gekennzeichnet. Dies bedeutet, dass Leistungen nicht unmittelbar in der Nähe der Kunden erbracht werden müssen, sondern (z.B. mit Hilfe der Datenfernübertragung) von einem oder wenigen Standorten zu den Kunden transferiert werden können (remote services) (vgl. Holtbrügge/Holzmüller/v.Wangenheim 2007). Nationale Unterschiede lassen jedoch eine weltweite Standardisierung des Angebots nicht zu. • Im Unterschied dazu ist bei Distant Defaults auch eine weitgehende weltweite Standardisierung der Leistungen möglich bzw. zur Erzielung von Kostendegressionsvorteilen erforderlich. Gründe dafür können physikalische Gesetzmäßigkeiten, weltweite technologische Standards oder die Konvergenz von Konsumentenpräferenzen sein.
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• Close Customizers bieten wesentliche Elemente ihres Leistungsangebots in unmittelbarer räumlicher Nähe zu ihren Kunden an und müssen dabei in hohem Maße nationale Unterschiede berücksichtigen. Die spezifischen Merkmale der angebotenen Leistungen erfordern einen hohen Dezentralisierungsgrad, ohne dass technologische Standards oder die Konvergenz des Verbraucherverhaltens deren weltweite Standardisierung erlauben würden. • Standardized Subsidiaries sind schließlich durch die weitgehende Dezentralisierung und weltweite Standardisierung ihrer Aktivitäten gekennzeichnet. Gründe dafür können weltweit tätige Kunden sein, die in allen Ländern ein einheitliches Leistungsangebot nachfragen.
hoch
Räumliche Identität von Leistungserbringung und -inanspruchnahme
Close Customizers
Standardized Subsidiaries
• Fluggesellschaften
• Hotel- und Gaststättengewerbe
• Mobilfunkanbieter
• Autovermietung
• Banken
• Paketdienste
• Versicherungen
• Speditionen
Absent Adapters
Distant Defaults
• Tourismus
• Filmindustrie
• Steuerberatung
• Standardsoftware
• Unternehmungsberatung
• Kreditkartenanbieter
• Werbeagenturen
• EVUs
gering gering
hoch Standardisierung von Wertaktivitäten
Abbildung 4:
Branchentypologie internationaler Dienstleistungsunternehmungen
Quelle:
Holtbrügge/Kittler/Rygl 2004, S. 170
In den einzelnen Feldern der Matrix sind exemplarisch ausgewählte Dienstleistungsbranchen aufgeführt. Dem liegt die dem Industrial-Organization-Ansatz entlehnte Annahme zugrunde, dass der optimale Identitäts- und Standardisierungsgrad vor allem von spezifischen Branchenmerkmalen abhängt. Die Zuordnung der einzelnen Branchen erfolgt dabei nach dem dominierenden Identitäts- bzw. Standardisierungsgrad. Dies bedeutet, dass in Branchen, deren Standardisierungsgrad insgesamt sehr hoch ist,
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durchaus einige Aktivitäten lokal angepasst sein können. Gleiches gilt für den Zentralisations- bzw. Dezentralisationsgrad der einzelnen Wertaktivitäten. Im Folgenden werden anhand vier ausgewählter Dienstleistungsbranchen, die jeweils charakteristisch für die vier Idealtypen sind, unterschiedliche Formen der Konfiguration internationaler Dienstleistungsunternehmungen beispielhaft darstellt.
6 6.1
Beispiele Absent Adapters: Das Beispiel Tourismus
Das zentrale Merkmal der Tourismusbranche, die mit einem Anteil von 8% am Bruttoinlandsprodukt einen der wichtigsten Wirtschaftszweige in Deutschland darstellt (vgl. Pichler 2002), ist ein extrem hoher Preis- und Verdrängungswettbewerb. Da insbesondere die mengen- und wertmäßig bedeutsamen Pauschalreisen vom Kunden als weitgehend homogen angesehen werden, stellt der Preis häufig das wichtigste Differenzierungsmerkmal eines Anbieters dar (vgl. Pompl/Lieb 2002). Diese hohe Preissensibilität hat erhebliche Auswirkungen auf die Konfiguration von Wertaktivitäten, die sich beispielhaft anhand der TUI AG aufzeigen lassen. Die TUI AG mit den Geschäftsbereichen Touristik und Schifffahrt ist der größte Reiseveranstalter in Europa. Im Geschäftsjahr 2007 erzielte die TUI AG einen Umsatz von 21,9 Mrd. Euro und ein Ergebnis (bereinigtes EBITA) von 616 Mio. Euro. Die Zahl der Beschäftigten lag zum 31. Dezember 2007 bei 68.500 Mitarbeitern (vgl. http://www.tui-group.com). Das Hauptleistungsangebot von TUI bilden weltweite Pauschalreisen, die durch eine siebenstufige Wertschöpfungskette mit den Phasen Planung und Marketing, Reisebüro, Flug, Transfer, Hotel, Ausflug und Nachbetreuung gekennzeichnet ist (vgl. Macharzina/Fisch 2002, S. 178). Diese Stufen decken sich mit der obigen Unterteilung der Dienstleistungserstellung in die Potenzial-, Prozess-, und Ergebnisphase. Dabei fallen die Stufen Planung und Marketing sowie Beratung und Verkauf im Reisebüro in die Potenzialphase, in der mögliche Kunden über das Angebot von TUI informiert und das Leistungspotenzial aufgedeckt werden. Die Prozessphase der Leistungserstellung und -inanspruchnahme ist durch die Stufen Flug, Transfer, Hotel und Ausflug charakterisiert, während in der abschließenden Ergebnis-
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phase mögliche Reklamationen bearbeitet und Kundenbindungsmaßnahmen durchgeführt werden. Wie die meisten anderen Reiseveranstalter bietet TUI seine Produkte nahezu ausschließlich inländischen Kunden an. Die Potenzialphase mit den Stufen Planung und Marketing sowie Beratung und Verkauf von Pauschalreisen im Reisebüro findet somit geographisch konzentriert in Deutschland statt. Gleiches gilt für die Ergebnisphase der Nachbetreuung von Kunden. Demgegenüber ist die Prozessphase durch eine hohe Dezentralisation von Wertaktivitäten geprägt. Wie Macharzina/Fisch (2002) in einer empirischen Studie aufzeigen, werden die Wertaktivitäten in dieser Phase allerdings nur zu einem geringen Teil von TUI selbst, sondern überwiegend von externen Vertragspartnern durchgeführt. Während der Eigenanteil von TUI bei Planung und Marketing 100% beträgt, liegt dieser bei der Beratung und dem Verkauf von Pauschalreisen im Reisebüro nur bei 9%, beim wertmäßig bedeutsamen Flug bei 26% und beim Hotel bei 23%. Bei Transfer und Ausflügen ist der Eigenanteil zwar deutlich höher, diese beiden Wertschöpfungsstufen machen aber lediglich rund 4% der Gesamtleistung aus. Die weitgehende Abstinenz von TUI in der Prozessphase gilt vor allem für Fernreisen nach Asien, während der Eigenanteil bei Reisen in den Mittelmeerraum deutlich größer ist. Neben der geringen Kundennähe ist TUI durch einen relativ geringen Standardisierungsgrad der Wertaktivitäten gekennzeichnet. Zwar nimmt der Kunde bei allen Reisen ein weitgehend identisches Erscheinungsbild von TUI wahr, die internen Prozesse verlaufen jedoch stark differenziert. Ausdruck dafür ist etwa die große Zahl von Vertragspartnern, mit denen TUI in den unterschiedlichen Prozessphasen zusammenarbeitet. Ähnlich wie der Zentralisationsgrad ist auch der Standardisierungsgrad in der Prozessphase besonders gering. So unterhält TUI an den unterschiedlichen Reiseorten neben eigenen Hotels der Marken RIU, Grupotel, Iberotel und Grecotel auch Beziehungen zu einer Vielzahl von Partnerhotels. Ähnliches gilt für den Flug. Zwar verfügt TUI mit Hapag Lloyd über eine eigene Charterfluggesellschaft, mit der jedoch nur etwa ein Viertel aller Flüge abgewickelt werden. Daneben hat der Kunde die Möglichkeit, einen Flug einer beliebigen anderen Fluggesellschaft auszuwählen (vgl. Macharzina/Fisch 2002, S. 724). Während der Kunde TUI als standardisierten und in fast allen Ländern der Welt tätigen Veranstalter von weitgehend standardisierten Pauschalreisen wahrnimmt, beschränkt sich die Unternehmung tatsächlich auf die weitgehend im Heimatland stattfindende Bündelung von Teilleistungen einer Vielzahl heterogener und geo-
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graphisch verstreuter Vertragspartner. Deren Koordination findet mit Hilfe standardisierter Softwareprogramme wie z.B. Amadeus statt.
6.2
Distant Defaults: Das Beispiel Filmindustrie
Wohl kaum eine andere Branche ist durch einen derart hohen weltweiten Standardisirungsgrad bei gleichzeitig nahezu vollständiger geographischer Konzentration der Wertaktivitäten gekennzeichnet wie die Filmindustrie. Dies gilt sowohl für europäische (z.B. Gaumont, Pathé, UFA) und indische („Bollywood“) als auch für amerikanische Produzenten (z.B. MGM, Paramount, Universal). Während erstere außerhalb ihres Heimatmarktes aber kaum nennenswerte Umsätze erzielen, zählen letztere auch in vielen Ländern Europas, Asiens und Südamerikas zu den uneingeschränkten Marktführern. Amerikanische Filmunternehmungen führen nahezu den gesamten Prozess der Filmproduktion in ihrem Heimatland durch. Dies gilt für die Erstellung des Drehbuchs über die Finanzierung und das Casting und Marketing bis zum Filmdreh. Selbst Szenen, die in den Alpen oder am Eiffelturm spielen, werden häufig in Colorado oder Las Vegas gedreht. Auch die Postproduktion (Filmschnitt, Ton, Musik, u.a.) findet nahezu ausschließlich in den USA statt. Lediglich der Vertrieb in anderen Ländern wird überwiegend von Tochtergesellschaften wahrgenommen, deren Anteil an der gesamten Wertschöpfung jedoch nur gering ist (vgl. McDonald/Wasko 2008). Eine geringfügige Adaption an internationale Märkte beinhaltet zudem die häufig zu beobachtende Besetzung von Nebenrollen mit bekannten ausländischen Schauspielern, um die Exportchancen in deren Herkunftsländern zu steigern (vgl. Scott 2006). Der Grund für den extrem hohen Standardisierungs- und Zentralisierungsgrad sind nicht Größendegressionsvorteile, sondern das amerikanische Starsystem. Die Besetzung eines Films mit amerikanischen Starschauspielern gilt nicht nur in den USA, sondern aufgrund der „Kulturkompatibilität der Helden“ (Schröder 1995, S. 85) weltweit als Erfolgsgarantie für einen Film (vgl. Elberse 2007). Deren Gagen sind wiederum im Vergleich zu den gesamten Produktionskosten so hoch und deren zeitliche Verfügbarkeit so knapp, dass die Koordination der an einem Film beteiligten Personen über größere Entfernungen extrem kostenaufwendig wäre. Die Folge davon ist die weitgehende geographische Konzentration aller Phasen der Filmproduktion an einem Ort (Hollywood).
Dirk Holtbrügge
20
6.3
Close Customizers: Das Beispiel Fluggesellschaften
Fluggesellschaften stellen ein typisches Beispiel internationaler Dienstleistungsunternehmungen dar, die wesentliche Teile ihrer Leistungen in enger räumlicher Nähe zu ihren Kunden und mit einem hohen Differenzierungsgrad anbieten. Gründe dafür sind v.a. das hohe Potenzial länderübergreifender Kostendegressionsvorteile und das Verbot zum Verkehr zwischen Drittstaaten sowie zur Beförderung von Passagieren und Fracht innerhalb eines Drittstaates. Diese spezifischen Rahmenbedingungen haben in den letzten Jahren zur Gründung mehrer Strategischer Allianzen wie Oneworld, Skyteam und Star Alliance geführt, in denen nahezu alle großen Fluggesellschaften mit Partnern aus anderen Ländern zusammenarbeiten (vgl. Meffert/Netzer 2000). Ein Beispiel dafür ist die 1997 gegründete Star Alliance, an der neben der Deutschen Lufthansa 20 weitere Fluggesellschaften beteiligt sind (vgl. http://www.staralliance. com). Die Star Alliance ist keine eigenständige Unternehmung, sondern ein Netzwerk von Verträgen ohne Kapitalbeteiligung, deren Partner in vielen Bereichen miteinander kooperieren, in anderen dagegen Wettbewerber sind. Diese spezifische Form der Zusammenarbeit hat in allen drei Phasen des Leistungserstellungsprozesses zahlreiche Auswirkungen auf die Konfiguration von Wertaktivitäten (vgl. den Beitrag von Holtbrügge/Wiedemann in diesem Band). Ein zentrales Ziel in der Potenzialphase, die die Destinationsplanung, die Flugplanfestlegung, Ticketreservierung und -verkauf sowie das Marketing umfasst, besteht darin, durch die Koordination der Flugpläne die Flugzeiten zu verkürzen. Darüber hinaus soll durch die Zusammenlegung von Flügen deren Auslastung gesteigert und das Überangebot an Parallelflügen gesenkt werden. Im ersten Jahr der Zusammenarbeit hat dies bei der Lufthansa etwa zu einer Steigerung der Kapazitätsauslastung von 60 auf 74% geführt. Außerdem werden die Ticketreservierungen und der Verkauf zentral von den jeweils lokalen Allianzmitgliedern für alle Partner vorgenommen und so die lokale Infrastruktur bestmöglich ausgeschöpft. Für die Zukunft ist geplant, Abrechnungen weltweit zu konsolidieren und Geschäftskunden einheitliche Rabatte zu gewähren. Dazu wurde im September 2000 das EDV-System Starnet eingeführt, mit dem die EDVReservierungssysteme der Allianzpartner vernetzt worden sind. Zur Erzielung von Größendegressionsvorteilen und der Steigerung der Einkaufsmacht wurden darüber hinaus Teile der Beschaffung zentralisiert und die Stelle eines hauptamtlichen Einkaufs-
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managers eingerichtet. Insgesamt erwartet die Star Alliance dadurch Einsparungen in Höhe von 100 Mio. Euro jährlich. Während die Potenzialphase damit durch einen hohen Standardisierungs- und Zentralisationsgrad gekennzeichnet ist, zeichnet sich die wertmäßig bedeutsamste Prozessphase durch eine hohe Dezentralisierung und Differenzierung aus. Ein Beispiel dafür ist das „Landlord Concept“, das die Schaffung gemeinsamer Check-in- und TicketingLeistungen vorsieht. An den einzelnen Flughäfen werden unter Federführung der jeweils dominanten Gesellschaft die gesamten Airport- und Abfertigungs-Dienstleis-tungen für alle Mitglieder der Star Alliance aus einer Hand angeboten. So übernahm etwa in Frankfurt am Main die Lufthansa die Rolle des „Landlords“. Unter den gleich-berechtigten Markennamen „Deutsche Lufthansa“ und „Star Alliance“ ist sie für die Abfertigung der Passagiere aller Star Alliance-Mitglieder zuständig. Passagiere, die auf Anschlussflügen mit einem Allianzpartner weiterfliegen, erhalten zudem einen erheblichen Preisnachlass und müssen nicht noch einmal einchecken. Der dadurch be-wirkte Anstieg der Passagierzahlen wird auf etwa 10% beziffert. Gleichzeitig wurde vereinbart, dass die an dem jeweiligen Standort federführende Gesellschaft das Personal des zuvor eigenständig dort ansässigen Partners übernimmt. So wurden z.B. im November 1997 alle Mitarbeiter der Lufthansa in Kopenhagen (Dänemark) vom dortigen „Landlord“ SAS übernommen, während die SAS-Mitarbeiter in Frankfurt am Main zu „Lufthanseaten“ wurden. Bis 1999 wurde dieses „Landlord Concept“ an allen Drehkreuzen der Star Alliance eingeführt. Weitere Beispiele für die kundennahe Differenzierung der Wertaktivitäten in der Prozessphase sind die internationale Zusammensetzung der Flugbegleiter sowie die Auswahl der angebotenen Speisen und Getränke. So werden etwa auf Flügen der Lufthansa neben deutschen Flugbegleitern immer auch Angehörige des Abflugs- bzw. Ankunftslands eingesetzt, die über entsprechende Sprachkenntnisse verfügen und die jeweilige Kultur kennen (vgl. Holtbrügge/Wilson/Berg 2006). Gleiches gilt für die Anpassung der Speisen und Getränke an den jeweiligen Geschmack sowie religiöse Vorschriften. In der Ergebnisphase, in der die Abwicklung möglicher Beschwerden und Schadensmeldungen sowie Maßahmen der Kundenbindung wie Bonusprogramme oder regelmäßige Informationen über neue Flugangebote erfolgen, können die erbrachten Leistungen aufgrund der zunehmenden Vernetzung in der Prozessphase nur schwer einzelnen Allianzpartnern zugeschrieben werden. Dies erfordert eine gemeinsam koordinier-
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Dirk Holtbrügge
te Kundennachbetreuung. So können etwa gesammelte Bonusmeilen bei allen Mitgliedern eingelöst werden. Ebenso werden Beschwerden und Reklamationen von den jeweiligen lokalen „Landlords“ für die gesamte Star Alliance abgewickelt. Diese koordinierte Arbeitsteilung wird durch die gemeinsame EDV-Plattform Starnet erleichtert.
6.4
Standardized Subsidiaries: Das Beispiel Hotel- und Gaststättengewerbe
Weltweit tätige bzw. reisende Kunden, die in allen Ländern ein einheitliches Leistungsangebot nachfragen, haben in den letzten Jahren das Wachstum internationaler Hotel- und Gaststättenketten beschleunigt, die durch die weitgehende Dezentralisierung und weltweite Standardisierung ihrer Aktivitäten gekennzeichnet sind. Diese drängen häufig nationale bzw. lokale Anbieter vom Markt (z.B. Starbucks) oder akquirieren einheimische Unternehmungen und führen dort ihre eigenen weltweit gültigen Managementprinzipien ein (z.B. Holiday Inn). Ein Musterbeispiel einer Unternehmung des Hotel- und Gaststättengewerbes, die ihre internationalen Aktivitäten in einem hohen Maße standardisiert hat, ist die Schnellimbisskette McDonald’s. Nach anfänglichen Misserfolgen bei den ersten Auslandsengagements in Kanada, der Karibik und den Niederlanden, bei denen eine weitgehende Anpassung der Management- und Marketing-Instrumente an die jeweiligen nationalen Gegebenheiten erfolgte, wird seitdem in allen der inzwischen weltweit mehr als 15.000 nach dem Franchise-Prinzip geführten Filialen eine einheitliche Unternehmungspolitik mit nur minimalen Modifikationen realisiert. So sind z.B. die Einrichtung der Restaurants, das Produktangebot, die Zusammensetzung der Gerichte und die den jeweiligen Franchisenehmern auferlegten QSC-Vorschriften (quality, service, cleanliness) weltweit vereinheitlicht (vgl. Schneider 2007). Charakteristisch für McDonald’s ist nicht nur die weitgehende Standardisierung aller Wertaktivitäten, sondern auch die räumliche Nähe zu den Kunden. Dies gilt sowohl für die Prozessphase der eigentlichen Bewirtung als auch für die Potenzialphase. So führt etwa McDonald’s (2003) selbst zu seinen Filialen in Deutschland an: „Wenn Sie heute in ein McDonald’s Restaurant gehen, essen Sie bei einem deutschen Unternehmen. Unsere Rohstoffe stammen zum überwiegenden Teil aus Deutschland, unsere Lieferanten sind deutsche Unternehmen, unsere Mitarbeiter wohnen in Deutschland. Auch
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die McDonald’s Produkte sind teilweise nur in unseren deutschen Restaurants erhältlich.“ Die Durchsetzung einer weltweit einheitlichen Unternehmungspolitik wird neben dem hohen Standardisierungsgrad der internen Prozesse v.a. durch die Auswahl der Topmanager in den ausländischen Tochtergesellschaften gewährleistet, die häufig nicht aus den jeweiligen Gastländern stammen, sondern third country nationals sind. Geringfügige Anpassungen an nationale und lokale Gegebenheiten erfolgen lediglich bei der Standortpolitik und der Werbung. McDonald’s konnte durch diese Standardisierungsstrategie nicht nur erhebliche Kosteneinsparungen realisieren, sondern vor allem einen weltweiten Imagetransfer erzielen, der wesentlich für den Unternehmungserfolg verantwortlich ist (vgl. Love 1996; Pater 2003).
7
Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
Das Ziel dieses Beitrags war es, die Besonderheiten der Konfiguration internationaler Dienstleistungsunternehmungen herauszuarbeiten. Basierend auf einer phasenorientierten Definition wurden zunächst zwei zentrale Merkmale der Konfiguration, nämlich die räumliche Identität von Leistungserbringung und -inanspruchnahme und die Standardisierung von Wertaktivitäten, herausgearbeitet. Eine Dichotomisierung dieser beiden Merkmale ergab eine Matrix mit vier unterschiedlichen Idealtypen internationaler Dienstleistungsunternehmungen, die als absent adapters, distant defaults, close customers und standardized subsidiaries bezeichnet wurden. Die aus dieser Typologie ableitbaren Implikationen für die Konfiguration von Wertaktivitäten wurden anschließend anhand vier ausgewählter Beispiele des Tourismus, der Filmindustrie, der Luftfahrtindustrie und des Hotel- und Gaststättengewerbes illustriert. Die Beispiele haben insgesamt die Brauchbarkeit der entwickelten Idealtypologie aufgezeigt. Offen bleibt jedoch, ob die gemachten Aussagen auch für die anderen Branchen gelten, die den vier Typen internationaler Dienstleistungsunternehmungen zugeordnet wurden. Der zukünftigen Forschung bleibt zudem vorbehalten, die entwickelte Typologie in quantitativen Studien zu testen. Dabei sollte untersucht werden, welche sonstigen Einflüsse neben der Branche auf die Konfiguration von Wertaktivitäten einwirken und welche Zusammenhänge zwischen den jeweils praktizierten Formen der Konfiguration internationaler Dienstleistungsunternehmungen bestehen. Zudem stellt
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Dirk Holtbrügge
sich die Frage, welche Implikationen sich aus unterschiedlichen Formen der länderübergreifenden Konfiguration von Dienstleistungsunternehmungen für die Koordination der Aktivitäten sowie die Kundenintegration ergeben. Erste Anhaltspunkte dazu geben die folgenden Beiträge dieses Sammelbands.
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Koordination im internationalen Dienstleistungsmanagement. Herausforderungen und Gestaltungsansätze
Julia Ingwald, Technische Universität Dortmund Alexandra Nott, Technische Universität Dortmund Hartmut H. Holzmüller, Technische Universität Dortmund Gliederung 1
Problemstellung und Zielsetzung
2
Dienstleistungsmerkmale im internationalen Kontext
2.1 2.2
Qualitätsschwankungen Kapazitätsschwankungen
3
Herausforderungen an die Koordination im internationalen Dienstleistungsmanagement
4
Koordinationsmechanismen im internationalen Dienstleistungsmanagement
4.1 4.2 4.3
Hierarchische Koordination Heterarchische Koordination Hybride Koordination
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Zusammenfassung, Implikationen und Ausblick
D. Holtbrügge et al. (Hrsg.), Management internationaler Dienstleistungen mit 3K, DOI 10.1007/978-3-8349-9476-9_2,© Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009
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Julia Ingwald, Alexandra Nott, Hartmut Holzmüller
Problemstellung und Zielsetzung
Internationalisierung und Globalisierung sind schon lange keine neuartigen Themen mehr für Dienstleistungsunternehmen. Dienstleistungsunternehmen realisieren den Schwerpunkt ihrer Wertschöpfung häufiger im Gastland als herstellende Unternehmen (vgl. Vandermerwe/Chadwick 1989; Stauss 1994; Morschett 2007). Insgesamt gesehen ist die Bedeutung des Dienstleistungssektors beträchtlich. So wird der Anteil des Dienstleistungshandels am Welthandel auf 25% geschätzt, und der Anteil der Dienstleistungen an der deutschen Bruttowertschöpfung beläuft sich auf über 70% (World Trade Organization 2008). Durch das länderübergreifende Operieren teilen Unternehmen die Gesamtaufgabe auf geographisch verstreute Unternehmenseinheiten auf (vgl. Welge/Holtbrügge 2006). Aus der Arbeitsteilung bzw. Spezialisierung resultieren Interdependenzen und Schnittstellen. „Um die wirtschaftliche Einheit der Unternehmung zu wahren und ihr Leistungsvermögen über alle Länder hinweg wirtschaftlich zu gestalten“ (Dobry 1983, S. 3), ist die Abstimmung der geographisch verstreuten Unternehmenseinheiten auf die übergeordneten Ziele des Unternehmens notwendig (vgl. Porter 1986). Der Prozess dieser wechselseitigen Abstimmung wird in der Literatur zum internationalen Management mit dem Begriff Koordination belegt (vgl. Kutschker/Schmid 2008, S. 1013). Zur Erreichung der Abstimmung zwischen den unterschiedlichen Organisationseinheiten stehen internationalen Unternehmen unterschiedliche administrative Hilfsmittel zur Verfügung, die unter dem Begriff Koordinationsinstrumente bzw. -mechanismen firmieren (vgl. Martinez/Jarillo 1989, S. 490). Die internationale Managementforschung hat sich bislang vor allem auf Studien im Produktionsgüterbereich konzentriert. Es stellt sich deshalb die Frage, inwieweit die für Produktionsgüterunternehmen gewonnenen Erkenntnisse über Koordinationspraktiken auf Dienstleistungsunternehmen übertragen werden können. Dieser Sachverhalt wird in der Literatur kritisch diskutiert (vgl. Aharoni 2000; Welge/Holtbrügge 2006). Einerseits wird eine unmodifizierte Nutzung der Koordination postuliert, da die Unterschiede zwischen Produktions- und Dienstleistungsunternehmen keinen Einfluss auf die Art und Intensität der Koordination haben. Andererseits wird in der Literatur argumentiert, dass auf Grund der gutstheoretischen Besonderheiten von Dienstleistungsmerkmalen (vgl. von Wan-
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Julia Ingwald, Alexandra Nott, Hartmut Holzmüller
genheim/Holzmüller 2005) die Koordinationsinstrumente differenziert eingesetzt werden müssen. Eine auf diese Weise angepasste Koordination kann so „zu einem maßgeblichen Erfolgsfaktor der Internationalisierung im Dienstleistungsbereich“ werden (Bufka 1998, S. 200). Vor dem Hintergrund dieser konträren Positionen in der Koordinationsforschung im internationalen Dienstleistungsmanagement ist es Ziel dieses Beitrags, zu analysieren, in welchem Maße typische Ansätze zur Koordination und entsprechende Koordinationsinstrumente im internationalen Management von Relevanz für international tätige Dienstleistungsunternehmen sind. Hierfür werden zunächst die spezifischen Herausforderungen des internationalen Dienstleistungsmanagement diskutiert, die Besonderheiten der Koordination im Rahmen der Dienstleistungsvermarktung und -erstellung aufgearbeitet sowie schließlich die aus der Literatur zum internationalen Management bekannten Gestaltungsansätze zur Koordination beschrieben und auf ihre Bedeutung für das internationale Dienstleistungsmanagement geprüft.
2
Dienstleistungsmerkmale im internationalen Kontext
“Basierend auf einer phasenbezogenen Betrachtung des gesamten Wertschöpfungsprozesses wird eine Dienstleistung aus einer Kombination der drei Leistungsphasen – der Potenzial-, Prozess- und der Ergebnisphase – mit den darin jeweils für konstitutiv erachteten Merkmalen hergeleitet” (Frehse 2002, S. 31). Zudem lassen sich internationale Dienstleistungen nach Holtbrügge/Kittler/Rygl (2004, S. 167) durch die folgenden drei Merkmale charakterisieren: Standardisierung der eingesetzten Potentialfaktoren, Synchronität von Leistungserbringung und -inanspruchnahme sowie Einbeziehung eines externen Faktors, wie z.B. Kunden bei personengebundenen Dienstleistungen (siehe im Detail den Beitrag von Holtbrügge in diesem Band). So wie nationale Dienstleistungen sind internationale Dienstleistungen durch Immaterialität, Integration eines externen Faktors und der daraus resultierenden Synchronisation von Produktion und Konsumption geprägt. Im internationalen Kontext gilt es zu beachten, dass der Vermarktungs- und Erstellungsprozess von Dienstleistungen in einem komplexen Restriktionsrahmen, der zumindest von zwei involvierten Märkten geprägt ist, vonstatten geht. Typischerweise zählen zu den relevanten Umfeldbedingungen soziokulturelle (z.B. Sprache und Religion, Werte und Normen), geographische
Koordination im internationalen Dienstleistungsmanagement
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(z.B. Ressourcen, Infrastruktur), politisch-rechtliche (z.B. Heimat- und Gastlandrecht, internationales Recht, politische Stabilität) und ökonomische Determinanten (Marktgröße, Pro-Kopf-Einkommen; vgl. Dahringer 1991; Patterson/Cicic 1995; Clark/Rajaratnam/Smith 1996). Die nationalen Unterschiede in den Bedingungen resultieren z.B. in Interpretationsunterschieden von Qualitätsindikatoren in den jeweiligen Märkten, die aufgrund kultureller Differenzen bei der Bewertung von immateriellen Gütern auftreten können. Weitere Herausforderungen ergeben sich aus den Rahmenbedingungen im Hinblick auf die Integration des externen Faktors in den Dienstleistungsprozess. Hier sind unterschiedliche Muster der Interaktion zwischen Anbietern und Kunden oder Verhaltensmuster von Kunden zu beachten. Zudem können geographische, rechtliche oder ökonomische Bedingungen dazu führen, dass das Kapazitätsmanagement in unterschiedlichen Märkten nach sehr verschiedenen Kriterien gestaltet werden muss (vgl. Stauss 1995; Meffert/Bruhn 2009, S. 449 ff.). Wird die Relevanz des gesamten internationalen Restriktionsrahmens über die hier nur verkürzt genannten Facetten verdichtet, so ergeben sich daraus für das internationale Dienstleistungsmanagement vor allem zwei Herausforderungen, nämlich die Handhabung von Qualitäts- und Kapazitätsschwankungen. Qualitätsschwankungen können insbesondere durch die differente Integration des externen Faktors, den immateriellen Charakter von Dienstleistungen sowie durch kulturelle und geographische Unterschiede bedingt sein. Spezifische Probleme im Kapazitätsmanagement in internationalen Dienstleistungsunternehmen ergeben sich insbesondere aus dem Potenzialcharakter des Leistungsangebots, den geographischen Distanzen sowie politischen und rechtlichen Bedingungen (vgl. Abb. 1).
2.1
Qualitätsschwankungen
Dienstleistungsqualität kennzeichnet die Fähigkeit des Dienstleistungsanbieters, eine Leistung auf einem bestimmten Anforderungsniveau zu erstellen, das die Erwartungen der Kunden erfüllt. Im Mittelpunkt der Betrachtung steht der Kunde, dessen Anforderungen die Dienstleistung gerecht werden muss. Qualitätsschwankungen treten bei Dienstleistungen zum einen auf, weil Dienstleistungen immaterieller Natur sind, d.h. sie sind zum größten Teil nicht greifbar und können daher vor Erstellung nicht demonstriert, präsentiert und getestet werden. Gerade am Anfang der Internationalisierung ist es für Dienstleistungsunternehmen daher schwie-
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riger als für produzierende Unternehmen, ihre Glaubhaftigkeit im Ausland zu belegen (vgl. Sandmo 1987; Clark/Rajaratnam/Smith 1996). Durch die Bebilderung von Dienstleistungen mittels materieller Surrogate (z.B. Flugzeuge kommunizieren Flugleistungen) gelingt es im Heimatmarkt ohne Probleme, die Qualität glaubhaft zu vermitteln.
Internationale Rahmenbedingungen - Soziokulturelle Bedingungen - Makroökonomische Bedingung - Politisch-rechtliche Bedingungen - Geografische Bedingungen
Dienstleistungsmerkmale - Integration des externen Faktors - Immaterialität - Synchronisation von Produktion und Konsumption - Potenzialcharakter
Abbildung 1:
+
+
Qualitätsschwankungen
Kapazitätsschwankungen
Herausforderungen in der Dienstleistungsvermarktung und -erstellung im internationalen Kontext
In Märkten, die durch kulturelle Spezifitäten gekennzeichnet sind, stößt diese Symbolik möglicherweise auf Unverständnis oder Widerstand. D.h., dass jede länderspezifische, kulturell bedingte Art der Decodierung von Symbolen bei der „Materialisierung“ von Dienstleistungen zu beachten ist. Mit dem zunehmenden Grad internationaler Tätigkeit, also mit steigender Anzahl der bearbeiteten Länder bzw. Märkte, nehmen auch die Komplexität und Dynamik der zu beachtenden Rahmenbedingungen zu (vgl. Quelch 1999; Berthon/Pitt/Katsikeas/Berthon 1999). Des Weiteren sind international agierende Dienstleistungsunternehmen vermehrt mit Qualitätsschwankungen konfrontiert, da in der Dienstleistungserstellung der Kunde entweder persönlich mitwirken oder zumindest einen externen Faktor zur Verfügung stellen muss (vgl. Lovelock/Wirtz 2007, S. 17). Wenn Dienstleistungsanbieter und Nachfrager einen unterschiedlichen kulturellen Hintergrund haben, steigert dies nicht nur das subjektive Risiko des Nachfragers, sondern erschwert auch die (verbale wie nonverbale) Kommunikation und somit die Transaktion zwischen Anbietern und Kun-
Koordination im internationalen Dienstleistungsmanagement
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den (vgl. Clark/Rajaratnam/Smith 1996, S. 14). Kulturelle Interpretationsunterschiede umgehen Dienstleistungsunternehmen zumeist, indem sie beispielweise lokales Kundenkontaktpersonal einstellen. Da das Personal als Indikator für Dienstleistungsqualität steht (vgl. Friese 1998, S. 28), vermindern Dienstleistungsunternehmen auf den ersten Blick somit Missverständnisse bei der Diensterstellung vor Ort. Jedoch bleiben davon die mögliche kulturelle Diskrepanz, einhergehende Kommunikationsschwierigkeiten, Missverständnisse und Abstimmungsprobleme zwischen Stammhaus und Auslandseinheit unberührt. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass Qualitätsstandards zwar durch den Einsatz von lokalem Personal besser erreicht werden können, aber damit die grundsätzliche Problematik internationaler Qualitätsschwankungen nicht gelöst werden kann.
2.2
Kapazitätsschwankungen
Dienstleistungsunternehmen stehen immer vor der Herausforderung, eine Balance zwischen Kundennachfrage und Dienstleistungskapazität zu schaffen. Kapazitätsmanagement stellt sicher, dass die Ressourcen im Unternehmen vorhanden sind (z.B. verfügbare Autos bei einer Autovermietung, Anwälte in einer Kanzlei), welche das Unternehmen braucht, um die Dienstleistung zu erbringen und damit die Anforderungen der Nachfrager zu erfüllen (vgl. Klassen/Rohleder 2002, S. 527). Da Dienstleistungsunternehmen lediglich ein Leistungsversprechen anbieten und aufgrund mangelnder Transportierbarkeit die Dienstleistungserstellung zumeist in der Nähe des Kunden stattfindet (vgl. Välikangas/Lethinen 1994), stellt die Kapazitätsplanung und -nutzung eine schwierige Managementaufgabe dar. Das Management muss zum einen sicherstellen, dass das Leistungsversprechen unabhängig von Nachfrageschwankungen aufrecht erhalten werden kann. Zum anderen muss aber auch gewährleistet werden, dass Nachfrageschwankungen nicht zu nachhaltigen Beschäftigungsschwankungen führen (vgl. Ng/ Wirtz/Lee 1999, S. 234; Klassen/Rohleder 2001, S. 2). Insbesondere die typischerweise auftretende geringere Prognostizierbarkeit von zu erwartenden Nachfragemustern erschwert im internationalen Kontext das Kapazitätsmanagement. Eine Voraussage zu treffen, wann ein Kunde die Dienstleistung in Anspruch nimmt, wie viele Informationen und damit einhergehend Gespräche mit dem Anbieter der Kunde benötigt oder welche Änderungswünsche während der Dienstleistungserstellung der Kunde äußert, ist schwierig. Trotzdem und auch auf die Gefahr
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hin, dass ungenutzte Kapazitäten Leerkosten erzeugen, müssen Dienstleistungsunternehmen Kapazitäten aufrechterhalten (vgl. Hirsch 1989; Dahringer 1991). Mit den zunehmenden grenzüberschreitenden Entwicklungen der Dienstleistungsunternehmen werden auch die internationalen politischen Strukturen und Bedingungen des Gastlandes immer wichtiger. Gesetzesänderungen, Regulierungen und zwischenstaatliche Abkommen können die Kapazitätsplanung beeinflussen. Zum Beispiel geben einige Länder eine Quote vor, die die Anzahl von lokal ansässigen Mitarbeitern im Unternehmen festlegt. Andere Länder wiederum erschweren den Aufbau einer Niederlassung durch rechtliche Reglementierung.
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Herausforderungen an die Koordination im internationalen Dienstleistungsmanagement
Generell ist davon auszugehen, dass die Aufgabenfelder der internationalen Koordination in Dienstleistungsunternehmen sehr ähnlich sind wie in Unternehmen, die materielle Güter herstellen und vermarkten. Dennoch ergeben sich aus gutstheoretischen Überlegungen (vgl. von Wangenheim/Holzmüller 2005) heraus unterschiedliche Herausforderungen im Kontext von Dienstleistungen (vgl. Larsson/Bowen 1989). Um die Diskussion fokussiert zu gestalten, wird hier zum einen unter internationaler Koordination in Anlehnung an Morschett (2007, S. 164) die wechselseitige Abstimmung zwischen den einzelnen Einheiten eines international tätigen Unternehmens verstanden. Zum anderen beziehen wir uns im Folgenden auf Zielsetzungen, Felder und Basisstrategien der internationalen Koordination. Typischerweise ist die zentrale Zielsetzung im Rahmen der internationalen Koordination die Nutzung von Größeneffekten (Economies of Scale) entlang der betrieblichen Wertschöpfungskette unter gleichzeitiger Beachtung einer hohen Entsprechung der Unternehmensaktivitäten für die jeweiligen nationalen Bedingungsrahmen. Da Dienstleistungen in der Regel stärker kulturgebunden sind als die Mehrzahl materieller Güter, ergibt sich spezifisch für das Dienstleistungsmanagement ein höherer nationaler Anpassungsdruck. Die Erzielung von Wettbewerbsvorteilen durch Größeneffekte wird dadurch schwieriger (vgl. Zeithaml/Parasuraman/Berry 1990; Schneider/Bowen 1995; Heskett/Sasser/Hart 1999).
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Eine weitere typische Zielsetzung stellt darauf ab, dass Synergieeffekte zwischen den einzelnen bearbeiteten Märkten genutzt werden. Auch in diesem Fall ist naheliegend anzunehmen, dass aufgrund der stärkeren Kundennähe des Dienstleistungsgeschäfts sich grenzüberschreitende Lern-, Ergänzungs- und Unterstützungsprozesse schwieriger realisieren lassen als in Produktionsgüterunternehmen. Ähnliches gilt auch für die bereits implizit angesprochenen Zielinhalte der internationalen Qualitätssicherung und Kapazitätsnutzung. In beiden Fällen wird aufgrund der größeren Exponiertheit der Dienstleistungsvermarktung und -erstellung gegenüber dem jeweiligen Bedingungsrahmen vor Ort die internationale Koordination nur unter größerem Aufwand eine Zielerreichung ermöglichen. Im Hinblick auf die Felder der Koordination soll hier der Fokus auf die Abstimmung zwischen dem Stammhaus und den Auslandseinheiten sowie zwischen den einzelnen Auslandseinheiten gelegt werden. Grundsätzlich wird der Grad der Herausforderung in beiden Feldern sehr stark von der Ähnlichkeit bzw. Unterschiedlichkeit der Rahmenbedingungen, in denen die jeweiligen Willenszentren agieren, abhängen. Je stärker die Entsprechung, desto leichter wird ein hoher Grad an Koordination zu erreichen sein. Tendenziell ist aber auch aus diesem Blickwinkel zu erwarten, dass die Koordinationsaufgabe im Dienstleistungsbereich schwieriger zu gestalten ist als bei materiellen Produkten. Die Koordination zwischen einzelnen Länderaktivitäten wird sich aufgrund der Kundennähe, der Kulturgebundenheit und der geringen Flexibilität von Dienstleistungspotenzialen (z.B. Einrichtungen, Personal) schwierig gestalten und vermutlich auch zu geringen Wettbewerbsvorteilen führen (vgl. Morschett 2007). Größere Bedeutung kommt offensichtlich der Mutter-Tochter-Koordination zu. Bezüglich der Basisstrategien der internationalen Koordination, nämlich Standardisierung vs. Differenzierung und Zentralisation vs. Dezentralisation, kann im Dienstleistungsbereich davon ausgegangen werden, dass der Heterogenität und Eigenständigkeit mehr Bedeutung zukommt als im Management von Unternehmen, die materielle Produkte produzieren und vermarkten. Standardisierungsstrategien, die auf die konkrete Leistungserstellung zielen, werden aufgrund der Personalintensität des Dienstleistungssektors tendenziell weniger zur Erzielung von Wettbewerbsvorteilen und Steigerung von Produktivität beitragen, als dies im Produktbereich der Fall ist (vgl. Zeithaml/Parasuraman/Berry 1985; Wolf 1994). Die Standardisierung von Prozessen hinter der „Line of Visibility“ ist hingegen im Dienstleistungsbereich als ähnlich effektiv einzustufen (vgl. Harvey 1998). Im Bezug auf den Grad der Zentralisation kann
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unter Berücksichtigung der bereits angesprochenen gutstheoretischen Merkmale von Dienstleistungen davon ausgegangen werden, dass eine stärkere organisationale Tendenz weg vom Zentrum besteht (vgl. Morschett 2007). Typischerweise findet sich das bedeutsamere implizite Know-how (Tacit Knowledge) zur Erstellung von kundenorientierten Diensten eher an der Peripherie und nicht im Zentrum von internationalen Dienstleistungsanbietern. Für die Stammhausperspektive bedeutet dies, dass heterarchische Management- und Führungsstrukturen und damit stärker zwischen Niederlassung und Stammhaus balancierte Koordinationsstrategien den Erfordernissen des Geschäftstypus besser entsprechen.
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Koordinationsmechanismen im internationalen Dienstleistungsmanagement
Koordination hat zum Ziel, das Verhalten der Auslandseinheiten so zu beeinflussen, dass ein der Gesamtstrategie konformes Handeln gewährleistet wird. Dabei variiert Koordination zwischen hierarchischer und heterarchischer Form bzw. von “low – where each functional activity in different country sites is performed independent of all other sites, to high – where functional activities are tightly linked or integrated across geographical locations” (Roth 1992, S. 536). Hierarchische Koordination besagt, dass die Entscheidungsfindung immer auf einer übergeordneten Ebene stattfindet, aus der dann Handlungsvorgaben für die untergeordnete Ebene abgeleitet werden (vgl. Baliga/Jaeger 1984). Koordination soll in dieser Form dafür sorgen, dass lokale Entscheidungen in Bezug auf die Unternehmensstrategie getroffen werden. Heterarchische Koordination bezeichnet dagegen die Abstimmung zwischen gleichrangigen Entscheidungsträgern bzw. Ebenen (vgl. Hedlund 1986). Sie soll dafür sorgen, dass sowohl die Motivation und das Engagement als auch die Fähigkeit der Auslandseinheit, Leistungen an lokale Bedingungen (z.B. lokale Kundenbedürfnisse) anzupassen, nicht durch vorgegebene Strukturen eingeschränkt werden (vgl. Macharzina 1993, S. 327). Durch simultane Verwendung beider Koordinationsprinzipien entsteht hybride Koordination, die beispielweise zum Ziel hat, die Auslandseinheiten in die Entscheidungsfindung zu integrieren. Die Koordinationsprinzipien werden durch den Einsatz von Koordinationsinstrumenten bzw. -mechanismen umgesetzt. Koordinationsmechanismen sind administrative Hilfsmittel, die eingesetzt werden, um die unterschiedlichen Unternehmenseinheiten
Koordination im internationalen Dienstleistungsmanagement
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auf ein übergeordnetes Ziel hin abzustimmen. Theoretische und empirische Arbeiten zu Koordinationsmechanismen existieren in der Literatur in einer großen Vielzahl (vgl. Wolf 1994). Problematisch ist dabei, dass die Arbeiten sich auf unterschiedliche Spektren von Koordinationsmechanismen beziehen. Um die Frage zu klären, welche Instrumente zur Koordination der internationalen Dienstleistungsvermarktung und -erstellung geeignet sind, wurden zum einen die Instrumente berücksichtigt, die in der Literatur am häufigsten genannt werden (z.B. Planung, Formalisierung, Sozialisation). Zum anderen wurden auch Ansätze in die Betrachtung einbezogen, die in jüngster Zeit vermehrt in der Literatur zum internationalen Management diskutiert werden (z.B. Netzwerke, marktliche Koordination). Die Instrumente zur Umsetzung hierarchischer, hybrider und heterarchischer Koordination sind in Tab. 1 zusammengefasst: Hierarchische Koordinationsinstrumente
Hybride Koordinationsinstrumente
Heterarchische Koordinationsinstrumente
Planung
Globale Koordinationsgruppen
Unternehmenskultur/ Sozialisation
Programmierung
Netzwerke
Selbstabstimmung
Standardisierung
Marktliche Koordination
Persönliche Weisung Tabelle 1:
Spektrum der Koordinationsinstrumente internationaler Unternehmungen
Auch wenn die Herangehensweisen hier zur besseren Übersicht einzeln dargestellt sind, soll darauf hingewiesen werden, dass ein isolierter Einsatz unrealistisch ist. Angesichts der Komplexität der Unternehmensaktivitäten kann ein einzelner Koordinationsmechanismus nicht allen Anforderungen aus dem internationalen Bedingungsrahmen und den gutstheoretischen Besonderheiten gerecht werden. Eine Kombination verschiedener Ansätze in der internationalen Koordination ist daher typisch (vgl. Mc Cann/Galbraith 1981; Bufka 1997).
4.1
Hierarchische Koordination
Wie aus Tab. 1 zu entnehmen ist, zählen Planung, Programmierung, Standardisierung und persönliche Weisung zur hierarchischen Koordination.
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4.1.1
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Planung
Unter Planung werden periodisch wiederkehrende Vorgaben des Stammhauses an die Auslandseinheiten verstanden (vgl. Welge/Holtbrügge 2006, S. 167). Ziel der Planung ist es, Entscheidungsträger und alle an der Ausführung beteiligten Personen mit Information zu versorgen, damit die unternehmerischen Schritte für einen bestimmten Zeitraum festgelegt werden können. Das Ergebnis der Planung sind schriftlich fixierte Pläne, die Handlungsschritte vorgeben, welche zur Erreichung eines Zieles notwendig erscheinen. Bei der Planung agieren Personen unterschiedlicher Ebenen und Interdependenzen miteinander. Aus dieser Verkettung der einzelnen Unternehmensteile und aus der Verbindlichkeit der Vorgaben entsteht die Koordinationswirkung. In der Literatur zum Internationalen Management wird zwischen Zielplanung, Maßnahmenplanung und Ressourcenplanung unterschieden. Die Zielplanung, die beispielsweise die Festlegung der Zielinhalte, des Zielgebietes und des zeitlichen Bezugs umfasst, wird dabei sinnvollerweise vor dem Hintergrund erstellt, welche Maßnahmen zur Zielerreichung umgesetzt werden sollen und welche Ressourcen hierzu zur Verfügung stehen. Qualitative Kriterien werden in diesem Prozess in quantitative Größen transformiert (z.B. Umsatzerhöhung um 5% in 3 Jahren). Ob das Koordinationsinstrument Planung im internationalen Dienstleistungsbereich zur Vermeidung von Qualitätsschwankungen beitragen kann, wird in der Literatur nicht eindeutig geklärt. Auf der einen Seite wird vermutet, dass besonders die Auslandseinheiten, die eine hohe Interaktionsintensität mit dem Kunden aufweisen, eher durch die Planung in das Unternehmen integriert werden sollten (vgl. Morschett 2007). Hierzu wird argumentiert, dass es dem Stammhaus wichtig ist, dass die Auslandseinheiten die Ziele des Unternehmens (z.B. hohe Dienstleistungsqualität) kennen und verinnerlicht haben sowie ihre Maßnahmen danach ausrichten. Dies trifft typischerweise oftmals auf international tätige Unternehmensberatungen zu, wo es gilt, hohe Kundenzufriedenheit im Sinne lokaler Anpassungen unter strikter Beibehaltung der internationalen Qualitätsstandards, die das Renommee des Dienstleisters begründen, anzustreben. Auf der anderen Seite wird der Einsatz von Plänen im internationalen Dienstleistungsbereich als problematisch gesehen. Pläne bestehen aus quantitativen Größen, deren Realisierung angestrebt wird. Im Dienstleistungsbereich machen vor allem die Immaterialität und die daraus resultierende mangelnde Beurteilung der Leistung eine Quantifizierbarkeit schwierig. Bufka (1997, S. 127) geht davon aus, dass sich die man-
Koordination im internationalen Dienstleistungsmanagement
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gelnde Quantifizierbarkeit der Leistungserstellung und des -ergebnisses besonders problematisch auf die Ziel- und Maßnahmenplanung auswirkt. Er vermutet, „dass jene Tätigkeitsbereiche ausländischer Tochtergesellschaften, die stark von den Dienstleistungsbesonderheiten gekennzeichnet sind, nur im beschränkten Umfang mit Hilfe der Planung koordiniert werden“ können (vgl. Bufka 1997, S. 127). Für die internationalen Betreiber von Schnellrestaurants würde diese Einschränkung beispielsweise nicht gelten. Für international vermarktete Gesundheitsdienstleistungen ist die Relevanz dieser Einschätzungen höher. Der Einsatz von Planung im Kapazitätsmanagement in der hier definierten Form steht im internationalen Dienstleistungsmanagement vor großen Herausforderungen. Die Schwankungen der Nachfrage und deren schwierige Beeinflussung erfordern oftmals eine rasche und flexible Disposition über Dienstleistungspotenziale. Dies kann in den Zentralen der Stammhäuser nur bedingt geleistet werden und ist daher wenig geeignet.
4.1.2
Programmierung
Programmierung beinhaltet die schriftliche Fassung und Vereinheitlichung von Regeln, Handbüchern, Prozeduren etc. (vgl. Thompson 1967). Sie legt explizite und generelle Verhaltensrichtlinien, die die Durchführung bestimmter Aktivitäten betrifft, fest. Zum Beispiel sind mit den DIN ISO 9000 Normen Regeln geschaffen worden, die beschreiben, welchen Anforderungen Unternehmen genügen müssen, um einem bestimmten Standard bei der Umsetzung des Qualitätsmanagements zu entsprechen. Die Programmierung wird auch als Routinisierung des Entscheidungsverhaltens interpretiert (vgl. Hedlund 1981). Im Gegensatz zu Plänen, die an die Unternehmens- und Umweltbedingungen angepasst werden, legen Programme den Ablauf von Aktivitäten dauerhaft fest. Empfängern von Programmen wird dadurch zwar der Handlungsspielraum eingeschränkt. Dafür gelten Programme aber auch als Orientierungshilfe, da Handlungen und Erwartungen anderer Personen vorausgesehen und das eigene Verhalten dementsprechend angepasst werden kann. Zudem sind sie ein effizientes Mittel der Verbreitung von Wissen und Erfahrung, das in spezifischen Märkten gemacht wird. Programmierung ist demnach eine wichtige Form des internationalen organisationalen Wissensmanagements bzw. Lernens.
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Im internationalen Dienstleistungsbereich können Regeln, Programme und Handbücher zur Vermeidung von Qualitätsschwankungen wesentlich beitragen. Da das Mitarbeiterverhalten ein Indikator für Qualität darstellt, ist es notwendig, vor allem entsandte Mitarbeiter auf die Besonderheiten des Gastlandes (vor allem die Kultur) vorzubereiten. Wenn Mitarbeiter des Herkunftslandes im Gastland die Dienstleistung erstellen bzw. vermarkten sollen, gilt es, kulturelle Spezifitäten, typische Denkmuster und Verhaltensweisen sowie geltende Normen und Werte des Gastlandes zu beachten. Hier können beispielsweise Manuals für den Auslandseinsatz, Erfahrungsberichte von Mitarbeitern, Schulungen und Seminare die relevante Information weitergeben (vgl. Meffert/Bruhn 2006, S. 832 f.). Insbesondere Schulungen bzw. Trainings sind für Dienstleistungsunternehmen von besonderer Bedeutung. Für einfache, hoch standardisierte Dienstleistungen reichen in der Regel kurze Instruktionen aus (z.B. ein Manual für Mitarbeiter in Schnellrestaurants). Bei komplexen Tätigkeiten (z.B. in der Unternehmensberatung) sollten soziale Schlüsselqualifikationen (z.B. Sensibilität für soziale Hinweisreize, Vertrautheit der Mitarbeiter mit der Sprache und den Lebensgewohnheiten im Gastland) dem Kundenkontaktpersonal vermittelt werden (vgl. Nerdinger 1999). Zum Umgang mit Kapazitätsschwankungen können Programme insofern einen Beitrag leisten, als sie beispielsweise die Teilnahme an so genannten Cross-Trainings vorgeben (vgl. Klassen/Rohleder 2002). In dieser Art von Training wird Mitarbeitern die Arbeit der vor- bzw. nachgelagerten Einheiten erklärt und praktisch geübt, um im Bedarfsfall nicht nur die eigene Arbeit zu verrichten, sondern auch vor- bzw. nachgelagerte Aktivitäten übernehmen zu können. Auch diese Praktik ist wiederum stark abhängig von der Komplexität der entsprechenden Dienstleistung.
4.1.3
Standardisierung
Unter Standardisierung, neben der Programmierung auch ein Element der Formalisierung (vgl. Kenter 1985, S. 96 ff.), versteht man eine Vereinheitlichung von Maßen, Typen oder Verfahrensweisen mit dem Ziel, eine homogene Art der Aufgabenerfüllung zu sichern (vgl. Pugh/Hickson/Hinings/Turner 1968). Standardisierung ist v.a. dann bedeutend, wenn Auslandseinheiten Leistungen erbringen, die im Stammhaus oder von anderen Auslandseinheiten weiterverarbeitet werden. Vorteile der Standardisierung werden in der Nutzung von Kostendegressionsvorteilen, internationalen Lernund Ausstrahlungseffekten sowie der Rationalisierung unternehmensinterner Prozesse
Koordination im internationalen Dienstleistungsmanagement
43
gesehen. Dem steht jedoch gegenüber, dass international unterschiedliche Normen, Gesetzgebung und rechtliche Bedingungen eine länderspezifische Anpassung von Produkten bzw. Dienstleistungen erfordern und die Standardisierung erschweren (vgl. Holtbrügge/Kittler/Rygl 2004, S. 164). Im internationalen Dienstleistungsbereich stellt die Integration des externen Faktors eine häufige Herausforderung für die Standardisierung dar (vgl. Lovelock 1983; Dahringer 1991, S. 13; Bowen/Siehl/Schneider 1999, S. 76). Der Grund ist vor allem in den notwendigen kulturellen Anpassungen von Dienstleistungen an die Kundenbedürfnisse zu sehen. Da Standards, vor allem Qualitätsstandards, kulturell verankert sind, variieren sie im internationalen Kontext. Demzufolge ist die Standardisierung bei einem hohen Interaktionsgrad nur dann sinnvoll, wenn das Nachfrageverhalten zwischen den verschiedenen Ländern stark konvergent ist (vgl. Stauss 1995, S. 458). Dies ist typischerweise bei Schnellrestaurants der Fall und trifft auch auf Fluglinien zu, weil diese mit einer hohen internationalen Mobilität der Nachfrager und damit relativ ähnlichen Nutzungsmustern von Kunden mit unterschiedlicher Nationalität konfrontiert sind. Als unproblematisch ist der Einsatz der Standardisierung dann anzusehen, wenn der Interaktionsgrad zwischen Anbieter und Kunde gering ist, die Leistungen also relativ unabhängig vom Kunden erstellt werden. Auch Dienstleistungselemente, die gar nicht von der Kundenintegration betroffen sind (z.B. Back-Office-Tätigkeiten wie Informationsverarbeitung, Dokumentation) und damit einem geringeren kulturellen Anpassungsdruck unterliegen, weisen ein höheres Standardisierungspotenzial auf (z.B. Prozessstandardisierung in der Potenzialphase der Dienstleistungserstellung). Zur Vermeidung von Schwankungen in der Kapazitätsauslastung im internationalen Dienstleistungsbereich ist die Standardisierung kaum geeignet. Durch die Festlegung von Standards wird der flexible Spielraum der Auslandseinheiten auf die vorgegebene Alternative eingeschränkt. Für das Kapazitätsmanagement bedeutet dies beispielsweise, dass Mitarbeiter einzustellen sind, die im Ausland die gleichen Qualifikationsstandards wie im Inland erfüllen (vgl. Hübner 1996, S. 167). Dies führt dann zu Kapazitätsproblemen, wenn die Bewerber im Ausland den Qualifikationsstandards nicht entsprechen und damit kein ausreichend qualifiziertes Personal für das Dienstleistungsunternehmen zur Verfügung steht. Eine andere Alternative stellt dann die Entsendung von inländischen Mitarbeitern (z.B. in der Unternehmensberatung) dar, die entsprechend den Standards qualifiziert sind. Hier besteht jedoch die Gefahr, dass bei einer großen kulturellen Distanz zwischen Stammhaus und Auslandseinheit die Quali-
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Julia Ingwald, Alexandra Nott, Hartmut Holzmüller
fikationen der Mitarbeiter nicht ausreichen, um kulturelle Unterschiede in der Kundeninteraktion zu handhaben.
4.1.4
Persönliche Weisung
Durch persönliche Weisung wird der Entscheidungs- und Handlungsspielraum der Auslandseinheit auf eine einzige von der Zentrale vorgegebene Alternative eingeschränkt (vgl. Welge/Holtbrügge 2006, S. 97). Dieses Koordinationsinstrument beruht ausschließlich auf der direkten persönlichen Kommunikation. Die koordinative Wirkung wird durch die hierarchische Beziehung und die einhergehende Anweisungsbefugnis der übergeordneten Hierarchieebene (z.B. Zentrale) gewährleistet. Ein häufiger Besuchsverkehr von Vertretern der Auslandseinheit in der Zentrale und umgekehrt ist i.d.R. der Fall (vgl. Welge/Holtbrügge 2006, S. 179). Die persönliche Weisung ist ein relativ einfach gestaltetes Instrument, das durch die Organisationsstruktur und die ausschließliche Verwendung der vertikalen Kommunikation gekennzeichnet ist. Die Inhalte der Koordination können ad hoc bestimmt werden. Probleme entstehen, wenn komplexe oder zunehmende Koordinationserfordernisse die Informationsverarbeitungskapazität des vertikalen Kanals und der beteiligten Akteure überlasten. Im internationalen Dienstleistungsbereich ist zu vermuten, dass die persönliche Weisung eine untergeordnete Rolle spielt. Sowohl bei Qualitäts- als auch Kapazitätsschwankungen werden Vorgesetzte aufgrund der großen Bedeutung der lokalen Informationen relativ schnell überfordert sein. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass Entscheidungen, die ohne Berücksichtigung der konkreten Auswirkungen vor Ort getroffen werden, zu zusätzlichen Rückfragen führen. Aufgrund der Informationsasymmetrie zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern würde die Koordination über Weisung daher zu erheblichen Kosten führen. Besonders bedeutsam scheinen auch die motivationalen Effekte persönlicher Weisungen für die in einem Auslandsmarkt tätigen heimischen oder entsandten Mitarbeiter zu sein. Da Weisungen immer von den Personen abhängen, die sie erteilen oder widerrufen (hohe persönliche Färbung), und da durch die Weisung der Handlungsspielraum der Mitarbeiter vor Ort eingeschränkt wird, kann dies sehr leicht zu sinkender Arbeitszufriedenheit und folglich zu geringer Kundenorientierung führen (vgl. Kutschker/ Schmid 2008, S. 1045).
45
4.2
Julia Ingwald, Alexandra Nott, Hartmut Holzmüller
Heterarchische Koordination
Während hierarchische Koordinationsinstrumente primär bürokratische Koordination vorsehen (vgl. Baliga/Jaeger 1984), zielen heterarchische Instrumente auf „normative“ Steuerung, d.h. Mitarbeiter der Auslandseinheiten als auch der Zentrale übernehmen die Werte und Ziele des Unternehmens und richten ihr Verhalten auf diese aus (vgl. Hedlund 1986; Birkinshaw 1995). Den Auslandseinheiten wird mit diesem Koordinationsprinzip ein größerer Entscheidungsspielraum eingeräumt. Internationale Dienstleistungsunternehmen gewähren ihren Auslandseinheiten aus unterschiedlichen Gründen einen großen Entscheidungsspielraum und führen somit eher dezentral als zentral (vgl. Kriegmeier 2003; Morschett 2007). In Bezug auf die Herausforderungen werden sowohl Kapazitäts- als auch Qualitätsschwankungen als Gründe für eine Dezentralisierung angegeben. Da durch den Potenzialcharakter von Dienstleistungen eine Vorhaltung der Kapazitäten und damit Lagerung der erstellten Leistung nicht möglich ist, führt dies zu einem eingeschränkten bzw. mangelnden länderübergreifenden Kapazitätsausgleich (vgl. Lay 1998, S. 12). Die mangelnde „gegenseitige Nutzung von Dienstleistungskapazitäten in unterschiedlichen Ländern oder die Abgabe von Kapazitäten in andere Märkte“ (Morschett 2007, S. 596 f.) führt zu relativ geringen Leistungsströmen, was wiederum meist mit Dezentralisierung einhergeht. Um Qualitätsschwankungen auszugleichen, die aufgrund kultureller Distanzen entstehen, ist eine lokale Anpassung der Dienstleistung zweckmäßig. Lokale Anpassung bedeutet wiederum, dass Anpassungsentscheidungen vor Ort getroffen werden, da das Management der Auslandseinheit über umfangreichere Informationen als Entscheidungsbasis verfügt und daher flexibler und schneller reagieren kann. So sind beispielsweise in Bezug auf lokale Kundenanforderungen, Aktivitäten von Mittbewerbern oder Nachfrageentwicklungen vor Ort rasche und angepasste Reaktionen möglich.
4.2.1
Unternehmenskultur/Sozialisation
Unter Unternehmenskultur versteht man das „implizite Bewusstsein eines Unternehmens, das sich aus dem Verhalten der Organisationsmitglieder ergibt und das umgekehrt die formalen und informalen Verhaltensweisen der Individuen steuert“ (vgl. Scholz 1987, S. 88). Die Unternehmenskultur bzw. die verinnerlichten „shared values“ bilden für die Unternehmensmitglieder einen Orientierungsrahmen, der bestimmte In-
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terpretation sowie Handlungs- und Verhaltensweisen a priori ausklammert. Unsicherheiten bezüglich des eigenen Handelns als auch bezüglich der Erwartungen und Einschätzungen anderer Akteure im Unternehmen werden hierdurch verringert. Gerade für international operierende Unternehmen ist es wichtig, dass Individuen mit heterogenem Kulturhintergrund zusammenarbeiten können. Die Unternehmenskultur liefert hierbei eine Basis für eine bessere Abstimmung der Akteure im Hinblick auf gemeinsame betriebswirtschaftliche Ziele. Die Verinnerlichung der Unternehmenskultur erfolgt über die Sozialisation im Sinne eines „kulturellen Lernprozesses“ (vgl. Martinez/Jarillo 1991; Wiswede 1992, Sp. 2269 ff.). Sozialisation bedeutet, eine kognitive, affektive und verhaltensbezogene Assimilation der Mitarbeiter durch wiederholte bewusste und unbewusste psychische Beeinflussung (vgl. Martinez/Jarillo 1989, S. 491). Als Maßnahmen dienen laterale Beziehungen, informale Kommunikation, kulturkonforme Auswahl der Führungskräfte und Mitarbeiter als auch schriftliche Fixierung (z.B. Unternehmensphilosophie, Führungsgrundsätze) sowie Schulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen (vgl. Rühli 1992, Sp. 1173). Im internationalen Dienstleistungsbereich ist zu vermuten, dass die Unternehmenskultur besonders im Hinblick auf die Vermeidung von Qualitätsschwankungen eine große Rolle spielt. Vor allem die Integration des externen Faktors erfordert eine hohe Kundenorientierung des Kundenkontaktpersonals. Für Webster (1990, S. 348) ist der Mitarbeiter-Kunden-Kontakt das Aushängeschild für die Qualität der Dienstleistung: „[…] the kind of service culture on organizations has shown to those who are served. Hence, the nature and quality of products sold by service firms is much more a function of employee-customer-interactions than in the case of good firms”. Die Kundenorientierung lässt sich jedoch nicht „von oben“ verordnen, sondern muss beispielweise durch Dienstleistungsgrundsätze (z.B. „Dienen kommt vor Verdienen“ oder „Nicht High Tech, sondern High Touch“; vgl. Hilke 1989, S. 18 bzw. 29) verinnerlicht werden. Die Koordinationsmöglichkeiten über die Unternehmenskultur hängen sehr stark von der Qualifikation und Bindung des Personals an das Dienstleistungsunternehmen ab. Das Verkaufspersonal eines Schellrestaurants wird damit weniger zielgerichtet geführt werden können als Kundenkontaktpersonal von Fluglinien oder Unternehmensberatungen. Zusätzlich ist zu beachten, dass die koordinative Wirkung der Unternehmenskultur gerade bei großen kulturellen Distanzen zwischen Zentrale und Auslandseinheit an ihre Grenzen stößt.
Koordination im internationalen Dienstleistungsmanagement
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Beim Umgang mit Kapazitätsschwankungen spielt die Unternehmenskultur insofern eine Rolle, als sie qualifizierte Mitarbeiter möglichst langfristig an das Unternehmen binden soll. Insbesondere bei personalintensiven Dienstleistungsunternehmen hat das Humankapital eine wichtige Bedeutung. Je besser es geschult bzw. erfahren ist, umso höher kann die Fähigkeit sein, mit Überkapazitäten (z. B. Stresssituationen) als auch Unterauslastung (z.B. vorausschauende Terminplanung, Kundenakquise) umzugehen.
4.2.2
Selbstabstimmung
Während bei der persönlichen Weisung die Abstimmung vertikal in organisationalen Über- und Unterordnungsverhältnissen erfolgt, ist die Selbstabstimmung durch horizontale Kommunikation gekennzeichnet (vgl. Martinez/Jarillo 1991, S. 432). Voraussetzung ist einerseits die Hierarchiefreiheit und andererseits eine Überschaubarkeit der beteiligten Personen und Entscheidungsfelder. Die beteiligten Akteure stimmen gemeinsam ab. Zur Selbstabstimmung werden Leiterkonferenzen, die Einrichtung von Abstimmungsteams und die spontane länderübergreifende Selbstabstimmung gezählt. Bei allen Arten wird die Überlastung der Instanz, die insbesondere bei der persönlichen Weisung auftreten kann, umgangen. Die beteiligten Stellen können themenspezifische oder institutionalisierte Interaktionen flexibler handhaben und kommen durch die Gruppenzusammensetzung auch eher zu einem gleichberechtigten Interessensaustausch zwischen Zentrale und Auslandseinheit als beispielsweise bei hierarchischen Koordinationsinstrumenten (vgl. Wolf 1994, S. 170 ff.). Gerade bei Dienstleistungen, die sich durch eine hohe Immaterialität auszeichnen, eignet sich die Selbstabstimmung als Koordinationsmechanismus besonders gut. Osterloh/Boos (2001, S. 799) gehen davon aus, dass „das Koordinationsinstrument Selbstabstimmung umso mehr an Bedeutung gewinnt, je stärker die angebotene Dienstleistung den Charakter von Vertrauensgütern aufweist“. Auch Bufka (1997, S. 139) sieht die Selbstabstimmung in besonderem Maße für die Koordination internationaler Dienstleistungsunternehmen geeignet. Allerdings gibt er auch zu bedenken, dass die Selbstabstimmung mit hohem finanziellem und zeitlichem Aufwand verbunden ist. „Mit zunehmender Größe und zunehmender räumlicher Ausdehnung der internationalen Unternehmung dürfen daher sehr schnell Effizienzgrenzen erreicht werden“ (Bufka 1997, S. 139).
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4.2.3
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Marktliche Koordination
Im Rahmen der Transaktionskostentheorie sieht die marktliche Koordination den Austausch weitestgehend homogener Güter bzw. Leistungen im Kontext geringer Unsicherheit auf einem Markt vor. Wesentliche Kennzeichen der marktlichen Koordination sind eine hohe Autonomie der Transferpartner und ein preisgesteuertes, spontanes Handeln im Markt. Preise werden dabei als Bewertungsansätze verstanden, die für die grenzüberschreitende Lieferung und Leistung innerhalb eines Unternehmens festgelegt werden (vgl. Pausenberger 1992, S. 770). Die Akteure sind prinzipiell autonom und flexibel in Bezug auf die Auswahl ihrer Marktpartner. Nach Evaluierung der verschiedenen Anbieter, Leistungseigenschaften und Preise wählen die Nachfrager den Anbieter aus, der die beste Kombination aus Leistungsattributen und Preisen offeriert. Vereinfacht kann gesagt werden, dass die Nachfrage über den Preismechanismus zum preismäßig günstigsten Anbieter gelenkt wird. In Anlehnung an Picot (1993, S. 732) eignet sich die Abwicklung von Transaktionen über den Markt vor allem dann, wenn standardisierte Güter bzw. Leistungen Gegenstand dieser Transaktion sind. Dementsprechend ist der Einsatz von marktlicher Koordination in internationalen Dienstleistungsunternehmen nur dann sinnvoll, wenn die Spezifität der Dienstleistung niedrig ist. Hohe Spezifität führt aufgrund der Komplexität beispielsweise dazu, dass der Prozess der Transaktion schriftlich fixiert werden muss, was die Transaktion wiederum zeit- und kostenintensiv macht. Beispielsweise ist der Einsatz von marktlicher Koordination bei Beratungsdienstleistungen (hoher Grad an professionellen Fähigkeiten) als weniger erfolgreich einzustufen. Reich/Reihlen/Rohde (2006, S. 173) gehen davon aus, dass Beratungsunternehmen ihre grenzüberschreitenden Aktivitäten „eher unternehmensintern durch hierarchische Koordination als durch marktliche Koordinationsmechanismen“ organisieren. Auch in der Logistikbranche wird der Einsatz von marktlicher Koordination nur dann als zielführend erachtet, wenn es sich bei der Dienstleistung um standardisierte Transporte und weniger um individuell auf den Kunden angepasste Dienstleistungssysteme handelt.
4.3
Hybride Koordination
Die hybride Koordination versucht, durch die Integration der Auslandseinheiten in den Entscheidungsprozess der Zentrale Zentralisierungstendenzen zu vermeiden. Zu den
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hybriden Koordinationsformen zählen somit die Instrumente, die eine explizite länderübergreifende Partizipation anstreben.
4.3.1
Globale Koordinationsgruppen
Globale Koordinationsgruppen sind als partizipativer Koordinationsansatz weit verbreitet (vgl. Berndt/Altobelli/Sander 2003, S. 293). Je nach Aufgabenbereich sollten die Gruppen aus Vertretern bestimmter Auslandseinheiten und des Stammhauses zusammengesetzt sein. Sie erarbeiten tragfähige, standardisierte Konzepte für eine internationale Betätigung und sorgen für die Umsetzung sowie für die zusammenhängende Koordination. Durch die zweiseitige Ausrichtung der Planung soll das Gegenstromprinzip verwirklicht werden. Hervorzuheben ist hierbei, dass die Fachkompetenzen der einzelnen Länder akkumuliert werden und der Wissensaustausch gefördert wird. Die einseitige zentrale Orientierung wird für eine länderübergreifende Partizipation aufgegeben, was gleichzeitig zu einer hohen Leistungsmotivation der Auslandseinheiten führt. Koordinationsgruppen können je nach Inhalt aufgeteilt werden in Strategic Planning Groups, Creative Communications Groups, Research Groups, Creative R&D Groups sowie Personnel Groups (vgl. Raffée/Kreutzer 1986, S. 13 ff.). Beispielsweise setzen sich Marktforschungsgruppen mit der Bestimmung strategischer Schlüsselmärkte oder der Identifizierung länderübergreifender Zielgruppen auseinander. Für den internationalen Dienstleistungsbereich wird vermutet, dass sich globale Koordinationsgruppen in hohem Maße eignen, um Qualitätsschwankungen besser in den Griff zu bekommen. Durch den Wissensaustausch lassen sich Erfahrungen bzw. Best Practices der einzelnen Auslandseinheiten sowie des Stammhauses in andere Länder transferieren und damit ein aktives internationales Wissensmanagement betreiben. Zum Umgang mit Qualitätsschwankungen können beispielsweise Personnel Groups tragfähige, standardisierte Konzepte in Form von Manuals erarbeiten, die sich explizit mit der Umgangsform in der Kundeninteraktion befassen. Konzepte zur Reduzierung von Schwankungen in der Kapazitätsauslastung lassen sich in globalen Koordinationsgruppen dagegen weitaus schwieriger realisieren. Als ein Hauptgrund gilt hierfür, dass wenig transparente Nachfragemuster in den einzelnen Ländern vorliegen. Die globale Koordinationsgruppe würde viel Zeit investieren müssen, um Informationen über alle beeinflussenden Faktoren der einzelnen Länder zu-
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sammenzutragen und sich ein Bild des Nachfrageverhaltens machen zu können. Zeitund Kostenaspekte würden diesen Aufwand nicht rechtfertigen.
4.3.2
Netzwerke
Netzwerke bestehen aus Knoten (Akteure) und Kanten (Beziehungen). Da in diesem Beitrag der Fokus auf die intraorganisationale Abstimmung gelegt wurde, stellen das Stammhaus und die Auslandseinheiten Knoten im Netzwerk dar. Durch diese Betrachtungsweise wird die hierarchische Strukturierung im Unternehmen zugunsten einer horizontalen Gliederung aufgegeben. Auslandseinheiten stehen im Netzwerk eher in Interdependenzbeziehungen mit anderen Akteuren (z.B. Stammhaus, weitere Auslandseinheiten), statt in einseitigen Abhängigkeitsverhältnissen (vgl. Birkinshaw 2001, S. 387). Einige Merkmale für Dienstleistungsnetzwerke finden sich in internationalen Franchisesystemen. Die Franchisepartner von Schnellrestaurant-Ketten sind gegenseitig voneinander abhängig und werden im Netzwerk unter einem international einheitlichen Marktauftritt geführt (vgl. Ahlert/Evanschitzky 2003, S. 49). Das Hauptmerkmal von Netzwerken sind zumeist langfristige und informelle Beziehungen, die auf Basis von Vertrauen beruhen (vgl. Powell 1990, S. 330 ff.). Vertrauen erleichtert die Verhaltensabstimmung. Durch Vertrauen wird beispielsweise opportunistisches Verhalten der beteiligten Akteure, welches das Netzwerk gefährdet, vermindert, und es werden Handlungsalternativen aufgebaut, die ohne Vertrauen nicht entstehen können. Für die Entwicklung von Vertrauen sind der offene Austausch von Information und einher gehende positive Erfahrungen von hoher Bedeutung. Neue Informations- und Kommunikationstechnologien wie Videokonferenzen können diesen Austausch erleichtern und leisten zudem einen Beitrag zur Reduktion der Komplexität in Netzwerken. Auf Basis der Inhalte und der Ziele (informell oder vertraglich, begrenzter oder unbegrenzter zeitlicher Horizont) wird die Koordination vereinbart (vgl. Schubert 2008, S. 10). Neben dem indirekten Koordinationsmechanismus des Vertrauens werden in der Netzwerkliteratur auch hierarchische und heterarchische Mechanismen als geeignet angesehen, Netzwerke zu koordinieren (so genannte direkte Mechanismen; vgl. Bruhn 2003, S. 17). Wichtig ist bei direkter Koordination, dass den beteiligten Akteuren eine Mindestautonomie zugestanden wird.
Koordination im internationalen Dienstleistungsmanagement
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Nach einer Studie von Ahlert/Evanschitzky (2003) haben Netzwerke als Koordinationsform einen hohen Stellenwert in internationalen Dienstleistungsunternehmen. Dienstleister, die als Netzwerk organisiert sind, können innerhalb klar definierter Grenzen autonom entscheiden sowie flexibel und kundennah agieren (vgl. Ahlert/ Evanschitzky 2003, S. 407). Der Transfer von Ideen und Anregungen aus anderen Unternehmenseinheiten bereichert das Netzwerk. So können beispielsweise ein intensiver Informationsaustausch über kulturelle Besonderheiten zwischen den Akteuren und eine intensive Verarbeitung dieser Informationen dazu beitragen, dass die Ursachen von Qualitätsschwankungen verstanden und Lösungsansätze (z.B. Effektivitäts- und Effizienzkriterien zur Erreichung von Qualitätsstandards) entwickelt werden. Grundsätzlich sind internationale Netzwerkstrukturen geeignet für Kapazitätsmanagementaufgaben. Die Verschiebung von Potenzialfaktoren (z.B. Flugzeuge) über einzelne Standorte hinweg ermöglicht eine Flexibilisierung der Kapazitäten vor Ort. Eine Voraussetzung dafür ist, dass entsprechende Kommunikationsstrukturen vorhanden sind und diese zweckmäßigerweise über eine zentrale Schnittstelle (z.B. Stammhaus) organisiert werden.
5
Zusammenfassung, Implikationen und Ausblick
Im vorliegenden Beitrag wurden Koordinationsmechanismen bzw. -instrumente aus der betriebswirtschaftlichen Literatur, die international tätige Produktionsunternehmen im Fokus haben, aus dem Blickwinkel dienstleistungsspezifischer Besonderheiten reflektiert. Durch die Verschränkung von gutstheoretischen Dienstleistungsmerkmalen und den internationalen Rahmenbedingungen, welche die Bearbeitung von Auslandsmärkten determinieren, ergab sich eine Fokussierung auf zwei spezifische Herausforderungen, nämlich die Vermeidung von Qualitätsschwankungen international angebotener Dienstleistungen und die Kapazitätsplanung und -auslastung im internationalen Dienstleistungsgeschäft. Es wurde die Eignung der Koordinationsinstrumente zum Einsatz im internationalen Dienstleistungsmanagement vor dem Hintergrund der Herausforderungen diskutiert und bewertet. Die wesentlichen Ergebnisse der Analyse werden in Tab. 2 knapp zusammengefasst und können als Ausgangspunkt für vertiefende empirische Forschung genutzt werden.
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Julia Ingwald, Alexandra Nott, Hartmut Holzmüller
Die vorgestellten Thesen im Hinblick auf die konkrete Eignung der Koordinationsansätze für internationale Dienstleistungsunternehmen bedürfen einer vertiefenden Auseinandersetzung. Eine relevante Forschungsaufgabe stellt sich im Hinblick auf die Frage, wie den skizzierten Herausforderungen durch den zielgerichteten Einsatz von differenten Koordinationsansätzen und -instrumenten begegnet werden kann. Zudem sollte der Frage nach den internen und externen Faktoren, welche die Effizienz der Koordination im internationalen Dienstleistungsgeschäft maßgeblich beeinflussen, nachgegangen werden. Koordinationsmechanismen bzw. -instrumente Planung Programmierung Standardisierung Persönliche Weisung Unternehmenskultur/Sozialisation Selbstabstimmung Marktliche Koordination Globale Koordinationsgruppen Netzwerke
Verminderung von Qualitätsschwankungen + ++ + -++ ++ -++ ++
Verbesserung der Kapazitätsanpassung + --+ + +
Legende: ++ sehr gute Eignung, + gute Eignung, o neutrale Eignung, - weniger gute Eignung, -- schlechte Eignung
Tabelle 2:
Eignung der Koordinationsinstrumente zur Verminderung von Qualitätsschwankungen und Verbesserung der Kapazitätsanpassung
Eine intensivere Auseinandersetzung mit diesem Objektbereich scheint überaus erstrebenswert, um internationalen Dienstleistungsunternehmen ein besseres Instrumentarium zur Stärkung der Wettbewerbsposition an die Hand zu geben.
Koordination in internationalen Dienstleistungsunternehmungen
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Kundenintegration bei internationalen Dienstleistungen. Theoretische Einordnung, Motive und Herausforderungen
Anne Scherer, Technische Universität München Marcus Zimmer, Technische Universität München Florian v. Wangenheim, Technische Universität München Gliederung 1
Problemstellung
2
Theoretische Einordnung der Kundenintegration bei Dienstleistungen
2.1 2.2 2.3
Begriffbestimmung und -abgrenzung der Kundenintegration Abgrenzung zur Kundenintegration bei Sachleistungen Typologie möglicher Integrationsformen bei Dienstleistungen
3
Motive der Integration in den Leistungserstellungsprozess
3.1 3.2
Integrationsmotive des Anbieters Integrationsmotive des Kunden
4
Herausforderungen bei der Kundenintegration in internationale Dienstleistungen
4.1 4.2
Kulturelle Aspekte des Integrationsverhalten der Kunden Konfiguration und Koordination des Unternehmens
5
Ausblick
D. Holtbrügge et al. (Hrsg.), Management internationaler Dienstleistungen mit 3K, DOI 10.1007/978-3-8349-9476-9_3,© Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009
Kundenintegration bei internationalen Dienstleistungen
1
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Problemstellung
Im Rahmen der Internationalisierung von Dienstleistungen gewinnt die Kundenintegration zunehmend an Akzeptanz und Anwendung. So können Kunden etlicher Banken inzwischen weltweit kostenlos an einem Geldautomaten auf ihr Guthaben zugreifen, anstatt mit Hilfe des Servicepersonals am Bankschalter zu Bargeld zu gelangen. Auch in der Flugindustrie sind Kunden unlängst an eine derartige Mitarbeit gewöhnt, denn auch hier können sie an sogenannten „Self Check-In“-Automaten der Airline eigenständig für ihren Flug einchecken. Waren Kunden hier noch vor einigen Jahren auf die Arbeit des Servicepersonals angewiesen, können sie sich heute aktiv am Leistungserstellungsprozess beteiligen. Im Gegensatz zur klassischen Dienstleistung geht dabei die Beteiligung des Kunden weit über das übliche Maß hinaus, indem er aktiv Arbeiten des Unternehmens übernimmt oder zusätzliche Informationen und Inputs liefert. Immer mehr Dienstleistungsunternehmen entdecken diese Möglichkeit für sich, durch eine derartige Integration des Kunden die eigene Effizienz und Effektivität zu erhöhen, während der Kunde von einer flexiblen und individuellen Leistung profitiert. Der Kunde wandelt sich damit vom reinen Wertschöpfungsempfänger zum Wertschöpfungspartner oder auch Co-Produzenten. Dieser Wandel stellt Unternehmen jedoch vor eine neue Herausforderung. Während diese in der Vergangenheit allein auf eine Optimierung unternehmensinterner Prozesse ausgerichtet waren, muss nun der Kunde als externer Faktor verstärkt in die Betrachtung einbezogen werden. Die Konfiguration der Wertschöpfungsaktivitäten muss so die Relevanz des Kunden im Leistungserstellungsprozess berücksichtigen und interne wie externe Ressourcen des Unternehmens effizient kombinieren. Zudem müssen Kundenbeiträge geeignet koordiniert werden, damit die Qualität der Inputs gewährleistet werden kann. Dies ist durchaus bedeutsam, da der Kunde durch die aktive Leistungsübernahme einen beachtlichen Beitrag zur Qualität des Ergebnisses leistet. Vor diesem Hintergrund ist es Ziel dieses Beitrages, durch eine Abgrenzung und Typologisierung verschiedener Kundenintegrationsarten ein Grundverständnis zur Kundenintegration zu schaffen sowie Motive und Herausforderungen einer Kundenintegration im internationalen Kontext aufzuzeigen. Hierzu soll im Folgenden zunächst die
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Anne Scherer, Marcus Zimmer, Florian v. Wangenheim
Terminologie zur Kundenintegration fixiert und die Grenze zur Kundenintegration bei Sachleistungen geschärft werden. Auf dieses Verständnis aufbauend, soll in einem nächsten Schritt eine Typologie möglicher Integrationsarten in die Dienstleitungserbringung näher betrachtet werden. Im Rahmen dieser Untergliederung sollen darauffolgend Motive für die Integration aus Kunden- und Anbietersicht beleuchtet werden. Anschließend soll geklärt werden welche Herausforderungen – gerade im internationalen Kontext – eine Kundenintegration mit sich bringt. Dabei werden insbesondere interkulturelle Verhaltensaspekte des Kunden sowie Herausforderungen auf unternehmensseitiger Konfiguration und Koordination betrachtet. Abschließend soll dies in einen Ausblick zukünftiger Forschungsfragen münden.
2 2.1
Theoretische Einordnung der Kundenintegration bei Dienstleistungen Begriffsbestimmung und -abgrenzung der Kundenintegration
Kundenintegration findet sich in der Literatur unter einer Vielzahl an Begrifflichkeiten wieder. So werden gerade in der englischen Literatur die Begriffe Co-Production (vgl. Vargo/Lusch 2004), Value Co-Creation (vgl. Prahalad/Ramaswamy 2004a, 2004b; Lusch/Vargo 2006), Customer Participation (vgl. Kelley/Donnelly/Skinner 1990) oder Partial Employee (Mills/Chase/Margulies 1983) größtenteils synonym verwendet, während man vornehmlich in der deutschsprachigen Literatur den Begriff Kundenintegration findet (vgl. Kleinaltenkamp et al. 1996, 1997; Meyer et al. 2000; Büttgen 2007). Eine Begrifflichkeit und eindeutige Definition hat sich dabei noch nicht durchsetzen können. Konsens besteht jedoch darüber, dass es sich bei einer Integration des Kunden um eine aktive Teilnahme und Mitwirkung des Kunden im Wertschöpfungsprozess des Unternehmens handelt. Die Art der Einbringung kann dabei grundverschieden sein. So kann sich ein Kunde rein psychisch durch zusätzliche Informationen oder aber auch physisch durch eigenen Körpereinsatz am Dienstleistungsprozess beteiligen. Im Gegensatz zur klassischen Dienstleistung, die an sich schon eine Integration des Kunden erfordert, gehen eine aktive Kundenintegration oder Co-Produktion oftmals über dieses Mindestmaß an Kundenbeteiligung hinaus. Eine Integration des Kunden in die Dienstleistung unterscheidet sich demnach je nach Eingriffsintensität des Kunden in die unternehmerische Wertschöpfung. Unter Eingriffsintensität werden die Anzahl
Kundenintegration bei internationalen Dienstleistungen
61
der integrativen Prozesse sowie Art und Umfang der Einflussnahme des Kunden subsumiert (vgl. Büttgen 2007, S. 30). Sie variiert dementsprechend in Abhängigkeit des Aktivitätsgrades von Kunde und Anbieter. Per Definition ist dabei immer eine gewisse Beteiligung beider Seiten Grundvoraussetzung für eine Kundeintegration (vgl. Abb. 1). Aktivitätsgrad des Kunden
Externalisierung
Relevantes Spektrum der Kundenintegration
Mindestaktivität des Kunden
Internalisierung
Mindestaktivität des Anbieters
weitgehend autonome Leistungserstellung des Anbieters
Abbildung 1:
Relevantes Spektrum der Kundenintegration
Quellen:
In Anlehnung an Corsten 2000, S. 151; Büttgen 2007, S. 13.
Aktivitätsgrad des Anbieters
Werden also sämtliche Aktivitäten, die durch den Anbieter ausgeführt werden können, auch tatsächlich von diesem ausgeführt, handelt es sich um eine autonome Leistungserstellung bzw. Dienstleistungserbringung des Anbieters im traditionellen Sinne. Ein Friseur wäscht, schneidet, fönt also die Haare seiner Kunden, während dieser nur die nötigen Informationen zur gewünschten Leistung in die Dienstleistung einbringt. Wird der Kunde jedoch aktiv an der Leistungserstellung beteiligt, übernimmt er dadurch Arbeiten, welche ursprünglich von dem Anbieter ausgeführt wurden. Im Friseursalon übernehmen so beispielsweise immer mehr Kunden das Fönen der Haare selbst. Wird die Aktivität hingegen vollständig auf den Kunden verlagert, wird der Kunde nicht mehr in den unternehmerischen Wertschöpfungsprozess integriert. Vielmehr übernimmt er die Rolle des so genannten Prosumers, der die gewünschte Leistung eigenständig erzielt (vgl. Büttgen 2007, S. 13). Beispielhaft heißt dies, dass ein Kunde
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Anne Scherer, Marcus Zimmer, Florian v. Wangenheim
sich entscheidet, nicht zum Friseur zu gehen, sondern sich die Haare selbst zu färben und zu fönen.
2.2
Abgrenzung zur Kundenintegration bei Sachleistungen
Im Gegensatz zu Sachleistungen beinhalten Dienstleistungen auf Grund ihres integrativen Charakters von Grund her eine Integration des Kunden in den Wertschöpfungsprozess. Diese Integration wurde von Anbietern jedoch lange Zeit als Pflichtbestandteil ihrer Dienstleistungen betrachtet (vgl. Auh et al. 2007, S. 359). Als Mitte des 20. Jahrhunderts zunehmend der Produktivitätsaspekt von Dienstleistungen versiert wird, finden sich dementsprechend auch zunächst einige Vorschläge zur Minimierung des Kundenkontakts (vgl. Chase 1978), da der Kunde als wesentlicher Unsicherheitsfaktor bei der Dienstleistungserstellung betrachtet wurde. Dennoch finden sich zu dieser Zeit auch zunehmend Stimmen, die auf den möglichen Beitrag des Kunden zur Produktivität der Leistungserstellung hinweisen (vgl. Fitzsimmons 1985; Lovelock/Young 1979; Mills/Chase/Margulies 1983). Vielen dieser Beiträge ist das Verständnis gemein, dass durch eine Integration des Kunden in den Leistungserstellungsprozess Kosten eingespart werden können, indem Arbeiten, die ursprünglich durch das Unternehmen ausgeführt wurden, auf den Kunden übertragen werden. In diesem Zusammenhang wird der Kunde zunehmend als „partial employee“ (vgl. Bitner et al. 1997; Kelley/Donelly/ Skinner 1990; Lengnick-Hall 1996; Mills/ Chase/Margulies 1983; Mills/Morris 1986) oder auch als Co-Produzent (vgl. Lengnick-Hall 1996; Ramirez 1999) der Dienstleistung betrachtet. Neben dieser Beteiligung im Leistungserstellungsprozess kann der Kunde auch Beiträge liefern, wie der Dienstleistungsprozess verbessert werden kann. Die Nachfrage und Informationen des Kunden dienen dabei als Grundlage der Verbesserung. Spezielle Wünsche des Kunden, wie flexibler Zugriff auf eigene Kontoinformationen, ebnen so den Weg für Online Banking und Geldautomaten. Die gelieferten Informationen machen den Kunden damit zum Co-Innovator neuer Dienstleistungen oder verbesserter Dienstleistungen. Im Gegensatz zu Dienstleistungen ist das Prinzip der Kundenintegration bei Sachleistungen wesentlich jünger. In diesem Bereich herrschte lange Zeit das Prinzip der traditionellen industriellen Organisation (vgl. Reichwald/Piller 2002, S. 6), wesentlich geprägt durch die Leitsätze des Scientific Management von F.W. Taylor. Der Kunde
Kundenintegration bei internationalen Dienstleistungen
63
wurde hier lediglich als Wertschöpfungsempfänger betrachtet. Im Rahmen des verschärften internationalen Wettbewerbsdrucks wurde zwar auch hier nach neuen Wegen zur Produktivitätssteigerung gesucht, diese zeigen jedoch zunächst eine starke Fokussierung auf eine Optimierung der unternehmensinternen Prozesse sowie beschaffungsseitiger Beziehungen zum Lieferanten im Sinne einer Wertschöpfungspartnerschaft (vgl. Wildemann 1994). Erst weitere technologische Entwicklungen machen auch hier eine Integration des Kunden möglich und interessant (vgl. Bendapudi/Leone 2003, S. 15; Raminez 1999, S. 61). Ein Beispiel der Kundenintegration bei Sachleistungen stellt das Mass Customization bzw. die kundenindividuelle Massenfertigung dar. Wie der Name bereits nahe legt, werden hiermit zwei Ziele verfolgt: Einmal die Effizienz einer Massenproduktion zu erreichen und zugleich durch eine aktive Partizipation des Kunden individuelle Leistungen anzubieten (vgl. Müller 2006, S. 27). Die kundenindividuelle Anpassung der Leistungen findet dabei aber in einem vom Unternehmen vorgegebenen Rahmen statt dem so genannten Lösungsraum oder Solution Space. Durch einen modularen Produktaufbau werden dem Kunden Entscheidungsmöglichkeiten geboten, die es ihm ermöglichen, das Produkt auf seine Wünsche und Vorstellungen abzustimmen. So kann der Kunde beispielsweise beim Autokauf die Farbe des Lacks oder des Interieurs, die Leistung des Motors sowie die Elemente der Sonderausstattung selbst wählen. Damit erhält der Kunde ein individuelles Produkt, welches das Unternehmen auf Grund des vorgegebenen Lösungsraums effizient produzieren kann. Ein weiteres Beispiel der Einbringung des Kunden bei Sachleistungen stellen Innovation-Toolkits dar. Dabei handelt es sich um „koordinierte Bündel benutzerfreundlicher Designwerkzeuge zur Entwicklung eigener Lösungskonzepte“ (Mangold/Kunz 2004, S. 9), die es ermöglichen, dass der Kunde in einem trial-and-error-Verfahren eigenständig eine Lösung entwickelt. Damit erhält das Unternehmen Zugang zu so genannten „sticky information“, also Informationen, die der Kunde schwer artikulieren kann. Das Unternehmen versucht folglich, nicht mehr exakt die Bedürfnisse des Kunden zu verstehen, sondern stellt lediglich die vom Kunden nach eigenen Bedürfnissen und Wünschen kreierten Lösungen her. Dieser Ansatz wird dementsprechend in erster Linie zur Entwicklung neuer Leistungen eingesetzt. Im Gegensatz zur Integration bei Dienstleistungen wird deutlich, dass der Kunde im Sachleistungsbereich weniger die Rolle des Co-Produzenten einnimmt, sondern vielmehr eine Rolle des Co-Designers oder Co-Innovators (vgl. Meyer et al. 2000, S. 55 ff.; Müller 2006, S. 28; Reichwald/Piller 2002, S. 13), da er hier lediglich an der Ge-
Anne Scherer, Marcus Zimmer, Florian v. Wangenheim
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staltung einer individuellen Leistung mitwirkt anstatt aktiv am gesamten Leistungserstellungsprozess teilzuhaben.
2.3
Typologie möglicher Integrationsformen bei Dienstleistungen
Wie die Differenzierung der Kundenintegration bei Sach- und Dienstleitungen bereits zeigt, kann der Kunde sich auf unterschiedlichste Weise in Unternehmensprozesse integrieren. Ein wesentlicher Unterscheidungsfaktor bei Dienstleistungen stellt dabei die Eingriffstiefe dar. Darunter versteht man die Wertschöpfungsstufen, auf welcher bzw. welchen eine Integration des Kunden erfolgt. Abhängig von dieser Eingriffstiefe kann der Kunde bei Dienstleistungen die Rolle des (Co-)Innovators oder des Co-Produzenten einnehmen (vgl. Abb. 2). Kundenintegration in die Dienstleistung
Kunde als (Co-) Innovator
Kunde als Co-Produzent
Innovation
Wert
...
...
obligatorisch
fakultativ
EffizienzSteigerung
Abbildung 2:
...
EffektivitätsSteigerung
Arten der Kundenintegration
Im Rahmen der Co-Innovation findet eine Kundenintegration zu Beginn der gesamten Wertschöpfungskette statt. Der Kunde ist dabei aktiv in den Innovationsprozess des Unternehmens integriert und trägt zur Entwicklung neuer Dienstleistungen sowie zu Prozessverbesserungen entlang der Wertschöpfungskette bei. Als Co-Produzent hingegen bringt sich der Kunde aktiv in den Leistungserstellungsprozess einer bereits bestehenden Wertschöpfungskette ein. In diesem Zusammenhang spricht man auch von
Kundenintegration bei internationalen Dienstleistungen
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der Value Co-Creation. Beide Formen, die der Co-Innovation und der Co-Produktion, sollen im Folgenden detaillierter betrachtet werden. Der Kunde als (Co-)Innovator Die Fähigkeit eines Unternehmens, marktfähige Innovationen zu generieren, ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor eines jeden Unternehmens. Je nach Branche werden aber Flopraten von bis zu 50% berichtet (vgl. Cooper 1993). Damit entstehen für die Unternehmen hohe Kosten, die den Fortbestand gefährden können. Neue Vorgehensweisen, die den traditionellen Innovationsprozess verbessern, sind daher aktueller denn je. In diesem Zusammenhang kommt dem Kunden eine zunehmend wichtige Rolle zu. Während im traditionellen Innovationsprozess der Kunde lediglich zur Generierung von Bedürfnisinformationen („need information“) dient und das Unternehmen alleine Lösungen erarbeitet (vgl. Reichwald/Piller 2005, S. 3), wird der Kunde nun immer mehr zum (Co-)Innovator neuer Prozesse, Produkte und Dienstleistungen. Als (Co-)Innovator liegt der generische Beitrag des Kunden in der (Mit-)Entwicklung einer neuen Wertschöpfungskette auf Basis eines innovativen Produktes oder einer innovativen Dienstleistung sowie in der Verbesserung von Prozessen innerhalb einer Wertschöpfungskette. Durch diese Kundenintegration in den Innovationsprozess kann der Anbieter die Erfolgsrate seiner Innovationen signifikant steigern (vgl. Mangold/ Kunz 2004, S. 2). Zur Ausgestaltung der Kundenintegration in die unternehmerischen Innovationsprozesse muss zunächst geklärt werden, welche Kunden als Co-Innovatoren geeignet sind. Ein bekannter Ansatz stellt hierbei der Lead-User-Ansatz von von Hippel (1986) dar. Bei Lead-Usern handelt es sich demnach um Kunden, die bestimmte Bedürfnisse bereits vor dem allgemeinen Markt verspüren, erkennen und formulieren können sowie großes Interesse daran haben, diese durch Innovationen zu befriedigen. Die Aufgabe und oft auch Schwierigkeit des Unternehmens besteht nun darin, derartige Markttrends sowie entsprechende Lead-User frühzeitig zu identifizieren und im Rahmen von Workshops gemeinsam mit diesen Lösungen zu finden. Die Motivation der Lead-User, sich an dem Innovationsprozess zu beteiligen, liegt dabei weniger in finanziellen Anreizen, sondern vielmehr in ihrem Nutzen durch die Problemlösung sowie Imagesteigerungen begründet (vgl. Mangold/Kunz 2004, S. 8). Neben dem Lead-User-Ansatz zur Identifikation geeigneter Kunden gibt es noch wietere Methoden, die eine Kundenintegration in den unternehmerischen Innovationspro-
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zess ermöglichen. Beispielhaft seien hier die zuvor genannten „Innovation Toolkits“ genannt. Vorteile dieser Toolkits liegen in einer verkürzten Entwicklungszeit, da zeitintensive Abstimmungen zwischen Anbieter und Kunde weitgehend entfallen, sowie einer erhöhten Kundenzufriedenheit der Marktangebote. Der Kunde als Co-Produzent Die traditionelle Sichtweise unternehmerischer Wertschöpfung, die wesentlich durch Porters (1980) Studien zur Wertschöpfungskette eines Unternehmens geprägt wurde, zeichnet sich in erster Linie durch eine reine Unternehmensorientierung aus. Wertschöpfung wird hier als alleinige Aufgabe des Unternehmens verstanden, während dem Kunden lediglich die Rolle des Konsumenten bzw. des Wertschöpfungsempfängers zukommt (vgl. Prahalad/Ramaswamy 2004a, S. 6). Sowohl für die Produktion von materiellen Gütern als auch von Dienstleistungen ändert sich diese Sichtweise zunehmend. Der Kunde wird nun nicht mehr nur als Konsument, sondern auch als wertschöpfende Ressource des Unternehmens gesehen. Aktuelle Entwicklungen zeigen folglich eine Umkehr der Kundenrolle vom passiven Zuhörer zum aktiven Teilnehmer in der unternehmerischen Wertschöpfung (vgl. Bendapudi/Leone 2003, S. 14; Prahalad/Ramaswamy 2000). In diesem Zusammenhang wird auch von dem Kunden als Wertschöpfungspartner oder Co-Produzent gesprochen (vgl. Lengnick-Hall 1996; Ramirez 1999). Die Einbringung des Kunden kann dabei sowohl intellektueller, emotionaler, sozialer oder physischer Form sein (vgl. Büttgen 2007, S. 26 f.). So wird vom Kunden eines Steuerberaters erwartet, dass er entsprechende Unterlagen und Informationen einbringt, während ein Kunde des schwedischen Möbelhauses IKEA sich seine Möbel selbst kommissionieren, transportieren und aufbauen muss. Im Rahmen dieser gemeinsamen Wertschöpfung muss insbesondere bei Dienstleistungen zwischen einer obligatorischen und einer fakultativen Co-Produktion unterschieden werden (vgl. Bettencourt 1997, S. 384 f.; Büttgen 2007, S. 48 f.; Grün 2002, S. 105 ff.). Unter der obligatorischen Kundenintegration werden dabei Leistungsbeiträge des Kunden verstanden, die nicht substituierbar sind. Diese Beiträge können sowohl in tangibler als auch intangibler Form erforderlich sein und unterscheiden sich je nach Leistungsangebot (vgl. Büttgen 2007, S. 49). Es handelt sich dabei also um ein Mindestmaß an Aktivität, die von einem Kunden bei einer Dienstleistung erwartet wird. Ein einfaches Beispiel hierfür ist eine Finanzberatung. Möchte der Kunde sich
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hier nicht eigenständig um eine Anlageform kümmern, muss er zunächst einen Termin bei einem Finanzberater vereinbaren und in die entsprechende Bankfiliale gehen. Als nächstes muss er durch seinen Informationsinput die gewünschte Leistung spezifizieren. Dies geschieht, indem er dem Berater erklärt, wie viel Kapital er wo und wie lange angelegt haben möchte. Im Gegensatz zur obligatorischen Kundenintegration handelt es sich bei der fakultativen Kundenintegration um optionale Kundenbeiträge, die grundsätzlich auch durch den Anbieter erbracht werden können. Sie ermöglichen eine Effizienz- und bzw. oder Effektivitätssteigerung. Kümmert sich der Kunde bei der Bank beispielsweise durch Online Banking selbst um eine neue Geldanlage, kann die Effizienz der Dienstleistung erhöht werden. Die Effektivität wiederum fokussiert auf den Qualitätsaspekt der Leistungserstellung und des Leistungsergebnisses. So ist es oftmals auf Grund einer Kernkompetenz oder eines Informationsvorsprungs des Kunden auf einer bestimmten Wertschöpfungsstufe möglich, durch detaillierte Informationsinputs des Kunden die Qualität der Leistung zu verbessern. Als Co-Produzent beeinflusst der Kunde somit die Qualität des Leistungserstellungsprozesses sowie des Leistungsergebnisses wesentlich (vgl. Bettencourt 1997, S. 384). Für die Finanzberatung würde dies beispielsweise bedeuten, dass der Kunde zusätzliche Informationen zu seinen Risikoeinstellungen, Zukunftsplänen und der aktuellen Lebenssituation mitbringt, die es dem Berater ermöglichen, durch genaue Informationen des Kunden eine für ihn persönlich zugeschnittene und damit zufrieden stellende Leistung zu erbringen.
3 3.1
Motive der Integration Integrationsmotive des Anbieters
Aus Unternehmenssicht liegt die Bedeutung der Kundenintegration in erster Linie in Produktivitätssteigerungen (vgl. Bateson 1985; Fitzsimmons 1985; Lovelook/Young 1979) sowie einer erhöhten Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens (vgl. Bendapudi/Leone 2003, S. 14). So können Kunden im Sinne eines „partial employee“ (vgl. Bitner et al. 1997; Kelley/Donelly/Skinner 1990; Lengnick-Hall 1996; Mills/Chase/Margulies 1983; Mills/Morris 1986) Aufgaben übernehmen, die ursprünglich durch das Unternehmen ausgeführt wurden. Auf diese Weise können Kosten bei steigender Produktivität eingespart werden. Anstatt kostenintensiver Bankfilialen kann eine Bank
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beispielsweise nun international vermehrt durch Geldautomaten und Online Banking präsent sein. Kunden erledigen hier ihre Bankgeschäfte eigenständig, wodurch das Unternehmen Kosten in großen Umfang einsparen kann. Besonders deutlich wird diese Entwicklung bei Betrachtung aktueller Bankfilialenstatistiken. So zeigt die Bankstellenstatistik der Deutschen Bundesbank einen Rückgang der Bankfilialen von 1995 bis 2006 um 40,6% (Deutsche Bundesbank 2007, S. 7). Neben diesem Produktivitätsaspekt ermöglicht die Kundenintegration auch eine Differenzierung vom Wettbewerb durch individuelle Interaktionen und Erfahrungen des Kunden mit dem Unternehmen. So kann der Kunde durch seine Inputs zum Ergebnis beitragen, sei es durch die Entwicklung eines neuen Leistungsdesigns oder einer Anpassung der Leistung an den individuellen Kundenwunsch (vgl. Prahalad/Ramaswamy 2004a). Diese enge Zusammenarbeit mit dem Unternehmen führt jedoch nicht nur zu individuellen Leistungen, sondern beeinflusst zudem sowohl die Loyalität (vgl. Auh et al. 2007) als auch die Zufriedenheits- und Qualitätswahrnehmung des Kunden (vgl. Kelley/Donelly/Skinner 1990; Bendapudi/Leone 2003). Das Ausmaß, mit dem sich der Kunde die Qualität sowohl einer guten als auch einer schlechten Leistung selbst zuschreibt, hängt dabei wesentlich von der Möglichkeit des Kunden ab, sich freiwillig für die Interaktion mit dem Unternehmen zu entscheiden. Wird dem Kunden hier beispielsweise eine weitgehende Autonomie eingeräumt, wird er bei einem schlechten Leistungsergebnis einen Teil der Verantwortlichkeit sich selbst zuschreiben. Folglich kann es in risikoreichen Situationen, in welchen nicht garantiert werden kann, dass die Erwartungen des Kunden erfüllt werden, eine durchaus erfolgreiche Strategie des Anbieters sein, den Kunden zu einer aktiven Teilnahme an der Wertschöpfung zu ermutigen. Bei einem schlechten Ergebnis fällt hier die Unzufriedenheit mit dem Unternehmen entsprechend geringer aus als ohne aktive Einbindung des Kunden (vgl. Bendapudi/Leone 2003, S. 23 ff.). Besonders in diesen risikoreichen Situationen ist es also erwägenswert, durch eine Kundenintegration einen Teil des Risikos auf den Kunden zu übertragen.
3.2
Integrationsmotive des Kunden
Kunden vieler Dienstleistungsunternehmen haben oft die Wahl, sich aktiv am Dienstleistungsprozess zu beteiligen oder sich bis auf ein Minimum aus dem Prozess zurückzuziehen. Dennoch sind heute Geldautomaten oder Self Check-In Kiosks am
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Flughafen beliebt wie nie. Was also veranlasst viele Kunden dazu, doch selbst aktiv zu werden und Arbeiten des Unternehmens zu übernehmen? Zum Einen werden Kosteneinsparungen des Unternehmens durch eine Kundenintegration nicht selten in Form reduzierter Preise an den Kunden weitergegeben (vgl. Lengnick-Hall 1996, S. 804; Meyer et al. 2000, S. 67). Kunden, die beispielsweise elektronische Tickets für ihren Flug selbst im Internet bestellen und ausdrucken, erhalten oftmals einen Preisnachlass. Ebenso Kunden vieler Banken, die ihre Überweisungen und Bankgeschäfte online tätigen anstatt hierfür das Servicepersonal am Bankschalter zu Hilfe zu nehmen. Diese Preisnachlässe sollen damit gerade zur Einführung derartiger Self-Services dem Kunden einen Anreiz zur aktiven Integration bieten. Abgesehen von diesen monetären Vorteilen bietet die aktive Integration dem Kunden die Möglichkeit, Zeit zu sparen und Flexiblität zu gewinnen. So ist es beispielsweise durch die Erstellung von E-Tickets und Self Check-Ins dem Kunden möglich, beim Check-In für eine Flugreise wertvolle Minuten durch eine aktive Aufgabenübernahme zu sparen. Nicht ohne Grund werden Self Check-In Kiosks am Flughafen mit „Speedy Check-In“ angepriesen. Neben einer reinen Zeitersparnis gewinnt der Kunde zudem Flexibilität. Beim Check-In für eine Flugreise kann der Kunde beispielsweise selbst entscheiden, zu welchem Zeitpunkt und an welchem Ort er den Check-In vornimmt. So kann er traditionell am Airlineschalter im Flughafen, auf der Airline Website im Internet oder in naher Zukunft unterwegs mit seinem Mobiltelefon einchecken. Auch Kunden etlicher Banken genießen diese Vorteile durch weltweit verfügbare Geldautomaten, die es ihnen ermöglichen, zeitlich flexibel vielerorts kostenlos Bargeld abzuheben. Neben diesen rein effizienzorientierten Vorteilen bieten sich dem Kunden durch seine Interaktion mit dem Unternehmen auch qualitative Vorteile. Dazu zählen die kundenindividuelle Anpassung der gewünschten Leistung, eine erhöhte Kontrolle im Leistungserstellungsprozess und vermehrte Entscheidungsmöglichkeiten (vgl. LengnickHall 1996, S. 804). Der Kunde hat folglich durch seine aktive Teilnahme am Wertschöpfungsprozess die Möglichkeit, den Erfolg der Leistung mit zu gestalten. Erst durch seine genauen Informationsinputs kann die Leistung speziell auf ihn zugeschnitten und damit für ihn zufriedenstellend erbracht werden. Der Kunde einer Bank kann so beispielsweise seine Altersvorsorge an die eigene Lebenssituation und Risikoeinstellung anpassen, indem er den Bankangestellten detaillierte Auskünfte über seine Wünsche und Vorstellungen gibt. Dies ermöglicht dem Kunden damit nicht nur eine
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kundenindividuelle Leistung, sondern auch eine erhöhte Zufriedenheit mit dem Ergebnis, da er letztendlich mehr Kontrolle über die Qualität der erbrachten Leistung erhält.
4
4.1
Herausforderungen bei der Kundenintegration in internationale Dienstleistungen Kulturelle Aspekte des Integrationsverhalten der Kunden
Eine erfolgreiche Kundenintegration im internationalen Kontext birgt nicht nur Herausforderungen auf Anbieterseite, sondern auch bei dem Integrationsverhalten des Kunden, da dieser durch seine Beteiligung einen wesentlichen Beitrag zur Qualität der Leistung beisteuert. In bisheriger Forschung findet sich ein großer Konsens über Grundvoraussetzungen für eine erfolgreiche Kundenintegration auf Kundenseite. Diese beinhalten die Klarheit der Aufgabe für den Kunden, seine Fähigkeiten diese auszuführen sowie seine Motivation, sich durch eine aktive Aufgabenübernahme zu integrieren (vgl. Auh et al. 2007; Bettencourt et al. 2002; Büttgen 2007; Lengnick-Hall 1996; Meuter et al. 2005). Wesentliche Herausforderung für eine erfolgreiche Kundenintegration stellen damit das Können, Wollen und Wissen des Kunden dar (vgl. Abb. 3). Inwieweit diese Grundvoraussetzungen gegeben sind, bestimmt nicht nur das erfolgreiche Zustandekommen einer Kundenintegration, sondern auch den Grad der letztendlich erzielten Qualität des Leistungsergebnisses. Das Wissen des Kunden beinhaltet ausführungs-, aufgaben- und unternehmensspezifische Kenntnisse des Kunden, welche er insbesondere durch Erfahrungen mit dem Unternehmen erhält (vgl. Büttgen 2007, S. 98). Dieses Wissen spiegelt sich in der Klarheit der Aufgabe wider, indem der Kunde versteht, was von ihm erwartet wird (vgl. Lengnick-Hall 1996, S. 804). Oftmals ist dies jedoch für den Kunden unklar, gerade wenn von gelernten Rollen und Verhaltensmustern abgewichen werden soll. Vor dieser Herausforderung stehen Anbieter insbesondere bei der Internationalisierung von Dienstleistungen. Kunden unterschiedlicher Kulturkreise zeigen hier unterschiedliche Erwartungen an eine Dienstleistung und demzufolge auch hinsichtlich des von ihnen erwarteten Verhaltens (vgl. Donthu/Yoo 1998; Mattila 1999; Stauss/Mang 1999). Die
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Einführung integrativer Servicedesigns aus Effizienz- und Effektivitätsgründen erfordert daher ein Umlernen des Kunden bezüglich seiner erforderlichen Rollen und Beiträge in der Leistungserstellung. Ein Weg, dies zu erreichen, stellt die Kommunikation mit dem Kunden dar. Für jede Kundenintegration, unabhängig vom kulturellen Hintergrund des Kunden, ist dies ein wesentlicher Erfolgsfaktor für das richtiges Integrationsverhalten des Kunden (vgl. Auh et al. 2007, S. 362). Durch diese Kommunikation können dem Kunden erforderliche Beiträge und Rollen aufgezeigt werden. Wichtig dabei ist, dies so zu kommunizieren, dass ein Kunde seine Aufgaben auch ohne großes Vorwissen bezüglich des Leistungserstellungsprozesses verstehen kann. Dem Kunden einer Bank muss so zum Beispiel ohne jegliche Fachterminologie erklärt werden, welche Informationen für eine erfolgreiche Finanzanlage benötigt werden. Um ein weniger erfolgreiches Ergebnis zu vermeiden, sollten daher für den Kunden Rollen, Beiträge und Grenzen der Kundenintegration klar, verständlich und konsistent sein (vgl. Lengnick-Hall 1996, S. 804).
Unterstützende Bausteine
Anbieter
KontrollKompetenz KonfigurationsKompetenz
Kunde
Dialog Anschluss Risiko-Vorteile Transparenz Wissen Kundenintegration
KommunikationsKompetenz
Können
Wollen
Abbildung 3:
Bausteine erfolgreichen Integrationsverhaltens auf Kundenseite
Quellen:
Auh et al. 2007, Bettencourt et al. 2002, Lengnick-Hall 1996, Meuter et al. 2005
Neben dem Wissen über erwartete Beiträge des Kunden, sollte dieser auch fähig sein, den Erwartungen nachzukommen. Die Fähigkeiten eines Kunden beinhalten dabei so-
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wohl seine physischen und intellektuellen Fähigkeiten, als auch seine emotionalen und sozialen Fähigkeiten (vgl. Büttgen 2007, S. 108 ff.). Physische Fähigkeiten benötigt beispielsweise ein Flugpassagier, der sein Gepäck zum Verbindungsflug selbst transportiert. Intellektuelle Fähigkeiten dagegen hat ein Kunde bei der Bank, der eigene Wünsche und Vorstellungen in die Dienstleistung einbringt. Emotionale Einbringung bezeichnet wiederum die Fähigkeit eines Kunden, seine Emotionen in die richtigen Wege zu lenken, während soziale Fähigkeiten den freundlichen und zuvorkommenden Umgang mit dem Servicepersonal beschreiben. Welche von diesen Fähigkeiten genau für eine Kundenintegration von Nöten sind, ist abhängig von der jeweiligen Dienstleistung und den gewünschten Beiträgen des Kunden. Wichtig für eine erfolgreiche Kundenintegration ist es aber, dass die Fähigkeiten des Kunden den Anforderungen der Wertschöpfung des Unternehmens entsprechen, damit der Kunde sich aktiv in den Wertschöpfungsprozess einbringen kann (vgl. Lengnick-Hall 1996, S. 804). Um dies zu erreichen, kann es durchaus sinnvoll sein, den Kunden aktiv zu informieren und zu schulen. Als letztes sollte der Kunde auch motiviert sein, sich in den Dienstleistungsprozess zu integrieren. Wie die bisherige Forschung zeigt, ist diese Motivation der Schlüsselprädikator für ein erfolgreiches Integrationsverhalten des Kunden (vgl. Bettencourt 1997; Büttgen 2007; Lengnick-Hall 1996; Lengnick-Hall et al. 2000; Müller 2006). Zahlreiche Determinanten der Motivation wie beispielsweise das Commitment des Kunden, seine Kontrollüberzeugung sowie demographische Unterschiede hinsichtlich des Alters, des Geschlechts und des Einkommens wurden dabei in bestehender Forschung ausführlich diskutiert (vgl. Auh et al. 2007; Büttgen 2007; Meuter et al. 2000, 2005). Der Einfluss der Kultur auf die Integrationsbereitschaft wurde dagegen in bisheriger Forschung außen vor gelassen. Zwar wird diese Lücke offen zugestanden (vgl. Benapudi/Leone 2003), jedoch nicht geschlossen. Dies ist durchaus erstaunlich, da gerade interkulturelle Dienstleistungsforschung darauf hinweist, dass sowohl die Qualitätswahrnehmung und Erwartungen eines Kunden an eine Dienstleistung interkulturell verschieden sind als auch die Verhaltensabsichten eines Kunden im Dienstleistungskontext (vgl. Donthu/Yoo 1998; Furrer et al. 2000; Laroche et al. 2004; Liu et al. 2001; Mattila 1999; Stauss/Mang 1999). Kunden verschiedener kultureller Hintergründe empfinden dementsprechend andere Aspekte bei Dienstleistungen als angenehm und hochwertig. So werden beispielsweise Status- und Machtunterschiede in asiatischen Kulturen auch bei der Dienstleistungserbringung gewahrt und auch erwartet,
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während Kunden westlicher Kulturen sich oftmals als Partner in der Dienstleistungserbringung sehen. Diese Feststelllungen lassen Mattila (1999) in ihrer interkulturellen Forschung erstmals zu dem Schluss kommen, dass auch eine Integration des Kunden in die Dienstleistung von Kunden kulturabhängig wahrgenommen und gewünscht wird. Um Kunden weltweit im Rahmen von Internationalisierungsbestrebungen erfolgreich in Dienstleistungsprozesse zu integrieren, sollten deshalb nicht nur einzelne Aspekte des Kundenverhaltens sondern auch interkulturelle Unterschiede beachtet werden.
4.2
Konfiguration und Koordination des Unternehmens
Das Verhalten des Kunden hinsichtlich einer Integration in die Dienstleistungsprozesse führt zu weiteren Herausforderungen auf Anbieterseite. So steht die Art der Konfiguration des Unternehmens, also lokale Nähe zum Kunden zu zeigen oder Unternehmensaktivitäten zentral zu konzentrieren, in engem Zusammenhang mit der je nach Kulturkreis vorherrschenden Bereitschaft, sich aktiv an der Leistungserstellung zu beteiligen. Die Einführung von Self-Service Technologien führt so zwar zu Effizienzsteigerungen durch eine mögliche Konzentration unternehmensseitiger Aktivitäten, während der Kunde vor Ort mit technologiebasierten Interfaces agiert. Dies setzt jedoch voraus, dass der Kunde auch bereit ist derartige Dienstleistungsangebote zu nutzen. Gleiches gilt für fern erbrachte Dienstleistungen oder Remote Services (vgl. Holtbrügge/Holzmüller/v. Wangenheim 2007). Zwar wird diesen Dienstleistungen eine zunehmende Bedeutung in der Unternehmenspraxis zugesprochen (vgl. Wünderlich/v. Wangenheim 2007), der tatsächliche Erfolg einer Implementierung hängt dabei aber nicht selten vom Verhalten des Kunden ab. Da der Anbieter die Dienstleistung nicht mehr direkt vor Ort übernimmt, wird auch hier der Kunde mehr und mehr in Leistungserstellungsprozesse integriert. Wesentlicher Erfolgsfaktor für diese Form der Dienstleistung ist daher die Bereitschaft des Kunden sich zu integrieren. Diese Beispiele zeigen, dass die Bereitschaft des Kunden, sich aktiv an der Leistungserstellung zu beteiligen, wesentliche Auswirkungen auf die optimale Ausgestaltung der Dienstleistung und damit auch der nötigen Konfiguration des Unternehmens hat. Während Self-Service-Technologien und Remote Services eine weitestgehende Konzentration des Unternehmens ermöglichen, verlangen Kunden mit geringer Bereitschaft, sich in derartige IT- und technologiebasierte Dienstleistungen zu integrieren
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nach lokaler Nähe des Anbieters. So müsste eine Bank beispielsweise in einer Kultur mit geringer Integrationsbereitschaft durch eine lokale Nähe zum Kunden persönliche Kunden-Anbieter-Interaktionen ermöglichen. Kunden aus Kulturkreisen, die eine derartige Integration nicht scheuen, können dagegen ihre Bankgeschäfte über das Internet oder Bankautomaten tätigen. Eine persönliche Nähe zum Kunden durch Personal in Bankfilialen ist weniger nötig, womit einer zunehmenden Konzentration der Unternehmensaktivitäten hier nichts im Wege steht. Ein zweiter Aspekt, welcher durch eine Kundenintegration an Bedeutung gewinnt, ist eine sinnvolle Koordination der Beiträge des Kunden. Da der Kunde durch seine Beiträge nun maßgeblich an der Qualität des Ergebnisses beteiligt ist, muss das Unternehmen dafür sorgen, dass zum Einen verständlich ist, welche Beiträge gefordert werden und zum Anderen diese Beiträge optimal mit denen des Unternehmens harmonieren. Das Zusammenspiel zwischen Kunde und Anbieter gerät in den Fokus der Betrachtung. Dabei muss auch in diesem Fall die Art der Interaktion und Integration berücksichtigt werden. Während bei oben genannten Self-Service-Technologien und Remote Services die Aktivitäten stark standardisiert werden können, stellt es sich zunehmend schwer dar, für stark persönlich interaktionsbasierte Dienstleistungen standardisierte Vorgänge vorzugeben. In jedem Fall jedoch sollte dem Kunden verständlich kommuniziert werden, welche Beiträge von ihm erwartet werden und welche Rolle er im Dienstleistungsprozess einnimmt. Auf internationaler Ebene kann dies gerade bei einem hohen Standardisierungsgrad oft bedeuten, dass ein Kunde von gelernten Rollen und Skripts abweichen muss. Auch hier ist es folglich essentiell für Unternehmen zu verstehen, inwieweit der Kunde bereit ist, von seinem erlernten Verhalten abzuweichen. Interkulturelle Aspekte in der Kundenintegrationsbereitschaft stellen damit weitere Herausforderungen an die optimale Konfiguration und Koordination bei der Internationalisierung von Dienstleistungen. Ein verbessertes Verständnis interkultureller Divergenzen im Kundenintegrationsverhalten kann hier Dienstleistungsunternehmen einen ersten Hinweis geben, ob eine Anpassung an lokale Gegebenheiten nötig ist oder ob durch eine weitestgehende Standardisierung derartiger Integrationsprozesse weitere Kosten eingespart werden können. Finden sich in einer Kultur beispielsweise geringe Bereitschaften der Kunden, sich aktiv in die Dienstleistung zu integrieren, so müssen die Prozesse entsprechend an diese lokalen Wünsche und Bedürfnisse der Kunden angepasst werden. Im Gegensatz dazu erlaubt eine gleichbleibend hohe Kundenintegra-
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tionsbereitschaft weltweit eine weitestgehende Standardisierung der Dienstleistungsprozesse.
5
Ausblick
Die wachsende Bedeutung einer interaktiven Wertschöpfung mit einer aktiven Beteiligung des Kunden verstärkt die Dringlichkeit weiterer Forschung in diesem Bereich. Insbesondere empirische Untersuchungen und systematische Modellentwicklungen zum Einfluss der Kultur auf das Kundenintegrationsverhalten sind in bisheriger Forschung defizitär. Zahlreiche Studien belegen den Einfluss der Kultur auf die Qualitätswahrnehmung und die Verhaltensabsichten des Kunden im Rahmen von Dienstleistungen (vgl. Donthu/ Yoo 1998; Furrer et al. 2000; Laroche et al. 2004; Liu et al. 2001; Mattila 1999; Stauss/Mang 1999). Dies lässt darauf schließen, dass es auch bei der Bereitschaft des Kunden, sich in Wertschöpfungsprozesse zu integrieren, kulturelle Unterschiede gibt. Für das Management internationaler Dienstleistungen wird daher das Verständnis kultureller Unterschiede zur Kundenintegrationsbereitschaft einen wesentlichen Erfolgsfaktor darstellen. Im Hinblick auf unternehmerische Internationalisierungsstrategien stehen Unternehmen vor der Herausforderung, Kundenintegrationsprozesse an die jeweiligen kulturellen Gegebenheiten anzupassen und die Konfiguration der Wertschöpfungsaktivitäten entsprechend auf ihre Kunden auszurichten. Dabei bleibt in heutiger Forschung offen, inwieweit eine internationale Standardisierung von Kundenintegrationsprozessen möglich und vor allem sinnvoll ist. Auch die Koordination der Kundenbeiträge ist in bestehender Literatur noch nicht adressiert worden. Dies kann aber gerade für international agierende Unternehmen von großem Interesse sein, da nur durch abgestimmte Koordinationsprozesse die Kundenbeiträge optimiert werden können. Weitere Beiträge dieses Bandes zur Konfiguration und Koordination bei der Internationalisierung von Dienstleistungen stellen hier einen ersten Ansatz dar, diese Lücke zu schließen.
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II. Anwendungsbeispiele
Die Internationalisierung der Geschäftstätigkeit der ACONSITE AG. Kundenintegration, Konfiguration und Koordination bei einer international tätigen Unternehmensberatung
Thomas Lucht, ACONSITE AG Bernhard Amshoff, ACONSITE AG Gliederung 1
Einleitung
2
Die Motive und Ziele der internationalen Geschäftstätigkeit der ACONSITE AG
3
Die Identifikation dienstleistungsspezifischer Merkmale der Beratungsleistung – Die Kundenintegration als wesentliches Merkmal der Beratungsleistung der ACONSITE AG
4
Die Organisation der internationalen Geschäftstätigkeit der ACONSITE AG
4.1 Die Konfiguration der internationalen Geschäftstätigkeit der ACONSITE AG 4.2 Die Koordination der internationalen Geschäftstätigkeit der ACONSITE AG 5
Zusammenfassende Beurteilung und Fazit
D. Holtbrügge et al. (Hrsg.), Management internationaler Dienstleistungen mit 3K, DOI 10.1007/978-3-8349-9476-9_4,© Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009
Die Internationalisierung der Geschäftstätigkeit der ACONSITE AG
1
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Einleitung
Mit der grenzüberschreitenden, unternehmerischen Tätigkeit erhöht sich die Komplexität, die es im Management zu bewältigen gilt, um ein Vielfaches. Hier bilden wissensintensive Beratungsunternehmen, sog. „Professional Service Business Firms“, keine Ausnahme – auch sie haben sich auf unterschiedliche Wettbewerbssituationen, veränderte Ressourcenausstattungen und fremde Kulturen in den Zielländern einzustellen, wollen sie erfolgreich auf den internationalen Märkten bestehen. Überaus wissensintensive Dienstleistungen, wie sie bspw. von Beratungsunternehmen angeboten werden, sind darüber hinaus im Vergleich zu Industrieprodukten einer Reihe von wieteren Internationalisierungshemmnissen unterworfen, die sich u.a. in erhöhten Kosten der Markttransaktionen (z.B. aufgrund hoher Anbahnungskosten und der hohen Kundenspezifität der Beratung) sowie in hohen sozialen Eintrittsbarrieren (z.B. durch den Aufbau einer vertrauensschaffenden Reputation in ausländischen Unternehmensnetzwerken) manifestieren (vgl. Glückler 2001, S. 3 f.). Daher ist es bemerkenswert, dass gerade Beratungsunternehmen solche Barrieren weitaus geringer einschätzen als andere Dienstleistungsunternehmen (vgl. Jahn 2003, S. 1). Denn im Zuge des dynamischen Wachstums wissensintensiver Unternehmensdienstleistungen hat die Managementberatung in den vergangenen 15 bis 20 Jahren geradezu einen Boom erfahren. Die Internationalisierung der Beratungsdienstleistung stellt mittlerweile eine wichtige Wachstumsoption für Beratungsunternehmen dar (vgl. Kutschker/Mößlang 1996, S. 319 ff.), die auch das mit diesem Beitrag betrachtete Unternehmen – die ACONSITE AG – zukünftig verstärkt wahrnehmen will. Allerdings – und dies stellt eine Ausnahme bisheriger wissenschaftlicher Erkenntnisse dar (vgl. Glückler 2001, S. 32 ff.) – gestaltet das deutsche Beratungsunternehmen mit Stammsitz in Dortmund seine ersten Phasen der Internationalisierung eher proaktiv denn reaktiv. D.h., die Internationalisierung der ACONSITE AG – und dies soll nachfolgend ausführlich dargestellt werden – fußt auf einer eigenständig entwickelten und international ausgerichteten Wachstumsstrategie. Dabei sind im Zuge der Sättigung des heimatlichen Kernmarktes die Entscheidungsprozesse zur Internationalisierung bewusst durch das Unternehmen initiiert worden („Push-Effekt“). Die Prozesse enthalten eine klare Zieldefinition der Unternehmensstrategie, eine gezielte sowie eigenständige Auswahl des adressierten Zielmarktes und der geeigneten Markteintrittsform. Demgegenüber handelt es sich bei
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Thomas Lucht, Bernhard Amshoff
den meisten bislang beobachteten Internationalisierungen von Beratungsunternehmen eher um reaktive Anpassungen, die oftmals nicht nur als Gelegenheit, sondern manchmal sogar als Verpflichtung wahrgenommen werden, um bestehende Kundenbeziehungen nicht aufgeben zu müssen („client-following“). Diese reaktive Form der Internationalisierung („Pull-Effekt“) wird von der ACONSITE AG aber nicht verfolgt, da sie nicht auf Anforderungen und Wünsche bestehender Kunden reagieren muss, die beim Aufbau ihrer eigenen Auslandstätigkeit begleitet werden wollen und somit den neuen Zielmarkt für das jeweilige Beratungsunternehmen vorgeben. Unabhängig von den verschiedenen Gründen, Motiven bzw. Zielen der Internationalisierung (vgl. u.a. Müller/Kornmeier 2002, S. 114) setzen die besonderen dienstleistungsspezifischen Merkmale der Beratungsleistung, hier v.a. die Mitwirkung des Kunden im Rahmen der Leistungserstellung (Kundenintegration), die Synchronität von Erbringung und Inanspruchnahme der Beratungsleistung sowie die eingeschränkte Standardisierbarkeit von Beratungsleistungen, die eigentlichen Restriktionen für eine erfolgreiche Internationalisierung von Beratungsunternehmen – auch für die ACONSITE AG. Aus diesen besonderen Merkmalen der Beratungsleistung folgen schlussendlich auch Unsicherheiten mit Blick auf die Bearbeitung des internationalen Marktes. Denn zur erfolgreichen Marktbearbeitung ist nicht nur das Vorhandensein einzigartiger, nicht imitierbarer und substituierbarer Ressourcen, respektive Kernkompetenzen notwendig, sondern jene Ressourcen müssen die ihnen innewohnenden wettbewerblichen Potenziale auch entfalten können (vgl. Barney 1997, S. 145; allg. Lucht 2007, S. 70 ff.); sie müssen entsprechend durch das Beratungsunternehmen organisiert werden. Diese Entfaltung wettbewerblicher Potenziale zeigt sich für national wie international tätige Dienstleistungsunternehmen in erster Linie in der Konfiguration wertschöpfender Aktivitäten, die die Basis für die Erlangung von wettbewerbsbedingten Anbieter- und Kundenvorteilen sowie für die Formulierung der (Internationalisierungs-)Strategie der ACONSITE AG darstellt. Allerdings steht der Erreichung derartiger Wettbewerbsvorteile die bereits erwähnte hohe Komplexität länderübergreifender Wertschöpfungsaktivitäten gegenüber (vgl. den Beitrag von Holtbrügge in diesem Band). International agierende Unternehmen sind daher aufgerufen, geeignete Instrumente der Koordination einzusetzen, um die in den verschiedenen Ländern durchgeführten Aktivitäten auch zu einem effizienten Leistungsbündel zusammenfassen zu können (vgl. Welge/Holtbrügge 2006, S. 148).
Die Internationalisierung der Geschäftstätigkeit der ACONSITE AG
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Der folgende Beitrag greift nun die beiden skizzierten Problemdimensionen der Organisation internationaler Geschäftstätigkeit – die Konfiguration und Koordination – auf und stellt aus der Sicht einer am Anfang ihrer Internationalisierung stehenden Unternehmensberatung dar, welche unterschiedlichen Formen durch die Unternehmensleitung der ACONSITE AG präferiert werden, das internationale Beratungsgeschäft zu konfigurieren bzw. zu koordinieren (Kapitel 4). Doch zunächst sollen jene Motive und Ziele kurz skizziert werden, die die ACONSITE AG dazu bewegt haben, ihre Beratungstätigkeiten auf das europäische Ausland auszuweiten (Kapitel 2), bevor diejenigen dienstleistungsspezifischen Merkmale der Beratungsleistung – und hier insbesondere das Merkmal der Kundenintegration – erläutert werden, die die eigentlichen Bedingungen für eine erfolgreiche Internationalisierung der ACONSITE AG setzen (Kapitel 3). Der Beitrag schließt mit einer zusammenfassenden Beurteilung sowie einem kritischen Fazit (Kapitel 5).
2
Die Motive und Ziele der internationalen Geschäftstätigkeit der ACONSITE AG
Die ACONSITE AG – hervorgegangen aus der Schulungs- und ConsultingCenter GmbH (SCC) sowie der Dr. Amshoff & Partner Consulting GmbH (A&P) – verbindet seit nunmehr 15 Jahren betriebswirtschaftlich fundiertes Consulting mit informationstechnologischer Kompetenz. Durch die Integration von wissenschaftlicher und technologischer Expertise erhalten die Kunden der ACONSITE AG ganzheitliche, wirtschaftlich tragfähige sowie eng aufeinander abgestimmte Consulting- und IT-Lösungen. Um ihre Klientenorganisationen wie z.B. Krankenkassen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), Unternehmen der Luftfahrtindustrie oder auch Einrichtungen der Sozial- und Pflegebranche (u.a. Einrichtungen der Jugendhilfe bzw. Altenpflege) von der Idee bis zur erfolgreichen Umsetzung der angestrebten Lösung optimal unterstützen zu können, hat die Unternehmensberatung mit Stammsitz in Dortmund ihr Know-how in sechs Kompetenzfelder gebündelt: Strategie und Management, Geschäftsprozess-Management, Marktmanagement, Human Resource-Management, Controlling und Finanzmanagement sowie IT-Management (vgl. Abb. 1).
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Thomas Lucht, Bernhard Amshoff
Kundenanforderungen
Consulting Strategie und Management
GeschäftsprozessManagement
Marktmanagement
Human Resource Management
Informationstechnologien
Controlling und Finanzmanagement
ITManagement
Kundenlösung
Abbildung 1:
Die Kompetenzfelder der ACONSITE AG
Diese Kompetenzfelder sind als Wissenszentren zu verstehen, in denen die ACONSITE AG ihre langjährige Praxiserfahrung zusammenführt. Sie bilden die Basis für die zielgerichtete Problemlösungskompetenz des Dortmunder Beratungsunternehmens und damit die eigentliche Voraussetzung für seine erfolgreich am Markt platzierten, integrierten Beratungs- und Technologieleistungen. Ein professionelles Vorgehen, kombiniert mit betriebswirtschaftlicher Expertise und IT-Kompetenz stellt für die ACONSITE AG die eine Seite der „Erfolgs-Medaille“ (jährlicher Umsatz ca. 3,3 Mio. €) dar; eine stetig wachsende Erfahrung der 25 Mitarbeiter – vornehmlich resultierend aus erfolgreich abgeschlossenen Projekten im deutschen Gesundheitsmarkt – die andere. So kennt die ACONSITE AG als langjähriger Branchenspezialist das Wettbewerbsumfeld der gesetzlichen Krankenkassen sehr genau. Mittlerweile haben ihre Berater zahlreiche organisatorische und technische Projekte durchgeführt, die zu hohen Effizienzsteigerungen und Kostensenkungen bei einem Großteil der deutschen Krankenkassen geführt haben. Allerdings unterliegt das Umfeld der Gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland einem ständigen Wandel. Die aktuelle Gesundheitsreform, genauer gesagt das GKVWettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG), hat eine Vielzahl von tief greifenden Veränderungen für den nationalen Krankenkassenmarkt initiiert (vgl. u.a. Krummaker et. al. 2007). Als Folge dieser soziopolitisch bewusst herbeigeführten Veränderungen innerhalb des Kernmarktes der ACONSITE AG können verschiedene Entwicklungen beobachtet werden, die allgemein zu einer verbesserten wettbewerbs- und damit auch qualitätsorientierten Versorgung der deutschen Bevölkerung führen sollen. Allerdings
Die Internationalisierung der Geschäftstätigkeit der ACONSITE AG
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sind sich viele Experten weitgehend einig in der kritischen Beurteilung des GKVWSG und seiner Auswirkungen. Insbesondere wird kritisch diskutiert, ob die durch die Bundesregierung via Einheitsbeitrag implizit beabsichtigte Verringerung der Anzahl der Krankenkassen tatsächlich zu einer verbesserten Effizienz in der Gesundheitsversorgung führt oder ob nicht eher die mit vielen Krankenkassen verbundene Vielfalt für die Versicherten einen spürbaren Mehrwert darstellt (vgl. Krummaker et. al. 2007, S. 34). In jedem Fall wird sich der deutsche Krankenkassenmarkt neu sortieren – ob dies immer im Sinne des Endverbrauchers geschieht, lässt sich an dieser Stelle nicht abschließend beurteilen. Viel erfolgskritischer für die ACONSITE AG ist allerdings der Umstand, dass mit diesem Wandel auch Auswirkungen für das Beratungsgeschäft einher gehen. Selbstverständlich resultieren aus gesetzlich herbeigeführten Veränderungen – Stichwort: „Morbi-RSA“ – immer auch neue Beratungsprofile und damit auch neue Beratungsprodukte. Unbestritten ist aber auch die Tatsache, dass die Anzahl potenzieller Nachfrager von Beratungsleistungen sinken wird – ein Grund für die ACONSITE AG, bei sinkendem Marktpotenzial über den „deutschen Tellerrand“ hinauszublicken. Der Umbruch im heimatlichen Kernmarkt gilt mitunter als wesentlicher Auslöser für die Internationalisierungsbestrebungen der ACONSITE AG. Die Entscheidung zum Eintritt in ausgesuchte ausländische Märkte lässt sich insgesamt jedoch auf weitere Ziele und Motive der Unternehmung zurückführen (vgl. zu allgemeinen Motiven der Internationalisierung u.a. Müller/Kornmeier 2002, S. 114). Im Allgemeinen lassen sich für Unternehmensberatungen drei wesentliche Ziele bzw. Motive des internationalen Engagements benennen (vgl. Glückler 2001, S. 33): Zu diesen zählen die Nutzung von Wachstumschancen („market seeking“), die Entwicklung und Ausdehnung von Wissen und neuen Kompetenzen („resource seeking“) sowie die Betreuung bereits bestehender Kunden über die Landesgrenzen hinaus („client-following“). Während die er ersten beiden Motive eine eher proaktive Form der Internationalisierungsentscheidung umschreiben, stellt die an den Klienten gekoppelte Internationalisierungsform einen reaktiven Entscheidungsprozess dar (vgl. Jahn 2003, S. 14). Wie schon einleitend ausgeführt, besteht die Zielsetzung nicht darin, bestehende Klienten beim Aufbau ihrer eigenen Auslandstätigkeit zu unterstützen („Pull-Effekt“). Im Gegenteil: Der entscheidende Impuls, von sich heraus erste eigene Internationalisierungsschritte vorzunehmen, geht von der ACONSITE AG aus. Ihre Internationalisierung beruht dabei auf einer eigenständig entwickelten, international ausgerichteten
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Thomas Lucht, Bernhard Amshoff
Wachstumsstrategie. Die aktive Bearbeitung internationaler Märkte wird im Falle der ACONSITE AG durch mehrere Push-Effekte initiiert. Neben der erwähnten Sättigung des heimatlichen Kernmarktes sind auch das Anstreben von Betriebsgrößen- sowie Know-how-Vorteilen („Langfristiges Unternehmenswachstum“), die Glättung von Absatz- und Gewinnschwankungen zur Erreichung einer besseren Risikoverteilung der Geschäftstätigkeiten („Risikosteuerung durch Diversifikation“), die allgemeine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit sowie der Zugang zu neuen Märkten zu nennen.
Phase I: Markterschließung Markterschlie ßung
Phase II: Marktdurchdringung
Phase III: Marktausbau
Inhalt
Inhalt
Inhalt
• Schaffung einer lokalen Repräsentanz (Infrastruktur) im Zielland
• Gründung von rechtsfähigen Zweigstellen
• Entwicklung von Produkten für angrenzende Branchen
• Aufbau des Markennamens im Zielland • Gewinnung und Einbindung lokaler Vertriebsmitarbeiter Ziel • Abschluss erster Referenzprojekte im KV-Bereich
Abbildung 2:
• Aufbau eines festen, lokalen Personalbestandes • Flächendeckende Verbreitung des Markennamens
• Weiterer Ausbau des Personalbestandes im Zielland
Ziel
Ziel
• Kontinuierliche Erreichung definierter Umsätze in allen Geschäftsfeldern
• Top Player im Kernmarkt und Erschließung weiterer Branchen
Die drei Phasen der Internationalisierung der ACONSITE AG
Den Internationalisierungsbestrebungen der ACONSITE AG liegen also bewusste Entscheidungsprozesse zugrunde, die eine klare Definition des adressierten Zielmarktes sowie der geeigneten Markteintrittsform enthalten – letztere ist in ihrem idealtypischen Verlauf der Abb. 2 zu entnehmen. Alle drei Phasen der Internationalisierung – von der Markterschließung über die Marktdurchdringung bis hin zum Marktausbau – sind dabei aktuell auf die Zielmärkte Schweiz und Österreich ausgerichtet. Dies hat zweierlei Gründe – marktliche und kulturelle: Erstens ähnelt der Aufbau der dortigen Gesundheitssysteme, inkl. Krankenkassenstruktur (z.B. Krankenkassenversicherungszwang), in weiten Teilen dem System der BRD. Alle drei Länder verfügen über ein primär staatlich organisiertes Gesundheitssystem sowie über einen historisch
Die Internationalisierung der Geschäftstätigkeit der ACONSITE AG
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gewachsenen Krankenkassenmarkt mit definierten Versichertenkreisen, die eine ähnliche Kundenstruktur aufweisen. Zweitens spricht die kulturelle Nähe (Sprache, Rechtssystem etc.) aller drei Staaten („germanic cluster“) für eine entsprechende Übertragung des integrativen Beratungsansatzes der ACONSITE AG in diese Zielmärkte. Insofern war dieser erste Schritt der Internationalisierung nahe liegend.
3
Die Identifikation dienstleistungsspezifischer Merkmale der Beratungsleistung – Die Kundenintegration als wesentlicher Bestandteil der Beratungsleistung der ACONSITE AG
Gemäß des von Hilke (1989) begründeten Ansatzes einer phasenorientierten Betrachtung dienstleistungsspezifischer Wertschöpfungsprozesse wird eine vollständige Dienstleistungsdefinition durch die Integration der in den einzelnen Leistungsphasen entwickelten konstitutiven Merkmale erarbeitet (vgl. dazu ausführlich den Beitrag von Holtbrügge in diesem Band). Abb. 3 liefert hierzu einen genauen Überblick über die in den jeweiligen Phasen (Potenzial-, Prozess- und Ergebnisphase) zugrunde gelegten Merkmale einer Dienstleistung (vgl. alternativ Jahn 2003, S. 4 in Anlehnung an Kißling 1999, S. 12 und Grönroos 2000, S. 30 ff.). Sie liefern folgerichtig die relevante Basis für eine merkmalsbezogene Definition des (internationalen) Beratungsleistungsbegriffs der ACONSITE AG. In der Potenzialphase wird eine Dienstleistung zunächst als Angebot humaner und/ oder (informations-)technologischer Leistungsfähigkeiten eines Anbieters verstanden. Zum Zeitpunkt der Anbahnung des Dienstleistungsgeschäfts sind dabei lediglich Fähigkeiten (Wissen), Fertigkeiten (Können) und Realisierungsbereitschaft (Wollen) in Form eines Leistungsversprechens vorhanden. Die Beratungsleistung als solche existiert in dieser Phase lediglich als intangibles, d.h. nicht gegenständliches Leistungspotenzial. Der ACONSITE AG ist es an dieser Stelle also nur möglich, ihre Fähigkeit und Bereitschaft zur Verrichtung von Beratungsleistungen entsprechend zu signalisieren (z.B. über Vorträge auf Fachmessen und/oder über die Publikation von Erfolgsstorys in Fachzeitschriften bzw. im Internet). Dem potenziellen Kunden kann in diesem Fall allerdings keine fertige, voll standardisierte, d.h. bereits „auf Vorrat produzierte“ Leistung angeboten werden. Denn die Beratungsleistungen der ACONSITE AG müssen erst auf die jeweiligen Bedürfnisse der Kunden angepasst, d.h. „zugeschnitten“ werden („customizing“). Reichen die Ausprägungen des Standardisierungs-
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Thomas Lucht, Bernhard Amshoff
grades von Dienstleistungen im Allgemeinen von völliger Standardisierung und weltweiter Vereinheitlichung der eingesetzten Potenzialfaktoren bis hin zu einer vollständigen Differenzierung und lokalen Anpassung, so zeichnen sich die durch die ACONSITE AG bereitgehaltenen Potenziale eher durch vollständige Differenzierung und lokaler Anpassung an die jeweiligen Gegebenheiten in den einzelnen Gastländern aus (vgl. den Beitrag von Holtbrügge in diesem Band). Dies kann dazu führen, dass das vom Nachfrager erwartete Ergebnis nicht mit Sicherheit eintreten muss. Durch die vorliegenden Informationsasymmetrien sind Beratungsleistungen somit durch ein relativ hohes Kaufrisiko gekennzeichnet. Potenzialphase Merkmale internationaler Beratungsleistungen der ACONSITE AG
Abbildung 3:
¾ Intangibilität (Leistungsversprechen) ¾ Mangelnde Standardisierbarkeit (vollständige Differenzierung und lokale Anpassung)
Prozessphase ¾ Hohe Integration des Kunden (externer Faktor)
Ergebnisphase ¾ Immaterialität ¾ Problematik der Qualitätsbeurteilung
¾ Synchronität von Erbringung und Inanspruchnahme der Leistung (uno-actu-Prinzip)
Ableitung phasenbezogener Merkmale des internationalen Dienstleistungsbegriffs der ACONSITE AG
Basierend auf der Prozessphase werden Dienstleistungen zudem als Bündel von singulären Prozessaktivitäten verstanden. Im Zuge der Konkretisierung der im Leistungspotenzial des Dienstleisters gespeicherten (immateriellen) humanen bzw. (informations-)technologischen Leistungsfähigkeiten bedarf es der Mithilfe oder zumindest der passiven Bereitstellung eines externen Faktors, welcher als Prozess auslösendes Element gesehen wird. Externe Faktoren können im Allgemeinen die Person des Nachfragers selbst, Objekte, Rechte, Nominalgüter und/oder Informationen des Kunden sein. Sie gelangen zeitlich begrenzt in den Verfügungsbereich des Dienstleisters und werden gemeinsam mit seinen Produktionsfaktoren in den Leistungserstellungsprozess integriert, d. h. die Dienstleistung wird im Rahmen dieses Prozesses direkt am externen Faktor erbracht (vgl. Jahn 2003, S. 5). Unter Kundenintegration versteht die ACONSITE AG daher den Einfluss, den der Klient aufgrund seiner Mitwirkung innerhalb des Beratungsprozesses auf die Ressourcen und Aktivitäten der ACONSITE AG und damit auch auf das Beratungsergebnis gewinnt. Nach dem Ausmaß der Integrativität werden Dienstleistungen mit geringer, mittlerer und hoher Integrativität unterschieden. Da die Mitwirkung des Kunden nahe-
Die Internationalisierung der Geschäftstätigkeit der ACONSITE AG
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zu als konstitutiv für Beratungsleistungen anzusehen ist, stellen Beratungsleistungen daher Dienstleistungen mit hoher Integrativität dar (vgl. Abb. 4). Dienstleistungen Dienstleistungen mit mit geringer geringer Integrativität Integrativität
Erstellung der Dienstleistung ist unabhängig vom Kunden. Dienstleistungen sind standardisiert. Bereitstellung von Objekten, Daten oder ähnlichem durch den Kunden.
Beispiele Beispiele
¾Business-to-Consumer: Flugreise, Fast-FoodKette Motelübernachtung ¾Business-to-Business: Schädlingsbekämpfung, Wartungsleistungen, Reinigung
Dienstleistungen Dienstleistungen mit mit mittlerer mittlerer Integrativität Integrativität
Dienstleistungen Dienstleistungen mit mit hoher hoher Integrativität Integrativität
Dienstleistungen, die die durchgängige Anwesenheit oder Aktivitäten des Kunden erfordern.
Mitwirkung des Kunden an der Erstellung der Dienstleistung ist zwingend nötig.
Vorgaben des Kunden sind nötig, um eine vollwertige Leistung zu erzielen.
Der Kunde ist Co-Produzent. Individuelle Dienstleistung.
Beispiele Beispiele
Beispiele Beispiele
¾Business-to-Consumer: Haarschnitt, ärztliche Routineuntersuchung Essen im Restaurant
¾Business-to-Consumer: Rechtsberatung, Eheberatung, individuell erstelltes Fitnessprogramm
¾Business-to-Business: Lohnbuchhaltung, speziell erstellte Werbekampagne
¾Business-to-Business: Unternehmensberatung, Managementseminar
Abbildung 4:
Integration des Kunden bei unterschiedlichen Dienstleistungen
Quelle:
Eigene Darstellung in Anlehnung an Zeithaml/Bitner 2000, S. 320
Die notwendige Faktorenkombination durch die ACONSITE AG wird also ausschließlich von der Mitwirkung eines externen Faktors bestimmt. Dabei ist der Erstellungsprozess durch die zeitliche wie räumliche Synchronität von Erbringung und Inanspruchnahme der (Beratungs-)Dienstleistung gekennzeichnet (sog. „uno-actuPrinzip“). Mit anderen Worten besteht zwischen der ACONSITE AG und ihrem potenziellen Kunden keine reale Austauschbeziehung, die ein Transferobjekt in Form einer Sachleistung zur Basis hat (vgl. den Beitrag von Holtbrügge in diesem Band). Vielmehr wird die Beratungsleistung, d.h. bspw. eine Prozessoptimierung, eine Personalbedarfsplanung oder ein Führungskräfte-Coaching als Absatzobjekt von der ACONSITE AG direkt am externen Faktor, also z.B. an der Ablauforganisation, der Personalausstattung bzw. den Führungskräften der Klientenorganisation vorgenommen. Schließlich kann in der Ergebnisphase die Dienstleistung als immaterielles Resultat ihrer einzelnen Aktivitäten aufgefasst werden. Dies folgt einerseits aus der Tatsache,
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Thomas Lucht, Bernhard Amshoff
dass die Dienstleistung – wie schon erwähnt – per se als ein immaterielles Gut gilt, und andererseits aus dem Umstand, dass sich die Ergebnisse von Dienstleistungen durch die erreichten Zustandsveränderungen oder -bewahrungen am externen Faktor idealerweise in Form von positiven „Wirkungen“ konkretisieren (vgl. dazu Jahn 2003, S. 6). Dies bedeutet, dass der Beratungsprozess der ACONSITE AG beim Abnehmer zu dem gewünschten Beratungsergebnis führt und der Kunde zu einer abschließenden Beurteilung der Beratungsqualität in die Lage versetzt wird. Obwohl sich das Beratungsergebnis zeitlich recht genau fixieren lässt (Übergabedatum), kann die angestrebte Wirkung der Beratung nicht unmittelbar nach der Leistungsinanspruchnahme abschließend beurteilt werden. Die Folgequalität der Beratung, also z.B. eine geringere Prozessdurchlaufzeit oder die Steigerung der Mitarbeitermotivation durch qualitativ verbesserte Führungskräfte, kann nur über einen längeren Zeitraum beobachtet werden, was die Beurteilung der Beratungsqualität durch den Klienten insgesamt deutlich erschwert. Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass die mit der Intangibilität und Immaterialität von Beratungs(dienst)leistungen einhergehende mangelnde Standardisierbarkeit, die räumliche und zeitliche Synchronität von Erbringung und Inanspruchnahme der Dienstleistung sowie die hohe Kundenintegration die zentralen Merkmale des Beratungsleistungsbegriffs der ACONSITE AG darstellen. Sie münden gesamthaft in die nun folgende Begriffsdefinition: „Unter einer unternehmensberaterischen Dienstleistung wird eine von einer unabhängigen, externen Unternehmensberatung individuell für die Klientenorganisation international, marktmäßig erbrachte Dienstleistung verstanden, welche in einem interaktiven Prozess gemeinsam mit dem Klienten erfolgt (= Integration in den Beratungsprozess) und die Identifizierung, Analyse und Lösung von betriebswirtschaftlichen Problemen des Klienten sowie auf Wunsch auch die Implementierung der Lösung vor Ort beinhaltet“ (vgl. Kohr 2000, S. 17; Hoffmann 1991, S. 40). Das aus diesem Beratungsprozess entstehende Beratungsergebnis ist durch überwiegend immaterielle Anteile gekennzeichnet (= Immaterialität des Beratungsergebnisses). Um die unternehmensberaterische Dienstleistung von anderen Dienstleistungsformen klarer abgrenzen zu können, sind in der Literatur verschiedene (eindimensionale) Klassifikationsschemata bzw. (mehrdimensionale) Typologien entwickelt worden (vgl. zu den Begrifflichkeiten Amshoff 1993, S. 90 f.), die systematisch den Unterschieden und der Vielfalt von Dienstleistungen in der Realität Rechnung tragen (vgl.
Die Internationalisierung der Geschäftstätigkeit der ACONSITE AG
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u.a. Holtbrügge/Kittler/Rygl 2004, S. 170; Barth/Hertweck/Meiren 2000, S. 11; Zeithaml/Bitner 2000, S. 320; Corsten 1997, S. 32 ff.). Im Folgenden wird versucht, mit Hilfe charakteristischer Merkmalsausprägungen eine ordnende Beschreibung dieser Realität zu erreichen und eine Unterteilung in homogene Dienstleistungsbereiche vorzunehmen. Das Ziel dieser Typologien bzw. Systematisierungsansätze ist es, grundlegende Erkenntnisse zu gewinnen, um somit strategische Implikationen sowie konkrete Gestaltungsaussagen auch mit Blick auf die Konfiguration und Koordination von Beratungsleistungen treffen zu können (vgl. Kap. 4). Mit Blick auf die Art der herangezogenen Kriterien bzw. Dimensionen werden dabei klassifikatorische und komparative Typologien unterschieden (vgl. Pawlowski 1980, S. 108 ff.). Klassifikatorische Kriterien lassen lediglich eine Differenzierung in Erfüllung oder Nicht-Erfüllung des jeweiligen Kriteriums zu. Beurteilt man bspw. die Form der Kundenintegration danach, ob der Kunde möglicherweise seine eigene Person oder ein Objekt aus seiner Unternehmung zur Verfügung stellt, so führt dies zur Unterscheidung zwischen personenbezogenen (z.B. Coaching) und objektbezogenen Beratungsleistungen (z.B. Prozessoptimierung). Komparative Kriterien verwenden dagegen unterschiedliche Ausprägungen eines Kriteriums. Legt man bspw. die Intensität der Kundenmitwirkung zugrunde, so können Beratungsleistungen mit hoher Interaktion (z.B. Sanierungs- bzw. Interims-Management) von Beratungsleistungen mit geringer Interaktion (z.B. Durchführung eines Führungskräfteseminars) unterschieden werden. Darüber hinaus lassen sich nach der Anzahl der zugrunde gelegten Kriterien ein- bzw. mehrdimensionale Typologien unterscheiden. Exemplarisch wird nun zwecks einer grundlegenden Einordnung des Unternehmensberatungsbegriffs aus beiden Bereichen je ein geeigneter Ansatz herausgegriffen. Im Rahmen von eindimensionalen Systematisierungsansätzen werden verschiedene Dienstleistungstypen anhand einzelner Merkmale beschrieben. Ein Beispiel mit Blick auf das zentrale Beratungsmerkmal der Kundenintegration ist das bereits weiter oben zitierte Schema von Zeithaml/Bitner (2000). Ein weiteres Beispiel stellt in diesem Zusammenhang das von Hill et al. (1995) erstellte Klassifikationsschema dar. Die Autoren beschreiben – auf Basis einer umfassenden Literaturrecherche – zentrale Merkmale von Dienstleistungsanbietern bzw. -nachfragern sowie ihre Beziehung zueinander. Mit Hilfe ihres entwickelten Schemas konnten so verschiedene Dienstleistungsbranchen auf ihren Internationalisierungsgrad hin untersucht werden (vgl. im Folgenden Jahn 2003, S. 10 f.). Obwohl bei den von den Autoren betrachteten Dienstleistungsbranchen
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Thomas Lucht, Bernhard Amshoff
auf den ersten Blick nur wenige Gemeinsamkeiten erkennbar waren, konnten als Ergebnis dieser Untersuchung drei Gruppen mit jeweils weitgehend identischen Merkmalsausprägungen und einem hohen Internationalisierungsgrad identifiziert werden. Zu diesen drei Gruppen zählen „anspruchsvolle Problemlösungen für Institutionen“ (z. B. Unternehmensberatungen), „standardisierte Leistungen“ (z.B. Hotellerie, Telekommunikation) sowie „logistische Leistungen“ (z.B. Speditionen, Luftfracht). Abb. 5 veranschaulicht die einzelnen Merkmale und deren Ausprägungen innerhalb der Gruppe der „anspruchsvollen Problemlösungen für Institutionen“ und vermittelt auf diese Weise einen vertiefenden Einblick in den Charakter des Dienstleistungstypus „Unternehmensberatung“. Merkmal
Ausprägung
A Anbieterseite • Vorwiegende Einsatzfaktoren • Vorwiegende Art der Leistung • Charakter der Dienstleistungsaktivität • Anpassungsmöglichkeit an Kundenwünsche • Größenvorteile • Netzwerkvorteile
Investionsgüter physisch repetitiv gering gering gering
Routine Personal
Spezialisten (Human Capital) geistig kreativ problemlösend groß groß groß
B Nachfragerseite • Einzubringendes Dienstleistungsobjekt • Aktivitätsbereich der Nachfrager • Kundenkategorie • Beratungsbedarf • Kundenanforderungen
Person lokal Personen gering lokal geprägt
materielles Gut
Immaterielles Gut International Institutionen groß International ähnlich
C Beziehung zwischen Anbieter und Nachfrager • Inanspruchnahme der Dienstleistung • Beziehung zwischen Anbieter und Nachfrager • Intensität der Interaktion • Ort der Dienstleistungsverrichtung
kontinuierlich anonym schwach beim Anbieter
diskret individuell stark variabel oder indirekter Kontakt
Abbildung 5:
Gemeinsame Merkmale der „anspruchsvollen Problemlösungen für Institutionen“
Quelle:
Hill et al. 1995, S. 26; Bender 2009; Jahn 2003, S. 10
Im Gegensatz zu den dargestellten eindimensionalen Klassifikationsansätzen von Zeithaml/Bitner (2000) sowie Hill et al. (1995) systematisieren mehrdimensionale Typologien Dienstleistungen anhand von mindestens zwei Merkmalsdimensionen. Der Vorteil mehrdimensionaler Ansätze wird darin gesehen, dass der Dienstleistungsbereich insgesamt eine stärkere Differenzierung erfährt und sich somit präzisere Ansatzpunkte für Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen des nationalen und internationalen Dienstleistungsmanagements bieten (vgl. Corsten 1997, S. 31 ff.; vgl. Kapitel 4).
Die Internationalisierung der Geschäftstätigkeit der ACONSITE AG
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Exemplarisch soll an dieser Stelle die Typologie internationaler Dienstleistungen von Holtbrügge/Kittler/Rygl (2004) herausgegriffen werden. Ihre Typologie fußt auf einer übergeordneten Definition zum internationalen Dienstleistungsbegriff. Diese Definition stellt dabei vor allem drei Merkmale der internationalen Dienstleistung in den wissenschaftlichen Fokus, „nämlich die Standardisierung der eingesetzten Potenzialfaktoren, die Identität von Leistungserbringung und -inanspruchnahme sowie die Einbeziehung eines externen Faktors“ (Holtbrügge/Kittler/Rygl 2004, S. 168). Alle drei Merkmale werden gleichfalls in der mit diesem Beitrag vorgestellten Definition zum internationalen Beratungsleistungsbegriff berücksichtigt. Vor dem Hintergrund dieser drei konstituierenden Merkmale entwickelten die Autoren für die Konfiguration und Koordination (vgl. Kapitel 4.1) internationaler Dienstleistungsunternehmungen zwei zentrale Dimensionen (vgl. Holtbrügge/Kittler/Rygl 2004, S. 169): Die erste Dimension beschreibt den Grad der räumlichen Identität von Leistungserbringung bzw. -inanspruchnahme. Dieses komparative Kriterium legt fest, ob ein internationales Dienstleistungsunternehmen mit einer hohen räumlichen Identität beinahe alle Wertaktivitäten in räumlicher Nähe zum externen Faktor durchführen lässt (geographische Streuung) oder ob im Falle einer geringen räumlichen Identität eine geographische Konzentration spezifischer Wertaktivitäten möglich ist. Die zweite Dimension beinhaltet den Grad der Standardisierung der Wertaktivitäten. Während auf der einen Seite Dienstleistungsunternehmen betrachtet werden, die alle Wertaktivitäten weltweit einheitlich durchführen (vollständige Standardisierung), um hohe Kostendegressionsvorteile zu erzielen, existieren auf der anderen Seite Unternehmen, die bei lokaler Anpassung ihrer Wertaktivitäten vor allem die Ausnutzung von länderspezifischen Unterschieden anstreben (vollständige Differenzierung). Interpretiert man nun diese beiden dargestellten Dimensionen als voneinander unabhängig und dichotomisiert die entsprechenden Ausprägungen (gering/hoch), so ergibt sich die in Abb. 6 dargestellte Vier-Felder-Matrix mit den vier Idealtypen internationaler Dienstleistungsunternehmungen. Der optimale Identitäts- und Standardisierungsgrad hängt dabei v.a. von spezifischen Branchenmerkmalen ab, wobei die Zuordnung der einzelnen Branchen nach dem dominierenden Identitäts- bzw. Standardisierungsgrad erfolgt (vgl. Holtbrügge/Kittler/ Rygl 2004, S. 170). Dies bedeutet, dass in Branchen, deren Standardisierungsgrad insgesamt sehr gering ist (z.B. bei Unternehmensberatungen), durchaus einige Aktivitäten
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Thomas Lucht, Bernhard Amshoff
lokal angepasst sein können – und im Falle der ACONSITE AG muss man sogar sagen „angepasst sein müssen“. Aus diesem Grund – und dies stellt gewissermaßen eine Abweichung zu den Ausführungen von Holtbrügge/Kittler/Rygl dar – lassen sich die internationalen Beratungsleistungen der ACONSITE AG nicht in den Quadranten „Absent Adapters“ einordnen, zu dem die Autoren die Unternehmensberatung eigentlich zählen, sondern in den Quadranten „Close Customizers“ (vgl. Abb. 6).
Räumliche Identität von Leistungserbringung und -inanspruchnahme
hoch
gering
Close Customizers
Standardized Subsidiaries
• Fluggesellschaften
• Hotel- und Gaststättengewerbe
• Mobilfunkanbieter
• Autovermietung
• Banken
• Paketdienste
• Versicherungen
• Speditionen
Absent Adapters
Distant Defaults
• Tourismus
• Filmindustrie
• Steuerberatung
• Standardsoftware
• Unternehmensberatung
• Kreditkartenanbieter
• Werbeagenturen
• EVUs
gering
Standardisierungen von Wertaktivitäten
Abbildung 6:
Typologie internationaler Dienstleistungsunternehmungen
Quelle:
Eigene Darstellung in Anlehnung an Holtbrügge/Kittler/Rygl 2004, S. 170
hoch
Die Wertaktivitäten der ACONSITE AG sind zwar durch einen geringen Standardisierungsgrad, jedoch durch einen hohen Grad der räumlichen Identität von Erbringung bzw. Inanspruchnahme der Beratungsleistung gekennzeichnet. Bei allen kulturellen Gemeinsamkeiten würden nationale Unterschiede z.B. in den gesundheitspolitischen Vorstellungen der Schweiz bzw. Österreichs eine Standardisierung des Beratungsportfolios nicht zulassen. Die ACONSITE AG bietet wesentliche Elemente ihres Beratungsangebots in unmittelbarer Nähe zu ihren Kunden an und muss dabei in einem hohen Maße die dortigen (gesundheits-)marktlichen Gegebenheiten berücksichtigen. Inwiefern diese Ausprägungen der zugrunde gelegten Merkmalsdimensionen nun Auswirkungen darauf haben, wie die ACONSITE AG ihre internationale Geschäftstätigkeit organisiert, zeigt das folgende Kapitel. Sicherlich existieren mit Blick
Die Internationalisierung der Geschäftstätigkeit der ACONSITE AG
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auf die Koordination und Konfiguration von Beratungsleistungen grundlegende Prinzipien, die sich auch auf alle übrigen Dienstleistungen anwenden lassen. Auf der anderen Seite sind jedoch – und dies zeigt allein der Blick in dieses dritte Kapitel – gewisse Unterschiede zu anderen Dienstleistungsbranchen zu beachten, die zu spezifischen Anforderungen an das Management von international agierenden Unternehmensberatungen führen.
4
4.1
Die Organisation der internationalen Geschäftstätigkeit der ACONSITE AG Die Konfiguration der internationalen Geschäftstätigkeit der ACONSITE AG
Ein Dienstleistungsprozess lässt sich als Wertkette interpretieren, da jeder Dienstleistungsprozess idealerweise – wie auch ein industrieller Produktionsprozess – wertschaffende Aktivitäten in sich trägt (vgl. Fließ 2004, S. 191). Unter organisationalen Gesichtspunkten ist nun die Frage entscheidend, welche Aktivitäten innerhalb des Leistungserstellungs- bzw. Beratungsprozesses von wem an welchem Standort übernommen werden sollen? Wie sollen diese Aktivitäten konfiguriert werden? Ausgangspunkt der nun folgenden Ausführungen ist die Überlegung, dass sich Wettbewerbsvorteile eines Unternehmens aus der Gesamtheit seiner Wertaktivitäten ergeben. Diese Aktivitäten werden in der Wertkette entsprechend dem physischen Durchlaufprinzip angeordnet und hinsichtlich ihres Beitrages zur Wertschöpfung in zwei Kategorien unterteilt (vgl. Porter 2000, S. 69 ff.; 1989): Dabei sind primäre Aktivitäten solche Aktivitäten, die den Wert der Inputfaktoren durch Transformation erhöhen und somit einen „Wert schaffen“, der über dem der eingesetzten Faktoren liegt (z. B. Eingangs-, Ausgangslogistik, Produktion, Vertrieb, Kundendienst). Sie dienen der eigentlichen Herstellung bzw. Vermarktung des Endproduktes. Unterstützende Aktivitäten dienen hingegen der Bereitstellung der Inputfaktoren. Sie schaffen erst die notwendige Infrastruktur des Unternehmens, ohne die die primären Aktivitäten nicht ausgeübt werden könnten (z.B. Personalwirtschaft). Sowohl die primären als auch die unterstützenden Aktivitäten verursachen zwar auf der einen Seite Kosten, schlagen sich aber aufgrund ihrer wertschöpfenden Funktion auch in den Erlösen des Unternehmens nieder. Um nun einen Wettbewerbsvorteil zu erzielen, sind die wertschöpfenden Akti-
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vitäten laut Porter so zu konfigurieren, dass sie dem Unternehmen entweder einen Kostenvorteil gegenüber seinen Wettbewerbern verschaffen (Strategie der Kostenführerschaft) oder zu einer „positiv wahrgenommenen Abhebung“ seines Leistungsangebots am Markt beitragen (Strategie der Differenzierung), das sich dann wiederum in einer höheren Zahlungsbereitschaft der Kunden niederschlägt. Die Porter’sche Wertkette stellt ein allgemeines Analyseraster zur Darstellung unternehmerischer Wertschöpfungsaktivitäten dar (vgl. Porter 2000, S. 67), das jedoch noch an die Besonderheiten des jeweiligen Unternehmens angepasst werden muss. Da Porter das Wertkettenmodell ursprünglich für Industrieunternehmen entwickelte, ergeben sich allein schon dadurch unternehmensbezogene Unterschiede, wenn man die Wertketten von produzierenden Unternehmen mit denen von Dienstleistungsunternehmen – insbesondere von Beratungsunternehmen – vergleicht. Für Beratungsleistungen ergibt sich bspw. eine andere Reihenfolge der einzelnen Aktivitäten. Denn Beratungsleistungen sind – wie in Kapitel 3 dargestellt – zunächst einmal Leistungsversprechen, so dass die Vertriebsaktivitäten der tatsächlichen Leistungserstellung, also der eigentlichen Beratung vor- und nicht wie bei Porter nachgelagert sind. Die Eingangslogistik bezieht sich bei Unternehmensberatungen zudem auf den oder die vom Klienten zur Verfügung zu stellenden externen Faktor(en), während die Ausgangslogistik aufgrund der Notwendigkeit der Integration externer Faktoren und der damit verbundenen Gleichzeitigkeit von Leistungserstellung und -inanspruchnahme häufig völlig wegfällt. Aus diesem Grund plädieren einige Forscher (vgl. Fantapié Altobelli/Bouncken 1998; Stabell/Fjeldstad 1998) dafür, die Primäraktivitäten mit Blick auf die bestehenden dienstleistungsspezifischen Merkmale neu anzuordnen. Auch Holtbrügge/Kittler/Rygl (2004, S. 167 f.) teilen die primären Aktivitäten von international tätigen Dienstleistungsunternehmen dementsprechend neu ein. Sie orientieren sich dabei an den in Kapitel 3 diskutierten phasenbezogenen Merkmalen von Dienstleistungen (vgl. Abb. 7). Bedauerlicherweise eignet sich das ursprüngliche Wertkettenkonzept nur sehr bedingt als Wertschöpfungskonfiguration für Beratungsunternehmen. Sowohl das Wertkettenmodell von Porter als auch die Modifikation von Holtbrügge/Kittler/Rygl (2004) sind vornehmlich für Dienstleistungsunternehmen mit einem eher geringen Integrativitätsgrad verwendbar (z.B. Fast-Food-Restaurants, Kinos etc.). Der Wettbewerbsvorteil basiert bei diesen Unternehmen in erster Hinsicht auf Skaleneffekten, die sich dann erzielen lassen, wenn die Kapazitäten ausgelastet sind, so dass die Aufgabe des Vertriebs v.a. darin besteht, für eine gleich bleibend hohe Kapazitätsauslastung zu sorgen. Für
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Unternehmensberatungen wie die ACONSITE AG, die sich über einen hohen Grad der Kundenintegration definieren, sind an dem physischen Durchlaufprinzip angeordnete Wertketten zur Verdeutlichung und Analyse der Wert schaffenden Aktivitäten weniger geeignet. Hier bietet sich das Wertshopkonzept von Stabell/Fjeldstad (1998) an, das explizit auf die Lösung eines spezifischen Kundenproblems ausgerichtet ist. Während im Mittelpunkt des Wertkettenkonzepts die „Produktion“ einer Dienstleistung steht, orientieren sich die primären Aktivitäten beim Wertshopkonzept am eigentlichen Problemlösungsprozess der Unternehmung. Die einzelnen Aktivitäten können dabei in die Phasen der „Problemfindung und Akquisition“, der „Auswahl der Problemlösungsalternativen“, der „Entscheidung“, der „Ausführung“ sowie der „Kontrolle und Evaluation“ unterschieden werden (vgl. Abb. 7), wobei sich auch andere Begrifflichkeiten in der betriebswirtschaftlichen Literatur finden lassen (vgl. Stabell/Fjeldstad 1998, S. 424; Woratschek/Roth/Pastowski 2002, S. 61). Der entscheidende Unterschied zum ursprünglichen Wertkettenkonzept von Porter bzw. zur Modifikation durch Holtbrügge/Kittler/Rygl (2004) besteht darin, dass nicht die sequenzielle Abfolge von Aktivitäten, sondern die iterative, zyklische und häufig interaktive Aktivitätenfolge für den Wertshop charakteristisch ist. Die Wertschöpfung erfolgt dabei durch den Einsatz adäquater Problemlösungstechnologien, wobei sich die Probleme von Klient zu Klient unterscheiden und somit ggf. individuelle Lösungen gefordert sind. Da die Lösung eines Klientenproblems und nicht der Preis dieser Lösung im Fokus steht, beruhen die Wettbewerbsvorteile eines wissensintensiven Dienstleistungsunternehmens mit hoher Kundenintegration auf seinen einzigartigen, Wert schaffenden Aktivitäten und nicht auf seinen Kostenvorteilen gegenüber der Konkurrenz. Natürlich bestehen immer Unsicherheiten sowohl auf Anbieter- als auch auf Nachfragerseite, da aufgrund der Individualität der Kundenprobleme die Lösung erst erarbeitet werden muss und nicht von vornherein feststeht. Wettbewerbsvorteile beruhen bei dieser Form der Dienstleistung daher vor allem auf der Reputation bzw. der Problemlösungskompetenz des jeweiligen Unternehmens, die dem potenziellen Klienten die Qualität der Leistung signalisieren und daher einen Wert schaffen. Eine am Beginn ihrer Internationalisierung stehende Unternehmung wie die ACONSITE AG steht nun vor der Entscheidung, wie die einzelnen Aktivitäten eines solchen Wertshops grenzüberschreitend auf verschiedene Standorte verteilt werden sollen. Die Möglichkeiten der Konfiguration reichen dabei – wie schon innerhalb des dritten Kapitels erwähnt – von den beiden Idealtypen der Konzentration einer Aktivität bis hin
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zur vollständigen Streuung. Hängt die Vorteilhaftigkeit dieser beiden Alternativen bei Industrieunternehmen insbesondere von der Stellung der jeweiligen Wertaktivität in der Wertkette und der relativen Bedeutung von Skaleneffekten bzw. komparativen Kosten- und Koordinationsvorteilen ab, so ist die Diskussion bei der ACONSITE AG über die Vorteilhaftigkeit der Aktivitätenkonzentration bzw. -streuung an eher pragmatischen Kriterien orientiert. Unternehmungsinfrastruktur
Unternehmensinfrastruktur
Personalwirtschaft Personalwirtschaft
Personalmanagement
Technologieentwicklung Technologieentwicklung Technologieentwicklung Beschaffung Beschaffung Beschaffung Beschaffung Ergebnisphase Prozessphase Ergebnisphase Prozessphase
GewinnGewinnspanne spanne
Nachkontaktphase
Operationsausgangslogistik
Problemfindung & Akquisition
Operationen
Marketing und Vertrieb
Potentialausgangslogistik
Potentialeingangslogistik
Potentialphase Potentialphase
Lösungsalternativen
Entscheidung Kontrolle/ Evaluation
Ausführung
Abbildung 7:
Wertketten- vs. Wertshopkonzept bei Dienstleistungsunternehmen
Quelle:
Eigene Darstellung in Anlehnung an Holtbrügge/Kittler/Rygl 2004, S. 170; Stabell/ Fjeldstad 1998, S. 425).
Denn betrachtet man nochmals das Charakteristische des Wertshopkonzepts, so wird deutlich, dass eine organisatorische Konzentration einzelner Primäraktivitäten, die zudem noch iterativ, zyklisch und oftmals auch interaktiv aufeinanderfolgen, an nur einem Standort nicht ratsam erscheint. Eine Konzentration kommt für die ACONSITE AG lediglich für die eine oder andere unterstützende Aktivität (z.B. Personalmanagement, Controlling) in Frage, die zumindest innerhalb der beiden ersten Phasen der Internationalisierung, also für die Markterschließung und -durchdringung, vom Stammsitz aus in Dortmund organisiert werden kann, ehe im Zuge des Marktausbaus (3. Phase) und einer unterstellten wachsenden Unternehmensgröße derartige unterstützende Tätigkeiten ins Ausland verlagert werden können. Die alles entscheidende Frage in dem Zusammenhang lautet also daher: Wie werden die eigentlichen Wert schaffenden Primäraktivitäten länderübergreifend konfiguriert (vgl. im Folgenden Fließ 2004, S. 192 ff.)?
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Die erste Möglichkeit besteht darin, einen bestimmten Ausschnitt aus dem Dienstleistungsprozess mit den dazu gehörigen kundeninduzierten und kundenunabhängigen Aktivitäten in das Zielland zu verlagern, während ein Teil des Prozesses am heimatlichen Standort durchgeführt wird (teilweise Verlagerung der Aktivitäten mit vertikaler Arbeitsteilung). Maßgebend hierfür sind potenzielle technische Schnittstellen, wobei speziell die Mobilität der externen Faktoren aber auch der internen Faktoren beachtet werden müssen. Der gesamte Dienstleistungsprozess kann hierbei gemäß der Mobilität der erforderlichen externen Faktoren in Teilabschnitte zerlegt werden (vgl. Fließ 2004, S. 192). Die Durchführung dieser Teilabschnitte im Ausland kann dabei durch eigene Mitarbeiter erfolgen oder durch rechtlich eigenständige und wirtschaftlich unabhängige Dritte wie z.B. Dienstleistungsnetzwerke (vgl. Welge/Holtbrügge 2006, S. 193 ff.). Die zweite Alternative beschreibt hingegen eine teilweise Verlagerung der Aktivitäten mit horizontaler Arbeitsteilung. In diesem Fall verläuft die Grenze zwischen Heimat- und Gastland bspw. entlang der „Kundeninteraktionslinie“ („line of interaction“), welche die Kundenaktivitäten von den Anbieteraktivitäten trennt und die „Kunden-Anbieter-Kontaktpunkte“ innerhalb des Dienstleistungsprozesses festlegt (vgl. Fließ 2004, S. 188). Auf diese Weise ist es möglich, dass lediglich die Schnittstelle zum Kunden und damit die Interaktion mit dem Kunden im Gastland durchgeführt wird, während die restliche Leistungserstellung im Heimatland erfolgt. Voraussetzung für die horizontale Arbeitsteilung ist allerdings eine Anpassung an lokale Rahmenbedingungen (z.B. Kundengewohnheiten, Landessprache etc.). Vergegenwärtigt man sich noch einmal das Wertshopkonzept der ACONSITE AG, so wird deutlich, dass aufgrund der hohen Kundenintegration sowie der vielen Abhängigkeiten der Primäraktivitäten untereinander eine teilweise Verlagerung der Aktivitäten mit vertikaler oder horizontaler Arbeitsteilung nicht zweckmäßig erscheint. Mit anderen Worten: Alle primären Aktivitäten von der Problemfindung und Akquisition über die Problembehandlung und -lösung bis hin zur Ergebniskontrolle müssen idealerweise mit den Klienten in enger Zusammenarbeit und d.h. im Allgemeinen „vor Ort“ durchgeführt werden. Der Kunde ist also immer „Co-Produzent“. (vgl. den Beitrag von Scherer/von Wangenheim/Zimmer in diesem Band). Deshalb besteht das mittel- bis langfristige Ziel der ACONSITE AG darin, in allen Phasen der Internationalisierung für eine rasche Duplizierung kompletter Beratungsprozesse im Gastland zu sorgen. Das bedeutet, dass sämtliche kundeninduzierten und kundenunabhängigen Aktivitäten, die mit einem Beratungsprozess verbunden sind, auch im Ausland vorzufinden sind.
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Dabei sollen sämtliche Primäraktivitäten vom ersten Klientenkontakt (erstes Gespräch, Angebotserstellung, Auftragserteilung) bis hin zum letzten Kontakt (Projektabnahme) im jeweiligen Gastland, d.h. in der Schweiz bzw. Österreich, durchgeführt werden. Mit der recht zeitnahen Duplizierung der Beratungsprozesse in den Zielländern geht allerdings auch ein rasch anwachsender Koordinationsbedarf zwischen allen Beteiligten der Unternehmensberatung einher. Die ACONSITE AG muss daher in ihren länderübergreifenden Beratungsprozessen für strukturelle Voraussetzungen sorgen, damit die mit Koordinationsproblemen einhergehenden Kosten möglichst gering bleiben. Aus diesem Grund werden im folgenden Teilkapitel Koordinationsmechanismen vorgestellt, die der Überbrückung der aus dem „Nicht-Wissen und Nicht-Wollen resultierenden Barrieren“ (Fließ 2004, S. 200) dienen und länderübergreifend von der ACONSITE AG eingesetzt werden.
4.2
Die Koordination der internationalen Geschäftstätigkeit der ACONSITE AG
Betrachtet man die gängige betriebswirtschaftliche Literatur zum Thema „Koordination in (internationalen) Unternehmen“ (vgl. dazu ausführlich den Beitrag von Ingwald/Nott/Holzmüller in diesem Band), so fällt auf, dass verschiedene Koordinationsmechanismen und -verfahren denkbar sind, die sich mit Blick auf das Autonomieniveau der im Ausland tätigen Stellen, deren Handlungen koordiniert werden sollen, unterscheiden und auf einem Kontinuum zwischen den Polen „Hierarchie“ und „Selbstabstimmung“ bewegen. Sicherlich ist eine völlig hierarchiefreie Koordination bei einem international agierenden Beratungsunternehmen nicht vorstellbar, da sämtliche Koordinationsentscheidungen nicht von allen Unternehmensmitgliedern gemeinsam getroffen werden können. Dies scheitert allein schon an zeitlichen Ressourcen sowie qualifikatorischen Restriktionen der Mitarbeiter. Auf der anderen Seite geht eine streng hierarchische Koordination mit einer Vielzahl an Folgeproblemen einher und schafft ein hohes Maß an Inflexibilität. Dem Koordinationsbedarf in internationalen Unternehmen kann darüber hinaus nicht durch den Einsatz einzelner Koordinationsmechanismen und -verfahren begegnet werden. Daher besteht die schwierige Gestaltungsaufgabe für die Unternehmensleitung darin, das optimale Maß an Selbstbestimmung im Rahmen der Hierarchie zu finden (optimaler Koordinationsmix). Nur die bewusste Kombination von hierarchischen
Die Internationalisierung der Geschäftstätigkeit der ACONSITE AG
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Koordinationsinstrumenten wie z.B. Pläne, Programmierung, Standardisierung, persönliche Weisung mit Mechanismen der Selbstabstimmung ist für den internationalen Erfolg der ACONSITE AG von zentraler Bedeutung – eine wie auch immer geartete schematische Lösung mit Blick auf die Fremd-, respektive Selbststeuerung der Mitarbeiter vor Ort ist nicht zielführend. Vielmehr machen die vielschichtigen Interaktionen zwischen den unternehmerischen Teileinheiten ein situativ angepasstes Verfahren erforderlich. Welcher Koordinationsmix letztlich gewählt wird, hängt von der Ausprägung verschiedener Parameter wie z.B. der Unternehmensstrategie, der Unternehmensgröße, der Verfügbarkeit hoch qualifizierter Mitarbeiter und insbesondere von den Einflussfaktoren der Organisationsgestaltung ab, d.h. von der in Kapitel 4.1 beschriebenen Konfiguration und eng damit verknüpft von der Entscheidungsdelegation (Kompetenzverteilung) und der Arbeitsteilung (Spezialisierung). Bedauerlicherweise lassen sich wissenschaftlich fundierte Aussagen über den optimalen Koordinationsmix weder theorie- noch empiriegestützt ableiten (vgl. Scherm/Süß 2001, S. 204). Aus diesem Grunde können darüber durch die Unternehmensleitung der ACONSITE AG lediglich Plausibilitätsüberlegungen angestellt werden. Mit Blick auf zwei ausgewählte Aspekte, die in diesem Beitrag bereits ausführlich gewürdigt wurden – die Konfiguration der Wertschöpfung (vgl. Kap. 4.1) und die Markteintrittsform (vgl. Kap. 2) – soll im Folgenden die Schwierigkeit der Koordination der internationalen Geschäftstätigkeit der ACONSITE AG herausgestellt werden. Wie schon in Kapitel 4.2 dargestellt, besteht das mittel- bis langfristige Ziel der ACONSITE AG darin, für eine rasche Duplizierung kompletter Leistungserstellungsprozesse in der Schweiz und in Österreich zu sorgen. D.h., sämtliche kundenunabhängigen und -abhängigen Primäraktivitäten, die mit einem Beratungsprozess einhergehen, müssen vollständig im Ausland durchführbar sein. Durch die Konfiguration der Wertschöpfung mit Hilfe des von der ACONSITE AG zugrunde gelegten Wertshopkonzepts werden die Interdependenzen zwischen den einzelnen Primäraktivitäten im Leistungserstellungsprozess offengelegt. Die Aktivitäten sind komplex und verfügen über eine hohe gegenseitige Abhängigkeit, was sich bspw. in einem starken Austausch von Informationen und Wissen äußert. Bei starken Abhängigkeiten der Teilaktivitäten untereinander – im Übrigen auch zwischen den Primär- und den unterstützenden Aktivitäten wie z.B. der Personalwirtschaft im Stammland – ist durchaus eine hierarchische Koordination mittels Pläne zielführend. Denn in der jetzigen Interna-
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tionalisierungsphase (Markterschließung) geht es für die Unternehmensleitung der ACONSITE AG verstärkt darum, für die Entscheidungseinheiten vor Ort gewünschte Sollzustände im Rahmen ihrer Leistungserstellung zu definieren (Zielplanung). Durch den normativen bzw. imperativen Charakter der Zielplanung soll die Orientierung der Entscheidungen der Mitarbeiter vor Ort an den Zielen der Unternehmensleitung sichergestellt werden. Die Realisierung der steuernden Wirkung der Zielplanung setzt deshalb die konsistente und operationale Ableitung von den Zielen der Entscheidungseinheiten im Ausland aus den Zielen der Gesamtunternehmung z.B. in Form einer Balanced Scorecard voraus, die perspektivisch als Koordinationsinstrument in der ACONSITE AG eingesetzt werden soll. Damit die für die Mitarbeiter festgelegten Ziele erreicht werden können, gilt es darüber hinaus, die dazu erforderlichen Maßnahmen (Maßnahmenplanung) sowie die notwendigen personellen, finanziellen und sachlichen Ressourcen (Ressourcenplanung) zu bestimmen (vgl. Holtbrügge/Kittler/Rygl 2004, S. 162). Neben den eher unpersönlich wirkenden technokratischen Steuerungsinstrumenten der Ziel-, Maßnahmen- und Ressourcenplanung setzt die ACONSITE AG außerdem noch personenorientierte Steuerungsmaßnahmen ein. So werden im Rahmen der Markterschließung die Vertriebsaktivitäten lokaler Vertriebsmitarbeiter mit Hilfe der persönlichen Weisung koordiniert. Damit wird der Entscheidungsspielraum der Vertriebsmitarbeiter zwar eingeschränkt und dem Mitarbeiter bleibt im Allgemeinen keine Wahl, als sich entsprechend der Maßgaben der Unternehmensleitung zu verhalten und ihre Anweisungen umzusetzen. Die ACONSITE AG stellt auf diese Weise allerdings auch sicher, dass ihr Geschäftsmodell potenziellen Partnern im Zielland einheitlich und klar präsentiert wird. Man muss an dieser Stelle allerdings darauf hinweisen, dass selbst durch die persönliche Weisung als hierarchisches Instrument Freiräume der für die ACONSITE AG im Ausland tätigen Vertriebsmitarbeiter nicht vollkommen ausgeschlossen werden. Vielmehr sind Situationen denkbar, in denen die im Gastland von der ACONSITE AG ausgewählten und dort anerkannten „Szenekenner“ flexibel und autonom handeln können. Während für die erste Phase der Internationalisierung eine hierarchische Koordination zweckmäßiger erscheint, so erwartet die Unternehmensleitung der ACONSITE AG für die zweite und dritte Phase (Marktdurchdringung und Marktausbau) einen allmählichen Übergang von stark hierarchischen Steuerungsinstrumenten zu den Mechanismen der Selbstabstimmung. Dies liegt daran, dass im Zuge weiterer Internationalisie-
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rungsphasen der erhöhte Koordinationsbedarf eines grenzüberschreitend tätigen Beratungsunternehmens nicht immer schnell und flexibel genug abgedeckt werden kann. Durch Pläne und persönliche Weisung wird das Verhalten der im Ausland tätigen Mitarbeiter zwar weitgehend vorstrukturiert, dem Beratungsunternehmen wird damit insgesamt jedoch die Möglichkeit einer raschen Anpassung an sich veränderte Marktlagen genommen. Mit der Selbstabstimmung soll auf geplante Gestaltungsmaßnahmen zugunsten spontaner, selbstorganisierender Strukturen, die emergent aus dem Verhalten der Unternehmensmitglieder entstehen, verzichtet werden (vgl. Koll/Scherm 1999, S. 12). Die Selbstabstimmung ist, wenn sie völlig der Eigeninitiative der auswärtigen Stellen überlassen wird, weder planbar noch zu Zwecken der organisationalen Koordination instrumentalisierbar. Dennoch kann sie helfen, den Bedarf an aufwändiger hierarchischer Koordination kurzfristig zu decken und v.a. die formalen Kommunikationswege zu entlasten (Entlastung der Personalführung). Dies kann in einem Fall dadurch geschehen, dass die Einhaltung hierarchischer Kommunikationswege nicht zwingend vorgeschrieben wird und es deshalb auch nicht gegen formale Regeln verstößt, wenn sich Mitarbeiter unterschiedlicher Ressorts (z.B. Consultants vor Ort und IT-Mitarbeiter im Stammhaus) neben den formalen Wegen miteinander verständigen. Man spricht in diesem Fall auch von einer Selbstabstimmung nach eigenem Ermessen i.S. einer fallweisen Interaktion. Innerhalb der themenspezifischen Interaktion wird hingegen im Vorfeld festgelegt, bei welcher Problemart sich bestimmte Stellen in der Unternehmung untereinander abstimmen müssen. Die Frage, ob ein Problem vorliegt, das der Selbstkoordination bedarf, hängt somit nicht von einem Stelleninhaber ab, sondern ist generell geregelt. Eine solche Form der Selbstabstimmung liegt dann vor, wenn bspw. für spezifische Beratungsprojekte zusätzliche Mitarbeiter im Gastland akquiriert werden müssen und hierzu die Kooperation mit der Unternehmensführung (personalverantwortlicher Ressortleiter, Strategisches Personalmanagement; vgl. Lucht 2007) im Stammland erforderlich wird. Die Initiierung dieser Kooperation erfolgt zwar nicht eigenverantwortlich, da sie aber selbst keinem Formalismus unterliegt, kann hier dennoch von einer Selbstabstimmung gesprochen werden. Im Zuge dieser themenspezifischen Interaktion wird in zuvor festgelegten Unternehmensbereichen die Gefahr reduziert, dass erforderliche Koordinationsprozesse unterbleiben. Diese themenspezifischen Interaktionen lassen sich ggf. auch institutionalisieren, d.h. in Form von regel-
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mäßig stattfindenden Gesprächsrunden realisieren, was allerdings eine erhöhte Reisebereitschaft der Verantwortlichen voraussetzt. Die ACONSITE AG erhofft sich, durch die mit einer Selbstabstimmung einhergehenden erhöhten Entscheidungspartizipation die Motivation ihrer Entscheidungsträger im Ausland zu steigern. Damit dies gelingen kann, müssen die Ziele des Beratungsunternehmens weitgehend kompatibel mit den individuellen Zielen der Mitarbeiter in der Schweiz bzw. in Österreich sein. Darüber hinaus stellen die bestehenden guten interpersonalen Beziehungen und das wechselseitige Vertrauen der Mitarbeiter untereinander eminent wichtige Voraussetzungen für das Gelingen dieser mitunter durchaus konfliktträchtigen Abstimmungsprozesse dar. Um diese erfolgreich durchführen zu können, müssen effiziente und effektive Verfahren der Entscheidungsfindung und zweckmäßige Instrumente der Konflikthandhabung innerhalb des Unternehmens existieren. Zudem achtet die Führung der ACONSITE AG verstärkt darauf, Consultants für ihre Beratungsteams auszuwählen, die – fachliche Qualifikationen vorausgesetzt – in der Lage sind, eine gewisse hierarchische Gleichheit aller Unternehmensmitglieder zu akzeptieren und auf dominantes Verhalten weitestgehend zu verzichten.
5
Zusammenfassende Beurteilung und Fazit
Die Internationalisierungsbestrebungen einer wachsenden Unternehmensberatung wie der ACONSITE AG eröffnen ein interessantes und vielschichtiges Gebiet, das eine Fülle an thematischen Ansatzmöglichkeiten für die Betriebswirtschaftslehre offeriert. Der vorliegende Artikel hat vor diesem Hintergrund einen kleinen Einblick in den gegenwärtigen Stand der betriebswirtschaftlichen Forschung zu den Themenfeldern Konfiguration, Koordination und Kundenintegration von international agierenden Unternehmensberatungen gewährt und diese theoretisch-konzeptionellen Betrachtungen in praktische Überlegungen münden lassen. So wurde aufgezeigt, wie die ACONSITE AG im Rahmen ihrer internationalen Geschäftstätigkeit plant, ihre wertschöpfenden Aktivitäten grenzüberschreitend zu konfigurieren, den damit verbundenen Koordinationsbedarf zu handhaben sowie ihre Klienten erfolgreich in den Leistungserstellungsprozess (Beratungsprozess) zu integrieren. Da wissenschaftlich fundierte Aussagen über die „richtige“ Aufteilung einzelner Wertschöpfungsaktivitäten auf verschiedene Zielländer, die „richtige“ Art und Weise der
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Abstimmung der auf diese Länder gestreuten Aktivitäten sowie die „richtige“ Form der Kundenintegration für die Beratungspraxis nicht existieren (Defizit an konkreten Gestaltungshilfen), fußen die in diesem Beitrag generierten Gestaltungsaussagen auf reinen Plausibilitätsüberlegungen. In der Beratungspraxis kann allerdings die Festlegung der Konfiguration der Wertschöpfungsaktivitäten, die Auswahl des passenden Koordinationsmix und die Form der Kundenintegration nicht erfolgen, indem diese Problemdimensionen einzeln und sukzessive betrachtet werden. Damit würde ihren Abhängigkeiten untereinander nicht entsprochen und vielfältige, beratungsspezifisch wechselnde Einflüsse blieben unberücksichtigt. Die Plausibilitätsüberlegungen machen jedoch deutlich, dass adäquate Lösungen notwendig sind, um die mit der gewählten Internationalisierungsstrategie der ACONSITE AG angestrebten Vorteile auch generieren zu können. Gewiss war es nicht die Zielsetzung dieses Beitrages, allgemeingültige Empfehlungen für die Beratungspraxis zu geben, denn konkrete Entscheidungen hinsichtlich Konfiguration, Koordination und Kundenintegration internationaler Beratungsleistungen weisen situativ viele Stärken und auch viele Schwächen auf. Einen „one-best-way“ gibt es wie so oft in der betriebswirtschaftlichen Forschung und Praxis nicht. Einheitliche Organisationsstrukturen, Koordinationssysteme und Integrativitätsformen sind womöglich nicht für alle Beratungsmärkte und für jede Klientel in gleicher Weise Erfolg versprechend. Darüber hinaus stellt die Ausgestaltung dieser drei Problembereiche keine einmalige Überlegung seitens der ACONSITE AG dar. Vielmehr unterliegen die Anforderungen an ein Beratungsunternehmen einem ständigen Wandel, dem wiederum durch Anpassung der Unternehmensstruktur in den Bereichen Konfiguration, Koordination und Kundenintegration begegnet werden muss. Im diesem Kontext sind in Wissenschaft und Praxis in den letzten Jahren eine Vielzahl weiterer Struktur- und Koordinationsalternativen diskutiert worden, „von denen angenommen wird, dass sie die erforderliche organisatorische Flexibilität und Effizienz gewährleisten können“ (Scherm/Süß 2001, S. 207 ff.; vgl. auch Holtbrügge 2001). Ohne an dieser Stelle auf diese modernen Strukturformen im Einzelnen genauer eingehen zu wollen, bleibt festzustellen, dass natürlich auch die ACONSITE AG die Diskussionen um jene Alternativen speziell daraufhin verfolgen wird, ob diese tatsächlich die Flexibilität und Reaktionsgeschwindigkeit des eigenen Unternehmens zu erhöhen und damit das langfristige internationale Engagement der ACONSITE AG insgesamt zu verbessern vermögen. Gerade das neuerlich diskutierte Konzept der „virtuellen Unter-
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nehmung“ (vgl. u.a. Krystek/Redel/Reppegather 1997), das sich u.a. durch eine Reduzierung von Hierarchieebenen, flexibler Teamarbeit in fluiden Grenzen und eine Delokalisierung sowie Enttemporalisierung der Zusammenarbeit aller Beteiligten auszeichnet, unterstellt, dass international agierende Unternehmen einzig und allein durch persönliche Beziehungen, Vertrauen und Selbstorganisation der Mitarbeiter gesteuert werden können (vgl. Wolf 1999, S. 623 f.). Bei aller positiven Würdigung derartiger innovativer Organisationsformen bleibt die Führung der ACONSITE AG – gerade vor dem Hintergrund der schwierigen Erfolgsbewertung solcher Konzepte – in ihrer jetzigen Internationalisierungsphase eher skeptisch. Es wird einmal mehr deutlich, dass es in diesem Zusammenhang – neben der Berücksichtigung alternativer Formen der Verhaltensbeeinflussung, also auch der Personalführung – auf einen situationsspezifischen Mix verschiedener Konzeptbestandteile sowie verschiedener Instrumente ankommen wird, damit die internationale Geschäftstätigkeit der ACONSITE AG einen erfolgreichen Verlauf nehmen kann.
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Die Internationalisierung des FC Bayern München. Konfiguration, Koordination und Kundenintegration bei einem international tätigen Fußballclub
Jonas F. Puck, Wirtschaftsuniversität Wien Thorsten Wirth, Adidas AG
Gliederung 1
Problemstellung, Zielsetzung und Aufbau des Beitrags
2
Konfiguration internationaler Aktivitäten
2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6
Ausländische Spieler als wichtigste Ressource Marketing-Reisen Internationale Vereinspartnerschaften Kundenintegration Merchandising und PR Koordination
3
Zukunftsperspektiven
D. Holtbrügge et al. (Hrsg.), Management internationaler Dienstleistungen mit 3K, DOI 10.1007/978-3-8349-9476-9_5,© Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009
Die Internationalisierung des FC Bayern München
1
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Problemstellung, Zielsetzung und Aufbau des Beitrags
Der FC Bayern München wird aufgrund seines konstanten wirtschaftlichen und sportlichen Erfolges oft als Musterbeispiel für den Transformationsprozess vom Fußballverein zum marktorientierten Dienstleistungsunternehmen in Deutschland gesehen. Als erster Verein der Fußball-Bundesliga erkannte der FC Bayern die ökonomischen Möglichkeiten einer gezielten Vermarktung und schuf die hierfür notwendige Infrastruktur. Durch ein professionelles Management, welches in Deutschland seiner Zeit weit voraus war, erschloss der Verein bereits in den siebziger Jahren neue Einnahmequellen, etwa durch die Einrichtung von VIP-Logen im Stadion. Uli Hoeneß, seit 1979 Manager des FC Bayern, führte diesen Professionalisierungsprozess in den achtziger Jahren konsequent fort und implementierte eine betriebswirtschaftliche Organisationsstruktur im Verein. So verfügte der FC Bayern München als erster Verein der FußballBundesliga mit einem Aufsichtsrat über eine institutionelle Kontrollstruktur und trennt organisatorisch zwischen kaufmännischen und sportlichen Kompetenzen (vgl. Hardenacke/Hummelsberger 2004, S. 67 ff.). Nicht nur sportlich steht der FC Bayern München an der Spitze der Bundesligisten. Auch bei weiteren Kennzahlen werden nationale Spitzenwerte erreicht. So zählt der FC Bayern derzeit 102.000 Mitglieder, 2.140 Fanclubs weltweit und monatlich 16 Mio. Zugriffe auf die Vereinshomepage (vgl. Jung 2005). Für die Saison 2006/2007 konnte der FC Bayern mit 225,8 Mio. € einen Rekordumsatz vermelden. Die Eigenkapitalquote betrug im Jahr 2007 hohe 72,2% (vgl. Hörwick 2007). Eine deutschlandweite Untersuchung der GfK (Gesellschaft für Konsum-, Markt- und Absatzforschung) im Auftrag des FC Bayern verdeutlicht das enorme Fanpotenzial des Vereins: Das Bekanntheitspotenzial liegt bei 95% (77,9 Mio. Menschen), das Sympathiepotenzial bei 41,1% (33,7 Mio. Menschen) und das Verwenderpotenzial, die Gruppe derjenigen, die aktiv durch Stadionbesuch und Fanartikelkauf am Verein teilnimmt, bei 17,1% (14 Mio. Menschen). In einer bundesweiten Telefonbefragung fußballinteressierter TVZuschauer bezeichnen 21% der Befragten den FC Bayern als ihren Lieblingsverein (vgl. Jung 2005). Vergleicht man die Umsatzstruktur des Vereins jedoch mit denen internationaler Spitzenclubs wie Manchester United und Real Madrid wird deutlich, dass es für den FC
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Bayern München noch erhebliche Potenziale im Internationalisierungsprozess gibt. So zeigen sich vor allem in den Bereichen Sponsoring & Merchandising sowie TV-Vermarktung Unterschiede (vgl. Abb. 1). Manchester United
30%
30% 43% 43%
27%
27%
Real Madrid 26% 26%
Bayern München
43%
43%
31%
Sponsoring & Merchandising
25% 25% 54%
54%
Vermarktung
21%
Spieltageinnahmen
Abbildung 1:
Struktur des Umsatzes von Bayern München, Manchester United und Real Madrid in der Saison 2005/2006
Quelle:
In Anlehnung an Deloitte 2007, S. 4 ff.
Der FC Bayern erzielt mehr als 50% des Umsatzes im Bereich Sponsoring & Merchandising und damit hier einen weitaus höheren Wert als die anderen beiden Vereine. Eine tiefere Analyse zeigt, dass hiervon ca. 70% im Inland erzielt werden, und der Heimatmarkt in Deutschland bereits nahe der Sättigungsgrenze bedient wird (vgl. Deloitte 2007, S. 11). Zukünftige Umsatzpotenziale in diesem Bereich liegen also primär im Ausland. Manchester United und Real Madrid haben in diesem Bereich ein nahezu ausgewogenes Verhältnis aus nationalen und internationalen Umsätzen. Den größten Nachholbedarf besitzt der FC Bayern München jedoch hinsichtlich der Einnahmen aus der TV-Vermarktung. Ein Großteil dieser Einnahmen wird auf dem nationalen TVMarkt erzielt, jedoch spielen auch die internationalen TV-Einnahmen eine zunehmende Rolle. Die beiden internationalen Marktführer Real Madrid und Manchester United nehmen hier erhebliche höhere Beträge durch die Vermarktung internationaler TVRechte ein. Auch hier besteht also noch erhebliches Potenzial für den FC Bayern. Im Folgenden werden die Entwicklung der internationalen Aktivitäten des FC Bayern München dargestellt, diese mit der nationalen und internationalen Konkurrenz verglichen und Empfehlungen für die weitere Entwicklung abgeleitet. Dabei werden im Speziellen die Maßnahmen Spielereinkäufe, Marketing-Reisen, internationale Vereinspartnerschaften, internationale TV-Vermarktung sowie Merchandising und PR näher betrachtet. Während die ersten drei Aspekte als Aspekte der länderübergreifenden Konfiguration interpretiert werden können, handelt es sich bei den letzten beiden Aspekten um Maßnahmen der Kundenintegration von Fußballvereinen. In einem weite-
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115
ren Abschnitt wird auf die Koordination internationaler Aktivitäten eingegangen. Die Analyse stützt sich auf eine umfangreiche Literaturrecherche sowie ein persönliches Interview mit Martin Hägele, Leiter Internationale Beziehungen bei Bayern München. Der Beitrag schließt mit Perspektiven für die zukünftige Entwicklung.
2 2.1
Konfiguration internationaler Aktivitäten Ausländische Spieler als wichtigste Ressource
In der ersten Saison der Bundesliga 1963/1964 standen nur sechs Spieler (1,9%) ohne deutsche Staatsangehörigkeit in der Bundesliga unter Vertrag. Über die kommenden Jahrzehnte stieg deren Anteil jedoch stetig. Lag er in der Saison 1978/1979 noch bei 8,0%, waren bereits zehn Jahre später 11,3% erreicht, in der Saison 1991/1992 13,5%. Die weltweite Rekrutierung von Spielern stellt somit keineswegs ein grundlegend neues Phänomen dar, doch hat sie quantitativ seit den 1990er Jahren massiv zugenommen. Einerseits wurden die Beschränkungen für den Einsatz ausländischer Fußballer in fast allen europäischen Ligen deutlich gelockert, andererseits fielen wichtige Hürden in allen relevanten Spieler-Exportländern.1 Die größte Veränderung bei der Anzahl der ausländischen Spieler und für das Profitum in den europäischen Sportligen überhaupt löste 1996 das Bosman-Urteil aus, das den unbeschränkten Einsatz von Spielern aus EU-Staaten ermöglicht (vgl. Simmons 1997). In der Saison 1996/1997, der ersten, in der diese neue Regelung galt, stieg der Ausländeranteil zunächst nur verhältnismäßig gering von 25,1 auf 28,2% an. Das BosmanUrteil schlug sich erst in der folgenden Saison nieder, als 37,7% der Bundesligaspieler ausländischer Herkunft waren (vgl. Thomé 2003, S. 158). Heute liegt in der Bundesliga der Ausländeranteil von Nicht-Amateuren mit Lizenz bei 49% und ist damit höher als in den anderen europäischen Top-Ligen. In der Saison 2004/2005 standen 212 ausländische Spieler bei den 18 Erstligisten unter Vertrag. In der 2. Bundesliga liegt der Ausländeranteil bei 36% (vgl. DFL 2008). Die Liberalisierung des Arbeitsrechts im 1
Bis 1989 gestattete der jugoslawische Verband seinen Spielern erst ab einem Alter von 28 Jahren den Wechsel ins Ausland, noch striktere Regelungen galten in Polen und der Sowjetunion; in der DDR, Albanien und von 1979 bis 1982 sogar in Argentinien war der Spielerexport generell verboten. Mit der ökonomischen Krise in Osteuropa, aber auch in Südamerika, fielen diese Restriktionen, und die in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedrohten Vereine waren zum Ausverkauf gezwungen. So verkaufte etwa Roter Stern Belgrad zwischen 1993 und 1996 insgesamt 50 Spieler (vgl. Hödl 2002, S. 30).
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Rahmen der EU lassen Fußballteams somit zu einem Paradebeispiel für multinational besetzte Teams werden. So stand beim FC Energie Cottbus in der Saison 2000/2001 im Heimspiel gegen den VfL Wolfsburg erstmals in der Bundesligageschichte kein einziger deutscher Spieler in der Startformation. Die Verpflichtung von Spielern aus dem Ausland erfolgt nicht immer nur unter sportlichen Gesichtspunkten, oftmals spielen marktliche Überlegungen eine wichtige Rolle. Um den chinesischen Markt zu erschließen, engagierte etwa Manchester United im Januar 2004 den 18-jährigen Stürmer Dong Fangzhou für eine Ablösesumme von 5,3 Mio. € vom chinesischen Verein Dalian Shide. Das Fanpotenzial Manchester United in China wird auf ca. 23. Mio. Menschen geschätzt, und die chinesische Edition der Manchester United-Homepage verzeichnet 15 Mio. Zugriffe jährlich (vgl. Gove 2005). Zur Saison 2005/2006 verpflichtete Manchester United zusätzlich den Südkoreaner JiSung Park vom PSV Eindhoven. Dessen sportliche Qualitäten sind nach seinen Leistungen bei der WM 2002 keineswegs abzustreiten, gleichzeitig wird er aber von der Vereinsführung als strategischer Einkauf zur Erweiterung der Fanbasis im asiatischen Wachstumsmarkt bezeichnet (vgl. FAZ 2005). Wie sehr Spielerkäufe neben der sportlichen Komponente auch durch wirtschaftliche Aspekte geprägt sind, zeigt nicht zuletzt das Beispiel David Beckham. Im Sommer 2003 wechselte David Beckham für 35 Mio. € Ablöse von Manchester United zu Real Madrid. Der Transfer sollte trotz der hohen Ablösesumme ein gutes Geschäft für die Spanier werden. Reals MarketingManager erwartete aus dem Verkauf von Beckham-Trikots bis 2006 Einnahmen von 140 Mio. €. Das waren hohe Erwartungen, wenn man bedenkt, dass Manchester United in der Saison 2002/03 mit den Trikots von David Beckham 3,5 Mio. € einnahm. Als jedoch nach nur vier Monaten eine Mio. Trikots verkauft waren, erwiesen sich die Umsatzprognosen sogar als zu tief angesetzt. Der Wechsel von Beckham nach Ende der Saison 2006/2007 zu Los Angeles Galaxy ist unter ähnlichen Gesichtspunkten zu betrachten. Ein weiteres Beispiel bietet der FC Everton. Im Jahr 2003 verpflichtete der Verein den chinesischen Nationalspieler Li Tie und konnte dadurch mit dem chinesischen Mobiltelefonhersteller Kejian einen Vertrag über 1 Mio. £ jährlich für Trikotwerbung abschließen. Dies ist insoweit interessant, als Kejian auf dem britischen Markt nicht aktiv ist. Parallel hierzu publiziert man die Vereinshomepage seitdem auch auf Mandarin und verzeichnet ca. 500.000 Zugriffe von chinesischen Fans täglich (vgl. N.N. 2000, S. 12). Somit ergeben sich zwei grundsätzliche Strategien zur Internationalisierung
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durch Spielereinkäufe, nämlich zum einen die Verpflichtung eines internationalen Top-Stars zur Steigerung der globalen Popularität oder zum anderen die Verpflichtung einer nationalen Ikone zur Steigerung der Marktpräsenz im jeweiligen Land. Die Frage nach der Top-Star-Strategie sieht man beim FC Bayern durchaus kritisch, wie der Kommentar von Karl-Heinz Rummenigge, dem Vorstandsvorsitzenden des FC Bayern München, zeigt: „Einem Spieler wie Beckham dürfte man eine Umgebung, in der die Neiddebatte immer wieder eine große Rolle spielt, gar nicht zumuten. Unabhängig von seiner sportlichen Qualifikation ist Beckham auch eine Gesellschaftsikone. Es gibt andere Länder und Gesellschaften, die mit dieser Ikone anders – und ich fürchte, aus seiner Sicht besser – umgehen, als es in Deutschland der Fall wäre“ (ManagerMagazin 2005). Die Verpflichtung nationaler Ikonen wird vom FC Bayern München jedoch durchaus in Betracht gezogen. Im Jahr 2002 wollte der Verein den japanischen Nationalspieler Junichi Inamoto verpflichten. Die Verpflichtung kam lediglich wegen dessen schwerer Verletzung am Knie nicht zustande. Auch Japans Publikumsliebling Hidetoshi Nakata weckte das Interesse der Münchner, kostete aber damals zu viel Ablöse (vgl. Kramer/ Weinzierl/Wulzinger 2005, S. 187). Martin Hägele, Leiter für Internationale Beziehungen bei Bayern München, betont zwar im Interview ausdrücklich, dass es beim FC Bayern bislang noch keine Verpflichtung eines Spielers aus reinen Marketingüberlegungen gab. Spieler müssen, so Hägele, immer auch das sportliche Potenzial haben, um den Sprung in die Mannschaft zu schaffen. Die in den Medien als bloße Marketingstrategie des FC Bayern betitelte Verpflichtung des iranischen Stars Ali Karimi, immerhin Asiens Fußballer des Jahres 2005, widerspricht Hägele damit vehement. Er betont ausdrücklich, dass Karimi ein sportlicher Wunschspieler des damaligen Trainers Felix Magath war. Gleichzeitig weist er aber daraufhin, dass der Verein sehr froh wäre, wenn es gelänge, z.B. einen japanischen Fußballer zu verpflichten, der außerordentliches sportliches Potenzial besitzt und durch seine Bekanntheit gleichzeitig die Nachfrage in Japan steigert.
2.2
Marketing-Reisen
Marketing-Reisen von Mannschaften in Wachstumsmärkte im Rahmen der Saisonvorbereitung sind bei den europäischen Spitzenclubs zu einem wichtigen Mittel geworden, um die internationale Präsenz und Popularität zu steigern. Sie stellen eine der
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wenigen Möglichkeiten von Fußballclubs dar, ihre primäre Dienstleistung im Ausland anzubieten und können deshalb als Instrument der länderübergreifenden Konfiguration von Wertaktivitäten interpretiert werden. In der Vorbereitung zur Saison 2004/2005 reiste der FC Bayern z.B. für zwei Vorbereitungsspiele in die USA, um hier neue Marktanteile zu gewinnen. Zur Vorbereitung auf die Rückrunden in den Saisons 2005/2006 und 2006/2007 wurde jeweils in Dubai trainiert. Fokus der vielfältigen Aktivitäten der Vereine ist jedoch primär der asiatische Markt. Um in den anvisierten Wachstumsmärkten Asiens an Popularität zu gewinnen, ist nach Aussage von Bayern-Manager Uli Hoeneß eine Präsenz des Vereins und der Mannschaft vor Ort unabdingbar. So unternahm der FC Bayern im Rahmen der Vorbereitung zur Saison 2005/2006 eine Reise nach Japan (26. bis 30. Juli) und bestritt dort zwei Freundschaftsspiele. Auf einer Pressekonferenz im Vorfeld äußerten sich Manager Uli Hoeneß und Vorstand Karl-Heinz Rummenigge zu den Zielen, die sie in einer Steigerung der Popularität des Vereins in Japan und im Aufbau strategischer Partnerschaften zu japanischen Sponsoren und Vereinen sehen.2 Den Fokus auf Japan begründet Rummenigge mit der wirtschaftlichen Attraktivität und Stabilität der dortigen Rahmenbedingungen (vgl. Fcb.de 2005a). Neben der Gage von 2 Mio. € bot die Japan-Reise damit – wenn auch aus sportlicher Sicht wegen des Zeitpunkts kurz vor Saisonstart stark kritisiert – die Möglichkeit, einen sehr interessanten Markt weiter zu erschließen.3 Real Madrid und Manchester United verbinden die Vorbereitung für die neue Saison seit Jahren mit lukrativen Tourneen in Übersee. Real Madrid setzte mit der WorldTour 2005 über drei Kontinente (USA, Japan, China, Thailand und Ungarn) neue Maßstäbe und verdiente dadurch geschätzte 30 Mio. €. Insbesondere in China genießt Real Madrid eine große Popularität. Die Mannschaft wurde von staatlichen Würdeträgern sogar im Staatspalast empfangen, der eigentlich für den Empfang hoher Gäste bei politischen Staatsbesuchen vorgesehen ist (vgl. Marca 2005)4. Als Manchester United 2
3
4
Während der Japan-Reise 2005 des FC Bayern fanden Gespräche mit dem japanischen Club Red Diamonds Urawa statt, der vom deutschen Trainer Guido Buchwald betreut wurde. Die wirtschaftliche Bedeutung verdrängt den negativen Effekt durch Reisestrapazen auf die Saisonvorbereitung. Die Reise wurde deshalb auch vom damaligen Trainer Felix Magath unterstützt: „So etwas muss man akzeptieren, das gehört bei einem Klub wie dem FC Bayern dazu. [...] Wir brauchen neue Märkte, wenn wir die Lücke zu den Top-Klubs in Italien, England oder Spanien schließen wollen. Da brauchen wir mehr Geld, und da bleibt keine andere Möglichkeit“ (Spiegel.de 2005). Bei dieser Gelegenheit wurde auch ein Trailer zum Film „Real Madrid – The Movie“ präsentiert, der Ende August 2005 weltweit in den Kinos anlief. Kritisiert wird jedoch, dass die Mannschaft in den Freundschaftsspielen nie in Bestbesetzung antrat und z.B. ein Spiel gegen den Vorletzten der chinesischen Liga
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2001 seine Mannschaft zu Freundschaftsspielen nach Malaysia, Singapur und Thailand schickte, unterbrach das thailändische Fernsehen sein Programm, um live zu übertragen, wie David Beckham und Ruud van Nistelrooy vom Mannschaftsbus ins Hotel gingen (vgl. Kramer/Weinzierl/Wulzinger 2005, S. 187). Von solcher Popularität ist der FC Bayern noch weit entfernt. Mit gezielten strategischen Maßnahmen versucht dieser aber, seine Wettbewerbsposition in Asien zu verbessern: Der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge pflegt dazu etwa Kontakte mit dem J-League-Club Gamba Osaka, und Manager Uli Hoeneß hält Kontakte zum Management des Baseball-Clubs Nippon Ham. Mit dem Club Urawa Red Diamonds strebt man eine Zusammenarbeit im Nachwuchsbereich an (vgl. Finsterbusch 2005a). Einen absoluten Trumpf hinsichtlich der Popularität in Asien hat der FC Bayern in Oliver Kahn. Nach seiner sportlich überragenden WM 2002 in Japan und Korea wurde der Torwart zur Kultperson bei asiatischen Fußballfans und erreicht v.a. in Japan eine sehr starke Werbepräsenz. Er wirbt dort z.B. erfolgreich für das Finanzunternehmen Shinki (vgl. Zdral 2004, S. 160). Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass dessen Abschiedstournee nach Asien erfolgt. Sie begann am 21. Mai 2008 mit einem Spiel gegen die indonesische Nationalmannschaft in Jakarta. Am 24. Mai fand in Guangzhou dann eine Partie gegen die chinesische Olympia-Auswahl statt. Die Chinesen waren bereits im Januar 2008 zu Gast in München und hatten mit 2:7 verloren. Den Abschluss bildete ein Spiel im Salt Lake-Stadion im indischen Kolkata, dem mit 120.000 Sitzplätzen nach Pjönjang zweitgrößten Stadion der Welt. Bisher haben Clubs wie Manchester United oder Real Madrid zwar in Asien noch einen deutlichen Vorsprung. Aber: „Wir wollen im Ausland Flagge zeigen. Der asiatische Markt ist sehr wichtig, wenn nicht sogar der wichtigste der Welt. Wir wollen die Bundesliga und den FC Bayern international voranbringen und repräsentieren“, erklärte Rummenigge (Eurosport 2008).
2.3
Internationale Vereinspartnerschaften
Internationale Vereinspartnerschaften sind durch die formalisierte und langfristige Zusammenarbeit zwischen zwei oder mehreren Vereinen aus unterschiedlichen Ländern gekennzeichnet. Deren primäres Ziel besteht darin, den Zugang zu internationalen verlor. Nach Auffassung von Hägele wirft dies ein schlechtes Licht auf das Vereinsimage und betont für ihn das reine Profitstreben des Vereins.
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Märkten zu erleichtern. Kooperationen sind immer dann sinnvoll, wenn der alleinige Markteintritt rechtlichen Beschränkungen unterliegt. Dies gilt auch für den Bereich Fußball, wo aufgrund der Bestimmungen der UEFA innerhalb Europas mehrheitliche Beteiligungen an anderen Fußballunternehmen nicht möglich sind. Pionier dieser strategischen Maßnahme der länderübergreifenden Konfiguration ist der niederländische Verein Ajax Amsterdam. Am 11. Mai 1998 ging der Verein als erster niederländischer Fußballclub an die Börse. Aus dem Emissionserlös wurden keine Investitionen in Ablösesummen oder Spielergehälter getätigt. Stattdessen treibt der Verein dadurch die Internationalisierung weiter voran. Dazu wurde eine eigene Abteilung für internationale Expansion eingerichtet. Ein wesentliches Instrument ist die Eröffnung von Fußball-Internaten nach dem heimischen Vorbild in anderen Ländern. Dadurch sollen der Markenname Ajax weltweit vermarktet und Talente aus anderen Ländern an das Fußballunternehmen gebunden werden. „Ajax International“ ist derzeit an Ajax Cape Town (Südafrika), Ashanti Goldfields SC (Ghana) und Germinal Beerschot Antwerpen (Belgien) beteiligt. Durch diese Beteiligungen sollen der Austausch von Spielern und Trainern gefördert, die Aus- und Weiterbildung verbessert sowie Talente frühzeitig identifiziert und an den Verein gebunden werden. Diese langfristige Bindung ermöglicht es bei einem späteren Vereinswechsel, hohe Ablösesummen zu erzielen. Des Weiteren hat Ajax ein weltweites Netz von Scouts aufgebaut, die Talente nach den Kriterien Technik, Intelligenz, Personalität und Schnelligkeit (TIPS) beobachten und bewerten. Diese Maßnahmen haben inzwischen eine Vorbildfunktion erreicht und werden von anderen europäischen Fußballvereinen mit großem Interesse verfolgt (vgl. Brüning/Rischbieter/Rietz 2000, S. 30). Auch der FC Bayern München hat seit der Asienreise zur Saisonvorbereitung 2005/ 2006 damit begonnen, gezielt strategische Partnerschaften in Japan zu knüpfen. „In Zusammenarbeit mit Adidas haben wir vor, in den asiatischen Ländern, die neben Japan und China auch für uns interessant sind, Clubs in partnerschaftliche Joint-Ventures einzubinden, damit wir eine ständige Präsenz haben“, so Karl-Heinz Rummenigge (zit. nach Fcb.de 2005b). Für Hägele, den Beauftragten für Internationalisierung des FC Bayern München, liegt der Nutzen dieser Partnerschaften im erleichterten Markteintritt. Im Gegenzug hilft der FC Bayern seinem asiatischen Partner beim Aufbau eines Scouting-Systems und stellt sein Wissen in Marketing und Merchandising zur Verfügung.
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Für eine stärkere Position der Bundesliga in Asien müssen jedoch weitere Impulse durch andere Bundesliga-Vereine und die Fußballverbände erzeugt werden. Bei Arminia Bielefeld hat man dies erkannt und sich im Sommer 2005 mit dem chinesischen Erstligisten Hubei Wuhan Football Club WFC auf eine Kooperation geeinigt, bei der die größten Talente des chinesischen Vereins in einem Bielefelder Internat zu Bundesliga-Spielern ausgebildet werden sollen (vgl. Sport1.de 2005a). Ebenso gelang es den Verantwortlichen von Arminia Bielefeld, einen Vertrag mit dem chinesischen Erstligisten Quingdao zu schließen, dessen Mannschaft 2006 ein Trainingslager in Bielefeld abgehalten hat. Im Gegenzug schickt Arminia Bielefeld Ausbilder und Trainer zur Unterstützung nach China (vgl. Muras 2005).5 Auch der Hamburger Sportverein (HSV) erkannte die Chancen der Vermarktung in Asien. HSV-Vorstand Hoffmann besuchte zusammen mit einer Delegation des Hamburger Oberbürgermeisters Ole van Beust Shanghai, Hamburgs Partnerstadt (Hamburg ist die Stadt mit den meisten Geschäftsniederlassungen chinesischer Firmen in Europa), und unterzeichnete einen Kooperationsvertrag mit dem chinesischen Spitzenclub Shanghai Shenhua. Nicht zuletzt ist auch der DFB in diesem Bereich aktiv. Die Asienreise der deutschen Nationalmannschaft im Dezember 2004, die von Jürgen Klinsmann als große „Ost-Offensive“ propagiert wurde, war zunächst vor allem als ein Geschenk an Südkorea und Thailand gedacht, die Deutschland ihre Stimmen bei der Vergabe der WM 2006 gegeben hatten. Erst nachträglich wurde die Tournee auf Intervention des FC Bayern um eine Partie in Yokohama gegen Japan erweitert (vgl. Kramer/ Weinzierl/Wulzinger 2005, S. 187). Neben globalisierte Arbeitsmärkte treten globalisierte Märkte für den Verkauf von Merchandising-Produkten und Fernsehrechten, die sich westeuropäische Fußballclubs zunehmend erschließen. Auf dem nordamerikanischen Markt, insbesondere bei den Hispanics, ist etwa der FC Barcelona aktiv und ging zu diesem Zweck 2001 eine strategische Partnerschaft mit der National Football League (NFL) ein. Manchester United schloss 2001 sowohl mit dem Baseball-Club New York Yankees als auch mit der World Wrestling Federation Kooperationsverträge ab, um v.a.die Merchandising-Akti-
5
Ein sehr interessanter Fall in diesem Zusammenhang ist die Gründung der Deutsch-Chinesischen Fußballakademie in Bad Kissingen. In Zusammenarbeit mit dem DFB und unter Anleitung des deutschen Trainers Eckart Krautzun trainiert hier das „China 08 Star Team“, also die eigentliche U20 Nationalmannschaft Chinas, um eine international konkurrenzfähige Mannschaft für die Olympischen Spiele 2008 in Peking aufzubauen. Die deutsche Kurstadt erhofft sich dadurch einen Werbeeffekt in China, die Chinesen im Gegenzug durch einen ausländischen Trainer gut ausgebildete Fußballer (vgl. Kicker 2005, S. 78).
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vitäten zu intensivieren (vgl. Hödl 2002, S. 32). Partnerschaften dieser Art lassen sich in der Bundesliga bisher noch nicht finden.
3. Kundenintegration 3.1
Internationale TV-Vermarktung
Einen weiteren Aspekt der Internationalisierung stellt die internationale TV-Vermarktung dar. Das Ziel dieser Maßnahmen ist es insbesondere, Fans in Ländern, in denen die Clubs nicht regelmäßig spielen, an sich zu binden. Die internationale TV-Vermarktung kann deshalb als ein Instrument der Kundenintegration aufgefasst werden. Die britischen Spitzenclubs verdienten in der Saison 2004/2005 allein an der Auslandsvermarktung der Premier-League 150 Mio. €. Die Bundesliga hingegen erwirtschaftet nur 15 Mio. €. Dieser große Unterschied zeigt sich bereits in der nationalen TV-Vermarktung. Während in Italien und England 500 bzw. 700 Mio. € pro Saison aus nationalen TV-Einnahmen erzielt werden, erhält die Bundesliga gerade 300 Mio. € (Saison 2004/2005) (vgl. FAZ-Net 2005). Italienische Vereine wie der AC Mailand und Juventus Turin erzielten in der Saison 2004/2005 aus nationalen TV-Einnahmen mehr als 130 Mio. €. Der deutsche Branchen-Primus FC Bayern München konnte in diesem Geschäftsfeld dagegen nur vergleichsweise geringe 15 Mio. € erzielen (vgl. Finsterbusch 2005b). 150 65 35
Premier League (ENG)
Serie A (ITA)
Primera División (SPA)
15
Bundesliga (BRD)
Abbildung 2:
Einnahmen europäischer Fußball-Ligen aus der TV-Vermarktung im Ausland 2004/2005 (Mio. €)
Quelle:
In Anlehnung an Kramer/Weinzierl/Wulzinger 2005, S. 187
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In einem Interview mit dem Manager-Magazin im Juli 2005 bezeichnet Karl-Heinz Rummenigge die Situation im Bereich der TV-Vermarktung im Ausland mit folgenden Worten: „Auf diesem Feld ist der Fußball in Deutschland katastrophal schwach aufgestellt. Für uns ist das eine wichtige Baustelle, hier müssen wir rasch auf internationales Niveau kommen. [...]. Ein Beleg ist auch die Präsenz der anderen Topvereine im asiatischen Fernsehen. Die sind in der weltweiten Vermarktung schon lange aktiv, während Fußballdeutschland hier viel zu lange einen Tiefschlaf gehalten hat. Nun gilt es, diesen Rückstand aufzuarbeiten“ (Manager-Magazin 2005). Eine Maßnahme dazu ist etwa der Versuch, die Anstoßzeiten der Bundesliga zu verlegen, um aus der Neben- in die Hauptsendezeit asiatischer TV-Sender zu kommen, wie es die spanische und englische Liga bereits vormachen. Bayern-Manager Uli Hoeneß betont immer wieder, dass das größte Potenzial in der Fernsehvermarktung liegt und es erreicht werden müsse, dass an jedem Spieltag ein Spiel am Samstagmittag bereits um 13.00 Uhr angepfiffen wird (vgl. Finsterbusch 2005a). Auch Rummenigge unterstreicht diese Forderung: „Das ist eine zentrale Frage. An der Antwort wird man ablesen können, ob die Bundesliga exklusiv ihren nationalen Markt stärken will – das hieße, dass die Spielbeginne nicht verlegt werden; oder ob man in internationalen Zusammenhängen denkt. Dann müsste es auch Spiele geben, die mittags laufen. Aus deutscher Sicht wäre das revolutionär, global betrachtet aber schlicht notwendig. Dennoch bekommt man für solch einen Vorschlag mächtig Gegenwind. Aber die Vereine hat es zu interessieren, denn hier liegen Vermarktungschanche brach. Wenn die nicht genutzt werden, wird der deutsche Fußball international weiter an Stellenwert verlieren“ (Manager-Magazin 2005). Das Ziel besteht deshalb darin, die Bundesliga im Ausland mittel- bis langfristig besser zu positionieren. Erste Erfolge sind bereits sichtbar: So konnte die Anzahl der über die Bundesliga berichtenden Länder auf 133 gesteigert werden. Insgesamt wurden 108 der 153 Bundesligaspiele der Hinrunde der Saison 2004/2005 im Ausland live übertragen.
3.2
Merchandising und PR
Auch im Bereich Internationales Merchandising und PR hat der FC Bayern noch Aufholbedarf. So beruht etwa der finanzielle Erfolg Manchester Uniteds auch auf einem strategisch sehr gut ausgerichteten Merchandising-Konzept. Im Geschäftsjahr 2003 verkaufte der Club Trikots und Fanartikel im Wert von 11,5 Mio. £, was 7% des Um-
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satzes entsprach. Auf nationaler Ebene sind hier vor allem die strategischen Partnerschaften in Form von Franchise-Stores mit den Ketten Debenhams und Allports zu nennen. Das große Marken-Potenzial in Asien schöpft Manchester United derzeit mit 10 sog. Megastores z.B. in Singapur, Kuala Lumpur und Jakarta ab. Welche Zugkraft Manchester United zum Beispiel in Thailand besitzt, zeigt folgendes Beispiel: Bei einem Preisausschreiben, bei dem 10x2 Karten für einen Besuch eines Spiels in Manchester incl. Reisespesen zu gewinnen waren, beteiligten sich 10 Mio. Menschen, d.h. jeder fünfte Einwohner des Landes. In Indonesien verzeichnet die englische Premier League mit einem Zuschauerschnitt von ca. 8 Mio. bei TV-Live-Übertragungen eine höhere Zuschauerzahl als im Heimatmarkt (ca. 6 Mio. Zuschauer) (vgl. N.N. 2000, S. 12). Ein Grund für den Wettbewerbsvorteil der anderen europäischen Top-Ligen ist deren stärkerer interner Wettbewerb. So sind es in England 4-5 Vereine, die jährlich die Meisterschaft unter sich ausmachen und dabei vor allem in den Londoner Stadtteilen (Chelsea, Arsenal, Tottenham) starke Derbys austragen. In Italien sind die Stadtduelle in Rom (AS Rom und Lazio Rom) und Mailand (AC Mailand und Inter Mailand) ebenfalls häufig brisant. Und auch das spanische Duell zwischen Real Madrid und dem FC Barcelona lässt sich sehr wirksam im Ausland vermarkten. Dem FC Bayern und der Bundesliga fehlt es nach Aussage Hägeles dagegen an echten „stories“. Deshalb versucht man derzeit beim FC Bayern in Zusammenarbeit mit Werbeagenturen, ein greifbares Image für die ausländischen Märkte aufzubauen. Langfristiges Ziel ist es, das Image des FC Bayern im Ausland nachhaltig zu pflegen und daraus eine verstärkte Merchandisingnachfrage zu erzielen. Dabei spielt die Verpflichtung von neuen Spielern aus ausländischen Wachstumsmärkten eine wesentliche Rolle. Als der Hamburger Sportverein im Dezember 2002 etwa den japanischen Stürmerstar Takahara verpflichtete, wurde damit die Aussicht auf ca. 40.000 Trikotverkäufe auf dem japanischen Markt verbunden (vgl. Matz/Meyer-Odewald 2003, S. 17).
4
Koordination
Da die internationalen Aktivitäten des FC Bayern München bislang erst einen geringen Umfang erreicht haben, sind diese in der Organisationsstruktur des Vereins noch kaum sichtbar. Die ausländischen Aktivitäten werden überwiegend von den einzelnen Be-
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reichsverantwortlichen neben den Aufgaben auf dem nationalen Markt wahrgenommen. Häufig spielt dabei die persönliche Koordination eine große Rolle. So hat etwa der Vorstandsvorsitzende Rummenigge enge Kontakte zum japanischen Partner Gamba Osaka und Manager Hoeneß zum Baseball-Club Nippon Ham. Diese unspezifische Struktur stößt an ihre Grenzen, wenn die internationalen Aktivitäten in den nächsten Jahren wie geplant zunehmen. Entsprechend hat etwa Ajax Amsterdam eine eigene Abteilung für internationale Expansion eingerichtet. Auch Bayern München hat einen Verantwortlichen für Internationale Beziehungen eingestellt. Dadurch lassen sich die internationalen Aktivitäten besser bündeln und die in vielen Vereinen bislang nur schwach ausgeprägten internationalen Kompetenzen der Mitarbeiter konzentrieren. Im Rahmen der prozessualen Koordination dominieren personelle Instrumente. Die wichtigste Maßnahme ist die Sozialisation der ausländischen Spieler. Da es in der Vergangenheit immer wieder zu Problemen bei der kulturellen Anpassung in Deutschland kam, wird den neu nach Deutschland kommenden Spielern etwa ein intensives Sprachtraining angeboten. Dies soll vor allem dazu dienen, sich auf dem Spielfeld und im Alltag besser verständigen zu können. Zudem sollen die Spieler in die Lage versetzt werden, Interviews in deutscher Sprache zu geben. Diese Maßnahme beruht auch auf den Erfahrungen mit dem früheren Trainer Giovanni Trapattoni, dessen in gebrochenem Deutsch abgehaltene Pressekonferenz am 10. März 1998 die Probleme interkultureller Kommunikation im Profi-Fußball anschaulich demonstriert. Die Spieler sind jedoch nicht gezwungen, dieses Angebot auch anzunehmen. Zwar spricht eine Vielzahl der ausländischen Profis des FC Bayern München deutsch, wichtige Neuverpflichtungen wie Luca Toni oder Franck Ribéry benötigen jedoch weiterhin einen Dolmetscher. Über Sprachkurse hinausgehende Angebote wie kulturelle Trainings oder Einführungsseminare gibt es bislang bei Bayern München nicht.
5
Zukunftsperspektiven
Zwar besitzt der FC Bayern im internationalen Vergleich noch Nachholbedarf. Mit gezielten Maßnahmen wird jedoch versucht, den Rückstand im internationalen Wettbewerb aufzuholen. Dazu bemerkt Karl-Heinz Rummenigge: „Die Unterschiede bei den Einnahmen von Bundesliga und Premier League betragen teilweise mehr als 1000 Pro-
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zent. Es gibt Mittel und Wege, diese Schere langfristig zu schließen. Nur bin ich skeptisch, ob die Bundesliga bereit ist, zu Lasten des Heimatmarktes die dafür notwendigen Veränderungen vorzunehmen“ (Manager-Magazin 2005). Voraussichtlich bleibt der FC Bayern München – obwohl Vereine wie Werder Bremen oder Schalke 04 den Abstand verkürzt haben – vorerst der einzige deutsche Verein, der es mit den anderen europäischen Spitzenvereinen finanziell aufnehmen kann. Neben dem asiatischen Raum sieht man beim FC Bayern München v.a. in der Region Osteuropa neues Potenzial. Diese Einschätzung beruht auf zwei wesentlichen Vorteilen. Zum einen genießt der FC Bayern in Osteuropa höhere Popularitätswerte als z.B. Real Madrid oder Manchester United. Zum anderen spricht die räumliche Nähe für diesen Markt, da Marketingtouren mit Freundschaftsspielen der Mannschaft hier sehr einfach abzuwickeln sind. Entsprechend führte man beim FC Bayern bereits JointVenture-Gespräche mit dem polnischen Verein Legia Warschau (vgl. Manager-Magazin 2005). Höchste Priorität besitzen jedoch aufgrund ihres Marktpotenzials die asiatischen Märkte. Das starke Interesse der chinesischen Medien zum „Launch“ der chinesischen Homepage des FC Bayern München zeigt, dass hier noch großes Potenzial besteht. Fraglich ist jedoch, inwieweit der richtige Zeitpunkt für eine Expansion in die neuen Märkte nicht bereits verpasst wurde. So hat man beim FC Bayern wohl versäumt, die große Popularität der damaligen Bayern-Spieler Oliver Kahn und Michael Ballack nach der WM 2002 in Japan und Korea in eine gezielte Asien-Offensive umzusetzen. So äußerte sich etwa der ehemalige Manager Ilja Kaenzig von Hannover 96 dazu: „Wo wir jetzt stehen, waren die Engländer schon vor zehn Jahren“ (zit. nach Kramer/Weinzierl/Wulzinger 2005, S. 187). Das Ziel des FC Bayern München im Wettbewerb um internationale Marktanteile muss eine erfolgreiche Differenzierung gegenüber den Wettbewerbern sein. Dazu tragen medienwirksame deutsche Jungnationalspieler wie Schweinsteiger und Lahm genauso bei wie charakterstarke Topspieler wie Toni oder Ribéry. Die Integration ehemaliger Spieler ins Vereinsgeschehen soll dem Verein zudem mehr Geschichte und Gesicht geben. Und nicht zuletzt ist durch die Verpflichtung von Jürgen Klinsmann als neuem Trainer mit zusätzlicher internationaler Medienpräsenz zu rechnen.
Die Internationalisierung des FC Bayern München
127
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Länderübergreifende Konfiguration der Wertaktivitäten in der Luftfahrtindustrie. Eine komparative Studie der Fluggesellschaften Lufthansa und Ryanair
Dirk Holtbrügge, Universität Erlangen-Nürnberg Katja Wiedemann, Universität Erlangen-Nürnberg
Gliederung 1
Liberalisierung des Wettbewerbs in der Luftfahrtindustrie
2
FSNC versus LCC – Die Beispiele Lufthansa und Ryanair
2.1 2.2
Lufthansa als Full Service Network Carrier Der Low Cost Carrier Ryanair
3
Konzeptionelle Grundlagen
3.1 3.1.1 3.1.2 3.2
Adaption des Wertkettekonzepts für Fluggesellschaften Primäre Aktivitäten Unterstützende Aktivitäten Länderübergreifende Konfiguration der Wertaktivitäten
4
Forschungsdesign und -methodik
4.1 4.2 4.3
Datenerhebung Methoden der Datenaufbereitung Datenauswertung
5
Relevanz der Wertaktivitäten für Lufthansa und Ryanair
5.1 5.2
Primäre Aktivitäten Unterstützende Aktivitäten
6
Länderübergreifende Konfiguration der Wertaktivitäten bei Lufthansa und Ryanair
6.1 6.2
Primäre Aktivitäten Unterstützende Aktivitäten
7
Zusammenfassung, Schlussfolgerungen und Implikationen für zukünftige Studien
D. Holtbrügge et al. (Hrsg.), Management internationaler Dienstleistungen mit 3K, DOI 10.1007/978-3-8349-9476-9_6,© Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009
Länderübergreifende Konfiguration der Wertaktivitäten in der Luftfahrtindustrie
1
131
Liberalisierung des Wettbewerbs in der Luftfahrtindustrie
In den letzten Jahren hat sich die Luftfahrtindustrie stark gewandelt. Aufgrund von Deregulierungs- und Liberalisierungsmaßnahmen wurden zahlreiche restriktive Bedingungen aufgehoben, die bisher die Internationalisierung von Unternehmungen erschwert haben. So bewirken Abkommen zwischen verschiedenen Staaten auf bilateraler und multilateraler Ebene z.B. den freien Zugang zu allen Flughäfen des jeweiligen Partnerlandes oder die Zulassung mehrerer Fluggesellschaften pro Land (vgl. Pompl 2007, S. 429). Diese Liberalisierung des Luftverkehrs erleichtert es Luftfahrtgesellschaften, ihre internationale Tätigkeit nicht nur im Hinblick auf die angeflogenen Ziele, sondern auch hinsichtlich ihrer Wertaktivitäten auszudehnen. Gleichzeitig wurden dadurch jedoch auch die Markteintrittsbarrieren für neue Unternehmungen gesenkt. Insbesondere Low-Cost-Carrier (LCC) wie easyJet, Ryanair oder JetBlue Airways fordern traditionelle Full Service Network Carrier (FSNC) wie Lufthansa oder Air France beim Kampf um Marktanteile heraus. Allein in Deutschland stieg der Anteil der Passagiere, die mit LCC reisen, von 3% im Jahr 2000 auf beinahe 26% in 2007 (vgl. o.V. 2008, S. 6). Der Marktanteil der LCC ist auf dem intra-europäischen Markt von 2% im Jahr 1998 auf 16% im Jahr 2004 gestiegen. Für 2010 wird ein Marktanteil von 24% erwartet (vgl. Abb. 1). Auf dem amerikanischen Markt ist der Marktanteil von 5% im Jahre 1990 auf 25% im Jahr 2004 gestiegen und in den Märkten Asien sowie Australien verzeichnen die LCC ein ähnlich schnelles Wachstum (vgl. Atalik/Özel 2007). Diese Expansionsraten der LCC gehen zu Lasten der FSNC, die Marktanteile verlieren. Zwischen FSNC und LCC bestehen zahlreiche Unterschiede im Hinblick auf die verfolgten Geschäftsmodelle (vgl. Pender/Baum 2000; Dobruszkes 2006; Francis et al. 2006; Alderighi et al. 2007; Atalik/Özel 2007; o.V. 2008, S. 7). Das typische Geschäftsmodell von LCC beruht u.a. darauf, günstige Ticketpreise anzubieten, indem sie lediglich einen Basisservice in einer einzigen Passagierklasse erbringen, ihre Flugzeuge leasen anstatt zu kaufen oder nur zweitrangige Flughäfen anfliegen. Um niedrige Personalentwicklungs- und Instandhaltungskosten zu erzielen, besteht ihre Flotte lediglich aus einem Flugzeugtyp. LCC bedienen einfache Routen im Punkt-zu-PunktVerkehr anstelle des Transfers über ein oder mehrere Drehkreuze. Zur Reduktion der Personalkosten sind die Mitarbeiter oftmals gefordert, mehrere Tätigkeiten zu über-
Dirk Holtbrügge, Katja Wiedemann
132
nehmen. So ist z.B. eine Flugbegleiterin auch für die Reinigung des Flugzeugs verantwortlich oder als Gate Agent tätig. Außerdem sind die Flugzeiten der Flugzeuge länger und die Auslastung höher (vgl. Atalik/Özel 2007). Während die unterschiedlichen Geschäftsmodelle von FSNC und LCC in den letzten Jahren im Mittelpunkt zahlreicher Veröffentlichungen standen, wurde bislang noch kaum untersucht, ob und in welcher Weise sich diese auch durch unterschiedliche Internationalisierungsstrategien auszeichnen. Dabei ist insbesondere die Frage von Bedeutung, ob es Unterschiede in der länderübergreifenden Konfiguration von Wertaktivitäten von FSNC und LCC gibt, und wenn ja, in welcher Weise sich diese auf deren Erfolg auswirken. Ø jährliche Wachstumsraten von LCC
+67%
(365)
100%
+40%
(435) (500)
2 23
+15%
7
16
1998
(614)
(705)
20
24
LCC
21 18
75
+11%
72
2001
18
16
66
62
60
2004
2007E
2010E
Charter
Linienfluggesellschaften
Abbildung 1:
Entwicklung der Marktanteile im intra-europäischen Luftverkehr
Quelle:
Binggelli/Pompeo 2005
Die länderübergreifende Konfiguration von Wertaktivitäten hat das Ziel, die Wettbewerbsvorteile, die sich durch die Internationalisierung einer Unternehmung ergeben, möglichst weitgehend auszuschöpfen. Dabei können die beiden Idealtypen der vollständigen Konzentration aller Wertaktivitäten an einem Ort und die geographische Streuung der Wertaktivitäten auf eine Vielzahl von Standorten unterschieden werden. Während die Konzentration vor allem der Ausnutzung von Größendegressionsvortei-
Länderübergreifende Konfiguration der Wertaktivitäten in der Luftfahrtindustrie
133
len dient, lassen sich durch die geographische Streuung insbesondere Arbitrage- und Risikovorteile realisieren (vgl. Welge/Holtbrügge 2006, S. 147 ff). In den letzten Jahren wurden zahlreiche Studien veröffentlicht, die sich lediglich mit einzelnen Wertaktivitäten wie z.B. dem Marketing oder dem Personalmanagement in Luftfahrtgesellschaften beschäftigen (vgl. Neu 1989; Lienhard 1994; Morell 1997; Eaton 2001; Zeni 2001; Holtbrügge/Wilson/Berg 2006). Es fehlt jedoch an Untersuchungen, die Zusammenhänge zwischen verschiedenen Wertaktivitäten analysieren. Insbesondere mangelt es an komparativen Studien zwischen FSNC und LCC. Das Ziel dieses Beitrags besteht deshalb darin zu überprüfen, ob Unterschiede in der länderübergreifenden Konfiguration von Wertaktivitäten zwischen FSNC und LCC bestehen und wenn ja, worauf diese Unterschiede zurückzuführen sind. Als typische Beispiele hierfür werden Lufthansa und Ryanair betrachtet. Die Analyse der Unterschiede zwischen diesen beiden Fluggesellschaften bezieht sich auf verschiedene Fragestellungen. Zunächst wird untersucht, welche Relevanz unterschiedliche Wertaktivitäten für FSNC und LCC besitzen. Anschließend wird dargestellt, wie die Wertaktivitäten innerhalb dieser unterschiedlichen Geschäftsmodelle weltweit konfiguriert sind, welche Bedingungen auf die jeweiligen Konfigurationsformen einwirken und welche Wettbewerbsvorteile sich dadurch realisieren lassen. Im folgenden Abschnitt werden zunächst die Fluggesellschaften Lufthansa und Ryanair als typische Beispiele für FSNC und LCC vorgestellt. Als Grundlage dieser Studie dient eine Adaption von Porter’s Wertkette auf Dienstleistungsunternehmungen. Diese konzeptionelle Grundlage wird in Abschnitt 3 erläutert. Abschnitt 4 präsentiert das Forschungsdesign. Anschließend werden die Unterschiede in der Relevanz sowie der länderübergreifenden Konfiguration der Wertaktivitäten zwischen Lufthansa und Ryanair analysiert. Eine Zusammenfassung der Erkenntnisse der Untersuchung sowie die Ableitung von Schlussfolgerungen runden den Beitrag in Abschnitt 6 ab.
2 2.1
FSNC versus LCC – Die Beispiele Lufthansa und Ryanair Lufthansa als Full Service Network Carrier
Bei FSNC handelt es sich um internationale Fluggesellschaften mit stark vernetzten Strukturen. Um ein globales Routen- und Vertriebsnetzwerk aufzubauen, werden diese
Dirk Holtbrügge, Katja Wiedemann
134
komplexen Strukturen durch Kooperationen mit regionalen Fluggesellschaften sowie strategische Flugallianzen unterstützt. Neben der Passagierbeförderung werden weitere zuliefernde Funktionen wie z.B. Catering, Luftfracht oder Versicherungen erbracht. FSNC bedienen mehrere Serviceklassen und bieten differenzierte Pre-, In- und PostFlugservices an. Basierend auf dieser Produktdifferenzierung erschließen FSNC verschiedene Marktsegmente durch eine intensive Preisdifferenzierung. Als dominierende Fluglinien innerhalb ihres Heimatmarktes betreiben FSNC ein oder mehrere Drehkreuze (vgl. Pompl 2007, S. 104 ff.). Ein typisches Beispiel dafür ist die Deutsche Lufthansa (vgl. Tab. 1). Die im Jahre 1926 gegründete Unternehmung ist eine der erfolgreichsten Fluggesellschaften weltweit. Im Geschäftsjahr 2006 erzielte die Deutsche Lufthansa einen Umsatz von 22,4 Mrd. € und beschäftigte 100.779 Mitarbeiter (vgl. Lufthansa 2007). Mit 51,2 Mio. Passagieren nimmt die Unternehmung weltweit den 5. Rang ein (vgl. IATA 2006). Im Winter 2007/2008 erstreckt sich das Routennetzwerk auf 206 Destinationen in 85 Ländern (vgl. Lufthansa 2007). Seit Beginn ihrer Tätigkeit verfügt Lufthansa über das Image, sicher, pünktlich, qualitativ hochwertig sowie zuverlässig zu sein und in besonderem Maße über technische Kompetenz zu verfügen. Dieses Image erlaubt es Lufthansa, deutlich höhere Ticketpreise als ihre Wettbewerber zu fordern. Das Bestreben besteht darin, Qualitätsführer in der Luftfahrtindustrie zu sein. Die Fluglinie bedient mehrere Serviceklassen und zeichnet sich durch eine ausgeprägte Produktdifferenzierung aus. Der Lufthansa-Konzern besteht aus mehreren Geschäftsbereichen und bietet neben Transportservices weitere Dienstleistungen innerhalb der Luftfahrtindustrie wie Catering oder Instandhaltungsmaßnahmen an. Das Luftstreckennetz von Lufthansa erstreckt sich über Destinationen auf der ganzen Welt mit dem Hauptdrehkreuz Frankfurt/Main als Heimatflughafen. Als Mitglied der weltweit führenden strategischen Flugallianz Star Alliance nutzt Lufthansa die Vorzüge der Kooperation wie z.B. die Ausweitung des Streckennetzes durch den Rückgriff auf die Netze der Allianzpartner und die Steigerung der Auslastung durch die Zusammenlegung von Flügen.
2.2
Der Low Cost Carrier Ryanair
Ryanair als typischer LCC konzentriert seine Aktivitäten auf die Passagierbeförderung im Linienverkehr von Punkt zu Punkt. Dabei strebt die Fluglinie u.a. durch eine höhere
Länderübergreifende Konfiguration der Wertaktivitäten in der Luftfahrtindustrie
135
Bestuhlungsdichte und intensivere Flugzeugnutzung die bestmögliche Auslastung der Kapazitäten an. Typischerweise werden regionale oder zweit- und drittrangige Flughäfen in der Nähe von Ballungszentren angeflogen, da diese niedrigere Landegebühren fordern. Darüber hinaus wird das Streckennetz schnell an veränderte Nachfragebedingungen angepasst. Ein kostenfreier zusätzlicher Service wird nicht oder kaum angeboten und kostengünstige Tickets werden über Direktvertrieb wie das Internet veräußert (vgl. Pompl 2007, S. 107; o.V. 2008, S. 6 f.).
Köln, Deutschland
Dublin, Irland
FSNC
LCC
Streckennetz
interkontinental
international
Umsatz (2007)
16,0 Mrd. €
2,2 Mrd. €
Gewinn (2007)
Hauptsitz Typ
826 Mio. €
307 Mio. €
Mitarbeiter (2007)
47.230
3.991
Passagiere (2007)
62,9 Mio.
42,5 Mio.
206 Destinationen in 85 Ländern
147 Destinationen in 25 europäischen Ländern + Marokko
Werte
Qualität, Sicherheit, Innovation, Zuverlässigkeit
Kostengünstig, Fokus auf Kerngeschäft
Geschäftsbereiche
Fokus auf Passagierbeförderung Passagierbeförderung, Logistik, Technik, IT Services, Catering, Touristik
Streckennetz
Tabelle 1:
Lufthansa (Geschäftssegment: Passenger Transportation) und Ryanair im Vergleich
Quelle:
Eigene Darstellung in Anlehnung an Lufthansa (2007, 2008) und Ryanair (2007, 2008a)
Ryanair wurde 1985 von dem irischen Geschäftsmann Tony Ryan gegründet. Von Beginn an versuchte die Fluggesellschaft, in den Markt von Aer Lingus und British Airways mittels niedriger Preise einzudringen und expandierte schnell. Im Geschäftsjahr 2006 erzielte die Unternehmung einen Umsatz von 2,24 Mrd. € und beschäftigte 3.991 Mitarbeiter. Ryanair transportierte 42,5 Mio. Passagiere (vgl. Ryanair 2007) innerhalb seines Streckennetzes, das sich über 147 Destinationen in 25 europäischen Ländern zuzüglich Marokko erstreckt (vgl. Ryanair 2008b). Die irische Fluggesellschaft führt ihre
Dirk Holtbrügge, Katja Wiedemann
136
Expansionsstrategie weiter fort und plant langfristig eine Erweiterung der Flotte von 137 auf 400 Maschinen (vgl. o.V. 2008, S. 6). Ryanair und sein wichtigster Wettbewerber easyJet werden als die bedeutendsten Repräsentanten ihres Marktsegments in Europa angesehen, da sie das No-Frill-Concept am intensivsten verfolgen. Slogans wie ‚Ryanair – the cheapest prices guaranteed’ oder ‚Ryanair – the low fares airline’ (vgl. Ryanair 2008a) verdeutlichen den ausschlaggebenden Unterschied zu FSNC: Während sich Lufthansa auf Faktoren wie Qualität und Differenzierung fokussiert, basiert das Geschäftskonzept von Ryanair auf einem niedrigen Preis.
3
Konzeptionelle Grundlagen
Lufthansa und Ryanair sind im Hinblick auf eine erfolgreiche Tätigkeit auf den stark umkämpften internationalen Flugmärkten gefordert, nachhaltige Wettbewerbsvorteile zu generieren. Sie stehen dabei im Spannungsfeld zwischen der globalen Integration der Wertaktivitäten zur Erzielung von Standardisierungsvorteilen und der lokalen Anpassung der Aktivitäten an nationale Gegebenheiten. Die Entscheidung über die geographische Konzentration oder Streuung jeder Wertaktivität birgt die Möglichkeit zur Erzielung von Wettbewerbsvorteilen in sich. Deren konkrete Gestaltung ist von vielfältigen Bedingungen wie z.B. unterschiedlichen Kundenpräferenzen oder rechtlichen Bestimmungen in den bedienten Märkten abhängig. Ein Instrument, mit dessen Hilfe sich die Auswirkungen der Konfiguration auf die Wettbewerbsvorteile einer Unternehmung analysieren lassen, ist das Wertkettenkonzept von Porter (1985, S. 33). Im internationalen Kontext kann das Konzept auch als Basis für die Entscheidung über die grenzüberschreitende Konfiguration der einzelnen Wertaktivitäten herangezogen werden (Porter 1986, S. 23 ff.). Da das Wertkettekonzept von Porter ursprünglich für produzierende Unternehmungen entwickelt wurde, muss es zunächst auf Dienstleistungen und speziell die Flugbranche übertragen werden. Holtbrügge/Wiedemann/Schäfer (2009) kommen dabei zu dem Ergebnis, dass sich die Wertaktivitäten einer Fluggesellschaft analog zu dem Konzept von Porter in primäre und unterstützende Wertaktivitäten unterteilen lassen. Die primären Aktivitäten tragen direkt zur Leistungserstellung bei, indem sie entweder Servicepotenzial bereitstellen oder der Ergebnisphase dienlich sind. Die unterstützenden Aktivitäten hingegen liefern Ressourcen für die Wertkette insgesamt oder für die einzelnen Wertak-
Länderübergreifende Konfiguration der Wertaktivitäten in der Luftfahrtindustrie
137
tivitäten. Der Inhalt der primären und insbesondere der unterstützenden Aktivitäten weicht jedoch stark vom originär für produzierende Unternehmungen entwickelten Porterschen Konzept ab. Die primären Aktivitäten lassen sich in Anlehnung an die Dienstleistungsliteratur nach der Phasenorientierung in Potenzial-, Prozess- und Ergebnisphase kategorisieren (vgl. Hilke 1989, S. 10; Frehse 2002, S. 32), während die ursprünglichen von Porter herangezogenen unterstützenden Aktivitäten um die Netzwerkplanung und das Yield Management ergänzt werden müssen. Letzteres ist nicht nur ein Instrument des Marketing-Mix, sondern beeinflusst alle primären Wertaktivitäten und stellt den wichtigsten Handlungsrahmen für diese dar. In Abb. 2 ist die typische Wertkette einer Fluggesellschaft, die als konzeptioneller Rahmen dieser Studie dient, bildhaft dargestellt. Im Folgenden werden die primären und unterstützenden Aktivitäten einer Fluggesellschaft und deren Beziehungen zueinander detailliert beschrieben.
3.1
Adaption des Wertkettekonzepts für Fluggesellschaften
3.1.1
Primäre Aktivitäten
Potenzialphase Die Potenzialphase zeichnet sich durch die Fähigkeit und die Bereitschaft aus, eine bestimmte Kombination von internen Potenzialfaktoren bereitzustellen, die für die Leistungserstellung notwendig sind (vgl. Hilke 1989, S. 11). Die erste Aktivität einer Fluggesellschaft in der Potenzialphase ist Marketing und Vertrieb (vgl. Corsten 2001, S. 21). Im Gegensatz zu Produktionsunternehmungen, deren Marketing- und Vertriebsaktivitäten am Ende der Wertkette positioniert sind, stehen diese bei Dienstleistungsunternehmungen an deren Beginn. Dies gilt insbesondere für Fluggesellschaften, da der eigentliche Service aufgrund der Immaterialität der Dienstleistung erst mit der Ansprache des Kunden durch die Marketingaktivitäten repräsentativ wird. Marketing und Vertrieb können somit nicht erst nach der Leistungserstellung durchgeführt werden, sondern müssen vor dieser erfolgen. Daher lassen sich Marketing- und Vertriebstätigkeiten von Fluggesellschaften als vorgelagerte Aktivitäten klassifizieren. Zu den weiteren Aktivitäten der Potenzialphase zählen die Flugvorbereitung und die Eingangslogistik. Erstere sorgt dafür, dass alle Faktoren zur Verfügung stehen, die für die eigentliche Leistungserbringung, nämlich den Flug, notwendig sind. Die Flugvor-
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138
bereitung lässt sich weiter in Wartung und Instandhaltung sowie Flugabfertigung unterteilen, wobei die Abfertigung die Fluglinienplanung, die Einweisung der Flugzeugbesatzung in die relevanten Flugdaten sowie die Slot-, Treibstoff- und Frachtplanung beinhaltet. Die Eingangslogistik umfasst alle Aktivitäten, die vor dem Flug auf dem Rollfeld am Abflugort stattfinden, wie z.B. Reinigung, Betankung und das Beladen des Flugzeugs mit Catering sowie sonstiger Ausrüstung, die für den Board-Service benötigt wird.
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Abbildung 2:
Idealtypische Wertkette einer Fluggesellschaft
Quelle:
Holtbrügge/Wiedemann/Schäfer 2009
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Prozessphase Der Eintritt in die Prozessphase ist durch die Integration des externen Faktors gekennzeichnet (vgl. Hilke 1989, S. 12), d.h. des Passagiers sowie seines Gepäcks. Tatsächlich wurde der Passagier bereits in die Vertriebsaktivitäten einbezogen. Sowohl das Angebot der Tickets von Seiten der Fluggesellschaft als auch deren Kauf durch den Passagier sind im Hinblick auf die Umwandlung des Service in eine tatsächlich bewertbare Marktleistung erforderlich (vgl. Stoor 1989, S. 100). Daraus folgt eine Ausweitung der bestehenden Klassifizierung der Prozessphase um ein zusätzliches essenzielles Merkmal, d.h. es geht nicht nur um die Integration des externen Faktors in die Leistungserbringung, sondern auch um dessen Veränderung und lokale Transformation. Die Prozessphase lässt sich in drei Sub-Phasen untergliedern und zwar in die PreFlug-, Flug- und Post-Flugphase. In den folgenden Abschnitten werden diese drei Phasen mit ihren zugehörigen Aktivitäten näher betrachtet.
Länderübergreifende Konfiguration der Wertaktivitäten in der Luftfahrtindustrie
139
Pre-Flugphase Die Vorflugphase umfasst das Bodenmanagement am Abflugort, zu welchem passagier- und rollfeldbezogene Aktivitäten zählen. Erstgenannte beinhalten sowohl den Check-in als auch die Bereitstellung von Lounges und das Boarding. Die Rollfeldaktivitäten umfassen z.B. das Verladen des Gepäcks in das Flugzeug, die Tätigkeiten der Ramp Agenten sowie das Pushback. Eine mögliche Kombination dieser Rollfeldaktivitäten mit denen der Eingangslogistik ist nicht möglich, da die rollfeldbezogenen Aktivitäten der Prozessphase zeitlich vor jenen der Potenzialphase stattfinden. Zudem wird die Modifikation der Passagiere und des Gepäcks während der Pre-Flugphase durch das Check-in sowie das Boarding veranlasst (vgl. J.D. Power and Associates 2006, S. 1; McLaren 1998, S. 112). Flugphase In der Flugphase wird die Modifikation des externen Faktors vorgenommen. Der Transportservice bringt den gewünschten Standortwechsel von Passagier, Gepäck und Fracht mit sich. Das besondere Merkmal des Flugtransports stellt die Ergänzung um materielle Güter dar, die einen hohen Kostenfaktor darstellen. Dazu zählt vor allem das Flugzeug selbst, ohne welches die Dienstleistung nicht ausgeführt werden kann. Während des Fluges werden verschiedene Zusatzleistungen wie z.B. die Verpflegung der Fluggäste erbracht. Post-Flugphase Die Post-Flugphase betrifft das Bodenmanagement am Ankunftsflughafen. Ähnlich wie die flugvorbereitenden Maßnahmen und die Eingangslogistik lassen sich bei der Bodenabfertigung am Ankunftsort Landside- und Airside-Aktivitäten unterscheiden. Die Aktivitäten auf dem Rollfeld umfassen das De-Boarding der Passagiere sowie das Entladen des Gepäcks. In den Gebäuden des Flughafens werden zudem die Gepäckstücke umgeladen und an die Passagiere ausgehändigt. Ergebnisphase Die Modifikation des externen Faktors während der Prozessphase resultiert in dessen Verlagerung vom Abflugs- zum Ankunftsort. Der exakte Zeitpunkt, zu dem das Ergebnis erreicht ist, liegt in dem Moment, in dem der Passagier sein Gepäck am Ankunftsort in Empfang nimmt. In diesem Moment ist der erwünschte Service erfolgreich erbracht worden.
Dirk Holtbrügge, Katja Wiedemann
140
Das Beschwerdemanagement stellt eine wichtige Komponente der Nachkontaktphase dar. Jedoch können Kundenzufriedenheit und -loyalität gefördert werden, indem Beschwerden bereits während der Prozessphase entgegengenommen und schon umgehend verbessernde Maßnahmen während der Leistungserbringung eingeleitet werden (vgl. Fantapié Altobelli/Bouncken 1998, S. 288). Dies ist aufgrund der Integration des externen Faktors in den Leistungsprozess sowie der Simultanität von Produktion und Konsum möglich. Einen weiteren wichtigen Bestandteil dieser Phase stellen Vielflieger-Programme als Mittel zur Kundenbindung dar. Mit Vielflieger-Programmen als Marketinginstrument ist die Verbindung zur ersten Aktivität in der Wertkette, dem Marketing, hergestellt. Damit schließt sich der Kreis und es entsteht eine Kette, deren Anfang und Ende das Marketing bildet.
3.1.2
Unterstützende Aktivitäten
Die Unternehmungsinfrastruktur stellt die einzige unterstützende Aktivität dar, welche die gesamte Wertkette und nicht nur einzelne Wertaktivitäten beeinflusst. Neben der strategischen Planung umfasst diese Aktivität den Rechts- und Finanzbereich der Unternehmung sowie das Qualitätsmanagement. Wie die meisten Dienstleistungsunternehmungen zeichnen sich Fluggesellschaften durch einen extrem hohen Grad an Kundenkontakt aus (vgl. Doganis 2006, S. 276). Da Fluggesellschaften ein weitgehend ähnliches Produkt anbieten, sind sie auf einen herausragenden Kundenservice angewiesen, um sich von ihren Konkurrenten abzuheben (vgl. Holtbrügge/Wilson/Berg 2006, S. 4). Insbesondere das Personalmanagement muss sicherstellen, dass jede Wertaktivität mit Mitarbeitern besetzt ist, die sorgfältig ausgewählt und kontinuierlich weitergebildet werden (vgl. Thomas 1997, S. 137). Die Studie von Holtbrügge/Wiedemann/Schäfer (2009) zeigt ferner, dass Fluggesellschaften keine Forschungs- und Entwicklungsabteilung im klassischen Sinn haben. Jedoch setzt die technologische Entwicklung in allen Phasen der Wertkette an. Insbesondere die Anwendung von IT-Systemen trägt dazu bei, die Effizienz der unternehmensinternen Abläufe zu verbessern. Die Beschaffungsfunktion ist aufgrund ihres wesentlichen Einflusses auf den Erfolg einer Fluggesellschaft von großer strategischer Bedeutung. So beeinflusst z.B. der erworbene Flugzeugtyp den Treibstoffverbrauch. Bezogene Güter in Form materiellen
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Inputs wie Boden-Fahrzeuge und Catering sowie externe Serviceleistungen werden in jeder Dienstleistungsphase erworben. Netzwerkplanung sowie Yield- und Ertragsmanagement stellen schließlich unterstützende Aktivitäten dar, die Luftfahrtgesellschaften von vielen anderen Dienstleistungsunternehmungen unterscheiden. Nach der Studie von Holtbrügge/Wiedemann/Schäfer (2009) handelt es sich bei der Netzwerkplanung um die Aktivität mit dem bedeutendsten Einfluss auf alle anderen Wertaktivitäten. Sie bestimmt nicht nur, welche Destinationen in das Routennetzwerk aufgenommen, sondern auch, wo und wann welche primären Wertaktivitäten durchgeführt werden. Nachdem die Serviceangebote definiert wurden, müssen Angebot und Nachfrage aufeinander abgestimmt werden. Diese Aufgabe liegt in der Verantwortung des Yieldmanagement. Im Rahmen dieser Aktivität werden die Pläne koordiniert und die Flugpreise festgelegt (vgl. Shaw 2004, S. 176). Das Ertragsmanagement hat seinen Ursprung in der Simultanität von Produktion und Verbrauch und dem daraus resultierenden Verfall der Inanspruchnahme der Leistung. Die Herausforderung besteht darin, Angebot und Nachfrage derart aufeinander abzustimmen, dass Tickets auf die maximal mögliche Anzahl an Sitzplätzen zum höchstmöglichen Preis verkauft werden. Deshalb kann eine effiziente Preisstrategie ein bedeutendes Mittel zur Erzielung von Wettbewerbsvorteilen sein (vgl. Knorr/Zigova 2004, S. 7). Die Basis für die Maximierung der Gewinnspanne einer Fluggesellschaft bildet die optimale Gestaltung jeder einzelnen dargestellten Wertaktivität sowie die Interaktionen zwischen diesen Aktivitäten. Dieser Aspekt ist für internationale Unternehmungen u.a. im Hinblick auf die länderübergreifende Konfiguration und damit die Entscheidung bezüglich der geographischen Konzentration bzw. Streuung der Wertaktivitäten über Ländergrenzen hinweg von strategischer Bedeutung. Dieser Aspekt der länderübergreifenden Konfiguration der Wertaktivitäten wird im folgenden Abschnitt dargestellt.
3.2
Länderübergreifende Konfiguration der Wertaktivitäten
Unternehmungen, die mit Tochtergesellschaften in verschiedenen Ländern tätig sind, dürfen die einzelnen in- und ausländischen Engagements nicht isoliert betrachten und an den Erfordernissen des jeweiligen Marktes orientieren, sondern müssen den weltweiten Erfolg der gesamten international tätigen Unternehmung durch die Erzielung länderübergreifender Wettbewerbsvorteile sicherstellen. Ein zentrales Instrument dazu
Dirk Holtbrügge, Katja Wiedemann
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stellt die grenzüberschreitende Optimierung der Wertkette dar (vgl. Welge/Holtbrügge 2006, S. 147 f.). International tätigen Unternehmungen stehen für die internationale Konfiguration ihrer Wertaktivitäten zwei idealtypische Gestaltungsalternativen zur Verfügung, und zwar einerseits die vollständige Konzentration und andererseits die geographische Streuung der Wertaktivitäten. Die Vorteilhaftigkeit dieser beiden Alternativen hängt insbesondere von der Stellung der jeweiligen Wertaktivität in der Wertkette und der relativen Bedeutung von Skaleneffekten bzw. komparativen Kosten- und Koordinationsvorteilen ab (vgl. Porter 1989, S. 25 ff.). Konfiguration der Wertaktivitäten geographische Konzentration
Stufen des Wertschöpfungsprozesses
geographische Streuung parallele Konfiguration
integrierte Konfiguration
Land A
Land B
• Kostendegressionsvorteile
• Anpassung an nationale Bedingungen
• Imagevorteile
• komparative Kostenvorteile (Arbitragevorteile)
• Schutz vor Know-howDiffusion • geringer Koordinationsaufwand
• Flexibilität • Risikominimierung
Abbildung 3:
Idealtypische Gestaltungsalternativen der länderübergreifenden Konfiguration der Wertaktivitäten
Quelle:
Eigene Darstellung in Anlehnung an Welge/Holtbrügge 2006, S. 148
Während nachgelagerte, also stärker kundenbezogene Wertaktivitäten, wie z.B. Marketing und Vertrieb, überwiegend in geographischer Nähe zu den wichtigsten Kunden angesiedelt und damit stärker gestreut sind, werden vorgelagerte und unterstützende Wertaktivitäten, wie z.B. Forschung & Entwicklung und Beschaffung, zumeist stärker regional konzentriert. Dies gilt vor allem für Branchen, in denen die technologische Entwicklung und die operativen Prozesse von großer Bedeutung zur Erzielung von
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Wettbewerbsvorteilen sind. Die Anzahl der Standorte, an denen bestimmte Wertaktivitäten angesiedelt werden, wird dabei durch die Möglichkeit der Erzielung von Größendegressionseffekten bestimmt, während die geographische Lage dieser Standorte, d.h. die Marktwahl, vor allem von der Höhe potenzieller Kosten- und Koordinationsvorteile abhängt. Unternehmungen müssen somit eine Entscheidung darüber treffen, wie die einzelnen Wertaktivitäten sowie die innerhalb dieser ablaufenden Prozesse konfiguriert werden sollen, d.h. ob z.B. die Beschaffung an einem oder mehreren Standorten erfolgen soll und ob bei einem mehrstufigen Beschaffungsprozess alle Beschaffungsstufen in einer Tochtergesellschaft angesiedelt oder diese auf mehrere Tochtergesellschaften verteilt werden sollen. Idealtypisch können dabei die in Abb. 3 dargestellten Alternativen unterschieden werden. Um Wettbewerbsvorteile zu erzielen, kann eine internationale Unternehmung demnach eine oder sämtliche Wertaktivitäten in einem Land konzentrieren oder dezentralisieren. Die Effizienz der Entscheidungsalternativen hängt hauptsächlich von der verfolgten Unternehmungsstrategie ab. Darüber hinaus können einige Aktivitäten gestreut, andere wiederum konzentriert werden, so dass sich eine integrierte Konfigurationsform ergibt. Die Erzielung von Größendegressionsvorteilen, Lernkurveneffekten und Koordinationsvorteilen sprechen z.B. für eine Konzentration der Aktivitäten an einem Standort. Durch eine parallele oder integrierte Konfiguration hingegen kann eine Unternehmung länderspezifische Risiken reduzieren und komparative Vorteile ausnutzen. Die Basis für die Konfigurationsentscheidung ist demnach eine Wertkettenanalyse.
4
Forschungsdesign und -methodik
Um die Relevanz der wertschöpfenden Aktivitäten sowie deren grenzüberschreitende Konfiguration bei Lufthansa als FSNC und Ryanair als LCC zu untersuchen, werden die Geschäftsberichte der beiden Unternehmungen analysiert. Die Datenbasis bilden die jeweils aktuellen Geschäftsberichte der beiden Unternehmungen aus dem Jahr 2007. Als Analysemethoden werden die quantitative Inhaltsanalyse in Form einer Frequenzanalyse sowie die qualitative Inhaltsanalyse herangezogen.
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Dirk Holtbrügge, Katja Wiedemann
4.1 Datenerhebung Die Basis dieser Studie bilden qualitative Daten in Form von Geschäftsberichten. Für die Analyse der Relevanz der wertschöpfenden Aktivitäten sowie deren länderübergreifende Konfiguration wird die jeweils aktuelle Version der Geschäftsberichte der beiden Unternehmungen Lufthansa und Ryanair des Geschäftsjahrs 2007 herangezogen, um dadurch zeitnahe Informationen zu gewinnen. Mit der Veröffentlichung von Geschäftsberichten verfolgen deutsche Unternehmungen wie Lufthansa das Ziel, ihren gesetzlichen Informationspflichten zur jährlichen Berichterstattung gegenüber Aktionären, Mitarbeitern, Kreditinstituten sowie nach dem Gesetzeswortlaut nicht direkt bestimmten Adressatenkreisen (z.B. Bundesanzeigerpublizität) nachzukommen. Der Jahresabschluss und der Lagebericht bilden den (quasi-) obligatorischen Teil des Geschäftsberichts (vgl. Küting/Hütten 1998, S. 308 f.) und haben nach §§264 (2), 289 HGB unter Beachtung der Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Kapitalgesellschaft zu vermitteln. Die gesetzlichen Vertreter der Gesellschaft bürgen mit ihrer Unterschrift für die Richtigkeit dieser Informationen (vgl. Kirchhoff/Döbler 1997, S. 30; Baden/Wilhelm 1995, S. 162; Hütten 2000, S. 84). Der Verstoß gegen diese Vorschriften kann nach §331 HGB zu einer Geld- oder Freiheitsstrafe führen. Hinsichtlich der Vermittlung weiterer, über die obligatorischen hinausgehenden Informationen im Geschäftsbericht wie dem Brief an die Aktionäre oder Mehrjahresübersichten sind Unternehmungen grundsätzlich frei. Es ist jedoch auch hier einer aus den §§400 (1), Nr. 1 AktG, 82 (2) Nr. 2 GmbHG resultierenden Verpflichtung zur richtigen und unverschleierten Darstellung nachzukommen (vgl. Küting/Hütten 1998, S. 309). Zudem sind die freiwilligen Angaben z.B. im Lagebericht oder im Zusatzbericht in der Abschlussprüfung nach §§317 (1) S. 3, 320 HBG zu überprüfen (vgl. Adler et al. 1987; Schmidt 1992, S. 367). Somit obliegt auch der freie Teil des Geschäftsberichts rechtlichen Vorschriften. Durch das Bilanzrechtsreformgesetz (BilReG) wurden im Jahre 2004 die Pflicht zur Aufstellung eines Konzernabschlusses deutlich erweitert sowie die Bedeutung des Lage- und Konzernlageberichts aufgewertet. Er soll den Geschäftsverlauf und die Lage umfassend analysieren, wobei neben finanziellen und nicht-finanziellen Leistungsindikatoren auch die Ziele, Strategien und Erwartungen der Unternehmensleitung einzubeziehen sind (vgl. BMJ
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145
2004; Möller 2008). Hierzu zählen etwa auch Informationen über die einzelnen Wertaktivitäten. Irische Unternehmungen wie Ryanair sind ebenfalls verpflichtet, jedes Geschäftsjahr einen Jahresabschluss vorzulegen, der irischem Recht und den allgemein anerkannten Bilanzierungsgrundsätzen in Irland sowie den „Accounting Standards“ entspricht, die vom Accounting Standards Board herausgegeben und vom Institute of Chartered Accountants veröffentlicht werden. Der Jahresabschluss nach irischem Gesellschaftsrecht hat ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanzund Ertragslage der Gesellschaft zu vermitteln. Auch für die Führung ordnungsgemäßer Bücher ist Sorge zu tragen, aus denen die Vermögens- und Finanzlage der Gesellschaft jederzeit mit angemessener Genauigkeit hervorgeht. Mit dem Companies (Auditing and Accounting) Act 2003 wurde eine Vielzahl neuer Bestimmungen zu Rechnungslegung und Wirtschaftsprüfung eingeführt. Dabei wurde u.a. der rechtliche Rahmen für die Gründung der Irish Auditing and Accounting Supervisory Authority (IAASA) gelegt. Mit dieser Institution entstand eine Kontrollinstanz über den Berufsstand der Wirtschaftsprüfer, die die Einhaltung der Vorschriften zur Rechnungslegung und die Tätigkeit der Wirtschaftsprüfer überwacht. Aufgrund dieser rechtlichen Rahmenbedingungen sind Geschäftsberichte sehr gut als Datenbasis für die Analyse der hier relevanten Fragestellungen geeignet. Da die darin veröffentlichten Informationen durch unabhängige Instanzen geprüft werden, besitzen sie – z.B. im Vergleich zu Befragungen – eine hohe Reliabilität (vgl. Hütten 2000, S. 84). Vor allem aufgrund der Bestimmungen zur Lageberichterstattung ist zudem die Validität von Geschäftsberichten hoch. Informationen zu den einzelnen Wertaktivitäten und deren länderübergreifender Konfiguration erfordern ein umfassendes Wissen über die gesamte Unternehmung, das bei einzelnen Befragten in quantitativen Fragebogenerhebungen oder bei Interviewpartnern in qualitativen Studien zumeist nicht vorausgesetzt werden kann. Durch die Analyse von Geschäftsberichten, die die Sichtweise einer Unternehmung und nicht nur einzelner Mitarbeiter widerspiegelt, wird zudem der ansonsten häufig bestehende Single Respondent-Bias vermieden. Schließlich ist der Aufwand für die Datenerhebung gering, da Geschäftsberichte in digitaler Form vorliegen und damit mit Hilfe geeigneter Software-Programme leicht ausgewertet werden können.
146
Dirk Holtbrügge, Katja Wiedemann
4.2 Methoden der Datenaufbereitung Die Auswertung der Geschäftsberichte von Lufthansa und Ryanair erfolgt mit Hilfe einer quantitativen Inhaltsanalyse in Form einer Frequenzanalyse sowie einer qualitativen Inhaltsanalyse. Dazu ist zunächst die Aufbereitung der in den Geschäftsberichten entnommenen Informationen erforderlich. Die Grundlage der Datenaufbereitung stellt die Bildung von Auswertungskategorien dar (vgl. Atteslander 2003, S. 225; Birklbauer 2007, S. 811). Die gebildeten Kategorien werden in eine oder mehrere Variablen gefasst, die verschiedene Ausprägungen haben können. Das daraus entstehende Kategoriensystem legt diejenigen Aspekte fest, die aus den Geschäftsberichten herausgefiltert werden sollen (vgl. Mayring 2002, S. 114). Durch die Bildung der Kategorien und deren Definitionen wird somit die Operationalisierung der konzeptionell erarbeiteten Konstrukte vorgenommen. Abb. 4 beinhaltet die Kategorien, die als Basis für die Frequenzanalyse und die qualitative Inhaltsanalyse dieser Studie dienen. Die Kategorien sind theoretischen Ursprungs und werden im Folgenden näher definiert. Primäre Aktivitäten Wie bereits erwähnt, ist die erste Aktivität einer Fluggesellschaft in der Potenzialphase des Wertschöpfungsprozesses das Marketing (vgl. Corsten 2001, S. 21). Kotler/Keller/Bliemel (2007, S. 6 f.) untergliedern den wertschaffenden Ablauf des Marketing in die vier Phasen Wertbestimmung, -erstellung, -vermittlung und -übertragung. Die Wertbestimmung umfasst die wertmäßige Positionierung des geplanten Angebots und lässt sich weiter in die Unteraktivitäten Segmentierung, Bedürfnis- und Werteforschung, Selektion und Fokussierung auf Zielsegmente sowie wertmäßige Positionierung differenzieren. Innerhalb der Werterstellung kommt es zur Dienstleistungsentwicklung, zur Entwicklung des gesamten Leistungsangebots sowie zur Preisfestlegung. Die Wertvermittlung der Leistung an den Kunden erfolgt mit Hilfe kommunikativer Maßnahmen und beinhaltet die Aktivitäten Werbung, Verkaufsförderung sowie Verkauf. Die Wertübertragung an den Kunden setzt sich aus dem Distributions- und Serviceverteilungssystem sowie dem Kundendienst zusammen. Da der Kundendienst im Anschluss an die Leistungserbringung erfolgt, ist dieser Teil der Wertübertragung
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innerhalb des Wertschöpfungsprozesses nicht der Potenzial-, sondern der Ergebnisphase zuzuordnen.
ERGEBNISPHASE MARKETING Wertübertragung II
Output
Throughput
Input
Arbeitssteuerung
Arbeitsplanung
Wertübertragung I
Wertvermittlung
Werterstellung
Wertbestimmung
Allgemeines Management Rechnungswesen Unternehmungsinfrastruktur Finanzbereich Rechtsabteilung Strategische Planung Personalbedarfsplanung + -deckung Personaleinsatz Personalmanagement Personalentlohnung Personalführung Produktentwicklung Technologische Entwicklung Funktionsentwicklung (Materielle) Inputfaktoren Beschaffung Externe Dienstleistungen Knoten Netzwerkplanung Kanten Datenbeschaffung Prognose Yield-Management Preissteuerung Kapazitätssteuerung Erfolgskontrolle PROZESSPOTENZIALPHASE PHASE ARBEITSMARKETING OPERATIONS VORBEREITUNG
Abbildung 4:
Kategorienschema
Quelle:
Eigene Darstellung in Anlehnung an Porter 1989; Schweitzer 1994; Wassermann/ Faust 1994; Tescheulin/Lindenmeier 2003; Corsten 2007; Holtbrügge 2007; Serapinaite 2009; Kotler/Keller/Bliemel 2007
Nach dem Verkauf der Leistung ist es in der Potenzialphase erforderlich, die Serviceleistung vorzubereiten. Die Arbeitsvorbereitung umfasst nach Schweitzer (1994, S. 678 ff.) – übertragen auf den Dienstleistungssektor – alle planenden und steuernden Teilaufgaben für die Erbringung der Dienstleistung mit dem Ziel einer optimalen
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Dirk Holtbrügge, Katja Wiedemann
Realisation aller Serviceprozesse. Die Arbeitsvorbereitung lässt sich in die Subaktivitäten Arbeitsplanung und -steuerung unterteilen. Der Aufgabenbereich der Arbeitsplanung umfasst die einleitende Arbeitsplanung, Arbeitsablaufplanung, Bedarfsplanung sowie die Kostenplanung. Die Arbeitssteuerung wird unterteilt in die Bereitstellung der Einsatzgüter und die Lenkung der Leistungserbringung. Der Eintritt in die Prozessphase zeichnet sich durch die Integration des externen Faktors aus (vgl. Hilke 1989, S. 12) und umfasst dessen Veränderung und Modifikation. In Anlehnung an das Operations Management in produzierenden Unternehmungen können dabei die drei Phasen Input, Throughput und Output (vgl. Corsten 2007, S. 4) unterschieden werden. Der Input beinhaltet Aktivitäten zur Erbringung von Vorleistungen wie z.B. mit Bezug zur Flugindustrie das Angebot von Lounges. Der Throughput bezieht sich auf die Transformation und somit die eigentliche Modifikation des externen Faktors. Diese stellt bei der Luftfahrtindustrie der Flugservice an sich und somit der Transport zwischen bestimmten Orten dar. Der Output beinhaltet Aktivitäten, die nach dem eigentlichen Transformationsprozess bis zum Abschluss der Leistungserstellung anfallen. Dazu zählen das Entladen des Gepäcks sowie dessen Zusammenführung mit dem Passagier. An die Prozessphase schließt sich die Ergebnisphase an. In Analogie zum Kundendienst in Produktionsunternehmungen wie z.B. Produktinstallation oder Reparaturleistungen beinhaltet die Nachkontaktphase in Dienstleistungsunternehmungen einen Teil der oben genannten Wertübertragungsaktivitäten des Marketing. Neben dem Beschwerdemanagement zählen dazu Programme zur Kundenbindung wie z.B. Vielfliegerprogramme. Unterstützende Aktivitäten Die Unternehmungsinfrastruktur beinhaltet nach Porter (1989, S. 24) das allgemeine Management, das Rechnungswesen, die Rechtsabteilung, den Finanzbereich sowie die strategische Planung. Die technologische Entwicklung umfasst verschiedene Einzelaktivitäten, die Porter in den beiden Aktivitäten Produktentwicklung und Funktionsentwicklung zusammenfasst. Hinsichtlich der Beschaffung untergliedert er in den Erwerb von (materiellen) Inputfaktoren sowie externen Dienstleistungen. Porter (1989, S. 25) untergliedert das Personalmanagement lediglich in die Rekrutierung sowie die Schulung und Entwicklung der Mitarbeiter. Aufgrund der Immaterialität und der großen Bedeutung der Kunden-Mitarbeiter-Beziehung bei Dienstleistungen
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(vgl. Meffert/Bruhn 2006, S. 626) besitzt das Personal in Dienstleistungsunternehmungen jedoch eine weitaus größere Relevanz als in produzierenden Unternehmungen, weshalb eine detailliertere Analyse dieser unterstützenden Aktivität erforderlich ist. In Anlehnung an Holtbrügge (2007) wird diese deshalb in Personalbedarfsplanung und -deckung, -einsatz, -entlohnung und -führung untergliedert. Sowohl die Netzwerkplanung als auch das Yield- und Ertragsmanagement stellen nach Holtbrügge/Wiedemann/Schäfer (2009) weitere unterstützende Aktivitäten von Fluggesellschaften dar. Die Netzwerkplanung bestimmt nicht nur, welche Destinationen in das Routennetzwerk aufgenommen, sondern auch, welche Flughäfen angeflogen werden und somit aus welchen Knoten und Kanten sich das Netzwerk der Fluggesellschaft zusammensetzt. Das Yield-Management wird schließlich in die wertschöpfenden Unteraktivitäten Datenbeschaffung, Prognose, Preis- und Kapazitätssteuerung sowie Erfolgskontrolle differenziert (vgl. Tscheulin/ Lindenmeier 2003).
4.3 Datenauswertung Quantitative Frequenzanalyse Die Untersuchung der Relevanz unterschiedlicher Wertaktivitäten für Lufthansa und Ryanair erfolgt anhand einer Frequenzanalyse (vgl. Tab. 2). Dieses Verfahren der quantitativen Inhaltsanalyse nach Berelson (1952) basiert auf der Annahme, dass die Häufigkeit der Nennung eines bestimmten Begriffs oder der Kodierung einer Kategorie innerhalb einer Datenquelle Aussagen über deren Relevanz zulässt (vgl. Lasswell 1941, S. 459 f.; 1946, S. 90 f.; Merten 1995, S. 50). Je häufiger demnach bestimmte Wertaktivitäten in einem Geschäftsbericht Erwähnung finden, desto relevanter sind diese für die jeweilige Fluggesellschaft. Umgekehrt ist die Frequenz geringer, wenn die Fluggesellschaft dieser Wertaktivität weniger Bedeutung beimisst. Mit Hilfe der Software NVivo zur qualitativen Datenauswertung wurden die Textpassagen, in denen die im letzten Abschnitt operationalisierten Kategorien identifiziert wurden, mit entsprechenden Kodierungen belegt. Die Nennungen der einzelnen Kategorien wurden anschließend aufsummiert. Der Vorteil der computergestützten Analyse besteht darin, dass die Geschäftsberichte im Laufe des Bearbeitungs- und Auswertungsprozesses nicht verändert, sondern lediglich durch Kodierungen ergänzt werden. Dadurch sind die Daten sowie die Analyseschritte jederzeit rekonstruierbar (vgl. Fra-
Dirk Holtbrügge, Katja Wiedemann
150
ser 1999; Gibbs 2003). Da die Tätigkeit von Lufthansa mehrere Geschäftssegmente umfasst, liegt der Fokus der Analyse hier auf der Passagierbeförderung. Lufthansa Primäre Aktivitäten Marketing 33,17 Wertbestimmung 18,32 Werterstellung 6,83 Preis 0,84 Produkt- und Dienstleistungsanbebot 3,23 Wertvermittlung 3,35 Wertübertragung I 2,04 Wertübertragung II 2,63 Arbeitsvorbereitung 13,12 Arbeitsplanung 0,84 Arbeitssteuerung 12,28 Operations 29,05 Input 5,34 Throughput 19,16 Output 4,55 Unterstützende Aktivitäten Unternehmungsinfrastruktur 26,35 Allgemeines Management 5,26 Rechnungswesen 3,71 Finanzbereich 4,81 Rechtsabteilung 4,91 Strategische Planung 7,66 Personalmanagement 24,55 Personalbedarfsplanung und -deckung 8,98 Personaleinsatz 4,79 Personalentlohnung 10,78 Personalführung 0 Technologische Entwicklung 6,11 Produktentwicklung 5,03 Funktionsentwicklung 1,08 Beschaffung 5,99 (Materielle) Inputfaktoren 3,95 Externe Dienstleistungen 2,04 Netzwerkplanung 11,38 Knoten 5,75 Kanten 5,63 Yield Management 10,92 Datenbeschaffung 1,92 Prognose 0,60 Preissteuerung 1,56 Kapazitätssteuerung 5,40 Erfolgskontrolle 1,44
Tabelle 2:
Ryanair 17,41 4,35 8,96 7,94 0,77 2,56 0,77 0,77 7,68 0,77 6,91 18,69 3,84 11,78 3,07 31,50 5,38 11,27 6,40 6,91 1,54 20,75 5,38 6,15 9,22 0 0 0 0 5,38 5,12 0,26 7,17 3,07 4,10 17,67 1,54 0,77 7,94 4,35 3,07
Relevanz der Wertaktivitäten für Lufthansa und Ryanair auf Basis der quantitativen Frequenzanalyse
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Eine weitere Voraussetzung der vergleichenden Frequenzanalyse stellt die Standardisierung dar. Da die Geschäftsberichte der beiden Unternehmungen einen unterschiedlichen Umfang aufweisen, sind die ermittelten absoluten Häufigkeiten zur Relevanz der Wertaktivitäten nicht direkt miteinander vergleichbar. Daher wurde die Häufigkeit der identifizierten Kategorien ins Verhältnis zu einem Textumfang von 10.000 Wörtern gesetzt. Diese relativen Häufigkeiten bilden die Basis für den Vergleich der Relevanz unterschiedlicher Wertaktivitäten für Lufthansa und Ryanair. Qualitative Inhaltsanalyse Die Ergebnisse der Frequenzanalyse bilden in quantitativer Form die Relevanz der einzelnen Wertaktivitäten für die Fluggesellschaften ab. Ein weiterer Schritt besteht darin, diese Ergebnisse der Frequenzanalyse auf Basis der Inhalte der Geschäftsberichte zu interpretieren und damit inhaltliche Aussagen dahingehend zu treffen, warum bestimmte Wertaktivitäten für die beiden Fluggesellschaften von mehr bzw. von weniger Relevanz sind. Darüber hinaus besteht ein Ziel dieser Studie darin, die länderübergreifende Konfiguration der Wertaktivitäten innerhalb der unterschiedlichen Geschäftsmodelle eines FSNC und LCC sowie die möglicherweise darauf einwirkenden Bedingungen zu analysieren. Methodisch werden diese Schritte mit Hilfe der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2007) verfolgt. Dabei geht es um die Untersuchung manifester Kommunikationsinhalte, zu welchen auch die in Geschäftsberichten veröffentlichten Informationen zählen. Als Verfahren wird die strukturierende qualitative Inhaltsanalyse in Form der inhaltlichen Strukturierung herangezogen. Die inhaltliche Strukturierung zielt darauf ab, bestimmte Themen, Inhaltsbereiche und Aspekte aus dem Datenmaterial herauszufiltern und zusammenzufassen. Welche Inhalte aus dem Material extrahiert werden sollen, wird durch Kategorien festgelegt. Nach Bearbeitung des Textes anhand des Kategoriensystems wird das extrahierte Material zusammengefasst (vgl. Mayring 2007, S. 89). So werden Informationen zur Relevanz sowie zur länderübergreifenden Konfiguration der Wertaktivitäten von Lufthansa und Ryanair aus den Geschäftsberichten herausgefiltert und zusammengefasst dargestellt. Die Grundlage zur Festlegung der zu extrahierenden Inhalte bilden die in Abschnitt 4.2 operationalisierten Kategorien. Aufgrund des begrenzten Umfangs von Geschäftsberichten werden deren Aussagen zu den untersuchten Themen durch Angaben in an-
Dirk Holtbrügge, Katja Wiedemann
152
deren Dokumenten angereichert, die weiterführende Informationen zur Relevanz und länderübergreifenden Konfiguration der Wertaktivitäten von Lufthansa und Ryanair bieten. Deshalb erstreckt sich die qualitative Inhaltsanalyse nicht ausschließlich auf die Geschäftsberichte, sondern wird auf weitere Dokumente ausgeweitet. Das methodische Vorgehen soll beispielhaft anhand kurzer Auszüge aus den beiden Geschäftsberichten dargestellt werden (vgl. Tab. 3). Textpassage Kodierung Auszüge aus Geschäftsberichten „The primary location for maintenance operations with aircraft overhaul, completion, engine and components overhaul, logistics centre and development and manufacturing operations, is ArbeitsHamburg. The largest maintenance stations are vorbereitung Frankfurt, Munich and Berlin, other stations are in more than 50 locations throughout the world. The MRO group includes 28 technical maintenance operators worldwide. Lufthansa Technik holds direct and indirect equity stakes in 54 companies.” (Lufthansa 2007, S. 83) „From time to time, noxious or potentially toxic substances are held on a temporary basis within Ryanair’s engineering facilites at Dublin airport Arbeitsand Glasgow Prestwick. However, at all times vorbereitung Ryanair’s storage and handling of these substances complies with the relevant regulatory requirements. In our Glasgow Prestwick maintenance facility all Rechtsnormal waste is removed under the Environmental abteilung Protection Act of 1996 and Duty of Care Waste Regulations.“ (Ryanair 2007, S. 35) Ergänzende Informationen aus anderen Dokumenten „While Ryanair engineering staff carry out routine maintenance, repair services and checks on aircraft, Arbeitsengine and heavy maintenance are contracted out to vorbereitung third parties.” (O’Higgins 1999, S. 5) Tabelle 3:
Kodierungsbeispiel
Quelle:
Eigene Darstellung
Häufigkeiten
4
1
2
-
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Beide Auszüge fallen u.a. unter die Kategorie ‚Arbeitssteuerung’ und stehen in Bezug zur Subaktivität ‚Instandhaltung/Wartung’. Der Auszug aus dem Lufthansa Geschäftsbericht enthält vier Nennungen einer Arbeitssteuerungsaktivität und wurde deshalb mit diesem absoluten Wert im Rahmen der Frequenzanalyse erfasst. Der Auszug von Ryanair hingegen enthält eine Nennung einer Arbeitssteuerungsaktivität und zwei Nennungen zur Kategorie ‚Rechtsabteilung’. Das Gesamtergebnis der Frequenzanalyse zur Kategorie ‚Arbeitssteuerung’ ergibt, dass dieser Bereich für Lufthansa doppelt so bedeutend ist wie für Ryanair (siehe Tab. 2). Die Interpretation dieses Ergebnisses wird mit Hilfe der qualitativen Inhaltsanalyse sämtlicher Informationen des Geschäftsberichts sowie weiterführender Dokumente durchgeführt (vgl. Abschnitt 5.1, 6.1). Dabei kann festgestellt werden, dass das Ergebnis der Frequenzanalyse zur Arbeitssteuerung mit der größeren Bedeutung der Wertaktivität ‚Arbeitssteuerung’ darauf zurück geführt werden kann, dass Lufthansa den wertschöpfenden Prozess dieser Aktivitäten selbst ausführt, wohingegen Ryanair einen Großteil dieser Aktivitäten an Dritte outgesourct hat und als externe Dienstleistung bezieht (vgl. O’Higgins 1999, S. 5; Leavy 2004, S. 22; Lufthansa 2007; Ryanair 2007). Die qualitative Inhaltsanalyse wird weiterführend dazu herangezogen, Aussagen zur länderübergreifenden Konfiguration der Wertaktivitäten zu erhalten. Die beispielhaften Auszüge geben für Lufthansa Hinweise dahingehend, dass die Subaktivität ‚Instandhaltung/Wartung’ weltweit an mehreren Standorten durchgeführt wird (vgl. Lufthansa 2007). Bei Ryanair hingegen werden Routinemaßnahmen dieser Aktivitäten lediglich an Standorten in Irland und Großbritannien ausgeführt, aufwändigere Vorgänge in diesem Bereich sind outgesourct (vgl. O’Higgins 1999, S. 5; Ryanair 2007).
5 5.1
Relevanz der Wertaktivitäten für Lufthansa und Ryanair Primäre Aktivitäten
Die Aktivität Marketing ist entsprechend der Annahmen der Häufigkeitsanalyse für Lufthansa etwa doppelt so bedeutend wie für Ryanair (vgl. Abb. 5 und 6). Innerhalb der Subaktivitäten bestehen jedoch Unterschiede, die im Zusammenhang mit den unterschiedlichen Geschäftsmodellen stehen. Die Bedeutung der Wertbestimmung, die sich mit der Marktsegmentierung und der Zielgruppenorientierung befasst, ist bei Lufthansa deutlich höher als bei Ryanair. Während Ryanair als Zielgruppe den ‚ordinary
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Dirk Holtbrügge, Katja Wiedemann
European consumer’ sieht (vgl. Ryanair 2007, S. 34) und diese nicht weiter differenziert, unterscheidet Lufthansa nach First, Business and Economy Class für eine ‚very diversified customer base’ (vgl. Lufthansa 2007, S. 69), die sich aus Firmenkunden, Reisebüroketten und Privatkunden zusammensetzt. Eine detaillierte Betrachtung der Aktivität Werterstellung zeigt, dass Lufthansa der Produkt- und Service-Entwicklung mehr Relevanz beimisst, Ryanair hingegen der Preisfestlegung. Dies verdeutlicht die unterschiedliche Bedeutung der Marketinginstrumente Produkt und Preis für die beiden Fluggesellschaften. Die Wertvermittlung weist keine nennenswerten Unterschiede in der Häufigkeitsverteilung auf. Hinsichtlich der Wertübertragung im Sinne der Distributions- und Serviceverteilung ergibt die Analyse eine höhere Bedeutung für Lufthansa. Lufthansa setzt innerhalb dieser Aktivität auf eine Multikanal-Vertriebsstrategie, während sich Ryanair auf den Direktvertrieb fokussiert (vgl. Maurer 2006, S. 46). Der Wertübertragung im Sinne der im Anschluss an die eigentliche Leistungserbringung erfolgenden Nachkontaktphase misst Lufthansa ebenfalls mehr Bedeutung bei als Ryanair. So setzt Lufthansa z.B. das Vielfliegerprogramm Miles&More ein. Im Rahmen der Wertaktivität Arbeitsvorbereitung zählen zur Arbeitsplanung einer Fluggesellschaft Aktivitäten wie Routen-, Slot- oder Treibstoffplanung, die in den beiden Geschäftsberichten kaum erwähnt werden. Zu den Aktivitäten der Arbeitssteuerung zählen zum einen flugvorbereitende Maßnahmen wie das Briefing der Flugzeugbesatzung oder die Instandhaltung und Wartung der Flugzeuge. Zum anderen umfasst diese Aktivität Tätigkeiten der Eingangslogistik wie z.B. das Beladen mit On-Board Equipment (vgl. Holtbrügge/Wiedemann/Schäfer 2009, S. 11). Die Aktivitäten, die am häufigsten unter der Kategorie Arbeitssteuerung in den Geschäftsberichten genannt werden, sind Instandhaltungs- und Wartungsmaßnahmen sowie das Beladen mit OnBoard Equipment in Form des Catering. Entsprechend der Ergebnisse der Häufigkeitsanalyse besitzen die Aktivitäten der Arbeitssteuerung für Lufthansa mehr Relevanz als für Ryanair. Das kann daran liegen, dass Lufthansa diese Aktivitäten selbst ausführt, wohingegen Ryanair einen Großteil dieser Aktivitäten outgesourct hat und das Catering einen geringeren Umfang als bei Lufthansa besitzt. Ryanair bietet lediglich kleine Snacks auf ihren vergleichsweise kürzeren Flügen an, weshalb die Zulieferung und das Beladen weniger Zeit-, Kosten- und Ressourcenaufwand erfordert. Operations-Aktivitäten werden im Geschäftsbericht von Lufthansa im Vergleich zu Ryanair häufiger erwähnt. Dies kann darin begründet sein, dass der Großteil der Bodenaktivitäten bei Ryanair ausgelagert ist und sich die Flugservice-Aktivitäten von
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Lufthansa nicht nur auf den Transport selbst, sondern auf das Angebot weiterer Services wie z.B. Verpflegung erstrecken. Insgesamt sind die Unterschiede bezüglich dieser primären Aktivität jedoch nur schwach ausgeprägt. Zusammenfassend wird bei einem Vergleich der beiden Unternehmungen deutlich, dass Lufthansa dem Marketing die größte Bedeutung zumisst. Mit nur leichtem Abstand folgen die Operations. Die Arbeitsvorbereitung besitzt nur eine geringe Relevanz (vgl. Abb. 5). Bei Ryanair stehen dagegen die Operations im Vordergrund, während die Bedeutung des Marketing geringer ist. Auch hier spielt die Arbeitsvorbereitung nur eine geringe Rolle (vgl. Abb. 6).
5.2
Unterstützende Aktivitäten
Für die Unternehmungsinfrastruktur zeigt die Häufigkeitsanalyse eine stärkere Relevanz der Bereiche Rechnungswesen und Finanzen für Ryanair. Innerhalb des Geschäftsberichts geht Ryanair auch auf bestehende Rechtsstreitigkeiten der Unternehmung ein (z.B. im Zusammenhang mit der gescheiterten Übernahme von Aer Lingus), worauf Lufthansa in ihrem Bericht verzichtet. Dies führt zu einer häufigeren Verwendung von Begriffen aus dem Rechtsbereich. Die strategische Planung ist entsprechend der Annahme der Häufigkeitsanalyse dagegen für Lufthansa bedeutender. Bei Lufthansa handelt es sich im Vergleich zu Ryanair um eine interkontinentale Fluggesellschaft. Dadurch ist die Planung mit zahlreichen zusätzlichen Problemen wie unterschiedlichen Währungen und Rechts- und Wirtschaftssystemen konfrontiert, wodurch die Relevanz dieser Aktivität zunimmt. Hinsichtlich der Aktivitäten des Personalmanagement misst Lufthansa der Personalbedarfsplanung und -deckung vergleichsweise mehr Relevanz bei als Ryanair, wohingegen der Personaleinsatz für Ryanair eine größere Bedeutung hat. Darin wird wiederum die Outsourcing-Strategie von LCC deutlich. So führt Ryanair z.B. die Rekrutierung der Flugbegleiter nicht selbst durch, sondern hat diese an Dritte übertragen. Wie die Häufigkeitsanalyse zeigt, ist die technologische Entwicklung für Ryanair nicht von Bedeutung und kein Bestandteil der Wertkette. Bei Lufthansa hingegen findet Produkt- und Funktionsentwicklung in allen Geschäftssegmenten statt. Insbesondere die erstgenannte Wertaktivität besitzt eine große Bedeutung.
Dirk Holtbrügge, Katja Wiedemann
156
Abbildung 5:
Relevanz von Wertaktivitäten für Lufthansa
Quelle:
Eigene Darstellung
Abbildung 6:
Relevanz von Wertaktivitäten für Ryanair
Quelle:
Eigene Darstellung
Die Nennungen zur Beschaffung materieller Inputfaktoren beziehen sich zum überwiegenden Teil auf die Anschaffung von Flugzeugen. Diese Aktivitäten sind für Ryanair verhältnismäßig relevanter. Externe Dienstleistungen hingegen sind entsprechend der Ergebnisse der Häufigkeitsanalyse für Lufthansa wichtiger.
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Begriffe zur Netzwerkplanung werden im Lufthansa Geschäftsbericht vergleichsweise häufiger genannt. Während sich Ryanair auf sein eigenes Streckennetz konzentriert, nutzt Lufthansa die Vorteile strategischer Partnerschaften z.B. durch die Mitgliedschaft in der Star Alliance und erweitert das eigene Streckennetz um das der Partner. Da aus der strategischen Erweiterung mehrere Knoten und Kanten resultieren, wirken sich diese auf die Häufigkeitsanalyse aus. Das Yield Management ist für Ryanair bedeutender als für Lufthansa. Betrachtet man die einzelnen Subaktivitäten des Yield Management, so ist für Ryanair die Steuerung über den Preis relevanter, wohingegen Lufthansa der Kapazitätssteuerung mehr Bedeutung beimisst. Zudem sind die Aktivitäten der Erfolgskontrolle für Ryanair wichtiger. Insgesamt messen beide Unternehmungen der Unternehmungsinfrastruktur und dem Personalmanagement eine große Bedeutung zu. Bei Ryanair ist auch das Yield-Management relevant. Demgegenüber spielen die anderen unterstützenden Aktivitäten eine deutlich geringere Rolle, wobei die technologische Entwicklung von Ryanair weitgehend outgesourct wurde und somit keine Wertaktivität der Unternehmung darstellt (vgl. Abb. 5 und 6).
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Länderübergreifende Konfiguration der Wertaktivitäten bei Lufthansa und Ryanair
Nachdem im letzten Abschnitt die Relevanz unterschiedlicher Wertaktivitäten bei Lufthansa und Ryanair analysiert wurde, wird im Folgenden deren länderübergreifende Konfiguration betrachtet. Die Analyse basiert auf der in Abschnitt 4.3 skizzierten qualitativen Inhaltsanalyse.
6.1
Primäre Aktivitäten
Potenzialphase Die Analyse der länderübergreifenden Konfiguration der Wertaktivität Marketing ergibt, dass beide Unternehmungen ihre Marketingaktivitäten dezentralisiert haben und entsprechende Repräsentanzen in verschiedenen Ländern besitzen (vgl. Lufthansa 2007; Ryanair 2008a). Lufthansa als interkontinentale Fluggesellschaft führt ihre Mar-
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ketingaktivitäten auf allen fünf Kontinenten durch, während sich Ryanair auf Europa konzentriert und nur hier Marketingdepartments wie z.B. die Ryanair Marketing Germany am Flughafen Lübeck betreibt. Die Lokalisierung der Marketingaktivitäten bringt eine Reihe von Vorteilen für die Fluggesellschaften mit sich wie etwa die physische und psychische Kundennähe, spezifische Marktkenntnisse sowie die Möglichkeit intensiver Beratungs- und Serviceleistungen. Mit der an unterschiedlichen Zielgruppen orientierten Multikanalstrategie sind die internationalen Vertriebsaktivitäten von Lufthansa im Vergleich zu Ryanair differenzierter. Nach Auskunft von Doherty, der Leiterin Advertising and Ancillary Revenue bei Ryanair (zit. in: Marketing-Börse 2008) wurden 2005 98% der Tickets über den OnlineVertrieb verkauft, die restlichen 2% über eine Telefon-Hotline. Der Direktvertrieb über das Internet und somit die Standardisierung internationaler Prozesse ermöglicht Ryanair dabei die Erzielung von Größenvorteilen. Bei Lufthansa werden inzwischen rund 10% der Tickets über die Internet-Plattform der Unternehmung verkauft. Der Direktvertrieb nimmt auch für diese Fluggesellschaft einen immer größeren Stellenwert ein: so sind die Verkäufe im Jahr 2007 gegenüber dem Vorjahr um beinahe 30% gestiegen (vgl. Lufthansa 2007, S. 70). Absolut ist dieser Direktvertriebs-Anteil von 10% im Vergleich zu Ryanair jedoch deutlich geringer, was auch mit einer stärkeren geographischen Streuung der Vertriebsstandorte und somit der Marketingaktivitäten verbunden ist. So sind auf allen fünf Kontinenten Verkaufsrepräsentanzen von Lufthansa angesiedelt. Beim Direktvertrieb kann zwar weltweit ortsunabhängig auf den Internetkauf zugegriffen werden, doch ist anzunehmen, dass die Buchungen an einem oder wenigen Standorten weiterbearbeitet werden, womit eine geographische Konzentration oder lediglich eine geringe Streuung besteht. Der Vergleich der Fluggesellschaften im Hinblick auf die länderübergreifende Konfiguration der Marketingaktivitäten zeigt eine geographische Streuung dieser Aktivitäten bei beiden Fluggesellschaften, wobei Lufthansa einen wesentlich höheren Streuungsgrad aufweist. Im Rahmen der Arbeitsvorbereitung werden bei Lufthansa die Instandhaltungsmaßnahmen für die Flotte im Geschäftssegment Lufthansa Technik ausgeführt. Die Aktivitäten dieses Bereichs sind weltweit gestreut. Am Unternehmungssitz in Hamburg erfolgen v.a. Flugzeugüberholung, Geräte- und Komponentenversorgung, Triebwerk-Instandhaltung sowie Entwicklung und Logistik. In Frankfurt, München und Berlin befinden sich die wichtigsten Wartungszentren. Weitere Wartungsstationen sind an allen
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größeren deutschen Flughäfen sowie an 50 Standorten weltweit angesiedelt (z.B. in Irland und Malaysia). Lufthansa Technik hält international derzeit direkte und indirekte Beteiligung an 47 Gesellschaften (z.B. in China und Italien). Diese geographische Streuung bietet Lufthansa die Möglichkeit, Wartungsarbeiten an vielen Orten der Welt ohne Zeitverzögerung durchführen zu können. Eine Konzentration dieser Aktivitäten wäre für Lufthansa mit hohen Transportkosten verbunden, wenn ein defektes Flugzeug über mehrere tausend Kilometer an einen konzentrierten Standort transportiert werden müsste. Diese Form der Konfiguration ermöglicht zudem die Risikominimierung, da beim Ausfall eines Wartungszentrums flexibel und schnell auf einen anderen Standort gewechselt werden kann. Die Vielzahl an Wartungszentren ermöglicht es Lufthansa zudem, komparative Kostenvorteile z.B. bei der Wartung in Billiglohnländern wie China auszunutzen. Allerdings behindert die Vielzahl an Standorten die Ausnutzung von Kostendegressionsvorteilen. Außerdem ist die Streuung insbesondere in Ländern, in denen das unternehmungsinterne Know-how kaum rechtlich geschützt ist, mit Gefahren für Lufthansa verbunden. Da die Unternehmung im Bereich der Wartung von Flugzeugen permanent innovative Leistungen entwickelt, ist dieser Nachteil besonders relevant. Während die Mitarbeiter von Ryanair einfachere Instandhaltungsmaßnahmen, Reparaturarbeiten und Flugzeug-Checks selbst durchführen, sind Triebwerks- und große Wartungsarbeiten an Dritte übertragen. Wartungszentren für die selbst durchgeführten Maßnahmen unterhält Ryanair am Hauptsitz der Fluggesellschaft am Flughafen in Dublin sowie im schottischen Glasgow Prestwick (vgl. Ryanair 2007, S. 33). Durch den Einsatz eines einzigen Flugzeugtyps in allen Märkten kann Ryanair Standardisierungsvorteile bei der Wartung erzielen. Da sich die Flugrouten lediglich auf den europäischen Markt erstrecken, ist eine Konzentration der Instandhaltungsmaßnahmen auf den europäischen Raum nachvollziehbar. Diese beiden Wartungszentren bieten Ryanair durch die im Vergleich zu Lufthansa relativ höhere Konzentration die Möglichkeit, Kostendegressionsvorteile auszunutzen. Das Outsourcing der größeren Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten unterstützt die Konzentration von Ryanair auf das Kerngeschäft, die Erzielung von Kostenvorteilen sowie die Vermeidung von Komplexität (vgl. Leavy 2004). Allerdings ist mit der Auslagerung der Wartungsarbeiten auch die Abhängigkeit vom Servicegeber verbunden. Die Zulieferung des Catering mit Speisen, Getränken und weiteren Boardartikeln zu den Flugzeugen des Kernsegments Passagierbeförderung erfolgt bei Lufthansa über
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die LSG Sky-Chef-Gruppe, dem Konzerngeschäftsbereich Catering. Der Cateringbereich umfasst rund 119 Unternehmungen weltweit und bezieht Produkte aus nahezu 200 Betrieben in 47 Ländern (vgl. Lufthansa 2007, S. 95 f.). Die wichtigsten Produktionsstandorte befinden sich dabei an den größten internationalen Flughäfen (vgl. Lufthansa 2006, S. 54). Die Muttergesellschaft der Gruppe, LSG Lufthansa Service Holding AG, hat ihren Geschäftssitz in Neu-Isenburg. Auch die Zubereitung des Catering und die Auslieferung zur Lufthansa-Flugzeugflotte weist einen hohen Grad an geographischer Streuung auf. Da kulturelle Unterschiede im Hinblick auf die Verpflegung von großer Bedeutung sind, ermöglicht die Herstellung der Essen vor Ort die Adaption an bestehende Kundenpräferenzen. Auch die Risikominimierung und Flexibilität werden durch die geographische Streuung unterstützt. Ryanair teilt den Passagieren auf internationalen Flügen dagegen kein warmes Essen aus, sondern verkauft an Board Snacks wie z.B. Sandwiches und Schokoriegel. Diese bezieht Ryanair direkt bei Lieferanten wie Fresh Ways. Da diese Waren in der Regel länger gelagert werden können, entfällt der zeitkritische Aspekt (vgl. Landscheidt 2005, S. 175). Durch die Auslagerung der Aktivitäten können wiederum Kosten gespart und die Komplexität verringert werden. Die Analyse der Geschäftsberichte zeigt, dass die Aktivitäten der Arbeitssteuerung von Lufthansa weltweit in einem hohen Maße gestreut sind, wohingegen diese bei Ryanair zum großen Teil an Dritte ausgelagert sind. Lediglich einfache Instandhaltungsmaßnahmen finden an zwei Standorten in Europa statt. Prozessphase Die Wertaktivität Operations setzt sich aus dem Flugservice selbst sowie aus den Aktivitäten im Vorfeld und im Nachgang an den Flug zusammen. Das Bodenmanagement und der Flugservice von Lufthansa werden an und zwischen 206 Destinationen in 85 Ländern interkontinental ausgeführt. Berücksichtigt man die Tatsache, dass Lufthansa Mitglied der weltweit größten Flugallianz Star Alliance ist, so erweitert sich das Streckennetz von Lufthansa und somit der länderübergreifende Flugservice auf 980 Destinationen in 103 Ländern. Neben dem Transportservice selbst werden den Passagieren weitere Services angeboten. Am Boden bietet die Fluggesellschaft ihren Passagieren weltweit z.B. Lounges oder Limousinenservice an. Während des Flugs erfolgen weitere Leistungen wie die Ausgabe von Essen oder Entertainment Programme auf Langstreckenflügen. Die Operations weisen bei Lufthansa somit eine große geographische Streuung auf.
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Das Streckennetz von Ryanair umfasst 147 Destinationen in 25 europäischen Ländern zuzüglich Marokko (vgl. Ryanair 2008b). Außer am Heimatflughafen in Dublin, wo das Bodenmanagement von Ryanair selbst durchgeführt wird, werden diese Aktivitäten von Dritten ausgeführt (vgl. O’Higgins 1999, S. 5; Leavy 2004, S. 22; Dublin Airport 2008). Leistungen, die über den Transportservice hinausgehen, werden entweder nicht angeboten (z.B. Lounges) oder sind kostenpflichtig (z.B. Verpflegung). Bei Ryanair besitzen die Operations somit eine geringere geographische Streuung. Ergebnisphase Lufthansa betreibt weltweit Kundenservice-Center. Dadurch ist die Fluggesellschaft für ihre Kunden nicht nur im Vorfeld der Leistungserbringung vor Ort präsent, sondern bietet diesen auch danach die Möglichkeit zum direkten Kontakt. Zudem nutzt Lufthansa Vielfliegerprogramme als Instrument der Kundenbindung (vgl. Lufthansa 2008). Am Programm Miles&More sind rund 15 Millionen Kunden weltweit beteiligt. Der Hauptsitz der Miles&More International GmbH ist in Neu-Isenburg (vgl. Lufthansa 2007, S. 70). Miles&More Service Teams stehen den Kunden weltweit zur Verfügung. Die geographische Streuung erzeugt Kundennähe und somit Vorteile aus der Berücksichtigung lokaler Kundenbedürfnisse, z.B. beim Umgang mit Beschwerden. Ryanair konzentriert seinen Kundenservice auf den Hauptstandort in Dublin. Kunden, die Beanstandungen haben oder Ansprüche gegen Ryanair erheben, müssen diese in schriftlicher Form in englischer Sprache an das Ryanair Head Office in Dublin richten (vgl. Ryanair 2008a). Kundenbindung in Form von Vielfliegerprogrammen findet bei Ryanair nicht statt. Die Konzentration bewirkt eine standardisierte Ausübung der Aktivitäten, erzeugt Lernkurveneffekte und ermöglicht Kostendegressionsvorteile. Ein Nachteil ist jedoch die mangelnde Berücksichtigung von Kundenpräferenzen und -bedürfnissen. So könnte z.B. die Anforderung, Beschwerden in englischer Sprache an die Fluggesellschaft zu richten, Kunden abschrecken. Während die Nachkontaktphase bei Lufthansa somit ein hohes Maß an geographischer Streuung aufweist, ist diese Aktivität bei Ryanair auf den Hauptstandort Dublin konzentriert. Eine Gesamtbetrachtung der länderübergreifenden Konfiguration der primären Wertaktivitäten zeigt ein hohes Maß an geographischer Streuung dieser Aktivitäten bei Lufthansa. Aufgrund der Fokussierung auf Kostenvorteile hat Ryanair dagegen einige der primären Aktivitäten wie umfangreiche Wartungsmaßnahmen oder einige Tätigkeiten des Bodenmanagement an Dritte übertragen oder Aktivitäten auf einen Standort konzentriert (vgl. Abb. 7 und 8).
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6.2 Unterstützende Aktivitäten Die Unternehmungsinfrastruktur beinhaltet die betrieblichen Funktionen Allgemeines Management, Rechnungswesen, Finanzen, Recht und strategische Planung. Der Vorstand der Lufthansa Gruppe setzt sich aus drei Mitgliedern zusammen und ist für die Geschäftsführung des Gesamtkonzerns verantwortlich. Er legt dessen strategische Richtung fest. Die Deutsche Lufthansa AG agiert als Muttergesellschaft und hat ihren Stammsitz in Köln. Mit Ausnahme der Passagierbeförderung werden alle Geschäftssegmente in eigenen Konzerngesellschaften geführt. Der Bereich Passagierbeförderung setzt sich aus den Bereichen Passenger Airlines sowie Swiss International Air Lines mit Sitz in Basel zusammen, die jeweils von einem eigenen Bereichsvorstand geführt werden. Die Tochtergesellschaften der Deutschen Lufthansa AG sind auf allen fünf Kontinenten angesiedelt. Die Geschäftsführung mit Verantwortung für die Strategie ist bei Ryanair in Dublin angesiedelt. Die Rechnungsführung der beiden Fluggesellschaften zu deren internationalen Aktivitäten erfolgt standardisiert in Übereinstimmung mit den International Financial Reporting Standards (IFRS). Beide Gesellschaften verfügen über einen zentralen Prüfungsausschuss, der über umfassendes Wissen auf den Gebieten Rechnungslegung, Management und Finanzmanagement verfügt. Bezüglich der länderübergreifenden Konfiguration des Rechtsbereichs der beiden Gesellschaften enthalten die Geschäftsberichte keine aussagekräftigen Informationen. Der Luftverkehr ist allerdings in hohem Maße reguliert (z.B. durch nationale Gesetze zu ökologischen Standards, Sicherheitsvorschriften oder Nachtflüge). Da diese Gesetze zwischen einzelnen Ländern differieren, ist eine Adaption an die nationale Gesetzgebung erforderlich und lokales Wissen von Vorteil. Diese Argumente sprechen für eine Dezentralisierung der Rechtsabteilung. Da Lufthansa interkontinental tätig ist und Ryanair international, ist Lufthansa mit der Gesetzgebung mehrerer Länder konfrontiert. Dies erfordert eine stärkere geographische Streuung (vgl. Abb. 7 und 8). Das Personalmanagement von Lufthansa ist geographisch weltweit gestreut. 2007 beschäftigte der Lufthansa Konzern Mitarbeiter aus 146 Nationen, davon entfielen 61,2% auf Deutschland, 17,1% waren in anderen Staaten Europas beschäftigt, 11,4% in Mittel- und Nordamerika, 6,4% in der Region Asien/Pazifik, 2,0% in Südamerika sowie 1,9% in Afrika und dem Mittleren Osten. Um in den expandierenden Märkten
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Asiens vom Wissen lokaler Mitarbeiter zu profitieren, hat Lufthansa z.B. die internationalen Hochschulkooperationen auf den chinesischen Markt ausgedehnt. Die Personalentwicklung ist mit Lufthansa Flight Training mit Standorten in Frankfurt, Berlin, Bremen, Wien und Phoenix in einem geringen Maße geographisch gestreut. Derzeit werden allerdings 30% der gesamten internationalen Trainingsmaßnahmen mittels E-learning durchgeführt. Diese Standardisierung reduziert Komplexität und Kosten. Durch die Internationalität des Konzerns wirken sich auch unterschiedliche nationale Arbeitsvorschriften sowie Aktivitäten von Gewerkschaften auf das Personalmanagement von Lufthansa aus. Aufgrund von Sprachkenntnissen, sowie der Kenntnis rechtlicher und technischer Bedingungen in den einzelnen Ländern, ist die Beschäftigung lokaler Mitarbeiter in dezentralisierten Personalbereichen von Vorteil. Ryanair beschäftigte im Geschäftsjahr 2007 durchschnittlich 3.991 Mitarbeiter aus 25 Nationen an über 22 europäischen Standorten. Das Personalmanagement ist geographisch nicht auf den Standort Dublin konzentriert. So ist z.B. der am britischen Standsted Airport stationierte Personal Officer UK nicht nur für die dortigen Mitarbeiter zuständig, sondern für mehrere britische Standorte der Fluggesellschaft.
Abbildung 7:
Länderübergreifende Konfiguration der Wertaktivitäten von Lufthansa
Quelle:
Eigene Darstellung
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Abbildung 8:
Länderübergreifende Konfiguration der Wertaktivitäten von Ryanair
Quelle:
Eigene Darstellung
Die Personalbeschaffung unterscheidet sich hinsichtlich der zu besetzenden Position. So ist die Beschaffung von Flugbegleitern an externe Personalberatungsagenturen ausgelagert. Diese halten an verschiedenen europäischen Orten wie Budapest oder Granada Recruitment Days ab und treffen dort die Personalauswahl. Der Einstellungsprozess von Piloten ist bei Ryanair standardisiert. Nach einer Online-Bewerbung und einem erfolgreichen Telefoninterview finden Assessment-Center im Trainings-Center von Ryanair am East Midland Airport in Nottingham statt (vgl. Ryanair 2008a). Durch die Auslagerung und Standardisierung der Personalbeschaffung lassen sich Kostenund Koordinationsvorteile erzielen. Das Training der Mitarbeiter ist geographisch gestreut und findet neben Dublin z.B. auch im bereits erwähnten Trainingscenter in Nottingham statt (vgl. Ryanair 2007). Bei der in Kelsterbach ansässigen Lufthansa Systems AG han-delt es sich um einen der weltweit führenden IT-Dienstleister für die Luftfahrtindustrie mit mehreren Standorten in Deutschland und weiteren 17 im Ausland. Die Entwick-lungsarbeiten werden weltweit durchgeführt, so z.B. auch in Ungarn, Indien und Polen (vgl. Lufthansa 2007, S. 89). Durch die geographische Streuung nutzt Lufthansa komparative Kostenvorteile. Darüber hinaus erhält sie Zugriff auf globales Wissen, was je-
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doch mit der Gefahr der Know-how-Diffusion verbunden ist. Die Durchführung von Forschungs- und Entwicklungsarbeiten an mehreren Standorten ist zudem mit mehr Flexibilität, Risikominimierung und einem höheren Potenzial für erfolgreiche Innovationen verbunden. Aber auch die Adaption an unterschiedliche nationale Gegebeneiten spricht für eine Streuung dieser Aktivitäten. Die Konfiguration der Beschaffung erfolgt in Abhängigkeit des angeschafften Produkts. Die Flotte stellt einen bedeutenden Vermögenswert und Beitrag zur Wertschaffung einer Fluggesellschaft dar. Die Lufthansa-Flotte besteht sowohl aus Airbus- und Boeing-Maschinen als auch aus unterschiedlichen Regionalflugzeugen. In welchen Regionen weltweit Lufthansa Regionalflugzeuge bezieht, ist dem Geschäftsbericht nicht zu entnehmen, doch ist anzunehmen, dass die Anschaffung von Regionalflugzeugen im Vergleich zur jenen der großen Hersteller zumindest vom wertmäßigen Anschaffungsvolumen geringer ist. Grundsätzlich ist jedoch davon auszugehen, dass die Anschaffung von Flugzeugen auf allen fünf Kontinenten stattfindet und die Wertschaffung für die Lufthansa-Flotte weltweit gestreut ist. Dies ermöglicht der Unternehmung eine große Flexibilität bei Verhandlungen für Flugzeugkäufe, da diese über die technischen Ressourcen und entsprechend ausgebildete Mitarbeiter für die Modelle zahlreicher Anbieter verfügt. Die unterschiedlichen Sitzplatzkapazitäten sowie die Reichweiten der einzelnen Modelle ermöglichen eine bestmögliche Anpassung an die Nachfrage und die Anforderungen der unterschiedlichen Märkte (vgl. Lufthansa 2007, S. 56). Ryanair (2007, S. 20, 33) hingegen bezieht Flugzeuge ausschließlich von Boeing und erwirbt dabei mit der Boeing 737-800 einen einzigen Flugzeugtyp. Daher konzentriert sich die Wertschaffung in Form des Flugzeugerwerbs bei Ryanair auf die USA. Durch die Konzentration auf einen Flugzeugtyp und einen Anbieter erzielt die Fluggesellschaft eine große Verhandlungsmacht, die in Größenvorteilen aufgrund einer größeren Abnahmemenge resultiert. Darüber hinaus entstehen dadurch Lernkurveneffekte (z. B. bei der Wartung der Maschinen) und geringere Ausbildungskosten, da die RyanairMitarbeiter nur mit einem Flugzeugtyp vertraut gemacht werden müssen. Güter und Dienstleistungen, die vergleichsweise geringere Kosten verursachen und an verschiedenen Standorten benötigt werden, werden von beiden Fluggesellschaften dezentral vor Ort beschafft (vgl. Lufthansa 2007; Ryanair 2007).
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Dadurch können diese von lokalen Mitarbeitern durchgeführt werden, die ein besseres Verständnis der lokalen Preise sowie der Verfügbarkeit von Gütern und Leistungen haben. Die Beschaffungsaktivitäten dieser Produkte und Leistungen sind somit bei beiden Fluggesellschaften geographisch gestreut. Das Netzmanagement von Lufthansa wird zentral in Frankfurt ausgeführt. Dort werden strategische Entscheidungen darüber getroffen, wie schnell, wo und wie das Strekkennetz der Lufthansa wachsen soll. Die Flugpläne werden system- und datengestützt erstellt. Mit Hilfe von Simulationen und Optimierungen werden Entscheidungen bezüglich des Flugplans unterstützt. Die Zentralisierung eröffnet Größendegressionsvorteile und schützt vor Know-how-Diffusion. Aufgrund des großen Streckennetzes sind jedoch Ansätze zu einer Dezentralisierung erkennbar. Insbesondere die Drehkreuze Frankfurt, München und Zürich gewinnen an Bedeutung, indem dort eine lokale Rotationsplanung durchführt wird (vgl. Puppel 2007). Das Yield Management von Lufthansa wird ebenfalls nicht nur zentral in Frankfurt, sondern auch an den Hubs ausgeführt. Die Frage, ob die Netzwerkplanung und das Yield-Management geographisch konzentriert oder gestreut sind, lässt sich auf Basis des Geschäftsberichts von Ryanair nicht beantworten. Wie die vorangehenden Ausführungen zu den anderen Wertaktivitäten zeigen, tendiert Ryanair jedoch zur Standardisierung und Konzentration von Aktivitäten an einem Standort, insbesondere am Geschäftssitz Dublin. Dies dürfte auch für die strategisch besonders relevanten Funktionen Netzwerkplanung und Yield-Management gelten, die auch in anderen Fluggesellschaften zumeist geographisch konzentriert sind (vgl. Holtbrügge/Wiedemann/Schäfer 2009). Insgesamt zeigt sich, dass der Großteil der Wertaktivitäten von Lufthansa geographisch gestreut ist und nur wenige unterstützende Aktivitäten im Bereich der Unternehmungsinfrastruktur konzentriert sind. Dadurch besitzt Lufthansa eine große Kundennähe und kann Vorteile aus der Adaption an die nationalen Bedingungen sowie Risikominimierung und Flexibilität erzielen. Ryanair tendiert im Vergleich zu Lufthansa dagegen zum Outsourcing und zur Konzentration von Aktivitäten, wodurch die Unternehmung Kosten- und Koordinationsvorteile erreicht.
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Zusammenfassung, Schlussfolgerungen und Implikationen für zukünftige Studien
Das Ziel der Studie bestand darin zu überprüfen, welche Unterschiede in der länderübergreifenden Konfiguration von Wertaktivitäten zwischen FSNC und LCC bestehen und worauf diese zurückzuführen sind. Als typische Unternehmungsbeispiele für diese Geschäftsmodelle wurden Lufthansa und Ryanair betrachtet. Die Studie basierte auf der Analyse der Geschäftsberichte der beiden Unternehmungen aus dem Geschäftsjahr 2007. Bei der Untersuchung der Relevanz unterschiedlicher Wertaktivitäten für Lufthansa und Ryanair konnte festgestellt werden, dass beide Unternehmungen der Unternehmungsinfrastruktur, den Operationsaktivitäten und dem Personalmanagement besondere Relevanz beimessen. Des Weiteren sind die Marketingaktivitäten und hier insbesondere die Aktivität der Wertbestimmung für Lufthansa sowie das Yield Management für Ryanair von wesentlicher Bedeutung. Die technologische Entwicklung besitzt für Ryanair keine Bedeutung und stellt daher keinen Bestandteil der Wertkette dar. Darüber hinaus verfolgte die Studie das Ziel zu überprüfen, wie die Wertaktivitäten in den beiden Unternehmungen weltweit konfiguriert sind, welche Bedingungen auf die unterschiedlichen Konfigurationsformen einwirken und welche Wettbewerbsvorteile sich dadurch realisieren lassen. Für beide Fluggesellschaften konnte eine integrierte Konfiguration festgestellt werden, da einzelne Wertaktivitäten in beiden Unternehmungen geographisch gestreut sind und die Ausübung der Aktivitäten an den einzelnen Standorten miteinander verbunden ist. Sowohl der Integrationsgrad als auch der Grad der geographischen Streuung der Wertaktivitäten ist jedoch bei Lufthansa deutlich stärker ausgeprägt. Verantwortlich dafür ist insbesondere das Bestreben, eine möglichst große Kundennähe zu realisieren und sich an die jeweiligen nationalen Bedingungen anzupassen. Zudem lässt sich dadurch das Risiko senken und die Flexibilität erhöhen. Bei Ryanair steht dagegen das Ziel der Kostensenkung durch die Erzielung von Standardisierungs- und Größendegressionsvorteilen eindeutig im Vordergrund. Unterschiedliche Geschäftsmodelle gehen daher mit einer unterschiedlichen Konfiguration der Wertaktivitäten einher.
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In zukünftigen Studien wäre es interessant zu untersuchen, ob sich diese unterschiedlichen Konfigurationsformen auch auf den Erfolg von Fluggesellschaften auswirken. Insbesondere stellt sich die Frage, ob die weitere Liberalisierung des Luftverkehrs die Möglichkeiten der geographischen Streuung von Wertaktivitäten erweitert und damit der Ansatz von Lufthansa erfolgversprechender ist als derjenige von Ryanair. Zudem verfügt Lufthansa durch die Mitgliedschaft in der Star Alliance über die Möglichkeit, bestimmte Wertaktivitäten gemeinsam mit Allianzpartnern durchzuführen. Dabei wäre insbesondere die Frage relevant, wie sich diese Allianzmitgliedschaft auf die länderübergreifende Konfiguration von Wertaktivitäten auswirkt und welche zusätzlichen Wettbewerbsvorteile dadurch realisiert werden können. Ein weiteres Feld für zukünftige Studien ist die Analyse der Auswirkungen unterschiedlicher Konfigurationsformen auf die länderübergreifende Koordination. Hier liegt die Vermutung nahe, dass diese bei Lufthansa aufgrund der größeren geographischen Streuung komplexer ist als bei Ryanair, deren Wertaktivitäten stärker geographisch konzentriert sind. In methodischer Hinsicht hat die Studie gezeigt, dass sich die Analyse von Geschäftsberichten gut zur Analyse der Wertaktivitäten von Unternehmungen eignet. Als vorteilhaft erweist sich insbesondere deren hohe Reliabilität sowie die Tatsache, dass diese eine Gesamtunternehmungsperspektive vermitteln und nicht nur die Auffassungen einzelner Personen widerspiegeln. Zukünftige Untersuchungen könnten die hier angewandte Methodik verfeinern und erweitern. So würde etwa eine Längsschnittanalyse die Möglichkeit bieten, die Reliabilität von Geschäftsberichten zu prüfen, indem die zeitliche Stabilität der Angaben zur länderübergreifenden Konfiguration analysiert wird. Schließlich bietet es sich an, in zukünftigen Studien weitere Primärquellen wie z. B. Presseerklärungen, Reden und Vorträge oder interne Dokumente für eine qualitative Datenauswertung heranzuziehen. Dies würde es ermöglichen, noch stärker die Gründe für die gewählten Konfigurationsformen zu untersuchen.
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172
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Konfiguration und Koordination von Unternehmungen in der Softwarebranche. Das Beispiel SAP
Tassilo Schuster, Universität Erlangen-Nürnberg Dirk Holtbrügge, Universität Erlangen-Nürnberg Stefan Heidenreich, Wirtschaftsuniversität Wien Gliederung 1
Problemstellung und Zielsetzung
2
Merkmale der Softwarebranche
3
Die SAP AG
4
Methodik
5
Die Wertkette der SAP AG
5.1 5.2
Primäre Wertaktivitäten Unterstützende Wertaktivitäten
6
Länderübergreifende Konfiguration der Wertaktivitäten bei SAP
6.1 6.2
Primäre Aktivitäten Unterstützende Aktivitäten
7
Länderübergreifende Koordination der Wertaktivitäten bei SAP
7.1 7.2
Selbstabstimmung Sozialisation
8
Zusammenfassung, Implikationen und Ausblick
D. Holtbrügge et al. (Hrsg.), Management internationaler Dienstleistungen mit 3K, DOI 10.1007/978-3-8349-9476-9_7,© Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009
Konfiguration und Koordination von Unternehmungen in der Softwarebranche
1
175
Problemstellung und Zielsetzung
Die Softwareindustrie hat in den letzten Jahrzehnten die Unternehmungswelt wie kaum eine andere Branche geprägt und verändert. Bei nahezu allen Arbeitsschritten von einem einfachen Brief bis hin zur aufwendigen Datenkalkulation werden heute Softwareapplikationen eingesetzt. Gleichzeitig unterliegt die Softwarebranche selbst großen Veränderungen, beispielsweise durch die immer stärkere Nutzung mobiler Hardwaregeräte oder die weltweite Verbreitung des Internets. Diese Entwicklungen stellen große Herausforderungen dar, die Unternehmungen dieser Branche bewältigen müssen. Heute zählt die Softwareindustrie zu einer der am stärksten internationalisierten Branchen mit einem hohen Grad an länderübergreifenden Interdependenzen. Dies bedeutet, dass die Wettbewerbsposition, die eine Unternehmung in einem einzelnen Land besitzt, stark von seiner Stellung in anderen Ländern beeinflusst wird und vice versa. Dies ist einerseits die Folge von Skaleneffekten, anderseits aber auch auf Netzeffekte zurückzuführen (vgl. Kagermann/Oesterle 2006, S. 178 f.). Netzeffekte bewirken, dass der Nutzen einer Software für den Anwender umso größer ist, je mehr Anwender diese verwenden. Netzeffekte sind beispielsweise im Bereich von ERP (Enterprise Resource Planning)-Systemen, die von Unternehmungen wie SAP, Oracle und Baan entwickelt werden, vorzufinden. ERP-Systeme ermöglichen die Nutzung standardisierter Formate, durch die der Austausch von Geschäftsdokumenten vereinfacht und die Kosten für die innerbetriebliche sowie für die wertkettenübergreifende Kommunikation reduziert werden (vgl. Hoch et al. 2000, S. 41). Netzeffekte begünstigen die Bildung natürlicher Monopole bzw. von Winner-takes-it-all Märkten, in denen ein einzelner oder wenige Marktteilnehmer eine globale marktbeherrschende Stellung einnehmen. In diesem Zusammenhang gewinnt für Softwareunternehmungen die länderübergreifende Konfiguration der Wertaktivitäten stark an Bedeutung. Nicht nur die Beschaffung von Fachkräften, sondern auch die Entwicklung gesamter Softwaresysteme erfolgt in zunehmendem Maße in einem globalen Umfeld. Dabei müssen sich Unternehmungen stets die Frage stellen, ob sich eher aus einer geographischen Streuung der Wertaktivitäten oder aus deren Zentralisierung Wettbewerbsvorteile ergeben. Wettbewerbsvorteile können beispielsweise durch Größendegressionsvorteile, Verbundvorteile oder durch die Ausnutzung länderspezifischer Unterschiede realisiert werden. Eng
176
Tassilo Schuster, Dirk Holtbrügge, Stefan Heidenreich
verknüpft mit der Konfiguration der Wertaktivitäten ist die Koordination der einzelnen Unternehmungseinheiten. Geeignete Instrumente müssen sicherstellen, dass Unternehmungseinheiten über Kontinente hinweg effizient gesteuert werden und ein Kommunikationsfluss zwischen einzelnen Standorten und Teams erfolgen kann. Hierbei muss beachtet werden, dass die Zusammenarbeit, Verwaltung und Überwachung von Aufgaben umso komplexer wird, je größer die geographische Streuung der Wertaktivitäten ist. Das Ziel des Beitrags ist, anhand der SAP AG zu analysieren, welche Wettbewerbsvorteile sich durch die länderübergreifende Konfiguration von Wertaktivitäten ergeben. Daneben wird der Frage nachgegangen, wie SAP die daraus resultierenden Koordinationsanforderungen bewerkstelligt. Die Analyse wird mithilfe einer branchenspezifischen Wertkette der Softwarebranche erfolgen. Zur Verwirklichung der angesprochenen Ziele ist der Beitrag wie folgt aufgebaut. Nach der Einführung in die Thematik werden in Kapitel 2 die spezifischen Merkmale der Softwareindustrie betrachtet. In Kapitel 3 wird die untersuchte Unternehmung, die SAP AG, näher vorgestellt. Kapitel 4 befasst sich mit der Forschungsmethodik, bevor in Kapitel 5 die Wertkette von Softwareunternehmungen skizziert wird. Den Hauptteil des Beitrags bilden Kapitel 6 und 7, in denen die länderübergreifende Konfiguration und Koordination der Wertaktivitäten bei SAP analysiert werden. In Kapitel 8 werden schließlich Implikationen zur Generierung von länderübergreifenden Wettbewerbsvorteilen abgeleitet und ein Ausblick gegeben.
2
Merkmale der Softwarebranche
Die Wurzeln der Softwarebranche sind in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts zu finden. Zu dieser Zeit wurde Software noch nicht als eigenständiges Produkt vertrieben, sondern lediglich als Anhang zur Hardware verkauft. Allerdings erkannten zahlreiche Unternehmungen schon frühzeitig das große Marktpotential von Softwareprodukten. So ist es kaum verwunderlich, dass sich Software schnell zum Antriebsmotor der Computerbranche entwickelte und schließlich eine eigenständige Branche formte.
Umsatz in Mrd. US-$
Konfiguration und Koordination von Unternehmungen in der Softwarebranche
300 217,9
250 200
190,4
251,5
233,9
203,7
Umsatz weltweit
150
Umsatz Deutschland
100 50
177
18,9
19,3
19,9
21,3
22,7
2003
2004
2005
2006
2007
0 Jahr
Abbildung 1:
Umsatzentwicklung in der Softwarebranche von 2003-2007
Quelle:
In Anlehnung an Datamonitor 2008a, 2008b.
Einen richtungsweisenden Zeitpunkt stellte dabei das Jahr 1969 dar, in welchem das amerikanische Justizministerium von der Unternehmung IBM einen getrennten Ausweis von Soft- und Hardware forderte und somit maßgeblich zur Herausbildung der Softwarebranche beitrug (vgl. Buxmann/Diefenbach/Hess 2008, S. 2). Seit diesen Anfängen entwickelten sich überwiegend in den USA zahlreiche Start-up Unternehmungen von kleinen Programmierbüros zu multinationalen Unternehmungen und ermöglichten der Branche hohe Wachstumsraten, welche trotz der Krise der „New Economy“ zu Beginn dieses Jahrhunderts noch immer die vieler anderer Branchen übertreffen. Die Umsatzentwicklung in den letzten fünf Jahren gibt Abb. 1 wieder. Betrachtet man den Softwaremarkt über Länder und Kontinente hinweg, findet man stets gleiche Marktstrukturen vor, in denen zumeist die gleichen Unternehmungen in spezifischen Bereichen eine marktbeherrschende Stellung einnehmen. So ist nahezu in allen Ländern der Welt Oracle der Lieferant für Datenbank-Systeme, Microsoft der Lieferant für Office-Anwendungen und SAP derjenige für Unternehmenslösungen. Tab. 1 zeigt die 25 umsatzstärksten Unternehmungen der Branche auf. Die Marktstruktur ist das Resultat der besonderen Eigenschaften des Gutes Software, wobei technische und betriebswirtschaftliche Aspekte unterschieden werden können. Folgt man einer technischen Sichtweise, kann Software als abgespeicherte, maschinenlesbare Sätze logischer Instruktionen verstanden werden, die von einer ComputerHardware in einen binären Code umgewandelt wird. Dieser wird von einem Prozessor für unterschiedliche Anwendungen verarbeitet und ausgeführt (vgl. Tenderich 1995, S. 36). Software ist somit dem erzeugten Quellcode als Ergebnis des Entwicklungspro-
Tassilo Schuster, Dirk Holtbrügge, Stefan Heidenreich
178
zesses gleichgesetzt, die es ermöglicht, Maschinen für unterschiedliche Aufgaben einzusetzen. Eine Klassifikation von Software erfolgt in diesem Kontext nach der Nähe zur Hardware zumeist in Systemsoftware, systemnahe Software und Anwendungssoftware (vgl. Buxmann/Diefenbach/Hess 2008, S. 4). Softwareumsatz (Mio. US-$)
Gesamtumsatz (Mio. US-$)
Anteil der Software am Gesamtumsatz (in %)
Microsoft
37.337
45.494
82
IBM
18.204
91.424
20
3
Oracle
13.099
16.489
79
4
SAP
8.717
12.408
70
5
HP
4.115
93.103
4
6
Symantec
3.879
3.879
100
7
Computer Associates
3.514
3.887
90
8
Electronic Arts
3.216
3.216
100
9
Adobe
2.484
2.577
96
10
Nintendo
2.418
7.253
33
11
EMC
2.343
11.155
21
12
Autodesk
1.676
1.813
92
13
NCR
1.643
6.142
27
14
Activision
1.568
1.568
100
15
Cisco
1.529
30.426
5
16
SunGard
1.483
4.323
34
17
BMC
1.405
1.536
91
18
Intuit
1.367
2237
61
19
Cadence
1.349
1.484
91
20
Dassault
1.271
1.528
83
21
THQ
1.112
1.112
100
22
Synopsys
1.068
1.113
96
23
Vivendi Universal Games
1.061
26.452
4
24
Take 2 Interactive
1.050
1.050
100
25
SAS Institute
950
1.900
50
Rang
Unternehmung
1 2
Tabelle 1:
Die 25 größten Softwareunternehmungen 2007
Quelle:
http://www.softwaretop100.org.
Diese eng gefasste technische Definition verdeutlicht die spezifischen Besonderheiten einer Software und zeigt die Unterschiede zu Sachgütern auf. Hier sind vor allem die Eigenschaften Immaterialität, unbegrenzte Reproduzierbarkeit und spezielle Transportbedingungen zu nennen, die Einfluss auf die Wertkette und damit auf die län-
Konfiguration und Koordination von Unternehmungen in der Softwarebranche
179
derübergreifenden Konfigurationsentscheidungen von Softwareunternehmungen haben. Immaterialität: Immaterialität bezieht sich auf die stoffliche Eigenschaft von Gütern. Während Sachgüter eine tangible Komponente besitzen, ist Software ein rein immaterielles Gut und unterliegt keiner Abnutzung. Obwohl Software bei mehrfacher Nutzung nicht verschleißt, untersteht sie dennoch einer Obsoleszenz. Die Hauptgründe, warum Software im Zeitverlauf veraltet und unbrauchbar wird, sind einerseits technologische Erneuerungen und andererseits veränderte Benutzerbedürfnisse. Unbegrenzte Reproduktion: Eine Eigenschaft von Software ist die unbegrenzte Kopierbarkeit. Im Vergleich zu Sachgütern, die in einem Produktionsprozess immer wieder neu hergestellt werden müssen, wird Software nach einer Erst-Produktion bzw. Entwicklung, die zumeist mit erheblichen Kosten verbunden ist, lediglich kopiert. Diese Reproduktion der Software verursacht nur noch marginale Kosten. Diese Eigenschaft hat starke Auswirkungen auf die Branchenstruktur, da sie die Bildung natürlicher globaler Monopole begünstigt. Transportbedingungen: Eine weitere Besonderheit, die sich aus der Immaterialität von Software ergibt, ist ein sekundenschneller und zu vernachlässigbaren Kosten möglicher Transport von Standort zu Standort durch moderne Telekommunikationsnetze. Dies eröffnet im Gegensatz zu Sachgütern die Ausnutzung komparativer Ländervorteile, die nicht von höheren Transportkosten oder längerfristig gebundenem Kapital kompensiert werden. Somit können Softwareunternehmungen durch eine geeignete länderübergreifende Wertschöpfungskonfiguration in hohem Maße Wettbewerbsvorteile erzielen. Die technische Definition und daraus abgeleitete Eigenschaften greifen allerdings zu kurz, um das Produkt- und Leistungsspektrum der Branche beschreiben und die Realisierung von Wettbewerbsvorteilen erklären zu können. Daher muss diese um eine betriebswirtschaftliche Perspektive ergänzt werden, die Software über den eigentlichen Programmcode hinaus betrachtet und zahlreiche korrespondierende Leistungen wie Beratung, Dokumentation und Unterstützungsleistungen in die Betrachtung einbezieht. In diesem Kontext ist zudem eine Unterscheidung in Individual- und Standardsoftware notwendig. Bei Individualsoftware sind die Anwendungsprobleme bzw. die Kundenbedürfnisse nicht bekannt, so dass vorgelagerte Beratungen und Analysen in den Vordergrund rücken und die Programmierung und Codierung nur noch einen sehr gerin-
Tassilo Schuster, Dirk Holtbrügge, Stefan Heidenreich
180
gen Anteil der Aufwendungen im Lebenszyklus ausmachen. Hier wird deutlich, dass Software neben einem Produktcharakter auch immer einen Dienstleistungscharakter besitzt. Abb. 2 kategorisiert die verschiedenen Softwareklassen nach ihrer vorwiegenden Ausrichtung.
Produktcharakter
Dienstleistungscharakter
Systemsoftware Systemnahe Software Anwendungssoftware
Standardsoftware Individualsoftware
Abbildung 2:
Softwareklassen nach ihrer Produkt- und Dienstleistungsorientierung
Quelle:
Eigene Darstellung in Anlehnung an Gerhardt 1991, S. 68.
Dieser ambivalente Charakter bezüglich der Produkt- und Dienstleistungsorientierung von Software wird auch in den Wertschöpfungsstufen von Softwareunternehmungen deutlich. Während Anbieter von Standardsoftware und Systemsoftware zumeist noch Ähnlichkeiten mit Industrieunternehmungen haben, kommt bei Anbietern von Individual- und Anwendungssoftware der Integration des externen Faktors in den Wertschöpfungsprozess (Kundenintegration) eine deutlich größere Bedeutung zu. Der Dienstleistungscharakter ist deshalb bei diesen Unternehmungen besonders stark ausgeprägt.
3
Die SAP AG
SAP wurde 1972 von fünf ehemaligen IBM-Angestellten gegründet und entwickelte sich schnell zu einem der führenden Anbieter von Unternehmenslösungen (für einen detaillierten Überblick über die historische Entwicklung von SAP vgl. Leimbach
Konfiguration und Koordination von Unternehmungen in der Softwarebranche
181
2007). Heute ist die Unternehmung hinter Microsoft und Oracle eine der größten unabhängigen Softwarelieferanten der Welt. Die SAP, deren Name für Systeme, Anwendungen und Produkte steht, beschäftigt derzeit rund 51.800 Mitarbeiter in über 50 Ländern rund um den Globus (vgl. SAP 2008a). Das Produktportfolio von SAP umfasst Software in den Bereichen Enterprise Resource Planning (ERP), Customer Relationship Management (CRM), Supply Chain Management (SCM), Supplier Relationship Management (SRM) sowie Product Lifecycle Management (PLM). Aus diesen Bausteinen setzt sich modular die SAP Business Suite, ein Softwarekomplettpaket für mittelgroße und große Unternehmungen zusammen, dass das umsatzstärkste Produkt der Unternehmung bildet. Die SAP Business Suite ist keine standardisierte Unternehmenslösung, sondern enthält leistungsstarke, branchenspezifische Module und Best Practices. Sie wird vielfach durch Teams von Experten unterstützt, die sich gezielt den Fraugestellungen und Herausforderungen der jeweiligen Branche und der jeweiligen Unternehmung widmen (SAP 2007, S. 18). So ist es in den meisten Fällen erforderlich, den standardisierten Anwendungskern an die speziellen Geschäftsprozesse des jeweiligen Kunden anzupassen. Zur Aktualisierung und Weiterentwicklung der bestehenden Bausteine sowie zur Erschließung neuer Technologien und IT-Trends besitzt SAP ein weltweites Netzwerk an Forschungs- und Entwicklungszentren, das in Abb. 3 dargestellt ist. Entscheidend für viele Forschungs- und Entwicklungsprojekte bei SAP ist ein weltweiter Austausch von Wissen und Informationen sowie eine globale Zusammenarbeit, die auch über die eigenen Unternehmungsgrenzen hinweg erfolgt (vgl. Siegele/Zepelin 2009). Dieser Gedanke spiegelt sich im Konzept des SAP Community Networks wieder, zu dem das SAP Developer Network (SDN) und die Business Process Expert (BPX) Community gehören. Bei diesen Austauschplattformen handelt es sich um virtuelle Informationsgemeinschaften, deren Mitglieder mit SAP-Lösungen sowohl innerhalb als auch außerhalb von SAP arbeiten. Zu diesen zählen neben SAP-Mitarbeitern beispielsweise auch Softwareentwickler von Kunden oder Mitarbeiter von Partnerunternehmungen (vgl. Kagermann 2009). Über die Entwicklung von Unternehmungslösungen hinaus bietet die Serviceorganisation von SAP, SAP Services, ein umfassendes Angebot an komplementären Dienstleistungen an, denen Beratungsleistungen, Support, Schulungen, kundenspezifische Entwicklungen und die Managed Services zuzuordnen sind (vgl. Ohr et al. 2007, S. 145). Die Serviceorganisation von SAP umfasst 6.000 Mitarbeiter, die 77 Schulungszentren,
Tassilo Schuster, Dirk Holtbrügge, Stefan Heidenreich
182
sechs Global Support Center und neun Kundenentwicklungszentren in Europa, Nordund Südamerika sowie in Asien betreiben und dadurch einen 24-Stunden Service und Support für das gesamte Produktportfolio ermöglichen. Entwicklungszentren
Forschungszentren
z Australien: Brisbane China: Shanghai Deutschland: Darmstadt, Dresden, Karlsruhe, Walldorf Frankreich: Sophia Antipolis
Bulgarien: Sofia China: Shanghai Deutschland: St. Leon-Rot, Walldorf Indien: Bangalore, Gurgaon
a Israel: Ra‘anana Kanada: Montréal Ungarn: Budapest USA: Palo Alto
Forschungszentren Kanada: Montréal UK: Belfast Schweiz: St.Gallen, Zürich Südafrika: Pretoria USA: Palo Alto
Abbildung 3:
Forschungs- und Entwicklungsstandorte von SAP
Quelle:
In Anlehnung an SAP 2007, S. 34.
Für die internationalen Geschäftsaktivitäten hat SAP vier geographische Gebiete definiert: die Region Europa, Naher Osten und Afrika, Nordamerika, Mittel- und Südamerika sowie den von Indien über Ostasien bis Australien reichenden asiatisch-pazifischen Raum, in denen SAP 2007 einen Umsatz von 10,24 Mrd. Euro generieren konnte. Abb. 4 gibt den Gesamtumsatz für die einzelnen Tätigkeitsbereiche wieder. Mit SAP Business ByDesign, das speziell für kleine mittelständische Unternehmungen mit rund 100 bis 500 Mitarbeitern entwickelt wurde, soll zukünftig ein neues Geschäftsfeld erschlossen werden und langfristig zu den gesetzten Umsatzzielen beitragen. Allein in Deutschland und den USA existieren nach Schätzungen von SAP etwa
Konfiguration und Koordination von Unternehmungen in der Softwarebranche
183
60.000 solcher Unternehmungen, die über ein Marktpotenzial von 11 Mrd. Euro verfügen (vgl. SAP 2007, S. 123).
Schulungen 410
Sonstige 366
Beratung 2.221
Support 3.838
Software 3.407
Abbildung 4:
Umsatz von SAP nach Tätigkeitsbereichen in 2007 (in Mio. Euro)
Quelle:
In Anlehnung an SAP 2007, S. 92.
Zur Erschließung des neuen Geschäftsfeldes plant SAP, die Belegschaft mit der Neueinstellung von rund 4.000 Mitarbeitern (umgerechnet in Vollzeitbeschäftigte) im Jahr 2008 zu unterstützen, wovon voraussichtlich 10% auf den Standort Deutschland entfallen werden (vgl. SAP 2007, S. 124).
4 Methodik Nach der kurzen Darstellung der Softwarebranche und der SAP AG wird im Folgenden analysiert, welche Wettbewerbsvorteile SAP durch die länderübergreifende Konfiguration von Wertaktivitäten realisieren kann und wie die damit einhergehenden Koordinationsanforderungen bewältigt werden. Zur Realisierung dieser Zielsetzung wurden zunächst Veröffentlichungen sowie allgemein zugängliche Dokumente von und über SAP analysiert. Anschließend wurden mehrere Mitarbeiter von SAP interviewt, die aufgrund ihrer Position Auskunft zu den hier relevanten Fragestellungen geben konnten. Tab. 2 gibt eine Übersicht über die hierarchische Position und Länderverantwortlichkeit der Mitarbeiter sowie über die Anzahl der geführten Interviews.
Tassilo Schuster, Dirk Holtbrügge, Stefan Heidenreich
184
Hierarchieebene Vorstand Abteilungs- und Bereichsleitung Niederlassungsleitung Projektleitung Projektmitarbeiter Tabelle 2:
Länderverantwortlichkeit
Anzahl der Interviews
Weltweit
2
Deutschland
1
Russland Deutschland, Indien
1 3
Deutschland, Indien
4
Übersicht der bei SAP geführten Interviews
Die Befragung erfolgte mit Hilfe halbstandardisierter Interviews auf Basis eines Interviewleitfadens. Dadurch sollte es den Befragten ermöglicht werden, offen und unvoreingenommen über die länderübergreifende Konfiguration und Koordination der Wertaktivitäten bei SAP zu berichten. Die Interviews wurden aufgezeichnet, transkripiert und mithilfe des Softwareprogramms NVivo ausgewertet (vgl. Gibbs 2002; Bazeley 2007).
5
Die Wertkette der SAP AG
Zur Realisierung der im ersten Kapitel skizzierten Zielsetzung wird zunächst die Wertkette von Softwareunternehmungen analysiert und auf die Ausgestaltung der einzelnen Wertaktivitäten bei SAP eingegangen. Die Grundlage der Analyse bildet die von Porter (2008) entwickelte Wertkette, die jedoch an die Spezifika von Dienstleistungsunternehmungen in der Softwarebranche angepasst wird. Zur Beschreibung der Wertschöpfungsprozesse von Softwareunternehmungen kann generell auf die Grundform der originären Wertkette sowie deren Unterteilung in primäre und unterstützende Aktivitäten zurückgegriffen werden. Die primären Aktivitäten werden weiter in eine Potential-, Prozess- und Ergebnisphase differenziert, um dem besonderen Charakter von Dienstleistungen Rechnung zu tragen (vgl. den Beitrag von Holtbrügge in diesem Band). Hierbei wird die Potentialphase durch Aktivitäten zur Geschäftsanbahnung sowie durch die Bereitstellung der zur Leistungserbringung notwendigen Faktoren gekennzeichnet. Sie endet mit der Einbeziehung des externen Faktors, welche die Prozessphase auslöst. Diese Definition kann auch auf die Softwarebranche übertragen werden. In der Prozessphase findet die eigentliche Leistungserstellung statt. Dies ist in der Softwarebranche gleichbedeutend mit der Entwicklung der Software. Die Phase
Konfiguration und Koordination von Unternehmungen in der Softwarebranche
185
umfasst somit alle Tätigkeiten, die zur Leistungserbringung, d.h. zur Entwicklung der Software notwendig sind. Die Prozessphase endet mit der erbrachten Veränderung an dem einbezogenen externen Faktor, d.h. zu dem Zeitpunkt, an dem die entwickelte Software auf dem System des externen Faktors in Betrieb genommen wird. Der Beginn der Ergebnisphase erfolgt erst nach dem erfolgreichen Launch der Software auf dem System des Kunden. Wird eine Phaseneinteilung aus Sicht des Produktcharakters vorgenommen, ergibt sich ein differenzierteres Bild. Die erste Phase, die als Produktvorbereitung beschrieben werden kann, umfasst synchron zur Potentialphase alle Aktivitäten zur Geschäftsanbahnung und zur Bereitstellung der für die Produktentwicklung notwendigen Faktoren. Die zweite Phase beinhaltet sämtliche Aktivitäten der Produktentwicklung und endet mit der Erzeugung des fertigen Produkts. Bei der Softwareentwicklung ist dies der Fall, wenn ein Systemtest der endgültigen Version einer Software erfolgreich durchgeführt wurde und deren Installation auf dem System des Kunden erfolgen kann. Wird die Installation beim Kunden von der Softwareunternehmung selbst durchgeführt, fällt diese Wertaktivität bereits in die Phase der Produktbetreuung. Zusammenfassend ergibt sich die in Abb. 5 dargestellte Wertkette, deren Elemente bei SAP im Folgenden beschrieben werden. Primäre Wertaktivitäten Die Wertaktivität Marketing umfasst alle Prozesse, die für die Geschäftsanbahnung erforderlich sind. Dazu gehören auch Markt- und Wettbewerbsanalysen, welche die Durchsetzungsfähigkeit von Produktideen und Softwareprojekten bewerten. Im Requirements Engineering erfolgt die Definition der Hauptanforderungen der zu entwickelnden Software. Hierzu zählen Problemanalysen sowie Grobplanungen, die die technische und wirtschaftliche Realisierung hinsichtlich der benötigten Ressourcen wie Personal, Know-how, Lizenzen und Finanzen überprüfen. Zudem erfolgen während der Systemspezifikation die Abgrenzung des Problembereichs der geplanten Software sowie die Festlegung des Leistungsumfangs. Diese stellt somit die Grundlage für alle weiteren Arbeitsschritte während der eigentlichen Softwareentwicklung dar (vgl. Turowski 1997, S. 146). Bei SAP endet diese Wertaktivität mit der Erstellung des Requirement Specifcation Documents, in welchem alle relevanten Prozessabläufe, Schnittstellendefinitionen, Funktionen und Terminplanungen zur Entwicklung und Implementierung der Software erfasst werden.
Abbildung 5:
Unterstützende Aktivitäten
Primäre Aktivitäten
Idealtypische Wertkette einer Softwareunternehmung
spezifikationen
System-
Potentialphase
Wettbewerbsanalysen
Grobplanung
Prozessphase
Systemtest
Implementierung
Codierung
Dokumentation
MarktAnalysen Prototyping
Qualitätssicherung
Anwenderberatung
Problemanalyse
Entwurf
Launching
Training
Installation
Ergebnisphase
Beschwerdemanagement
Kundendienst
Service & Support
Produktbetreuung
Realisierung & Initial Operation Testing
Produktentwicklung
Marketing Requirements Engineering
Produktvorbereitung
Beschaffung
Personalmanagement
Technologieentwicklung
Rechts- und Vertragsmanagement
Unternehmungsinfrastruktur
186 Tassilo Schuster, Dirk Holtbrügge, Stefan Heidenreich
Konfiguration und Koordination von Unternehmungen in der Softwarebranche
187
Parallel zu den Wertaktivitäten Marketing und Requirements Engineering finden Anwenderberatungen statt. Diese dienen einerseits zur Geschäftsanbahnung und sind andererseits für das Requirements Engineering notwendig. Die Wertaktivität Entwurf legt die Objekte fest, welche die definierten Anforderungen erfüllen können. Die hier einzuordnenden Aufgaben sind einerseits der Entwurf der Systemarchitektur sowie die Festlegung des logischen Datenmodells und andererseits der Entwurf der algorithmischen Struktur. Bereits in dieser Phase wird die Einbeziehung des externen Faktors notwendig, da die entwickelte Software an vorhandenen Datenstrukturen und Schnittstellen Kunden anknüpfen (vgl. Pomberger 1990, S. 220). Diese Wertaktivität besitzt bei SAP eine spezifische Funktion. Denn im Gegensatz zu Anbietern von Individuallösungen kann SAP auf eine bestehende Systemarchitektur und auf ein aufgesetztes Datenmodell zurückgreifen, ohne diese immer wieder neu produzieren zu müssen. Allerdings wird bei den Anwenderberatungen häufig ein Änderungsbedarf der bestehenden Bausteine wie beispielsweise die Anpassung der definierten Prozesse an die beim Kunden tatsächlich vorzufindenden Geschäftsabläufe aufgedeckt. Die Wertaktivität dient daher dem Entwurf einer Lösung für die im Requirement Specification Document festgelegten Änderungen. Während der Codierung werden die definierten Algorithmen in eine Programmiersprache übertragen und gleichzeitig der Quellcode der Software erstellt. Die Implementierung umfasst die Prüfung der syntaktischen Richtigkeit der Systemkomponenten sowie Korrekturen von fehlerhaften Systemkomponenten (vgl. Pomberger 1990, S. 220). Der Systemtest dient der Aufdeckung möglicher Fehler des Softwaresystems und der Sicherstellung der Systemimplementierung und -spezifikation (vgl. Pomberger 1990, S. 221). Die Wertaktivität Prototyping unterstützt den Softwareentwicklungsprozess. Unter einem Prototyp ist dabei eine schnell und kostengünstig realisierte vorläufige Software zu verstehen. Aufbauend auf diesem Prototyp werden weitere Veränderungen vorgenommen. Die Phasen Codierung, Implementierung und Systemtest werden so lange durchlaufen, bis eine endgültige Softwareversion entwickelt wurde. Somit ist die Softwareentwicklung nicht als linearer, sondern als iterativer Prozess zu verstehen. Auch wenn hier die Entwicklung eines Softwareprodukts in eindeutig definierte Phasen gegliedert wird, sind diese in der Praxis nicht immer klar abgegrenzt, da viele Schnittstellen ineinander greifen. Systemrückgriffe zur Fehlerfindung sind unumgänglich, was eine kontinuierliche Dokumentation der einzelnen Prozessschritte so-
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wie eine Qualitätssicherung notwendig macht. Entsprechende Tätigkeiten müssen projektbegleitend, d.h. in allen Phasen der Softwareentwicklung erfolgen. Die Qualitätssicherung umfasst alle analytischen und konstruktiven Maßnahmen, die der Qualitätsplanung sowie der Realisierung von Qualitätsmerkmalen wie Korrektheit, Zuverlässigkeit, Effizienz, Benutzer- und Wartungsfreundlichkeit dienen. Die Dokumentation gewährleistet während den Entwicklungsphasen darüber hinaus die Kommunikation zwischen den an der Entwicklung beteiligten Personen und dient nach Abschluss der Entwicklungsphasen der Unterstützung bei Betrieb und Wartung der Software. Nachdem eine endgültige Version den Systemtest bestanden hat, wird die Software zu einem fertigen Produkt, d.h. sie steht für die Installation in der Zielumgebung des Kunden bereit (vgl. Gerhardt 1991, S. 54). Die Initial Operation stellt daher den Endpunkt der Produktentwicklung dar. Bei einer Individualsoftware müssen darüber hinaus die Anwender (zumeist Mitarbeiter der IT-Abteilung des Kunden) geschult werden, bevor die eigenständige Inbetriebnahme der Software (Launch) erfolgen kann. Auch nach einem erfolgreichen Launch besteht die Möglichkeit, dass eine Software Fehler aufweist oder die definierten Anforderungen nicht vollständig erfüllt. Kundendienst und Beschwerdemanagement nehmen entsprechende Anfragen von Kunden auf und leiten diese an die jeweiligen Fachabteilungen weiter. SAP misst dieser Wertaktivität, die als Software Maintenance and Support bezeichnet wird, eine große Bedeutung zu. So stellt SAP den Kunden bei auftretenden Problemen weltweit geschultes Personal zur Seite und ermöglicht dadurch, dass der Einsatz der Software optimiert und kostenverursachende Ausfallzeiten minimiert werden. Zudem geht SAP in einem speziellen Complaint Management direkt auf die Probleme und Beschwerden der Kunden ein, sammelt diese und prüft die Anliegen auf ein mögliches Optimierungspotenzial für spätere Versionen der Software oder für verbesserte Bearbeitungsprozesse. Unterstützende Wertaktivitäten Zu den unterstützenden Wertaktivitäten einer Softwareunternehmung zählen die Unternehmungsinfrastruktur, das Rechts- und Vertragsmanagement, das Personalmanagement, die Technologieentwicklung sowie die Beschaffung. Der Unternehmungsinfrastruktur kommt eine besondere Bedeutung zu, da sie im Gegensatz zu anderen Aktivitäten Einfluss auf die gesamte Wertkette nimmt. Von ihr
Konfiguration und Koordination von Unternehmungen in der Softwarebranche
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gehen zentrale Managementaufgaben wie z.B. Strategieplanung, Controlling, Finanzierung und Asset Management aus. Eine weitere unterstützende Aktivität mit großer Relevanz für Softwareunternehmungen ist das Rechts- und Vertragsmanagement, welches sämtliche rechtlichen und vertraglichen Aspekte im Wertschöpfungsprozess regelt. Zu diesen Aufgaben gehört beispielsweise die Erarbeitung von Regelungen zu Intellectual Property Rights, Patenten und Lizenzvereinbarungen. Auch bei SAP ist das Rechts- und Vertragsmanagement aufgrund der Bedeutsamkeit der strategischen Zusammenarbeit mit Partnern und der Komplexität von Lizenzen und Nutzungsrechten eine eigenständige Aktivität. Die Technologieentwicklung beschäftigt sich nicht mit der Modifikation bestehender Software an besondere Anforderungen für einzelne Kunden, sondern erforscht und entwickelt neue Technologien sowie neuartige Produkte, die das Produkt- und Lösungsportfolio erweitern. Bei SAP erfüllen die Forschungsorganisation SAP Research sowie zahlreiche Entwicklungslabore diese Aufgabe und widmen sich vorwiegend der Identifikation und Erschließung richtungsweisender IT-Trends und Technologien. Für wissensintensive Softwareunternehmungen wie SAP stellen die Mitarbeiter das wichtigste Kapital dar (vgl. Brandt/Zencke 2006, S. 611). Aufgrund der kurzen Halbwertszeit des Wissens und permanenten Innovationen innerhalb der Branche muss deren Kenntnisstand kontinuierlich auf höchstem Niveau gehalten werden. SAP unternimmt deshalb besondere Anstrengungen im Bereich des Personalmanagement. Eine zentrale Rolle spielt in diesem Zusammenhang das Talentmanagement (vgl. Dormann 2006). SAP hat hierzu für aussichtsreiche und talentierte Kandidaten spezielle Berufseinstiegs- und Personalentwicklungsprogramme geschaffen. Dadurch wird den High Potentials die Möglichkeit gegeben, abteilungsübergreifende Kenntnisse aufzubauen und Erfahrungen zu sammeln und ihr Potential frühzeitig in mehreren Bereichen der Unternehmung einzubringen. Im Gegensatz zu vielen Unternehmungen ist das Talentmanagement bei SAP nicht der Personalabteilung, sondern dem Vorstandsvorsitzenden persönlich unterstellt. Dies unterstreicht die Bedeutung, die SAP diesem Aufgabengebiet beimisst. Dabei erfasst eine zentrale Datenbank (Talent-Pool) alle Talente bei SAP, beschreibt deren Potentiale und stellt eine Planung für umfassende Entwicklungsmaßnahmen dieser Mitarbeiter auf. Zudem sollen die Zusammenarbeit und der Informationsfluss zwischen den Talenten durch ein Gemeinschaftsnetzwerk gefördert werden. Dieses Enterprise Social Network ermöglicht es den Talenten nicht nur, sich über laufende Projekte auszutauschen, sondern auch Personen mit gleichen Frei-
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zeitbeschäftigungen und Interessen in der Unternehmung zu finden (vgl. Kagermann 2009). Die Beschaffung spielt in der Softwarebranche aufgrund der Immaterialität von Software, dessen Herstellung kaum physische Inputfaktoren benötigt, eine eher untergeordnete Rolle. Von großer Relevanz ist lediglich die Personalbeschaffung, deren Besonderheiten bei SAP im letzten Abschnitt skizziert wurden.
6
Länderübergreifende Konfiguration der Wertaktivitäten bei SAP
Nachdem im letzten Kapitel die einzelnen Wertaktivitäten von Softwareunternehmungen am Beispiel von SAP beschrieben sowie deren Zusammenhänge im Rahmen des gesamten Wertschöpfungsprozesses thematisiert wurden, wird im Folgenden analysiert, wie deren länderübergreifende Konfiguration bei SAP erfolgt. Dabei steht die Frauge im Vordergrund, ob die Wertaktivitäten eher zentralisiert oder eher geographisch gestreut sind und welche Wettbewerbsvorteile sich daraus ergeben. Zudem werden die Koordinationserfordernisse, die aus der Konfiguration der Wertaktivitäten bei SAP resultieren, aufgezeigt. Deren Handhabung wird Gegenstand des anschließenden Kapitels sein.
6.1
Primäre Aktivitäten
Komplexe Softwareprodukte wie die branchen- und unternehmungsspezifischen Softwaresysteme von SAP benötigen einen großen Beratungsbedarf und werden im Regelfall nicht breit beworben. Deswegen stand bei SAP bislang im Rahmen des Marketings vor allem die Durchführung von Markt- und Wettbewerbsanalysen im Vordergrund. Zukünftig wird jedoch die Kommunikationspolitik, wie z.B. die Ansprache des Mittelstandes mit SAP Business ByDesign, an Bedeutung gewinnen. Zur Vermarktung der Produkte und Leistungen greift SAP verstärkt auf das Internet zurück, wo Interessenten und bestehende Kunden über das Internet Demonstration and Evaluation System SAP-Lösungen testen können. Hierfür sowie für die Steuerung des Global Marketings ist der Standort New York zuständig, der die globale Marketingstrategie plant und deren Umsetzung kontrolliert. Zu dessen Aufgaben zählen neben dem Internetauftritt auch Werbung und Öffentlichkeitsarbeit. Die Konzentration des Global
Konfiguration und Koordination von Unternehmungen in der Softwarebranche
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Marketings am Standort New York ermöglicht SAP ein weltweit einheitliches Auftreten und die Durchsetzung global einheitlicher Qualitätsstandards. Diese werden – wenn nötig – durch Chief Marketing Officer mit Sitz in den einzelnen Regionen an die jeweiligen Länderbedingungen angepasst. Das Requirements Engineering erfolgt hauptsächlich dezentral, da für die Analysen und Systemspezifikation, welche die Hauptanforderungen an das zukünftige Softwaresystem definieren, ein enger Kontakt zu den Kunden erforderlich ist. Dies wird bei SAP durch ein weltweites Netz von Tochtergesellschaften und unabhängigen Wiederverkäufern (Value-Added Resellers) ermöglicht. Die Grobplanung, welche die Prüfung der Wirtschaftlichkeit beinhaltet, erfolgt in produktspezifischen Business Cases zentral in Walldorf. Durch das weltweite Netz an Tochtergesellschaften und Partnern kann SAP einen Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz realisieren. denn ein entscheidender Aspekt von Softwaredienstleistungen, deren Wert nicht direkt und unmittelbar messbar ist, besteht im Aufbau einer Vertrauensbasis, die durch die Nähe zum Kunden unterstützt werden kann. Die gesamte Produktentwicklungsphase, die sich in die Wertaktivitäten Entwurf sowie Realisierung & Testing gliedert, findet weltweit gestreut in den einzelnen Entwicklungszentren von SAP statt. Die vier größten Entwicklungszentren, geordnet nach ihrer strategischen Bedeutung, befinden sich in Walldorf, Bangalore, Montréal und Palo Alto. Kleinere Entwicklungszentren sind unter anderem in Tel Aviv, Belfast, Sophia Antipolis, Darmstadt, Dresden, Karlsruhe, St. Gallen, Brisbane, Shanghai und Pretoria angesiedelt (vgl. SAP 2008b). Dabei übernehmen die einzelnen Entwicklungszentren die Verantwortlichkeit für die jeweilige Produktentwicklung. In der Zentrale in Walldorf kann der Verlauf des Entwurfs online verfolgt werden. Die Zentrale besitzt darüber hinaus Steuerungsmöglichkeiten und ist für die Integration der unabhängig bzw. gestreut bearbeiteten Arbeitspakete verantwortlich. Auch im Bereich Realisierung & Testing gilt das Prinzip einer weitgehenden Eigenverantwortlichkeit der Entwicklungszentren. Wenn es sich bei den bearbeiteten Daten nicht um hochsensibles Knowhow handelt, besteht die Möglichkeit, Teile der Produktentwicklung wie die Codierung und Implementierung nach Indien auszulagern. Die projektbegleitenden Aktivitäten, Dokumentation und Qualitätssicherung werden vor Ort in den jeweiligen Entwicklungszentren umgesetzt. Einen Wettbewerbsvorteil, den SAP durch die geographisch gestreuten Entwicklungszentren realisieren kann, ist neben der höheren Kreativität durch unterschiedliche kulturelle Hintergründe der beteiligten Mitarbeiter die Mög-
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lichkeit einer zeitzonenübergreifenden Projektbearbeitung. Projekte können 24 Stunden am Tage und an sieben Tagen in der Woche bearbeitet werden. Dies führt zu Zeitvorteilen gegenüber Konkurrenten, die nicht nach diesem Follow-the-Sun-Prinzip operieren. Die Wertaktivität Initial Operation umfasst die Installation der Software im Zielsystem des Kunden, Schulungen zum Betrieb des Systems sowie den Launch der Software. Bei komplexen Produktlösungen und deren Installation kann SAP auf das Experten-Know-how des weltweit operierenden Netzwerks zurückgreifen. Die Leitung dieser Teams erfolgt durch die Unternehmungszentrale in Walldorf. Das Training der Mitarbeiter sowie das Launching, also die Inbetriebnahme der Software, werden dezentral beim Kunden vollzogen. Durch die Kundennähe werden eine schnelle Inbetriebnahme der Software ermöglicht und Kosten für Reisen und Entsendungen von Experten minimiert. Zudem wird eine Vertrauensbasis zwischen SAP und den Kunden geschaffen. In der folgenden Wertaktivität Service & Support werden Dienstleistungen zum Erhalt, zur Verwendbarkeit und zur Betriebssicherheit der eingeführten Software angeboten. Die angebotenen Dienstleistungen werden durch den Kundendienst und das Beschwerdemanagement realisiert. Bei letzterem verfährt SAP ebenfalls nach dem Follow-the-Sun-Prinzip, d.h. eine eingehende Kundenanfrage, deren Priorität vom Call Center als sehr hoch bewertet wird, wie beispielsweise eine Meldung über einen Systemstillstand, wird je nach Uhrzeit an das zuständige Support Center nach Walldorf, Philadelphia oder Singapur weitergeleitet. In letzter Instanz wird dabei immer an die Zentrale nach Walldorf verwiesen, in der die umfassendste Kompetenzbasis angesiedelt ist. Hierdurch entsteht ein Wettbewerbsvorteil, da der Kunde zu jeder Zeit eine kompetente Unterstützung bei Problemen erhält und Ausfallzeiten des Systems minimiert werden. Da SAP häufig sämtliche Geschäftsprozesse einer Unternehmung unterstützt, kann diese bei einem Ausfall des Systems nicht mehr operieren, wodurch eine permanente Servicebereitschaft für den Kunden zu einem entscheidenden Wettbewerbsfaktor wird. Tabelle 3 gibt die länderübergreifende Konfiguration der primären Wertaktivitäten noch einmal zusammenfassend wider.
Konfiguration und Koordination von Unternehmungen in der Softwarebranche
6.2
193
Unterstützende Aktivitäten
Bei der Unternehmungsinfrastruktur ist bei SAP gegenwärtig ein Internationalisierungsprozess zu erkennen. Bisher werden strategische Entscheidungen noch vorwiegend von Walldorf aus gesteuert, jedoch werden gegenwärtig z.B. Büros für Vorstände in Nizza, Paris und Zürich eingerichtet. In der Übergangsphase werden diese Vorstandsposten von so genannten Doppelbüros aus gelenkt. In der Praxis wird dies durch die Errichtung von Vorstandsbüros in den betreffenden Regionen realisiert. Daneben steht aber weiterhin ein Büro in Walldorf zur Verfügung. Die wichtigsten Standorte für die strategische Leitung in Europa sind Walldorf, Paris und Zürich. Die Leitung für Nordamerika erfolgt größtenteils von Philadelphia aus. Für den asiatischen Raum ist bisher noch keine Entscheidung gefallen. In der engeren Auswahl befinden sich Tokyo, Singapur und Peking. Wertaktivitäten
geographische Konzentration
geographische Streuung gering hoch
Primäre Aktivitäten Marketing Global Regional Requirements Engineering Problemanalyse Grobplanung Systemspezifikation Entwurf Realisierung & Testing Qualitätssicherung Dokumentation Initial Operation Service & Support Tabelle 3:
Länderübergreifende Konfiguration der primären Wertaktivitäten von SAP
Quelle:
Eigene Darstellung
Finanzen und Controlling unterliegen generell einem eher geringen Anpassungsdruck. Jedoch müssen die verschiedenen Währungen und länderspezifischen Rechnungsle-
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gungsvorschriften berücksichtigt werden. So wurde 1998 mit dem Gang an die Börse in den USA auch die Umstellung der Rechnungslegung auf US-GAAP forciert, da die USA einen der wichtigsten Absatzmärkte von SAP darstellt. Das Rechnungswesen von SAP ist seitdem weitestgehend intern-extern harmonisiert. Nationale Abschlüsse der Konzerngesellschaften können aus den US-GAAP-Zahlen abgeleitet werden, wodurch das Rechnungswesen dieser nach einem einheitlichen Kontenplan erfolgen und in einem einzigen SAP-System erfasst werden kann. Dies führt zu einer weitgehenden konzerninternen Transparenz und vermeidet zahlreiche Konsolidierungs- und Überwachungsprobleme, wodurch sich ebenfalls Wettbewerbsvorteile realisieren lassen (vgl. Brandt/Hütten 2003, S. 711). Im sensiblen Bereich des Rechts- und Vertragsmanagements werden Experten vor Ort benötigt, die mit den Gesetzen der einzelnen Länder vertraut sind, so dass weltweit eine juristische Absicherung gewährleistet werden kann. Die juristischen Abteilungen werden durch das General Management der jeweiligen Regionen unterstützt. Länderübergreifende Rechtsfragen sowie die Steuerung der Rechtsabteilung werden von Walldorf aus realisiert. Zur Technologieentwicklung unterhält SAP Entwicklungslabore in Bulgarien, Kanada, China, Frankreich, Deutschland, Ungarn, Indien, Israel und den USA sowie die Forschungsorganisation SAP Research, welche ein Netzwerk von 13 Forschungszentren auf fünf Kontinenten umfasst. Die einzelnen Zentren befinden sich jeweils in unmittelbarer Nähe von SAP-Entwicklungslaboren oder Partneruniversitäten (vgl. Abbildung 2). Jede Einrichtung wird weitgehend autonom geführt, was SAP eine große Flexibilität, Kreativität und Innovationskraft verleiht. Das Personalmanagement ist bei SAP stark dezentralisiert. Im Vergleich zu Herstellern von Massensoftware muss sich SAP an die individuellen Kundenwünsche anpassen und branchen- bzw. unternehmungsspezifische Lösungen entwickeln. Um flexibel auf Veränderungen reagieren zu können, sind die Mitarbeiter von SAP in Teams mit einem sehr hohen Autonomiegrad eingebunden. Dies bedeutet, dass die Verantwortung für personalwirtschaftliche Teilfunktionsbereiche bis hin zur Ebene des mittleren Managements in den jeweiligen Regionen angesiedelt ist. Aufgaben wie Personalauswahl, Leistungskontrolle, Vergabe von Boni und Maßnahmen der Mitarbeiterentwicklung werden somit vor Ort entschieden. Lediglich die Besetzung des Top-Managements und das strategische Talent Management erfolgen zentral in der Unternehmungszentrale in Walldorf. Administrative Aufgaben der Personalabrechnung hinge-
Konfiguration und Koordination von Unternehmungen in der Softwarebranche
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gen wurden für die Region Europa in den letzten Jahren nach Prag ausgelagert. Darunter fallen Lohn- und Reiseabrechnungen sowie Abrechnungen für sonstige Spesen. Für Asien und Amerika sind ebenfalls Zentren nach diesem Vorbild geplant. Die Beschaffung gewinnt im Personalbereich bei SAP derzeit an Bedeutung, da immer mehr Zeitarbeitsverträge und weniger Verträge mit Festanstellung abgeschlossen werden. Die Abrechnung von Zeitarbeitnehmern gestaltet sich entsprechend anders, so dass diese der Wertaktivität Beschaffung zugerechnet werden. Diese Aktivität ist für Amerika, Europa und Asien gebündelt. Tab. 4 gibt die länderübergreifende Konfiguration der unterstützenden Wertaktivitäten noch einmal zusammenfassend wieder. Wertaktivitäten
geographische Konzentration
geographische Streuung gering hoch
Unterstützende Aktivitäten Unternehmungsinfrastruktur Rechts- und Vertragsmanagement Personalmanagement Recruitment & Training - des Top Management - anderer Mitarbeitergruppen Beschaffung Tabelle 4:
Länderübergreifende Konfiguration der unterstützenden Wertaktivitäten von SAP
Quelle:
Eigene Darstellung
7
Länderübergreifende Koordination der Wertaktivitäten bei SAP
Wie anderen Unternehmungen auch, stehen SAP zur länderübergreifenden Koordination der Wertaktivitäten technokratische, marktorientierte sowie personenorientierte Steuerungsinstrumente zur Verfügung (vgl. Welge/Holtbrügge 2006, S. 177 ff.). In diesem Kontext ist bei SAP eine Verlagerung von technokratischen hin zu personenorientierten Koordinationsinstrumenten zu beobachten. Diese ermöglichen eine flexiblere Reaktion auf die wachsende funktionale Spezialisierung sowie auf die starke Ressourcenabhängigkeit zwischen den einzelnen Unternehmungseinheiten, die sich durch
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die Internationalisierung und Dezentralisierung der Wertaktivitäten ergeben. Hinzu kommt die bessere Eignung der personellen Instrumente in Bezug auf strategische und operative Schwachstellen (vgl. Holtbrügge 2005, S. 566 ff.). Die personenorientierten Koordinationsinstrumente werden vereinzelt durch technokratische Elemente unterstützt. Aufgrund der überwiegenden Bedeutung der personenorientierten Steuerungsinstrumente werden diese nachfolgend besonders hervorgehoben. Im Vordergrund stehen dabei die Selbstabstimmung und die Sozialisation.
7.1
Selbstabstimmung
Bei SAP verfügen die weltweit verteilten Landesgesellschaften und deren Manager vor Ort über einen hohen Grad an Eigenverantwortlichkeit. Eine Leitlinie von SAP ist die selbständige Führung der einzelnen Landesgesellschaften durch Zielvorgaben. Dennoch findet eine enge Zusammenarbeit mit der Muttergesellschaft in Walldorf und den dort sitzenden Vorständen statt. Der Entscheidungsspielraum wird dabei zumeist durch Ziel- und Budgetvorgaben, d.h. durch das technokratische Koordinationsinstrument der Planung begrenzt. Von der Konzernzentrale aus werden Zielvorgaben über die verschiedenen Hierarchieebenen hinweg für die einzelnen Abteilungen vorgegeben, wobei die Umsetzung zumeist im Ermessensspielraum der Landesgesellschaft bzw. des zuständigen Budgetverantwortlichen liegt. Freiräume für kreatives und selbständiges Handeln werden von der Zentrale gezielt gewährt und sollen motivierend auf die Mitarbeiter einwirken. Neben der Selbstverantwortung spielen kooperatives Arbeiten, der stetige Austausch von Know-how, Kommunikation sowie Networking eine große Rolle. Letzteres stellt etwa der Vorstandsvorsitzende Henning Kagermann (2009) als wichtiges und treibendes Instrument bei der Entwicklung von SAP heraus. Verabredungen zum gemeinsamen Mittagessen sowie Diskussionen und Austausch bei einem Kaffee werden als wichtige Aspekte des Teambuildings angeführt. Die sich hieraus ergebenden Synergien führen zu erheblichen Arbeitserleichterungen und Produktivitätssteigerungen. Eine zentrale Herausforderung der weiteren Internationalisierung besteht deshalb darin, dass die bei SAP sprichwörtlichen Kaffeeecken im Rahmen der zunehmend virtuell stattfindenden länderübergreifenden Zusammenarbeit zwischen Unternehmungsbereichen nicht mehr zur Koordination dezentraler Aktivitäten genutzt werden können. Anstelle dieser finden bei der Koordination der virtuellen globalen Teams verschiede-
Konfiguration und Koordination von Unternehmungen in der Softwarebranche
197
ne Informations- und Kommunikationstechnologien Einsatz. Neben E-Mails, Telefonkonferenzen und Meetings werden auch Chat- und Internetrooms eingesetzt (vgl. Ohr et al. 2007, S. 153). Vor allem dem Einsatz von Adobe-Kommunikationstechnologien wird eine zunehmende Bedeutung zugemessen, da sich hierbei Inhalte visuell präsentieren lassen. Die Leistungsfähigkeit und Qualität dieser Technologien haben sich in den vergangenen Jahren stark verbessert. Je standardisierter und strukturierter ein Projekt ist und je klarer die Aufgaben für die Beteiligten abgegrenzt sind, desto geringer ist der Koordinationsaufwand und umso höher ist auch die Effizienz dieser Instrumente. Die praktische Umsetzung von Telefon- und Videokonferenzen ist allerdings aufgrund der Präsenz in unterschiedlichen Zeitzonen häufig schwierig. So müssen Projektmanager in Walldorf berücksichtigen, dass Teammitglieder in Palo Alto neun Stunden zurück, Mitarbeiter in Indien allerdings schon dreieinhalb Stunden voraus sind. Ein weiteres personenorientiertes Koordinationsinstrument bei SAP sind jährliche Strategiemeetings, zu welchem die Vorstände aus aller Welt zusammenkommen, um Ziele für das darauf folgende Geschäftsjahr festzulegen. Dabei wird grundsätzlich auf Englisch kommuniziert, so dass die Mitarbeiter Englisch als Corporate Language fließend beherrschen müssen, um eine reibungslose Kommunikation auf internationaler Ebene zu gewährleisten.
7.2
Sozialisation
Im Mittelpunkt der Sozialisation steht die nicht schriftlich fixierte Unternehmungskultur von SAP. Schon bei der Einstellung neuer Mitarbeiter wird darauf geachtet, dass sie zum „Stil des Hauses“ passen. Dabei werden den Mitarbeitern große Freiräume gegeben, die eigenverantwortliches Arbeiten unterstützen und diese zusätzlich motivieren. Darüberhinaus ist bei SAP eine flache Hierarchie sowie ein offener Führungsstil vorzufinden, der die Kommunikation über alle Abteilungen und Hierarchieebenen hinweg fördert. Zu den zahlreichen Kommunikationskanälen gehören das unternehmungseigene Intranet, das eine Fülle von Informationen, enthält sowie die regelmäßigen E-Mails der Vorstandsmitglieder an alle Mitarbeiter. Zudem laden offene Bereiche in jedem Gebäude zu Gesprächen ein. Diese werden von den Mitarbeitern häufig für offizielle und informelle Treffen genutzt. Regelmäßige Mitarbeiterversammlungen, die persönlich besucht oder über interne Medien verfolgt werden können, verbessern den kontinuierlichen Dialog zwischen dem Management und den Mitarbeitern
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über Zeitzonen und Landesgrenzen hinweg. Dies sind nur einige der zahlreichen Elemente, die den Informationsfluss in der gesamten Unternehmung fördern und damit eine Kultur der freien Kommunikation begünstigen (vgl. SAP 2005, S. 13). Außerdem werden verstärkt Kompetenz- und soziale Netzwerke wie das SAP Developer Network (SDN) und die Business Process Expert (BPX) Community eingesetzt, um den unternehmungsweiten Wissensaustausch zu unterstützen. Dabei sieht SAP die Unternehmungskultur nicht als Selbstzweck, sondern als Fundament für den zukünftigen Erfolg an. Denn die Mitarbeiter „können nur dann ihr gesamtes Potenzial entfalten und Höchstleistungen erzielen, wenn sie in einer vielfältigen, offenen, ehrlichen und fairen Umgebung arbeiten, in einer Kultur, die vom Geist der Zusammenarbeit, Flexibilität und von Enthusiasmus geprägt ist“ (SAP 2005, S. 13).
8
Zusammenfassung, Implikationen und Ausblick
Die bei der SAP vorzufindende länderübergreifende Konfiguration von Wertaktivitäten ermöglicht die Realisierung zahlreicher Wettbewerbsvorteile. So können einerseits durch die Zentralisierung der Rechnungslegung und des globalen Marketings Erfahrungs- und Lerneffekte erzielt werden. Andererseits ermöglicht die geographische Streuung der Wertaktivitäten Technologieentwicklung, Entwurf sowie Realisierung & Testing eine größere Flexibilität, Kreativität und Innovationsfähigkeit. Zudem wird das Vertrauen der Kunden durch einen kundennahen Service & Support gefördert. In vielen Bereichen ist bei SAP ein Trend zu einer weiteren weltweiten Streuung der Wertaktivitäten erkennbar. Hierzu wird der strategischen Positionierung von Wertaktivitäten mit einem hohen Standardisierungsgrad in Länder, welche Mitarbeiter mit hohem Ausbildungsniveau zu geringen Lohnkosten bereitstellen, eine zunehmende Relevanz beigemessen. So werden beispielsweise klar definierte Entwicklungspakete von Walldorf aus an Peer-Abteilungen nach Indien delegiert. Einerseits werden diese Arbeitspakte von Brückenköpfen in Walldorf unter Berücksichtigung von Zeitaspekten sowie Qualitäts- und Budgetansprüchen und somit durch technokratische Koordinationsinstrumente gesteuert und kontrolliert, andererseits soll dieser Aufgabenbereich jedoch zukünftig noch stärker an die jeweiligen Projektmanager in den Landesgesellschaften übertragen werden. Der Selbstabstimmung der weltweit verstreuten Entwick-
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lungszentren und Landesgesellschaften wird dadurch eine größere Bedeutung zukommen. Zukünftig wird die länderübergreifende Konfiguration und Koordination bei SAP vor allem durch drei Entwicklungen beeinflusst, und zwar durch die zunehmende Bürokratisierung der Unternehmung, den gegenwärtigen massiven Umsatzrückgang sowie die zunehmende Virtualisierung des Serviceangebots. Seit der Gründung im Jahre 1972 ist SAP permanent schnell gewachsen. Aus einem stark forschungsorientierten Start-up wurde eine börsennotierte Multinationale Unternehmung mit einer feingliedrigen Organisationsstruktur. Insbesondere nach dem vollständigen Ausscheiden der Gründergeneration wird deshalb eine zentrale Frage von SAP darin bestehen, ob es gelingt, die offene und stark kommunikationsorientierte Organisationskultur beizubehalten, die wesentlich zur effizienten Koordination der länderübergreifenden Aktivitäten beiträgt. Anderenfalls besteht die Gefahr der Bürokratisierung, durch die sich SAP viele der geschilderten Wettbewerbsvorteile berauben würde. Verstärkt wird diese Gefahr dadurch, dass SAP im Jahr 2006 als letzte DAX-Unternehmung in Deutschland einen Betriebsrat einrichten musste (vgl. Holtbrügge et al. 2007). Viele Führungskräfte von SAP wie der Mitbegründer Dietmar Hopp befürchteten, dass es dadurch zu erheblichen Effizienzeinbußen bei der länderübergreifenden Koordination kommen könnte, „wenn plötzlich der Betriebsrat gefragt werden muss, wenn jemand um 23 Uhr in Kalifornien anrufen möchte“ (zit. nach Nonnast 2006, S. 1). Eine zweite Herausforderung für die länderübergreifende Konfiguration ist mit der gegenwärtigen Finanzkrise und dem daraus folgenden Umsatzrückgang verbunden. SAP hat darauf mit einem Einstellungsstopp sowie dem Urlaubsverzicht des Top-Managements reagiert. Bei Bedarf sind Zwangsurlaub und im Extremfall der Abbau von Arbeitsplätzen vorgesehen (vgl. Kroker 2008, S. 1 f.). Zudem lastet ein zunehmender Druck auf SAP, arbeitsintensive Wertaktivitäten in Länder mit niedrigen Arbeitskosten auszulagern. Bereits Ende 2008 sind etwa in Indien knapp 5.000 Mitarbeiter für SAP tätig (vgl. SAP 2008c), deren Zahl bis 2010 auf 10.000 erhöht werden soll (vgl. Chatterjee 2007, S. 1). Damit einher geht ein Bedeutungsverlust der Unternehmungszentrale, was die Aussage des Vorstandsvorsitzenden Henning Kagermann verdeutlicht: „Die Standorte stehe untereinander in einem Wettbewerb (…). Die Gleichung SAP gleich Walldorf gilt nicht mehr“ (zit. nach Kroker/Turi/Hohensee 2006, S. 64). Schließlich ist SAP durch die die zunehmende Virtualisierung der Dienstleistungserstellung gekennzeichnet (vgl. Ohr et al. 2007). Moderne Informations- und Kom-
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munikationstechnologien ermöglichen es, Softwaredienstleistungen ortsunabhängig zu erbringen. Die Folge derartiger Remote Services ist die weitere geographische Streuung von Wertaktivitäten und deren Koordination durch virtuelle globale Teams. Dadurch ergeben sich somit einerseits neue Wettbewerbsvorteile durch länderübergreifende Spezialisierung, andererseits aber auch neue Herausforderungen für die immer komplexer werdende Koordination.
Konfiguration und Koordination von Unternehmungen in der Softwarebranche
201
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Herausforderungen und Ansätze der grenzüberschreitenden Koordination eines Dienstleistungsunternehmens. Das Fallbeispiel der Business Unit „Information“ der MATERNA GmbH
Julia Ingwald, Technische Universität Dortmund Hartmut H. Holzmüller, Technische Universität Dortmund Martin Köpke, MATERNA GmbH Gliederung 1
Einleitung
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Die internationalen Aktivitäten der Business Unit „Information“ der MATERNA GmbH
3
Die Dienstleistungserstellung der BUI
4
Die grenzüberschreitende Koordination
4.1 4.2 4.3
Die Koordination der internen Prozesse der BUI Die Koordination der Dienstleistungsvermarktung und -erstellung am Beispiel Nordeuropa Die Integration ausländischer Mitarbeiter am Beispiel Osteuropa
5
Zusammenfassung und Reflexion
6
Fazit
D. Holtbrügge et al. (Hrsg.), Management internationaler Dienstleistungen mit 3K, DOI 10.1007/978-3-8349-9476-9_8,© Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009
Grenzüberschreitende Koordination eines Dienstleistungsunternehmens
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Einleitung
Es ist unbestritten, dass die Vermarktung und Erstellung von Dienstleistungen, welche simultan in mehreren internationalen Märkten erfolgt, Unternehmen interessante Spielräume zur Schaffung von Wettbewerbsvorteilen bietet. Aus dem Spannungsfeld der Nutzung von Synergie- und Größeneffekten durch die weitgehende Standardisierung von Vorgehensweisen und der Erhöhung der Marktentsprechung durch die gezielte Adaption von Dienstleistungsmarketing bzw. -produktion ergibt sich ein Aktionsfeld für international tätige Unternehmen, das durch eine große Zahl von Freiheitsgraden gekennzeichnet ist. Die Management- und Marketingforschung von internationalen Dienstleistungsunternehmen hat sich nur sehr selektiv mit der Gestaltung von internationalen Koordinationsstrukturen und -prozessen beschäftigt, die notwendig sind um Standardisierung bzw. Adaption betriebswirtschaftlich zweckmäßig zu realisieren. Der vorliegende Beitrag versucht, einen weiteren Mosaikstein zu Forschungsbemühungen in diesem Objektbereich mit einem Fallbeispiel eines international tätigen mittelständisch geprägten IT-Unternehmens beizutragen. Die Dokumentation von einschlägigen Vorgehensweisen soll typische Herausforderungen und entsprechende Lösungsansätze bebildern. Wir hoffen damit Anregungen für Praktiker zu liefern, die mit ähnlichen Aufgabenstellungen konfrontiert sind, und Wissenschaftler weiter für die Vielschichtigkeit der Koordinationsaufgabe im internationalen Dienstleistungsmanagement zu sensibilisieren. Das Fallbeispiel hat die MATERNA GmbH (kurz: MATERNA), die zu den führenden unabhängigen Softwarehäusern im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie in Deutschland zählt, zum Gegenstand. Im Jahre 2006 erzielte MATERNA mit weltweit 1.200 Mitarbeitern einen Umsatz von 150 Millionen Euro. Seit über 25 Jahren ist das Unternehmen Ansprechpartner bei Problemlösungen von Informations- und Kommunikationsthemen im nationalen wie auch internationalen Umfeld. Das Unternehmen bietet innovative Lösungen, Produkte und Dienstleistungen an, die als Gesamtlösung oder Lösungsmodule in Unternehmen und der öffentlichen Verwaltung zum Einsatz kommen. Einer der Partner von MATERNA ist das amerikanische Unternehmen BMC Software, Inc. (früher Remedy). MATERNA verkauft, erweitert, veredelt und integriert Dienstleistungen rund um die Produkte von BMC und weiteren
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Partnern. Dienstleistungen sind hierbei Customizing, Zusatzprogrammierung, technologische wie auch prozessorientierte Beratung, Schulung, Training und Support. Das strategische Ziel von MATERNA ist ein generisches Wachstum im Inland und Wachstum durch Zukäufe im Ausland. Säulen der Wachstumsstrategie sind hierbei die internationale Expansion, Innovationsstärke, Beteiligungen und Mitarbeiterwachstum. Neben einer marktführenden Stellung in einzelnen Segmenten im Informationstechnologiemarkt ist MATERNA auch Spezialist im Telekommunikationsmarkt. Als Reaktion auf die erfolgreiche Betätigung auf beiden Märkten und die dort jeweils vorliegenden spezifischen Bedingungen wurde im Jahre 2000 die Aufteilung des Unternehmens in die Geschäftsbereiche „Communication“ und „Information“ durchgeführt. Da der Schwerpunkt unserer Analyse auf der Business Unit Information (kurz: BUI) liegt, wird für eine ausführliche Vorstellung der Business Unit Communication auf die Homepage des Unternehmens (http://www.materna.com) verwiesen.
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Die internationalen Aktivitäten der Business Unit „Information“ der MATERNA GmbH
Die BUI realisiert ganzheitliche IT-Lösungen zur Optimierung von Geschäftsprozessen in Unternehmen und für öffentliche Auftraggeber. Dazu zählen die Themenfelder IT-Service-Management, Customer Service Management, Government Services und SAP Consulting Services. Die BUI tritt als Full-Service Dienstleister auf und bietet den Kunden die vollständige Implementierung aus einer Hand an. Regionale Nähe zum Kunden sowie ein enger und zum Teil freundschaftlicher Kontakt ist dabei sehr wichtig. Um diesen Vorsatz auch in Zeiten internationaler Expansionen gerecht zu werden, handelt das Unternehmen vorwiegend nach dem „follow the customer“ Prinzip. Der Internationalisierungsprozess beginnt zumeist mit der Anfrage eines inländischen Kunden bezüglich Support in einem Auslandsmarkt. Um den entsprechenden Markt schnellstmöglich erschließen zu können und „den Großteil des Initialrisikos einer Firmeneröffnung zu reduzieren“ (Zitat eines Interviewpartners), akquiriert die BUI in den meisten Fällen ein lokales Unternehmen. Die BUI ist mittlerweile an neun Standorten außerhalb Deutschlands vertreten (siehe Abb.1), die sich auf Nord- und Osteuropa verteilen. Die Organisationsstruktur der BUI sieht als Matrixstruktur eine Bündelung dieser Länder in zwei Business Center (kurz:
Grenzüberschreitende Koordination eines Dienstleistungsunternehmens
207
BC) vor (siehe Abb. 2): BC Nordic und BC CEE (Central Eastern Europe). Die BCs sind als Profit Center regional für den wirtschaftlichen Erfolg verantwortlich. Helsinki Stockholm
Kopenhagen
Prag Dortmund Bratislava Wien Ljubljana
Bukarest Sofia
Abbildung 1:
Internationale Standorte der BUI
BC Nordic Das BC Nordic ist für den nordeuropäischen Raum zuständig, nämlich Dänemark, Schweden und Finnland. Gesteuert wird es von Deutschland aus. Nachdem 1995 Wien als erster internationaler Standort eröffnet wurde, folgte 2001 Dänemark. Der dänische Markt wurde durch den Zukauf des Infrastruktur-Management-Geschäfts des IT-Spezialisten e-systems a/s erschlossen, welcher wie auch MATERNA zur damaligen Zeit Partner von Remedy war. Um das internationale Geschäft im nordeuropäischen Markt weiter voran zu bringen, wurden weitere potentielle Partnerunternehmen im BMC Netzwerk ermittelt. Die Lagercrantz Group AB wurde identifiziert, und ihre schwedische Tochtergesellschaft Uniweb AB sowie die finnische Tochtergesellschaft Delphi Oy im Jahr 2005 gekauft.
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208 Presse/ Public Relations
Events
Online Redaktion
CRM/ Direktmarketing
PrintMedien
BC Government
BC Nord
BC Süd
BC Nordic
BC CEE
Vertriebs-Center
Vertriebs-Center
M
DK
A
Projekt-Center
Projekt-Center
BV
FIN
CZ
B
HH
ER
N
SK
GP
S
BG
MC
CBS
TMT DD
Projekt-Center
Steering Commitee CC Service Management
CC Web- and SAP-Services
BC = Business Center; CC = Competence Center; MC = Marketing Communications
Abbildung 2:
Organisationsstruktur der BUI 2007
BC CEE Zur BC CEE gehören Österreich, die Tschechische Republik, Slowakei, Bulgarien, Rumänien und Slowenien. Diese Länder werden von Wien aus gesteuert. Die Gründe hierfür sind in der Brückenkopf-Funktion von Österreich in Richtung Osteuropa zu sehen. 2006 wurde ein Joint Venture mit drei weiteren Gesellschaftern in Bulgarien gegründet. Primär lagen die Erschließung des Behördenmarktes und der Aufbau einer Ausbildungs- und Trainingsstätte für qualifizierte lokale Mitarbeiter, die nach erfolgreicher Beendigung ihrer Ausbildung in Europa eingesetzt werden können, im Blickfeld. Ein Jahr später wurde durch den Aufkauf der Datanet in Wien die weitere Ausweitung in den osteuropäischen Markt gesichert. Die 1990 gegründete Datanet arbeitete für große und mittelständische Unternehmen in den Ländern Slowakei, Österreich, Slowenien und in der Tschechischen Republik. Ein Großkunde der Datanet ist die OMV Aktiengesellschaft (früher Österreichische Mineralölverwaltung; ÖMV), die den rumänischen Erdöl- und Erdgaskonzern Petrom S.A. gekauft hat. Ende 2006 wickelte die BUI ein großes Projekt für das Service- und Systemmanagement für Petrom S.A. ab. Dieses Projekt verlief so erfolgreich, dass Petrom S.A. darauf bestand, auch vor Ort Support
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und Know-how zu bekommen. Um dieser Anforderung gerecht zu werden, wurde ein kleiner lokaler Partner in Rumänien gesucht und mit dem Unternehmen Best IT Solutions gefunden. Interne Dienstleister Unterstützt werden die BCs durch die „Marketing Communication“ (MC) Einheit und die Competence Center (CC) „Web- and SAP-Services“ und „Service Management“ (vgl. Abb. 2). Marketing Communication ist verantwortlich für die Kommunikation und Medien der BUI und ist in Presse/Public Relations, Events, Online Redaktion, CRM/Direktmarketing und Print-Medien gegliedert. Das CC Service Management besteht aus den Aufgabenbereichen Produktentwicklung und -management, Presales/ Consulting, Support und Training. Es ist verantwortlich für die Marketingplanung des BUI-Portfolios, die Entwicklung und Bereitstellung von (Partner-) Produkten und Lösungen sowie die Bereitstellung von entsprechender Support-Infrastruktur und technischem Know-how. Die genannten BCs und CCs werden an verschiedenen Stellen der Dienstleistungsgetaltung einzeln und kooperativ tätig. Dieses Zusammenwirken entlang des Dienstleistungsprozesses wird im nächsten Kapitel dargestellt.
3
Die Dienstleistungserstellung der BUI
Die Dienstleistungserstellung kann nach den drei Leistungsabschnitten Potential-, Prozess- und Ergebnisphase differenziert werden (vgl. den Beitrag von Holtbrügge in diesem Band). In der Potentialphase signalisiert der Dienstleistungsanbieter seine Fähigkeit und Bereitschaft, die Dienstleistung zu erstellen. Wie Abb. 3 zeigt, stehen in der Potentialphase Aktivitäten des Vertriebs (z.B. Kundenbesuche) und der Marketing Communication (z.B. Werbekampagnen) im Vordergrund. Entweder ist der Kunde bereits Kunde von MATERNA und möchte ein weiteres Projekt abwickeln oder ein potentieller Neukunde wird von den Vertriebsverantwortlichen angesprochen und auf die Produkte von MATERNA aufmerksam gemacht. In beiden Fällen spielt die Marketing Communication eine große Rolle, da sie Hilfsmittel zur effektiven Akquisition (z.B. Unternehmenspräsentation, Referenz- und Projektbeschreibungen etc.) zur Verfügung stellt.
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Die Prozessphase wird typischerweise durch den Kunden angestoßen. Bei der BUI gliedert sich die Prozessphase in die Vertriebs- und Projektphase. Der Kontakt zum Kunden kommt unterschiedlich zustande. Zu den bereits erwähnten Kundenbesuchen und Kontaktaufnahmen des Kunden bewirbt sich die BUI auch auf Projektausschreibungen. Hierbei kann zwischen zwei Ausschreibungsarten unterschieden werden: Ausschreibungen der öffentlichen Verwaltung und von Privatkunden. Ausschreibungen von Behörden geben Kriterien vor, die zum größten Teil vom Gesetz auferlegt werden. Ein direkter Kontakt zum Auftraggeber ist kaum oder gar nicht möglich. Dagegen erlauben Ausschreibungen von Privatkunden, dass Vertriebsmitarbeiter die Entscheider und ihre Interessen kennen lernen können. Zusammen mit technischen Mitarbeitern besuchen die Vertriebsmitarbeiter den Kunden und erfahren so Details über die Ausschreibungen. Unabhängig vom Zustandekommen des Kontakts zum Kunden übernimmt in der Regel der Vertrieb des BCs, in dem der Kunde seinen Standort hat, den Kunden und fixiert Termine für eine erste Besprechung. In der Regel kann das BC die weiteren Schritte mit eigenem Know-how und eigenem Personal bewältigen. Es kommt aber auch vor, dass Spezialthemen oder spezielle Anfragen in andere Einheiten weitergeleitet werden müssen. Standardfall ist dann, dass spezielle Know-how Fragen oder detaillierte Produktanfragen an das CC Service Management gerichtet werden (vgl. Abb. 2). Das Service Management hat das Produktmanagement und die Marketingplanung als Hauptaufgaben und besitzt damit auch umfassendes Wissen über die Produkte der BUI. Wenn ein Kunde spezielle Anfragen hat, die mit dem bestehenden Wissen der BC nicht gelöst werden können, nimmt an den ersten Besprechungen zusätzlich ein Mitarbeiter aus dem Service Management oder der Geschäftsführung teil. Nach diesem Kontakt wird das Angebot erstellt und an den Kunden übermittelt. Der Kunde prüft das Angebot und formuliert entweder Änderungswünsche und weitere Anforderungen oder erteilt den Auftrag für die Durchführung des Projektvorhabens. Bei Änderungen wird erneut ein Termin zur gemeinsamen Aussprache festgelegt und das Angebot entsprechend modifiziert. Dieser Prozess wiederholt sich solange, bis beide Seiten mit dem Angebot einverstanden sind. In einem nächsten Schritt, der so genannten „proof of concept“ Phase, werden Konzepte, die den gewünschten Soll-Zustand protokollieren, und eventuell entwickelte Prototypen in einer Präsentation vorgestellt. Die Präsentation zeigt erste Schritte auf, wie das Ergebnis aussehen könnte. Ist diese Prä-
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sentation erfolgreich, gilt das Projekt als akquiriert. Für das anstehende Projekt wird ein Projektleiter bestimmt und geeignete Projektmitarbeiter werden ausgesucht. Im Idealfall stammen sowohl Projektleiter als auch -mitarbeiter aus dem BC, in der das Projekt gewonnen wurde, um Reisekosten zu minimieren. Der Projektleiter ist dafür verantwortlich, dass das Projekt im Budgetrahmen, dem geplanten Zeithorizont und in der geforderten Qualität abgewickelt wird und muss für ausreichende Ressourcen sorgen. Ein Projektplan wird verfasst und dem Kunden in einer Kickoff-Veranstaltung vorgestellt. Der zuvor erstellte „proof of concept“ wird nun mit eventuellen Änderungswünschen aus der Kickoff-Veranstaltung sowie weiteren relevanten Informationen vervollständigt (Phase der Konzeptualisierung). Die Realisierung des Projekts stellt den Erstellungsvorgang in der Prozessphase dar. Nachdem die Lösung entwickelt wurde, wird der Kunde geschult. Es folgt der Abnahmetest, in dem die fertig gestellte Dienstleistung geprüft wird. In der Dienstleistungskette kommt nach der Prozessphase die Ergebnisphase. Sie bildet eine Zustandsveränderung des Nachfragers oder des Objektes des Nachfragers ab. Wenn ein Kunde beispielsweise verschiedene IT-Systeme in ein System integrieren möchte, ist der Aufbau eines neuen IT Desk einschließlich eines Single Point of Contact eine Lösung der BUI. Die Nutzung dieser Lösung ist dann die erbrachte Veränderung des Zustands. Da die Systeme regelmäßig gewartet werden und bei Problemen ein 24/7 Support zur Verfügung steht, fallen bei der BUI die Pflege technischer Systeme sowie der Kunden-Support in die Ergebnisphase. Wie aus Abb. 3 zu entnehmen ist, sind die Sicherung der Qualität wie auch das Management des Projekts begleitende Prozesse während der gesamten Laufzeit. Wie und von wem die einzelnen Prozesse der Dienstleistungserstellung koordiniert werden, wird im nächsten Kapitel dargestellt.
4
Die grenzüberschreitende Koordination
Die Dienstleistungserstellung in den Auslandsmärkten wird in der BUI von den BC Nordic und BC CEE durchgeführt (vgl. Abb. 2). Unterstützt werden die beiden BCs durch die Marketing Communication und den CCs Service Management sowie Webund SAP-Services. Abschnitt 4.1 bezieht sich auf diese unterstützenden (internen) Prozesse und beschreibt die entsprechenden Herangehensweisen an die Koordination. Ab-
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schnitt 4.2 dokumentiert die Koordination der internationalen Dienstleistungserstellung am Beispiel der BC Nordic.
Prozessphase Potentialphase Vertriebsphase Kundenbesuche/ Marketing Comm unication
Erstkontakt mit Kunden
Angebotserstellung
Proof of concept
Qualitätssicherung Projektmanagement
Prozessphase Ergebnisphase Projektphase Kick offVeranstaltung
Konze ptualisierung
Realis ierung
Schulung
Abnahmetest
Wartung/ Pflege
Qualitätssicherung Projektmanagement
Abbildung 3:
Dienstleistungskette der BUI
Da das BC CEE noch am Anfang der Internationalisierung steht und somit die Integration der neu akquirierten Unternehmen in die Unternehmensstruktur von MATERNA im Vordergrund steht, fokussiert Abschnitt 4.3 auf die Integration dieser Unternehmen.
4.1
Die Koordination der internen Prozesse der BUI
Marketing Communication und das CC Service Management sind interne Dienstleister und verstehen sich gemeinsam als interne Full Service Agentur der BUI. Die BCs sind Kunden. Vor, während und nach dem jeweiligen Projekt arbeiten die BCs eng mit dem CC Service Management und der Marketing Communication zusammen. Wie diese internen Prozesse in den Abteilungen und abteilungsübergreifend koordiniert werden, wird im Folgenden erläutert.
Grenzüberschreitende Koordination eines Dienstleistungsunternehmens
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Koordination in der Marketing Communication Hauptaufgabe der Marketing Communication ist eine einheitliche Präsentation bzw. Darstellung von MATERNA nach außen. Dazu zählt die Gestaltung, Produktion und Logistik von Broschüren, Folien, Webauftritten etc. zu sichern sowie Events und Messebeteiligungen vorzubereiten und durchzuführen. Diese Aufgaben werden größtenteils zentral vom Stammhaus in Dortmund erledigt bzw. gesteuert. Um eine reibungslose Bearbeitung zu ermöglichen, ist die Marketing Communication nach Themen aufgestellt. So gibt es beispielsweise zwei Personen, die sich um den Eventbereich (z.B. Messen, Roadshows) kümmern und weitere zwei Personen, die für die umfassende Content-Pflege (z.B. Website, Broschüren, Pressemitteilungen) zuständig sind. Mitarbeiter der Marketing Communication arbeiten größtenteils selbstständig. Zum Beispiel organisieren Verantwortliche der Content-Pflege die Beschaffung relevanter Informationen von den jeweiligen Fachpersonen. Eine enge Beziehung zu den Vertriebsmitarbeitern ermöglicht diese gute Zusammenarbeit. Barrieren, beispielsweise bei der Beschaffung der Informationen, können trotzdem auftreten. Diese werden in internen Sitzungen der Marketing Communication besprochen und gelöst. Je nach Thema nehmen unterschiedliche Personen an diesen Sitzungen teil, die vor Ort in Dortmund durchgeführt werden. Beispielsweise nehmen bei der Planung von Messen Personen aus dem Bereich Event teil. Um die Aktivitäten der Marketing Communication festzulegen und zu steuern, werden am Ende des Jahres Planungsgespräche geführt. Teilnehmer dieser Gespräche sind Vertriebsmitarbeiter aus den einzelnen Ländern und die Leitung der Marketing Communication. Zur Organisation werden im Vorfeld eine Agenda mit den wichtigsten zu besprechenden Punkten und ein Report über durchgeführte Marketingaktivitäten an alle Teilnehmer geschickt. Die Informationen für den Report stammen aus dem noch zu beschreibenden Tool Salesforce.com. Die Vertriebsmitarbeiter diskutieren die Punkte mit Mitarbeitern aus dem Consulting und ergänzen sie um eigene Informationen und Anforderungen. Das Gespräch selbst wird in der regionalen Nähe zu den Vertriebsmitarbeitern geführt, so dass die Leiterin der Marketing Communication beispielsweise nach Dänemark reist. Es wird festgelegt, welche Themen im nächsten Jahr in der Marketing Communication bearbeitet werden sollen. Nach allen Planungsgesprächen werden in Teamplanungen innerhalb der Marketing Communication Einheit die festgelegten Themen nach Priorität gereiht. Unternehmenswichtige Themen werden hoch gewichtet und entsprechend umfangreich wird der Aufwand für die Bearbeitung ange-
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setzt. Die Teamplanung nimmt in der Regel einen halben Tag in Anspruch und resultiert in der Verschriftlichung der Bereichziele und der Maßnahmen zu ihrer Erreichung. Persönliche Ziele der Mitarbeiter werden im Anschluss in Einzelgesprächen zwischen der Leiterin Marketing Communication und den jeweiligen Mitarbeitern erörtert. Diese Gespräche sind mitunter sehr ausführlich und können mehrere Stunden dauern. In den jeweiligen Auslandsmärkten wird bei der Gestaltung von Inhalten und Texten für die Pressearbeit und die Gestaltung der Website sowie bei der Auswahl der Medien auf lokale Hilfe zurückgegriffen, da die Merkmale der einzelnen Länder im Vergleich zu Deutschland zu unterschiedlich sind: „[...] es gibt ganz viele Dinge, die können wir nicht zentral leiten, weil wir die Sprache nicht können, weil es lokale Besonderheiten gibt, die wir nicht kennen und nicht wissen können, zum Beispiel in Bezug auf Umgangsweise, geschäftliche Gepflogenheiten und so weiter“ (Zitat eines Interviewpartners). Lokale PR-Agenturen werden identifiziert und in den Dienstleistungsprozess integriert, „weil (man) von Dortmund aus einfach nicht entscheiden kann: Was sind denn die wichtigen Medien in Finnland und wie heißen die? Was ist das Pendant zur Computerwoche in Tschechien? [...] Das muss man einkaufen und dann mit jemandem zusammenarbeiten, der sich lokal auskennt“ (Zitat eines Interviewpartners). So gibt es in Österreich, in der gesamten BC Nordic und auch (bald) in Tschechien lokalen Support im Sinne von lokalen Agenturen. Die Koordination und Steuerung dieses Supports erfolgt wiederum zentral und größtenteils per Email, um Doppelarbeit zu vermeiden. Für die Länder Schweden, Finnland und Dänemark wurden für die Planung und Durchführung von Events und Messen jeweils eine bzw. zwei Personen in der BC Nordic eingestellt (zur Koordination dieser Personen siehe nächsten Abschnitt). Diese Personen arbeiten zum größten Teil selbstständig, da die „landesspezifischen Unterschiede zu Deutschland einfach zu groß sind“ (Zitat eines Interviewpartners). Im Bereich CRM Pflege und Hosting der Website tauschen sich die Teammitglieder der Marketing Communication allerdings sehr eng mit den skandinavischen MarketingManagern aus, um den einheitlichen Auftritt von MATERNA gewährleisten zu können. Dieser Austausch findet in der Regel per Email statt. Das lokale Marketing schickt über das Internet beispielsweise die Inhalte für die Website und das zentrale Marketing pflegt diese an der richtigen Stelle ein. Um die Koordination zu erleichtern, wurde als Unternehmenssprache Englisch eingeführt.
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Informationen über geplante Marketingaktivitäten in den skandinavischen Ländern werden darüber hinaus rege zwischen den Leitern BC Nordic und Marketing Communication ausgetauscht. Es besteht ein enger Kontakt zwischen den beiden Führungskräften, so dass der Informationsaustausch „auch mal beim geplanten Mittagessen stattfindet“ (Zitat eines Interviewpartners). In der Regel wird die Leiterin der Marketing Communication auch zu Vertriebsmeetings eingeladen, welche sie nutzt, um Feedback über durchgeführte Aktivitäten zu bekommen und geplante Events zu besprechen. Koordination im Service Management Im CC Service Management sind insgesamt über 90 Mitarbeiter für die Themen Support, Training, Produktmanagement, Presales und Consulting sowie Produktentwicklung zuständig. Für jedes Thema gibt es einen Verantwortlichen, der die Mitarbeiter führt. Das gesamte CC wird von einer Führungskraft geleitet. Um ein gemeinsames Handeln, das auf die Erreichung der Unternehmensziele ausgerichtet ist, zu verwirklichen, gibt es innerhalb des Service Management ein 14-tägigen Jour Fixe, zu dem sich die Verantwortlichen aus den einzelnen Abteilungen mit dem Leiter des Service Management in Dortmund verabreden. Zu Anfang dieser Treffen stellt jeder Verantwortliche die aktuellen Projekte der Abteilung kurz vor und erläutert im Anschluss Zukunftsthemen. Die Treffen dienen dazu, dass „jeder weiß, was der andere macht; was momentan im gesamten Competence Center hoch priorisiert wird“ (Zitat eines Interviewpartners). Alleine durch den 14-tätigen Rhythmus wird eine hohe Interaktion zwischen den einzelnen Bereichen innerhalb des Service Management geschaffen. Zusätzlich werden themenspezifische Meetings abgehalten, in denen sich die Verantwortlichen der jeweiligen Bereiche zusammensetzen und die nächsten Schritte planen. Für diese Meetings wird ein Projektplan erstellt, der festhält, wer was bis wann machen soll. Themenspezifische Meetings sind vielfältig. Im internationalen Kontext ist zum Beispiel die Vermarktung der Produkte im skandinavischen Raum ein Thema für das Produktmanagement. Um Neukunden zu akquirieren und die Bekanntheit der Marke MATERNA in Nordeuropa zu steigern, werden lokale Werbekampagnen durchgeführt. Da Ressourcen für Marketingstrategien für den skandinavischen Markt fehlten, hat das BC Nordic jeweils einen Mitarbeiter für das lokale Marketing in Schweden, Dänemark und zwei für Finnland eingestellt, welche von einem Produkt-Manager zentral aus Deutschland geführt werden. Der Produkt-Manager ist wiederum dem Leiter der BC
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Nordic unterstellt. Eine Jahresplanung, die vom Produkt-Manager erarbeitet wird, gibt vor, wie viele Events in einem Quartal durchzuführen sind. Quartalsweise finden dann Treffen beispielsweise in Kopenhagen statt, die vom Produkt-Manager organisiert und durchgeführt werden. Bei diesen Treffen nehmen alle lokalen Marketing-Manager teil. Es werden abgeschlossene Projekte und ihren Stärken und Schwächen sowie Projekte für das nächste Quartal vorgestellt: „Wir besprechen dann immer quartalsweise, was gemacht wurde, [...] was wir weiter fortführen und was wir lieber nicht mehr machen. Wir legen auch die Aktivitäten für das nächste Quartal fest, damit jeder erstmal weiß, was im anderen Land passiert, weil sonst werden Dinge parallel und doppelt gemacht“ (Zitat eines Interviewpartners). In Projektplänen wird schriftlich fixiert, was jeder Mitarbeiter zu leisten hat. Diese Projektpläne sind dann auch Gegenstand für das nächste Quartalstreffen. Zwischen den Quartalstreffen stimmen sich die lokalen MarketingManager mit dem Produktmanagement über Telefon und E-Mail ab. Ein anderes Beispiel für ein themenspezifisches Meeting ist das so genannte ChangeAdvice-Reboard in der Produktentwicklung. In diesem Meeting wird entschieden, welche Prioritäten umgesetzt werden, z.B. welche Änderungen an einem Produkt verwirklicht werden sollen. An diesem Meeting nehmen Verantwortliche aus den BCs, dem jeweiligen Vertrieb und den Projektcentern mit Technologiewissen teil. Änderungsvorschläge werden diskutiert, priorisiert und verabschiedet. Das Meeting findet in Dortmund statt, da hier die Produktentwicklung ihren Sitz hat. Internationale Vorschläge fließen unter anderem über das Produktmanagement ein. Zum Beispiel bespricht der Produkt-Manager beim Quartalstreffen mit den lokalen Marketing-Managern in Skandinavien, welche Features das Produkt für den heimischen Markt haben muss, um eine höhere Verkaufsrate erzielen zu können. Diese Informationen thematisiert der Produkt-Manager beim Change Advice Reboard. Neben den themenspezifischen Meetings haben die Mitarbeiter des Services Management aber auch im Tagesgeschäft engen Kontakt mit den BCs. Momentan unterstützen die Service Management-Mitarbeiter das BC CEE bei der Akquisition von Neukunden. Sie analysieren die strategisch wichtigen Kunden, die den Hauptsitz in Deutschland haben und in den Osten expandieren. Die Mitarbeiter arbeiten die Websites und weitere Informationsquellen der Bestandskunden nach Osteuropastrategien durch und geben alle relevanten Daten gebündelt an das BC CEE weiter. Vertriebsverantwortliche des BC wiederum nehmen Kontakt mit diesen Kunden auf und zeigen ihnen auf, dass eine Zusammenarbeit mit der BUI auch in Osteuropa möglich ist.
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Steering Commitee Um den Ablauf der internen Aktivitäten und Prozesse zu koordinieren, ist das Steering Commitee als virtuelle Schnittstelle zwischen den BCs und den CCs eingerichtet worden (siehe Abb. 2). Im Steering Commitee, an dem Verantwortliche der BCs, CCs und der Leiter der BUI teilnehmen, werden die Anforderungen der BCs an die CCs ermittelt und dargestellt, sowie Aktivitäten- und Budgetplanungen der CCs freigegeben. Es soll demnach zur Steuerung der CC-Aktivitäten und der Planung der CC-Kosten dienen. Die Kosten der Aktivitäten der CCs werden über Umlagen finanziert, welche wiederum den BCs angelastet werden. Die Festlegung der Umlageschlüssel ist jedoch aufgrund der zunehmenden Anzahl an unterschiedlichen Aktivitäten (z.B. Support, Training, Produktentwicklung, etc.) in den letzten Jahren komplizierter geworden. So wird das Steering Commitee, das mindestens einmal im Jahr in der Zentrale abgehalten wird, momentan weniger als Instrument zur Steuerung der Aktivitäten und Kosten angesehen, sondern zunehmend als Diskussionsforum verwendet, um beispielsweise Ungerechtigkeiten über die Festlegung der Umlageschlüssel zu identifizieren. Neben dem Steering Comittee, welches ein Instrument der strukturellen Koordination ist, verwendet die BUI weitere Koordinationsinstrumente, nämlich das BUI-Portal, Salesforce.com und den Skill-Manager. BUI-Portal Das BUI-Portal ist ein Intranet, auf das jeder Mitarbeiter zugreifen kann. Ziel ist es, ein einheitliches Corporate Design zu gewährleisten und Vertriebsmitarbeiter mit aktuellen Markt- und Kundenentwicklungen zu versorgen. So sind alle vertriebsunterstützenden Medien wie beispielsweise Vorlagen für Präsentationen, Unterlagen über das Unternehmen für neue Mitarbeiter oder Referenzbeschreibungen als auch fertige Präsentationen (z.B. Unternehmensdarstellungen) sowie ein elektronisch generierter Pressespiegel im BUI-Portal zu finden. Letzterer hält fest, wo etwas über MATERNA in den Medien berichtet wird, fasst diese Nachrichten zusammen, kombiniert sie mit relevanten Wettbewerbs- oder Marktnachrichten und bietet die Ergebnisse im Portal an. Um die großen Mengen an nationalen wie internationalen Informationen zu koordinieren und zu aktualisieren, wurden ein Content-Management-System und zusätzlich ein Document-Management eingeführt. Für die Pflege des BUI-Portals sind Mitarbeiter der Marketing Communication verantwortlich. Sie kennzeichnen beispielsweise,
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welche Informationen extern und welche nur intern verwendet werden dürfen. Das BUI-Portal wird aktiv von allen Mitarbeitern genutzt. Salesforce.com Salesforce.com ist ein gekauftes CRM-Tool (Customer Relationship Management), das zuerst in der BC Nordic angewendet wurde. Aufgrund der positiven Resonanz wurde das System 2005 dann in der kompletten BUI eingeführt. Es ist ein ASP-Modell (Applications Service Providing), in dem Vertriebsmitarbeiter und Mitarbeiter der Marketing Communication Adressen und Kontakte zu Kunden, durchgeführte und laufende Projekte, Angebote sowie Marketingaktivitäten speichern. Mit Salesforce.com ist es möglich, Verbindungen von Kunden zu Projekten, Angeboten oder Marketingmaßnahmen herzustellen. So können Vertriebsmitarbeiter aus unterschiedlichen Ländern Informationen über einen Kunden abrufen oder die Marketing Communication durchzuführende Events in den Auslandsmärkten steuern. Zum Beispiel kann ein Mitarbeiter aus Tschechien nachvollziehen, welche Marketingaktivitäten in Finnland in diesem Quartal laufen. Bei Interesse an diesen Aktivitäten kann der tschechische Mitarbeiter entweder über einen Link die Materialien direkt herunterladen oder Kontakt zum jeweiligen Verantwortlichen vor Ort (in diesem Falle Finnland) herstellen. Mit diesem Instrument werden Doppelarbeiten vermieden, Know-how Austausch angeregt und die Marketingaktivitäten transparent gemacht. Letzteres ist aus Sicht eines Interviewpartners deshalb so wichtig, weil „die Marketing Communication interner Dienstleister ist und somit darauf angewiesen ist, dass Marketinginstrumente auch genutzt werden“ (Zitat eines Interviewpartners). Zum anderen gewährleistet die Marketing Communication, dass jeder Vertriebsmitarbeiter mit einheitlichen Materialien für das Unternehmen wirbt. Da darüber hinaus auch die Kontaktfrequenz zum Kunden und Kundenwünsche gespeichert werden, dient das Instrument aus Vertriebssicht der Dokumentation der Vertriebsprozesse und als Möglichkeit zum Vertriebscontrolling. Die eingegebenen Daten werden auf einem Server in den USA gespeichert und können von allen Mitarbeitern mit entsprechender Zugangsberechtigung über das Internet abgerufen werden. Über diesen Weg werden die Daten auch in Salesforce.com eingegeben. Die Koordination der Eingabe ist Führungsaufgabe und geschieht gemäß einem Interviewpartner „zu 80% aus Überzeugung. Lediglich bei 20% besteht Koordinationsbedarf, d.h. Gesprächsbedarf“ (Zitat eines Interviewpartners).
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Für das System sind zwei Mitarbeiter der Marketing Communication verantwortlich. In ihren Aufgabenbereich fallen beispielsweise die Anpassung der Felder, um eine einheitliche Standardauswertung zu gewährleisten, sowie die Überprüfung der Dateninhalte auf Richtigkeit und Vollständigkeit. Koordiniert werden die beiden Mitarbeiter von der Leitung der Marketing Communication. Skill-Manager Der Skill-Manager ist ein Wissensmanagementinstrument. Hier werden für jeden Mitarbeiter aus den verschiedenen Bereichen Erfahrungen und Know-how abgestuft nach Qualität, Jahren usw. hinterlegt. Da das Wissen der Mitarbeiter Kapital der BUI darstellt, ist die ständige Aktualisierung des Skill-Managers von großer Bedeutung. Für diese Aufgabe sind die Teamleiter zuständig. Wie bei Salesforce.com aktualisieren die Mitarbeiter zu 80% selbstständig das Wissensmanagementtool. In den wenigsten Fällen sind motivierende Gespräche notwendig.
4.2
Die Koordination der Dienstleistungsvermarktung und -erstellung am Beispiel Nordeuropa
Die BC Nordic wird eng von Deutschland aus mit vorwiegend technokratischen Koordinationsinstrumenten geführt. Hierfür gibt es mehrere Gründe. Ein Grund ist, dass der Leiter BC Nordic die Projektabläufe und die Dienstleistungen so weit wie möglich standardisieren möchte, um die Erstellung der Dienstleistungen effizient zu gestalten. In dem Einsatz von technokratischen Koordinationsinstrumenten wie Formalisierung und Standardisierung der Prozesse sieht er eine gute Möglichkeit, diese Herausforderung zu meistern. Weitere Gründe für den Einsatz technokratischer Koordinationsinstrumente sind laut einem Interviewpartner die räumliche Distanz zwischen den Standorten, die Größe der Auslandseinheiten sowie „gewisse Animositäten zwischen den Ländern“ (Zitat eines Interviewpartners). Im Folgenden werden die wesentlichen Koordinationsinstrumente erläutert, die zur Vereinheitlichung der Dienstleistungsprozesse dienen. Hierzu zählen in der Prozessphase der Dienstleistungserstellung das Instrument Strategic Selling und Sales Excellence Roadmap sowie für die Koordination der gesamten BC Nordic der Management Calendar und die Management Routines.
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Strategic Selling Die Integration kleiner lokal ansässiger Unternehmen in eine international agierende Einheit unterstrich die Notwendigkeit für die BC Nordic, eine universell gültige Management-Strategie zu etablieren. Aus diesem Grund wurde das vom Unternehmen Miller-Heiman entwickelte Programm Strategic Selling in der BC Nordic eingeführt. Strategic Selling ist ein kompaktes Tool zur Bestimmung der Verkaufsstrategie und ermöglicht, das Wissen und die Erfahrung der Mitarbeiter zu bündeln. Mit dem Tool können die einzelnen Schritte zur Bewertung der Möglichkeiten der Neukundengewinnung definiert werden. Hierfür werden als erstes die „key player“ auf der Käuferseite ermittelt und deren Grad der Beeinflussung sowie deren persönliche Motive und Einstellung eruiert. Daraufhin ordnet man den verschiedenen Kontaktpersonen im Vertriebsprozess unterschiedliche Rollen zu, wobei die Rolle „economic buyer“ (Person, die das Budget freigibt) die wichtigste Rolle für den Vertriebsverantwortlichen ist. Des Weiteren werden eigene Stärken und Schwächen bewertet. Alle Informationen werden im so genannten „blue sheet“ eingetragen. Basierend auf diesen Informationen entwickelt der Vertriebsverantwortliche oder das Vertriebsteam eine Verkaufsstrategie, mit deren Hilfe die richtigen Personen und deren Motive auf der Käuferseite angesprochen sowie Unsicherheiten im Kaufprozess aufgedeckt und vermindert werden. Mithilfe von Strategic Selling wird in der BC Nordic der Prozess der Kundenakquisition standardisiert. Diese Vorgehensweise hat mehrere Vorteile für das gesamte BC. Für den Vertrieb ist von Vorteil, dass potenzielle Neukunden besser eingeschätzt werden können und eine Rangordnung der aussichtsreichsten Abschlüsse aufgestellt wird. Darüber hinaus „erlaubt der Ansatz, begrenzte Ressourcen sinnvoller einzusetzen. Wenn der Vertriebsmitarbeiter seine Zeit in so ein Projekt investiert, wo sich am Ende herausstellt, dass der Kunde gar nicht das Geld dazu hat, dann hat er nicht nur das Projekt verloren, sondern auch die Zeit, sich in anderen Projekten zu engagieren“ (Zitat eines Interviewpartners). Die strukturierte und einheitliche Vorgehensweise vor Projektgewinn liefert somit Zeit- und Kostenvorteile und vermindert den Koordinationsaufwand innerhalb der BC Nordic. Sales Excellence Roadmap Die Realisierung der Projekte verlaufen im Schwerpunktthema IT-Service-Management (ITSM) „sehr ähnlich“ (Zitat eines Interviewpartners). Aus diesem Grund haben Mitarbeiter der BC Nordic eine standardisierte Implementierungsmethode für ITSM–
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Projekte entwickelt, die Sales Excellence Roadmap genannt wird. Die Methode bietet sowohl Beratung als auch Implementierungshilfe und beinhaltet als standardisiertes Leistungspaket eine definierte Projektdauer, einen festen Preis und einen klar abgegrenzten Leistungsumfang. Der operative Teil der Sales Excellence Roadmap firmiert unter dem Namen „quick results“ (z.B. quick results service desk). Mithilfe von quick results können „80% eines ITSM-Projekts standardisiert und 20% kundenspezifisch angeboten werden“ (Zitat eines Interviewpartners). Die Daten der Implementierungsmethode basieren auf Markt- und Kundenstudien, die jährlich für Deutschland und Skandinavien vom Produkt-Manager mithilfe des bereits dargestellten CRM-Tool Salesforce.com zentral ermittelt werden. Die Studien beinhalten beispielsweise sowohl Daten über den Umsatz der Kunden als auch Informationen über die Anzahl der implementierten Produkte der MATERNA und deren Wettbewerbern sowie über die Entwicklung des Marktes. Basierend auf diesen Daten wird ein Stufenmodell für jedes ITSM Produkt entwickelt. Im Verkaufsgespräch mit dem Kunden kann der Vertriebsverantwortliche mithilfe des Modells den Kunden aufzeigen, wie sie ITSM Produkte nach und nach einführen können, um sich damit in den spezifischen Unternehmensprozessen zu verbessern. Dem Kunden erleichtert diese Vorgehensweise die Budgetierung der Projekte und auch die letztendliche Kaufentscheidung: „Man kann klein anfangen und dem Kunden nicht gleich so ein großes Projekt anbieten. Das Tool bietet eine geordnete Projektierungsvorgehensweise“ (Zitat eines Interviewpartners). Für den Vertrieb ist von Vorteil, dass für die Projekte bereits eine Projektstruktur besteht, die es erlaubt zu planen, wann was von wem durchgeführt wird. Damit Vertriebsmitarbeiter die Implementierungsmethode beim Kunden auch vorstellen, wurden in der Vergangenheit zum einen auf Vertriebsevents Schulungen zum Thema Sales Excellence Roadmap durchgeführt und zum anderen die Country-Manager der jeweiligen skandinavischen Länder mit dem Coaching des Themas beauftragt. Diese Vorgehensweise verlief gemäß einem Interviewpartner jedoch „nicht systematisch“ (Zitat eines Interviewpartners). So entschloss sich die Leitung der BC Nordic, einen Projektleiter für das Thema zu benennen, der zukünftig sowohl die Aufbereitung der Daten als auch die Schulung der Vertriebsverantwortlichen übernehmen soll. Der Projektleiter wurde aufgrund seines hohen Erfahrungsstands ausgesucht, den er sich bei der Entwicklung der Methode angeeignet hat. Ab 2008 soll er in jedem skandinavi-
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schen Land Schulungen zum Thema Nutzung der Sales Excellence Roadmap durchführen. Management Calendar Die einheitliche Vorgehensweise in der gesamten BC Nordic wird durch den so genannten Management Calendar sichergestellt. Der Calendar sieht eine Standardisierung der internen Prozesse vor. Er erscheint einmal im Monat und beinhaltet zwei Arten von Berichten: einen Management Report und einen rein finanziellen Report. Der Management Report ist ein Mix aus Review und Vorschau. Der Input kommt aus dem Vertriebs- und Informationssystem. Für den finanziellen Teil werden beispielsweise Monatszahlen aufbereitet. Die Erstellung des Management Calendar ist im „monthly reporting process“ festgelegt, der bestimmt, wann wer von wem welche Daten erhält und an wen diese weitergeleitet werden sollen. Demnach werden alle Informationen bis zum 5. des Monats per Email von den Beratern im so genannten „consultancy report“ an die jeweiligen skandinavischen Finanzabteilungen übermittelt, die diesen Bericht mit länderspezifischen Finanzzahlen ergänzen. Dieser Bericht wird wiederum zur Konsolidierung per Email an die Finanzabteilung Nordic geschickt, die den monthly report formuliert und diesen an das Controlling Nordic weiterleitet. Nordic Controlling formuliert mithilfe von Salesforce.com den Management Report und schickt diesen spätestens am nächsten Tag an den Leiter der BC Nordic nach Deutschland. Er ergänzt den Bericht um Kommentare (z.B. Arbeitsanweisungen, Lob, Kritik) und aktualisiert die Projekte. Der Bericht wird für eine zweite Konsolidierung zurück an das Nordic Controlling geschickt, welches ihn letztendlich an alle verteilt. Der Management Calendar ist laut Aussage eines Interviewpartners daher so wichtig, “weil würde es keine Gespräche und keine Reisen geben, könnten trotzdem 70-80% der wichtigen Dinge erledigt werden. Und das ist im Prinzip einer der Kernpunkte für die interne Steuerung“ (Zitat eines Interviewpartners). Die Informationen dienen als Grundlage für die Management Routines, die im Folgenden erläutert werden. Management Routines Die Management Routines sind Planungsinstrumente, die detailliert festhalten, welche Aktivitäten in den einzelnen Ländern geplant und durchgeführt werden. Sie werden schriftlich in einem Dokument hinterlegt und teilen sich in die Bereiche Agenda, Kategorie, Manager, verantwortliches Team, Anzahl der Treffen bzw. der Aktivitäten im Jahr, Zeitpunkt und Ort. Die Routinen beziehen sich zum einen auf Koordinationstref-
Grenzüberschreitende Koordination eines Dienstleistungsunternehmens
223
fen, beispielsweise BC Nordic Management Meeting, und zum anderen auf Budgetund Eventplanung sowie Reporting. Die Koordinationstreffen finden an wechselnden Orten statt und werden quartalsweise von den BC Management Team unter Führung einer Person durchgeführt. Die Agenda, die ebenfalls fixiert ist, bestimmt den Inhalt dieser Meetings. Auf einer Zeitschiene, die in Wochen herunter gebrochen ist, sind die einzelnen Zeitpunkte eingetragen. Mithilfe des Management Calendars, der die Inhalte für die meisten Koordinationstreffen gibt, und den formalisierten Management Routines weiß jeder Mitarbeiter in der BC Nordic, wann welche Aktivität abgesprochen werden soll. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass in der BC Nordic eine starke Formalisierung und Standardisierung der Prozesse vorherrscht, um eine einheitliche Vorgehensweise zu erreichen. Der nächste Abschnitt beschreibt die Koordination der BC CEE, die sich im Anfangsstadium der Internationalisierung befindet und somit besonderen Wert auf die Integration der kürzlich akquirierten Unternehmen legt.
4.3
Die Integration ausländischer Mitarbeiter am Beispiel Osteuropa
Die Internationalisierung der BUI nach Osteuropa begann 2006 und befindet sich damit in der Anfangsphase. Dementsprechend stellt der Aufbau einer funktionierenden Organisation und deren Koordination die höchste Priorität für die Leitung des BC CEE dar. Da aufgrund der Personalintensität der Branche die Mitarbeiter das wesentliche Kapital der BUI sind, ist für den zukünftigen Erfolg der internationalen Tätigkeiten die Integration der ehemaligen Gründer bzw. Eigentümer der akquirierten Unternehmen sowie deren Mitarbeiter besonders wichtig. Damit soll die Pflege der existierenden Netzwerke, des Wissens und der Kundenbeziehungen gewährleistet werden. Am Beispiel Osteuropa, das von Wien aus gesteuert wird, wird im Folgenden die Integration der osteuropäischen Unternehmen bei MATERNA veranschaulicht. Der Fokus liegt hierbei auf den lokal ansässigen Gründern bzw. Mitarbeitern, da diese wie bereits oben erwähnt, das wichtigste Kapital der BUI bilden. Einsatz lokaler Führungskräfte „Eine Organisation hochziehen und parallel die Eigenheiten und Feinheiten der Landesspezifika zu lernen, ist schwierig“ (Zitat eines Interviewpartners). Aufgrund kultureller Unterschiede zum einen zwischen Österreich und Osteuropa und zum anderen
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zwischen den osteuropäischen Ländern untereinander können nach einem Interviewpartner westliche Managementstandards nicht einheitlich eingesetzt werden. Aus diesem Grund werden in der BC CEE die Führungspositionen in den Ländern nicht notwendigerweise mit deutschem oder österreichischem Personal besetzt. Vielmehr ist der Ansatz, ein Unternehmen zu übernehmen, in dem der ehemalige Unternehmer einerseits Landeskenntnisse hat und andererseits motiviert ist, das Unternehmen bis zu einem gewissen Grad weiterzuführen oder am Erfolg von MATERNA zu partizipieren. Wenn der ehemalige Eigentümer des akquirierten Unternehmens jedoch die Führungsposition nicht beibehalten will, werden Führungskräfte mit lokalen Erfahrungen gesucht und eingestellt. Durch den Einsatz lokaler Führungskräfte ergibt sich zwar aus Sicht der Leitung im Gegensatz zur Entsendung von Expatriates ein erhöhter Koordinationsaufwand. Es müssen im Anfangsstadium der Internationalisierung mehr Koordinationstreffen (z.B. Führungskreismeetings) und mehr Reisen seitens der Leitung der BC CEE durchgeführt werden. Auf der anderen Seite sieht der Leiter der BC CEE in der Anpassung an die Gastlandbedingungen eine Möglichkeit zum schnellen Markteintritt. Daher kann auf lokale Erfahrungen nicht verzichtet werden. Momentan besitzen die Führungskräfte in den einzelnen Ländern eine relativ hohe Autonomie. Sie berichten zwar in regelmäßigen Abständen an die Leitung des BC CEE in Wien, haben aber keine so detaillierten Vorgaben wie in der BC Nordic. Dies ist gemäß einem Interviewpartner darauf zurückzuführen, dass „es momentan vordringlich darum geht, eine Organisation zu schaffen, die verteilt die Verantwortlichkeiten wahrnimmt“ (Zitat eines Interviewpartners). Motivationsansätze Um die Loyalität der lokalen Mitarbeiter und damit deren Wissen und Beziehungsnetzwerke zu sichern, wendet das BC CEE verschiedene Motivationsansätze an. Die höchste Motivationskraft verspricht sich das BC CEE von dem Ruf der MATERNA und der spezifischen Unternehmenskultur. „Die MATERNA GmbH gilt als attraktiver Arbeitgeber, weil sie mittlerweile ein internationaler Konzern, aber gleichzeitig inhabergeführt ist, eine lange Tradition bewahrt und gewisse Werte vermittelt. Man hat viel Autonomie, kurze Berichtswege und man sieht, dass man ein Teil einer großen Maschinerie ist, ohne eine Nummer zu werden“ (Zitat eines Interviewpartners). Des Weiteren wird versucht, über monetäre Anreize (z.B. variable Gehaltsanteile) die Fluktuation der Mitarbeiter zu verhindern. Dies ist ein relativ einfacher Ansatz, da
Grenzüberschreitende Koordination eines Dienstleistungsunternehmens
225
zwischen dem Standort Deutschland und den Ländern in Osteuropa ein erhebliches Gehaltsgefälle herrscht. Ein anderer Ansatz sieht vor, lokale Mitarbeiter in größeren Teams zu organisieren, um das „Wir-Gefühl“ und damit die Integration zu stärken. Dieser Herangehensweise ist gemäß einem Interviewpartner aufgrund kultureller Unterschiede und unterschiedlichem Know-how-Level der Teammitglieder besonders zeitaufwändig. Es wird versucht, die kulturellen Unterschiede einerseits durch den Einsatz lokaler Führungskräfte und andererseits durch eine offene Kommunikation zu verringern. So bekommt jeder Mitarbeiter schnellstmöglich einen Zugang zum BUIPortal, über das er Informationen über MATERNA und ihrer Unternehmensphilosophie erhalten kann. Vertriebsverantwortliche bekommen darüber hinaus Zugang zu Salesforce.com, über das sie sich über Kunden und aktuelle Projekte in anderen Ländern informieren können. Die Know-how Unterschiede werden in Schulungen minimiert, die Bestandteil des folgenden Abschnittes sind. Schulung des lokalen Personals Die Projekte des BC CEE sind komplexe Aufgabenstellungen, die zum Teil in die Geschäftsprozesse der Kunden eingreifen. Aufgrund des frühen Internationalisierungsstadiums ist die Phase des Wissenstransfers in die einzelnen Länder noch nicht sehr weit entwickelt. So werden für die Durchführung von Projekten westliche Experten in die osteuropäischen Länder entsandt. Allerdings besteht das Problem, dass die internationalen Experten für die lokalen Kunden aufgrund des hohen Lohnniveaus in Deutschland zu teuer sind. Daher muss lokales Personal geschult werden, das dann zu osteuropäischen Tagessätzen die Projekte durchführen und abschließen kann. Zu diesem Zweck finden Schulungen in Dortmund wie z.B. Traineeships und formale Ausbildungen im Sinne der Herstellerzertifizierungen statt, die je nach Tiefe zwei bis 12 Monate dauern. Danach arbeitet der Mitarbeiter in Begleitung eines projekt- oder produktverantwortlichen Mitarbeiters an einem oder zwei Projekten vor Ort. Erst nach Abschluss dieser „Probezeit“, die mitunter 24 Monate dauern kann, führen die Mitarbeiter Projekte eigenständig durch. Wie Kapitel 4 gezeigt hat, wird innerhalb der BUI der MATERNA GmbH unterschiedlich koordiniert. Das nächste Kapitel fasst die wesentlichen Unterschiede und den daraus resultierenden Koordinationseinsatz zusammen und spiegelt die Erkenntnisse an der bestehenden Literatur.
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226
5
Zusammenfassung und Reflexion
Die Fallstudie zeigt, dass im internationalen Dienstleistungsmanagement erhöhte Koordinationsanforderungen bestehen. Bezogen auf Leavitts (1964) Klassifikation kommen strukturelle, technokratische und personenorientierte Koordinationsmechanismen in Betracht. Die Zusammensetzung des Koordinations-Mix sowie die Intensität des Einsatzes der Instrumente sind im Falle der BUI kontextabhängig. So war zu erkennen, dass der Einsatz der verschiedenen Koordinationsinstrumente insbesondere auf folgende Gründe zurückzuführen ist: • das Internationalisierungsstadium, • die Persönlichkeit der Führungskräfte der BCs im Stammhaus, • die Größe der Auslandseinheit, • die geographische Distanz zum Stammhaus, • die „Animositäten zwischen den Ländern“ (Zitat eines Interviewpartners), sowie • die Unterschiedlichkeit der Kulturen (sowohl auf Seiten der Mitarbeiter als auch der Kunden). Das BC CEE, das in einem relativ frühen Stadium der Internationalisierung ist, deren beobachtbaren Schwierigkeiten oftmals aus kulturellen Unterschieden resultieren und deren Leiter eher persönliche Gespräche und Meetings als die Formalisierung vorzieht, wird vorwiegend mit personenorientierten Koordinationsinstrumenten gesteuert. Als personenorientierte Koordinationsinstrumente werden in der Literatur vornehmlich persönliche Weisung, Selbstabstimmung, Besuchsverkehr, Transfer von Führungskräften und kulturorientierte Koordination betont (vgl. Kutschker/Schmid 2008, S. 1045). Im Rahmen der Fallstudie wurden in dem BC CEE insbesondere der Besuchsverkehr sowie die kulturorientierte Koordination identifiziert. Der Besuchsverkehr beschreibt einen kurzfristigen Auslandsaufenthalt, der insbesondere dann angebracht ist, wenn „face-to-face“ - Kontakt notwendig ist (z.B. bei komplexen Lösungen). Als kulturorientierte Koordination wird die Unternehmenskultur genannt. Sie hat normative Integrationskraft, denn „sie hält das zusammen, was durch andere Maßnahmen nicht oder nur bedingt zusammengehalten werden könnte“ (Kutschker/Schmid 2008, S. 1049). Die Unternehmenskultur wird als System von Wertvorstellungen, Verhaltensnormen und Denkverhalten verstanden, welche das Verhalten aller Mitarbeiter einer
Grenzüberschreitende Koordination eines Dienstleistungsunternehmens
227
Unternehmung prägt (Martinez/Jarillo 1991). Die Unternehmenskultur wird nicht zwangsweise von neuen Mitarbeitern verinnerlicht. Vielmehr muss eine entsprechende Kulturvermittlung erfolgen. In der Literatur werden typische Maßnahmen genannt (siehe u.a. Kieser/Walgenbach 2007), die zum größten Teil in der Fallstudie wieder gefunden werden können. Hierzu zählen die Kommunikation gemeinsamer Wertvorstellungen z.B. in Form einer schriftlichen Fixierung, Schulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen sowie eine kulturbezogene Ausgestaltung des Qualifikations- und Entlohnungssystems. Im Gegensatz zum BC CEE werden in dem BC Nordic, das größere Auslandseinheiten und weitere Entfernungen zwischen den Standorten aufweist und deren Leiter schriftlich niedergelegte Abläufe bevorzugt, eher technokratische Koordinationsinstrumente eingesetzt. Technokratische Koordinationsinstrumente können sich auf Arbeitsinputs (z. B. Fähigkeiten), Arbeitsprozesse sowie Arbeitsergebnisse beziehen (vgl. Kutschker/Schmid 2008, S. 1038). Zu den Instrumenten zählen Planung, Regeln und Programme, Budget, Berichtsysteme sowie Formalisierung. Die Analyse des BC Nordic hat gezeigt, dass insbesondere Pläne und Berichtssysteme zur Routinisierung und Standardisierung der Prozesse in dem BC Nordic angewendet werden. Da alle Instrumente schriftlich niedergelegt sind, wird des Weiteren eine starke Formalisierung präferiert. Pläne lassen sich in Zeit-, Ressourcen- und Maßnahmenpläne unterscheiden (vgl. Wel-ge/Holtbrügge 2006, S. 178). Die Koordinationsfunktion wird darin gesehen, dass zumeist qualitative Ziele in quantitative Größen transformiert werden, die in einem bestimmten Zeithorizont mit bestimmten Mitteln erreicht werden sollen. Dabei werden die Maßnahmen und Ressourcen aufeinander abgestimmt. In dem BC Nordic stellen die „Management Routines“ ein Beispiel für solche Planungsmuster dar. „Management Routines“ vereinen Ziel-, Ressourcen- und Maßnahmenplanung. Mithilfe von Berichtssystemen fordert die übergeordnete Stelle regelmäßig Informationen über wesentliche Plan- und Ist-Zahlen, wie zum Beispiel Umsätze oder Auftragseingänge, ein. In dem BC Nordic werden mehrere Berichtssysteme zur Steuerung der Auslandseinheiten eingesetzt. Als weitest reichendes System kann der Management Calendar genannt werden. In ihm werden Ist- und Planzahlen für jedes skandinavische Land gesammelt und international verteilt. Die internationale Standardisierung von Prozessabläufen (z.B. quick results) soll Missverständnisse bei der Erstellung und Lieferung der Dienstleistung weitgehend ausschließen. Dabei ist allerdings zu beachten, dass die vollständige Standardisierung des
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228
BUI Produktportfolios nur bis zu einem bestimmten Grad möglich ist, da es sich oftmals um kundenspezifische IT-Lösungen handelt. Unabhängig von der Verschiedenartigkeiten der Koordinationsbedingungen hat die Organisationsstruktur, die zur strukturellen Koordination führt, einen wesentlichen Einfluss auf die Art der Koordination (vgl. Kutschker/Schmid 2008, S. 1034). Die Matrixorganisation der BUI erleichtert auf der einen Seite zwar den Transfer von Wissen, Erfahrungen und Kenntnissen aus den CCs in die BCs und zurück. Auf der anderen Seite werden aufgrund der regionalen Verantwortlichkeiten Themenstrategien parallel und teilweise unabgestimmt im CC und in allen BCs entwickelt. Dadurch entsteht ein hoher Abstimmungsbedarf bei thematisch orientierten Ressourcen (z.B. im CC Service Management) und Konfliktpotential zwischen den CCs und BCs. Um diesen Koordinationsbedarf zu bewältigen, hat sich die BUI dazu entschlossen, die Organisationsstruktur anhand eindeutiger thematischer Verantwortung neu auszurichten. Die bisherige Matrixorganisation wird künftig aufgegeben und die einzelnen Ressourcen in Themenfelder gebündelt (siehe Abb. 4). BUI Leitung Clearingstelle
Sekretariat
Personal
Academic Cooperations
Deutschland Governement & Applications
cbs (BC SAP)
BC Service Mgt.
Ausland BC Process Mgt.
Infrastructure Mgt.
BC Nordic
TNT BC CEE
Account Management Government
Marketing Kommunikation Public Relations
Abbildung 4:
Events
Online Redaktion
CRM/Direktmarketing
Themenspezifische Organisationsstruktur der BUI
Print-Medien
Grenzüberschreitende Koordination eines Dienstleistungsunternehmens
229
Zu den bereits existierenden BCs Nordic und CEE, die unter „Ausland“ zusammengefasst werden, kommen in der neuen Organisationsstruktur das cbs (BC SAP), das BC Service Management und das BC Infrastructure Management hinzu. Zusammen mit Government & Applications werden die neuen BCs unter „Deutschland“ zusammengefasst. Die neue Organisation sieht vor, dass die BCs weitestgehend als Unternehmen im Unternehmen agieren und ein oder mehrere thematisch ausgerichtete Portfolioelemente der BUI in sämtlichen erforderlichen Belangen vertreten. Die Planung erfolgt eigenständig und unabhängig von den anderen Geschäftseinheiten im Rahmen der Vorgaben der BUI-Leitung. Die Dokumentation, Koordination und Information der Handlungen beim Kunden erfolgen verstärkt über Salesforce.com.
6
Fazit
Aus der Fallstudie lassen sich eine Reihe von Erkenntnissen für die international orientierte Dienstleistungsforschung und das Management von Dienstleistungsunternehmen ableiten. Generell ist die Koordination in internationalen Dienstleistungsunternehmen eine herausfordernde und wichtige Aufgabe, die unmittelbar die Wettbewerbstärke und das Unternehmenswachstum beeinflussen. Die Herausforderungen resultieren aus der Komplexität der Aufgabenstellung und die Wichtigkeit begründet sich durch die Optionen einer effizienten Koordination, die sich in u.a. Kostenreduktion, Marktund Kundennähe sowie strategischen Synergieeffekten niederschlägt. Die vorliegende Studie belegt zudem, dass Koordinationspraktiken höchst kontextabhängig und daher auch vielschichtig ausgestaltbar sind. Differenzierte Koordinationserfordernisse resultieren vor allem aus lokalen Umfeldbedingungen und aus der unterschiedlichen Handhabung dieser Situation in den Unternehmen. Bemerkenswert und in der Literatur bislang nicht beachtet, hat die Fallanalyse gezeigt, dass selbst in einem mittelständischen Kontext ein Mix an Koordinationsansätzen regional differenziert eingesetzt wird. Die Vermutung liegt nahe, dass dies bei steigender Betriebsgröße in noch stärkerem Ausmaß der Fall sein wird. Über eine bestimmte „kritische“ Betriebsgröße hinaus ist dann vermutlich wieder mit einer stärkeren Vereinheitlichungstendenz in den Koordinationsmustern zu rechnen. Deutlich gezeigt hat die Analyse auch, dass die höhere Komplexität des zu koordinierenden Marktfelds zu einer höheren Bewertung der Tauglichkeit von technokratischen
230
Julia Ingwald, Hartmut H. Holzmüller, Martin Köpke
Koordinationsinstrumenten führt. Obgleich im vorliegenden Fall überaus kundenindividuelle Dienstleistungen angeboten werden, gelingt in einem regionalen Teilauschnitt die Standardisierung der Vermarktungsprozesse und zu einem Gutteil auch der Herangehensweisen an die eigentliche Dienstleistungserstellung. Es wird aber auch belegt, dass bei frühen Phasen des Markteintritts über Akquisitionen lokaler Unternehmen der personenorientierten Koordination wesentliche Bedeutung zukommt. Wir führen dies auf den in dieser Phase noch nicht vorhandenen Fit zwischen akquirierenden und akquirierten Unternehmen zurück. Die vorliegende Dokumentation zeigt darüber hinaus, dass im mittelständischen Bereich – und eventuell nicht nur in diesen Betriebsgrößen – die Koordinationspraktiken ganz wesentlich von den verantwortlichen Führungskräften geprägt und ausdifferenziert werden. Des Weiteren ist klar belegt, dass in Analogie zur inkrementalen Internationalisierung von Mittelständlern sich auch die Techniken und Abläufe der grenzüberschreitenden Kooperation und Koordination inkremental entwickeln. Im Hinblick auf die Veränderungen von Koordinationsmustern in den letzten Jahren ergab sich auch deutlich, dass die Bedeutung von internen Kommunikations- und Informationssystemen (z.B. Intranet) sowie die weltweite Nutzung von externen Informations- und Kommunikationstechnologien (z.B. Internet, Voice over IP) stark zugenommen haben. IT-Instrumenten kommt offensichtlich im Rahmen der internationalen Koordination ein immer gewichtiger werdender Stellenwert zu. Wir erwarten, dass die Professionalisierung in der internationalen Koordination durch neue technische Optionen weiter zunehmen wird. Abschließend kann festgehalten werden, dass der Fall aufzeigt, dass eine stärkere forscherische Durchdringung des Objektbereichs, der u.a. in entsprechende systematische Erklärungsansätze, Optionskataloge und Gestaltungsempfehlungen mündet, für die Internationalisierung mittelständischer Dienstleitungsunternehmen überaus erstrebenswert erscheint.
Grenzüberschreitende Koordination eines Dienstleistungsunternehmens
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Literaturverzeichnis Kieser, A./Walgenbach, P. (2007): Organisation, 5. Aufl., Stuttgart. Kutschker, M./Schmid, S. (2008): Internationales Management, 6. Aufl., München; Oldenbourg. Leavitt, H.J. (1964): Applied Organization Change in Industry: Strucutral, Technical and Human Approaches, in: Cooper, W.W./Leavitt, H.J./Shelly, M.W. (Hrsg.): New Perspectives in Organization Research, New York, S. 55-71. Martinez, J.I./Jarillo, C.J. (1991): Coordination Demands of International Strategies, in: Journal of International Business Studies, 22. Jg., 3, S. 429-444. Welge, M.K./Holtbrügge, D. (2006): Internationales Management: Theorien, Funktionen, Fallstudien, 4. Aufl., Stuttgart.
Kundenintegration und Konfiguration in der Marktforschungsbranche. Data – Information – Knowledge. Kundenintegration und Konfiguration in der Marktforschungsbranche
Marcus Zimmer, Technische Universität München Anne Scherer, Technische Universität München Florian v. Wangenheim, Technische Universität München Gliederung 1
Problemstellung
2
Charakteristika von Marktforschungsdienstleistungen
2.1 2.2
Marktforschung als Professional Services Marktentwicklungen bei Marktforschungsdienstleistungen
3
Kundenintegration
3.1 3.2 3.3 3.4 3.5
Grundlagen der Kundenintegration Kundenintegration bei Marktforschungsdienstleistungen Beispiel: GfK ConsumerScan Panelforschung Beispiel: Vertriebsgebietsplanung GfK GeoMarketing Beispiel: Insight Express
4
Konfiguration
4.1 4.2
Grundlagen der Konfiguration Internationale Konfiguration bei Marktforschungsdienstleistungen
5
Fazit
D. Holtbrügge et al. (Hrsg.), Management internationaler Dienstleistungen mit 3K, DOI 10.1007/978-3-8349-9476-9_9,© Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009
Kundenintegration und Konfiguration in der Marktforschungsbranche
1
235
Problemstellung
Mit Marktforschungsdienstleistungen wurden im Jahre 2007 weltweit 17,5 Mrd. US-$ umgesetzt (vgl. Honomichl 2008). Auch wenn 14 der 25 größten Unternehmen der Branche ihren Sitz in den USA haben, werden innerhalb dieser TOP 25 57% der Umsätze außerhalb des Stammlandes erwirtschaftet. Die Nummer 1 unter den Marktforschern, Nielsen, ist sogar in 107 Märkten der Welt tätig (vgl. Honomichl 2008). Auf Ebene der Branchenführer ist Marktforschung ein internationales Geschäft. Als wesentlicher Treiber der Internationalisierung gilt die Tatsache, dass die Tätigkeitsfelder der Kundenunternehmen selbst zunehmend international ausgerichtet sind und dadurch auch von Marktforschungsunternehmen verstärkt Aussagen zu globalen Marktentwicklungen erwartet werden. In Zuge dessen ist die Branche durch Übernahmen und strategische Allianzen geprägt. Alleine im Jahr 2007 akquirierte jedes der weltweiten TOP-25-Unternehmen durchschnittlich acht weitere Unternehmen (vgl. Honomichl 2008). Im Spannungsfeld zwischen internationalen Kundenmärkten einerseits und dem Fokus auf regionalen Märkten als Untersuchungsobjekte andererseits werden erhebliche Anforderungen an die Effektivität und Effizienz der Konfiguration von Wertschöpfungsaktivitäten der Marktforscher gestellt. Zusätzlich zu Expansionszwang und Internationalisierungsbemühungen betrifft eine weitere Herausforderung den Kostendruck, dem Marktforschungsdienstleister als Anbieter von Professional Services ähnlich wie Zulieferer von tangiblen Produkten in der Industrie ausgeliefert sind. Im Zuge sinkender Margen im bisherigen Kerngeschäft – der Planung und Koordinierung von Primärdatenerhebungen sowie der Auswertung von Primär- und Sekundärdaten – versuchen Marktforschungsunternehmen zunehmend ihre eigene Wertschöpfungskette in Richtung Analyse und Consulting zu verlängern. Anstatt als Datenlieferant versucht man sich als Komplettlösungsanbieter (vgl. Tuli et al. 2007) für Market Intelligence-Probleme zu positionieren. Seitens der Kunden schlägt sich dieses Angebot allerdings nicht zwangsläufig in höherer Zahlungsbereitschaft nieder, da viele Unternehmen mittlerweile eigene Kompetenzen im Bereich Market Intelligence aufgebaut haben oder gerade lernen, im Unternehmen bereits vorhandene Daten für diesen Zweck zu benutzen. Transaktionsdaten aus Kundendatenbanken und Kundenzufriedenheitsanalysen aus dem Customer Relationship
Marcus Zimmer, Anne Scherer, Florian v. Wangenheim
236
Management können einen guten Überblick über den aktuellen Kundenstamm liefern. Leicht zu handhabende Werkzeuge für die Online-Marktforschung eröffnen neue Möglichkeiten zur großzahligen Primärdatenerhebung, die bis vor einigen Jahren nur Marktforschungsunternehmen bzw. den entsprechenden Feldinstituten möglich waren. Eine Möglichkeit, den Kompetenzgewinn der Kunden ohne Margenverlust für sich zu nutzen, ist die Integration des Kunden in den Dienstleistungserstellungsprozess: Besitzt der Kunde einen gewissen Kompetenz- oder Ressourcenvorsprung, kann das Marktforschungsunternehmen sich dessen bedienen und dadurch für den Kunden effektivere und effizientere Dienstleistungen anbieten. Dieser Beitrag hat das Ziel, Herausforderungen darzustellen, mit denen sich international agierende Marktforschungsunternehmen konfrontiert sehen und zeigt an den Beispielen der GfK AG und des US-amerikanischen Dienstleisters Insight Express auf, wie geeignete Maßnahmen zur Kundenintegration und Konfiguration internationaler Wertschöpfungsaktivitäten es ermöglichen können, kundennähere Lösungen zu liefern.
2
Charakteristika von Marktforschungsdienstleistungen
2.1
Marktforschung als Professional Service
Marktforschung zählt zu den sogenannten Professional Services (vgl. Gummesson 1978). Darunter werden Dienstleistungen verstanden, die • wissens- und beratungsintensiv sind, • sich der Lösung eines komplexen Kundenproblems widmen, und • in Form von (Einzel-) Aufträgen • an Spezialisten vergeben werden. Professional Services sind oft, aber nicht zwangsläufig im B2B-Bereich anzutreffen. Typische Professional Services Provider im B2B-Kontext sind beispielsweise Unternehmensberatungen, Wirtschaftsprüfer oder auch Finanz- und Versicherungsdienstleister.
Kundenintegration und Konfiguration in der Marktforschungsbranche
2.2
237
Märkte und Marktforschung
Märkten kommt bei Marktforschungsdienstleistungen eine Doppelfunktion zu: Sie sind einerseits Untersuchungsobjekte (als bereits bestehende oder potentielle Märkte für Produkte oder Dienstleistungen der Kunden), andererseits agieren Marktforscher auch als Subjekte auf Märkten: Sie bieten ihre eigenen Marktforschungsdienstleistungen auf Absatzmärkten an und beziehen wiederum selbst Dienstleistungen auf Beschaffungsmärkten (gerade größere Marktforschungsunternehmen erheben kaum noch Primärdaten selbst, sondern koordinieren hierzu ein Netz aus sogenannten Feldinstituten). Im Sinne von Porters Marktstrukturanalyse (vgl. Porter 1980, 2008) ergeben sich zurzeit folgende Bewegungen auf den relevanten Märkten: • Veränderungen innerhalb der Marktforschungsbranche ergeben sich im Wesentlichen nur durch M&A-Aktivitäten. Neugründungen können zwar vereinzelt über zweistellige jährliche Umsatzwachstumsraten verfügen; es gibt aber praktisch keine Neuzugänge in den Kreis der weltweiten Top 25 der Branche. Da generisches Wachstum kaum möglich ist – die durchschnittlichen Wachstumsraten stagnieren bei Werten um drei Prozent (vgl. Honomichl 2008) – sind die großen Marktforscher zu Zukäufen gezwungen, was insbesondere die Konfiguration der Aktivitäten erschwert und den Koordinationsaufwand erhöht. • Kundendatenbanken, die im Rahmen des Customer Relationship Managements implementiert wurden, sind eine relativ neue Quelle von Informationen innerhalb des (potentiellen) Kundenunternehmens. Auch wenn die Nutzung dieser Daten zu Marktforschungszwecken rechtlich eingeschränkt ist – und zudem auch innerhalb dieses Rahmens noch nicht ausgeschöpft ist (vgl. Reinartz et al. 2004) – so stellen diese Datenbanken Substitute insbesondere zu Paneldaten dar. Unternehmen, die sich auf das Management solcher Datenbanken z.B. im Rahmen von Loyalitätsprogrammen spezialisieren, treten damit in Konkurrenz zu etablierten Marktforschungsdienstleistern. • Online-Marktforschung ermöglicht es Marketing- oder internen Marktforschungsabteilungen kostengünstig Primärdaten zu erheben, auch wenn dieses Verfahren möglichen Verzerrungen ausgesetzt ist. Gerade kleinere ad-hoc-Projekte können so
Marcus Zimmer, Anne Scherer, Florian v. Wangenheim
238
in-house abgewickelt werden. Sollten sie dennoch an Institute vergeben werden, so steigt aber die Verhandlungsmacht der Kunden.
2.3
Internationalisierung der Märkte – Internationalisierung der Marktforschung
Internationalisierung und Globalisierung vollziehen sich bei Marktforschungsunternehmen sowohl auf der Seite der Kunden und deren Märkten, als auch auf dem eigenen Absatzmarkt, d.h. dem Markt für Marktforschungsdienstleistungen, wobei die Internationalisierung der Kunden und deren Absatzmärkte die treibende Kraft hinter der Internationalisierung von Marktforschungsunternehmen darstellt (vgl. Abbildung 1). In dem Maße, in dem die Kunden im Rahmen ihrer Internationalisierungsbestrebungen auf Marktwissen angewiesen sind, müssen sich auch Marktforscher zunehmend international positionieren.
Märkte der Kunden als Untersuchungsobjekte
MarktforschungsUnternehmen
Absatzmarkt (eigene Kunden)
Organisches Wachstum Treiber für Internationalisierung
Akquisitionen
- Kritische Größe - Skaleneffekte - Synergien
vergrößert
Netzwerke
Abbildung 1:
Treiber der Internationalisierung von Marktforschungsunternehmen
Da generisches Wachstum im aktuellen Umfeld nur schwer möglich ist, sind strategische Akquisitionen und die Bildung von internationalen Netzwerken eine häufig anzutreffende Variante. Global agierende Kundenunternehmen fordern häufig vom Marktforscher eine globale Präsenz. Zum einen wird damit auf die internationale Erfahrung in den jeweiligen Heimatmärkten gesetzt, zum anderen reduziert der Kunde damit Transaktionskosten (vgl. Williamson 1984), da der Koordinierungsaufwand für eine internationale Marktforschung dem Marktforschungsdienstleister übertragen wird.
Kundenintegration und Konfiguration in der Marktforschungsbranche
3 3.1.
239
Kundenintegration Grundlagen der Kundenintegration
Innerhalb der Literatur zur Kundenintegration lassen sich im wesentlichen zwei unterschiedliche Konzeptionen erkennen, die sich in Bezug auf die Rolle des Kunden während des Integrationsprozesses unterscheiden (siehe auch den Beitrag von Scherer/ Zimmer/v. Wangenheim in diesem Band) • Tritt der Kunde als (Co-)Innovator auf, so liegt sein generischer Beitrag in der (Mit-)Entwicklung einer neuen Wertschöpfungskette auf Basis einer innovativen Dienstleistungsidee oder der Verbesserung von Prozessen innerhalb einer neuen oder bestehenden Wertschöpfungskette (Prozessinnovation) (vgl. von Hippel 1986, 1994; Engelhardt 1999; Reichwald/Piller 2002, 2005). • Der Kunde als Wertschöpfungspartner hingegen bringt sich aktiv in den Leistungserstellungsprozess innerhalb einer bereits existierenden Wertschöpfungskette ein (value co-production) (vgl. Ramirez 1999; Etgar 2008), wobei sich eine gleichzeitige Aktivität als (Co-)Innovator hierbei nicht ausschließt. Aufgrund der allgemeinen Spezifika von Dienstleistungen weist die konkrete Rolle des Kunden innerhalb eines bestimmten Glieds der Wertschöpfungskette unterschiedliche Freiheitsgrade auf (vgl. Bettencourt 1997; Grün/Brunner 2002; Büttgen 2006). So ist die Spezifizierung der Leistung und aufgrund der Nicht-Speicherbarkeit von Dienstleistungen auch die Initiierung des Leistungserstellungsprozesses durch den Kunden unabdingbar. Was über diesen Pflichtbeitrag hinaus geht, die „Kür“ gewissermaßen, geschieht vor dem Hintergrund einer auf Kundenseite erstrebten Steigerung der Effizienz (durch Eigenbeitrag z.B. in Form von self-services bei Ticketautomaten oder beim online-Check-in) oder der Effektivität im Sinne einer Erhöhung der Dienstleistungsqualität (vgl. Dabholkar 1990; Kelley et al. 1990; Lengnick-Hall 1996; Meyer et al. 2000), beispielsweise durch einen Kernkompetenzvorteil des Kunden gegenüber dem Dienstleister auf einer bestimmten Stufe der Wertschöpfungskette. Dies kann beispielsweise durch das Einbringen zusätzlicher Informationen in den Marktforschungsprozess erfolgen. In der Literatur zur Motivation des Kunden zu integrativem Verhalten werden noch weitere Determinanten genannt (für einen Überblick siehe Büttgen 2006, S. 84). Da allerdings der Schwerpunkt bisheriger
Marcus Zimmer, Anne Scherer, Florian v. Wangenheim
240
Studien im B2C-Bereich liegt, sind die entsprechenden nachfrageseitigen Faktoren auf individuell-psychologischer Ebene angesiedelt (z.B. Spaß an Leistung, Selbstbestätigung, Freude an körperlicher Arbeit (vgl. Benapudi/Leone 2003, Auh et al. 2007, Büttgen 2007). Obwohl der Einfluss individueller Determinanten auf organisationale Kaufentscheidungsprozesse nicht vernachlässigt werden darf (vgl. Kohli 1987, Backhaus/Voeth 2007), beschränken wir uns hier auf die ökonomischen Beweggründe Effektivitäts- und Effizienzsteigerung. Kundenintegration in die Dienstleistung
Kunde als (Co-) Innovator
Kunde als Co-Produzent
Innovation
Wert
...
...
obligatorisch
...
fakultativ
EffizienzSteigerung
Abbildung 2:
3.2
EffektivitätsSteigerung
Konzeptioneller Rahmen zur Kundenintegration in die Dienstleistung
Kundenintegration bei Marktforschungsdienstleistungen
Die typische Wertschöpfungskette einer Marktforschungsdienstleistung besteht aus den Gliedern Anforderungsanalyse, Datensammlung, Datenverarbeitung und Datenanalyse. Marktforschungsunternehmen versuchen diese zunehmend um die profitablen Glieder Beratung und gegebenenfalls auch Umsetzung zu erweitern. Im Folgenden werden die einzelnen Prozessschritte beschrieben und Möglichkeiten der Kundenintegration aufgezeigt. • Anforderungsanalyse: In einem Briefing wird das zu lösende Marktforschungsproblem des Kunden diskutiert. Bei größeren Projekten werden zuvor verschiedene Marktforschungsdienstleister zu einem pitch eingeladen, bei dem sie ihre geplanten
Kundenintegration und Konfiguration in der Marktforschungsbranche
241
Lösungsansätze präsentieren. Der Beitrag des Kunden bei der Anforderungsanalyse ist sowohl bei Projekten, bei denen Primärdaten speziell für diese konkrete Fragestellung erhoben werden sollen, als auch bei Projekten auf Basis bestehender Paneldaten obligatorisch. Im ersten Fall startet der Kunde erst die Datensammlung; im zweiten Fall liegen zwar schon Daten vor, trotzdem ergeben sich erst aus der Anforderungsanalyse die notwendigen Details für die weiteren Prozessschritte. Auch wenn der Beitrag des Kunden obligatorisch ist, so entscheidet die Qualität dieses Beitrages maßgeblich über die Qualität der gesamten Marktforschungsdienstleistung: Je besser der Kunde das Problem definieren kann und je mehr Vorwissen er über den Untersuchungsgegenstand mitbringt, desto präziser wird die zu klärende Fragestellung sein. Das Risiko, dass die Untersuchung das Problem des Kunden nicht adäquat adressiert, kann somit durch den Kunden selbst reduziert werden (vgl. Kellogg et al. 1997; Etgar 2008). Damit tritt der Kunde in der Funktion als Qualitätssicherer auf (vgl. Bitner et al. 1997). • Datensammlung: Basierend auf der im ersten Schritt definierten Problemstellung organisiert das Marktforschungsunternehmen nun die Datensammlung. In vielen Fällen erhebt das Marktforschungsinstitut die Daten nicht selbst, sondern leitet diese Aufgabe an darauf spezialisierte Dienstleister, so genannte Feldinstitute weiter. Das ist meist dann der Fall, wenn persönliche (face-to-face) Interviews mit einer gewissen nationalen oder auch internationalen Abdeckung erforderlich sind, für die das Marktforschungsunternehmen keine Kapazitäten vorhalten kann, oder wenn bei Interviews bestimmte Kompetenzen benötigen werden (z.B. Sprachkenntnisse bei Marktforschung unter Immigranten, Branchenwissen bei B2B-Studien). Kunden können sich durch die Bereitstellung von Daten fakultativ in diesen Schritt der Wertschöpfungskette integrieren. Dabei kann es sich beispielsweise um Transaktionsdaten aus Kundendatenbanken handeln, für die der Kunde keine Analysekompetenz besitzt, oder um qualitative Daten aus Beschwerdebriefen bzw. -E-Mails, deren Auswertung zu langwierig ist. Durch diese (gegebenenfalls zusätzliche) Bereitstellung wird auch in diesem Fall die Effektivität der gesamten Dienstleistung erhöht, vor allem wenn es sich um Daten handelt, auf die das Marktforschungsunter-nehmen sonst keinen Zugang gehabt hätte. • Datenverarbeitung: In diesem Schritt werden die erhobenen Daten aufbereitet und zur Analyse vorbereitet. Dieser mitunter zeitaufwendige Schritt liegt im Kernkom-
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petenzbereich des Marktforschungsunternehmens; eine Integration des Kunden erscheint im Allgemeinen nicht sinnvoll. • Datenanalyse: Die aufbereiteten Rohdaten werden nun im Hinblick auf das Marktforschungsproblem analysiert. Zu diesem Schritt zählt auch die Aufbereitung der Ergebnisse in eine für den Kunden verwertbare Form. Kunden lassen sich fakultativ in diesen Wertschöpfungsprozess integrieren, indem ihnen die aufbereiteten Rohdaten in Form von Online- oder Offline-Datenbanken überreicht werden, mittels derer die Kunden eigene Analysen durchführen können. Vor allem im Bereich der Panelforschung ist diese Variante oft anzutreffen. Online-Datenbanken verfügen bisweilen über rudimentäre Analysetools wie Kreuztabellierungen, Filter- und Pivotisierungsfunktionen. Kunden nutzen diese Möglichkeit zur Effizienzsteigerung: Die Selbst-Analyse der erhobenen Daten ist kostengünstig und zeitsparend. Außerdem ist die schnelle Beantwortung mehrerer, eventuell auch erst nach der Anforderungsanalyse auftretender Fragestellungen möglich, sofern die Daten das zulassen. Dem Marktforschungsunternehmen sollte bewusst sein, dass mit der Übergabe einer solchen Datenbank oder eines entsprechenden Analysetools die Wertschöpfungskette für dieses Projekt zumeist beendet ist. • Beratung: Sollte mit der Übergabe der Marktforschungsergebnisse das Marketingproblem des Kunden nicht gelöst sein, werden üblicherweise Unternehmensberatungen mit der weitergehenden Bearbeitung der Fragestellung beauftragt. Viele größere Marktforschungsunternehmen sehen aber die Chance, dem Kunden Beratungsdienstleistungen auf Basis der von ihnen erhobenen Daten anbieten zu können. Das Marktforschungsunternehmen nimmt für sich einen Kompetenzvorsprung in Anspruch, der zugleich den Preis für die Beratungsdienstleistung rechtfertigen soll. Eine Integration des Kunden in diesen Prozess ist daher selten anzutreffen, da er die genannte Argumentationslinie durchkreuzt. • Umsetzung: Auch Beratungsunternehmen versuchen ihre Wertschöpfungskette auszubauen; auf Basis der Ergebnisse der Beratung soll dann die Umsetzung erfolgen (z.B. durch passende IT-Konzepte oder der gesamten Übernahme des ausgelagerten Geschäftsprozesses). Versuchen sich also Marktforscher als Berater zu positionieren, ist der nächste darauf aufbauende Schritt die Implementierung (z.B. eine optimierte regionale Vertriebssteuerung, s.u.). In dieser Phase muss der Kunde integriert werden, da eine solche Umsetzung einen Eingriff in den Prozessablauf oder
Kundenintegration und Konfiguration in der Marktforschungsbranche
243
die Organisationsstruktur des Kunden darstellt. Für eine erfolgreiche Umsetzung ist Anpassungsverhalten des Kunden erforderlich (compliance bzw. adaptivebehavior, vgl. Tuli et al. 2007).
3.3
Beispiel: GfK ConsumerScan Panelforschung
Die GfK ist mit einem Umsatz von 1,1 Mrd. Euro und über 10.000 Mitarbeitern weltweit (vgl. Geschäftsbericht der GfK-Gruppe 2007) das größte Marktforschungsunternehmen Deutschlands und Nummer vier in der Welt (vgl. Honomichl 2008). Die GfK sieht sich als „Fact-Based Consultancy“ (vgl. GfK Website). Ihr Geschäft hat die GfK in die Sektoren „Custom Research“ (vorwiegend der Verbraucher als Informationsquelle), „Retail und Technology“ (Handel als Informationsquelle) und „Media“ für medienspezifische Fragestellungen unterteilt. Für Marketingfragestellungen aus dem Bereich der schnelllebigen Konsumgüter (FMCG) bietet die GfK AG Paneldaten zu mehr als 300 Warengruppen an. Mehr als 25.000 Personen berichten monatlich über ihr Verbrauchsverhalten. Die Daten werden entweder per EAN-Code-Scanner oder durch Online/Offline-Tagebücher erfasst. Anforderungsanalyse
Datensammlung
Datenverarbeitung
Datenanalyse
Beratung
Umsetzung
Genaue Problem- und Fragestellung wird gemeinsam mit dem Kunden erarbeitet.
Bereitstellung unternehmensinterner Daten
aTRACKtive: Tool für Kunden zur Auswertung von Standard und Sonderanalysen von Paneldaten
Knowledge Management und DatenInterpretation mit Hilfe eines online Research Portals
Gemeinsame Lösungserarbeitung und Wissensgenerierung mit dem Kunden
obligatorisch
fakultativ Æ Effektivität
fakultativ Æ Effizienz
fakultativ Æ Effizienz
obligatorisch
Abbildung 3:
Mögliche Kundenintegration bei GfK Panel Research
Zum Projektbeginn wird zunächst die genaue Fragestellung mit dem Kunden erarbeitet (z.B. Marktanteile, Wiederkaufsraten, Erfolg von Marketingaktivitäten). Für das konkrete Projekt ist dieser Schritt für den Kunden obligatorisch: Auch wenn Paneldaten regelmäßig erhoben werden, hängt die Auswertungsstrategie vom konkreten Problem
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des Kunden ab (vorausgesetzt, das entsprechende Produkt ist Bestandteil des Panels). Auch wenn die primäre Datenquelle das Panel darstellt, kann ein Abgleich mit unternehmensinternen Daten (beispielsweise aus dem Vertrieb) zur Validierung der Paneldaten herangezogen werden und somit die Datenqualität erhöhen. Die GfK AG stellt ihren Kunden die hauseigenen Analysetools aTRACKtive (datenbankbasiertes Expertensystem) bzw. AnalyzeIT (webbasiertes Reportingtool mit Zugriff auf die Rohdaten) zur Verfügung, mit denen der Kunde praktisch den gleichen Zugang zu den Panelstammdaten hat wie die Mitarbeiter der GfK AG, d.h. die bisher vom Marktforschungsunternehmen geleistete Analysetätigkeit kann der Kunde bei Bedarf selbst übernehmen. Der Vorteil ist ein schnellerer und flexiblerer Zugriff auf die Daten und somit ein Effizienzvorteil für den Kunden Benötigt der Kunde Expertise bei der Bewertung der Daten, so stellt ihm die GfK AG ein Online Research Portal zur Verfügung. Ziel ist es dem Kunden zu ermöglichen, die aus den Daten gewonnen Informationen in einen Zusammenhang zu setzen (z.B. durch Benchmarking) und längerfristig als Knowledge-Datenbank zur Verfügung zu stellen. Auch hier hat der Kunde wieder die Wahl, Beratungsdienstleistungen in Anspruch zu nehmen oder sich die Expertise längerfristig selbst anzueignen. Als letzten Schritt bietet die GfK ihren Kunden auch Unterstützung bei der Umsetzung an, beispielsweise der Einführung von category management (Zusammenfassung verwandter Produkte zu gemeinsamen strategischen Geschäftseinheiten von Hersteller und Handel). Ein solch weitreichender Schritt erfordert allerdings obligatorisch die Mitarbeit des Kunden.
3.4
Beispiel: Vertriebsgebietsplanung GfK GeoMarketing
Die GfK GeoMarketing befasst sich mit der Erhebung, Analyse und Nutzung von marketingrelevanten Daten, die einen räumlichen Bezug besitzen. Typische Problemstellungen sind beispielsweise die Vertriebsgebiet- und Standortplanung oder die Optimierung von Direktmarketingaktivitäten. Soll beispielsweise die Vertriebsgebietsplanung optimiert werden, stellt die GfK GeoMarketing ein Sortiment aus Beratungsdienstleistungs-Bausteinen zur Verfügung, aus denen sich der Kunde je nach gewünschtem Eigenanteil die für ihn passende Beratung zusammenstellen kann. Gleich bei der Anforderungsanalyse kann der Kunde entschei-
Kundenintegration und Konfiguration in der Marktforschungsbranche
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den, ob er im Sinne einer Business Solution (vgl. Tuli et al. 2007) ein komplettes Beratungskonzept bevorzugt oder mittels Software Teile der Wertschöpfungskette selbst übernimmt. Anforderungsanalyse
Genaue Problem- und Fragestellung wird gemeinsam mit dem Kunden erarbeitet. Optionen: Beratung oder SW-basiert
obligatorisch
Abbildung 4:
Datensammlung
Datenverarbeitung
Datenanalyse
Beratung
Umsetzung
Verknüpfung unternehmensinterner (Vertriebs-) Daten und GfKDatenbanken
GFK-RegionGraph: Software zur Analyse von Absatzmärkten, Visualisierung
GFKDISTRICT: Software zur Vertriebsplanung und -steuerung
fakultativ Æ Effektivität
fakultativ Æ Effizienz
fakultativ Æ Effizienz
Mögliche Kundenintegration bei GfK GeoMarketing
Bei der Datensammlung kann der Kunde eigene Vertriebsdaten bereitstellen, die dann mit GfK-Daten verknüpft werden. Die Daten können anschließend entweder von GfKMitarbeitern oder mittels der Software GfK-RegioGraph analysiert werden. Ähnlich wie bei Paneldaten bietet diese Softwarelösung den Vorteil des schnellen und flexiblen Zugriffs (Effizienzerhöhung), bindet allerdings Ressourcen im Kundenunternehmen, z. B. durch Einarbeitungszeit in die Software. Gleiches gilt für die Software GfK-District, mit der sich auf Basis der RegioGraph-Daten die optimierte Vertriebsstruktur steuern lässt. Auch hier kann der Kunde zwischen der reinen Software-Lösung wählen, sich für die Bedienung der Software schulen lassen oder die Implementierung von GfK-Beratern vornehmen lassen.
3.5
Beispiel: Insight Express
Das US-amerikanische Marktforschungsunternehmen Insight Express, eine Ausgründung des TNS/NFO-Netzwerkes mit dem Schwerpunkt auf Erfolgsmessung von Marketingaktivitäten, verfolgt den Ansatz der Kundenintegration konsequent und wirbt damit bereits auf seiner Website (www.insightexpress.com).
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Abbildung 5:
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Selbstselektion bei Insight Express
Abhängig von der selbsteingeschätzten Marktforschungs-Expertise kann der Kunde zwischen vier verschiedenen Service-Levels wählen. Im Unterschied zu dem GfK-Beispiel übernimmt der Kunde hier nicht einzelne Elemente der Wertschöpfungskette oder ergänzt sie mit eigenen Beiträgen, sondern übernimmt die komplette Prozesskette je nach Service-Level in unterschiedlichem Ausmaß. Möglich ist die komplette Über-
Kundenintegration und Konfiguration in der Marktforschungsbranche
247
nahme durch den Kunden mittels Technologie, in diesem Fall mit Hilfe eines webbasierten Tools zur Gestaltung von Online-Umfragen (vgl. Meuter et al. 2000, 2005): • Extended Service: Insight Express entsendet Mitarbeiter in das Büro des Kunden (body-leasing), die dann komplett die Bearbeitung des Marktforschungsproblems übernehmen. Anstelle der Integration des Kunden in die Wertschöpfungskette des Anbieters wird in diesem Fall der Anbieter in die Prozesse des Kunden integriert. Insight Express übernimmt sogar Prozesse, bei denen der Beitrag des Kunden eigentlich obligatorisch ist (z.B. Anforderungsanalyse). • Full Service: Insight Express erbringt alle Elemente der Prozesskette. Der Beitrag des Kunden beschränkt sich auf obligatorische Beiträge (z.B. Anforderungsanalyse). Assisted Service: Der Kunde kann hier Online-Untersuchungen selbst gestalten, wird aber Schritt für Schritt von Insight Express begleitet. Dies gilt insbesondere für die Datenanalyse. Self Service: Insight Express stellt lediglich die Plattform für Online-Umfragen zur Verfügung, der Kunde übernimmt vollständig die Ausgestaltung der einzelnen Prozessschritte.
4 4.1
Konfiguration Grundlagen der Konfiguration
Die Konfiguration von Wertschöpfungsaktivitäten beschreibt die geographische Anordnung von einzelnen Elementen der Wertkette (vgl. Welge/Holtbrügge 2006). Es stehen zwei idealtypische Alternativen zur Verfügung (vgl. auch den Beitrag von Holtbrügge in diesem Band): Bei der vollständigen Konzentration wird eine bestimmte Aktivität nur an einem bestimmten Ort ausgeführt, während sie bei der vollständigen Streuung an jedem Ort erfolgt. In den meisten Fällen werden nachgelagerte, also kundennähere Aktivitäten stärker gestreut, während vorgelagerte meist konzentriert werden. Des Weiteren müssen Unternehmen im Falle der Streuung entscheiden, ob die Wertketten an jedem Standort vollständig (parallele Konfiguration) oder über mehrere Standorte verteilt ausgeführt werden (integrierte Konfiguration).
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Die geographische Streuung hat den Vorteil, sich flexibel an nationale Gegebenheiten anpassen zu können, verzichtet aber im Gegenzug auf Kostendegressionsvorteile. Welche Strategie sich als effizient erweist, hängt sowohl vom Marktumfeld als auch von der gesamten Unternehmensstrategie ab.
4.2
Konfiguration von internationalen Marktforschungsdienstleistungen
Wie bereits dargestellt, besitzen Märkte für Marktforschungsunternehmen eine Doppelfunktion: Einerseits sind sie Untersuchungsobjekte, anderseits werden sie von Marktforschern für den Absatz der eigenen und den Zukauf fremder Dienstleistungen benutzt. Durch die zunehmend global ausgerichteten Aktivitäten der Kundenunternehmen müssen auch Marktforschungsdienstleister international expandieren. Trotz Globalisierungstendenzen bleiben die untersuchten Märkte jedoch regional spezifisch. Da sich Erkenntnisse über einen Markt in Land A nur eingeschränkt auf Land B übertragen lassen, skaliert das Marktforschungsgeschäft nicht linear. Skaleneffekte beschränken sich im Wesentlichen auf Branchenkenntnisse, Prozesswissen und Methodenkompetenz. Darüber hinaus stellen Kunden von Marktforschungsunternehmen hohe Anforderungen an die Interaktionsqualität. Marktforschung ist ein „People’s Business“, d.h. die Kunden möchten gerne vor Ort persönlich betreut werden. Sind die Kunden auf mehreren internationalen Märkten tätig und koordinieren sie ihre Tätigkeiten vor Ort, so wird für ein mehrere Länder umfassendes Projekt auch die lokale Präsenz des Marktforschers erwartet. Um den Koordinationsaufwand für die Marktforschung und damit auch Transaktionskosten zu senken, übertragen Kundenunternehmen Großprojekte deshalb eher an größere Marktforschungsdienstleister, denen dann die Projektverantwortung obliegt. Für lukrative Aufträge gibt es „eine kritische Größe. Size matters!“, wie es ein leitender Manager der GfK AG ausdrückt. Marktforschungsunternehmen bewegen sich damit in einem Spannungsfeld: Die Kunden erwarten von ihnen internationale Tätigkeit und Projektkompetenz, aber auch lokales Marktwissen und persönlichen Kontakt vor Ort6. Marktforscher sind daher bestrebt, ihr geographisches Tätigungsfeld beständig auszubauen. Da die Möglichkeiten zum generischen Wachstum aufgrund des geringen Branchenwachstums von weltweit 6
Die GfK drückt ihre Kompetenz in diesem Spannungsfeld mittels des Claims „global expertise – local knowledge“ aus.
Kundenintegration und Konfiguration in der Marktforschungsbranche
249
real drei bis vier Prozent (vgl. Honomichl 2008) beschränkt sind, ergeben sich zwei Optionen: • Übernahmen und Zukäufe: Die Branche ist geprägt von regen M&A-Aktivitäten; die TOP-25 der Branche tätigten im Jahre 2007 durchschnittlich jeweils acht Übernahmen (vgl. Honomichl 2008). Das dafür benötigte Kapital stammt zumeist von Finanzinvestoren, die mittlerweile die größte Eigentümergruppe innerhalb der Branche darstellen. In der Mehrheit werden die großen Marktforscher von branchenfremden Führungskräften gemanagt (vgl. Honomichl 2008). • Bildung von Kooperationsnetzwerken: Um globale Präsenz gekoppelt mit lokaler Marktexpertise zu erzielen, schließen sich Marktforschungdienstleister zu Netzwerken zusammen. In diesen Kooperationsverbünden wird die Eigentumsstruktur nicht zwangsläufig verändert (vgl. Wigger-Spintig 2005), die Partner können selbständig bleiben. Diese Option ist vor allem für kleinere Marktforschungsunternehmen interessant, die dadurch in die Lage versetzt werden, grenzüberschreitende Aufträge zu realisieren, indem Wertaktivitäten in anderen Ländern durch Partnerinstitute innerhalb des Netzwerks geleistet werden. Bei beiden Optionen sind sowohl vertikale integrierte Strukturen, die aufeinanderfolgende Stufen der Wertschöpfungskette umfassen (Feldinstitute = Datensammlung Æ Marktforscher = Datenanalyse), als auch horizontale Zusammenschlüsse auf gleicher Stufe der Wertschöpfungskette anzutreffen. Horizontale Kooperationen bzw. Zukäufe dienen dem Zweck größerer regionaler Abdeckung oder zur Vergrößerung des Angebotsportfolios durch höhere Methodenexpertise oder Branchenkompetenz. So erfolgte beispielsweise die Übernahme der britischen NOP World durch die GfK Gruppe im Jahre 2005 vor allem mit dem Ziel, das Angebot in den Bereichen Konsumentenforschung, Automobil und Gesundheit auf den Märkten USA, Großbritannien und Italien zu erweitern, wo die GfK bisher nur schwach vertreten war (Geschäftsbericht der GfK Gruppe 2005). Das Management von solchen Netzwerken mit teilweise mehr als 100 Einzelunternehmen stellt Marktforschungsunternehmen – ob als Eigentümer oder Kooperationspartner – vor die Herausforderung, die Wertschöpfungsaktivitäten so zu konfigurieren, dass sowohl die vom Kunden geforderte geographische Nähe zu ihm selbst und zu den zu untersuchenden Märkten, als auch dass die eigentliche Wertschöpfung effizient ohne Überkapazitäten innerhalb der eigenen Gruppe gehalten werden kann.
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International agierende Marktforschungsunternehmen wählen daher zumeist die Strategie der Streuung mit integrierten Wertschöpfungsaktivitäten (vgl. Abb. 6). Sowohl nachgelagerte, kundennahe als auch vorgelagerte, „produzierende“ Wertaktivitäten (wie z.B. Datensammlung, -verarbeitung und -analyse) müssen jeweils vor Ort erfolgen. Eine Konzentration ist lediglich bei unterstützenden Aktivitäten denkbar. Auch wenn diese Strategie die von den Kunden geforderte Flexibilität ermöglicht, so kann sie nur in geringem Maße von Skalenvorteilen Gebrauch machen. Um trotzdem ihre operative Effizienz steigern zu können, müssen Marktforschungsunternehmen alternative Strategien einschlagen, beispielsweise die der Kundenintegration in den Wertschöpfungsprozess. Die Fähigkeit, Kunden erfolgreich zu integrieren, setzt aber zunächst die Fähigkeit voraus, die entsprechenden Wertaktivitäten effektiv zu allokalisieren (vgl. Jacob 2006).
Abbildung 6:
5
Grenzüberschreitende Konfiguration von Wertschöpfungsaktivitäten bei Marktforschungsunternehmen
Fazit
International agierende Marktforschungsdienstleister bewegen sich in einem anspruchsvollen Umfeld: Die Kunden verlangen globale Reichweite bei gleichzeitiger lokaler Präsenz, umfassendes Branchenwissen und eine ausgeprägte Interaktionsbereitschaft. Das Geschäftsmodell eröffnet wenig Spielraum für Skaleneffekte, das gerin-
Kundenintegration und Konfiguration in der Marktforschungsbranche
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ge Marktwachstum erschwert generisches Wachstum. Marktforschungsunternehmen sind auf die ressourcenaufwendige Streuung ihrer Wertaktivitäten angewiesen, deren Koordination durch komplexe Kooperationsnetzwerke zusätzlich erschwert wird. Vor allem die Branchenführer stehen durch ihre zumeist aus dem Finanzbereich stammenden Investoren zudem unter dem Druck der Rentabilitätssteigerung. Eine Möglichkeit, die operativen Margen zu erhöhen, ist die konsequente Integration des Kunden in den Wertschöpfungsprozess – als eine Produktivitätsressource, aber auch als Partner für gemeinsam erbrachten Mehrwert. Dadurch sind kundennähere Lösungen und langfristige stabile Partnerschaften möglich.
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Autorenverzeichnis
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Autorenverzeichnis Dr. Bernhard Amshoff, geb. 1958 studierte nach einer Ausbildung zum Rechtsanwalts- und Notargehilfen und einer mehrjährigen Tätigkeit bei der Aachener-Münchener Versicherung in Münster Wirtschaftswissenschaften an der Universität Essen. Im Anschluss daran war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter, Assistent und Lehrstuhlvertreter am Lehrstuhl für Unternehmensführung der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Dortmund tätig. Dort wurde er 1992 mit dem Thema „Controlling in deutschen Unternehmungen“ promoviert. Neben zahlreichen Dozentenaufträgen und Publikationen war er 1993 Mitbegründer der Beratungsunternehmen Schulungs- und Consulting Center GmbH (SCC) und 1995 der Dr. Amshoff & Partner Consulting GmbH (A&P). Im Jahre 2000 hat er die Aconsite AG mit den Geschäftsbereichen Versicherungen sowie Sozial- und Pflegemanagement durch Zusammenschluss der SCC und A&P gegründet, er führt das Unternehmen seit dem als Vorstand. Seit 2007 treibt er die Internationalisierung der Aconsite AG voran. Dipl.-Kfm. Stefan Heidenreich, geb. 1980, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für International Business der Wirtschaftsuniversität Wien. Als gelernter Bankkaufmann studierte er Betriebswirtschaftslehre an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und arbeitete dort als studentische Hilfskraft am Lehrstuhl für Internationales Management. Neben Praktika während des Studiums war er Stipendiat der Syrischen Regierung und absolvierte einen Sprachaufenthalt in Damaskus. Prof. Dr. Dirk Holtbrügge, geb. 1964, ist seit 2001 Inhaber des Lehrstuhls für Internationales Management an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Zuvor war er an der Universität Dortmund und der RWTH Aachen tätig. Er hat zahlreiche Forschungsaufenthalte und Gastprofessuren u.a. in China, Indien, Japan, Frankreich, Russland und den USA absolviert. Seine Hauptarbeitsgebiete sind Internationales Management, Personalmanagement sowie Management in Emerging Markets. Er ist Verfasser von acht Monographien, fünf Sammelbänden und mehr als 100 Aufsätzen in in- und ausländischen Zeitschriften (u.a. International Business Review, Journal of Business Ethics, Journal of East European Management Studies, Journal of International Business Studies, Journal of International Management, Management International Review, Thunderbird International Business Review) und Sammelbänden sowie MitD. Holtbrügge et al. (Hrsg.), Management internationaler Dienstleistungen mit 3K, DOI 10.1007/978-3-8349-9476-9,© Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009
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Autorenverzeichnis
glied verschiedener Editorial Boards internationaler Fachzeitschriften (u.a. Management International Review, Managementforschung und Zeitschrift für Management). Darüber hinaus ist er als Berater in- und ausländischer Unternehmen tätig und wirkt in mehreren MBA-Programmen mit. Er ist Gründer von Global Management Competence (www.gm-competence.de). Prof. Dr. Hartmut H. Holzmüller, Jahrgang 1955, Studium der Betriebswirtschaftslehre und Psychologie in Wien. Assistent, Assistenzprofessor und a.o. Universitätsprofessor an der Wirtschaftsuniversität Wien. Visiting Scholar am Baruch College, City University of New York. Gastprofessuren an der Darla Moore School of Management, University of South Carolina; Universität Hohenheim, Stuttgart; School of Business and Economics, Boise State University, Idaho; IECS Strasbourg, Université Robert Schumann und Université Nancy 2, Nancy. Seit 1998 Inhaber des Lehrstuhls für Marketing an der Technischen Universität Dortmund. Über 50 Beiträge in in- und ausländischen Fachzeitschriften (u.a. Journal oft the Academy of Marketing Science, Journal of International Marketing, International Marketing Review, Management International Review, International Business Review) und Sammelwerken, Autor und Herausgeber von Büchern (z.B. gemeinsam mit R. Buber, Qualitative Marktforschung, 2. Aufl., Gabler 2009), zahlreiche Präsentationen bei Internationalen Fachkonferenzen. Aktuelle Forschungsschwerpunkte: Technologieorientierte(s) Marktforschung und Marketing, Psychometrische Marketingfoschung, Interkulturelles Marketing, Kundenbeziehungsforschung. Dipl.-Kff. Julia Ingwald, gelernte Bauzeichnerin, studierte Wirtschaftswissenschaften mit den Schwerpunkten Marketing, Unternehmensführung, Controlling und Organisationspsychologie an der Universität Dortmund. Seit August 2006 ist sie wissenschaftliche Angestellte am Lehrstuhl für Marketing der Technischen Universität Dortmund und Mitarbeiterin im Forschungsprojekt 3K - Globale Strategien von Dienstleistungsunternehmen. Julia Ingwald ist weiterhin Dozentin an der Business and Information Technology School (BiTS) und Geschäftsführerin des Centrum für Unternehmensentwicklung e.V. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Koordinationsforschung internationaler Dienstleistungsunternehmen sowie im interkulturellen Marketing. Diplom-Informatiker Martin Köpke ist Mitglied der Leitung der Business Unit Information (BUI) bei der MATERNA GmbH und ist dort insbesondere für das europaweite Geschäft im Geschäftsbereich IT-Management (ITM) verantwortlich. Nach seinem Studium der Informatik und Betriebswirtschaft an der Technischen Universität
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Dortmund begann er 1985 bei der MATERNA GmbH in Dortmund. Seitdem übernahm er verschiedene Aufgabenbereiche in der Software-Entwicklung, Projektentwicklung, Projektleitung und Bereichsleitung. Seit 2000 verantwortet Martin Köpke als Prokurist die BU Information mit derzeit 900 Mitarbeitern in 10 europäischen Ländern und hat dort insbesondere in den letzten Jahren den Internationalisierungsprozess in Nord- und Osteuropa vorangetrieben. Neben seiner Tätigkeit bei der MATERNA GmbH ist Martin Köpke in einigen regionalen Initiativen der IT-Branche engagiert. Dipl.-Kff. Alexandra Nott studierte Wirtschaftswissenschaften mit den Schwerpunkten Marketing, Unternehmensführung und Controlling an der Universität Dortmund und an der Universidade do Algarve, Faro/Portugal. Sie war u. a. als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Marketing an der Universität Dortmund beschäftigt. Inzwischen ist sie für Hellweg Die Profi-Baumärkte GmbH & Co. KG. als Assistentin der Geschäftsführung sowie im Bereich Customer Relationship Management tätig. Dr. Thomas Lucht, geb. 1972, ist seit dem Jahr 2007 als Mitarbeiter im Ressort Consulting der Aconsite AG tätig. Im Rahmen dieser Tätigkeit ist er im In- und europäischen Ausland verantwortlich für die Leitung verschiedener Projekte in den Geschäftsbereich Human Resource Management, Geschäftsprozessmanagement sowie Controlling und Finanzen. Zuvor absolvierte er im Jahr 2000 erfolgreich das Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Universität Dortmund, ehe er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Personalführung und Organisation der FernUniversität Hagen wechselte. Neben verschiedenen Publikationen in den Forschungsfeldern des (Human) Performance Measurement und des (Führungs-)Controlling promovierte er dort Anfang 2007 zum Thema „Strategisches Human Resource Management“. Prof. Dr. Jonas F. Puck, geb. 1974, ist Professor für International Business am Institut für Außenhandel der Wirtschaftsuniversität Wien. Zuvor war er am Lehrstuhl für Internationales Management der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg tätig, wo er 2007 promovierte und 2009 habilitierte. Zudem war er Gastdozent an der University of New South Wales (Sydney, Australien) und der University of International Business and Education (Peking, China) und absolvierte Forschungsaufenthalte an zahlreichen internationalen Standorten. Seine Hauptarbeitsgebiete liegen in den Bereichen Internationaler Strategie und Organisation sowie im Internationalen Personalmanagement. Seine Arbeiten wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter der EIBA Fellows Research Award, der FHDW Forschungspreis und der Publikums-
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preis zum Ludwig-Erhard-Preis. Er ist Verfasser von vier Monographien und zahlreichen Beiträgen in Zeitschriften und Sammelbänden. Darüber hinaus ist er Gesellschafter und Mitgründer der Unternehmensberatung Global Management Competence und berät und trainiert Unternehmungen im Internationalisierungsprozess. Dipl.-Kffr. Anne Scherer, geb. 1983, studierte von 2003 bis 2008 Technologie- und Managementorientierte Betriebswirtschaftslehre an der Technischen Universität München mit den Schwerpunkten Marketing, Produktion und Logistik sowie einem technischen Fokus im Maschinenwesen. Von 2005 bis 2006 verbrachte sie ein Studienjahr an der Oklahoma State University in den USA. Seit 2008 ist Anne Scherer als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Dienstleistungs- und Technologiemarketing der Technischen Universität München tätig. Dipl.-Kfm. Tassilo Schuster, geb. 1981, ist seit 2007 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Internationales Management der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, an der er im Zeitraum 2002 bis 2007 sein betriebswirtschaftliches Studium absolvierte. In den Jahren 2005/2006 studierte er an der Faculté des Sciences Economiques de Montpellier, Frankreich, wo er sich verstärkt mit Themen zum Human and Social Capital Management von Professional Service Firms auseinandersetzte. Seit Aufnahme seiner Tätigkeit am Lehrstuhl widmet er sich dem Forschungsschwerpunkt Doing Business at the Bottom of the Pyramid. Prof. Dr. Florian v. Wangenheim ist Inhaber des Lehrstuhls für Dienstleistungs- und Technologiemarketing an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Technischen Universität München. Er studierte Betriebswirtschaftslehre und Sport an den Universitäten in Bayreuth und Barcelona. Im Jahr 2002 promovierte er an der Universität Mainz zum Thema „Weiterempfehlung und Kundenwert“. Von 2003 bis 2006 war er Juniorprofessor für Dienstleistungsmanagement an der Universität Dortmund. In Forschungsprojekten kooperiert er u.a. mit der Deutschen Bank AG, Deutsche Lufthansa AG, Daimler AG, SAP Deutschland GmbH sowie einer Vielzahl weiterer Unternehmen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Analytisches CRM, Customer Equity Management und Marketing für technologieintensive Produkte und Dienstleistungen. Dipl.-Hdl. Katja Wiedemann, geb. 1977, ist seit 2006 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Internationales Management der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, an der sie ihr Wirtschaftspädagogik-Studium absolvierte. In den
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Jahren 2003/2004 studierte sie an der Faculté des Sciences Economiques de Montpellier, Frankreich. Sie ist Verfasserin von mehreren Artikeln in Sammelbänden. Im Rahmen Ihrer Dissertation beschäftigt sie sich mit der Internationalisierung von Dienstleistungsunternehmungen, insbesondere mit der länderübergreifenden Konfiguration der Wertaktivitäten. Dipl.-Kfm. (Int.) Thorsten Wirth, geb. 1978, studierte bis 2005 Internationale Betriebswirtschaftslehre an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und der Universitad de Chile in Santiago de Chile. Nach dem Studium war er zunächst als Berater bei Siemens Management Consulting tätig, wechselte dann als Controller zur adidas AG nach Herzogenaurach und ist jetzt als Athlete Service Manager im Bereich Fußball bei dieser Unternehmung beschäftigt. Dipl.-Kfm. Dipl.-Psych. Marcus Zimmer studierte an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken und der Karlstads Universitet (Schweden) Betriebswirtschaftslehre und Psychologie. Zu Zeit ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Dienstleistungs- und Technologiemarketing der Technischen Universität München. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im B2B-Marketing, insbesondere im Bereich integrierter Kundenlösungen (Business Solutions). Er ist Mitarbeiter in den BMBF-Forschungsprojekten TRANSOLVE und 3K.