MedR
Schriftenreihe Medizinrecht
Herausgegeben von Professor Dr. Andreas Spickhoff, Regensburg
Petra Baltz
Lebenserhaltung als Haftungsgrund
1 C
Petra Baltz Kontakt über: Springer-Verlag Tiergartenstr. 17 69121 Heidelberg Deutschland
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ISSN 1431-1151 ISBN 978-3-642-12730-4 e-ISBN 978-3-642-12731-1 DOI 10.1007/978-3-642-12731-1 Springer Heidelberg Dordrecht London New York Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010 Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Einbandentwurf: WMXDesign GmbH, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem Papier Springer ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media (www.springer.com)
Meinen Eltern
Vorwort
Die vorliegende Arbeit ist die aktualisierte Fassung meiner Dissertation, die der Juristischen Fakultät der Universität Regensburg im Sommersemester 2009 vorlag. Nach Abgabe der Arbeit beschloss der Bundestag am 18.6.2009 das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts, durch das mit Wirkung zum 1.9.2009 u. a. das Rechtsinstitut der Patientenverfügung gesetzlich geregelt wurde. Die sich aus der neuen Gesetzeslage ergebenen Änderungen wurden eingearbeitet. Die vor dem 1.9.2009 bestehende Rechtslage wird daneben weiterhin dargestellt, da diese in der Rechtspraxis im haftungsrechtlichen Bereich angesichts der Dauer der Verfahren die nächsten Jahre maßgeblich sein wird. In den in der vorliegenden Arbeit erörterten Fällen lag zwischen dem zu beurteilenden Sachverhalt und der letztinstanzlichen Entscheidung teilweise ein knappes Jahrzehnt. Während der Entstehung der Arbeit habe ich vielfältige Unterstützung erfahren. Hierfür möchte ich allen Beteiligten – auch denjenigen, die im Folgenden nicht namentlich erwähnt werden – herzlich danken. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Andreas Spickhoff. Er hat das Thema angeregt und begleitete das Promotionsvorhaben mit Interesse. Die Gespräche mit ihm waren für mich stets bereichernd und motivierend. Herrn Prof. Dr. Jörg Fritsche danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens. Dankbar bin ich auch für die großzügigen Druckkostenzuschüsse, die mir durch die Johanna und Fritz Buch Gedächtnis-Stiftung sowie durch die Frauenbeauftragte der Juristischen Fakultät der Universität Regensburg gewährt wurden. Ich möchte mich herzlich bei Janina Habla, Raliza Koleva und Lena Schneider bedanken, die sich die Mühe des Korrekturlesens machten und mir damit sehr geholfen haben. Ferner danke ich Thomas Grune für sein Verständnis und für seine Unterstützung, insbesondere für das äußerst aufmerksame Lesen der gesamten Arbeit und die wertvollen Hinweise. Mein größter Dank gebührt meinen Eltern, die nicht müde wurden, mich auf jede erdenkliche Weise zu unterstützen. Kempten, im März 2010
Petra Baltz
Inhaltsverzeichnis
A. Einführung .......................................................................................................1 I. Der Gegenstand der Untersuchung .............................................................1 II. Der Gang der Untersuchung........................................................................2 B. Die strafrechtlichen Vorgaben zur Sterbehilfe..............................................5 I. Die verschiedenen Patientengruppen ..........................................................5 1. Sterbende ................................................................................................5 2. Patienten mit infauster Prognose und weit fortgeschrittener Erkrankung .............................................................................................5 3. Patienten mit schwersten zerebralen Schädigungen und anhaltender Bewusstlosigkeit .................................................................6 II. Die Formen der Sterbehilfe.........................................................................7 1. Die aktive Sterbehilfe .............................................................................7 2. Die indirekte Sterbehilfe.........................................................................7 3. Die passive Sterbehilfe und der tödliche Behandlungsabbruch............10 4. Die Beteiligung an einem Suizidgeschehen..........................................11 a) Die Beihilfe zum Suizid..................................................................11 aa) Abgrenzung zur Tötung in mittelbarer Täterschaft ..................11 bb) Abgrenzung zur Tötung auf Verlangen....................................13 b) Die strafrechtliche Beurteilung der unterlassenen Suizidverhinderung .........................................................................14 aa) Strafbarkeit wegen Tötung durch Unterlassen nach §§ 211 ff., 13 StGB ..................................................................14 bb) Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung gemäß § 323 c StGB ............................................................................17 C. Grundlagen der Haftung für medizinische Behandlung ............................21 I. Haftungsbegründende Verhaltensweisen des Arztes.................................21 II. Anspruchsgrundlagen im Arzthaftungsrecht.............................................21 1. Vertragliche Haftung ............................................................................22 2. Haftung aus Geschäftsführung ohne Auftrag .......................................22 a) Behandlungsfehler ..........................................................................23 b) Ärztliche Eigenmacht......................................................................23 3. Deliktische Haftung..............................................................................24 a) Die Körperverletzungsdoktrin der Rechtsprechung........................24 b) Das zivilrechtliche Schrifttum ........................................................24
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c) Das strafrechtliche Schrifttum ........................................................ 26 d) Sonderproblem: Unmittelbar und ausschließlich gesundheitsfördernde Behandlungen .............................................. 28 e) Stellungnahme ................................................................................ 30 aa) Die grundsätzliche Vorzugswürdigkeit der Körperverletzungsdoktrin ........................................................ 30 bb) Die Differenzierung zwischen unterschiedlichen medizinischen Maßnahmen...................................................... 32 cc) Kein Unterschied zwischen Schmerzensgeldanspruch und Geldentschädigungsanspruch hinsichtlich der Vererblichkeit .......................................................................... 41 III. Pflegehaftungsrecht................................................................................... 42 D. Die Entscheidung über die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen ... 43 I. Der einwilligungsfähige Patient................................................................ 43 1. Einwilligungsfähigkeit ......................................................................... 44 2. Die fortdauernde Geltung der Patientenentscheidung bei eintretender Bewusstlosigkeit............................................................... 45 II. Der nicht oder nicht mehr einwilligungsfähige Patient............................. 46 1. Die Patientenverfügung ........................................................................ 46 a) Begriff............................................................................................. 46 b) Voraussetzungen für eine wirksame Errichtung ............................. 47 c) Bindungswirkung............................................................................ 48 aa) Überblick über die herkömmliche Diskussion im Schrifttum .. 49 bb) Die Rechtsprechung: BGHZ 154, 205 ..................................... 52 cc) Stellungnahme unter Berücksichtigung weiterer Literatur....... 56 dd) Die Rechtslage nach In-Kraft-Treten des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts......................................... 65 2. Der Entscheidungsträger ...................................................................... 70 a) Der Entscheidungsträger beim volljährigen Patienten ohne Patientenverfügung ......................................................................... 70 aa) Der Betreuer............................................................................. 70 bb) Der Bevollmächtigte ................................................................ 77 cc) Der Entscheidungsträger im Eilfall .......................................... 77 b) Der Entscheidungsträger beim volljährigen Patienten mit Patientenverfügung ......................................................................... 80 aa) Die Diskussion vor In-Kraft-Treten des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts......................................... 80 bb) Die Rechtslage nach In-Kraft-Treten des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts......................................... 82 c) Der Entscheidungsträger beim minderjährigen Patienten............... 83 aa) Der niemals einwilligungsfähig gewesene minderjährige Patient ............................................................... 83 bb) Der bereits einwilligungsfähig gewesene minderjährige Patient ............................................................... 84
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3. Der Entscheidungsmaßstab...................................................................85 a) Das Kindeswohl als Maßstab für die Entscheidung der gesetzlichen Vertreter des Minderjährigen .....................................85 b) Der Entscheidungsmaßstab des Arztes ...........................................86 aa) Die Ermittlung des mutmaßlichen Willens ..............................86 bb) Die Berechtigung des Grundsatzes „in dubio pro vita“............88 cc) Ausschließlich objektive Interessenabwägung.........................91 c) Der Maßstab für die Entscheidung des Betreuers ...........................91 aa) Die gesetzlichen Vorgaben in § 1901 Abs. 2 und Abs. 3 BGB ..............................................................................92 bb) Der Entscheidungsmaßstab gemäß § 1901 a Abs 1 und Abs. 2 BGB ..............................................................................95 d) Der Maßstab für die Entscheidung des Bevollmächtigten ..............96 e) Der Maßstab für die Entscheidung des Gerichts.............................97 4. Die Bedeutung der dem Entscheidungsmaßstab nicht entsprechenden Vertreterentscheidung im Außenverhältnis.................97 a) Die Bedeutung der dem Willen des volljährigen Patienten nicht entsprechenden Vertreterentscheidung ..................................97 b) Die Wirksamkeit einer dem Kindeswohl widersprechenden Entscheidung...................................................................................99 5. Das Erfordernis einer gerichtlichen Genehmigung.............................100 a) Die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung der Betreuerentscheidung vor dem 1.9.2009.......................................100 aa) Die höchstrichterliche Rechtsprechung..................................100 bb) Die Rechtsnatur der gerichtlichen Genehmigung...................101 cc) Die Diskussion um das Erfordernis einer vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung ..........................102 dd) Das „Konfliktmodell“ ............................................................107 ee) Das Erfordernis einer gerichtlichen Genehmigung bei Ablehnung vital indizierter Behandlung ohne Beabsichtigung des Todeseintritts..........................................111 ff) Ergebnis .................................................................................113 b) Die betreuungsgerichtliche Genehmigung der Entscheidung des Betreuers gemäß § 1904 Abs. 2, Abs. 4 BGB ........................113 c) Die gerichtliche Genehmigung der Entscheidung des Bevollmächtigten ..........................................................................115 d) Keine gerichtliche Genehmigung der Entscheidung der sorgeberechtigten Eltern ...............................................................115 e) Das fehlende Genehmigungserfordernis bei Entscheidungen des Vormunds und des Ergänzungspflegers .................................116 f) Keine gerichtliche Genehmigung der Entscheidung des Arztes ...116 6. Die Konkurrenz zwischen Vertreterentscheidung und mutmaßlichem Willen ........................................................................117 a) Die Situation des volljährigen Patienten .......................................117 aa) Vorrang der Vertreterentscheidung ........................................117 bb) Freie Konkurrenz der Legitimationsgründe ...........................117
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cc) Stellungnahme........................................................................ 118 b) Die Situation des minderjährigen Patienten.................................. 119 7. Die Konkurrenz zwischen der Entscheidung des Gerichts nach § 1846 BGB und dem mutmaßlichen Patientenwillen........................ 122 III. Die Bedeutung von Patientenentscheidung, Vertreterentscheidung und mutmaßlichem Patientenwillen in den tatbestandlichen Strukturen ............................................................................................... 123 1. Körper- und Gesundheitsverletzung................................................... 123 2. Die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ...................... 123 3. Das Unterlassen lebenserhaltender Behandlung................................. 124 4. Vertrag................................................................................................ 126 E. Lebenserhaltung bei Sterbenden, unheilbar Kranken und anhaltend bewusstlosen Patienten................................................................................ 127 I. Die Vornahme lebensverlängernder Maßnahmen................................... 127 1. Lebensverlängernde Maßnahmen bei anhaltend bewusstlosen Patienten ............................................................................................. 127 a) Der Fall des Wachkomapatienten Peter K. ................................... 127 aa) Anspruchsgrundlagen............................................................. 129 bb) Behandlungsfehler ................................................................. 132 cc) Eigenmächtiges Handeln........................................................ 135 dd) Die Rechtswidrigkeit einer eigenmächtigen Behandlung ...... 143 ee) Verschulden ........................................................................... 150 ff) Anspruchsumfang .................................................................. 155 gg) Ergebnis ................................................................................. 165 b) Der minderjährige Wachkomapatient ........................................... 165 aa) Die am Kindeswohl ausgerichtete Entscheidung der gesetzlichen Vertreter ............................................................ 166 bb) Die ausschließlich objektive Interessenabwägung ................. 168 cc) Ergebnis ................................................................................. 169 2. Lebensverlängernde Maßnahmen bei Sterbenden und unheilbar Kranken .............................................................................................. 169 a) Behandlungsfehler ........................................................................ 170 b) Ärztliche Eigenmacht ................................................................... 171 c) Verschulden .................................................................................. 172 d) Anspruchsumfang ......................................................................... 173 aa) Materieller Schaden ............................................................... 173 bb) Immaterieller Schaden ........................................................... 173 II. Die Verweigerung indirekter Sterbehilfe ................................................ 174 III. Die Verweigerung der Beihilfe zum Suizid ............................................ 175 1. Ansprüche gegen den behandelnden Arzt .......................................... 176 2. Ansprüche aus einem Vertrag über Suizidhilfe .................................. 178 a) Vertraglicher Schadensersatzanspruch ......................................... 178 aa) Wirksamkeit eines Suizidhilfevertrags................................... 179 bb) Vertragliche Pflichtverletzung ............................................... 185
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cc) Sonstige Voraussetzungen des vertraglichen Schadensersatzanspruchs .......................................................186 dd) Anspruchsumfang ..................................................................186 b) Deliktsrechtlicher Schadensersatzanspruch ..................................188 IV. Die Verweigerung aktiver Sterbehilfe.....................................................188 F. Die lebensrettende Bluttransfusion ohne die Einwilligung des heilungsfähigen Patienten ...........................................................................189 I. Der Sachverhalt im Fall OLG München NJW-RR 2002, S. 811 ff.........190 II. Schadensersatzansprüche wegen eigenmächtiger Bluttransfusion..........191 1. Überblick über die Anspruchsgrundlagen ..........................................191 2. Die Eigenmächtigkeit der Bluttransfusion..........................................191 a) Die aktuelle Einwilligungsverweigerung durch den einsichtsfähigen Patienten.............................................................192 b) Das Fehlen einer aktuellen Erklärung des einsichtsfähigen Patienten .......................................................................................192 aa) Die Anforderungen an das Vorliegen einer aktuellen Einwilligungsverweigerung und deren Abgrenzung von einer Patientenverfügung........................................................192 bb) Die Zulässigkeit einer Bluttransfusion beim Fehlen einer aktuellen, bindenden Erklärung des einsichtsfähigen Patienten.................................................................................195 3. Die Rechtswidrigkeit der eigenmächtigen Bluttransfusion ................202 a) Die ärztliche Gewissensentscheidung ...........................................202 b) Der rechtfertigende Notstand gemäß § 34 StGB...........................204 c) Die rechtfertigende Pflichtenkollision ..........................................205 4. Verschulden........................................................................................206 a) Rechtsirrtum..................................................................................206 aa) Rechtsirrtum im Fall einer aktuellen, bindenden Einwilligungsverweigerung des einsichtsfähigen Patienten.................................................................................207 bb) Rechtsirrtum beim Fehlen einer aktuellen, bindenden Einwilligungsverweigerung des einsichtsfähigen Patienten.................................................................................207 b) Der entschuldigende Notstand gemäß § 35 StGB.........................208 c) Der übergesetzliche entschuldigende Notstand.............................209 d) Die Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens............................209 5. Anspruchsumfang...............................................................................211 a) Materieller Schadensersatz ...........................................................211 b) Immaterieller Schadensersatz .......................................................212 aa) Die besonderen Voraussetzungen für einen Geldentschädigungsanspruch wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts .........................................212 bb) Immaterieller Schaden ...........................................................213 cc) Das Mitverschulden der Zeugin Jehovas................................214 dd) Vorteilsausgleichung..............................................................215
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6. Subsidiäre Haftung anstelle der wegen Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens entfallenen Haftung .................................. 217 7. Ergebnis.............................................................................................. 219 III. Ansprüche wegen der unterlassenen Ablieferung der Vorsorgevollmacht............................................................................ 220 G. Die Rettung des Suizidenten ....................................................................... 223 I. Die anwendbaren Vorschriften ............................................................... 223 II. Anspruch aus unberechtigter Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß § 678 BGB................................................................................... 224 1. Ohne Auftrag oder sonstige Berechtigung ......................................... 224 2. Unberechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag .................................. 225 a) Keine direkte Anwendung von § 679 BGB .................................. 226 b) Analoge Anwendung des § 679 BGB........................................... 226 c) Unbeachtlichkeit des entgegenstehenden Geschäftsherrenwillens nach §§ 134, 138 Abs. 1 BGB ................ 227 d) Unbeachtlichkeit des Suizidentenwillens nach Larenz ................. 227 e) Die Ansicht Wollschlägers ........................................................... 227 f) Die differenzierende Auffassung .................................................. 228 g) Unbeachtlichkeit des entgegenstehenden Willens aufgrund der strafrechtlichen Hilfeleistungspflicht...................................... 230 h) Abschließende Stellungnahme...................................................... 232 3. Die Rechtswidrigkeit der Suizidverhinderung.................................... 233 a) Anwendung von Rechtfertigungsgründen im Rahmen des § 678 BGB .................................................................................... 233 b) Rechtfertigung wegen der strafrechtlichen Hilfeleistungspflicht des Retters ................................................... 234 c) Gewohnheitsrechtlicher Rechtfertigungsgrund............................. 235 d) Rechtfertigung nach § 34 StGB .................................................... 236 4. Übernahmeverschulden ...................................................................... 238 a) Verschuldensform und Gegenstand des Verschuldens ................. 238 b) Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens .................................. 239 5. Anspruchsumfang............................................................................... 239 a) Ersatz des materiellen Schadens ................................................... 240 b) Ersatz des immateriellen Schadens............................................... 240 6. Ergebnis.............................................................................................. 241 III. Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB ............................................................ 241 1. Die verletzten Rechtsgüter ................................................................. 241 2. Rechtswidrigkeit................................................................................. 244 a) Rechtswidrigkeit des Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht...................................................................... 244 b) Rechtfertigungsgründe.................................................................. 245 3. Verschulden........................................................................................ 245 a) Vorsatz oder Fahrlässigkeit bzw. grobe Fahrlässigkeit................. 245 b) Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens .................................. 246
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4. Anspruchsumfang ............................................................................... 247 5. Ergebnis .............................................................................................. 247 IV. Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB ............................................................ 247 1. Verstoß gegen ein Schutzgesetz ......................................................... 248 a) Tatbestandliche Verletzung eines Schutzgesetzes ........................ 248 b) Rechtswidrigkeit ........................................................................... 248 aa) Rechtfertigungsgründe ........................................................... 248 bb) Verwerflichkeitsprüfung gemäß § 240 Abs. 2 StGB .............. 249 c) Verschulden .................................................................................. 249 aa) Irrtum über rechtfertigende Umstände ................................... 250 bb) Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens ............................ 252 2. Anspruchsumfang ............................................................................... 252 3. Ergebnis .............................................................................................. 252 V. Subsidiäre Haftung anstelle der wegen Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens entfallenen Haftung ....................................... 252 H. Schlussbetrachtungen .................................................................................. 255 I. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse .................................... 255 II. Ausblick .................................................................................................. 265 Literaturverzeichnis .......................................................................................... 269 Sachverzeichnis .................................................................................................. 295
A. Einführung
I. Der Gegenstand der Untersuchung Lebenserhaltung ist in erster Linie ein positiv besetzter Begriff. Deshalb mag die Frage, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen das Erhalten menschlichen Lebens eine haftungsbegründende Verhaltensweise ist, zunächst befremden. Sie wird erst verständlich, wenn das Augenmerk auf die Fälle gelenkt wird, in denen Menschen eine Erhaltung ihres Lebens nicht wünschen. So geschieht es, dass schwer kranke oder schwer verletzte Patienten lebensverlängernde Maßnahmen ablehnen, weil sie im Zustand schwerster körperlicher oder geistiger Schädigung nicht mit den Mitteln der modernen Medizin- und Pflegetechnik am Leben erhalten werden wollen. Neben den Patienten, die aufgrund eines schweren Leidens sterben möchten, lehnen bisweilen auch Menschen, die nicht unheilbar krank sind, lebenserhaltende Behandlungen ab. Zu denken ist insbesondere an Patienten, die aus religiösen Gründen die Einwilligung in eine bestimmte medizinische Maßnahme verweigern, oder an Menschen, die ihrem Leben – aus welchen Gründen auch immer – mittels Selbsttötung gezielt ein Ende setzen wollen. Die rechtlichen Fragen, die mit der Ablehnung lebenserhaltender Behandlung und dem Wunsch zu sterben verbunden sind, stoßen sowohl in der Öffentlichkeit als auch im rechtswissenschaftlichen Schrifttum auf großes Interesse. Dies gilt insbesondere dann, wenn es um die Sterbewünsche schwer kranker Patienten geht. Die Diskussion um die Zulässigkeit der verschiedenen Formen der Sterbehilfe, die jahrelange Debatte um die rechtliche Bedeutung von Patientenverfügungen und die gesetzgeberischen Anstrengungen zur Regelung der Patientenverfügung zeugen von dem Bedürfnis, kranken Menschen ein selbstbestimmtes Sterben zu ermöglichen. Gleichwohl wird in den Fällen, in denen Menschen lebenserhaltende Maßnahmen ablehnen, in der Rechtspraxis und in der Rechtswissenschaft bislang vor allem danach gefragt, welche rechtlichen Konsequenzen derjenige, der das Leben des anderen nicht erhält, zu erwarten hat. Üblicherweise wird also geprüft, ob der Arzt, der einen schwer kranken Patienten sterben lässt oder einem Zeugen Jehovas die lebensrettende Bluttransfusion nicht verabreicht, ein Tötungsdelikt begeht und ob derjenige, der nach einem Suizidversuch nicht eingreift, sich wegen Tötung durch Unterlassen bzw. unterlassener Hilfeleistung strafbar macht. Erst in neuerer Zeit mussten sich Gerichte mit der Frage befassen, welche rechtlichen Folgen an das gegenteilige Verhalten, d. h. an die Erhaltung des Lebens, geknüpft sind. Soweit ersichtlich, wurden in Deutschland bislang in zwei gerichtlichen Verfahren Schadensersatzansprüche wegen einer lebenserhaltenden Behandlung geltend gemacht. In einem Fall verlangte eine Zeugin Jehovas wegen
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A. Einführung
der Durchführung lebensrettender Bluttransfusionen immateriellen Schadensersatz.1 In dem anderen Fall ging es um den Schadensersatzanspruch eines Komapatienten wegen der Fortführung einer künstlichen Ernährung.2 Diese Verfahren geben Anlass, sich mit den haftungsrechtlichen Folgen lebenserhaltender Verhaltensweisen auseinanderzusetzen. In der vorliegenden Arbeit wird auf Grundlage der geltenden Rechtslage untersucht, inwieweit derjenige, dessen Tod einstweilig verhindert wurde, Schadensersatzansprüche wegen der Erhaltung seines Lebens hat. Ausgespart wird hierbei die Prüfung solcher Ansprüche, die wegen der Erhaltung vorgeburtlichen Lebens erhoben werden. Die hiermit verbundenen besonderen Probleme sind unter den Stichworten „wrongful life“ bzw. „wrongful birth“ im Schrifttum bereits vertieft erörtert worden.3 Gegenstand dieser Arbeit ist auch nicht die Frage, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen medizinische Zwangsbehandlungen im Rahmen einer Unterbringung oder während des Strafvollzugs haftungsbegründend sind. Diese Problematiken unterscheiden sich nämlich von den bereits angesprochenen Fällen insofern grundlegend, als sie einen starken öffentlich-rechtlichen Bezug aufweisen und weniger eine Frage des zivilen Haftungsrechts sind.4
II. Der Gang der Untersuchung Im Rahmen dieser Arbeit wird zunächst erläutert, welche strafrechtlichen Vorgaben im Hinblick auf die Erhaltung des Lebens bestehen. Soweit nämlich das verfassungsgemäße Strafrecht die Lebenserhaltung gebietet oder lebensverkürzende Maßnahmen verbietet, kann angesichts der Einheit der Rechtsordnung die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen und das Unterlassen lebensverkürzender Maßnahmen zivilrechtlich keine Haftung begründen.5 Zu Beginn der zivilrechtlichen Ausführungen wird die Haftung für medizinische Behandlungen in Grundzügen dargestellt, um aufzuzeigen, welche Anspruchsgrundlagen für das Schadensersatzbegehren des am Leben erhaltenen Patienten in Betracht kommen. Anschließend wird untersucht, wer die Entscheidung 1 2 3
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OLG München NJW-RR 2002, 811 ff. = MedR 2003, 174 ff.; Vorinstanz: LG München I, Urteil vom 24.6.1998, Az. 9 O 13096/95 (unveröffentlicht). OLG München GesR 2006, 524 ff. = MittBayNot 2006, 424 ff.; Vorinstanz: LG Traunstein PflR 2006, 390 ff. Siehe etwa Junker, Pflichtverletzung, Kindesexistenz und Schadensersatz; Picker, Schadensersatz für das unerwünschte eigene Leben; Reinhart, Familienplanungsschaden – Wrongful birth; Winter, „Bébé préjudice“ und „Kind als Schaden“. Während der Begriff „wrongful life“ üblicherweise auf den eigenen Anspruch des am Leben erhaltenen Kindes bezogen wird, werden die Ansprüche der Eltern mit dem Terminus „wrongful birth“ gekennzeichnet (siehe hierzu etwa Picker, Schadensersatz für das unerwünschte eigene Leben, S. 5, insbesondere Fn. 7). Siehe hierzu Heide, Zwangsbehandlung. Zum Hungerstreik siehe die Habilitationsschrift von Ostendorf, Das Recht zum Hungerstreik. Zur Zwangsernährung von magersüchtigen Patienten siehe Thiel/Paul, Psychother Psych Med 2007 (57), S. 128 ff. Höfling/Rixen, JZ 2003, 884, 891 f.
II. Der Gang der Untersuchung
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über die Vornahme oder Nichtvornahme einer lebenserhaltenden Maßnahme zu treffen hat, welche Anforderungen an die Wirksamkeit einer solchen Entscheidung zu stellen sind und welche Bedeutung eine wirksame Entscheidung für die Rechtmäßigkeit des ärztlichen bzw. pflegerischen Verhaltens hat. Danach wird anhand konkreter Fallkonstellationen geprüft, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen Schadensersatzansprüche wegen Lebenserhaltung und Lebensrettung bestehen können. Hierbei wird insbesondere auf schwer kranke Menschen, auf Patienten, die aus religiösen Gründen eine Behandlung ablehnen, und auf Personen, die einen Suizidversuch begehen, eingegangen. Vorrangig wird nach der Haftung des unmittelbar handelnden Arztes gefragt, da hinsichtlich der Haftung übergeordneter Personen im Zusammenhang mit lebenserhaltenden Verhaltensweisen keine spezifischen Schwierigkeiten auftreten.
B. Die strafrechtlichen Vorgaben zur Sterbehilfe
Im Folgenden werden die verschiedenen Formen der Sterbehilfe und deren strafrechtliche Bewertung dargestellt. Wie bereits erwähnt wurde, ist das Strafrecht für die zivilrechtliche Haftung insofern von Bedeutung, als es keine zivilrechtlichen Ansprüche auf strafrechtlich verbotenes Verhalten gibt. Da es für die strafrechtliche Beurteilung entscheidend sein kann, wie nah der Patient dem Tod ist und unter welcher Art von Krankheit er leidet, werden zunächst die rechtlich relevanten Patientengruppen erläutert.
I. Die verschiedenen Patientengruppen 1. Sterbende Eine Patientengruppe sind die Sterbenden. Die Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung definieren den Sterbenden als einen „Kranken oder Verletzten mit irreversiblem Versagen einer oder mehrerer vitaler Funktionen, bei denen der Eintritt des Todes in kurzer Zeit zu erwarten ist“.1 2. Patienten mit infauster Prognose und weit fortgeschrittener Erkrankung In den Grundsätzen der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung wird ferner die Fallgruppe der Patienten mit infauster Prognose und weit fortgeschrittener Erkrankung genannt. Dies sind „Patienten, die sich zwar noch nicht im Sterben befinden, aber nach ärztlicher Erkenntnis aller Voraussicht nach in absehbarer Zeit sterben werden, weil die Krankheit weit fortgeschritten ist“.2 Man spricht auch von tödlich Kranken.3
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Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung, DÄBl 2004, A 1298. Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung, DÄBl 2004, A 1298. Vgl. etwa Roxin, in Roxin/Schroth, Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 313, 325.
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B. Die strafrechtlichen Vorgaben zur Sterbehilfe
3. Patienten mit schwersten zerebralen Schädigungen und anhaltender Bewusstlosigkeit Von Sterbenden und tödlich Kranken sind nach den Grundsätzen der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung „Patienten mit schwersten zerebralen Schädigungen und anhaltender Bewusstlosigkeit“ zu unterscheiden.4 Damit meint die Bundesärztekammer in erster Linie Patienten mit apallischem Syndrom, also Wachkomapatienten.5 Das apallische Syndrom wird auch als „persistent vegetative state“ bezeichnet.6 In der anglo-amerikanischen Literatur wird im Fall der Irreversibilität auch von „permanent vegetative state“ gesprochen.7 Das apallische Syndrom ist ein neurologisches Krankheitsbild, das durch schwere Hirnfunktionsstörungen verursacht wird. Diesen Patienten fehlt nach dem Stand der Wissenschaft jede bewusste Wahrnehmungsfähigkeit einschließlich der Fähigkeit zur bewussten Schmerzempfindung.8 Wachkomapatienten können sich nicht äußern und sind nicht ansprechbar. Wachkomapatienten weisen einen Schlaf-Wach-Rhythmus auf, so dass sie zeitweilig wach sind und die Augen geöffnet haben.9 Auch sind bei diesen Patienten vegetative Funktionen, wie Temperatur-, Kreislauf- und Atemregulation, so weit erhalten, dass ein jahrelanges Überleben mit ärztlicher und pflegerischer Unterstützung möglich ist.10 In der medizinischen Literatur wird herkömmlich davon ausgegangen, dass ein apallisches Syndrom als irreversibel angesehen werden muss, wenn es zwölf Monate nach einer traumatischen zerebralen Läsion oder drei Monate nach einer akuten nichttraumatischen zerebralen Läsion besteht.11 Andere weisen allerdings darauf hin, dass es ganz unterschiedliche Ausprägungen des apallischen Syndroms gebe und dass durch früh einsetzende Therapieverfahren oftmals eine Besserung des Zustands erreicht werden könne. Häufig könne zumindest eine Ja-Nein-Kommunikation erzielt werden.12 In neuerer Zeit wurden in medizinischen Fachzeit4 5
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Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung, DÄBl 2004, A 1298, A 1299. Werden die schwersten zerebralen Schädigungen und die anhaltende Bewusstlosigkeit nicht als kumulative Voraussetzungen verstanden, könnten dem apallischen Syndrom andere schwerste zerebrale Defektzustände, wie etwa eine Alzheimererkrankung mit Erloschensein der Kommunikationsfähigkeit, gleichgestellt werden. Vgl. Deutsche Gesellschaft für Chirurgie, Leitlinie zum Umfang und zur Begrenzung der ärztlichen Behandlungspflicht in der Chirurgie, IV. 3., abgedruckt in Staudinger/Hager, § 823 Rn. I 15. Nacimiento, DÄBl 1997, A-661, A-662. Klein, intensiv 2000, 63. The Multi-Society Task Force on PVS, NEJM 1994, 1499. Kritisch zum fehlenden Schmerzempfinden Klein, intensiv 2000, 63, 64 f. The Multi-Society Task Force on PVS, NEJM 1994, 1499; Nacimiento, in: Höfling, Wachkoma, S. 29, 30. Höfling/Rixen, JZ 2003, 884. The Multi-Society Task Force on PVS, NEJM 1994, 1572 ff.; Nacimiento, DÄBl 1997, A-661, A-664. Zieger, in: Höfling, Wachkoma, S. 49, 59 ff. Vgl. auch Enquete-Kommission, BTDrucksache 15/3700, S. 38.
II. Die Formen der Sterbehilfe
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schriften Fälle von Wachkomapatienten berichtet, die nach der Gabe des Schlafmittelwirkstoffs Zolpidem durch eine so genannte paradoxe Reaktion vorübergehend kommunikationsfähig geworden sind.13 Selbst wenn es sich bei diesen Fällen um Fehldiagnosen handeln sollte, zeigt es jedenfalls, dass das apallische Syndrom noch nicht hinlänglich erforscht ist.
II. Die Formen der Sterbehilfe 1. Die aktive Sterbehilfe Unter aktiver Sterbehilfe wird die gezielte Tötung oder die gezielte Beschleunigung des Todeseintritts durch aktives Tun verstanden.14 Aktive Sterbehilfe ist nach ganz herrschender Meinung strafbar, und zwar gemäß § 216 StGB auch dann, wenn der Patient seine Tötung ernsthaft verlangt.15 Ohne Belang ist, wie nah der Patient dem Tod ist, d. h. auch die nur geringfügige Lebensverkürzung ist strafbare aktive Sterbehilfe.16 Vor allem in der strafrechtlichen Literatur wird darüber gestritten, ob das Abschalten eines Behandlungsapparates, z. B. eines Beatmungsgerätes, als aktives Tun zu werten ist. Zwar ist das Herausziehen des Steckers oder der Druck auf den Schaltknopf ein Tun, dennoch wird nach heute überwiegender und zutreffender Meinung das Abschalten eines Behandlungsapparates als Unterlassen beurteilt, weil sich der Vorgang nach seiner sozialen Bedeutung als eine Einstellung der Behandlung und damit als ein Unterlassen weiterer Tätigkeit darstellt.17 Der so genannte technische Behandlungsabbruch ist somit keine aktive Sterbehilfe. Auch die Gegenauffassung, die das Abschalten des Gerätes als aktives Tun begreift, gelangt im Ergebnis mit unterschiedlichen Begründungen zur Straflosigkeit.18 2. Die indirekte Sterbehilfe Von indirekter Sterbehilfe wird gesprochen, wenn bei einem Patienten ärztliche Maßnahmen, insbesondere solche zur Schmerzlinderung, vorgenommen werden, die als unbeabsichtigte, aber unvermeidbare Nebenfolge den Eintritt des Todes beschleunigen.19 Die indirekte Sterbehilfe wird im Grundsatz allgemein als zulässig angesehen, sofern sie dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Patienten ent13 14 15 16 17 18 19
Clauss/Nel, Neurorehabilitation 2006, 23 ff. Fischer, Vor § 211 Rn. 17. Schönke/Schröder/Eser, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 24 f.; Fischer, Vor § 211 Rn. 17; LK/Jähnke, Vor § 211 Rn. 14. Fischer, Vor § 211 Rn. 17. Roxin, in: Roxin/Schroth, Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 313, 331; a. A. Fischer, Vor § 211 Rn. 20 m. w. N. Vgl. hierzu Schönke/Schröder/Eser, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 32 m. w. N. BGHSt 46, 279, 284 f.
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B. Die strafrechtlichen Vorgaben zur Sterbehilfe
spricht.20 Nach zutreffender Ansicht sollte indirekte Sterbehilfe nicht nur zur Bekämpfung von Schmerzen, sondern auch zur Behandlung von sonstigen schweren Leidenszuständen, wie z. B. Atemnot mit Erstickungsangst, eingesetzt werden dürfen.21 Unklar ist allerdings, ab welchem Zeitpunkt im Krankheitsverlauf die indirekte Sterbehilfe erlaubt ist. In einer ersten Entscheidung zur indirekten Sterbehilfe hatte sich der Bundesgerichtshof lediglich für die Zulässigkeit der indirekten Sterbehilfe bei einem Sterbenden ausgesprochen22 und auch die „Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung“ erwähnen die indirekte Sterbehilfe nur im Zusammenhang mit sterbenden Patienten23. Ein Bedürfnis nach einer intensiven palliativ-medizinischen Behandlung kann aber auch bereits vor Beginn des eigentlichen Sterbevorgangs entstehen. Bei unheilbaren Krebserkrankungen etwa können unzumutbare Schmerzen auch vor der eigentlichen Sterbephase auftreten. Es erscheint geboten, dass ein Patient in solchen Fällen auch dann eine wirksame Schmerztherapie erhalten darf, wenn mit der Behandlung die Gefahr der Lebensverkürzung verbunden ist. Indirekte Sterbehilfe sollte daher auch bei tödlich Kranken zulässig sein.24 Ferner ist streitig, welche Vorsatzform Voraussetzung für eine zulässige indirekte Sterbehilfe ist. Nach verbreiteter Auffassung handelt nur der Arzt rechtmäßig, der eine Lebensverkürzung lediglich für möglich hält und damit Eventualvorsatz aufweist.25 Nach anderer Ansicht ist auch dann eine zulässige indirekte Sterbehilfe gegeben, wenn eine Lebensverkürzung von vornherein feststeht, der Arzt also mit direktem Vorsatz zweiten Grades handelt.26 Die Abgrenzung zu aktiver Sterbehilfe erfolgt dann anhand des Motivs: Ist das Motiv Leidensminderung, liegt ein Fall erlaubter indirekter Sterbehilfe vor. Ist der Tod des Patienten beabsichtigt, handelt es sich um strafbare aktive Sterbehilfe. Die praktische Bedeutung des Meinungsstreits ist recht gering, da bei neueren Schmerzmitteln kaum noch zu befürchten ist, dass sie als Nebeneffekt das Leben verkürzen.27 Daher wird in den seltensten Fällen eine mit der Therapie verbundene Lebensverkürzung aus Sicht des Arztes feststehen. Wenn aber im Einzelfall eine wirksame Bekämpfung uner20 21 22 23 24
25 26 27
BGHSt 42, 301 ff.; BGHSt 46, 279, 284 f. Zur dogmatischen Begründung der Straflosigkeit siehe Schönke/Schröder/Eser, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 26. Roxin, in: Roxin/Schroth, Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 313, 326; Schöch/ Verrel, GA 2005, 553, 575; Verrel, Gutachten 66. DJT, C 103. BGHSt 42, 301 ff. Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung, DÄBl 2004, A 1298. Vgl. BGHSt 46, 279, 285 („beim tödlich Kranken“); Fischer, Vor § 211 Rn. 18 a; Otto, NJW 2006, 2217, 2221; Roxin, in: Roxin/Schroth, Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 313, 325; Schöch/Verrel, GA 2005, 553, 575; Verrel, Gutachten 66. DJT, C 103. Im zivilrechtlichen Schrifttum siehe Soergel/Spickhoff, § 823 Rn. 32 („zustimmenden Todkranken“). Zum Begriff des tödlich Kranken siehe oben B. I. 2. Siehe BGHSt 46, 279; Schönke/Schröder/Eser, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 26. Roxin, in: Roxin/Schroth, Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 313, 327; Schöch/ Verrel, GA 2005, 553, 575 f.; Verrel, Gutachten 66. DJT, C 102 f. v. Lutterotti, Sterben, S. 124; vgl. auch Schöch/Verrel, GA 2005, 553, 576.
II. Die Formen der Sterbehilfe
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träglicher Leiden nur mit einer zwar unbeabsichtigten, aber sicher feststehenden Lebensverkürzung möglich ist, sollte dem Patienten die Therapie nicht vorenthalten werden müssen. Diese Auffassung erhöht auch im Vergleich zur Gegenansicht nicht die Gefahr, dass aktive Sterbehilfe als indirekte Sterbehilfe verschleiert wird, weil nach beiden Ansichten die Abgrenzung zwischen aktiver Sterbehilfe und indirekter Sterbehilfe gleichermaßen im subjektiven Tatbestand erfolgt.28 Eine indirekte Sterbehilfe kann auch in einer so genannten „terminalen Sedierung“ liegen. Unter terminaler Sedierung wird die Verabreichung von Medikamenten verstanden, die bis zum Eintritt des Todes das Bewusstsein des Patienten ausschalten oder jedenfalls dämpfen, um den Patienten vor anders nicht kontrollierbaren Schmerzen, Unruhezuständen und anderem schweren Leid zu bewahren.29 Teilweise wird auch von „palliativer Sedierung“ gesprochen.30 Die „terminale Sedierung“ wird in der Literatur bisweilen wohl deshalb als gesondertes Problem behandelt31, weil sie in der Regel in Kombination mit der Einstellung der lebenserhaltenden Behandlung erfolgt. Bei genauerer Betrachtung bereitet sie aber in strafrechtsdogmatischer Hinsicht keine spezifischen Schwierigkeiten.32 Wirken die sedierenden Medikamente lebensverkürzend33, ist die Sedierung unter den Voraussetzungen einer zulässigen indirekten Sterbehilfe rechtmäßig34, d. h. der Tod darf nicht beabsichtigt sein und die Sedierung muss zur Leidensminderung erforderlich sowie von einer Einwilligung seitens des Patienten gedeckt sein. Verkürzt die Verabreichung der Sedativa nicht das Leben des Patienten, liegt darin keine Sterbehilfe. Vielmehr ist sie eine Körperverletzung, die unter den gleichen Voraussetzungen wie andere ärztliche Behandlungen gerechtfertigt sein kann.35 Eine „terminale Sedierung“ kann auch dann zulässig sein, wenn mit ihr die Einstellung lebensverlängernder Maßnahmen einhergeht, da die Beendigung der lebensverlängernden Behandlung ein isoliert zu betrachtendes Verhalten ist, auf das die Regeln zur passiven Sterbehilfe Anwendung finden.36 28 29
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Zu möglichen Sicherungen gegen Missbrauch siehe Schöch/Verrel, GA 2005, 553, 576 ff. Müller-Busch, Z Palliativmed 2004, 107, 108. Rothärmel, Ethik Med 2004, 349 versteht unter terminaler Sedierung ausschließlich Fälle, in denen der Patient durch die Medikamente das Bewusstsein verliert. Verrel, Gutachten 66. DJT, C 105. Vgl. Rothärmel, Ethik Med 2004, 349 ff. So auch Verrel, Gutachten 66. DJT, C 104 f. Zur Möglichkeit der Lebensverkürzung durch den Einsatz von Sedativa siehe MüllerBusch, Ethik Med 2004, 369, 375. Duttge/Fantaziu/Kling/Schwabenbauer, Preis der Freiheit, S. 87. Verrel, Gutachten 66. DJT, C 104. Rothärmel, Ethik Med 2004, 349, 352 und 356; Verrel, Gutachten 66. DJT, C 105; a. A. Neitzke/Frewer, Ethik Med 2004, 323, 330; Student, ZfL 2004, 94, 99. Auch die beiden großen christlichen Kirchen sehen in der terminalen Sedierung eine Aufweichung der Grenze zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe. Siehe Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland/Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Sterbebegleitung, S. 5. Ein eindrucksvolles Fallbeispiel (Beendigung der Sauerstoffzufuhr bei gleichzeitiger Sedierungsbehandlung einer Patientin mit metastasierendem Mammakarzinom, die
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B. Die strafrechtlichen Vorgaben zur Sterbehilfe
3. Die passive Sterbehilfe und der tödliche Behandlungsabbruch Passive Sterbehilfe bedeutet den Verzicht auf den Beginn oder auf die Fortsetzung lebensverlängernder Maßnahmen. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat im so genannten „Kemptener Urteil“ ausgeführt, dass der Begriff der passiven Sterbehilfe nur solche Fälle erfasse, in denen „das Grundleiden des Kranken nach ärztlicher Überzeugung unumkehrbar (irreversibel) ist, einen tödlichen Verlauf angenommen hat und der Tod in kurzer Zeit eintreten wird“.37 Passive Sterbehilfe bedeutet hiernach den Verzicht auf lebenserhaltende Maßnahmen bei einem sterbenden Patienten.38 Passive Sterbehilfe wird allgemein als zulässig angesehen, weil eine Pflicht zur Erhaltung eines verlöschenden Lebens nicht besteht.39 Vor Eintritt des Sterbeprozesses spricht der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs von einem Behandlungsabbruch.40 In der Literatur wird begrifflich teilweise weniger genau unterschieden und der Behandlungsabbruch im Sinne der Rechtsprechung auch als passive Sterbehilfe (im weiteren Sinn) bezeichnet.41 Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass der Behandlungsabbruch bzw. die passive Sterbehilfe im weiteren Sinn bei einem unheilbar kranken Menschen zulässig sein kann, sofern die Beendigung der Behandlung dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Betroffenen entspricht.42 Fraglich blieb allerdings, ob die Unheilbarkeit der Erkrankung zwingende Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Behandlungsabbruchs bei einem nicht einwilligungsfähigen Patienten ist. Hierzu hat der 12. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in einem schwer verständlichen43 und vielfach kritisierten Beschluss vom 17.3.2003 Stellung bezogen.44 Wegen der Bedeutung dieses Beschlusses für zivilrechtliche Fragen im Bereich des Betreuungsrechts und der Patientenverfügung wird dieser im Zusammenhang mit der rechtlichen Bedeutung von Patientenverfügungen untersucht.45 Abschließend sei darauf hingewiesen, dass weder die passive Sterbehilfe noch der tödliche Behandlungsabbruch die Beendigung ärztlicher Versorgung bedeutet. Vielmehr findet ein Übergang von kurativen zu palliativen Behandlungsmaßnahmen statt.46
37 38 39 40 41 42 43 44 45 46
unter schwerster Luftnot und Panikattacken litt) findet sich bei Beck, Ethik Med 2004, 334, 336 ff. BGHSt 40, 257, 260 = BGH NJW 1995, 204. BGHSt 40, 257, 260. Zum Begriff des Sterbenden siehe oben B. I. 1. Fischer, Vor § 211 Rn. 19; Wessels/Hettinger, Strafrecht BT 1, Rn. 36. BGHSt 40, 257, 260. Roxin, in: Roxin/Schroth, Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 313, 328 f.; Saliger, KritV 1998, 118 ff.; ders., MedR 2004, 237, 241. BGHSt 40, 257, 260; Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, Rn. 423. So auch Kutzer, ZRP 2003, 213, 215; Höfling/Rixen, JZ 2003, 884, 893. BGHZ 154, 205 ff. = NJW 2003, 1588 ff. Siehe unter D. II. 1. c) bb). Vgl. hierzu Schöch/Verrel, GA 2005, 553, 560.
II. Die Formen der Sterbehilfe
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4. Die Beteiligung an einem Suizidgeschehen a) Die Beihilfe zum Suizid Unter Sterbehilfe kann auch die Beihilfe zum Suizid verstanden werden.47 Nach deutschem Recht ist die Beihilfe zur Selbsttötung mangels rechtswidriger Haupttat straflos.48 aa) Abgrenzung zur Tötung in mittelbarer Täterschaft Die Hilfeleistung zur Selbsttötung ist nur im Fall eines freiverantwortlichen Suizids straflose Beihilfe. Wer im Fall eines nicht freiverantwortlichen Suizids Hilfe leistet, macht sich als mittelbarer Täter eines Tötungsdelikts gemäß §§ 211 ff., 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB strafbar.49 Umstritten ist allerdings, nach welchen Kriterien der freiverantwortliche Suizid vom nicht freiverantwortlichen Suizid unterschieden wird. Hierzu stehen sich im Wesentlichen zwei Ansichten gegenüber. Während die so genannte Exkulpationslösung die Freiverantwortlichkeit nur dann verneint, wenn der Suizident unter Umständen handelt, die im Fall einer Fremdschädigung seine Verantwortlichkeit nach den §§ 3 JGG, 19, 20, 35 StGB ausschließen würden50, fehlt es nach der Einwilligungslösung bereits dann an der Freiverantwortlichkeit, wenn der Suizidentschluss „nach den Maßstäben der Einwilligungslehre i. V. mit der Dogmatik zur ‚Ernstlichkeit des Verlangens’ i. S. des § 216 StGB“ „nicht Ausdruck eines freien und ernstlichen Verlangens nach dem eigenen Tod ist.“51 Für letztgenannte Ansicht wird vorgebracht, dass bei einer Verfügung über das eigene Leben an die Mangelfreiheit der Willensbildung keine geringeren Anforderungen gestellt werden dürften als bei der Einwilligung in eine Körperverletzung und bei der in § 216 StGB geforderten „Ernstlichkeit“ des Sterbewillens.52 Als maßgebende Kriterien für die Freiverantwortlichkeit des Selbsttötungsentschlusses kommen nach dieser Ansicht die natürliche Einsichtsfähigkeit des Lebensmüden, sein Urteils- und Hemmungsvermögen sowie die Ernstlichkeit seiner Entscheidung und die Mangelfreiheit seiner Willensbildung in Betracht. Eine freiverantwortliche Selbsttötung sei nur dann anzunehmen, wenn der Suizidentschluss frei von Zwang, zielgerichteter Täuschung und anderen wesentlichen Willensmängeln ist und der Lebensmüde nach seiner geistigen Reife sowie nach seinem psychischen Zustand fähig war, die Tragweite seines Entschlusses sachge-
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48 49 50 51
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So auch Thias, Möglichkeiten, S. 52. Vgl. hierzu auch Deutsche Gesellschaft für Chirurgie, Leitlinie zum Umfang und zur Begrenzung der ärztlichen Behandlungspflicht in der Chirurgie, III. 3., abgedruckt in Staudinger/Hager, § 823 Rn. I 15. BGHSt 46, 279, 284; Fischer, Vor § 211 Rn. 10 a m. w. N. Fischer, Vor § 211 Rn. 11. Roxin, FS 140 Jahre GA, S. 177, 178 f.; Bottke, Suizid, S. 250. Krey/Heinrich, Strafrecht BT 1, Rn. 89. Ebenso Geilen, JZ 1974, 145, 149 ff.; Herzberg, JuS 1974, 374, 379; LK/Jähnke, Vor § 211 Rn. 26; Wessels/Hettinger, Strafrecht BT 1, Rn. 48 f. Wessels/Hettinger, Strafrecht BT 1, Rn. 48.
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B. Die strafrechtlichen Vorgaben zur Sterbehilfe
recht zu erfassen und nach dieser Einsicht zu handeln.53 An der Freiverantwortlichkeit fehlt es hiernach zum Beispiel bei Kurzschlusssuiziden aus akuter Verzweiflung, bei Appellselbstmorden sowie bei Suizidversuchen von Kindern und Jugendlichen, es sei denn, ein Jugendlicher verfügt ausnahmsweise über die erforderliche Einsichtsfähigkeit.54 Bei einem so genannten Bilanzselbstmord ist demgegenüber die Freiverantwortlichkeit zu bejahen.55 Gegen die Einwilligungslösung wird von Vertretern der Exkulpationslösung angeführt, dass sie ein Maß an Rechtsunsicherheit bewirke, das im Grenzbereich von Tötungsstrafbarkeit und Straflosigkeit unerträglich sei.56 Diesem Einwand kann entgegengehalten werden, dass die Schwierigkeiten, die mit der Feststellung der Einwilligungsfähigkeit verbunden sind, nicht nur beim Suizid, sondern stets beim Unterlassen vital indizierter ärztlicher Behandlung auftreten. Lehnt nämlich ein Patient eine lebensnotwendige medizinische Maßnahme ab, kann von der Einwilligungsfähigkeit des Patienten abhängen, ob das Unterlassen des Arztes rechtmäßig oder strafbare Tötung ist. Die Ernstlichkeit des Verlangens im Sinne von § 216 StGB entscheidet darüber, ob der Täter aus dem vergleichsweise geringen Strafrahmen des § 216 StGB bestraft wird oder ob er wegen Totschlags mit dem deutlich höheren Strafrahmen bzw. wegen Mordes zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe verurteilt wird.57 Der Einwilligungsfähigkeit und dem ernstlichen Verlangen im Sinne des § 216 StGB kommt also auch in anderen Fällen als in dem des Suizids maßgebliche Bedeutung zu, ohne dass dies als unerträgliche Rechtsunsicherheit kritisiert und in Frage gestellt wird. Im Übrigen kann auch die Feststellung der Schuldunfähigkeit im Sinne von § 20 StGB im Einzelfall erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Auch der Vorwurf, die Einwilligungslösung weite die Strafbarkeit der Suizidteilnahme aus und unterlaufe damit die gesetzgeberische Entscheidung, die Teilnahme am Suizid straflos zu stellen58, vermag als Argument gegen die Einwilligungslösung nicht zu überzeugen. Die Einwilligungslösung missachtet nämlich nicht die Straflosigkeit der Teilnahme am freiverantwortlichen Suizid als solche, sondern definiert die Freiverantwortlichkeit lediglich anders als die Exkulpationslösung. Mit der Einwilligungslösung wird den Erkenntnissen der modernden Suizidforschung59 Rechnung getragen, die zeigen, dass die überwiegende Zahl der Suizidenten der Hilfe bedarf.60 Demgegenüber führt die Exkulpationslösung zu einer Schutzlosigkeit hilfsbedürftiger Personen, indem sie die Hilfeleistung zum Suizid von Psychopathen, Neurotikern und verzweifelten Kurzschlussselbstmör53 54 55 56 57
58 59 60
Schreiber, FS Jakobs, S. 615, 618; Wessels/Hettinger, Strafrecht BT 1, Rn. 49. Krey/Heinrich, Strafrecht BT 1, Rn. 89. Krey/Heinrich, Strafrecht BT 1, Rn. 86. Roxin, in: Roxin/Schroth, Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 313, 341. Trifft ein ernsthaftes Tötungsverlangen mit Mordmerkmalen zusammen, wird der Mordtatbestand durch die Tötung auf Verlangen gesperrt. Siehe hierzu Schönke/Schröder/Eser, § 216 Rn. 2 m. w. N. So Roxin, FS 140 Jahre GA, S. 177, 179. Siehe hierzu G. Kaiser, Kriminologie, § 59 Rn. 18 ff. Geilen, JZ 1974, 145, 149 ff.; Herzberg, JuS 1974, 374, 379; Krey/Heinrich, Strafrecht BT 1, Rn. 86.
II. Die Formen der Sterbehilfe
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dern straflos stellt, wenn – wie es regelmäßig der Fall sein wird – die Voraussetzungen des § 20 StGB nicht gegeben sind.61 Umgekehrt sind auch Suizidfälle denkbar, in denen die Exkulpationslösung durch die analoge Anwendung des § 35 StGB eine Strafbarkeit des Suizidteilnehmers nahelegt, während die Einwilligungslösung unproblematisch und im Ergebnis überzeugend zur Freiverantwortlichkeit des Suizids kommt. Eine Notstandslage im Sinne von § 35 StGB setzt nämlich lediglich voraus, dass in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit gehandelt wird, um die Gefahr von sich, einem Angehörigen oder einer anderen nahestehenden Person abzuwenden. Leidet ein unheilbar kranker Patient unter nicht mehr ausreichend behandelbaren Schmerzen, begeht er den Suizid, um eine gegenwärtige, nicht anders abwendbare Leibesgefahr, nämlich die Schmerzen, von sich abzuwenden, und befindet sich damit in einer Notstandslage im Sinne von § 35 StGB.62 Dass im Fall des schwer kranken, aber einwilligungsfähigen Patienten ein nicht freiverantwortlicher Suizid mit der Folge einer potentiellen Strafbarkeit des Suizidhelfers vorliegen soll, erscheint nicht sachgerecht und wird auch von den Vertretern der Exkulpationslösung so nicht vertreten, wenn sie feststellen, dass bei einem Suizidversuch eines schwer kranken Patienten nach allen vertretenen Ansichten regelmäßig ein freiverantwortlicher Suizid vorliegt.63 Dieses Ergebnis ist aber bei analoger Anwendung des § 35 StGB kaum begründbar. Die Strafbarkeit des Suizidteilnehmers kann allenfalls durch Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe entfallen. Demgegenüber kommt die Einwilligungslösung schon auf Tatbestandsebene unproblematisch zum Ergebnis der Straflosigkeit. Damit wird deutlich, dass die Einwilligungslösung nicht nur der grundsätzlich bestehenden Hilfsbedürftigkeit von Suizidenten gerecht wird, sondern auch in Fällen notstandsbedingter Abwägungssuizide64 zu überzeugenden Ergebnissen gelangt. bb) Abgrenzung zur Tötung auf Verlangen Die Abgrenzung von strafloser Beihilfe zum Suizid und strafbarer Tötung auf Verlangen gemäß § 216 StGB erfolgt nach überwiegender Meinung danach, wer die Herrschaft über den letzten, den Tod verursachenden Akt innehat. Liegt sie beim Suizidenten, ist die Mitwirkung einer anderen Person lediglich straflose Beihilfe. Liegt sie dagegen bei der anderen Person, handelt es sich um strafbare Tötung auf Verlangen.65
61 62 63 64 65
LK/Jähnke, Vor § 211 Rn. 26; Krey/Heinrich, Strafrecht BT 1, Rn. 87. So auch Bottke, Suizid, S. 132 Fn. 600. Vgl. Roxin, in: Roxin/Schroth, Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 313, 341. Zu denken ist in diesem Zusammenhang auch an denjenigen, der sich zum Suizid entschließt, weil ihm nicht anders abwendbare, tödliche Folter bevorsteht. BGHSt 19, 135, 139 f.; Schönke/Schröder/Eser, § 216 Rn. 11; Roxin, in: Roxin/Schroth, Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 313, 342; Rengier, Strafrecht BT 2, § 8 Rn. 8; anders Kutzer, NStZ 1994, 110, 112.
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B. Die strafrechtlichen Vorgaben zur Sterbehilfe
b) Die strafrechtliche Beurteilung der unterlassenen Suizidverhinderung Zu untersuchen bleibt, wie die unterlassene Rettung eines Suizidenten strafrechtlich zu bewerten ist. Diese Frage wird in Rechtsprechung und Literatur nicht einheitlich beurteilt. aa) Strafbarkeit wegen Tötung durch Unterlassen nach §§ 211 ff., 13 StGB Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs macht sich ein Garant, der beispielsweise als Ehegatte66 oder als behandelnder Arzt67 für das Leben eines anderen einzustehen hat, wegen Tötung durch Unterlassen gemäß §§ 211 ff., 13 StGB strafbar, wenn er das Leben eines bereits handlungsunfähigen Suizidenten nicht zu retten sucht.68 Dies gilt nach der Rechtsprechung für freiverantwortliche und nicht freiverantwortliche Suizide gleichermaßen. Der Bundesgerichtshof hat eine Garantenstellung des behandelnden Arztes auch in einem Fall angenommen, in dem sich eine geistig gesunde, körperlich kranke 76-jährige Patientin nach eingehender Beschäftigung mit der Suizidproblematik und nach reiflicher Überlegung zu einer Selbsttötung entschlossen hat und in einem Abschiedsbrief gebeten hat, sie nicht in ein Krankenhaus zu bringen.69 Das Gericht gelangte dennoch zu einem Freispruch des angeklagten Arztes mit der Begründung, unter den gegebenen Umständen könne die „ärztliche Gewissensentscheidung nicht von Rechts wegen als unvertretbar angesehen werden.“70 Die dogmatische Einordnung dieser Begründung ist unklar. Teilweise wird davon ausgegangen, dass in einem solchen Fall die Verhinderung des Suizids unzumutbar sei.71 Andere verstehen die Entscheidung dahingehend, dass die Verhinderung des Suizids nach § 34 StGB gerechtfertigt sei.72 Sofern ein freiverantwortlicher Suizidentschluss vorliegt, überzeugt die Rechtsprechung nicht und wird dementsprechend von großen Teilen der Literatur auch abgelehnt.73 Abgesehen davon, dass es im Fall eines freiverantwortlichen, ernsthaften Suizidversuchs an einer Garantenstellung des behandelnden Arztes fehlt, weil der Patient die Beziehung zum Arzt jederzeit aus beliebigen Gründen been-
66 67 68 69 70 71 72 73
Schönke/Schröder/Stree, § 13 Rn. 18. BGHSt 32, 367, 373; BGHSt 40, 257, 266; SK-StGB/Rudolphi, § 13 Rn. 60; Schönke/ Schröder/Stree, § 13 Rn. 10. BGHSt 2, 150 ff.; BGHSt 32, 367, 373 f. (Wittig). BGHSt 32, 367, 373. BGHSt 32, 367, 381. Schmitt, JZ 1984, 866, 868 Fn. 22. Herzberg, NJW 1986, 1635, 1639. Schönke/Schröder/Eser, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 41; Fischer, Vor § 211 Rn. 12; Dölling, NJW 1986, 1011, 1012 ff.; Otto, NJW 2006, 2217. In BGH NStZ 1988, 127 findet sich ein Hinweis auf einen möglichen Rechtsprechungswandel.
II. Die Formen der Sterbehilfe
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den und damit den Arzt aus seiner Garantenstellung entlassen kann74, begründet eine Garantenstellung keine „Vormundschaftsstellung“ gegenüber einem selbstbestimmungsfähigen Schützling.75 Gegen die Rechtsprechung spricht ferner, dass sie mit der Straflosigkeit der aktiven Suizidteilnahme kaum zu vereinbaren ist. So führt sie zu dem widersinnigen Ergebnis, dass die Ehefrau zwar ihrem Mann den Strick zum Erhängen straflos reichen darf, denselben aber bei Eintritt der Bewusstlosigkeit des Mannes wieder durchschneiden muss, wenn sie eine Strafbarkeit wegen eines Tötungsdelikts vermeiden will.76 Außerdem steht die Rechtsprechung im Widerspruch zu dem Grundsatz, dass auch vital indizierte ärztliche Behandlungen zu ihrer Rechtmäßigkeit der Einwilligung des Patienten bedürfen und der Arzt auch unvernünftige Entscheidungen des einwilligungsfähigen Patienten zu respektieren hat.77 Unterlässt der Arzt eine lebensnotwendige Behandlung, weil der Patient diese abgelehnt hat, macht sich der Arzt auch bei Eintritt der Bewusstlosigkeit des Patienten nicht strafbar. Die von der Rechtsprechung gemachte Ausnahme, dass dies im Fall eines Suizids nicht gilt, findet im Gesetz keine Stütze78 und ist nicht praktikabel. Die Unterscheidung zwischen der Ablehnung einer lebensnotwendigen ärztlichen Behandlung durch einen „Normalpatienten“ und der Ablehnung lebensrettender medizinischer Maßnahmen durch einen Suizidenten ist nämlich in Grenzfällen kaum möglich. So stellt sich die bisher ungeklärte Frage, ob ein Suizident, der nach einem Suizidversuch schwer verletzt, aber bei vollem Bewusstsein ist, zum „Normalpatienten“ wird, der lebenserhaltende Maßnahmen verweigern kann.79 Denkbar ist außerdem ein „passiver Suizid“, d. h. ein Suizid durch Unterlassen, der schwer von der „normalen“ Ablehnung ärztlicher Behandlung abzugrenzen ist: Ist etwa der Diabetiker, der sich jede Insulinvergabe verbittet, weil er darin eine einfache Art der Selbsttötung sieht, als Suizidpatient einzuordnen, dem gegen seinen Willen geholfen werden muss? Folgt man der häufig verwendeten Begründung für die rechtlich unterschiedliche Behandlung der Ablehnung medizinischer Maßnahmen durch den Normalpatienten einerseits und durch den Suizidenten andererseits, nämlich dass es ein wesentlicher Unterschied ist, ob man einer Krankheit ihren Lauf lässt oder ob das Leben gezielt beendet werden soll80, müsste man wohl darauf abstellen, ob der Patient die Behandlung seiner Krankheit oder sein Leben als solches ablehnt. Da Behandlungsabbruchentscheidungen aber auf Motivbündeln beruhen können, erscheint eine Abgrenzung in diesen Fällen nahezu ausgeschlossen. Daher ist für den Fall einer freiverantwortlichen Selbsttötung die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Strafbar74
75 76 77 78 79 80
OLG München NJW 1987, 2940, 2943 (Hackethal); Duttge/Fantaziu/Kling/Schwabenbauer, Preis der Freiheit, S. 93 f.; Kühl, Strafrecht AT, § 18 Rn. 72; Küpper, Strafrecht BT 1, § 1 Rn. 9; Roxin, Strafrecht AT 2, § 32 Rn. 72. Otto, Gutachten 56. DJT, D 66; ders., NJW 2006, 2217, 2222; Lackner/Kühl, Vor § 211 Rn. 15. Küpper, Strafrecht BT 1, § 1 Rn. 10; Otto, Gutachten 56. DJT, D 67. Siehe hierzu RGZ 151, 349, 355; BGHSt 11, 111, 114; Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 12. Siehe auch die Ausführungen unter D. I. und F. II. 2. a). OLG München NJW 1987, 2940, 2943; Verrel, JZ 1996, 224, 230. Ausdrücklich offengelassen in BGHSt 32, 367, 378. Engisch, ZStW 58 (1939), S. 1, 24; Kutzer, NStZ 1994, 110, 114.
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B. Die strafrechtlichen Vorgaben zur Sterbehilfe
keit eines Garanten wegen unterlassener Suizidverhinderung gemäß §§ 211 ff., 13 StGB abzulehnen. Häufig wird aber weder die Freiverantwortlichkeit noch die Unfreiheit des Suizidentschlusses zweifelsfrei feststehen. Im Hinblick auf die Erkenntnisse der Suizidforschung, dass die Mehrzahl der Suizidversuche reinen Appellcharakter hat und auch der zunächst ernst gemeinte Todeswunsch oft bereits während des Suizidgeschehens vergeht, wird vorgeschlagen, bei Suizidversuchen nach dem Grundsatz „in dubio pro vita“ zu verfahren, also im Zweifel eine Rettungspflicht zu bejahen.81 Es sei nämlich weitaus erträglicher, einen ernsthaft Lebensmüden an der Verwirklichung seiner Selbsttötung, die er jederzeit erneut versuchen kann, zu hindern, als einen rettungsbedürftigen Menschen sterben zu lassen.82 Gegen die Heranziehung des Grundsatzes „in dubio pro vita“ bestehen aber insofern Bedenken, als dieses Prinzip gegen den im Strafrecht geltenden, üblicherweise aus Art. 103 Abs. 2 GG, Art. 6 Abs. 2 EMRK und § 261 StPO hergeleiteten Grundsatz „in dubio pro reo“ verstoßen könnte.83 Der Grundsatz „in dubio pro reo“ gebietet, im Zweifel zugunsten des Angeklagten zu entscheiden, und gilt jedenfalls für unmittelbar entscheidungserhebliche Tatsachen.84 Da die Freiverantwortlichkeit des Suizidentschlusses das Vorliegen der Garantenstellung ausschließt und damit eine entscheidungserhebliche Tatsache innerhalb des Tatbestands ist, muss „in dubio pro reo“ von der Freiverantwortlichkeit ausgegangen werden. Während also nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ im Zweifel der Angeklagte vom Vorwurf der Tötung durch Unterlassen freigesprochen wird, bewirkt die Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro vita“ in Zweifelslagen eine Strafbarkeit wegen Tötung durch Unterlassen nach §§ 211 ff., 13 StGB. Sofern also der Grundsatz „in dubio pro vita“ als Entscheidungsregel für den Fall eines nicht aufklärbaren Sachverhalts verstanden wird, ist er mit dem strafrechtlichen Zweifelsgrundsatz unvereinbar. Lässt sich auch nachträglich nicht feststellen, ob der Suizident freiverantwortlich handelte, scheidet daher eine Strafbarkeit wegen vollendeter Tötung durch Unterlassen aus. In Betracht kommt aber eine Strafbarkeit wegen eines (untauglichen) Versuchs der Tötung durch Unterlassen gemäß §§ 211 ff., 13, 22 StGB, sofern der Täter Eventualvorsatz im Hinblick auf das Fehlen eines freiverantwortlichen Suizidentschlusses hatte, d. h. es für möglich hielt, dass der Suizident nicht freiverantwortlich handelte, und dies billigend in Kauf nahm.85 81
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Nationaler Ethikrat, Selbstbestimmung, S. 83; Heide, Zwangsbehandlung, S. 113; Verrel, JZ 1996, 224, 230; Wassermann, DRiZ 1986, 291, 295 ausdrücklich auch im Hinblick auf die Strafbarkeit nach §§ 211 ff., 13 StGB. Zum Grundsatz „in dubio pro vita“ siehe auch die Ausführungen unter D. II. 3. b) bb). Verrel, JZ 1996, 224, 230; Dölling, NJW 1986, 1011, 1015 f. im Rahmen der Prüfung des § 323 c StGB. Zur Herleitung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ vgl. Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 261 Rn. 103. Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 261 Rn. 112; Meyer-Goßner, § 261 Rn. 29. Zu den Anforderungen an das Vorliegen eines Eventualvorsatzes siehe BGHSt 7, 363, 369; BGH NJW 1963, 2236, 2237; BGH StV 1998, 128. Vgl. auch BGHSt 36, 1, 9; BGH NStZ 1994, 584.
II. Die Formen der Sterbehilfe
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Im Rahmen der Beweiswürdigung kann von Bedeutung sein, dass der überwiegende Teil der Suizidenten nicht freiverantwortlich handelt. Bringt ein Angeklagter vor, er sei von einem reiflich überlegten Suizidentschluss ausgegangen, wird dies den Richter in Fällen, in denen keine Anhaltspunkte für die Freiverantwortlichkeit des Suizidentschlusses bestehen, häufig nicht überzeugen, weil durchaus in weiten Teilen der Bevölkerung bekannt ist, dass die Mehrzahl der Suizidversuche nicht auf einem reiflich überlegten und ernsthaften Entschluss beruht. Die Erkenntnisse der modernen Suizidforschung können auch bei der Feststellung des objektiven Tatbestands eine Rolle spielen. Dass der überwiegende Teil der Suizidenten nicht freiverantwortlich handelt, ist ein Erfahrungssatz, der bei der Beweiswürdigung berücksichtigt werden kann. Bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass es sich um einen freiverantwortlichen Suizidentschluss handelt, wird der Richter, der im Rahmen der Beweiswürdigung nicht an den strafrechtlichen Zweifelsgrundsatz gebunden ist86, möglicherweise einen nicht freiverantwortlichen Suizid annehmen. bb) Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung gemäß § 323 c StGB Unterlässt ein Nichtgarant die Rettung des Suizidenten, kommt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung nach § 323 c StGB in Betracht. Nach der Rechtsprechung stellt die durch einen Selbstmordversuch herbeigeführte Gefahrenlage einen Unglücksfall dar, ohne dass es darauf ankommt, ob der Suizident aufgrund eines freiverantwortlich gefassten oder eines auf Willensmängeln beruhenden Tatentschlusses gehandelt hat.87 Dies könne nämlich derjenige, der den Suizidenten antrifft, innerhalb der kurzen Zeitspanne, die für die unter Umständen lebensrettende Entscheidung zur Verfügung steht, regelmäßig nicht zuverlässig beurteilen.88 Nach der Rechtsprechung erfordert eine Strafbarkeit gemäß § 323 c StGB nicht, dass der Suizident bereits bewusstlos ist. Die Handlungsunfähigkeit des Suizidenten sei lediglich für die Strafbarkeit wegen Tötung durch Unterlassen von Bedeutung, da eine solche die Tatherrschaft des Garanten voraussetzt.89 Im Einzelfall begründet die unterlassene Suizidverhinderung allerdings auch nach der Rechtsprechung keine Strafbarkeit nach § 323 c StGB. Der Bundesgerichtshof hat einen Arzt, der nach dem begonnenen Suizid seines Patienten seinem Gewissen folgend keine Rettungsmaßnahmen ergriff, nicht nach § 323 c StGB bestraft, da in „äußersten Grenzfällen“ die Hilfeleistung nicht zumutbar sei.90 Im Schrifttum wird eine Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung nach § 323 c StGB im Fall des freiverantwortlichen Suizids überwiegend abgelehnt.
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BGH NJW 2005, 2322, 2324; BGH NStZ 2006, 650; Meyer-Goßner, § 261 Rn. 26. BGHSt 6, 147 zu § 330 c StGB a. F.; BGHSt 32, 367, 375; anders noch BGHSt 2, 150 f. BGHSt 6, 147, 153 f.; BGHSt 32, 367, 376; zustimmend Kutzer, MDR 1985, 710, 713. BGHSt 13, 162, 169 zu § 330 c StGB a. F.; BGHSt 32, 367, 375. BGHSt 6, 147, 154; BGHSt 13, 162, 169; BGHSt 32, 367, 381.
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B. Die strafrechtlichen Vorgaben zur Sterbehilfe
Angesichts der Straflosigkeit der aktiven Suizidteilnahme91 sei es wertungswidersprüchlich, das bloße Unterlassen der Suizidverhinderung mit Strafe zu belegen.92 Im Übrigen ist die Begründung für das Nichteingreifen des § 323 c StGB im Schrifttum nicht einheitlich. Nach teilweise vertretener Meinung stellt ein freiverantwortlicher Suizid schon keinen Unglücksfall im Sinne von § 323 c StGB dar. Die Subsumtion eines Selbsttötungsversuchs unter den Begriff des Unglücksfalls verstoße jedenfalls dann gegen § 1 StGB und Art. 103 Abs. 2 GG, wenn das Suizidgeschehen im Wesentlichen in einer Weise abläuft, wie es sich der Lebensmüde vorgestellt hat.93 Andere bejahen das Vorliegen eines Unglücksfalls auch bei einem freiverantwortlichen Suizid, halten aber die Hilfeleistung für unzumutbar, wenn nach menschlichem Ermessen von einem ernsthaften und endgültigen Suizidentschluss ausgegangen werden kann.94 Herrscht Unklarheit über die Freiverantwortlichkeit des Suizidentschlusses, soll nach Teilen der Literatur der Grundsatz „in dubio pro vita“ Anwendung finden.95 In der Tat erscheint die unterlassene Suizidverhinderung nicht strafwürdig, wenn feststeht, dass es sich um einen freiverantwortlichen und endgültigen Suizidentschluss gehandelt hat und der Lebensmüde mit seiner Rettung nicht einverstanden gewesen wäre. Sofern aber der Suizidentschluss nicht freiverantwortlich ist oder Zweifel an der Freiverantwortlichkeit des Suizidentschlusses bestehen, sollte jedermann zur Rettung des Suizidenten verpflichtet sein. Im Rahmen des § 323 c StGB kann die in dem Grundsatz „in dubio pro vita“ enthaltene Wertung zugunsten des Lebensschutzes bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Zumutbarkeit“96 Berücksichtigung finden. Da der Grundsatz „in dubio pro reo“ innerhalb der Auslegung nicht gilt97, kann der Begriff der Zumutbarkeit dahingehend ausgelegt werden, dass die Hilfeleistung grundsätzlich so lange zumutbar ist, wie Zweifel an der Freiverantwortlichkeit des Suizidentschlusses bestehen. Entsprechend dieser Auslegung ist die Hilfeleistung demgegenüber unzumutbar, wenn die Freiverantwortlichkeit des Suizidentschlusses zweifelsfrei feststeht.98 Da es nicht ausgeschlossen erscheint, in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung und Teilen der Literatur auch einen freiverantwortlichen Suizid unter den Begriff des Unglücksfalls zu subsumieren, begründet diese Auslegung in Zweifelsfällen eine Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung nach § 323 c StGB. Ob Zweifel an der Freiverantwortlichkeit bestehen, beurteilt sich 91 92 93 94 95 96 97 98
Vgl. hierzu BGHSt 32, 367, 372 m. w. N. Roxin, in: Roxin/Schroth, Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 313, 343; Schmitt, JZ 1984, 866, 868. Schönke/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben, § 323 c Rn. 7; Schmitt, JZ 1984, 866, 868. Dölling, NJW 1986, 1016; vgl. auch Lackner/Kühl, § 323 c Rn. 7. Nationaler Ethikrat, Selbstbestimmung, S. 83; Verrel, JZ 1996, 224, 230; Wassermann, DRiZ 1986, 291, 295. Zu der von der wohl h. M. vorgenommenen Einordnung der Zumutbarkeit als Tatbestandsmerkmal siehe Fischer, § 323 c Rn. 9 m. w. N. auch zur Gegenansicht. RGSt 62, 369, 372; BGHSt 6, 131, 133; BGHSt 14, 68, 73; Schönke/Schröder/Eser, § 1 Rn. 52. Ähnlich Dölling, NJW 1986, 1011, 1016.
II. Die Formen der Sterbehilfe
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richtigerweise nicht lediglich nach den Tatsachen, von denen der potentiell Hilfspflichtige Kenntnis hat, sondern nach allen objektiv erkennbaren Umständen, weil andernfalls die Verwirklichung des objektiven Tatbestands vom Kenntnisstand des Einzelnen abhinge.99 Festzuhalten bleibt, dass eine Strafbarkeit gemäß § 323 c StGB wegen unterlassener Rettung des Suizidenten ausscheidet, wenn keine Zweifel an der Freiverantwortlichkeit des Suizidentschlusses bestehen. Sofern die Freiverantwortlichkeit aber nicht sicher feststeht, erfüllt die unterlassene Rettung des Suizidenten den objektiven Tatbestand des § 323 c StGB.
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Dölling, NJW 1986, 1011, 1016. Anders wohl Verrel, JZ 1996, 224, 230 („für die damit konfrontierten Personen“).
C. Grundlagen der Haftung für medizinische Behandlung
I. Haftungsbegründende Verhaltensweisen des Arztes Im Wesentlichen gibt es zwei haftungsbegründende Verhaltensweisen des Arztes, nämlich den Behandlungsfehler und die ärztliche Eigenmacht.1 Der Begriff des Behandlungsfehlers bezeichnet im umfassenden Sinn das nach dem medizinischen Standard unsachgemäße Verhalten des Arztes.2 Ein Behandlungsfehler kann in der Vornahme eines nicht indizierten Eingriffs liegen, im Unterlassen eines gebotenen Eingriffs sowie in allen sonstigen Fehlmaßnahmen von der Diagnose bis zur Nachsorge.3 Ärztliche Eigenmacht liegt vor, wenn es an einer wirksamen, d. h. einer nach hinreichender Aufklärung erklärten Einwilligung des Patienten in die Behandlung fehlt oder im Fall des einwilligungsunfähigen Patienten nicht der zuständige Entscheidungsträger im Rahmen seiner Befugnis die Vornahme der Behandlung entschieden hat.4
II. Anspruchsgrundlagen im Arzthaftungsrecht Da im deutschen Recht – wie in den meisten anderen Rechtsordnungen auch – keine speziellen Vorschriften zur Regelung der zivilrechtlichen Arzthaftung bestehen, sind die allgemeinen Vorschriften anzuwenden.5 Ansprüche können sich daher aus Vertrag, Geschäftsführung ohne Auftrag und Delikt ergeben. Alle drei Anspruchsgründe ermöglichen neben dem Ersatz des materiellen Schadens nun auch die Gewährung eines Schmerzensgeldes gemäß § 253 Abs. 2 BGB.6
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Katzenmeier, Arzthaftung, S. 273; Soergel/Spickhoff, § 823 Anh. I Rn. 60. Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, Kap. X Rn. 3; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 276; Staudinger/Hager, § 823 Rn. I 18. Katzenmeier, Arzthaftung, S. 276; Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, Kap. X Rn. 3; Staudinger/Hager, § 823 Rn. I 18. Siehe hierzu die Ausführungen unter D. Katzenmeier, Arzthaftung, S. 76; Quaas/Zuck, Medizinrecht, § 13 Rn. 59. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 101; Soergel/Spickhoff, § 823 Anh. I Rn. 7; Staudinger/Schiemann, § 253 Rn. 20.
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C. Grundlagen der Haftung für medizinische Behandlung
1. Vertragliche Haftung Zwischen Arzt und Patient bzw. Krankenhausträger und Patient besteht regelmäßig ein Behandlungsvertrag, der nach ganz herrschender Meinung ein Dienstvertrag ist.7 Im Vertragsrecht stellt ein Behandlungsfehler eine Pflichtverletzung im Sinne von § 280 Abs. 1 BGB dar.8 Auch die ärztliche Eigenmacht kann als vertragliche Pflichtverletzung verstanden werden.9 Die Vornahme einer ärztlichen Heilbehandlung ohne Einwilligung des Patienten und die damit verbundene Missachtung des Selbstbestimmungsrechts wird in der Literatur als Verletzung des Behandlungsvertrags gewertet.10 Zu den vertraglichen Pflichten des Arztes gehört demnach auch, dass er das Vorliegen einer Einwilligung des Patienten in die Behandlung sicherstellt.11 Die Verletzung dieser Pflicht, d. h. das Fehlen einer wirksamen Einwilligung in die Behandlung, muss der Patient – dem Deliktsrecht entsprechend – abweichend von den allgemeinen Grundsätzen aber nicht beweisen.12 2. Haftung aus Geschäftsführung ohne Auftrag Ist ausnahmsweise – beispielsweise bei der Behandlung von Bewusstlosen – kein Vertrag mit dem Patienten geschlossen worden, kommt eine Haftung des Arztes aus Geschäftsführung ohne Auftrag in Betracht.13 Die Regeln über die Geschäftsführung ohne Auftrag sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch einschlägig, wenn ein unwirksamer Vertrag vorliegt, weil der Patient beispielsweise geschäftsunfähig ist.14
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BGHZ 63, 306, 309; BGHZ 76, 259, 261; BGHZ 97, 273, 276; Soergel/Spickhoff, § 823 Anh. I Rn. 8. Palandt/Grüneberg, § 280 Rn. 42; Soergel/Spickhoff, § 823 Anh. I Rn. 61; Katzenmeier, VersR 2002, 1066, 1068. Zur Beweislastverteilung siehe Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 176 ff. und Katzenmeier, VersR 2002, 1066, 1068 f. Ausführlich auch Heidelk, Gesundheitsverletzung, S. 113 ff. OLG München NJW-RR 2002, 811. Zur Abgrenzung von Vertragsrecht und den Regeln über die Geschäftsführung ohne Auftrag in Fällen ärztlicher Eigenmacht siehe C. II. 2. b). Deutsch, NJW 1965, 1985; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, Kap. C Rn. 1. Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, Kap. A Rn. 5. Vgl. aber auch Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 172. Vgl. Soergel/Spickhoff, § 823 Anh. I Rn. 40; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 172 (jeweils zur Aufklärungspflichtverletzung). Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, Rn. 63; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 109; Soergel/ Spickhoff, § 823 Anh. I Rn. 48. BGHZ 55, 128; BGHZ 101, 393, 399; BGHZ 111, 308, 311. Das überwiegende Schrifttum lehnt mit Hinweis auf den Vorrang der gesetzlichen Rückabwicklungsvorschriften der §§ 812 ff. BGB den Rückgriff auf die GoA bei nichtigen Verträgen ab (siehe Erman/Ehmann, § 677 Rn. 9 m. w. N.).
II. Anspruchsgrundlagen im Arzthaftungsrecht
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a) Behandlungsfehler Sind die Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag anwendbar, kann der Anspruch des Patienten wegen eines Behandlungsfehlers des Arztes auf § 677 BGB i. V. m. § 280 Abs. 1 BGB gestützt werden. b) Ärztliche Eigenmacht Aus § 683 BGB ergibt sich, dass eine berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag vorliegt, wenn die Übernahme der Geschäftsführung dem Interesse und dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn entspricht. Beim Auseinanderfallen von objektiv verstandenem Interesse und subjektivem Willen geht nach herrschender Meinung der Wille vor.15 Entspricht die Übernahme der ärztlichen Behandlung also nicht dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Betroffenen, liegt eine unberechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag vor. Umstritten ist, ob sich die Ansprüche des Geschäftsherrn wegen unberechtigter Geschäftsführung ohne Auftrag aus § 678 BGB oder aus § 280 Abs. 1 i. V. m. § 677 BGB ergeben. Nach einer Ansicht ist § 678 BGB eine selbstständige Anspruchsgrundlage, die die Übernahme der Geschäftsführung betrifft, während § 677 BGB deren Ausführung regelt.16 Zum Teil wird im Schrifttum unter Hinweis auf die Auffassung des Gesetzgebers aber auch vertreten, dass der Anspruch sich bereits aus § 677 BGB ergibt.17 Ein Unterschied für die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich des Verschuldens ergibt sich daraus nicht.18 Der Wortlaut des § 678 BGB deutet allerdings durchaus darauf hin, dass es sich bei dieser Vorschrift um eine eigenständige Anspruchsgrundlage handelt, so dass sich die Ansprüche des Patienten wegen eigenmächtiger Heilbehandlung bei Fehlen eines wirksamen Vertrags aus § 678 BGB ergeben. Sofern ein wirksamer Vertrag besteht, liegt – wie oben bereits festgestellt wurde – im eigenmächtigen Handeln des Arztes eine Pflichtverletzung des Vertrags. Führt ein Arzt, mit dem ein Patient einen Behandlungsvertrag geschlossen hat, medizinische Maßnahmen bei dem Patienten durch, die von keiner Einwilligung auf Seiten des Patienten gedeckt sind, ist keine Geschäftsführung ohne Auftrag gegeben, da bei der Überschreitung vertraglicher Befugnisse nicht auf die §§ 677 ff. BGB zurückgegriffen werden kann.19 Dem entspricht auch, dass im 15 16 17 18 19
Esser/Weyers, Schuldrecht II/2, § 46 II. 3. a); Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, Rn. 422. Soergel/Beuthien, § 678 Rn. 1. Staudinger/Bergmann, § 678 Rn. 3; MünchKommBGB/Seiler, § 678 Rn. 1. Vgl. Staudinger/Bergmann, § 678 Rn. 13. BGH NJW-RR 1989, 995, 996: Überschreiten der Geschäftsführerbefugnisse; vgl. auch BGHZ 131, 297, 306: Der Mieter nimmt bei der Untervermietung kein objektiv fremdes Geschäft vor. Der Mieter, der vertragswidrig untervermietet, übt nur den ihm überlassenen Gebrauch in einer ihm nicht zustehenden Weise aus; jurisPK-BGB/Lange, § 677 Rn. 31; MünchKommBGB/Seiler, § 677 Rn. 49; RGRK/Steffen, Vor § 677 Rn. 56; Staudinger/Bergmann, § 678 Rn. 22. Anders noch RGZ 158, 302, 313: GoA bei Überschreitung der Geschäftsführerbefugnisse; Mot. II, S. 493 = Mugdan, Mate-
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C. Grundlagen der Haftung für medizinische Behandlung
Schrifttum eine Haftung des Arztes aus Geschäftsführung ohne Auftrag nur in Betracht gezogen wird, wenn es nicht zum Abschluss eines wirksamen Vertrags gekommen ist.20 Die Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag finden aber gleichwohl hinsichtlich solcher Handlungen Anwendung, die zwar zugunsten des Vertragspartners vorgenommen werden, die aber nicht unter den Vertragsgegenstand fallen.21 Ärztliche Handlungen liegen außerhalb des Vertragsgegenstands, wenn sie aufgrund neu hinzutretender Ereignisse, die nicht im Zusammenhang mit dem Zweck des Arztbesuches stehen, erfolgen. 3. Deliktische Haftung Dass der Arzt durch einen Behandlungsfehler den Körper oder die Gesundheit des Patienten verletzen kann, ist unstreitig. Umstritten dagegen ist, welches Recht bzw. Rechtsgut durch die eigenmächtige Heilbehandlung beeinträchtigt wird. Bei der Erörterung dieser Frage wird im Folgenden nicht nur auf das Zivilrecht, sondern auch auf das Strafrecht eingegangen, da dieses für das Arzthaftungsrecht in zweierlei Hinsicht von Bedeutung ist: Zum einen kann eine Strafbarkeit über § 823 Abs. 2 BGB zu zivilrechtlichen Ansprüchen führen. Zum anderen kann die strafrechtliche Diskussion für das Zivilrecht im Hinblick auf den Begriff der Körperverletzung von Interesse sein, wenn der Begriff der Körperverletzung im Sinne von § 223 Abs. 1 StGB mit dem im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB übereinstimmt. a) Die Körperverletzungsdoktrin der Rechtsprechung Seit der Ausgangsentscheidung des Reichsgerichts im Jahre 189422 ist nach der ständigen Rechtsprechung der Straf- und Zivilgerichte jeder ärztliche Eingriff – auch wenn er medizinisch indiziert, kunstgerecht durchgeführt und gelungen ist – eine tatbestandliche Körperverletzung.23 Zur Rechtmäßigkeit bedarf es eines Rechtfertigungsgrundes, der insbesondere in der wirksamen Einwilligung liegen kann. b) Das zivilrechtliche Schrifttum Während die herrschende Lehre im Zivilrecht der Körperverletzungsdoktrin der Rechtsprechung folgt, wertet die Gegenauffassung die ärztliche Eigenmacht zivilrechtlich als Verletzung des Selbstbestimmungsrechts als Teil des ebenfalls durch
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rialien II, S. 275: GoA bei Überschreitung eines Werkvertrags. Vgl. hierzu auch BGHZ 168, 368, 379 f. Vgl. Soergel/Spickhoff, § 823 Anh. I Rn. 48; Broglie, in: Ehlers/Broglie, Arzthaftungsrecht, Rn. 712. Staudinger/Bergmann, Vorbem. zu §§ 677 ff. Rn. 188 und 190. RGSt 25, 375 ff. RGSt 25, 375; RGZ 68, 431, 433 f.; BGHSt 11, 111; BGHSt 16, 309; BGHZ 29, 46, 49; BGHZ 29, 176, 179; BGHSt 35, 246.
II. Anspruchsgrundlagen im Arzthaftungsrecht
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§ 823 Abs. 1 BGB geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts.24 Die Vertreter dieser so genannten Persönlichkeitsdoktrin führen für ihre Auffassung an, dass der Arzt das körperliche Befinden nicht verschlechtern, sondern verbessern will und damit der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit nicht in der Beeinträchtigung der körperlichen Integrität als vielmehr in der Missachtung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten liege.25 Durch die Körperverletzungsdoktrin werde ärztliches Handeln abgewertet. Die Aufklärungsrüge werde zu einer Art Auffangtatbestand, wenn ein Behandlungsfehler nicht nachgewiesen werden kann.26 Demgegenüber weist die herrschende Lehre darauf hin, dass auch durch eine letztendlich geglückte Heilbehandlung in der Regel das körperliche Befinden zunächst beeinträchtigt werde.27 Von den Vertretern der herrschenden Lehre wird angeführt, dass die Persönlichkeitsdoktrin im Vergleich zur Körperverletzungsdoktrin die Rechtsposition des Patienten in verschiedener Hinsicht verschlechtere.28 Die Darlegungs- und Beweislast bezüglich der Erteilung einer wirksamen Einwilligung liege dann nicht mehr beim Arzt, sondern der Patient müsse den Eingriff in sein Selbstbestimmungsrecht zur Überzeugung des Gerichts nachweisen.29 Ferner seien materielle Schäden, die trotz kunstgerechter Behandlung entstanden sind, im Hinblick auf den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht ersatzfähig.30 Schließlich sei die Persönlichkeitsdoktrin für den Patienten auch deshalb nachteilig, weil der immaterielle Schaden unter strengeren Voraussetzungen ersetzt werde. Nach der ständigen, verfassungsrechtlich unbedenklichen31 Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs32 setze nämlich der Anspruch auf Geldentschädigung für den immateriellen Schaden bei Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts voraus, dass es sich um einen schwerwiegenden Eingriff handelt und die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend ausgeglichen werden kann.33
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Laufs, NJW 1969, 529; ders., NJW 1974, 2025; ders., NJW 1976, 1121, 1123; ders., in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 103 Rn. 7; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 118 ff.; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 76 II. 1. g) und § 80 II. 6. c); Weitnauer, DB 1961, Beilage Nr. 21, 1; Wiethölter, in: Aufklärungspflicht, S. 71, 79 und 94 und 106 f. Laufs, NJW 1969, 529; ders., NJW 1974, 2025; ders., NJW 1976, 1121, 1123; ders., in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 103 Rn. 7; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 76 II. 1. g); Katzenmeier, Arzthaftung, S. 118 ff. Katzenmeier, Arzthaftung, S. 120. Soergel/Spickhoff, § 823 Anh. I Rn. 52. Nüßgens, FS Hauß, S. 287, 291; RGRK/Nüßgens, § 823 Anh. II Rn. 65; Staudinger/Hager, § 823 Rn. I 3. Nüßgens, FS Hauß, S. 287, 291. Nüßgens, FS Hauß, S. 287, 291; so auch Deutsch, NJW 1965, 1985, 1989 sowie Luig, in: Gitter/Huhn/Lammel u. a., Vertragsschuldverhältnisse, S. 223, 251, der zur Frage der Einordnung der ärztlichen Eigenmacht allerdings nicht eindeutig Stellung bezieht. BVerfG NJW 2004, 591 f. BGHZ 35, 363, 369; BGHZ 39, 124, 133; BGH NJW 1970, 1077 f.; BGH NJW 1971, 698, 699; BGHZ 128, 1, 12; BGHZ 132, 13, 27. Nüßgens, FS Hauß, S. 287, 291.
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C. Grundlagen der Haftung für medizinische Behandlung
Dass bei Zugrundelegen der Persönlichkeitsdoktrin die Beweislast für den Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht zwangsläufig beim Patienten liegt, wird allerdings sowohl von Vertretern der Persönlichkeitsdoktrin als auch innerhalb der herrschenden Lehre bestritten.34 Vorgeschlagen werden Beweiserleichterungen bzw. eine Beweislastumkehr.35 Auch der Annahme, dass materielle Schäden nicht ersatzfähig seien, wird widersprochen.36 Einige Vertreter der Persönlichkeitsdoktrin halten materielle Schäden für durchaus ersatzfähig.37 Für die Ersatzfähigkeit dieser Schäden wird angeführt, dass das Erfordernis einer wirksamen Einwilligung dem Patienten ermöglichen solle, Behandlungsrisiken durch den Verzicht auf die Heilungschance zu vermeiden.38 Dass die ärztliche Eigenmacht Körper und Gesundheit verletzt, begründet Deutsch mit der von ihm entwickelten Transparenztheorie. Danach hat der auf höchstpersönliche Rechtsgüter bezogene Selbstbestimmungsschutz keine eigenständige rechtliche Bedeutung, sondern ist in dem Schutz des jeweiligen Rechtsguts mitverbürgt.39 Die Dispositionsfreiheit sei jedem verfügbaren Rechtsgut vorgeordnet. Jede Verletzung, die nur mit Einwilligung des Berechtigten zulässig wäre, beeinträchtige nicht allein das Rechtsgut, sondern auch die Entscheidungsfreiheit. Diese Freiheit sei als Rechtsgut gewissermaßen transparent, hinter ihr werde das zur eigenen Bestimmung zugewiesene Rechtsgut sichtbar. Dementsprechend verletze zwar die eigenmächtige Heilbehandlung zunächst die Entscheidungsfreiheit, dahinter erscheine aber der Eingriff in Körper und Gesundheit.40 c) Das strafrechtliche Schrifttum In der neueren strafrechtlichen Literatur findet die Rechtsprechung zwar vermehrt Zustimmung41, bei der wohl noch herrschenden Lehre42 stößt sie aber auf Ablehnung. Einigkeit besteht innerhalb der herrschenden Lehre dahingehend, dass jedenfalls die medizinisch indizierte, kunstgerecht durchgeführte und gelungene Heilbehandlung den Tatbestand der Körperverletzung nicht erfüllt. Die Recht34 35 36 37
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Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 76 II. 1. g); Katzenmeier, Arzthaftung, S. 125 f.; Soergel/Spickhoff, § 823 Anh. I Rn. 52. Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 76 II. 1. g); Katzenmeier, Arzthaftung, S. 125 f. Soergel/Spickhoff, § 823 Anh. I Rn. 52. Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 76 II. 1. g); Hart, FS Heinrichs, S. 291, 316. Gegen die Ersatzfähigkeit aber Laufs, NJW 1969, 529, 532 f.; ders., NJW 1974, 2025, 2029; Wiethölter, in: Aufklärungspflicht, S. 71, 109. Soergel/Spickhoff, § 823 Anh I Rn. 52. Deutsch, NJW 1965, 1985, 1989; ders., NJW 1979, 1905, 1906. Deutsch, NJW 1965, 1985, 1989. Weber, in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, Strafrecht BT, § 6 Rn. 99 f.; Cramer, FS Lenckner, S. 761, 773 f.; SK-StGB/Horn/Wolters, § 223 Rn. 31 ff.; Krey/Heinrich, Strafrecht BT 1, Rn. 219; Küpper, Strafrecht BT 1, § 2 Rn. 43; Mitsch, Schutz, S. 22; Rengier, Strafrecht BT 2, § 13 Rn. 17. Bockelmann, Strafrecht des Arztes, S. 66 ff.; LK/Lilie, Vor § 223 Rn. 3 m. w. N.; Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht BT 1, § 8 Rn. 23; Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 138 Rn. 5.
II. Anspruchsgrundlagen im Arzthaftungsrecht
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sprechung diskreditiere ärztliches Handeln, indem sie den Arzt auf eine Stufe mit einem Messerstecher stelle.43 Die ärztliche Eigenmacht verletze das Selbstbestimmungsrecht, nicht die körperliche Unversehrtheit, die allein Rechtsgut der §§ 223 ff. StGB sei. Der Rechtsprechung stehe daher im Strafrecht der in Art. 103 Abs. 2 GG verankerte Grundsatz „nullum crimen sine lege“ entgegen, wenn über die Körperverletzungstatbestände auch das Selbstbestimmungsrecht geschützt werde.44 Im Übrigen sind die Lösungswege der herrschenden Lehre uneinheitlich. Zum Teil stellt das Schrifttum auf das Erfolgsunrecht ab und unterscheidet demnach zwischen gelungener und misslungener Behandlung.45 Die erfolgreiche ärztliche Maßnahme, die letztendlich die Gesundheit des Patienten wiederherstellt, verbessert oder zumindest nicht verschlechtert, könne bereits nach ihrer sozialen Sinnhaftigkeit keine tatbestandliche Körperverletzung sein.46 Maßgeblich sei nicht der Einzelakt (z. B. die Injektion, der Einschnitt), sondern das Gesamtergebnis der Heilbehandlung.47 Differenzierend macht Eser bei wesentlichen Substanzveränderungen, insbesondere bei Amputationen, eine Ausnahme. Sofern der Patient nicht eingewilligt hat, liege in diesen Fällen eine tatbestandliche Körperverletzung vor, da der Patient über seine äußere Gestalt bestimmen können müsse.48 Eine andere Auffassung im Schrifttum stellt auf das Handlungsunrecht ab, so dass der medizinisch indizierte, kunstgerecht durchgeführte Heileingriff unabhängig von seinem Erfolg keine tatbestandliche Körperverletzung darstellt.49 Das der Rechtsprechung zustimmende Schrifttum weist auf die andernfalls entstehenden Strafbarkeitslücken hin. Sofern nicht ausnahmsweise eine Strafbarkeit nach § 239 StGB oder § 240 StGB in Betracht komme, sei nach der herrschenden Lehre kein Straftatbestand gegeben.50 Im Übrigen sei nicht stichhaltig, dass ärztliches Handeln durch die Körperverletzungsdoktrin diskreditiert werde. Das endgültige Unwerturteil der Rechtsordnung falle nicht bereits mit Erfüllung des Tatbestandes, sondern erst mit der Rechtswidrigkeit. So gebe es auch andere ehrenwerte Berufe, wie beispielsweise der eines Polizisten, die Tätigkeiten verlangen, die erst durch einen Rechtfertigungsgrund rechtmäßig werden.51
43 44 45 46 47 48 49
50 51
Bockelmann, Strafrecht des Arztes, S. 62. Bockelmann, Strafrecht des Arztes, S. 67; Hartmann, Heilbehandlung, S. 72; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 117; ders., ZRP 1997, 156, 158. Bockelmann, Strafrecht des Arztes, S. 67; Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht BT 1, § 8 Rn. 24. Bockelmann, Strafrecht des Arztes, S. 67; Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht BT 1, § 8 Rn. 24. Bockelmann, Strafrecht des Arztes, S. 67 f. Schönke/Schröder/Eser, § 223 Rn. 31 ff. LK/Lilie, Vor § 223 Rn. 5 verneint den subjektiven Tatbestand. Dass die misslungene Behandlung, sofern sie nur kunstgerecht durchgeführt wird, bereits den objektiven Tatbestand nicht erfüllt, wird in der neueren Literatur nicht mehr vertreten. So aber noch Engisch, ZStW 58 (1939), S. 1, 5 und Eb. Schmidt, Der Arzt im Strafrecht, S. 90. Küpper, Strafrecht BT 1, § 2 Rn. 43. Cramer, FS Lenckner, S. 761, 774; Krey/Heinrich, Strafrecht BT 1, Rn. 220.
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C. Grundlagen der Haftung für medizinische Behandlung
d) Sonderproblem: Unmittelbar und ausschließlich gesundheitsfördernde Behandlungen Bevor zu den unterschiedlichen Ansichten eine Stellungnahme erfolgt, soll untersucht werden, welche Behandlungen nach Ansicht der Befürworter der Körperverletzungsdoktrin den Tatbestand der Körperverletzung überhaupt erfüllen. Es stellt sich nämlich die Frage, ob alle medizinischen Behandlungen, also auch solche, die keine Substanzverletzung beinhalten, nicht schmerzhaft sind und den Gesundheitszustand des Patienten zu keiner Zeit verschlechtern, eine Körperverletzung darstellen. Zu denken ist etwa an eine Medikamentengabe, die der Patient abgelehnt hat, die aber den Gesundheitszustand ausschließlich verbessert. Auch die künstliche Ernährung und eine Bluttransfusion könnten Beispiele für unmittelbar und ausschließlich gesundheitsfördernde Behandlungen sein, sofern keine Komplikationen auftreten und man das Legen der Zugänge außer Betracht lässt. Das Abstellen auf den Einzelakt, z. B. auf die Injektion oder den Einschnitt, und der Hinweis, dass auch bei der letztendlich gelungenen Heilbehandlung der Zustand des Patienten regelmäßig zunächst verschlechtert wird52, vermögen in diesen Fällen das Vorliegen einer Körperverletzung nicht überzeugend zu begründen. In der Literatur wird auf dieses Problem lediglich vereinzelt und dann meist nur beiläufig eingegangen. Für das Strafrecht führt Egon Müller aus, dass nach der Rechtsprechung „jeder ärztliche Heileingriff – ob Operation, Injektion, Bestrahlung, Arzneimittelgabe oder diagnostische Untersuchung – den Tatbestand der Körperverletzung erfüllt“.53 Auch Ulsenheimer versteht die Rechtsprechung in diesem Sinn, wenn er bemerkt, dass auch „jede medikamentöse oder somatisch-psychische Behandlung, jede Applikation eines Medikaments, Bestrahlung oder psychotherapeutische Einwirkung“ nach der Rechtsprechung eine Körperverletzung darstellt.54 Daher ist nach Ulsenheimer auch die Bluttransfusion eine Körperverletzung.55 Weißauer und Hirsch schreiben, dass eine Körperverletzung in „jedem diagnostischen und therapeutischen ärztlichen Eingriff einschließlich der medikamentösen und der Strahlenbehandlung“ liege, „auch wenn er indiziert ist, lege artis durchgeführt wird und Erfolg hat.“56 Nach Ansicht von Weißauer und Hirsch stellt „die Bluttransfusion […] ohne Zweifel einen Eingriff in die Körperintegrität dar.“57 Im Zivilrecht geht Mertens auf die eigenmächtige medikamentöse Behandlung ein. Mertens versteht unter Körperverletzung jeden – nicht ganz unerheblichen – physischen Eingriff in die äußerliche Unversehrtheit oder in die natürlichen, inneren Lebensvorgänge des Körpers.58 Bei Zugrundelegen dieser Definition ist auch die gelungene, aber eigenmächtige medikamentöse Behandlung stets Körperver52 53 54 55 56 57 58
Weber, in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, Strafrecht BT, § 6 Rn. 99 f.; Krey/Heinrich, Strafrecht BT 1, Rn. 222. E. Müller, DRiZ 1998, 155. Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 138 Rn. 5. Ulsenheimer, Anästhesiologie & Intensivmedizin 2001, 157 ff. Weißauer/Hirsch, DMW 1978, 1770, 1771. Weißauer/Hirsch, DMW 1978, 1770, 1771. MünchKommBGB/Mertens, 3. Aufl., § 823 Rn. 73.
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letzung.59 Auch eine Bluttransfusion stellt dann unproblematisch eine Körperverletzung dar. Den Ausführungen des 12. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs kann entnommen werden, dass nach Auffassung des Senats die künstliche Ernährung eine Körperverletzung darstellt. Im so genannten ersten Sterbehilfebeschluss heißt es: „Die Beibehaltung einer Magensonde und die mit ihrer Hilfe ermöglichte künstliche Ernährung sind fortdauernde Eingriffe in die körperliche Integrität des Patienten“.60 Indem der Bundesgerichtshof die künstliche Ernährung als Körperverletzung qualifiziert, hat er eine medizinische Maßnahme, die den Körperzustand in der Regel zu keiner Zeit verschlechtert, als tatbestandliche Körperverletzung aufgefasst. Daher ist anzunehmen, dass der Bundesgerichtshof auch in einer gelungenen Bluttransfusion ohne Nebenwirkungen eine tatbestandliche Körperverletzung sehen würde. Demgegenüber meinen andere, dass auch auf Grundlage der Körperverletzungsdoktrin nicht alle medizinischen Behandlungen von den Körperverletzungstatbeständen erfasst werden. Ärztliche Eingriffe, die unmittelbar Linderung und Besserung verschaffen, seien mangels Rechtsgutsverletzung nicht tatbestandsmäßig.61 So geht von Burski auf den Fall ein, dass für eine vom Patienten abgelehnte Bluttransfusion eine bereits vorhandene Injektionskanüle, die mit Einwilligung des Patienten gelegt worden war, verwendet wird. Da die Blutkonserve lediglich an die Kanüle angeschlossen werde und keine erneute Injektion erforderlich sei, müsse wohl auch die Rechtsprechung den Tatbestand der Körperverletzung verneinen.62 Auch Mitsch weist auf das Selbstbestimmungsrecht des Patienten verletzende Maßnahmen hin, die den Tatbestand der Körperverletzung nicht erfüllen, weil sie nicht die physische, sondern die seelische Verfassung des Patienten tangieren oder den Patienten überhaupt nicht unmittelbar berühren.63 Nach Knauer sind Medikamentenverschreibungen, nicht substanzverletzende Behandlungsmethoden und diagnostische Maßnahmen, die den Gesundheitszustand des Patienten nicht verschlechtern und keine nachweisbaren weiteren Nebenwirkungen verursachen, nicht tatbestandsmäßig im Sinne des § 223 Abs. 1 StGB. Als Beispiele werden die Einnahme eines Schmerzmittels, chiropraktische Eingriffe ohne Schmerzzufügung, Wärmebehandlungen und das Beseitigen einer Angina Pectoris mittels eines Nitro-Lingual-Sprays genannt. Ferner sollen ärztliche Eingriffe mit nur minimaler Invasivität dann keine Körperverletzung sein, wenn sie in ihrer Folge den Gesundheitszustand des Patienten bessern und sich die Misshandlung durch den Eingriff gegenüber dem Heilungserfolg als nicht erheb-
59 60 61 62 63
MünchKommBGB/Mertens, 3. Aufl., § 823 Fn. 108 und Rn. 358. BGHZ 154, 205, 210 (Hervorhebung durch die Verfasserin). Kargl, GA 2001, 538, 542; Krauß, FS Bockelmann, S. 557, 560 und 575. v. Burski, Zeugen Jehovas, S. 158. Mitsch, Schutz, S. 24; vgl. auch Hartmann, Heilbehandlung, S. 58: „scheidet jedenfalls in diesen Fällen der unmittelbaren Wahrung und Wiederherstellung der körperlichen Gesundheit ohne wesentlichen Substanzverlust bzw. ohne zusätzliche Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit eine Körperverletzung aus.“
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lich darstellt. Als Beispiel nennt er unter anderem die wirksame Injektion eines Schmerzmittels.64 Auch in der zivilrechtlichen Literatur wird darauf hingewiesen, dass nicht alle ärztlichen Behandlungen als Körperverletzung aufgefasst werden können. Taupitz geht davon aus, dass „eingriffslose“ ärztliche Maßnahmen keine Körperverletzungen sind.65 Als Beispiele nennt er Ultraschalluntersuchungen und psychotherapeutische Behandlungen. Darüber hinaus wird bisweilen auch ausdrücklich festgestellt, dass die Verabreichung von Blutkonserven an einen Zeugen Jehovas keine Körperverletzung, sondern eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstellt.66 Ebenso prüft das Oberlandesgericht München – allerdings ohne jede Begründung – bei einer Bluttransfusion ohne Einwilligung der Patientin die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.67 Nach Ansicht Bergs kann auch bei Zugrundelegen der Körperverletzungsdoktrin die komplikationslose Aufrechterhaltung der künstlichen Ernährung mittels PEG-Sonde, d. h. das Einfließenlassen der Sondenkost in den Magen, weder zivil- noch strafrechtlich als Körperverletzung gewertet werden.68 e) Stellungnahme aa) Die grundsätzliche Vorzugswürdigkeit der Körperverletzungsdoktrin Die Körperverletzungsdoktrin vermeidet die Strafbarkeitslücken, die die Persönlichkeitsdoktrin zur Folge hat. Da nur in Ausnahmefällen die Tatbestände der Freiheitsberaubung gemäß § 239 StGB oder der Nötigung gemäß § 240 StGB durch die ärztliche Eigenmacht verwirklicht werden, etwa wenn der Patient festgehalten oder ohne seinen Willen betäubt wird, bleibt nach der Persönlichkeitsdoktrin der eigenmächtig handelnde Arzt regelmäßig straflos. Da der eigenmächtige Heileingriff als massiver Eingriff in die Rechtssphäre des Patienten aber durchaus strafwürdig erscheint69, stellt sich die Körperverletzungsdoktrin als vorzugswürdig dar. Die überwiegende Anzahl ärztlicher Heilbehandlungen lässt sich bei Betrachtung des Einzelakts, z. B. der Bauchöffnung, auch unproblematisch unter den Körperverletzungstatbestand subsumieren. Soweit eine ärztliche Behandlung eine Substanzverletzung bewirkt, dem Patienten Schmerzen zufügt oder den Gesundheitszustand auch nur vorübergehend nachteilig verändert, kann sie als Körperverletzung im Sinne des § 223 Abs. 1 StGB aufgefasst werden, ohne dass dies mit Art. 103 Abs. 2 GG im Widerspruch steht. Im Zivilrecht ist die Körperverletzungsdoktrin ebenfalls grundsätzlich gegenüber der Persönlichkeitsdoktrin vorzugswürdig. Auch wenn ein Teil der Vertreter 64 65 66 67 68 69
Knauer, in: Roxin/Schroth, Medizinstrafrecht, 2. Aufl., S. 11, 20. Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 16. Ratzel, AnwBl 2002, 485, 487; Dirksen, GesR 2004, 128, 129; F. Wenzel, in: F. Wenzel, Handbuch Medizinrecht, Kap. 4 Rn. 402. OLG München NJW-RR 2002, 811 und 814. Berg, Behandlungsbegrenzung, S. 18. So auch Katzenmeier, Arzthaftung, S. 116.
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der Persönlichkeitsdoktrin materielle Schäden für ersatzfähig hält70 und Beweiserleichterungen vorschlägt71, bleibt eine Schlechterstellung des Patienten jedenfalls im Hinblick auf den Ersatz des immateriellen Schadens. Zwar wurde entgegen anfänglicher Stimmen im Schrifttum72 durch die Einfügung des § 253 Abs. 2 BGB, in welchem das allgemeine Persönlichkeitsrecht keine Erwähnung findet, dem Anspruch auf Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht gänzlich der Boden entzogen.73 Der Geldentschädigungsanspruch wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts setzt aber anders als der Schmerzensgeldanspruch wegen Körper- oder Gesundheitsverletzung eine schwerwiegende Verletzung voraus. Ob im Einzelfall eine für einen Geldentschädigungsanspruch hinreichend schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliegt, hängt insbesondere von der Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, von Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie vom Grad seines Verschuldens ab.74 Da das Motiv des behandelnden Arztes bei der Durchführung einer Heilbehandlung regelmäßig ehrenwert ist und der Arzt häufig von einer mutmaßlichen Einwilligung des Patienten ausgehen wird, würden Ansprüche auf Ersatz des immateriellen Schadens bei Zugrundelegen der Persönlichkeitsdoktrin oftmals ausscheiden. Die Persönlichkeitsdoktrin geht mit einem weiteren Nachteil für den Patienten einher, sofern eine Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nur im Deliktsrecht, nicht aber im Vertragsrecht gewährt wird.75 Für den Patienten ist das Deliktsrecht nämlich im Hinblick auf die gemäß § 831 Abs. 1 S. 2 BGB bestehende Exkulpationsmöglichkeit weniger günstig als das Vertragsrecht. Bisweilen wird eine Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts allerdings auch auf vertragsrechtlicher Grundlage für möglich gehalten, da es angesichts der verfassungsrechtlichen Schutzpflicht nicht plausibel sei, bei der Verletzung der körperlichen Unversehrtheit oder der Bewegungsfreiheit den immateriellen Schaden im Rahmen des Vertragsrechts zu ersetzen, nicht aber den durch eine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung verursachten immateriellen Schaden.76 Gegen einen vertragsrechtlichen Geldentschädigungsanspruch spricht aber, dass der Anspruch auf Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 1 und Art. 2 GG hergeleitet wird77 und daher dem Deliktsrecht zuzuordnen ist. Auch die Begründung des Regierungsentwurfs des Zweiten Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften weist auf die deliktsrechtliche Grundlage des Geldentschädigungsanspruchs hin. Dort heißt es: „Dass Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht ausdrücklich in die 70 71 72 73 74 75 76 77
Hart, FS Heinrichs, S. 291, 316; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 76 II. 1. g). Katzenmeier, Arzthaftung, S. 125 f.; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 76 II. 1. g). Ratzel, AnwBl 2002, 485, 487. BT-Drucksache 14/7752, S. 24. BGH VersR 1988, 405; BGHZ 128, 1, 12; BGHZ 132, 13, 27. Zweifelnd insoweit Katzenmeier, VersR 2002, 1066, 1073. Däubler, JuS 2002, 625, 627. BGHZ 160, 298, 302.
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Aufzählung der Schmerzensgeldansprüche auslösenden Rechtsgutsverletzungen aufgenommen sind, steht auch künftig einer Geldentschädigung bei nach § 823 BGB erheblichen Persönlichkeitsverletzungen nicht entgegen.“78 Ausweislich der Begründung des Regierungsentwurfs war eine Regelung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht beabsichtigt79, so dass davon auszugehen ist, dass es bei der bisherigen Rechtslage bleibt und der Anspruch auf Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nur im Rahmen des Deliktsrechts gewährt wird.80 Damit bleibt festzuhalten, dass die Körperverletzungsdoktrin sowohl im Strafals auch im Zivilrecht grundsätzlich zu befürworten ist. Ob dies auch für solche Behandlungen gilt, die unmittelbar und ausschließlich gesundheitsfördernd sind, wird im Folgenden untersucht. bb) Die Differenzierung zwischen unterschiedlichen medizinischen Maßnahmen Lehnt man die wertende Betrachtung der Persönlichkeitsdoktrin, die Handlungen aus dem Tatbestand der Körperverletzung deshalb herausnimmt, weil sie ärztliche Heileingriffe sind, ab, darf man nicht gleichsam in Umkehrung der Persönlichkeitsdoktrin eine bestimmte Handlung schlicht deshalb unter den Tatbestand der Körperverletzung subsumieren, weil sie eine ärztliche Heilbehandlung ist. Richtigerweise kommt man bei Zugrundelegen der Körperverletzungsdoktrin nicht umhin, die einzelne Handlung darauf hin zu überprüfen, ob sie den Tatbestand der Körperverletzung erfüllt. Durch die Qualifikation einer Handlung als ärztliche Heilbehandlung ist noch nicht über das Vorliegen einer Körperverletzung entschieden. (1) Strafrecht Angesichts des in Art. 103 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich verankerten Grundsatzes „nullum crimen sine lege“ ist im Strafrecht stets erforderlich, dass die Handlung an sich unter den Körperverletzungstatbestand subsumiert werden kann. Der Tatbestand der Körperverletzung unterscheidet die Tatmodalität der körperlichen Misshandlung und die der Gesundheitsschädigung. Da der Begriff der Gesundheitsschädigung ein Hervorrufen oder ein Steigern eines krankhaften Zustandes voraussetzt81, sind Behandlungen, die sich zu keiner Zeit nachteilig auf den Gesundheitszustand des Patienten auswirken, keine Gesundheitsschädigung. In Betracht kommt nur die Tatmodalität der körperlichen Misshandlung. Nach einer Mindermeinung ist Schutzgut des § 223 StGB neben der körperlichen Unversehrt-
78 79 80
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BT-Drucksache 14/7752, S. 24 (Hervorhebung durch die Verfasserin). BT-Drucksache 14/7752, S. 25. So wohl auch G. Wagner, NJW 2002, 2049, 2057, der aber de lege ferenda einen vertragsrechtlichen Geldentschädigungsanspruch wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts befürwortet. Schönke/Schröder/Eser, § 223 Rn. 5.
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heit auch das körperbezogene Selbstbestimmungsrecht82, so dass bei Zugrundelegen dieser Ansicht auch nicht nachteilige eigenmächtige Heilbehandlungen eine Körperverletzung sein könnten. Nach herrschender Meinung ist das Selbstbestimmungsrecht aber nicht Schutzgut des § 223 StGB.83 Der Begriff der körperlichen Misshandlung erfordert nach herkömmlicher Definition ein übles, unangemessenes Behandeln, das entweder das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit nicht nur unerheblich beeinträchtigt.84 Auch die Tatmodalität der körperlichen Misshandlung setzt also nach herrschender Auffassung im Hinblick auf den körperlichen Zustand eine Beeinträchtigung, d. h. eine nachteilige Veränderung, voraus.85 Dementsprechend wertet die herrschende Meinung einen erzwungenen Geschlechtsverkehr nicht stets als tatbestandliche Körperverletzung. Obgleich durch eine Vergewaltigung massiv in die körperliche Integrität des Opfers eingegriffen wird, ergibt sich die Strafbarkeit allein aus § 177 StGB, wenn das Opfer keine gesundheitlichen oder körperlichen Schäden davonträgt. Der nicht einverständliche Geschlechtsverkehr als solcher ist nach herrschender Meinung keine körperliche Misshandlung im Sinne des § 223 Abs. 1 StGB.86 Daher ist es widersprüchlich, wenn die Rechtsprechung medizinische Maßnahmen, die keinerlei nachteilige Wirkungen auf den körperlichen oder gesundheitlichen Zustand des Patienten haben, als vollendete Körperverletzungen betrachtet. Wird die herkömmliche Definition der Körperverletzung beibehalten, kann nicht jede eigenmächtige Heilbehandlung nach geltendem Recht strafrechtlich sanktioniert werden. Dies macht eine Abweichung von der anerkannten Definition der Körperverletzung aber nicht erforderlich. Im Hinblick auf den Charakter des Strafrechts als ultima ratio erscheinen nämlich in Fällen ärztlicher Eigenmacht, in denen kein gesundheitlicher Nachteil dem Patienten erwächst, der Arzt hinsichtlich eines solchen Nachteils auch nicht bedingt vorsätzlich handelt und weder eine Nötigung noch eine Freiheitsberaubung verwirklicht wurde, zivilrechtliche Ansprüche als ausreichend. Festzuhalten ist also, dass bei der strafrechtlichen Bewertung der eigenmächtigen Heilbehandlung eine differenzierte Vorgehensweise angezeigt ist.87 Hiernach stellt die Verabreichung eines Medikaments keine vollendete Körperverletzung dar, wenn der körperliche Zustand des Patienten sich dadurch jedenfalls nicht verschlechtert und keine Nebenwirkungen eintreten. In diesem Fall ist die im Körper stattfindende biochemische Reaktion nicht nachteilig. Wird also einem Patienten ein Schmerzmittel verabreicht, ohne dass hierfür eine gesonderte Injektion erforderlich wird, und verträgt der Patient das Medikament, ohne dass Nebenwirkungen eintreten, liegt darin keine tatbestandliche Körperverletzung. Zu 82 83 84 85 86 87
SK-StGB/Horn/Wolters, § 223 Rn. 35 f. Schönke/Schröder/Eser, § 223 Rn. 3 ff.; Knauer, in: Roxin/Schroth, Medizinstrafrecht, 2. Aufl., S. 11, 17; Schroeder, FS Hirsch, S. 725, 735. Fischer, § 223 Rn. 3 a; Krey/Heinrich, Strafrecht BT 1, Rn. 189; Schroeder, Heilbehandlung, S. 18. Fischer, § 223 Rn. 5. BGH NStZ 2007, 218; Fischer, § 223 Rn. 4; LK/Lilie, § 223 Rn. 6; a. A. Jerouschek, JZ 1992, 227, 229 f. So auch Knauer, in: Roxin/Schroth, Medizinstrafrecht, 2. Aufl., S. 11, 20.
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einer vollendeten Körperverletzung wird die Verabreichung des Medikaments dann, wenn dieses im konkreten Fall schädliche Nebenwirkungen entfaltet.88 Ärztliche Behandlungen, die an sich unmittelbar keine negativen Auswirkungen auf den Patienten haben, können eine Körperverletzung darstellen, wenn sie mittelbar zu Beschwerden führen. Eine körperliche Misshandlung liegt nämlich auch dann vor, wenn die Tathandlung psychosomatische Beschwerden hervorruft.89 Entwickelt ein Patient aufgrund des Umstands, dass eine Behandlung ohne seine Einwilligung erfolgt ist, beispielsweise Magenschmerzen oder Migräne, liegt darin eine vollendete Körperverletzung. Bei der Berücksichtigung psychisch vermittelter körperlicher Auswirkungen ist freilich die Erheblichkeitsschwelle zu beachten. Ein bloßes Ekelgefühl genügt nicht.90 Umstritten ist, ob die Erregung oder Steigerung einer rein psychischen pathologischen Störung eine Gesundheitsschädigung darstellen kann.91 Es erscheint angezeigt, in Abkehr von einem einseitigen Gesundheitsverständnis auch psychische Beeinträchtigungen mit Krankheitswert als Gesundheitsschädigung und damit als Körperverletzung zu verstehen. Dass eine starre Unterscheidung zwischen körperlichen und psychischen Erkrankungen nicht angebracht ist, zeigt sich darin, dass das Gehirn, das Teil des Körpers ist, an psychischen Erkrankungen beteiligt ist und umgekehrt psychische Erkrankungen häufig mit körperlichen Symptomen, z. B. Schlafstörungen, einhergehen. Damit ist eine Körperverletzung beispielsweise zu bejahen, wenn der Patient infolge der eigenmächtigen Heilbehandlung eine Depression entwickelt. Dass bestimmte ärztliche Behandlungsformen gefährlich sind und Risiken bergen, kann allein nicht den Tatbestand der vollendeten Körperverletzung erfüllen, da die Körperverletzungstatbestände keine Gefährdungs-, sondern Erfolgsdelikte sind. Führt eine ärztliche Behandlung zu keinerlei nachteiligen Veränderungen beim Patienten, kommt allerdings eine versuchte Körperverletzung in Betracht. Hierfür ist erforderlich, dass der Arzt zumindest bedingt vorsätzlich hinsichtlich des tatbestandlichen Erfolgs handelt. Bedingt vorsätzliches Handeln setzt nach ständiger Rechtsprechung voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs für möglich hält und billigend in Kauf nimmt. Ein Billigen im Rechtssinne liegt auch dann vor, wenn der Täter den Erfolg als unerwünscht ansieht, sich aber mit ihm um des erstrebten Ziels willen abfindet.92 Eine eigenmächtige Behandlung, die tatsächlich keinerlei nachteilige Auswirkungen auf den Patienten hat, kann eine versuchte Körperverletzung darstellen, wenn der Arzt eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens oder des Gesundheitszustands für möglich hält und diese in Kauf nimmt. Einen derartigen Eventualvorsatz des Arztes wird man bei Behandlungen annehmen können, bei denen häufig Komplikationen oder Nebenwirkungen auftreten.
88 89 90 91 92
So auch Knauer, in: Roxin/Schroth, Medizinstrafrecht, 2. Aufl., S. 11, 15. Fischer, § 223 Rn. 4. OLG Zweibrücken NJW 1991, 241; Fischer, § 223 Rn. 4. Dafür Schönke/Schröder/Eser, § 223 Rn. 6. Dagegen LK/Lilie, § 223 Rn. 15. BGHSt 7, 363, 369; BGH NJW 1963, 2236, 2237; BGH StV 1998, 128. Vgl. auch BGHSt 36, 1, 9; BGH NStZ 1994, 584.
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Im Hinblick auf die Frage, ob Bluttransfusionen stets als Körperverletzung einzuordnen sind, sei zunächst angemerkt, dass die Vorstellung von Burskis, eine Bluttransfusion könne durch bereits vorhandene Zugänge erfolgen und eine Injektion sei nicht stets erforderlich93, heute regelmäßig nicht der Praxis entspricht. Für Bluttransfusionen wird in der Regel ein gesonderter Zugang gelegt.94 Darin jedenfalls liegt nach herkömmlicher Ansicht eine Körperverletzung im Sinne von § 223 Abs. 1 StGB. Außerdem muss der Arzt vor der Bluttransfusion einen AB0-Identitätstest, den so genannten Bedside-Test, durchführen, der die Abnahme von Patientenblut erfordert.95 Für den Fall, dass der Patient in das Legen der für die Bluttransfusion notwendigen Zugänge und in die erforderlichen Injektionen eingewilligt hat, nicht aber – etwa aufgrund einer Meinungsänderung – in die Bluttransfusion als solche, ist festzuhalten, dass das Transfundieren von Blut keine vollendete Körperverletzung darstellt, sofern keinerlei Komplikationen und Nebenwirkungen auftreten und der Patient keine psychosomatischen oder psychischen Krankheitsbilder entwickelt.96 In einem solchen Fall könnte aber eine versuchte Körperverletzung vorliegen, wenn der Arzt den Eintritt eines Körperverletzungserfolgs für möglich hält und billigend in Kauf nimmt, d. h mit bedingtem Körperverletzungsvorsatz handelt. Bluttransfusionen bergen auch heute noch erhebliche Risiken, bei deren Verwirklichung der objektive Tatbestand der Körperverletzung erfüllt ist.97 Durch Blut93 94 95
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v. Burski, Zeugen Jehovas, S. 158. Deutsch/Bender/Eckstein/Zimmermann, Transfusionsrecht, Rn. 855. Deutsch/Bender/Eckstein/Zimmermann, Transfusionsrecht, Rn. 842. Der Bedside-Test dient der Bestätigung der zuvor bestimmten AB0-Blutgruppenmerkmale des Empfängers und ist der letzte Test zur Vermeidung einer AB0-inkompatiblen Transfusion, z. B. infolge von Verwechslungen. Das für den Bedside-Test verwendete Patientenblut wird unmittelbar vor jeder Transfusion bzw. Transfusionsserie direkt vor der Durchführung am Ort der Transfusion abgenommen. Zu unterscheiden ist der Bedside-Test von der Kreuzprobe. Mit der Kreuzprobe (serologische Verträglichkeitsprobe) werden im Empfängerblut vorhandene (irreguläre) Antikörper gegen Oberflächenantigene auf den Erythrozyten der konkret zu transfundierenden Blutkonserve nachgewiesen. Die Kreuzprobe muss innerhalb von drei Tagen vor der Bluttransfusion erfolgen. Bei Notfalltransfusionen ist die Kreuzprobe, nicht aber der Bedside-Test entbehrlich (vgl. Greinacher in: Mueller-Eckhardt/Kiefel, Transfusionsmedizin, S. 330 und Kretschmer/Weippert-Kretschmer, in: Mueller-Eckhardt/Kiefel, Transfusionsmedizin, S. 481). Vgl. hierzu auch Ulsenheimer, FS Eser, S. 1225, 1226: Dort wird berichtet, dass eine Zeugin Jehovas, die ohne ihre Einwilligung Bluttransfusionen erhalten hat, Strafanzeige wegen vorsätzlicher Körperverletzung wegen der bei ihr aufgetretenen psychischen Folgeschäden (schwere Traumatisierung, Schockzustand, Weinanfälle und Depressionen) gestellt hat. Der objektive Tatbestand der Körperverletzung ist allerdings wohl nicht erfüllt, wenn der Patient aufgrund einer Bluttransfusion irreguläre Antikörper bildet, die bei späteren Bluttransfusionen die Versorgung erschweren und insbesondere bei Notfalltransfusionen Transfusionsreaktionen auslösen können (vgl. hierzu aus medizinischer Sicht Fopp/ Wernli, Schweiz Med Forum 2006, 139, 143). Zwar hat der BGH die Einordnung von Röntgenbestrahlung als Körperverletzung damit begründet, dass durch die Bestrahlung Zellstrukturen zerstört werden, wodurch das Risiko späterer Erkrankungen erhöht werde, und einer Körperverletzung nicht entgegenstehe, dass die Veränderungen im mikro-
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transfusionen können Infektionskrankheiten übertragen werden. Bereits die Infizierung mit einer erst nach längerer Inkubationszeit ausbrechenden Krankheit, etwa die Infektion mit HI-Viren, erfüllt als solche bereits den objektiven Tatbestand der Körperverletzung.98 Zwar ist das im Bewusstsein der Bevölkerung verankerte Risiko der Ansteckung mit HI-Viren sowie Hepatis-B- und Hepatis-C-Viren als eher gering zu betrachten99, es besteht aber die Gefahr der Übertragung auch anderer Viren, Bakterien und sonstiger Krankheitserreger.100 Weiterhin können Blutkonserven bei der Blutentnahme beim Spender oder im Verarbeitungsprozess bakteriell kontaminiert worden sein.101 Ferner besteht das Risiko hämolytischer Transfusionsreaktionen. Diese können zunächst zu Fieber, Schüttelfrost und Unwohlsein, im weiteren Verlauf zu Lungenschädigungen, Nierenschädigungen, Nieren- und Kreislaufversagen und zum Tod führen.102 Außerdem können allergische Reaktionen auftreten.103 Da Bluttransfusionen mit erheblichen Risiken verbunden sind, hält ein Arzt regelmäßig Komplikationen und Nebenwirkungen, die den objektiven Tatbestand der Körperverletzung erfüllen, für möglich, nimmt diese aber in Kauf. Möglicherweise vertraut er darauf, dass schwere Komplikationen nicht auftreten, er wird aber mit leichteren Nebenwirkungen immer rechnen und diese billigend in Kauf nehmen. Sofern also tatsächlich keine Nebenwirkungen und Komplikationen eintreten, stellt die Bluttransfusion als solche regelmäßig eine versuchte Körperverletzung dar. Hinsichtlich künstlicher Ernährung ist wie folgt zu unterscheiden: Das Legen einer PEG-Sonde ist eine tatbestandliche Körperverletzung, weil es stets mit einer Substanzverletzung verbunden ist. Die künstliche Ernährung als solche ist keine Körperverletzung, wenn sie den Zustand des Patienten nicht verschlechtert und keinerlei nachteilige Auswirkungen auf den Patienten hat.104 Sofern aber die künstliche Ernährung für den Patienten körperlich belastend ist, wie es etwa bei Sterbenden der Fall sein kann105, ist auch die künstliche Ernährung an sich als Körperverletzung im Sinne von § 223 Abs. 1 StGB einzuordnen.
98 99 100 101 102 103 104 105
biologischen Bereich eintreten (BGHSt 43, 346, 354 f.). Anders als die strahlenbedingte Zellveränderung führt aber die Bildung irregulärer Antikörper als solche nicht zu einem erhöhten Krankheitsrisiko, sondern erschwert lediglich die spätere medizinische Versorgung. Das lediglich leicht erhöhte Risiko, dass bei einer später erforderlich werdenden Bluttransfusion Komplikationen eintreten, überschreitet im Übrigen wohl auch nicht die Erheblichkeitsschwelle. BGHSt 36, 1, 7; BGHSt 36, 262, 264; Schönke/Schröder/Eser, § 223 Rn. 7. Für das Zivilrecht BGH NJW 1991, 1948: Gesundheitsverletzung. Fopp/Wernli, Schweiz Med Forum 2006, 139, 140. Eckstein, Immunhämatologie, S. 126 ff. Fopp/Wernli, Schweiz Med Forum 2006, 139, 142 f. Eckstein, Immunhämatologie, S. 101 ff. Vgl. hierzu Eckstein, Immunhämatologie, S. 108 f.; Fopp/Wernli, Schweiz Med Forum 2006, 139, 143. So auch Berg, Behandlungsbegrenzung, S. 18; Schild/Berg, in: Hankemeier/Krizanits/ Schüle-Hein, Tumorschmerztherapie, S. 35, 43. Vgl. Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung, DÄBl 2004, A 1298.
II. Anspruchsgrundlagen im Arzthaftungsrecht
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Problematisch ist, ob in der Beibehaltung der Magensonde eine tatbestandliche Körperverletzung liegt.106 Da bereits das operative Einsetzen der PEG-Sonde eine tatbestandliche Körperverletzung ist, erlangt diese Frage praktische Bedeutung, wenn das Legen der Sonde von einer Zustimmung auf Patientenseite gedeckt war und erst später die Beibehaltung der Sonde abgelehnt wird, d. h. die Entfernung der Sonde verlangt wird. In einem solchen Fall kommt allein eine Körperverletzung durch Unterlassen wegen der Nichtentfernung der PEG-Sonde in Betracht. Ein aktives Tun kann in dem Belassen der Sonde nämlich nicht erblickt werden. Etwas anderes kann auch nicht aus der herrschenden Meinung zum technischen Behandlungsabbruch abgeleitet werden. Zwar wird das Abschalten eines Gerätes überwiegend als Unterlassen und die Fortführung der maschinellen Maßnahme als aktives Tun bewertet, weil das Abschalten des Gerätes nach seiner sozialen Bedeutung eine Einstellung der Behandlung darstellt und die Fortführung der maschinellen Maßnahme einer ärztlichen Behandlung gleichkommt.107 Die lebenserhaltende maschinelle Maßnahme ist aber mit dem Belassen einer PEG-Sonde nicht vergleichbar. Während die maschinelle Maßnahme das Leben des Patienten erhält und ein aktives Tun des Arztes ersetzt, entfaltet das bloße Belassen der PEG-Sonde als solches ohne Zuführung künstlicher Nahrung keine lebenserhaltende Wirkung und ersetzt kein menschliches Tun. Daher stellt das Nichtentfernen der PEG-Sonde auch nach seinem sozialen Sinngehalt kein aktives Tun, sondern ein Unterlassen dar. Eine Körperverletzung durch Unterlassen setzt voraus, dass der Garant den bevorstehenden Eintritt des Körperverletzungserfolgs nicht verhindert.108 Ist – wie im Fall des operativen Einsetzens einer PEG-Sonde – bereits ein Körperschaden eingetreten, muss der Garant aktiv eingreifen, sofern eine Verschlimmerung des Zustands droht. Aber auch in Fällen, in denen keine weitere Verschlechterung zu befürchten ist, wird eine Körperverletzung durch Unterlassen angenommen, wenn der Arzt den Zustand des Patienten pflichtwidrig nicht verbessert.109 Die Fälle, in denen Rechtsprechung und Schrifttum eine Körperverletzung durch Unterlassen bejahen, sind solche, in denen ein bestimmtes Tun medizinisch indiziert ist. Sofern die Entfernung der PEG-Sonde medizinisch indiziert ist, etwa weil die Sonde eine Entzündung verursacht oder für den sterbenden Patienten schmerzhafter als ihre Entfernung ist, stellt die Beibehaltung der PEG-Sonde eine Körperverletzung durch Unterlassen dar. Bereitet die PEG-Sonde keine Schwierigkeiten, liegt in der Nichtentfernung der PEG-Sonde keine Körperverletzung durch Unterlassen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Patient nach der Einstellung der künstlichen Ernährung sterben wird, da in diesen Fällen die Verhinderung der Wundheilung durch Belassen der Sonde im Körper nicht erheblich ist.110 Dieses Ergebnis erscheint 106 107 108 109 110
Undeutlich Schild/Berg, in: Hankemeier/Krizanits/Schüle-Hein, Tumorschmerztherapie, S. 35, 43. Zum technischen Behandlungsabbruch siehe oben B. II. 1. SK-StGB/Horn/Wolters, § 223 Rn. 25. OLG Hamm NJW 1975, 604, 605. Kritisch hierzu SK-StGB/Horn/Wolters, § 223 Rn. 25. Zur Verletzung des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts in diesen Fällen siehe unten C. II. 3. e) bb) (2).
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C. Grundlagen der Haftung für medizinische Behandlung
auch deshalb stimmig, weil damit ausgeschlossen ist, dass auf Patientenseite das Entfernen der PEG-Sonde nur gefordert wird, um den Arzt oder das Pflegeheim mit einer möglichen Strafverfolgung wegen Körperverletzung unter Druck zu setzen, obwohl das Entfernen der Sonde – anders als die Beendigung der künstlichen Ernährung – den eigentlichen Wünschen des schwer kranken Patienten gar nicht entspricht. Die mit Blick auf das Zivilrecht getroffene Aussage Hufens und des Bundesgerichtshofs, dass die Beibehaltung einer PEG-Sonde, deren Einsatz ursprünglich von einer Einwilligung auf Patientenseite gedeckt war, eine „permanente Körperverletzung“111 bzw. „einen fortdauernden Eingriff in die körperliche Integrität“112 darstelle, kann jedenfalls im Strafrecht nicht gelten. Mit diesen Äußerungen wird nämlich verkannt, dass die Beibehaltung der Sonde kein aktives Tun ist und die Voraussetzungen einer Körperverletzung durch Unterlassen oftmals nicht vorliegen werden.113 Auch Beatmungsmaßnahmen müssen differenziert betrachtet werden. Die Atemspende mittels Mund-zu-Mund-Beatmung oder Mund-zu-Nase-Beatmung kann wohl kaum als Körperverletzung angesehen werden. Dasselbe gilt, wenn die Atemspende mit Hilfe eines einfachen Beatmungsbeutels durchgeführt wird.114 Zweifelsfrei ist die künstliche Beatmung dann als Körperverletzung aufzufassen, wenn sie mit einem Luftröhren- oder Kehlkopfschnitt verbunden ist. Auch wenn Beatmungsschläuche über den Mund oder die Nase in die Luftröhre eingebracht werden, liegt eine Körperverletzung vor. Zwar sind künstlich beatmete Menschen regelmäßig nicht bei vollem Bewusstsein, die Rechtsprechung hat aber im Hinblick auf Handlungen, die die äußere Unversehrtheit nicht berühren, darauf abgestellt, ob ein „normaler Mensch“ in seinem körperlichen Wohlbefinden beeinträchtigt wäre.115 Ein in der Luftröhre befindlicher Schlauch und die künstliche Beatmung wirken sich üblicherweise deutlich nachteilig auf das körperliche Wohlbefinden eines Menschen aus. Auch bei der Maskenbeatmung wird in der Lunge ein Druck künstlich erzeugt, der als unangenehm empfunden werden kann. Je nach den Umständen des Einzelfalls ist diese Missempfindung nicht nur uner111 112 113
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115
Hufen, Gutachten zum Fall Peter K., in: Putz/Steldinger, Patientenrechte, S. 235, 240. BGHZ 154, 205, 210. Das Nichtentfernen der PEG-Sonde könnte allenfalls dann als „fortdauernde Körperverletzung“ bezeichnet werden, wenn bereits das Legen der Sonde eigenmächtig erfolgte. Zwar werden die Körperverletzungsdelikte im Allgemeinen nicht als Dauerdelikte, sondern als Zustandsdelikte verstanden (LG Frankfurt NStZ 1990, 592, 593; Schönke/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 52 ff. Rn. 82; Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 33). In der Literatur wird aber darauf hingewiesen, dass es bei der Körperverletzung auch Deliktsbegehungen gibt, die als Dauerstraftat angesehen werden (Hruschka, GA 1968, 193, 201; Jeschek, FS Welzel, S. 683, 688). Eine fortdauernde Körperverletzung soll beispielsweise in einer quälerischen Fesselung liegen (Hruschka, GA 1968, 193, 199; Jeschek, FS Welzel, S. 683, 688). Ein Beatmungsbeutel besteht aus einer Gesichtsmaske, die über Mund und Nase des Patienten gestülpt wird, einem elastischen, kompressiblen Beutel und einem Ventil, das den Luftstrom lenkt (siehe Roche Lexikon Medizin, Stichwort Ambu-Beutel). RGSt 19, 136, 139 f.; BGHSt 25, 277, 280. Kritisch hierzu aber Schroeder, FS Hirsch, S. 725, 731.
II. Anspruchsgrundlagen im Arzthaftungsrecht
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heblich, so dass auch durch eine Maskenbeatmung eine Körperverletzung verwirklicht werden kann. Ob eine Herzdruckmassage den Tatbestand der Körperverletzung verwirklicht, hängt von der Stärke des ausgeübten Drucks ab. Eine effektive Herzdruckmassage, die ein sehr starkes Drücken erfordert, überschreitet wohl die Erheblichkeitsschwelle und stellt eine Körperverletzung dar. Die Verabreichung von Stromstößen mittels Defibrillator ist Körperverletzung. (2) Zivilrecht Zu klären bleibt, ob eigenmächtige Behandlungen, die keinerlei nachteilige Auswirkungen für den Patienten haben, im Zivilrecht als Körperverletzung oder als Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu betrachten sind. Eine Gesundheitsverletzung stellen sie jedenfalls nicht dar, da eine solche eine medizinisch erhebliche Störung der körperlichen, geistigen oder seelischen Lebensvorgänge voraussetzt.116 Unter Körperverletzung wird im Zivilrecht üblicherweise jeder nicht ganz unerhebliche Eingriff in die körperliche Integrität verstanden.117 Eigenmächtige Heilbehandlungen könnten nur dann als Körperverletzung aufgefasst werden, wenn das Recht auf körperliche Integrität im Zivilrecht auch das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper umfasst, wenn also die Entscheidung, welche – auch nicht nachteiligen – Einwirkungen auf den Körper geschehen, durch den Körperverletzungstatbestand geschützt wird. In diese Richtung sind einige Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zu verstehen, in denen dieser ausführt, das Schutzgut des § 823 Abs. 1 BGB sei „nicht die Materie, sondern das Seins- und Bestimmungsfeld der Persönlichkeit, das in der körperlichen Befindlichkeit materialisiert ist“.118 Das Recht am eigenen Körper sei ein „gesetzlich ausgeformter Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts“.119 Gegen eine derartige Auslegung des Körperverletzungsbegriffs können – anders als im Strafrecht – keine verfassungsrechtlichen Bedenken erhoben werden, denn das Zivilrecht ist nicht durch Art. 103 Abs. 2 GG begrenzt. Aus verfassungsrechtlicher Sicht besteht also kein Hinderungsgrund, auch solche Heilbehandlungen, die sich zu keiner Zeit nachteilig auswirken, unter den Begriff der Körperverletzung zu subsumieren. Andererseits wird im Hinblick auf die Einheit der Rechtsordnung ein Gleichlauf von Zivilrecht und Strafrecht, wenn auch angesichts der unterschiedlichen Zielsetzungen von Strafrecht und Zivilrecht nicht als zwingend120, so doch als
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119 120
Spindler, in: Bamberger/Roth, § 823 Rn. 30 m. w. N. Deutsch/Ahrens, Deliktsrecht, Rn. 234; Staudinger/Hager, § 823 Rn. B 8; Soergel/ Spickhoff, § 823 Rn. 33; Spindler, in: Bamberger/Roth, § 823 Rn. 30. BGHZ 124, 52, 54 mit Hinweis auf RGRK/Steffen, § 823 Rn. 9. Ähnlich Staudinger/Hager, § 823 Rn. B 8: Schutzgut ist die autonome Bestimmung über den körperlichen Zustand. BGH NJW 1980, 1452, 1453 (insoweit in BGHZ 76, 259 ff. nicht abgedruckt). Katzenmeier, ZRP 1997, 156, 160; Knauer, in: Roxin/Schroth, Medizinstrafrecht, 2. Aufl., S. 11, 19.
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C. Grundlagen der Haftung für medizinische Behandlung
wünschenswert angesehen.121 Dementsprechend wird angenommen, dass der Vorschrift des § 823 Abs. 1 BGB der gleiche Körperverletzungsbegriff wie in § 223 StGB zugrunde liegt.122 Ganz selbstverständlich wird entsprechend der herrschenden Meinung im Strafrecht davon ausgegangen, dass Eingriffe in die sexuelle Selbstbestimmung, die stets das körperbezogene Selbstbestimmungsrecht berühren, vor der Änderung des § 825 BGB keine Körperverletzungen, sondern Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts waren, sofern sie nicht den körperlichen Zustand beeinträchtigten.123 Daher erscheint es sachgerecht, eigenmächtige Heilbehandlungen, die den körperlichen Zustand zu keiner Zeit verschlechtern, als Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts anzusehen. Dass ein Geldentschädigungsanspruch zum Ersatz des immateriellen Schadens bei allgemeinen Persönlichkeitsrechtsverletzungen nur bei schwerwiegenden Verletzungen gewährt wird, spricht nicht gegen die hier vertretene Ansicht. Es erscheint vertretbar, in wenig schwerwiegenden Fällen von Persönlichkeitsverletzungen einen Geldentschädigungsanspruch zu versagen und lediglich bei nicht akzeptablem ärztlichen Paternalismus und mangelndem Respekt vor dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten Geldentschädigungen zu gewähren. Somit sind die eigenmächtige Verabreichung eines Medikaments, die eigenmächtige Bluttransfusion sowie die eigenmächtige Zuführung künstlicher Nahrung keine Körperverletzungen, sondern ausschließlich Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, sofern keinerlei nachteilige Wirkungen beim Patienten eintreten. Zu klären bleibt, ob in den Fällen, in denen die Nichtentfernung einer PEG-Sonde keine Körperverletzung darstellt124, die Beibehaltung der Sonde gegen den Willen des Patienten eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist. Gegen das Vorliegen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung könnte vorgebracht werden, dass das Selbstbestimmungsrecht des Patienten ein bloßes Abwehrrecht gegen Eingriffe in die körperliche Integrität sei und keinen Anspruch auf ein bestimmtes Tun gewähre.125 Andererseits würde aber das vom Selbstbestimmungsrecht des Patienten umfasste Recht, eine einmal erteilte Einwilligung bis zur Vornahme der Behandlung zu widerrufen126 und der Fortsetzung einer Dauerbehandlung zu widersprechen127, teilweise leerlaufen, wenn lediglich die 121 122 123
124 125 126 127
Katzenmeier, ZRP 1997, 156, 160; Schroeder, FS Hirsch, S. 725, 737; Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 17. Bodenburg, Kunstfehler, S. 19; wohl auch Medicus, in: Arzt und Gesellschaft, S. 84, 92. OLG Schleswig NJW 1993, 2945; Brüggemeier, Deliktsrecht, Rn. 187; Teichmann, in: Jauernig, § 825 Rn. 1; MünchKommBGB/Wagner, § 825 Rn. 2 f., der allerdings im erzwungenen Geschlechtsverkehr auch dann eine Körperverletzung erblickt, wenn es an einer äußerlichen Gewaltanwendung gänzlich fehlt (siehe MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 71). Siehe hierzu die Ausführungen oben C. II. 3. e) bb) (1). Zum Charakter des Selbstbestimmungsrechts als Abwehrrecht siehe Baston-Vogt, Schutzbereich, S. 254 f.; Nationaler Ethikrat, Patientenverfügung, S. 10. BGH NJW 1980, 1903; BGHZ 163, 195, 199; MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 730. BGHZ 163, 195, 199.
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Behandlung als solche beendet werden müsste, die für die Durchführung der Behandlung erforderlichen künstlichen Hilfsmittel aber nicht entfernt werden müssten. Daher muss das Selbstbestimmungsrecht auch das Recht beinhalten, die Entfernung solcher künstlichen Hilfsmittel zu fordern, die lediglich der Durchführung einer Dauerbehandlung dienen und regelmäßig mit Beendigung der Dauerbehandlung beseitigt werden. Wird also die Einwilligung in die Fortsetzung der künstlichen Ernährung verweigert, muss auch die PEG-Sonde, die der Zuführung der künstlichen Ernährung dient, entfernt werden, sofern dies dem Willen des Patienten entspricht. Die Beibehaltung der PEG-Sonde gegen den Willen des Patienten kann somit eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstellen. Hiergegen kann auch nicht eingewandt werden, das Entfernen der PEG-Sonde sei eine strafbare aktive Sterbehilfe und könne daher nicht verlangt werden, denn nicht die Entfernung der PEG-Sonde, sondern die Einstellung der künstlichen Ernährung verursacht den Tod. cc) Kein Unterschied zwischen Schmerzensgeldanspruch und Geldentschädigungsanspruch hinsichtlich der Vererblichkeit Abschließend sei angemerkt, dass es für die Vererblichkeit des Anspruchs auf Ersatz des immateriellen Schadens nach zutreffender Ansicht keinen Unterschied macht, ob die eigenmächtige Heilbehandlung als Körper- bzw. Gesundheitsverletzung oder als Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eingeordnet wird. In der nicht arzthaftungsrechtlichen Literatur wird allerdings teilweise der Anspruch auf Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts für nicht oder nur eingeschränkt vererblich gehalten.128 Schmerzensgeldansprüche sind demgegenüber seit der im Jahr 1990 erfolgten Aufhebung des § 847 Abs. 1 S. 2 BGB a. F., wonach der Schmerzensgeldanspruch nur vererbt wurde, wenn er vor dem Tod des Verletzten rechtshängig gemacht oder vertraglich anerkannt worden war, uneingeschränkt vererblich.129 Die Streichung von § 847 Abs. 1 S. 2 BGB a. F. soll nach Auffassung eines Teils des Schrifttums keine Auswirkung auf den Anspruch auf Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts haben, da dieser anders als früher nicht mehr auf eine Analogie zu § 847 BGB (= § 253 Abs. 2 BGB n. F.)130, sondern auf Art. 1, 2 GG gestützt wird131. Die Höchstpersönlichkeit und die überwiegende Genugtuungsfunktion des Anspruchs stünden der Vererblichkeit entgegen.132 Der Anspruch soll daher nur unter den bisherigen Voraussetzungen vererbbar sein.133 128 129 130 131 132 133
Damm/Rehbock, Widerruf, Rn. 1011 ff.; Soehring, Presserecht, Rn. 32.19; K. E. Wenzel/Burkhardt, Wort- und Bildberichterstattung, Kap. 14 Rn. 140. BGH NJW 1995, 783. BGHZ 26, 349, 356. BGHZ 35, 363, 367 f.; BGHZ 128, 1, 15. Damm/Rehbock, Widerruf, Rn. 1012. Soehring, Presserecht, Rn. 32.19: „wenn der Anspruch noch von dem Betroffenen geltend gemacht worden ist“; K. E. Wenzel/Burkhardt, Wort- und Bildberichterstattung, Kap. 14 Rn. 140: „nicht vererblich, es sei denn, daß er durch Vertrag anerkannt oder daß er rechtshängig geworden ist.“
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C. Grundlagen der Haftung für medizinische Behandlung
Nach zutreffender, herrschender Auffassung ist der einmal entstandene Geldentschädigungsanspruch dagegen uneingeschränkt vererbbar und übertragbar.134 Mit der Aufhebung des § 847 Abs. 1 S. 2 BGB a. F. wollte der Gesetzgeber das „Wettrennen mit der Zeit“ beenden, d. h. die Vererblichkeit sollte nicht mehr davon abhängen, ob der Verletzte bis zum Eintritt der Rechtshängigkeit lebt oder nicht.135 Dieser Gedanke betrifft Ansprüche wegen Persönlichkeitsrechtsverletzungen und wegen Körperverletzungen gleichermaßen. Dass der Geldentschädigungsanspruch wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung nach der Rechtsprechung auch der Prävention dient, spricht ebenfalls für die Vererblichkeit.136 Die Höchstpersönlichkeit des Schmerzensgeldanspruchs hielt den Gesetzgeber von der Streichung des § 847 Abs. 1 S. 2 BGB a. F. nicht ab, so dass auch die Höchstpersönlichkeit des Anspruchs wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung der uneingeschränkten Vererblichkeit nicht entgegenstehen kann. Daher ist sowohl der Schmerzensgeldanspruch als auch der Anspruch auf Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts uneingeschränkt vererblich.
III. Pflegehaftungsrecht In Fällen, in denen gegenüber einem Pflegeheim Ansprüche des Patienten wegen der vom Pflegepersonal durchgeführten lebenserhaltenden Maßnahmen geltend gemacht werden137, erscheint die Verwendung des Begriffs der Arzthaftung wenig passend. Gleichwohl gelten die oben gemachten Ausführungen zur Arzthaftung auch für die Haftung von Pflegeheimen und deren Pflegepersonal.138 Hiernach wird auch im Pflegebereich für Behandlungsfehler und eigenmächtiges Handeln gehaftet. Ansprüche des Patienten können sich aus Vertrag, aus den Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag und aus Delikt ergeben. Im Deliktsrecht ist zu beachten, dass nach hier vertretener Auffassung eigenmächtig vorgenommene medizinische Maßnahmen, die den körperlichen Zustand des Patienten zu keiner Zeit verschlechtern, keine Körperverletzung, sondern ausschließlich eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sind.
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Brox/Walker, Erbrecht, § 1 Rn. 16; MünchKommBGB/Rixecker, Anh. zu § 12 Rn. 222 a. E.; MünchKommBGB/Leipold, § 1922 Rn. 84; Kutschera, AfP 2000, 147, 148 f. BT-Drucksache 11/4415, S. 1. Kutschera, AfP 2000, 147, 148. Zu einem solchen Fall siehe E. I. 1. a). Zum rudimentär entwickelten Pflegehaftungsrecht siehe Igl/Welti, Grundlagen, S. 48 ff. und Plantholz, RsDE 40 (1998), 19, 38.
D. Die Entscheidung über die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen
Wie bereits ausgeführt wurde, setzt die Rechtmäßigkeit medizinischer Maßnahmen voraus, dass die Behandlung des Patienten nicht eigenmächtig erfolgt.1 Im Folgenden soll dargestellt werden, wer in welcher Situation für die Entscheidung über die Vornahme oder Nichtvornahme lebenserhaltender Maßnahmen zuständig ist, nach welchem Maßstab die Entscheidung getroffen werden muss und welche Auswirkungen auf die Haftung des Handelnden bestehen. Die nachstehenden Ausführungen beziehen sich zwar vorrangig auf lebenserhaltende Behandlungen, die von Ärzten durchgeführt werden, sie lassen sich aber auf pflegerische Maßnahmen übertragen.
I. Der einwilligungsfähige Patient Solange der Patient einwilligungs- und äußerungsfähig ist, entscheidet er selbst über die Vornahme oder Nichtvornahme medizinischer Maßnahmen.2 Willigt der entscheidungsfähige Patient in eine Maßnahme nicht ein oder lehnt er sie durch eine auf den konkreten Eingriff bezogene Erklärung sogar ausdrücklich ab, handelt der Arzt deshalb eigenmächtig, wenn er die Maßnahme gleichwohl vornimmt. Dies gilt unstreitig auch dann, wenn der Patient ohne die Maßnahme verstirbt, da auch bei vitaler Indikation keine Therapiegewalt des Arztes besteht.3 Ohne Belang ist auch, ob die Gründe für die Ablehnung der Heilbehandlung aus der Sicht anderer unvernünftig erscheinen.4 Das Selbstbestimmungsrecht des aktuell entscheidungsfähigen Patienten umfasst das Recht, jede ärztliche Behandlung abzulehnen, ohne dass es hierzu einer besonderen Begründung des Betroffenen bedarf.
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Zur ärztliche Eigenmacht siehe bereits C. I. Spickhoff, in: Kingreen/Laux, Gesundheit, S. 103, 111, 115. RGZ 151, 349, 355; BGHSt 11, 111, 114; Bender, MedR 1999, 260, 261; Staudinger/Hager, § 823 Rn. I 112; Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 12. BGHSt 11, 111, 114; Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 12.
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D. Die Entscheidung über die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen
1. Einwilligungsfähigkeit Die Einwilligungsfähigkeit, verstanden als das rechtliche Können, in eine ärztliche Behandlung einzuwilligen oder die Einwilligung zu verweigern, setzt nicht die unbeschränkte Geschäftsfähigkeit im Sinne der §§ 104 ff. BGB voraus.5 Die Einwilligungsfähigkeit ist nach herrschender Meinung vielmehr zu bejahen, wenn der Patient die Bedeutung und die Tragweite der Behandlung einschließlich der Folgen ihres Unterbleibens zu erkennen vermag.6 Da es für die Einwilligungsfähigkeit auf die unbeschränkte Geschäftsfähigkeit nicht ankommt, können auch Minderjährige über die Vornahme oder Nichtvornahme einer Behandlung entscheiden, sofern sie über die nötige Urteilskraft verfügen. Minderjährigen unter vierzehn Jahren fehlt nach herrschender Meinung allerdings generell die erforderliche Einsichtsfähigkeit.7 Bei der Prüfung der Einwilligungsfähigkeit von Minderjährigen im Alter zwischen vierzehn und achtzehn Jahren ist nach herrschender Ansicht das Alter des Betroffenen sowie die Bedeutung, die Risikoträchtigkeit, die Schwierigkeit und die Dringlichkeit der Entscheidung zu berücksichtigen.8 Die Entscheidung über die Vornahme oder Nichtvornahme lebenserhaltender Maßnahmen ist die denkbar schwerwiegendste, dennoch erscheint auch diesbezüglich die Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger nicht völlig ausgeschlossen. Wenn beispielsweise ein beinahe 18-Jähriger seit Jahren unter einer unheilbaren Krankheit leidet, über die er sehr gut informiert ist und deren Verlauf er bei anderen miterleben konnte, ist eine wirksame Ablehnung weiterer Maßnahmen vorstellbar. Bisweilen wird auch vertreten, dass eine 17-jährige Zeugin Jehovas eine Bluttransfusion wirksam ablehnen kann.9 Ist der Minderjährige einwilligungsfähig, besteht innerhalb der herrschenden Meinung Streit, ob der Minderjährige allein entscheiden kann oder ob zusätzlich die Zustimmung des Sorgeberechtigten erforderlich ist. Richtigerweise ist die zusätzliche Einwilligung durch den gesetzlichen Vertreter nicht notwendig.10 Wenn für die Einwilligungsfähigkeit gerade nicht die unbeschränkte Geschäftsfähigkeit, sondern die natürliche Einsichtsfähigkeit maßgeblich sein soll, erscheint es inkonsequent, einem einsichtsfähigen Patienten die Alleinentscheidungsbefugnis abzusprechen, weil er nicht unbeschränkt geschäftsfähig ist. In der Praxis sollte 5 6
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BGHZ 29, 33, 36; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 685. Belling, FuR 1990, 68, 73; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 685; Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 139 Rn. 27. Für das Strafrecht BGHSt 12, 379, 382; Fischer, Vor § 32 Rn. 3 c m. w. N. Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 139 Rn. 29. Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 139 Rn. 29. Deutsch, Medizinrecht, 4. Aufl., Rn. 444. Belling, FuR 1990, 68, 76; MünchKommBGB/Huber, § 1626 Rn. 42; Kern, NJW 1994, 753, 755; Spickhoff, NJW 2000, 2297, 2300; ders., in: Kingreen/Laux, Gesundheit, S. 103, 111; ders., AcP 208 (2008), 345, 389 f.; Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 139 Rn. 32; im Strafrecht ebenso Schönke/Schröder/Eser, § 223 Rn. 38. A. A. Palandt/Ellenberger, Überbl. v. § 104 Rn. 8; Lipp, Freiheit und Fürsorge, S. 34. Auch der BGH gewährte einer einwilligungsfähigen Patientin lediglich ein Vetorecht gegenüber der Einwilligung ihrer Eltern (siehe BGH NJW 2007, 217).
I. Der einwilligungsfähige Patient
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der Arzt sich aber gleichwohl darum bemühen, die gesetzlichen Vertreter, also regelmäßig die Eltern, in den Entscheidungsprozess mit einzubeziehen.11 Damit verhindert er eine Haftung, falls er sich über die Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen geirrt hat, und wird regelmäßig im Interesse des minderjährigen Patienten und dessen Eltern handeln. Taupitz möchte in Abweichung von der herrschenden Meinung für die Einwilligungsfähigkeit sowohl bei Minderjährigen als auch bei Volljährigen auf den durchschnittlichen Reifegrad eines 14-Jährigen abstellen.12 Verfügt der Patient über die durchschnittliche Einsichtsfähigkeit eines 14-Jährigen, soll er im Hinblick auf ärztliche Behandlungen generell einwilligungsfähig sein. Gegen diese Konzeption kann eingewandt werden, dass für die Beurteilung verschiedener ärztlicher Behandlungen ein unterschiedliches Maß an Einsichtsfähigkeit erforderlich ist. So erscheint es zweifelhaft, ob der durchschnittliche 14-Jährige die Bedeutung einer großen Operation mit bleibenden Folgen zu erfassen vermag. Die herrschende Auffassung wird den wachsenden Fähigkeiten des Minderjährigen und den verbliebenen Fähigkeiten des alten Menschen besser gerecht, indem sie die Einwilligungsfähigkeit in Abhängigkeit von der Bedeutung der jeweiligen Heilbehandlung beurteilt. Gegen den Rückgriff auf den Altersstandard eines 14-Jährigen bei der Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit volljähriger Patienten spricht außerdem, dass die Lebenserfahrung des älteren Menschen das Nachlassen der geistigen Aufnahmefähigkeit bisweilen ausgleichen kann.13 2. Die fortdauernde Geltung der Patientenentscheidung bei eintretender Bewusstlosigkeit Die im Hinblick auf eine konkrete Behandlungssituation getroffene Entscheidung des einwilligungsfähigen Patienten gilt grundsätzlich auch dann fort, wenn der Patient bewusstlos wird.14 Die Einwilligung in eine Operation fällt daher nicht weg, wenn der Patient aufgrund der Narkose einwilligungsunfähig wird. Umgekehrt kann sich der Arzt auch nicht mit Eintritt der Narkosewirkung über die Ablehnung einer bestimmten Maßnahme hinwegsetzen. Die Entscheidung über die Vornahme oder Nichtvornahme einer medizinischen Maßnahme gilt ausnahmsweise dann nicht fort, wenn sich die Sachlage nachträglich so erheblich geändert hat, dass anzunehmen ist, dass die konkrete Entscheidung diese geänderte Sachlage nicht umfasst hat.15
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Spickhoff, NJW 2000, 2297, 2300; Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 139 Rn. 32. Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 60 f. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 687; Spickhoff, in: Kingreen/Laux, Gesundheit, S. 103, 113; ders., AcP 208 (2008), 345, 387 f. Deutsch, NJW 1979, 1905, 1906 f.; Schwab, FS Henrich, S. 511, 529. So auch BTDrucksache 16/8442, S. 13. Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 41.
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D. Die Entscheidung über die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen
II. Der nicht oder nicht mehr einwilligungsfähige Patient Der einwilligungsunfähige Patient kann über die Vornahme oder Nichtvornahme einer ärztlichen Behandlung selbst nicht wirksam entscheiden. Bevor dargelegt wird, welche Personen über die ärztliche Behandlung bei einem einwilligungsunfähigen Patienten entscheiden, wird untersucht, inwieweit eine vom Patienten errichtete Patientenverfügung die Entscheidung über die Vornahme oder Nichtvornahme medizinischer Maßnahmen beim aktuell einwilligungsunfähigen Patienten beeinflusst. 1. Die Patientenverfügung a) Begriff Von einem Patientenbrief, einem Patiententestament oder einer Patientenverfügung wird gesprochen, wenn der Patient seinen Willen für den Fall seiner später eintretenden Einwilligungsunfähigkeit niedergelegt hat. In einer Patientenverfügung kann der spätere Patient bekunden, dass er mit bestimmten ärztlichen Maßnahmen einverstanden ist oder – was häufiger geschieht – bestimmte Behandlungen ablehnt. Typischerweise werden nur solche Erklärungen als Patientenverfügung bezeichnet, die unabhängig von einer konkreten Behandlungssituation abgegeben werden.16 Daher fällt eine Erklärung, die im Hinblick auf eine bestimmte, aktuell anstehende Operation abgegeben wurde, nicht unter den Begriff der Patientenverfügung, sondern stellt eine fortwirkende Einwilligung bzw. Verweigerung der Einwilligung dar. Teilweise werden im Schrifttum unter einer Patientenverfügung nur solche Erklärungen verstanden, die sich auf terminale Krankheitsstadien beziehen.17 Zwar enthalten Patientenverfügungen überwiegend Regelungen, die Krankheitszustände mit infauster Prognose betreffen, sie können aber auch andere Anordnungen enthalten.18 Eine Patientenverfügung liegt auch dann vor, wenn ein Patient bestimmte medizinische Maßnahmen, z. B. Bluttransfusionen, ablehnt. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Patientenverfügungen für den Fall der späteren Einwilligungsunfähigkeit zeitlich mehr oder weniger lange vor der aktuellen Krankheitssituation errichtet werden, mehr oder weniger konkret formulierte Vorgaben für eine Behandlung enthalten und ihre Wirkung bei Eintritt einer mehr oder weniger konkret bezeichneten Situation entfalten sollen.19 Diesem Begriffsverständnis entspricht auch die nun in § 1901 a Abs. 1 BGB enthaltene Legaldefinition der Patientenverfügung. In § 1901 a Abs. 1 BGB heißt es: „Hat ein einwilligungsfähiger Volljähriger für den Fall seiner Einwilligungsun16 17 18 19
Lipp, FamRZ 2004, 317, 320. Quaas/Zuck, Medizinrecht, § 68 Rn. 164; Uhlenbruck, Selbstbestimmtes Sterben, S. 300. Coeppicus, Rpfleger 2004, 262, 263; S. Kaiser, in: Ratzel/Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, § 12 Rn. 484. Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 106.
II. Der nicht oder nicht mehr einwilligungsfähige Patient
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fähigkeit schriftlich festgelegt, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustandes, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt (Patientenverfügung), prüft der Betreuer, ob diese Festlegungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen.“ Aus dem Gesetzeswortlaut geht allerdings nicht eindeutig hervor, ob die Schriftlichkeit sowie die Einwilligungsfähigkeit und die Volljährigkeit des Errichtenden Begriffsbestandteile der Patientenverfügung oder lediglich Wirksamkeitsvoraussetzungen sind.20 Obwohl unter Patientenverfügungen im Allgemeinen nur schriftliche Erklärungen verstanden werden, sollte die Schriftlichkeit für das begriffliche Vorliegen einer Patientenverfügung nicht verlangt werden.21 Gleiches gilt hinsichtlich der Einwilligungsfähigkeit und der Volljährigkeit des Errichtenden.22 Die Form sowie die Anforderungen an die Person sind im bürgerlichen Recht Wirksamkeitsvoraussetzungen. So erfordert das Gesetz für den Begriff des Vertrages oder des Testamentes auch keine Schriftlichkeit23, obwohl im allgemeinen Sprachgebrauch unter einem Vertrag und unter einem Testament ein Schriftstück verstanden wird. Wenngleich die praktische Bedeutung gering ist, lässt sich festhalten, dass eine Durchbrechung des im Bürgerlichen Gesetzbuch bestehenden Grundsatzes, dass die Formvorschriften und die Anforderungen an die Person des Handelnden keine Begriffsbestandteile, sondern Wirksamkeitsvoraussetzungen sind, nicht angezeigt ist. b) Voraussetzungen für eine wirksame Errichtung Solange die Patientenverfügung im Gesetz nicht geregelt war, unterlag sie keinen gesetzlichen Formvorschriften. Im Schrifttum wurde teilweise einfache Schriftform für die Wirksamkeit verlangt.24 Andere rieten die schriftliche Niederlegung lediglich aus Beweisgründen an.25 Eine notarielle Beurkundung oder die Einschaltung von Zeugen wurde zutreffend jedenfalls nicht für erforderlich gehalten.26 Dementsprechend erscheint es sachgerecht, dass nun § 1901 a Abs. 1 BGB als Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Patientenverfügung Schriftlichkeit vorsieht.27
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In dogmatischer Hinsicht äußerst widersprüchlich auch die Begründung des Gesetzesentwurfs BT-Drucksache 16/8442, S. 12 f. Anders BT-Drucksache 16/8442, S. 13: „[...] sind keine Patientenverfügungen, weil sie nicht in schriftlicher Form vorliegen.“; Palandt/Diederichsen, § 1901 a Rn. 3. Zutreffend Olzen, JR 2009, 354, 357. Siehe hierzu die Legaldefinition des Testamentes in § 1937 BGB. Thias, Möglichkeiten, S. 102. S. Kaiser, in: Ratzel/Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, § 12 Rn. 500; Spickhoff, in: Kingreen/Laux, Gesundheit, S. 103, 120; Uhlenbruck, Selbstbestimmtes Sterben, S. 305. Spickhoff, in: Kingreen/Laux, Gesundheit, S. 103, 119. Zur Schriftform im Zusammenhang mit Patientenverfügungen siehe auch Kamps, ZMGR 2009, 207.
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D. Die Entscheidung über die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen
Vor In-Kraft-Treten des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts war umstritten, ob für die Errichtung einer wirksamen Patientenverfügung die Einwilligungsfähigkeit oder die Geschäftsfähigkeit Voraussetzung ist. Relevant wird diese Frage im Hinblick auf Minderjährige und solche volljährigen Personen, die zwar geschäftsunfähig, aber dennoch – zumindest hinsichtlich bestimmter Eingriffe – einwilligungsfähig sind. Dafür, dass die Einwilligungsfähigkeit genügt, konnte vorgebracht werden, dass für die aktuelle Entscheidung für oder gegen eine Behandlung die Einwilligungsfähigkeit ausreicht und durch eine Patientenverfügung diese Entscheidung lediglich zeitlich vorverlagert wird.28 Für die Erforderlichkeit der Geschäftsfähigkeit wurde angeführt, dass die ebenfalls in die Zukunft reichende Bevollmächtigung zu ihrer Wirksamkeit der Geschäftsfähigkeit bedarf.29 Das Gesetz geht nun einen dritten Weg. Die Vorschrift des § 1901 a Abs. 1 BGB setzt für die wirksame Errichtung einer Patientenverfügung einen einwilligungsfähigen Volljährigen voraus. Damit wird einerseits einwilligungsfähigen Minderjährigen die Möglichkeit zur Errichtung einer Patientenverfügung versagt. Andererseits haben auch geschäftsunfähige Erwachsene, sofern sie nur einwilligungsfähig sind, die Möglichkeit, eine wirksame Patientenverfügung zu verfassen. Diese Regelung erscheint wenig überzeugend. Wenn die Einwilligungsfähigkeit nach Auffassung des Gesetzgebers für die Errichtung einer Patientenverfügung genügt, ist nicht klar, wieso ein einwilligungsfähiger Minderjähriger nicht eine Patientenverfügung errichten können soll.30 Im Übrigen erscheint es bedenklich, dass die Einwilligungsfähigkeit für die wirksame Errichtung einer Patientenverfügung ausreichen soll. Die Entscheidung über eine unmittelbar anstehende Behandlung ist nicht ohne weiteres mit der Errichtung einer Patientenverfügung vergleichbar. Die antezipierende Erklärung in Form einer Patientenverfügung verlangt dem Betroffenen eine größere Einsichtsfähigkeit ab als eine aktuelle Entscheidung.31 Vorzugswürdig wäre daher gewesen, für die wirksame Errichtung einer Patientenverfügung Geschäftsfähigkeit zu verlangen. c) Bindungswirkung Unter dem Stichwort „Bindungswirkung von Patientenverfügungen“ wird diskutiert, ob und inwieweit sich der Arzt und der Vertreter des Patienten an die in der Patientenverfügung getroffenen Regeln halten müssen. Die Frage nach der Bindungswirkung von Patientenverfügungen ist Gegenstand einer jahrelang andauernden Diskussion, die ihren Anfang im rechtswissenschaftlichen Schrifttum
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Vgl. Uhlenbruck, Selbstbestimmtes Sterben, S. 304; Uhlenbruck/Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 132 Rn. 36. Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 117. Siehe hierzu aber auch D. II. 2. a) bb). Im Erg. auch für das Erfordernis der Geschäftsfähigkeit Eisenbart, Patienten-Testament, S. 131 f.; Harder, ArztR 1991, 11, 13. Kritisch auch Spickhoff, FamRZ 2009, 1949, 1950. Eisenbart, Patienten-Testament, S. 131 f.
II. Der nicht oder nicht mehr einwilligungsfähige Patient
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nahm.32 Neue Bewegung in die Diskussion brachte der Beschluss des 12. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 17.3.2003. Schließlich wurde durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts vom 29.7.2009, das am 1.9.2009 in Kraft trat, das Institut der Patientenverfügung in § 1901 a BGB gesetzlich verankert. Im Folgenden werden zunächst das Meinungsbild in der Literatur und die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dargestellt, da eine vertiefte Auseinandersetzung mit der gesetzlichen Regelung nur vor dem Hintergrund der vorangegangenen Diskussion möglich ist. Nach einer Stellungnahme zu den in Literatur und Rechtsprechung vertretenen Ansichten wird abschließend die gesetzliche Regelung in § 1901 a BGB untersucht. aa) Überblick über die herkömmliche Diskussion im Schrifttum Im Schrifttum standen sich im Wesentlichen zwei Auffassungen gegenüber. Nach der früher herrschenden Meinung war eine Patientenverfügung nicht unmittelbar rechtlich bindend, sondern nur ein Anhaltspunkt für die Ermittlung des mutmaßlichen Willens.33 Als Hauptargument wurde für diese Ansicht vorgebracht, dass der Patient seine spätere Situation nicht hinreichend gut antezipieren könne. Bei der Errichtung einer Patientenverfügung in jungen und gesunden Tagen sei die Einstellung häufig eine andere als in der späteren existentiellen Entscheidungssituation zwischen Leben und Tod. Nach Erfahrung von Medizinern haben Menschen auch in terminalen Krankheitsstadien häufig noch einen ausgeprägten Lebenswillen. Eine Patientenverfügung werde nicht stets reflektiert verfasst, sondern könne etwa auch infolge einer tendenziösen Darstellung in den Medien oder unter dem Eindruck erschreckender Bilder von Intensivstationen34 durch Ausfüllen eines Formulars errichtet werden.35 Es könne auch vorkommen, dass jemand eine Patientenverfügung in der Vorstellung errichtet hat, dass sie erst im hohen Alter relevant wird, ohne dass er dies explizit in der Verfügung deutlich gemacht hat. Wenn diese Person in jüngeren Jahren einen Unfall erleidet oder krank wird, würde sie vielleicht sämtliche intensiv-medizinischen Maßnahmen ausschöpfen wollen.36 Gegen eine uneingeschränkte Bindungswirkung wurde auch das Fehlen der Aufklärung des Patienten angeführt. Der Arzt habe nach allgemeinen Grundsätzen den Patienten über die aktuelle Krankheitssituation und die Chancen und Risiken einer Behandlung aufzuklären. Wenn der Patient in einer Patientenverfügung bestimmte
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34 35 36
Siehe hierzu Uhlenbruck, NJW 1978, 566, 569. Dölling, MedR 1987, 6, 9; Harder, ArztR 1991, 11, 16 f.; Rieger, Einwilligung, S. 78 ff.; Seichter, KritV 2004, 451, 466; Spickhoff, NJW 2000, 2297, 2301 f.; ders., JZ 2003, 739, 740 f.; ders., in: Kingreen/Laux, Gesundheit, S. 103, 119; ders., AcP 208 (2008), 345, 405; Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 149 Rn. 13. Im Strafrecht Rengier, Strafrecht BT 2, § 7 Rn. 10. Vgl. beispielsweise bei Menzel, in: Auer/Menzel/Eser, Heilauftrag, die Abbildungen 1, 3, 4 und 5. Spickhoff, JZ 2003, 739, 741; ders., ZfRV 2008, 33, 40. Vgl. Hennies, ArztR 2003, 316, 318.
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D. Die Entscheidung über die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen
Behandlungen verbietet, habe er möglicherweise keine genaue Kenntnis, was er ablehnt oder welche Alternativen es gäbe.37 Teilweise wurde von denjenigen, die grundsätzlich die Rechtsverbindlichkeit der Patientenverfügung ablehnten, eine Bindungswirkung ausnahmsweise dann bejaht, wenn die Patientenverfügung sich auf den Fall der irreversiblen Bewusstlosigkeit bezog.38 Die Erfahrung, dass auch der Rest eines von schwerer Krankheit gezeichneten Lebens entgegen der Vermutung des Patienten in gesunden Tagen noch lebenswert sein kann, treffe auf den irreversibel Bewusstlosen nicht zu.39 Bei irreversibler Bewusstlosigkeit sei der Betroffene zu keiner Wahrnehmung seiner selbst oder seines Umfelds in der Lage, so dass ein Einstellungswechsel denklogisch nicht möglich sei.40 Nach der in den letzten Jahren im Vordringen befindlichen Ansicht waren Patientenverfügungen nicht bloß ein Indiz für den mutmaßlichen Willen des Patienten, sondern rechtlich verbindlich, solange sie nicht widerrufen werden.41 Man dürfe einem einsichts- und äußerungsfähigen Menschen nicht die Fähigkeit zur Selbstbestimmung mit dem Argument absprechen, die konkrete Krankheitssituation und die eigenen Präferenzen seien nicht vorhersehbar. Wie bei jeder anderen Einwilligung in eine Behandlung oder deren Ablehnung trage der Patient auch bei einer Erklärung in Gestalt einer Patientenverfügung das Risiko, dass er sie nicht mehr rechtzeitig ändern kann.42 Der Einwand der Gegenauffassung, es fehle an der Aufklärung durch den Arzt, sei nicht stichhaltig, da der Patient anerkanntermaßen auf die Aufklärung verzichten könne.43 Innerhalb dieser Ansicht war streitig, welche Bedeutung einem natürlichen Lebenswillen des nicht einsichtsfähigen Betroffenen zukommt. Zunächst wurde in Fällen, in denen der Patient einen natürlichen Lebenswillen zeigt, die Bindungswirkung überwiegend verneint, entweder weil man im Lebenswillen des Patienten einen Widerruf der Patientenverfügung erblickte44 oder weil man in der Fehleinschätzung der Intensität des Lebenswillens einen beachtlichen Irrtum sah45. Nach 37
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Das in der Diskussion regelmäßig widerlegte Argument, die Widerrufsmöglichkeit der Patientenverfügung stehe bereits einer Bindungswirkung entgegen, wurde in den letzten zwanzig Jahren – soweit ersichtlich – zu Recht nicht mehr vorgebracht. Die Widerrufsmöglichkeit als Argument gegen die Bindungswirkung verwendet ausdrücklich Detering, JuS 1983, 418, 422. Gegen dieses Argument etwa Rickmann, Wirksamkeit, S. 191 ff. Rickmann, Wirksamkeit, S. 179; Thias, Möglichkeiten, S. 109; Weißauer/Opderbecke, MedR 1995, 456, 459. Thias, Möglichkeiten, S. 109; Weißauer/Opderbecke, MedR 1995, 456, 459. Rickmann, Wirksamkeit, S. 179; Thias, Möglichkeiten, S. 109. Uhlenbruck, NJW 1978, 566, 569; Berger, JZ 2000, 797, 800 f.; Lipp, FamRZ 2004, 317, 320; Lipp/Nagel, FF 2005, 83, 85; Knittel, Betreuungsgesetz, § 1904 Rn. 80 ff.; Mertin, Recht u Politik 2006, 35, 37; Schmidt-Recla, MedR 2008, 181, 183 f.; Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 109; Verrel, NStZ 2003, 449, 450. Lipp, FamRZ 2004, 317, 320; Ohly, KJ 2003, 107, 111. Uhlenbruck, MedR 1983, 16, 17; differenzierend Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 112 f. Uhlenbruck, NJW 1978, 566, 569; K.-G. Mayer, Maßnahmen, S. 90. Rickmann, Wirksamkeit, S. 185 ff.; Thias, Möglichkeiten, S. 111 f.
II. Der nicht oder nicht mehr einwilligungsfähige Patient
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vereinzelter Auffassung sollte ein natürlicher Lebenswille des nicht entscheidungsfähigen Patienten an der rechtlichen Verbindlichkeit seiner früher errichteten Patientenverfügung nichts ändern.46 In neuerer Zeit wurden weitere differenzierende Auffassungen vertreten. Nach Verrel sollte eine in einer Patientenverfügung geäußerte Behandlungsablehnung grundsätzlich auch dann gelten, wenn Anzeichen von Lebensfreude vorhanden sind. Es bedürfe einer ausdrücklichen Erklärung in der Patientenverfügung, wenn diese bei Anzeichen von Lebensfreude nicht gelten soll.47 In Umkehrung dieses Regel-Ausnahme-Verhältnisses konnten nach Ansicht des Nationalen Ethikrats Patientenverfügungen nur dann bindend sein, wenn sich die darin ausgesprochene Behandlungsablehnung ausdrücklich auch auf die Situation bezog, dass Anzeichen für einen Lebenswillen bestehen.48 Obwohl die Auffassung von der Indizwirkung und die Auffassung von der strikten Bindungswirkung verschiedene Ausgangspunkte haben, unterscheiden sie sich im Ergebnis weniger als es zunächst den Anschein haben mag.49 Diejenigen, die von der rechtlichen Verbindlichkeit der Patientenverfügung ausgingen, räumten nämlich ein, dass eine Patientenverfügung nur dann uneingeschränkt verbindlich sein kann, wenn sie eine hinreichend konkrete Regelung beinhaltet. Enthielt die Patientenverfügung also nur allgemeine Wertvorstellungen oder auslegungsund wertungsbedürftige Begriffe wie z. B. „lebenswertes Leben“, „menschenwürdiges Dasein“ oder „unzumutbares Leiden“, konnte sie keine rechtliche Verbindlichkeit entfalten.50 Nach der Gegenansicht war eine Patientenverfügung bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens umso bedeutender, je enger der zeitliche Zusammenhang zwischen der Errichtung der Patientenverfügung und der aktuellen Krankheitssituation war und je deutlicher die aktuelle Situation in der Verfügung erfasst war.51 Sofern eine Patientenverfügung vorlag, die ersichtlich reflektiert erstellt worden war, sich auf einen konkret bezeichneten Krankheitszustand und auf konkrete medizinische Maßnahmen bezog und in zeitlicher Hinsicht ein gewisses Maß an Aktualität aufwies, durften die in der Patientenverfügung enthaltenen Regelungen auch nach den Befürwortern einer Indizwirkung nicht missachtet werden.52 Übereinstimmung bestand ferner, dass eine Bindungswirkung von vornherein ausscheidet, soweit die Patientenverfügung auf strafbares Verhalten, insbesondere auf aktive Sterbehilfe, gerichtet ist.53
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Röver, Einflußmöglichkeiten, S. 132 f. Verrel, Gutachten 66. DJT, C 89. Nationaler Ethikrat, Patientenverfügung, S. 34. So auch Vossler, ZRP 2002, 295, 296. Verrel, NStZ 2003, 449, 451; Lipp, FamRZ 2004, 317, 320. Dölling, MedR 1987, 6, 9; Spickhoff, NJW 2000, 739, 741; Seichter, KritV 2004, 451, 467. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 699. Eisenbart, Patienten-Testament, S. 28; Uhlenbruck/Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 132 Rn. 37.
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D. Die Entscheidung über die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen
bb) Die Rechtsprechung: BGHZ 154, 205 (1) Keine bloße Indizwirkung von Patientenverfügungen Der 12. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat sich mit Beschluss vom 17.3.200354 der Argumentation des Teils des Schrifttums angeschlossen, der für die rechtliche Verbindlichkeit von Patientenverfügungen eintrat. Eine Patientenverfügung, mit der ein Patient seine Einwilligung in Maßnahmen der in Frage stehenden Art für eine Situation, die der aktuellen entspricht, erklärt oder verweigert hat, wirke fort, sofern der Patient sie nicht widerrufen hat.55 Die später eingetretene Einwilligungsunfähigkeit ändere nach dem Rechtsgedanken des § 130 Abs. 2 BGB an der fortdauernden Maßgeblichkeit der früheren Willensbekundung nichts.56 Eine Patientenverfügung sei Ausdruck des fortwirkenden Selbstbestimmungsrechts und der Selbstverantwortung des Betroffenen. Die durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Menschenwürde des Betroffenen gebiete, dass eine von ihm eigenverantwortlich getroffene Entscheidung auch dann noch respektiert werde, wenn er seine Fähigkeit zu eigenverantwortlichem Entscheiden inzwischen verloren habe. Der Patientenwille dürfe „nicht durch einen ‚Rückgriff auf den mutmaßlichen Willen’ des Betroffenen ‚korrigiert’ werden, es sei denn, daß der Betroffene sich von seiner früheren Verfügung mit erkennbarem Widerrufswillen distanziert oder die Sachlage sich nachträglich […] erheblich geändert“ habe.57 (2) Beschränkung der rechtlichen Bedeutung von Patientenverfügungen auf irreversibel tödlich verlaufende Grundleiden In dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 17.3.2003 wurde die rechtliche Verbindlichkeit von Patientenverfügungen auf Fälle beschränkt, in denen das „Grundleiden einen irreversiblen tödlichen Verlauf angenommen hat“. Im Leitsatz a) heißt es nämlich, dass bei Vorliegen einer entsprechenden Patientenverfügung lebenserhaltende oder -verlängernde Maßnahmen zu unterbleiben haben, wenn das „Grundleiden einen irreversiblen tödlichen Verlauf angenommen hat“.58 Der Zivilsenat begrenzte die strikte Bindungswirkung nicht nur in dem Sinn, dass die Patientenverfügung noch Indiz für den mutmaßlichen Willen ist, sondern verneinte schlechthin die Möglichkeit, dass der Betreuer in einem Stadium, in dem das Grundleiden noch keinen irreversiblen tödlichen Verlauf angenommen hat, für einen Behandlungsabbruch votiert. Der Zivilsenat führte in den Gründen aus, dass „für das Verlangen des Betreuers, eine medizinische Behandlung einzustellen, kein Raum“ sei, „wenn das Grundleiden des Betroffenen noch keinen irreversiblen Verlauf angenommen hat und durch die Maßnahme das Leben des Betroffenen verlängert oder erhalten“ werde.59 Zutreffend sei „zwar, daß der Arzt das Selbst54 55 56 57 58 59
BGHZ 154, 205. BGHZ 154, 205, 210. BGHZ 154, 205, 210 f. BGHZ 154, 205, 217. BGHZ 154, 205. BGHZ 154, 205, 215.
II. Der nicht oder nicht mehr einwilligungsfähige Patient
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bestimmungsrecht des einwilligungsfähigen Patienten zu achten“ habe „und deshalb keine – auch keine lebenserhaltenden – Maßnahmen gegen dessen Willen vornehmen“ dürfe.60 „Die Entscheidungsmacht des Betreuers“ sei „jedoch mit der aus dem Selbstbestimmungsrecht folgenden Entscheidungsmacht des einwilligungsfähigen Patienten nicht deckungsgleich“.61 Der Bundesgerichtshof unterschied also zwischen einem Behandlungsabbruch, in den der einwilligungsfähige Patient selbst einwilligt, und einem Behandlungsabbruch, in den der Betreuer einwilligt. Der Betreuer könne anders als der einwilligungsfähige Patient die Einstellung lebenserhaltender Maßnahmen nicht verlangen, „wenn eine letzte Sicherheit, dass die Krankheit des Betroffenen einen irreversiblen und tödlichen Verlauf angenommen“ hat, „nicht zu gewinnen“ sei.62 Dass das Grundleiden einen irreversibel tödlichen Verlauf angenommen hat, gehörte nach Ansicht des 12. Zivilsenats zu den „medizinischen Voraussetzungen“, unter denen ein vom Betreuer konsentierter Behandlungsabbruch – auch bei entsprechendem Patientenwillen – überhaupt nur zulässig sein konnte. Lag kein irreversibel tödlich verlaufendes Grundleiden vor, sollte Sterbehilfe im Sinne des Unterlassens weiterer medizinischer Behandlung bei einem einwilligungsunfähigen Patienten rechtswidrig sein.63 Diese „objektive Eingrenzung zulässiger Sterbehilfe“64 vermochte nach Auffassung des 12. Zivilsenats auch eine Patientenverfügung nicht zu überwinden. Der Anwendungsbereich von Patientenverfügungen wurde also auf irreversibel tödlich verlaufende Grundleiden beschränkt. (3) Das irreversibel tödlich verlaufende Grundleiden Fraglich war, wann ein Grundleiden einen irreversiblen tödlichen Verlauf angenommen hat. Der Bundesgerichtshof konkretisierte den Begriff des irreversibel tödlich verlaufenden Grundleidens nicht und äußerte sich auch nicht dazu, ob es sich bei dem seiner Entscheidung zugrunde liegenden apallischen Syndrom um ein Grundleiden mit irreversibel tödlichem Verlauf handelt. (a) Unmittelbar bevorstehender Tod? Teilweise wurde die Auffassung vertreten, der Begriff des irreversibel tödlich verlaufenden Grundleidens setze voraus, dass der Tod unmittelbar bevorsteht, der Sterbevorgang also bereits begonnen hat.65 Manche Autoren waren dementsprechend der Ansicht, dass im Fall eines apallischen Syndroms, bei dem der Betroffene bei entsprechender medizinischer Versorgung noch unbestimmte Zeit leben kann, kein Grundleiden mit irreversibel tödlichem Verlauf vorliege und der Bun60 61 62 63 64 65
BGHZ 154, 205, 215. BGHZ 154, 205, 215. BGHZ 154, 205, 216. BGHZ 154, 205, 215 f. BGHZ 154, 205, 215. LG Bielefeld, Beschluss vom 12.5.2006, Az. 25 T 89/06 (juris); Hufen, ZRP 2003, 248; Lipp, FamRZ 2003, 756; Gabriele Müller, DNotZ 2005, 927, 929.
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D. Die Entscheidung über die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen
desgerichtshof die selbst aufgestellte Einschränkung nicht beachtet habe.66 Dies erscheint wenig überzeugend. Da es in dem Fall, der dem Zivilsenat zur Entscheidung vorlag, um einen Patienten mit apallischem Syndrom ging, ist wohl davon auszugehen, dass nach Auffassung des Bundesgerichtshofs ein apallisches Syndrom, sofern es ärztlicherseits als irreversibel eingeschätzt wird, ein irreversibel tödlich verlaufendes Grundleiden darstellt.67 Bei genauerer Betrachtung fällt zudem auf, dass der Zivilsenat zwar von einem „irreversiblen tödlichen Verlauf des Grundleidens“ spricht, das Kriterium „Todeseintritt in kurzer Zeit“, das der Strafsenat in der „Kemptener Entscheidung“ als Voraussetzung für den Beginn des Sterbeprozesses nennt68, aber nicht erwähnt. Nach der Vorstellung des Zivilsenats kann also der Eintritt des irreversiblen tödlichen Verlaufs des Grundleidens vor Eintritt des eigentlichen Sterbevorgangs liegen.69 Hierfür spricht auch, dass der Zivilsenat auf die Voraussetzungen einer „vom gesetzlichen Vertreter konsentierte[n] Sterbehilfe (auch im weiteren Sinn)“ hinweist.70 Unter einer „Sterbehilfe im weiteren Sinn“ wird allgemein die Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen bei Patienten vor Eintritt des Sterbevorgangs verstanden.71 Setzte der Senat den Beginn des Sterbevorgangs mit dem Begriff des irreversibel tödlich verlaufenden Grundleidens gleich, würde er kaum von den Voraussetzungen der Sterbehilfe im weiteren Sinn sprechen, da nach seiner Auffassung eine Sterbehilfe bei einem nicht einwilligungsfähigen Patienten überhaupt nicht zulässig ist, wenn das Grundleiden noch keinen irreversibel tödlichen Verlauf angenommen hat. Damit lässt sich festhalten, dass der Begriff des irreversibel tödlich verlaufenden Grundleidens nicht den Beginn des Sterbevorgangs voraussetzt. (b) Irreversible Bewusstlosigkeit? In der Literatur wurde teilweise davon ausgegangen, ein irreversibel tödlich verlaufendes Grundleiden erfordere, dass eine Erkrankung kumulativ zu irreversibler Bewusstlosigkeit und zur dringenden Notwendigkeit künstlicher Hilfsmittel zum Überleben geführt hat.72 In diese Richtung kann auch die Aussage der damaligen Vorsitzenden des Zivilsenats Hahne verstanden werden, die einen tödlichen Verlauf bejahen möchte, wenn keine Chance mehr besteht, „daß der Patient wieder zu 66 67 68 69
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Lipp, FamRZ 2003, 756; Gabriele Müller, DNotZ 2005, 927, 929; Berg, Behandlungsbegrenzung, S. 44 f. Saliger, MedR 2004, 237, 241; Verrel, NStZ 2003, 449, 451; anders Kutzer, ZRP 2003, 213 f. BGHSt 40, 257, 260. OLG Karlsruhe NJW 2004, 1882, 1883; OLG München NJW 2007, 3506, 3507; LG Waldshut-Tiengen NJW 2006, 2270; Bühler/Stolz, FamRZ 2003, 1622, 1623; Coeppicus, Rpfleger 2004, 262; Saliger, MedR 2004, 237, 240. Siehe hierzu auch Hahne, FamRZ 2003, 1619, 1621. BGHZ 154, 205, 216. Siehe Roxin, in: Roxin/Schroth, Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 313, 319. Vgl. auch oben B. II. 3. Bühler/Stolz, FamRZ 2003, 1622, 1623; Coeppicus, Rpfleger 2004, 262, 263; zustimmend Seichter, KritV 2004, 451, 466.
II. Der nicht oder nicht mehr einwilligungsfähige Patient
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einer Persönlichkeit wird, die als bewußter Mensch am Leben der anderen teilnehmen kann“.73 Aus dem Begriff des irreversibel tödlich verlaufenden Grundleidens ergibt sich allerdings nicht zwanglos das Erfordernis der irreversiblen Bewusstlosigkeit. Da irreversible Bewusstlosigkeit in der Praxis nahezu immer die Notwendigkeit künstlicher Hilfsmittel zum Überleben nach sich zieht, die irreversible Bewusstlosigkeit also das entscheidende Kriterium ist, fragt sich, warum der Senat nicht gleich von irreversibler Bewusstlosigkeit gesprochen hat. Wenn es richtig wäre, dass für ein irreversibel tödlich verlaufendes Grundleiden eine unumkehrbare Bewusstlosigkeit erforderlich ist, hätte die Rechtsprechung des Zivilsenats eine erhebliche Benachteiligung nicht einsichtsfähiger Patienten zur Folge gehabt. Der unheilbar kranke, aber einsichtsfähige Krebspatient hätte nämlich eine Behandlung ablehnen können, wenn er es vorzog, seine verbleibende Lebensspanne daheim zu verbringen anstatt durch Operationen und Chemotherapie sein Leben geringfügig zu verlängern. Dagegen hätte für einen geistig behinderten oder dementen Krebspatienten nicht entschieden werden können, dass er die verbleibende Lebensspanne im vertrauten Umfeld ohne belastende Therapien verbringt. Er hätte behandelt werden müssen, bis er irreversibel bewusstlos wird. Sofern die Unheilbarkeit hinreichend feststeht, kann aber eine Entscheidung gegen eine weitere strapaziöse Behandlung durchaus dem Wohl des Betreuten entsprechen. Es ist daher nicht davon auszugehen, dass der Zivilsenat dem Betreuer die Befugnis, weitere lebensverlängernde Maßnahmen abzulehnen, erst ab Eintritt der irreversiblen Bewusstlosigkeit zubilligen wollte. Damit setzt ein irreversibel tödlich verlaufendes Grundleiden also nicht irreversible Bewusstlosigkeit voraus. Liegt aber irreversible Bewusstlosigkeit vor, ist nach Auffassung des Zivilsenats ein irreversibel tödlich verlaufendes Grundleiden zu bejahen, da für diesen Fall ersichtlich ein irreversibel tödlich verlaufendes Grundleiden angenommen wurde. (c) Unheilbare tödliche Krankheit und irreversible Bewusstlosigkeit Die damalige Vorsitzende des Zivilsenats Hahne hat sich weiter dahingehend geäußert, dass ein irreversibel tödlicher Verlauf vorliege, wenn „der Patient bei einem natürlichen Verlauf seiner Krankheit ohne künstliche ärztliche Hilfsmittel sterben würde“.74 Diese Aussage vermag als Definition für den Begriff des irreversibel tödlich verlaufenden Grundleidens nicht zu überzeugen. Dass der Patient ohne künstliche Hilfsmittel sterben würde, kann allein die Annahme eines irreversibel tödlichen Verlaufs nicht begründen, weil etwa auch ein Unfallopfer mit guten Prognoseaussichten manchmal vorübergehend künstlich ernährt werden muss. Sofern der krankheits- bzw. verletzungsbedingte Tod durch Medikamente oder sonstige medizinische Maßnahmen dauerhaft abgewehrt werden kann, ist der tödliche Verlauf nach allgemeinem Sprachgebrauch nicht irreversibel. Daher stellen auch chronische – also unheilbare – Erkrankungen, an denen der Betroffene ohne 73 74
Hahne, FAZ v. 18.7.2003, S. 4. Hahne, FAZ v. 18.7.2003, S. 4.
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D. Die Entscheidung über die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen
ärztliche Behandlung sterben würde, die aber heutzutage durch Medikamente gut behandelbar sind, so dass der Patient an seiner Krankheit nicht sterben muss, kein irreversibel tödlich verlaufendes Grundleiden dar. Die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags, die sich ersichtlich an die Entscheidung des Zivilsenats anlehnte, schlug präziser als der Zivilsenat vor, die Reichweite von Patientenverfügungen auf Fallkonstellationen zu beschränken, in denen das Grundleiden irreversibel ist und trotz medizinischer Behandlung nach ärztlicher Erkenntnis zum Tode führen wird.75 Dies entspricht dem Wortsinn des Begriffs des irreversibel tödlich verlaufenden Grundleidens. Damit lässt sich festhalten, dass der Begriff des irreversibel tödlich verlaufenden Grundleidens unheilbare tödliche Erkrankungen umfasst.76 Daneben sah der Zivilsenat auch irreversible Bewusstlosigkeit innerhalb der Regelungsmöglichkeiten einer Patientenverfügung. cc) Stellungnahme unter Berücksichtigung weiterer Literatur Im Folgenden werden die verschiedenen Ansichten zur Bindungswirkung von Patientenverfügungen einer kritischen Würdigung unterzogen. Zur Klarstellung sei angemerkt, dass die vom 12. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs vertretene Einschränkung des Anwendungsbereichs von Patientenverfügungen auf bestimmte, besonders schwerwiegende Krankheitsbilder im Schrifttum üblicherweise als Reichweitenbeschränkung von Patientenverfügungen bezeichnet wird. (1) Untauglichkeit einer strikten Bindungswirkung ohne Reichweitenbeschränkung Die Auffassung von der strikten Bindungswirkung ohne Reichweitenbeschränkung hat zur Folge, dass jeder wirksam errichteten Patientenverfügung entsprochen werden muss, ohne dass es auf den Krankheitszustand des Betroffenen ankommt. Dies führt insbesondere bei untypischen Patientenverfügungen zu zweifelhaften Ergebnissen. In einer Patientenverfügung könnte etwa ein Behandlungsabbruch für den Fall angeordnet werden, dass der Patient länger als drei Tage im Koma liegt.77 Ebenso kann es vorkommen, dass der Patient im einwilligungsfähigen Zustand verfügt hat, dass er nicht reanimiert werden möchte, wenn auch nur die geringste Gefahr einer körperlichen oder geistigen Schädigung besteht. In solchen Fällen erscheint die Befolgung der Patientenverfügung unerträglich, weil ganz regelmäßig davon auszugehen ist, dass der gesundete Patient nachträglich mit der Nichtbefolgung seiner Patientenverfügung einverstanden sein wird. Es wä-
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BT-Drucksache 15/3700, S. 38 (Hervorhebung durch die Verfasserin). So auch Albrecht/Albrecht, MittBayNot 2003, 348, 352. Beispiel nach Albrecht/Albrecht, MittBayNot 2003, 348, 352. Dort wird berichtet, dass jemand tatsächlich vom Notar die Abfassung einer Patientenverfügung wünschte, nach der die Behandlung abgebrochen werden sollte, wenn er sich „länger als drei Tage im Koma“ befindet.
II. Der nicht oder nicht mehr einwilligungsfähige Patient
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re inhuman, den Patienten zwecks Rechtssicherheit an solchen Patientenverfügungen festzuhalten. Eine besonders entschiedene Absage muss der Auffassung erteilt werden, dass auch ein aktueller Lebenswille des einwilligungsunfähigen Patienten an der Geltung einer behandlungsablehnenden Patientenverfügung nichts oder – wie Verrel vorgeschlagen hat – grundsätzlich nichts ändert. Richtigerweise besteht auch entgegen der Ansicht des Nationalen Ethikrats nicht die Möglichkeit, in einer Patientenverfügung ausdrücklich anzuordnen, dass die Behandlungsablehnung trotz Anzeichen eines aktuellen Lebenswillens gelten soll. Die Schwierigkeiten, die diese Auffassungen nach sich ziehen, werden deutlich, wenn man sich folgenden Fall vor Augen führt: Jemand lehnt in einer Patientenverfügung für den Fall seiner späteren Einwilligungsunfähigkeit sämtliche medizinische Behandlungen ab, weil er ein Leben mit eingeschränkter geistiger Leistungsfähigkeit als nicht lebenswert erachtet. Wird dann der Betroffene infolge einer Altersdemenz einwilligungsunfähig, darf er auch dann nicht behandelt werden, wenn er ausgeprägte Lebensfreude zeigt. Dies kann dazu führen, dass der Patient an einer Lungenentzündung, die durch eine Behandlung mit Antibiotikum ganz unproblematisch verlaufen wäre, sterben muss, obwohl ein natürlicher Lebenswille erkennbar ist. Einwilligungsfähige Menschen mögen in Einzelfällen ein Interesse daran haben, dass ihre behandlungsablehnende Patientenverfügung auch dann gilt, wenn sie später im einwilligungsunfähigen Zustand Anzeichen von Lebenswillen aufweisen, etwa weil sie ihren Angehörigen oder der Nachwelt in einer bestimmten Weise in Erinnerung bleiben möchten. Bei einer Abwägung zwischen dem Interesse des Einwilligungsfähigen, Anordnungen für die Zukunft zu treffen, und dem Lebenswillen des Einwilligungsunfähigen muss aber in einer humanen Gesellschaft dem Lebenswillen des Einwilligungsunfähigen der Vorrang gebühren.78 Die Wertung, dass der aktuelle Wille vorrangig ist, liegt auch der Vorschrift des § 1901 Abs. 3 S. 2 BGB zugrunde, nach der den vor der Betreuerbestellung geäußerten Wünschen entsprochen werden muss, es sei denn, dass der Betreute an diesen Wünschen erkennbar nicht festhalten will. (2) Unberechtigte Kritik an der Reichweitenbeschränkung Die Reichweitenbeschränkung vermeidet ohne weiteres die zweifelhaften Ergebnisse, die die Auffassung von der strengen Bindungswirkung ohne Reichweitenbeschränkung bei untypischen Patientenverfügungen erzielt. Dennoch wurde die Beschränkung der rechtlichen Bedeutung von Patientenverfügungen auf bestimmte Krankheitszustände im Schrifttum vor der Entscheidung des Zivilsenats kaum vertreten79 und auch nach der Entscheidung vielfach abgelehnt.80 Der Zivil78 79
So auch Kutzer, DRiZ 2005, 257, 261; Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 117; A. Roth, JZ 2004, 494, 496 f. Vgl. aber A. Langenfeld, Vorsorgevollmacht, S. 182, die hinsichtlich der Rechtsverbindlichkeit einer Patientenverfügung ausdrücklich zwischen unheilbar kranken und heilungsfähigen Patienten unterscheidet. Die Frage, ob Patientenverfügungen auch im Fall des heilungsfähigen Patienten Wirkung entfalten können, umgehen diejenigen, die
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D. Die Entscheidung über die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen
senat habe das „Kemptener Urteil“ des Strafsenats missverstanden, wenn er mit Berufung auf das „Kemptener Urteil“ den Behandlungsabbruch nur bei irreversibel tödlich verlaufenden Grundleiden für zulässig erachtet. Der Hinweis des Zivilsenats auf die angeblich vom Strafsenat aufgestellte „objektive Eingrenzung der Sterbehilfe“ auf irreversibel tödliche Verläufe sei nicht zutreffend.81 In der Tat hat der Strafsenat im „Kemptener Urteil“ für die Zulässigkeit eines Behandlungsabbruchs nicht ausdrücklich die Voraussetzung aufgestellt, dass das Grundleiden einen irreversibel tödlichen Verlauf angenommen haben muss. Der Strafsenat unterscheidet in den Gründen des „Kemptener Urteils“ zwischen passiver Sterbehilfe, die erfordert, „daß das Grundleiden eines Kranken nach ärztlicher Überzeugung unumkehrbar (irreversibel) ist, einen tödlichen Verlauf angenommen hat und der Tod in kurzer Zeit eintreten wird“, und einem Behandlungsabbruch, der bereits vor Einsetzen des eigentlichen Sterbevorgangs zulässig sein kann, sofern er dem mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht.82 Einen Zeitpunkt, ab dem ein Behandlungsabbruch überhaupt zulässig sein soll, nennt der Strafsenat nicht. Der Begriff des irreversibel tödlich verlaufenden Grundleidens erlangt im Rahmen des „Kemptener Urteils“ keine eigenständige Bedeutung, sondern dient lediglich zusammen mit dem Kriterium der unmittelbaren Todesnähe zur Kennzeichnung der passiven Sterbehilfe. Daraus lässt sich aber nicht folgern, dass der Strafsenat einen Behandlungsabbruch in jedem Krankheitsstadium für zulässig erachtete. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass der „Kemptener Entscheidung“ der Fall einer irreversibel schwerst hirngeschädigten Patientin zugrunde lag. Die Patientin war seit mehreren Jahren nicht mehr ansprechbar, war geh- und stehunfähig, musste künstlich ernährt werden und reagierte auf optische und akustische Reize sowie auf Druckreize nur mit Gesichtszuckungen oder Knurren. Anzeichen für Schmerzempfinden bestanden nicht. Im Leitsatz 1 der „Kemptener Entscheidung“ heißt es: „Bei einem unheilbar erkrankten, nicht mehr entscheidungsfähigen Patienten kann der Abbruch einer ärztlichen Behandlung oder Maßnahme ausnahmsweise auch dann zulässig sein,
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den Begriff der Patientenverfügung von vornherein auf Regelungen bezüglich terminaler Krankheitsstadien beschränken (siehe hierzu D. II. 1. a) sowie die Nachweise in Kap D. Fn. 17). Beckmann, ZfL 2008, 49, 52 ff.; Coeppicus, Rpfleger 2004, 262, 263; S. Kaiser, in: Ratzel/Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, § 12 Rn. 486 f.; Kutzer, DRiZ 2005, 257, 260; Schöch/Verrel, GA 2005, 553, 562 f. mit unzutreffendem Verweis auf Roxin, in: Roxin/Schroth, Medizinstrafrecht, 2. Aufl., S. 93, 100 (= Roxin, in: Roxin/Schroth, Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 313, 329): Die dort von Roxin gemachten Ausführungen beziehen sich lediglich auf den aktuell einwilligungsfähigen Patienten; Verrel, NStZ 2003, 449, 451; Arbeitsgruppe „Patientenautonomie am Lebensende“, Patientenautonomie, S. 46; Nationaler Ethikrat, Patientenverfügung, S. 18 f. Aus medizinethischer Sicht Sahm, Ethik Med 2004, 133, 144. Hennies, ArztR 2003, 316, 318; Laufs/Katzenmeier/Lipp, Kap. VI Rn. 106; Lipp, FamRZ 2004, 317, 319; Putz/Steldinger, PKR 2005, 60. BGHSt 40, 257, 260.
II. Der nicht oder nicht mehr einwilligungsfähige Patient
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wenn die Voraussetzungen der von der Bundesärztekammer verabschiedeten Richtlinien für die Sterbehilfe nicht vorliegen, weil der Sterbevorgang noch nicht unmittelbar eingesetzt hat. Entscheidend ist der mutmaßliche Wille des Kranken.“83 In den Gründen führt der Strafsenat weiter aus: „Der Senat ist der Auffassung, daß angesichts der besonderen Umstände des hier gegebenen Grenzfalles ausnahmsweise ein zulässiges Sterbenlassen durch Abbruch einer ärztlichen Behandlung oder Maßnahme nicht von vornherein ausgeschlossen ist, sofern der Patient mit dem Abbruch mutmaßlich einverstanden ist.“84 Der Strafsenat hat also nicht jeden Behandlungsabbruch bei nicht einwilligungsfähigen Patienten bei entsprechendem mutmaßlichen Willen des Betroffenen für zulässig erklärt, sondern lediglich einen Behandlungsabbruch bei einem unheilbar kranken Patienten. Die Zulässigkeit eines Behandlungsabbruchs bei einem nicht einwilligungsfähigen heilungsfähigen Patienten wurde bislang höchstrichterlich nicht entschieden. Leitsatz 1 der „Kemptener Entscheidung“ und die dort gemachte Einschränkung „ausnahmsweise“ deuten aber eher darauf hin, dass der Strafsenat nicht jeden Behandlungsabbruch unabhängig von dem Krankheitszustand des einwilligungsunfähigen Patienten als zulässig erachten wollte. Nach bisheriger Rechtsprechung ist also ein Behandlungsabbruch bei einem nicht entscheidungsfähigen Patienten auch bei entsprechendem Patientenwillen nicht in jedem Krankheitsstadium zulässig.85 Hiergegen kann auch nicht argumentiert werden, dass im Fall der „Kemptener Entscheidung“ die Patientin keine Patientenverfügung errichtet hatte und die Ausführungen des Strafsenats bei Vorliegen einer Patientenverfügung daher nicht gelten. Nach Auffassung des Strafsenats stellte nämlich entsprechend der damaligen herrschenden Meinung die Patientenverfügung kein aliud zum mutmaßlichen Willen dar. Der Strafsenat führt aus, dass „frühere […] schriftliche Äußerungen“ bei Ermittlung des mutmaßlichen Willens zu berücksichtigen seien. Auch im strafrechtlichen Schrifttum wird bislang die Zulässigkeit eines Behandlungsabbruchs bei einem entscheidungsunfähigen Patienten nicht bejaht, wenn der Patient nicht unheilbar krank ist. Vielmehr finden sich zur Kennzeichnung eines zulässigen Behandlungsabbruchs Wendungen wie „bei therapeutischer Aussichtslosigkeit“86. Es wird nur von „Sterbehilfe für unheilbar Erkrankte“87 gesprochen. Es lässt sich also festhalten, dass jedenfalls nach der bisher im Strafrecht herrschenden Meinung ein Behandlungsabbruch bei einem entscheidungsunfähigen Patienten auch bei entsprechendem Patientenwillen nicht für zulässig erklärt wird, wenn noch Heilungschancen bestehen. Damit war die Auffassung des Zivilsenats, dass eine „objektive Grenze zulässiger Sterbehilfe“ besteht, durchaus zutreffend. Ein Unterschied zwischen Zivilsenat und Strafsenat besteht lediglich hinsichtlich der Begrifflichkeiten. Während der Strafsenat unter passiver Sterbehilfe nur das Unterlassen lebensverlängernder Maßnahmen beim sterbenden Patienten versteht, spricht der Zivilsenat auch in solchen Fällen von Sterbehilfe (im 83 84 85 86 87
BGHSt 40, 257 (Hervorhebungen durch die Verfasserin). BGHSt 40, 257, 262 (Hervorhebung durch die Verfasserin). So Stackmann, NJW 2003, 1568. Küpper, Strafrecht BT 1, § 1 Rn. 21. Krey/Heinrich, Strafrecht BT 1, Rn. 7.
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D. Die Entscheidung über die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen
weiteren Sinn), in denen der Strafsenat den Begriff des Behandlungsabbruchs verwendet, weil der eigentliche Sterbevorgang noch nicht eingesetzt hat. Eine andere Frage ist, ob die strafrechtliche Grenze zulässiger passiver Sterbehilfe (im weiteren Sinn) zu Recht besteht. Hiergegen wird angeführt, dass der Zweck der Patientenverfügung die Stärkung des grundrechtlich geschützten Selbstbestimmungsrechts des Patienten sei, das unstreitig dem einwilligungsfähigen Patienten unabhängig von seinen Heilungschancen zustehe. Dementsprechend könne der einsichtsfähige heilungsfähige Patient eine Entscheidung treffen, die anderen unvernünftig erscheint, wie etwa eine wirksame und wenig riskante Behandlung ablehnen. Nach der Konzeption des Betreuungsrechts habe der Betreuer die Befugnis, anstelle des Betreuten zu entscheiden, um dessen Handlungsfähigkeit herzustellen und dessen Selbstbestimmungsrecht zu verwirklichen.88 Daher sei die Entscheidungsbefugnis des Betreuers bei der Behandlung des Betreuten, gegebenenfalls nach gerichtlicher Genehmigung, gegenüber der des Patienten nicht zu beschränken.89 Lasse man der Patientenverfügung zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts rechtliche Bedeutung zukommen, sei die Differenzierung nach den Heilungschancen nicht gerechtfertigt. Das verfassungsrechtlich verbürgte Selbstbestimmungsrecht gewähre nicht nur dem aktuell einsichtsfähigen Patienten das Recht, medizinische Maßnahmen abzulehnen, sondern umfasse auch die Möglichkeit, eine solche Entscheidung auch im Voraus für den Fall der späteren Entscheidungsunfähigkeit zu treffen.90 Dass das grundrechtlich geschützte Selbstbestimmungsrecht tatsächlich diese Reichweite hat, ist allerdings zweifelhaft und geht auch aus dem verfassungsrechtlichen Schrifttum nicht hervor. Jarass leitet aus den Grundrechten lediglich ab, dass „die passive Sterbehilfe nicht unterbunden werden [kann], wenn der Betroffene zu einer selbstverantwortlichen Entscheidung noch in der Lage ist“.91 Bei Schulze-Fielitz heißt es: „Bei freier selbstverantwortlicher Entscheidungsfähigkeit darf der Staat [das] Recht auf passive Sterbehilfe i. S. eines Abbruchs einer Heilbehandlung nicht beeinträchtigen. Bei irreversiblem Bewußtseinsverlust des Patienten ist ein lebensverkürzender Abbruch i. S. passiver Sterbehilfe bei vorweggenommener Einwilligung zu Zeiten vollen Bewußtseins gerechtfertigt“.92 Damit ist davon auszugehen, dass das Verfassungsrecht einer Strafbarkeit des Behandlungsabbruchs bei einem einwilligungsunfähigen Patienten mit Heilungschancen einerseits nicht zwingend entgegensteht, andererseits aber die Strafbarkeit auch nicht verlangt. Es lässt sich argumentieren, dass es sich bei einer Patientenverfügung nicht um eine unmittelbare Ausübung des Selbstbestimmungsrechts handelt und damit die Reichweitenbeschränkung von Patientenverfügungen keine Einschrän-
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Lipp, Freiheit und Fürsorge, S. 51. Lipp, FamRZ 2003, 756. Coeppicus, Rpfleger 2004, 262, 263; Duttge, in: Höfling, Wachkoma, S. 97 f.; Verrel, NStZ 2003, 449, 451; dem Zivilsenat aber zustimmend Albrecht/Albrecht, MittBayNot 2003, 348, 352. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 2 Rn. 100 (Hervorhebung durch die Verfasserin). Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 2 II Rn. 63.
II. Der nicht oder nicht mehr einwilligungsfähige Patient
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kung des aktuellen Selbstbestimmungsrechts, sondern eine Einschränkung des Rechts auf Selbstbindung darstellt.93 Auch das Bundesverfassungsgericht ist im Bereich des Betreuungsrechts zum gleichen Ergebnis gekommen. Es hat im Fall einer Zeugin Jehovas mit guten Heilungschancen, die in einer Patientenverfügung Bluttransfusionen abgelehnt hat, ausgeführt, dass der Betreuer, der anstelle des Betreuten und für diesen entscheidet, „den Wünschen des Betreuten nur insoweit zu entsprechen hat, als dies dessen Wohl nicht entgegensteht (§ 1901 Abs. 2 und 3 BGB). Auch in höchstpersönlichen Angelegenheiten kann es deshalb zu Entscheidungen gegen den ausdrücklichen Willen des Betreuten kommen.“94 Damit ist festzuhalten, dass die Reichweitenbeschränkung von Patientenverfügungen mit den von Rechtsprechung und Literatur aufgestellten strafrechtlichen Vorgaben korrespondiert. Eine objektive Grenze zulässiger passiver Sterbehilfe ist auch nicht verfassungswidrig. (3) Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab für das Vorliegen eines irreversibel tödlich verlaufenden Grundleidens Dem Beschluss des 12. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs ist gleichwohl nicht zuzustimmen. Dass der Zivilsenat eine „letzte Sicherheit“ für das Vorliegen eines irreversibel tödlich verlaufenden Grundleidens verlangt hat, ist unverständlich. Eine letzte Sicherheit, wann eine Krankheit einen tödlichen Verlauf angenommen hat, gibt es nämlich nicht.95 Urteile über die Irreversibilität einer Erkrankung und über die Lebenserwartung einer Person sind Prognosen, denen Unsicherheiten immanent sind. Patienten sind schon entgegen ärztlicher Voraussage überraschend aus dem Koma erwacht und sogar bei Krebserkrankungen, die als unheilbar eingestuft worden sind, wird von Spontanremissionen berichtet.96 Nähme man das Erfordernis einer „letzten Sicherheit“ ernst, käme ein Behandlungsabbruch kaum je in Betracht. Richtigerweise kann nur verlangt werden, dass nach ärztlicher Überzeugung die medizinischen Voraussetzungen für einen zulässigen Behandlungsabbruch aufgrund sorgfältiger Prognosestellung feststehen.97
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So die Enquete-Kommission, BT-Drucksache 15/3700, S. 38. BVerfG NJW 2002, 206. Saliger, MedR 2004, 237, 241; Spickhoff, JZ 2003, 739, 740; ders., in: Kingreen/Laux, Gesundheit, S. 103, 118; Verrel, NStZ 2003, 449, 452. Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 405. Ähnlich Höfling/Rixen, JZ 2003, 884, 887; Saliger, MedR 2004, 237, 242; Verrel, NStZ 2003, 449, 452; Enquete-Kommission, BT-Drucksache 15/3700, S. 38 („nach ärztlicher Erkenntnis“). Vgl. auch BGHSt 40, 257, 260 („nach ärztlicher Überzeugung“).
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D. Die Entscheidung über die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen
(4) Die Schwierigkeiten bei der Festlegung einer Reichweitenbeschränkung Erhebliche Schwierigkeiten bereitet auch die Bestimmung einer sachgerechten Reichweite von Patientenverfügungen. Wie bereits ausgeführt wurde, umfasst die vom 12. Zivilsenat vorgeschlagene Reichweite unheilbare tödliche Erkrankungen und irreversible Bewusstlosigkeit.98 Vermutlich hätte der 12. Zivilsenat bei weit fortgeschrittener Demenz und bei schwerster Hirnschädigung eine Regelung in einer Patientenverfügung auch für möglich gehalten, da in der „Kemptener Entscheidung“ ein Behandlungsabbruch bei einer irreversibel schwerst hirngeschädigten Patientin mit Verdacht auf Alzheimer-Demenz für zulässig erachtet wurde. Auch das Oberlandesgericht Karlsruhe hat im Fall einer Patientin, die aufgrund einer Demenz im Endstadium kommunikationsunfähig und pflegebedürftig war und mittels einer durch die Nase eingeführten Magenverweilsonde ernährt werden musste, ein irreversibel tödlich verlaufendes Grundleiden bejaht.99 Die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags schlug vor, die Reichweite von Patientenverfügungen auf Fallkonstellationen zu beschränken, in denen das Grundleiden irreversibel ist und trotz medizinischer Behandlung nach ärztlicher Erkenntnis zum Tode führen wird, also auf unheilbare tödliche Krankheiten. Wachkoma und Demenz sollten aber nicht unter den Begriff des irreversibel tödlichen Grundleidens fallen.100 Hätte sich dieser Vorschlag der Enquete-Kommission durchgesetzt, wäre eine große Anzahl der bereits errichteten Patientenverfügungen gegenstandslos geworden. Gerade irreversible Bewusstlosigkeit, schwerste Hirnschädigungen und fortgeschrittene Demenz sind die Erkrankungen, für die viele Menschen eine Regelung treffen möchten. Der Vorschlag der Enquete-Kommission hätte dazu geführt, dass Menschen mit apallischem Syndrom oder mit schwersten Hirnschädigungen gegen ihren Willen mitunter jahrelang durch die moderne Medizin hätten am Leben erhalten werden müssen. Der Vorschlag der Enquete-Kommission stellt im Vergleich zur bisherigen medizinischen Praxis eine stärkere Beschränkung des Selbstbestimmungsrechts dar und ist abzulehnen. Allerdings vermag auch eine Reichweitenbeschränkung dahingehend, dass nur unheilbare tödliche Krankheiten, irreversibles Wachkoma und Demenz im Endstadium vom Geltungsbereich einer Patientenverfügung umfasst sind, nicht zu überzeugen. Man führe sich den folgenden Fall vor Augen: Ein 90-Jähriger, der auf ein erfülltes Leben zurückblickt und noch bei guter Gesundheit ist, lehnt in einer Patientenverfügung Reanimation, künstliche Beatmung und künstliche Ernährung ab, weil er aufgrund seines Alters seinen natürlichen Tod akzeptiert hat.101 Erleidet dieser Patient dann einen Herzinfarkt mit der Folge des Herzstillstands, müsste er reanimiert werden, es sei denn, die Ärzte sind überzeugt, dass der Patient letztendlich an dem Herzinfarkt sterben wird, irreversibel bewusstlos bleibt oder das Gehirn irreversible schwerste Schädigungen davonträgt. Dies macht deutlich, dass die vom Bundesgerichtshof gezogene „objektive Grenze zulässiger Sterbehilfe“ 98 99 100 101
Siehe D. II. 1. c) bb) (3) (c). OLG Karlsruhe NJW 2004, 1882 f. BT-Drucksache 15/3700, S. 38. Vgl. auch Kutzer, DRiZ 2005, 257, 261.
II. Der nicht oder nicht mehr einwilligungsfähige Patient
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und die damit verbundene Reichweitenbeschränkung von Patientenverfügungen zusammen mit den Fortschritten der Intensivmedizin ein „natürliches“ Sterben nahezu unmöglich macht. In der Folge könnten Ärzte, die einem hochaltrigen Menschen das Sterben ermöglichen wollen, eine Reanimation mit der Begründung unterlassen, die Reanimation sei medizinisch nicht indiziert. Dadurch gelangt die Entscheidung über lebenserhaltende Maßnahmen verstärkt in den ausschließlichen Zuständigkeitsbereich der Ärzte, die allein über das Vorliegen der medizinischen Indikation befinden. Dem Interesse und der Autonomie des Patienten ist es förderlicher, wenn Ärzte im Zweifel die medizinische Indikation einer Maßnahme bejahen, der Patient aber die Möglichkeit hat, die medizinisch indizierte Behandlung in einer Patientenverfügung abzulehnen. Problematisch ist ferner, dass eine objektive Einschränkung der Wirksamkeit von Patientenverfügungen auf bestimmte Krankheitszustände und Krankheitsstadien den negativen Effekt hat, diese Lebenssituationen als nicht mehr lebenswert erscheinen zu lassen.102 Hält man irreversible schwerste Hirnschädigungen in einer Patientenverfügung für regelungsfähig, muss beispielsweise festgelegt werden, welches Maß an Hirnschädigung erforderlich ist, damit von einer schwersten Hirnschädigung in diesem Sinne gesprochen werden kann. Eine derartige Festlegung beinhaltet zwangsläufig eine Wertung darüber, welcher Grad an Hirnschädigung so schwer wiegt, dass dem Betroffenen das Sterben ermöglicht werden muss. Nicht überzeugend ist außerdem, dass die Unheilbarkeit und Tödlichkeit einer Erkrankung das entscheidende Kriterium für die Zulässigkeit eines Behandlungsabbruchs bei einem nicht einwilligungsfähigen Patienten sein soll. Es gibt nämlich unheilbare tödliche Erkrankungen, mit denen der Betroffene noch eine mehr oder weniger lange Zeit bei hoher Lebensqualität leben kann. So gibt es etwa fortgeschrittene Krebserkrankungen, die nach heutigem medizinischen Stand letztendlich zum Tod führen werden, mit denen die Betroffenen aber noch eine geraume Zeit gut leben können. Dass in Fällen unheilbarer tödlicher Krankheit, die die Lebensqualität des einwilligungsunfähigen Patienten aktuell noch nicht erheblich einschränkt, ein tödlicher Behandlungsabbruch – etwa durch Nichtbehandlung einer interkurrenten Erkrankung – zulässig sein soll, während bei einem einwilligungsunfähigen Patienten, der an einer unheilbaren Krankheit leidet, die zwar aufgrund der modernen Medizin nicht tödlich, aber dennoch mit großen Leidenszuständen verbunden ist, ein Behandlungsabbruch nicht zulässig ist, erscheint nicht ohne weiteres stimmig. Angesichts der Endlichkeit allen Lebens kann die Tatsache, dass die Lebensspanne durch Krankheit verkürzt ist, kaum das entscheidende Kriterium für die Zulässigkeit eines Behandlungsabbruchs sein. Berücksichtigt man allerdings in der Konsequenz zusätzlich die krankheitsbedingten Schmerzen und Einschränkungen, erhebt sich die Frage, welches Maß an Beschwerden für die Zulässigkeit eines Behandlungsabbruchs erforderlich ist. Im Hinblick auf die unbegrenzte Anzahl verschiedener Krankheitsbilder und die damit verbundenen unterschiedlichen Symptome erscheint eine klare Grenzziehung 102
Ingelfinger, ZfL 2005, 38, 44.
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D. Die Entscheidung über die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen
kaum möglich. Schmerzen, Pflegebedürftigkeit, Kommunikationsunfähigkeit, Bewegungsunfähigkeit und Hirnschädigungen können in unterschiedlichen Ausprägungen sowie einzeln oder kombiniert auftreten. Liegt eine unheilbare tödliche Krankheit, die bisher nur mit leichten Schmerzen verbunden ist, innerhalb der Regelungsmöglichkeiten einer Patientenverfügung? Kann eine Hirnschädigung, die nicht das Ausmaß einer schwersten Hirnschädigung erreicht, zusammen mit weiteren Leidenszuständen einen Behandlungsabbruch ermöglichen? Wie ist völlige Kommunikationsunfähigkeit zu bewerten? Inwieweit ist völlige Bewegungsunfähigkeit zu berücksichtigen? Die Festlegung einer starren und gleichzeitig sinnvollen Reichweitenbeschränkung erscheint nicht möglich. Dies erklärt vielleicht auch, warum der Zivilsenat eine gelungene Reichweitenbeschränkung nicht zuwege gebracht hat, sondern den vagen Begriff des irreversibel tödlich verlaufenden Grundleidens verwendet hat, dessen Wortsinn das apallische Syndrom, das der Zivilsenat ersichtlich als tauglichen Regelungsgegenstand einer Patientenverfügung ansah, nicht umfasst. Damit lässt sich festhalten, dass die Ansicht, die eine Reichweitenbeschränkung von Patientenverfügungen befürwortet und die Zulässigkeit von Behandlungsabbrüchen bei einwilligungsunfähigen Patienten von bestimmten Krankheitszuständen abhängig macht, nicht praktikabel ist. Im Übrigen beinhalten eine Reichweitenbeschränkung und eine „objektive Grenze zulässiger Sterbehilfe“ auch stets eine Wertung über bestimmte Krankheitszustände und können dazu führen, dass Ärzte eher bereit sind, die medizinische Indikation bestimmter Maßnahmen zu verneinen. (5) Die Patientenverfügung als Indiz für den mutmaßlichen Patientenwillen Die Ansicht, die die Patientenverfügung als Indiz für den mutmaßlichen Patientenwillen ansieht, vermeidet bei grob unvernünftigen Patientenverfügungen, wie etwa die Anordnung des Behandlungsabbruchs nach dreitägigem Koma, die inhumanen Ergebnisse, die die Auffassung von der strikten Bindungswirkung von Patientenverfügungen erzielt. Sie ist auch anders als eine Reichweitenbeschränkung praktikabel. Die im Schrifttum vorgebrachten Bedenken hinsichtlich der Fähigkeit des Betroffenen, die spätere Krankheitssituation und seine dann bestehende Einstellung zum Leben bei Errichtung der Patientenverfügung in gesunden Tagen zutreffend zu antezipieren, erscheinen durchaus begründet. Der Mensch neigt nämlich dazu, Angst vor dem Unbekannten und dem Ungewissen zu haben. Für den gesunden Menschen ist der spätere Krankheitszustand aber fremd, so dass bereits aus diesem Grund die Vorstellung der späteren Situation beängstigend sein kann. Wenn die Situation tatsächlich eintritt, wird sie oft als weniger belastend empfunden. Der Mensch hat die Fähigkeit, sich an neue Gegebenheiten anzupassen, und vermag häufig mehr zu ertragen, als er zuvor für möglich gehalten hat.103 Daher erscheint für die Zeit vor dem In-Kraft-Treten des Dritten Gesetzes zur Änderung des
103
So auch Student, ZfL 2007, 90.
II. Der nicht oder nicht mehr einwilligungsfähige Patient
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Betreuungsrechts die Ansicht von der Indizwirkung von Patientenverfügungen vorzugswürdig. Allerdings kann die niemals auszuschließende Möglichkeit, dass der Betroffene angesichts der konkreten Situation seine Meinung vielleicht geändert hätte, allein nicht genügen, eine Patientenverfügung übergehen zu dürfen. Dies liefe nämlich in der Tat auf reine Spekulation hinaus. Dem in der Patientenverfügung niedergelegten Willen muss aber dann nicht entsprochen werden, wenn objektive Indizien vorliegen, die darauf hinweisen, dass der aktuell mutmaßliche Wille des Patienten nicht mit dem antezipiert geäußerten Willen übereinstimmt. Ein solches Indiz können insbesondere gute Prognoseaussichten sein. Damit stimmt im Fall des heilungsfähigen Patienten das Ergebnis regelmäßig mit der Rechtsprechung überein, die einen Behandlungsabbruch bei einem entscheidungsunfähigen Patienten mit Heilungschancen für generell unzulässig hält. Ein Indiz dafür, dass eine Weiterbehandlung dem aktuell mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht, kann sich auch aus geänderten persönlichen Verhältnissen des Patienten ergeben: Hat beispielsweise ein älterer, verwitweter Patient nach Errichtung einer Patientenverfügung entgegen seiner eigenen Erwartung noch einmal eine Familie gegründet, kann die Annahme gerechtfertigt sein, dass er in dieser neuen Situation sämtliche intensiv-medizinische Maßnahmen in Anspruch nehmen möchte, wenn auch nur die geringste Aussicht auf Besserung besteht. Ein aktueller Lebenswille des einwilligungsunfähigen Patienten macht eine behandlungsablehnende Patientenverfügung stets unbeachtlich.104 dd) Die Rechtslage nach In-Kraft-Treten des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts Nach dem In-Kraft-Treten des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts am 1.9.2009 ist für die Frage der rechtlichen Bedeutung von Patientenverfügungen die Vorschrift des § 1901 a BGB maßgeblich. Im Folgenden wird untersucht, welche Aussage die gesetzliche Regelung zur Bindungswirkung von Patientenverfügungen trifft. Gemäß § 1901 a Abs. 1 S. 1 BGB ist zu prüfen, ob die Festlegungen in der Patientenverfügung auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation des Patienten zutreffen. Ist dies der Fall, muss gemäß § 1901 a Abs. 1 S. 2 BGB dem Willen des Betroffenen Ausdruck und Geltung verschafft werden. Liegt keine Patientenverfügung vor oder treffen die Festlegungen einer Patientenverfügung nicht auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zu, sind gemäß § 1901 a Abs. 2 BGB die Behandlungswünsche oder der mutmaßliche Wille des Patienten entscheidend. Gemäß § 1901 a Abs. 3 BGB gelten die Absätze 1 und 2 unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung des Betroffenen. In § 1901 a Abs. 1 S. 3 BGB wird deutlich gemacht, dass eine Patientenverfügung jederzeit formlos widerrufen werden kann.105 104 105
Siehe hierzu oben D. II. 1. c) cc) (1). Zu den Anforderungen an einen wirksamen Widerruf siehe Spickhoff, FamRZ 2009, 1949, 1955.
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D. Die Entscheidung über die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen
Aus § 1901 a Abs. 1 und Abs. 2 BGB ergibt sich, dass das Gesetz zwei verschiedene Situationen unterscheidet: Während in § 1901 a Abs. 1 BGB der Fall einer bindenden Patientenverfügung geregelt ist, betrifft die Vorschrift des § 1901 a Abs. 2 BGB die nicht bindende Patientenverfügung.106 Mit § 1901 a Abs. 3 BGB, nach dem Art und Stadium der Erkrankung für die rechtliche Bedeutung der Patientenverfügung ohne Belang sind, hat der Gesetzgeber jeglicher Form der Reichweitenbeschränkung eine Absage erteilt.107 Dies ist unter Berücksichtigung der bereits gemachten Ausführungen zur Reichweitenbeschränkung zu befürworten.108 Zu klären bleibt, unter welchen Voraussetzungen eine bindende Patientenverfügung im Sinne des § 1901 a Abs. 1 BGB anzunehmen ist. (1) Die strikt bindende Patientenverfügung Für die Abgrenzung einer bindenden Patientenverfügung von einer nicht bindenden Patientenverfügung soll nach dem Gesetz maßgeblich sein, ob die Festlegungen in der Patientenverfügung auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen. (a) Die Behandlungssituation Der Begriff der Behandlungssituation umfasst die Krankheitssituation des Betroffenen in Verbindung mit den in Betracht kommenden medizinischen Maßnahmen. Eine strikt bindende Patientenverfügung setzt voraus, dass die Festlegungen in der Patientenverfügung den aktuellen Krankheitszustand des Patienten und die aktuell in Frage stehenden Behandlungsmaßnahmen betreffen. Dies erfordert zunächst, dass die Patientenverfügung überhaupt eine konkrete Krankheitssituation beschreibt und eine Aussage zu bestimmten medizinischen Maßnahmen enthält.109 So kann beispielsweise die Formulierung „ich möchte keine lebensverlängernden Maßnahmen, wenn keine Aussicht auf Besserung im Sinne eines für mich erträglichen und umweltbezogenen Lebens besteht“ von vornherein keine Bindungswirkung entfalten, da es sowohl an der Festlegung bestimmter ärztlicher Maßnahmen als auch an einer konkreten Beschreibung der Anwendungssituation fehlt.110 Ist die Patientenverfügung hinreichend konkret, muss weiter geprüft werden, ob die Festlegungen auf die aktuelle Situation anwendbar sind. Enthält eine Patientenverfügung etwa eine Regelung bezüglich künstlicher Ernährung im Endstadium einer Alzheimererkrankung, lässt sich hieraus keine bindende Bestimmung für die Frage der Behandlung interkurrenter Erkrankungen im Fall einer Krebserkrankung entnehmen. Somit kann die Bindungswirkung einer Patientenverfügung nicht nur aufgrund einer zu vagen Formulierung, sondern auch aufgrund einer zu engen Regelung zu verneinen sein. 106 107 108 109 110
Siehe auch BT-Drucksache 16/8442, S. 11. Siehe auch BT-Drucksache 16/8442, S. 16 ff. Zur Reichweitenbeschränkung siehe oben D. II. 1. c) cc) (4). Siehe BT-Drucksache 16/8442, S. 14. Siehe BT-Drucksache 16/8442, S. 14.
II. Der nicht oder nicht mehr einwilligungsfähige Patient
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Schließlich ist eine strikte Bindungswirkung auch dann abzulehnen, wenn seit der Errichtung der Patientenverfügung neue Behandlungsmöglichkeiten entwickelt wurden.111 Hat der Verfasser einer Patientenverfügung für den Fall einer bestimmten Erkrankung die Durchführung medizinischer Maßnahmen untersagt, betrifft diese Regelung nicht mehr die aktuelle Behandlungssituation, wenn die Erkrankung erst neuerdings heilbar ist oder die in Betracht kommenden medizinischen Maßnahmen deutlich weniger belastend sind als die zum Zeitpunkt der Errichtung der Patientenverfügung bestehenden Behandlungsmöglichkeiten. (b) Die Lebenssituation Eine bindende Patientenverfügung setzt nach dem Wortlaut des § 1901 a Abs. 1 BGB weiter voraus, dass die Festlegungen in der Patientenverfügung die aktuelle Lebenssituation betreffen. Der Begriff der Lebenssituation ist weiter als der der Krankheitssituation. Der Begriff der Lebenssituation erfasst nicht nur die medizinischen Umstände, sondern sämtliche Lebensumstände des Patienten. Nach der Entwurfsbegründung ist dementsprechend zu prüfen, „ob das aktuelle Verhalten des nicht mehr entscheidungsfähigen Patienten konkrete Anhaltspunkte dafür zeigt, dass er unter den gegebenen Umständen den zuvor schriftlich geäußerten Willen nicht mehr gelten lassen will und ob der Betroffene bei seinen Festlegungen diese Lebenssituation mitbedacht hat.“112 Solche konkreten Anhaltspunkte seien beispielsweise dem situativ spontanen Verhalten des Patienten gegenüber ärztlichen Maßnahmen, nicht jedoch den unwillkürlichen, rein körperlichen Reflexen zu entnehmen.113 Zutreffend weist die Entwurfsbegründung darauf hin, dass diese Prüfung vor allem bei Demenzerkrankungen von Bedeutung ist.114 Im Fall eines aktuell bewusstlosen Patienten kann das Verhalten des Betroffenen derartige Anhaltspunkte nicht liefern. Allerdings ist auch bei bewusstlosen Patienten zu prüfen, ob der Betroffene bei der Errichtung seiner Patientenverfügung die aktuelle Lebenssituation mitbedacht hat. Es gibt vielfältige Konstellationen, in denen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Verfasser einer Patientenverfügung bei deren Abfassung die später eingetretene Situation nicht vor Augen hatte. Man denke nur an das bereits genannte Beispiel desjenigen Patienten, der nach Errichtung einer Patientenverfügung entgegen seiner eigenen Erwartung eine Familie gegründet hat.115 In derartigen Fällen scheidet eine strikte Bindungswirkung aus, weil der Verfasser zum Zeitpunkt der Errichtung seiner Patientenverfügung die aktuelle Lebenssituation nicht mitbedacht hat.
111 112 113 114 115
Siehe hierzu auch Albrecht/Albrecht, MittBayNot 2009, 426, 429. BT-Drucksache 16/8442, S. 14 f. BT-Drucksache 16/8442, S. 14 f. BT-Drucksache 16/8442, S. 15. Siehe hierzu oben D. II. 1. c) cc) (5).
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D. Die Entscheidung über die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen
(c) Die Anwesenheit eines Betreuers oder Bevollmächtigten als Voraussetzung für eine strikt bindende Patientenverfügung Gemäß § 1901 a Abs. 1 S. 1 BGB bzw. § 1901 a Abs. 1 S. 1 BGB i. V. m. § 1901 a Abs. 5 BGB hat der Betreuer bzw. der Bevollmächtigte zu prüfen, ob die Patientenverfügung die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation betrifft und damit strikte Bindungswirkung entfalten kann. Nicht geregelt ist die Situation, in der weder ein Betreuer bestellt noch ein Bevollmächtigter benannt ist oder der Betreuer bzw. der Bevollmächtigte aktuell schlicht nicht erreichbar ist.116 Da sich die Vorschrift des § 1901 a Abs. 1 BGB im Betreuungsrecht befindet, lässt sich vertreten, dass die Vorschrift des § 1901 a Abs. 1 BGB nicht greift, wenn ein Arzt über die Vornahme oder Nichtvornahme einer medizinischen Maßnahme entscheidet.117 Eine strikt bindende Patientenverfügung im Sinne des § 1901 a Abs. 1 BGB liegt dann nicht vor. Dies bedeutet aber keineswegs, dass die Patientenverfügung unbeachtlich ist.118 Vielmehr bleibt es in einem solchen Fall dabei, dass der Arzt im Rahmen seiner Entscheidung die Patientenverfügung als Indiz für den mutmaßlichen Willen des Patienten berücksichtigt. Im Ergebnis kommt der Patientenverfügung hierdurch keine geringere Bedeutung zu. In den Fällen, in denen der Betreuer oder der Bevollmächtigte richtigerweise von einer strikt bindenden Patientenverfügung im Sinne des § 1901 a Abs. 1 BGB auszugehen hat, sind auch nach der Ansicht von der Indizwirkung die Festlegungen in der Patientenverfügung für die Behandlungsentscheidung letztendlich maßgeblich, da in diesen Fällen keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Patient in der aktuellen Situation eine andere Entscheidung getroffen hätte. (2) Die nicht strikt bindende Patientenverfügung Liegt keine strikt bindende Patientenverfügung im Sinne des § 1901 a Abs. 1 BGB vor, sind gemäß § 1901 a Abs. 2 BGB die Behandlungswünsche oder der mutmaßliche Wille des Patienten entscheidend. Der Entwurf des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts hatte die Behandlungswünsche noch nicht erwähnt. Er hatte vorgesehen, dass die Entscheidung unter Beachtung des mutmaßlichen Willens des Patienten getroffen wird.119 Die Ergänzung um die Behandlungswünsche in der letztendlich verabschiedeten Gesetzesfassung macht deutlich, dass die Behandlungswünsche, d. h. das positive Verlangen des Betroffenen nach Behandlung, im Fall des einwilligungsunfähigen, aber äußerungsfähigen Patienten zu beachten sind. Diese Änderung des ursprünglichen Gesetzentwurfs ist begrüßenswert, da – wie bereits dargelegt wurde – der aktuelle Behandlungswunsch gegen-
116 117
118 119
Höfling, NJW 2009, 2849, 2850; hierzu auch Spickhoff, FamRZ 2009, 1949, 1953 f. Zu den jeweils zuständigen Entscheidungsträgern siehe näher unten D. II. 2. Zur Frage, in welchen Fällen der Arzt ohne Mitwirkung des Betreuers oder des Bevollmächtigten über die Vornahme oder Nichtvornahme medizinischer Maßnahmen entscheiden kann, siehe D. II. 2. a) cc) (2) und D. II. 6. Spickhoff, FamRZ 2009, 1949, 1953. Siehe BT-Drucksache 16/8442, S. 4.
II. Der nicht oder nicht mehr einwilligungsfähige Patient
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über dem mutmaßlichen Willen Vorrang hat.120 Sofern der einwilligungsunfähige Patient keinen Behandlungswunsch äußert, ist die Entscheidung über die Vornahme oder Nichtvornahme medizinischer Maßnahmen anhand des mutmaßlichen Willens zu treffen. Für die Ermittlung des mutmaßlichen Willens ist – wie sich auch aus § 1901 a Abs. 2 S. 3 BGB ergibt – eine vom Betroffenen verfasste Patientenverfügung von besonderer Bedeutung.121 (3) Fazit Auch nach In-Kraft-Treten des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts sind Patientenverfügungen nicht ohne weiteres strikt bindend. Die Voraussetzungen, unter denen eine strikt bindende Patientenverfügung im Sinne des § 1901 a Abs. 1 BGB vorliegt, werden in der Praxis häufig nicht erfüllt sein. Zum einen wird eine hinreichend konkrete Beschreibung der ärztlichen Maßnahme und der Anwendungssituation dem medizinischen Laien, der nur eine grobe Vorstellung von etwaigen späteren Krankheitszuständen und deren Behandlungsmöglichkeiten hat, ohne professionelle Hilfe bisweilen überhaupt nicht möglich sein.122 Zum anderen wird es Fälle geben, in denen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Verfasser der Patientenverfügung die aktuelle Lebenssituation nicht mitbedacht hat. Eine Patientenverfügung wird vor allem dann eine hinreichend konkrete Regelung enthalten und es werden keine Zweifel am Fortbestand des einmal niedergelegten Willens aufkommen, wenn der Verfasser der Patientenverfügung bereits unter einer bestimmten Krankheit leidet oder wenn er sich aufgrund einer erblichen Disposition oder aus sonstigen Gründen ernsthaft mit dem Eintritt einer bestimmten Krankheit auseinandergesetzt hat.123 In anderen Fällen wird die Patientenverfügung oftmals unter § 1901 a Abs. 2 BGB fallen, d. h. weiterhin lediglich ein Indiz für die Bestimmung des mutmaßlichen Willens sein. Betrachtet man die Vorschrift des § 1901 a Abs. 1 BGB im Lichte der Entwurfsbegründung, nach welcher die Bindungswirkung von Patientenverfügungen voraussetzt, dass die Patientenverfügung „noch dem Willen des Patienten entspricht“, wird die gesetzliche Regelung, die zwischen bindenden und nicht bindenden Patientenverfügungen unterscheidet, keine anderen Ergebnisse hervorbringen als das gleichsam stufenlose Modell der Indizwirkung von Patientenverfügungen.124 In den Fällen, in denen eine strikt bindende Patientenverfügung im Sinne des § 1901 a Abs. 1 BGB vorliegt, wären nämlich auch nach der für die Zeit vor dem 1.9.2009 vorzugswürdigen Ansicht von der Indizwirkung die Festlegun-
120 121 122 123
124
Siehe hierzu D. II. 1. c) cc) (1) und D. II. 1. c) cc) (5) a. E. BT-Drucksache 16/8442, S. 12. Zur Ermittlung des mutmaßlichen Willens siehe auch D. II. 3. b) aa). Albrecht/Albrecht, MittBayNot 2009, 426, 428; Palandt/Diederichsen, § 1901 a Rn. 6. Vgl. hierzu auch MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 733, der die Kenntnis der bereits eingetretenen Erkrankung für den maßgeblichen Seriositätsindikator einer Patientenverfügung hält. Siehe hierzu D. II. 1. c) cc) (5).
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D. Die Entscheidung über die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen
gen in der Patientenverfügung für die Behandlungsentscheidung letztendlich maßgeblich gewesen. Völlige Rechtssicherheit wurde auch mit dem Gesetz nicht erzielt. Zwar wurden durch die gesetzliche Regelung die Unsicherheiten, die durch die unterschiedlichen Ansichten im Schrifttum und die schwer verständliche und nicht überzeugende Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 17.3.2003 hervorgerufen wurden, beseitigt. Die Unsicherheiten im Einzelfall werden aber bleiben.125 Dass auch in Zukunft die Entscheidungen am Lebensende trotz des Vorliegens einer Patientenverfügung Schwierigkeiten mit sich bringen, wird auch in der Entwurfsbegründung deutlich, wenn es dort heißt, es sei zu prüfen, ob „Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Patientenverfügung durch äußeren Druck oder aufgrund eines Irrtums zustande gekommen ist“126, ob „der Wille in der Behandlungssituation noch aktuell ist“127 oder „der Verfasser zwischenzeitlich seine Festlegungen durch einen jederzeit und formlos möglichen Widerruf zurückgenommen oder geändert hat.“128 Das hier zu Tage tretende Bestreben, im Einzelfall sachgerechte Entscheidungen hervorzubringen, geht zwangsläufig zu Lasten der Rechtssicherheit.129 Die Pressemitteilungen des Bundesministeriums der Justiz vom 18.6.2009 und vom 29.8.2009, die jeweils mit dem Titel „Endlich mehr Rechtssicherheit beim Umgang mit Patientenverfügungen“130 überschrieben sind, erweisen sich vor diesem Hintergrund als fragwürdig. 2. Der Entscheidungsträger Im Folgenden wird dargestellt, welche Personen für die Entscheidung über die ärztliche Behandlung beim einwilligungsunfähigen Patienten zuständig sind. Klarstellend sei vermerkt, dass an dieser Stelle noch keine Aussage darüber getroffen wird, welche Anforderungen die Entscheidung inhaltlich erfüllen muss und unter welchen Voraussetzungen die Entscheidung das ärztliche Handeln zu legitimieren vermag. a) Der Entscheidungsträger beim volljährigen Patienten ohne Patientenverfügung aa) Der Betreuer Kann ein Volljähriger aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten nicht selbst erledigen, bestellt das Betreuungsgericht (früher: Vormundschaftsgericht) für ihn 125 126 127 128 129 130
So auch Beckmann, MedR 2009, 582, 586. BT-Drucksache 16/8442, S. 8. BT-Drucksache 16/8442, S. 8. BT-Drucksache 16/8442, S. 14. Vgl. auch Spickhoff, JZ 2003, 739, 741. Abrufbar auf der Internetseite des Bundesministeriums der Justiz unter http://www. bmj.de/enid/58.html?presseartikel_id=2401] (Stand: 3.1.2010).
II. Der nicht oder nicht mehr einwilligungsfähige Patient
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gemäß § 1896 Abs. 1, Abs. 2 BGB einen Betreuer, soweit dies erforderlich ist.131 Durch eine Betreuungsverfügung, die in § 1901 c S. 1 BGB (= § 1901 a S. 1 BGB a. F.) gesetzlich anerkannt ist, können in gesunden Tagen Vorschläge zur Person des Betreuers und Wünsche zur Wahrnehmung der späteren Betreuung geäußert werden. (1) Die Befugnis des Betreuers zur Erteilung oder Verweigerung der Einwilligung in ärztliche Heilbehandlungen beim Betreuten Der Betreuer, der für den Aufgabenkreis „Gesundheitsfürsorge“ oder „Heilbehandlung“ bestellt ist, nimmt für den einwilligungsunfähigen Patienten dessen Gesundheitsangelegenheiten wahr, d. h. er erteilt die Einwilligung in ärztliche Heilbehandlungen beim Betreuten.132 Die Befugnis des Betreuers, in ärztliche Heilbehandlungen beim Betreuten einzuwilligen, wird im Schrifttum aus der Stellung des Betreuers als gesetzlicher Vertreter gemäß § 1902 BGB abgeleitet.133 Dass die Einwilligung nach herrschender Meinung kein Rechtsgeschäft ist134, steht dieser Ansicht nicht entgegen. Nach überwiegender Meinung stellt die Einwilligung in eine Heilbehandlung nämlich eine geschäftsähnliche Handlung dar.135 Auf geschäftsähnliche Handlungen können aber grundsätzlich die Stellvertretungsregeln analog angewendet werden.136 Auch aus der Vorschrift des § 1904 Abs. 1 BGB, nach welcher die Einwilligung des Betreuers in eine Heilbehandlung in bestimmten Fällen der betreuungsgerichtlichen Genehmigung bedarf, ergibt sich, dass das Gesetz eine Einwilligung des Betreuers in Heilbehandlungen beim Betreuten vorsieht.137 In der Begründung zum Betreuungsgesetz wurde ebenfalls deutlich gemacht, dass ein Betreuer die Einwilligung in eine ärztliche Untersuchung oder Heilbehandlung erteilen kann, wenn dies zu seinem Aufgabenkreis gehört und der Betreute einwilligungsunfähig ist.138 Im Grundsatz ist die Befugnis des Betreuers, in ärztliche Behandlungen beim Betreuten einzuwilligen, allgemein anerkannt. Kein Einvernehmen besteht allerdings hinsichtlich des Umfangs dieser Entscheidungsbefugnis.
131 132 133
134
135 136 137 138
Zur Erforderlichkeit der Bestellung eines Betreuers siehe D. II. 2. a) aa) (2). Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 69. Im Strafrecht Roxin, Strafrecht AT 1, § 13 Rn. 92. Staudinger/Bienwald, § 1902 Rn. 56; Müller, in: Bamberger/Roth, § 1902 Rn. 2 ff., 7; Rieger, Einwilligung, S. 127. Im Strafrecht Schönke/Schröder/Lenckner, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 41. BGHZ 29, 33, 36; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 255; Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 385 f.; Röver, Einflußmöglichkeiten, S. 86 ff. m. w. N.; a. A. MünchKommBGB/Schwab, § 1904 Rn. 4. Palandt/Ellenberger, Überbl. v. § 104 Rn. 6; Erman/Palm, Einl. § 104 Rn. 6; Spickhoff, NJW 2000, 2297, 2303. Palandt/Ellenberger, Einf. v. § 164 Rn. 3; Erman/Palm, Einl. § 104 Rn. 6 und § 164 Rn. 1. So auch Kuhlmann, Einwilligung, S. 129. Siehe BT-Drucksache 11/4528, S. 140.
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D. Die Entscheidung über die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen
(a) Die Befugnis des Betreuers zur Einwilligung in eine Zwangsbehandlung Streitig ist, ob die Befugnis des Betreuers, die Einwilligung in ärztliche Behandlungen zu erteilen, auch im Hinblick auf Zwangsbehandlungen gilt. Unter Zwangsbehandlungen sind Heilbehandlungen zu verstehen, die nicht nur ohne Einwilligung erfolgen, sondern gegen den tatsächlichen Widerstand des Betroffenen durchgesetzt werden.139 Der Bundesgerichtshof hat die Auffassung vertreten, dass medizinische Behandlungen gegen den natürlichen Willen des einwilligungsunfähigen Betreuten nur im Rahmen einer rechtmäßigen Unterbringungsmaßnahme zulässig seien. Ambulante medizinische Zwangsbehandlungen seien mangels einer entsprechenden Rechtsgrundlage demgegenüber nicht erlaubt.140 Da der Betreuer öffentliche Funktionen wahrnehme und der Betreute sich deshalb auch gegenüber Handlungen des Betreuers auf seine Grundrechte berufen könne, greife der Gesetzesvorbehalt gemäß Art. 2 Abs. 2, 104 Abs. 1 GG ein. Daher bedürfe die Vornahme von Behandlungen gegen den Widerstand des Betreuten einer Rechtsgrundlage durch formelles Gesetz. An einer Rechtsgrundlage für ambulante Zwangsbehandlungen fehle es aber. Analogien oder der Rückgriff auf die allgemeinen Regelungen der §§ 1896, 1901, 1902 BGB verböten sich im grundrechtsrelevanten Bereich.141 Wenngleich lebenserhaltende Maßnahmen in der Regel nicht ambulant durchgeführt werden, ist die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur ambulanten Zwangsbehandlung für die Frage der Zulässigkeit lebenserhaltender Maßnahmen nicht irrelevant. Auch wenn eine Behandlung gegen den Widerstand des Patienten stationär durchgeführt wird, liegt nämlich nicht zwangsläufig eine Unterbringung oder eine unterbringungsähnliche Maßnahme im Sinne des § 1906 Abs. 4 BGB vor. Zu denken ist etwa an den Patienten, der sich zwar freiwillig im Krankenhaus aufhält, aber sich gegen einen bestimmten Heileingriff wehrt und deshalb mit Gewalt festgehalten oder innerhalb des Krankenhauses an einen anderen Ort verbracht wird. Bei Zugrundelegen der Rechtsprechung müssten auch lebenserhaltende Zwangsbehandlungen im Rahmen eines freiwilligen Krankenhausaufenthalts mangels Rechtsgrundlage konsequenterweise als unzulässig betrachtet werden.142 Im Schrifttum wird die Rechtsprechung zur ambulanten Zwangsbehandlung zu Recht überwiegend abgelehnt. Menschen, die aufgrund einer psychischen Erkrankung oder aufgrund verminderter geistiger Fähigkeiten ihre Behandlungsbedürftigkeit nicht erkennen, sollten erforderlichenfalls auch gegen ihren Widerstand behandelt werden dürfen.143 Nach einer im Schrifttum vertretenen Ansicht beinhaltet die Befugnis des Betreuers, in ärztliche Heilbehandlungen einzuwilligen, auch die Befugnis, die Ein-
139 140 141 142
143
Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 390. BGHZ 145, 297 ff. BGHZ 145, 297, 308. Siehe BGH FamRZ 2008, 866 ff.; Brosey, BtPrax 2008, 108, 110 ff. Gegen eine Gleichsetzung der Zwangsbehandlung im Pflegeheim mit einer ambulanten Zwangsbehandlung aber Elsbernd/Stolz, BtPrax 2008, 57, 62. So auch BT-Drucksache 11/4528, S. 141.
II. Der nicht oder nicht mehr einwilligungsfähige Patient
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willigung in eine Zwangsbehandlung zu erteilen.144 Eine Behandlung gegen den Widerstand des Betreuten sei zulässig, wenn ohne die vorgesehene Maßnahme die Gefahr besteht, dass der Betreute stirbt oder einen erheblichen gesundheitlichen Schaden erleidet.145 Die Rechtsprechung verkenne, dass der Betreuer gegenüber dem Betreuten keine Hoheitsgewalt ausübe, sondern diesen repräsentiere.146 Eine andere Auffassung stützt die Zulässigkeit von Zwangsbehandlungen auf einen Erst-Recht-Schluss zu § 1906 Abs. 1 oder Abs. 4 BGB. Da die erzwungene ambulante Behandlung gegenüber der freiheitsentziehenden Unterbringung das mildere Mittel sei147, müsse sie unter den sachlichen Voraussetzungen des § 1906 Abs. 1 oder Abs. 4 BGB mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts (jetzt: Betreuungsgericht) erst recht erlaubt sein.148 Dieser Erst-Recht-Schluss überzeugt. Selbst wenn die Tätigkeit des Betreuers als hoheitlich eingestuft wird149, erscheint die letztgenannte Ansicht mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen vereinbar. Sie verhindert, dass in der Praxis zwecks Durchführung einer Zwangsbehandlung eine – an sich gar nicht erforderliche – Unterbringung des Betreuten angeordnet wird.150 Diese Ansicht erscheint auch deshalb sachgerecht, weil sie einerseits notwendige Zwangsbehandlungen ermöglicht, andererseits aber durch das Erfordernis einer gerichtlichen Genehmigung die Gewähr bietet, dass einwilligungsunfähige Patienten nicht vorschnell Zwangsbehandlungen ausgesetzt werden.151 Sofern die lebenserhaltende Maßnahme aber so dringend ist, dass mit ihrem Aufschub Gefahr verbunden ist, muss die gerichtliche Genehmigung entsprechend § 1906 Abs. 2 S. 2 BGB nicht abgewartet werden.
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Müller, in: Bamberger/Roth, § 1904 Rn. 13 f.; Tietze, Ambulante Zwangsbehandlungen, S. 89 ff., 142 ff. Für das Erfordernis einer ausdrücklichen gerichtlichen Zuweisung der Befugnis zur Zwangsbehandlung Lipp, Freiheit und Fürsorge, S. 106; ders., BtPrax 2008, 51, 55. Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 73; MünchKommBGB/Schwab, § 1904 Rn. 19; Lipp, Freiheit und Fürsorge, S. 166. Im Ergebnis auch Frost, Arztrechtliche Probleme, S. 72 f. Auch der Gesetzgeber ging davon aus, dass erforderliche Zwangsbehandlungen beim Betreuten grundsätzlich zulässig seien (siehe BT-Drucksache 11/4528, S. 141). MünchKommBGB/Schwab, § 1904 Rn. 19; Lipp, Freiheit und Fürsorge, S. 55; Tietze, Ambulante Zwangsbehandlungen, S. 60 ff. OLG Hamm FamRZ 2000, 1115, 1117 ff. (aufgehoben durch BGHZ 145, 297); Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 393 f.; Soergel/Zimmermann, § 1904 Rn. 16; Schweitzer, FamRZ 1996, 1317, 1322 ff. im Hinblick auf einmalige Maßnahmen. OLG Hamm FamRZ 2000, 1115, 1117 ff. (aufgehoben durch BGHZ 145, 297); ausführlich Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 393 f. BVerfGE 10, 302, 327 ff.; BGHZ 145, 297, 308; Heide, Medizinische Zwangsbehandlung, S. 159. Siehe Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 393. Sollte sich im Einzelfall die ambulante Zwangsbehandlung gegenüber der Unterbringung nicht als das mildere Mittel darstellen (siehe hierzu auch Schweitzer, FamRZ 1996, 1317, 1322 ff.), ist freilich die Anordnung der Unterbringung vorzuziehen. Für ein Genehmigungserfordernis auf Grundlage der erstgenannten Ansicht Tietze, Ambulante Zwangsbehandlungen, S. 147 ff.
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D. Die Entscheidung über die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen
(b) Die Befugnis des Betreuers zur Behandlungsabbruchentscheidung Des Weiteren wurde diskutiert, ob der Betreuer auch den Abbruch einer lebenserhaltenden Behandlung anordnen kann. Teilweise wurde vertreten, dass die Befugnis des Betreuers, über die Vornahme ärztlicher Behandlungen zu entscheiden, sich nicht auf die Entscheidung über die Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen erstrecke.152 Ist der Betreuer für den Aufgabenkreis „Gesundheitsfürsorge“ bestellt, umfasse dieser Aufgabenkreis jedenfalls nicht die Lebensbeendigung, da diese mit der Gesundung des Patienten nichts zu tun habe.153 Im Übrigen sei auch die Festlegung eines die Lebensbeendigung betreffenden Aufgabenkreises unzulässig, da es sich bei der Sterbeentscheidung um eine höchstpersönliche Angelegenheit handele, die einem Betreuer ohnehin nicht übertragen werden könne.154 In der strafrechtlichen Literatur wird betont, dass es für die Rechtmäßigkeit der Einstellung der lebenserhaltenden Maßnahmen ausschließlich auf den mutmaßlichen Willen des Betroffenen ankomme, weil der Arzt nur dann kein strafwürdiges Unrecht verwirkliche, wenn das ärztliche Handeln dem mutmaßlichen Willen tatsächlich entsprochen hat. Für die Rechtmäßigkeit ärztlichen Handelns komme es auf die Entscheidung des Betreuers überhaupt nicht an.155 Die Gegenauffassung weist zu Recht darauf hin, dass das Betreuungsrecht dem Betreuer sehr wohl höchstpersönliche Entscheidungskompetenzen – wie beispielsweise gemäß § 1905 BGB bei der Sterilisation – einräumt.156 In der Situation der Behandlungsabbruchentscheidung kann die Mitwirkung Dritter außerdem faktisch ohnehin nicht ausgeschlossen werden, weil im Fall einer fehlenden Entscheidungsbefugnis des Betreuers eben der Arzt den mutmaßlichen Willen des Patienten ermitteln müsste.157 Da der einwilligungsunfähige Rechtsgutträger selbst nicht entscheiden kann, lautet die Frage lediglich, wer die Entscheidung zu treffen
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LG München I NJW 1999, 1788 f.; LG Augsburg NJW 2000, 2363; AG GarmischPartenkirchen FamRZ 2000, 319, 320; Bienwald, FamRZ 1998, 1138 f.; Deichmann, MDR 1995, 983, 984 f.; Lilie, in: Wienke/Lippert, Wille, S. 75, 83; Seitz, ZRP 1998, 417, 420; Trück, Mutmaßliche Einwilligung, S. 106 ff.; Soergel/Zimmermann, § 1904 Rn. 42. LG München I NJW 1999, 1788, 1789; Bienwald, FamRZ 1998, 1138; Seitz, ZRP 1998, 417, 420. LG München I NJW 1999, 1788, 1789; LG Augsburg NJW 2000, 2363; AG GarmischPartenkirchen FamRZ 2000, 319, 320; Soergel/Zimmermann, § 1904 Rn. 42; Seitz, ZRP 1998, 417, 420. Deichmann, MDR 1995, 983, 984 f; SK-StGB/Horn, § 212 Rn. 24; Verrel, Gutachten 66. DJT, C 99. So auch Knauf, Einwilligung, S. 131 ff., der in der Vertreterentscheidung allerdings ein Indiz für den mutmaßlichen Willen des Patienten sieht. BGHZ 154, 205, 213; Saliger, MedR 2004, 237, 239. BGHZ 154, 205, 213 f.; Heyers, Sterbehilfe, S. 214; Rieger, Einwilligung, S. 117 f. Die Alternative, weder dem Arzt noch dem Betreuer die Befugnis zur Behandlungsabbruchentscheidung zuzubilligen, führt zu der misslichen Konsequenz, dass mitunter keine Möglichkeit zur Beendigung der Behandlung besteht. Siehe hierzu BGHZ 154, 205, 213 und Heyers, Sterbehilfe, S. 213 f. Zum Entscheidungsmaßstab des Arztes bzw. des Betreuers siehe unten D. II. 3. b) bzw. D. II. 3. c).
II. Der nicht oder nicht mehr einwilligungsfähige Patient
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hat.158 Gegen eine ärztliche Entscheidungsbefugnis wendet Heyers ein, dass Ärzte infolge der ständigen Nähe zu leidenden Patienten psychische Abwehrreaktionen entwickeln, so dass Routine und Ritualisierung an die Stelle der Beschäftigung mit dem einzelnen Patienten und dessen Wünschen treten.159 Außerdem bestehe bei einer ärztlichen Entscheidungsbefugnis die Gefahr, dass Ärzte so genannte Rechtfertigungsmedizin betreiben, d. h. ihre Entscheidung nicht am mutmaßlichen Patientenwillen ausrichten, sondern aus Furcht vor der Einleitung eines Strafverfahrens wegen eines Tötungsdelikts die technisch machbare Behandlung weiterführen.160 Hierzu ist anzumerken, dass diese Bedenken gegen eine ärztliche Entscheidung auch im Hinblick auf eine Betreuerentscheidung greifen. Jedenfalls bei Berufsbetreuern, die stets mit kranken Menschen konfrontiert sind, kann die Bereitschaft, sich mit den Wünschen des Einzelnen auseinanderzusetzen, mit der Zeit ebenso wie bei Ärzten sinken. Auch Betreuer können aus Furcht vor zivil- oder strafrechtlichen Folgen für die – vermeintlich juristisch unproblematischere – Fortführung der Behandlung votieren. Für die Entscheidungsbefugnis des Betreuers spricht aber, dass aufgrund der extrem hohen Arbeitsbelastung Ärzten im klinischen Alltag häufig die Zeit fehlt, den mutmaßlichen Willen des Patienten sorgfältig zu ermitteln.161 Während die vorrangige Aufgabe des Arztes die medizinische Versorgung des Patienten ist, gehört es zu den wesentlichen Pflichten des zeitlich weniger stark belasteten Betreuers, für den nicht einsichtsfähigen Volljährigen Entscheidungen zu treffen und dabei die Wünsche und das Wohl des Betreuten zu beachten. Deshalb erscheint eine ärztliche Entscheidungsbefugnis gegenüber der Entscheidungsbefugnis des Betreuers keineswegs vorzugswürdig. Wird die Befugnis des Betreuers, die Behandlungsabbruchentscheidung zu treffen, verneint, führt dies außerdem zu dem widersinnigen Ergebnis, dass der Betreuer seine eigene Entscheidung zugunsten einer lebenserhaltenden Behandlung nicht widerrufen könnte, obwohl doch die Befugnis, sich gegen eine lebenserhaltende Behandlung auszusprechen, lediglich die Kehrseite der Entscheidungsbefugnis pro Lebenserhaltung ist.162 Daher ist dem Betreuer auch die Befugnis zur Entscheidung über einen Behandlungsabbruch zuzubilligen. Diese Ansicht wird nun auch durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts bestätigt. Die Vorschrift des § 1904 Abs. 2 BGB, nach der die Nichteinwilligung des Betreuers in eine medizinische Maßnahme der Genehmigung des Betreuungsgerichts bedarf, sofern der Patient durch die Verweigerung der Einwilligung in die Gefahr des Todes gerät, macht deutlich, dass der Gesetzgeber dem Betreuer auch die Befugnis zur Behandlungsabbruchentscheidung zubilligt. Bereits zuvor hatte der Gesetzgeber in der Begründung zum Betreuungsgesetz darauf hingewiesen, „dass der Betreuer den Wunsch eines nicht einwilligungsfähigen Betreuten auch dann zu beachten hat, wenn dieser darauf gerichtet
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Rieger, Einwilligung, S. 118. Heyers, Sterbehilfe, S. 303. Ausführlich Heyers, Sterbehilfe, S. 303 ff. Heyers, Sterbehilfe, S. 300 ff. Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 89.
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D. Die Entscheidung über die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen
ist, in der letzten Lebensphase nicht sämtliche denkbaren lebens- aber auch schmerzverlängernden medizinischen Möglichkeiten einzusetzen.“163 (2) Zur Erforderlichkeit einer Betreuerbestellung Wurde vorgehend festgestellt, dass im Fall einer bereits eingerichteten Betreuung der Betreuer befugt ist, die Einwilligung in ärztliche Behandlungen einschließlich lebenserhaltender Maßnahmen beim Betreuten zu erteilen oder zu verweigern, ist nunmehr fraglich, ob ein Betreuer bestellt werden muss, wenn dies bislang nicht geschehen ist. Gemäß § 1896 Abs. 2 S. 1 BGB darf ein Betreuer nur für Aufgabenkreise bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich ist. (a) Keine Entbehrlichkeit der Betreuerbestellung wegen der Möglichkeit einer ärztlichen Entscheidung Zu überlegen ist, ob die Bestellung eines Betreuers für die Entscheidung über die Vornahme einer ärztlichen Behandlung deshalb nicht erforderlich ist, weil ebenso gut der Arzt die Entscheidung unter Beachtung des mutmaßlichen Patientenwillens treffen kann.164 Nach zutreffender herrschender Ansicht macht die Möglichkeit einer ärztlichen Entscheidung die Bestellung eines Betreuers grundsätzlich nicht entbehrlich.165 Wie bereits ausgeführt wurde, ist eine Entscheidungsbefugnis des Betreuers gegenüber der Entscheidungsbefugnis des Arztes vorzugswürdig.166 Somit kann die Bestellung eines Betreuers nicht mit dem Argument unterbleiben, sie sei nicht erforderlich, weil der Arzt die Entscheidung ebenso gut treffen könne. Dieses Ergebnis wird nun durch die gesetzliche Regelung des § 1901 a Abs. 2 S. 1 BGB bestätigt. (b) Kein Erfordernis der Betreuerbestellung bei wirksamer Vorsorgevollmacht Eine Betreuung ist nach § 1896 Abs. 2 S. 2 BGB nicht erforderlich, soweit die Angelegenheiten des Betroffenen ebenso gut durch einen Bevollmächtigten erledigt werden können. Hat der Patient in gesunden Tagen eine andere Person zur Wahrnehmung seiner Gesundheitsangelegenheiten wirksam bevollmächtigt167,
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BT-Drucksache 11/4528, S. 142. So Ankermann, MedR 1999, 387, 389 f. im Hinblick auf Behandlungsabbruchentscheidungen; v. Dellingshausen, Sterbehilfe, S. 61 ff. zum alten Pflegschaftsrecht im Hinblick auf Behandlungsabbruchentscheidungen. Ausführlich Heyers, Sterbehilfe, S. 297 ff., der aber im Fall der Behandlung durch den Hausarzt die Bestellung eines Betreuers ausnahmsweise für entbehrlich hält; Saliger, KritV 1998, 118, 137; Thias, Möglichkeiten, S. 237; Zielinski, ArztR 1995, 188, 193. Siehe oben D. II. 2. a) aa) (1) (b). Zur sog. Vorsorgevollmacht siehe die folgenden Ausführungen unter D. II. 2. a) bb).
II. Der nicht oder nicht mehr einwilligungsfähige Patient
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darf das Gericht deshalb grundsätzlich keinen Betreuer mit dem Aufgabenkreis „Sorge für die Gesundheit“ bestellen.168 bb) Der Bevollmächtigte Wie sich aus § 1904 Abs. 5 BGB ergibt – und bereits aus § 1904 Abs. 2 BGB a. F. ergeben hat –, kann jemand einer anderen Person Vollmacht zur Wahrnehmung seiner Gesundheitsangelegenheiten erteilen.169 Die wirksame Erteilung der Vollmacht erfordert nach zutreffender Ansicht zumindest partielle Geschäftsfähigkeit, d. h. der Vollmachtgeber muss die Bedeutung und die Folgen einer derartigen Vollmacht erkennen und danach handeln können.170 Der Bevollmächtigte entscheidet über die Vornahme oder Nichtvornahme der ärztlichen Behandlung beim Vollmachtgeber. Der Bevollmächtigte ist gewillkürter Vertreter, so dass er die Einwilligung als geschäftsähnliche Handlung mit Wirkung für den Vollmachtgeber erteilen oder verweigern kann, zumal das Gesetz in § 1904 Abs. 5 BGB die Möglichkeit einer Einwilligung oder einer Verweigerung der Einwilligung in eine Heilbehandlung durch einen Bevollmächtigten voraussetzt.171 cc) Der Entscheidungsträger im Eilfall (1) Das Betreuungsgericht Fraglich ist, ob in Fällen, in denen ohne Schaden für den Patienten zwar die Entscheidung des Bevollmächtigten bzw. des – gegebenenfalls erst noch zu bestellenden – Betreuers nicht abgewartet werden kann, aber Zeit für die Anrufung des Betreuungsgerichts verbleibt, das Betreuungsgericht die Entscheidung über die Vornahme oder Nichtvornahme einer ärztlichen Behandlung beim Einwilligungsunfähigen treffen kann. Als Anspruchsgrundlage für eine eigene Entscheidung des Betreuungsgerichts in derartigen Eilfällen kommen die §§ 1846, 1908 i Abs. 1 S. 1 BGB in Betracht. Gemäß § 1846 BGB hat das Familiengericht die im Interesse 168
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Prinz v. Sachsen Gessaphe, Betreuer, S. 248 ff.; Spickhoff, NJW 2000, 2297, 2303; ders., AcP 208 (2008), 345, 361; Uhlenbruck, FS Deutsch, S. 849, 855 f.; Uhlenbruck/Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 132 Rn. 39. Zu Fällen, in denen die Angelegenheiten des Betroffenen durch den Bevollmächtigten nicht ebenso gut wie durch einen Betreuer wahrgenommen werden können, siehe MünchKommBGB/Schwab, § 1896 Rn. 54 ff. Spickhoff, NJW 2000, 2297, 2303; Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 96. Zum Streit über die Zulässigkeit einer gewillkürten Stellvertretung vor Einfügung des § 1904 Abs. 2 BGB a. F. vgl. Röver, Einflußmöglichkeiten, S. 174 ff. Zu den Anforderungen an eine Vorsorgevollmacht gemäß § 1904 Abs. 5 S. 2 BGB siehe Diehn, FamRZ 2009, 1958 ff. MünchKommBGB/Schwab, § 1904 Rn. 70; Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 401. Geschäftsfähigkeit fordern Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 102 und Walter, Vorsorgevollmacht, S. 45, 230 f. Die Einwilligungsfähigkeit genügt nach Palandt/Diederichsen, § 1904 Rn. 26. Insoweit auch Lilie, in: Wienke/Lippert, Wille, S. 75, 83; Röver, Einflußmöglichkeiten, S. 205 ff.
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D. Die Entscheidung über die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen
des Betroffenen erforderlichen Maßregeln zu treffen, wenn ein Vormund noch nicht bestellt oder der Vormund an der Erfüllung seiner Pflichten verhindert ist. Über die Verweisungsnorm des § 1908 i Abs. 1 S. 1 BGB ist die Vorschrift im Betreuungsrecht entsprechend anwendbar. Im rechtswissenschaftlichen Schrifttum wird vielfach davon ausgegangen, dass das Betreuungsgericht gemäß §§ 1846, 1908 i Abs. 1 S. 1 BGB die Einwilligung in ärztliche Behandlungen, insbesondere auch in lebenserhaltende Maßnahmen, erteilen bzw. verweigern könne.172 Dass das Familiengericht bzw. das Betreuungsgericht unter den Voraussetzungen des § 1846 BGB über ärztliche Behandlungen entscheiden kann, ist grundsätzlich zutreffend. Fraglich ist aber, ob das Gericht auch die Einwilligung in lebenserhaltende Maßnahmen wirksam verweigern, d. h. einen Behandlungsabbruch anordnen kann. Bedenken gegen eine gerichtliche Entscheidungsbefugnis könnten sich aus dem endgültigen Charakter des Behandlungsabbruchs ergeben. Teilweise wurde vertreten, dass das Vormundschaftsgericht (jetzt: Familiengericht bzw. Betreuungsgericht) nur Maßnahmen mit vorläufigem Charakter anordnen dürfe.173 Zwar lautet die amtliche Überschrift des § 1846 BGB „Einstweilige Maßregeln des Familiengerichts“, gleichwohl vermag diese Ansicht nicht zu überzeugen.174 Die Vorschrift des § 1846 BGB will verhindern, dass der Betroffene Nachteile erleidet, weil zeitweilig ein Vertreter fehlt oder verhindert ist.175 Sofern der Betroffene nur durch eine Maßregel, die vollendete Tatsachen schafft, vor Nachteilen bewahrt werden kann, muss das Gericht auch eine derartige Maßregel treffen dürfen. Die „Einstweiligkeit“ der Maßregel ist dahingehend zu verstehen, dass die Maßregel vom Vertreter zu überprüfen und gegebenenfalls aufzuheben oder abzuändern ist, sofern das nach der Natur der Maßnahme noch möglich ist.176 Die Endgültigkeit eines Behandlungsabbruchs steht einer gerichtlichen Entscheidungsbefugnis daher nicht entgegen. Gegen die Befugnis des Gerichts, nach § 1846 BGB die Nichtvornahme einer lebenserhaltenden Behandlung anzuordnen, könnte aber eingewandt werden, eine gerichtliche Entscheidungsbefugnis bedeute, dass Menschen auf staatliches Geheiß sterben würden und der Richter „Herr über Leben und Tod“ wäre. Die Formulierung „Herr über Leben und Tod“, die im Schrifttum im Rahmen der Kritik am Erfordernis einer gerichtlichen Genehmigung der Behandlungsabbruchentscheidung des Betreuers verwendet wurde177, kann als Hinweis auf das staatlich angeordnete Töten in der Zeit des Nationalsozialismus verstanden werden. Indes erscheinen die Bedenken gegen eine gerichtliche Entscheidungsbefugnis nicht begründet, denn das Gericht entscheidet auch dann, wenn es gemäß § 1846 BGB eine eigene Entscheidung trifft, nicht nach eigenem Gutdünken, sondern muss den 172
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Kutzer, NStZ 1994, 110, 114; Lipp/Klein, FPR 2007, 56, 57; Rieger, Einwilligung, S. 126; Saliger, KritV 1998, 118, 136 Fn. 107; Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 40; Thias, Möglichkeiten, S. 241; Weißauer/Opderbecke, MedR 1995, 456, 459. OLG Hamm Rpfleger 1968, 185; Erman/Holzhauer, 11. Aufl., § 1846 Rn. 9. So auch Staudinger/Engler, § 1846 Rn. 12; Soergel/Zimmermann, § 1846 Rn. 4. MünchKommBGB/Wagenitz, § 1846 Rn. 1. Palandt/Diederichsen, § 1846 Rn. 4; Erman/Saar, § 1846 Rn. 9. AG Hanau BtPrax 1997, 82, 83; Deichmann, MDR 1995, 983, 984; Uhlenbruck, FS Deutsch, S. 849, 860. Siehe hierzu auch die Ausführungen unter D. II. 5. a) cc) (2) (b).
II. Der nicht oder nicht mehr einwilligungsfähige Patient
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ihm vorgegebenen Entscheidungsmaßstab, nämlich den mutmaßlichen Willen des Betroffenen, beachten.178 Ein Vergleich mit der Willkürherrschaft im Dritten Reich geht deshalb fehl. Das Gesetz sieht vielmehr in § 1846 BGB die Entscheidungsbefugnis des Gerichts vor. Für eine Unterscheidung dahingehend, dass das Gericht lediglich über bestimmte medizinische Behandlungen, nicht aber über lebenserhaltende Maßnahmen entscheiden kann, bietet das Gesetz keine Anhaltspunkte. Im Übrigen würde eine derartige Differenzierung insofern Schwierigkeiten bereiten, als vor der Entscheidung über eine Behandlung häufig keine Gewissheit über die Auswirkungen der Vornahme bzw. Nichtvornahme der Behandlung besteht. Festzuhalten bleibt daher, dass unter den Voraussetzungen des § 1846 BGB das Gericht auch über die Vornahme oder Nichtvornahme lebenserhaltender Maßnahmen entscheiden kann. Zu klären bleibt, unter welchen Voraussetzungen das Gericht nach §§ 1846, 1908 i Abs. 1 S. 1 BGB eine Entscheidung treffen kann. Das Betreuungsgericht kann gemäß §§ 1846, 1908 i Abs. 1 S. 1 BGB jedenfalls dann eine Maßregel treffen, wenn der Betreuer verhindert ist. Kann der Betreuer – oder ein Bevollmächtigter – die Entscheidung treffen, kommt eine Maßregel des Betreuungsgerichts nach §§ 1846, 1908 i Abs. 1 S. 1 BGB dagegen nicht in Betracht. Streitig ist, inwieweit die §§ 1846, 1908 i Abs. 1 S. 1 BGB anwendbar sind, wenn ein Bevollmächtigter nicht existiert und ein Betreuer noch nicht bestellt ist. Nach einer Mindermeinung setzt die Anwendbarkeit der §§ 1846, 1908 i Abs. 1 S. 1 BGB voraus, dass zumindest zeitgleich mit der Maßnahme nach § 1846 BGB ein Betreuer oder vorläufiger Betreuer nach § 69 f FGG (jetzt: § 300 FamFG) bestellt wird.179 Die herrschende Meinung, der sich auch der Bundesgerichtshof angeschlossen hat, hält dies für nicht erforderlich.180 Dieser Ansicht ist bereits aus praktischen Gesichtspunkten der Vorzug zu geben.181 Andernfalls würden nämlich dringend notwendige Maßregeln in manchen Fällen nicht getroffen werden, weil in der Kürze der Zeit, insbesondere an Feiertagen, Wochenenden und in der Nacht, kein geeigneter Betreuer gefunden werden könnte.182
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Zum Entscheidungsmaßstab des Gerichts siehe D. II. 3. e). OLG Frankfurt a. M. FamRZ 1993, 357 f.; Heyers, Sterbehilfe, S. 375 f.; Wiegand, FamRZ 1991, 1022, 1024. BGHZ 150, 45: Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass es grundsätzlich zulässig sei, in Eilfällen eine zivilrechtliche Unterbringung anzuordnen, ohne dass zugleich schon ein Betreuer bestellt werden muss. Das Gericht sei in einem solchen Fall aber verpflichtet, gleichzeitig mit der Anordnung der Unterbringung durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass dem Betroffenen unverzüglich ein Betreuer oder jedenfalls ein vorläufiger Betreuer zur Seite gestellt wird; Staudinger/Engler, § 1846 Rn. 3 f.; MünchKommBGB/Wagenitz, § 1846 Rn. 4; Soergel/Zimmermann, § 1846 Rn. 8. So auch MünchKommBGB/Wagenitz, § 1846 Rn. 4. Zur Gesetzessystematik und zum Gesetzgebungsverfahren vgl. BGHZ, 150, 45, 49 und Heyers, Sterbehilfe, S. 375 f. BGHZ 150, 51.
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D. Die Entscheidung über die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen
(2) Der Arzt Ist die Entscheidung über die Vornahme einer Behandlung so dringend, dass die Entscheidung des Bevollmächtigten bzw. des – gegebenenfalls erst noch zu bestellenden – Betreuers nicht abgewartet werden kann und auch keine Zeit für eine Einschaltung des Betreuungsgerichts bleibt, muss der Arzt zwangsläufig allein entscheiden. An dieser Stelle sei festgehalten, dass jedenfalls in derartigen Fällen absoluter Eilbedürftigkeit der Arzt die Entscheidung über lebenserhaltende Maßnahmen treffen kann. Inwieweit der Arzt auch in anderen Fällen ohne Mitwirkung des erreichbaren Bevollmächtigten, des Betreuers bzw. des Betreuungsgerichts wirksam entscheiden kann, wird erläutert, wenn das Verhältnis zwischen der Entscheidung des Bevollmächtigen, des Betreuers bzw. des Betreuungsgerichts einerseits und dem mutmaßlichen Willen des Patienten andererseits untersucht wird.183 b) Der Entscheidungsträger beim volljährigen Patienten mit Patientenverfügung Fraglich ist, ob auch dann ein Betreuer bzw. der Bevollmächtigte die Entscheidung über die Vornahme oder Nichtvornahme einer lebenserhaltenden Behandlung treffen muss, wenn der Betroffene eine wirksame Patientenverfügung errichtet hat. aa) Die Diskussion vor In-Kraft-Treten des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts Diejenigen im Schrifttum, die eine strikte Bindungswirkung von Patientenverfügungen vertraten, lehnten bei Vorliegen einer Patientenverfügung die Notwendigkeit einer Entscheidung des Betreuers über die Vornahme bzw. Nichtvornahme der Behandlung ab.184 Der Bestellung des Betreuers stehe insoweit der Erforderlichkeitsgrundsatz des § 1896 Abs. 2 BGB entgegen.185 Einer stellvertretenden Erklärung des Betreuers bedürfe es nicht, weil der Patient mit der Patientenverfügung selbst eine Erklärung abgegeben habe.186 Die Befürworter der Indizwirkung waren überwiegend der Auffassung, dass der Betreuer auch dann die Entscheidung zu treffen hat, wenn der Patient eine Pati-
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Siehe D. II. 6. a) und D. II. 7. Berger, JZ 2000, 797, 800; Coeppicus, ZRP 2003, 175; ders., Rpfleger 2004, 262, 266; Dirksen, GesR 2004, 124, 127; Eisenbart, Patienten-Testament, S. 205; Lipp, FamRZ 2004, 317, 321; Schöllhammer, Rechtsverbindlichkeit, S. 137; Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 120. Coeppicus, ZRP 2003, 175; Hessler, MedR 2003, 13, 15; Heyers, Sterbehilfe, S. 352. Lipp, FamRZ 2004, 317, 321 weist allerdings zu Recht darauf hin, dass eine Betreuerbestellung für solche Entscheidungen notwendig wird, die in der Patientenverfügung nicht geregelt wurden, etwa die Entscheidung, in welchem Krankenhaus oder von welchem Arzt der Betroffene behandelt werden soll. Lipp, FamRZ 2004, 317, 321.
II. Der nicht oder nicht mehr einwilligungsfähige Patient
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entenverfügung errichtet hat.187 Dies war folgerichtig, weil durch das Vorliegen einer Patientenverfügung sich an der Entscheidungszuständigkeit des Betreuers nichts ändert, wenn die Patientenverfügung lediglich Indiz für den mutmaßlichen Willen ist. Damit lässt sich festhalten, dass im Hinblick auf Fälle vor dem 1.9.2009 auf Grundlage der hier vertretenen Ansicht von der Indizwirkung von Patientenverfügungen der Bevollmächtigte bzw. der Betreuer auch bei Vorliegen einer wirksamen Patientenverfügung für die Entscheidung über die Vornahme oder Nichtvornahme der Weiterbehandlung zuständig ist. Dass der Betreuer bei Vorliegen einer Patientenverfügung nicht zur Entscheidung berufen ist, überzeugt im Übrigen auch auf Grundlage der Auffassung von der strengen Bindungswirkung nicht. Lag eine Patientenverfügung vor, die nicht hinreichend konkret, sondern nur Anhaltspunkt für den mutmaßlichen Willen war, sollte nämlich auch nach der Auffassung von der strengen Bindungswirkung die Entscheidung des Betreuers erforderlich sein.188 Danach hing die Zuständigkeit über die Behandlungsabbruchentscheidung also von der jeweiligen Patientenverfügung ab. War sie hinreichend verbindlich, konnte der Arzt die fragliche Maßnahme ohne Mitwirkung des Betreuers vornehmen bzw. unterlassen. War die Patientenverfügung nicht hinreichend verbindlich, war die Entscheidung des Betreuers erforderlich. Dies führte zu erneuter Rechtsunsicherheit und zu einem Haftungsrisiko für den Arzt, der die Entscheidung treffen musste, ob die in der Patientenverfügung enthaltene Regelung so konkret ist, dass die Patientenverfügung rechtlich verbindlich ist und er damit die Regelung ohne Beteiligung eines Vertreters umsetzen kann. Einfacher und rechtssicherer ist es, wenn für Patientenverfügungen stets die gleichen Entscheidungsträger zuständig sind. Gegen die Beteiligung des Betreuers an der Entscheidung über den Behandlungsabbruch kann auch nicht eingewandt werden, dass es dem Verfasser einer Patientenverfügung entscheidend darauf ankommt, dass die in der Patientenverfügung getroffenen Anordnungen unmittelbar vom behandelnden Arzt befolgt werden und dass kein Dritter über die Durchführung lebenserhaltender Maßnahmen entscheidet.189 Die Unterschiede zwischen einer an den Bevollmächtigten gerichteten Vorsorgevollmacht, einer an den Betreuer adressierten Betreuungsverfügung und einer Patientenverfügung sind dem Laien nicht unbedingt geläufig. Eine Patientenverfügung kann auch in der Absicht errichtet werden, die Angehörigen zu entlasten, die – wie der Betroffene annimmt – als Betreuer eingesetzt werden. Im Übrigen erscheint es nicht wünschenswert, wenn der Arzt in alleiniger Verantwortung aufgrund einer Patientenverfügung einen Behandlungsabbruch vornimmt, ohne etwa die zur Betreuerin bestellte Ehefrau an der Entscheidung zu beteiligen. Eine Behandlungsabbruchentscheidung erfährt eine größere Akzeptanz, wenn sie vom Betreuer im Anschluss an die ärztliche Beratung getroffen wird.190
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Helgerth, JR 1995, 338, 340; ähnlich Rieger, Einwilligung, S. 128. Siehe aber auch Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 364. Heyers, Sterbehilfe, S. 351; Lipp, FamRZ 2004, 317, 322. So aber Heyers, Sterbehilfe, S. 352. Ähnlich Saliger, MedR 2004, 237, 243.
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D. Die Entscheidung über die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen
Auch der 12. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs scheint eine Erklärung des Betreuers bei Vorliegen einer verbindlichen Patientenverfügung für erforderlich gehalten zu haben. Das Gericht hat im Rahmen seiner Erläuterungen zur strikten Bindungswirkung von Patientenverfügungen ausgeführt, dass eine Patientenverfügung „den Betreuer“ bindet.191 Wenn eine stellvertretende Erklärung des Betreuers aus Sicht des Gerichts überhaupt nicht erforderlich gewesen wäre, hätte das Gericht wohl kaum die Bindung des Betreuers, sondern die des Arztes betont. bb) Die Rechtslage nach In-Kraft-Treten des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts In der Begründung des Entwurfs zum Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts wird den im Schrifttum bisher vertretenen Ansichten insoweit gefolgt, als die Frage nach der Entscheidungszuständigkeit je nach Art der vorliegenden Patientenverfügung differenziert betrachtet wird: Im Fall einer bindenden Patientenverfügung sei „eine Einwilligung des Betreuers in die anstehende ärztliche Behandlung nicht erforderlich, da der Betreute diese Entscheidung bereits selbst getroffen hat“.192 Liegt keine bindende Patientenverfügung vor, habe der Betreuer die Entscheidung zu treffen.193 Aus dem Gesetzeswortlaut ergibt sich diese Differenzierung nicht ohne weiteres. Ihm lässt sich eindeutig nur entnehmen, dass im Fall einer nicht strikt bindenden Patientenverfügung der Entscheidungsträger der Betreuer ist. In § 1901 a Abs. 2 S. 1 BGB heißt es: „[…] treffen die Festlegungen einer Patientenverfügung nicht auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zu, hat der Betreuer […] zu entscheiden, ob er in eine ärztliche Maßnahme […] einwilligt oder sie untersagt.“ Nicht eindeutig ist der Gesetzeswortlaut für den Fall der bindenden Patientenverfügung. Liegt eine bindende Patientenverfügung im Sinne des § 1901 a Abs. 1 BGB vor, „hat der Betreuer dem Willen des Betreuten Ausdruck und Geltung zu verschaffen.“ Diese Formulierung besagt nicht zwingend, dass es sich im Fall des § 1901 a Abs. 1 BGB dogmatisch um eine eigene Entscheidung des Betroffenen handelt. Vielmehr kann die Formulierung auch nur Ausdruck der Bindung des (die Entscheidung treffenden) Betreuers an den Willen des Betreuten sein. Die in der Entwurfsbegründung vorgesehene Unterscheidung danach, ob der Betreuer eine – freilich am Willen des Betroffenen ausgerichtete – eigene Entscheidung trifft oder lediglich der Entscheidung des Betroffenen Geltung verschafft, werden die Beteiligten kaum nachvollziehen können. Sie bedeutet nämlich, dass der Betreuer zwar zu prüfen hat, ob eine strikt bindende Patientenverfügung vorliegt oder nicht, aber nur dann, wenn er zum Schluss kommt, dass keine strikt bindende Patientenverfügung vorliegt, eine Entscheidung über die Vornah191 192
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BGHZ 154, 205, 217. BT-Drucksache 16/8442, S. 14. Der Begründung des Gesetzentwurfs folgend Brosey, BtPrax 2009, 175; Palandt/Diederichsen, § 1901 a Rn. 7 und Rn. 22; Olzen, JR 2009, 354, 358. Vgl. BT-Drucksache 16/8442, S. 15.
II. Der nicht oder nicht mehr einwilligungsfähige Patient
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me oder Nichtvornahme der ärztlichen Maßnahme trifft. Anders ausgedrückt: Nach der Entwurfsbegründung müsste der Betreuer entscheiden, ob er selbst entscheidet. Klarer und daher vorzugswürdig erscheint es, den Betreuer bzw. den Bevollmächtigten in allen Fällen von Patientenverfügungen als Entscheidungsträger anzusehen. c) Der Entscheidungsträger beim minderjährigen Patienten aa) Der niemals einwilligungsfähig gewesene minderjährige Patient Verfügt der minderjährige Patient nicht über die erforderliche Einsichtsfähigkeit194, entscheiden gemäß § 1626 Abs. 1 BGB die Sorgeberechtigten über die Vornahme oder Nichtvornahme einer ärztlichen Behandlung.195 Sofern beide Elternteile sorgeberechtigt sind, müssen beide Elternteile in die Behandlung einwilligen.196 Anders als bei einfachen Eingriffen muss der Arzt bei schwerwiegenden Eingriffen beide Elternteile auch tatsächlich befragen und kann nicht aufgrund der Einwilligungserklärung des anwesenden Elternteils vom Einverständnis des nicht erschienenen Elternteils ausgehen.197 Können sich die Sorgeberechtigten nicht einigen, ist gemäß § 1628 BGB das Familiengericht einzuschalten. Vermag das Gericht kein Einvernehmen zwischen den Eltern herzustellen, kann das Gericht die Entscheidung einem Elternteil übertragen. Steht der minderjährige, einwilligungsunfähige Patient nicht unter elterlicher Sorge, entscheidet der Vormund gemäß § 1793 Abs. 1 BGB. Sind die Eltern bzw. der Vormund verhindert, entscheidet gemäß § 1909 Abs. 1 BGB ein Ergänzungspfleger.198 Ist der Vormund bzw. der Ergänzungspfleger verhindert oder ist ein Vormund bzw. Ergänzungspfleger noch nicht bestellt, kommt eine Entscheidung des Familiengerichts nach § 1846 BGB bzw. §§ 1846, 1915 Abs. 1 S. 1 BGB in Betracht. In Fällen absoluter Eilbedürftigkeit, d. h. wenn die Entscheidung der Eltern bzw. des Vormunds, des Ergänzungspflegers und des Familiengerichts nicht abgewartet werden kann, entscheidet der Arzt zwangsläufig allein. Teilweise will man dem nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen ein Vetorecht in dem Sinn einräumen, dass er – wenn er auch nicht selbst in die Behandlung einwilligen kann – eigenständig eine Behandlung ablehnen kann.199 Diese „Vetomündigkeit“ setze früher als die „Einwilligungsmündigkeit“ ein.200 Diese
194 195 196
197 198 199 200
Zu den Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger siehe oben D. I. 1. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 793; MünchKommBGB/Huber, § 1626 Rn. 41. Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 139 Rn. 31. Zur Einwilligung in die Heilbehandlung von Kindern durch minderjährige Eltern siehe Kern, MedR 2005, 628 ff. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 793; Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 139 Rn. 31. Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 94. Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 139 Rn. 31. Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 139 Rn. 31.
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D. Die Entscheidung über die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen
Ansicht ist jedenfalls hinsichtlich absolut indizierter Behandlungen einschließlich lebenserhaltender Maßnahmen nicht zu befürworten.201 bb) Der bereits einwilligungsfähig gewesene minderjährige Patient Fraglich ist, ob die gesetzlichen Vertreter des Minderjährigen auch dann zur Entscheidung befugt sind, wenn der Minderjährige zwar zu dem Zeitpunkt, in dem die Entscheidung über die Vornahme der ärztlichen Behandlung getroffen werden muss, nicht einwilligungsfähig ist, zuvor aber bereits über die für die Entscheidung notwendige Reife und Einsichtsfähigkeit verfügt hat. Im strafrechtlichen Schrifttum wird bisweilen vertreten, dass nicht die Entscheidung des gesetzlichen Vertreters, sondern der vom Arzt zu ermittelnde mutmaßliche Wille des minderjährigen Patienten ausschlaggebend sei, wenn die Einwilligung des an sich einwilligungsfähigen Minderjährigen lediglich wegen dessen momentaner Bewusstlosigkeit nicht eingeholt werden kann.202 Gegen diese Ansicht spricht allerdings ein Vergleich mit der Rechtslage beim bewusstlosen volljährigen Patienten. Sofern ein früher einwilligungsfähig gewesener, aber nun bewusstloser volljähriger Patient einen Betreuer oder einen Bevollmächtigten hat, trifft dieser als Vertreter des Patienten die Entscheidung über die Vornahme der ärztlichen Behandlung. Ist der Betreuer bzw. der Bevollmächtigte bei einem an sich einwilligungsfähigen, aber bewusstlosen volljährigen Patienten für die Entscheidung über die Vornahme einer ärztlichen Behandlung zuständig, sollten auch die Sorgeberechtigten die Entscheidung über die Vornahme einer ärztlichen Behandlung beim bewusstlosen Minderjährigen treffen können.203 Die Gegenauffassung ist auch nicht praktikabel. Ist nämlich der Minderjährige bewusstlos, vermag der Arzt, der den Minderjährigen nicht kennt, kaum festzustellen, ob der Minderjährige vor Eintritt der Bewusstlosigkeit einwilligungsfähig war. Sofern die Gegenauffassung die mutmaßliche Einwilligung nur im Fall der vorübergehenden Bewusstlosigkeit für maßgeblich hält204, muss darauf hingewiesen werden, dass im Zeitpunkt der Entscheidung die Dauer der Bewusstlosigkeit nicht sicher vorhergesagt werden kann. Damit lässt sich festhalten, dass die Entscheidungsbefugnis der Eltern, des Vormunds, des Ergänzungspflegers bzw. des Familiengerichts unabhängig davon besteht, ob der im Zeitpunkt der Entscheidung einwilligungsunfähige minderjährige Patient vor Eintritt der Entscheidungssituation einwilligungsfähig war oder nicht.
201 202 203
204
Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 78. Vgl. auch BGH NJW 2007, 217: Vetorecht des ausreichend urteilsfähigen Minderjährigen bei relativ indiziertem Eingriff. Roxin, Strafrecht AT 1, § 13 Rn. 92; vgl. auch Schönke/Schröder/Lenckner, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 42. Die vor Eintritt der Bewusstlosigkeit bestehende Einwilligungsfähigkeit hat aber im Rahmen des Entscheidungsmaßstabs Bedeutung. Zum Entscheidungsmaßstab beim minderjährigen Patienten siehe D. II. 3. a). Siehe Roxin, Strafrecht AT 1, § 13 Rn. 92: „Entscheidungsbefugnis momentan nicht ausüben“.
II. Der nicht oder nicht mehr einwilligungsfähige Patient
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3. Der Entscheidungsmaßstab Zu untersuchen ist, welchen Maßstab die jeweiligen Entscheidungsträger ihrer Entscheidung zugrunde legen müssen. a) Das Kindeswohl als Maßstab für die Entscheidung der gesetzlichen Vertreter des Minderjährigen Gemäß § 1627 S. 1 BGB haben die Eltern die elterliche Sorge zum Wohl des Kindes auszuüben. Die Bindung der Eltern an das Wohl des Kindes bedeutet, dass die Eltern bezüglich medizinischer Maßnahmen an ihren Kindern nicht das gleiche Maß an Entscheidungsfreiheit haben wie bei medizinischen Eingriffen, die sie selbst betreffen.205 Dementsprechend dürfen Eltern beispielsweise absolut indizierte Heilbehandlungen bei ihren Kindern nicht aus religiösen Gründen ablehnen.206 Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Ablehnung lebensverlängernder Maßnahmen stets eine Verletzung des Kindeswohls darstellt. Das Oberlandesgericht Hamm hat entschieden, dass kein Sorgerechtsmissbrauch gegeben ist, wenn die Eltern eines irreversibel bewusstlosen Kindes die Einwilligung in weitere lebenserhaltende Maßnahmen verweigern.207 Eine Verletzung des Kindeswohls liegt auch dann nicht vor, wenn die Eltern im terminalen Stadium einer Krebserkrankung die Fortführung der medizinischen Behandlung untersagen, um ihrem Kind weitere Qualen zu ersparen.208 Da für die Feststellung des Kindeswohls nicht nur objektive Kriterien maßgeblich sind, sondern auch der Wille des Kindes Bedeutung haben kann209, dürfen aber gegen den Willen des einwilligungsunfähigen Minderjährigen die lebensverlängernden Maßnahmen nicht eingestellt werden. Verfügte der zum Zeitpunkt der Entscheidung einwilligungsunfähige Minderjährige zu einem früheren Zeitpunkt bereits über die für eine solche Entscheidung notwendige Einsichtsfähigkeit210, sind seine früher geäußerten Wünsche und Wertvorstellungen bei der Entscheidung über die Vornahme der Behandlung zu berücksichtigen. Für die Entscheidung des Vormunds bzw. des Ergänzungspflegers gilt ein Maßstab, der dem der Eltern entspricht.211
205 206
207 208 209 210 211
Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 74. OLG Celle NJW 1995, 792, 793; Palandt/Diederichsen, § 1666 Rn. 12; MünchKommBGB/Huber, § 1626 Rn. 44; MünchKommBGB/Olzen, § 1666 Rn. 83; Veit, in: Bamberger/Roth, § 1666 Rn. 6.2; Ulsenheimer, Geburtshilfe u. Frauenheilkunde 1994, M 83, M 87. OLG Hamm FamRZ 2007, 2098. Siehe hierzu ausführlich E. I. 1. b) aa). MünchKommBGB/Olzen, § 1666 Rn. 80; Ulsenheimer, in: Dierks/Graf-Baumann/ Lenard, Therapieverweigerung, S. 65, 80. MünchKommBGB/Olzen, § 1666 Rn. 47; Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 74. Siehe hierzu auch oben D. II. 2. c) bb). Dethloff, Familienrecht, § 16 Rn. 26 und § 18 Rn. 4.
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D. Die Entscheidung über die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen
b) Der Entscheidungsmaßstab des Arztes Der Arzt, der jedenfalls in Fällen absoluter Eilbedürftigkeit die Entscheidung über die Vornahme oder Nichtvornahme medizinischer Maßnahmen trifft212, muss die weitere Vorgehensweise am mutmaßlichen Willen des Patienten ausrichten.213 Im Folgenden wird deshalb dargestellt, nach welchen Grundsätzen der mutmaßliche Wille des Patienten zu ermitteln ist. aa) Die Ermittlung des mutmaßlichen Willens Bei der Frage, ob eine mutmaßliche Einwilligung in die Behandlung vorliegt, wird teilweise in Anlehnung an die Regeln über die berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag (§ 683 BGB) geprüft, ob die ärztliche Behandlung dem objektiven Interesse und dem subjektiv mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht.214 Da eine medizinisch indizierte Behandlung grundsätzlich im objektiven Interesse des Betroffenen liegt und eine Behandlung, die im objektiven Interesse des Patienten liegt, in der Regel auch dessen subjektivem Willen entspricht, sind medizinisch indizierte Behandlungen nach dieser Ansicht regelmäßig ganz unproblematisch von der mutmaßlichen Einwilligung des Patienten gedeckt.215 Bei einer Diskrepanz zwischen objektivem Interesse und subjektiv mutmaßlichem Willen ist aber entsprechend der Regeln über die Geschäftsführung ohne Auftrag der subjektiv mutmaßliche Wille entscheidend.216 Die Gegenauffassung betont demgegenüber, dass der objektiven Interessenabwägung keine eigenständige Bedeutung zukommt.217 Allein maßgebend sei der subjektiv mutmaßliche Wille des Patienten. Objektive Kriterien, insbesondere die Beurteilung einer Maßnahme als gemeinhin vernünftig, dienen nach dieser Ansicht lediglich der Ermittlung des subjektiv mutmaßlichen Willens.218 Liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sich der Patient anders entschieden hätte, sei allerdings davon auszugehen, dass sein subjektiv mutmaßlicher Wille mit dem übereinstimmt, was üblicherweise als normal und vernünftig angesehen wird.219 Da also auch nach dieser Ansicht objektive Maßstäbe letztendlich entscheidend sind, 212 213 214
215 216 217
218 219
Zur Bedeutung der mutmaßlichen Einwilligung in nicht dringenden Fällen siehe unten D. II. 6. Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 38 f. Dies gilt – wie unter D. II. 1. c) dd) (1) (c) erläutert – auch bei Vorliegen einer Patientenverfügung. Soergel/Spickhoff, § 823 Anh I Rn. 115; Heyers, Sterbehilfe, S. 101; vgl. auch Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 41 ff.: objektive Interessenabwägung unter subjektivem Korrekturvorbehalt. Soergel/Spickhoff, § 823 Anh. I Rn. 115; ders., AcP 208 (2008), 345, 402. Siehe auch oben C. II. 2. b). G. Fischer, FS Deutsch, S. 545, 548 ff.; Lipp, in: Wolter/Riedel/Taupitz, Einwirkungen, S. 75, 78. Aus strafrechtlicher Sicht BGHSt 35, 246, 250; BGHSt 40, 257; BGHSt 45, 219, 221; Schönke/Schröder/Eser, § 223 Rn. 38 a; Fischer, § 223 Rn. 15. BGHSt 35, 246, 250; BGHSt 40, 257; BGHSt 45, 219, 221; Schönke/Schröder/Eser, § 223 Rn. 38 a; Fischer, § 223 Rn. 15. BGHSt 35, 246, 250; BGHSt 45, 219, 221.
II. Der nicht oder nicht mehr einwilligungsfähige Patient
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wenn der subjektiv mutmaßliche Wille nicht ermittelbar ist, und nach erstgenannter Auffassung der subjektive Wille sich gegenüber der objektiven Interessenabwägung durchsetzt, führen die beiden Ansichten nicht zu unterschiedlichen Ergebnissen.220 Der Inhalt des subjektiv mutmaßlichen Willens ist aus den individuellen Interessen, Wünschen, Bedürfnissen und Wertvorstellungen des Patienten zu ermitteln.221 Hierfür können frühere Äußerungen des Patienten herangezogen werden und Angehörige und andere nahestehende Personen befragt werden.222 Im „Kemptener Urteil“ hat der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs auch die altersbedingte Lebenserwartung und das Erleiden von Schmerzen im Rahmen der Ermittlung des subjektiv mutmaßlichen Willens genannt.223 Hierbei verkennt der 1. Strafsenat, dass es sich bei den erwähnten Kriterien nicht um individuelle Wertvorstellungen handelt. Richtigerweise sind diese Umstände im Rahmen der objektiven Interessenabwägung zu berücksichtigen.224 Bei der Frage, ob die Fortführung lebenserhaltender Maßnahmen dem mutmaßlichen Willen entspricht, hat der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs ausgeführt, dass auf allgemeine Wertvorstellungen zurückzugreifen sei, wenn auch bei sorgfältiger Prüfung keine konkreten Umstände für die Feststellung des individuellen mutmaßlichen Willens des Kranken gefunden werden.225 Bei der Berücksichtigung allgemeiner Wertvorstellungen sei „jedoch Zurückhaltung geboten; im Zweifel“ habe „der Schutz menschlichen Lebens Vorrang vor persönlichen Überlegungen des Arztes, des Angehörigen oder einer anderen beteiligten Person. Im Einzelfall“ werde „die Entscheidung naturgemäß auch davon abhängen, wie aussichtslos die ärztliche Prognose und wie nahe der Patient dem Tode ist: je weniger die Wiederherstellung eines nach allgemeinen Vorstellungen menschenwürdigen Lebens zu erwarten ist und je kürzer der Tod bevorsteht, um so eher“ werde „ein Behandlungsabbruch vertretbar erscheinen“.226 Die Berücksichtigung allgemeiner Wertvorstellungen ist im Schrifttum auf Kritik gestoßen.227 Das Abstellen auf allgemeine Wertvorstellungen komme einer Fremdbewertung der Existenz eines anderen Menschen nahe.228 In diesem Zusammenhang ist allerdings zu beachten, dass die Berücksichtigung allgemeiner Wertvorstellungen im Rahmen der mutmaßlichen Einwilligung nichts Neues ist. Bei jeder objektiven Interessenabwägung fließen allgemeine Wertvorstellungen 220 221 222
223 224 225 226 227 228
Spickhoff, NJW 2000, 2297, 2299. Rieger, Einwilligung, S. 99; Verrel, JZ 1996, 224, 228. Für die Situation des anwesenden Betreuers oder Bevollmächtigten sieht nun § 1901 b Abs. 2, Abs. 3 BGB zur Ermittlung des mutmaßlichen Willens ein Gespräch mit den nahen Angehörigen und sonstigen Vertrauenspersonen des Betroffenen vor. Siehe hierzu Hk-BGB/Kemper, § 1901 a Rn. 16 und § 1901 b Rn. 1 ff. BGHSt 40, 257. Helgerth, JR 1995, 338, 340; Rieger, Einwilligung, S. 99; Verrel, JZ 1996, 224, 228. BGHSt 40, 257. BGHSt 40, 257, 263. Dauster, in: Wienke/Lippert, Wille, S. 89, 100; Dörner, ZRP 1996, 93, 95 f.; SchmidtRecla, MedR 2008, 181, 183; Höfling, NJW 2009, 2849, 2851. Rieger, Einwilligung, S. 100.
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D. Die Entscheidung über die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen
mit ein. Ließe man dies nicht zu, wäre ein Behandlungsabbruch bei nicht geäußertem subjektiv mutmaßlichen Willen nicht möglich. Lebenserhaltende und -verlängernde Maßnahmen müssten bis zum Wegfall der medizinischen Indikation durchgeführt werden. Es käme zu einem „Diktat der Apparatemedizin“.229 Ärzte, die einen Behandlungsabbruch gleichwohl ermöglichen wollen, könnten dazu geneigt sein, die medizinische Indikation der Behandlung zu verneinen. Dies wiederum könnte bewirken, dass in vergleichbaren medizinischen Situationen die medizinische Indikation stets, also auch dann, wenn die Behandlung dem subjektiv mutmaßlichen Willen des Patienten entspräche, ärztlicherseits verneint wird. Da eine derartige Entwicklung nicht wünschenswert ist230, sollte die Berücksichtigung allgemeiner Wertvorstellungen im Rahmen der objektiven Interessenabwägung möglich sein. Dieser Auffassung wurde entgegen der Ansicht von Höfling231 durch die Einfügung des § 1901 a Abs. 2 BGB auch nicht der Boden entzogen. Gemäß § 1901 a Abs. 2 S. 3 BGB sind zwar bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens insbesondere frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen, ethische oder religiöse Überzeugungen und sonstige persönliche Wertvorstellungen zu berücksichtigen. Abschließend ist diese Aufzählung jedoch nicht. Freilich sind die in § 1901 a Abs. 2 S. 3 BGB genannten Kriterien vorrangig zu berücksichtigen, ein Rückgriff auf allgemeine Wertvorstellungen im Fall fehlender Anhaltspunkte für den subjektiv mutmaßlichen Willen ist dadurch aber nicht ausgeschlossen. Eine andere Frage ist, ob hinsichtlich der Entscheidungen am Lebensende in der Gesellschaft allgemeine Wertvorstellungen bestehen.232 Dies mag bei bestimmten Krankheitszuständen der Fall sein. Im Hinblick auf andere Krankheiten werden aber die Meinungen in der Gesellschaft stark auseinandergehen. Für die Situation, dass der subjektiv mutmaßliche Wille nicht ermittelt werden kann und keine allgemeinen Wertvorstellungen bestehen, wird im Schrifttum auf das Prinzip „in dubio pro vita“ verwiesen, nach welchem im Zweifel zugunsten der lebenserhaltenden Maßnahme entschieden wird.233 bb) Die Berechtigung des Grundsatzes „in dubio pro vita“ Wenn der Grundsatz „in dubio pro vita“ im rechtswissenschaftlichen Schrifttum genannt wird, fehlt es in aller Regel an einer rechtlichen Begründung des Prinzips. Doch allein die Bezeichnung einer Vorgehensweise als Grundsatz und die Verwendung des Lateinischen vermögen einen ungeschriebenen Rechtssatz nicht zu legitimieren. So sind auch kritische Anmerkungen zur Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro vita“ ergangen234, die aber letztlich ihren Grund darin haben,
229 230 231 232 233 234
Thias, Möglichkeiten, S. 288. Siehe hierzu auch oben D. II. 1. c) cc) (4). Höfling, NJW 2009, 2849, 2851. Verneinend BGHZ 154, 205, 218 f. Spickhoff, NJW 2000, 2297, 2299; Thias, Möglichkeiten, S. 288; Verrel, MedR 1999, 547, 548; Zöller, ZRP 1999, 317, 319. Vgl. auch Höfling, JuS 2000, 111, 117. Vgl. Hufen, NJW 2001, 849, 856.
II. Der nicht oder nicht mehr einwilligungsfähige Patient
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dass selten herausgearbeitet wird, in welcher Situation der Grundsatz welche Bedeutung erlangen soll.235 Nach Verrel kommt die Entscheidungsregel „in dubio pro vita“ zum Tragen, wenn sich nach Berücksichtigung aller Indizien für den mutmaßlichen Willen, d. h. sowohl individueller Umstände als auch genereller Wertvorstellungen, ein „non liquet“ ergibt.236 Verrel verwendet nicht nur den aus dem Beweisrecht stammenden Begriff des „non liquet“, sondern bezeichnet den Grundsatz „in dubio pro vita“ ausdrücklich als „Beweisregel“.237 Wären die Ausführungen Verrels zutreffend, könnte das Prinzip „in dubio pro vita“ im Zivilrecht als Beweislastumkehr zugunsten des die lebenserhaltende Behandlung durchführenden Arztes verstanden werden. Da die mutmaßliche Einwilligung eine tatbestandliche Körperoder Gesundheitsverletzung rechtfertigt238 und im Zivilrecht die Beweislast für das Eingreifen eines Rechtfertigungsgrundes grundsätzlich beim Anspruchsgegner liegt239, muss der Arzt nach den allgemeinen Grundsätzen die Beweislast für die mutmaßliche Einwilligung in die Behandlung tragen. Durch die Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro vita“ ist demgegenüber von der mutmaßlichen Einwilligung des Patienten in die lebenserhaltenden Maßnahmen auszugehen.240 Während im Zivilrecht eine Beweislastumkehr nicht von vornherein ausgeschlossen ist, kann jedenfalls im Strafrecht der Grundsatz „in dubio pro vita“ nicht als Beweisregel eingeordnet werden. Im Strafrecht gilt der Grundsatz „in dubio pro reo“, nach welchem im Zweifel zugunsten des Angeklagten entschieden werden muss. Wird der Grundsatz „in dubio pro vita“, als beweisrechtliche Entscheidungsregel für den Fall eines nicht aufklärbaren Sachverhalts verstanden, steht er 235 236 237 238 239 240
Zur Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro vita“ im Rahmen des § 323 c StGB siehe oben B. II. 4. b). Verrel, Gutachten 66. DJT, C 93. Verrel, Gutachten 66. DJT, C 92. Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 283. Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 258. Fraglich erscheint, wer im Rahmen der Ansprüche wegen Tötung durch Unterlassen nach §§ 844 f. BGB die Beweislast dafür trägt, dass der Behandlungsabbruch dem mutmaßlichen Willen entsprochen hat. Der auf den Behandlungsabbruch gerichtete mutmaßliche Wille des Patienten stellt innerhalb der Prüfung der Tötung durch Unterlassen keinen Rechtfertigungsgrund dar, sondern ist Voraussetzung für die Pflichtwidrigkeit des Unterlassens. Lehnt der Patient nämlich lebenserhaltende Maßnahmen ab, kann das Unterlassen der Behandlung nicht pflichtwidrig sein (vgl. hierzu auch unten D. III. 3.). Die Beweislast für das pflichtwidrige Unterlassen trägt der Geschädigte (vgl. Baumgärtel, in: Baumgärtel, Beweislast, § 823 Rn. 5; Soergel/Spickhoff, § 823 Rn. 173). Hinsichtlich des Umstands, dass der Behandlungsabbruch dem mutmaßlichen Willen entsprochen hat, ergibt sich aber eine andere Beweislastverteilung unter dem Gesichtspunkt, dass die Ablehnung lebenserhaltender Maßnahmen durch den Patienten die grundsätzlich bestehende Erfolgsabwendungspflicht des behandelnden Arztes entfallen lässt und damit rechtshindernden Charakter hat. Im Rahmen der §§ 844 f. BGB muss also der Arzt beweisen, dass der Behandlungsabbruch dem mutmaßlichen Willen entsprochen hat. Wäre der Grundsatz „in dubio pro vita“ eine Beweisregel, beinhaltete das Prinzip im Rahmen der §§ 844 f. BGB keine Abweichung von der Beweislastverteilung.
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D. Die Entscheidung über die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen
im Widerspruch zum strafrechtlichen Zweifelsgrundsatz, weil er im Fall eines Behandlungsabbruchs eine Strafbarkeit wegen Tötung durch Unterlassen begründet. Nach der Rechtsprechung des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs ist nämlich ein Behandlungsabbruch vor Eintritt des Sterbeprozesses nur bei einem entsprechenden mutmaßlichen Patientenwillen zulässig.241 Während im Fall einer „non liquet“-Situation nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ zugunsten des Arztes, der die lebenserhaltenden Maßnahmen eingestellt hat, davon auszugehen ist, dass der Behandlungsabbruch dem mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht, ist nach dem Grundsatz „in dubio pro vita“ das Gegenteil, nämlich eine mutmaßliche Einwilligung in die lebenserhaltende Behandlung anzunehmen. Der Widerspruch zum strafrechtlichen Zweifelsgrundsatz lässt sich auch nicht dadurch vermeiden, dass der Grundsatz „in dubio pro vita“ im Rahmen der Beweiswürdigung, die nicht dem Grundsatz „in dubio pro reo“ unterliegt242, angewendet wird. Dies würde nämlich voraussetzen, dass der Grundsatz „in dubio pro vita“ einen Erfahrungssatz darstellt. Da der Grundsatz „in dubio pro vita“ bereits nach seinem Wortsinn nur in Zweifelsfällen anzuwenden ist und es in Zweifelsfällen gerade keinen Erfahrungssatz gibt, handelt es sich bei dem Prinzip „in dubio pro vita“ nicht um einen Erfahrungssatz. Der Grundsatz „in dubio pro vita“ ist vielmehr eine Wertung, die auf dem verfassungsrechtlichen Lebensschutzgebot gemäß Art. 2 Abs. 2 GG beruht.243 Diese Wertung findet – wie auch andere allgemeine Wertvorstellungen – im Rahmen der objektiven Interessenabwägung Berücksichtigung.244 Damit ist der Grundsatz „in dubio pro vita“ entgegen der Ansicht Verrels keine Entscheidungsregel für eine „non liquet“-Situation, sondern vermeidet gerade ein „non liquet“. Dass das Selbstbestimmungsrecht gegenüber dem Lebensschutz vorrangig ist, steht der Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro vita“ nicht entgegen.245 Das Prinzip „in dubio pro vita“ kommt nämlich nur zum Tragen, wenn der subjektiv mutmaßliche Wille nicht ermittelt werden kann. Ist der mutmaßliche Wille als Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts des einwilligungsunfähigen Patienten246 nicht erkennbar, ist ein Verstoß gegen das Selbstbestimmungsrecht nicht denkbar. Kann das vorrangig zu berücksichtigende Selbstbestimmungsrecht mangels Erkennbarkeit des Patientenwillens keine Wirkung entfalten, setzt sich das Lebensschutzprinzip durch. Schließlich ist festzuhalten, dass der Grundsatz „in dubio pro vita“ auch in Fällen, in denen ein subjektiv mutmaßlicher Wille nicht erkennbar ist, nicht anwendbar ist, wenn objektive Umstände unter Berücksichtigung allgemeiner Wertvorstellungen eine bestimmte Entscheidung hinsichtlich der Vornahme oder Nichtvornahme lebenserhaltender Maßnahmen nahelegen. Dies entspricht den Ausführungen des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs im „Kemptener Urteil“, in wel241 242 243 244 245 246
BGHSt 40, 257. BGH NJW 2005, 2322, 2324; BGH NStZ 2006, 650; Meyer-Goßner, § 261 Rn. 26. Insoweit zutreffend Verrel, Gutachten 66. DJT, C 93. Spickhoff, NJW 2000, 2297, 2299. In diese Richtung aber Hufen, NJW 2001, 849, 851 und 856. Siehe hierzu BGHSt 40, 257, 262; Schöch, NStZ 1995, 153, 155.
II. Der nicht oder nicht mehr einwilligungsfähige Patient
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chem der Bundesgerichtshof durch die Berücksichtigungsfähigkeit allgemeiner Wertvorstellungen einen Behandlungsabbruch bei nicht geäußertem subjektiv mutmaßlichen Willen ermöglicht hat. Sieht man davon ab, dass Verrel das Prinzip „in dubio pro vita“ als Beweisregel bezeichnet, sind die Ausführungen Verrels zutreffend, sofern man sie schlicht dahingehend versteht, dass der Grundsatz „in dubio pro vita“ anzuwenden ist, wenn der mutmaßliche Wille nach Berücksichtigung sowohl individueller Äußerungen als auch allgemeiner Wertvorstellungen nicht ermittelt werden kann. cc) Ausschließlich objektive Interessenabwägung In Fällen, in denen der Betroffene nie einwilligungsfähig gewesen ist und daher keinen Willen formulieren konnte, ist ein Abstellen auf den subjektiv mutmaßlichen Willen nicht möglich. Bei Personen, die – wie Kinder und schwer geistig Behinderte – nie einwilligungsfähig waren, ist allein eine objektive Interessenabwägung entscheidend.247 Ob diese objektive Interessenabwägung eine verkürzte Prüfung der mutmaßlichen Einwilligung oder ein rechtfertigender Notstand nach § 34 StGB ist, hat im Ergebnis keine Bedeutung.248 Da auch im Fall des vormals einwilligungsfähigen Patienten, der keine Wünsche oder Wertvorstellungen bezüglich lebensverlängernder Maßnahmen artikuliert hat, der mutmaßliche Wille auf einer ausschließlich objektiven Interessenabwägung beruht, bestehen aber keine Bedenken, unter den Begriff des mutmaßlichen Willens auch die bei Kindern und geistig Behinderten vorzunehmende objektive Interessenabwägung zu fassen. Ergibt die objektive Interessenabwägung kein Ergebnis, ist nach dem auf dem verfassungsrechtlichen Lebensschutzgebot beruhenden Prinzip „in dubio pro vita“ die lebenserhaltende Behandlung durchzuführen.249 c) Der Maßstab für die Entscheidung des Betreuers Vor In-Kraft-Treten des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts ergab sich allein aus § 1901 Abs. 2 und Abs. 3 BGB, nach welchen Kriterien der Betreuer seine Entscheidung treffen muss. Die durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts in § 1901 a Abs. 1 und Abs. 2 BGB eingefügten Vorschriften bestimmen nun gesondert den Maßstab für Entscheidungen des Betreuers im Zusammenhang mit medizinischen Maßnahmen. Die neue Regelung wird man als lex specialis zu § 1901 Abs. 2 und Abs. 3 BGB betrachten können. Im Folgenden wird sowohl die Regelung in § 1901 Abs. 2 und Abs. 3 BGB als auch die in 247 248
249
Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 44; vgl. auch Weimer, Behandlungsabbruch, S. 92 ff. Für mutmaßliche Einwilligung wohl Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 44; für Rechtfertigung nach § 34 StGB Weimer, Behandlungsabbruch, S. 95; vgl. auch Rieger, Einwilligung, S. 73; differenzierend Dettmeyer, Medizin & Recht, S. 224: mutmaßliche Einwilligung bei bewusstlosem Kind, rechtfertigender Notstand gemäß § 34 StGB bei nicht bewusstlosem Kind. Zum Grundsatz „in dubio pro vita“ siehe vorstehend D. II. 3. b) aa) a. E. und D. II. 3. b) bb).
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D. Die Entscheidung über die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen
§ 1901 a Abs. 1 und Abs. 2 BGB untersucht. Zum einen sind all die Betreuerentscheidungen, die vor dem 1.9.2009 getroffen wurden, anhand der damals existierenden Vorschriften zu beurteilen. Zum anderen wird die vertiefte Auseinandersetzung mit den früher bestehenden Bestimmungen zeigen, inwieweit die Einfügung einer gesonderten Regelung des Entscheidungsmaßstabs im Hinblick auf ärztliche Maßnahmen durch den Gesetzgeber seine Berechtigung hat. aa) Die gesetzlichen Vorgaben in § 1901 Abs. 2 und Abs. 3 BGB Gemäß § 1901 Abs. 2 S. 1 BGB hat der Betreuer die Angelegenheiten des Betreuten so zu besorgen, wie es dessen Wohl entspricht. Gemäß § 1901 Abs. 3 S. 1 BGB hat der Betreuer den Wünschen des Betreuten zu entsprechen, soweit dies dessen Wohl nicht zuwiderläuft und dem Betreuer zuzumuten ist. Dies gilt nach § 1901 Abs. 3 S. 2 BGB auch für Wünsche, die der Betreute vor der Bestellung des Betreuers geäußert hat, es sei denn, dass er an diesen Wünschen erkennbar nicht festhalten will. Aus § 1901 Abs. 3 S. 1 i. V. m. S. 2 BGB ergibt sich also die grundsätzlich bestehende Pflicht des Betreuers, sowohl den aktuellen Wünschen des Betreuten als auch den noch im einwilligungsfähigen Zustand geäußerten Wünschen des nunmehr Betreuten nachzukommen. Nach dem Gesetzeswortlaut wird die Wunschbefolgungspflicht durch das Wohl des Betreuten sowie durch die Unzumutbarkeit für den Betreuer begrenzt. (1) Begrenzung der Wunschbefolgungspflicht durch das Kriterium der Unzumutbarkeit Die Begrenzung der Wunschbefolgungspflicht durch das Kriterium der Unzumutbarkeit soll nach der amtlichen Begründung den Betreuer vor überzogenen Anforderungen des Betreuten – etwa an die Dauer des täglichen Betreuungsaufwands – schützen.250 Die Schranke der Unzumutbarkeit dient zur Abgrenzung der Interessensphäre des Betreuten von der des Betreuers.251 Sie gibt dem Betreuer nicht das Recht, einen vom Betreuten gewünschten Behandlungsabbruch abzulehnen.252 (2) Begrenzung der Wunschbefolgungspflicht durch das Wohl des Betreuten Die Wunschbefolgungspflicht wird gemäß § 1901 Abs. 3 S. 1 BGB ferner durch das Wohl des Betreuten begrenzt. Das Gesetz konkretisiert den Begriff des Wohls nicht. Nach zutreffender herrschender Meinung ist das Wohl des Betreuten weder
250 251 252
BT-Drucksache 11/4528, S. 134. Müller, in: Bamberger/Roth, § 1901 Rn. 9. Heyers, Sterbehilfe, S. 237 f.; Rieger, Einwilligung, S. 129 f.
II. Der nicht oder nicht mehr einwilligungsfähige Patient
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ausschließlich objektiv noch ausschließlich subjektiv zu verstehen.253 Gegen ein rein objektives Verständnis spricht nämlich, dass gemäß § 1901 Abs. 2 S. 2 BGB zum Wohl des Betreuten auch die Möglichkeit gehört, sein Leben nach seinen eigenen Wünschen und Vorstellungen zu gestalten. Gegen ein rein subjektives Verständnis kann zum einen eingewandt werden, dass in der Gesetzesbegründung die Wohlschranke damit erklärt wird, dass der staatlich bestellte Betreuer keine Hilfe zur Selbstschädigung leisten müssen soll.254 Zum anderen kann das Wohl nur dann Grenze für die Wünsche sein, wenn es mit diesen nicht identisch ist, also nicht ausschließlich subjektiv bestimmt wird.255 (a) Begrenzung der aktuellen Wünsche Sollte der einwilligungsunfähige Betreute in der Entscheidungssituation noch äußerungsfähig sein und seinen Willen kundtun, stellt sich die Frage, inwieweit die aktuellen Wünsche des Betreuten durch das Wohl begrenzt werden. Da das Wohl zumindest auch subjektiv zu bestimmen ist, darf der Betreuer die Wünsche des Betreuten nicht schon dann übergehen, wenn sie dem objektiven Interesse nicht optimal zuträglich sind. Im Schrifttum wird vorgeschlagen, dass der Begriff des Wohls erst dann als Begrenzung der Wunschbefolgungspflicht Bedeutung erlangt, wenn die Erfüllung der Wünsche Rechtsgüter des Betreuten gefährden würde, die im Rang über dem vom Wunsch verfolgten Interesse stehen.256 Andere wollen darauf abstellen, ob die Wünsche des Betreuten „objektiv zu vernünftigen, akzeptablen oder zumindest tolerablen Ergebnissen“ führen.257 Die Gesetzesbegründung fragt danach, ob die Wünsche auf eine Selbstschädigung gerichtet sind.258 Im Hinblick auf medizinische Maßnahmen wurde im Schrifttum formuliert, dass die Ablehnung einer Behandlung durch den Betreuten beachtlich sein sollte, sofern nicht die Gefahr besteht, dass der Betreute ohne die medizinische Maßnahme stirbt oder einen erheblichen gesundheitlichen Schaden erleidet.259 Teilweise wurde allerdings darauf hingewiesen, dass der Wunsch zu sterben nicht per se selbstschädigend sei.260 Ein Veto des Betreuten gegen eine vom Betreuer befürwortete Behandlung sei zu beachten, wenn die Behandlung das Grundleiden nicht mehr heilen kann, sondern das Leiden nur verlängern würde.261 In der Sache bedeutet dies keinen Unterschied, denn in Fällen, in denen die Behandlung für den
253
254 255 256 257 258 259 260 261
BT-Drucksache 11/4528, S. 133 f.; Müller, in: Bamberger/Roth, § 1901 Rn. 5; MünchKommBGB/Schwab, § 1901 Rn. 9 f.; Palandt/Diederichsen, § 1901 Rn. 3; Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 69 f. BT-Drucksache 11/4528, S. 133 f. Frost, Arztrechtliche Probleme, S. 38; Rieger, Einwilligung, S. 130. MünchKommBGB/Schwab, § 1901 Rn. 14; Müller, in: Bamberger/Roth, § 1901 Rn. 5. Kollmer, Selbstbestimmung, S. 156. BT-Drucksache 11/4528, S. 133 f. Spickhoff, in: Kingreen/Laux, Gesundheit, S. 103, 112; ders., ZfRV 2008, 33, 39; ders., AcP 208 (2008), 345, 394 f. Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 47 sowie A 73 Fn. 344. Lipp, Freiheit und Fürsorge, S. 167.
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D. Die Entscheidung über die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen
Patienten keine Hilfe mehr bedeutet, sondern das Leiden nur verlängert, fehlt es bereits an der medizinischen Indikation der Maßnahme.262 Sofern der Betreute eine lebenserhaltende Maßnahme nicht ablehnte, sondern im Gegenteil die Vornahme der Behandlung wünschte, war der Wille des Betreuten gemäß § 1901 Abs. 2 und Abs. 3 BGB beachtlich, denn eine lebenserhaltende Behandlung, die der Betroffene wünscht, kann nicht als Selbstschädigung qualifiziert werden.263 Dem aktuellen Willen war in einem derartigen Fall auch dann zu entsprechen, wenn sich der Patient im einwilligungsfähigen Zustand gegen lebenserhaltende Behandlungen ausgesprochen hatte. Der berücksichtigungsfähige aktuelle Wunsch hat nämlich gemäß § 1901 Abs. 3 S. 2 BGB gegenüber früher geäußerten Wünschen Vorrang.264 (b) Begrenzung der im einwilligungsfähigen Zustand geäußerten Wünsche Umstritten ist, ob die Wunschbefolgungspflicht des Betreuers entsprechend dem Wortlaut des § 1901 Abs. 3 S. 2 BGB auch dann durch das Wohl des Betreuten begrenzt wird, wenn der Betreute die Wünsche im einwilligungsfähigen Zustand geäußert hat. Dies wird vereinzelt verneint. Die in Satz 2 enthaltene Formulierung „dies gilt auch“ sei nur auf Halbsatz 1 des § 1901 Abs. 3 S. 2 BGB, also auf die Pflicht, den Wünschen zu entsprechen, und nicht auf die Wohlschranke des Halbsatzes 2 des § 1901 Abs. 3 S. 2 BGB zu beziehen. Die Formulierung „dies gilt auch“ sei als Redaktionsversehen des Gesetzgebers zu werten.265 Gegen ein Redaktionsversehen spricht aber, dass es in der Gesetzesbegründung heißt, der staatlich bestellte Betreuer solle keine Hilfe zur Selbstschädigung leisten müssen.266 Ob ein Wunsch selbstschädigenden Charakter hat, hängt aber nicht vom Zeitpunkt seiner Äußerung ab. Da nach der hier vertretenen Auffassung generelle Bedenken hinsichtlich der Fähigkeit, seine eigenen Wünsche zu antezipieren, bestehen und daher eine Patientenverfügung für die Zeit vor In-KraftTreten des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts als nicht strikt bindend angesehen wird267, darf konsequenterweise der Betreuer auch nicht durch die Vorschriften des § 1901 Abs. 2 und Abs. 3 BGB an die früher geäußerten Wünsche des Betreuten streng gebunden sein. Damit ist festzuhalten, dass die Pflicht, die im einwilligungsfähigen Zustand geäußerten Wünsche zu befolgen, durch das Wohl des Betreuten begrenzt wird.268 Da das Wohl nicht ausschließlich objektiv zu bestimmen ist, hat der Betreuer die Entscheidung am mutmaßlichen 262 263 264 265 266 267 268
Siehe etwa DGAI, Leitlinien zu den Grenzen der intensivmedizinischen Behandlungspflicht, Anästhesiologie & Intensivmedizin 40 (1999), 94, 95. Lipp, Freiheit und Fürsorge, S. 166; Spickhoff, in: Kingreen/Laux, Gesundheit, S. 103, 112; ders., ZfRV 2008, 33, 39; ders., AcP 208 (2008), 345, 395. Siehe hierzu auch MünchKommBGB/Schwab, § 1901 Rn. 13. K.-G. Mayer, Maßnahmen, S. 88 f. BT-Drucksache 11/4528, S. 133 f. Siehe hierzu oben D. II. 1. c) cc) (5). BVerfG NJW 2002, 206; A. Langenfeld, Vorsorgevollmacht, S. 160 f.; Rieger, Einwilligung, S. 131 f.; Spickhoff, NJW 2000, 2297, 2303; Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 120 f.; Thias, Möglichkeiten, S. 267 f.
II. Der nicht oder nicht mehr einwilligungsfähige Patient
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Willen des Betreuten auszurichten, sofern der Patient keine aktuellen Wünsche äußert.269 Der mutmaßliche Wille bestimmt sich nach den gleichen Kriterien, nach denen das Vorliegen einer mutmaßlichen Einwilligung geprüft wird.270 bb) Der Entscheidungsmaßstab gemäß § 1901 a Abs. 1 und Abs. 2 BGB In § 1901 a Abs. 1 und Abs. 2 BGB ist nun eine spezielle Regelung für den Entscheidungsmaßstab des Betreuers im Hinblick auf ärztliche Maßnahmen enthalten. Im Fall einer strikt bindenden Patientenverfügung im Sinne des § 1901 a Abs. 1 BGB ist der Betreuer an die Festlegungen in der Patientenverfügung gebunden.271 Liegt keine strikt bindende Patientenverfügung oder überhaupt keine Patientenverfügung vor, hat der Betreuer gemäß § 1901 a Abs. 2 BGB die Behandlungswünsche oder den mutmaßlichen Willen des Betreuten festzustellen und auf dieser Grundlage zu entscheiden. Bei der Feststellung des Patientenwillens nach § 1901 a Abs. 1 BGB oder der Behandlungswünsche oder des mutmaßlichen Willens nach § 1901 a Abs. 2 BGB soll gemäß § 1901 b Abs. 2 BGB nahen Angehörigen und sonstigen Vertrauenspersonen des Betreuten Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden, sofern dies ohne erhebliche Verzögerung möglich ist. Wird der Begriff der Behandlungswünsche im Sinne eines Wunsches des einwilligungsunfähigen, aber äußerungsfähigen Patienten nach Behandlung verstanden, führt dies zu dem begrüßenswerten Ergebnis, dass ein Behandlungsabbruch selbst im Fall eines entsprechenden mutmaßlichen Willens gegen den aktuell geäußerten Willen des Patienten nicht zulässig ist.272 Wenngleich auch durch die Anwendung des § 1901 Abs. 2 und Abs. 3 BGB sachgerechte Ergebnisse erzielt werden können, ist die Schaffung des § 1901 a Abs. 1 und Abs. 2 BGB doch gutzuheißen. Die Vorschriften des § 1901 Abs. 2 und Abs. 3 BGB sind auf Entscheidungen im Zusammenhang mit ärztlichen Behandlungen nicht zugeschnitten. Wie die dargestellte rechtswissenschaftliche Diskussion deutlich macht, war die Anwendung des § 1901 Abs. 2 und Abs. 3 BGB auf Entscheidungen im Zusammenhang mit medizinischen Maßnahmen, insbesondere solchen am Lebensende, mit Unsicherheiten behaftet.273 Jedenfalls insoweit hat das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts ein Mehr an Rechtsklarheit gebracht.
269 270 271 272 273
Lipp, FamRZ 2004, 317, 322; Rieger, Einwilligung, S. 132 f.; Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 395. So ausdrücklich auch Rieger, Einwilligung, S. 133. Zu den Voraussetzungen einer strikt bindenden Patientenverfügung siehe oben D. II. 1. c) dd) (1). Siehe hierzu D. II. 1. c) cc) (1) sowie D. II. 1. c) dd) (2). Vgl. D. II. 3. c) aa).
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D. Die Entscheidung über die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen
d) Der Maßstab für die Entscheidung des Bevollmächtigten Zu prüfen bleibt, nach welchem Maßstab der Bevollmächtigte die Entscheidung über lebenserhaltende Maßnahmen beim Vollmachtgeber treffen muss. Für den Fall, dass der Vollmachtgeber dem Bevollmächtigten keine Vorgaben hinsichtlich der Entscheidung für oder gegen medizinische Maßnahmen gemacht hat, wurde vor der Einfügung des § 1904 Abs. 2 BGB a. F. im Schrifttum diskutiert, ob der Bevollmächtigte völlig frei in seiner Entscheidung sei, weil der Betroffene die Entscheidung über seine Behandlung gerade dem Bevollmächtigten anvertraut habe, ohne diesem inhaltliche Vorgaben zu machen.274 Dies wurde zum Schutz des Vollmachtgebers mit dem Hinweis, die Entscheidung des Bevollmächtigten betreffe höchstrangige Rechtsgüter und sei häufig irreversibel, zu Recht abgelehnt.275 Durch die Einfügung des § 1904 Abs. 2 BGB a. F. wurde der Auffassung von einer völligen Entscheidungsfreiheit des Bevollmächtigten der Boden entzogen. Gemäß § 1904 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 BGB a. F. bedurfte die Einwilligung des Bevollmächtigten in eine ärztliche Behandlung ebenso wie die des Betreuers grundsätzlich der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung, wenn die begründete Gefahr besteht, dass der Betroffene aufgrund der Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet. Mittlerweile ergibt sich das Erfordernis einer gerichtlichen Genehmigung der Entscheidung des Bevollmächtigten aus § 1904 Abs. 5 BGB. Hätte der Bevollmächtigte keinerlei Vorgaben bei seiner Entscheidung zu beachten, wäre ein gerichtliches Genehmigungsverfahren sinnlos, weil das Gericht keinen Prüfungsmaßstab hätte. Als Maßstab für Entscheidungen des Bevollmächtigten vor In-Kraft-Treten des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts bietet sich der mutmaßliche Wille des Vollmachtgebers an.276 Haben Vollmachtgeber und Bevollmächtigter inhaltliche Vereinbarungen für die Ausübung der Vollmacht getroffen, hat der Bevollmächtigte diese Vereinbarungen als Indiz für den mutmaßlichen Willen zu berücksichtigen. Aktuell geäußerte Wünsche des mittlerweile einwilligungsunfähigen Vollmachtgebers muss der Vorsorgebevollmächtigte im gleichen Maß beachten, wie der Betreuer die aktuellen Wünsche des Betreuten zu berücksichtigen hat.277 Nach In-Kraft-Treten des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts ergibt sich der Maßstab für Entscheidungen des Bevollmächtigten über die Vornahme oder Nichtvornahme ärztlicher Behandlungen aus § 1901 a Abs. 5 BGB
274
275 276 277
In diese Richtung Heyers, Sterbehilfe, S. 364: Hat der Vollmachtgeber dem Bevollmächtigten keine Anweisungen erteilt, muss der Bevollmächtigte „die Entscheidung danach fällen, wie er selbst in der fraglichen Situation entschieden hätte, wäre er selbst betroffen.“ Unklar allerdings Heyers, Sterbehilfe, S. 363: „der Bevollmächtigte“ ist „an den mutmaßlichen Willen des Betreuten [sic] gebunden“. Vgl. hierzu auch Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 103; Walter, FamRZ 1999, 685, 689. Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 104. Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 104; Thias, Möglichkeiten, S. 262; Verrel, MedR 1999, 547, 549. Vgl. Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 395 f.
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i. V. m. § 1901 a Abs. 1 und Abs. 2 BGB. Er entspricht damit dem Entscheidungsmaßstab des Betreuers.278 e) Der Maßstab für die Entscheidung des Gerichts Gemäß § 1846 BGB hat das Familiengericht die im Interesse des Betroffenen erforderlichen Maßregeln zu treffen. Dies bedeutet allerdings nicht, dass das Gericht die Entscheidung stets am objektiven Interesse des Betroffenen auszurichten hat. Entscheidet etwa das Betreuungsgericht im Rahmen der entsprechenden Anwendung des § 1846 BGB im Betreuungsrecht über eine ärztliche Behandlung, muss die betreuungsgerichtliche Entscheidung mit dem mutmaßlichen Patientenwillen übereinstimmen.279 Die Vorschrift des § 1846 BGB begründet lediglich eine gerichtliche Notkompetenz in Fällen des Fehlens eines Vertreters280 und befugt das Gericht daher nicht zu Entscheidungen, die der Vertreter selbst rechtmäßig nicht treffen könnte. Generell lässt sich festhalten, dass der Entscheidungsmaßstab des Familiengerichts bzw. des Betreuungsgerichts stets dem Maßstab entsprechen muss, der für die Entscheidung desjenigen Vertreters gilt, an dessen Stelle das Gericht handelt.281 4. Die Bedeutung der dem Entscheidungsmaßstab nicht entsprechenden Vertreterentscheidung im Außenverhältnis Im Folgenden wird untersucht, inwieweit die Vertreterentscheidung das ärztliche Handeln auch dann legitimiert, wenn sie dem Entscheidungsmaßstab nicht entspricht. Zunächst wird auf die Situation des volljährigen Patienten eingegangen, für den ein Betreuer oder ein Bevollmächtigter handelt. Im Anschluss wird die Rechtslage im Fall eines minderjährigen Patienten geprüft. a) Die Bedeutung der dem Willen des volljährigen Patienten nicht entsprechenden Vertreterentscheidung Fraglich ist, ob die dem mutmaßlichen Willen widersprechende Vertreterentscheidung bzw. die einer strikt bindenden Patientenverfügung widersprechende Vertreterentscheidung das ärztliche Handeln zu legitimieren vermag. Zu prüfen ist also, ob der Entscheidungsmaßstab im Innenverhältnis die Vertretungsmacht im Außenverhältnis beschränkt. Nach herrschender Ansicht im Zivilrecht haben die Anforderungen im Innenverhältnis keine Außenwirkung. Der Vertreter sei nur im Innenverhältnis an den Patientenwillen gebunden, seine Vertretungsmacht nach außen werde nicht durch Pflichtwidrigkeiten im Innenverhältnis beschränkt. Die Einwilligung des Vertreters könne die medizinische Maßnahme auch dann recht278 279 280 281
Siehe hierzu D. II. 3. c) bb). Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 395 f. Siehe hierzu MünchKommBGB/Wagenitz, § 1846 Rn. 1. Siehe auch Lipp, Freiheit und Fürsorge, S. 193.
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D. Die Entscheidung über die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen
fertigen, wenn sie tatsächlich nicht dem mutmaßlichen Willen des Einwilligungsunfähigen entspricht.282 Die Vertretungsmacht finde ihre Grenze in den Regeln über den Missbrauch der Vertretungsmacht.283 Ein Missbrauch der Vertretungsmacht liegt nach heute herrschender Meinung vor, wenn die Pflichtwidrigkeit des Vertreters objektiv evident ist oder wenn der Vertreter und der Dritte kollusiv zusammenwirken.284 Demgegenüber wirken sich nach der Gegenmeinung Verstöße im Innenverhältnis stets auch im Außenverhältnis aus.285 Die im Bereich der Rechtsgeschäfte geltende Trennung von Innen- und Außenverhältnis passe nicht für die stellvertretende Einwilligung in eine ärztliche Behandlung. Während im Bereich der Rechtsgeschäfte der Vertretene durch eine den Anforderungen im Innenverhältnis nicht genügende Vertreterentscheidung einen finanziellen Schaden erleide, für den er von seinem Vertreter Ersatz verlangen kann, sei ein gesundheitlicher Schaden häufig nicht durch einen Schadensersatzanspruch gegenüber dem Vertreter kompensationsfähig.286 Aus verfassungsrechtlichen Gründen habe das Selbstbestimmungsrecht gegenüber dem Verkehrsschutz weitgehend Vorrang.287 Gleichwohl seien die behandelnden Ärzte nicht zwangsläufig haft- und strafbar. Es liege nämlich ein Erlaubnistatbestandsirrtum vor, wenn der Arzt annimmt, dass die Entscheidung des Vertreters mit dem mutmaßlichen Willen des Patienten übereinstimmt. Dies habe die positive Konsequenz, dass gegebenenfalls Nothilferechte auf Seiten des Patienten bestehen.288 Ob auf Grundlage dieser Ansicht tatsächlich Nothilferechte bestehen, hängt freilich von der rechtlichen Einordnung des Erlaubnistatbestandsirrtums ab. Wird der im Strafrecht verbreiteten eingeschränkten Schuldtheorie in ihrer reinen Form gefolgt, nach der im Fall eines Erlaubnistatbestandsirrtums bereits die Rechtswidrigkeit der Tat entfällt289, scheiden aus strafrechtlicher Sicht Nothilferechte zugunsten des Patienten jedenfalls aus. Für die im Zivilrecht herrschende Ansicht spricht, dass sie dem Arzt eine hohe Rechtssicherheit gewährt. Durch die starke Belastung von Ärzten bleibt häufig wenig Zeit für die Ermittlung des mutmaßli-
282
283 284 285
286 287 288 289
Bienwald, in: Bienwald/Sonnenfeld/Hoffmann, § 1901 Rn. 52; Schwab, FS Henrich, S. 511, 515; Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 71 (jeweils lediglich hinsichtlich des Betreuers). Siehe auch Lipp, Freiheit und Fürsorge, S. 184 ff. MünchKommBGB/Schwab, § 1901 Rn. 20 (hinsichtlich der gesetzlichen Vertretungsmacht des Betreuers). MünchKommBGB/Schwab, § 1902 Rn. 16; Palandt/Ellenberger, § 164 Rn. 13 f.; Staudinger/Schilken, § 167 Rn. 93 ff. Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 403. Im Strafrecht Schönke/Schröder/Lenckner, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 41; Kuhlmann, Einwilligung, S. 208 ff.; Knauf, Einwilligung, S. 116 ff., der allerdings die Vertreterentscheidung unzutreffend als Indiz für den mutmaßlichen Willen ansieht. Knauf, Einwilligung, S. 122; Kuhlmann, Einwilligung, S. 209 f. Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 403. Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 403. Roxin, Strafrecht AT 1, § 14 Rn. 64 ff.; Schönke/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben, § 16 Rn. 18.
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chen Willens des Patienten. Kann sich der Arzt grundsätzlich, d. h. innerhalb der Grenzen eines Missbrauchs der Vertretungsmacht, auf die Entscheidung des Vertreters verlassen, verbleibt ihm mehr Zeit für ärztliche Kernaufgaben. Dies dient der Qualität ärztlicher Behandlung und damit den Patienten. Der einzelne Patient ist auch bei Zugrundelegen der herrschenden Meinung gegenüber der Entscheidung des Vertreters nicht schutzlos. Der Patient wird dadurch geschützt, dass bestimmte, das Leben oder die Gesundheit gefährdende Entscheidungen des Vertreters betreuungsgerichtlich genehmigt werden müssen.290 Der notwendige Schutz des Patienten wird also nicht durch eine Abweichung von den auf geschäftsähnliche Handlungen grundsätzlich analog anwendbaren Stellvertretungsregeln verwirklicht, sondern durch das Erfordernis einer betreuungsgerichtlichen Genehmigung in bestimmten Fällen. Der Vertreter wird nicht durch den Arzt, sondern durch das Gericht kontrolliert.291 Daher erscheint es vertretbar, dass die – gegebenenfalls betreuungsgerichtlich genehmigte – Entscheidung des Vertreters das ärztliche Handeln in den Grenzen des Missbrauchs der Vertretungsmacht zu legitimieren vermag. Dasselbe muss für die Entscheidung des Betreuungsgerichts gelten, wenn dieses in Eilfällen gemäß §§ 1908 i Abs. 1 S. 1, 1846 BGB anstelle eines Betreuers entscheidet.292 b) Die Wirksamkeit einer dem Kindeswohl widersprechenden Entscheidung Weiter muss geklärt werden, ob eine dem Kindeswohl widersprechende Entscheidung, die die Vertreter des einwilligungsunfähigen Minderjährigen treffen, im Außenverhältnis wirksam ist. Nach einer Ansicht ist den Entscheidungen der Eltern, die sich gegen das Kindeswohl richten, keine legitimierende Wirkung zuzuerkennen.293 Dies verbiete das in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG verankerte, dem Kind zustehende Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.294 Ebenso wie beim volljährigen Patienten ist diese Ansicht abzulehnen. Die Eltern sind gesetzliche Vertreter und handeln in den Grenzen des Missbrauchs der Vertretungsmacht mit Wirkung für das Kind. Verweigern aber die Eltern die Einwilligung in eine lebensnotwendige und relativ risikoarme Behandlung, ist die Verletzung des Kindeswohls evident, so dass in einem solchen Fall die Entscheidung der Eltern keine legitimierende Wirkung entfaltet. Entsprechendes muss gelten, wenn ein Vormund oder ein Ergänzungspfleger über die Vornahme einer ärztlichen Behandlung beim einwilligungsunfähigen Minderjährigen entscheidet.
290 291 292 293 294
Zum Erfordernis einer betreuungsgerichtlichen Genehmigung siehe auch D. II. 5. Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 71. Siehe hierzu Lipp, Freiheit und Fürsorge, S. 193. Lenckner, ZStW 72 (1960), 446, 461; Schönke/Schröder/Lenckner, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 41; Knauf, Einwilligung, S. 126. Knauf, Einwilligung, S. 126.
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D. Die Entscheidung über die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen
5. Das Erfordernis einer gerichtlichen Genehmigung Umstritten war, ob und unter welchen Voraussetzungen die Verweigerung der Einwilligung in lebenserhaltende Maßnahmen beim einwilligungsunfähigen Patienten einer gerichtlichen Genehmigung bedarf. Im Hinblick auf Entscheidungen von Betreuern und Bevollmächtigten wurde durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts eine gesetzliche Regelung geschaffen. Entscheidungen, die vor dem 1.9.2009 getroffen wurden, unterliegen allerdings der alten Rechtslage. Daher wird, bevor die Neuregelung untersucht wird, die Rechtssituation vor InKraft-Treten des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts dargestellt, zumal hierdurch ein Verständnis der gesetzlichen Regelung erleichtert wird. a) Die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung der Betreuerentscheidung vor dem 1.9.2009 aa) Die höchstrichterliche Rechtsprechung Nach der so genannten „Kemptener Entscheidung“ des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs war analog § 1904 BGB a. F. die Einwilligung des Betreuers in den Behandlungsabbruch vormundschaftsgerichtlich zu genehmigen, sofern der Sterbevorgang beim Betroffenen noch nicht unmittelbar eingesetzt hat.295 Wenn der Betreuer gemäß § 1904 Abs. 1 S. 1 BGB schon über bestimmte Heileingriffe wegen ihrer Gefährlichkeit für den Betreuten nicht ohne die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts entscheiden könne, müsse dies erst recht für den Behandlungsabbruch gelten, der sicher zum Tod des Patienten führt.296 Dieser Auffassung hat sich das Oberlandesgericht Frankfurt a. M. in einer Zivilsache angeschlossen.297 Auch nach Ansicht des 12. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs konnte der Betreuer die Einwilligung in eine lebenserhaltende Behandlung in bestimmten Fällen nur mit der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts wirksam verweigern.298 Der 12. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs begründete das Erfordernis einer vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung nicht mit einer analogen Anwendung des § 1904 BGB a. F., sondern mit einem „unabweisbaren Bedürfnis des Betreuungsrechts“299 und gewann das Genehmigungserfordernis im Wege der Rechtsfortbildung.300 Eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung hielt der 12. Zivilsenat allerdings nur dann für erforderlich, wenn der Arzt die lebenserhaltende Behandlung „anbot“ und der Betreuer die Vornahme der Behandlung ablehnte. Sah der Arzt vom Einsatz oder von der Fortsetzung bestimmter lebenserhaltender Maßnahmen ab, weil diese „von vornherein medizinisch nicht indiziert, nicht mehr sinnvoll
295 296 297 298 299 300
BGHSt 40, 257, 261 f. BGHSt 40, 257, 262. OLG Frankfurt a. M. NJW 1998, 2747 = FamRZ 1998, 1137. BGHZ 154, 205; BGHZ 163, 195, 198. BGHZ 154, 205, 206. BGHZ 154, 205, 221 f.
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oder aus sonstigen Gründen nicht möglich“ waren, bedurfte es nach Ansicht des 12. Zivilsenats keiner Genehmigung des Vormundschaftsgerichts.301 bb) Die Rechtsnatur der gerichtlichen Genehmigung Bevor die dargestellte Rechtsprechung einer kritischen Würdigung unterzogen wird, sei zunächst untersucht, welche Auswirkung ein gerichtliches Genehmigungserfordernis auf die Zulässigkeit ärztlichen Verhaltens hat. Nach einer Mindermeinung ist die gerichtliche Genehmigung gemäß § 1904 BGB eine Innengenehmigung, die nicht Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit des ärztlichen Handelns ist. Das Fehlen der gerichtlichen Genehmigung betreffe nur den Betreuer.302 Für diese Ansicht könnte angeführt werden, dass nicht der Arzt die haftungsrechtlichen Konsequenzen tragen soll, wenn der Betreuer pflichtwidrig keine Genehmigung eingeholt hat. Nach herrschender Meinung handelt es sich allerdings bei der gerichtlichen Genehmigung um eine Außengenehmigung, so dass die Genehmigung und die Verweigerung der Genehmigung auch im Verhältnis zwischen dem Betreuten und dem Arzt Außenwirkung entfalten.303 Dies bedeutet, dass ärztliches Verhalten, das der Genehmigung des Gerichts bedarf, durch die Zustimmung des Betreuers allein nicht zulässig wird. Die Rechtmäßigkeit ärztlichen Handelns setzt nach dieser Ansicht kumulativ die Einwilligung des Betreuers und die Genehmigung des Gerichts voraus.304 Für die Annahme einer Außengenehmigung sprechen zum einen die Gesetzesmaterialien. In der Entwurfsbegründung zu § 1904 BGB heißt es nämlich: „Ist […] zu befürchten, dass der Betreute aufgrund der Maßnahme stirbt oder einen schweren gesundheitlichen Schaden erleidet, so soll die Einwilligung des Betreuers künftig nur mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts wirksam sein, es sei denn, dass mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist.“305 Zum anderen deutet der Wortlaut des § 1904 Abs. 1 S. 2 BGB, demzufolge ohne die Genehmigung die Maßnahme nur in Notfällen durchgeführt werden darf, darauf hin, dass auch der Arzt, der schließlich die Maßnahme durchführt, Adressat der Genehmigung ist. Damit lässt sich festhalten, dass allein die Behandlungsabbruchentscheidung des Vertreters die Einstellung der lebenserhaltenden Behandlung durch den Arzt nicht legitimiert, sofern sie der gerichtlichen Genehmigung bedarf. Die Außenwirkung der Genehmigung beinhaltet auch, dass die erteilte Genehmigung das Verhalten des Arztes grundsätzlich auch dann legitimiert, wenn sie zu Unrecht erteilt wurde.306 Sofern sich allerdings die Sachlage nachträglich geändert hat, sei es, dass eine unvorhergesehene Besserung des Gesundheitszustandes des 301 302 303 304 305 306
BGHZ 154, 205, 206. Ausführlich hierzu D. II. 5. a) dd). Staudinger/Bienwald, § 1904 Rn. 47 (im Hinblick auf die direkte Anwendung); Berg, Behandlungsbegrenzung, S. 46. OLG Frankfurt a. M. NJW 1998, 2747, 2748; MünchKommBGB/Schwab, § 1904 Rn. 34; Palandt/Diederichsen, § 1904 Rn. 25; Rieger, Einwilligung, S. 118 ff. MünchKommBGB/Schwab, § 1904 Rn. 34. BT-Drucksache 11/4528, S. 140 (Hervorhebung durch die Verfasserin). Palandt/Diederichsen, § 1904 Rn. 25; MünchKommBGB/Schwab, § 1904 Rn. 34.
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D. Die Entscheidung über die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen
Patienten eingetreten ist, sei es, dass neue Anhaltspunkte für den mutmaßlichen Willen aufgetaucht sind, entfaltet die gerichtliche Genehmigung keine Wirkung, da sie den Sachverhalt nicht abdeckt. cc) Die Diskussion um das Erfordernis einer vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung Im Anschluss an die „Kemptener Entscheidung“ und den Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt a. M. haben sich große Teile der Literatur und mehrere Instanzgerichte gegen die Genehmigungsbedürftigkeit der Betreuerentscheidung gewandt.307 Das neuere Schrifttum sprach sich demgegenüber vermehrt für das Erfordernis einer vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung aus.308 Gestritten wurde sowohl um die methodische Herleitung des Genehmigungserfordernisses als auch um das Erfordernis der Genehmigung als solches. (1) Die methodische Herleitung des Genehmigungserfordernisses Teilweise wurde die analoge Anwendbarkeit des § 1904 BGB a. F. mit dem Argument verneint, es fehle an der Planwidrigkeit der Regelungslücke, da der Gesetzgeber die „Kemptener Entscheidung“ bei Erlass des Betreuungsrechtsänderungsgesetzes vom 25.6.1998 kannte und dennoch § 1904 BGB insoweit unverändert ließ.309 Dem wurde entgegengehalten, dass der Gesetzgeber der ihm bekannten Rechtsprechung bei Erlass des Betreuungsrechtsänderungsgesetzes gerade nicht den Boden entzogen hat.310 Dass der Gesetzgeber auch bei Erlass des Zweiten Betreuungsrechtsänderungsgesetzes vom 21.4.2005 keine das Genehmigungserfordernis betreffende Regelung schuf, kann für beide Argumentationslinien herangezogen werden. Der erstgenannten Ansicht ist allerdings zuzugeben, dass von einer Planwidrigkeit der Regelungslücke nur schwer gesprochen werden kann, wenn der Gesetzgeber sich zum Zeitpunkt der Neuregelung des betreffenden Rechtsgebiets des Fehlens einer gesetzlichen Regelung bewusst war.
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LG München I NJW 1999, 1788; LG Frankfurt a. M. FamRZ 2000, 1184; LG Augsburg NJW 2000, 2363; AG Hanau BtPrax 1997, 82; AG Frankfurt a. M. FamRZ 2000, 1183; Alberts NJW 1999, 835 ff.; Deichmann, MDR 1995, 983, 984 f.; Dodegge, NJW 1997, 2425, 2432; Laufs, NJW 1998, 3399, 3400; Müller-Freienfels, JZ 1998, 1123 ff.; Seitz, ZRP 1998, 417, 420; Steffen, NJW 1996, 1581; Wagenitz/Engers, FamRZ 1998, 1256. Dörner, ZRP 1996, 93, 96; Frantzioch, KJ 2003, 111, 113 f.; Knieper, NJW 1998, 2720 f.; Saliger, KritV 1998, 118, 136; Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 92; Verrel, JZ 1996, 224, 229; entgegen der ganz h. M. legt Kuhlmann, Einwilligung, S. 149 die Vorschrift des § 1904 BGB dahingehend aus, dass diese auch für den Fall des actus contrarius, also für die Verweigerung der Einwilligung, in direkter Anwendung gilt. LG München I NJW 1999, 1788, 1789; LG Augsburg NJW 2000, 2363, 2364; Alberts, NJW 1999, 835; Bernsmann, ZRP 1996, 87, 90; Czerner, KritV 2004, 182, 191. Zu den Analogievoraussetzungen siehe Larenz, Methodenlehre, S. 381 ff. Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 92.
II. Der nicht oder nicht mehr einwilligungsfähige Patient
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Die Gegner der analogen Anwendung des § 1904 BGB a. F. verneinten weiter die Vergleichbarkeit der Interessenlage, da der „Schutz eines heilungsfähigen Patienten vor dem Einsatz riskanter medizinischer Mittel […] etwas völlig anderes als die medizinische Versorgung eines tödlich und unheilbar erkrankten Menschen“ sei.311 Der Normzweck des § 1904 BGB a. F., nämlich der Schutz des Lebens und der Gesundheit, werde durch die Analogie in sein Gegenteil verkehrt, weil der Behandlungsabbruch das Leben gerade beenden solle.312 Diese Argumentation überzeugt nicht, da das Genehmigungserfordernis auch im Fall des Behandlungsabbruchs dem Schutz des Patientenlebens dienen soll. Das Genehmigungserfordernis bezweckt sowohl in der direkten als auch in der analogen Anwendung den Schutz des Patienten. In der direkten Anwendung schützt es vor unverhältnismäßig riskanter ärztlicher Behandlung, in der analogen Anwendung bewahrt es den Patienten vor einem vorschnellen oder auf sachfremden Erwägungen beruhenden Behandlungsabbruch. Im Hinblick auf die in beiden Fällen bestehende Gefahr von unsachgemäßen, das Leben des Patienten betreffenden Entscheidungen sind die Problemlagen durchaus vergleichbar. (2) Die Diskussion um das Genehmigungserfordernis als solches (a) Kein Genehmigungserfordernis wegen fehlender Entscheidungsbefugnis des Betreuers? Diejenigen, die dem Betreuer die Befugnis, über die Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen beim Betreuten zu entscheiden, absprachen, verneinten in der Konsequenz auch die Genehmigungsfähigkeit und -pflichtigkeit der Behandlungsabbruchentscheidung.313 Wie bereits ausgeführt wurde, umfasst nach zutreffender herrschender Meinung aber die Entscheidungsbefugnis des Betreuers auch die Entscheidung über einen Behandlungsabbruch314, so dass die fehlende Entscheidungskompetenz des Betreuers nicht gegen das Erfordernis einer vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung vorgebracht werden kann. (b) Der Richter als „Herr über Leben und Tod“? Gegen das Erfordernis einer vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung wurde eingewandt, dass der Vormundschaftsrichter durch das Genehmigungserfordernis zum „Herrn über Leben und Tod“ würde.315 Dies verbiete sich aus „rechtsethischen und -historischen Gründen“.316 Diese Argumentation geht bereits deshalb fehl, weil das Gericht keine eigene Entscheidung über den Behandlungsab311 312 313 314 315 316
BGHZ 154, 205, 220. BGHZ 154, 205, 220; LG München I NJW 1999, 1788, 1789; LG Augsburg NJW 2000, 2363, 2364; Alberts, NJW 1999, 835; Bernsmann, ZRP 1996, 87, 90. LG München I NJW 1999, 1788, 1789. Siehe oben D. II. 2. a) aa) (1) (b). AG Hanau BtPrax 1997, 82, 83; Deichmann, MDR 1995, 983, 984; Uhlenbruck, FS Deutsch, S. 849, 860. AG Hanau BtPrax 1997, 82, 83.
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D. Die Entscheidung über die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen
bruch trifft, sondern als Kontrollorgan darüber wacht, dass die Entscheidung des Betreuers dem Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen gerecht wird.317 Das Genehmigungserfordernis dient damit der präventiven Kontrolle des Betreuers und dem Schutz des Selbstbestimmungsrechts des Patienten.318 Es stellt sicher, dass medizinisch indizierte, lebenserhaltende Maßnahmen nicht aus sachfremden Erwägungen unterbleiben. Daher führt ein Genehmigungserfordernis nicht dazu, dass der Richter „Herr über Leben und Tod“ wird, sondern erhöht den Schutz des Patienten vor einem Behandlungsabbruch, der seinem Willen nicht entspricht. (c) Keine Einwilligung in Unterlassen erforderlich? Von den Gegnern des Genehmigungserfordernisses wurde darauf hingewiesen, dass nach allgemeinen Grundsätzen des Arzthaftungsrechts eine Einwilligung in die Behandlung erforderlich sei, nicht aber eine Einwilligung in die Nichtbehandlung. Wenn aber das Unterlassen medizinischer Maßnahmen einer Einwilligung überhaupt nicht bedürfe, könne eine – nicht erforderliche – Einwilligung auch nicht durch das Gericht genehmigt werden.319 Diesem formalen Argument kann entgegengehalten werden, dass die Rechtsprechung streng genommen nicht die Einwilligung in den Behandlungsabbruch dem Genehmigungserfordernis unterwirft, sondern die Verweigerung bzw. den Widerruf der Einwilligung in die Weiterbehandlung. In der Verweigerung bzw. im Widerruf der Einwilligung in die Behandlung liegt ein Rechtsakt des Betreuers, der prinzipiell genehmigungsfähig ist.320 (d) Ärztliche Eigenmacht durch Weiterbehandlung während des Genehmigungsverfahrens? Ferner wurde gegen das Genehmigungserfordernis vorgebracht, dieses habe zur Folge, dass der Arzt bis zur Erteilung der gerichtlichen Genehmigung die Behandlung ohne die Deckung durch eine wirksame Einwilligung fortführen müsse und sich damit eigentlich dem Vorwurf ärztlicher Eigenmacht aussetze.321 Diese Bedenken hält Lipp für nicht stichhaltig. Dass der Arzt die lebenserhaltende Maßnahme bis zur Genehmigung durchführen darf, beruhe entweder auf einer fortgeltenden früheren Einwilligung, die ohne gerichtliche Genehmigung nicht wirksam widerrufen werden könne, oder – im Fall der erstmals aufzunehmenden Behand-
317
318 319 320 321
G. Langenfeld, ZEV 2003, 449, 451; Saliger, KritV 1998, 118, 134; Spickhoff, in: Kingreen/Laux, Gesundheit, S. 103, 112 f.; Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 91. Dem Gericht ist in Eilfällen sogar eine eigene Entscheidungsbefugnis nach § 1846 BGB zuzuerkennen, da es ebenso wie der Betreuer an den mutmaßlichen Patientenwillen gebunden ist. Siehe hierzu oben D. II. 2. a) cc) (1). Lipp, FamRZ 2004, 317, 322; aus verfassungsrechtlicher Sicht Hufen, NJW 2001, 849, 857. Wagenitz/Engers, FamRZ 1998, 1256, 1257. Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 87. Steffen, NJW 1996, 1581.
II. Der nicht oder nicht mehr einwilligungsfähige Patient
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lung – auf der mutmaßlichen Einwilligung des Patienten bzw. auf einer Entscheidung des Gerichts gemäß § 1846 BGB.322 Lipps Argumentation ist nicht unanfechtbar. Die Überlegung, dass eine einmal erteilte Einwilligung ohne gerichtliche Genehmigung nicht wirksam widerrufen werden kann und daher bis zur Erteilung der Genehmigung weiterhin gilt, ist zwar zunächst eingängig. Im Einzelfall kann aber zweifelhaft sein, ob die lebenserhaltende Behandlung von einer früher erteilten Einwilligung noch gedeckt ist. Hat sich beispielsweise der Zustand des Patienten nachteilig verändert, gilt eine früher erteilte Einwilligung nicht immer fort. Auch auf die mutmaßliche Einwilligung des Patienten kann die Behandlung nicht in allen Fällen gestützt werden, weil die Ermittlung des mutmaßlichen Willens ergeben kann, dass die lebenserhaltende Behandlung diesem gerade nicht entspricht. Die Annahme, während des Genehmigungsverfahrens sei der mutmaßliche Patientenwille stets auf die Vornahme der lebenserhaltenden Behandlung gerichtet, wäre eine Fiktion. Auch eine gerichtliche Anordnung der lebenserhaltenden Maßnahmen gemäß § 1846 BGB für den Fall der bisher nicht konsentierten Behandlung erscheint nicht unproblematisch. Voraussetzung für eine gerichtliche Anordnung nach § 1846 BGB ist nämlich, dass der Vertreter verhindert ist. Dass der Vertreter pflichtwidrig oder nicht im Sinne des Gerichts handelt, begründet nach herrschender Ansicht keine Verhinderung im Sinne des § 1846 BGB.323 In der Genehmigungspflichtigkeit der Behandlungsabbruchentscheidung kann zwar eine Verhinderung des Betreuers aus rechtlichen Gründen gesehen werden. Diese bezieht sich aber lediglich auf die Behandlungsabbruchentscheidung. Der Betreuer ist demgegenüber nicht verhindert, in die lebenserhaltende Behandlung einzuwilligen. Daher bestehen gegen eine gerichtliche Anordnung der lebenserhaltenden Maßnahmen gemäß § 1846 BGB Bedenken. Nach Ansicht des 12. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs folgt die Zulässigkeit der lebenserhaltenden Behandlung bis zur gerichtlichen Entscheidung unmittelbar aus der Genehmigungspflichtigkeit der Behandlungsabbruchentscheidung.324 Solange das Gericht die Behandlungsabbruchentscheidung des Betreuers nicht genehmigt, sei dessen Einwilligung in die lebenserhaltende Behandlung entbehrlich.325 Dem ist zuzustimmen. Wenn der Betreuer die Einwilligung in die lebenserhaltende Behandlung ohne die gerichtliche Genehmigung nicht wirksam versagen kann, muss die Behandlung jedenfalls bis zu einer Entscheidung des Gerichts nun mal zulässig sein. Dies gilt selbst dann, wenn man den mutmaßlichen Patientenwillen als selbstständigen, neben der Betreuerentscheidung anwendbaren Legitimationsgrund betrachtet.326 Mit Blick auf die Rechtssicherheit und den Schutz des Patienten darf der Arzt nicht darauf verwiesen werden, den mutmaßlichen Willen des Patienten zu ermitteln. Ist eine gerichtliche Genehmigung erforderlich, handelt der Arzt also stets rechtmäßig, wenn er während des Genehmigungsver322 323 324 325 326
Lipp, FamRZ 2004, 317, 322. Palandt/Diederichsen, § 1846 Rn. 2; MünchKommBGB/Wagenitz, § 1846 Rn. 2. Anders AG Nettetal FamRZ 1996, 1104; Kuhlmann, Einwilligung, S. 211. Siehe BGHZ 154, 205, 225. Vgl. auch Lipp, FamRZ 2004, 317, 322 Fn. 93. Vgl. BGHZ 154, 205, 226. Siehe hierzu D. II. 6. a) cc).
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D. Die Entscheidung über die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen
fahrens die lebenserhaltende Behandlung fortführt. Gegen das Genehmigungserfordernis lässt sich somit nicht einwenden, dass der Arzt während des Genehmigungsverfahrens gezwungen sei, die lebenserhaltende Behandlung eigenmächtig durchzuführen. (e) Ärztliche Eigenmacht durch Weiterbehandlung nach verweigerter Genehmigung der Behandlungsabbruchentscheidung? Weiterhin wurde darauf hingewiesen, dass auch nach einer vormundschaftsgerichtlichen Verweigerung der Genehmigung der Behandlungsabbruchentscheidung eine Einwilligung in die Behandlung immer noch nicht erteilt sei und der Arzt daher die lebenserhaltenden Maßnahmen eigenmächtig vornehme. Die Verweigerung der Genehmigung durch das Vormundschaftsgericht könne nämlich nicht in eine gerichtliche Einwilligung in die Behandlung umgedeutet werden, da das Vormundschaftsgericht für eine Einwilligung in eine Behandlung anstelle des Betreuers nicht zuständig sei.327 Der 12. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die Rechtmäßigkeit der ärztlichen Weiterbehandlung nach verweigerter Genehmigung der Behandlungsabbruchentscheidung damit begründet, dass mit der Verweigerung der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung die Einwilligung des Betreuers in die angebotene Behandlung oder Weiterbehandlung als ersetzt gilt.328 Die Befugnis des Gerichts zur Ersetzung der Betreuereinwilligung ergibt sich als notwendiger Annex aus der Befugnis, der Weigerung des Betreuers, in die lebenserhaltende Maßnahme einzuwilligen, die Genehmigung zu versagen.329 Im Übrigen kann die Rechtmäßigkeit der Behandlung nach verweigerter Genehmigung mit der gleichen Argumentation wie die Rechtmäßigkeit der Behandlung während des Genehmigungsverfahrens begründet werden: Kann der Betreuer die Einwilligung in die Behandlung ohne gerichtliche Genehmigung nicht wirksam verweigern, muss die Behandlung im Fall einer fehlenden Genehmigung zulässig sein, sei es, dass die Genehmigung noch nicht erteilt wurde, sei es, dass sie bereits verweigert wurde. (f) Stellungnahme: Vorzugswürdigkeit einer präventiven Kontrolle der Betreuerentscheidung Das gerichtliche Genehmigungsverfahren bewirkt eine präventive Kontrolle der Behandlungsabbruchentscheidung des Betreuers. Dadurch werden Betreuer und Arzt sowohl psychisch als auch in rechtlicher Hinsicht entlastet, indem ihnen die Richtigkeit ihres Handelns gerichtlich bestätigt wird. Dies könnte eine straf- und zivilrechtliche ex-post-Kontrolle der Behandlungsabbruchentscheidung nicht leisten. Vielmehr birgt eine spätere strafrechtliche Kontrolle die Gefahr, dass die Beteiligten sich wegen des Risikos einer abweichenden Wertung durch das Strafge-
327 328 329
Steffen, NJW 1996, 1581; Wagenitz/Engers, FamRZ 1998, 1256, 1257. BGHZ 154, 205, 226. Seichter, KritV 2004, 451, 466.
II. Der nicht oder nicht mehr einwilligungsfähige Patient
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richt scheuen, den Willen des Betroffenen durchzusetzen.330 Außerdem käme im Fall einer Behandlungsabbruchentscheidung, die dem Willen des Patienten nicht entspricht, eine nachträgliche gerichtliche Kontrolle für den Betroffenen zu spät. Mit einer straf- und zivilrechtlichen Kontrolle ex post ist also keinem der Beteiligten, d. h. weder dem Patienten noch dem Arzt noch dem Betreuer, gedient.331 Das Erfordernis einer gerichtlichen Genehmigung ist gegenüber einer nachträglichen gerichtlichen Kontrolle mit bedeutenden Vorzügen verbunden und damit grundsätzlich zu befürworten. dd) Das „Konfliktmodell“ Nach der Rechtsprechung des 12. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs sollte das Erfordernis einer vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung nicht in allen Fällen bestehen, in denen der Betreuer die Einwilligung in die lebenserhaltende Behandlung verweigert, sondern nur dann, wenn der Arzt eine lebenserhaltende oder -verlängernde Maßnahme „anbietet“ und der Betreuer dieses Angebot ablehnt.332 (1) Kein Angebot des Arztes bei medizinisch nicht vertretbarer Behandlung Im so genannten ersten Sterbehilfebeschluss hat der 12. Zivilsenat im Jahr 2003 formuliert, dass für eine Entscheidung des Betreuers und eine Genehmigung des Vormundschaftsgerichts kein Raum sei, „wenn ärztlicherseits eine […] Behandlung oder Weiterbehandlung nicht angeboten wird – sei es, daß sie von vornherein medizinisch nicht indiziert, nicht mehr sinnvoll oder aus sonstigen Gründen nicht möglich ist“.333 Der nach dem Gedankenstrich stehende Satzteil macht deutlich, dass nach Auffassung des Zivilsenats der Arzt nicht stets, sondern nur in bestimmten Situationen auf ein Angebot zur ärztlichen Behandlung verzichten darf.334 Die Fälle, in denen der Arzt die ärztliche Behandlung nicht anbieten muss, hat der Zivilsenat allerdings ersichtlich unreflektiert beschrieben.335 Bei dem erstgenannten Fall der fehlenden medizinischen Indikation übergeht der Zivilsenat, dass in der Praxis häufig verschiedene medizinische Auffassungen bestehen. Ebenso wie es unterschiedliche Behandlungsmöglichkeiten gibt, kann im Einzelfall sowohl die Behandlung als auch die Nichtbehandlung medizinisch vertretbar sein. Der Zivilsenat macht nicht deutlich, ob der Arzt von einem Behandlungsangebot nur absehen darf, wenn die Behandlung bzw. Weiterbehandlung nach allgemeiner Meinung medizinisch nicht indiziert ist oder ob der Arzt sich auch einer
330 331 332 333 334 335
Perau, RNotZ 2003, 263, 264. Knieper, NJW 1998, 2720. BGHZ 154, 205; BGHZ 163, 195, 198; zustimmend OLG München NJW 2007, 3506, 3507. BGHZ 154, 205, 225. Spickhoff, JZ 2003, 739. Spickhoff, JZ 2003, 739; ders., in: Kingreen/Laux, Gesundheit, S. 103, 113.
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D. Die Entscheidung über die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen
Meinung, die sich für die Nichtbehandlung ausspricht, anschließen darf, obwohl nach einer anderen Auffassung die Behandlung vorzunehmen wäre.336 Kritikwürdig ist auch der an zweiter Stelle genannte Fall der „nicht mehr sinnvollen Behandlung“. Da sich ein Urteil über den Wert fremden Lebens verbietet, darf die Formulierung keinesfalls dahingehend verstanden werden, dass der Arzt darüber zu entscheiden hat, ob das verbleibende Leben des Patienten noch einen Sinn hat. Der Zivilsenat hat wohl vielmehr die Situation gemeint, dass die ärztliche Maßnahme wegen fehlender Aussicht auf Besserung oder Linderung medizinisch sinnlos erscheint. Dann unterscheidet sich aber der Fall der nicht mehr sinnvollen Behandlung nicht von dem der fehlenden medizinischen Indikation.337 Ebenso entbehrlich ist die Erwähnung der „aus sonstigen Gründen nicht möglichen Behandlung“. Ist eine Behandlung objektiv nicht möglich, weil es etwa für die bestimmte, weit fortgeschrittene Krankheit keine Behandlung gibt, bedarf es mangels Wahlmöglichkeiten freilich keiner Entscheidung des Betreuers und daher auch keiner gerichtlichen Genehmigung.338 Inhaltlich lassen sich die Ausführungen des Zivilsenats also dahingehend zusammenfassen, dass eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung der Behandlungsabbruchentscheidung des Betreuers nicht erforderlich sein soll, wenn der Arzt die Behandlung nicht „anbietet“, weil sie medizinisch nicht indiziert ist. Offen bleibt dabei, ob der Arzt ein „Angebot“ unterbreiten muss, wenn sowohl die Behandlung als auch die Nichtbehandlung medizinisch vertretbar ist. In dem im Jahr 2005 ergangenen so genannten zweiten Sterbehilfebeschluss hat der 12. Zivilsenat seine Auffassung präzisiert. Ein vormundschaftsgerichtliches Genehmigungsverfahren sei nur dann erforderlich, wenn der „behandelnde Arzt eine lebenserhaltende oder -verlängernde Maßnahme für medizinisch geboten oder vertretbar erachtet und sie deshalb ‚anbietet’ und der Betreuer sich diesem Angebot verweigert.“339 Diese Formulierung deutet darauf hin, dass das Unterlassen des ärztlichen Behandlungsangebots nur in Betracht kommt, wenn die Maßnahme medizinisch nicht vertretbar ist. Dem ist auch zuzustimmen. Ob eine gerichtliche Genehmigung erforderlich ist, darf nicht von der medizinischen Auffassung des einzelnen Arztes abhängen. Dem Arzt darf nicht die Möglichkeit gegeben werden, dass er sich nach Belieben einer von mehreren Lehrmeinungen anschließen kann.340 So verstanden beinhalten die Ausführungen des Zivilsenats allerdings keine Neuerung im Vergleich zur früheren Rechtslage. Dass der Arzt medizinisch nicht vertretbare Behandlungen nicht anbieten muss, versteht sich von selbst.
336 337 338 339 340
Vgl. hierzu Spickhoff, JZ 2003, 739 f.; Saliger, MedR 2004, 237, 242. Spickhoff, in: Kingreen/Laux, Gesundheit, S. 103, 113. Spickhoff, JZ 2003, 739; ders., in: Kingreen/Laux, Gesundheit, S. 103, 113; Saliger, MedR 2004, 237, 242. BGHZ 163, 195, 198. Spickhoff, JZ 2003, 739 f.
II. Der nicht oder nicht mehr einwilligungsfähige Patient
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(2) Keine Genehmigung bei übereinstimmender Beurteilung des mutmaßlichen Patientenwillens? Fraglich ist, ob eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung nicht nur bei fehlender medizinischer Indikation, sondern auch dann entbehrlich sein sollte, wenn Arzt und Betreuer einvernehmlich die Behandlung beenden möchten, weil sie der Ansicht sind, dass ein Behandlungsabbruch dem mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht. Der 12. Zivilsenat nahm hierzu nicht ausdrücklich Stellung. Er hat allerdings ausgeführt, dass die „Beschränkung des Prüfungsvorbehalts auf Fälle, in denen eine lebensverlängernde oder -erhaltende Behandlung des Betroffenen medizinisch indiziert ist oder jedenfalls ärztlicherseits angeboten wird, der Betreuer aber in die angebotene Behandlung nicht einwilligt“, sicherstellt, „daß die Vormundschaftsgerichte nur in Konfliktlagen angerufen werden können“.341 Im Schrifttum wurde darauf hingewiesen, dass diese Passage dahingehend verstanden werden kann, dass eine Genehmigung nicht erforderlich sein soll, wenn Arzt und Betreuer über den mutmaßlichen Willen des Patienten einig sind, weil in diesem Fall keine Konfliktlage besteht.342 Demgegenüber entnahm das Landgericht Essen „dem Gesamtzusammenhang der Entscheidung und den Ausführungen in dem Beschluss des BGH vom 6.6.2005 […], dass die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung immer dann erforderlich ist, wenn […] die künstliche Ernährung entsprechend ärztlicher Weisung längere Zeit durchgeführt worden ist, also im Sinne der Rechtsprechung ‚angeboten’ worden ist, auch wenn sich behandelnder Arzt und Betreuer einig sind, dass die künstliche Ernährung eingestellt werden soll“.343 Wie das Landgericht Essen die Beschlüsse des 12. Zivilsenats vom 17.3.2003 und 6.6.2005 dahingehend verstehen konnte, dass eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung auch bei einem Einvernehmen zwischen Arzt und Betreuer notwendig sein soll, erscheint wenig verständlich. In dem vom Landgericht Essen erwähnten Beschluss vom 6.6.2005, dem der Fall eines über Jahre hinweg künstlich ernährten Wachkomapatienten zugrunde lag, hat der 12. Zivilsenat im Ergebnis eine gerichtliche Genehmigung der Behandlungsabbruchentscheidung des Betreuers nämlich gerade für entbehrlich gehalten. In der Entscheidung heißt es: „Ein solcher, die Kontrollzuständigkeit des Vormundschaftsgerichts auslösender Konflikt bestand hier nicht. Der Betreuer und der behandelnde Arzt hatten sich übereinstimmend gegen eine weitere künstliche Ernährung des Klägers entschieden.“344 Da die Weiterbehandlung eines Wachkomapatienten jedenfalls nicht als medizinisch unvertretbar eingestuft werden kann345 und vom Zivilsenat selbst auch nicht wurde, ging der Zivilsenat offensichtlich davon aus, dass der Arzt auch in anderen Fällen als in dem der fehlenden medizinischen Indikation ein Behandlungsangebot unterlassen darf.
341 342 343 344 345
BGHZ 154, 205, 227 (Hervorhebung durch die Verfasserin). Verrel, NStZ 2003, 449, 450. LG Essen NJW 2008, 1170, 1171 f. BGHZ 163, 195, 198 f. Zur medizinischen Indikation lebensverlängernder Maßnahmen bei Wachkomapatienten siehe auch E. I. 1. a) bb).
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D. Die Entscheidung über die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen
Dass der Arzt unabhängig von der medizinischen Indikation von einem Behandlungsangebot absehen kann, ist im Schrifttum kritisiert worden. Die Einschaltung des Vormundschaftsgerichts dürfe nicht von der Bereitschaft der Ärzte zur Durchführung lebenserhaltender Maßnahmen abhängen, weil andernfalls die Ärzte das gerichtliche Genehmigungserfordernis durch ein fehlendes oder zurückgezogenes Behandlungsangebot umgehen könnten. Von der Kontrollfunktion, die das Genehmigungserfordernis habe, bliebe dann nicht mehr viel übrig, da sich Ärzte und Betreuer nur darüber einig sein müssten, eine Behandlung zu unterlassen.346 Damit bestehe die Gefahr von Sterbehilfeentscheidungen, die nicht mehr dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten dienen, sondern von den Eigeninteressen des Betreuers oder des Arztes bestimmt sind. Da Betreuer häufig die nahen Angehörigen sind, könnten sie einer Aufzehrung der Erbmasse entgegenwirken wollen. Ärzte könnten wegen Budgetüberschreitungen mit einem Behandlungsabbruch einverstanden sein.347 Diese Bedenken erscheinen durchaus berechtigt. Eine angemessene Lösung muss einerseits die Kontroll- und Entlastungsfunktion der gerichtlichen Genehmigung wahren. Andererseits ist der mit einem gerichtlichen Genehmigungsverfahren verbundene Eingriff in das verfassungsrechtlich geschützte Selbstbestimmungsrecht des Patienten348 nur dann gerechtfertigt, wenn Unsicherheiten oder Missbrauchsgefahren bestehen.349 Außerdem muss berücksichtigt werden, dass die justizielle Kapazität begrenzt ist und daher die Belastung der Justiz mit rechtlich unproblematischen Entscheidungen zu vermeiden ist.350 Hieraus ergibt sich Folgendes: Angesichts der bestehenden Missbrauchsgefahren sollte das bloße Einvernehmen von Arzt und Betreuer dahingehend, dass der Behandlungsabbruch dem mutmaßlichen Patientenwillen entspricht, die gerichtliche Genehmigung nicht entbehrlich machen. Etwas anderes kann aber gelten, wenn eine schriftliche Patientenverfügung oder eine detaillierte Betreuungsverfügung vorliegt, aufgrund derer Arzt und Betreuer einig sind, dass der Patient in der aktuellen Situation den Behandlungsabbruch gewünscht hätte.351 Die Einigkeit zwischen Arzt und Betreuer gewährleistet eine hohe Sicherheit, dass die Patientenbzw. Betreuungsverfügung richtig verstanden wird.352 Gleichzeitig wird die Justiz nicht mit rechtlich unproblematischen Fällen belastet. Dass die Genehmigung nur bei Vorliegen einer Patienten- oder Betreuungsverfügung entbehrlich ist, bietet auch Sicherheit vor missbräuchlichen Entscheidungen. Die Beteiligten können sich nämlich nicht auf angebliche, nicht nachweisbare mündliche Äußerungen des Patienten berufen. Die Entscheidung ist später anhand der Patientenverfügung oder Betreuungsverfügung überprüfbar. Im Übrigen kann jede Person, die einen 346 347 348 349 350 351
352
Spickhoff, in: Kingreen/Laux, Gesundheit, S. 103, 114; Verrel, NStZ 2003, 449, 450. Saliger, MedR 2004, 237, 243; Spickhoff, in: Kingreen/Laux, Gesundheit, S. 103, 114. Siehe hierzu Lipp, FamRZ 2004, 317, 323. Hufen, ZRP 2003, 248, 251 f. Vgl. BGHZ 154, 205, 228; Otto, NJW 2006, 2217, 2221; Verrel, Gutachten 66. DJT, C 96. So auch Kutzer, ZRP 2003, 213, 214. Zur Frage eines Genehmigungserfordernisses bei Vorliegen einer Patientenverfügung vgl. auch Hufen, ZRP 2003, 248, 251; Lipp, FamRZ 2003, 756. Zur Situation mehrerer behandelnder Ärzte siehe D. II. 5. b).
II. Der nicht oder nicht mehr einwilligungsfähige Patient
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Missbrauch befürchtet, das Vormundschaftsgericht, das gemäß §§ 1908 i, 1837 BGB die Aufsicht über den Betreuer führt, über ihre Bedenken informieren. ee) Das Erfordernis einer gerichtlichen Genehmigung bei Ablehnung vital indizierter Behandlung ohne Beabsichtigung des Todeseintritts Die ergangenen Entscheidungen zur vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung von Behandlungsablehnungen betrafen Fälle, in denen der Betreuer einem unheilbar kranken Patienten das Sterben durch das Unterlassen weiterer Behandlung ermöglichen wollte. Fraglich ist, ob die Ablehnung einer vital indizierten Behandlung vor In-Kraft-Treten des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts auch dann vormundschaftsgerichtlich genehmigt werden musste, wenn mit der Verweigerung der Zustimmung zu der Behandlung der Tod nicht intendiert war. Relevant wird diese Frage etwa bei der Ablehnung einer Bluttransfusion durch den Betreuer eines Zeugen Jehovas. Da anders als bei einem Behandlungsabbruch ein Zeuge Jehovas bzw. dessen Betreuer durch die Ablehnung der Bluttransfusion nicht den Tod herbeiführen will, sondern auf eine Heilung durch mögliche Behandlungsalternativen hofft, soll nach Dirksen bei der Ablehnung einer Bluttransfusion keine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung eingeholt werden müssen.353 Die Ausführungen Dirksens überzeugen nicht. Wie bereits dargelegt wurde, soll das Genehmigungserfordernis sicherstellen, dass die Entscheidung des Betreuers, die von lebenswichtiger Bedeutung für den Betreuten ist, dessen mutmaßlichem Willen entspricht. Das Erfordernis einer gerichtlichen Genehmigung kann nicht von der subjektiven Einstellung zum Tod, sondern nur von der objektiv bestehenden Gefahr für den Patienten abhängen. Das gerichtliche Genehmigungserfordernis muss daher grundsätzlich alle Entscheidungen des Betreuers umfassen, die wegen Unterlassens der (Weiter-)Behandlung die dringende Gefahr des Todes des Patienten zur Folge haben.354 Fraglich ist allerdings, ob die Weigerung des Betreuers, in die Bluttransfusion einzuwilligen, auch dann der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung bedurfte, wenn die Entscheidung über die Vornahme der Bluttransfusion so dringend war, dass die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung nicht abgewartet werden konnte. Vor In-Kraft-Treten des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts und der damit verbundenen Einfügung des aktuellen § 1904 Abs. 2 BGB hätte man in Anlehnung an die Vorschrift des § 1904 Abs. 1 S. 2 BGB in Betracht ziehen können, dass in dringenden Fällen der Betreuer allein entscheiden kann. Hiermit würde aber verkannt werden, dass lebenserhaltende Maßnahmen und damit auch die Entscheidung über diese stets dringend sind, weil ohne die entsprechende Behandlung der Patient alsbald sterben würde. Auch bei unheilbar kranken Patienten ist die lebenserhaltende Therapie so dringend, dass mit deren Einsatz oder deren Fortführung nicht bis zum Abschluss des gerichtlichen Genehmigungsverfahrens gewartet werden kann. Der Betreuer kann aber bis zur Entscheidung des Gerichts die lebenserhaltenden Maßnahmen gleichwohl nicht wirksam 353 354
Dirksen, GesR 2004, 124, 126. Vgl. Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 92.
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D. Die Entscheidung über die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen
ablehnen. Wird die vital indizierte Bluttransfusion bei einem Zeugen Jehovas wie die lebenserhaltenden Maßnahmen bei einem unheilbar kranken Menschen behandelt, kann der Betreuer die Bluttransfusion auch in dringenden Fällen ohne gerichtliche Genehmigung nicht wirksam ablehnen. Zweifel an diesem Ergebnis können sich allenfalls daraus ergeben, dass mit der Vornahme der Bluttransfusion vollständig die Situation eintritt, die der Zeuge Jehovas möglicherweise verhindern will. Während man die lebenserhaltende Therapie bei schwer kranken Menschen, denen es in erster Linie um die Beendigung eines bestimmten Zustands geht, bis zur gerichtlichen Entscheidung noch als vorübergehend betrachten könnte, soll im Fall des Zeugen Jehovas ein punktuelles Ereignis, nämlich die Bluttransfusion, verhindert werden. Gleichwohl ist eine Unterscheidung zwischen Behandlungen, die bis zum Abschluss des Genehmigungsverfahrens durchgeführt werden müssen, und solchen, über deren Vornahme in dringenden Fällen bereits vor Abschluss des Genehmigungsverfahrens entschieden werden kann, nicht möglich. Zum einen ist nämlich auch der erstmalige Einsatz lebenserhaltender Maßnahmen bei schwer kranken Patienten, wie etwa die Aufnahme der künstlichen Beatmung, ein punktuelles Ereignis, das der Patient möglicherweise gerade verhindern will. Dennoch kann der Betreuer den erstmaligen Einsatz vital indizierter Behandlungen ohne gerichtliche Genehmigung nicht wirksam ablehnen.355 Eine Unterscheidung zwischen der erstmaligen Aufnahme einer Behandlung und der Fortführung einer Behandlung verbietet sich, da eine solche dazu führen könnte, dass eine Behandlung nur deshalb erst gar nicht begonnen wird, weil die Beendigung der Maßnahme zu einem späteren Zeitpunkt rechtlich schwieriger erscheint. Zum anderen ist nicht einsichtig, warum die Entscheidung über die Vornahme einer Bluttransfusion bei einem Zeugen Jehovas dringlicher sein soll als etwa die Entscheidung über die Beendigung einer vital indizierten Behandlung bei einem unheilbar Kranken, der sehr leidet. Im Übrigen zöge eine Unterscheidung zwischen verschiedenen vital indizierten Behandlungen große Rechtsunsicherheit nach sich. Das Genehmigungserfordernis will den Betroffenen davor schützen, dass ohne seinen Willen vital indizierte Maßnahmen unterlassen werden. Auch im Fall des Zeugen Jehovas erscheint es erträglicher, dem Patienten gegen seinen Willen das Leben zu retten als ihn gegen seinen Willen sterben zu lassen. Die Weigerung des Betreuers, in vital indizierte Behandlungen einzuwilligen, bedarf daher auch in dringenden Fällen der gerichtlichen Genehmigung, unabhängig davon, ob es sich um lebenserhaltende Maßnahmen bei einem unheilbar kranken Patienten oder um eine Bluttransfusion bei einem Zeugen Jehovas handelt. Die Verweigerung der Einwilligung des Betreuers in die Bluttransfusion sollte lediglich dann keiner gerichtlichen Genehmigung bedürfen, wenn Arzt und Betreuer aufgrund einer schriftlichen Patientenverfügung einig sind, dass das Unterlassen der vital indizierten Bluttransfusion dem Willen des Patienten entspricht.356 355 356
Vgl. BGHZ 154, 205; Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 92. Zur gerichtlichen Genehmigung bei Einvernehmen zwischen Arzt und Betreuer siehe oben D. II. 5. a) dd) (2). Zur Ermittlung des mutmaßlichen Willens eines Zeugen Jehovas siehe aber auch F. II. 2. b) bb) (1) (b).
II. Der nicht oder nicht mehr einwilligungsfähige Patient
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ff) Ergebnis Grundsätzlich bedurfte die Weigerung des Betreuers, in vital indizierte Behandlungen einzuwilligen, vor In-Kraft-Treten des Dritten Betreuungsrechtsänderungsgesetzes der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung. Eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung war nicht erforderlich, wenn der Patient bereits dem Tod unmittelbar nahe war.357 Einer Genehmigung bedurfte es auch nicht, wenn der Arzt die Behandlung nicht „anbot“, weil sie medizinisch nicht vertretbar war. Eine Genehmigung musste nach hier vertretener Ansicht ferner dann nicht eingeholt werden, wenn Arzt und Betreuer aufgrund einer vorliegenden Patienten- oder Betreuungsverfügung einig waren, dass der Behandlungsabbruch dem mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht. b) Die betreuungsgerichtliche Genehmigung der Entscheidung des Betreuers gemäß § 1904 Abs. 2, Abs. 4 BGB Durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts wurde in § 1904 Abs. 2, Abs. 4 BGB geregelt, inwieweit die Behandlungsabbruchentscheidung des Betreuers zu ihrer Wirksamkeit gerichtlich genehmigt werden muss. Gemäß § 1904 Abs. 2 BGB bedarf die Nichteinwilligung oder der Widerruf der Einwilligung des Betreuers in eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff der Genehmigung des Betreuungsgerichts, wenn die Maßnahme medizinisch angezeigt ist und die begründete Gefahr besteht, dass der Betreute auf Grund des Unterbleibens oder des Abbruchs der Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet. Nach § 1904 Abs. 4 BGB ist die Genehmigung nicht erforderlich, wenn zwischen Betreuer und behandelndem Arzt Einvernehmen darüber besteht, dass die Erteilung, die Nichterteilung oder der Widerruf der Einwilligung dem nach § 1901 a BGB festgestellten Willen des Betreuten entspricht. Mit dieser Regelung folgt der Gesetzgeber im Wesentlichen der Rechtsprechung des 12. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs.358 Zusätzlich wurde nun in § 287 Abs. 3 FamFG bestimmt, dass der Beschluss, mit dem das Betreuungsgericht die Behandlungsabbruchentscheidung des Vertreters genehmigt, erst zwei Wochen nach Bekanntgabe an den Betreuer oder Bevollmächtigten sowie an den Verfahrenspfleger wirksam wird. Zur Begründung dieser Regelung wird zutreffend darauf hingewiesen, dass andernfalls ein effektiver Rechtsschutz für die am Verfahren formell und materiell Beteiligten nicht gewährleistet wäre, weil eine Umsetzung der genehmigten Behandlungsabbruchentscheidung irreversible Folgen hat.359 Bis zum Eintritt der Wirksamkeit des Beschlusses ist die Vornahme der lebenserhaltenden Behandlung zulässig.360 Hierdurch kann die dem Lebensschutz 357 358 359 360
BGHSt 40, 257, 261 f.; Schönke/Schröder/Eser, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 28 a; vgl. auch Kutzer, ZRP 2000, 402, 404. So auch Spickhoff, FamRZ 2009, 1949. BT-Drucksache 16/8442, S. 19. Zutreffend Brosey, BtPrax 2009, 175, 177. Vgl. hierzu auch D. II. 5. a) cc) (2) (d).
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D. Die Entscheidung über die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen
dienende Vorschrift des § 287 Abs. 3 FamFG im Einzelfall freilich einer raschen Durchsetzung des Patientenwillens entgegenstehen.361 Wie bereits bei der Darstellung der Rechtsprechung des 12. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs erläutert wurde, darf die Erforderlichkeit einer gerichtlichen Genehmigung nicht von der medizinischen Auffassung des einzelnen Arztes abhängen.362 Bestehen also im konkreten Fall hinsichtlich der Vornahme einer bestimmten lebenserhaltenden Maßnahme mehrere medizinische Lehrmeinungen, ist die Maßnahme bereits dann „medizinisch angezeigt“ im Sinne des § 1904 Abs. 2 BGB, wenn nach einer Ansicht die Maßnahme als medizinisch indiziert einzustufen ist. Auslegung bedarf auch der in § 1901 a Abs. 4 BGB verwendete Begriff des behandelnden Arztes. In der Praxis haben nämlich Patienten häufig nicht nur einen behandelnden Arzt. Gerade in den hier relevanten Fällen schwer kranker Patienten sind oftmals verschiedene medizinische Disziplinen beteiligt. Im Krankenhaus kann es vorkommen, dass beispielsweise die mit dem Patienten befassten Chirurgen hinsichtlich der Frage, ob die Vornahme oder Nichtvornahme der lebenserhaltenden Maßnahmen dem Patientenwillen entspricht, eine andere Auffassung als die den Patienten behandelnden Internisten vertreten. In einem derartigen Fall sollte zum Schutz des Patienten eine gerichtliche Genehmigung der Behandlungsabbruchentscheidung des Betreuers erforderlich sein.363 Für die Erforderlichkeit einer betreuungsgerichtlichen Genehmigung kann es nicht darauf ankommen, welcher Arzt sich gerade aktuell um den Patienten kümmert oder welcher Abteilung der Patient zugewiesen ist, wenn tatsächlich mehrere Fachdisziplinen an der Behandlung des Patienten beteiligt sind. Entsprechendes muss m. E. auch dann gelten, wenn innerhalb einer Disziplin kein Konsens über den Willen des Patienten besteht. Zwar wird innerhalb einer Fachdisziplin bereits aufgrund der Hierarchie regelmäßig ein Konsens hergestellt werden können. Sollte aber im Einzelfall innerhalb einer Fachdisziplin – beispielsweise zwischen Chefarzt und Oberarzt – kein Einvernehmen über den Patientenwillen bestehen, sollte eine Genehmigung der Behandlungsabbruchentscheidung des Betreuers erforderlich sein, da in einem derartigen Fall der Patientenwille offensichtlich zweifelhaft ist.364 In diesem Sinne verstanden, wird die gesetzliche Regelung in § 1904 Abs. 2 und Abs. 4 BGB den Anforderungen an einen betreuungsgerichtlichen Schutz des Patienten weitestgehend gerecht werden können, wenngleich nach hier vertretener Ansicht es vorzugswürdig gewesen wäre, die Entbehrlichkeit der betreuungsgerichtlichen Genehmigung auch im Fall des allseitigen Einvernehmens vom Vorliegen einer Patientenverfügung abhängig zu machen.365
361 362 363 364 365
Zu den Konsequenzen der Regelung des § 287 Abs. 3 FamFG im Zusammenhang mit Bluttransfusionen bei Zeugen Jehovas siehe F. II. 2. b) bb) (1) (b) a. E. Siehe hierzu oben D. II. 5. a) dd) (1). Spickhoff, FamRZ 2009, 1949, 1957. Zur jederzeit möglichen Anregung einer gerichtlichen Überprüfung durch jedermann siehe BT-Drucksache 16/13314, S. 4 sowie Spickhoff, FamRZ 2009, 1949, 1957. Siehe hierzu oben D. II. 5. a) dd) (2).
II. Der nicht oder nicht mehr einwilligungsfähige Patient
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c) Die gerichtliche Genehmigung der Entscheidung des Bevollmächtigten Gemäß § 1904 Abs. 5 S. 1 BGB i. V. m. § 1904 Abs. 2 und Abs. 4 BGB bedarf die Weigerung des Bevollmächtigten, in die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen beim einwilligungsunfähigen Vollmachtgeber einzuwilligen, im gleichen Umfang wie eine entsprechende Entscheidung eines Betreuers der betreuungsgerichtlichen Genehmigung. Diese Gleichstellung ist zu befürworten. Gegen die Genehmigungspflichtigkeit der Entscheidung des Bevollmächtigten könnte zwar eingewendet werden, dass dadurch jedenfalls mittelbar das Selbstbestimmungsrecht des Patienten eingeschränkt wird, weil die vom Patienten bevollmächtigte Person staatlicherseits kontrolliert wird. Ferner könnte argumentiert werden, dass den Staat bei einem Bevollmächtigten eine geringere Aufsichtspflicht als bei einem Betreuer trifft, weil der Bevollmächtigte seine Rechtsmacht anders als der Betreuer nicht von einem gerichtlichen Hoheitsakt, sondern vom Vollmachtgeber ableitet.366 Für die Genehmigungspflichtigkeit der Behandlungsabbruchentscheidung des Bevollmächtigten sprechen aber entscheidende Gesichtspunkte. Bereits die Einfügung des § 1904 Abs. 2 BGB a. F. machte deutlich, dass der Gesetzgeber die mit der gerichtlichen Kontrolle des Bevollmächtigten verbundene Beschränkung des Selbstbestimmungsrechts des Vollmachtgebers für zulässig hält. Da der Bevollmächtigte das in ihn gesetzte Vertrauen missbrauchen kann, besteht ein Bedürfnis nach Kontrolle der Bevollmächtigtenentscheidung, zumal anders als bei der Betreuung keine vorgelagerte abstrakte Kontrolle des Gerichts durch Auswahl und Bestellung des Bevollmächtigten erfolgt.367 Aus diesen Gründen bedurfte nach zutreffender überwiegender Meinung die Behandlungsabbruchentscheidung des Bevollmächtigten bereits vor In-Kraft-Treten des Dritten Betreuungsrechtsänderungsgesetzes in den Fällen, in denen auch die Entscheidung des Betreuers genehmigungspflichtig war, einer vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung.368 d) Keine gerichtliche Genehmigung der Entscheidung der sorgeberechtigten Eltern Lehnen die sorgeberechtigten Eltern die Einwilligung in weitere lebensverlängernde Maßnahmen bei ihrem minderjährigen Kind ab, ist diese Entscheidung weder genehmigungspflichtig noch genehmigungsfähig.369 Für die Einführung ei366 367 368
369
Gegen ein Genehmigungserfordernis Uhlenbruck, FS Deutsch, S. 849, 860. Spickhoff, NJW 2000, 2297, 2303; Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 98. LG Ellwangen FamRZ 2004, 732, 733; Hahne, FAZ v. 18.7.2003, S. 4; Spickhoff, NJW 2000, 2297, 2303; Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 98; Albrecht/Albrecht, MittBayNot 2003, 348, 353; G. Langenfeld, ZEV 2003, 449, 451; Perau, RNotZ 2003, 263, 266; Saliger, MedR 2004, 237, 245; Jürgens/Kröger/Marschner/Winterstein, Betreuungsrecht, Rn. 425. OLG Brandenburg NJW 2000, 2361 f.; zustimmend OLG Karlsruhe NJW 2002, 685; Staudinger/Peschel-Gutzeit, § 1626 Rn. 97; Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 92 ff. Im Strafrecht LK/Rönnau, Vor § 32 Rn. 183.
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D. Die Entscheidung über die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen
nes entsprechenden Genehmigungserfordernisses kann zwar angeführt werden, dass eine mit einer Freiheitsentziehung verbundene Unterbringung gemäß § 1631 b BGB auch nur mit einer familiengerichtlichen Genehmigung zulässig ist und die Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen eine noch größere Bedeutung als eine derartige Unterbringung hat.370 Dass de lege lata kein Genehmigungserfordernis besteht, erscheint gleichwohl akzeptabel, weil den Eltern das Grundrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG zusteht und Eltern regelmäßig besonders um das Wohl ihres Kindes bemüht sind. Sollten die Eltern dennoch in Einzelfällen dem Kindeswohl zuwiderlaufende Entscheidungen treffen, kann sich jedermann an das Familiengericht wenden, das von Amts wegen gemäß § 1666 BGB eingreifen muss. e) Das fehlende Genehmigungserfordernis bei Entscheidungen des Vormunds und des Ergänzungspflegers Das Gesetz sieht für Entscheidungen, die der Vormund oder der Ergänzungspfleger für den Minderjährigen trifft, kein Genehmigungserfordernis vor. Da der Gesetzgeber sich dieser Regelungslücke bewusst war371, scheiden die analoge Anwendung des § 1904 BGB sowie eine entsprechende Rechtsfortbildung aus. Da aber die Gesichtspunkte, die für ein Genehmigungserfordernis im Betreuungsrecht sprechen372, ebenso im Bereich der Vormundschaft und der Ergänzungspflegschaft für ein Genehmigungserfordernis angeführt werden können, schlägt Taupitz zu Recht vor, ein entsprechendes Genehmigungserfordernis im Vormundschafts- und Pflegschaftsrecht zu schaffen.373 f) Keine gerichtliche Genehmigung der Entscheidung des Arztes Stützt der Arzt ohne Mitwirkung eines Vertreters eine medizinische Behandlung auf die mutmaßliche Einwilligung des Patienten, sieht das Gesetz keine gerichtliche Genehmigung vor. Gleiches gilt, wenn der Arzt eine medizinische Behandlung unterlässt oder abbricht, weil er der Ansicht ist, dass die Behandlung dem mutmaßlichen Willen des Patienten nicht entspricht.374
370 371 372 373 374
Spickhoff, FamRZ 2007, 2047, 2048. BT-Drucksache 11/4528, S. 72. Siehe hierzu D. II. 5. a) cc) (2) (f). Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 94 f. Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 95.
II. Der nicht oder nicht mehr einwilligungsfähige Patient
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6. Die Konkurrenz zwischen Vertreterentscheidung und mutmaßlichem Willen Fraglich ist weiter, ob der mutmaßliche Wille des Patienten ein selbstständiger Legitimationsgrund neben der Entscheidung des Vertreters ist, d. h. ob der Arzt, der sich dem mutmaßlichen Willen entsprechend verhält, rechtmäßig handelt, wenn er die Entscheidung des Vertreters nicht abwartet, eine wirksame Vertreterentscheidung nicht beachtet oder wenn die Vertreterentscheidung mangels gerichtlicher Genehmigung unwirksam ist. a) Die Situation des volljährigen Patienten aa) Vorrang der Vertreterentscheidung Nach im Zivilrecht herrschender Meinung hängt die Rechtmäßigkeit der ärztlichen Behandlung grundsätzlich allein von der Einwilligung des Vertreters ab, der bei Entscheidungsunfähigkeit des Vertretenen an dessen Stelle entscheidet und dadurch die Handlungsfähigkeit des Patienten wiederherstellt.375 Der Rechtfertigungsgrund der mutmaßlichen Einwilligung ist nach dieser Ansicht gegenüber der Entscheidung des Vertreters subsidiär.376 Ein Rückgriff auf die mutmaßliche Einwilligung sei abzulehnen, weil ansonsten die durch das Genehmigungserfordernis bewirkte gerichtliche Kontrolle sanktionslos ausgeschaltet werden könnte.377 Eine Rechtfertigung aufgrund mutmaßlicher Einwilligung komme daher nur bei unaufschiebbaren Eingriffen, insbesondere bei Notfällen, in Betracht, wenn nicht abgewartet werden kann, bis der Patient das Bewusstsein wiedererlangt, der Bevollmächtigte erreicht oder ein Betreuer bestellt werden kann. Liegt eine gerichtlich genehmigte Behandlungsabbruchentscheidung des Vertreters vor, sei die Weiterbehandlung rechtswidrig.378 bb) Freie Konkurrenz der Legitimationsgründe Nach anderer Auffassung sind die Entscheidung des Vertreters und die mutmaßliche Einwilligung des Patienten zwei nebeneinander anwendbare Legitimationsgründe.379 Aus dieser Ansicht ergibt sich Folgendes: Hat sich der Vertreter gegen
375
376 377 378 379
G. Fischer, FS Deutsch, S. 545, 551; Helgerth, JR 1995, 338, 340; Rieger, Einwilligung, S. 127; Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 71; Weißauer/Opderbecke, MedR 1995, 456, 458. Im Strafrecht Schönke/Schröder/Eser, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 28 a und § 223 Rn. 38 a; Schöch, FS Hirsch, S. 693, 709; wohl auch Rengier, Strafrecht BT 2, § 7 Rn. 12. Heyers, Sterbehilfe, S. 333; Lipp, Freiheit und Fürsorge, S. 215; Schwab, FS Henrich, S. 511, 530. Heyers, Sterbehilfe, S. 333; Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 71. Schöch, NStZ 1995, 153, 156; Coeppicus, NJW 1998, 3381, 3384. Saliger, KritV 1998, 118, 139 ff.; Thias, Möglichkeiten, S. 278 ff.; Coeppicus, NJW 1998, 3381, 3382 f.; ders., Sachfragen, S. 135; Holzhauer, Gutachten 57. DJT, B 80.
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D. Die Entscheidung über die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen
einen Behandlungsabbruch entschieden, ist der Behandlungsabbruch durch den Arzt dennoch zulässig, sofern er dem mutmaßlichen Willen des Kranken entspricht. Ebenso ist die im Einklang mit dem mutmaßlichen Willen des Patienten vorgenommene Weiterbehandlung auch dann rechtmäßig, wenn der Vertreter die Einwilligung in die Weiterbehandlung verweigert hat. Es sei nicht sachgerecht, dass der Arzt selbst dann eine zivilrechtliche Haftung sowie eine Strafbarkeit wegen Tötung bzw. Körperverletzung befürchten muss, wenn sein Verhalten dem mutmaßlichen Patientenwillen entspricht. In der Praxis werde das Erfordernis einer gerichtlichen Genehmigung der Vertreterentscheidung auch nicht entwertet, da Arzt und Vertreter aus eigenem Interesse das Gericht einschalten werden, um ihr Handeln rechtlich abzusichern.380 Ferner wird darauf hingewiesen, dass die freie Konkurrenz von Rechtfertigungsgründen der Grundsatz sei.381 cc) Stellungnahme Für den Vorrang der Vertreterentscheidung könnten methodische Überlegungen angeführt werden: Wenn die eigene Entscheidung des einwilligungsfähigen Patienten gegenüber dem Rechtsinstitut der mutmaßlichen Einwilligung anerkanntermaßen vorrangig ist382 und der Vertreter anstelle des Vertretenen handelt383, spricht dies in der Tat auch für den Vorrang der Vertreterentscheidung gegenüber dem Rechtsinstitut der mutmaßlichen Einwilligung. Die Ansicht vom Vorrang der Vertreterentscheidung kann aber im Ergebnis gleichwohl nicht überzeugen. Sofern das Verhalten des Arztes dem mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht, wird nämlich kein Unrecht verwirklicht. Zwar ist es nicht wünschenswert, dass ein Arzt vor einem Behandlungsabbruch die betreuungsgerichtlich genehmigte Entscheidung des Vertreters nicht abwartet und den Patienten nach eigenem Gutdünken sterben lässt, aber eine Bestrafung wegen eines Tötungsdelikts erscheint nicht sachgerecht, sofern der Arzt dem mutmaßlichen Willen entspricht. Da der Arzt regelmäßig vom Fehlen der Vertreterentscheidung Kenntnis hat und damit schuldhaft handelte, könnten nach der Ansicht vom Vorrang der Vertreterentscheidung die Voraussetzungen sowohl für eine strafrechtliche Verurteilung als auch für eine zivilrechtliche Haftung auch dann vorliegen, wenn das Verhalten des Arztes mit dem mutmaßlichen Patientenwillen übereinstimmt. Die Ansicht von der freien Konkurrenz der Legitimationsgründe bewirkt im Ergebnis auch keine Umgehung solcher Patientenverfügungen, die im Fall einer Betreuerentscheidung unter § 1901 a Abs. 1 BGB fielen und damit strikt bindend wären. Wie bereits dargestellt wurde, ist den Bestimmungen in einer Patientenver-
380 381 382 383
Auch der Bundesgerichtshof stellt in BGHSt 40, 257 ff. Erwägungen zur mutmaßlichen Einwilligung des Patienten an, obwohl ein gesetzlicher Vertreter bestellt war. Saliger, KritV 1998, 118, 142; Thias, Möglichkeiten, S. 281. Saliger, KritV 1998, 118, 143. Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 39. Staudinger/Bienwald, § 1902 Rn. 55 f.
II. Der nicht oder nicht mehr einwilligungsfähige Patient
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fügung, die bei einer Entscheidung durch den Betreuer strikte Bindungswirkung im Sinne des § 1901 a Abs. 1 BGB entfalten, auch nach der Ansicht von der Indizwirkung zu entsprechen.384 Der Ansicht von der freien Konkurrenz der Legitimationsgründe kann auch nicht entgegengehalten werden, dass sie die sanktionslose Ausschaltung des Genehmigungserfordernisses ermöglicht. Der Arzt handelt auf eigenes Risiko, wenn er nicht der gerichtlich genehmigten Entscheidung des Vertreters folgt.385 Dieses Risiko ist sehr hoch, weil das Genehmigungsverfahren ein großes Maß an Sicherheit für die zutreffende Ermittlung des Patientenwillens bietet. Da durch die Befolgung der – gegebenenfalls gerichtlich genehmigten – Vertreterentscheidung regelmäßig die Straflosigkeit des Arztes gewährleistet ist, besteht für den Arzt ein großer Anreiz zur Durchführung des formalen Verfahrens. In Einzelfällen aber, in denen der Arzt der Betreuerentscheidung nicht folgt, das gerichtliche Genehmigungsverfahren nicht abwartet und dabei dem Willen des Patienten entspricht, vermeidet die Ansicht von der freien Konkurrenz der Legitimationsgründe eine nicht sachgerechte Tötungsstrafbarkeit des Arztes. Daher ist der Ansicht, nach der die Vertreterentscheidung und die mutmaßliche Einwilligung zwei nebeneinander bestehende Legitimationsgründe sind, zu folgen. b) Die Situation des minderjährigen Patienten Nach ganz herrschender Meinung kann der Arzt nur in Eilfällen auf die Entscheidung der sorgeberechtigten Eltern verzichten oder sich über die Entscheidung der Eltern hinwegsetzen. Entspricht die Entscheidung der Eltern nicht dem Kindeswohl, müsse zunächst das Familiengericht eingeschaltet werden. Dieses treffe gemäß § 1666 BGB die erforderlichen Maßnahmen, insbesondere könne es nach § 1666 Abs. 3 BGB die Einwilligung in eine Behandlung erklären. Nur wenn die Zeit selbst zur Beantragung von einstweiligen Maßnahmen nicht reiche, könne der Arzt sein Handeln auf eine objektive Interessenabwägung stützen.386 Diese Ansicht wird in der Regel nicht begründet. Lediglich Engisch weist darauf hin, dass sich aus der Existenz der Vorschrift des § 1666 BGB ergebe, dass der Arzt zum selbstständigen Eingreifen grundsätzlich nicht befugt sei.387 Bei der Untersuchung des Verhältnisses zwischen der Entscheidung der Sorgerechtsinhaber, dem Eingreifen des Gerichts und der Alleinentscheidung des Arztes ist zunächst Folgendes festzuhalten: Ohne Zweifel kann der Arzt sein Verhalten dann nicht auf eine objektive Interessenabwägung stützen, wenn die sorgeberechtigten Eltern eine Entscheidung getroffen haben, die das Kindeswohl nicht gefährdet. Den sorgeberechtigten Eltern, denen das Elterngrundrecht des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG zusteht, obliegt es, die Einwilligung in eine ärztliche Behandlung 384 385 386
387
Siehe D. II. 1. c) dd) (3). So auch Verrel, NStZ 2003, 449, 452; ders., Gutachten 66. DJT, C 98 f. Deutsch/Bender/Eckstein/Zimmermann, Transfusionsrecht, Rn. 1267; Dethloff, Familienrecht, § 13 Rn. 63; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 341. Im Strafrecht RGSt 74, 350, 353; Engisch, ZStW 58 (1939), 1, 44; Eb. Schmidt, Der Arzt im Strafrecht, S. 109 f., 119 f.; Lenckner, ZStW 72 (1960), 446, 461 Fn. 45. Engisch, ZStW 58 (1939), 1, 44.
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D. Die Entscheidung über die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen
bei ihrem Kind zu erteilen oder zu verweigern. Hierbei verfügen sie über einen gewissen Entscheidungsspielraum.388 Steht etwa die Entscheidung über die Vornahme einer gefährlichen oder belastenden Behandlung mit nur geringen Erfolgsaussichten an, kann sowohl die Einwilligung als auch die Verweigerung der Einwilligung eine dem Kindeswohl gerecht werdende Entscheidung sein. Das Recht der Eltern, im Rahmen ihres Entscheidungsspielraums die Einwilligung in eine Behandlung zu erteilen oder zu verweigern, würde unterlaufen werden, wenn der Arzt sein Handeln auf eine objektive Interessenabwägung stützen könnte. Dies hat insofern Bedeutung, als die objektive Interessenabwägung – jedenfalls nach Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro vita“ – zu einem eindeutigen Ergebnis führt, das nicht mit der zulässigen Entscheidung der sorgeberechtigten Eltern übereinstimmen muss. Zu untersuchen bleibt, ob der Arzt eine kindeswohlgefährdende Entscheidung der Eltern nur bei Gefahr im Verzug selbstständig übergehen darf. Wie sich aus § 1666 BGB ergibt, sieht das Gesetz vor, dass das Familiengericht überprüft, ob das Kindeswohl gefährdet ist. Liegt eine Kindeswohlgefährdung vor, trifft das Gericht die erforderlichen Maßnahmen, insbesondere kann es gemäß § 1666 Abs. 3 BGB die Einwilligung der Eltern in eine notwendige ärztliche Behandlung ersetzen. Diese gesetzliche Zuständigkeit des Gerichts, im Fall einer Kindeswohlgefährdung tätig zu werden, würde unterlaufen werden, wenn dem Arzt stets, d. h. auch in anderen als dringenden Fällen, eine Entscheidungskompetenz zugebilligt werden würde. Allerdings könnte die Missachtung der formellen Zuständigkeit des Gerichts nur schwer ein Körperverletzungsunrecht389 des Arztes begründen, wenn das Gericht keine andere Entscheidung als der Arzt treffen könnte. Dies ist allerdings nicht der Fall. Vielmehr hat das Gericht ein Auswahlermessen.390 Als Maßnahme kommt nicht nur die Ersetzung der Einwilligung nach § 1666 Abs. 3 BGB in Betracht. Das Gericht kann als weniger einschneidende Maßnahmen auch Ermahnungen, Ge- und Verbote sowie Weisungen erteilen.391 Bei der Wahl der Maßnahme hat das Gericht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.392 In bestimmten Fällen kann die Verhältnismäßigkeit etwa erfordern, die Einwilligung der Eltern nicht zu ersetzen, sondern den Eltern lediglich zu gebieten, die Einwilligung zu erteilen.393 Damit wahrt die Regelung des § 1666 BGB die elterliche Entscheidungskompetenz, soweit das Kindeswohl dies erlaubt. Eine eigene Entscheidungsbefugnis des Arztes würde das Elternrecht stärker beschneiden als die durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beschränkte Eingriffsbefugnis 388 389
390 391 392 393
MünchKommBGB/Olzen, § 1666 Rn. 84. Die Frage, ob der Arzt eine kindeswohlgefährdende Entscheidung ohne Einschaltung des Gerichts übergehen darf, betrifft lediglich die Prüfung einer Körperverletzung durch Weiterbehandlung. In Bezug auf eine Tötung durch Unterlassen stellt sich die Frage nicht, da – sofern die Behandlung noch medizinisch indiziert ist – die Einwilligung der Eltern in lebenserhaltende Maßnahmen keine Kindeswohlgefährdung ist. MünchKommBGB/Olzen, § 1666 Rn. 170. Veit, in: Bamberger/Roth, § 1666 Rn. 20. MünchKommBGB/Olzen, § 1666 Rn. 171 ff. Veit, in: Bamberger/Roth, § 1666 Rn. 20.
II. Der nicht oder nicht mehr einwilligungsfähige Patient
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des Gerichts. Daher ist in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung davon auszugehen, dass die Zulässigkeit ärztlichen Handelns grundsätzlich verlangt, dass der Arzt das Familiengericht einschaltet, wenn er der Ansicht ist, die Entscheidung der Eltern gefährde das Wohl des Kindes. Lediglich in Eilfällen kann der Arzt ohne Mitwirkung der Eltern und des Familiengerichts zulässig handeln. Entsprechendes muss gelten, wenn der einwilligungsunfähige Minderjährige durch einen Vormund oder Ergänzungspfleger vertreten wird. Dass Vormünder und Pfleger nach herrschender Meinung nicht Träger des Grundrechts des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG sind394, steht dem nicht entgegen. Das Gesetz sieht nämlich auch bei Entscheidungen eines Vormunds oder eines Ergänzungspflegers ein gerichtliches Einschreiten vor. Gemäß §§ 1666, 1837 Abs. 4 BGB bzw. §§ 1666, 1837 Abs. 4, 1915 Abs. 1 S. 1 BGB wird das Familiengericht tätig, wenn die Entscheidung des Vormunds bzw. des Ergänzungspflegers das Kindeswohl gefährdet. Da das Gesetz eine durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip beschränkte gerichtliche Eingriffsbefugnis kennt, würde eine selbstständige Entscheidungskompetenz des Arztes die Stellung des Minderjährigenvertreters in einer vom Gesetz nicht vorgesehenen Weise untergraben. Dass sich hiernach die Rechtslage beim minderjährigen Patienten von der Rechtslage beim volljährigen einwilligungsunfähigen Patienten unterscheidet395, bedeutet keinen Widerspruch. Anders als beim minderjährigen Patienten ist beim Volljährigen gesetzlich nämlich nicht vorgesehen, dass das Gericht im Fall einer Vertreterentscheidung, die den Entscheidungsmaßstab des Vertreters nicht beachtet, Weisungen und Gebote erteilen oder die Einwilligung ersetzen kann.396 Die betreuungsrechtliche Vorschrift des § 1908 i Abs. 1 S. 1 BGB verweist lediglich auf § 1837 Abs. 1 bis 3 BGB, nicht aber auf § 1837 Abs. 4 BGB und somit nicht auf § 1666 BGB. Als Anspruchsgrundlage für eine eigene Entscheidung des Gerichts kommen auch nicht die §§ 1846, 1908 i Abs. 1 S. 1 BGB in Betracht. Eine Verhinderung im Sinne des § 1846 BGB liegt nach zutreffender Ansicht nämlich nicht vor, wenn der Vertreter pflichtwidrig oder nicht im Sinne des Gerichts handelt.397 Besteht ein betreuungsgerichtliches Genehmigungserfordernis, prüft das Gericht lediglich die Übereinstimmung der Entscheidung mit dem mutmaßlichen Patientenwillen. Da der Vertreter des volljährigen Patienten über keinen Entscheidungsspielraum verfügt und das Gericht kein Auswahlermessen hat, ist nicht erforderlich, den Arzt, der in eigener Verantwortung eine dem mutmaßlichen Patientenwillen entsprechende Entscheidung trifft, zu bestrafen bzw. zivilrechtlichen Ansprüchen auszusetzen. 394 395 396
397
BVerfGE 10, 302, 328 (Vormund); Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 6 Rn. 40. Zur Konkurrenz zwischen der Vertreterentscheidung und dem vom Arzt ermittelten mutmaßlichen Patientenwillen beim volljährigen Patienten siehe oben D. II. 6. a) cc). In Betracht kommt nur die Entlassung des Betreuers nach § 1908 b BGB bzw. im Fall einer bestehenden Vorsorgevollmacht die Bestellung eines Betreuers nach § 1896 BGB mit der Begründung, der Bevollmächtigte könne die Angelegenheiten des Betroffenen nicht ebenso gut wie ein Betreuer erledigen. Siehe hierzu MünchKommBGB/Schwab, § 1896 Rn. 54. MünchKommBGB/Wagenitz, § 1846 Rn. 2; Palandt/Diederichsen, § 1846 Rn. 2. Anders AG Nettetal FamRZ 1996, 1104; Kuhlmann, Einwilligung, S. 211.
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D. Die Entscheidung über die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen
7. Die Konkurrenz zwischen der Entscheidung des Gerichts nach § 1846 BGB und dem mutmaßlichen Patientenwillen Fraglich ist, ob der Arzt, der im Fall eines verhinderten oder nicht existierenden Vertreters selbstständig eine dem mutmaßlichen Patientenwillen entsprechende Entscheidung trifft, rechtmäßig handelt, obwohl Zeit für die Einschaltung des Familiengerichts bzw. des Betreuungsgerichts und dessen Entscheidung nach § 1846 BGB bzw. §§ 1846, 1915 Abs. 1 S. 1 BGB bzw. §§ 1846, 1908 i Abs. 1 S. 1 BGB geblieben wäre. Im Schrifttum wird vertreten, dass der Arzt keine Entscheidungsbefugnis habe, wenn das Vormundschaftsgericht (jetzt: Betreuungsgericht) eine unmittelbare Entscheidung nach §§ 1846, 1908 i Abs. 1 S. 1 BGB herbeiführen könnte.398 Dies ist abzulehnen. Das Gericht müsste – ebenso wie der Arzt – eine Entscheidung treffen, die dem mutmaßlichen Willen des einst einwilligungsfähigen Patienten entspricht bzw. im objektiven Interesse des niemals einwilligungsfähig gewesenen Patienten liegt. Da das Gericht nicht anders als der Arzt entscheiden darf, begeht der Arzt, dessen Verhalten dem mutmaßlichen Patientenwillen entspricht, auch dann kein Unrecht, wenn Zeit für die Einschaltung des Betreuungsgerichts bzw. des Familiengerichts geblieben wäre. Dass der Fall des Minderjährigen ohne erreichbaren Vertreter und der Fall des Minderjährigen, für den ein Vertreter eine kindeswohlgefährdende Entscheidung trifft, hiernach unterschiedlich behandelt werden399, spricht nicht gegen dieses Ergebnis. Sofern nämlich ein Vertreter vorhanden und nicht verhindert ist, verfügt dieser über einen gewissen Entscheidungsspielraum. Prüft ausschließlich das Gericht, ob die Entscheidung dem Kindeswohl gerecht wird, und beachtet das Gericht im Fall einer kindeswohlgefährdenden Entscheidung bei den dann zu treffenden Maßnahmen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dient das dem Schutz des gesetzlich eingeräumten Entscheidungsspielraums des Minderjährigenvertreters. Liegt demgegenüber gar keine Entscheidung des Vertreters vor, weil ein solcher nicht existiert oder verhindert ist, bestehen keine Bedenken, wenn – anstelle des Gerichts – der Arzt eine im objektiven Interesse des Kindes liegende Entscheidung trifft.
398 399
Lipp/Klein, FPR 2007, 56, 57; Weißauer/Opderbecke, MedR 1995, 456, 459. Zum Vorrang der gerichtlichen Maßnahmen gemäß § 1666 BGB gegenüber der ärztlichen Entscheidung siehe oben D. II. 6. b).
III. Die Bedeutung in den tatbestandlichen Strukturen
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III. Die Bedeutung von Patientenentscheidung, Vertreterentscheidung und mutmaßlichem Patientenwillen in den tatbestandlichen Strukturen Abschließend sei erläutert, welche Funktionen die Entscheidung des einsichtsfähigen Patienten, die Entscheidung eines Vertreters und der mutmaßliche Wille des Patienten in den tatbestandlichen Strukturen haben. Die Entscheidung des einsichtsfähigen Patienten, die Vertreterentscheidung und der mutmaßliche Patientenwille sind nicht stets Rechtfertigungsgründe. Vielmehr hängt ihre Bedeutung von dem Zusammenhang, in dem sie geprüft werden, ab. 1. Körper- und Gesundheitsverletzung Erfüllt eine ärztliche Maßnahme den Tatbestand einer Körper- oder Gesundheitsverletzung, sind die Einwilligung des einsichtsfähigen Patienten, die Einwilligung des Vertreters und die mutmaßliche Einwilligung des Patienten als Rechtfertigungsgründe zu prüfen. 2. Die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Wie bereits dargelegt wurde, sind eigenmächtige Heilbehandlungen, die den körperlichen Zustand des Patienten zu keiner Zeit nachteilig verändern, eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.400 Erteilt der einsichtsfähige Patient seine Einwilligung, ist eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bereits tatbestandlich ausgeschlossen, weil die Entscheidungsfreiheit eines einwilligenden Patienten nicht beeinträchtigt sein kann.401 Fraglich ist zum einen, ob auch die mutmaßliche Einwilligung in die Behandlung den Tatbestand einer Persönlichkeitsrechtsverletzung entfallen lässt oder lediglich rechtfertigend wirkt. Die Beantwortung dieser Frage ist deshalb problematisch, weil die Bedeutung des mutmaßlichen Willens für die Selbstbestimmung des Patienten weitgehend ungeklärt ist. Im Schrifttum wird teilweise geäußert, die mutmaßliche Einwilligung sei kein wirklicher Akt der Selbstbestimmung, sondern ein bloßes „normatives Konstrukt“.402 Demgegenüber halten der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs sowie Schöch den mutmaßlichen Willen durchaus für einen Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts des einwilligungsunfähigen Patienten.403 Gegen einen Tatbestandsausschluss kann ein Vergleich mit der Rechtslage im Strafrecht angeführt werden: Obwohl bei Delikten, deren Unrechtskern eine Verletzung der Willensfreiheit beinhaltet, durch ein tatsächliches Einverständnis des 400 401 402 403
Siehe hierzu C. II. 3. e) bb) (2). Katzenmeier, Arzthaftung, S. 125. Roxin, Strafrecht AT 1, § 18 Rn. 4; Schwab, FS Henrich, S. 511, 530. BGHSt 40, 257, 262; Schöch, NStZ 1995, 153, 155.
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D. Die Entscheidung über die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen
Opfers bereits der Tatbestand entfällt, stellt die mutmaßliche Einwilligung lediglich einen Rechtfertigungsgrund dar.404 Da nicht ersichtlich ist, weshalb die mutmaßliche Einwilligung im Zivilrecht anders eingeordnet werden sollte, erscheint es sachgerecht, die mutmaßliche Einwilligung bei der Prüfung der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auf der Rechtswidrigkeitsebene anzusiedeln. Zum anderen ist zu untersuchen, welche Bedeutung die Vertretereinwilligung im Rahmen der Prüfung der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts hat. Dass die Einwilligung des Vertreters in eine Heilbehandlung die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bereits auf Tatbestandsebene ausschließt, mag zunächst befremdlich erscheinen. Wird aber eine Vertretung in gesundheitlichen und damit das Persönlichkeitsrecht berührenden Angelegenheiten zugelassen, erscheint nicht ausgeschlossen, dass durch die Einwilligung des Vertreters der Tatbestand ebenso wie durch die Einwilligung des Betroffenen entfällt. Bei Schwab heißt es dementsprechend, dass der Wille, den der Betreuer oder Bevollmächtigte im Namen des Betroffenen erklärt, dessen „wirklicher Wille“ sei.405 Für die Annahme, die Einwilligung des Vertreters schließe die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bereits tatbestandlich aus, kann auch ein Vergleich mit der Rechtslage im Strafrecht angeführt werden. Bei Delikten, bei denen das Einverständnis des Rechtsgutinhabers tatbestandsausschließend wirkt, lässt auch die Zustimmung des Vertreters den Tatbestand entfallen, sofern die Zustimmung nicht lediglich die Bedeutung eines rein tatsächlichen Vorgangs hat, sondern ein Rechtsgeschäft oder eine geschäftsähnliche Handlung ist.406 Da die Einwilligung nach herrschender Meinung eine geschäftsähnliche Handlung darstellt407, erscheint die Auffassung, die Einwilligung des Vertreters schließe bereits den Tatbestand der Persönlichkeitsrechtsverletzung aus, vertretbar. 3. Das Unterlassen lebenserhaltender Behandlung Der Behandlungsabbruch, d. h. das Unterlassen lebenserhaltender Behandlung, ist unter dem Gesichtspunkt der Tötung durch Unterlassen zu prüfen, die zivilrechtliche Ansprüche nach §§ 844 f. BGB begründen kann und im Strafrecht in den §§ 211 ff., 13 StGB geregelt ist. Die Einwilligung des einsichtsfähigen Patienten in den Behandlungsabbruch, die streng genommen die Verweigerung der Einwilligung in die lebenserhaltende Behandlung ist, stellt keinen Rechtfertigungsgrund dar. Im Zivilrecht lässt sie die Erfolgsabwendungspflicht, die Voraussetzung für eine Haftung wegen Unterlassens ist408, entfallen. Im Strafrecht ist umstritten, ob 404 405
406 407 408
Schönke/Schröder/Lenckner, Vorbem. § 32 ff. Rn. 31, 54. LK/Rönnau, Vor § 32 Rn. 216 m. w. N. Schwab, FS Henrich, S. 511, 531. Vor dem Hintergrund, dass Schwab den mutmaßlichen Willen ein „normatives Konstrukt“ nennt (Schwab, FS Henrich, S. 511, 530), erscheint allerdings die Gleichsetzung des vom Vertreter erklärten Willens mit dem wirklichen Willen des Patienten angreifbar. Lenckner, ZStW 72 (1960), 446, 452. Erman/Palm, Einl. § 104 Rn. 6; Palandt/Ellenberger, Überbl. v. § 104 Rn. 6. Erman/Schiemann, § 823 Rn. 13; Palandt/Sprau, § 823 Rn. 2.
III. Die Bedeutung in den tatbestandlichen Strukturen
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die Einwilligungsverweigerung bereits die Garantenstellung409 oder lediglich die Garantenpflicht beseitigt.410 Nach der Rechtsprechung des Großen Senats für Strafsachen gehört lediglich die Garantenstellung, d. h. die tatsächlichen Umstände, welche die Rechtspflicht begründen, zum Tatbestand, während die Garantenpflicht, d. h. die aus den tatsächlichen Umständen erwachsene Rechtspflicht, Gegenstand der Prüfung der Rechtswidrigkeit der Tat ist.411 Daher hat die Streitfrage praktische Bedeutung, wenn der Täter sich bei Kenntnis der tatsächlichen Umstände über das Bestehen einer Erfolgsabwendungspflicht irrt.412 Für das Fortbestehen der Garantenstellung und das bloße Entfallen der Garantenpflicht wird angeführt, dass der Arzt auch nach der Verweigerung der Einwilligung in lebenserhaltende Maßnahmen zu einer Basisbehandlung, insbesondere zur Schmerzbehandlung, weiterhin verpflichtet ist.413 Da sich aber Garantenstellungen stets nur auf bestimmte Rechtsgüter beziehen und auch in Bezug auf ein grundsätzlich erfasstes Rechtsgut lediglich einen bestimmten Umfang haben414 und es sich bei dem Fehlen der Patienteneinwilligung um einen tatsächlichen Umstand handelt, ist mit der Gegenauffassung anzunehmen, dass durch die Verweigerung der Einwilligung in die lebenserhaltende Behandlung insoweit die Garantenstellung entfällt.415 Gleiches gilt für die wirksame Weigerung des Vertreters, in lebenserhaltende Maßnahmen beim Betroffenen einzuwilligen. Da der Vertreter den Stellvertretungsregeln entsprechend mit Wirkung für den Vertretenen handelt, beseitigt die Entscheidung des Vertreters die zivilrechtliche Erfolgsabwendungspflicht und die strafrechtliche Garantenstellung wie eine eigene Entscheidung des Patienten.416 Zu untersuchen bleibt die Bedeutung des mutmaßlichen Willens im Rahmen des Unterlassungsdelikts. Ist der mutmaßliche Wille des Patienten auf die Unterlassung der lebenserhaltenden Behandlung gerichtet, besteht Streit, ob dadurch bereits auf Tatbestandsebene die zivilrechtliche Erfolgsabwendungspflicht bzw. die strafrechtliche Garantenstellung entfällt417 oder ob der mutmaßliche Wille einen Rechtfertigungsgrund darstellt418. Für die Ansicht, dass der auf den Abbruch der Behandlung gerichtete mutmaßliche Wille die Tötung durch Unterlassen rechtfertige, wird angeführt, dass bei Delikten, bei denen das wirksame Einverständnis des Betroffenen den Tatbestand ausschließt, die mutmaßliche Einwilligung lediglich ein Rechtfertigungsgrund sei.419 Mit dieser Argumentation wird aber verkannt, dass es sich bei dem mutmaßlichen Wunsch nach einer Behandlungsbeendigung nicht um das Rechtsinstitut der mutmaßlichen Einwilligung handelt. Der mutmaß409 410 411 412 413 414 415 416 417 418 419
Rieger, Einwilligung, S. 53. Rickmann, Wirksamkeit, S. 89 m. w. N. BGHSt 16, 155, 158 f. Rieger, Einwilligung, S. 53. Rickmann, Wirksamkeit, S. 89. Vgl. Schönke/Schröder/Stree, § 13 Rn. 14. Rieger, Einwilligung, S. 53. Rieger, Einwilligung, S. 65 im Hinblick auf die strafrechtliche Garantenstellung. So Arzt, JR 1986, 309, 311; Deichmann, MDR 1995, 983. So Rieger, Einwilligung, S. 64; Verrel, Gutachten 66. DJT, C 89. Im Erg. auch Vogel, MDR 1995, 337. Rieger, Einwilligung, S. 63. Siehe hierzu bereits D. III. 2.
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D. Die Entscheidung über die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen
liche Wille zur Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen bedeutet nicht die mutmaßliche Einwilligung in einen Behandlungsabbruch, sondern das Fehlen einer mutmaßlichen Einwilligung in die lebenserhaltende Behandlung. Nicht das Unterlassen einer Behandlung, sondern die Vornahme einer Behandlung bedarf der Einwilligung. Liegt keine wirksame Einwilligung des Patienten, keine wirksame Einwilligung des Vertreters und keine mutmaßliche Einwilligung des Patienten vor, darf der Arzt den Patienten nicht behandeln. Besteht kein Behandlungsrecht des Arztes, existiert aber erst recht keine Behandlungspflicht. Entspricht das Unterlassen der ärztlichen Behandlung dem mutmaßlichen Willen des Patienten, hat der Arzt daher nicht die Pflicht, den Erfolg, d. h. den Eintritt des Todes, abzuwenden. Festzuhalten bleibt somit, dass durch den auf Unterlassung der Behandlung gerichteten mutmaßlichen Patientenwillen die Erfolgsabwendungspflicht bzw. die Garantenstellung des Arztes und damit auch der Tatbestand einer Tötung durch Unterlassen entfällt. 4. Vertrag Der Arzt hat die vertragliche Nebenpflicht, das Selbstbestimmungsrecht des Patienten zu beachten. Entspricht das – behandlungsfehlerfreie – Verhalten des Arztes dem Willen des einsichtsfähigen Patienten, liegt keine vertragliche Pflichtverletzung im Sinne des § 280 Abs. 1 BGB vor. Gleiches gilt, wenn der Arzt im Fall des einwilligungsunfähigen Patienten sein Verhalten an der wirksamen Entscheidung des Vertreters oder dem mutmaßlichen Willen des Patienten ausrichtet. Für die Entscheidung des Vertreters ergibt sich dies bereits daraus, dass der Vertreter mit Wirkung für den Betroffenen handelt.420 Dass eine – behandlungsfehlerfreie – ärztliche Entscheidung, die dem mutmaßlichen Patientenwillen entspricht, keine Pflichtverletzung darstellt, kann mit der Auffassung des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs, der mutmaßliche Wille sei Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts421, begründet werden. Im Übrigen handelt der Arzt, der sich im Fall eines einwilligungsunfähigen Patienten an die wirksame Entscheidung des Vertreters oder an den mutmaßlichen Patientenwillen hält, schlichtweg „richtig“ und begeht daher – außer bei Vorliegen eines Behandlungsfehlers oder besonderer Vereinbarungen – keine vertragliche Pflichtverletzung.
420 421
Siehe hierzu D. II. 4. a) sowie vorstehend D. III. 2. und 3. BGHSt 40, 257, 262
E. Lebenserhaltung bei Sterbenden, unheilbar Kranken und anhaltend bewusstlosen Patienten
Im Folgenden soll untersucht werden, inwieweit die Lebenserhaltung bei Sterbenden, bei unheilbar Kranken und bei anhaltend bewusstlosen Patienten Schadensersatzansprüche begründen kann. Unter Lebenserhaltung kann nicht nur die Vornahme lebensverlängernder Maßnahmen, sondern auch das Unterlassen indirekter Sterbehilfe, die Verweigerung der Beihilfe zum Suizid sowie die Verweigerung aktiver Sterbehilfe verstanden werden.
I. Die Vornahme lebensverlängernder Maßnahmen Gerichtliche Entscheidungen ergingen bereits zu der Frage, ob ein Wachkomapatient Ansprüche wegen einer bei ihm durchgeführten künstlichen Ernährung haben kann. Daher soll zunächst geprüft werden, inwieweit lebensverlängernde Maßnahmen bei Patienten mit anhaltender Bewusstlosigkeit eine Haftung auslösen. Anschließend wird auf lebensverlängernde Maßnahmen bei sterbenden und unheilbar kranken Patienten eingegangen. 1. Lebensverlängernde Maßnahmen bei anhaltend bewusstlosen Patienten a) Der Fall des Wachkomapatienten Peter K. Der 1965 geborene Peter K. litt seit einem Suizidversuch am 19.7.1998 an einem apallischen Syndrom1, das von den Ärzten als irreversibel eingeschätzt wurde. Der Vater des Patienten wurde zum Betreuer bestellt. Der Patient befand sich seit dem 8.9.1998 in einem Pflegeheim, mit dem der Betreuer am 10.9.1998 für den Patienten einen Heimvertrag abschloss. Im Pflegeheim wurde Peter K. von dem niedergelassenen Arzt Dr. S. behandelt und vom Heimpersonal gepflegt sowie mittels einer PEG-Sonde, die bereits vor der Aufnahme in das Heim gelegt worden war, künstlich ernährt.
1
Zum apallischen Syndrom siehe die Ausführungen oben unter B. I. 3.
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E. Lebenserhaltung bei Sterbenden/unheilbar Kranken/anhaltend Bewusstlosen
Erhebliche Zeit vor seinem Suizidversuch hatte Peter K. nach Angaben des Betreuers mehrfach erklärt, dass er sterben möchte, wenn er einmal in einen Zustand geraten sollte, in dem er willensunfähig und von Apparatemedizin oder Dauerpflege abhängig sei. Diese Äußerungen habe Peter K. gemacht, nachdem er einen schweren Verkehrsunfall nahezu unverletzt überlebt und sich daraufhin mit der Möglichkeit, selbst ein Pflegefall zu werden, auseinandergesetzt hatte. Mit Blick auf den früher geäußerten Sterbewunsch des Patienten ordnete der behandelnde Arzt Dr. S. im Einvernehmen mit dem Betreuer am 14.12.2001 an, unter gleichzeitiger palliativer Medikation die künstliche Ernährung einzustellen und die Zuführung von Flüssigkeit auf ein palliativ notwendiges Mindestmaß zu reduzieren. Das Pflegeheim lehnte die Durchführung dieser Anordnung, bei deren Befolgung der Patient binnen maximal acht bis zehn Tagen an einer Nierenvergiftung sterben würde, ab. Es erklärte sich aber zur Aufhebung des Heimvertrags bereit. Da es zu einer Beendigung des Pflegevertrags nicht kam, wurde der Patient weiterhin künstlich ernährt. Als sich die Notwendigkeit ergab, die PEG-Sonde zu erneuern, und der Betreuer in die Erneuerung der PEG-Sonde nicht einwilligte, wurde ein Ergänzungsbetreuer bestellt, der seine Zustimmung erteilte, woraufhin die PEG-Sonde ausgewechselt wurde. In einem gerichtlichen Verfahren sollte der Sterbewunsch des Patienten, der von den Parteien ausdrücklich unstreitig gestellt wurde, durchgesetzt werden. Nachdem das Landgericht Traunstein als erstinstanzliches Gericht zu erkennen gegeben hatte, dass nach seiner Ansicht eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung erforderlich sei, stellte der Betreuer beim Vormundschaftsgericht den Antrag, seine Weigerung, in weitere lebenserhaltende Maßnahmen einzuwilligen, gerichtlich zu genehmigen. Das zuständige Amtsgericht Rosenheim wies den Antrag mit der Begründung zurück, der Aufgabenkreis „Gesundheitsfürsorge“ umfasse nicht die Einwilligung des Betreuers zu lebensbeendenden Maßnahmen und die Vorschrift des § 1904 BGB sei weder direkt noch analog auf die Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen anwendbar.2 In dem auf Unterlassung der künstlichen Ernährung gerichteten Verfahren unterlag der Kläger, vertreten durch seinen Betreuer, in 1. Instanz vor dem Landgericht Traunstein3 und in 2. Instanz vor dem Oberlandesgericht München.4 Auf die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Rosenheim wies das Landgericht Traunstein das vormundschaftsgerichtliche Verfahren an das Amtsgericht Rosenheim zurück. Dieses entschied nunmehr mit Beschluss vom 17.9.2003, dass es im konkreten Fall einer vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung deshalb nicht bedürfe, weil zwischen dem behandelnden Arzt und dem Betreuer keine Konfliktsituation bestehe.5 Nachdem im Unterlassungsverfahren die Revision gegen das Urteil des Oberlandesgerichts München durch den Bundesgerichtshof zugelassen wurde, verstarb der Kläger am 2
3 4 5
AG Rosenheim, Beschluss vom 16.7.2002, Az. XVII 0062/99, abrufbar unter http://www.unikoeln.de/jur-fak/inststaa/gesundheitsrecht.net/urteile/sterbebegleitung/ agrosenheim.pdf (Stand: 3.1.2010). LG Traunstein NJW-RR 2003, 221 ff. OLG München NJW 2003, 1743 ff. = FamRZ 2003, 557 ff. AG Rosenheim, Beschluss vom 17.9.2003, Az. 2 XVII 0062/99 (unveröffentlicht).
I. Die Vornahme lebensverlängernder Maßnahmen
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26.3.2004 an einer fiebrigen Infektion, die nicht mehr kurativ behandelt worden war. Die Parteien erklärten daraufhin den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt, woraufhin der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 8.6.2005 die Kosten des vorangegangenen Rechtsstreits gegeneinander aufhob.6 In einem weiteren Verfahren klagten die Eltern als Erben von Peter K. auf Schadensersatz sowie Schmerzensgeld. Damit wurde beabsichtigt, nach der übereinstimmenden Erledigterklärung im vorhergegangenen Verfahren doch noch eine höchstrichterliche Entscheidung über die Unzulässigkeit der künstlichen Ernährung herbeizuführen.7 Das Landgericht Traunstein wies die Klage ab.8 Das Oberlandesgericht München wies die Berufung als unbegründet zurück.9 Die Revision zum Bundesgerichtshof wurde vom Oberlandesgericht München nicht zugelassen.10 Die eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde wurde zurückgenommen.11 aa) Anspruchsgrundlagen (1) Vertragliche Ansprüche Wie im Rahmen dieser Arbeit bereits dargelegt wurde, sind im Bereich der vertraglichen Arzthaftung Behandlungsfehler und ärztliche Eigenmacht Pflichtverletzungen im Sinne des § 280 Abs. 1 BGB.12 Wird diese Erkenntnis auf das Pflegehaftungsrecht übertragen13, kommt eine vertragliche Haftung des Pflegeheims gemäß § 280 Abs. 1 BGB dann in Betracht, wenn die Durchführung der lebensverlängernden Maßnahmen einen Behandlungsfehler darstellt oder eigenmächtig erfolgt. Im Hinblick auf das eigenmächtige Handeln seitens des Pflegeheims wird teilweise allerdings eine andere Auffassung vertreten. Eine vertragliche Pflichtverletzung des Pflegeheims liege nicht vor, wenn dieses die künstliche Ernährung gegen den Willen des Patienten weiterführt.14 In dem Heimvertrag sei der Leistungsumfang dahingehend festgelegt worden, dass das Heim dem Bewohner Unterbringung, Versorgung, Pflege sowie therapeutische und rehabilitative Leistungen auf ärztliche Anordnung gewährt.15 Aus dem auf Pflege und Rehabilitation ausgerich6 7
8 9 10 11 12 13 14 15
BGHZ 163, 195 ff. = NJW 2005, 2385 ff. Vgl. hierzu die Pressemitteilung der Prozessvertreter vom 02.02.2005, abrufbar unter http://www.putz-medizinrecht.de/start.php?seite=pressemitteilungen.html (Stand: 3.1.2010). Die gerichtlich zugesprochenen Geldbeträge sollten Einrichtungen aus dem Bereich Hospiz und Palliativmedizin zugewendet werden. LG Traunstein PflR 2006, 390 ff. OLG München GesR 2006, 524 ff. = MittBayNot 2006, 424 ff. OLG München GesR 2006, 524, 527. Vgl. hierzu die Pressemitteilung der Prozessvertreter vom 10.08.2006, abrufbar unter http://www.putz-medizinrecht.de/start.php?seite=pressemitteilungen.html (Stand: 3.1.2010). Zur vertraglichen Arzthaftung siehe oben C. II. 1. Zum Pflegehaftungsrecht siehe C. III. OLG München NJW 2003, 1743, 1744; LG Traunstein NJW-RR 2003, 221, 223; Berg, Behandlungsbegrenzung, S. 11, 49. OLG München NJW 2003, 1743, 1744.
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E. Lebenserhaltung bei Sterbenden/unheilbar Kranken/anhaltend Bewusstlosen
teten Heimvertrag könne weder direkt noch im Wege der Auslegung eine Pflicht zur Einstellung der künstlichen Ernährung auf Verlangen des Patienten entnommen werden.16 Das Heim habe das vertraglich geschuldete Leistungsspektrum nicht auf eine „Hilfe zum Sterben“, d. h. pflegerische Betreuung bei gleichzeitiger Herbeiführung des Todes, erstreckt.17 Durch den Abschluss des Heimvertrags seien die Grenzen des Selbstbestimmungsrechts eingeschränkt und für die Beteiligten bindend festgelegt worden.18 Dieser Auffassung ist nicht beizupflichten. Aus dem Fehlen einer ausdrücklichen vertraglichen Regelung zur passiven Sterbehilfe und zum Behandlungsabbruch kann nicht gefolgert werden, dass die Parteien die bei Verträgen über medizinische Behandlungen grundsätzlich bestehende Nebenpflicht, das Selbstbestimmungsrecht des Patienten zu beachten19, ausgeschlossen haben oder das Leistungsspektrum dahingehend begrenzt haben, dass keine pflegerische Betreuung während der Realisierung des Sterbewunsches geschuldet ist. Möchte der Patient keine weiteren lebensverlängernden Maßnahmen erhalten, bliebe ihm nämlich bei einem Vertrag, der nicht zur Beachtung des Selbstbestimmungsrechts verpflichtet, lediglich die Beendigung des Behandlungsverhältnisses. Damit ist ihm aber in Fällen, in denen keine andere Einrichtung zur Übernahme des Patienten bereit ist, eine andere geeignete Einrichtung nicht existiert oder ein Transport eine besondere Belastung für den Patienten bedeuten würde, nicht gedient. Der Patient wäre praktisch gezwungen, bestimmte Behandlungen entgegen seinem eigentlichen Wunsch anzunehmen, um überhaupt noch medizinisch oder pflegerisch in ausreichendem Maß betreut zu werden. Dass die Parteien einen Vertrag abschließen wollten, der eine solche, mit dem grundrechtlich geschützten Selbstbestimmungsrecht unvereinbare Situation schaffen kann, ist ohne ausdrückliche vertragliche Regelung nicht anzunehmen. Eine andere Auslegung des Vertrags käme nur dann in Betracht, wenn die Einstellung der künstlichen Ernährung bei einem Wachkomapatienten stets rechtswidrig wäre, weil im Zweifel nicht davon auszugehen ist, dass die Parteien eine rechtswidrige Leistung vertraglich vereinbaren wollten.20 Da aber ein Behandlungsabbruch bei einem Patienten mit irreversiblem Wachkoma nicht generell unzulässig ist21, bleibt festzuhalten, dass durch den Heimvertrag das Selbstbestimmungsrecht des Patienten nicht berührt wurde und auch das Erbringen der pflegerischen Leistungen nicht von einer gleichzeitigen künstlichen Ernährung abhängig gemacht wurde. Im Übrigen wäre eine vertragliche Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts und eine Bindung des Patienten an die einmal erklärte Einwilligung sittenwidrig und könnte daher rechtswirksam auch nicht ver-
16 17 18 19 20 21
Berg, Behandlungsbegrenzung, S. 49. Berg, Behandlungsbegrenzung, S. 11, 14. OLG München NJW 2003, 1743, 1744. Siehe hierzu C. II. 1. Zur gesetzeskonformen Vertragsauslegung siehe BGH NJW 2000, 1333, 1335; BGH NJW 2004, 1240; Palandt/Ellenberger, § 133 Rn. 25. Vgl. BGHSt 40, 257; Krey/Heinrich, Strafrecht BT 1, Rn. 10 a m. w. N; zur Zulässigkeit eines Behandlungsabbruchs vor Eintritt der Sterbephase siehe auch die Ausführungen oben unter D. II. 1. c) bb) (2) und (3) sowie D. II. 1. c) cc) (4) a. E.
I. Die Vornahme lebensverlängernder Maßnahmen
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vereinbart werden.22 In der Weiterführung der künstlichen Ernährung gegen den Willen des Patienten liegt somit eine vertragliche Pflichtverletzung. (2) Deliktische Ansprüche Auch der deliktische Anspruch wegen Körper- oder Gesundheitsverletzung nach § 823 Abs. 1 BGB kann sowohl im Fall des Behandlungsfehlers als auch im Fall des eigenmächtigen Handelns bestehen. Daneben kann ein Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 223 Abs. 1 StGB gegeben sein. Die Ansprüche umfassen gemäß § 253 Abs. 2 BGB auch ein Schmerzensgeld wegen Körper- oder Gesundheitsverletzung. Bei der Prüfung der Ansprüche gegen das Pflegeheim ist das Verhalten der Pflegeheimleitung und der Pflegedienstleitung dem Heim gemäß § 31 BGB analog zuzurechnen. Soweit auf das Verhalten des Pflegepersonals abgestellt wird, kommt als Grundlage für einen Anspruch gegen das Pflegeheim § 831 Abs. 1 BGB in Betracht. Als tatbestandliche Körper- bzw. Gesundheitsverletzung kommen auch nach hier vertretener Ansicht nicht nur das Legen der PEG-Sonde und deren Erneuerung in Betracht. Zwar ist die komplikationslose Zuführung der künstlichen Ernährung mittels der PEG-Sonde nach hier vertretener Ansicht keine tatbestandliche Körperverletzung, sofern sie sich beim Patienten nicht nachteilig auswirkt.23 Eine Körper- oder Gesundheitsverletzung kann aber vorliegen, sofern der Patient – wie es in Fällen des apallischen Syndroms wohl regelmäßig geschieht – während der lebenserhaltenden künstlichen Ernährung Folge- und Begleiterkrankungen, wie beispielsweise einen Dekubitus oder eine Entzündung der Atemwege, entwickelt. Dass die künstliche Ernährung die Begleiterkrankungen nicht direkt hervorruft, steht der Annahme einer Körper- bzw. Gesundheitsverletzung nicht entgegen. Die Rechtsgüter Körper und Gesundheit können nämlich auch durch mittelbare Eingriffe verletzt werden.24 Zu beachten ist allerdings, dass in Fällen mittelbarer Rechtsgutverletzungen die Rechtswidrigkeit nicht indiziert ist, sondern die Verletzung einer Pflicht erfordert25, und die haftungsbegründende Zurechnung des Verletzungserfolgs einer gesonderten Prüfung bedarf.26 Sofern die lebensverlängernde Maßnahme nicht den Tatbestand der Körperoder Gesundheitsverletzung erfüllt, kann die eigenmächtige Behandlung Ansprü22
23 24 25 26
So auch BGHZ 163, 195, 199: Der Bundesgerichtshof prüft zwar keine vertraglichen Ansprüche, stellt aber im Rahmen der Prüfung des Unterlassungsanspruchs analog § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB i. V. m. § 823 Abs. 1 BGB fest, dass aus dem Heimvertrag kein Recht des Pflegeheims erwächst, den Patienten gegen seinen Willen weiter zu behandeln. Dies wird teilweise dahingehend verstanden, dass nach Auffassung des Bundesgerichtshofs der Heimvertrag umgekehrt die Verpflichtung enthält, den Patientenwillen zu beachten (vgl. LG Traunstein PflR 2006, 390, 392 und Berg, Behandlungsbegrenzung, S. 49). Siehe hierzu oben C. II. 3. e) bb). Soergel/Spickhoff, Vor § 823 Rn. 17 und § 823 Rn. 12 und 18; MünchKommBGB/ Wagner, § 823 Rn. 52 ff. Soergel/Spickhoff, § 823 Rn. 18. Siehe hierzu E. I. 1. a) ff) (2) (a).
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E. Lebenserhaltung bei Sterbenden/unheilbar Kranken/anhaltend Bewusstlosen
che wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach § 823 Abs. 1 BGB und § 823 Abs. 1 BGB, Art. 1, 2 GG bzw. § 831 BGB begründen.27 Da das allgemeine Persönlichkeitsrecht jeder natürlichen Person zusteht, ist auch ein irreversibel bewusstloser Patient Inhaber des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.28 Ansprüche nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 239 StGB und § 240 StGB bestehen demgegenüber nicht, da die Straftatbestände der Freiheitsberaubung gemäß § 239 StGB und der Nötigung nach § 240 StGB von vornherein ausscheiden, weil ein Wachkomapatient keinen natürlichen Fortbewegungswillen aufweist29 bzw. zu einer Willensbildung und Willensbetätigung nicht fähig ist.30 bb) Behandlungsfehler Ist die Vornahme lebensverlängernder Maßnahmen bei einem Wachkomapatienten ein Behandlungsfehler, kommt eine vertragliche und – soweit die lebensverlängernde Maßnahme eine Körper- oder Gesundheitsverletzung mit sich bringt31 – eine deliktische Haftung des Pflegeheims in Betracht, ohne dass es auf die Eigenmächtigkeit des pflegerischen Handelns ankommt. Da die Vornahme einer medizinisch nicht indizierten Maßnahme ein Behandlungsfehler sein kann32, könnte ein solcher vorliegen, wenn die Fortführung der künstlichen Ernährung bei einem Wachkomapatienten medizinisch nicht indiziert ist. Im Schrifttum wird vereinzelt allerdings die Auffassung vertreten, dass die Zufuhr von Nahrung einschließlich der künstlichen Ernährung mittels Magensonde zur unverzichtbaren Basisversorgung zähle.33 Bei Zugrundelegen dieser Ansicht wäre die Fortführung der künstlichen Ernährung mittels Magensonde also niemals behandlungsfehlerhaft. Indes wird die Unterscheidung zwischen stets anzuwendenden, gewöhnlichen Mitteln (remedia ordinaria) und nicht stets indizierten, au-
27 28 29 30 31
32 33
So auch Berg, Behandlungsbegrenzung, S. 49. OLG Karlsruhe NJW-RR 1999, 1699, 1700; Soergel/Beater, § 823 Anh. IV Rn. 19. Vgl. hierzu LK/Träger/Schluckebier, § 239 Rn. 5; Schönke/Schröder/Eser, § 239 Rn. 3; Fischer, § 239 Rn. 3. Vgl. hierzu LK/Träger/Altvater, § 240 Rn. 5. Sofern unter dem Begriff des Behandlungsfehlers jede medizinisch nicht indizierte Behandlung verstanden wird (vgl. Katzenmeier, Arzthaftung, S. 276), stellt nach hier vertretener Auffassung ein Behandlungsfehler ausnahmsweise dann keine Körper- oder Gesundheitsverletzung dar, wenn die medizinisch nicht indizierte Behandlung keine nachteiligen Auswirkungen auf Körper oder Gesundheit des Patienten hat. Siehe hierzu C. II. 3. e) bb). Katzenmeier, Arzthaftung, S. 276; Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, Kap. X Rn. 2; Staudinger/Hager, § 823 Rn. I 18. Opderbecke/Weißauer, MedR 1998, 395, 398: Anders als die enterale Ernährung mittels Magensonde gehört die parenterale Ernährung mittels Venenkatheter nicht zur unverzichtbaren Grundversorgung. Ihnen folgend Laufs, NJW 1998, 3399, 3400. Siehe auch Eibach, MedR 2000, 10, 16, der die mit dem grundrechtlichen Schutz des Selbstbestimmungsrechts unvereinbare Ansicht äußert, dass selbst eine entsprechende Willensäußerung des Patienten die Heilberufe nicht zur Einstellung der künstlichen Ernährung verpflichten kann.
I. Die Vornahme lebensverlängernder Maßnahmen
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ßergewöhnlichen Mitteln (remedia extraordinaria)34 der Situation des individuellen Patienten nicht gerecht. Vielmehr ist im jeweiligen Fall zu prüfen, welche medizinischen und pflegerischen Maßnahmen für den individuellen Patienten in der konkreten Situation sinnvoll sind.35 Die medizinische Indikation muss für alle lebensverlängernden Maßnahmen einschließlich der künstlichen Ernährung festgestellt werden.36 Unter Indikation versteht man in der Medizin den begründeten Hinweis auf eine bestimmte Handlungsnotwendigkeit.37 Die medizinische Indikation ergibt sich aus dem fachlichen Urteil über den Wert oder Unwert einer medizinischen Behandlungsmethode in ihrer Anwendung auf den konkreten Fall.38 Die medizinische Indikation hängt nicht nur von der medizinischen Machbarkeit, sondern auch von medizinethischen Aspekten ab.39 Mitunter wird auch ökonomischen Überlegungen eine Bedeutung im Rahmen der medizinischen Indikation eingeräumt.40 Für die Frage, ob lebensverlängernde Maßnahmen bei Wachkomapatienten medizinisch indiziert sind, kommt es in erster Linie darauf an, ob die behandelnden Ärzte den Zustand des Patienten als reversibel einschätzen oder nicht. Sofern das apallische Syndrom möglicherweise noch reversibel ist, muss die medizinische Indikation lebenserhaltender Maßnahmen zweifellos bejaht werden. Umstritten ist demgegenüber, ob lebensverlängernde Maßnahmen medizinisch indiziert sind, wenn das Wachkoma nach ärztlicher Erkenntnis irreversibel ist. Im Schrifttum wird die medizinische Indikation zum Teil verneint, wenn „dem Menschen aufgrund unwiderruflichen Verlustes jegliche Reaktions- und Kommunikationsmöglichkeit, jede Möglichkeit weiterer Selbstwahrnehmung und Selbstverwirklichung genommen ist“.41 Bei einem irreversiblen Verlust des Bewusstseins könne ein sinnvolles Therapieziel nicht mehr erreicht werden.42 Die Deutsche Gesellschaft für Anästhesie und Intensivmedizin verneint zwar nach Eintritt eines irreversiblen Bewusstseinsverlustes nicht generell die medizinische Indikation, diese sei aber „kritisch in Frage zu stellen“.43 34 35 36 37 38 39 40
41 42 43
Siehe hierzu Opderbecke/Weißauer, MedR 1998, 395, 398; Laufs, NJW 1998, 3399, 3400. Simon, Ethik Med 2004, 217, 221 ff. Gegen die Unterscheidung auch Heyers, Sterbehilfe, S. 30 f. Hufen, NJW 2001, 849, 853 f.; Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 48; Uhlenbruck, NJW 2003, 1710, 1711. Anschütz, Indikation, S. 6; Simon, in: Höfling, Wachkoma, S. 103. BGHZ 154, 205, 224; Albrecht/Albrecht, MittBayNot 2003, 348, 354. Spickhoff, NJW 2000, 2297, 2298; Sahm, Ethik Med 2004, 133, 138; Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 24. Vgl. Albrecht/Albrecht, MittBayNot 2003, 348, 354; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 289; Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 27. Anders die Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung, DÄBl 2004, A 1298. Weißauer/Opderbecke, MedR 1995, 456, 462; Eser, in: Auer/Menzel/Eser, Heilauftrag, S. 131 f.; K.-G. Mayer, Maßnahmen, S. 84. Ankermann, Sterben zulassen, S. 36. DGAI, Leitlinien zu den Grenzen der intensivmedizinischen Behandlungspflicht, Anästhesiologie & Intensivmedizin 40 (1999), 94, 95.
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E. Lebenserhaltung bei Sterbenden/unheilbar Kranken/anhaltend Bewusstlosen
Demgegenüber ist nach den Grundsätzen der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung die lebenserhaltende Therapie bei Patienten mit schwersten zerebralen Schädigungen und anhaltender Bewusstlosigkeit „unter Beachtung ihres geäußerten Willens oder mutmaßlichen Willens grundsätzlich geboten“.44 Auch im sonstigen Schrifttum und in der Rechtsprechung werden lebenserhaltende Maßnahmen bei einem als irreversibel eingeschätzten Wachkoma häufig für medizinisch indiziert gehalten.45 Bei der Frage der medizinischen Indikation sei nämlich abzuwägen, ob der zu erwartende Nutzen der Maßnahme in einem angemessenen Verhältnis zu dem eventuell zu befürchtenden Schaden steht. Eine Maßnahme sei hiernach medizinisch nicht indiziert, wenn sie ohne Nutzen ist oder der Nutzen sich in keinem medizinisch vertretbaren Verhältnis zu dem möglicherweise eintretenden Schaden befindet.46 Da der Patient mittels der künstlichen Ernährung am Leben erhalten werde, sei die Weiterbehandlung nur dann nicht mehr medizinisch indiziert, wenn diese mit einer für den Patienten nicht zumutbaren Belastung verbunden wäre. Da es aber keine Hinweise darauf gebe, dass Wachkomapatienten lebenserhaltende Maßnahmen als belastend empfinden, sei die medizinische Indikation zu bejahen.47 Bei Würdigung dieser Auffassungen ist zunächst festzustellen, dass die Lebenserhaltung in der Tat jedenfalls dann einen Nutzen darstellt, wenn die Chance berücksichtigt wird, dass sich der Zustand entgegen der ärztlichen Prognose verbessert oder eine neue Therapiemöglichkeit entwickelt wird. Sofern der Wachkomapatient tatsächlich keine Schmerzen empfindet, bedeutet die künstliche Ernährung für den Patienten aus medizinischer Sicht auch keinen Nachteil. Nach dem Stand der Wissenschaft haben Wachkomapatienten kein bewusstes Schmerzempfinden.48 Das Fehlen jeglichen Schmerzempfindens wird zwar bisweilen bezweifelt49, aber jedenfalls im Fall des Wachkomapatienten Peter K. sind keine Hinweise ersichtlich, dass der Patient unter der lebenserhaltenden Behandlung litt. Daher stellt in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Bundesärztekammer die künstliche Ernährung des Wachkomapatienten Peter K. keinen Behandlungsfehler dar. An diesem Ergebnis ändert sich auch dann nichts, wenn man als Schaden, der im Rahmen der medizinischen Indikation zu berücksichtigen ist, grundsätzlich auch die mit der Behandlung verbundenen Kosten für das Gesundheitswesen ansieht.50 Es kann nämlich nicht sein, dass der Arzt oder das Pflegeheim sich 44 45 46 47 48 49 50
DÄBl 2004, A 1298, A 1299. BGHSt 40, 257, 264 f.; Sahm, Ethik Med 2004, 133, 137 f.; Simon, in: Höfling, Wachkoma, S. 103, 104; Thias, Möglichkeiten, S. 185 f. Simon, in: Höfling, Wachkoma, S. 103, 104. Simon, in: Höfling, Wachkoma, S. 103, 109. The Multi-Society Task Force on PVS, NEJM 1994, S. 1499. Klein, intensiv 2000, 63, 64 f. Vgl auch OLG Hamm NJW 2007, 2704, 2705: „auf basaler Ebene als schmerzhaft erlebten gesundheitlichen Beeinträchtigungen“. So Albrecht/Albrecht, MittBayNot 2003, 348, 354; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 289. Vgl. auch Sahm, Ethik Med 2004, 133, 137, der darauf hinweist, dass die künstliche Ernährung mittels einer Sonde billig und unaufwändig zu bewerkstelligen sei und insbesondere im Vergleich zu anderen medizinischen Behandlungen, wie etwa Organtransplantationen und die damit verbundenen Folgebehandlungen, kostengünstig sei. Zur
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gegenüber dem Patienten haftbar machen, weil sie ihm eine Behandlung zukommen lassen, die als unökonomisch betrachtet wird. Die höchst problematische Frage, inwieweit die finanziellen Kosten einer Behandlung Einfluss auf die medizinische Indikation haben können, spielt demnach lediglich bei der Prüfung, ob das Unterlassen einer bestimmten Behandlung ein Behandlungsfehler ist, eine Rolle. Die Vornahme einer Behandlung ist jedenfalls nicht deshalb behandlungsfehlerhaft, weil die Maßnahme mit unverhältnismäßig hohen Kosten für die Allgemeinheit verbunden ist. cc) Eigenmächtiges Handeln Eine Haftung des Pflegeheims kommt aber in Betracht, wenn die Weiterführung der lebenserhaltenden Behandlung eigenmächtig erfolgt ist. Das Pflegeheim handelte nicht eigenmächtig, wenn die lebenserhaltende Behandlung von der Einwilligung des Betreuers oder von der mutmaßlichen Einwilligung des Patienten gedeckt war.51 Geprüft werden muss auch, welche Bedeutung das Erfordernis einer gerichtlichen Genehmigung für die Eigenmächtigkeit des Handelns des Pflegeheims hat, wenn der Betreuer die Einwilligung in die lebenserhaltende Behandlung verweigert. (1) Die Einwilligung des Betreuers Das Legen der ersten PEG-Sonde, das ohnehin nicht vom beklagten Pflegeheim durchgeführt oder veranlasst wurde, erfolgte mit Einwilligung des Betreuers. Die Erneuerung der PEG-Sonde im Jahr 2004 war von der Zustimmung des Ergänzungsbetreuers gedeckt.52 Kein Betreuer willigte allerdings seit dem 14.12.2001 in die Bestückung der PEG-Sonde ein. Ein eigenmächtiges Handeln des Pflegeheims kommt daher im Hinblick auf die Zufuhr der künstlichen Ernährung mittels PEG-Sonde in Betracht. (2) Das gerichtliche Genehmigungsverfahren Fraglich ist, ob das Pflegeheim deshalb nicht eigenmächtig gehandelt hat, weil die Weigerung des Betreuers, in die weitere künstliche Ernährung einzuwilligen, vormundschaftsgerichtlich nicht genehmigt wurde. Diese Auffassung vertritt das Landgericht Traunstein, wenn es den Anspruch des Wachkomapatienten auf Unterlassung der künstlichen Ernährung unter anderem am Fehlen der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung scheitern lässt.53
51 52 53
ökonomischen Analyse des Rechts im Zusammenhang mit lebenserhaltenden Maßnahmen siehe auch Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 359. Zum Verhältnis von Betreuereinwilligung und mutmaßlicher Einwilligung des Patienten siehe oben D. II. 6. a). Zur Wirksamkeit der Betreuerentscheidung, die grundsätzlich unabhängig von der Beachtung des Entscheidungsmaßstabs im Innenverhältnis ist, siehe oben D. II. 4. a). LG Traunstein NJW-RR 2003, 221, 223.
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(a) Die Erforderlichkeit einer gerichtlichen Genehmigung Bevor auf die rechtlichen Folgen der fehlenden vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung eingegangen werden kann, muss geprüft werden, ob die Weigerung des Betreuers, in weitere lebenserhaltende Maßnahmen einzuwilligen, überhaupt einer vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung bedurfte. War nämlich die Verweigerung der Einwilligung durch den Betreuer nicht genehmigungspflichtig, konnte der Betreuer auch ohne vormundschaftsgerichtliche Genehmigung die lebenserhaltenden Maßnahmen wirksam ablehnen und die Behandlung erfolgte eigenmächtig. Der 12. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs verneinte in dem auf Unterlassung gerichteten und später für erledigt erklärten Rechtsstreit das Erfordernis einer vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung. Hierbei wiederholte der Senat im Wesentlichen seine im ersten Sterbehilfebeschluss gemachten Ausführungen aus dem Jahr 2003: „[D]as Vormundschaftsgericht [ist] nur dann zu einer Entscheidung berufen, wenn der einen einwilligungsunfähigen Patienten behandelnde Arzt eine lebenserhaltende oder -verlängernde Maßnahme für medizinisch geboten oder vertretbar erachtet und sie deshalb ‚anbietet’ und der Betreuer sich diesem Angebot verweigert. Ein solcher, die Kontrollzuständigkeit des Vormundschaftsgerichts auslösender Konflikt bestand hier nicht. Der Betreuer und der behandelnde Arzt hatten sich übereinstimmend gegen eine weitere künstliche Ernährung des Klägers entschieden. Das Beharren der Beklagten [des Pflegeheims], die künstliche Ernährung entgegen der ärztlichen Anordnung fortzusetzen, begründete keine dem Widerstreit von ärztlicher Empfehlung und Betreueranordnung vergleichbare Konfliktsituation.“54
Zu einem anderen Ergebnis gelangt man bei Zugrundelegen der hier vertretenen Auffassung. Der Arzt ordnete nämlich die Beendigung der künstlichen Ernährung nicht deshalb an, weil er die weitere künstliche Ernährung für nicht mehr medizinisch vertretbar hielt, sondern weil er in Übereinstimmung mit dem Betreuer davon ausging, dass die Beendigung der lebenserhaltenden Behandlung dem mutmaßlichen Willen des Patienten entspreche. Es ist nicht anzunehmen, dass der Arzt die Behandlung, die er selbst jahrelang mitgetragen hat, trotz unverändertem Krankheitszustand des Patienten im Widerspruch zu den Grundsätzen der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung55 plötzlich für medizinisch unvertretbar hielt.56 Wie bereits dargelegt wurde, sollte vor In-Kraft-Treten des Dritten Betreuungsrechtsänderungsgesetzes das Einvernehmen zwischen Arzt und Betreuer hinsichtlich des mutmaßlichen Willens die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung nur dann entbehrlich machen, wenn eine schriftliche Patientenverfügung des Betroffenen vorliegt.57 Da Peter. K. keine schriftliche Patientenverfügung er-
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56 57
BGHZ 163, 195, 198 f. Auch nach den damals geltenden Grundsätzen der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung waren lebenserhaltende Maßnahmen bei anhaltend bewusstlosen Patienten medizinisch indiziert (vgl. DÄBl 1998, A 2366, A 2367). Ähnlich Berg, Behandlungsbegrenzung, S. 9. Siehe hierzu D. II. 5. a) dd) (2).
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richtet hatte, war die Weigerung des Betreuers, in die weitere künstliche Ernährung einzuwilligen, nach hier vertretener Ansicht genehmigungspflichtig. (b) Die rechtlichen Folgen der fehlenden gerichtlichen Genehmigung Da das Vormundschaftsgericht trotz des nach hier vertretener Ansicht bestehenden Genehmigungserfordernisses die Entscheidung des Betreuers nicht genehmigt hat, bleibt zu untersuchen, welche rechtlichen Folgen an das Fehlen der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung geknüpft sind. Ist eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung erforderlich, kann der Betreuer die Einwilligung in eine vital indizierte Behandlung ohne vormundschaftsgerichtliche Genehmigung nicht wirksam widerrufen bzw. verweigern. Daraus folgt, dass im Fall einer fehlenden Genehmigung die lebenserhaltende Behandlung nicht eigenmächtig ist. Kann nämlich der Betreuer die Einwilligung in die lebenserhaltende Behandlung ohne die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts nicht wirksam versagen, muss die Behandlung bei fehlender Genehmigung zulässig sein.58 Dies muss auch dann gelten, wenn – wie hier das Amtsgericht Rosenheim mit Beschluss vom 16.7.200259 – das Vormundschaftsgericht die Genehmigung nicht nach inhaltlicher Prüfung verweigert, sondern die Erteilung schlicht deshalb ablehnt, weil es eine Behandlungsabbruchentscheidung des Betreuers für generell nicht genehmigungsfähig hält. In diesem Fall obliegt es dem Betreuer, gegen die vormundschaftsgerichtliche Entscheidung auf dem Rechtsbehelfsweg vorzugehen. Fraglich ist allerdings, ob auch nach dem Beschluss des Vormundschaftsgerichts vom 17.9.2003 die Zulässigkeit der künstlichen Ernährung noch mit dem Fehlen der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung begründet werden kann. Das Vormundschaftsgericht entschied nach Zurückweisung des Verfahrens durch das Beschwerdegericht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des 12. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs, dass es im konkreten Fall einer vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung deshalb nicht bedürfe, weil zwischen dem behandelnden Arzt und dem Betreuer keine Konfliktsituation bestehe.60 Diese Äußerung beinhaltet die Feststellung, dass der Betreuer im konkreten Fall die Einwilligung in die Fortführung der künstlichen Ernährung auch ohne vormundschaftsgerichtliche Genehmigung wirksam verweigern konnte. Sofern diese Entscheidung des Vormundschaftsgerichts für das Gericht im streitigen Verfahren bindend ist, könnte die Rechtmäßigkeit der lebenserhaltenden Behandlung nicht mehr auf das Fehlen der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung gestützt werden.61
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Vgl. BGHZ 154, 205, 225 und die Ausführungen oben unter D. II. 5. a) cc) (2) (d) und (e). AG Rosenheim, Beschluss vom 16.7.2002, Az. XVII 0062/99, abrufbar unter http://www.uni-koeln.de/jur-fak/inststaa/gesundheitsrecht.net/urteile/sterbebegleitung/ agrosenheim.pdf (Stand: 3.1.2010). AG Rosenheim, Beschluss vom 17.9.2003, Az. 2 XVII 0062/99 (unveröffentlicht). Das Landgericht Traunstein sowie das Oberlandesgericht München haben freilich im konkreten Fall über den Unterlassungsanspruch des Wachkomapatienten entschieden, ohne den Abschluss des vormundschaftsgerichtlichen Verfahrens abzuwarten.
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Grundsätzlich sind die Organe der streitigen Gerichtsbarkeit und die der freiwilligen Gerichtsbarkeit voneinander unabhängig.62 Eine Ausnahme hierzu besteht aber im Hinblick auf Gestaltungsakte. Entscheidungen mit Gestaltungswirkung verändern die materielle Rechtslage und binden daher alle Gerichte.63 Zwar ist die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung eines Rechtsgeschäfts des gesetzlichen Vertreters ein Gestaltungsakt.64 Anderes gilt aber für die vormundschaftsgerichtliche Entscheidung, dass eine Genehmigung nicht erforderlich sei. Nach heute einhelliger Meinung ist nämlich ein so genanntes Negativattest, d. h. ein Bescheid des Gerichts, ein Rechtsgeschäft bedürfe keiner Genehmigung, der Erteilung der Genehmigung nicht gleichzustellen.65 Auch bei Vorliegen eines Negativattests kann daher geltend gemacht werden, dass ein Rechtsgeschäft, dessen Genehmigungsbedürftigkeit das Vormundschaftsgericht verneint hat, doch der Genehmigung bedurft habe und wegen der fehlenden Genehmigung unwirksam sei.66 Da diese Überlegungen auf die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung geschäftsähnlicher Handlungen übertragbar erscheinen, ist keine durch eine Gestaltungswirkung erzeugte Bindung des Prozessgerichts an den vormundschaftsgerichtlichen Beschluss vom 17.9.2003 anzunehmen. Eine Bindung des Prozessgerichts an die vormundschaftsgerichtliche Entscheidung kann auch nicht mit der Rechtskraft begründet werden. Entscheidungen, die in Verfahren über vormundschaftsgerichtliche Genehmigungen ergehen, entfalten keine materielle Rechtskraft.67 Festhalten lässt sich, dass bei Zugrundelegen der hier vertretenen Auffassung, nach der eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung im vorliegenden Fall mangels schriftlicher Patientenverfügung erforderlich gewesen wäre, die lebenserhaltende Behandlung angesichts der fehlenden vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung nicht eigenmächtig erfolgte. Nach hier vertretener Ansicht bestehen also keine Ansprüche wegen der künstlichen Ernährung des Wachkomapatienten Peter K. Im Folgenden wird der Vollständigkeit halber gleichwohl untersucht, ob Ansprüche wegen der lebenserhaltenden Maßnahmen bestünden, wenn das Vormundschaftsgericht die Genehmigung erteilt hätte bzw. wenn man eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung in Übereinstimmung mit dem 12. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs – dem mittlerweile auch der Gesetzgeber gefolgt ist – im vorliegenden Fall für nicht erforderlich hielte.
62 63 64 65 66 67
Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 11 Rn. 18. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 11 Rn. 19. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 11 Rn. 20. BGHZ 44, 325, 326 ff.; Staudinger/Engler, § 1828 Rn. 46; Erman/Saar, § 1828 Rn. 10; Sonnenfeld, in: Jansen, § 55 Rn. 13 m. w. N. Staudinger/Engler, § 1828 Rn. 47. OLG Hamm NJW 1970, 2118 f.; v. König, in: Jansen, § 31 Rn. 11; Zimmermann, in: Keidel/Kuntze/Winkler, § 31 Rn. 21.
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(3) Der mutmaßliche Wille des volljährigen Wachkomapatienten Lebenserhaltende Maßnahmen werden nicht eigenmächtig durchgeführt, wenn sie dem mutmaßlichen Willen des Patienten entsprechen.68 Im Folgenden wird nicht nur der mutmaßliche Wille des Wachkomapatienten Peter K. untersucht, sondern auch allgemein auf die Ermittlung des mutmaßlichen Willens von Wachkomapatienten eingegangen. (a) Der subjektiv mutmaßliche Wille Hat der Betroffene in einer Patientenverfügung festgelegt, dass er im Fall einer als irreversibel eingeschätzten Bewusstlosigkeit sterben möchte, und liegen keine gegenteiligen Anhaltspunkte vor, ist auf Seiten der Behandelnden anzunehmen, dass der mutmaßliche Wille des Wachkomapatienten auf die Unterlassung weiterer lebenserhaltender Maßnahmen gerichtet ist.69 Aber auch wenn der Betroffene keine schriftliche Patientenverfügung errichtet hat, können Indizien vorliegen, die darauf hinweisen, dass die weitere künstliche Ernährung dem mutmaßlichen Willen des Patienten nicht entspricht.70 Peter K. hatte sich dem Sachverhalt zufolge nach seinem Verkehrsunfall intensiv und ernsthaft mit dem Einsatz lebenserhaltender Maßnahmen auseinandergesetzt und geäußert, dass er in einem Zustand, in dem er zu einem selbstbestimmten Leben nicht mehr fähig sei, nicht durch medizinische Apparate am Leben erhalten werden möchte. Aus diesen Äußerungen kann geschlossen werden, dass der mutmaßliche Wille des Wachkomapatienten Peter K. ab dem Zeitpunkt, von dem an das Wachkoma als irreversibel eingeschätzt wurde, auf die Unterlassung der Behandlung gerichtet war. Somit war die Fortführung der lebenserhaltenden Behandlung seit dem Zeitpunkt, in dem der Zustand des Patienten als irreversibel eingestuft wurde, nicht mehr aufgrund einer mutmaßlichen Einwilligung des Patienten Peter K. gerechtfertigt. Es gibt allerdings auch Wachkomapatienten, die sich – anders als Peter K. – nicht zuvor dazu geäußert haben, inwieweit sie im Fall eines Unfalls oder einer Krankheit die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen wünschen. Bestehen auch keine sonstigen Indizien für den mutmaßlichen Willen, wie etwa Wertvorstellungen des Patienten, die Aufschluss über die Wünsche des Patienten geben, ist der subjektiv mutmaßliche Wille nicht erkennbar. Dann ist die objektive Interessenabwägung für den Inhalt des mutmaßlichen Willens ausschlaggebend.
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Zur Konkurrenz zwischen Vertretereinwilligung und mutmaßlicher Einwilligung siehe oben D. II. 6. a) cc). Zur Bedeutung der Patientenverfügung als Indiz für den mutmaßlichen Willen im Fall einer Entscheidung des Arztes bzw. des Behandelnden siehe D. II. 1. c) dd) (1) (c). Zur Ermittlung des mutmaßlichen Patientenwillens siehe oben D. II. 3. b) aa).
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(b) Die objektive Interessenabwägung Fraglich ist, ob die objektive Interessenabwägung ergibt, dass lebenserhaltende Maßnahmen bei einem irreversibel bewusstlosen Patienten durchzuführen sind, oder ob aus der Abwägung vielmehr folgt, dass die lebenserhaltende Behandlung einzustellen ist. Teilweise wird ein objektives Interesse des Wachkomapatienten an lebensverlängernden Maßnahmen verneint.71 Es widerspreche den Wertvorstellungen einer deutlichen gesellschaftlichen Mehrheit, intensiv-medizinische lebenserhaltende Maßnahmen an sich zu dulden, wenn die eigene personale Identität infolge eines vollständigen Bewusstseinsausfalls verloren gegangen ist.72 Es liege nicht im Interesse eines Komapatienten, über Jahre oder Jahrzehnte hinweg künstlich mittels PEG-Sonde am Leben gehalten zu werden und seine Familie finanziell zu ruinieren.73 Gegen diese Auffassung wendet Bernsmann ein, dass nicht ersichtlich sei, weshalb das Sterben und die damit verbundene völlige Daseinsvernichtung dem Zustand der Bewusstlosigkeit vorzuziehen sei.74 Ferner wird vorgebracht, dass viele Menschen – etwa aus mangelndem Vertrauen in ärztliche Prognosen – möchten, dass um ihr Leben jedenfalls dann, wenn sie nicht unter großen Schmerzen leiden, bis zum letzten Moment gekämpft wird.75 Setzt man sich mit diesen Argumenten auseinander, ist zunächst festzustellen, dass – anders als Bernsmann meint – der Tod gegenüber dem Zustand der irreversiblen Bewusstlosigkeit durchaus vorzugswürdig sein kann. Zum einen wollen Menschen oftmals ihren Angehörigen nicht zur Last fallen. Zum anderen hegen viele Menschen eine Abneigung gegen die Vorstellung, dass sie mittels der modernen Medizin am Leben erhalten werden, obwohl sie nur noch rein biologisch existieren. Allerdings gibt es auch Menschen, die sich vor dem Ende der eigenen Existenz ängstigen und nicht aufgegeben werden möchten, sei es, dass ihnen die geringste Hoffnung auf eine Veränderung ihres Zustands als Grund für eine lebenserhaltende Behandlung genügt, sei es, dass sie auch nach Verlust des Bewusstseins ein irgend geartetes Erleben für möglich halten. Wie groß hierbei die jeweiligen Bevölkerungsanteile sind, die eine Beendigung bzw. eine Fortführung der Behandlung im Fall eines als irreversibel eingeschätzten Wachkomas wünschen, ist unerheblich, da die Ansichten der Bevölkerung im Rahmen der objektiven Interessenabwägung nur dann von Bedeutung sind, wenn es sich um allgemeine Wertvorstellungen handelt.76 Wie die gesellschaftliche, politische und rechtswissenschaftliche Diskussion aber zeigt, besteht gerade kein gesellschaftlicher Konsens hinsichtlich der Frage, ob die Fortführung oder die Beendigung der 71 72 73 74 75 76
Dölling, MedR 1987, 6, 9; Rieger, Einwilligung, S. 149; Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 47 f.; Thias, Möglichkeiten, S. 190 ff. Rieger, Einwilligung, S. 149; Thias, Möglichkeiten, S. 191 f. Vgl. auch Schöch, NStZ 1995, 153, 155. Uhlenbruck, NJW 2003, 1710, 1711. Bernsmann, ZRP 1996, 87, 91. G. Fischer, FS Deutsch, S. 545, 556. Zur Berücksichtigung allgemeiner Wertvorstellungen im Rahmen der mutmaßlichen Einwilligung vgl. BGHSt 40, 257 sowie oben D. II. 3. b) aa).
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lebenserhaltenden Maßnahmen im objektiven Interesse eines irreversibel bewusstlosen Patienten liegt. Angesichts der in der breiten Öffentlichkeit geführten Diskussion sind Menschen, die eine weitere Behandlung bei einem als irreversibel eingeschätzten Wachkoma wünschen, auch nicht als „exotische Ausnahmen“ zu betrachten.77 Da in Bezug auf irreversibel bewusstlose Patienten, die keine Schmerzen haben, allgemeine Wertvorstellungen hinsichtlich der Fortführung bzw. der Beendigung der lebenserhaltenden Behandlung nicht bestehen, liegt ein Zweifelsfall vor, so dass der Grundsatz „in dubio pro vita“ zur Anwendung kommt. Nach dem Prinzip „in dubio pro vita“ ist anzunehmen, dass die Fortführung der lebenserhaltenden Behandlung dem mutmaßlichen Willen des irreversibel bewusstlosen Patienten entspricht. Dieses Ergebnis ist stimmig. Die Gegenauffassung hätte dagegen zur Folge, dass man Menschen, die ihren Wunsch nach weiterer Lebenserhaltung nicht hinreichend geäußert haben, möglicherweise gegen ihren Willen sterben ließe. Im Vergleich hierzu erscheint die Weiterbehandlung von Menschen gegen ihren nicht geäußerten Willen als das geringere Übel.78 Diejenigen, die eine lebenserhaltende Behandlung für den Fall ihrer eigenen irreversiblen Bewusstlosigkeit ablehnen, können sich, insbesondere in einer Patientenverfügung, im Vorfeld entsprechend äußern. Zuzugeben ist zwar, dass es auch volljährige Patienten gibt, die – etwa aufgrund einer geistigen Behinderung – nie einwilligungsfähig waren und daher keine Patientenverfügung errichten konnten.79 Dieser Nachteil für Menschen, die niemals einwilligungsfähig waren, beruht aber nicht auf der hier vertretenen Auffassung, sondern ist in der Beeinträchtigung dieser Menschen begründet. Auch bei Zugrundelegen der Gegenauffassung sind diese Menschen gegenüber ehemals einwilligungsfähigen Personen benachteiligt, weil sie in einer Patientenverfügung nicht bestimmen können, dass sie eine lebenserhaltende Behandlung auch dann wünschen, wenn die behandelnden Ärzte von der Irreversibilität der Bewusstlosigkeit ausgehen. Dass im Schrifttum dennoch häufig die Gegenauffassung vertreten wird, könnte seinen Grund auch darin haben, dass in der Regel lediglich die Zulässigkeit des Behandlungsabbruchs, nicht aber die Zulässigkeit der Weiterbehandlung geprüft wird. Man hält in Fällen der irreversiblen Bewusstlosigkeit einen Behandlungsabbruch im Hinblick auf den mutmaßlichen Patientenwillen für zulässig und erspart Ärzten, Betreuern und Bevollmächtigten den Vorwurf der Tötung durch Unterlassen und lässt dabei möglicherweise außer Acht, dass in der Folge die Weiterbehandlung – sofern sie eine Substanzverletzung oder Gesundheitsbeeinträchtigung beinhaltet – zwangsläufig eine rechtswidrige Körperverletzung darstellt.
77 78 79
So aber Rieger, Einwilligung, S. 149. So auch Simon, in: Höfling, Wachkoma, S. 103, 104. Zur Einwilligungsfähigkeit als Voraussetzung für die wirksame Errichtung einer Patientenverfügung nach § 1901 a Abs. 1 BGB siehe oben D. II. 1. b).
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E. Lebenserhaltung bei Sterbenden/unheilbar Kranken/anhaltend Bewusstlosen
(c) Sonderproblem: Das Unstreitigstellen des mutmaßlichen Patientenwillens In den Peter K. betreffenden Verfahren wurde unstreitig gestellt, dass der Patient zu einem früheren Zeitpunkt geäußert hatte, nicht durch medizinische Apparate am Leben erhalten werden zu wollen, wenn er zu einem selbstbestimmten Leben nicht mehr fähig ist. Fraglich erscheint, ob dies überhaupt möglich ist. Nach Ansicht des Oberlandesgerichts München wäre es mit dem verfassungsrechtlichen Lebensschutzgebot gemäß Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar, wenn ein Sterbewille des zu einer Willensentschließung nicht mehr fähigen Klägers von den Parteien unstreitig gestellt werden könnte.80 Abgesehen davon, dass das Oberlandesgericht München den verfassungsrechtlichen Lebensschutz nicht auf Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, sondern irrigerweise ausschließlich auf Art. 1 Abs. 1 GG stützt81, fällt an der Auffassung des Gerichts auf, dass sie im Widerspruch zu dem im Zivilprozess grundsätzlich geltenden Verhandlungsgrundsatz steht. Der Verhandlungsgrundsatz bedeutet, dass allein die Parteien den Streitstoff in den Prozess einführen, über seine Feststellungsbedürftigkeit entscheiden und seine Feststellung betreiben.82 Daraus folgt, dass eine Tatsache, die zwischen den Parteien unstreitig ist, das Gericht als wahr unterstellen und seiner Entscheidung zugrunde legen muss.83 Nur in Fällen, in denen ein öffentliches Interesse an einer umfassenden und richtigen Aufklärung besteht, ermittelt demgegenüber das Gericht von Amts wegen.84 Im streitigen Zivilprozess gilt der Untersuchungsgrundsatz – zum Teil mit Einschränkungen – etwa gemäß §§ 616, 617 ZPO in Ehesachen, gemäß §§ 640 Abs. 1, 616, 617 ZPO in Kindschaftssachen und gemäß § 952 Abs. 3 ZPO im Aufgebotsverfahren. Methodisch ist es zwar nicht ausgeschlossen, noch in weiteren als in den in der Zivilprozessordnung ausdrücklich genannten Fällen die Geltung des Untersuchungsgrundsatzes im Wege der Analogie zu bejahen.85 Dies ist zum Schutz des Patienten aber nicht erforderlich, denn nicht die streitigen Verfahren, sondern das vormundschaftsgerichtliche (jetzt: betreuungsgerichtliche) Genehmigungsverfahren dient dem Schutz des Patientenlebens. Hierbei ist unerheblich, dass ein Behandlungsabbruch allein aufgrund des mutmaßlichen Patientenwillens zulässig sein kann86, ohne dass eine gerichtliche Genehmigung eingeholt werden muss.87 Die Unterlassungsklage ist nämlich nicht bereits dann begründet, wenn der mut80 81 82 83 84 85 86 87
OLG München NJW 2003, 1743, 1744. Zweifelnd auch Berg, Behandlungsbegrenzung, S. 38 Fn. 146. Vgl. hierzu Steiner, Schutz des Lebens, S. 11 ff. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 77 Rn. 7. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 77 Rn. 13; Stein/Jonas/Leipold, Vor § 128 Rn. 154. Musielak, Grundkurs ZPO, Rn. 104. Stein/Jonas/Leipold, Vor § 128 Rn. 181. Zur Konkurrenz zwischen Betreuerentscheidung und mutmaßlichem Willen siehe D. II. 6. a) cc). Zur Entbehrlichkeit einer gerichtlichen Genehmigung, wenn die Behandlerseite ihre Entscheidung über die Vornahme oder Nichtvornahme einer medizinischen Maßnahme direkt auf den mutmaßlichen Willen des Patienten stützt, siehe D. II. 5. f).
I. Die Vornahme lebensverlängernder Maßnahmen
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maßliche Wille des Patienten auf die Beendigung der Behandlung gerichtet ist. Die Behandlung ist auch dann rechtmäßig und der Unterlassungsanspruch besteht nicht, wenn der Betreuer in die Weiterbehandlung eingewilligt hat oder die erforderliche gerichtliche Genehmigung der Behandlungsabbruchentscheidung des Betreuers fehlt.88 Hat das Gericht die Behandlungsabbruchentscheidung genehmigt, steht fest, dass die Beendigung der Behandlung dem mutmaßlichen Willen entspricht, so dass das Unstreitigstellen des Sterbewillens unproblematisch ist. In Fällen, in denen ein gerichtliches Genehmigungsverfahren nicht erforderlich ist, weil die Beteiligten aufgrund einer schriftlichen Patientenverfügung über den mutmaßlichen Willen des Patienten einig sind, bestehen insofern keine Bedenken gegen das Unstreitigstellen im Prozess, als die Beteiligten den Patienten auch ohne Einschaltung eines Gerichts sterben lassen dürften. Durch das Unstreitigstellen des Sterbewillens im Prozess wird die Gefahr, dass die lebenserhaltende Behandlung entgegen dem mutmaßlichen Willen des Betroffenen beendet wird, nicht erhöht. dd) Die Rechtswidrigkeit einer eigenmächtigen Behandlung Zu untersuchen ist weiter, ob die Durchführung der lebenserhaltenden Maßnahmen durch das Pflegeheim rechtswidrig wäre, wenn der künstlichen Ernährung sowohl der mutmaßliche Patientenwille als auch eine wirksame Einwilligungsverweigerung des Betreuers entgegenstände. Die Rechtswidrigkeit der eigenmächtigen Behandlung ist dann zu verneinen, wenn das Pflegeheim ein Recht zur eigenmächtigen Behandlung hat. Ein solches Recht würde nicht nur den deliktischen, sondern auch den vertraglichen Anspruch des Patienten ausschließen. Anders als in § 823 Abs. 1 BGB („widerrechtlich“) findet sich in § 280 Abs. 1 BGB zwar kein Hinweis auf das Erfordernis der Rechtswidrigkeit und damit auch nicht auf die Möglichkeit des Ausschlusses der Rechtswidrigkeit durch Rechtfertigungsgründe. Dies bedeutet allerdings nicht, dass der Anspruch aus § 280 Abs. 1 BGB kein rechtswidriges Verhalten erfordert und Rechtfertigungsgründe nicht zu prüfen sind. Zu beachten ist nämlich, dass die vertragliche Haftung wegen Pflichtverletzung eine Verschuldenshaftung ist. Schuldhaftes und gleichzeitig rechtmäßiges Verhalten gibt es aber nicht, d. h. Verschulden setzt Rechtswidrigkeit voraus.89 Daher wird in der Literatur im Hinblick auf den vertragsrechtlichen Anspruch wegen schuldhafter Pflichtverletzung gemäß § 280 Abs. 1 BGB zutreffend festgestellt, dass die Rechtswidrigkeit ungeschriebene Voraussetzung ist.90
88 89 90
Zur Zulässigkeit der lebenserhaltenden Behandlung aufgrund der fehlenden gerichtlichen Genehmigung siehe oben E. I. 1. a) cc) (2) (b). Deutsch/Ahrens, Deliktsrecht, Rn. 6; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 171; Staudinger/Löwisch, § 276 Rn. 12. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 171; Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, Rn. 637 f.
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E. Lebenserhaltung bei Sterbenden/unheilbar Kranken/anhaltend Bewusstlosen
(1) Rechtmäßigkeit der künstlichen Ernährung aufgrund eigener Rechtspositionen des Pflegeheims und des Pflegepersonals Das Oberlandesgericht München gesteht dem Pflegepersonal ein verfassungsrechtlich abgeleitetes Recht zu, den Behandlungsabbruch zu verweigern. Dieses Verweigerungsrecht, das als Ethikvorbehalt bezeichnet wird, stützt das Gericht auf die den Pflegekräften „zustehenden verfassungsmäßigen Rechte gemäß Art. 1, 2, 4 GG“ bzw. auf das „Recht der Pflegekräfte […] auf Berücksichtigung ihrer Gewissensentscheidung nach Art. 1, 2, 4 GG“.91 Mit einer ähnlichen Argumentation verneint auch Berg die Rechtswidrigkeit der künstlichen Ernährung.92 Nach der insoweit zutreffenden Auffassung Bergs stellt die eigenmächtige Bestückung der PEG-Sonde eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar.93 Da nach herrschender Meinung der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht die Rechtswidrigkeit indiziert, sondern erst nach einer auf den Einzelfall bezogenen Güter- und Interessenabwägung festzustellen ist94, berücksichtigt Berg die Rechte des Pflegeheims und des Pflegepersonals innerhalb dieser Abwägung. Im Ergebnis bejaht er die Rechtmäßigkeit der künstlichen Ernährung.95 Dass die Grundrechte innerhalb der Prüfung eines zivilrechtlichen Anspruchs berücksichtigt werden, ist grundsätzlich nicht zu beanstanden. Die Grundrechte sind zwar in erster Linie Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat und wirken im Privatrecht nicht unmittelbar, sie stellen aber auch eine objektive Wertordnung dar, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung in alle Rechtsbereiche und damit auch in das Verhältnis der Bürger untereinander ausstrahlt.96 Diese mittelbare Drittwirkung der Grundrechte entfaltet sich im Privatrecht insbesondere bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe und bei der Anwendung von Generalklauseln97, zu denen auch die Begriffe „rechtswidrig“ und „rechtmäßig“ gezählt werden.98 Im Hinblick auf die Güter- und Interessenabwägung, die bei einer Verletzung des nach hier vertretener Ansicht einschlägigen allgemeinen Persönlichkeitsrechts zur Feststellung der Rechtswidrigkeit erfolgen muss, ist die Berücksichtigung der Grundrechte allgemein anerkannt.99 Die von Berg und dem Oberlandesgericht München vertretene Auffassung setzt allerdings voraus, dass die geforderte Einstellung der lebenserhaltenden Behandlung Rechtspositionen auf Seiten des Pflegeheims beeinträchtigt, die gegenüber 91 92 93
94 95 96 97 98 99
OLG München NJW 2003, 1743, 1745. Berg, Behandlungsbegrenzung, S. 23 ff. Berg, Behandlungsbegrenzung, S. 18. Zur Einordnung der eigenmächtigen Bestückung der PEG-Sonde als Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts siehe oben C. II. 3. e) bb) (1) und (2). Staudinger/Hager, § 823 Rn. C 17; Palandt/Sprau, § 823 Rn. 95. Kritisch Larenz/ Canaris, Schuldrecht II/2, § 80 III. 2. Berg, Behandlungsbegrenzung, S. 39. BVerfGE 7, 198, 204 ff.; BVerfGE 73, 261, 269; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Vorb. vor Art. 1 Rn. 13; v. Münch, in: v. Münch/Kunig, Vorb. Art. 1-19 Rn. 31. BVerfGE 7, 198, 206; BVerfGE 73, 261, 269. Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 195. Statt aller Palandt/Sprau, § 823 Rn. 95.
I. Die Vornahme lebensverlängernder Maßnahmen
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den Rechten des Patienten vorrangig sind. Das Oberlandesgericht München macht keine weiteren Ausführungen zu den betroffenen Rechtspositionen und begnügt sich mit dem Hinweis auf Art. 1, 2, 4 GG.100 Hierzu sei zunächst angemerkt, dass nach dem Maßstab des Art. 19 Abs. 3 GG dem Pflegeheim die in Art. 1, 2, 4 GG verankerten Grundrechte mit Ausnahme der allgemeinen Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG und der Religions- und Weltanschauungsfreiheit gemäß Art. 4 Abs. 1 und 2 GG selbst nicht zustehen, weil sie ihrem Wesen nach auf juristische Personen und Personenmehrheiten nicht anwendbar sind.101 Aber auch wenn die Grundrechte des Pflegepersonals, das nicht Partei des Zivilprozesses ist, im Rahmen der gegen das Pflegeheim gerichteten Klage Berücksichtigung finden102, bedarf es einer genauen Prüfung, ob aus diesen Grundrechten die Zulässigkeit der eigenmächtigen künstlichen Ernährung folgt. (a) Die Menschenwürde der Pflegekräfte Sollte das Oberlandesgericht München mit Art. 1 GG auf die Menschenwürde hinweisen wollen, ist festzustellen, dass die Menschenwürde der Pflegekräfte durch die geforderte Einstellung der künstlichen Ernährung nicht berührt wird.103 Angesichts ihrer absoluten Verbürgung ist die Menschenwürde restriktiv auszulegen.104 Dementsprechend schützt das Grundrecht nicht sämtliche ethischen und medizinischen Vorstellungen.105 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist mit dem Begriff der Menschenwürde vielmehr der „soziale Wertund Achtungsanspruch des Menschen verbunden, der es verbietet, den Menschen zum bloßen Objekt des Staates zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt.“106 Dass mit der geforderten Unterlassung der künstlichen Ernährung bei gleichzeitiger Sterbebegleitung die Subjektqualität der Pflegekräfte und ihr Wert, der ihnen kraft ihres Menschseins zukommt, negiert wird, ist nicht ersichtlich.107
100 101 102
103 104 105 106 107
Kritisch hierzu auch Hufen, Gutachten zum Fall Peter K., in: Putz/Steldinger, Patientenrechte, S. 235, 243 f. Dreier, in: Dreier, Art. 19 III Rn. 35 f.; Sachs, in: Sachs, Art. 19 Rn. 68 ff. Ausführlich hierzu Berg, Behandlungsbegrenzung, S. 29 f. mit Hinweis auf BVerfGE 104, 337. Von der Berücksichtigungsfähigkeit der Grundrechte des Pflegepersonals geht auch BGHZ 163, 195, 199 f. aus. BGHZ 163, 195, 200; Hufen, Gutachten zum Fall Peter K., in: Putz/Steldinger, Patientenrechte, S. 235, 244. Dreier, in: Dreier, Art. 1 I Rn. 41; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 1 Rn. 7. BGHZ 163, 195, 200; Hufen, Gutachten zum Fall Peter K., in: Putz/Steldinger, Patientenrechte, S. 235, 244. BVerfGE 87, 209, 228; BVerfGE 96, 375, 399; BVerfGE 109, 133, 150; BVerfGE 109, 279, 312 f. So auch Hufen, Gutachten zum Fall Peter K., in: Putz/Steldinger, Patientenrechte, S. 235, 244.
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E. Lebenserhaltung bei Sterbenden/unheilbar Kranken/anhaltend Bewusstlosen
(b) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Pflegekräfte Ohnehin liegt es näher, dass das Oberlandesgericht München auf die Vorschrift des Art. 1 GG nicht einzeln, sondern in Verbindung mit Art. 2 GG hinweisen wollte, die Zulässigkeit der eigenmächtigen Behandlung also nicht auf die Menschenwürde, sondern auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Pfleger gemäß Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gestützt hat.108 Begründet das Oberlandesgericht München die Rechtmäßigkeit der eigenmächtigen Behandlung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Pfleger, verkennt es aber, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht den Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG unterliegt.109 Das Persönlichkeitsrecht findet seine Grenze an den „Rechten anderer“.110 Durch die eigenmächtige künstliche Ernährung wird aber das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, das als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts geschützt ist, beeinträchtigt. Ferner kann eine eigenmächtige Behandlung in die körperliche Unversehrtheit des Patienten gemäß Art. 2 Abs. 2 GG eingreifen.111 Teilweise wird zudem erwogen, dass in der eigenmächtigen künstlichen Ernährung eine Verletzung der Menschenwürde des Patienten liege.112 Die künstliche Ernährung gegen den erklärten Willen des Patienten oder seines Betreuers sei eine Zwangsernährung, welche die von der Menschenwürde umfasste Selbstbestimmung breche und den Menschen zum Objekt desjenigen mache, der die lebenserhaltende Maßnahme durchsetzt.113 Hiergegen wendet Berg ein, dass die künstliche Ernährung keine Zwangsernährung darstelle, weil dem Patienten das Verlassen des Pflegeheims freistehe.114 Außerdem kritisiert er die nahezu synonyme Verwendung der Begriffe Selbstbestimmung und Menschenwürde.115 Zwar darf – entgegen der Auffassung Bergs – nach hier vertretener Ansicht der Patient nicht auf die Kündigung des Pflegeverhältnisses verwiesen werden116; angesichts der gebotenen 108 109 110 111
112
113 114 115 116
Zur Grundlage des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vgl. Starck, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, Art. 2 Abs. 1 Rn. 14. Siehe hierzu Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 2 Rn. 58. BGHZ 163, 195, 200; Hufen, Gutachten zum Fall Peter K., in: Putz/Steldinger, Patientenrechte, S. 235, 244. Denkbar ist, dass im Verfassungsrecht auch solche Behandlungen, die nach hier vertretener Ansicht mangels nachteiliger Auswirkungen auf Körper und Gesundheit im Zivilund Strafrecht keine Körper- oder Gesundheitsverletzung darstellen (siehe C. II. 3. e) bb), Eingriffe in das Recht auf körperliche Unversehrtheit sind. In diese Richtung wohl Kunig, in: v. Münch/Kunig, Art. 2 Rn. 65: „jede Veränderung, die am Körper eines lebenden Menschen vorgenommen wird“. Anders Berg, Behandlungsbegrenzung, S. 28. In BVerfGE 17, 108, 115 wurde offen gelassen, ob eine hirnelektrische Untersuchung – eine diagnostische Maßnahme, mit der weder eine Substanzverletzung noch Schmerzen verbunden sind – einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit darstellt. Hufen, NJW 2001, 849, 851 im Hinblick auf Zwangsernährung; ders., Gutachten zum Fall Peter K., in: Putz/Steldinger, Patientenrechte, S. 235 f.; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 392 im Hinblick auf Zwangsernährung in staatlichen Anstalten. Hufen, Gutachten zum Fall Peter K., in: Putz/Steldinger, Patientenrechte, S. 235, 239 f. Berg, Behandlungsbegrenzung, S. 25. Berg, Behandlungsbegrenzung, S. 27. Siehe hierzu bereits oben unter E. I. 1. a) aa) (1).
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restriktiven Auslegung der Menschenwürde117 und des Schutzes der Selbstbestimmung in Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG ist aber eine Verletzung der Menschenwürde durch die eigenmächtige künstliche Ernährung eines Wachkomapatienten im Ergebnis zu verneinen. Festzuhalten ist jedoch, dass im Hinblick auf das beeinträchtigte Selbstbestimmungsrecht des Patienten das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Pfleger die eigenmächtige Fortführung der künstlichen Ernährung nicht legitimieren kann. (c) Die Gewissensfreiheit des Pflegepersonals Zu prüfen bleibt, ob die Gewissensfreiheit der Pflegekräfte gemäß Art. 4 Abs. 1 und 3 GG die Zulässigkeit der eigenmächtigen künstlichen Ernährung begründen kann. Nach überwiegender, zutreffender Meinung berechtigt die Gewissensfreiheit nicht zu Eingriffen in die Rechte Dritter, denn das Recht, das eine Schutzfunktion für die Rechte und Rechtsgüter aller innehat, darf seine Geltung nicht von der Gewissensentscheidung des Einzelnen abhängig machen.118 Dementsprechend hat der 12. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs entschieden, dass die Gewissensfreiheit des Pflegepersonals nicht das Recht gewähre, durch aktives Tun das Selbstbestimmungsrecht des Patienten zu missachten.119 Zu einem anderen Ergebnis gelangt Berg. Er weist darauf hin, dass die palliativ-medizinische Versorgung während des Sterbevorgangs ein positives Tun darstelle und die Gewissensfreiheit vor der Verpflichtung zu einem positiven Tun schütze.120 Daraus folgert er, dass der Patient die künstliche Ernährung dann hinnehmen müsse, wenn er in einer Pflegeeinrichtung verbleibt, die „ein selbst herbeigeführtes und letztlich suizidal geprägtes Versterben in ihren Räumlichkeiten und mit ihrem Personal aus ethischen Gründen nicht pflegerisch-betreuend begleiten möchte.“121 Zwar ist zutreffend, dass die palliativ-medizinische Betreuung während der Sterbephase ein aktives Tun erfordert und das Gewissen die Unterlassung bestimmter Maßnahmen rechtfertigen kann.122 Berg vermengt aber in unzulässiger Weise die Frage nach der Rechtmäßigkeit der künstlichen Ernährung mit der Frage nach der Pflicht zur palliativ-medizinischen Betreuung während des Sterbevorgangs. Selbst wenn die palliativ-medizinische Versorgung des Patienten während
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119
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Dreier, in: Dreier, Art. 1 I Rn. 41; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 1 Rn. 7. BGHZ 163, 195, 200; Hufen, ZRP 2003, 248, 252; v. Burski, Zeugen Jehovas, S. 157; Deutsch/Bender/Eckstein/Zimmermann, Transfusionsrecht, Rn. 1243; Dirksen, GesR 2004, 124, 128. BGHZ 163, 195, 200 mit Verweis auf Hufen, NJW 2001, 849, 853. Zustimmend Höfling, JZ 2006, 145, 146. Zur Gewissensnot als Rechtfertigungsgrund siehe auch F. II. 3. a). Berg, Behandlungsbegrenzung, S. 35. Berg, Behandlungsbegrenzung, S. 35. Hufen, Gutachten zum Fall Peter K., in: Putz/Steldinger, Patientenrechte, S. 235, 245.
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der Sterbephase die Gewissensfreiheit der Pflegekräfte beeinträchtigte123, könnte die Gewissensfreiheit die Zulässigkeit der eigenmächtigen künstlichen Ernährung nicht begründen. Die Gewissensfreiheit könnte den Pflegekräften allenfalls das Recht geben, die Pflege während des Sterbevorgangs zu verweigern, und dem Pflegeheim erlauben, den Heimvertrag einseitig zu kündigen oder eine Versorgung des Patienten durch externe Pflegekräfte zu verlangen. Vorliegend geht es aber nicht um das Recht des Pflegeheims, die palliativ-medizinische Betreuung zu verweigern, sondern um das Recht, die künstliche Ernährung eigenmächtig fortzuführen. Dass das Pflegeheim die palliativ-medizinische Versorgung während des Sterbevorgangs möglicherweise hätte verweigern können, bedeutet nicht, dass es den Patienten weiterhin künstlich ernähren durfte. Ist jemand berechtigt, eine Handlung zu unterlassen, berechtigt dies nicht gleichzeitig zur Vornahme einer anderen Handlung. Die Gewissensfreiheit des Pflegepersonals erlaubt dem Pflegeheim somit nicht die eigenmächtige Fortführung der künstlichen Ernährung. Dieses Ergebnis bedeutet auch keinen Widerspruch zur Rechtslage beim Schwangerschaftsabbruch. Aus der Regelung des § 12 Abs. 1 Schwangerschaftskonfliktgesetz, nach der niemand verpflichtet ist, an einem Schwangerschaftsabbruch mitzuwirken, kann nicht geschlossen werden, dass die Pflegekräfte zur Fortführung der künstlichen Ernährung berechtigt sind.124 Zu Recht hält der 12. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in dem hier interessierenden Fall einer Behandlungsbegrenzung einen Vergleich mit der Rechtslage beim Schwangerschaftsabbruch für nicht statthaft. Während nämlich im Fall der Behandlungsbegrenzung ein Unterlassen verlangt wird, ist in § 12 Abs. 1 Schwangerschaftskonfliktgesetz lediglich bestimmt, dass kein aktives Tun gefordert werden kann.125 Die Vorschrift des § 12 Abs. 1 Schwangerschaftskonfliktgesetz, die Ausfluss der grundrechtlich geschützten Gewissensfreiheit ist, berechtigt nicht, durch positives Tun in die Rechte anderer einzugreifen.126 (d) Die Berufsfreiheit des Pflegeheims und des Pflegepersonals Um die Rechtmäßigkeit der eigenmächtigen Behandlung zu begründen, verweist Berg außerdem auf die Berufsfreiheit, die nicht nur den Pflegekräften, sondern nach dem Maßstab des Art. 19 Abs. 3 GG auch dem Pflegeheim zustehe.127 Da die Berufsfreiheit auch die Berufsausübungsfreiheit umfasst, also auch das Recht gewährt, die Art der angebotenen Güter und Dienstleistungen festzulegen128, liegt nach Auffassung Bergs in der Verpflichtung des Pflegeheims, unter gleichzeitiger Aufrechterhaltung der palliativ-medizinischen Versorgung die künstliche Ernäh123
124 125 126 127 128
Dies erscheint zweifelhaft, da die palliativ-medizinische Versorgung als solche den Tod weder herbeiführt noch beschleunigt (vgl. Hufen, Gutachten zum Fall Peter K., in: Putz/Steldinger, Patientenrechte, S. 235, 245). So aber OLG München NJW 2003, 1743, 1745; Berg, Behandlungsbegrenzung, S. 35 f. BGHZ 163, 195, 200; Hufen, ZRP 2003, 248, 252. BGHZ 163, 195, 200; Höfling, JZ 2006, 145, 146. Berg, Behandlungsbegrenzung, S. 29 ff. BVerfGE 106, 275, 299; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 12 Rn. 8.
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rung einzustellen, eine Beeinträchtigung des Grundrechts.129 Indessen kann auch die von Berg bemühte Berufsfreiheit die Zulässigkeit der eigenmächtigen künstlichen Ernährung nicht begründen. Einschränkungen der Berufsausübung sind durch jede vernünftige Erwägung des Gemeinwohls legitimiert.130 Die Berufsfreiheit berechtigt ebenso wenig wie die Gewissensfreiheit dazu, durch aktives Tun in das Selbstbestimmungsrecht eines anderen einzugreifen. (e) Ergebnis Der vom Oberlandesgericht München kreierte und auf Art. 1, 2, 4 GG gestützte Ethikvorbehalt vermag die eigenmächtige künstliche Ernährung nicht zu legitimieren. Die Fortführung der lebenserhaltenden Maßnahmen kann auch nicht auf die Berufsfreiheit des Pflegeheims und des Pflegepersonals gestützt werden. Wenn das Oberlandesgericht darauf hinweist, in den Resolutionen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie und der Bundesärztekammer werde einem Ethikvorbehalt Rechnung getragen131, ist dies schlichtweg nicht nachvollziehbar. An keiner Stelle deuten die Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung132 oder die Leitlinie zum Umfang und zur Begrenzung der ärztlichen Behandlungspflicht in der Chirurgie133 auch nur an, dass Ärzte oder Pflegekräfte das Recht haben, den ausdrücklichen oder mutmaßlichen Patientenwillen oder die wirksame Entscheidung eines Vertreters zu missachten. (2) Rechtmäßigkeit der Fortführung der künstlichen Ernährung aufgrund eines strafrechtlichen Verbots des Behandlungsabbruchs Wäre das Unterlassen der künstlichen Ernährung strafrechtlich verboten, müsste die Fortführung der künstlichen Ernährung rechtmäßig sein.134 Wie bereits dargelegt wurde, ist aber nach zutreffender Ansicht ein Behandlungsabbruch bei einem Wachkomapatienten nicht generell verboten.135 Aus dem Strafrecht resultiert somit keine Befugnis des Pflegeheims, lebenserhaltende Behandlungen eigenmächtig vorzunehmen. 129 130 131 132
133 134
135
Berg, Behandlungsbegrenzung, S. 31. BVerfGE 70, 1, 28; BVerfGE 78, 155, 162; BVerfGE 85, 248, 259; BVerfGE 103, 1, 10; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 12 Rn. 36. OLG München NJW 2003, 1743, 1745. Siehe sowohl die damals geltenden als auch die aktuellen Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung, DÄBl 1998, A 2366 f. bzw. DÄBl 2004, A 1298. Abgedruckt in Staudinger/Hager, § 823 Rn. I 15. So auch BGHZ 163, 195, 201. Zur Einheit der Rechtsordnung bzw. zum Gebot der Vermeidung von Widersprüchen innerhalb der Rechtsordnung siehe auch allgemein Deutsch, FS Wahl, S. 339, 347 und Spickhoff, Gesetzesverstoß, S. 198. Vgl. BGHSt 40, 257; Krey/Heinrich, Strafrecht BT 1, Rn. 10 a m. w. N.; vgl. auch bereits E. I. 1. a) aa) (1). Zur Zulässigkeit eines Behandlungsabbruchs vor Eintritt der Sterbephase siehe auch die Ausführungen oben unter D. II. 1. c) bb) (2) und (3) sowie D. II. 1. c) cc) (4) a. E.
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ee) Verschulden (1) Rechtsirrtum Den Anspruch auf Schadensersatz wegen der eigenmächtigen Fortführung der künstlichen Ernährung verneint das Landgericht Traunstein wegen fehlenden Verschuldens.136 Das Oberlandesgericht München, dem die Entscheidung des Landgerichts Traunstein zur Berufung vorgelegt wurde, hat sich dem Landgericht angeschlossen.137 Ein schuldhaftes Handeln des Pflegeheims wird mit der Begründung abgelehnt, es liege ein Rechtsirrtum auf Seiten des Pflegeheims vor. Das Pflegeheim habe zwar die Rechtslage unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung sorgfältig prüfen und erforderlichenfalls Rechtsrat einholen müssen. Ein Verschulden liege aber dann nicht vor, wenn die Rechtslage in besonderem Maße unklar und dem Schuldner die sofortige Erfüllung der gegnerischen Forderungen nicht zumutbar ist.138 Dem Pflegeheim könne kein Verschuldensvorwurf gemacht werden, weil in dem maßgeblichen Zeitraum von der Anordnung des behandelnden Arztes am 14.12.2001 bis zum Tod des Patienten am 26.03.2004 die Voraussetzungen einer zulässigen Sterbehilfe im weiteren Sinn durch Gesetzgebung und Rechtsprechung nicht hinreichend geklärt gewesen seien.139 In dem Zeitraum, in dem das Pflegeheim die künstliche Ernährung des Wachkomapatienten ohne die Einwilligung des Betreuers fortführte, war tatsächlich zweifelhaft, unter welchen Voraussetzungen eine lebenserhaltende Behandlung beendet werden darf. Rechtsunsicherheit bestand in mehrfacher Hinsicht. (a) Rechtsunsicherheit hinsichtlich des Erfordernisses einer gerichtlichen Genehmigung Nicht geklärt war, in welchen Fällen die Behandlungsabbruchentscheidung des Betreuers vormundschaftsgerichtlich genehmigt werden muss.140 Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hatte 1994 im so genannten „Kemptener Urteil“ die Ansicht vertreten, dass die Behandlungsabbruchentscheidung des Betreuers zu ihrer Wirksamkeit der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung analog § 1904 Abs. 1 BGB bedürfe.141 Im Anschluss an diese Entscheidung wurde das Erfordernis einer vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung in Literatur und Rechtsprechung zwar teilweise abgelehnt, von großen Teilen aber auch befürwortet.142 Diejenigen, die sich für ein Genehmigungserfordernis aussprachen, haben Ausnahmen von diesem nicht diskutiert, insbesondere wurde nicht erwogen, die Genehmigung nur in Konfliktfällen zwischen Arzt und Betreuer zu fordern. Erst im Jahr 2003 hat der 12. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs die Ansicht vertreten, dass für eine 136 137 138 139 140 141 142
LG Traunstein PflR 2006, 390, 392 ff. OLG München GesR 2006, 524, 525. Ablehnend Roßbruch, PflR 2006, 390, 394. OLG München GesR 2006, 524, 525; LG Traunstein PflR 2006, 390, 392. OLG München GesR 2006, 524, 525 f. OLG München GesR 2006, 524, 525 f. BGHSt 40, 257, 261 f. Siehe hierzu D. II. 5. a) cc), insbesondere auch die Nachweise in Kap D. Fn. 308.
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Einwilligung des Betreuers und eine Genehmigung des Vormundschaftsgerichts kein Raum sei, „wenn ärztlicherseits eine […] Behandlung oder Weiterbehandlung nicht angeboten wird – sei es, daß sie von vornherein medizinisch nicht indiziert, nicht mehr sinnvoll oder aus sonstigen Gründen nicht möglich ist“.143 Obgleich der Zivilsenat weiter ausführt, dass durch diese Einschränkung des Genehmigungserfordernisses sichergestellt werde, „daß die Vormundschaftsgerichte nur in Konfliktlagen angerufen werden können“144, kann dem Beschluss vom 17.3.2003 nicht zweifelsfrei entnommen werden, dass eine Genehmigung auch dann entbehrlich ist, wenn Arzt und Betreuer einig sind, dass die Unterlassung einer medizinisch indizierten Behandlung dem mutmaßlichen Patientenwillen entspricht.145 Auf die Situation, dass zwischen Arzt und Betreuer Einvernehmen über den Inhalt des mutmaßlichen Patientenwillens besteht, geht der Zivilsenat im Beschluss vom 17.3.2003 ausdrücklich jedenfalls nicht ein. So hat das Landgericht Essen noch im Jahr 2007 unter Berufung auf die Rechtsprechung des 12. Zivilsenats eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung auch dann für erforderlich gehalten, wenn behandelnder Arzt und Betreuer über die Einstellung einer – zunächst durchgeführten – künstlichen Ernährung einig sind.146 Damit lässt sich festhalten, dass auch nach der Veröffentlichung des Beschlusses des Bundesgerichtshofs vom 17.3.2003 hinsichtlich der Frage, ob im vorliegenden Fall die Behandlungsabbruchentscheidung des Betreuers der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung bedurft hätte, Rechtsunsicherheit bestand. Daher könnte ein Verschulden des Pflegeheims aufgrund Rechtsirrtums zu verneinen sein, wenn das Pflegeheim wegen des Fehlens einer vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung die Beendigung der Behandlung für rechtswidrig und die Fortführung der Behandlung für rechtmäßig hielt. Ist eine Rechtsfrage umstritten, lässt – wie das Landgericht Traunstein und das Oberlandesgericht München zutreffend feststellen147 – ein Rechtsirrtum das Verschulden entfallen, wenn die Befolgung der gegnerischen Auffassung unzumutbar ist.148 Unzumutbarkeit ist insbesondere dann zu bejahen, wenn das von der Gegenseite geforderte Verhalten möglicherweise strafbar sein könnte.149 Wäre die lebenserhaltende Behandlung beendet worden, obwohl die Behandlungsabbruchentscheidung des Betreuers vormundschaftsgerichtlich genehmigt hätte werden müssen, hätte die Beendigung der Behandlung ein strafbares Tötungsdelikt sein können.150 Zwar hätte im Fall
143 144 145 146 147 148 149 150
BGHZ 154, 205, 225. BGHZ 154, 205, 227. So auch Berg, Behandlungsbegrenzung, S. 53. Siehe hierzu auch die Ausführungen oben unter D. II. 5. a) dd) (2). LG Essen NJW 2008, 1170, 1171 f. OLG München GesR 2006, 524, 525; LG Traunstein PflR 2006, 390, 392. Palandt/Grüneberg, § 276 Rn. 23. Im Strafrecht Schönke/Schröder/Cramer/SternbergLieben, § 17 Rn. 21; Roxin, Strafrecht AT 1, § 21 Rn. 63. J. Mayer, Rechtsirrtum, S. 109. Mit einer Strafbarkeit wegen eines Tötungsdelikts musste insbesondere deshalb gerechnet werden, weil bislang nicht abschließend geklärt ist, inwieweit die Zulässigkeit eines Behandlungsabbruchs nicht nur auf eine wirksame Betreuerentscheidung, sondern auch
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der Entbehrlichkeit einer vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung auch die Fortführung der lebenserhaltenden Behandlung strafbar sein können. Die Vornahme einer lebenserhaltenden Behandlung stellt aber allenfalls eine Körperverletzung dar und schafft – anders als der Behandlungsabbruch – keine vollendeten Tatsachen. Da demnach unter Berücksichtigung der jeweiligen Strafbarkeitsrisiken für die im Pflegeheim tätigen Personen die Fortführung der Behandlung gegenüber dem Behandlungsabbruch eindeutig als die vorzugswürdige Alternative erscheint, war die Beendigung der Behandlung für das Pflegeheim unzumutbar. Ein Rechtsirrtum auf Seiten des Pflegeheims lässt ein Verschulden daher entfallen. Dies änderte sich auch nicht durch die Entscheidung des Amtsgerichts Rosenheim, das am 17.9.2003 unter Berücksichtigung des Beschlusses des 12. Zivilsenats vom 17.3.2003 entschieden hat, dass aufgrund des Einvernehmens zwischen Arzt und Betreuer keine Genehmigung erforderlich sei. Da sich der Anspruchsgegner auf Entscheidungen der Instanzgerichte und Obergerichte auch dann nicht verlassen darf, wenn diese im jeweiligen Rechtsstreit ergangen sind151, bestand für das Pflegeheim weiterhin die Gefahr, dass eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung erforderlich ist und die Beendigung der Behandlung ein Tötungsdelikt darstellt. (b) Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Anforderungen an die Feststellung eines mutmaßlichen Sterbewillens Das Oberlandesgericht München verneint ein Verschulden auch deshalb, weil aus Sicht des Pflegeheims nicht erkennbar gewesen sei, ob die früheren Äußerungen des Patienten den im „Kemptener Urteil“ aufgestellten Anforderungen an die Feststellung eines mutmaßlichen Sterbewillens genügten.152 In der Tat kann ein Verschulden auch mit dieser Begründung abgelehnt werden. Nach der im „Kemptener Urteil“ dargelegten Auffassung des Bundesgerichtshofs sind an die Voraussetzungen für die Annahme einer mutmaßlichen Einwilligung in den Behandlungsabbruch strenge Anforderungen zu stellen.153 Für die Annahme eines mutmaßlichen Einverständnisses sei jedenfalls nicht ausreichend, dass ein Patient acht bis zehn Jahre vor dem Behandlungsabbruch anlässlich einer Fernsehsendung, in der über einen Pflegefall berichtet wurde, geäußert hat, dass er „so nicht enden wolle“.154 Bei Berücksichtigung dieser Ausführungen des Bundesgerichtshofs musste das Pflegeheim daran zweifeln, ob die von Peter K. unter dem Eindruck eines schweren Verkehrsunfalls früher gemachten Äußerungen, er wolle im Fall seiner Pflegebedürftigkeit und Willensunfähigkeit nicht künstlich am Leben erhalten werden, für die Annahme eines mutmaßlichen Sterbewillens ausreichten.155
151 152 153 154 155
auf den mutmaßlichen Patientenwillen gestützt werden kann. Zum Verhältnis von Betreuerentscheidung und mutmaßlichem Willen siehe oben D. II. 6. a). BGH NJW 1974, 1903, 1905; BGH VersR 1990, 153; MünchKommBGB/Grundmann, § 276 Rn. 74; Palandt/Grüneberg, § 276 Rn. 22. OLG München GesR 2006, 524, 526 f. BGHSt 40, 257, 263. BGHSt 40, 257, 261. OLG München GesR 2006, 524, 526 f.
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Dass der mutmaßliche Wille des Patienten auf die Beendigung der lebenserhaltenden Behandlung gerichtet war, konnte das Pflegeheim auch nicht aus den allgemeinen Wertvorstellungen ableiten. Abgesehen davon, dass die Berücksichtigung allgemeiner Wertvorstellungen bei der Frage der Zulässigkeit eines Behandlungsabbruchs im Schrifttum kritisiert wird156, kann dem „Kemptener Urteil“ nicht entnommen werden, ob sich beim Vorliegen einer irreversiblen Bewusstlosigkeit aus den allgemeinen Wertvorstellungen ein mutmaßlicher Sterbewille des Patienten ergibt. In der „Kemptener Entscheidung“ bestimmt der Bundesgerichtshof, dass bei der Berücksichtigung allgemeiner Wertvorstellungen Zurückhaltung geboten sei. Ob ein Behandlungsabbruch zulässig ist, hänge davon ab, wie aussichtslos die ärztliche Prognose und wie nahe der Patient dem Tod ist.157 Diese Ausführungen lassen nicht erkennen, ob im Fall einer irreversiblen Bewusstlosigkeit, bei der die Prognose zwar schlecht, der Tod aber aufgrund der stabilen körperlichen Verfassung des Patienten in absehbarer Zeit nicht bevorsteht, ein mutmaßlicher Sterbewille des Patienten anzunehmen ist. Somit war für das Pflegeheim nicht ersichtlich, ob es aus strafrechtlicher Sicht von einem mutmaßlichen Sterbewillen des Patienten ausgehen durfte. Deshalb kann dem Pflegeheim kein Schuldvorwurf gemacht werden, wenn es die Einstellung der Behandlung mangels eines entsprechenden Patientenwillens für rechtswidrig und die Fortführung der Behandlung für rechtmäßig hielt. (c) Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Zulässigkeit von Behandlungsabbrüchen bei Wachkomapatienten Schließlich kann ein Verschulden auch mit der Begründung verneint werden, es sei für das Pflegeheim nicht zweifelsfrei erkennbar gewesen, ob die Einstellung der künstlichen Ernährung bei einem Wachkomapatienten überhaupt rechtlich zulässig sein kann. Ein Behandlungsabbruch bei einem Wachkomapatienten, dessen Tod nicht unmittelbar bevorsteht, stellt keinen Fall der rechtlich relativ unproblematischen passiven Sterbehilfe (im engeren Sinn) dar. Erst im „Kemptener Urteil“ hat der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs untersucht, unter welchen Voraussetzungen ein Behandlungsabbruch bei einem Patienten, der sich nicht in der Sterbephase befindet, zulässig ist. In der „Kemptener Entscheidung“ hat der 1. Strafsenat aber lediglich ausgeführt, „daß angesichts der besonderen Umstände des hier gegebenen Grenzfalles ausnahmsweise ein zulässiges Sterbenlassen durch Abbruch einer ärztlichen Behandlung oder Maßnahme nicht von vornherein ausgeschlossen ist“.158 Aus dieser vorsichtigen Formulierung konnte die Zulässigkeit des Behandlungsabbruchs in einem anderen Fall nicht zweifelsfrei abgeleitet werden. Die Rechtsunsicherheit im Hinblick auf die Zulässigkeit von Behandlungsabbrüchen wurde durch den Beschluss des 12. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 17.3.2003 noch verstärkt. Der 12. Zivilsenat hat ausgeführt, dass ein Behandlungsabbruch nur zulässig sei, wenn das Grundleiden einen irreversibel 156 157 158
Dauster, in: Wienke/Lippert, Wille, S. 89, 100; Dörner, ZRP 1996, 93, 95 f. BGHSt 40, 257, 263. BGHSt 40, 257, 262 (Hervorhebungen durch die Verfasserin).
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tödlichen Verlauf angenommen hat.159 Sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur wurde daraufhin die Auffassung vertreten, der Begriff des irreversibel tödlich verlaufenden Grundleidens setze voraus, dass der Tod unmittelbar bevorsteht, der Sterbevorgang also bereits begonnen hat.160 Dementsprechend sind manche Autoren der Ansicht, dass im Fall eines apallischen Syndroms, bei dem der Betroffene mit medizinischer Versorgung noch unbestimmte Zeit leben kann, kein Grundleiden mit irreversibel tödlichem Verlauf vorliege und ein Behandlungsabbruch deshalb nach Auffassung des Zivilsenats generell unzulässig sei.161 Aufgrund der Missverständlichkeit des Beschlusses vom 17.3.2003 und der aus Sicht des Pflegeheims bestehenden Gefahr, dass die Beendigung der Behandlung ein Tötungsdelikt darstellt, kann ein das Verschulden entfallen lassender Rechtsirrtum bejaht werden, wenn das Pflegeheim die Beendigung der Behandlung bei einem Wachkomapatienten für generell unzulässig und die Fortführung der Behandlung für rechtmäßig hielt162, zumal der 12. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs noch im Jahr 2005 die „strafrechtlichen Grenzen einer Sterbehilfe im weiteren Sinn“ als „bislang nicht hinreichend geklärt“ bezeichnet hat.163 Für die Zukunft ist zu erwarten, dass zumindest insoweit Rechtssicherheit eintreten wird, als die Zulässigkeit eines Behandlungsabbruchs im Sinne einer passiven Sterbehilfe im weiteren Sinn bei einem entsprechenden Patientenwillen anerkannt werden wird. Die durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts eingefügte Vorschrift des § 1901 a Abs. 3 BGB, nach der die Bedeutung einer Patientenverfügung nicht von der Art und dem Stadium der Erkrankung des Betroffenen abhängt, wird voraussichtlich auch die strafrechtliche Beurteilung der Zulässigkeit des Behandlungsabbruchs beeinflussen. (2) Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens Sollten künftig die Voraussetzungen, unter denen ein Behandlungsabbruch zulässig ist, so eindeutig geklärt sein, dass die Fortführung der künstlichen Ernährung in einem Fall wie dem hier vorliegenden jedenfalls als fahrlässig bezeichnet werden müsste, wäre der im zivilrechtlichen Schrifttum anerkannte Entschuldigungsgrund der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens zu prüfen.164 Im Ergebnis 159 160 161 162 163 164
BGHZ 154, 205, 215. LG Bielefeld, Beschluss vom 12.5.2006, Az. 25 T 89/06 (juris); Hufen, ZRP 2003, 248; Lipp, FamRZ 2003, 756; Gabriele Müller, DNotZ 2005, 927, 929. Lipp, FamRZ 2003, 756; Gabriele Müller, DNotZ 2005, 927, 929; Berg, Behandlungsbegrenzung, S. 44 f. Siehe bereits oben D. II. 1. c) bb) (3) (a). LG Traunstein PflR 2006, 390, 393 f.; vgl. auch Berg, Behandlungsbegrenzung, S. 54. BGHZ 163, 195, 200 f. Vgl. auch Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 680; Spickhoff, in: Kingreen/Laux, Gesundheit, S. 103, 122; Verrel, Gutachten 66. DJT, C 111 Fn. 481. Wenn Berg, Behandlungsbegrenzung, S. 55 Fn. 209 anmerkt, dass der Entschuldigungsgrund der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens seinem Wesen nach nur natürliche Personen, nicht aber juristische Personen und Personenmehrheiten zu entschuldigen vermag, verkennt er, dass auch das Pflegeheim durch eine natürliche Person vertreten wird, deren Verschulden dem Pflegeheim zugerechnet wird. Zum Entschuldigungsgrund der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens siehe Canaris, JZ 1963,
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greift dieser Entschuldigungsgrund allerdings nicht. Der Entschuldigungsgrund der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens erfordert nämlich regelmäßig eine subjektiv-typisierte Unzumutbarkeit, d. h. die handelnde Person ist nur dann entschuldigt, wenn innerhalb des Verkehrskreises in einer solchen Situation normgemäßes Verhalten unzumutbar erscheint.165 Es ist aber nicht ersichtlich, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung oder der im Pflegebereich tätigen Personen die Einstellung der künstlichen Ernährung bei einem irreversibel Bewusstlosen als unerträglich empfindet, wenn die Beendigung der Behandlung dem mutmaßlichen Patientenwillen entspricht. ff) Anspruchsumfang Angesichts der Einfügung des § 1901 a Abs. 3 BGB und der hierdurch zu erwartenden größeren Rechtssicherheit im Zusammenhang mit Behandlungsabbrüchen wird in künftigen Fällen ein Verschulden auf Seiten der Behandelnden bisweilen zu bejahen sein. Daher soll geprüft werden, welche Schäden ersatzfähig sind, wenn ein Anspruch des Wachkomapatienten wegen der Vornahme lebensverlängernder Maßnahmen dem Grunde nach gegeben ist. (1) Materieller Schaden (a) Der ersatzfähige Schaden In dem geschilderten Fall des Wachkomapatienten Peter K. wurde ein materieller Schaden geltend gemacht. Der Schaden bestehe darin, dass für die Lebensverlängerung in dem Zeitraum zwischen dem erklärten Wechsel des Behandlungsziels und dem Tod des Patienten Zuzahlungen aus dem Vermögen des Patienten erfolgt seien.166 Auf die Frage, ob in den mit der Lebensverlängerung verbundenen Kosten ein materieller Schaden liegt, gehen das Landgericht Traunstein und das Oberlandesgericht München – auch hilfsweise – nicht ein.167 Auch Berg prüft im Rah-
165 166 167
655, 657; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 438 ff.; Enneccerus/Nipperdey, AT 2, § 213 IV; Staudinger/Hager, § 823 Rn. A 4; Soergel/Spickhoff, § 829 Rn. 12; Scholz, Zumutbarkeit, S. 147, aber mit Einordnung als Schuldausschließungsgrund. Da bei der Prüfung des § 823 Abs. 2 BGB nach zutreffender Ansicht strafrechtliche Entschuldigungsgründe nicht heranzuziehen sind (Spickhoff, Gesetzesverstoß, S. 220; Soergel/Spickhoff, § 823 Rn. 212; anders MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 353), ist in Fällen, in denen eine tatbestandliche Körperverletzung vorliegt, auch im Rahmen des Anspruchs aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 223 Abs. 1 StGB nicht der strafrechtliche Entschuldigungsgrund der Gewissensnot gemäß Art. 4 GG (zu diesem Entschuldigungsgrund siehe Ebert, Überzeugungstäter, S. 67; Lackner/Kühl, Vor § 32 Rn. 32; Rudolphi, FS Welzel, S. 605, 630; Roxin, FS Maihofer, S. 389 ff.; eine Entschuldigung gemäß Art. 4 GG generell ablehnend aber Maurach/Zipf, Strafrecht AT 1, § 35 Rn. 8; Otto, Grundkurs Strafrecht AT, § 14 Rn. 31), sondern die Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens zu prüfen. Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 441. Siehe LG Traunstein PflR 2006, 390, 391. Vgl. OLG München GesR 2006, 524 ff.; LG Traunstein PflR 2006, 390 ff.
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men des haftungsausfüllenden Tatbestands das Vorliegen eines materiellen Schadens nicht. Vielmehr geht er wohl von einem bestehenden Schaden aus, wenn er sich sofort der Frage des Mitverschuldens im Sinne des § 254 BGB zuwendet.168 Indes ist das Feststellen eines Schadens, der unabdingbare Voraussetzung für einen Schadensersatzanspruch ist, in dem hier interessierenden Fall nicht unproblematisch. Ob ein Vermögensschaden vorliegt, beurteilt sich grundsätzlich nach der Differenzhypothese, d. h. nach einem Vergleich der Vermögenslage, die infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetreten ist, mit derjenigen, die sich ohne das Ereignis ergeben hätte.169 Während sich die Vermögenslage, die durch das haftungsbegründende Ereignis, d. h. durch die eigenmächtige Lebenserhaltung eingetreten ist, ohne prinzipielle Schwierigkeiten feststellen lässt, ist die Ermittlung der Vermögenslage, die sich ohne das haftungsbegründende Ereignis ergeben hätte, problematisch. Ohne die eigenmächtige Lebenserhaltung wäre der Wachkomapatient nämlich einige Tage nach Einstellung der künstlichen Ernährung verstorben. Da die Ersatzfähigkeit eines Schadens grundsätzlich voraussetzt, dass der Schaden beim Inhaber des verletzten Rechts oder Rechtsguts und nicht etwa bei den Erben eingetreten ist170, ist die im Rahmen der Differenzhypothese maßgebliche Vermögenslage die des verstorbenen, d. h. des nicht mehr existenten Patienten. Die Schwierigkeit, die Vermögenslage einer nicht existenten Person als Vergleichsgrundlage heranziehen zu müssen, stellt sich nicht nur bei der Feststellung eines Schadens desjenigen, der durch medizinische Maßnahmen gegen seinen Willen am Leben erhalten wird. Sie stellt sich auch im Zusammenhang mit der häufiger diskutierten „wrongful life“-Problematik, also bei der Frage, ob ein behindertes Kind, das nur deshalb geboren und nicht abgetrieben wurde, weil der Arzt bei einer Vorsorgeuntersuchung pflichtwidrig die bestehende Behinderung des Kindes nicht erkannt hatte, einen eigenen Schadensersatzanspruch gegen den Arzt hat. In der Literatur wird teilweise angenommen, dass der im Rahmen der Differenzhypothese anzustellende Vergleich der Vermögenslagen einen Schaden des Kindes ergibt: „Hätte der Arzt seine Verpflichtung fehlerfrei erfüllt, würde das Kind nicht leben und hätte auch keine Aufwendungen für seine Lebenshaltung. Vergleicht man diese beiden Vermögenslagen, so ergibt sich ein Vermögensschaden des Kindes in Form seiner Lebenshaltungskosten.“171 Wenn „diese beiden Vermögenslagen“172 miteinander verglichen werden, wird allerdings verkannt, dass das nicht geborene Kind überhaupt kein Vermögen hätte und daher ohne das haftungsbegründende Ereignis keine Vermögenslage bestünde.173 Ein Vergleich 168 169
170 171 172 173
Berg, Behandlungsbegrenzung, S. 55. BGHZ 27, 181, 183 f.; BGHZ 40, 345, 347; BGHZ 98, 212, 217; BGH NJW 1998, 302, 304; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 419; Palandt/Grüneberg, Vorb. v. § 249 Rn. 10. MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 268 f. Reinhart, Familienplanungsschaden, S. 205; ders., VersR 2001, 1081, 1085. Reinhart, Familienplanungsschaden, S. 205; ders., VersR 2001, 1081, 1085. Ähnlich Aretz, JZ 1984, 719, 720.
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der Vermögenslage, die infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetreten ist, mit derjenigen, die sich ohne das Ereignis ergeben hätte, ist also nicht möglich. Dementsprechend ziehen diejenigen im Schrifttum, die einen Schaden des Kindes bejahen, teilweise die Differenzhypothese heran, ohne zwei Vermögenslagen miteinander zu vergleichen. Nach Ansicht Pickers ist im Rahmen der Differenzhypothese das Lebensinteresse mit den konkreten lebenskonträren Interessen zu vergleichen und diese von Fall zu Fall gegeneinander abzuwägen.174 Hiernach ist also das Interesse an einem Dasein im behinderten Zustand mit dem Interesse an dem eigenen Nichtsein zu vergleichen. Selbst wenn man einen derartigen Vergleich für möglich und zulässig hielte und im konkreten Fall die lebenskonträren Interessen das Lebensinteresse überwögen, ergäbe sich daraus kein materieller Schaden.175 Materielle Schäden sind vielmehr durch einen Vergleich zweier Vermögenslagen zu ermitteln. Das Dasein im schwerstbehinderten Zustand als solches kann allenfalls einen immateriellen Nachteil darstellen. Daher kann sich aus der von Picker vorgeschlagenen Abwägung kein Anspruch des Kindes auf Ersatz seines finanziellen Aufwands ergeben.176 In Fällen, in denen der Anspruchsberechtigte ohne das haftungsbegründende Ereignis nicht leben würde, kann mit der Differenzhypothese ein materieller Schaden nicht festgestellt werden.177 Dies bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass die finanziellen Belastungen, die durch die lebenserhaltende Behandlung verursacht werden, keinen materiellen Schaden des Wachkomapatienten darstellen. Die Differenzhypothese wird in Grenzfällen nämlich von der Rechtsprechung mit dem normativen Schadensbegriff ergänzt und korrigiert.178 Mit Hilfe des normativen Schadensbegriffs kann aufgrund wertender Entscheidungen unter Umständen ein Vermögensschaden auch dann bejaht werden, wenn er bei rein rechnerischer Betrachtung nicht zu entdecken ist.179 Es ist anhand rechtlicher Wertungen festzustellen, ob dem tatbestandsmäßig Verletzten ein Anspruch zugebilligt werden darf.180 Bei der Beantwortung der Frage, ob die aufgrund der lebenserhaltenden Maßnahmen entstandenen Kosten einen normativen Schaden darstellen, ist Folgendes zu berücksichtigen: Derjenige, der für den Fall seiner irreversiblen Bewusstlosigkeit lebensverlängernde Maßnahmen ablehnt, kann ein berechtigtes Interesse daran haben, dass sein Vermögen nicht für die Aufrechterhaltung seines von ihm als sinnlos empfundenen Lebens aufgezehrt wird, sondern seiner Familie oder einem anderen Begünstigten zugutekommt. Daher erscheint es nicht sachgerecht, die aus der lebenserhaltenden Behandlung resultierenden finanziellen Belastungen nur deshalb nicht als Schaden anzusehen, weil die Differenzhypothese in dem speziellen Fall, in dem der Patient ohne das haftungsbegründende Ereignis verstorben 174 175 176 177 178 179 180
Picker, Schadensersatz, S. 11, 37 f. Junker, Pflichtverletzung, S. 645; Zimmermann, JZ 1997, 131, 132. So wohl auch Winter, „Bébé préjudice“, S. 54. So aber Picker, Schadensersatz, S. 116, der dem Kind einen Anspruch auf Ersatz seiner krankheitsbedingten Mehraufwendungen geben möchte. So auch Laufs, NJW 1969, 529, 533; Medicus, Zivilrecht und werdendes Leben, S. 13 ff. BGHZ 43, 378, 381; BGHZ 50, 304, 306; BGHZ 51, 109, 111. Hagen, FS Hauß, S. 83, 100; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 39. Hagen, FS Hauß, S. 83, 100.
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wäre, mangels Vergleichsgrundlage versagt. Dass in Fällen, in denen der Verletzte ohne das haftungsbegründende Ereignis nicht lebte, die Annahme eines normativen Schadens in Betracht kommt, stellt auch das Oberlandesgericht München fest, das als Vorinstanz des Bundesgerichtshofs über den „wrongful life“-Anspruch eines behindert geborenen Kindes zu entscheiden hatte. Allerdings lässt das Gericht das Vorliegen eines normativen Schadens offen. Es zieht sich auf den Hinweis zurück, dass bereits eine Haftung dem Grunde nach nicht besteht: „Auch unter dem Gesichtspunkt eines ‚normativen Schadenbegriffs’ […] lassen sich hier Schadensersatzansprüche schon deshalb nicht begründen, weil es im vorliegenden Fall an einer Rechts- oder Rechtsgutverletzung durch den Bekl[agten], also an einem Merkmal des haftungsbegründenden Tatbestands, fehlt.“181 Angesichts der Tatsache, dass das Gericht zuvor explizit feststellt, dass sich aus der Differenzhypothese ein Schaden des Kindes nicht ergibt182, erweckt diese Ausführung zum normativen Schaden den Eindruck, dem Gericht habe es an Argumenten gegen das Vorliegen eines normativen Schadens gefehlt. Festzuhalten bleibt, dass ein normativer Schaden anzunehmen ist, weil ein Patient, der nicht mehr leben möchte, ein berechtigtes Interesse daran hat, dass die gegen seinen Willen durchgeführte lebenserhaltende Behandlung nicht auch noch sein Vermögen zulasten seiner Erben aufzehrt. Ersatzfähig sind die gesamten Lebenshaltungskosten, die infolge der eigenmächtigen lebenserhaltenden Behandlung entstehen. Ein Begrenzen des Schadens auf den krankheitsbedingten Mehraufwand, wie es in der Literatur im Zusammenhang mit der „wrongful life“-Problematik vertreten wird183, kommt hier nicht in Betracht. Dass der „wrongful life“-Anspruch nur in Höhe des krankheitsbedingten Mehraufwands besteht, ist deshalb sachgerecht, weil die vertragliche Pflicht des Arztes im Rahmen der Pränataldiagnostik darauf gerichtet ist, Behinderungen zu entdecken, und nicht darauf abzielt, überhaupt die Geburt eines Kindes zu verhindern. Demgegenüber schützt das Selbstbestimmungsrecht des Patienten diesen davor, dass sein Leben gegen seinen Willen durch medizinische Maßnahmen aufrechterhalten wird. Daher sind die gesamten Lebenshaltungskosten vom Schutzzweck des Selbstbestimmungsrechts umfasst. Schließlich ist zu klären, ab welchem Zeitpunkt die Lebenshaltungskosten des Patienten einen Schaden darstellen. Die Erben des Wachkomapatienten Peter K. klagten auf den Ersatz der Kosten, die „in dem Zeitraum zwischen erklärtem Wechsel des Behandlungsziels und Tod des Patienten“184 angefallen sind. Hiergegen ist einzuwenden, dass der Patient nicht zwangsläufig sofort nach Einstellung der künstlichen Ernährung verstorben wäre. Nach Einschätzung der Mediziner hätte der Wachkomapatient Peter K. noch acht bis zehn Tage leben können. Da
181 182 183
184
OLG München VersR 1981, 757, 758. Siehe OLG München VersR 1981, 757 und 758. Deutsch, JZ 1983, 451 f.; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 446; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 337; Picker, Schadensersatz, S. 116; Soergel/Mertens, Vor § 249 Rn. 47 und § 249 Rn. 125. Vgl. LG Traunstein PflR 2006, 390, 391.
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die Beweislast für das Vorliegen eines Schadens beim Geschädigten liegt185, umfasst der Schaden die Lebenshaltungskosten, die ab dem Zeitpunkt entstehen, zu dem der Patient bei Einstellung der Behandlung spätestens verstorben wäre. Hätte das Pflegeheim im Fall des Wachkomapatienten Peter K. eigenmächtig und schuldhaft gehandelt, läge also angesichts der erklärten Behandlungsablehnung am 14.12.2001 der ersatzfähige Schaden in den Kosten, die vom 25.12.2001 bis zum Tod des Patienten am 26.3.2004 entstanden sind. (b) Mitverschulden im Sinne des § 254 BGB Berg erwägt, gemäß § 254 BGB anspruchsmindernd zu berücksichtigen, dass der Betreuer, obwohl er bei Abschluss des Heimvertrags vom früher geäußerten Sterbewillen des Patienten Kenntnis hatte, das Pflegeheim hiervon nicht unterrichtete. Darin liege eine Pflichtverletzung des Betreuers, die möglicherweise dem Betreuten zugerechnet werden könne.186 Den Überlegungen Bergs kann nicht gefolgt werden. Für ein Mitverschulden im Sinne des § 254 BGB ist erforderlich, dass der Geschädigte die Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die ein verständiger Mensch im eigenen Interesse aufwendet, um sich vor Schaden zu bewahren.187 Dem Betreuer ist hiernach im konkreten Fall kein Mitverschulden anzulasten, weil bei Abschluss des Heimvertrags der spätere Konflikt über die Einstellung der künstlichen Ernährung für ihn nicht vorhersehbar war. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestanden keine Anhaltspunkte dafür, dass das Pflegeheim das Selbstbestimmungsrecht des Patienten missachten würde, insbesondere hat das Pflegeheim nicht darauf hingewiesen, dass es zu einer Einstellung der künstlichen Ernährung bei irreversibel bewusstlosen Patienten auch bei einem entsprechenden Patientenwillen nicht bereit ist. Zudem war ungewiss, ob der früher geäußerte Sterbewunsch des Patienten überhaupt Bedeutung erlangen würde. Die Einstellung einer Behandlung entspricht nämlich nur dann dem mutmaßlichen Patientenwillen, wenn der Zustand, den der Patient als nicht mehr lebenswert erachtet, mit hinreichender Sicherheit von Dauer ist. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses befand sich der Patient aber erst seit knapp zwei Monaten im apallischen Syndrom, so dass die Irreversibilität des Wachkomas noch nicht sicher feststand.188 Von einem Betreuer kann kein Hinweis auf einen früher geäußerten Patientenwillen erwartet werden, wenn dieser aktuell noch nicht relevant ist und keine Anhaltspunkte bestehen, dass das Pflegeheim zu einer Beachtung des Patientenwillens nicht bereit ist. Ein Mitverschulden könnte allerdings darin liegen, dass der Betreuer den Patienten in kein anderes Heim verlegen ließ, nachdem das Pflegeheim sich geweigert hatte, die künstliche Ernährung einzustellen. Erfüllt eine Vertragspartei einen Vertrag nicht, ist anerkannt, dass die andere Partei ein Mitverschulden treffen kann, 185 186 187 188
Soergel/Spickhoff, § 823 Rn. 157. Berg, Behandlungsbegrenzung, S. 55 f. BGH NJW 2001, 149, 150; BGHZ 160, 18, 24; BGH NJW 2006, 1426, 1427; MünchKommBGB/Oetker, § 254 Rn. 30. Zu den Prognosekriterien siehe oben B. I. 3.
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wenn sie den Vertrag nicht beendet.189 In der eigenmächtigen Fortführung der Behandlung liegt zwar keine Nichterfüllung des Vertrags, sondern die Verletzung der vertraglichen Nebenpflicht zur Beachtung des Selbstbestimmungsrechts. Dass die Nichtbeendigung eines Vertrages ein Mitverschulden begründen kann, muss aber in allen Fällen vertragswidrigen Verhaltens gleichermaßen gelten. Sobald erkennbar wird, dass sich die andere Vertragspartei auch künftig nicht vertragsgemäß verhalten wird, muss der Vertrag im eigenen Interesse beendet werden, wenn dies der Abwendung weiteren Schadens dient und zumutbar ist. Nicht zumutbar erscheint die Beendigung eines Heimvertrags, wenn eine anderweitige Unterbringung nicht möglich oder mit nicht nur unerheblichen Belastungen für den Patienten verbunden ist. Im konkreten Fall des Wachkomapatienten Peter K. haben die Anspruchssteller erklärt, dass kein Heim oder Hospiz zur Aufnahme des Patienten bereit gewesen sei.190 Da die Beweislast für das Mitverschulden des Geschädigten der Ersatzpflichtige trägt191 und das Pflegeheim nicht nachgewiesen hat, dass eine Verlegung des Patienten doch möglich gewesen wäre, scheidet eine Minderung des Anspruchs nach § 254 BGB aus. (2) Immaterieller Schaden (a) Schmerzensgeld wegen Körper- und Gesundheitsverletzung Fraglich ist, ob ein Wachkomapatient wegen einer eigenmächtigen lebenserhaltenden Behandlung einen Anspruch auf Schmerzensgeld hat. Voraussetzung für einen Schmerzensgeldanspruch ist, dass der Anspruchsgegner wegen der Verletzung eines der in § 253 Abs. 2 BGB genannten Rechtsgüter haftet.192 Da das Legen einer PEG-Sonde eine tatbestandliche Körperverletzung ist, kommt ein Schmerzensgeldanspruch wegen Körperverletzung in Betracht, wenn ein Pflegeheim ohne Einwilligung seitens des Patienten eine PEG-Sonde installiert. Im konkreten Fall des Wachkomapatienten Peter K. war allerdings sowohl das erstmalige Legen der PEG-Sonde als auch deren Austausch von einer wirksamen Betreuereinwilligung gedeckt. Die Zufuhr von Nahrung mittels der PEG-Sonde ist nach hier vertretener Ansicht keine Körper- oder Gesundheitsverletzung, sofern sie auf den Körper des Patienten keine nachteiligen Auswirkungen hat. Eine durch die künstliche Ernährung mittelbar hervorgerufene Körper- bzw. Gesundheitsverletzung könnte aber möglicherweise dann bejaht werden, wenn der Wachkomapatient Folge- und Begleiterkrankungen entwickelt.193 Nach Ansicht Bergs sind die Begleiterkrankungen dem beklagten Pflegeheim allerdings nicht zuzurechnen. Die künstliche Ernährung sei lediglich äquivalent 189 190 191 192 193
BGH NJW 1997, 1231, 1232; MünchKommBGB/Oetker, § 254 Rn. 55. Siehe Putz/Steldinger, Patientenrechte, S. 56. Palandt/Grüneberg, § 254 Rn. 72. Erman/Kuckuk, § 253 Rn. 11. Die bloße Aufrechterhaltung des Lebens durch die künstliche Ernährung ist demgegenüber nach hier vertretener Auffassung keine Körper- oder Gesundheitsverletzung, sofern sich der körperliche Zustand nicht verschlechtert. Siehe hierzu auch C. II. 3. e) bb) (1) und (2).
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kausal. Es sei aber nicht dargetan worden, dass die Begleiterkrankungen „auf einer für die objektive Zurechnung in der Haftungsbegründung relevanten zusätzlichen Gefahrschaffung bzw. Pflichtverletzung durch die Beklagte beruht haben“.194 Dieser Auffassung ist entgegenzutreten. Die künstliche Ernährung ist für die Begleiterkrankungen nicht nur äquivalent kausal, sondern auch adäquat kausal, weil es keineswegs atypisch ist, dass Wachkomapatienten nach einiger Zeit sekundäre Krankheitssymptome entwickeln. Auch der Schutzzweckzusammenhang ist zu bejahen, weil die auf Behandlerseite bestehende Pflicht, das Selbstbestimmungsrecht des Patienten zu beachten, dem Patienten ermöglichen soll, durch Ablehnung lebenserhaltender Behandlung den Krankheitsverlauf samt Komplikationen und Begleiterkrankungen zu verkürzen. Da das Pflegeheim diese Pflicht durch eigenmächtiges Handeln verletzt, sind die infolge der eigenmächtigen Behandlung entstehenden mittelbaren Verletzungen auch rechtswidrig.195 Sofern also der Patient während der eigenmächtigen künstlichen Ernährung Folge- und Begleiterkrankungen entwickelt und das Pflegeheim schuldhaft handelt, kommt ein Schmerzensgeld wegen Körper- oder Gesundheitsverletzung in Betracht. Der Schmerzensgeldanspruch setzt das Vorliegen eines immateriellen Schadens voraus.196 Ein immaterieller Schaden ist jedenfalls dann gegeben, wenn die aktuelle Situation des Verletzten gegenüber der Situation, wie sie sich ohne die Verletzungshandlung darstellen würde, nachteilig ist.197 Da der Patient ohne die Verletzungshandlung verstorben wäre, muss also das Dasein des Wachkomapatienten mit der Nichtexistenz verglichen werden. Ob das Leben eines irreversibel Bewusstlosen gegenüber der Nichtexistenz von Nachteil ist, entzieht sich aber menschlicher Erkenntnis198, so dass ein derartiger Vergleich einen immateriellen Schaden nicht zu begründen vermag. Deshalb ist zu überlegen, ob ein immaterieller Schaden schlicht darin gesehen werden kann, dass der Verletzte einen Eingriff in eines seiner Rechtsgüter erlitten hat. In Rechtsprechung und Literatur wird zum Teil die Ansicht vertreten, dass ein Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens ausscheide, wenn der ärztliche Eingriff, für den keine wirksame Einwilligung vorlag, keinen Gesundheitsschaden zur Folge hat.199 Die Begründungen hierfür zeigen allerdings, dass die Vertreter dieser Ansicht Fälle im Blick hatten, in denen der Arzt seine Aufklärungspflicht verletzt. Es wird nämlich darauf hingewiesen, dass „die ärztliche Aufklärung […] den Patienten nur in den Stand versetzen soll, eine eigenständige Entscheidung darüber zu treffen, ob er das so genannte ‚Austauschrisiko’ der Behandlung an194 195 196 197 198 199
Berg, Behandlungsbegrenzung, S. 56. Zur Rechtswidrigkeit mittelbarer Verletzungen Soergel/Spickhoff, § 823 Rn. 18. MünchKommBGB/Oetker, § 253 Rn. 30 a. E. Erman/Kuckuk, Vor §§ 249-253 Rn. 25. Vgl. BGHZ 86, 240, 253. BGHZ 176, 342, 347; Kullmann, VersR 1999, 1190, 1191; Gerda Müller, GesR 2004, 257, 261. Anders aber OLG Jena VersR 1998, 586, 588, das – zu weitgehend – einen Schmerzensgeldanspruch sogar bejaht, obwohl der Arzt den Einwand einer hypothetischen Einwilligung des Patienten führen kann. Ablehnend BGH, Beschluss vom 23.9.2003, Az. VI ZR 82/03, abrufbar unter http://www.bundesgerichtshof.de/ (Stand: 3.1.2010).
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stelle des ohne die Behandlung bestehenden Krankheitsrisikos akzeptiert“200, und die Gegenauffassung sich „weit vom bisherigen Verständnis des Aufklärungsfehlers entfernen“ würde.201 Wurde ein Heileingriff demgegenüber gänzlich ohne Einwilligung durchgeführt, hat die Rechtsprechung bisweilen auch dann ein Schmerzensgeld gewährt, wenn die Behandlung für den körperlichen Zustand des Patienten nicht von Nachteil war. Der Bundesgerichtshof hat einer Patientin, der ohne Einwilligung beide Eierstöcke und die Gebärmutter entfernt wurden, ein Schmerzensgeld zugebilligt, obwohl der Eingriff die Patientin, die wohl bereits zuvor unfruchtbar gewesen war, vor größeren Komplikationen bewahrt hat.202 Ein Schmerzensgeldanspruch dürfe nicht mit der Begründung verneint werden, ohne das haftungsbegründende Ereignis wären andere Nachteile entstanden. Der Haftungsgrund liege gerade darin, dass das Recht des Patienten verletzt werde, in Freiheit und in eigener Verantwortung selbst darüber zu entscheiden, ob der Eingriff erfolgen solle.203 Auch das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein hat in einem Fall, in dem eine diagnostische Bauchöffnung ohne Einwilligung der Patientin durchgeführt wurde, geäußert, dass die tatsächlich von der Klägerin erlittenen physischen und psychischen Beeinträchtigungen von nachrangiger Bedeutung seien. Wesentliches Kriterium für die Bemessung des Schmerzensgeldes sei vielmehr die Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Klägerin, die darin liege, dass entgegen ihrer ausdrücklichen schriftlichen Einwilligungserklärung eine Bauchöffnung durchgeführt worden sei.204 Obgleich die Gerichte in diesen Entscheidungen auf die Verletzung des Selbstbestimmungsrechts hingewiesen haben, kann in Fällen, in denen trotz einer schuldhaften Körper- oder Gesundheitsverletzung ein körperlicher Schaden nicht festgestellt werden kann, ein Schmerzensgeld wegen Körper- oder Gesundheitsverletzung gewährt werden, ohne dass die strengen Voraussetzungen des Geldentschädigungsanspruchs wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vorliegen müssen.205 Nach verbreiteter Ansicht hat das Schmerzensgeld nämlich auch die Funktion, dem Verletzten eine Genugtuung für die geschehene Rechtsverletzung zu gewähren.206 Demnach besteht ein immaterieller Schaden auch dar200 201 202 203 204
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Kullmann, VersR 1999, 1190, 1191 (Hervorhebung durch die Verfasserin). Gerda Müller, GesR 2004, 257, 261 (Hervorhebung durch die Verfasserin). BGH VersR 1967, 495 f. BGH VersR 1967, 495, 496. OLG Schleswig-Holstein OLGR 1997, 171; vgl. auch LG Aachen VersR 1990, 1358 f. Anders allerdings das OLG München MedR 1989, 40 ff., das in einem Fall, in dem einem Patienten ohne dessen Willen ein Fingerendglied amputiert wurde, einen Schmerzensgeldanspruch wegen Körperverletzung mangels Schadens abgelehnt hat, weil die Unterlassung der Amputation den Verlust des gesamten Fingers zur Folge gehabt hätte. So wohl auch BGH VersR 1967, 495 f. sowie OLG Schleswig-Holstein OLGR 1997, 171, die die strengen Voraussetzungen des Geldentschädigungsanspruchs nicht geprüft haben. Bei Zugrundelegen der Persönlichkeitsdoktrin kommt freilich nur eine Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Betracht (siehe Hart, FS Heinrichs, S. 291, 316; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 367 f.; RGRK/Nüßgens, § 823 Anh. II Rn. 154). BGH VersR 1967, 495, 496; MünchKommBGB/Mertens, 3. Aufl., § 823 Rn. 457.
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in, dass der Verletzte einem Eingriff in sein Rechtsgut ausgesetzt ist.207 Sofern also im Rahmen der Haftungsbegründung eine Körper- oder Gesundheitsverletzung festgestellt wurde, kommt die Zubilligung eines Schmerzensgeldes wegen Körperoder Gesundheitsverletzung auch dann in Betracht, wenn ein körperlicher oder gesundheitlicher Schaden nicht ermittelt werden kann. Zu untersuchen bleibt, ob im konkreten Fall ein Schmerzensgeldanspruch an der fehlenden Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit des Wachkomapatienten scheitert. Die Zubilligung eines Schmerzensgeldes setzt nicht zwingend voraus, dass der Geschädigte die ihm zugefügten Verletzungen wahrnimmt und Genugtuung empfinden kann. Vielmehr haben nach ganz herrschender Meinung auch Schwerstgeschädigte, die infolge der Körper- oder Gesundheitsverletzung wahrnehmungsunfähig sind, einen Anspruch auf Schmerzensgeld. Die Einbuße der Persönlichkeit als solche sei ein auszugleichender immaterieller Schaden, unabhängig davon, ob der Verletzte die Beeinträchtigung empfindet.208 Der vorliegende Fall liegt zwar insofern anders, als die Empfindungs- und Wahrnehmungsunfähigkeit des Patienten durch das haftungsbegründende Ereignis, d. h. durch die Fortführung der lebenserhaltenden Behandlung, weder verursacht noch verstärkt wurde.209 Dies steht aber einem Schmerzensgeldanspruch des Wachkomapatienten nicht entgegen. Die durch eine Gehirnverletzung bedingte Zerstörung der Persönlichkeit, die nach der Rechtsprechung den ausgleichspflichtigen Schaden darstellt, ist nichts anderes als eine Körper- oder Gesundheitsverletzung, die der Betroffene nicht wahrnimmt. Es besteht kein Grund, zwischen verschiedenen Arten von Körper- oder Gesundheitsverletzungen dahingehend zu unterscheiden, dass lediglich in bestimmten Fällen die Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit des Geschädigten für die Gewährung eines Schmerzensgeldes entbehrlich ist. Festzuhalten ist damit, dass ein Schmerzensgeldanspruch wegen einer lebenserhaltenden Behandlung nicht an der fehlenden Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit des Geschädigten scheitert.210 Freilich ist der Betrag, der einem Wachkomapatienten wegen einer lebenserhaltenden Behandlung zugebilligt wird, deutlich niedriger anzusetzen als die Beträge, die gewährt werden, wenn der Schädiger schwerste körperliche Beeinträchtigungen verursacht hat. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ist auch zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung ein völliger Mangel an Empfindungsfähigkeit einen Schmerzensgeldanspruch zwar nicht ausschließt, dessen Höhe aber mindert.211
207 208 209 210 211
MünchKommBGB/Oetker, § 253 Rn. 13. BGHZ 120, 1, 5 ff.; BGHZ 138, 388, 393; Staudinger/Schiemann, § 253 Rn. 36; Bamberger/Roth/Spindler, § 253 Rn. 32. So auch Berg, Behandlungsbegrenzung, S. 56. Soergel/Spickhoff, § 823 Anh. I Rn. 94. BGHZ 138, 388, 393.
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(b) Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Sofern die künstliche Ernährung keine auch nur mittelbaren negativen Auswirkungen auf den körperlichen Zustand des Patienten hat, kommt nach hier vertretener Ansicht allein eine Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gemäß § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 1 und 2 Abs. 1 GG in Betracht. Dasselbe gilt, wenn eine PEG-Sonde, die keine gesundheitlichen oder körperlichen Probleme bereitet, entgegen dem mutmaßlichen Willen des Patienten oder im Widerspruch zur Entscheidung des Vertreters nicht entfernt wird.212 Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt der Anspruch auf Geldentschädigung wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts voraus, dass es sich um einen schwerwiegenden Eingriff handelt und die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend ausgeglichen werden kann.213 Ob im Einzelfall eine für einen Geldentschädigungsanspruch hinreichend schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliegt, hängt insbesondere von der Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, von Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie vom Grad seines Verschuldens ab.214 Nicht ersichtlich ist, wie die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Patienten anders als durch eine Geldentschädigung ausgeglichen werden könnte. Im Hinblick auf die Frage, ob in das allgemeine Persönlichkeitsrecht hinreichend schwer eingegriffen wurde, ist zunächst festzuhalten, dass eine lebenserhaltende Behandlung die Persönlichkeit in ihrem Kern betrifft und große Bedeutung und Tragweite hat. Andererseits wird der Beweggrund desjenigen, der die künstliche Ernährung fortführt, regelmäßig vertretbar sein. Dies gilt freilich nicht, wenn ein Pflegeheim aus Gewinnstreben einen Patienten nicht sterben lässt. Zum Grad des Verschuldens lassen sich keine Aussagen treffen, solange hinsichtlich der Zulässigkeit von Behandlungseinstellungen bzw. hinsichtlich der Unzulässigkeit eigenmächtiger Behandlungsfortführungen keine Rechtssicherheit besteht. Festzuhalten bleibt, dass angesichts der großen Bedeutung und Tragweite lebensverlängernder Maßnahmen auch in den Fällen, in denen der Beweggrund des Handelnden nicht schimpflich ist, ein Geldentschädigungsanspruch eines Wachkomapatienten wegen der eigenmächtigen Fortführung der künstlichen Ernährung durchaus vorstellbar ist, sofern die bestehende Rechtsunsicherheit im Zusammenhang mit Behandlungsabbrüchen bei Wachkomapatienten beseitigt wird. Anders stellt sich die Situation in den Fällen dar, in denen eine PEG-Sonde lediglich nicht entfernt wird. Da das bloße Belassen der PEG-Sonde wenig schwerwiegend erscheint, wird ein Geldentschädigungsanspruch wohl regelmäßig ausscheiden. Da bei der Gewährung einer Geldentschädigung wegen der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Gesichtspunkt der Genugtuung des Opfers im
212 213 214
Zur bloßen Beibehaltung der PEG-Sonde siehe C. II. 3. e) bb) (2). BGHZ 35, 363, 369; BGHZ 39, 124, 133; BGH NJW 1970, 1077 f.; BGH NJW 1971, 698, 699; BGHZ 128, 1, 12; BGHZ 132, 13, 27. BGH VersR 1988, 405; BGHZ 128, 1, 12; BGHZ 132, 13, 27.
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Vordergrund steht215, kann – ebenso wie im Rahmen des Anspruchs auf Schmerzensgeld wegen Körperverletzung216 – ein immaterieller Schaden bereits aufgrund der Rechtsverletzung als solcher bejaht werden. Dass der Wachkomapatient die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht wahrnimmt und auch Genugtuung nicht zu empfinden vermag, steht einem Geldentschädigungsanspruch nicht entgegen. Die Zubilligung einer Geldentschädigung beruht nämlich auf dem Gedanken, dass ohne einen solchen Anspruch Verletzungen der Würde und Ehre des Menschen häufig ohne Sanktion blieben und damit der Rechtsschutz der Persönlichkeit verkümmern würde.217 Deshalb erfordern gravierende Beeinträchtigungen auch dann einen Ausgleich in Geld, wenn der Verletzte wahrnehmungsund empfindungsunfähig ist. Die mangelnde Wahrnehmungsfähigkeit kann sich zwar mindernd auf den Geldentschädigungsanspruch auswirken, schließt diesen aber nicht von vornherein aus.218 gg) Ergebnis Im konkreten Fall des Wachkomapatienten Peter K. bestehen bereits deshalb keine Schadensersatzansprüche wegen der Fortführung der lebenserhaltenden Behandlung, weil die Einstellung der künstlichen Ernährung vormundschaftsgerichtlich nicht genehmigt wurde. Im Übrigen scheiden Schadensersatzansprüche des Wachkomapatienten Peter K. auch deshalb aus, weil über die Zulässigkeit von Behandlungsabbrüchen bei Wachkomapatienten zur damaligen Zeit große Rechtsunsicherheit bestand. Sofern sich aber die Erkenntnis durchsetzt, dass die eigenmächtige Fortführung lebensverlängernder Maßnahmen bei Wachkomapatienten unzulässig ist, kommt sowohl ein materieller Schadensersatzanspruch als auch ein Schmerzensgeldanspruch bzw. ein Geldentschädigungsanspruch wegen der lebenserhaltenden Behandlung eines Wachkomapatienten in Betracht. b) Der minderjährige Wachkomapatient Die Frage nach der Zulässigkeit lebenserhaltender Maßnahmen bei minderjährigen Wachkomapatienten bedarf einer gesonderten Untersuchung. Unterschiede zur Rechtslage bei einem volljährigen Patienten können sich insofern ergeben, als die Beurteilung der Eigenmächtigkeit einer ärztlichen Behandlung bei minderjährigen und volljährigen Patienten nicht denselben Regeln unterliegt. Im Folgenden wird daher geprüft, ob der gesetzliche Vertreter des minderjährigen Wachkomapatienten die Einwilligung in die lebenserhaltende Behandlung wirksam verweigern kann und inwieweit der Arzt die lebenserhaltende Behandlung auf eine objektive Interessenabwägung stützen kann.
215 216 217 218
BGHZ 128, 1, 15; Soergel/Beater, § 823 Anh. IV Rn. 247; Deutsch/Ahrens, Deliktsrecht, Rn. 718. Siehe hierzu E. I. 1. a) ff) (2) (a). BGHZ 128, 1, 15. MünchKommBGB/Rixecker, Anh. zu § 12 Rn. 19.
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aa) Die am Kindeswohl ausgerichtete Entscheidung der gesetzlichen Vertreter Gerichtliche Entscheidungen ergingen bereits zu der Frage, ob die Weigerung der Eltern, in die lebenserhaltende Behandlung ihres wachkomatösen Kindes einzuwilligen, einen Sorgerechtsmissbrauch darstellt. In dem zugrunde liegenden Sachverhalt ging es um ein Mädchen, das im Alter von drei Jahren in ein Wachkoma gefallen ist, nachdem während einer diagnostischen Untersuchung die Sauerstoffzufuhr zu lange unterbrochen war. Seit diesem Zeitpunkt hatte das Kind zudem schwere Spastiken, die medikamentös behandelt wurden. Zur Verabreichung der spastikhemmenden Medikamente wurde schließlich eine so genannte Spastikpumpe implantiert. Nach fünfmonatiger stationärer Behandlung wollten die Eltern das Kind zu sich nach Hause nehmen, wo es unter gleichzeitiger palliativ-medizinischer Versorgung durch die Beendigung der Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr sterben sollte.219 Das zuständige Familiengericht hat daraufhin eine Verfahrenspflegerin bestellt und den Eltern einen Teil der elterlichen Sorge entzogen, nämlich das Aufenthaltsbestimmungsrecht und die Gesundheitsfürsorge. Die elterliche Sorge wurde in diesem Umfang dem Stadtjugendamt, das zum Pfleger bestellt wurde, übertragen.220 Zur Begründung führt das Gericht im Wesentlichen aus, dass die Entscheidung der Eltern, die lebenserhaltenden Maßnahmen bei ihrer Tochter beenden zu wollen, den Entscheidungsspielraum der Eltern überschreite und das Kindeswohl gefährde. Das Oberlandesgericht Hamm hat auf die Beschwerde der Eltern den Beschluss des Amtsgerichts aufgehoben und entschieden, dass die Weigerung der Eltern, in die lebenserhaltende Behandlung ihres wachkomatösen Kindes einzuwilligen, keine Kindeswohlgefährdung darstellt.221 Das Oberlandesgericht Hamm weist darauf hin, dass die Eltern die Entscheidung nach reiflicher Überlegung getroffen haben. Ein Sorgerechtsmissbrauch ergebe sich auch nicht aus der Tatsache, dass die Entscheidung der Eltern den Tod des Kindes mit sich bringt. Die Behandlungsabbruchentscheidung wahre das Kindeswohl, weil die Bewusstlosigkeit ärztlicherseits als irreversibel eingeschätzt werde und das Kind unter weiteren Beeinträchtigungen leide, die nur durch invasive Eingriffe zu mildern seien.222 Das Stadtjugendamt und die Verfahrenspflegerin riefen in Vertretung des Kindes das Bundesverfassungsgericht an, das im Wege der einstweiligen Anordnung den Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm bis zu einer Entscheidung über die im Hauptsacheverfahren zu erhebende Verfassungsbeschwerde aussetzte und die amtsgerichtliche Entscheidung wiederherstellte.223 Dieser Beschluss des Bundesverfassungsgerichts wurde allerdings nicht mehr umgesetzt, weil das Kind, das die Eltern im Anschluss an die Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm zu sich nach Hause genommen hatten, bereits verstorben war. Der Tod des 219
220 221 222 223
Siehe OLG Hamm FamRZ 2007, 2098, 2099 (insoweit nicht abgedruckt in NJW 2007, 2704 f.). Eine ausführliche Darstellung des Sachverhalts findet sich auch bei C. Schmidt, Der Spiegel 42/2007, S. 44 ff. AG Minden, Beschluss vom 13.3.2007, Az. 32 F 53/07 (juris). OLG Hamm FamRZ 2007, 2098, 2100. OLG Hamm FamRZ 2007, 2098, 2100. BVerfG FamRZ 2007, 2046, 2047.
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Kindes beruhte aber offenbar nicht auf einer Beendigung der künstlichen Ernährung.224 Sofern in einem Fall wie dem vom Oberlandesgericht Hamm entschiedenen nach ärztlicher Erkenntnis keine Aussicht auf Besserung besteht, erscheint die Behandlungsabbruchentscheidung der Sorgeberechtigten in der Tat nicht kindeswohlgefährdend.225 Dies gilt meiner Einsicht nach auch dann, wenn der Minderjährige nach medizinischer Erkenntnis irreversibel bewusstlos ist, ohne dass zusätzlich schwere Spastiken oder andere Komplikationen auftreten. Hinsichtlich der Frage, ob im Fall einer nach ärztlicher Einschätzung irreversiblen Bewusstlosigkeit die lebenserhaltende Behandlung fortgeführt werden soll, besteht – anders als bei der Frage, ob das Kind von Zeugen Jehovas eine vital indizierte Bluttransfusion erhalten soll226 – kein gesellschaftlicher Konsens.227 Da es also kein eindeutiges „Richtig“ oder „Falsch“ gibt, überschreiten die Eltern den ihnen zustehenden Spielraum nicht, wenn sie sich für die Beendigung der Behandlung bei ihrem nach ärztlicher Erkenntnis irreversibel bewusstlosen Kind entscheiden.228 Dieses Ergebnis bedeutet keinen Widerspruch zu der oben getroffenen Feststellung, dass eine objektive Interessenabwägung die Fortführung der lebenserhaltenden Behandlung eines irreversibel bewusstlosen Patienten gebietet. Der Entscheidungsmaßstab der Sorgeberechtigten ist nämlich mit der objektiven Interessenabwägung nicht identisch. Während die objektive Interessenabwägung nur eine richtige Entscheidung hervorbringt, haben die Sorgeberechtigten angesichts ihres Entscheidungsspielraums bisweilen mehrere zulässige Entscheidungsmöglichkeiten. Dementsprechend hätten die Eltern sich auch zur Fortführung der lebenserhaltenden Behandlung entschließen können, ohne dass darin eine Kindeswohlgefährdung gelegen hätte. Der Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm kann allerdings nur dann zugestimmt werden, wenn im konkreten Fall die Bewusstlosigkeit des Kindes nach medizinischem Erkenntnisstand tatsächlich irreversibel war.229 Besteht nämlich noch Hoffnung auf Besserung, wäre die Behandlungsabbruchentscheidung der Eltern ein Sorgerechtsmissbrauch.230 Nach dem Sachverhalt war nach übereinstimmender Einschätzung der beteiligten Mediziner nicht mehr damit zu rechnen, dass dem Kind eine Kontaktaufnahme mit seiner Umwelt möglich sein wird. Lediglich der Pfleger hielt es für ungeklärt, ob durch die weitere Medikamentengabe eine Kontaktaufnahme auf „non-verbaler Ebene“ in der Zukunft stattfinden könnte.231 Diese Zweifel des Pflegers sind für die Entscheidung des Falls aber nicht von Belang. Der Stellungnahme des Pflegers lässt sich bereits nicht entnehmen, ob un224 225 226 227 228 229 230 231
Siehe hierzu C. Schmidt, Der Spiegel 42/2007, S. 44 ff. Spickhoff, FamRZ 2007, 2047, 2048. Zur Bluttransfusion bei einsichtsunfähigen Kindern von Zeugen Jehovas siehe F. II. 2. b) bb) (2). Vgl. hierzu auch die Ausführungen oben unter E. I. 1. a) cc) (3) (b). Zum Entscheidungsspielraum der Sorgeberechtigten siehe MünchKommBGB/Olzen, § 1666 Rn. 84. Insofern zweifelnd Spickhoff, FamRZ 2007, 2047, 2048. Vgl. Spickhoff, FamRZ 2007, 2047, 2048. Siehe OLG Hamm FamRZ 2007, 2098, 2099.
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ter einer Kontaktaufnahme auf „non-verbaler Ebene“ eine Bewusstseinsbetätigung zu verstehen ist.232 Sofern der Pfleger mit der Kontaktaufnahme auf „non-verbaler Ebene“ bloße reflexartige Reaktionen auf körperliche Reize meint, steht das Vorbringen des Pflegers der Annahme eines irreversiblen Bewusstseinsverlusts nicht entgegen, weil reflexartige Reaktionen als reine Stammhirnfunktionen keine Anzeichen von Bewusstsein sind.233 Sollte der Pfleger eine Kontaktaufnahme im Sinne einer Bewusstseinsbetätigung für möglich erachtet haben, widerspricht seine Ansicht der Einschätzung der behandelnden Ärzte und ist als Auffassung eines medizinischen Laien unerheblich. Die Äußerung der Ärzte, mit einer Kontaktaufnahme könne auch in Zukunft nicht gerechnet werden, kann dahingehend verstanden werden, dass die Ärzte jede bewusste Kontaktaufnahme, d. h. auch nonverbale Kommunikationsformen, für ausgeschlossen hielten. Anhaltspunkte dafür, dass die Ärzte lediglich eine verbale Kontaktaufnahme für unmöglich hielten, sind nicht ersichtlich. Dass die Ärzte teilweise eine Weiterbehandlung befürworteten234, bedeutet nicht zwangsläufig, dass sie Hoffnung hatten, der Bewusstseinsverlust sei nicht irreversibel. Vielmehr kann der Rat, die Behandlung fortzuführen, darauf beruhen, dass die Ärzte eine Behandlungsbeendigung auch im Fall des irreversiblen Bewusstseinsverlusts als nicht sachgerecht empfanden. Somit bleibt festzuhalten, dass die Behandlungsabbruchentscheidung der Sorgeberechtigten in dem vom Oberlandesgericht Hamm entschiedenen Fall das Kindeswohl nicht gefährdete, weil das Kind nach medizinischem Kenntnisstand irreversibel bewusstlos war. Da sogar nach dem Vorbringen des Pflegers keiner der behandelnden Ärzte mit einer Kontaktaufnahme rechnete235, war die Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht erforderlich.236 Die Eltern, deren Behandlungsabbruchentscheidung nicht gerichtlich genehmigt werden musste237, konnten die Einwilligung in die lebenserhaltende Behandlung wirksam verweigern. bb) Die ausschließlich objektive Interessenabwägung Zu prüfen bleibt, ob die Fortführung der lebenserhaltenden Behandlung bei einem irreversibel bewusstlosen Kind durch eine objektive Interessenabwägung gerechtfertigt werden kann. Wie bereits dargelegt wurde238, sind bei einem minderjährigen Patienten die Entscheidung des gesetzlichen Vertreters einerseits und die objektive Interessenabwägung andererseits keine nebeneinander bestehenden Legitimationsgründe. Der Arzt kann also nur in Eilfällen auf die Entscheidung der sorgeberechtigten Eltern verzichten oder sich über die Entscheidung der Eltern hinwegsetzen. Entspricht die Entscheidung der Eltern nicht dem Kindeswohl, muss zunächst das Familiengericht eingeschaltet werden. Nur wenn die Zeit selbst zur 232 233 234 235 236 237 238
So zu Recht auch das OLG Hamm FamRZ 2007, 2098, 2100. OLG Hamm FamRZ 2007, 2098, 2100. Siehe hierzu Spickhoff, FamRZ 2007, 2047; ders., AcP 208 (2008), 345, 397 f. Siehe OLG Hamm FamRZ 2007, 2098, 2099. Zweifelnd Spickhoff, FamRZ 2007, 2047, 2048 f. Siehe hierzu oben D. II. 5. d). Siehe oben D. II. 6. b).
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Beantragung von einstweiligen Maßnahmen nicht reicht, kann der Arzt sein Handeln auf eine objektive Interessenabwägung stützen.239 Dies bedeutet, dass die Fortführung der ärztlichen Behandlung eines irreversibel bewusstlosen Kindes durch eine objektive Interessenabwägung grundsätzlich nicht gerechtfertigt ist, wenn die gesetzlichen Vertreter die Einwilligung in die Behandlung verweigern. Wird allerdings das Gericht eingeschaltet, muss der Arzt bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung die vital indizierte Behandlung fortführen dürfen, da andernfalls die in § 1666 BGB vorgesehene Möglichkeit, das Gericht anzurufen, praktisch leerliefe. Da lebenserhaltende Maßnahmen ohne Gefahr für den Patienten auch nicht kurzfristig unterbrochen werden können, liegt insofern ein Eilfall vor, so dass die objektive Interessenabwägung herangezogen werden kann. Diese ergibt unter Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro vita“, dass die lebenserhaltende Behandlung eines irreversibel bewusstlosen Patienten fortzuführen ist.240 Abschließend sei darauf hingewiesen, dass der Arzt keinesfalls eine medizinisch indizierte Behandlung gegen den Willen der gesetzlichen Vertreter beenden darf. Zum einen ist der Arzt zu einer eigenständigen Entscheidung nicht befugt, weil die Beendigung der Behandlung eines Komapatienten nicht so dringend ist, dass für eine Einschaltung des Gerichts keine Zeit bliebe. Zum anderen gebietet die objektive Interessenabwägung die Fortführung der lebenserhaltenden Behandlung eines irreversibel bewusstlosen Patienten.241 cc) Ergebnis Verweigern die gesetzlichen Vertreter eines Kindes, das nach ärztlicher Einschätzung irreversibel bewusstlos ist, die Einwilligung in die lebenserhaltenden Maßnahmen, handelt der Arzt grundsätzlich eigenmächtig, wenn er die lebenserhaltenden Maßnahmen fortführt. Wird aber das Familiengericht eingeschaltet, darf der Arzt bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung die lebenserhaltende Behandlung vornehmen. 2. Lebensverlängernde Maßnahmen bei Sterbenden und unheilbar Kranken Im Folgenden wird untersucht, inwieweit die Vornahme lebensverlängernder Maßnahmen bei Sterbenden und unheilbar Kranken Schadensersatzansprüche begründen kann. Ein Schadensersatzanspruch des Patienten setzt voraus, dass die Vornahme der lebensverlängernden Maßnahme einen Behandlungsfehler darstellt oder eigenmächtig erfolgt und ein Verschulden des Handelnden vorliegt.
239 240 241
Deutsch/Bender/Eckstein/Zimmermann, Transfusionsrecht, Rn. 1267; Dethloff, Familienrecht, § 13 Rn. 63; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 341. Zur objektiven Interessenabwägung im Zusammenhang mit lebenserhaltenden Maßnahmen bei Wachkomapatienten siehe oben E. I. 1. a) cc) (3) (b). Siehe E. I. 1. a) cc) (3) (b).
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E. Lebenserhaltung bei Sterbenden/unheilbar Kranken/anhaltend Bewusstlosen
a) Behandlungsfehler Da in der Vornahme einer medizinisch nicht indizierten Maßnahme ein Behandlungsfehler liegen kann242, könnte die – auch an sich kunstgerechte – Durchführung lebensverlängernder Maßnahmen bei Sterbenden und unheilbar Kranken ein Behandlungsfehler sein, wenn lebensverlängernde Maßnahmen während der Sterbephase bzw. bei Patienten mit infauster Prognose nicht medizinisch indiziert sind. Bei sterbenden Patienten wird die medizinische Indikation für lebensverlängernde Maßnahmen im Allgemeinen verneint.243 In der Sterbephase steht die Linderung von Schmerzen und Ängsten durch palliativ-medizinische Versorgung, Basispflege und Zuwendung im Vordergrund.244 Zu den medizinisch nicht indizierten lebensverlängernden Maßnahmen kann auch die Zufuhr von Flüssigkeit und Nahrung gehören, da diese die Situation sterbender Patienten nicht mehr verbessert, sondern eine schwere Belastung für Sterbende darstellen kann.245 Nicht entscheidend ist hierbei, auf welchem Weg die Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr erfolgt. Die medizinische Indikation kann sowohl für eine enterale als auch eine parenterale Ernährung fehlen. Selbst das Füttern des Patienten kann kontraindiziert sein, wenn die Nahrungsaufnahme den Sterbenden belastet.246 Somit kann die Vornahme lebensverlängernder Maßnahmen einschließlich der Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr bei einem sterbenden Patienten einen Behandlungsfehler darstellen. Auch bei unheilbar kranken Patienten kann die medizinische Indikation für lebensverlängernde Maßnahmen fehlen. Voraussetzung hierfür ist aber, dass die Krankheit weit fortgeschritten ist. Bei einer an sich unheilbaren Krankheit, mit der der Patient noch eine geraume Zeit ohne große Qualen leben kann, sind lebensverlängernde Maßnahmen angezeigt. Lebensverlängernde Maßnahmen sind dann nicht indiziert und können behandlungsfehlerhaft sein, wenn sie für den Patienten keine Hilfe mehr bedeuten, sondern das Leiden nur verlängern.247 Ob ein Behandlungsfehler vorliegt, entscheidet sich grundsätzlich unabhängig vom Willen des Patienten. Es gibt allerdings auch medizinisch nicht indizierte Maßnahmen, die der Arzt auf Wunsch des Patienten rechtmäßig vornehmen
242 243
244 245
246 247
Katzenmeier, Arzthaftung, S. 276; Staudinger/Hager, § 823 Rn. I 18. Lipp, FamRZ 2004, 317, 319; Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, Rn. 423; Arbeitsgruppe „Therapiebegrenzung“ des Klinischen Ethikkomitees am Universitätsklinikum Erlangen, Empfehlungen zur Therapiebegrenzung auf Intensivstationen, Ziff. 2 im Hinblick auf intensiv-medizinische Maßnahmen; vgl. auch Ziff. I der Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung, DÄBl 2004, A 1298. Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung, Ziff. I, DÄBl 2004, A 1298. Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung, Ziff. I, DÄBl 2004, A 1298. Zu den Beschwerden künstlich ernährter Patienten siehe auch Strätling/Schmucker/Bartmann, DÄBl 2005, A 2153. Zur nicht sachgerechten Unterscheidung zwischen „gewöhnlichen“ und „außergewöhnlichen“ Maßnahmen siehe oben E. I. 1. a) bb). DGAI, Leitlinien zu den Grenzen der intensivmedizinischen Behandlungspflicht, Anästhesiologie & Intensivmedizin 40 (1999), 94, 95.
I. Die Vornahme lebensverlängernder Maßnahmen
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kann.248 Zu diesen medizinisch nicht indizierten, aber auf Wunsch des Patienten gleichwohl zulässigen Maßnahmen gehören medizinisch nicht indizierte Maßnahmen bei Sterbenden und unheilbar Kranken.249 Verlangt beispielsweise ein Sterbender ein medizinisch nicht indiziertes kreislaufstabilisierendes Mittel250, weil er vor seinem Tod einen erst noch anreisenden Angehörigen sehen möchte, erscheint es nicht sachgerecht, einen Behandlungsfehler anzunehmen, wenn der Arzt der Bitte des Patienten folgt. Gleiches gilt, wenn ein Patient im Endstadium einer unheilbaren Krankheit trotz seines großen Leidens eine – wie er weiß – medizinisch nicht mehr indizierte Behandlung wünscht, weil er Zeit gewinnen möchte.251 In solchen Fällen handelt der Arzt, der dem Patienten diesen Wunsch erfüllt, schlicht nicht unsachgemäß. Die Annahme eines Behandlungsfehlers setzt aber ein unsachgemäßes Verhalten voraus.252 Die Vornahme einer lebensverlängernden Maßnahme kann trotz eines entsprechenden Verlangens des Patienten allenfalls dann ein Behandlungsfehler sein, wenn die Maßnahme mit einer so großen Qual einhergeht, dass sie auch unter Berücksichtigung des Patientenwunsches unvertretbar erscheint. Als Ergebnis ist damit festzuhalten, dass die Vornahme lebensverlängernder Maßnahmen bei Sterbenden und bei Patienten mit infauster Prognose und weit fortgeschrittener Erkrankung ein Behandlungsfehler sein kann. Die Zufuhr von Nahrung und Flüssigkeit kann insbesondere bei sterbenden Patienten behandlungsfehlerhaft sein. Ein Behandlungsfehler liegt aber in der Regel nicht vor, wenn der Patient die lebensverlängernden Maßnahmen wünscht. b) Ärztliche Eigenmacht Ist der Sterbende bzw. der unheilbar Kranke noch einsichtsfähig und lehnt die weitere Behandlung ab, stellt die Behandlung gegen den Willen des Patienten unproblematisch ärztliche Eigenmacht dar. Bei einem nicht mehr einsichtsfähigen Patienten ist für die Frage der Zulässigkeit lebensverlängernder Maßnahmen die Feststellung des mutmaßlichen Willens von besonderer Bedeutung, da dieser – jedenfalls bei einem nicht mehr äußerungsfähigen Patienten ohne strikt bindende Patientenverfügung im Sinne des § 1901 a Abs. 1 BGB – sowohl für den Vertreter als
248 249
250 251
252
Röver, Einflußmöglichkeiten, S. 142 f.; Uhlenbruck/Kern, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 81 Rn. 5. Ähnlich Schöch/Verrel, GA 2005, 553, 573. Vgl. auch Otto, Gutachten 56. DJT, D 36, der den Arzt sogar für verpflichtet hält, den Sterbeprozess auf Wunsch des Patienten zu verlängern. Zur fehlenden Indikation kreislaufstabilisierender Mittel bei Sterbenden siehe Simon, in: Höfling, Wachkoma, S. 103, 104. Zur Bedeutung des Patientenwillens für die Änderung des Behandlungsziels bei Patienten mit infauster Prognose und weit fortgeschrittener Erkrankung siehe auch die Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung, Ziff. II, DÄBl 2004, A 1298. Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, Kap. X Rn. 2; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 276; Staudinger/Hager, § 823 Rn. I 18.
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E. Lebenserhaltung bei Sterbenden/unheilbar Kranken/anhaltend Bewusstlosen
auch für den Arzt Entscheidungsmaßstab ist.253 Sofern keine Anhaltspunkte für den subjektiv mutmaßlichen Willen bestehen, ist zur Ermittlung des mutmaßlichen Willens eine objektive Interessenabwägung vorzunehmen.254 Bei einem minderjährigen Patienten ist das Kindeswohl bzw. das Ergebnis der objektiven Interessenabwägung zu beachten.255 Da bei einem Sterbenden der in Kürze bevorstehende Tod nicht mehr verhindert werden kann, ergibt die objektive Interessenabwägung, dass dem Sterbenden zwar Pflege und palliativ-medizinische Versorgung zu gewähren sind, die gegen die Krankheit gerichtete Behandlung aber nicht fortzusetzen ist.256 Auch die Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr liegt nicht stets im objektiven Interesse des Sterbenden.257 Bei Patienten mit infauster Prognose kann eine lebensverlängernde Maßnahme dann nicht mehr auf eine objektive Interessenabwägung gestützt werden, wenn sie den Patienten in einer aktuell schwerkranken Situation unverhältnismäßig belastet.258 Im Ergebnis wird die objektive Interessenabwägung regelmäßig gebieten, dass die Maßnahmen, die bei dem sterbenden bzw. unheilbar kranken Patienten medizinisch indiziert sind, durchzuführen sind, während die Maßnahmen, für die keine medizinische Indikation besteht, zu unterbleiben haben. Diese Vorgehensweise wird in der Regel auch dem Kindeswohl gerecht werden. Ob die Sorgeberechtigten mit einer Entscheidung, die mit der objektiven Interessenabwägung nicht übereinstimmt, ihren Entscheidungsspielraum überschreiten, kann nur im Einzelfall festgestellt werden.259 c) Verschulden Ob ein für einen Schadensersatzanspruch notwendiges Verschulden vorliegt, lässt sich nur anhand eines konkreten Falles beurteilen. An dieser Stelle sei aber angemerkt, dass Ärzte wissen sollten, dass lebensverlängernde Maßnahmen in der Sterbephase medizinisch nicht indiziert sind und nicht im Interesse des Patienten liegen. Ebenfalls sollten sie wissen, dass in einem weit fortgeschrittenen Stadium einer unheilbaren Erkrankung eine Maximaltherapie bisweilen nicht mehr angezeigt ist. Deshalb sind Schadensersatzansprüche von sterbenden und unheilbar kranken Patienten wegen der Vornahme lebensverlängernder Maßnahmen dem Grunde nach gut vorstellbar.
253
254 255 256 257 258 259
Zum Entscheidungsmaßstab des Arztes, des Betreuers und des Bevollmächtigten siehe D. II. 3. b) und c) und d). Zur Konkurrenz zwischen mutmaßlichem Willen und Vertreterentscheidung siehe oben D. II. 6. a) cc). Zur Ermittlung des mutmaßlichen Willens siehe D. II. 3. b) aa). Zu den Voraussetzungen, unter denen ärztliche Eigenmacht im Fall des minderjährigen Patienten anzunehmen ist, siehe oben D. II. 6. b). Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 47. Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 48 hinsichtlich künstlicher Ernährung. Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 47. Zum Entscheidungsspielraum der Sorgeberechtigten siehe MünchKommBGB/Olzen, § 1666 Rn. 84.
I. Die Vornahme lebensverlängernder Maßnahmen
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d) Anspruchsumfang aa) Materieller Schaden Fraglich ist, ob die Lebenshaltungskosten, die sterbenden und unheilbar kranken Patienten infolge einer lebenserhaltenden Behandlung entstehen, einen ersatzfähigen Schaden darstellen. Da der Patient ohne die lebenserhaltende Behandlung tot wäre, scheidet – wie im Zusammenhang mit lebenserhaltenden Maßnahmen bei Wachkomapatienten bereits erläutert wurde260 – die Differenzhypothese mangels Vergleichsgrundlage als Methode zur Schadensermittlung aus. In Betracht kommt nur die Annahme eines normativen Schadens. Ebenso wie die Lebenshaltungskosten eines irreversibel bewusstlosen Patienten sind die Lebenshaltungskosten eines sterbenden oder unheilbar kranken Patienten ein normativer Schaden, wenn der Patient die lebenserhaltende Behandlung ablehnt, weil er seine Erkrankung nicht länger ertragen will. In diesem Fall hat der Patient nämlich ein berechtigtes Interesse daran, dass für die von ihm abgelehnte Lebenserhaltung nicht auch noch sein Vermögen verwendet wird.261 In den seltenen Fällen, in denen trotz eines ausdrücklichen Behandlungswunsches des Patienten die Vornahme einer lebenserhaltenden Behandlung behandlungsfehlerhaft ist262, liegt kein ersatzfähiger materieller Schaden vor. Da der Patient die Lebensverlängerung gerade wünscht, sind die Lebenshaltungskosten nicht als normativer Schaden zu werten. bb) Immaterieller Schaden Wird durch die lebensverlängernden Maßnahmen eines der in § 253 Abs. 2 BGB genannten Rechtsgüter verletzt, kann dem sterbenden bzw. tödlich kranken Patienten wegen der lebenserhaltenden Behandlung auch ein Schmerzensgeldanspruch zustehen. Hierfür ist erforderlich, dass ein immaterieller Schaden vorliegt. Ein immaterieller Schaden ist jedenfalls dann gegeben, wenn die aktuelle Situation des Verletzten gegenüber der Situation, wie sie sich ohne die Verletzungshandlung darstellen würde, nachteilig ist.263 In den Fällen, in denen lebenserhaltende Maßnahmen medizinisch nicht mehr indiziert sind und der Patient dem Leben nichts Positives abgewinnen kann, sondern nur noch körperliche Qualen empfindet, können die Schmerzen und sonstigen körperlichen Beeinträchtigungen, die der Patient infolge der lebenserhaltenden Behandlung erleidet, möglicherweise einen immateriellen Schaden darstellen, weil ein nur noch kurzes Leben unter größten Qualen gegenüber einem selbstbestimmten Tod als Nachteil gewertet werden darf.264 Im Übrigen kann jedenfalls – wie im Rahmen der Prüfung der Ansprüche des Wachkomapatienten bereits erläutert wurde – ein immaterieller Schaden deshalb angenommen werden, weil der Patient einen Eingriff in eines seiner Rechtsgüter erdul260 261 262 263 264
Siehe hierzu oben E. I. 1. a) ff) (1) (a). Zum normativen Schaden siehe auch die Ausführungen unter E. I. 1. a) ff) (1) (a). Zu diesen Fällen siehe E. I. 2. a). Hierzu Erman/Kuckuk, Vor §§ 249-253 Rn. 25. Siehe hierzu auch BGHSt 42, 301, 305.
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E. Lebenserhaltung bei Sterbenden/unheilbar Kranken/anhaltend Bewusstlosen
den musste.265 Festzuhalten bleibt damit, dass sterbende und tödlich kranke Patienten wegen einer lebenserhaltenden Behandlung Schmerzensgeldansprüche haben können, deren Höhe von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls abhängt. Wird durch die lebenserhaltende Behandlung in keines der in § 253 Abs. 2 BGB genannten Rechte oder Rechtsgüter eingegriffen, kommt ein Geldentschädigungsanspruch wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Betracht. Ob eine für die Gewährung einer Geldentschädigung hinreichend schwerwiegende Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vorliegt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Angesichts der besonderen Bedeutung und Tragweite lebenserhaltender Maßnahmen erscheint ein Geldentschädigungsanspruch des Patienten aber durchaus denkbar.
II. Die Verweigerung indirekter Sterbehilfe Fraglich ist, ob die Verweigerung indirekter Sterbehilfe, d. h. die Nichtverabreichung von schmerzlindernden Medikamenten, die als unbeabsichtigte Nebenfolge zu einer Lebensverkürzung führen oder zumindest führen können266, Ansprüche des Patienten begründet. Da das möglicherweise haftungsbegründende Verhalten ein Unterlassen ist, kommt eine Haftung nur in Betracht, wenn die Verweigerung indirekter Sterbehilfe einen Behandlungsfehler darstellt. Ärztliche Eigenmacht kann in dem Unterlassen einer medizinischen Maßnahme nicht erblickt werden. Da ein strafbares Verhalten nicht verlangt werden kann, ist ein Anspruch des Patienten wegen der Verweigerung indirekter Sterbehilfe ausgeschlossen, wenn die indirekte Sterbehilfe im konkreten Fall nicht zulässig erfolgen dürfte. Anders ist die Rechtslage zu beurteilen, wenn eine indirekte Sterbehilfe rechtmäßig wäre, d. h. wenn die Verabreichung von Mitteln, die als unbeabsichtigte Nebenwirkung das Leben des Patienten verkürzen oder jedenfalls verkürzen können, zur Leidenslinderung erforderlich und von einer Einwilligung seitens des sterbenden oder tödlich kranken Patienten gedeckt ist.267 Der Bundesgerichthof hat zutreffend ausgeführt, dass „die Ermöglichung eines Todes in Würde und Schmerzfreiheit gemäß dem erklärten oder mutmaßlichen Patientenwillen“ gegenüber der „Aussicht, unter schwersten, insbesondere sog. Vernichtungsschmerzen noch kurze Zeit länger leben zu müssen“, den Vorrang hat.268 Daher ist bei einem entsprechenden Patientenwillen eine Schmerzmedikation auch dann geboten, wenn durch sie als unvermeidliche Nebenfolge eine Lebensverkürzung eintritt.269 Da das Unterlassen einer medizinisch indizierten Maßnahme, mit der der Patient einverstanden wäre, behandlungsfehlerhaft ist, liegt in der Verweigerung einer zulässigen indirekten Sterbehilfe ein Behandlungsfehler. Mit dem Vorenthalten einer zulässigen indi265 266 267 268 269
Siehe hierzu die Ausführungen oben E. I. 1. a) ff) (2) (a). Zur indirekten Sterbehilfe siehe oben B. II. 2. Zu den Voraussetzungen einer zulässigen indirekten Sterbehilfe siehe oben B. II. 2. BGHSt 42, 301, 305. Zustimmend Kutzer, Patientenautonomie, S. 36. Andreas, ArztR 1999, 232, 233; Duttge/Fantaziu/Kling/Schwabenbauer, Preis der Freiheit, S. 87.
III. Die Verweigerung der Beihilfe zum Suizid
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rekten Sterbehilfe begeht der Arzt, der eine Garantenstellung bzw. eine Erfolgsabwendungspflicht hat, eine Körperverletzung durch Unterlassen.270 Sofern ein Verschulden vorliegt, kann daher die Verweigerung indirekter Sterbehilfe Schadensersatzansprüche des Patienten nach § 280 Abs. 1 BGB, § 823 Abs. 1 BGB sowie § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 223 Abs. 1, 13 StGB bzw. §§ 229, 13 StGB begründen.271 Der Anspruch ist gerichtet auf die Gewährung eines Schmerzensgeldes wegen Körperverletzung durch Unterlassen. Die Leiden, die dem Patienten bei pflichtgemäßer palliativ-medizinischer Versorgung erspart geblieben wären, stellen den immateriellen Schaden dar. Dass der Patient infolge der schmerzlindernden Medikamente möglicherweise bzw. sicher früher verstorben wäre, steht der Annahme eines immateriellen Schadens nicht entgegen. Das Leben des Patienten kann im Rahmen der Schadensberechnung nicht als Vorteil berücksichtigt werden, weil in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung ein nur noch kurzes Leben unter größten Schmerzen gegenüber einem Tod in Würde und Schmerzfreiheit kein Vorteil ist.272 Allerdings stellen nicht sämtliche Leidenszustände, die dem Patienten bei pflichtgemäßem Verhalten des Arztes erspart geblieben wären, einen ersatzfähigen immateriellen Schaden dar. Da eine zulässige indirekte Sterbehilfe nicht die Verkürzung des Patientenlebens bezweckt, sind die Leidenszustände vom Schutzzweck der Norm nur insoweit umfasst, als sie auf dem Unterlassen der Linderung des Leidens beruhen. Die Leidenszustände, die dem Patienten durch eine mit der indirekten Sterbehilfe sicher verbundenen Lebensverkürzung erspart geblieben wären, sind demgegenüber bei der Bemessung des Schmerzensgeldes nicht zu berücksichtigen. Die Lebenshaltungskosten des Patienten stellen im Fall einer verweigerten indirekten Sterbehilfe keinen ersatzfähigen materiellen Schaden dar. Abgesehen davon, dass der Patient nur in den seltenen Fällen, in denen aus ärztlicher Sicht die lebensverkürzende Wirkung der Medikation sicher feststeht, beweisen kann, dass die Lebenshaltungskosten bei pflichtgemäßem Verhalten des Arztes nicht entstanden wären, scheidet ein Schadensersatzanspruch jedenfalls deshalb aus, weil eine zulässige indirekte Sterbehilfe nicht die Verkürzung des Patientenlebens bezweckt.
III. Die Verweigerung der Beihilfe zum Suizid Im Folgenden wird untersucht, ob die Verweigerung der Beihilfe zum Suizid Schadensersatzansprüche auslösen kann. Zum einen wird geprüft, ob dem Patienten gegenüber seinem behandelnden Arzt, der dem Patienten bei der Verwirklichung eines Suizidentschlusses keine Hilfe leistet, Ansprüche zustehen. Zum an270 271 272
Aus strafrechtlicher Sicht Andreas, ArztR 1999, 232, 233; Schöch/Verrel, GA 2005, 553, 576, die dies als unstreitig bezeichnen. Vgl. Andreas, ArztR 1999, 232, 233. Vgl. BGHSt 42, 301, 305.
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E. Lebenserhaltung bei Sterbenden/unheilbar Kranken/anhaltend Bewusstlosen
deren wird danach gefragt, ob eine vertragliche Vereinbarung über eine Suizidbeihilfe Ansprüche eines Sterbewilligen begründen kann. 1. Ansprüche gegen den behandelnden Arzt Die Beihilfe zur Selbsttötung ist nach deutschem Recht nicht strafbar.273 Da sie aber vom ärztlichen Behandlungsauftrag nicht umfasst ist, sondern vielmehr dem ärztlichen Standesrecht widerspricht274, stellt das Unterlassen der Suizidbeihilfe keinen Behandlungsfehler dar. Ansprüche des Patienten gegen den behandelnden Arzt wegen verweigerter Suizidbeihilfe können daher nicht bestehen.275 Gegen die ausnahmslose standesrechtliche Missbilligung des ärztlich assistierten Suizids werden in jüngerer Zeit allerdings Bedenken erhoben.276 Die Standeswidrigkeit der Suizidbeihilfe werde Fällen, in denen die Leiden unheilbar kranker Patienten durch palliativ-medizinische Standardmaßnahmen nicht mehr effektiv behandelt werden können, nicht gerecht. In derartigen Situationen sei die Gewährung ärztlicher Suizidbeihilfe ethisch nicht verwerflich, sondern könne dem Gebot, zum Wohl des Patienten zu handeln, entsprechen.277 Andernfalls bliebe nämlich der Patient entweder seinen Schmerzen oder den Diensten geschäftsmäßiger Sterbehilfevereine überlassen. Da die Selbsttötung der stärkste Ausdruck eines selbstbestimmten Sterbens sei und dem Patienten ermögliche, seinen Angehörigen einen zeitlich ausgedehnten Sterbeprozess zu ersparen, sei auch eine eindeutige ethische Präferenz der palliativen Sedierung gegenüber einem assistierten Suizid nicht auszumachen.278 Während diese Ausführungen gut nachzuvollziehen sind, vermag das Vorbringen der Gegenauffassung279 größtenteils nicht zu überzeugen. Dass Patienten sich eher zu einem Suizid entschließen, wenn sie diesen mit ärztlicher Hilfe durchführen können, ist kein Argument gegen eine ärztliche Suizidbeihilfe.280 Die Tatsache, dass von einer Möglichkeit Gebrauch gemacht wird, sagt nämlich nichts dar273
274
275
276
277 278 279 280
BGHSt 46, 279, 284; Fischer, Vor § 211 Rn. 10 a m. w. N. Zur Abgrenzung der straflosen Suizidbeihilfe von der Tötung in mittelbarer Täterschaft und der Tötung auf Verlangen siehe oben B. II. 4. a) aa) und B. II. 4. a) bb). Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung, Präambel, DÄBl 2004, A 1298; Deutsche Gesellschaft für Chirurgie, Leitlinie zum Umfang und zur Begrenzung der ärztlichen Behandlungspflicht in der Chirurgie, III. 3., abgedruckt in Staudinger/Hager, § 823 Rn. I 15. So im Erg. auch Hufen, NJW 2001, 849, 853: Beihilfe zum Suizid ist unerlaubte Handlung, zu der ein Arzt nicht gezwungen werden kann. Aus ethischer Sicht Birnbacher, Ethik Med 2004, 358, 367. Schöch/Verrel, GA 2005, 553, 581; Verrel, Gutachten 66. DJT, C 114 ff.; Spickhoff, NJW 2009, 1716, 1723. So auch ein Teil der Mitglieder des Nationalen Ethikrats (siehe Nationaler Ethikrat, Selbstbestimmung, S. 86). Nationaler Ethikrat, Selbstbestimmung, S. 86; Verrel, Gutachten 66. DJT, C 115. Verrel, Gutachten 66. DJT, C 115. Zur terminalen Sedierung siehe oben B. II. 2. Kutzer, Patientenautonomie, S. 38 f.; ebenso ein Teil der Mitglieder des Nationalen Ethikrats (siehe Nationaler Ethikrat, Selbstbestimmung, S. 85). Anders aber Nationaler Ethikrat, Selbstbestimmung, S. 85.
III. Die Verweigerung der Beihilfe zum Suizid
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über aus, ob es richtig ist, diese Möglichkeit einzuräumen. Auch der Hinweis auf die Schwierigkeiten, die mit der Feststellung der Freiverantwortlichkeit des Suizidentschlusses einhergehen können281, ist wenig stichhaltig, da solche Schwierigkeiten nicht nur im Zusammenhang mit Suizidentschlüssen, sondern in allen Fällen auftreten, in denen die Wirksamkeit einer Patienteneinwilligung oder die Ernstlichkeit des Verlangens im Sinne des § 216 StGB geprüft werden muss. Gleichwohl darf nicht übersehen werden, dass die standesrechtliche Zulassung ärztlicher Suizidbeihilfe Gefahren birgt. Die Möglichkeit eines ärztlich assistierten Suizids könnte den Blick für den dringend notwendigen Ausbau der bisher defizitären palliativ-medizinischen Versorgung in Deutschland282 verstellen und die Beihilfe zur Selbsttötung könnte zu einer einfacheren und kostengünstigeren Alternative werden. Daher ist die standesrechtliche Zulassung ärztlicher Suizidbeihilfe jedenfalls so lange problematisch, wie eine gute palliativ-medizinische Versorgung nicht gewährleistet ist. Die bloße standesrechtliche Erlaubnis des ärztlich assistierten Suizids würde allerdings eine Haftung des Arztes wegen verweigerter Suizidbeihilfe ohnehin nicht begründen können. Ansprüche des Patienten wegen unterlassener Suizidbeihilfe setzen voraus, dass der Arzt zur Suizidbeihilfe verpflichtet ist. Für eine derartige Verpflichtung des Arztes könnte angeführt werden, dass der Patient, dessen Leidenszustände durch palliativ-medizinische Standardmaßnahmen nicht hinreichend gelindert werden können, die Wahlfreiheit zwischen einer terminalen Sedierung und einem ärztlich assistierten Suizid haben müsse. Dies wird indes nicht vertreten. So halten auch diejenigen Mitglieder des Nationalen Ethikrats, die der Auffassung sind, die Suizidbeihilfe müsse nicht stets dem ärztlichen Ethos widersprechen, es für selbstverständlich, dass sich „jeder Arzt dem Ansinnen auf Gewährung von Suizidbeihilfe unter Berufung auf sein Gewissen entziehen“ kann.283 Auch in § 4 Abs. 2 des vom Arbeitskreis deutscher, österreichischer und schweizerischer Strafrechtslehrer vorgelegten Entwurfs eines deutschen Sterbebegleitungsgesetzes ist vorgesehen, dass der Arzt zur Suizidbeihilfe in bestimmten Fällen zwar berechtigt, nicht aber verpflichtet ist.284 Diese Regelung entspricht dem ärztlichen Standesrecht in der Schweiz. In den medizinisch-ethischen Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften zur Betreuung von Patienten am Lebensende wurde festgelegt, dass der Arzt zwar aufgrund einer persönlichen Gewissensentscheidung unter bestimmten Voraussetzungen Suizidbeihilfe leisten darf, diese aber nicht Teil der ärztlichen Tätigkeit ist.285
281 282 283 284 285
Nationaler Ethikrat, Selbstbestimmung, S. 85. Siehe hierzu Nolte/Benz/du Bois u. a., DÄBl 2004, A-402; Borasio/Weltermann/Voltz u. a., Nervenarzt 2004, 1187, 1193. Nationaler Ethikrat, Selbstbestimmung, S. 86. Schöch/Verrel, GA 2005, 553, 586. Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften, Schweizerische Ärztezeitung 2004, 288, 290.
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E. Lebenserhaltung bei Sterbenden/unheilbar Kranken/anhaltend Bewusstlosen
Eine Verpflichtung des Arztes zur Suizidbeihilfe ist in der Tat nicht zu befürworten.286 Da die Beihilfe zum Suizid von nicht unerheblichen Teilen der Bevölkerung als unmoralisch beurteilt wird, insbesondere von den beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland abgelehnt wird287, brächte eine Verpflichtung zur Suizidbeihilfe viele Ärzte in schwere Gewissensnöte. Menschen, die Suizidbeihilfe nicht leisten wollen, wären gehindert, den Beruf des Arztes zu ergreifen. Dass Ärzte zu einem Tun, das eine besondere Gewissensrelevanz hat, nicht verpflichtet sind, entspricht auch der Regelung des § 12 Abs. 1 Schwangerschaftskonfliktgesetz, nach der Ärzte an einem Schwangerschaftsabbruch nicht mitwirken müssen. Ein Schadensersatzanspruch des Patienten gegen den behandelnden Arzt wegen verweigerter Suizidbeihilfe ist daher auch für die Zukunft abzulehnen. 2. Ansprüche aus einem Vertrag über Suizidhilfe Zu prüfen bleibt, ob ein Sterbewilliger einen Schadensersatzanspruch wegen verweigerter Suizidhilfe haben kann, wenn er zuvor einen Vertrag über Suizidhilfe geschlossen hat und die andere Partei den Vertrag nicht erfüllt, d. h. die vereinbarte Suizidhilfe nicht leistet. a) Vertraglicher Schadensersatzanspruch Ein vertraglicher Schadensersatzanspruch wegen verweigerter Suizidbeihilfe setzt zunächst voraus, dass sich der Vertragspartner des Sterbewilligen zur Suizidhilfe verpflichtet. Sofern dem Vertrag eine derartige Verpflichtung entnommen werden kann288, kommt wegen der verweigerten Suizidhilfe ein Anspruch des Sterbewilligen auf Schadensersatz statt der Leistung gemäß §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB in Betracht.
286 287 288
So aus ethischer Sicht auch Birnbacher, Ethik Med 2004, 358, 367. Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland/Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Sterbebegleitung, S. 26. Inwieweit ein Vertrag eine Verpflichtung zur Suizidhilfe enthält, ist im Einzelfall – ggf. durch Auslegung – zu ermitteln. Die Statuten der Schweizerischen Sterbehilfeorganisation „Dignitas“ können etwa dahingehend ausgelegt werden, dass ein Mitglied unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf Suizidbeihilfe hat. Vgl. hierzu Art. 4 Abs. 6 der unter http://www.dignitas.ch/index.php?option=com_content&task= view& id=111&Itemid=162 (Stand: 3.1.2010) abrufbaren Vereinsstatuten: „Sie [die Mitglieder] haben ausserdem Anspruch auf Sterbebegleitung durch Sterbebegleiter des Vereins, sofern dadurch sinnloses Leiden oder unzumutbares Weiterleben durch einen menschenwürdigen Freitod beendet werden soll.“ Zurückhaltender erscheint demgegenüber die von der Sterbehilfeorganisation „Exit (Deutsche Schweiz)“ gewählte Formulierung in Art. 2 der unter http://www.exit.ch/wDeutsch/organisation/statuten.php (Stand: 3.1.2010) abrufbaren Vereinsstatuten: „Bei hoffnungsloser Prognose, unerträglichen Beschwerden oder unzumutbarer Behinderung soll ein Freitod ermöglicht werden.“.
III. Die Verweigerung der Beihilfe zum Suizid
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aa) Wirksamkeit eines Suizidhilfevertrags Ein Anspruch des Sterbewilligen erfordert, dass Verträge, in denen sich eine Partei zur Suizidhilfe verpflichtet, wirksam sind. Suizidbeihilfeverträge können insbesondere dann nichtig sein, wenn sie gegen ein gesetzliches Verbot im Sinne des § 134 BGB verstoßen oder sittenwidrig im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB sind. (1) Unwirksamkeit des Suizidhilfevertrags gemäß § 134 BGB Ein Suizidhilfevertrag verstößt gegen ein gesetzliches Verbot im Sinne des § 134 BGB, wenn die geplante Selbsttötung nicht auf einem freiverantwortlichen Entschluss des Sterbewilligen beruht. In diesem Fall stellt nämlich die Hilfe bei der Verwirklichung des Suizidentschlusses keine straflose Suizidbeihilfe, sondern eine Tötung in mittelbarer Täterschaft gemäß §§ 211 ff., 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB dar.289 Der durch die §§ 211 ff. StGB bezweckte Lebensschutz erfordert, dass ein Suizidhilfevertrag, der mit einem nicht freiverantwortlich handelnden Sterbewilligen geschlossen wird, gemäß § 134 BGB nichtig ist. Handelt es sich demgegenüber um einen freiverantwortlichen Suizidentschluss, besteht de lege lata kein gesetzliches Verbot der Suizidbeihilfe. Die Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung, die den Ärzten die Suizidbeihilfe standesrechtlich untersagen, enthalten als bloße berufsständische Richtlinien kein Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB.290 Ein Vertrag, in dem sich eine Partei verpflichtet, der anderen bei der Umsetzung eines freiverantwortlichen Suizidentschlusses zu helfen, ist daher nicht nach § 134 BGB nichtig. Dies gilt de lege lata auch dann, wenn der Sterbewillige den Vertrag mit einer so genannten Sterbehilfeorganisation schließt.291 (2) Unwirksamkeit des Suizidbeihilfevertrags gemäß § 138 Abs. 1 BGB (a) Sittenwidrigkeit des Suizidbeihilfevertrags Ein Suizidbeihilfevertrag könnte aber trotz der Freiverantwortlichkeit des Suizidentschlusses sittenwidrig im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB sein. Nach Auffassung der Rechtsprechung wird die Mitwirkung an einer Selbsttötung von der Rechtsordnung grundsätzlich auch dann missbilligt, wenn die Selbsttötung auf einem freiverantwortlichen Entschluss beruht. Suizid und Suizidbeihilfe seien zwar straflos gestellt, aber – von äußersten Ausnahmen abgesehen – gleichwohl rechts289 290 291
Siehe hierzu bereits B. II. 4. a) aa). Vgl. MünchKommBGB/Armbrüster, § 134 Rn. 30 a. E.; Staudinger/Sack, § 134 Rn. 29. Siehe aber den von dreizehn Bundesländern in den Bundesrat eingebrachten Gesetzesentwurf, nach welchem die gewerbliche Suizidbeihilfe unter Strafe gestellt werden soll (BR-Drucksache 436/08). Diese Regelung erscheint gegenüber dem zuvor in den Bundesrat eingebrachten Gesetzesvorschlag der Länder Saarland, Thüringen und Hessen, wonach die geschäftsmäßige Vermittlung oder Verschaffung von Gelegenheiten zur Selbsttötung unter Strafe gestellt werden sollte (BR-Drucksache 230/06), vorzugswürdig.
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widrig.292 Da neben der Vorschrift des § 134 BGB auch die des § 138 BGB die Einhaltung der Rechtsordnung bezweckt293, wäre bei Zugrundelegen der Rechtsprechung ein Suizidhilfevertrag auch im Fall eines freiverantwortlichen Suizidentschlusses in aller Regel sittenwidrig. Nach hier vertretener Ansicht, nach der die Beteiligung an einem Suizidgeschehen nicht stets rechtswidrig ist294, sind Selbsttötungen auch nicht stets sittenwidrig. Entschließt sich etwa ein tödlich kranker und schwer leidender Mensch nach reiflicher Überlegung zu einer Selbsttötung, verstößt in der säkularisierten und pluralistischen Gesellschaft die Selbsttötung nicht gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden.295 Die breite Masse betrachtet eine Krankheit nicht mehr als ein von Gott auferlegtes Schicksal, sondern empfindet das Erleiden von Schmerzen ohne Aussicht auf Besserung als sinnlos. Auch die Beihilfe zur Selbsttötung ist in Fällen tödlicher Krankheit nicht zwangsläufig sittenwidrig. Wenn nicht unerhebliche Teile der Bevölkerung sogar die Zulassung aktiver Sterbehilfe befürworten296, verstößt die Beihilfe zum Suizid wohl kaum gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden. Auch die gesellschaftliche Diskussion um die Zulassung des ärztlich assistierten Suizids zeigt, dass es den Wertvorstellungen der Allgemeinheit nicht widerspricht, einem tödlich Kranken, d. h. einem Patienten mit infauster Prognose und weit fortgeschrittener Erkrankung, bei der Umsetzung seines Suizidentschlusses zu helfen. Gegen die Vereinbarkeit eines Suizidbeihilfevertrags mit den guten Sitten spricht auch nicht, dass sich der Suizidhelfer zu einer Suizidhilfe verpflichtet. Dass durch einen Suizidbeihilfevertrag eine Verpflichtung zur Suizidbeihilfe begründet werden kann, erscheint unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen sachgerecht. Während dem Suizidhelfer der Abschluss eines Suizidbeihilfevertrags völlig freisteht, ist für den Kranken die Sicherheit, dass ihm auf seinen Wunsch Suizidbeihilfe gewährt wird, von größter Bedeutung. Zum einen entlastet den Kranken bereits das Wissen, das Fortschreiten der Erkrankung nicht hilflos erdulden zu müssen, sondern notfalls einen schmerzfreien Suizid begehen zu kön292
293 294 295 296
BGHSt 46, 279, 285. Dem entspricht die im Polizei- und Ordnungsrecht herrschende Auffassung von einer generellen Eingriffsbefugnis der Polizei bei Suizidversuchen (siehe hierzu Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, § 3 Rn. 57 m. w. N.). Gegen eine polizeiliche Eingriffsbefugnis bei einem ohne Zweifel freiverantwortlichen Suizid aber Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 8 Rn. 31 ff. Siehe auch BVerfGE 76, 248 ff. (Hackethal). Palandt/Ellenberger, § 138 Rn. 42. Siehe bereits oben B. II. 4. b) aa) und bb). So auch Baston-Vogt, Schutzbereich, S. 261; Zimmermann, FamRZ 1979, 103, 104 f. Zur Vereinbarkeit der Selbsttötung mit den guten Sitten siehe auch G. II. 2. b). Einer Forsa-Umfrage zufolge sprechen sich 74 % der Bundesbürger für die Zulassung aktiver Sterbehilfe aus (siehe hierzu Keseling, Die Welt vom 13.10.2005, Nr. 239, S. 10). Nach einer Umfrage des Forschungsinstituts TNS Infratest, die die Deutsche Hospiz Stiftung im Oktober 2005 in Auftrag gegeben hat, befürworten immerhin noch 35 % der Befragten die Zulassung aktiver Sterbehilfe, obwohl sie auf die Palliativmedizin als Alternative zur aktiven Sterbehilfe hingewiesen wurden. Siehe hierzu http://www.hospize.de/docs/stellungnahmen/31.pdf (Stand: 3.1.2010).
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nen. Zum anderen sind sterbewillige Kranke darauf angewiesen, frühzeitig einen verbindlichen Suizidbeihilfevertrag abschließen zu können, weil sie im Endstadium ihrer Erkrankung häufig nicht mehr die Möglichkeit haben werden, einen Suizidhelfer zu finden.297 Auch solche Suizidbeihilfeverträge, in denen sich ein Arzt zur Suizidbeihilfe verpflichtet, müssen nicht notwendigerweise sittenwidrig sein. Aus dem standesrechtlichen Verbot der Suizidbeihilfe ergibt sich nicht die Sittenwidrigkeit des Suizidbeihilfevertrags. Standesrechtliche Richtlinien können zwar den Inhalt der guten Sitten mitbestimmen298, nicht jeder Verstoß gegen Standesrecht löst aber die Sittenwidrigkeit aus.299 Sittenwidrig ist das Rechtsgeschäft nur, wenn neben Standespflichten zugleich Werte der Rechts- oder Sittenordnung verletzt sind300, also gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstoßen wird.301 Da aber die Allgemeinheit die Suizidbeihilfe nicht ausnahmslos missbilligt, können auch Suizidbeihilfeverträge, die mit Ärzten abgeschlossen werden, mit den guten Sitten vereinbar sein. Suizidbeihilfeverträge verstoßen allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen nicht gegen die guten Sitten. Die christliche Ethik prägt weiterhin insofern das Durchschnittsempfinden, als die Selbsttötung nicht generell als ein Ausdruck von Selbstbestimmung akzeptiert wird. Begeht ausnahmsweise ein gesunder Mensch einen freiverantwortlichen Suizid, stößt dieses Verhalten im Allgemeinen auf Ablehnung, sei es, dass die Rücksichtslosigkeit gegenüber den trauernden Angehörigen missbilligt wird, sei es, dass in der Selbsttötung ein Zeichen von Feigheit und Schwäche gesehen wird. In der Konsequenz wird auch die Beihilfe zu einer solchen Selbsttötung als anstößig empfunden. An der Sittenwidrigkeit eines Suizidbeihilfevertrags in einem solchen Fall änderte sich auch dann nichts, wenn dem Teil des verfassungsrechtlichen Schrifttums, das ein Grundrecht auf Selbsttötung anerkennt, gefolgt würde.302 Wegen der mittelbaren Drittwirkung von Grundrechten im Rahmen der zivilrechtlichen Generalklauseln wäre die Selbsttötung als solche zwar nicht sittenwidrig, die Beihilfe zur Selbsttötung verstieße aber gleichwohl gegen die guten Sitten, weil das Recht, sich selbst zu töten, weder ein
297
298 299 300 301 302
Sittenwidrig kann allerdings ein Vertrag sein, der umgekehrt den Lebensmüden verpflichtet, die Suizidbeihilfe zu einem späteren, noch nicht näher bestimmten Zeitpunkt abzunehmen. Dies ist aber für die hier interessierende Frage, ob ein Lebensmüder wegen verweigerter Suizidbeihilfe Schadensersatzansprüche haben kann, nicht von Bedeutung. Soergel/Hefermehl, § 138 Rn. 233; Staudinger/Sack, § 134 Rn. 29 und § 138 Rn. 46. BGHZ 60, 28, 33; BGHZ 78, 263, 267; BGHZ 132, 229, 236; BGH NJW 2000, 3067, 3068; MünchKommBGB/Armbrüster, § 138 Rn. 47; Palandt/Ellenberger, § 138 Rn. 57. BGHZ 132, 229, 236; Palandt/Ellenberger, § 138 Rn. 57. BGHZ 60, 28, 33. Für ein Selbsttötungsrecht als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Günzel, Selbsttötung, S. 95 ff.; Wassermann, DRiZ 1986, 291, 293 ff.; Möller, KritV 2005, 230, 232 ff. Für den Schutz der Selbsttötung durch die allgemeine Handlungsfreiheit Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 2 II Rn. 32; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 2 Rn. 8; Murswiek, in: Sachs, Art. 2 Rn. 211; J. Wagner, Selbstmord, S. 93.
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Recht auf Suizidbeihilfe noch ein Recht zur Mitwirkung an einer fremden Selbsttötung beinhaltet. Nachdem festgestellt wurde, dass die Beihilfe zum Suizid eines tödlich Kranken grundsätzlich mit den guten Sitten vereinbar ist und die Beihilfe zum Suizid eines gesunden Menschen in aller Regel sittenwidrig ist303, bleibt zu klären, ob eine Suizidbeihilfe auch dann mit den guten Sitten vereinbar sein kann, wenn der Lebensmüde weder gesund noch tödlich krank ist, d. h. wenn der Sterbewillige unter einer Krankheit leidet, die nicht in absehbarer Zeit zum Tode führt. In der Schweiz leisten die Schweizerischen Suizidbeihilfeorganisationen „Exit (Deutsche Schweiz)“ und „Dignitas“ Suizidbeihilfe nicht nur in Fällen tödlicher Krankheit, sondern auch bei „unerträglichen Beschwerden oder unzumutbarer Behinderung“304 bzw. bei „unerträglich gewordenen Leiden“305. Bei der Beantwortung der Frage, ob Suizidbeihilfe auch im Fall einer nicht tödlichen Krankheit mit den guten Sitten im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB vereinbar ist, hilft ein Vergleich mit der Rechtslage bei der indirekten Sterbehilfe. Diese hat mit der Suizidbeihilfe gemein, dass der Tod durch eine aktive Handlung kausal herbeigeführt wird. Die indirekte Sterbehilfe ist bei Sterbenden und – nach hier vertretener Ansicht – auch bei tödlich Kranken zulässig.306 Leidet demgegenüber ein Patient unter einer sehr schmerzhaften nicht tödlichen Krankheit, wird die Zulässigkeit einer indirekten Sterbehilfe nicht in Betracht gezogen. Dies zeigt, dass die Rechtsordnung todesverursachende aktive Handlungen – wenn überhaupt – nur dann akzeptiert, wenn der Patient dem Tode nahe ist.307 Die Suizidbeihilfe kann dementsprechend nur dann mit den guten Sitten vereinbar sein, wenn der Tod des Sterbewilligen in absehbarer Zeit bevorsteht. In anderen Fällen ist die Beihilfe zum Suizid demgegenüber sittenwidrig im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB. Diese Beurteilung der Suizidbeihilfe stimmt übrigens mit dem ärztlichen Standesrecht in der Schweiz überein, nach welchem Ärzte eine Suizidbeihilfe nur gewähren dürfen, wenn die Erkrankung des Patienten die Annahme rechtfertigt, dass das Lebensende nahe ist.308 Allerdings können auch Suizidbeihilfeverträge, die für die Situation einer weit fortgeschrittenen tödlichen Erkrankung abgeschlossen werden, sittenwidrig sein. Die Sittenwidrigkeit eines Suizidbeihilfevertrags kann darauf beruhen, dass die Suizidbeihilfe kommerzialisiert wird. Es erscheint unerträglich, wenn der Suizidhelfer die psychische und physische Leidenssituation eines Kranken für das Verfolgen eigener finanzieller Interessen ausnutzt. Dementsprechend plädiert Verrel 303
304 305 306 307 308
Die Beihilfe zum Suizid eines bisher gesunden Menschen erscheint in solchen Ausnahmefällen nicht sittenwidrig, in denen ein Mensch mit hinreichender Sicherheit in absehbarer Zeit qualvoll sterben wird, z. B. durch eine bevorstehende Folter. Siehe Art. 2 der Statuten des Vereins „Exit (Deutsche Schweiz)“, abrufbar unter http://www.exit.ch/wDeutsch/organisation/statuten.php (Stand: 3.1.2010). Siehe Art. 2 der Vereinsstatuten von „Dignitas“, abrufbar unter http://www.dignitas.ch/ index.php?option=com_content&task=view&id=111&Itemid=162 (Stand: 3.1.2010). Siehe hierzu die Ausführungen oben unter B. II. 2. Die aktive Sterbehilfe ist freilich stets rechtswidrig, unabhängig davon, wie nah das Opfer dem Tod ist. Siehe hierzu oben B. II. 1. Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften, Schweizerische Ärztezeitung 2004, 288, 290.
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für ein Verbot der Suizidbeihilfe, „wenn der Täter materielle Zuwendungen erstrebt, die über die Deckung seiner Kosten und eine angemessene Honorierung ärztlicher Leistungen hinausgehen.“309 Da bislang ein gesetzliches Verbot der Suizidbeihilfe nicht besteht, ist in Fällen, in denen der Suizidhelfer nicht lediglich eine Aufwandsentschädigung verlangt, die Sittenwidrigkeit des Suizidbeihilfevertrags anzunehmen. Demgegenüber erscheint ein Suizidbeihilfevertrag nicht bereits deshalb sittenwidrig, weil der Lebensmüde den Vertrag mit einer auf Suizidbeihilfe spezialisierten Organisation schließt. Hat sich eine Vereinigung ohne Gewinnerzielungsabsicht zur Aufgabe gemacht, sterbenskranken Menschen bei der Umsetzung ihres freiverantwortlichen Suizidentschlusses Hilfe zu leisten, vermag allein die Tatsache, dass die Suizidbeihilfe durch eine so genannte Sterbehilfevereinigung erfolgt, den Sittenwidrigkeitsvorwurf eines Suizidbeihilfevertrags nicht zu begründen.310 Festzuhalten bleibt, dass ein Suizidbeihilfevertrag regelmäßig dann nicht sittenwidrig ist, wenn er für die Sterbephase oder für die Situation einer tödlichen und weit fortgeschrittenen Erkrankung geschlossen wird, der Lebensmüde einen freiverantwortlichen Selbsttötungsentschluss gefasst hat und der Suizidhelfer in finanzieller Hinsicht nicht mehr als eine Aufwandsentschädigung erhält. (b) Rechtsfolgen der Sittenwidrigkeit Sofern der Suizidbeihilfevertrag sittenwidrig ist, weil der Tod des Sterbewilligen nicht in absehbarer Zeit bevorsteht, ist der Vertrag nichtig. Vertragliche Ansprüche des Lebensmüden scheiden in diesem Fall aus. Fraglich ist, ob der Suizidbeihilfevertrag auch dann nichtig ist, wenn er lediglich wegen der Vereinbarung eines überhöhten Entgelts sittenwidrig ist. Nach der Rechtsprechung und der bisher herrschenden Meinung ist ein Rechtsgeschäft, das wegen Übermaßes sittenwidrig ist, grundsätzlich im Ganzen nichtig. Eine Aufrechterhaltung des Rechtsgeschäfts mit einer angemessenen Gegenleistung soll regelmäßig nicht möglich sein, weil andernfalls ein sittenwidriges Rechtsgeschäft für die begünstigte Partei ohne Risiko wäre, wenn diese damit rechnen könnte, durch gerichtliche Festsetzung das zu bekommen, was gerade noch vertretbar und sittengemäß ist.311 Zwar lässt die Rechtsprechung zahlreiche Ausnahmen von diesem Grundsatz der Gesamtnichtigkeit zu. Modifiziert aufrechterhalten werden etwa Dauerschuldverhältnisse, insbesondere wenn sie wegen einer unangemessen langen Bindungsfrist sittenwidrig sind312, und Geliebtentestamente, die wegen einer übermäßigen Benachteiligung der Pflichtteilsberechtigten gegen die guten Sit-
309 310 311 312
Verrel, Gutachten 66. DJT, C 117. Einer Suizidbeihilfe durch Sterbehilfeorganisationen aufgeschlossen auch Arzt, in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, Strafrecht BT, § 3 Rn. 35a. BGHZ 68, 204, 207; BGH NJW 1979, 1605, 1606 a. E.; BGH NJW 1983, 1420, 1423; BGH NJW 1987, 2014, 2015. BGHZ 68, 1, 5; BGHZ 74, 293, 298; BGH WM 1984, 88, 89 f.; BGH NJW 1988, 2362, 2363; MünchKommBGB/Armbrüster, § 138 Rn. 161; Soergel/Hefermehl, § 138 Rn. 49.
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ten verstoßen313. Beruht aber die Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts, das kein Dauerschuldverhältnis ist, auf der Vereinbarung eines überhöhten Entgelts, ist nach herrschender Meinung das Rechtsgeschäft im Ganzen nichtig.314 Wird die herrschende Ansicht zugrunde gelegt, hat der Lebensmüde also keine vertraglichen Ansprüche, wenn der Vertrag wegen der Vereinbarung eines überhöhten Entgelts sittenwidrig ist. Richtigerweise kann dem Sterbewilligen auch nicht durch eine Heranziehung des § 242 BGB zu einem vertraglichen Anspruch verholfen werden. Zwar soll nach teilweise vertretener Auffassung in besonders gelagerten Ausnahmefällen die Berufung auf die Sittenwidrigkeit durch den Vertragspartner, der durch das sittenwidrige Rechtsgeschäft begünstigt wird, als Fall einer unzulässigen Rechtsausübung gemäß § 242 BGB ausgeschlossen werden können.315 In aller Regel ist aber die Anwendung des § 242 BGB nicht sachgerecht, weil ansonsten ein Rechtsgeschäft, das von der Rechtsordnung missbilligt wird, über den Umweg des § 242 BGB doch zum Tragen käme.316 Auch im vorliegenden Fall eines Suizidbeihilfevertrags mit sittenwidrig erhöhter Entgeltvereinbarung ist eine Lösung über § 242 BGB abzulehnen, weil durch die Anwendung des § 242 BGB der Suizidbeihilfevertrag unverändert gelten würde und der Sterbewillige den sittenwidrig überhöhten Betrag zahlen müsste, um die versprochene Suizidbeihilfe zu erhalten. Nach einer im Vordringen befindlichen Auffassung ist demgegenüber stets eine geltungserhaltende Reduktion vorzunehmen, wenn ein Rechtsgeschäft wegen Übermaßes sittenwidrig ist.317 Mit dieser Ansicht werden die Unbilligkeiten vermieden, die häufig aus der Gesamtnichtigkeit des Rechtsgeschäfts resultieren und darin bestehen, dass der Benachteiligte selbst keinerlei Ansprüche aus dem Rechtsgeschäft herleiten kann. Auch im vorliegenden Fall einer sittenwidrig überhöhten Entgeltvereinbarung in einem Suizidbeihilfevertrag erscheint die Gesamtnichtigkeit des Vertrags nicht sachgerecht. Der Sterbewillige soll durch das sittliche Verbot der Kommerzialisierung der Suizidbeihilfe davor geschützt werden, dass seine verzweifelte Situation von der anderen Vertragspartei für eigene wirtschaftliche Interessen ausgenutzt wird. Dass der Lebensmüde den vertraglichen Anspruch auf Suizidbeihilfe verliert und die gegnerische Vertragspartei die Erbringung der Leistung folgenlos verweigern kann, gebietet das Kommerzialisierungsverbot nicht. Daher ist ein Suizidbeihilfevertrag, der wegen der Vereinbarung eines überhöhten Entgelts sittenwidrig ist, dergestalt aufrechtzuerhalten, dass der Sterbewillige einen Anspruch auf Suizidbeihilfe hat, der Suizidhelfer aber lediglich eine Aufwandsentschädigung verlangen kann. Zum Fortbestand des vertraglichen Anspruchs auf Suizidbeihilfe führt im Übrigen auch die von Canaris vertretene Ansicht, nach der bei Sittenverstößen, die sich gegen einen Vertrags313 314 315 316 317
BGH FamRZ 1963, 287, 289 f.; BGHZ 52, 17, 23 f.; BGHZ 53, 369, 383. BGHZ 68, 204, 206 ff.; Soergel/Hefermehl, § 138 Rn. 46; Palandt/Ellenberger, § 138 Rn. 19. Erman/Palm, § 138 Rn. 51; Wendtland, in: Bamberger/Roth, § 138 Rn. 31. MünchKommBGB/Armbrüster, § 138 Rn. 155. AnwK-BGB/Faust, § 139 Rn. 31 ff.; Hager, Auslegung, S. 87 ff. und S. 145 ff.; H. Roth, JZ 1989, 411, 416 ff; Staudinger/Sack, § 138 Rn. 109 ff.; dieser Ansicht nicht gänzlich abgeneigt auch Erman/Palm, § 138 Rn. 55 a. E.
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partner richten, eine halbseitige Teilnichtigkeit des Rechtsgeschäfts in dem Sinne vorliegt, dass der geschützte Teil die vertraglichen Ansprüche behält, aber seinerseits nur aus ungerechtfertigter Bereicherung haftet.318 Festzuhalten bleibt, dass ein Anspruch des tödlich kranken Sterbewilligen auch dann bestehen kann, wenn der Vertrag, der eine Verpflichtung zur Suizidbeihilfe enthält, wegen einer überhöhten Entgeltforderung des Suizidhelfers sittenwidrig ist. bb) Vertragliche Pflichtverletzung Sofern der Vertrag eine wirksame Verpflichtung zur Suizidbeihilfe enthält, begeht der Vertragspartner des Sterbewilligen eine vertragliche Pflichtverletzung, wenn er die vereinbarte Suizidbeihilfe nicht leistet. Lediglich in solchen Fällen, in denen der Schuldner geltend macht, er könne die zuvor versprochene Suizidbeihilfe mit seinem Gewissen nicht mehr vereinbaren, ist zu prüfen, ob der Schuldner ein Leistungsverweigerungsrecht gemäß § 242 BGB hat. Nach weit verbreiteter Meinung kann ein Leistungsverweigerungsrecht gemäß § 242 BGB bestehen, wenn die Erbringung der Leistung beim Schuldner einen Gewissenskonflikt hervorriefe.319 Allerdings gebührt der Gewissensfreiheit gegenüber vertraglichen Leistungspflichten nicht schlechthin der Vorrang.320 Ein Leistungsverweigerungsrecht scheidet jedenfalls aus, wenn der Schuldner den Gewissenskonflikt bei Vertragsschluss vorausgesehen hat.321 Der Schuldner kann richtigerweise auch dann aus § 242 BGB keine Rechte herleiten, wenn er den Konflikt zwar nicht vorausgesehen hat, aber hätte voraussehen können.322 Dem Schuldner ist nämlich zumutbar, bei Vertragsschluss sorgfältig zu prüfen, ob er die versprochene Leistung zu erbringen vermag. Darüber hinaus hat der Schuldner auch in Fällen, in denen er den Gewissenskonflikt weder vorhergesehen hat noch hätte vorhersehen können, nicht stets ein Leistungsverweigerungsrecht. Vielmehr ist eine umfassende Abwägung zwischen dem Leistungsinteresse des Gläubigers und dem Gewicht des Gewissenskonflikts auf Schuldnerseite vorzunehmen.323 Im Rahmen dieser Abwägung ist insbesondere zu berücksichtigen, ob der Gläubiger auch ohne die an sich geschuldete Leistung auskommen bzw. sich die Leistung anderweitig verschaffen kann.324 Angesichts der großen Bedeutung der Suizidbeihilfe für den Sterbewilligen und der Tatsache, dass schwer kranke Patienten häufig Schwierigkeiten haben werden, einen anderen Suizidhelfer zu finden, wird ein Leistungsverweigerungsrecht daher nur selten bestehen. Ein Leistungsverweigerungsrecht kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht, wenn die an sich zur Suizidbeihilfe verpflichtete Partei darlegt und gegebenenfalls beweist, dass durch nachträgliche Umstände die
318 319 320 321 322 323 324
Canaris, Gesetzliches Verbot, S. 28 ff. (zu § 138 BGB ausdrücklich S. 34). Palandt/Grüneberg, § 242 Rn. 8; Soergel/Teichmann, § 242 Rn. 49 m. w. N. MünchKommBGB/Roth, § 242 Rn. 55; Soergel/Teichmann, § 242 Rn. 51 a. E. Palandt/Grüneberg, § 242 Rn. 8; Soergel/Teichmann, § 242 Rn. 52. So auch Palandt/Grüneberg, § 242 Rn. 8; a. A. Soergel/Teichmann, § 242 Rn. 52. Erman/Hohloch, § 242 Rn. 34. MünchKommBGB/Roth, § 242 Rn. 55.
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Gewährung von Suizidbeihilfe bei ihr einen Gewissenskonflikt hervorruft, der das Leistungsinteresse des Sterbewilligen im konkreten Fall überwiegt. cc) Sonstige Voraussetzungen des vertraglichen Schadensersatzanspruchs Für einen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung gemäß §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB müssen die Voraussetzungen des § 281 BGB erfüllt sein, d. h. der Sterbewillige muss grundsätzlich eine angemessene Frist zur Leistung bestimmen. Im Einzelfall kann die Fristsetzung allerdings nach § 281 Abs. 2 BGB entbehrlich sein. Außerdem muss der Vertragspartner des Sterbewilligen die Nichterfüllung zu vertreten haben. dd) Anspruchsumfang Da nach den obigen Ausführungen im Einzelfall ein Schadensersatzanspruch des Sterbewilligen wegen verweigerter Suizidbeihilfe dem Grunde nach durchaus bestehen kann, ist weiter zu prüfen, welche Schäden der Sterbewillige ersetzt verlangen kann. (1) Ersatz des materiellen Schadens Da im Fall pflichtgemäßer Vertragserfüllung der Anspruchsinhaber tot wäre, ist – wie im Rahmen der Prüfung der Ansprüche des Wachkomapatienten bereits ausgeführt wurde – mit der Differenzhypothese mangels Vergleichsgrundlage kein materieller Schaden zu ermitteln.325 Die dem Sterbewilligen entstandenen Kosten einschließlich der Lebenshaltungskosten könnten aber – ebenso wie die Lebenshaltungskosten von Sterbenden, tödlich Kranken und Wachkomapatienten – einen normativen Schaden darstellen.326 Es erscheint nicht sachgerecht, die aus der Pflichtverletzung resultierenden finanziellen Belastungen nur deshalb nicht als Schaden anzusehen, weil die Differenzhypothese in dem speziellen Fall, dass der Patient ohne die Pflichtverletzung verstorben wäre, mangels Vergleichsgrundlage versagt. Der materielle Schaden, der in den Lebenshaltungskosten des Sterbewilligen liegt, ist auch ersatzfähig, insbesondere ist er vom Schutzzweck der verletzten Pflicht umfasst. Dass mit einem Suizidbeihilfevertrag nicht die Vermeidung der Lebenshaltungskosten, sondern die Beendigung des Leidens bezweckt wird, steht dem nicht entgegen. Die Schutzzwecklehre besagt nämlich, dass eine Haftung nur insoweit eintritt, als der entstandene Schaden als Verwirklichung einer Gefahr angesehen werden kann, die durch die verletzte Verhaltenspflicht vermieden werden soll.327 Die Lebenshaltungskosten des Sterbewilligen beruhen auf dem fortdauernden Leben des Sterbewilligen, das durch die vereinbarte Suizidbeihilfe gerade beendet werden sollte. 325 326 327
Siehe hierzu E. I. 1. a) ff) (1) (a). Zum normativen Schaden siehe oben E. I. 1. a) ff) (1) (a). Soergel/Mertens, Vor § 249 Rn. 123.
III. Die Verweigerung der Beihilfe zum Suizid
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(2) Ersatz des immateriellen Schadens Ein Schmerzensgeldanspruch setzt voraus, dass eine Verletzung eines der in § 253 Abs. 2 BGB genannten Rechte oder Rechtsgüter vorliegt. Fraglich ist, ob die Verweigerung der Suizidbeihilfe eine Körper- bzw. Gesundheitsverletzung durch Unterlassen darstellt. Dass es sich bei der Verweigerung der Suizidbeihilfe um ein Unterlassen handelt, steht einem Schmerzensgeldanspruch jedenfalls nicht entgegen. Ein Unterlassen steht einem aktiven Tun zwar nur dann gleich, wenn eine besondere Rechtspflicht zur Abwendung des Erfolgs besteht.328 Anerkannt sind aber vertragliche Handlungspflichten.329 Problematisch ist vielmehr, ob die Verweigerung der Suizidbeihilfe einen zurechenbaren Verletzungserfolg mit sich bringt. Zu überlegen ist, ob die krankheitsbedingten, körperlichen Beeinträchtigungen, die der schwer kranke Sterbewillige aufgrund der verweigerten Suizidbeihilfe erleiden muss, einen Körper- bzw. Gesundheitsverletzungserfolg darstellen. Jedenfalls im Fortschreiten der Erkrankung liegt eine Verschlechterung des körperlichen Zustands, die bei pflichtgemäßer Vertragserfüllung ausgeblieben wäre und damit äquivalent kausal auf der Pflichtverletzung beruht. Hiergegen könnte allerdings der Einwand vorgebracht werden, dass bei pflichtgemäßer Vertragserfüllung der Kranke verstorben wäre und der Tod der denkbar schlechteste körperliche Zustand überhaupt sei. Eine derartige Berücksichtigung des hypothetischen Verlaufs erfolgt indes im Rahmen der Feststellung des tatbestandlichen Erfolgs nicht. So wird auch nicht vertreten, dass eine lebenserhaltende Operation keine tatbestandliche Körperverletzung darstelle, weil der Patient ohne den Eingriff verstorben wäre. Daher lässt sich festhalten, dass die Verletzung der vertraglichen Pflicht, Suizidbeihilfe zu leisten, äquivalent kausal für eine Körper- oder Gesundheitsverletzung sein kann. Weiter ist auch die adäquate Kausalität zu bejahen, da es vorhersehbar ist, dass sich der körperliche Zustand des Sterbenden oder tödlich Kranken im Fall der Verweigerung der Suizidbeihilfe weiter verschlechtert. Der Verletzungserfolg ist auch vom Schutzzweck des Suizidbeihilfevertrags umfasst, weil dieser gerade dazu dient, das Leiden des Schwerstkranken zu beenden. Die Gewährung eines Schmerzensgeldes setzt ferner das Vorliegen eines immateriellen Schadens voraus. Die Schmerzen und sonstigen Leidenszustände des Sterbewilligen stellen einen zurechenbaren immateriellen Schaden dar. Dass der Patient, sofern er den Suizid tatsächlich begangen hätte, bei pflichtgemäßer Erfüllung des Vertrags früher verstorben wäre, steht der Annahme eines immateriellen Schadens nicht entgegen. Da es dem Sterbewilligen gerade darum ging, sein von ihm als unerträglich empfundenes Leben zu beenden, wäre es widersinnig, das Leben des Patienten als immateriellen Vorteil im Rahmen der Schadensermittlung zu berücksichtigen. Die Bemessung des Schmerzensgeldes hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Es wird unter anderem zu berücksichtigen sein, wie groß die Leidenszustände des Sterbewilligen sind und aus welchen Gründen der Vertragspartner des Sterbewilligen die Suizidbeihilfe verweigert. 328 329
Soergel/Spickhoff, § 823 Rn. 15. BGHZ 73, 190, 194; Soergel/Spickhoff, § 823 Rn. 16.
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E. Lebenserhaltung bei Sterbenden/unheilbar Kranken/anhaltend Bewusstlosen
b) Deliktsrechtlicher Schadensersatzanspruch Wie vorstehend ausgeführt wurde, kann die Verweigerung der vereinbarten Suizidbeihilfe unter bestimmten Voraussetzungen eine Körper- bzw. Gesundheitsverletzung durch Unterlassen darstellen. Deshalb kommt in den Fällen, in denen ein vertraglicher Schadensersatzanspruch des Sterbewilligen wegen verweigerter Suizidbeihilfe besteht, auch ein deliktischer Schadensersatzanspruch des Sterbewilligen in Betracht.
IV. Die Verweigerung aktiver Sterbehilfe Aktive Sterbehilfe ist strafbar.330 Da auf strafbares Verhalten kein Anspruch besteht, kann die Weigerung des Arztes, den Patienten zu töten, keinen Schadensersatzanspruch des Patienten gegen den Arzt begründen. Selbst wenn Ausnahmen vom Verbot bzw. von der Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen zugelassen werden würden331, hat der Patient keinesfalls einen Anspruch gegen den Arzt auf aktive Sterbehilfe. Ein Schadensersatzanspruch wegen verweigerter Tötung auf Verlangen kommt nicht in Betracht.
330 331
BGHSt 37, 376, 379; Fischer, Vor § 211 Rn. 17; Schönke/Schröder/Eser, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 24 f. Zur aktiven Sterbehilfe siehe bereits B. II. 1. Hierfür Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 29; Kutzer, MedR 2001, 77, 78; Merkel, FS Schroeder, S. 297, 320; ablehnend LK/Jähnke, Vor § 211 Rn. 14.
F. Die lebensrettende Bluttransfusion ohne die Einwilligung des heilungsfähigen Patienten
Das Landgericht München I und das Oberlandesgericht München haben – soweit ersichtlich – erstmalig in Deutschland richterlich darüber befunden, ob die Vornahme einer erfolgreichen, lebensrettenden Behandlung einen Schmerzensgeldanspruch begründen kann, wenn der Patient die Einwilligung in die rettende ärztliche Maßnahme verweigert hat. Eine Zeugin Jehovas klagte auf Schmerzensgeld wegen einer bei ihr durchgeführten Bluttransfusion, in die sie aus religiösen Gründen nicht eingewilligt hatte.1 Das Landgericht München I wies die Klage mit Urteil vom 24.6.1998 ab.2 Das Oberlandesgericht München wies die Berufung mit Urteil vom 31.1.2002 zurück.3 Im Folgenden soll geklärt werden, inwieweit einem Zeugen Jehovas, dem ohne ausdrückliche Einwilligung Bluttransfusionen verabreicht
1
2 3
Die Gemeinschaft der Zeugen Jehovas leitet aus verschiedenen Bibelstellen ein religiöses Blutverbot ab. Gestützt wird das Blutverbot unter anderem auf 1. Mose 9,4 („Nur Fleisch mit seiner Seele – seinem Blut – sollt ihr nicht essen.“), 3. Mose 17,13 („welcher ein wildlebendes Tier oder einen Vogel auf der Jagd fängt, der gegessen werden darf, er soll in diesem Fall sein Blut ausgießen und es mit Staub bedecken.“) und Apostelgeschichte 15,19 f. („[sie sollen] sich von Dingen enthalten, die durch Götzen befleckt sind, und von Hurerei und von Erwürgtem und von Blut.“). Das religiöse Blutverbot umfasst die Transfusion von Vollblut sowie die Verabreichung von roten Blutkörperchen, Plasma, weißen Blutkörperchen und Blutplättchen. Das religiöse Verständnis der Zeugen Jehovas schließt den Gebrauch von Blutbestandteilen nicht völlig aus. Die Entscheidung, ob Albumin, Immunglobuline und Faktoren zur Blutgerinnung verwendet werden sollen, bleibt dem einzelnen Zeugen Jehovas überlassen. Generell verboten ist wiederum die autologe Bluttransfusion, also die Transfusion von zuvor entnommenem Eigenblut. Ebenfalls auf Ablehnung stoßen Verfahren zur Blutverdünnung und zur Sammlung von Blut während der Operation, wenn sie mit der Aufbewahrung von Blut verbunden sind. Demgegenüber ist die Verwendung eines Dialysegerätes und einer Herz-Lungen-Maschine sowie die Wiederverwendung von Blut, das während der Operation ausströmt, nicht vom religiösen Blutverbot umfasst, sofern bei diesen Verfahren kein zusätzliches Blut verwendet und der Kreislauf außerhalb des Körpers nicht unterbrochen wird. Über die Anwendung dieser Verfahren darf der einzelne Zeuge Jehovas entscheiden. Vgl. hierzu http://www.watchtower.org/x/hb/index.htm (Stand: 3.1.2010). Als Quelle für die verwendeten Bibelzitate diente die von der Wachtturm Bibel- und Traktat Gesellschaft e. V. herausgegebene Neue-Welt-Übersetzung der Heiligen Schrift. LG München I, Urteil vom 24.6.1998, Az. 9 O 13096/95 (unveröffentlicht). OLG München NJW-RR 2002, 811 ff. = MedR 2003, 174 ff.
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F. Die lebensrettende Bluttransfusion ohne Einwilligung des Patienten
wurden, Ansprüche zustehen. Hierbei wird die Entscheidung des Oberlandesgerichts München einer kritischen Würdigung unterzogen.
I. Der Sachverhalt im Fall OLG München NJW-RR 2002, S. 811 ff. Die Klägerin wurde am 6.7.1992 mit einem unklaren Befund hinsichtlich des rechten Eierstocks in der gynäkologischen Abteilung eines Klinikums stationär aufgenommen. Die Klägerin unterzeichnete eine Einverständniserklärung zu einer Pelviskopie (Bauchhöhlenspiegelung) sowie gegebenenfalls zu einem Bauchschnitt und zu einer Entfernung des Eierstocks. Die Klägerin gab hierbei an, Zeugin Jehovas zu sein und deswegen Bluttransfusionen abzulehnen. Zu den Krankenakten reichte sie ein von ihr am 6.7.1992 unterzeichnetes Formblatt, das die Überschrift „Verweigerung der Zustimmung zur Bluttransfusion“ trug, sowie eine Patientenverfügung und eine Vorsorgevollmacht, wodurch ein Verzicht auf Bluttransfusionen sichergestellt werden sollte. Am 7.7.1992 wurde bei der Klägerin die Pelviskopie durchgeführt und eine hierbei festgestellte Verklebung des Darms mit der Beckenwand gelöst. Nachdem in den darauffolgenden Tagen Komplikationen auftraten, wurde die Klägerin am 11.7.1992 auf die Intensivstation verlegt. Hinsichtlich einer nun erforderlich gewordenen Laparotomie (Öffnung der Bauchhöhle) unterzeichnete die Klägerin am 12.7.1992 eine Einverständniserklärung, auf der vermerkt war, dass „auf keinen Fall“ eine Bluttransfusion gewünscht wird. Der Patientin sowie ihrem Bevollmächtigten wurde versichert, dass eine Bluttransfusion „intraoperativ mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht notwendig“ werde. Bei der notfallmäßigen Laparotomie am 12.7.1992 wurde eine Perforation im Darmbereich, die sogleich genäht wurde, und eine ausgeprägte Bauchfellentzündung diagnostiziert. Bluttransfusionen wurden nicht gegeben. Am 13.7.1992 wurde die Klägerin bewusstlos. Für die Ärzte ergab sich nun das Erfordernis, die Klägerin zur Rettung ihres Lebens mit Blut zu versorgen. Mit Schreiben vom 13.7.1992 wandte man sich von Seiten des Krankenhauses an das Vormundschaftsgericht und bat um die Bestellung eines Vormunds [sic] für die Klägerin. Das Vormundschaftsgericht wurde darauf hingewiesen, dass die nun bewusstlose Patientin als Zeugin Jehovas zuvor schriftlich eine Blutübertragung abgelehnt habe. Über die Vorsorgevollmacht wurde das Gericht nicht in Kenntnis gesetzt. Das Gericht bestellte den Ehemann der Klägerin, der selbst nicht den Zeugen Jehovas angehörte, zum vorläufigen Betreuer mit dem Aufgabenkreis „Sorge für die Gesundheit“. Der Betreuer stimmte am 13.7.1992 unter Hinweis auch auf die Schutzbedürftigkeit des gemeinsamen Sohnes Blutübertragungen zu, woraufhin der Klägerin mehrmals Blut transfundiert wurde.
II. Schadensersatzansprüche wegen eigenmächtiger Bluttransfusion
191
II. Schadensersatzansprüche wegen eigenmächtiger Bluttransfusion 1. Überblick über die Anspruchsgrundlagen Da ärztliche Eigenmacht eine vertragliche Pflichtverletzung ist4, können eigenmächtige Bluttransfusionen Ansprüche gemäß § 280 Abs. 1 BGB begründen. Sofern kein oder kein wirksamer Vertrag zwischen Arzt und Patient bzw. Klinikträger und Patient besteht, kommen Ansprüche nach den Regeln über die Geschäftsführung ohne Auftrag in Betracht.5 Anspruchsgrundlage ist hierbei wohl nicht § 678 BGB, sondern § 677 BGB i. V. m. § 280 Abs. 1 BGB, wenn die Übernahme der ärztlichen Behandlung als solches dem Willen des Patienten entsprach und lediglich die Bluttransfusion gegen den Willen des Patienten vorgenommen wurde. Im Deliktsrecht ist aufgrund der hier vertretenen Einordnung von ärztlichen Behandlungen6 folgendermaßen zu unterscheiden: Im Hinblick auf vorgenommene Injektionen und die durch die Transfusion bedingten gesundheitlichen Nachteile kommen Ansprüche wegen Körper- bzw. Gesundheitsverletzung nach § 823 Abs. 1 BGB in Betracht. Daneben kann ein Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 223 Abs. 1 StGB bestehen. Hinsichtlich der eigenmächtigen Bluttransfusion als solche sind Ansprüche nach § 823 Abs. 1 BGB und § 823 Abs. 1, Art. 1, 2 GG wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu prüfen. Obgleich eine erfolgreiche Bluttransfusion ohne Nebenwirkungen häufig eine versuchte Körperverletzung im Sinne des § 223 Abs. 2 StGB darstellt7, wird im Ergebnis ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 223 Abs. 2 StGB mangels eines vom Schutzbereich der Norm umfassten Schadens nicht bejaht werden können. Hat der Arzt den Patienten ausnahmsweise zur Duldung der Bluttransfusion genötigt, ist ferner an einen Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 240 Abs. 1 StGB zu denken, der allerdings je nach den Umständen des Einzelfalls an der fehlenden Verwerflichkeit der Nötigung scheitern kann.8 Als Grundlage für deliktische Schadensersatzansprüche gegen den Klinikträger und gegen den Vorgesetzten des transfundierenden Arztes kommt in Fällen, in denen der Arzt als Verrichtungsgehilfe anzusehen ist, auch § 831 Abs. 1 BGB in Betracht. 2. Die Eigenmächtigkeit der Bluttransfusion Ein Arzt handelt eigenmächtig, wenn der einsichtsfähige Patient in die Behandlung nicht einwilligt oder – im Fall des einwilligungsunfähigen Patienten – kein Einwilligungssurrogat vorliegt. 4 5 6 7 8
OLG München NJW-RR 2002, 811; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, Kap. A Rn. 5 und Kap. C Rn. 1. Siehe hierzu auch bereits oben C. II. 1. Zur Anwendbarkeit der Regeln über die Geschäftsführung ohne Auftrag siehe C. II. 2. Siehe hierzu oben C. II. 3. e) bb). Siehe hierzu C. II. 3. e) bb) (1). Zur Verwerflichkeit der Nötigung vgl. auch G. IV. 1. b) bb).
192
F. Die lebensrettende Bluttransfusion ohne Einwilligung des Patienten
a) Die aktuelle Einwilligungsverweigerung durch den einsichtsfähigen Patienten Das Selbstbestimmungsrecht des einwilligungsfähigen Patienten umfasst das Recht, eine ärztliche Behandlung auch dann abzulehnen, wenn sie lebensnotwendig ist und die Gründe für die Ablehnung der Heilbehandlung aus der Sicht anderer unvernünftig erscheinen.9 Deshalb kann ein einwilligungsfähiger Zeuge Jehovas die Einwilligung in eine vital indizierte Bluttransfusion nach ganz herrschender Meinung wirksam verweigern.10 Eine Bluttransfusion gegen den Willen eines einsichtsfähigen Zeugen Jehovas ist also eigenmächtig. Das Selbstbestimmungsrecht darf auch nicht unterlaufen werden, indem der Zeuge Jehovas allein deshalb für einwilligungsunfähig erklärt wird, weil er eine wahrscheinlich lebensrettende Maßnahme ablehnt.11 b) Das Fehlen einer aktuellen Erklärung des einsichtsfähigen Patienten aa) Die Anforderungen an das Vorliegen einer aktuellen Einwilligungsverweigerung und deren Abgrenzung von einer Patientenverfügung Bevor die Rechtslage bei fehlender aktueller Einwilligungsverweigerung des einsichtsfähigen Patienten untersucht wird, muss zunächst geklärt werden, unter welchen Voraussetzungen überhaupt die Situation anzunehmen ist, in der keine bindende aktuelle Erklärung des einsichtsfähigen Patienten vorliegt. Die aktuelle Einwilligungsverweigerung muss insbesondere von einer behandlungsablehnenden Patientenverfügung unterschieden werden. Liegt nämlich eine aktuelle Einwilligungsverweigerung des einsichtsfähigen Patienten vor, kommt eine Entscheidung durch einen Vertreter von vornherein nicht in Betracht. Liegt dagegen keine aktuelle Erklärung des einsichtsfähigen Patienten vor, muss der Betreuer bzw. der Bevollmächtigte prüfen, ob die Festlegungen in der Patientenverfügung auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen und die Patientenverfügung damit eine strikte Bindungswirkung entfaltet. Während die Vornahme einer Bluttransfusion entgegen der aktuellen Einwilligungsverweigerung des einsichtsfähigen Patienten zweifelsohne eigenmächtig ist, kann eine Behandlung trotz einer behandlungsablehnenden Patientenverfügung im Einzelfall aufgrund einer fehlenden strikten Bindungswirkung der Patientenverfügung von einer mutmaßlichen Einwilligung gedeckt sein. Eine noch weitgehendere Bedeutung hat die Abgren9
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BGHSt 11, 111, 114; Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 12. Siehe hierzu bereits oben D. I. Zur türkischen Rechtslage, nach der ein Patient bei Lebensgefahr eine Behandlung nicht (auch nicht aus religiösen Gründen) ablehnen darf, vgl. Dural, in: Taupitz, Regelungen, Rn. TR 35 f. K.-O. Bergmann, KH 1999, 315, 316; Deutsch/Bender/Eckstein/Zimmermann, Transfusionsrecht, Rn. 1222. Mit den Grundrechten unvereinbar Barnikel, DMW 1979, 330, der im Fall der Zeugen Jehovas von einem „irregeleiteten religiösen Gewissen“ ausgeht und daher die ausdrücklich erklärte Transfusionsverweigerung eines einsichtsfähigen Patienten im Interesse einer „guten Moral“ für unbeachtlich hält. So auch Weißauer, in: Häring, Chirurgie und Recht, S. 134, 139.
II. Schadensersatzansprüche wegen eigenmächtiger Bluttransfusion
193
zung zwischen einer aktuellen Einwilligungsverweigerung und einer behandlungsablehnenden Patientenverfügung dann, wenn man für die Zeit vor dem 1.9.2009 der Auffassung des 12. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs von der beschränkten Reichweite von Patientenverfügungen folgte. Bei Zugrundelegen der Ansicht des 12. Zivilsenats müsste bei fehlender aktueller Einwilligungsverweigerung – im völligen Gegensatz zur Rechtslage bei einem einsichtsfähigen Patienten – die Vornahme einer vital indizierten Bluttransfusion stets rechtmäßig sein, weil nach Auffassung des Senats ein Behandlungsabbruch, d. h. das Unterlassen einer lebenserhaltenden (Weiter-)Behandlung, bei einem entscheidungsunfähigen Patienten mit guten Prognoseaussichten generell unzulässig ist.12 Zu unterscheiden ist also die Situation, in der eine aktuelle Erklärung des einsichtsfähigen Patienten vorliegt, von der Situation, in der es an einer solchen Erklärung fehlt. Keine Schwierigkeiten bereitet dies, wenn der Patient zum Zeitpunkt der Behandlung einwilligungsfähig ist oder bereits vor jeglicher Äußerung zur Behandlung einwilligungsunfähig gewesen ist. Die Unterscheidung kann aber dann problematisch sein, wenn der einwilligungsfähige Patient eine Erklärung abgibt und anschließend einwilligungsunfähig wird. Trotz dieser Schwierigkeiten und der großen Bedeutung, die das Vorliegen bzw. das Fehlen einer aktuellen Erklärung des einsichtsfähigen Patienten für die rechtliche Beurteilung ärztlichen Handelns hat, wird in Rechtsprechung und Schrifttum selten deutlich gemacht, unter welchen Voraussetzungen eine wirksam erteilte und fortwirkende Erklärung des einsichtsfähigen Patienten anzunehmen ist. Einvernehmen besteht dahingehend, dass eine wirksam erteilte Einwilligung ihre Wirkung nicht schon immer dann verliert, wenn der Patient einwilligungsunfähig wird. Die wirksam erteilte Einwilligung in eine bestimmte medizinische Behandlung wirkt jedenfalls dann fort, wenn bei der Einwilligung der Zustand künftiger Einwilligungsunfähigkeit als sicher oder möglich vorausgesehen wurde, z. B. im Fall der Einwilligung in eine Operation unter Vollnarkose oder der Einwilligung in eine Medikation, die als Nebenwirkung Bewusstseinstrübungen zur Folge haben kann.13 Andererseits wird davon ausgegangen, dass die Fortwirkung einer wirksam erteilten und nicht widerrufenen Einwilligung nicht unbegrenzt ist.14 Nach Schwab verliert die fortwirkende Einwilligung ihre rechtfertigende Wirkung dann, wenn sich eine Situation ergibt, in der auch bei einem einwilligungsfähigen Patienten ein neues Aufklärungsgespräch und eine neue Einwilligung erforderlich wäre, beispielsweise beim Auftreten unerwarteter Komplikationen, die eine neue Entscheidungssituation schaffen.15
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BGHZ 154, 205, 215 f. Siehe hierzu auch die Ausführung oben D. II. 1. c) bb) (2). Schwab, FS Henrich, S. 511, 529; Deutsch/Bender/Eckstein/Zimmermann, Transfusionsrecht, Rn. 1223; Kuhlmann, Einwilligung, S. 91 f. Anders wohl Weißauer, in: Häring, Chirurgie und Recht, S. 134, 139, der bei Eintritt der Bewusstlosigkeit den mutmaßlichen Willen des Patienten für maßgeblich hält, welcher allerdings mit dem erklärten Willen übereinstimmt. Deutsch, NJW 1979, 1905, 1906 und 1909; Schwab, FS Henrich, S. 511, 529; im Hinblick auf längere Therapien Kuhlmann, Einwilligung, S. 91 f. Schwab, FS Henrich, S. 511, 529.
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F. Die lebensrettende Bluttransfusion ohne Einwilligung des Patienten
Werden diese Überlegungen zur Fortwirkung einer Einwilligung auf die Verweigerung der Einwilligung übertragen, verliert die Einwilligungsverweigerung als aktuelle, strikt bindende Erklärung des einsichtsfähigen Patienten ihre Wirkung, wenn unvorhergesehen eine neue Entscheidungssituation entsteht.16 Lehnt beispielsweise ein Patient im Vorfeld einer Operation eine bestimmte Operationsmethode ab und entscheidet sich für eine aus ärztlicher Sicht ebenso gute, alternative Vorgehensweise, gilt diese Einwilligungsverweigerung nicht fort, wenn sich während des Eingriffs herausstellt, dass die alternative Vorgehensweise nicht durchführbar und die abgelehnte Operation dringend erforderlich ist. Möglich ist aber auch, dass eine vom Patienten gemachte Äußerung von vornherein keine bindende Einwilligungsverweigerung darstellt. Hat der Patient die Ablehnung einer Behandlung erklärt, ohne dass die Vornahme der Behandlung überhaupt im Raum stand, hat die Erklärung des Patienten den Charakter einer Patientenverfügung. In Fällen, in denen der Patient eine vital indizierte Maßnahme ablehnt, erscheint die Annahme einer aktuellen, bindenden Erklärung des einsichtsfähigen Patienten nur dann zutreffend, wenn der Patient die Behandlung ablehnt, nachdem die Ärzte dem Patienten die Notwendigkeit und Dringlichkeit der Behandlung sowie die Folgen der Verweigerung eindrücklich vor Augen geführt haben.17 In dem vom Oberlandesgericht München entschiedenen Fall hatten die Ärzte versichert, dass eine Bluttransfusion „intraoperativ mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht notwendig werden“ würde. Aus der Tatsache, dass die Ärzte die Bluttransfusion „intraoperativ“ für nicht erforderlich hielten, kann nicht geschlossen werden, dass die postoperativ eintretende Notwendigkeit einer Bluttransfusion vorhersehbar war. Die Notwendigkeit einer Bluttransfusion kam also aus Sicht der Patientin unerwartet, so dass die präoperativ erklärte Behandlungsablehnung keine fortwirkende Einwilligungsverweigerung darstellt, sondern lediglich als Patientenverfügung zu berücksichtigen ist. Klarstellend sei festgehalten, dass auch dann keine fortwirkende Einwilligungsverweigerung der einsichtsfähigen Patientin anzunehmen wäre, wenn die Bluttransfusion bereits während der Bauchhöhlenöffnung am 12.7.1992 erforderlich geworden wäre. Dass die präoperativ erklärte Ablehnung der Behandlung lediglich eine Patientenverfügung darstellt, liegt nicht an einer Zäsur, die in dem postoperativen Wiedererlangen des Bewusstseins und der erneuten Bewusstlosigkeit am 13.7.1992 gesehen werden könnte, sondern an der Unvorhersehbarkeit der späteren Notwendigkeit einer Bluttransfusion. Wenngleich die Wahrscheinlichkeit der medizinischen Erforderlichkeit einer Bluttransfusion hier nicht sachverständig beurteilt werden kann, erscheint es doch zweifelhaft, dass im Fall einer notfallmäßigen Bauchhöhlenöffnung, durch die überhaupt erst eine Diagnose möglich wird, das Notwendigwerden einer Bluttransfusion „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ tatsächlich ausge16 17
Vgl. auch Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 41. Zu den Aufklärungspflichten im Fall der Einwilligungsverweigerung Deutsch/Bender/ Eckstein/Zimmermann, Transfusionsrecht, Rn. 1222 und Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 275.
II. Schadensersatzansprüche wegen eigenmächtiger Bluttransfusion
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schlossen werden kann. Sofern der Patient über das sich möglicherweise ergebende Erfordernis einer Bluttransfusion nicht zutreffend informiert wird, stellt dies eine Aufklärungspflichtverletzung dar, die Ansprüche begründen kann. Eine Aufklärungspflichtverletzung ändert aber nichts daran, dass das spätere Erfordernis einer Bluttransfusion für den Patienten nicht vorhersehbar war und die präoperativ erklärte Behandlungsablehnung keine fortwirkende bindende Erklärung des einsichtsfähigen Patienten ist. Im Übrigen hätte in dem vom Oberlandesgericht München entschiedenen Fall eine Aufklärungsrüge der Klägerin keinen Erfolg gehabt. Die Ärzte hätten nämlich einwenden können, dass die Patientin angesichts ihres sich verschlechternden Gesundheitszustands und dem Fehlen einer Behandlungsalternative auch dann in die Bauchhöhlenöffnung eingewilligt hätte, wenn ihr mitgeteilt worden wäre, dass das Notwendigwerden einer Bluttransfusion zwar unwahrscheinlich, aber nicht gänzlich ausgeschlossen sei.18 bb) Die Zulässigkeit einer Bluttransfusion beim Fehlen einer aktuellen, bindenden Erklärung des einsichtsfähigen Patienten (1) Bluttransfusion bei einem ehemals einsichtsfähigen Zeugen Jehovas Liegt keine fortwirkende Einwilligungsverweigerung vor, ist zweifelhaft, ob ein Arzt bei einem ehemals einsichtsfähigen Zeugen Jehovas, der zum Zeitpunkt der Bluttransfusion nicht mehr entscheidungsfähig ist, eine Bluttransfusion vornehmen darf. Diese Frage soll im Folgenden auf Grundlage der bereits gefundenen Ergebnisse zur rechtlichen Bedeutung von Patientenverfügungen und zu den Voraussetzungen zulässigen ärztlichen Handelns geklärt werden. Fehlt eine aktuelle Erklärung des einsichtsfähigen Patienten, sind für die Zulässigkeit der ärztlichen Behandlung die Einwilligung des Vertreters und die mutmaßliche Einwilligung des Patienten von Bedeutung. Nach hier vertretener Ansicht ist die mutmaßliche Einwilligung gegenüber der Einwilligung eines Vertreters nicht subsidiär. Die Einwilligung des Vertreters und die mutmaßliche Einwilligung des Patienten sind vielmehr zwei nebeneinander anwendbare Legitimationsgründe.19 (a) Vertreterentscheidung Nach Auffassung des Oberlandesgerichts München war die Vornahme der Bluttransfusion aufgrund der Einwilligung des zum Betreuer bestellten Ehemanns gerechtfertigt.20 Ob dies zutreffend ist, erscheint zweifelhaft. Bedenken gegen die Ansicht des Gerichts ergeben sich aus der Tatsache, dass die Patientin einer dritten Person Vollmacht erteilt hatte, um sicherzustellen, dass ihr kein Blut verabreicht wird. Nach dem in § 1896 Abs. 2 BGB verankerten Subsidiaritätsgrundsatz ist ei18 19 20
Zum Einwand einer hypothetischen Einwilligung Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 352; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 347 ff. Siehe hierzu oben D. II. 6. a) cc). OLG München NJW-RR 2002, 811, 813.
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F. Die lebensrettende Bluttransfusion ohne Einwilligung des Patienten
ne Betreuerbestellung unzulässig, wenn die Angelegenheiten des Betroffenen durch einen Bevollmächtigten ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können. Deshalb ist fraglich, ob in dem vom Oberlandesgericht München entschiedenen Fall der Betreuer überhaupt wirksam für die betroffene Patientin handeln konnte. Dass die Bestellung des Betreuers im Widerspruch zu § 1896 Abs. 2 BGB steht, hat nicht die Unwirksamkeit des vormundschaftsgerichtlichen (jetzt: betreuungsgerichtlichen) Beschlusses zur Folge. Da Dritte sich im Interesse der Rechtssicherheit auf die Vertretungsmacht des Betreuers verlassen können müssen, wird der Betreuer mit der gerichtlichen Bestellung auch dann gesetzlicher Vertreter des Betreuten, wenn eine Betreuerbestellung nicht erforderlich gewesen wäre. In dem vom Oberlandesgericht München entschiedenen Fall ist aber die Besonderheit zu beachten, dass die Beklagtenseite, die sich wohl über den Vorrang der Bevollmächtigung gegenüber dem Rechtsinstitut der Betreuung bewusst war, von der Vorsorgevollmacht Kenntnis hatte und durch ihr Verhalten den Verstoß gegen den Erforderlichkeitsgrundsatz selbst herbeigeführt hat, indem sie sich mit der Bitte um die Bestellung eines Betreuers an das Vormundschaftsgericht gewandt hat, ohne dieses über die Vorsorgevollmacht zu unterrichten. Sofern dieses Handeln zu missbilligen ist, könnte der Beklagtenseite nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB die Berufung auf die Einwilligung des Vertreters verwehrt sein. Ein Fall der gegen Treu und Glauben verstoßenden unzulässigen Rechtsausübung ist gegeben, wenn eine Rechtslage ausgenutzt wird, die auf dem eigenen gesetz-, sitten- oder vertragswidrigen Verhalten beruht.21 Niemand darf sich nämlich auf den Eintritt oder Nichteintritt eines Ereignisses berufen, das er selbst treuwidrig herbeigeführt bzw. verhindert hat.22 Nach Ansicht des Oberlandesgerichts München ist es allerdings nicht zu beanstanden, dass die Beklagtenseite sich an das Vormundschaftsgericht gewandt hat. Es sei „keineswegs gesichert, dass der Bevollmächtigte tatsächlich sofort erreichbar war“.23 Dieser Aussage ist entgegenzuhalten, dass die Kontaktierung des Bevollmächtigten jedenfalls versucht werden muss. Außerdem ergibt sich aus dem Sachverhalt, dass am 12.7.1992, also am Tag vor der Verabreichung der ersten Blutkonserve, der Bevollmächtigte jedenfalls noch erreichbar war und mit ihm gesprochen wurde. Weiter führt das Oberlandesgericht aus, dass die Befragung des Bevollmächtigten „keine befreiende Klarheit“ verschafft hätte, weil die vorgelegte Vollmacht den vom Bevollmächtigten handschriftlich eingetragenen Zusatz „Bitte unbedingt den oben genannten Willen der Patientin respektieren und beachten!“ enthalte. Damit würde die in der konkreten Situation gerade fragwürdig gewordene Erklärung der Patientin lediglich zementiert und wiederholt werden.24 Dass der Bevollmächtigte sich im Hinblick auf eine möglicherweise notwendig werdende Entscheidung über die Vornahme einer Bluttransfusion bereits Notizen gemacht hat, rechtfertigt allein wohl kaum, die Existenz der Vorsorgevollmacht schlichtweg zu ignorieren. Die Ärzte 21 22 23 24
Palandt/Grüneberg, § 242 Rn. 43. Staudinger/Looschelders/Olzen, § 242 Rn. 235 m. w. N. OLG München NJW-RR 2002, 811, 813. OLG München NJW-RR 2002, 811, 813.
II. Schadensersatzansprüche wegen eigenmächtiger Bluttransfusion
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hätten den Bevollmächtigten darauf hinweisen müssen, dass er den mutmaßlichen Willen zu ermitteln hat. Halten die Ärzte den Bevollmächtigten für ungeeignet, können sie darüber das Vormundschaftsgericht informieren. Dass der Bevollmächtigte die Ansicht der Ärzte voraussichtlich nicht teilt, berechtigt diese nicht, eine von der Patientin bevollmächtigte Vertrauensperson zu übergehen. Das Oberlandesgericht München problematisiert in keiner Weise, dass die Beklagtenseite die Existenz der Vorsorgevollmacht gegenüber dem Vormundschaftsgericht verschwiegen hat. In der Entscheidung heißt es: „Der zu Grunde liegende Sachverhalt wird in dem Schreiben [an das Vormundschaftsgericht] wahrheitsgemäß dargestellt; es wird auch nichts Wesentliches weggelassen, vielmehr kommt hinreichend zum Ausdruck, dass die Kl[ägerin] als Zeugin Jehovas schriftlich eine Blutentnahme [sic] abgelehnt hat.“25 Weiter führt das Oberlandesgericht aus, dass das Vormundschaftsgericht die Bestellung eines Betreuers nicht abgelehnt hätte, wenn es darauf hingewiesen worden wäre, dass die Ablehnung von Bluttransfusionen auch für den Fall der Bewusstlosigkeit der Patientin gelten sollte.26 Wenngleich dies zutreffend sein mag, übergeht das Oberlandesgericht München damit völlig, dass das Vormundschaftsgericht eine Betreuerbestellung aller Wahrscheinlichkeit nach aber abgelehnt hätte, wenn es Kenntnis von der Existenz der Vorsorgevollmacht gehabt hätte. Die Beklagtenseite hätte in dem vom Oberlandesgericht München entschiedenen Fall dem Vormundschaftsgericht die Existenz der Vorsorgevollmacht nicht verschweigen dürfen. Zwar enthielt die Vorschrift des § 1901 a BGB a. F. zum damaligen Zeitpunkt lediglich eine gesetzliche Ablieferungspflicht im Hinblick auf Betreuungsverfügungen, das wohl überwiegende Schrifttum vertrat aber bereits vor der Einfügung des § 1901 a S. 2 BGB a. F. (= § 1901 c S. 2 BGB) durch das Zweite Betreuungsrechtsänderungsgesetz die Ansicht, dass die Vorschrift des § 1901 a BGB a. F. über den Wortlaut hinaus auch auf Vorsorgevollmachten Anwendung finden solle.27 Im Übrigen ist jedenfalls eine vertragliche Nebenpflichtverletzung anzunehmen, wenn ärztlicherseits eine bei den Krankenakten befindliche Vorsorgevollmacht ignoriert wird.28 Das Behandlungsverhältnis beinhaltet nämlich die ärztliche Pflicht, das Selbstbestimmungsrecht des Patienten zu wahren.29 In der unterlassenen Ablieferung einer Vorsorgevollmacht kann schließlich sogar eine strafbare Urkundenunterdrückung gemäß § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB liegen.30 Daher ist es entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts München zu missbilligen, dass die Beklagtenseite sich mit der Bitte um die Bestellung eines Betreuers an das Vormundschaftsgericht gewandt hat, ohne dieses über die Vorsorgevollmacht zu unterrichten. Dass der zum Betreuer bestellte Ehemann der Patientin die Einwilligung in die Bluttransfusion erteilte, beruht somit auf dem 25 26 27 28 29 30
OLG München NJW-RR 2002, 811, 813. OLG München NJW-RR 2002, 811, 813. Erman/Holzauer, 11. Aufl., § 1901 a Rn. 2; MünchKommBGB/Schwab, 4. Aufl., § 1901 a Rn. 2; a. A. Staudinger/Bienwald (1999), § 1901 a Rn. 2. Vgl. hierzu auch Bender, MedR 2003, 179, 180. Siehe bereits C. II. 1. Staudinger/Bienwald, § 1901 a Rn. 17; Erman/Roth, § 1901 a Rn. 6.
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F. Die lebensrettende Bluttransfusion ohne Einwilligung des Patienten
pflichtwidrigen Verhalten der Beklagtenseite. Dieser ist daher die Berufung auf die Betreuereinwilligung gemäß § 242 BGB zu versagen, so dass die Zulässigkeit der Bluttransfusion nicht auf die Zustimmung des Betreuers gestützt werden kann. Wird der Begründungslinie des Oberlandesgerichts München gefolgt, könnte im Übrigen die Einwilligung des Betreuers nach den Regeln über den Missbrauch der Vertretungsmacht unwirksam sein.31 Die Einwilligung eines Vertreters ist nicht wirksam, wenn die Pflichtwidrigkeit des Vertreters objektiv evident ist oder wenn der Vertreter und der Dritte kollusiv zusammenwirken.32 Das Oberlandesgericht München stellt an keiner Stelle fest, dass die Bluttransfusion dem Willen der Patientin entspricht. Sofern das Oberlandesgericht München annahm, dass die Vornahme der Bluttransfusion dem Willen der Zeugin Jehovas widersprach, hätte es also untersuchen müssen, ob die Pflichtwidrigkeit der Betreuerentscheidung objektiv evident war. Wird die Ansicht vertreten, dass der Wille eines Zeugen Jehovas, der in einer Patientenverfügung seine Ablehnung von Bluttransfusionen erklärt hat, ohne Zweifel auf das Unterlassen der Bluttransfusion gerichtet ist33, hätte in dem vom Oberlandesgericht München entschiedenen Fall wohl die objektive Evidenz der Pflichtwidrigkeit der Betreuerentscheidung bzw. ein kollusives Zusammenwirken von Betreuer und Ärzten bejaht werden müssen. (b) Der mutmaßliche Wille des Zeugen Jehovas Zu prüfen bleibt, ob die Vornahme der Bluttransfusion dem mutmaßlichen Willen der Patientin entsprochen hat. Allein die Zugehörigkeit eines Patienten zur Gemeinschaft der Zeugen Jehovas ist jedenfalls kein hinreichendes Indiz für die Annahme, dass der Patient eine Bluttransfusion ablehnt. Möglich ist nämlich, dass der Zeuge Jehovas nicht sämtliche Glaubenssätze der Gemeinschaft teilt oder ihnen jedenfalls bei der aktuellen Entscheidung zwischen Leben und Sterben nicht folgen würde34, zumal das Blutverbot auch innerhalb der Gemeinschaft teils entschieden abgelehnt wird. Mit der „Vereinigung der Zeugen Jehovas für eine Reform in der Blutfrage“35 hat sich in den eigenen Reihen Widerstand gegen die Blutdoktrin formiert. Dass das Verbot der Bluttransfusion ein essentieller Glaubensimperativ ist36, gilt also nicht für alle Zeugen Jehovas. Viele Zeugen Jehovas errichten aber – wie auch die Zeugin Jehovas in dem vom Oberlandesgericht München entschiedenen Fall – eine Patientenverfügung, in der sie die Ablehnung von Bluttransfusionen erklären. Eine solche Patientenverfügung ist im Hinblick auf Entscheidungen, die vor dem 1.9.2009 zu treffen waren, 31 32 33 34 35 36
So auch Knauf, Einwilligung, S. 136 Fn. 624. MünchKommBGB/Schwab, § 1902 Rn. 16; Palandt/Ellenberger, § 164 Rn. 13 f.; Staudinger/Schilken, § 167 Rn. 93 ff. Siehe bereits oben D. II. 4. a). So Knauf, Einwilligung, S. 135; Ulsenheimer, Anästhesiologie & Intensivmedizin 2001, 157, 158; Weißauer, in: Häring, Chirurgie und Recht, S. 134, 139. Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 46, Fn. 188; Deutsch/Bender/Eckstein/Zimmermann, Transfusionsrecht, Rn. 1230; G. Fischer, FS Deutsch, S. 545, 549. Vgl. die deutschsprachige Internetseite http://www.geocities.com/athens/ithaca/6236/ oder die englischsprachige Internetseite http://www.ajwrb.org/ (Stand: 3.1.2010). So Deutsch/Bender/Eckstein/Zimmermann, Transfusionsrecht, Rn. 1228.
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nach hier vertretener Ansicht ein Indiz für den mutmaßlichen Willen37 und kann auch nach In-Kraft-Treten des § 1901 a Abs. 1 BGB bei Entscheidungen, die ein Arzt ohne Mitwirkung des Vertreters trifft, nur als Indiz bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens berücksichtigt werden38. Bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens ist zu beachten, dass die Verweigerung von Bluttransfusionen durch Zeugen Jehovas häufig in Situationen relevant wird, in denen der bevorstehende Tod des Patienten durch eine heute relativ risikoarme medizinische Maßnahme vermieden werden und der Patient wieder gesunden kann. Dies ist deshalb von Bedeutung, weil die Nichtbeachtung von Normen – seien es gesetzliche, moralische oder religiöse – im Allgemeinen für den Menschen umso reizvoller ist, je mehr er durch die Missachtung der Norm gewinnen bzw. durch die Einhaltung der Norm verlieren kann. In einer Situation, in welcher der eigene Verblutungstod verhindert werden kann und die Chance auf Heilung greifbar nahe ist, erscheint deshalb eine Missachtung des religiösen Blutverbots durch Zeugen Jehovas gut vorstellbar. Hiergegen kann auch nicht mit Erfolg eingewandt werden, dass aus Sicht des Zeugen Jehovas das Unterlassen der Bluttransfusion den größeren Vorteil bringe, weil bei Beachtung der religiösen Gebote nach der Glaubenslehre der Zeugen Jehovas die Chance bestehe, zu den 144000 Auserwählten oder zumindest zu denjenigen zu gehören, die ewiges Leben auf Erden erlangen.39 Nach allgemeiner Lebenserfahrung entscheiden sich Menschen nämlich des Öfteren für einen kurzfristigen Gewinn, obwohl sie sich über den damit verbundenen späteren Nachteil bewusst sind. Im Übrigen gehen mit dem Glauben regelmäßig auch Zweifel einher, die auch gerade dann auftreten können, wenn mit dem Glauben verbundene Nachteile drohen. Dementsprechend wird von Zeugen Jehovas berichtet, die die Ablehnung einer Bluttransfusion bei akuter Lebensgefahr letztendlich nicht durchhalten.40 Daher bestanden jedenfalls in dem vom Oberlandesgericht München entschiedenen Fall begründete Zweifel, ob die Patientin, der vor dem ärztlichen Eingriff mitgeteilt worden war, dass eine Bluttransfusion aller Wahrscheinlichkeit nach nicht erforderlich werden würde, in Kenntnis der bei ihr inzwischen eingetretenen Lebensgefahr weiterhin ihre Ablehnung zu einer Bluttransfusion aufrechterhalten hätte.41 Zwar ist Taupitz beizupflichten, wenn er darauf hinweist, dass der mutmaßliche Wille niemals zweifelsfrei festgestellt werden 37 38 39
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Siehe hierzu D. II. 1. c) cc) (5). Zur rechtlichen Bedeutung von Patientenverfügungen außerhalb des Betreuungsrechts siehe oben D. II. 1. c) dd) (1) (c). Zur Glaubenslehre der Zeugen Jehovas siehe http://www.watchtower.org/x/rq/ index.htm?article=article_06.htm (Stand: 3.1.2010): Nach der Schlacht von Harmagedon werden 144000 Auserwählte zusammen mit Jesus im Himmel über die Erde regieren. Die Menschen, an denen Gott Wohlgefallen hat, werden ewiges Leben auf der Erde erhalten und die Bösen werden für immer vernichtet werden. Ulsenheimer, FS Eser, S. 1225, 1231. BVerfG NJW 2002, 206, 207; Soergel/Spickhoff, § 823 Anh. I Rn. 113; MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 674; vgl. auch G. Fischer, FS Deutsch, S. 545, 549 und Staudinger/Hager, § 823 Rn. I 117; a. A. Bender, MedR 2003, 179; gegen die Zweifelhaftigkeit des Willens eines Zeugen Jehovas auch Weißauer, in: Häring, Chirurgie und Recht, S. 134, 139.
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könne.42 Im Fall einer behandlungsablehnenden Patientenverfügung eines heilungsfähigen Patienten, der über die möglicherweise später eintretende Lebensgefahr überhaupt nicht aufgeklärt wurde, bestehen aber Zweifel, die über das Maß an Zweifel, das dem Begriff der Mutmaßlichkeit immanent ist, hinausgehen. Da demnach der subjektiv mutmaßliche Wille eines heilungsfähigen Zeugen Jehovas in einem derartigen Fall nicht mit hinreichender Sicherheit festzustellen ist, kann eine objektive Interessenabwägung erfolgen.43 Die objektive Interessenabwägung ergibt, dass eine vital indizierte Bluttransfusion vorzunehmen ist. Damit ist eine vital indizierte Bluttransfusion von der mutmaßlichen Einwilligung gedeckt.44 Deutet – wie in dem vom Oberlandesgericht München entschiedenen Fall – nachträglich das Verhalten des Patienten darauf hin, dass der konkrete Patient die Verweigerung der Behandlung möglicherweise durchgehalten hätte, ändert das nichts daran, dass eine mutmaßliche Einwilligung angenommen werden durfte. Ob nämlich die Voraussetzungen der mutmaßlichen Einwilligung vorliegen, bestimmt sich nach den Umständen zum Zeitpunkt der ärztlichen Behandlung.45 An dieser Stelle sei zur Klarstellung angemerkt, dass auch der Entscheidungsmaßstab des Vertreters nach In-Kraft-Treten des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts in einem Fall wie dem vorliegenden nicht die Ablehnung der Bluttransfusion gebieten würde. Die in § 1901 a Abs. 1 BGB geforderte Prüfung des Betreuers, ob die Festlegungen in einer Patientenverfügung die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation betreffen, umfasst nach dem zutreffenden Hinweis in der Entwurfsbegründung auch die Frage danach, ob der Betroffene bei seinen Festlegungen die später eingetretene Situation mitbedacht hat.46 Eine Zeugin Jehovas aber, der vor einem ärztlichen Eingriff mitgeteilt wird, eine Bluttransfusion werde aller Wahrscheinlichkeit nach nicht erforderlich werden, bedenkt bei der Ablehnung von Bluttransfusionen die später eintretende Behandlungssituation nicht. Daher wirkt in einem derartigen Fall eine Patientenverfügung auch nach InKraft-Treten des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts für den Betreuer nicht strikt bindend im Sinne des § 1901 a Abs. 1 BGB. Im Übrigen hat der behandelnde Arzt, der eine lebensrettende Bluttransfusion vornehmen möchte, stets die Möglichkeit, eine betreuungsgerichtliche Genehmigung der behandlungsablehnenden Vertreterentscheidung gemäß § 1904 Abs. 2, Abs. 4 BGB erforderlich werden zu lassen, indem er bezüglich des nach § 1901 a BGB festzustellenden Willens des Betroffenen eine andere Auffassung als der Betreuer bzw. der Be-
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Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 43 Fn. 179. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 816; MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 733 a. E.; Ulsenheimer, FS Eser, S. 1225, 1232. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 816; so auch Ulsenheimer, Arztstrafrecht, Rn. 94 a, der allerdings eine Lösung über den rechtfertigenden Notstand und über die rechtfertigende Pflichtenkollision bevorzugt. Gegen die Zulässigkeit der Vornahme der Bluttransfusion bei gegenteiliger Patientenverfügung Deutsch/Bender/Eckstein/Zimmermann, Transfusionsrecht, Rn. 1227 ff. Im Strafrecht Schönke/Schröder/Lenckner, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 58 f. BT-Drucksache 16/8442, S. 15.
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vollmächtigte vertritt.47 Der Beschluss, mit dem das Betreuungsgericht die Behandlungsabbruchentscheidung des Vertreters genehmigt, wird gemäß § 287 Abs. 3 FamFG erst zwei Wochen nach Bekanntgabe an den Betreuer oder Bevollmächtigten sowie an den Verfahrenspfleger wirksam. Bis dahin ist die Vornahme lebensrettender Bluttransfusionen zulässig.48 (2) Bluttransfusion bei einsichtsunfähigen Kindern und Jugendlichen Einvernehmen besteht im Schrifttum dahingehend, dass die Vornahme einer vital indizierten Bluttransfusion bei einem einsichtsunfähigen Kind oder Jugendlichen letztendlich auch dann rechtlich möglich ist, wenn die Eltern die Einwilligung in die Bluttransfusion verweigern. Ist nur ein sorgeberechtigter Elternteil Zeuge Jehovas und willigt der andere sorgeberechtigte Elternteil in die Bluttransfusion ein, kann das Gericht gemäß § 1628 BGB auf Antrag eines Elternteils die Entscheidung über die Bluttransfusion dem einwilligenden Elternteil übertragen. In Eilfällen sind auch vorläufige Anordnungen zulässig.49 Verweigern die sorgeberechtigten Eltern die Einwilligung in eine medizinisch indizierte Bluttransfusion bei ihrem einsichtsunfähigen Kind, liegt darin nach allgemeiner Meinung ein Sorgerechtsmissbrauch.50 Hält der Arzt die Bluttransfusion für indiziert, muss er sich an das Familiengericht wenden.51 Dies ist auch telefonisch möglich.52 Das Gericht kann gemäß § 1666 Abs. 1 BGB die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen treffen, insbesondere kann es nach § 1666 Abs. 3 BGB die Einwilligung der Eltern in die Behandlung ersetzen. Demgegenüber ist die partielle Entziehung des Sorgerechts ein weniger mildes Mittel als die Ersetzung der Einwilligung und grundsätzlich nicht erforderlich.53 Kann die endgültige Entscheidung des Gerichts nicht abgewartet werden, weil zur Abwendung der Gefahr eine sofortige Maßnahme erforderlich ist, kann das Gericht eine vorläufige Anordnung treffen.54 Ist also die Bluttransfusion dringend indi47 48 49 50
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Zur Möglichkeit eines so genannten künstlichen Dissenses Spickhoff, FamRZ 2009, 1949, 1952 f. Vgl. hierzu auch D. II. 5. b) sowie BT-Drucksache 16/8442, S. 19. MünchKommBGB/Huber, § 1628 Rn. 29. OLG Celle NJW 1995, 792 f.; K.-O. Bergmann, KH 1999, 315, 318; Deutsch/Bender/ Eckstein/Zimmermann, Transfusionsrecht, Rn. 1260; Ulsenheimer, Anästhesiologie & Intensivmedizin 2001, 157, 162. Deutsch/Bender/Eckstein/Zimmermann, Transfusionsrecht, Rn. 1267 ff. Vgl. auch Weißauer, in: Häring, Chirurgie und Recht, S. 134, 142 und Uhlenbruck/Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 52 Rn. 11 (jeweils zur Rechtslage vor In-Kraft-Treten des Kindschaftsreformgesetzes am 1.7.1998, nach der das Vormundschaftsgericht zuständig war). Zur Subsidiarität einer eigenen Entscheidung des Arztes siehe bereits oben D. II. 6. b). Deutsch/Bender/Eckstein/Zimmermann, Transfusionsrecht, Rn. 1271. OLG Celle NJW 1995, 792, 793; Deutsch/Bender/Eckstein/Zimmermann, Transfusionsrecht, Rn. 1272 f.; a. A. wohl Uhlenbruck/Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 52 Rn. 11. BayObLG NJW 1992, 1971, 1972; MünchKommBGB/Olzen, § 1666 Rn. 226 m. w. N.
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ziert, kann das Gericht durch vorläufige Anordnung die Einwilligung der Eltern in die Behandlung ersetzen. Bei besonderer Eilbedürftigkeit kann dies geschehen, ohne dass den Eltern rechtliches Gehör gewährt wird.55 Bleibt wegen der Dringlichkeit der Behandlung keine Zeit für die Einholung einer vorläufigen Anordnung, darf und muss sich der Arzt über den Willen der Eltern hinwegsetzen und die Bluttransfusion vornehmen.56 Entsprechendes gilt, wenn für den einsichtsunfähigen minderjährigen Patienten ein Vormund oder ein Pfleger bestellt ist. Die Vorschrift des § 1666 BGB ist bei Pflichtverstößen des Vormunds und des Pflegers gemäß § 1837 Abs. 4 BGB bzw. gemäß §§ 1915 Abs. 1 S. 1, 1837 Abs. 4 BGB entsprechend anwendbar, so dass auch das Vormundschaftsgericht die Einwilligung des Vormunds bzw. die des Pflegers in die Behandlung – gegebenenfalls durch vorläufige Anordnung – ersetzen kann. Kann die Bluttransfusion nicht bis zum Erlass einer vorläufigen Anordnung aufgeschoben werden, hat der Arzt auch ohne gerichtliche Anordnung die rettende Behandlung vorzunehmen. 3. Die Rechtswidrigkeit der eigenmächtigen Bluttransfusion Sofern eine Bluttransfusion eigenmächtig erfolgt57, ist weiter zu prüfen, ob die Vornahme der eigenmächtigen Bluttransfusion rechtswidrig ist. Da ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht die Rechtswidrigkeit nicht indiziert, muss diese im Rahmen des deliktischen Anspruchs wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts mittels einer Interessen- und Güterabwägung im Einzelfall positiv festgestellt werden.58 Ferner sind Rechtfertigungsgründe zu prüfen, die nicht nur im Deliktsrecht, sondern auch im Vertragsrecht von Bedeutung sind.59 a) Die ärztliche Gewissensentscheidung Die Ausführungen des Oberlandesgerichts München deuten darauf hin, dass das Gericht die Bluttransfusion bei der Zeugin Jehovas für nicht rechtswidrig hält, weil die Vornahme der Bluttransfusion auf einer ärztlichen Gewissensentscheidung beruht. In der Entscheidung des Gerichts heißt es: „Ein Arzt, der, seinem Eid und Berufsethos verpflichtet, in dem Bemühen, Kranke zu heilen, die Behandlung 55 56
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OLG Celle NJW 1995, 792, 793. K.-O. Bergmann, KH 1999, 315, 318; Uhlenbruck/Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 52 Rn. 11; Weißauer, in: Häring, Chirurgie und Recht, S. 134, 142. Zur Frage, ob die Behandlung durch die mutmaßliche Einwilligung des Kindes oder aufgrund eines Notstands gemäß § 34 StGB gerechtfertigt ist, siehe oben D. II. 3. b) cc). Dies ist vor allem dann der Fall, wenn eine aktuelle Einwilligungsverweigerung des Patienten vorliegt. Vgl. hierzu F. II. 2. a). BGHZ 24, 72, 80; BGHZ 36, 77, 80 ff.; BGH NJW 2004, 762, 763 f.; Baston-Vogt, Schutzbereich, S. 152; Palandt/Sprau, § 823 Rn. 95. Zur Prüfung von Rechtfertigungsgründen im Vertragsrecht siehe oben unter E. I. 1. a) dd).
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eines Menschen in Kenntnis einer Patientenverfügung übernimmt, […], wird damit noch nicht zu einem willenlosen Spielball dieser Verfügung, bar jeden ärztlichen Gewissens.“60 Einem Arzt könne „nicht die Pflicht auferlegt sein, sich bereits im Zeitpunkt der Aufnahme einer sich als unproblematisch darstellenden Behandlung mit dem Gedanken an einen bei der Verwirklichung der schlimmsten drohenden, aber keineswegs erwarteten Risiken bei dann untersagter Bluttransfusion ohne Not eintretenden letalen Ausgang der Behandlung oder Operation abzufinden und später gegebenenfalls danach zu handeln“.61 Auch Ulsenheimer vertritt die Ansicht, dass die Vornahme einer Bluttransfusion bei einem entscheidungsunfähigen Patienten „unter dem Gesichtspunkt des Notstands (§ 34 StGB), der Pflichtenkollision und der Geschäftsführung ohne Auftrag gerechtfertigt“ ist, wenn der Arzt seinem Gewissen entsprechend handelt.62 Die Ausführungen Ulsenheimers sowie die des Oberlandesgerichts München beziehen sich lediglich auf die Situation, in der keine aktuelle, bindende Einwilligungsverweigerung des einsichtsfähigen Patienten vorliegt. Eine ärztliche Gewissensentscheidung kann aber ebenso vorliegen, wenn ein Arzt entgegen der wirksamen Einwilligungsverweigerung des einsichtsfähigen Patienten eine Bluttransfusion vornimmt, um das Leben des Patienten zu retten. Die Bluttransfusion gegen den Willen des einsichtsfähigen Patienten erscheint aber auch unter Berücksichtigung des ärztlichen Gewissens nicht rechtmäßig. Nach überwiegender, zutreffender Meinung stellt die Gewissensnot nämlich keinen Rechtfertigungsgrund dar.63 Die Gewissensfreiheit berechtigt nicht zu Eingriffen in die Rechte Dritter, d. h. auch die Gewissensfreiheit des Arztes legitimiert keine Eingriffe in die Grundrechte des Patienten.64 Eine Einordnung der Gewissensnot als Rechtfertigungsgrund würde den Schutz der durch die Tat betroffenen Opfer unzulässig beschneiden. Mangels rechtswidriger Tat hätten die Betroffenen kein Notwehrrecht und Dritte kein Nothilferecht.65 Da die ärztliche Gewissensnot also kein Rechtfertigungsgrund ist, vermag auch die von Ulsenheimer und dem Oberlandesgericht München vertretene Ansicht, dass eine Bluttransfusion bei fehlender bindender Einwilligungsverweigerung des Patienten aufgrund einer ärztlichen Gewissensentscheidung rechtmäßig bzw. ge-
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OLG München NJW-RR 2002, 811, 812. OLG München NJW-RR 2002, 811, 812. Ulsenheimer, Anästhesiologie & Intensivmedizin 2001, 157, 158 f. Ebert, Überzeugungstäter, S. 46 ff.; Roxin, Strafrecht AT 1, § 22 Rn. 121; Ulsenheimer, FamRZ 1968, 568, 572; a. A. grundsätzlich v. Burski, Zeugen Jehovas, S. 94, der aber Eingriffe in die Rechte anderer nicht für gerechtfertigt hält (vgl. v. Burski, Zeugen Jehovas, S. 157); anders wohl auch Staudinger/Löwisch, § 276 Rn. 15, 18. Nach Höcker, Gewissensfreiheit, passim, kann die Gewissensfreiheit je nach Einzelfall Rechtfertigungs-, Entschuldigungs-, Strafausschließungs-, Strafaufhebungs- oder Strafzumessungsgrund sein. BGHZ 163, 195, 200; Hufen, ZRP 2003, 248, 252; v. Burski, Zeugen Jehovas, S. 157; Deutsch/Bender/Eckstein/Zimmermann, Transfusionsrecht, Rn. 1243; Dirksen, GesR 2004, 124, 128. Siehe bereits oben E. I. 1. a) dd) (1) (c). Ebert, Überzeugungstäter, S. 49; Kühl, Strafrecht AT, § 12 Rn. 114.
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rechtfertigt ist, nicht zu überzeugen.66 Auch das Argument, dass die Beachtung des Patientenwillens für den Arzt insbesondere dann unzumutbar sei, wenn die Notwendigkeit der Bluttransfusion auf einem operativen Versehen oder Missgriff beruht, dessen Folgen im Fall der Respektierung des Patientenwillens weit gravierender, unter Umständen sogar tödlich wären und zu einem strafrechtlichen Einschreiten gegen den Operateur wegen fahrlässiger Körperverletzung oder fahrlässiger Tötung führen würden67, greift nicht durch. Zwar ist zutreffend, dass das Unterlassen der Bluttransfusion in diesen Fällen für den Arzt besonders belastend ist und ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren nach sich ziehen kann. Wenn aber der Tod oder die Körperverletzung durch die Vornahme einer Bluttransfusion hätte vermieden werden können, scheidet eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung bzw. fahrlässiger Körperverletzung mangels objektiver Zurechnung aus. b) Der rechtfertigende Notstand gemäß § 34 StGB Hinsichtlich der Rechtfertigungsgründe gilt das Prinzip der Einheit der Rechtsordnung, so dass auch Rechtfertigungsgründe, die außerhalb des Zivilrechts normiert oder anerkannt sind, im zivilen Haftungsrecht anwendbar sind.68 Die Vornahme einer Bluttransfusion gegen den Willen des Patienten kann nicht gemäß § 34 StGB mit dem Hinweis gerechtfertigt werden, die Bluttransfusion diene der Abwendung einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für das Rechtsgut Leben.69 Die durch die vorgenommene Bluttransfusion tangierten Interessen, das Leben einerseits und das Selbstbestimmungsrecht andererseits, sind nämlich solche des Patienten. Stehen die widerstreitenden Interessen demselben Rechtsträger zu, ist nach zutreffender Ansicht die Vorschrift des § 34 StGB nicht anwendbar, weil ansonsten der Wille des Patienten unterlaufen werden könnte.70 Im Übrigen setzt eine Rechtfertigung gemäß § 34 S. 1 StGB voraus, dass bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dass der Wert des geretteten Lebens wesentlich schwerer wiegt als die Verletzung des Selbstbestimmungsrechts, ist nicht festzustellen, denn nicht das Leben, sondern die Autonomie ist das höchste von der Verfassung geschützte Gut.71 Es bleibt die Frage, ob eine eigenmächtige Bluttransfusion dann gerechtfertigt sein kann, wenn die Patientin schwanger ist und die Bluttransfusion auch zur Ret66 67 68 69 70 71
Gegen die Ansicht Ulsenheimers und die des Oberlandesgerichts München auch Deutsch/Bender/Eckstein/Zimmermann, Transfusionsrecht, Rn. 1243. OLG München NJW-RR 2002, 811, 813; Ulsenheimer, Anästhesiologie & Intensivmedizin 2001, 157, 159. Soergel/Spickhoff, § 823 Rn. 117; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 75 II. 2. c); Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 260 f. So aber Ulsenheimer, FS Eser, S. 1225, 1228 ff. für den Fall, dass keine Einwilligungsverweigerung des einsichtsfähigen Patienten vorliegt. Staudinger/Hager, § 823 Rn. I 115; Müller-Dietz, JuS 1989, 280, 281; Knauf, Einwilligung, S. 89. Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 17.
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tung des ungeborenen Kindes erforderlich ist. In der Literatur wird bisweilen die Ansicht vertreten, dass das Recht des ungeborenen Kindes, alsbald gesund geboren zu werden, der Weigerung der Mutter, in eine Bluttransfusion einzuwilligen, vorgehen kann.72 Nach der überwiegenden Meinung im deutschen Schrifttum ist aber jedenfalls ein Kaiserschnitt gegen den Willen der Schwangeren rechtswidrig.73 Eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Frage, inwieweit das ungeborene Kind Rechte gegenüber der eigenen Mutter hat74, überschritte den Rahmen dieser Arbeit. Zu bedenken ist aber, dass die in Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Menschenwürde eine Herabsetzung eines Menschen zum bloßen Mittel verbietet.75 Daher darf meines Erachtens einer schwangeren Frau das Recht zur Behandlungsablehnung, das jedem anderen Menschen zusteht, nicht mit dem Ziel abgesprochen werden, den Körper der Frau als Lebensgrundlage für den Fötus zu erhalten.76 c) Die rechtfertigende Pflichtenkollision Die rechtfertigende Pflichtenkollision setzt voraus, dass der Träger zweier rechtlicher Pflichten die eine nur unter Verletzung der anderen erfüllen kann.77 Wenn manche Autoren die Pflichtenkollision als Rechtfertigungsgrund für die Vornahme der Bluttransfusion nennen78, übersehen sie, dass der Arzt zu einer Bluttransfusion gegen den Willen des Patienten gerade nicht verpflichtet ist. Auch der Hinweis, dass die Standesethik nicht isoliert neben dem Recht stehe, sondern die von der Standesethik aufgestellten Forderungen an den Arzt vom Recht weithin als rechtliche Pflichten übernommen werden79, vermag keine Pflicht des Arztes zur Behandlung gegen den Willen des Patienten begründen. Eine ärztliche Behandlung gegen den Willen des Patienten kann wohl kaum auf die ärztliche Standesethik gestützt werden. Dementsprechend verneinen auch die Autoren, die eine rechtfertigende Pflichtenkollision annehmen, an anderer Stelle – nämlich wenn es um die
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Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 816. Hanack, Der Gynäkologe 1982, 96, 101; Laufs, NJW 1994, 1562, 1569; Ratzel, Der Gynäkologe 2001, 175; so auch bereits Eb. Schmidt, ZStW 49 (1929), 350, 403. Zu anderen Positionen in der anglo-amerikanischen Rechtsprechung siehe Stellpflug, MedR 1993, 426 f. und Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 816. Siehe hierzu allgemein MünchKommBGB/Olzen, § 1666 Rn. 42. BVerfGE 9, 89, 95; BVerfGE 27, 1, 6; BVerfGE 50, 166, 175; BVerfGE 109, 133,150. In Betracht kommt freilich ein Entschuldigtsein des Arztes, wenn dieser eine eigenmächtige Bluttransfusion zur Rettung des ungeborenen Kindes durchführt. Zum Verschulden siehe F. II. 4. Lackner/Kühl, § 34 Rn. 15. Weißauer, in: Häring, Chirurgie und Recht, S. 134, 141; vgl. auch Ulsenheimer, Anästhesiologie & Intensivmedizin 2001, 157, 159. Eb. Schmidt, in: Ponsold, Lehrbuch der gerichtlichen Medizin, 2. Aufl., S. 2; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, Rn. 94 g. Gegen eine rechtliche Wirkung der ärztlichen Ethik Dirksen, GesR 2004, 124, 128.
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Haftung wegen unterlassener Bluttransfusion geht – eine rechtliche Pflicht des Arztes zur Vornahme der Bluttransfusion.80 Außerdem ist keine Pflichtenkollision gegeben, wenn eine Handlungspflicht nur durch die Verletzung einer Unterlassungspflicht, also durch das Ausführen einer an sich verbotenen Handlung, erfüllt werden kann.81 Damit findet die Pflichtenkollision nur bei Unterlassungsdelikten Anwendung.82 Im Fall der Bluttransfusion gegen den Willen des Patienten liegt aber ein aktives Tun vor. Somit kommt eine Rechtfertigung durch Pflichtenkollision nicht in Betracht. 4. Verschulden Fraglich ist, ob ein Arzt, der eine Bluttransfusion gegen den Willen des Patienten vornimmt, schuldhaft handelt. Nach hier vertretener Ansicht ist die Frage des Verschuldens vor allem dann von praktischer Bedeutung, wenn eine wirksame Einwilligungsverweigerung des einsichtsfähigen Patienten vorliegt. Hat nämlich der Patient im einsichtsfähigen Zustand keine fortwirkende Einwilligungsverweigerung erklärt, ist die Vornahme der Bluttransfusion häufig aufgrund einer mutmaßlichen Einwilligung des entscheidungsunfähigen Patienten oder aufgrund eines noch nicht abgeschlossenen Genehmigungsverfahrens zulässig.83 Der Vollständigkeit halber wird im Folgenden dennoch auch geprüft, ob der Arzt zumindest schuldlos handelt, wenn im Einzelfall trotz einer fehlenden aktuellen Einwilligungsverweigerung des einsichtsfähigen Patienten die Vornahme der Bluttransfusion eigenmächtig vorgenommen wird. Da auf der Ebene des Verschuldens keine Einheit der Rechtsordnung besteht84, muss bei der Prüfung des jeweiligen schuldausschließenden Irrtums bzw. Entschuldigungsgrundes festgestellt werden, ob dieser in dem maßgeblichen Rechtsgebiet Anwendung findet. a) Rechtsirrtum Ein Verbots- oder Rechtsirrtum ist gegeben, wenn dem Handelnden das Unrechtsbewusstsein fehlt.85 Im Zivilrecht schließt ein unvermeidbarer, d. h. ein nicht auf Fahrlässigkeit beruhender, Verbotsirrtum ein Verschulden aus.86 Dies folgt daraus, dass die Verschuldensformen Vorsatz und Fahrlässigkeit sich nicht nur auf
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Weißauer, in: Häring, Chirurgie und Recht, S. 134, 141; Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 141 Rn. 40. Kindhäuser, Strafrecht AT, § 18 Rn. 2; Krey, Strafrecht AT 1, Rn. 583; Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 735. Kühl, Strafrecht AT, § 18 Rn. 134; Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 735. Siehe hierzu F. II. 2. bb) (1) (b). Maurach/Zipf, Strafrecht AT 1, § 35 Rn. 3. MünchKommBGB/Grundmann, § 276 Rn. 158; Deutsch, Unerlaubte Handlungen, Rn. 119. Im Strafrecht ergibt sich dies aus § 17 S. 1 StGB. RGRK/Steffen, § 823 Rn. 416; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 409; Larenz/ Canaris, Schuldrecht II/2, § 75 II. 2. d); J. Mayer, Rechtsirrtum, S. 101 f.
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den Tatbestand, sondern auch auf das Rechtswidrigkeitsurteil beziehen.87 Bei einem vermeidbaren Verbotsirrtum liegt nach der im Zivilrecht herrschenden Vorsatztheorie, nach der Vorsatz das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit voraussetzt, Verschulden in Form von Fahrlässigkeit vor.88 aa) Rechtsirrtum im Fall einer aktuellen, bindenden Einwilligungsverweigerung des einsichtsfähigen Patienten Liegt eine wirksame Einwilligungsverweigerung des einsichtsfähigen Patienten vor, wird ein Verbotsirrtum des Arztes, der gleichwohl dem Patienten Blut transfundiert, regelmäßig nicht vorliegen. Wie bereits dargelegt wurde, setzt nämlich ein Verbotsirrtum voraus, dass dem Täter die Einsicht fehlt, Unrecht zu tun. Mediziner wissen aber in der Regel, dass jede ärztliche Behandlung der Einwilligung des Patienten bedarf und sie eine Körperverletzung begehen, wenn sie den Patienten ohne wirksame Einwilligung behandeln. Dass Ärzte gelegentlich dennoch Bluttransfusionen gegen den Willen des Patienten geben, liegt nicht an ihrem Glauben an die Rechtmäßigkeit ihres Handelns. Motiv ist vielmehr, dass sie es als unerträglich empfinden, einen Patienten, den sie mit einer Bluttransfusion retten könnten, sehenden Auges sterben zu lassen. Auch wenn der Arzt im Fall einer vital indizierten Bluttransfusion die Verbindlichkeit des Verbots eigenmächtiger Behandlungen für sich ablehnt, liegt kein Verbotsirrtum vor. Für die Bejahung des Unrechtsbewusstseins ist nämlich ausreichend, dass der Täter weiß, dass er das Gesetz verletzt.89 Sollte im Einzelfall ein Arzt davon ausgehen, dass er bei Lebensgefahr die Einwilligungsverweigerung des Patienten nicht berücksichtigen muss, ist dieser Irrtum jedenfalls vermeidbar, weil der Arzt nach seinen individuellen Fähigkeiten und Kenntnissen zumindest Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Behandlung hätte haben müssen und sich deshalb über die Rechtslage hätte erkundigen müssen, wodurch er von der insofern eindeutigen Rechtslage Kenntnis erlangt hätte.90 bb) Rechtsirrtum beim Fehlen einer aktuellen, bindenden Einwilligungsverweigerung des einsichtsfähigen Patienten Ein Rechtsirrtum kommt in Betracht, wenn eine wirksame Einwilligungsverweigerung des einsichtsfähigen Patienten fehlt. Liegt keine Einwilligungsverweigerung des einsichtsfähigen Patienten vor, ist die Zulässigkeit von Bluttransfusionen bei Zeugen Jehovas umstritten.91 Ist eine Rechtsfrage umstritten, gilt ein Rechtsirr87 88 89 90 91
RGRK/Steffen, § 823 Rn. 402 und 416; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 116 und 126. Vgl. hierzu Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 353 ff. BGHSt 4, 3; Fischer, § 17 Rn. 3; Bopp, Gewissenstäter, S. 245; Rudolphi, FS Welzel, S. 605, 632. Zu den Voraussetzungen der Unvermeidbarkeit siehe Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 466 m. w. N. Für die Zulässigkeit etwa Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 816; Ulsenheimer, Anästhesiologie & Intensivmedizin 2001, 157, 158 f. Die Zulässigkeit könnte auch aus
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tum als unvermeidbar und lässt das Verschulden entfallen, wenn die Befolgung der gegnerischen Auffassung unzumutbar ist.92 Unzumutbarkeit ist insbesondere dann zu bejahen, wenn das von der Gegenseite geforderte Verhalten möglicherweise strafbar sein könnte.93 Hiernach ist das Unterlassen der vital indizierten Bluttransfusion für den Arzt unzumutbar, da er sich durch das Unterlassen der Bluttransfusion der Gefahr aussetzt, sich wegen eines Tötungsdelikts strafbar zu machen. Somit handelt der transfundierende Arzt, der bei einem entscheidungsunfähigen Patienten im Fall einer fehlenden wirksamen Einwilligungsverweigerung des einsichtsfähigen Patienten eine Bluttransfusion für zulässig hält, jedenfalls ohne Schuld.94 b) Der entschuldigende Notstand gemäß § 35 StGB Zu prüfen bleibt, ob der Arzt, der eine vital indizierte Bluttransfusion entgegen der aktuellen, bindenden Einwilligungsverweigerung des einsichtsfähigen Patienten durchführt, gemäß § 35 StGB entschuldigt ist. Streitig ist, inwieweit strafrechtliche Entschuldigungsgründe im Zivilrecht gelten.95 Dementsprechend ist auch umstritten, ob der entschuldigende Notstand im Sinne von § 35 StGB im Zivilrecht anwendbar ist.96 Im Ergebnis kann diese Frage vorliegend dahinstehen, da die Voraussetzungen des entschuldigenden Notstands jedenfalls nicht gegeben sind. Gemäß § 35 Abs. 1 S. 1 StGB ist der Täter entschuldigt, wenn er in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit eine rechtswidrige Tat begeht, um die Gefahr von sich, einem Angehörigen oder einer anderen ihm nahestehenden Person abzuwenden. Zwar erscheint die Anwendung des Entschuldigungsgrundes nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil das Opfer der rechtswidrigen Tat und die zu schützende Person identisch sind. Der Patient ist aber in der Regel weder Angehöriger im Sinne von § 11 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) StGB noch eine andere dem Arzt nahestehende Person. Als nahestehende Person kommen nämlich nur solche Menschen in Betracht, zu denen der Täter in einer auf Dauer angelegten angehörigenähnlichen Beziehung steht.97 Dies ist beim Arzt-Patienten-Verhältnis nicht der Fall. Obgleich der Arzt gegenüber dem Patienten Fürsorgepflichten hat und ihm die Gesundheit des Patienten regel-
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BGHZ 154, 205, 215 gefolgert werden. Gegen die Zulässigkeit Deutsch/Bender/Eckstein/Zimmermann, Transfusionsrecht, Rn. 1227 ff. Palandt/Grüneberg, § 276 Rn. 23. Siehe bereits oben E. I. 1. a) ee) (1) (a). J. Mayer, Rechtsirrtum, S. 109. Siehe auch E. I. 1. a) ee) (1) (a). So auch Ulsenheimer, Anästhesiologie & Intensivmedizin 2001, 157, 160; ders., in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 139 Rn. 45; ders., FS Eser, S. 1225. Gegen die Anwendung der strafrechtlichen Entschuldigungsgründe im Zivilrecht Soergel/Spickhoff, § 823 Rn. 117 und Rn. 212; a. A. Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, Rn. 655. Bejahend Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 75 II. 2. d) und Staudinger/Hager, § 823 Rn. A 4 (jeweils für das Deliktsrecht). Ablehnend OLG München NJW-RR 2002, 811, 813. Roxin, JA 1990, 97, 102; Schönke/Schröder/Lenckner/Perron, § 35 Rn. 15.
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mäßig am Herzen liegen wird, beruht die Beziehung des Arztes zum Patienten auf der beruflichen Tätigkeit des Arztes. c) Der übergesetzliche entschuldigende Notstand Die herrschende Lehre im Strafrecht erkennt einen übergesetzlichen entschuldigenden Notstand an, der häufig auch als entschuldigende Pflichtenkollision bezeichnet wird.98 Nach Ansicht Weißauers ist die mit der Vornahme der lebensrettenden Bluttransfusion verbundene Missachtung des Patientenwillens aufgrund eines übergesetzlichen Notstands entschuldigt, wenn der Arzt im Widerstreit zwischen der Pflicht, die Glaubensüberzeugung des Patienten zu respektieren, und der ärztlich-ethischen Grundverpflichtung, das Leben des Patienten zu retten, sich für eine Bluttransfusion entscheidet.99 Dem kann nicht gefolgt werden. Die entschuldigende Pflichtenkollision setzt voraus, dass der Täter, um ein bedrohtes Rechtsgut zu retten, ein anderes rechtlich gleichwertiges aufopfern muss.100 Wie bereits dargelegt wurde, hat das Selbstbestimmungsrecht des einsichtsfähigen Patienten gegenüber dem Schutz des Lebens aber Vorrang.101 Eine Entschuldigung wegen eines übergesetzlichen entschuldigenden Notstands käme also selbst dann nicht in Betracht, wenn man diesen Entschuldigungsgrund im Zivilrecht für anwendbar hielte. d) Die Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens Das Oberlandesgericht München weist darauf hin, dass Unzumutbarkeit und Gewissensnot in Ausnahmefällen Entschuldigungsgründe sein können.102 Nach Auffassung des Gerichts sind die transfundierenden Ärzte aufgrund ihrer Gewissensentscheidung jedenfalls entschuldigt.103 In einer Notsituation, in der es um Leben oder Tod geht, stehe „Gewissensentscheidung gegen Gewissensentscheidung“.104 Hier sei „dem Arzt die nämliche Gewissensentscheidung zuzubilligen, wie sie dem Patienten gewährt wird“.105 Im zivilrechtlichen Schrifttum ist weniger die Gewissensnot als solche, sondern vielmehr die Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens als Entschuldigungsgrund anerkannt.106 Dieser Entschuldigungsgrund setzt grundsätzlich eine subjektiv98 99 100 101 102 103 104 105 106
SK-StGB/Rudolphi, Vor § 19 Rn. 8 m. w. N. Weißauer, in: Häring, Chirurgie und Recht, S. 134, 141. Fischer, Vor § 32 Rn. 15. Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 13. Siehe auch F. II. 3. b). OLG München NJW-RR 2002, 811, 813. OLG München NJW-RR 2002, 811, 813. Zum Hinweis des Gerichts auf die Gewissensnot im Rahmen der Rechtmäßigkeit siehe oben F. II. 3. a). OLG München NJW-RR 2002, 811, 813 f. OLG München NJW-RR 2002, 811, 813 f. Canaris, JZ 1963, 655, 657; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 438 ff.; Enneccerus/Nipperdey, AT 2, § 213 IV; Soergel/Spickhoff, § 829 Rn. 12; Staudinger/Hager, § 823 Rn. A 4; Scholz, Zumutbarkeit, S. 147, aber mit Einordnung als Schuldausschließungsgrund. Zum strafrechtlichen Entschuldigungsgrund der Gewissensnot siehe Ebert,
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typisierte Unzumutbarkeit voraus, d. h. die handelnde Person ist grundsätzlich nur dann entschuldigt, wenn innerhalb des Verkehrskreises in einer solchen Situation normgemäßes Verhalten unzumutbar erscheint.107 Ein Großteil der Bevölkerung und der Ärzteschaft empfindet es als unerträglich, einen heilungsfähigen Patienten, dessen Leben durch eine relativ risikoarme Behandlung gerettet werden könnte, sehenden Auges sterben zu lassen. Deshalb ist der transfundierende Arzt im Hinblick auf die Vornahme der vital indizierten Bluttransfusion wegen Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens entschuldigt. Ist ein bestimmtes Handeln wegen Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens entschuldigt, kommt als Anknüpfungspunkt für eine Haftung allerdings ein Übernahmeverschulden in Betracht.108 Ein Übernahmeverschulden setzt zunächst voraus, dass die Übernahme der Tätigkeit freiwillig erfolgt ist.109 Grundsätzlich übernimmt der Arzt eine Behandlung freiwillig, denn er darf, sofern es sich nicht um einen Notfall handelt, die Behandlung eines Patienten ablehnen.110 Allerdings ist der Arzt aus rein tatsächlichen Gründen auch in anderen Fällen als in dem des Notfalls daran gehindert, die Übernahme einer Behandlung abzulehnen. In der Praxis ist nämlich der Arzt, der sich zur Übernahme der Behandlung entschlossen hat, nicht stets identisch mit dem Arzt, der über die Vornahme einer Bluttransfusion entscheiden muss. Entscheidet in der Klinik der Chefarzt über die Behandlungsübernahme und kommt es beispielsweise erst nach einer Operation aufgrund von Komplikationen zum Erfordernis einer Bluttransfusion, kann der Fall eintreten, dass der Chefarzt weder anwesend noch erreichbar ist und daher Ärzte, die selbst über die Übernahme der Behandlung nicht entschieden haben, sich vor die Entscheidung gestellt sehen, ob sie eine Bluttransfusion vornehmen.111 Ein Übernahmeverschulden kommt somit nur in Betracht, wenn der transfundierende Arzt selbst die Behandlung übernommen hat und kein Notfall vorlag. Für die Annahme eines Übernahmeverschuldens ist allerdings weiter erforderlich, dass der Schädiger bei der Übernahme damit rechnen musste, die damit eingegangenen Verpflichtungen später nicht erfüllen zu können.112 Dies bedeutet für unseren Fall, dass der Arzt voraussehen musste, dass eine Bluttransfusion notwendig werden könnte und er in der dann eingetretenen Situation das Selbstbestimmungsrecht des Zeugen Jehovas missachten werde. Bei der Entscheidung über die Behandlungsübernahme muss der Arzt berücksichtigen, dass grundsätzlich jeder
107 108 109 110 111 112
Überzeugungstäter, S. 67; Lackner/Kühl, Vor § 32 Rn. 32; Rudolphi, FS Welzel, S. 605, 630; Roxin, FS Maihofer, S. 389 ff.; eine Entschuldigung gemäß Art. 4 GG generell ablehnend aber Maurach/Zipf, Strafrecht AT 1, § 35 Rn. 8; Otto, Grundkurs Strafrecht AT, § 14 Rn. 31. Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 441. Siehe auch bereits oben E. I. 1. a) ee) (2). Scholz, Zumutbarkeit, S. 141. Vgl. Scholz, Zumutbarkeit, S. 141. Zum Ablehnungsrecht des Arztes Bender, MedR 2003, 179, 180; Dirksen, GesR 2004, 124, 126; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, Rn. 92. Siehe hierzu auch Ulsenheimer, Arztstrafrecht, Rn. 96 a; Weißauer/Hirsch, Anästhesiologie & Intensivmedizin 1979, 273, 275. Scholz, Zumutbarkeit, S. 141.
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nicht ganz unerhebliche Eingriff einen ungünstigen Verlauf nehmen und daher eine Bluttransfusion unter Umständen erforderlich werden kann.113 Nur wenn das spätere Notwendigwerden einer Bluttransfusion vor der Behandlung völlig unwahrscheinlich erscheint, ist ein Übernahmeverschulden zu verneinen. Konnte das Erforderlichwerden der Bluttransfusion demgegenüber nicht ausgeschlossen werden, muss ein Übernahmeverschulden des Arztes, der nicht gewillt ist, eine Einwilligungsverweigerung des Zeugen Jehovas zu respektieren, bejaht werden. Selbst wenn die Ablehnung der Behandlungsübernahme dem ärztlichen Berufsethos widersprechen sollte114, ist sie dem Arzt doch zumutbar, da die Abwägung zwischen dem ärztlichen Ethos einerseits und dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten andererseits ein Überwiegen des verfassungsrechtlich geschützten Selbstbestimmungsrechts ergibt. Damit bleibt festzuhalten, dass den transfundierenden Arzt ein Übernahmeverschulden nur dann trifft, wenn er rechtlich und tatsächlich die Möglichkeit hatte, die Übernahme der Behandlung abzulehnen, und das spätere Notwendigwerden einer Bluttransfusion vor dem Eingriff nicht völlig unwahrscheinlich erschien. Demgegenüber ist der transfundierende Arzt entschuldigt, wenn ein Notfall vorlag oder er selbst nicht über die Behandlungsübernahme entschieden hat oder das Erforderlichwerden einer Bluttransfusion als völlig unwahrscheinlich beurteilt werden konnte. Letzteres erscheint bei offenen Bauchoperationen durchaus zweifelhaft. 5. Anspruchsumfang Sofern der Arzt eine Bluttransfusion entgegen einer wirksamen Behandlungsablehnung des einsichtsfähigen Patienten durchführt und nicht wegen Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens entschuldigt ist, hat der Patient gegen den Arzt einen Schadensersatzanspruch dem Grunde nach. Fraglich ist, welchen Umfang dieser Anspruch hat. a) Materieller Schadensersatz In dem vom Oberlandesgericht München entschiedenen Fall hat die Zeugin Jehovas zu Recht keine materiellen Schäden geltend gemacht. Anders als die Lebenshaltungskosten eines sterbenden, unheilbar kranken oder irreversibel bewusstlosen Patienten, der ohne seine Einwilligung lebenserhaltend behandelt wird, sind die Lebenshaltungskosten eines Zeugen Jehovas, dem gegen seinen Willen eine lebensrettende Bluttransfusion verabreicht wurde, kein Schaden. Die Anwendung der Differenzhypothese ergibt keinen Schaden der Zeugin Jehovas, weil diese Schadensermittlungsmethode in Fällen, in denen der Verletzte ohne das haftungsbegründende Ereignis nicht leben würde, versagt.115 Die Lebenshaltungskosten der 113 114 115
Vgl. Bender, MedR 2003, 179, 180; Dirksen, GesR 2004, 124, 126. So noch Ulsenheimer, Arztstrafrecht, 3. Aufl., Rn. 92. Siehe hierzu E. I. 1. a) ff) (1) (a).
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Zeugin Jehovas könnten daher allenfalls ein normativer Schaden sein. Aber auch unter wertenden Gesichtspunkten ist kein ersatzfähiger Schaden anzunehmen. Die Zeugin Jehovas hat kein berechtigtes Interesse daran, dass ihre Lebenshaltungskosten ersetzt werden, weil die Zeugin Jehovas mit der Behandlungsablehnung nicht ihren Tod bezweckte. Hierin liegt der Unterschied zu den Fällen sterbender, unheilbar kranker und irreversibel bewusstloser Patienten. Während es diesen schwer kranken Menschen bei der Behandlungsablehnung darum geht, ihr Leben nicht künstlich zu verlängern, will die Zeugin Jehovas leben und hofft darauf, dass sie auch ohne Bluttransfusion überlebt. Ein materieller Schaden wäre auch dann nicht zu bejahen, wenn einem Zeugen Jehovas infolge der Bluttransfusion ein Gewinn entginge, weil ein anderer Zeuge Jehovas eine geschäftliche Beziehung beendet. Da der Patient ohne die lebensrettende Bluttransfusion verstorben wäre und daher das Geschäft auch nicht abgeschlossen hätte, liegt kein Schaden vor. Einer Korrektur dieses Ergebnisses bedarf es nicht, da die Vornahme der lebensrettenden Bluttransfusion keinerlei Auswirkungen auf den Abschluss des Geschäfts hat. Mit und ohne Bluttransfusion wäre das Geschäft nicht zustande gekommen. Der entgangene Gewinn stellt nur dann einen materiellen Schaden dar, wenn die Bluttransfusion zur Rettung des Lebens nicht erforderlich gewesen wäre und der Zeuge Jehovas das Geschäft ohne die eigenmächtige Bluttransfusion hätte abschließen können. Allerdings wird der beweispflichtige Zeuge Jehovas nur in den seltensten Fällen nachweisen können, dass er ohne Bluttransfusion überlebt hätte. b) Immaterieller Schadensersatz aa) Die besonderen Voraussetzungen für einen Geldentschädigungsanspruch wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Da nach hier vertretener Ansicht die eigenmächtige Bluttransfusion als solche eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstellt, kommt ein Geldentschädigungsanspruch gemäß § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 1, 2 GG in Betracht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt der Anspruch auf Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts voraus, dass es sich um einen schwerwiegenden Eingriff handelt und die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend ausgeglichen werden kann.116 Ob im Einzelfall eine für einen Geldentschädigungsanspruch hinreichend schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliegt, hängt insbesondere von der Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, von Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie vom Grad seines Verschuldens ab.117 Hiernach kann in Fällen eigenmächtiger Bluttransfusionen gegen die Annahme einer schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzung lediglich angeführt werden, dass Anlass und Beweg-
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BGHZ 35, 363, 369; BGHZ 39, 124, 133; BGH NJW 1970, 1077 f.; BGH NJW 1971, 698, 699; BGHZ 128, 1, 12; BGHZ 132, 13, 27. BGH VersR 1988, 405; BGHZ 128, 1, 12; BGHZ 132, 13, 27.
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grund des eigenmächtig handelnden Arztes achtbar sind, weil der Arzt mit der Bluttransfusion das Leben des Patienten zu retten bezweckt. Andererseits ist aber die eigenmächtige Bluttransfusion ein Eingriff von erheblicher Bedeutung. Abgesehen davon, dass es sich bei der Bluttransfusion aus medizinischer Sicht um eine Maßnahme von einigem Gewicht handelt, stellt die eigenmächtige Bluttransfusion bei einem Zeugen Jehovas einen besonders schweren Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht dar, weil die Ablehnung der Bluttransfusion auf einer für den Patienten essentiellen Glaubensüberzeugung beruht. In Bezug auf die Verschuldensform ist außerdem festzustellen, dass ein Arzt, der eine Bluttransfusion gegen den aktuell geäußerten Willen des einsichtsfähigen Patienten durchführt, das Selbstbestimmungsrecht des Patienten regelmäßig vorsätzlich verletzt. Angesichts der Bedeutung des Eingriffs und des vorsätzlichen Handelns des Arztes kann eine eigenmächtige Bluttransfusion eine schwerwiegende Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstellen. Da die Verletzung des Selbstbestimmungsrechts nicht stets in anderer Weise als durch eine Geldentschädigung befriedigend ausgeglichen werden kann, insbesondere eine Entschuldigung des vorsätzlich handelnden Schädigers die Verletzung häufig nicht hinreichend kompensiert, kommt – je nach den Umständen des Einzelfalls – ein Geldentschädigungsanspruch des Patienten wegen einer eigenmächtigen Bluttransfusion in Betracht. bb) Immaterieller Schaden Das Oberlandesgericht München hat in dem von ihm entschiedenen Fall gegen den Anspruch der Zeugin Jehovas auf Ersatz des immateriellen Schadens unter anderem eingewandt, dass es an einem Schaden der Zeugin Jehovas oder jedenfalls an den für die Bemessung des Schmerzensgeldes erforderlichen tatsächlichen Grundlagen fehle.118 Der Anspruch auf Schmerzensgeld setze den Nachweis eines konkreten Schadens voraus, d. h. es müsse ersichtlich sein, welche Beeinträchtigungen, Beschwerden und Schäden durch die Bluttransfusion hervorgerufen wurden. Der bloße Hinweis auf die Verletzung des Selbstbestimmungsrechts sei nicht ausreichend. Trotz ausdrücklicher Fragen habe die Zeugin Jehovas jedoch nicht dargelegt, worin ihre konkreten Schäden bestehen sollen, d. h. wie sich ihr emotionales Trauma konkret bemerkbar mache und ob und wie sich die Bluttransfusion im Zusammenleben mit anderen Zeugen Jehovas oder im Familienkreis ausgewirkt habe. Der seitens der Zeugin Jehovas vorgebrachte Vergleich der eigenmächtigen Bluttransfusion mit der Vergewaltigung einer Frau, die – auch wenn sie dadurch keine körperlichen Schäden davonträgt und nicht schwanger wird – gleichwohl infolge einer seelischen Verletzung schmerzensgeldberechtigt ist, sei verfehlt.119 Diese Ausführungen des Oberlandesgerichts München vermögen nicht zu überzeugen. Für die Annahme eines immateriellen Schadens ist ausreichend, dass der Verletzte unter Kummer, Bedrückung oder Sorgen leidet.120 Wenn die Zeugin Je118 119 120
OLG München NJW-RR 2002, 811, 814. OLG München NJW-RR 2002, 811, 814. Soergel/Zeuner, § 847 Rn. 24.
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hovas ausführt, sie fühle sich infolge der eigenmächtigen Bluttransfusion gleichsam vergewaltigt, ist das ein ausreichender Hinweis auf die psychische Belastung, die das Missachten ihres erklärten Willens bewirkt hat. Da sowohl durch eine Vergewaltigung als auch durch eine intensiv-medizinische Maßnahme gegen den Willen des Patienten in das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper eingegriffen wird, erscheint – bei allen Unterschieden – ein Vergleich so verfehlt nicht. In den Fällen, in denen nach hier vertretener Ansicht ein Schadensersatzanspruch überhaupt in Betracht kommt, also in Fällen, in denen der Arzt sich über den erklärten Willen des einwilligungsfähigen Patienten hinwegsetzt, obwohl er die Übernahme der Behandlung hätte ablehnen können, erscheint es verständlich, dass der Patient, dessen ausdrücklich erklärte, religiös motivierte Entscheidung in rechtswidriger und schuldhafter Weise missachtet wurde, in seinem geistig-seelischen Wohlbefinden beeinträchtigt ist. Der Geldentschädigungsanspruch scheitert daher nicht an dem Fehlen eines immateriellen Schadens.121 cc) Das Mitverschulden der Zeugin Jehovas Nach Auffassung des Oberlandesgerichts München ist gemäß § 254 BGB zu berücksichtigen, dass die Zeugin Jehovas mit ihrem Verhalten die Ärzte überhaupt erst in den Gewissenskonflikt gebracht hat, der die Ärzte zur eigenmächtigen Durchführung der Bluttransfusionen veranlasste. Die Zeugin Jehovas „hätte von vornherein darauf bedacht sein müssen, sich ausschließlich in die Hände von ihr gegebenenfalls durch Institutionen ihrer Glaubensgemeinschaft empfohlenen, zur bedingungslosen Befolgung ihrer Patientenverfügung bereiten Ärzten zu begeben“.122 Dies sei der Patientin zumutbar gewesen, da die bei ihr vorzunehmende Bauchspiegelung kein sofort notwendiger Eingriff gewesen sei. Für die Zeugin Jehovas sei von Anfang an erkennbar gewesen, dass ein Arzt möglicherweise nicht bereit sein wird, einen Patienten, der mit Bluttransfusionen ohne weiteres am Leben erhalten werden könnte, sterben zu lassen. Indem die Zeugin Jehovas sich gleichwohl den beklagten Ärzten anvertraute, sei sie wissentlich ein Risiko eingegangen, „wie es jedem verständigen, toleranten und nicht glaubensfanatischen Menschen bewusst sein musste.“123 Gegenüber diesem Verhalten der Zeugin Jehovas trete der allenfalls geringe Vorwurf, der den Beklagten zu machen ist, völlig zurück.124 Diese Ausführungen können nicht unwidersprochen bleiben. Ein Mitverschulden liegt vor, wenn der Geschädigte die Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die ein verständiger Mensch im eigenen Interesse aufwendet, um sich vor Schaden zu bewahren.125 Hiernach kommt zwar grundsätzlich ein Mitverschulden in Betracht, wenn ein Zeuge Jehovas nicht solche Ärzte aufsucht, die für die Beachtung reli121 122 123 124 125
So wohl auch Bernat, FS Deutsch, S. 443, 451 f. OLG München NJW-RR 2002, 811, 814. OLG München NJW-RR 2002, 811, 814. OLG München NJW-RR 2002, 811, 814. BGHZ 74, 25, 28; BGHZ 160, 18, 24; BGH NJW 2006, 1426, 1427; MünchKommBGB/Oetker, § 254 Rn. 30.
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giös motivierter Behandlungsablehnungen bekannt sind. Ein Zeuge Jehovas muss sich nämlich der Gefahr, eine Bluttransfusion gegen seinen Willen zu erhalten, bewusst sein, weil es kein Einzelfall ist, dass Ärzte vital indizierte Bluttransfusionen gegen den Willen eines Zeugen Jehovas durchführen. Entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts München führt das Mitverschulden in aller Regel aber nicht dazu, dass die Billigkeit überhaupt keine Entschädigung erfordert. Wenn ein Patient darauf vertraut, dass ein Arzt sich rechtmäßig verhält und das grundrechtlich geschützte Selbstbestimmungsrecht des Patienten respektiert, lässt das darin liegende Mitverschulden den Vorwurf, der dem rechtswidrig und schuldhaft handelnden Arzt zu machen ist, nicht völlig zurücktreten. Das Oberlandesgericht München hätte außerdem beachten müssen, dass die Zeugin Jehovas die Ärzte anlässlich eines unklaren Befundes aufsuchte, ohne zu diesem Zeitpunkt die spätere Notwendigkeit einer Bluttransfusion vorhersehen zu können. Selbst die Ärzte haben auch dann noch, als bereits Komplikationen eingetreten waren, versichert, dass eine Bluttransfusion mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht erforderlich werden würde. In einer solchen Situation kann von einem Zeugen Jehovas nicht ohne weiteres erwartet werden, dass er bereits bei der Klinikauswahl die entfernte Möglichkeit der späteren Notwendigkeit einer Bluttransfusion bedenkt. Angemerkt sei auch, dass bei der Prüfung des Mitverschuldens weitere Umstände von Bedeutung sein können, insbesondere ist zu berücksichtigen, wie weit die Ärzte, die für die Beachtung religiös motivierter Behandlungsablehnungen bekannt sind, vom Wohnort des Patienten entfernt sind und ob sie in dem für den Patienten relevanten Fachgebiet ein ebenso gutes Renommee wie die tatsächlich aufgesuchten Ärzte haben. Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass je nach den Umständen des Einzelfalls ein Mitverschulden denkbar ist, wenn ein Zeuge Jehovas nicht solche Ärzte wählt, die dafür bekannt sind, dass sie auch vital indizierte Bluttransfusionen nicht gegen den Willen des Patienten durchführen. Das Mitverschulden, das im Rahmen des immateriellen Schadensersatzes keine Quotelung des Anspruchs bewirkt, sondern ein Kriterium für die Bemessung einer billigen Entschädigung in Geld ist126, führt aber in aller Regel nicht dazu, dass ein Geldentschädigungsanspruch gänzlich ausscheidet. dd) Vorteilsausgleichung Nach Auffassung des Oberlandesgerichts München scheidet ein Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens auch deshalb aus, weil die eigenmächtige Bluttransfusion für die Patientin Vorteile habe, welche die Nachteile der Patientin ausgleichen.127 Allerdings ist nach Ansicht des Gerichts die Tatsache, dass die Bluttransfusion das Leben der Patientin rettete, nicht ohne weiteres ein Vorteil, der 126
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BGHZ 56, 163, 169; BGH VersR 1970, 624, 625; Soergel/Mertens, § 254 Rn 8; MünchKommBGB/Oetker, § 254 Rn 118; Staudinger/Schiemann, § 254 Rn. 128 m. w. N. OLG München NJW-RR 2002, 811, 814. Auch Weißauer/Hirsch, DMW 1978, 1770, 1773 halten eine Vorteilsausgleichung bei eigenmächtigen Bluttransfusionen für möglich.
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dem Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens entgegensteht. Das Gericht ist vielmehr der Auffassung, dass die Bewilligung eines Schmerzensgeldes wegen einer lebensrettenden Behandlung zwar „bei christlicher Denkweise schwer fallen würde, mit Respekt vor der anderen Glaubenslehre aber gleichwohl geboten wäre.“128 In dem konkreten Fall sei aber im Rahmen des Vorteilsausgleichs zu berücksichtigen, „dass die Kl[ägerin] Ehemann und Kind hat und auch zum Zeitpunkt der Behandlung durch die Bekl[agten] bereits hatte.“129 Durch das Verhalten der Ärzte sei dem damals 15-jährigen Sohn der Patientin die Mutter erhalten geblieben. Dies ist nach Auffassung des Gerichts ein Umstand, der „im Rahmen des Vorteilsausgleichs dergestalt in die Waagschale zu werfen wäre, dass die Nachteile bzw. Schäden der Kl[ägerin] damit zumindest ausgeglichen erscheinen.“130 Bei einer Würdigung dieser Ausführungen stellt sich zunächst die Frage, ob eine Vorteilsausgleichung bei immateriellen Schäden überhaupt in Betracht kommt. Materielle Vorteile sind jedenfalls nach einhelliger Auffassung nicht auf den Schmerzensgeldanspruch anzurechnen, weil Vor- und Nachteil nicht deckungsgleich sind.131 Nach wohl herrschender Meinung ist auch im Hinblick auf immaterielle Vorteile eine Vorteilsausgleichung im Sinne einer Saldierung abzulehnen, weil das Empfinden der verletzten Person nicht in Lust- und Unlustgefühle aufgespalten werden könne.132 Dies bedeutet aber nicht, dass immaterielle Vorteile bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ohne Belang sind. Bei der Bestimmung einer billigen Entschädigung in Geld sind nämlich alle maßgeblichen Umstände, d. h. auch die durch das haftungsbegründende Ereignis erwachsenen Vorteile, zu berücksichtigen.133 Bei der Bemessung der Geldentschädigung sind aber nur die Vorteile von Bedeutung, die dem Anspruchsinhaber selbst entstanden sind. Vorteile von Dritten können die Höhe der Geldentschädigung nicht verringern. Dass durch die eigenmächtige Bluttransfusion dem 15-jährigen Sohn der Patientin die Mutter erhalten blieb, stellt in erster Linie einen Vorteil des Kindes dar. Das Oberlandesgericht München sieht allerdings in diesem Vorteil des Kindes wohl gleichzeitig einen Vorteil der Mutter, wenn es darauf hinweist, dass man der Patientin das „Verant128 129 130 131
132 133
OLG München NJW-RR 2002, 811, 814. OLG München NJW-RR 2002, 811, 814. OLG München NJW-RR 2002, 811, 814. MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 233; Staudinger/Schiemann, § 249 Rn. 141; Lange/ Schiemann, Schadensersatz, S. 497; Hüffer, VersR 1969, 500, 502; entgegen der Nachweise bei MünchKommBGB/Oetker, § 249 Fn. 910 und Staudinger/Schiemann, § 249 Rn. 141 vertritt diese Ansicht auch Klimke, VersR 1969, 111 ff. und 785 ff., der dies in VersR 1969, 785, 786 klarstellt. Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 497; MünchKommBGB/Oetker, § 253 Rn. 55; Hüffer, VersR 1969, 500, 502; a. A. Klimke, VersR 1969, 111 ff. und 785 ff. MünchKommBGB/Oetker, § 253 Rn. 55; Staudinger/Schiemann, § 249 Rn. 141; Thüsing, Wertende Schadensberechnung, S. 37. Siehe hierzu auch OLG Karlsruhe VersR 1965, 794 f., nach dessen Auffassung die angeblich krebshemmende, lebensverlängernde Wirkung eines in der Operationsnarbe pflichtwidrig nicht entfernten Mullstoffes die Schmerzen, die durch das Belassen des Mullstoffes entstanden sind, ausgleicht.
II. Schadensersatzansprüche wegen eigenmächtiger Bluttransfusion
217
wortungsgefühl für und die Verpflichtung gegenüber zumindest dem eigenen minderjährigen Kind […] nicht absprechen kann“.134 Die Berücksichtigung des Vorteils des Kindes als Vorteil der Mutter überzeugt indes nicht. Zwar ist denkbar, dass im Einzelfall eine Mutter bzw. ein Vater die erlittenen Beeinträchtigungen als weniger gravierend empfindet, wenn aus dem haftungsbegründenden Ereignis dem eigenen Kind ein Vorteil erwächst. Pauschal kann aber ein derart altruistisches Empfinden nicht unterstellt werden. Aber selbst wenn man den Vorteil des Kindes bei der Bemessung des elterlichen Anspruchs mindernd berücksichtigen wollte, lässt die Tatsache, dass das Leben der Patientin gerettet wurde und dem Kind die Mutter erhalten blieb, einen Geldentschädigungsanspruch wegen eigenmächtiger Heilbehandlung jedenfalls nicht gänzlich entfallen. Ein Zeuge Jehovas gibt mit der Ablehnung einer vital indizierten Bluttransfusion nämlich gerade zu erkennen, dass ihm die Einhaltung des religiösen Blutverbots wichtiger als sein Leben ist und auch die Sorge um das eigene Kind ihn von einer Behandlungsablehnung nicht abhält. Das Recht, lebensrettende Behandlungen aus welchen Gründen auch immer abzulehnen135, würde ausgehöhlt werden, wenn die Tatsache, dass das Leben des Patienten gerettet wurde, einem Anspruch wegen eigenmächtiger Heilbehandlung entgegenstände. Ein Geldentschädigungsanspruch wegen der Durchführung einer vital indizierten Bluttransfusion gegen den Willen des einwilligungsfähigen Patienten kommt somit auch dann in Betracht, wenn der Patient, dessen Leben gerettet wurde, ein minderjähriges Kind hat. 6. Subsidiäre Haftung anstelle der wegen Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens entfallenen Haftung In den Fällen, in denen der transfundierende Arzt wegen der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens entschuldigt ist136, stellt sich die Frage, ob anstelle der wegen Unzumutbarkeit nicht eintretenden Haftung eine subsidiäre Haftungsform eingreift. Nach einer Ansicht findet die Billigkeitshaftung gemäß § 829 BGB Anwendung, wenn der Täter sich auf den Entschuldigungsgrund der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens berufen kann.137 Die Vorschrift des § 829 BGB sei analog anwendbar, weil die für die Annahme von Unzumutbarkeit erforderliche seelische Situation mit der Zurechnungsunfähigkeit im Sinne der §§ 827 f. BGB vergleichbar sei.138 Die überwiegende Ansicht verneint die analoge Anwendung des § 829 BGB in Fällen der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens.139 Dieser Auffassung ist zuzustimmen, sofern – wie im Regelfall – die Entschuldigung auf 134 135 136 137
138 139
OLG München NJW-RR 2002, 811, 814. Siehe hierzu Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 12. Siehe hierzu oben F. II. 4. d). Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 445; Soergel/Spickhoff, § 829 Rn. 12 für den Bereich der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens wegen fehlender subjektivindividueller Vorwerfbarkeit. Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 445. Flachsbarth, Billigkeitshaftung, S. 91 ff.; Staudinger/Oechsler, § 829 Rn. 37 f.; Wilts, NJW 1962, 1852.
218
F. Die lebensrettende Bluttransfusion ohne Einwilligung des Patienten
der subjektiv-typisierten Unzumutbarkeit beruht. Die subjektiv-typisierte Unzumutbarkeit ist nämlich gerade nicht mit der Zurechnungsunfähigkeit im Sinne der §§ 827 f. BGB vergleichbar. Während in Fällen subjektiv-typisierter Unzumutbarkeit jeder innerhalb des Verkehrskreises in der konkreten Situation entschuldigt wäre, betreffen die §§ 827 f. BGB die Unzurechnungsfähigkeit aufgrund von Umständen, die – wie Bewusstlosigkeit, Minderjährigkeit oder geistige Behinderung – in der einzelnen Person liegen. Daher kommt eine Haftung des wegen subjektiv-typisierter Unzumutbarkeit entschuldigten Arztes nach § 829 BGB nicht in Betracht. Im Übrigen wäre auch bei einer analogen Anwendung des § 829 BGB das Bestehen eines Anspruchs des Zeugen Jehovas zweifelhaft. Zwar kann im Rahmen des § 829 BGB ein Schmerzensgeld gemäß § 253 Abs. 2 BGB gewährt werden140, der Geldentschädigungsanspruch wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ergibt sich aber aus § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 1, 2 GG. Außerdem ist gemäß § 829 BGB der Schaden nur insoweit zu ersetzen, als dies die Billigkeit erfordert, so dass im Fall einer vital indizierten Bluttransfusion in der Regel für einen Anspruch aus § 829 BGB kein Raum wäre. Nach verbreiteter Ansicht hat der Verletzte aber gegen den wegen Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens entschuldigten Schädiger einen Anspruch gemäß § 904 S. 2 BGB analog.141 Dies soll jedenfalls dann gelten, wenn – wie im Fall des Arztes, der gegen den aktuellen Willen des einsichtsfähigen Patienten eine Bluttransfusion vornimmt – die Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens ein vorsätzliches deliktisches Verhalten entschuldigt hat.142 In direkter Anwendung gewährt die Vorschrift des § 904 S. 2 BGB dem Eigentümer einer beschädigten Sache einen verschuldensunabhängigen Anspruch, wenn der Schädiger gemäß § 904 S. 1 BGB gerechtfertigt ist, weil er in einer Notstandssituation auf die fremde, am Entstehen der Gefahrenlage unbeteiligte Sache eingewirkt hat.143 Die analoge Anwendung des § 904 S. 2 BGB auf den Fall der entschuldigenden Unzumutbarkeit wird auf eine Erst-recht-Argumentation gestützt: Verpflichtet bereits ein rechtmäßiger Eingriff zum Schadensersatz, muss dies erst recht bei einem rechtswidrigen, lediglich schuldlosen Eingriff gelten.144 Aus einem weiteren Erst-rechtSchluss folgt, dass die analoge Anwendung des § 904 S. 2 BGB nicht nur Ansprüche wegen Eigentumsverletzung, sondern auch Ansprüche wegen der Verletzung höchstpersönlicher Rechtsgüter umfasst.145 Gegen die analoge Anwendung des 140 141
142 143 144 145
Soergel/Spickhoff, § 829 Rn. 22; Staudinger/Oechsler, § 829 Rn. 65. Scholz, Zumutbarkeit, S. 156 ff.; Wilts, NJW 1962, 1852 f.; ders., NJW 1964, 708 f.; a. A. Staudinger/Seiler, § 904 Rn. 49. Sofern dieser Anspruch besteht, umfasst er entgegen der früheren Rechtslage (vgl. Wilts, NJW 1962, 1852, 1853; ders., NJW 1964, 708, 709) auch ein Schmerzensgeld. Nach Einfügung des § 253 Abs. 2 BGB ist für die Gewährung von Schmerzensgeld ausreichend, dass der Verletzte wegen der Verletzung eines der in § 253 Abs. 2 BGB aufgezählten Rechtsgüter einen Schadensersatzanspruch hat (vgl. MünchKommBGB/Oetker, § 253 Rn. 17 ff.). Scholz, Zumutbarkeit, S. 159. Vgl. etwa Palandt/Bassenge, § 904 Rn. 1 ff. Canaris, JZ 1963, 655, 658; Wilts, NJW 1962, 1852; a. A. aber Staudinger/Seiler, § 904 Rn. 49. Canaris, JZ 1963, 655, 658; Flachsbarth, Billigkeitshaftung, S. 93.
II. Schadensersatzansprüche wegen eigenmächtiger Bluttransfusion
219
§ 904 S. 2 BGB bei schuldlosem Handeln kann auch nicht mit Erfolg eingewandt werden, dass anders als in den Fällen des gerechtfertigten Schädigers der Verletzte keines verschuldensunabhängigen Anspruchs gegen den lediglich entschuldigten Schädiger bedürfe, weil ihm Notwehrrechte zustünden und er sich gegen den Eingriff wehren dürfe.146 Diese formalistische Betrachtungsweise ist bereits deshalb abzulehnen, weil faktisch nicht stets die Möglichkeit besteht, die Rechtsgutsverletzung abzuwehren.147 Ein Anspruch des Zeugen Jehovas gegen den wegen Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens entschuldigten Arzt ist aber aufgrund einer anderen Überlegung abzulehnen. Die Vorschrift des § 904 BGB betrifft den Fall, dass eine am Entstehen der Gefahrenlage unbeteiligte Sache beschädigt wird. Ging die Gefahr demgegenüber von der beschädigten Sache aus, ist § 228 BGB einschlägig. Diese Unterscheidung ist nach der zutreffenden Auffassung von Canaris auf die Verletzung anderer Rechtsgüter zu übertragen. Daher besteht ein Anspruch gemäß § 904 S. 2 BGB analog nur dann, wenn ein Unbeteiligter verletzt ist. Wird jemand verletzt, der die Situation – wenn auch nicht in schuldhafter Weise – mit herbeigeführt hat, besteht kein Ersatzanspruch nach § 904 S. 2 BGB analog, weil Schädiger und Geschädigter durch ihr Verhalten die Lage geschaffen haben und demgemäß keiner der Beteiligten „näher dran“ ist, den Schaden zu tragen.148 In Betracht kommt lediglich ein Anspruch gemäß § 228 S. 2 BGB analog, der voraussetzt, dass den Schädiger ein Verschulden an der Schaffung der Gefahrenlage trifft.149 Der Zeuge Jehovas, der sich in ärztliche Behandlung begibt, ist an der Schaffung der Konfliktsituation nicht unbeteiligt. Damit hat er keinen Anspruch gemäß § 904 S. 2 BGB analog. Da der Arzt in den Fällen, in denen er nicht dem Vorwurf des Übernahmeverschuldens ausgesetzt ist und er wegen Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens entschuldigt ist, die Konfliktsituation nicht schuldhaft herbeigeführt hat, scheidet auch ein Anspruch des Zeugen Jehovas gemäß § 228 S. 2 BGB analog aus. 7. Ergebnis Die vital indizierte Bluttransfusion entgegen einer wirksamen Einwilligungsverweigerung des einsichtsfähigen Patienten ist rechtswidrig. Der transfundierende Arzt ist aber wegen Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens entschuldigt, sofern die Notwendigkeit einer Bluttransfusion bei der Übernahme der Behandlung nicht vorhersehbar war oder der Arzt aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen die Übernahme der Behandlung nicht ablehnen konnte. Ist der Arzt wegen Unzu146 147 148
149
So aber Staudinger/Seiler, § 904 Rn. 49. Im Erg. auch Canaris, JZ 1963, 655, 658 Fn. 37. Canaris, JZ 1963, 655, 658. Auch Wilts, NJW 1962, 1852, 1853 setzt für einen Anspruch nach § 904 S. 2 BGB analog einen Eingriff „in höchstpersönliche Rechtsgüter eines unbeteiligten Dritten“ voraus (Hervorhebung durch die Verfasserin). Canaris, JZ 1963, 655, 658: Gegen eine – durchaus billig erscheinende – verschuldensunabhängige Teilung des materiellen Schadens in diesen Fällen spricht, dass das geltende Recht hierfür keine Grundlage bietet.
220
F. Die lebensrettende Bluttransfusion ohne Einwilligung des Patienten
mutbarkeit normgemäßen Verhaltens entschuldigt, kommt anstelle der wegen Unzumutbarkeit entfallenen Haftung auch keine subsidiäre Haftung nach § 829 BGB analog, § 904 S. 2 BGB analog oder § 228 S. 2 BGB analog in Betracht. Sofern der Arzt nicht wegen Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens entschuldigt ist, kann dem Patienten ein Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens zustehen. Liegt keine wirksame Einwilligungsverweigerung des einsichtsfähigen Patienten vor, ist eine vital indizierte Bluttransfusion häufig von einer mutmaßlichen Einwilligung des Patienten gedeckt. Außerdem bleibt es dem Arzt unbenommen, durch einen Dissens mit dem behandlungsablehnenden Vertreter ein betreuungsgerichtliches Genehmigungsverfahren erforderlich werden zu lassen, bis zu dessen Abschluss die Vornahme der lebensrettenden Maßnahmen zulässig ist. Im Übrigen handelt der Arzt aufgrund eines unvermeidbaren Rechtsirrtums jedenfalls nicht schuldhaft. Deshalb scheiden in dieser Situation Schadensersatzansprüche des Patienten wegen der durchgeführten Bluttransfusion aus.
III. Ansprüche wegen der unterlassenen Ablieferung der Vorsorgevollmacht Zu prüfen bleibt, ob in dem vom Oberlandesgericht München entschiedenen Fall die Zeugin Jehovas einen Anspruch gegen die Behandlerseite hat, weil diese die Vorsorgevollmacht gegenüber dem Vormundschaftsgericht nicht erwähnt hat. Das Verschweigen der Vorsorgevollmacht, das im Rahmen dieser Untersuchung bisher lediglich im Zusammenhang mit der Einwilligung des entgegen § 1896 Abs. 2 BGB bestellten Betreuers von Bedeutung war150, kommt auch als gesondertes haftungsbegründendes Verhalten in Betracht. Anspruchsgrundlage ist allerdings nicht § 1901 a BGB a. F. (= § 1901 c BGB). Die Vorschrift des § 1901 a BGB a. F., die zum Zeitpunkt des vom Oberlandesgericht München beurteilten Geschehens auf Vorsorgevollmachten allenfalls analog anwendbar war151, begründet bei der unterlassenen Ablieferung einer Vorsorgevollmacht keine gesetzlichen Ansprüche des Vollmachtgebers. Die Vorschrift des § 1901 a BGB a. F. (= § 1901 c BGB) statuiert nämlich eine Ablieferungspflicht gegenüber dem Vormundschaftsgericht (jetzt: Betreuungsgericht) und regelt nicht die Rechtsbeziehungen zwischen dem Verfügenden und dem Besitzer des Schriftstücks.152 Als Anspruchsgrundlage kommt aber § 280 Abs. 1 BGB in Betracht, da die vertragliche Nebenpflicht zur Beachtung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten auch beinhaltet, dass das Gericht über eine bei den Krankenakten befindliche Vorsorgevollmacht, die Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts ist, in Kennt-
150 151 152
Siehe F. II. 2. b) bb) (1) (a). Siehe hierzu bereits F. II. 2. b) bb) (1) (a). Staudinger/Bienwald, § 1901 a Rn. 17; vgl. auch MünchKommBGB/Schwab, § 1901 a Rn. 6.
III. Ansprüche wegen der unterlassenen Ablieferung der Vorsorgevollmacht
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nis gesetzt werden muss.153 Ferner können Ansprüche gemäß § 823 Abs. 1 BGB sowie gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB bzw. § 831 BGB geprüft werden. Im Ergebnis hat die Zeugin Jehovas aber keine Ansprüche wegen der unterlassenen Ablieferung der Vorsorgevollmacht. Das Verschweigen der Vorsorgevollmacht ist für den Schaden bzw. für den Verletzungserfolg nicht kausal: Der vertragliche Anspruch gemäß § 280 Abs. 1 BGB sowie der Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB scheitern an der fehlenden Kausalität des Verschweigens der Vorsorgevollmacht für den Schaden. Der Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB scheidet bereits aufgrund der fehlenden Kausalität zwischen Verhalten und Verletzungserfolg aus. Die Bluttransfusion wäre nämlich voraussichtlich auch dann durchgeführt worden, wenn das Vormundschaftsgericht über die Vorsorgevollmacht unterrichtet worden wäre. Die Weigerung des Bevollmächtigten, in die vital indizierte Bluttransfusion einzuwilligen, hätte zu ihrer Wirksamkeit der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung bedurft.154 Das Gericht hätte richtigerweise eine Behandlungsablehnung seitens des Bevollmächtigten nicht genehmigt, weil nach hier vertretener Ansicht ein auf die Vornahme der Bluttransfusion gerichteter mutmaßlicher Wille der Patientin anzunehmen war.155 Im Übrigen können die Ärzte aufgrund der freien Konkurrenz zwischen Vertretereinwilligung und mutmaßlicher Einwilligung156 stets vorbringen, dass sie auch dann die Bluttransfusion vorgenommen hätten, wenn der Bevollmächtigte die Einwilligung verweigert hätte. In diesem Fall kann die Patientin nicht nachweisen, dass das Verschweigen der Vorsorgevollmacht kausal für die Vornahme der Bluttransfusion war.
153 154 155 156
In diese Richtung Bender, MedR 2003, 179, 180. Siehe auch bereits F. II. 2. b) bb) (1) (a). Siehe hierzu D. II. 5. a) ee) und D. II. 5. c). Siehe hierzu oben F. II. 2. b) bb) (1) (b). Siehe hierzu D. II. 6. a) cc).
G. Die Rettung des Suizidenten
Die Rettung eines Selbstmörders wird im Zivilrecht zumeist nur im Hinblick auf die Frage erörtert, ob der Retter vom Suizidenten Aufwendungs- und Schadensersatz verlangen kann.1 Im Folgenden soll untersucht werden, inwieweit der Gerettete gegenüber seinem Retter Ansprüche wegen der Verhinderung seines Todes hat.
I. Die anwendbaren Vorschriften Im Zusammenhang mit der Verhinderung eines Suizids kommen vor allem Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag sowie deliktische Ansprüche in Betracht. Die Anwendbarkeit der Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag ist allerdings in solchen Fällen fraglich, in denen der Retter der behandelnde Arzt des Suizidenten ist. Dann bestehen nämlich zwischen rettendem Arzt und Suizidenten bzw. zwischen dem Klinikträger oder dem vorgesetzten Arzt und dem Suizidenten vertragliche Beziehungen. Wenn aber ein Vertrag vorliegt, darf – wie bereits ausgeführt wurde2 – bei der Überschreitung der vertraglichen Befugnisse auf die Regeln über die Geschäftsführung ohne Auftrag nicht zurückgegriffen werden.3 Dementsprechend stellt die ärztliche Eigenmacht auch eine vertragliche Pflichtverletzung dar.4 Unter dem Gesichtspunkt der ärztlichen Eigenmacht könnte man also vertragliche Ansprüche des mit seiner Rettung nicht einverstandenen Suizidenten in Betracht ziehen. Allerdings ist das Vertragsrecht nicht anwendbar, wenn Ansprüche wegen Handlungen geltend gemacht werden, die außerhalb des Vertragsgegenstands liegen. In diesen Fällen sind vielmehr die Regeln über die Geschäftsführung ohne Auftrag heranzuziehen.5 Der Suizidversuch ist ein neu hinzutretendes, von der zum Abschluss des Vertrags veranlassenden Krankheit oder Verletzung zu unterscheidendes Ereignis, so dass Maßnahmen aufgrund des Suizidversuchs nicht unter den Vertragsgegenstand fallen. Dies gilt auch dann, 1 2 3
4 5
Vgl. etwa Martinek/Theobald, JuS 1998, 27, 31. Siehe C. II. 2. b). BGH NJW-RR 1989, 995, 996; BGHZ 131, 297, 306; Staudinger/Bergmann, § 678 Rn. 22; jurisPK-BGB/Lange, § 677 Rn. 31; MünchKommBGB/Seiler, § 677 Rn. 49; RGRK/Steffen, Vor § 677 Rn. 56. Deutsch, NJW 1965, 1985; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, Kap. C Rn. 1. Siehe auch C. II. 1. Staudinger/Bergmann, Vorbem. zu §§ 677 ff. Rn. 188 und 190.
224
G. Die Rettung des Suizidenten
wenn der Suizidversuch seinen Grund in der zu behandelnden Krankheit hat. Gegenstand des Behandlungsvertrags ist nämlich die Heilung oder Linderung von Krankheit, nicht aber das Verhalten des Arztes nach einem späteren Suizidversuch des Patienten. Somit beurteilen sich die Ansprüche wegen der Suizidverhinderung grundsätzlich auch dann nach den Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag, wenn die Rettung des Suizidenten durch den behandelnden Arzt erfolgt. Vertragsrecht kann allenfalls dann zur Anwendung gelangen, wenn ein Patient sich gerade wegen seiner suizidalen Neigungen in stationäre Behandlung begibt. In diesem Fall ist nämlich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Verhinderung der Selbstmordgefahr Inhalt des Behandlungsvertrags.6 Kommt es in einem solchen Fall trotzdem zu einem Suizidversuch des Patienten, können auch die ärztlichen Maßnahmen zur Lebensrettung zum Behandlungsauftrag gehören. Ansprüche des Geretteten scheiden aber von vornherein aus, weil die rettenden Maßnahmen Vertragspflicht sind.
II. Anspruch aus unberechtigter Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß § 678 BGB In Betracht kommt ein Schadensersatzanspruch des Geretteten aus unberechtigter Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß § 678 BGB. Dass der Retter mit der Rettung des Suizidenten ein fremdes oder jedenfalls auch-fremdes Geschäft besorgt und mit Fremdgeschäftsführungswillen handelt7, ist wenig problematisch. Der Anspruch setzt aber weiter voraus, dass der Retter ohne Auftrag oder sonstige Berechtigung handelt und die Rettung des Suizidenten eine unberechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag ist.8 1. Ohne Auftrag oder sonstige Berechtigung Der Retter eines Suizidenten handelt zwar ohne Auftrag, in Betracht kommt aber eine sonstige Berechtigung. Eine sonstige Berechtigung kann auch eine gesetzliche Pflicht sein.9 Die Hilfeleistungspflicht gemäß § 323 c StGB stellt allerdings nach allgemeiner Meinung keine sonstige Berechtigung in diesem Sinne dar.10 Dies wird teilweise damit begründet, dass die Berechtigung zur Geschäftsführung 6 7 8 9 10
BGHZ 96, 98, 101 f.; vgl. auch Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 102 Rn. 11. BayObLGZ 1968, 200, 204; Staudinger/Bergmann, Vorbem. zu §§ 677 ff. Rn. 150; Beuthien/Weber, Schuldrecht II, S. 138; Zimmermann, FamRZ 1979, 103, 104. Zu den Voraussetzungen des Anspruchs aus § 678 BGB siehe MünchKommBGB/ Seiler, § 678 Rn. 3. Staudinger/Bergmann, Vorbem. zu § 677 Rn. 198 f. Beuthien/Weber, Schuldrecht II, S. 143; Erman/Ehmann, § 677 Rn. 8; Schwarz/Wandt, Gesetzliche Schuldverhältnisse, § 4 Rn. 43; Zimmermann, FamRZ 1979, 103, 104 Fn. 6.
II. Anspruch aus unberechtigter Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß § 678 BGB
225
gegenüber dem Geschäftsherrn bestehen müsse, die Hilfeleistungspflicht nach § 323 c StGB aber nur der Allgemeinheit gegenüber bestehe.11 Da letzteres zunehmend bestritten wird12, ist dieses Argument allerdings wenig überzeugend. Vielmehr ist entscheidend, dass die Vorschrift des § 323 c StGB lediglich die strafrechtlichen Folgen einer unterlassenen Hilfeleistung bestimmt. Auf die Regeln über die Geschäftsführung ohne Auftrag kann nämlich mangels sonstiger Berechtigung dann zurückgegriffen werden, wenn die gesetzliche Pflicht keine abschließende Regelung enthält und das vermögensrechtliche Schadensrisiko nicht verlagert.13 Aus diesem Grund stellt auch die Hilfeleistungspflicht des Beschützergaranten gemäß §§ 211 ff., 13 StGB keine sonstige Berechtigung dar.14 Auch die Vorschriften der §§ 211 ff., 13 StGB bestimmen nämlich lediglich die strafrechtlichen Folgen der unterlassenen Hilfeleistung, bürden aber dem Beschützergaranten keine Kostentragungspflicht auf. Somit ist eine Geschäftsführung ohne Auftrag auch dann nicht ausgeschlossen, wenn aufgrund der fehlenden Freiverantwortlichkeit des Suizidentschlusses der Beschützergarant gemäß §§ 211 ff., 13 StGB oder ein Nichtgarant gemäß § 323 c StGB zur Hilfeleistung gesetzlich verpflichtet ist.15 Auch Rechtfertigungsgründe, wie beispielsweise Notwehr oder Notstand, sind nach richtiger Ansicht keine sonstige Berechtigung, da sie keine abschließenden Regelungen enthalten.16 2. Unberechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag Der Anspruch gemäß § 678 BGB setzt weiter voraus, dass die Übernahme der Geschäftsführung im Widerspruch zum wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn steht. Mit der Begründung, die Rettung entspreche nicht dem Willen des Lebensmüden, könnte angenommen werden, die Rettung eines Suizidenten sei eine unberechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag. Indes wird im Schrifttum in der Rettung eines Selbstmörders überwiegend eine berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag gesehen. Die Begründungen sind allerdings uneinheitlich.
11 12 13 14 15 16
Soergel/Beuthien, § 677 Rn. 15; Beuthien/Weber, Schuldrecht II, S. 143; OLG Düsseldorf NJW 2004, 3640 f. m. w. N.; Staudinger/Bergmann, Vorbem. zu §§ 677 ff. Rn. 199; Fischer, § 323 c Rn. 1. Staudinger/Bergmann, Vorbem. zu §§ 677 ff. Rn. 199. Staudinger/Bergmann, Vorbem. zu §§ 677 ff. Rn. 199. Anderes soll im Fall des Überwachungsgaranten gelten, der letztendlich die Kosten zu tragen hat (vgl. Staudinger/Bergmann, Vorbem. zu §§ 677 ff. Rn. 199). Soergel/Beuthien, § 677 Rn. 15; MünchKommBGB/Seiler, § 677 Rn. 43; Schwarz/ Wandt, Gesetzliche Schuldverhältnisse, § 4 Rn. 43; kritisch Staudinger/Bergmann, Vorbem. zu §§ 677 ff. Rn. 200. Zur Prüfung des Notstandsrechts siehe unten G. II. 3. d).
226
G. Die Rettung des Suizidenten
a) Keine direkte Anwendung von § 679 BGB Einvernehmen besteht heute dahingehend, dass die Vorschrift des § 679 BGB, nach der ein der Geschäftsführung entgegenstehender Wille des Geschäftsherrn unbeachtlich ist, wenn ohne die Geschäftsführung eine im öffentlichen Interesse bestehende Pflicht des Geschäftsherrn nicht erfüllt würde, auf den Fall der Selbsttötung nicht direkt anwendbar ist.17 Unter Pflichten im Sinne des § 679 BGB sind nämlich nur Rechtspflichten zu verstehen.18 Sittliche Pflichten werden von § 679 BGB nicht erfasst, da andernfalls diese rechtlich nicht erzwingbaren sittlichen Verpflichtungen auf dem Umweg über die Geschäftsführung ohne Auftrag mittelbar doch durchsetzbar wären. Aus diesem Grund wurde auch im Gesetzgebungsverfahren der Geltungsbereich der Norm bewusst nicht auf sittliche Pflichten erstreckt.19 Eine Rechtspflicht, am Leben zu bleiben, existiert nach heute allgemeiner Meinung aber nicht.20 b) Analoge Anwendung des § 679 BGB Ein Teil der Literatur will § 679 BGB für den Fall der Selbsttötung, die stets als sittenwidrig eingestuft wird, analog anwenden.21 Die analoge Anwendung des § 679 BGB überzeugt nicht. Es ist nämlich widersprüchlich, einerseits mit guten Gründen moralische Gebote für die direkte Anwendung der Vorschrift nicht ausreichen zu lassen, andererseits aber eine Analogie vorzuschlagen.22 Im Übrigen kann auch nicht von der Sittenwidrigkeit einer jeden Selbsttötung ausgegangen werden. Ein gesellschaftlicher Konsens dahingehend, dass der Suizid unabhängig von den Motiven des Lebensmüden stets gegen ein sittliches Gebot verstößt, besteht nicht.23 Wenn beispielsweise ein unheilbar Kranker seinem Leiden ein Ende setzen will oder in seinem ohnehin nur noch kurzen Leben keinen Sinn mehr sieht und seine Ersparnisse, die er für ärztliche Pflege in den letzten Wochen seines Lebens aufwenden müsste, seinem Kind zukommen lassen möchte24, wird ein Suizid kaum gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstoßen.
17 18 19 20 21 22 23
24
Erman/Ehmann, § 679 Rn. 5 m. w. N. Palandt/Sprau, § 679 Rn. 2; Zimmermann, FamRZ 1979, 103, 105; Beuthien/Weber, Schuldrecht II, S. 139. Achilles/Gebhard/Spahn, Protokolle II, S. 738 = Mugdan, Materialien II, S. 1199. Beuthien/Weber, Schuldrecht II, S. 139; Erman/Ehmann, § 679 Rn. 5; anders noch Schmidhäuser, FS Welzel, S. 801, 817 ff. Heute noch Gehrlein, in: Bamberger/Roth, § 679 Rn. 6 und Mansel, in: Jauernig, § 679 Rn. 2. Vgl. auch Wollschläger, Geschäftsführung ohne Auftrag, S. 310 Fn. 135. Baston-Vogt, Schutzbereich, S. 261; Beuthien/Weber, Schuldrecht II, S. 139; Zimmermann, FamRZ 1979, 103, 104 f. So auch bereits Trappenberg-Scheurel, Rettung, S. 17 ff. Siehe bereits auch E. III. 2. a) aa) (2) (a). Vgl. Martinek/Theobald, JuS 1998, 27, 31 Fall 28.
II. Anspruch aus unberechtigter Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß § 678 BGB
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c) Unbeachtlichkeit des entgegenstehenden Geschäftsherrenwillens nach §§ 134, 138 Abs. 1 BGB Im Schrifttum wird die Unbeachtlichkeit des Suizidentenwillens teilweise aus einer rechtlichen Gesamtwertung der §§ 134, 138 Abs. 1 BGB hergeleitet. 25 Auch diese Ansicht vermag nicht zu überzeugen. Der Hinweis auf § 134 BGB geht gänzlich fehl, da diese Vorschrift ein gesetzliches Verbot voraussetzt. Ein gesetzliches Verbot der Selbsttötung besteht aber nicht.26 Auch die Heranziehung des § 138 Abs. 1 BGB erscheint nicht sachgerecht, da mit ihr – ebenso wie durch die analoge Anwendung des § 679 BGB – sittliche Maßstäbe zur Anwendung gelangen, obwohl die Vorschrift des § 679 BGB im Gesetzgebungsverfahren bewusst nicht auf sittliche Pflichten erstreckt wurde.27 Außerdem ist – wie bereits dargelegt wurde – die Sittenwidrigkeit der Selbsttötung mangels gesellschaftlichen Konsenses in aller Regel zu verneinen. Wenn die Selbsttötung selbst nicht sittenwidrig ist, kann schwerlich der Wille zur Selbsttötung bzw. der einer Rettung entgegenstehende Wille sittenwidrig sein.28 d) Unbeachtlichkeit des Suizidentenwillens nach Larenz Larenz will den entgegenstehenden Willen des Suizidenten als unbeachtlich ansehen und dem Retter einen Aufwendungsersatzanspruch einfach deshalb gewähren, weil der Retter einer „Menschenpflicht“ nachzukommen glaubt.29 Folgt man dieser Ansicht, stellt die Rettung gegen den Willen des Suizidenten eine berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag dar, so dass ein Schadensersatzanspruch des Geretteten nach § 678 BGB nicht in Betracht kommt. Diese Ansicht vermag aber nicht zu erklären, weshalb das vom Retter empfundene moralische Gebot, den Lebensmüden gegen dessen Willen zu retten, der rechtlichen Pflicht, den Willen des Geschäftsherren zu beachten, vorgehen soll.30 Damit überzeugt auch die von Larenz vertretene Ansicht nicht. e) Die Ansicht Wollschlägers Nach der Ansicht Wollschlägers steht dem Geretteten ebenfalls kein Anspruch gegen seinen Retter zu. Abweichend von der herrschenden Meinung verneint Wollschläger sowohl einen Ersatzanspruch des Retters gegen den Geretteten als auch 25 26 27
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29 30
Soergel/Mühl, 11. Aufl., § 679 Rn. 8; Staudinger/Wittmann (1995), § 679 Rn. 10. Beuthien/Weber, Schuldrecht II, S. 139; Zimmermann, FamRZ 1979, 103, 105. Siehe hierzu Achilles/Gebhard/Spahn, Protokolle II, S. 738 = Mugdan, Materialien II, S. 1199 sowie oben G. II. 2. a). Vgl. auch Zimmermann, FamRZ 1979, 103, 105, der die Vorschrift des § 679 BGB als abschließend betrachtet. Anders aber Staudinger/Wittmann (1995), § 679 Rn. 10, der zwischen der Sittenwidrigkeit der Selbsttötung und der Sittenwidrigkeit des der Rettung entgegenstehenden Willens unterscheidet. Dieser sei – auch wenn die Selbsttötung selbst nicht sittenwidrig ist – stets sittenwidrig, weil die Rettungshandlung sittlich geboten sei. Larenz, Schuldrecht II/1, § 57 I. a); zustimmend Beuthien/Weber, Schuldrecht II, S. 139 f. Zimmermann, FamRZ 1979, 103, 105.
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G. Die Rettung des Suizidenten
umgekehrt einen Schadensersatzanspruch des Geretteten. Die Selbsttötung sei „eine Situation extremer menschlicher Not, die frei von Sanktionen jeder Art bleiben [müsse]“.31 Diese Ansicht muss sich zum einen entgegenhalten lassen, dass sie den Hilfswilligen belastet und damit der Hilfsbereitschaft in Suizidfällen eher abträglich ist. Zum anderen erscheint es auch nicht überzeugend, dass ein Schwerkranker, der seine unerträglichen Leiden beenden möchte, sich in einem rechtsfreien Raum befinden soll. In Fällen, in denen jemand einen anderen – unter Umständen sogar aus eigensüchtigen Motiven – an dessen Selbsttötung hindert und weiß, dass dieser freiverantwortlich handelt, um seine unheilbaren Qualen zu beenden, liegt nämlich in der Tat „eine Situation extremer menschlicher Not“ vor, in der es keineswegs selbstverständlich ist, dass rechtliche Ansprüche des „Geretteten“ nicht bestehen sollen. f) Die differenzierende Auffassung Eine im Vordringen befindliche Meinung nimmt in den Suizidfällen nicht pauschal eine berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag an, sondern differenziert: Erfolgt der Suizidentschluss in einem Zustand geistiger Störung, sei der Wille analog §§ 104 Nr. 2, 105 BGB bzw. nach dem Rechtsgedanken der §§ 104 Nr. 2, 105 BGB unbeachtlich. Bei einem so genannten Appellselbstmord ziele der wahre Wille des Suizidenten auf Rettung und stehe damit einer berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag ebenfalls nicht entgegen. Bei einem ernstlichen Suizidversuch des geistig Gesunden sei die Rettung des Suizidenten aber keine berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag.32 Es wird allerdings darauf hingewiesen, dass in diesem Fall ein Schadensersatzanspruch des Retters nach § 823 Abs. 1 BGB in Betracht komme, wenn der Suizident eine riskante Hilfeleistung Dritter herausgefordert hat.33 Im Übrigen habe der Retter ohnehin einen Anspruch gegen die gesetzliche Unfallversicherung aus § 2 Abs. 1 Nr. 13 Buchst. a) SGB VII.34 Für die differenzierende Auffassung spricht, dass sie auf moralische Überlegungen verzichtet und die Suizidproblematik mit dem bestehenden Recht zu lösen versucht. Anstatt zu pauschalisieren, unterscheidet sie zwischen den verschiedenen Suizidsituationen. Allerdings darf nicht übersehen werden, dass nach dieser Auffassung nicht in allen Fällen, in denen es an der Freiverantwortlichkeit des Suizidentschlusses fehlt, die Rettung des Suizidenten eine berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag darstellt. Nach der hier vertretenen Einwilligungslösung ist die Freiverantwortlichkeit des Suizidentschlusses nämlich auch dann zu verneinen, wenn es sich um einen Kurzschluss- oder Verzweiflungssuizid handelt.35 Im 31 32
33 34 35
Wollschläger, Geschäftsführung ohne Auftrag, S. 310. Grundlegend Zimmermann, FamRZ 1979, 103, 106 f.; MünchKommBGB/Seiler, § 679 Rn. 13; PWW/Fehrenbacher, § 679 Rn. 7; Schwarz/Wandt, Gesetzliche Schuldverhältnisse, § 8 Rn. 28. Zimmermann, FamRZ 1979, 103, 107; Erman/Ehmann, § 679 Rn. 5; MünchKommBGB/Seiler, § 679 Rn. 13. Erman/Ehmann, § 679 Rn. 5; Zimmermann, FamRZ 1979, 103, 105 (zu § 539 Abs. 1 Ziff. 9 a RVO). Zur Bestimmung der Freiverantwortlichkeit siehe B. II. 4. a) aa).
II. Anspruch aus unberechtigter Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß § 678 BGB
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Fall eines Kurzschluss- oder Verzweiflungssuizids sind aber die Voraussetzungen der §§ 104 Nr. 2, 105 BGB nicht erfüllt. Die Vorschrift des § 104 Nr. 2 BGB setzt eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit voraus. Derjenige, der in akuter Verzweiflung einen Suizid begeht, ist aber nicht zwangsläufig geisteskrank oder geistesschwach.36 Auch eine vorübergehende Störung der Geistestätigkeit im Sinne des § 105 Abs. 2 BGB kann nicht angenommen werden, denn auch die vorübergehende Störung der Geistestätigkeit setzt eine – etwa durch Alkohol, Medikamente oder Rauschgift ausgelöste – geistige Anomalie voraus.37 Dementsprechend weist Zimmermann auch ausdrücklich darauf hin, dass eine unberechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag auch dann vorliegt, wenn der Suizidentschluss gänzlich unüberlegt in einer akuten Krise gefasst wurde.38 Hierbei wird nicht danach unterschieden, ob der Suizident im Zeitpunkt der Rettungshandlung bereits bewusstlos ist oder nicht.39 Der wirkliche Wille ist zwar der beim Geschäftsherrn tatsächlich vorhandene subjektive Wille im Zeitpunkt der Übernahme der Geschäftsführung40, der wirkliche Wille kann aber – ebenso wie die aktuelle Entscheidung des einwilligungsfähigen Patienten – nach dem Eintritt der Bewusstlosigkeit fortbestehen, sofern das Suizidgeschehen im Wesentlichen dem vorgestellten Verlauf entspricht.41 In der Konsequenz bedeutet dies, dass bei Zugrundelegen dieser Ansicht ein Schadensersatzanspruch des geretteten Suizidenten gemäß § 678 BGB sowohl im Fall eines freiverantwortlichen Abwägungssuizids als auch im Fall eines nicht freiverantwortlichen Kurzschluss- oder Verzweiflungssuizids in Betracht kommt. Dies wird von den Vertretern dieser Auffassung häufig übergangen.42 Eine Ausnahme stellt Beuthien dar. Er will in Fällen des geistig gesunden Selbstmörders § 678 BGB teleologisch reduzieren, da diese Vorschrift nicht den Schutz von Willensentschließungen bezwecke, die sich gegen das Gebot von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB richten.43 Dies überzeugt nicht. Da mit Willensentschließung nur der Entschluss zur Selbsttötung gemeint sein kann, erfolgt die teleologische Reduktion also unter der Prämisse, dass der Selbsttötungsentschluss gegen Treu und Glauben verstößt. Dies kann aber ebenso wenig angenommen werden wie die Sittenwidrigkeit des Suizids. Der Inhalt von Treu und Glauben wird durch das in den Grundrechten verkörperte Wertesystem entscheidend mitbestimmt.44 Ob ein
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Zum Begriff der Störung der Geistestätigkeit siehe MünchKommBGB/Schmitt, § 104 Rn. 10 f. MünchKommBGB/Schmitt, § 105 Rn. 40 f. Zimmermann, FamRZ 1979, 103, 106. Siehe auch Beuthien/Weber, Schuldrecht II, S. 138. Staudinger/Bergmann, § 683 Rn. 25; Schwarz/Wandt, Gesetzliche Schuldverhältnisse, § 5 Rn. 12. Zur Fortwirkung einer aktuellen Entscheidung eines Patienten siehe auch D. I. 2. und F. II. 2. b) aa). Vgl. etwa MünchKommBGB/Seiler, § 679 Rn. 13. Soergel/Beuthien, § 679 Rn. 15. Palandt/Grüneberg, § 242 Rn. 7; Erman/Hohloch, § 242 Rn. 29.
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G. Die Rettung des Suizidenten
Grundrecht auf Selbsttötung besteht, ist zwar umstritten.45 Nach ganz herrschender Meinung enthält das Grundgesetz aber umgekehrt jedenfalls kein Verbot der Selbsttötung.46 Vielmehr verbietet die verfassungsrechtlich gebotene religiösweltanschauliche Neutralität des Staates47, das christliche Verständnis, das die Selbsttötung ablehnt48, für die Bestimmung des Inhalts von Treu und Glauben zugrunde zu legen. Daher kann nicht festgestellt werden, dass die Entschließung zur Selbsttötung gegen Treu und Glauben verstößt. Der Vorschlag Beuthiens ist deshalb abzulehnen. Folgt man der differenzierenden Auffassung, scheidet ein Schadensersatzanspruch des Geretteten gegen den Retter gemäß § 678 BGB daher bei einem ernsthaften Selbsttötungsversuch eines geistig Gesunden nicht von vornherein aus. g) Unbeachtlichkeit des entgegenstehenden Willens aufgrund der strafrechtlichen Hilfeleistungspflicht Nach einer weiteren Ansicht ist der Wille des lebensmüden Geschäftsherrn unbeachtlich und die Geschäftsführung ohne Auftrag damit eine berechtigte, wenn der Lebensretter aufgrund gesetzlicher Vorschriften zum Eingreifen verpflichtet ist. Sofern die gesetzliche Pflicht bestehe, einer Person auch gegen deren Willen zu helfen, folge unmittelbar aus dem Gesetz, dass der entgegenstehende Wille unbeachtlich sei.49 Nach dieser Auffassung stellt also die Rettung eines Suizidenten eine berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag dar, wenn den Retter eine strafrechtliche Hilfeleistungspflicht nach § 323 c StGB oder nach §§ 211 ff., 13 StGB trifft.50 Bei genauerer Betrachtung erscheint allerdings zweifelhaft, ob die strafrechtliche Hilfeleistungspflicht die Rettungshandlung tatsächlich zu einer berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag macht. Ein strafrechtliches Gebot bewirkt nämlich in erster Linie, dass ein Verhalten, das diesem Gebot entspricht, nicht rechtswidrig ist.51 Der Begriff „berechtigt“ ist aber mit dem Begriff „rechtmäßig“ nicht zwangs-
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Gegen ein solches Recht Lorenz, in: Isensee/Kirchhof, HStR VI, § 128 Rn. 62. Murswiek, in: Sachs, Art. 2 Rn. 211 und J. Wagner, Selbstmord, S. 93 entnehmen dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG ein Recht auf Selbsttötung. Fink, Selbstbestimmung und Selbsttötung, passim, Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 419 sowie Kämpfer, Selbstbestimmung, S. 224, 231 leiten ein solches Recht entgegen der h. M. aus Art. 2 Abs. 2 GG ab. Lorenz, in: Isensee/Kirchhof, HStR VI, § 128 Rn. 62; Kunig, in: v. Münch/Kunig, Art. 2 Rn. 50; Esser/Weyers, Schuldrecht II/2, § 46 II. 3. b); Günzel, Selbsttötung, S. 46. Siehe hierzu Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 4 Rn. 5. Vgl. etwa Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland/Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Sterbebegleitung, S. 18. Staudinger/Bergmann, Vorbem. zu §§ 677 ff. Rn. 199. Staudinger/Bergmann, § 678 Rn. 9, § 679 Rn. 24 und Vorbem. zu §§ 677 ff. Rn. 199; Beuthien/Weber, Schuldrecht II, S. 140 und 143. Bottke, Suizid, S. 81; J. Wagner, Selbstmord, S. 57.
II. Anspruch aus unberechtigter Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß § 678 BGB
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läufig deckungsgleich.52 Der Begriff der berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag findet sich nicht im Gesetz, sondern ist im juristischen Schrifttum lediglich üblich. Eine berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag wird angenommen, wenn entweder die Übernahme der Geschäftsführung dem Willen bzw. dem Interesse des Geschäftsherrn entspricht oder der entgegenstehende Wille des Geschäftsherrn unbeachtlich ist oder die Übernahme der Geschäftsführung nachträglich durch den Geschäftsherrn genehmigt wurde.53 Ist die Geschäftsführung ohne Auftrag berechtigt in diesem Sinn, sind dem Geschäftsführer seine Aufwendungen gemäß § 683 S. 1 BGB zu ersetzen. Der Begriff der Rechtmäßigkeit bedeutet demgegenüber, dass ein Verhalten mit der Rechtsordnung im Einklang steht. Die Rechtmäßigkeit eines Verhaltens besagt aber nichts darüber aus, ob die durch dieses Verhalten bedingten Aufwendungen ersetzt werden. Deshalb bedeutet auch die gesetzliche Pflicht, jemandem gegen dessen Willen zu helfen, nicht zwangsläufig, dass der Gerettete die mit der Rettung verbundenen Kosten zu tragen hat.54 Somit vermag die Ansicht, die in Suizidfällen das Vorliegen einer berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag mit dem lapidaren Hinweis auf die bestehende Hilfeleistungspflicht des Retters begründet, nicht zu überzeugen. Deshalb wird bisweilen im Schrifttum die Kostentragungspflicht des Geretteten aus einer Abwägung, innerhalb derer die strafrechtliche Hilfeleistung berücksichtigt wird, gefolgert. Eine Kostentragungspflicht des Geretteten bestehe deshalb, weil bei der Abwägung der Interessen des Suizidenten mit denen des Retters der Wille des Suizidenten zurücktreten müsse, da die Rechtsordnung den Suizid lediglich hinnehme, während das Eingreifen des Retters von der Rechtsordnung gefordert werde.55 Hiergegen ist einzuwenden, dass eine Abwägung der gegenseitigen Interessen in den Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag keine Stütze findet. Außerdem erscheint ein Aufwendungsersatzanspruch, dessen Bestehen mit der strafrechtlichen Hilfeleistungspflicht des Geschäftsführers begründet wird, im Recht der Geschäftsführung ohne Auftrag systemwidrig. Sämtliche Gründe, die eine Geschäftsführung ohne Auftrag anerkanntermaßen zu einer berechtigten machen, sprich der mit der Geschäftsführung übereinstimmende wirkliche oder mutmaßliche Wille des Geschäftsherrn, die Genehmigung des Geschäftsherrn, die Vorschrift des § 679 BGB sowie die Unbeachtlichkeit des Willens des nicht voll
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Vgl. Staudinger/Bergmann, Vorbem. zu §§ 677 ff. Rn. 99, Rn. 245 sowie MünchKommBGB/Seiler, § 684 Rn. 15. Anders wohl Erman/Ehmann, Vor § 677 Rn. 8 und § 683 Rn. 1 und Rn. 5. Vgl. Erman/Ehmann, Vor § 677 Rn. 6; MünchKommBGB/Seiler, Vor § 677 Rn. 15 und Rn. 17. B. Schmidt, Die berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag, S. 149 f.; Wollschläger, Geschäftsführung ohne Auftrag, S. 37 und 310 f. Dies erkennt auch Staudinger/Bergmann, Vorbem. zu §§ 677 ff. Rn. 199, wenn er ausführt, dass die Vorschriften der §§ 211 ff., 13 StGB und des § 323 c StGB keine sonstige Berechtigung im Sinne des § 677 BGB darstellen, weil sie lediglich die strafrechtlichen Folgen der unterlassenen Hilfeleistung bestimmen und das vermögensrechtliche Schadensrisiko nicht verlagern. Beuthien/Weber, Schuldrecht II, S. 140.
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G. Die Rettung des Suizidenten
geschäftsfähigen Geschäftsherrn56, sind nämlich auf die Person des Geschäftsherrn bezogen.57 Die Ziele, die der Geschäftsführer mit seinem Tätigwerden verfolgt, sind für die Frage, ob eine berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag vorliegt, dagegen nicht von Bedeutung.58 Damit erscheint es dogmatisch zutreffender, die strafrechtliche Hilfeleistungspflicht des Retters auch im Rahmen des § 678 BGB als Rechtfertigungsgrund zu betrachten.59 Abschließend sei darauf hingewiesen, dass es im Hinblick auf den Schadensersatzanspruch gemäß § 678 BGB ohne Belang ist, ob aufgrund der strafrechtlichen Hilfeleistungspflicht eine berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag angenommen wird oder ob die strafrechtliche Hilfeleistungspflicht als Rechtfertigungsgrund eingeordnet wird. In beiden Fällen scheidet der Anspruch gemäß § 678 BGB bei einem freiverantwortlichen Suizidentschluss aus.60 Ein Unterschied ergibt sich hieraus nur hinsichtlich des Aufwendungsersatzanspruchs gemäß § 683 BGB, der eine berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag voraussetzt. h) Abschließende Stellungnahme Die differenzierende Auffassung ist im Grundsatz gut nachvollziehbar. Sie führt allerdings zu dem wenig überzeugenden Ergebnis, dass der Arzt nicht nur im Fall des freiverantwortlichen Suizidversuchs, sondern auch im Fall des nicht freiverantwortlichen Kurzschluss- und Verzweiflungssuizids keinen Aufwendungsersatz erhält. Daher bleibt zu überlegen, ob die Rettung eines Suizidenten nicht doch auch dann eine berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag ist, wenn es sich um einen Kurzschluss- oder Verzweiflungssuizid handelt. Bei der Frage, ob der entgegenstehende Wille des Geschäftsherrn beachtlich ist, könnte entgegen den Vertretern der differenzierenden Auffassung nicht auf die Geschäftsfähigkeit des Suizidenten, sondern auf die Freiverantwortlichkeit des Suizidentschlusses abzustellen sein. Für Fälle, in denen der Geschäftsherr zwar nicht voll geschäftsfähig, aber einwilligungsfähig ist, wird vertreten, dass der Wille des einwilligungsfähigen Geschäftsherrn beachtlich ist, sofern höchstpersönliche Angelegenheiten betroffen 56 57 58 59 60
Siehe Staudinger/Bergmann, § 683 Rn. 16; Erman/Ehmann, § 682 Rn. 4; MünchKommBGB/Seiler, § 682 Rn. 7. B. Schmidt, Die berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag, S. 149. B. Schmidt, Die berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag, S. 149. Zur Prüfung von Rechtfertigungsgründen im Rahmen des § 678 BGB siehe G. II. 3. a). Es ergeben sich insbesondere keine Unterschiede im Hinblick auf die Beweislast. Die Beweislast für das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes liegt nach allgemeinen Grundsätzen beim Anspruchsgegner, also im vorliegenden Fall beim Retter. Die Beweislast für die Unbeachtlichkeit des Willens trägt der Geschäftsführer, also auch der Retter. Letzteres kann daraus gefolgert werden, dass die Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 679 BGB, der der typische Fall des unbeachtlichen Willens ist, der Geschäftsführer innehat (siehe Soergel/Beuthien, § 679 Rn. 15). Der Geschäftsherr trägt demgegenüber die Beweislast dafür, dass die Geschäftsführung seinem Willen widersprach (siehe Soergel/Beuthien, § 678 Rn. 4 und Staudinger/Bergmann, § 678 Rn. 24).
II. Anspruch aus unberechtigter Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß § 678 BGB
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sind.61 Ist der Geschäftsherr umgekehrt voll geschäftsfähig, aber nicht einwilligungsfähig, muss daher bei höchstpersönlichen Angelegenheiten das Fehlen der Einwilligungsfähigkeit entscheidend und der Wille des Einwilligungsunfähigen unbeachtlich sein. Dementsprechend sollte in Suizidfällen, in denen es auf die Freiverantwortlichkeit als eine besondere Ausprägung der Einsichtsfähigkeit ankommt, der Wille des nicht freiverantwortlich handelnden Suizidenten unbeachtlich sein. Damit lässt sich festhalten, dass die Rettung eines möglicherweise nicht freiverantwortlich handelnden Suizidenten grundsätzlich eine berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag ist. Anders ist nur in den Fällen zu entscheiden, in denen sich der Suizident zu dem Zeitpunkt, in dem über die Vornahme von Rettungsmaßnahmen entschieden werden muss, bereits in einem Zustand befindet, in dem die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen einen Behandlungsfehler darstellen würde. Liegt nämlich der Suizident im Sterben oder ist so schwer krank bzw. verletzt, dass die lebenserhaltende Maßnahme keine Hilfe mehr bedeutet, sondern die körperliche Qual nur verlängern würde, entsprechen lebenserhaltende Maßnahmen auch nicht dem objektiven Interesse des Patienten.62 Beruht der Suizidversuch auf einem freiverantwortlichen Entschluss, stellt die Rettung des Suizidenten eine unberechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag dar. 3. Die Rechtswidrigkeit der Suizidverhinderung a) Anwendung von Rechtfertigungsgründen im Rahmen des § 678 BGB Üblicherweise werden Rechtfertigungsgründe im Delikts- sowie im Strafrecht geprüft. Allerdings kann auch der Anspruch aus § 678 BGB durch Rechtfertigungsgründe entfallen. Der Anspruch aus § 678 BGB setzt nämlich die schuldhafte Übernahme der Geschäftsführung voraus. Schuldhaftes und gleichzeitig rechtmäßiges Verhalten gibt es aber nicht.63 Dementsprechend wird in der Literatur im Hinblick auf den vertragsrechtlichen Anspruch wegen schuldhafter Pflichtverletzung gemäß § 280 Abs. 1 BGB, der ausdrücklich ein rechtswidriges Verhalten nicht verlangt, zutreffend festgestellt, dass die Rechtswidrigkeit ungeschriebene Voraussetzung ist.64 Dies muss für den Anspruch wegen unberechtigter Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß § 678 BGB ebenso gelten.65 Dass nach § 678 BGB die entstandenen Schäden auch bei fehlerfreier Ausführung der Ge61 62 63 64 65
RGRK/Steffen, § 682 Rn. 8; Staudinger/Bergmann, Vorbem. zu §§ 677 ff. Rn. 52. Siehe hierzu auch oben E. I. 2. b). Deutsch/Ahrens, Deliktsrecht, Rn. 6; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 171; Staudinger/Löwisch, § 276 Rn. 12. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 171; Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, Rn. 637 f. Siehe hierzu bereits oben E. I. 1. a) dd). Zur Rechtswidrigkeit im Rahmen des § 678 BGB vgl. auch Staudinger/Bergmann, Vorbem. zu §§ 677 ff. Rn. 99 und Rn. 245 sowie MünchKommBGB/Seiler, § 684 Rn. 15.
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G. Die Rettung des Suizidenten
schäftsführung ersetzt werden, ändert nichts daran, dass die Haftung aus § 678 BGB eine Verschuldenshaftung ist, da der Anspruch jedenfalls ein Übernahmeverschulden voraussetzt.66 Rechtfertigungsgründe werden im Rahmen des § 280 Abs. 1 BGB und des § 678 BGB gemeinhin deshalb nicht geprüft, weil sie regelmäßig keine Rolle spielen.67 Im hier interessierenden Fall der Verhinderung eines freiverantwortlichen Suizids könnte aber ein Rechtfertigungsgrund zugunsten des Retters eingreifen mit der Folge, dass der Anspruch aus § 678 BGB entfällt. b) Rechtfertigung wegen der strafrechtlichen Hilfeleistungspflicht des Retters Ein Rechtfertigungsgrund für die Verhinderung des Suizids kann sich aus der strafrechtlichen Hilfeleistungspflicht gemäß §§ 211 ff., 13 StGB bzw. § 323 c StGB ergeben.68 Begründet nämlich das Gesetz eine Pflicht, muss die Erfüllung dieser Pflicht rechtmäßig sein. Nach hier vertretener Auffassung besteht aber keine Hilfeleistungspflicht, sofern es sich ohne Zweifel um einen freiverantwortlichen Suizidentschluss handelt.69 Daher ist im Fall eines sicher freiverantwortlichen Suizids die Rettung des Lebensmüden nicht durch eine strafrechtliche Hilfeleistungspflicht gerechtfertigt.70 Handelt es sich um einen nicht freiverantwortlichen 66 67 68
69 70
Vgl. MünchKommBGB/Seiler, § 678 Rn. 2. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 171 im Hinblick auf den Anspruch aus § 280 Abs. 1 BGB. Vgl. Bottke, Suizid, S. 81; J. Wagner, Selbstmord, S. 57. Vgl. auch Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 848: Zwischen § 677 BGB und § 323 c StGB besteht eine auch durch Auslegung nicht vermeidbare Normenkollision, die die Bildung einer neuen Norm fordert. Siehe hierzu B. II. 4. b). Demgegenüber ist nach der Rechtsprechung die Suizidverhinderung grundsätzlich gerechtfertigt (zur Rechtsprechung siehe B. II. 4. b). Zweifelhaft ist, ob die Rechtfertigung der Suizidverhinderung ausscheidet, wenn die Rechtsprechung ausnahmsweise eine Strafbarkeit der unterlassenen Suizidverhinderung verneint. Für die Beantwortung dieser Frage ist die Überlegung maßgeblich, dass die Suizidverhinderung rechtmäßig sein muss, sofern ihr Unterlassen rechtswidrig ist. Entscheidend ist daher, ob das Unterlassen der Suizidverhinderung nach der Rechtsprechung in Ausnahmefällen nach § 34 StGB gerechtfertigt ist oder unzumutbar ist (zum Meinungsstand siehe B. II. 4. b) aa). Hält man § 34 StGB für einschlägig, ist das Unterlassen der Suizidverhinderung nicht rechtswidrig, so dass die Suizidverhinderung nicht zwingend rechtmäßig sein muss. Verneint man die Strafbarkeit aufgrund Unzumutbarkeit, ist von Bedeutung, ob das Merkmal der Unzumutbarkeit Teil des Tatbestands oder Teil der Schuld ist. Sofern die Unzumutbarkeit als Tatbestandsmerkmal eingeordnet wird (so die wohl herrschende Meinung im Rahmen des § 323 c StGB, siehe Fischer, § 323 c Rn. 9 m. w. N.), ist die Unterlassung der Suizidverhinderung nicht rechtswidrig und die Suizidverhinderung kann nicht mit Hinweis auf die Einheit der Rechtsordnung gerechtfertigt werden. Wird die Unzumutbarkeit als Bestandteil der Schuld angesehen, ist die unterlassene Suizidverhinderung rechtswidrig und die Suizidverhinderung also gerechtfertigt. Zum Meinungsstand bezüglich der Einordnung der Unzumutbarkeit im Rahmen des unechten Unterlassungsdelikts siehe Schönke/Schröder/Stree, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 155 m. w. N. auch zur uneinheitlichen Rechtsprechung. Zur Frage, ob eine Rechts-
II. Anspruch aus unberechtigter Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß § 678 BGB
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Suizidentschluss, liegt bereits keine unberechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag vor.71 c) Gewohnheitsrechtlicher Rechtfertigungsgrund Bisweilen wird die Auffassung vertreten, dass demjenigen, der einen Selbsttötungsversuch verhindert, ein gewohnheitsrechtlicher Rechtfertigungsgrund zustehe. Es gebe nämlich eine zum Gewohnheitsrecht verdichtete allgemeine Rechtsüberzeugung dahingehend, dass die Suizidverhinderung nicht rechtswidrig sei.72 Schmitt will insofern eine Ausnahme machen, als dass der behandelnde Arzt verpflichtet sein soll, dem Wunsch des Patienten nach Unterlassung oder Beendigung der Behandlung auch im Suizidfall nachzukommen.73 Eine allgemeine Rechtsüberzeugung dahingehend, dass ein Suizidverhinderungsrecht besteht, mag hinsichtlich der überwiegenden Anzahl der Suizidversuche bestehen. Geht es aber um schwer kranke Patienten, die ihr Leiden beenden wollen, oder um ausgesprochene Abwägungssuizide, die vom Suizidenten als Ausdruck äußerster Freiheit verstanden werden, kann in einer pluralistischen Gesellschaft von einer allgemeinen Rechtsüberzeugung nicht gesprochen werden. Daher ist eine gewohnheitsrechtliche Rechtfertigung der Suizidverhinderung abzulehnen.74 Im Übrigen erscheint auch die von Schmitt gemachte Ausnahme in keiner Weise sachgerecht. Schmitt, der die herkömmliche Unterscheidung zwischen Suizid einerseits und passiver Sterbehilfe bzw. Behandlungsabbruch andererseits nicht trifft und von dem Verbot ärztlicher Eigenmacht auch im Suizidfall keine Ausnahme machen will, kommt zu dem frappierenden Ergebnis, dass dem Bürger, nicht aber dem Arzt ein Suizidverhinderungsrecht zusteht. Dieses Ergebnis rechtfertigt Schmitt mit der Begründung, dass der Arzt anders als der Bürger, der zufällig eines Selbstmordversuchs ansichtig wird, aufgrund seiner Sachkunde und seiner Kenntnis des Patienten beurteilen könne, ob der Todeswille mangelfrei und daher ernst zu nehmen ist.75 Diese Begründung überzeugt nicht. So kann sich der Arzt, der den Patienten kaum kennt, häufig keineswegs über die Ernstlichkeit des Willens sicher sein. Im Einzelfall kann das ein Angehöriger besser.
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pflicht in Fällen der Unzumutbarkeit besteht, vgl. auch v. Burski, Zeugen Jehovas, S. 136 f. Fn. 3 (zum unechten Unterlassungsdelikt). Siehe oben G. II. 2. h). Schmitt, JZ 1984, 866, 869. Im älteren Schrifttum K. Roth, Beurteilung, S. 71. Schmitt, JZ 1984, 866, 869. So auch Baston-Vogt, Schutzbereich, S. 262. Schmitt, JZ 1984, 866, 869.
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G. Die Rettung des Suizidenten
d) Rechtfertigung nach § 34 StGB Aufgrund der Einheit der Rechtsordnung sind auch Rechtfertigungsgründe, die im Strafrecht normiert oder anerkannt sind, im Zivilrecht anwendbar.76 Nach einer weit verbreiteten Ansicht kann die Suizidverhinderung nach § 34 StGB gerechtfertigt sein.77 Allerdings ist auch nach dieser Ansicht nicht jede Form der Suizidverhinderung gerechtfertigt. Die ärztliche Behandlung gegen den Willen des freiverantwortlich handelnden Suizidenten soll etwa dann nicht nach § 34 StGB gerechtfertigt sein, wenn die medizinischen Maßnahmen zu gravierenden Substanzverletzungen oder Funktionsverlusten führen.78 Die Anwendung des § 34 StGB auf die Suizidverhinderung ist insofern problematisch, als dass in Selbstmordfällen die widerstreitenden Interessen, nämlich das Leben einerseits und die körperliche Unversehrtheit, die Fortbewegungsfreiheit oder die Freiheit der Willensentschließung andererseits, solche des Suizidenten sind. Geht es nämlich um die Abwägung von Rechtsgütern, die demselben Träger zustehen, ist nach verbreiteter Ansicht nicht der rechtfertigende Notstand nach § 34 StGB, sondern der Rechtfertigungsgrund der mutmaßlichen Einwilligung anzuwenden, sofern nicht der Wille des Rechtsgutsträgers ausnahmsweise unbeachtlich ist.79 Dies ist im Hinblick auf medizinische Maßnahmen deshalb sachgerecht, weil ansonsten der Wille des Patienten unterlaufen werden könnte.80 Deshalb ist auch der vital indizierte Heileingriff gegen den Willen des Patienten nicht durch § 34 StGB gerechtfertigt.81 Die Anwendung des § 34 StGB auf die Verhinderung eines freiverantwortlichen Suizids beinhaltet somit eine Abweichung von den allgemeinen, im Arzthaftungsrecht geltenden Regeln. Diese Abweichung vermag nicht zu überzeugen, weil – wie bereits an früherer Stelle erläutert wurde – die Unterscheidung von Normalpatienten und Suizidpatienten in Grenzfällen kaum durchführbar ist.82 Bottke begründet die Anwendung des § 34 StGB weiter damit, dass die Allgemeinheit das Bedürfnis habe, „zugunsten eines umfassenden Lebensschutzes der suggestiblen Kraft suizidaler Geschehnisse entgegentreten und als Hilfsgemeinschaft agieren zu dürfen.“83 „Die Allgemeinheit [habe], repräsentiert durch den Rettungswilligen, ein ureigenes, legitimes (Art. 1 I 2 GG) Interesse daran […], in lebensbedrohenden Lagen, die ‚Werthereffekte’ auslösen können, ihre Wertschätzung des Rechtsguts ‚Lebens’ (Art. 2 II 1 GG) als vitaler Basis der Men76 77
78 79 80 81 82 83
Soergel/Spickhoff, § 823 Rn. 117; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 75 II. 2. c); Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 260 f. Arzt, in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, Strafrecht BT, § 3 Rn. 47; Bottke, Suizid, S. 127; Roxin, Strafrecht AT 1, § 16 Rn. 102 a. E.; Schönke/Schröder/Eser, § 240 Rn. 32; a. A. Günzel, Selbsttötung, S. 126 ff. Bottke, Suizid, S. 157. SK-StGB/Günter, § 34 Rn. 60 f.; Staudinger/Hager, § 823 Rn. I 115; Müller-Dietz, JuS 1989, 280, 281; Knauf, Einwilligung, S. 89. Vgl. Staudinger/Hager, § 823 Rn. I 115 m. w. N. Krey/Heinrich, Strafrecht BT 1, Rn. 211. Siehe auch oben F. II. 3. b). Siehe oben unter B. II. 4. b) aa). Bottke, Suizid, S. 164.
II. Anspruch aus unberechtigter Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß § 678 BGB
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schenwürde (Art. 1 I 1 GG) durch angemessene Hilfe auszudrücken.“84 Zutreffend an diesen Ausführungen ist lediglich, dass in der Tat ein gesellschaftliches Interesse an der Suizidprophylaxe besteht. Dieses kann aber die Rechtfertigung der Suizidverhinderung gemäß § 34 StGB nicht begründen.85 Es liegt nämlich ebenfalls im gesellschaftlichen Interesse, sonstigen gesundheitsgefährdenden oder sozialschädlichen Verhaltensweisen entgegenzuwirken. Mit Bottkes Argumentation könnte daher die Nötigung zum Unterlassen jedes sozialschädlichen, aber erlaubten Verhaltens, wie etwa Alkoholkonsum, Rauchen oder die Ausübung von Risikosportarten, gerechtfertigt werden.86 Dies ist aber anerkanntermaßen nicht der Fall, obgleich auch hinsichtlich des Alkoholgenusses, des Rauchens und der Ausübung von Risikosportarten Nachahmungseffekte zu befürchten sind. Dasselbe gilt für „unvernünftige“ Therapieverweigerungen. Religiös motivierte Therapieverweigerungen etwa können andere Mitglieder der Gemeinschaft in ihrem Glauben bestärken und zu weiteren Behandlungsverweigerungen führen. Auch in Fällen religiös motivierter Ablehnung vital indizierter Behandlungen kann ein gesellschaftliches Interesse beobachtet werden, dass die Heilbehandlung vorgenommen wird. Dennoch wird die vital indizierte Behandlung gegen den Willen des Patienten nach zutreffender herrschender Meinung nicht als gerechtfertigt angesehen.87 Damit ist festzuhalten, dass die Verhinderung eines freiverantwortlichen Suizids nicht nach § 34 StGB gerechtfertigt ist. Dies ist im Ergebnis auch akzeptabel. Da nach der vorzugswürdigen Einwilligungslösung zur Bestimmung der Freiverantwortlichkeit auf die Einwilligungsfähigkeit des Suizidenten sowie auf die Ernstlichkeit des Suizidentschlusses abzustellen ist88 und damit ein freiverantwortlicher Suizidentschluss nur unter den strengen Voraussetzungen angenommen wird, bei deren Vorliegen auch ein Normalpatient eine Behandlung wirksam ablehnen kann, bedarf es der Anwendung des § 34 StGB nicht. Aufgrund der hier vertretenen Ansicht zur Bestimmung der Freiverantwortlichkeit ist nämlich lediglich die Verhinderung solcher Suizide nicht gerechtfertigt, die durch einen zweifelsfrei Entscheidungsfähigen vorgenommen werden. Diejenigen, die die Exkulpationslösung vertreten und eine Pflicht zur Suizidverhinderung nur dann bejahen, wenn die Voraussetzungen der §§ 19, 20, 35 StGB, 3 JGG vorliegen, sind angesichts der Hilfsbedürftigkeit der meisten Suizidenten freilich gezwungen, mittels § 34 StGB wenigstens ein Verhinderungsrecht zu konstruieren.
84 85 86 87 88
Bottke, Suizid, S. 90 (Hervorhebung im Original). Die Auffassung Bottkes ablehnend auch Günzel, Selbsttötung, S. 126 ff.; Kühl, Strafrecht AT, § 8 Rn. 161; Jakobs, ZStW 95 (1983), 669 ff. Jakobs, ZStW 95 (1983), 669, 671. Siehe hierzu oben F. II. 3. b). Siehe hierzu bereits oben B. II. 4. a) aa).
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G. Die Rettung des Suizidenten
4. Übernahmeverschulden a) Verschuldensform und Gegenstand des Verschuldens Nach dem Wortlaut des § 678 BGB setzt der Schadensersatzanspruch des Geschäftsherrn voraus, dass der Geschäftsführer den entgegenstehenden Willen des Geschäftsherrn hätte kennen müssen. Wie sich aus der Legaldefinition des § 122 Abs. 2 BGB ergibt, ist also erforderlich, dass der Geschäftsführer den entgegenstehenden Willen infolge von Fahrlässigkeit nicht kannte. Das Gesetz erwähnt zwar in § 678 BGB das vorsätzliche Zuwiderhandeln nicht ausdrücklich, die positive Kenntnis des entgegenstehenden Geschäftsherrenwillens genügt aber erst recht.89 Auch im Rahmen des § 678 BGB gilt grundsätzlich die Haftungsmilderung des § 680 BGB90, so dass der Retter, der die dringende Gefahr für das Leben des Suizidenten abwenden will, nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit haftet. Da der Wille des Suizidenten einer Rettung dann nicht entgegensteht, wenn es sich um einen nicht freiverantwortlichen Suizidversuch handelt, kommt der Anspruch nach § 678 BGB nur in Betracht, wenn der Geschäftsführer weiß oder grob fahrlässig nicht weiß, dass ein freiverantwortlicher Suizidversuch vorliegt. Angesichts der überwiegenden Zahl nicht freiverantwortlicher Suizidversuche, wird der Retter regelmäßig keine positive Kenntnis des entgegenstehenden Geschäftsherrenwillens haben. Auch kann dem Geschäftsführer regelmäßig keine grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden, wenn er annimmt, dass es sich um einen nicht freiverantwortlichen Suizidentschluss handelt.91 Fraglich ist, ob die Haftungsmilderung des § 680 BGB auch dann gilt, wenn ein Arzt den Suizid verhindert. Nach zutreffender herrschender Meinung ist die Anwendung des § 680 BGB auf professionelle Nothelfer abzulehnen, da für den professionellen Nothelfer ein Notfall der Normalfall ist.92 Für diese Ansicht spricht auch, dass der professionelle Nothelfer die für seine berufliche Tätigkeit übliche Vergütung und nicht lediglich Ersatz seiner Aufwendungen nach § 683 BGB erhält.93 Für das Arzthaftungsrecht weist Spickhoff zu Recht darauf hin, dass die Anwendung der Vorschrift nur hinsichtlich des eigentlichen Notarztes oder in der klinischen Notaufnahme abgelehnt werden sollte, da für andere Ärzte Notfälle auch Ausnahmesituationen sind.94 Wendet man § 680 BGB auf den Notarzt nicht 89
90 91 92
93 94
Mot. II, S. 858 = Mugdan, Materialien II, S. 479; Staudinger/Bergmann, § 678 Rn. 13; MünchKommBGB/Seiler, § 678 Rn. 6; Schwarz/Wandt, Gesetzliche Schuldverhältnisse, § 5 Rn. 77. BGHZ 43, 188, 193; Palandt/Sprau, § 680 Rn. 1; Schwarz/Wandt, Gesetzliche Schuldverhältnisse, § 5 Rn. 77. Vgl. auch Zimmermann, FamRZ 1979, 103, 108. Staudinger/Bergmann, § 680 Rn. 15; Soergel/Spickhoff, § 823 Anh. I Rn. 50; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 110 f.; Luig, in: Gitter/Huhn/Lammel u. a., Vertragsschuldverhältnisse, S. 223, 227; Wollschläger, Geschäftsführung ohne Auftrag, S. 283 f. A. A. Gehrlein, in: Bamberger/Roth, § 680 Rn. 2; MünchKommBGB/Seiler, § 680 Rn. 6, der aber strengere Sorgfaltsanforderungen an den professionellen Nothelfer stellt. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 100; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 110 f. Soergel/Spickhoff, § 823 Anh. I Rn. 50; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 100.
II. Anspruch aus unberechtigter Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß § 678 BGB
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an, haftet dieser also auch für einfache Fahrlässigkeit. Im Hinblick auf die Erkenntnisse der Suizidforschung wird man aber regelmäßig dem Retter auch nicht den Vorwurf leicht fahrlässigen Handelns machen können, wenn er vom Vorliegen eines nicht freiverantwortlichen Suizidversuchs ausgeht, zumal die rasche Beurteilung des Suizidwillens nicht zu den besonderen Kompetenzen eines Notarztes gehört und daher die Sorgfaltsanforderungen auch nicht allzu streng bemessen werden können. Festzuhalten bleibt, dass ein Übernahmeverschulden in aller Regel zu verneinen ist, wenn der Retter die Freiverantwortlichkeit des Suizidentschlusses nicht erkennt. Anderes kann nur gelten, wenn der Retter den Suizidenten kannte und konkrete Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass es sich um einen freiverantwortlichen Suizidentschluss handelt. b) Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens Zu prüfen bleibt, ob der Retter, der ausnahmsweise von der Freiverantwortlichkeit des Suizidentschlusses wusste oder von ihr fahrlässig bzw. grob fahrlässig nicht wusste, wegen Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens entschuldigt ist. Der Entschuldigungsgrund der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens setzt grundsätzlich eine subjektiv-typisierte Unzumutbarkeit voraus, d. h. die handelnde Person ist grundsätzlich nur dann entschuldigt, wenn innerhalb des Verkehrskreises in einer solchen Situation normgemäßes Verhalten unzumutbar erscheint.95 Ob das Nichteingreifen bei einem freiverantwortlichen Suizid in dem Verkehrskreis des Retters als unzumutbar bewertet wird, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. So erscheint es durchaus zumutbar, nach dem Suizidversuch eines schwerstkranken Patienten, dem nur noch einige qualvolle Tage bevorstehen, untätig zu bleiben. Demgegenüber kommt eine Entschuldigung wegen Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens in Fällen in Betracht, in denen zwar ein Abwägungssuizid vorliegt, aus Sicht des Verkehrskreises des Retters der Suizidentschluss aber gänzlich unbegründet erscheint. In Einzelfällen kann also der Retter eines freiverantwortlich handelnden Suizidenten wegen Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens entschuldigt sein. 5. Anspruchsumfang Sofern der Lebensmüde wegen der Verhinderung seines Suizids gegen den Retter ausnahmsweise einen Schadensersatzanspruch dem Grunde nach hat, muss der Umfang dieses Anspruchs bestimmt werden.
95
Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 441. Siehe bereits E. I. 1. a) ee) (2) und F. II. 4. d).
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a) Ersatz des materiellen Schadens Fraglich ist, ob die Kosten, die dem Sterbewilligen infolge des Eingreifens des Retters entstanden sind, einen ersatzfähigen Schaden darstellen. Da ohne das Eingreifen des Retters der Anspruchsinhaber tot wäre, ist – wie im Rahmen der Prüfung der Ansprüche des Wachkomapatienten bereits ausgeführt wurde – mit der Differenzhypothese mangels Vergleichsgrundlage kein materieller Schaden zu ermitteln.96 Die dem Sterbewilligen entstandenen Kosten einschließlich der Lebenshaltungskosten können aber – ebenso wie die Lebenshaltungskosten von Sterbenden, tödlich Kranken und Wachkomapatienten – einen normativen Schaden darstellen.97 Dieser Schaden ist auch ersatzfähig. Da das Recht, lebenserhaltende Maßnahmen abzulehnen, unabhängig von den Gründen für die Behandlungsablehnung besteht98, kann die Ersatzfähigkeit des Schadens insbesondere nicht mit der Begründung verneint werden, der finanzielle Aufwand sei vom Schutzzweck des Selbstbestimmungsrechts nicht umfasst. b) Ersatz des immateriellen Schadens Der Anspruch aus unberechtigter Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß § 678 BGB kann auch die Gewährung eines Schmerzensgeldes gemäß § 253 Abs. 2 BGB umfassen.99 Ein Schmerzensgeldanspruch gemäß §§ 678, 253 Abs. 2 BGB setzt voraus, dass eines der in § 253 Abs. 2 BGB genannten Rechtsgüter oder Rechte verletzt wurde. In den Fällen, in denen ein Anspruch wegen der Verhinderung des Suizids dem Grunde nach besteht, kann in der Verhinderung des Suizids in der Regel eine Körper- oder Gesundheitsverletzung gesehen werden. Wie bereits dargelegt wurde, kann das Fortschreiten der Erkrankung, die der schwer kranke Sterbewillige infolge der Suizidverhinderung weiterhin erdulden muss, einen zurechenbaren Körper- oder Gesundheitsverletzungserfolg darstellen.100 Eine Körperverletzung kann freilich auch darin liegen, dass der Arzt den Suizidenten durch eine Injektion oder durch eine Operation rettet. Eine Freiheitsverletzung kommt in Betracht, wenn der Retter den Suizidenten zur Verhinderung der Selbsttötung einsperrt oder fesselt. Gemäß § 253 Abs. 2 BGB kann der Verletzte wegen des immateriellen Schadens eine billige Entschädigung in Geld fordern. Dass der Sterbewillige durch die Verhinderung des Suizids am Leben erhalten wurde, ist kein im Rahmen der Schadensermittlung berücksichtigungsfähiger Vorteil und steht der Annahme eines immateriellen Schadens nicht entgegen.101 Allerdings erscheint eine Geldentschädigung wegen der Verhinderung eines Suizids in aller 96 97 98 99 100 101
Siehe E. I. 1. a) ff) (1) (a). Zum normativen Schaden siehe E. I. 1. a) ff) (1) (a) und E. I. 2. d) aa). Taupitz, Gutachten 63. DJT, A 12. Siehe auch D. I. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 101; Soergel/Spickhoff, § 823 Anh. I Rn. 7; Staudinger/Schiemann, § 253 Rn. 20. Siehe hierzu die Ausführungen oben E. III. 2. a) dd) (2). Siehe hierzu E. III. 2. a) dd) (2). Zum Vorliegen eines immateriellen Schadens bei eigenmächtigen lebenserhaltenden Verhaltensweisen siehe auch die Ausführungen oben unter E. I. 1. a) ff) (2) (a).
III. Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB
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Regel nicht billig. Obgleich die Allgemeinheit den Suizid nicht mehr pauschal als sittenwidrig einstuft, wird eine Geldentschädigung des Geretteten zumeist nicht als angemessen empfunden. Ein Schmerzensgeldanspruch des Geretteten erscheint nur in krassen Ausnahmefällen vorstellbar, etwa wenn der Handelnde einen Schwerstkranken mit drastischen Mitteln am Leben erhält, um eigene Versorgungsansprüche zu sichern. 6. Ergebnis Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass ein Suizident wegen seiner Rettung nur in den seltensten Fällen einen Anspruch gemäß § 678 BGB haben wird. Zumeist scheidet ein Anspruch wegen der fehlenden Freiverantwortlichkeit des Suizidentschlusses aus. In den verbleibenden Fällen ist in aller Regel ein Übernahmeverschulden des Retters zu verneinen. Ein Anspruch des Suizidenten gegen seinen Retter kommt nur dann in Betracht, wenn es sich um einen zweifelsohne freiverantwortlichen Suizidentschluss handelt, der Retter die Freiverantwortlichkeit kennt oder fahrlässig bzw. grob fahrlässig verkennt und das Sterbenlassen auch nicht unzumutbar erscheint. Praktisch sind das vor allem Fälle, in denen schwerstkranke Menschen nach einem begangenen Suizidversuch gerettet werden. Besteht ein Schadensersatzanspruch des Geretteten, sind die Lebenshaltungskosten des Sterbewilligen von dem Anspruch umfasst. Ein Ersatz des immateriellen Schadens kommt nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen in Betracht.
III. Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB In Betracht kommt auch ein Anspruch des Suizidenten gegen den Retter aus § 823 Abs. 1 BGB. 1. Die verletzten Rechtsgüter Durch die Suizidverhinderung können verschiedene Rechtsgüter des Suizidenten verletzt werden. Wie bereits dargelegt wurde, kann die Rettung eines Suizidenten mit einer Körper- oder Freiheitsverletzung verbunden sein. Ferner können mit der Suizidverhinderung auch Eigentumsverletzungen einhergehen. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Retter dem Lebensmüden das Hemd aufreißt, um mit der Herzdruckmassage rasch beginnen zu können. Die Verhinderung des Suizids muss aber nicht stets eine Verletzung eines der in § 823 Abs. 1 BGB ausdrücklich genannten Rechte oder Rechtsgüter beinhalten. Trägt beispielsweise der Retter den Suizidenten, der sich in der Garage mittels Autoabgasen zu töten versucht, noch rechtzeitig an die frische Luft und verhindert allein dadurch den Tod, begeht er keine Körper- oder Gesundheitsverletzung. Das gleiche gilt, wenn der Retter den Lebensmüden vor dem Ertrinken aus dem Was-
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G. Die Rettung des Suizidenten
ser zieht. In diesen Fällen verletzt der Retter auch nicht die Freiheit des Suizidenten. Der Begriff der Freiheit bezieht sich nämlich nicht auf die Freiheit der Willensentschließung, sondern nur auf die körperliche Bewegungsfreiheit.102 Eine Freiheitsverletzung ist nur gegeben, wenn jemand gehindert wird, seinen aktuellen Standort zu verlassen, nicht aber, wenn jemand gehindert wird, an einen bestimmten Ort zu gelangen.103 Die Verhinderung des Suizids verletzt auch nicht das Rechtsgut Leben. Dieses umfasst nämlich nicht das Recht auf Beendigung des Lebens, vielmehr liegt eine Verletzung des Lebens nur bei einer Tötung vor.104 Die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG, die nach Ansicht mancher Autoren ein Recht auf Selbsttötung umfasst105, ist kein sonstiges Recht im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB.106 In diesen Fällen wird die Frage relevant, ob die Entschließung zur Selbsttötung in den Schutzbereich des durch § 823 Abs. 1 BGB geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts fällt.107 Diese Frage wird selten erörtert. Baston-Vogt allerdings bejaht dies, sofern der Selbsttötungswille Ausdruck einer freiverantwortlichen Entscheidung ist.108 Auch im verfassungsrechtlichen Schrifttum wird zum Teil vertreten, dass das verfassungsrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht gemäß Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, das zwar mit dem zivilrechtlichen nicht identisch ist109, ihm aber in weiten Teilen entspricht, ein Recht auf Selbsttötung gewährt.110
102 103 104
105
106 107
108 109 110
Staudinger/Schiemann, § 253 Rn. 21; Palandt/Sprau, § 823 Rn. 6. MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 100. Palandt/Sprau, § 823 Rn. 3; Soergel/Spickhoff, § 823 Rn. 30. Auch im Verfassungsrecht umfasst nach herrschender Meinung das Grundrecht auf Leben nicht das Recht zum Suizid (vgl. Kunig, in: v. Münch/Kunig, Art. 2 Rn. 50 m. w. N.); anders Fink, Selbstbestimmung und Selbsttötung, passim sowie Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 419 und Kämpfer, Selbstbestimmung, S. 224, 231, die dem Recht auf Leben nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 GG auch eine negative Komponente beimessen. Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 2 II Rn. 32; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 2 Rn. 8; Murswiek, in: Sachs, Art. 2 Rn. 211; J. Wagner, Selbstmord, S. 93. Gegen ein Recht auf Selbsttötung aber Otto, Gutachten 56. DJT, D 18. Palandt/Sprau, § 823 Rn. 19. Im Ergebnis kommt dieser Frage insbesondere im Hinblick auf den Ersatz des immateriellen Schadens Bedeutung zu. Auch wenn ein Anspruch aus § 678 BGB gegeben ist, der nach Einfügung des § 253 Abs. 2 BGB einen Schmerzensgeldanspruch begründen kann, setzt dieser eine Verletzung der in § 253 Abs. 2 BGB genannten Rechte oder Rechtsgüter voraus. Ist eine solche Verletzung nicht gegeben, kommt als Ersatz des immateriellen Schadens nur ein Anspruch auf Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Betracht. Zur deliktsrechtlichen Natur des Geldentschädigungsanspruchs siehe C. II. 3. e) aa). Baston-Vogt, Schutzbereich, S. 256 ff. BVerfG NJW 2001, 594; Erman/Ehmann, Anh. § 12 Rn. 9; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 2 Rn. 38. Brändel, ZRP 1985, 85, 89 ff.; Günzel, Selbsttötung, S. 95 ff.; Wassermann, DRiZ 1986, 291, 293 ff. (jeweils im Hinblick auf einen freiverantwortlichen Suizid); Möller, KritV 2005, 230, 232 ff. hält den Selbsttötungsentschluss unabhängig von dessen Frei-
III. Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB
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Da das Selbstbestimmungsrecht Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist111, erscheint es in der Tat zutreffend, auch die selbstbestimmte Festlegung des eigenen Todeszeitpunktes als vom Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts umfasst anzusehen. Hiergegen kann nicht eingewendet werden, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Achtung und Entfaltung der Persönlichkeit diene, der Suizidentschluss aber gerade auf das Gegenteil, d. h. auf die Vernichtung der Persönlichkeit ziele.112 Auch die Ablehnung lebenserhaltender Maßnahmen durch den Normalpatienten hat den Tod und damit die Vernichtung der Persönlichkeit zur Folge. Gleichwohl wird bei einer Missachtung der Patientenentscheidung die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nur insofern angezweifelt, als die Vertreter der Körperverletzungsdoktrin in der lebenserhaltenden Maßnahme bereits eine Körperverletzung sehen, so dass auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht zurückgegriffen werden muss. Das Sterben ist Teil menschlichen Lebens, so dass es wenig überzeugend ist, die Selbstbestimmung bezüglich des eigenen Todes aus dem Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auszuklammern. Dementsprechend hat von Savigny die Anerkennung eines Persönlichkeitsrechts unter anderem mit der Begründung abgelehnt, ein solches Recht liefe auf ein Recht zum Selbstmord hinaus.113 Festzuhalten bleibt, dass die selbstbestimmte Festlegung des eigenen Todeszeitpunktes in Form eines freiverantwortlichen Suizidentschlusses vom Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts umfasst ist.114 Somit beeinträchtigt die Rettung gegen den Willen des freiverantwortlich handelnden Suizidenten dessen allgemeines Persönlichkeitsrecht. Ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht liegt aber nicht vor, wenn ein Suizid durch bloße Überredung oder durch das Aufzeigen von Handlungsalternativen verhindert wird, denn das Recht auf Selbstbestimmung schützt nicht vor jeglicher Willensbeeinflussung.115
111 112
113 114
115
verantwortlichkeit vom Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts umfasst und berücksichtigt das Fehlen der Freiverantwortlichkeit erst auf Rechtfertigungsebene. Katzenmeier, Arzthaftung, S. 119. So VG Karlsruhe JZ 1988, 208, 209 und Lorenz, in: Isensee/Kirchhof, HStR VI, § 128 Rn. 62 (jeweils für das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG). v. Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Erster Band, S. 335 f. Aus verfassungsrechtlicher Sicht wird gegen ein in Art. 2 Abs. 1 GG verankertes Selbsttötungsrecht unter anderem eingewandt, dass das Leben „die vitale Basis der Menschenwürde und die Voraussetzung aller anderen Grundrechte“ sei und der Einzelne über die Grundrechte nicht nach seinem Belieben verfügen könne (VG Karlsruhe JZ 1988, 208, 209). Diese Argumentation überzeugt nicht. Dabei kann dahinstehen, inwieweit eine Verfügung über die Grundrechte, d. h. ein Grundrechtsverzicht, zulässig ist (zum Grundrechtsverzicht siehe Seifert, Jura 2007, 99 ff. m w. N.). Der Suizid bedeutet nämlich keinen Grundrechtsverzicht. Ein Rechtsverzicht setzt voraus, dass der verzichtenden Person das Recht zusteht. Wenn der Träger eines bestimmten Rechts die Voraussetzungen, die für dieses Recht bestehen, durch sein eigenes Verhalten nicht mehr erfüllt, liegt darin kein Rechtsverzicht. In dem Moment, in dem aufgrund des Todes die Grundrechtswahrnehmung unmöglich wird, existiert kein Grundrechtsträger mehr, der verzichten könnte (vgl. Günzel, Selbsttötung, S. 97 f.). Vgl. Baston-Vogt, Schutzbereich, S. 262.
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2. Rechtswidrigkeit a) Rechtswidrigkeit des Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht Da das allgemeine Persönlichkeitsrecht ein so genannter offener Tatbestand ist, indiziert ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht die Rechtswidrigkeit. Vielmehr ist die Rechtswidrigkeit im Wege einer einzelfallbezogenen Interessen- und Güterabwägung positiv festzustellen.116 Im Rahmen der Abwägung sind unter anderem die Schwere des Eingriffs und seine Folgen für den Verletzten von Bedeutung. Auf Seiten des Eingreifenden ist insbesondere zu berücksichtigen, inwieweit das Verhalten des Eingreifenden grundrechtlich geschützt ist.117 Derjenige, der den Suizid eines anderen verhindert, könnte geltend machen, dass sein Gewissen ihm die Rettung geboten hat.118 Wie aber im Zusammenhang mit der Frage der Rechtmäßigkeit einer eigenmächtigen Bluttransfusion bereits erläutert wurde, kann der grundrechtlich geschützten Gewissensfreiheit gegenüber dem Selbstbestimmungsrecht nicht generell der Vorrang eingeräumt werden.119 Allerdings unterscheidet sich die Verhinderung eines Suizids gegen den Willen des Lebensmüden von einer eigenmächtig vorgenommenen Bluttransfusion insofern, als dass die Folgen des Eingriffs in das Selbstbestimmungsrecht für den geretteten Suizidenten häufig weniger schwerwiegend als für den Zeugen Jehovas sind. Während nämlich durch die Transfusion der Verstoß gegen das religiöse Blutverbot der Zeugen Jehovas unumkehrbar eintritt, ist der Lebensmüde grundsätzlich nicht gehindert, seinen Todeswunsch mittels eines weiteren Suizidversuchs zu verwirklichen. Wenngleich nicht übersehen werden sollte, dass ein weiterer Suizidversuch für den Lebensmüden Belastungen mit sich bringt, sind die Folgen der Suizidverhinderung nicht besonders schwerwiegend, sofern dem Lebensmüden die Möglichkeit eines selbstbestimmten Sterbens bleibt. Unter Berücksichtigung der grundrechtlich geschützten Gewissensfreiheit des Retters erscheint deshalb in Fällen, in denen die Verhinderung des Suizids keine anderen Folgen als das Fehlschlagen des Suizidversuchs für den Geretteten hat, der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht rechtswidrig. Anders ist aber zu entscheiden, wenn der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht schwerwiegende Folgen für den Verletzten hat. In diesen Fällen ergibt die Abwägung, dass die Verhinderung eines freiverantwortlichen Suizids eine rechtswidrige Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist. Schwerwiegend sind die Folgen der Suizidverhinderung beispielsweise dann, wenn ein Schwerstkranker durch die Verhinderung des Suizids weiterhin große Schmerzen erdulden muss oder aufgrund seiner schlechten körperlichen Verfassung zu einem
116 117 118 119
BGHZ 24, 72, 80; BGHZ 36, 77, 80 ff.; BGH NJW 2004, 762, 763 f.; Baston-Vogt, Schutzbereich, S. 152; Palandt/Sprau, § 823 Rn. 95. Palandt/Sprau, § 823 Rn. 95 ff. Siehe auch Baston-Vogt, Schutzbereich, S. 264. BGHZ 163, 195, 200; Hufen, ZRP 2003, 248, 252; v. Burski, Zeugen Jehovas, S. 157; Dirksen, GesR 2004, 124, 128. Siehe auch F. II. 3. a).
III. Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB
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erneuten Suizidversuch nicht mehr fähig ist. Dasselbe gilt, wenn der Lebensmüde infolge des Suizidversuchs körperlich schwer geschädigt ist. b) Rechtfertigungsgründe Die Verletzung eines der in § 823 Abs. 1 BGB ausdrücklich genannten Rechtsgüter oder Rechte ist in Fällen nicht freiverantwortlicher Suizide gerechtfertigt, weil grundsätzlich eine strafrechtliche Hilfeleistungspflicht besteht.120 Außerdem kommt je nach den Umständen des Einzelfalls eine Rechtfertigung aufgrund einer mutmaßlichen Einwilligung oder – im Fall eines nicht ernsthaften Suizidversuchs eines Einwilligungsfähigen – aufgrund einer Einwilligung des Suizidenten in Betracht. Lebenserhaltende Maßnahmen sind bei einem nicht freiverantwortlich handelnden Suizidenten nur dann nicht gerechtfertigt, wenn sich der Suizident zum Zeitpunkt der Maßnahmen bereits in einem Zustand befindet, in dem die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen behandlungsfehlerhaft ist.121 Wurde durch die Verhinderung des Suizids keines der in § 823 Abs. 1 BGB ausdrücklich genannten Rechtsgüter oder Rechte verletzt, stellt sich im Fall eines nicht freiverantwortlichen Suizids die Frage der Rechtfertigung nicht. Die Rettung eines nicht freiverantwortlich handelnden Suizidenten stellt bereits keinen Eingriff in dessen allgemeines Persönlichkeitsrecht dar, weil nur der freiverantwortliche Suizidentschluss vom Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts umfasst ist.122 Die Verhinderung eines ohne Zweifel freiverantwortlichen Suizids ist nicht gerechtfertigt. Wie bereits dargelegt wurde, besteht nämlich in diesem Fall weder eine strafrechtliche Hilfeleistungspflicht123 noch erfolgt eine Rechtfertigung gemäß § 34 StGB124 oder aufgrund von Gewohnheitsrecht125. 3. Verschulden a) Vorsatz oder Fahrlässigkeit bzw. grobe Fahrlässigkeit Verhindert der Retter den Suizid mittels einer Körper-, Freiheits- oder Eigentumsverletzung, handelt der Retter im Hinblick auf die tatbestandliche Verletzung regelmäßig vorsätzlich. Geht der Retter davon aus, dass ein nicht freiverantwortlicher Suizidentschluss vorliegt, handelt er hinsichtlich einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht vorsätzlich. Nimmt der Retter fälschlicherweise an, dass der Suizident möglicherweise nicht freiverantwortlich handelt, befindet sich der Retter im Hinblick auf eine Verletzung der in § 823 Abs. 1 BGB ausdrücklich genannten Rechte oder Rechtsgüter 120 121 122 123 124 125
Vgl. Bottke, Suizid, S. 81; J. Wagner, Selbstmord, S. 57. Siehe auch G. II. 3. b). Vgl. hierzu E. I. 2. a). Siehe G. III. 1. Zur strafrechtlichen Hilfeleistungspflicht in Suizidfällen siehe B. II. 4. b). Siehe G. II. 3. d). Siehe G. II. 3. c).
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G. Die Rettung des Suizidenten
in einem Erlaubnistatbestandsirrtum. Hätte nämlich der Retter mit seiner Annahme Recht, wäre die mit der Rettung des Suizidenten notwendig verbundene Körper-, Freiheits- oder Eigentumsverletzung aufgrund der strafrechtlichen Hilfeleistungspflicht gerechtfertigt.126 Da nach der im Zivilrecht herrschenden Vorsatztheorie vorsätzliches Handeln das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit erfordert127 und auch die Fahrlässigkeit sich auf Tatbestand und Rechtswidrigkeit bezieht128, ist ein Erlaubnistatbestandsirrtum, d. h. ein Irrtum über rechtfertigende Umstände, im Rahmen des Verschuldens zu berücksichtigen.129 Der Schädiger handelt also nicht vorsätzlich, wenn er irrtümlich das Vorliegen rechtfertigender Umstände annimmt. Da die Vorschrift des § 680 BGB auch für konkurrierende deliktische Ansprüche gilt130, ist im Anwendungsbereich des § 680 BGB die Haftung wegen Fahrlässigkeit nicht nur dann ausgeschlossen, wenn der Irrtum für den Schädiger unvermeidbar war, sondern auch, wenn er nicht auf grober Fahrlässigkeit beruht.131 Lediglich der professionelle Nothelfer, der sich nicht auf die Vorschrift des § 680 BGB berufen kann132, haftet auch für die leicht fahrlässige Unkenntnis. Da nach den Erkenntnissen der modernen Suizidforschung in den wenigsten Fällen ein freiverantwortlicher Abwägungssuizid vorliegt, ist die Annahme, es handele sich um einen nicht freiverantwortlichen Suizid, in aller Regel unvermeidbar, sofern keine konkreten Anhaltspunkte für die Freiverantwortlichkeit des Suizidentschlusses bestanden. b) Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens Befindet sich der Retter nicht in einem Erlaubnistatbestandsirrtum, kommt eine Entschuldigung wegen Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens in Betracht. Wie bereits dargelegt wurde, hängt die Frage, ob der Retter wegen Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens entschuldigt ist, vom konkreten Fall ab.133 Eine Entschuldigung wegen Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens scheidet jedenfalls aus, wenn ein schwerstkranker Patient, der seinen nicht mehr behandelbaren Schmerzen ein Ende setzen will, nach einem Suizidversuch „gerettet“ wird.
126 127 128 129 130 131 132 133
Siehe G. III. 2. b). Siehe hierzu Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 336. Deutsch/Ahrens, Deliktsrecht, Rn. 148. Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, Rn. 643. Zum Erlaubnistatbestandsirrtum im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB siehe unten G. IV. 1. c) aa). Palandt/Sprau, § 680 Rn. 1; MünchKommBGB/Seiler, § 680 Rn. 7. Vgl. Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, Rn. 643. Soergel/Spickhoff, § 823 Anh. I Rn. 50. Siehe auch G. II. 4. a). Siehe G. II. 4. b).
IV. Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB
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4. Anspruchsumfang Im Hinblick auf den materiellen Schaden sowie hinsichtlich des Schmerzensgeldes wegen der Verletzung eines der in § 253 Abs. 2 BGB genannten Rechtsgüter gelten die im Rahmen des § 678 BGB gemachten Ausführungen.134 Anders als im Rahmen des § 678 BGB scheidet aber im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB eine Geldentschädigung wegen des immateriellen Schadens in den Fällen, in denen die Suizidverhinderung keine Körper-, Gesundheits- oder Freiheitsverletzung beinhaltet, nicht von vornherein aus. In Betracht kommt nämlich ein Geldentschädigungsanspruch wegen der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gemäß § 823 Abs. 1 BGB, Art. 1, 2 GG. Allerdings steht dem Geretteten nicht stets ein Anspruch auf Geldentschädigung wegen der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu. Abgesehen davon, dass die Verhinderung eines Suizids nur in Ausnahmefällen eine rechtswidrige Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstellt135, setzt ein Geldentschädigungsanspruch einen schwerwiegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht voraus. Ob im Einzelfall eine für einen Geldentschädigungsanspruch hinreichend schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliegt, hängt insbesondere von der Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, von Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie vom Grad seines Verschuldens ab.136 Hiernach erscheint eine Geldentschädigung jedenfalls angemessen, wenn der Beweggrund des vorsätzlich handelnden Retters zu missbilligen ist, weil er beispielsweise eigene finanzielle Interessen verfolgt. 5. Ergebnis Verletzt der Retter eines der in § 823 Abs. 1 BGB ausdrücklich genannten Rechtsgüter oder Rechte oder greift er rechtswidrig in das allgemeine Persönlichkeitsrecht ein, kann der Suizident in den seltenen Fällen, in denen ein sicher freiverantwortlicher Suizidversuch vorliegt, der Retter dies erkennt oder fahrlässig bzw. grob fahrlässig nicht erkennt und auch nicht wegen Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens entschuldigt ist, neben dem Anspruch aus § 678 BGB auch einen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB haben.
IV. Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB In Betracht kommt ferner ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. einem Schutzgesetz.
134 135 136
Siehe G. II. 5. a) und b). Siehe hierzu G. III. 2. a). BGH VersR 1988, 405; BGHZ 128, 1, 12; BGHZ 132, 13, 27.
248
G. Die Rettung des Suizidenten
1. Verstoß gegen ein Schutzgesetz a) Tatbestandliche Verletzung eines Schutzgesetzes Sofern der Retter bei der Verhinderung des Suizids in die körperliche Unversehrtheit des Lebensmüden eingreift, begeht er eine Körperverletzung im Sinne des § 223 Abs. 1 StGB bzw. § 229 StGB. Eine tatbestandliche Freiheitsberaubung gemäß § 239 StGB kann vorliegen, wenn der Lebensmüde zur Verhinderung des Suizids eingesperrt wird. Wird der – noch nicht bewusstlose – Suizident mit Gewalt an der Selbsttötung gehindert, kommt eine Nötigung gemäß § 240 StGB in Betracht.137 Sowohl die Vorschriften der § 223 StGB und § 229 StGB als auch die Vorschriften der § 239 StGB und § 240 StGB dienen dem Schutz des Individuums und sind daher Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB.138 b) Rechtswidrigkeit Sofern es sich bei dem Schutzgesetz um ein Erfolgsdelikt handelt, wird die Rechtswidrigkeit auch im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB durch den tatbestandlichen Erfolg indiziert.139 Nicht nur die Körperverletzung, sondern auch die Freiheitsberaubung sowie die Nötigung sind als Erfolgsdelikte ausgestaltet.140 In Bezug auf die Nötigung ist allerdings auch im Zivilrecht zu beachten, dass die Rechtswidrigkeit der Nötigung wegen der Weite des Tatbestands gemäß § 240 Abs. 2 StGB ausnahmsweise positiv festgestellt werden muss.141 Da eine gerechtfertigte Tat nicht verwerflich im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB sein kann, ist aber zunächst auf Rechtfertigungsgründe einzugehen.142 aa) Rechtfertigungsgründe Hinsichtlich der Rechtfertigungsgründe gilt im Wesentlichen nichts anderes als im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB. Eine durch die Suizidverhinderung bedingte Körperverletzung, Freiheitsberaubung oder Nötigung ist im Fall eines möglicherweise nicht freiverantwortlichen Suizidversuchs wegen der grundsätzlich bestehenden Hilfeleistungspflicht gerechtfertigt. Außerdem kommt je nach den Umständen des Einzelfalls eine Rechtfertigung aufgrund einer mutmaßlichen Einwilligung oder – im Fall eines nicht ernsthaften Suizidversuchs eines Einwilligungsfähigen – aufgrund einer Einwilligung des Suizidenten in Betracht. Eine Rechtfertigung scheidet im Fall eines nicht freiverantwortlich handelnden Suizidenten nur dann aus, 137 138 139 140 141
142
Zur Voraussetzung des Bewusstseins vgl. LK/Träger/Altvater, § 240 Rn. 5. Soergel/Spickhoff, § 823 Rn. 237 m. w. N. Spickhoff, Gesetzesverstoß, S. 205; Soergel/Spickhoff, § 823 Rn. 207. BGH NStZ 2004, 442, 443; BGH NStZ-RR 2006, 77 (jeweils zur Nötigung). BGH NJW 1962, 910. Zur systematischen Einordnung des Verwerflichkeitserfordernisses gemäß § 240 Abs. 2 StGB siehe BGHSt 2, 194, 195 f.; Fischer, § 240 Rn. 38 f. m. w. N.; LK/Träger/Altvater, § 240 Rn. 68. BGHSt 5, 247; BGHSt 39, 133, 136 f.; Fischer, § 240 Rn. 38 a m. w. N.; Lackner/Kühl, § 240 Rn. 17.
IV. Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB
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wenn sich der Suizident zum Zeitpunkt des Eingreifens des Retters bereits in einem Zustand befindet, in dem die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen behandlungsfehlerhaft ist. Die Verhinderung eines ohne Zweifel freiverantwortlichen Suizids ist nicht gerechtfertigt.143 bb) Verwerflichkeitsprüfung gemäß § 240 Abs. 2 StGB Gemäß § 240 Abs. 2 StGB ist die Nötigung rechtswidrig, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist. Vor allem im älteren Schrifttum wurde häufig die Ansicht vertreten, dass derjenige, der das Leben eines freiverantwortlich handelnden Suizidenten gegen dessen Willen unter Einsatz von Gewalt rettet, wegen Nötigung strafbar sei.144 Diese Auffassung vermag nicht zu überzeugen. Da der vom Täter verfolgte Zweck, die Erhaltung des Lebens, billigenswert ist, kann jedenfalls der Einsatz mäßiger Gewalt nicht als verwerflich angesehen werden145, ohne dass es dabei darauf ankommt, ob bei der Prüfung der Verwerflichkeit auf einen erhöhten Grad sittlicher Missbilligung146, auf die soziale Unerträglichkeit147 oder auf die Sozialwidrigkeit148 der Tat abgestellt wird. In Einzelfällen kann die Verhinderung eines Suizids mit Nötigungsmitteln allerdings verwerflich sein. So erscheint der Einsatz von Brachialgewalt, die zu erheblichen Verletzungen beim Suizidenten führt, zur Verhinderung eines freiverantwortlichen Suizids unverhältnismäßig.149 Festzuhalten bleibt, dass die gewaltsame Suizidverhinderung nur in Ausnahmefällen eine rechtswidrige Nötigung darstellt. In der Regel hat der Gerettete keinen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 240 StGB. c) Verschulden Sofern das Schutzgesetz Verschulden voraussetzt, ist nach allgemeiner Ansicht im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB die Verschuldensform des Schutzgesetzes maßgeblich. Erfordert das Schutzgesetz also Vorsatz, kommt eine deliktsrechtliche Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB daher nur bei einem vorsätzlichen Verhalten in
143 144
145 146 147 148 149
Siehe hierzu G. III. 2. b). v. Liszt/Schmidt, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, S. 527 Fn. 4 mit weiteren Hinweisen auf das ältere Schrifttum; Gallas, JZ 1960, 649, 655; Kaufmann, ZStW 73 (1961), 341, 368. Günzel, Selbsttötung, S. 136; LK/Träger/Altvater, § 240 Rn. 96; vgl. auch Schönke/Schröder/Eser, § 240 Rn. 32. So BGHSt 17, 328, 331 f.; BGHSt 19, 263, 268. So BayObLG NJW 1991, 521, 522; Wessels/Hettinger, Strafrecht BT 1, Rn. 426; Rengier, Strafrecht BT 2, § 23 Rn. 60. So Fischer, § 240 Rn. 41 m. w. N. LK/Träger/Altvater, § 240 Rn. 96.
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G. Die Rettung des Suizidenten
Betracht.150 Während die Freiheitsberaubung und die Nötigung nur vorsätzlich verwirklicht werden können, ist gemäß § 229 StGB auch die fahrlässige Körperverletzung verboten. Anders als die Verschuldensform ist der Verschuldensmaßstab nicht dem Schutzgesetz, sondern dem Zivilrecht zu entnehmen, so dass der im Zivilrecht herrschende objektiv typisierte Fahrlässigkeitsmaßstab auch im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. einem strafrechtlichen Schutzgesetz gilt.151 Unter den Voraussetzungen des § 680 BGB sind Ansprüche wegen leicht fahrlässiger Gesetzesverletzung ausgeschlossen.152 aa) Irrtum über rechtfertigende Umstände Wie bereits dargelegt wurde, befindet sich der Retter in einem Erlaubnistatbestandsirrtum, wenn er annimmt, dass ein nicht oder möglicherweise nicht freiverantwortlicher Suizid vorliegt.153 Fraglich ist, wie der Erlaubnistatbestandsirrtum im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB behandelt wird. Bei der rechtlichen Einordnung des Erlaubnistatbestandsirrtums geht es allerdings – anders als im Fall des Verbotsirrtums – weniger um die Frage, ob bei der Prüfung des Anspruchs aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. einem strafrechtlichen Schutzgesetz die im Zivilrecht grundsätzlich geltende Vorsatztheorie oder die Schuldtheorie heranzuziehen ist.154 Ob die Vorsatztheorie anwendbar ist oder nicht, wirkt sich nämlich bei einem Erlaubnistatbestandsirrtum im Ergebnis nicht aus, denn auch im Strafrecht gilt die Schuldtheorie im Sinne des § 17 StGB, nach der nur bei einem unvermeidbaren Irrtum der Vorsatz entfällt, nach herrschender Meinung bei einem Erlaubnistatbestandsirrtum nicht. Im Strafrecht wird überwiegend die eingeschränkte Schuldtheorie vertreten, sei es in ihrer reinen Form, wonach im Fall des Erlaubnistatbestandsirrtums das Unrecht der Vorsatztat entfällt155, oder sei es in ihrer rechtsfolgenverweisenden Variante, nach der die Vorsatzschuld entfällt156. Nach beiden Meinungsvarianten scheidet die Strafbarkeit wegen einer Vorsatztat im Fall eines vermeidbaren Erlaubnistatbestandsirrtums aus. In Betracht kommt lediglich eine Strafbarkeit des Täters wegen fahrlässiger Tatbestandsverwirklichung, sofern auch 150
151 152 153 154
155 156
BGH NJW 1962, 910, 911; BGHZ 46, 17, 21; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 357; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 77 IV. 2. a); Soergel/Spickhoff, § 823 Rn. 210. Deutsch/Ahrens, Deliktsrecht, Rn. 295; Spickhoff, Gesetzesverstoß, S. 215 ff.; Soergel/ Spickhoff, § 823 Rn. 211. MünchKommBGB/Seiler, § 680 Rn. 7 m. w. N. Siehe oben G. III. 3. a). Für die Anwendung der strafrechtlichen Schuldtheorie im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB zutreffend BGH NJW 1962, 910, 911; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 357; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 77 IV. 2. b); Spickhoff, Gesetzesverstoß, S. 208 f., jedenfalls im Hinblick auf solche Fälle, in denen Fahrlässigkeit als Schuldform nicht zur Verfügung steht; Soergel/Spickhoff, § 823 Rn. 207. Roxin, Strafrecht AT 1, § 14 Rn. 64 ff.; Schönke/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben, § 16 Rn. 18. OLG Hamm NJW 1987, 1034, 1035; Jeschek/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts AT, S. 464 f.; Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 478 f.
IV. Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB
251
die fahrlässige Begehung unter Strafe gestellt ist. Auch die Vorsatztheorie, nach der das Unrechtsbewusstsein zum Vorsatz gehört, lässt im Fall eines Erlaubnistatbestandsirrtums eine Haftung wegen Vorsatzes entfallen, ohne dass es auf die Unvermeidbarkeit des Irrtums ankommt. Problematisch ist vielmehr die Frage, auf welcher Ebene im Deliktsaufbau der Erlaubnistatbestandsirrtum den Anspruch scheitern lässt. Nach herkömmlicher Ansicht gehören Vorsatz und Fahrlässigkeit im Zivilrecht zum Verschulden. Hiernach müsste ein Erlaubnistatbestandsirrtum das Verschulden entfallen lassen. Im Schrifttum wird allerdings darauf hingewiesen, dass im zivilen Deliktsrecht die Rechtswidrigkeit subjektiv gefärbt sein kann, so dass die innere Seite des Verschuldens bereits Voraussetzung für das Rechtswidrigkeitsurteil ist.157 Dies sei insbesondere im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. einem strafrechtlichen Vorsatzdelikt der Fall, so dass der Vorsatz, den das strafrechtliche Vorsatzdelikt verlangt, im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB schon Gegenstand des Rechtswidrigkeitsurteils sei158 und der Erlaubnistatbestandsirrtum einen nach dem Schutzgesetz erforderlichen Vorsatz bereits auf der Rechtswidrigkeitsebene entfallen lasse.159 Ob der Irrtum über rechtfertigende Umstände im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. einem strafrechtlichen Schutzgesetz auf der Rechtswidrigkeits- oder auf der Verschuldensebene zu berücksichtigen ist, wirkt sich im Hinblick auf die hier interessierende Frage nach möglichen Schadensersatzansprüchen des geretteten Suizidenten im Ergebnis nicht aus. Im Fall eines Erlaubnistatbestandsirrtums ist ein Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 223 Abs. 1 StGB, § 239 StGB und § 240 StGB jedenfalls ausgeschlossen.160 Beruht der Irrtum auf Fahrlässigkeit bzw. – im Anwendungsbereich des § 680 BGB – auf grober Fahrlässigkeit, kann der Gerettete einen Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 229 StGB haben. Häufig wird der Irrtum aber unvermeidbar sein.161
157 158 159 160
161
Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 244 f.; Spickhoff, Gesetzesverstoß, S. 192 f. m. w. N. und S. 206; Soergel/Spickhoff, § 823 Rn. 207. Spickhoff, Gesetzesverstoß, S. 206; Soergel/Spickhoff, § 823 Rn. 207. Spickhoff, Gesetzesverstoß, S. 213 und S. 215. Unterschiede ergeben sich lediglich hinsichtlich der Notwehrrechte. Im Hinblick auf die Geschäftsherrenhaftung nach § 831 BGB wirkt sich demgegenüber die Annahme einer subjektiv gefärbten Rechtswidrigkeit nicht zwangsläufig auf das Ergebnis aus. Zwar ergibt sich aus der Annahme einer subjektiv gefärbten Rechtswidrigkeit zwanglos, dass der Geschäftsherr nach § 831 BGB, der nach dem Wortlaut kein Verschulden des Verrichtungsgehilfen voraussetzt, nicht wegen eines fahrlässig begangenen Betrugs seines Gehilfen haftet (siehe hierzu Spickhoff, Gesetzesverstoß, S. 193; Soergel/Spickhoff, § 823 Rn. 207). Dieses Ergebnis kann allerdings auch mit einer einschränkenden Auslegung der Vorschrift des § 831 BGB erzielt werden. Siehe RGZ 76, 35, 48; BGHZ 12, 94, 96; BGH VersR 1957, 247; BGH VersR 1975, 447, 449; BGH NJW 1996, 3205, 3207; Soergel/Krause, § 831 Rn. 35 f.; Erman/Schiemann, § 831 Rn. 13; MünchKommBGB/Wagner, § 831 Rn. 31; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 79 III. 2. c). Vgl. G. II. 4. a) und G. III. 3. a).
252
G. Die Rettung des Suizidenten
bb) Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens Im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB sind die Entschuldigungsgründe nicht dem Strafrecht, sondern dem Zivilrecht zu entnehmen.162 In Betracht kommt eine Entschuldigung wegen Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens. Ob dieser Entschuldigungsgrund greift, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.163 2. Anspruchsumfang Im Hinblick auf den materiellen Schaden gelten die bereits zu § 678 BGB und § 823 Abs. 1 BGB gemachten Ausführungen. Wurde durch die Verhinderung des Suizids der Körper oder die Freiheit des Sterbewilligen verletzt, kommt als immaterieller Schadensersatz ein Schmerzensgeld in Betracht. Im Einzelfall wird ein Schmerzensgeldanspruch des Geretteten aber oftmals ausscheiden, weil die Gewährung eines Schmerzensgeldes für die Rettung des eigenen Lebens nicht als angemessen empfunden wird.164 3. Ergebnis Neben den Ansprüchen aus § 678 BGB und § 823 Abs. 1 BGB kann der Gerettete unter den genannten Voraussetzungen auch einen Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 223 Abs. 1 StGB bzw. § 229 StGB bzw. § 239 StGB haben. In besonderen Ausnahmefällen kommt auch ein Anspruch des Geretteten auf Ersatz des materiellen Schadens nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 240 StGB in Betracht.
V. Subsidiäre Haftung anstelle der wegen Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens entfallenen Haftung Sofern ein Anspruch des Suizidenten gegen den Retter nur deshalb ausscheidet, weil der Retter wegen der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens entschuldigt ist, bleibt zu prüfen, ob anstelle der wegen Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens entfallenen Haftung eine subsidiäre Haftung eingreift. Wie bereits dargelegt wurde, ist in Fällen, in denen der Täter wegen Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens entschuldigt ist, entgegen bisweilen vertretener Ansicht ein Anspruch des Verletzten gemäß § 829 BGB analog abzulehnen.165 Der wegen Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens entschuldigte Retter haftet auch nicht nach § 904 S. 2 BGB analog. Der Anspruch gemäß § 904 S. 2 BGB analog setzt näm162 163 164 165
Spickhoff, Gesetzesverstoß, S. 220; Soergel/Spickhoff, § 823 Rn. 212. Vgl. hierzu oben G. II. 4. b) und G. III. 3. b). Siehe G. II. 5. b). Siehe oben F. II. 6.
V. Subsidäre Haftung
253
lich nach hier vertretener Ansicht voraus, dass der Verletzte an der Schaffung der Konfliktsituation unbeteiligt ist.166 In Suizidfällen wird die Konfliktsituation aber durch das Verhalten des Lebensmüden herbeigeführt. Schließlich scheidet auch ein Anspruch des Suizidenten aus § 228 S. 2 BGB analog aus. Dieser erfordert nämlich, dass den Schädiger ein Verschulden an der Schaffung der Gefahrenlage trifft.167 Der freiverantwortliche Suizidentschluss beruht aber nicht auf einem schuldhaften Verhalten des Retters. Festzuhalten bleibt somit, dass der Suizident gegen den wegen Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens entschuldigten Retter keine Ansprüche hat.
166 167
Canaris, JZ 1963, 655, 658; wohl auch Wilts, NJW 1962, 1852, 1853. Siehe oben F. II. 6. Canaris, JZ 1963, 655, 658. Siehe auch oben F. II. 6.
H. Schlussbetrachtungen
I. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurde festgestellt, dass die Erhaltung und die Rettung menschlichen Lebens unter bestimmten Voraussetzungen haftungsbegründend sein können. Im Einzelnen lassen sich folgende Ergebnisse festhalten: 1. Bei der Frage, ob lebenserhaltende Maßnahmen eine Körperverletzung darstellen, erscheint in Abweichung von den im Schrifttum üblicherweise vertretenen Ansichten eine differenzierte Betrachtungsweise angezeigt. Grundsätzlich sind ärztliche Heilbehandlungen sowohl im Strafrecht als auch im Zivilrecht Körperverletzungen.1 Ärztliche Heilbehandlungen, die sich auf den körperlichen Zustand des Patienten zu keiner Zeit nachteilig auswirken, erfüllen demgegenüber nicht den Tatbestand der Körperverletzung.2 Im Zivilrecht können sie aber Ansprüche des Patienten wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auslösen.3 Der Anspruch auf Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist – ebenso wie der Schmerzensgeldanspruch wegen Körper- oder Gesundheitsverletzung – uneingeschränkt vererblich.4 2. Sofern der Patient einwilligungs- und äußerungsfähig ist, entscheidet er selbst über die Vornahme oder Nichtvornahme einer medizinisch indizierten Behandlung. Er kann die Einwilligung in lebenserhaltende Behandlungen wirksam verweigern, ohne dass es auf die Gründe für die Behandlungsablehnung ankommt.5 Ein Patient ist einwilligungsfähig, wenn er die Bedeutung und Tragweite der Behandlung einschließlich der Folgen ihres Unterbleibens zu erkennen vermag.6 3. Für den nicht einwilligungsfähigen, volljährigen Patienten entscheidet dessen Bevollmächtigter über die Vornahme oder Nichtvornahme einer medizinisch indizierten Behandlung, wenn der Patient im zumindest partiell geschäftsfähigen Zustand eine Vorsorgevollmacht errichtet hat.7 Soweit keine wirksame Vorsorge1 2 3 4 5 6 7
C. II. 3. e) aa). C. II. 3. e) bb). C. II. 3. e) bb) (2). C. II. 3. e) cc). D. I. D. I. 1. D. II. 2. a) bb).
256
H. Schlussbetrachtungen
vollmacht vorliegt, hat ein Betreuer die Entscheidung über die Vornahme oder Nichtvornahme ärztlicher Behandlung zu treffen. Der Betreuer ist sowohl befugt, die Einwilligung in lebenserhaltende Behandlungen zu verweigern8, als auch befugt, in erforderliche Zwangsbehandlungen einzuwilligen.9 In Eilfällen kann das Betreuungsgericht die Einwilligung in ärztliche Behandlungen gemäß §§ 1846, 1908 i Abs. 1 S. 1 BGB erteilen oder verweigern. Dies gilt auch im Hinblick auf lebenserhaltende Maßnahmen. Die Entscheidungsbefugnis des Betreuungsgerichts setzt nicht voraus, dass zeitgleich mit der gerichtlichen Entscheidung ein Betreuer bestellt wird.10 In absoluten Eilfällen, in denen keine Zeit für die Einschaltung des Betreuungsgerichts bleibt, muss der Arzt zwangsläufig allein über die Vornahme oder Nichtvornahme medizinischer Maßnahmen entscheiden.11 4. Vor In-Kraft-Treten des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts am 1.9.2009 war die Patientenverfügung ein Indiz für den mutmaßlichen Willen des Patienten.12 Eine Reichweitenbeschränkung von Patientenverfügungen dahingehend, dass Patientenverfügungen nur im Fall bestimmter, besonders schwerwiegender Erkrankungen von Bedeutung sind, ist auch für die Zeit vor dem 1.9.2009 abzulehnen. Auch bei einwilligungsunfähigen Patienten müssen Behandlungsbegrenzungen unabhängig von der Nähe zum Tod bei einem entsprechenden mutmaßlichen Willen möglich sein.13 Eine behandlungsablehnende Patientenverfügung war auch vor dem 1.9.2009 unbeachtlich, wenn ein aktueller Lebenswille des einwilligungsunfähigen Patienten erkennbar war.14 Seit In-Kraft-Treten des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts wird in § 1901 a Abs. 1, Abs. 2 BGB zwischen strikt bindenden und nicht strikt bindenden Patientenverfügungen unterschieden. Mit § 1901 a Abs. 3 BGB hat der Gesetzgeber zutreffend jeglicher Form von Reichweitenbeschränkung eine Absage erteilt. Eine strikt bindende Patientenverfügung setzt voraus, dass der Betreuer oder der Bevollmächtigte feststellt, dass die Festlegungen auf die aktuelle Behandlungs- und Lebenssituation zutreffen. Der Begriff der Behandlungssituation umfasst hierbei die Krankheitssituation des Betroffenen in Verbindung mit den in Betracht kommenden medizinischen Maßnahmen.15 Der Begriff der Lebenssituation erfasst nicht nur die medizinischen Umstände, sondern sämtliche Lebensumstände des Patienten.16 Entscheidet über die Vornahme oder Nichtvornahme der lebenserhaltenden Behandlung nicht der Betreuer oder der Bevollmächtigte, sondern der Arzt, greift die Vorschrift des § 1901 a BGB nicht und eine strikte Bindungswirkung der Patientenverfügung scheidet aus.17 Liegt keine strikt bindende Patienten8 9 10 11 12 13 14 15 16 17
D. II. 2. a) aa) (1) (b). D. II. 2. a) aa) (1) (a). D. II. 2. a) cc) (1). D. II. 2. a) cc) (2). D. II. 1. c) cc) (5). D. II. 1. c) cc) (4). D. II. 1. c) cc) (1). D. II. 1. c) dd) (1) (a). D. II. 1. c) dd) (1) (b). D. II. 1. c) dd) (1) (c).
I. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
257
verfügung vor, ist die Entscheidung über die Vornahme oder Nichtvornahme medizinischer Maßnahmen anhand des mutmaßlichen Willens zu treffen. Äußert allerdings der Patient den Wunsch nach Behandlung, geht dieser dem mutmaßlichen Willen vor.18 Die gesetzliche Regelung in § 1901 a BGB, die zwischen bindenden und nicht bindenden Patientenverfügungen unterscheidet, wird keine anderen Ergebnisse hervorbringen als das Modell der Indizwirkung von Patientenverfügungen.19 In den Fällen, in denen eine strikt bindende Patientenverfügung im Sinne des § 1901 a Abs. 1 BGB vorliegt, sind auch nach der Ansicht von der Indizwirkung die Festlegungen in der Patientenverfügung für die Behandlungsentscheidung letztendlich maßgeblich. Das Vorliegen einer wirksamen Patientenverfügung hat weder vor noch nach dem 1.9.2009 Einfluss auf die Entscheidungszuständigkeit des Betreuers bzw. des Bevollmächtigten.20 5. Bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens ist in erster Linie der subjektiv mutmaßliche Wille maßgeblich. Dieser bestimmt sich nach den individuellen Wertvorstellungen und Wünschen des Betroffenen. Lassen sich keine Anhaltspunkte für den subjektiv mutmaßlichen Willen finden, ist eine objektive Interessenabwägung vorzunehmen, in deren Rahmen auch allgemeine Wertvorstellungen Berücksichtigung finden können.21 Ist der subjektiv mutmaßliche Wille nicht erkennbar und bestehen auch keine allgemeinen Wertvorstellungen, ist im Rahmen der objektiven Interessenabwägung der Grundsatz „in dubio pro vita“ anzuwenden, nach dem lebenserhaltende Maßnahmen fortzuführen sind.22 6. Die Entscheidungen des Betreuers bzw. des Bevollmächtigten sind im Außenverhältnis grundsätzlich auch dann wirksam, wenn sie dem im Innenverhältnis geltenden Entscheidungsmaßstab nicht entsprechen. Keine Wirkung entfalten sie dann, wenn sie einen Missbrauch der Vertretungsmacht bedeuten.23 7. Vor In-Kraft-Treten des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts bedurfte die Weigerung des Bevollmächtigten bzw. des Betreuers, in lebenserhaltende Maßnahmen einzuwilligen, zu ihrer Wirksamkeit grundsätzlich der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung.24 Eine Genehmigung war nicht erforderlich, wenn der Tod des Patienten unmittelbar bevorstand25 oder die Vornahme der lebenserhaltenden Maßnahme aus sonstigen Gründen medizinisch unvertretbar war.26 Eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung war auch dann entbehrlich, wenn Arzt und Vertreter – nach hier vertretener Ansicht aufgrund einer schriftli18 19 20 21 22 23 24 25 26
D. II. 1. c) dd) (2). Siehe hierzu D. II. 1. c) dd) (3). D. II. 2. b) aa) und bb). D. II. 3. b) aa). D. II. 3. b) bb). D. II. 4. a). D. II. 5. a) cc) (2) (f); D. II. 5. a) bb); D. II. 5. c). D. II. 5. a) ff). D. II. 5. a) dd) (1); D. II. 5. a) ff).
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H. Schlussbetrachtungen
chen Patienten- oder Betreuungsverfügung – einig waren, dass der Behandlungsabbruch dem mutmaßlichen Patientenwillen entspricht.27 Fehlte die erforderliche vormundschaftsgerichtliche Genehmigung der Einwilligungsverweigerung, war die Aufnahme oder die Fortführung der lebenserhaltenden Behandlung nicht eigenmächtig.28 Seit In-Kraft-Treten des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts bedarf die Behandlungsabbruchentscheidung des Betreuers oder des Bevollmächtigten gemäß § 1904 Abs. 2, Abs. 4 und Abs. 5 BGB der betreuungsgerichtlichen Genehmigung, wenn lebenserhaltende Maßnahmen medizinisch angezeigt sind und zwischen Vertreter und behandelndem Arzt hinsichtlich des Willens bzw. des mutmaßlichen Willens des Patienten kein Einvernehmen besteht. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des 12. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs soll es nach dem Gesetz auf das Vorliegen einer schriftlichen Patientenverfügung für die Entbehrlichkeit der gerichtlichen Genehmigung nicht ankommen. Bestehen im konkreten Fall hinsichtlich der Vornahme einer bestimmten lebenserhaltenden Maßnahme mehrere medizinische Lehrmeinungen, ist die Maßnahme bereits dann „medizinisch angezeigt“ im Sinne des § 1904 Abs. 2 BGB, wenn nach einer Ansicht die Maßnahme als medizinisch indiziert einzustufen ist. Im Fall mehrerer behandelnder Ärzte ist die betreuungsgerichtliche Genehmigung nur dann entbehrlich, wenn zwischen Vertreter und allen behandelnden Ärzten hinsichtlich des Willens bzw. des mutmaßlichen Willens des Patienten Einvernehmen besteht. Der Beschluss, mit dem das Betreuungsgericht die Behandlungsabbruchentscheidung des Vertreters genehmigt, wird gemäß § 287 Abs. 3 FamFG erst zwei Wochen nach Bekanntgabe an den Betreuer oder Bevollmächtigten sowie an den Verfahrenspfleger wirksam. Bis dahin ist die lebenserhaltende Maßnahme zulässig.29 8. Die – gegebenenfalls gerichtlich genehmigte – Vertreterentscheidung und die mutmaßliche Einwilligung des Patienten sind beim volljährigen Einwilligungsunfähigen zwei nebeneinander bestehende Legitimationsgründe.30 Ebenso legitimiert der mutmaßliche Wille des Patienten das Verhalten des Arztes auch dann, wenn Zeit für eine Entscheidung des Gerichts gemäß §§ 1846, 1915 Abs. 1 S. 1 BGB bzw. §§ 1846, 1908 i Abs. 1 S. 1 BGB geblieben wäre.31 9. Für den nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen entscheiden die gesetzlichen Vertreter.32 Sie haben ihre Entscheidung am Kindeswohl auszurichten.33 Im Außenverhältnis ist die Entscheidung der gesetzlichen Vertreter in den Grenzen des Missbrauchs der Vertretungsmacht auch dann wirksam, wenn sie dem Kindeswohl
27 28 29 30 31 32 33
D. II. 5. a) dd) (2); D. II. 5. b); E. I. 1. a) cc) (2) (a). D. II. 5. a) cc) (2) (d) und (e); E. I. 1. a) cc) (2) (b). Siehe D. II. 5. b). D. II. 6. a) cc). D. II. 7. D. II. 2. c). D. II. 3. a).
I. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
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nicht entspricht.34 Die Entscheidung der gesetzlichen Vertreter hat gegenüber einer an einer objektiven Interessenabwägung ausgerichteten Entscheidung des Arztes Vorrang. Entspricht die Entscheidung der gesetzlichen Vertreter nicht dem Kindeswohl, muss zunächst das Familiengericht eingeschaltet werden, das nach § 1666 BGB bzw. §§ 1666, 1837 Abs. 4 BGB bzw. §§ 1666, 1837 Abs. 4, 1915 Abs. 1 S. 1 BGB die erforderlichen Maßnahmen trifft. Nur wenn die Zeit selbst zur Beantragung von einstweiligen Maßnahmen nicht reicht, kann der Arzt sein Handeln auf eine objektive Interessenabwägung stützen.35 In Fällen, in denen kein gesetzlicher Vertreter existiert oder der gesetzliche Vertreter verhindert ist, handelt der Arzt, der sein Verhalten an einer objektiven Interessenabwägung ausrichtet, aber auch dann rechtmäßig, wenn Zeit für eine Entscheidung des Familiengerichts nach § 1846 BGB bzw. §§ 1846, 1915 Abs. 1 S. 1 BGB geblieben wäre.36 10. Bei der Prüfung, inwieweit demjenigen, dessen Leben erhalten bzw. gerettet wurde, Schadensersatzansprüche zustehen, zeigt sich eine enge Verzahnung von Straf- und Zivilrecht: Das Selbstbestimmungsrecht des Sterbewilligen und dessen Recht auf körperliche Unversehrtheit wird begrenzt, soweit das Strafrecht lebensverkürzende Verhaltensweisen verbietet und lebenserhaltende Maßnahmen gebietet. Die strafrechtliche Bewertung der verschiedenen Formen der Sterbehilfe bestimmt maßgeblich, inwieweit zivilrechtliche Schadensersatzansprüche wegen lebenserhaltender Verhaltensweisen bestehen. 11. Da aktive Sterbehilfe strafbar ist, sind Ansprüche wegen der Unterlassung einer Tötung auf Verlangen ausgeschlossen. Im Übrigen wären auch dann, wenn Ausnahmen vom Verbot der aktiven Sterbehilfe zugelassen werden würden, eine Verpflichtung des Arztes zur aktiven Sterbehilfe und somit Ansprüche wegen der Weigerung, aktive Sterbehilfe zu leisten, abzulehnen.37 Der so genannte technische Behandlungsabbruch, also das Abschalten technischer Geräte, ist allerdings keine aktive Sterbehilfe.38 12. Die indirekte Sterbehilfe, d. h. die Verabreichung von leidensmindernden Medikamenten, die als unvermeidbare Nebenfolge den Tod des Patienten hervorrufen oder hervorrufen können, ist bei sterbenden und tödlich kranken Patienten zulässig, sofern sie zur wirksamen Linderung von Schmerzen und sonstigen schweren Leidenszuständen erforderlich ist, nicht eigenmächtig erfolgt und der Arzt mit ihr die Verkürzung des Lebens nicht bezweckt.39 Das Unterlassen einer zulässigen indirekten Sterbehilfe ist behandlungsfehlerhaft und stellt eine Körperverletzung durch Unterlassen dar. Ein Verschulden des Arztes wird oftmals zu bejahen sein, so dass Schadensersatzansprüche des Patienten wegen verweigerter indirekter 34 35 36 37 38 39
D. II. 4. b). D. II. 6. b). D. II. 7. E. IV. B. II. 1. B. II. 2.
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H. Schlussbetrachtungen
Sterbehilfe bestehen können. Der Anspruch wegen verweigerter indirekter Sterbehilfe umfasst allerdings nicht den Ersatz der Lebenshaltungskosten, weil eine zulässige indirekte Sterbehilfe nicht die Verkürzung des Patientenlebens bezweckt. Ersatzfähig ist der immaterielle Schaden. Die Leidenszustände des Patienten sind vom Schutzzweck der Norm insoweit umfasst, als sie auf dem Unterlassen der Linderung des Leidens beruhen. Die Leiden, die dem Patienten durch eine mit der indirekten Sterbehilfe sicher verbundenen Lebensverkürzung erspart geblieben wären, sind bei der Bemessung des Schmerzensgeldes nicht zu berücksichtigen.40 13. Die passive Sterbehilfe, d. h. die Beendigung lebensverlängernder Maßnahmen bei Sterbenden und tödlich Kranken, ist zulässig, wenn sie dem mutmaßlichen Willen des Patienten oder einer wirksamen Entscheidung des Vertreters entspricht.41 Deshalb können Ansprüche des sterbenden oder tödlich kranken Patienten wegen eigenmächtig vorgenommener lebensverlängernder Maßnahmen bestehen. Neben dem Haftungsgrund der ärztlichen Eigenmacht kann auch der Haftungsgrund des Behandlungsfehlers vorliegen. Lebenserhaltende Maßnahmen einschließlich der Zuführung von Nahrung und Flüssigkeit sind bei Sterbenden und tödlich Kranken grundsätzlich behandlungsfehlerhaft, wenn sie für den Patienten keine Hilfe mehr bedeuten, sondern das Leiden nur verlängern. Ein Behandlungsfehler ist in diesen Fällen ausnahmsweise dann zu verneinen, wenn der sterbende oder tödlich kranke Patient die Vornahme der Behandlung ausdrücklich wünscht. Dies gilt nur dann nicht, wenn die Maßnahme mit einer so großen Qual einhergeht, dass sie auch unter Berücksichtigung des Patientenwunsches unvertretbar erscheint.42 Besteht ein Anspruch dem Grunde nach, sind die Lebenshaltungskosten, die dem Patienten infolge der von ihm nicht gewünschten Lebensverlängerung entstehen, ein ersatzfähiger normativer Schaden.43 Der Schadensersatzanspruch wegen lebensverlängernder Maßnahmen kann auch einen Ersatz des immateriellen Schadens beinhalten.44 14. Das Unterlassen lebensverlängernder Maßnahmen bei Patienten, deren Tod noch nicht in absehbarer Zeit bevorsteht, wird als passive Sterbehilfe im weiteren Sinn oder als Behandlungsabbruch bezeichnet. Auch bei einwilligungsunfähigen Patienten kann ein Behandlungsabbruch zulässig sein.45 Deshalb kommen Schadensersatzansprüche von Wachkomapatienten wegen lebensverlängernder Maßnahmen in Betracht.
40 41 42 43 44 45
E. II. B. II. 3. i. V. m. D. I. und II. E. I. 2. a). E. I. 2. d) aa). E. I. 2. d) bb). D. II. 1. c) cc) (4).
I. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
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15. Die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen ist als solche bei Wachkomapatienten allerdings nicht behandlungsfehlerhaft. Lebensverlängernde Maßnahmen sind bei Wachkomapatienten auch dann medizinisch indiziert, wenn das Wachkoma aus ärztlicher Sicht irreversibel ist.46 16. Ein Anspruch eines Wachkomapatienten wegen lebensverlängernder Maßnahmen setzt voraus, dass die Vornahme der Maßnahme sowohl dem mutmaßlichen Willen des Patienten als auch einer wirksamen Vertreterentscheidung widerspricht. Liegen keine früheren Äußerungen des Wachkomapatienten vor, die Anhaltspunkt für den mutmaßlichen Willen sind, ergibt die Anwendung der objektiven Interessenabwägung unter Berücksichtigung des Grundsatzes „in dubio pro vita“, dass die lebensverlängernden Maßnahmen fortzuführen sind.47 17. Wurde die lebenserhaltende Behandlung eigenmächtig durchgeführt, ist sie auch rechtswidrig. Die Zulässigkeit der eigenmächtigen Behandlung kann insbesondere nicht auf die dem Pflegeheim und dem Pflegepersonal zustehenden Grundrechte gestützt werden.48 18. Aufgrund der bislang bestehenden Rechtsunsicherheit scheiden derzeit Schadensersatzansprüche von Wachkomapatienten aufgrund fehlenden Verschuldens auf Behandlerseite aus.49 Für die Zukunft sind Schadensersatzansprüche von Wachkomapatienten aber vorstellbar. 19. Sofern künftig Ansprüche von Wachkomapatienten dem Grunde nach bestehen, sind die Lebenshaltungskosten, die ab dem Zeitpunkt entstehen, in dem der Patient im Fall der Beendigung der lebensverlängernden Maßnahmen verstorben wäre, ein ersatzfähiger normativer Schaden.50 In Betracht kommen auch Ansprüche des Wachkomapatienten auf Ersatz des immateriellen Schadens.51 20. Die Entscheidung der Sorgeberechtigten, eine lebenserhaltende Behandlung bei ihrem nach ärztlicher Einschätzung irreversibel bewusstlosen Kind einstellen zu lassen, kann dem Kindeswohl entsprechen.52 21. Die Beihilfe zum freiverantwortlichen Suizid ist nicht strafbar. Das Vorliegen bloßer Beihilfe setzt voraus, dass die Herrschaft über den letzten, den Tod verursachenden Akt der Sterbewillige selbst innehat.53 Die Freiverantwortlichkeit bestimmt sich nach der Einwilligungslösung. Ein Suizidentschluss ist hiernach frei46 47 48 49 50 51 52 53
E. I. 1. a) bb). E. I. 1. a) cc) (3) (b). E. I. 1. a) dd) (1). E. I. 1. a) ee). E. I. 1. a) ff) (1) (a). E. I. 1. a) ff) (2). E. I. 1. b) aa). E. II. 4. a) bb).
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H. Schlussbetrachtungen
verantwortlich, wenn er ernstlich ist und der Betroffene imstande war, die Bedeutung und Tragweite seines Entschlusses zu erfassen und nach dieser Einsicht zu handeln.54 22. Ansprüche des Patienten gegen den behandelnden Arzt wegen unterlassener Suizidbeihilfe bestehen nicht. Der Patient hat gegen den behandelnden Arzt bereits deshalb keinen Anspruch auf Suizidbeihilfe, weil die Beihilfe zum Suizid derzeit gegen ärztliches Standesrecht verstößt. Im Übrigen wäre auch dann, wenn das Standesrecht dem Arzt die Beihilfe zum Suizid erlaubte, jedenfalls eine ärztliche Verpflichtung zur Suizidbeihilfe abzulehnen.55 23. Ein Sterbewilliger, der einen Vertrag über Suizidbeihilfe geschlossen hat, kann wegen verweigerter Suizidbeihilfe einen Anspruch auf Schadensersatz haben. Ein Vertrag, in dem sich eine Partei zur Suizidbeihilfe verpflichtet, ist nicht zwangsläufig unwirksam. Beruht der Sterbewunsch auf einem freiverantwortlichen Suizidentschluss, verstößt die Beihilfe zum Suizid nicht gegen ein gesetzliches Verbot im Sinne des § 134 BGB.56 Mit den guten Sitten kann ein Suizidbeihilfevertrag dann vereinbar sein, wenn er für die Sterbephase oder für die Situation einer tödlichen und weit fortgeschrittenen Erkrankung geschlossen wird, der Lebensmüde einen freiverantwortlichen Selbsttötungsentschluss gefasst hat und der Suizidhelfer in finanzieller Hinsicht nicht mehr als eine Aufwandsentschädigung erhält.57 Ein Suizidbeihilfevertrag, der nur wegen der Vereinbarung eines überhöhten Entgelts sittenwidrig ist, ist dergestalt aufrechtzuerhalten, dass der Sterbewillige einen Anspruch auf Suizidbeihilfe hat, der Suizidhelfer aber lediglich eine Aufwandsentschädigung verlangen kann.58 In Ausnahmefällen kommt ein Leistungsverweigerungsrecht gemäß § 242 BGB der an sich zur Suizidbeihilfe verpflichteten Partei in Betracht, wenn diese darlegt und gegebenenfalls beweist, dass durch nachträgliche Umstände die Gewährung von Suizidbeihilfe bei ihr einen Gewissenskonflikt hervorruft, der das Leistungsinteresse des Sterbewilligen im konkreten Fall überwiegt.59 Besteht ein Anspruch wegen verweigerter Suizidbeihilfe dem Grunde nach, umfasst er den Ersatz der Lebenshaltungskosten.60 Da die Nichterfüllung der vertraglichen Suizidbeihilfe eine Körper- bzw. Gesundheitsverletzung durch Unterlassen begründen kann, kommt auch die Gewährung eines Schmerzensgeldes in Betracht.61
54 55 56 57 58 59 60 61
B. II. 4. a) aa). E. III. 1. E. III. 2. a) aa) (1). E. III. 2. a) aa) (2) (a). E. III. 2. a) aa) (2) (b). E. III. 2. a) bb). E. III. 2. a) dd) (1). E. III. 2. a) dd) (2).
I. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
263
24. Bei der Frage, ob ein Zeuge Jehovas Ansprüche wegen einer durchgeführten Bluttransfusion hat, ist von Bedeutung, ob eine wirksame Einwilligungsverweigerung des einsichtsfähigen Patienten vorliegt oder nicht. Eine wirksame Einwilligungsverweigerung des einsichtsfähigen Patienten ist gegeben, wenn dieser mit Blick auf eine konkrete Behandlungssituation die Durchführung einer Bluttransfusion ablehnt. Die durch den einsichtsfähigen Patienten erklärte Ablehnung einer Bluttransfusion gilt grundsätzlich auch dann fort, wenn der Patient bewusstlos wird oder infolge einer Medikation einwilligungsunfähig wird. Die Behandlungsablehnung verliert ihre Wirkung als strikt bindende Erklärung allerdings dann, wenn unvorhergesehen eine neue Entscheidungssituation eintritt. Hat der Patient die Ablehnung einer Bluttransfusion erklärt, ohne dass die Durchführung einer Bluttransfusion überhaupt im Raum stand, ist die Erklärung des Patienten keine aktuelle Einwilligungsverweigerung, sondern hat von vornherein den Charakter einer Patientenverfügung.62 25. Die vital indizierte Bluttransfusion entgegen einer wirksamen Einwilligungsverweigerung des einsichtsfähigen Patienten ist rechtswidrig. Eine eigenmächtig durchgeführte Bluttransfusion ist weder durch die grundrechtlich geschützte Gewissensfreiheit des Arztes noch aufgrund Notstands gemäß § 34 StGB noch aufgrund Pflichtenkollision gerechtfertigt.63 In Fällen, in denen eine wirksame Einwilligungsverweigerung des einsichtsfähigen Patienten vorliegt, ist regelmäßig auch kein die Schuld entfallen lassender Verbotsirrtum des Arztes gegeben.64 Der Arzt ist auch nicht wegen Notstands gemäß § 35 StGB oder aufgrund übergesetzlichen Notstands entschuldigt.65 Der transfundierende Arzt ist aber wegen Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens entschuldigt, sofern die Notwendigkeit einer Bluttransfusion bei der Übernahme der Behandlung nicht vorhersehbar war oder der Arzt die Übernahme der Behandlung nicht ablehnen konnte, weil ein Notfall vorlag oder er selbst über die Behandlungsübernahme nicht entschieden hat.66 Ist der Arzt wegen Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens entschuldigt, kommt anstelle der wegen Unzumutbarkeit entfallenen Haftung auch keine subsidiäre Haftung nach § 829 BGB analog, § 904 S. 2 BGB analog oder § 228 S. 2 BGB analog in Betracht.67 Sofern der Arzt nicht wegen Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens entschuldigt ist, kann dem Patienten ein Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens zustehen.68 26. Liegt keine wirksame Einwilligungsverweigerung des einsichtsfähigen Patienten vor, ist eine vital indizierte Bluttransfusion in vielen Fällen von der mutmaßlichen Einwilligung des Patienten gedeckt. Sind Vertreter und behandelnder 62 63 64 65 66 67 68
F. II. 2. b) aa). F. II. 3. a); F. II. 3. b); F. II. 3. c). F. II. 4. a) aa). F. II. 4. b); F. II. 4. c). F. II. 4. d). F. II. 6. F. II. 5.
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H. Schlussbetrachtungen
Arzt hinsichtlich des Willens bzw. des mutmaßlichen Willens des Patienten nicht einig, ist zudem die Vornahme einer lebenserhaltenden Bluttransfusion bis zum Wirksamwerden der betreuungsgerichtlichen Genehmigung der Behandlungsabbruchentscheidung des Vertreters zulässig.69 Im Übrigen handelt der transfundierende Arzt aufgrund eines unvermeidbaren Rechtsirrtums jedenfalls nicht schuldhaft.70 Deshalb scheiden in Fällen, in denen es an einer wirksamen Einwilligungsverweigerung des einsichtsfähigen Patienten fehlt, Schadensersatzansprüche des Patienten wegen der durchgeführten Bluttransfusion aus. 27. Verweigern die gesetzlichen Vertreter eines einsichtsunfähigen Kindes die Einwilligung in eine medizinisch indizierte Bluttransfusion, stellt dies eine Gefährdung des Kindeswohls dar. Deshalb kann das Gericht gemäß § 1666 BGB bzw. §§ 1666, 1837 Abs. 4 BGB bzw. §§ 1666 , 1915 Abs. 1 S. 1, 1837 Abs. 4 BGB die erforderlichen Maßnahmen treffen, insbesondere die Einwilligung der gesetzlichen Vertreter in die Bluttransfusion ersetzen. Bleibt für eine Einschaltung des Gerichts keine Zeit, hat der Arzt auch ohne gerichtliche Anordnung die Bluttransfusion vorzunehmen.71 28. Wird von Seiten der behandelnden Ärzte eine bei den Krankenakten befindliche Vorsorgevollmacht nicht an das Betreuungsgericht abgeliefert, stellt dies eine Nebenpflichtverletzung des Behandlungsvertrags dar. Die unterlassene Ablieferung kann auch eine Urkundenunterdrückung gemäß § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB beinhalten. Schadensersatzansprüche wegen der unterlassenen Ablieferung der Vorsorgevollmacht scheiden allerdings aus, wenn die durch den Betreuer konsentierte Behandlung dem Willen bzw. dem mutmaßlichen Willen des Patienten entsprochen hat.72 29. Das Unterlassen der Rettung eines sicher freiverantwortlichen Suizidenten ist nicht strafbar.73 In Fällen, in denen weder die Freiverantwortlichkeit noch die Unfreiheit des Suizidentschlusses zweifelsfrei feststehen, scheidet eine Strafbarkeit des Garanten gemäß §§ 211 ff., 13 StGB wegen vollendeter Tötung durch Unterlassen aus. Im Rahmen der §§ 211 ff., 13 StGB verbietet sich die Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro vita“ als Entscheidungsregel, da sie mit dem Grundsatz „in dubio pro reo“ unvereinbar ist. In Betracht kommt eine Strafbarkeit des Garanten wegen eines (untauglichen) Versuchs der Tötung durch Unterlassen gemäß §§ 211 ff., 13, 22 StGB, sofern der Täter hinsichtlich des Fehlens eines freiverantwortlichen Suizidentschlusses Eventualvorsatz hatte.74 Die unterlassene Rettung eines Suizidenten kann stets eine Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung gemäß § 323 c StGB begründen, sofern die Freiver69 70 71 72 73 74
F. II. 2. b) bb) (1) (b). F. II. 4. a) bb). F. II. 2. b) bb) (2). F. III. B. II. 4. b). B. II. 4. b) aa).
II. Ausblick
265
antwortlichkeit des Suizidentschlusses nicht sicher feststeht. Im Rahmen des § 323 c StGB kann die im Grundsatz „in dubio pro vita“ enthaltene Wertung zugunsten des Lebensschutzes bei der Auslegung des Begriffs der Zumutbarkeit Berücksichtigung finden.75 30. Sofern die unterlassene Rettung eines Suizidenten im konkreten Fall nicht strafbar ist, weil ein sicher freiverantwortlicher Suizidentschluss vorliegt, können Ansprüche des Suizidenten wegen der Verhinderung der Selbsttötung gemäß § 678 BGB, § 823 Abs. 1 BGB und § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 223 Abs. 1 StGB bzw. § 229 StGB bzw. § 239 StGB bzw. § 240 Abs. 1 StGB bestehen.76 Ansprüche gemäß § 823 Abs. 1 BGB kommen nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Körper- oder Gesundheitsverletzung, sondern auch mit Blick auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht in Betracht.77 Die Rettung gegen den Willen eines freiverantwortlich handelnden Suizidenten ist weder durch Gewohnheitsrecht noch wegen Notstands gemäß § 34 StGB gerechtfertigt.78 Im Ergebnis wird allerdings ein Suizident wegen seiner Rettung nur in den seltensten Fällen einen Anspruch haben. Zumeist scheidet ein Anspruch wegen der fehlenden Freiverantwortlichkeit des Suizidentschlusses aus. In den verbleibenden Fällen ist in aller Regel ein Verschulden des Retters zu verneinen.79 Ein Anspruch des Suizidenten gegen seinen Retter kommt nur dann in Betracht, wenn es sich um einen zweifelsohne freiverantwortlichen Suizidentschluss handelt, der Retter die Freiverantwortlichkeit kennt oder grob fahrlässig bzw. fahrlässig verkennt und das Sterbenlassen auch nicht unzumutbar erscheint. Praktisch sind das vor allem Fälle, in denen schwerstkranke Menschen nach einem begangenen Suizidversuch gerettet werden.80 Besteht ein Schadensersatzanspruch des Geretteten dem Grunde nach, sind die Lebenshaltungskosten des Sterbewilligen ein ersatzfähiger normativer Schaden.81 Ein Ersatz des immateriellen Schadens kommt nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen in Betracht.82
II. Ausblick Das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts hat ein Mehr an Rechtssicherheit gebracht. Es beseitigt die Rechtsunklarheiten, die der 12. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs durch den Beschluss vom 17.3.2003 erzeugte, indem er für die Rechtmäßigkeit von Behandlungsbegrenzungen bei einwilligungsunfähigen Patienten das Vorliegen eines irreversibel tödlich verlaufenden Grundleidens ver75 76 77 78 79 80 81 82
B. II. 4. b) bb). G. II.; G. III.; G. IV. G. III. 1. G. II. 3. c); G. II. 3. d). G. II. 4.; G. III. 3.; G. IV. 1. c). G. II. 6; G. III. 5.; G. IV. 3. G. II. 5. a); G. III. 4.; G. IV. 2. G. II. 5. b).
266
H. Schlussbetrachtungen
langte, ohne den Begriff des irreversibel tödlich verlaufenden Grundleidens näher zu erläutern. Auch die Diskussion um das Erfordernis einer gerichtlichen Genehmigung der Behandlungsabbruchentscheidung wurde durch die gesetzliche Regelung im Wesentlichen beendet. Völlige Rechtssicherheit ist durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts allerdings nicht eingetreten. Ein dringliches Ziel bleibt, im Hinblick auf die strafrechtliche Zulässigkeit von Behandlungsbegrenzungen Rechtsklarheit zu schaffen. Die Zulässigkeit von Behandlungsbegrenzungen sollte künftig auch im Strafrecht unabhängig von der Art der Erkrankung des Betroffenen anerkannt werden. Neben einer eindeutigen Rechtslage ist freilich auch erforderlich, dass Ärzte in den für sie relevanten Bereichen rechtliche Kenntnisse haben. Dass die Wünsche von Patienten am Lebensende bisweilen nicht beachtet werden, beruht nämlich nicht ausschließlich auf der tatsächlich bestehenden Rechtsunsicherheit. Ärzte kennen häufig auch die gesicherte Rechtslage nicht.83 So halten Ärzte teilweise das Abstellen technischer Geräte fälschlicherweise für strafbare, aktive Sterbehilfe.84 Einer Ärztebefragung zufolge halten erhebliche Teile der Ärzteschaft die künstliche Zufuhr von Flüssigkeit und die künstliche Ernährung für eine juristisch zwingend erforderliche Basisbetreuung.85 Ferner besteht unter Ärzten Unsicherheit über die Zulässigkeit des Einsatzes palliativ-medizinischer Maßnahmen. Bei einer Ärztebefragung hielt etwa ein Drittel die indirekte Sterbehilfe für strafbar.86 Dementsprechend werden effektive Schmerzmedikamente – wie der im europäischen Vergleich besonders niedrige Verbrauch von Morphinpräparaten in Deutschland zeigt87 – nur zögerlich eingesetzt.88 Bei der Verbesserung der rechtlichen Kenntnisse der Mediziner, insbesondere des Wissens, dass die Berücksichtigung der Patientenwünsche häufig zulässig ist, können die in dieser Arbeit gefundenen Ergebnisse hilfreich sein. Wenn in das Bewusstsein der Ärzte rückt, dass nicht nur das Unterlassen lebenserhaltender Maßnahmen, sondern auch deren Vornahme rechtswidrig sein kann, meinen Ärzte nicht länger, sie seien mit der Durchführung lebenserhaltender Maßnahmen juristisch auf der sicheren Seite.89 Das Wissen um mögliche rechtliche Konsequenzen lebenserhaltender Verhaltensweisen fördert, dass Ärzte im Einzelfall eine bewusste Entscheidung treffen und nicht standardmäßig lebenserhaltend behandeln. Auch im Bereich der palliativ-medizinischen Versorgung werden Verbesserungen ein-
83 84
85 86 87 88 89
Vgl. hierzu Putz/Steldinger, Patientenrechte, S. 48 f. van Oorschot/Lipp/Teitze u. a., DMW 2005, 261, 263; Weber/Stiehl/Reiter/Rittner, DÄBl 2001, A-3184, A-3185. Zur strafrechtlichen Bewertung des sog. technischen Behandlungsabbruchs siehe B. II. 1. Weber/Stiehl/Reiter/Rittner, DÄBl 2001, A-3184, A-3185. Borasio/Weltermann/Voltz u. a., Der Nervenarzt 2004, 1187, 1192. Siehe hierzu http://www.hospize.de/docs/stellungnahmen/15.pdf (Stand: 3.1.2010). Janes/Schick, NStZ 2006, 484, 485. Durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts wird auch im juristischen Schrifttum verstärkt die Möglichkeit haftungs- und strafrechtlicher Konsequenzen von lebenserhaltenden Maßnahmen erkannt. Siehe Kamps, ZMGR 2009, 207, 208; MeyerGötz, NJ 2009, 363, 366.
II. Ausblick
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treten, wenn Mediziner wegen unterlassener Verabreichung von Schmerzmitteln und der Verweigerung indirekter Sterbehilfe zur Verantwortung gezogen werden. Allerdings darf nicht übersehen werden, dass der Schutz des Selbstbestimmungsrechts durch die Mittel des Rechts für eine befriedigende Lösung nicht genügt. Vielmehr ist eine Verbesserung der tatsächlichen Situation von Sterbenden und schwer kranken Patienten anzustreben. Wenn Patienten sich ausschließlich aus Angst vor unzureichender Schmerzbehandlung, schlechter und liebloser Pflege und sonstigen unwürdigen Umständen zu einer Behandlungsablehnung entschließen, ist dies nicht Ausdruck einer autonomen Entscheidung. Erforderlich ist der weitere Ausbau der Palliativmedizin und die Stärkung der Hospizbewegung.90 Eine gute palliativ-medizinische Versorgung ermöglicht ein würdevolles Sterben und kann verhindern, dass eine Haftung wegen der Erhaltung von Leben alltäglich wird.
90
Beckmann, ZfL 2008, 49, 55 f. Zu den Defiziten in der palliativ-medizinischen Versorgung siehe Nolte/Benz/du Bois u. a., DÄBl 2004, A-402; Borasio/Weltermann/Voltz u. a., Der Nervenarzt 2004, 1187, 1193.
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Sachverzeichnis
Abwägungssuizid 13, 229, 235, 239 s. auch Bilanzselbstmord Aktive Sterbehilfe 7, 188 Apallisches Syndrom s. Wachkoma Appellselbstmord 12, 16, 228 s. auch Suizid Ärztliche Eigenmacht - als vertragliche Pflichtverletzung 22, 129 ff. - Begriff 21 - bei Bluttransfusionen 40, 191 ff. - bei Sterbenden und unheilbar Kranken 171 f. - bei Wachkomapatienten 135 ff. - Geschäftsführung ohne Auftrag 23 f. - im Deliktsrecht 24 ff. - Strafrecht 26 ff. - verletztes Rechtsgut 24 ff., 131 f. - während Genehmigungsverfahren 104 ff., 113 Außenverhältnis 97 ff., 101 f. Bedside-Test 35 Behandelnder Arzt 114 Behandlungsabbruch - technischer 7 - tödlicher 10, 58 ff., 74 ff. Behandlungsfehler - Begriff 21 - durch lebensverlängernde Maßnahmen 132 ff., 170 f. - durch Verweigerung indirekter Sterbehilfe 174 Behandlungsvertrag 22 Berufsfreiheit 148 f.
Betreuer - bei Patientenverfügungen 68, 80 ff. - Behandlungsabbruchentscheidung 74 ff. - Entscheidungsmaßstab 91 ff. - Erforderlichkeit 76 f., 195 ff. - Zwangsbehandlung 72 f. Betreuungsgericht 77 ff., 97, 113 f. Betreuungsverfügung 71, 81 Bevollmächtigter 68, 77, 80 f., 96 ff. Bewusstlosigkeit, irreversible 6, 54 ff. s. auch Wachkoma Bilanzselbstmord 12 s. auch Abwägungssuizid Bluttransfusion - als Körperverletzung 28 ff., 35 f. - bei Minderjährigen 201 f. - bei Zeugen Jehovas 189 ff. - Risiken 35 f. Blutverbot, religiöses 189 Dauerbehandlung 40 f. Defibrillator 39 Demenz 62, 67 Differenzhypothese 156 f. Eilfälle 77 ff. Einheit der Rechtsordnung 2, 39, 149, 204, 206 Einwilligung - Bedeutung in den tatbestandlichen Strukturen 123 ff. - Fortdauernde Wirkung 45, 193 - Rechtsnatur 71 Einwilligungsfähigkeit 44 f.
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Einwilligungslösung 11 ff. Ergänzungspfleger 83, 85, 99, 116, 121 Erlaubnistatbestandsirrtum 246, 250 f. Ethik, christliche 181 Ethikvorbehalt 144 Eventualvorsatz 8, 16, 34 f. Exkulpationslösung 11 ff. Familiengericht 83, 97, 119 ff., 201 Fortdauernde Geltung der Patientenentscheidung 45, 192 ff. Freiheitsberaubung 30, 132, 248 Freiverantwortlichkeit des Suizidentschlusses 11 ff. Geldentschädigungsanspruch - Vererblichkeit 41 f. - Voraussetzungen 31 f., 164 f., 212 f. s. auch Schaden, immaterieller Genehmigung, gerichtliche - der Betreuerentscheidung 100 ff. - der Entscheidung der Eltern 115 f. - der Entscheidung des Arztes 116 - der Entscheidung des Bevollmächtigten 115 - der Entscheidung des Vormunds und des Ergänzungspflegers 116 - Folgen des Fehlens 104 ff., 137 f. - Rechtsnatur 101 f. Gesamtnichtigkeit bei Sittenwidrigkeit 183 ff. Geschäftsführung ohne Auftrag 22 ff., 191, 223 ff. Gewissensentscheidung 14, 147 ff., 177, 202 ff. Gewohnheitsrechtlicher Rechtfertigungsgrund 235 Grundleiden, irreversibel tödlich verlaufendes 52 ff. Grundrechte der Pflegekräfte 144 ff.
Heimvertrag 129 f., 148, 160 Herr über Leben und Tod 78, 103 f. Herzdruckmassage 39 Indikation 133 Indirekte Sterbehilfe 7 ff., 174 f. In dubio pro vita 16, 18, 88 ff., 120, 141, 169 Kaiserschnitt 205 Kemptener Entscheidung 10, 58 f., 87, 100, 152 f. Kindeswohl 85, 166 ff. Konfliktmodell 107 ff., 113 Konkurrenz der Rechtfertigungsgründe 117 ff. Körperverletzung 32 ff., 39 ff., 131 Körperverletzungsdoktrin 24 ff. Kreislaufstabilisierende Mittel 171 Künstliche Beatmung 38 f. Künstliche Ernährung - als Körperverletzung 30, 36 ff., 131 - bei Sterbenden und tödlich Kranken 170 - bei Wachkomapatienten 131 Kurzschlusssuizid 12, 228 f., 232 s. auch Suizid Lebenshaltungskosten 158, 173, 175, 186, 211 f., 240 Lebensverlängernde Maßnahmen - bei Sterbenden und unheilbar Kranken 169 ff. - bei Wachkomapatienten 127 ff. Lebenswille, natürlicher 50 f., 68 Magensonde s. Künstliche Ernährung Medikamentöse Behandlung 28 ff., 33 f., 40 Medizinische Indikation 133 Menschenwürde 145 ff., 205
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Minderjährige - Entscheidungsträger 44 f., 83 f. - Patientenverfügung 48 - Wachkoma 165 ff. - Zeugen Jehovas 201 f. Missbrauch der Vertretungsmacht 98 f., 198 Mitverschulden 159 f., 214 f. Mutmaßlicher Wille - Bedeutung in den tatbestandlichen Strukturen 123 ff. - bei Wachkomapatienten 139 ff. - bei Zeugen Jehovas 198 ff. - Feststellung 86 ff. - Unstreitigstellen im Prozess 142 f. Nötigung 30, 132, 191, 248 f. Notstand - entschuldigender 13, 208 f. - rechtfertigender 204 f., 236 - übergesetzlicher 209 Palliative Sedierung s. Terminale Sedierung Palliativmedizin 177, 266 f. Passive Sterbehilfe 10 Patientenverfügung - Begriff 46 f. - Bindungswirkung 48 ff., 66 ff. - Entscheidungsträger 80 ff. - Indizwirkung 49 ff., 64 f. - Reichweitenbeschränkung 52 ff., 66 - Voraussetzungen 47 f. PEG-Sonde s. Künstliche Ernährung Permanent vegetative state 6 Persistent vegetative state 6 Persönlichkeitsdoktrin 25 ff. Persönlichkeitsrecht, allgemeines - der Pflegekräfte 146 f. - des Patienten 39 ff. - des Suizidenten 242 f. Pflegehaftung 42 f., 129 ff.
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Pflichtenkollision - entschuldigende 209 - rechtfertigende 205 f. Rechtsirrtum 150 ff., 206 ff. Rechtswidrigkeit - der eigenmächtigen Bluttransfusion 202 ff. - der eigenmächtigen Lebensverlängerung 143 ff. - der Suizidverhinderung 233 ff., 244 f., 248 - subjektiv gefärbte 251 - ungeschriebene Voraussetzung 143, 233 Remedia extraordinaria 133 Remedia ordinaria 132 Schaden - immaterieller 160 ff., 173 f., 187, 213 f., 240 f. - materieller 155 ff., 173, 186, 211 f., 240 Schwangerschaft 204 f. Schwangerschaftskonfliktgesetz 148, 178 Selbstbestimmungsrecht - mutmaßlicher Wille 123 - Umfang 43 - Vertragsrecht 22, 126, 129 ff. s. auch Ärztliche Eigenmacht Selbsttötung s. Suizid Schmerzensgeld s. Schaden, immaterieller Schutzgesetz 247 ff. Sittenwidrigkeit - des Suizidbeihilfevertrags 179 ff. - des Suizids 226 f., 229, 241 - Rechtsfolgen 183 ff. Spastik 166 Spontanremission 61 Standesrecht, ärztliches 176 ff. Sterbehilfe - aktive 7, 188
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Sachverzeichnis
- indirekte 7 ff., 174 f. - passive 10 Sterbehilfeorganisation 183 Sterbende 5, 169 ff. Suizid - durch Unterlassen 15 - freiverantwortlicher 11 ff. - Tötung durch Unterlassen 14 ff. - unterlassene Hilfeleistung 17 ff. - Verhinderung 222 ff. Suizidbeihilfe - ärztliches Standesrecht 176 ff. - Sittenwidrigkeit 179 ff. - Strafbarkeit 11 ff. - unterlassene 175 ff. Suizidhilfevertrag 178 ff. Terminale Sedierung 9, 176 f. Tödlich Kranke 5, 169 ff. Tötung auf Verlangen 13, 188 s. auch Sterbehilfe Tötung durch Unterlassen 14 ff. Transparenztheorie 26 Treu und Glauben 184 f., 196, 229 f. Übernahmeverschulden 210 f., 238 Ultraschalluntersuchung 30 Unheilbar Kranke s. Tödlich Kranke Unstreitigstellen im Prozess 142 f. Unterlassene Hilfeleistung 17 ff. Untersuchungsgrundsatz 142 Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens 154 f., 209 ff., 239, 246 Urkundenunterdrückung 197 Verbot, gesetzliches 179 Verbotsirrtum s. Rechtsirrtum
Vereinigung der Zeugen Jehovas für eine Reform in der Blutfrage 198 Vergewaltigung 33, 213 f. Verhandlungsgrundsatz 142 Verschulden 150 ff., 172, 206 ff., 238 f., 245 f., 249 ff. Vertreterentscheidung - Bedeutung in den tatbestandlichen Strukturen 123 ff. - Wirksamkeit im Außenverhältnis 97 ff. s. auch Betreuer und Bevollmächtigter Vormund 83, 99, 116, 121, 202 Vormundschaftsgericht 100 ff. s. auch Betreuungsgericht und Familiengericht Vorsorgevollmacht 76 f., 195 ff., 220 f. - unterlassene Ablieferung 220 f. Vorteilsausgleichung 175, 187, 215 ff. Wachkoma - Begleiterkrankungen 131, 161 - Begriff 6 f. - lebensverlängernde Maßnahmen 127 ff. - minderjähriger Patient 165 ff. Wertvorstellungen, allgemeine 51, 87 f., 140 f. Wohl des Betreuten 92 f. Wrongful birth 2 Wrongful life 2, 156 f. Zeugen Jehovas 56, 61, 111 f., 189 ff. Zolpidem 7 Zwangsbehandlung 72 f.