MedR
Schriftenreihe Medizinrecht
Herausgegeben von Professor Dr. Andreas Spickhoff, Regensburg
Christian Dierks · Albrecht Wienke Wolfgang Eisenmenger (Herausgeber)
Rechtsfragen der Präimplantationsdiagnostik Mit Beiträgen von Erwin Bernat, Rainer Erlinger, Winfried Kluth, Eberhard Schwinger, Hans Tinneberg, Christiane Woopen
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Prof. Dr. med. Dr. iur. Christian Dierks Rechtsanwälte Dierks & Bohle Walter-Benjamin-Platz 6 10629 Berlin offi
[email protected] Dr. iur. Albrecht Wienke Rechtsanwälte Wienke & Becker - Köln Bonner Straße 323 50968 Köln
[email protected] www.kanzlei-wbk.de Prof. Dr. med. Wolfgang Eisenmenger Institut für Rechtsmedizin Ludwig-Maximilians-Universität Frauenlobstraße 7 a 80337 München
[email protected] Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISSN 1431-1151 ISBN-10 3-540-45042-4 Springer Berlin Heidelberg New York ISBN-13 978-3-540-45042-9 Springer Berlin Heidelberg New York Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.de © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2007 Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Text und Abbildungen wurden mit größter Sorgfalt erarbeitet. Verlag und Autor können jedoch für eventuell verbliebene fehlerhafte Angaben und deren Folgen weder eine juristische Verantwortung noch irgendeine Haftung übernehmen. Herstellung: LE-TEX Jelonek, Schmidt & Vöckler GbR, Leipzig Einbandgestaltung: Erich Kirchner, Heidelberg SPIN 11867555
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Gedruckt auf säurefreiem Papier
Vorwort
Auch im Jahr 2004 hat sich die Deutsche Gesellschaft für Medizinrecht (DGMR) e. V. einem kontroversen Thema im Schnittpunkt zwischen Medizin, Ethik und Recht zugewandt: der Präimplantationsdiagnostik bzw. präimplantationsgenetischen Diagnostik. Die weite Entwicklung der Reproduktionsmedizin hat Möglichkeiten eröffnet, die zum Zeitpunkt der Entwicklung des Embryonenschutzgesetzes noch nicht zur Verfügung standen. Die sich daraus ergebenden Unklarheiten und ihre strafrechtlichen Implikationen wurden in einer öffentlichen Debatte im Deutschen Ärzteblatt ausgiebig diskutiert. Die Bundesregierung plant seit langem eine Novellierung des Embyonenschutzgesetzes unter Einschluss weiterer reproduktionsmedizinischer Aspekte. Im Vorfeld dieser legislativen Erwägungen haben sich anerkannte Experten der Reproduktionsmedizin, der medizinischen Ethik und der Rechtswissenschaft in der niedersächsischen Stadt Einbeck getroffen, um sich über den aktuellen Stand der Erkenntnisse in diesem Bereich zu informieren und die rechtlichen Implikationen zu analysieren. In bewährter Weise wurden „Einbecker Empfehlungen“ entwickelt, die gemeinsam mit den Referaten des Workshops in diesem Band veröffentlicht werden. Die DGMR möchte mit diesem Tagungsband und den Empfehlungen ein Beitrag zum Diskurs um das Fortpflanzungsmedizingesetz leisten. Der sehr weitreichende Vorstoß in den Empfehlungen stellt hierfür nach Auffassung der Teilnehmer und des Präsidiums der DGMR einen Regelungsvorschlag dar, der die Interessen der Eltern und der Gesellschaft mit dem Schutz ungeborenen Lebens in grundrechtskonformer Weise vereint. Das Präsidium dankt allen Teilnehmern und denjenigen, die durch ihre Unterstützung diese Publikation möglich gemacht haben. Christan Dierks
Berlin, Januar 2006
Inhaltsverzeichnis Vorwort........................................................................................... V Zum aktuellen Leistungsstand der In-vitro-Fertilisation ............1 Hans-Rudolf Tinneberg Methodik und Ergebnisse der Präimplantationdiagnostik .........7 Eberhard Schwinger Substanzontologie versus Funktionsontologie – Wie bestimmen wir den Beginn und die Ansprüche schutzwürdigen menschlichen Lebens? ......................................17 Christiane Woopen Pränatale Diagnostik und Präimplantationsdiagnostik auf dem Prüfstand des österreichischen Rechts ............................25 Erwin Bernat Strafrechtliche Würdigung der PID: Zum Streitstand ...............65 Rainer Erlinger Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen der Präimplantationsdiagnostik ........................................................83 Winfried Kluth Einbecker Empfehlungen zu „Rechtsfragen der Präimplantationsdiagnostik“ ....................................................121 Teilnehmerliste Einbeck 2004 ...................................................127
Zum aktuellen Leistungsstand der In-vitro-Fertilisation Hans-Rudolf Tinneberg
I.
Einleitung
Einen Leistungsstand beschreiben zu wollen, erfordert, dass Leistung gemessen werden kann. Dies ist in der Physik anhand von Formeln geregelt, in der Medizin ist man jedoch geneigt, Leistung mit Erfolg gleichzusetzen, Erfolg einer durchgeführten Maßnahme. Indikation für die Durchführung einer In-vitro-Fertilisation (IVF) ist die ungewollte Kinderlosigkeit; das Ziel somit, Paaren zu einem oder mehreren Kindern zu verhelfen. Angesichts 1,2 bis 1,6 Millionen unfruchtbarer Frauen in der Bundesrepublik bzw. 15 – 20% aller Frauen im reproduktionsfähigen Alter eine auch unter sozio-ökonomischen Aspekten wichtige Aufgabe. Betrachtet man weiterhin den Umstand, dass im Jahre 2003 in Deutschland ca. 20.000 Kinder durch assistierte Reproduktionstechnologien (ART) zur Welt gekommen sind, so entspricht dies ca. 2% aller geborener Kinder. Um diese Ziele der Fortpflanzungsmedizin zu erreichen, streben Reproduktionsmediziner an: 1. Verhinderung von Mehrlingsgeburten, 2. verbesserte Geburtenrate und 3. Übertragung von möglichst wenigen Embryonen.
II. Leistungsstand der Reproduktionsmedizin Zur selben Zeit im November 2004 wie der Einbecker Workshop der Deutschen Gesellschaft für Medizinrecht e. V. fand das XVIII. Treffen der Deutschen IVF Gruppen in Hannover statt. Auf dieser Tagung wurde das Deutsche IVF Register (DIR) vom Vorstandsvorsitzenden des DIR Prof. Felberbaum vorgetragen. Von den unter www.deutsches-ivf-register.de nach-
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Hans-Rudolf Tinneberg
Abb. 1. Anzahl der IVF Zentren 2003 (aus DIR Jahrbuch 2003 www.deutschesivf-register.de)
Abb. 2. Anzahl der Follikelpunktionen 2003 (aus DIR Jahrbuch 2003 www.deutsches-ivf-register.de)
Zum aktuellen Leistungsstand der In-vitro-Fertilisation
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zulesenden Daten sollen einige stellvertretend an dieser Stelle diskutiert werden. Abb. 1 zeigt die Entwicklung der Zentrum für die Behandlung ungewollter Kinderlosigkeit. Im Jahre 2003 fanden sich in der BRD knapp 120 Zentren, entsprechend ca. 1 Zentrum pro 1 Millionen Bürger. Betrachtet man anschließend Abb. 2, so zeigt sich parallel zum Anstieg der Zahl der Zentren eine Zunahme der Follikelpunktionen. Bleibt zu diskutieren, ob das Ansteigen der Zahl der Zentren und damit die Verfügbarkeit der Methode auch deren Anwendungshäufigkeit bedingt hat oder ob die Anzahl der Zentrum dem gesteigerten Bedarf gefolgt ist. Betrachtet man den Verlauf der klinischen Schwangerschaften pro Embryotransfer nach IVF, Intracytoplasmatische Spermieninjection (ICSI) und nach Kryokonservierung von Eizellen im Vorkernstadium (Pronukleusstadium), so zeigt sich in der Betrachtung seit 1997 der Trend einer leichten Zunahme der Schwangerschaften nach den aufgeführten Maßnahmen (Abb. 3). Da die Schwangerschaftsrateals zentraler Indikator für den Leistungsstand der ART anzusehen ist, sei ein detaillierter Blick in die Abhängigkeit von der Embryonenqualität erlaubt (Tab.1). In dieser Tabelle werden drei verschiedene Parameter untersucht, die prospektiv erhoben wurden, Alter der Patientin, Anzahl der Embryonen und Qualitätsscore der Embryonen. Fraglich ist, ob diese Parameter als voneinander unabhängig zu betrachten sind. Gerade in Hinblick auf die Diskussion, inwieweit das Alter als limitierender Faktor einzubeziehen ist, verdient diese Zusammenstellung besondere Beachtung. Bezogen auf das Alter der Patientinnen zeigt sich bei >40-jährigen eine maximale Schwangerschaftsrate/Embryotransfer von 18%, während die
Abb. 3. Klinische Schwangerschaftsraten pro Embryotransfer bei IVF, ICSI und nach Kryokonservierung von Eizellen im Vorkernstadium 1997 – 2003 (aus DIR Jahrbuch 2003 www.deutsches-ivf-register.de)
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Hans-Rudolf Tinneberg
Tabelle 1. Klinische Schwangerschaftsraten pro Embryotransfer in Abhängigkeit von der Embryonenqualität 2003 (aus DIR Jahrbuch 2003 www.deutsches-ivfregister.de)
maximale Schwangerschaftsrate von <30-jährigen Frauen mit 35% fast doppelt so hoch ausfällt. Hinsichtlich der Embryonenqualität ist bei wenigen nicht ideal geformten Embryonen bei jüngeren wie auch bei älteren Patientinnen nur mit einer Schwangerschaftsrate von unter 10% zu rechnen, die eine weitere Durchführung der assistierten Reproduktion nur nach erneuter sehr intensiver Aufklärung vertretbar erscheinen lässt. Letztendlich spiegelt sich hierin unabhängig vom Alter eine wahrscheinlich multifaktoriell bedingte Störung der Eizellreifung wider. Abb. 4 zeigt, dass ein nicht unwesentlicher Faktor für den Erfolg einer IVF Therapie in der Wahl des Zentrums zu sehen ist. Hier zeigt sich eine enorme Schwankungsbreite der klinischen Schwangerschaftsrate pro Embryotransfer zwischen 5 und 46%. Betrachtet man die Regressionsgerade zur Anzahl der Zyklen, so ist als Trend zu verzeichnen, dass mit höherer Anzahl an Zyklen auch eine höhere Erfolgsaussicht verbunden ist. Bei der Einzellanalyse zeigt sich jedoch auch, dass das Zentrum mit den häufigsten Behandlungen (ca. 3300) im Mittelfeld der Schwangerschaftsraten von ca. 27% liegt. Nach dieser exemplarischen Darstellung einiger weniger medizinischer Fakten, welche den Leistungsstand der Reproduktionsmedizin in Deutschland bestimmen, sei gestattet, eine gesetzliche Regelung anzusprechen, die
Zum aktuellen Leistungsstand der In-vitro-Fertilisation
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Abb. 4. Klinische Schwangerschaftsraten der Zentren, Darstellung der Zyklen, klinischen Schwangerschaftsraten pro Embryotransfer und Aborte in den einzelnen Zentren für IVF und ICSI 2003 (aus DIR Jahrbuch 2003 www.deutsches-ivfregister.de)
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Hans-Rudolf Tinneberg
deutschen Reproduktionsmedizinern die Frage aufdrängt, ob die Assistierte Reproduktion in Deutschland angesichts niedrigerer Schwangerschaftsraten und höherer Häufigkeit von Mehrlingsgeburten guten Gewissens noch durchführbar ist. Der Hintergrund dieser Überlegung ist, dass die Möglichkeit des auch in Deutschland gestatteten Blastocystentransfers (Übertragung von Embryonen am 5.-6. Tag nach der Eizellentnahme) im Falle einer vor der Übertragung möglichen Selektion des besten Embryos bei hoher Schwangerschaftsrate eine niedrige Mehrlingsrate aufweisen würde. Die Selektion und die Kryokonservierung von Blastocysten ist in der BRD allerdings nicht gestattet und somit ist eine Behandlung in Deutschland als risikobehafteter zu betrachten. Ein weiterer Punkt, der Beachtung erfordert, obwohl dem medizinischen Umfeld nicht direkt zuzuordnen, ist die Frage nach den Gründen der Kinderlosigkeit. Das Allensbacher Meinungsforschungsinstitut hat in einer Umfrage 2004 herausgefunden, dass als Gründe für die Kinderlosigkeit bei 47% der Paare die finanzielle Belastung, bei 37% berufliche Pläne, 27% eigene Freiräume und Interessen sowie Überarbeitung und bei 14% mangelnde Kinderbetreuung genannt wurden. Nur 4% der Befragten gaben gesundheitliche Gründe an. Diese Darstellung mag erklären, warum Spezialisten für Fortpflanzungsmedizin aufgesucht werden, möglicherweise, nachdem Karriere und Finanzen geordnet sind und den Weg für Nachkommen freigegeben haben. Diese Problematik fällt aber im Wesentlichen nicht in den Zuständigkeitsbereich der Reproduktionsmediziner sondern der Gesellschaft.
III. Zusammenfassung Zum aktuellen Leistungsstand der Fortpflanzungsmedizin ist auszuführen, dass Deutschland über eine Hochleistungs-Reproduktionsmedizin verfügt. Gesetzlich vorgeschriebene Begrenzungen führen jedoch zu einer niedrigeren Schwangerschaftsrate als in vergleichbaren europäischen Ländern. Gerade in Zeiten zunehmender Kostenorientierung muss das Leistungsangebot auch unter diesem Blickwinkel betrachtet werden. Die Fortpflanzungsmedizin ist nicht in der Lage zu leisten: eine Änderung der sozio-ökonomischen Voraussetzungen wie a) Vereinbarkeit von Familie und Beruf, b) verlässliche Lebensverhältnisse und c) Erweiterung des Zeitfensters für Elternschaft. Ebenso wenig wird es ihr gelingen, eine Änderung des kollektiven Bewusstseins wie einer Verminderung der Selbstbezogenheit und einer Förderung der Kinderfreundlichkeit zu erreichen.
Methodik und Ergebnisse der Präimplantationdiagnostik Eberhard Schwinger
I.
Einleitung
Das Spektrum pränataler Untersuchungsmethoden hat sich in den letzten 30 Jahren stark erweitert. Pränatale Diagnostik (PND) begann in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts durch Einführung cytogenetischer Untersuchungen an angezüchteten Fruchtwasserzellen (sog. Amnionzellkultur). Eine Vorverlegung dieser pränatalen Chromosomendiagnostik gelang in den 80-er Jahren durch die Einführung der Untersuchung an fetalen Teilen des Mutterkuchens (sog. Chorionzotten). Hierbei konnte sowohl der Zeitpunkt der Punktion in die 11./12. Schwangerschaftswoche vorverlegt werden, als auch durch eine direkte Chromosomenpräparation der zeitliche Abstand zwischen Punktion und Diagnosestellung verkürzt werden. Diese diagnostischen Möglichkeiten wurden ergänzt durch die Diagnostik an fetalen Blutzellen nach fetaler Blutentnahme aus der Plazenta oder der Nabelschnur. Diese diagnostischen Fortschritte wurden möglich durch eine Verfeinerung der Entnahmetechniken unter Ultraschallkontrolle durch die Frauenärzte. Anfang der 90er Jahre wurde über erste Versuche einer Präimplantationsdiagnostik (PID) berichtet, die im englischen Sprachraum als „Preimplantation Genetic Diagnosis“ (PGD) bezeichnet wurde und wird. Nach Kombination von In-vitro-Fertilisation (IVF) und Biopsie von einer oder zwei Zellen aus dem frühen Embryo wurden ab 1990 erste Geburten nach dieser Untersuchung dokumentiert (z. B. Handyside et al., 1992). Während in den meisten Zentren frühe embryonale Zellen (sog. Blastomeren) untersucht werden, hat Verlinsky in Chicago von Anfang an die Untersuchung beider Polkörper vorgezogen. Die Polkörper enthalten das halbe mütterliche Genom. Da die Polkörper nach der ersten und zweiten Reduktionsteilung aus der Eizelle ausgeschleust werden, kann hier mittels
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Eberhard Schwinger
einer indirekten Diagnostik auf die genetischen und chromosomalen Verhältnisse in der Eizelle geschlossen werden. Diese Art der Untersuchung ist natürlich nur bei Risiken, die durch mütterliche chromosomale oder genetische Störungen verursacht sind, sinnvoll. Diese Art der Diagnostik wird Polkörperdiagnostik (PKD) genannt.
IVF/ ICSI
Morula
Biopsie
Biopsie
Polkörperchen (PKD)
Blastomere Diagnostik
Transfer
Transfer oder Kryokonservierung
Abb. 1. Indirekte Diagnostik nur mütterlicher Chromosomen- und Genveränderungen an Polkörpern, bei Untersuchung von Blastomeren direkte Diagnostik auch von väterlichen Veränderungen. Nach Diagnostik Feststellung von normalen Befunden in Eizelle oder Embryo kann eine Weiterentwicklung zum Embryo bzw. des Embryos und ein anschließender Transfer erfolgen. Nach Diagnostik an Blastomeren ist auch eine Kryokonservierung des Embryos möglich. Die Darstellung des gesamten Chromosomensatzes, wie in der Mitte der Abbildung gezeigt, ist zurzeit noch nicht möglich. Es sind aber technische Entwicklungen im Gange, die eine solche Darstellung ermöglichen werden. Wenn mittels solcher Untersuchung Auffälligkeiten gesehen werden, kann in Deutschland nach PKD die Eizelle im Vorkernstadium und in den Ländern, in denen eine PID auch an Embryonalen Zellen erlaubt ist, der Embryo verworfen werden. Aus dem gesagten wird klar, dass zurzeit in Deutschland eine PID nur mittels PKD möglich ist.
Methodik und Ergebnisse der Präimplantationdiagnostik
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Einer PID an embryonalen Zellen steht in Deutschland das Embryonenschutzgesetz, vor allem mit den § 1 und § 8, entgegen. Da die Polkörper aber entnommen und untersucht werden können bevor sich, entsprechend der Definition im deutschen Embryonenschutzgesetz, ein Embryo nach Auflösen der Vorkernmembranen gebildet hat, können diese auch in Deutschland zu einer Diagnostik verwendet werden.
II. Methodik der PKD und der PID Der Ablauf der Untersuchung von Polkörpern und Blastomeren ist in Abbildung 1 dargestellt. Nach In-vitro-Fertilisation wird der erste und zweite Polkörper entnommen und steht für Untersuchungen zur Verfügung (PKD). Für die PID wird aus einer ca. 8-zellhaltigen Morula eine oder zwei Zellen entnommen, die in gleicher Weise untersucht werden können. An beiden Zelltypen können Chromosomenuntersuchungen mittels einer Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) mit chromosomenspezifischen Sonden erfolgen, um z. B. Trisomien der Chromosomen 13, 18 oder 21 zu erkennen, oder es kann nach Extraktion der DNA aus den Zellen mittels unterschiedlicher Techniken ein spezifischer Gendefekt erkannt bzw. ausgeschlossen werden.
III. Allgemeine Indikationen für PID bei spezifischen Risiken durch genetisch bedingte Erkrankungen oder Chromosomenstörungen bei Kindern Eine PID soll nur in solchen Fällen durchgeführt werden, in denen wegen eines spezifischen Risikos auch eine PND durchgeführt werden würde, und für das entsprechende Paar ein Schwangerschaftsabbruch nicht in Frage kommt. Indikationen für eine PID bei monogen bedingten Erkrankungen sind z. B. das Vorliegen einer Myotonen Dystrophie vor allem bei der Frau, eine Spinale Muskelatrophie, eine Cystische Fibrose, das Vorliegen einer Sichelzellanämie oder Beta-Thalassämie, einer Chorea Huntington, einer Epidermolysis bullosa oder eines Marker-X-Syndroms. Bei diesen und vielen anderen Krankheiten wird, wenn die Eltern es wünschen, schon seit Jahren eine pränatale Diagnostik mit eventuell nachfolgendem Schwangerschaftsabbruch durchgeführt. Spezielle chromosomale Risiken liegen dann vor, wenn eine Elternteil Träger einer Chromosomentranslokation ist. In der Abbildung 2 sind die Chromsomen 3 und 9 in Form einer balancierten
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Eberhard Schwinger
Mutter: 46,XX,t(3;9)(q13;p24)
Kind: 46,XX,der(9)t(3;9)(q13;p23)
Abb. 2. Giemsagebänderte Chromosomen mit ausgeglichener Verschiebung von chromosomalem Material zwischen einem Chromosom 3 und einem Chromosom 9 bei der Mutter (sog. balancierte Translokation). Rechts beim Kind unbalancierte Translokation.
Verschiebung bei der Mutter dargestellt, rechts hat das Kind eine partielle Trisomie 3, da zwei normale Chromosomen 3 vorliegen und die Translokation 9 mit dem anhängenden langen Arm des Chromosoms 3 ebenfalls vererbt wurde.
IV. Indikation für eine PID bei unspezifischem Risiko für eine spontan entstandene Chromosomenstörung im Rahmen von IVF Ursprünglich wurde eine Indikation für eine PID nur bei spezifischem Risiko für eine kindliche chromosomale oder genetisch bedingte Störung als Folge einer spezifischen Störung bei einem Elternteil oder bei beiden Eltern gestellt. Untersuchungen an Embryonen im Rahmen von IVF zeigten aber, dass diese eine hohe Rate an Chromosomenstörungen aufwiesen, die während der Reduktionsteilungen oder im frühesten Embryo (sog. Chromosomenmosaike) spontan entstanden waren. Es konnte gezeigt werden, dass solche Auffälligkeiten in der Größenordnung zwischen 30 und 70 % je nach untersuchtem Kollektiv vorlagen (z. B. Munné und Cohen, 1998). Die allermeisten embryonalen Chromosomenstörungen führen zu einer frühen, nicht erkennbaren, Beendigung der Schwangerschaft oder zu einer Fehlgeburt. So sind in erkennbaren Fehlgeburten spontan entstandene Chromosomenstörungen sehr häufig als Abortursache identifizierbar. In eigenen Un-
Methodik und Ergebnisse der Präimplantationdiagnostik
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tersuchungen von 1.447 Fällen von spontanen Fehlgeburten fand sich 605mal (41,8 %) ein normaler Chromosomensatz, während in 842 Fällen (58,2 %) ein pathologischer Chromosomensatz als Abortursache festgestellt werden konnte. Während die häufigste Ursache die Triploidie in vielen Fällen durch eine morphologische Beurteilung der Eizellen im Vorkernstadium oder von Embryonen erkannt werden kann, ist der Chromosomensatz 45,X nicht immer erkennbar, da diese Chromosomenstörung häufig erst im frühen Embryo entsteht und zu Chromosomenmosaiken führt. Die dann folgenden Abortursachen, die Trisomie 16, 15, 21 und 22 können durch spezifische Untersuchungen an Polkörpern oder Blastomeren hingegen sicher erkannt werden. Interessant ist, dass in einer großen Studie von Abdelhadi et al. (2003) in Embryonen eine ganz ähnliche Verteilung von Chromosomenstörungen nachgewiesen werden konnte. Wenn es also gelänge, vor Präimplantation Embryonen mit solchen Chromosomenstörungen zu identifizieren, die mit Sicherheit zu einer frühen oder späteren Fehlgeburt führen, sollte sich die Schwangerschafts- und Geburtsrate nach In-vitro-Fertilisation verbessern lassen. Überraschend ist, dass trotz dieser einleuchtenden grundlegenden biologischen Überlegungen in prospektiven Studien eine überzeugende Verbesserung der Schwangerschafts- und Geburtenrate unter Einsatz der PID zur Feststellung von schwerwiegenden Chromosomenstörungen nicht belegt ist (Staessen et al., 2004). Im Gegensatz dazu gibt es Mitteilungen, dass bei morphologischer Beurteilung von Embryonen und einer eventuellen Selektion es zu einer deutlichen Verbesserung der Schwangerschaftsund Geburtsrate kommt. Sollte sich ein „Benefit“ durch Chromosomenuntersuchungen und morphologischer Beurteilung von Embryonen ergeben, wird die Anzahl von Untersuchungen mittels Präimplantationsdiagnostik weltweit sprunghaft ansteigen. Eine Präimplantationsdiagnostik unter Verwendung von frühen Embryonalen Zellen ist in Europa in Deutschland, der Schweiz, Österreich, Irland und Portugal verboten. In Italien ist die Gesetzgebung zur In-vitroFertilisation Ende 2003 so verschärft worden, dass praktisch eine Präimplantationsdiagnostik auch in diesem Land nicht möglich ist. In Frankreich ist eine Präimplantationsdiagnostik unter strengen Auflagen gestattet, wenn die Untersuchung die Erkennung eines spezifischen Risikos zum Ziel hat. Da die zufällig und spontan aufgetretene Chromosomenfehlverteilung ein unspezifisches Risiko darstellt, darf zurzeit in Frankreich eine Aneuploidie-Diagnostik nicht durchgeführt werden. Weltweit wird PID in zunehmendem Umfang nicht nur in Europa, sondern vor allem in den USA, aber auch in Australien, Korea und Taiwan eingesetzt.
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Eberhard Schwinger
Tabelle 1. Chromosomenstörung in abnehmender Häufigkeit als Abortursache (eigene Untersuchungen).
Häufige abnorme Chromosomenbefunde aus Abortmaterial (842 Fälle) 128 x Triploidie
(15,2%)
15 x Trisomie 14
(1,7%)
121 x 45,X
(14,4%)
14 x Trisomie 8
(1,66%)
107 x Trisomie 16
(12,7%)
14 x Mosaiktrisomie 16(1,66%)
59 x Trisomie 15
(7,0%)
13 x Trisomie 9
(1,5%)
49 x Trisomie 21
(5,8%)
11 x Trisomie 20
(1,3%)
48 x Trisomie 22
(5,7%)
11 x Trisomie 7
(1,3%)
46 x Tetraploidie
(5,5%)
11 x Trisomie 10
(1,3%)
22 x Trisomie 13
(2,6%)
9 x Trisomie 6
(1,1%)
21 x Trisomie 18
(2,5%)
6 x 46,XX/45,X
(0,7%)
17 x Trisomie 2
(2%)
Tabelle 2. Chromosomenstörung in abnehmender Häufigkeit in Embryonen und Spontanaborten
Abdelhadi et al.,2003
eigene Daten Triploidie 45,X
Trisomie:
(15,2%) (14,4%)
• 16
• 16 (12,7%)
• 15
• 15 ( 7,0%)
• 21
• 21 ( 5,8%)
• 22
• 22 ( 5,5%)
• 13
• 13 ( 2,6%)
• 18
• 18 ( 2,5%)
• 16
• 16 (12,7%)
• 15
• 15 ( 7,0%)
Methodik und Ergebnisse der Präimplantationdiagnostik
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V. Ist Präimplantationsdiagnostik an Polkörpern für Deutschland eine Alternative zur Untersuchung von Blastomeren? Entsprechend dem Embryonenschutzgesetz ist ein Embryo dann gebildet, wenn sich die Kernmembranen des männlichen und weiblichen Vorkerns aufgelöst haben und die beiden Genome verschmolzen sind. Abbildung 3 zeigt den zeitlichen Ablauf von der ersten Reifeteilung bis zur Embryonalentwicklung. Nach der ersten Reduktionsteilung (Meiose I) wird der erste Polkörper nach dem Eindringen eines Spermiums in die Eizelle aus dieser ausgeschleust, der zweite Polkörper nach der zweiten Reifelteilung. Für Untersuchungen an beiden Polkörpern stehen demnach ca. 20 Stunden zur Verfügung, wenn ein zeitlicher Sicherheitsabstand zur Embryonenbildung (Auflösung der Vorkernmembranen), entsprechend dem Embryonenschutzgesetz eingehalten wird. In diesem Zeitraum sind gezielte Untersuchungen bei spezifischen, genetischen oder chromosomalen Risiken, die für ein eventuelles späteres Kind bestehen, möglich. Diese Untersuchungen im engen Zeitfenster erfordern aber umfangreiche Voruntersuchungen und die sichere Einstellung der anzuwendenden Untersuchungstechniken. Auch Untersuchungen bei unspezifischem Risiko können erfolgen. Da viele Eisprung Meiose I 1. Polkörper
2. Polkörper nach Meiose II
Spermieninjektion
bis 8 Std.
Auflösung der Kernmembranen
2 Vorkerne erkennbar
16 - 20 Std.
1. Zellteilung
4 - 8 Std. 6 - 8 Std.
Kryokonservierung
Embryo
Abb. 3. Zeitlicher Verlauf von der ersten Reifeteilung bis zur Embryonalentwicklung
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chromosomale Fehlverteilungen in der mütterlichen Meiose stattfinden, kann indirekt durch Polkörperdiagnostik z. B. eine zur Fehlgeburt führende Trisomie erkannt werden. Leider weist eine PKD aber gegenüber der Untersuchung von Blastomeren neben dem in Deutschland zeitlich engem Untersuchungsrahmen zahlreiche andere Nachteile auf. Polkörper sind z. B. schlechter untersuchbar als Blastozysten, da die DNA in diesen bereits degradiert sein kann. Es können nur mütterliche chromosomale oder genetische Veränderungen indirekt diagnostiziert werden, da in den Polkörpern nur mütterliches Erbgut vorhanden ist. Wenn nur der erste Polkörper aus Zeitgründen untersucht werden kann, gibt es eine Fehlermöglichkeit durch Chromosomenoder DNA-Austausch vor der zweiten Reduktionsteilung (sog. Crossingover). Der Hauptnachteil besteht aber in einem grundlegenden biologischen Problem. Wenn ein spezifisches Risiko für eine autosomal rezessiv oder geschlechtsgebunden rezessiv verursachte Erkrankung beim zu erwartenden Kind vorliegt, müssen Eizellen verworfen werden, in denen die mütterliche Genveränderung vorhanden ist. Wenn aber ein Spermium diese Eizelle befruchtet hat, die bei autosomal rezessiven Erkrankungen das Chromosom mit dem Normalallel trägt oder wenn bei geschlechtsgebunden rezessiven Erkrankungen ein Spermium mit einem X-Chromosom befruchtet hat, würden gesunde Anlageträger entstehen. Dieser gravierende grundlegende biologische Nachteil wiegt um so schwerwiegender, als nicht selten nur eine sehr begrenzte Anzahl von, durch Stimulierung, gewonnene Eizellen für eine Polkörperdiagnostik zur Verfügung steht. PKD ist demnach für Deutschland eine Alternative zur PID, aber eine schlechte. Im großen Umfang werden Polkörperuntersuchungen im amerikanischen Zentrum in Chicago (Verlinsky et al., 2004) durchgeführt. Wegen des geschilderten biologischen Nachteils wird dort in die PKD stets die Untersuchung einer Blastomere eingeschlossen. Möglich ist dies, da die Untersuchungen im Zentrum von Chicago nicht durch rechtliche Einschränkungen beeinflusst sind.
VI. Ergebnisse nach PID an Blastocysten und Polkörpern weltweit Es gibt heute keine auch nur annähernd genaue Schätzung über die weltweit durchgeführten Transfers, erzeugten Schwangerschaften oder erfolgten Geburten nach PID. Sowohl das „ESHRE Preimplantation Genetic Diagnosis-Consortium“ als auch die „International Working Group on Preimplantation Genetics“ veröffentlichen für das Jahr 2001 Zahlen, die
Methodik und Ergebnisse der Präimplantationdiagnostik
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aber nur einen Teil der Ergebnisse der weltweit arbeitenden Zentren erfassen. Vor allem durch die zunehmende Anwendung von PID sind diese Zahlen heute aber unzeitgemäß. Aufgrund dieser Publikationen gehen vorsichtige Schätzungen davon aus, dass bis Mai 2001 ca. 1600 Geburten nach PID eingetreten sind. Die Geburtsrate lag pro transferiertem Embryo bei ca. 8 % und die Rate von fehlerhaften Diagnosen bei 3 %. Eine Erhöhung der Fehlbildungsrate bei geborenen Kindern als Folge von PID ist bisher nicht beobachtet worden. Eine umfassende Dokumentation ist national und international zu fordern, um eine Qualitätssicherung möglich zu machen.
Literatur Abdelhadi, I., Colls, P., Sandalinas, M., Excudero, T., Munné, S. (2003): Preimplantation genetic diagnosis of numerical abnormalities for 13 chromosomes. Reproductive BioMedicine, Vol 6: 226-231 Conference Report (2001): Preimplantation genetic diagnosis: experience of 3000 clinical cycles. 11th Annual Meeting of International Working Group on Preimplantations Genetics in associations with 10th International Congress of Human Genetics, Vienna ESHRE (2002): Preimplantation Genetic Diagnosis Consortium: data collection III (May 2001). Human Reprod, Vol 17 : 233-246 Handyside, A.H., Lesko, J.G., Tarin, J.J., Winston, R.M., Hughes, M.R. (1992): Birth of a normal girl after in vitro fertilization and preimplantation diagnostic testing for cystic fibrosis. N Engl J Med 327: 905909 Munné, S., Cohen, J. (1998): Chromosome abnormalities in human embryos. Hum Reprod Update 4: 842-855 Staessen, C., Platteau, P., Van Assche, E., Michiels, A., Tournaye, H., Camus, M., Devroey, P., Liebaers, I., Van Steirteghem, A. (2004): Comparison of blastocyst transfer with or without preimplantation genetic diagnosis for aneuploidy screening in couples with advanced maternal age: a prospective randomized congrolled trial. Hum Reprod (in print) Verlinsky, Y., Cohen, J., Munné, S., Gianaroli, L., Simpson, J.L., Ferraretti, A.P., Kuliev, A. (2004): Over a decade of experience with preimplantation genetic diagnosis. Fertil Steril 82 (2): 302-303
Substanzontologie versus Funktionsontologie – Wie bestimmen wir den Beginn und die Ansprüche schutzwürdigen menschlichen Lebens? Christiane Woopen
Der moralische Status des ungeborenen menschlichen Lebens ist heftig umstritten. Die Spannbreite der Auffassungen darüber, wann die Schutzwürdigkeit des Embryos beginnt, reicht im Wesentlichen von der Befruchtung bis zur Geburt. Konzepte eines mit der Entwicklung abstufbaren oder graduellen Schutzanspruches im Rahmen von Güter- oder Übelabwägungen stehen Argumentationen gegenüber, die die Unteilbarkeit der Würde des Menschen betonen und daran anknüpfend ein zu jeder Zeit uneingeschränktes Lebensrecht des Embryos von der Befruchtung an einfordern. Grundsätzlich sind zunächst zwei unterschiedliche Ebenen der Fragestellung voneinander zu unterscheiden: Auf einer ersten Ebene geht es um die Frage, welchen ethisch begründeten Wert der Embryo um seiner selbst willen hat und welche Gründe für diesen Wert sprechen. Dies ist die Frage nach dem moralischen Status im engeren Sinne. Auf einer zweiten Ebene steht die Frage nach den Ansprüchen und Pflichten im Vordergrund, die mit dem moralischen Status oder mit anderen Überlegungen zum moralischen Wert des Embryos begründet werden. Dabei ist der genaue Umfang von Ansprüchen nicht in jedem Fall unmittelbar aus dem moralischen Status abzuleiten. Auf dieser Ebene ist auch zu erörtern, wie Ansprüche im Konfliktfall zu gewichten sind und welche zusätzlichen Gründe bei einer Abwägung gerechtfertigterweise herangezogen werden dürfen. Im Folgenden werde ich mich im Wesentlichen auf die erste Frage, nämlich diejenige nach dem moralischen Status, beschränken und nur wenige Anmerkungen zu den Ansprüchen machen, die einem Embryo zukommen sollten.
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I.
Christiane Woopen
Zwei Hintergrundkonzepte zur Bestimmung des moralischen Status
Untersucht man die vielen international diskutierten und kontroversen Positionen zum moralischen Status des Embryos auf die ihnen zugrunde liegenden wesentlichen Unterschiede, so kann man zwei verschiedene Hintergrundkonzepte ausmachen, denen man sie zuordnen kann. Gemäß dem einen Hintergrundkonzept ist die Zuschreibung eines moralischen Status von nichts anderem abhängig als davon, ein menschliches Lebewesen zu sein – diese Annahme bezeichne ich im Folgenden als substanzontologische Konzeption. Gemäß dem anderen Deutungshorizont ist es eine unverzichtbare Voraussetzung für einen moralischen Status, dass das betreffende Lebewesen über bestimmte Eigenschaften oder Funktionen verfügt – im Folgenden soll dies funktionsontologische Konzeption genannt werden. Diese beiden Konzeptionen möchte ich kurz skizzieren und fange mit der funktionsontologischen an. 1.
Funktionsontologische Konzeption
Nach der funktionsontologischen Konzeption reicht es für die Zuschreibung eines moralischen Status nicht aus, ein menschliches Lebewesen zu sein, vielmehr muss dieses erst über bestimmte, im konkreten Individualfall gegebene Eigenschaften oder Funktionen verfügen, damit es einen Wert um seiner selbst willen haben kann. Unterschiedliche Größen werden hier genannt wie Empfindungsfähigkeit,1 Subjektivität (im Sinne von Verletzbarkeit),2 Interessen und Bewusstsein,3 Ähnlichkeit mit deskriptiven Personen4 oder z. B. der Umstand geboren zu sein5. Diese Faktoren werden jeweils als moralisch so zentral angesehen, dass ohne ihr Vorhandensein nicht von einem Wert der Entität um ihrer selbst willen ausgegangen werden kann. Ein funktionsontologischer Deutungsrahmen bringt erhebliche Begründungslasten bei der Entscheidung mit sich, wer in einem konkreten Fall einen moralischen Status hat und wer nicht. Im Unterschied zur in1
Vgl. Singer 1999.
2
Vgl. Merkel 2003.
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Vgl. Steinbock 1992.
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Vgl. Strong 1997.
5
Vgl. Gerhardt 2001.
Substanzontologie versus Funktionsontologie
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kludierenden Grundannahme des substanzontologischen Ansatzes („Jedes menschliche Lebewesen hat einen moralischen Status“) hat er einen eher exkludierenden Charakter („Der moralische Status muss erst nachgewiesen werden“) und führt zumindest bei einigen Varianten zu erheblichen Abgrenzungsproblemen auch bei solchen geborenen Menschen, denen gegenüber wir uns üblicherweise als in besonderem Maße schutzpflichtig empfinden. Für den Embryo in vitro bedeuten alle diese Ansätze dasselbe: Er hat keinen Wert um seiner selbst willen, denn all die verschiedenen moralisch relevanten Faktoren sind an biologische Strukturen und Organisationsebenen gebunden, die der Embryo in vitro noch nicht aufweisen kann. Auf diese Weise hat er allenfalls einen symbolischen oder instrumentellen Wert um anderer Werte willen, so dass mit ihm grundsätzlich nicht beliebig umgegangen werden darf. Z. B. sind unter Berücksichtigung seiner eigenen individuellen Zukunft für den Fall, dass er geboren wird, schädigende Eingriffe unzulässig. Mit Blick auf den Schutz der Rechtsordnung darf mit ihm nicht wie mit irgendeiner Sache umgegangen werden. Oder: Angesichts der gewünschten Solidarität mit geborenen Menschen sind diskriminierende Praktiken einzugrenzen. 2.
Substanzontologische Konzeption
Die Kernaussage dieser Konzeption lautet, dass jedes menschliche Lebewesen – unabhängig von seinem Entwicklungsstadium, seinem gesundheitlichen Zustand oder seiner sozialen Einbindung – einen Wert um seiner selbst willen hat. In vielen Rechtskulturen wird dieser Wert mit dem Prädikat Würde bezeichnet. Dieser Auffassung liegt die Annahme zugrunde, dass der Mensch ein Lebewesen im Sinne einer persistierenden Entität ist, die eine Artnatur besitzt, zu der bestimmte Vermögen wie die Ausbildung von Vernunft und freiem Willen gehören. Es ist die Artnatur des Menschen, sittliches Subjekt und damit um seiner selbst willen schutzwürdig zu sein. Insofern ist es die Substanz, die bereits für alle Aspekte des Menschseins steht. In der Regel wird diese Annahme anhand von vier Kriterien konkretisiert: dem Spezies-, dem Potentialitäts-, dem Identitäts- und dem Kontinuitätskriterium. Jedes dieser Kriterien wird in vielen Arten und Weisen vorgetragen – darunter auch solchen, nach denen sie den Status von Argumenten haben sollen. In der außerordentlich ausdifferenzierten Diskussion darf man vor diesem Hintergrund nicht davon ausgehen, dass jeder, der
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z. B. auf „das Potentialitätsargument“ verweist, auch immer dasselbe meint.6 Ich möchte in diesem Rahmen nur denjenigen Bedeutungsgehalt andeuten, den ich für tragfähig halte. Danach handelt es sich bei den vier Kriterien um ein zusammengehöriges Set an Plausibilisierungsaspekten, anhand derer sichtbar werden soll, dass der Wert des Menschen nicht von Fähigkeiten und Funktionen her, sondern besser von seiner substanziellen Einheit her gedacht werden sollte. Die biologische Natur des Menschen und seine Personalität, d. h. seine Vernunftbegabung und Handlungsfähigkeit, bilden in dieser Konzeption eine unlösliche Einheit. Das Spezieskriterium besagt vor diesem Hintergrund, dass wir mit dem Begriff Mensch über die rein biologische Einordnung in ein Artensystem hinaus immer auch schon ein letztes praktisches Urteil verbinden, dass nämlich der Mensch ein Gut ist, das wir allen anderen Gütern vorziehen und das einen unbedingten Wert hat.7 Als Kriterium und nicht als Grund der Zuschreibung für Schutzansprüche schließt es nicht aus, dass auch nichtmenschlichen Lebewesen, insofern sie ihrer Natur nach sittliches Subjekt sein können, diese Schutzansprüche zukommen. Mit der Bezugnahme auf ein menschliches Lebewesen geht die Vorstellung von einer sich durchhaltenden Identität einher. Sie wird in der Diskussion oft als diachrone Identität pro- oder retrospektiv, morphologischnumerisch (im Kontext des sog. Zwillings-Arguments) oder genetisch verstanden. In dem hier für trägfähig gehaltenen Sinne steht sie für die anthropologische Grundannahme der synchronen Einheit der Person als einer leib-seelischen Existenz, die als diachrones, also über die Zeit persisitierendes Individuum eine biographische Entwicklung durchmacht. Zur weiteren Verdeutlichung der sich durchhaltenden Identität verweist das Kriterium der Kontinuität sodann darauf, dass bei der Entwicklung des Menschen keine Zäsuren erkennbar sind, die als moralrelevant gelten könnten. Dem Kontinuitätskriterium sehr nah steht schließlich dasjenige der Potentialität. Es akzentuiert, dass mit dem Beginn der biologischen Existenz als leib-seelische Identität auch schon das Potential zur tatsächlichen Ausbildung der personalen Eigenschaften gegeben ist. Wichtig ist in diesem Zusammenhang dann die Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Potentialität: Es kommt nicht auf die Möglichkeit an, zu einem Menschen 6
Einen übersichtlichen Einblick in mögliche Bedeutungsunterschiede bietet der von Damschen und Schönecker 2003 herausgegebene Band.
7
Vgl. Honnefelder 2003.
Substanzontologie versus Funktionsontologie
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werden zu können (wie es bei Keimzellen der Fall ist), sondern es ist das bereits konstituierte Individuum, das sich als Mensch entwickelt. Auch wenn man grundsätzlich die substanzontologische Konzeption für den überzeugenderen Deutungsrahmen hält, kann man vor dem Hintergrund entwicklungsbiologischer Erkenntnisse unterschiedliche Zeitpunkte diskutieren, zu denen man davon ausgeht, dass sie den Beginn eines Lebewesens darstellen. Die Biologie hat es bislang noch nicht vermocht den Begriff des Lebewesens abschließend zu definieren. Üblicherweise werden folgenden Kriterien genannt, die zusammen genommen die Existenz eines Lebwesens anzeigen: zelluläre Organisation, Individuation im Sinne räumlicher Abgrenzung und Erhaltung, chemische Zusammensetzung aus Makromolekülen wie vor allem Nucleinsäuren und Proteinen, Stoffwechsel, Energiefluss, Selbstorganisation und -steuerung, Lebenszyklus, Reizbarkeit, Motilität und Fortpflanzung. Da die Entwicklungsbiologie trotz erheblicher Fortschritte viele Fragen zur menschlichen Frühentwicklung noch nicht beantworten kann und insbesondere die Deutung des komplexen Zusammenspiels zwischen embryonalen und extraembryonalen sowie mütterlichen Faktoren hinsichtlich der Selbststeuerung, die eines der Definitionsmerkmale für ein Lebewesen ist, noch als offen gelten muss, kommen im Blick auf den genauen Zeitpunkt grundsätzlich unterschiedliche biologische Entwicklungsstadien in Betracht, auf die sich die Festlegung des Beginns eines individuellen Lebewesens beziehen kann: der Abschluss der zweiten Reifeteilung (sog. Vorkernstadium), die Syngamie (Auflösung der Vorkernmembranen und Anordnung der haploiden Chromosomensätze in der Äquatorialebene, sog. Zygote), erste Zellteilung, Aktivität des embryonalen Genoms im 4- bis 8Zell-Stadium,8 Differenzierung von Embryo- und Trophoblast am dritten Entwicklungstag, Nidation um den 7. Tag sowie der Abschluss möglicher Zwillingsbildung nach ca. 14 Tagen. Vor diesem Hintergrund spricht angesichts des prozesshaften Charakters biologischer Entwicklung meines Erachtens vieles dafür, in den ersten Tagen nach der Befruchtung eine Art Konstitutionsphase des neuen Lebewesens anzunehmen, in der es nicht zwingend ist, bereits mit dem Abschluss der Befruchtung einen vollen Würde- und Lebensschutz anzusetzen. Vielmehr ist es auch mit einer substanzontologischen Konzeption vereinbar, z. B. bis zur Nidation einen größeren Abwägungsspielraum einzuräumen als dies nach als vollendet angesehener Konstitution als Lebewesen der Fall ist. Die Annahme einer Konstitutionsphase ist auch mit Blick auf 8
Vgl. Quante 2002.
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die hohe Rate an nicht entwicklungsfähigen Embryonen, die nach wenigen Tagen absterben, plausibel und führt nicht zu dem irritierenden und letztlich den Würdebegriff degradierenden Ergebnis, dass der Großteil würdebegabter Menschen nie geboren wird.9
II. Moralischer Status und Ansprüche Ob man von einer substanz- oder einer funktionsontologischen Konzeption ausgeht, entscheidet noch nicht abschließend darüber, welche Art von Ansprüchen dem Embryo in vitro in welcher Stärke zustehen. Zunächst kann man grundsätzlich sagen, dass Ansprüche auf der Grundlage einer substanzontologischen Konzeption stärker sind als diejenigen, die sich aus einer funktionsontologischen Vorannahme ergeben, so dass wir uns mit Blick auf die Präimplantationsdiagnostik (PID) auf erstere beschränken können. Die Frage, ob und inwiefern es im Rahmen einer substanzontologischen Sichtweise zu Graduierungen und Abwägungen kommen kann, ist – wie wir gesehen haben – jedoch nicht entschieden. Nach einer sehr strikten, allein auf den Status gründenden Auslegung, die diesen mit dem Zeitpunkt der Befruchtung im Sinne einer subjektiven Trägerschaft von Menschenwürde für gegeben hält, kann die Einschränkung des Schutzanspruches auf Leben des Embryos nur dann in Betracht kommen, wenn das Leben der Mutter gefährdet ist. Nach einer Auffassung, die von einer Konstitutionsphase ausgeht, den Würde- mit dem Lebensschutz nicht gleich setzt und zusätzlich unterschiedliche Handlungsumstände berücksichtigt, sind darüber hinaus gehende Abwägungen ethisch zulässig. Allerdings müssen die Güter, die im Rahmen einer zulässigen Abwägung dem Leben des Embryos entgegen stehen, hochrangig sein, und der Konflikt darf nicht auf weniger problematische Weise gelöst werden können als durch einen Eingriff in das Leben des Embryos. Gesetzgebung und Rechtsprechung zu Fragen des Umgangs mit Embryonen in vitro und in vivo sind seit langer Zeit Gegenstand zutiefst kontroverser Diskussionen. Nicht selten wird dem deutschen Gesetzgeber vorgeworfen, er habe inkonsistente Regelungen etabliert. Den strafrechtlichen 9
Dieser Ansatz würde auch bedeuten, einen durch Klonen auf dem Wege des Kerntransfers entstandenen menschlichen Embryo nicht schon als subjektiven Träger der Menschenwürde ansehen zu müssen – mit der Folge, dass wir durch Zusammenführung unterschiedlicher Zellbestandteile nach dem Baukastenprinzip Würde gleichsam produzieren könnten.
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Regelungen des Embryonenschutzgesetzes wird beispielsweise nachgesagt, sie stünden in krassem Widerspruch zu denen des Schwangerschaftsabbruchs, was zuweilen in dem zynischen Diktum mündet, ein Embryo sei so lange geschützt bis er sich im Bauch einer Frau befinde. Die BGHRechtsprechung zum Thema „Kind als Schaden“ ist immer wieder Gegenstand öffentlicher Empörung und begegnet auf ärztlicher Seite erheblichen Verständnisschwierigkeiten, ja führt geradezu zu einer Beförderung von Schwangerschaftsabbrüchen. Die Liste der Beispiele könnte noch fortgesetzt werden. Vor diesem Hintergrund ist es lohnend zu fragen, ob nicht die Differenz zwischen substanz- und funktionsontologischen Deutungshorizonten bei den Kontroversen eine erhebliche Rolle spielt. Der Gesetzgeber und das Bundesverfassungsgericht scheinen mir vom ethischen Ansatz her eine substanzontologische Konzeption zugrunde zu legen. In der straf- oder zivilrechtlichen Regelung spezifischer Konfliktkonstellationen bleibt ihnen allerdings kaum etwas anderes übrig, als konkrete, operationalisierbare Anknüpfungspunkte vor dem Hintergrund eines gewissen Interessensausgleichs zu benennen, was auch die Definition bestimmter Zeitpunkte in der embryonalen Entwicklung umfasst, die eine Art Trennwand zwischen Erlaubtem und Unerlaubtem markieren, wie z. B. die Verschmelzung der Vorkerne oder die 12. Schwangerschaftswoche. Wenn ihnen dann aber in einem Rückschluss unterstellt wird, sie verträten letztlich einen funktionsontologischen Ansatz und damit ein graduierendes Würdekonzept, so geht diese Kritik – zumindest in ihrem deutenden Teil – fehl. Meines Erachtens richtig ist jedoch, dass der zugrunde gelegte ethische Ansatz konsistenter ausbuchstabiert werden könnte. Darüber hinaus wäre es ein Fortschritt in der juristischen und politischen Diskussion, wenn der Verweisungszusammenhang zwischen biologischen Erkenntnissen auf der einen Seite und sich stets darauf beziehenden ethischen sowie rechtlichen Normen zum Umgang mit menschlichen Embryonen auf der anderen Seite in stärkerem Maße berücksichtigt würde.
Literatur Damschen, G.; Schönecker, D. (Hg.): Der moralische Status menschlicher Embryonen. Berlin, New York; Walter de Gruyter 2001. Gerhardt, V.: Der Mensch wird geboren. Kleine Apologie der Humanität. München 2001, C.H. Beck.
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Honnefelder, L.: Pro Kontinuumsargument: Die Begründung des moralischen Status des menschlichen Embryos aus der Kontinuität der Entwicklung des ungeborenen zum geborenen Menschen. in: Damschen, G.; Schönecker, D. (Hg.): Der moralische Status menschlicher Embryonen. Berlin, New York 2003, 61-81. Walter de Gruyter. Merkel, R.: Contra Speziesargument: Zum normativen Status des Embryos und zum Schutz der Ethik gegen ihre biologistische Degradierung. in: Damschen, G.; Schönecker, D. (Hg.): Der moralische Status menschlicher Embryonen. Berlin, New York 2003, 35-58. Walter de Gruyter. Quante, M: Personales Leben und menschlicher Tod. Personale Identität als Prinzip der biomedizinischen Ethik. Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 1573, Frankfurt am Main 2002. Singer, P.: Reproductive choices and state policy. Jansen, R.; Mortimer, D. (Hg.): Towards reproductive certainty. Fertility and genetics beyond 1999. The plenary proceedings of the 11th World Congress on In vitro Fertilization and Human Reproductive Genetics. New York, London 1999, 481-487. Steinbock, B.: Life before birth. The moral and legal status of embryos and fetuses. New York, Oxford 1992. Strong, C.: The moral status of preembryos, embryos, fetuses, and infants. J Med Philos 22 (1997), 457-478.
Pränatale Diagnostik und Präimplantationsdiagnostik auf dem Prüfstand des österreichischen Rechts Erwin Bernat
I.
Vorbemerkung
Die Diskussion der Frage, ob – und gegebenenfalls in welchem Ausmaß – der Einsatz der pränatalen Diagnostik (PND) und der Präimplantationsdiagnostik (PID) legitim ist, verläuft in Österreich nicht anders als in Deutschland: Auch in Österreich kann man sich schon über Grundsätzliches nicht einigen; und ein Konsens auf der Ebene der Rechtspolitik steht in weiter Ferne. Dieser Befund ist freilich alles andere als überraschend. Denn im Kern ist die gegenwärtige Debatte nichts anderes als eine Variation über ein altes Thema, nämlich den Schwangerschaftsabbruch. Diese Debatte wird nun vor dem Hintergrund neuer diagnostischer Verfahren fortgeführt, sie ändert aber nichts an den zwei altbekannten Grundfragen. Erstens: Gibt es ein Recht des Embryos auf sein Leben? Und zweitens: Welchen Stellenwert hat der Wunsch einer Frau (eines Paares), abtreiben zu lassen? Zu diesen beiden Fragen gesellt sich nun aber eine dritte. Diese Frage lautet: Ist das Interesse, über bestimmte unerwünschte Eigenschaften des Ungeborenen Bescheid zu wissen, durch Recht und Moral zu schützen? Die Frage, ob Eltern das Recht haben, entsprechend informiert zu werden, ist freilich unmittelbar mit den zuvor erwähnten – und aus der Schwangerschaftsabbruchsdebatte wohlbekannten – Grundfragen verknüpft. Anders gewendet: Wer ein Recht von Embryonen auf das Leben dem Grunde nach anerkennt, darf die Frage, ob es legitim ist abzutreiben, eigentlich gar nicht mehr stellen.1 A fortiori verbietet es sich in diesem 1
Anders aber Thomson, A defense of abortion, Philosophy & Public Affairs 1 (1971) 47–66 und Regan, Rewriting Roe v. Wade, Mich. L. Rev. 77 (1979) 1569–1646, die beide ein Recht der Frau anerkennen, eine Abtreibung vor-
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Fall, darüber nachzudenken, ob es einen Anspruch gibt, über bestimmte unerwünschte Eigenschaften des Ungeborenen informiert zu werden. Und wer umgekehrt ein starkes Recht von Frauen auf Abtreibung bejaht, der muss die Frage, ob denn ein grundsätzliches Recht des Embryos auf sein Leben anerkannt werden darf, dem Grunde nach verneinen. Denn ein Recht des Ungeborenen, nicht getötet zu werden (d. h. sein Lebensrecht), schließt das Recht einer Frau auf Abtreibung (d. h. auf aktive Tötung der Leibesfrucht) mehr oder weniger2 kategorisch aus. Und hätte auch der Embryo in vitro ein Recht auf Leben, dürfte keinesfalls entschieden werden, ihn einfach absterben zu lassen (d. h. ihn passiv zu töten).3 Das Recht auf Abtreibung und das Entscheidungsrecht der Frau darüber, ob ein in vitro gezeugter Embryo in ihren Körper übertragen werden soll, führen allerdings nicht zwangsläufig zu einer (kategorischen) Erlaubnis von PND und PID. Zwar können diese Verfahren (unter der Annahme entsprechender Freiheitsrechte der Frau) keine Rechte des Ungeborenen verletzen, aber es mag vielleicht gute Gründe geben, PND und PID dennoch nicht – oder zumindest nicht uneingeschränkt – zuzulassen; etwa Gründe sozialer Natur.
nehmen zu lassen, gleichzeitig aber nicht bestreiten, dass der Embryo Träger eines Rechts auf Leben ist. Thomson und Regan gehen freilich im Kern von der These aus, dass der Schwangerschaftsabbruch nicht als aktive, sondern bloß als passive Tötung des Ungeborenen zu begreifen sei und daher mangels Garantenstellung der Frau (arg.: „Mein Bauch gehört mir“) nicht verboten werden dürfe (so im Ansatz auch Bernsmann, Forum: Schwangerschaftsabbruch zwischen „Töten“ und „Sterbenlassen“ – Überlegungen zum „Geiger-Fall“, JuS 1994, 9– 14). Kritisch Merkel, Forschungsobjekt Embryo, 2002, S. 89 ff., insb. 97 ff. 2
Eine Sonderstellung nimmt freilich der Schwangerschaftsabbruch wegen medizinischer Indikation (jedenfalls soweit eine Abtreibung wegen Lebensgefahr für die Schwangere indiziert ist) und nach Vergewaltigung der Frau ein. Vgl. dazu Attorney General v. X and Others [1992] ILRM 401.
3
Vgl. Hoerster, Ein „verringertes“ Lebensrecht zur Legitimation der Fristenregelung?, NJW 1997, 773; ders., Nur eine konsequente Antwort kann befriedigen, Universitas 40 (1993) 214–218; Bernat, Rechtsethische Entscheidungskonflikte am Anfang und Ende des menschlichen Lebens, in: Strasser/Starz (Hrsg.), Personsein aus bioethischer Sicht, ARSP-Beiheft Nr. 73, 1997, S. 172 (180); Jakobs, Rechtmäßige Abtreibung von Personen?, JR 2000, 404 ff.
Pränatale Diagnostik und Präimplantationsdiagnostik
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II. Präimplantationsdiagnostik und pränatale Diagnostik im österreichischen Recht Der Begriff Präimplantationsdiagnostik ist im österreichischen Recht genau so wenig verbum legale wie im deutschen. Dessen ungeachtet ist die PID durch § 9 Abs. 1 Satz 1 und 2 des 1992 verabschiedeten Fortpflanzungsmedizingesetzes (FMedG)4 verboten worden. Dort heißt es nämlich: „Entwicklungsfähige Zellen dürfen nicht für andere Zwecke als für medizinisch unterstützte Fortpflanzungen verwendet werden. Sie dürfen nur insoweit untersucht und behandelt werden, als dies nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft und Erfahrung zur Herbeiführung einer Schwangerschaft erforderlich ist.“ Der Begriff „entwicklungsfähige Zellen“ wird in § 1 Abs. 3 FMedG definiert. Danach sind entwicklungsfähige Zellen „befruchtete Eizellen und daraus entwickelte Zellen“, also Embryonen (in vitro). Der Gesetzgeber wollte mit § 9 Abs. 1 FMedG ein lückenloses Forschungsverbot verankern, das nicht nur die sog. „verbrauchende Forschung“ erfasst. Die amtlichen Erläuterungen zur Regierungsvorlage des FMedG bestätigen diesen Eindruck in unmissverständlicher Weise, wenn sie zu § 9 FMedG ausführen: „Eine Untersuchung oder Behandlung zur Abwehr einer möglichen Gefahr für die Frau oder das Kind soll – wie bei der natürlichen Fortpflanzung – nicht in Betracht kommen.“5 Offensichtlich wollte der Gesetzgeber mit § 9 Abs. 1 FMedG nicht nur die PID verbieten, sondern auch jedes noch so Erfolg versprechende therapeutische Experiment, das das Ziel verfolgt, das Leben des aus dem Embryo in vitro entstehenden Menschen zu erhalten bzw. seine Gesundheit zu verbessern. Dieses Verbot ist freilich völlig überschießend und verstößt auch gegen den Gleichheitssatz (Art. 7 B-VG). Wenn die Eltern eines obsorgeberechtigten Kindes sogar verpflichtet sind, dieses Kind medizinisch versorgen zu lassen, dann ist es völlig unverständlich, ihnen das Recht abzusprechen, Behandlungen am Embryo in vitro vornehmen zu lassen, 4
BGBl. 1992/275 i.d.g.F. Zu diesem Gesetz Bernat, Das Fortpflanzungsmedizingesetz: Neue Rechtspflichten für den österreichischen Gynäkologen, Gynäkologisch-geburtshilfliche Rundschau 33 (1993) 2–10.
5
Erl. zur RV des FMedG, 216 Beil. Sten. Prot. NR, 18. GP, S. 20.
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die dazu beitragen könnten, das Leben des künftigen Kindes zu erhalten bzw. seine Gesundheit zu verbessern. Die PID ist in Österreich – praktisch betrachtet – nicht nur wegen § 9 Abs. 1 FMedG verboten. Das Verbot der PID ist auch mittelbare Folge von § 2 Abs. 2 FMedG. Diese Bestimmung beschränkt die Zulässigkeit der Invitro-Fertilisation (IVF) auf jene Wunschelternpaare, bei denen „nach dem Stand der Wissenschaft und Erfahrung alle anderen möglichen und zumutbaren Behandlungen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft durch Geschlechtsverkehr erfolglos gewesen oder aussichtslos sind.“ Paare, die etwa durch eine PID wissen wollen, ob ihr zukünftiges Kind an einer Erbkrankheit leiden wird, sind freilich nicht notwendigerweise steril. Können sich Wunscheltern durch Geschlechtsverkehr fortpflanzen, werden sie schon durch § 2 Abs. 2 FMedG von der IVF (und damit in weiterer Folge von der PID) ausgeschlossen.6 Die PID wird in jenen Ländern, die sie erlauben, vor allem mit der Zielsetzung durchgeführt, abzuklären, ob das Kind eine X-chromosomal gebundene oder eine autosomal-rezessive Erbkrankheit haben bzw. entwickeln würde.7 Dazu zählen etwa tödlich verlaufende Erkrankungen wie die Duchennesche Muskeldystrophie, die Tay-Sachs-Erkrankung oder Chorea Huntington. Schon heute kann die moderne Pränatalmedizin solche Erkrankungen durch Amniozentese oder Chorionzottenbiopsie, also durch pränataldiagnostische Verfahren (in vivo), abklären.8 Für den Fall, dass die PND
6
Vgl. Bernat, Recht und Humangenetik – ein österreichischer Diskussionsbeitrag, in: Festschrift f. Erich Steffen, 1995, S. 33 (36 f.); ders., in: Bundesministerium für Justiz/Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generationen (Hrsg.), Fortpflanzungsmedizin – Ethik und Rechtspolitik, 2001, S. 103 f.
7
Vgl. zum letzten Stand der Entwicklung Feichtinger, Über die Präimplantationsdiagnostik (PID) beim Menschen aus klinischer Sicht, Wien. med. Wschr. 2003, 485 ff.; Kanavakis/Traeger-Synodinos, Preimplantation genetic diagnosis in clinical practice, J. Med. Genet. 39 (2002) 6 ff.; Tasca/McClure, The emerging technology and application of preimplantation genetic diagnosis, J. L. Med. & Ethics 26 (1998) 7 ff.
8
Vgl. nur Botkin, Prenatal diagnosis and the selection of children, Florida State Univ. L. Rev. 30 (2003) 265 (278–283).
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durch eine Genanalyse9 erzielt wird, müssen in Österreich die Regeln des Gentechnikgesetzes (GTG)10 beachtet werden. Die einschlägige Bestimmung11 ordnet folgendes an: „Eine Genanalyse [zur Feststellung einer Prädisposition für eine Krankheit, insbesondere der Veranlagung für eine möglicherweise zukünftig ausbrechende Erbkrankheit, oder zur Feststellung eines Überträgerstatus] darf im Rahmen einer pränatalen Untersuchung nur, soweit dies medizinisch geboten ist, und nach schriftlicher Bestätigung der Schwangeren, dass sie zuvor durch einen [in Humangenetik ausgebildeten Arzt oder einen für das betreffende Indikationsgebiet zuständigen Facharzt] über Wesen, Tragweite und Aussagekraft der Genanalyse und über Risken des vorgesehenen Eingriffes aufgeklärt worden ist und der Genanalyse zugestimmt hat, durchgeführt werden.“ § 65 Abs. 3 GTG steht in unmittelbarem Zusammenhang mit § 97 Abs. 1 StGB, der Regelung über die „Straffreistellung“ des Schwangerschaftsabbruchs. Schwangerschaftsabbrüche sind zwar nach österreichischem Recht an sich verboten und auch strafbar (§ 96 StGB). Ausgenommen von der Strafbarkeit ist der Arzt allerdings, wenn er den Eingriff innerhalb der ersten drei Monate nach Beginn der Schwangerschaft und nach vorhergehender ärztlicher Beratung vornimmt und die Frau in den Abbruch eingewilligt hat.12 Es gilt also die sog. Fristenregelung, die nach Ansicht des österreichischen Verfassungsgerichtshofs (VfGH) mit der österreichischen Verfassung im Einklang steht.13 Insbesondere hat der 9
Im Sinne des österreichischen Gentechnikgesetzes (BGBl. 1994/510 i.d.g.F.) wird der Begriff Genanalyse definiert als „die molekulargenetische Untersuchung an Chromosomen, Genen und DNS-Abschnitten eines Menschen zur Feststellung von Mutationen“ (§ 4 Z 23 GTG). Abdruck dieses Gesetzes bei Dierks et al. (Hrsg.), Genetische Untersuchungen und Persönlichkeitsrecht, 2003, S. 119–147.
10
Vgl. dazu vorerst Bernat, Die Humangenetik im Spiegel von Recht und Ethik, in: Schumacher/Sauer (Hrsg.), Herzfehler und Genetik, 1999, S. 38–44.
11
§ 65 Abs. 3 GTG.
12
§ 97 Abs. 1 Z 1 StGB.
13
VfGH 11.10.1974 VfSlg. 7.400. – Die Entscheidung stieß auf geteilte Zustimmung; kritisch etwa Novak, Das Fristenlösungs-Erkenntnis des österreichischen
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VfGH in seinem Erkenntnis vom 11.10.1974 betont, dass der Embryo kein Grundrechtsträger ist und folglich auch kein von der Verfassung abgesichertes Recht auf Leben besitzt.14 Neben der sog. Fristenregelung sind in § 97 Abs. 1 StGB die embryopathische, die medizinische15 und die sog. Unmündigenindikation16 verankert worden. In diesen drei Fällen ist der Schwangerschaftsabbruch bis unmittelbar vor Geburt straffrei. Eine zeitliche Schranke innerhalb der Schwangerschaft wurde also im Fall des Abbruchs wegen embryopathischer Indikation – im Gegensatz zum früheren deutschen Recht17 – nicht verankert. Verfassungsgerichtshofes, EuGRZ 1975, 197–200; Pernthaller, JBl. 1975, 316–318; Waldstein, Rechtserkenntnis und Rechtsprechung. Bemerkungen zum Erkenntnis des VfGH über die Fristenlösung, JBl. 1976, 505–512 und 574–584; antikritisch hingegen Kopetzki, Grundrechtliche Aspekte der Biotechnologie am Beispiel des „therapeutischen Klonens“, in: Kopetzki/Mayer (Hrsg.), Biotechnologie und Recht, 2002, S. 15 (19–39); Melichar, Das Erkenntnis des österreichischen Verfassungsgerichtshofes über die sogenannte „Fristenlösung“, in: Festschrift f. Alexander Dordett, 1976, S. 91–106; Rosenzweig, Drei Verfassungsgerichte zur Fristenlösung, in: Festschrift f. Christian Broda, 1976, S. 231–266. 14
Der VfGH musste prüfen, ob die in Österreich in Verfassungsrang erhobene Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) ein Recht des Ungeborenen auf das Leben anerkennt. Art. 2 Abs. 1 EMRK sagt – ähnlich wie Art. 2 Abs. 2 Fall 1 des Bonner GG: „Das Recht jedes Menschen auf das Leben wird gesetzlich geschützt.“ Nach Auffassung des VfGH spricht eine „Betrachtung des gesamten Textes des Art. 2 EMRK in seinem Zusammenhang […] nicht dafür, dass mit dieser Bestimmung auch das keimende Leben erfasst wird“ (VfGH 11.10.1974 VfSlg. 7.400). In diesem Sinn auch die Rechtsprechung der Straßburger Konventionsorgane: Paton v. United Kingdom, DR 19, 244 = EHRR 3 (1980) 408 (Europäische Kommission v. 13.5.1980) sowie jüngst Vo v. France, NJW 2005, 727 (EGMR v. 8.7.2004); zu dieser Entscheidung vgl. Groh/LangeBertalot, Der Schutz des Lebens Ungeborener nach der EMRK, NJW 2005, 713–716.
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Der Schwangerschaftsabbruch ist danach nicht strafbar, wenn er „zur Abwendung einer nicht anders abwendbaren ernsten Gefahr für das Leben oder eines schweren Schadens für die körperliche oder seelische Gesundheit der Schwangeren erforderlich ist“.
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Der Schwangerschaftsabbruch ist danach nicht strafbar, „wenn die Schwangere zur Zeit der Schwängerung unmündig gewesen ist“.
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Nach § 218a Abs. 3 StGB i.d.F. des 15. StÄG (BGBl. I 1976, S. 1213) war der Schwangerschaftsabbruch wegen Vorliegens der embryopathischen Indikation
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Die Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen wegen embryopathischer Indikation ist durch § 97 Abs. 1 Z 2 Fall 2 StGB sehr weitgehend straffrei gestellt worden. Das Gesetz gewährt Straffreiheit, wenn „eine ernste Gefahr besteht, dass das Kind geistig oder körperlich schwer geschädigt sein werde“. Während § 218a Abs. 2 Nr. 1 deutsches StGB a. F. die Straffreiheit des Abbruchs wegen embryopathischer Indikation u. a. davon abhängig machte, dass „von der Schwangeren die Fortsetzung der Schwangerschaft nicht verlangt werden kann“, fehlt es in § 97 Abs. 1 Z 2 Fall 2 StGB an einer solchen „Unzumutbarkeitsklausel“. Offenbar ging der österreichische Gesetzgeber davon aus, dass der Frau die Fortführung der Schwangerschaft bei Vorliegen einer embryopathischen Indikation nie zumutbar sei, wenn sie den Arzt um einen Abbruch ersucht.18 – Mit dieser Ratio wurde wohl auch die Straffreiheit des frühen Schwangerschaftsabbruchs durch die sog. Fristenregelung (§ 97 Abs. 1 Z 1 StGB) legitimiert.19 Unklar ist nach dem Wortlaut von § 97 Abs. 1 Z 2 Fall 2 StGB, ob für das Vorliegen der embryopathischen Indikation die ernste Gefahr ausreicht, dass die schwere geistige oder körperliche Schädigung erst Jahre oder gar erst Jahrzehnte nach der Geburt des betroffenen Kindes ausbricht. nur innerhalb von 22 Wochen post conceptionem straffrei. Vgl. dazu Lackner, Die Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs. Das 15. Strafrechtsänderungsgesetz, NJW 1976, 1233–1244. 18
Andererseits wird gerade in Deutschland betont, dass die „Unzumutbarkeitsklausel“ den Sinn und Zweck gehabt haben soll, die embryopathische Indikation von einer – pejorativ verstandenen – „eugenischen“ Indikation abzugrenzen. Vgl. etwa H.-G. Koch, Landesbericht Bundesrepublik, in: Eser/H.-G. Koch (Hrsg.), Schwangerschaftsabbruch im internationalen Vergleich. Rechtliche Regelungen – Soziale Rahmenbedingungen – Empirische Grunddaten. Teil 1: Europa, 1988, S. 17 (122 f.): „Die eugenische Indikation war schon in der Reformdiskussion nicht unumstritten. Insbesondere wurde die Befürchtung geäußert, ihre Anerkennung würde negativ auf die Einstellung gegenüber geborenem behindertem Leben zurückwirken. Um derartigen Bedenken zu begegnen, hat sich der Gesetzgeber entschlossen, bei der Indikationsformulierung nicht allein auf die (möglicherweise) zu erwartende Schädigung des Kindes abzuheben., sondern die damit induzierte Belastung der Frau selbst ausschlaggebend sein zu lassen.“
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Vgl. Schick, Die Einwilligung in den Schwangerschaftsabbruch, in: Festschrift f. Udo Jesionek, 2002, S. 467 (474 ff.).
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Die Frage hat insb. mit Bezug auf manche Erbleiden, etwa die Chorea Huntington, eine Erkrankung, die sich häufig erst 30 bis 50 Jahre nach der Geburt des Veranlagten manifestiert,20 praktische Bedeutung. Der Gesetzgeber konnte an solche Erkrankungen nicht gedacht haben. Als das StGB im Jahre 1974 verabschiedet wurde, fehlte es ja an entsprechenden diagnostischen Möglichkeiten. Was ist der Grund für die so weitgehende Straffreistellung des Abbruchs wegen embryopathischer Indikation? Diese Frage lässt sich meines Erachtens sehr klar beantworten. Legislatorisches Motiv für die in § 97 Abs. 1 Z 2 Fall 2 StGB enthaltene Regel war es zweifelsohne, die Frau mit der Last der noch ausständigen Schwangerschaft zu verschonen, wenn sie für sich zu dem Schluss kommt, dem Leben mit einem geistig oder körperlich schwer geschädigten Kind nicht gewachsen zu sein.21 In den Fällen, in denen die Erbkrankheit nicht unmittelbar nach der Geburt des Kindes ausbricht, wird das tägliche Leben für das Kind zunächst zwar „normal“ verlaufen; aber das Wissen um den späteren Ausbruch der Erbkrankheit wird die Mutter dennoch sehr häufig fundamental belasten. Aus diesem Grund erscheint es mir geboten, auch die Veranlagung für schwere Krankheiten, die erst in Zukunft mit jedenfalls großer Wahrscheinlichkeit ausbrechen werden, in den Einzugsbereich des § 97 Abs. 1 Z 2 Fall 2 StGB zu rücken. Für ein solches Ergebnis spricht wohl auch § 65 Abs. 3 GTG, der sich ganz ausdrücklich auf die Diagnose von sog. „late onset diseases“ bezieht (arg.: „Feststellung einer Prädisposition für eine Krankheit, insbesondere der Veranlagung für eine möglicherweise zukünftig ausbrechende Erbkrankheit“).22 20
Vgl. Hengstschläger, Das ungeborene menschliche Leben und die moderne Biomedizin. Was kann man, was darf man?, 2001, S. 84: „Das klinische Bild umfasst Bewegungsstörungen, Gang- und Sprachstörungen, schwere Wesensveränderungen mit fortschreitendem geistigen Verfall. […] Eine heilende Behandlung für diese Krankheit gibt es nicht“.
21
Ebenso für das frühere deutsche Recht Lackner, NJW 1976, 1233 (1238): „Es kommt […] stets darauf an, ob die Pflege und Erziehung des voraussichtlich unheilbar kranken Kindes […] eine kräftemäßig unzumutbare Überforderung der Schwangeren bedeuten würde.“ Ähnlich Beulke, Zur Reform des Schwangerschaftsabbruchs durch das 15. Strafrechtsänderungsgesetz, FamRZ 1976, 596 (599): „Zentrales Kriterium ist auch hier, ob die Austragung der Leibesfrucht und die spätere Pflege des Kindes für die Schwangere selbst eine unzumutbare Belastung darstellen würde.“
22
Lässt sich im Rahmen der PND hingegen feststellen, dass das Kind lediglich heterozygoter Überträger einer erblichen Krankheit ist, also selbst gar nicht von
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Bislang habe ich stets von der „Straffreiheit“ des Schwangerschaftsabbruchs, nicht aber davon gesprochen, dass die Vornahme des Schwangerschaftsabbruchs nach Maßgabe des § 97 Abs. 1 StGB rechtmäßig, also erlaubt ist. Die Frage, ob § 97 Abs. 1 StGB Abtreibungen erlaubt, oder ob der Arzt kraft dieser Bestimmung bloß straffrei gestellt wird, ist freilich heftig umstritten. Die Beantwortung dieser Frage ist aber nicht bloß von akademischem Interesse; im Gegenteil, sie ist geradezu wegweisend für die Entscheidung, ob PND und PID zulässig sein sollen. § 97 Abs. 1 StGB sagt nicht, – ebenso wenig wie § 218a Abs. 1 deutsches StGB a. F.23 –, dass die Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs in den von der Bestimmung genannten Fällen – also auch mit Bezug auf die embryopathische Indikation – gerechtfertigt (d. h. erlaubt bzw. freigestellt) ist.24 Vielmehr ordnet § 97 Abs. 1 StGB bloß an, dass die Tat nach § 96 StGB25 „nicht strafbar“ ist, wenn der Abbruch innerhalb der Dreimonatsfrist oder im Rahmen einer der drei anerkannten Indikationen durchgeführt wird. Was bedeuten die Worte „nicht strafbar“? Wollte der Gesetzgeber lediglich betonen, dass § 97 Abs. 1 StGB nur die Straftatbestandsmäßigkeit der Abtreibung (§ 96 StGB) aufhebt?26 Wäre diese Frage zu bejahen, dieser Erbkrankheit betroffen werden kann, scheidet ein Schwangerschaftsabbruch nach § 97 Abs. 1 Z 2 Fall 2 StGB schon aus grundsätzlichen Überlegungen aus. I.d.S. zum früheren deutschen Recht auch H.-G. Koch, in: Eser/H.-G. Koch (Hrsg.), Schwangerschaftsabbruch im internationalen Vergleich. Teil 1: Europa, 1988, S. 17 (123 [Fn. 234]). 23
Fassung nach dem 15. StÄG, BGBl. I 1976, S. 1213.
24
Ein Rechtfertigungsgrund schafft stets die Erlaubnis, sich über ein strafrechtliches Verbot hinwegzusetzen (vgl. bloß Roxin AT I3, 1997, S. 514). Vom Recht freigestellte Verhaltensweisen können also aus normlogischen Gründen nicht verboten sein (vgl. Koller, Theorie des Rechts. Eine Einführung2, 1997, S. 67 ff.). Diese Schlussfolgerung gebietet freilich auch das Postulat der Einheit der Rechtsordnung. Tlw. a.A. mit Bezug auf die Wirkung der Rechtfertigungsgründe H.-L. Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluss, 1983, S. 380 ff., insb. 383.
25
§ 96 StGB enthält das generelle, an Schwangere und Arzt gerichtete Abtreibungsverbot.
26
I.d.S. etwa – mit Bezug auf die Vornahme des Schwangerschaftsabbruchs wegen embryopathischer Indikation – Schmoller, in: Triffterer (Hrsg.), StGBKommentar. System und Praxis, Rdnr. 31 zu § 97. Triffterer, Zur strafrechtlichen Beurteilung kapselgeschützter Organtransplantationen, in: Festschrift f. Antonio Beristain, 1989, S. 1203 (1213 f.), ordnet die Straffreistellung in § 97 Abs. 1 Z 2 Fall 2 StGB gar nur als Strafausschließungsgrund ein.
34
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verstieße die Abtreibung zwar nicht gegen eine Strafrechtsnorm,27 aber gegen § 22 ABGB, der – in Anlehnung an das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten28 – programmatisch sagt: „Selbst ungeborne Kinder haben von dem Zeitpunkte ihrer Empfängnis an einen Anspruch auf den Schutz der Gesetze. Insoweit es um ihre […] Rechte […] zu tun ist, werden sie als Geborne angesehen.“ Die Lehre, der zufolge § 97 Abs. 1 StGB bloß die Straftatbestandsmäßigkeit der Abtreibung, nicht aber deren Rechtswidrigkeit ausschließt, ist meines Erachtens aus mehreren Gründen verfehlt. Zum einen war es die ganz klare Absicht des Gesetzgebers, sämtliche Fälle des § 97 Abs. 1 StGB als Rechtfertigungsgründe zu qualifizieren.29 Zum anderen könnte das Ziel, das der Gesetzgeber mit der Straffreistellung der Abtreibung vor Augen hatte, gar nicht erreicht werden, wenn § 97 Abs. 1 StGB nicht auch die Rechtswidrigkeit der Abtreibung beseitigen würde. Augenscheinliches Ziel des Gesetzgebers war es ja, die Frau selbst entscheiden zu lassen, ob sie die Schwangerschaft in bestimmten Fällen fortführen oder unterbrechen lassen will.30 Die Frau selbst entscheiden zu lassen, ihr aber nicht gleich27
Anders aber Triffterer, in: Festschrift f. Antonio Beristain, 1989, S. 1203 (1214), der die Vornahme eines Abbruchs wegen embryopathischer Indikation – in sich konsequent (arg.: Strafausschließungsgrund) – als „rechtswidrige Straftat“ begreift.
28
ALR (1794) I 1 § 10: „Die allgemeinen Rechte der Menschheit gebühren auch den noch ungebornen Kindern, schon von der Zeit ihrer Empfängniß.“ Vgl. auch ALR (1794) I 1 § 12: „Bürgerliche Rechte, welche einem noch ungebornen Kinde zukommen würden, wenn es zur Zeit der Empfängniß schon wirklich geboren wäre, bleiben demselben auf den Fall, daß es lebendig zur Welt kommt, vorbehalten.“
29
Vgl. den Justizausschussbericht, 959 Beil. Sten. Prot. NR, 13. GP, S. 23: „Sind die Voraussetzungen einer der drei Ziffern [des § 97 Abs. 1 StGB] gegeben, so ist die Rechtswidrigkeit des Schwangerschaftsabbruches und die Strafbarkeit jedes an der Tat Beteiligten, also nicht nur der Schwangeren, sondern auch des den Abbruch durchführenden Arztes, ausgeschlossen.“
30
Vgl. den Hinweis im Justizausschussbericht, 959 Beil. Sten. Prot. NR, 13. GP, S. 20, auf den Beschluss der Sozialistischen Partei am Villacher Parteitag im April 1972: Das Schwangerschaftsabbruchsrecht sei so zu gestalten, dass der „Konfliktsituation der Frau durch Gewährung eigener Entscheidungsfreiheit […] vollends Rechnung getragen wird“ (Hervorhebung vom Verf.). – Als das
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zeitig ein Entscheidungsrecht einzuräumen, ist schon auf der Grundlage normlogischer Überlegungen nicht wirklich nachvollziehbar. Schließlich sollten auch die – vom Gesetzgeber sicherlich nicht gewollten – Konsequenzen bedacht werden, die gezogen werden müssten, wenn die Vornahme der Abtreibung – unter den von § 97 Abs. 1 StGB genannten Bedingungen – bloß straffrei, wegen § 22 ABGB aber gar nicht erlaubt wäre: Der Gesetzgeber würde den an Schwangerschaftsabbrüchen mitwirkenden Ärzten zumuten, sich an illegalen Vorgängen zu beteiligen und sich unter Umständen gewaltsamer Nothilfe zu Gunsten der Leibesfrucht ausgesetzt zu sehen.31 Und der zivilrechtliche Vertrag, der auf den Abbruch gerichtet ist, wäre wegen Gesetzwidrigkeit (§ 879 Abs. 1 Fall 1 ABGB) nichtig.32 Schließlich ist im jetzigen Zusammenhang auch auf das Verhältnis von Schwangerschaftsabbruch wegen embryopathischer Indikation und pränatale Diagnose hinzuweisen: Auch die Vornahme einer pränatalen Diagnose, mit dem Ziel, gegebenenfalls abtreiben zu lassen, erscheint rechtswidrig, wenn die Abtreibung wegen einer solchen Indikation nicht gerechtfertigt, also nicht erlaubt ist.33 Allerdings ist die Vornahme einer Genanalyse im Rahmen einer pränatalen Untersuchung ganz unzweifelhaft erlaubt, „soweit dies medizinisch geboten ist“ (§ 65 Abs. 3 GTG). Nach den amtlichen Erläuterungen zur Regierungsvorlage des GTG soll durch die Wortfolge „soweit dies medizinisch geboten ist“ zum Ausdruck gebracht werden, dass StGB 1974 (BGBl. Nr. 60) verabschiedet wurde, regierten die Sozialisten (SPÖ) alleine. 31
So für § 218a deutsches StGB i.d.F. des 15. StÄG (BGBl I 1976, S. 1213) in der Tat Tröndle, Soziale Indikation – Rechtfertigungsgrund?, Jura 1987, 66 (73). Für das österreichische Recht ist allerdings durchaus fraglich, ob – Rechtswidrigkeit der straftatbestandslosen Abtreibung einmal unterstellt – das Leben der Leibesfrucht ein notwehrfähiges Rechtsgut ist, weil § 3 Abs. 1 Satz 1 StGB die notwehrfähigen Rechtsgüter taxativ aufzählt und dabei nur das „Leben eines anderen“ erwähnt. Gegen Notwehrfähigkeit des Rechtsgutes „ungeborenes Leben“ mit guten Gründen Schmoller, in: Triffterer (Hrsg.), StGBKommentar. System und Praxis, Rdnr. 22 zu § 97; a.A. aber Lewisch, in: Wiener Kommentar2, Rdnr. 39 zu § 3.
32
Vgl. Bertel/Metka, Das kapselgeschützte Homoiotransplantat und der Schutz des werdenden Lebens im österreichischen StGB, Zbl. Rechtsmed. 79 (1977) 17 (21).
33
Vgl. Bernat, Unerwünschtes Leben, unerwünschte Geburt und Arzthaftung: der österreichische „case of first impression“ vor dem Hintergrund der anglo-amerikanischen Rechtsentwicklung, in: Festschrift f. Heinz Krejci, 2001, S. 1041 (1066).
36
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der Arzt „nur Merkmale, die auf zukünftige ernsthafte Krankheiten des Ungeborenen hinweisen, keinesfalls aber nichtkrankheitsbezogene Persönlichkeitsmerkmale“ durch PND ausforschen darf.34 Das heißt mit anderen Worten, dass § 65 Abs. 3 GTG die Genanalyse im Rahmen einer PND nach Maßgabe der Straffreistellung des § 97 Abs. 1 Z 2 Fall 2 StGB erlaubt. § 65 Abs. 3 GTG bestätigt somit die Rechtfertigungsthese, weil es widersprüchlich erscheint, Pränataldiagnosen zu erlauben, den Abbruch wegen Vorliegens einer embryopathischen Indikation aber zu untersagen.35 Auch der erste Senat des OGH hat sich in einer wegweisenden Haftungsentscheidung für die Rechtfertigungsthese ausgesprochen,36 und zwar mit durchaus plausiblen Gründen: Der Gesetzgeber habe mit der Straffreistellung des Schwangerschaftsabbruchs nicht zuletzt auch das Ziel verfolgt, „das Interesse der Allgemeinheit an einer möglichst wenig gefährlichen, d. h. kunstgerechten Vornahme des Schwangerschaftsabbruchs“ zu wahren. Und „[d]ieses Ziel wäre nicht zu erreichen“, heißt es weiter, „wenn selbst in indizierten Fällen der Schwangerschaftsabbruch mit dem Makel des Illegalen behaftet wäre.“37 Fassen wir die bisherigen Überlegungen zusammen, so ergibt sich folgendes Bild. Es ist verboten, am Embryo in vitro eine PID durchzuführen. Ja, nicht einmal ein therapeutischer Heilversuch zugunsten des Embryos in vitro ist erlaubt (arg. § 9 Abs. 2 Satz 2 FMedG). Hingegen gestattet das österreichische Recht die Vornahme einer PND (arg. § 65 Abs. 3 GTG) und – bei positivem Befund – die Abtreibung (§ 97 Abs. 1 Z 2 Fall 2 StGB). Bedauerlicherweise hat der Gesetzgeber die Konsequenzen des Verbots der PID gar nicht bedacht bzw. seine Augen vor den Folgen dieses Verbots verschlossen. Nimmt man § 9 Abs. 1 Satz 2 FMedG nämlich beim Wort, so wäre Wunscheltern eines IVF-Programmes, die um die Gesundheit des erhofften Kindes besorgt sind, zu raten, den (möglicherweise) er34
1465 Beil. Sten. Prot. NR, 18. GP, S. 63.
35
Bernat, in: Festschrift f. Erich Steffen, 1995, S. 33 (40). Zustimmend Kopetzki, Landesbericht Österreich, in: Taupitz (Hrsg.), Das Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin des Europarates – taugliches Vorbild für eine weltweit geltende Regelung?, 2002, S. 197 (223).
36
OGH 25.5.1999 JBl. 1999, 543 = RdM 1999, 177 m. Anm. Kopetzki = SZ 72/91.
37
Diese Auffassung entspricht im Übrigen vollinhaltlich der deutschen Rechtsprechung zu § 218a Abs. 1 deutsches StGB i.d.F. des 15. StÄG. – Vgl. BGH 18.1.1983 BGHZ 86, 240 (243) = JZ 1983, 447 m. Anm. Deutsch.
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krankten Embryo in vitro einpflanzen und sodann – wie nach koitaler Befruchtung – eine PND (in utero) durchführen zu lassen. Lässt sich aufgrund des humangenetischen Befundes ableiten, dass das Kind überwiegend wahrscheinlich „geistig oder körperlich schwer geschädigt sein werde“, dürfte die Schwangere (arg.: Rechtfertigungsgrund) – ohne zeitliche Grenze, also bis zur Geburt – abtreiben lassen. Die unterschiedliche Behandlung von PID und PND kann schon vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlich abgesicherten Gleichheitssatzes (Art. 7 B-VG) nicht wirklich begründet werden. Es ist nämlich überhaupt nicht einzusehen, dass mit zweierlei Maß gemessen werden soll. Anders gewendet: Es gibt keine Eigenschaften des Embryos in vitro, die es geboten erscheinen lassen, sein „genetisches Inkognito“38 vor dem Transfer stärker zu schützen als danach (arg. § 65 Abs. 3 GTG). Lebensschutzerwägungen spielen demgegenüber eine bloß untergeordnete Rolle. Denn § 9 Abs. 1 FMedG schützt das Leben des Embryos in vitro nur vor sog. „verbrauchender Forschung“, nicht aber schlechthin.39 Diese Bestimmung hat nämlich nicht das Ziel, dem Embryo ein Anspruchsrecht auf Leben zu garantieren. Denn der Embryo in vitro hat kein Recht, in den Uterus einer Frau eingepflanzt und dort ausgetragen zu werden. Ein solches Recht verstößt nämlich zweifelsohne gegen das Recht der Frau zu entscheiden, „ob eine Schwangerschaft wirklich eingeleitet wird oder ob sie aus medizinischen, sozialen oder aus welchen Gründen immer die IVF abbrechen“ möchte.40 § 8 Abs. 4 FMedG spricht diese Wertung sogar ein38
So treffend W. Lübbe, Das Problem der Behindertenselektion bei der pränatalen Diagnostik und der Präimplantationsdiagnostik, Ethik Med. 15 (2003) 203 (216).
39
Vgl. 216 Beil. Sten. Prot. NR, 18. GP, S. 12, wo es heißt, dass „Forschungen [an Embryonen in vitro], mögen sie auch als noch so wichtig für die Wissenschaft erscheinen, unzulässig sein“ sollen.
40
So treffend Hufen, Präimplantationsdiagnostik aus verfassungsrechtlicher Sicht, MedR 2001, 440 (443); anders bloß Coester-Waltjen, Die künstliche Befruchtung beim Menschen – Zulässigkeit und zivilrechtliche Folgen. Gutachten B für den 56. DJT, 1986, S. 106: Die potenziellen Eltern des Embryos in vitro seien prinzipiell „verpflichtet, allen aus ihren befruchteten Keimzellen entstehenden Embryonen eine Lebenschance einzuräumen. Sie können demnach nicht rechtswirksam dahin einwilligen, dass ihre Keimzellen lediglich zu Forschungszwecken befruchtet und die sich daraus entwickelnden Embryonen zur Forschung verwendet werden. Sie dürfen die Einpflanzung eines aus ihren Keimzellen entstandenen Embryos nicht verweigern“ (Hervorhebung vom Verf.).
38
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deutig aus: Die Frau darf niemals zur Duldung eines Embryotransfers gezwungen werden. Hat die Frau vor der IVF auch schon dem Embryotransfer zugestimmt, kann sie ihre Zustimmung „bis zur Einbringung der entwicklungsfähigen Zellen in ihren Körper“ widerrufen.41 Vergleichen wir die rechtliche Regelung von PID und PND, wie sie im österreichischen Recht umgesetzt worden ist, mit den entsprechenden deutschen Gesetzesvorschriften, so ergibt sich ein erstaunlicher Gleichklang.42 Allerdings fehlt es in Deutschland bekanntlich ebenso wenig an Kritikern des geltenden Rechts wie in Österreich. Sehr pointiert sagt etwa Rudolf Neidert: „Wenn also das Gesetz den indizierten Abbruch der Schwangerschaft mit Todesfolge für den Foetus als rechtmäßig bezeichnet, wie sollte dann der Verzicht auf eine Schwangerschaft im Falle einer genetisch indizierten PID mit der vergleichbaren Folge, dass der Embryo abstirbt, rechtswidrig, ja strafbar sein?“43 41
Richtig fragt daher Honnefelder, Die Frage nach dem moralischen Status des menschlichen Embryos, in: Höffe/Honnefelder/Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Gentechnik und Menschenwürde, 2002, S. 79 (103): „Hat nicht ein Embryo [in vitro], […] dessen Annahme durch die Mutter abgelehnt wird, einen anderen Status als der auf Schwangerschaft und Geburt hin angelegte Embryo?“
42
Ob die PID kraft des Embryonenschutzgesetzes (ESchG, BGBl. I 1990, S. 2746) allerdings umfassend verboten ist, wird in Deutschland sehr kontrovers diskutiert. Vgl. zum Meinungsstand jüngst Böcher, Präimplantationsdiagnostik und Embryonenschutz. Zu den Problemen der strafrechtlichen Regelung eines neuen medizinischen Verfahrens, 2004, S, 135 ff.
43
Neidert, Sollen genetische Analysen am frühen Embryo zugelassen werden? Präimplantationsdiagnostik in juristischer Sicht, in: Kreß/Racké (Hrsg.), Medizin an den Grenzen des Lebens. Lebensbeginn und Lebensende in der bioethischen Kontroverse, 2002, S. 33 (39); vgl. auch Böckenförde, Menschenwürde als normatives Prinzip. Die Grundrechte in der bioethischen Debatte, JZ 2003, 809 (814 f.); Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“, Schlussbericht, BT-Drucks. 14/9020, S. 84–115; Frommel, Auslegungsspielräume des Embryonenschutzgesetzes, Journal für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie 1 (2004) 104–112; Hepp, Präimplantationsdiagnostik – medizinische, ethische und rechtliche Aspekte, Dt. Ärztebl. 97 (2000) A1213–A1221; Hörnle, Präimplantationsdiagnostik als Eingriff in das Lebensrecht des Embryos?, GA 2002, 659–665; Klinkhammer, Keine unkritische Ausweitung, Dt. Ärztebl. pp 3 (2004) 119; Laufs, Die deutsche Rechtslage: zur Präimplanta-
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Für eine gesetzliche Zulassung der PID sprechen in der Tat – jedenfalls vor dem Hintergrund der gesetzlichen Wertung, dass die Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs wegen embryopathischer Indikation freigestellt ist – die folgenden Argumente. Die meisten Frauen, die sich für die PND und einen nachfolgenden Schwangerschaftsabbruch entscheiden, würden sich wohl für die Vornahme einer PID und das „Verwerfen“ des Präimplantationsembryos entschieden haben, wenn ihnen das gesetzlich möglich wäre.44 Wenn dem aber so ist, dann ist nicht recht verständlich, warum die Schwangere dem operativen Eingriff einer Abtreibung ausgesetzt werden soll, wenn eine tionsdiagnostik, Ethik Med. 11 (1999) S55–S61; ders., Soll eine Präimplantationsdiagnostik eingesetzt werden dürfen?, in: Schriftenreihe der JuristenVereinigung Lebensrecht e.V. zu Köln, Bd. 17, 2000, S. 81–89; Schott, Embryonenforschung und PID, Dt. Ärztebl. 99 (2002) A172–A175; H.-L. Schreiber, Von richtigen Voraussetzungen ausgehen. Zur rechtlichen Bewertung der Präimplantationsdiagnostik, Dt. Ärztebl. 97 (2000) A1135 f.; U. Riedel, Plädoyer für eine unvoreingenommene, offene Debatte, Dt. Ärztebl. 97 (2000) A586 f.; Wiesing, Was tun, wenn man sich nicht einigen kann?, Dt. Ärztebl. 98 (2001) A896–A898; Woopen, Präimplantationsdiagnostik und selektiver Schwangerschaftsabbruch, ZME 45 (1999) 233–244; dies., Indikationsstellung und Qualitätssicherung als Wächter an ethischen Grenzen? Zur Problematik ärztlichen Handelns bei der Präimplantationsdiagnostik, Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik 5 (2000) 117–139. 44
Krones et al., Einstellungen und Erfahrungen von genetisch belasteten Hochrisikopaaren hinsichtlich der Präimplantationsdiagnostik (PID) – Nationale und internationale Ergebnisse, Journal für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie 1 (2004) 112–119. Nach einer bislang noch unveröffentlichten empirischen Studie ist die weit überwiegende Mehrheit (95%) von deutschen Paaren, die im Rahmen eines IVF-Programmes zwischen Oktober 2003 und Jänner 2004 am Fertility Center Berlin behandelt worden sind, der Auffassung, dass die PID legalisiert werden sollte. Und 57% dieser Paare geben an, dass das Gesetz die PID ohne wenn und aber erlauben sollte (Borkenheimer et al., Attitudes, knowledge and expectations of infertile couples towards PGD and embryo-selection [in press]). Vgl. auch Robertson, Genetic selection of offspring characteristics, Boston Univ. L. Rev. 76 (1996) 421 (449): “The main objections to PGD as a form of genetic selection arise from the burdens the procedure places on women, the impact on embryos, and the danger of extension to less serious indications. The first objection is not a strong one, because most women who choose PGD would view the burdens of later prenatal diagnosis and abortion as greater. A woman should be free to choose the burdens of IVF and noncoital conception over the burdens of later prenatal diagnosis and abortion.”
40
Erwin Bernat
§ 97 Abs. 1 Z 2 Fall 2 StGB entsprechende Erbkrankheit schon in vitro erkennbar ist.45 Denn das bloße „Absterbenlassen“ des Embryos in vitro ist vor dem Hintergrund der Interessen der Frau der Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs eindeutig vorzuziehen. Andererseits sollte auch bedacht werden, dass der Präimplantationsembryo ein wesentlich weniger entwickeltes Wesen ist als ein wegen embryopathischer Indikation selektierter Fötus, eine Leibesfrucht mit menschlichem Antlitz und (möglicherweise) Schmerzempfindungsfähigkeit.46
III. Geteilte Meinungen: Der Bericht der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt über die Präimplantationsdiagnostik Die Auffassung von der generellen Legitimität der PID bei Zulässigkeit des Schwangerschaftsabbruchs wegen embryopathischer Indikation47 wird freilich in Österreich – ebenso wie in Deutschland – nicht von allen geteilt. Diejenigen, die dem Grunde nach für ein Recht des Embryos auf das Leben eintreten, bezweifeln die Legitimität der PID mehr oder weniger ausnahmslos, während jene, die dem Embryo ein Recht auf Leben absprechen und das Recht einer Frau, abtreiben zu lassen, im Kern befürworten, tendenziell für eine Lockerung des de lege lata verankerten Verbots der PID eintreten.48 Die Fronten sind, so scheint es, abgesteckt, weil die Abtreibungsgegner und -befürworter letztlich keine neuen Argumente in die 45
Vgl. Knox, Preimplantation genetic diagnosis: Disease control or child objectivation? Saint Louis Univ. Pub. L. Rev. 22 (2002/03) 435 (438): “PGD is considered more advantageous than these prenatal diagnosis methods because diagnosis is performed before the embryo is implanted in the woman. This way the woman does not have to face the potential emotional and physical effects of abortion.”
46
Zur Frage, wann der Fötus die Fähigkeit entwickelt, Schmerzen wahrzunehmen, vgl. Wisser/Hepp, Das Schmerzempfinden ungeborener Kinder. Erkenntnisse aus der vorgeburtlichen Medizin, in: Hoffacker et al. (Hrsg.), Auf Leben und Tod. Abtreibung in der Diskussion5, 1991, S. 48 ff.
47
Erstmals deutlich vertreten von Bernat, in: Festschrift f. Erich Steffen, 1995, S. 33 (41–43). Vgl. Nationaler Ethikrat (Hrsg.), Genetische Diagnostik vor und während der Schwangerschaft, 2003, S. 106 ff.
48
Vgl. Beck, Präimplantationsdiagnose – eine Routineuntersuchung?, Wien. Med. Wschr. 2003, 489–493 sowie Hengstschläger, Das ungeborene menschliche Leben und die moderne Medizin, 2001, S. 65–80.
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Waagschale werfen, sondern die altbekannten Argumente nur von neuem verteidigen. Indes hat sich an der Plausibilität und inneren Überzeugungskraft dieser Argumente nichts geändert. Daher wird sich niemand, der daran glaubt, dass der menschliche Embryo ein Recht auf Leben hat, vom Gegenteil überzeugen lassen,49 wie auch niemand bereit sein wird, an der Legitimität der Abtreibung zu zweifeln, wenn er der Überzeugung ist, dass es ein Recht von Frauen auf Abtreibung gibt, weil der Embryo kein Recht auf Leben „verdient“.50 Diese Meinungsdisparität spiegelt sich auch in dem Bericht „Präimplantationsdiagnostik (PID)“ wider, den die beim Bundeskanzleramt eingerichtete Bioethikkommission im Juli 2004 veröffentlicht hat.51 Die Bioethikkommission ist ein Beratungsorgan des Bundeskanzlers52 und hat die Aufgabe, Vorschläge über notwendige legistische Maßnahmen zu erstatten und Gutachten zu besonderen Fragen zu erstellen, die sich im Zusammenhang mit der Entwicklung der Wissenschaften auf dem Gebiet der Humanmedizin und -biologie ergeben.53 Ihr gehören zurzeit 19 Mitglieder aus verschiedensten Fachgebieten an.54 49
Vgl. etwa Heitger, Lebensunwertes menschliches Leben?, Die Presse v. 25.6.2004, 38.
50
Die große Meinungsvielfalt im Hinblick auf die Frage, ob die Abtreibung moralisch vertretbar ist, führt manche Philosophen sogar zu der Annahme, dass es gar nicht möglich sei, diese Frage philosophisch zu klären. Vgl. Gert, Moral theory and the Human Genome Project, in: Gert et al. (Hrsg.), Morality and the New Genetics, 1996, S. 29 (38): “The debates about abortion and animal rights are best understood as debates about who should be included in the group toward which the moral rules require impartiality. Because fully informed rational persons can disagree about who is included in the group toward which morality requires impartiality, there is no way to resolve the issue philosophically.”
51
Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt, Präimplantationsdiagnostik (PID), 2004 (abrufbar als PDF-Datei unter: www.bka.gv.at/bioethik/). Im Folgenden wird dieser Bericht als „PID-Bericht“ zitiert.
52
Die Bioethikkommission wurde durch Rechtsverordnung des Bundeskanzlers, BGBl. II 2001/226, eingerichtet. Vgl. Gmeiner/Körtner, Die Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt: Aufgaben, Arbeitsweise, Bedeutung, RdM 2002, 164–173.
53
§ 2 der VO BGBl. II 2001/226.
54
Nach § 3 Abs. 1 der VO BGBl. II 2001/226 gehören der Bioethikkommission 15 Mitglieder an, bei Bedarf kann die Mitgliederzahl aber auf maximal 25 erhöht werden. – Für den PID-Bericht zeichneten insgesamt 19 Mitglieder.
42
Erwin Bernat
Der PID-Bericht besteht aus drei Teilen. In Teil I werden die naturwissenschaftlich-medizinischen Aspekte der PID aufgezeigt. Darüber hinaus schildert Teil I die ethischen Argumente, die für aber auch gegen den Einsatz der PID sprechen mögen. Teil I endet mit einer deskriptiven Wiedergabe des geltenden Rechts sowie einer Beschreibung der rechtspolitischen Regelungsoptionen. Diese Regelungsoptionen sind: Verbot der PID (Beibehaltung der geltenden Gesetzeslage); völlige Freigabe der PID durch ersatzlose Aufhebung des derzeit geltenden Verbots; sowie schließlich: eingeschränkte Erlaubnis der PID (Anordnung bestimmter Zugangsindikationen und/oder eines Regimes der administrativ-prozeduralen Steuerung bzw. Überwachung). Teil II gibt eine Stellungnahme mit anschließenden Empfehlungen von 12 Kommissionsmitgliedern wieder. Diese Stellungnahme spricht sich für eine nach Indikationen differenzierte ethische Beurteilung der PID aus. Sie beruht sehr stark auf einer verfassungsrechtlichen Würdigung der PID. Danach sei die Freistellung der embryopathisch indizierten PID aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten.55 Diese Auffassung konnte sich in der Bioethikkommission zwar mehrheitlich, aber nicht unter allen Kommissionsmitgliedern durchsetzen. Aus diesem Grund bildete sich offenbar sehr rasch eine „zweite Fraktion“, die eine gesonderte Stellungnahme mit der abschließenden Empfehlung erarbeitete, die bestehende Gesetzeslage, also das gesetzliche Verbot der PID, beizubehalten. Diese Stellungnahme mit anschließender Empfehlung wird von 7 Kommissionsmitgliedern getragen. Im Gegensatz zur „liberalen“ Stellungnahme (Teil II) bringt die „konservative“ Stellungnahme (Teil III) die Meinung zum Ausdruck, dass das Leben des Ungeborenen unter dem Schutz der Verfassung steht bzw. stehen sollte.56 Die Empfehlungen der „liberalen“ Stellungnahme entsprechen im Kern dem „liberalen“ Votum der vom Nationalen Ethikrat publizierten Stellungnahme „Genetische Diagnostik vor und während der Schwangerschaft“.57 Sie haben folgenden Wortlaut: „5.1. Die PID sollte bei rezidivierend fehlschlagenden IVF/ICSI, d. h. bei Versuchen aufgrund des Transfers nicht überlebensfähiger Embryonen (d. h. in jenen Konstellationen, bei denen es nicht zu einer Implantierung kommt), als Methode der ‚Verbesserung‘ des Erfolges von IVF/ICSI zugelassen werden. 55 56 57
PID-Bericht, sub II.4.3. PID-Bericht, sub III.4.3.2. Nationaler Ethikrat, Genetische Diagnostik vor und während der Schwangerschaft, 2003, S. 106–109.
Pränatale Diagnostik und Präimplantationsdiagnostik
5.2. Die PID sollte für solche Fälle gesetzlich zugelassen werden, in denen aufgrund von chromosomalen oder genetischen Befunden das Risiko einer schweren Erkrankung besteht, die entweder noch während der Schwangerschaft, bei der Geburt oder bis spätestens wenige Monate nach der Geburt zum Tode führt, die sich zuverlässig diagnostizieren, jedoch nicht medizinisch behandeln lässt. 5.3 Darüber hinaus sollte die PID auch für Paare zugelassen werden, die ein hohes Risiko aufweisen, ein Kind mit schwerer genetisch bedingter Erkrankung zu bekommen. In solchen Fällen ist auch die Bestimmung des Geschlechts mit Krankheitsbezug […] zulässig. Da PND gesetzlich erlaubt ist, diese in ihren Konsequenzen (nicht in ihren Voraussetzungen) problematischer ist (späterer Schwangerschaftsabbruch, gehäufter Schwangerschaftsabbruch), ist es jedenfalls inkonsistent und sachlich nicht gerechtfertigt, die PID generell zu verbieten. 5.4. Abzulehnen ist die Einführung eines genetischen Screenings im Rahmen der IVF. Die Entscheidung zur Vornahme einer PID sollte auf den Einzelfall bezogen sein und auf der Grundlage eines Indikationsmodells getroffen werden. Dabei können Kriterien wie die Familienanamnese, das Alter, die (hohe) Zuverlässigkeit der Diagnose (ohne ‚überschießende Information‘), die mangelnde Therapierbarkeit etc. zur Anwendung kommen. 5.5. Die Zulassung der PID sollte gesetzlich möglichst präzise geregelt werden, und zwar sowohl in inhaltlicher als auch in prozeduraler Hinsicht. Naheliegend erscheint die Formulierung einer Generalklausel, allenfalls mit demonstrativen Spezifizierungen einzelner Indikationen. Administrative Rahmenbedingungen sollten eine entsprechende Qualitätskontrolle sicherstellen, z. B. in Form einer Zulassungspflicht der befugten medizinischen Einrichtungen auf der Grundlage materieller Qualitätsanforderungen. Dabei sollte die Befugnis zur Durchführung der PID von der Befugnis zur Vornahme der vorausgesetzten IVF organisatorisch und personell getrennt werden. Die Durchführung der PID sollte nicht den die IVF vornehmenden Reproduktionsmedizinern/innen obliegen, sondern auf entsprechend ausgewiesene Humangenetiker/innen begrenzt sein, wobei für jede einzelne Indikation eine gesonderte Zulassung zu erteilen wäre.
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5.6. In legistischer Hinsicht erscheint eine gesetzliche Regelung der PID entweder im FMedG oder im Gentechnikgesetz (GTG) zweckmäßig. Das FMedG müsste jedenfalls insoweit geändert werden, als die IVF nicht nur zur Behandlung von Sterilität, sondern in den Fällen zulässiger PID auch als notwendige Voraussetzung für die Anwendung der PID zugelassen ist. 5.7. Eine humangenetische Beratung im Vorfeld einer PID sollte jedenfalls verpflichtend vorgesehen werden. 5.8. Entsprechende Maßnahmen der Qualitätssicherung und der Qualitätskontrolle sollten ebenso gesetzlich vorgeschrieben werden wie regelmäßige Evaluationsprozesse und Meldebzw. Berichtspflichten an das Bundesministerium für Gesundheit und Frauen. 5.9. Die gesetzlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen und Indikationen sollten legistisch so formuliert sein, dass aus ihnen keine Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen abgeleitet werden kann. Das gesellschaftliche und verfassungsrechtlich vorgegebene Ziel, Menschen mit Behinderungen und ihre Angehörigen vor jeder Form der Diskriminierung zu schützen, darf durch die Zulassung der PID nicht in Frage gestellt werden.“58 Demgegenüber verteidigen die „konservativen“ Kommissionsmitglieder der Bioethikkommission ihre Empfehlung, das gesetzliche Verbot der PID beizubehalten, mit folgenden Argumenten: „(1) Die PID stellt Frühestphasen menschlichen Lebens zur Disposition und verstößt damit gegen das Instrumentalisierungsverbot. (2) Die Entscheidungssituation in einem Schwangerschaftskonflikt ist mit der Entscheidungssituation im Falle einer PID nicht vergleichbar. 58
Diese Empfehlungen werden getragen von Karl Acham, Holger Baumgartner, Johannes Huber, Christian Kopetzki, Ulrich Körtner, Heinz Ludwig, Barbara Maier, Christine Mannhalter, Heinrich Scherfler, Reneé Schroeder, Ina Wagner und Kurt Zatloukal. Holger Baumgartner hat ein ergänzendes Votum abgegeben (siehe PID-Bericht, S. 47–50).
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(3) Eine Begrenzung der PID sowohl in Form einer Generalklausel als auch eines Indikationenkatalogs ist, wie die analoge Erfahrung mit der PND zeigt, dem sachimmanenten Ausweitungsdruck nicht gewachsen. (4) Mit der Zulassung beider Formen der Begrenzung müsste der Gesetzgeber um der Rechtsgleichheit willen die extrakorporale Befruchtung allen Paaren zugänglich machen. Damit erhöbe sich das Folgeproblem der Kapazität und der Erhöhung finanzieller Leistungen durch die öffentliche Hand. (5) Mit der Zulassung der PID macht der Gesetzgeber Stigmatisierungen öffentlich, indem er die Verhinderung der Geburt von Menschen mit einer bestimmten genetischen Belastung für rechtmäßig erklärt. Aus den genannten Gründen, und um nicht Problemlösungen auf dem Weg von Problemvermehrungen zu erzielen, votieren die unterzeichneten Mitglieder59 für die Beibehaltung der bestehenden Gesetzeslage.“60
IV. Kritik und Antikritik 1.
Gibt es ein Recht zu erfahren, ob sich der Embryo zu einem Menschen mit einer schwerwiegenden Krankheit entwickelt?
Die Anerkennung eines Rechts zu erfahren, ob sich der Embryo zu einem Menschen mit einer schwerwiegenden Krankheit entwickelt, setzt – praktisch betrachtet – voraus, dass der Ungeborene nicht Träger eines Rechts auf Leben ist. Ein Recht, über die Gesundheit des künftigen Menschen Bescheid zu wissen, ist mit der möglichen Tötung von Embryonen (in vitro oder in vivo) ja immerhin indirekt verknüpft. Denn die einschlägige In59
Das sind: Richard Greil, Hartmann Hinterhuber, Josef Isensee, Gerhard Luf, Meinrad Peterlik, Günther Pöltner und Günter Virt. Meinrad Peterlik hat ein ergänzendes Votum abgegeben (siehe PID-Bericht, S. 64–67).
60
Die Argumente, die für die Beibehaltung der bestehenden Gesetzeslage ins Treffen geführt werden, decken sich inhaltlich im Wesentlichen mit den Argumenten der Österreichischen Bischofskonferenz. Vgl. „Erklärung der Österreichischen Bischofskonferenz zu den Fragen des Klonens und der Präimplantationsdiagnostik (PID)“, Imago Hominis 11 (2004) 215.
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formation ist das „mittelbare Instrument“61 der Tötung, auch wenn sie per se noch nicht in das Leben des Embryos eingreift. Da der Ungeborene kein Schutzobjekt des Art. 2 der EMRK ist,62 ist es in Österreich – vor dem Hintergrund dieser Bestimmung – verfassungsrechtlich zweifelsohne erlaubt, Abtreibungen freizustellen, und zwar grundsätzlich bis zur Geburt. Im Hinblick auf Art. 2 Abs. 1 EMRK darf es auch keinen Zweifel an der Legitimität von § 8 Abs. 4 FMedG geben. Da Art. 2 EMRK weder gegen die Freistellung der Abtreibung noch gegen ein Recht der Frau ins Treffen geführt werden kann, eigenverantwortlich zu entscheiden, ob sie dem Transfer eines in vitro entstandenen Embryos zustimmt, spricht Art. 2 Abs. 1 EMRK auch nicht gegen die Zulässigkeit von PND und PID.63 Kurz gesagt: Mit Bezug auf Art. 2 Abs. 1 EMRK ist gar nicht einzusehen, warum die Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch oder zur Nichtvornahme eines Embryotransfers „nicht auf Grundlage entsprechender diagnostischer Informationen (statt ‚blind‘) getroffen werden darf.“64 Wollte der Staat den Ungeborenen stärker schützen, müsste er bei § 97 Abs. 1 StGB und § 8 Abs. 4 FMedG ansetzen. Eine „Entliberalisierung“ dieser Bestimmungen ist freilich derzeit kein politisches Thema, und aus der Sicht des Verfassungsrechts erscheint eine „Rücknahme“ der bislang zugestandenen Freiheiten auch gar nicht unproblematisch zu sein.65 61
Erklärung der Österreichischen Bischofskonferenz, Imago Hominis 11 (2004) 215.
62
Vgl. nochmals VfGH 11.10.1974 VfSlg. 7.400 sowie aus der Rechtsprechung der Konventionsorgane Paton v. United Kingdom, DR 19, 244 = EHRR 3 (1980) 408 (Europäische Kommission v. 13.5.1980) und Vo v. France, NJW 2005, 727 (EGMR v. 8.7.2004).
63
Vgl. den PID-Bericht, sub II.4.4. „[V]erfassungsrechtliche Bedenken gegen ‚selektive‘ Entscheidungen können sich aus dem Blickwinkel des Lebensschutzes nur aus jenen Konsequenzen ergeben, zu welchen die ‚Selektionsentscheidung‘ führt (hier also gegebenenfalls: aus der ‚Verwerfung‘ des Embryos). Ohne diesen Bezug zu seinen Folgen geht jeder Hinweis auf eine angebliche verfassungsrechtliche Unzulässigkeit ‚selektiver‘ Entscheidungen ins Leere, weil Auswahlentscheidungen für sich genommen grundrechtlich neutral sind.“
64
PID-Bericht, sub II.4.4.
65
Anders aber die „konservative“ Stellungnahme des PID-Berichts, sub III.4.3.: Der grundrechtliche Status des Embryos werde „im Licht der Europäischen Charta der Grundrechte (Art. 1: Achtung und Schutz der Würde des Menschen; Art. 2: Recht auf Leben einer jeden Person) auch in Österreich neu zu bestimmen sein.“
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Vor dem Hintergrund dieser verfassungsrechtlichen Basiswertung lautet die Grundfrage also nicht: „Ist es dem Gesetzgeber gestattet, die PID zuzulassen?“, sondern vielmehr: „Ist es dem Gesetzgeber gestattet, die PID zu verbieten?“ § 9 Abs. 1 Satz 2 FMedG erscheint prima facie grundrechtswidrig, wenn in die Verfassung ein Recht auf informierte Fortpflanzung hineingelesen werden darf. Zwar gestattet das geltende Recht der Frau, dem Transfer eines in vitro entstandenen Embryos zuzustimmen oder den Transfer abzulehnen (§ 8 Abs. 4 FMedG). Aber sie hat kein Recht zu erfahren, ob sich der Embryo zu einem Menschen mit einer schwerwiegenden Krankheit entwickelt (§ 9 Abs. 1 Satz 2 FMedG). Die Frage, ob es ein Recht gibt, entsprechende Informationen einzuholen, hat den österreichischen VfGH bislang zwar nicht direkt, aber doch indirekt beschäftigt. Im Jahre 1999 musste der VfGH nämlich beurteilen, ob das im FMedG verankerte Verbot der IVF mit Samen eines Spenders sowie das Verbot des heterologen Embryotransfers nach Eispende (§ 3 FMedG) mit dem verfassungsrechtlich geschützten Anspruch auf Achtung des Privatlebens (Art. 8 EMRK) im Einklang steht.66 Nach Auffassung des VfGH umfasst der Begriff des Privatlebens „auch die Intimsphäre im allgemeinen und das Sexualleben und verhalten im besonderen“, so dass es keinem Zweifel unterliege, „dass der von Ehegatten oder Lebensgefährten gefasste Entschluss, ein Kind haben zu wollen und sich hiezu erforderlicher medizinischer Unterstützung zu bedienen, dem Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK unterliegt.“67 Mit dieser Entscheidung hat der VfGH ganz allgemein zum Ausdruck gebracht, dass Kinderwunschpaare einen verfassungsrechtlich geschützten
66
VfGH 14.10.1999 MedR 2000, 389 m. Anm. v. Bernat = RdM 2000, 21 = JBl. 2000, 228 = VfSlg. 15.632.
67
VfGH 14.10.1999 MedR 2000, 389 (391). – Ungeachtet dieser Basiswertung erschien dem VfGH das in casu bekämpfte Verbot der IVF mit (von dritter Seite) gespendetem Samen sowie das Verbot des heterologen Embryotransfers nach Eispende (§ 3 FMedG) durch den Eingriffsvorbehalt des Art. 8 Abs. 2 EMRK gedeckt zu sein (arg.: Schutz der Gesundheit, der Moral sowie der Rechte und Freiheiten anderer), weshalb die Aufhebungsanträge abgewiesen wurden. Kritik daran bei Bernat, MedR 2000, 394; Lurger, Das Fortpflanzungsmedizingesetz vor dem österreichischen Verfassungsgerichtshof, DEuFamR 2 (2000) 134 ff.; Coester-Waltjen, Fortpflanzungsmedizin, EMRK und österreichische Verfassung, FamRZ 2000, 598 ff.; Novak, Fortpflanzungsmedizingesetz und Grundrechte, in: Bernat (Hrsg.), Die Reproduktionsmedizin am Prüfstand von Recht und Ethik, 2000, S. 62 ff.
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Anspruch auf Teilhabe an den Errungenschaften der Fortpflanzungsmedizin haben, so dass der Gesetzgeber daran gehindert ist, die diversen Methoden der Reproduktionsmedizin in Bausch und Bogen zu verbieten.68 Wie weit reicht dieses Recht? Beinhaltet es auch das Recht zu erfahren, ob sich der Embryo in vitro zu einem Menschen mit einer schwerwiegenden Erbkrankheit entwickelt? Diese Frage wird von der „liberalen“ Stellungnahme des PID-Berichts bejaht und wie folgt begründet: „Geht man mit dem Verfassungsgerichtshof davon aus, dass der Einsatz von Methoden der In-vitro-Fertilisation vom grundrechtlichen Schutz des Privatlebens gem. Art. 8 Abs. 1 EMRK erfasst ist (VfSlg 15.632/1999), dann sprechen gute Gründe dafür, dass dieser prinzipielle Schutz auch die Entscheidung über die Implantation eines Embryos in vitro einschließlich des Zugangs zu relevanten diagnostischen Informationen (zumindest in Bezug auf schwere und nicht therapiefähige Erkrankungen) umfasst. Sowohl die höchstpersönliche Natur dieser Entscheidung als auch der unmittelbare Zusammenhang mit der daraus resultierenden Schwangerschaft der Frau und den Auswirkungen der künftigen Geburt auf ihr Privat- und Familienleben stärken diese Auslegung.“69 Diese Interpretation von Art. 8 Abs. 1 EMRK nähert sich sehr stark dem von der Verfassungsrechtsprechung des amerikanischen Supreme Court geprägten Verständnis der sog. „privacy“,70 die nach Auffassung dieses Gerichts auch das Recht beinhaltet, sich nicht fortzupflanzen. Danach schützt die „privacy“ nicht nur das Recht auf Verwendung von empfängnisverhütenden Mitteln,71 sondern auch das Recht einer Frau, eine Abtrei68
Einlässlich zu VfSlg. 15.632 Bernat, A human right to reproduce non-coitally? Univ. Tasmania L. Rev. 21 (2002) 20–38. – Das Recht auf Teilhabe an den Errungenschaften der Fortpflanzungsmedizin ist nach VfSlg. 15.632 freilich kein Anspruchs-, sondern ein reines Abwehrrecht der Eltern gegen staatliche Beeinträchtigung ihrer Privatautonomie, sich die Methoden der Fortpflanzungsmedizin zunutze zu machen. Vgl. Hufen, Präimplantationsdiagnostik aus verfassungsrechtlicher Sicht, MedR 2001, 440 (442).
69
PID-Bericht, sub II.4.3. Vgl. Robertson, Boston Univ. L. Rev. 76 (1996) 421 (425 f.). Griswold v. Connecticut, 381 U.S. 479, 503 (1965). – Mit Griswold v. Connecticut erklärte der Supreme Court ein Gesetz des Staates Connecticut für verfassungswidrig, das den Verkauf empfängnisverhütender Mittel verbot.
70 71
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bung – jedenfalls innerhalb des ersten und zweiten Schwangerschaftstrimesters – vornehmen zu lassen.72 Die Interpretation, der zufolge der Anspruch auf Achtung des Privatlebens (Art. 8 Abs. 1 EMRK) auch das Recht beinhaltet zu erfahren, ob sich der Embryo zu einem Menschen mit einer schwerwiegenden Krankheit entwickelt, ist nicht von der Hand zu weisen. Die Freiheit sich fortzupflanzen oder sich nicht fortzupflanzen hat einen moralisch hohen Stellenwert. Für den einzelnen Menschen gehört die Frage „Soll ich mich fortpflanzen?“ zweifelsohne zu den zentralen Fragen seines Lebens. Entscheidet sich der einzelne für oder gegen Kinder, prägt das seine Stellung innerhalb der Gesellschaft ebenso wie die individuellen Verpflichtungen, die er im späteren Leben wahrnehmen – oder eben nicht wahrnehmen – muss. Die Entscheidung, ein Kind zu haben oder nicht zu haben, ist für die Lebensführung des Menschen so signifikant, dass der Anspruch auf Achtung des Privatlebens (Art. 8 Abs. 1 EMRK) auch das Recht beinhalten sollte, eine informierte Fortpflanzungsentscheidung zu treffen. Eine Frau, die die Elternverantwortung für ein krankes Kind nicht auf sich nehmen will, sollte folglich das Recht haben zu erfahren, ob sich der Keim zu einem Menschen mit einer schwerwiegenden Krankheit entwickelt. Wird der Frau dieses Recht nicht zugestanden, weil die PID verboten ist, wird ihre Entscheidung, das Kind nicht zu haben, auf die spätere Schwangerschaft verlagert. Erst nachdem sie schwanger geworden ist, darf sie, jedenfalls nach geltendem österreichischem Recht, eine PND durchführen lassen (§ 65 Abs. 3 GTG) und den Embryo bei positivem humangenetischen Befund abtreiben lassen (§ 97 Abs. 1 Z 2 Fall 2 StGB). Dass ein Recht auf informierte Fortpflanzung erst zugestanden wird, nachdem sich der Embryo in utero befindet, ist freilich alles andere als sachlich einleuchtend. Dass § 9 Abs. 1 Satz 2 FMedG gegen Art. 8 Abs. 1 EMRK verstößt, kann auch vor dem Hintergrund der Theorie vom free and informed consent73 begründet werden. Will die Frau die Elternverantwortung gegenüber einem Kind mit einer schwerwiegenden Krankheit nicht übernehmen, ist sie nach geltendem Recht dazu verurteilt, dem Embryotransfer zuzustim72
73
Roe v. Wade, 410 U.S. 113, 164 f. (1973). – Mit Roe v. Wade erklärte der Supreme Court ein Gesetz des Staates Texas für verfassungswidrig, das den Schwangerschaftsabbruch generell bei Strafe verbot. Vgl. Robertson, Gestational burdens and fetal status: Justifying Roe v. Wade, Am. J. L. & Med. 13 (1987) 189–212. Vgl. dazu nur Engljähringer, Ärztliche Aufklärungspflicht vor medizinischen Eingriffen, 1996; Faden/Beauchamp, A History and Theory of Informed Consent, 1986.
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men, obwohl feststeht, dass sie dem Transfer in Kenntnis der Erkrankung des zukünftigen Kindes nicht zugestimmt hätte. Eine – durch Gesetz verordnete – „blinde“ Entscheidung widerspricht dem Prinzip der Einwilligung nach Aufklärung und verletzt ganz zentrale persönlichkeitsrechtliche Aspekte, die unter dem Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK stehen.74 Der Anspruch auf Achtung des Privatlebens, den Art. 8 Abs. 1 EMRK einmahnt, ist kein absoluter. Vielmehr erlaubt die EMRK dem Gesetzgeber, in dieses Grundrecht einzugreifen, sofern der Eingriff u. a. eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft „zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist“ (Art. 8 Abs. 2 EMRK). Die Argumente, die gegen die Legitimität der PID vorgetragen werden, sind daher im Lichte des Eingriffsvorbehalts des Art. 8 Abs. 2 EMRK zu prüfen. 2.
Diskriminiert die Praxis der PID Behinderte?
Nach Art. 7 B-VG sind alle Bundesbürger vor dem Gesetz gleich. Eine Novelle zu Art. 7 B-VG aus dem Jahre 199775 hat darüber hinaus klargestellt, dass „niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“ darf und dass „die Gleichbehandlung von behinderten und nichtbehinderten Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten“ ist. Diese Bestimmung bezieht sich schon nach ihrem Wortlaut, aber auch unter systematischen Gesichtspunkten, nur auf geborene Menschen. Auf Präimplantationsembryonen, Embryonen und Föten, aus denen sich ein behinderter Mensch entwickelt, findet Art. 7 B-VG keine Anwendung.76 Aus der Sicht des Verfassungsrechts ist die entscheidende Zäsur die Geburt,77 der Ungeborene hat demzufolge keine (von der Verfassung geschütz-
74
Im Ergebnis ebenso Hufen, MedR 2001, 440 (444).
75
BGBl. I 1997/87.
76
So auch Kopetzki, Rechtliche Aspekte des Embryonenschutzes, in: Körtner/Kopetzki (Hrsg.), Embryonenschutz – Hemmschuh für die Biomedizin?, 2003, S. 51 (55), sowie Hufen, MedR 2001, 440 (447 f.) (unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien zu Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG [BT-Drucks. 12/8165, S. 28 f.], der Art. 7 Abs. 1 Satz 3 B-VG entspricht).
77
Das ist Folge von Art. 2 Abs. 1 EMRK; vgl. nochmals VfGH 11.10.1974 VfSlg. 7.400; Paton v. United Kingdom, DR 19, 244 = EHRR 3 (1980) 408 (Europäische Kommission v. 13.5.1980); Vo v. France, NJW 2005, 727 (EGMR v. 8.7.204).
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ten) Rechte.78 Daher ist es dem Gesetzgeber freigestellt, zwischen geborenen Menschen, die behindert sind, und Ungeborenen, die sich zu einem behinderten Menschen entwickeln, zu unterscheiden. Von den Gegnern der PID wird häufig vorgetragen, dass die Zulässigkeit der PID mit großer Wahrscheinlichkeit „zu einer Stigmatisierung bestimmter Krankheitsbilder und, gewollt oder ungewollt, zu Lebenswertzuschreibungen“ führt.79 Es sei zu „befürchten, dass mit einer Zulassung der PID der Rechtfertigungsdruck auf behinderte Menschen und deren Eltern weiter wächst“80 und Wunscheltern einem sozialen Druck ausgesetzt werden, von der Methode der PID auch tatsächlich Gebrauch zu machen. 81 Diese Hypothesen können ohne entsprechende empirische Sozialforschung weder verifiziert noch falsifiziert werden. – Allerdings stellt sich schon die ganz grundsätzliche Frage, ob der Staat Entscheidungen seiner Bürger verbieten darf, die in Wahrnehmung eines von der Verfassung abgesicherten Rechts ergehen, wenn diese Entscheidungen niemanden direkt verletzen. Wenn Wunscheltern ein von der Verfassung geschütztes Recht haben, in Erfahrung zu bringen, ob sich der Embryo zu einem Menschen mit einer schwerwiegenden Krankheit entwickelt; und wenn das Recht auf Abtreibung und auf Verweigerung des Embryotransfers zugestanden wird, ändert sich am Bestand dieser Rechte selbst dann nichts, wenn ihre Ausübung den Eindruck von Diskriminierung hinterlassen sollte. Es ist ja geradezu ein Wesen des subjektiven Rechts, dass es im Allgemeinen82 „im Prinzip der Willkürfreiheit wurzelt“.83 Die Ausübung subjektiver Rechte 78
Allerdings verstößt die unterschiedliche Behandlung von gesunden und behinderten Embryonen im Rahmen des Schwangerschaftsabbruchsrechts (§ 97 Abs. 1 StGB) wohl gegen allgemeine Grundsätze der Sachlichkeit. Zu dieser Problematik siehe Bernat, Schutz vor genetischer Diskriminierung und Schutzlosigkeit wegen genetischer Defekte: die Genanalyse am Menschen und das österreichische Recht, Jahrbuch für Recht und Ethik 10 (2002) 182 (211–213).
79
Reiter, Streit um die Präimplantationsdiagnostik (PID), ZRP 2002, 372.
80
Reiter, ZRP 2002, 372.
81
Umfassende Zusammenstellung aller einschlägigen Argumente bei Parens/Asch, The disability rights critique of prenatal genetic testing. Reflections and recommendations, Hastings Center Report 29/5 (1999) S1–S22.
82
Einschränkungen ergeben sich bspw. durch den Kontrahierungszwang; vgl. nur Larenz AT7, 1989, S. 84.
83
Brugger, Abtreibung – ein Grundrecht oder ein Verbrechen? Ein Vergleich der Urteile des United States Supreme Court und des BVerfG, NJW 1986, 896 (901). Das subjektive Recht wird bekanntlich als „Rechtsmacht“ verstanden,
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ist daher häufig mit Folgen verknüpft, die diskriminierend erscheinen mögen. Objektiven Wertmaßstäben muss die Entscheidung, ein subjektives Recht auszuüben, dessen ungeachtet nicht entsprechen. Selbst unter der – Art. 7 B-VG nicht entsprechenden – Annahme, der Staat sei verpflichtet, Diskriminierungen von Ungeborenen, die sich zu einem behinderten Menschen entwickeln, vorzubeugen, erscheint es mehr als zweifelhaft, ob ein entsprechendes Gleichbehandlungsgebot für Entscheidungen von Privaten die gleiche Tragweite hat wie für den Staat. Darauf hat die „liberale“ Stellungnahme des PID-Berichts richtig hingewiesen: „Im Bereich höchstpersönlicher Entscheidungen gerät eine undifferenzierte Überbürdung derartiger Gleichbehandlungsverpflichtungen auf Private […] in einen unauflösbaren Konflikt mit der Privatautonomie der Betroffenen. Bei Entscheidungen, die den höchstpersönlichen Lebensbereich berühren – man denke an das Eingehen privater oder sexueller Beziehungen oder an die Eheschließung – besteht im Rahmen der Privatautonomie auch eine verfassungsrechtlich geschützte Entscheidungsfreiheit gerade darin, auf der Grundlage eigener moralischer Überzeugungen, persönlicher Werthaltungen, Erfahrungen und Präferenzen frei – und insofern ‚selektiv‘ – entscheiden zu können, ohne diese Entscheidungen anhand objektiver Maßstäbe rechtfertigen zu müssen.“84 Gehen wir – ungeachtet dieser normativen Zielvorgaben – von der generellen Hypothese aus, dass sich Behinderte und ihre Familien durch die Praxis der PND und der PID tatsächlich diskriminiert fühlen; obwohl die Nichtdiskriminierung Behinderter (d. h. behindert geborener Menschen) ein Gebot der Verfassung ist (Art. 7 B-VG). Ist das Gefühl der „Kränkung“, das Behinderte und ihre Familien durch die Praxis der PND und der PID erfahren mögen, gerechtfertigt? Besser gesagt: Haben Behinderte und ihre Familien guten Grund sich zu kränken, wenn sie über die Praxis der PND und der PID sine ira et studio nachdenken? wobei „an eine dem Berechtigten von der Rechtsordnung erteilte Ermächtigung, ein Handeln-Dürfen, oder ein ‚rechtliches Können‘ gedacht ist“ (Larenz AT7, 1989, S. 210). 84
PID-Bericht, sub II.4.6. In diese Richtung argumentiert auch W. Lübbe, Pränatale und präimplantive Selektion als Diskriminierungsproblem, MedR 2003, 148 (150).
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Ein Mensch kann die Lebenssituation A der Lebenssituation B vorziehen. Er kann etwa für sich zu dem Schluss kommen, das Rauchen aufzugeben, um seine Lebenserwartung zu steigern. Ebenso kann er vom Agnostiker zum religiös gebundenen Menschen werden, weil er „zu glauben beginnt“. Diskriminiert dieser Mensch die Raucher und die religiös nicht gebundenen Menschen, wenn er das Rauchen aufgibt und ein Religionsbekenntnis annimmt? Die Antwort auf diese Frage versteht sich wohl für jeden von selbst. In Bezug auf das Problem der Behindertendiskriminierung kann man daher sagen: Wer kein behindertes Kind möchte, erweist sich genauso wenig als behindertenfeindlich wie der Politiker, der für eine 0,0 Promille-Regelung im Straßenverkehr eintritt, die tendenziell sicherlich dazu beiträgt, die Anzahl der schwer behinderten Straßenverkehrsopfer zu senken.85 Das verfassungsrechtlich abgesicherte Verbot der Benachteiligung von Behinderten (Art. 7 B-VG) bedeutet also nicht, dass es moralisch richtig sein kann, die Krankheit oder die Behinderung von Menschen per se positiv zu evaluieren. Hätte nämlich die Krankheit oder Behinderung per se einen positiven Stellenwert, wären nicht nur Maßnahmen zur Heilung oder Verhinderung von Krankheit oder Behinderung ganz und gar unverständlich. Wir wären gegebenenfalls sogar verpflichtet, Menschen mit Behinderung hervorzubringen. Eine solche Konsequenz kann aber niemand mit guten Gründen wollen.86 Die Auffassung, dass wir die Krankheit oder die Behinderung per se nicht positiv bewerten, wird auch durch unser Haftungsrecht bestätigt.87 Übersieht der Gynäkologe bei der Ultraschalluntersuchung der Schwangeren fahrlässigerweise, dass sich der Fötus zu einem körperlich schwer behinderten Kind entwickelt, wird ihm das als haftungsbegründende Pflichtverletzung zugerechnet, wenn feststeht, dass sich die Schwangere – im Wissen um die Behinderung – zu einem Abbruch wegen embryopathischer Indikation entschieden hätte.88 Die pränatale Diagnose soll zwar das Entscheidungsrecht der Frau absichern, die Rechtsordnung enthält sich aber ganz gezielt „jeder Bewertung der Inanspruchnahme der pränatalen Diagnostik und der sich möglicherweise anschließenden selektiven Abtrei85
Robertson, Boston Univ. L. Rev. 76 (1996) 421 (453).
86
Zutreffend der PID-Bericht, sub II.3.2.
87
Vgl. Scott, Prenatal screening, autonomy and reasons: The relationship between the law of abortion and wrongful birth, Medical L. Rev. 11 (2003) 265–325.
88
OGH 25.5.1999 JBl. 1999, 543 = RdM 1999, 177 m. Anm. Kopetzki = SZ 72/91.
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bung.“89 Im Gentechnikgesetz ist nun sogar ausdrücklich angeordnet, dass die Beratung des Arztes vor und nach Durchführung einer pränatalen Genanalyse „keinesfalls direktiv erfolgen“ soll (§ 69 Abs. 2 GTG).90 Diese Bestimmung ist nur zu begrüßen, weil ein – auch nur unterschwelliger – Zwang zur Abtreibung weder moralisch legitim noch rechtlich haltbar wäre. Ein solcher Zwang würde ja den Anspruch auf Schutz des Privatlebens (Art. 8 Abs. 1 EMRK) sowie das Recht, eine Familie zu gründen (Art. 12 EMRK), ganz fundamental verletzen. Die Solidarität, die Behinderten in unserer Gesellschaft entgegengebracht wird, hat in den letzten Jahren und Jahrzehnten sicherlich nicht ab-, sondern bedeutend zugenommen; und zwar ungeachtet des Rechts der Frau, Abtreibungen unter selektiven Gesichtspunkten vornehmen zu lassen. Aus diesem Grund gibt es auch keinen Zusammenhang zwischen einer Politik, die die Bedürfnisse der Behinderten entsprechend würdigt, und der Zulässigkeit von PND und PID. Eine Behindertenpolitik, die darauf abstellt, die Zahl der Behinderten durch gesetzliche Verbote von pränatalen Selektionsentscheidungen zu erhöhen, wäre – gesamtgesellschaftlich betrachtet – nicht unproblematisch. Ganz sicher würde eine solche Politik aber nichts dazu beitragen, die gesellschaftliche Akzeptanz von Behinderten zu steigern.91 3.
PID zum Zweck der Hervorbringung eines geeigneten Gewebsspenders?
Bislang habe ich herausgearbeitet, dass es ein von der Verfassung geschütztes Recht auf Vornahme einer PID gibt, um zu erfahren, ob sich der Embryo in vitro zu einem Kind mit einer schwerwiegenden Krankheit entwickelt (Art. 8 Abs. 1 EMRK). Gründe, dieses Recht unter Berufung auf Art. 8 Abs. 2 EMRK einzuschränken, sind nicht ersichtlich. Daher erscheint es verfassungsrechtlich jedenfalls geboten, das kategorische Verbot 89
Birnbacher, Selektion von Nachkommen. Ethische Aspekte, in: Mittelstrass (Hrsg.), Die Zukunft des Wissens. XVIII. Deutscher Kongress für Philosophie, Konstanz 4.–8. Oktober 1999. Vorträge und Kolloquien, 2000, S. 457 (469).
90
Sehr kritisch Wachbroit/Wasserman, In the context of genetic counseling, value neutrality is impossible, Stan. L. & Pol’y Rev. 6 (1995) 103–110; ausgewogener G.H.S. Singer, Clarifying the duties and goals of genetic counsellors: Implications for nondirectiveness, in: Gert et al. (Hrsg.), Morality and the New Genetics, 1996, S. 125–145.
91
Birnbacher, in: Mittelstrass (Hrsg.), Die Zukunft des Wissens, 2000, S. 457 (470).
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des § 9 Abs. 1 Satz 2 FMedG aufzuheben und die PID – in Angleichung an § 97 Abs. 1 Z 2 Fall 2 StGB – zuzulassen. Im Zuge einer entsprechenden Reform müsste auch § 2 Abs. 2 FMedG geändert werden, der die IVF nur jenen Paaren freistellt, die sich nicht „auf natürliche Weise“ fortpflanzen können. Die PID sollte ja allen Paaren (nicht nur den unfruchtbaren) offen stehen, die – etwa auf Grund der Familienanamnese – befürchten müssen, ein Kind mit einer schwerwiegenden Krankheit zu bekommen. Dieser verfassungsrechtliche Befund entspricht im Wesentlichen den Empfehlungen der „liberalen“ Stellungnahme des PID-Berichts. Nach Auffassung der „liberalen“ Stellungnahme des PID-Berichts rechtfertigt sich der Einsatz der PID im Grunde genommen aber nur zur Abklärung der Frage, ob der Embryo im Fall eines Transfers nach Maßgabe des § 97 Abs. 1 Z 2 Fall 2 StGB (embryopathische Indikation) abgetrieben werden dürfte. Eine gänzliche Aufhebung des Verbots der PID wird nicht empfohlen. Nach Auffassung der Bioethikkommission spricht gegen eine generelle Freistellung der PID, „dass dies den unbegrenzten Zugang zu Methoden der Geschlechtswahl oder der Selektion nach ‚unerwünschten‘ Eigenschaften eröffnen würde, über deren Ablehnung ein breiter gesellschaftlicher Konsens besteht.“92 Und weiter heißt es im PID-Bericht: „Ethisch problematisch ist die PID, wenn das mit ihr verbundene Ziel ärztlichen Handelns nicht das Zustandekommen einer Schwangerschaft und die Geburt eines lebensfähigen Kindes, sondern die eugenische Selektion ist, ganz gleich, ob es sich um negative oder positive Selektion handelt. In der Vergangenheit sind Fälle bekannt geworden, in denen Eltern sich ein zweites Kind wünschten, das einem bereits lebenden und schwer erkrankten Geschwisterkind als Gewebsspender dienen sollte. In derartigen Fällen stellt sich die Frage, ob die Geburt eines weiteren Kindes auch unabhängig von der Erkrankung des bereits lebenden Kindes gewünscht ist. Der Eindruck ist schwer von der Hand zu weisen, dass das zweite Kind lediglich als Mittel zum Zweck der Heilung des ersten Kindes gesehen wird. Darin lässt sich eine ethisch nicht zu rechtfertigende Instrumentalisierung eines Menschen sehen, die dem Kindeswohl des zweiten Kindes zuwiderläuft.“93
92
PID-Bericht, sub I.5.2.1.
93
PID-Bericht, sub II.3.3.
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Erwin Bernat
Der PID-Bericht nimmt hier auf einen Fall Bezug, den der englische Court of Appeal im Jahr 2003 entschieden hat. Diesem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde. Ein Kind erkrankt an Beta Thalassämie, einer autosomal-rezessiven erblichen Anämie. Diese gewöhnlich tödlich verlaufende Erkrankung kann mit Stammzellen eines geeigneten Spenders therapiert werden. Als Spender kommen nur nahe Verwandte des erkrankten Kindes in Frage. Zwar hat keines seiner drei älteren Geschwister das Beta ThalassämieGen, doch scheiden diese Geschwister mangels Gewebskompatibilität als Spender ebenso aus wie die Eltern des Kindes. Diese entscheiden sich daher, ein weiteres Kind zu haben, in der Hoffnung, es werde ihrem erkrankten Sohn das Leben retten können. Die Mutter wird schwanger, aber im Rahmen einer PND wird festgestellt, dass der erhoffte Spender Träger des Beta Thalassämie-Gens ist, so dass eine Abtreibung vorgenommen wird. Eine weitere Schwangerschaft wird von der Mutter des erkrankten Kindes zwar ausgetragen, das Kind ist auch gesund, aber kein geeigneter Gewebsspender. In ihrer Verzweiflung wenden sich die Eltern nun an ein privates IVF-Zentrum in England und bitten um IVF mit nachfolgender PID, um sicherzustellen, dass zumindest einer der in vitro gezeugten Embryonen die „doppelte Prüfung“ besteht. (Der Spender soll nicht nur in der Lage sein, Stammzellen für das erkrankte Kind zu produzieren, sondern auch genetisch gesund sein.) Das angerufene IVFZentrum bekommt auf Antrag im Februar 2002 die (nach englischem Recht notwendige) behördliche Genehmigung, eine entsprechende PID durchzuführen. Es darf kraft der behördlichen Genehmigung also auch prüfen, ob das Kind, das sich aus dem in vitro gezeugten Embryo entwickeln könnte, unter histologischen Gesichtspunkten als Spender in Frage kommt. – Jetzt erweitert sich der Sachverhalt zum juristischen Fall. Die Legalität dieser speziellen behördlichen Genehmigung wird nämlich von einer Vereinigung namens „Comment on Reproductive Ethics (Core)“ bekämpft, die sich für einen absoluten Schutz von menschlichem Leben einsetzt. Core ist der Auffassung, dass nach englischem Recht eine Lizenz für eine PID zur Feststellung der Spendertauglichkeit des erhofften Kindes nicht erteilt werden darf. Dem Feststellungsbegehren wird in erster Instanz stattgegeben, in zweiter Instanz wird es abgewiesen.94 Folglich bleibt es bei der Entscheidung 94
R (Quintavalle) v. Human Fertilisation and Embryology Authority (Secretary of State for Health Intervening) [2003] EWCA Civ 667, [2003] 3 All ER 257.
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der Behörde, und das heißt: Nach englischem Recht darf im Rahmen einer PID geprüft werden, ob sich der in vitro gezeugte Embryo zum gesunden Kind entwickelt und ob dieses Kind unter histologischen Gesichtspunkten als Gewebsspender tauglich ist.95 Embryonen, die im Anschluss an eine solche PID „verworfen“ werden, müssen also nicht notwendigerweise Träger eines „kranken Gens“ sein. Hier interessiert nicht die rechtsdogmatische Herleitung dieser Entscheidung,96 sondern vielmehr die Frage, ob sie unter rechtsethischen Gesichtspunkten vertretbar erscheint. Wird das Spenderkind im Core-Fall, wie der PID-Bericht andeutet, von seinen Eltern wirklich bloß als Mittel für die Heilung des erkrankten Bruders in Anspruch genommen? Nur bei Bejahung dieser Frage ist nämlich die Schlussfolgerung berechtigt, dass es sich hier um „eine ethisch nicht zu rechtfertigende Instrumentalisierung eines Menschen“97 handelt. Die Aussage, dass die Eltern das Spenderkind in unzulässiger Weise instrumentalisieren, lässt sich wohl auf Kants kategorischen Imperativ (in der zweiten Fassung) zurückführen, wonach gilt:
95
Der Core-Fall hat eine rege literarische Diskussion ausgelöst; vgl. nur Brownsword, Reproductive opportunities and regulatory challenges, The Modern L. Rev. 67 (2004) 304–321; Laing, Medical L. Rev. 11 (2003) 241–246; Sheldon/Wilkinson, Hashmi and Whitaker: An unjustifiable and misguided distinction?, Medical L. Rev. 12 (2004) 137–163; Wasserman, Having one child to save another: A tale of two families, Philosophy & Public Policy Quarterly 23/1-2 (2003) 21–27.
96
Schedule 2 § 1 (3) des englischen Human Fertilisation and Embryology Act (1990) ordnet an: “A licence under this paragraph cannot authorise any activity unless it appears to the Authority to be necessary or desirable for the purpose of providing treatment services.” Treatment services werden vom Gesetz definiert als “medical, surgical or obstetric services provided to the public or a section of the public for the purpose of assisting women to have children (section 2 (1)).” Lord Phillps, MR, kam zu der Auffassung, dass der Begriff “treatment services” im Wege einer historischen Interpretation weit ausgelegt werden müsse: “[W]hether the PGD has the purpose of producing a child free from genetic defects, or of producing a child with stem cells matching a sick or dying sibling, the IVF treatment that includes the PGD constitutes ‘treatment for the purpose of assisting women to bear children’” ([2003] EWCA Civ 667, para. 48).
97
PID-Bericht, sub II.3.3.
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Erwin Bernat
„Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.“98 Kants Instrumentalisierungsverbot erlebt zwar in der modernen bioethischen Debatte eine unerwartete Renaissance,99 dennoch ist es in unserem Zusammenhang schwer zu begründen, dass das Spenderkind als bloßes Mittel dazu dient, dem todkranken Bruder das Leben zu retten. Mag sein, dass sich eine Welt denken lässt, in der Eltern ihre Kinder völlig losgelöst von eigenen Zielsetzungen lieben. Aber nach Kants Instrumentalisierungsverbot müssten sie das gar nicht. Nach Kant ist es nicht verboten, den Menschen auch als Mittel zu einem außerhalb seiner selbst liegenden Zweck „zu gebrauchen“. Die Erfahrung zeigt, dass Kinder aus ganz unterschiedlichen Motiven in die Welt gesetzt werden. Beispielsweise, damit die Eltern jemanden haben, der für sie im Alter sorgt; damit das Unternehmen von den Eltern nach deren Tod auf den „richtigen“ Erben übergehen kann; oder damit das schon vorhandene Kind einen Bruder (eine Schwester) bekommt. In all diesen Fällen wird die Hervorbringung des Kindes im Allgemeinen nicht für anstößig gehalten. Warum sollte die Bewertung im gegenständlichen Zusammenhang eine andere sein? Stellen wir uns vor, die PID ergibt, dass der Ungeborene alle Eigenschaften besitzt, die ihn nach der Geburt als passenden Spender ausweisen. Das Kind wird geboren, aber die Therapie mit den Stammzellen misslingt. Kann man behaupten, die Hervorbringung des Spenderkindes sei unangemessen gewesen, weil von der Annahme ausgegangen werden müsse, dass es von seinen Eltern nun weniger geliebt werden wird? Die Annahme, dass ein Kind wahrscheinlich weniger geliebt wird, wenn es nicht in jedem Punkt den Zielvorstellungen seiner Eltern entspricht, erscheint mir zwar ziemlich kontraintuitiv; aber selbst wenn eine entsprechende Wahrscheinlichkeitsaussage durch sozialwissenschaftliche Studien bestätigt werden könnte, lässt sich daraus nicht ableiten, dass es – aus der Sicht des Spender-
98
Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, in: Kant, Werke in sechs Bänden, Bd. IV (Schriften zur Ethik und Religionsphilosophie), S. 61.
99
Kritisch Neumann, Die Menschenwürde als Menschenbürde – oder wie man ein Recht gegen den Berechtigten wendet, in: Kettner (Hrsg.), Biomedizin und Menschenwürde, 2004, S. 42 (51 ff.). Vgl. auch Herdegen, Die Menschenwürde im Fluß des bioethischen Diskurses, JZ 2001, 773 ff.
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kindes – moralisch falsch war, es in die Welt zu setzen.100 Denn im Allgemeinen bewerten wir den Akt, dem wir unsere eigene Existenz verdanken, ganz und gar nicht negativ, weil wir im Allgemeinen kein für uns lebensunwertes Leben führen.101 Nur ganz ausnahmsweise trifft es zu, dass Menschen ihr eigenes Leben tatsächlich als lebensunwert begreifen. Ich meine hier jene tragischen Fälle, die es geboten erscheinen lassen, einem schwer leidenden Menschen das Sterben zu ermöglichen.102 Um solche Fälle geht es aber bei der Diskussion im jetzigen Zusammenhang überhaupt nicht. Vor dem Hintergrund einer Moral, die sich besonders um das Wohl von Kindern sorgt, macht es daher ganz und gar keinen Sinn, ein Zeugungsverbot aufzustellen, um diejenigen zu schützen, die existieren würden, wenn es dieses Verbot nicht gäbe.103 Kommt es zur Geburt eines Kindes nach Selektion durch PID, so erscheint ein solcher Zustand Pareto-optimal: Es gibt ein Kind, das es zuvor nicht gegeben hat, und das kranke Kind hat die Chance zu überleben. Niemand erfährt, sieht man von dem Eingriff in die körperliche Integrität des Spenderkindes einmal ab, einen direkten Nachteil.104 Damit bin ich auch schon beim moralisch heikelsten Punkt, der fremdnützigen Entnahme von Körpersubstanzen nach der Geburt des Spenderkindes. Man mag einwenden, dass dieser Eingriff nicht sonderlich schmerzhaft und wenig riskant ist;105 aber dessen ungeachtet handelt es sich bei der Entnahme 100
Richtig sagt Coester-Waltjen, Gutachten B für den 56. DJT, 1986, S. 46, „dass alle Aussagen über das künftige Wohl des Kindes vor Zeugung spekulativ sein müssen und in diesem Zusammenhang anmaßend erscheinen. […] Zu den nichtvorhersehbaren Dingen gehören Glücksgefühl, Zufriedenheit, Erfüllung und die sonstigen Werte unserer überwiegend christlich-humanistisch geprägten Ordnung.“ 101 Parfit, Reasons and Persons, 1984, S. 487 ff.; vgl. Peters, Harming future persons: Obligations to the children of reproductive technology, Southern Cal. Interdisciplinary L. J. 8 (1999) 375–400; Robertson, A response to my critics, Wash. & Lee L. Rev. 52 (1995) 233–267. 102 Vgl. dazu aus der internationalen Diskussion die bei Bernat, Bioethische Entscheidungskonflikte im Spiegel der Judikatur. 50 Fälle mit Anmerkungen und Fragen, 2003, S. 304–414, wiedergegebenen Entscheidungen. 103 Zutreffend Jackson, Conception and the irrelevance of the welfare principle, The Modern L. Rev. 65 (2002) 176–203. 104 Boyle/Savulescu, Ethics of using preimplantation genetic diagnosis to select a stem cell donor for an existing person, Brit. Med. J. 323 (2001) 1240 (1242). 105 Vgl. Month, Preventing children from donating may not be in their interests, Brit. Med. J. 312 (1996) 240 f.
60
Erwin Bernat
von Knochenmark um eine Operation, die dem Spenderkind nicht direkt nützt. Die Legitimität dieser Operation kann also nicht mit dem ärztlichen Heilauftrag, sondern nur mit einer Art Solidarität begründet werden, die man vom Knochenmarksspender zugunsten seines erkrankten Bruders (seiner erkrankten Schwester) einfordert. Ich denke, dass es gute Gründe für ein derartiges „Sonderopfer“ gibt.106 Stellen wir uns eine Ausgangslage vor, in der man nicht weiß, ob man Geschwisterteil A (potenzieller Knochenmarksspender) oder Geschwisterteil B (potenzieller Knochenmarksempfänger) ist. Eingehüllt in einen „Schleier des Nichtwissens“107 wird sich wohl eine Mehrheit für die Legitimität der Knochenmarksspende aussprechen. Und das mit gutem Grund. Zum einen hält sich der Eingriff in den Grenzen der Sozialadäquanz, weil er wenig belastend und wenig risikoreich ist. Zum anderen sollte bedacht werden, dass unser eigenes Wohlergehen sehr häufig vom Wohlergehen derer abhängt, die uns nahe verbunden sind: Zwar hat das Spenderkind im Zeitpunkt der Spende noch keine affektive Beziehung zu seinem Bruder (seiner Schwester); aber selbst wenn die affektive Beziehung in diesem Zeitpunkt nur potenziell vorhanden ist, wird der Knochenmarksspender später in der Regel stolz darauf sein, dass er es war, der seinem Bruder (seiner Schwester) das Leben gerettet hat. In eben solchem Ausmaß wird der Empfänger des Knochenmarks seinem Bruder (seiner Schwester) für die Spende dankbar sein. Eltern ist es daher vor dem Hintergrund der Interessen und des Wohls des Spenderkindes nicht verboten, einen entsprechenden Eingriff vornehmen zu lassen.108 Die These von der ausnahmsweisen Legitimität von fremdnützigen Eingriffen in den Körper eines Menschen wurde vor kurzem auch vom öster106
Vgl. dazu in ähnlichem Zusammenhang Bernat, Die Forschung an Einwilligungsunfähigen, RdM 2001, 99 (104 f.).
107
“Veil of ignorance”; Begriffsbildung durch Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1975, S. 159 ff.
108
Ebenso Savulescu, Substantial harm but substantial benefit, Brit. Med. J. 312 (1996) 241 f.; Browett/Palmer, Legal barriers might have catastrophic effects, Brit. Med. J. 312 (1996) 242 f.; Robertson/Kahn/Wagner, Conception to obtain hematopoietic stem cells, Hastings Center Report 32/3 (2002) 34 (39 f.); Morley, Proxy consent to organ donation by incompetents, Yale L. J. 111 (2002) 1215–1249; skeptisch Aigner, Einwilligung Minderjähriger in eine Knochenmarkspende, RdM 1998, 144. Vgl. auch die amtlichen Erläuterungen zum Regierungsentwurf des Betreuungsgesetzes (BT-Drucks. 11/4528), wo sogar von der ausnahmsweisen Zulässigkeit der Entnahme eines Organs von einem Betreuten ausgegangen wird, etwa um das Leben eines Kindes dieser Person zu retten (a.a.O. S. 142).
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reichischen Gesetzgeber aufgegriffen, und zwar durch eine Novelle zum AMG aus dem Jahre 2004.109 Das AMG gestattet nun die nichttherapeutische Prüfung eines Arzneimittels am einwilligungsunfähigen Minderjährigen, sofern sie für ihn „nur ein minimales Risiko und eine minimale Belastung mit sich bringt“.110 Diese Bestimmung ist in unserem Zusammenhang ganz sicherlich analogiefähig. Wenn ein nichttherapeutischer, nur minimal belastender und nur minimal riskanter Eingriff sogar im bloßen Interesse der Gesellschaft an der Weiterentwicklung eines Arzneimittels durchgeführt werden darf, dann ist es sicherlich nicht anstößig, einen solchen Eingriff im Interesse eines nahen Verwandten zuzulassen, der von dem Eingriff direkt profitieren kann. Ob das Interesse von Eltern am Einsatz der PID zum Zweck der Hervorbringung eines geeigneten Gewebsspenders noch vom Anspruch auf Achtung des Privatlebens (Art. 8 Abs. 1 EMRK) erfasst ist, wird in der Diskussion wohl strittig bleiben. Wie auch immer man sich in dieser Frage entscheiden mag: Es ist – qua Verfassungsrecht – sicherlich nicht verboten, die PID auch zum Zweck der Hervorbringung eines geeigneten Gewebsspenders freizustellen. Und aus moralischer Sicht ist der Einsatz dieses Verfahrens erlaubt, wenn nicht gar geboten.
V. Resümee Eine Rechtsordnung, die den Schwangerschaftsabbruch nicht nur straffrei stellt, sondern darüber hinaus auch noch legalisiert, die PID aber kategorisch verbietet, ist in sich widersprüchlich und sollte in die eine oder in die andere Richtung hin korrigiert werden. Ein kategorisches Verbot der Abtreibung ist allerdings grundsätzlich bedenklich, sofern der Embryo kein Grundrechtsträger ist. Ist der Ungeborene kein Träger eines Rechts auf Leben, gibt es auch keinen guten Grund, die Frau zu verpflichten, sich einen in vitro befindlichen Embryo einpflanzen zu lassen.
109
BGBl. I 2004/35. Diese Novelle erging in Umsetzung der Richtlinie 2001/20/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.4.2001 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung der guten klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungen mit Humanarzneimitteln, Abl. L 121/34 vom 1.5.2001. Vgl. dazu die Beiträge in: Bernat/Kröll (Hrsg.), Recht und Ethik der Arzneimittelforschung, 2003.
110
§ 42 Abs. 2 Z 2 AMG i.d.g.F. – Die Begriffe minimale Belastung und minimales Risiko werden in § 42 Abs. 2 Z 2 AMG näher definiert.
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In einer Rechtsordnung, die an der Legalität des Schwangerschaftsabbruchs durch Anerkennung der sog. Fristenregelung (§ 97 Abs. 1 Z 1 StGB) und der embryopathischen Indikation (§ 97 Abs. 1 Z 2 Fall 2 StGB) festhält, ist eine Freistellung der PID allerdings wesentlich einfacher zu begründen als in einer Rechtsordnung, die den Schwangerschaftsabbruch zwar ebenfalls erlaubt, aber nicht nach Willkür der Frau, sondern erst nach der Erkenntnis, dass der Abbruch ultima Ratio ist, um „eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Frau abzuwenden, und die Gefahr nicht auf andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann“ (§ 218a Abs. 2 deutsches StGB). Wird die embryopathische Indikation nur von einer medizinisch-sozialen Indikation „aufgefangen“,111 dann hängt die Legitimität der PID von der medizinisch-sozialen Erkenntnis ab, dass die Frau mit dem Austragen eines Kindes mit gewissen unerwünschten Eigenschaften „in einen existenziellen Konflikt geraten würde“.112 Stellt die Rechtsordnung den Schwangerschaftsabbruch nicht nur durch eine embryopathische Indikation frei, sondern anerkennt sie auch die sog. Fristenregelung, dann versteht es sich nicht von selbst, die Zulässigkeitsvoraussetzungen für die PID nur den Zulässigkeitsvoraussetzungen für den Schwangerschaftsabbruch wegen embryopathischer Indikation anzugleichen.113 Wenn der Gesetzgeber nämlich ein Recht der Frau anerkennt, im 111
Vgl. zum „Entfall“ der embryopathischen Indikation in § 218a Abs. 2 deutsches StGB die amtlichen Erläuterungen zum Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz (SFHÄndG, BGBl. I 1995, S. 1050), BT-Drucks. 13/1850, S. 25 f.: „Von einer embryopathischen Indikation ist abgesehen worden. Vor allem die Äußerungen von Behindertenverbänden hatten nämlich aufgezeigt, dass eine derartige Regelung zu dem Missverständnis geführt hat, die Rechtfertigung ergebe sich aus einer geringeren Achtung des Lebensrechtes eines geschädigten Kindes. Zwar beruhten seit jeher die Regelungen betreffend die embryopathische Indikation demgegenüber auf der Erwägung, dass sich in solchen Fällen eine unzumutbare Belastung für die Schwangere ergeben kann. Durch die Formulierung der medizinischen Indikation in § 218a Abs. 2 StGB […] können diese Fallkonstellationen aufgefangen werden. Damit wird klargestellt, dass eine Behinderung niemals zu einer Minderung des Lebensschutzes führen kann“. Vgl. dazu Woopen, Zum Anspruch der medizinisch-sozialen Indikation zum Schwangerschaftsabbruch, Der Gynäkologe 32 (1999) 974–977. 112 Nationaler Ethikrat, Genetische Diagnostik vor und während der Schwangerschaft, 2003, S. 106. 113 So aber die „liberale“ Stellungnahme des PID-Berichts, sub II.5.2 und II.5.3., sowie in Ausführung des englischen Human Fertilisation and Embryology Act (1990) der Code of Practice6, 2003, para 14.21 f. Auch § 65 Abs. 3 des österrei-
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ersten Schwangerschaftstrimester nach Belieben abtreiben zu lassen, dann erscheint es nicht von vornherein selbstverständlich, die Legalität der PID nur mit der Legalität der Abtreibung wegen embryopathischer Indikation zu verknüpfen.114 Wir werden daher in Österreich ganz grundsätzlich diskutieren müssen, ob das derzeit geltende kategorische Verbot der PID nicht ebenso kategorisch beseitigt werden sollte.115
chischen Gentechnikgesetzes, der die Genanalyse im Rahmen einer pränatalen Untersuchung (in vivo) nur zulässt, „soweit dies medizinisch geboten ist“, steht in einem Spannungsverhältnis zu § 97 Abs. 1 Z 1 StGB. 114 In diese Richtung argumentiert auch Gert, Applying morality to the nine Huntington disease cases: An alternative model for genetic counseling, in: Gert et al. (Hrsg.), Morality and the New Genetics, 1996, S. 97 (117): “[G]iven the legality of first-trimester abortion for no reason at all, a secular testing facility need not have a policy restricting testing during the first trimester.” 115 In der internationalen Diskussion ist etwa strittig, ob die PID zum Zweck der – medizinisch nicht indizierten – Geschlechtswahl zulässig sein soll. Vgl. dazu aus der reichhaltigen Literatur etwa Egozcue, Preimplantation social sexing: A problem of proportionality and decision making, Journal of Assisted Reproduction and Genetics 19 (2002) 440–442; Pennings, Personal desires of patients and social obligations of geneticists: Applying preimplantation genetic diagnosis for non-medical sex selection, Prenatal Diagnosis 22 (2002) 1123–1129; Robertson, Extending preimplantation genetic diagnosis: Medical and nonmedical uses, Journal of Medical Ethics 29 (2003) 213–216; ders., Ethical issues in new uses of preimplantation genetic diagnosis, Human Reproduction 18 (2003) 465–471; Savulescu/Dahl, A response to the Ethics Committee of the American Society of Reproductive Medicine, Human Reproduction 15 (2000) 1879 f.; Sills/Palermo, Preimplantation genetic diagnosis for elective sex selection, the IVF market economy, and the child – Another day’s journey into night?, Journal of Assisted Reproduction and Genetics 19 (2002) 433–437. Vgl. auch Art. 14 der Europaratskonvention über Menschenrechte und Biomedizin (v. 4.4.1997), wonach die „Verfahren der medizinisch unterstützten Fortpflanzung […] nicht dazu verwendet werden [dürfen], das Geschlecht des künftigen Kindes zu wählen, es sei denn, um eine schwere, erbliche geschlechtsgebundene Krankheit zu vermeiden.“
Strafrechtliche Würdigung der PID: Zum Streitstand Rainer Erlinger
Die große Rolle, die das Strafrecht im Bereich der Präimplantationsdiagnostik (PID) spielt, ist einerseits rechtshistorisch, andererseits sachlich begründet. Die rechtshistorischen Gründe sind, dass das Embryonenschutzgesetz (ESchG), sedes materiae der hier anstehenden Fragen, vom Bundesgesetzgeber als reines Strafgesetz gestaltet wurde1, da ihm zum Zeitpunkt des Erlasses2 die Gesetzgebungskompetenz zur Regelung der Fortpflanzungsmedizin fehlte. Erst durch die Grundgesetzänderung vom 27.10.19943 erhielt der Bund in Art. 74 Abs. 1 Nr. 26 GG die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz auch für „die künstliche Befruchtung beim Menschen, die Untersuchung und die künstliche Veränderung von Erbinformationen sowie Regelungen zur Transplantation von Organen und Geweben“. De lege ferenda hat der Bundesgesetzgeber also durchaus Handlungsmöglichkeiten außerhalb des strafrechtlichen Bereichs, de lege lata sind die Regelungen zum Schutz des vorgeburtlichen Lebens in vitro derzeit jedoch rein strafrechtlicher Natur. Dies lässt sich jedoch auch inhaltlich begründen, da der Schutz des Lebens durchaus originäre Aufgabe des Strafrechts ist4. Insofern wären neben der Strafwürdigkeit, die sich aus dem Lebensschutz ergibt, auch eine Strafbedürftigkeit5 zu bejahen6, wenn man den Lebensschutz höher ansiedelt als die sonstigen dabei betroffenen Interessen7.
1
BGBl I, S. 2746.
2
13.12.1990.
3
BGBl I, S. 3146.
4
Vgl. hierzu BVerfGE 39, 1, 45.
5
Zur Subsidiarität des Strafrechts für den Rechtsgüterschutz: Roxin, AT I 2. Aufl. München 1994, § 2 Rn. 28.
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I.
Rainer Erlinger
Vorbemerkung zur Diskussion
De lege lata ist das Embryonenschutzrecht8 rein im Strafrecht angesiedelt. Dies bedeutet, worauf Neidert9 zu Recht hinweist, dass die Auslegung nach den harten Kriterien des Strafrechts zu erfolgen hat. Eine großzügige Auslegung kann für den handelnden Arzt weitreichende Folgen in Form einer Strafdrohung bis zu drei Jahren haben. Natürlich hat das Strafrecht gerade auch die Funktion des effektiven Rechtsgüterschutzes, dies darf aber nicht dazu führen, dass die Schranken der strafrechtlichen Auslegung, namentlich das Analogieverbot und die Wortlautgrenze10 überschritten werden. Es muss daher hingenommen werden, wenn einzelne Verhaltensweisen aufgrund von Lücken des Gesetzes nicht strafbar sind, mögen sie auch gesellschaftlich unerwünscht oder strafwürdig sein. Es gilt insoweit der Grundsatz der „fragmentarischen Natur“ des Strafrechts11.
II. Grundsätzliche Unterscheidung: Totipotente oder pluripotente Zellen Bei der Betrachtung der Strafbarkeit der PID ist zunächst zwischen der Untersuchung von totipotenten und pluripotenten Zellen zu unterscheiden. 1.
PID an totipotenten Zellen
Nach einhelliger Meinung ist die PID an totipotenten Zellen durch das ESchG verboten und strafbar. Dies liegt daran, dass gemäß § 8 I ESchG jede totipotente Zelle als Embryo im Sinne des ESchG zu betrachten ist. 6
7 8
9 10
11
Zu den möglichen Alternativen zum strafrechtlichen Rechtsgüterschutz siehe Erlinger, Strafrechtliche Grenzen genetischer Untersuchungen, in: Dierks, Wienke, Eberbach, Schmidtke, Lippert (Hrsg.) Genetische Untersuchungen und Persönlichkeitsrecht. Berlin Heidelberg New York 2003, S. 71ff. bei Fn. 85. Vgl. hierzu den Beitrag von Kluth in diesem Band. Neben den Bestimmungen im ärztlichen Standesrecht § 14 S. 2 der ergänzenden Bestimmungen zu den einzelnen Berufspflichten der Musterberufsordnung, vgl. Ratzel/Heinemann MedR 1997, 540 und Ratzel, GesR 2004, 77. ZRP 2002, 467, 469. Für viele siehe die umfassende und schöne Darstellung bei Roxin, AT 2. Auflage 1994, § 5 Rn. 26ff. Zurückzuführen auf Binding, Lehrbuch BT, Band 1, 2. Aufl. 1902, 20 ff., zitiert nach Roxin, AT, 2. Auflage 1994, § 2 Rn. 28.
Strafrechtliche Würdigung der PID: Zum Streitstand
67
Schon die Entnahme einer solchen Zelle aus dem Embryo stellt demnach eine strafbare Handlung dar, da sie als Klonen bewertet wird, das nach § 6 I ESchG strafbar ist. Darüber hinaus stellt die Untersuchung einer totipotenten Zelle, bei der die Zelle zerstört wird, eine Verwendung (des Embryos i.S.d. ESchG) zu einem nicht ihrer Erhaltung dienenden Zweck dar, der nach § 2 I ESchG strafbar ist. 2.
PID an pluripotenten Zellen
Leider findet sich im Schrifttum keine einheitliche Linie, nach der die Strafbarkeit der PID an nicht mehr totipotenten, pluripotenten Zellen de lege lata zu bewerten ist. Diese Uneinigkeit und der sich daraus ergebende Zustand der Rechtsunsicherheit hat selbstverständlich auch Auswirkungen auf die Frage, ob und wie eine dezidierte gesetzliche Regelung erfolgen sollte und wird auch für politische Argumentationen benutzt. So hat die bayerische Staatsregierung auf die Anfragen von zwei Abgeordneten der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bayerischen Landtag12 sich ohne weitere Begründung einer Meinung angeschlossen. Auf die Frage „Wo laufen derzeit in Bayern Forschungen und Anwendungen von PID?“ antwortete die Staatsregierung: „Nach herrschender Meinung im Schrifttum ist PID in allen Formen durch das Embryonenschutzgesetz verboten. Nach hiesigem Kenntnisstand wird in Bayern weder an der PID geforscht, noch wird diese angewandt.“ Auf die weitere Frage „Welche gesetzlichen Rahmenbedingungen und Klarstellungen, z. B. im Embryonenschutzgesetz, hält die Staatsregierung in diesem Zusammenhang für notwendig?“ erfolgte die lapidare Antwort: „Die Staatsregierung geht mit der herrschenden Meinung im Schrifttum davon aus, dass die PID durch das ESchG verboten ist.“ 12
Antwort des Staatsministeriums für Gesundheit, Ernährung und Verbraucherschutz vom 15.02.2002 auf die schriftliche Anfrage der Abgeordneten Paulik, Schopper vom 06.12.2001, Landtagsdrucksache 14/8732.
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Rainer Erlinger
Wesentlich differenzierter wird das im Schlussbericht der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ des Deutschen Bundestages in der 14. Wahlperiode13 gesehen. In diesem Schlussbericht wird die unterschiedliche Beurteilung der Rechtslage ausdrücklich genannt und diskutiert14 und ausdrücklich deshalb auf einen Regelungsbedarf hingewiesen15. Deshalb enthalten sowohl das Minderheits- als auch das Mehrheitsvotum die Empfehlung einer gesetzlichen Regelung bzw. Klarstellung16. Auch der Gesetzentwurf der Fraktion der FDP17 zur Regelung der Präimplantationsdiagnostik geht davon aus, dass der Gesetzgeber verpflichtet ist, auf diesem gesellschaftlich wichtigen Gebiet für Rechtsklarheit sowohl für Ärzte als auch für die betroffenen Paare zu sorgen.
III. Zur Strafbarkeit der PID an pluripotenten Zellen 1.
Streitstand in der Literatur
Zu den rechtlichen und ethischen Aspekten der PID ist eine sehr umfangreiche Literatur erschienen18. Im Hinblick auf die strafrechtliche Diskussion um die Strafbarkeit der PID nach dem ESchG gibt es ebenfalls eine Fülle von Publikationen, von denen jedoch einige, teils wegen der Tiefe der inhaltlichen Auseinandersetzung, teils wegen der Prominenz ihrer Publikation, die Debatte besonders geprägt haben. Eine Strafbarkeit bejahen19 in erster Linie Beckmann in der Zeitschrift für Lebensrecht20 und in seinem Diskussionsbeitrag zur PID im Deutschen Ärzteblatt21, die damalige Abteilungsleiterin im Bundesgesundheitsministe-
13
Bundestagsdrucksache 14/9020.
14
S. 101/102.
15
Unter 1.4.3 auf S. 104.
16
S. 107 ff. bzw. 111 ff.
17
Bundestagsdrucksache 15/1234.
18
Für einen Überblick siehe Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, 3. Auflage 2003, Rn. 359; Laufs in Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 3. Auflage 2002, § 129 vor Rn. 1.
19
Ebenfalls eine Strafbarkeit bejaht Merkel in einer, einem obiter dictum gleichkommenden Fußnote (Fn 20) in Forschungsobjekt Embryo, München 2002.
20
ZfL 2001, 12.
21
DÄBl 2000, A-1959.
Strafrechtliche Würdigung der PID: Zum Streitstand
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rium Riedel ebenfalls im Deutschen Ärzteblatt22 Renzikowski in der NJW23 sowie Laufs an prominenter Stelle im Handbuch des Arztrechts 24 mit drastischen Worten: „Es geht um Zeugung mit dem primären Ziel der Selektion, nicht um therapeutische Zwecke … Mediziner stellen Leben her, um es zu testen und bei positivem Befund zu selektieren. Diesen düsteren Befund vermag die gute Absicht, den Elternwünschen nach einem gesunden Kind möglichst zu erfüllen, nicht aufzuhellen.“ Gegen eine Strafbarkeit sprechen sich vor allem aus: Schreiber im Deutschen Ärzteblatt25, Neidert an gleicher Stelle sowie in der Zeitschrift für Rechtspolitik26, die damalige Vorsitzende der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Recht und Ethik der modernen Medizin“ Margot von Renesse in der Zeitschrift für Lebensrecht27, Ulsenheimer im Handbuch des Arztstrafrechts28, Schneider in der Zeitschrift für Medizinrecht29, Frommel in der Stellungnahme vor dem Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages30 sowie tiefgreifend strafrechtsdogmatisch und rechtsethisch Schroth in der JuristenZeitung31. 2.
Strafbarkeit nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG
§ 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG lautet: „Mit Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer es unternimmt, eine Eizelle zu einem anderen Zweck künstlich zu befruchten, als eine Schwangerschaft der Frau herbeizuführen, von der die Eizelle stammt.“ 22
DÄBl 2000, A-586.
23
NJW 2001, 2753.
24
In Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 3. Auflage 2002, § 129, Rn. 32.
25
DÄBl 2000, A-1135.
26
DÄBl 2000, A-3483 sowie ZRP 2002, 467.
27
ZfL 2001, 10.
28
3. Auflage 2003, Rn. 358c ff.
29
MedR 2000, 360.
30
Öffentliche Anhörung zum Gesetzesentwurf der FDP zur Regelung der Präimplantationsdiagnostik, BT-Drucksache 14/4098, schriftliche Stellungnahme Ausschussdrucksache 1288/14, S. 2 ff. sowie Wortprotokoll (Nr. 113) der 113. Sitzung des Rechtsausschusses und der 122. Sitzung des Ausschusses für Gesundheit am 23.01.2002.
31
JZ 2002, 170.
70
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Dreh- und Angelpunkt bei dieser Vorschrift ist wie der „andere Zweck“ rechtlich zu bewerten ist. Günther schreibt dazu im Kommentar zum ESchG32: „Der Täter handelt nur dann tatbestandslos, wenn er die Eizelle künstlich befruchtet, um den Embryo der Frau zu transferieren, von der die Eizelle stammt.“ Er fährt fort: „Jede andere Absicht verwirklicht den subjektiven Tatbestand.“ Schneider33 erkennt in der Formulierung „um zu“ richtigerweise, dass der Täter nur dann tatbestandslos handelt, wenn er mit der Absicht handelt, den Embryo der Frau zu transferieren. Fraglich ist an dieser Stelle jedoch – und dies wird im Folgenden für die Beurteilung der Strafbarkeit entscheidend sein –, ob durch die Formulierung des Gesetzes die „andere Absicht“ pönalisiert wird, wie etwa die Absicht in den §§ 242, 263 StGB oder ob es sich um eine Privilegierung des Täters in dem Fall handelt, dass er die „richtige“ Absicht hat, die Eizelle zu transferieren, also eine Schwangerschaft bei der Frau herbeiführt. Diese Frage kann am ehesten geklärt werden, wenn man sich überlegt, wie der „Normalfall“ aussieht, also die typische Situation der In-vitro-Fertilisation, die gerade nicht strafbar sein soll. a)
Pönalisierung der Verfolgung des „anderen“, falschen Zwecks
Offensichtlich gehen alle Autoren, die zu einer Strafbarkeit der PID gelangen, davon aus, dass die Verfolgung eines falschen Zwecks die Handlung rechtswidrig macht34. Diese Auffassung kann jedoch keinesfalls richtig sein, da sie zu vollkommen unvertretbaren Ergebnissen führt. Nach allgemeiner Lehre von der Absicht gilt, dass „die Erreichung des Zieles weder das Endziel noch der überwiegend oder gar einzig angestrebte Erfolg zu sein braucht; auch ein neben einem anderen Ziel angestrebter Nebenzweck sowie ein als Mittel zu einem anderen Zweck angestrebtes Ziel (Zwischenziel) genügt.“35 Üblicherweise führen Ärzte ihre Tätigkeit zwar nicht als Gewerbe, aber auch als freiberufliche Tätigkeit mit wirtschaftlichen Beweggründen zum Broterwerb durch. Jede ärztliche Tätigkeit ist somit auch von dem Zweck und damit der Absicht getragen, damit Geld zu verdienen. Da eben nach allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen bei einem Absichtsbündel jede 32
Günter, in Keller/Günther/Kaiser, ESCHG, 1991, § 1 Abs. 1 Nr. 2 Rd. Nr. 15.
33
MedR 2000, 360, 361.
34
So ausdrücklich auch Merkel, Forschungsobjekt Embryo, 2002, Fußnote 20.
35
Schönke/Schröder-Cramer/Sternberg-Lieben, StGB, 26. Aufl. 2001, § 15, Rn. 66.
Strafrechtliche Würdigung der PID: Zum Streitstand
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mitverfolgte Absicht ausreicht, um den Tatbestand eines Gesetzes zu verwirklichen, wäre automatisch jede von einem Arzt im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit durchgeführte In-vitro-Fertilisation, da zugleich die – möglicherweise untergeordnete – Absicht der beruflichen Einkunftserzielung, mithin ein „anderer Zweck“ mitverfolgt wird, strafbar. Da dies nicht möglich ist, ist die Auslegung des „anderen Zwecks“ als strafbegründendes Tatbestandsmerkmal denknotwendig ausgeschlossen. b)
Die Herbeiführung einer Schwangerschaft als privilegierendes Merkmal
Richtig kann daher nur sein, die Formulierung so auszulegen, dass der Tatbestand bejaht wird, wenn die Absicht zur Herbeiführung einer Schwangerschaft nicht vorliegt36. Frommel37 sieht darin zutreffenderweise eine Privilegierung, die ein Handeln mit dieser Absicht erfahren soll. Dies ändert jedoch nichts daran, dass es sich um eine Absicht im strafrechtlichen Sinn, mithin dolus directus ersten Grades handelt und die im sonstigen Strafrecht geltenden Definitionen und Erkenntnisse für eine Absicht angewendet werden müssen38. Eine an dieser Stelle von der sonst im Strafrecht üblichen Bewertung abweichende Auslegung würde auch die Strafbarkeit für den Täter selbst bei fachkundiger Beratung nicht mehr vorhersehbar machen und somit einen Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot des § 103 Abs. 2 GG darstellen. Man muss sich aber nun klarmachen, dass, wenn die Absicht ein privilegierendes Tatbestandsmerkmal und nicht ein strafbegründendes Tatbestandsmerkmal wie in den geläufigen §§ 242 und 263 StGB darstellt, alle Fallkonstellationen, die bei den §§ 242 oder 263 StGB zur Bejahung der inkriminierten Absicht und damit zur Strafbarkeit führen39, im Falle des § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG ebenfalls zur Bejahung der Absicht führen müssen, die diesmal aber privilegierend ist und Straflosigkeit zur Folge hat. Hierzu gehört das bereits oben angesprochene Absichtsbündel, bei dem es aus36
So auch Schneider MedR 2000, 360, 361.
37
AaO.
38
Dies ist es auch, worauf Neidert, ZRP 2002, 467 zutreffend hinweist: Bei der Auslegung des ESchG ist zu berücksichtigen, dass es sich dabei um ein Strafgesetz handelt, also die strengen Auslegungsregeln des Strafrechts zu gelten haben.
39
Vgl. hierzu Roxin, AT 2. Aufl. München 1994, § 12 Rn. 7ff. insbesondere Rn. 12 und die dort aufgeführten Beispiele.
72
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reicht, wenn auch nur eine den Tatbestand erfüllende Absicht darunter ist40, ebenso wie die Absicht, die unter einer objektiven Bedingung steht. Dies muss jedoch im vorliegenden Fall dann genauso für die privilegierende Absicht gelten. Dies übersehen jedoch die eine Strafbarkeit die eine Strafbarkeit der PID bejahenden Autoren, namentlich Beckmann41 und Renzikowski42. Auch die Tatsache, dass die Absicht der Herbeiführung einer Schwangerschaft unter einer Bedingung steht43, vermag daran nichts zu ändern. Zum einen sind auch Absichten, die unter einer objektiven Bedingung stehen, strafrechtlich als Absicht zu bewerten44. Nach allgemeiner Strafrechtslehre und ständiger Rechtsprechung liegt z. B. bei einer Zueignungsabsicht, die im Zeitpunkt der Wegnahme noch unter einer aufschiebenden objektiven Bedingung steht, bereits der subjektive Tatbestand des § 242 als erfüllt vor45. Zum anderen steht jede IVF, wie Schreiber46 und Schneider47 40
Dies ist die fallentscheidende Frage in BGHSt 16, 1: Ein Finanzbeamtenanwärter wollte von Bochum nach Dortmund um dort an einem Kurs teilzunehmen. Unmittelbar vor Abfahrt des Zuges entdeckt er, dass er seine „Sechserkarte“ zuhause vergessen hat. Weil er unbedingt den Kurs erreichen will, und das Lösen einer neuen Karte zu viel Zeit gebraucht hätte, versucht er sich durch die Kontrolle zu mogeln. Der BGH stellte fest, dass es für die Bejahung der Schädigungsabsicht nicht darauf ankäme, dass diese das „maßgebende“ Ziel sei, sondern dass diese auch gegeben sei, als eines in einem „Bündel von Motiven“.
41
ZfL 2001, 12. Beckmann versucht hier aus der objektiven Bedingung eine subjektive zu machen: Erst nach dem Testergebnis würden sich Frau und Arzt entscheiden, ob sie den Embryo implantieren wollen. Dies ist jedoch wirklichkeitsfremd. Wieso sollte man eine (teure und aufwändige) PID durchführen, wenn man nicht die Absicht hat, im Falle eines günstigen Testergebnisses den Embryo zu implantieren?
42
NJW 2001, 2753.
43
So Beckmann, ZfL 2001, 12, 13.
44
Worauf auch Schroth, JZ 2002, 170, 174 besonders hinweist.
45
So die Beispiele, die Schroth (JZ 2002, 170, 174) schildert: Ein Dieb, der ein Auto unter der Voraussetzung wegnehmen will, dass er eines findet, bei dem der Zündschlüssel steckt, hat von Anfang an Zueignungsabsicht. Dies entspricht, so Schroth, auch dem Umgangssprachgebrauch: Wer einen anderen besuchen will, unter der Voraussetzung, dass dieser zu Hause ist, hat die Absicht des Besuchs.
46
DÄBl 2000, A-1135, 1136.
47
MedR 2000, 360, 362.
Strafrechtliche Würdigung der PID: Zum Streitstand
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betonen, unter einer Bedingung, nämlich der, dass die Frau der Implantation des Embryos dann zustimmt. Diese Bedingung ist auch nicht nur theoretischer Natur, der Fall der Zustimmungsverweigerung der Frau zur Implantation ist sogar in § 4 Abs. 1 Nr. 2 ESchG ausdrücklich gesetzlich geregelt. Daneben kommen Fälle des kurzfristigen Sinneswandels durchaus vor, wie der vom BGH im Jahre 2001 entschiedene48 zeigt: Nach drei Implantationen bei einer homologen Insemination, zuletzt im Oktober 1996 lernte der Ehemann im November 1996 auf einer Urlaubsreise eine andere Frau kennen und erklärte anschließend seiner Frau, dass er an der Abrede der extrakorporalen Befruchtung nicht mehr festhalten wolle49. Angesichts der Kurzlebigkeit vieler Beziehungen wäre es geradezu lebensfremd, wenn der Arzt bei der Befruchtung nicht mit dem Fall eines plötzlichen Willensumschwungs der Frau rechnen würde. Insofern muss diese Überlegung in seinem Vorsatz bei der Befruchtung enthalten sein. Wenn aber dieser „Normalfall“ der IVF nicht strafbar sein soll, muss die unter einer Bedingung stehende Absicht der Herbeiführung einer Schwangerschaft für eine Privilegierung ausreichend sein. Diese Annahme, dass es sich bei der Formulierung in § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG um eine Privilegierung handelt, die bereits eintritt, wenn die Herbeiführung der Schwangerschaft eine der Absichten des Täters ist, wird auch gestützt durch die amtliche Begründung des Gesetzentwurfs50. Dort heißt es in der Einzelbegründung zu § 1 Abs. 1 Nr. 2 unter a) Verbot der künstlichen Befruchtung menschlicher Eizellen zu einem anderen Zweck als der Herbeiführung einer Schwangerschaft: „In dem Kabinettsbericht zur künstlichen Befruchtung vom 10. Februar 1988 – Drucksache 11/1856, Seite 7 zu II. 1. a – ist bereits darauf hingewiesen worden, dass es mit der in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes getroffenen Entscheidung zugunsten des menschlichen Lebens kaum in Einklang zu bringen wäre, extracorporal menschliche Eizellen zu befruchten, wenn deren Transfer auf eine zur Austragung der 48
NJW 2001, 1789.
49
Die Frau ließ sich trotzdem am 24.12.1996 die vierte Eizelle implantieren, wurde schwanger und entband eine Tochter, für die der Vater wegen seines Widerrufes keinen Unterhalt zahlen wollte. Damit drang er aber vor dem BGH nicht durch.
50
Gesetzentwurf der Bundesregierung zum ESchG vom 25.10.1989, Bundestagsdrucksache 11/5460.
74
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Frucht bereite Frau von vornherein ausgeschlossen oder überhaupt nicht beabsichtigt 51 ist.“ 3.
Strafbarkeit nach § 2 Abs. 1 2. Alt ESchG
§ 2 Abs. 1 ESchG lautet: „Wer einen extrakorporal erzeugten oder einer Frau vor Abschluß seiner Einnistung in der Gebärmutter entnommenen menschlichen Embryo veräußert oder zu einem nicht seiner Erhaltung dienenden Zweck abgibt, erwirbt oder verwendet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Als Handlungen die unter die Strafdrohung dieser Vorschrift fallen könnten, werden in der Literatur zum einen das Stehenlassen oder Verwerfen des Embryos im Falle der Feststellung der Erbkrankheit nach PID oder die Durchführung der PID als solche, also die Untersuchung des Embryos genannt52. a)
Untersuchung des Embryos
Eine Strafbarkeit nach § 2 Abs. 1 ESchG stellen Riedel53 (allerdings ohne nähere Begründung) sowie Renzikowski54 fest. Letzterer argumentiert, dass die Untersuchung des Embryos eine Verwendung ohne einen seiner Erhaltung dienenden Zweck darstelle. Entscheidend für ihn ist: „Für die Erhaltung des Embryos ist die Entnahme und Untersuchung der Zelle verzichtbar.“ Deshalb stelle die Untersuchung keine „neutrale Handlung“ am Embryo dar und der Arzt verfolge damit neben dem Ziel, den Embryo zu transferieren genauso das Ziel, den Embryo nicht zu transferieren. Dies sei jedoch nach § 2 Abs. 1 ESchG strafbar. Diese Argumentation kann aus mehreren Gründen nicht überzeugen.
51
Hervorhebung vom Verfasser.
52
Schroth, JZ 2002, 170, 174f.; Schreiber DÄBl 2000, A-1135, 1136; Schneider MedR 2000, 360, 362.
53
DÄBl 2000, A-586.
54
NJW 2001, 2753, 2756.
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(1) Wortlaut „verwenden“ Der mögliche Wortsinn markiert im Strafrecht die äußerste Auslegungsgrenze, wie es Lehre55 und auch das BVerfG56 immer wieder betonen. Mögen auch kriminalpolitische Erwägungen für eine Ausweitung mancher Vorschrift sprechen, sind hier der Auslegung Grenzen gesetzt, wie es die berühmten Entscheidungen des RG zur unbefugten Entziehung elektrischer Energie57 zeigten: Da Energie keine körperliche Sache darstellt, lehnte es das RG trotz offensichtlicher kriminalpolitischer Sinnhaftigkeit ab, dies als Diebstahl gemäß § 242 StGB zu bestrafen, weil der Wortlaut der „Sache“ überdehnt würde. Insofern ist zu hinterfragen, ob eine in einer Untersuchung eine „Verwendung“ liegen kann, was sich kaum mit dem üblichen Sprachgebrauch vereinbaren lässt. Unter „verwenden“ versteht man laut Wörterbuch ein „Benutzen“, also eine Heranziehung zu einem anderen Zweck. Die Entnahme von Zellen aus einem Embryo zur Untersuchung dessen eigener Krankheitsanlagen kann nicht mehr mit dem Sprachgebrauch und dem Wortsinn in Einklang gebracht werden58. Dies deckt sich auch mit der Gesetzesbegründung 59 zu § 2 Abs. 1 ESchG, die ausdrücklich darauf abstellt, dass die „fremdnützige Verwendung“ von Embryonen verhindert werden soll. „Dahinter steht die Erwägung, dass menschliches Leben grundsätzlich nicht zum Objekt fremdnütziger Zwecke gemacht werden darf.“ Wird jedoch jede Form von Einflussnahme auf den Embryo unter den Begriff „Verwendung“ subsumiert, wird nicht nur der Wortsinn, sondern auch der Regelungszweck des Gesetzes überdehnt. § 2 Abs. 1 ESchG ist keine allgemeine Schutzvorschrift für den Embryo vor allen Einwirkungen, sondern soll lediglich seine Benutzung für fremde Zwecke verhindern.
55
Für viele Roxin, Strafrecht AT, 2. Aufl. 1994, § 5 Rn. 26ff.
56
BVerfGE 73, 206, 234ff.; 92, 1, 12.
57
RGSt 29, 111; 32, 165.
58
Läge die Entnahme von Zellen innerhalb des Wortlauts, müsste vorstellbar sein, dass der Arzt, der seinen Patienten zur Abklärung einer Krankheit Blut entnehmen will, zu ihm sagt: „Ich verwende Sie zu einer Blutentnahme.“ Das entspräche aber nicht der deutschen Sprache.
59
BT-Drucks. 11/5460.
76
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Schroth60 weist zurecht darauf hin, dass bei der Entnahme einer pluripotenten Zelle, die selbst ja keinen Embryo i.S.d. ESchG mehr darstellt, und deren Untersuchung keine Verwendung des Embryos, sondern eben dieser pluripotenten Zelle vorliegt. (2) Absicht Auch hier ist aber wieder aufgrund der Formulierung „zu einem nicht seiner Erhaltung dienenden Zweck“ eine Prüfung der Absichtsproblematik vorzunehmen. Schneider61 sieht hier einen grundlegenden Unterschied zum Fall des § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG, weil die Untersuchung im Gegensatz zur Befruchtung einen „isolierbaren Teilabschnitt“ darstelle. Deshalb führe hier eine Umkehrung der Absicht nicht zu einem Tatbestandsausschluss. Ebenso wie Schroth62 sieht sie aber die Absicht, den Embryo nicht zu erhalten als nicht gegeben an, weil es dem Arzt zum Zeitpunkt der Untersuchung nicht auf einen derartigen Zweck ankomme63. Schroth verweist zusätzlich darauf, dass objektive Bedingungen die Annahme einer Absicht nicht ausschließen. Diese Ansicht vermag zwar im Ergebnis, nicht jedoch in seiner Begründung zu überzeugen. Sieht man wie Schneider keinen Privilegierungstatbestand in der Absicht, so ist der Konsequenz zu folgen, die Renzikowski64 daraus zieht: Das strafbegründende Merkmal der Absicht ist verwirklicht, wenn die Absicht in diesem Sinne auch vorliegt65. Jedoch kommt man auch, wenn die Untersuchung als nicht notwendig für die Erhaltung ist, zu demselben Ergebnis wie bei der Betrachtung des § 1 Abs. 2 Nr. 1 ESchG. Der objektive Tatbestand des § 2 Abs. 1 ESchG ist nur dann erfüllt, wenn man den Begriff „verwenden“ so extensiv auslegt, dass er nicht nur jede Instrumentalisierung zu anderen Zwecken sondern jede Handlung am Embryo umfasst. Dann fällt jedoch auch schon das Heranzüchten in vitro unter diesen Begriff. In diesem Falle hat man aber wieder das Problem, dass der Arzt, der dies tut, auch andere Zwecke verfolgt (Einkommenserzielung u. a.). Damit er sich nicht automatisch strafbar 60
JZ 2002, 170, 175.
61
MedR 2000, 360, 364.
62
JZ 2002, 170, 175.
63
Unter Verweis darauf, dass eine bloße Inkaufnahme eines unerwünschten Erfolges keine Absicht darstelle im Ergebnis genauso Ratzel/Heinemann MedR 1997, 540, 542.
64
NJW 2001, 2753, 2756f.
65
S.o. zu § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG.
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macht, muss § 2 Abs. 1 ESchG so ausgelegt werden, dass wieder eine Privilegierung erfolgt, wenn mit der Handlung auch „ein seiner Erhaltung dienender Zweck“ verfolgt wird. Um die Strafbarkeit zu begründen ist also umgekehrt ein „ausschließlich“ in den Wortlaut hineinzulesen. Dann gelten jedoch wieder die zu § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG gemachten Ausführungen. Nicht überzeugend scheint auch die Überlegung, dass die Untersuchung niemals dem Erhalt des Embryos „dienen“ kann, weil er ohne sie implantiert würde. Dies ist jedoch eine Unterstellung, weil sich schließlich die Frau dafür entschieden hat, die PID durchführen zu lassen und man danach keineswegs davon ausgehen kann, dass sie dann, wenn man die Untersuchung nicht durchführt66, einen oder konkret diesen Embryo implantieren ließe. Sie wird umgekehrt in der Konstellation der drohenden Erbkrankheit kein Kind bekommen wollen. Stellt man, wie Beckmann es fordert67 auf den einzelnen künstlich erzeugten Embryo ab, ist es sogar notwendig, die Untersuchung durchzuführen: Warum sollte die Frau sich diesen speziellen ungetesteten Embryo implantieren lassen? Schwanger werden ohne zu wissen, ob das Kind an der Krankheit leidet, könnte sie – meist – auch auf natürlichem Wege68. b) Stehenlassen des Embryos Im Gegensatz zu vorigem ist beim Stehenlassen des Embryos im Falle eines positiven Testergebnisses, also der Feststellung der fraglichen Erbkrankheit die Absicht, der Erhaltung des Embryos entgegen zu wirken, nicht fraglich. Hier liegen aber dennoch wieder zwei Punkte vor, die einer Strafbarkeit entgegenstehen. (1) Wortlaut „verwenden“ Sowohl ein einfaches Stehenlassen des Embryos als auch ein aktives Verwerfen kann nach allgemeinem Sprachgebrauch nicht dem Begriff „verwenden“ unterschrieben werden. Ein verwenden verlangt einen Zweck, ein instrumentalisieren, ein „wozu“. Wozu soll der Embryo verwendet werden,
66
Sei es aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen.
67
ZfL 2001, 12, 14.
68
Zur Einstellung der Betroffenen gegenüber der PID Richter et al. DÄBl 2004, A-328 und ausführliche Fassung im Internet unter www.aerzteblatt.de/plus0604.
78
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wenn man ihn abtötet? Teilweise wird dies jedoch offenbar bejaht69 oder zumindest ausdrücklich offen gelassen70 (2) Rechtfertigungsgründe Frommel71 sieht eine Parallele mit dem Schwangerschaftsabbruch gegeben und deshalb eine Rechtfertigung in den Fällen des § 218 a Abs. 2 StGB „medizinische bzw. de facto eine embryopathische Indikation“, bzw. alternativ den rechtfertigenden Notstand nach § 34 StGB. (3) Garantenstellung Schneider nimmt zu Recht eine Garantenstellung des Arztes für den Embryo an und zwar entweder aus freiwilliger Übernahme, weil sich der Behandlungsvertrag zwischen Arzt und Patientin auch auf das ungeborene Kind, hier auch auf den Embryo erstreckt72 oder aus vorangegangenem gefährdenden Tun. Dies kann bejaht werden, da der Arzt mit der Durchführung der IVF überhaupt erst den nun besonders gefährdeten Embryo geschaffen und in die besondere Gefahrensituation in vitro gebracht hat. Ob dem Arzt durch das ESchG eine besondere Schutzpflicht gegenüber dem Embryo auferlegt wird, wie Schneider annimmt, erscheint dagegen ein Zirkelschluss, da ein Strafgesetz, bei dem geprüft wird, ob eine Garantenstellung vorliegt nicht gleichzeitig für die Begründung dieser Garantenstellung herangezogen werden kann. Sowohl Schneider als auch Schroth sehen allerdings die Garantenstellung als erloschen an, in dem Moment, in dem die Frau sich weigert, sich 69
Schneider, MedR 2000, 360, 352f., wohl auch Schroth, JZ 2002, 170, 174f.
70
Frommelt, öffentliche Anhörung zum Gesetzesentwurf der FDP zur Regelung der Präimplantationsdiagnostik, BT-Drucksache 14/4098, schriftliche Stellungnahme Ausschussdrucksache 1288/14, S. 2 ff. sowie Wortprotokoll (Nr. 113) der 113. Sitzung des Rechtsausschusses und der 122. Sitzung des Ausschusses für Gesundheit am 23.01.2002, S. 7.
71
Öffentliche Anhörung zum Gesetzesentwurf der FDP zur Regelung der Präimplantationsdiagnostik, BT-Drucksache 14/4098, schriftliche Stellungnahme Ausschussdrucksache 1288/14, S. 2 ff. sowie Wortprotokoll (Nr. 113) der 113. Sitzung des Rechtsausschusses und der 122. Sitzung des Ausschusses für Gesundheit am 23.01.2002, S. 7f.
72
Schneider, MedR 2000, 360, 363; Schönke/Schröder-Stree, StGB § 13 Rn. 28 m.w.N.; Uhlenbruck/Laufs in Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts´, 3. Auflage 2002, § 40, Rn 24.
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den Embryo implantieren zu lassen, da in diesem Moment das Verbot des § 4 Abs. 1 Nr. 2 ESchG greift. Schroth formuliert prägnant: „Garantenstellungen enden mit Sicherheit dann, wenn und soweit die Erfüllung von Garantenstellungen selbst strafrechtswidrig ist.“73 (4) Entsprechensklausel § 13 StGB Damit eine Unterlassung strafrechtlich relevant ist, muss auch die sogenannte Entsprechensklausel des § 13 StGB erfüllt sein74. Danach ist ein Unterlassen nur strafbar, wenn „das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestands durch ein Tun entspricht“. Schroth sieht diese nicht gegeben: „Es ist ein normativer Unterschied, ob man einen Embryo nur stehen lässt oder ob man ihn beispielsweise für Forschungszwecke benutzt. Gleichwertigkeit kann insoweit nicht angenommen werden.“75 So ähnlich äußert sich auch Günther76: „Das Unterlassen lebenserhaltender Maßnahmen zugunsten des Embryos entspricht in seinem Unrechtsgehalt nicht aktiv missbräuchlicher Verwendung.“ An letzterem Satz übt Schneider Kritik, indem sie keinen Unterschied in der Bewertung zwischen einem aktiven „Wegschütten“ einer Kultur und einem passiven „Stehenlassen“ erkennen kann77. Diese Kritik ist berechtigt, andererseits muss ebenso den Ausführungen von Schroth und Günther zugestimmt werden. Dies kann jedoch nur eines bedeuten: Nicht die Frage des Tuns oder Unterlassens ist entscheidend, sondern die Strafwürdigkeit der Handlung wird durch das Missbrauchen begründet. Dies ist jedoch genau die Bewertung, die wir oben bei der Auslegung des Begriffs „verwenden“ gefunden haben: Es muss entsprechend dem Wortsinn eine Instrumentalisierung stattfinden. Eine bloße „Behandlung“ kann nicht ausreichen, um das Tatbestandsmerkmal zu erfüllen. Entscheidend ist daher die richtige Auslegung entsprechend dem Wortsinn.
73
JZ 2002, 170, 175.
74
Allerdings ist umstritten, ob eine derartige Prüfung im Sinne einer „Doppelprüfung“ überhaupt erfolgen soll. Insgesamt ist die Bedeutung der Entsprechensklausel wohl eher gering und auf eine „Modalitätenäquivalenz“ beschränkt. Umfassend hierzu Roxin AT II, München 2003, § 32 Rn 218ff.
75
JZ 2002, 170, 175.
76
Günther in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG 1991, § 2 Rn. 34.
77
MedR 2000, 360, 363.
80
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IV. Auslandsbezug Wegen der bisher dargestellten unklaren Rechtslage wird eine PID im Inland zumindest offiziell nicht durchgeführt. Dies führt zu einem „PIDTourismus“78 und damit zur Frage, inwieweit die Durchführung einer PID im Ausland zu einer Strafbarkeit in Deutschland führen kann. Diese Frage hat praktische Bedeutung, wurde doch im Gefolge einer Veröffentlichung im Spiegel, Strafanzeige gegen einen deutschen Reproduktionsmediziner wegen der Vermittlung von Paaren ins Ausland erstattet79. Da das ESchG seiner Natur nach ein Strafgesetz ist, richtet sich seine Auslandsgeltung nach dem Allgemeinen Teil des StGB80. Nach § 3 StGB findet das ESchG damit nur Anwendung auf im Inland begangene Taten. Wenn eine PID im Ausland durchgeführt wird, kann eine Strafbarkeit nach deutschem Recht vorliegen, wenn lediglich die Durchführung ins benachbarte Ausland verlagert wäre, die verantwortliche Koordinierung aber von Deutschland aus erfolgt. Zur Verwirklichung des Straftatbestandes im Inland reicht es aus, wenn der Handlungsort des Täters im Inland liegt. Zudem können auch Taten strafbar sein, die ein deutscher Amtsträger oder für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter in Beziehung auf seinen Dienst im Ausland begeht (§ 5 Nr. 12 StGB). Hierunter fallen beamtete Hochschullehrer, aber auch Ärzte kommunaler oder staatlicher Krankenhäuser. Wenn ein Arzt aus dieser Gruppe im Rahmen beispielsweise eines offiziellen Forschungs- oder Lehraufenthaltes (Dienstreise) im Ausland an einer PID (z. B. an totipotenten Zellen) mitwirkt, wäre eine Strafbarkeit gegeben81. Von wesentlich größerer praktischer Bedeutung ist die Regelung in § 9 Abs. 2 S.2 StGB; hiernach ist nicht nur die Teilnahme (Anstiftung oder Beihilfe) an dem Ort, an dem die Tat begangen wird, strafbar, sondern auch an dem Ort, an dem der Teilnehmer gehandelt hat. Es kann sich daher ein Arzt strafbar machen, der eine Frau an einen ausländischen Kollegen zur Durchführung von in Deutschland strafbaren Maßnahmen vermittelt 78
Der Spiegel, Heft 12/2001, Beckmann, MedR 2001, 175, siehe dazu auch Ulsenheimer, Handbuch des Arztstrafrechts 3. Auflage 2003, Rn. 358g m.w.N.
79
Das Verfahren wurde jedoch mangels hinreichenden Tatverdachts wieder eingestellt.
80
Zum Auslandsbezug des ESchG siehe auch Erlinger/Weissauer, Juristische Aspekte in: Schirren (Hrsg.) Unerfüllter Kinderwunsch, Leitfaden Reproduktionsmedizin für die Praxis, 3. Aufl. 2003, S. 413, 418.
81
Fraglich bleibt hier freilich inwieweit die deutschen Behörden überhaupt Kenntnis erlangen oder ermitteln können.
Strafrechtliche Würdigung der PID: Zum Streitstand
81
oder im Rahmen einer Auslandsbehandlung die hormonelle Stimulation im Inland betreut82. Teilweise wird vertreten, dass diese Regelung in einem Maße unbestimmt ist, die sie an dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG scheitern ließe83. Eine derartige Unbestimmtheit kann allerdings nicht festgestellt werden.
V. Zusammenfassung und Ausblick Zusammenfassend ist die PID an totipotenten Zellen de lege lata nach dem ESchG strafbar, die PID an pluripotenten Zellen nicht. Da jedoch ein gewichtiger Teil der Literatur auch in diesen Fällen eine Strafbarkeit bejaht und keine Rechtsprechung zu diesem Thema vorliegt, kann betroffenen Paaren und ihren Ärzten kaum geraten oder zugemutet werden, sie durchzuführen. Vielmehr ist der Gesetzgeber aufgerufen, hier für Rechtsklarheit zu sorgen.
82
Dies hat die damalige deutsche Justizministerin, Herta Däubler-Gmelin, in einem Brief noch einmal klargestellt: NJW 2001, 2778.
83
In Bezug auf das Stammzellgesetz; Kyrill-A.Schwarz, MedR 2003, 158, 163.
Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen der Präimplantationsdiagnostik1 Winfried Kluth
I.
Der verfassungsrechtlichen Aspekte der Thematik im Überblick
1.
Der grundsätzliche Charakter der Diskussion
Die praktische und rechtliche Beurteilung der PID gehört seit einigen Jahren zu den umstrittensten Fragen des Arzt- und Medizinrechts. Alleine die große Zahl von Stellungnahmen hochrangiger Kommissionen und Organisationen, die sich mit Fragen des Medizinrechts bzw. der medizinischen und ärztlichen Ethik befassen, macht diese deutlich.2 Dabei fällt auf, dass die Diskussion durch eine durchgehende „Grundsätzlichkeit“ bestimmt ist. Mit der Stellungnahme zur PID werden grundsätzliche, über die PID selbst hinausreichende Wertungen und Richtungsentscheidungen verbunden. Stellvertretend wird an diesem Thema um die Bedeutung des Grundrechtsschutzes im pränidativen Bereich sowie in der modernen Kultur- und Rechtsordnung gestritten. Die ständige Bezugnahme auf verfassungsrecht1
Unter Präimplantationsdiagnostik (PID) wird in dieser Abhandlung die Diagnostik an Eizellen im Vorkernstadiums und an in-vitro entstandenen Embryonen vor der Implantation verstanden. Als Verfahren gehören dazu die Polkörperdiagnostik, die Blastomerendiagnostik und die morphologische Beurteilung.
2
Exemplarisch verwiesen sei vor allem auf die folgenden Stellungnahmen: Bundesärztekammer, Diskussionsentwurf zu einer Richtlinie zur Präimplantationsdiagnostik v. 24.02.2000, DÄBl. 2000, A-526; Enquete-Kommission Recht und Ethik der modernen Medizin des Deutschen Bundestages (14. WP), Schlussbericht, Zur Sache 2/2002, S. 63 ff.; Nationaler Ethikrat, Genetische Diagnostik vor und während der Schwangerschaft, Januar 2003.
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liche Argumente auf allen Seiten verwundert deshalb ebenso wenig wie die Schärfe mancher „Angriffe“ auf die jeweilige Gegenseite. Auch die Verwendung von Tabu-Symbolen wie „Selektion“ und „neue Eugenik“ ist unter Hinweis auf manche Praktiken des nationalsozialistischen Regimes anzutreffen. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Thematik angesichts ihrer möglichen Tragweite eine solche Bezugnahme erfordert, zumal es durchweg auch anerkannte und erfahrene Ärzte sind, die aus dem Blickwinkel ihres Berufsverständnisses und des ärztlichen Heilauftrages in diese Richtung weisen.3 Aufgabe und Maßstab dieses Beitrages ist es demgegenüber, bei aller existenziellen, ethischen und kulturellen Brisanz der Problematik der Mahnung zu verfassungsrechtlicher Nüchternheit4 Folge zu leisten, ohne dass dabei Gewicht und Tragweite der Problematik aus dem Blick verloren werden. In diesem Sinne soll die verfassungsrechtliche „Operationalisierung“ der zugrunde liegenden Interessenkonflikte durch einen Zugang aus der Distanz der Verfassung einen Diskussionsbeitrag leisten, der die engagierte lebensnahe Betrachtung weder ersetzt noch verdrängt, sondern lediglich auf ihre rationale Nachvollziehbarkeit und argumentative Überzeugungskraft vor dem Hintergrund aufgeklärter menschenrechtlicher Programmatik überprüft. 2.
Die beteiligten Akteure und betroffenen verfassungsrechtlichen Positionen
Die PID unterscheidet sich von sonstigen ärztlichen Untersuchungen von Embryonen im Mutterleib sowohl durch die Rahmenbedingungen ihrer Durchführung als auch die Tragweite ihrer möglichen Folgen. Um beides zu verdeutlichen, soll deshalb ein Blick auf die beteiligten Akteure und die ihnen zugeordneten verfassungsrechtlichen Rechtspositionen geworfen werden.5
3
Siehe in diesem Sinne etwa die Beiträge im Sammelband Schmidt-Tannwald/Overdieck-Gulden (Hrsg.), Vorgeburtliche Medizin zwischen Heilungsauftrag und Selektion, 2001.
4
Hufen, MedR 2001, 440 (442) spricht von der rationalisierenden Kraft des Verfassungsrechts.
5
Ähnlicher Ansatz bei Böckenförde-Wunderlich, Präimplantationsdiagnistik als Rechtsproblem, 2002, S. 147 ff.
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a)
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Die „Auftraggeber“
Wie jede ärztliche Untersuchung, so muss auch die PID veranlasst, oder anders gesprochen: in Auftrag gegeben werden. Den Auftrag erteilt in der Regel die Frau, der ein in vitro erzeugter Embryo zum Zwecke der Herbeiführung einer Schwangerschaft und der späteren Geburt eines Kindes eingepflanzt werden soll. Anders als im Normalfall bezieht sich der Auftrag nicht auf den Auftraggeber, die Frau, sondern auf den Embryo. Darin erschöpft sich die Besonderheit indes nicht, denn auch bei einer „normalen“ Schwangerschaft erteilt die Schwangere den Auftrag zur ärztlichen Untersuchung. Die zusätzliche Differenz liegt vielmehr darin, dass die Untersuchung zwar am Embryo erfolgt, aber vorrangig im Interesse der Frau durchgeführt wird. Dabei sind mögliche genetische oder sonstige Schädigungen des Embryos zwar in erster Linie für diesen selbst bedeutsam. Im Falle der PID wird die Untersuchung aber in der Regel nicht durchgeführt, um den Embryo im Falle einer Schädigung zu behandeln. Vielmehr soll im Falle einer genetischen oder anderweitigen Schädigung eine mögliche gesundheitliche und sonstige Belastung von der Frau, ggf. auch von ihrer Familie abgewendet werden, indem der Embryo nicht übertragen und stattdessen seinem Schicksal überlassen6 wird. Betrachtet man diesen Vorgang aus der grundrechtlichen Perspektive, so lässt sich dieser Zusammenhang unter zwei Gesichtspunkten verorten. Zum einen stellt sich die Untersuchung des in vitro erzeugten Embryos vor dem Transfer als Teil des in Art. 6 Abs. 1 GG7 oder dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht8 zu verortenden „Fortpflanzungsfreiheit“9 dar. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Methode der künstlichen Erzeugung von
6
Hinter dieser Formulierung verbirgt sich das Sterben lassen bzw. deutlicher ausgedrückt, die Tötung des Embryos.
7
Gröschner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. 1, 2. Aufl. 2004, Art. 6, Rdnr. 65 f.; Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. 1, 4. Aufl. 1999, Art. 6 Abs. 1, Rdnr. 92; Ramm, JZ 1989, 861 ff.; Hufen, MedR 2001, 440 (442).
8
Diese Zuordnung ist zu wählen, wenn es um Nachkommenschaft außerhalb einer durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Lebensgemeinschaft geht. Für eine ausschließliche Zuordnung des Kinderwunsches zur allgemeinen Handlungsfreiheit Beckmann, MedR 2001, 169 (172).
9
Beide Konstruktionen gehen methodisch nicht von einem selbständigen Grundrecht, sondern von einer durch die beiden in Bezug genommenen Grundrechte im Rahmen des jeweiligen Schutzbereichs gewährleisteten Verhaltensfreiheit aus.
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Embryonen mit anschließendem Transfer häufig zur Anwendung kommt, weil die „Eltern“ zu genetischen Risikogruppen gehören, vielleicht sogar bereits ein wegen genetischer Schädigungen behindertes Kind zur Welt gebracht haben. In solchen Fällen besteht nicht selten der Wunsch nach einem weiteren gesunden Kind. Die PID wird in diesem Kontext zur Umsetzung des so konkretisierten Fortpflanzungswunsches eingesetzt. Der Wunsch nach eigener und zugleich gesunder Nachkommenschaft wird dabei durch eine zweite Erwartungshaltung ergänzt bzw. überlagert. In einer ganzen Reihe von Fällen ist es nämlich nicht ausgeschlossen, dass durch genetische Schädigungen der Embryonen auch bei der Schwangeren gesundheitliche Schädigungen verursachen können. Unter diesem Gesichtspunkt kann auch die körperliche Unversehrtheit der Schwangeren als Argument für eine PID angeführt werden. Da derartige Folgen aber nur in vergleichsweise wenigen Konstellationen ernsthaft in Betracht kommen, kann diese Argumentation nur für ein vergleichsweise enges Anwendungsfeld zur Rechtfertigung der PID herangezogen werden. b)
Die „ausführenden“ Ärzte
Im aktiven Zentrum jeder künstlichen Erzeugung menschlichen Lebens steht der Arzt mit seinem Team. Ihm fällt, anders als bei der natürlichen Zeugung, die Aufgabe zu, die Entstehung neuen menschlichen Lebens unmittelbar zu verursachen oder besser gesagt: die dazu erforderlichen Rahmenbedingungen zu schaffen; denn auch bei der künstlichen Erzeugung menschlichen Lebens bleibt ein letzter Bereich der Ungewissheit und Unbeherrschbarkeit bestehen, verliert das Leben nicht vollständig sein Geheimnis der Ursprünglichkeit. Abgesehen davon, dass der Arzt in der durch die Rechtsordnung10 vorausgesetzten Regel „im Auftrag“ der Eispenderin tätig wird, ist sein Handeln durch das Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG erfasst. Soweit es zugleich der Fortentwicklung der Methodik dient, kommt ergänzend ein grundrechtlicher Schutz durch das in Art. 5 Abs. 3 GG verankerte Forschungsgrundrecht in Betracht. Der Einsatz der PID ist in diesen Zusammenhang eingebunden und damit in erster Linie durch die ärztliche Berufsfreiheit erfasst.
10
Einschlägig ist hier die Vorgabe des § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG, wonach eine künstliche Erzeugung von Embryonen nur zulässig ist, wenn sie zur Herbeiführung einer Schwangerschaft dient.
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c)
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Der Embryo als Betroffener und „Produkt“
Grundlegende Veränderungen hat die Entwicklung der modernen Reproduktionsmedizin in Bezug auf die Rahmenbedingungen der Entstehung menschlichen Lebens sowie die Diskussion um seinen (verfassungs-) rechtlichen Status ausgelöst. War der Homunculus in Goethes Faust noch ein Stück weit technischer Zweckrationalität entzogen, so stellen sich die Abläufe heutiger Reproduktionsmedizin sehr weitgehend als technisierte Vorgänge dar. Die Zeugung mutiert zur Er-Zeugung, die Privatsphäre wird durch das Labor verdrängt, die ungewisse Offenheit für ein Kind durch die planmäßige wissenschaftliche Vorgehensweise. Auch wenn damit der Kinderwunsch der potentiellen Eltern in seinem Eigenwert nicht herabgemindert wird, führen die gesamten Rahmenbedingungen dazu, den Embryo in einem sehr viel stärkeren Maße als „Produkt“ zu betrachten und die aus dem allgemeinen Zivil- und Vertragsrecht vertrauten Kategorien des Gewährleistungs- und Haftungsrechts zu übernehmen. Hier interessiert indes nicht so sehr dieser Vorgang, sondern vielmehr die Frage, wie es um den grundrechtlichen Status der in vitro erzeugten Embryonen bestellt ist und welche Maßgaben für die Durchführung der PID sich daraus ableiten lassen. Anknüpfungspunkte sind dabei das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 GG sowie die in Art. 1 Abs. 1 GG verankerte Garantie der Menschenwürde. Ab welchem Zeitpunkt und mit welcher „Stärke“ beide Normen sich auf in vitro erzeugte Embryonen erstrecken, gehört zu den derzeit umstrittensten Fragen der Grundrechtsdogmatik und prägt entscheidend die verfassungsrechtliche Beurteilung der PID. d)
Der Staat als „Vermittler und Wächter“
Unabhängig davon, wie man die grundrechtlichen Positionen der beteiligten Akteure im Einzelnen beurteilt und gewichtet, kommt dem Staat, näherhin dem Gesetzgeber, die Aufgabe eines Vermittlers und Wächters zu. Denn selbst dann, wenn man von einem verfassungsrechtlichen Übergewicht der Fortpflanzungsfreiheit ausgeht und den verfassungsrechtlichen Status der in vitro erzeugten Embryonen gering veranschlagt, kann in Bezug auf die PID schon vor dem Hintergrund der gesetzgeberischen Wertungen, die dem Embryonenschutzgesetz zugrunde liegen11, nicht von einer verfas-
11
Dabei ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass in vitro erzeugte Embryonen dem Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG unterliegen.
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sungsrechtlich ohne weiteres zulässigen Handlung ausgegangen werden.12 Denn auch wenn man die grundrechtliche Schutzwürdigkeit der in vitro erzeugten Embryonen abstuft, muss die PID in zahlreichen Anwendungsfällen als grundrechtsrelevante Maßnahme qualifiziert werden, die in der Lage ist, die grundrechtliche Schutzpflicht des Staates zu aktivieren. Umgekehrt muss auch jede Beschränkung der Fortpflanzungsfreiheit, der etwa die Berufung auf eine Menschenwürdeverletzung zugrunde liegt, durch den Gesetzgeber veranlasst und verantwortet werden. Verfassungsunmittelbare Handlungsverbote sind auch in diesen Fällen ausgeschlossen. So oder so muss demnach der Gesetzgeber für einen Ausgleich der Interessen Sorge tragen. Entscheidend für die Verteilung der Rechtfertigungslast ist jedoch, welche der betroffenen Positionen über das größere verfassungsrechtliche Gewicht verfügt. Um dies zu klären, müssen die einzelnen Grundrechtspositionen einer genaueren Analyse unterzogen werden.
II. Der verfassungsrechtliche Status in vitro erzeugter und existierender Embryonen 1.
Der Grundrechtsschutz der Embryonen „in utero“ als Ausgangs- und Orientierungspunkt
Als weitgehend gesicherter, wenn auch nicht unumstrittener Ausgangspunkt13 für die Bestimmung des Grundrechtsschutzes von in vitro erzeugten und existierenden14 Embryonen können die Aussagen des Bundesverfas12
Dass eine fehlende Strafbarkeit – siehe dazu den Beitrag von Erlinger in diesem Band – keinen Rückschluss auf die verfassungsrechtliche Rechtmäßigkeit zulässt, hat das Bundesverfassungsgericht in seiner zweiten Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch deutlich herausgearbeitet. Vgl. BVerfGE 88, 203 (299 ff.).
13
Das gilt speziell für den Einwand, die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts sei widersprüchlich, da sie den Grundrechtsschutz von Embryonen zwar vordergründig bejahe, im Ergebnis aber keinen wirksamen Schutz vermittle so dass im Ergebnis gleichwohl der Grundrechtsschutz geleugnet werde. Auf diesen Einwand wird unter 3. a) näher eingegangen.
14
Die doppelte Bestimmung ist deshalb erforderlich, weil bei in vitro erzeugten und anschließend erfolgreich transferierten und in der Gebärmutter eingenisteten Embryonen verfassungsrechtlich kein Unterschied zu in vivo erzeugten und eingenisteten Embryonen gemacht wird. Das gilt in doppelter Hinsicht: bezüglich der Übertragung der grundrechtlichen Argumentation des Bundesverfas-
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sungsgerichts zum Grundrechtsschutz des „in utero“ erzeugten und existierenden menschlichen Lebens herangezogen werden. Bereits in seiner ersten einschlägigen Entscheidung aus dem Jahr 1975 zur so genannten ersten Fristenregelung hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts festgestellt, dass auch das „sich im Mutterleib entwickelnde Leben als selbständiges Rechtsgut“ durch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG geschützt ist.15 Da die Begründung, die das Gericht für diese Position gibt, immer wieder als Bezugspunkt für die Argumentation gewählt wird, soll sie hier wörtlich und zusammenhängend wiedergegeben werden, bevor sie einer kritischen Analyse unterzogen wird: „Leben im Sinne der geschichtlichen Existenz eines menschlichen Individuums besteht nach gesicherter biologischphysiologischer Erkenntnis jedenfalls vom 14. Tage nach der Empfängnis (Nidation, Individuation) an. … Der damit begonnene Entwicklungsprozess ist ein kontinuierlicher Vorgang, der keine scharfen Einschnitte aufweist und eine genaue Abgrenzung der verschiedenen Entwicklungsstufen des menschlichen Lebens nicht zulässt. Er ist auch nicht mit der Geburt beendet; die für die menschliche Persönlichkeit spezifischen Bewusstseinsphänomene z. B. treten erst längere Zeit nach der Geburt auf. Deshalb kann der Schutz des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG weder auf den
Menschen nach der Geburt noch auf den selbständig lebensfähigen nasciturus beschränkt werden. Das Recht auf Leben wird jedem gewährleistet, der ; zwischen einzelnen Abschnitten des sich entwickelnden Lebens vor der Geburt oder zwischen ungeborenem und geborenem Leben kann hier kein Unterschied gemacht werden. <Jeder> im Sinne des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ist <jeder Lebende>, anders ausgedrückt: jedes Leben besitzende menschliche Individuum; jeder ist daher auch das noch ungeborene menschliche Wesen.“16 Zur Begründung dieses Auslegungsergebnisses stützt sich das Bundesverfassungsgericht zum einen auf die Entstehungsgeschichte der Norm. Es sungsgerichts einerseits und der „Gefährdung“ auf Grund der Geltung der §§ 218 ff. StGB andererseits. Zu diesem Zusammenhang später im Text. 15
BVerfGE 39, 1 (36).
16
BVerfGE 39, 1 (36 ff.), bestätigt durch BVerfGE 88, 203 (251 ff.).
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weist darauf hin, dass der Verfassungsgeber mit der Aufnahme des in der Weimarer Reichsverfassung nicht geregelten Rechts auf Leben auf die gegenüber nicht arischen Menschen17 lebensverachtende Grundhaltung und Praxis des Nationalsozialismus reagieren wollte.18 Weiterhin wird die teleologische Auslegung bemüht: Die gebotene effektive Sicherung der menschlichen Existenz „wäre unvollständig, wenn sie nicht auch die Vorstufe des , das ungeborene Leben, umfasste.“19 In seiner zweiten Abtreibungs-Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht, diesmal der Zweite Senat, diese Aussagen bestätigt und in einigen wichtigen Punkten ergänzt. Die Zuerkennung des Lebensrechts ab dem 14. Tag der Schwangerschaft wird dabei mit folgender vertiefenden Argumentation begründet: „Jedenfalls in der so bestimmten Zeit der Schwangerschaft handelt es sich bei dem Ungeborenen um individuelles, in seiner genetischen Identität und damit in seiner Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit bereits festgelegtes, nicht mehr teilbares Leben, das im Prozess des Wachsens und SichEntfaltens sich nicht erst zum Menschen, sondern als Mensch entwickelt.“20 An anderer Stelle wird zum Verbot einer nach dem Entwicklungsstand differenzierenden Betrachtungsweise ausgeführt:
17
Das Hauptproblem der nationalsozialistischen Ideologie bestand in der Leugnung der Universalität der Menschenrechte und ihrer überhöhenden Reduktion des Lebensrechts auf eine Rasse. Methodisch sind auch andere Formen der Durchbrechung eines universalistischen Ansatzes der Zuerkennung von Menschenrechten mit den gleichen Gefahren der Diskriminierung verbunden und den gleichen grundsätzlichen Einwänden ausgesetzt, ohne dass damit jedoch der Vorwurf historischer Gleichartigkeit verbunden werden kann. Die beiden Ebenen der Argumentation werden in der politischen Diskussion oft nicht genügend unterschieden. Es ist daher auch fragwürdig, die Abtreibungspraxis undifferenziert mit dem Holocaust gleichzusetzen.
18
BVerfGE 39, 1 (36). Unter der Weimarer Reichsverfassung wurde das Lebensrecht nur einfachgesetzlich durch die entsprechenden Strafrechtsbestimmungen geschützt; vgl. auch Leisner, Das Lebensrecht, 1976, S. 12; Fink, Jura 2000, 210.
19
BVerfGE 39, 1 (37).
20
BVerfGE 88, 203 (251 f.).
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„Liegt die Würde des Menschseins auch für das ungeborene Leben im Dasein um seiner selbst willen, so verbieten sich jegliche Differenzierungen der Schutzverpflichtung im Blick auf Alter und Entwicklungsstand dieses Lebens.“21 Mit dieser Aussage wird zugleich das verfassungsrechtliche Interpretationskriterium noch einmal verdeutlicht: die möglichst willkürfreie und effektive Bestimmung des Schutzbereichs zur Sicherung des Vorrangs der Verfassung im Sinne der weiten Tatbestandslehre.22 Die Würdigung der Aussagen des Bundesverfassungsgerichts wirft vor allem in Bezug auf die Reichweite ihrer Maßgeblichkeit für die in vitro erzeugten und existierenden Embryonen sowie die verschiedenen Formen des Klonens und der Stammzellenforschung Probleme auf, da alle diese Bereiche wegen der ausdrücklichen Beschränkung auf die Schwangerschaft „ab dem 14. Tag“ nicht direkt erfasst werden. Es verwundert deshalb nicht, dass in Bezug auf die Maßgeblichkeit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für diesen Bereich ganz unterschiedliche Schlussfolgerungen gezogen werden.
2. Die Erstreckung des Grundrechtsschutzes nach Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG und Art. 1 Abs. 1 GG auf in vitro erzeugte Embryonen a)
Die Position der herrschenden Meinung
Die – nach wie vor – deutliche Mehrheit der Autoren im verfassungsrechtlichen Schrifttum geht davon aus, dass der Grundrechtsschutz nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle beginnt.23 21
BVerfGE 88, 203 (267).
22
Siehe zu diesem Aspekt auch Fink, Jura 2000, 210 (212 f.).
23
Vgl. nur Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. 1, 2. Aufl. 2004, Art. 2 II, Rdnr. 16; Kunig, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. 1, 5. Aufl. 2000, Art. 2, Rdnr. 49; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz Kommentar, 6. Aufl. 2004, Art. 2, Rdnr. 55; Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 3. Aufl. 2003, Art. 2 Rdnr. 146; Lorenz, in; Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, 1989, § 128, Rdnr. 10; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, 1989, S. 1057 f.; Graf Vitzthum, MedR 1985, 249 (252); Fink, Jura 2000, 210
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Dabei wird in der Regel ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und seine Begründungen Bezug genommen. Auch im straf- und medizinrechtlichen Schrifttum geht die wohl überwiegende Zahl der Autoren von dieser Zuordnung aus24, wobei eine genaue Bestimmung der Meinungsgewichtungen in diesem Bereich wegen der Vielzahl der Themen, innerhalb derer zu der Frage Stellung genommen wird, deutlich schwieriger ist. Hervorzuheben ist, dass die Strafrechtswissenschaft auf Grund der internen Systematik des Strafgesetzbuches zwischen dem (geborenen) Menschen und der Leibesfrucht bzw. dem Embryo als Schutzgut unterscheidet.25 Verfassungsrechtlich ist dies jedoch ohne Bedeutung. Autoren, die das Recht auf Leben an die Kernverschmelzung anknüpfen, sind trotz des gemeinsamen Ausgangspunktes in Bezug auf die dem Gesetzgeber nach Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG zustehenden Spielräume bei der Zulassung von Eingriffen und ihrer Rechtfertigung sowie in Bezug auf die Anforderungen an einen effektiven Schutz der Embryonen keineswegs auch ein und derselben Ansicht. Vielmehr ist insoweit ein sehr weit gespanntes Meinungsspektrum anzutreffen, das zudem noch in den einzelnen Fallkonstellationen erhebliche Varianzen aufweist. Es würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen, dazu alle Einzelheiten aufzuzeigen. Deshalb soll das Meinungsspektrum nur exemplarisch veranschaulicht werden. Den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Umsetzung der grundrechtlichen Schutzpflicht und die begrenzte Fähigkeit des Rechts zur Lösung von Konfliktlagen bei ungewollten Schwangerschaften betonen die Richter Mahrenholz und Sommer in ihrer abweichenden Meinung zum zweiten Abtreibungsurteil des Bundesverfassungsgerichts.26 Nach ihrer Ansicht ist es dem Gesetzgeber verfassungsrechtlich nicht erlaubt, Abtrei(213 ff.); Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, 1992, S. 124 f.; Beckmann, ZRP 1987, 80 (82); Höfling, in: Thomas/Kluth (Hrsg.), Das zumutbare Kind, 1993, S. 119 (124); Steiner, Schutz des Lebens nach dem Grundgesetz, 1992, S. 11. 24
Zum Strafrecht: Fischer/Tröndle, StGB, 51. Aufl. 2003, Vor §§ 218 bis 219 b, Rdnr. 2; einen eigenständigen Ansatz verfolgt Gropp, GA 2000, 1 ff. Zum Medizinrecht: Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl. 2002, § 4, Rdnr. 24 ff.
25
Siehe dazu die Übersicht zur Rechtslage nach dem „neuen“, d.h. nach Änderung des § 218 StGB bestehenden Strafrecht bei Küper, GA 2001, 515 ff. m.w.N.
26
BVerfGE 88, 203 (338 ff.).
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bungen mit Hilfe des Strafrechts zu untersagen. Zudem halten sie auch eine Rechtfertigung von solchen Abtreibungen für mit der Verfassung vereinbar. Die weit reichende Bedeutung des Gesetzesvorbehalts in Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG für die Regelung des Schwangerschaftsabbruchs und anderer Konfliktlagen betont Helmuth Schulze-Fielitz in seiner Kommentierung des Art. 2 Abs. 2 GG. Nach ihm darf zwischen den verschiedenen zeitlichen Stadien des Lebens differenziert werden, wobei diese Differenzierung sich auch auf die Güterabwägung auswirken soll.27 Einige Autoren halten die Nutzung von Embryonen, die aus Schwangerschaftsabbrüchen stammen oder überzählig sind, für wissenschaftliche Experimente für gerechtfertigt.28 Der wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer hält demgegenüber nur die Nutzung solcher fetaler Zellen für Maßnahmen im Interesse der Feten oder der Mutter für zulässig.29 Das ist insoweit widersprüchlich, als er im Übrigen vom Lebensrecht der künstlich erzeugten Embryonen ausgeht. Dahinter steht unter anderem die Ansicht, dass auf diese Weise der Existenz überzähliger Embryonen noch ein Wert und Sinn beigemessen werden kann, so dass auch eine Verfügung über sie als „werthaft“ erscheint und grundrechtlich gerechtfertigt ist. Damit zeigt sich, dass auch innerhalb der herrschenden Lehre jedenfalls bei der Bestimmung der Anforderungen an die Schutzpflicht und der Konkretisierung der Schranken bedeutsame Unterschiede anzutreffen sind. b)
Verfassungsinterpretierende Entscheidungen des deutschen Gesetzgebers
Auch wenn der Beurteilung von Parlamentsgesetzen die Verfassung als Maßstab ihrer Gültigkeit heranzuziehen ist, darf nicht vergessen werden, dass in einem demokratischen Verfassungsstaat der parlamentarische Gesetzgeber zugleich auch der erste und vornehmste Interpret der Verfassung und ihrer Grundrechte ist. Gesetzgeberische Entscheidungen im grund-
27
Schulze-Fielitz, (Fn. 23), 1996, Art. 2 II, Rdnr. 41.
28
Siehe dazu die Nachweise bei Picker, JZ 2000, 693 ff., der selbst die Auferlegung einer solidarischen Duldungspflicht zur Rechtfertigung von Forschungseingriffen für verfassungsrechtlich und ethisch vertretbar hält.
29
Zentrale Kommission der Bundesärztekammer zur Wahrung ethischer Grundsätze in der Reproduktionsmedizin, Forschung an menschlichen Embryonen und Gentherapie: Richtlinien zur Verwendung fetaler Zellen und fetaler Gewebe.
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rechtsrelevanten Bereich sind deshalb zugleich auch immer Akte der Verfassungsinterpretation.30 (1) Regelungen im Embryonenschutzgesetz Anders als bei der Regelung des Schwangerschaftsabbruchs, der heute weitgehend straffrei durchgeführt werden kann, solange eine Pflichtberatung stattfand, hat der bundesdeutsche Gesetzgeber in Bezug auf die in vitro gezeugten Embryonen in Gestalt des Embryonenschutzgesetzes (ESchG) eine mit weitreichenden Strafdrohungen arbeitende und wirksam exekutierte31 Regelung erlassen, die weltweit zu den strengsten Regelungen dieses Bereichs gerechnet wird.32 Dabei ist der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung33 davon ausgegangen, dass auch in diesem Bereich das Grundrecht auf Leben zu beachten ist, die künstlich erzeugten Embryonen also vom Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG erfasst werden. Nach § 8 Abs. 1 ESchG gilt als Embryo im Sinne des Gesetzes bereits die befruchtete, entwicklungsfähige Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an. Als offene Flanke des Gesetzes wird das trotz der strengen Beschränkung der Zahl der für eine Befruchtung herstellbaren Embryonen in § 2 ESchG unvermeidbare Entstehen von überzähligen Embryonen angesehen. In Bezug auf diese ist umstritten, inwieweit der Gesetzgeber von Verfassung wegen verpflichtet ist, die rechtlichen Voraussetzungen für ihre „Adoption“ zu schaffen, damit sie eine Überlebens- und Entwicklungschance besitzen34 oder ob es zulässig ist, ihrer Existenz durch eine verbrauchende, rein fremdnützige Forschung noch einen Sinn zu verleihen.35 30
Siehe zu diesem Zusammenhang auch die Studie von Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, 1999, insbes. S. 262 ff.
31
Zur Bedeutung fehlender Umsetzung von Normbefehlen für die Normgeltung im Zusammenhang mit dem Grundrechtsschutz von Embryonen vgl. unter 3 a).
32
Der für das Gesetz zunächst aus Gründen der Gesetzgebungskompetenz gewählte strafrechtliche Regelungsansatz ist nicht besonders glücklich und erschwert die Anpassung der Vorschriften an neue Entwicklungen. Da die Gesetzgebungskompetenz des Bundes inzwischen durch Art. 74 Abs. 1 Nr. 26 GG begründet ist, wird die Ablösung durch ein thematisch weiter gefasstes Fortpflanzungsmedizingesetz gefordert. Entsprechende ministerielle Vorarbeiten sind bislang aber noch nicht bis zu einem Referentenentwurf vorgedrungen.
33
BT-Drucks. 11/5460, S. 6 ff.
34
Dies fordert z.B. Höfling, Verfassungsrechtliche Aspekte der Verfügung über menschliche Embryonen und humanbiologisches Material, Gutachten für die
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(2) Regelungen im Stammzellforschungsgesetz Anknüpfend an die strengen Regelungen des ESchG hat der Deutsche Bundestag 2002 eine den gleichen Grundsätzen folgende Regelung zur Stammzellenforschung getroffen.36 Ziel des Stammzellforschungsgesetzes ist es sicherzustellen, dass mittels in Deutschland durchgeführter Forschungsvorhaben keine den deutschen Rechtsgrundsätzen widersprechende Erzeugung von Embryonen ausgelöst wird. Zu diesem Zweck wird nur die Forschung an Stammzelllinien erlaubt, die am gesetzlich festgelegten Stichtag bereits existierten. (3) Stellungnahmen der Enquete-Kommission Recht und Ethik der modernen Medizin des Deutschen Bundestages und des Nationalen Ethikrates Die Enquete-Kommission Recht und Ethik der modernen Medizin in der 14. Wahlperiode hat sich in zwei ausführlichen Berichten ebenfalls dafür ausgesprochen, den grundrechtlichen Schutz menschlichen Lebens mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzellen beginnen zu lassen. Entsprechende Stellungnahmen finden sich zum einen im Schlussbericht der Kommission37 und zum anderen in der gesonderten Stellungnahme zur Stammzellforschung38, in der auch auf die verschiedenen Gegenpositionen im Einzelnen eingegangen wird. Der Nationale Ethikrat hat sich in seiner Stellungnahme „Genetische Diagnostik vor und während der Schwangerschaft“ zwar nicht mit der gleichen Einmütigkeit, gleichwohl aber mehrheitlich ebenfalls für einen grundrechtlichen Schutz ab dem Zeitpunkt der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle ausgesprochen.39
Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Recht und Ethik der modernen Medizin“, 2001, S. 176 ff. 35
Dazu später im Text.
36
BGBl. I, 2002, S. 3680.
37
Enquete-Kommission Recht und Ethik der modernen Medizin, Schlussbericht, Zur Sache 2/2002, insbes. S. 35 ff.
38
Enquete-Kommission Recht und Ethik der modernen Medizin, Stammzellforschung und die Debatte des Deutschen Bundestages zum Import von menschlichen embryonalen Stammzellen, Zur Sache 1/2002, S. 72 ff.
39
Nationaler Ethikrat, Genetische Diagnostik vor und während der Schwangerschaft, Stellungnahme Januar 2003, S. 40 ff.
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(4) Zusammenfassende Würdigung Sowohl der Erst- als auch der Letztinterpret des Grundgesetzes haben sich damit für die Einbeziehung des Embryos in den Schutzbereich des Grundrechts auf Leben gem. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ausgesprochen. Dabei gehen die Festlegungen des Gesetzgebers insoweit weiter als die Aussagen des Bundesverfassungsgerichts, insoweit sie auch den künstlich, außerhalb des Mutterleibs erzeugten Embryo betreffen. c)
Gründe für einen gleichwertigen Grundrechtsschutz der in vitro erzeugten Embryonen
Vor dem Hintergrund dieses vielschichtigen Meinungs- und Diskussionsstandes sollen nunmehr die Gründe aufgezeigt werden, die für eine Erstreckung des durch das Bundesverfassungsgericht für Embryonen in utero anerkannten Grundrechtsschutzes auf in vitro erzeugte und existierende Embryonen sprechen. (1) Dogmenhistorisches Argument Grundrechte knüpfen als Menschenrechte an die physisch-biologische Wirklichkeit menschlicher Existenz an. In den ältesten Grundrechtsdokumenten kommt dies unter anderem darin zum Ausdruck, dass auf das seinerzeit allgemeinste und sicherste Kriterium der Zugehörigkeit zur Menschheitsfamilie abgestellt wurde: die Geburt. Dadurch sollten statusrechtliche Unterschiede, die durch eine Rasse- oder Schichtzuordnung bedingt sind, ausgeräumt werden. Die Geburt fungierte als denkbar weitestes und vor allem diskriminierungsfreies Anknüpfungsmerkmal für die Zuerkennung der Menschenrechte. Zugleich wird auch deutlich, dass es dabei weder auf bestimmte weitergehende Eigenschaften noch Fähigkeiten ankommen konnte. Fragt man vor dem Hintergrund unserer heutigen Kenntnisse über die Entstehung und Entwicklung menschlichen Lebens nach dem funktional adäquaten Anknüpfungsmerkmal, so wird man auf den durch die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse aufgewiesenen Zeitpunkt des Beginns eigenständiger Entwicklung abstellen müssen: die Verschmelzung von Ei- und Samenzelle bzw. ihre funktionalen Äquivalente.40 40
Damit sind Methoden wie der Kerntransfer gemeint, die den gleichen Zustand wie bei der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle, eine totipotente Zelle, herstellen.
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Die Anknüpfung an einen biologischen Befund mag für manche Freiheitsrechte als zu „simpel“ oder naturalistisch kritisiert werden können. In Bezug auf das die biologische Existenz schützende Grundrecht auf Leben verfängt sich ein solcher Einwand aber gerade nicht. (2) Willkürfreie Schutzbereichsinterpretation – Rückgriff auf die Rechtsbegründungsfunktion des Art. 1 Abs. 1 GG Dass darüber hinaus auch spezifisch verfassungsrechtliche Argumente für eine solche Vorgehensweise sprechen, wird deutlich, wenn Art. 1 Abs. 1 GG in die Überlegungen einbezogen wird. Zu diesem Zweck bedarf es zunächst der Erinnerung daran, dass der Menschenwürde im Grundrechtssystem zwei grundverschiedene Funktionen zukommen: eine Rechtsbegründungsfunktion, die im vorliegenden Zusammenhang relevant ist, und eine – in der Unantastbarkeitsformel verankerte – Eingriffsbeschränkungsfunktion, auf die später näher einzugehen ist. In der Rechtsbegründungsfunktion, die in zahlreichen internationalen Menschenrechtspakten anzutreffen ist, wird die Menschenwürde als Grundlage für die Zuerkennung von Menschen- und Grundrechten mit der Maßgabe verankert, dass allen der gleiche rechtliche Status zukommt. Es ist die gleiche Würde aller Menschen, die hier zunächst zur Begründung der Rechtssubjektivität jedes einzelnen Menschen und daran anknüpfend als Anspruch auf Rechtsgleichheit (u. a. in Art. 3 GG) ausgestaltet wird. Dieses in der Menschenwürde verankerte Gleichheitspostulat ist nicht nur an den Gesetzgeber und die übrigen Staatsgewalten adressiert, sondern betrifft zunächst die Auslegung der fundamentalen Menschenrechte selbst, vor allem das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Insoweit ist es überzeugend und folgerichtig, wenn eine willkürfreie Erstreckung des Grundrechts auf Leben auch auf die frühesten Stadien menschlicher Existenz als verfassungsrechtliches Interpretationspostulat formuliert wird.41 Der dahinter stehende Gedanke ist so einfach wie überzeugend: Wenn die Gewissheit über die biologische Existenz eines Menschen nach heutigem Kenntnisstand nicht erst durch die Geburt, sondern bereits durch die Verschmelzung von Ei- und Samenzelle verbürgt ist, so ist die an diese Existenz anknüpfende Rechtsgewährleistung entsprechend neu zu verorten. Die nicht unwichtige Frage, ob die hier vorgeschlagene Vorverlagerung des Anknüpfungszeitpunkts für die Grundrechtsgewährleistung oder das 41
Fink, Jura 2000, 210 (212 f.); Höffe, Medizin ohne Ethik?, 2002, S. 79 ff.
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Beharren auf dem herkömmlichen Standpunkt besonders begründungsund rechtfertigungsbedürftig ist, beantwortet sich von selbst, wenn man bedenkt, dass hier lediglich neue Tatsachenerkenntnis auf einen unveränderten Argumentations- und Begründungszusammenhang angewendet wird. Dogmatisch rechtfertigungsbedürftig ist demnach das Beharren auf dem herkömmlichen Standpunkt. (3) Schutzbedürftigkeitsargument – teleologische Interpretation Ein wichtiges Argument im Zusammenhang mit der Erweiterung des Grundrechtsschutzes sei es durch die Erweiterung des Schutzbereichs eines vorhandenen oder gar die Kreation eines neuen Grundrechts stellt das Schutzbedürftigkeitsargument dar. Mit seiner Hilfe hat das Bundesverfassungsgericht in den fünfzig Jahren seiner Tätigkeit immer wieder dazu beigetragen, den normtextlich überkommenen Grundrechtsbestand neuartigen Bedrohungslagen anzupassen. Neben der kasuistischen Erweiterung des Art. 1 Abs. 1 GG, für den das Gericht diese Entwicklung erst kürzlich in seiner Entscheidung zum Großen Lauschangriff nachgezeichnet hat42, sind hier insbesondere das Allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung43 zu erwähnen.44 Das Abstellen auf die Schutzbedürftigkeit folgt nicht dem vom Bundesverfassungsgericht in seiner früheren Rechtsprechung mehrfach, in der jüngeren Judikatur aber nicht mehr verwendeten Postulat, Grundrechte seien so auszulegen, dass sie ihre größtmögliche Wirksamkeit entfalten.45 Vielmehr geht es darum, das jeweilige grundrechtliche Schutzgut im Kontext seiner realen Gefährdung durch Staat und Private zu würdigen. Neue Formen des Zugriffs auf ein grundrechtliches Schutzgut können vor einem
42
BVerfGE 109, 279 (311 f.).
43
BVerfGE 65, 1 ff.
44
Eine vergleichbare Argumentation wird verwendet, wenn im Rahmen des Art. 19 Abs. 3 GG versucht wird, den Grundrechtsschutz für juristische Personen des öffentlichen Rechts mit dem Vorliegen einer „grundrechtstypischen Gefährdungslage“ zu begründen und dabei ebenfalls auf die Dogmengeschichte der Grundrechte Bezug genommen wird. Vgl. dazu exemplarisch von Mutius, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 19 Abs. 3, Rdnr. 86 ff.
45
BVerfGE 6, 55 (72); 32, 54 (71) und weitere; dazu Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/2, 1994, § 95 V 5. a).
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solchen Hintergrund Anpassungen des Schutzbereichsverständnisses46 oder der Eingriffskriterien47 nach sich ziehen. Entscheidend für die Begründung des Grundrechtsschutzes von in vitro existierenden Embryonen mit Hilfe dieser Argumentation ist der Nachweis, dass durch die Ermöglichung der künstlichen Erzeugung menschlichen Lebens eine neue Dimensionen der Bedrohung des durch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG erfassten Schutzguts und daraus folgend eine neuartige Schutzbedürftigkeit entstanden ist, die eine Erstreckung des Geltungsbereichs dieses Grundrechts erforderlich macht. Die Entwicklung der Reproduktionsmedizin hat durch die Ermöglichung der Erzeugung menschlichen Lebens im Labor ein in mehrfacher Hinsicht neues Verfügungs- und Bedrohungspotential in Bezug auf menschliches Leben erzeugt. Der Wegfall der mütterlichen Schutzfunktion, deren Verlässlichkeit allerdings vor dem Hintergrund der großen Zahl jährlicher Schwangerschaftsabbrüche ebenfalls in Frage zu stellen ist, vor allem aber die weitreichenden Forschungsinteressen, die sich weltweit um frühembryonales Leben ranken, stellen eine bislang so nicht bekannte Form der vernichtenden und verändernden Verfügung über menschliches Leben dar. Dabei muss aus kulturhistorischer Perspektive auch heute noch von einer besonderen verführerischen Kraft der Forschung am Menschen48 ausgegangen werden, die besondere Vorsicht auch bei der gesetzgeberischen Ausgestaltung dieses Bereichs rechtfertigt. Das erhebliche Interesse an der Forschung mit und an Embryonen, das zuletzt im Zusammenhang mit der Diskussion um die Forschung mit embryonalen Stammzellen deutlich wurde, hängt gerade damit zusammen, dass es hier um die spezifischen Eigenschaften menschlichen Lebens geht, die für Heilungs- und Forschungszwecke genutzt werden sollen. Sowohl die nach deutschem Recht primäre Zielsetzung der In-vitroFertilisation, eine Schwangerschaft herbeizuführen und damit die Geburt eines Menschen zu ermöglichen, als auch die in anderen Ländern daneben zugelassenen Forschungsinteressen machen deutlich, dass es die einmalige Qualität als „menschliches Leben“ ist, die so oder so den besonderen Status 46
So im Falle des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung, BVerfGE 65, 1 ff.
47
Ein Beispiel dafür sind die staatlichen Warnungen, vgl. BVerfGE 105, 252 ff. und 279 ff.
48
Warnendes und mahnendes Beispiel sind dabei nicht alleine die Menschenversuche während der Zeit des Nationalsozialismus, sondern auch die etwa in den USA und anderen Ländern durchgeführten Versuche an Strafgefangenen etc.
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der pränidativen Embryonen ausmachen. Trotz der ohne Zweifel vorhandenen bedeutsamen Unterschiede in Bezug auf die „Lebensumwelt“ dieser Embryonen überwiegt doch die Gleichwertigkeit mit pränatalem menschlichem Leben, so dass die weitaus besseren Gründe für eine auch verfassungsrechtliche Gleichstellung sprechen. 3.
Ausgewählte Einwände und Gegenpositionen
Gegenüber der hier vertretenen Position werden in der wissenschaftlichen und politischen Diskussion zahlreiche Einwände erhoben, von denen einige nachfolgend herausgegriffen und auf Ihre Überzeugungskraft hin untersucht werden sollen. a)
Normativer Geltungsverlust auf Grund praktischer Schutzlosigkeit
Ein erster Einwand stellt den Anknüpfungspunkt der Argumentation in Frage, indem behauptet wird, dass unter dem Grundgesetz trotz der anders lautenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht von einem Grundrechtsschutz des pränatalen Lebens gesprochen werden könne, da es sich um eine zwar postulierte, in der Praxis aber in keiner Weise beachtete und durchgesetzte Rechtsposition handle. Insbesondere sei der Schwangerschaftsabbruch de facto rechtlich erlaubt und auch im Übrigen fehle es an wirksamen Vorkehrungen, die einen praktisch wirksamen Grundrechtsschutz bewirkten. Eine Norm aber, die keine praktische Wirkung entfalte, verliere auch ihre normative Geltung. Folglich fehle es an jeglichem Anknüpfungspunkt, vom dem ausgehend ein Grundrechtsschutz für in vitro erzeugte und existierende Embryonen abgeleitet werden könne. Auch wenn der gewählte Argumentationsansatz als solcher berechtigt ist, muss er wegen der drohenden Überspielung des Geltungsanspruchs förmlicher Rechtssätze mit großer Vorsicht zur Anwendung gelangen.49 Das gilt vor allem dort, wo ein Rechtssatz einen denkbar weiten Anwendungsbereich besitzt und seine Geltung nur für einzelne Anwendungsbereiche in Frage gestellt wird. In Bezug auf den Grundrechtsschutz pränatalen menschlichen Lebens liegen die insoweit zu beachtenden Voraussetzungen indes aus mehreren Gründen nicht vor. Zunächst hat das Bundesverfassungsgericht in seinen 49
Eines der wenigen anerkannten Beispiele für einen Geltungsverlust wegen abweichender Praxis stellen die so genannten funktionslosen Bebauungspläne dar, vgl. dazu BVerwGE 54, 5 ff.
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beiden Leitentscheidungen zur gesetzlichen Regelung des Schwangerschaftsabbruchs den Grundrechtsschutz „jedenfalls ab dem Zeitpunkt der Nidation“ ausdrücklich bejaht. Diese Feststellung wurde zwar in der zweiten Entscheidung durch die weit reichende Billigung der einfachgesetzlichen Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen nach Pflichtberatung relativiert. Gleichwohl würde es trotz aller berechtigten Kritik an wichtigen Teilen der Urteilsbegründung50 zu weit gehen, daraus ein Leerlaufen der Rechtsgewährleistung abzuleiten. Vielmehr sind auch unter der Geltung dieser Rechtslage punktuell strafgerichtliche Verurteilungen von Ärzten wegen Schwangerschaftsabbrüchen zu verzeichnen gewesen.51 Vor allem aber ist ernst zu nehmen, dass der Gesetzgeber seiner grundrechtlichen Schutzpflicht ausdrücklich durch ein komplexes soziales Schutzkonzept nachkommen und dadurch dem Grundrecht Geltung verschaffen wollte. Die geringe Wirksamkeit einer solchen Konzeption mag deren Nachbesserung verfassungsrechtlich zur Folge haben; ein völliger Geltungsverlust kann daraus nicht abgeleitet werden. Weiter ist zu beachten, dass die an die Ärzte und ihre Helfer gerichteten strafrechtlichen Sanktionen sehr wohl wirksam sind und zumindest die Einhaltung des vorgegebenen gesetzlichen Verfahrensrahmens sicherstellen. Schließlich ist zu beachten, dass letztlich auch das Embryonenschutzgesetz, an dessen wirksamer Umsetzung keine begründeten Zweifel bestehen können, indirekt für die Annahme eines wirksamen Grundrechtsschutzes der transferierten Embryonen spricht. Im Ergebnis kann deshalb weder von einer praktischen Wirkungslosigkeit des pränatalen Grundrechtsschutzes noch von einem daraus abzuleitenden Geltungsverlust des Grundrechts auf Leben für Embryonen in dieser Phase ihrer Existenz ausgegangen werden. b)
Bezugnahme auf bestimmte „Fähigkeiten“ oder „Eigenschaften“
Besondere Aufmerksamkeit hat immer wieder der in Deutschland vor allem von Norbert Hoerster vertretene Standpunkt erlangt, wonach einem menschlichen Wesen erst dann ein Lebensrecht zusteht, wenn er ein Selbstbewusstsein besitzt und eigene Interessen entwickeln kann. Zum Teil wird dies auch mit dem Personsein gleichgesetzt. Die entsprechenden Voraussetzungen liegen nach Ansicht von Hoerster erst zu einem Zeitpunkt deutlich nach der Geburt vor, doch will er aus Gründen der Konvention 50
Vgl. etwa Kluth, FamRZ 1993, 1382 ff.
51
BGHSt 31, 352.
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und der Vereinfachung der Handhabung auf diesen Zeitpunkt auf die Geburt vorverlagern.52 Weniger radikale Positionen stellen auf andere Merkmale wie die Überlebensfähigkeit (außerhalb des Mutterleibes) oder einen bestimmten Entwicklungszustand des Gehirns (z. B. Schmerzempfinden) ab. Soweit die Vertreter dieser Positionen die Grundrechtsträgerschaft von der „Personalität“ abhängig machen, liegt zunächst verfassungsrechtlich eine bereits im Hinblick auf den Wortlaut problematische Interpretation des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG als auch Art. 1 Abs. 1 GG vor. Denn nach allgemeiner Ansicht wird in beiden Normen das Tatbestandsmerkmal „jeder“ im Sinne von „jeder Mensch“ und nicht im Sinne von „jede Person“ verstanden.53 Dies steht auch nicht in Widerspruch zum traditionellen Verständnis von Personalität, bei dem das Personsein als besonderes Merkmal von Menschen und nicht als ein vom biologischen Menschsein verschiedenes Merkmal oder eine nur unter besonderen Umständen auf- und hinzutretende Qualität zu verstehen ist.54 Menschen sind Personen55 und zwar auch dann, wenn sie aufgrund von bestimmten Defekten nicht alle Fähigkeiten, in denen das Personsein zur Entfaltung kommt, aktiv zur Kooperation und Kommunikation mit anderen Personen gebrauchen können.56 c)
„Soziale Anerkennung“ als Voraussetzung der Rechtsträgerschaft
Große Bedeutung kommt vor allem im politischen Bereich der Ansicht zu, nach der das Lebensrecht die Aufnahme in die soziale Kommunikationsgemeinschaft bzw. die Annahme durch die Mutter voraussetzt. Dieser ideengeschichtlich insbesondere auf John Locke gestützte Begründungsan52
Hoerster, JuS 1989, 172 (175 f.); ders., NJW 1997, 773 ff. sowie in zahlreichen weiteren Veröffentlichungen. Vgl. auch Rüpke, ZRP 1974, 73 (74).
53
Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass auch die ursprüngliche Formulierung in Art. 2 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union „Jede Person hat das Recht auf Leben“ in der Fassung des Art. II – 62 des EUVerfassungsvertrages durch die Formulierung „Jeder Mensch hat das Recht auf Leben.“ ersetzt worden ist.
54
Dazu näher Pöltner, Was macht den Menschen zum Mensch?, in: Schriftenreihe der Juristen-Vereinigung Lebensrecht e.V., Nr. 8, 1991, S. 7 ff.
55
Zu beachten ist weiter, dass nach abendländischem Verständnis nicht nur Menschen Personen sind und über entsprechende Achtungs- und Anerkennungsansprüche verfügen. Auch insoweit ist der Vorwurf des Speziesismus unzutreffend.
56
Spaemann, Personen. Versuche über den Unterschied zwischen <etwas> und <jemand>, 1996, S. 254 ff.
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satz wird auch in Bezug auf die Menschenwürde vertreten.57 Das Bundesverfassungsgericht hat diese Position zwar ausdrücklich abgelehnt.58 Gleichwohl hat sie dadurch ihre Bedeutung in der wissenschaftlichen Diskussion nicht eingebüßt.59 Der zentrale Einwand gegen diesen Begründungsansatz ist darin zu erblicken, dass im Widerspruch zur Tradition universaler Menschenrechte60 ein „Aufnahmekriterium“ für die Zugehörigkeit zur Menschheitsfamilie eingeführt wird, dessen Kriterien in hohem Maße interpretationsbedürftig und nicht in gleicher Weise „objektiv“ und evident sind, wie dies bei den biologischen Kriterien „Geburt“, „Nidation“ und „Verschmelzung von Eiund Samenzelle“ der Fall ist. Hinzu kommt, dass in der philosophischen Anthropologie von einem anderen Verständnis von Anerkennung bzw. Anerkennungsgemeinschaft ausgegangen wird. Anerkennung begründet danach nicht Personalität, sondern sie wird Menschen bzw. Personen geschuldet.61 d)
Modelle eines abgestuften Lebensrechts
Als Derivat der beiden zuvor skizzierten Positionen kann die in der verfassungsrechtlichen Literatur anzutreffende Lehre vom dynamisch abgestuften Lebensrechts und Lebensschutzes eingeordnet werden.62 In ein rechtstechnisches Sprachgewand gekleidet knüpft diese Ansicht letztlich auch an die wachsenden positiven Fähigkeiten des frühen menschlichen Lebens an und will diese Entwicklung als Referenzpunkt für die Erstarkung eines dynamisch verstandenen Lebensrechts und einer ebenfalls wachsenden Menschenwürde begreifen.63 Die Befürworter eines solchen Konzepts unterscheiden sich untereinander vor allem dadurch, dass einige die entschei57
Hofmann, AöR 118 (1993) 353 (364 ff.).
58
BVerfGE 88, 203 (251).
59
Vgl. etwa Dreier, (Fn. 7), Art. 1 Abs. 1, Rdnr. 57 für die Zuerkennung der Menschenwürde, damit aber auch mit entsprechenden Auswirkungen auf den grundrechtlichen Lebensschutz, da keine Abwägungsverbote anerkannt werden.
60
Siehe dazu auch Höffe, (Fn. 41), S. 79 ff.
61
Spaemann, (Fn. 34), S. 252 ff.
62
Lübbe, ZfP 1989, 138 (148 f.); Ipsen, JZ 2001, 989 (991 ff.); Dreier, ZRP 2002, 377 ff. Dazu inhaltlich kritisch BVerfGE 88, 203 (267) sowie Beckmann, ZRP 2003, 97 ff.
63
Zur Übertragung dieses Ansatz auf die Menschenwürde vgl. Herdegen, JZ 2001, 773 ff.
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dende Zäsur bei der Nidation ziehen64, während andere auch nach der Nidation und bis zur selbständigen Überlebensfähigkeit oder Geburt von Abstufungen ausgehen. Der geminderte rechtliche Status wird zum Teil auch als moralischer Status qualifiziert, wobei die Relevanz dieser Zuordnung im Kontext des Verfassungsrechts unklar bleibt. Obwohl diese Position weniger radikal erscheint, ist sie wegen der statusrechtlichen Ungleichbehandlung der in vitro erzeugten und existierenden Embryonen den gleichen grundsätzlichen Einwänden ausgesetzt wie die zuvor angeführten Ansichten. Letztlich wird die Abstufung der Schutzwürdigkeit vor allem dafür genutzt, eine fremdnützige Verfügung über das Lebensrecht der in vitro existierenden Embryonen zu begründen. Es besteht deshalb im Ergebnis kein wahrnehmbarer Unterschied zwischen der vollständigen Leugnung eines Grundrechtsschutzes und der Theorie des abgestuften Lebensrechts. 4.
Zwischenergebnis
Als erstes wichtiges Zwischenergebnis ist damit festzuhalten, dass sich der verfassungsrechtliche Status der in vitro erzeugten und existierenden Embryonen im Wege einer Extrapolation der bereits vorliegenden Aussagen des Bundesverfassungsgerichts zum grundrechtlichen Status von in der Gebärmutter eingenisteten Embryonen als diesen gleichwertig bestimmen lässt. Die gegen diese Vorverlagerung des Grundrechtsschutzes gerichteten Argumente vermögen vor allem deshalb nicht zu überzeugen, weil sie den universalen Charakter dieser Menschenrechtsgewährleistungen in Frage stellen und zudem nicht auf willkürfreien Zugangskriterien beruhen, wie es die Rechtsbegründungsfunktion des Art. 1 Abs. 1 GG verlangt.
III. Das (Grund-) Recht auf Fortpflanzung 1.
Grundrechtliche Verortung
Das Hauptargument für die Durchführung und möglichst unbeschränkte Zulassung der PID wird in der verfassungsrechtlichen Diskussion aus dem Grundrecht auf Fortpflanzung abgeleitet. Jedenfalls für so genannte Risi64
So z.B. Heun, JZ 2002, 517 ff.; Ipsen, JZ 2001, 989 ff.; Spiekerkötter, Verfassungsfragen der Humangenetik, 1989, S. 40 f.; Hofmann, JZ 1986, 253 (258 f.); Coester-Waltjen, FamRZ 1984, 230 (235).
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kopaare halten deshalb Autoren wie Horst Dreier65, Matthias Herdegen66, Friedhelm Hufen67 und andere68 die Zulassung bzw. Zulässigkeit der PID für verfassungsrechtlich zulässig wenn nicht gar geboten. Obwohl dieses Ergebnis durch zumindest zwei Komponenten bestimmt ist und die meisten der genannten Autoren ihre Abwägung zugunsten der PID durch eine „Absenkung“ des verfassungsrechtlichen Status der in vitro erzeugten Embryonen vorbereiten, kommt der Einordnung und verfassungsrechtlichen Würdigung des Grundrechts auf Fortpflanzung in diesem Zusammenhang ebenfalls ein besonderes Gewicht zu, das eine genauere Analyse verlangt. Wie im Rahmen der Übersicht zu den verfassungsrechtlichen Positionen der betroffenen Akteure bereits angedeutet wurde, wird die Fortpflanzungsfreiheit jedenfalls seit dem Zeitpunkt der allgemeinen Verfügbarkeit moderner reproduktionsmedizinischer Verfahren zunehmend in Art. 6 Abs. 1 GG in Gestalt einer Ehegestaltungs- und Familiengründungsfreiheit verankert.69 Dies gilt es zunächst genauer zu hinterfragen. Das Bundesverfassungsgericht hat im Zusammenhang mit Entscheidungen zum Unterhaltsrecht die im vorliegenden Kontext gerne zitierte Aussage getätigt, dass zur selbstverantwortlichen Lebensführung in der Ehe auch die Entscheidung der Ehegatten gehört, Kinder zu haben und auch von Familiengründungsfreiheit gesprochen.70 Vor dem Hintergrund der klassischen Reproduktionsfunktion von Ehe und Familie, die heute angesichts der demographischen Schieflage der Gesellschaft wieder stärker und unvoreingenommener wahrgenommen wird, leuchtet dies ohne weiteres ein. Aus dem Blickwinkel des historischen Verfassungsgebers stand bei der Gewährleistung der Fortpflanzungsfreiheit die Abwehr gegenüber staatlichen Verboten im Vordergrund; die Inanspruchnahme medizinischer Hilfe war zwar auch zu diesem Zeitpunkt nicht völlig unbekannt, erstreckte sich 65
Dreier, (Fn. 7), Art. 1 Abs. 1, Rdnr. 98.
66
Herdegen, JZ 2001, 773 (778); ders., in: von Maunz/Dürig, Komm.z.GG., Art. 1 Abs. 1, Rdnr. 106 ff.
67
Hufen, MedR 2001, 440 (442 ff.).
68
Vgl. etwa Dederer, AöR 127 (2002), 1 (21 f.); Neidert, in: Kreß/Racké (Hrsg.), Medizin an den Grenzen des Lebens, 2002, S. 37 ff.; Schreiber, MedR 2003, 367 (370 f.).
69
Vgl. die Nachweise in Fn. 7.
70
BVerfGE 66, 84 (94); 61, 319 (347).
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aber jedenfalls nicht auf die heutige Form der Reproduktionsmedizin und die nur in diesem Kontext durchführbare PID. Gleichwohl ist nach allgemeinen Grundsätzen der Grundrechtsdogmatik davon auszugehen, dass Veränderungen im tatsächlichen Bereich, die die relevanten Handlungsmöglichkeiten erweitern, ebenfalls vom Schutzbereich erfasst werden.71 Diese Einbeziehung der durch die Techniken der Reproduktionsmedizin eröffneten neuen Handlungsmöglichkeiten in den Schutzbereich des Freiheitsgrundrechts bedeutet zunächst, dass die Verwehrung der Nutzung dieser Techniken eine nicht unwesentliche Beschränkung des gewährleisteten Freiheitsraumes und somit einen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff darstellt. Dieser Befund ergibt sich unabhängig davon, ob man die Fortpflanzungsfreiheit in Art. 6 Abs. 1 GG oder in Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verankert. Entscheidend ist damit, ob auch das vollständige oder teilweise Verbot der PID als Eingriff in die Fortpflanzungsfreiheit zu qualifizieren ist und, soweit dies der Fall ist, ein solcher Eingriff gerechtfertigt werden kann. 2.
Inhalt und Reichweite des Fortpflanzungsrechts im Zusammenhang mir der PID
Um die verfassungsrechtliche Bedeutung der Einbeziehung sämtlicher Techniken der Reproduktionsmedizin in den grundrechtlichen Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG bzw. des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts inhaltlich zu würdigen, bedarf es einer näheren Betrachtung der Bedeutung dieser rechtlichen Zuordnung. Ähnlich wie bei dem Grundrecht der Berufsfreiheit, das nach heutigem Erkenntnisstand auf der Tatbestandsebene nicht auf rechtmäßige berufliche Betätigungen beschränkt ist, werden auch bei der Fortpflanzungsfreiheit auf der Tatbestandesebene zunächst einmal alle Techniken erfasst, ohne dass damit eine Aussage über ihre verfassungsrechtliche Vereinbarkeit mit anderen Normen des Grundgesetzes verbunden ist. So wie es bei Art. 12 Abs. 1 GG Aufgabe des Gesetzgebers ist, einzelne rechtswidrige Formen beruflicher Betätigung im Wege der Grundrechtsbeschränkung zu untersagen, muss auch bei der Fortpflanzungsfreiheit eine entsprechende Abschichtung vorgenommen werden. Das bedeutet aber zugleich, dass die grundrechtliche Schutzwürdigkeit der Inanspruchnahme einzelner Techniken der Reproduktionsmedizin immer 71
In gleicher Weise wie die Bewegungsfreiheit seit der Erfindung von Fahrzeugen und Flugzeugen auch die Inanspruchnahme dieser Fortbewegungsmittel einschließt.
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auch unter Berücksichtigung der möglichen Auswirkungen dieser Techniken auf andere grundrechtliche Schutzgüter beurteilt werden muss. Insbesondere kommt im Hinblick auf die mit ihnen verbundenen Auswirkungen auf die untersuchten Embryonen sowie andere Rechtsgüter nicht allen verfügbaren und zukünftig denkbaren Techniken der Reproduktionsmedizin die gleiche verfassungsrechtliche Wertigkeit zu. Dabei ist insbesondere zu beachten, dass die Fortpflanzungsfreiheit nicht in Gestalt eines grundrechtlichen Leistungsrechts garantiert wird, es mit anderen Worten gegenüber dem Staat keinen positiven Anspruch auf Ermöglichung der individuellen Fortpflanzung gibt. Das verfassungsrechtliche Gewicht der Fortpflanzungsfreiheit kann aus einer gesamtgesellschaftlichen sowie der individuellen Perspektive genauer bestimmt werden. Bei der gesamtgesellschaftlichen Perspektive steht die regenerative und kulturelle Funktion von Ehe und Familie im Vordergrund. Schutz- und Förderauftrag zielen darauf ab, das biologische und kulturelle Überleben einschließlich der generationenübergreifenden Solidarität zu sichern. Diesem Aspekt kommt im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme der Reproduktionsmedizin eine geringe Rolle zu, da die Fortpflanzung auf diesem Wege nur einen geringen Bruchteil der Gesamtreproduktion darstellt. Umso gewichtiger ist jedoch die individuelle Perspektive, bei der der (Er-) Zeugung von eigener Nachkommenschaft und der Entfaltung der eigenen Persönlichkeit innerhalb einer Familie eine besondere Bedeutung zukommt.72 Die so grundrechtlich verankerte Fortpflanzungsfreiheit bezieht sich primär auf die Nutzung der Reproduktionstechniken zur Erzeugung neuen menschlichen Lebens, so dass die mit der PID grundsätzlich verbundene Zielsetzung, das Fortleben der in vitro erzeugten Embryonen je nach Ergebnis der Untersuchung in Frage zu stellen, zumindest in einem nicht unerheblichen Spannungsverhältnis zu diesem Schutzzweck steht.73 Allerdings führt diese Bedingung bzw. Modifizierung des Fortpflanzungswunsches nicht dazu, dass die Inanspruchnahme der PID vollständig der grundrechtlichen Verankerung verlustig geht.74 Die nähere Ausgestaltung des „Wie“ der Fortpflanzung betrifft vielmehr die Schranken dieser grund72
Der Vorrang dieser individuellen Komponente spricht auch dafür, die Fortpflanzungfreiheit vorrangig dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht und nicht Art. 6 Abs. 1 GG zuzuordnen, doch kommt diesem Aspekt nur eine untergeordnete Bedeutung zu.
73
So auch Böckenförde-Wunderlich, (Fn. 5), S. 212 f.
74
Dahin tendierend aber Böckenförde-Wunderlich, (Fn. 5), S. 213.
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rechtlichen Freiheit. Diese sind, wie allgemein bei der individuellen Freiheitsverwirklichung, vor allem in der Beachtung der Grundrechte Dritter zu suchen und durch den Gesetzgeber zu konkretisieren. Einen automatischen Vorrang der Fortpflanzungsfreiheit vor den Grundrechten der betroffenen Embryonen statuiert das Verfassungsrecht mithin nicht. 3.
Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit der Frau
Innerhalb der Verwirklichung der Fortpflanzungsfreiheit kommt, wie eingangs bereits kurz erwähnt wurde, unter Umständen auch dem Schutz von Leben und Gesundheit der Frau, der der Embryo eingepflanzt werden soll, eigenständige Bedeutung zu. In der Praxis sind zwar nur wenige Konstellationen denkbar, in denen eine durch die PID diagnostizierbare Schädigung des Embryos eine direkte gesundheitliche Schädigung oder Gefährdung der Frau zur Folge hat. Soweit dies aber möglich ist, wird durch ein mögliches Verbot der PID eine Gefährdung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG bewirkt, die als eigenständiger Eingriff zu qualifizieren ist und insoweit einer ausreichenden Rechtfertigung bedarf.75 Die Annahme eines solchen Eingriffs ist nicht mit dem Hinweis auszuschließen, dass die Entscheidung für die künstliche Befruchtung automatisch ein entsprechendes Risiko in sich birgt, in das durch die Entscheidung für eine künstliche Befruchtung eingewilligt wird. Eine solche rechtliche Bewertung kann auch aus der Regelung in § 1 Abs. 1 Nr. 3 ESchG nicht abgeleitet werden, da sich aus dieser Regelung nach allgemeiner Ansicht keine Pflicht der Frau zur Zustimmung zu einem Embryotransfer um jeden Preis ableiten lässt. 4.
Verletzung der Menschenwürde der Frau
Das Verbot der PID wird von einigen Autoren auch als Verletzung der Menschenwürde der Frau bewertet, da sie gezwungen werde, dem Embryotransfer ohne Information über den genetischen Zustand der Embryonen zuzustimmen. Eine solche Zustimmung sei überwiegend fremdbestimmt und mache die Frau zu einem Objekt der gesetzgeberischen Vorgabe. Ein Verbot der PID sei deshalb auch mit Art. 1 Abs. 1 GG nicht zu vereinba-
75
Ebenso Böckenförde-Wunderlich, (Fn. 5), S. 215 f. mit zusätzlichen Überlegungen zu psychischen Auswirkungen, die sich einstellen können, wenn der Frau Informationen über den genetischen Zustand der zu übertragenden Embryonen vorenthalten werden.
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ren.76 Dieser Argumentation ist indes entgegen zu halten, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen der Durchführung einer künstlichen Befruchtung Gegenstand einer selbstbestimmten Gesamtentscheidung der Frau sind, die vor der Aufnahme einer entsprechenden Behandlung zu erfolgen hat. Gegenstand der ärztlichen Aufklärung muss bei entsprechender Rechtslage (d. h. dem Verbot der PID) auch der Hinweis sein, dass ein Transfer nur unter den beschriebenen Bedingungen der Ungewissheit erfolgen kann. Fließt aber diese Erkenntnis in die Entscheidung für die Durchführung einer künstlichen Befruchtung ein, so ist der gesamte Ablauf selbstbestimmt. Lehnt die Frau einen uninformierten Transfer ab, so muss sie von der künstlichen Befruchtung insgesamt Abstand nehmen. Da die PID zudem nur untersagt werden kann, wenn dies zum Schutz von (Grund-) Rechten der Embryonen erfolgt und verhältnismäßig ist, muss die Frage im Kontext der dazu erforderlichen Gesamtabwägung beantwortet werden. Eine eigenständige Verletzung der Menschenwürde der Frau durch ein im Übrigen gerechtfertigtes Verbot der PID scheidet insoweit aus.77
IV. Die Forschungs- und Berufsfreiheit der Ärzte 1.
Ärztliche Berufsfreiheit und PID
Für den Arzt, der im Rahmen einer künstlichen Befruchtung eine PID auf Wunsch der Frau durchführen möchte, stellt sich ein mögliches Verbot als Eingriff in sein Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG dar, wobei es sich um einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit handeln würde. Vor dem Hintergrund der grundsätzlichen Beschränkbarkeit der ärztlichen Berufsausübungsfreiheit zugunsten vernünftiger Gemeinwohlbelange78 kommt den Grundrechten der Ärzte jedenfalls im Vergleich zu den Grundrechten der Frau kein größeres Gewicht im Rahmen der gebotenen Abwägung mit den Rechten der betroffenen Embryonen zu. 79
76
Hufen, MedR 2001, 440 (446); ähnlich Dederer, AöR 127 (2002), 1 (15).
77
Böckenförde-Wunderlich, (Fn. 5), S. 216 f.
78
Vgl. BVerfGE 7, 377 (405 f.); 78, 155 (162).
79
Böckenförde-Wunderlich, (Fn. 5), S. 217.
110
2.
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Ärztliche Forschungsfreiheit und PID
Ein größeres Gewicht könnte dem ärztlichen Interesse an der Durchführung der PID zukommen, wenn es sich dabei zugleich um eine vom Grundrecht der Forschungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG erfasste Betätigung handeln würde. Eine solche Zuordnung ergibt sich nicht alleine aus dem Umstand, dass durch die PID Informationen über die genetische Verfassung der untersuchten Embryonen gewonnen werden sollen. Erforderlich ist vielmehr eine darüber hinausgehende Absicht, die auf die Verbesserung der Reproduktionsmedizin oder die Erforschung von Ursachen- und Wirkungszusammenhängen bei vererblichen genetischen Schädigungen abzielt. In diesen Fällen ist eine Berufung der Ärzte auf das Grundrecht der Forschungsfreiheit grundsätzlich möglich mit der Folge, dass gesetzliche Verbote auch insoweit einer Rechtfertigung bedürfen.80 Da die Forschungsfreiheit nicht durch einen Gesetzesvorbehalt beschränkt ist, können insoweit nur kollidierende Rechtswerte von Verfassungsrang, insbesondere die den zur Untersuchung heranzuziehenden Embryonen, zur Rechtfertigung von Verboten oder Beschränkungen herangezogen werden.
V. Vorwirkende Rechte des in vitro erzeugten Menschen 1.
Grundsätzliches und relevante Fallkonstellationen
Nach heutigem Erkenntnisstand können Grundrechte auch zeitliche Vorwirkungen entfalten mit der Folge, dass bei Entscheidungen in der Gegenwart auch die Auswirkungen auf die Grundrechte künftiger Personen oder Generationen zu berücksichtigen sind.81 Dabei ist auf die objektivrechtliche Wirkebene der Grundrechte abzustellen.82 In Bezug auf die Anwendung der PID kommt ein solcher vorwirkender Grundrechtsschutz unter zwei sehr unterschiedlichen, ja gegensätzlichen Gesichtspunkten in Betracht. Die erste Konstellation geht davon aus, dass es auf Grund der Nichtvornahme einer PID zur Geburt eines (schwer) behinderten Menschen kommt. Hier stellt sich die Frage, ob dieser geltend machen kann, er habe nicht 80
Böckenförde-Wunderlich, (Fn. 5), S. 218.
81
Dazu grundsätzlich Kersten, Das Klonen von Menschen, 2004, S. 308 ff.
82
Kersten, (Fn. 82), S. 311 f., 325 ff.
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geboren werden dürfen, da es ein Recht auf „fehlerfreie Er-Zeugung“ gebe. Im Ergebnis führt eine solche Argumentation zu einem Schadensersatzanspruch wegen wrongful life. Die zweite Konstellation geht davon aus, dass eine PID durchgeführt wird und es zur Geburt eines völlig gesunden oder auch mehr oder weniger schwer geschädigten Menschen kommt. Dieser könnte sich in seiner Menschenwürde durch den Selektionsprozess verletzt sehen, da seine Geburt die Folge einer bewertenden Auswahlentscheidung war und er insoweit Objekt des Handelns der Ärzte bzw. Mutter gewesen sei. 2.
Kein Anspruch auf fehlerfreie Zeugung
Die Geburt eines behinderten Menschen als Folge der Unterlassung der Durchführung einer PID kann nicht mit den Fällen gleichgestellt werden, in denen der Bundesgerichtshof einen Schadensersatzanspruch wegen unterbliebener Abtreibung oder fehlerhafter Sterilisation bejaht hat.83 Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass im Falle der künstlichen Erzeugung menschlichen Lebens der Handlungsauftrag gerade auf die Erzeugung neuen Lebens abzielt, so dass der Schutzzweck des Vertrages keine ausreichende Grundlage für einen Schadensersatzanspruch bietet. Entsprechend hat auch der Bundesgerichtshof die Möglichkeit der Anerkennung von Schadensersatz wegen der Existenz eines behinderten Menschen als solchen abgelehnt.84 Diese Fallgruppe kann deshalb aus den weiteren Überlegungen ausgeblendet werden.
83
BGHZ 76, 249 ff.; 124, 128 ff. Die zwischen den beiden Senaten des Bundesverfassungsgerichts umstrittene Frage, ob diese Rechtsprechung ihrerseits mit Art. 1 Abs. 1 GG vereinbar ist, kann hier dahinstehen. Vgl. dazu einerseits BVerfGE 88, 203 LS 14 und BVerfGE 96, 409 ff. sowie andererseits BVerfGE 96, 375 ff.; zum Ganzen Kluth, FamRZ 1996, 442 ff.; Picker, AcP 195 (1995), 483 ff.
84
BGHZ 76, 249 (253 f.). In Frankreich hatte demgegenüber ein Gericht einen solchen Anspruch bejaht, woraufhin die Nationalversammlung in kürzester Frist ein Gesetz verabschiedete, das einer solchen Rechtsprechung die Grundlage entzog. Siehe dazu Winter, JZ 2002, 330 ff.; Deutsch, NJW 2003, 26 ff.; Arnold, VersR 2004, 309 ff.; Rebhahn, ZEuP 2004, 794 ff.
112
3.
Winfried Kluth
Künftige Menschen als „Objekte“ reproduktionsmedizinischer Entscheidungen
Die schwierige Frage, ob ein künstlich erzeugter Mensch in seiner Menschenwürde verletzt worden ist, wenn über die Frage seiner Übertragung auf die Mutter und damit die Frage seines „Lebensrechts“ auf Grund der Ergebnisse einer PID entschieden wurde, gehört in mehrfacher Hinsicht zu den dogmatisch besonders schwierigen Fragen, auf die an dieser Stelle nur allgemein hingewiesen werden kann. Dazu gehört u. a. die Frage, ob und mit welcher Reichweite aus Art. 1 Abs. 1 GG ein Gattungsschutz abgeleitet werden kann.85
VI. Eingriffsrechtfertigung und Interessenausgleich durch den Gesetzgeber Im Anschluss an die Ausleuchtung der verfassungsrechtlichen Verankerung der durch eine PID tangierten Akteure und Interessen sind im nächsten und entscheidenden Schritt die dabei auftretenden Konflikt- und Eingriffskonstellationen zu ermitteln und auf ihre mögliche Rechtfertigung hin zu untersuchen. Dabei soll methodisch zwischen den mit der PID selbst verbundenen möglichen Eingriffen und den Eingriffen, die auf Grund der Ergebnisse der PID denkbar sind bzw. eintreten, unterschieden werden. 1.
Bestimmung der Eingriffsqualität einzelner diagnostischer Maßnahmen
a)
Morphologische Begutachtung
Bei der Durchführung einer PID können unterschiedliche Methoden zur Anwendung kommen. Die erste und „einfachste“ stellt die morphologische Begutachtung dar, bei der anhand von optisch feststellbaren Merkmalen auf das Vorliegen bestimmter genetischer oder sonstiger Defekte geschlossen wird. Diese Methode ist nicht mit Eingriffen am untersuchten Embryo verbunden.
85
Dazu näher Nettesheim, AöR 130 (2005), 71 (107 ff.).
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b)
113
Polkörperdiagnostik86
Bei der Polkörperdiagnostik sind zwei Verfahren zu unterscheiden: Einmal kann eine Untersuchung am ersten Polkörper vorgenommen werden. Diese Untersuchung an einem gereiften Ei ist sowohl vor als auch nach der Fertilisation möglich. Eine Untersuchung am zweiten Polkörper ist dagegen nur nach der Fertilisation möglich, da sich der zweite Polkörper erst nach diesem Zeitpunkt ausbildet. Bei der Polkörperdiagnostik wird nicht auf Zellen von Embryonen zugegriffen, so dass die damit verbundenen Status- und Rechtfertigungsprobleme nicht auftreten. Allerdings ist der Anwendungsbereich dieser Methode begrenzt, da durch eine Untersuchung der Polkörper nur auffällige Chromosomensätze, monogene Erbkrankheiten und erbliche Chromosomenveränderungen festgestellt werden können, die auf die Eispenderin zurückzuführen sind. Zudem treten einige Chromosomenaberrationen erst nach der ersten Zellteilung des Embryos auf, so dass die Untersuchung nur einen begrenzten Aussagewert aufweist. Während die Polkörperdiagnostik am reifen Ei keine grundrechtsrelevante Handlung darstellt, kann die Polkörperdiagnostik nach Fertilisation als Eingriff in die körperliche Unversehrtheit qualifiziert werden. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass bei dieser Maßnahme in der Regel keine Schädigungen der Zellen erfolgen. Es bedarf demnach einer ausreichenden Eingriffsrechtfertigung. c)
Blastomerendiagnostik
Bei der dritten Untersuchungsmethode wird direkt auf einen in vitro erzeugten Embryo zugegriffen und eine Zelle entnommen, an der eine umfassende Diagnostik durchgeführt wird. Als Entnahmezeitpunkt kommen vor allem drei Zeitpunkte in Betracht: (1) das sog. frühe Furchungsstadium (3. Tag nach der Befruchtung), an dem der Embryo aus 2 – 4 Blastomeren besteht; (2) das späte Furchungsstadium (4. Tag), bei dem sich der Embryo im 8 – 16 Zellstadium befindet; (3) das Blastozystenstadium (5. oder 6. Tag), bei dem ein 32 oder 64 Zellstadium erreicht ist. Da die isolierte Entnahme einzelner Zellen ohne Gefahr der Beschädigung der übrigen Zellen im frühen Furchungsstadium am besten durchzuführen ist, da die einzelnen
86
Dazu auch Nationaler Ethikrat, Stellungnahme zur Polkörperdiagnostik vom 16. Juni 2004.
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Zellen noch nicht sehr intensiv untereinander verbunden sind, wird dieser Zeitpunkt in der Praxis bevorzugt.87 Der Zeitpunkt der Zellentnahme ist jedoch nicht nur hinsichtlich der Rahmenbedingungen und Erfolgsaussichten der Untersuchung von Bedeutung. Vielmehr sind auch Änderungen in Bezug auf den Status der entnommenen Zellen zu berücksichtigen. So ist jedenfalls in Bezug auf die im frühen Furchungsstadium entnommenen Blastomeren unbestritten, dass es sich bei ihnen um totipotente Zellen handelt. Bei den im späten Furchungsstadium entnommenen Zellen ist dies wahrscheinlich, aber umstritten. Das gilt erst recht für die im Blastozystenstadium entnommenen Zellen.88 d)
Spezifische Risiken der PID für Embryo und Frau
Die PID stellt mit Ausnahme der frühen Polkörperdiagnostik einen Eingriff an einem Embryo dar, der sowohl für diesen als auch für die betroffene Frau mit besonderen Gefährdungen verbunden ist, die bei der Bestimmung der Eingriffserheblichkeit der PID berücksichtigt werden müssen. Im Einzelnen ist dabei Folgendes zu berücksichtigen: (1) Die Entnahme der für die PID erforderlichen Zellen, in der Regel zwei, wirkt sich in den meisten Fällen nicht negativ auf die Überlebensfähigkeit des Embryos, führt aber zu einer spürbaren Entwicklungsverzögerung. Die Entnahme verläuft nach derzeitigen Erkenntnissen in 97 % der Fälle erfolgreich.89 Umgekehrt bedeutet dies, dass jede Entnahme mit einer Beeinträchtigung der Entwicklung des Embryos verbunden ist und auch eine schwerwiegende Schädigung bis hin zum Ableben in einer geringen Zahl von Fällen möglich ist. (2) Ob und in welchem Ausmaß es im Zuge der weiteren Entwicklung der Embryonen nach einer PID zu vermehrten Fehlbildungen kommt, ist derzeit nicht bekannt. Es wird jedoch davon ausgegangen, dass die neonatale Komplikationsrate deutlich erhöht ist. Auch insoweit ist die PID risikosteigernd.90 In ca. 3 bis 4 % der Fälle kommt es auch zu Fehldiagnosen, die in der Praxis dazu führen, dass im Anschluss an eine zur Überprüfung der 87
Nationaler Ethikrat, (Fn. 2), S. 15.
88
Vgl. auch Böckenförde-Wunderlich, (Fn. 5), S. 25 f.
89
Siehe zum Ganzen die Angaben und Nachweise bei Nationaler Ethikrat, (Fn. 2), S. 18 f.
90
Nationaler Ethikrat, (Fn. 2), S. 18.
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PID durchgeführte PND in der Regel ein Schwangerschaftsabbruch erfolgt, der seinerseits auch mit zusätzlichen nicht unerheblichen gesundheitlichen Belastungen der Frau verbunden ist.91 (3) Die In-vitro-Fertilisation als solche sowie zusätzlich eine dabei durchgeführte PID sind in der Praxis auch mit sehr unterschiedlichen Gefährdungen der Gesundheit und Psyche der Frau verbunden. Zu erwähnen ist hier insbesondere das ovarielle Überstimulationssyndrom, das je nach Umständen sogar lebensbedrohliche Formen annehmen kann und das im Jahr 2001 in Deutschland alleine bei 371 Patientinnen in einer schweren Form auftrat. Das sind zwar statistisch nur 0,7 Prozent der behandelten Personen. Im Hinblick auf die Schwere der Auswirkungen sind es aber gleichwohl bedeutsame Folgen, die bei anderen nicht lebensrettenden Behandlungsmethoden erhebliche Kritik hervorrufen würden. Bekannt aber schwer zu gewichten sind zudem die nicht unerheblichen psychischen Belastungen der Frauen die aus der geringen Schwangerschaftserfolgsquote folgen. So sind im Durchschnitt vier Transfers erforderlich um eine Schwangerschaft mit anschließender Geburt zu erreichen. In 30 bis 40 % der Fälle bleibt der Erfolg ganz aus.92 All dies zeigt, dass der Einsatz der PID in einen Kontext verschiedenster Gefährdungen und Belastungen sowohl für die betroffenen Embryonen als auch die beteiligten Frauen eingebunden ist. Es wird zwar darauf hingewiesen, dass jedenfalls die beteiligten Frauen bzw. Paare in der Regel wegen des starken Kinderwunsches bereit sind, diese Risiken in Kauf zu nehmen. Doch werden diese Aussagen zugleich insoweit relativiert, als dies auf Dauer nur für solche Fälle gilt, in denen der Erfolg eintritt. In den übrigen Fällen sind schwere psychische Belastungen und auch Krisen in der Partnerschaft nicht selten. Es stellt sich insoweit die Frage, ob diese Folgen ohne weiteres durch die unverzichtbare Einwilligung der Frau in die Behandlung gerechtfertigt werden können, oder ob es sich nicht um Eingriffsfolgen handelt, die eine von der Einwilligung unabhängige Würdigung und Rechtfertigung verlangen.93
91
Nationaler Ethikrat, (Fn. 2), S. 19.
92
Nationaler Ethikrat, (Fn. 2), S. 17.
93
Auf diesen Aspekt weist u.a. Kollek, Präimplantationsdiagnostik: Juristische und gesellschaftliche Aspekte, in: Schriftenreihe der Juristen-Vereinigung Lebensrecht, Nr. 17, 2000, S. 39 (51 ff.) hin.
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2.
Rechtfertigung der Eingriffe an den Embryonen
a)
Rechtfertigung der Vernichtung von totipotenten Zellen sowie des Absterbens von Embryonen nach Zellentnahme für eine PID
Werden einem in vitro erzeugten Embryo im 4 – 8 Zellstadium zwei Zellen zum Zweck der Durchführung einer PID entnommen, so handelt es sich dabei um totipotente Zellen. Diese werden im Rahmen der Durchführung der PID „verbraucht“. Da die Zellen unabhängig von ihrem Verwendungszweck als solche in der Lage wären, sich zu einem selbständigen Menschen zu entwickeln, fallen sie nach dem hier zugrunde gelegten Verständnis des Grundrechts auf Leben in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG mit der Folge, dass sich ihr Verbrauch im Rahmen der Durchführung der PID als Eingriff in das Grundrecht auf Leben darstellt und insoweit einer Rechtfertigung bedarf.94 Diese kann sich zwar auf den Gesetzesvorbehalt in Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG stützen, so dass eine Verfügung über Embryonen nicht von vornherein ausgeschlossen ist. Es muss aber ein das Lebensrecht des Embryos (d. h. der entnommenen totipotenten Zelle) überwiegendes Interesse bestehen, das den Eingriff rechtfertigt. Stellt man darauf ab, dass die PID darauf abzielt, den gefahrfreien Transfer des (Haupt-) Embryos zu ermöglichen, so würde hier ein „Leben“ im Dienste eines anderen sowie des Fortpflanzungswunsches des zugehörigen Paares geopfert. Eine solche Opfersituation vermag nach den herkömmlichen anerkannten Abwägungsgrundsätzen allenfalls in unausweichlichen Konfliktlagen einen Eingriff rechtfertigen. Eine solche Konfliktlage liegt im Falle einer ja immer freiwilligen In-vitro-Fertilisation nicht vor, will man den Kinderwunsch nicht in einen solchen Zwang umdeuten, was sich aber aus den unterschiedlichsten Gründen verbietet. Das Ergebnis der Abwägung ändert sich auch dann nicht, wenn man lediglich die so genannten Hochrisikopaare in den Blick nimmt, bei denen eine hohe Wahrscheinlichkeit des Eintritts schwerer genetischer Schädigungen der Embryonen besteht.95 Zwar kommt der Inanspruchnahme der In-vitro-Fertilisation und der PID in diesen Fällen eine höhere individuelle 94
Ebenso Röger, Verfassungsrechtliche Grenzen der Präimplantationsdiagnostik, in: Schriftenreihe der Juristen-Vereinigung Lebensrecht, Nr. 17, 2000, S. 55 (56 f.).
95
Darauf stellen u.a. ab Dreier, (Fn. 7), Art. 1, Rdnr. 97; Hufen, MedR 2001, 440 (448 ff.). Eine entsprechende Beschränkung sieht auch der Richtlinienentwurf der Bundesärztekammer vor.
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Dringlichkeit zu. Das abstrakte Gewicht des Kinderwunsches kann dadurch aber nicht in einer Art und Weise gesteigert werden, die zu einem Vorrang gegenüber dem Lebensrecht führt. Die Aufrechnung des Überlebensinteresses des Hauptembryos mit der Vernichtung der entnommenen totipotenten Zelle ist schließlich auch deshalb problematisch, weil selbst diese Aufrechnung unter dem Vorbehalt steht, dass die PID zu dem Ergebnis führt, dass der Hauptembryo nicht geschädigt ist. Liegt eine genetische Schädigung vor, so wird auch der Hauptembryo verworfen und die Vernichtung der entnommenen totipotenten Zelle „dient“ nur noch dem spezifischen Fortpflanzungswunsch des auftraggebenden Paares. Mit den herkömmlichen Grundsätzen der Abwägungsdogmatik ist eine Eingriffsrechtfertigung hier nicht zu erreichen. Die PID in dieser Form ist demnach verfassungsrechtlich bereits im Hinblick auf Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG unzulässig.96 Daraus folgt zwar nicht automatisch ein bürgerverbindliches Handlungs- und Anwendungsverbot, soweit man aus dem ESchG keine entsprechenden Verbote ableitet.97 Der Gesetzgeber ist jedoch im Rahmen seiner Schutzpflicht zu einer Regelung angehalten und im Rahmen der Regelung entsprechend inhaltlich durch die Verfassung determiniert. b)
Rechtfertigung von Entwicklungsverzögerungen und anderen Folgeschäden
Eine geringere Eingriffsintensität besitzen die mit der Entnahme von Zellen am Hauptembryo verursachten Entwicklungsverzögerungen und sonstigen Folgeschäden. Sie sind als Eingriff in das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit gem. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zu qualifizieren und ebenfalls rechtfertigungsbedürftig. Obwohl die Rechtfertigung wegen der geringeren Eingriffsschwere auf den ersten Blick geringere Schwierigkeiten verursacht, erweist sie sich bei genauerer Betrachtung als ebenfalls sehr kompliziert. Das hängt damit zusammen, dass der Eingriff einem durchaus ambivalenten Zweck dient, da bei negativem Ausgang der PID die Vernichtung die praktische Folge ist. Tragender Rechtfertigungsgrund 96
Dieses Ergebnis erklärt seinerseits das große „Interesse“ an der Leugnung des Lebensrechts von Embryonen bzw. totipotenten Zellen, da letztlich nur auf diesem Wege entsprechende Handlungsspielräume eröffnet werden können.
97
Hinsichtlich der Entnahme und Verwendung totipotenter Zellen für die PID sprechen jedoch gute Gründe für die Anwendbarkeit des ESchG; vgl. dazu auch Röger, (Fn. 94). S. 56.
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ist deshalb auch in diesem Fall ausschließlich der spezifische, d. h. auf den Transfer ausschließlich defektfreier Embryonen fixierte Fortpflanzungswunsch. Ob ein ausreichendes verfassungsrechtliches Gewicht zuzumessen ist, das die aufgezeigten Entwicklungsverzögerungen und erhöhten neonatalen Schädigungen des Embryos rechtfertigt, erscheint sehr fraglich. 3.
Vereinbarkeit der auf Grund der Ergebnisse der PID getroffenen Entscheidung mit Art. 1 Abs. 1 GG
Nach heutigem Erkenntnisstand stellt ein Eingriff in das Grundrecht auf Leben nicht automatisch auch eine Verletzung der Menschenwürde gem. Art. 1 Abs. 1 GG dar.98 Die nach einer PID bei Feststellung einer genetischen Schädigung des untersuchten Embryos in der Regel zu erwartende „Verwerfung“ muss deshalb gesondert auf ihre Vereinbarkeit mit der Menschenwürde hin untersucht werden.99 Überwiegend anerkannt ist insoweit, dass nicht jede bewusste Tötung zu einer Verletzung der Menschenwürde führt. Es müssen vielmehr besondere Begleitumstände der Eingriffshandlung vorliegen.100 Anderenfalls wären auch Maßnahmen der Gefahrenabwehr, wie der finale Rettungsschuss, mit Art. 1 Abs. 1 GG nicht vereinbar. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, dass in diesem Fall ein Angriff abzuwehren ist, so dass die bewusste Tötung Unschuldiger als gesonderte Fallgruppe behandelt werden könnte. Derartige besondere Begleitumstände können im vorliegenden Zusammenhang darin gesehen werden, dass es im Zusammenspiel von In-vitroFertilisation und PID zu einer Erzeugung menschlichen Lebens auf Probe101 und damit zu einer grundsätzlichen Instrumentalisierung der in vitro
98
BVerfGE 88, 203 (251).
99
Dies setzt selbstverständlich voraus, dass mit der hier vertretenen Ansicht in vitro erzeugte und existierende Embryonen überhaupt von Art. 1 Abs. 1 GG erfasst werden.
100
Höfling, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 3. Aufl. 2004, Art. 1 Rdnr. 60; Röger, (Fn. 94), S. 62 f.
101
Der einzelne Embryo wird ja im Hinblick auf seine Chance des Weiterlebens bzw. der Übertragung in eine Gebärmutter unter dem Vorbehalt erzeugt, dass er keine genetischen oder sonstigen Schädigungen aufweist. Das Ergebnis der Diagnose ist damit die Entscheidung über Leben oder Tod des Embryos; therapeutische Zwecke werden mit der PID nicht verfolgt.
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erzeugten Embryonen und einer Missachtung des Selbstzwecks jeder menschlichen Existenz kommt.102 Diese Bewertung beansprucht für die Blastomerendiagnostik allgemeine Gültigkeit, während sie bei der Polkörperdiagnostik nur zutrifft, wenn sie nach der Fertilisation durchgeführt wird. Bei einer Polkörperdiagnostik am ersten Polkörper vor der Befruchtung kommt es nicht zu einer Verwerfung eines Embryos, so dass in diesen Fällen jedenfalls nicht das Leben eines bereits erzeugten Embryos in Frage gestellt werden. Diese Art der Polkörperdiagnostik kann deshalb nur unter anderen ethischen Aspekten abgelehnt werden, etwa aus dem Blickwinkel der Diskriminierung von Behinderung103 und etwaigen Rechten des unter Umständen aus der untersuchten Eizelle erzeugten Menschen. In allen diesen Fällen kann aber nicht von einer eindeutigen Verletzung der Menschenwürde ausgegangen werden, ein Verbot also nicht auf Art. 1 Abs. 1 GG gestützt werden. 4.
Verfassungsrechtliche Relevanz der Wertungswidersprüche zwischen PID und PND
Gegen das hier gewonnene Ergebnis der weitgehenden verfassungsrechtlichen Unzulässigkeit der PID wird in der rechtspolitischen Diskussion regelmäßig der Einwand vorgebracht, dass es in einem nicht nachvollziehbaren Widerspruch zur rechtlichen Zulässigkeit und weit verbreiteten Praxis der PND stehe. Die betroffenen Paare seien gezwungen, auch genetisch schwer geschädigte Embryonen auf die Frau übertragen zu lassen. Nach erfolgreicher Etablierung einer Schwangerschaft bestehe dann die Möglichkeit, eine PND durchzuführen und ggf. einen Schwangerschaftsabbruch strafbereit durchzuführen. Damit werde im Ergebnis eine Entscheidung ausschließlich zu Lasten der betroffenen Frau getroffen. Durch das Verbot der auf das gleiche Ziel wie die PND ausgerichtete PID komme es zu unnötigen zusätzlichen gesundheitlichen Belastungen der Frau. Diese Argumentation wird durch die Befürworter des Verbots der PID damit entkräftet, dass auf den unterschiedlichen Kontext von natürlicher Zeugung und künstlicher Erzeugung menschlichen Lebens hingewiesen wird.104 Dieser Hinweis ist aber nur in den Fällen tragfähig, in denen eine 102
Böckenförde-Wunderlich, (Fn. 5), S. 205 ff.; Enquete-Kommission, (Fn. 2), S. 240 ff.; Höffe, (Fn. 41), S. 95 f.; Röger, (Fn. 94), S. 65 ff.
103
Zu solchen Erwägungen vgl. Enquete-Kommission, (Fn. 2), S. 243 ff.
104
Vgl. etwa Röger, (Fn. 94), S. 74 ff.
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natürliche, gegebenenfalls nicht ausdrücklich beabsichtigte Zeugung vorlag. In den Fällen, in denen eine Schwangerschaft nach In-vitro-Fertilisation und Embryo Transfer entsteht, kann das Bestehen eines solchen Widerspruchs nicht geleugnet werden. Aus der Sicht des Verfassungsrechts kann er aber nur durch eine Anpassung der Regelungen zur PND und nicht durch eine umgekehrte Schlussfolgerung aufgelöst werden.105 Dass es für eine solche Anpassung keine politischen Mehrheiten gibt, führt zwar zu einer schwerwiegenden Belastung des Verhältnisses von Verfassungsrecht und Rechtswirklichkeit.106 Eine Korrektur der normativen Vorgaben der Verfassung kann auf diesem Wege aber nicht begründet werden. Auch in anderen Lebensbereichen, wie etwa der Gleichstellung der Frau, sieht sich die Rechtsdurchsetzung erheblichen Widerständen ausgesetzt, die einen jahrzehntelangen Prozess der Rechtsdurchsetzung erfordern.
105
So auch Beckmann, MedR 2001, 169 (175).
106
Dazu eingehend Böckenförde-Wunderlich, (Fn. 5), S. 230 ff.
Einbecker Empfehlungen zu „Rechtsfragen der Präimplantationsdiagnostik“ der Deutschen Gesellschaft für Medizinrecht 11. Einbecker Workshop November 2004
1. Einleitung Im Jahr 2002 hat die DGMR die „Einbecker Empfehlungen zu genetischen Untersuchungen und Persönlichkeitsrecht“ verabschiedet. Im Kontext der fachwissenschaftlichen und öffentlichen Diskussion hat sich die Deutsche Gesellschaft für Medizinrecht anlässlich ihres 11. Einbecker Workshops mit medizinischen, ethischen und rechtlichen Fragen der Präimplantationsdiagnostik im internationalen Rahmen und möglichen Gesetzesänderungen auseinander gesetzt. Als Tagungsergebnis wurden die nachfolgenden Empfehlungen verabschiedet.
2. Begriffsklärung Zur Verbesserung der Begriffsklarheit werden folgende Unterscheidungen und Definitionen vorgeschlagen: Pränataldiagnostik (PND): vorgeburtliche Diagnostik am Ungeborenen Präimplantationsdiagnostik (PID): Diagnostik an Eizellen im Vorkernstadium und an in vitro entstandenen Embryonen vor der Implantation. Im Rahmen von PID finden derzeit drei unterschiedliche Diagnoseverfahren Anwendung: a) Polkörperdiagnostik b) Blastomerendiagnostik c) morphologische Beurteilung von Eizellen im Vorkernstadium und von Embryonen Während bei der Polkörperdiagnostik nur mütterliche Chromosomenveränderungen oder Genmutationen indirekt beurteilt werden können, ist bei
122
Einbecker Empfehlungen
der Blastomerendiagnostik auch die Beurteilung väterlicher Veränderungen möglich. Im englischen Sprachgebrauch wird in der Regel der Begriff „preimplantation genetic diagnosis“ (PGD) ausschließlich für genetische Untersuchungen verwendet. Das Entwicklungspotential von Eizellen im Vorkernstadium und Embryonen kann auch durch rein morphologische Beurteilung abgeschätzt werden.
3. Anwendungsbereich Genetische Präimplantationsdiagnostik zielt derzeit auf die Feststellung von Genmutationen und Chromosomenstörungen durch Polkörperdiagnostik oder durch Untersuchung einer Zelle des Embryos. Für die Bundesrepublik Deutschland wird geschätzt, dass nach dem gegenwärtigen Stand der medizinisch-wissenschaftlichen Möglichkeiten etwa 500 Untersuchungen dieser Art pro Jahr in Situationen mit einem speziell erhöhten Risiko für monogene Erkrankungen und Chromosomenstörungen medizinisch sinnvoll erscheinen. Nach einer In-vitro-Fertilisation (IvF), die wegen einer bestehenden Infertilität durchgeführt wird, ohne dass ein spezifisch erhöhtes genetisches Risiko besteht, entstehen Schwangerschaften nur in etwa 20% der Fälle. Dabei wird eine Vielzahl von Embryonen transferiert, denen die Entwicklungsfähigkeit fehlt, obwohl dies bei Einsatz einer PID hätte erkannt werden können. Sollte es sich erweisen, dass eine Embryonenauswahl in diesen Situationen zu einer erheblichen Senkung der Abort- und Verbesserung der Geburtenrate führt, könnten weniger als 3 Embryonen transferiert und die Zahl der Mehrlingsschwangerschaften vermindert werden. Dies würde die Anzahl sinnvoller Anwendungen der PID erheblich erhöhen. Im Ausland wird die PID an einzelnen Zentren auch zur Identifikation geeigneter Gewebespender für erkrankte Geschwister und für Tests auf eine erhöhte Wahrscheinlichkeit multifaktorieller Erkrankungen angewendet.
4. Rechtliche Bewertung von PID nach dem Embryonenschutzgesetz Einigkeit herrscht, dass die PID an entnommenen totipotenten Zellen als Verwendung solcher Zellen zu einem nicht ihrem Erhalt dienenden Zweck nach § 2 Abs. 1. Embryonenschutzgesetz (ESchG) strafbar ist. Eine totipotente Zelle gilt gemäß § 8 Abs. 1 ESchG als Embryo im Sinne des ESchG. Schon ihre Entnahme unterliegt deshalb dem ebenfalls strafbewehrten Klonverbot des § 6 Abs. 1 ESchG.
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Uneinigkeit herrscht dagegen bei der Beurteilung der Zulässigkeit der genetischen PID an nicht totipotenten Zellen. Von einem Teil der Literatur wird eine Strafbarkeit nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG und § 2 Abs. 1 ESchG angenommen. § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG verbietet die Befruchtung einer Eizelle zu einem anderen Zweck als der Herbeiführung einer Schwangerschaft. Die Befürworter einer Strafbarkeit sehen dies bei der PID verwirklicht, weil der Arzt die Befruchtung der Eizelle zunächst zum Zwecke der Untersuchung vornehme und danach nur im Fall eines günstigen Ergebnisses, also bedingt, die Schwangerschaft herbeiführen wolle. Dagegen spricht, dass — nach systematischen Gesichtspunkten erkennbar — eine Befruchtung, die den Zweck der Herbeiführung einer Schwangerschaft hat, vom Gesetz privilegiert und nicht ein anderer, gleichzeitig verfolgter Zweck pönalisiert wird. Die Befruchtung einer Eizelle, die einer PID unterzogen werden soll, erfolgt jedoch auch mit der Absicht, eine Schwangerschaft herbeizuführen. Eine andere Betrachtung erfordert dagegen eine unnatürliche Aufspaltung des auf dieses Ziel gerichteten einheitlichen Handelns. § 2 Abs. 1 ESchG verbietet die Verwendung eines Embryos zu einem nicht seiner Erhaltung dienenden Zweck. Dies wird teilweise durch die Untersuchung und das Absterbenlassen des Embryos nach erfolgter PID mit ungünstigem Ergebnis als verwirklicht angesehen. Dagegen ist vorzubringen, dass beides keine Handlungen im Sinne des Wortlauts „verwenden“ sind, und dass als Zweck der Untersuchung der Erhalt des Embryos und die Erzielung einer Schwangerschaft angesehen werden kann. Weitere Argumente gegen eine Strafbarkeit sind, dass es am Entsprechen i. S. d. § 13 StGB der Unterlassung mit dem aktiven Tun einer missbräuchlichen Verwendung mangelt und dass eine Rechtfertigung entsprechend § 218a Abs. 2 StGB bzw. nach § 34 StGB vorliegt. Zudem führt die Annahme einer Strafbarkeit zu nicht nachvollziehbaren Wertungswidersprüchen mit anderen strafrechtlichen Bestimmungen, namentlich den §§ 218ff. StGB, die eine „Schwangerschaft auf Probe“ nicht verbieten. Sollte die PID zu besseren Ergebnissen z. B. hinsichtlich der Schwangerschaftsraten nach einer IvF führen, in anderen Staaten deshalb üblich sein und zum (internationalen) Stand der Erkenntnis gehören, verhinderte ein Verbot die Einhaltung des medizinischen Standards. All dies spricht gegen die Annahme einer Strafbarkeit. Dennoch erscheint die entgegengesetzte Ansicht, die eine Strafbarkeit bejaht, vertretbar, so dass eine unklare Rechtslage das Risiko strafrechtlicher Sanktionen mit sich bringt. Eine gesetzliche Klarstellung ist also notwendig, zumal eine angenommene Strafbarkeit weitere Implikationen hätte:
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Eine Beteiligung an im Ausland durchgeführter in Deutschland strafbarer PID (an totipotenten Zellen oder je nach Ansicht auch an pluripotenten Zellen) kann nach § 9 Abs. 2 StGB strafbar sein, wenn ein Arzt diese von Deutschland aus unterstützt und somit als Teilnehmer Beihilfe leistet. Bei einer reinen Auslandstätigkeit in diesem Zusammenhang kann sich gemäß § 5 Nr. 12 StGB ein Amtsträger oder für den öffentlichen Dienst besonders verpflichteter Arzt (z. B. Hochschullehrer oder Arzt an einem deutschen öffentlichen Krankenhaus) ebenso strafbar machen.
5. Verfassungsrechtlicher Rahmen Als mögliche Grundrechtsträger kommen in erster Linie der Embryo, die Frau und der Arzt, auch als Wissenschaftler, in Betracht. Der verfassungsrechtliche Status in vitro erzeugter Embryonen ist nach wie vor umstritten. Die bisherigen Aussagen des Bundesverfassungsgerichts zu Fragen des vorgeburtlichen Lebensrechts und seines Schutzes, sowie der gesetzgeberischen Grundentscheidung im ESchG legen es nahe, auch bei einer künstlichen Erzeugung menschlichen Lebens davon auszugehen, dass das Grundrecht auf Leben aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG seine schützende Wirkung ab dem Zeitpunkt der Entstehung eines menschlichen Lebewesens entfaltet. Viele Autoren und der Gesetzgeber im Embryonenschutzgesetz sehen dies mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle bzw. nach funktionsadäquaten Maßnahmen als gegeben an. Es werden auch andere Zeitpunkte, wie die Nidation oder der Abschluss der Phase möglicher Zwillingsbildung diskutiert. Die durch das Bundesverfassungsgericht praktizierte Parallelisierung des zeitlichen Beginns von Lebensrecht und Menschenwürde spricht dafür, auch die Schutzwirkungen des Art. 1 Abs. 1 GG im entsprechenden Zeitpunkt einsetzen zu lassen. Die gegenteilige Auffassung in Form von Stufen- und Wachstumstheorien der Menschenwürde und des Lebensrechts entspricht zwar dem körperlichen und geistigen Wachsen und Werden, bleibt aber den Nachweis willkürfreier Zäsuren für die Bestimmung des Beginns des Lebensrechts schuldig. Diese verfassungsrechtliche Bewertung entspricht in ethischer Hinsicht einer substanzontologischen Betrachtungsweise, die Würde- und Lebensschutz auf alle menschlichen Lebewesen erstreckt und nicht von dem Vorliegen bestimmter Eigenschaften und Fähigkeiten abhängig macht.
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Die Anwendbarkeit des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG (Diskriminierungsverbot Behinderter) auf die Präimplantationsdiagnostik ist vor dem Hintergrund der Entstehungsgeschichte der Norm abzulehnen. Der Sache nach geht es vielmehr um eine „Diskriminierung“ auf Grund einer potenziellen genetisch bedingten Behinderung des Embryos, die am Maßstab des Art. 1 Abs. 1 GG zu messen wäre. Das Grundrecht der Frau auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gebietet, diese im Rahmen des medizinisch und rechtlich Möglichen vor schwerwiegenden physischen und psychischen Gefahren im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Geburt zu schützen. Daraus ergibt sich ein Informationsanspruch, der auch Daten zur Entwicklungsfähigkeit und zur genetischen Konstitution des Embryos umfasst, soweit sie Auswirkungen auf die Gesundheit der Frau haben können. Auch wenn die Frau durch die Entscheidung zur Durchführung einer IvF die Entstehung der Embryonen veranlasst und ihre grundsätzliche Bereitschaft zum Transfer in ihre Gebärmutter zum Ausdruck gebracht hat, würde ein Transfer gegen ihren Willen einen Eingriff in ihre körperliche Integrität und Menschenwürde darstellen. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG, nach mancher Ansicht auch das Grundrecht aus Art. 6 GG (Schutz von Ehe und Familie), schützen auch den Kinderwunsch der Eltern einschließlich medizinisch indizierter IvF. Der Kinderwunsch findet seine Grenzen in den Rechten Dritter, insbesondere der künstlich erzeugten Embryonen. Die ebenfalls betroffene Berufsfreiheit des Arztes aus Art. 12 Abs. 1GG und die Forschungsfreiheit des Wissenschaftlers aus Art. 5 Abs. 3 GG, in der sich auch die positiven Auswirkungen der Forschung für andere Grundrechtsträger widerspiegeln, müssen im Rahmen einer Rechtsgüterabwägung zurücktreten.
6. Bewertung Eine Abwägung dieser Grundrechtspositionen rechtfertigt und gebietet es, präimplantationsdiagnostische Maßnahmen zuzulassen, wenn gesetzliche Regelungen die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Vorgaben gewährleisten. In Betracht kommen beispielsweise verfahrensspezifische Vorgaben, indikationsgewichtende Kriterien, Anforderungen an die Struktur- und Prozessqualität, sowie Maßnahmen (z. B. Zulassungsvorbehalte, Lizenzierungen, Kontrollen), welche die Rechtstreue der Anwender und die Transparenz der Maßnahmen sicherstellen.
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7. Vorschlag zur Gesetzesänderung Die zur Rechtsklarheit erforderliche Änderung des ESchG sollte nicht nur die PID für Embryonen von Eltern mit einem spezifischen Risiko zulassen, sondern auch die Nutzung der medizinischen Möglichkeiten zur Verbesserung der Geburtenrate und der Verminderung der Zahl der Mehrlingsschwangerschaften nach IvF erlauben. Hierfür sollten zumindest die Rechtsgedanken aufgegriffen werden, die jetzt bereits zum Schutz der Frau für einen gerechtfertigten Schwangerschaftsabbruch gelten. Dadurch würden auch die bestehenden Wertungswidersprüche aufgelöst. Eine Regelung, die eine PID nur bei bestimmten, in einem Katalog festgelegten Indikationen zulässt, erscheint nicht sinnvoll. Die Regelungen sollten dann auch Berücksichtigung in den berufsrechtlichen Vorschriften finden. Das Präsidium der DGMR e. V.
Einbeck, den 14.11.2004
Teilnehmerliste Einbeck 2004
Prof. Dr. iur. Erwin Bernat
RESOWI-Zentrum, Institut für Zivilrecht, Karl-Franzens-Universität Graz, Universitätsstraße 15 / D4, A-8010 Graz
Prof. Dr. med. Dr. jur. Christian Dierks Präsident der DGMR e. V., Rechtsanwalt und Arzt, Walter-Benjamin-Platz 6, 10629 Berlin Prof. Dr. med. Wolfgang Eisenmenger
Präsident der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin, Institut für Rechtsmedizin, Frauenlobstr. 7 a, 80337 München
Dr. iur. Dr. med. Rainer Erlinger
Rechtsanwalt und Arzt, Ulsenheimer Friederich Rechtsanwälte, Maximiliansplatz 12, 80333 München
Univ.-Prof. Dr. iur. Friedhelm Hufen
Universität Mainz, Staats- und Verwaltungsrecht, Jakob-Weldder-Weg 9, 55128 Mainz
Prof. Dr. iur. Winfried Kluth
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Juristische Fakultat, Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Universitätsplatz 3-5, 06099 Halle (Saale)
Dr. iur. Dr. med. Hans-Jürgen Kramer
Schatzmeister der DGMR e.V., Rechtsanwalt und Arzt, Blombergstraße 18, 82538 Geretsried
Prof. Dr. iur. Reinhard Merkel
Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Hamburg, Institut für Kriminalwissenschaften, Seminar für Rechtsphilosophie, Schlüterstr. 28, 20146 Hamburg
Dr. Thomas Morzinck
Klinikum der Universität zu Köln, ZIK Zentralbereich für Informations- und Kommunikationstechnologie D-50924 Köln
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Teilnehmerliste Einbeck 2004
Prof. Dr. med. Eberhard Schwinger
Direktor des Instituts für Humangenetik, Campus Lübeck, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Ratzeburger Allee 160, 23538 Lübeck
Prof. Dr. med. Hans-Rudolf Tinneberg Geschäftsführender Direktor der Frauenklinik und Hebammenlehranstalt, European Training Center in Obsterics and Gynecology, Universitätsklinikum Gießen, Klinikstr. 28, 35385 Gießen Dr. iur. Albrecht Wienke
Generalsekretär der DGMR e.V., Rechtsanwalt, Bonner Straße 323, 50968 Köln
Prof. Dr. med. Gerhard Wolff
Genetische Beratungsstelle, Institut für Humangenetik und Antropologie, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Breisacher Str. 33, 79106 Freiburg
PD Dr. Christiane Woopen
Institut für Geschichte und Ethik der Medizin, Universität zu Köln, JosefStelzmann-Str. 20, Geb. 42, 50931 Köln